Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/30/2000

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Wir müssen heute in diesem Haushalt nicht über innovative und neue Ansätze in der Sozialpolitik diskutieren; denn sie sind einfach nicht zu finden. ({0}) Wir müssen heute Morgen jedoch leider über die gewaltige Verschiebung von Lasten aus dem Bundeshaushalt in die Sozialversicherungen diskutieren, zulasten der Arbeitslosenversicherung, zulasten der Rentenversicherung und zulasten der Krankenversicherung. Erstes Beispiel: 400 Millionen DM werden der Pflegeversicherung entzogen, da Sie die Beiträge für die Arbeitslosenhilfebezieher im Bundeshaushalt weiterhin bei 50 Prozent des Zahlbetrages belassen. Deswegen gibt es in der Pflegeversicherung kein Geld für notwendige Leistungen für Demenzkranke. Zweites Beispiel: Sie halten an den verschlechterten Renteneinzahlungen für die Wehr- und Zivildienstleistenden fest. Früher hatte ein Zivil- und Wehrdienstleistender bei zehn Monaten geleistetem Wehr- oder Zivildienst einen Rentenanspruch von 32 DM im Jahr, heute, bei Ihnen, nur noch von 24 DM. Das heißt, Sie nehmen jemandem, der seinen Dienst tut, zu dem wir ihn verfassungsrechtlich verpflichten, im Alter 100 DM Rente weg. Was ist das eigentlich für eine Botschaft für die jungen Leute in diesem Lande, die noch bereit sind, sich für unsere Gesellschaft einzusetzen? ({1}) Drittes Beispiel: Sie senken die Krankenversicherungsbeiträge für die Arbeitslosenhilfebezieher. Auch hier müssen die anderen Krankenversicherten die Entlastungen im Bundeshaushalt finanzieren. Viertes Beispiel: Sie mindern die späteren Rentenansprüche der Empfänger von Arbeitslosenhilfe, indem Sie die Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit zur Rentenversicherung senken. Sie entziehen damit der Rentenversicherung 4 Milliarden DM. Noch viel schlimmer ist: Früher hat sich ein Bezieher von Arbeitslosenhilfe in einem Jahr einen Rentenanspruch in Höhe von durchschnittlich 39 DM erworben; aufgrund Ihrer Änderungen sinkt dieser Anspruch auf durchschnittlich 15 DM. Erklären Sie das doch bitte einmal den Menschen in Ostdeutschland, die zum Zeitpunkt der Wende 50 Jahre alt waren und deshalb aufgrund der strukturellen Veränderungen große Probleme hatten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Vom Bundesarbeitsminister und von den Sozialpolitikern von Rot-Grün hört man nichts darüber, wie sich die Situation dieser Menschen verbessern ließe. Das ist eine wirklich schlimme Entwicklung. ({2}) Selbst in meinen kühnsten Vorstellungen über rotgrüne Sozialpolitik hätte ich mir nie träumen lassen, dass Sie gerade denjenigen, die im Alter ohnehin die niedrigsten Renten haben werden, die Rentenanwartschaften mehr als halbieren. Das ist ein Armutszeugnis Ihrer Sozialpolitik und zeugt davon, dass Sie über ein sehr schwaches sozialpolitisches Gewissen verfügen. ({3}) Bei Ihnen weiß man auch nicht, was Sie überhaupt wollen. Auf der einen Seite sagen Sie, wir müssten die Basis der Pflichtversicherten in der Rentenversicherung ausweiten - Stichworte 630-DM-Gesetz, Scheinselbstständigkeit -, und auf der anderen Seite bringen Sie Gesetzentwürfe in den Deutschen Bundestag ein, die zur Folge haben, dass Gruppen, die schon immer Mitglieder in der Rentenversicherung waren, aus dieser ausscheiden können; die Tanzlehrer, die Fahrlehrer und die selbstständigen Lehrer an Volkshochschulen lassen grüßen. Wir unterhalten uns heute über einen großen Verschiebebahnhof: Die geplanten Strukturanpassungsmaßnahmen müssen in Höhe von 1,7 Milliarden DM von den Beitragszahlern finanziert werden, das Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose im Umfang von 750 Millionen DM muss ebenso vom Beitragszahler finanziert werden, die Beiträge für Bezieher von Arbeitslosenhilfe in der Pflegeversicherung in Höhe von 400 Millionen DM müssen von den anderen Beitragszahlern kompensiert werden, in der Krankenversicherung müssen 1,2 Milliarden DM kompensiert werden, weil Sie Ihren Haushalt auf Kosten der Krankenversicherung finanzieren, und die Rentenversicherung wird mit 4,1 Milliarden DM belastet. Das JUMP-Programm, das Sie wie eine Monstranz als Sinnbild für Ihre Erfolge bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vor sich hertragen, wird jetzt allein durch Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert; das heißt, kein Abgeordneter, kein Lehrer und kein Freiberufler zahlt mehr für diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Was denken Sie sich eigentlich dabei, in diesem Land eine solche Verschiebepolitik zu machen? ({4}) Jetzt kommt es noch schlimmer: Sie haben im nächsten Jahr Einnahmen aus der Ökosteuer in Höhe von 23,4 Milliarden DM und werden damit die Beitragszahler zur Rentenversicherung wahrscheinlich um 19,4 MilliarVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms den DM entlasten; hier wird schon eine Differenz von 4 Milliarden DM deutlich. Wenn Sie dann noch in anderen Sozialversicherungssystemen - ich habe schon davon gesprochen - über 10 Milliarden DM an Ausgaben von der Haushaltsfinanzierung in die Beitragsfinanzierung umschichten, ist das schlicht und ergreifend Betrug. Wenn Sie den Leuten heute noch sagen, sie müssten die Ökosteuer zum Zwecke der Beitragsentlastung zahlen, ist das Betrug, da nur noch ganze 9 Milliarden DM aus dem Ökosteueraufkommen zur Beitragsentlastung zur Verfügung stehen, weil Sie 10 Milliarden DM aus dem Haushalt in die sozialen Sicherungssysteme verlagern. ({5}) Damit Sie einfach mal wissen, worüber wir hier reden: Wenn zur Zeit von Christi Geburt ein Mensch eine Milliarde DM gehabt hätte, hätte er heute noch etwas davon übrig, selbst wenn er jeden Tag 1 000 DM ausgegeben hätte. Sie verschieben zehn Mal so viel aus dem Steuerhaushalt in die Sozialkassen. Auf diese Weise sind wir unter Riester in einer sozialpolitischen Eiszeit angelangt. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Laumann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön. ({0})

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Laumann, würden Sie mir zugestehen, dass während der Regierungszeit von CDU/CSU und F.D.P. durch die berühmten Fremdleistungen in der Rentenversicherung ein Fehlbetrag im Umfang von 40 bis 50 Milliarden DM entstanden war? ({0}) - Herr Kollege Blüm, Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir damals einen Bundeszuschuss in Höhe von 60 Milliarden DM hatten, aber Fremdleistungen im Umfang von 100 Milliarden DM - nachgerechnet von Ihrem damaligen Staatssekretär - finanzieren mussten. Da gab es also eine riesige Lücke. Das heißt, Sie haben damals in die Kassen anderer gegriffen, um Fremdleistungen in der Rente zu finanzieren. Gestehen Sie zumindest zu, dass das nicht mehr der Fall ist, dass wir die Beiträge nur noch dafür nehmen, um die Renten über die Beiträge, die tatsächlich gezahlt wurden, zu finanzieren? Die Fremdleistungen sind wirklich endlich weg aus der Rentenversicherung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Laumann, wollen Sie jetzt antworten oder gestatten Sie eine Frage des Kollegen Blüm?

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage des Kollegen Blüm höre ich sehr gern, damit endlich sozialpolitische Kompetenz in die Fragestellung hineinkommt.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Laumann, können Sie bestätigen, dass am Ende der Regierungszeit Kohl der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung höher war als zu jeder Zeit vor uns, und zwar absolut und prozentual? Damit hat er alle Fremdleistungen weit übertroffen. Wir haben nie den Bundeszuschuss gekürzt. Auch das unterscheidet uns von unseren Vorgängern. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Blüm, das bestätige ich Ihnen sehr gerne. Auch die Sozialdemokraten müssten sich daran erinnern, dass wir Monate vor der Wahl gemeinsam eine Mehrwertsteuererhöhung von 1 Prozent beschlossen haben, um den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung zu erhöhen. Damals waren sich die Redner sowohl von Ihrer als auch von unserer Seite einig, dass wir das wegen der versicherungsfremden Leistungen so machen müssen und dass die damit abgegolten sind. ({0}) Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie die Ökosteuer nehmen, um den Rentenversicherungsbeitrag zu entlasten. Wenn Sie die Rentenversicherung isoliert sehen, ist es so. Aber Sie stecken jetzt 10 Milliarden DM, die bislang steuerfinanziert waren, wieder in die Sozialversicherung. Das ist das Inkonsequente Ihrer Politik. ({1}) Dass der Finanzminister das versucht, verstehe ich, aber wir brauchen in Deutschland wieder einen Arbeitsminister, der sich mit Tapferkeit und Klugheit gegen solche Pläne eines Finanzministers wehrt. Den haben wir zurzeit nicht. Das war früher in unserem Land anders. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kollege Laumann, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Andres?

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Laumann, können Sie bestätigen, dass im Dezember des Jahres 1997 auf Initiative der damaligen Bundesregierung im Bundesrat beschlossen wurde, dass die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöht wird, und dass das Ergebnis der einprozentigen Erhöhung unmittelbar in die Rentenversicherung geflossen ist, damit verhindert wird, dass der Beitrag auf 21 Prozent steigt? Können Sie bestätigen, dass dadurch jeder Käufer, der Mehrwertsteuer bezahlen muss, unmittelbar Leistungen für die Rentenversicherung erbringt? Können Sie bestätigen, dass wir in diesem Jahr 22 Milliarden DM unmittelbar an die Rentenversicherung bezahlen, um echte Beiträge für Kindererziehungszeiten zu gewährleisten, und dass wir noch einmal rund 3 Milliarden DM aufbringen, um einigungsbedingte Lasten, insbesondere aus den Auffüllbeträgen, der Rentenversicherung zu erstatten? Können Sie bestätigen, dass das Maßnahmen waren, von denen Sie in Ihrer Regierungszeit immer geträumt haben, die Sie aber nicht realisieren konnten? ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bestätigen kann ich Ihnen, dass wir die Mehrwertsteuer - das habe ich gerade gesagt - gemeinsam angehoben haben, um den Bundeszuschuss zu erhöhen. Es ist unstreitig, dass es allgemeingesellschaftliche Aufgaben in der Rentenversicherung gibt, die steuerfinanziert werden müssen und die nicht nur der Beitragszahler finanzieren kann. Dazu haben wir immer gestanden. Es ist unstreitig, dass das allgemeingesellschaftlich getragen werden muss. Diese Diskussionen haben wir ja nicht nur beim VdK und beim Reichsbund. Solche versicherungsfremden Leistungen haben wir immer steuerfinanziert. Es ist allerdings auch wahr, lieber Herr Kollege Andres, dass über die Definition der versicherungsfremden Leistungen nie Einmütigkeit besteht. Jeder packt dort etwas herein, wozu er lustig ist. Der große Unterschied in der Philosophie zwischen Ihnen und uns ist folgender: Wir waren der Meinung, dass die Kindererziehungszeiten zum Generationenvertrag der Rente gehören. Wir haben die Kindererziehungszeiten in dem Moment, in dem sie zu einer Rente geführt haben, über Steuermittel der Rentenversicherung erstattet. Sie zahlen nun quasi für das Baby Beiträge ein. In unserer Regierungszeit wurden die Leistungen der Rentenkasse für die Kindererziehung über Steuereinnahmen finanziert. Unser damaliges Modell war genauso wie Ihr heutiges steuerfinanziert. ({0}) Lieber Kollege Andres, die Wahrheit ist nun einmal: Die Einnahmen aus der Ökosteuer liegen bei 23 Milliarden DM. Davon dienen 19 Milliarden DM der Beitragsentlastung. Sie als Mitglied dieser Bundesregierung haben aber zu verantworten, dass mehr als 10 Milliarden DM - sie wurden über viele Jahrzehnte teilweise über den Bundeshaushalt finanziert; ich denke an Langzeitsarbeitslosenprogramme; ich erinnere an Ihr JUMP-Programm; der Staat kommt für die Beiträge der Arbeitslosenhilfebezieher an die Sozialversicherungssysteme auf den Beitragszahlern „in die Jacke“ getan werden. Das ist eine Sauerei. ({1}) Betrachtet man die Sozialversicherung insgesamt, erkennt man, dass in Wahrheit nur noch 9 Milliarden DM zur Beitragsentlastung zur Verfügung stehen. Ihre Behauptung, die Ökosteuer stehe für eine Beitragsentlastung - die Einnahmen durch die Ökosteuer liegen bei 23 Milliarden DM, aber davon dienen nur 9 Milliarden DM der Beitragsentlastung -, ist Betrug an den Menschen. ({2}) Außerdem bleibe ich dabei: Es gibt für die Rentenversicherung bessere Möglichkeiten, an Geld zu kommen, als die Menschen über die Tankwarte abzukassieren. ({3}) Auch in diesem Punkt ist unsere Position grundsätzlich anders als Ihre.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Laumann, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Andres?

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich möchte eigentlich auch keine weiteren Zwischenfragen zulassen; sonst verzögert sich der Zeitablauf zu stark.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Des Weiteren müssen wir uns hier darüber unterhalten, dass wir es mit einem gespaltenen Arbeitsmarkt zu tun haben. Die Langzeitarbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist um 9,2 Prozent angestiegen. Das bedeutet, dass es in Ostdeutschland 38 000 Langzeitarbeitslose mehr gibt. Selbst die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen ist um 11,6 Prozent gestiegen. Wir sollten uns gemeinsam über die Spaltung des Arbeitsmarktes in Deutschland zwischen Ost und West Sorgen machen. Ich hoffe, dass wir uns zumindest, was manche Tendenzen zur Gewaltbereitschaft von jungen Menschen in unserem Land angeht, einig sind. Ich beschränke das ausdrücklich nicht auf Ostdeutschland. Auch ich finde die Diskussion, wie sie zurzeit teilweise geführt wird, nicht richtig. Gewaltbereitschaft ist vielleicht eher bei Jugendlichen anzutreffen, die nach der Schulzeit keine beruflichen Perspektiven haben. Wir müssen uns diese Entwicklung genau anschauen - sie ist in Ostdeutschland stärker als in Westdeutschland ausgeprägt -, um sie besser in den Griff zu bekommen. Ich biete der Regierung heute noch einmal an, gemeinsam darüber zu sprechen, wie wir die wenigen Jugendlichen, die nicht bereit sind, unsere Angebote zu Qualifizierung und Arbeit anzunehmen - diese Jugendlichen gibt es auch -, besser motivieren können und über mehr Druck vielleicht sogar zwingen sollten, eine Beschäftigung anzunehmen. In Holland sind Modelle entwickelt worden, die wir uns einmal anschauen und umzusetzen versuchen sollten. Ich bin für meine Fraktion bereit, daran mitzuwirken - notfalls bis hin zu gravierenden Gesetzesänderungen. Ich sehe nicht ein, dass ein junger Mensch, dem Arbeit oder Ausbildung angeboten wird, die er ablehnt, weiterhin nahezu unbegrenzt über die Sozialhilfe unterhalten wird. Wir tun weder den Jugendlichen noch der Gesellschaft einen Gefallen, wenn wir die bisherige Praxis unverändert lassen. Ich wünsche mir, dass wir hier in Bezug auf Problemgruppen des Arbeitsmarktes - ich denke zum Beispiel an ältere Arbeitslose - eine unideologische Debatte führen. Was kann man dafür tun, dass der Arbeitsmarkt solche Menschen eher aufnimmt? Ich stelle diese Frage sowohl im Hinblick auf eine Verbesserung von Fördermaßnahmen als auch im Hinblick auf eine Änderung der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen. Wenn man versucht, das Arbeitsrecht zu ändern, dann sollte man intensiv über mögliche Auswirkungen nachdenken. Sie aber bezeichnen jegliche Überlegung in diese Richtung von vornherein als Instrument aus der Folterkammer zum Nachteil der Arbeitnehmer. Ich halte das nicht für richtig. Lassen Sie uns einmal überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, den Kündigungsschutz für Ältere so zu ändern, dass sie bessere Chancen haben, eingestellt zu werden. Ich erinnere daran, dass die heutigen Kündigungsschutzklagen zu 98 Prozent Abfindungsklagen sind. Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, was man tun kann, um für etwas mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen. Ich finde es sehr traurig, dass in unserem Land eine anscheinend ideologisierte Debatte über das Betriebsverfassungsgesetz geführt wird. Dass sie ideologisiert ist, liegt im Übrigen daran, Herr Riester, dass Ihr Haus bis heute keinen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt hat, der klarmacht, wohin die Reise geht. Solange man die Dinge in der Schwebe lässt, ist es immer so, dass herumspekuliert wird und der eine oder andere Horrorgemälde entwirft. Wenn Sie mutiger wären und schneller entscheiden würden, dann hätten Sie der dem Betriebsverfassungsgesetz zugrunde liegenden Idee vieles erspart. Ich warne Sie sehr davor, weiterhin alles reglementieren zu wollen. Wir brauchen eine Öffnung der Tarifverträge. Wenn die Sozialpartner eines Betriebes Angelegenheiten wie die Mitbestimmung anders organisieren wollen - beide Seiten müssen darin übereinstimmen -, dann muss das möglich sein. ({0}) Wir sollten auch nicht nur über das Wahlverfahren reden. Das ist billig. Für mich ist klar: In Kleinbetrieben darf das Wahlverfahren nicht komplizierter sein als die Aufstellung eines Bundestagsabgeordneten. ({1}) Wir sollten darüber reden, wie die Sozialpartner mehr für die Qualifizierung machen können. Wir sollten realistisch sein und nicht an die Schwellenwerte herantreten; sie haben sich bewährt. Aber all diese Dinge sind zu regeln. Legen Sie endlich Lösungsvorschläge vor und sorgen Sie damit dafür, dass diese Debatte aufhört. Denn Betriebsverfassung, Mitbestimmung und soziale Partnerschaft sind für Deutschland eher ein Standortvorteil als ein Standortnachteil. ({2}) Das will ich vor allem in Richtung derjenigen sagen, die immer nur kritisieren. ({3}) Herr Riester, ich muss nun in dieser Debatte leider etwas ansprechen, was mit der Führung Ihres Hauses zusammenhängt. Unter Blüm gab es im Arbeitsministerium wichtige Beamte, die loyal mit ihm zusammengearbeitet haben, obwohl sie eine andere parteipolitische Präferenz hatten als Herr Blüm. Heute haben Sie nur einen Abteilungsleiter - der geht nächstes Jahr in Pension -, der nicht Ihr Parteibuch hat. ({4}) Dass das von Herrn Achenbach und von Herrn Tegtmeier organisiert wird, die trotz SPD-Parteibüchern hervorragend mit Blüm zusammengearbeitet haben, ist für mich eine menschliche Enttäuschung. ({5}) Dass Sie das alles mitmachen, zeigt, dass Sie in diesen Fragen kleinkariert denken - das hätte ich nicht gedacht oder dass Sie Angst haben. Wenn man Angst hat, dann ist man unsicher, und wenn man unsicher ist, umgibt man sich wie in einer Wagenburg nur mit eigenen Leuten. ({6}) Ich erwarte, dass Sie diese Dinge ändern. Ich möchte nun noch etwas zur Rente sagen. Dass wir bei der Rente in einer so schwierigen Situation stecken, liegt auch daran, dass die Menschen wegen Ihrer Politik kein Vertrauen zur Rentenversicherung mehr haben. Wir haben nämlich keine Rentenformel mehr. Sie ändern in vier Jahren viermal die Rentenformel. Was sollen uns die Leute hinsichtlich der Sicherheit noch glauben? Stellen Sie sich einmal vor, Ihre Feuerversicherung würde die Bedingungen, unter denen Sie Ihr Haus versichert haben, in vier Jahren viermal ändern! Dann würden Sie diese Versicherung doch kündigen. Genau das geschieht bei der Rente: 1999 Nettolohnanpassung; dieses Jahr Inflationsausgleich mit 2 Millionen Einsprüchen gegen diese Politik; 2001 modifizierte Anpassung; 2003 Abzug der modifizierten Anpassung in der Alterssicherung. Herr Riester, hören Sie auf, die Rente in dieser Weise als Spielzeug zu betrachten! Kommen Sie zu einer stetigen Politik zurück! ({7}) Wenn ich an die gigantischen Verschiebungen im Haushalt denke, wenn ich daran denke, dass Sie den Ärmsten der Armen, den Arbeitslosenhilfebeziehern, die Rentenanwartschaften halbieren, wenn ich daran denke, dass Sie den Soldaten im Alter 100 DM Rente wegnehmen, wenn ich daran denke, dass Sie den Zivildienstleistenden, die zum Beispiel in Altenheimen einen schweren Dienst tun, die Rentenanwartschaften kürzen, dann wünsche ich mir für das neue Jahr, für das nächste Haushaltsjahr, einen Arbeitsminister, der die Kardinaltugenden hat: Demut gegenüber denen, denen wir als Sozialpolitiker zu dienen haben, nämlich gegenüber den Schwachen im Land; Mut und Tapferkeit, die Besitzstände, die Ansprüche, die diese Menschen haben, in der Fraktion gegenüber anderen Bereichen und vor allen Dingen im Kabinett gegenüber dem Bundeskanzler und dem Finanzminister zu verteidigen. ({8}) Ein Arbeitsminister braucht Tapferkeit und Mut. Seitdem Sie Minister sind, vermissen wir das. Bei Norbert Blüm haben wir beides erlebt. Schönen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Konstanze Wegner von der SPD das Wort.

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir Leid, ich bin etwas erkältet; deshalb kann ich nicht so laut reden wie der Kollege Laumann. Aber das ist ja vielleicht auch gar nicht nötig. ({0}) - Danke schön. Eines der wichtigsten Ziele der rot-grünen Regierung Schröder ist gerade der Umbau des Sozialstaates als Voraussetzung für seinen Erhalt. Daran arbeitet Walter Riester als zuständiger Minister. ({1}) Wir wissen alle, dass er dabei Tabus knacken muss ({2}) und dass er Kritik erntet, mitunter auch aus den eigenen Reihen. Das ist bei einer so schwierigen Aufgabe nicht verwunderlich. Ich kann nur sagen: Ich habe Respekt vor der Art, wie er diese Aufgabe angeht, dass er offen für neue Ideen ist und versucht, den Konsens mit den großen Gruppen in dieser Gesellschaft zu erreichen. ({3}) Das ist kein Nachteil, sondern ein Vorteil. Das sollten gerade Sie wertschätzen, statt es zu attackieren. ({4}) Die Reform des Sozialstaats ist eine faszinierende, aber auch sehr schwierige Aufgabe; denn es gibt wohl kaum einen Bereich, in dem sich Besitzstandsdenken und Änderungswünsche, Angst vor dem Verlust sozialer Sicherheit und die Forderung nach schrankenloser so genannter Freiheit so krass gegenüberstehen. Ich glaube, wir haben allen Grund, auf die Leistungen unseres Sozialstaats stolz zu sein. Ich bin etwas betreten und unglücklich darüber, dass es zurzeit Mode ist, nur die Kosten dieses Sozialstaats zu thematisieren, ({5}) statt auch einmal zu sagen, wie viel diese Republik unserem Sozialsystem verdankt. ({6}) - Da dürften ruhig auch die anderen klatschen. Ich denke, dass wir gerade in den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit, die wir die ganzen letzten Jahre gehabt haben, längst rechtsradikale Parteien mit zweistelligen Wahlergebnissen in unseren Parlamenten hätten, wenn es diesen Sozialstaat nicht gegeben hätte. ({7}) Die Arbeitslosigkeit ist trotz ihres erfreulichen Rückgangs noch immer das zentrale Problem der deutschen Innen- und Sozialpolitik. Bei ihrer Bekämpfung können wir meines Erachtens weit mehr von unseren kleinen europäischen Nachbarländern wie Holland - das wurde schon erwähnt -, Dänemark und Schweden lernen ({8}) als von Amerika, das manchen so vorbildlich erscheint. Das amerikanische Modell beruht auf ganz anderen kulturellen und sozialen Wurzeln und ist meines Erachtens nicht auf Deutschland übertragbar. ({9}) Das holländische System der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ({10}) ist gekennzeichnet durch Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften, durch Steuersenkungen, die zur Folge haben, dass die Arbeitnehmer trotz dieser Lohnzurückhaltung nicht weniger Geld zur Verfügung haben, durch einen sehr pragmatischen Umgang der Spitzen der Gewerkschaften mit den Unternehmen, durch sehr weit entwickelte Teilzeitarbeitsformen ({11}) und schließlich durch eine sehr unbürokratische und effiziente Zusammenarbeit von privater und staatlicher Arbeitsvermittlung. Gerade im Bereich der Teilzeitarbeit ich denke hier auch an Teilzeitarbeit für Männer, nicht nur für Frauen ({12}) und im Bereich der Zusammenarbeit zwischen privaten und staatlichen Vermittlern haben wir noch einen erheblichen Nachholbedarf. In Dänemark, Finnland und Schweden - wir haben ja in diesem Sommer eine Berichterstatterreise gemacht kann man beobachten, dass die Verantwortlichen ebenso wie unsere Regierung in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau verstetigen, aus der Einsicht heraus, dass es richtig ist, die Menschen auch in Zeiten der Arbeitslosigkeit im Arbeitsprozess zu halten, und dass es immer noch viel besser ist, in einer Qualifizierungs- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als arbeitslos zu sein. ({13}) Aber - dies erscheint mir für uns durchaus nachahmenswert zu sein - in diesen Ländern gibt es ganz erhebliche Anstrengungen, die Art der Qualifizierung und die Bedürfnisse der Wirtschaft vor Ort stärker zusammenzubringen. ({14}) Das könnte auch bei uns noch verbessert werden; denn es ist demotivierend für einen Arbeitslosen, wenn er x Qualifizierungen durchlaufen muss und trotzdem am Ende wieder arbeitslos ist. Trotz allem, was noch verbesserungswürdig ist, hat die Regierung jedoch unleugbar Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erzielt. Sie ist derzeit mit 3,61 Millionen auf dem niedrigsten Stand seit 1995. ({15}) Entgegen Ihren Behauptungen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit eben nicht nur demographisch, sondern auch strukturell bedingt. ({16}) Das heißt, die rot-grüne Koalition hat mit ihren Maßnahmen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen, zur Senkung der Steuern und zur Senkung der Lohnnebenkosten für die Wirtschaft die Voraussetzung zur Schaffung neuer Arbeitsplätze geschaffen. Das können Sie nicht bestreiten. ({17}) Besonders erfolgreich ist das Zwei-Milliarden-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, mit dem es gelungen ist, ({18}) die Jugendarbeitslosigkeit um etwa 8 Prozent zu senken. Auf die Einzelheiten dieses Programms, vor allem auch auf die meines Erachtens sehr ungerechte Kritik, wonach mit diesem Programm sinnlos Mittel verpulvert würden, da es auch in Regionen mit niedriger Arbeitslosigkeit durchgeführt werde, wird mein Kollege Schurer nachher in seiner Rede eingehen. ({19}) Sehr unbefriedigend - das muss man zugeben - ist die Lage nach wie vor in Ostdeutschland. Hier stagniert die Arbeitslosigkeit. Es gibt zwar Bereiche, in denen es besser geht, die im Aufwind sind. Aber es gibt auch andere Bereiche, in denen die Arbeitslosigkeit leider noch zunimmt. Deshalb ist es unabdingbar notwendig, dass wir die aktive Arbeitsmarktpolitik in diesem Bereich auf hohem Niveau weiterführen. ({20}) Das schließt nicht aus, dass die Effizienz der einen oder anderen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme überprüft werden kann. Neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist die Reform der Rentenversicherung das zweite zentrale Vorhaben der Sozialpolitik der Regierung. ({21}) Es ist ein Kernstück der notwendigen Modernisierung des Sozialstaats. Auch hier gibt es, wie zu erwarten war, viel Kritik. Es gibt aus meiner Sicht in manchen Bereichen auch verständliche Kritik. ({22}) Aber dennoch gilt, dass bis heute alle Kritiker durchsetzbare und finanzierbare Alternativen zum riesterschen Konzept schuldig geblieben sind. ({23}) Entgegen dem, was behauptet wird, ist Riesters Reform eben kein Systemwechsel, sondern eine Systemergänzung und der Versuch, die Rentenversicherung als Hauptsicherungspfeiler sowohl für alte als auch für junge Menschen zu erhalten, ergänzt durch eine private und betriebliche Vorsorge. ({24}) Gewiss wäre eine breite parlamentarische Mehrheit zur Verabschiedung dieser Reform wünschenswert gewesen. Ich denke, Minister Riester ist Ihnen von der CDU/CSU in Ihren Forderungen sehr weit entgegengekommen. Er hat praktisch alle erfüllt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Wegner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuchtel?

