Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, meine Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst möchte ich einige Mitteilungen machen.
Die Fraktion der SPD hat als Nachfolger für den verstorbenen früheren Kollegen Dr. Gerhard Jahn Herrn
Professor Richard Schröder als Mitglied im Kuratorium „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“
benannt. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktliste
vorliegenden Punkte zu erweitern:
ZP1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Pflicht zur Vorlage eines Bundeshaushalts 1999 in den
verfassungsrechtlichen Fristen angesichts der widersprüchlichen Aussagen zur Finanz- und Haushaltspolitik
in der Bundesregierung
({0})
ZP2 Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Paul Krüger,
Ulrich Adam und der Fraktion der CDU/CSU: Ansiedlung
einer Produktionsstätte für den Airbus A 3 XX in Mecklenburg-Vorpommern - Drucksache 14/161 ZP3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen Verunsicherung in der Euro-Region Neiße infolge der Verurteilung
von Taxifahrern und Haltung der Bundesregierung zum
Vorgehen des Bundesgrenzschutzes in diesem Zusammenhang
Darüber hinaus soll von der Frist für den Beginn der
Beratung, soweit dies bei einzelnen Tagesordnungspunkten erforderlich ist, abgewichen werden.
Des weiteren ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 9 - es handelt sich um die Überlassung der
Akten der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit - abzusetzen und den Tagesordnungspunkt 11 - Änderung des Gesetzes über die
Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre - ohne Debatte aufzurufen.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der in der 11. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur
Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr.
Edzard Schmidt-Jortzig, Hildebrecht Braun ({1}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. zum Zuwanderungsbegrenzungsgesetz ({2}) - Drucksache
14/48 überwiesen:
Innenausschuß ({3})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuß
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Vereinbarte Debatte
50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre auch
hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Es ist vereinbart, daß ich vor Beginn der Aussprache
im Namen des ganzen Hauses eine Erklärung abgebe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heutige Tag der Menschenrechte ist zugleich der 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
- also ein doppelter Anlaß, über die historische Bedeutung dieser Erklärung zu sprechen und Bilanz zu ziehen.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte legte
vor 50 Jahren die damals 56 Staaten der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf die Einhaltung
der Menschenrechte fest. Damit war es endlich gelungen, eine Einigung mit weltweitem Geltungsanspruch zu
erzielen. Das war, mit den Worten von Norberto Bobbio
- ich zitiere -,
... etwas völlig Neues in der Geschichte der
Menschheit, denn hier wurde zum ersten Mal ein
System von grundlegenden Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens in freier Entscheidung angenommen, explizit von der Mehrheit der auf der
Erde lebenden Menschen vertreten durch ihre jeweiligen Regierungen ...
Die großartige Idee der Menschenrechte wurde endlich berücksichtigt und artikuliert. Denn sie spricht dasjenige des Menschen an, das ihn als humanes Wesen
ausmacht, das ihn zum Bewußtsein seiner Würde, seiner
Einzigartigkeit, seiner Freiheit und seiner Gleichheit mit
allen anderen Menschen gelangen läßt. Die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte war nicht nur ein Meilenstein in der Entwicklung der Menschenrechtsidee,
sondern sie war und ist Fundament für viele darauffolgende Vereinbarungen, wie den Internationalen Pakt
über bürgerliche und politische Rechte - den Bürgerrechtspakt - und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte - den Sozialpakt - oder die Wiener Weltmenschenrechtskonferenz im Jahre 1993.
Sie war und ist Motor für viele, die trotz widriger
Umstände und Androhung von Gewalt weltweit den
tagtäglichen Kampf für die Verwirklichung dieser elementaren Rechte führen. Ob Andrej Sacharow oder
Mutter Teresa, ob die Mütter auf der Plaza de Mayo in
Buenos Aires, die das Verschwinden ihrer Angehörigen
anklagen, ob die Soldatenmütter im TschetschenienKrieg oder die Streetworker in Brandenburg in ihrem
Einsatz gegen rechtsextremistische Gruppen - sie alle
stehen für ein mutiges und erschütterliches Engagement
im Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte.
({4})
Menschenrechte sind zum Gradmesser des Fortschritts und des Zivilen in Politik und Gesellschaft geworden. Bei der Überwindung des kommunistischen Systems in Mittel- und Osteuropa 1989/90 spielte die Idee
der Menschenrechte, die Einforderung der elementaren
Bürger- und Freiheitsrechte eine entscheidende Rolle für die Charta 77, die Helsinki-Gruppen, für Solidarnosc
und die Initiative für Frieden und Menschenrechte wie
auch für die anderen Oppositionsgruppen in der DDR.
Dennoch: Diesen unbestrittenen Erfolgen stehen
schwere Rückschläge und immer wieder auftauchende
Widersprüche entgegen. Seit der Erklärung der Menschenrechte nehmen die Menschenrechtsverletzungen
nicht ab, nein, sie nehmen zu. Gerade heute früh war die
Nachricht von der Ermordung des iranischen Schriftstellers Mohari zu hören. Das ist nur ein Beispiel.
Willkür und Unterdrückung, Folter, Terror und Massenvergewaltigungen sind nach wie vor in den verschiedensten Ländern der Welt an der Tagesordnung. Oppositionelle und Minderheiten werden gewaltsam unterdrückt oder manipuliert. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Demonstrationsrecht sind in vielen
Regionen dieser Welt fragile, ja oft nur scheinbare
Rechte, die entweder nur auf dem Papier stehen oder
nicht von dauerhaftem Bestand sind. Politische oder religiöse Gründe führen zu Verfolgung und Ausgrenzung.
Existenzielle Nöte, kriegerische Auseinandersetzungen,
Vertreibung aus der Heimat - all dies gehört zum Alltag
unserer Welt.
Es gibt aber auch die weniger spektakulären Menschenrechtsverletzungen wie die Unterdrückung der
Frauen. Sie finden zumeist im privaten, persönlichen
Umfeld statt; sie geschehen subtil, aber sind nicht minder demütigend. Anklagend, aber eben oft auch hilflos
steht die Weltgemeinschaft vor diesen Vergehen und
Verbrechen. Schwerwiegende Konflikte und Widersprüche werden dabei deutlich.
Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
hat ein philosophisch begründetes und abgeleitetes Ideal
den Rang einer Rechtsnorm erhalten, legitimiert aus der
Übereinkunft der internationalen Staatengemeinschaft.
Die Umsetzung in das positive Recht der nationalen
Staaten und in ihre unterschiedlichen Kulturen sowie die
Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte erweisen sich jedoch als schwierig. Hinzu kommt, daß die
Menschenrechte selbst keine homogene Einheit bilden.
Immer wieder kollidieren die einzelnen Schutzbereiche,
wenn es um die Auslegung von Menschenrechten geht.
Wir haben eine Balance zu finden, die im Leben gerecht
ist und Bestand hat.
Der Deutsche Bundestag hat sich oftmals selbst vor
solchen Zielkonflikten gesehen und diese Herausforderungen angenommen. Ich erinnere hier nur an die Debatten über das Asylrecht und über die Unverletzlichkeit der Wohnung. In beiden wie in vielen anderen
Fällen rang dieses Hohe Haus um eben jene Balance im
Konflikt zwischen verschiedenen, gleichgewichtigen
Menschenrechten und den sich daraus ergebenden staatlichen Aufgaben.
Die Gleichwertigkeit der Menschenrechte muß in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich betont
werden. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe in
einem Staat gelebt, der jahrzehntelang kollektive und
individuelle, vor allem aber soziale und politische Menschenrechte gegeneinander auszuspielen trachtete. Nicht
zuletzt im Deutschen Bundestag ist die Unterdrückung
elementarer Menschenrechte in der DDR immer wieder
kritisiert und zurückgewiesen worden. Das war gut und
richtig so. Es war und bleibt eine Pflicht, die Menschenrechte als unteilbar zu begreifen und sie so auch wirksam werden zu lassen.
({5})
Die Verpflichtung, Menschenrechte einzuhalten, bedeutet auch, diejenigen zu sanktionieren, die sie verletzen. Deshalb treffen die britischen Entscheidungen über
den Ex-Diktator Pinochet auf so große, ja begeisterte
Zustimmung. Sie sind ein wichtiger und, wie ich hoffe,
folgenreicher Vorgang.
({6})
Die Interventionen der UNO und die Einrichtung
eines internationalen Gerichtshofes zur Aburteilung
von Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind große
Erfolge der Menschenrechtspolitik der 90er Jahre. Aber
auch hier tun sich Widersprüche auf, die noch nicht allgemein oder endgültig gelöst sind. Wo sind die Kriterien? Wo liegen die Grenzen eines im internationalen
Präsident Wolfgang Thierse
Recht verankerten humanitären Eingreifens? Wer bestimmt die Balance zwischen nationalem Selbstbestimmungsrecht und individuellen Menschenrechten? Ist der
Kollektivanspruch einer Nation höher zu bewerten als
der universal gültige Schutz jedes einzelnen vor staatlicher und kollektiver Willkür?
Bei allen Rückschlägen und Widersprüchen: Als Demokraten stehen wir in der Verantwortung, eine aktive
Menschenrechtspolitik zu gestalten. Wir sind verpflichtet, auf den Ruf nach Freiheit und Anerkennung dieser
menschlichen Rechte zu antworten. Es gilt, die mit den
Zielkonflikten entstehenden Spannungen auszuhalten
und die Frage der Menschenrechte immer im Auge zu
behalten. Wie dies letztendlich geschieht, ob durch lauten Protest oder durch stille Diplomatie, hängt vom Einzelfall ab.
Zu einer aktiven Menschenrechtspolitik gehört auch,
aufmerksam und sensibel für neue Entwicklungen und
deren Auswirkungen auf die Menschenrechte zu sein.
Menschenrechte werden nie abschließend geregelt werden können. Sie sind eine lebendige Materie. Sie sind
letztendlich das Resultat von ausgetragenen Konflikten
und gefundenem Konsens, von konstruktiven Diskussionen, von Fortschritten und Rückschlägen - eben von
menschlichen Erfahrungen.
Neben den alten individuellen, sozialen und politischen Menschenrechten, die immer noch nicht überall
auf der Welt verwirklicht sind, kommen zum Beispiel
im Zuge der Einführung innovativer Techniken auf die
Menschenrechtspolitik neue Herausforderungen zu. Ob
durch die moderne Datentechnik, durch neue Medien,
durch die Auswirkungen der Gentechnik oder der fortgeschrittenen Transplantationstechnik: Vieles wird sich
verändern, aber die Würde des Menschen muß unantastbar bleiben.
({7})
Der Deutsche Bundestag hat der besonderen Bedeutung der Menschenrechtspolitik durch die Einsetzung
des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe Rechnung getragen. Das ist ein wichtiger Schritt.
Aktive Menschenrechtspolitik kann vor allem nicht
auf die Arbeit der Nicht-Regierungsorganisationen verzichten. Beispielhaft für alle anderen nenne ich an dieser
Stelle Amnesty International.
({8})
Die Nicht-Regierungsorganisationen waren schon vor
der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aktiv. Immer dann, wenn Verstöße gegen
die Menschenrechte drohen oder geschehen sind, erheben sie ihre Stimme, klagen an und leisten Hilfe. Sie arbeiten gleichermaßen im Stillen, vor Ort, kooperieren
mit staatlichen Institutionen und sorgen für humane Lebensbedingungen der Ärmsten und Schwächsten.
Vor wenigen Tagen habe ich im Namen des Deutschen Bundestages eine Gruppe der Preisträger des Amnesty-International-Menschenrechtspreises empfangen.
Die Schilderung der bedrohlichen Situation in ihren jeweiligen Ländern auf verschiedenen Kontinenten hat
mir nachdrücklich vor Augen geführt, daß wir in unseren Anstrengungen für eine aktive, internationale Menschenrechtspolitik nicht nachlassen dürfen. Ich hätte bei
diesem Gespräch gerne auch den chinesischen Dissidenten Wei Jingsheng empfangen. Leider konnte sein
Flugzeug in München nicht starten. Ich möchte aber an
dieser Stelle nochmals betonen, daß derartige Treffen
ungeachtet des Protestes der chinesischen Diplomatie
eine Selbstverständlichkeit sein sollten.
({9})
Sie werden verstehen, daß eine solche Bemerkung gerade für mich als ehemaligen DDR-Bürger von einer besonderen Bedeutung ist.
Die Zeiten der sogenannten „Nichteinmischung in die
inneren Angelegenheiten“ sind vorbei und müssen vorbei sein.
({10})
Menschenrechte dürfen nicht an Grenzen, auch nicht an
diplomatischen Grenzen, Halt machen. Es sollte zu den
selbstverständlichen Gepflogenheiten gehören, daß Abgeordnete dieses Hauses, die in andere Länder reisen,
dort auch mit Vertreterinnen und Vertretern von Menschenrechtsorganisationen, mit Dissidenten und Verfolgten sprechen. Dies ist eine Selbstverständlichkeit.
({11})
Wir sollten uns auch heute erneut an die bewegenden
Bilder von 1989 aus dem Garten der Deutschen Botschaft in Prag erinnern. Ich war gerade dort. Ich würde
mich freuen, wenn es zu einem Markenzeichen für deutsche Politik würde, daß man ihr im Ausland nachsagt,
daß ihre Botschaften offene, gesprächsfähige Orte auch
für diejenigen sind, die in ihren Ländern mit Menschenrechtsverletzungen zu kämpfen haben.
({12})
Im Namen aller Parlamentarier dieses Hauses danke
ich Amnesty International und anderen Organisationen
in diesem Bereich für das unermüdliche und vor allem
auch unerschrockene Engagement; denn die Streiter für
Menschenrechte werden zunehmend selbst Opfer von
Menschenrechtsverletzungen. Einzelne Mitglieder werden inhaftiert, gefoltert oder getötet, Büros vor Ort werden geschlossen, oder die Arbeit wird systematisch unterbunden. Deshalb muß heute internationale Menschenrechtspolitik immer auch und besonders Schutz der gefährdeten Menschenrechtler sein.
Am heutigen Tage debattiert auch die Vollversammlung der Vereinten Nationen das Thema der Menschenrechte. Amnesty International und andere Organisationen haben dazu erneut eine Erklärung vorgelegt. Ich
wünsche mir, nein ich bin sicher, daß von unserer heutigen Debatte das Signal ausgeht, daß die Parteien des
Deutschen Bundestages sich trotz all ihrer sonstigen
politischen Differenzen einig sind in ihrem Eintreten für
die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte.
Präsident Wolfgang Thierse
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Rudolf Bindig, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Der Präsident hat für den
ganzen Deutschen Bundestag die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen proklamierte Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gewürdigt. Wahrlich, sie ist ein Basisdokument der Menschheit. Zusammen mit den sie konkretisierenden Menschenrechtsabkommen und -pakten stellt sie das globale Ethos der
Menschheit dar.
Die Erklärung ist zugleich Meßlatte für den Grad der
Durchsetzung der Menschenrechte und Programm für
die aktive Menschenrechtspolitik. Oft heißt es, Menschenrechte müßten gewährt werden. Da klingt so etwas
wie Großzügigkeit mit, als müßten die Menschenrechte
den Menschen erst zugestanden werden. In Wirklichkeit
beschreibt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte die dem Menschen innewohnenden Rechte. Sie
müssen anerkannt und respektiert und für ihn durchgesetzt und nicht gewährt werden.
({0})
Sie sind ein Handlungsauftrag für die Staaten, die Gesellschaften und die internationale Gemeinschaft.
Ein Blick auf die brutale Realität zeigt, daß zahlreiche Staaten diesem Auftrag nicht gerecht werden. Viele
Menschen müssen in Angst und Not leben; ihre Menschenrechte werden aufs schwerste verletzt. Die UNMenschenrechtskommissarin Mary Robinson hat vor
zwei Tagen in Paris von der „bitteren Wahrheit“ gesprochen, daß fast jeder der 1948 beschlossenen 30 Artikel
seither fast systematisch verletzt worden sei.
Aktuelle operative Menschenrechtspolitik findet
eine große Zahl von Problemen und Ansatzpunkten: der
Kampf gegen Folter, politische Verfolgung und Verschwindenlassen, Bemühungen um die Abschaffung der
Todesstrafe, Kampf gegen Zwangsarbeit und Kinderarbeit, Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten,
Schutz von Frauen vor Genitalverstümmelung. Schließlich gehören der Ausbau des nationalen und internationalen Menschenrechtsinstrumentariums genauso dazu
wie stärkere Bemühungen um Präventivmaßnahmen
zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen. Zu vielen
dieser Themen haben wir hier im Deutschen Bundestag
Initiativen ergriffen, und wir werden weiter daran arbeiten.
Da nicht in jeder Rede zum Tag der Menschenrechte
das ganze Spektrum unserer menschenrechtlichen Aktivitäten und Bemühungen dargestellt werden kann,
möchte ich aus Anlaß dieser besonderen Debatte zwei
Problembereiche der Menschenrechtspolitik besonders
herausstellen, eines aus der Außenpolitik und eines aus
der Innenpolitik.
Beim Einsatz für die Menschenrechte in der Außenpolitik geht es neben der Frage, wie die politisch Führenden eines Landes bzw. die Machthaber in einem Staat
durch Einflußnahme von außen - sei es über bilaterale
Maßnahmen, sei es über multilaterale Aktivitäten - dazu
gebracht werden können, die Menschenrechte zu beachten, darum, wie innerstaatliche Prozesse unterstützt
und sogar angeregt werden können, welche die Anerkennung und Respektierung der Menschenrechte im jeweiligen Land fördern.
Neben dem von außen kommenden interventionistischen Ansatz ist ein Ansatz, der auf die innere Entwicklung in den Staaten abstellt, von ganz besonderer
Bedeutung. Gerade in Problemländern sollten deshalb
die Menschenrechtsverteidiger, die nichtstaatlichen
Menschenrechtsorganisationen, noch stärker beachtet,
unterstützt und mit allen Möglichkeiten beschützt werden.
({1})
Diese Vorkämpfer für die Menschenrechte sind es, deren Menschenrechte als erste verletzt werden, die an
Leib, Leben und Freiheit bedroht werden. Die deutsche
Außenpolitik sollte sich künftig noch stärker darum bemühen, diese Menschen und Einrichtungen zu unterstützen.
Die Grundlage für einen besseren Schutz der Menschenrechtsverteidiger bietet die UN-Erklärung, welche
heute von den Vereinten Nationen angenommen werden
soll. Diese Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern kann für die Praxis der Durchsetzung der Menschenrechte eine ähnlich wichtige Bedeutung bekommen wie die vor 50 Jahren verkündete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte für die Definition von Menschenrechten.
Die heutige Erklärung stellt nämlich eine wertvolle
Ergänzung dar, indem sie das Recht, für die Umsetzung
der Menschenrechte und Grundfreiheiten einzutreten,
selbst zum Menschenrecht erklärt. Jeder Mensch soll das
Recht haben, sich frei über Wissen, andere Standpunkte
und Ansichten, über alle Menschenrechte und Grundfreiheiten zu informieren und diese Erkenntnisse frei zu
veröffentlichen und zu verbreiten. Menschen sollen sich
zum Zweck der Beförderung und des Schutzes der Menschenrechte und Grundfreiheiten treffen und friedlich
versammeln können und nichtstaatliche Organisationen,
Verbindungen oder Gruppen gründen oder ihnen beitreten können oder sogar das Recht erhalten, dies, wenn es
ihnen nicht gewährt wird, mit Rechtsmitteln durchzusetzen. Den Staaten soll auferlegt werden, in „oberster
Verantwortung und Pflicht“ die Menschenrechte zu
schützen, zu fördern und umzusetzen.
Zwar handelt es sich hier wiederum nur um ein Programmdokument, das als Erklärung gestaltet worden ist,
also nicht durch Ratifizierung zu verbindlichem Konventionsrecht werden soll. Aber in dieser Form kann
auch eine Stärke liegen, die darin besteht, daß sie eben
nicht langer Ratifizierungsverfahren bedarf, sondern
umgehend zum Maßstab dafür werden kann, wie MenPräsident Wolfgang Thierse
schenrechtsaktivisten zu schützen sind und in welcher
Form Staaten die Durchsetzung der Menschenrechte zu
organisieren haben.
Deshalb stellt diese neue Erklärung eine sehr wichtige Ergänzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte dar. Vielleicht kann sie sich weltweit zu
dem entwickeln, was der Korb III der KSZEVereinbarung über die menschliche Dimension für die
Staaten Mittel- und Osteuropas gewesen ist. - Dies zu
dem außenpolitischen Problemkreis.
Mit Blick nach innen muß man bei der Diskussion
über das Thema Menschenrechte in Deutschland feststellen, daß auf der politisch-parlamentarischen Ebene
bisher noch wenig über Menschenrechtsfragen diskutiert
wird, die im Zusammenhang mit dem Flüchtlings- und
Asylrecht stehen. Diese Rechtsgebiete werden in der
politischen Diskussion in Deutschland vielfach nicht als
integraler Bestandteil des Menschenrechtsschutzes und
damit einer umfassenden Menschenrechtspolitik behandelt, und dies, obwohl es gerade hier ein Problem gibt,
über welches unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten politisch diskutiert werden muß.
({2})
Durch innenpolitische Regelungen und durch die
Rechtsprechung zum Asyl- und Flüchtlingsrecht sind
Kategorisierungen und Interpretationen bzw. herrschende Lehren darüber entstanden, von wem und in welcher
Form und Intensität Verfolgung vorliegen kann und
muß, um daraus asyl- und ausländerrechtliche Rechtsfolgen abzuleiten. So wird bei der staatlichen Verfolgung zwischen unmittelbarer staatlicher, mittelbarer
staatlicher und quasistaatlicher Verfolgung unterschieden. Diese lösen bestimmte Rechtsfolgen des Asyl- und
Ausländerrechts aus.
Es bleiben dann aber noch die Bereiche von partieller
oder totaler Anarchie in einem Gebiet, das heißt von
Ländern, in denen es keine staatlichen Strukturen gibt,
und das Problem von nichtstaatlicher Verfolgung und
Bedrohung oder Situationen, in denen Folter und Mißhandlung so zahlreich und - man mag es kaum aussprechen - gewöhnlich geworden sind, daß sie kein individuelles Risiko mehr darstellen.
Diese Begriffs- und Rechtskonstruktionen mögen
sich innenpolitisch so entwickelt haben und/oder von einigen bewußt so gewollt worden sein; sie mögen rechtlich so abgeleitet worden sein oder sogar zur herrschenden Linie geworden sein. Das ändert aber nichts daran,
daß sie, menschenrechtlich gesehen, in Einzelfällen zu
unakzeptablen Ergebnissen führen können.
({3})
Dem betroffenen Menschen - und er ist derjenige, für
den die Menschenrechte formuliert worden sind - ist es
in seiner Not egal, wer der Verursacher seiner Peinigung
ist. Folter ist Folter, Verfolgung ist Verfolgung, unmenschliche und unwürdige Behandlung bleibt unmenschliche und unwürdige Behandlung, egal von wem
sie ausgeht.
({4})
Während auf der gesellschaftlichen Ebene durchaus
über dieses Problem diskutiert wird, ist es auf der politisch-parlamentarischen Ebene fast zu einem Tabu geworden, darüber zu sprechen. Wann, wenn nicht heute,
am Tag der Menschenrechte, besteht Anlaß, dieses „Eisen“ anzufassen und hier, im Deutschen Bundestag, darüber zu reden? Für die menschenrechtliche Diskussion
darf nicht gelten, daß dieses Problem „zu heiß“ ist, gerade weil es für etliche Betroffene bereits „heiß“ geworden ist. Alle Fraktionen in diesem Hause müssen das
Thema um der Menschenrechte willen endlich aufgreifen und nach Lösungen suchen. Es geht hier keinesfalls
darum, auf diesem Wege ein neues Tor der Zuwanderung zu öffnen, sondern es geht darum, einzusehen, daß
es hier ein Problem gibt, das noch einer Regelung bedarf. Hier ist eine Schieflage entstanden, die in eine Balance zwischen menschenrechtlich Gebotenem und innenpolitisch Notwendigem gebracht werden muß.
({5})
Die Art, wie wir dieses Thema künftig behandeln, wird
zeigen, ob wir in schwierigen Situationen nur Menschenrechtsrhetorik betreiben oder ob wir zu einer vertretbaren Menschenrechtspraxis kommen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat nun
Kollege Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - viel ist in diesen
Tagen über die Frage veröffentlicht worden, ob der Geburtstag dieser Erklärung ein Grund zum Feiern sei.
Kaum ein Dokument wird zwar so häufig zitiert, aber
gleichzeitig auch immer wieder in so dramatischer Weise mißachtet. Dennoch wird ganz überwiegend die Frage, ob denn dieser Geburtstag einen Anlaß zum Feiern
biete, mit „Ja, aber“ beantwortet. Ich denke, das geschieht zu Recht. Dies gilt allerdings nur, wenn wir nicht
zulassen, daß die hehren Worte am heutigen Tage die
Hilfeschreie der Unterdrückten, der Gefolterten und
Ausgebeuteten übertönen. Wir müssen vielmehr die
Lautsprecher dieser Menschen sein, uns zu ihrem Anwalt machen.
({0})
Deshalb zu Beginn eine ernüchternde Bilanz. Der
Jahresbericht von Amnesty International enthält Informationen über 140 Staaten, in denen die Menschenrechte verletzt werden. In 55 Ländern gibt es staatlich
angeordnete Morde; in 87 Ländern befinden sich politische Gefangene in Gefängnissen; Folter, Mißhandlungen, Vergewaltigungen in Gefängnissen und Polizeistationen gibt es in 117 Staaten dieser Erde; in ungefähr 50
Staaten sterben Menschen infolge systematischer Folter;
hunderttausende Menschen erleiden ohne Anklage und
Verfahren Haft, zumeist in Arbeits- und Umerziehungslagern. Das Verschwindenlassen mißliebiger Personen,
auf das die Mütter der Verschwundenen in Buenos Aires
die Welt erstmals aufmerksam machten, hält in einer
Reihe von Ländern an. Hunderttausende Schicksale verschwundener Menschen sind bis heute unaufgeklärt.
Noch immer werden in etwa 40 Ländern der Welt - darunter in den USA, der Volksrepublik China, Nigeria und
dem Iran - Menschen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Dabei will ich nicht unerwähnt lassen, daß es inzwischen die Mehrheit der Staaten ist, in der die Todesstrafe abgeschafft wurde oder seit vielen Jahren nicht
mehr vollstreckt wird.
({1})
Ich erwähne dies gerade deshalb, weil der Einsatz
gegen die Todesstrafe seit Jahren ein Schwerpunkt der
bundesrepublikanischen Menschenrechtspolitik ist. Ich
erinnere nur an das von Deutschland initiierte zweite
Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe.
Trotz der ernüchternden Bilanz gilt heute aber auch:
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat Millionen Menschen in aller Welt inspiriert, sich für die
Menschenrechte einzusetzen, sich mit den Opfern von
Menschenrechtsverletzungen zu solidarisieren, sich für
die Prävention von Menschenrechtsverletzungen und für
die Schaffung von Strukturen zum Schutz der Menschenrechte einzusetzen.
Der mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bewirkte Stellenwert der Menschenrechte in der
Weltöffentlichkeit trug wesentlich dazu bei, daß sich die
um ihr Ansehen so besorgten Diktatoren dieser Erde
immer wieder unter Rechtfertigungsdruck sehen, ein
Effekt, der sich im Zeitalter globaler Nachrichtenübertragung im Internet oder im Fernsehen weiter verstärkt
und dessen Wirkung wir in der umfangreichen Propagandatätigkeit ihrer Botschaften in vielen Hauptstädten
spüren.
Es blieb aber nicht bei einer völkerrechtlich unverbindlichen feierlichen Erklärung. Es folgte die zunehmende Verrechtlichung durch die beiden Menschenrechtspakte und eine Reihe weiterer Menschenrechtsübereinkommen. Es läßt sich heute wohl sagen, daß die
Normbildung im Bereich der Menschenrechtsstandards
weit fortgeschritten ist. Jetzt gilt es vor allem, um die
Durchsetzung und Schaffung wirkungsvoller Durchsetzungsinstrumente zu ringen. Dabei muß auch heute
noch das Ringen um die Durchsetzung der Menschenrechte bei der Verteidigung ihrer universellen Geltung
beginnen. Diese Universalität macht die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zum Ausgangspunkt des
Menschenrechtskatalogs, wenn bereits im ersten Satz
von der „Anerkennung der allen Mitgliedern der
menschlichen Familie innewohnenden Würde“ die Rede
ist. Menschenrechte sind Geburtsrechte, die allen politischen Ordnungen vorgegeben sind.
({2})
Ihre Achtung darf auch nicht unter Hinweis auf kulturelle Besonderheiten relativiert werden. Zu Recht
heißt es daher im Schlußdokument der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993:
Zwar ist die Bedeutung nationaler und regionaler
Besonderheiten und unterschiedlicher historischer,
kultureller und religiöser Voraussetzungen im Auge
zu behalten, doch ist es die Pflicht der Staaten, ohne Rücksicht auf ihre jeweilige politische, wirtschaftliche und kulturelle Ordnung alle Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu
schützen.
Sicherlich zeigen gerade die in ihrer Schlichtheit und
Klarheit eindrucksvollen Formulierungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ihre Verwurzelung
in westlichen Traditionen. Längst haben wir jedoch gelernt, daß es menschenrechtsfreundliche und menschenrechtsfeindliche Traditionslinien in allen Kulturkreisen
und Religionen gibt.
({3})
Ich nenne nur die Geltung der goldenen Regel „Was du
nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem andern
zu“ in praktisch allen Kulturkreisen.
Die menschenrechtsfreundlichen Traditionslinien in
allen Kulturen haben ihre Wurzeln in den Leistungen
der menschlichen Vernunft. Vor allem aber sind es die
konkret erlittenen Unrechtserfahrungen, die Menschen
in allen Kulturkreisen zur Berufung auf die unveräußerlichen Menschenrechte führten. So hat es Schillers Wilhelm Tell formuliert:
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last - greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel
Und holt herunter seine ewgen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich ...
Wer heute die Universalität der Menschenrechte verteidigen will, darf nicht den Eindruck einer eigenen Relativierung dieser Universalität der Menschenrechte entstehen lassen.
({4})
Diese Gefahr aber sehe ich, wenn unter dem Vorzeichen, Kritik aus dem asiatischen Raum an unseren menschenrechtlichen Positionen ernst nehmen zu wollen, eine Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten angeregt wird, wie das durch das sogenannte Interaction
Council geschah.
Wer der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
eine Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten
gleichsam als Zwilling an die Seite stellt, wird trotz aller
vorbeugenden Klauseln nicht verhindern können, daß
sich Unterdrücker unter Berufung auf die Nichterfüllung
von Pflichten die Nichtgewährung von Rechten anmaßen.
({5})
In der Universalität der Menschenrechte gründet auch
unsere Überzeugung, daß dem Einsatz für die Achtung
der Menschenrechte nicht mit dem Hinweis auf das
Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten entgegengetreten werden kann. Nationale
Souveränität ist niemals eine taugliche Legitimierung
für Unterdrückung, Folter und Mord.
({6})
Die Menschenschinder müssen vielmehr wissen: Wer
mordet, foltert und unterdrückt, muß mit unserer Einmischung rechnen.
({7})
Bereits im Text der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte spielen die politischen Rahmenbedingungen
für die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Sozialstaatlichkeit, eine wichtige
Rolle. Schon daraus wird deutlich, daß die weltweiten
Demokratiebewegungen für die Achtung der Menschenrechte von besonderer Bedeutung sind. Diese Demokratiebewegungen gilt es zu stärken.
Wir alle sollten daher in diesem Zusammenhang jede
chinesische Kritik an dem richtigen Gespräch des Außenministers mit dem chinesischen Bürgerrechtler
Wei Jingsheng zurückweisen.
({8})
Die Demokratiebewegungen, die Menschenrechtsverteidiger und die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen leisten einen großartigen Beitrag im Ringen
um die Achtung der Menschenrechte. Dies gilt für die
Nichtregierungsorganisationen in unserem eigenen
Land, deren großer Sachkunde und im Regelfall ehrenamtlichem Einsatz unser Dank gilt. Die wichtige Arbeit
dieser Nichtregierungsorganisationen ist nicht erfolglos.
Amnesty International erreichte in einem Drittel der
Fälle von Menschen, für die man sich einsetzte, eine
Verbesserung der Lage: die Aussetzung der Todesstrafe,
ein Ende von Mißhandlungen, einen fairen Prozeß oder
gar die Haftentlassung.
Dank und Bewunderung verdienen vor allem auch die
Menschenrechtsverteidiger, die in Unrechtsregimen mit
hohem eigenen Risiko für die Menschenrechte eintreten.
Welch hohes Risiko Menschenrechtsverteidiger eingehen, machten in jüngster Zeit die Morde an dem kolumbianischen Anwalt Eduardo Umana Mendoza und an
der russischen Parlamentsabgeordneten Galina Starowoitowa deutlich.
Die beste Art, wie die Völkergemeinschaft den mutigen Menschenrechtsverteidigern danken und ihnen Unterstützung zukommen lassen kann, ist die Verabschiedung einer „Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern“ durch die Generalversammlung der
Vereinten Nationen am heutigen Tage. Über ein Jahrzehnt ist um diese wichtige Erklärung gerungen worden.
Gerade die deutsche Delegation bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat beharrlich
auf diese Erklärung hingearbeitet. Dafür gebührt ihr unser aller Dank.
({9})
Tragen wir jetzt alle dazu bei, diese so wichtige Erklärung zu verbreiten und auf einen besseren Schutz der
Menschenrechtsverteidiger zu drängen!
Zentral für die Menschenrechtspolitik in der vor uns
liegenden Zeit muß die Weiterentwicklung der Durchsetzungsmechanismen sein. Die Verabschiedung des
Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs im Juli
dieses Jahres in Rom durch 120 Staaten, also immerhin
zwei Drittel der Staatengemeinschaft, stellt einen ganz
wichtigen Fortschritt dar, zu dem der frühere Außenminister Klaus Kinkel und die deutsche Delegation in Rom
wesentlich beigetragen haben.
({10})
Dies gilt trotz schmerzhafter Kompromisse im Hinblick
auf die Zuständigkeit des Gerichtshofes und die Interventionsmöglichkeiten des Sicherheitsrates, den sicherlich noch einige Jahre dauernden Ratifikationsprozeß
und die bedauerliche offensive Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofs durch die USA. Dagegen
möchte ich ausdrücklich die starke Unabhängigkeit des
Gerichts und der Anklagebehörde positiv hervorheben.
Einen ganz wichtigen weiteren Fortschritt zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes stellt das am 1.
November dieses Jahres in Kraft getretene 11. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention
dar, insbesondere die Ausgestaltung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg als
ständiger Gerichtshof und die Möglichkeit einer Individualbeschwerde vor diesem Gericht. Dies hat gerade angesichts von heute über 40 Mitgliedern des Europarats
als Folge der Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa
eine besondere Bedeutung.
Im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Menschenrechte ist in den letzten Monaten, nicht zuletzt
durch den Fall Pinochet, immer wieder das Problem der
Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen diskutiert worden. Lange war die Überzeugung vorherrschend, zugesicherte Straffreiheit könne das friedliche
Ende einer Diktatur oder eines Bürgerkrieges beschleuHermann Gröhe
nigen. Heute überwiegt dagegen zunehmend die Auffassung, die Straffreiheit von Menschenrechtsverletzungen
erschwere den rechtsstaatlichen Neubeginn. Zudem
werde eine eindeutige Strafbewehrung von Menschenrechtsverletzungen präventiv wirken.
Einen interessanten Weg geht dabei sicherlich die
„Wahrheitskommission“ in Südafrika, die die Amnestie mit dem Schuldeingeständnis verknüpft. Dagegen ist
es geradezu entsetzlich, wenn sich etwa im argentinischen Fernsehen einstige Folterknechte - geschützt
durch eine Amnestie - ihrer schrecklichen Verbrechen
rühmen. Solches Verhalten macht Aussöhnung nahezu
unmöglich.
Es ist auch die präventive Wirkung der Bestrafung
von Menschenrechtsverletzungen, um derentwillen zu
wünschen ist, daß Pinochet, aber - bei aller Andersartigkeit des Konfliktes - auch Öcalan vor Gericht gestellt
werden. In beiden Fällen würde dies zugleich der notwendigen Sachaufklärung, aber auch der Rehabilitierung
der Opfer dienen.
({11})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der völkerrechtlichen Entfaltung der Menschenrechte und ihres
Schutzes sind wichtige Erfolge erreicht worden. Ein
Anlaß zur Genugtuung besteht indes nicht, liest sich die
Fülle der speziellen Menschenrechtsübereinkommen
primär doch nicht als diplomatische Erfolgsgeschichte,
sondern als menschliches Sündenregister schrecklichen
Ausmaßes. Und noch immer gilt, daß die Völkergemeinschaft - wie in Bosnien und in Ruanda erneut überdeutlich wurde - häufig unfähig war, trotz vorhandener
Warnungen rechtzeitig zu reagieren. Gerade um Prävention muß es daher gehen, wenn wir uns am heutigen
Tage vornehmen, in unserem Bemühen um eine konsistente Menschenrechtspolitik als Ausdruck einer
wertorientierten Außenpolitik nicht nachzulassen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat nun
Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Feierstunden sind gefährlich für die Menschenrechte. Daß wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,
die heute vor 50 Jahren geboren wurde, eine Feier wert.
Und ich empfehle allen, die sie noch nicht oder sie nicht
mehr kennen, nachdrücklich ihre Lektüre.
Natürlich ist es beeindruckend, wie in diesen 50 Jahren die Menschenrechte juristisch verfestigt wurden, wie
sie verbindlich gemacht wurden. Natürlich dürfen wir
stolz sein auf diese wirklich große Erklärung, in der
Millionen von Menschen ihre Hoffnung auf ein Leben
ohne Unterdrückung, ohne Verfolgung verankern, auf
den Dreiklang von Freiheit, Gerechtigkeit und Partizipation. Natürlich ist es ein Anlaß zur Freude, einfach die
Nichtregierungsorganisationen aufzuzählen, die es damals gab und die es heute gibt: 1948 waren es 15 Menschenrechtsorganisationen; 1993, auf der Menschenrechtskonferenz in Wien, waren es 1 500. Also: Die Sorge um die Menschenrechte hat sich verhundertfacht.
Trotzdem: Feierstunden sind gefährlich für die Menschenrechte, weil sie dem Irrglauben Nahrung geben
können, Menschenrechtspolitik sei ein feierlicher Luxus,
den man sich nur an besonderen Tagen leisten kann nach dem Motto: Was wir gestern, was wir vorgestern,
was wir in den vergangenen Wochen gemacht haben,
das ist Realpolitik, und das, was wir wie heute morgen
in gehobener feierlicher Stimmung tun, das ist Menschenrechtspolitik.
({0})
Wer so denkt - ich fürchte, daß nicht wenige so denken
-, der tut so, als sei Menschenrechtspolitik das Reservat
für Moralisten und für Romantiker, als seien die Menschenrechte zwar etwas ganz besonders Wunderbares,
aber nicht tauglich als Maßstab und Anspruch für die
politisch-parlamentarische Arbeit. Wer so denkt, der
macht Menschenrechtspolitik zur Irrealpolitik und setzt
sie in Gegensatz zur vermeintlichen Realpolitik. Das ist
auf gefährliche Weise falsch.
({1})
Menschenrechtspolitik ist Realpolitik. Menschenrechtspolitik ist Demokratiepolitik, weil Menschenrechte
nur dort gedeihen, wo Demokratie funktioniert. Demokratie aber setzt die Unteilbarkeit der Menschenrechte
voraus. Der Versuch, die bürgerlichen, die politischen
Freiheits- und Abwehrrechte zu trennen von den sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Rechten und dem
Recht auf Entwicklung ist gänzlich untauglich und
ideologisch geprägt. Die sozialen Rechte sind nämlich
die Voraussetzung dafür, die politischen, bürgerlichen
Rechte überhaupt wahrnehmen zu können. Das gilt, wie
Präsident Thierse heute morgen gesagt hat, auch umgekehrt.
Menschenrechte sind universell gültig. Die Frage ist
also nicht, ob, sondern was wir dazu beizutragen bereit
sind, daß die Kluft zwischen Anspruch und Menschenrechtsrealität überwunden wird. Wie und wo
Menschenrechte geknebelt und geknechtet werden, das
kann man nachlesen: in den künftig noch realitätsnäheren Lageberichten des Auswärtigen Amtes oder in den
Jahresberichten von Amnesty International. Dort kann
man über die handgreiflichen Torturen lesen.
Es gibt aber auch andere, sehr subtile Gefährdungsformen. Wer nämlich die Menschenrechte nur zu besonderen Gelegenheiten anzieht, so wie man einen Frack
oder ein Abendkleid nur zu besonderen Gelegenheiten
anzieht, der macht aus Menschenrechten Maskerade,
weil er sie instrumentalisiert und selektiv anwendet.
Dieses Jubiläum ist also nicht nur Anlaß zu einer Feier, sondern auch Anlaß zu einer Demaskierung. Das
heißt, wir müssen uns fragen: Wie stabil ist das Fundament für die Menschenrechte? Welchen Beitrag leisten
die deutsche Außenpolitik, die deutsche Entwicklungspolitik, die deutsche Wirtschaftspolitik, die deutsche
Rüstungsexportpolitik, um das Fundament für die Menschenrechte wirklich stabiler zu gestalten?
Dieser Tag ist auch ein Tag gegen Doppelbödigkeit
oder Heuchelei. Ist es in Wahrheit nicht so, daß nicht der
kurdische Flüchtling das Problem ist, sondern vielmehr
die Tatsache, daß Deutschland auf Platz zwei bei den
Rüstungsexporten in die Türkei steht und daß dort
auch mit deutschen Waffen ein Krieg erst möglich wurde?
({2})
Wir müssen uns gerade heute fragen: Genügt unsere
Innenpolitik? Genügt unser Umgang mit Flüchtlingen,
mit Asylbewerbern, mit Behinderten, mit den Armen
dieser Gesellschaft den Ansprüchen, die die Erklärung
formuliert, die wir heute morgen feiern? Wo sind die
Menschenrechte im Flughafenverfahren? Wo sind die
Menschenrechte in den Abschiebegefängnissen unseres
Landes? Wo sind sie, wenn sich ein indischer Junge aus
Verzweiflung, aus Angst vor seiner Abschiebung in seiner Einzelzelle erhängt? Wir müssen uns ernsthaft fragen: Sperren wir nicht manches Mal auch in unserem
Land die Menschenrechte hinter Gitter?
Natürlich könnten wir uns jetzt beruhigen und sagen,
das seien nur bedauerliche Einzelfälle. Einzelfälle? Was
passiert denn an den Außengrenzen? Welche Not wird
an der Grenze abgewiesen, an der früher der Eiserne
Vorhang war? Wie geht man in der Europäischen Union
mit Einwanderern um? Entspricht die Hierarchisierung
der Bevölkerung in Menschen erster, zweiter und dritter
Klasse wirklich Art. 1 der Menschenrechtserklärung,
wonach alle Menschen frei und gleich an Würde und
Rechten geboren sind? Freilich, selbst dann, wenn man
all diese Defizite einräumt, läßt sich sagen, die Verstöße
seien relativ weniger schlimm als die Menschenrechtsverletzungen zum Beispiel im Sudan oder in Algerien.
({3})
Doch woran messen wir das? Ich glaube, die Relativitätstheorie gehört in die Physik und nicht in die Menschenrechtspolitik.
({4})
Bert Brecht hat gesagt: Jeder rede von seiner Schande. Verstecken wir uns also nicht, wenn es um Menschenrechte geht, hinter Menschenrechtsverbrechen anderswo. Glaubwürdig wird unsere Politik nicht dadurch,
daß wir andere anklagen, sondern dadurch, daß wir an
die eigene Politik hohe und höchste Maßstäbe anlegen.
({5})
Erste Zeichen sind gesetzt: der eigenständige Menschenrechtsausschuß, der parteiisch sein wird, parteiisch im wahrsten Sinne des Wortes für die Menschenrechte, die Benennung des Menschenrechtsbeauftragten des Auswärtigen Amtes, die Gründung eines unabhängigen Menschenrechtsinstituts, das Ja zum Internationalen Strafgerichtshof, der Vorschlag für eine
EU-Grundrechtecharta. Ein weiteres gutes, wichtiges,
notwendiges Zeichen wäre die Rücknahme des deutschen Vorbehalts zur Kinderkonvention.
({6})
Wir Politiker und Politikerinnen können aus der
Menschenrechtsarbeit der letzten 50 Jahre lernen: lernen, nicht wegzusehen, nicht zu verdrängen, nicht zu
verschweigen. Schweigen tötet. Qui tacet, consentire videtur - so haben es schon die Juristen im alten Rom
formuliert -: Wer schweigt, stimmt zu. Das gilt nicht nur
im bürgerlichen Recht, sondern das gilt vor allem auch
in der Menschenrechtspolitik. Schweigen wird nicht dadurch geadelt, daß es uns lukrative Handelsverträge einbringt. Solche Verträge sind unsittlich. Gewinn - auch
im wahrsten Sinne des Wortes - werden einklagbare
Menschenrechtsklauseln und die Globalisierung der
Menschenrechte bringen.
Menschenrechtspolitik ist also eine Kultur des Einmischens auch in sogenannte innere Angelegenheiten;
denn Menschenrechtsschutz kennt keine Grenzen. Sie
braucht Beharrlichkeit; sie braucht beharrliche Widerständigkeit. Amnesty hat bewiesen, daß damit Erfolge
und Veränderungen erzielt werden können. So verstanden, ist Menschenrechtspolitik wirkliche Sicherheitspolitik. Sie ist Stabilitätspolitik. Sie ist Politik der internationalen Prävention. Das ist keine Utopie. Vielleicht ist
es eine Vision. Aber eine Vision haben ist das Gegenteil
von untätig sein, und eine Gesellschaft ohne Vision geht
zugrunde.
Ich danke Ihnen.
({7})
Dies war die erste
Rede der Kollegin Roth im Bundestag. Meine herzliche
Gratulation!
({0})
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir tun gut daran, uns heute des 10. Dezembers 1948 zu
erinnern, jenes Datums also, an dem im Palais de
Chaillot in Paris ohne Gegenstimme bei nur 8 Enthaltungen von 48 Staaten die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte verabschiedet wurde. Erstmals in der
Geschichte erreichte mit diesem Dokument die VölkerClaudia Roth ({0})
gemeinschaft über religiöse, kulturelle und politische
Unterschiede hinweg einen Konsens über die Grundwerte und Grundrechte, die allen Menschen zukommen.
Ist dadurch die Welt nun besser geworden? Man
könnte daran zweifeln, angesichts der politisch motivierten Morde, der Folter, des Verschwindenlassens, der
Unterdrückung und - vor unserer Haustür - der ethnisch
motivierten Vertreibung und Vergewaltigungen, die
auch 50 Jahre danach, wohl mit steigender Tendenz, zu
beklagen sind. Dennoch müssen wir uns fragen: Wie sähe unsere Welt heute ohne die Erklärung von 1948 und
die daraus hervorgegangenen Konventionen, Institutionen und menschenrechtlichen Schutzsysteme aus?
Trotz aller Defizite und Rückschläge muß der seit 50
Jahren laufende Menschenrechtsprozeß positiv bewertet werden. Wie könnten wir auch in Resignation
verfallen, wenn uns Menschen, die im Kampf um ihre
Rechte Unvorstellbares erlitten haben, eine zuversichtliche, optimistische Bewertung dieses Prozesses nahelegen? Würden wir uns nicht einem mickrigen Kleinmut
hingeben, wenn wir das Plädoyer von Wei Jingsheng für
Engagement und Optimismus ungehört verhallen ließen?
Wie jämmerlich müßten wir erscheinen, wenn uns der
Appell der burmesischen Friedensnobelpreisträgerin
„Setzt Eure Arbeit fort! Verzweifelt nie!“ nicht erreichen würde? Mit welch kleiner Münze würden wir Politik betreiben, wenn uns das Bild des nach 27jähriger
Haft ungebrochenen Nelson Mandela in Resignation und
Skepsis belassen würde? Es ist in 50 Jahren gelungen,
einen Kanon von ihrem Anspruch nach universell gültigen Verbürgungen und Verpflichtungen zu schaffen, auf
den sich in ihren Grundrechten verletzte Menschen berufen können und berufen. Darin liegt die entscheidende
Bedeutung der Menschenrechtsarbeit der vergangenen
50 Jahre. Kein Machthaber wird sich auf Dauer dem
durch die Menschrechtsdeklarationen erzeugten öffentlichen Druck entziehen können.
({1})
Was bleibt zu tun? Noch vieles, aber vor allem, den
politischen und moralischen Druck auf all jene, die
Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben,
nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern zu verstärken. Dazu ist es erforderlich, für alle Formen von Menschenrechtsverletzungen breitestmögliche Öffentlichkeit herzustellen. Es ist deshalb gut, daß auf der heute tagenden
Vollversammlung der Vereinten Nationen die Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern
verabschiedet wird. Deshalb wäre es gut, wenn die Bundesregierung sich nachdrücklich für eine Verbesserung
des Finanzrahmens des derzeit mit mageren 20 Millionen DM ausgestatteten Hochkommissars für Menschenrechte einsetzen würde.
({2})
Deshalb wäre es gut, wenn es nach jahrelangen Forderungen des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode auch bei uns gelänge, ein unabhängiges Menschenrechtsinstitut einzurichten. Deshalb möchte ich
auch von dieser Stelle aus, die deutsche Öffentlichkeit
aufrufen, dem Kreis der Förderer von Amnesty International beizutreten.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, was müssen
wir unterlassen, um das Erreichte nicht zu gefährden?
Wir müssen alles das unterlassen, was den universellen
Verbindlichkeitscharakter der Menschenrechte
schwächt oder geeignet ist, die menschenrechtlichen
Übereinkommen zu unterlaufen. Wir dürfen es nicht
zulassen, daß auch bei uns partikularistischneopragmatische Gedanken Platz finden, wie sie etwa in
Teilen des amerikanischen Kommunitarismus oder in
Huntingtons „Kampf der Kulturen“ zum Ausdruck
kommen.
Der KSZE-Prozeß und 50 Jahre Menschenrechte zeigen uns, daß sich unterdrückte Menschen gegen Verletzung ihrer Grundrechte in allen Kulturen auflehnen. Es
ist also nicht wahr, daß die Grundwerte und Grundrechte
kulturrelativ sind. Deshalb ist es schädlich - dies sage
ich mit Blick auf die bei uns anläßlich des KruzifixUrteils des Bundesverfassungsgerichts geführte Diskussion -, von unserer Verfassung als einer christlichen zu
reden.
({3})
Mit einer solchen kulturrelativen Fassung der Grundrechte laufen wir in das sprichwörtliche Messer jener
Machthaber und Despoten, die mit der Definitionsgewalt
über das, was bei ihnen Religion und Kultur ist, die
Menschenrechte mit Füßen treten. Auch in Zukunft
werden die Fronten des Kampfes um die Durchsetzung
der Menschenrechte nicht zwischen, sondern innerhalb
der Kulturen verlaufen.
Wir dürfen es nicht zulassen, daß auch bei uns eine
schleichende Umdeutung der - ihrer wesentlichen
Funktion nach - als Abwehrrechte gegen staatliche
Gewalt gefaßten Grund- und Menschenrechte stattfindet.
Es ist für den Menschenrechtsprozeß schädlich, und es
ist falsch, etwa aus Art. 3 der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte oder aus Art. 5 der Europäischen
Menschenrechtskonvention nicht nur das dort verankerte
Abwehrrecht auf Freiheit, sondern auch ein an den Staat
gerichtetes Anspruchsrecht auf Sicherheit herauszulesen. Daß dies schädlich und falsch ist, dessen ist man
sich in den Kommentierungen und in der Rechtsprechung zur Europäischen Menschenrechtskonvention
bewußt. Danach ist das dem Recht auf Freiheit beigestellte Recht auf Sicherheit eben nicht ein auf die innere
Sicherheit zielendes Anspruchsrecht - wie auch hier
schon behauptet wurde -, sondern ein Recht, das die Sicherheit gegen willkürliche Eingriffe seitens der staatlichen Gewalt garantieren soll.
({4})
Nicht zuletzt sollten wir es nicht zulassen, daß die
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch eine
noch so gutgemeinte „Allgemeine Erklärung der
Menschenpflichten“ ergänzt und verbessert wird.
({5})
Man stellt die in einem politischen Gemeinwesen bestehenden rechtlichen und sittlichen Pflichten des einzelnen
nicht in Abrede, wenn man darauf hinweist, daß den in
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantierten Rechte symmetrisch - also auf derselben Ebene keine Pflichten gegenübergestellt werden können. Würde man dennoch die Menschenrechte um Menschenpflichten ergänzen, wäre im Hinblick auf ihre Durchsetzung nichts gewonnen, wohl aber den Machthabern und
Despoten die Möglichkeit eröffnet, die Beachtung der
Menschenrechte - da nicht justiziabel - an beliebig gestaltbare Pflichten zu binden. Zum 50. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte wäre dies ein DanaerGeschenk.
Wenden wir uns deshalb intensiv der Bekämpfung
von Menschenrechtsverletzungen zu und ermutigen und
unterstützen all diejenigen, die unerschrocken und aufrichtig ihre Menschenrechte einfordern.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der
Alterspräsident des Hauses, der Kollege Fred Gebhardt,
PDS-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meiner Rede zur Eröffnung des 14.
Bundestages führte ich unter anderem aus:
In der DDR gab es Unrecht, Verletzung von Menschenrechten und einen Mangel an Demokratie.
Das muß aufgearbeitet werden.
Deshalb möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, um
darauf hinzuweisen, daß dieser vor sechs Wochen gesprochene Satz von der gesamten PDS-Fraktion getragen wird.
Menschenrechtsverletzende Taten, wie zum Beispiel
Gewaltanwendung und der Gebrauch von Waffen gegen
das Recht der eigenen Bürger auf Freizügigkeit, Einschränkungen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Inhaftierung und Verfolgung von Menschen aus
nicht zu rechtfertigenden politischen Gründen, waren
und sind zu verurteilen.
Die Forderungen nach Beendigung der Strafverfolgung für hoheitliches Handeln in der DDR im Interesse von Rechtssicherheit, Rechtskultur und wirklicher
politischer und moralischer Aufarbeitung ist etwas anderes als die von meiner Fraktion in der vorigen und in der
gegenwärtigen Legislaturperiode eindeutig abgelehnte
Forderung nach Entschädigung für die in diesem Zusammenhang verbüßten Strafen.
Ich möchte dennoch eine Frage wiederholen, die ich
bereits bei der Eröffnung des 14. Bundestages stellte:
Es ist allgemein bekannt, daß die Aufarbeitung der
Geschichte nach 1945 gerade auch in der alten
Bundesrepublik widersprüchlich verlief. Ich bin
mißtrauisch gegenüber der These, daß bei der Aufarbeitung der Geschichte der DDR die Fehler von
damals nicht wiederholt werden dürfen. Könnte es
nicht auch so sein, daß viele damals so inkonsequent waren, weil es fast alle von uns betraf, während heute im Westen eine gründliche Aufarbeitung
der Geschichte der DDR gefordert wird, weil man
meint, davon nicht betroffen zu sein?
Das Verhältnis zu Menschenrechten in der alten Bundesrepublik war nie frei von politischen und ökonomischen Interessen, unterlag in bestimmten Fällen der Instrumentalisierung und war damit keinesfalls immer
glaubwürdig. Wie sollte man nachträglich die guten Beziehungen führender Politiker unseres Landes zum Regime von Pinochet in Chile oder zum rassistischen Regime in Südafrika rechtfertigen? Diese Politiker standen eindeutig auf der falschen Seite.
({0})
War es nicht so, daß die alte Bundesregierung Menschenrechte dort besonders betonte, wo die politischen
Differenzen groß und die ökonomischen Interessen gering waren, während die Frage eher vernachlässigt wurde, wenn es politisch und ökonomisch ratsam erschien?
Die alte Bundesregierung ist mit Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, in Indonesien, im Iran oder in Kuba sehr unterschiedlich umgegangen. Ich sehe deshalb
diesen 50. Jahrestag als Gelegenheit, um an die neue
Bundesregierung zu appellieren, Menschenrechte als
universell und unteilbar zu begreifen, sie im eigenen
Lande wirksamer zu sichern, für Westdeutsche und Ostdeutsche und vor allem auch für Nichtdeutsche einschließlich der Flüchtlinge und Asylbewerber, und
zwar in einer Einheit von politischen und sozialen
Rechten.
({1})
Ich appelliere an die Regierung, für die Durchsetzung
der politischen und sozialen Menschenrechte weltweit
unabhängig davon einzutreten, wie nah oder wie fern ein
politisches Regime ist, wie groß oder klein ökonomische
und kommerzielle Interessen sind. Nur bei einer solchen
Herangehensweise kann sie eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik vertreten. Daran und an ihren eigenen
Ansprüchen werden wir die Regierung messen. Die
NGOs werden uns hoffentlich so, wie es bisher der Fall
war, kritisch bei dieser Arbeit begleiten.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat nun
Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Herr
Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es
ist heute morgen mehrfach daran erinnert worden, daß
die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Mary Robinson, gesagt hat: Das 50. Jubiläum der Menschenrechtserklärung ist kein Grund zum
Feiern, es bietet uns aber die Möglichkeit, die Vision
von 1948 wiederzubeleben. Man muß betonen - es ist
heute morgen bereits vom Herrn Präsidenten angesprochen worden -, daß die Macht der Menschenrechte früher Unvorstellbares heute zu scheinbar Selbstverständlichem gemacht hat. Sie erinnern sich: Hier hat Nelson
Mandela gesprochen. Es ist einfach ein unglaublicher
Fortschritt und ein unglaubliches Ergebnis, daß es möglich war, die Apartheid in Südafrika zu beseitigen.
({0})
Und wenn wir ehrlich sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätten es doch viele von uns vor wenigen Monaten auch kaum für möglich gehalten, daß ein Diktator
wie Pinochet heute ernsthaft damit rechnen muß, für
seine Taten zur Verantwortung gezogen zu werden.
Aber auch hier gilt: Erst wenn es einen funktionierenden internationalen Strafgerichtshof gibt, vor dem
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord
abgeurteilt werden können, ist ein entscheidender Schritt
erreicht und verwirklicht.
({1})
Wir fordern deshalb noch zögernde Staaten zur Ratifizierung auf - vorhin sind die USA genannt worden -;
denn erst wenn 60 Staaten das Statut ratifiziert haben,
kann der Strafgerichtshof seine Tätigkeit aufnehmen. Es
ist also entscheidend, das an diesem Tag zu betonen.
Menschenrechtsverletzungen gelangen heute öfter,
schneller - auch das ist gesagt worden - und umfangreicher ans Licht der Weltöffentlichkeit. Das Abwehrargument der Nichteinmischung hat an Kraft verloren.
Auch wirtschaftlich und strategisch bedeutende Länder
müssen sich immer mehr dem öffentlichen Druck auf
Einhaltung der Menschenrechte stellen. Die Globalisierung der Kommunikation - häufig wird ja nur von den
Nachteilen der Globalisierung gesprochen - hat offensichtlich auch eine Globalisierung von Werten, eine
Verbreitung der Werte zur Konsequenz gehabt, und das
ist gut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwar ist in den
letzten 50 Jahren für die Menschenrechte einiges erreicht worden, aber heute morgen sind viele Zahlen genannt worden, die auf traurige Art und Weise belegen,
wie tagtäglich Menschenrechte in unvorstellbarem
Ausmaß verletzt werden. Es sind die Zahlen von Amnesty International genannt worden; das will ich an dieser Stelle nicht wiederholen.
Ich will darauf hinweisen, daß in rund 30 afrikanischen und asiatischen Ländern jeden Tag mehr als 6 000
Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt
werden. Insgesamt sind 130 Millionen Frauen Opfer
dieser massiven und lebensgefährlichen Form von Gewalt gegen sie. Sie tragen dadurch körperliche und seelische Wunden davon, die sie ihr ganzes Leben lang empfinden. Zu lange hat die Weltgesellschaft, zu lange haben auch wir diese Situation verdrängt und verschwiegen. Wir müssen alle Möglichkeiten auch unserer Politik
einsetzen, damit solche Verletzungen der Menschenrechte von Frauen keine Chance mehr haben, damit ihnen Einhalt geboten wird.
({2})
Genauso unerträglich sind aber auch Verletzungen
der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte.
UNICEF hat daran erinnert: 130 Millionen Kindern wird
der Schulbesuch, wird das Recht auf Bildung verweigert. Fast die doppelte Zahl, mehr als 250 Millionen
Jungen und Mädchen unter 15 Jahren, müssen täglich
bis zu 14 Stunden arbeiten. Auch der Hunger ist eine
der größten Geißeln unserer Zeit und stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar. Nach neuesten Zahlen der
Welternährungsorganisation, der FAO, bleibt über 820
Millionen Menschen das Recht auf ausreichende Nahrung verwehrt. Täglich - ich wiederhole: täglich - sterben 40 000 Menschen aus diesem Grund.
Solange diese Zahlen bestehen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, dürfen wir nicht ruhen. Denn - es ist gesagt worden - Menschenrechte sind unteilbar, individuelle und soziale. Die Hoffnung und die Vision, auch diese Zahl eines Tages nur noch in den Geschichtsbüchern
zu finden, sind für uns die gemeinsame große Herausforderung, der wir uns am Ende dieses Jahrhunderts
wirklich stellen sollten, aus der wir Schlußfolgerungen
ziehen und auf die wir die praktische Politik ausrichten
sollten.
({3})
Eine solche Diskussion sollte ja auch Anlaß sein, darzustellen, was wir in diesem Bereich tun. Frau Roth hat
nachgefragt: Was tut die Politik dieser Regierung in dieser Hinsicht? Ich will die Überzeugung und auch meine
Entschlossenheit ausdrücken, die Möglichkeiten, die uns
unsere Entwicklungspolitik zur Respektierung der
Menschenrechte in den Partnerstaaten bietet, entschlossen einzusetzen.
Vor allen Dingen sind wir, liebe Kolleginnen und
Kollegen, aufgefordert, Rahmenbedingungen dafür zu
schaffen, daß Art. 28 der Menschenrechtsdeklaration
auch Realität wird. Darin heißt es: Jedermann hat das
Recht auf eine soziale und internationale Ordnung, in
der die angesprochenen Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.
Was heißt das praktisch? Das heißt, daß wir alle in
diesem Haus uns dafür engagieren müssen, daß unsere
Weltwirtschaft einen sozialen Ordnungsrahmen bekommt. Das heißt, daß wir uns dafür engagieren müssen
- ich tue das in meiner Arbeit -, daß sich unsere Entwicklungspolitik auf die Bekämpfung von Armut und
dabei auf die Verwirklichung der elementarsten wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte wie dem
Recht auf Nahrung, auf Trinkwasser, auf Gesundheit
und auf Bildung konzentriert. Das heißt, daß wir unabhängige Gewerkschaften in ihrer Arbeit entsprechend
unterstützen müssen und daß wir ihrer Arbeit den entsprechenden Nachdruck verleihen müssen, den sie in
den Auseinandersetzungen brauchen.
({4})
Das heißt: Beseitigung ausbeuterischer Kinderarbeit. Auch unser Haus unterstützt Programme der Internationalen Arbeitsorganisation mit diesem Ziel. Aber ich
sage dazu auch: Bilaterale Programme reichen nicht aus.
Wir müssen soziale Standards in die Welthandelsordnung einbringen. Die Ausbeutung von Kindern und die
Zwangsarbeit dürfen in unserem Welthandelssystem
nicht noch als handelspolitische Vorteile honoriert werden. Wir müssen praktische Konsequenzen ziehen.
({5})
Wir wollen uns bei der Weiterentwicklung der internationalen Abkommen und Instrumente für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie für
das Recht auf Entwicklung engagieren und einsetzen.
Wir setzen aber auch unsere Entwicklungszusammenarbeit ein, um in unseren Partnerländern die Achtung und
Respektierung der Menschenrechte anzumahnen. Begehen Regierungen massive Verletzungen der Menschenrechte, so versuchen wir über nichtstaatliche Organisationen, mit den Instrumenten unserer Zusammenarbeit
die Grundlagen und Mehrheiten für die notwendigen
Veränderungsprozesse in diesen Ländern zu schaffen.
Ich weiß - und unsere Vorgänger wissen das auch -,
daß dies in jedem Fall eine schwierige Abwägungsentscheidung ist, weil für die Beantwortung der Frage, was
der Förderung der Menschenrechte hilft, immer auch die
Situation in dem jeweiligen Land berücksichtigt werden
muß. Aber ich sage an dieser Stelle auch: Gegenüber
wirtschaftlich und strategisch stärkeren Ländern muß
gelten, daß in den Beziehungen zu ihnen keine doppelten Standards existieren dürfen. Wirtschaftliche und
strategische Interessen dürfen nicht dazu führen, daß zur
Situation der Menschenrechte in den betreffenden Ländern geschwiegen wird.
({6})
Ich komme zu dem Punkt zurück, den ich vorhin angesprochen habe. Es geht darum, die Beschlüsse der
Weltfrauenkonferenz umzusetzen. Ich betone noch
einmal ausdrücklich: Alle Länder, die damals die Menschenrechtspakte und das Schlußdokument der Pekinger
Weltfrauenkonferenz akzeptiert haben, sollten von uns
an diesen Tag und an ihre entsprechenden Verpflichtungen erinnert werden, und das tun wir auch.
Der Deutsche Bundestag hat am 8. Mai 1998 fraktionsübergreifend ausdrücklich darauf hingewiesen und
gefordert, daß die Bundesregierung alle Möglichkeiten
nutzen solle, um gegen die Genitalverstümmelung bei
Frauen tätig zu werden. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Wir haben unsere Schlußfolgerungen gezogen, und wir werden im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit dieses Thema immer wieder ansprechen. Wir unterstützen entsprechende Programme in
Westafrika und auch in Ägypten. Vor allen Dingen unterstützen wir in diesen Ländern die Frauenorganisationen, die Nichtregierungsorganisationen, die dieser unmenschlichen Praxis ein Ende setzen wollen.
({7})
Wir sind bereit, die entsprechenden Länder bei Aufklärungs- und Informationskampagnen zu unterstützen,
wenn deren Regierungen dieses Thema selbst aufgreifen
wollen. Ich denke, daß das die Möglichkeiten sind, die
wir auch in unserer Entwicklungszusammenarbeit haben, um dazu beizutragen, daß Menschenrechte nicht
nur gefordert, sondern zur Praxis werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluß. Die Zahlen sind manchmal so abstrakt, daß man
sich unter ihnen nichts Konkretes vorstellen kann. In den
jetzt zurückliegenden zehn Minuten sind weltweit 300
Menschen an Hunger gestorben. Es ist kein Tag zum
Feiern; vielmehr ist es ein Tag, sich einer Vision zu versichern, daß wir, die wir in unseren Ländern - auch in
den europäischen Ländern - in Freiheit und Demokratie
leben, gemeinsam die Verpflichtung dazu haben, daß die
Universalität der Menschenrechte auf unserem Kontinent und auf der ganzen Erde verwirklicht wird. Das ist
unsere Aufgabe. Lassen Sie uns sie gemeinsam anpakken!
Danke sehr.
({8})
Das Wort hat nun die
Kollegin Monika Brudlewsky, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Da auch ich als ehemalige
DDR-Bürgerin, genau wie Sie, Herr Präsident, Menschenrechtsverletzungen in einer Diktatur kennengelernt
habe, bin ich besonders froh und dankbar, daß die Vereinten Nationen vor 50 Jahren die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte aufgeschrieben und unterschrieben
haben. Für mich ist das wirklich ein Grund zum Feiern;
denn diese Erklärung ist bis zum heutigen Tag Maßstab
und ständige Mahnung für alle Diktaturen. Und das ist
gut so!
({0})
Im Rahmen dieses Jubiläumstages möchte ich an dieser Stelle besonders auf die Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Kindern in vielen Ländern der Welt
eingehen. Als ich 1994 kurz nach dem schrecklichen
Genozid im ruandischen Flüchtlingslager in Goma
mit vielen Europäern zu helfen versuchte, und zwar
nicht als Abgeordnete, sondern in meinem erlernten Beruf als Krankenschwester, prägte sich mir der hautnahe
Eindruck von Not und Verzweiflung tief ein. Menschen,
die nur knapp ihr wirklich nacktes Leben gerettet hatten,
versuchten nun mit letzter Kraft zu überleben. Überall in
der Welt spielen sich heute diese furchtbaren Flüchtlingsdramen in ähnlicher Weise ab.
Aber bei allem Leid, das sich dort darbietet, gilt: Es
trifft immer am härtesten die Schwächsten, Frauen und
Kinder, vor allem die Kinder, welche völlig unschuldig
in diese Situation der bitteren Not geraten sind. Kinder
werden durch die Kriegswirren von ihren Eltern getrennt
oder zu Waisen. Kinder werden auch heute noch in
manchen Ländern der Welt zur Ware und, wie im Südsudan, wie Sklaven verschleppt und verkauft.
Mit den Rechten der Frauen, die immerhin die
Hälfte der Menschheit ausmachen, ist es in vielen Teilen
der Welt nicht weit her. Frauen erfahren in vielen Ländern eine menschenunwürdige Behandlung. Sie werden
verachtet, geschlagen, vergewaltigt und getötet. Frauen
sind Opfer von Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen. In verschiedenen Ländern der Welt werden
noch heute weibliche Neugeborene getötet.
Frauen werden oft unter dem Deckmantel von Traditionen oder Religionen gezwungen, sich zu verhüllen
und in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zu
spielen. Ein krasses Beispiel ist zur Zeit Afghanistan,
wo Frauen durch religiöse Fanatiker völlig aus dem öffentlichen Leben verschwunden sind und nahezu keine
Rechte mehr haben. Selbst in der islamischen Welt stößt
diese menschenverachtende Politik auf Unverständnis.
So gibt es viele Beispiele vom Leid der Frauen dieser
Erde.
Ein weiteres schlimmes Kapitel ist, wie schon angesprochen, die Beschneidung von Frauen. Jahrelang war
es bei uns kaum bekannt. Später tabuisierte man diese
frauenverachtende Praxis, weil sie angeblich in der kulturellen Tradition dieser Länder begründet sei. Ich muß
gestehen: Auch ich wußte lange nicht damit umzugehen.
Heute weiß ich durch Berichte von betroffenen Frauen,
daß weltweit viele Kinder und junge Mädchen auf grausame Art an den Genitalien beschnitten, eigentlich aber
verstümmelt werden. Es geschieht oft, daß diese Beschneidung sogar die eigenen Mütter vornehmen, weil
sie der Meinung sind: Es muß ja sein.
Es ist hier für uns sehr schwierig, einzuklagen, daß
diese Praxis, die durchaus nicht in der Religion dieser
Länder begründet ist, dort endlich aufhört. Wir können
jedoch in Deutschland ganz gezielt eingreifen, wenn bekannt wird, daß hier lebende Familien aus den betreffenden Ländern diese Handlungen praktizieren. Es ist
gut, daß wir in den vergangenen Jahren zu diesem Kapitel, wie auch zu vielen anderen menschenrechtsrelevanten Themen, interfraktionelle Einigkeit demonstrieren konnten.
Auch in der Bildung erfahren die Mädchen in vielen
Ländern große Benachteiligung, weil es sich scheinbar
nur lohnt, den Söhnen eine Ausbildung zukommen zu
lassen - wenn arme Familien in diesen Ländern überhaupt ihre Kinder in die Schule senden können. Hier
kann ich auch auf die weltweiten Bemühungen hinweisen, die Kinderarbeit anzuprangern. Ich erinnere an den
Besuch einer internationalen Jugendgruppe vor einigen
Monaten bei uns im Bundestag, die uns ihre schrecklichen Kindheitserlebnisse schilderten: mißbraucht, geschlagen, zur Arbeit gezwungen.
Ich selbst habe solche bedauernswerte Kinder aus indischen Slums vor Ort in einer Marmorfabrik und in
Teppichknüpfereien arbeiten erlebt. Wir haben uns mit
Entscheidungsträgern, zum Beispiel in Indien und Nepal, getroffen und immer wieder festgestellt, daß es bei
diesem Thema äußerst mühsam ist, beharrlich und einfühlsam einzuwirken. Der Herr Kollege Blüm, der sich
beim Thema Kinderarbeit stark engagierte, kann darüber
sicher einen Roman schreiben. Wir müssen aber darauf
dringen, daß die Weltgemeinde gerade auf diesem Weg
der Beharrlichkeit einig weitergeht.
Kinderpornographie und Prostitution von Kindern
sind furchtbare Menschenrechtsverletzungen, die auch
beim Namen genannt werden müssen. Wir haben in der
letzten Legislaturperiode gemeinsam erste gesetzliche
Ansätze in diesem Haus geschaffen, damit diese Verbrechen auch international aufs schärfste bekämpft werden
können.
({1})
Wir müssen weltweit weiter nach Wegen suchen, daß
diese Scheußlichkeiten bald der Vergangenheit angehören und die Täter überall auf der Welt damit rechnen
müssen, strafrechtlich verfolgt zu werden. Kontrollen
des Internets und der Medien sind nur im internationalen
Verbund wirksam durchzuführen. Ebenso gilt das für die
Bekämpfung des Sextourismus und des Menschenhandels.
Menschenrechtsdebatten im Bundestag verliefen zumeist in sehr guter und nachdenklicher Atmosphäre,
weil es uns allen immer darum ging, die Ernsthaftigkeit
der Probleme aufzuzeigen und Wege zu suchen, um
wirklich allen eine Zustimmung im Interesse der betroffenen Menschen zu ermöglichen. Diese Nachdenklichkeit war auch immer gegeben, wenn es in unseren Debatten um die Unteilbarkeit von Menschenrechten ging,
die ja für das gesamte Leben von Menschen - von der
Entstehung bis zum Sterben - gelten. Um die Beachtung
dieser Spannbreite werden wir sicher weiterhin in diesem Hohen Hause ringen müssen. Ich wurde des öfteren
schon gefragt: „Was könnt ihr schon gegen all die Menschenrechtsverletzungen in der Welt tun?“ Sicher,
manchmal scheint es ein Kampf gegen Windmühlenflügel zu sein. Mich ermutigt aber immer wieder, wenn ich
daran denke, was alles erreicht wurde. Vor 20, ja noch
vor 10 Jahren glaubten wir in der DDR nicht daran, jemals frei reden und frei reisen zu können.
Die internationale Staatengemeinschaft hat uns mit
ihren Erklärungen und Resolutionen maßgeblich geholfen, internationale Standards zu setzen, die über die
Grenzen hinweg Geltung haben und vielen Menschen
die Freiheit gebracht haben. Trotzdem gibt es für uns
noch viel zu tun. So müssen wir weiterhin durch unsere
Entwicklungs- und Außenpolitik darauf hinwirken, daß
auch in anderen Ländern der Welt Diktatur, Gewalt,
Unterdrückung und Willkürherrschaft der Vergangenheit angehören.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat
Außenminister Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige
Tag, der 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte, ist ein Tag der Herausforderung für die
Politik, vor allen Dingen für die demokratische Politik.
({0})
Er ist kein Feiertag. Bei aller Unzulänglichkeit der politischen Realität hinsichtlich der Beachtung der Menschenrechte in dieser Welt ist die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte dennoch eines der wichtigsten Dokumente für die Zivilisierung der Welt und für den
Schutz von Menschen gegenüber Unterdrückung und
Verfolgung.
Wir dürfen als Mitglieder des Deutschen Bundestages
an diesem Tag nicht vergessen, daß die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem grausamen Schicksal von Millionen unschuldiger Menschen stand, die während des
zweiten Weltkrieges und während der Diktatur des Nationalsozialismus unterdrückt, verfolgt und ermordet
wurden. Die Gründung der Vereinten Nationen und auch
die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte waren historisch gesehen eine unmittelbare Antwort auf eines der schlimmsten Kapitel, die
Deutschland in seiner jüngsten Geschichte zu verzeichnen hat.
Die Erfahrung mit zwei Diktaturen, aber auch die Erfahrung mit der subversiven Kraft der Demokratie und
der Dissidenz gegen die Unterdrückung in diesen Diktaturen verpflichtet Deutschland, die Bundesregierung
und den Gesetzgeber zu einem besonderen Einsatz für
die Durchsetzung der Menschenrechte und ihres universellen Anspruchs.
({1})
Ich habe schon die Erfahrung mit den zwei Diktaturen erwähnt. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch
einmal darauf hinweisen, wie wichtig die Arbeit von
Menschenrechtsgruppen im ehemaligen Warschauer
Pakt war und wie entscheidend der Korb III der Helsinki-Vereinbarung für das Ende der kommunistischen
Diktatur in der ehemaligen Sowjetunion und in Osteuropa war.
({2})
Daraus sollten wir die Konsequenz ziehen.
Auch in der Welt von morgen, in der es Unterdrükkung der Menschenrechte, Verfolgung unbequemer
Demokraten und unbequemer Meinungen und in der es
sexuell, politisch, rassisch und religiös motivierte Verfolgung gibt, ist es wichtig, daß wir bei aller notwendigen Realpolitik - Außenpolitik wird sich immer im
Spannungsverhältnis zwischen der Orientierung an Prinzipien und der Durchsetzung von Interessen entwickeln
müssen - niemals die Erfahrung der osteuropäischen
und auch ostdeutschen Dissidentengruppen vergessen,
die wesentlich zum Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen, auch wegen der Unterstützung durch
die westlichen Demokratien, beigetragen haben. Auch in
der Welt von morgen dürfen wir nicht müde werden,
Demokraten dort, wo sie in Diktaturen unterdrückt werden, zu unterstützen und sie gleichzeitig hier willkommen aufzunehmen.
({3})
Die Bundesregierung weiß sich diesen Grundsätzen
verpflichtet. Dazu gehört auch der Grundsatz der Universalität der Menschenrechte. Für uns ist die Unterdrückung der Menschenrechte keine kulturelle Besonderheit. Wegen der Vorurteile, die sich hier gegenüber
anderen Religionen entwickeln, sage ich: Der Islam verfügt über eine überaus liberale Tradition. Wir sollten
nicht Zerrbilder zum Maßstab des interkulturellen Dialogs machen. Wir sollten vielmehr unsere eigenen Vorurteile kritisch betrachten und die daraus resultierenden
Schlußfolgerungen zum Maßstab des interkulturellen
Dialogs machen.
Wissend um diese Selbstprüfung sollten wir aber
auch klipp und klar sagen, daß andere Gesellschaften die
Unterdrückung der Menschenrechte nicht zu einem Bestandteil ihrer Kultur erklären können. Es hat nichts mit
Einmischung in die inneren Angelegenheiten oder mit
westlicher Arroganz zu tun, wenn wir erstens immer
wieder darauf hinweisen, daß die Unterdrückung von
Menschenrechten nicht zu akzeptieren ist, und wenn wir
zweitens nicht müde werden, die demokratische Opposition in diesen Ländern mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen.
({4})
Die Bundesregierung hat mit der Einsetzung des
Menschenrechtsbeauftragten einen klaren Schwerpunkt gesetzt. An diesem Maßstab müssen sich alle Regierungen, mit denen wir einen guten zwischenstaatlichen Kontakt haben, den wir fortentwickeln wollen,
messen lassen. Auf Grund dieses Maßstabes und unserer
eigenen Werteüberzeugungen gedenken wir selbstverständlich auch in Zukunft verfolgte Demokraten als
willkommene Gäste, auch als Gäste der Bundesregierung, zu empfangen. Wir werden uns von niemandem
vorschreiben lassen, wen wir wo und wie zu empfangen
haben.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dieser
Debatte aber noch auf einen wichtigen und sehr aktuellen Gesichtspunkt hinweisen: die Durchsetzung eines
internationalen Strafrechts. Ich verstehe nicht ganz,
warum man politische Verbrecher als etwas Besseres
bezeichnet. Die schlimmsten Verbrecher in diesem
Jahrhundert - Hitler an erster Stelle, aber auch Stalin waren ohne jeden Zweifel politische Verbrecher, die
millionenfachen Mord auf ihr Gewissen geladen haben. Es ist von zentraler Bedeutung, daß sich Diktatoren
in der Welt von heute und morgen - das wird sich
immer im Spannungsverhältnis zwischen Macht und
Prinzipien, zwischen Interessen und Prinzipien abspielen; es wird nie eine eindeutige Entscheidung geben nie wieder darauf verlassen können werden, daß sie
nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie ihr
blutiges Handwerk zum Maßstab ihrer Politik gemacht
haben.
({6})
Die Durchsetzung eines internationalen Strafrechts halte
ich unter diesem Gesichtspunkt für einen der ganz
wichtigen Schritte nach vorn.
Lassen Sie mich noch in aller Kürze einen zweiten
Gesichtspunkt anfügen: Menschenrechte müssen sich zu
Recht vor allem auf die Rechte von verfolgten und unterdrückten einzelnen Menschen beziehen. Aber wir erleben gerade jetzt in vielen Schwellenländern, daß der
Versuch dieser Völker, wirtschaftlich aufzuschließen,
unter Inkaufnahme der Unterdrückung von Demokratie
eben nicht erfolgreich sein kann. Deswegen wird es in
einer sich globalisierenden Welt eminent wichtig sein,
daß gerade die reichen westlichen Demokratien alles
tun, um eine umfassende Kultur der Freiheit, begründet
auf den Menschenrechten, im dialogischen Angebot
durch- und umzusetzen, und daß die Gewaltenteilung,
das Wechselspiel von Regierung und Opposition, die
Menschenrechte einschließlich des Rechtes auf freie Information und eine kritische Öffentlichkeit und des
Rechtes auf körperliche Unversehrtheit sowie demokratische und strafjustitielle Verfahrensrechte von der
Staatsmacht beachtet werden. Dabei muß verstanden
werden, daß all dies mit einem unabhängigen Bankensystem und einer freien Marktwirtschaft zusammengehört
und beides getrennt voneinander nicht zu haben ist. Insoweit bedeutet die Durchsetzung der Menschenrechte
in einer sich globalisierenden Welt auch die Durchsetzung von Demokratie.
Ich bedanke mich.
({7})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4a bis 4f auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bun-
deskanzlers
Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien
am 11./12. Dezember 1998 und Ausblick auf
die deutsche Präsidentschaft in der ersten
Jahreshälfte 1999
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Erwartungen an das Treffen des Europäischen
Rates in Wien am 11./12. Dezember 1998
- Drucksache 14/90 ({0}) -
c) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien
am 11./12. Dezember 1998 und Ausblick auf
die deutsche Präsidentschaft in der ersten
Jahreshälfte 1999
- Drucksache 14/181 -
d) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Festigung und Fortentwicklung der Europäischen Union während der deutschen Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 1999
- Drucksache 14/159 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union
({1})
Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß
e) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Forderungen an die deutsche EU-Ratsprä-
sidentschaft im ersten Halbjahr 1999
- Drucksache 14/165 -
f) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Zukunft der EU-AKP-Entwicklungszusammenarbeit
- Drucksache 14/164 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union
Zur Regierungserklärung liegen Entschließungsanträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
sowie der Fraktion der CDU/CSU vor.
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache
über die beiden Entschließungsanträge jeweils namentlich abstimmen werden. Wenn Sie nachher Ihre Stimmkarten den Stimmkartenfächern entnehmen, achten Sie
bitte darauf, daß die Abstimmungskarten Ihren Namen
tragen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ab dem 1. Januar 1999 wird in Europa vieles nicht mehr so sein, wie
es einmal war. Die Einführung des Euro stellt einen großen Veränderungsprozeß in Europa dar. Kein Zweifel,
europäische Unternehmen werden keine Wechselkursrisiken mehr tragen müssen. Auch werden sehr viele Leistungen und Preise und damit die dahinterliegenden
Standards vergleichbar. Das heißt, daß man nicht nur eine gemeinsame Geldpolitik von einer unabhängigen
Zentralbank stabilitätsorientiert machen kann und darf,
sondern daß es darauf ankommen wird, auch andere Politikbereiche besser als in der Vergangenheit zu koordinieren.
({0})
Ich möchte von Anfang an deutlich machen, daß die
Frage der besseren Koordination der Wirtschafts-, der
Finanz-, aber auch der Sozialpolitik nicht zuletzt über
den dauerhaften Erfolg der neuen Währung entscheidet.
Weil das so ist, erwarten die Menschen von der Politik, daß der Umstellungsprozeß, der vor uns liegt, gesteuert und sozial gerecht organisiert wird. Wir müssen
damit die Voraussetzungen dafür schaffen, daß der Euro
ein Erfolg wird. Wir müssen - damit er ein Erfolg werden kann - dafür Sorge tragen, daß Europa sozialer, demokratischer und auch politisch handlungsfähiger wird.
({1})
Das sind die Vorzeichen, unter denen die Bundesrepublik im Januar 1999 die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union übernimmt. Schwierige und sehr weitreichende Entscheidungen liegen gerade in dieser Phase
vor uns. Es geht nicht zuletzt darum, die Aufgaben, aber
auch die Lasten innerhalb der Gemeinschaft gerechter zu
verteilen. Es geht darum, die Politik der Union wirksamer, aber auch bürgernäher zu machen, um die nötige
Legitimation für die Schaffung eines gemeinsamen Europas zu erhalten. Es geht darum, die notwendigen
Haushalts- und Strukturreformen nicht noch länger auf
die lange Bank zu schieben.
({2})
Bereits morgen und übermorgen auf der Tagung des
Europäischen Rates in Wien werden wir die beschäftigungspolitischen Leitlinien für 1999 verabschieden.
({3})
Meine Damen und Herren, ich halte es für einen gewaltigen Fortschritt, daß Europa nicht nur als Markt, als Ort
ökonomischer Interaktion, begriffen werden kann, sondern mehr und mehr auch begriffen wird als ein Ort sozialer und kultureller Interaktion, als ein Ort, an dem nicht als Ersatz für nationale Anstrengungen, aber sehr
wohl als deren Ergänzung - auch über Beschäftigungspolitik gesprochen, gestritten und entschieden wird.
({4})
Beim 72. deutsch-französischen Gipfeltreffen in
Potsdam habe ich mit Staatspräsident Chirac und Ministerpräsident Jospin die Position unserer beiden Länder
zu den anstehenden Fragen abgestimmt. Auch diesmal das hat gute Tradition - werden wir im engen Schulterschluß zwischen Deutschland und Frankreich handeln.
Die Ziele unserer Präsidentschaft sind klar umrissen. Wir wollen erstens deutliche Fortschritte hin zu einer wirksamen Beschäftigungspolitik, einer Politik, die
in eine Politik der Innovation und der ökologischen Modernisierung in Europa eingebettet ist, zweitens eine
bessere Bekämpfung des grenzüberschreitenden Verbrechens und klare Absprachen innerhalb Europas in der
Frage der Zuwanderung nach Europa und drittens eine
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die diesen
Namen wirklich verdient und die - die Debatte heute
morgen hat es deutlich gemacht - an den europäischen
Werten des Friedens und der Menschenrechte ausgerichtet ist, aber auf ein effizientes Krisenmanagement
durchaus nicht verzichtet.
Vor allen Dingen aber geht es uns viertens darum, die
Agenda 2000 erfolgreich abzuschließen.
({5})
Ich weiß, daß das ein sehr ehrgeiziges Ziel ist. Aber
wenn wir für die kommende Finanzierungsperiode 2000
bis 2005 die notwendigen Voraussetzungen wirklich
schaffen wollen, dann müssen wir schon aus technischen
Gründen die Agenda im März des nächsten Jahres abgeschlossen haben. Bei meinen Gesprächen mit dem Präsidenten der Kommission, Herrn Santer, und mit meinen
Kollegen aus den Mitgliedstaaten habe ich den festen
Eindruck gewonnen, daß diese Prioritäten auch in Brüssel und in zahlreichen Hauptstädten erkannt werden.
Der europäische Einigungsprozeß steht und fällt dessen bin ich sicher - mit der Unterstützung einer hinreichend großen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern in
den Mitgliedsländern. In Deutschland - darauf kann
man stolz sein - ist die Zustimmung einer deutlichen
Mehrheit zu Europa ungebrochen. Die Menschen bei
uns wissen, daß Europa der Garant ist für die längste
Phase von Frieden und Stabilität in diesem, wie es die
amerikanische Außenministerin Madeleine Albright genannt hat, „blutigsten Jahrhundert überhaupt“. Ich denke, wir können ebenfalls stolz darauf sein, daß unsere
Jugend längst europäisch denkt, fühlt und handelt. Die
Menschen genießen die offenen Grenzen, den freien
Austausch von Waren und Ideen. Man kann sagen, daß
das Einigungswerk auf gutem Wege ist.
Präsident Wolfgang Thierse
Aber wir dürfen auch nicht übersehen, daß in den
letzten Jahren gerade auch diejenigen, die Europa als
Selbstverständlichkeit begreifen, den konkreten Prozeß
der Einigung mit gewissem Unbehagen sehen. Immer
mehr Menschen - das gilt es zu erkennen, und dem gilt
es, politisch entgegenzuwirken - nehmen „Brüssel“ als
anonymes bürokratisches Räderwerk wahr,
({6})
in dem nationale und regionale Eigenheiten - so ist ihre
Auffassung - zermalmt werden könnten. Diese Wahrnehmungen und Empfindungen haben wir ernst zu nehmen. Denn es geht dabei um mehr als um das Reinheitsgebot beim Bier oder den Vertrieb von Rohmilchkäse.