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Wegner, Sie sind jetzt in Ihrer Redezeit schon weit fortgeschritten. Ich hätte erwartet, dass Sie als Haushaltspolitikerin einmal Stellung nehmen zu den Verschiebungen aus dem Bundeshaushalt zur Bundesanstalt für Arbeit. Ich bitte Sie, die Kritik zu wiederholen, die Sie dazu im zuständigen Ausschuss vorgebracht haben. ({0})

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Fuchtel, Sie können sich darauf verlassen, dass ich noch zu diesem Punkt komme. Denn ich habe noch genügend Redezeit. ({0}) Ich will noch ein Wort sagen, das Sie sicher nicht gerne hören: Sie kritisieren die Ökosteuer. Aber Ihre Kritik an der Ökosteuer ist absolut heuchlerisch. Denn Sie selbst haben früher eine solche Steuer gefordert. ({1}) Im Zusammenhang mit dem Benzinpreis ist das, was Sie betrieben haben, absolute Volksverdummung. ({2}) Auch hier sind Sie eine Antwort schuldig geblieben. Denn wer die Ökosteuer weghaben will, der muss sagen, wie er ansonsten die Rentenversicherung stabilisiert. Dazu ist aus Ihren Reihen keine Antwort gekommen. Jetzt komme ich zu der Frage, die Sie so beschäftigt: Wie sieht der Haushalt 2001 konkret aus? Die Bundesanstalt erhält im Jahre 2001 entgegen dem ursprünglichen Vorhaben der Regierung doch einen Zuschuss von 1,2 Milliarden DM. Die Arbeitsmarktpolitik wird auf hohem Niveau mit 44 Milliarden DM bei der Bundesanstalt verstetigt. Die Bundesanstalt wird das Jugendprogramm fortführen und sie wird auch die bisherigen Arbeitsmarktprogramme aus dem Bundeshaushalt übernehmen. ({3}) - Schreien Sie doch nicht so. Warten Sie es ab! Ich sage ganz offen: Ich hätte lieber mit meinen Kollegen von der Sozialpolitik das Jugendprogramm in den Haushalt eingestellt und der Bundesanstalt keinen Zuschuss gegeben. Dafür habe ich mich auch eingesetzt. Aber auch Sie wissen doch, dass man sich als Berichterstatter nicht immer gegen die eigene Regierung und den kleinen Koalitionspartner durchsetzen kann. Solche Erfahrungen müssten Sie eigentlich auch gemacht haben. ({4}) Auf jeden Fall - das können Sie nicht bestreiten - ist die Absenkung des Bundeszuschusses von 7,75 Milliarden DM im laufenden Jahr auf 1,2 Milliarden DM ein deutliches Zeichen dafür, dass die Arbeitslosigkeit drastisch zurückgegangen ist. ({5}) Für die Arbeitslosenhilfe können 22,6 Milliarden DM verausgabt werden. Ob diese Mittel letztlich ausreichen werden, ist ungewiss. Die Langzeitarbeitslosen stellen nach wie vor die größte Problemgruppe und wir müssen alles versuchen - das ist auch der einzige Punkt, dem ich aus den lautstarken Ausführungen des Kollege Laumann zustimmen kann -, um den Eisblock der Langzeitarbeitslosigkeit aufbrechen zu helfen. ({6}) Hier sind aber die Unternehmen gefordert, das ist nicht Sache der Parlamentarier. Die Unternehmen sind gefordert, nicht nur Junge einzustellen, weil sie angeblich billiger sind, sondern sie sollten den Älteren eine Chance geben, die teilweise sehr gut qualifiziert und vor allem hoch motiviert sind. Diesen Appell möchte ich hier loswerden. Unterstützende Programme, die das den Unternehmen finanziell erleichtern, gibt es wirklich jede Menge. In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass die Bundesanstalt für Arbeit ein weiteres Programm mit dem Namen „50 plus - die können es“ aufgelegt hat. Ich hoffe, dass uns dieses Programm unserem Ziel, die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen, ein wenig näher bringt. ({7}) Für Modellprojekte zur Förderung innovativer Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stehen in diesem Haushalt 112,5 Millionen DM zur Verfügung, bis 2004 sind es insgesamt 780 Millionen DM. Die Modellprojekte haben drei Schwerpunkte: Erstens wird es Subventionierungen im Bereich der Sozialversicherung zur besseren Qualifizierung Geringqualifizierter und Langzeitarbeitloser geben, Zweitens soll die Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern erprobt werden und drittens soll es Geld für innovative Projekte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor Ort geben. Entsprechend einem oft geäußerten Wunsch aller Parteien ist die Sprachförderung neu geordnet worden. Das neue Konzept tritt 2002 in Kraft. Träger der Sprachförderung für die Zuwanderer sind der Sprachverband und das Goethe-Institut. Die Ressortzuständigkeit wird zwischen dem Familienministerium - das ist für die Zuwanderer unter 27 Jahren zuständig - und dem Arbeitsministerium - das ist für die über 27-Jährigen zuständig - geteilt. Insgesamt stehen für die Förderung 319 Millionen DM zur Verfügung. Ich freue mich besonders, dass auf Initiative der SPD-Berichterstatterin, die dankenswerterweise vom gesamten Ausschuss unterstützt wurde, auch das Geld für die Kinderbetreuung künftig zur Verfügung stehen wird. ({8}) Denn wir wissen alle: Die ausländischen Frauen, die an Sprachförderungsmaßnahmen teilnehmen, hätten es sehr schwer, wenn die Kinderbetreuung gestrichen würde. Das Programm „Xenos“ gegen Fremdenfeindlichkeit ist neu in den Haushalt aufgenommen worden. Projekte gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz sollen in den nächsten Jahre mit jeweils 25 Millionen DM unterstützt werden. Die Mittel dafür kommen aus dem Europäischen Sozialfonds. Mit „Xenos“ sollen insbesondere solche Jugendliche angesprochen werden, die durch fremdenfeindliches Denken und Handeln aufgefallen sind. Die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit ist eine vielschichtige Aufgabe. Ich bin überzeugt, dass ein Verbot der NPD und gelegentliche Demonstrationen nicht ausreichen. ({9}) Wir müssen versuchen, wieder Zugang zu den Jugendlichen zu bekommen, die in den Bann des Rechtsradikalismus geraten sind. Wir müssen versuchen, ihnen das Umdenken und den Ausstieg zu ermöglichen. Auch dafür gibt es in Skandinavien Vorbilder. ({10}) Mit dem Thema Rechtsradikalismus komme ich am Schluss zum Ausgangspunkt meiner Rede zurück: der Modernisierung des Sozialstaats als Voraussetzung für seinen Erhalt und für die Stabilisierung der Demokratie. Wir brauchen einen differenzierten Sozialstaat, der dem Einzelnen Würde und soziale Sicherheit gibt. Wir brauchen aber auch einen Sozialstaat, der natürlich nicht die individuelle Leistungsbereitschaft hemmt. Ich denke, der Haushalt des Arbeitsministeriums für das Jahr 2001 liefert dazu einen Beitrag. Wir stimmen ihm zu. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Kollegin Wegner gerade etwas vorgetragen hat, was über weite Strecken an ein neues Kapitel aus Grimms Märchen erinnerte, will ich mich doch wieder dem Haushalt zuwenden. ({0}) Den Bezug zu Grimms Märchen will ich nur an einem einzigen Beispiel deutlich machen. Sie haben in den höchsten Tönen gelobt, dass das JUMP-Programm, das Integrationsprogramm für Jugendliche, nun völlig der Bundesanstalt für Arbeit zugeordnet wird - wir halten das für falsch, weil es damit aus Mitgliedsbeiträgen finanziert wird - und das Erste, was die Bundesanstalt für Arbeit gemacht hat, ist, eine Sperre zu verhängen. ({1}) Das zeigt doch wohl, dass dies eine falsche Entscheidung gewesen ist. ({2}) Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung macht mit 170 Milliarden DM fast ein Drittel des gesamten Bundeshaushalts aus. Er ist wiederum mit Abstand der größte Einzelplan. Insofern, Frau Wegner, ist die Kritik, die von der Opposition notwendigerweise und richtigerweise geäußert wird, keine Fundamentalkritik an der Existenz des Sozialstaates. Es wird von uns überhaupt nicht bestritten, dass der Sozialstaat für die innere Stabilität der Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte sehr wichtig gewesen ist. Unsere Kritik bezieht sich vielmehr darauf, dass dies ein Haushalt der Mutlosigkeit ist, einHaushalt, der den Reformbedarf der sozialen Sicherung in Deutschland verschleiert. Das ist der eigentliche Punkt. ({3}) Sie haben in vorher nie da gewesener Weise Verschiebebahnhöfe zwischen der Arbeitslosenversicherung, der Rentenversicherung, der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung eingeführt. ({4}) Sie haben darüber hinaus die Anwartschaften der Arbeitslosen in einer Weise gekürzt, wie es die alte Regierung nie gemacht hätte. ({5}) - Dazu stehen Sie nicht, aber Sie sollten dazu stehen. Das ist keine soziale Großtat, sondern zeigt schlicht Ihre Überforderung mit der Aufgabe, die vor Ihnen liegt. ({6}) Ich will mich ein wenig mit der Rentenversicherung beschäftigen. Für den Bundeszuschuss an die Rentenversicherung sind über 100 Milliarden DM vorgesehen. Dieser Bundeszuschuss ist zu einem nicht unerheblichen Teil aus einer schlichten Umfinanzierung entstanden. Gleich wird die Kollegin Dückert wieder mit Vehemenz und Pathos vortragen, wie wichtig es war, die Lohnnebenkosten gesenkt zu haben. ({7}) Kein Stück haben Sie die Lohnnebenkosten gesenkt! ({8}) Sie haben zwar die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt, aber durch die Ökosteuer, die allein im nächsten Haushalt 22 Milliarden DM ausmacht, haben Sie die Lohnnebenkosten insgesamt nicht gesenkt, sondern lediglich den Reformbedarf verschleiert. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Schwaetzer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dückert?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Dr. Dückert, bitte schön.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Schwaetzer, ich habe eine kurze Frage. Sie kann ganz einfach mit den Rechenarten von Adam Riese beantwortet werden. Sind nicht auch Sie der Ansicht, dass die Lohnnebenkosten, die 1998 bei über 42 Prozent gelegen haben und jetzt bei gut 41 Prozent liegen, heute niedriger sind als vorher? Ist dies keine Senkung der Lohnnebenkosten?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin Dückert, mit solchen Taschenspielertricks können Sie die Realität in der Bundesrepublik nicht verschleiern. ({0}) Für die Unternehmen genauso wie für die Arbeitnehmer ist es völlig egal, ob sie Beiträge plus Ökosteuer oder ob sie nur Beiträge zahlen. Sie verfahren wieder nur nach dem das Prinzip, von der rechten in die linke Tasche zu wirtschaften. Sie beweisen, dass Sie das nicht auseinander halten können. ({1}) Nicht einmal Ihr Motto „Tanken für die Rente“ stimmt; denn inzwischen hat sich der Bundesarbeitsminister einiges abhandeln lassen. Die Einnahmen aus der Ökosteuer sollten einmal vollständig in die Rentenversicherung gehen. Jetzt werden anscheinend erhebliche Milliardenbeträgen daraus anders verwendet; denn sonst müsste der Rentenversicherungsbeitrag im Jahr 2003 deutlich niedriger sein als 18,8 Prozent, die jetzt vom Arbeitsministerium angepeilt werden. Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Dem Reformbedarf innerhalb der Rentenversicherung können Sie nicht dadurch Rechnung tragen, dass Sie sagen: Wir halten die Beitragssätze jetzt unter 20 Prozent. Die Beitragssätze müssen dauerhaft unter 20 Prozent liegen und das werden Sie nicht schaffen. Sie bekennen sich auch gar nicht zu diesem Ziel, sondern verschieben den Beginn der Ausgleichsmaßnahmen zwischen den Generationen im Rahmen der Rentenreform immer weiter in die Zukunft. Damit - das ist insbesondere ein Vorwurf an die Grünen, die ja immer von der Generationengerechtigkeit geredet haben - verraten Sie die junge Generation. ({2}) Sie verraten die junge Generation, indem Sie einen Beitragssatz von 22 Prozent anpeilen, dazu kommen noch die vier Prozent private Vorsorge. Die junge Generation wird Ihnen schon zeigen, was sie davon hält. ({3}) An dieser Stelle muss ich mich allerdings auch über das wundern, was ich vonseiten der Union höre. Da sitzen Herr Seehofer und Herr Blüm, vehemente Verfechter eines Rentenniveaus von 64 Prozent für den so genannten Eckrentner, ({4}) und gestern sagt der Fraktionsvorsitzende, Herr Merz, ganz kühl in seiner Rede, der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung müsse bei 20 Prozent liegen. Herr Blüm, Sie werden mir nicht vorrechnen können, dass das zusammenpasst, ({5}) auch nicht, wenn Sie die Lebensarbeitszeit auf 67 oder 70 Jahre verlängern. ({6}) Deswegen haben auch Sie noch Klärungsbedarf, bis Sie wieder regierungsfähig werden. ({7}) Ich kann Ihnen nur raten, dieses möglichst schnell in den eigenen Reihen zu klären. Zurück zum Regierungsentwurf. Herr Riester, Sie haben ganz zum Schluss noch in Ihren Entwurf zur Rentenreform geschrieben - das ist ziemlich systemfremd, dass die tariflichen Lösungen auch beim Aufbau der privaten Altersvorsorge Vorrang haben sollen. Ich frage mich, was diese Verbeugung vor den Gewerkschaften soll und welche Auswirkungen sie hat. ({8}) Die Gewerkschaften werden ein sehr weit gehendes Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der Zusatzversorgung erhalten. Dieses Recht ist sogar so formuliert, dass ohne Zustimmung der Gewerkschaften überhaupt keine Produkte, die auf dem Markt angeboten werden, gefördert werden können. Sie haben noch keine Antwort auf die Frage gegeben, wie das denn gemacht werden soll. ({9}) Die Gewerkschaften werden selbstverständlich die Beteiligung der Arbeitgeber an der privaten Altersvorsorge fordern, ({10}) was völlig systemfremd ist und auch von Ihnen bisher abgelehnt wurde. ({11}) Deswegen kann ich auch zu diesem Thema nur sagen: Herr Riester, Sie sind gut gestartet. Dafür haben Sie auch von der Opposition, von der F.D.P., viel Lob bekommen. In der Tat ist es der richtige Reformansatz, die gesetzliche Rentenversicherung zurückzunehmen und zusätzlich eine private kapitalgedeckte Altersversorgung aufzubauen. Aber Sie haben sich Schritt für Schritt von diesem Konzept verabschiedet, weil Sie es in Ihrer eigenen Fraktion nicht durchsetzen konnten. Den letzten Schritt haben Sie getan um die Gewerkschaften zu befriedigen. Das wird keine tragfähige Reform, meine Damen und Herren, und deswegen werden wir sie, wenn Sie sie so durchsetzen wollen, sicherlich nicht mittragen. ({12}) Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu einem anderen Thema sagen, zur Künstlersozialversicherung. Im Haushalt 2001 wird schlicht der Ansatz des Jahres 2000 übernommen, der da schon zu niedrig war, weil er um 37 Millionen DM gekürzt worden ist. Das heißt, die Fortschreibung in 2001 bedeutet faktisch eine Absenkung des im Gesetz festgeschriebenen Bundeszuschusses zur Künstlersozialversicherung und ist damit ein Verrat an den Künstlern, die in Deutschland weiß Gott kein einfaches Leben haben. ({13}) Die Absenkung des Bundeszuschusses lehnt die F.D.P. natürlich ab. Wir haben einen Antrag gestellt, den Zuschuss des Bundes um 19 Millionen DM wieder auf 171 Millionen DM zu erhöhen. ({14}) - Wir haben im Haushaltsausschuss einen Deckungsvorschlag gemacht. Wenn er Ihnen nicht vorliegt, dann können wir Ihnen den selbstverständlich jederzeit nachliefern. Aber Sie, Herr Urbaniak, hätten sich im Haushaltsausschuss einmal mit den Verwertern und den Künstlern zusammensetzen müssen. ({15}) - Das haben wir gemeinsam beschlossen; damals waren wir noch in der gleichen Koalition. Übrigens: Die Künstlersozialkasse hat nur deshalb ihren Sitz in Wilhelmshaven, weil der damalige Arbeitsminister Ehrenberg, ein Genosse, aus der Gegend kam. ({16}) Die Künstler und die Verwerter haben einen Vorschlag zur Neuordnung der Künstlersozialversicherung gemacht. Aber Sie haben es vor der Einbringung des Gesetzes, über das wir nächste Woche im Bundestag debattieren werden, noch nicht einmal für notwendig gehalten, sich mit diesem Vorschlag auseinander zu setzen. Das ist die Arroganz der Macht. Dies ist nicht hinzunehmen. Ich denke, die Wählerinnen und Wähler werden diese Arroganz richtig einschätzen. ({17}) Wir werden bei der Beratung dieses Gesetzes uns alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, damit Sie Ihrer Verantwortung für einen Bereich, der einmal vom Ansatz her gut gestaltet war, endlich wieder gerecht werden. Wir hoffen, dass wir nun, nachdem Sie insgesamt elf Minister und Staatssekretäre durch Fahnenflucht oder Entsorgung verloren haben, mit dem neuen Staatsminister und Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien auch über dieses Thema einen konstruktiven Dialog führen können. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Thea Dückert vom Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Laumann hat uns vorhin, etwa kurz nach 12 Uhr, mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ begrüßt. Als er dann seine Rede vorgetragen hat, habe ich gedacht: Er hat wohl - das ist ihm eigentlich zu gönnen - nicht nur den heutigen Tag, sondern ganz offensichtlich auch die Entwicklungen in der Sozialpolitik der letzten zwei Jahre verschlafen. ({0}) Die Opposition verfährt weiterhin nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Auch der Haushalt 2001 zeigt eines ganz deutlich: Wir bringen wieder mehr soziale Gerechtigkeit in die Politik der Bundesrepublik Deutschland hinein. Unser Motto ist die Nachhaltigkeit, das bedeutet: Wir wollen eine Politik für das Heute und für das Morgen machen. Wir wollen die Lasten nicht auf Kosten der jüngeren Generation in die Zukunft verschieben, wie Sie das getan haben. ({1}) Wir wollen den Haushalt konsolidieren und gleichzeitig gestalten. Sie wissen genau, welch hohen Schuldenberg Sie uns hinterlassen haben. Die Steuern sind über Jahre und Jahrzehnte hinweg trotz der Regierungsbeteiligung der angeblichen Steuersenkungspartei F.D.P. gestiegen. Die Lohnnebenkosten, Frau Schwaetzer, sind allein von 1990 bis 1998, also in acht Jahren, um 6,5 Prozent gestiegen. Auch die Mehrwertsteuer ist gestiegen. ({2}) Sie haben uns aber nicht nur einen Schuldenberg, sondern auch - das ist sehr beschämend - einen Berg an Jugendarbeitslosigkeit hinterlassen. Als wir in die Regierung kamen, gab es insgesamt 4,7 Millionen Arbeitslose. ({3}) - Frau Schwaetzer, ich glaube nicht, dass es primitiv ist, nach zwei Jahren unserer Regierungstätigkeit einen Vergleich anzustellen. Während Ihrer Regierungszeit, wie gesagt, gab es 4,7 Millionen Arbeitslose. Jetzt sind es nur noch 3,6 Millionen. Das kann man nicht primitiv nennen. Vielmehr zeigt das sehr deutlich, dass wir die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in allen Politikbereichen zur zentralen Aufgabe gemacht haben, und zwar in der Steuerpolitik, in der Finanzpolitik und in der Arbeitsmarktpolitik. ({4}) Wir haben hier einen großen Etappenschritt gemacht. ({5}) Der Trend hat sich umgekehrt. ({6}) Die Steuern sinken. - Frau Schwaetzer, davon hätten Sie nur geträumt, wir setzen es durch. - Die Lohnnebenkosten sinken. Zum nächsten Jahr sinken auch die Rentenversicherungsbeiträge auf 19,1 Prozent. ({7}) - Zur Ökosteuer komme ich gleich, Frau Schwaetzer, auch zu den Gesamtbelastungen. - Die Arbeitslosigkeit sinkt und die Beschäftigung nimmt zu, und zwar nicht aufgrund der demographischen Entwicklung, ({8}) sondern - das sage ich ausdrücklich - aufgrund einer zusätzlichen Zugangs von Arbeitskräften, beispielsweise von Frauen, in einer Größenordnung von 500 000. Das ist eine positive Bilanz, meine Damen und Herren. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Dückert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laumann?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne, Herr Laumann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Laumann.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin, können Sie mir denn bestätigen, dass sich den Gutachten der fünf Weisen, des Sachverständigenrats der Bundesregierung, zufolge zwar - da haben Sie Recht - die Zahl der Beschäftigten erhöht hat, dass aber, gemessen an Erwerbsarbeitsstunden, die Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gestiegen ist? Können Sie mir bestätigen, dass das in den Gutachten des wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung steht?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Laumann, ich kann Ihnen bestätigen, dass uns der Sachverständigenrat bestätigt hat, dass der Zusammenhang zwischen Steuerpolitik, Finanzpolitik, Haushaltskonsolidierung und Arbeitsmarktpolitik dazu geführt hat, ({0}) dass die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist und die Zahl der Beschäftigten in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren um 500 000 steigen wird. ({1}) Das hat uns der Sachverständigenrat bestätigt, Herr Laumann. Meine Damen und Herren, ich denke, dass wir durch diese Politik, auch durch unsere Haushaltspolitik eine gute soziale Bilanz vorzuweisen haben. Ich will Ihnen in Erinnerung rufen, was passiert ist und was passieren wird. Ich erinnere an die zweimalige Erhöhung des Kindergeldes und an die Erhöhung des Kinderfreibetrages und ich sage Ihnen: Wir werden in dieser Legislaturperiode das Kindergeld noch weiter erhöhen. ({2}) Was bedeutet die Erhöhung des BaföG? - Sie bedeutet, dass Jugendliche, die bisher große Schwierigkeiten hatten, am Bildungsangebot teilzuhaben, Erleichterung erfahren. Es ist ein Schritt zu mehr Chancengleichheit auch beim Zugang zur Bildung. Das haben wir bitter nötig. Wir haben das Wohngeld erhöht. Zum ersten Mal seit zehn Jahren. Auch das gehört zur sozialen Bilanz. Und wir haben das Arbeitslosengeld und das Krankengeld erhöht, weil wir im Gegensatz zu Ihnen verfassungskonform handeln und auch die Einmalzahlungen in höhere Krankengeld- und Arbeitslosengeldzahlungen umsetzen. Unter dem Strich bedeutet das, dass eine vierköpfige Familie mit einem jährlichen Durchschnittseinkommen von 60 000 DM im Jahr 2001 3 000 DM mehr in der Tasche hat. ({3}) Frau Schwaetzer, auch das sollten Sie bei Ihren kleinlichen Rechnereien einmal zur Kenntnis nehmen. ({4}) Meine Damen und Herren, daran zeigt sich: Diese Politik hat ein soziales Gesicht. ({5}) Wir ruhen uns nicht aus; das ist völlig klar. Aber dies ist ein Grund zur Zufriedenheit. ({6}) Wir wollen die Herausforderungen annehmen. Das bezieht sich nicht nur auf den Schuldenberg, den Sie uns hinterlassen haben, ({7}) sondern auch auf die Veränderungen in der Arbeitswelt, auf die veränderten Erwerbsbiografien. Heute wollen und müssen immer mehr Alleinerziehende in dieser Arbeitsgesellschaft Platz finden. Zu nennen ist auch die Veränderung im Altersaufbau dieser Gesellschaft. Dies ist ein ungeheurer Reformbedarf, dem wir uns stellen. Das sind die Herausforderungen der Zukunft. Ich habe gestern mit Interesse gelesen, wie es weitergegangen wäre, wenn beispielsweise Herr Blüm Sozialminister geblieben wäre. ({8}) Er hat gestern in einem Interview in sehr deutlicher Weise die schwarze Katze aus dem schwarzen Sack gelassen. Herr Blüm, Sie haben gestern gesagt, eine gesetzliche Rentenversicherung lasse sich nicht mit einer privaten verknüpfen. ({9}) Unser Angebot, Personen mit geringem Einkommen und insbesondere Familien mit Kindern beim Aufbau der privaten Altersvorsorge zu helfen, ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. ({10}) Außerdem ist es ein Gebot der Fairness. Auch Herr Blüm hätte damals schon sagen müssen, dass in Zukunft zur Altersversorgung neben dem Herzstück der gesetzlichen Rentenversicherungen ein weiteres Standbein nötig ist, nämlich die private Vorsorge. Diese muss hinzukommen, damit die zukünftigen jungen Generationen im Alter gut abgesichert sind. Wir bieten ihr genau hierzu Hilfen an. Wir wollen nicht wie Herr Blüm erst losspringen und dann abstürzen. Wir wollen mit der Rentenreform der jungen Generation die Hand reichen und ihre Altersversorgung absichern. ({11}) Ich komme nun auf den Arbeitsmarkt zu sprechen, einen sehr wichtigen Aspekt unserer Politik. Die Prognosen, nicht nur die des Sachverständigenrates, beweisen, dass unsere Politik hier schon Auswirkungen zeigt. Selbst in vorsichtigen Prognosen wird davon ausgegangen, dass in den nächsten Jahren eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten ist. Trotz der demographischen Entwicklung entstehen zusätzliche Arbeitsplätze. So werden wir, auch wenn in Zukunft weitere Personengruppen wie zum Beispiel Frauen auf den Arbeitsmarkt drängen, ein Sinken der Arbeitslosenzahlen verzeichnen können. Diese Entwicklung sollte die Opposition einmal wahrnehmen. Auch heute verhalten Sie sich in Ihren Reden wieder wie die berühmten drei Affen: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Stattdessen klagen Sie nur. ({12}) Meine Damen und Herren, kommen Sie herunter von den Bäumen und diskutieren Sie mit uns einmal über Konzepte der Arbeitsmarktpolitik, die der zukünftigen Entwicklung Rechnung tragen. Eines ist völlig klar: Es ist ein Irrglaube, zu meinen, dass man, wenn es auf dem Arbeitsmarkt brummt, die aktive Arbeitsmarktpolitik einstellen könne. Das ist nicht so. Das zeigt auch die Struktur des Arbeitsmarktes: Es gibt große regionale Gefälle bei der Höhe der Arbeitslosigkeit; Jugendliche und Ältere besonders in den neuen Bundesländern haben große Probleme, Arbeit zu finden; es gibt das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit. Deswegen verstetigen wir die aktive Arbeitsmarktpolitik - das wollen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die ganze Zeit verhindern auf einem hohen Niveau. Wir werden auch das JUMPProgramm - und zwar steuergegenfinanziert - weiter fortführen, denn es war schon in der Vergangenheit erfolgreich. ({13}) Wir werden unsere beschäftigungspolitischen Anstrengungen nicht zurückschrauben. Wir werden unsere Politik der Senkung der Lohnnebenkosten und der Steuer- und Abgabenlast konsequent fortsetzen. Wir werden das Bündnis für Arbeit unterstützen und vorantreiben. Es ist auch dringend notwendig, moderne Formen von Teilzeitarbeit und der Teilung von Arbeit voranzutreiben. Wir werden das Betriebsverfassungsgesetz weiter reformieren. ({14}) Wir werden außerdem die Arbeitsförderung sehr kreativ und mithilfe neuer Ansätze reformieren. ({15}) - Herr Präsident, ich sehe, dass es blinkt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Seit langem! ({0})

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Meine Damen und Herren, ich denke, dass sowohl die Bilanz des Gesamthaushaltes mit der dort vorgesehenen Unterstützung von Familien mit Kindern und den dort vorgesehenen strukturellen Maßnahmen, mit denen wir den Herausforderungen der Zukunft begegnen, als auch die Bilanz des Arbeitsmarktes eines deutlich machen: ({0}) Dieser Haushalt ist ein sozialpolitisch richtiger Ansatz, mit dessen Hilfe Rot-Grün soziale und ökologische Politik verantwortlich weiter voranbringen kann. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Klaus Grehn.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In seiner gestrigen Rede hat der Bundeskanzler die Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und das Wachstum der Beschäftigung gefeiert und zur gemeinsamen Freude aufgerufen. - Die Botschaft hört‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. ({0}) Deswegen kann man dies - wie manches andere auch nicht unwidersprochen stehen lassen. Um es gleich vorwegzunehmen, Frau Kollegin Dückert: Dieser Widerspruch bedeutet keine Miesmacherei und auch kein Jammern, sondern er ist der Tatsache geschuldet, dass die Welt eben ganz anders aussieht, je nachdem, ob man vor dem Schreibtisch der Arbeitsvermittler, die nicht vermitteln können, oder vor den Mitarbeitern der Sozialämter, die dem Spardiktat zu folgen haben, steht oder ob man hinter einem Schreibtisch sitzt. Die Tatsachen, dass die geschaffenen neuen Arbeitsplätze vor allem 630-Mark und Teilzeitarbeitsplätze sind, dass demographische Faktoren diese Entwicklung beeinflussen, sind in der Rede des Kanzlers nicht aufgetaucht. Der Bundeskanzler hat wohlweislich die ihm spätestens seit seiner Reise durch die neuen Bundesländer bekannte Tatsache der sich zwischen Ost und West vertiefenden Spaltung auf dem Arbeitsmarkt außen vor gelassen. Ich bin überzeugt, dass dies in den neuen Bundesländern genauso aufmerksam registriert worden ist wie der Verschiebebahnhof bei der Finanzierung, von dem hier verschiedentlich die Rede war, und wie die Tatsache, dass eine zündende Idee für eine Verbesserung dieses Zustandes nicht zu entdecken war. ({1}) Leider ist dies aber keine Einzelenttäuschung, wie unter anderem die Themen Ausbildungsplätze, Rente insgesamt und insbesondere das Teilthema Rente Ost belegen. Dieser Einschätzung steht auch der vorgelegte Haushalt in nichts nach. Er macht deutlich, dass die Bundesregierung die Chance die soziale Schieflage in der Gesellschaft zu korrigieren, leider nur unzureichend genutzt hat. Solange vonseiten der Arbeitgeber noch immer völlig abwegige Forderungen nach einem Abbau der Sozialleistungen erhoben werden - Stichworte dazu sind die Erhöhung der Lebensarbeitszeit, die Senkung von Lohnersatzleistungen, die Erhöhung des Drucks auf die aus dem Arbeitsleben Ausgegrenzten -, muss sich diese Bundesregierung entscheiden, wofür sie steht, für die Interessen der Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, der Armen und Ausgegrenzten, wie Sie es im Wahlkampf versprochen haben, oder einseitig für die Interessen der Unternehmen, der Konzerne, der Banken, der fusionierenden Großunternehmen. Wir halten es für falsch, wenn der Bundesarbeitsminister den Arbeitgeberverbänden Gesprächsbereitschaft über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit signalisiert. Schon längst nämlich haben die unzureichende Arbeitsmarktpolitik, die so genannte Ökosteuer und das Rentenkonzept nichts mit den Interessen des kleinen Mannes zu tun, sondern all dies geht zu seinen Lasten. Es wird ein Klima geschaffen, in dem sich der arbeitslos Gemachte schämt, der Sozialhilfeempfänger an den Pranger gestellt wird, der Arme und Bedürftige gefälligst für die ihm verabreichten Almosen dankbar zu sein hat. Diese Bundesregierung ist weit davon entfernt, von der deutschen Wirtschaft einen angemessenen Beitrag für sinnvolle und sozial gerechte Reformen zu verlangen. Stattdessen gibt sich der Kollege Schlauch, der ja nicht gerade auf einer hinteren Bank in der regierenden Koalition sitzt, dazu her, das anzugreifen, was die bisherige wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik ganz maßgeblich hervorgebracht hat: die Tarifautonomie von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und deren fair ausgehandelte Flächentarifverträge. ({2}) Wer heute gegen die Gewerkschaften zu Felde zieht, verzichtet auf den sozialen Ausgleich. Die Stoßrichtung aller so genannten Reformvorhaben der letzten Zeit ist klar erkennbar. Sie zielen auf die Abkopplung der Sozialsysteme von der Reichtumsentwicklung. Die Funktion des Sozialstaates wird auf Wettbewerbsförderung reduziert. Bei dem, was das falsche Denken vor allem des Bundesfinanzministers hervorbringt, weht uns kein Hauch von Zukunftsfähigkeit entgegen. Die Finanzierbarkeit ist eine wichtige Voraussetzung, der gesellschaftliche Konsens über die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft eine andere. Die Bedürfnisse und Erwartungen der Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes lassen sich nicht durch angebliche Sparzwänge einseitig reduzieren oder vom Tisch wischen. Der Staat hat ihnen Rechnung zu tragen; dafür werden Regierungen gewählt. Deutlich sichtbar wird dieses falsche Denken bei der angegangenen Rentenreform. Die Antwort dieser Regierung auf das Erfreulichste in einer Gesellschaft, nämlich die Verlängerung der durchschnittlichen Lebenszeit, lautet: Wenn ihr älter werdet, müsst ihr ärmer leben. Welch eine Armseligkeit des Denkens, welch eine Unfähigkeit, die Zukunft schon heute attraktiv und erstrebenswert zu gestalten! Geradezu unerträglich ist der Gedanke, dass nichts getan wird, um endlich die Lebensleistungen der Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern genauso anzuerkennen wie die derjenigen in den alten Bundesländern. Stattdessen wollen Sie die Leistungen insgesamt absenken. Wenn alle Alten ärmer werden, dann sollen die ungeliebten Alten im Osten immer noch ärmer bleiben. ({3}) Dies ist das Signal, Herr Minister Riester. Es wird wohl vernommen. Die Regierung tut ein Übriges und kürzt gar den Bundeszuschuss für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten um 870 Millionen DM. ({4}) Auf dem Arbeitsmarkt ist kein Umschwung zu erkennen. Die Prognosen über die konjunkturelle Entwicklung münden seit Jahren lediglich in Spekulationen über das Auf und Ab der Zahlen der Arbeitslosen. Das Konjunkturtempo wird sich nach jüngsten Aussagen der Wissenschaft trotz erhöhter Steuereinnahmen und milliardenschwerer Privatisierungserlöse weiter verlangsamen. Die Folgen für den Arbeitsmarkt sind vorhersehbar. Der unverhoffte Gewinn bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen in Höhe von 100 Milliarden DM könnte eine entscheidende Grundlage sein, um die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig zu lösen. ({5}) Diese Möglichkeit wird nicht genutzt. Unverständlich ist auch, dass der Haushaltsplan die Kürzung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit auf 1,2 Milliarden DM vorsieht. Erneut wird im Kaffeesatz der Prognosen gelesen, statt sich mit der tatsächlichen Lage vor allen Dingen im Osten Deutschlands zu befassen. Hier bleibt eine aktive Arbeitsmarktpolitik für Hunderttausende von Arbeitslosen dringend geboten. Bundesweit muss der dramatisch wachsende Sockel der Langzeitarbeitslosen gezielt abgebaut werden. Nach der Lage der Dinge ist die Bereitstellung von Bundesmitteln für expansive und zugleich innovative Fördermaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit eine notwendige Voraussetzung für Lösungen. Jeder, der anderes veranlasst, nimmt Ertrinkenden die Schwimmweste weg mit dem Hinweis auf das nahe liegende Ufer, das sich allerdings als Fata Morgana erweist. Der Änderungsantrag der PDS sieht deshalb die Erhöhung der Mittel auf maßvolle 2 Milliarden DM vor. Die völlige Streichung der Sachmittel für ABM ist eine weitere soziale Grausamkeit; denn sie bedeutet das Aus für viele sozial und soziokulturell engagierte Vereine, die einen wichtigen Beitrag zur individuellen Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben leisten. Jeder durch ABM geschaffene Arbeitsplatz benötigt ein Mindestmaß an Ausstattung mit Sachmitteln, weil er sonst nicht wahrgenommen werden kann. Deshalb fordern wir in unserem Änderungsantrag die Bereitstellung von 500 Millionen DM für diese Sachmittel. ({6}) Gestatten Sie mir eine weitere Bemerkung zur Arbeitsmarktpolitik. Es ist nicht lange her, da wurde das Verfahren zu SAM/OFW verschärft, weil erhebliche Mitnahmeeffekte durch Unternehmen registriert wurden. Mir liegt eine Ausschreibung für ein Vorhaben vor, in der steht - es geht um 25 Gewerke -: „Die Arbeiten sind unter maßgeblicher Beteiligung von ABM-Arbeitnehmern durchzuführen. Für die zugewiesenen Arbeitnehmer ist bei der Angebotsabgabe ein Nachlass bei der Preisbildung anzustreben.“ - Das passiert in Bereichen, die durch ABM überhaupt nicht abzudecken sind. ({7}) - Das ist die offizielle Ausschreibung eines Landrates. Ich kann Ihnen die entsprechenden Unterlagen gerne zur Verfügung stellen. ({8}) Ich nenne ferner den reduzierten Zuschuss zur Krankenversicherung. Die Gerechtigkeit bleibt auch bei der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe außen vor. Sie haben die Unterfinanzierung der Arbeitslosenhilfe ansteigen lassen und die Deckelung der Sozialhilfe nicht zurückgenommen. Sie haben stattdessen den Zuschuss zur Rentenversicherung von Arbeitslosenhilfebeziehern gesenkt. Das wird sich doppelt rächen: Es fällt uns zweimal auf die Füße, einmal heute und einmal zuzeiten der Altersarmut, die bevorsteht. Die Ihnen zur Abstimmung vorgelegten Änderungsanträge der PDS zum Einzelplan 11 zielen auf mehr Gerechtigkeit und auf die Korrektur unvertretbarer Kürzungen. Wir bitten deshalb um Ihre Zustimmung. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester, das Wort.

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es in Erinnerung zu rufen: Wir sprechen über den Haushalt für Arbeit und Soziales. Es handelt sich um 170 Milliarden DM, die wir für Arbeit und Soziales einsetzen. Das sind 15 Milliarden DM mehr als vor zwei Jahren, im letzten Jahr der alten Regierung. ({0}) Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Unverfrorenheit dazu, zu erklären, dieser Haushalt sei Ausdruck einer sozialen Eiszeit. ({1}) - Herr Laumann, was geht in Ihrem Kopf vor? ({2}) Ich darf Sie als CDU-Mitglied daran erinnern, was wir übernommen haben: Wir haben die größte Staatsverschuldung übernommen, die dieses Land jemals gehabt hat. ({3}) Wir haben die höchste Steuerquote übernommen, die dieses Land jemals gehabt hat. Wir haben die höchsten Lohnnebenkosten übernommen, die dieses Land jemals gehabt hat. ({4}) Wir haben die höchste Arbeitslosenquote übernommen, die dieses Land jemals gehabt hat. All dieses haben wir übernommen. Da bin ich gerne bereit, jetzt Bilanz zu ziehen. ({5}) - Ich höre von der rechten Seite: „die deutsche Einheit“. Ja, die haben wir übernommen und an der arbeiten wir, aber ohne laufend neue Schulden aufzubauen. Da unterscheiden wir uns von Ihnen. ({6}) Wiedervereinigung bedeutet für uns nicht, laufend Steuereinnahmen auszuweiten und laufend Schulden weiter aufzubauen. Darin unterscheiden wir uns. ({7}) - Wenn sich das Murmeln etwas legt, dann kommen wir einmal zu dem, was wir erreicht haben. ({8}) Wir haben als Erstes die Steuern gesenkt. ({9}) Wir haben als Zweites die Lohnnebenkosten gesenkt. ({10}) - Auf Ihr „Wo denn?“ komme ich im Detail noch zu sprechen. - Wir haben als Drittes in zwei Jahren Rahmenbedingungen - wenn es Ihnen um die Leute ginge, müssten Sie darüber eigentlich jubeln - für über 1 Million zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. ({11}) - Nun schreit der für die Zwischenrufe sehr bekannte Herr Niebel: „630-Mark-Jobs“. Dazu darf ich Ihnen etwas sagen: Eine halbe Million sozialversicherungspflichtige zusätzliche Arbeitsverhältnisse ohne die 630-Mark-Jobs sind entstanden. ({12}) Sie haben es in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit geschafft, die Zahl der Arbeitslosen um rund 3 Millionen zu erhöhen; allein in den letzten zehn Jahren um rund 2,5 Millionen. ({13}) Ich bin stolz darauf, dass wir es geschafft haben, die Zahl der Arbeitslosen um eine halbe Million zu senken, sodass wir uns erstmals über eine Bilanz verständigen können. ({14}) - Nun kommt der hervorragende Einwand der Damen und Herren von rechts, das sei alles Demographie. Mein Herr, Sie waren ja früher einmal beim Arbeitsamt beschäftigt: ({15}) Wenn Sie sich einmal die Zahlen anschauen würden ({16}) - da höre ich qualifizierte Zwischenrufe; für Zwischenrufe sind Sie ja bekannt, aber bitte ein bisschen qualifizierter -, ({17}) dann wüssten Sie, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen nicht deshalb um 100 000 gesunken ist, weil so viele aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. ({18}) - Wir haben im Bereich der Jugend ein Schwerpunktprogramm eingesetzt.Über die Frage, wie diese Ausgaben finanziert werden, möchte ich mich gern mit Ihnen fetzen. Unbestritten ist aber doch, dass wir es überhaupt angegangen sind. Sie sind es doch noch nicht einmal angegangen! ({19}) Herr Laumann, Ihnen mangelt es an Innovation. Gott sei Dank ist Herr Seehofer da, der mir sicherlich bestätigen kann, dass er einmal gesagt hat, unsere Vorschläge zur Rentenreform seien ein Quantensprung in der Sozialpolitik. Sie waren damals dabei und hätten Ihren Protest anmelden können; ({20}) Sie hätten sagen können, dass Ihnen der Entwurf zu wenig innovativ ist. Noch besser wäre es allerdings gewesen, Sie hätten eigene Vorschläge eingebracht. Darauf warte ich noch immer. ({21}) Herr Seehofer hat gesagt, es sei ein Quantensprung, dass wir endlich dazu kommen, eine kapitalgedeckte zusätzliche Altersvorsorge systematisch aufzubauen. ({22}) Er hat ganz leise dazugesagt, die frühere Koalitionsregierung hätte das leider nicht geschafft. ({23}) Der Ehrlichkeit halber muss das gesagt werden; es waren mehrere Damen und Herren anwesend. ({24}) Wir werden dafür sorgen - es dauert nicht mehr lange, bis das Gesetz verabschiedet ist -, dass die Altersvorsorge stärker gefördert wird. Wir haben dafür gesorgt - ich zeige Ihnen gerne unsere Bilanz -, dass die Rentenversicherungsbeiträge und damit die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Die Damen und Herren Abgeordneten möchten gerne wissen - es wurde in der Debatte vorhin verschiedentlich angesprochen -, wie es sich mit der Bilanz bezüglich des Ökosteueraufkommens und der Einnahmen in der Rentenversicherung verhält. Ich kann das nur als rhetorische Frage verstehen, da Sie es ohne weiteres im Gesetzentwurf nachlesen könnten. ({25}) Ich will sie aber trotzdem konkret beantworten: ({26}) Die Einnahmen aus der Ökosteuer werden sich im nächsten Jahr auf 22,3 Milliarden DM belaufen, während der Rentenversicherung 22,4 Milliarden DM zugeführt werden. ({27}) Das heißt, der Rentenkasse stehen 100 Millionen DM mehr zur Verfügung, als durch die Ökosteuer eingenommen werden. Das ist die Wahrheit, die jeder von Ihnen aus dem Gesetzentwurf ersehen kann, von dem ich annehme, dass er Ihnen zur Verfügung steht. ({28}) Hören Sie also auf, mit Ihren Äußerungen solche Verwirrungen hervorzurufen. Es gibt ja sicherlich viele Menschen, die unsere Debatte verfolgen und denen im Gegensatz zu Ihnen die entsprechenden Unterlagen nicht zur Verfügung stehen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg? ({0}) - Frau Kollegin Schwaetzer, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Auseinandersetzungen mit dem amtierenden Präsidenten nicht zulässig sind. Ich habe Ihre Zwischenfrage nicht zugelassen, weil Sie sich bereits nach den ersten drei Sätzen des Kollegen Riester gemeldet haben. Ich fand das nicht angemessen. ({1})

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Ja, ich gestatte die Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Arbeitsminister, Sie haben mit den Einnahmen aus der ersten Stufe der Ökosteuer im Umfang von 8 oder 9 Milliarden DM pro Jahr dafür gesorgt, dass der Rentenversicherungsbeitrag von 20,3 Prozent auf 19,5 Prozent gesunken ist. Mit der dritten Stufe, die im nächsten Jahr greift und mit der Sie wiederum ein Drittel des geschätzten Gesamtaufkommens aus allen Stufen erhalten, wollen Sie erreichen, dass der Rentenversicherungsbeitrag von 19,3 Prozent auf 19,2 Prozent sinkt. Können Sie mir bitte erklären, warum die erste Stufe der Ökosteuer zu einer drastischen Senkung des Rentenbeitrags im Umfang von 0,8 Prozent führte, während die für das nächste Jahr vorgesehene Stufe nur 0,1 Prozent bringt, und wo der Rest der Einnahmen bleibt? ({0})

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Das kann ich Ihnen gern erklären. Wir haben zwei Entlastungen realisiert: Mit den Einnahmen aus der ersten Stufe der Ökosteuer in Höhe von 8,4 Milliarden DM 1999 haben wir die Beitragsbelastungen reduziert. Man darf nicht vergessen, dass ich die Verantwortung für die Rentenversicherung zu einer Zeit übernommen habe, in der zur Deckung der gesetzlich vorgesehenen Schwankungsreserve - sie reichte Ende 1998 nur noch für 21 Tage Rentenzahlungen - rund 8 Milliarden DM gefehlt haben. ({0}) - Herr Blüm, ich lasse Ihre Zwischenfrage gerne zu, weil Sie diesen Sachverhalt hoffentlich bestätigen werden. Mit diesen rund 8 Milliarden DM haben wir diese Lücke wieder geschlossen. Seit 1994 wird jetzt zum ersten Mal wieder die vom Gesetz vorgesehene Schwankungsreserve in der Rentenversicherung voll eingehalten. Wir haben also aus den Ökosteuereinnahmen zwei Dinge finanziert. Ich sage Ihnen nochmals: Wir werden im nächsten Jahr 100 Millionen DM mehr in die Rentenversicherung hineingeben, als wir Einnahmen aus der Ökosteuer haben. Das ist die Wahrheit. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Bundesminister, nachdem mir jetzt drei Zwischenfragen und zwei angemeldete Kurzinterventionen vorliegen, möchte ich eine kurze Zwischenbemerkung machen: Wir sind von Vertretern aller Fraktionen gebeten worden, Rücksicht auf die nachfolgenden Debatten und die noch anstehenden namentlichen Abstimmungen zu nehmen. ({0}) Auch in dieser Debatte muss auf die zeitliche Einteilung etwas Rücksicht genommen werden. Deswegen haben Sie Verständnis dafür, dass wir vom Präsidium sehr zurückhaltend mit dem Zulassen von Zwischenfragen und Kurzinterventionen umgehen. Herr Bundesminister, bitte fahren Sie fort.

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Danke schön. - Ich fasse zusammen: Wir bauen die Altersvorsorge, die auf zwei Säulen steht, deutlich aus. Wir senken die Beiträge und stabilisieren sie dauerhaft. Ein weiterer Punkt ist, dass diejenigen, die wegen Kindererziehung niedrigere Einkünfte oder Arbeitsunterbrechungen haben - das sind insbesondere die Frauen -, rentenrechtlich deutlich besser gestellt werden. Weiterhin regeln wir die leider immer noch vorhandene verschämte Altersarmut im Rentenrecht und im Sozialhilferecht so, dass sie in diesem Land nicht mehr entstehen muss. Das ist Innovation. ({0}) Herr Laumann, ich komme auf Ihre Rede zu sprechen. Sie haben nicht alles lautstark vorgetragen; einige Dinge haben Sie leise gesagt. Einige Dinge fasse ich als Angebot auf und nehme sie gerne auf. Sie haben gesagt, Sie möchten über das zu entwickelnde Betriebsverfassungsgesetz mitdiskutieren. Ich biete Ihnen das gerne an. Ich bin sehr daran interessiert, dass sich auch die Union daran beteiligt. Ich weiß, dass sie diesbezügliche Erfahrungen einbringt. Diese möchte ich hören. Ich halte es für unangemessen, über einen noch nicht vorliegenden Gesetzentwurf in einer solchen Weise zu spekulieren. Wir werden dafür sehr schnell einen Referentenentwurf vorlegen. Ich biete Ihnen an, an diesem mitzuarbeiten, sich als Union einzubringen, weil ich weiß, dass das ein wichtiger Punkt ist, an dem wir gemeinsam arbeiten müssen. ({1}) Sie haben einen zweiten Punkt angesprochen, den ich sehr ernst nehme und der nicht gern angesprochen wird. Es gibt Leistungsmissbrauch und Verhaltensweisen, die wir so nicht tolerieren können. Sie haben es, bezogen auf junge Menschen, angesprochen. Es trifft nicht nur auf junge Menschen zu, es trifft auf einer breiteren Ebene zu. Ich mache die Erfahrung, dass wir dort mit gesetzlichen Regelungen keine Wirkung erzielen können. Die bestehenden Gesetze lassen Leistungseinschnitte zu, wenn Menschen leistbare Arbeit bewusst verweigern. Das ist ein Problem, das wir vor Ort angehen müssen. Wir müssen das vonseiten der Sozialämter und Arbeitsämter angehen. Wir müssen es als Politiker deutlicher ansprechen. Das nehme ich positiv auf. Wir müssen uns auch dieser Seite stellen. Wir können uns ihr aber am besten dadurch stellen, dass wir den Leuten nachvollziehbare Chancen geben und diese aufzeigen. Sie haben einen dritten Punkt angesprochen und darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, die starke Diskrepanz in der Entwicklung zwischen Ost und West nicht aus den Augen zu lassen. Auch hier haben Sie mich auf Ihrer Seite. Stärker als im Westen ist es notwendig, dass wir in den neuen Bundesländern mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen unterstützend eingreifen. Genau das machen wir. Beispielsweise haben wir das JUMP-Programm schwerpunktmäßig noch einmal stärker auf die neuen Bundesländer verlagert. Wir haben im nächsten Jahr vor, 50 Prozent der Mittel des JUMP-Programms in den ostdeutschen Ländern einzusetzen. ({2}) Sie haben immer geschrien, dass das JUMP-Programm eine Sperre hat. Es hat keine Sperre mehr. Wir werden uns dafür einsetzen. Ich bin froh, wenn auch die Union daran entsprechend mitarbeitet. Weiter haben Sie die Frage der Flexibilisierung angesprochen. Dazu haben wir ein Gesetz mit zwei Ansätzen eingebracht, das im Deutschen Bundestag verabschiedet worden ist. Ich hätte mich darüber gefreut, wenn die Union dem zugestimmt hätte. ({3}) Zunächst geht es um die Beschäftigungssicherung. Wir haben - für viele Sozialdemokraten war das gar nicht einfach - die Befristung ohne sachlichen Grund weiterhin ermöglicht. Dieses Recht ist nicht befristet. Eines haben wir dabei ausgeschlossen - es handelt sich um ein Anliegen von Sozialdemokraten, von Gewerkschaftern und von Bündnisgrünen; ich hätte mich gefreut, wenn auch Ihre Partei zugestimmt hätte -, nämlich Kettenarbeitsverträge mit Mehrfachbefristungen. ({4}) Dieses Gesetz enthält ein weiteres Element zur Stärkung der Flexibilisierung. Ich war sehr überrascht, als ich in einem Interview des „Spiegel“ gelesen habe, dass der Ihnen wahrscheinlich nicht fern stehende Ministerpräsident von Bayern lauthals einen Teilzeitarbeitsanspruch in der Privatwirtschaft gefordert hat. ({5}) - Er hat das nicht eingeschränkt. Das können Sie nachlesen, Frau Baumeister. Als es dann eine Woche später ernst wurde und wir den Gesetzentwurf eingebracht haben - wir selbst haben dieses Anrecht daran gebunden, dass seine Umsetzung betrieblich überhaupt möglich ist -, haben Sie dagegen gestimmt. Herr Laumann, bei Ihnen stimmen Anspruch und Wirklichkeit nicht überein. Ich biete Ihnen an, in diesen Fragen zusammenzuarbeiten, genauso wie ich es bei der Rentenreform angeboten habe. Aber arbeiten Sie dann bitte wirklich mit und verzögern Sie nicht! Bringen Sie Vorstellungen ein! Wenn es zum Schwur kommt, dann stehen Sie zu den Vereinbarungen, stimmen Sie zu und nicht dagegen! ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Minister Riester, der Kollege Laumann - Sie haben ihn gerade direkt angesprochen - möchte eine Zwischenfrage stellen.