Unsere Bürgerinnen und Bürger wollen das auf europäischer Ebene Erreichte ja nicht zurückdrehen. Aber Sie
wollen jeden weiteren, von ihnen gelegentlich als Einmischung aus Brüssel begriffenen Integrationsschritt aus
der Sache heraus verstehen und dann auch selbstbewußt
billigen. Im Klartext heißt das: Europäische Integration
nach Maastricht und Amsterdam kann es nur noch im
Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern in den Mitgliedstaaten geben.
({7})
Auch die neue Bundesregierung tritt in der Europäischen Union für das Gebot der Subsidiarität ein. Das
heißt, diejenige institutionelle Ebene soll eine Aufgabe
anpacken, die sie am besten - also am nächsten an den
Problemen - zu lösen imstande ist. Wirkliche Subsidiarität erweist sich aber in der Nähe zu den Problemen der
Menschen.
In den drängenden Fragen wollen die Menschen nicht
unbedingt weniger Europa, sondern mehr, weil sie erkannt haben, daß zum Beispiel in der Frage der Beschäftigung oder in der Frage des Umweltschutzes nationale Alleingänge an ihre Grenzen stoßen und deswegen europäische Koordination auf die Tagesordnung europäischer Politik gesetzt werden muß.
({8})
Das gleiche gilt für die Felder der Außen- und Sicherheitspolitik oder für die wirksame Bekämpfung von
Verbrechen. Das alles sind Felder europäischer Politik,
auf denen sich die Union in Zukunft wird bewähren
müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird ein zentrales Anliegen unserer Präsidentschaft sein. Auf dem Europäischen Rat in Wien werden wir die beschäftigungspolitischen Leitlinien für das Jahr 1999 verabschieden. Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Chirac habe ich zu diesem Thema einen Brief an den amtierenden
Ratspräsidenten, den Kollegen Viktor Klima, geschrieben und unsere gemeinsame deutsch-französische Position formuliert: Die EU-Regierungen sollen sich - ich
zitiere das ausdrücklich auch für die rechte Seite dieses
Hauses; es besteht Übereinstimmung mit dem französischen Präsidenten - „künftig auf verbindliche und nachprüfbare Ziele in den beschäftigungspolitischen Leitlinien verpflichten“.
({9})
Das ist eine wichtige Weiterentwicklung dessen, was
in Luxemburg und Amsterdam häufig genug gegen den
Widerstand der früheren Regierung durchgesetzt werden
mußte.
({10})
Bei dem, was wir formuliert haben, geht es uns vor
allem darum, den Abbau der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit auch auf europäischer Ebene - ich sage
noch einmal: das ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung nationaler Maßnahmen - voranzubringen.
({11})
Es geht uns darum, die Diskriminierung von Frauen auf
dem Arbeitsmarkt einzuschränken und, wo immer wir es
können, aufzuheben.
({12})
Wir schlagen dem Europäischen Rat in dem gemeinsamen Brief vor, schon auf dem morgigen Gipfel den
Auftrag für einen Beschäftigungspakt in Europa zu erteilen, der dann in Köln unter deutscher Präsidentschaft
beschlossen werden soll. Das verstehen wir unter aktiver
Europapolitik, die die Nöte und Interessen der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Arbeit zu haben ist nun
einmal das zentrale Interesse der Menschen nicht nur in
Deutschland, sondern in ganz Europa.
({13})
Entgegen dem, was ich gelegentlich an Einwendungen höre oder lese, erhalten wir für diese aktive Beschäftigungspolitik auch auf europäischer Ebene die Zustimmung unserer Partner in Europa und nicht ihre Ablehnung.
({14})
Es ist vielmehr so, daß sich jeder, der diesem Ansatz
in Europa entgegentritt, in der europäischen Politik isoliert. Das gilt es auch hier in diesem Hohen Hause zur
Kenntnis zu nehmen.
({15})
Unter deutschem Vorsitz wollen wir die Initiativen,
die in Wien auf den Weg gebracht werden, zu einem europäischen Beschäftigungspakt bündeln, und zwar - ich
sage es noch einmal - mit Zustimmung der Partner in
Europa.
Sicher werden die Instrumente einer supranationalen
Sozialordnung, die sich manche Philosophen vorstellen,
nicht im nächsten halben Jahr geschaffen werden können. Einstweilen weiß jeder, daß man in Brüssel Arbeitsplätze nicht wird backen können - genauso wenig
wie in Bonn oder anderswo. Wichtig ist uns jedoch, daß
endlich das Thema der Beschäftigung, daß endlich das
Thema der Überwindung der Ausbildungsnot junger
Leute ein europäisches Thema wird.
({16})
Der Euro, von dem ich eingangs geredet habe, hat
seinen ersten Härtetest auf den Märkten bestanden.
({17})
Seine Akzeptanz in der Bevölkerung nimmt zu. Aber
wenn wir diesen Trend halten wollen, müssen wir uns
darüber im klaren sein, daß unsere Stabilitäts- und Konsolidierungsanstrengungen, die auch in Zukunft ohne
Abstriche nötig sein werden, nur dann die Unterstützung
der Bürgerinnen und Bürger finden, wenn wir sie durch
eine wirksame Koordinierung der Wirtschafts-, Finanzund Sozialpolitik in Europa ergänzen. Das ist die Aufgabe, die in der nächsten Zeit vor uns liegt.
({18})
Ein Stabilitätspakt ohne Beschäftigungspakt muß
auf Dauer wirkungslos bleiben. Wir müssen diesen Beschäftigungspakt genauso ernst nehmen, wie wir auch
weiterhin die Verabredungen zur Stabilitätsorientierung
ernst nehmen werden.
({19})
Die jüngsten Turbulenzen auf den Weltfinanzmärkten
haben uns aber auch noch eine andere Tatsache verdeutlicht, die Tatsache nämlich, daß der Euro mehr ist als
eine neue Deutsche Mark. Er ist Europas Antwort auf
die zunehmende Globalisierung, ein Mittel, das Wachstum und Stabilität auf unserem Kontinent auch in Zukunft sichern hilft. Das kann aber nur gelingen, wenn
auch in der Steuerpolitik Schluß mit nationalen Alleingängen gemacht wird.
({20})
- Nun warten Sie doch erst einmal ab. - Um diese Frage
hat es in den letzten Tagen öffentliche Aufregung gegeben, auch und gerade in der britischen Presse. Tony
Blair und ich haben daher gestern eine gemeinsame
Position zur EU-Steuerpolitik deutlich gemacht.
Worum geht es? Es geht uns um den Kampf gegen
unfairen Steuerwettbewerb.
({21})
Es muß doch aufhören, daß wir unter einen doppelten
Druck geraten. Es darf nicht sein, daß wir hohe Nettobeiträge zahlen und gleichzeitig zusehen müssen, daß es
in einem vereinten Europa, in einem Gemeinsamen
Markt Steueroasen gibt, so daß Geld auf andere Weise
in Deutschland verlorengeht. Das kann doch nicht richtig sein.
({22})
Deshalb verstehe ich all diejenigen nicht, die etwas dagegen haben, daß wir Front machen gegen Steuerdumping in Europa. Es ist an der Zeit, daß das endlich geschieht.
({23})
Dabei wissen wir, daß wir differenziert vorzugehen
haben. Bei den direkten Steuern geht es um Koordination, damit Steuerdumping und unfairer Wettbewerb vermieden werden können. Bei den indirekten Steuern indessen geht es auch um Harmonisierung, zum Beispiel
auf dem Gebiete des Umweltschutzes. Es ist richtig und
finanzpolitisch geboten, daß wir die Ökologisierung des
Steuersystems, mit der wir national begonnen haben,
auch auf der europäischen Ebene realisieren. Andere
sind weiter als wir, weil wir früher nicht so weit gekommen sind. Das ist eine Tatsache, die nicht bestreitbar ist.
({24})
Arbeit billiger zu machen und dafür Ressourcenverbrauch stärker zu belasten ist ein Prinzip, das nicht nur
im nationalen Maßstab vernünftig ist. Nein, das muß im
europäischen Rahmen verwirklicht werden. Darum werden wir uns kümmern, auch und gerade während unserer
Präsidentschaft.
({25})
Ich will deutlich machen, daß wir ebenso den Vorsitz
in der G7-/G8-Gruppe führen werden. Auch diese Möglichkeiten wollen wir nutzen, zum Beispiel dadurch, daß
wir mit den Partnern in Europa und in der transatlantischen Gemeinschaft an einer Finanzarchitektur arbeiten
und sie ins Werk setzen, die wirklich verhindern hilft,
daß durch Spekulanten ganze Volkswirtschaften ruiniert
werden und die Zeche dann die Steuerzahler, die kleinen
Leute im nationalen Maßstab zu bezahlen haben.
({26})
Ein Jahrhundertwerk wie die europäische Einigung
wird weder nach innen noch nach außen Bestand haben
können, wenn die Union in ihren Strukturen nicht effizient ist, wenn sie ihre Mittel nicht wirksam und zielgenau
einsetzt und wenn die Lasten nicht halbwegs gerecht
unter ihren Mitgliedern verteilt werden.
Zu der Frage der Effizienz eine Bemerkung. Das, was
wir gegenwärtig über offenkundige Schwierigkeiten bei
der Verwendung von Geldern - um es sehr zurückhaltend zu sagen - und an Korruptionsvorwürfen lesen
müssen, muß ohne Ansehen der Person aufgeklärt werden.
({27})
Wir unterstützen die Kommission ohne jede Einschränkung bei ihrem Versuch, alles, aber auch wirklich alles
auf den Tisch zu legen, was es an Brüsseler Fehlentwicklungen in dieser Frage gegeben hat.
({28})
Effizienz, Haushaltsdisziplin und Gerechtigkeit sind
für eine handlungsfähige Union so unverzichtbar wie
Demokratie und eine koordinierte Wirtschafts- und Außenpolitik. Es wird zweifellos die schwierigste Aufgabe
unserer Präsidentschaft sein, die Reform der Agrarund Strukturpolitik auf den Weg zu bringen. Dafür
wollen wir für die Jahre 2000 bis 2006 einen vernünftigen und fairen Finanzrahmen vereinbaren. Diese drei
unter dem Titel „Agenda 2000“ zusammengefaßten Reformvorhaben sind - dies gilt es zu erkennen - unerläßliche Voraussetzung dafür, daß die Europäische Union
auch in Zukunft handlungsfähig sein wird.
({29})
Und auch das gilt es, sich klarzumachen: Der Abschluß
der Agenda ist auch die Voraussetzung dafür, daß man
ernsthaft über die Aufnahme neuer Mitglieder verhandeln
kann. Wenn das nicht gelingt, wird auch das andere Ziel
weit schwieriger zu realisieren sein, wenn überhaupt.
({30})
Ich sage in diesem Zusammenhang ganz deutlich:
Ohne eine größere Beitragsgerechtigkeit werden sich
die Menschen in unserem Land von Europa eher entfernen als ihm weiter zuzustimmen. Sie sind nur für die
Integration zu gewinnen, wenn die Lasten in Europa fair
verteilt werden. Wenn ich darauf hinweise, ist das gegen
keinen unserer Partner gerichtet - das wird auch so verstanden -, sondern dient nur der Klarstellung der Tatsache, daß man Deutschland überfordert, wenn man Beitragsgerechtigkeit verwehrt.
Ich will ein paar Zahlen nennen, die klarmachen sollen, worum es geht: 1997 hat Deutschland etwa 22 Milliarden DM netto in die Europäische Union eingezahlt.
Das heißt, wir haben 22 Milliarden DM mehr an die EU
überwiesen, als wir an Leistungen aus der Gemeinschaftskasse erhalten haben. Als Vergleich will ich nur
nennen: Der zweitgrößte Nettozahler nach Deutschland
sind die Niederlande mit einer Nettolast von 4,5 Milliarden DM. Deutschland kommt damit allein für 60 Prozent der Nettozahlungen im europäischen Haushalt auf.
Nun wissen wir, daß die Europäische Union keine
Bank ist, bei der man Geld anlegt und auf möglichst
gute Verzinsung hofft. Wir haben uns in den EUVerträgen - und dazu stehen wir - zur Solidarität mit
den schwächeren Mitgliedsländern verpflichtet. Aber es
gilt auch, ganz selbstbewußt und interessengerecht klarzumachen: Wenn Länder wie Luxemburg, Dänemark
oder Belgien - Länder also, die nach den Maßstäben des
europäischen Eigenmittelberichtes über einen höheren
Pro-Kopf-Wohlstand verfügen als wir - Nettoempfänger
sind, dann ist etwas in Unordnung geraten, was in Ordnung gebracht werden muß.
({31})
Das sollte die Opposition nicht kritisieren, sondern sie
sollte mithelfen, daß dies geschieht.
Wir können und wir wollen in Europa nicht eine Politik fortsetzen, die sich das Wohlwollen unserer Nachbarn mit Nettozahlungen gleichsam erkaufen will Nettozahlungen, die dann im eigenen Lande zu unerträglichen Haushaltsbelastungen werden. Dies durchzusetzen wird gewiß nicht einfach sein, weil es gilt, dies
einstimmig herbeizuführen.
({32})
Die Lösung dieser Frage wird auf der Prioritätenliste,
die wir aufgestellt haben, ganz oben stehen. Dabei wissen wir, daß der Zeitrahmen eng ist, und wir wissen natürlich auch, daß die Partner unterschiedliche Interessen
haben. Denn unserem Verlangen nach mehr Beitragsgerechtigkeit wird doch entgegengehalten: Was wollt ihr
Deutschen denn, jenen 22 Milliarden DM hat doch eure
eigene Regierung 1992 zugestimmt!
({33})
- Natürlich war das so, Herr Kohl. Sie haben dem zugestimmt. Wir müssen jetzt sehen, daß wir dies Schritt für
Schritt wegräumen.
({34})
Wir werden das nur schaffen können, wenn wir erreichen, daß sich alle Partner in Europa bewegen, daß alle
Fragen, die bei der Agenda gelöst werden müssen, auf
den Tisch kommen.
Die Kommission hat in ihrem Eigenmittelbericht verschiedene Optionen zur Lösung dieser Frage offenkundig gemacht. Keine dieser Optionen - von der Kofinanzierung bis zum britischen Beitragsrabatt - darf tabuisiert werden. Alle müssen auf den Tisch. In den Verhandlungen zum März des nächsten Jahres hin muß ein
fairer Ausgleich der Interessen gefunden werden.
Deutschland weiß - das haben wir den europäischen
Partnern klargemacht -, daß wir in den Verhandlungen
nicht auf einen Lottogewinn hoffen können, daß sich die
Herstellung von Beitragsgerechtigkeit Schritt für Schritt
vollziehen wird und daß die Interessen der Partner, wo
immer sie auch liegen, berücksichtigt werden müssen.
Aber die Partner müssen verstehen, daß auch Deutschland einen Anspruch auf Fairneß hat. Diesen werden wir
in den Verhandlungen deutlich werden lassen.
({35})
Um dies zu erreichen, werden wir die Strukturförderung konzentrieren müssen. Vor allen Dingen werden
wir dafür sorgen müssen, das sich die Haushaltsmittel
am Durchschnitt der Jahre 1995 bis 1999 orientieren. Es
muß deutlich werden, daß der europäische Haushalt auf
keinen Fall schneller wachsen darf, als es bei den nationalen Haushalten der Fall ist.
({36})
Das ist das, was wir durchsetzen müssen.
Dann werden wir dafür sorgen, daß die neuen Bundesländer in der ersten Förderstufe bleiben. Wir werden
dafür eintreten, daß den Forderungen der Ministerpräsidenten Rechnung getragen wird. Sie fordern zum Beispiel, daß es in den Ziel-2-Gebieten mehr Möglichkeiten
der regionalen Förderung geben muß. Wir brauchen hier
Spielraum für eine eigenständige Regionalförderung.
Mehr und mehr wird das auch von unseren Partnern in
Europa verstanden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein weiteres Ziel, das wir während unserer EU-Ratspräsidentschaft verfolgen wollen, ist die Schaffung dessen, was
man die europäische außen- und sicherheitspolitische
Identität nennt. Der britische Premierminister Tony Blair
hat in Pörtschach auf dem letzten Gipfel interessante
Vorschläge dazu gemacht.
({37})
Bei den deutsch-französischen Konsultationen ist
deutlich geworden, daß die Schaffung einer ihrem Namen wirklich gerecht werdenden Außen- und Sicherheitspolitik in Europa von Deutschland, von Frankreich und von Großbritannien zusammen angestrebt
werden soll. Wir brauchen diese Gemeinsamkeit innerhalb der NATO - nicht gegen irgend jemanden gerichtet, sondern um Außen- und Sicherheitspolitik in Europa
wirksamer als in der Vergangenheit betreiben zu können. Deswegen werden wir das, was dazu in Großbritannien formuliert worden ist, zum Beispiel den Versuch, die Strukturen der WEU in die EU zu integrieren,
um Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik auf diese Weise handlungsfähiger zu machen, mit aller Kraft
unterstützen.
({38})
Meine Damen und Herren, ich habe versucht, deutlich zu machen, wie wichtig es uns ist, die Voraussetzungen für die Erweiterung der EU zu schaffen. Wir
nehmen das Thema, daß die EU nicht an der deutschen
Ostgrenze aufhören darf, sehr ernst. Wir haben den
Partnern in Polen, in Tschechien, in Ungarn und anderswo immer erklärt, daß Deutschland ein verläßlicher
Anwalt der Erweiterung sein wird.
({39})
- Genau! Da müssen wir in der Tat mehr tun, zum Beispiel dafür sorgen - was ich formuliert habe -, daß es in
Europa eine Finanzstruktur gibt, die einen Beitritt auch
ermöglicht. Das haben Sie in der letzten Zeit doch versäumt. Sie haben zwar darüber geredet, aber nicht wirklich etwas getan. Das ist doch das Problem, vor dem wir
stehen.
({40})
Unter Ihrer Regierung ist den Polen versprochen worden: Im Jahr 2000 seid ihr in der EU. Das war ein Versprechen, das aus ökonomischen Gründen nicht haltbar
sein wird. Damit haben Sie Probleme verursacht, die wir
jetzt lösen müssen. Das ist der Tatbestand!
({41})
Wir haben gesagt: Wir wollen die EU-Osterweiterung, und wir wollen die Voraussetzungen dafür
schaffen.
({42})
- Diese Frage „Wann?“ zeigt den völlig törichten Umgang mit diesem Problem.
({43})
Wir stehen am Anfang eines Verhandlungsprozesses,
der ungeheuer kompliziert ist und für den erhebliche Finanzmittel erforderlich sind. Wer sich in der Lage sieht,
zu Beginn eines solchen Prozesses, der hochkompliziert
ist und dessen zeitliche Abfolge man am Beitritt Portugals und Spaniens studieren kann und sollte, jetzt ein
konkretes Datum zu nennen, macht einen großen Fehler.
({44})
Ich halte es nur für redlich, den derzeitigen Beitrittskandidaten zu sagen: Wir wollen, daß diese Verhandlungen zügig geführt werden. Wir wollen, daß parallel
zu diesen Verhandlungen die Institutionenreform vorangebracht wird; denn ohne diese Reform wird es ungeheuer schwierig sein, neue Mitglieder in die EU aufzunehmen. Weil wir beides wollen und weil nicht voraussehbar ist, wann beides erreicht sein wird, ist es unsinnig, ständig neue Daten in die Welt zu setzen. Das schadet dem Vertrauen nur; es nutzt ihm überhaupt nicht.
({45})
Die Partner in Osteuropa wissen, daß wir aus ökonomischen, aber vor allen Dingen aus politischen Gründen
dafür sind, über die Beitrittswünsche zügig zu verhandeln. Sie vertrauen auch darauf, daß Deutschland - was
ich ausdrücklich zusichere - Anwalt der Interessen der
Beitrittskandidaten bleibt.
({46})
Wir tun das aus ökonomischen und politischen Gründen. Wir tun das aber auch - es liegt mir daran, das klarzumachen - vor dem Hintergrund einer in Deutschland
stattfindenden aktuellen Debatte: Wir tun das auch, weil
wir wissen, was wir beispielsweise den Polen aufgrund
unserer Geschichte an Solidarität schulden. Wir wissen
das, und wir werden das auch in Zukunft nicht vergessen. Darauf können sich die Menschen dort und die
politisch Tätigen verlassen.
({47})
Wir werden diese Beitrittswünsche auch deshalb ohne
Wenn und Aber unterstützen, weil wir wissen, was die
Reformkräfte in diesen Ländern für Deutschland getan
haben, als es um die Herstellung der deutschen Einheit
gegangen ist.
({48})
Dies alles verpflichtet uns, Anwalt der Interessen der
Menschen in diesen Ländern zu sein. Aber wir werden
keine Illusionen in die Welt setzen, sondern wir werden
die Realitäten deutlich machen, an denen wir uns bei der
Unterstützung der Beitrittswünsche orientieren.
Meine Damen und Herren, das, was wir jetzt in Wien
auf den Weg bringen wollen und was wir dann unter
deutscher Präsidentschaft abschließen wollen, ist gewiß
ein schwieriges Unterfangen. Es geht in erster Linie darum, für den nächsten Fünfjahreszeitraum die Finanzierungsgrundlagen und damit die Politikgrundlagen der
Europäischen Union herzustellen.
Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung weiß sehr
wohl, daß es gerade in den Finanzierungsfragen unterschiedliche Interessen gibt. Sie weiß sehr wohl, daß man
das Ziel, Beitragsgerechtigkeit zu erreichen, nur Schritt
für Schritt wird durchsetzen können.
Aber, meine Damen und Herren, wenn wir das nicht
jetzt beginnen, wenn wir nicht deutlich machen, daß Legitimation für Europa auch mit Beitragsgerechtigkeit zusammenhängt und daß die Institutionenreform und die
Herstellung der Finanzierungsgrundlagen Voraussetzungen dafür sind, die Beitrittswünsche zügig und materiell
abgesichert zu realisieren, wenn wir all das nicht deutlich machen und unter unserer Präsidentschaft nicht in
Entscheidungen einmünden lassen, dann verfehlen wir
das Ziel, Europa und damit auch Deutschland zu stärken. Beide Ziele aber haben wir. Deswegen werden wir
uns anstrengen und sind für die Unterstützung des Hauses sehr dankbar.
({49})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Vorsitzende der
CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist
gut, daß wir vor dem Europäischen Rat in Wien heute
auf der Grundlage der Regierungserklärung des Bundeskanzlers diese Debatte haben. Wir haben als CDU/CSUFraktion lange darauf drängen müssen, daß sie heute
stattfindet.
({0})
- Ja, natürlich; so war der Ablauf gewesen.
({1})
Aber es ist gut und notwendig, daß wir heute diese Debatte haben.
Europäische Politik und europäische Entscheidungen
werden auch für den Alltag unserer Bürger immer wichtiger. Deswegen ist es im Sinne von politischer Führung
und Verantwortung notwendig, daß wir Sinn und Bedeutung alternativer Positionen in der europäischen
Politik im Deutschen Bundestag debattieren.
Natürlich brauchen wir auf dem Weg der Reform der
Institutionen der Europäischen Union auch eine Stärkung des Europäischen Parlaments, klarere Kompetenzen und mehr Transparenz. Aber da wir wissen - wenn
wir Realisten sind -, daß wir auf lange Zeit eine europäische Öffentlichkeit in dem Sinne, wie wir sie als
Grundlage nationaler Debatten, nationaler Entscheidungen und im Ringen um Mehrheiten kennen, nicht haben
werden, brauchen wir auf Grund der Bedeutung europäischer Politik auch im nationalen Parlament Debatten
über das Für und Wider der europäischen Politik und über
konkrete Entscheidungen, um den Menschen Alternativen
klarzumachen, um für Zustimmung zur europäischen
Politik zu werben, um die Menschen auf diesem Weg
mitzunehmen und um Europa mit seinen Fortschritten
und mit seinen ungeheuren Erfolgen auch zu erklären.
Deswegen fand ich es beklagenswert, Herr Bundeskanzler, daß Sie im ersten oder zweiten Satz Ihrer Regierungserklärung den Beginn der Europäischen Währungsunion nur als einen „Veränderungsprozeß“ beschrieben haben. Ich finde, sie ist ein großer, ein historischer Erfolg für die Menschen in Europa.
({2})
Die europäische Einigung - darüber sind wir uns einig - ist das wichtigste Projekt in der zweiten Hälfte
dieses Jahrhunderts. Sie hat zusammen mit der atlantischen Partnerschaft - übrigens auch im Hinblick auf das,
was wir soeben zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte diskutiert haben - Frieden,
Freiheit, Menschenrechte, Gerechtigkeit, Stabilität,
Wohlstand und soziale Sicherheit für diesen Teil Europas und für unser deutsches Vaterland in einem Maße
ermöglicht, wie es vor 50 Jahren von niemandem für
möglich gehalten worden wäre.
({3})
Sie bleibt auch im kommenden Jahrhundert das
wichtigste Projekt für eine Zukunft in Frieden, Gerechtigkeit und Stabilität. Das gilt wirtschaftlich, und die Europäische Währungsunion hat in den Turbulenzen auf
den Finanzmärkten in diesem Jahr ihre Feuer- und Bewährungsprobe bereits bestanden. Wir hätten in diesem
Jahr eine viel weniger stabile wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung bei all den Verwicklungen in Asien,
in Rußland und in anderen Teilen dieser Erde gehabt,
wenn wir nicht bereits die Europäische Währungsunion
gehabt hätten.
({4})
Das ist der Beweis: Die Währungsunion ist der richtige
Weg, um wirtschaftliche Stabilität für die Menschen in
unserem Lande zu sichern.
({5})
Herr
Kollege Schäuble, bitte einen kleinen Moment! - Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte doch darum, etwas
mehr Ruhe zu wahren und insbesondere die Gespräche
im Stehen außerhalb des Plenarsaals zu führen.
({0})
- Ach, Frau
Kollegin Rönsch, es ist so, und jeder sieht es.
({0})
Mir liegt jedenfalls daran, Herr Bundeskanzler, deutlich zu machen, daß es vielleicht richtig gewesen wäre gerade auch im Rahmen Ihrer persönlichen Verantwortung und auf Grund des vorangegangenen eigenen Tuns
und Redens -, wenn Sie heute als jemand, der in seinem
früheren Amt als Ministerpräsident geradezu der Protagonist derjenigen gewesen ist, die die Skepsis gegenüber
der Europäischen Währungsunion systematisch gefördert haben, gesagt hätten: Ich habe nicht recht gehabt.
Der Euro hat sich bewährt. Ich stelle mich auf die
Grundlage dieser Entscheidung.
({1})
Auch die Osterweiterung ist nicht nur im Interesse
der Beitrittskandidaten. Wenn wir begreifen, warum Europa in diesen 50 Jahren so wichtig gewesen ist, und
wenn wir daraus die richtigen Konsequenzen für die
nächsten 50 Jahre ziehen, dann ist es die allerwichtigste
Aufgabe, daß es gelingt, ganz Europa zu einem Kontinent von Frieden, Stabilität, wirtschaftlicher, demokratischer, sozialer und ökologischer Entwicklung zu machen. Durch den Beitritt unserer Nachbarn in Osteuropa
die Überwindung der europäischen Spaltung, die
1989 mit dem Fall von Mauer und Stacheldraht begonnen hat, zu vollenden, das ist das wichtigste Projekt,
auch und gerade im deutschen Interesse, meine Damen
und Herren.
({2})
Natürlich ist es richtig, unbestritten und unbestreitbar,
daß dazu nicht nur in den Beitrittsländern die Voraussetzungen geschaffen werden müssen, sondern daß dazu
auch die Europäische Union ihren Reformprozeß bewältigen muß: die Agenda 2000, Finanzreform, Reform
der Strukturpolitik, Reform der Agrarpolitik. Herr Bundeskanzler, es ist ein wenig aufgefallen, daß Sie zum
Thema Agrarpolitik, zu einem der wichtigsten und
schwierigsten Reformvorhaben der deutschen Präsidentschaft, nicht ein einziges Wort gesagt haben.
({3})
Im geschriebenen Text, dem Entwurf Ihrer Regierungserklärung, ist es enthalten, aber da das gesprochene
Wort gilt, fehlt es. Es wurde kein Wort zur Agrarpolitik
gesagt. Hochinteressant! Vielleicht haben Sie dazu
nichts zu sagen. Vielleicht scheint es Ihnen auch nicht
wichtig genug. Mir ist jedenfalls wichtig zu sagen: Zu
den schwierigsten Reformvorhaben im Rahmen der
Agenda 2000 gehört die Agrarpolitik, und wir müssen
die Agrarpolitik so reformieren, daß die deutschen
Landwirte auch in Zukunft die Chance auf Lebensfähigkeit haben. Das muß gesagt werden!
({4})
Eine Regierung, die am Tag vor dem Europäischen
Rat in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers kein
Wort zur Agrarpolitik sagt, gerät in Verdacht, daß sie
die Interessen der deutschen Landwirtschaft und des
ländlichen Raums in Deutschland in der europäischen
Politik und bei ihrer Ratspräsidentschaft nicht hinreichend wahrnimmt. Sonst hätten Sie dazu ein Wort sagen
müssen!
({5})
Natürlich haben Sie ein ungeheuer schwieriges Programm vor sich. Das gilt für jede deutsche Präsidentschaft, wer immer regiert. Sie regieren. Natürlich werden Sie am Ende der deutschen Präsidentschaft auch
Kompromisse schließen müssen. Dafür haben Sie heute
schon geworben. In Ordnung! Es geht nicht anders in
einer Union. Nur, Herr Bundeskanzler, wenn Sie für die
Notwendigkeit von Kompromissen am Ende Ihrer Präsidentschaft heute schon für Verständnis werben - dieses
Verständnis unterstütze ich als Führer der Opposition -,
so müssen Sie natürlich mit Kompromissen, die Ihre
Vorgängerregierung erfolgreich geschlossen hat, anders
umgehen, als Sie es in Wort und Inhalt bezüglich des
Edinburgh-Gipfels tun. Das ist doch unglaublich!
({6})
Sie reden - dabei sind Sie vom Manuskript abgewichen,
und dann wird es nicht mehr so staatsmännisch, dann
klingt es fast so wie vor zwei Tagen in Saarbrücken,
worauf wir noch zu sprechen kommen - hier so, als
hätten der Bundeskanzler Kohl und die frühere Regierung im Jahre 1992 nicht im deutschen Interesse in Europa gehandelt. Ich sage Ihnen: Die Zustimmung Europas zur deutschen Einheit zu erreichen war eine der
größten Leistungen von Bundeskanzler Kohl und der
früheren Regierung. Natürlich mußten dazu in Edinburgh Kompromisse geschlossen werden.
({7})
Sie haben das Ergebnis doch damals begrüßt. Der SPDVorsitzende war damals noch Björn Engholm. Er hat erklärt - ich habe die Presseerklärung einmal mitgenommen -: Der Gipfel von Edinburgh hat einen Kollaps verhindert. Die nationalen Regierungen haben bei ihren Interessen vorläufig untereinander auf einen konsensfähigen Kompromiß abgestellt. - Herr Bundeskanzler, stehen Sie zu dem, was Sie damals selbst auch im Bundesrat unterstützt haben. Es war ein Kompromiß, und er war
richtig im deutschen Interesse. Er hat erreicht, daß die
ostdeutschen Länder in die EU-Förderung einbezogen
worden sind. Eine große Leistung! Wenn Sie heute mit
einem solchen Kompromiß so umgehen, dann sage ich
Ihnen: Verzichten Sie lieber auf die deutsche Präsidentschaft! Sie werden niemals ein Ergebnis erreichen, das
Ihren Maßstäben gerecht werden kann. Das ist der
Punkt.
({8})
Wenn die Aufgabe schwierig ist - und das ist sie für
jede deutsche Regierung, wer immer regiert -, dann,
finde ich, Herr Bundeskanzler, sollten Sie sich diese
Aufgabe nicht zusätzlich erschweren. Das, was Sie und
andere herausragende Mitglieder - von der Position her
herausragende Mitglieder - Ihrer Regierung in den letzten Tagen und Wochen gemacht haben, hat Ihre Aufgabe in der deutschen Präsidentschaft erheblich erschwert,
und das schadet den deutschen Interessen.
({9})
Der Herr SPD-Vorsitzende und Bundesfinanzminister
hat ja dieser Tage den Satz gesagt - den muß man sich
auf der Zunge zergehen lassen -: Selten hat eine Regierung einen solchen Start hingelegt. - Herr Lafontaine,
wo Sie recht haben, haben Sie recht. Das ist gar keine
Frage.
({10})
Selten hat eine Regierung in so wenigen Tagen soviel
Unsinn und soviel Chaos angerichtet, soviel korrigieren
müssen. Sie haben ja inzwischen schon mehr korrigiert,
als Sie von Ihren Ankündigungen überhaupt auf den
Weg gebracht haben. Das ist doch die Wahrheit.
({11})
Das gilt nicht nur für die Wirtschafts-, Finanz- und
Sozialpolitik, auch für die Gesundheitspolitik - die Debatte zwischen Herrn Dreßler und Frau Fischer ist ja nur
ein neues Beispiel dafür -, nein, viel schlimmer ist, daß
Sie, Herr Bundeskanzler, in wenigen Wochen das Ansehen Deutschlands erheblich beschädigt haben,
({12})
daß Sie das Vertrauenskapital, das alle Regierungen in
50 Jahren Schritt für Schritt aufgebaut haben, in einer
Weise gefährden, wie es völlig inakzeptabel ist und wie
ich mir auch nicht vorgestellt habe, daß das in wenigen
Wochen geschehen könnte. Ich nenne ein paar Beispiele.
({13})
- Ja, schreien Sie nur! Das hören Sie nicht gerne.
({14})
Der Bundesfinanzminister hat mit seinen Vorstößen,
die Unabhängigkeit von Notenbanken, von Bundesbank wie Europäischer Zentralbank, in Frage zu stellen,
ganz vorsichtig gesagt, große Irritationen nicht nur in
Deutschland, sondern beispielsweise auch in Großbritannien ausgelöst. Daran gibt es doch überhaupt keinen
Zweifel.
({15})
Die Vorstellung, in Europa durch die Gemeinschaft der
Sozialisten und Sozialdemokraten immer mehr zu reglementieren und zu regulieren, entspricht nicht den
Vorstellungen nicht nur der Christlich Demokratischen
Union, sondern auch vieler, die in Europa stärker auf die
Kräfte der Freiheit vertrauen.
Der Bundesaußenminister trägt für sich selbst und im
übrigen auch für seinen Staatsminister - damit das klar
ist, Herr Fischer - die Verantwortung. Entweder Sie
müssen ihn entlassen, oder Sie müssen ihn wenigstens
zur Ruhe bringen. Ihre Kompromisse zwischen Realos
und Fundis können Sie auf Parteitagen der Grünen machen; in Verantwortung für die Bundesrepublik
Deutschland geht das nicht.
({16})
Wenn man von den deutschen Beamten des auswärtigen Dienstes in diesen Tagen des NATO-Rates aus
Brüssel - und die haben Sie ja wirklich nicht mit einem
Mangel an Loyalität empfangen; da gibt es nichts zu
kritisieren - lesen und hören konnte, mühsam habe man
erreicht, daß Deutschland unter den Europäern auch in
Fragen der Sicherheitspolitik als gleichberechtigt anerkannt werde, und jetzt sei man durch den unseligen Vorstoß des Bundesaußenministers wieder in die zweite
Reihe zurückgeworfen,
({17})
dann ist das doch nur die Kommentierung eines Vorganges, den es unter dem
({0})
daß nämlich der britische Premierminister und der französische Staatspräsident sich in Saint Malo treffen, eine
neue Initiative zur Sicherheitspolitik in der Europäischen Union miteinander verabreden und daß Deutschland dabei nicht beteiligt ist. Wir haben in 50 Jahren erreicht, daß wir darüber hinweg sind, und Sie haben es in
vier Wochen geschafft, daß wir wieder zurückfallen.
Deswegen sage ich: Sie schaden Deutschland! Sie nützen den deutschen Interessen nicht, sondern Sie schaden
Deutschland.
({1})
Glauben Sie wirklich, daß Sie in Frankreich mit Ihren
Alleingängen in der Energiepolitik Zustimmung finden?
Da nützt alle Genossensolidarität nichts. Glauben Sie
wirklich, daß Sie mit der Art, wie Sie in Form und Inhalt
vor zwei Tagen auf dem Kongreß Ihrer Partei in Saarbrücken gesprochen haben, den deutschen Interessen
nützen? Sie appellierten populistisch an vermeintliche
Interessen in Deutschland, indem Sie in einer ganz anderen Sprache als hier im Deutschen Bundestag redeten.
({2})
- Wenn die Agenturmeldungen stimmen, haben Sie
doch in Saarbrücken gesagt, die Zeiten seien vorbei, in
denen jede Krise in Europa durch den Griff in die Kasse
des deutschen Steuerzahlers gelöst werden könne.
({3})
Glauben Sie wirklich, daß Sie so den deutschen Interessen dienen, Herr Bundeskanzler? Mit diesem unverantwortlichen populistischen Gerede schaden Sie den deutschen Interessen. Das ist der Punkt!
({4})
- Der Bayerische Ministerpräsident redet niemals verantwortungslos, sondern immer sehr verantwortungsbewußt.
({5})
- Sie werden nicht einen einzigen anderen Satz finden.
Wenn wir aber schon dabei sind, Herr Bundeskanzler,
Herr Ministerpräsident außer Diensten: Ich finde es
schon bemerkenswert, daß Sie vier Wochen, nachdem
Sie nicht mehr Ministerpräsident sind, als Bundeskanzler den Ministerpräsidenten eines der größten und erfolgreichsten Bundesländer zum Regionalpolitiker erklären. Was sind Sie eigentlich bis vor vier Wochen gewesen, Herr Schröder?
({6})
Damit komme ich gleich zum nächsten Punkt. Ich
finde auch bemerkenswert, wie Sie einen Widerspruch
schaffen. Heute haben Sie im Gegensatz zu Ihrer Regierungserklärung vor ein paar Wochen sogar das Wort
Subsidiarität verwendet. Was Sie dazu allerdings an
Inhalten gesagt haben, war so unverbindlich wie alles,
was Sie bisher an Regierungserklärungen abgegeben haben.
({7})
In der Sache selber gibt es allerdings einen Widerspruch, und darauf möchte ich aufmerksam machen.
Natürlich formulieren Sie es in Ihrer heutigen Regierungserklärung vorsichtig - das ist ja auch die Aufgabe
von Apparaten und Ministerien; das ist in Ordnung -,
aber die Wirkung, die Sie mit dem, was Sie europäische
Beschäftigungspolitik und europäischen Beschäftigungspakt nennen, erzielen wollen, ist doch die, daß die
Menschen glauben sollen, in Zukunft sei Europa, sei die
Europäische Union für den Arbeitsmarkt und die Beschäftigung zuständig; und wenn die Arbeitslosigkeit
nicht zurückgeht, ist Europa daran schuld. Daß die Menschen das glauben, ist doch Ihre Absicht.
({8})
Wir kennen Sie aber nun. Solange Sie Regionalpolitiker in Hannover waren, haben Sie auf die Frage, warum
die Jugendarbeitslosigkeit in Niedersachsen doppelt so
hoch wie in Bayern oder Baden-Württemberg sei, geantwortet, Sie verfügten nicht über die Makroökonomie.
Jetzt sind Sie Bundeskanzler, also in Ihrer Vorstellungswelt für die Makroökonomie zuständig. Jetzt aber
sagen Sie, Brüssel sei dafür verantwortlich, um heute
schon das Alibi und die Ausrede für Ihre Mißerfolge zu
konstruieren.
({9})
Ich füge gleich hinzu: Ich bin grundsätzlich gegenteiliger Auffassung. Ich glaube, wir werden in dieser Welt
der Globalisierung, der ungeheuer schnellen Veränderungen, in der sich durch die wirtschaftliche Wettbewerbssituation am Arbeitsmarkt die Dinge so rasant verändern, in einer Welt im Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft und ins Informationszeitalter die Probleme
gerade nicht lösen, wenn wir die Lösung bei immer höheren und zentralistischen bürokratischen Ebenen und
Regulierungen suchen, sondern nur, indem wir die
Kräfte der Freiheit, der Vielfalt, der Ideen, der Kreativität, der Nähe und Eigenverantwortung sowie der freiwilligen Solidarität mobilisieren. Deswegen ist alles das,
was Sie in Konsensrunden konstruieren, zwar Ihr gutes
Recht, aber es entbindet die Menschen nicht von ihrer
eigenen Verantwortung.
Sie schauen jetzt nach Brüssel und auf einen europäischen Beschäftigungspakt - und was dergleichen
Schlagworte mehr sind. Gleichzeitig machen Sie eine
Steuer- und Abgabenpolitik, die die Freiräume für
Mittelstand und Unternehmen weiter verringert. Gleichzeitig machen Sie eine Politik, die die einzelnen von der
Vorsorge, von der Solidarität und der sozialen Fürsorge
für andere entbinden soll, also die bürgernähere Ebene
schwächen soll. Gleichzeitig machen Sie eine Politik, in
der es nur noch um die Vertreter großer Interessen und
um die Verteidigung großer Besitzstände geht. Der
Glaube, man könne, indem man die Menschen alle mit
60 in Rente schickt, die Probleme der Beschäftigung lösen und die Zukunft gewinnen, ist doch absurd. Es ist
genau die falsche Richtung. Nicht mehr Regulierung
und Zentralismus, sondern mehr Freiheit, Eigenverantwortung, Kreativität und Subsidiarität sind der bessere
Weg, um die Zukunftsprobleme zu meistern.
({10})
Zugestanden, Sie werden von uns am Ende der deutschen Präsidentschaft im Juni fairer beurteilt werden, als
Sie mit den Erfolgen und Leistungen von Helmut Kohl
und der früheren Regierung umgegangen sind. Das sage
ich Ihnen schon heute zu. Wir wissen, daß man Kompromisse in Europa schließen muß. Wer europäische
Einigung will, der kann nicht mit dem Kopf durch die
Wand und kann nicht sagen: Am deutschen Wesen soll
die Welt genesen. Er sollte aber auch nicht sagen: Die
deutsche Kasse steht nicht mehr wie in der Vergangenheit für die Lösung von Krisen in Europa zur Verfügung; vielmehr sollte er weiter zur Solidarität bereit
sein.
Sie machen nach meiner Überzeugung einen großen
Fehler, wenn Sie glauben, Sie müßten mit Ihrem Reden
an Instinkte von Teilen in unserer Bevölkerung appellieren, die gegenüber europäischen Entwicklungen skeptisch sind.
({11})
Damit nützen Sie den deutschen Interessen nicht, auch
wenn Sie es noch so lautstark im Mund führen; vielmehr
schaden Sie den deutschen Interessen. Es ist viel besser,
wir blieben in Europa integrations- und kooperationsfähig und wir könnten in Europa mit unseren Partnern Zustimmung für unsere Vorstellung gewinnen, als daß wir
mit unverantwortlichen Redereien, wie Sie sie in der
Nachmittagsstimmung von Saarbrücken zustande gebracht haben, den Karren vor die Wand fahren.
({12})
Ich gebe Ihnen noch einen Rat. Sie sollten den Versuch aufgeben, den Partnern in Europa zu sagen: Jetzt ist
Schluß mit lustig, und die Deutschen zahlen nicht mehr.
Sie sollten die Osterweiterung nicht so ambivalent behandeln, wie sie in der internationalen Presse verstanden
worden ist. Unsere Nachbarn in Polen glauben Ihnen
nicht, daß Sie Anwalt der Interessen der Nachbarn in
Osteuropa sein wollen, weil Sie mit Ihrem Reden dieses
Vertrauen zerstört haben. Bundeskanzler Kohl und Außenminister Kinkel haben unsere Nachbarn geglaubt,
und Bundeskanzler Schröder glauben sie es vorläufig
nicht, weil Sie anders geredet haben. Sie haben Vertrauen zerstört, auch bei unseren Nachbarn.
({13})
Weil nun gerade einmal die parteipolitischen Mehrheiten in einer Reihe von Mitgliedsländern Ihnen günstig erscheinen, sollten Sie den Versuch aufgeben, durch
europäische Politik parteipolitisch einseitig durchmarschieren zu wollen. Herr Bundesfinanzminister und
SPD-Vorsitzender Lafontaine, das hat es in der Geschichte noch nicht gegeben, daß die Finanzminister
einer parteipolitischen Richtung quasi in einem Treffen
von elfen, so einer Art Fraktionsbildung der Finanzminister, waren. Ich sage Ihnen: So werden Sie in Europa
nicht vorankommen. Die politische Vielfalt in Europa ist
größer als der überhebliche Drang von Rotgrün, weil Sie
einmal eine Wahl gewonnen haben, jetzt durchzumarschieren. Dieser Drang ist nur scheinbar richtig.
({14})
Setzen Sie weiterhin auf den Konsens aller Kräfte in
Deutschland und in Europa, die für europäische Einigung und für atlantische Integration sind!
Es war eine gute Tradition, daß wir Repräsentanz
auch in hohen Ämtern europäischer Institutionen nicht
parteipolitisch einseitig nur noch durch Koalitionsvereinbarungen zuteilen - das Vorschlagsrecht für den
einen Posten haben die Grünen, das Vorschlagsrecht für
den anderen Posten haben die Roten, und so geht es hin
und her. Statt dessen sollten Sie ein Stück weit darauf
setzen, daß wir alle politischen Kräfte, die für europäische Einigung sind, auch weiterhin auf diesem Weg
mitnehmen. Geben Sie es auf, zu glauben, Rotgrün
könnte jetzt in Deutschland und Europa durchmarschieren! Sie werden schnell scheitern. Das wäre nicht meine
größte Sorge. Aber meine Sorge ist, daß Sie auf diesem
Wege den deutschen Interessen schaden. Das ist eine
Gefahr für Deutschland.
({15})
Der beste Weg für Deutschland am Ende dieses Jahrhunderts und an der Schwelle zum kommenden Jahrhundert - das muß man immer und immer wieder sagen,
und dafür muß man auch handeln und stehen, auch wenn
es schwierig ist - ist, daß wir den Weg von Integration
in ganz Europa weitergehen, daß wir berechenbare und
verläßliche und angesehene und geachtete Partner im
Atlantischen Bündnis bleiben, daß wir so unsere Verantwortung mit anderen zusammen für diese immer enger zusammenwachsende e i n e Welt wahrnehmen.
Aber das heißt, daß wir deutsche Interessen nicht so definieren sollten, wie die Wirkung ist, die von Ihnen ausgeht, nämlich als gegen andere gerichtet. Deutsche Interessen sind um so besser gewahrt, je mehr es uns gelingt, durch Fortschritte in der europäischen Politik
deutsche Interessen in einem vereinten Europa durchzusetzen. Das ist der Weg der Union. Daran werden wir
Sie messen.
Wir wünschen Ihnen - bei allen politischen Meinungsverschiedenheiten - für Ihre Präsidentschaft im
deutschen und europäischen Interesse viel Erfolg. Aber
ich rate Ihnen: Machen Sie sich die Last durch so verantwortungsloses Gerede wie in den vergangenen Wochen nicht zusätzlich schwer!
({16})
Als
nächster Redner hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion,
Peter Struck, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäuble,
Ihre Aufgeregtheiten in der Debatte um den Gipfel in
Wien
({0})
und Anklagen in der Art, wie Sie sie hier gegenüber dem
Herrn Bundeskanzler vorgetragen haben, lassen sich
eigentlich nur durch die nach wie vor bei Ihnen zu beobachtende Tendenz, daß Sie die Niederlage bei der Bundestagswahl nicht verschmerzt haben, erklären - anders
nicht.
({1})
Sie haben in Ihrer Rede, Herr Kollege Schäuble, in
keiner Weise die Alternativen der CDU/CSU-Fraktion
oder deren Erwartungen an die Bundesregierung für diesen Gipfel formuliert. Im Gegenteil: Sie haben sich darauf beschränkt, die Vergangenheit zu loben. In der Tat
gibt es da Punkte, die auch wir durchaus loben. Ich stehe
überhaupt nicht an, das zu verschweigen. Auf der andeDr. Wolfgang Schäuble
ren Seite unterstützt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Ziele, die der Bundeskanzler in seiner
Regierungserklärung formuliert hat, nachdrücklich.
({2})
Wir fordern auch Sie auf, meine Damen und Herren, bestehende Gemeinsamkeiten hier im Parlament zu artikulieren.
Es ist wahr: Während des Gipfels in Wien und vor
allen Dingen während unserer Präsidentschaft wird ein
hohes Maß an Verantwortung von allen beteiligten
europäischen Staaten gefordert, denn mit den Entscheidungen zur Agenda 2000 steht nicht nur die Neuordnung
der wichtigsten internen Politikbereiche, nämlich der
gemeinsamen Agrarpolitik - Herr Kollege Schäuble, der
Bundeskanzler hat von der Agrarpolitik gesprochen; das
ist Ihnen wahrscheinlich entgangen ({3})
und der Strukturfonds, auf der Tagesordnung. Es geht
um viel mehr: Wir müssen eine neue Finanzstruktur
für die Europäische Union schaffen. Für diese Aufgabe werden auf dem Gipfel in Wien wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Dabei wird es darauf ankommen, daß alle Mitgliedstaaten kompromißbereit sind;
ohne diese Bereitschaft aller Mitgliedstaaten kann die
Bundesregierung diese schwierige Aufgabe nicht meistern.
({4})
Wir wissen auch, daß der Erfolg unserer Präsidentschaft nicht allein von uns und von der Bundesregierung
abhängt, sondern er hängt davon ab, daß wir alle Beteiligten von unseren politischen Vorstellungen überzeugen
können, und zwar ohne Zwang.
({5})
Es wäre von Vorteil, meine sehr verehrten Damen
und Herren von der Opposition, wenn wir im Deutschen
Bundestag über die Fraktionen hinweg in zentralen
europäischen Fragen zu einer Einigung kommen könnten.
({6})
Es herrscht in diesem Haus große Übereinstimmung
darüber - nun zitiere ich wörtlich -, daß die Festigung
der Europäischen Union und die Fortsetzung des europäischen Einigungswerkes entscheidende Voraussetzungen für Frieden, Freiheit und Wohlstand in ganz Europa
sind. Dies haben Sie, meine Damen und Herren von der
Union, selbst so formuliert. Wir unterstreichen das. Ich
biete Ihnen deshalb auch eine faire Zusammenarbeit in
Fragen der Europapolitik während unserer Präsidentschaft an, sage Ihnen allerdings auch ganz deutlich, daß
es sich hierbei um keine Einbahnstraße handeln darf.
({7})
Ich sage das auch schon vorsorglich - bei Herrn
Schäuble wurde das eben deutlich -, weil sich schon
jetzt zu Beginn unserer Legislaturperiode eine gewisse
Geschichtsverfälschung oder Geschichtsklitterung bei
Union und F.D.P. andeutet.
Dafür drei Beispiele. Beispiel Nummer eins: Der
Bayerische Ministerpräsident Stoiber, offensichtlich der
neue europapolitische Inspirator der Union, wirft dem
Bundeskanzler vor, einen schweren Fehler zu machen,
weil er, wie er es ja auch eben vorgetragen hat, die Verhandlungen über die Agenda 2000 schon im Frühjahr
1999 abschließen will. Als Ratspräsident, so sagt Stoiber, müsse er bei der Entscheidung zu viele Kompromisse machen. Das geht - ich zitiere jetzt Herrn Stoiber
wörtlich aus der „Zeit“ - „am Ende auf Kosten der deutschen Steuerzahler und zu Lasten der deutschen Interessen“. Unterschlagen hat dabei der designierte CSUVorsitzende allerdings, daß der Bundeskanzler, Gerhard
Schröder, gar nicht Herr des Zeitplans ist.
Der Bayerischen Staatskanzlei, die sich ja besonderer
europapolitischer Fähigkeiten rühmt, dürfte nicht entgangen sein, daß der Fahrplan auf dem Europäischen
Gipfel in Cardiff am 15. und 16. Juni 1998 unter maßgeblicher Mitwirkung des damaligen Bundeskanzlers
Helmut Kohl festgelegt worden ist. Einstimmig einigten
sich die Regierungschefs darauf, über die Agenda 2000
auf einem Sondergipfel Ende März nächsten Jahres zu
entscheiden. Sollte Bundeskanzler Schröder den Partnern zu Beginn der Präsidentschaft sagen: „April,
April!“? Sie wären doch die ersten gewesen, die uns
dann vorgeworfen hätten, europapolitisches Porzellan zu
zerschlagen, womit Sie übrigens recht hätten.
({8})
Es steht uns nicht an, den verabredeten Fahrplan für
die Entscheidungen zur Agenda 2000 ohne Not in Frage
zu stellen. Damit würden wir nicht nur die Mitgliedsländer brüskieren, sondern die osteuropäischen Beitrittskandidaten zusätzlich verunsichern. Das wollen und
werden wir nicht tun.
({9})
Die Diskussion um die Erweiterung ist ein zweites
Beispiel für Geschichtsklitterung. In diesem Fall scheint
auch die F.D.P. Probleme mit ihrem Kurzzeitgedächtnis
und mit dem ihres ehemaligen Außenministers, Klaus
Kinkel, zu haben. Er hat es bis zu seinem letzten
Amtstag abgelehnt, den Kandidaten einen konkreten
Beitrittszeitpunkt zu nennen. Als Dr. Kohl Polen versprach - der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat diesen
Punkt eben schon angesprochen -, im Jahre 2000 Mitglied der Europäischen Union zu werden
({10})
- stellen Sie doch eine Zwischenfrage, und stellen Sie
diesen Punkt klar! -, reagierte Dr. Kinkel pikiert. Jetzt
will die F.D.P. - ich bin schon gespannt auf Ihren Beitrag, Herr Haussmann -, daß schon am Wochenende in
Wien der Zeitpunkt der Beitritte der osteuropäischen
Länder verbindlich auf das Jahr 2002 festgelegt wird.
Wie ich höre, ist auch die CDU/CSU für diesen Termin,
ohne sich jedoch festlegen zu wollen, wie lange die
Übergangsfristen für die Beitrittskandidaten sein sollen.
({11})
Die Bundesregierung - Kanzler Gerhard Schröder hat
diesen Punkt eben schon deutlich gemacht - hat erklärt,
daß sie die EU-Osterweiterung als vorrangige Aufgabe
ansieht und sie mit großem Nachdruck verfolgt. Sie läßt
es dabei aber nicht an Realismus mangeln. Darum geht
es. Es hilft nicht, unerfüllbare Versprechungen zu machen, nur um jemandem etwas Gutes zu tun.
({12})
Deutschland und Europa können kein Interesse daran
haben, die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen
Staaten in die Union zu verzögern und ihre Erwartungen
zu enttäuschen.
Ein drittes Beispiel dafür, daß man in der Europapolitik seine Worte wägen sollte - auch der Beitrag von
Herrn Schäuble ist ein Beispiel dafür -, ist das Gerede
vom Sozialismus in Europa. Aus Ihren Kreisen verlautet, Europa habe jetzt die sozialistische Mütze übergeworfen. Dieser Satz wird vom Kollegen Waigel verbreitet. Ihn in Bonn zu sagen hat einen gewissen Unterhaltungswert, denn aus Ihren Reihen wurde bis vor kurzem von diesem Pult aus immer unterstrichen, die deutschen Sozialdemokraten seien in Europa isoliert. Diese
Beiträge haben wir alle noch im Ohr. Weiter sagten Sie,
niemand wolle so wie die SPD handeln. Jetzt auf einmal
sagen Sie, binnen einer Frist von zwei Monaten haben
Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine die EU schon
umgepolt. Die eine Behauptung ist so falsch wie die andere.
({13})
Ich halte es in diesem Zusammenhang mit der Gelassenheit und dem Realitätssinn, den der christdemokratische Premier von Luxemburg vertritt. Jean-Claude
Juncker hat in seinem Interview mit der „Welt“ gesagt:
Ich wundere mich, daß man der Tatsache, daß jetzt
11 sozialistische oder sozialdemokratische Regierungschefs am europäischen Tisch sitzen, eine derart hohe Bedeutung beimißt. Es war nie so und es
wird auch nie so sein, daß am Tisch des Europäischen Rates Parteipolitik gemacht wird.
Der Christdemokrat Juncker hat recht. Seine Aussage
sollten Sie sich merken.
({14})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat es
angesprochen: Es geht um den deutschen Beitrag, es
geht um die Frage, wie für den Zeitraum bis zum Jahr
2006 die Zahlungen festgelegt werden. Wir unterstützen
den Bundeskanzler und den Bundesfinanzminister eindeutig: Im Gegensatz zu unserer Vorgängerregierung
werden wir keine Scheckbuchpolitik machen.
({15})
Wir alle beklagen die zu hohe deutsche Nettobelastung;
da bin ich übrigens mit Herrn Stoiber einer Meinung.
Aber man darf nicht allein Brüssel für diese Belastung
verantwortlich machen. Es war immer eine deutsche
Regierung dabei, die diesen Belastungen zugestimmt hat
und sich damit hier und dort politische Zugeständnisse
erkauft hat. Sie wissen, wen ich meine, wenn ich in diese Richtung gucke. Bundeskanzler Schröder hat klargemacht, daß es damit vorbei ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion und die neue Bundesregierung haben klare europapolitische Zielvorstellungen
nicht nur für den Europäischen Rat heute und morgen in
Wien, sondern auch für die Präsidentschaft:
Erstens. Der Europäische Rat von Wien muß den
Grundstein für einen europäischen Beschäftigungspakt legen. Meine Damen und Herren, wir haben dies
vor der Wahl versprochen, und das halten wir auch ein.
({16})
Europa kann und muß seinen Beitrag zur Bekämpfung
der Massenarbeitslosigkeit leisten. Dazu sind keine aus
Brüssel finanzierten milliardenschweren Beschäftigungsprogramme nötig. Niemand von uns will die einzelnen Mitgliedsländer aus ihrer nationalen Verantwortung für mehr Beschäftigung entlassen. Nein, es geht
uns im Gegenteil darum, die EU-Kommission endlich in
diese Verantwortung einzubeziehen.
Zweitens. Am 1. Januar 1999 beginnt die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Für uns war
immer klar, daß der Euro so stabil und stark wie die
Deutsche Mark werden muß;
({17})
wir haben hier im Deutschen Bundestag die Entscheidungen dazu mitgetragen. Dafür brauchen wir eine enge
Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Beschäftigungspolitik in der Europäischen Union. Die deutsche
Bundesregierung - das hat Bundeskanzler Schröder
klargemacht - wird dazu in der deutschen Präsidentschaft Initiativen ergreifen. Wir begrüßen und unterstützen auch ausdrücklich die Initiativen des Bundesministers der Finanzen, was die Koordination der europäischen Steuerpolitik angeht.
({18})
Drittens. Wir wollen die Agenda 2000 erfolgreich
abschließen. Damit würde die Europäische Union einen
wichtigen Teil ihrer Hausaufgaben erledigen, um ihre
Erweiterungsfähigkeit zu erreichen. Dies wäre das beste
und überzeugendste Signal, das wir den osteuropäischen
Beitrittskandidaten übermitteln könnten. Bei den Reformen im Rahmen der Agenda 2000 stehen für uns folgende Punkte im Vordergrund: Die Finanzstruktur der
Europäischen Union muß sicherstellen, daß die deutsche
Nettobelastung begrenzt und, wenn möglich, zurückgeführt wird. Wir wollen eine Reform der gemeinsamen
Agrarpolitik, die die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft auch international stärkt. Wir
brauchen mehr Spielraum für Landwirte, ihr Einkommen am Markt zu verdienen.
({19})
Das wird nur gelingen, wenn das Regulierungsdickicht
und das Subventionsniveau schrittweise abgebaut werden.
Die Bundesregierung hat ein ehrgeiziges Programm
für die deutsche Präsidentschaft vorgelegt. Deutschland
wird wie in der Vergangenheit versuchen, die Europäische Union voranzubringen. Ich fordere das ganze Haus
auf, die neue Bundesregierung dabei zu unterstützen.
Wir wollen Europa. Wir wollen, daß der Kontinent
weiter zusammenrückt. Lassen Sie uns unser Handeln an
diesen Maßstäben orientieren.
({20})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Helmut Haussmann
von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen aus
dem Europäischen Parlament! Die europapolitische Begeisterung von Herrn Struck klingt noch nach.
({0})
Wer so müde, wer so langweilig, wer so monoton zu einem der wichtigsten Themen europäischer Politik redet,
der kann einem wirklich leid tun.
({1})
Ich muß das in dieser Deutlichkeit sagen.
21 Tage vor Übernahme der europäischen Präsidentschaft im größten und wichtigsten Land Europas, das
neun Nachbarn hat und dem unsere europäischen Partner
die Wiedervereinigung erleichtert bzw. geschenkt haben,
stellt der Bundeskanzler auf einem Parteitag fest: Wir
brauchen innenpolitisch gesehen europäische Erfolge
nicht. Es muß ein Ende haben. Er spricht von Scheckbuchdiplomatie. Er sagte, die frühere Regierung habe
sich über den Tisch ziehen lassen. Er spricht davon - übrigens in Anwesenheit der Kommissarin Wulf-Mathies;
das ist eine besondere Delikatesse -, daß in der Kommission Milliardenbeträge verbraten werden. Wer vor
einem europäischen Gipfel diesen Geist verströmt, der
ist nicht in der Lage, die europäische Integration voranzubringen.
({2})
Wer noch vor wenigen Monaten vom Euro als einer
kränkelnden Frühgeburt gesprochen hat und jetzt
staatstragend vorliest, der Euro habe seinen Härtetest auf
den Märkten mit Bravour bestanden, dem ist zu sagen:
Armes Deutschland; schlechte Führung für Europa; dies
ist schlecht für unsere europäischen Partner und damit
auch für Deutschland. Denn ohne mehr Überzeugungskraft, ohne die Bereitschaft, Herr Bundeskanzler, Kompromisse zu schließen, innenpolitische bzw. parteipolitische Interessen zurückzustellen und sich zu übergeordneten europäischen Visionen, Gefühlen zu bekennen ohne diese Grundeinstellung werden Sie in Europa
scheitern. Glauben Sie mir das!
({3})
Es ist bezeichnend, daß in diesem Moment der Außenminister den Saal verläßt. Längst hat sich die SPD
mit Lafontaine und Schröder der Europapolitik bemächtigt. Von Fischer ist in diesem Zusammenhang keine
Spur mehr. Es gab am Anfang einen guten Auftritt mit
einem guten Anzug. Aber die Europapolitik wird jetzt
zur Chefsache der Sozialisten erklärt.
Wer die strukturellen Ursachen der Arbeitslosigkeit,
die nur national zu lösen sind, auf Europa überträgt, tut
Europa einen Tort an. Denn Sie werden dieses Problem
so nicht lösen können, auch wenn Sie auf Ihrem Parteitag fünfzehnmal von Koordinierung, von neuen Gremien
gesprochen haben. Sie schaffen damit neue Planstellen
in der Brüsseler Kommission, aber keinen konkreten
Arbeitsplatz in der Privatindustrie. Sie werden sehen:
Wer die Beschäftigungsunion, wer die Sozialunion
fordert, der erzwingt am Schluß einen europaweiten
Finanzausgleich und mißachtet den Stabilitätspakt.
({4})
Im Gegenteil: Es war ein Segen, daß die alte Regierung
noch in der Lage war, den Euro in der Art abzusichern,
daß er mit einem Stabilitätspakt versehen wurde, so daß
auch national eine bestimmte Grenze der Neuverschuldung eingehalten werden muß. Dies gilt definitiv.
Zur Osterweiterung. Nach dem Euro ist die Erweiterung der Europäischen Union das entscheidende Projekt.
Dazu kann ich nur sagen: Wer aus der europäischen Integrationsgeschichte nicht gelernt hat, daß es ohne
Druck und ohne ehrgeizige Zieldaten keinen Fortschritt
gibt, der wird auch bei der Osterweiterung scheitern.
Wer sprach denn im Hinblick auf die Währungsunion
von der kontrollierten Verschiebung? Was wäre denn
gewesen, wenn wir damals Herrn Stoiber und Herrn
Schröder gefolgt wären? Wir hätten den Euro nicht.
Damit hätte die Weltwirtschaft einen der wichtigsten
Stabilitätsbeiträge nicht erreicht. Der Euro ist schon
heute, bevor er eingeführt wurde, die stabilste Währung.
Er tritt in faire Konkurrenz mit dem Dollar, und er bietet
allen kleinen und mittleren Betrieben in Deutschland
und in Europa die Chance, ohne Auf- und Abwertung
die europäische Integration zu vollenden.
Wer die Osterweiterung zur Geisel unerledigter eigener Reformen macht, der enttäuscht die Hoffnungen
vieler osteuropäischer Reformer.
({5})
Wer das Parlament so mißachtet, wie das heute geschieht, wer nicht einmal eine Zahl, wer nicht einmal einen bestimmten Weg im Rahmen der Struktur- und
Agrarreform angibt, der wird die Agenda 2000 nie und
nimmer abschließen und hat damit die Entschuldigung,
zu sagen: Es lag an anderen; es lag nicht an uns. Die
Osterweiterung muß warten. - Das ist gegenüber den
osteuropäischen Reformern ein Tort. Warum sprechen
denn die Polen vom Jahr 2002? - Weil sie innenpolitisch
unter Druck stehen, weil so mutige liberale Reformer
wie Herr Balcerowicz den innenpolitischen Druck nur
aushalten, wenn sie sagen können: Wir erledigen unsere
Strukturaufgaben, und wir haben dann die Chance, im
Jahre 2002 in die Europäische Union zu kommen. Das
ist der Zusammenhang; dem weichen Sie aus. Die Begriffe, die Herr Fischer neuerdings in seinen Reden gebraucht, wie „neuer Realismus“, sind nur Kodeworte. Es
muß darum gehen, diese wichtigste Reform in Europa,
die Osterweiterung, auch mit konkreten Daten zu belegen.
Der Finanzminister war ja vor kurzem in Washington
und hat einen weiteren Versuch gestartet, als neuer,
zeitgenössischer Keynes die Welt von seinen Theorien
zu überzeugen. Dazu kann ich nur sagen: Wer bei einem
vergleichsweise kleinen Thema wie den 620-MarkArbeitsverhältnissen ein solches Chaos anrichtet, der
sollte der Welt weitere Belehrungen über die Koordinierung von Wechselkursen und die Weltökonomie wirklich ersparen.
({6})
Sie sollten zunächst Ihr Haus in Deutschland bestellen.
Wenn Sie in Köln den G7/G8-Vorsitz übernehmen,
dann kann ich mir nur wünschen, daß vorher einige innenpolitische Reformen in der Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zumindest auf dem Weg sind. Wir als
führendes Land werden sonst eine sehr bescheidene
Bilanz auf dem Weltwirtschaftsgipfel vorweisen können.
Wichtig ist, heute folgendes festzuhalten - dem dient
unser Antrag zusammen mit dem der CDU/CSU -:
Wenn bestimmte innenpolitische Reformen in den osteuropäischen Ländern umgesetzt sind, wenn die Agenda
2000 nach unseren Vorstellungen auf den Weg gebracht
wird, dann müssen die osteuropäischen Reformländer
die Sicherheit bekommen, daß sie ab dem Jahr 2002
willkommene Mitglieder in der Europäischen Union
sind.
({7})
Die Beendigung dieser widernatürlichen Teilung Europas ist die größte Aufgabe,
({8})
und das, Herr Fischer, erfordert Fingerspitzengefühl, das
erfordert Kompromißbereitschaft, und das erfordert eine
Einstellung, die es einem ermöglicht, innenpolitische
Interessen zurückzustellen und sich generell für Europa
zu erklären.
Die Bemerkung, Herr Bundeskanzler Schröder, „Ich
möchte Europäer sein; ich muß nicht Europäer sein“ ist
aus meiner Sicht verräterisch. Ändern Sie Ihre Grundhaltung; ordnen Sie parteipolitische Erwägungen europäischen Überlegungen unter, dann kann die deutsche
Präsidentschaft ein Erfolg werden. Wenn jedoch innenpolitische und parteipolitische Überlegungen siegen,
dann ist das nicht nur schlecht für Europa, sondern am
Ende auch für Deutschland.
Danke schön.
({9})
Als
nächster Redner hat das Wort der Bundesaußenminister,
Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Haussmann, wenn Sie meinen, daß das europäische Anliegen besser durch solche Vorträge voran gebracht werden kann, wie Sie ihn hier gehalten haben, und wenn Sie
dem Kollegen Struck vorwerfen, daß er eine ruhigere
Gangart gewählt hat, dann kann ich Ihnen nur folgendes
sagen; ich habe Ihnen da sehr sorgfältig zugehört.
({0})
- Herr Kollege Haussmann, in der Zeit, in der ich hier
im Plenum war,
({1})
habe ich Ihnen sehr sorgfältig zugehört.
({2})
- Das ist überhaupt nicht billig.
({3})
Ich muß Ihnen sagen: Außer den üblichen Sprüchen,
außer innenpolitischem Kleingeld haben Sie hier nicht
einen perspektivischen Beitrag geliefert.
({4})
Ich sage auch zum Kollegen Schäuble: Ich habe für
Ihre innenpolitischen Nöte wirklich Verständnis. Aber
daß in letzter Zeit mehr die Galle als die Intelligenz Ihre
Beiträge prägt,
({5})
wird der europäischen Sache - das muß ich Ihnen ehrlich sagen -, vor allen Dingen in dieser schwierigen Situation, in der wir uns jetzt befinden, nicht gerecht werden.
({6})
Die heutige Debatte unterscheidet sich von den Debatten der vorangegangenen Jahre. Denn wir haben - bei
aller Kritik, die wir in Einzelfällen, im Detail angebracht
haben - immer das gemeinsame Werk Europa nicht nur
als eine Angelegenheit der Bundesregierung betrachtet,
sondern wir haben immer auch ein gemeinsames Interesse vertreten und unsere Aufgabe als damalige Opposition darin gesehen, die Perspektive des europäischen
Einigungsprozesses mit in die Debatte einzubringen.
Ich muß Ihnen sagen: Außer den üblichen Bekenntnissen haben Sie an Vorschlägen zur Lösung der Probleme,
vor denen wir jetzt gemeinsam stehen, nichts, aber auch
gar nichts beigetragen.
({7})
Ich möchte Sie auf die Situation, die wir vorgefunden
haben, hinweisen. Ich stimme dem Kollegen Schäuble
und allen anderen ausdrücklich zu: Der europäische Einigungsprozeß ist die historische Aufgabe und Chance
für unseren von Kriegen permanent zerrissenen Kontinent, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein neues - historisches - Kapitel des Friedens aufzuschlagen.
Es ist für unser Land von größtem Interesse, diesen Einigungsprozeß erfolgreich zum Ende zu bringen. Ich
hoffe daß wir uns darüber nicht streiten müssen, sondern
nur darüber, welcher Weg der beste ist, dieses Ziel zu
erreichen.
({8})
Die Situation - das muß ich der alten Regierungskoalition ins Stammbuch schreiben; denn sie macht
einen Teil der Schwierigkeiten aus - ist die folgende: In
den letzten zwei bis drei Jahren, im Grunde genommen
seit 1992, haben Sie in der Europapolitik eine ganze
Reihe Potemkinscher Dörfer aufgebaut, und zwar auf
Grund innenpolitischen Drucks.
({9})
- Für die Einführung des Euro waren und sind wir nachdrücklich. Da brauchen Sie mich weiß Gott nicht katholisch zu machen. Dazu hatten wir hier im Haus eine
breite Zustimmung, Herr Haussmann. Das wissen Sie so
gut wie ich.
({10})
Der entscheidende Punkt aber ist ein anderer: Wir
stehen heute in den Gesprächen mit den Europäern immer wieder vor der Situation, daß sie uns die bisherige
Haltung Deutschlands zur anstehenden Reform - die wir
jetzt anpacken müssen -, vor allen Dingen zur Agenda
2000 und zur Erweiterungsfähigkeit der Finanzverfassung der EU - das ist es doch, was sich hinter dem
technokratischen Begriff Agenda 2000 verbirgt -, schildern. Die Europäer sagen uns, Deutschland - damit ist
die Spätphase der Regierung Kohl gemeint - vertrat die
Position: schnelle Erweiterung, weniger Geld bezahlen
und gleichzeitig mehr Geld für die deutschen Bauern
bekommen. Wie soll das gehen?
Wir stehen jetzt vor der Einführung des Euro und der
beginnenden Erweiterung der EU - und ich bin froh, daß
die Erweiterung begonnen wurde und werde Ihnen
gleich etwas zur Terminfrage sagen. Die Inkraftsetzung
des Vertrags von Amsterdam wird - so hoffe ich - im
kommenden Frühjahr abschließend erfolgen - nach der
Ratifizierung durch die französische Nationalversammlung. Das Finanzgebaren der Europäischen Kommission
ist ein weiteres Problem, und mögliche Weiterungen kurz vor der Europawahl - können den ganzen Prozeß
erheblich erschweren. In dieser Situation brauchen wir
dringend eine Perspektivdebatte, die ich mir für heute
erhofft hatte und die der Bundeskanzler versucht hatte,
anzustoßen.
({11})
- Nein, im Gegensatz zu Ihnen habe ich zugehört. Ich
möchte Ihnen jetzt die Position der Bundesregierung erläutern und Ihnen sagen, was wir zu tun gedenken.
In dieser Situation, in der sich die Probleme verdichten, besteht ein substantieller Zusammenhang zwischen der Reformfähigkeit der Union und ihrer Erweiterungsfähigkeit. So richtig oder so falsch es gewesen sein mag, eine visionäre Zahl zu nennen: Sie ist
heute nicht mehr von Interesse. Daß das Jahr 2000 nicht
zu halten ist, ist allen klar.
Herr Haussmann, dessen einziger Beitrag darin besteht, zu sagen, nennen Sie Zahlen, nennen Sie Zahlen,
nennt eine Zahl, nämlich 2002, ohne sie begründen zu
können. Ich werfe Ihnen, Herr Haussmann, vor: Sie wissen ganz genau, daß es zutiefst unseriös ist, den Polen,
den Ungarn und den Tschechen jetzt das Jahr 2002 als
Beitrittsdatum zu versprechen. Das ist reine Fiktion und
zutiefst unseriös.
({12})
Es besteht hier also ein substantieller Zusammenhang.
({13})
- Die Intelligenz Ihrer Zwischenrufe übertrifft noch die
Intelligenz Ihrer Reden. Tun Sie doch etwas!
({14})
- Sicher sind wir in der Regierung. Deswegen fahren
wir auch nach Wien und tun etwas - im Gegensatz zu
Ihnen -; das kann ich Ihnen versprechen.
({15})
Wir müssen diesen Widerspruch zwischen Erweiterungsfähigkeit und Erweiterung in dem Zeitfenster, das
sich bietet, auflösen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Agenda 2000 zum Erfolg zu führen. Nur, da
kommt dann wieder der formidable Herr Schäuble, der
gallebitter versucht, die Probleme, die er im eigenen Laden hat, durch Angriffe auf die Koalition zu übertünchen, und sagt kein Wort dazu. Ich wäre gerne einmal
Mäuschen gewesen bei der Diskussion in der
CDU/CSU-Fraktion, als der niemals unverantwortlich
redende bayerische „Kini“ Stoiber dort seinen Auftritt
hatte. Die „FAZ“ ist ja nun über jeden Verdacht erhaben, der jetzigen Regierungskoalition nahezustehen,
aber der Kommentar vom heutigen Tage ist es wert, gelesen zu werden - nach dessen Schilderung der Diskussion in Ihrer Fraktion verlangt wird, wir sollten bei der
Erweiterung ein möglichst enges Zeitlimit setzen. Und
Herr Stoiber greift uns an, weil der Bundeskanzler erklärt habe, wir wollten - wie es in Cardiff auf einem
Sondergipfel im März beschlossen wurde - die Agenda
2000 zum Abschluß bringen; dies sei unverantwortlich
und werde die deutschen Interessen schädigen - so Herr
Stoiber vor der CDU/CSU-Fraktion. Ich lese nicht, daß
Herr Schäuble ihm da widersprochen hat. Was Sie hier
betreiben, ist ein wirklich dubioses Doppelspiel.
({16})
Ich könnte Ihnen das hier vorlesen. Aber das scheint
Herrn Schäuble nicht zu interessieren. Ich verstehe auch,
warum: Herr Stoiber sitzt ihm wirklich hart im Genick.
Er vertritt eine europapolitische Position, die mit dem
Vermächtnis von Dr. Kohl überhaupt nichts zu tun hat.
({17})
Das ist es doch, was Sie in Wirklichkeit fürchten und
weshalb Sie jetzt in dieser Debatte sagen, wir schädigten
die deutschen Interessen; in 50 Jahren aufgebautes Vertrauen hätten wir in fünf Wochen verspielt. Das glauben
Sie doch selbst nicht, geschweige denn Ihre Anhänger,
geschweige denn die Mehrheit im deutschen Volke oder
gar unsere Bündnispartner.
({18})
Ich will Ihnen sagen, was Sie fürchten. Sie fürchten, daß
Stoiber letztendlich den europapolitischen Riß im konservativen Lager so vertiefen wird, daß Sie in dieselbe
Situation wie die französischen Gaullisten oder die britischen Konservativen geraten. Das ist die eigentliche
Furcht, die Sie in der Zeit nach Kohl umtreibt.
({19})
Für mich besteht ein substantieller Zusammenhang
zwischen Strukturreform und Erweiterungsfähigkeit der
Union. Ich habe als Oppositionsabgeordneter hier 16
Jahre Regierungserklärungen gehört.
({20})
Da kann ich Ihnen nur sagen: Es waren Erklärungen, die
vor Konkretem nur so gestrotzt haben, wenn meine Erinnerung mich nicht trügt. Es waren immer präziseste
Vorträge, die wir hier vom Bundeskanzler a. D. Dr.
Helmut Kohl gehört haben. Und dann kommt der Abgeordnete Haussmann und sagt: „konkreter“. So konkret
wie Sie kann ich nicht werden, weil ich nicht so unverantwortlich bin, daß ich fiktive Zahlen wie 2002 in den
Raum setze, Herr Haussmann. Eine konkrete Zahl werden Sie von mir nicht bekommen.
({21})
Wir haben jetzt die Erweiterungsgespräche begonnen. Wenn wir die ersten Kapitel - die wir jetzt durchhaben - um die ersten schwierigen Kapitel ergänzen
können, dann halte ich einen Termin für möglich. Aber
der zweite Termin muß dann „sitzen“, muß dann eingehalten werden; das ist dann ein operativer Termin. Das
ist dann kein Termin mehr, der Visionen vermitteln soll,
sondern ein Termin, der den notwendigen Druck zum
Abschluß produzieren muß. Den Druck werden wir
brauchen; da sind wir uns einig. Aber diesen Termin
halte ich frühestens Ende nächsten Jahres oder gar erst
Ende 2000, nach Fortgang der Verhandlungen, für verantwortbar. Dann sollte man ihn aber auch setzen, um
die Verhandlungen erfolgreich zum Abschluß zu bringen. Das ist verantwortliche Politik, nicht das Herumfingern mit Terminen, die Sie im Grunde genommen
nicht begründen können und die nur falsche Hoffnungen
wecken.
({22})
Wir werden vor der schwierigen Situation stehen - das hat der Allgemeine Rat der Außenminister gezeigt - ({23})
- Dazu komme ich gleich noch. Ich habe jetzt zum Europäischen Rat gesprochen; das stand dort auf der Tagesordnung. Sie beschweren sich doch immer, wenn Sie
von anderen unterbrochen werden. Aber in letzter Zeit,
seit Sie in der Opposition sind, beschweren Sie sich
nicht mehr, sondern unterbrechen munter andere, Herr
Kollege Schäuble.
({24})
Ich kann mich noch an diese weinerliche Tour erinnern.
Sie wollten hier eine Regierungserklärung zum Allgemeinen Rat, und ich habe gerade zum Allgemeinen Rat
gesprochen. Ich habe versucht, Ihnen konkret zu erläutern, wo wir die Probleme sehen und wie wir sie angehen wollen. Aber das paßt Ihnen nicht. Deshalb kommen
Sie jetzt zu Saint Malo. - Ich komme noch zu Saint
Malo.
({25})
- Frau Rönsch, selbst wenn ich dünnhäutig wäre: Ihre
Zwischenrufe würden diese dünne Haut nicht durchdringen können.
({26})
Ich gehe auf Saint Malo ein, wenn ich meinen Gedanken
zum Allgemeinen Rat zu Ende geführt habe.
({27})
- „Das ist gar kein Gedanke!“ ist jetzt der zweite intelligente Zwischenruf des Kollegen Schäuble. Wenn Sie
auf diesem Niveau diskutieren wollen, bitte!
Lassen Sie mich nur noch folgendes zu diesem Punkt
sagen: Der Allgemeine Rat der Außenminister hat gezeigt, wie schwierig es sein wird, einen Kompromiß zu
finden. Es wird enorm schwierig werden, einen Kompromiß zu finden, weil vor allen Dingen die Südländer
ihren Besitzstand mit Zähnen und Klauen verteidigen.
({28})
- Das ist nichts Neues, aber wir sind jetzt in der Situation, daß wir zum Abschluß kommen müssen. Das ist der
entscheidende Punkt. Wenn wir an diesem Punkt sehr
gut sind, dann werden wir eine Reform der Finanzverfassung hinbekommen, deren Zielperspektive es ist, die
Konstanz realer Ausgaben im Haushalt zu vereinbaren,
was sehr schwierig, aber notwendig sein wird, wenn sich
diese nicht ad infinitum nach oben bewegen sollen.
Wir werden in der gemeinsamen Agrarpolitik - bei
Wahrung der Interessen der deutschen Landwirtschaft;
aber es nützt nichts, den deutschen Bauern große Versprechungen zu machen - zu Kompromissen gezwungen
sein. Dabei ist nicht nur der Gesichtspunkt der Senkung
des Nettobeitrags Deutschlands von entscheidender
Wichtigkeit, vor allen Dingen ist es unverzichtbar für
die Begrenzung des Anstiegs der Agrarausgaben, nach
Vollzug der Erweiterung die Frage der Kofinanzierung
anzugehen. Ich sage diesem Hause aber auch klipp und
klar: Frankreich verhält sich an diesem Punkt sehr strikt
ablehnend. Auch das macht die Schwierigkeit eines
Kompromisses aus.
Ich bedauere sehr, daß wir im Hinblick auf den Europäischen Rat in Wien nicht schon weiter sind, daß es
nicht schon jetzt eine Vorstrukturierung gibt und wir uns
auf die wesentlichen Konfliktpunkte konzentrieren können. Wir befinden uns in einem Stadium, das es der
deutschen Präsidentschaft erheblich erschweren wird, in
dieser sehr kurzen zur Verfügung stehenden Zeit voranzukommen. Aber dennoch ist dies, so denke ich, aller
Mühe wert.
Wir als Bundesregierung werden nicht müde, unseren
Partnern das eine zu sagen: Die Finanzspielräume, die es
in der Vergangenheit gab - ich kritisiere das nicht -, gibt
es heute, bei der deutschen Präsidentschaft im nächsten
halben Jahr, nicht mehr. Deshalb wird es zwar wichtig
sein, einen Erfolg zu erzielen - wir wissen uns diesem
Erfolg verpflichtet und werden alle Kräfte dafür einsetzen -, aber es kann, Herr Kollege Haussmann, keinen
Kompromiß um jeden Preis mehr geben,
({29})
weil wir nicht jeden Preis zu zahlen bereit sind. Wir
werden nicht 10 Milliarden ECU zusätzlich auf den
Tisch legen können, nur um einen Kompromiß bei der
Agenda 2000 hinzubekommen. Das muß allen Beteiligten klar sein.
Wir stehen jetzt vor der Situation, daß ein jeder etwas
abgeben muß. Das wird die große Schwierigkeit sein;
denn das war in der Europäischen Union bisher noch
nicht der Fall. In der Regel wurden die Kompromisse im
Wege der Zusatzfinanzierung erwirtschaftet. Das ist
diesmal nicht mehr drin.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die europäische Sicherheits- und Verteidigungsinitiative - eine Debatte,
die ebenfalls an Dynamik gewonnen hat, vor allem
durch die Rede von Premierminister Blair in Pörtschach
und die Initiative von Präsident Chirac Ende August.
In diesem Zusammenhang: Die Haltung des Kollegen
Schäuble in diesem Punkt - zu meinen, Saint Malo sei
eine antideutsche Veranstaltung mit ausgrenzendem
Charakter gewesen, das wäre der VorgängerBundesregierung nicht passiert - finde ich wirklich
merkwürdig. Dazu kann ich Ihnen, Kollege Schäuble,
nur sagen: Hätten Sie sich einmal genauer mit den Dokumenten des deutsch-französischen Gipfels beschäftigt! Hätten Sie einmal nachgefragt - das wäre eine
sinnvolle Nachfrage an den Bundeskanzler gewesen -,
was dort über die Identität und die Entwicklung der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsinitiative beredet worden ist! Hätten Sie einmal
nachgefragt, was diesbezüglich im gemeinsamen
deutsch-französischen Verteidigungsrat besprochen
worden ist! Hätten Sie einmal nachgefragt, welche Vereinbarung der Bundeskanzler, der Staatspräsident und
der Premierminister in dem Gespräch getroffen haben
und wie die Zukunft nach Saint Malo aussieht! Dann
hätten Sie sich diesen Beitrag schenken können; denn an
Ihrer Vermutung ist nun wirklich nichts dran. Im Gegenteil: Wir finden es hervorragend, daß auch und gerade Großbritannien und Frankreich diese Dynamik hineinbringen. Wir finden es deswegen hervorragend, weil
bisher vor allen Dingen der Widerspruch zwischen der
britischen und der französischen Position eine Dynamik
in diesem Bereich verhindert hat. Deswegen haben wir ohne daß wir uns da ausgegrenzt oder zurückgesetzt
fühlten - die Blair-Rede von Pörtschach als eine wichtige Initiative begrüßt, die wir aufnehmen wollen.
Der Allgemeine Rat hat gezeigt, daß auch die übrigen
Europäer diese Initiative begrüßen und aufnehmen.
Auch die Debatte im NATO-Rat hat gezeigt - und der
NATO-Gipfel in Washington wird es ebenfalls zeigen -,
wie wichtig es ist, daß die europäische Säule gestärkt
wird. Dies ist aber vor allen Dingen an den Ausgleich
der Widersprüche zwischen Frankreich und Großbritannien gebunden, die es in der Vergangenheit in dieser
Frage gegeben hat.
Herr Fischer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schäuble?
Ja. - Herr Kollege Schäuble.
Herr Bundesminister Fischer, wollen Sie im Ernst bestreiten, daß
die meisten Beobachter in Europa und im atlantischen
Bereich die Tatsache, daß sich die britische und die
französische Regierung über Sicherheitspolitik und Außenpolitik in der Europäischen Union erstmals ohne die
Deutschen unterhalten haben, auch als eine Reaktion auf
die Alleingänge innerhalb des Atlantischen Bündnisses verstehen, die insbesondere Sie verantwortungslos
unternommen haben?
({0})
Fast würde ich mich geehrt fühlen, wenn Sie jetzt sagen
würden: Herr Fischer ist die Ursache für die Erklärung
von Saint-Malo gewesen. Da müßte die Dialektik schon
fast sagen: Da ist wirklich etwas Gutes entstanden.
Ich finde diese Erklärung von Saint-Malo und die Initiative von Frankreich und Großbritannien - ich wiederhole das - unter europapolitischen Gesichtspunkten
gut, weil ich die europäische Einigung will. Ich möchte,
daß am Ende dieses Prozesses - wie lange er auch dauern wird - ein Völkerrechtssubjekt, ein politisch handlungsfähiges Subjekt steht: die Europäische Union. Das
ist mein Ziel. Das ist die Vision, die viele in diesem
Hause teilen.
({0})
Das bedeutet für mich die Überwindung der Widersprüche von Großbritannien und Frankreich in der Sicherheits- und Außenpolitik. Ich wollte, die wären da schon
weiter, als das Kommuniqué insinuiert.
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege Schäuble: Ich
habe da eine völlig andere Auffassung als Sie, weil ich
die enge Konsultation zwischen dem Bundeskanzler und
dem französischen Staatspräsidenten, zwischen dem
Premierminister Großbritanniens und dem Premierminister Frankreichs teilweise direkt mitbekommen habe,
teilweise aus den Unterlagen kenne. Da gibt es kein
konsultatives Defizit.
Ich kann hier für die Bundesregierung sagen, daß wir
diesen Prozeß nachdrücklich unterstützen und uns über
das Kommuniqué von Saint-Malo freuen; denn es bedeutet einen wichtigen Schritt für die Entwicklung der
europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität,
einer weiteren Säule des europäischen Einigungsprozesses.
({1})
Meine Damen und Herren, wir werden mit der Agenda 2000 einen sehr schweren Brocken zu stemmen haben. Wir müssen diesen Prozeß erfolgreich zum Abschluß bringen. Ich würde mich freuen, wenn wir da die
Unterstützung des ganzen Hauses hätten; denn es wird
sehr schwierig werden. Der Erweiterungsprozeß hängt
vom Erfolg des Fortgangs der Strukturreform der EU ab;
das ist ganz offensichtlich. Allein an den Kosten der
gemeinsamen Agrarmarktpolitik wird man feststellen
können: Ein Beitritt Polens und Ungarns unter Beihaltung der heutigen Struktur würde jeden Kostenrahmen
sprengen. Das geht gar nicht. Wir müssen demnach vorher eine entsprechende Reform machen: Das ist die
Agenda 2000.