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Ja, gerne.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, sind Sie bereit, hier zu bestätigen, dass die CDU/ CSUBundestagsfraktion eine eigene Vorlage zur Teilzeitproblematik eingebracht hat? In dieser Vorlage ist ein Anspruch auf Teilzeitarbeit enthalten - betriebliche Gründe dürfen dem nicht entgegenstehen -, wenn jemand ein Kind von unter zwölf Jahren zu erziehen hat, wenn jemand einen pflegebedürftigen Familienangehörigen betreuen muss oder wenn jemand gesundheitlich gehandicapt ist und deshalb nicht so lange arbeiten kann. Der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Position ist nur folgender: Sie wollen einen Anspruch auf Teilzeitarbeit, egal aus welchem Grund, während wir diesen Anspruch mit Gründen wie Familie, Pflege oder Erwerbsminderung versehen haben. Ich bitte, das einmal zur Kenntnis zu nehmen. Können Sie mir bestätigen, dass es im Deutschen Bundestag eine entsprechende Vorlage gegeben hat, die Ihre Kollegen abgelehnt haben? ({0})

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Herr Laumann, zunächst einmal bestätige ich Ihnen, dass Sie zu dem Zeitpunkt, als diese Teilzeitinitiative der Regierungskoalition vorlag, eine Vorlage eingebracht haben, die einen eingeschränkten Anspruch enthielt. Zwar bin ich mir nicht sicher, aber ich nehme an, dass die Vertreter der jetzigen Regierungskoalition in den Zeiten, als sie noch in der Opposition waren, einem solchen Antrag von Ihnen - Sie stellten damals die Regierungskoalition - zugestimmt hätten; allerdings haben Sie ihn damals nicht eingebracht. Wenn Sie eine solche Vorlage nur dann einbringen, wenn eine Teilzeitoffensive bereits auf dem Weg ist, dann ist klar, dass Sie eine Einschränkung wollen. Deswegen konnten wir Ihrer Vorlage nicht zustimmen. ({0}) Ich komme zum Schluss. Wir legen einen Einzelplan mit einem Volumen von 170 Milliarden DM vor. Mit diesem Geld werden wir die Politik des Aufbaus von Beschäftigung bzw. des Abbaus von Arbeitslosigkeit, eine innovative Rentenpolitik und eine innenpolitische Erneuerung in diesem Land vorantreiben. Deswegen ist dieser Einzelplan nicht nur vom Volumen her der größte, sondern auch von der Innovation und vom ganzen politischen Ansatz her. Ich bitte Sie sehr, diesem Einzelplan zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Hans-Joachim Fuchtel das Wort.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Ihre Aussagen können wir so nicht stehen lassen. Ich verwahre mich für die CDU/CSU energisch gegen die Behauptung, dass unter der früheren Regierung nichts für die Langzeitarbeitslosen getan worden sei. ({0}) 750 Millionen DM wurden jedes Jahr eingesetzt. Und was machen Sie? - Sie nehmen das aus dem Haushalt heraus und schieben es zur Bundesanstalt für Arbeit und dort wird die Förderung Stück für Stück abgebaut! ({1}) Das ist der Unterschied zwischen unserer Regierungszeit und Ihrer Regierungszeit. Ich kann ein Beispiel anfügen. Die Kollegen durften Sie hier nicht zu dem Hin-und-her-Jonglieren zwischen Ökosteuer und Bundeszuschuss für die Rente fragen. Auf eine Anfrage der PDS hin haben Sie die Hosen herunterlassen müssen. ({2}) Sie haben in der Antwort zugegeben, dass Sie der Rentenversicherung zunächst einmal 4,6 Milliarden DM entziehen, um das dann durch die Ökosteuer auszugleichen. Das werfen wir Ihnen vor: dass Sie erst Geld in den Haushalt verschoben haben und dann neues geholt haben, um die Rentenversicherung zu finanzieren. Solche Taschenspielertricks, Herr Minister, können wir nicht durchgehen lassen. Sie müssen schon offen legen, wie die Transferströme verlaufen sind. ({3}) Wenn man das mit dem Einheitsprozess Anfang der 90er-Jahre vergleicht, haben Sie jetzt ganz bescheidene Hausaufgaben zu machen, Herr Minister. ({4}) Die Steuereinnahmen sind besser, die Konjunktur ist wesentlich besser, ob er etwas dafür kann oder nicht. Es herrschen einfachere Rahmenbedingungen, und die Aufgaben, die erfüllt werden müssen, sind einfacher. Trotzdem bringen Sie es nicht fertig, dass die Beschäftigung so stark steigt wie sonst in Europa. ({5}) Es ist doch ein Armutszeugnis dieser Regierung, dass sie bei der Wahl große Erwartungen geweckt hat und wir jetzt bei der Zunahme der Beschäftigung im hinteren Drittel herumdümpeln. Da kann ich nur sagen: Das hätte die Regierung Kohl besser gemacht. ({6}) 1998 hatten wir einen Zuwachs von 400 000. Das wäre so weitergegangen. Durch Lafontaine haben wir dann den totalen Abbruch dieser Entwicklung erlebt. Das ist die Wahrheit. ({7}) Herr Minister, Ihnen müssten eigentlich die Augen aufgehen, wenn Sie diese Turbulenzen in der Rentenpolitik sehen. Sie kommen mir wie ein Leichtmatrose vor, der ständig ängstlich nach dem Wetter schaut, und nicht wie ein Kapitän, der auf der Brücke steht und das Steuer in der Hand hat. So geht es auch weiten Teilen der Bevölkerung. ({8}) Die frühere Regierung wusste eben besser mit Rentenfragen umzugehen. Das muss man Ihnen sagen. Sie nehmen den Mund sehr voll. 1987 gab es viele Gutachten, die einen Anstieg des Rentenbeitrags bis 2030 auf mindestens 36,6 Prozent prognostiziert haben. Dann machte Blüm die Rentenreform, die sich sehen lassen konnte. Man erwartete danach für das Jahr 2030 noch 26 Prozent. Die Reform 1996/97 ließ dann 23,6 Prozent im Jahr 2030 erwarten. Die rot-grünen Pläne landen im Jahr 2030 bei 21,8 Prozent. Blüm brachte eine Reduzierung um 13 Prozent fertig. Sie kämpfen seit zwei Jahren darum, ob Sie überhaupt zu 2 Prozent fähig sind. Das ist der Unterschied in der Qualität. ({9}) Mit Ihrem Personal und mit Ihrer miserablen Qualität hätten Sie die deutsche Einheit niemals geschafft. Jetzt stehen Sie auf, machen ein großes Theater und werfen uns die schwierigen Probleme, die damals zu bewältigen waren, vor. Ich denke, das merken alle Leute. Sie sollten den Mund nicht so voll nehmen. Das Gleiche gilt übrigens für die Arbeitsmarktpolitik. Sie mussten im letzten Augenblick Ihre Prognosen für den Haushalt nochmals herunterrechnen. ({10}) Sie wollten 320 000 Beschäftigte mehr erreichen. 270 000 mussten Sie dann in der letzten Runde der Haushaltsberatungen annehmen. ({11}) So ist es gewesen. Das müssen Sie hier auch einmal sagen. Wenn die Zahlen steigen, sind wir sehr zufrieden. Aber wir haben große Sorge, ob Sie das bewirken können. Wenn es dazu kommt, dann wahrscheinlich deswegen, weil andere im internationalen Bereich die konjunkturelle Lage verbessern, aber nicht, weil Sie gute Gesetze machen. ({12}) Sie haben nichts bewegt. Auf das Thema der 630-Mark-Jobs muss man heute noch einmal eingehen. ({13}) Still und heimlich wurde nämlich die Statistik geändert. „Hokuspokus Riesterbus“ wurden aus 630-Mark-Beschäftigten auf einmal Erwerbstätige. Die Aktion fand in der Nacht zum 1. Mai 2000 statt. Seitdem - man höre und staune - haben wir 0,4 Prozent weniger Arbeitslose; das sind immerhin 100 000 Arbeitslose weniger in der Statistik. Sie haben das dem deutschen Volk niemals gesagt, sondern das klammheimlich in Ihre Statistik übernommen. ({14}) Ähnliches gilt für das Thema zweiter Arbeitsmarkt. Vor der Bundestagswahl haben Sie uns immer vorgehalten, dass wir diesen nach oben gefahren hätten. Aber Sie haben dieses Niveau beibehalten. Bei Rot-Grün ist eben gut, was bei Schwarz-Gelb schlecht war. Das haben wir jetzt gelernt. Aber das können wir nicht so stehen lassen. Der Grüne Schlauch hat kürzlich den Kopf etwas aus dem Sand gesteckt und mehr Flexibilität bei den Löhnen gefordert. ({15}) Wer glaubt, dass dies Zufall war, ist ein politisches Milchmädchen. Herr Riester, da geht einiges an Ihnen vorbei. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat bereits am 28. Februar 2000 den Endbericht seines Gutachtens beim Finanzministerium abgeliefert. In diesem Bericht steht, was Schlauch jetzt fordert. Dem Bundesfinanzministerium - so kann man in der Expertise lesen - sind die Programme des Arbeitsministers zu teuer und zu ineffektiv. Deswegen wurde - nicht von Ihrem Haus; Sie lässt man da schon einmal wie einen Pappkameraden liegen ({16}) vom Finanzminister und seinem Staatssekretär Overhaus eine Untersuchung über die Frage in Auftrag gegeben, ob man den ersten Arbeitsmarkt nicht stärker nutzen könnte, um endlich aus dieser Baisse bei der Arbeitslosigkeit herauszukommen. ({17}) Das Ergebnis ist: Erstens löst der zweite Arbeitsmarkt nicht die Probleme, zweitens muss der erste Arbeitsmarkt flexibler gestaltet werden und drittens steht der Wert der Programme nicht im Verhältnis zum Aufwand. Genauso, wie Sie Angst haben, in diesem Rentengesetz das Problem der Rentenbesteuerung anzugehen, haben Sie Angst vor diesen Erkenntnissen der Arbeitsmarktpolitik, die aus einem vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegebenen großen Gutachten gewonnen wurden, und verweigern sich ihnen. Ich habe immer das Gefühl, dieser Minister verhält sich wie ein Mann, der in einem Zug sitzt und merkt, dass er in die falsche Richtung fährt. Er stöhnt: Ich fahre in die falsche Richtung! - Da sagt sein Gegenüber: Warum ziehen Sie nicht die Notbremse? - Darauf sagt er: Weil es hier so schön warm ist. ({18}) Das ist mit Sicherheit die falsche Verhaltensweise, wenn man für die Zukunft das Richtige tun will. Wir hinken in Deutschland mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als 8 Prozent hinter unseren europäischen Nachbarstaaten her. Das ist das Problem, das Sie nicht sehen. Sie dürfen nicht nur nach Deutschland schauen. Wir verlangen, dass wir uns im europäischen Vergleich sehen lassen können. Das hat diese Regierung trotz aller Ankündigungen nicht geschafft. ({19}) Sie könnten jetzt die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken, aber Sie tun es nicht. Stattdessen schönen Sie die Zahlen im Bundeshaushalt ({20}) zulasten der Beitragszahler. Die Arbeitgeber haben bekanntlich die Beitragssenkung verlangt, ebenso die Gewerkschaften. Die Union ist bereit. Mit der Union würde das Bündnis für Arbeit funktionieren. Bei Ihnen sind nur Ruinen sichtbar! ({21}) Geradezu makaber ist, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Sie die Sozialversicherungen belasten. Ganz besonders übel muss man Ihnen die Übertragung der Mittel für die Strukturanpassung Ost auf die Bundesanstalt für Arbeit nehmen. Das ist ein Schlag ins Gesicht jedes Arbeitslosen in Ostdeutschland. ({22}) Man geht selbstverständlich davon aus, dass durch diese Übertragung die Ausgaben reduziert werden. Von wegen Chefsache: Nicht einmal mehr Bundessache, sondern Sache der Bundesanstalt für Arbeit ist das nun! Dort wird man das Programm austrocknen. Das ist das erklärte Ziel. Wenn Sie ein Arbeitsminister wären, der für Ostdeutschland das Notwendige tun wollte, dann würden Sie jetzt die 29 Arbeitsamtsbezirke in Ostdeutschland, in denen wir eine Arbeitslosigkeit von mehr als 15 Prozent haben, herausgreifen und würden ein neues Gesamtpaket schnüren, um dort gezielt zu helfen, und würden nicht weiter mit der Gießkanne durch das Land spazieren. Sie sind doch nicht Gärtner, sondern Minister! ({23}) Innovationen können wir von diesem Minister nicht erwarten; das ist uns klar. ({24}) Das sehen wir übrigens bei den Bestimmungen zum Altersvermögen. Sie verbinden die Ökosteuer mit der Rente. Das verträgt sich nicht. Das merkt zumindest auch schon das Bundesfinanzministerium. Ich bin überzeugt: Auch der Rest von Ihnen wird dies noch merken. Denn die Kraft, von Ihrer Seite aus etwas dagegen zu tun, haben Sie ja nicht, wie vorhin auch der Beitrag der Kollegin Dr. Wegner gezeigt hat. Dies wird sich nicht so fortsetzen lassen, weil sich die Ökosteuer und die Rente wie der Teufel und das Weihwasser vertragen. Deswegen wird es mit diesem Spielchen ein Ende haben und wird es wieder zu einer vernünftigen Finanzierung kommen. ({25}) Ich frage Sie - jetzt kommt ein Angebot von unserer Seite -: ({26}) Warum schaffen wir es nicht, betriebliche Vermögensbildung und Rente zusammenzuführen? Das wäre zielorientiert und würde in Zukunft etwas bringen. ({27}) Hieran müssen wir arbeiten. Denn dadurch kann ein großer sozialpolitischer, aber auch wirtschaftspolitischer und letztlich gesellschaftspolitischer Fortschritt erreicht werden. Im Sinne einer Vision für die nächsten Jahre im Rentenbereich verlangen wir, dass eine solche Konzeption in ein zukünftiges Gesetz aufgenommen wird. Unsere Wirtschaft hat einen riesigen Innovationsschub hinter sich. Ich frage mich, wo in der Politik Innovationen und neues Denken bleiben. Bei dieser Gesetzgebung ist das sicher nicht der Fall. ({28}) Die AGP - das ist der Zusammenschluss der Firmen in Deutschland, die sich der Vermögensbildung angenommen haben - mit ihrem Präsidenten Gerhard Schuler hat Vorschläge gemacht, die aufgegriffen werden müssen. Wir fordern, dass das so genannte Win-Win-Modell geprüft wird. Dieses verbindet den sozialen mit dem wirtschaftlichen Fortschritt. Diese Schnittstelle muss erkannt werden. Als Partei Ludwig Erhards werden wir nicht eher Ruhe geben, bis dies erreicht worden ist und dies Inhalt einer Zukunftsgesetzgebung für die Rente wird. ({29}) Als Haushälter noch ein paar Worte zum Abschluss: ({30}) Liebe Frau Dr. Wegner, Sie haben uns immer vorgeworfen, wir würden mit Modellprojekten Wahlkampf machen. ({31}) Wir hatten dafür einmal in einem Haushalt 100 Millionen DM vorgesehen. Was Sie jetzt aber machen, das ist echter Wahlkampf. Im Jahre 2002 planen Sie - man höre und staune - 152 Millionen DM Spielgeld für die Koalition ein, um durch das Land zu ziehen und so genannte innovative Projekte zu fördern. ({32}) Wir müssen dies kritisch ansprechen, nachdem in der Vergangenheit immer so getan wurde, als seien Sie auf diesem Gebiet ganz brav und solide und als würden nur wir Schlimmes tun. ({33}) Meine Damen und Herren, zum Abschluss komme ich zur Solidität dieses Haushalts. Im Bereich der Arbeitslosenhilfe kam es im letzten Jahr zu einer Unterfinanzierung von 4 Milliarden DM. Trotzdem haben Sie nur ganze 100 Millionen DM mehr in den Haushalt hineingeschrieben. Es ist doch schon vorgegeben, dass wir überplanmäßige Ausgaben haben werden. Herr Minister, es ist schon eine große Unverschämtheit, dass Sie mit der nächsten Stufe der Ökosteuer den sozial Schwächsten auch noch das Weihnachtsfest versauen. Ich verstehe schon, warum die Gewerkschaften von Ihnen immer mehr Abstand nehmen. ({34})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Ekin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition in diesem Haus ist in keiner beneidenswerten Lage. Noch vor einem Jahr standen wir hier heftig unter Beschuss. Vor einem Jahr haben Sie die düstersten Voraussagen getroffen, die Sie überhaupt machen konnten. Heute machen Sie einfach damit weiter. Wir dagegen können bestätigen, dass wir unsere Hausaufgaben gut erledigt haben. ({0}) Wir haben nicht nur den Staatsbankrott abgewendet und die Steuern gesenkt, wir haben nicht nur den Mittelstand und die Familien entlastet, sondern wir haben auch Zeichen gesetzt und uns neue Ziele gesteckt: Dieses Land setzt inzwischen auf ökologisch verträgliches Wachstum. Herr Fuchtel, Sie haben so schön über Ostdeutschland gesprochen ({1}) und ich möchte aus dem heutigen „Handelsblatt“ zitieren: Die Wirtschaft in den neuen Ländern legt wieder stärker zu. Der Beschäftigungsabbau ist gestoppt. Das Niveau des Wirtschaftswachstums im Osten wird noch im kommenden Jahr das Niveau der alten Länder erreichen. ({2}) - Sie glauben nicht, Herr Laumann, dass ich das „Handelsblatt“ lese. Ich informiere mich im Gegensatz zu Ihnen. Diese Koalition stellt sich den Herausforderungen von morgen und vergisst dabei nicht die Notwendigkeiten von heute. Mit JUMP haben wir ein erfolgreiches Programm aufgelegt. Wir haben über 200 000 Jugendliche in Maßnahmen und in beruflicher Weiterbildung untergebracht. Wir haben JUMP für dieses Jahr dauerhaft gesichert und fest verankert. Damit werden wir aber nicht aufhören, wir werden weitermachen. ({3}) Wir haben bereits mehr als 50 neue Berufsbilder geschaffen. Wir haben das Berufsausbildungssystem reformiert und bleiben auch damit nicht stehen. In den kommenden Monaten wird ein Entwurf zur Aufstiegsfortbildung vorgelegt werden. Dabei handelt es sich im Gegensatz zu dem, was Sie als Meister-BAföG vorgelegt haben - das war ein absoluter Flop und kam überhaupt nicht an -, um einen guten Entwurf. Wir machen das um einiges besser, als Sie es je angedacht haben. ({4}) Wir bereiten aber nicht nur die Jugend auf die Arbeitswelt von morgen vor, sondern wir sagen ganz bewusst: Es gibt zwar keine Patentlösungen, aber es gibt gute Lösungsansätze. Sie, Herr Laumann, sprachen vorhin die internationalen Vorbilder an. Wir orientieren uns nicht nur an den Vorbildern, Entwicklungen und Erfahrungen aus dem Ausland, sondern wir prüfen sie auch. Wenn sie sinnvoll erscheinen, versuchen wir, sie umzusetzen. Wir ignorieren diese Vorbilder nicht, das hat doch wohl eher Ihre Regierung gemacht. Wir wollen einen dialogorientierten Ansatz. Zum Dialog gehört auch, dass wir alle Verbände, wie zum Beispiel die Gewerkschaften, die Sozialverbände, aber auch die Unternehmen und viele andere, in die Gespräche einbeziehen. Einer fehlt allerdings noch - da muss ich Ihnen Recht geben -: Das ist die jetzige Opposition. Sie sind überhaupt nicht in der Lage, einen Dialog zu führen, geschweige denn in diesem Bereich mitzuarbeiten. ({5}) Wir haben trotz des Sparzwangs Milliarden zugunsten von Familien mit Kindern umverteilt. Wir haben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts übererfüllt. Wir haben höhere Kinderfreibeträge und ein höheres Kindergeld durchgesetzt. Das gilt auch für das Kindergeld in der Sozialhilfe. Wir sparen, aber wir sparen, um zu gestalten. Wir verteilen um und lassen nichts im luftleeren Raum stehen. ({6}) Vielleicht haben Sie ja aufmerksam zugehört. Unsere Haushälter haben am Dienstag angekündigt, dass weitere 5 Milliarden DM zur Entlastung von Familien mit Kindern vorgesehen sind. Im nächsten Frühjahr werden wir zum ersten Mal einen Armuts- und Reichtumsbericht vorlegen. Wir möchten Fakten und Sachzusammenhänge auswerten, ({7}) um daraus Taten abzuleiten, was Sie bisher versäumt haben. Sie, Herr Singhammer, haben Recht mit Ihrem Zwischenruf. Wichtig ist uns ein aktives soziales Sicherungssystem, das auf Selbsthilfe Wert legt und die Menschen nicht für unmündig erklären will. Zum Schluss möchte ich noch etwas zu Ihnen, Herr Fuchtel, sagen. Sie sprachen von dem Kapitän und dem Wetter. Wenn Sie Ahnung vom Segeln hätten, dann wüssten Sie, wie wichtig das Wetter für den Kapitän ist und wie man überhaupt vorgehen muss. ({8}) Ich wäre an Ihrer Stelle vorsichtig, bevor ich solche Behauptungen aufstellte. Diese Regierung ist aktiv. Sie hat Erfolge, die sie vorzeigen kann. Sie baut nicht nur die Arbeitslosigkeit ab, sondern macht eine aktive Politik gegen verdeckte und sichtbare Armut in diesem Land. Diese Regierung lässt sich an Taten messen und nicht nur an schlauen Sätzen wie Sie. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb für die Fraktion der F.D.P. das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich mich zunächst an den Bundesarbeitsminister wende. Herr Riester, Sie haben einiges zu dem gesagt, was Sie von uns als Erbschaft übernommen hätten. ({0}) Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Sie heute nur deswegen große Reden schwingen können, weil Sie zum Beispiel 100 Milliarden DM aus dem Erlös der UMTS-Lizenzen von uns geerbt haben. Sie sind Ihnen in den Schoß gefallen. ({1}) Ich weiß sehr wohl und will Sie daran erinnern, dass die Privatisierung im Telekommunikationsbereich und die Einführung von Wettbewerb gegen den erbitterten Widerstand der SPD durchgesetzt wurde. Es ist heuchlerisch, was Sie hier machen. ({2}) Herr Riester, Ihre Erfolge beim Aufbau von Beschäftigung sind nicht ohne die Tatsache zu erklären, dass wir den Neuen Markt geschaffen und damit den Kapitalmarkt gerade für kleine innovative Unternehmen geöffnet haben, die sich als besonders beschäftigungsfördernd erwiesen haben. Also: Eine Erbschaft besteht aus Soll und Haben. Betreiben Sie keine Rosinenpickerei. Bitte nehmen Sie die Erbschaft insgesamt an oder gar nicht. ({3}) Im Übrigen besteht zur Selbstzufriedenheit, Herr Riester, kein Anlass. Ich habe mir in Vorbereitung auf diese Rede einmal das Sachverständigengutachten sehr intensiv angesehen. Es wird üblicherweise nur von Wirtschaftspolitikern gelesen. Das ist schade, weil gerade zur Sozialpolitik sehr viel gesagt wird. Es ist richtig: Die Bundesrepublik Deutschland hat das drittschwächste Wachstum in der Europäischen Union. Nur noch in Italien und Dänemark ist das Wachstum geringer. Es ist richtig: Wachstum findet mittlerweile fast ausschließlich in den alten Bundesländern statt. Die neuen Bundesländer sind ausgeblendet. Das sind Dinge, die Sie zur Kenntnis nehmen müssen. Sie sind stolz darauf, dass Sie für mehr Beschäftigung gesorgt haben. Wir freuen uns mit Ihnen, Herr Riester. ({4}) Das sage ich auch an Ihre Adresse. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Der Arbeitsmarkt ist keine Einbahnstraße. Auch wir hatten während unserer Regierungszeit Phasen, in denen wir binnen kürzester Zeit einen Beschäftigungszuwachs von 3 Millionen erreicht haben. Aber die Frage ist doch, was bei einer rückläufigen Konjunktur sein wird. Meine Sorge und die meiner Fraktion ist, dass hinterher eine wesentlich höhere Sockelarbeitslosigkeit zurückbleibt, weil Sie Ihre Hausaufgaben nicht machen. ({5}) Schauen wir einmal, was die Sachverständigen schreiben. Sie schreiben erstens: Die Arbeitslosigkeit ist immer noch viel zu hoch. - Das ist richtig. Wir haben im Jahresdurchschnitt 2000 immer noch 3,9 Millionen Arbeitslose. Das ist unerträglich. Sie schreiben zweitens: Ein günstiger Konjunkturverlauf ist nicht mit einer Wachstumsdynamik aus eigener Kraft gleichzusetzen. - Auch das ist richtig. Sie schreiben drittens: Ganz oben auf der Liste des dringenden Handlungsbedarfs stehen zukunftsweisende Reformen der Arbeitsmarktordnung und des Gesundheitswesens. Ich zitiere: „Hier bewegt sich wenig.“ - Das ist die Zensur, die Sie vom Sachverständigenrat bekommen haben, Herr Riester! ({6}) Schauen wir uns die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt an. Diese sind von entscheidender Bedeutung. Ich frage mich manchmal, ob Sie die richtige Grundauffassung haben. Arbeitsplätze können auf Dauer im ersten Arbeitsmarkt nur in Unternehmen und von Unternehmern geschaffen werden. Sie werden dann geschaffen, wenn die Rahmenbedingungen nicht zu restriktiv sind und wenn es sich vor allen Dingen nach Abzug von Steuern lohnt. ({7}) Was haben Sie gemacht? Ich kann Ihnen nicht ersparen, einen Blick zurückzuwerfen. Heute ist die Gelegenheit zu einer Halbzeitbilanz. Sie haben die 630-MarkRegelung verändert. Sie haben dem Mittelstand damit seine Flexibilitätsreserve geraubt. Sie haben massive Probleme in der Betriebsorganisation, gerade bei kleinen Unternehmen, geschaffen. ({8}) Das Verrückteste ist: Sie sind stolz darauf, dass Sie damit die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten erhöht haben. Aber Sie haben nur abgezockt, Herr Minister. Was Sie nicht geschafft haben, ist eine Lösung des Problems, das Sie jahrelang wie eine Monstranz hochgehalten haben, nämlich die Verbesserung hinsichtlich der Rentenversicherungsverläufe, insbesondere bei Frauen. Ein marginaler Prozentsatz derjenigen, die heute eine geringfügige Beschäftigung haben, macht von Ihrem Angebot bei der Rente Gebrauch. Das zeigt: Sie haben am Interesse der Menschen vorbei gehandelt. ({9}) Thema Scheinselbstständigkeit. Sie wollten die Flucht aus der Sozialversicherung stoppen. Aber anstatt zu fragen, warum die Menschen aus der Sozialversicherung fliehen, haben Sie versucht, die Ausgänge zu vernageln. Dabei haben Sie aber übersehen: Was Sie Scheinselbstständigkeit nannten, Herr Riester, nämlich die Tätigkeit, die gekennzeichnet ist durch anfangs nur einen Arbeitgeber, ist ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Deswegen sind die Zahlen zur Existenzgründungstätigkeit in Deutschland, seit Sie an der Regierung sind, vernichtend. ({10}) Sie haben die Gründungsdynamik der 90er-Jahre platt gemacht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte noch lange fortfahren, zur Teilzeitarbeit und zu dem, was Sie als eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes hier auf den Weg zu bringen gedenken. Ihr Handeln geht an den Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes vorbei. Der Sachverständigenrat hat es Ihnen bescheinigt. Denken Sie um - noch ist Zeit -, anderenfalls werden Sie eines Tages ein böses Erwachen erleben. Vielen Dank. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Ewald Schurer.

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind ein ökonomisch, ein wirtschaftlich reiches Land, im Export Europameister, sogar Vizeweltmeister. In weltweiten Vergleichen der Produktivitätsraten sind wir anhaltend an der Spitze. Wir werden international gelobt für ein duales System in der beruflichen Bildung. Aber ich darf hier feststellen: In einer 16-jährigen „Dürreperiode“ kam es in diesem Land zu einer anhaltenden politischen Desorientierung, auch im Bereich des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes. Langsam, aber sicher zogen sich damals auch große Konzerne zunehmend aus der beruflichen Ausbildung zurück. Das seien Kosten, hörte man Anfang der 90er-Jahre, die keiner mehr tragen möchte. Da entwickelte sich ein Zeitgeist, der sich in wirtschaftsliberalen Befreiungschorälen den Weg in eine Shareholder-Value-Kultur bahnte, aber einfach nicht erkennen wollte, dass für diese Volkswirtschaft Bildung und Ausbildung die gesellschaftliche Investition schlechthin bedeuten. ({0}) Die Liberalen forderten damals in Fortsetzung ihrer gesellschaftlichen Fehlanalysen sogar die vollständige Einstellung öffentlicher Programme, trotz ökonomisch nachhaltiger Verwerfungen in dieser Republik im Zuge der Wiedervereinigung. ({1}) Im wieder vereinten Deutschland brachen in den neuen Bundesländern die industriellen Strukturen teilweise fast vollkommen zusammen. Die angekündigten „blühenden Landschaften“ verkehrten sich damals, zumindest am Arbeits- und Ausbildungsmarkt, ins krasse Gegenteil. 1998 neigte sich dieser reale Albtraum dann endlich dem Ende zu. ({2}) Nach den Bundestagswahlen wurde im Oktober 1998 ein neues Koalitionsprogramm vorgestellt. Darin war als einer der wesentlichen Eckpfeiler das Sofortprogramm der neuen rot-grünen Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit enthalten. Die Chancen junger Menschen, sich über Bildung und Beruf gesellschaftlich zu integrieren und sich mit der Gesellschaft zu identifizieren, sollten nicht mehr länger dem Zufall überlassen werden. Nein, sie sollten gezielt verbessert und ausgebaut werden. Im neuen Programm wurden von der Arbeitsverwaltung aus dem SGB III bereits bewährte und neue Maßnahmen konzentriert, damit zunächst einmal 100 000 junge Menschen unter 25 Jahren Ausbildung und Beschäftigung bekamen. ({3}) Doch noch einmal, meine verehrten Damen und Herren, meldeten sich die Geister, zwar nicht aus dem Jenseits - so weit sind sie noch nicht -, aber aus dem Abseits. „Sofort abschaffen“, hieß es damals aus den Reihen der Union von vermeintlichen Sozialexperten der CSU, ({4}) noch bevor das Programm richtig loslegte. „Sie operieren mit falschen Zahlen“, wollte die liberale „Sozialabsängerin“ schon in der Startphase des JUMP-Programms damals wissen. ({5}) Tatsache ist: Allein im Jahre 1999 wurden rund 176 000 Einzelpersonen durch das JUMP-Programm persönlich gefördert. ({6}) Bis Oktober dieses Jahres verzeichnete das Programm rund 75 000 weitere Eintritte. Weil circa 7 000 Jugendliche in beiden Jahren in Maßnahmen des Programms eintraten, kann wie folgt bilanziert werden: Von Anfang 1999 bis zum Herbst 2000 sind insgesamt rund 243 000 junge Menschen unter 25 Jahren in dieses Programm eingetreten und wurden in ungefähr 279 000 Fördermaßnahmen weitergebildet, qualifiziert und gefördert. Zum 1. Januar 2000 wurde das Programm schwerpunktmäßig auf die Eingliederung Jugendlicher in den ersten Arbeitsmarkt hin ausgerichtet. So ergibt sich für das laufende Jahr folgende Situation: Gut 28 000 Eingliederungen in den ersten Arbeitsmarkt konnten mit Lohnkostenzuschüssen vorgenommen werden. Mehr als 17 000 Jugendliche sind in Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eingetreten. Fast 14 000 Jugendliche wurden in Trainingsmaßnahmen nach Art. 7 integriert, um in einem systematischen Findungsprozess die beruflichen Neigungen und Fähigkeiten junger Menschen ganz gezielt herauszuarbeiten. Damit müssen Sie sich, liebe Oppositionskollegen, auch einmal fachlich befassen. Erst dann können Sie sich ein Urteil erlauben. ({7}) Fast 14 000 junge Menschen wurden in diesem Jahr mit „hinführenden Maßnahmen“ über soziale Betreuung gerade auch durch Streetworker, also durch eine individuelle Sozialarbeit, erreicht. Circa 10 000 Nach- und Zusatzqualifizierungen wurden und werden in diesem Jahr als Vollmaßnahmen nach Art. 7 durchgeführt. Noch nicht ausbildungsgeeignete Jugendliche werden über Praktika an die Berufsausbildung herangeführt. Die außerbetriebliche Ausbildung ist in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands nach wie vor ein ergänzendes Instrument, auf das wir vorerst nicht verzichten können. Bleibt noch zu ergänzen: Maßnahmen zum Nachholen des Hauptschulabschlusses dürfen in der Palette der Maßnahmen des Sofortprogramms nicht fehlen. ({8}) Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit hat erst kürzlich festgestellt: Das Programm hilft ausbildungs- und arbeitslosen Jugendlichen gezielt. Die Begleitforschung belegt: 27 Prozent der teilnehmenden Jugendlichen kommen aus Familien mit niedriger sozialer Stellung. Fast 15 Prozent der Teilnehmer haben keinen Schulabschluss, was eine wichtige Voraussetzung wäre, um beruflich gebildet werden zu können. 77 Prozent der Teilnehmer des Sofortprogramms waren zuvor arbeitslos, davon 45 Prozent einmal und 32 Prozent mindestens zweimal. Das zeigt: Das Programm erreicht exakt die Richtigen. ({9}) Junge Menschen werden mit dem Sofortprogramm JUMP gezielt angesprochen, geworben, motiviert und zu einem guten Teil neu ausgebildet und beschäftigt. Dass in Ostdeutschland trotz dieses Programms die Jugendarbeitslosigkeit in diesem Jahr ein Stück weit gestiegen ist, spiegelt leider die geographisch gespaltene Konjunktur des Landes wider. Der gesamtwirtschaftliche Aufschwung konnte sich aufgrund tief greifender Strukturdefizite in einzelnen Regionen des Ostens noch nicht in ausreichendem Maße durchsetzen. Während die Jugendarbeitslosigkeit im Westen im Oktober 2000 gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres um 21 000 abnahm, gab es im Osten leider einen Zuwachs von circa 15 000 jungen Menschen unter 25 Jahren. Aber ohne das Sofortprogramm - das ist die Wahrheit wäre die Jugendarbeitslosigkeit in den neuen Ländern wesentlich stärker - ein Teil der Expertinnen und Experten sagt sogar: explosionsartig - gestiegen. Gemäß den Empfehlungen des Spitzengespräches im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit vom 10. Juli 2000 wurden in das JUMP-Programm zusätzlich Mobilitätshilfen für Jugendliche aufgenommen und vom Kabinett im Herbst entsprechend beschlossen. Jugendliche, die mindestens drei Monate arbeitslos sind, können durch diese Mobilitätshilfen zusätzliche Unterstützung erhalten, wenn ihr neuer Arbeitsplatz mindestens 100 Kilometer oder wenigstens eineinhalb Stunden einfache Fahrzeit - vom alten Wohnort entfernt liegt. Mit einer Verwaltungsvereinbarung - darauf hat Herr Minister Walter Riester schon hingewiesen - wird die Bundesregierung sicherstellen, dass die Mittel für das Sofortprogramm im Jahr 2001 zu 50 Prozent in die neuen Länder fließen, also schwerpunktmäßig dort eingesetzt werden, wo es die jungen Menschen ganz besonders nötig haben. ({10}) Das Programm wird - das ist bedeutend - im Jahr 2001 in einem Volumen von 2 Milliarden DM fortgeführt, wovon - auch das ist interessant - 800 Millionen DM aus dem Europäischen Sozialfonds refinanziert werden. Jungen Menschen, die aufgrund fehlender Voraussetzungen vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind bzw. den Zugang dazu nicht gefunden haben, eröffnet diese Bundesregierung auch weiterhin die Chance zum Einstieg in Beruf und Gesellschaft. Über den Beruf Lebensperspektiven zu entwickeln bedeutet, dass junge Menschen neben dem Fachwissen auch soziale Kompetenz erlangen. Ich betone das deshalb, weil das Sofortprogramm damit auch ein Projekt gegen die Versuche des Rechtsradikalismus in diesem Land ist, Jugendliche für sich, also für die falsche Seite, zu vereinnahmen. Das zählt auf jeden Fall doppelt. Ich bedanke mich. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Johannes Singhammer.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im „Spiegel“ dieser Woche ist eine Einschätzung der Konzeption rot-grüner Regierungspolitik aus dem Regierungslager zu lesen. Der Urheber will sich nicht mit Namen dazu bekennen. Darin heißt es: Wir bauen ein Auto, ohne einen Plan zu haben. Am Schluss haben wir das Auto, nur das Lenkrad ist nicht in Fahrtrichtung. Herr Bundesarbeitsminister Riester, bei Ihnen könnte man hinzufügen: Der Motor stottert, die Luft ist raus, Sie fahren auf den Felgen und das auch noch im Zickzackkurs. ({0}) Da nützt es auch nichts, wenn Ihnen der Bundeskanzler immer wieder ins Lenkrad greift. In der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode haben Sie die Nähe der Bosse gesucht. „Genosse der Bosse“ zu sein war das Ziel, das auch Sie angestrebt haben. Mit zunehmender Nähe zum Wahltermin ist eine merkwürdige Veränderung festzustellen. Jetzt wollen Sie wieder gern der Boss der Genossen sein und Sie suchen die wärmende Nähe der Gewerkschaften. Die Folge dieses Schlingerkurses ist es allerdings, dass die rot-grüne Bundesregierung nicht nur bei Arbeitnehmern, sondern auch bei Arbeitgebern jeden Tag mehr an Kredit verliert und dass es um Sie als Arbeitsminister von Tag zu Tag politisch einsamer wird. Ihr politischer Überlebenskampf wird nicht einfacher. Auch dass Sie heute den Verteidigungsstaatssekretär Kolbow mitgebracht haben, wird Ihnen nicht viel nützen. ({1}) Mit den von Ihrer Regierung als besonders herausragend und wichtig proklamierten Projekten, nämlich der Rentenreform und der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, kommen Sie nicht voran. Im Jahre 1998 haben Sie angekündigt, die Rentenreform der Regierung Kohl/Waigel, die in Kraft war, außer Kraft zu setzen und nach kurzer Zeit ein völlig neues Gebäude zu errichten. Das Erstere haben Sie getan, aber was Letzteres angeht, so liegt noch immer erst ein Entwurf vor, obwohl wir bereits über die Hälfte der Legislaturperiode hinter uns haben. Und über diesen Entwurf - das muss man auch einmal sagen - werden von Tag zu Tag mehr Kübel an Kritik ausgeschüttet, wie dies in der Rentendiskussion der vergangenen Jahre noch nie der Fall war. Ich möchte Ihnen nur eine kurze Kostprobe geben. Der sächsische LVA-Direktor, Heinz Löffler, trifft die generelle Aussage, die Rentner seien die Gewinner der deutschen Einheit gewesen. Nun ändere sich dies, denn die Rentner gerieten auf die Verliererseite. Der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, Bernd Michaels, kritisiert, dieser Zickzackkurs zerstöre das „zarte Pflänzchen an Vertrauen“. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Hajo Hoffmann, sagt, wenn Sozialhilfe als Grundrente missbraucht werde, drohe ein Anstieg der Zahl der Sozialhilfeempfänger von derzeit 180 000 auf 400 000. Und ein Zitat aus dem Bereich der Wirtschaft: Der Allianz-Vorstand Gerhard Rupprecht sagt, das Defizit der Reform liege im Handwerklichen. Wenn Ihnen das immer noch nicht reicht, so kann ich auch noch einige Stimmen aus Ihrem Lager zitieren: Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Frau Scheel, sagte, es sei naiv, zu glauben, man könne die neue Rentenformel schon im nächsten Jahr anwenden, mit der privaten Absicherung aber erst ein Jahr später starten - beides gehöre zusammen. - Recht hat sie! Kurz und knapp hat die Kritik, die hier von vielen schon zitiert worden ist, ein Plakat auf dem ÖTV-Kongress in Leipzig mit der Aufschrift: „Riesters Rente macht uns arm“ zusammengefasst. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Kritik, die aus allen Lagern kommt, die ideologisch nicht einzuordnen ist, zeigt: Diese Bundesregierung sitzt mit ihrem Entwurf buchstäblich zwischen allen Stühlen. Dieser Bundesregierung fehlt der Kompass. ({2}) Den neuen Herausforderungen dieses eben begonnenen Jahrhunderts - auch das kann man an dieser Stelle sagen - wird sie in keiner Weise, weder intellektuell noch politisch, gerecht. Was ist das Megaproblem der deutschen Sozialpolitik in den nächsten Jahren? Das Megaproblem wird darin bestehen, dass sich die Sozialpolitik auf eine völlig andere demographische Entwicklung, als wir sie im zurückliegenden Jahrhundert verzeichnen konnten, einstellen muss. Die große Veränderung wird daran deutlich, dass die Bevölkerungspyramide in den unteren Bereichen abschmilzt und ausfranst. Dies hat Folgen für die Bevölkerungspolitik und wird nicht nur die Renten-, sondern auch die Kranken- und die Pflegeversicherung massiv berühren. Der eigentliche Grund dafür, warum eine Diskussion über die Reform der Rente aufgekommen ist, ist, dass die Zahl der Beitragszahler in den kommenden Jahren zurückgehen, die Zahl derjenigen, denen zum Beispiel Leistungen aus der Rentenversicherung zustehen, aber wachsen wird. Auf dieses entscheidende Problem geben Sie eine völlig unzureichende Antwort. Sie weichen aus und sagen, dass Sie das Problem durch erhöhte Zuwanderung lösen. Aber das Problem der demographischen Entwicklung werden Sie mithilfe von Zuwanderung nicht in den Griff bekommen. ({3}) Nach Modellrechnungen der Vereinten Nationen - vielleicht glauben Sie denen, wenn Sie mir nicht glauben, Herr Hagemann; passen Sie bitte genau auf! - wäre eine jährliche Zuwanderung von sage und schreibe 3,4 Millionen Menschen nach Deutschland nötig - das entspricht der Bevölkerungszahl von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein -, um das zahlenmäßige Verhältnis der 15- bis 64-Jährigen zu den über 64Jährigen in der Balance zu halten. Eine Zuwanderung in derartiger Größenordnung befürwortet in diesem Haus Gott sei Dank niemand und würde Deutschland auch überfordern. Deshalb - jetzt komme ich zu dem entscheidenden Punkt - brauchen wir eine nachhaltige, vernetzte Politik für Familien und Kinder, gerade auch im Ressort des Arbeitsministers. ({4}) Es geht uns nicht darum, die Zahl der Deutschen zu erhöhen, sondern es geht uns darum, dass die Familien, die Kinder wollen, diesen Wunsch auch realisieren können, ohne dass dadurch der soziale Abstieg vorprogrammiert wird und sie, wenn sie selbst in Rente gehen, erhebliche Nachteile befürchten müssen. Deshalb haben wir beim Einstieg in die private Vorsorge so großen Wert darauf gelegt, dass die Familien besonders gefördert und nicht erneut benachteiligt werden. Denn nur so kann der Generationenvertrag wieder ins Gleichgewicht kommen. ({5}) Von einer schnellen und kräftigen Förderung für die Familien kann aber bei Ihnen keine Rede sein. Ich möchte nur diesen einen Punkt herausgreifen. Die hier vorgesehene Familienkomponente kommt einem Miniprogramm gleich. So beläuft sich die Kinderkomponente beispielsweise im ersten Jahr - das wäre dann 2002 - auf nur 7,50 DM pro Kind im Monat. Wie soll denn eine junge Frau, ein junger Mann eine sichere zusätzliche Altersvorsorge mit diesen minimalen Beträgen aus eigener Kraft erreichen? Völlig unverständlich ist, dass die Bezieher hoher Einkommen durch Steuerersparnisse zum Beispiel aufgrund von Abschreibungsmöglichkeiten wesentlich günstiger gestellt werden. So erhält eine allein stehende Verkäuferin mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen eine Zulage von gerade 300 DM im Jahr und auch dies wird erst im Jahr 2008 erreicht, während ein allein stehender Großverdiener bei einem Grenzsteuersatz von 50 Prozent einen Steuervorteil von 2 000 DM hat. Wenn er verheiratet ist, hat er sogar einen Vorteil von 4 000 DM. Das ist nicht das, was Sie angekündigt haben; das ist auch nicht sozial, sondern das ist ungerecht. ({6}) Damit diese Ungerechtigkeit von den Menschen in Deutschland nicht bemerkt wird, verschieben Sie aus wahltaktischen Gründen den Einstieg in die private Altersvorsorge auf das Jahr 2002. Der Trick: Die Förderung würde zwar im Jahr 2002 einsetzen, die Bilanz aber wird erst nach dem Wahljahr 2002 vorliegen. Dann wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit herausstellen, dass sich alle Ihre Ankündigungen von einer breiten Inanspruchnahme dieser privaten Vorsorge eben nicht bestätigen, weil es sich nämlich viele mit einem schmalen Geldbeutel überhaupt nicht leisten können. ({7}) Aufgrund der demographischen Gründe gibt es auch nicht den geringsten Anlass, dass sich Rot-Grün am Rückgang der Arbeitslosenzahlen berauscht und geradezu trunken vor Glück einen Erfolg proklamiert. Auch bei völligem Politikstillstand, wenn Sie die Hände in den Schoß legten und nichts täten - manchmal wäre es im Übrigen besser, Sie täten nichts statt das Falsche -, verließen Jahr für Jahr 220 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr den Arbeitsmarkt, als Jüngere in ihn neu einträten. Deshalb sind die Arbeitslosenzahlen dieser Regierung, die Sie hier als Erfolg verkaufen wollen, der Lackmustest für die Erfolglosigkeit; denn hätten Sie wirklich etwas außerhalb der demographischen Entwicklung bewirkt, dann müssten Sie mit den Arbeitslosenzahlen weit näher an der 3-Millionen-Marke angekommen sein, als dies jetzt der Fall ist. ({8}) Kommen wir noch zu dem zweiten großen Vorhaben, der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. Vor der Bundestagswahl versprach dieser Bundeskanzler den Gewerkschaften eine weitgehende Umsetzung der damals schon vorliegenden gewerkschaftlichen Forderungen. Schließlich hat man diesen Bundeskanzler im Wahlkampf ja mit 8 Millionen DM unterstützt. ({9}) Mit dem Start des Bündnisses für Arbeit war allerdings klar, dass die Arbeitgeber es nicht hinnehmen werden, wenn die gewerkschaftlichen Vorstellungen detailgenau umgesetzt werden. Deshalb wird nun die Vorlage des Entwurfes für ein geändertes Betriebsverfassungsgesetz ständig weiter verschoben. Es werden Eckpunkte vorgelegt, sie werden auch einmal präzisiert, aber ein echter Entwurf, den dieses Hohe Haus schon längst einmal sehen wollte, kommt nicht, weil Sie die Auseinandersetzung scheuen. ({10}) Herr Bundesarbeitsminister, das ist das politische BSE-Prinzip: aussitzen, abwarten und hoffen, dass die Katastrophe nicht eintritt. Aber damit werden Sie nicht sehr weit kommen. Deshalb möchte ich Sie fragen, Herr Bundesarbeitsminister: Wie sieht denn nun Ihr Entwurf letztendlich aus? Was haben Sie denn in den Schubladen? Welche Auswirkungen werden Ihre Vorschläge für den Standort Deutschland haben? Werden die Mitbestimmungstatbestände jetzt ausgeweitet oder nicht? Wird die maßgebliche Zahl der Arbeitnehmer -, ab der ein Betriebsrat gegründet werden muss, verändert oder nicht? ({11}) Wird mehr reguliert, wird mehr bürokratisiert oder weniger? Wie sieht das Verfahren bei den Betriebsratswahlen aus? Und, Herr Bundesarbeitsminister: Was geschieht hinsichtlich dieser Fragen in Nizza? ({12}) In Nizza soll der Bereich der Mitbestimmung in die Reihe der durch Mehrheitsentscheid zu regelnden Bereiche überführt werden. Das heißt in der Konsequenz: Wenn es dabei bliebe, wenn dieser Bereich in eine Mehrheitsentscheidung überführt würde, würde die letzte Entscheidung eben nicht mehr hier im Deutschen Bundestag getroffen, sondern in Brüssel. Welche Auswirkungen hat das auf die Mitbestimmung? Welche Auswirkungen hat das auf das Betriebsverfassungsgesetz? - Dazu brauchen wir von Ihnen endlich einmal eine Auskunft! Es wundert nicht, wenn die Menschen in Deutschland mit dieser Art von Politik immer weniger zufrieden sind. Eine Emnid-Umfrage aus der letzten Woche belegt dies. Speziell für Ihren Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik fällt die Beurteilung besonders schlecht aus. Nur ein Drittel der Bürger bejaht die Frage, ob die sozial Schwachen von der Politik der Bundesregierung profitiert haben. Die Mehrheit sieht in Ihrer Politik also das Gegenteil von dem, was Sie versprochen haben. Herr Bundesarbeitsminister, es wird kälter in Deutschland. Sie tragen die Verantwortung dafür. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nun der Kollegin Katrin Göring-Eckardt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Singhammer, es stimmt, dass es in Deutschland kälter wird. Das hat aber mit der Jahreszeit und ganz sicher nicht mit unserer Sozialpolitik zu tun. ({0}) Lassen Sie mich auf ein paar Punkte eingehen, die Sie angesprochen haben. Sie haben gesagt, die demographische Entwicklung werde uns stark beschäftigen. Das tut sie in der Tat - im Gegensatz zu der damaligen Regierung. Sie haben ferner gesagt, Menschen mit kleinem Geldbeutel und Menschen mit Kindern könnten sich eine private Vorsorge nicht leisten. Herr Singhammer, finden Sie es falsch, dass wir mit der privaten Vorsorge und ihrer Förderung langsam einsteigen, weil wir der Meinung sind, dass sich die Menschen erst darauf einstellen müssen? Finden Sie es falsch, dass beispielsweise eine allein erziehende Frau am Ende der Förderung mehr als 1 000 DM als private Zusatzrente bekommt, wenn sie monatlich jeweils etwa 10 DM für die private Vorsorge eingesetzt hat? ({1}) Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das falsch finden. Frau Schwaetzer, auf Sie gehe ich heute nicht ein. Das, was Sie heute hier gesagt haben, beinhaltete nichts, was man als Konzept bezeichnen könnte. Sie haben lediglich der Union vorgeworfen, sie würde anstreben, mit einem Rentenbeitrag von 20 Prozent ein Rentenniveau von über 64 Prozent zu halten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Sie in der Vergangenheit gesagt haben, man könne mit 18 Prozent Beitrag auskommen. Aber über das Rentenniveau haben Sie sich nie geäußert. Da Sie darauf auch heute nicht eingegangen sind, möchte ich mich mit Ihrer Rede auch nicht beschäftigen. ({2}) Aber ich möchte mich gerne mit Ihrem Kollegen Herrn Kolb beschäftigen. Er hat nämlich gesagt, die Rente für Frauen werde sich nicht verbessern. ({3}) Diese Feststellung ist eine riesige Fehleinschätzung. ({4}) Wir werden mit unserer Rentenreform nämlich zum ersten Mal dafür sorgen, dass es keine unterbrochenen Rentenbiografien für Frauen mehr gibt. Darauf haben die Frauen sehr lange gewartet. Wir machen das und schaffen das auch. Das ist die Wahrheit. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich denke, wir sollten mit der Debatte zum Schluss kommen. ({0}) Ich würde gerne noch auf einen Beitrag eingehen, der gestern im „Tagesspiegel“ zu lesen war, und zwar vom Kollegen Blüm. Ich weiß nicht, warum er in dieser Debatte nicht redet. Ich gehöre dem Bundestag ja erst seit dieser Legislaturperiode an und hätte ihn gern als Redner erlebt. Herr Blüm, Sie haben in diesem Beitrag ein paar Punkte angesprochen, auf die man eingehen muss. Sie haben gesagt, die Rentenreform sei Willkür. Das ist falsch: Die Rentenreform ist nicht Willkür, sondern sie reagiert auf die gegebene demographische Entwicklung und gleicht über die private Vorsorge das aus, was der jungen Generation später fehlt und was sie deshalb zusätzlich braucht. Sie haben darüber hinaus gesagt, die junge Generation werde benachteiligt. Von allen Seiten wurden heute Gutachten angeführt. Ich möchte einen Wissenschaftler zitieren, der wohl von Herrn Seehofer zur Anhörung eingeladen wurde, nämlich Herrn Raffelhüschen. Dieser Wissenschaftler, der Generationenbilanzen erstellt - das ist ja ein großes Anliegen von Ihnen -, kommt in seiner neuesten Generationenbilanz, die auf dem beruht, was wir im Zuge der Rentenreform vorgeschlagen haben, zu dem Schluss: „Die Lasten für Jung und Alt werden gleichmäßig verteilt.“ Er weist diesen Sachverhalt in Zahlen nach, was ich aufgrund der Kürze meiner Redezeit nicht machen kann. ({1}) Der Artikel über unsere Rentenreform, der in der „Wirtschaftswoche“ erschienen ist, trägt die Überschrift „Der Stein der Weisen“. Wir hätten es nicht gewagt, unsere Reform so zu beurteilen. ({2}) Es gibt noch einen ähnlichen Artikel, der die Überschrift „Expertenlob“ trägt. Herr Singhammer, auch diesen sollten Sie sich einmal zu Gemüte führen. In diesem Artikel wird von nicht Rot-Grün nahen Wissenschaftlern berichtet, denen man nicht unterstellen kann, dass sie uns nach dem Munde reden. Vielmehr handelt es sich um diejenigen Wissenschaftler, von denen Sie sich beraten lassen. Dann lassen Sie sich bitte auch hier beraten. Diese Reform hält, was sie verspricht, nämlich den Ausgleich zwischen Jung und Alt. Sie führt die Generationengerechtigkeit in diesem Land endlich wieder ein. Das ist die Wahrheit. ({3}) Ich möchte zum Schluss auf das zu sprechen kommen, was Sie zum Thema Arbeitsmarkt gesagt haben. Wir haben nie festgestellt, dass wir mit dem, was wir erreicht haben, zufrieden sein können. Aber wir haben einen Anfang gemacht und wir werden weitermachen. Darauf kommt es an. Wir werden weitermachen mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen mithilfe des JUMPProgramms. Wir werden weitermachen mit den Reformen am ersten Arbeitsmarkt. Wir werden die Lohnnebenkosten senken. Sie wissen ganz genau, dass es darauf ankommt. Es geht eben nicht um das Motto: von der einen Tasche in die andere Tasche. Was Sie mit der Mehrwertsteuer gemacht haben, bedeutete, in die Rentenversicherung zu zahlen, wenn man Kinderkleidung, Nahrungsmittel oder sonst etwas gekauft hat. Wir sagen Ja zur Ökosteuer. Energie zu verteuern und die Lohnnebenkosten zu senken - das ist der richtige Ansatz. ({4}) Wir sagen: Der erste Arbeitsmarkt muss auch den Behinderten offen stehen. Deswegen führen wir entsprechende Maßnahmen durch. Wir wollen weniger Arbeitslose. Das bisher Erzielte reicht noch nicht; wir müssen weitermachen. Die Bilanz wird 2002 gut aussehen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir auch danach noch weitermachen werden mit der Senkung der Lohnnebenkosten, mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit und mit sozialer Wärme in diesem Land, Herr Singhammer. Vielen Dank. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Kurzintervention des Kollegen Dr. Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin GöringEckardt, ausweislich des Sachverständigengutachtens, das Sie in Auftrag gegeben haben und das Sie auch wohl bezahlen werden, ist es so, dass sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den letzten Jahren - der Stichtag ist genannt worden: 1. Mai dieses Jahres in Deutschland um etwa 4 Millionen erhöht hat. Das sind 4 Millionen Menschen, die vorher in geringfügiger Beschäftigung waren und jetzt von Ihnen in den Kreis der Sozialversicherungspflichtigen aufgenommen worden sind. ({0}) Diese 4 Millionen Arbeitsverhältnisse waren für Sie, als Sie noch in der Opposition waren, regelmäßig ein rotes Tuch. Sie haben uns immer wieder vorgejammert, es sei unerträglich, dass Menschen in solch schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen seien. Sie haben sich auch um die Rentenversicherungen gerade von Frauen gesorgt, die sehr häufig von dieser Art Beschäftigungsverhältnis Gebrauch machen. Frau Göring-Eckardt, als ich das letzte Mal nachgesehen habe, waren es zwischen 3 und 4 Prozent der geringfügig Beschäftigten, die jetzt sozialversicherungspflichtig sind, die von Ihrem Angebot Gebrauch gemacht haben, durch zusätzliche Beiträge einen eigenen Rentenanspruch zu erwerben. Man muss den Menschen sagen: Die Sozialversicherungsbeiträge, die jetzt abgeführt werden, werden in der Regel nicht zum Aufbau eines Rentenanspruchs der geringfügig Beschäftigten verwendet. Vielmehr hat man nur dann, wenn man zusätzlich zahlt, einen Anspruch auf eine geringfügige Rente. - Ich höre gerade, der aktuelle Stand beträgt etwa 7 Prozent. Sind Sie bereit, mir zuzustimmen, dass Sie mit Ihrer Regelung offensichtlich ein Problem gelöst haben, das überhaupt nicht bestand, dass Ihre Regelung zumindest an den berechtigten Interessen der betroffenen Menschen vorbeigegangen ist? Sonst hätten mehr als bisher davon Gebrauch gemacht. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zur Erwiderung Kollegin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, Herr Kolb, dazu bin ich nicht bereit. Ich glaube nämlich, ({0}) dadurch, dass wir die geringfügig Beschäftigten sozialversichert haben, können erstens eigene Rentenansprüche erworben werden. Zweitens: Durch eine Reihe von wichtigen Maßnahmen innerhalb der Rentenreform können eigenständige Renten der Frauen gesichert werden. Drittens - Frau Kollegin Dückert hat vorhin darauf hingewiesen haben wir von allen Experten bestätigt bekommen - darauf kommt es bei Ihrer Argumentation an -, dass bereinigt um diese Arbeitsverhältnisse und und um all diejenigen, die neu auf den Arbeitsarkt gekommen sind, die Arbeitslosigkeit in Deutschland deutlich zurückgegangen ist. Ich glaube, dass Ihre Argumentation an dieser Stelle ziemlich schräg ist und dass wir auf dem richtigen Weg sind. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Letzter Redner in dieser Debatte ist nunmehr Kollege Franz Thönnes für die SPD-Fraktion. Dann haben wir zwei namentliche Abstimmungen.