Wir brauchen weitere strukturelle Reformen, weil der
französische Einwand völlig zu Recht besteht: Eine EU,
die fünf zusätzliche Mitglieder hat, wird, was die strukturellen Reformen der Kommission und anderer Bereiche betrifft, eher noch reformunfähiger sein, als sie es
schon in der heutigen Zusammensetzung ist. Auch das
ist ein Aspekt, den man nicht vergessen darf. Wir müssen demnach entschlossen das Zeitfenster nutzen.
Ich kann unseren Partnern in Mittel- und Osteuropa
aber sagen: Die Bundesregierung bleibt Anwalt der Interessen der Beitrittsländer. Die EU ist für uns kein
westeuropäisches Projekt, sondern muß nach dem Ende
des kalten Krieges ein gesamteuropäisches Projekt
werden.
({2})
Insofern ist die Einführung des Euro zum 1. Januar ein
historischer Schritt. Die Erweiterung der EU wird der
zweite historische Schritt auf dem Weg zu einem vereinigten Europa werden. Die Bundesregierung hofft hierbei auf die Unterstützung des ganzen Hauses.
({3})
Als
nächster Redner hat der Fraktionsvorsitzende der PDSFraktion, Gregor Gysi, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche Ratspräsidentschaft fällt
in eine Zeit wichtiger europapolitischer Entscheidungen.
Es geht nicht darum, daß irgendwann in der Zukunft
Weichen für eine Strukturveränderung gestellt werden
müssen, sondern das wird in den nächsten drei Monaten
ganz aktuell zur Debatte stehen.
Vor fast genau neun Monaten hat der Deutsche Bundestag an dieser Stelle über den Amsterdamer Vertrag
beraten, einen Vertrag, den die PDS aus guten Gründen
abgelehnt hat. Wir waren mit der Ablehnung hier ziemlich isoliert. Damals haben wir gesagt, daß der PDS die
europäische Idee viel zu wichtig ist, um sie einem bornierten Zeitgeist zu opfern, der bereit ist, die soziale, zivile und humanitäre Dimension europäischer Politik
aufzugeben.
Es ist doch eine Tatsache: Seitdem die Europäische
Union existiert, seit Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages, gehörte die Bundesrepublik Deutschland unter
Ihrer Verantwortung, Herr Altbundeskanzler Dr. Kohl,
zu den Vorreitern einer neoliberalen Europakonzeption,
deren Grundzüge ganz einfach zu beschreiben sind: Das
Kapital erhält grenzenlose Freiheiten, während die arbeitsmarktpolitische und soziale Verantwortung auf nationaler Ebene verbleibt. Dort sind aber die Handlungsspielräume durch Konvergenzkriterien und Stabilitätspakt so weit eingeschränkt, daß der Deregulierungsdruck nahezu ungebremst auf die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft durchschlägt,
({0})
das heißt auf Arbeitslose, auf Schlechtverdienende, auf
Alleinerziehende, auf kinderreiche Familien oder auf
Flüchtlinge. Das ist eine Tatsache.
Deshalb gibt es in der Bevölkerung zunehmend Vorbehalte gegenüber Europa. Das Entscheidende ist doch,
wie die Menschen Europa erfahren und erleben. Daran
müssen wir etwas verändern, wenn wir eine wirkliche
europäische Integration in Gang setzen wollen.
({1})
Wann immer es Anstöße von außen gab - Herr Dr. Kohl
kann sich daran mit Sicherheit noch erinnern -, Europa
sozialer und gerechter zu gestalten, konnte man sicher
sein: Sie, Herr Kohl, treten auf die Bremse; Sie werden
das verhindern. Sie waren es doch, der zusammen mit
der gesamten Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. jede
Arbeitsmarktpolitik auf europäischer Ebene abgelehnt
hat. Sie wollten, daß dort nur ein Finanzgebilde, ein Bürokratiegebilde entsteht, das von den Menschen nicht
akzeptiert werden kann.
Wer will, daß Europa von den Menschen positiv erfahren wird, der muß dafür sorgen, daß diese Europäische Union demokratischer wird, daß sie sozialer wird,
daß sie arbeitsmarktpolitische Dinge regelt und daß sie
in der Lage ist, soziale, ökologische und andere Standards durchzusetzen. Genau das war unsere Kritik am
Euro.
({2})
Wir haben gesagt - und ich bleibe dabei -: Es mag sein,
daß der Euro stabil wird; das ist heute auch von Herrn
Haussmann wieder betont worden. Aber ist denn Geld
nur des Geldes wegen da? Geht es denn nur um die Stabilität des Geldes? Geht es nicht auch um die Frage, was
aus dem Geld wird, was damit sozial, ökologisch und
auf anderen Gebieten, kulturell etc., erreicht wird?
Wir haben gesagt: Wer eine Einheitswährung will,
muß vorher die Europäische Union demokratisieren,
muß das Europäische Parlament stärken und muß überdies dafür sorgen, daß in Europa soziale, arbeitsmarktpolitische und ökologische Mindeststandards gelten und
daß wir eine Steuerharmonisierung bekommen. Dann
kann man auch eine gemeinsame Währung einführen.
Alles andere bedeutet - das wird sich erst in den
nächsten Jahren zeigen -, daß über die Währung die
Angleichung erzwungen wird, aber dann auf möglichst
niedrigem Niveau. Das wird zu sozialen Auseinandersetzungen führen, und das wird leider auch den Rechtsextremismus stärken. Das war immer unsere Sorge.
Deshalb haben wir immer gesagt: Euro - so nicht! Erst
die Voraussetzungen schaffen, die bis heute nicht gegeben sind!
({3})
Damit übernimmt diese Regierung natürlich eine
komplizierte Verantwortung; das will ich überhaupt
nicht bestreiten. Denn jetzt müssen diese Prozesse praktisch im nachhinein geregelt werden, die eigentlich vorher hätten geregelt werden müssen, bevor man eine Einheitswährung einführt. Im nachhinein ist das natürlich
immer schwieriger, als wenn man das als Voraussetzung
verstanden hätte, wie es unser Anliegen war.
Wir begrüßen, daß die neue Bundesregierung eine
aktive europäische Beschäftigungspolitik vorantreiben
will. Das ist ein Schritt, den die christlich-liberale Vorgängerregierung scheute wie der Teufel das Weihwasser. Doch bei aller Freude scheinen mir die Aussagen in
der Koalitionsvereinbarung darüber sehr allgemein und
wenig nachvollziehbar zu sein. Sie schreiben dort, daß
Sie „mehr Beschäftigung im makroökonomischen Kontext der Lohn-, Geld- und Fiskalpolitik erreichen wollen“. Abgesehen davon, daß das schon einer dreifachen
Übersetzung bedarf, bevor irgend jemand versteht, was
damit gemeint sein kann, sage ich Ihnen: Allein die Koordinierung nationaler Aktionspläne fortzuentwickeln
wird nicht genügen, um auf dem europäischen Kontinent
das Problem der Arbeitslosigkeit ernsthaft anzugehen.
({4})
Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir durch
Arbeitszeitverkürzung, durch eine aktive Beschäftigungspolitik und durch eine Förderung sozialer und
kultureller Dienstleistungen im Non-profit-Bereich sowie durch Qualifizierung und Weiterbildung vor allem
für Jugendliche und Frauen das Problem Arbeit europaweit entschieden angehen können.
Ich frage, Herr Bundeskanzler: Wäre es nicht an der
Zeit, daß wir den Gedanken, Staaten, die die Konvergenzkriterien verletzen, als Sünder zu benennen und sie
dafür sogar zu bestrafen, weil uns das Geld so wichtig
ist, erweitern? Wäre es nicht an der Zeit, auch eine
Grenze für die Arbeitslosigkeit festzulegen? Staaten, die
diese Grenze überschreiten, sind genauso schlimme
Sünder wie die Staaten, die im Rahmen ihrer Geldpolitik
nicht ordentlich wirtschaften. Wenn das geschieht, dann
bekäme Europa endlich auch einen arbeitsmarktpolitischen und sozialen Anstrich. Das wäre meines Erachtens
auch an der Zeit.
({5})
Ich hoffe auch, Herr Bundeskanzler, daß Sie sich
endlich dafür einsetzen, daß die Trennung von Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik einerseits und von
Wirtschafts-, Regional- und Strukturpolitik andererseits
aufgegeben wird. Diese Trennung ist schon national
falsch. Europaweit ist sie auf jeden Fall falsch und
bringt uns in der Frage nicht weiter.
Es kann nach unserer Auffassung auch nicht dabei
bleiben, daß die Europäische Zentralbank einzig der
Preisstabilität verpflichtet bleibt. Auch die Europäische
Zentralbank muß Politik im Interesse von mehr Beschäftigung und von sozialer Sicherheit machen. Dazu
gehören mehr Kriterien als das Kriterium der Preisstabilität. Auch deshalb brauchen wir ein weiteres Gremium,
in dem zum Beispiel neben den Vertretern des Rates der
Europäischen Zentralbank auch Parlamentarier des Europäischen Parlaments, Vertreter der europäischen Gewerkschaften, Arbeitgeber und die jeweiligen Wirtschafts-, Finanz-, Arbeits- und Sozialminister Sitz und
Stimme haben, um eine - wie das so schön heißt Dr. Gregor Gysi
makroökonomische Politik auch mit Hilfe der Finanzpolitik zu machen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben sehr lange - das
scheint Ihnen ein Herzensanliegen zu sein; ich sage Ihnen ganz offen: Die Passage in Ihrer Rede war mir zu
lang - über die Belastungen Deutschlands durch Nettozahlungen nach Europa gesprochen. Wer so lange über
dieses Thema spricht, der bestätigt damit existierende
Vorbehalte und schürt sie zum Teil noch. Das ist nicht
ungefährlich. Wir haben nicht das Recht - das sage ich
zu diesem Bundeskanzler -, sozusagen auf Mitleidstour
zu gehen, um damit den Eindruck zu erwecken, die armen Deutschen würden ganz Europa finanzieren. Das ist
eine Art Stammtischlogik, die leider weit verbreitet ist.
({6})
- Moment! Wenn Sie das bestreiten, dann lese ich Ihnen
das vor, was der Herr Bundeskanzler wörtlich in seiner
Rede auf dem SPD-Parteitag dazu gesagt hat:
Meine noch sehr kurze, aber schon sehr nachhaltige
Erfahrung ist
- so wörtlich Bundeskanzler Schröder -,
daß man sich in Europa bei vielen, nicht allen, der
Partner darauf verlassen hat, wenn es eine Krise in
der Politik gibt, wenn es unterschiedliche Erwartungen an die Ressourcen gibt, gibt es immer einen
Weg: Die Krise wird gelöst, wenn die Deutschen
dies finanzieren.
({7})
Ich sage Ihnen: Das ist eine Tonlage, die nicht ungefährlich ist, weil sie viele Vorbehalte bestätigt nach dem
Motto: die armen Deutschen würden ganz Europa finanzieren.
({8})
Damit erreicht man keine europäische Integration; denn
sie ist auch eine Frage der Sprache und der Kultur.
({9})
- Sie in der SPD-Bundestagsfraktion müssen doch auch
ein bißchen Kritik aushalten können. Wenn nicht, dann
trage ich noch ein Zitat von Ihrem Bundeskanzler vor.
Dann wird es noch schlimmer. Er hat gesagt:
... mehr als die Hälfte der Beiträge, die in Europa
verbraten werden, zahlen die Deutschen.
Schon die Vokabel „verbraten“ ist - tut mir leid Stammtischniveau. Deshalb meine Bitte, Herr
Hören Sie damit auf, in dieser Frage
herumzustoibern. Das ist der falsche Weg. So erreicht
man keine europäische Kultur und keine europäische
Integration.
({0})
Das Wichtigste, um die Nettobelastung für Deutschland herunterzufahren, ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das Teuerste in ganz Europa ist die Arbeitslosigkeit. Wenn es uns gelingt, eine vernünftige europäische Beschäftigungspolitik zu machen, dann wird es
auch gelingen, die Kosten der Arbeitslosigkeit deutlich
herunterzufahren und damit auch die Belastung der
Bundesrepublik Deutschland zu reduzieren.
Ich stimme Ihnen zu, daß man darum ringen sollte,
die Lasten in Europa gerechter zu verteilen. Ich finde
nur, man sollte es nicht so überdimensional betonen,
weil es dann einen nationalistischen Touch bekommt,
den wir nicht gebrauchen können. Eine gerechtere Verteilung der Lasten erreichen Sie viel leichter, wenn Sie
sie mit leisen Tönen fordern, als wenn Sie sie mit lauten
Tönen fordern.
Noch ein letzter Gedanke in diesem Zusammenhang.
Wer die Nettobelastung herunterfahren will, muß allerdings auch die Bürokratie in Europa überwinden. Da ist
inzwischen ein Filz entstanden, der zu Recht von den
Menschen nicht mehr akzeptiert wird, und zwar in keinem europäischen Land. Hier bitte ich Sie, mit der Faust
auf den Tisch zu hauen und zu sagen: Wir brauchen eindeutige Reformen, die sehr viel Geld sparen. Hinzu
kommt, daß dadurch auch die Akzeptanz der europäischen Institutionen wieder erhöht werden würde. Die
Leute verstehen nicht mehr, was in Europa entschieden
wird, was sich aber unmittelbar auf ihr Leben auswirkt.
Nur, wie gesagt, im stoiberschen Stil können wir diese
Diskussion nicht führen. Das ist ein falscher Ansatz.
Machen Sie den Menschen Mut für Europa! Aber kämpfen Sie darum, daß die Angleichungsprozesse bei Steuern, bei sozialen, ökologischen und kulturellen Standards jetzt durchgesetzt werden, sonst kann der Euro
zwar stabil sein, aber politisch, moralisch, sozial, ökologisch zu einem Fiasko werden. Wer das nicht will, muß
jetzt die Angleichungsprozesse in sozialer, ökologischer
und kultureller Hinsicht in Europa voranbringen.
({1})
Als
nächster Redner hat der Kollege Norbert Wieczorek von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich habe schon viele Europadebatten mitgemacht. Deswegen möchte ich versuchen, daß wir wieder zu der üblichen Gemeinsamkeit
kommen. Das fällt mir ein bißchen schwer, nachdem ich
Herrn Schäuble zuhören mußte. Ich hatte den Eindruck,
daß er einen Kampf ausgefochten hat, der sehr viel mit
dem inneren Verhältnis der beiden Fraktionsteile der
CDU/CSU-Fraktion zu tun hat.
({0})
Ich hoffe, daß das bald bereinigt wird und daß wir wieder zu einer gemeinsamen Basis zurückkommen können.
Welches sind die Erwartungen und die Herausforderungen an die deutsche EU-Präsidentschaft? Sie sind
sehr hoch. Deswegen halte ich es für wichtig, daß die
Chance beim Wiener Gipfel ab morgen genutzt wird.
Dabei geht es vor allen Dingen um die politische VorDr. Gregor Gysi
klärung der Agenda 2000. Ich füge hinzu: Ich wünschte
mir, es sei schon etwas präziser, als es sich beim
Außenministerrat gezeigt hat. - Herr Kinkel, Sie werden
vermutlich zustimmen; Sie lächeln an dieser Stelle.
Ich bin sehr froh, daß wir in Wien, obwohl der Amsterdamer Vertrag noch nicht ratifiziert und in Kraft ist,
über Beschäftigungspolitik reden. Ich halte das für sehr
positiv. Ich halte es ferner für positiv, daß dort auch über
das Subsidiaritätsprotokoll, das ebenfalls Teil des Vertrages ist, und über ökologische Dimensionen diskutiert
werden kann. Ich möchte aber darauf verweisen, daß es
noch andere Themen gibt, die heute weniger zur Sprache
gekommen sind, wie etwa die Stärkung der inneren Sicherheit und des Rechts, eine rechtsstaatliche Strategie
der Gemeinschaft zur effektiven Bekämpfung der international organisierten Kriminalität und entschiedene
Fortschritte zur Lösung der Asyl-, Einwanderungs- und
Flüchtlingsprobleme, ebenso wie die Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie die
Zielsetzung einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsidentität. Dies alles sind Dinge, die notwendig
sind. Ich hoffe, daß der Gipfel von Wien diesen Prozeß
weiterbringt. Es ist ein andauernder Prozeß und nicht
etwas, über das abgestimmt und ein Beschluß gefaßt
wird. Es wäre deshalb auch wünschenswert, daß ein personelles Zeichen gesetzt wird, daß von der Mrs. oder
Mister GASP, wie es in unserer europäischen Sprache
heißt, also dem hohen Vertreter oder der Vertreterin der
Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, eine Entscheidung getroffen wird.
Schließlich kommt es sehr darauf an, daß im zentralen Punkt, nämlich in dem der Beschäftigungspolitik, die
nationale Umsetzung der vereinbarten beschäftigungspolitischen Leitlinien im Anschluß an die Diskussion in
Wien tatsächlich vorangetrieben wird, und daß wir im
April eine neue Überprüfung machen können.
Nun zur deutschen Präsidentschaft. Sie fällt zusammen mit dem offiziellen Beginn der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Ich sage „mit dem offiziellen Beginn“, denn faktisch hat sich bei der letzten europaweiten Zinssenkung gezeigt, daß durch die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und
den nationalen Zentralbanken die Währungsunion praktisch schon in Gang gesetzt ist. Ich halte dies für erfreulich.
({1})
Aber mit der endgültigen Einführung des Euro werden
die ökonomischen Rahmenbedingungen schärfer und
anders werden. Das ist ja nicht übertrieben: Der Euro
bringt eine neue Qualität des Verhältnisses der Teilnehmerstaaten an der Europäischen Währungs- und Wirtschaftsunion untereinander mit sich.
Eine entscheidende Folge wird ein steigender Wettbewerbsdruck im Binnenmarkt sein. Deswegen ist es
auch so wichtig, daß die Beschäftigungspolitik schon
vorgezogen wird, obwohl der Amsterdamer Vertrag
noch nicht gilt. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Koordinierungsrolle aktiv nutzen, um ihre wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspolitische Zusammenarbeit
deutlich zu verstärken. Das war auch Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
Es waren übrigens sozialdemokratische Finanzminister, die Herrn Waigel mit dazu gebracht haben, daß er
am Ende zustimmen mußte, daß zum Stabilitäts- und
Wachstumspakt die laufende Berichterstattung über die
realwirtschaftliche Entwicklung einschließlich der Beschäftigung gehört. Das ist in der öffentlichen Diskussion häufig übersehen worden.
Es geht auch darum, daß es entscheidende Maßnahmen gegen unfairen Wettbewerb, sei es bei den Steuern,
der Umwelt oder den Sozialabgaben, gibt.
({2})
Für mich ist auch wichtig, daß es eine soziale Flankierung der Wirtschafts- und Währungsunion gibt, denn
sonst hat der Euro auf Dauer keine Chance.
Mit dem Regierungswechsel in Deutschland können
nun endlich die Möglichkeiten des Amsterdamer Vertrages zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in
der Europäischen Union in vollem Umfang genutzt werden. Es waren ja deutsche und europäischen Sozialdemokraten, die damals gegen den Widerstand der Herren
Kohl, Rexrodt und Waigel durchgesetzt haben, daß dieses Kapitel mit in den Amsterdamer Vertrag kam.
({3})
- Aber natürlich war das so, Herr Kollege Haussmann.
Ihr habt bei früheren Debatten dieser Art doch immer
dagegen gestimmt. Warum wollt ihr das nicht wahrhaben?
Ein Popanz ist allerdings aufgebaut worden. Es ging
um große, kreditfinanzierte europäische Programme.
Das hatte niemand gefordert, das war nur erfunden worden. Das war doch die Situation, Herr Kollege Haussmann.
Wir erwarten also, daß der Europäische Rat in Wien
den Beschäftigungspakt verabschiedet, in den diese Leistungen eingehen, aber im Sinne von überprüfbaren und
verbindlichen Zielvorgaben, insbesondere bei der Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit
und der Verstärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Ich glaube, daß das Programm für 100 000 Jugendliche,
das die Bundesregierung gerade beschlossen hat, hier
sehr gut hineinpaßt und damit auch ein Maßstab ist.
({4})
Es muß dabei auch einen echten Wettbewerb unter
den Mitgliedstaaten um die besseren Konzepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geben. Dem Druck der
Klassenbesten sollten wir uns in der Bundesrepublik
ganz gezielt aussetzen. Für mich sind die Niederlande da
durchaus ein Vorbild. Ich glaube, daß wir mit dem
Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, das ja gerade vor zwei Tagen - offensichtlich positiv - in Gang gesetzt wurde, auf einem guten Wege sind,
um die Versäumnisse der Vergangenheit - ich erinnere
an die Aufkündigung eines Versuchs zu einem Bündnis
für Arbeit im Jahr 1996 - wettzumachen.
({5})
Herr
Kollege Wieczorek, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dr. Seifert von der PDS-Fraktion?
Ja, bitte.
Bitte
schön.
Vielen Dank, daß Sie meine
Zwischenfrage erlauben. - Herr Kollege Wieczorek, ich
freue mich ja, daß Sie sich, wie auch der Bundeskanzler
und andere, für Beschäftigung in Europa einsetzen wollen. Aber bei allen hat mir bis jetzt der Bezug auf den
Art. 13 des Amsterdamer Vertrages gefehlt. Sie haben
nicht gesagt, daß Sie sich für die Schwächsten einsetzen
wollen, zum Beispiel für Menschen mit Behinderungen.
Wir hatten heute vormittag eine Debatte über Menschenrechte. Wenn Sie in der praktischen Politik Menschenrechte umsetzen wollen - wir haben gesagt, das muß jeden Tag gemacht werden -, dann, bitte, sagen Sie doch
ein Wort dazu, ob Sie sich auch für die besondere Förderung von Menschen mit Behinderungen einsetzen wollen, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, zum Beispiel
beim Wohnen, zum Beispiel bei öffentlichen Verkehrsmitteln usw. Es ist sehr wichtig, daß auch da ein Signal
von der deutschen Präsidentschaft ausgeht.
Ich kann Ihnen dazu
nur sagen, daß ich da keine Differenzierung mache.
Wenn wir etwas zugunsten von Langzeitarbeitslosen
machen wollen - es geht ja gerade um diesen Bereich,
und da liegt ja die Priorität -, dann umfaßt das alle. Daß
wir natürlich eine besondere Behandlung von Behinderten brauchen, mit anderen Hilfen und anderen Möglichkeiten, um sie, soweit es geht und soweit sie dazu in
der Lage sind, in den Arbeitsprozeß einzugliedern, ist
für mich eine Selbstverständlichkeit.
({0})
- Man kann nicht auf jede einzelne Gruppe eingehen.
Ich bitte dafür um Verständnis. Ich will das gar nicht geringschätzen.
Zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien gehört
auch, daß wir zu Absprachen über die wirschafts- und
finanzpolitischen Rahmenbedingungen der Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit kommen. Ich weise ausdrücklich
darauf hin, daß Herr Mario Monti, der für Steuern zuständige Kommissar für die Kommission immer wieder
ganz deutlich sagt, daß es notwendig sei, den Faktor Arbeit von Abgaben zu entlasten und andere Faktoren, etwa den Faktor Energie sowie ähnliche Faktoren, stärker
zu belasten. Daß dann die Bundesregierung kritisiert
wird, wenn sie mit der Ökosteuerreform endlich anfängt,
verstehe ich angesichts des europäischen Selbstverständnisses, das sonst im Hause herrschte, ehrlich gesagt
nicht.
({1})
Nun ein Wort zur Osterweiterung. Wir haben die
Osterweiterung immer unterstützt. Wir wollen die
Überwindung der Spaltung Europas sowie Frieden, Sicherheit und Stabilität in unserem Haus Europa. Damit
erfüllt sich für uns auch die Ostpolitik von Willy Brandt.
Ich darf daran erinnern, was sie für uns Sozialdemokraten und übrigens auch für die F.D.P., die dies damals
mitgetragen hat, bedeutet hat.
Die elf Bewerberländer können sich deshalb darauf
verlassen, daß wir ihr Anwalt für einen zügigen Beitritt
bleiben. Beide Seiten müssen dafür ihre Hausaufgaben
machen. Ich betone die Beidseitigkeit. Deshalb ist für
uns die Agenda 2000 wichtig. Das ist die erste Hausaufgabe, die die EU machen muß. Es ist Aufgabe der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung, hier ein faires Ergebnis herbeizuführen. Ein faires Ergebnis herbeizuführen heißt aber, daß ihm alle zustimmen müssen.
Denn dies kann man den anderen nicht aufzwingen.
Herr Kollege Haussmann, an dieser Stelle ein Wort
zu Ihren Forderungen: Wenn die deutsche Bundesregierung heute ein Datum für den Beitritt setzen würde, mit
dem die Partner nicht übereinstimmen würden, wäre das
ein sehr merkwürdiges Verfahren.
({2})
Wir können unter unserer Präsidentschaft kein Datum
dafür setzen. Ich habe es immer für fahrlässig gehalten,
dafür Daten festzulegen.
({3})
- Das können wir nicht, weil das nicht Aufgabe der Präsidentschaft ist. Lieber Herr Haussmann, die Bundesregierung muß sehen, daß sie unter ihrer Präsidentschaft
erst einmal die Agenda 2000 durchbekommt. Wir hoffen
alle, daß das im März klappt. Sie aber wollen vorher
noch eine Einigung über das Datum herbeiführen. Ich
habe für Ihre Forderung wenig Verständnis, und ich
komme an einer anderen Stelle noch einmal darauf zurück.
({4})
- Nein, überhaupt keine Pflichtverteidigung. Sie kennen
doch die Probleme. Sie tun jetzt so, als würden diese für
Sie nicht mehr existieren, seit Sie nicht mehr in der Regierung sind. Das ist Ihr Problem.
({5})
Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich den ScreeningProzeß und die Verhandlungen anzusehen: Dazu gibt es
den unverbindlichen Zeitrahmen bis zum Jahre 2002
oder 2003. Sie wissen ebensogut wie ich, daß selbst ein
möglicher Abschluß von Verhandlungen noch nicht den
Beitritt bedeutet, weil in jedem einzelnen Land ein Ratifikationsprozeß stattfinden muß. Sie wissen beispielsDr . Norbert Wieczorek
weise sehr genau, wie groß die Schwierigkeiten Griechenlands mit Zypern sind. Es wäre zum Beispiel auch
unverantwortlich, etwa den Leuten in Polen und Ungarn
zu sagen: Das ist das Datum eures Beitritts. Wenn der
Beitritt dann zu diesem Datum nicht erfolgt, bekommt
man dort einen „backlash“. Das müssen wir verhindern.
Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis.
({6})
Ich möchte deshalb auch noch etwas zu denen sagen,
die jetzt an der ersten Runde der Verhandlungen nicht
beteiligt sind. Für uns gilt nach wie vor, was in Luxemburg beschlossen wurde, nämlich daß die Kopenhagener Kriterien die entscheidenden Kriterien für die Aufnahme von Verhandlungen sind. Das heißt auch, daß
nicht der letzte im Zug die Geschwindigkeit des gesamten Geleitzuges - um diesen militärischen Ausdruck hier
zu gebrauchen - bestimmen kann.
Deswegen begrüßen wir auch die Fortschritte, die es
etwa in Litauen, Lettland und jetzt - insbesondere auch
im politischen Bereich - in der Slowakei gegeben hat.
Hier muß allerdings auch darauf hingewiesen werden,
daß noch eigene Anstrengungen zu machen sind; denn
von selbst geht das nicht. Jeder muß seine Hausaufgaben
machen. Es muß vor allen Dingen verhindert werden,
daß es zu schweren sozialen Verwerfungen bei den späteren Beitritten und auch in der Vorbereitung kommt.
Das ist die Vorbereitungsstrategie, die wir ausdrücklich
unterstützen. Auch sind entsprechende Übergangsfristen
notwendig. Ich erinnere nur an die Freizügigkeit.
Ich möchte an dieser Stelle noch eines sagen, weil es
wohl manchem entgangen ist. Im Amsterdamer Vertrag
gibt es eine Bestimmung im Protokoll Nr. 2, in der ausdrücklich steht: Vor dem ersten Beitritt eines neuen
Landes müssen die Zusammensetzung der Kommission
und die Stimmverteilung im Rat geklärt werden.
Herr Bundeskanzler a. D. Kohl und Sie, Herr Kinkel,
werden sich daran erinnern, warum das nicht in Nordwijk und erst recht nicht in Amsterdam zustande gekommen ist. Über diese Schwierigkeiten haben Sie
selbst noch verhandelt.
({7})
- Dazu gab es damals einen Streit mit Chirac - wenn Sie
es deutlicher hören wollen. Ich bin froh, daß es jetzt
wieder eine bessere Beziehung zu Herrn Chirac gibt.
Aber das war doch der Hintergrund, warum in Nordwijk
das nicht passiert ist. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf.
Ich stelle das nur fest. Wer das weiß, der kann doch
nicht leichtfertig durch die Gegend laufen und sagen:
Also, jetzt setzen wir mal ein Datum, nach dem Motto
„Wir haben auch bei der Währungsunion ein Datum gesetzt.“ Bei der Währungsunion haben es zwei Länder
erst einmal auf den Tisch gebracht. Da hat die EU sich
selbst verpflichtet. Das ist im Moment doch gar nicht
drin. Deswegen muß ich in aller Deutlichkeit sagen: Ich
halte das für unverantwortlich.
({8})
- Ich rede nicht von Koalitionsabsprachen. Es ist Ihr
Problem, daß Sie an keiner Koalition mehr beteiligt
sind. Ich rede darüber, daß Sie so etwas innerhalb der
EU nur gemeinsam machen können. Wenn Sie, Herr
Haussmann, das endlich einmal begreifen würden! Es ist
bei Ihnen etwas schwierig.
({9})
- Das ist wohl richtig. Aber wenn man sich verrannt hat,
dann ist das so. Wir reden allerdings auch mit dem Spitzenkandidaten der F.D.P. für die Wahl zum Europäischen Parlament. Insofern hoffe ich, daß er bis dahin
noch lernfähig ist.
({10})
Ich möchte noch etwas zur Agenda 2000 sagen, weil
das für uns die wichtigste Herausforderung ist. Es gibt
drei Kernbereiche: die Reform der Agrarpolitik - ich
werde Sie enttäuschen; ich werde dazu heute nichts sagen, weil die Kollegin Klappert das gleich anschließend
machen wird -, die Reform der EU-Finanzen und die
Reform der EU-Strukturpolitiken. Ich möchte nur zwei
Punkte daraus aufgreifen.
Zu den EU-Finanzen: Wir wissen, wie wichtig die
EU für Frieden und Wohlstand in Europa und insbesondere in der Bundesrepublik ist. Trotzdem müssen wir in
der Situation, in der wir heute sind, darauf hinweisen,
daß es zu mehr Beitragsgerechtigkeit kommen muß.
Die überzogene Belastung der Bundesrepublik ist nicht
mehr hinzunehmen. Diese Belastung ist natürlich in
Edingburgh entstanden. Ich habe mit großem Interesse
in einem Protokoll von Edingburgh gelesen, daß der
damalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium
ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die Kohäsionsfonds unabhängig von der Konvergenz seien und
natürlich auch nach dem Beitritt fortgeführt werden
könnten. Ich weise nur einmal darauf hin, weil das ja
manchmal bestritten wurde. Es ist nachzulesen in einem
Protokoll der Verhandlungen. Ich habe es dabei, wenn
es Sie interessiert.
Deswegen müssen wir dahin kommen, daß dies endlich korrigiert wird. Die Wege hat die Kommission vorgeschlagen. Es wird einen Mix aus verschiedenen Ansätzen geben. Aber alle diese sind vernünftige Ansätze,
mit denen man vorankommen kann. Das ganze System
muß fairer gestaltet werden, insbesondere auch deshalb,
weil die Erweiterung natürlich Geld kostet. Die Frage
ist, in welchem Rahmen das geschieht. Hierher gehört
für mich der Punkt, daß kein Land besonders begünstigt
werden darf. Das gilt zum Beispiel für den Großbritannien-Rabatt, der nach den Ausführungen der Kommission dazu führen würde, daß bei einer Erweiterung Großbritannien im Verhältnis nur ein Drittel von dem zahlen
würde, was alle anderen Mitgliedsländer zahlen. Dies ist
kein Ausdruck europäischer Solidarität. Dies muß angegangen werden.
({11})
Ich möchte noch ein Wort zur Strukturfondsreform
sagen. Wir unterstützen ausdrücklich die Konzentration
auf die eigentlichen Ziel-1-Gebiete. Das schließt Ostdeutschland ein. Ein schlichtes „Weiter so!“, indem
Zahlungen aus den Fonds für Gebiete, die über 50 Prozent der EU-Fläche umfassen, einfach weiterlaufen, darf
es nicht geben. Das gibt keinen Sinn. Allerdings sehen
wir auch ein - anders wird ein Kompromiß gar nicht
möglich sein -, daß es für die sogenannten Ziel-2Gebiete und die 5-b-Gebiete ein langsames Auslaufen,
ein langsames Absenken geben muß. Übergangsregelungen werden Teil des Kompromisses sein. Das sage
ich voraus. Das ist die einzige Möglichkeit.
Wichtig für uns ist auch - darüber sollten sich gerade
die Bayern freuen; auch ich bin für diese Position -, daß
die nationalen Fördergebiete und die europäischen Regionalfördergebiete übereinstimmen. Es kann nicht sein,
daß wir Differenzen in den Fördergebietsabgrenzungen
haben. Dies sollte unter dem Gesichtspunkt geschehen,
daß die nationalen Fördergebiete in Übereinstimmung
mit der Kommission von den Regionen - bei uns den
Ländern - selbst bestimmt werden.
({12})
- Abwarten, Kollege Müller. - Natürlich muß mit Brüssel gesprochen werden. Aber es darf in Brüssel keine
Festlegung über den Kopf der betroffenen Regionen
hinweg geben. Das ist doch auch Ihre Position, wenn ich
Sie richtig verstehe.
Herr
Kollege Wieczorek, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen.
Der Wiener Gipfel muß Mister und Mrs. GASP auswählen. Nun ist nicht sicher, daß das passiert. Ich
möchte sehr anregen, daß das zumindest unter deutscher
Präsidentschaft geschieht, damit die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik endlich auch personell angegangen wird. Das gleiche gilt für den Aktionsplan zur
Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und
des Rechts. Meine persönliche Auffassung ist, daß der
Vorschlag der Niederlande, eine Task Force „Asyl und
Einwanderung“ für diesen Zweck einzusetzen, sinnvoll
ist, um weiterzukommen. Dies ist eine Anregung, die ich
persönlich noch geben möchte.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Seehofer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ja gelegentlich der Eindruck erweckt worden, als müßte mit der
Europapolitik und der europäischen Integration jetzt erst
begonnen werden. Tatsache ist aber, daß die europäische
Integration in den letzten zehn Jahren, insbesondere seit
Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte, eine
beispiellose Erfolgsgeschichte ist.
({0})
Diese Erfolgsgeschichte ist mit dem Namen des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl sowie mit den Namen der ehemaligen Finanzminister Gerhard Stoltenberg
und Theo Waigel und der ehemaligen Außenminister
Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel verbunden.
({1})
In den letzten zehn Jahren wurde ein erstklassiges Fundament gelegt, auf dem die neue Bundesregierung aufbauen kann. Wir werden Sie, meine Damen und Herren
von der neuen Regierung, in den nächsten Monaten allein daran messen, ob Sie ähnlich tatkräftige Erfolge bei
der europäischen Integration erzielen können, wie es in
den letzten Jahren der Fall war. Das wird die alleinige
Meßlatte sein.
({2})
Bundeskanzler Schröder hat vor einigen Wochen zu
Helmut Kohl gesagt: Sie sind ein harter Gegner und ein
fairer Mann. Ich hätte mir gewünscht, daß er diese Fairneß auch bei der Beurteilung der Europapolitik und der
Finanzierungsformen der Vergangenheit angelegt hätte.
Aber ebenso wie er die Vergangenheit verzerrt und
schief dargestellt hat, hat er sich heute auch anders über
den Bayerischen Ministerpräsidenten ausgelassen, als
das noch vor wenigen Monaten der Fall war. In mir verdichtet sich immer mehr der Verdacht, daß dieser neue
Bundeskanzler seine Positionen schneller ändert, als sich
ein Ventilator drehen kann.
({3})
Noch vor wenigen Monaten hat er Edmund Stoiber,
befragt zu dessen Europapolitik, in der „Neuen RuhrZeitung“ recht gegeben und hinzugefügt: Edmund Stoiber weiß, wovon er spricht. Heute wird er - Wolfgang
Schäuble hat es schon gesagt - als Regionalfürst abqualifiziert. Ähnliches gilt in bezug auf die Beschlüsse von
Edinburgh und die bisherige Finanzierung der EU. Herr
Bundeskanzler, Sie haben hier einfach die Wahrheit verzerrt.
({4})
Ich möchte Ihnen drei Dinge zu den Beschlüssen von
Edinburgh vom Dezember 1992 zur Finanzierung der
Europäischen Union sagen, die dann 1995 in Kraft getreten sind. Mir liegt das Protokoll des Haushaltsausschusses vor. Damals unterrichtete die Bundesregierung
die Parlamentsgremien noch vorher detailliert und nicht
mit wolkigen Ausführungen, so daß sie sich mit diesen
Dingen ordentlich befassen konnten.
({5})
Vier Wochen vor Edinburgh hat der Haushaltsausschuß
einvernehmlich - ich habe das Protokoll dabei - den BeDr. Norbert Wieczorek
schlüssen zugestimmt. Alle Erwartungen, die der Haushaltsausschuß damals mit Zustimmung Ihrer Fraktion an
den Europäischen Rat von Edinburgh formuliert hat,
sind anschließend dort erfüllt und in den folgenden Jahren mit Ausnahme der Reduzierung des Rabatts des
Vereinigten Königreichs umgesetzt worden.
Ich stelle erstens fest: Die Beschlüsse von Edinburgh
haben Ihre Zustimmung gefunden. Wenn Sie heute diese
Beschlüsse abqualifizieren und die Neuorientierung der
Finanzierung mit den Fehlern begründen, die angeblich
in Edinburgh gemacht wurden, dann muß man die Öffentlichkeit darauf hinweisen, daß Sie das mitgetragen
haben.
({6})
Sie verschweigen zweitens aber auch die besondere
historische Situation. Im Jahre 1992 ging es darum, die
fünf neuen Bundesländer voll in den Rechts- und Wirtschaftsraum der Gemeinschaft zu integrieren.
({7})
Sie verschweigen in der Öffentlichkeit, daß es damals
eine Sondersituation war. Typisch für Ihren Umgang mit
der deutschen Einheit ist, daß Sie auch die Tatsache verschweigen, daß die neuen Bundesländer durch die Neuorientierung der Finanzierung - auch das wurde in
Edinburgh beschlossen - aus den europäischen Strukturfonds seit 1991 insgesamt 38 Milliarden DM als Strukturförderung erhalten haben. Die Beschlüsse lagen deshalb im deutschen Interesse und insbesondere im Interesse der deutschen Einheit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.]
Auch einen dritten Punkt haben Sie sich nicht aufschreiben lassen oder vielleicht nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Bis zur Einführung der neuen Finanzierung
im Jahre 1995, die in Edinburgh beschlossen wurde, betrugen die EU-Eigenmittel 1,2 Prozent des Bruttosozialprodukts in der Europäischen Union. Nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission sollte dieser Anteil auf 1,32 Prozent erhöht werden. Der Haushaltsausschuß hat diese Erhöhung abgelehnt; darin waren wir
uns einig. Man hat sich dann auf einen Anteil von 1,27
Prozent verständigt, der aber nie ausgeschöpft wurde. In
den Jahren 1995 und 1996 betrug die Quote jeweils 1,05
Prozent und 1997 - wahrscheinlich auch 1998 - nur 1,1
Prozent. Das heißt: Seit Inkrafttreten des Eigenmittelbeschlusses von 1995 sind jährlich etwa 6 Milliarden DM
weniger nach Brüssel überwiesen worden, als es bei
voller Ausschöpfung der Eigenmittelquote der Fall gewesen wäre. Relativ gesehen liegt die Eigenmittelquote
unter dem Niveau des Jahres 1994.
({8})
Das ist die Realität, Herr Bundeskanzler. Deshalb
komme ich nicht umhin, zu sagen: Entweder haben Sie
sich mit diesem Thema nur oberflächlich auseinandergesetzt, oder Sie haben in den letzten Tagen und auch
heute in Ihrer Regierungserklärung die Wahrheit verzerrt. Ganz gleich welche der Möglichkeiten zutrifft:
Dieses Verhalten ist in jedem Falle eines Bundeskanzlers unwürdig.
({9})
Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen bezeichnet Ihre Europapolitik als „Software“, die
alle Konflikte außen vor läßt. Was wir heute von Ihnen
gehört haben, unterstützt diese Einschätzung. Wir begrüßen im Grundsatz Ihr Bekenntnis zur Subsidiarität
und zur Bürgernähe. Auf Dauer wird es ein einiges und
demokratisches Europa nur dann geben, wenn es sich als
Europa der Bürger versteht und dieses nicht nur behauptet, sondern entsprechend handelt. Bürgernähe heißt
Subsidiarität; denn Subsidiarität ist das Gegenteil von
Zentralismus. Wir hätten uns gewünscht, wenn Sie auch
auf diesen Punkt konkreter eingegangen wären.
Es gibt einen Brief von Helmut Kohl, den er - fast
auf den Tag genau vor einem halben Jahr - gemeinsam
mit dem französischen Präsidenten Chirac an den damals amtierenden Vorsitzenden des Europäischen Rates,
Tony Blair, geschrieben hat:
Es kann nicht die Zielsetzung europäischer Politik
sein, einen europäischen Zentralstaat, das heißt ein
zentralistisch aufgebautes Europa zu begründen.
Wir müssen vielmehr alles daransetzen, eine starke
und handlungsfähige Europäische Union zu schaffen, die die Vielfalt der politischen, kulturellen und
regionalen Traditionen und Besonderheiten Europas bewahrt.
Der Brief fährt fort:
Auch im künftigen Europa muß sichergestellt sein,
daß Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen
werden. In Zukunft muß daher das Prinzip der Subsidiarität noch konsequentere Anwendung finden
als heute.
Dieses Thema sollte eigentlich in Pörtschach behandelt werden; es ist dort aber nicht behandelt worden. Es
gab auch heute von Ihnen nur ein Lippenbekenntnis; Sie
sind nicht weiter auf dieses Thema eingegangen. Herr
Bundeskanzler, wir werden Sie auch daran messen, ob
Sie diesem Lippenbekenntnis Taten folgen lassen. Neben der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips ist es
künftig in Europa notwendig, klare Kompetenzabgrenzungen zwischen Kommunen, Regionen, Mitgliedsländern und der Europäischen Union zu schaffen.
({10})
Diese Regelung schafft Berechenbarkeit. Sie haben
aber nur ein Lippenbekenntnis abgegeben. Sie haben
sich nicht dazu geäußert, ob während der deutschen Präsidentschaft die Ziele, die im Brief von Helmut Kohl
und Chirac enthalten sind, umgesetzt werden sollen. Sie
tun genau das Gegenteil. Sie haben auf Ihrem Parteitag
gesagt: Wie schön wäre es, wenn der deutsche Beschäftigungspakt durch europäische Hilfen ergänzt werden
könnte. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat es richtig erkannt: Ein europäisches Beschäftigungsprogramm, das
Sie auf Ihrem Parteitag offensichtlich anders definiert
haben als vor dem Deutschen Bundestag, bedeutet, daß
die Bundesrepublik Deutschland in erster Linie bezahlt
und nur einen Bruchteil dessen, was sie bezahlt, zurückbekommt. Unter diesen Voraussetzungen können Sie die
Diskussion über die Eigenmittel vergessen.
Ferner schlagen Sie eine Sozialunion vor. Wir haben
den höchsten Sozialstandard in Europa. Die Schaffung
einer Sozialunion kann nur bedeuten, daß wir entweder
die Sozialstandards für unsere Bevölkerung auf den europäischen Durchschnitt heruntersetzen oder daß andere
Mitgliedsländer ihren Sozialstandard anheben, was von
den Deutschen bezahlt wird. Die Folge ist die gleiche
wie die, die sich aus dem Beschäftigungsprogramm ergibt.
Sie schlagen eine Steuerharmonisierung vor. Dazu
haben Sie den bemerkenswerten Satz gesagt: Wir wollen
keine nationalen Alleingänge. Wenn die Ökosteuer am
1. April in Deutschland in Kraft treten soll, Sie aber
gleichzeitig - im Hinblick auf die deutsche Präsidentschaft - sagen, Sie wollten keine nationalen Alleingänge, dann schlage ich Ihnen vor: Ziehen Sie doch den
Murks mit der Ökosteuer zurück, und führen Sie von
vornherein eine europäische Steuerharmonisierung
durch!
({11})
Sie haben heute überhaupt nichts dazu gesagt. Aber
auch das erwarten wir von Ihnen in der deutschen Präsidentschaft. Es geht nicht an, daß Ihr Innenminister sagt,
wir könnten weitere Zuwanderung nicht mehr vertragen
und bräuchten auf europäischer Ebene eine gerechte
Verteilung der Flüchtlinge und Asylbewerber, Sie aber
vor dem Hintergrund des europäischen Gipfels am Wochenende und vor den sechs Monaten deutscher Präsidentschaft kein Sterbenswörtchen zu dieser Frage sagen.
Auch daran werden wir Sie messen. Sie machen genau
das Gegenteil von dem, was Sie hier sagen.
Herr
Seehofer, kommen Sie bitte zum Schluß.
Meine Damen und
Herren, die wichtigste Orientierung für die Zukunft Europas ist - nur dann werden wir Vertrauen bei der Bevölkerung gewinnen -, daß wir nach dem Bau des europäischen Hauses, der in den letzten Jahren in bewundernswerter Weise erfolgt ist, jetzt bei der Innenarchitektur durch das Umsetzen des Grundsatzes von Föderalismus und Subsidiarität ein bürgernahes Europa
verwirklichen. Diese europäische Einigung ist eine Erfolgsgeschichte. Sie ist das erfolgreichste Friedensprojekt in diesem Jahrhundert. Sie nützt den Menschen und
brachte Freiheit und Freizügigkeit, mehr Wohlstand und
mehr Stabilität.
Darüber hinaus sollten wir in einer EuropaDiskussion nie vergessen: Europa sichert, daß die in
Jahrhunderten gewachsene europäische Wertegemeinschaft auch in der globalisierten Welt Zukunft hat. Deshalb ist Europa mehr als ein Markt; wir haben nie etwas
anderes behauptet. Die europäische Einigung ist eine Erfolgsgeschichte, die den Menschen in Europa und auch
in Deutschland nützt.
Wir sind nicht gegen Europa, wir sind gegen ein zentralistisches Europa. Wir sind nicht für Nationalisierung,
sondern wir sind für ein Europa der Nationen und Regionen. Wir sind für ein Europa - auch das sollte man
der deutschen Öffentlichkeit einmal deutlich sagen -,
das sich am christlichen Menschenbild orientiert
({0})
und von Vielfalt und Eigenverantwortung geprägt ist. Diese Häme von der SPD, wenn wir vom christlichen
Menschenbild reden, spricht für sich.
({1})
Herr
Ein so verstandenes
Europa, meine Damen und Herren, ist für die Menschen
Herr
- kein Hindernis, sondern eine Chance in eine gute Zukunft. - Damit bin ich
fertig, Herr Präsident.
({0})
Zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Karl Hermann Haack
das Wort.
Ich melde
mich wegen der Einlassungen, die Sie, Herr Kollege
Seehofer, hier gemacht haben, und möchte Sie an die
Position erinnern, die Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr
Dr. Schäuble, bezogen hat, als wir darüber diskutierten,
welche Konsequenzen die Einführung des Euro hat. Seinerzeit hat der Kollege Schäuble Aufsätze geschrieben,
in denen stand, nach der Einführung des Euro müsse die
Europäische Wirtschafts- und Sozialunion kommen.
Er hat in seinen Beiträgen, die ich abgeheftet habe,
deutlich gemacht, daß das im Grunde eine Europäisierung des Subsidiaritätsprinzips bedeute.
Als Sie sich als Bundesgesundheitsminister mit den
EuGH-Urteilen - ich meine die Kohll-Decker-Urteile,
die Pflegeurteile - auseinanderzusetzen hatten, waren Sie
zunächst einmal derjenige im Kabinett, der öffentlich gesagt hat, das deutsche Subsidiaritätsprinzip und unsere
Sozialstandards seien uns heilig. Darüber haben wir beide eine Kontroverse im Ausschuß geführt. Ich habe Ihnen gesagt: Auf der Basis der Europäisierung des Subsidiaritätsprinzips müssen wir andere Strategien verfolgen. Das bedeutet, daß wir einen Prozeß einleiten müssen, der zu der Klärung der Frage führt, wie konkret sich
das europäische Sozialmodell zukünftig gestalten soll.
Der Entscheidungsweg, den der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen geht - es sind wieder drei
Verfahren anhängig, die die alten Urteile bestätigen
werden -, läßt das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr
Kollege Seehofer, als olle Kamellen erscheinen. Ich habe die Bitte, daß Sie, wenn Sie schon glauben, eine Replik auf den Bundeskanzler geben zu müssen, sich zunächst einmal sachkundig über das machen, was in der
europäischen Diskussion über die Subsidiarität derzeit
Sache ist.
({0})
Herr
Kollege Seehofer.
Herr Kollege Haack,
Sie bestätigen unsere Befürchtungen, daß Sie in Europa
nicht mehr Subsidiarität und Föderalismus, sondern
mehr Zentralität wollen und daß wir insofern in der Europapolitik an einer Zeitenwende stehen. Dies ist der
Hauptgrund, warum wir Ihrer neuen Europapolitik so
kritisch gegenüberstehen.
Sie reden von einem bürgernahen Europa. Sie sprechen von Subsidiarität und betreiben auch im Hinblick
auf die Sozialunion faktisch genau das Gegenteil. Eine
Sozialunion - ich sage das noch einmal - bedeutet nicht
ein bürgernäheres, sondern ein zentralistischeres, bürokratischeres und vor allem teureres Europa.
Ich habe als Gesundheitsminister immer gesagt: Ich
möchte nicht, daß auf europäischer Ebene entschieden
wird, wo in Baden-Württemberg ein Krankenhaus gebaut werden kann und wie groß es sein darf. Auch ein
solches Vorgehen ist mit der Sozialunion verbunden.
({0})
Ihre Einlassung bestätigt mich, daß wir in der Tat einen
tiefgreifenden Dissens über die künftige Orientierung in
der Europapolitik haben.
({1})
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Sterzing vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
schon viel über das Pflichtprogramm der Ratspräsidentschaft gesagt worden, über die wirklich gewaltige Aufgabe, die Agenda 2000 zum Abschluß zu bringen und
auch die Erweiterung voranzutreiben. Wir werden ganz
gewiß alles uns Mögliche tun, um in den nächsten sechs
Monaten im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft
unsere Hausaufgaben zu erledigen. Das ist die Pflicht.
Wir müssen aber auch fragen: Was bleibt noch an
Kür? Denn während einer Kür kann man in besonderer
Weise seine Schwerpunkte, seine Talente und seine Fähigkeiten zeigen und dadurch auch besondere Akzente
setzen. Wir wollen Europa - dies ist in der heutigen Debatte deutlich geworden - sozialer, ökologischer und
auch demokratischer machen. Deshalb will ich drei exemplarische Punkte nennen, wie wir während der Präsidentschaft mit Initiativen über das hinaus, was das
Pflichtprogramm vorschreibt, aktiv werden wollen.
Der erste Punkt ist das Thema Beschäftigungspolitik. Die Währungsunion befindet sich auf dem Weg der
praktischen Realisierung. Dies macht vor allem eine
stärkere Abstimmung in der Beschäftigungs-, der Wirtschafts- und der Sozialpolitik erforderlich, damit der soziale Zusammenhalt in der Europäischen Union nicht
gefährdet wird. Hier werden wir deutlich machen, daß
gerade die Abwahl der alten Regierung eine bessere und
verbindlichere Koordination der Politik im Kampf gegen
die Arbeitslosigkeit in Europa ermöglicht.
({0})
Erfolge mit einem europäischen Beschäftigungspakt zu
haben, halte ich für ganz wesentlich, um die Akzeptanz
der Europäischen Union in der Bevölkerung zu stärken.
Der zweite Punkt. In den letzten Jahren hat Deutschland seine Vorreiterrolle in Sachen Umweltpolitik verloren und sich eher zu einem Bremser hinsichtlich einer
ökologischen Reformpolitik gemacht. Wir wollen während der deutschen Präsidentschaft umweltpolitische
Initiativen starten und haben hierfür einen Katalog an
Vorschlägen vorgelegt.
Für uns ist besonders wichtig, daß wir gerade die
umweltpolitischen Ansätze auch aus anderen Ländern
aufgreifen. Eine horizontale Planung, Vorsorge und demokratische Kontrolle der Umweltpolitik, eine aktive
und konstruktive Rolle - das liegt uns am Herzen. Dazu
gehört natürlich auch die Ökosteuer. Hier werden wir
mit der Doppelzüngigkeit der alten Regierung Schluß
machen, die auf der einen Seite sagte, eine nationale
Ökosteuer erst dann einführen zu können, wenn eine europäische Regelung vorliege, und die auf der anderen
Seite alles dazu getan hat, um auf der europäischen Ebene Versuche einer Harmonisierung der Energiesteuern
zu sabotieren.
({1})
Wir werden diese Harmonisierungsdiskussion, anknüpfend an die Kommissionsvorschläge, aufgreifen und
vorantreiben, da sie für die Gestaltung eines nachhaltigen Europas sehr wichtig ist.
Zum letzten Punkt, zum demokratischen Europa. Die
Überwindung des Demokratiedefizites ist sicherlich
nicht während der Ratspräsidentschaft zu leisten. Aber
mit einer Initiative für eine Grundrechtscharta, die unter
Beteiligung gesellschaftlicher Kräfte erarbeitet werden
soll, wollen wir ein Zeichen für einen verfassunggebenden Prozeß auf der europäischen Ebene setzen.
({2})
Mit Initiativen nach dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages zur konkreten Ausgestaltung eines Informations- und Akteneinsichtsrechts für Bürgerinnen und
Bürger, mit Initiativen für die Weiterentwicklung der
Karl Hermann Haack ({3})
Gleichstellungsrichtlinie, für eine konkrete Ausgestaltung des Diskriminierungsverbots im Amsterdamer
Vertrag wollen wir weitere Akzente auf dem Weg zu
einem demokratischen, zu einem sozialen, zu einem
nachhaltigen und eben auch zu einem erweiterungsfähigen Europa setzen.
Vielen Dank.
({4})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Ernst Burgbacher von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler,
haben Sie heute schon die „taz“ gelesen? Die Seite 12?
Ich kann es nur empfehlen. Dort steht: So ist der neue
Kanzler. - Ich empfehle heute wirklich einmal die Lektüre der „taz“. Das kann man nicht jeden Tag tun. Aber
heute ist sie unheimlich lesenswert.
({0})
Wenn wir schon beim Zeitunglesen und bei der „taz“
sind und wenn wir feststellen müssen, daß sich heute das
Zeitunglesen lohnt, dann ist es vielleicht auch einmal
ganz interessant, das über einen längeren Zeitraum zu
verfolgen.
({1})
Ich darf aus der „Zeit“ vom 3. November 1995 zitieren ich bitte Sie einfach, einmal zuzuhören -:
Für irgendeine Idee, die dann am Ende keine wirtschaftliche Stabilität und auch keine Stabilität des
Geldes signalisiert, die D-Mark aufzugeben, hielte
ich für falsch.
So Rudolf Scharping, damals SPD-Vorsitzender, heute
noch Vorsitzender der europäischen Sozialisten. Ich
wiederhole: „für irgendeine Idee“.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben damals noch eines
draufgesetzt und gesagt: Endlich haben wir Sozialdemokraten wieder ein nationales Thema. - Ich hatte gehofft,
Sie hätten inzwischen Ihre Einstellung geändert. Leider
Fehlanzeige. Mit Ihrer Rede, Herr Bundeskanzler, am
Dienstag in Saarbrücken haben Sie wahrlich unsere
schlimmsten Erwartungen übertroffen.
({2})
Sie setzen kurz vor Beginn der deutschen Präsidentschaft aus rein machtpolitischen Motiven vieles von dem
aufs Spiel, was in den letzten Jahren in mühsamer Arbeit
geschaffen wurde.
({3})
Da ist es also wieder, Ihr nationales Thema. Wie
schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ heute? „So kippt
Pragmatismus schnell in Populismus“. Die „taz“
schreibt: „Der Kanzler stellt die EU als Geldmelkmaschine am deutschen Euter dar. Wer so spricht, hat von
Europa nichts begriffen.“
({4})
Meine Damen und Herren, die europäische Idee ist
nicht irgendeine Idee. Die Europäische Union ist das
Erfolgsmodell einer friedensstiftenden und wohlfahrtsfördernden Gemeinschaft, das Modell, das historisch
und weltweit einmalig ist.
({5})
Ohne die Europäische Union - das sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen - hätten wir die deutsche Einheit niemals bekommen. Unser nationales Interesse ist Europa.
({6})
Ich will einen Gedanken aufgreifen, der für mich
heute etwas zu kurz kam: Wir wollen die EU transparenter und demokratischer gestalten. Die Bürgerinnen
und Bürger müssen endlich wieder wissen, wer in Europa eigentlich was, warum und wann machen darf. Gerade im Vorfeld der Europawahl im Juni kommenden Jahres wollen wir die Kompetenzen des Europäischen
Parlaments weiter ausbauen. Wir wollen nicht, daß
Brüssel zentralistisch zu vieles an sich zieht. Wir wollen
unter keinen Umständen, daß die kommunale Selbstverwaltung auch nur angeknabbert wird. Dazu ist die
Identifikation der Bürger mit ihrer Kommune ein viel zu
kostbares Gut.
({7})
Wir wollen unser bewährtes föderales System ausbauen
und stärken, und wir wollen es schrittweise auf die europäische Ebene übertragen. Deshalb, meine Damen und
Herren, müssen wir den EU-Vertrag zu einer europäischen Verfassung weiterentwickeln,
({8})
zu einer Verfassung als Grundlage einer föderalen Europäischen Union, gründend auf dem Subsidiaritätsprinzip
und der Gewaltenteilung.
({9})
Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die
Achtung der Menschenrechte müssen darin festgeschrieben werden. Herr Bundeskanzler, ich finde, es wäre eine gute Initiative, bei den ohnehin anstehenden institutionellen Reformen auch die Initiative zu einer europäischen Verfassung zu ergreifen.
({10})
Herr Bundeskanzler, Ihre Politik des „Hau-draufStils“ - so nannte es die „taz“ - läßt sich mit einem Satz
meines Landsmanns Manfred Rommel treffend beschreiben. Rommel sagte:
Das sicherste Mittel gegen Zahnschmerzen ist Zyankali; bloß sind nach dessen Einnahme nicht nur
die Zahnschmerzen verschwunden.
Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam mit
feinen Bohrern die europäischen Zahnschmerzen beseitigen. Ich bleibe im Bild: Lassen Sie uns dann gemeinsam eine fundierte Prophylaxe durchführen. Sorgen Sie
dafür, Herr Bundeskanzler, daß Sie Ihren Bruch in der
Europapolitik kitten und wir im Konsens dafür sorgen
können, daß Europa wieder mehr Biß bekommt.
Herzlichen Dank.
({11})
Herr
Burgbacher, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Günter Gloser
von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich beziehe mich
jetzt nicht auf die „taz“ oder eine andere Zeitung, sondern schlichtweg auf die Debatte, die wir heute morgen
über Europa führen. Ich muß mich schon fragen: Welch
eine Mixtur aus abgestandenen, überholten und unzutreffenden Argumenten hat die neue Opposition bisher
kredenzt?
({0})
Welche Verdachtsmomente haben der Fraktionsvorsitzende und der neue europapolitische Sendbote aus Bayern, der Kollege Seehofer, der, wie ich vor einigen Tagen gelesen habe, eine Unterweisung in Europafragen in
der bayerischen Staatskanzlei erfahren hat, angeführt?
Es führte dazu - so muß es bei einer europapolitischen Debatte auch sein -, daß wir wieder einmal
„Haussmannskost“ hörten. Herr Haussmann, Sie pusten
sich hier immer groß auf. Man möchte meinen, Sie hätten vor einer solchen Debatte ein bestimmtes Medikament geschluckt.
({1})
Ob Sie alles glauben, was Sie sagen, bezweifle ich.
Ich frage mich nur: Sind das Ihre Antworten auf die
Herausforderungen, vor denen die Europäische Union
und nicht nur Deutschland stehen. Ich bin froh, daß diese Bundesregierung die Herausforderungen annimmt
und sich in der Tat ehrgeizige Ziele gesetzt hat. Ist es
nicht in Ihrem Sinn, eine Lösung der Finanzierungsfragen und der Agrar- und Strukturfonds herbeizuführen?
Ist es nicht im Sinne der Bevölkerung, Korrekturen
durchzuführen, um das Funktionieren der Europäischen
Union sicherzustellen? Vor allem: Ist dies vor dem
Hintergrund des Beitritts der mittel- und osteuropäischen Staaten und Zyperns nicht notwendig?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, endlich ich sage wohl wahr: endlich - hat die Beschäftigungspolitik auf der europäischen Tagesordnung ihren angemessenen Platz gefunden. Auch wenn die Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union geringfügig zurückgegangen ist, bleibt sie innen- und europapolitisch das
Thema Nummer eins.
Der im Amsterdamer Vertrag vorgezeichnete Weg
muß jetzt gestaltet werden,
({2})
und zwar nicht durch neue Papierberge, sondern durch
ganz konkrete Schritte. Die SPD-Bundestagsfraktion ist
dankbar, daß die Bundesregierung mit dem angestrebten
Beschäftigungspakt für Europa einen solchen Schritt
getan hat.
({3})
Meine lieben Freundinnen und Freunde aus der CDU
und CSU, es wird auch kein neuer beschäftigungspolitischer Zentralismus entstehen, sondern schlicht und einfach mehr Abstimmung, mehr Koordination und in den
Fällen, wo es notwendig ist, Harmonisierung.
Ich unterstreiche noch einmal für die SPD die wesentlichen Punkte: verbindliche und nachprüfbare Ziele
bei der Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit; Verbesserung der Chancengleichheit für Frauen;
ganz konkrete Absprachen zur Ausgestaltung der wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen, die
da sind: Entlastung des Faktors Arbeit von Steuern und
Lohnnebenkosten sowie eine soziale und ökologische
Modernisierung des Steuer- und Abgabensystems.
Ich kann an dieser Stelle nur Ihrem Parteifreund,
dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude
Juncker, zustimmen, wenn er fordert, sich im Hinblick
auf den Abbau der Arbeitslosigkeit genauso unter Streß
zu setzen, wie es bei der monetären Konvergenz der Fall
war.
({4})
Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, daß Sie von der
CDU/CSU sich gegen europäische Initiativen bei der
Beschäftigungspolitik wehren. Ich gebe nur zu bedenken: Da können sich Unternehmen europaweit verbinden und Absprachen treffen, da wird europaweit aus der
Sicht der Unternehmen eine verbesserte Infrastruktur für
diese Unternehmen gefordert, da sollen Belastungen für
Unternehmen wegfallen; darüber kann und muß man
diskutieren. Aber genauso selbstverständlich ist es, in
diesem Atemzug zu sagen, daß es auch europaweiter
Regelungen für die Beschäftigten bedarf. Wir sind in
Europa noch ein weites Stück davon entfernt, diese zu
realisieren.
({5})
Sie sprechen immer von der Wettbewerbsfähigkeit.
Aber sie kann doch nicht einseitig als Wettbewerb des
Dumpings beim Lohn und bei Sozialvorschriften definiert werden. Wenn wir schon immer über die globalen
Herausforderungen reden, wenn wir immer über die
Konkurrenz zu anderen Wirtschaftsräumen wie Amerika
oder Asien sprechen, dann muß das auch in der Weise
geschehen, daß wir bei allen Fragen von einem europäischen Sozialmodell ausgehen, weil das - das zeigte
eben die europäische Geschichte - auch ein Erfolgsmodell ist. Dafür müssen wir arbeiten.
({6})
Deshalb: Absprachen, Koordinierung und Harmonisierung. Vergessen Sie, das Schreckgespenst eines neuen Zentralismus zu zeichnen. Ich habe den Bundeskanzler a. D. noch gut in Erinnerung, wie er in einer Sitzung von Zentralismus hörte. Gerade wenn das von
Leuten kommt, die auf europäischer Ebene föderale
Strukturen fordern: Da soll man, bitte schön, einmal
nach Bayern schauen. Die bayerische Staatsregierung
sollte einmal in ihrem Binnenbefinden eine föderale
Struktur einführen. Viele Kommunen in Bayern würden
sich darüber freuen, wenn es endlich soweit wäre.
({7})
Ich komme noch auf ein anderes Kapitel zu sprechen,
mit einem Auftrag an die Bundesregierung. Es ist das
Thema der Mitbestimmung, eine unendliche Geschichte der europäischen Aktiengesellschaft. Wieder ist
kein Ergebnis zustande gekommen. Daher die dringende
Bitte an die Bundesregierung, während ihrer Ratspräsidentschaft eine Lösung herbeizuführen. Wer sich auf
Unternehmerseite europäisch neu formieren will,
braucht auch eine starke Arbeitnehmervertretung. Bis in
die jüngste Vergangenheit gab es im Deutschen Bundestag hierfür eine breite Unterstützung. Gerade im
Hinblick auf diese angesprochenen Veränderungen ist
eine europaweite Mitbestimmungsregelung erforderlich.
Es hat lange gedauert, bis die koordinierte Beschäftigungspolitik Eingang in ein europäisches Vertragswerk
gefunden hat. Jetzt ist Handeln angesagt. So spannend
die Lektüre von Beschäftigungsberichten auch sein mag:
Nun müssen die Konsequenzen spürbar sein. Mit der
CDU/CSU - das hat die heutige Debatte gezeigt - wird
es keine Gestaltung einer europäischen Beschäftigungspolitik geben. Sie hat sich in der Zwischenzeit in der
Stoiberschen Trutzburg verschanzt. Seehofer wird ausgeschickt, um die CSU-Medizin unters Volk zu bringen.
Aber, Herr Seehofer, sehr verehrter Herr Bundesgesundheitsminister a. D., Sie sind in der Vergangenheit
schon mit manchem Rezept gescheitert, vor allem, weil
Sie die Nebenwirkungen nicht bedacht haben.
Wir Sozialdemokraten wollen die Bürgerinnen und
Bürger auf diesem Weg der Europäischen Union mitnehmen. Deshalb sichern wir auch der Bundesregierung
unsere Unterstützung bei ihren Verhandlungen zu.
Vielen Dank.
({8})
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Hintze von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die namentliche Abstimmung rückt näher. Ich bitte trotzdem, dem
Redner Gehör zu schenken.
Herr Hintze, bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am
Schluß dieser Debatte läßt sich mit Fug und Recht feststellen, daß die Startbilanz der rotgrünen Bundesregierung in Fragen der internationalen Politik beachtlich
ist: Konfusion in der Europäischen Union, Konfusion
bei den Beitrittskandidaten, Konfusion bei den Partnern
im Atlantischen Bündnis.
({0})
- Warten Sie einmal ganz entspannt ab!
Einen knappen Monat vor Beginn der deutschen
Ratspräsidentschaft zeigt sich diese Bundesregierung in
einer denkbar schlechten Verfassung.
({1})
Das jüngste Beispiel hat die Bundesregierung - der
Kanzler strahlt; aber ich denke, das ist verfrüht - gestern
geliefert: Steuerkonfusion zwischen London und Bonn.
Die Bundesregierung dementierte zunächst, wie das
„Handelsblatt“ heute dokumentiert, die Existenz einer
deutsch-britischen Erklärung zur EU-Steuerpolitik,
nach der Deutschland in der Frage einer europaweit einheitlichen Unternehmensbesteuerung den Rückwärtsgang einlegt. Erst nachdem die gemeinsame Erklärung
auf der Internetseite von Downing Street 10 stand,
räumte die Bundesregierung die Existenz des Papiers
ein. In London, so schließt das „Handelsblatt“, löste die
Unentschlossenheit in Bonn erneute Irritationen aus.
Bei mir hat es Irritationen ausgelöst,
({2})
daß der Herr Bundeskanzler zwar zu Beginn seiner Regierungserklärung heute morgen auf dieses gemeinsame
Papier zu sprechen kam und ein Randthema nannte Warnung vor Steuerdumping -, aber die Rolle rückwärts
in der Steuerpolitik geflissentlich verschwiegen hat.
({3})
Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie uns vollständig und richtig informiert.
Die Aufgaben der deutschen Präsidentschaft, vor
denen die Regierung steht, sind beachtlich: Start des Euro, ein gerechtes Finanzierungssystem, institutionelle
Reformen, Herstellung der Erweiterungsfähigkeit. Die
Bewältigung dieser Aufgaben setzt eine Bundesregierung voraus, die Vertrauen bei unseren Partnern genießt,
die Visionen hat und die das politische Geschäft professionell beherrscht.
Die Regierung Helmut Kohl verfügte über diese Eigenschaften.
({4})
- Ich wiederhole das gerne, weil dies in der ganzen Welt
übereinstimmendes Urteil ist und auch durch Zwischenrufe von der linken Seite des Hauses nicht korrigiert
werden kann.
Die Ereignisse der letzten Wochen lassen mich allerdings zweifeln, ob die jetzige Bundesregierung diese
Befähigung hat. Wenn die deutsche Präsidentschaft genauso chaotisch verläuft wie der Fehlstart der rotgrünen
Regierung, dann gute Nacht Europa!
({5})
Die deutsche Bevölkerung interessiert natürlich auch,
wer in der Regierung in der Europapolitik das Sagen hat.
Ist es der Herr Bundeskanzler, ist es der Herr Außenminister, oder ist es Herr Lafontaine, über dessen Ambitionen weiterhin spekuliert werden darf und der in europäischen Zeitungen bereits als „heimlicher Herrscher
Deutschlands“ bezeichnet wird? Diesen kleinen innerparteilichen Streit der SPD will ich vernachlässigen.
Aber ich halte es für hochgradig gefährlich für die Stabilität der gemeinsamen Währung, wenn der Bundesfinanzminister Zweifel an der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank aufkommen läßt.
({6})
Es ist fatal, wenn einen Monat vor dem Start des Euro
die sozialistischen und sozialdemokratischen Finanzminister Europas einer Politik des leichten Geldes das
Wort reden. Der Euro braucht Stabilität, er braucht die
Unterstützung der Regierungen. Die Europäische Zentralbank braucht Unabhängigkeit. Das sollte unser gemeinsamer Auftrag sein.
({7})
Vielleicht sollte der Bundeskanzler seinen Finanzminister in die Schranken weisen - wenn er es denn
könnte!
Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommt da allerdings zu
einem wenig hoffnungsvollen Schluß:
({8})
Die neue deutsche Regierung
- so heißt es dort ist nichts anderes als eine Erscheinungsform der
alten Rivalität zwischen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder, die unter der Maske lächelnder
Harmonie weiterwuchert.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({9})
Wir erwarten von unserer Regierung, daß sie auf dem
Gipfel in Wien die europäische Integration und die berechtigten Interessen Deutschlands in einer partnerschaftlichen Weise und im Ergebnis erfolgreich voranbringt. Die Regierung steht auf einem großen, starken
Fundament: Das ist die Politik der Vorgängerregierung,
die in den letzten Jahren und Jahrzehnten für Europa, für
Deutschland und für das Miteinander in Europa viel erreicht hat.
Unsere herzliche Bitte, unser Wunsch und unser Anliegen ist, daß Sie daran anknüpfen, daß Sie Ihren Kontinuitätsversprechen Kontinuitätstaten folgen lassen und
daß Sie nicht das zerstören, was wir in den letzten Jahrzehnten gemeinsam aufgebaut haben.
Ich danke Ihnen.
({10})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Rolf Hempelmann von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen! Meine Herren! Der Kollege Hintze hat soeben
die Startbilanz dieser Bundesregierung kommentiert.
Üblicherweise wird das nach 100 Tagen getan. Diese
Regierung ist aber noch keine 40 Tage im Amt. Das
zeigt die hohen Erwartungen an diese Regierung. Wir
fassen es als Kompliment auf, daß Sie schon jetzt so
kritisch bilanzieren.
({0})
Wir haben die Schlußbilanz der alten Bundesregierung
noch sehr gut in Erinnerung. Ich denke, da wäre ein bißchen Bescheidenheit auf Ihrer Seite durchaus angebracht.
Sie haben gesagt, Sie wollen uns messen. In der Tat:
Wir werden gemessen. Wir gehen jedoch davon aus, daß
wir vom Wähler und nicht von der Opposition gemessen
werden. Ihre Aufgabe ist eine andere, nämlich bessere
Konzepte auf den Tisch zu legen. Ihre Aufgabe ist nicht,
diese Bundesregierung zu messen.
({1})
Ich will ein Wort zur Landwirtschaft sagen, zumal
hier heute schon beklagt worden ist, daß dazu zuwenig
gesagt wurde. Ich bin Wirtschaftspolitiker; deswegen
will ich mich auf wenige Worte beschränken. Wenn hier
von der Regierung eingefordert wird, endlich etwas zum
Thema Landwirtschaft zu sagen, dann antworten wir: Es
ist beschämend, daß von der vorigen Bundesregierung
zum Thema Landwirtschaft in den letzten anderthalb
Jahren kein Konzept auf den Tisch gelegt worden ist.
({2})
Das ist um so widersprüchlicher angesichts der Tatsache, daß der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl in
Polen versprochen hat: Ihr seid im Jahr 2000 in der Europäischen Union. - Die Voraussetzungen dafür zu
schaffen hat er allerdings vergessen. Wahrscheinlich hat
er auch gewußt, warum.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, unsere Debatte
findet zu einem historischen Zeitpunkt statt. Der Europäische Rat in Wien ist der letzte vor der Einführung
des Euro. Die deutsche Präsidentschaft wird die erste
sein, unter der der Euro Wirklichkeit ist. Deshalb erwartet Europa von uns zu Recht Weichenstellungen für
die Zukunft.
Was ist zu tun? Mit der Einführung des Euro steigt
der Wettbewerbsdruck in Europa. Dem müssen wir
Rechnung tragen. Es reicht nicht aus, Maßnahmen im
Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu koordinieren. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag
festgelegt, eine Koordinierung der Wirtschafts-, Finanzund auch Sozialpolitik aktiv voranzutreiben. Nur so
können wir die positiven Möglichkeiten der Währungsunion auch verwirklichen.
({3})
Wir ziehen in Europa an einem Strang. Am besten ziehen wir auch in dieselbe Richtung.
({4})
Eine stärkere Koordinierung beschäftigungs- und
wettbewerbsrelevanter Politiken ist schon im Vertrag
von Amsterdam verankert. Insofern ist überhaupt nicht
zu verstehen, daß hier so leidenschaftlich gegen solche
Absichten polemisiert wird. Daß wir von solcher Koordinierung noch ein gutes Stück entfernt sind, liegt nicht
nur am Unwillen einiger europäischer Partner, sondern
vor allen Dingen auch am Zögern und Bremsen der alten
Bundesregierung in den letzten Jahren.
Der Konvergenzprozeß zur Währungsunion hat gezeigt, daß die Koordination funktioniert. Deshalb ist es
gut, daß ein deutscher Finanzminister in Europa endlich
dafür wirbt, unfairen Steuerwettbewerb und übrigens
auch Sozial- und Umweltdumping zurückzudrängen. Es
sollte sich auch bis zur Union und zur F.D.P. herumgesprochen haben, daß Wettläufe um die niedrigsten Unternehmenssteuern nicht gewonnen werden können - es
sei denn, man hat Interesse an der Erosion öffentlicher
Haushalte und am Marsch in den Lohnsteuerstaat. Aber
das wäre mit dem christlichen Menschenbild kaum vereinbar.
Der schon vereinbarte Verhaltenskodex bei der Unternehmensbesteuerung, zu dem wir und andere Sie
treiben mußten, muß rechtsverbindlich werden. Es muß
Schluß damit sein, daß wir uns in Europa steuerpolitisch
auskontern, in einem Spiel, das nicht zu gewinnen ist. Es
ist nicht einzusehen, daß sich Volkswirtschaften verhalten, als wären sie Konkurrenten in einem Preiswettkampf. Im Gegenteil, der Wettbewerb von Unternehmen
in vergleichbaren Ländern funktioniert erst dann vernünftig, wenn auch die wettbewerbspolitischen Ausgangspositionen einigermaßen vergleichbar sind.
Ein solcher Prozeß wäre übrigens ein Weg, die Akzeptanz Europas bei den Bürgern zu erhöhen. Wollen
wir in einem freizügigen Europa der Bürger Arbeitnehmern aus verschiedenen Ländern wirklich dauerhaft abverlangen, daß sie für das gleiche Bruttoentgelt
netto ganz unterschiedliche Beträge mit nach Hause
nehmen?
Natürlich darf Koordinierung nicht übers Knie gebrochen werden. Aber die neue Bundesregierung ist angetreten, um eine Diskussion darüber zu beginnen, wie
man den Negativwettlauf der Steuerstandorte beendet,
um langfristig einen Konvergenzprozeß der Wettbewerbsbedingungen zu erreichen.
Was spricht denn gegen den Versuch, uns zunächst
auf einen Korridor zu verständigen, außerhalb dessen
wir auf weitere Steuersenkungen oder -erhöhungen verzichten, genauso wie auf weiteren Wildwuchs bei den
Ausnahmen? Das könnte ähnlich funktionieren wie bei
der Umsatzbesteuerung mit einer oberen und unteren
Grenze.
Eine weitere konkrete Aufgabe, bei der wir in der
nächsten Zeit vorankommen wollen, ist die Koordinierung der Energiebesteuerung. Die neue Bundesregierung hat beschlossen, die Energiepreise sehr moderat
anzuheben und so die Lohnnebenkosten zu senken. Daß
nicht mehr drin ist, liegt daran, daß in der EU in der
Vergangenheit keine ausreichenden Anstrengungen unternommen wurden - übrigens auch gerade von der
Bundesregierung nicht unternommen wurden. Das liegt
aber auch daran, daß wir bei einem ohnehin hohen
Energiepreisniveau starten müssen.
Die Dänen beispielsweise liegen trotz ihrer hohen
Mehrwertsteuersätze am unteren Ende der europäischen
Strompreisskala. Da fällt es naturgemäß leichter, in die
ökologische Steuerreform einzusteigen. Schwerer fällt
ein solcher Schritt Ländern mit hohen Strompreisen,
zum Beispiel Großbritannien.
Daraus ist zu folgern: Nur in enger Abstimmung mit
den europäischen Partnern können wir in Fragen einer
ökologischen Steuerreform weiterkommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines müssen wir in
jedem Fall verhindern: ein weiteres Auseinanderdriften
der Steuer- und Abgabenstruktur in Europa. Wir brauchen die Koordination der Wirtschafts- und Steuerpolitiken in der Europäischen Union. Das liegt im Interesse
der Einzelstaaten in Europa, das liegt aber auch im Interesse der Europäischen Union insgesamt; denn sie befindet sich im Wettbewerb mit außereuropäischen Industrienationen. Dafür wollen wir gewappnet sein.
In der Weltwirtschaft kann die Europäische Union
nur dann Gehör finden, wenn sie in ihrem eigenen Haus
für eine koordinierte und vernünftige gemeinsame PoliRolf Hempelmann
tik sorgt. Dafür ist diese Bundesregierung angetreten,
dafür wird sie unsere volle Unterstützung erhalten.
Vielen Dank.
({5})
Als
letzte Rednerin in der Aussprache hat die Kollegin Monika Griefahn von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte zum Schluß dieser Debatte, die etwas kontrovers war, den Versuch machen,
das Haus ein bißchen zusammenzuführen,
({0})
zu einem Thema, das uns alle bewegt und bei dem wir in
der Vergangenheit, wie ich den Protokollen entnehmen
konnte, interfraktionelle gemeinsame Anträge gestellt
haben. Ich meine die Frage der Buchpreisbindung.
Der Mensch lebt bekanntlich nicht vom Brot allein.
Wir haben heute viel über Geld und Programme gesprochen. Mehr als viele andere Kulturgüter repräsentiert das
Buch genau diese Weisheit.
Bücher sind eben nicht einfach nur Ware, sondern
Ausdruck von Lebensqualität. Auch Bildung ist nicht
einfach nur Ware, sondern Ausdruck von intakten Lebensorten. Bücher haben im europäischen Einigungsprozeß eine besondere Bedeutung. Auch sie bieten eine
Möglichkeit, kulturelle Verbindungen und „geistige
Tankstellen“ darzustellen, wie Helmut Schmidt es einmal formuliert hat.
Genauso wie wir die Verpflichtung haben, die ökologische Vielfalt zu erhalten, brauchen wir die kulturelle
Vielfalt. Genauso wie wir nicht fragen dürfen: „Was ist
die Lerche wert?“ oder „Wozu brauchen wir Wale?“,
müssen wir die Vielfalt von Verlagen und die Möglichkeiten von Schriftstellern, auch wenn sie Minderheiten
darstellen, verlegt zu werden, erhalten. Rosa Luxemburg
würde dazu sagen: Freiheit ist auch die Freiheit der Andersschreibenden.
Heute haben wir den 50. Jahrestag der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte diskutiert. Können Menschen ihre Freiheit der Meinung tatsächlich in einem
oder in nur wenigen Verlagen gewährleistet sehen, die
wirtschaftlich nur den Mainstream darstellen können?
Gerade wenn wir in diesen Tagen die Diskussion von
Walser, Bubis und Dohnanyi verfolgen, wird klar, daß
es wichtig ist, sich für Bücher einzusetzen. Der Schutz
der Denkweisen ist eben heilig.
Deshalb brauchen wir nicht mehr Fast-Food-Bücher.
In den USA kann man sich anschauen, was dabei herauskommt, wenn man die Preisbindung von Büchern
aufgibt und damit den Konzentrationsprozeß forciert,
nämlich weniger Buchhandlungen in der Fläche, keine
Buchhandlungen mehr in kleinen Orten. Spezialverlage
gibt es allenfalls noch im Bereich des Universitätsdrucks.
Deshalb lassen Sie uns hier gemeinsam der McDonaldisierung der Kultur entgegentreten. Unterstützen Sie
unseren Antrag. Lassen Sie uns die Teilwertabschreibung im Steuergesetz diskutieren. Lassen Sie uns heute
hier in bezug auf Europa eine kraftvolle Aussage machen, daß wir für die Buchpreisbindung eintreten. Unterstützen wir die Bundesregierung, die das in ihrer EUPräsidentschaft forcieren will.
Herzlichen Dank.
({1})
Frau
Kollegin Griefhahn, zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag gratuliere ich Ihnen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache. - Es liegt eine Erklärung zur Abstimmung
nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages der Kollegen Friedhoff, Otto ({1}), Brü-
derle, van Essen, Hirche, Niebel, Goldmann sowie von
Frau Sehn, Frau Flach und weiteren Abgeordneten von
der F.D.P.-Fraktion vor, die wir zu Protokoll nehmen.*)
Es liegt der Wunsch des Kollegen Dr. Norbert Lammert vor, nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eine Erklärung mündlich abzugeben.
Der Kollege Norbert Lammert hat das Wort.
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluß
dieser Aussprache zur Europapolitik liegen zwei in großen Teilen übereinstimmende Entschließungsanträge der
CDU/CSU-Fraktion und der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen mit dem unscheinbaren Titel:
„Vorschau auf den Europäischen Rat in Wien am 11./12.
Dezember 1998 und Ausblick auf die deutsche Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 1999“ vor.
In beiden Anträgen geht es um Bedrohungen der
wirtschaftlichen Basis für das Kulturgut „Buch“, von
Buchhandlungen und Verlagen, die sich in den letzten
Wochen und Monaten an allerdings sehr unterschiedlichen Schauplätzen ergeben haben. Der Initiativantrag
der Koalitionsfraktionen folgt - für jeden nachvollziehbar - nicht nur im Zeitablauf einer Initiative der
CDU/CSU-Fraktion; vielmehr übernimmt er bis in gleiche Formulierungen hinein unser gemeinsames Anliegen
zur Aufrechterhaltung gebundener Buchpreise im
deutschen Sprachraum. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt
ganz ausdrücklich, daß wir hier unsere mehrfach vorgetragene gemeinsame Überzeugung einmal mehr bekräftigen wollen.
({0})
__________
*) Anlage 3
Es wäre im übrigen auch ein Treppenwitz, wenn ausgerechnet unter deutscher EU-Präsidentschaft die deutsche Buchpreisbindung abgeschafft würde, nachdem es
der vorherigen Regierung auch durch den besonderen
persönlichen Einsatz von Helmut Kohl gelungen war, in
die Maastrichter Verträge die ausdrückliche Verpflichtung der Europäischen Gemeinschaft zur Entfaltung der
Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt einzufügen. Insofern geben wir hier sicherlich eine gemeinsame, für uns ganz
selbstverständliche Überzeugung zu Protokoll.
Aber dieser Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen ist leider eines der vielen Beispiele dafür, daß
manchmal halbe Wahrheiten von ganzen Problemverdrehungen nur noch schwer zu unterscheiden sind.
({1})
Denn die ganze Wahrheit ist, daß gegenwärtig die wirtschaftliche Existenz vieler Buchhandlungen, vieler
Verlage und leider auch vieler Autoren und Schriftsteller
nicht nur durch die Absicht der Aufhebung der deutschen Buchpreisbindung gefährdet ist, sondern durch die
Ankündigung dieser Bundesregierung, die Teilwertabschreibung in unserem Steuerrecht zu beseitigen.
({2})
Sie alle, einschließlich derjenigen Kolleginnen und
Kollegen, die mit dem Kopf schütteln, haben in den
letzten Tagen - an jedes Mitglied des Deutschen Bundestages gerichtet - entsprechende Briefe des Deutschen
Kulturrates bekommen, des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, des Deutschen PEN-Zentrums, des
Schriftstellerverbandes. Meine Damen und Herren, ich
kann mich an keinen Vorgang während meiner
18jährigen Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erinnern, bei dem sich der Schriftstellerverband wegen
Änderungen im Steuerrecht verzweifelt an den Bundestag gewendet hat, mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß
er - ich zitiere - katastrophale Folgen für die Autorinnen
und Autoren, den Buchhandel und die Verlage in
Deutschland und damit für die deutsche Literatur und
Kultur sieht.
({3})
Herr
Kollege Lammert, ich bitte zur Abstimmung zu sprechen.
Herr Präsident,
genau das werden wir nicht durchgehen lassen, daß der
Deutsche Bundestag eine Abstimmung über etwas herbeiführt, was völlig unstreitig ist, und sich um die Frage
drückt, für die wir eine Entscheidung brauchen. Dies ist,
meine Damen und Herren, leider einmal mehr ausgerechnet am Schluß einer Europadebatte ein trauriges
Beispiel dafür, wie in einer Frage von in der Tat vitalem
nationalem Interesse mit dem Finger auf Brüssel gezeigt
wird, während in eigener nationaler Regierungsverantwortung genau die Bedrohungen und Beschädigungen
organisiert werden, die die Betroffenen zu Recht gegenüber dem Deutschen Bundestag reklamieren.
({0})
Herr
Kollege Lammert, ich bitte zur Abstimmung zu sprechen.
Deshalb wird
die CDU/CSU-Fraktion diesem Versuch einer verkürzten Problembeschreibung nicht zustimmen und den Antrag zur Beschlußfassung empfehlen, den ich erläutert
habe.
({0})
Der
Kollege Weisskirchen möchte ebenfalls nach § 31 der
Geschäftsordnung das Wort nehmen. Bitte schön.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ganz interessant, Herr
Dr. Lammert, daß Sie zu einem Thema, das nicht zur
Abstimmung steht, so in dieser Weise zu Felde ziehen,
denn wir werden das Thema der Teilwertabschreibung
sehr wohl in diesem Hause noch debattieren und werden
uns sehr wohl darüber klar werden, in welcher Weise
wir dieses Thema behandeln. Das hat die Fraktion uns
sehr klar gesagt. Deswegen muß ich ganz deutlich sagen: Der Punkt, den Sie in der letzten Ziffer Ihres Antrags beantragen, gehört nicht zu dieser Debatte, und
deswegen werden wir diesen Punkt klar ablehnen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen in den
Ausschüssen auf diesen Punkt zurück. Lassen Sie mich
hier, Herr Dr. Lammert, ganz deutlich sagen: Niemand
anders als die Sozialdemokratie hat sich in eindeutiger
Weise dafür ausgesprochen, daß die Kultur in diesem
Hause einen festen Platz in Form eines Ausschusses bekommen soll.
({1})
Wir haben das vollzogen. Sie hatten in der vorigen Legislaturperiode Zeit, einen solchen Ausschuß einzusetzen. Über Kultur brauchen wir von Ihnen keine Belehrungen!