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir in den letzten zwei Stunden von den Rednern der Opposition erfahren haben, dass sie nach zwei Jahren in der Opposition schon wieder alles besser wissen, muss man sich die Frage stellen: Warum haben Sie es denn in den letzten zwei Jahren Ihrer Regierungszeit nicht besser gemacht? ({0}) Ich muss Ihnen klar sagen: Diese Republik braucht keine Besserwisser, sie braucht Bessermacher! ({1}) Deshalb arbeitet diese Regierung jetzt sehr solide am Abbau der Arbeitslosigkeit. ({2}) Das Thema Arbeit ist das Thema Nummer eins in Deutschland. Die Menschen begreifen Arbeit als eine Chance, an dem gesellschaftlichen Gestaltungsprozess teilzunehmen. Arbeit ist eine zentrale Voraussetzung, um die Lebensbedingungen aktiv gestalten zu können: Wohnung, Kultur oder gesellschaftliches Leben. ({3}) Deswegen hat diese Regierung den Abbau der Arbeitslosigkeit auf Platz eins ihres Arbeitsprogramms gestellt. ({4}) Diese Regierung ist erfolgreich; wir haben in zwei Jahren die Zahl der Erwerbstätigen um 1 Million und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 460 000 erhöht und gleichzeitig die Zahl der Arbeitslosen um 390 000 im Jahresdurchschnitt gesenkt. Wenn Kollege Kolb die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in diese Zahlen hineinrechnet, muss ich ihm entgegenhalten: Zu diesem Personenkreis zählen viele, die ihre Nebenbeschäftigung aufgegeben haben - praktisch eine Überstundenreduzierung durchgeführt haben - oder als Schüler, Rentner oder Hausfrauen durch die gesetzliche Regelung sozialversicherungspflichtig wurden. Wir haben einen echten Beschäftigungszuwachs in diesem Land. ({5}) Der Sachverständigenrat bestätigt die Politik dieser Regierung, indem er für das Jahr 2001 einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit um 200 000 Menschen - die Arbeitslosenquote wird damit auf 9,1 Prozent sinken und einen Anstieg der Beschäftigungsquote um 400 000 prognostiziert. Das sind Größenordnungen, von denen Sie nur geträumt haben. ({6}) Die Sachverständigen führen diese Entwicklungen auf die gute Finanz- und Steuerpolitik dieser Bundesregierung zurück; sie bezeichnen sie als Ergebnis der gestiegenen Binnennachfrage mit einer Steuerentlastung von 46 Milliarden DM für die Menschen in diesem Land. ({7}) Das ist das gute Zusammenwirken von Finanz-, Steuer-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, das Sie nie geschafft haben. Alle Elemente müssen zusammen begriffen und dürfen nicht, so wie Sie das gemacht haben, separat betrachtet werden. ({8}) Wir sind mit der vorliegenden Situation nicht zufrieden. Wir geben uns keiner Selbstzufriedenheit hin, sondern investieren weiter in eine aktive Arbeitsmarktpolitik. In Ihrer Regierungszeit sind bei weit über 4 Millionen Arbeitslosen nicht so viel Finanzmittel in die aktive Arbeitsmarktpolitik geflossen wie bei uns. Sie haben 37 Milliarden DM bei 4,4 Millionen Arbeitslosen investiert, während wir jetzt - die Arbeitslosenquote ist um 7 Prozent gesunken - 44,5 Milliarden DM bei 3,9 Millionen Arbeitslosen investieren. ({9}) Sie haben die ganze Zeit die wirklich gute Arbeit des Bündnisses für Arbeit verschwiegen. Im Bündnis für Arbeit tragen die Tarifvertragsparteien für die Beschäftigungspolitik in Deutschland eine gemeinsame Verantwortung. Das Bündnis für Arbeit ist damit Ausdruck einer sozialen Marktwirtschaft, die alle betroffenen Parteien - bei allen Interessengegensätzen - an einen Tisch bringt, weil sie Bereitschaft und Verantwortung zeigen. Das ist das Gegenbeispiel von Spaltung und einseitiger Interessenwahrnehmung, wie es in Ihrer Regierungszeit der Fall gewesen ist. ({10}) Mein Kollege Schurer hat zu dem JUMP-Programm eigentlich alles gesagt. Dieses Programm ist beim Abbau der Jugendarbeitslosigkeit erfolgreich gewesen: Die Arbeitslosenquote junger Menschen hat sich um 9 Prozent verringert. Auch das ist im Konsens mit den Arbeitgebern und den Gewerkschaften erfolgt. Die große Bedeutung dessen, in die Zukunft junger Menschen zu investieren, wird auch am Beispiel eines anderen Feldes der Regierungspolitik deutlich: Wir hatten 1998 341 000 BAföG-Empfänger; immer weniger Kinder aus Arbeitnehmerhaushalten konnten in den Genuss dieser Förderung kommen. Wir sorgen jetzt mit unserer Politik dafür, dass im Jahre 2001 fast 450 000 junge Menschen vom BAföG profitieren können. ({11}) Wir machen das, weil wir es den Wählerinnen und Wählern versprochen haben. Wir sind der Auffassung, dass gut ausgebildete junge Menschen ein wichtiger Faktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland sind. Die Zukunft der Kinder in unserem Land soll nie wieder vom Geldbeutel der Eltern, sondern von dem, was in ihren Köpfen ist, abhängen. Das ist unser Verständnis von Chancengleichheit. ({12}) Bei Besuchen, die ich in den letzten Wochen beim Arbeitsamt meines Bezirks gemacht habe, habe ich eine schreckliche Erfahrung gemacht, die uns alle zum Nachdenken bringen sollte. Überall sagen die Vermittler - die Schicksale von Arbeitslosen bestätigen uns das -, dass wir die Frage stellen müssen: Was ist das Alter in unserer Gesellschaft noch wert? Ich vermag nicht einzusehen, warum Arbeitslose von 50 Jahren zum alten Eisen gehören sollen. ({13}) Das ist das Ergebnis eines ständigen Werteverfalls in dieser Gesellschaft, für den Ihre Regierung mit verantwortlich ist. ({14}) Sich heute hierhin zu stellen und über deutsche Leitkultur zu reden ist völlig unangemessen. Diskutieren Sie einmal über eine Wertekultur, bei der deutlich wird, was das Alter wert ist, was es wert ist, das Gemeinwesen dieser Gesellschaft solidarisch zu gestalten. Diskutieren Sie einmal darüber, was Solidarität und Individualität bedeuten, was Eigenverantwortung und gesellschaftliche Verantwortung bedeuten. ({15}) Und diskutieren Sie darüber, was Menschenwürde und Sozialstaatlichkeit bedeuten. Das sind die Fragen, die gestellt werden müssen. ({16}) Gestern haben wir zum Schluss der Debatte vom Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU eine neue Sandkastenspieltheorie erlebt. Es wurden zwei Angebote gemacht. Es gab den interessanten Vorschlag, ältere Arbeitnehmer sollten bei der Einstellung auf ihren Kündigungsschutz verzichten und stattdessen eine Abfindung vereinbaren. Wissen Sie, was Sie hier betreiben? Sie befördern eine für die Arbeitslosenversicherung höchst gefährliche Entwicklung. Der schieben Sie am Ende die gescheiterten Fälle aus diesem Prozess zur Finanzierung zu. Außerdem erwecken Sie dadurch den Eindruck, als seien Kündigungen am Ende nicht möglich. Betriebsbedingte Kündigungen sind immer dann, wenn es keine andere Möglichkeiten für ein Unternehmen gibt, durchaus im Bereich des Möglichen. Ich sage Ihnen, was mit Ihren Vorschlag erreicht wird: Ältere Arbeitnehmer werden zum Freiwild auf dem Arbeitsmarkt. Das steckt dahinter. Diese Philosophie wird die Sozialdemokratie nicht mitmachen. Flexibilität und Sicherheit ja, aber nicht die Arbeitnehmer als Freiwild und als Kostenfaktor hinstellen. ({17}) Der zweite Vorschlag, der gemacht wurde, war höchst interessant. Aus dem Mund von Herrn Merz haben wir erfahren, dass die deutsche Arbeitslosenversicherung, die sich sehr bewährt hat, abgeschafft werden soll. ({18}) Nicht anders, Kollege Laumann, ist sein Vorschlag zu verstehen, dass ein Optionsmodell entwickelt werden soll, dass sich Arbeitslose so versichern können, wie das Risiko der Beschäftigung ist, wobei unterschiedliche Tarife vereinbart werden können. Nein, das ist nicht zuzulassen, weil das bedeutet, dass die geringen Risiken aus der Solidarversicherung herausgenommen werden, dass die Beschäftigungsverhältnisse mit größerem Risiko mit immer höheren Beiträgen belastet werden, dass die größeren Betriebe mit ihren größeren Arbeitsmärkten Vorteile gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen haben und dass die Frage bewertet werden muss, wer das Risiko der möglichen Arbeitslosigkeit einschätzt. Die Individualisierung, die Sie predigen, trägt dazu bei, dass der Arbeitgeber einen noch viel stärkeren Druck auf die Mitarbeiter, vor allem die älteren, ausüben kann. Das ist mit uns nicht zu machen. ({19}) Der Arbeitgeber geht kein Risiko ein. Am Ende soll der ältere Arbeitnehmer das Gesamtrisiko tragen. Das ist in unserem Sozialstaat unsolidarisch. ({20}) An dieser Stelle sage ich, dass sich die solidarische Arbeitslosenversicherung in Deutschland bewährt hat. Eine Spaltung werden wir nicht zulassen, weil wir an dieser Stelle nicht wollen, dass Sie Ihre Politik, für die Sie abgewählt worden sind, mit der Sie die Versicherungssysteme fast gegen die Wand gefahren haben, im Deutschen Bundestag weiterpraktizieren. Für uns steht auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik ganz vorne an: Wir werden weiterhin dafür sorgen, Freiheit zu garantieren, Gerechtigkeit zu praktizieren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu organisieren. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst werden wir über die Änderungsanträge abstimmen. Abstimmung über den Änderungsantrag der CDU/ CSU auf Drucksache 14/4786. Die Fraktion der CDU/ CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben. Wir setzen die Abstimmungen fort. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4806. Die Fraktion der F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihres Amtes zu walten und die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben. Wir setzen die Abstimmungen fort. ({0}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erbitte Ihre Aufmerksamkeit für mündliche Abstimmungen. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4805. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4793. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4794. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4795. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4796. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung. ({1}) ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4786 bekannt. Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt 265 Abgeordnete. Mit Nein haben gestimmt 315 Abgeordnete. Es gab keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 580; davon ja: 266 nein: 314 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Dankward Buwitt Manfred Carstens ({1}) Peter H. Carstensen ({2}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({3}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Gerhard Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({7}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({8}) Hansgeorg Hauser ({9}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({10}) Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({11}) Dr. Klaus W. Lippold ({12}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({13}) Julius Louven Erich Maaß ({14}) Erwin Marschewski ({15}) Dr. Martin Mayer ({16}) Dr. Michael Meister Friedrich Merz Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({17}) Elmar Müller ({18}) Bernd Neumann ({19}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({20}) Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({21}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({22}) Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({23}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({24}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({25}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Gerhard Schulz Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Dr. Rita Süssmuth Gunnar Uldall Arnold Vaatz Angelika Volquartz Peter Weiß ({26}) Gerald Weiß ({27}) Heinz Wiese ({28}) Hans-Otto Wilhelm ({29}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({30}) Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich ({31}) Rainer Funke Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({32}) Dr. Karlheinz Guttmacher Walter Hirche Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({33}) Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle PDS Dr. Dietmar Bartsch Maritta Böttcher Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Klaus Grehn Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Pia Maier Angela Marquardt Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Winfried Wolf Nein SPD Brigitte Adler Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({34}) Klaus Barthel ({35}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({36}) Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({37}) Bernhard Brinkmann ({38}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({39}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Christel Deichmann Karl Diller Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({40}) Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Peter Friedrich ({41}) Lilo Friedrich ({42}) Harald Friese Anke Fuchs ({43}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({44}) Angelika Graf ({45}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({46}) Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({47}) Walter Hoffmann ({48}) Iris Hoffmann ({49}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({50}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Christian Lange ({51}) Detlev von Larcher Christine Lehder Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({52}) Christa Lörcher Erika Lotz Dieter Maaß ({53}) Winfried Mante Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({54}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({55}) Jutta Müller ({56}) Christian Müller ({57}) Franz Müntefering Andrea Nahles Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Michael Roth ({58}) Birgit Roth ({59}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({60}) Ulla Schmidt ({61}) Silvia Schmidt ({62}) Dagmar Schmidt ({63}) Heinz Schmitt ({64}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({65}) Brigitte Schulte ({66}) Reinhard Schultz ({67}) Volkmar Schultz ({68}) Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({69}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({70}) Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({71}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({72}) Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({73}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({74}) Helmut Wieczorek ({75}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({76}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Verena Wohlleben Hanna Wolf ({77}) Waltraud Wolff ({78}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gila Altmann ({79}) Marieluise Beck ({80}) Volker Beck ({81}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({82}) Joseph Fischer ({83}) Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Michaele Hustedt Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({84}) Winfried Nachtwei Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({85}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({86}) Werner Schulz ({87}) Christian Simmert Christian Sterzing Dr. Antje Vollmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({88}) Vizepräsidentin Petra Bläss Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571 davon ja: 33 nein: 538 Ja CDU/CSU Dr. Reinhard Göhner F.D.P. Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({89}) Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich ({90}) Rainer Funke Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({91}) Dr. Karlheinz Guttmacher Walter Hirche Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({92}) Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Nein SPD Brigitte Adler Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({93}) Klaus Barthel ({94}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({95}) Klaus Brandner Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({96}) Bernhard Brinkmann ({97}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({98}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Christel Deichmann Karl Diller Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({99}) Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Peter Friedrich ({100}) Lilo Friedrich ({101}) Harald Friese Anke Fuchs ({102}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({103}) Angelika Graf ({104}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({105}) Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({106}) Walter Hoffmann ({107}) Iris Hoffmann ({108}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({109}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Christian Lange ({110}) Detlev von Larcher Christine Lehder Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Götz-Peter Lohmann ({111}) Christa Lörcher Erika Lotz Dieter Maaß ({112}) Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({113}) Jutta Müller ({114}) Christian Müller ({115}) Franz Müntefering Andrea Nahles Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Michael Roth ({116}) Birgit Roth ({117}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({118}) Ulla Schmidt ({119}) Silvia Schmidt ({120}) Dagmar Schmidt ({121}) Wilhelm Schmidt ({122}) Heinz Schmitt ({123}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Olaf Scholz Karsten Schönfeld Nun gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4806 bekannt. Abgegebene Stimmen 572. Mit Ja haben gestimmt 33, mit Nein haben gestimmt 539. Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt. Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({124}) Brigitte Schulte ({125}) Reinhard Schultz ({126}) Volkmar Schultz ({127}) Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({128}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({129}) Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({130}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({131}) Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({132}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({133}) Helmut Wieczorek ({134}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({135}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Verena Wohlleben Hanna Wolf ({136}) Waltraud Wolff ({137}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Wolfgang Börnsen ({138}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Dankward Buwitt Manfred Carstens ({139}) Peter H. Carstensen ({140}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({141}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({142}) Axel E. Fischer ({143}) Dr. Gerhard Friedrich ({144}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({145}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({146}) Hansgeorg Hauser ({147}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({148}) Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({149}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({150}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({151}) Erich Maaß ({152}) Erwin Marschewski ({153}) Dr. Martin Mayer ({154}) Dr. Michael Meister Friedrich Merz Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({155}) Elmar Müller ({156}) Bernd Neumann ({157}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Eduard Oswald Norbert Otto ({158}) Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({159}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({160}) Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({161}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({162}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({163}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Gerhard Schulz Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({164}) Ich bitte jetzt diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dem Einzelplan 11 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 11 angenommen. Ich rufe nun auf: III. 20 Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit - Drucksachen 14/4514, 14/4521 Berichterstattung: Abgeordnete Walter Schöler Matthias Berninger Jürgen Koppelin Dr. Barbara Höll Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU/CSU hat jetzt der Kollege Aribert Wolf das Wort.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Jahren konnten wir noch stolz sein auf das deutsche Gesundheitswesen. Wir waren auch international hoch angesehen, teilweise sogar Vorbild für die Länder in Osteuropa. Heute, nach nur zwei Jahren rot-grüner Bundesregierung, hat unser Gesundheitswesen massiv an Ansehen verloren. ({0}) Wenn heute Experten wie der Kölner Gesundheitsökonom Professor Lauterbach eine Bestandsaufnahme machen, dann klingt das so: Das deutsche Gesundheitswesen ist zwar teuer, aber medizinisch nur Mittelmaß. Meine Damen und Herren, nach 25 Monaten rot-grüner Budgetierungspolitik hat das deutsche Gesundheitswesen einen rasanten Abstieg von der Champions League in die Kreisklasse hinter sich. Eine richtige Linie und klare Zielvorstellungen sind in der Gesundheitspolitik von Rot-Grün nicht erkennbar. Ähnlich wie bei der Rente taumelt man orientierungslos hin und her und lässt viele Probleme einfach liegen. Man versucht, sich wie im Irrgarten ein Stückchen voranzutasten, aber den richtigen Weg hat man noch lange nicht gefunden. Wenn heute Experten sagen, wir seien medizinisch nur noch Mittelmaß in Deutschland, dann sagen sie es nicht deswegen, weil unsere Ärzte plötzlich all das verlernt haben, was sie in den Jahren vorher positiv geleistet haben, sondern weil Rot-Grün die Rahmen- und Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert hat. ({1}) Es geht um einen Würgegriff von zwei Seiten. Auf der einen Seite lässt Rot-Grün zu, dass dem Gesundheitswesen Geld entzogen wird und der ohnehin enge finanzielle Spielraum der Kassen noch weiter eingeengt wird. Auf der anderen Seite - der Ausgabenseite - würgt man die Ärzte durch eine gnadenlose Budgetierung und nimmt den in den Heilberufen Tätigen und all denen, die sich im Gesundheitswesen positiv einbringen, die Motivation und das Engagement, auf Deutsch: die Freude am Beruf. ({2}) Wenn im Fußball zum Beispiel jemand auf die Idee käme, einen Leistungsträger, einen hervorragenden SpieVizepräsidentin Petra Bläss Dr. Rita Süssmuth Gunnar Uldall Arnold Vaatz Angelika Volquartz Peter Weiß ({3}) Gerald Weiß ({4}) Heinz Wiese ({5}) Hans-Otto Wilhelm ({6}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gila Altmann ({7}) Marieluise Beck ({8}) Volker Beck ({9}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({10}) Joseph Fischer ({11}) Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Michaele Hustedt Monika Knoche Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller ({12}) Winfried Nachtwei Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({13}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({14}) Werner Schulz ({15}) Christian Simmert Christian Sterzing Dr. Antje Vollmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({16}) PDS Dr. Dietmar Bartsch Maritta Böttcher Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Klaus Grehn Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Pia Maier Angela Marquardt Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Winfried Wolf ler, der mehr leistet als der Durchschnitt, zurückzupfeifen und ihm zu sagen, er müsse langsamer und schlechter spielen und dürfe nicht so schnell rennen, dann würde jeder sagen: Derjenige, der so etwas vorschlägt, spinnt doch. Genau dies aber bewirkt die Budgetierung im Medizinbetrieb. Jeder Arzt, der bereit ist, mehr zu leisten, mehr zu geben und mehr Patienten zu bekommen, wird von der Budgetierung auf das Mittelmaß zurückgepfiffen. Er muss erkennen, dass er, wenn er sich mehr anstrengt, auffällt und dann kontrolliert wird. Das verhagelt die Stimmung. ({17}) Bei uns war die Gesundheitspolitik noch ein Aktivposten der Regierung. ({18}) Seehofer war hoch angesehen, da können Sie schreien, was Sie wollen. Wir sehen ja heute noch, wie gern viele wieder Horst Seehofer als Gesundheitsminister zurückhaben wollen. Vielleicht wird es eines Tages auch so kommen, Sie werden es erleben. ({19}) Bei Rot-Grün - auch das pfeifen mittlerweile die Spatzen von den Dächern - ist die Gesundheitspolitik ein Schwachpunkt, ist Ballast, ist geradezu die Achillesferse der Regierung Schröder. Eigentlich kann uns die liebe Frau Fischer fast Leid tun. Sie ist als Quotenfrau ins Ministerium gerutscht. ({20}) Das Gesundheitswesen ist bekannt als Haifischbecken. Nur wer fachlich sattelfest ist, kann sich darin entsprechend profilieren. Blicken wir zurück, wie es anfing: Zuerst gab es die Querschüsse von SPD-Dressler, dann kam das Gemäkel aus der eigenen grünen Partei. Wenn der Kanzler eine Abschussliste durchsickern lässt, steht Frau Fischer immer ganz oben. Das schwächt natürlich. Und irgendwo tut es einem menschlich fast Leid. Aber wir müssen sehen, dass ihre politische Schwäche verheerende Auswirkungen auf unser Gesundheitswesen hat. Weil die Gesundheitsministerin politisch so schwach ist, kann sie nicht verhindern, dass andere Minister unsere Kranken- und Pflegeversicherung wie eine Weihnachtsgans finanziell ausnehmen. ({21}) Wenn Sie sehen, wie viel Geld, das dringend für die Versorgung von Kranken und Pflegebedürftigen benötigt wird, heute abgezwackt, umgeleitet und zur Haushaltssanierung missbraucht wird, dann wird Ihnen klar, welch gewaltige Summen Rot-Grün der Kranken- und Pflegeversicherung entzieht. ({22}) Ich darf nur ein paar Dinge nennen. Allein 500 Millionen DM klaut man den Pflegebedürftigen, weil der Staat weniger Beiträge für die Arbeitslosen bezahlt. Die Schwächsten müssen dafür büßen, dass Frau Fischer so schwach ist. Das ist die Wahrheit. ({23}) Das gleiche Spiel läuft in der gesetzlichen Krankenversicherung ab. 1,2 Milliarden DM fehlen der GKV künftig, weil für Arbeitslosenhilfeempfänger weniger Geld in die Kassen fließt. 600 Millionen DM fehlen der Krankenversicherung durch die Kürzung der Renten. Noch nicht abzuschätzen sind die Millionenbeträge, die jetzt durch die Einführung der beitragsfreien Mitversicherung für Schwule und Lesben auf die gesetzliche Krankenversicherung zukommen. Mindestens 250 Millionen DM - das hat man großartig als Erfolg verkündet beträgt die Belastung durch die Neuregelung der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten. Wie haben sich die Grünen aufgeplustert, als sie zum Kanzler marschiert sind. Als sie hinterher rausgekommen sind, hat ihnen der Kanzler fast alle Federn ausgerupft. Nur ein paar hat er ihnen noch gelassen, damit sie nicht ganz nackig sind. Der Krankenversicherung fehlen damit mindestens 250 Millionen DM, um Kranke in unserem Land anständig versorgen zu können. ({24}) Es kommen zusätzliche Zahlungsverpflichtungen auf die Kassen zu, die Rot-Grün selbst auf den Weg gebracht haben. Man hat am Anfang großkotzig die Zuzahlungen zurückgenommen. Das führte bei der Krankenversicherung zu einem Einnahmeausfall von 1 Milliarde DM. Man hat das Krankenhausnotopfer abgeschafft. Damit fehlen jährlich 700 Millionen DM. Man hat Leistungen ausgeweitet, die Soziotherapie zum Beispiel, das bringt zusätzliche Kosten von 1 Milliarde DM jährlich mit sich. Das ist noch nicht alles. Auch künftig soll es munter weitergehen - so die Planungen -, und den Krankenkassen weiter kräftig Geld entzogen werden. Durch das SGB IX, das neue Rehabilitationsrecht - so die Rechnung der Krankenkassen, wenn diese Regelung in Kraft tritt -, werden die Kassen eine weitere Belastung von 500 Millionen DM zu tragen haben. Das sind wieder 500 Millionen DM, die fehlen. Wenn wir sehen, wie das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Krankenversicherung der Rentner umgesetzt werden soll, dann stellen wir fest, dass 2002 auch dort wieder 500 Millionen DM an zusätzlicher Belastung drohen. ({25}) Wenn 2002 die Rentenreform kommt und es mit dem Aufbau der privaten Rentenversicherung ernst wird, dann müssen wir davon ausgehen, dass der Krankenversicherung wiederum Jahr für Jahr zunächst 700 Millionen DM fehlen. Dies steigert sich bis 2008 auf einen Betrag von insgesamt 5,5 Milliarden DM pro Jahr, der in den Kassen der Krankenversicherung fehlt. Es sind gewaltige Beträge, die sich aufsummieren und die wir dringend bräuchten, um unseren Menschen auch in der Gesundheitspolitik eine Perspektive zu bieten. Wäre die Ministerin Kassiererin im Supermarkt, dann wäre sie längst entlassen, weil sie sich das Geld von anderen zu leicht aus der Tasche ziehen lässt. ({26}) Ich meine, Frau Fischer, Sie müssen kämpfen, damit das Geld in der Kasse bleibt. Sie müssen sich stärker auf der Einnahmeseite engagieren. Dann müssten Sie auf der Ausgabenseite nicht so stark die Muskeln spielen lassen. Sie glauben, Sie könnten dort alles über Budgetierung, Reglementierung und noch mehr Bürokratie regeln. Aber all das schafft mehr Probleme, als es Probleme löst. ({27}) Gerade auf der Ausgabenseite darf eine verantwortungsvolle Gesundheitsministerin nicht nur auf das Geld und auf die Kassenbilanzen schauen. Menschen müssen immer wichtiger als Zahlen und Bilanzen sein. ({28}) Wer Gesundheitspolitik ernst nimmt, der darf eben nicht nur die wirtschaftliche Seite der Krankenversicherung sehen, sondern er muss in seinem politischen Programm auch Versorgungsziele definieren und sich fragen: Wie steht es mit der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung? Wie gehen wir heute mit chronisch Kranken um? Wenn wir uns diesen Bereich näher ansehen, dann merken wir, dass sich draußen dramatische Szenen abspielen. Ich möchte Ihnen einiges von dem nennen, was an uns herangetragen wird. Ohnehin protestieren die Leistungserbringer auf den Straßen. Aber darauf will die Ministerin nicht reagieren. Das sind alles schwer reiche Leute, denen es nur ums Geld geht. - Ich glaube nicht, dass wir damit dem Problem gerecht werden; denn es gibt viele Ärzte, die sehr engagiert arbeiten. Auch gibt es viele Pfleger in den Pflegediensten, die ihre Patienten liebend gerne gut versorgen würden. Wenn Sie dann in einer Emnid-Umfrage lesen, dass chronisch Kranken in bis zu 15 Prozent der Fälle unter Hinweis auf die rot-grüne Budgetierung Arzneimittel verweigert werden, dann sollte das zum Nachdenken anregen. ({29}) Wenn Sie zur Kenntnis nehmen, dass in einer Langzeitstudie der Uni Bremen und der Gmünder Ersatzkasse festgestellt wurde, dass jedem vierten Patienten ein Arzneimittel aus Budgetgründen heute nicht mehr verordnet wird, wenn die Deutsche Rheuma-Liga sagt, durch die rot-grüne Gesundheitspolitik werden Ärzte und Patienten in gleicher Weise verunsichert, das Arzt-Patienten-Verhältnis leide massiv unter der Budgetierungsdiskussion, was an Medikamenten gespart werde, müssen die Patienten mit größerer Unbeweglichkeit und stärkeren Schmerzen bezahlen, was am Ende zu Krankenhauseinweisungen führe, die wiederum höhere Folgekosten nach sich zögen, dann sehen wir, auf welchem Irrweg sich Rot-Grün mit dieser Budgetierungspolitik befindet und warum es bitter notwendig ist, dass wir hier umsteuern. ({30}) Auch wenn Sie es immer noch nicht glauben: Die Deutsche Parkinson-Vereinigung stellt fest, dass Patienten, die nach langen Krankenhausaufenthalten endlich medikamentös gut eingestellt sind, nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus, wenn sie beim niedergelassenen Arzt weiterbehandelt werden, Medikamente nicht in der gleichen Weise verordnet bekommen wie im Krankenhaus, weil dieser Arzt unter Budgetzwang steht; Heilmittel werden fast überhaupt nicht mehr verordnet. ({31}) Ich frage mich: Ist das der richtige Weg, den Sie hier so selbstherrlich beschreiten? Haben Sie wirklich kein Ohr mehr für die Sorgen und Nöte von vielen armen und kranken Leuten in unserem Land? ({32}) Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Die Frauenselbsthilfe für Krebspatienten stellt fest: Nach Operationen werden wichtige Heilmittel wie zum Beispiel Lymphdrainage und Krankengymnastik nicht mehr verordnet. Nur noch 10 Prozent der Tumorpatienten erhalten eine adäquate Schmerztherapie. Auch Kinder werden Opfer der Budgets. Der Bundesverband für Logopädie und Ergotherapie ({33}) und der Bundesverband für Pflegeberufe stellen fest, dass gerade auch bei Kindern eine zunehmende Verordnungszurückhaltung der Ärzte festzustellen ist. Alles Folgen der Budgets, meine Damen und Herren. Die Folge daraus wiederum sind Entwicklungsstörungen für Kinder und schwerwiegende Spätfolgen. All das kostet künftig sehr viel Geld. Budgetierung spart nicht, Budgetierung treibt auf lange Sicht die Kosten. ({34}) Die Multiple-Sklerose-Gesellschaft berichtet, dass von 60 000 Patienten, bei denen eine Therapie mit Interferon erforderlich ist - das kostet pro Patient zwischen 25 000 DM und 30 000 DM -, nur noch circa 15 000 behandelt werden und dass schuld daran die Budgets sind. Der Grund ist, dass ein Neurologe, der heute einen Patienten mit Interferon behandelt, kompensatorisch dafür 113 andere Patienten ohne Behandlung und ohne Medikamente nach Hause schicken muss, weil er sonst seine Budgetvorgaben überschreitet.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollege Dr. Wodarg?