({2})
Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Beide Erklärungen haben
sich nicht streng an den Zweck gehalten, aber es hat ei-
nen Ausgleich gegeben.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung selbst, und zwar
zunächst zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
14/182. Beide Fraktionen haben namentliche Abstim-
mung verlangt. Bitte überprüfen Sie, ob die von Ihnen
benutzten Abstimmungskarten auch Ihren Namen tra-
gen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Es geht um den Ent-
schließungsantrag auf Drucksache 14/182, Antrag von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich
die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Dazu bitte ich die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, die nicht an den Urnen ein-
geteilt sind, sich in den Auszählraum im Präsidialbau zu
begeben. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort. Wir kommen zur Ab-
stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/166. Hier ist von der
Fraktion der CDU/CSU namentliche Abstimmung be-
antragt worden.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Die Urnen sind be-
setzt. Ich eröffne die Abstimmung.
Sind alle Stimmkarten abgegeben? - Ich schließe den
Wahlgang und bitte die Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung ge-
be ich Ihnen ebenfalls später bekannt.**)
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich darf Sie bitten, wieder Platz zu neh-
men, damit wir die noch ausstehenden Abstimmungen
ordnungsgemäß durchführen können.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion der F.D.P. eingebrachten Antrag zum Europäi-
__________
*) Seite 853 B
**) Seite 859 B
schen Rat, Drucksache 14/90 ({0}). Wer stimmt dafür?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS bei Enthaltung der Fraktion der CDU/CSU
und Zustimmung der Abgeordneten der F.D.P. abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Antrag zum Europäischen Rat, Drucksache
14/181. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Fraktionen der Antragsteller gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Fraktion der PDS eingebrachten Antrag zu Forderungen
an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, Drucksache
14/165. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen aller
übrigen Fraktionen abgelehnt.
({1})
- Wir nehmen die Erklärung des Fraktionsvorsitzenden
der SPD zu Protokoll, daß es diesmal eine geschlossene
Abstimmung der SPD gegeben hat.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/159 und 14/164 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
- Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Abgabe einer
Regierungserklärung des Bundeskanzlers - Vorschau
auf den Europäischen Rat in Wien am 11./12. Dezember
1998 und Ausblick auf die deutsche Präsidentschaft in
der ersten Jahreshälfte 1999 - Drucksache 14/182, bekannt. Abgegebene Stimmen 618. Mit Ja haben gestimmt 366, mit Nein haben gestimmt 250, Enthaltungen
2. Damit ist der Entschließungsantrag angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 617;
davon
ja: 366
nein: 249
enthalten: 2
Ja
SPD
Brigitte Adler
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel ({2})
Klaus Barthel ({3})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({4})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({5})
Bernhard Brinkmann
({6})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({7})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Christel Deichmann
Karl Diller
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({8})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({9})
Lilo Friedrich ({10})
Harald Friese
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({11})
Angelika Graf ({12})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
({13})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({14})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({15})
Walter Hoffmann
({16})
Iris Hoffmann ({17})
Frank Hofmann ({18})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({19})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({20})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({21})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({22})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({23})
Jutta Müller ({24})
Christian Müller ({25})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({26})
Gerhard Neumann ({27})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({28})
Birgit Roth ({29})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
({30})
Ulla Schmidt ({31})
Silvia Schmidt ({32})
Dagmar Schmidt ({33})
Wilhelm Schmidt ({34})
Heinz Schmitt ({35})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({36})
Brigitte Schulte ({37})
Reinhard Schultz
({38})
Volkmar Schultz ({39})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({40})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt ({41})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({42})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({43})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Helmut Wieczorek
({44})
Jürgen Wieczorek ({45})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({46})
Brigitte Wimmer ({47})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({48})
Waltraud Wolff ({49})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({50})
Marieluise Beck ({51})
Volker Beck ({52})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska EichstädtBohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({53})
Joseph Fischer ({54})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({55})
Kerstin Müller ({56})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Vizepräsident Rudolf Seiters
Simone Probst
Claudia Roth ({57})
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({58})
Werner Schulz ({59})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({60})
Margareta Wolf ({61})
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla ({62}) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({63})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({64})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({65})
Hartmut Büttner
({66})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({67})
Peter H. Carstensen
({68})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({69})
Axel Fischer ({70})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({71})
({72})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({73})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({74})
({75})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Karl Lamers
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({76})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
({77})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({78})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({79})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({80})
Elmar Müller ({81})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({82})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({83})
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({84})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({85})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({86})
Andreas Schmidt
({87})
Hans Peter Schmitz
({88})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze ({89})
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({90})
Gerald Weiß ({91})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({92})
Hans-Otto Wilhelm
({93})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({94})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Vizepräsident Rudolf Seiters
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({95})
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Horst Friedrich ({96})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({97})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({98})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Enthalten
PDS
Ursula Lötzer
Ich denke, wir müssen jetzt nicht auf die Auszählung
der anderen Abstimmung warten, sondern können zu
den nächsten Tagesordnungspunkten übergehen.
Ich rufe zunächst Zusatzpunkt 2 auf:
Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing.
Paul Krüger, Ulrich Adam und der Fraktion der
CDU/CSU
Ansiedlung einer Produktionsstätte für den
Airbus A 3XX in Mecklenburg-Vorpommern
- Drucksache 14/161 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
({99})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zu Beschlußfassungen zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen
Staatssekretäre
- Drucksache 14/30 ({100})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({101})
- Drucksache 14/150 Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Hartmut Koschyk
Ekin Deligöz
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von
den Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über
die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre auf Drucksache 14/30. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/150, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie bei der
zweiten Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 a:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines
Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. September 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen
Zentralbank über den Sitz der Europäischen
Zentralbank
- Drucksache 14/70 ({102})
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({103})
- Drucksache 14/168 Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Ulrich Klose
Wir kommen zur
zweiten Beratung
und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen
Vizepräsident Rudolf Seiters
über den Sitz der Europäischen Zentralbank auf Drucksache 14/70. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf
Drucksache 14/168, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 b:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Stasi-UnterlagenGesetzes ({104})
- Drucksache 14/92 ({105})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hartmut Büttner ({106}), Günter
Nooke und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ({107})
- Drucksache 14/91 ({108})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({109})
- Drucksache 14/149 Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Hartmut Büttner ({110})
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulla Jelpke
Es liegt eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31
der Geschäftsordnung vom Kollegen Christian Ströbele,
Bündnis 90/Die Grünen, vor.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich stimme
der Verlängerung der Frist in § 14 des Stasi-UnterlagenGesetzes zu. Damit wird die Möglichkeit für Betroffene,
Anträge auf Anonymisierung von ihre Person betreffende Informationen in den Stasi-Unterlagen zu stellen,
um vier Jahre hinausgezögert, das heißt, erst ab 1. Januar 2003 können solche Anträge gestellt werden. So weit,
so gut.
Wir sind von einer ganzen Reihe von Opferverbänden, von Betroffenen, von Archivaren, von Historikern
und Journalisten angesprochen und angeschrieben worden, wie wir in die Beschlußbegründung schreiben können, daß diese Verlängerung der Frist letztmalig erfolgen soll, das heißt, danach kann eine Anonymisierung
auf Antrag der Betroffenen vorgenommen werden. Ich
kann den Briefeschreibern grundsätzlich nur recht geben. Ich teile die wesentlichen Argumente der Briefeschreiber, die sagen, daß zum einen damit wesentliche
Teile der Akten der Aufarbeitung entzogen werden, zum
anderen ein großer Teil der Akten, die in den USA gelagert sind, nicht unter diese Anonymisierung fällt, weil
über sie gar nicht von Deutschland aus verfügt werden
kann und alle Versuche, diese Akten zurückzubekommen, bisher keinen Erfolg gehabt haben. Außerdem bestünden grundsätzliche Bedenken, in Archiven Anonymisierungen vorzunehmen.
Diese Bedenken teile ich. Ich werde dem Gesetzentwurf heute gleichwohl zustimmen - im Ausschuß habe
ich mich in gleicher Weise verhalten -, weil er lediglich
eine Zwischenlösung darstellt. Wir haben in den beteiligten Ausschüssen fraktionsübergreifend - mit Ausnahme der PDS - beschlossen, daß wir noch im Jahre
1999 eine vollständige Novellierung des § 14 anstreben,
um grundsätzliche Mängel zu beseitigen. Wir müssen
uns in diesem Zusammenhang darüber schlüssig werden,
ob eine Anonymisierung überhaupt erfolgen soll.
Ich bin der Auffassung, Archive sind das Gedächtnis
eines Volkes. Deshalb sollte es selbstverständlich sein,
daß in diesem Gedächtnis nichts verändert, nichts getilgt
und nichts unleserlich gemacht wird. Dies gilt allgemein
für Archive im Rahmen des Archivgesetzes und besonders für Akten des MfS. Sie müssen für die Forschung,
für die Wissenschaft und auch für die interessierten
Bürgerinnen und Bürger zukünftiger Generationen vollständig und ungelöscht erhalten bleiben.
Deshalb werden wir uns Gedanken darüber machen,
ob nicht eine Anonymisierung der Archive grundsätzlich
ausgeschlossen werden soll und ob nicht statt dessen eine Lösung angestrebt werden soll, die etwa beinhalten
könnte, daß lediglich in den Kopien von Dokumenten,
die auf Wunsch der Betroffenen herausgegeben werden,
Anonymisierungen vorgenommen werden. Das heißt,
die Angaben zu einzelnen Personen können auf deren
Wunsch hin unkenntlich gemacht werden. Die Archive
an sich bleiben aber vollständig erhalten.
Unter diesen Voraussetzungen stimme ich wie auch
die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion dem
heute vorgelegten Gesetzentwurf zu. Ich bitte auch die
anderen Kolleginnen und Kollegen, dies zu tun. Ich
denke, daß wir im nächsten Jahr noch genügend Gelegenheit haben werden, Fehler, auch Fehler in § 14, auszubessern.
Danke sehr.
({0})
Damit kommen wir
zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Stasi-UnterlagenGesetzes auf Drucksache 14/92. Der Innenausschuß
empfiehlt auf Drucksache 14/149 unter Buchstabe a, den
Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - EnthaltunVizepräsident Rudolf Seiters
gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenergebnis wie eben
angenommen.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem
von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf
zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes auf Drucksache 14/149 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/91 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 c auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Aufhebbare Vierundvierzigste Verordnung
zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 13/11417, 14/69 Nr. 2.1, 14/95 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
CDU/CSU angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 d auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({1}) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur
Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maß-
nahmen der Gemeinschaft im Bereich der
Wasserpolitik
- Drucksachen 13/7867 Nr. 2.14, 14/155 Nr. 2.1,
14/154 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Deichmann
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Ulrike Flach
Eva-Maria Bulling-Schröter
Dazu liegt eine persönliche Erklärung der Kollegin
Annette Faße vor, die zu Protokoll genommen wird.*)
__________
*) Anlage 4
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 14/154 Nr. 1? - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußemp-
fehlung auf Drucksache 14/154 die Annahme einer Ent-
schließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU
und F.D.P. angenommen.
Wir kommen zu dem Tagesordnungspunkt 13 e und f:
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({2})
Übersicht 11
über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht
- Drucksache 14/67 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({3})
Übersicht 12
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 14/68 Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu den Beschlußempfehlungen des
Petitionsausschusses, zunächst zu Tagesordnungspunkt
13 g:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 6 zu Petitionen
- Drucksache 14/129 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 6 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 h:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 7 zu Petitionen
- Drucksache 14/130 Vizepräsident Rudolf Seiters
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 7 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 i:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 8 zu Petitionen
- Drucksache 14/131 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 8 ist mit den
Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 j:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 9 zu Petitionen
- Drucksache 14/132 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 9 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen. - Tagesordnungspunkt 13 k:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 10 zu Petitionen
- Drucksache 14/133 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 10 ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 l:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 11 zu Petitionen
- Drucksache 14/134 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 11 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Ich gebe dann das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU zur Abgabe einer Regierungserklärung
des Bundeskanzlers, Drucksache 14/166, bekannt. Abgegebene Stimmen 610. Mit Ja haben gestimmt 249, mit
Nein haben gestimmt 337, Enthaltungen 24. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 609;
davon
ja: 249
nein: 336
enthalten: 24
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({10})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({11})
Hartmut Büttner
({12})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens
({13})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({14})
Axel Fischer ({15})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({16})
({17})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({18})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({19})
({20})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Karl Lamers
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({21})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
({22})
Julius Louven
Vizepräsident Rudolf Seiters
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({23})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({24})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({25})
Elmar Müller ({26})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({27})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({28})
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({29})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({30})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({31})
Andreas Schmidt
({32})
Hans Peter Schmitz
({33})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze ({34})
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({35})
Gerald Weiß ({36})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({37})
Hans-Otto Wilhelm ({38})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({39})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({40})
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({41})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({42})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({43})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Nein
SPD
Brigitte Adler
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel ({44})
Klaus Barthel ({45})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({46})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({47})
Bernhard Brinkmann
({48})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({49})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Christel Deichmann
Karl Diller
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({50})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({51})
Lilo Friedrich ({52})
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({53})
Angelika Graf ({54})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
({55})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({56})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann
({57})
Walter Hoffmann
({58})
Iris Hoffmann ({59})
Frank Hofmann ({60})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Vizepräsident Rudolf Seiters
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({61})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({62})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({63})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({64})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({65})
Jutta Müller ({66})
Christian Müller ({67})
Andrea Nahles
Volker Neumann ({68})
Gerhard Neumann ({69})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({70})
Birgit Roth ({71})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
({72})
Ulla Schmidt ({73})
Silvia Schmidt ({74})
Dagmar Schmidt ({75})
Wilhelm Schmidt ({76})
Heinz Schmitt ({77})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({78})
Brigitte Schulte ({79})
Reinhard Schultz
({80})
Volkmar Schultz ({81})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({82})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt ({83})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({84})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({85})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Helmut Wieczorek
({86})
Jürgen Wieczorek ({87})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({88})
Brigitte Wimmer ({89})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({90})
Waltraud Wolff ({91})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 /
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({92})
Marieluise Beck ({93})
Volker Beck ({94})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska EichstädtBohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({95})
Joseph Fischer ({96})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({97})
Kerstin Müller ({98})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({99})
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({100})
Werner Schulz ({101})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({102})
Margareta Wolf ({103})
PDS
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Ulla ({104}) Jelpke
Ursula Lötzer
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Enthalten
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Manfred Müller ({105})
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Vizepräsident Rudolf Seiters
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte
- Drucksache 14/45 ({106})
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Rainer Brüderle, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur beschäftigungswirksamen Änderung des Kündigungsschutzgesetzes
- Drucksache 14/44 ({107})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({108})
- Drucksache 14/151 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Storm
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({109}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/152 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
Dr. Konstanze Wegner
Antje Hermenau
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Versorgungsreformgesetzes 1998 ({110})
- Drucksache 14/46 ({111})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({112})
- Drucksache 14/145 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Veit
Meinrad Belle
Ekin Deligöz
Dr. Max Stadler
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({113}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/146 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt
Ewald Schurer
Josef Hollerith
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache drei namentliche Abstimmungen durchführen werden. Zur Annahme des Gesetzes zu Korrekturen
in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte ist nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes
die absolute Mehrheit erforderlich. Auch hier gestatte
ich mir den Hinweis, auf Ihren Abstimmungskarten bitte
zu überprüfen, ob sie Ihren Namen tragen.
Wir kommen zur Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist für viele Wählerinnen und
Wähler ein ungewöhnlicher Tag. Heute erleben sie etwas, was in den vergangenen 16 Jahren nicht häufig der
Fall war: daß Wahlversprechen schnell und exakt eingehalten werden.
({0})
Wir haben vor der Wahl versprochen, daß wir die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt unserer Politik stellen werden, und zwar nicht nur rhetorisch.
({1})
Mit diesem Versprechen machen wir Ernst.
Am Montag haben wir gemeinsam mit den Spitzenvertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften die erste Runde des Bündnisses für Arbeit eingeläutet.
({2})
Der Anfang ist gemacht worden. Alle Beteiligten haben
sich über diesen Auftakt uneingeschränkt positiv geäußert.
({3})
Wir sind nicht euphorisch, aber optimistisch gestimmt,
daß wir im Verlauf der weiteren Gespräche zu konkreten
Vizepräsident Rudolf Seiters
Ergebnissen und Fortschritten beim Kampf gegen die
Arbeitslosigkeit kommen werden.
({4})
Wir werden mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften
die vorhandenen Probleme anpacken und auch lösen.
Zum Bündnis für Arbeit gehört es, die Situation auf
dem Ausbildungsstellenmarkt zu verbessern. Mir liegen
insbesondere die Menschen am Herzen, die es bereits zu
Beginn ihres Berufslebens sehr schwer haben. Eine fundierte Berufsausbildung - das zeigen alle Untersuchungen - ist noch immer der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Die Vermittlung einer Berufsausbildung ist daher
ein wesentlicher Baustein unseres Sofortprogrammes
zum Abbau von Jugendarbeitslosigkeit. Die Bündnisgespräche haben im übrigen gerade in diesem Punkt
durchaus Anlaß für Optimismus gegeben. Alle Teilnehmer des Bündnisses für Arbeit - im übrigen ausdrücklich auch die Wirtschaftsvertreter - haben uns ihre Unterstützung zur Umsetzung des Sofortprogrammes zugesagt.
({5})
Bereits Ende September diesen Jahres haben Unternehmen und Verwaltungen 4,4 Prozent mehr Lehrverträge abgeschlossen als im Vorjahr.
({6})
- Ohne Bündnis. Aber diese Zahl kann und muß erhöht
werden.
({7})
Für diese Leistung möchte ich den Arbeitgebern ein
großes Lob aussprechen.
({8})
Diese Zahlen geben allerdings noch keinen Anlaß, sich
jetzt auszuruhen. Sie müssen vielmehr Ansporn sein,
weitere Anstrengungen zu unternehmen.
Wir stehen auch an der Seite der Menschen, die keine
Arbeit haben, und wollen dafür sorgen, daß die Arbeitsmarktpolitik wieder verläßlich und berechenbar
wird. Gerade in den neuen Bundesländern sind viele
Menschen auf einen Rettungsanker angewiesen, der ihnen möglicherweise die Tür zum ersten Arbeitsmarkt offenhält. Deshalb werden wir die Maßnahmen der aktiven
Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau fortführen. Nicht
Achterbahnfahren, sondern Kontinuität wird das Kennzeichen der neuen Bundesregierung auf diesem Gebiet
sein.
({9})
- Wir brauchen das nicht abzuwarten. - 27,4 Milliarden
DM des Haushaltes der Bundesanstalt für Arbeit für
1999 sind für den Eingliederungstitel vorgesehen. Das
sind über 2 Milliarden DM mehr als in diesem Jahr.
Mehr als ein Viertel der Gesamtausgaben sind damit
für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik eingeplant.
({10})
Das Bundeskabinett hat gestern den Etat der Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von rund 105 Milliarden DM
gebilligt. Wir reden nicht nur über Verläßlichkeit und
Verstetigung, sondern wir praktizieren sie.
({11})
Wenn wir auf dem Arbeitsmarkt vorankommen wollen, müssen wir die Arbeitskosten senken und damit
den Faktor Arbeit Schritt für Schritt entlasten. Diese
Binsenweisheit setzen wir nach jahrelangem Anwachsen
der Lohnnebenkosten nun endlich in die Praxis um.
({12})
- Auf diesen Punkt komme ich noch zurück. - Der Beitrag zur Rentenversicherung wird ab 1. April 1999 abgesenkt. Damit stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft und gleichzeitig die Kaufkraft der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jährlich um 11
Milliarden DM.
({13})
Darum zahlt der Bund ab dem 1. Juni 1999 die Beiträge
für die Kindererziehungszeiten,
({14})
ebenso die Aufwendungen nach dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz und die Kosten für die Auffüllbeträge der Renten in den neuen Ländern. „Endlich!“ kann
ich nur sagen. Debattiert worden ist über diese Frage
jahrelang.
({15})
Natürlich wird das allein nicht reichen, um die Renten wetterfest für die Zukunft zu machen. Wir verschließen uns nicht vor der Tatsache, daß die Rentenversicherung ein deutliches Einnahmeproblem hat. Entgegen
den ursprünglichen Annahmen - ich wäre sehr froh gewesen, wenn die Zahlen schon vor dem 27. September
veröffentlicht worden wären - fehlen nun fast 8 Milliarden DM in den Rentenkassen.
({16})
Darum müssen wir uns überlegen, wie wir den Menschen trotz der demographischen Entwicklung sichere
Renten garantieren können. Es ist selbstverständlich,
daß die Bevölkerungsstruktur berücksichtigt werden
muß. Allerdings dürfen Renten im unteren und im mittleren Bereich nicht in die Nähe des Sozialhilfeniveaus
geraten. Bereits zu Beginn des nächsten Jahres werden
wir ein Gremium von Experten einsetzen, um eine große
Rentenstrukturreform vorzubereiten. Diese Reform soll
bis Ende 1999 stehen, also ein Jahr früher, als in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen.
Meine Damen und Herren, wir stehen vor großen
strukturellen Problemen auf dem Arbeitsmarkt. Ich nenne hier nur den Wildwuchs bei den sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen und den sogenannten
Scheinselbständigen. Wir bringen den Arbeitsmarkt
wieder in Ordnung.
({17})
- Wir bringen ihn wieder in Ordnung. - Wer abhängig
beschäftigt ist, muß auch sozialversichert sein. Denn ein
chaotischer Arbeitsmarkt schadet dreifach: erstens natürlich den Beschäftigten, die schutzlos den allgemeinen
Lebensrisiken ausgeliefert sind; zweitens auch - das interessiert Sie, meine Damen und Herren von der rechten
Seite, vielleicht noch mehr - der Wirtschaft, weil sich
diejenigen Betriebe, die sich an der Sozialversicherungspflicht vorbeimogeln, unlautere Wettbewerbsvorteile erschleichen;
({18})
und drittens natürlich den Sozialkassen, weil sie mit weniger Beiträgen nicht mehr in der Lage sind, ihre Solidarfunktion zu erfüllen.
Wir beseitigen diese Zustände demnächst mit unserer
Reform der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse.
({19})
- Da dürfen Sie ruhig gespannt sein; darüber werden wir
dann debattieren, wenn es auf der Tagesordnung steht. ({20})
Wir tun heute den ersten Schritt, indem wir wirksame
Maßnahmen gegen Scheinselbständigkeit ergreifen.
Dabei möchte ich nicht mißverstanden werden. Wer sich
selbständig macht und eine eigene Existenz aufbaut, leistet einen großartigen Beitrag für die Zukunft unserer
Gesellschaft. Existenzgründer verdienen unsere Anerkennung.
({21})
Aber daß immer mehr Menschen einzig aus dem Grund
ihre Selbständigkeit anmelden, um Sozialbeiträge zu
sparen, kann nicht weiter hingenommen werden.
({22})
Die Zahlen sprechen für sich. Je nach Abgrenzung
des Begriffs sind in Deutschland zwischen 180 000 und
430 000 Personen als Scheinselbständige erwerbstätig.
Außerdem sind zwischen 330 000 und 1 Million Menschen nebenberuflich als Scheinselbständige aktiv. Daß
wir uns mit diesen Zahlen nicht abfinden können, sehen
die Gerichte im übrigen auch so. Der Bundesgerichtshof
hat vor wenigen Tagen im sogenannten Eismann-Urteil
entschieden, daß Verkaufsfahrer einer großen Tiefkühlfirma rechtlich Arbeitnehmern vergleichbar sind.
({23})
Dieses BGH-Urteil ist nicht das erste seiner Art.
({24})
- Sie sind nicht geregelt. Wir wollen eben keine Einzelfallregelung, die uns ein Gericht vorschreibt, sondern
wir wollen einen rechtlich klar geregelten Zustand. Es
ist doch unsere Aufgabe, rechtliche Regeln zu setzen.
({25})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Lenke?
Gern.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt,
daß viele Existenzgründerinnen - ich benutze den weiblichen Begriff - klein anfangen, daß sie wenig investieren und oftmals nur einen Kunden und einen Auftraggeber haben? Ich möchte Sie fragen, ob die vier Kriterien
diesen Frauen, deren Existenzgründung ich jetzt beschrieben habe, nützen.
Ich denke schon, daß es ihnen nützt, in die
Sozialversicherung hineinzukommen. Wenn sie sich
dann als Selbständige entwickelt haben, können sie aus
der Sozialversicherung herausgehen. Solange sie aber
diesen Status nicht haben, solange sie in direkter Abhängigkeit zu einem Unternehmen stehen, müssen sie
auch in der Sozialversicherung bleiben.
({0})
Herr Bundesminister, es liegen noch zwei Zwischenfragen vor. Ich frage Sie: Lassen Sie sie zu?
Ja, bitte schön.
Frau Kollegin Lenke, dann Herr Kollege Niebel.
Herr Minister, ich habe Sie jetzt
so verstanden, daß die Existenzgründerinnen vorher abhängig beschäftigt sind und dann eine Existenz gründen.
So haben Sie das erklärt. Was machen Sie mit den Frauen, die eine Pause gemacht haben und dann als ExiBundesminister Walter Riester
stenzgründerinnen beginnen? Bei ihnen gibt es keine
vorangegangene abhängige Beschäftigung. Diese Frauen, Herr Minister, werden solche Existenzgründungen
nicht mehr mitmachen, weil sie dann doppelte Rentenversicherungsbeiträge bezahlen müßten, die sie nicht
finanzieren können.
Ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich diese
Gedanken über diese breite Entwicklung, die wir seit
Jahren erleben, rechtzeitig gemacht hätten;
({0})
denn dann wäre die Situation nicht so ausgeufert, wie sie
es heute gerade in diesem Bereich ist.
({1})
Es geht mir darum -
Herr Minister Riester, Sie hatten noch eine Zusatzfrage zugelassen, nämlich die des Kollegen Niebel.
Ja, das ist dann aber auch die letzte.
({0})
Vielen Dank, Herr Minister. Ich habe die Antwort auf die vorhergehende Frage vielleicht nicht richtig verstanden, und deshalb möchte ich
noch einmal nachfragen.
({0})
Ist es richtig, daß es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, die ab und zu aus dem Berufsleben ausscheiden und nach dem Wiedereintritt in das Berufsleben vielleicht als Selbständige beginnen möchten, ohne
Arbeitnehmer eingestellt zu haben? Ist es ferner richtig,
({1})
daß diese von Ihnen als scheinselbständig bezeichneten
Existenzgründer deshalb keine Selbständigen, also auch
keine Existenzgründer sind,
({2})
weil sie in der Gründungsphase nur einen Auftraggeber
haben und keinen Mitarbeiter beschäftigen und somit
schon zwei Ihrer vier Kriterien erfüllen?
Wenn sie keine sind, dann werden sie als
abhängig Beschäftigte eingestuft und in die Sozialversicherung aufgenommen.
({0})
- Sie müssen sich darüber keine Gedanken machen. Wir
ruinieren nicht die Selbständigkeit, sondern wir wollen
sie gerade fördern.
Uns geht es dabei nicht darum - ich will das klar sagen -, die Rentenversicherung aufzufüllen,
({1})
sondern einzig um die soziale Absicherung dieses Personenkreises. Darum akzeptieren wir beispielsweise als
Alternative zur Rentenversicherung auch eine bereits
bestehende Lebensversicherung oder eine bereits bestehende Zusage auf eine betriebliche Altersversorgung.
({2})
Wer bis heute eine Lebensversicherung abgeschlossen
oder eine Zusage über eine Betriebsrente hat, ist von der
Rentenversicherungspflicht befreit.
({3})
Ein weiteres Wahlversprechen, auf das ich als Gewerkschafter besonders stolz bin, lösen wir heute ein:
Wir nehmen die unsozialen Einschnitte bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zurück.
({4})
Die Demontage dieses Kernstücks der sozialen Sicherung, für das die Gewerkschaften im übrigen jahrzehntelang gekämpft haben, hat nicht nur ein Signal in die
falsche Richtung gesetzt, sondern darüber hinaus auch
den sozialen Frieden in unserem Land unnötig aufs Spiel
gesetzt. Die Kürzung der Entgeltfortzahlung auf 80 Prozent des Arbeitsentgelts hat zu einer sozialpolitisch nicht
vertretbaren Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer geführt. Sie hat nämlich gerade Arbeitnehmer mit niedrigen Arbeitsentgelten und ungünstigen Arbeitsbedingungen belastet, für die weder Tarifverträge noch Arbeitsverträge die volle Entgeltfortzahlung vorsahen.
Wir stellen durch die volle Entgeltfortzahlung die
Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfall
wieder her
({5})
und beseitigen damit gleichzeitig soziale Härten, die die
Kürzung der Entgeltfortzahlung insbesondere bei chronisch Kranken, Schwangeren und Schwerbehinderten
verursacht hat.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fuchtel?
Bitte.
Herr Minister,
was empfehlen Sie denn den Betrieben, die die Kompensation auf andere Weise gelöst haben?
Auf welche Weise?
Ein Frageund-Antwort-Spiel von seiten der Bundesregierung erlebe ich das erste Mal. Aber ich beteilige mich gerne daran. - Auf die Weise, daß sie die Lohnfortzahlung nicht
gekürzt haben, sondern im tariflichen Bereich Leistungen auf andere Weise eingeschränkt haben.
({0})
Ich komme gleich auf diese Frage zurück.
Nein, bitte
kommen Sie jetzt sofort auf die Frage, wenn ich sie
stelle!
({0})
Mein lieber Herr, wenn sie die Lohnfortzahlung nicht gekürzt haben, dann gibt es keine Probleme, denn dann ändert sich jetzt nichts. Dann gilt sie
weiter, und das ist in Ordnung. Dann müssen sie auch
nicht erschrecken, wenn sie jetzt die Lohnfortzahlung in
voller Höhe gesetzlich zu zahlen haben.
({0})
Ich möchte
gerne wissen, wie Sie die Fairneß zwischen den Tarifpartnern wiederherstellen wollen, nämlich zwischen solchen, die sich darauf verlassen haben, daß das Gesetz
gilt, und solchen, die das nicht gemacht haben.
({0})
Da muß ich Ihnen sagen: Ich sehe die Fairneß nicht mehr gegeben, weil ein Unterschied gerade
dadurch besteht, daß beispielsweise, um nur einen Fall
anzuführen, der Gesetzgeber in seinem eigenen Bereich
als Tarifvertragspartei die Lohnfortzahlung auf 100 Prozent festgesetzt hat und in den Bereichen, in denen es
keine Tarifverträge gibt, die 80 Prozent gelten. Dort von
Fairneß zu sprechen, das kann auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht ernst genommen werden.
({0})
Nun komme ich auf Ihren Einwurf zurück. Die Arbeitgeber sprechen davon, daß sie durch die Kürzung der
Entgeltfortzahlung in einer Größenordnung von 15 bis
20 Milliarden DM von Kosten entlastet worden sind. Ich
vermag nicht zu sagen, ob das stimmt; aber ich unterstelle einmal, die Zahl sei so. Die meisten Tarifverträge
haben zwar die volle Entgeltfortzahlung beibehalten, dafür aber erhebliche Zugeständnisse in anderen Bereichen
gemacht - Ihr Hinweis. Hinzu kommt, daß zur Beibehaltung der vollen Entgeltfortzahlung auch die Lohnsteigerungen 1997 wesentlich geringer ausgefallen sind,
als es selbst die frühere Bundesregierung vorausgeschätzt hat. Die Tariflöhne 1997 - ich habe mich noch
einmal vergewissert - sind in der Schätzung der Bruttolohnsumme der alten Bundesregierung um 2,4 Prozent
höher angesetzt worden, als sie zu realisieren waren.
Das bedeutet, daß die Bruttolohnsumme 1997, durch die
niedrigeren Lohnabschlüsse um 34 Milliarden DM niedriger ausgefallen ist, als noch im Vorjahr geschätzt wurde.
Die dadurch eingetretene Entlastung der Arbeitgeber
hat aber nicht zu den erwarteten Beschäftigungseffekten
auf dem Arbeitsmarkt geführt. Die Arbeitslosenzahlen
sind dadurch nicht zurückgegangen. Ich stelle fest: Die
Kürzung der Entgeltfortzahlung hat ihr unterstelltes Ziel,
neue Arbeitsplätze zu schaffen, völlig verfehlt.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Hirche?
Ja.
Herr Minister, können Sie
sich vorstellen, daß eine Kostenentlastung dieser Art
auch dazu führt, daß Entlassungen, die sonst möglicherweise erforderlich gewesen wären, nicht stattfinden,
({0})
so daß sich diese Entlastung auf andere Weise ausgewirkt hat? Ist das vorstellbar?
Das ist vorstellbar, aber leider nicht belegbar.
({0})
Dieses Argument kenne ich natürlich. Es ist beliebig
einzusetzen, wenn prognostiziert worden ist, daß Einstellungen erfolgen. Wenn sie anschließend nicht erfolgen, kommt das Argument: Sonst hätten wir mehr entlassen.
({1})
Aber vorstellbar ist das durchaus.
({2})
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage?
Ja.
Herr Minister, darf ich daraus schließen, daß das Kostenargument auf der Arbeitsseite in der Tat ein wesentliches Argument ist, in welcher Form auch immer?
Sie dürfen daraus schließen, daß das Kostenargument ein wesentliches Argument ist. Das habe
ich im übrigen bei meinen Ausführungen eingangs selbst
gesagt.
({0})
Das Haus dürfte vielleicht auch folgendes interessieren: Die Kürzung der Entgeltfortzahlung hat zu Steuerund Beitragsausfällen geführt. So blieben die Steuereinnahmen 1997 um 25 Milliarden DM bzw. 2,5 Prozentpunkte hinter den Schätzungen zurück. Ich will dies
einmal deutlich aufzeigen, weil sich die Wirkungen solcher - den Lohn negativ beeinflussenden - politischen
Entscheidungen durchaus in den Steuereinnahmen und
den Sozialversicherungsbeiträgen widerspiegeln.
Unterstellt man eine tatsächliche Kostenminderung
auf seiten der Betriebe, beispielsweise durch niedere
Lohnabschlüsse - das ist der Preis, den die Gewerkschaften und die Beschäftigten zu zahlen hatten - in Höhe von 15 bis 20 Milliarden DM, wirkt das auf Dauer
weiter.
({1})
Wir korrigieren also nicht die dauerhafte Wirkung, wir
korrigieren nicht die Kostenvorteile, sondern wir korrigieren die nicht mehr hinzunehmende Tatsache, daß die
Beschäftigten in den nicht tarifgebundenen Betrieben
dann, wenn sie krank sind, durch eine niedrigere Lohnfortzahlung abgestraft werden.
({2})
Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Rechte
unserer Arbeitnehmer wieder zu stärken. Das erreichen
wir auch durch die Wiederherstellung des Kündigungsschutzes. Die Verschlechterung der Arbeitnehmerrechte hat hier keine Beschäftigungseffekte gebracht,
({3})
anders als von der Wirtschaft versprochen. Aber weil
wieder der Einwurf „Natürlich!“ kommt: Damals wurde
ein Beschäftigungspotential von 500 000 zusätzlichenArbeitsplätzen prognostiziert.
({4})
Fakt ist, daß im Handwerk heute 135 000 Personen weniger beschäftigt sind als zum Zeitpunkt der Einschränkung des Kündigungsschutzes.
({5})
- Natürlich, da kann auch die Konjunktur „geholfen“
haben. Ich wehre mich bloß gegen diesen schnellen
Schluß, daß der Wegfall des Kündigungsschutzes zusätzliche Arbeitsplätze bringe ({6})
zumindest dann, wenn gleichzeitig Instrumente vorhanden sind, die es jedem Betrieb, ob klein oder groß, erlauben, bei Neueinstellungen Befristungen bis zu 24
Monaten vorzusehen und in diesem Zeitraum dreimal zu
verlängern.
({7})
- Sie wollen das nicht? Ich nehme das gerne zur Kenntnis, daß diese Ausweitung der Regelung im Beschäftigungsförderungsgesetz nicht mehr gewollt ist. Vielleicht
kommen wir einmal darauf zurück.
({8})
Wirtschaftlicher Erfolg kann nur von motivierten
Mitarbeitern erzielt werden. Ein wesentlicher Motivationsfaktor ist die Gewißheit, zumindest vor willkürlicher
Kündigung geschützt zu sein.
({9})
Um diese Entlassungen zu verhindern, sorgen wir nun
dafür, daß Betriebe mit mehr als fünf Mitarbeitern wieder dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen. Teilzeitbeschäftigte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis
zu 20 Stunden werden künftig als halbe Arbeitskräfte
berücksichtigt. Ausnahmen, daß Beschäftigte mit bis zu
10 Stunden Wochenarbeitszeit als eine viertel Arbeitskraft angerechnet werden, entfallen.
({10})
- Mit diesen Präzisierungen wollen wir verhindern, daß
Arbeitgeber zur Umgehung des Kündigungsschutzes nur
Arbeitnehmer mit geringfügigem Arbeitsstundenumfang
beschäftigen.
({11})
Wir stärken die Rechte der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer auch in einem Bereich, in dem sie einem
besonderen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind, nämlich
in der Baubranche. Deshalb heben wir die Befristung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf. Hierzu besteht
im übrigen auch eine europarechtliche Verpflichtung.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wird nun effizienter. Dazu gehört insbesondere auch die neue Rechtsverordnungsermächtigung.
({12})
Dabei geht es uns nicht, wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in der ersten Debatte gesagt haben, um einen Eingriff in die Tarifautonomie. Genau das
Gegenteil ist der Fall.
({13})
Die vorgesehene Änderung trägt vielmehr zur Stärkung
der Tarifautonomie bei.
({14})
Sie sagen, die Sachverständigen seien sich da nicht
einig gewesen. Anschließend wird mein Kollege Wiesehügel sprechen, der damit Erfahrungen gemacht hat. Er
ist ein Sachverständiger aus der Praxis. Er ist als Vertreter einer Tarifvertragspartei angetreten, sich mit der
anderen Tarifvertragspartei darauf zu verständigen, in
den untersten Lohngruppen einen Mindeststundenlohn
von 18,60 DM zu vereinbaren. Dann sind sie zum Tarifausschuß gegangen. Eine Nichttarifvertragspartei, nämlich die BDA, hat dann erklärt: Das, was die Tarifvertragsparteien vereinbart haben, akzeptieren wir nicht.
Die haben den Lohn zu senken. - Damit hat die BDA in
die Tarifautonomie eingegriffen.
({15})
Dann ist befristet ein neuer Mindestlohn von 17 DM angesetzt worden. Das hat den Herren aber immer noch
nicht gepaßt. Dann haben die Verhandlungen - nicht
zwischen den Tarifvertragsparteien, sondern geführt
vom BDA-Präsidenten, begleitet vom damaligen Arbeitsminister - zu weiteren Absenkungen geführt. Dafür,
daß solche Tarifeingriffe nicht mehr erfolgen, werde ich
kämpfen!
({16})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Singhammer?
Ja.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die Behörde, die dieses Gesetz zu einem guten Teil vollziehen und seine
Einhaltung kontrollieren soll, nämlich die Bundesanstalt
für Arbeit, bei der Anhörung des Deutschen Bundestages mehrfach erklärt hat, daß das Gesetz in der vorliegenden Weise - mit Kontrolle von Tarifgittern und einer
Fülle von Einzelheiten - nicht vollziehbar ist, und daß
Sie hiermit im Begriff sind, einen klassischen Papiertiger aufzulegen?
({0})
Ich bin nicht die Tarifpolizei.
({0})
Auch die Bundesanstalt ist keine Tarifpolizei. Die Tarifvertragsparteien haben nach dem Tarifvertragsgesetz die
Einhaltung ihrer Tarifverträge zu überwachen.
({1})
Weil sie nach Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes Tarifautonomie haben, werden wir sie davor schützen, daß Tarifeingriffe von Tarifaußenstehenden erfolgen.
({2})
Um auf Ihre Frage zu antworten, Herr Singhammer:
Es geht bei der Regelung nicht darum, die Einhaltung
von Tarifverträgen zu kontrollieren - weder von der
Bundesanstalt für Arbeit noch von uns; das ist Aufgabe
der Tarifvertragsparteien -, sondern es geht einzig darum, daß die Tarifautonomie - gerade im Bereich der
Bauwirtschaft, und zwar im Rahmen des Entsendegesetzes - überhaupt bestehen und vollzogen werden kann.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
PDS - Widerspruch bei der F.D.P. - Zuruf
von der SPD: Seminar Arbeits- und Tarifrecht,
Teil 2!
Mit der Generalunternehmerhaftung führen wir ein
Instrument ein, das in der Vergangenheit im übrigen
auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, gefordert wurde. Ich erinnere hier nur an Ihre Offensive für mehr Arbeitsplätze und gegen Schwarzarbeit in der Bauwirtschaft vom Juni 1997, die, wie so
viele andere Vorhaben, leider am Widerstand Ihres damaligen Koalitionspartners gescheitert ist; sonst müßten
wir das heute nicht machen.
Zu einer Belastung der kleinen und mittleren Betriebe
wird es nicht kommen. Die Generalunternehmer werden
in Zukunft wieder verstärkt Aufträge an zuverlässige
kleine und mittlere Unternehmen vergeben, von denen
sie wissen, daß sie die gesetzlichen Bestimmungen einhalten.
({3})
Sie sehen also: Der heutige Tag ist nicht nur ein ungewöhnlicher, sondern auch ein Tag der Freude.
({4})
Er ist ein Tag der Freude für 6 Millionen Beschäftigte das sind rund 20 Prozent aller Beschäftigten -, für die
die Entgeltfortzahlung bisher nicht per Tarifvertrag geBundesminister Walter Riester
regelt ist und die heute sagen können: Wenn wir krank
werden, werden wir nicht mehr abgestraft.
({5})
Er ist ein Tag der Freude auch für rund 2 Millionen
Beschäftigte in kleinen Betrieben mit 5 bis 10 Beschäftigten, deren Kündigungsschutz am 1. September nächsten Jahres sonst ersatzlos gestrichen worden wäre.
({6})
Er ist auch ein Tag der Freude für die vielen Rentnerinnen und Rentner, die jetzt wissen, daß ihre Renten im
nächsten Jahr - wie auch in der Vergangenheit - mindestens im Rahmen der Nettolohnentwicklung angehoben
werden.
({7})
Bei so vielen Gewinnern möchte man eigentlich gar
keine Verlierer haben. Deswegen möchte ich die Opposition einladen, dem Korrekturgesetz mit zuzustimmen.
({8})
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Wiesehügel.
Herr Singhammer, ich
will Ihnen, weil ich darum gebeten worden bin, kurz
schildern, wo die Tarifautonomie tatsächlich gefährdet
war und was jetzt repariert wird.
Nachdem wir mehrere Tarifverhandlungen mit den
zuständigen Arbeitgebern geführt haben, war ich in der
letzten Phase gezwungen, mit Herrn Hundt Tarifverhandlungen zu führen - so richtig mit dem Taschenrechner -, und zwar nach dem Motto: Entweder verhandelst du mit mir - obwohl er ist nicht Vertreter einer Tarifvertragspartei, sondern des Zentralverbandes ist; dieser hat eine Dachfunktion und schließt üblicherweise
keine eigenen Tarifverträge ab -, entweder finden wir
jetzt eine niedrige Marke, oder es gibt keinen Mindestlohn. Das war die Sprachregelung. Das bedeutet einen
Eingriff in die Tarifautonomie, der jetzt repariert werden
soll.
({0})
Herr Kollege Wiesehügel, nur damit das für die Zukunft klar ist: Eine
Kurzintervention ist möglich zu den Äußerungen des
Redners,
({0})
aber nicht zu den Zwischenfragen, die von anderen
Kollegen gestellt werden. Ich will nur rechtzeitig darauf
hinweisen, damit wir uns künftig genau an die Geschäftsordnung halten. Ich denke, dafür finde ich hier im
Hause auch Verständnis.
({1})
Ich gebe jetzt der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Riester
hat hier einmal mehr vor diesem Hause gesagt: Die Arbeitslosenzahlen sind nicht zurückgegangen. Ich glaube, das muß ein Anlaß sein, hier noch einmal sehr deutlich zu machen, wie die Bilanz aussieht, damit das auch
für die nächsten Jahre festgeschrieben ist.
({0})
Diese Bilanz hat - übrigens auch gestern - wieder
gezeigt, daß wir auf dem richtigen Weg waren.
({1})
- Bleiben Sie nur ruhig! Hören Sie sich das ruhig an!
Das wird sich durch Ihr Geschrei nicht verändern. - In
den letzten 9 Monaten ist es uns gelungen, die Arbeitslosenzahl um 850 000 zu senken. Keine Rede von Ihnen
oder jemand anderem wird daran etwas verändern.
({2})
Das ist ein Rückgang wie nie zuvor.
({3})
Jetzt möchte ich etwas Besonderes hervorheben: Gerade die Zahl der jungen Arbeitslosen, derjenigen unter
25 Jahren, ist immerhin um 44 000 zurückgegangen.
Das sind Vorgaben, an denen sich diese Koalition messen lassen muß. Machen Sie das erst einmal nach!
({4})
Sie verkünden hier immer wieder - auch Sie eben,
Herr Riester - dieses gute Programm zum Thema Jugendarbeitslosigkeit. Sie unterlassen dabei - das zieht
sich wie ein roter Faden durch all das, was Sie machen -,
zu fragen: Was sind denn die Ursachen dieses Problems?
({5})
In meinem Arbeitsamt sagt mir der zuständige Arbeitsamtsleiter: Das Schlimme an der Jugendarbeitslosigkeit
ist, daß ich die Jugendlichen gar nicht vermitteln kann;
sie sind nicht vermittelbar.
({6})
Das macht deutlich, daß wir Defizite in Bereichen haben, in denen überwiegend Ihre Länder die Hausaufgaben nicht gemacht haben: in der Schulpolitik, in der Bildungspolitik, dort, wo die Verantwortung dafür liegt.
({7})
Frau Kollegin
Schnieber-Jastram, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Niebel?
Ja.
({0})
Vielen Dank. - Frau Kollegin,
verstehe ich Ihre Aussage, die Sie eben gemacht haben,
richtig, daß Sie der Ansicht sind, daß manche der jugendlichen Arbeitslosen, die wir alle in den Arbeitsmarkt integrieren wollen, auf Grund Ihrer schulischen
Vorbildung nicht ausbildungsfähig sind und daß die Defizite in diesem Bereich zu finden sind?
Sie haben
mich sehr richtig verstanden. Die schulische Ausbildung
in den Ländern, insbesondere in den von SPD und Grünen regierten Ländern, ist eine Katastrophe.
({0})
- Dies ist objektiv richtig und, Herr Gilges, sehr wohl
ablesbar an den Zahlen aus den jeweiligen Ländern. Ich
darf Ihnen sagen: Schauen Sie sich die Zahlen an. Ich
weiß nicht, wo Sie zur Schule gegangen sind. Vielleicht
fehlt Ihnen da etwas.
Was sich diese neue Regierung zur Zeit im Bereich
der Sozial- und Steuerpolitik erlaubt, das kann man in
der Tat - das ist schon sehr vornehm gesagt - nur als
Chaos bezeichnen, wirklich nur als Chaos. In Gesprächen mit Menschen aus meinem Wahlkreis heißt es immer: Nun laßt doch die Regierung erst einmal machen.
Laßt sie doch erst einmal etwas tun. Wartet doch ab, was
passieren wird.
({1})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bin mit denen einer
Meinung. Grundsätzlich ist einer solchen Schonfrist nur
zuzustimmen. Aber eine neue Regierung muß sich natürlich auch an ihren selbstgesteckten Zielen messen lassen. Wenn es hier um konkrete Maßnahmen geht, nämlich um ein Mehr an Beschäftigung und um ein - was
Sie im Wahlkampf immer so gerne verkündet haben Mehr an sozialer Gerechtigkeit sowie um die Arbeitslosen, also um persönliche Schicksale, dann müssen Sie
sich schon gefallen lassen, daß wir Ihnen keine Schonfrist einräumen.
({2})
Nicht nur für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sondern auch für die Öffentlichkeit muß dieses Chaos
der neuen Regierung hier sehr deutlich gemacht werden.
({3})
Ich will das gerne an einem Beispiel festmachen, nämlich an dem schönen Beispiel der 620-Mark-Jobs. Hier
kann man eine Abfolge von Versprechen, von Rücknahmen, von Ankündigungen und von Verschiebungen
beobachten. Von Abschaffung des Wildwuchses, Herr
Riester - das ist ja das, was Sie gerade gesagt haben -,
kann hier überhaupt keine Rede sein.
Wir können uns alle an den Gesetzentwurf der SPD
zur Senkung der Geringfügigkeitsgrenze auf zirka
85 DM in der letzten Legislaturperiode erinnern. Am
9. November 1998 gab es einen Gesetzentwurf der Koalition: Senkung auf 300 DM. Die Pauschalsteuer soll
erhalten bleiben. Am 10. November 1998 schlägt Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung auch
die Senkung auf 300 DM, Aufhebung der Pauschalsteuer und Rücknahme des Gesetzentwurfes vom Vortage vor. Am 16. November 1998 liegt ein Gesetzentwurf zu Korrekturen in der Sozialversicherung ohne Regelung in diesem Bereich, ohne Regelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vor. In der Fraktionssitzung der SPD am 17. November 1998 wird
- man höre und staune - Bundesminister Lafontaine
aufgefordert, bis zum Abend des 19. November 1998 ein
Konzept vorzulegen. Am Mittag des 19. November 1998
- eine unvergessene Aktuelle Stunde im Deutschen
Bundestag ({4})
verkündet Herr Schröder seinen Vorschlag zu den 620Mark-Jobs: keine Senkung der Geringfügigkeitsgrenze
und eine Verschiebung von der Pauschalsteuer hin zu
den Sozialversicherungsbeiträgen. Das heißt, neun Tage
nach der Regierungserklärung gibt es die Rücknahme
der Ankündigungen aus der Regierungserklärung. Sie
haben da ein bißchen viel erklärt.
({5})
Unter „Verstetigung“, Herr Bundesminister Riester,
verstehe ich jedenfalls etwas anderes. Nicht nur wir,
sondern auch die Menschen draußen im Lande wissen,
daß es sich hier um Chaos handelt.
({6})
Dieses Chaos wäre noch zu verkraften, wenn wenigstens
die richtigen Maßnahmen getroffen würden. Das Wort
„richtig“ heißt im Zusammenhang mit den 620-MarkJobs: Mißbrauch der 620-Mark-Beschäftigungsverhältnisse bekämpfen, die Alterssicherung gerade der Frauen
fördern, wie Sie und viele Frauen es immer gewollt haben,
({7})
und Beseitigung der Mauer zwischen geringfügiger Beschäftigung und sozialversicherungspflichtiger Teilzeitarbeit.
({8})
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Andres?
Ja.
Frau Schnieber-Jastram, ist Ihnen schon aufgefallen, daß das hier zur Beratung anstehende Gesetz überhaupt keine Regelung zu dem Thema
„620-Mark-Jobs“ enthält?
({0})
Darf ich das mit der Frage verbinden, wann Sie sich
endlich in Ihren langen Ausführungen dem Gegenstand
des Gesetzes zuwenden wollen?
({1})
Lieber
Herr Kollege Andres, ich danke Ihnen für die Frage. Ich
habe mir ein Beispiel an dem Bundesminister für Arbeit
genommen, der mit allgemeinen Aussagen zum Arbeitsmarkt und zu den 620-Mark-Jobs begonnen hat.
Vor diesem Hintergrund ist es mein gutes Recht, auf Ihren Minister hier entsprechend zu reagieren.
({0})
Frau SchnieberJastram, gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja.
Habe ich Sie richtig verstanden, Frau Kollegin, daß Sie im Bereich der 620-DMGesetze durchaus Regelungsbedarf sehen? Ich habe Sie
eben in diesem Zusammenhang über die notwendige
Alterssicherung reden hören. Deswegen möchte ich Sie
fragen: Wenn das so ist, warum haben Sie die zurückliegenden Jahre nicht genutzt, um den Mißbrauch einzudämmen und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen? Warum fällt Ihnen das erst heute ein?
({0})
Ich danke
Ihnen auch für diese Frage, weil sie mir Gelegenheit
gibt, dies deutlich zu machen. Wir haben uns damals in
einer Koalition befunden, wie Sie sich auch in einer Koalition befinden. Wir haben durchaus unterschiedliche
Einstellungen zu dieser Thematik gehabt. Wir haben viel
zu lange in diesem Bereich diskutiert,
({0})
aber wir haben unter dem Strich keine Mehrheit in der
damaligen Koalition bekommen können. So war das.
Aber im Ergebnis war es immer noch ehrlicher, als das,
was Sie probieren,
({1})
daß Sie nämlich null Absicherung für die Frauen bringen. Sie sind es doch gewesen, die im Wahlkampf und
über Jahre und Jahrzehnte hinweg dies wie eine Monstranz vor sich herumgetragen haben und es allen Leuten
versprochen haben. Jetzt sage ich: Versprechen gebrochen.
({2})
Jetzt will ich zu einem weiteren Aspekt kommen. Ich
freue mich, daß in der gemeinsamen Erklärung zum
Bündnis für Arbeit der Ausbau und die Förderung der
Teilzeitarbeit genannt sind. Allerdings sind die Festlegungen des Bundeskanzlers zu den 620-Mark-Jobs
überhaupt nicht geeignet, den fließenden Übergang in
Teilzeitbeschäftigung zu ermöglichen. Gerade ein für
die Wirtschaft und auch für die Arbeitnehmer so wichtiger Aspekt wie eine Neuregelung für diesen Bereich
hätte Bestandteil des Bündnisses für Arbeit sein müssen.
Eine Vorfestlegung, wie sie der Kanzler getroffen hat,
allein wegen der Sanierung der Kranken- und Rentenversicherung ist unseriös. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das ist und bleibt so und dient überhaupt nicht
den Bemühungen im Bündnis für Arbeit um mehr Beschäftigung.
Es ist schon sehr bezeichnend - und das sollten Sie
sich einmal auf der Zunge zergehen lassen -, wenn
andere Unionsabgeordnete und ich nicht nur von Gewerkschaftsseite, sondern auch von SPD-Landtagsabgeordneten heute, wenige Wochen nach der Wahl, um
Unterstützung gebeten werden, um das Vorhaben ihres
Bundeskanzlers Schröder zu verhindern. Ich zitiere einmal aus einem solchen Brief auch etwas ausführlicher,
weil ich denke, daß es Ihnen gut tut, dieses mitzuverfolgen:
Die Beibehaltung der geringfügigen Beschäftigung
hat auch weiterhin zur Folge, daß kaum sozialversicherungs- und steuerpflichtige Teilzeitarbeit bis ca.
1 500 DM angeboten wird und damit vielen eine
Beschäftigungschance verbaut wird. Der Prozeß,
der bekämpft werden soll, die Erosion von sozialversicherungspflichtigen Normalarbeitsverhältnissen wird festgeschrieben und in den neuen Bundesländern noch angeheizt.
Eine Aussage eines sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten. Das sollten Sie sich zu Herzen nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Soziale Kompetenz, angemessene Alterssicherung,
insbesondere für Frauen - für den Fall, daß Sie das vergessen haben; dies haben sicherlich nicht alle von Ihnen,
wenn ich einige Kolleginnen sehe -, waren die Stichworte des Kanzlers im Wahlkampf. Ich frage Sie noch
einmal: Was ist daraus geworden? SPD-Landtagsabgeordnete wenden sich hilfesuchend an die Union, um
diese Ziele zu verwirklichen. Bürger und Gewerkschaften wundern und fragen sich: Was haben wir für eine
SPD an die Regierung gewählt? Was ist da los?
({4})
Gestatten Sie, Frau
Kollegin Schnieber-Jastram, eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Peter Dreßen?
Die Frage
des Abgeordneten Dreßen hat mir in der Runde noch gefehlt. Ja.
Ich habe doch darauf gewartet.
Spaß beiseite, Frau Kollegin, Sie haben wahrscheinlich
keine unbegrenzte Redezeit. Wann kommen Sie einmal
zu den Vorstellungen, die im Gesetz stehen, zu den
Themen Lohnfortzahlung, Rente, zum Entsendegesetz,
zum Kündigungsschutz? Dies sind alles Themen, die im
Gesetz stehen. Was wir in den letzten 20 Minuten gehört
haben, steht nicht in diesem Gesetz, sondern ist in einem
Gesetz, das wir im April beraten. Können wir zu dem
jetzt anstehenden Gesetz einmal die Vorstellung der
CDU hören? Sind Sie für die Lohnfortzahlung im
Krankheitsfalle? Sind Sie dafür, daß wir bei den Renten
Verbesserungen vornehmen? Wie sieht hier die Vorstellung der CDU aus? Vielleicht können Sie in den
letzten Minuten darauf eingehen.
({0})
Lieber
Herr Dreßen, ich wäre sehr froh, wenn Sie uns immer so
zuhörten, wie ich es an dieser Stelle tue. Ich komme
jetzt zu dem Gesetzentwurf und zur Verabschiedung.
({0})
Ich hätte das sicher auch ohne Ihren Hinweis getan, weil
mir das in der Tat am Herzen liegt.
Ich beginne mit der Analyse des Problems der
Scheinselbständigkeit. Wir sind uns ja einig - ich habe
das in der letzten Debatte schon deutlich gemacht -: Es
gibt eine große Zahl von Arbeitnehmern, die von ihren
Arbeitgebern in eine vorgebliche Eigenständigkeit gedrängt werden - und das sehr häufig, damit sie eben keine Sozialabgaben zahlen müssen. Die Folgen liegen auf
der Hand: mangelnde Altersabsicherung, mangelnde
Krankenversicherung, kein arbeitsrechtlicher Schutz.
Das Problem ist ganz lange bekannt. Es gab in der letzten Legislaturperiode Anhörungen dazu. Diese haben
allerdings ergeben, daß sich die bisherige Abgrenzung
zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen auf der
Grundlage des Bundesarbeitsgerichtes doch eher bewährt hat und daß es Grund gab, sie beizubehalten.
Denn die Kriterien sind in der Tat flexibel genug, um
auch neue Tätigkeitsformen zutreffend einzuordnen. Es
handelt sich dabei unstrittig um einen sehr großen Fragenkatalog, der einer Gesamtbetrachtung unterworfen
wird.
Was Sie aber vergessen, ist die Tatsache, daß Ihr
übertriebener Generalisierungs- und Bürokratisierungsbedarf nicht zum Ziel führen wird. Das ist meine Prognose an dieser Stelle. Denn es handelt sich in Wirklichkeit um eine Vielzahl von Einzelfällen, die nicht
nach durchgängigem Schema behandelt werden sollten:
Verkaufsfahrer, Franchise-Unternehmer, Frachtführer,
Telefonvermittler, Pharmaberater, EDV-Berater, Musiker, Dozenten, was auch immer Sie wollen. Deswegen
sage ich Ihnen: Was Sie hier vorgelegt haben - im übrigen mit dem Schnellschuß, den wir dann im Ausschuß
noch zu diskutieren hatten -, ist überhaupt nichts
Brauchbares. Das ist Politik auf der Überholspur, die regelmäßig an der Leitplanke endet. Ihre Gesetze fliegen
eines nach dem anderen aus der Kurve und bringen es
nicht mal mehr auf eine Halbwertzeit von zwei Wochen.
({1})
Sie gehen mit dem Entwurf wie mit Ihrer ganzen
Politik auf eine ganze Gruppe los, die wir im Interesse
unserer Wirtschaft eigentlich schützen und fördern
müßten: die jungen Selbständigen. Sie machen den
Gang zum Sozialamt leichter als den Gang in die Selbständigkeit.
({2})
Das ist das, was Sie sich auf die Fahnen schreiben können.
({3})
Ich will Ihnen eines sagen: Zu dem ganzen Kram und
Ärger, mit dem ein junger Unternehmer in der Existenzgründungsphase belastet ist, kommt jetzt noch, daß man
beweisen muß, daß man wirklich selbständig ist. In einer
Umfrage wurden Unternehmer gefragt, was für sie am
schwierigsten sei. An erster Stelle stand die Finanzierung, an vierter Stelle der bürokratische Aufwand. Ich
befürchte, unter Ihrer Regierung wird sich das Verhältnis umdrehen.
Ich möchte, weil ich finde, daß dies wirklich perfide
ist, noch eines sagen: Sie haben sich ja mit der Regelung für arbeitnehmerähnliche Selbständige etwas
einfallen lassen. Wer mit diesem Begriff nicht so viel
anfangen kann, dem möchte ich sagen, daß er eine Vielzahl von Vertretern umfaßt, zum Beispiel den allen bekannten und ganz sympathischen Herrn Kaiser von der
Hamburg-Mannheimer. Herr Kaiser nämlich soll jetzt
endlich in die gesetzliche Rentenversicherung einbezoBirgit Schnieber-Jastram
gen werden. Bislang konnte er ja wählen zwischen der
privaten und der gesetzlichen Altersversorgung. Was
sich die rotgrüne Koalition jetzt hat einfallen lassen, ist
folgendes:
({4})
Wenn Herr Kaiser und seine vielen Kollegen nicht bis
gestern - ich wiederhole: bis gestern - einen Lebensoder Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen haben,
dann sind sie nun automatisch in der gesetzlichen Rentenversicherung und kommen auch nie wieder heraus.
({5})
Und das Ganze in Form eines kurzfristig eingebrachten
Änderungsantrags im Ausschuß, den viele Betroffene
überhaupt noch nicht haben mitbekommen können.
({6})
Ohne Übergangsfrist, ohne Vorwarnung überfällt diese
Regierung eine ganze Bevölkerungsgruppe und zwingt
sie in ein bestimmtes Altersversorgungssystem.
({7})
Sie bietet ihnen nicht die Wahlmöglichkeit. - Ich darf
Ihnen sagen: Wir leben hier in einem freien Land mit
freien Wahlverhältnissen.
({8})
Ich hätte an dieser Stelle gern auch noch mal zum
Entsendegesetz Stellung genommen. Leider bleibt mir
die Zeit nicht. Ich hoffe, daß die anderen Kollegen das
nachholen.
Ich darf Ihnen sagen: Wir werden Ihrem Gesetz nicht
zustimmen - das wird Sie nach diesen Ausführungen
nicht überraschen -, weil wir es für wirklich unverantwortlich halten. Auch in der Sozialpolitik - wie vielleicht auch in der Umweltpolitik - stellt sich manchmal
die Frage der Nachhaltigkeit. Wenn Sie wollen, daß soziale Sicherungssysteme später auch den jetzt jungen
Menschen noch zur Verfügung stehen, müssen Sie in
anderer Weise mit diesen sozialen Sicherungssystemen
umgehen, sonst haben Sie zwar heute Ihre Klientel bedient, aber für morgen überhaupt nicht vorgesorgt. Diese
Debatte werden wir bei Ihnen anmahnen.
({9})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Annelie Buntenbach vom Bündnis 90/Die
Grünen.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Aufweichung des Kündigungsschutzes - damit will
ich anfangen - und mehr noch die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sind geradezu Symbole
für die verfehlte Politik der Kohl-Ära geworden.
({0})
Mit diesem Affront gegen die Gewerkschaften hat die
alte Bundesregierung das erste Bündnis für Arbeit zum
Scheitern gebracht. Deswegen ist dieses Gesetz heute,
nämlich die Rücknahme dieser Brüskierung der Gewerkschaften, eine wichtige Voraussetzung, um den
Weg zu einem neuen Bündnis für Arbeit, zu Gesprächen auf Augenhöhe, frei zu machen.
({1})
Es ist unsere politische Verantwortung, von dieser
Stelle aus die bestmöglichen Rahmenbedingungen für
dieses wichtige Bündnis für Arbeit zu schaffen, das sich
am Montag zum ersten mal auf Einladung der Regierung
mit dem zentralen Ziel getroffen hat, alle gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln, um die Arbeitslosigkeit zu mindern. Das Bündnis für Arbeit ist nämlich kein Selbstläufer, es ist auch kein Verschiebebahnhof zur Politikvermeidung. Zu den Aufgaben der Politik, die sie nicht aufgeben kann und darf, gehört die Schaffung von fairen
Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Genau dazu leisten
wir heute hier einen Beitrag.
({2})
Mit der Aufweichung des Kündigungsschutzes und
der Kürzung der Lohnfortzahlung hat die alte Bundesregierung nicht nur das erste Bündnis für Arbeit zum
Scheitern gebracht. Sie hat auch offensichtlich gemacht,
daß aus ihren Maßnahmen nicht mehr Jobs entstehen,
sondern weniger soziale Gerechtigkeit entsteht. Wir
wollen mehr soziale Gerechtigkeit. Dazu ist das Gesetz,
das wir hier heute verabschieden werden, ein erster
wichtiger Schritt, dem weitere folgen werden.
({3})
Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit ist nämlich, daß eine Kostensenkung nicht ausgerechnet zu Lasten von
Kranken gehen darf, sondern daß Krankenstände in den
Betrieben über die Verbesserung von Arbeitsbedingungen verringert werden müssen. Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit ist, daß nicht immer mehr Menschen ohne
einen angemessenen Schutz vor Kündigung in ständiger Furcht vor einem Jobverlust leben und arbeiten müssen, daß das Invaliditätsrisiko nicht privatisiert wird und
daß deshalb die Einschnitte bei der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente sofort wieder zurückgenommen werden.
({4})
Dazu gehört auch, daß wir im Zusammenhang mit
den Weichenstellungen bei der Ökosteuer ab dem
1. April 1999 die Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent senken können. Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit ist auch,
daß wir die Weichen zu einer Rentenstrukturreform
stellen, die besonders die unsteten Erwerbsverläufe von
Frauen besser absichern will, und daß wir die Weichen
zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stellen.
({5})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Schemken?
Weil es der Abgeordnete Schemken ist, bitte
sehr.
Frau Kollegin Buntenbach, halten Sie insbesondere im Hinblick darauf,
daß Sie hier mit Verve für die Rente für Frauen eintreten, die zukünftige Regelung zum 620-Mark-Vertrag für
richtig?
({0})
- Das Gesetz ist deshalb mit einbezogen - das darf ich
dann kurz erklären -, weil Sie in die Reform der Rente,
die Sie jetzt gleich beschließen, indem Sie die von uns
geschaffenen Regelungen zurücknehmen, auch die Beiträge aus den 620-Mark-Verträgen einrechnen. Das haben wir im Ausschuß so behandelt. Halten Sie es für gerecht, daß davon Rentenversicherungsbeiträge einbehalten werden, aber die Frauen davon keinen Nutzen in
Form eines Rentenbezugs haben?
({1})
Wir haben heute nicht die Regelung zu den 620DM-Verträgen auf dem Tisch.
({0})
- Hören Sie doch bitte auf! Das ist wirklich furchtbar. Wenn ich von der Rentenstrukturreform spreche, dann
rede ich davon, daß wir hier den Weg dazu ebnen und
daß das Ziel dieser Rentenstrukturreform genau eine eigenständige Absicherung von Frauen innerhalb der sozialen Sicherung sein soll und sein muß. Dazu gehört für
mich, daß jede dauerhafte Beschäftigung in die Sozialversicherung einbezogen wird.
({1})
Dazu gehört auch der Einbezug von Scheinselbständigen in die Sozialversicherung. Was wir heute vorlegen,
das ist ein erster Schritt. Die konkrete Regelung zu den
620-DM-Verträgen werden wir im Januar zu diskutieren haben.
Aus meiner Sicht ist es so, daß wir einen vernünftigen
Vorschlag zur Problemlösung an drei Kriterien zu messen haben.
Zum ersten: Wie weit können wir der Erosion der Sozialkassen entgegentreten, die große Ausmaße angenommen hat?
Zum zweiten: Wie können wir die Wettbewerbsverzerrungen in dem Bereich beseitigen? Da haben Sie uns
eine wirklich umfangreiche Erblast hinterlassen.
Zum dritten: Wie können wir den eigenständigen Zugang von Frauen zu sozialer Absicherung sicherstellen?
An diesen Kriterien wird sich die Lösung des Problems geringfügiger Beschäftigung orientieren müssen.
Ich hoffe, daß wir das in einem Schritt schaffen. Ansonsten werden wir das als Zielrichtung selbstverständlich
festhalten müssen, gerade wenn es darum geht, jede Beschäftigung in die Sozialversicherung mit einzubeziehen.
({2})
Gestatten Sie eine
zweite Frage des Kollegen Schemken?
Ja, bitte.
Vielleicht habe ich
meine Frage nicht präzise genug gestellt. Im Hinblick
auf das sozialstaatliche Prinzip, daß wir, Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, im dualen System zahlen, möchte ich
Sie fragen: Halten Sie den Gesichtspunkt, daß man in
diesem Fall in die Kasse einer Solidargemeinschaft,
nämlich in die Rentenkasse, einzahlt und keine Rente
bekommt, insbesondere gegenüber den Frauen, die in
starkem Maße von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen betroffen sind, für sozialstaatlich gerecht?
Herr Kollege Schemken, wenn ich jetzt so präzise auf etwas eingehen sollte, was zwar in Eckpunkten
vorgestellt worden ist, aber als Gesetzentwurf heute
nicht zur Debatte steht und einfach noch nicht vorliegt,
dann würde ich damit weder Ihnen noch mir, noch der
Öffentlichkeit einen Gefallen tun, weil dann nämlich
Mißverständnisse darüber produziert würden, was präzise Gegenstand dieses Gesetzentwurfes, den wir in der
Tat im Januar hier zu debattieren haben, ist. Natürlich
gehe ich davon aus, daß, wenn Frauen in die Rentenversicherung einzahlen, wenn jemand Beiträge zur Rentenversicherung leistet, daraus auch Ansprüche entstehen.
({0})
Ich werde jetzt versuchen, den Argumentationsfaden
wieder aufzunehmen. Uns geht es darum, mit diesem
Gesetz mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen. Ein
Schritt in diese Richtung - mehrere andere Schritte habe
ich vorhin schon benannt - besteht darin, daß wir diejenigen, die von Arbeitgebern, die sich um ihren Anteil an
sozialer Verantwortung und Sozialversicherungskosten
drücken wollen, in die Scheinselbständigkeit abgedrängt
worden sind, wieder in den Schutz der Sozialversicherung einbeziehen.
Ein Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit ist auch,
daß wir versuchen, mit einem verbesserten Entsendegesetz dem Lohn- und Sozialdumping auf den Baustellen
Einhalt zu gebieten und diejenigen zur Rechenschaft zu
ziehen, die sich noch an übelster Ausbeutung eine goldene Nase verdienen.
({1})
Oft genug habe ich in den letzten Wochen gehört, soviel
soziale Gerechtigkeit könnten wir uns doch gar nicht leisten, weil es vorrangig um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehe. Das widerspricht sich keineswegs.
Im Gegenteil, es gehört vielmehr unmittelbar zusammen; denn unsere Politik muß und wird sich am Zuwachs von Beschäftigung und an gesellschaftlicher Integration statt an Ausgrenzung orientieren.
({2})
Ich halte die Grundbehauptung von angebotsorientierter Politik, die die F.D.P. auch heute wieder hier ausgebreitet hat, nämlich Arbeitslosigkeit lasse sich nur im
Sinne einer Folgewirkung wirtschaftlicher Effizienz
vermindern, und wirtschaftliche Effizienz wiederum sei
nur um den Preis der gesellschaftlichen Ungleichheit zu
haben, schlicht für falsch. Wo sind all die neuen Arbeitsplätze, die die Aufweichung des Kündigungsschutzes bringen sollte?
({3})
Von 500 000 neuen Jobs hatten die Vertreter des Mittelstandes geredet; inzwischen beschäftigt das Handwerk
trotz der von ihm gewünschten Gesetzesänderungen
nicht mehr, sondern weniger Menschen. Daraus kann
man - wie einige Handwerksfunktionäre oder die F.D.P.
- den Schluß ziehen, das Tempo beim Lauf in die falsche Richtung müsse verdoppelt werden, oder man kann
- wie wir - diese ungerechte Regelung, die gerade die
Beschäftigten in kleineren Betrieben und in Betrieben,
in denen die Tarifbindung nicht gilt, trifft, zurücknehmen. Wenn es wirklich um Neueinstellungen ginge, bei
denen am Anfang die dauerhafte Einstellung noch nicht
sicherzustellen wäre, und nicht darum, wie man Leute
möglichst preiswert los wird, würden dafür allemal die
zahllosen Möglichkeiten, befristete Einstellungen vorzunehmen, ausreichen.
Befristete und prekäre Beschäftigungsverhältnisse
prägen doch mittlerweile geradezu den betrieblichen
Alltag. Wird gleichzeitig noch der Kündigungsschutz
aufgeweicht, dann arbeitet man praktisch dauerhaft unter
den Bedingungen der Probezeit.
({4})
Das hat erhebliche Folgen für die betriebliche Demokratie. Wer traut sich schon, während der Probezeit,
wenn draußen die Leute für den Job Schlange stehen,
dem Chef zu widersprechen oder gar zu versuchen, mit
anderen im Betrieb gemeinsam Interessen durchzusetzen? Dabei brauchen wir Menschen, die ihre Lebensund Arbeitsbedingungen mit Engagement selbst gestalten und den Mut haben, sich einzumischen. Deshalb
müssen wir die Möglichkeiten betrieblicher Mitbestimmung besser absichern und ausbauen sowie das
Betriebsverfassungsgesetz entsprechend modernisieren. Dafür müssen wir den Menschen als erstes wieder
einen verbesserten Schutz vor Kündigungen gewährleisten.
({5})
Lassen Sie mich ein letztes Argument zum Kündigungsschutz anführen. Es ist vielfach belegt, daß Unternehmen um so mehr in die Qualifikation ihrer Beschäftigten investieren, je länger sie diese zu beschäftigen beabsichtigen. In den USA ist zum Beispiel die Teilnahme
gering Qualifizierter an innerbetrieblichen Qualifizierungsmaßnahmen in den letzten 15 Jahren erheblich zurückgegangen. Britische Unternehmen investieren im
internationalen Vergleich nur einen minimalen Anteil
ihres Umsatzes in die Qualifikation ihrer Beschäftigten.
Schon diese wenigen Beispiele aus Ländern mit sehr gering ausgebautem Kündigungsschutz zeigen, daß Deregulierung hier der völlig falsche Weg ist.
Nun geht der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden werden, über die reine Rücknahme von Fehlentscheidungen der vorigen Legislaturperiode hinaus.
Wären wir dabei stehengeblieben, hätte die Opposition
gesagt: Die haben ja gar nichts Eigenständiges zu bieten.
Jetzt, wo wir darüber hinausgehen, werfen Sie uns, wie
Frau Schnieber-Jastram eben, einen Schnellschuß vor.
Ich kann Sie beruhigen: Sowohl zum Problem Scheinselbständigkeit als auch zum Thema Entsendegesetz das wissen Sie genauso gut wie ich - haben wir aus der
Opposition heraus in den vorigen Jahren schon entsprechende Anträge gestellt. Es hat dazu ausführliche Debatten gegeben. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat dazu zuletzt im Sommer 1997 eine Expertenanhörung veranstaltet.
Daß gerade in der Zunahme von Scheinselbständigkeit ein ganz großes Problem liegt, hatten auch die bisher im Arbeitsministerium Verantwortlichen schon erkannt. Sie hatten nämlich eine umfangreiche Studie
beim IAB in Auftrag gegeben, die deutlich macht, daß
es sich bei solchen Beschäftigungsverhältnissen keineswegs mehr um ein Randphänomen handelt oder daß alles so, wie es ist, schon bestens wäre. Fast eine Million
Menschen arbeiten nämlich hauptberuflich in der Grauzone zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit. Ungefähr anderthalb Million Menschen tun es
nebenberuflich. Daß von seiten der CDU/CSU, obwohl
Sie das genauso gut wie wir wissen, trotzdem bis zum
heutigen Tage keine Vorschläge auf dem Tisch liegen,
wie das Problem angegangen werden kann, sollten Sie
nicht uns vorwerfen.
({6})
Sie, meine Damen und Herren von den ehemaligen
Regierungsfraktionen, haben das Problem verschleppt;
und dadurch, daß Sie nicht gehandelt haben, haben Sie
in dieser Frage genau wie in der Frage der geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse den Prozeß der Erosion der
sozialen Sicherung noch beschleunigt. Wenn Sie sich
jetzt beschweren, daß wir zu schnell seien, dann liegt
das an dem immensen Problemdruck, den Sie uns hinterlassen haben.
({7})
Um wen geht es eigentlich, wenn wir über Scheinselbständigkeit sprechen? Es geht doch nicht um den
wagemutigen Yuppie oder Besserverdienenden, der davon ausgeht, daß seine Ellbogen und Finanzreserven
ausreichen, um sich auf eigene Rechnung durchs Leben
zu schlagen. Es geht beispielsweise um den Lkw-Fahrer,
der vorher bei einer Spedition gearbeitet hat und nun für
ebendiese Spedition als Selbständiger auf eigenes wirtschaftliches Risiko fährt. Seinen Lkw kauft oder least er
von seinem früheren Arbeitgeber. Die Vertretung für
den Fall von Urlaub und Krankheit muß er selbst organisieren und die Reparaturen selbst tragen. An seiner Arbeit dagegen ändert sich nicht viel; er bleibt weiterhin
abhängig.
Ein anderes Beispiel. Es geht um die Propagandistin,
die in einem Warenhaus auf eigene Rechnung beispielsweise für die Vermarktung einer Kosmetikserie
zuständig ist. Es geht um die selbständige Regalauffüllerin oder um die Kellnerin, die an der Theke Kaffee und
Kuchen kauft, um sie am Tisch weiter zu verkaufen.
({8})
- Es stimmt leider nicht, daß die gegenwärtige Rechtslage alles wunderbar abdecken würde, Frau Schwaetzer.
Wenn das so wäre, dann müßten Sie die Frage beantworten können, wie es kommt, daß nach wie vor fast eine Million Menschen in dieser Grauzone arbeiten.
({9})
Sie wissen doch genauso gut wie ich, daß in diesem Bereich die soziale Sicherung immer mehr auseinanderbricht. Wenn wir hier nicht einschreiten, werden die
Probleme, die Sie uns hinterlassen haben, in ihrem
Ausmaß noch größer werden.
All diese Menschen, von denen ich gerade gesprochen habe, sind zwar der Form nach selbständig, aber sie
haben keinen selbständigen, das heißt: eigenständigen
Entscheidungsspielraum dazugewonnen. Im Gegenteil:
Sie haben etwas ganz Entscheidendes verloren, nämlich
ihre soziale Absicherung. Der Arbeitgeber will die Kosten für die Sozialversicherung sparen und drückt sich
vor der sozialen Verantwortung zu Lasten der Betroffenen und damit letztlich zu Lasten der Allgemeinheit.
Wenn die Betroffenen nämlich ohne soziales Netz sind
und abstürzen, dann fallen sie direkt in die Sozialhilfe.
Im Unterschied zum Profifußballer kann sich die Regalauffüllerin die Investition in die private Alterssicherung nicht leisten. Genau diese Menschen sind es, die
wir wieder in den Schutz der Sozialversicherung einbeziehen wollen.
({10})
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, definiert
folgende Kriterien: die Arbeit für - im wesentlichen einen Auftraggeber, kein eigenständiges Auftreten am
Markt, keine weiteren versicherungspflichtigen Angestellten, das Erbringen von für Beschäftigte typischen
Arbeitsleistungen.
({11})
Wenn mehrere dieser Kriterien erfüllt werden,
({12})
kann vermutet werden, daß es sich nicht um Selbständige, sondern um Arbeitnehmer handelt.
Die Berichte aus der Praxis der Arbeitsgerichte zeigen klar und deutlich - in diesem Punkt frage ich mich,
Frau Schnieber-Jastram, ob wir vorige Woche bei derselben Anhörung anwesend waren -, daß der jetzige Zustand unhaltbar ist. Sie zeigen, wie schwierig und langwierig die Verfahren sind. Sie zeigen ferner, daß eine
Neuregelung, die wir vorschlagen, dringend nötig ist.
Besonders dringend nötig ist die Umkehr der Beweislast, die wir vornehmen. Danach kann zwar ein Arbeitgeber, der kein Interesse an dem sozialversicherungspflichtigen Status seines Arbeitnehmers hat, die
Vermutung aktiv widerlegen, daß es sich um einen Arbeitnehmer und nicht um einen selbständigen Auftragnehmer handelt. Er kann aber nicht mehr - wie bisher durch pure Verweigerung verhindern, daß dieser Status
festgestellt wird und daß er künftig seinen Anteil an der
Sozialversicherung bezahlen muß. Genau das wollen wir
mit diesem Gesetz erreichen.
({13})
Als letzten Komplex möchte ich das Entsendegesetz
ansprechen, das wir mit dem heutigen Gesetz erheblich
verbessern. Von Anfang an war ja die Möglichkeit, mit
diesem Gesetz gleichen Lohn für gleiche Arbeit im
Baugewerbe durchzusetzen, dadurch erschwert, daß es
trotz der Bemühungen von Norbert Blüm und anderen
die Handschrift derjenigen trug, die die Baustellen zum
Experimentierfeld für Lohn- und Sozialdumping machen
wollten. Das Ergebnis war eine Aneinanderreihung von
Halbherzigkeiten: Es war auf zwei Jahre befristet - das
ändern wir heute -; es enthielt keinen Konfliktregelungsmechanismus für den Fall, daß der Branchentarifvertrag
nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden sollte; es
beinhaltete kein wirksames Instrumentarium gegenüber
denjenigen Unternehmern, die sich eine goldene Nase
am Menschenhandel und skrupelloser Ausbeutung verdienen, aber die Bußen, wenn sie erwischt werden, aus
der Portokasse bezahlen können.
Die Voraussetzung dafür, daß das Entsendegesetz
überhaupt in Kraft tritt, ist, daß der Branchentarifvertrag
für allgemeinverbindlich erklärt wird. So wie der Tarifausschuß, der dies tun müßte, zusammengesetzt ist, kann
das dazu führen - genau das hat es schon gegeben -, daß die Arbeitgeberverbände aus branchenfremden Gründen die Allgemeinverbindlichkeitserklärung
blockieren können. Damit entscheiden im Konfliktfall
praktisch sie allein darüber, ob es überhaupt eine gesetzliche Regelung gibt. Angesichts dessen muß sich die
Politik schon fragen lassen, wie ernst sie sich selbst
eigentlich nimmt.
({14})
Entweder hält eine Mehrheit im Parlament eine gesetzliche Regelung für notwendig; dann muß man sie auch
schaffen. Oder es gibt dafür keine Mehrheit; dann
braucht man aber auch kein Gesetz zu machen. Wenn
man aber diese gesetzliche Rahmensetzung für nötig
hält, dann hat die Politik dafür Sorge zu tragen, daß dieses Gesetz auch im Konfliktfall wirksam wird. Genau
das wollen wir heute tun.
({15})
Die Situation am Bau ohne wirksames Entsendegesetz kennen wir doch nur allzu gut: Stundenlöhne zwischen 5 und 10 DM, menschenunwürdige Unterbringung, für die zum Teil - wie in frühkapitalistischen
Zeiten - die Wucherpreise direkt vom Lohn einbehalten
werden. Unfall- und Arbeitsschutz auf diesen Baustellen
sind schlicht eine Farce, illegale Beschäftigung blüht
zwischen Ketten von Sub- und Subsubunternehmern,
Lohnbetrug ist an der Tagesordnung, und die Kollegen
werden gegeneinander ausgespielt. Wir brauchen daher
ein Entsendegesetz, dessen Wirkung sichergestellt ist,
zum einen zum Schutz gegen unerträgliches Lohn- und
Sozialdumping und zum anderen, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern, der sonst die
Grundlage weiter entzogen wird.
In der Anhörung wurden - genau wie heute auch die Fragen gestellt: Ist dieses Gesetz überhaupt verfassungsgemäß? Nimmt sich der Staat nicht gegenüber der
Tarifautonomie viel zuviel heraus?
({16})
Das Ergebnis der Anhörung war ein eindeutiges Nein;
({17})
denn die vorgesehene Verordnungsermächtigung für
das Arbeitsministerium erfüllt die notwendigen Kriterien: erstens, daß die tarifliche Regelung, die verallgemeinert werden soll, von repräsentativen Tarifparteien vereinbart sein muß, zweitens, daß die zwingende Geltung
der Tarifnormen im öffentlichen Interesse geboten erscheint, und drittens, daß sie an jede Veränderung der
Tarifabschlüsse unverzüglich angepaßt wird.
Eine Änderung haben wir allerdings im Beratungsverfahren vorgenommen, die ich kurz erwähnen
möchte.
({18})
Wir haben festgelegt, daß die Voraussetzung für das
Handeln des BMA ein Antrag einer der Tarifparteien ist.
Damit wollen wir deutlich machen, wie wichtig uns die
Priorität der Tarifparteien ist, auch wenn wir künftig
nicht mehr zulassen werden, daß dieses Gesetz durch
branchenfremde Verbandsinteressen blockiert werden
kann.
Die dritte entscheidende Verbesserung des Entsendegesetzes ist neben der Entfristung und dem Konfliktregelungsmechanismus die Durchgriffshaftung für den
Generalunternehmer. Razzien auf den Baustellen fördern zwar Mißstände zutage, wenn auch bei weitem
nicht alle; aber sie bieten keine Ansatzpunkte zur Änderung und treffen die Opfer, nicht die Täter. Der Ansatzpunkt, um etwas zu ändern, liegt beim Unternehmer, den
wir in die Verantwortung nehmen müssen, gerade beim
Generalunternehmer.
Die Spuren illegaler Beschäftigung oder Beschäftigung weit unterhalb des Mindestlohns verlieren sich
im Moment im unübersichtlichen Feld von Sub- oder
Subsubunternehmern bis hin zu dubiosen Briefkastenfirmen, an die Aufträge weitergegeben werden. Zur
Zeit kann sich der Unternehmer gefahrlos mit den entsprechenden Versicherungen des Subunternehmers zufriedengeben, wohlwissend, daß die angebotenen Preise
mit vernünftigen Arbeitsbedingungen und Sozialversicherungspflicht gar nicht zu erbringen sind. Deshalb
brauchen wir jetzt dringend die Durchgriffshaftung für
den Generalunternehmer, gerade auch im Interesse der
vielen kleineren Betriebe, die zu vernünftigen Bedingungen beschäftigen und die in den letzten Jahren
von der Schmutzkonkurrenz vom Markt gedrängt worden sind.
({19})
Es ist heute im Laufe des Vormittags in diesem Hause schon viel von Europa gesprochen worden. Der Weg
dahin geht nicht über Lohn- und Sozialdumping, bei
dem - wie am Bau - die Menschen nach Hautfarbe und
Paß gegeneinander ausgespielt werden. Daraus entstehen nationale Ressentiments und nicht das weltoffene
Europa, das wir anstreben. Wir brauchen verbindliche
und faire Bedingungen am Arbeitsmarkt. Dazu leisten
wir mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden werden, einen wichtigen Beitrag.
({20})
Das Wort hat die
Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer von der F.D.P.Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetzentwurf löst die neue Mehrheit zweifellos Wahlversprechen ein. Aber sie stiftet auch neue Verwirrung und
neue Unsicherheit.
({0})
Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen.
Erstens. Die gesetzliche Regelung der vollen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird in die nächsten Tarifverhandlungen zusätzlichen Streit hineintragen.
({1})
Herr Bundesarbeitsminister Riester, Sie haben eben gesagt: Die Betriebe sollen die Kostenvorteile, die sie bei
den letzten Tarifverhandlungen herausgeholt haben, behalten. Herr Wiesehügel hat bereits angekündigt, daß er
sich in den nächsten Tarifverhandlungen wieder die Leistungen zurückholen will, bei denen er das letzte Mal,
als über die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
verhandelt wurde, nachgegeben hat. Wir stellen also
fest: Auch diese Regelung führt wieder zu einer Verteuerung der Arbeit in Deutschland und zweifellos nicht
zu Neueinstellungen.
({2})
Zweitens. Die Wiedereinführung der undifferenzierten Sozialauswahl bei Entlassungen im Betrieb wird
die Betriebe zwingen, hochmotivierte und hochqualifizierte Arbeitnehmer zu entlassen, nur weil sie unverheiratet sind.
({3})
Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. Wenn Sie sich damit einmal beschäftigen würden, würden Sie das erkennen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, auch
Sie müßten eigentlich Briefe erhalten haben, in denen
darauf hingewiesen wird, daß Unternehmen ihre Investitionen verschieben bzw. nicht tätigen und daß Arbeitnehmer, die im Rahmen dieser Investitionen bereits eingestellt wurden, wieder entlassen werden, weil die Unternehmen mit der Verschärfung des Kündigungsschutzes nicht zurechtkommen.
({4})
Drittens. Das Aussetzen der Regelungen, die die
Rente auch in Zukunft sicherer machen sollen, ohne zu
sagen, was Sie anders machen wollen, zeigt, daß Sie
sich in der Opposition schlecht auf die Regierungsübernahme vorbereitet haben. Sie sagten zwar, Sie seien bereit; aber Sie sind eben nicht bereit. Sie wußten, was Sie
nicht wollten; aber Sie können nicht sagen, was Sie
wollen. Das ist zuwenig für eine Regierung.
({5})
Viertens. Sie beklagen, daß Ihnen keine Schonfrist
von 100 Tagen gegeben wird.
({6})
- Das hören wir hier doch andauernd. - Hinsichtlich der
Neuregelung der Sozialversicherungspflicht für arbeitnehmerähnliche Selbständige werden wohl auch
bei Ihnen Anrufe und Briefe angekommen sein. Zumindest die Ausschußvorsitzende Frau Barnett hat in diesem
Zusammenhang eine Menge Briefe an uns weitergeleitet. Solche Briefe gehen bei uns ständig weiterhin ein.
Diese Flut von Protestbriefen, aber auch die verunsicherten Anrufer sollten Ihnen eigentlich klarmachen: Es
wäre besser gewesen, Sie hätten 100 Tage zum Denken
benutzt.
({7})
Mit dieser Neuregelung - das meine ich wirklich sehr
ernst; ich bin sicher, daß wir darüber noch diskutieren
werden - präsentieren Sie gerade der von Ihnen so umworbenen Neuen Mitte ein böses Geschenk unter dem
Weihnachtsbaum. Denn Sie strafen praktisch ohne Ausnahme alle diejenigen ab, die sich entschlossen haben, in
die Selbständigkeit zu gehen.
({8})
Sie zwingen sie alle in die Sozialversicherung. Ich lasse
jetzt einmal offen, ob Sie das ausschließlich aus ideologischen Gründen tun oder deshalb, weil die Sozialversicherungskassen Geld brauchen. Da sind Sie ja ganz offen. Sie sagen: Die Sozialversicherungskassen brauchen
Geld, und wir wollen ihnen dieses Geld verschaffen.
({9})
Sie zwingen all diejenigen - zum Beispiel Versicherungsagenten oder Agenten von Bausparkassen - in die
Sozialversicherung, die über Jahrzehnte selbständig gewesen sind und es seit Jahrzehnten gewohnt sind, selbst
für ihre soziale Sicherung zu sorgen. Sie trocknen darüber hinaus das Versorgungswerk der Versicherungen
aus, weil die Jungen, die am Anfang ihrer Berufstätigkeit stehen, dort nicht mehr hineinkommen. Denn
zwangsweise müssen sie in die gesetzliche Sozialversicherung.
({10})
- Ich habe mir den Gesetzentwurf, so wie Sie ihn beschlossen haben, heute noch einmal durchgesehen. Unterhalten Sie sich doch einmal mit denjenigen, die ihre
Versicherung bis gestern abgeschlossen haben mußten.
Alle diejenigen, die das ab morgen tun wollen, können
dies nicht mehr. Sie sind vielmehr zwangsversichert.
Das ist die Ideologie, die wir nicht akzeptieren. Nicht
einmal Proteste von Ihnen nahestehenden Kreisen haben
Sie bisher erschüttert. Selbst die IG Medien waren, was
diese Regelung betrifft, bei der Anhörung sehr zögerlich,
Ihnen überhaupt zuzustimmen. Sie haben Sie gewarnt.
Der Deutsche Journalisten-Verband sieht - im übrigen zu Recht - die Künstlersozialversicherung gefährdet und protestiert dagegen, daß in Zukunft Arbeitgeberund Arbeitnehmeranteile von den Künstlern allein zu
tragen sind, was sie in der Künstlersozialkasse nicht
müssen. Da sind sie zwangsabgemeldet, weil sie in der
Sozialversicherung zwangsangemeldet werden. Das alles haben Sie zu verantworten. Sie konnten aber nicht
einmal begründen, warum Sie das tun.
Der WDR sieht - im Auftrag von ARD und ZDF die Rundfunkfreiheit gefährdet, weil seine programmgestaltenden Mitarbeiter - das habe ich nicht erfunden, das
ist auch Ihnen zugegangen -, die immer als Selbständige
angesehen wurden und angesehen werden wollten, nun
plötzlich arbeitnehmerähnliche Selbständige mit ungewollter teurer Sozialversicherungspflicht werden.
({11})
Darüber hinaus hat der WDR zu Recht die Befürchtung,
daß die nächste Klagewelle auf Einstellung auf ihn zurollt, damit wenigstens Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag vom Auftragnehmer nicht mehr allein zu zahlen
sind.
Selbst so uneigennützige Menschen wie die in den
sogenannten Lohnsteuerhilfevereinen sehen ihre Existenz bedroht. Lohnsteuerhilfevereine - das müßte Ihnen
doch etwas sagen. Hier arbeiten Menschen, die kleinen
Leuten helfen, ihre Lohnsteuererklärung zu machen. Sie
bekommen dafür eine geringe Gebühr. Diese Menschen
werden ab dem 1. Januar sozialversicherungspflichtig
und müssen Beiträge zahlen für etwas, was sie überhaupt nicht brauchen und nicht haben wollen.
({12})
- Sie schreiben Ihnen doch, daß sie das nicht wollen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie
wollten etwas Gutes tun für Frauen. Sie haben aber das ist ernst gemeint - die Diskussion darüber verweigert. Sie haben im Ausschuß auf keine unserer Fragen
geantwortet.
({13})
Sie schaden damit vor allen Dingen den Frauen im
Osten. Viele von ihnen haben vor zwei, drei Jahren keine andere Chance gesehen, als sich eine selbständige
Existenz aufzubauen. Sie sind noch nicht in der Lage,
das zu tun, wozu Sie sie jetzt zwingen. Sie fühlen sich
von Ihnen bevormundet.
({14})
Ich finde, das ist nicht sozial, sondern nur noch arrogant.
({15})
In ländlichen Regionen haben sich in den vergangenen zwei Jahren eine Menge von Call-Centern eingerichtet. Dies ist für viele Frauen dort - zum Beispiel in
Niedersachsen - die einzige Chance, überhaupt Geld zu
verdienen.
({16})
- Dann machen Sie es anders! - Diese Frauen werden ab
dem 1. Januar oder 1. Februar wieder zum Arbeitsamt
gehen, weil die Unternehmer, über deren Qualität man
sicherlich streiten kann, ihr Geschäft ganz schnell nach
Holland verlegen. Die Frauen, die dort bisher gearbeitet
haben, gehen in die Arbeitslosigkeit.
Herr Riester hat vorhin gesagt: „Dies ist ein Tag der
Freude“. Ich sage Ihnen: Es ist kein Tag der Freude für
all diejenigen, die durch Ihre Regelungen ihren Arbeitsplatz und ihre Verdienstmöglichkeiten verlieren werden.
({17})
Aber all das gilt nichts, wenn Ideologie in den Vordergrund geschoben wird. Dabei ist in der Anhörung
doch wirklich klar geworden, daß die Fälle von Mißbrauch und von tatsächlicher Scheinselbständigkeit mit
dem geltenden Recht und der gegenwärtigen Rechtsprechung befriedigend zu regeln sind. Das Eismann-Urteil
zeigt das. Dieses Eismann-Urteil zeigt auch, daß die
jetzt vorliegende gesetzliche Regelung überflüssig ist,
denn es wird in der Begründung genau das bringen,
worauf sich anschließend jeder berufen kann und auch
berufen wird. Das heißt, es ist mit einem Schlag alles
weg, weshalb Sie glaubten, diese Regelung machen zu
müssen.
({18})
Sie hatten sich ja offensichtlich ein Denkverbot verordnet. Heben Sie dieses Denkverbot auf!
Lassen Sie endlich die Diskussion in den eigenen Reihen, aber auch mit uns zu!
Am Verlauf der Diskussion über die 620-DM-Jobs
sieht man, daß es keine einfachen Lösungen gibt. Wenn
man einfache Lösungen präsentiert, wie Sie das tun,
dann entstehen dabei so viele Fehler, daß die Regelung
nicht tragfähig ist.
({19})
„Neues Spiel, neues Glück“ hätte man fast sagen können. Wir warten darauf, was Sie mit all dem, was nicht
geht, in den nächsten Monaten anfangen. Dann stehen
wir selbstverständlich auch als Dikussionpartner für das,
was geht, zur Verfügung.
Fünftens. Auf verfassungsrechtlich dünnem Eis bewegen Sie sich mit der Entscheidung, den Arbeitsminister mit bisher nie gesehener Machtfülle auszustatten.
Der Bundesarbeitsminister erklärt ein ganzes Tarifgefüge für allgemeinverbindlich. Die Bundesanstalt für
Arbeit ist selbstverständlich von ihrem Gesetzesauftrag
her in der Pflicht, das zu überprüfen.
({20})
Dazu haben die aber erklärt, daß sie sich nicht als Tarifpolizei sehen. Sie machen die Bundesanstalt für Arbeit
mit der Verabschiedung dieses Gesetzes zur Tarifpolizei,
({21})
oder aber Sie akzeptieren, daß Ihr eigenes Gesetz nicht
angewendet wird. Das aber können Sie nicht wollen.
({22})
Darüber hinaus möchte ich im Interesse von Arbeitnehmern auf vorhandenen Arbeitsplätzen sehr ernsthaft
zu bedenken geben: Es kann nicht in Ihrem Interesse
liegen, die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von
Tarifverträgen auch in Regionen vorzunehmen, in denen
nur eine Minderheit von Betrieben den Arbeitgeberverbänden beigetreten ist. Sie haben das getan, weil sie
sonst nicht überlebensfähig sind. Wenn Sie die Regelung jetzt so weit ausdehnen, wenn Sie sie jetzt für allgemeinverbindlich erklären, dann nehmen Sie sehenden
Auges in Kauf, daß Arbeitsplätze abgebaut werden
({23})
und daß diese Arbeitsplätze mit Mitarbeitern von Tochterunternehmen großer Baufirmen aus dem Ausland
besetzt werden, aber nicht mehr von deutschen Arbeitnehmern.
({24})
Genau das, Herr Wiesehügel, wird mit Ihrer Generalunternehmerhaftung in den ostdeutschen Bundesländern passieren. Die großen Firmen werden ihre
Töchter aus dem Ausland für sich arbeiten lassen, weil
die als einzige die Gewähr bieten, daß sich der Generalunternehmer auf rechtlich einwandfreiem Eis bewegt.
Die Mittelständler im Osten werden in die Röhre gucken,
und die Arbeitsplätze werden zuhauf kaputtgehen. Darüber werden wir noch sprechen, da bin ich ganz sicher.
({25})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben angekündigt, eine offene Diskussion über die Zukunft der sozialen Sicherung und der
Arbeitsmarktbedingungen in Deutschland zu führen. Ich
hätte mir gewünscht, daß wir über dieses Gesetz schon
ausführlicher hätten diskutieren können. Leider ist das
nicht möglich gewesen, weil Sie darauf bestehen, Qualität durch Schnelligkeit zu ersetzen. Tempo ist keine
Leistung, und dies ist nicht im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Danke.
({26})
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat Frau Dr. Heidi Knake-Werner.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin
Schwaetzer, ich wundere mich schon ein wenig darüber,
daß Sie sich so über die Hektik des Gesetzgebungsverfahrens empören. Das, was wir von Ihrer Seite geboten
bekommen haben, hat das bei weitem übertroffen.
({0})
Da bin ich doch wirklich ganz andere Dinge gewohnt.
Ich möchte zu den Kollegen der rechten Opposition
insgesamt sagen: Wenn ich Sie heute reden höre, dann
empfehle ich Ihnen dringend, sich Gedanken um Ihr
Kurzzeitgedächtnis zu machen.
({1})
Sie haben jahrelang zugelassen, daß Frauen in prekäre
Beschäftigungsverhältnisse abgedrängt worden sind,
weil sie keine andere Chance hatten. Jetzt vergießen Sie
hier Krokodilstränen, insbesondere um die Frauen in
Ostdeutschland. Das finde ich wirklich schamlos.
({2})
War es nicht in Ihrer Regierungszeit, daß die Arbeitslosenzahlen ins Unermeßliche gestiegen sind? Ist es
nicht in Ihrer Regierungszeit passiert, daß die Menschen
in Ost und West den Glauben an die soziale Gerechtigkeit verloren haben? Die Quittung dafür haben Sie ja
nun bekommen.
({3})
Ich jedenfalls bin froh über das heute zur Abstimmung vorliegende Gesetz, das im wesentlichen die Aufgabe hat - dem können wir nur zustimmen -, die größten Fehlleistungen der Kohl-Regierung im sozialen und
im arbeitsrechtlichen Bereich zu korrigieren. Ich bin
auch froh darüber, daß sich die Koalition dabei nicht
von den - teilweise äußerst rüden - Attacken aus dem
Arbeitgeberlager hat ins Bockshorn jagen lassen. Das
verdient ein aufmunterndes „Weiter so“ von uns.
({4})
Ob Ihnen etwas Vergleichbares auch beim Bündnis
für Arbeit gelingen kann, darf allerdings bezweifelt
werden. Allein die Tatsache, daß es nach der ersten
Runde zu einem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsfähigkeit aufgeblasen wurde,
({5})
läßt leider nichts Gutes ahnen. Wir haben da in den
letzten Jahren Erfahrungen gesammelt. Während Bundeskanzler Schröder und Arbeitsminister Riester ohne
Vorbedingungen antraten, waren es natürlich die Arbeitgeber, die knallhart konkrete Forderungen formuliert
haben. Sie sind es auch - das macht einen eben so skeptisch -, die als einzige schon nach dem ersten Treffen
mit Geschenkzusagen nach Hause gehen konnten. Die
Senkung der Unternehmenssteuern soll wunschgemäß
um zwei Jahre vorgezogen werden.
({6})
Auch die anderen Verabredungen nehmen auf, was
die Unternehmer eigentlich schon immer gesagt haben,
daß nämlich die Kosten, insbesondere die berühmten gesetzlichen Lohnnebenkosten, gesenkt werden müssen alles im Interesse einer Verbesserung der Innovationsund Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Das ist die
alte Litanei von vorgestern. Wo bleibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Selbstverpflichtung der Industrieverbände, für mehr Ausbildung und mehr Beschäftigung
zu sorgen? Darauf warte ich, und das sind die Bedingungen, die hier formuliert werden müßten, auch von
der Regierung.
Dagegen findet sich in der gemeinsamen Erklärung
der brisante Satz, daß die beteiligten Seiten eine Tarifpolitik anstreben, die den Beschäftigungsaufbau unterstützt. Was ist das nun? Ist dies das von Klaus Zwickel
angekündigte Ende der Bescheidenheit? Oder sind das
die vom Chef des Deutschen Industrie- und Handelstages, Stihl, geforderten Lohnleitlinien? Das kommt dabei
heraus, wenn man Konsensgespräche nur moderiert und
nicht klarmacht, mit welcher Position man dort selber
hineingeht, und nach allen Seiten offen ist.
({7})
Hier können Sie von uns kein aufmunterndes „Weiter
so“ erwarten.
Wenn sich ein Konzept andeutet, zum Beispiel bei
Lafontaine, der die gesetzliche Begrenzung von Überstunden fordert, wenn es zu keiner anderen Lösung
kommt, dann schaltet sich der Kanzler ein. So hat Bundeskanzler Schröder den Finanzminister mit der schnöden Feststellung, das komme sowieso nicht in Frage, zurückgepfiffen. Dann braucht es einen im übrigen auch
nicht zu wundern, wenn sich der Verbandsvertreter des
BDI in einer Talkrunde bei Sabine Christiansen damit
hervorwagt, gesetzgeberisches Handeln mit einem terroristischen Banküberfall gleichzusetzen. Was ist das für
ein Demokratieverständnis? Ich muß schon sagen: Von
dieser Seite scheint noch einiges zu erwarten zu sein,
wenn es um den wirklichen Politikwechsel geht.
Das heutige Gesetz ist ein Stück Politikwechsel, weil
es im wesentlichen den groben Sozialabbau und die
Deregulierung der Vorgängerregierung rückgängig machen soll und neue Schutzrechte für die abhängig Beschäftigten installiert. Weder mit der Kürzung der Lohnfortzahlung noch mit dem Abbau von Schutzrechten
sind die Probleme auf dem Arbeitsmarkt von heute zu
lösen; das haben Sie in den letzten Jahren vielfach unter
Beweis gestellt. Die neue Regierung findet hier hoffentlich andere Wege. Es war eben nicht die Kürzung der
Lohnfortzahlung, es war auch nicht die Einschränkung
des Kündigungsschutzes, und es war schon gar nicht die
Verlängerung der Ladenöffnungszeiten, die die notwendigen Beschäftigungseffekte gebracht hätten.
Vorleistungen, insbesondere gegenüber den großen
Unternehmen, wie sie hier in den letzten Jahren zuhauf
beschlossen worden sind, haben dem Arbeitsmarkt
nichts, aber auch gar nichts gebracht. Ich frage Sie weil vorhin, bei der Diskussion um die Lohnfortzahlung,
davon wieder die Rede war -: Was haben die eigentlich
mit den 15 Milliarden DM gemacht, die sie durch die
Kürzung der Lohnfortzahlung eingespart haben? Ein
Sonderprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit jedenfalls haben sie damit nicht geschaffen.
({8})
Das aber wäre ein Weg gewesen, der unser aller Unterstützung verdient hätte. Ich hoffe jedenfalls, daß die Regierung daraus die richtigen Konsequenzen zieht und
entsprechende Forderungen an das Bündnis für Arbeit
formuliert.
Einen mutigen Schritt finde ich die Novellierung des
Entsendegesetzes. Endlich läßt sich der Grundsatz
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ realisieren. Hoffentlich gelingt es nun auch besser, gegen
die skandalösen Arbeitsbedingungen auf dem Bau, insbesondere für die ausländischen Arbeitnehmer, vorzugehen. Die PDS hatte dazu einen Änderungsantrag eingebracht. Wir hatten den Wunsch nach Einrichtung von
Anlauf- und Beratungsstellen, weil wir die Information
und damit die Handlungs- und Rechtssicherheit der
ausländischen Kollegen gerne verbessern wollten. Leider haben sich SPD und Bündnisgrüne dieses Anliegens
nicht annehmen können.
Daß sich die neue Regierung des Mißbrauchs verschiedener Formen von Selbständigkeit annimmt, findet
unsere Unterstützung. Auch wir wollen verhindern, daß
mit der schlichten Umbenennung von abhängig Beschäftigten in Selbständige der Ausstieg aus dem Sozialversicherungssystem immer einfacher wird. Wir wollen die Aushöhlung des Solidarsystems endlich stoppen
und nicht länger zulassen, daß Scheinselbständige gegen
ihren Willen in prekäre und nicht selten existenzbedrohende Arbeitssituationen gepreßt werden. Die Schritte
gegen die Scheinselbständigkeit scheinen uns da der
richtige Weg zu sein.
Insgesamt, so kann ich hier erklären, stimmen wir
dem Gesetzentwurf der Koalition zu, weil er unserer
Meinung nach in die richtige Richtung weist, mehr soziale Sicherheit und mehr Rechtssicherheit für die Beschäftigten schafft.
Aber ich will Ihnen auch nicht vorenthalten, was uns
an der heutigen Beschlußlage wirklich ärgert. Die PDS
hat gleichzeitig mit Ihnen drei Gesetzentwürfe eingebracht, die noch in diesem Jahr hätten verabschiedet
werden können und müssen:
({9})
zur Neuregelung des Schlechtwettergelds und zur
Verhinderung der Feiertagsarbeit bei den Banken. Sie
haben unsere Initiativen schon im Ausschuß blockiert.
Wenn ich jetzt gutmeinend wäre, könnte ich sagen: Na
gut, dies ist der Tatsache geschuldet, daß Sie nach den
ersten Pannen beim Regierungshandeln sich selbst „Entschleunigung“ bei den Reformvorhaben verordnet haDr. Heidi Knake-Werner
ben. Ich bin aber in diesem Falle nicht gutwillig, weil
ich einfach den Gedanken nicht loswerde, daß Sie unsere Initiativen nicht wollten und nicht den Mut haben,
hier im Plenum gegen unsere Initiativen zu stimmen.
({10})
Das finde ich einfach unakzeptabel.
Wenn Sie uns und die Betroffenen „auf die Nudel
schieben“ wollen, indem Sie erst einmal einen Bericht
der Regierung einfordern, dann sage ich Ihnen ganz
deutlich: Im letzten Winter waren Sie nicht auf einen
Bericht der Regierung angewiesen, um festzustellen, daß
die heutige Schlechtwettergeldregelung das Heuern und
Feuern auf dem Bau im Winter nicht stoppen kann.
({11})
Insofern können Sie uns nicht überzeugen. Eine schnelle
Lösung wäre hier bitter notwendig gewesen.
Auch daß Sie die Abstimmung zur Feiertagsöffnung
von Banken verhindert haben, finde ich skandalös und
unakzeptabel, aus sozialen und aus kulturellen Gründen.
Das Ergebnis kennen Sie alle. Sie waren sich darüber im
klaren, daß diese Gesetzesregelung am 1. Januar 1999 in
Kraft tritt. Sie wissen, daß es zu einer höheren Belastung
der Beschäftigten in den Banken kommen wird, und Sie
wissen, daß dies einen Angriff auf die kulturellen Werte
unserer Gesellschaft bedeutet. Die Börse hat ja bereits
ihre neuen Öffnungszeiten verkündet - Sie konnten das
alle in der Presse nachlesen -; Sie können jetzt wirklich
stolz darauf sein, daß es mit Ihrer Hilfe munter weitergeht auf dem Weg zur Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft.
Ich finde das sehr bedauerlich.
Um mit Herrn Minister Riester zu sprechen, der vorhin davon geredet hat, daß es bei diesem Gesetz viele
Gewinner gibt: Mit uns gemeinsam hätten Sie die Zahl
der Gewinner noch erhöhen können. Da hätten wir gerne
mitgemacht.
Vielen Dank.
({12})
Ich gebe das Wort
der Abgeordneten Ute Kumpf, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Es gibt Tage, da gewinnt man, und es gibt
Tage, da läuft es einfach schlecht.
({0})
Frau Schwaetzer, die SPD ist bereit, und sie ist sogar
vorbereitet. Deswegen können wir heute Millionen von
Menschen mit der Lohnfortzahlung, die wir geraderükken, und mit der Sicherung des Kündigungsschutzes eine vorweihnachtliche Freude bereiten.
({1})
Am 27. September 1998 ist es für Sie, also für die
Kollegen und Kolleginnen der jetzigen Opposition, wohl
nicht so gut gelaufen. Ich glaube, da ist irgend etwas
passiert. Die Wählerinnen und Wähler haben Ihnen die
rote Karte gezeigt.
Ich möchte Ihnen hier eine kleine Hilfestellung zur
Vergangenheitsbewältigung geben. Es gibt nämlich
Meilensteine, an denen Ihre Niederlage festgemacht
werden kann. Das meine nicht nur ich, sondern das meinen auch andere; da bin ich in guter Gesellschaft; Heiner
Geißler hat dazu im „Spiegel“ publiziert.
({2})
Solche Meilensteine sind die Lohnfortzahlung und
der Kündigungsschutz.
({3})
- Ich habe gehört: Wenn man oder frau zum erstenmal
redet, dann gibt es einen gewissen „Welpenschutz“. Den
fordere ich für mich jetzt ein.
({4})
Es gibt Daten, die im Rahmen Ihrer Niederlage sehr
wichtig sind - mir liegt es am Herzen, das zu sagen -:
Der 13. September 1996 und der 1. Oktober 1996 waren
Tage, an denen Sie mit Ihren Politikkonzepten bei der
Lohnfortzahlung, beim Kündigungsschutz und bei der
Rente den Konsens in dieser Gesellschaft aufgekündigt
haben. Vor allem Sie, die F.D.P., waren in Ihrer Deregulierungswut - dieses Wort muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - damals verantwortlich dafür, daß
das „Bündnis für Arbeit“ gescheitert ist. Sie haben das
Betonfundament für Ihre Abwahl am 27. September dieses Jahres selbst gegossen.
({5})
Der eigentliche Hammer - so schreibt es Heiner
Geißler in seinem Buch - war die Forderung, die Lohnfortzahlung auf 80 Prozent zu senken, und zwar trotz
massiver Proteste. Ich erinnere daran, daß damals
350 000 Menschen in Bonn demonstriert haben. Es gab
auch in den Betrieben zigtausendfachen Protest. Trotzdem ist die CDU/CSU dem Deregulierungskonzept der
F.D.P. gefolgt, ist eingeknickt und hat die Lohnfortzahlung von 100 Prozent auf 80 Prozent gesenkt. In Ihrer
Deregulierungswut haben Sie sich an einem Kernstück
der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik vergriffen.
Eine kleine Nachhilfe, weil manche das vielleicht
vergessen haben: Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle für Arbeiter wurde 1954 in einem 16wöchigen
Streik in Schleswig-Holstein erstritten. Über 34 000
Menschen, 75 Prozent des Tarifgebietes, haben damals
gestreikt. Dieser Streik gab den Anstoß, die Absicherung
im Krankheitsfalle per Gesetz zu regeln.
Mit Ihrer Entscheidung im Spätsommer 1996 trieben
Sie den ersten Keil in die Gesellschaft und spalteten sie.
Ihnen müßte eigentlich klar gewesen sein, daß das Einsparpotential für Betriebe durch eine gesetzliche Kürzung der Lohnfortzahlung gering ist. Für 80 Prozent der
Beschäftigten galten damals 100 Prozent LohnfortzahDr. Heidi Knake-Werner
lung. Ihre Kürzung - so wurde sie auch verstanden war eine Kriegserklärung an die Gewerkschaften und an
die Beschäftigten in den Betrieben. Entsprechend waren
die Reaktionen.
Sie haben weiter gezündelt und weiter draufgesattelt.
Zur Erinnerung: Sie haben die Arbeitgeber in dem
Glauben gelassen, daß das Gesetz zur Kürzung der
Lohnfortzahlung bestehende Tarifverträge außer Kraft
setzt. Sie schufen damit die Stimmung dafür, daß der
damalige und heutige Daimler-Chef Jürgen Schrempp
meinte, er könnte den Ausputzer und den Vorreiter für
die Arbeitgeber spielen, indem er Tarifvertragsbruch begeht. Mittelständler - CDU/CSU und F.D.P. schwören
ja immer auf den Mittelstand - haben damals gesagt:
Laß die Finger davon!
({6})
Laßt dieses Tarifvertragswerk unangetastet! Wir wollen
keine Kürzung der Lohnfortzahlung im Betrieb haben,
denn das bringt unseren Betrieb durcheinander. Sie sind
weder Jürgen Schrempp gefolgt noch Dieter Hundt,
noch dem DIHT-Vorsitzenden Stihl, weder Chefs von
Bosch noch Pischetsrieder von BMW. Sie haben eben
gesehen, daß diese Kürzung in den Betrieben nur Zoff
und eine demotivierte Belegschaft bringt.
Jürgen Schrempps Tarifvertragsbruch infolge Ihres
Gesetzes - nur zur Erinnerung - hat dem Konzern teure
Bilanzen gebracht - eine Elch-Einheit! Am 1. Oktober
1996 legten mehr als 100 000 Beschäftigte im DaimlerKonzern für einen Tag die Arbeit nieder, und es lief damals schlichtweg nichts mehr. Diese eintägige Arbeitsniederlegung der Daimler-Kolleginnen und -Kollegen
am 1. Oktober kam das Unternehmen genauso teuer zu
stehen, wie die Lohnfortzahlung für ein Jahr - in 1995 gekostet hat, nämlich genau 220 Millionen DM. Karl
Feuerstein, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des
Daimler-Konzerns - auch er dürfte Ihnen kein Unbekannter sein -, hat in einer Veranstaltung ausgeführt,
daß an diesem Tag der erste Anstoß für Ihre Abwahl gegeben wurde und daß Schrempp damit indirekt die
größte Wahlkampfhilfe für die SPD geliefert hat.
({7})
- Nur behutsam!
Noch mal an die Adresse der CDU: Wenn Sie Ihr Ohr
und vor allem Ihr christdemokratisches Herz bei den
Betroffenen hätten, müßte Ihnen sehr schnell klar sein,
warum solche berechtigten Emotionen bei der Kürzung
der Lohnfortzahlung im Spiel sind. Von einer Kürzung
auf 80 Prozent sind vor allem langfristig Kranke,
Schwangere, Behinderte betroffen. Jeder weiß, daß weder der Vermieter auf einen Teil seiner Miete verzichtet
und nur noch 80 Prozent verlangt, noch daß die Versorgungsunternehmen eine Kürzung ihrer Rechnungen akzeptieren - auch sie verlangen für Gas, Wasser und
Strom nicht weniger, wenn man krank ist -, geschweige
die Ärzte. Das heißt, man muß dann genauso viel löhnen
wie im gesunden Zustand.
Es wird von den Menschen nicht nur als sozial ungerecht empfunden, es ist auch schlichtweg ungerecht,
wenn Manager und die Führungsriegen, die das Kürzen
propagieren, bei Krankheit keine finanziellen Einbußen
befürchten müssen - und das für einen Zeitraum von
mehr als anderthalb Jahren -,
({8})
getreu nach dem Motto: Sie predigen Wasser und trinken Wein.
Ihre Position, die Kürzung auf 80 Prozent sei sozialpolitisch gerechtfertigt, ordnungspolitisch notwendig
und wegen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
unumgänglich, sieht den Faktor Arbeit nur als Kostenstelle und nicht als Wertschöpfungsträger und operiert
vor allem mit einem Beschäftigtenbild, daß Arbeitnehmer potentielle Blaumacher, Drückeberger und Krankmacher seien und daß nur durch Einschüchterung und
vor allem finanziellen Druck dem Krankenstand in den
Betrieben beizukommen sei.
Ich empfehle Ihnen zur Revidierung Ihres Menschenbildes eine kleine Fortbildung. Sie haben wahrscheinlich
genauso wie ich von den Betriebskrankenkassen eine
Einladung bekommen. Am 20. Januar können Sie sich
schlau machen zum Thema „Betriebliche Gesundheitspolitik und partnerschaftliche Unternehmenskultur“, hier
insbesondere zu dem spannenden Teil „Mitarbeiterorientierter Führungsstil und Senkung von Krankenständen“. Das ist der richtige Weg, um den Krankenstand zu
senken.
({9})
„Wenn Unternehmen Zukunft haben sollen“ - so
formulierte es der VDMA-Ehrenpräsident Leibinger am
Montag in Stuttgart bei der Tagung „Wirtschaft trifft
Wissenschaft“ -, muß es - und jetzt zitiere ich ein innovatives Gesamtkunstwerk im globalisierten
Wettbewerb sein. Partizipation, Motivation und
mitarbeiterzentrierter Führungsstil sind unerläßlich,
um die Belegschaften zu Höchstleistungen zu führen.
Dieser auf die Beschäftigten konzentrierte Führungsstil
muß durch die Politik begleitet werden, so das Credo
des VDMA-Präsidenten.
Wir als SPD schließen daraus: Dazu gehört für die
Beschäftigten auch eine arbeitsrechtliche wie sozialpolitische Sicherheit, die den Kopf und das Herz für die Arbeit frei macht. Konsens und Kooperation sind die innovativen Schlüssel für die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen, die auch in Zukunft tragfähig sind. Konfrontation, Ausgrenzung und soziale Unsicherheit für
viele und Bevorzugung weniger sind Führungs- und
Politikkonzepte von gestern und daher schlichtweg
megaout.
({10})
Das gleiche gilt auch für die 1996 erfolgten Einschränkungen des Kündigungsschutzgesetzes. Beim
Kündigungsschutzgesetz findet man das gleiche Strickmuster: Arbeitsplätze wurden in Aussicht gestellt; aber
das Handwerk - das wurde heute schon gesagt - verUte Kumpf
weist selbst darauf, daß das Ergebnis mager ist. 20 000
Arbeitsplätze sind es. Dem stehen 135 000 Arbeitsplätze
gegenüber, die abgebaut wurden. Aus der versprochenen
Flut wurde ein sanftes Rinnsal. Nach dem Auslaufen der
nur noch bis September 1999 geltenden Bestandschutzregelungen droht nun - neben einem arbeitsmarktpolitischen Fehlschlag - darüber hinaus für rund 2 Millionen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Verlust des
allgemeinen Kündigungsschutzes. Wenn wir heute das
Rad an dieser Stelle zurückdrehen, dann heißt dies, einen Schritt nach vorne zu machen.
({11})
Wenn wir heute Ihre sozialpolitische Fehlerproduktion in Sachen sozialer Absicherung wieder ausbügeln und korrigieren, die Lohnfortzahlung wieder auf
100 Prozent anheben, den Kündigungsschutz wieder
sicherer gestalten und den Schwellenwert von zehn auf
fünf Beschäftigte zurückführen, dann heißt das, einen
Beitrag - den wir im Wahlkampf versprochen haben zur Qualitätssicherung in der Sozialpolitik und zur
Ausgestaltung von Arbeitnehmerrechten zu leisten. Das
ist unser Dünger für das „Bündnis für Arbeit“, damit
es im Frühjahr nächsten Jahres möglichst mächtige
Knospen treibt und blüht sowie im Herbst üppige
Früchte trägt.
({12})
Ich bin mir ganz sicher, daß es gelingt. Es gibt hier ein
wunderschönes afrikanisches Sprichwort, das ich ganz
gerne den Bayern mit auf den Weg geben möchte: Viele
Spinnennetze können einen Löwen aufhalten, sogar einen bayerischen.
Danke schön.
({13})
Das war Ihre erste
Rede im Parlament, Frau Kollegin Kumpf. Ich darf Ihnen dazu im Namen des Hauses gratulieren.
({0})
Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Hans-Peter
Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion - ebenfalls ein
Jungfernredner, wenn ich es richtig sehe.
({1})
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Frau
Kollegin Kumpf unterschätzt die Stärke der bayerischen
Löwen.
({0})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich weiß
nicht, welche Wahlversprechen Sie mit diesem Gesetzentwurf halten wollen. Ich weiß nur eines: Das
wichtigste Wahlversprechen, das Sie abgegeben haben,
brechen Sie damit, nämlich das Wahlversprechen, alles
zu tun, um mehr Arbeitsplätze in diesem Lande zu
schaffen.
({1})
Liebe Frau Kollegin Kumpf, passen Sie auf, daß nicht
bald 350 000 oder noch mehr Menschen hier in Bonn
oder in Berlin auf die Straße gehen, um gegen Rotgrün
zu demonstrieren; denn dieses Gesetz, das Sie heute zur
Beratung vorlegen, hätte eigentlich richtigerweise den
Namen „Reformunfähigkeitsgesetz“ verdient.
({2})
Es belegt in dramatischer Weise die Weigerung dieser
neuen Regierung, den von allen Experten beschriebenen
Reformbedarf anzuerkennen. Schlimmer noch: Statt sich
notwendiger Reformen anzunehmen und sie fortzuschreiben, wollen Sie sogar das bisher Erreichte zurückdrehen. Damit werden Sie die sozialen und die arbeitsmarktpolitischen Probleme in diesem Lande nicht lösen.
Das „Reformverweigerungsgesetz“, das Sie heute im
Bundestag verabschieden wollen, ist der Spiegel Ihrer
ideologischen Scheuklappen und Ihrer leichtfertigen
Versprechungen, die Sie abgegeben haben.
({3})
Noch keine drei Wochen ist das Gutachten des
Sachverständigenrates alt. Darin richten die Sachverständigen einen fast beschwörenden Appell an die neue
Bundesregierung. Dieser Appell im Kapitel „Arbeitsmarkt“ lautet: Regulierungsdichte nicht erhöhen! Denn
je mehr Vorschriften und gesetzliche Regulierungen Sie
machen, um so schwerfälliger verläuft der notwendige
Umstrukturierungsprozeß hin zu einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Neue Arbeitsplätze entstehen nur in einer flexiblen, anpassungsfähigen
Volkswirtschaft. Diese neue Regierung aber tut alles,
um vorhandene bzw. gerade erst geschaffene Flexibilität
zu beseitigen. Ich will das an dem Beispiel der sogenannten Scheinselbständigen verdeutlichen, die heute
schon wiederholt angesprochen wurden, dem neuen
Objekt Ihrer Kollektivierungsbegierde.
({4})
Wir haben heute viele Fälle, in denen Arbeitnehmer in
ihren Betrieben mit sehr speziellen Aufgaben betraut
werden und sich spezielle Kenntnisse erwerben: bei der
Softwareberatung, bei spezieller Unternehmensberatung,
bei speziellen Formen des Marketings. In vielen Fällen
entdecken diese Arbeitnehmer, daß es einen Markt für
das gibt, was sie können und geleistet haben. In vielen
Fällen möchten diese Arbeitnehmer sich selbständig
machen. Wenn der Arbeitnehmer dann Glück hat, wird
seine Firma, in der er bisher tätig war, der erste und zunächst vielleicht auch der einzige Kunde sein.
({5})
Oft arbeitet dann sogar die ganze Familie, weil es die
Chance zu ergreifen gilt, eine eigene Existenz zu grünUte Kumpf
den. In Tausenden von Fällen sind durch solche Existenzgründer neue und erfolgreiche Unternehmen im
verabeitenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich
geschaffen worden.
({6})
Wenn Sie sich die Arbeitsmarktberichte anschauen, so
sehen Sie, daß gerade im Dienstleistungsbereich unglaublich viele neue Existenzen und Arbeitsplätze entstehen.
({7})
Das ist die Dynamik, die die Volkswirtschaft braucht.
Diese Dynamik zu unterstützen wäre moderne Wirtschaftspolitik.
({8})
Statt dessen will diese rotgrüne Koalition Existenzgründer im großen Umfang in die Sozialversicherungspflicht pressen. Sie müssen künftig unter großem bürokratischen Aufwand beweisen, daß sie wirklich selbständig sind. Gelingt der Beweis nicht, dann werden ihnen die gesamten Sozialversicherungsbeiträge aufgebürdet, und sie haben kaum eine Chance, im Wettbewerb
erfolgreich zu sein. Das Bleigewicht für den Start in die
neue Existenz hängt ihnen an den Füßen. Liebe Frau
Kollegin Buntenbach, wenn die Beweislast umgekehrt
wird, dann werden die Verfahren tatsächlich kürzer.
Kurz, gnadenlos, arbeitslos - so wird die Reihenfolge
sein.
({9})
Strukturwandel braucht Vertragsfreiheit. Das sagt
der Bundesverband der Freien Berufe. Denn, meine
Damen und Herren, in der Freiheit entwickelt sich Neues und nicht im staatlichen Dirigismus. Doch diese Regierung und diese Koalition tut genau das Gegenteil.
Hinter den großen Sprüchen des Herrn Bundeskanzlers
von der modernen Wirtschaftspolitik verbirgt sich in
Wahrheit der blanke Dirigismus, Wirtschafts- und Sozialpolitik von vorgestern. Die Wahrheit ist: Diese Bundesregierung kratzt das Geld für die Sozialversicherungssysteme überall zusammen. Denn sie hat Versprechungen gemacht zu Lasten der Sozialversicherungen,
für die die Beitragszahler jetzt herhalten sollen. Wenn
die Beitragszahler nicht ausreichen, dann sucht man sich
neue. Das ist Ihr Prinzip. Die Zwangskollektivierung der
Selbständigen dient nicht dazu, Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten, sondern sie dient dazu, Ihre Strohfeuerprogramme und Ihre falschen Versprechungen im
Sozialbereich zu finanzieren.
({10})
Meine Damen und Herren, inakzeptabel ist der Eingriff dieser Regierung in die Tarifautonomie. Ich wundere mich schon etwas über den Kollegen Wiesehügel.
Bisher ist man davon ausgegangen, daß die Tarifautonomie funktioniert. Jetzt sagen Sie, Herr Wiesehügel,
Sie brauchen die Bundesregierung dringend als Helfer.
Sie setzen damit ein falsches Signal. Ich warne Sie nur,
davor, ein Faß aufzumachen, das Sie am Schluß nicht
mehr zukriegen, wenn Sie die Tarifautonomie in dieser
Weise in Frage stellen.
({11})
Ich nehme als erstes das Entgeltfortzahlungsgesetz.
Die Ausgangssituation nach der Gesetzesänderung vor
zwei Jahren war: ein Tag Urlaub für eine Woche Krankheit des Arbeitnehmers. Dann haben die Tarifpartner
und die Tarifparteien gearbeitet und höchst interessante
branchenspezifische Vereinbarungen getroffen: Verrechnung von Krankheitstagen mit Arbeitszeitkonten, tarifvertragliche Paketlösungen unter Einbeziehung von
Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld. Interessante, zielgenaue Regelungen wurden gefunden. Die Tarifpartner
haben sich ihren eigenen Weg gesucht und gezeigt: Die
Tarifautonomie funktioniert.
Jetzt greift Rotgrün ein - ungerecht und willkürlich
nach der bekannten Chaosstrategie. Diejenigen Arbeitnehmer, die sich 100 Prozent Lohnfortzahlung durch
Verzicht in anderen Bereichen sozusagen verdient haben, werden jetzt durch Ihre gesetzliche Regelung benachteiligt. Es geht Ihnen nämlich einzig und allein um
Ihre ideologische Rechthaberei, zum Schaden der Tarifautonomie und zu Lasten der Eigenverantwortung.
Der zweite Angriff auf die Tarifautonomie spielt sich
im Entsendegesetz ab. Die Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung mittels Ermächtigungsgesetz
entmachtet die Tarifpartner und setzt an deren Stelle
staatlichen Dirigismus. Der Sachverständigenrat kritisiert die Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung mit folgenden Worten:
... in den arbeitsintensiven Sektoren ({12}) die
Lohndifferenzierung erschwert ... mit der Folge,
daß gerade in diesen Wirtschaftsbereichen keine
neue Beschäftigung entstehen wird; bestehende Arbeitsplätze können ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren.
Das ist das Urteil von Experten über das, was Sie vorhaben. Es ist genau das Gegenteil von dem, was Sie versprochen haben, nämlich für mehr Arbeitsplätze in diesem Lande zu sorgen.
({13})
Meine Damen und Herren, das Problem ist, daß diese
Regierung und die gesamte Koalition blind für die
eigentlich wichtigste Tatsache im Zusammenhang mit
der Arbeitslosigkeit sind: daß wir eine strukturelle Arbeitslosigkeit haben. Einer strukturellen Arbeitslosigkeit
kann man nur mit hoher Flexibilität begegnen. Zur
Flexibilität gehört auch, Einstellungshindernisse zu beseitigen.
({14})
- Natürlich, das haben wir gemacht.
({15})
- Das hat gewirkt, und das wollen Sie jetzt zurücknehmen. Das ist doch das Problem.
({16})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({17})
Eines dieser Einstellungshindernisse ist nämlich - vor
allem bei kleinen Betrieben - das Thema Kündigungsschutz gewesen.
({18})
Jetzt wollen Sie den Kündigungsschutz wieder verschärfen. Dazu lese ich in der Begründung des Gesetzes:
In seiner Hochrechnung kommt der ZDH auf insgesamt 20 000 Neueinstellungen.
Ich stelle fest: Alle stimmen darin überein, daß es Neueinstellungen auf Grund der Änderung des Kündigungsschutzgesetzes gibt, die Sie jetzt zurücknehmen wollen.
Dann schreiben Sie etwas ganz Merkwürdiges:
Dabei räumt der ZDH
- also der Zentralverband des Deutschen Handwerks ein, daß für das Einstellungsverhalten der Betriebe
letztlich die konjunkturelle Situation ausschlaggebend ist.
({19})
Was denn sonst? Gerade darum geht es doch! Hören Sie
endlich auf, daran zu glauben, Sie könnten mit Gesetzen
Arbeitsplätze schaffen!
({20})
Sie können mit falschen Gesetzen Arbeitsplätze vernichten. Das ist doch der entscheidende Punkt.
({21})
Lieber Herr Kollege, das Problem in diesem Land ist
doch, daß die Konjunktur läuft, daß Wachstum da ist,
daß sich dieses aber nur allzu zögerlich in Arbeitsplätze
umsetzt. Die alte Regierung hat erfolgreich versucht,
Einstellungshindernisse abzubauen. Der Erfolg ist, daß
heute die Arbeitslosigkeit deutlich unter 4 Millionen gesunken ist. Rotgrün fängt jetzt an, diese Einstellungshindernisse wieder aufzubauen.
({22})
- Lieber Herr Gilges, hören Sie einmal zu! - Das Ergebnis wird sein - das sage ich Ihnen heute schon voraus -,
daß künftig noch mehr Überstunden gefahren werden,
anstatt daß Neueinstellungen vorgenommen werden.
Dann kommt der Herr Bundesfinanzminister Lafontaine
und setzt noch einen dirigistischen Höhepunkt drauf: Er
fordert eine gesetzliche Begrenzung der Überstunden.
({23})
- Herr Staatssekretär, ich weiß natürlich, daß der Bundeskanzler sich glücklicherweise bereits dagegen ausgesprochen hat. Aber das ist die zweite Merkwürdigkeit:
daß wir inzwischen schon so weit sind, daß der Bundeskanzler dafür gelobt wird, wenn er sich von dem ständigen Unsinn seines Parteivorsitzenden und Finanzministers distanziert.
({24})
Man muß schon sagen: Dieses Land ist sehr genügsam,
man könnte fast sagen: bescheiden geworden, seitdem
Rotgrün hier in Bonn regiert.
({25})
Nur - bevor Sie sich völlig aufregen -,
({26})
eines prophezeie ich Ihnen heute schon: Je mehr Reformen - das sage ich auch in Richtung der Grünen; die
haben es nämlich ebenfalls nötig - Sie zurücknehmen
und je länger Sie sich gegen notwendige Reformen sperren, um so dramatischer werden später die Einschnitte
werden.
({27})
Sie erweisen diesem Land mit Ihrer falschen Politik
einen schlechten Dienst. Diese Regierung hat es geschafft, innerhalb von zwei Monaten in allen Bereichen
ein absolutes Chaos anzurichten. Ich appelliere an Sie:
Fangen Sie endlich an, Politik im Interesse der Zukunft
unseres Landes zu machen, statt ideologische Zukunftsverweigerung zu betreiben!
Ich danke Ihnen.
({28})
Auch dem Kollegen
Friedrich gratulieren wir zu seiner ersten Rede.
({0})
Nun gebe ich dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb von
der F.D.P. das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich auf einen
wichtigen Punkt der Debatte konzentrieren, bei dem es
auf Grund der Vorlage der Koalition mit Sicherheit viele
Verlierer geben wird und zudem wir, die F.D.P.-Fraktion, deswegen konsequenterweise einen Gegenentwurf
vorgelegt haben. Das Zurückdrehen der Reform des
Kündigungsschutzes, Herr Minister Riester, ist ein
Schnellschuß, der nicht nur keine Arbeitsplätze schaffen, sondern zur Vernichtung Tausender Arbeitsplätze
führen wird - Arbeitsplätze, die nach der Reform des
Kündigungsschutzes und wegen dieser Reform in den
letzten zwei Jahren erst entstanden sind.
({0})
Ich habe in den Ausschußberatungen der letzten Wochen - unwidersprochen; ich betone das - immer wieder
auf die positiven Wirkungen insbesondere der Anhebung des Schwellenwertes hingewiesen: mindestens
20 000 Arbeitsplätze im Bereich des Handwerks und
- nicht zu vergessen - weitere 30 000 Arbeitsplätze im
Bereich der Industrie- und Handelskammern in UnterDr. Hans-Peter Friedrich ({1})
nehmen mit fünf bis zehn Beschäftigten. Das sind keine
beschäftigungspolitischen Peanuts, sondern ganz konkrete Beschäftigungschancen für viele früher Arbeitslose, jetzt Arbeitnehmer, denen durch die Schaffung
von Freiraum für Unternehmer, für diejenigen, die über
mehr zusätzliche Beschäftigung entscheiden, die Chance
eröffnet wurde, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren.
({2})
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, diese Erfolge
überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Es spricht leider viel
dafür, daß diese Arbeitsplätze jetzt schneller wieder verschwinden werden als sie entstanden sind.
Der Kollege Gilges und auch der Herr Minister haben
heute gesagt: Es waren 500 000 Arbeitsplätze versprochen worden; die sind nicht gekommen; deswegen muß
das Ganze wieder weg. Das finde ich schon etwas sonderbar.
Herr Minister Riester, als Herr Späth im Sommer
1996 500 000 Arbeitsplätze versprochen hat, ist er davon ausgegangen, daß eine Steuerreform kommt, die
eine konjunkturstimulierende Wirkung haben wird.
({3})
Die haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD,
verhindert. Ich finde es schon perfide, wenn Sie das jetzt
als Begründung dafür heranziehen wollen, um diese
Neuregelung wieder zurückzudrehen.
({4})
Sie haben auch gebetsmühlenartig wiederholt, Sie
müßten tun, was Sie im Wahlkampf versprochen hätten.
Aber hat nicht Ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder im
Wahlkampf und in seiner Regierungserklärung verkündet, alle Maßnahmen müßten sich daran messen lassen,
welche Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt damit erzielt
würden?
({5})
Ich frage Sie heute: Ist unter Ihnen auch nur einer, der
glaubt, durch die Rolle rückwärts beim Kündigungsschutz würde auch nur ein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen? Nein, Herr Kollege Gilges, so dumm sind Sie
nicht. Aber Sie sind zu feige, sich das einzugestehen. Sie
sind zu feige, den Wählern diesbezüglich die Wahrheit
zu sagen.
({6})
Sie haben, Frau Kollegin Kumpf, Ihren Wahlkampf
mit Gefälligkeitspolitik geführt. Sie sind jetzt im eigenen Netz gefangen. Sie verteilen Streicheleinheiten an
Arbeitnehmer und schlagen dem Mittelstand ins Gesicht.
Sie belasten den Handwerker und den kleinen Einzelhändler mit unkalkulierbaren Risiken.
({7})
Sie tun auch so, als ginge es hier nur darum, wieder
Gerechtigkeit herzustellen und soziale Ungerechtigkeit
zu beseitigen.
({8})
Aber, Herr Kollege Gilges, ist unsere politische Verantwortung nicht etwas anderes, Weitergehendes? Herr
Professor Rüthers von der Universität Konstanz hat dazu
vor kurzem in der „NJW“ geschrieben:
Wann werden die arbeitsrechtlichen Normsetzer die
Erkenntnis umsetzen, daß in einer ... Marktwirtschaft jede soziale Schutznorm eine Doppelwirkung entfaltet: Sie schützt die Inhaber von sozialen
Besitzständen, aber sie schmälert die Chancen derer, die keine geschützte Position haben und „draußen vor der Tür“ bleiben.
({9})
Herr Gilges, genau das ist der Punkt. Opfer Ihrer
Politik beim Kündigungsschutzgesetz sind diejenigen,
die schon jetzt draußen sind und die, weil Sie alles noch
dichter regulieren wollen, auch in Zukunft draußen bleiben werden.
({10})
Ich habe in den Beratungen immer wieder auch darauf hingewiesen, daß in anonymen Großunternehmen
der Kündigungsschutz sehr wohl Sinn macht. Aber in
einem kleinen Unternehmen, das sich durch eine besondere Nähe von Arbeitnehmer und Arbeitgeber und durch
die tagtäglichen Kontakte miteinander auszeichnet, sehen die Dinge anders aus. Ich meine, daß insbesondere
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sich in dieser Frage schon entscheiden müssen. Man kann nicht
gleichzeitig um die Neue Mitte buhlen und die alten
Feindbilder des Klassenkampfes pflegen.
({11})
Man kann nicht gleichzeitig Mittelständler als
Wähler umwerben und mittelständische Unternehmer als
teuflische Ausgeburten des Kapitalismus bekämpfen.
({12})
Ich wäre froh, wenn dem Mittelstand Ihre Reaktion
einmal so deutlich vorgetragen würde.
({13})
Sie sagen: „Neue Mitte“, aber Sie meinen: alte Linke.
({14})
Eines muß man sagen: Der typische Mittelständler
handelt in Personalfragen sehr verantwortungsvoll. Kein
Handwerker entläßt mutwillig einen Mitarbeiter. Er tut
das schon deswegen nicht, weil er genau weiß, daß er im
Bedarfsfall am Markt, wenn überhaupt, kaum wieder
Fachkräfte findet. Herr Minister Riester, Sie haben gesagt, es müsse zumindest erreicht werden, daß Arbeitnehmer vor willkürlicher Kündigung geschützt werden.
Ich glaube, dies ist in kleinen Unternehmen besser als in
anderen Unternehmen gegeben.
({15})
Wir von der F.D.P. erkennen jedenfalls die Leistung
des Mittelstandes als der Jobmaschine unserer Volkswirtschaft an. Wir wollen Freiräume für kleine und
mittlere Unternehmen, damit diese ihr Beschäftigungspotential noch besser ausschöpfen können. Die Reform
des Kündigungsschutzes war und bleibt richtig.
({16})
Wir wollen die positive Wirkung noch verstärken und
den Schwellenwert im Kündigungsschutzgesetz auf 20
anheben. Das wird im übrigen unisono von allen Mittelstandsverbänden unterstützt.
Wer unserem Gesetzentwurf heute nicht zustimmt,
der sollte in Zukunft besser schweigen, wenn in diesem
Hohen Hause über eine gute Politik und über Rahmenbedingungen für den Mittelstand diskutiert wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat die
Kollegin Petra Bläss von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS begrüßt, daß die Regelung
zur Kürzung des Rentenniveaus zurückgenommen werden soll. Wir hoffen, daß die Verschlechterungen bei
den Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten nicht nur
ausgesetzt werden, sondern im Zuge der angekündigten
Rentenstrukturreform tatsächlich zurückgenommen
werden. Hierbei finden Sie unsere Unterstützung, genau
wie bei der Diskussion über ein generelles Renteneintrittsalter von 60 Jahren. Wir haben uns bekanntlich immer für einen breiten Korridor der möglichen Ausstiege
aus der Erwerbsarbeit in die Rente ausgesprochen, weil
wir davon überzeugt sind, daß darin große Chancen zum
Abbau der Arbeitslosigkeit liegen.
Wir haben uns aber auch immer für eine bessere
Alterssicherung von Frauen eingesetzt. Ich frage Sie,
meine Damen und Herren von der Regierungskoalition,
warum Sie das Renteneintrittsalter von Frauen nicht
wieder heruntersetzen wollen. Die Erhöhung des
Renteneintrittsalters für Frauen ist eine der unsozialsten Regelungen der Kohl-Regierung gewesen. Der frühere Renteneintritt für Frauen war zumindest ein gewisser Ausgleich für die Doppelbelastung in Beruf und
Familie.
({0})
Natürlich wissen wir, daß gerade im Westen der Republik viele Frauen ohnehin erst mit 65 in die Rente gehen können, weil ihnen bekanntlich die nötigen Versicherungsjahre fehlen. Daß der Bundesarbeitsminister
nun laut über ein generelles Renteneintrittsalter von 60
Jahren nachdenkt und zugleich zuläßt, daß das Renteneintrittsalter für Frauen erhöht wird, ist tatsächlich ein
ziemlicher Schlag gegen Frauen: Die Neuregelung hat
längst Auswirkungen. Mir sind zahlreiche Fälle bekannt,
in denen Arbeitsämter Frauen, die Arbeitslosenhilfe beziehen und Ende 50 sind, dazu nötigen, einen Rentenantrag zum 60. Geburtstag zu stellen. Das Arbeitsamt verzichtet auf Vermittlungsversuche und zahlt aber bis zum
Renteneintritt keine Beiträge mehr. Das ist der Preis.
Die Frauen verlieren diese Beitragsjahre und nehmen
selbst dann den Rentenabschlag hin, wenn sie unter den
Vertrauensschutz fallen und mit 61 sowieso in Rente
gehen könnten. Am Ende spart das Arbeitsamt, und die
Frauen beziehen eine schmalere Rente.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch bei der Anrechnung von Ausbildungszeiten haben wir von der
rotgrünen Koalition eine Änderung erwartet. Es waren
doch gerade die Frauen, die dazu ermuntert wurden, sich
weiterzubilden und auf dem zweiten Bildungsweg zu
qualifizieren. Sie sind von den gekürzten Anrechnungszeiten bei der Rente besonders hart getroffen. Deshalb
bleiben wir von der PDS dabei: Ausbildung darf nicht
durch Einbußen bei der Rente bestraft werden.
({1})
Auch deshalb beantragen wir heute, die alte Regelung
wieder einzuführen.
Das Rentensystem weist von jeher große Lücken bei
der sozialen Absicherung von Frauen auf. Ich kann hier
nur Stichworte für den notwendigen Reformbedarf liefern: soziale Grundsicherung gegen Altersarmut, Sozialversicherungspflicht für jede geleistete Arbeitsstunde,
bessere Anerkennung von Kindererziehungszeiten sowie
rentenrechtliche Gleichsetzung von häuslicher Pflegetätigkeit mit herkömmlicher Erwerbsarbeit.
Die Lebensleistung von Frauen muß sich in der Rente
niederschlagen. Als ersten Schritt könnten wir heute im
Parlament ein Zeichen setzen und die Erhöhung des
Renteneintrittsalters für Frauen wieder zurücknehmen.
Die PDS hat hierzu einen Antrag vorgelegt. Stimmen
Sie diesem deshalb im Interesse der betroffenen Frauen
zu.
({2})
Das Wort hat der
Abgeordnete Klaus Brandner, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Annähernd 1 Million Menschen in
Deutschland verrichten ihre Erwerbsarbeit in der Grauzone zwischen Selbständigkeit und Arbeitnehmerstatus
- annähernd 1 Million Erwerbstätige, die in persönlicher
Abhängigkeit im wesentlichen nur für einen Arbeitgeber
tätig sind, für die aber keine Sozialversicherungsbeiträge
abgeführt werden. Die Arbeitnehmerrechte dieser Menschen sind ausgehebelt worden. Sie müssen als sogenannte Scheinselbständige zwar alle Risiken eines Unternehmers tragen, aber einen unternehmerischen Spielraum zur freien Gestaltung ihrer Geschäftstätigkeit haben sie nicht, da sie völlig von ihrem Auftraggeber abhängig sind. Darin liegt eine Herausforderung für uns als
neue Parlamentsmehrheit.
Ich habe als Parlamentsneuling heute positiv zur
Kenntnis nehmen dürfen, daß Frau Schnieber-Jastram in
der Analyse der Scheinselbständigkeit völlig mit den
Sozialdemokraten übereinstimmt und auch die Probleme
der Umwandlung von normalen Arbeitsverhältnissen in
scheinselbständige Arbeitsverhältnisse sowie des Lohnund Sozialdumpings sieht. Sie kommt aber nach der
Problemanalyse nicht weiter, weil sie erkennt, daß ein
Abstellen dieses Problems zu kompliziert wird. Was
aber kompliziert zu handhaben ist, das wird ganz einfach
auf die Seite gelegt, liegengelassen und ausgesessen, wie
wir es 16 Jahre lang erfahren durften. Damit ist das Problem nicht gelöst.
({0})
Wir als neue Parlamentsmehrheit wollen den sozialen
Schutz des einzelnen wiederherstellen und die Auszehrung der Sozialkassen verhindern. Wir wollen die Sozialversicherung wieder fit für die Zukunft machen; wir
wollen sie modernisieren, indem wir sie den Veränderungen anpassen und den notwendigen sozialen Schutz
organisieren, und so den Standort Deutschland noch attraktiver machen. Hier hat die abgewählte Regierungskoalition viel versäumt; hier ist viel liegengeblieben, das
es aufzuräumen und zu gestalten gilt. Wir wollen echte
Selbständigkeit mit Nachdruck fördern und Scheinselbständigkeit konsequent bekämpfen.
({1})
Dies ist nicht nur wegen der Erosion der Beiträge zu den
Sozialkassen dringend notwendig, sondern auch, weil
immer mehr Beschäftigte aus normalen Arbeitsverhältnissen in sogenannte Scheinselbständigkeit abgedrängt
werden.
Die Berufsschicksale, die sich hinter diesem Begriff
der Scheinselbständigkeit verbergen, sind so zahlreich
wie die verschiedensten Facetten des Berufslebens. Ich
habe das Beispiel einer jungen Mutter im Kopf, die nach
ihrem Erziehungsurlaub vergeblich versucht, bei ihrer
alten Firma einen Teilzeitjob zu bekommen. Nun darf
sie als sogenannte Freischaffende die Bänder ihrer ehemaligen Vorgesetzten abtippen. Dabei lebt sie ständig
unter der Drohung: Wenn die Fristen nicht eingehalten
werden, gibt es keine Aufträge mehr. Ich habe eben gehört, daß der Vertreter der F.D.P. auf ein solches Beispiel antworten würde, daß das eine gute Chance für den
Einstieg in die Selbständigkeit sei und allein durch unsere Gesetzesvorschläge verhindert werde.
Ich beurteile diesen Punkt völlig anders, weil ich
weiß, daß die Sozialversicherung keine Barriere für die
Selbständigkeit ist. Sie setzt vielmehr den sicheren
Rahmen dafür, daß sich Menschen überhaupt selbständig machen können und daß sie aus der sozialen Sicherheit heraus Selbständigkeit entwickeln können. Wir sind
dafür angetreten, dieses zu unterstützen.
({2})
Ich weiß nur zu gut, daß sich die Menschen fragen:
Was passiert, wenn es mit der Selbständigkeit schiefgeht? Wie bin ich abgesichert? Ich sage ganz deutlich:
Eine Situation nach dem Motto „Raus aus der Kasse,
rein in die Armut“ darf nicht eintreten. Deshalb wollen
wir die Scheinselbständigkeit konsequent bekämpfen.
({3})
Schutzbedürftige müssen vom Gesetzgeber geschützt
werden. Das verlangt schon unser Sozialstaatsgebot. Die
Schutzbedürftigkeit der Scheinselbständigen mache ich
vor allem an der wirtschaftlichen Situation fest. Dem
Argument, daß durch ihre angeblich selbständige Tätigkeit die Schutzbedürftigkeit entfalle, möchte ich ganz
energisch widersprechen. Die in zahlreichen Gerichtsverfahren zur Scheinselbständigkeit dargestellten Erwerbstätigkeiten führen gerade nicht zu einem Wegfall
der Schutzbedürftigkeit. Sie sind aus meiner Sicht vielmehr überzeugende Argumente für meine Haltung, daß
wir diesen Themenkomplex regeln müssen.
Damit die immer mehr um sich greifende sogenannte
Scheinselbständigkeit wirksam bekämpft werden kann,
bedarf es daher einer eindeutigen gesetzlichen Regelung.
Dazu ist eine klare Definition des Arbeitnehmerstatus
und der Voraussetzungen für die Versicherungspflicht
notwendig.
Zu diesem Zweck haben wir in unserer Gesetzesvorlage vier Kriterien entwickelt. Wir unterstellen darin eine abhängige Beschäftigung, wenn mindestens zwei der
Kriterien zutreffen. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung wird bei erwerbsmäßig tätigen Personen
vermutet, die erstens im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit - mit Ausnahme von Familienangehörigen - keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, die zweitens regelmäßig im wesentlichen nur für
einen Auftraggeber tätig sind, die drittens für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen erbringen, insbesondere
Weisungen des Auftraggebers unterliegen und in seine
Arbeitsorganisation eingegliedert sind oder die viertens
nicht auf Grund unternehmerischer Tätigkeit am Markt
auftreten. Wie gesagt: Wir vermuten, daß Personen gegen Arbeitsentgelt abhängig beschäftigt sind, wenn mindestens zwei der genannten Merkmale vorliegen. Diese
Vermutung ist widerlegbar. Die Beweislast wird jedoch
künftig bei den Arbeitgebern liegen.
In diesem Zusammenhang fiel mir auf, daß der neue
Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, der vor mir gesprochen hat, die Regelungsdichte in unserem Land beklagt hat. Wir haben zuvor von Frau Schnieber-Jastram
gehört, daß das Problem gelöst werden muß. Jetzt lösen
wir es, und schon wird die Regelungsdichte beklagt. Ich
sage noch einmal: Mit Aussitzen ist dieses Problem
nicht zu lösen.
({4})
Wir wollen die Scheinselbständigkeit als unsolidarisch brandmarken. Wir wollen, daß die Sozialkassen
nicht mehr um Hunderte von Millionen DM an Einnahmen geprellt werden; denn nur Beschäftigte, die Beiträge zahlen, sichern Leistungen aus der Sozialversicherung. Die Einbeziehung der scheinselbständig Beschäftigten trägt somit zur Stabilisierung aller Sozialversicherungssysteme bei. Diese gesellschaftliche Notwendigkeit
wird nach Jahren Ihrer Untätigkeit von uns angegangen.
Sie können in diesen Wochen erkennen, wie schnell
wir diese Vorhaben angehen und umsetzen. Unser Ziel
bleibt ein bezahlbares Rentensystem, das den Menschen
im Alter einen angemessenen Lebensstandard sichert.
Die Kürzung des Rentenniveaus hätte viele Rentnerinnen und Rentner zu Sozialhilfeempfängern gemacht.
Deshalb haben wir den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land vor der Bundestagswahl versprochen, daß
die beschlossenen Rentenkürzungen nicht wirksam werden. Was wir versprochen haben, das wird jetzt gehalten.
({5})
Die Bürgerinnen und Bürger, die im Vertrauen auf
einen sozialen Schutz durch eine solidarische Rentenversicherung gesetzt haben, dürfen keinesfalls bestraft
werden. Deshalb werden wir auch den Kahlschlag bei
der Absicherung des Invaliditätsrisikos korrigieren. Es
muß dabei bleiben, daß die Solidargemeinschaft insbesondere für die Menschen eintritt, die auf Grund ihrer
gesundheitlichen Beeinträchtigung auf besonderen
Schutz angewiesen sind. Im übrigen war das sogar der
Ursprung der deutschen Rentenversicherung, die im
letzten Jahrhundert als Invalidenversicherung gegründet
wurde.
CDU und CSU haben 1997 ihren sozialpolitischen
Kahlschlag in ihrem Internet-Infodienst wie folgt gefeiert:
Die Erwerbsminderung wird künftig nur noch vom
Gesundheitszustand des Versicherten abhängen. Es
kann nicht weiterhin Aufgabe der Rente sein, Probleme des Arbeitsmarktes zu regulieren.
Ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich: Es kann
aber überhaupt nicht sein, daß Menschen, die schubweise weiter verlaufenden Erblindungsprozessen ausgesetzt
sind, erst Arbeitslosengeld, dann Arbeitslosenhilfe und
zuletzt Sozialhilfe beziehen müssen - und dies nur, weil
sie nach Ihrer Gesetzesneuregelung theoretisch noch
drei bis sechs Stunden hätten arbeiten können, obgleich
es einen solchen Arbeitsplatz in der Praxis überhaupt
nicht gibt.
({6})
Die Vertreter der Behinderten in den Betrieben und
Verwaltungen erwarten deshalb von uns zu Recht, daß
die erwähnten Regelungen auch im Schwerbehindertenrecht verändert werden; denn die körperliche und seelische Belastung der Beschäftigten nimmt in allen Wirtschaftszweigen zu und verlangt nach einer Regelung.
Völlig unverschuldet müssen viele im Verlauf ihres Berufslebens mit körperlichen und geistigen Behinderungen fertig werden. Dann kamen Sie mit Ihrer Sozialabbau-Ideologie und kürzten gerade bei den Schwächsten.
Diese für mich zutiefst unsoziale Politik machen wir nun
konsequent rückgängig.
({7})
- Sie können sich darüber noch soviel aufregen, meine
Damen und Herren: Wir halten in der Regierung die
Versprechen, die wir von der SPD im Wahlkampf abgegeben haben.
({8})
- Sie haben den Mund gehalten? Das kommt ja selten
vor. Aber ich habe Sie heute oft genug - ich sage das
einmal ganz offen - Fensterreden halten hören.
Uns ist es schon sehr ernst damit, die sozialen Verhältnisse in diesem Land wieder positiv zu gestalten.
Dafür sind wir angetreten, und das werden wir auch umsetzen.
({9})
Auch dem Kollegen
Brandner gratuliere ich zu seiner ersten Rede.
({0})
Ich gebe jetzt dem Kollegen Andreas Storm von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der Bundesarbeitsminister hat bei
der Einbringung des Gesetzentwurfes vor drei Wochen
an dieser Stelle erklärt, es gelte, ein Signal für neue
Verläßlichkeit in der Sozialpolitik zu senden.
({0})
Es ist wahr, Signale haben Sie in den letzten Wochen in
großer Zahl gesendet.
({1})
Kündigte etwa der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung Anfang November noch an, die Senkung
der Rentenbeiträge um 0,8 Prozentpunkte werde pünktlich zum 1. Januar 1999 in Kraft treten, heißt es zwei
Wochen später: Zurück! Marsch, marsch! Verschiebung
auf den 1. April.
({2})
In den „sozialpolitischen Informationen“ des Bundesarbeitsministeriums vom 3. Dezember wird der Öffentlichkeit mitgeteilt, daß der Bund ab dem 1. April 1999
echte Beiträge für Kindererziehungszeiten zahlen wird.
Diese Meldung war aber schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung überholt; denn bereits einen Tag zuvor,
am 2. Dezember, hat die rotgrüne Mehrheit im Sozialausschuß des Bundestages eine Verschiebung der Einführung der Kindererziehungsbeiträge auf den 1. Juni
1999 beschlossen.
({3})
Nicht vergessen dürfen wir das Durcheinander bei
den 620-DM-Jobs,
({4})
das Kollegin Schnieber-Jastram vorhin hier angeführt
hat.
({5})
- Meine Damen und Herren, ich kann mir vorstellen,
daß Sie das nicht gerne hören. Das hätte nämlich eigentlich in dieses Gesetz mit hineingehört.
({6})
Entweder sind die 1,6 Milliarden DM, die die Neuregelung bringen soll, eingestellt; dann könnten Sie die Beiträge nicht um 0,8, sondern um 0,9 Beitragssatzpunkte
senken.
({7})
Oder sie sind nicht eingestellt; dann haben Sie einen
Fehlbetrag bei den Rentenfinanzen.
({8})
Der Bundeskanzler hatte noch in seiner Regierungserklärung angekündigt, eine Einkommensgrenze bei 300
DM festlegen zu wollen. Wenige Tage später haben Sie
dann ein völlig anderes Modell aus dem Hut gezaubert,
mit dem lediglich bisherige Pauschalsteuer nach dem
Prinzip „linke Tasche - rechte Tasche“ in einen Sozialversicherungsbeitrag umgewandelt wird.
({9})
Die Vorsitzende der bayerischen DGB-Frauen, Frau
Langguth, hält diese Neuregelung schlicht für unzureichend und kontraproduktiv. Frau Langguth erklärte: Wir
haben den Eindruck, für dumm verkauft zu werden.
({10})
Dabei ist besonders dreist: Den zu zahlenden Rentenversicherungsbeiträgen für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse stehen ohne Aufstockung keinerlei
Leistungsansprüche gegenüber. Damit ist es der neuen
Regierung Schröder bereits in den ersten sechs Wochen
ihrer Amtszeit gelungen, die sozialpolitische Debatte
von den versicherungsfremden Leistungen auf die neuen
versicherungsfremden Beiträge à la Riester umzusteuern.
({11})
Der BfA-Vorstandsvorsitzende Hans-Dieter Richardt
hat gestern auf der Vertreterversammlung in München
der Regierung vorgeworfen, daß sie die Bürger permanent durch hektische Entscheidungen verunsichere. Mit
der Verschiebung auf den 1. April 1999 sei etwas Zeit für
eine fundierte Suche nach geeigneteren Lösungen gewonnen worden. - So die Einschätzung des BfA-Chefs.
Mittlerweile - auch die Rede von Frau Buntenbach
legt das nahe - werden nämlich bereits Wetten dahin
gehend abgeschlossen, daß auch das jüngste Modell zur
Neuregelung der 620-Mark-Jobs den Jahreswechsel
nicht überleben wird.
({12})
Da kann man in Anlehnung an die Worte des früheren
Oppositionsführers Joschka Fischer nur noch sagen:
Avanti, dilettanti; in flagranti.
({13})
Meine Damen und Herren, diese heutige Debatte ist
eine gute Gelegenheit, eine erste Zwischenbilanz über
die grundsätzliche rentenpolitische Ausrichtung der neuen Bundesregierung zu ziehen. In Ihrer Koalitionsvereinbarung haben Sie unter dem Stichwort „Erweiterung
des Versichertenkreises“ angekündigt: Grundsätzlich
muß jede dauerhafte Erwerbsarbeit sozialversichert sein.
Dies bedeutet im Klartext: Sie wollen mittelfristig
nicht nur die Beamten in die Rentenversicherungspflicht
einbeziehen, sondern auch die Selbständigen und hier
besonders die Angehörigen der freien Berufe. Das müssen die Freiberufler schon wissen. Denn das heißt, die
gut funktionierenden Versorgungswerke der freien Berufe sind in ihrer Existenz massiv bedroht, wenn diese
Forderungen aus dem rotgrünen Koalitionsprogramm im
kommenden Jahr in die Tat umgesetzt werden. Für uns
ist eine solche Lösung schlicht inakzeptabel.
({14})
Im übrigen möchte ich Sie auf folgendes hinweisen:
Eine Erweiterung des Kreises der Versicherten um Selbständige und Beamte bringt zwar kurzfristig mehr Geld
in die Rentenkassen. Langfristig bedeutet dies aber keineswegs eine Entlastung, da neue Beitragszahler selbstverständlich auch neue Leistungsansprüche anmelden
können. Da die Leistungsstruktur im Beamtenbereich in
den kritischen Jahren zwischen 2015 und 2035 ungünstiger sein wird als im Bereich der Arbeiter und Angestellten, hätte die Einbeziehung der Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung eine erhebliche Verschärfung der langfristigen Finanzierungsprobleme zur Folge.
({15})
Wie sieht denn nun Ihre Antwort auf die demographische Herausforderung aus? Bislang Fehlanzeige.
Mit der heutigen Entscheidung im Deutschen Bundestag
wollen Sie den demographischen Faktor in der Rentenformel aussetzen.
({16})
- Herr Kollege, schauen Sie sich den Gesetzentwurf
noch einmal an. Heute wollen Sie beschließen, daß der
demographische Faktor ausgesetzt wird.
Aber freuen Sie sich nicht zu früh. Denn in einem
Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, das am
Montag dieser Woche erschienen ist, hat der Bundesarbeitsminister angekündigt - man höre und staune -, daß
bereits im kommenden Jahr erneut ein Demographiefaktor eingeführt werden soll,
({17})
und zwar mit der Begründung, daß schon im Jahr 2000
Belastungen aus der demographischen Entwicklung auf
die Rentenversicherung zukämen. Das ist schon ein bemerkenswerter Sinneswandel, wenn Sie nun eingestehen, daß zwar nicht im Jahre 1999, aber immerhin 12
Monate später ein Handlungsbedarf im Hinblick auf die
demographische Entwicklung in der Rentenversicherung
besteht.
({18})
Es geht weiter. Auf die Frage der Journalisten - hören
Sie jetzt gut zu -: „Können Sie den Rentnern denn versprechen, daß sie nach Ihrer Strukturreform besser stehen, als wenn die Reform der alten Regierung in Kraft
geblieben wäre?“ lautete die bezeichnende Antwort von
Walter Riester - ich zitiere wörtlich -:
Wenn man unter „besser“ versteht, daß jeder in
Mark und Pfennig mehr hat, habe ich Zweifel, ein
solches Versprechen einlösen zu können.
Herr Minister, auch wenn in 14 Tagen Weihnachten ist:
Das ist noch lange kein Grund, die Menschen in dieser
Art und Weise „um die Fichte zu führen“. Erst nehmen
Sie mit großer Geste die wichtigste Maßnahme des
Rentenreformgesetzes 1999 zurück, weil dadurch die
Aufrechterhaltung eines angemessenen Lebensstandards
im Alter angeblich gefährdet wäre. Dabei wissen Sie bereits jetzt, daß Sie eine vergleichbare Maßnahme im
kommenden Jahr wieder einführen werden. Das ist im
Grunde ein unglaublicher Vorgang.
({19})
Nun haben Sie angekündigt, Herr Minister, - auch
vorhin in Ihrer Rede -, daß der von Ihnen bevorzugte
Demographiefaktor im Gegensatz zur bisherigen Lösung
eine Ausnahmeregelung für kleine Renten vorsehen
soll. Dabei gehen Sie aber von der irreführenden Annahme aus, es gebe einen signifikanten Zusammenhang
zwischen der Rentenhöhe in der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Gesamteinkommen der Rentnerhaushalte.
({20})
Der Alterssicherungsbericht 1997 weist demgegenüber eindrucksvoll nach, daß die Rentenhöhe wenig über
das Gesamteinkommen der Personen und noch weniger
über das Gesamteinkommen eines Ehepaares oder Rentnerhaushalts aussagt. So verfügen zum Beispiel Männer,
gegebenenfalls zusammen mit ihrer Ehefrau, mit einer
eigenen GRV-Rente von weniger als 500 DM in den alten Bundesländern im Durchschnitt über ein monatliches
Nettogesamteinkommen von insgesamt 3 230 DM. Ein
zweites Beispiel: Alleinstehende Frauen mit einer Rente
unter 500 DM haben ein durchschnittliches Nettogesamteinkommen von rund 1 870 DM in den alten bzw.
von rund 1 460 DM in den neuen Bundesländern. Diese
Beispiele belegen eindrucksvoll, daß der Rückschluß
von einer niedrigen GRV-Rente auf ein niedriges Gesamteinkommen in der Mehrzahl der Fälle ein Fehlschluß ist.
({21})
Deswegen ist die Frage, die wir gemeinsam lösen müssen, nämlich die, wie Altersarmut langfristig bekämpft
werden kann, eindeutig zu trennen von der notwendigen
Berücksichtigung eines demographischen Faktors in der
Rentenformel.
Ich komme nun zu Ihrer rentenpolitischen Lieblingsidee, Herr Minister: Das ist der mit dem irreführenden Begriff einer Generationenbrücke überhöhte Gedanke der abschlagsfreien Rente ab 60. Was ist von diesem Vorschlag zu halten?
({22})
- Herr Kollege, ich möchte, weil Sie mir vorwerfen, es
stehe nicht zur Debatte, nur folgendes sagen: Bei der
Einbringung dieses Gesetzentwurfes hat der Minister
selbst im Hinblick darauf, daß in den nächsten Jahren 3
Millionen Menschen zwischen 60 und 65 Jahren alt sein
werden,
({23})
gleichzeitig sich aber heute schon 1,7 Millionen Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren weniger in
der Erwerbsarbeit finden, alle gesellschaftlichen Akteure
aufgefordert, sich an der Diskussion um eine solide, sozial gerechte und verläßliche Antwort auf diese Entwicklung zu beteiligen. Welches Selbstverständnis haben Sie eigentlich, wenn Sie diese Diskussion nicht in
einer über dreistündigen Debatte zur Rentenpolitik im
Deutschen Bundestag führen wollen, sondern möglicherweise nur über die Zeitungen oder auf Gewerkschaftskongressen?
({24})
Meine Damen und Herren, alle deutschen und internationalen Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, daß das
einfache Modell „Ältere raus, Jüngere rein“ so nicht
funktioniert. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß
Süditalien, die europäische Region mit dem niedrigsten
Renteneintrittsalter und gleichzeitig mit der höchsten
Jugendarbeitslosigkeit ist? Ob Sie nach Holland schauen, nach Schweden oder in die Vereinigten Staaten: Der
Vorschlag, über eine vorübergehende oder dauerhafte
Senkung des Renteneintrittsalters die Beschäftigungschancen für die junge Generation zu erhöhen, löst überall nur Kopfschütteln aus. So stellte der vom DGB beAndreas Storm
nannte Vorstandsvorsitzende des Verbandes Deutscher
Rentenversicherungsträger, Dr. Erich Standfest, Ende
November in Würzburg folgerichtig fest:
Nach den Erfahrungen mit früheren Vorruhestandsregelungen muß jedoch davon ausgegangen werden, daß lediglich ein relativ geringer Teil der freiwerdenden Stellen auch tatsächlich wieder besetzt
wird. Dies dürfte auch bei einer neuen generellen
Rente ab 60 nicht viel anders sein. Ein Beschäftigungszuwachs ist also nicht zu erwarten.
Soweit Erich Standfest, mit dessen Überlegungen ich
keineswegs immer übereinstimme, aber wo der Mann
recht hat, hat er recht.
({25})
Eine abschlagsfreie Rente ab 60 in Deutschland wäre ein
sozialpolitischer Anachronismus.
({26})
Professor Rürup, den die SPD als ihr sachverständiges Mitglied in die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ des Deutschen Bundestages berufen hatte, erläutert in einem Interview mit dem „Kölner
Stadtanzeiger“ am 12. November 1998:
Die Abführungen der Fonds an die Rentenversicherung zur Kompensation der von ihr einbehaltenen
Abschläge - 3,6 Prozent pro Jahr - stellen nur einen
Bruchteil der gesamtwirtschaftlichen Kosten dieses
Programms dar.
Dr. Standfest vom VDR macht die folgende Rechnung auf: Wenn nach heutigen Werten für die alten
Bundesländer 100 000 zusätzliche Rentner ein Jahr früher in Rente gehen, so entstehen der Rentenversicherung
daraus unabhängig von der Ablösung der Rentenabschläge durch die Tariffonds Vorfinanzierungskosten in
Höhe von 2,5 Milliarden DM. Außerdem würden rund 1
Milliarde DM an Beiträgen ausfallen. Da für arbeitslose
Pflichtversicherte ein Beitrag an die Rentenversicherung
abgeführt wird, hätte die Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes nur eine geringfügige Mehreinnahme für die
Rentenversicherung zur Folge.
({27})
Meine Damen und Herren, diese wenigen Fakten verdeutlichen auf eindrucksvolle Weise: Die abschlagsfreie
Rente ab 60 fährt das Rentensystem in kurzer Zeit gegen
die Wand. Es zeigt sich, daß Walter Riester und Adam
Riese offenbar nicht mehr als die ersten Buchstaben des
Nachnamens gemein haben.
({28})
Die Debatte wird noch dadurch bereichert, daß zur
Finanzierung zumindest der Abschläge nicht mehr direkt
die Rentenversicherungsträger herangezogen werden,
sondern sogenannte Tariffonds gebildet werden sollen.
Würden die Arbeitnehmer hierfür, wie dies derzeit diskutiert wird, über einen Zeitraum von fünf Jahren jedes
Jahr auf einen Prozentpunkt Lohnzuwachs verzichten, so
entspräche dies nach Ablauf von fünf Jahren auf Dauer
einem Beitragssatz von 5 Prozent für den Tariffonds.
Mit anderen Worten: Der Tariffonds wäre nichts anderes als eine Schattensozialversicherung mit dem Ergebnis, daß nach fünf Jahren etwa 25 Prozent des Bruttoeinkommens an Beiträgen für die gesetzliche Rentenversicherung und den Tariffonds abgeführt werden
müßten.
({29})
Man könnte natürlich auch gleich den Beitragssatz zur
gesetzlichen Rentenversicherung auf 25 Prozent anheben. Dann wären alle Ihre Erklärungen zur Senkung der
Lohnnebenkosten als Lippenbekenntnisse entlarvt.
({30})
Meine Damen und Herren, Sie wollen durch tarifvertragliche Regelungen neben der gesetzlichen Rentenversicherung eine Schattensozialversicherung aufbauen und
diese auf dem Weg der Allgemeinverbindlichkeitserklärung, die mit dem heute zu beschließenden Gesetz
erleichtert wird, zu einem Zwangsabgabensystem umfunktionieren.
Unter dem unverfänglich klingenden Arbeitstitel
„Gemeinsame Einrichtung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern für Arbeit und Alter“ wollen Sie eine neue
Mammutbehörde schaffen. Dort sollen Gewerkschaften
und Arbeitgeberverbände gemeinsam mit der öffentlichen Hand Finanzmittel in dreistelliger Milliardenhöhe
verwalten. Dies wäre nicht nur ein ordnungspolitischer
Sündenfall erster Ordnung, damit würden auch die vor
drei Monaten im SPD-Programm angekündigten Forderungen nach einer Stärkung der Eigenverantwortung und
privaten Vorsorge zur Farce verkommen.
({31})
- Lieber Kollege, auf das Stichwort „vierte Säule“
komme ich noch bei den Folgen für die jüngere Generation zu sprechen. Aber schauen wir erst einmal, was das
für die ältere Generation bedeutet.
Hier weisen die Rentenversicherungsträger zu Recht
darauf hin, daß die von Ihnen beabsichtigte Einführung
von Tariffonds, die aus einbehaltenen Bruttolohnbestandteilen gespeist werden, in der Zukunft erhebliche
Auswirkungen auf die Rentenanpassung haben wird. Die
Bruttolohnteile, die dem Fonds zufließen, würden die
Nettoentgelte schmälern. Dies hat natürlich eine deutliche Verlangsamung der Anpassungsdynamik zur Folge.
({32})
Mit anderen Worten: Die Einführung des Tariffonds
hätte für die jetzige Rentnergeneration im Grunde genommen ganz genau den gleichen Effekt wie die Beibehaltung des demographischen Faktors in der Rentenformel, den Sie heute mit dem Bundestagsbeschluß zurücknehmen wollen.
({33})
Noch viel dramatischer wären die Konsequenzen für
die junge Generation. Es bedeutet nämlich im Klartext:
Den heute 20- oder 30jährigen würde abverlangt, daß sie
zur Finanzierung einer abschlagsfreien Rente ab 60 Jahren einen ganz erheblichen Lohnverzicht leisten,
({34})
ohne daß sie dafür jemals eine Gegenleistung erhalten
könnten.
({35})
Kein Mensch wird ernsthaft behaupten wollen, daß der
30jährige, der heute einen Tariffonds für den Vorruhestand finanzieren sollte, später auch nur den Hauch einer
Chance hätte, ebenfalls mit 60 Jahren in den Ruhestand
zu gehen.
({36})
Aber Sie haben ja bereits bei der Neuregelung der 620DM-Jobs gezeigt, daß die neue Mehrheit offenbar bereit ist, Beiträge ohne entsprechende Gegenleistung für
den Einzahler zu erheben. So etwas nennt man Abkassieren.
({37})
Jetzt komme ich zum Stichwort vierte Säule. Herr
Kollege Andres, angesichts unserer Alterspyramide
sollte eigentlich unstrittig sein, daß die junge Generation
die Chance haben muß, eine zusätzliche Altersvorsorge
neben der gesetzlichen Rentenversicherung aufzubauen.
So fordern Sie dies auch in Ihrem Koalitionsprogramm.
Aber die Crux dabei ist doch: Wenn die junge Generation zwangsverpflichtet werden soll, einen beachtlichen
Teil ihres Einkommenszuwachses zur Finanzierung neuer, unsinniger Vorruhestandsprogramme aufzuwenden,
dann bleibt kein Spielraum mehr zum Aufbau einer zusätzlichen eigenen Altersvorsorge.
Professor Rürup, Ihr Sachverständiger, zieht die Bilanz, durch die Rente ab 60 würde die Schieflage unseres die Jungen ohnehin benachteiligenden Rentensystems noch vergrößert. Diese vernichtende Bilanz Ihres
Rentenexperten macht deutlich: Herr Riester, Ihr Modell
der Rente ab 60 ohne Abschläge ist ein fatales Signal für
die junge Generation. Wenn man auf die Autobahn fährt
und es kommen einem Dutzende Fahrzeuge entgegen,
dann hat man etwas falsch gemacht. Noch ist es nicht zu
spät. Herr Riester, werden Sie nicht zum sozialpolitischen Geisterfahrer, und legen Sie uns im nächsten Jahr
einen anderen Vorschlag vor als den, den Sie in den
letzten Tagen öffentlich gemacht haben!
Vielen Dank.
({38})
Das Wort hat jetzt
der Abgeordnete Klaus Wiesehügel, SPD.
({0})
Sie brauchen keine
Rücksicht auf mich zu nehmen, machen Sie ruhig!
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zu dem Gesetz reden, das hier vorliegt. Ich denke, das ist auch wichtig.
({1})
Sie haben sicher Verständnis, daß es mir eine ganz besonders große Freude bereitet, zu dem ArbeitnehmerEntsendegesetz zu sprechen, weil ich bei Ihnen über
viele Jahre gebittet und gebettelt habe, daß Sie die Bauarbeiter nicht weiterhin arbeitslos machen und vernünftige Gesetze verabschieden.
({2})
Mit der Reform des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
werden wir die Grundlage dafür schaffen, daß auf deutschen Baustellen legal gearbeitet wird, vernünftige Löhne gezahlt werden und die heimischen Bauarbeiter wieder einen Arbeitsplatz erhalten. Ich möchte Ihnen an
Hand von einigen Fakten deutlich machen, warum es
nötig ist, das Entsendegesetz zu reformieren und ohne
zeitliche Befristung zu verabschieden.
Mit dem im Moment gültigen und halbherzigen Entsendegesetz hat die alte Bundesregierung der Bauwirtschaft nicht geholfen, sondern ihr kontinuierlich Knüppel in den Weg gelegt.
Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist
die Zahl der Beschäftigten des Bauhauptgewerbes
allein von September 1996 bis September 1998 von
1,34 Millionen auf 1,14 Millionen Beschäftigte zurückgegangen.
Mehr als 200 000 Arbeitsplätze sind damit entfallen nicht weil das Bauvolumen so sehr zurückgegangen ist
oder die Rationalisierung am Bau so unermeßlich groß
war, sondern einzig und allein weil am Bau eine Deregulierung betrieben wurde, die mafiöse Verhältnisse begünstigt hat.
({3})
213 793 Menschen aus dem Bereich Bau - ich sage
das so genau, weil es sich immer um ein Einzelschicksal
handelt -, zumeist Familienväter mit Kindern, sind im
November 1998 arbeitslos und müssen quasi von der
anderen Seite des Bauzaunes mit ansehen, wie Ihre Arbeit, die ja immer noch getan werden muß, von illegal
tätigen Personen ausgeführt wird.
Ich frage Sie: Wo sind diese Menschen wohl geblieben? Ich kann Ihnen die Antwort geben: Sie mußten Ihren erlernten Beruf im Baugewerbe für einen schlechtbezahlten opfern, von Arbeitslosengeld, von Arbeitslosenhilfe leben oder sich in die Abhängigkeit von kriminellen Arbeitsvermittlern begeben, die sie offen mit
Gewalt bedrohen, wenn sie es nur wagen, sich gegen deren Machenschaften zu wehren.