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie haben eben die Logopäden und die Entscheidung der Bundesausschüsse zitiert, Sie haben aber nicht gesagt, dass es die Bundesausschüsse waren, sondern Sie haben gesagt, es liege am Budget, dass hier jetzt möglicherweise Schwierigkeiten in der logopädischen Versorgung entstehen. ({0}) Ist Ihnen klar, dass Sie hierbei jetzt in die Arbeit der Selbstverwaltung eingreifen wollen? ({1}) Würden Sie es für richtig halten, wenn die Arbeit der Selbstverwaltung durch eine staatliche Gestaltung, zum Beispiel durch das Ministerium, abgelöst würde? ({2}) Ist das wirklich Ihre Auffassung? ({3}) Wir sind uns ja einig, dass in der Logopädie etwas getan werden muss. Die grundsätzliche Frage ist hier aber, ob die Entscheidung der Selbstverwaltung, die Sie hier missbraucht haben, in dieser Debatte überhaupt eine Rolle spielt. ({4})

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. Wodarg, ich muss Ihnen Folgendes sagen: Stellen Sie sich vor, Sie sagen Ihrer Frau, sie möchte am Abend acht Personen zum Essen einladen, geben ihr aber nur Geld, um für vier Personen einkaufen zu können. Ihre Frau kocht dann und versucht, etwas auf den Weg zu bringen, und Sie machen Ihrer Frau hinterher Vorwürfe, dass sie zu wenig gekocht hat. Das heißt doch: Sie haben ihr vorher zu wenig Geld zur Verfügung gestellt. ({0}) Das ist die gleiche Situation wie bei den Budgets, meine Damen und Herren. Das ist das Problem. ({1}) Wenn Sie mit Ihrer rot-grünen Politik mit der Budgetierung weiterfahren, haben wir die Probleme. Dann können Sie nicht die Selbstverwaltung für die Beschränkungen verantwortlich machen, sondern Sie müssen an die Wurzel des Übels gehen und die Budgetierung aufheben. ({2}) Meine Damen und Herren, auch die Budgets selbst halten beileibe nicht das, was sie zu versprechen scheinen. Ich darf Ihnen nur einmal die Entwicklung der Arzneimittelausgaben schildern, die ja von 1991 bis 1999 relativ stark budgetiert waren. 1993 waren es 27,5 Milliarden DM. ({3}) - Natürlich sind die schuld. - 1996 sind wir schon bei 34,2 Milliarden DM, 1998 bei 34,7 Milliarden DM und 1999 bei 37,6 Milliarden DM. Sie werden sehen, die Arzneimittelausgaben werden auch weiterhin steigen, ob Sie budgetieren oder nicht. ({4}) Wenn aber nicht mehr die richtigen Arzneimittel verordnet werden, die Menschen nicht mehr richtig therapiert werden und später, wenn sie richtig krank sind, ins Krankenhaus müssen und die Behandlung dort wesentlich teurer ist, dann werden Sie feststellen, dass die Budgetierung hohe Folgekosten verursacht und deshalb auch unter Kostengesichtspunkten ein Schuss in den Ofen war. ({5}) Wir müssen aus diesen Beispielen zwei Dinge lernen: Erstens. Budgetierung spart auf lange Sicht keine Kosten, sondern verschlechtert die Qualität der gesundheitliche Versorgung. Zweitens. Nicht das Abschaffen von Budgets, sondern das Festhalten an Budgets führt zu einer Zweiklassenmedizin. Wenn Sie an der Budgetierung festhalten - wenn man sich die Wirklichkeit in den Arztpraxen heute ansieht, dann wird man feststellen, dass sich das schon abzeichnet -, dann werden teure und aufwendige Behandlungen zum Privileg derer, die es sich leisten können, solche Behandlungen aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Arme, der sozial Schwache, der nicht privat zahlen kann, bleibt auf der Strecke. Eine solche Gesundheitspolitik wollen wir nicht mittragen. Deswegen kämpfen wir gegen diese Politik. ({6}) Es wird Ihnen nicht gelingen, den Menschen vorzugaukeln, dass trotz begrenzter Mittel Leistungen unbegrenzt gewährt werden können und dass nur mit der Jagd auf Wirtschaftlichkeitsreserven die Weichen in unserem Gesundheitswesen in Richtung Zukunft gestellt werden können. Frau Fischer, ich kann Ihnen nur raten: Befreien Sie sich aus dem Treibsand der Budgetierung und Reglementierung; denken Sie endlich innovativer! ({7}) Ansonsten gehen Sie eines Tages im Treibsand der Budgetierung unter. Sie werden, wenn Sie sich nur ein bisschen in der politischen Landschaft umschauen, erkennen müssen, dass es auch bei den Grünen ein paar gibt, die sich offen zu den Ansätzen bekennen, die wir von CDU und CSU immer wieder als Alternativen zu Ihrer Budgetierungs- und Überreglementierungspolitik aufzeigen. Sie müssen die Wahrheit sagen: Es gibt ein demographisches Problem in Deutschland. Dieses Problem betrifft nicht nur die Renten-, sondern auch die Krankenversicherung. Es ist mathematische Logik, dass es für den Einzelnen unter dem Strich teurer wird, wenn es immer weniger Junge, die einzahlen, und immer mehr Ältere gibt, die Leistungen in Anspruch nehmen. Wenn Sie sich nicht trauen, den Menschen diese Wahrheit zu sagen, und stattdessen behaupten, dass die Budgetierung ausreicht, dann betreiben Sie auch in der Gesundheitspolitik Rosstäuscherei. Das werden Sie politisch bitter bereuen. ({8}) Da Sie noch immer nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass der medizinische Fortschritt heute rasanter voranschreitet als die Entwicklung der Einkommen, möchte ich Ihnen ein paar Beispiele nennen: In den letzten 40 Jahren hat sich die Zahl der Diabeteskranken verdoppelt. Die Zahl der Asthmakranken hat sich verdreifacht. Innerhalb der letzten 15 Jahre ist die Zahl der Dialysepatienten von null auf über 50 000 gestiegen. Die Zahl der HIV-Patienten ist von null auf 40 000 gestiegen. Jeder weiß, dass die Behandlung von HIV-Patienten besonders teuer ist. Wenn Sie zur Kenntnis nehmen, dass es inzwischen innovative Medikamente für die Behandlung bestimmter Krebskrankheiten, von Hepatitis und von multipler Sklerose gibt, dann müssen auch Sie trotz Ihrer ideologischen Verblendung feststellen, dass dies alles Geld kostet und dass dieses Geld nicht alleine durch Einsparungen an anderer Stelle erwirtschaftet werden kann. Wenn wir verantwortungsvoll handeln wollen, müssen wir erkennen, dass der medizinische Fortschritt es vielen Patienten ermöglicht, ein längeres und erträglicheres Leben zu führen. ({9}) Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir auch ohne Budgetierung und Reglementierung künftig sicherstellen können, dass der medizinische Fortschritt breiten Schichten der Bevölkerung zugute kommt. Sie werden über kurz oder lang erkennen, dass unser System von Wahlleistungen und Kernleistungen und unser Vorschlag, dem Einzelnen ein bisschen mehr Verantwortung zuzutrauen, ihm mehr Eigenverantwortung zu geben, der bessere Weg ist. Wir sind der Meinung, wer mehr Eigenverantwortung übernehmen soll, braucht auch entsprechende Informationen; deswegen brauchen wir mehr Transparenz im Gesundheitswesen. ({10}) Wir brauchen auch mehr Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern. ({11}) Letzter Punkt - auch damit werden Sie von Rot-Grün sich bei der Diskussion über den Risikostrukturausgleich beschäftigen müssen -: Es kann nicht sein, dass sich Krankenkassen heute ausschließlich um Junge, Gesunde und Gutverdienende kümmern und der chronisch Kranke völlig an den Rand gedrängt wird. Wir denken über diese Dinge intensiv nach. Wir haben Lösungsvorschläge entwickelt. ({12}) Deswegen billigen uns die Menschen auch mehr Kompetenz zu und deswegen kommen viele schon heute zu dem Ergebnis, es sei höchste Zeit, dass die CDU/CSU, dass Horst Seehofer auf die Regierungsbank zurückkommt. ({13}) Mir ist nicht bange, dass Sie, wenn Sie in der Gesundheitspolitik so weiter machen, die Quittung 2002 vom Wähler präsentiert bekommen. ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Walter Schöler.

Walter Schöler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Antwort auf die Frage des Kollegen Wodarg hat der Kollege Wolf ein Beispiel gewählt, das ich überhaupt nicht akzeptieren kann. Herr Kollege Wolf, eine gute Hausfrau kommt auch mit dem halben Budget aus und macht noch ein hervorragendes Essen. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen zu Hause ist. ({0}) - Meine Mutter hat das mit acht Kindern immer geschafft, obwohl das nicht einfach war. ({1}) Der Kollege Wolf hat immer die gleichen Rezepte, die gleichen Strickmuster. Es wird ein Horrorbild von der deutschen medizinischen Versorgung gezeichnet. ({2}) Die Patienten sollen verunsichert werden und Sie wollen von dem Erbe, das Sie uns hinterlassen haben, ablenken. ({3}) Denn nichts anderes als Ihre Bilanz haben Sie hier aufgezählt. Übrigens habe ich zum Haushalt von Ihnen noch kein Wort gehört. ({4}) - Das stimmt. Er hat bestimmt nicht reingeguckt. - Ich will mich deshalb zunächst diesem Gesundheitsetat und seinen Schwerpunkten zuwenden. Auf den ersten Blick nimmt sich der Einzelplan für die Bereiche Gesundheit und Pflege mit 1,77 Milliarden DM auch relativ bescheiden aus. Aber ich will daran erinnern: Die Leistungen für unser Gesundheitssystem betragen mehr als 560 Milliarden DM im Jahr und übersteigen damit bei weitem den Gesamthaushalt des Bundes. Rund die Hälfte dieser Aufwendungen für die Gesundheit werden aus Beiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Unser Etat für 2001 vermindert sich gegenüber dem Vorjahr zwar um 63 Millionen DM, aber das beruht im Wesentlichen auf geringeren Bauinvestitionen - ich nenne nur das Stichwort BfArM - und auch auf der im Jahr 2000 erfolgten Abwicklung der Einmalzahlung an die Hepatitis-C-Opfer. Darauf komme ich gleich noch zurück. Im Übrigen leistet dieser Einzelplan 15 auch weiterhin seinen Beitrag zur Konsolidierung des Gesamthaushalts. Modellprogramme können weiter zurückgeführt werden. ({5}) Denn der erhebliche Nachholbedarf, den es aufgrund der deutschen Einheit gab, wird zunehmend befriedigt. Zudem sind inzwischen viele dieser Modellvorhaben - deshalb sind es auch Modellvorhaben gewesen - in die Regelversorgung und damit in die Finanzierung der Kostenträger oder auch der Länder übergegangen. Bei allen notwendigen Sparbemühungen stellt dieser Einzelplan Gesundheit die Finanzierung wichtiger gesundheitspolitischer Maßnahmen sicher. Für Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung sind wiederum 8 Millionen DM eingeplant. Die Ausgaben für die Aids-Aufklärung mit 18 Millionen DM sowie die Aufklärung gegen Drogenmissbrauch mit 12 Millionen DM werden auf hohem Niveau verstetigt. Dieses Geld dient der Sicherung eines hohen Informationsstandes der Bevölkerung und vor allem der Jugendlichen. Wir müssen leider immer wieder feststellen, dass es in den verschiedenen Bereichen nach wie vor großen Aufklärungsbedarf gibt. Die Arbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung könnte nicht so effektiv sein, würde sie nicht dankenswerterweise von Sponsoren in millionenschwerem Wert unterstützt. In diesem Zusammenhang ist zu bedauern, dass die Wirkung der Aufklärungskampagne „Keine Macht den Drogen“ auf Trikots von Spitzensportlern angesichts des Konsums von Drogen und auch von Anabolika durch einige schwarze Schafe eingeschränkt wurde. Das Verhalten dieser Sportpromis unterläuft das Bemühen um Aufklärung. Und nun sollen im Reichstagsgebäude auch noch Spuren von Kokain gefunden worden sein. Auch das könnte das Vertrauen in bestimmte Aufklärungsmaßnahmen etwas schwächen. Zyniker könnten jetzt sicherlich sagen, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung habe mit ihrer Feststellung Recht, dass sich seit dem Regierungswechsel vor zwei Jahren einiges bewegt habe ({6}) aber leider in die falsche Richtung. Aber, meine Damen und Herren, mit dem Umsteuern in der Drogenpolitik zu mehr Prävention und Schadensminimierung haben wir den richtigen Weg eingeschlagen. Das wird sich auf Dauer auch zeigen. Auch wenn wir damit leben müssen, dass es nirgendwo und zu keiner Zeit eine suchtfreie Gesellschaft geben wird, werden wir uns trotzdem damit nicht abfinden. ({7}) Wir müssen immer wieder verdeutlichen: Jeder Drogentote ist einer zu viel. ({8}) Die Rentenzahlungen zur Entschädigung von Hepatitis-C-Opfern aus der ehemaligen DDR wurden jetzt bei 3,3 Millionen DM verstetigt und unterliegen künftig einer Dynamisierung. Damit hat die Koalition ein wichtiges Versprechen eingelöst. Nach Jahren des Vertröstens erhalten die betroffenen Frauen endlich eine angemessene Entschädigung. Das hat die alte Regierung nicht zustande gebracht. ({9}) - Sie haben den Bundesrat nicht auf Ihrer Seite. Ich weiß das. ({10}) - Herr Zöller, ich kenne die Vorgänge genau. In Form eines Entschließungsantrages haben wir jetzt die Bundesregierung aufgefordert, die Weiterführung der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ zu sichern. ({11}) Der Anteil des Bundes beträgt dabei 68 Millionen DM. Dieser Betrag muss in den Finanzplan 2001 bis 2005 eingestellt werden. ({12}) Dies soll ein deutliches Zeichen für die weiteren an der Stiftung Beteiligten - die Pharmaindustrie, das Deutsche Rote Kreuz und die Bundesländer - sein. Auf der Grundlage des im HIV-Hilfegesetzes vereinbarten Schlüssels werden von diesen nämlich weitere 102 Millionen DM aufzubringen sein. Ich hoffe, dass im Rahmen der Verhandlungen deren Zustimmung erreicht werden kann. Die 700 Opfer des Blutskandals haben weiterhin Anspruch auf unsere Unterstützung. ({13}) Neu vorgesehen wurde im Haushalt das Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ mit einem Ansatz von 1 Million DM und Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 3 Millionen DM für die kommenden Jahre. Dieses gemeinsame Programm von BMG und BMU setzt sich erstmalig ganzheitlich mit Fragestellungen des gesundheitsbezogenen Umweltschutzes und des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes auseinander. Umweltbezogene Erkrankungen sollen erforscht und Umweltrisiken realistisch eingeschätzt werden. Die rot-grüne Bundesregierung gibt mit diesem Programm ein weiteres Signal in der Gesundheitspolitik. Wir greifen damit ein wichtiges Thema auf, das die alte Regierung ebenfalls vernachlässigt hat. ({14}) Wir begrüßen ausdrücklich das von der Bundesregierung in der vergangenen Woche verabschiedete Forschungsprogramm „Gesundheitsforschung: Forschung für den Menschen“. ({15}) Bis 2004 werden rund 1,1 Milliarden DM für die effektive Bekämpfung von Krankheiten, für Gesundheitsforschung in Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft und für die Stärkung der Forschungslandschaft durch Strukturoptimierung und Innovationen zur Verfügung gestellt. Auch dieses Programm zeigt: Für die Regierung ist die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger eines der höchsten Güter. Darauf, Herr Wolf, sind wir stolz. ({16}) Meine Damen und Herren, Herr Seehofer, den ich hier sitzen sehe, hat uns 1998 ein besonderes Sorgenkind hinterlassen: das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. ({17}) Schon während der Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr habe ich auf die hohe Zahl von unerledigten Nachzulassungsanträgen aufmerksam gemacht. Sie von der Opposition haben damals relativ wenig getan, um den Stau bei den Zulassungen schnell abzubauen. ({18}) Von den ursprünglich 32 000 unerledigten Zulassungsanträgen sollte Ende 1999 noch ein Restbestand von 14 000 Fällen übrig bleiben. So wurde uns voriges Jahr und auch noch im Frühjahr gemeldet. ({19}) Jetzt zeigt die neueste Statistik, dass es wieder 21 000 Zulassungsfälle gibt, die noch zu erledigen sind. Ich weiß, dass es sich um ein sehr sensibles Thema handelt, Frau Bergmann-Pohl. Ich will auch nicht aus dem „Spiegel“ von dieser Woche zitieren oder die PanoramaSendung vom 12. Oktober nochmals anführen. Dort wurde behauptet, dass es infolge von Nebenwirkungen von auf dem deutschen Markt befindlichen Medikamenten ohne Zulassung zu einer erheblichen Zahl von Todesfällen komme. Ich vermag diese Meldung weder auf ihre Richtigkeit noch auf ihre Seriosität hin zu prüfen, ({20}) aber eines ist klar: Es war dringender Handlungsbedarf geboten. ({21}) Die Gesundheitsministerin und die Koalitionsfraktionen haben hier im Gegensatz zu der Verfahrensweise während Ihrer Regierungszeit gehandelt. ({22}) Dazu gehörte auch - das will ich nicht verschweigen - die Auswechslung in der Spitze des Instituts. Ich meine auch, dass im Parlament bestimmte Dinge angesprochen werden müssen, weil wir auch hierfür eine Mitverantwortung haben. Sollte der „Spiegel“-Artikel von dieser Woche zutreffend sein, ({23}) wonach der alte Chef - nein, ich zitiere ihn nicht, aber es steht in diesem Bericht ({24}) seinem Nachfolger auf dem Bonner Schreibtisch nur eine Postkarte mit dem Gruß „Viel Spaß“ hinterlassen haben soll, würde ich dringend dazu raten, statt über das Gnadenbrot über disziplinarische Maßnahmen nachzudenken, ({25}) wohl wissend, dass ein hohes Maß an Verantwortung auf der politischen Ebene Herr Seehofer hat, ({26}) der vom Gesundbeter zum Rentenzampano der Union avanciert ist, ({27}) und dass vielleicht auch seine frühere Staatssekretärin entsprechende Verantwortung trägt. Sie haben damals 250 Aushilfsstellen mit kw-Vermerken geschaffen, nachrichtlich im Haushalt geführt, zu finanzieren aus Gebühreneinnahmen, und da diese offensichtlich nicht so flossen wie erwartet, wurde dann wiederum an Personal gespart. Das war dann ein Teufelskreis, den wir nun durchbrochen haben, indem wir diese Stellen zunächst in den Haushalt übernommen haben. Wir haben im Jahr 2000 weitere 75 Stellen bereitgestellt, und 2001 sind es noch einmal 75 Stellen. Das reicht immer noch nicht, wie wir jetzt erfahren mussten. Deshalb haben wir die Ansätze für Sach- und Personalkosten nochmals erhöht, haben für die Erweiterung der Informationstechnik, für den Geschäftsbedarf, für eine Personalbewirtschaftung und viele andere organisatorische Punkte des Hauses 5,7 Millionen DM eingestellt und zusätzlich weitere 40 Planstellen vorgesehen. Die Mehrkosten betragen nochmals 6,2 Millionen DM, und ich befürchte, wir werden diese nicht so sehr aus Gebühren finanzieren können, wie das früher vorgesehen war. Nicht die Sperrung eines Drittels des Etats, wie es von Ihnen als Druckmittel im Haushaltsausschuss vorgeschlagen wurde, ist der richtige Weg. Ihr Antrag im Haushaltsausschuss war pure Ablenkung von Ihrer Verantwortung in der Vergangenheit. ({28}) Sie sind auf diese Situation sehr stolz, Herr Wolf. Sie haben eben von Stolz geredet. Das BfArM braucht keinen Druck, das BfArM braucht Unterstützung. Wir werden sie ihm geben. ({29}) Wir haben die Befürchtung, dass die jetzt getroffenen Maßnahmen noch nicht das Ende des Tunnels sein werden, aber wir gehen einmal davon aus. Ein Bericht ist für Anfang nächsten Jahres durch die Bundesregierung zugesagt. Er wird die Situation offen legen, Zukunftsperspektiven aufzeigen, und danach können wir gemeinsam beraten, um die dringend erforderliche Bearbeitung von Nachzulassungsanträgen von Arzneimitteln zu gewährleisten. Meine Damen und Herren, es ist doch gar nicht hinnehmbar, dass nicht zugelassene Altmedikamente verordnet werden und Pharmaunternehmen viele Monate auf die Zulassung von hilfreichen neu entwickelten Medikamenten warten müssen und deshalb teilweise auch ins Ausland ausweichen. ({30}) Das ist nicht hinnehmbar, aber Sie haben dafür die Verantwortung. Wir haben die richtige Weichenstellung vorgenommen und damit hoffentlich zugleich auch ein Signal an die Pharmaindustrie gesetzt. Wir bauen auf den neuen Chef Herrn Professor Schweim, und wir vertrauen darauf, dass er die Probleme im BfArM schnell in den Griff bekommt. ({31}) Im Übrigen, meine Damen und Herren, kommen wir damit auch der Forderung der EU-Kommission nach einer intensiveren Prüfung der Arzneimittel nach. Die gesetzliche Grundlage haben wir im Mai dieses Jahres beschlossen. Mit der 10. Änderung des Arzneimittelgesetzes wird mehr Transparenz und Qualität erreicht. Es darf kein Arzneimittel mehr in den Verkehr gelangen, dessen pharmazeutische Unbedenklichkeit und dessen therapeutische Wirksamkeit nicht belegt ist. ({32}) Der Schutz der Patienten hat Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Das ist unser Grundsatz. ({33}) Daher ist für die Regierungskoalition die Stärkung der Patienten- und Verbraucherrechte ein zentraler Punkt auch der Gesundheitsreform. Im Übrigen werden wir auch über die mit dem Zulassungsverfahren verbundenen Gebühren demnächst im Rechnungsprüfungsausschuss noch zu reden haben. Zu dieser Altlast der Vorgängerregierung liegen nämlich einige Bemerkungen des Rechnungshofes vor. Herr Seehofer hatte unter Mitzeichnung des damaligen Wirtschaftsministers - das war wohl Herr Rexrodt - eine neue Gebührenordnung erlassen, die ja die Finanzierung der Personalstellen sicherstellen sollte, offensichtlich als Geschenk an die Pharmaproduzenten und vielleicht auch als Wiedergutmachung für seine in den Reißwolf geschickte Positivliste, denn statt des durchschnittlichen Gebührensatzes von 125 000 DM je Zulassungsfall hat man großzügige Ermäßigungsregelungen eingearbeitet, die jetzt dazu führen, dass im Schnitt nur 27 000 DM je Fall an Gebühren erhoben werden können. Wer von uns wünscht sich nicht auch eine solche Großzügigkeit des Staates bei anderen Gebühren, die die Bürger zu tragen haben? Gerade im Medikamentenbereich - das wissen Sie alle gibt es ein erhebliches Einsparpotenzial. Es kann dort gespart werden, ohne die Versorgung der Kranken zu gefährden. Fachleute nennen in diesem Zusammenhang einen Betrag von über 8 Milliarden DM jährlich. Beispielsweise in den Niederlanden, die Sie so oft als Vorbild dargestellt haben und noch darstellen, verlassen nur etwa 60 Prozent aller Patienten die Arztpraxis mit einer Medikamentenverordnung. In Deutschland hingegen erhalten rund 85 Prozent der Patienten ein Rezept von ihrem Arzt, obwohl sie es manchmal gar nicht haben wollen. Von diesen Medikamenten wandert oft ein großer Teil in den Müll. Wir brauchen deshalb die Positivliste und halten an diesem Ziel fest. Für die Erarbeitung dieser Liste haben wir in diesem Haushalt drei Planstellen vorgesehen. ({34}) - Herr Thomae, ich war ein halbes Jahr lang Berichterstatter für den Gesundheitsetat. In dieser Zeit hat mich einer Ihrer früheren Fraktionskollegen angerufen und mich gebeten, mich ({35}) verstärkt mit dieser Thematik zu befassen. ({36}) Auf die Frage, warum er es als Berichterstatter nicht selbst getan hat, hat er geantwortet: Es ist mir peinlich; ich hatte nicht genügend Zeit. - Das kennzeichnet die Verantwortung, die Ihre Leute offensichtlich in dieser Frage empfunden haben. ({37}) Der mit Abstand größte Haushaltstitel im Einzelplan 15 mit knapp 900 Millionen DM umfasst den Bereich der Pflegeinvestitionen, insbesondere der Investitionen in den neuen Bundesländern. Er dient damit auch weiterhin dem Aufbau Ost. Wir wenden etwa 918 Millionen DM für den Gesamtbereich Pflege auf. Die Pflegekassen hingegen haben einen Jahresetat von knapp 33 Milliarden DM. Was die Zukunft der Pflegeversicherung anbetrifft, so lässt sich sagen, dass die Koalition auf einem richtigen Weg ist. ({38}) Wir haben bereits wichtige Verbesserungen beschlossen und es gibt auch neue Vorschläge der Koalitionsfraktionen und der Regierung für ein Qualitätssicherungsgesetz und zur Verbesserung der Situation dementer Pflegebedürftiger. Diese Vorschläge stoßen offensichtlich auf sehr positive Resonanz. Im Gegensatz zu Herrn Wolf meinen wir: Die soziale Pflegeversicherung hat ein solides finanzielles Fundament. ({39}) Das zeigt auch der neueste Bericht zur finanziellen Lage auf Grundlage der Berechnungen des Bundesversicherungsamtes. Defizite werden nur vorübergehender Natur sein. ({40}) Der Mittelbestand wird dauerhaft und deutlich oberhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Finanzreserve von anderthalb Monatsleistungen sein. Zu der Gesundheitsreform wird Kollege Kirschner noch einige Ausführungen machen. ({41}) Wichtig ist für uns im Rahmen der Gesundheitsreform 2000: Wir konnten wesentliche Ziele trotz der Blockadepolitik der Opposition durchsetzen. ({42}) Die meisten Punkte konnten wir im Vermittlungsverfahren verwirklichen. Wir sollten uns darin einig sein, dass Gesundheit für alle Menschen bezahlbar bleiben muss. Das hat weder - wie Herr Brüderle gestern festgestellt hat - etwas mit Vollkaskomentalität zu tun, ({43}) noch mit der sozialen Hängematte, die von eurem ExKanzler in die Diskussion gebracht wurde und in der er jetzt offensichtlich selber schaukelt. ({44}) Die Medizin mit ihren zahlreichen und vielfältigen Einrichtungen und Möglichkeiten ist für den Menschen da und nicht umgekehrt. Meine Damen und Herren, ich möchte ein Wort des Dankes an all die richten, die die gesundheitliche Versorgung in Arztpraxen, in Kliniken und in Reha-Einrichtungen sicherstellen. ({45}) Die medizinischen Einrichtungen sind einem ständigen Strukturwandel unterworfen, Herr Parr, und sie werden künftig noch effizienter arbeiten müssen. ({46}) Dieser Strukturwandel sichert die gesundheitliche Versorgung, aber auch die Arbeitsplätze der dort Beschäftigten. Das wissen die Beschäftigten genau und sie sollten sich deshalb weder verunsichern noch für bestimmte Eigeninteressen Einzelner missbrauchen lassen. Jetzt noch ein persönliches Wort an Sie, Frau Ministerin Fischer. ({47}) Ich habe mittlerweile verstanden, warum Sie ein besonderes Faible für die Harry-Potter-Bücher haben. Man entwickelt ja so langsam einen Sinn dafür. Ich hoffe, beim Lesen des Bandes „Die Kammer des Schreckens“ denken Sie nicht immer an die Ärztekammer. ({48}) Hoffentlich halten Sie sich bei einem Besuch in der CDU/CSU-Fraktion nicht für die „Gefangene von Askapan“. Man könnte bei diesem Titel fast einen Druckfehler vermuten und an Aspirin denken. ({49}) Wenn Sie dann aus dem „Feuerkelch“ trinken - so lautet der Titel des dritten Bandes -, dann wird es Ihnen hoffentlich gelingen, den „Stein der Weisen“ zu finden. Den hat Herr Seehofer nie gefunden. ({50}) Der Stein der Weisen steht dafür, dass Sie beim Verteilungskampf um den Beitragstopf beim Mehrfrontenkrieg nicht immer zwischen die Mühlsteine der Kassen, der Ärzteschaft, der Pharmaindustrie und der Kliniken geraten. Frau Ministerin Fischer, herzlichen Dank Ihnen und Ihren Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit, herzlichen Dank auch den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern für die kollegiale Zusammenarbeit! Ich gehe davon aus, dass das gesamte Haus dem Gesundheitsetat zustimmen wird. Denn bis auf einen Antrag im Haushaltsausschuss - der zur Sperre zum BfArM - haben Sie überhaupt keine Anträge im Haushaltsausschuss, geschweige denn heute hier im Parlament vorgelegt. Sie müssen also sehr zufrieden mit dem Haushaltsentwurf sein. ({51})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, das klingt jetzt schon eine Weile nach einem Schluss, deswegen habe ich Sie nicht erinnert. Ihre Redezeit ist aber abgelaufen.