({4})
Unter dem Deckmäntelchen europäischen Wettbewerbs und um vordergründig Kosten sparen zu können,
wurden die Menschen vom Bau - Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam - im Stich gelassen.
({5})
- Herr Kues, hören Sie doch einmal zu!
Nicht umsonst fordert der Zentralverband des Deutschen Bauhandwerks in seiner schriftlichen Stellungnahme zu diesem Gesetz - ich bleibe immer hart an der
Sache dran - wörtlich: „Eine Entfristung ist unerläßlich“
und „ist wettbewerbspolitisch geboten“.
({6})
Das sagen die Arbeitgeber!
Gerade die kleinen und mittelständischen Bauunternehmen haben unter der momentanen Situation sehr zu
leiden. Die Rendite liegt eindeutig unter einem Prozent.
Der Wettbewerb läßt ein sauberes Kalkulieren schon
jetzt - ich rede vom Ist-Zustand - nicht mehr zu. Wer
sich nicht illegal betätigt, bekommt keinen Auftrag. Wer
eine kostendeckende Kalkulation abgibt, hat sowieso
keine Chance.
Das alles macht es notwendig, daß wir, daß die Politik eingreift und den Bauunternehmen wieder einen
Rahmen für einen fairen Wettbewerb bietet.
({7})
Das Ihnen vorliegende Arbeitnehmer-Entsendegesetz
mit seinen verschiedenen Maßnahmen wird zwangsläufig die Tiefe der Subunternehmerketten erheblich reduzieren und den redlichen Bauunternehmen eine echte
Chance bieten, sich wieder am Markt zu behaupten.
({8})
Es besteht überhaupt keine Schwierigkeit - weil Sie das
ja kritisieren -, in der Vertragsbeziehung mit seinem
Nachunternehmer die Weitervergabe des Auftrages an
Dritte auszuschließen oder genehmigungspflichtig zu
machen. Ich habe das bei vielen Baustellen, für die ich
verantwortlich war, mit Erfolg durchgeführt. Denn es
sind gerade die tiefgestaffelten Subunternehmerketten zum Teil reichen sie bis ins siebte Glied -, die die Illegalität erst ermöglichen und die den Steuerzahler und
die Sozialversicherung um Milliarden geprellt haben.
({9})
Deshalb kann auf eine Generalunternehmerhaftung, die Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und
Mindestlöhne beinhaltet, nicht verzichtet werden.
({10})
Der zentrale Wettbewerbsvorteil für Entsendebetriebe
besteht nach Auffassung der Kontrollbehörden - das
sind Beamte, die sind loyal! - darin, daß Lohnsteuerbetrug und europaweite Hinterziehung von Sozialabgaben
Hand in Hand gehen. Eine wirksame Durchgriffshaftung
ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Bekämpfung von
grenzüberschreitendem Sozialdumping und Steuerbetrug.
({11})
Wer die Haftung des Generalunternehmers ablehnt,
die in Fragen der Gewährleistungsbürgschaften für
Baumängel seit vielen Jahren selbstverständlich ist, gibt
zu erkennen, wie wenig ihm an der Bekämpfung der illegalen Praktiken gelegen ist. Was Sie für Sachwerte akzeptieren, wollen Sie für Menschen nicht anerkennen.
({12})
Auch die Möglichkeit, zukünftig differenzierte tarifliche Mindestlöhne zu schaffen, die unterschiedliche Tätigkeiten einschließlich der Qualifikation berücksichtigt,
ist sinnvoller Bestandteil dieses Gesetzes.
({13})
- Hören Sie zu! - Gerade ein differenzierter Lohn kann
Entsendeverhältnisse besser kontrollierbar machen. Jeder echte Werkvertrag ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß es in einer Baukolonne weisungsbefugte Vorarbeiter, Facharbeiter und Hilfskräfte gibt.
Meine Damen und Herren, es ist schon eine besondere Ironie, wenn Sie jetzt auf einmal für sozialistische
Einheitslöhne plädieren. Sie sagen, diese seien durchsetzbar und preistreibend.
({14})
Seit Jahren pfeifen es die Spatzen von den Dächern,
daß viele Baustellen in Berlin, auch die des Bundes, mit
diesen Praktiken errichtet wurden. Getan wurde nichts.
Es wurde lediglich bekanntgegeben, daß sich die Kosten
der Bauvorhaben in Berlin reduziert haben. Die Bundesbaubehörde spricht jetzt selbst davon, daß der Einsatz
von Entsendebetrieben und daß Dumpinglöhne erhebliche Kostenreduzierungen bewirken. Die Zeche dafür
bezahlen wir zweimal.
Erstens bezahlen wir die Zeche mit der Finanzierung
der Arbeitslosigkeit. In Berlin und Brandenburg sind
40 000 Bauarbeiter arbeitslos. Gleichzeitig haben wir
dort die größte Baustelle Europas. Aus Konjunkturgründen - wie gerne eingewandt wird - sind die Berliner
Bauarbeiter wahrhaftig nicht arbeitslos. Ein arbeitsloser
Bauarbeiter kostet round about 40 000 DM im Jahr. Bei
40 000 arbeitslosen Bauarbeitern ergibt das 1,6 Milliarden DM in nur einem Jahr. Hochgerechnet auf die gesamte Bauzeit heißt das: Fast die gleiche Summe, die
wir für die Bundesbauten in Berlin einkalkulierten, muß
jetzt zusätzlich und absolut unnötig für Arbeitslosengeld
ausgegeben werden. Das ist der eigentliche Skandal.
({15})
Zweitens bezahlen wir die Zeche mit der Qualität.
Wir sollten uns nicht täuschen: Der Preis für die vielen
Qualitätsmängel im neuen Regierungsviertel wird hoch
sein. Bei Subunternehmerketten und illegalen Praktiken
ist der Pfusch am Bau nämlich schon einkalkuliert.
({16})
Der Preis, den wir alle - das gesamte Volk der Bundesrepublik - dafür zahlen müssen, ist hoch und eine Bürde
für die Zukunft. Ich bin nicht in der Lage, Ihnen dies
jetzt vorzurechnen. Aber wir werden es alle gemeinsam
in Berlin erleben; ich hoffe nicht, daß wir es auch erleiden werden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, versuchen Sie gar nicht erst, so zu tun, als hätten Sie hierfür
keine Verantwortung. Als ich mit dem derzeitigen Bundestagspräsidenten, Abgeordneter von Berlin, die Baustelle des Kanzleramtes besichtigen wollte, kam der Befehl, uns abzuweisen, uns nicht auf diese Baustelle zu
lassen. Dieser Befehl kam eindeutig aus Bonn.
({17})
- Wir hatten alles dabei. Aber der Bundesbauminister
hat gesagt, wir dürfen nicht auf die Baustelle. - Vielleicht gab es etwas zu verbergen.
({18})
Auch die eindeutige Anweisung, die in Berlin sonst
übliche Tariftreueerklärung auf die Baustellen des
Bundes nicht anzuwenden, geht auf die Veranlassung
der alten Bundesregierung zurück.
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich noch
kurz auf einen weiteren wichtigen Aspekt eingehen.
Dieses Gesetz verbessert auch die Beziehungen der
Bauarbeitnehmer in Europa untereinander und stärkt die
Rechtsposition der hier Tätigen. Professor Hanau hat
treffend festgestellt, daß die Baustellen in Deutschland
durch die bisherige Gesetzeslage zu Inseln fremden
Rechts wurden. Das heißt, kein Portugiese, kein Pole
war bisher in der Lage, seinen hier verdienten Lohn einzuklagen oder deutsche Arbeitsgerichte anzurufen, wenn
der Menschenhändler nach Abschluß der Arbeiten
plötzlich verschwunden war.
Auch eine Vollstreckung der fälligen Steuern und Sozialabgaben ist außer in Österreich in ganz Europa nicht
möglich.
Mit dem neuen Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind
die europäischen Baugewerkschaften nun in der Lage,
mittels bilateraler Rechtshilfeabkommen allen Bauarbeitnehmern zu helfen und sie mit Blick auf ein gemeinsames Europa solidarisch zusammenzuführen. Zur Zeit
ist der stellvertretende Vorsitzende der IG BAU in Warschau, um genau das vorzubereiten. Damit wird ein neues Kapitel deutsch-polnischer Verständigung aufgeschlagen. Dieses Gesetz gibt dafür die Grundlage.
({19})
Meine Damen und Herren, lange Zeit forderten auch
die Spitzenverbände der deutschen Bauwirtschaft vernünftige Instrumente zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung und von Dumpinglöhnen. Das neue Entsendegesetz wird dieser Forderung Rechnung tragen, auch
wenn einige von Ihnen jetzt erschrecken, daß eine Regelung auf sie zukommt, die die eigene Mitarbeit und was das Wichtige ist - die Einstellung neuer Mitarbeiter
erfordert.
Ich lade Sie herzlich ein, nach dem, was Sie den
200 000 und vielen anderen Bauarbeitern angetan haben,
im Wege der Wiedergutmachung diesem Gesetz zuzustimmen.
({20})
Herr Kollege Wiesehügel, das war Ihre erste Rede hier in diesem Hohen
Haus. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
möchte ich Sie beglückwünschen.
({0})
Auch Sie werden sicher noch lernen, daß nicht ein Herr
Präsident hinter Ihnen saß, sondern eine Frau Präsidentin.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Adolf Ostertag,
SPD.
Verehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ohne Übertreibung: Heute
ist in zweifacher Hinsicht ein historischer Tag. Heute
morgen haben wir begonnen mit dem Gedenken und mit
der Erinnerung an den 50. Jahrestag der Erklärung der
Menschenrechte. Der Deutsche Bundestag hat in großer
Übereinstimmung die Bedeutung der Menschenrechte
unterstrichen und sich zu ihnen bekannt. Leider waren
und sind wir uns nicht so einig, wenn es um angeKlaus Wiesehügel
stammte Arbeitnehmerrechte geht. Die Diskussion der
letzten zweieinhalb Stunden hat das gezeigt.
({0})
Dabei steht in Art. 23 der Menschenrechtserklärung
ausdrücklich:
Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie
Berufswahl, auf angemessene und befriedigende
Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.
({1})
Für uns als Sozialdemokraten haben diese Rechte historische Bedeutung. Rechte, die jahrzehntelang eingefordert wurden, jahrzehntelang Gültigkeit hatten, die
von Ihnen abgeschafft wurden, wollen wir jetzt im Zuge
der Korrekturgesetze wiederherstellen. Deshalb ist heute
ein erfreulicher Tag für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Das muß man noch einmal so
unterstreichen, wie es der Bundesarbeitsminister gesagt
hat.
({2})
Nach 16 Jahren konservativ-liberaler Politik der kleinen Nadelstiche und der großen Einschnitte in unser soziales Netz liegt heute ein Gesetzespaket zur Verabschiedung auf dem Tisch, das eindeutige Verbesserungen für die weitaus meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land bringt. Das kann man nicht
dick genug unterstreichen. Diese Menschen haben eben
nicht eine so organisierte und vielleicht auch gut finanzierte Lobby wie diejenigen Wirtschaftsverbände, die
sich in diesen Tagen lautstark melden. Sie versuchen, ihre in langen Jahren auf Kosten anderer erworbenen Besitzstände in eine neue Ära hinüberzuretten. Das wird
ihnen nicht gelingen; ich glaube, das ist schon deutlich
geworden.
({3})
Diejenigen, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den kleinen Leuten im Land jahrelang
vorgeworfen haben, ihre angeblichen Besitzstände verteidigen zu wollen, müssen nun erkennen: Die Politik ist
nicht länger die Durchsetzung wirtschaftlicher Zwecke
mit Hilfe der Gesetzgebung - um an ein Tucholsky-Wort
zu erinnern. Vielmehr machen die neue Bundesregierung
und die Koalitionsfraktionen - das muß man hier klarstellen - genau die Politik, die sie im Wahlprogramm
angekündigt und für die sie am 27. September den Auftrag durch die Wählerinnen und Wähler erhalten haben.
Heute lösen wir eine ganze Reihe von Versprechen
ein, die wir vor der Wahl abgegeben haben. Und wir tun
dies in den ersten 50 Tagen nach der Regierungsübernahme. Bereits fünf der Punkte, die wir auf einer Garantiekarte den Bürgerinnen und Bürgern versprochen haben, können wir in der Tat heute hier abhaken. Ich glaube, darauf freuen sich die Menschen auch. Nur Sie haben es noch nicht begriffen.
({4})
Ich kündige schon an: In den nächsten hundert Tagen
werden wir weitere Schritte tun, um mehr Rechte und
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Sie haben
ein Chaos auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen; wir werden ihn wieder ein Stückchen ordnen müssen. Wir beginnen damit.
({5})
Wir nehmen dafür auch etwas Eile in Kauf. Gesetzgebungsverfahren sind eben manchmal sehr schnell
notwendig. Denn gerade Sie haben ja Gesetze gemacht,
die, wenn sie zum 1. Januar 1999 in Kraft träten, erhebliche Einschnitte brächten. Ich nenne hier insbesondere
die Verschlechterung durch Absenken des Rentenniveaus oder der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente.
Deswegen mußten wir schnell handeln. Diese unverzügliche Arbeit war notwendig, um jetzt die Korrekturen
durchzuführen.
Unsere gesamte Politik in der letzten Legislaturperiode hat bewiesen, daß wir das machen werden. Niemand
von Ihnen darf überrascht sein. Wir haben in der letzten
Legislaturperiode Gesetzentwürfe konstruktiv zu dem
eingebracht, was wir heute umsetzen. Dort, wo die alte
Koalition Demontage betrieben hat, stabilisiert die neue
Regierung wieder die bewährten Fundamente unseres
Sozialstaates.
({6})
Zu den Inhalten des Gesetzespaketes, das wir heute
verabschieden, ist schon einiges gesagt worden. Ich fasse nur die wichtigsten Punkte zusammen. Wir verhindern, daß die von der alten Bundesregierung hier beschlossene Senkung des Rentenniveaus zum 1. Januar
in Kraft tritt. Deswegen mußten wir schnell handeln.
Das gleiche gilt bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten.
Von unseren Änderungen beim Kündigungsschutz
profitieren weit über 2 Millionen Arbeitnehmer. Die
Spaltung bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Sie in den letzten zwei Jahren zu verantworten
hatten, heben wir auf.
({7})
Wir stellen die volle Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wieder her. Auch hier ist eine Spaltung bei den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern betrieben worden. 20 Prozent waren außen vor. Für sie gingen die
normalen Zahlungen weiter, aber sie wurden bestraft,
wenn sie krank wurden.
In der Bauwirtschaft bleibt die Verhinderung von
Lohn- und Sozialdumping unser Ziel. Klaus Wiesehügel
hat das deutlich unterstrichen. Für uns zählt eben die
konkrete Umsetzung dessen, was in der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte steht. In Art. 23 Abs. 2
dieser Erklärung heißt es:
Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche
Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Das setzen wir jetzt mit diesem Gesetzentwurf zumindest im Bausektor durch.
({8})
Nicht zuletzt schaffen wir mit der Öffnung der Freien
Förderung im SGB III für die Projektförderung die
Möglichkeit, auch schwer in Arbeit zu vermittelnde Jugendliche in Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zu integrieren. Diese neue Regelung ist
notwendig, um das Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit letzten Endes zum Erfolg zu führen. Ich
glaube, viele junge Menschen setzen darauf Hoffnungen. Sie können sich darauf verlassen, daß wir ihnen
wieder eine Chance eröffnen.
({9})
Mit diesem Gesetzespaket bringen wir das soziale
Netz dort wieder in Ordnung, wo es zu reißen drohte.
Wir werden nicht zulassen, daß Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, sozial Schwache, Kranke und Rentner ins
gesellschaftliche Abseits gestellt werden, wie es die alte
Bundesregierung getan hat und es weiter getan hätte,
wenn die Wählerinnen und Wähler sie nicht gestoppt
hätten.
Die neue Bundesregierung steht dafür ein, daß das
soziale Netz nicht zerfleddert wird. Wir stehen dafür gerade, daß die originären Schutzrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten bleiben. Darauf werden sich die Menschen auch künftig verlassen können.
Der Sozialstaat ist eben kein Relikt der Vergangenheit, dem nur Traditionalisten nachhängen. Eine funktionierende soziale Absicherung ist Voraussetzung für
eine erfolgreiche Wirtschaft und für gesellschaftliche
Stabilität.
Modern sind nicht diejenigen, die immer unter dem
Deckmantel von Deregulierung und Globalisierung für
soziale Grausamkeiten eintreten. Modern ist, die hohe
Arbeitsproduktivität in diesem Land - in einer hochentwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft und den wirtschaftlichen Strukturwandel durch soziale
Absicherung erst zu ermöglichen. Zukunftsweisend ist,
den Sozialstaat als Instrument und nicht als Opfer der
Modernisierung zu sehen.
Genauso alt wie falsch ist hingegen die Mär vom ausufernden Sozialstaat, wie es die alte Rechte in diesem
Haus immer wieder formuliert hat. Die Sozialleistungsquote in Westdeutschland liegt heute mit rund 31 Prozent noch unter dem Niveau von 1982, obwohl wir heute
2,6 Millionen Arbeitslose mehr haben als 1982 und obwohl es heute dreimal so viele Sozialhilfefälle gibt wie
1980.
Die neue Bundesregierung und die sie tragende Koalition werden sich daran messen lassen, wie sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen und wie sie die soziale Gerechtigkeit wahren. An Taten werden wir uns messen
lassen, nicht an hohlen Phrasen, von denen die Menschen in den letzten 16 Jahren wirklich genug gehört haben.
({10})
Die ersten Taten stehen heute zur Abstimmung.
Weitere werden folgen. Wir haben das „Bündnis für
Arbeit“ auf den Weg gebracht. Die geringfügig Beschäftigten werden sozialversicherungspflichtig. Das
Schlechtwettergeld werden wir wieder einführen. Illegale Beschäftigung werden wir massiv bekämpfen.
Für uns Sozialpolitiker, vor allen Dingen aber auch
für den Bundestag insgesamt, gibt es viel zu tun. Die
Menschen im Land können sich dabei auf uns, auf die
neue Regierung, auf die Koalition im Bundestag verlassen, wenn es darum geht, mehr Beschäftigung und soziale Sicherheit in der Zukunft miteinander zu verbinden.
Vielen Dank.
({11})
Ich schließe damit
die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zu Korrekturen in der So-
zialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmer-
rechte auf den Drucksachen 14/45 und 14/151.
Ich verweise darauf, daß mir eine schriftliche Erklä-
rung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung
der Kollegen Karl-Josef Laumann und anderer vor-
liegt.*)
Des weiteren liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
der PDS vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/170? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der SPD, der
CDU/CSU, dem Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P.
gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalition und der PDS-Fraktion gegen
die Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. ange-
nommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grund-
gesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die ab-
solute Mehrheit erforderlich. Die Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen nament-
liche Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
kontrollieren Sie bitte noch einmal, ob die von Ihnen
benutzten Abstimmungskarten auch wirklich Ihren Na-
men tragen.
__________
*) Anlage 5
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen
besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung. -
Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben
hat? - Wenn das nicht der Fall ist, dann schließe ich
hiermit die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Dazu bitte ich alle nicht
für die Urnen eingeteilten Schriftführerinnen und
Schriftführer, sich zum Auszählraum im Präsidialbau zu
begeben. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort. Wir kommen jetzt zur
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
F.D.P. zur beschäftigungswirksamen Änderung des
Kündigungsschutzgesetzes auf Drucksache 14/44. Der
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf
Drucksache 14/151 unter Buchstabe b, den Gesetzent-
wurf abzulehnen. Ich lasse nun über den Gesetzentwurf
der F.D.P. auf Drucksache 14/44 abstimmen. Die Frak-
tion der F.D.P. verlangt dazu namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, erneut
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen
besetzt? - Das ist der Fall. Damit eröffne ich die Ab-
stimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? Das ist nicht der Fall.
Ich schließe damit die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis dieser namentlichen
Abstimmung wird Ihnen ebenfalls später bekanntge-
geben.**)
Wir setzen die Beratungen fort. Der Ausschuß für Arbeit
und Sozialordnung empfiehlt unter Buchstabe c sei-
ner Beschlußempfehlung auf Drucksache 14/151 die
__________
*) Seite 899 D
**) Seite 903 D
Annahme einer Entschließung. - Wer stimmt für diese
Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der
Koalition und der PDS-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Versorgungsreformgesetzes 1998, Drucksachen 14/46 und 14/145.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsparteien und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte erneut die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Damit eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe damit die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekanntgegeben.
Wir setzen die Beratungen fort. Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung
der Arbeitnehmerrechte auf den Drucksachen 14/45 und
14/151 Buchstabe a bekannt. Abgegebene Stimmen 611.
Mit Ja haben gestimmt 375, mit Nein haben gestimmt
236. Der Gesetzentwurf ist mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
({0})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 611;
davon
ja: 375
nein: 236
Ja
SPD
Brigitte Adler
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({4})
Bernhard Brinkmann
({5})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({6})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({7})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({8})
Lilo Friedrich ({9})
Harald Friese
Anke Fuchs ({10})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Vizepräsidentin Petra Bläss
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({11})
Angelika Graf ({12})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
({13})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({14})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({15})
Walter Hoffmann
({16})
Iris Hoffmann ({17})
Frank Hofmann ({18})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({19})
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({20})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({21})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({22})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({23})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({24})
Jutta Müller ({25})
Christian Müller ({26})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({27})
Gerhard Neumann ({28})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({29})
Birgit Roth ({30})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
({31})
Ulla Schmidt ({32})
Silvia Schmidt ({33})
Dagmar Schmidt ({34})
Wilhelm Schmidt ({35})
Heinz Schmitt ({36})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({37})
Brigitte Schulte ({38})
Reinhard Schultz
({39})
Volkmar Schultz ({40})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({41})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt ({42})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({43})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({44})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Helmut Wieczorek
({45})
Jürgen Wieczorek ({46})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({47})
Brigitte Wimmer ({48})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({49})
Waltraud Wolff ({50})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({51})
Marieluise Beck ({52})
Volker Beck ({53})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({54})
Joseph Fischer ({55})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({56})
Kerstin Müller ({57})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({58})
Irmingard Schewe-Gerigk
Vizepräsidentin Petra Bläss
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({59})
Werner Schulz ({60})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({61})
Margareta Wolf ({62})
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla ({63}) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({64})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({65})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({66})
Hartmut Büttner
({67})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({68})
Axel Fischer
({69})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({70})
({71})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({72})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({73})
({74})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Karl Lamers
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({75})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({76})
Dr. Manfred Lischewski
({77})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({78})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({79})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({80})
Elmar Müller ({81})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({82})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({83})
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({84})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({85})
Andreas Schmidt
({86})
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze ({87})
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({88})
Gerald Weiß ({89})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({90})
Hans-Otto Wilhelm ({91})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({92})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({93})
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Vizepräsidentin Petra Bläss
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({94})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Jürgen W. Möllemann
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({95})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung
der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz GKV-SolG
- Drucksache 14/24 ({96})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({97})
- Drucksache 14/157 Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache
über diesen Gesetzentwurf namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD. - Die Kollegin
ist nicht im Saal.
({98})
Dann hat zunächst der Kollege Horst Schmidbauer,
SPD, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Allen Beteiligten ist klar: Man muß im
Kleinen anfangen, bevor man mit dem Großen beginnen
kann. Allen Beteiligten ist auch klar: Das Vorschaltgesetz schafft den notwendigen Raum, damit 1999 die Arbeit am Großen, an der eigentlichen Reform, beginnen
kann.
Daß wir bereits nach wenigen Tagen mit dem Kleinen
beginnen müssen, hat auch seine Ursache in der Schieflage, in die die Herren Seehofer und Kohl die Krankenkassen gebracht haben. Sie von der alten Regierungskoalition haben einseitig so gewaltige Lasten verteilt, daß
das Fahrzeug Gesundheit, wenn man es um die Kurve
fahren will, dies letztendlich nur auf zwei Rädern schaffen kann. Wir wollen so nicht starten.
({0})
Wir haben den Kranken versprochen, die Lasten Zug
um Zug von ihren Schultern zu nehmen. Damit stellen
wir das Fahrzeug Gesundheit wieder richtig auf vier
Räder.
Unser Gesundheitswagen braucht noch eine zweite
Stabilität. Diese zweite Stabilität ist die Beitragsstabilität. Um sie zu erreichen, müssen die Lasten gerecht
verteilt werden. Auf der einen Seite werden wir dazu die
Einnahmenseite verbessern. Auf der anderen Seite werden wir in einer ersten Stufe unwirtschaftliche Strukturen beseitigen, um Ressourcen freizusetzen.
Die Zeichen der Unwirtschaftlichkeit sind bei den
Arzneimitteln auf Grund der Anzahl ihrer Verordnungen, ihrer Qualität und ihrer Preise nicht zu übersehen.
Vergessen wir nicht: Jährlich werden für 7 Milliarden
DM Arzneimittel verordnet, deren therapeutischer Nutzen entweder nicht nachgewiesen oder nicht vorhanden
ist. Vergessen wir nicht: Für mehr als 30 000 Altarzneimittel liegt eine Beanstandung der Europäischen Kommission vor, weil sie weiter bis zum Jahre 2005 ungeprüft verkauft werden können. Vergessen wir nicht:
Durch Vergleiche der Preise auf internationaler Ebene
wissen wir, daß die Bundesrepublik Deutschland zu den
Hochpreisländern in der Welt gehört.
Wenn man nach dem Grundsatz geht, daß jeder Anbieter im Gesundheitswesen gemäß seinem Leistungsvermögen seinen Beitrag leisten muß, dann wird man
sehr schnell feststellen müssen, daß der entsprechende
Beitrag, der im Arzneimittelbereich geleistet werden
muß, überfällig ist.
({1})
Wir sagen deshalb: Von den über 30 Milliarden DM, die
wir für diesen Bereich ausgeben, muß 1 Milliarde DM
gespart werden. Um den Ärzten das Erreichen dieses
Sparvolumens zu erleichtern, werden wir im Gesetz vorsehen, daß die sogenannte Festbetragsregelung für
Arzneimittel über alle drei Stufen ausgeweitet wird.
Damit schaffen wir eine Kostenentlastung von 200 bis
400 Millionen DM im Jahr 1999.
({2})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Diese Regelung wird nicht zu Problemen mit der Industrie führen, weil ihre Wertschöpfung davon kaum tangiert wird. Der entscheidende Punkt ist aber, daß niemand mehr behaupten kann, der demographische Faktor
stehe dem Sparziel entgegen, es gebe keine ausreichende
Versorgung oder die Qualität der Versorgung leide unter
dieser Regelung.
Wenn man sich die wirklichen Verhältnisse anschaut,
stellt man fest, daß die medizinische Versorgung der
Menschen in Bayern, in Nord- und Südwürttemberg und
in Südbaden nicht zweitklassig ist. Die Menschen in diesen vier KV-Bezirken sind nicht kränker als die Menschen in anderen Bezirken. Trotzdem liegen in Bayern
die Arzneimittelausgaben pro Versicherten bei 388 DM,
in Nordwürttemberg bei 375 DM, in Südwürttemberg
bei 377 DM und in Südbaden bei 357 DM. An diesen
Zahlen, die weit unter dem Durchschnitt im Westen liegen - er liegt dort bei 420,92 DM; die Spitze ist Hamburg mit Ausgaben von 502 DM pro Versicherten -,
kann man erkennen, daß es eine aktive Politik und aktives Handeln der Krankenversicherungen in diesen Bezirken gibt.
Es ist klar: Um unsere Sparziele zu erreichen, müssen
wir keine Überforderungsklausel einführen. Problematisch war natürlich - das konnte man spüren - die
Ermittlung der Budgetdaten. In diesem Zusammenhang
müssen wir sehen, daß die unterschiedlichen Methoden zur Ermittlung der Budgetdaten in Deutschland an
das „wilde Absurdistan“ erinnern, weil Apotheker,
Kassenärztliche Vereinigungen, Pharmaindustrie und die
GKV ihre eigenen Methoden zur Datenermittlung haben.
({3})
Im Rahmen der Datenermittlung müssen wir auf das
aufbauen, was das Ministerium an Vorarbeit geleistet
hat. Ich nehme an, daß Sie die im Ministerium geleistete
Basisarbeit sicherlich nicht in Frage stellen oder gar mit
meinem Begriff vom „wilden Absurdistan“ bezeichnen.
({4})
Ansonsten müßte Herr Seehofer für dieses „wilde Absurdistan“ letztendlich die Verantwortung übernehmen.
({5})
Nein, wir müssen alles daransetzen, daß wir im medizinischen Bereich verläßliche Basisdaten bekommen,
deren Ermittlung für alle akzeptabel ist und die somit eine solide Basis darstellen können.
Aber ich möchte noch auf mein zweites Fahrzeug zu
sprechen kommen, das ebenfalls eine Minute vor dem
Start in eine sichere Lage gebracht worden ist, weil es
sonst auch aus der Kurve herausgetragen worden oder
auf zwei Rädern durch die Kurve gefahren wäre. Es geht
mir um die Frage der Psychotherapie. Wir haben Gott
sei Dank in der letzten Minute - eine Minute vor dem
Start - den Strafzoll für die Seele weggenommen, den
die alte Koalition den psychisch Kranken mit allem
Nachdruck aufgebürdet hat.
({6})
Damit schaffen wir jetzt endlich nicht nur Stabilität,
sondern auch die Gleichstellung von psychisch und somatisch Kranken im Land. Das ist ein großer Fortschritt,
und damit kann sich das deutsche Psychotherapeutengesetz weltweit sehen lassen.
({7})
Damit haben wir auch die Anerkennung des Berufs
des Psychotherapeuten als eines gleichwertigen Heilberufs erreicht. In dieser Situation darf aber die Zuzahlungsbelastung nicht auf dem Rücken der Therapeuten
abgeladen werden. Deshalb haben wir diese 70 bis
80 Millionen DM in das Budget gebracht. Anderenfalls
wäre die Freude der Therapeuten nur kurz gewesen, da
sie letztendlich zu Taschendieben ihrer Patientinnen und
Patienten geworden wären.
Die Basisdaten für das Budget waren auf der ärztlichen Seite leicht, aber für den Bereich der Delegationspsychotherapeuten schwierig zu ermitteln. Da wir ja
wünschten, daß ein gleichberechtigter Zugang gewährleistet wird und eine gleichberechtigte Versorgung durch
ärztliche und psychologische Psychotherapeuten erfolgt,
war die Frage des Budgets sehr wichtig. Wir haben
deshalb die sichere Datenbasis von 1997 genommen und
sie nicht nur um 20 Prozent, sondern um 40 Prozent aufgestockt. Damit haben wir eine solide Basis geschaffen.
Sie ist wichtig, weil die KBV das Ziel verfolgt - wir
werden sie darin aktiv unterstützen -, daß es für das erste Halbjahr 1999 für alle Psychotherapeuten eine feste
Vergütung gibt, die auf einem festen Punktwert aufgebaut ist. Das ist der richtige Start, den wir für die
Betroffenen und für die Therapeuten brauchen. Die
Psychotherapie hat damit jetzt endlich den Stellenwert
erreicht, den wir den Patienten schuldig sind. In diesem
Sinne schreiten wir, glaube ich, auf dem richtigen Wege
voran.
({8})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über den von der F.D.P.
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur beschäftigungswirksamen Änderung des Kündigungsschutzgesetzes, Drucksachen 14/44 und 14/151 Buchstabe b, bekannt. Abgegebene Stimmen 606. Mit Ja haben gestimmt 35, mit Nein haben gestimmt 571. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 603;
davon
ja: 36
nein: 567
Ja
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({0})
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({1})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Jürgen W. Möllemann
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({2})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Nein
SPD
Brigitte Adler
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel ({3})
Klaus Barthel ({4})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({5})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({6})
Bernhard Brinkmann
({7})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({8})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({9})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({10})
Lilo Friedrich ({11})
Harald Friese
Anke Fuchs ({12})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({13})
Angelika Graf ({14})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
({15})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({16})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({17})
Walter Hoffmann
({18})
Iris Hoffmann ({19})
Frank Hofmann ({20})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({21})
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({22})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({23})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({24})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({25})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({26})
Jutta Müller ({27})
Christian Müller ({28})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({29})
Gerhard Neumann ({30})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({31})
Birgit Roth ({32})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
({33})
Ulla Schmidt ({34})
Silvia Schmidt ({35})
Dagmar Schmidt ({36})
Wilhelm Schmidt ({37})
Heinz Schmitt ({38})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({39})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Brigitte Schulte ({40})
Reinhard Schultz
({41})
Volkmar Schultz ({42})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({43})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt ({44})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({45})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({46})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Helmut Wieczorek
({47})
Jürgen Wieczorek ({48})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({49})
Brigitte Wimmer ({50})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({51})
Waltraud Wolff ({52})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({53})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({54})
Hartmut Büttner
({55})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({56})
Axel Fischer ({57})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({58})
({59})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({60})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({61})
({62})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Karl Lamers
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({63})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({64})
Dr. Manfred Lischewski
({65})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({66})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({67})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({68})
Elmar Müller ({69})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({70})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({71})
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({72})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({73})
Andreas Schmidt
({74})
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze ({75})
Clemens Schwalbe
Wilhelm - Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({76})
Gerald Weiß ({77})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({78})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Hans-Otto Wilhelm
({79})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({80})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({81})
Marieluise Beck ({82})
Volker Beck ({83})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({84})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({85})
Kerstin Müller ({86})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({87})
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt
({88})
Werner Schulz ({89})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({90})
Margareta Wolf ({91})
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla ({92}) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({93})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Des weiteren gebe ich Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der
namentlichen Schlußabstimmung über den von der
SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsreformgesetzes 1998, Drucksachen 14/46 und
14/145, bekannt. Abgegebene Stimmen 607. Mit Ja haben gestimmt 372, mit Nein haben gestimmt 235. Der
Gesetzentwurf ist damit angenommen.
({94})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 606;
davon
ja: 371
nein: 235
Ja
SPD
Brigitte Adler
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({95})
Klaus Barthel ({96})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({97})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({98})
Bernhard Brinkmann
({99})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({100})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({101})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({102})
Lilo Friedrich ({103})
Harald Friese
Anke Fuchs ({104})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({105})
Angelika Graf ({106})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
({107})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({108})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({109})
Walter Hoffmann
({110})
Iris Hoffmann ({111})
Frank Hofmann ({112})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({113})
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Vizepräsidentin Petra Bläss
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({114})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({115})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({116})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({117})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({118})
Jutta Müller ({119})
Christian Müller ({120})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({121})
Gerhard Neumann ({122})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({123})
Birgit Roth ({124})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
({125})
Ulla Schmidt ({126})
Silvia Schmidt ({127})
Dagmar Schmidt ({128})
Wilhelm Schmidt ({129})
Heinz Schmitt ({130})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({131})
Brigitte Schulte ({132})
Reinhard Schultz
({133})
Volkmar Schultz ({134})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({135})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt ({136})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({137})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({138})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Helmut Wieczorek
({139})
Jürgen Wieczorek ({140})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({141})
Brigitte Wimmer ({142})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({143})
Waltraud Wolff ({144})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({145})
Marieluise Beck ({146})
Volker Beck ({147})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({148})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({149})
Kerstin Müller ({150})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({151})
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({152})
Werner Schulz ({153})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({154})
Margareta Wolf ({155})
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla ({156}) Jelpke
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({157})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Vizepräsidentin Petra Bläss
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({158})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({159})
Hartmut Büttner
({160})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({161})
Axel Fischer ({162})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({163})
({164})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({165})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({166})
({167})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Karl Lamers
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({168})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({169})
Dr. Manfred Lischewski
({170})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({171})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({172})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({173})
Elmar Müller ({174})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({175})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({176})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({177})
Andreas Schmidt
({178})
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze
({179})
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Eugen Hugo Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß
({180})
Gerald Weiß ({181})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({182})
Hans-Otto Wilhelm ({183})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({184})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({185})
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({186})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Jürgen W. Möllemann
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({187})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Vizepräsidentin Petra Bläss
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dr. Hermann
Kues, CDU/CSU, das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte eben einen
Moment lang die Sorge, daß hier gar kein Redner der
SPD antreten könnte.
({0})
Dann habe ich einen Moment überlegt, ob jetzt wohl
Herr Dreßler, den ich oben bei Interviews gesehen hatte,
seine Bewertung des Gesetzentwurfs abgibt. Wäre er
gekommen, hätten wir uns nämlich einen Teil unserer
Redebeiträge sparen können;
({1})
denn schärfer können wir diesen Gesetzentwurf heute
auch kaum bewerten, als es der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD getan hat.
({2})
Wenn ich das Durcheinander, das Sie in den vergangenen Tagen und Wochen in der Gesundheitspolitik gezeigt haben, Revue passieren lasse, fällt mir eigentlich
nur die spöttische Maxime von Mark Twain ein: Als sie
das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie
die Anstrengungen.
({3})
Der von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses
90/Die Grünen vorgelegte Entwurf eines sogenannten
Vorschaltgesetzes ist nach meiner festen Überzeugung
nicht nur ein Schuß in den Ofen, sondern auch unnötig,
schädlich und unsozial.
({4})
Darüber können auch Ihre Bemerkungen, Herr
Schmidbauer, nicht hinwegtäuschen. Er ist deswegen
unnötig, weil sich die gesetzliche Krankenversicherung
seit der Gesundheitsreform von 1997 auf einem soliden Finanzkurs befindet und weil sie der Bevölkerung
eine erstklassige medizinische Versorgung bei stabilen
Beitragssätzen ermöglicht hat.
({5})
Der Gesetzentwurf ist schädlich, weil er die vorhandenen Anreize für mehr Eigenverantwortung und mehr
Freiheit der Versicherten erheblich schwächt, weil die
Rücknahme von Zuzahlungen die gesetzliche Krankenversicherung finanziell belastet und weil die sektoralen
Budgetierungen die Gefahr der Rationierung von Leistungen beinhalten.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?
Nein. Ich möchte
zunächst einmal im Zusammenhang sprechen.
({0})
Der gesamte Gesetzentwurf ist unsozial, weil die entstehende Finanzierungslücke ausgerechnet durch die
Beiträge derjenigen gedeckt werden soll, die das geringste Einkommen haben.
Frau Ministerin, an Ihre Adresse gerichtet will ich
folgendes sagen: Was haben Sie nicht alles erzählt, als
es um die 620-Mark-Arbeitsverhältnisse ging! Was
haben Sie nicht alles an Betroffenheitslyrik hier vorne
am Rednerpult von sich gegeben! Worum es Ihnen gegangen ist, ist: Sie wollten Geld für Ihre ideologischen
Manöver in der GKV haben. Sie haben mit dem Willen
der Wählerinnen und Wähler, wie ich finde, Schindluder
getrieben.
({1})
Der Weg der vorherigen Bundesregierung, die großen
Risiken in der GKV solidarisch abzusichern und ansonsten den Versicherten bei den kleinen Risiken eine sozialverträgliche Eigenbeteiligung zur Verbesserung der
Finanzgrundlagen zuzumuten, bleibt richtig.
({2})
Alles andere hätte mittelfristig zu Leistungskürzungen
und zu einer Verschlechterung der Qualität der medizinischen Versorgung geführt. Das wäre im Endeffekt unsozial und auch ungerecht gewesen.
({3})
Ich will noch einmal - gewissermaßen als Eröffnungsbilanz für Sie; wir werden Sie daran messen - darauf hinweisen, daß die gesetzlichen Krankenversicherungen zu Beginn dieses Jahres eine Finanzreserve von
7,6 Milliarden DM hatten und daß nach den Zahlen, die
uns die Krankenkassen nennen, auch dieses Jahr mit einem Überschuß von 2 Milliarden DM zu rechnen ist.
Daran müssen Sie sich messen lassen.
Deswegen ist es völlig unverständlich und auch kaum
begründbar, wenn jetzt die neue Koalition meint, durch
überstürzte und völlig unausgegorene Maßnahmen, also
geradezu durch eine Budgetierungsorgie, den Hauptzweck der gesetzlichen Krankenversicherung, nämlich
die Sicherstellung einer erstklassigen medizinischen
Versorgung, dem Primat einer Kostendämpfungspolitik
opfern zu müssen.
({4})
Damit verläßt die neue Koalition den von der vorherigen
Bundesregierung eingeschlagenen Weg einer bedarfsorientierten humanen Gesundheitspolitik. Sie glauben
angesichts der Zahlen, die Sie eben hier zu Einzelaspekten vorgetragen haben, doch wohl nicht ernsthaft,
daß Ihre Taschenrechnerpolitik funktionieren wird.
({5})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Wenn für den notwendigen medizinischen Bedarf der
Bevölkerung mehr Mittel erforderlich sind, müssen sie
zur Verfügung gestellt werden. Dieser Bedarf kann eben
nicht durch strikte Anbindung der Ausgaben an die
Entwicklung der in den letzten Jahren stagnierenden
Beitragseinnahmen gedeckt werden. Wer patientenorientiert denkt, kann nicht bereits heute durch schematische Budgets festlegen, welche medizinischen Leistungen die Bevölkerung künftig benötigt. Wer die benötigten Mittel durch Budgetierungen herbeizaubern will,
nimmt Leistungskürzungen und eine schlechtere Qualität der medizinischen Versorgung in Kauf. Diesen Weg
wollen und werden wir nicht mitgehen.
({6})
Wie unsolide Ihre Pläne sind, zeigt auch die Reaktion
der Krankenkassen. Sie haben bereits jetzt vor Finanzierungslücken in Höhe von 2 Milliarden DM und vor drohenden Beitragssteigerungen gewarnt, die sich aus dem
Vorschaltgesetz ergeben. Das zeigt eindrucksvoll, wie
unausgegoren Ihr Gesetzentwurf ist. Die massivste Kritik schlägt Ihnen ja aus Ihren eigenen Reihen in Gestalt
von Rudolf Dreßler entgegen. Bei Ihnen weiß die rechte
Hand nicht, was die linke tut, und die linke nicht, was
die rechte tut; je nachdem, wie Sie es wollen.
Wie hat die „Frankfurter Rundschau“ am 3. Dezember dieses Jahres kommentiert - sie ist ja nicht unbedingt ein Unterstützungsorgan der CDU/CSU und der
F.D.P. -:
Wer so schnell seine gestern noch selbstbewußt
vorgetragenen Ideen zur Disposition stellt, verprellt
Bundesgenossen und verspielt das Wohlwollen der
Bürger.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({7})
Im Gegensatz zur neuen Koalition wollen wir ein
freiheitliches Gesundheitswesen, in dem Versicherte
ihre Krankenkasse, ihren Arzt frei wählen können und in
dem sie sich für verschiedene Gestaltungsformen ihrer
medizinischen Versorgung entscheiden können.
({8})
Wir wollen nicht die Bevormundung durch den Staat
oder die Krankenkassen, sondern die Stärkung von Eigenverantwortung und Selbstbestimmung des einzelnen.
Das muß nach unserer Auffassung das Ziel einer humanen, am Patienten orientierten Gesundheitspolitik sein.
({9})
Wenn Sie ehrlich wären, müßten Sie zugeben, daß
Sie, entgegen Ihren Aussagen im Wahlkampf, das
Grundprinzip der Zuzahlung nicht korrigiert haben.
Sie haben nur etwas an der Menge, nicht aber an dem
Element als solchem geändert. Das zeigt, wie scheinheilig Sie auf den Veranstaltungen in den vergangenen
Monaten argumentiert haben.
({10})
Wenn Sie ehrlich wären, müßten Sie Ihr Gesetz nicht
„Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der GKV“ nennen, sondern „Gesetz zur Verstärkung der Bürokratie in
der GKV“.
({11})
Als unsozial, wenn nicht sogar als familienfeindlich
empfinde ich die geplante Änderung der Härtefallregelung für chronisch Kranke. Bislang war es so, daß
die Familien chronisch Kranker allenfalls 1 Prozent
des Familieneinkommens für Zuzahlungen aufwenden
mußten. Künftig sind es 2 Prozent, denn der chronisch
Kranke selbst ist zwar von Zuzahlung befreit, seine Familie insgesamt wird aber höhere Belastungen tragen
müssen. Weshalb dies eine Verbesserung der geltenden
Regelung sein soll? - Ich nehme an, Sie wissen es selbst
nicht so recht.
({12})
Sie kündigen an, daß Sie nächstes Jahr Strukturreformen durchführen wollen. Auch wenn Sie hierzu keine
konkreten Absichten vorlegen, zumal Sie das unmittelbare Gesetz kaum hinbekommen, so weiß bzw. ahnt
zumindest jeder kundige Thebaner, was dies bei den von
Ihnen bekannten dirigistischen und zentralistischen Vorstellungen werden soll, jedenfalls nichts Gutes.
Ich fasse zusammen: Erstens. Die rotgrüne Koalition
gefährdet die von uns in den vergangenen Jahren gerade
erfolgreich bewahrte finanzielle Stabilität der GKV.
Zweitens. Die rotgrüne Koalition gefährdet die Versorgungsqualität und - drittens - letztendlich die Leistungsbereitschaft und die Solidarität in unserer Gesellschaft.
Vielen Dank.
({13})
- Doch, das erkläre ich Ihnen auch noch.
Es spricht jetzt die
Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Lassen Sie mich zunächst einmal meiner Freude Ausdruck verleihen. Als jemand, der seit den Jahren nach
der Wende eigentlich immer nur erlebt hat, daß das, was
vor den Wahlen gesagt, und das, was nach den Wahlen
getan wird, nichts, aber auch gar nichts miteinander zu
tun hat, habe ich schon gedacht, das sei in der Politik
normal. Ich bin froh, heute hier zu stehen und zu wissen:
Wir werden an diesem Tag unsere Versprechen einlösen, eins zu eins und ohne Vertun. Das ist nicht unnötig,
Herr Kues, es ist vielmehr glaubwürdig. Dafür stehe ich
hier.
({0})
Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD
legen Ihnen hier in zweiter Lesung einen Gesetzentwurf
vor, der gemeinsam mit dem zuständigen Ministerium
erarbeitet worden ist und vor allem zwei Dinge will:
Erstens. Es geht darum, einige unzumutbare Belastungen, die Sie während Ihrer Regierungszeit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes auferlegt haben, zurückzunehmen. Wir wollen nicht nur Wahlversprechen
einlösen. Es geht vielmehr um die Frage, wieviel Solidarität wir in diesem Land wollen und wieweit wir bereit
sind, für diese Solidarität auch gemeinsam einzustehen.
Zweitens. Es war natürlich zwingend, Zuwächse und
Mehrausgaben zu begrenzen. Es geht eben nicht um eine
Gegenfinanzierung der Maßnahmen, die wir für die Versicherten wollen, sondern darum, einem für das System
unverkraftbaren Kostenzuwachs vorzubeugen. Wir
wollen nicht Rationierung, sondern sinnvolle Begrenzung, wir wollen hochwertige Versorgung ermöglichen
und keinen Einstieg in die Zweiklassenmedizin.
({1})
Zweifellos werden wir langfristig und gemeinsam mit
allen Beteiligten eine tragfähige Lösung finden, die einerseits für Ausgabenbegrenzung sorgt, andererseits
aber zugleich ein hohes Maß an Flexibilität und Planbarkeit beinhaltet. Das sind alles Dinge, die wir und das
Gesundheitswesen in den letzten Jahren schmerzlich
vermißt haben.
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
haben in der ersten Lesung einen Entwurf vorgelegt und
deutlich gesagt: Das ist ein Diskussionsangebot. Die von
den Regierungsfraktionen vorgeschlagene Anhörung
und zahlreiche Gespräche haben zu dem, was Ihnen
heute vorliegt, geführt. Wir haben Bedenken und Vorschläge gehört und aufgenommen, soweit sie die von der
Koalition beschriebenen Ziele erreichen können. Dazu
gehört selbstverständlich auch die Stabilität der Beiträge.
Das oberste Prinzip, das uns geleitet hat und das uns
auch bei den langfristigen Reformen leiten wird, ist das
Prinzip
({2})
der Solidarität. Wir werden unter keinen Umständen
zulassen, daß dieses Prinzip noch einmal aufgegeben
wird.
({3})
Wir werden mit der Politik dieser Regierung die Situation der Versicherten, der Bürgerinnen und Bürger, verbessern; denn es muß der Trend gestoppt werden, der
Gesundheit vom persönlichen Geldbeutel abhängig
macht. Das ist das zentrale Ziel, und mit dem Vorschaltgesetz gehen wir einen ersten Schritt dorthin.
({4})
Lassen Sie mich zu den einzelnen Vorschlägen kommen. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Zuzahlungen für
Medikamente zu reduzieren. Wir haben nicht nur zurückgenommen, sondern wir haben auch weitere Anstiege verhindert. Insgesamt werden damit in erster Linie
ältere Menschen und chronisch Kranke entlastet.
({5})
Dabei sorgen wir bei denjenigen für einen ersten Entlastungsschritt, für die Kranksein richtig teuer ist.
Für die chronisch Kranken fahren wir diese Belastung
auf Null, wenn sie wenigstens 1 Prozent ihres Jahresbruttoeinkommens für Zuzahlungen aufwenden mußten.
({6})
- Ich komme dazu.
Die Freistellung gilt nicht für Familienmitglieder.
Dies hätte auch keinen Sinn, wenn der Kranke selbst
entlastet ist. Sie hätten durchaus die Möglichkeit gehabt,
mit Ihrer Stimme eine ganz klar familienfreundliche
Maßnahme zu unterstützen, nämlich bei der Erhöhung
des Kindergeldes.
({7})
Das haben Sie nicht getan, da haben Sie die Katze aus
dem Sack gelassen.
({8})
Das müssen Sie erst mal denjenigen erklären, denen Sie
immer etwas von Familienfreundlichkeit erzählen.
Wir wollen das sogenannte Krankenhausnotopfer
als unzulässige zusätzliche Belastung für die Versicherten aussetzen. Sie werden sich sicherlich alle nicht mit
einer guten Erinnerung zu beschäftigen haben, wenn Sie
an die Einführung desselben denken. Ich meine, dabei
ging es überhaupt nicht um den Betrag; es ging darum,
daß wieder etwas daraufgepackt wurde, wieder neu belastet wurde.
Ganz entscheidend mit Blick auf die Gerechtigkeit
zwischen den Generationen ist natürlich - das hatten Sie
leider in Ihrer Regierungszeit vergessen - die Wiederaufnahme der Zahnersatzleistungen für nach 1978 Geborene. Tatsächlich geht es darum, daß in dieser Gesellschaft nicht allein Besitzstände etwas gelten, sondern
auch die Zukunft.
({9})
Diese und weitere Erleichterungen haben wir angekündigt. Ich kann verstehen, daß es Ihnen nicht gefällt,
daß wir sie einlösen.
({10})
Ich weiß nicht, um was es Ihnen dabei ging, ob es Ihnen
tatsächlich um die langsame Aushöhlung des SolidarKatrin Göring-Eckardt
prinzips ging. Ich vermute das und schätze, das tun auch
diejenigen, die Sie abgewählt haben.
({11})
Natürlich war es notwendig, über diese Maßnahmen
hinaus die Ausgabensteigerungen zu begrenzen. Hören
Sie bitte genau hin: Es geht um die Begrenzung der
Ausgabensteigerungen; denn die Budgets dienen nicht
der Gegenfinanzierung.
({12})
Wir haben die Notwendigkeit gesehen, uns den Weg für
die Strukturveränderungen in diesem System, die wir
vorhaben, nicht finanziell zu verbauen.
Es handelt sich bei den Ausgabenbegrenzungen um
außerordentlich differenzierte Lösungen, die genügend
Spielraum für qualitativ hochwertige medizinische Versorgung der Bevölkerung lassen. Die Dramatik und die
Polemik, mit der die Bundesärztekammer heute versucht, die Menschen zu verunsichern, wird in erster Linie den Ärztinnen und Ärzten schaden, und das ist sehr
bedauerlich.
({13})
So haben wir bei der vertragsärztlichen Versorgung eine
Steigerung um die Grundlohnsummenentwicklung, das
sind in 1999 1,2 Milliarden DM mehr als in diesem Jahr.
Besonders zu berücksichtigen war dabei für uns die
Situation in den neuen Ländern, in denen sich die
Grundlohnsummenentwicklung um Null herum bewegt.
Hier schlagen wir einen solidarischen Ausgleich vor, einen Ausgleich zwischen Ost und West, der 140 Millionen DM transferiert und umverteilt. Bei einer solchen
Regelung - das sage ich Ihnen ganz ehrlich, und das sage ich Ihnen als Thüringerin - sind mir die Proteste der
Ärzte und Ärztinnen im Osten nur zum Teil verständlich. Sie können nur mit der jahrelangen Verunsicherung
zu tun haben, der sie ausgesetzt waren.
({14})
Dennoch hoffe ich, daß es uns gelingt, daß nicht nur
im Bereich der niedergelassenen Ärzte, sondern insgesamt eine Gleichbehandlung im Gesundheitssystem erreicht werden kann. Ich gehe davon aus, daß das mit
diesem Vorschaltgesetz noch nicht geht; das ist völlig
klar und auch nicht zu kritisieren. Wir brauchen gemeinsame Verantwortung in diesem Land. Die Bereitschaft
der Kassenärztlichen Vereinigungen, an diesem Punkt
mitzuarbeiten, zeigt, daß auch sie ganz klar sagen: Zur
inneren Einheit gehört, daß Starke Schwache schützen.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit den bevorstehenden und, wenn man sich die letzten Jahre ansieht,
auch zu erwartenden Protesten der Ärzteschaft noch etwas sagen. Es ist nicht allein so, daß den niedergelassenen Ärzten Zuwächse in dem obengenannten Umfang
zugestanden werden. Es ist auch so, daß wir mit diesem
Gesetz vergangene Budgetüberschreitungen - nicht
leichten Herzens übrigens - von Rückzahlungen freistellen. Wir sagen: Bei Überschreitungen, die es im
nächsten Jahr gibt, gehen die Rückzahlungsverpflichtungen nicht über 5 Prozent hinaus. Das ist ein Angebot,
und ich hoffe, das wird auch so verstanden werden.
({15})
Zum Abschluß noch ein paar Worte aus der Sicht der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem, was wir im
nächsten Jahr vorhaben. Ohne an dieser Stelle und heute
den Gesamtkontext beleuchten zu können, liegt mir daran, zwei Dinge anzusprechen, die ich für eine umfassende Strukturreform für wesentlich halte.
Erstens. Vorsorge und Förderung von Gesundheit
muß einen hohen Stellenwert erhalten. Selbsthilfe stärkt
die Patienten. Wenn sie einen aktiven Anteil übernehmen,
sichern sie zugleich die Wirksamkeit medizinischer Leistungen. Das führt nebenbei zu mehr Wirtschaftlichkeit.
Wir wollen nicht nur auf die großen Verbände, die mit
ihren Erfahrungen und Kompetenzen für den anzugehenden Reformprozeß unverzichtbar sind, zurückgreifen, sondern auch auf die, die in der Gesundheits- und
Selbsthilfebewegung Erfahrungen gemacht haben. Der
Boom alternativer Heilmethoden und die für die meisten
Patienten große Unübersichtlichkeit in diesem Bereich
zeigen, daß es auch hier ein Bedürfnis gibt, Klarheit für
eine positive und verläßliche Entwicklung zu schaffen.
Zweitens. Patientinnen und Patienten müssen wieder
in den Mittelpunkt gestellt werden. Immer mehr wird
über ihren Kopf hinweg - nach dem Motto: Man weiß
schon, was gut für dich ist - entschieden.
({16})
Wir brauchen mehr Transparenz und Kooperation.
Wir brauchen neue Strukturen und eine Beendigung des
Denkens in Sektoren.
({17})
Für die von uns angestrebte Reform des Gesundheitswesens, die auf Solidarität und Selbstverantwortung
beruht, brauchen wir einen breiten Dialog, der auch jenseits von Detailfragen geführt wird. Es ist eine gesellschaftliche Diskussion über die Frage zu führen, wie wir
die Zukunft des Gesundheitswesens gestalten wollen,
vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung, vor dem Hintergrund immer neuer umweltbedingter Erkrankungen, vor dem Hintergrund immer neuer
medizinischer Möglichkeiten und vor dem Hintergrund
eines wachsenden Interesses der Bürgerinnen und Bürger, Gesundheitsvorsorge zu betreiben. Zu einer solchen
Diskussion wollen wir einladen.
({18})
Wir wollen sie bald führen und nicht über die Köpfe der
Betroffenen auf allen Seiten hinweg.
Vielen Dank.
({19})
Frau Kollegin Göring-Eckardt, das war Ihre erste Rede in diesem Hause.
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen beglückwünsche ich Sie recht herzlich dazu.
({0})
Nunmehr erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr.
Dieter Thomae, F.D.P.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Ihren eigenen
Reihen wird von schweren handwerklichen Fehlern gesprochen. Ich kann das nur bestätigen: Es war ein Chaos.
({0})
Warum eigentlich? Die neue Bundesregierung übernimmt eine gesetzliche Krankenversicherung, die kerngesund ist.
({1})
Die Defizite der letzten Jahre sind auf Grund von Maßnahmen, die die alte Koalition getroffen hat, abgebaut
worden. Für 1998 rechnen die Krankenkassen mit einem
Überschuß von mehr als 2 Milliarden DM.
({2})
Auch die Situation der Krankenkassen in den neuen
Bundesländern ist durch die einheitliche Anwendung
des Risikostrukturausgleiches Ost und West deutlich
besser geworden.
Also, meine Damen und Herren: Die alte Bundesregierung übergibt Ihnen eine gesunde Krankenversicherung.
({3})
Aber was machen Sie? Sie kommen mit unausgegorenen
Maßnahmen und wollen diese heute beschließen. Das
bringt in meinen Augen die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung in große Gefahr. Die
Auswirkungen werden zwar wegen des mitgegebenen
Polsters nicht so schnell eintreten, aber sie werden
kommen.
Die Gegenfinanzierung der Wahlgeschenke ist trotz
aller Beteuerungen schlichtweg nicht gesichert. Ich verweise nur auf folgende Punkte, die Ihnen noch große
Probleme bringen werden: die Gesetzesregelungen zu
den 620-Mark-Jobs, die zusätzlichen Investitionen für
die Krankenhäuser, die Sie zugesagt haben, und der Bereich Psychotherapie. Mit diesen Schritten werden Sie intern wissen Sie das genau - finanziell in erhebliche
Schwierigkeiten kommen.
({4})
Das wird die Beitragssätze massiv beeinflussen.
In Gefahr geraten werden nicht nur die Finanzen,
sondern auch Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität. Sie wenden ein altes Prinzip an, das im Grunde
genommen in die Müllkiste gehört: die sektorale Budgetierung. Ich gebe zu, auch wir haben - mit Ihrer Zustimmung - von 1992 bis 1995 sektorale Budgets gehabt. Aber damals war die Situation völlig anders. Es
gab noch mehr Wirtschaftlichkeitsreserven in diesem
Bereich, die heute einfach nicht mehr vorhanden sind.
({5})
Sie begehen einen weiteren entscheidenden Fehler:
Sie wissen, daß sektorale Budgetierung jede Verzahnung
unmöglich macht. Es besteht keine Möglichkeit, die einzelnen sektoralen Budgets zu verknüpfen. Das ist der
entscheidende Fehler.
({6})
- Das fällt Ihnen sehr schwer, ich weiß es. Da muß man
sehr kreativ sein. Sie aber gehen über alles mit der Hekkenschere drüber. Das ist der Fehler. Sie müssen jetzt
Filigranarbeit leisten.
({7})
Sie müssen die Verzahnung von ambulant und stationär
schaffen.
({8})
Sie müssen Gedanken und Konzepte entwickeln, wie
Operationssäle und Großgeräte gemeinsam genutzt werden können.
({9})
- Das haben Sie nicht. - Sie müssen Konzepte zur besseren Verzahnung von Akut- und Rehabilitationsbereich
entwickeln. Und schließlich müssen Sie sich Gedanken
darüber machen, wie die Pflege besser eingebunden
werden kann.
Diese Punkte muß eine zukunftsgewandte Gesundheitspolitik berücksichtigen.
({10})
Ihr verdammtes altes Prinzip der sektoralen Budgetierung, was alle neuen Strukturen behindert, die Verzahnung unmöglich macht und die Patientenversorgung erheblich schwächt, ist dazu nicht geeignet. Da muß man
Sie packen, das ist Ihr großer Fehler bei diesem Vorschaltgesetz.
({11})
Sie sind nicht zukunftsgewandt, sondern haben Instrumente aus den 70er Jahren aus der Mottenkiste herausgeholt.
Hinzu kommt ein ganz wesentlicher Aspekt: Die Patienten werden die Leidtragenden sein. Beispiel Arzneimittelbudget: Wir können gar nicht das Chaos schildern, das im Ausschuß bei der Festsetzung des Arzneimittelbudgets geherrscht hat. Ich könnte Ihnen aufzeigen, welche Änderungen im Ausschuß eingebracht worden sind. Aber ich will es dabei belassen, zu sagen, daß
das Arzneimittelbudget fünfmal korrigiert wurde. Und
jetzt höre ich, auch das werde von Ihnen innerparteilich
nicht akzeptiert. Man spricht schon davon, Änderungsanträge einzubringen.
Nehmen wir an, Sie wollten wirklich 1 Milliarde DM
einsparen. Sie, Herr Schmidbauer, schlagen vor: Schauen Sie sich diese KV, schauen Sie sich jene KV an; da
und dort geht es viel besser. - Aber aus Ihren Reden aus
der Vergangenheit weiß ich, daß Sie immer dafür plädiert haben, die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, auch beim Arzneimittelbudget. Dazu gehört für
mich, daß Sie entscheiden müssen: Wie stark ist die stationäre Versorgung, und wie stark ist die ambulante
Versorgung in der Region? Was wird durch die ambulante Versorgung ersetzt, und wo und wie wird die stationäre Versorgung gemindert? Es gibt in den Ländern
erhebliche Unterschiede in der stationären Versorgung.
In manchen Ländern ist sie erheblich geringer als in anderen, dafür wird dann aber die ambulante Versorgung
ausgeweitet.
({12})
- Schauen Sie sich die Daten genau an, Herr Schmidbauer, und vergleichen Sie beispielsweise die Daten von
Niedersachsen und Hessen. Dabei werden Sie genau
dieses Prinzip sehen.
Es dürfen keine Heckenschnitte durch das Arzneimittelbudget gemacht werden. Vielmehr müssen Sie mit
Richtgrößen arbeiten. Dann können Sie dem Patientenwillen und auch der Arzneimittelversorgung in diesem
Lande entgegenkommen. Sie machen es sich mit Ihren
Methoden des Arzneimittelbudgets zu einfach.
({13})
Ähnlich ist es in anderen Bereichen. Sie nehmen in
den unterschiedlichen Sektoren ganz verschiedene Daten
als Basis. Man fragt sich, warum. Warum gehen Sie im
ärztlichen Bereich, im zahnärztlichen Bereich und im
Krankenhausbereich völlig verschiedene Wege? Im
Krankenhausbereich erweitern Sie sogar noch das Volumen, obwohl Sie selber sagen: Wir müssen den ambulanten Bereich nennenswert ausbauen, weil er der
günstigere Bereich ist, die Leistungen also günstiger anbietet. Was machen Sie jetzt? Sie erweitern den Krankenhausbereich.
({14})
Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Steht dahinter etwa die langfristige Politik, die Freiberuflichkeit
in diesem Lande zurückzufahren und mehr Leistungen
ins Krankenhaus zu verlagern? Darauf müssen wir achten. Schauen Sie sich die Fakten genau an.
({15})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Ich
scheine Sie an der richtigen Stelle getroffen zu haben.
({16})
Letzter Punkt. Sie haben ja viele Wahlversprechen
abgegeben.
({17})
Sie haben vielen Patienten versprochen: Wir führen alles
zurück. Sie haben die Zuzahlungen weitgehend beibehalten. Sie haben die chronisch Kranken im ersten
Schritt vielleicht entlastet. Im zweiten Schritt werden die
chronisch Kranken erkennen, daß sie eben nicht entlastet
werden, daß sie in der therapeutischen Behandlung eben
nicht mehr die gleichen Chancen wie bisher haben, bei
Krebs, bei Diabetes, bei Alzheimer und bei Multipler
Sklerose mit hochinnovativen Produkten behandelt zu
werden. Wir werden hierbei Rationierungseffekte haben,
genau wie es im Krankenhausbereich Wartelisten geben
wird. Dafür müssen Sie die Verantwortung übernehmen.
({18})
Im Kur- und Rehabilitationsbereich, zu dem Sie
eine Kampagne geführt haben, in der Sie den Wählern
viele Versprechen gegeben haben, haben Sie mit keinem
Schritt etwas geändert.
({19})
Sie haben gesagt: Wenn wir die Verantwortung übernehmen, werden wir in diesem Bereich sofort Veränderungen herbeiführen. Nichts haben Sie getan! Sie haben
die Zuzahlungen nicht geändert; Sie haben die DreiWochen-Frist nicht geändert; Sie haben auch die Intervalle nicht geändert.
({20})
Wenn Sie diese Versprechen abgeben und heute sagen,
Sie bräuchten das Vorschaltgesetz, um diese Versprechen einzulösen, dann haben Sie einen ganz großen Bereich nicht berücksichtigt. Ich bezeichne dies als Wählerbetrug.
({21})
Herr Kollege Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Wodarg?
Nein.
Wenn Sie behaupten, das Vorschaltgesetz würde unser Gesundheitswesen in die Zukunft führen, dann kann
ich Ihnen nur sagen: Dieses Vorschaltgesetz wird rückDr. Dieter Thomae
wärts gewandt sein. Sie werden den Mut nicht aufbringen, Zukunftsperspektiven im Gesundheitssystem so
aufzubauen, daß es nicht in Planwirtschaft geführt wird,
sondern im Wettbewerb der freiheitlichen Niederlassung
und der freiheitlichen Angebote.
({0})
Ich erteile jetzt das
Wort der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs, PDS.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Lieber Kollege Thomae, ich finde
es schon ein bißchen eigenartig, daß Sie die Koalition
dahin gehend mahnen, Dinge nicht zurückgenommen zu
haben, die Sie als absolute Voraussetzung dafür gesehen
haben, daß die gesetzliche Krankenversicherung überhaupt funktionieren kann. Das finde ich nicht fair.
({0})
Auf der anderen Seite sage ich: Man kann es wirklich
nicht verstecken, daß die Regierung inzwischen - wie
auch die bisherigen Debatten in diesem Hohen Hause
und vor allen Dingen auch in den Ausschüssen gezeigt
haben - erste Federn gelassen hat. Ihr momentanes Erscheinungsbild ist, gelinde gesagt, schon ziemlich ramponiert. Was allerdings die Rücknahme eines nicht unwesentlichen Teils der sozialen Ungerechtigkeiten der
Vorgängerkoalition betrifft, so hat diese Regierung Wort
gehalten, und das verdient trotz des kritisch Gesagten
erst einmal Respekt und Anerkennung.
({1})
In diesem Kontext stehen für uns auch jene Maßnahmen des Solidaritätsstärkungsgesetzes für das Gesundheitswesen, die Sozialabbau zurücknehmen und
die den Grundsätzen einer solidarischen Krankenversicherung wieder stärkere Geltung verschaffen. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Ein Gesundheitswesen darf
niemals primär wirtschaftlichen Interessen und individueller Zahlungsfähigkeit unterworfen werden, sondern
muß sozialer Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit verpflichtet bleiben.
({2})
Eine Individualisierung und Privatisierung sozialer Risiken nimmt, wie wir wissen, gerade auch im gesundheitlichen Bereich sehr schnell inhumane Züge an.
Es ist somit schon ein Verdienst der neuen Koalition,
daß sie bemüht ist, den durch die Vorgängerregierung in
diesem Zusammenhang eingeleiteten Paradigmenwechsel so rasch wie möglich wieder rückgängig zu machen.
Hierin sehen wir das wichtigste gesellschafts- und sozialpolitische Signal, welches von diesem Gesetz ausgeht
und das von niemandem zerredet werden sollte.
({3})
Die Chance vom Politikwechsel hin zu einem am
Patientenbedarf orientierten und überall gleichermaßen
leistungsfähigen Gesundheitswesen steht und fällt bekanntlich mit der Fähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung zu einem funktionierenden Solidarausgleich, und zwar nicht nur zwischen den Mitgliedern einer Kasse, sondern auch zwischen den Kassen selbst und
zwischen den strukturstarken und strukturschwachen
Regionen. Moderne Medizin innerhalb eines Landes
verlangt nun einmal einen überall ähnlichen finanziellen
Aufwand, und zwar unabhängig davon, wo die Menschen leben. Wer also richtigerweise Belastungen von
den Versicherten wegnimmt und sie wieder dort hinstellt, wo sie hingehören, nämlich zu den Kassen, der
muß nicht nur generell für die notwendige Gegenfinanzierung sorgen, sondern er muß sie von vornherein und
geradezu mit besonderer Sorgfalt für die Kassen in den
strukturschwachen Regionen absichern, konkret vor allem auch in den ostdeutschen Ländern. Aber genau dies
war im ersten Entwurf so gut wie überhaupt nicht der
Fall. Trotz beachtlicher Nachbesserung ist es aber noch
immer eine zentrale Schwäche dieses Gesetzes.
Ein funktionierendes Gesundheitswesen verlangt bekanntlich nicht nur wirtschaftlich gesunde Kassen und
akzeptable Beitragssätze, sondern vor allem auch die
Entwicklung eines entsprechenden Leistungsangebotes
und gesicherter Finanzierungsmöglichkeiten. Hier aber
gibt es, wie wir wissen, noch immer gravierende Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern.
Deshalb war es richtig, daß mit dem vorliegenden
Gesetz die im GKV-Finanzstärkungsgesetz vorgesehene
zeitliche Begrenzung des 1999 erstmalig Ost und West
übergreifenden Risikostrukturausgleiches gestrichen
wurde. Dies ist ohne Frage eine wichtige Hilfe, denn es
stellt die finanziellen Transfers auf eine wesentlich solidere Basis. Aber es wäre unseres Erachtens nur konsequent gewesen, auch die gegenwärtig bei 1,2 Milliarden
DM festgeschriebene finanzielle Begrenzung dieses Risikostrukturausgleichs aufzuheben oder, wenn man dies
schon aus welchen Gründen auch immer nicht macht,
diese Summe zumindest substantiell aufzustocken. Die
jetzt bestehende Limitierung führt bekanntlich dazu, daß
für 1999 die Einkommensunterschiede in Ost und West
eben nur teilweise ausgeglichen werden.
Meine Damen und Herren, jeder weiß, daß hohe
regionale Arbeitslosigkeit die Finanzsituation der
Krankenkassen zusätzlich verschärft. Auch davon sind
die neuen Bundesländer in besonderer Weise betroffen.
Ich möchte deshalb erneut die Frage aufwerfen, inwieweit es geboten erscheint, die vor Jahren aus rein fiskalischen Gründen erheblich abgesenkten Krankenversicherungsbeiträge, die von der Bundesanstalt für Arbeit
kommen, zumindest in den Ländern, die unter überproportional hoher Arbeitslosigkeit leiden, abhängig von
der tatsächlichen Höhe der Arbeitslosigkeit im Sinne
eines Nachteilausgleiches wieder anzuheben.
Die im Gegensatz zu den Beteuerungen der Regierung auch heute noch bestehenden Unwägbarkeiten bei
der Gegenfinanzierung sowie manche Budgetfestsetzungen, die anfangs offensichtlich ohne jedes Augenmaß
erfolgt sind, könnte man auf diese Weise weitgehend
vermeiden.
Meine Damen und Herren, wer Ausgabenbegrenzung
in Form sektoraler Budgets einführt, muß der wirtschaftlichen Leistungskraft und der konkreten Versorgungssituation in den unterschiedlichen Regionen viel
stärker Rechnung tragen. Die Grundlohnentwicklung im
Osten wird, wie wir wissen, auch im laufenden Jahr im
Minusbereich liegen. Deshalb war es beispielsweise
wichtig, daß wenigstens im parlamentarischen Verfahren die Budgetfestlegung für die ambulante Versorgung
im Osten nicht auf der Grundlage einer nach Ost und
West getrennten Berechnung der Veränderungsrate der
Grundlohnsumme vorgenommen, sondern so modifiziert
wurde, daß die zur Verfügung stehende Summe spürbar
aufgestockt und eine zumindest ähnliche Tendenz wie in
den alten Bundesländern ermöglicht wird.
Allerdings hat diese Verbesserung keine Entsprechung bei Heilmittelerbringern, wie Logopäden und anderen Gesundheitsberufen, gefunden. Hier gab es bis
1990 intakte Versorgungsstrukturen, die oft eliminiert
wurden, aber hier ist bisher im Gegensatz zum Beispiel
zu den niedergelassenen Ärzten eine vergleichbare
Neuformierung ausgeblieben. Die Aufgabe besteht hier
nicht nur allein darin, die Existenzgrundlagen der Leistungserbringer zu erhalten, sondern überhaupt erst
einmal wieder die Entwicklung einer bedarfsdeckenden Versorgung zu ermöglichen. Diese Situation ist mit
dem vorliegenden Gesetz völlig verkannt worden. Ich
meine, sie sollte im Rahmen der demnächst vorzubereitenden Strukturreform einen besonderen Stellenwert
erhalten.
Sektorale Budgets - diese Erfahrung haben alle gemacht - sind kein geeignetes Instrument zur Steuerung
von Gesundheitsaufgaben. Um so unverständlicher ist
es, wenn es mit diesem Gesetz zu einem Rückfall in
längst überwunden geglaubte Zeiten sektoraler Budgetierung mit all ihren Ungerechtigkeiten sowie reglementierenden und Initiative erstickenden Begleiterscheinungen kommt. Auch Sie von der Koalition hatten diese
Meinung einmal. Hier sind wir uns, glaube ich, auch einig.
Auch deshalb ist abschließend aus unserer Sicht zu
sagen: Das Gesetz ist - trotz dieser von mir erwähnten
Mängel - ein absolut notwendiger Schritt, wenn es im
Jahr 2000 zum - ich betone - großen Wurf einer tiefgreifenden Strukturreform im Gesundheitswesen kommen soll. Gleichzeitig macht es nach unserer Auffassung
aber auch grundsätzliche Denkfehler und Versäumnisse
der Koalition deutlich, die die Qualität dieses Gesetzes
erheblich beeinträchtigen. Wir werden uns deshalb der
Stimme enthalten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort dem Abgeordneten Dr.
Wolfgang Wodarg, SPD.
Leider hat Herr
Thomae eine Frage nicht zugelassen. Deshalb melde ich
mich noch einmal, um auf die deutlichen Widersprüche
hinzuweisen, die er uns hier präsentiert hat. Er hat nämlich einerseits darüber geklagt, daß wir die Krankenhäuser nicht mehr ausgebremst hätten, daß wir im ambulanten Bereich so sparen würden und die Budgets so
herunterschrauben würden, aber die Krankenhäuser verschonen würden. Andererseits hat er hinterher gesagt,
daß es dann, wenn wir die Krankenhäuser mehr an die
Kandare genommen hätten, zu Wartelisten gekommen
wäre. Sie scheinen offenbar selber nicht zu wissen, was
Sie wollen. Ich glaube, wir können froh sein, daß Sie
jetzt aus der Verantwortung für dieses schwierige Gebiet
entlassen worden sind.
Außerdem haben Sie gesagt: Teure Medikamente seien dann für chronisch Kranke nicht mehr bezahlbar.
Man würde mit dem Budget nicht auskommen. Herr
Thomae, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir jahrelang versucht haben, mit Ihnen zu einer Lösung zu
kommen, bei der die Qualitätssicherung im Vordergrund
gestanden hätte, und daß wir die Positivliste eingefordert
haben, damit genau die Medikamente bezahlbar bleiben,
die wirklich erforderlich sind, und damit wir den Stall
ausmisten, der bei uns in Deutschland bei der Arzneimittelverordnung zum Himmel stinkt. Das ist so, weil
wir eben kaum Qualitätssicherung in der Medizin haben.
Ich weiß, wovon ich rede.
({0})
Dann haben Sie gelobt, daß natürlich Sie dafür gesorgt haben, daß es den Krankenkassen jetzt so gutgeht.
Herr Thomae, Sie scheinen zu vergessen, daß wir nicht
dafür da sind, daß es den Krankenkassen gutgeht; vielmehr sind wir dafür da, daß es den Kranken gutgeht. Die
haben Sie in der Tat ausgeplündert; denn die Kranken also diejenigen, die Medikamente und Hilfe brauchen waren es, die dafür gesorgt haben, daß die Kassen der
Krankenkassen so voll sind. Diesen Zusammenhang
muß man doch einmal sehen. Das Geld, das die Krankenkassen jetzt als Polster haben, haben die Schwächsten in unserer Gesellschaft gezahlt. Das haben Sie veranlaßt. Das Geld ist über die Zuzahlung hereingekommen. Wir versuchen jetzt, das zu korrigieren, was Sie
verbockt haben.
({1})
Herr Kollege Dr.
Thomae, bitte.
Sehr geehrter Herr
Wodarg, Sie wissen genau, wenn Sie eine Positivliste
formulieren, so bedeutet dies nicht, daß Sie Kosten einsparen - das behaupten Sie immer wieder, Sie scheinen
sich nicht mit dieser Thematik beschäftigt zu haben -,
sondern in den Ländern, in denen es eine Positivliste
gibt, ist der Arzneimittelverbrauch bezogen auf die deutDr. Ruth Fuchs
sche Bevölkerung mindestens so hoch wie in den Ländern, wo es keine gibt.
Dann müssen Sie auch klipp und klar sagen, wie Sie
es bei dieser Frage mit den Naturheilmitteln halten,
wenn Sie eine Positivliste haben. Da fällt es Ihnen ausgesprochen schwer, denn in dem Entwurf, der mit Ihnen
erarbeitet wurde, waren die Naturheilmittel so gut wie
nicht vertreten. Das sagen Sie bitte dem deutschen Bürger. Wie halten Sie es mit der Therapiefreiheit in
Deutschland? Wenn Sie die Positivliste auf diesen Weg
bringen, wird die Therapiefreiheit eingeschränkt. Diese
Punkte müssen Sie bei Ihrer Frage genau berücksichtigen.
Sie haben auch einen weiteren Punkt angesprochen,
sehr geehrter Herr Wodarg: Ich rate Ihnen, bevor Sie
über die Thematik Arzneimittel, chronisch Kranke und
Arzneimittelbudget reden, schauen Sie sich einmal genau an: Wir haben in den letzten Jahren eine Stabilität
bei den Ausgaben im Arzneimittelbereich. Wir haben
eine Basis von 92/93. Diese Basis wird jetzt noch einmal
abgesenkt. Von daher vermute ich in der Tat, daß bei
chronisch Kranken, weil ein Arzneimittelbudget mit Regreß besteht, innovative Arzneimittel nicht mehr so verschrieben werden wie es medizinisch notwendig ist.
({0})
- Ihnen fällt es schwer, dies zu verstehen, aber die Fakten sprechen dafür. Vor allen Dingen im Bereich der
neuen Bundesländer wird dies ein entscheidendes Thema sein, weil dort die Arzneimittelbudgets niedrig angeordnet sind.
Nächste Rednerin ist
jetzt die Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch, SPD.
Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Thomae,
was Sie gerade gemacht haben, ist unverantwortlich.
({0})
Sie haben uns aufgezeigt, daß wir am Ende dieses Jahres
einen Überschuß von 2 Milliarden DM in der Krankenversicherung haben und wir damit sorgsam umzugehen
haben. Das sind nicht Gelder der Krankenversicherung,
das sind Beiträge von Versicherten, und das sind Gelder
von denen, die als Kranke Zuzahlungen geleistet haben.
Diese 2 Milliarden DM können eine hervorragende Gesundheitsversorgung garantieren. Sie befinden sich nicht
in guter Gesellschaft, wenn Sie glauben, Sie müßten sich
mit Dr. Villmar zusammentun und den Teufel an die
Wand malen und kranke Menschen in diesem Land verunsichern, wohl wissend, daß ein Überschuß von 2 Milliarden DM vorhanden ist.
({1})
Das ist der eine Punkt.
Der nächste Punkt, Herr Dr. Thomae. Sie haben mit
all den Aufgaben, die wir haben werden - Verzahnungen, Krankenhausbereich -, recht. Ich frage Sie nur:
Warum sind Sie diese Problemlagen nicht in den letzten
16 Jahren angegangen?
({2})
Da sind Sie doch einfach hängengeblieben, und Sie haben sich darauf versteift, Klientelpolitik zu machen. Was
wir jetzt machen, ist nichts anderes, als daß wir Patientinnen und Patienten entlasten, daß wir für eine Beitragsstabilität sorgen, damit wir in dem Jahr 1999 die
Grundlagen dafür schaffen können, daß wir all die Aufgaben, die Sie benannt haben, gemeinsam angehen, um
das Gesundheitssystem in der Bundesrepublik zu stabilisieren.
({3})
- Wir haben eine Gegenfinanzierung aus dem 620-DMGesetz.
({4})
- Das mag Ihnen nicht gefallen, aber ich finde es solidarisch und gerecht, wenn ein Versicherungsbeitrag erhoben wird, dem auch eine volle gesundheitliche Leistung
der Krankenversicherung entgegensteht. Da habe ich
kein Problem.
({5})
Es muß nicht sein, daß nichts in die Krankenkassen gezahlt wird.
Der nächste Punkt, den wir haben. Sie haben vorhin
beklagt - da müssen sich die Damen und Herren von der
Opposition einigen -, daß das, was wir an Zuzahlung
zurückgenommen haben, nicht genug ist. Gleichzeitig
hat der erste Redner der CDU/CSU-Fraktion gesagt, er
hätte gerne die Zuzahlung. Sie müssen sich schon einmal einigen: entweder Zuzahlung oder keine Zuzahlung.
Wenn wir die Zuzahlungen zurückführen, - ({6})
- Wir haben gesagt, wir werden chronisch Kranke entlasten. Wir haben nie etwas von Abschaffung gesagt. Wir
werden seriös mit dem Finanzsystem umgehen, weil wir
nur das schrittweise zurücknehmen können, was wir
auch finanzieren können.
({7})
Damit werden wir dafür sorgen, daß Kranke bei uns
vernünftig und ordentlich behandelt werden können und
daß sich ihre Finanzsituation bessert. Das tut sie sehr
deutlich. Ich weiß, daß es Kritikpunkte gibt; aber da machen Sie meiner Meinung nach einen Denkfehler. Seehofers Gesetz sah nämlich erst einmal 2 Prozent ZuzahDr. Dieter Thomae
lung vor. Wir haben sie auf 1 Prozent für ein Jahr halbiert; danach entfällt sie. Sie sind letztendlich bei 1 Prozent stehengeblieben.
({8})
Aber wir sollten hier neben den Kosten auch über die
reden, um die es geht: die kranken Menschen, diejenigen, die mittlerweile, letztendlich auf Grund Ihrer Politik, 20 Milliarden DM Zuzahlungen leisten müssen, zusätzlich zu ihren Versicherungsbeiträgen, die gewiß
nicht niedrig sind, aber für die sie auch eine gute Leistung bekommen. Wir werden mit unserem Solidaritätsstärkungsgesetz zur Verbesserung ihrer Lage beitragen.
Wir werden auf der anderen Seite auch die berücksichtigen, die in diesem System arbeiten: die Ärzte. So werden sich die Einnahmen der Ärzte im Jahre 1999 gegenüber dem Jahr 1997 bundesweit voraussichtlich um
1,2 Milliarden DM erhöhen.
Mein Kollege Schmidbauer hat schon gesagt, wie wir
das Budget im Psychotherapeutengesetz ausgestalten.
Daß dies nun geschehen muß, haben Sie uns eingebrockt. Sie hatten nicht den Mut und die Kraft, ein Budget bereitzustellen, das dafür sorgt, daß man diese Leistung tatsächlich den Versicherten zugute kommen lassen kann.
({9})
Was die innovativen Strukturverträge betrifft, kann
die Gesamtvergütung der Ärzte noch einmal um 0,6 vom
Hundert erhöht werden. Die Koalition wird im übrigen
dafür Sorge tragen, daß das Budget der Ärzte so gestaltet wird, wie im Gesundheitsgesetzentwurf vorgesehen.
Sie sehen: Die medizinisch notwendige Versorgung
wird mit einem ausreichenden Budget versehen; das ist
auch bei anderen Leistungen so.
({10})
Durch die Rücknahme einer Änderung durch das
2. GKV-Neuordnungsgesetz haben wir die zahnmedizinische Versorgung dahin zurückgeführt, wo sie hingehört. Da müssen Sie sich vorhalten lassen, daß Sie Verantwortung dafür tragen, daß es Umsatzrückgänge bis zu
37 Prozent gegeben hat, weil Patientinnen und Patienten
verunsichert waren
({11})
und weil sie zum Teil auch einfach nicht die Mehrkosten
tragen konnten. Zu was hat das letztlich geführt? Es
hat dazu geführt, daß Zahnarztpraxen geschlossen wurden und Zahntechniker in den Ruin getrieben wurden.
Wir werden jetzt dafür sorgen, daß die Patienten den
notwendigen Zahnersatz erhalten und daß die Krankenkassen wieder dafür Sorge tragen, daß es bei all dem
immer im Sinne der Patienten läuft, zum einen was den
Kostenbereich, aber auch was die Qualitätsfrage anbelangt.
({12})
Aber Sie haben nicht nur Leistungen gekürzt. Sie haben sie bei Jugendlichen gänzlich gestrichen. Auch das
werden wir in diesem Gesetz korrigieren.
Die Elemente, die mit Absicht von seinen Schöpfern
in das Sozialgesetzbuch hineingeschrieben wurden,
nämlich Solidarität der Versicherten und ihre Stärkung,
sind von Ihnen verändert worden. Sie haben PKVElemente in das Gesetz eingetragen.
({13})
Sie haben einen Weg eingeleitet, nach dem Medizin
nach Kassenlage des einzelnen Patienten verabreicht
werden sollte. Sie haben das heute wieder mit Ihrer Forderung nach einer Grundversorgung bekräftigt; alles andere kann sich dann derjenige kaufen, der es sich leisten
kann.
({14})
Ein solches Gesundheitssystem ist mit uns nicht zu machen. Dafür haben Sie die Quittung bekommen.
({15})
Wir werden diese PKV-Elemente in diesem Vorschaltgesetz zurücknehmen.
Jetzt noch ein paar Worte zum Beratungsverfahren.
({16})
Ich möchte Ihnen auch hier dafür danken, daß Sie sich
im Gesundheitsausschuß, auch wenn Sie jetzt so hämisch dazwischenrufen, Herr Dr. Thomae, sehr kooperativ gezeigt haben.
Ich möchte auch etwas zu der gebotenen Eile sagen,
mit der wir an die Dinge herangegangen sind. Sie waren doch so perfide, ein Gesetz zu verabschieden, dessen Auswirkungen auf die Krankenversicherten erst
am 1. Januar 1999 zum Tragen kommen, damit Ihnen
das bei der Bundestagswahl nicht die Petersilie verhagelte.
({17})
Das hat uns letztendlich zu dieser Eile gezwungen, da
wir zum Beispiel verhindern wollten, daß ab 1. Januar
1999 Kranke je Behandlung bei Psychologen 10 DM
zuzahlen müssen, daß weitere Zuzahlungen automatisch
mit den Einkommen erhöht werden; das alles sollte am
1. Januar in Kraft treten. Denn Sie haben natürlich kalkuliert, daß, wenn das am 1. Januar in Kraft getreten wäre, die Leute gesagt hätten: Guckt mal, was die Sozis
und die Grünen da gemacht haben! Aber so lassen wir
Sie nicht aus der Sache heraus. Deshalb beeilen wir uns.
Deshalb haben wir Streß gehabt. Ich danke Ihnen für Ihr
Verhalten, das Sie im Ausschuß gezeigt haben. Ich bin
froh darüber, daß wir dieses Gesetz, das wir jetzt haben,
verabschieden werden.
({18})
Ich möchte noch einen Beitrag dazu leisten. Während
des Beratungsverfahrens sind natürlich auch Veränderungswünsche an uns herangetragen worden, unter anderem der Wunsch, das eine oder andere noch ergänzend
mit aufzunehmen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Aribert
Wolf?
Nein, das wurde
vorhin bei meinem Kollegen auch nicht gestattet. Das
werde ich jetzt auch so handhaben.
Wir haben die Veränderungswünsche, die an uns herangetragen worden sind, diskutiert. Wir haben entschieden, daß wir diese Veränderungswünsche zurückstellen
müssen, auch im Bereich von Rehabilitation, auch das
Gesundheitsstrukturgesetz, weil wir das, was wir jetzt
gemacht hätten, damit absolut überfordern würden. Außerdem handelt es sich bei dem Thema Rehabilitation
um eine Problemlage, die weitaus größer ist als die der
Zuzahlung von 25 DM auf 17 DM.
({0})
Wir haben erste Maßnahmen im Bereich der Rehabilitation eingeleitet. Wir haben nämlich die Streichung
von Urlaub wieder rückgängig gemacht. Wir werden
gemeinsam mit Vertretern aus dem Bereich der Rentenversicherung darüber diskutieren, daß wir für die Rehabilitation Rahmenbedingungen schaffen. Dort entscheiden wir uns nach Qualität.
Wenn Sie glauben, daß wir jetzt innerhalb von zwei
Wochen im Kur- und Rehabereich das reparieren können, was Sie mit Ihrer rabiaten Kürzung in Schutt
und Asche gelegt haben, dann machen Sie den Bürgern etwas vor. Ihnen vorzumachen, daß man mit der
Absenkung der Zuzahlungen Kliniken, die vor der
Schließung stehen, noch retten kann, auf diesen Weg
bringen Sie uns nicht. Wir werden das Thema verantwortungsbewußt angehen, nach dem, was wir benötigen, und die Qualität im Bereich der Rehabilitation
stärken.
({1})
So, wir haben im Wahlkampf sehr viel versprochen.
Da haben Sie recht. Wir haben uns auch mit Eile an
die Umsetzung der Versprechen herangemacht. Wir
werden diese Versprechen schrittweise umsetzen; denn
wir garantieren Ihnen: Wir regieren sicher länger als vier
Jahre.
({2})
Das Wort hat jetzt
der Abgeordnete Wolfgang Zöller, CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die
letzten Tage Diskussionen mit Rotgrün führt, dann hört
man immer, Sie hätten ein Problem, das Gesetz sei so
schnell gestrickt worden. Ich glaube, es geht nicht um
das Problem, daß Sie zu schnell gestrickt haben. Das
Problem liegt darin: Sie wußten nicht, ob Sie einen Pullover oder eine Hose stricken wollten. Zum Schluß kam
eine langärmelige Unterhose heraus, wenn ich mir das
Ding hier genau anschaue.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im wesentlichen führen Sie doch zwei Gründe an, warum ein Vorschaltgesetz notwendig ist. Erstens: Beitragssatzstabilität. Dies bräuchten Sie zur Vorbereitung einer Strukturreform. Aber die Ausgabenentwicklung 1997 plus
1,1 Milliarden DM und 1998 plus 2 Milliarden DM widerspricht ja gerade dem, was Sie vorhaben. Auf Grund
dieser Zahlen brauchen Sie kein Vorschaltgesetz.
Frau Kollegin Schaich-Walch, Sie sagen, wir seien
die Probleme nicht angegangen. Wir haben sie sogar
gelöst! Schauen Sie sich doch einmal die Beitragsentwicklungen der letzten fünf, sechs Jahre an: stabile Beiträge. Schauen Sie sich die Kassenlage der gesetzlichen
Krankenversicherungen an: Überschüsse. Da sagen Sie,
die Aufgaben sind nicht gelöst worden? Dann müssen
Sie sich einmal die Ergebnisse anschauen.
({1})
Alle Fachleute sind sich da mit uns einig. Aus diesem
Grund allein ist das Vorschaltgesetz nicht notwendig.
Das zweite, was Sie ansprechen, ist die soziale Gerechtigkeit. Sie prangern insbesondere die Zuzahlungserhöhung von 5 DM als unsozial an. Sie können mir abnehmen, daß uns diese Zuzahlungserhöhung bestimmt
nicht leichtgefallen ist.
Herr Kollege Zöller,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Seifert?
Ich habe keine Angst
vor Zwischenfragen.
Herr Kollege Zöller, Sie sprachen davon, daß Sie während Ihrer Regierungszeit Beitragsstabilität gewährleistet hätten.
Wollen Sie nicht zugeben, daß die Erhöhung der Zuzahlung auch eine Erhöhung der Beiträge ist, und zwar
ausschließlich von den Kranken bezahlt?
Selbstverständlich.
Wenn Sie sich noch zwei Minuten gedulden, dann werde
ich Ihnen das vorrechnen und begründen. Einverstanden?
({0})
- Ja, selbstverständlich.
({1})
- Ich stehe dazu und werde das gleich auch mit Zahlen
belegen.
({2})
Kommen wir zu der sozialen Ungerechtigkeit, die Sie
uns vorhalten. Ich glaube, eines müssen Sie uns eingestehen: Diese Zuzahlungen haben dazu geführt, daß
durch sie die Beitragssatzstabilität gewährleistet und daß
- das ist für mich viel wichtiger - die Versorgungssicherheit auf hohem Niveau über das ganze Jahr sichergestellt wurde.
({3})
Weil Sie, Herr Schmidbauer, gerade so lachen muß ich
an diesem Punkt sagen - Entschuldigung, fast hätte ich
etwas anderes gesagt -, Sie haben doch die Leute verunsichert, indem Sie gesagt haben: Das wird unsozial, die
Versicherten müssen alles bezahlen. Ich zitiere Sie
wortwörtlich: „einseitig gewaltig verschoben“.
Mit Zahlen kenne ich mich ein bißchen aus. Mit Ihrer
Zustimmung, auch mit der des Herrn Kollegen Dreßler,
lag die Zuzahlung für die Versicherten früher bei 51,9
Prozent. Diese Zuzahlung ist jetzt um 1,1 Prozent verändert worden. Und Sie sprechen jetzt von „einseitig“
und „gewaltig“. Es tut mir leid, sagen zu müssen: Sie
verunsichern die Leute mit unwahren Zahlen. Ich sage
noch einmal: Eine ganzjährige Versorgungssicherheit ist
mir diese erhöhte Zuzahlung wert.
Weiter stellt sich für mich die Frage, was ist gerechte -
Apropos Frage, Herr
Kollege. Der Kollege Dreßler möchte ebenfalls eine
Zwischenfrage stellen.
Aber Sie halten bitte
die Uhr an! Sie läuft nämlich weiter.
Herr Kollege Zöller, nachdem sie gerade dem Hohen Hause die Unterschiede in
der Zuzahlungsarithmetik zwischen Ihrer Politik und der
Politik, die wir als sozialdemokratische Fraktion mitgetragen hätten, erläutert haben, frage ich Sie: Wie bewerten Sie die Äußerung des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Seehofer auf dem Deutschen Ärztetag in Eisenach im Jahre 1997, daß sich die Beitragsrelation von 50:50 zwischen Arbeitern Angestellten hier
und Unternehmen dort auf zwei Drittel zu einem Drittel
zu Lasten der Arbeitnehmer verändert habe?
({0})
Ich kann Ihnen sagen: Die Zahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe, beziehen sich auf die 5 DM Zuzahlungserhöhung. Meine
Zahlen stimmen. Ich bin gerne bereit, das mit Ihnen im
Privatissimum nachzurechnen. Herr Kollege Dreßler,
das ist doch ganz einfach: Bisher hatten wir eine Zuzahlung von 9 Milliarden DM. Dann kamen die 5 DM
dazu. Mit diesen 5 DM - vorher waren es 51,9 Prozent sind es 53 Prozent.
({0})
An diesen Zahlen ist nichts zu ändern.
({1})
- Ich bin gern bereit, in der nächsten Sitzung des Gesundheitsausschusses Ihnen diese Rechnung vorzulegen.
({2})
Bitte, Herr
Kollege Dreßler.
Herr Zöller, entschuldigen
Sie, wenn ich nachbohre. Räumen Sie mir denn wenigstens ein, daß es, wenn die These des ehemaligen Gesundheitsministers auf dem Deutschen Ärztetag zutrifft,
unmöglich richtig sein kann, was Sie hier gerade in Prozentzahlen zum Ausdruck gebracht haben?
Ich kann wiederum
nur meine Zahlen bestätigen, die ich vorgetragen habe.
Die kann ich beweisen.
({0})
Es ist immer gefährlich, einen Satz aus dem Zusammenhang zu reißen. Man müßte einmal sehen, was da
insgesamt gesagt worden ist. Ich bin sicher, daß unser
früherer Minister Seehofer genau richtig gehandelt hat.
Auf seine Zahlen konnte man sich verlassen.
({1})
Für mich stellt sich natürlich schon die Frage: Was ist
gerechter, sozial verträgliche Zuzahlungen oder Ausgrenzungen von Leistungen am Ende eines Jahres?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seehofer?
Dem sei so.
Herr Kollege Zöller,
Sie sind sicherlich meiner Meinung - das nehme ich an -,
daß ich das, was der Kollege Dreßler gerade behauptet
hat, auf dem Ärztetag nicht einmal geträumt habe?
({0})
Ich kenne Sie sehr
gut; aber in Ihre Träume bin ich noch nicht vorgedrungen. Wenn Sie das hier bestätigen, dann bin ich selbstverständlich Ihrer Meinung.
Lassen Sie mich auf einen weiteren Widerspruch von
Ihnen zurückkommen. Sie haben den chronisch Kranken eine besondere Entlastung versprochen. Aber hier
geht es Ihnen wie bei der Ökosteuer: Die Verpackung
verspricht etwas anderes, als der Inhalt dann hergibt.
({0})
Ich werde Ihnen das jetzt an einem Beispiel belegen:
Die sogenannte Erleichterung für chronisch Kranke im
Vorschaltgesetz führt in der Praxis zu erheblichen
Nachteilen für die Familien. Bisher mußten Familien, in
der eine Person chronisch krank war, Zuzahlungen in
Höhe von maximal 1 Prozent ihres Familieneinkommens leisten.
({1})
Die neue Regelung sieht zwar vor, daß der chronisch
Kranke nach einem Jahr von der 1prozentigen Zuzahlung befreit wird. Was aber auf den ersten Blick wie eine Verbesserung aussieht, beinhaltet jedoch eine erhebliche Benachteiligung für Familien, denn Ihre neue Zuzahlungsregelung gilt nur für den chronisch Kranken
selbst und nicht - wie bisher - auch für die Familienangehörigen. Die übrigen Familienangehörigen und Mitglieder müssen künftig bis zu 2 Prozent des Familieneinkommens für Zuzahlungen aufbringen. Das bedeutet
eine Verdoppelung der Zuzahlungen für diese Familien.
({2})
Wieso das eine Erleichterung für chronisch Kranke ist,
müßten Sie mir einmal zu erklären versuchen; das wird
Ihnen nicht gelingen.
({3})
Ich versuche es auch einmal mit einem Zahlenbeispiel, weil eine Kollegin der Grünen gesagt hat, man
könne das mit dem Kindergeld ausgleichen: Auch das ist
eine Milchmädchenrechnung. Für eine Familie mit einem Kind und einem Monatseinkommen von 5 000 DM,
in der ein Familienmitglied chronisch krank ist, bedeutet
die Neuregelung, daß sie mit jährlichen Zuzahlungen bis
zu einer Höhe von 1 200 DM belastet wird. Die alte Regelung - unsere Regelung - hat eine maximale Zuzahlungshöhe von 600 DM vorgesehen. Da reicht Ihre Kindergelderhöhung von 360 DM pro Jahr nicht einmal aus,
um die 600 DM Differenz, die die Familie mehr zahlen
muß, auszugleichen.
({4})
Sie nehmen den Leuten mehr aus der linken Tasche, als
Sie versprochen haben, ihnen in die rechte Tasche zu
geben.
({5})
Sie sehen, hier kann man nicht von Gerechtigkeit sprechen. Sie haben nämlich einfach zu viele handwerkliche
Fehler gemacht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein weiterer
Punkt ist, daß mit der Einführung Ihrer Positivliste auf
chronisch Kranke künftig viele Mehrbelastungen zukommen werden, weil sie dann nämlich alle ausgeschiedenen Medikamente alleine voll zahlen müssen, ohne
daß es ihnen angerechnet wird. Ich halte es schon für
paradox, daß man chronisch Kranke entlasten will und
ihnen im gleichen Atemzug durch Arzneimittel, deren
Kosten nicht übernommen werden, neue Belastungen
aufbürdet.
({6})
In diesem Zusammenhang ist noch etwas festzustellen - damit die Bevölkerung auch weiß, welch tolle Regelung Sie in Ihrem Gesetzentwurf haben -: Sie verteufeln die Bonusregelung, die wir in unserem Gesetz haben. Das gleiche machen aber auch Sie. Sie haben in Ihrem Gesetz geregelt: Wenn die Ärzte Arzneimittelkosten einsparen, kann das eingesparte Geld - ich sage es
etwas überspitzt - für die Honorarvergütung genommen werden.
({7})
- Entschuldigung, die Fraktion der SPD, der ich nicht
angehöre, hat zu diesen Strukturverträgen geschrieben,
daß Einsparungen aufgrund eines Unterschreitens
des Budgets für Arznei-, Verband- und Heilmittel
mit dem Ziel der Verbesserung ... verwendet werden können. Hier liegt eine sehr interessante Gestaltungsmöglichkeit für die Selbstverwaltung ...
({8})
- Daß sie zur
Verbesserung der Qualität der Versorgung verwendet werden können.
Moment, Herr
Zöller! - Ich wollte der Frau Ministerin nur sagen: Sie
dürfen von der Regierungsbank nicht dazwischenrufen,
sondern die Regierung muß sich anhören, was das Parlament, die Parlamentarier ihr sagen.
Das heißt: Im Klartext fordern Sie doch praktisch die Leute auf, durch Einsparung bei den Medikamenten das ärztliche Honorar zu
steigern. Hätten wir einen solchen Vorschlag gemacht,
hätte ich einmal hören wollen, wie die linke Seite dieses
Hauses unseren Vorschlag zerrissen hätte.
Noch etwas - auch das müssen Sie sich anhören -:
Wir haben nicht die Zuzahlung kritisiert, wir haben kri922
tisiert, daß Sie vor der Wahl gesagt haben, Sie nehmen
die Erhöhung der Zuzahlung um 5 DM zurück.
({0})
Was haben Sie gemacht? Bei kleinen Arzneimittelpakkungen wird die Zuzahlung um 1 DM zurückgenommen, bei Kuren und Fahrtkosten gibt es keine Rücknahme des Satzes. Sie haben den Wähler getäuscht. Das
kritisieren wir. Wir stehen zur Zuzahlung.
({1})
Ich komme zum Schluß: Sie, meine sehr geehrten
Damen und Herren, bestrafen die Ehrlichen auch noch
mit Ihrer Krankenhausnotopferregelung. Die Ehrlichen sind bei Ihnen wieder die Dummen, weil sie doppelt bezahlen. Sie haben nämlich ihren Beitrag in Höhe
von 20 DM oder 60 DM im Jahre 1997 gezahlt. Nun
müssen sie mit ihrem Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung die sich ergebenden Mindereinnahmen
mitfinanzieren. Statt die Verpflichtung der Länder einzufordern, gehen Sie den bequemen, aber wie ich meine,
ungerechten Weg. Deshalb ist Ihr Vorschaltgesetz unausgegoren und unnötig.
({2})
Jetzt hat die
Frau Bundesministerin Andrea Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Zöller, trotz der Versuche, Ihre Kritik am Schluß Ihrer Rede
zu begründen, muß ich Ihnen sagen: Die Kritik trifft
nicht zu. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie an
unserer Politik kritisieren wollen. Wollen Sie kritisieren,
daß wir unsere Wahlversprechungen und Zusagen nicht
einhalten?
({0})
Oder wollen Sie kritisieren, daß wir wichtige Parameter
der gesetzlichen Krankenversicherung berücksichtigen,
zum Beispiel die Beitragssatzstabilität und die Frage der
Gegenfinanzierung?
({1})
Bei Ihrer Kritik an diesem Gesetz sind Sie intellektuell
ausgesprochen unredlich vorgegangen.
({2})
Angesichts der komplexen Interessenlage im deutschen Gesundheitswesen ist doch vollkommen klar:
Wenn man ein solches Vorhaben durchführt - die Zeit
spielt dabei keine Rolle -, dann ist der größte Teil der
Kritik politisch motiviert und in der Regel von Interessen geleitet.
({3})
Sie kritisieren uns und machen sich dabei das eine Mal
die Kritik des einen Leistungserbringers und das andere
Mal die Kritik eines anderen Leistungserbringers zu eigen. Das Ergebnis ist zum einen eine Kritik, die besagt:
„Ihr gebt zuviel Geld aus!“, und zum anderen eine Kritik, die besagt: „Ihr spart zuviel ein!“ Sie müssen sich
wirklich entscheiden, was die Stoßrichtung Ihrer Kritik
sein soll.
({4})
Beide Kritikpunkte können nicht gleichzeitig zutreffen.
({5})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöller?
Ja.
Geben Sie mir recht,
wenn ich sage, daß Sie gerade das Gegenteil von dem
gesagt haben, was ich zum Ausdruck gebracht habe? Ich
habe klipp und klar gesagt: Ich stehe zu diesen Zuzahlungen, weil ich sie für sozial gerechter halte. Ich kritisiere nur, daß Sie vor der Wahl den Menschen versprochen haben, daß die Zuzahlung um 5 DM verringert
wird. Nun wollen Sie eine Reduzierung um eine lumpige
Mark. Damit haben Sie die Wähler getäuscht.
Hätten Sie vor der Wahl gesagt, daß es eine Verringerung der Zuzahlung für Arzneimittel nur um 1 DM geben wird, anstatt zu sagen, die Zuzahlung beträgt in Zukunft 8, 9 und 10 DM, dann würde ich Sie nicht kritisieren. Was wollen Sie erreichen? Sie wollen die Zuzahlung um 1 DM reduzieren. Mich hat geärgert, daß Sie
dem Wähler vor der Wahl mehr versprochen haben, als
Sie nun halten wollen. Hätten Sie vor der Wahl gesagt,
wir können keine Reduzierung um 5 DM durchführen,
würde ich nicht Kritik äußern.
Ich stehe zu der Zuzahlung. Nur haben Sie nach meiner Ansicht die Wähler getäuscht, weil Sie mehr versprochen haben, als Sie jetzt halten.
Herr Zöller, Ihnen bleibt ja erspart, Ihre Versprechungen
im Zusammenhang mit der Steuerreform einhalten zu
müssen.
({0})
Daher kann ich verstehen, daß Sie uns jetzt diesen Vorwurf machen wollen.
({1})
- Nein, wir wollen jetzt nicht darüber reden. Wir könnten Ihr Wahlprogramm genauso auseinandernehmen.
({2})
- Ich kann Ihnen gerne das Manuskript meiner Rede aus
der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes zeigen.
({3})
- Meine Herren, entweder Sie wollen eine Antwort von
mir - in diesem Fall lassen Sie mich jetzt reden -, oder
Sie lassen es bleiben. In diesem Fall antworte ich Ihnen
nicht auf Zwischenfragen.
({4})
Ich habe schon in der ersten Lesung gesagt: Auch ich
hätte mir eine stärkere Reduktion der Zuzahlungen gewünscht. Dieses geht nicht, weil wir die Beitragssatzstabilität und auch die Konsequenzen aus der Gegenfinanzierung zu beachten haben.
({5})
Es ist nicht so einfach, die von Ihnen hinterlassene Hypothek, die Zuzahlung der Versicherten in Höhe von 20
Milliarden DM, in einem Schritt um die Hälfte zu reduzieren. Die Reduktion um 1 DM, von der Sie sagen, das
sei nur eine lumpige Mark, bedeutet insgesamt eine
Summe von 1 Milliarde DM, was in der Krankenversicherung viel ist. Deswegen akzeptiere ich Ihre Kritik
nicht.
({6})
Frau Ministerin, es gibt weitere Wünsche nach Zwischenfragen.
Ich wünsche keine weiteren Zwischenfragen, weil die
Herren offensichtlich lieber selber reden, als mir zuzuhören.
({0})
Ich stelle fest, daß mit diesem Gesetzentwurf ein ganz
klarer Kurs eingeschlagen worden ist.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen ein bißchen ruhiger
sein, damit man die Ministerin verstehen kann.
({0})
Wir haben uns am Grundsatz der Beitragssatzstabilität
orientiert. Dazu will ich ganz deutlich sagen: Beitragssatzstabilität ist im Interesse der Versicherten, die nicht
so hohe Beiträge zahlen können. Das ist an die Adresse
der Leistungserbringer gerichtet, aber auch an die
Adresse der vorigen Bundesregierung, die nämlich die
Beitragssatzstabilität zu Lasten der Versicherten gewährleistet hat. Formal blieben die Sozialversicherungsbeiträge zwar unverändert, aber gleichzeitig sind die Zuzahlungen ständig gestiegen.
Wenn Sie jetzt darauf verweisen, daß es Zuzahlungen
gegeben hat, denen auch die frühere Opposition zugestimmt hat, dann sage ich Ihnen: Das ist in diesem Zusammenhang irrelevant; die Zuzahlungen sehen aus der
heutigen Perspektive der Versicherten anders aus, weil
die Belastung der Versicherten an eine Schallmauer gestoßen ist.
({0})
Deswegen muß hier dringend etwas getan werden. Es ist
gut und richtig, daß dieser Gesetzentwurf die übermäßige Belastung der Versicherten in dem Maße zurückführt,
wie wir es zur Zeit finanzieren können.
({1})
Hier ist bereits vieles zu den Gegenfinanzierungsmaßnahmen gesagt worden, die ausreichen, um die Beitragssatzstabilität zu gewährleisten. Aber ich möchte etwas aufgreifen, was im Moment im Mittelpunkt der
Auseinandersetzungen steht: Die neue Regierung habe
doch eine stabile Krankenversicherung mit Überschüssen in Höhe von 2 bis 3 Milliarden DM übernommen. - Das ist richtig.
({2})
Aber um welchen Preis? Daß wir im Moment einen
Überschuß in der gesetzlichen Krankenversicherung haben, ist die Folge der von Ihnen eingeführten Kostenerstattungsregelung, die zu Verwirrung und Streit in den
Zahnarztpraxen sowie schließlich dazu geführt hat, daß
der Umsatz in den Zahnarztpraxen zum Teil um 30 Prozent und mehr zurückgegangen ist. Um diesen Preis haben Sie den Überschuß in diesem Jahr erwirtschaftet,
und diesen Preis wollen wir im nächsten Jahr nicht mehr
zahlen. Deswegen brauchen wir andere Maßnahmen.
({3})
Niemand von uns hat je bestritten, daß die sektorale
Budgetierung nur eine Übergangsphase darstellen kann;
niemand von uns hat bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes etwas anderes gesagt. Wir haben die sektorale
Budgetierung nur auf ein Jahr angelegt.
({4})
Nun werfen Sie uns Budgetierungsorgien und ähnliches
vor. Es ist schon ein bißchen erstaunlich, daß die heutige
Opposition wie Alice im Wunderland agiert und ruft:
Ein grüner Elefant, ein grüner Elefant! Mit Verlaub, die
Budgetierung haben wir nicht erfunden.
({5})
Deswegen brauchen Sie sich jetzt nicht so sehr darüber
zu wundern, daß wir über Ausgabenbegrenzung im Gesundheitswesen reden.
Jeder, der sich um stabile Finanzen in der gesetzlichen Krankenversicherung kümmert, wird um Maßnahmen zur Ausgabenbegrenzung nicht herumkommen.
Wir reden mit den Leistungserbringern darüber, wo die
annehmbare Grenze dafür liegt. Sie dagegen haben einfach versucht, bestimmte Leistungen auch der Grundversorgung in dem Sinne zu privatisieren, daß die Leute
sie selbst bezahlen müssen. Das ist ein anderer Weg der
Ausgabenbegrenzung, nämlich der unsoziale Weg.
({6})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
müssen sich schon fragen lassen, warum Sie sich da auf
etwas einlassen, was Sie doch eigentlich viel besser wissen. Wir beschneiden doch überhaupt nicht die Ausgaben, sondern wir begrenzen im nächsten Jahr ihren Zuwachs.
({7})
Einerseits haben Sie uns gesagt - auch das ist wieder eine intellektuelle Unredlichkeit -, wir gingen mit der
Heckenschere daran; andererseits haben Sie sich drei
Minuten später darüber empört, daß wir für jeden Sektor
eigene Regeln gefunden hätten, mit denen wir die besonderen Bedingungen des jeweiligen Sektors berücksichtigen wollten.
({8})
Dies haben wir getan, dazu stehen wir auch. Aber das
lehrt uns einiges - darauf weise ich in diesem Zusammenhang auch noch einmal hin - über den politischen
Stil in dieser Debatte.
Wir haben zwischen der ersten Lesung und der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzentwurfs Ausschußberatungen und Anhörungen durchgeführt. Wir
haben auch mit den diversen Gruppen, die davon betroffen sind, Einzelgespräche geführt.
({9})
Daraufhin haben wir Veränderungen vorgenommen.
Auch hier muß man sich bei der Kritik wieder entscheiden: Ist jetzt das Eingehen auf Veränderungsvorschläge
ein Einknicken und Feigheit, oder ist das nicht ein Zeichen dafür, daß man bereit ist, sich beraten zu lassen,
daß man den Dialog führt und dabei auch veränderungsbereit ist, weil man nämlich auf die Zusammenarbeit mit
allen setzt?
({10})
An diesem politischen Stil halte ich fest, obwohl die Erfahrungen nicht nur gut sind, die wir damit in den letzten
Wochen gemacht haben.
({11})
- Nein, ich schaue zu Ihnen. Sie machen sich doch all
diese Argumente zu eigen.
({12})
Ich beharre darauf: Wir sind gerade den Leistungserbringern in vielen kritischen Punkten, die sie in den
Anhörungen angemerkt hatten, entgegengekommen.
Dann erwarte ich aber auch, daß sie das Wesen des
Kompromisses erkennen, das darin besteht, daß man
nicht alles bekommt, was man gefordert hat. Unsere
Aufgabe als diejenigen, die hier Gesetze beschließen, ist
es, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu finden. Ich meine, daß dieser Gesetzentwurf diesen Ausgleich ermöglicht.
({13})
Ich will noch einmal folgendes ganz deutlich sagen:
Selbstverständlich bedeutet eine Begrenzung der Ausgaben eine Aufforderung an die Leistungserbringer, wirtschaftlich zu handeln. Ich appelliere an all diejenigen,
die jetzt mit Verweis auf die Budgets meinen, die Menschen in Panik versetzen zu müssen: Finden Sie zum
rechten Maß zurück!
({14})
Die Honorare werden im nächsten Jahr so erhöht wie die
Löhne aller Beschäftigten. Mit welcher Berechtigung
reklamiert die Ärzteschaft eine höhere Honorarsteigerung - und damit höhere Einkommen - als alle anderen
Menschen in diesem Land?
Ich meine, es geht nicht an, daß die Patienten und die
Versicherten mit Horrorszenarios verunsichert werden.
Es ist möglich, mit diesen Budgets zu haushalten und
mit ihnen auszukommen. Es ist so, daß man auch in einer ärztlichen Praxis über ein Jahr hinweg planen kann.
Es ist so, daß das Verordnungsverhalten gesteuert werden kann.
Herr Zöller, noch ein Wort abschließend: Wenn Sie
sagen, wir würden einen Anreiz geben, daß die Ärzte
wenig verordnen, damit sie hinterher mehr verdienen,
dann ist das schlicht die Unwahrheit.
({15})
Die Regelverletzung vorhin, für die ich mich an dieser
Stelle noch einmal in aller Form entschuldigen will, haBundesministerin Andrea Fischer
be ich begangen, weil Sie genau das beim Vorlesen des
Briefes der SPD-Fraktion nicht gesagt haben: Es ist
nämlich nicht so, daß die Einsparungen bei Medikamenten in das individuelle ärztliche Honorar fließen.
Damit sollen vielmehr Maßnahmen der Qualitätssicherung finanziert werden. Das ist doch der Dreh- und Angelpunkt.
Niemand von Ihnen kann ernsthaft behaupten, daß jedes Medikament, das in diesem Land verschrieben wird,
wirklich verschrieben werden muß und für die Versicherten existentiell notwendig ist. Da gibt es im Rahmen
der Therapiefreiheit eine große Bandbreite. Wir wollen
den Ärzten dabei helfen bzw. sie darin unterstützen, daß
sie ihr Verordnungsverhalten auf den Aspekt der Wirtschaftlichkeit orientieren und gleichzeitig eine hohe
Versorgungsqualität wahren können.
({16})
Da gibt es großen Spielraum. Deswegen gibt es überhaupt keine Veranlassung, irgend jemanden in Panik zu
versetzen.
({17})
Es ist wirklich ein gutes Zeichen, daß die neue Bundesregierung mit den Gesetzen, die wir vor einigen
Stunden verabschiedet haben, und auch mit diesem Gesetzentwurf zeigt, daß sie es ernst meint mit dem, was
sie im Wahlkampf versprochen hat. Sie geht wirklich
beherzt an die Umsetzung ihrer Versprechungen. Damit
wird deutlich gemacht, was wir auch in Zukunft zu tun
gedenken, nämlich zu unseren Worten zu stehen und uns
dabei mit allen einigen zu wollen.
Ich weiß, daß im Moment einige Aufregung herrscht.
({18})
Nach meinem Eindruck handelt es sich dabei zum Teil
auch um Aufregung, die eine lange Vorgeschichte hat,
da sehr viele Empfindlichkeiten berührt werden. Alle
müssen ein Interesse an einem guten Gesundheitswesen
haben, das wir bezahlen können und das den bisherigen
hohen Standard der gesundheitlichen Versorgung in
Deutschland bewahrt.
({19})
Das berührt die Interessen aller Beteiligten, die auf den
ersten Blick scheinbar gegenläufige Interessen haben.
Unser aller Interesse muß es sein, im nächsten Jahr
eine gute Strukturreform auf den Weg zu bringen. Deshalb rufe ich in der gegenwärtigen Lage alle Beteiligten
zur „Abrüstung“ auf und dazu, zum Dialog zurückzukehren.
({20})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Wolf Bauer.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Der „Kölner Stadtanzeiger“
widmet in seiner heutigen Ausgabe eine ganze Seite der
gesetzlichen Krankenversicherung. Er schreibt - ich zitiere -:
... daß die Patienten entlastet, die Leistungen verbessert, Mehrkosten von den Krankenkassen übernommen werden sollen - und dabei sollen die Beiträge zur Krankenversicherung stabil bleiben. Es
gleicht der Quadratur des Kreises ...
Ich kann das nur so kommentieren, daß der „Kölner
Stadtanzeiger“ recht hat. Denn das geht alles so nicht.
Weder ist in der Zeitung zu lesen, noch steht in dem
vorliegenden Gesetzentwurf, wie das Ganze solide gegenfinanziert werden soll. Frau Ministerin hat soeben
nur gesagt, wie man es nicht finanzieren soll. Aber sie
hat nicht gesagt, wie man es finanziert.
Da will nun - darauf will ich noch einmal hinweisen
- die rotgrüne Koalition bei den Arzneimitteln 1 Milliarde DM einsparen. Zunächst einmal suggeriert sie damit, man könne das bei der pharmazeutischen Industrie
holen. Ich sage Ihnen: Die, die am meisten betroffen
sind, sind die Patienten, die dadurch eine ganze Reihe
von Medikamenten nicht mehr bekommen,
({0})
die sie sonst bekommen hätten. Sie müssen die Arzneimittel, die nicht mehr auf einem Rezept stehen, jetzt selber bezahlen; daran führt kein Weg vorbei. Das sind nun
die Wahlgeschenke der SPD: Was man durch eine Verringerung der Zuzahlung in die eine Tasche hineinsteckt,
holt man dadurch, daß die Patienten mehr selber finanzieren müssen, auf der anderen Seite wieder heraus.
({1})
Ich kann nicht verstehen, daß Sie, Frau Ministerin, sagen, es würden keine Ausgaben beschnitten. Das ist
doch letztendlich nichts anderes als eine reine Beschneidung von Ausgaben.
Hinzu kommt - das ist für mich viel wichtiger -, daß
durch dieses Solidaritätsstärkungsgesetz - zumindest im
Arzneimittelbereich - nicht mehr Solidarität eingeführt
wird; es kommt eher zu einer Entsolidarisierung. Ich
will Ihnen das nachweisen: 24 Millionen Menschen
brauchen zur Zeit keine Zuzahlung zu leisten; das sind
die Mitglieder der Krankenkassen, die geringe Einkommen haben. 47 Millionen Menschen müssen Zuzahlungen leisten; sie haben höhere Einkommen. Ich weise
noch einmal darauf hin: Höchstens 2 Prozent des Einkommens müssen für Zuzahlungen aufgewendet werden, bei chronisch Kranken höchstens 1 Prozent. Nun
verringern Sie die Zuzahlungen und entlasten damit
doch nur den Teil der Versicherten, die höhere Einkommen haben. Wo bleibt denn da die soziale Gerechtigkeit? Die stimmt doch an dieser Stelle nicht. Sie fordern wir letztendlich ein.
Jedes Budget führt zwangsläufig zu einer Rationierung. Wenn ein Topf leer ist, dann ist er eben leer. Und
wenn im November das Arzneimittelbudget aufgeBundesministerin Andrea Fischer
braucht ist und zu Weihnachten eine Grippewelle
kommt, dann ist der Topf immer noch leer. Ich frage
Sie, Frau Ministerin: Wie soll sich das alles über ein
Jahr planen lassen? Die Ärzte, die wir haben, sind gut;
aber daß sie wissen sollen, welche Krankheitsbilder bevorzugt zum Ende des Jahres auftreten, das können Sie
einfach nicht einfordern, das wird nicht funktionieren.
({2})
Ich habe es ja schon gesagt: In der Hauptsache betrifft es
die Patienten, die ein kleineres Einkommen haben. Ich
erinnere Sie von der SPD an Ihre Wahlkampfsprüche
von der „Umverteilung von unten nach oben“. Genau
das, was Sie uns angekreidet haben, machen Sie heute.
Eines steht fest: Wenn die rotgrüne Mehrheit ihr Gesetzesvorhaben durchdrückt, dann können die Ausgaben
der GKV mit Hilfe der Sozialklausel und der Überforderungsklausel nicht mehr so sozial verträglich gesteuert
werden, daß sowohl diejenigen damit leben können, die
ein kleines Einkommen haben, als auch diejenigen, die
ein höheres Einkommen haben.
({3})
Wir wollen uns gar nicht darüber unterhalten, wie es mit
Demographie- und Innovationsfaktoren ist; die kämen
noch hinzu.
Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Hier wird
medizinisch Notwendiges über die zur Verfügung stehende Geldmenge definiert. Das ist das politische Ziel
der SPD. Das wollen wir nicht.
({4})
Aber vielleicht geht die SPD ja noch in sich und bedenkt, was ihr die Bundesgesundheitsministerin nahegelegt hat - ich zitiere -:
Aber zuerst beschließen und sich danach öffentlich
über das beklagen, was man beschlossen hat, ist
weder überzeugend noch hat es politisches Format.
Manch einer beurteilt die derzeitige Gesundheitspolitik
der SPD nicht so charmant wie die Bundesgesundheitsministerin, denn immer öfter hört man die Worte „Solidaritätszerstörungsgesetz“, „Frauenarbeitsplatzvernichtungsgesetz“ oder auch „Chaostage von Bonn“.
Ich greife nun das auf, was Herr Thomae vorhin
schon angesprochen hat. Man muß einmal überlegen,
wie die Beratung in bezug auf das Arznei- und Heilmittelbudget abgelaufen ist. Wir gingen mit einer Verminderung von 4,5 Prozent des Budgets in die Beratung,
dann wurde die Verminderung auf 6,89 Prozent erhöht,
auf einmal kam man zu einer Zuzahlung von 7,5 Prozent
dann wurde ein Pro-Kopf-Betrag von 541,61 DM eingeführt, bevor man wieder zu den 7,5 Prozent zurückging,
um sich dann letztendlich von den Krankenkassen vorrechnen zu lassen, daß es eigentlich nur 4 Prozent sein
dürfen. Diese 4 Prozent werden wir voraussichtlich im
nächsten Jahr in einer Novellierung zu besprechen haben.
({5})
- Es wird aber so kommen.
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, der
mich auch sehr beschäftigt. In der Koalitionsvereinbarung steht, daß man ein Bündnis für Arbeit will, daß
man Rahmenbedingungen für den Mittelstand, für freie
Berufe usw. schaffen will. Das, was hier geschaffen
wird, ist genau das Gegenteil. Die Zahl der Arbeitsplätze
wird verringert. Es werden Arbeitsplätze abgebaut.
({6})
Man muß vor allem einmal über die Situation der
Ärzte in den neuen Bundesländern nachdenken. Wenn
das eintritt, was im Gesetz vorgesehen ist, wird es verheerende Folgen für die neuen Bundesländer geben.
({7})
Sie haben einfach andere Voraussetzungen als wir hier.
Ich würde Ihnen gern, wenn ich noch Zeit hätte, die
einzelnen Ausführungen aus der Anhörung zu den Arbeitsplätzen vorstellen. Bis zu 100 000 sind betroffen.
Leider ist Ihre
angemeldete Redezeit vorbei.
Meine Damen, meine
Herren, ich habe leider keine Zeit mehr. Das ist schade.
Sie von der SPD sind mit dem Slogan „Wir machen
nicht alles anders, aber vieles besser“ angetreten. Was
ist daraus geworden? Sie machen alles anders und nichts
besser. Ein Beweis dafür ist das hier vorgelegte Solidaritätsstärkungsgesetz, das wir selbstverständlich ablehnen.
Danke.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Um Ihrer Kritik und Ihrer
Aufgeregtheit - sie sind heute sehr deutlich geworden gleich zu Beginn zu begegnen: Wir debattieren und verabschieden heute ein Gesetz zur Stärkung der Solidarität
im Gesundheitswesen, das nicht notwendig gewesen
wäre,
({0})
wenn die alte Regierung in der vergangenen Legislaturperiode nicht eine Gesundheitspolitik betrieben hätte,
die die solidarischen Elemente in der gesetzlichen Krankenversicherung systematisch ausgehöhlt und in Teilbereichen sogar außer Kraft gesetzt hat.
({1})
- Herr Thomae, keine Aufregung.
Dieses Solidaritätsstärkungsgesetz ist unsere Antwort
auf Ihre Solidaritätsschwächungspolitik der letzten Jahre.
({2})
Ihre Gesundheitspolitik war chaotisch; das haben die
Wählerinnen und Wähler gemerkt. Die Ergebnisse bei
der Bundestagswahl waren nicht zuletzt auf Ihre unmögliche Gesundheitspolitik zurückzuführen.
({3})
Schauen Sie sich die Zuzahlungsorgien an, die Sie
veranstaltet haben, bevor Sie etwas zu den Zuzahlungen
sagen! Herr Zöller, es geht den Krankenkassen heute nur
deshalb gut, weil die Versicherten und die Kranken gezahlt haben und nicht die Krankenkassen.
({4})
Sie haben gerade gesagt, daß wir eine Milchmädchenrechnung aufmachen. Ich würde mit Ihnen gerne über
Ihre Milchbubenrechnung in der nächsten Sitzung des
Gesundheitsausschusses diskutieren.
({5})
Ich will noch einmal sehr deutlich darauf hinweisen:
Dieses Vorschaltgesetz ist notwendig, um die gröbsten
Ungerechtigkeiten und die schlimmsten Belastungen zu
korrigieren, die den Bürgerinnen und Bürgern durch Ihre
total verfehlte Gesundheitspolitik zugemutet worden sind.
Für uns, meine Damen, ist besonders wichtig: Jede
Rentnerin, die sich ab 1. Januar keine Arzneizuzahlungen von ihrer Rente absparen muß, jeder Jugendliche,
dessen Zahnersatz wieder von der Krankenkasse und
nicht mehr aus dem schmalen Geldbeutel des Familienvaters bezahlt wird,
({6})
und jedes abgeschaffte Krankenhausnotopfer, dessen Inkassokosten in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen,
rechtfertigen dieses Gesetz und auch die notwendige
Eile; denn es soll noch am 1. Januar in Kraft treten.
({7})
Wir haben den Versicherten versprochen, die Belastungen abzubauen. Wir halten Wort.
({8})
Ich will nur auf wenige Bereiche eingehen. Das Krankenhausnotopfer ist neben dem Zahnersatz für Jugendliche geradezu ein Paradebeispiel. Mit der Einführung
des Notopfers ist die Finanzierung der Instandhaltung
der Krankenhäuser quasi Privatsache der Versicherten
geworden.
({9})
Das Prinzip der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen wurde außer Kraft gesetzt.
({10})
Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Eines
unserer zentralen Anliegen ist, diesen Systembruch so
schnell wie möglich zu korrigieren. Wir haben daher das
Krankenhausnotopfer für die Jahre 1998 und 1999 aufgehoben und auf Dauer abgeschafft. Wer für das laufende Jahr bereits eine Zahlung geleistet hat, erhält diese
von der Krankenkasse zurückerstattet.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich habe, wie auch
Herr Zöller, keine Angst vor Zwischenfragen; aber ich
will ihm die Gelegenheit jetzt nicht geben, weil seine
Kollegen vorhin genauso gehandelt haben.
({0})
Das Zuzahlungschaos des Seehofer-Jahres 1997
- ich will es einmal so nennen - hat doch gezeigt, daß
tatsächlich höchstens 80 Prozent der Versicherten das
Notopfer gezahlt haben. Deswegen haben wir das getan
- und nichts anderes -, was wir den Wählerinnen und
Wählern in diesem Bereich versprochen haben. Das
sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
({1})
- Wir haben Ihnen - auch die Frau Ministerin hat eben
darauf hingewiesen - die Finanzierungspläne vorgelegt.
Sie sollten sich einmal damit beschäftigen. Das haben
Sie bisher anscheinend noch nicht getan.
Im Krankenhaussektor soll das Solidaritätsstärkungsgesetz bis zur Verabschiedung einer grundlegenden Reform zusätzlich für Beitragsstabilität sorgen. Das ist
ein wichtiges Anliegen für uns, und dem werden wir
vieles unterordnen.
({2})
Im Krankenhausbereich - da haben wir auch auf die
Experten gehört und den bei der Anhörung vorgetragenen Argumenten Rechnung getragen - haben wir Regelungen gefunden, mit denen, so denke ich, die Krankenhäuser sehr gut leben können. Grundsätzlich wird der
Einnahmenzuwachs für die Krankenhäuser 1999 mit
derselben Grundlohnrate begrenzt wie die Gesamtvergütung der Vertragsärzte, nämlich auf der Grundlage der
im kommenden März festzustellenden Ist-Rate des Jahres 1998.
({3})
Der gesamte Bereich der ambulanten Leistungen der
Krankenhäuser - ambulantes Operieren, vor- und nachRegina Schmidt-Zadel
stationäre Behandlungen - unterliegt dieser Begrenzung
nicht, Herr Dr. Thomae.
({4})
Ich glaube - wenn ich Ihre Rede richtig verstanden habe
-, Sie haben das Gesetz nicht genau gelesen. - Hinzu
kommen eine ganze Reihe von Ausnahmetatbeständen,
die krankenhausspezifische Besonderheiten berücksichtigen.
Sie sehen: Durch das Solidaritätsstärkungsgesetz
werden die Budgets der Krankenhäuser nicht gekürzt,
sondern mit Augenmaß und sehr moderat im Rahmen
der Grundlohnrate auf Basis von 1998 - mit den Ausnahmetatbeständen sogar noch darüber hinaus - erhöht.
Es gibt also keinen Grund für Schwarzmalerei. Ein
Krankenhaussterben - ich finde es unverantwortlich,
was da gesagt und wie vielfach es beschworen worden
ist - wird es ebenfalls nicht geben.
({5})
Allerdings - der Appell an die Krankenhausträger
muß sein -: Die Wirtschaftlichkeitsreserven im Krankenhausbereich sind keineswegs alle ausgeschöpft. Es
gilt sie zu nutzen. Sie verschaffen den Krankenhäusern
zusätzlich Luft.
Im vorliegenden Solidaritätsstärkungsgesetz sind daher Anreize verankert worden, die von den Krankenhäusern auch genutzt werden sollten. Ambulante Operationen sind 1999 ausdrücklich von der Deckelung ausgenommen worden. Hier bietet sich den Krankenhäusern
ein weites Feld, um Kosten zu vermeiden.
Ich will auf einige Punkte hinweisen: 20 000 Operationen des grauen Stars, 100 000 Krampfaderoperationen und 55 000 Nasenscheidewandkorrekturen pro Jahr
müssen nicht stationär durchgeführt werden.
({6})
Zahlreiche Eingriffe sind sogar grundsätzlich vermeidbar. Die Fehlbelegungsrate - auch das ist in der Anhörung gesagt worden - ist noch immer zu hoch.
Die Regierungskoalition hat ein Gesetz vorgelegt, das
die medizinisch notwendigen Leistungen im stationären
Bereich auch für das kommende Jahr, 1999, sichert.
Nicht mehr und nicht weniger ist beabsichtigt. Das
kommende Jahr wird dazu genutzt - auch darauf haben
die Vorrednerinnen und Vorredner hingewiesen -, eine
umfassende Strukturreform vorzubereiten. SPD und
Bündnis 90/Die Grünen halten auch hier den Fahrplan
ihrer Koalitionsvereinbarungen ein.
Ich will die Gelegenheit nutzen - weil ich eben auch
von Ihrer Aufgeregtheit gesprochen habe -, Ihnen ein
friedliches und nachdenkliches Weihnachtsfest und dann
vielleicht eine nicht so aufgeregte Diskussion im nächsten Jahr zu diesem Thema zu wünschen.
Vielen Dank.
({7})
Jetzt hat der
Abgeordnete Wolfgang Lohmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau SchmidtZadel, vielen Dank für die freundlichen Wünsche. Wenn
ich jetzt in der Weihnachtszeit mit meiner Familie zusammen bin, werde ich manches von dem vergessen,
was hier heute gesagt worden ist; davon können Sie ausgehen.
({0})
Frau Ministerin, solche Debatten müssen gelegentlich
auch hart sein, auch die Aussagen. Aber ich meine, sich
intellektuelle Unredlichkeit vorzuwerfen geht ein bißchen weit.
({1})
Wenn ich dann die Aufregung sehe, in die Sie sich hineingesteigert haben, mache ich mir ernsthafte Sorgen;
denn ich weiß nicht, ob Sie als Ministerin die Schwierigkeiten, denen Sie natürlich ausgesetzt sind, lange aushalten werden.
({2})
Sie haben eben lauthals von uns verlangt: Sie müssen
sich entscheiden. Ich sage Ihnen: Sie müssen sich entscheiden. Sie müssen jetzt zum Beispiel endlich sagen,
ob Ihre Wahlgeschenke über Einsparungen finanziert
werden sollen oder ob es Ihnen, wie Sie immer wieder
gebetsmühlenartig behaupten, nur darum geht, Zuwächse zu beschneiden. Wollen Sie nach wie vor bestreiten,
daß zumindest - es ist bereits gesagt worden - im Arzneimittelbereich Einsparungen in Höhe von rund einer
Milliarde DM vorgenommen worden sind? Sind das
keine Einsparungen? Sollen das Zuwächse sein? Dann
verstehe ich Ihre Sprache allerdings nicht mehr richtig.
({3})
Bei den Zahnärzten wollen Sie 600 Millionen DM einsparen. 1,6 Milliarden DM sollen aber keine Einsparung
sein. Ich verstehe das nicht. Geben Sie bitte zu, daß das
Einsparungen sind.
Zu dem Hin und Her mit dem verehrten Kollegen
Dreßler möchte ich sagen: Herr Kollege Dreßler, Sie haben in der ersten Lesung dieses Gesetzes gesagt - ich
habe das Protokoll dabei, ich zitiere daraus -:
Wenn wir nämlich heute die Regierungserklärung
des Bundeskanzlers debattieren und zugleich in erster Lesung Gesetzentwürfe einbringen, die die
Ankündigungen aus der Regierungserklärung bereits umsetzen wollen und sollen, dann beweist die
neue Koalition damit, daß die Glaubwürdigkeit von
Regierungsarbeit bei ihr wieder einen besonderen
Rang erhält, meine Damen und Herren.
({4})
Das war bei der Einbringung vor ziemlich genau einem
Monat. Was wir danach alles erlebt haben! Kann man
das noch glaubwürdig nennen?
({5})
Sie haben - man muß schon sagen - die Stirn gehabt,
uns am vorigen Mittwoch in der Ausschußsitzung 45
Änderungsanträge auf 69 Seiten auf den Tisch zu legen.
({6})
- Thomae, red nicht immer dazwischen. - Frau SchaichWalch - sehr ehrenwert - bedankt sich hinterher bei uns,
daß wir durch unsere intensiven Nachfragen - fast fünf
Stunden lang - wenigstens die allergrößten Schwierigkeiten vermieden haben und daß ihre Kollegen bei
dieser Gelegenheit erfahren konnten, was das Ganze
eigentlich soll. Aber es blieb doch noch viel offen.
Ich nenne hier bewußt keine Namen, weil es keine öffentliche Sitzung war; dann darf ich das, glaube ich,
nicht. Aber ein Kollege der SPD sagte nach fünf Stunden: Ich habe das Gefühl, wir tun hier nichts Gutes.
Daraufhin habe ich gesagt: Das Gefühl habe ich schon
den ganzen Tag, daß wir hier nichts Gutes tun.
({7})
Ein anderer sehr namhafter Kollege, dessen Namen
ich auch nicht nennen darf, sagte, weil ihm die Regierung zwei oder drei klare Fragen nicht beantwortet hat:
Wenn dieser Antrag nicht zurückgezogen wird, marschieren wir ins Chaos.
({8})
Das sind doch nicht unsere Begriffe.
In den Zeitungen spricht man vom „Gesundheitschaos“. Das sind nicht unsere Äußerungen. „Dreßler
sauer über Pannen.“ Ich meine, er schaut immer bärbeißig; aber hier ist er besonders gelungen abgebildet. So
böse hat er mich noch nie angesehen.
({9})
Das ist offensichtlich auf Sie zugeschnitten, Frau
Fischer.
({10})
Herr Dreßler und andere sagen: Es stimmt einiges
nicht; wir müssen noch Änderungen vornehmen. Da das
in diesem Verfahren nicht mehr geht, wird das nun offensichtlich als Novelle eingebracht. Sie sagen - auch
das liegt mir vor -, Fischer weise die Kritik Dreßlers zurück; alles würde stimmen. Wenn einige von der SPD,
die dabei waren, das nicht verstanden hätten, seien sie
selbst schuld. Es bleibe so, wie es ist. - Bitte entscheiden Sie sich und sagen Sie uns, was Sache ist. Das müssen wir doch wissen!
({11})
Sie handeln mit diesem Gesetz nicht nur unsozial,
sondern auch ungerecht. Die hohe Versorgungsqualität
ist gesichert. Heute ist schon mehrfach gesagt worden,
daß Sie sich angesichts der Überschüsse, die wir haben,
für die von Ihnen gewünschte Strukturreform viel Zeit
hätten nehmen können.
Auch dazu verweise ich auf die Ausschußberatungen.
Ihre Vertreter im Ausschuß sind am vergangenen Mittwoch zweimal gefragt worden, ob die K45-Zahlen - das
sind die Rechnungsergebnisse des ersten Dreivierteljahres - vorhanden sind. - Nein. Es wurde nachgefragt:
Sind die Zahlen nicht da? - Nein, die Zahlen sind nicht
da. - Am nächsten Tag sickerte durch: Die Zahlen sind
wohl doch da. Am übernächsten Tag wurden sie per
Presseinformation von Ihnen veröffentlicht. Das ist kein
redliches Umgehen mit den Mitgliedern des Ausschusses.
({12})
Offensichtlich hatten Sie vor, diese aus unserer Sicht
traumhaften Zahlen, die wir uns vor einem Jahr noch gar
nicht hätten träumen lassen, zu verschweigen, bis das
ganze Machwerk über die Bühne gegangen ist. Sie haben die Zahlen dann doch noch veröffentlichen müssen,
weil einige nachgehakt haben, und müssen nun zugeben:
Die Beitragssatzstabilität - von Ihnen und auch von
allen anderen gewünscht - ist auch ohne dieses Gesetz
gesichert. Sie hätten also Zeit, Ihre Strukturreform zu
überdenken.
Das Fazit: Erstens. Das Gesetz ist völlig überflüssig;
denn die Notwendigkeit weiterer Sparbeiträge ist nicht
gegeben. Die Überschüsse wurden eben schon genannt:
1997 waren es 1,1 Milliarden DM, in diesem Jahr sind
es 2 Milliarden DM. Wenn das nichts ist, dann weiß ich
nicht, wie man Beitragssatzstabilität sonst definieren
soll.
Zweitens. Das Gesetz ist schädlich für Patienten und
Arbeitsplätze; denn die Rückkehr zur Budgetierung
führt nachweislich in die Irre, nämlich zur Rationierung,
das heißt zur Vorenthaltung medizinisch notwendiger
und qualitativ hochwertiger Versorgung für die Patienten. Um die geht es, nicht um das Honorar der Ärzte.
Drittens. Das Gesetz bedeutet keine Solidaritätsstärkung, sondern eine Zerstörung der Solidarität; denn es
verbaut die mühsam eingeleitete Neugewichtung von
Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung.
Es tut uns sehr leid: Deswegen können wir dem Gesetz nicht zustimmen.
({13})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Margrit Spielmann.
Wolfgang Lohmann ({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, mit
dem vorliegenden Vorschaltgesetz können die Patienten,
die Ärzte und auch die Krankenhäuser in den neuen
Bundesländern durchaus zufrieden in die Zukunft blikken.
({0})
Die neue Bundesregierung stellt sich damit voll und
ganz hinter das in Deutschland endlich wieder zum Ziel
erhobene Solidaritätsprinzip. Sie stoppt den von der
früheren Bundesregierung eingeschlagenen Weg der
Privatisierung von Gesundheitsrisiken und der Entsolidarisierung der gesetzlichen Krankenkassen.
({1})
So geben wir die Grundlage dafür, daß die notwendige
wirtschaftliche Stabilität der Krankenkassen gesichert
und die für das Vertrauen in unser Gesundheitssystem so
wichtige Beitragsstabilität erreicht wird.
Mit dem Vorschaltgesetz werden Verbesserungen für
das Gesundheitssystem in den neuen Bundesländern erzielt. So können allen Presseerklärungen und lautstarken
Ärztedemonstrationen zum Trotz gerade die niedergelassenen Ärzte in den neuen Ländern wieder mit größerer Zuversicht in die Zukunft blicken;
({2})
denn über den vorgesehenen West-Ost-Ausgleich erhalten die Ärzte in den neuen Ländern die Sicherheit, die
sie benötigen, um qualitativ gute Patientenbetreuung zu
gewährleisten und zu gestalten.
Ich behaupte, daß, anders als die frühere Regierung,
welche durch ihre Passivität zu der Schieflage im Gesundheitswesen in den neuen Ländern beigetragen hat,
die jetzige Regierung mit diesem Gesetz nicht nur eine
medizinisch hochwertige Versorgung der Patienten gewährleistet, sondern auch Sicherheit für die Arztpraxen,
für die Kliniken in den neuen Ländern bietet und dadurch Arbeitsplätze sichert.
({3})
Ein weiterer wichtiger Punkt des Vorschaltgesetzes
ist, daß die Tarifentwicklung in den neuen Ländern zukünftig bei der Berechnung der Budgets der Krankenhäuser berücksichtigt wird. Die bisherige Regelung hat,
wie wir alle wissen, dazu geführt, daß den Kliniken in
den neuen Ländern im wörtlichen Sinne die Luft ausging, bestehende Unterschiede in den Standards zementiert wurden und dadurch die Schere zwischen Ost und
West auch in diesem Bereich immer mehr auseinanderging. Nun - Gott sei Dank - wird eine strukturelle Angleichung überhaupt erst möglich, Lücken können geschlossen und die notwendige Modernisierung in den
Kliniken in den neuen Ländern vorangetrieben werden.
Mit der Streichung der bisher geltenden Befristung
des Finanzierungsstärkungsgesetzes setzen wir ein weiteres Signal für die Menschen in den neuen Bundesländern und auch dafür, daß wir unserem Versprechen der
Schaffung der sozialen Einheit zwischen Ost und West
höchste Priorität einräumen und die Bedürfnisse ernst
nehmen.
({4})
Meine Damen und Herren, um es noch einmal ganz
klar zu sagen: Die jetzige Bundesregierung wird nicht
zulassen, daß die soziale Einheit in Deutschland auch im
Gesundheitsbereich auf halbem Wege steckenbleibt.
({5})
Frau Kollegin,
einen kleinen Moment! - Ich bitte um etwas Ruhe. Es ist
die erste Rede der Kollegin. Sie hat auch nicht die stärkste Stimme. Deswegen helfen Sie ihr doch ein bißchen,
indem Sie etwas ruhiger sind!
({0})
Danke, Frau Präsidentin.
Durch das Vorschaltgesetz werden viele Verbesserungen erreicht. Neben der Absenkung der Zuzahlung
denke ich hier besonders an die Wiederaufnahme von
Zahnersatz für Kinder und Jugendliche in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
und an die Zuzahlungsbefreiung für chronisch Kranke.
Aus eigener Anschauung weiß ich, wie schwer es gerade
chronisch Kranke in den neuen Ländern haben, diese
Zuzahlung zu finanzieren.
Ich fasse zusammen. Das jetzige Vorschaltgesetz
bietet allen Beteiligten, den Krankenkassen, den Leistungserbringern und den Beitragszahlern, erhebliche
Vorteile gegenüber den bisherigen Regelungen. Vor allen Dingen kehren wir damit zum Solidaritätsprinzip zurück und verhindern die Beitragserhöhung.
({0})
Diese - das sage ich als Ostdeutsche - Gesundheitspolitik ist gerade für den Osten eine notwendige, eine vertrauensbildende Maßnahme. Gerade die Menschen in
den neuen Bundesländern können wieder Vertrauen in
die Gesundheitspolitik fassen; denn ihre spezifischen
Probleme werden berücksichtigt,
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/
CSU]: Die wurden auch in der Vergangenheit
berücksichtigt!
ihre Sorgen werden ernst genommen, und vor allen Dingen werden ihnen Lösungen angeboten.
({1})
Das Vorschaltgesetz schafft eine stabile Grundlage
für bevorstehende Strukturreform und ist darauf angelegt - darauf lege ich besonderen Wert -, daß das Zusammenwachsen der Krankenversicherungssysteme in
Ost und West zukünftig gewährleistet wird.
Danke.
({2})
Frau Kollegin
Spielmann, ich möchte Ihnen im Namen des ganzen
Hauses zu Ihrer ersten Rede gratulieren, die, wie man ja
gesehen hat, unter erschwerten Bedingungen stattfand.
({0})
Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen nun
zu den Abstimmungen.
Nach § 31 unserer Geschäftsordnung liegen zwei
schriftliche Erklärungen vor, und zwar von der Kollegin
Monika Heubaum und dem Kollegen Hans-Ulrich Klo-
se, die ich mit Ihrer Zustimmung zu Protokoll gebe.*)
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen über den
von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der Soli-
darität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche
Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? - Ich sehe, daß alle Urnen be-
setzt sind. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ih-
nen später bekanntgegeben.**)
Wir setzen die Beratungen fort. Ich kann den nächsten Tagesordnungspunkt erst dann aufrufen, wenn Sie
Platz genommen haben. - Können Sie versuchen, die
Gänge frei zu machen und die Gespräche, wenn möglich, nach draußen zu verlagern? Ich muß nämlich
Wahlvorgänge leiten. Dazu brauche ich einen Überblick.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Wahl der Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ({1}) gemäß Artikel 1 und 2 des Ge-
__________
*) Anlage 6
**) Seite 933 A
setzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates
- Drucksachen 14/176, 14/177, 14/178, 14/179,
14/180 Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, der F.D.P. und
der PDS vor.
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der
SPD auf Drucksache 14/176? - Wer stimmt dagegen? Gibt es Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden.
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/177? - Stimmt jemand dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dieser Wahlvorschlag ist ebenfalls einstimmig angenommen worden.
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/178? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden.
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/179? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden.
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/180? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen
der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der PDS und
der F.D.P. bei einigen Gegenstimmen von der
CDU/CSU und einigen Enthaltungen von der CDU/CSU
angenommen worden.
Damit sind die Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates, die zugleich Vertreter in der Versammlung
der Westeuropäischen Union sind, gewählt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002
- Drucksache 14/23 ({2})
a) Zweite Beschlußempfehlung und zweiter Bericht des Finanzausschusses ({3})
- Drucksache 14/158 Berichterstattung:
Abgeordnete Heidemarie Ehlert
Hansgeorg Hauser ({4})
Klaus Wolfgang Müller ({5})
Reinhard Schultz ({6})
b) Zweiter Bericht des Haushaltsausschusses
({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/167 Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby
Abg. Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache über diesen Gesetzentwurf namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
- Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
({8})
- Das habe ich gesagt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Heute beraten wir das Steueränderungsgesetz 1998. Es enthält folgende Maßnahmen: die
Anpassung der Pensionsrückstellungen an die höhere
Lebenserwartung sowie die Verlängerung der steuerlichen und handelsrechtlichen Aufbewahrungsfrist für
Buchungsbelege von sechs auf zehn Jahre.
Wir haben diese beiden Maßnahmen vom Steuerentlastungsgesetz 1999 abgekoppelt. Wie Sie wissen, haben
wir in der letzten Woche die Entlastung für Familien
und Normalverdiener beschlossen. Es liegt nicht an der
Bundesregierung oder den Koalitionsfraktionen, wenn
wir heute einen weiteren Entwurf beraten müssen.
Vielmehr mußte auf Grund der Forderung der Opposition eine Anhörung dazu durchgeführt werden.
Zu den Maßnahmen im einzelnen. Für die Bewertung
von Pensionsrückstellungen - § 6 a Einkommensteuergesetz - gilt folgendes: Die Menschen leben länger. Die
höhere Lebenserwartung findet in neuen oder geänderten biometrischen Rechnungsgrundlagen ihren Niederschlag. Sie lösen eine Pflicht zu Zuführungen zu den
Pensionsrückstellungen der Unternehmen aus. Der Gesetzentwurf sieht vor, den Mehrbetrag auf eine angemessene Zeitspanne gleichmäßig zu verteilen. Konkret
ist vorgesehen, ihn auf drei Jahre 1999, 2000 und 2001,
zu verteilen. Diese Regelung stellt sicher, daß es zu einem zutreffenden Ausweis der Pensionsrückstellungen
zu den jeweiligen Bilanzstichtagen kommt.
In ihrer schriftlichen Stellungnahme zum Entwurf des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 geht die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung davon aus,
daß eine Verteilung des Übergangsbetrages auch
handelsrechtlich begründet ist.
Der Verband, in dem natürlich auch die Wirtschaft organisiert ist, hält
die vorgesehene Regelung für eine Lösung des
Übergangsproblems, die den sehr unterschiedlichen
Situationen in der Praxis in sinnvoller Weise Rechnung trägt.
In der Anhörung der Verbände hat die Frage eine
Rolle gespielt, ob den Unternehmen ein Wahlrecht eingeräumt werden sollte. Wir haben uns für eine pragmatische steuerliche Übergangslösung entschieden. Sie berücksichtigt in angemessener Weise den Nachholbedarf
und zugleich den prognostizierten Mehrbedarf in den
kommenden Jahren.
({0})
Die Bundesregierung geht davon aus, daß mit der Verteilung der Zuführung in dem Dreijahreszeitraum in der
Praxis die Möglichkeit besteht, weitgehend Gleichklang
zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz herzustellen.
Die Bundesregierung verbindet mit dieser Gesetzesvorlage die Zusage, daß sie in Zukunft auf eine raschere
Anpassung der biometrischen Rechnungsgrundlagen
drängen wird. Sie soll nicht wieder 15 Jahre auf sich
warten lassen; dies hatten wir nämlich aufzuarbeiten.
Die Verteilung der erhöhten Zuführungen zu den
Pensionsrückstellungen führt infolge der höheren Bestandsbewertung im Entstehungsjahr zu rund 3 Milliarden DM Mindereinnahmen. Sie sind durch die im Entwurf des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002
ausgewiesenen Mehreinnahmen durch Verbreiterung der
steuerlichen Bemessungsgrundlage gedeckt.
Die Verlängerung der steuerlichen und handelsrechtlichen Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege von
sechs auf zehn Jahre muß ebenfalls noch in diesem Jahr
vorgenommen werden. Sie entspricht dem Beschluß des
Bundesrates vom 27. November, der auf der Grundlage
eines Antrags des Landes Schleswig-Holstein zustande
gekommen ist. Unser Ziel ist es, die Ermittlungsverfahren gegen zur Zeit noch anonyme Kunden und Mitarbeiter von Kreditinstituten wegen Verdachts der Steuerhinterziehung bzw. der Beteiligung an der Steuerhinterziehung zu unterstützen.
Es handelt sich um einen Kompromiß. Die verlängerte Aufbewahrungsfrist gilt für Buchungsbelege, nicht
dagegen für die gesamten schriftlichen Unterlagen wie
zum Beispiel Geschäftsbriefe. Das hält den zusätzlichen
Raumbedarf der Unternehmen in Grenzen,
({1})
zumal es ja die moderne Technik gibt. Neben einem sicherlich begrenzten zusätzlichen Raumbedarf kommt
keine Erschwernis auf die Wirtschaft zu.
({2})
Unterlagen wie Bücher, Inventare, Bilanzen unterliegen
wegen ihrer besonderen Nachweisfunktion bereits heute
einer zehnjährigen Aufbewahrungsfrist. Diese Frist
deckt sich im übrigen mit der Verjährungsfrist bei SteuVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
erhinterziehung. Von daher ist es sachgerecht, die Frist
so zu verlängern.
Ich bitte Sie, dem Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1998 zuzustimmen.
({3})
Bevor ich
den nächsten Redner aufrufe, teile ich Ihnen das von
den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung mit. Es
handelt sich um den Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung, kurz: Solidaritätsstärkungsgesetz. Abgegebene Stimmen: 578. Mit Ja haben gestimmt 339,
mit Nein haben gestimmt 210. Es gab 29 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen worden.
({0})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 574;
davon
ja: 336
nein: 209
enthalten: 29
Ja
SPD
Brigitte Adler
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({4})
Bernhard Brinkmann
({5})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({6})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({7})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({8})
Lilo Friedrich ({9})
Harald Friese
Anke Fuchs ({10})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({11})
Angelika Graf ({12})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
({13})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({14})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({15})
Walter Hoffmann
({16})
Iris Hoffmann ({17})
Frank Hofmann ({18})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({19})
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({20})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({21})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({22})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({23})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({24})
Jutta Müller ({25})
Christian Müller ({26})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({27})
Gerhard Neumann ({28})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({29})
Birgit Roth ({30})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
({31})
Ulla Schmidt ({32})
Silvia Schmidt ({33})
Dagmar Schmidt ({34})
Wilhelm Schmidt ({35})
Heinz Schmitt ({36})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({37})
Brigitte Schulte ({38})
Reinhard Schultz
({39})
Volkmar Schultz ({40})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({41})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt ({42})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({43})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({44})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Helmut Wieczorek
({45})
Jürgen Wieczorek ({46})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({47})
Brigitte Wimmer ({48})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({49})
Waltraud Wolff ({50})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({51})
Marieluise Beck ({52})
Volker Beck ({53})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({54})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Klaus Wolfgang Müller
({55})
Kerstin Müller ({56})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Claudia Roth ({57})
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({58})
Werner Schulz ({59})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({60})
Margareta Wolf ({61})
PDS
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Manfred Müller ({62})
Kersten Naumann
Dr. Uwe-Jens Rössel
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Klaus Bühler ({63})
Hartmut Büttner
({64})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({65})
Axel Fischer ({66})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({67})
({68})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({69})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({70})
({71})
Manfred Heise
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Karl A. Lamers
({72})
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({73})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
({74})
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({75})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({76})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({77})
Elmar Müller ({78})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto ({79})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({80})
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({81})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({82})
Andreas Schmidt
({83})
Dr. Andreas Schockenhoff
Diethard W. Schütze ({84})
Clemens Schwalbe
Wilhelm - Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({85})
Gerald Weiß ({86})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({87})
Hans-Otto Wilhelm ({88})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({89})
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günter Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({90})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Enthalten
SPD
Monika Heubaum
Hans-Ulrich Klose
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla ({91}) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Rosel Neuhäuser
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Jetzt fahren wir in der Debatte fort. Das Wort hat der
Abgeordnete Hansgeorg Hauser.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Während im sogenannten Vorläufer zum sogenannten Steuerentlastungsgesetz in der letzten Woche
die Geschenke verteilt wurden, etwa das Kindergeld, das
dann von den Betroffenen später durch Steuererhöhungen an anderer Stelle finanziert werden muß,
({0})
ist das Steueränderungsgesetz, also der zweite Teil der
Salamitaktik, schon weniger angenehm. Wie bitter der
dritte Teil dann wird, das hat die Anhörung am Montag
und Dienstag dieser Woche ergeben, in der die große
Mehrheit der Sachverständigen laut „Handelsblatt“ von
gestern „die Vorlage förmlich in der Luft zerrissen“ hat.
({1})
Im Steueränderungsgesetz geht es - es ist richtig, was
die Frau Staatssekretärin gesagt hat - um die Anpassung der Pensionsrückstellungen sowie um die Verlängerung der Aufbewahrungsfristen für bestimmte
Geschäftsunterlagen.
Wir sind uns alle einig, daß die Änderung des § 6 a
Einkommensteuergesetz notwendig ist, da - das hat der
sachverständige Versicherungsmathematiker Professor
Heubeck sehr deutlich festgestellt - „drastische Verlängerungen der Lebenserwartung und der damit zusammenhängenden Veränderung der Sterbewahrscheinlichkeit“ in den letzten Jahren eingetreten sind.
Meine Damen und Herren, wenn man das mit der
Debatte von heute nachmittag vergleicht, in der abgestritten worden ist, daß man in der Rentenversicherung
eine Anpassung braucht und die diesbezüglich getroffenen Maßnahmen wieder zurückgenommen hat, dann
muß ich sagen, daß diese Feststellung von Professor
Heubeck eine ganz andere Sprache spricht.
({2})
Der Wirtschaft wird das zugemutet; für die gesetzliche
Rentenversicherung ist offensichtlich eine solche Vorsorge nicht zu treffen.
({3})
Meine Damen und Herren, die bisherigen Bilanzansätze müssen daher zwingend angepaßt werden, auch
wenn die Höhe der Anpassung von einigen Experten
möglicherweise als nicht ganz ausreichend angesehen
wird. Das ist aber nicht Gegenstand dieses Gesetzes;
darüber müssen wir uns zu einer anderen Zeit unterhalten, um vielleicht noch einmal zu diskutieren, wie diese
Anpassungen auszusehen haben.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Strittig an der Gesetzesänderung ist ohne Zweifel die
steuerliche Behandlung des Mehraufwandes. Während
handelsrechtlich der Anpassungsbedarf sofort, zum
31. Dezember 1998, ermittelt und über vier Jahre verteilt
wird, werden im Steuerbereich die Erfassung ab 1999
und eine dreijährige Verteilung vorgeschrieben. Abweichend von der bisherigen Behandlung gibt es hier kein
Wahlrecht mehr. Vielmehr wird zwingend vorgeschrieben, diese Verteilung auf drei Jahre vorzunehmen. Es
ergibt sich also damit wieder eine neue Abweichung der
Steuerbilanz von der Handelsbilanz. Damit wird das
Maßgeblichkeitsprinzip natürlich erneut durchlöchert.
Es ist schon interessant, daß die Frau Staatssekretärin
als Begründung den einzigen Sachverständigen zitierte,
der diese zwingende Verteilung befürwortet hat. Alle
anderen Sachverständigen - ich habe das noch einmal
nachgezählt - haben diesen Zwang abgelehnt und sich
für das Wahlrecht eingesetzt.
({4})
Wir sehen nicht ein, warum diese bisher bewährte Regel
abgeändert werden soll.
({5})
Um Handelsbilanz und Steuerbilanz nicht getrennt erstellen zu müssen, schlagen wir deshalb vor, die handelsrechtliche Behandlung auch für die steuerrechtliche
Behandlung zugrunde zu legen, das heißt, den Anpassungszeitpunkt auf Wirtschaftsjahre, die zum 31. Dezember 1998 enden, zu fixieren und ein Recht für die
Verteilung auf bis zu vier Jahre festzulegen. Wir plädieren also für das Wahlrecht und nicht für den Zwang.
({6})
Der zweite Teil des Steueränderungsgesetzes beinhaltet eine gravierende Änderung der Aufbewahrungsfristen. In § 147 Abs. 3 der Abgabenordnung wird die
Frist für die Aufbewahrung der in Abs. 1 Nrn. 1 und 4
aufgeführten Unterlagen von bisher 6 auf 10 Jahre verlängert. Es ist unglaublich, mit welcher Rücksichtslosigkeit insbesondere kleinen und mittleren Firmen neue
Kostenbelastungen aufgebürdet werden.
({7})
Aber auch bei den großen Unternehmen - auch dafür
gab es beredte Zeugen - wird dies zu erheblichen
Schwierigkeiten führen, da 40 Prozent mehr archiviert
werden müssen. Dafür gibt es in den meisten Firmen
natürlich keine freien Kapazitäten.
({8})
Der Ausgangspunkt ist genannt worden. Er liegt in
der Tatsache begründet, daß es der Finanzverwaltung,
insbesondere in Nordrhein-Westfalen, nicht gelungen
ist, einige Hunderte oder Tausende von Fällen aus dem
Bereich der Überprüfung von Geldtransfers ins Ausland
rechtzeitig vor Ablauf der Aufbewahrungsfristen aufzuklären und die entsprechenden Unterlagen sicherzustellen. Wegen dieser vergleichsweise wenigen Fälle muß
die gesamte gewerbliche Wirtschaft einschließlich aller
Freiberufler und sonstigen Selbständigen erhebliche
Mehrbelastungen auf sich nehmen. Wir sind der Meinung, daß das eine vollkommen unverhältnismäßige und
unangemessene Maßnahme zugunsten der Finanzverwaltung ist.
({9})
Damit es hier keine Mißverständnisse gibt - das
wollen Sie uns natürlich gerne anhängen -, möchte ich
folgendes sagen: Wir sind selbstverständlich ebenfalls
dafür, daß Steuerhinterziehung verfolgt wird und auch
geeignete Maßnahmen getroffen werden können, um die
entsprechenden Verfolgungen und Untersuchungen
durchführen zu können.
({10})
Dazu hatte die Verwaltung 6 Jahre Zeit. Auch jetzt noch
hat die Verwaltung - auch das haben die Experten bestätigt - geeignete Möglichkeiten, bestimmte Beweise
sicherzustellen. Die Wirtschaft hat nun jedoch mit vollkommen überzogenen Maßnahmen zu rechnen und zu
arbeiten. Wir halten das für skandalös.
({11})
Der Vertreter des Gastgewerbes - um einmal die Praxis eines kleinen Bereiches zu veranschaulichen -, aber
auch eine ganze Reihe von anderen Experten, beispielsweise aus dem Handwerk, haben klargemacht, was es
für sie bedeutet, wenn nun Tonnen von zusätzlichem
Papier unnötigerweise archiviert und aufbewahrt werden
müssen. Wir sind der Meinung, daß das Gebot der Verhältnismäßigkeit gröblichst verletzt wird.
({12})
Professor Bareis hat auf die historische Entwicklung
dieser Vorschriften hingewiesen. Bis vor 40 Jahren
mußte man die entsprechenden Unterlagen noch 10 Jahre aufheben. Dann wurde in zwei Schritten, 1959 und
1976, die Frist auf 7 bzw. auf 6 Jahre verkürzt. Hinsichtlich der Schriftgutaufbewahrung galt seit 1959 bereits eine Erleichterung, um, wie es damals hieß, die ausufernde Flut der aufzubewahrenden Unterlagen einzudämmen. Man hat es also schon damals eingesehen. In
der Zwischenzeit ist die Flut der Belege noch größer
geworden. Herr Bareis sagt, die Begründung von damals
sei auch heute noch richtig und sinnvoll. Dem schließen
wir uns an. Das ist auch unsere Meinung, und deshalb
lehnen wir diese Verlängerung ab.
({13})
Hansgeorg Hauser ({14})
Es ist schon zynisch, wenn man uns im Ausschuß
vorhält, daß die Wirtschaft auf moderne Archivierungstechniken zurückgreifen kann.
({15})
Für diejenigen, die solche Techniken bisher nicht angewendet haben, kostet die Einführung sehr viel Geld.
Außerdem - auch das haben wir gehört - ist eine Neuinstallierung solcher Techniken sehr zeitaufwendig.
Auch dafür sind, wie gesagt, Beispiele genannt worden.
Im übrigen ist noch lange nicht garantiert - auch das ist
gesagt worden -, daß man, wenn man eine solche
moderne Technologie einmal eingeführt hat, sie für alle
Zeit nutzen kann. Durch Systemänderungen, insbesondere im Bereich der Software, ist es sehr häufig vorgekommen - das hat uns zum Beispiel der Vertreter der
BASF klargemacht -, daß man wieder vollkommen neue
Techniken einführen und kostspielige Anpassungen vornehmen muß.
In anderen Ländern sind die Aufbewahrungszeiten in
der Regel kürzer und wesentlich weniger stringent geregelt. Auch das kann ein Wettbewerbsnachteil für die
deutsche Wirtschaft sein.
Meine Damen und Herren, Belastungen wie die auf
Grund der nun vorgesehenen Änderung der Aufbewahrungsfristen sind geradezu symptomatisch für das gesamte sogenannte Steuerentlastungsgesetz.
({16})
Während draußen in der Wirtschaft der Bundeskanzler
und die Koalitionsvertreter das Märchen erzählen,
({17})
daß der Mittelstand entlastet würde, wird hier im Parlament durch die Regierung heftig an neuen Belastungen
gearbeitet. Das ganz dicke Ende kommt im nächsten
Frühjahr mit massiven neuen Belastungen für die gesamte Wirtschaft.
({18})
Die Anhörung der nahezu 150 Fachleute aus Verbänden und Organisationen hat sehr eindeutig ergeben, daß
die geplanten Maßnahmen des Steuerentlastungsgesetzes drastische Auswirkungen haben werden. Neue, zum
Teil existenzbedrohende Änderungen wie die Abschaffung der Teilwertabschreibung, das rückwirkende
Wertaufholungsgebot, Einschränkungen von Rückstellungsbildungen usw. führen zu deutlichen Steuererhöhungen, die durch die geplanten Steuersatzsenkungen
bei weitem nicht ausgeglichen werden. Strukturänderungen werden behindert oder ganz blockiert, so daß zur
Zeit vollkommen überhastete Maßnahmen ergriffen
werden, um Betriebe zu veräußern oder andere Strukturen zu schaffen.
Das hat bereits Auswirkungen in der Wirtschaft. Die
Geschäftserwartungen und das Wirtschaftsklima sind
erheblich schlechter geworden. Eine Untersuchung der
IHK Frankfurt zeigt sehr deutlich, daß das Klima erheblich schlechter geworden ist und daß die Investitionsbereitschaft sowie die Bereitschaft, Neueinstellungen vorzunehmen, erheblich zurückgegangen sind. Das sind
deutliche Reaktionen auf die von Ihnen angekündigte
Steuerpolitik. Sie haben es in den wenigen Wochen
nicht nur geschafft, eine ganze Reihe von Menschen zu
verunsichern,
({19})
sondern Sie haben es auch geschafft, daß das Wirtschaftsklima innerhalb dieser kurzen Zeit in den Keller
gegangen ist.
({20})
Nehmen Sie dieses Steuergesetz wieder zurück, so
wie es Ihnen die Experten empfohlen haben!
({21})
Machen Sie ein ordentliches Steuerreformgesetz mit
niedrigen Steuersätzen, wenigen Ausnahmen und einer
vernünftigen Entlastung, dann werden auch wir auf Ihrer
Seite stehen.
Herzlichen Dank.
({22})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es geht
heute, Herr Hauser, nicht um das gesamte Steuerentlastungsgesetz, sondern es geht um den sogenannten
zweiten Vorläufer. Es ist schon nett - es ist ja kurz vor
Weihnachten -, wenn einer neuen Regierung, die erst
kurze Zeit im Amt ist, neue biometrische Berechnungsgrundlagen vorgelegt werden, die belegen, daß es eine
längere Lebenserwartung gibt. Das ist wunderbar und
freut uns alle. Auch der Rückgang im Bereich der Invalidisierung ist durchaus als sehr positiv zu bewerten.
§ 6 a Abs. 3 Einkommensteuergesetz schreibt nun für
die Berechnung von Pensionsrückstellungen die Anwendung der anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik vor. Die entsprechende Änderung müssen
wir in diesem Jahr beschließen und auch gesetzlich umsetzen.
({0})
So lösen die neuen Richttafeln, die Anfang November
1998 erschienen sind, die Richttafeln von 1983 ab.
Darin, Herr Hauser, besteht ja Übereinstimmung.
({1})
Die einzige Differenz zwischen der heutigen Vorlage,
Herr Michelbach, und Überlegungen, die während der
Anhörung und auch von der Opposition geäußert wurden, liegt in der Frage, ob die Verteilung auf mehrere
Jahre zwingend ist oder ob es ein Wahlrecht für die UnHansgeorg Hauser ({2})
ternehmen gibt. Hier liegt nun ein Vorschlag vor, der im
Ergebnis eine gleichmäßige Verteilung des Betrags auf
die drei Jahre von 1999 bis 2001 vorsieht. Dieser Kompromiß, meine Damen und Herren von der CDU/CSUFraktion, berücksichtigt zum einen die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik, zum zweiten die
Richttafeln von 1998 und zum dritten - das ist ganz
wichtig - auch das Stichtagsprinzip.
({3})
Dies ist mit handelsrechtlichen Grundsätzen vereinbar
und hat den Vorteil, auf einfache Weise handhabbar zu
sein.
({4})
Wir meinen, daß der vorgesehene Übergangszeitraum
vernünftig ist. Er ist schon heute im Gesetz angelegt.
Wenn man recherchiert - dies wurde auch von der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung bestätigt, die sich auf diesem Gebiet auskennt -, dann
kommt man zu dem Ergebnis, daß gerade der Mittelstand von dieser Verteilung Gebrauch gemacht hat.
Deswegen kann ich zu der Kritik, das sei mittelstandsfeindlich, nur sagen: Es ist durchaus richtig, daß wir die
Regelung in dieser Form vorgelegt haben.
({5})
Nun zur Verlängerung der steuerlichen und handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen von sechs auf
zehn Jahre. Herr Hauser, nach Ihrer Rede muß ich Ihnen
sagen: Wollen wir doch einmal abwarten, ob beispielsweise die leerstehenden gewerblichen Immobilien in den
neuen Bundesländern, die es bedauerlicherweise dort
gibt und die Entscheidungen der alten Bundesregierung
zu verdanken sind, zu diesem Zweck angemietet oder
gepachtet werden müssen. Sie tun gerade so, als ob wir
als neue Regierungsfraktion ausgerechnet für dieses
Problem eine Lösung hätten finden wollen. Wir wollen
einmal abwarten, wieviel Räume für die Lagerung der
Akten angemietet werden müssen.
({6})
- Wenn Herr Hauser übertreibt, dann kann ich zynisch
werden.
({7})
Man muß doch die Ausgangslage betrachten. Es gibt
im Falle von Steuerhinterziehung eine Verjährungsfrist
von zehn Jahren. Daraus folgt, daß in diesem Zeitraum
ermittelt werden muß. Es kann aber nur dann ermittelt
werden, wenn die notwendigen Belege und Unterlagen
vorliegen. Das ist doch vollkommen logisch.
({8})
Es geht um die Bekämpfung der Steuerhinterziehung
und nicht darum, irgend jemanden zu verärgern.
Wer Mißbrauch bekämpfen will, muß unserer Regelung zustimmen, zumal wir eine Kompromißlösung gefunden haben. Diese sieht nicht vor, daß - wie Sie immer so schön sagen - jeder Wisch aufgehoben werden
muß, sondern es geht um Aufzeichnungen, Inventare,
Jahresabschlüsse, Lageberichte, Eröffnungsbilanzen und
um Buchungsbelege. Um Mißbrauch vorzubeugen, ist es
durchaus legitim, daß für die Durchführung der Ermittlungen die Aufbewahrungsfrist in diesem Bereich an die
Verjährungsfrist angepaßt wird.
({9})
Es gibt durchaus auch Kritik, die in die andere Richtung geht. Herr Ondracek von der Deutschen SteuerGewerkschaft hat die Auffassung vertreten, daß wir
nicht genug sammeln. Er kritisiert, daß wir die ursprünglich von Niedersachsen vorgelegten Vorschläge
nicht umgesetzt haben und daß wir die Regelung auf die
eben erwähnten Unterlagen beschränkt haben und eben
nicht all die Unterlagen einbezogen haben, die die Steuerfahndung eigentlich für die Ermittlung braucht. Er
sagte: Wenn man weiß, daß die Steuerfahndung kommt,
wird „clean“ gemacht. Er sprach so schön von „verzaubern“. Aus diesem Grunde meinen wir, daß möglichst
viele der Unterlagen, die die Steuerfahndung braucht,
aufgehoben werden müssen. Deswegen dient dieser
Vorschlag der Bekämpfung der Steuerhinterziehung.
Dafür treten wir ein.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jörg-Otto Spiller.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt der
Steuerreform stehen die beiden Fragen, über die wir uns
heute unterhalten, nicht. Wenn es nach uns gegangen
wäre, hätten wir diesen Teil der Gesetzgebung in der
vorigen Woche schon abschließen können. Aber es ist
das gute Recht der Oppositionsfraktionen, eine Anhörung zu verlangen. Sie haben es getan.
Wir hätten ein schnelleres Verfahren bevorzugt. Aber
nach der Anhörung darf ich sagen: Ich möchte mich bei
Ihnen ausdrücklich bedanken. Die Position der Regierung und der Koalition ist nämlich aus der Anhörung in
der Sache gestärkt hervorgegangen.
({0})
- Ich habe das Protokoll ebenfalls und empfehle, es zu
lesen.
Herr Hauser, in bezug auf die Aufbewahrungsfristen
muß ich als erstes klarstellen: Wir haben in den Gesetzentwurf nicht hineingeschrieben, daß sämtliche Geschäftsunterlagen zehn Jahre aufzuheben seien. Das ist
vielmehr ein Kompromiß, in dem steht, daß Buchungsbelege, Geschäftsabschlüsse, Bilanzen und ähnliches
zehn Jahre lang aufbewahrt werden müssen. Zum Teil
wurde aber von der Finanzverwaltung und auch von
Bundesländern gefordert, daß die vollständige Geschäftskorrespondenz ebenfalls zehn Jahre aufbewahrt
werden sollte. Das haben wir herausgenommen, und das
ist ein vernünftiger Kompromiß.
Herr Hauser, wenn Sie den Wirtschaftsverbänden die
direkte Fangfrage stellen, ob sie Papier lieber sechs oder
zehn Jahre lang aufheben wollen, dann sagen sie Ihnen
natürlich, ihnen seien sechs Jahre lieber.
({1})
Wenn Sie fragen, ob sie sehr schnell Ordnung in ihre
Unterlagen bringen wollten oder ob sie sich damit lieber
ein bißchen mehr Zeit ließen, dann sagen sie vielleicht
auch, daß es ihnen lieber wäre, wenn sie sich etwas
mehr Zeit lassen könnten.
Relevanter war in der Anhörung aber der deutliche
Hinweis, daß es einen ganz sachlichen Zusammenhang
gibt: Es geht um die Bekämpfung von Steuerhinterziehung.
({2})
Man tut gerade dem Mittelstand Unrecht, wenn man ihm
generell Sympathie für Steuerhinterziehung unterstellt.
({3})
- Herr Kollege Michelbach, die Masse auch der Mittelständler gehört doch zu den redlichen Steuerzahlern.
({4})
Die haben doch wie jeder redliche Steuerzahler ein Interesse daran, daß diejenigen, die Steuern hinterziehen,
auch ein hohes Risiko eingehen.
({5})
Das ist doch im Interesse aller redlichen Steuerzahler.
Was diesen Punkt angeht, stehen wir gut da, nach dieser
Anhörung noch besser als vorher.
Zu den Pensionsrückstellungen muß ich noch etwas
sagen. Es ist ja erfreulich, daß die Lebenserwartung
steigt, und wir nehmen die unangenehme Folge gern in
Kauf, daß die Steuereinnahmen zunächst zurückgehen
werden; das muß man hinnehmen. Daß die Lebenserwartung von Jahr zu Jahr steigt, ist ein Prozeß. Aber es
werden eben nicht in jedem Jahr neue Sterbetafeln errechnet, so daß man sich auf einen Stichtag verständigen
muß. Diese Systematik ist bisher unumstritten gewesen.
Als einziges war jetzt - Herr Kollege Hauser hat es
gesagt - die Frage des Wahlrechtes kontrovers. Herr
Hauser, Sie sind ja dabeigewesen. Die Sachverständigen, die eine neutrale Position beziehen,
({6})
weil sie selbst keine unmittelbaren Interessen verfolgen,
kamen zum einen vom Institut der Wirtschaftsprüfer.
Die Wirtschaftsprüfer sind vom Gesetz her verpflichtet,
neutral zu sein, keine Interessen der einen oder anderen
Seite zu verfolgen, sondern neutral zu prüfen. Zum anderen war es der Versicherungsmathematiker Professor
Heubeck. Beide haben gesagt, daß die Lösung ohne
Wahlrecht vernünftig ist.
Am deutlichsten haben das die Wirtschaftsprüfer gesagt, weil folgendes natürlich zutrifft: Wenn eine höhere
Rückstellung notwendig ist, dann kann man es doch
nicht im Belieben der einzelnen lassen, ob sie eine solche Verpflichtung in der Bilanz ausweisen oder nicht, je
nachdem, ob es ihnen gefällt oder nicht. Es kann doch
nicht im Belieben des einzelnen stehen, ob man die
Wahrheit sagt oder nicht. Das muß sich doch in der
Bilanz korrekt ausweisen lassen, und zwar ohne jedes
Wahlrecht.
In ähnlicher Weise hat es auch Professor Heubeck
dargelegt.
({7})
- Wir wollen gerne zu Protokoll nehmen, daß die bayerische Staatsregierung nicht immer recht hat; aber
manchmal hat sie doch recht.
Professor Heubeck hat nun wirklich recht, und ich
möchte Ihnen vorlesen, was er in seiner schriftlichen
Stellungnahme, die dem Finanzausschuß zugeleitet worden ist, geschrieben hat:
Es ist ... durchaus sachgerecht, den auf dieser Periodisierung
- es ist kein Prozeß von Tag zu Tag, sondern ein laufender Prozeß, daß die Lebenserwartung steigt beruhenden Auffüllbetrag nicht voll im ersten Jahr,
sondern auf einige Jahre verteilt der Rückstellung
zuzuführen.
({8})
Der im Gesetz vorgesehene Übergangszeitraum
von vier Jahren mit einer im Ergebnis dreijährigen
gleichmäßigen Verteilung ... auf die Jahre 1999 bis
2001 ist ein vertretbarer Kompromiß, der die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik, die
Eigenschaften der Richttafeln 1998 und das Stichtagsprinzip berücksichtigt. Er ist aus meiner Sicht
vereinbar mit handelsrechtlichen Grundsätzen und
hat zudem den Vorteil der einfachen Handhabbarkeit.
({9})
Besser kann es doch nicht sein. Ich möchte mich bei
Ihnen bedanken, daß Sie uns dazu verholfen haben, daß
die Sachverständigen dies noch einmal in solch großer
Klarheit zum Ausdruck gebracht haben.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.
({0})
- Doch, er hat das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute in abschließender Lesung den zweiten
Vorläufer des im Hinblick auf die Arbeitsplätze und die
Wirtschaft als Steuerentlastungsgesetz getarnten Steuerbelastungsgesetzes.
({0})
In der diesbezüglichen Anhörung in dieser Woche
haben mit Ausnahme von Herrn Hickel und des DGB alle
Sachverständigen erklärt, daß Ihr Gesetzesentwurf Ihr
selbstgestecktes Ziel verfehlt, nämlich mehr Wachstum
und mehr Beschäftigung in Deutschland zu erreichen.
({1})
Der Unterschied zur Anhörung im Rahmen der Steuerreform der alten Koalition besteht darin, daß die Sachverständigen seinerzeit zu der Reform gesagt haben: Ja,
aber ... Zu Ihrer Reform sagen alle Sachverständigen:
Nein, das ist nicht der Weg, mit dem neue Arbeitsplätze
in Deutschland geschaffen werden können.
Deshalb fordern wir von der F.D.P. Sie auf: Ziehen
Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Machen Sie eine vernünftige Steuerreform! Entdecken Sie den Charme der
Langsamkeit!
({2})
Das haben Sie doch selbst gefordert. Wir bitten Sie: Machen Sie jetzt endlich einmal von dem Reiz der Gründlichkeit Gebrauch, und legen Sie diesem Hause einen
gründlichen und vernünftigen Gesetzentwurf vor!
({3})
Es ist ja erstaunlich, daß Sie überhaupt nicht über ein
geschlossenes Konzept verfügen. In der letzten Woche
wurde vom Deutschen Bundestag ein erster Vorläufer
beschlossen. In dieser Woche wird ein zweiter Vorläufer
beschlossen. Demnächst kommt wahrscheinlich ein
dritter Vorläufer.
({4})
Irgendwann kommt sogar der Schlußläufer. Wir wollen
einmal sehen, wann dieser ganze Lauf ein Ende haben
wird.
({5})
Der zentrale Punkt - den kritisieren nicht nur wir,
sondern auch die Sachverständigen und die gesamte Öffentlichkeit - besteht darin, daß Sie eine Politik der Verunsicherung betreiben. Die Steuerpflichtigen, insbesondere die Unternehmen in unserem Land, haben überhaupt keine Vorstellung davon, wie das Steuerrecht im
nächsten Jahr aussehen wird. Das hat zwangsläufig zur
Folge, daß Investitionsentscheidungen zurückgehalten
werden, daß im Laufe des nächsten Jahres Tatbestände
geschaffen werden, die bereits ab dem 1. Januar nächsten Jahres gelten. Wie soll jemand investieren, wenn er
nicht einmal weiß, unter welchen steuerlichen Rahmenbedingungen dies geschieht?
({6})
So schafft man kein Vertrauen. So schafft man keine
Investitionen. So schafft man keine Arbeitsplätze.
Herr Minister Lafontaine, ich habe gerade im Fernsehen gesehen, wie Sie erklärt haben, daß es Ihr Ziel ist,
die Zahl der Arbeitslosen auf 3 Millionen zu verringern.
({7})
Wir wünschen Ihnen im Interesse der Arbeitslosen viel
Erfolg. Nur, dieser Gesetzentwurf ist der falsche Weg,
um die von Ihnen selbst gesteckten Ziele überhaupt erreichen zu können.
({8})
Die einzige Mehrbeschäftigung erreichen Sie bei den
steuerberatenden Berufen. Die können sich momentan
vor Anfragen nicht retten, wie jetzt steuerlich noch etwas geregelt werden soll. Denn ein Handwerker, der
sein Lebenswerk in seinen Betrieb gesteckt hat, weiß gar
nicht, ob er dieses Lebenswerk im nächsten oder im
übernächsten Jahr zur Sicherung seines Lebensabends
überhaupt nutzen kann, weil Sie den bei der Veräußerung von Betriebsteilen geltenden halben Steuersatz im
Rahmen der Altersvorsorge streichen wollen. Das ist einer der Gründe, warum momentan so viel an Beratung
erforderlich ist.
Sie hätten die Möglichkeiten, einen vernünftigen
Weg zu gehen. Sie können auch jetzt noch das Modell
der F.D.P. übernehmen, Herr Finanzminister. Ich empfehle es Ihnen.
({9})
Dann haben Sie die Möglichkeit, hier etwas mehr
Vertrauen zu schaffen.
In der Sache würde ich es für richtig halten, wenn die
Steuerfahndung innerhalb von sechs Jahren endlich beginnt und wenn nicht, um einzelne zu treffen, alle SteuJörg-Otto Spiller
erpflichtigen mit einem unsinnigen Verwaltungsaufwand im Sinne einer Schleierfahndung belegt werden.
({10})
Sie hätten unserem Vorschlag folgen können: Verlängerung um ein Jahr für das Kreditgewerbe, dann hätten Sie die nämlich auch bekommen. Sie betreiben hier
eine Verunsicherung und eine Mehrbelastung der Wirtschaft, die leider nicht zu mehr Arbeitsplätzen führen
wird.
({11})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Heidemarie Ehlert.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Die heutige Behandlung
von Pensionsrückstellungen und Aufbewahrungsfristen
steht symbolisch für das Chaos im gesamten Gesetzgebungsverfahren.
({0})
Erst darf die Öffentlichkeit einen Entwurf für ein
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 zur Kenntnis
nehmen, dann gibt es zum Gesetzentwurf einen Vorläufer, und nun diskutieren wir bereits den zweiten, ursprünglich nicht vorgesehenen Vorläufer. Hinsichtlich
dieses Durcheinanders hat die neue Bundesregierung
nun wirklich Kontinuität zu ihrer bisherigen Politik bewiesen.
Die Ausdehnung der Aufbewahrungsfristen soll der
Finanzverwaltung und Gerichtsbarkeit die Möglichkeit
geben, Steuerhinterziehung besser zu verfolgen. Während der vergangenen Tage, auch heute wieder, war
diesbezüglich von Kollegen wiederholt die Meinung zu
hören, daß Steuerhinterziehung nur den Bereich der
Banken und Versicherungen betreffe und man daher die
Ausdehnung der Aufbewahrungsfristen auf den Finanzsektor beschränken solle.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Scheel?
Aber gern.
Vizepräsientin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Frau Ehlert, Sie beklagen, daß es einen zweiten Vorläufer gibt, der im Hinblik auf den Ablauf der Gesetzesberatungen das Chaos noch verstärken würde. Können Sie
mir dann die Frage beantworten, warum ausgerechnet
die Opposition, obwohl schriftliche Stellungnahmen
schon längst vorlagen, eine Anhörung beantragt hat, die
uns als Regierungsfraktionen letztendlich - von der Geschäftsordnung selbstverständlich korrekt - in die Lage
versetzt hat, diesen zweiten Vorläufer vorzulegen? Sonst
hätte es nämlich nur einen gegeben.
Die Themen, die wir
heute behandeln, und die Auswirkungen waren so wichtig, daß eine Anhörung dringend notwendig war.
({0})
Erst in der Ausschußsitzung wurden uns durch die
Regierung die Auswirkungen der Pensionsrückstellungen eindeutig geklärt. Deshalb wurde die Anhörung gefordert.
({1})
Ich bin erstaunt über Ihr kurzes Gedächtnis. Offensichtlich ist Ihnen der Fall des Bäderkönigs und StraußFreundes Zwick noch in bester Erinnerung; er müßte es
auf jeden Fall noch sein. Das Problem der Steuerhinterziehung und somit der Ausdehnung der Aufbewahrungsfristen läßt sich eben nicht auf einen Bereich der Volkswirtschaft beschränken.
({2})
Gemäß Gesetzentwurf sollen Aufbewahrungsfristen
allerdings nur für Buchungsbelege und nicht - wie von
der PDS gefordert - für alle steuerlich relevanten Belege
ausgedehnt werden.
Schon aus diesem Grund ist es zweifelhaft, ob die
Neuregelung zum gewünschten Ergebnis führen wird.
Aber offensichtlich ist die Aufklärung von Steuerhinterziehung nicht gewollt, und wir können es uns leisten, auf
30 Milliarden DM hinterzogene Steuern zu verzichten.
Es fehlen uns in den Finanzämtern einfach die Betriebsprüfer. Meine Damen und Herren, das müssen Sie
einfach zur Kenntnis nehmen.
({3})
In Sachen Pensionsrückstellung nur soviel: Die Erhöhung der Zuführung zu den Rückstellungen ist notwendig; darin sind wir uns alle einig. Problematisch war
allerdings die Behandlung des Themas seitens der Regierung. Die PDS trägt die vorgeschriebene Drittelung
der Rückstellungserhöhung mit, damit Steuerausfälle für
den Bundeshaushalt planbar sind.
Mit der Verteilung auf drei Jahre wird nun auch auf
die unterschiedliche wirtschaftliche Lage der Unternehmen Rücksicht genommen. Die erneute Begünstigung
von Großunternehmen wird erstmals in diesem Haus
verhindert, und das ist neu.
({4})
Danke schön.
- Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf eines Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002. Der Finanzausschuß empfiehlt, den ver-
abschiedenten weiteren Teil des Gesetzentwurfs in der
Ausschußfassung mit dem Titel „Entwurf eines Steuerän-
derungsgesetzes 1998“ anzunehmen und den übrigen
Teil einer späteren Beschlußfassung vorzubehalten.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen
worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktionen SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, an die vorgesehenen Plätze zu
gehen. Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu
sein. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses im Raum, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe damit die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen spä-
ter bekanntgegeben.*)
({0})
- Liebe Schriftführer, wenn ich die Abstimmung geschlossen habe, ist sie an sich geschlossen.
Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen
Verunsicherung in der Euro-Region Neiße infolge der Verurteilung von Taxifahrern und
Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen
des Bundesgrenzschutzes in diesem Zusammenhang
({1})
- Ich möchte gerne die Aussprache eröffnen, aber vorher
brauchen wir etwas Ruhe und Übersichtlichkeit im Saal.
Deswegen bitte ich, die Gänge frei zu machen und sich
__________
*) Seite 943 D
auf die Plätze zu begeben. Wer noch etwas zu bereden
hat, möge das bitte draußen tun. - Ich glaube, ich kann
die Aussprache jetzt eröffnen. Als erste hat das Wort die
Abgeordnete Christine Ostrowski.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundesgrenzschutz verteilt
im ostsächsischen Raum Flugblätter:
Lassen Sie sich nicht von Schleuserbanden mißbrauchen, nehmen Sie keine offensichtlich illegal
eingereisten Personen in Ihrem Taxi mit.
Wären Sie Taxifahrer in Zittau und beförderten als
solcher einen ausländischen Bürger, sagen wir, von Zittau nach Bautzen, also innerhalb Deutschlands, und kämen in eine Kontrolle des BGS, bei der festgestellt wird,
daß Ihr Fahrgast illegal eingereist ist, wären Sie schon
so gut wie im Gefängnis.
30 Taxifahrer im Raum Zittau/Görlitz, 41 Prozent aller dort tätigen, standen vor Gericht, sechs sind rechtskräftig zu Haftstrafen zwischen zwölf und 26 Monaten ohne Bewährung - verurteilt, vier sitzen bereits ein, weil
sie Personen gefahren hatten, wie es ihnen das Personenbeförderungsgesetz vorschreibt. Daß ihre Fahrgäste
illegal über die Grenze kamen, wußten die Chauffeure
nicht - ihr Pech. Ermittlung, Anklage, Urteil: Schuldig
des Einschleusens von Ausländern.
Was passiert hier eigentlich? Was ist los in diesem
Lande, in dem der BGS bundesweit - stets auf der Suche
nach illegal eingereisten Ausländern verdachtsunabhängig kontrollieren kann und das insbesondere gegenüber
Berliner und Brandenburger Taxifahrern und in Sachsen
weidlich tut, wo Taxifahrer der Strafverfolgung unterliegen, weil sie nichts anderes tun, als Personen zu befördern?
Dies alles geschieht auf sogenannter rechtlicher
Grundlage, konkret dem § 92, dem „Schleuserparagraphen“, mit dem 1994 das Ausländergesetz verschärft
wurde. Auf ihn stützen sich BGS, Polizei und Justiz in
ihrem Handeln.
Wir sehen jetzt, wohin die Verschärfung des Ausländerrechts führt: zur Ungeheuerlichkeit eines regelrechten Generalverdachtes gegen ausländische Bürger und
gegen einen Berufsstand. Quasi per se sind ausländische
Bürger des illegalen Grenzübertrittes verdächtig und
Taxifahrer der Schleusung.
Der Schleuserparagraph gehört deshalb auf den Prüfstand; denn wer Ausländer kriminalisiert - genau das
sehen wir jetzt -, kriminalisiert letzten Endes auch deutsche Staatsbürger.
({0})
Während Berliner und Brandenburger Taxis zwar
immer wieder kontrolliert werden, bisher aber lediglich
Ermittlungsverfahren eingeleitet und Verhöre durchgeführt wurden, geht es in Sachsen scharf zur Sache, spielt
der Freistaat Vorreiter in Sachen Verurteilung: Umkehr
der Beweislast, Urteile ohne Bewährung, vermutlich
auch Rechtsbeugung. Ein Staatsanwalt, der die Anklage
gegen einen Taxifahrer vertrat und direkt an den Ermittlungen in erster Instanz beteiligt war, entschied
später als Berufungsrichter über die Berufung und wies
sie ab - was sonst?
Zum Befördern sind Taxifahrer nach dem Personenbeförderungsgesetz verpflichtet. Das Ausländergesetz
stellt die Beförderung von illegal eingereisten Personen
unter Strafe. Woran erkennt der Taxifahrer, daß eine
Person illegal eingereist ist?
Die Argumentation geht so: Im Landkreis Zittau
wohnen nur 1 000 Ausländer, darunter 600 polnische
Studenten und 150 Asylbewerber. Letztere kommen auf
Grund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse als Taxikunden ohnehin nicht in Frage. Das müsse der Taxifahrer
von vornherein wissen. Das heißt also, die in diesem
Raum wohnenden Ausländer - die polnischen Studenten
und die 150 Asylbewerber - sind also quasi per se als
Illegale eingestuft.
Ein Taxifahrer fragt: Wenn ich keine Ausländer mitnehme, gelte ich als Nazi, wenn ich Ausländer mitnehme als Schlepper. Wie macht man es richtig? Das ist eine berechtigte Frage; denn der BGS droht - ich zitiere -:
Bei der Mitwirkung an illegalen Grenzübertritten
ist mit folgenden Konsequenzen zu rechnen: Freiheits- oder Geldstrafe, eventuell Einziehung des
Fahrzeuges, auch Entzug der Konzession.
Also befördert ein Teil der Taxifahrer keine ausländischen Personen mehr: Einem Kranken wurde die Fahrt
zum Krankenhaus verweigert. Ein anderer Teil aber gibt
sich für die Denunziation nicht her. „Ich nehme jeden
Fahrgast mit, auch einen ausländischen, wenn er Sandalen anhat. Ich habe nämlich auch schon Deutsche im
Bademantel gefahren.“
Aber das Damoklesschwert drohender Strafverfolgung führt faktisch zur Denunziationspflicht für alle
Bürger und schürt ausländerfeindliches Klima. Nach den
Drohungen auf dem Flugblatt heißt es nämlich: „Teilen
Sie uns Anwerbungsversuche oder andere derartige
Feststellungen mit - auf Wunsch auch diskret.“
Das Klima am Dreiländereck zu Polen und Tschechien ist für Ausländer und Fremde frostig geworden, die Atmosphäre unter der Bevölkerung nicht minder. Schon wird das Ausland aufmerksam. Ausländische
Journalisten versuchen, in Zittau Taxi zu fahren, um zu
sehen, ob sie stehengelassen werden, weil sie Ausländer
sind.
Durch das rigorose Vorgehen, die rücksichtslose Abstrafung und die Abschreckungsurteile nehmen gegenseitige Verdächtigungen, öffentliche Rechtfertigungen, Beunruhigung und Angst zu. Schon werden die
absurdesten Forderungen laut, zum Beispiel an jeder
Ausfahrtstraße jedes Fahrzeug vom BGS kontrollieren
zu lassen.
Wenn der Gesetzgeber nicht hinnehmen will, daß die
Bundesrepublik dem Polizeistaat wieder ein Stück näherkommt, dann muß er das Ausländergesetz novellieren. Der Schleuserparagraph darf auf Personen keine
Anwendung finden, die im Rahmen ihres gesetzlichen
Auftrages Dienstleistungen erbringen.
({1})
Unter Strafe kann nur wirkliches Schleusen, der Grenzübertritt und Beihilfe dazu, gestellt werden.
Wir fordern die Bundesregierung auf, schnellstens
initiativ zu werden. Das Recht hat die Funktion, den sozialen Frieden zu erhalten, nicht ihn zu zerstören.
({2})
Bevor ich den
nächsten Redner aufrufe, teile ich Ihnen das von
den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002
mit. Abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt
363, mit Nein haben gestimmt 204. Es gab keine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 565;
davon
ja: 361
nein: 204
Ja
SPD
Brigitte Adler
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({7})
Lilo Friedrich ({8})
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({9})
Angelika Graf ({10})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
({11})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({12})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({13})
Walter Hoffmann
({14})
Iris Hoffmann ({15})
Frank Hofmann ({16})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({17})
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Oskar Lafontaine
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({18})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({19})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({20})
Winfried Mante
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({21})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({22})
Jutta Müller ({23})
Christian Müller ({24})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({25})
Gerhard Neumann ({26})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({27})
Birgit Roth ({28})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Horst Schmidbauer
({29})
Ulla Schmidt ({30})
Silvia Schmidt ({31})
Dagmar Schmidt ({32})
Wilhelm Schmidt ({33})
Heinz Schmitt ({34})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({35})
Brigitte Schulte ({36})
Reinhard Schultz
({37})
Volkmar Schultz ({38})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({39})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt ({40})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({41})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
({42})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Helmut Wieczorek
({43})
Jürgen Wieczorek ({44})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({45})
Brigitte Wimmer ({46})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({47})
Waltraud Wolff ({48})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({49})
Marieluise Beck ({50})
Volker Beck ({51})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({52})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Klaus Wolfgang Müller
({53})
Kerstin Müller ({54})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({55})
Werner Schulz ({56})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({57})
Margareta Wolf ({58})
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla ({59}) Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({60})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Ralf Brauksiepe
Klaus Bühler ({61})
Hartmut Büttner
({62})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({63})
Axel Fischer ({64})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({65})
({66})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({67})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({68})
({69})
Manfred Heise
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Karl Lamers
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({70})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({71})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({72})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({73})
Elmar Müller ({74})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto ({75})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({76})
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({77})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({78})
Andreas Schmidt
({79})
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Diethard W. Schütze ({80})
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß
({81})
Gerald Weiß ({82})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({83})
Hans-Otto Wilhelm ({84})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({85})
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({86})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Fritz Rudolf Körper, der
für die Bundesregierung spricht.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Nur soviel zu meiner Vorrednerin: Ihr
merkwürdiges Verhältnis zu unserer unabhängigen Justiz und den Justizbehörden entspricht nicht dem unseren.
({0})
Ich will festhalten: Seit dem Jahre 1992 ist die gezielte Beteiligung von einzelnen Taxifahrern an unerlaubten Einreisen von Drittausländern durch Transporte
aus dem Grenzgebiet festgestellt worden. Es ist richtig:
1996 nahm die Zahl dieser Handlungen, insbesondere
im Grenzgebiet Görlitz-Zittau, sprunghaft zu. Es wurden
insgesamt 53 Ermittlungsverfahren gegen Taxifahrer geführt, die sich in der strukturschwachen Region eine lukrative Einnahmequelle verschafft hatten. An 15 Prozent
aller durch den Bundesgrenzschutz festgestellten
Schleusungen waren Taxifahrer beteiligt, die gegen hohe
Pauschalbeträge illegal Eingereiste unmittelbar im
Grenzraum aufnahmen und weit ins Landesinnere transportierten.
({1})
Auf Grund der hohen kriminellen Intensität und auch
der zunehmenden Verstrickungen in Schleusungsorganisationen verhängten die Gerichte empfindliche Freiheitsstrafen ohne Bewährung gegen die Taxifahrer, denen die vorsätzliche Beteiligung an Einschleusungen
nachgewiesen wurde. Allein die Staatsanwaltschaft
Görlitz zählte im Februar 1998 28 dieser Verfahren. Alle
in der Berufungsinstanz angefochtenen Urteile wurden
bestätigt. Die Revisionsverfahren sind bis jetzt nicht
abgeschlossen. In einem besonders gravierenden Fall
wurde ein Taxifahrer, der nachweislich innerhalb von
fünf Monaten 96 Ausländer eingeschleust hatte, zu
einer Haftstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt.
Da auch 1997 die Tathandlungen von Taxifahrern
anhielten und es zu 20 weiteren Ermittlungsverfahren
kam, versuchte der Bundesgrenzschutz, seine Präventionsarbeit durch verschiedene Aktivitäten gezielt zu verstärken, beispielsweise durch Gesprächsrunden und Zusammenarbeit mit den Taxifahrerverbänden. Das Ziel,
den kriminellen Schleusern die Möglichkeit der Tatbegehung unter Nutzung des Taxigewerbes zu entziehen,
wurde weitestgehend erreicht. Strafurteile und präventive Maßnahmen führten mittlerweile dazu, daß in diesem
Jahr, also im Jahre 1998, nur noch in fünf Fällen wegen
der Beteiligung von Taxifahrern an Verstößen gegen das
Ausländergesetz im Bereich der Ostgrenze ermittelt
wurde.
Die Behauptung, daß infolge dieser präventiven und
repressiven Maßnahmen rechtmäßige Beförderungen
verweigert würden, ist mir bekannt. Nicht bekannt
wurden mir bisher konkrete Fälle, in denen es zu echten
Beförderungsverweigerungen gegenüber ausländischen
und ausländisch aussehenden Fahrgästen gekommen ist.
({2})
Sicherlich ist eine Verhärtung und eine gewisse
Trotzhaltung seitens der Taxifahrer zu verzeichnen. Diese wird von interessierter Seite und vor allem auch von
bestimmten Medien dazu benutzt, die gesamte Problematik nicht immer objektiv darzustellen. Es wurden sogar ausländisch aussehende Personen als Köder eingesetzt, um die Transportverweigerung der Taxifahrer zu
belegen. Die dadurch hervorgerufenen Szenarien, über
die dann berichtet wurde, entsprechen jedoch nicht der
Realität.
Nach den Erfahrungen des Bundesgrenzschutzes
können die Taxifahrer im Grenzgebiet sehr wohl erkennen, wann es sich um offensichtlich unerlaubt eingereiste Personen handelt. Hierfür sind nämlich die Staatsangehörigkeit und die Hautfarbe keinesfalls ein Kriterium.
Objektive Merkmale sind für diese Entscheidung heranzuziehen, und diese objektiven Merkmale gibt es auch in
der Praxis. Beispielsweise hinterlassen wochenlange beschwerliche Reisewege, behelfsmäßige Unterkünfte und
schließlich ein langer Marsch über die grüne Grenze,
oftmals bei schwierigsten Witterungsverhältnissen und
verbunden mit der Überquerung von natürlichen Hindernissen wie Bergen und Flüssen, unzweifelhaft deutliche Spuren bei den Betroffenen.
({3})
Ich erwarte, daß sich die Beteiligung von Taxifahrern
an kriminellen Einschleusungen weiter zurückentwickelt, so daß Stafverfolgung und Prävention einerseits
sowie das Taxigeschäft andererseits auch entlang der
Grenze nicht mehr in Widerspruch zu geraten brauchen.
Eine schnelle Entspannung der derzeit noch emotional
aufgeheizten Situation sollte die Folge sein. Gleichwohl
sollte auch weiterhin versucht werden, in der Grenzregion durch die regionalen Dienststellen des Bundesgrenzschutzes vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen.
Für eventuell verunsicherte Taxifahrer soll und wird der
Bundesgrenzschutz nach wie vor jederzeit Ansprechpartner und Berater sein.
Wir werden dieses schwierige Problem weiter beobachten, auch eine sachbezogene und sachliche Diskussion darüber führen und gegebenenfalls weiterhin in diesem Sinne entsprechende Entscheidungen finden.
Schönen Dank.
({4})
Nächster Redner in
der Debatte ist der Abgeordnete Günter Baumann,
CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Bundesgrenzschutz erfüllt in der Grenzregion zu Polen und Tschechien eine
ganz besonders wichtige Aufgabe. Die Männer und
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Frauen vom BGS leisten einen wichtigen Dienst für die
Sicherheit in unserem Rechtsstaat, für die Sicherheit von
uns allen. Darauf möchte ich besonderen Wert legen.
({0})
Ich möchte es daher zu Beginn meiner Ausführungen
nicht versäumen, den Leuten vom BGS für ihren nicht
ganz ungefährlichen Dienst in dieser Region ganz besonders zu danken.
({1})
Gestatten Sie mir einige kurze Bemerkungen zu dieser Grenze, zu dieser Grenzregion. Die Grenze zwischen
Deutschland und Tschechien schreibt eine besondere
Geschichte im Leben der Menschen auf beiden Seiten.
Als Bewohner dieser Grenzregion und seit acht Jahren
Bürgermeister einer Grenzstadt zu Tschechien kenne ich
die Geschichte und die Probleme unmittelbar vor Ort
aus erster Hand. Nach 1945 war es eine dichtbewachte
Grenze, um die Flucht von Tschechen und Slowaken zu
verhindern, ab 1961 durchlässig mit den entsprechenden
kommunistischen Kontrollen, die wir alle noch kennen.
In der Wendezeit, im Herbst 1989, war die Grenze erneut stark bewacht, um die Flucht von Menschen zu
verhindern. Aber das System konnte sich trotzdem nicht
halten. Wir haben nun eine neue Freiheit. Die Grenze ist
offen, Stacheldraht und Mauer gehören der Vergangenheit an. Zahlreiche neueröffnete Grenzübergänge sind
Zeugnis vom Verständnis der Menschen auf beiden
Seiten.
Meine Damen und Herren auch von der PDS, immer
mehr Brücken werden geschlagen, Brücken für Menschen und damit für die friedliche Entwicklung und den
wirtschaftlichen Aufschwung auf beiden Seiten. Die
Kontakte der Menschen in der Region sind gut.
Diese Grenzregion erfährt gegenwärtig eine Belastung, speziell in den letzten Jahren, durch illegale
Grenzübertritte von Ausländern. BGS, Landespolizei
und auch Zoll haben eine hohe Verantwortung bei der
Überwachung der bestehenden Grenze,
({2})
bei der Einhaltung der bestehenden Gesetze und bei der
Verhinderung von Straftaten. Aus vielen persönlichen
Gesprächen weiß ich, daß diese Männer und Frauen ihren Dienst pflichtbewußt erfüllen und oft auch ihre Gesundheit riskieren müssen.
({3})
Meine Damen und Herren, die Gewaltbereitschaft
von Schleusern nimmt in der letzten Zeit besonders an der
tschechischen Grenze drastisch zu. Die Aufgabe der Verantwortlichen sollte es sein, alles zu tun, die in der Grenzregion eingesetzten Einheiten des BGS noch besser auszustatten, damit ihre Erfolgsquote noch besser wird.
({4})
Es muß heute erwähnt werden, daß in dieser Grenzregion zu Tschechien die Angst der Bevölkerung vor illegal eingereisten Ausländern erheblich angewachsen ist
und die Zahl der Straftaten gerade in der letzten Zeit erheblich zugenommen hat. Aus dem BGS-Bericht vom
letzten Jahr, der uns allen vorliegt, wissen wir, daß von
1993 bis 1997 im Grenzgebiet allein 45 000 Straftaten
von illegal Eingereisten registriert wurden.
Die Ausländerpolitik der alten Bundesregierung war
richtig und hat bewirkt, daß die Zahl illegaler Einreisen
erheblich reduziert wurde. Erwähnen möchte ich hier
das Schengener Abkommen und die Neuorganisation
des Bundesgrenzschutzes Anfang dieses Jahres. Aus
verschiedenen Gründen hat in den letzten Monaten die
Zahl der illegal Eingereisten bereits wieder drastisch zugenommen. Allein das Bundesgrenzschutzamt Chemnitz
hat im November 1998 703 unerlaubte Einreisen festgestellt und nahm über 55 Schleuser fest. Bei diesen illegalen Einreisen haben sich leider auch einige Taxifahrer
als Mittäter schuldig gemacht. Insgesamt sind an der
Grenze zu Tschechien und Polen 150 Ermittlungsverfahren gegen Taxifahrer anhängig.
({5})
- Ermittlungsverfahren habe ich gesagt. - Eine besonders starke Anhäufung zeigt sich im Zittauer Raum, wo
von 39 zugelassenen Taxifahrern allein 11 vor Gericht
standen.
Ich möchte eindeutig betonen: Ich möchte nichts gegen die übergroße Mehrheit der Taxifahrer sagen, die
ehrlich und rechtschaffen ihre Tätigkeit ausüben. Aber
es kann nicht angehen, daß sich einige schwarze Schafe
- auch wenn diese aus ihrer wirtschaftlichen Situation
heraus meinen, daß es gerechtfertigt ist - als Helfershelfer der Schleuser betätigen.
({6})
Es gibt nach § 22 des Personenbeförderungsgesetzes
eine Beförderungspflicht. Taxifahrer üben auch nicht
den Beruf eines Hellsehers oder eines Hilfspolizisten
aus. Aber auch Taxifahrer haben wie jeder andere Bürger eine Mitverantwortung in unserem Rechtsstaat. Illegal eingereiste Personen nachts in der Nähe der Grenze
aufzunehmen ist eine Unterstützung bzw. eine Hilfeleistung bei einer Straftat, die gegen §§ 92ff. des Ausländergesetzes verstößt.
Bestimmt kann es einzelne Fälle geben, in denen Taxifahrer den Tatbestand der illegalen Einreise nicht erkennen. Aber in den bekannten Fällen, in denen Taxifahrer rechtskräftig verurteilt wurden, waren die Fakten
und die Beweislage bezüglich der Mittäterschaft bei der
Einschleusung eindeutig. Die Verurteilungen zu Haftstrafen basieren auf gesicherten Erkenntnissen, daß einige Taxifahrer in der Grenzregion von skrupellosen
Schleusern gewonnen wurden.
Es ist auch bekannt, daß für solche Fahrten das Taxameter regelmäßig nicht zur Berechnung des Fahrpreises eingesetzt wurde, sondern daß vorab hohe Pauschalen gezahlt wurden.
Von ganz besonderer Bedeutung ist gerade auf diesem Gebiet eine verstärkte Aufklärungsarbeit, um ein
weiteres Anwachsen der Zahl dieser Straftaten zu verhindern. Hierzu gibt es ein Rundschreiben des Taxiverbandes, das Informationsblatt des BGS, verschiedene
Presseinformationen und einiges andere mehr.
Herr Kollege Baumann, die Debattenzeit beträgt nur fünf Minuten.
Ich komme zum
letzten Satz.
Entscheidend ist, die offene und ehrliche Zusammenarbeit zwischen BGS, Landespolizei, der Bevölkerung,
den Verantwortlichen vor Ort und nicht zuletzt den Taxifahrern zu verbessern, um die Zahl der Verbrechen an
der Grenze zu reduzieren. Es ist unsere Pflicht, die Sicherheit unserer Bürger zu erhöhen.
Auf die Vorwürfe der PDS kann ich nur antworten:
Eine öffentliche Verunsicherung in dieser Region gibt es
nicht. Die Bevölkerung steht zum BGS.
Danke.
({0})
Herr Kollege Baumann, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause.
Ich beglückwünsche Sie im Namen des gesamten Parlaments dazu.
({0})
Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Sylvia Voß, Bündnis 90/Die Grünen.
Werte
Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Taxi nur für
Deutsche“ übertitelte die Berliner Tageszeitung „taz“
diese Woche einen Bericht über die skandalösen Taxifahrerprozesse in Sachsen, Brandenburg und Berlin.
Damit traf sie den Nagel auf den Kopf - fast! Ganz
richtig hätte es eigentlich heißen müssen: Taxi nur für
diejenigen, die deutsch aussehen.
({0})
Der Bundesgrenzschutz hat in der Ära Kohl begonnen, in den östlichen Grenzregionen verschiedene Flugzettel an Taxifahrer zu verteilen, in denen jene aufgefordert werden, „keine offensichtlich illegal eingereisten
Personen zu befördern“- wohlgemerkt nicht über die
Grenze, sondern innerhalb unseres Landes. Wie aber erkennt man offensichtlich illegal eingereiste Personen?
An der Hautfarbe? In Deutschland leben 200 000 Deutsche mit schwarzer Hautfarbe. Am fremdländischen
Aussehen? An der Kleidung, Zöpfen, dunklen Haaren,
dunklen Augen? Es leben viele fremdländisch aussehende Menschen in Deutschland, die überwiegende Zahl
von ihnen legal. Daran erkennt man sie vielleicht - so
immerhin die Auffassung der Richter am Zittauer Landgericht -, daß Gepäck nicht im Kofferraum, sondern auf
dem Rücksitz des Taxis gelassen wird. Meine Güte,
dann müßten mich schon viele Taxifahrer gar nicht mitgenommen haben. Das mache ich nämlich auch.
({1})
- Das ist schön von Ihnen. Ich würde auch nicht gerne
mit Ihnen fahren.
({2})
- Die Herren auf der rechten Seite heulen immer wie die
Wölfe. Das habe ich schon öfter beobachtet. Wolfsrudel
sind wenigstens sozial. Sie sind es nicht. Sie behandeln
ihre Weibchen auch viel netter.
({3})
Die Taxifahrer können das nicht unterscheiden, weil
es weder typisch illegal eingereiste Personen gibt noch
typisch aussehende Deutsche. Denn es gibt auch fremdländisch aussehende Touristen. Sie, die immer für den
Mittelstand eintreten, sollten sich einmal überlegen, was
solche Regelungen für den Tourismus in einer Region
bedeuten.
Es führt inzwischen auch dazu, daß Taxis sicherheitshalber niemanden mehr befördern, der eines der richterlich festgestellten Merkmale trägt: niemanden, der
schwarzer Hautfarbe ist, niemanden, der ausländisch,
fremdländisch, aussieht, und niemanden, der nachts
nicht gut gekleidet ist. Ich möchte Ihnen ein Beispiel sagen. Ich bin Ärztin. Es gibt Leute, denen etwas widerfährt, die einen Herzanfall bekommen, die eine Nierenkolik kriegen, die im Straßengraben liegen, die dreckig
aussehen und die der Hilfe bedürfen. Wenn sie die nicht
mitnehmen, ist es unterlassene Hilfeleistung. Das sind
dann keine illegal Eingereisten, nur weil sie dreckig
sind.
({4})
Wer kann es diesen Taxifahrern angesichts von Haftstrafen bis zu zweieinhalb Jahren ohne Bewährung verdenken? Das ist wahrlich kein Pappenstiel.
Wohin derartiger unzivilisierter staatlicher Druck einschließlich Denunziationspflicht führt, zeigt das Beispiel
eines in der Nacht von Jugendlichen zusammengeschlagenen Dönerbudenbesitzers in Zittau. Er hatte ein Bein
und eine Rippe gebrochen, vier Zähne verloren und
blutete aus dem Ohr. Kein Taxi war bereit, diesen verletzten Mann ins Krankenhaus zu fahren. Ich glaube, wir
sollten uns alle einig sein: Das ist unterlassene Hilfeleistung.
({5})
Solche Flugblätter, wie sie in unterschiedlicher Ausprägung durch den Bundesgrenzschutz kursieren, bereiGünter Baumann
ten auch Boden für Rassismus und seine schlimmen
Folgen, die wir in Deutschland zu beklagen haben.
Wir sind sehr erfreut über die Erklärung couragierter
Taxifahrer aus anderen Städten, die sich mit ihren sächsischen Kolleginnen und Kollegen solidarisierten, indem
sie ihre Bereitschaft erklärten, jeden Fahrgast unvoreingenommen zu befördern. Da zeigen sie jene Zivilcourage, die hier offensichtlich vielen abhanden gekommen
ist. Anstand gegenüber Fremden ist in Deutschland leider immer noch nicht selbstverständlich.
Die Taxifahrer dieser Region riskieren ihre Freiheit
und setzen ihre berufliche Zukunft aufs Spiel. Wenn sie
illegal eingereiste Ausländer befördern, drohen ihnen
hohe Strafen einschließlich des Entzugs ihrer Taxifahrerlizenz und der Fahrerlaubnis. Das vernichtet ganze
Existenzen.
Im gleichen Amtsgerichtsbezirk Zittau - daran möge
man einmal denken - gab es zum Beispiel einen volltrunkenen Mann, der ein Kind überfahren hat, das gestorben ist. Dieser wurde lediglich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Wir möchten hier einmal die Verhältnismäßigkeit herausstellen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Auffassung, daß Taxifahrerinnen und Taxifahrer unbeschwert
von staatlicher Drangsal ihrem Gewerbe nachgehen
sollen,
({6})
daß jedem Menschen in unserem Land die Fahrt in einem Taxi ermöglicht werden sollte, daß die Lösung des
Problems des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern Sache des Staates ist und daß Personenkontrolle und Denunziation nicht zur Pflichtaufgabe des Berufsstandes der Taxifahrer gemacht werden
dürfen. Das, was wir jetzt ausbaden, haben Sie angerührt.
Die Fraktion der Grünen fordert dies nachdrücklich
und wird sich entsprechend engagieren, falls Sie das beruhigt.
Vielen Dank.
({7})
Frau Kollegin Voß,
auch für Sie war das die erste Rede in diesem Hohen
Hause.
({0})
Ich beglückwünsche Sie im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen dazu.
({1})
Nunmehr erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr.
Guido Westerwelle, F.D.P.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal begrüßt die Fraktion der
Freien Demokraten, daß der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium des Inneren die differenzierte und abgewogene Politik der alten Bundesregierung in dieser Frage fortsetzen möchte. Wir nehmen ihn
ausdrücklich gegen die Angriffe aus der Fraktion der
Grünen in Schutz.
({0})
Wir haben den Eindruck, daß es hier um ein Spannungsverhältnis geht, das zwischen der Verfolgung von
Schlepperbanden auf der einen Seite und dem Schutz
von Ausländerinnen und Ausländern vor Diskriminierung auf der anderen Seite besteht. Ich möchte Ihnen,
sehr geehrte Kollegin von der PDS, sagen: Den Eindruck zu erwecken, als ginge es hier, wie Sie wörtlich
gesagt haben, um den Vollzug eines „Polizeistaates“,
halte ich für abwegig.
({1})
Sie haben selbst vom „Polizeistaat“ gesprochen. Das
paßt nicht zu einer solchen Diskussion.
Bei einer Abwägung muß man aus unserer Sicht jedenfalls zwei Kriterien berücksichtigen: Es werden
Menschen und Menschenleben durch Schlepperbandenunwesen gefährdet; Ausländerinnen und Ausländer
in Deutschland müssen natürlich jederzeit jedes Beförderungsmittel wählen dürfen, wie das jeder Deutsche
auch kann.
({2})
Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich diese Diskussion. Alles andere ist Ideologie.
Wenn Sie - beide Rednerinnen - die Beispiele aus
den Zeitungen wiedergeben, die wir alle aus dem Internet und entsprechenden Recherchen bekommen, dann
verkürzen Sie Sachverhalte. Es mag im Einzelfall in der
Tat so sein, daß dies nicht akzeptabel ist. Aber wir leben
in einem Rechtsstaat, und in einem Rechtsstaat entscheidet über Anklagen die Justiz, entscheiden die
Richter. Weder Abgeordnete der PDS noch Abgeordnete
der Grünen sind die Oberrichter in dieser Frage.
({3})
Wir halten es deswegen für wichtig, darauf hinzuweisen, daß es sich auch nach dem bestehenden Straftatbestand um eine Vorsatztat handelt. Das heißt, jemand wird verurteilt für die vorsätzliche Tat, mit Wissen
und mit Wollen. Wenn Sie den Eindruck erwecken, es
würde jemand zu einer solchen Freiheitsstrafe verurteilt,
ohne daß er gewußt hat und ohne daß er gewollt hat,
weswegen er angeklagt wird, ist das ein Angriff auf die
Unabhängigkeit der Justiz, aber keine politische Bewertung.
({4})
Deswegen möchte ich in aller Klarheit sagen: Wissen
und Wollen - ({5})
- Herr Kollege Gysi, meine Formalqualifikation als Jurist steht der Ihrigen nicht nach.
({6})
Davon dürfen Sie bitte ausgehen.
({7})
Ich habe mir seit meiner Promotion vorgenommen, daß
ich mich nicht mehr examinieren lasse, auch nicht von
Ihnen, Herr Gysi.
({8})
Wie dem auch sei: Es handelt sich um Wissen und
Wollen. Sie können nicht den Eindruck erwecken, als
würde jemand rechtskräftig verurteilt, der nicht, was den
objektiven und den subjektiven Tatbestand angeht, für
schuldig befunden wurde. Wenn Sie sagen, daß Rechtsmittel eingelegt wurden, dann wird das der Gang durch
die juristischen Instanzen lösen müssen. Wenn Sie sagen, daß die Rechtsmittel noch nicht ausgeschöpft sind,
dann ist es eine Selbstverständlichkeit, daß hier der
Rechtsstaat zum Zuge kommen muß.
Der Bundes-Zentralverband Personenverkehr - Taxi
und Mietwagen e.V. mit dem Sitz in Frankfurt am Main
spricht selbst davon, daß sich Taxifahrer nicht von
Schleuserbanden mißbrauchen lassen sollen und dürfen
und daß sie vor allen Dingen alle Anwerbungsversuche
oder anderen derartigen Feststellungen dem Bundesgrenzschutz oder jeder anderen Polizeidienststelle melden sollten. Das ist ein sachdienlicher Umgang seitens
der Betroffenen. Taxifahrer sind natürlich keine Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft; das unterscheidet sie von
Polizisten. Aber es gibt immer wieder, überall, in jeder
Berufsgruppe schwarze Schafe. Und wenn schwarze
Schafe erwischt werden, dann müssen sie vor Gericht
gestellt werden. Das ist überhaupt keine Frage.
({9})
Die nächste Rednerin
ist die Abgeordnete Barbara Wittig, SPD.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär hat mit seinem
Beitrag sehr zur Versachlichung der emotional geführten
Debatte beigetragen. Dafür danke ich ihm ausdrücklich.
Das ist nämlich die einzige Möglichkeit, Licht in das
Dunkel dieser beantragten Debatte zu bringen.
Worüber reden wir eigentlich? Über die Haltung der
Bundesregierung zur öffentlichen Verunsicherung in der
Euro-Region Neiße infolge der Verurteilung von Taxifahrern und über die Haltung der Bundesregierung zum
Vorgehen des BGS, in diesem Zusammenhang zu Denunziationen aufzurufen.
Fangen wir mit den öffentlichen Verunsicherungen
an. Da ist zunächst nach der Verurteilung von Taxifahrern zu fragen. Wenn vorsätzlich - das wurde gerade
von meinem Vorredner gesagt - gegen zum Teil hohe
Pauschalbeträge illegal Eingereiste im Grenzraum aufgenommen und ins Landesinnere befördert werden, dann
ist das Schleusung. Schleusung ist nicht Rechtens. Wem
sage ich das?
Einzeltäter oder ganze Organisationen nutzen
schamlos und skrupellos die Notlage der Ärmsten der
Armen aus und kassieren, wie wir auch bereits gesagt
haben, zum Teil sehr hohe Summen dafür. Wir sind uns
doch wohl darüber einig, daß dieses Treiben sowohl zu
verurteilen als auch zu bestrafen ist.
({0})
Über die Höhe der Strafe kann man unterschiedlicher
Meinung sein. Ich bin auch der Meinung, daß die Verhältnismäßigkeit in jedem Falle zu wahren ist. Meines
Erachtens ist es aber auch egal, wer sich dieses Vergehens schuldig macht. Für mich stehen alle Schleuser in
einer Reihe und auf der gleichen Stufe.
({1})
Deshalb habe ich keine Probleme damit, daß diese Personen die Härte der Verurteilung bzw. der Bestrafung
trifft. Vor dem Gesetz sind alle gleich.
({2})
Es geht um die Herstellung und um die Durchsetzung
von Ordnung und Recht. Darauf haben die Bürgerinnen
und Bürger einen Anspruch, auch und gerade in den
Grenzregionen.
({3})
Eigentlich könnte man das Ganze auch ins Gegenteil
verkehren. Öffentliche Verunsicherung würde nämlich
wirklich entstehen, wenn es keine Reaktionen auf Unrecht gäbe.
({4})
Öffentliche Verunsicherung ist in meinen Augen aber
auch, wenn Richter, die mit diesen Vorgängen von Amts
wegen befaßt sind, in der Öffentlichkeit - man höre
jetzt: - als Werkzeuge einer Abschottungspolitik bezeichnet werden.
({5})
- Das halte ich auch für skandalös; das muß ich schon
sagen. - In meinen Ohren klingt das nach Verunglimpfung und ist in der Sache natürlich weit gefehlt.
({6})
Auch der Vorwurf der Abschottung, der hier gemacht
wurde, entspricht natürlich nicht den Realitäten und der
Praxis unserer Ausländer- und Flüchtlingspolitik.
Zum zweiten Teil der beantragten Debatte, nämlich
dem Vorwurf an den BGS, in diesem Zusammenhang
zur Denunziation aufzurufen: Ich kann nur vermuten,
daß hier auf das Informationsmaterial des BGS Bezug
genommen wird, das die Überschrift trägt: „Nein zu
Schleppern und Schleusern.“ Ich kann mit dem InfoBlatt leben. Der BGS macht seinen Job, nämlich aufklären, wachsam sein und um Mithilfe bitten.
({7})
Was ist mit diesem Flugblatt beabsichtigt?
({8})
- Es ist nichts Anonymes. Es ist auch keine Drohung,
wie die Kollegin Frau Ostrowski ausgesprochen hat. Ich
sagte schon einmal: Ich kann mit diesem Flugblatt leben.
Es dient der Aufklärung und auch der Mithilfe. In
meinen Augen ist das keinesfalls eine Denunziation.
Vielmehr bin ich der Meinung, daß Mitwirkung von
Bürgern eine Bürgerpflicht ist; denn nur so können wir
gemeinsam die Kriminalität bekämpfen. Das ist, wie ich
bereits sagte, Bürgerpflicht in meinen Augen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Frau Kollegin Wittig,
auch für Sie war dies die erste Rede in diesem Hohen
Haus. Deshalb auch an dieser Stelle für Sie die herzlichsten Glückwünsche aller Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen und
Kolleginnen! Verehrter Zuschauer! Ich glaube, es ist nur
einer.
({0})
- Wir haben zwei.
Zur späten Stunde haben wir ein nicht unkompliziertes Thema zu behandeln. Ich habe mir die Beiträge angehört. Ich denke, es wird von völlig unterschiedlichen
Sachverhalten gesprochen.
({1})
Zum einen wurde vom Staatssekretär und auch von
Ihnen von der SPD von dem Sachverhalt gesprochen,
daß ein Taxifahrer von einer Schleuserbande angeworben wird und ihm gesagt wird: Du hilfst uns hinter der
Grenze mit und fährst unsere Leute an irgendeinen sicheren Platz; dafür bekommst du deine Beschäftigung
und ein hohes Salär.
Zum anderen wurde davon gesprochen, daß ein Taxifahrer über die Landstraße fährt und am Straßenrand
oder in einem Ort eine Person stehen sieht. Die Person
winkt, der Taxifahrer hält an, nimmt sie mit und bekommt nachher ein Verfahren und wird verurteilt, weil
ihm nachgewiesen wird, daß er wissen mußte, daß es
sich hierbei um keine legale Person handeln konnte, und
er deshalb vorsätzlich - mindestens mit bedingtem Vorsatz - gehandelt hat. Ich denke, das muß man auseinanderhalten, weil es beide Fälle gibt.
({2})
Ich muß Ihnen sagen, daß es leider nicht so ist - ich
habe hier ein Urteil -, daß eine hohe Freiheitsstrafe von
mehr als einem Jahr von den dortigen Gerichten nur
ausgesprochen wird, wenn es sich um eine solche vereinbarte Schleusertätigkeit handelt. Das Urteil von einem dortigen Amtsgericht, das ich hier vorliegen habe,
bestraft einen Taxifahrer, der drei Jugoslawen, die kein
Visum hatten, auf der Straße aufgelesen und für ein Salär von 200 DM ein Stück transportiert hatte. Von exorbitanten Preisen kann man in diesem Fall nicht reden.
({3})
Wir als Bundestag haben nicht die Aufgabe, uns mit
den Einzelheiten der Justiz in Sachsen zu beschäftigen.
Das soll der Sächsische Landtag, der meiner Kenntnis
nach morgen darüber diskutiert, und das sollen die dort
Verantwortlichen tun. Es geht allenfalls um die Frage hier ist die Bundeszuständigkeit gegeben -: Hat sich der
Bundesgrenzschutz in den letzten Jahren und bis zum
heutigen Tage ordnungsgemäß verhalten, oder gibt es
etwas zu kritisieren bzw. zu verändern? Ich will mich
lediglich auf diese Frage konzentrieren.
Mir liegt aus dem Jahr 1997 eine Empfehlung des
Bundesgrenzschutzes vor - ich denke, da muß man den
Bundesgrenzschutz heftig kritisieren -, nach der Ausländer vor dem Transport nach Personalpapieren und der
Herkunft ihres Geldes zu fragen sind
({4})
und die Beförderung abzulehnen ist, wenn sie dieser
Aufforderung nicht nachkommen. Ich suche nach einer
Rechtsgrundlage für ein solches Verlangen. Wenn das
im Jahr 1997 geschehen ist, dann ist das mindestens
rechtlich äußerst zweifelhaft und auch von uns in Frage
zu stellen.
Nun sind Flugblätter verteilt worden - Sie hatten aus
einem vorgelesen -, in denen es darum geht, daß Taxifahrer darauf aufmerksam gemacht werden, daß sie sich
weigern sollen, wenn sie darauf angesprochen werden,
sich für Schleusertätigkeiten zur Verfügung zu stellen.
Wenn also irgendein Bandenchef oder der Verbindungsmann einer Bande kommt und sagt: „Kannst du
das in Zukunft für uns machen? Du bekommst dafür das
und das Geld“, dann soll der entsprechende Taxifahrer
den Vorgang melden oder sich jedenfalls verweigern.
Aber es sind auch andere Flugblätter verteilt worden.
Ich zitiere aus einem Flugblatt, in dem steht: „Bei Aufnahme von Fahrgästen achten Sie bitte auf das äußere
Erscheinungsbild, auf den Kleidungszustand und andere
Auffälligkeiten.“ Würde ich nach diesen Kriterien vorgehen, dann müßte ich, nachdem ich mich vorhin umgeschaut habe, feststellen, daß es hier durchaus Personen
gibt, die, wenn sie irgendwo in der Nähe von Zittau am
Straßenrand gestanden hätten, ihren Ausweis hätten vorBarbara Wittig
zeigen müssen, weil sie die hier angesprochenen Auffälligkeiten aufweisen.
({5})
Ich meine, daß das nicht geht. Die Polizei - auch wenn
es der Bundesgrenzschutz ist - kann nicht versuchen, Taxifahrer zu Hilfssheriffs zu machen. Dazu fehlt die Befugnis. Es handelt sich um eine Praxis aus dem Jahr 1997,
die nicht korrekt und äußerst beanstandenswert ist.
Noch viel schlimmer sind für mich die Folgen. Wenn
Sie aus der Gegend dort kommen, dann müssen Sie wissen, daß Taxifahrer in Zittau heute mit einer Plakette
herumfahren, auf der steht: „Ich befördere keine Ausländer.“ Es gibt auch Busfahrer, die außen am Bus ein
Plakat mit der Aufschrift „Ich befördere keine Ausländer“ befestigen, um sich möglicherweise BGSKontrollen zu entziehen oder vielleicht in der Bevölkerung beliebt zu machen. Angesichts solcher Flugblätter,
solcher Praktiken und auch solcher Prozesse, die zu
Verurteilungen führen, hat aber das Ganze eine Dimension erreicht, bei der wir uns fragen müssen, ob das
nicht tatsächlich zu skandalösen Verhärtungen und Situationen und möglicherweise im Ansatz zu Fremdenfeindlichkeit führen kann.
({6})
Deshalb ist es richtig und wichtig, genau hinzusehen.
Das haben Anwaltsvereinigungen und Vereinigungen
von Taxifahrern getan. Es gibt Protestschreiben, die von
mehreren hundert Taxifahrern aus dem ganzen Bundesgebiet unterschrieben sind. Wir müssen das ernst nehmen und uns darum kümmern. Wir haben innerhalb der
Regierungsfraktionen in einem Vorgespräch zu dieser
Debatte vereinbart, daß wir uns das dort selber einmal
von den Beteiligten erzählen lassen und uns mit Leuten
vom Bundesgrenzschutz, von der Justiz und aus dem
Taxigewerbe unterhalten. So können wir uns dann ein
Bild darüber machen, ob es notwendig ist, hier zu anderen Anweisungen zu kommen, und ob möglicherweise
auch eine Klarstellung in den einschlägigen §§ 92 und
92a des Ausländergesetzes notwendig ist, um Klarheit
zu schaffen, was mit schweren Strafen belegt werden
soll und was nicht.
Abschließend möchte ich sagen: Bei uns in der Fraktion gibt es niemanden, der Sympathien für Schleuserbanden oder dafür hat, daß in Not geratene Menschen
ausgenutzt werden, weil sie über die Grenze geschafft
werden wollen. Wir alle haben die Bilder aus dem Fernsehen vor Augen, wo in Lieferwagen 80 Leute untergebracht werden oder auf andere waghalsige und lebensgefährliche Art und Weise Menschen in Not und Flüchtlinge über die Grenze geschafft werden. Denjenigen, die
damit ihr Geld verdienen und Vermögen anhäufen, muß
das Handwerk gelegt werden; gegen sie muß vorgegangen werden. Darin sind wir uns einig. Ob das aber zu
solchen Verhältnissen führen darf, wie sie aus der Gegend um Zittau berichtet werden, ist der Untersuchung
wert. Damit müssen wir uns näher beschäftigen.
({7})
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Abgeordnete Petra Pau, PDS.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Kollegin fragte eben, worüber
wir eigentlich reden. Der Zeitung entnahm ich, daß die
verehrte Kollegin Pieper, die jetzt nicht da ist, meinte,
daß das hier überhaupt eine ganz abseitige Debatte sei.
Abseitig ist hieran höchstens der Zeitpunkt und das Interesse, das an diesem Problem gezeigt wird.
Je länger ich darüber nachdenke und mich damit befasse, um so mehr komme ich zu der Überzeugung, daß
diese Debatte am ehesten in den Kontext unseres allerersten Tagesordnungspunktes paßt, in dem wir über Menschenrechte und deren Unteilbarkeit geredet haben. Es
handelt sich um keine kriminalpolitische Debatte und
keine zur inneren Sicherheit, wie es der Staatssekretär
eben meinte, wenn ich ihn richtig verstanden habe.
Es stand die Frage im Raum, worüber wir eigentlich
reden. Seit 1990 war die damalige Regierungskoalition
auf der Suche nach neuen Aufgaben für den BGS. An
der Ostgrenze ist man fündig geworden. Die illegale
Einreise wird von vornherein der organisierten Kriminalität zugeschrieben.
({0})
Flucht und Migration werden also inzwischen - so habe
ich leider den Beitrag des Staatssekretärs verstanden auch von der SPD als Bedrohung der inneren Sicherheit
betrachtet. Nein, nicht Flucht und Migration bedrohen
die innere Sicherheit. Ich will deutlich unterstreichen,
daß Schleuser- und Schlepperbanden, die auf die beschriebene Art und Weise zu menschenunwürdigen Bedingungen Menschen in das Land bringen, natürlich entsprechend verfolgt und abgeurteilt werden müssen. Aber
man kann doch, bitte schön, nicht Flüchtlinge und Migranten von vornherein als Kriminelle abstempeln.
({1})
Man ist also an der Ostgrenze fündig geworden. Nun
reicht die technische Abriegelung durch eine unsichtbare
Mauer, die durch Nachtsichtgeräte kontrolliert wird,
nicht aus, sondern es wird zusätzlich ein Klima von Denunziation und Bespitzelung geschaffen. Dabei geht es
schon längst nicht mehr allein um die Taxifahrer.
Wir haben uns die Situation vor Ort angesehen. Nicht
nur in der Presse ist zu lesen - darüber wird auch von
BGS-Beamten ganz stolz berichtet -, daß der BGS sogenannte VPs hat. Ich habe wirklich einen Moment darüber nachgedacht, was VP bedeutet. „Vertrauensperson“
des BGS ist die Übersetzung.
Dazu wurde erklärt, daß sich eigentlich jeder Bewohner dieser Grenzregion als potentieller Informant des
BGS verstehen und verdächtige Vorgänge melden soll.
Ich finde, daß diese Praxis nicht nur dringend überprüfungswürdig, sondern tatsächlich abzuschaffen ist. Dieses Stadium sollten wir überwunden haben.
({2})
Ich komme zu den Taxifahrern zurück. Ich habe heute
in Bonn einen Taxifahrer gefragt, ob er sich vorstellen
könne, daß zu seinem Berufsbild die Überprüfung des
Fahrgastes auf all die mehrfach genannten Kriterien gehört. Er hat mich einfach zurückgefragt - ich frage auch
Sie zurück -: Müssen Taxifahrer dann nicht überall und
zu jeder Zeit alle Fahrgäste, möglichst mit Hilfe des
nächsten Polizeireviers, darauf überprüfen lassen, ob es
sich bei ihnen nicht um Diebe, Triebtäter oder Steuerflüchtlinge handelt?
Ich denke, diese Anforderung kann nicht an Taxifahrer, Besitzer von Hotels und Pensionen und an Menschen
gestellt werden, die in der Öffentlichkeit Dienstleistungen
erbringen. Es muß die Aufgabe der dafür zuständigen Organe, also der Polizei und - bitte schön - auch des BGS,
bleiben. Diese Aufgabe muß aber mit verhältnismäßigen
Mitteln erfüllt werden und nicht dadurch, daß wir Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Herkunft auf diese
Art und Weise aufeinanderhetzen.
Ein dritter Gedanke, der hier bisher noch keine Rolle
spielte. Ich habe unterstrichen, daß kommerzielle
Fluchthilfe zu verfolgen ist. Wir sollten uns aber trotzdem die entsprechenden Maßstäbe ansehen. Am 21. Februar 1980 hat das Bundesverfassungsgericht ein einschlägiges Urteil gesprochen. Ein Fluchthelfer hatte damals Vergütung eingeklagt. Das Gericht hat grundsätzlich entschieden, daß es nicht in jedem Fall anstößig ist,
eine Hilfeleistung, selbst die für einen Menschen in einer Notlage, von einer Vergütung abhängig zu machen.
Heute ist es schon anstößig, ja strafwürdig, wenn Taxifahrer Menschen in Not befördern, insbesondere dann dies ist ein wörtliches Zitat aus den BGS-Papieren;
schreiben Sie diesen Ausdruck nicht mir zu -, wenn sie
„undeutsch“ aussehen.
Ich finde, wir haben an diesem Tag, an dem wir am
Morgen über Menschenrechte debattiert haben, allen
Grund, uns noch einmal der heute in der UNOVollversammlung verabschiedeten Deklaration zuzuwenden,
({3})
in der nicht nur die Allgemeine Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte gewürdigt wurde, sondern vor allen
Dingen auch der Mensch, der unter Gefahren und unter
Androhung von Strafe versucht, menschenwürdig mit
Verfolgten umzugehen und ihnen zu ihren Menschenrechten zu verhelfen.
({4})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Hans-Peter Kemper, SPD.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will die gerade von der Kollegin Pau gestellte Frage aufgreifen. Auch ich frage
mich: Worüber reden wir eigentlich? Wenn ich Sie reden höre, dann komme ich zu dem Schluß, daß der
Zweck dieser Aktuellen Stunde nicht mehr klar zu erkennen ist.
({0})
Wir reden darüber, wie wir Straftaten verfolgen und
verhindern können. Wenn Sie uns vorwerfen, wir würden Migration als organisierte Kriminalität bezeichnen,
dann muß ich darauf antworten, daß wir dies sicherlich
nicht tun. Migration ist ein Menschenrecht. Aber
Schleusertum ist organisierte Kriminalität. Über diesen
Punkt können Sie mit uns nicht verhandeln.
({1})
Wir werden mit aller Härte das Schleusertum verfolgen.
Auch Taxifahrer, die sich wie Schleuser verhalten, gefährden die innere Sicherheit und werden es mit uns zu
tun bekommen. Darüber gibt es keinen Zweifel.
({2})
Mich überrascht einigermaßen das, was Sie in die
Vorfälle hineindichten. Sie beschuldigen nicht nur den
BGS der einseitigen Handhabung der Vorschriften. Sie
beschuldigen auch die gesamte Justiz. Der Vorwurf der
Rechtsbeugung war noch der geringste Vorwurf, den Sie
ins Feld geführt haben. Dazu muß ich sagen, daß ich
immer noch wesentlich mehr Zutrauen zu unserer unabhängigen Justiz als zu den Aussagen der PDS habe.
({3})
Es geht doch ganz schlicht und einfach darum, Straftaten zu verhindern. Ich weiß mich mit der Mehrheit des
Hauses einig: Illegale Einreise, Unterstützung illegaler
Einreisen und Schleusertum sind Straftaten. Wir sind
uns auch im wesentlichen darüber einig, daß das von uns
nicht toleriert wird.
({4})
Der illegale Grenzübertritt und der Weitertransport
durch Taxen ins Binnenland haben, wie wir eben in Gott
sei Dank sehr sachlicher Weise von meiner Kollegin
Wittig und von Staatssekretär Körper gehört haben, seit
1992 sehr stark zugenommen und 1996 einen Höhepunkt erreicht. Es hat nicht nur eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren, sondern auch eine Vielzahl von
Verurteilungen gegeben. Das sind Verfahren gewesen,
die von unabhängigen Gerichten zum Abschluß gebracht
worden sind und Wirkung gezeigt haben. Verurteilungen
haben ihre Wirkung sowohl im repressiven als auch im
präventiven Bereich.
Es geht hier doch nicht darum, unbedarfte Taxifahrer
zu verfolgen und vor den Kadi zu schleppen, die fahrlässig oder unbewußt jemanden mitnehmen, sondern es
geht um Leute, die sich vorsätzlich oder grob fahrlässig
der Schleusung strafbar machen und viel Geld verdienen, indem sie die Notlage der Menschen ausnutzen.
({5})
In diesen Fällen ist eine konsequente Strafverfolgung
unabdingbar. Die Strafen haben ja auch bereits Wirkung
gezeigt.
Die Kritik am Bundesgrenzschutz ist völlig überzogen. Wenn sich der Bundesgrenzschutz hier falsch verhält oder in Sprache und Verhalten überzogen reagiert,
dann muß das kritisiert und überprüft werden. Ich sehe
das zur Zeit aber nicht, obwohl mir die angesprochenen
Flugblätter auch bekannt sind. Sprache und Inhalt dieser
Flugblätter waren angemessen und zurückhaltend.
({6})
Ich verstehe die Kritik am Bundesgrenzschutz auch
nicht. Der Bundesgrenzschutz ist Bundespolizei. Er unterliegt dem Legalitätsprinzip und ist verpflichtet, Straftaten zu verfolgen. Nichts anderes tut er.
({7})
Eine weitere Aufgabe des Bundesgrenzschutzes und der
Polizei neben der Repression ist es, präventiv tätig zu
werden. Wenn der BGS ein Flugblatt verteilt, in dem
steht, man solle keine Straftaten begehen, keine illegalen
Einwanderer aufnehmen und sich nicht als Schleuser
betätigen, dann ist das keine Drohung und auch kein
überzogenes Handeln, sondern einfach ein Hinweis auf
geltende Gesetze.
({8})
Geltende Gesetze sind einzuhalten; da gibt es mit uns
überhaupt nichts zu verhandeln und zu diskutieren. Das
sind Selbstverständlichkeiten, und Selbstverständlichkeiten müssen auch nicht unbedingt zu dieser Zeit in
Aktuellen Stunden behandelt werden.
Dort, wo es Verfehlungen gibt, wo sich Ermittlungsbehörden falsch verhalten, können Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Das wird überprüft, und da werden
die Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen.
Aber pauschale Verurteilungen ganzer Ermittlungseinheiten sind mit uns nicht zu machen.
Schönen Dank.
({9})
Jetzt spricht der
Kollege Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man
den Text der Tagesordnung „Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen Verunsicherung ... infolge der
Verurteilung von Taxifahrern und Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen des Bundesgrenzschutzes in
diesem Zusammenhang“ nimmt und wenn man den beiden Rednern von der PDS zugehört hat, die hier das
Thema behandelt haben, dann kann man nur den Eindruck gewinnen, daß die Herrschaften von ganz links
außen ihr Verhältnis zum Rechtsstaat noch nicht bereinigt haben oder keine klare Haltung zum Rechtsstaat
haben.
({0})
Die Kollegen der Koalition und der Opposition - mit
Ausnahme der PDS -, die hier gesprochen haben, haben
ja deutlich gemacht, daß es nichts mit Denunziantentum
zu tun hat, wenn der BGS jemanden aufruft, gesetzwidriges Verhalten zu melden. Ich bin ja froh, daß Sie von
der PDS die Katze heute aus dem Sack gelassen haben;
denn aus Ihren Beiträgen wird vielen klar, wo Sie stehen. Am Flugblatt des BGS - ich habe das scheinbar
autorisierte Flugblatt hier; ich weiß nicht, worüber Herr
Kollege Ströbele gesprochen hat, das müßte man einmal
sehen - ist gar nichts auszusetzen. Das ist der ganz normale Versuch einer Polizei, die Bürger zur Mithilfe bei
der Verfolgung von Straftaten aufzufordern. Das ist legitim.
({1})
Jetzt sage ich Ihnen aber etwas anderes - und da bin
ich ganz giftig -: Wer wie die Kollegin Ostrowski hier
sagt - ich habe es mir sofort mitgeschrieben -, daß wir
mit dieser Maßnahme des BGS „dem Polizeistaat wieder
ein Stück näher kommen“,
({2})
der hat - so muß ich wirklich sagen - noch nichts von
Demokratie verstanden.
({3})
- Natürlich. Ihr Gequatsche hat mit Rechtsstaat, mit
Recht und Ordnung, überhaupt nichts zu tun.
({4})
Dies ist es nicht einmal wert, darüber hier nachts um
22 Uhr noch zu sprechen. Ich meine das wirklich so.
Ich sage Ihnen ein Weiteres: Das, über was Sie hier
diskutieren, in ein Verhältnis zu der weltweiten Verletzung von Menschenrechten zu bringen, ist genauso absurd. Das ist wirklich unterhalb jeder Gürtellinie. Damit
mag ich mich gar nicht abgeben.
({5})
Jetzt will ich zu den zwei wirklich bemerkenswerten
Dingen dieser Diskussion kommen, nämlich zu den beiden Redebeiträgen der Koalitionsabgeordneten der Grünen. Die Besonderheit des Abends liegt darin
({6})
- ja, das gefällt mir schon -, daß ein Bundesinnenminister öffentlich sagt, die Grenze der Belastbarkeit durch
Zuwanderung und Migration sei überschritten, während
seine Koalitionsfreunde hier solche Reden halten. Man
hat im Regierungslager eine gewisse Unruhe hinsichtlich der beiden Beiträge der Grünen bemerkt, wobei ich
den Beitrag von Frau Voß als Jungfernrede verstehe und
sage: Sie wußte noch nicht, was sie tat.
({7})
Aber der Kollege Ströbele weiß natürlich ganz genau,
was er hier sagt.
Ich bin gespannt, wie ihr das Problem löst, daß ihr
zwar eine Regierung bildet, den Minister aber öffentlich
in Dingen kritisiert, in denen er recht hat, und nun hier
versucht, ihn im Rahmen der Themen BGS bzw. der
Durchsetzung von Recht und Gesetz an den Grenzen mit
einer Menschenrechtsdebatte zu überfrachten. Ich warte
voller Genuß, wie das weitergeht und wie Sie das auflösen.
({8})
Das wird ungeheuer spannend und interessant.
Herr Minister, ich wünsche Ihnen, daß Sie bei Ihren
Formulierungen zur Zuwanderung bleiben, die Sie einmal getroffen haben, daß Sie sich Ihrer Koalitionspartner erfolgreich erwehren können und daß Sie dann vielleicht zu Ergebnissen kommen, die uns in die Lage versetzen, auch Ihnen einmal Applaus zu spenden. Das wäre eine ganz positive Entwicklung.
Die Damen und Herren der Grünen, die hier Kritik
geübt haben, sollten noch einmal in Klausur gehen und
sich überlegen, was sie hier angerichtet haben.
Herzlichen Dank.
({9})
Herr Kollege
Zeitlmann, ich denke, wir sollten auch in einer Aktuellen Stunde den Stil des Hauses bewahren und die Ausführungen der anderen Kolleginnen und Kollegen nicht
unbedingt als Gequatsche disqualifizieren.
({0})
Nächster Redner ist jetzt der Bundesinnenminister,
Otto Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich bin
schon etwas verwundert über das, was hier in dieser Debatte vor sich geht. Wenn wir meinen, das Parlament sei
die oberste Instanz, um die Rechtsfindung herbeizuführen - ({0})
- Doch, das ist Ihr Thema. Denn Sie haben Urteile angegriffen und von Rechtsbeugung gesprochen. Das ist
ein massiver und frontaler Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz. Es gehört zu den Grundelementen eines
Rechtsstaates, daß auch wir als Legislative Achtung vor
der Unabhängigkeit der Judikative bewahren.
({1})
Auch über den Diskussionsbeitrag des Kollegen Ströbele war ich einigermaßen überrascht. Er hat hier die
richtige Erkenntnis vorgetragen - das können wir ihm
zubilligen -, daß es natürlich um unterschiedliche Sachverhalte geht. Aber ist es nun Aufgabe des Parlaments,
in individuellen Fällen zu prüfen, wie der Sachverhalt
ist?
({2})
Sollen wir jetzt im Parlament eine Beweisaufnahme
vollziehen? Es ist Aufgabe der Gerichte, die Zeugen zu
befragen, die richtigen Tatsachen-Feststellungen zu treffen und dann zu einer Subsumtion, zu einer rechtlichen
Bewertung, zu kommen.
({3})
So geht es in einem Rechtsstaat zu. Das sollte Kollege
Ströbele auf Grund seiner guten juristischen Ausbildung,
als guter Jurist, als den ich ihn kenne, eigentlich auch
wissen. Soweit zum repressiven Bereich.
Nun zum präventiven Bereich. Man kann zur Diskussion stellen, ob sich der Bundesgrenzschutz richtig verhalten hat. Natürlich ist es ein Problem, wie man präventiv auf solche Situationen eingeht, weil es - das gebe
ich zu - ein Spannungsverhältnis ist, ob sich jemand
zum Mittäter oder zum Gehilfen macht. Dafür gebe ich
ein sehr drastisches Beispiel: Ein Mann kommt mit einem großen Geldsack, aus dem noch ein paar Geldscheine fallen, aus einer Bank heraus, hält vielleicht eine
Waffe in der Hand und ist maskiert. Wenn dieser Mann
ein Taxi anhält, dann kann man natürlich sagen: Sie haben eine Beförderungsverpflichtung, nehmen Sie ihn
mit. Ein Polizeibeamter würde aber sagen: Ich mache
Sie darauf aufmerksam, daß sie das nicht dürfen. Das ist
eine klare Gehilfenschaft zu einer Straftat. - Es muß also eine Abgrenzung vorgenommen werden. Die Tatsachen-Feststellung ist Aufgabe der Justiz, dafür haben
wir sie.
({4})
Der Bundesgrenzschutz hat die Aufgabe, in einer solchen Situation präventiv mitzuwirken. Das tut er durch
ein Flugblatt, das ich vor mir habe.
({5})
- Dieses Flugblatt ist in Ordnung.
Da steht:
Der Bundesgrenzschutz informiert: Nein zu
Schleppern und Schleusern.
Ist das zu beanstanden? Ich wüßte nicht, warum.
An alle Taxifahrerinnen und Taxifahrer
Nach meinem Kenntnisstand ist das mit der Taxifahrerinnung abgesprochen.
Taxifahrerinnen und Taxifahrer werden nach unseren Erkenntnissen oft von professionellen Schleppern und Schleusern angesprochen, um Personen,
die illegal über die Grenze nach Deutschland einreisen, an deren Zielorte zu bringen. Hinter solchen
Angeboten stecken meist gut organisierte Schleuserbanden, die die Not von Menschen für ihre skrupellosen Geschäfte ausnutzen.
Neben verstärkten Kontrollmaßnahmen wenden wir
uns mit diesem Informationsblatt und folgenden
Bitten an Sie:
Lassen Sie sich von Schleuserbanden nicht mißbrauchen! Nehmen Sie keine offensichtlich illegal
eingereisten Personen in Ihrem Taxi mit! Teilen Sie
Anwerbungsversuche oder andere derartige Feststellungen uns oder jeder anderen Polizeidienststelle mit - auf Wunsch auch diskret.
Bei der Mitwirkung an illegalen Grenzübertritten
ist mit folgenden Konsequenzen zu rechnen: Freiheits- oder Geldstrafe, eventuelle Einziehung des
Fahrzeuges oder auch Entzug der Konzession als
Taxiunternehmer.
Wir danken Ihnen für Ihre Mithilfe und wünschen
Ihnen gute Fahrt!
Was ist an diesem Flugblatt zu beanstanden? Gar nichts.
Das ist ein sehr sorgfältig und vernünftig ausgearbeitetes
Flugblatt.
({6})
Nun habe ich dem Kollegen Ströbele zugehört, der
eine Passage aus einem angeblichen Flugblatt zitiert hat.
Daraufhin habe ich den Kollegen Körper gebeten, Herrn
Kollegen Ströbele zu bitten, mir doch das Flugblatt zur
Verfügung zu stellen. Dessen Text würde mir in der Tat
nicht so gut gefallen, wenn er so wäre, wie Sie das behauptet haben. Aber der Kollege Ströbele verfügt über
dieses Flugblatt nicht.
({7})
Das ist natürlich problematisch. Wenn man den Bundesgrenzschutz in Mißkredit zu bringen versucht, dann habe
ich, in meinem Amt als Bundesinnenminister, die
Pflicht, mich vor den Bundesgrenzschutz zu stellen. Das
tue ich hiermit.
({8})
Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß es für
die Kolleginnen und Kollegen des Bundesgrenzschutzes
nun wahrlich keine leichte Aufgabe ist, die sie dort leisten. Wenn man über solche Dinge redet, dann darf man
auch über die Menschenrechte der Angehörigen des
Bundesgrenzschutzes reden.
({9})
Das richte ich an die Adresse der PDS, die hier einen
Ton anschlägt, der völlig unangemessen ist.
Bevor solche Behauptungen aufgestellt werden, so
empfehle ich dem Kollegen Ströbele, sollte die private
Beweisaufnahme etwas sorgfältiger vollzogen werden,
als er es hier gemacht hat. Dann können wir uns auch
über solche Fragen verständigen.
Vielen Dank.
({10})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Abgeordnete Günter Graf, SPD.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es
ist in dieser Debatte alles gesagt worden. Der Bundesinnenminister hat in aller Deutlichkeit auf die Fakten hingewiesen. Er hat sie juristisch bewertet, und ich habe
dem nichts hinzuzufügen.
Eines will ich jedoch in aller Deutlichkeit sagen:
Mich hat es schon sehr überrascht, als ich las, daß die
PDS eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.
Worum geht es? Wir - das war die große Mehrheit dieses Hauses - haben den Bundesgrenzschutz an der
Grenze eingesetzt, um insbesondere der illegalen Zuwanderung, den Schleusungen, dem Menschenhandel,
dem Rauschgifttransfer usw. wirksamer begegnen zu
können. Dafür haben wir den BGS an die Grenze geschickt.
Daß sich der BGS, wie übrigens die gesamte Polizei
in Deutschland, bei seiner Arbeit bestimmter Mittel bedient, wird von Ihnen hier kritisiert. Er kann aber nur erfolgreich arbeiten, wenn er darauf aufmerksam macht,
was passieren könnte, und die Menschen um Unterstützung bittet, wenn sie etwas sehen. Nur wenn andere mithelfen, kann er erfolgreich arbeiten.
Wir haben Gott sei Dank eine offene Grenze. Wir haben Stacheldraht und Minengürtel abgebaut, Betonwände eingerissen und schicken Bundesgrenzschützer - zivilisiert - an die Grenzen, die ihre Aufgabe wahrnehmen
sollen, und Sie stellen sich hierhin und klagen das an.
Wenn Sie es mit diesem Thema ernst gemeint hätten einige von Ihnen sind dafür erfahren genug -, dann hätten Sie sich mit dem Vorsitzenden des Innenausschusses
in Verbindung gesetzt und gesagt: Laßt uns das einmal
in einer Innenausschußsitzung bereden, der Bundesinnenminister oder der Staatssekretär berichten über das
Thema Bundesgrenzschutz. Dann hätten wir vernünftig
miteinander reden können. Sie jedoch ziehen eine ShowVeranstaltung ab, und so geht es nicht.
({0})
Die Aktuelle Stunde
ist damit beendet.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({0}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Verlängerung der Frist in
§ 27 des Investitionsvorranggesetzes
- Drucksachen 14/50, 14/69 Nr. 2.2, 14/94 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Andrea Astrid Voßhoff
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Es ist
vereinbart worden, daß folgende Kolleginnen und Kol-
legen ihre Redebeiträge zu Protokoll geben: Hans-
Joachim Hacker, Andrea Voßhoff, Jürgen Türk, Gerhard
Jüttemann und Hans-Christian Ströbele. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch.*)
Wir kommen damit zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Rechtsausschusses zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung zur Verlängerung der
Frist nach dem Investitionsvorranggesetz auf den
Drucksachen 14/50 und 14/94. Wer stimmt für diese Be-
schlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig ange-
nommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 12a bis 12c
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der wohngeldrechtlichen Regelungen - Wohngeldanpassungsgesetz ({1})
- Drucksache 14/19 ({2})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({3})
- Drucksache 14/142 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Spanier
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Fortführung des Wohnraum-Modernisierungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau bis zum Jahr 2000
- Drucksache 14/126 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({4})
Finanzausschuß
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christi-
ne Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf
und der Fraktion der PDS
-------------
*) Anlage 7
Verbesserte Förderung der Wohnungsmodernisierung im Altbaubestand und bei Wohnhochhäusern nach dem Investitionszulagengesetz 1999
- Drucksache 14/127 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({5})
Finanzausschuß
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Es ist vereinbart worden, daß folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Rede zu Protokoll geben: Dr. Christine Lucyga, Hannelore Rönsch ({6}), Franziska Eichstädt-Bohlig,
Dr. Karlheinz Guttmacher, Gert Willner sowie Wolf-
gang Spanier. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.*)
({7})
Damit erteile ich der Abgeordneten Christine
Ostrowski, PDS, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht ob der
späten Stunde, aber auch Sie wohnen, und das Wohnen
ist ein Thema, das uns alle angeht. Im übrigen geht es
um einen wichtigen Gesetzentwurf unsererseits - das
Wohngeldanpassungsgesetz -, der heute in der zweiten
und dritten Lesung auf der Tagesordnung steht.
Ich konnte so manches Spannende während der Beratung des Gesetzentwurfs beobachten: erstens wie sich
das Verhalten ändert, wenn die politischen Rollen vertauscht sind. CDU/CSU und F.D.P. entwickelten sich
plötzlich zum Vorkämpfer einer Wohngeldnovelle.
Hätten sie doch dieses Kämpfertum bewiesen, als sie an
der Regierung waren.
({0})
SPD und Grüne schienen sich wiederum ihrer Forde-
rungen aus der Oppositionszeit nur schwer zu erinnern,
ihre Argumente erinnerten teilweise an die der Kohl-
Regierung.
Zweitens war spannend, wie sich das Verhalten
gleicht, wenn politische Rollen vertauscht sind. Die alte
Regierungskoalition ging mit dem Wohngeldverspre-
chen in den Wahlkampf und erfüllte es nie. Die neue
Koalition versprach den Wählern dasselbe, konkrete In-
itiativen unternahm sie bisher nicht; denn Bekenntnisse
sind keine Handlungen.
Drittens war spannend, wie sich gleiches Verhalten
fortsetzt, obwohl politische Rollen vertauscht sind. Es
war ein PDS-Gesetzentwurf, und in seiner Ablehnung
bewies man quer durch alle Parteien Kontinuität. Zur
glaubhaften Begründung mußten die merkwürdigsten
Argumente herhalten, zum Beispiel, das Gesetz sei nur
die 1995 vom Bundesrat beschlossene Härtefallrege-
lung. Das stimmt. Wir haben sie aufgegriffen. Es war
nur schwer nachzuvollziehen, warum ein Härtefall im
----------
*) Anlage 8
Vizepräsidentin Petra Bläss
Wohngeld 1995 gilt, aber 1998, wo sich die Verhältnisse extrem verschärft haben, nicht mehr gelten soll.
Auch das Argument, verwaltungsmäßig sei das überhaupt nicht mehr zu schaffen, ist merkwürdig, denn
wenn man überlegt, welch grundlegende Gesetzesänderungen und Reformen wir in den letzten Tagen beschlossen haben, die auch alle funktionieren, zieht das
wohl nicht. Auch das Argument, daß Ostwohngeldbezieher durch unseren Entwurf bevorteilt würden, ist unsinnig, denn jeder, der Augen zum Sehen hat, weiß, daß
die Einkommensverhältnisse und die Modernisierungsmieten im Osten ausgesprochen auseinanderklaffen.
Das vierte Spannende, was man als kleinste Opposition im Bundestag bewirken kann. Sie müssen es ja nicht
zugeben, aber es ist trotzdem so gewesen: Unser Gesetzentwurf hat öffentlichen Druck bewirkt. Der Bundeskanzler verlor in seiner Regierungserklärung kein einziges Wort zum Wohnen und zum Wohngeld schon gar
nicht. Bundesminister Müntefering mußte sich, nachdem
wir unseren Entwurf eingebracht hatten, in der Debatte
immerhin zu einem Termin durchringen, etwas nebulös
hieß es: im Jahre 1999. Als wenig später der Mieterbund
deutlich öffentliche Kritik übte, mußte sich Müntefering
auch in der Presse erklären, und jetzt haben es alle Mieter in der Bundesrepublik lesen können. Meine Damen
und Herren, Sie müssen nun an die Wohngeldreform
heran, ob Sie wollen oder nicht. Ich hatte es Ihnen gesagt: Wir helfen Ihnen, Ihre Wahlversprechen zu erfüllen.
({1})
Daß allerdings noch immer keine konkreten Vorstellungen vorhanden sind, zeigt das Ausweichen des Bundesministers bei Anfragen im Ausschuß. Er hat keine
Ahnung, wie hoch das Finanzvolumen seiner vorausgesagten Wohngeldnovelle sein soll. Er kann keine Eckpunkte nennen. Er weiß eigentlich überhaupt nichts, und
er sagt uns auch klipp und klar: Ich werde nichts Konkretes sagen.
Ich vermute also, daß Sie dem Gesetzentwurf der
PDS nicht zustimmen werden, daß Sie noch nicht so
weit sind.
({2})
Schade, gerade der späte Abend wäre für die Sternstunde, die ich mir so sehr gewünscht hätte, richtig passend
gewesen.
Es stehen noch zwei weitere Anträge von uns auf der
Tagesordnung, erstens die Fortführung des KfWModernisierungsprogramms. Mit diesem Programm
konnten über 3 Millionen Wohnungen im Osten saniert
werden. Das Programm läuft 1998 aus und wird 1999
nur noch abfinanziert. Es muß dringend verlängert werden
({3})
- nein, in der Regierungserklärung ist das genauso nebulös gesagt worden, wie sich Ihr Minister die ganze
Zeit verhält -, weil der Sanierungsbedarf im Osten noch
vorhanden ist; ein Drittel der Wohnungen sind mit überdurchschnittlich hohem Aufwand zu sanieren. Das Investitionszulagengesetz alleine kann die Sache nicht leisten, selbst wenn es novelliert werden würde.
Mit unserem zweiten Antrag schlagen wir Ihnen vor,
das Investitionszulagengesetz zu novellieren, nämlich
die Förderung der Wohnungssanierung mit der Förderung des Mietwohnungsneubaus gleichzusetzen. Ich
glaube, das ist das Mindeste, was man unter Beachtung
der ostdeutschen Situation machen muß. Denn wir müssen bedenken: Falls Ihre Pläne der Steuerreform Wahrheit werden, das heißt, falls die erhöhten Absetzungen in
städtischen Sanierungsgebieten Wahrheit werden -
Frau Kollegin
Ostrowski, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Lucyga?
Am späten Abend? Aber bitte schön, natürlich.
Frau Kollegin, haben
Sie sich, als Sie Ihre Anträge formuliert haben, vielleicht
einmal mit dem Bauminister von MecklenburgVorpommern verständigt, der zwar nicht Ihrer Fraktion,
aber Ihrer Partei angehört, und wenn ja: War er bereit,
die Mehrausgaben aus seinem Ressort zu bestreiten? Hat
er Sie im weiteren darüber aufgeklärt, wie sich der
Bauminister Mecklenburg-Vorpommerns zu dem Vorhaben der Bundesregierung zu verhalten gedenkt?
({0})
Liebe Kollegin, ich berate mich grundsätzlich, bevor ich Anträge stelle. Eine
andere Arbeitsweise kennen wir überhaupt nicht.
({0})
Wir konsultieren nicht nur unsere eigenen Minister, die
wir ja jetzt haben, sondern auch andere Leute. Sie können ganz beruhigt sein, weil das Interessante an den
Anträgen, die ich soeben vorgeschlagen habe, ist, daß
sie eben nicht nur eine Geldausgabe sind,
({1})
wie es jetzt in Ihrer Frage anklang, sondern Sie wissen
ganz genau: Wenn wir diese Mittel weiterhin einsetzen,
dann wird dabei ein beschäftigungspolitischer Effekt
herauskommen, der ungefähr - die Experten streiten
sich dabei ein bißchen - ein Vierfaches bis Achtfaches
der eingesetzten Finanzmittel bringt. Das heißt, Sie haben also einen Gewinn.
({2})
Wir sollten also diese Programme fortsetzen; denn
wenn es nämlich nicht passiert, das heißt Ihre Steuerpläne im Steuerentlastungsgesetz Wahrheit werden, dazu
das KfW-Programm nicht fortgesetzt wird und außerdem die Zulagen bei der Modernisierung des MietwohVizepräsidentin Petra Bläss
nungsprogramms bei 180 DM pro Quadratmeter bleiben,
dann kann ich Ihnen nur sagen, daß Sie Ihre Koalitionsvereinbarung in diesem Punkt mit der Klospülung hinunterspülen können.
Sie hatten sich vorgenommen, Ihren Schwerpunkt in
der Bestandsförderung zu setzen. Wenn diese Programme wegfallen, dann ist auch dieses Bekenntnis in der
Koalitionsvereinbarung weggefallen.
Deshalb kann ich Ihnen nur raten - natürlich rate ich
Ihnen, unserem Wohngeldanpassungsgesetz zuzustimmen, und selbstverständlich werden die Anträge beraten
-: Stimmen Sie unseren Anträgen zu. Wenn Sie das
nicht wollen, dann machen Sie doch einfach selber welche.
({3})
Wir sind damit am
Ende dieser Debatte und kommen zur Abstimmung über
den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Anpassung
der wohngeldrechtlichen Regelungen auf Drucksache
14/19. Der Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/142, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse nun über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 14/19 abstimmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen?
- Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen, CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der
PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/126 und 14/127 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluß unserer Tagesordnung. Da dies tatsächlich die
letzte Sitzung des Bundestagsplenums im Jahr 1998 war,
möchte ich Ihnen allen an dieser Stelle stellvertretend
für das Bundestagspräsidium ein friedliches und fröhliches Weihnachtsfest wünschen und vor allem einen guten Start in das Jahr 1999.
({0})
Zum Schluß muß ich aber wieder ganz profan werden: Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. Januar 1999, 13.00 Uhr
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.