Walter Schöler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die SPD-Fraktion steht für eine hohe medizinische Versorgungsqualität sowie für die soziale und solidarische Finanzierung der Krankenversicherung. ({0}) Wir werden dem Haushalt auf jeden Fall zustimmen. Danke schön. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Detlef Parr, F.D.P.-Fraktion.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich würde das Lob der Ministerin ja gerne fortführen, aber mir fehlt der Grund dazu. Ich möchte mit einem Zitat beginnen: Die Maßnahmen der Behörden sind nicht immer rechtzeitig und ausreichend gewesen, ihre Einhaltung ist nicht immer mit der notwendigen Sorgfalt überwacht worden; die Bevölkerung ist nicht rechtzeitig und angemessen über die denkbaren Risiken unterrichtet worden. So liest sich eine Schlussfolgerung aus dem Abschlussbericht des britischen Untersuchungsausschusses zur BSEKrise. Sie trifft voll auf unsere aktuellen Verhältnisse in Deutschland zu. ({0}) Die beiden ersten BSE-Fälle bei deutschen Rindern haben die eklatanten Versäumnisse der rot-grünen Bundesregierung in der Verbraucherschutzpolitik offen gelegt. ({1}) Ihr Krisenmanagement, Frau Ministerin, war miserabel. Die ARD-Korrespondentin Marion van Haaren hat es in einem Kommentar auf den Punkt gebracht. Sie sagt, Sie haben in Ihrer Amtszeit Blindekuh gespielt. ({2}) Es ist Ihnen nicht gelungen, das löchrige Sicherheitssystem in Deutschland, vor allem aber in Europa zu schließen und für den Schutz der Gesundheit unserer Bevölkerung Entscheidendes durchzusetzen. Ganz im Gegenteil: Sie hätten 1999 - auch noch unter deutscher Ratspräsidentschaft - niemals einer Lockerung des Exportverbots für britisches Rindfleisch zustimmen dürfen. ({3}) Im gleichen Jahr sind dort immer noch 2 254 BSEFälle aufgetreten. Ihre damalige lapidare Begründung: Die Umsetzung der Lockerung ist fachlich vertretbar und rechtlich unumgänglich“. Was heißt eigentlich „rechtlich unumgänglich“? Ein EU-Recht, das Vorrang vor den Gesundheitsinteressen unserer Kinder, Frauen und Männer hat, gehört auf den Sondermüll. ({4}) Pikant in diesem Zusammenhang - ich komme ja aus Nordrhein-Westfalen und habe das sehr genau beobachtet ist die Rolle der grünen Ministerinnen Bärbel Höhn und Andrea Fischer. Gegensätzlicher können Bewertungen ein und desselben Sachverhalts nicht ausfallen. Die Grüne Bärbel Höhn nahm den Ratschlag renommierter Wissenschaftler ernst, das Exportverbot dürfe keinesfalls vor Ablauf der gesamten Inkubationsperiode von etwa fünf bis sechs Jahren aufgehoben werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken? ({0})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Parr, wie beurteilen Sie denn die Tatsache, dass es sich bei dem BSE-Fall in Schleswig-Holstein um ein in Deutschland 1996 geborenes Tier handelt, bei dem es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass es jemals mit aus Großbritanien importierten Tieren in Kontakt getreten ist. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Effizienz eines Importverbotes?

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe meine Ausführungen nicht in diesen Zusammenhang gestellt. Vielmehr habe ich über das Exportverbot gesprochen und dessen Lockerung kritisiert. Ich bleibe dabei, dass das Exportverbot hätte aufrechterhalten bleiben müssen. ({0}) Zweites Beispiel: Die grüne Landesministerin forderte frühzeitig die Entwicklung von Testverfahren. Sie trug entscheidend dazu bei, die Schnelltests zur Marktreife zu bringen. Bereits im Frühjahr des letzten Jahres kam der Prionentest in Nordrhein-Westfalen an über 5 000 Schlachtrindern zum Einsatz. Die grüne Bundesministerin humpelt erst jetzt hinterher. Drittes Beispiel: Frau Fischer setzt auf Europa - das muss Sie auch - und auf langwierige Gespräche, die oft ergebnislos verlaufen. Gestern noch verstieg sich der Staatssekretär des Landwirtschaftsministeriums im Gesundheitsausschuss in diesem Zusammenhang zu einem Hinweis auf den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft. ({1}) Das kann doch wohl nicht wahr sein! ({2}) Frau Höhn dagegen erhöht den Druck auf die handelnden Personen und setzt sich für nationale Alleingänge als drastische Signale ein. Ich denke, es ist notfalls doch besser, die Gefahr eines Vertragsverletzungsverfahrens in Kauf zu nehmen, als das Heft des Handelns allein den europäischen Bürokraten in die Hand zu geben. Ein weiteres Trauerspiel kann man im Bereich der Forschung beobachten. Frau Ministerin, Sie haben in allen Ihren Talkshow-Auftritten auf Fortschritte auf diesem Feld hingewiesen. Aber der Blick in Ihren Bericht und auf die 71 Seiten des viel gelobten und soeben vorgestellten Gesundheitsforschungsprogramms bestätigen Ihre Aktivitäten keineswegs: Von drei BMG-Projekten zur Erforschung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit stammen zwei aus den Jahren 1993 und 1997 und damit aus der Regierungszeit der alten Bundesregierung. ({3}) Nach der Regierungsübernahme spielte die BSE-Forschung im BMG bis zum Haushaltsjahr 2000 überhaupt keine Rolle; das ist auch dem Bericht zu entnehmen. Für das Jahr 2001 liegt der Antrag für sage und schreibe ein Forschungsvorhaben vor. ({4}) Auch der Forschungsverbund TSE beim Ministerium für Bildung und Forschung wurde bereits im Januar 1993 eingerichtet. Besondere zusätzliche Aktivitäten während Ihrer Regierungszeit sind nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil: Nach Aussagen einer Ärztin in einer der zahlreichen Talkshows gehen immerhin 10 bis 15 Prozent der betroffenen Fälle auf familiäre Dispositionen zurück - mit anderen Worten: sie sind genetisch bedingt. Frau Ministerin, Sie führen in einem Positionspapier Ihres Hauses unmissverständlich aus, Sie wollten das Schutzniveau des Embryonenschutzgesetzes nicht antasten. Offensichtlich wollen Sie auch in eng begrenzten und gegen Missbrauch abgesicherten Bereichen keinen Millimeter des zehn Jahre alten Gesetzes zur Diskussion stellen, um auf diese Weise der Forschung neue Möglichkeiten zu eröffnen. ({5}) De facto bedeutet das ein Forschungsverbot! In Deutschland soll es wohl keine neuen Vorsorgemaßnahmen und keine erweiterten Heilungschancen geben. Also bleibt für Forscher und Patienten wieder nur der Weg ins Ausland. Das kann nicht in Ordnung sein! ({6}) Wir haben in einem Antrag zum Haushalt zusätzliche 50 Millionen DM zur Erforschung der Ursachen und der Folgen sowie der Möglichkeiten zur Bekämpfung der Rinderseuche gefordert. Wenn aus den UMTS-Zinsersparnissen zu Recht Mittel in die Bildung und die Verkehrsinfrastruktur fließen, so darf doch die Förderung zusätzlicher Anstrengungen zum Ausbau des Gesundheitsschutzes unserer Bevölkerung erst recht nicht vergessen werden. Der SPD-Kollege Lewering hat in der ersten Lesung des Haushalts ausgeführt: Wir haben vor der Wahl versprochen, den Schutz der Menschen vor Gesundheitsgefahren zu einem Leitgedanken der Gesundheitspolitik zu machen. Auch in diesem Punkt halten wir Wort. Halten Sie Wort und stimmen Sie unserem Antrag zu! Wir sind das den Menschen in unserem Land auch im Hinblick auf das notwendige Vertrauen in unser Gesundheitssystem schuldig. Es hat bereits durch das unverständliche Festhalten der Bundesregierung an völlig überholten Vorstellungen zur Steuerung des Systems erheblich gelitten. Frau Ministerin, Sie haben in der ersten Lesung des Haushalts ausgeführt: Die Koalition wird sich sicherlich weiterhin mit der Frage beschäftigen, ob die Budgets in der jetzigen Form handhabbarer gemacht werden müssen. ({7}) Vizepräsidentin Petra Bläss Es geht aber weder um Handhabbarkeit noch um Gesetzestechnik, sondern es geht um die Frage der Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitssystems. ({8}) Mit einer Ausgabendeckelung und einer damit einhergehenden staatlich verordneten Leistungsverweigerung ist die Zukunft nicht zu gestalten. Die Patienten sind dieser Entwicklung ohnmächtig ausgeliefert. Sie können sich nicht wehren, wenn zum Beispiel Medikamente nicht mehr verschrieben werden, dringend notwendige Heilbehandlungen beim Physiotherapeuten nicht mehr durchgeführt werden, nach einem Schlaganfall die erforderliche Sprachschulung beim Logopäden nicht mehr übernommen wird, Praxen zeitweise geschlossen bleiben, weil die Ärzte nicht länger bereit sind, zum Nulltarif zu arbeiten, oder Wartelisten entstehen und Behandlungen zeitlich verschoben werden. Man kann die Beispiele für Rationierungen beliebig fortsetzen. Diese schleichende Rationierung hat längst eine beängstigend rasante Fahrt aufgenommen. ({9}) Stoppen Sie sie endlich, schaffen Sie die Budgetierung ab ({10}) und geben Sie den freien Berufen auf dem Wachstumsmarkt Gesundheit endlich wieder eine Chance. Wie so oft stellen wir fest, dass die Menschen im Denken längst viel weiter sind als die Politik. Nach einer Emnid-Umfrage empfinden 69 Prozent der Befragten das Arzneimittelbudget als gefährlich, da es zu einer Unterversorgung führt. Hochgerechnet sind bereits etwa dreieinhalb Millionen Menschen in Deutschland von Arzneimittelablehnungen betroffen. Der Arzneimittelbeauftragte der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Bausch aus Hessen, weist in einer Untersuchung unmissverständlich Leistungseinschränkungen nach. Die Gmünder Ersatzkasse stellt in einer sorgfältig durchgeführten Erhebung bei ihren Mitgliedern fest, dass die Arzt-Patienten-Beziehung einen erheblichen Vertrauensbruch erlitten hat. Ein grundlegend falsches System handhabbarer zu machen ist ein Fehler. Lösen Sie sich von dieser Illusion, Frau Ministerin. ({11}) Wir sollten uns ein Zitat, das erschreckend ist, näher ansehen. Die Gmünder Ersatzkasse schreibt in der genannten Erhebung: Wenn schon in einem Quartal fast 30 Prozent der behandelten Befragten Erfahrungen mit Leistungsverweigerung hatten, bedeutet dies, dass in einem gesamten Jahr bei unveränderten Bedingungen deutlich mehr als ein Drittel der Krankenversicherten solche Erfahrungen machen. In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend einen Blick auf die MEDICA in Düsseldorf werfen. Eine Veranstaltung des Deutschen Krankenhaustages fand besonderen Zulauf. Sie war überschrieben mit dem Motto: Leistungsgerechte Vergütung versus Budgetierung. Frau Ministerin, die Teilnehmer hatten wohl die von Ihnen verteilte Beruhigungspille bei der Eröffnung in Form Ihrer Absichtserklärung entgegengenommen. Die Einführung der DRGs, der Fallgruppenpauschalen im Krankenhaus sollte keinesfalls zu einem Preissystem mit Budgetierung und floatenden Punktwerten führen. ({12}) Das haben Sie gesagt. Geschluckt hatten sie diese Pille aber noch nicht. Zu frisch klang ihnen noch die Forderung des grünen Parteirats nach sektoralen Budgets mit Unterlegung von DRGs in den Ohren. Was denn jetzt? Wie denn jetzt? Sagen Sie uns bitte, wie Sie Ihre Erklärung mit diesem Beschluss zusammenbringen wollen! Ich bin mir sicher, es wird Ihnen nicht gelingen. Letzte Bemerkung: Wenn das Unternehmen Krankenhaus - so das Motto des Krankenhaustages - wirklich in die Lage versetzt werden soll, unternehmerisch zu handeln, dann muss die Planwirtschaft weg. Budgets, DRGs und unternehmerischer Wettbewerb passen einfach nicht zusammen. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube nicht, dass die Ministerin Defizite an Lob hat. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte gerne zwei Vorbemerkungen machen. Die erste Vorbemerkung betrifft Herrn Wolf und Herrn Schöler. Wenn mein Mann kocht, dann geht es nicht darum, wie viel es kostet, sondern erstens darum, wie es schmeckt, und zweitens darum, ob es harmonisch zusammenpasst. ({0}) So ist es auch mit unserer Gesundheitspolitik. Die zweite Vorbemerkung, Herr Wolf, richtet sich nur an Sie. Sie haben gesagt, wir würden die Ängste und Nöte der Menschen nicht ernst nehmen. Dann haben Sie mehr als 20 Minuten hier gestanden und die Themen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und BSE, die in dieser Woche wirklich allen Menschen auf den Nägeln brennen, mit keinem Wort erwähnt. ({1}) Ich bin Herrn Parr und auch Ihnen dankbar, dass Sie gemeinsam mit uns den Gesetzesantrag einbringen. Ich glaube aber, Herr Wolf hatte einen Grund, warum er heute nicht darüber geredet hat. Wenn man sich ansieht, was Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben, dann gibt es dazu nämlich etwas Konkretes und etwas Allgemeines zu sagen. Das Konkrete wurde im Jahr 1995 fortgesetzt mit Äußerungen des damaligen Bundesgesundheitsministers Horst Seehofer, der der „Bild“-Zeitung gesagt hat, BSE sei kein Problem bei deutschem Rindfleisch. ({2}) Weiterhin wurde gesagt: ... Horst Seehofer ... verteidigte sein Vorgehen im Streit um die Lockerung britischer Rindfleischimporte als „konsequent vorbeugenden Gesundheitsschutz“. Es wurde außerdem gesagt: Der Minister kritisierte die öffentliche Diskussion des Themas in den letzten Tagen und sprach von „Halbwahrheiten und schlichtweg unverantwortlicher Panikmache“. Dagegen kritisierte die GrünenAbgeordnete Ulrike Höfken-Deipenbrock, es sei unseriös, bei dreijährigen Rindern keine Gefahr anzunehmen. Die Inkubationszeit bei BSE betrage bis zu 17 Jahre. Das ist das Konkrete, was in Ihre Regierungszeit fällt. Jetzt komme ich zum Allgemeinen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, erlauben Sie, bevor Sie dazu kommen, eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich, Herr Wolf.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wissen, dass heute Abend noch eine Debatte zum Thema BSE stattfindet. Ich habe dazu nichts gesagt, weil ich nichts davon halte, alles fünfmal mit denselben Argumenten durchzukauen. Meine Frage zielt auf den möglichen Beitritt zu einer Klage Frankreichs gegen die EU-Kommission, die wollte, dass das Importverbot fällt. Im Gesundheitsausschuss stand ein solcher Beitritt zur Debatte und es wurde darüber abgestimmt. Eine Kollegin von Ihnen sagte damals, sie sei der Meinung, dass mehr auf den Weg gebracht werden müsse. Sie stimmte einem Antrag der CDU/ CSU-Fraktion zu. Diese Kollegin ist hinterher ausgetauscht worden, das heißt, sie musste den Gesundheitsausschuss verlassen. ({0}) Wie stehen die Grünen zu einem Importverbot? Ja oder nein? Wäre ein Importverbot nicht ein zusätzlicher Schutz gewesen? Sie und Ihre Ministerin haben der deutschen Bevölkerung diesen Schutz letztlich verweigert, indem Sie das Importverbot aufgehoben haben. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Wolf, Sie kennen das Abstimmungsverhalten Deutschlands in der EU-Kommission. Sie wissen vor allen Dingen eines: Ein Importverbot hätte zu dem Zeitpunkt, als wir im Gesundheitsausschuss darüber geredet haben, nichts genützt. Der Grund dafür ist ganz einfach: Mit einem Importverbot hätten wir nicht ausschließen können, dass deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher mit britischem Rindfleisch, das über andere Länder eingeführt worden ist, konfrontiert werden. ({0}) - Herr Zöller, ich sage Ihnen gerne, was anders war. Der Unterschied besteht darin, dass wir dafür gesorgt haben, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was sie auf den Tisch bekommen. Wir haben nämlich eine konsequente Etikettierung eingeführt. Das haben Sie damals nicht gemacht. Sie haben von Qualitätssiegeln aus Bayern geredet usw. ({1}) Ich komme jetzt auf den allgemeinen Aspekt zu sprechen. Er geht über das hinaus, was uns in dieser Woche beschäftigt. Wir Grünen haben in den letzten Jahren von Ihrer Seite sehr häufig erlebt, dass Sie all das als Spinnerei bezeichnet haben, was die Forderung enthielt, die biologische Landwirtschaft zu fördern. Damals haben ein paar Menschen ihre Standpunkte beibehalten - Sie haben sie auch öffentlich als Spinner bezeichnet -, ({2}) obwohl die Politik die artgerechte Tierhaltung zur Produktion von gesundem Fleisch nicht gefördert hat, obwohl sich die Politik nicht um salmonellen-belastete Eier und genmanipuliertes Gemüse gekümmert hat. ({3}) - An dieser Stelle geht es übrigens nicht um Klein- und Großbauern. Das ist völlig falsch. - Weil diese Menschen ihre Standpunkte beibehalten haben, besteht heute die Möglichkeit, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher für Nahrungsmittel entscheiden können, die aus ökologischem und damit tatsächlich unbedenklichem Anbau stammen. Ich bin sehr froh, dass diese Menschen ihren Kampf durchgehalten haben. Wir müssen langfristige Maßnahmen ergreifen, um diese Politik konsequent fortzusetzen. ({4}) Ich sage Ihnen noch etwas zu den Klein- und Großbauern. Auch bei Kleinbauern stehen die Rinder mitunter so eng beieinander, dass die Übertragung von Krankheiten nicht auszuschließen ist. Auszuschließen ist auch dort nicht das Vorhandensein von Antibiotika in Futtermitteln. Es gibt gerade in Ostdeutschland eine ganze Menge von Großbauern, deren Rinder vorwiegend im Freien sind. Es geht also nicht um die Größe eines landwirtschaftlichen Betriebes. Es geht vielmehr darum, ob unsere LandwirtKatrin Göring-Eckardt schaftspolitik statt einer industrialisierten eine artgerechte Tierhaltung ermöglicht. ({5}) - Ich glaube nicht, dass das weit weg von der Gesundheit ist. BSE ist das Gesundheitsproblem, das die Menschen in dieser Woche vor allen Dingen bewegt. ({6}) Ich möchte auf einen anderen Teil der Gesundheitspolitik zu sprechen kommen. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, ob uns das, was wir in dieser Zeit erleben, nicht dazu bringen sollte, die Kompetenzen des Verbraucherschutzes in diesem Lande - ich denke auch an die Möglichkeiten der Menschen, Verbraucherschutz wahrzunehmen - sehr stark zu erweitern, und zwar weit über das hinaus, was unsere Regierung schon tut. ({7}) Ich möchte nicht wiederholen, was hier zu den Schwerpunkten des Haushalts schon gesagt worden ist. Ich möchte gern darüber sprechen, was diese Schwerpunkte im Hinblick auf diejenigen Fragen bedeuten, die uns gesundheitspolitisch interessieren. Sie haben hier einen Punkt angesprochen, auf dem Sie offensichtlich unablässig herumreiten wollen: die Budgetierung. Was ist denn Budgetierung überhaupt, ({8}) sieht man einmal von den sektoralen Budgets ab, die Sie aufgrund Ihres Abstimmungsverhaltens im Bundesrat zu verantworten haben? Das ist ja nicht das, was wir eingeführt haben oder was uns gefällt. ({9}) Wir wollen die Beitragssatzstabilität erhalten, weil die Arbeitsmarktpolitik für diese Regierung eine entscheidende Frage ist. ({10}) Aus diesem Grund kann es uns nicht um sektorale Budgets gehen; die haben Sie zu verantworten. Wir wollen dagegen, dass das Geld, das zur Verfügung steht, sinnvoll verteilt wird. Uns geht es also - das ist der erste Punkt um Beitragsgerechtigkeit und damit auch um Generationengerechtigkeit. Der zweite Punkt: Alle medizinisch notwendigen Leistungen - auch hier unterscheiden wir uns von Ihnen, wenn Sie von Wahl- und Kernleistungen reden - müssen auch für alle zur Verfügung stehen. Wahlfreiheit der Versicherten darf nicht heißen, dass man zwischen besserer oder schlechterer Versorgung zu wählen hat. Deswegen diskutieren wir auch über den Risikostrukturausgleich; ich hoffe übrigens, dass wir mit Ihnen darüber gemeinsam diskutieren können. ({11}) Es geht dabei nicht um einen Wettbewerb um die billigsten Patienten - da sind wir mit Ihnen völlig einig -, sondern um einen Wettbewerb um die beste Versorgung. In dieser Diskussion, die wir gemeinsam zu führen haben, geht es also darum, wie es mit der Einnahmeseite des Gesundheitssystems in Deutschland aussieht. Wir dürfen dabei aber nicht zu dem Ergebnis kommen, die Einnahmeseite über höhere Beiträge oder über höhere Zuzahlungen zu verbessern. Das ist ja vielleicht Ihre Idee. ({12}) Wenn wir über die Einnahmeseite reden, darf das nicht nach dem Motto ablaufen: „Wir ziehen den Patienten mehr Geld aus der Tasche“, sondern es geht um mehr Beitragsgerechtigkeit. Dazu haben wir auch einen entsprechenden Beschluss gefasst. ({13}) Über einige andere Fragen wird man dann sehr konkret und zeitnah reden müssen. Da würde ich auch nicht sagen, dass all das, was an Gesundheitspolitik in Deutschland über viele Jahre hindurch gemacht wurde, der oder der zu verantworten hat. Es gibt nämlich ein paar Krankheiten - nicht erst seit zwei Jahren, sondern schon viel länger -, um die wir uns besonders kümmern müssen. Dazu gehört - dieses Thema haben Sie auch angesprochen, Herr Wolf die Diabetesversorgung. Wir haben dazu einen Antrag verabschiedet; dazu muss es noch weitere Maßnahmen geben. Dazu gehören Krebs, insbesondere Brustkrebs, und Allergien. Das geht schließlich bis hin zur Gesundheitserziehung an Schulen und zu der Frage, wie sich die Zahl der Unfalltoten verringern ließe. Wir sollten uns also gemeinsam auf einen Aktionsplan „Gesundheitsziele“ verständigen, in dem konkrete Maßnahmen festgelegt werden, die dazu führen, dass unser Gesundheitssystem auch zukunftsfähig bleibt. ({14}) - Es geht nicht um Budgetierung, sondern darum, dass die Menschen im Hinblick auf sehr konkrete Krankheiten Sicherheit bekommen. In diesem Zusammenhang sind für uns drei Punkte ganz besonders wichtig: Es muss solidarisch ablaufen, was gegen Kern- und Wahlleistungen, aber auch gegen Zuzahlungen spricht, es muss patientennah sein und es muss die Menschen als Partner verstehen, was eine Gesundheitspolitik über die Köpfe der Menschen hinweg ausschließt. Vielen Dank. ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat für die PDS-Fraktion die Kollegin Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Göring-Eckardt, das Letzte höre ich sehr gerne. Endlich Gesundheitsziele festzulegen wäre wirklich etwas Neues. Das fände unsere Unterstützung, vorausgesetzt, die Programme würden entsprechend ausgerichtet werden. ({0}) Aber zurück zum Haushalt: Der Einzelplan 15 ist bei überwiegender Fortschreibung der bekannten Aufgaben durch die Sparvorgaben des Finanzministers geprägt. An dieser Grundbewertung ändert auch die Tatsache nichts, dass die Aufnahme des Programms „Umwelt und Gesundheit“ positiv zu bewerten ist. Diese Bewertung gilt auch für das erfolgreiche Bemühen, die humanitäre Hilfe für die HIV-Opfer durch Blut und Blutprodukte über das Jahr 2004 hinaus weiterzuführen. Aus gesundheitspolitischer Sicht liegt der Hauptfehler des Bundeshaushalts nicht im Einzelplan 15, sondern ist im Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Soziales zu finden, über den wir vorhin schon debattiert haben. Die dort vorgenommene Kürzung des Zuschusses für die Krankenversicherungsbeiträge der Arbeitslosenhilfebezieher um 1,2 Milliarden DM macht einen neuen großen Verschiebebahnhof zulasten der GKV auf. ({1}) Dadurch werden der gesundheitlichen Versorgung enorme Mittel entzogen. Bei der gegenwärtigen Einnahmensituation der GKVen ist das unverantwortlich. ({2}) Meine lieben Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P., von Ihnen waren wir Verschiebebahnhöfe über Jahre gewohnt. Aber Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, müssen mir und vor allen Dingen Ihrer Wählerschaft folgenden Widerspruch erklären: In Ihrer Oppositionszeit haben Sie diese Art von Haushaltssanierung immer aufs Schärfste kritisiert. Damals haben Sie diese Politik für unsozial und ungerecht gegenüber der Versichertengemeinschaft gehalten. ({3}) Ich nenne das schlicht und einfach Beitragsklau; das gilt für früher wie für heute. ({4}) Mit Ihrer vor wenigen Minuten entschiedenen Ablehnung unseres Antrags haben Sie genau das getan. Die Folgen Ihres Handelns haben Sie nun alleine zu verantworten. Für die Mehrausgaben der Kassen beim Krankengeld, die als Ergebnis der Änderungen bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten entstehen, gibt es keinen Ersatz. Auch wenn diese jetzt nur 250 Millionen DM pro Jahr betragen, ({5}) bleibt es das Geheimnis der Bundesregierung, wie sie ihre gesamten finanzpolitischen Willkürakte angesichts zukünftiger Mehrbelastungen der GKVen in den kommenden Jahren zu verantworten glaubt. ({6}) Ich sage Ihnen: Dem Wunschtraum, die Gesundheitsreform 2000 werde das schon irgendwie richten, wird ein böses Erwachen folgen. ({7}) Durch die Ereignisse dieser Woche ist in die Haushaltsdebatte ein recht unerfreuliches Thema geplatzt, und zwar die BSE-Problematik. Dieses Thema ist zwar nicht neu, aber nachdem die wirkliche Dimension dieses Problems deutlich geworden ist, erleben wir hektische Aktivitäten und heftige gegenseitige Schuldzuweisungen. Niemand möchte den schwarzen Peter behalten, niemand hat Schuld, wenn es um den Anteil an der Verharmlosung der Gesundheitsgefahren von BSE in Ihren jeweiligen Regierungszeiten geht. Aber ist es nicht so, dass alle - ich betone: alle - davon reden, dass das Vorsorgeprinzip verlangt, auch Risiken, die nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können, weil Wissenslücken existieren, grundsätzlich als real anzusehen und nach Möglichkeit zu beseitigen? Ist es nicht so, dass die Krankheit BSE angesichts der potenziellen Gesundheitsgefahren geradezu als klassischer Fall für eine konsequente Anwendung dieses Prinzips gelten muss? ({8}) War es nicht so, dass Minister Seehofer das Problem bereits Anfang der 90er-Jahre durchaus auf diese Weise angehen wollte, er aber schon nach kurzer Zeit - von wem, habe ich nicht zu beantworten - zum Rückzug gezwungen wurde? Aber haben nicht auch SPD und Grüne, damals noch scharfe Kritiker dieser Entwicklung, ihre guten Vorsätze mit Übernahme der Regierungsverantwortung auf eigenartige Weise sofort vergessen? Wie anders ist es sonst zu erklären, dass die Regierung die Umsetzung des EU-Beschlusses zur Vernichtung von Risikomaterialien bis zum Oktober dieses Jahres immer wieder hinausgezögert hat, dass sich Gesundheitsministerin Fischer der Aufhebung des Importstopps im Falle Großbritanniens zu einem Zeitpunkt fügte, als von einem Ende der mit dem Import verbundenen Gefahren keineswegs die Rede sein konnte? ({9}) Blieb nicht auch unter Rot-Grün das Thema Tiermehl unangetastet, obwohl ständig das Risiko bestand, dass das Tiermehl trotz des Verbotes auch in Rinderfutter gelangen konnte? Natürlich trifft es zu, wenn die Gesundheitsministerin von einem „GAU der industrialisierten Landwirtschaft“ spricht. Aber Recht hat auch die „Süddeutsche Zeitung“, wenn sie von einem gleichzeitigen GAU der Seuchenbekämpfungspolitik in diesem Lande schreibt. Angesichts Letzterem sind, wenn es auch viel zu spät erfolgt, das jetzt angestrebte umfassende Tiermehlverbot und der Einsatz von Schnelltests, welche wir heute Abend - hoffentlich alle zusammen - beschließen werden, vor allem von den Gesundheitspolitikern zu unterstützen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt die Bundesministerin für Gesundheit, Andrea Fischer.

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zu Beginn meiner Rede bei den Berichterstattern für die gute Zusammenarbeit bei der Haushaltsberatung sowie bei meinen Mitarbeitern, die die Berichterstatter - was diese im Haushaltsausschuss gesagt haben - auf das Allerbeste unterstützt haben, bedanken. Besonders gilt Ihnen mein Dank für Ihre Unterstützung bei den Veränderungen, die beim BfArM anstehen. Der Kollege Schöler hat dazu bereits das Notwendige gesagt. ({0}) Auch ich möchte mit einigen Aussagen zum Thema BSE beginnen: In der Vergangenheit hat es zwar in diesem Zusammenhang viele Maßnahmen gegeben. Offenkundig waren diese jedoch nicht ausreichend. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass dieses Thema näher an uns herangerückt ist, als wir dies lange Zeit wahrhaben wollten. Nun haben wir es mit einer sehr tief greifenden Verunsicherung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu tun. Ich glaube, dass wir das Vertrauen in die Politik nicht dadurch wieder herstellen, dass wir beschwichtigen und uns darauf verlassen, dass der erste BSE-Befall eines Rindes in Deutschland ein Einzelfall gewesen sein könnte. Jetzt müssen wir ehrlich sein. ({1}) - Herr Wolf, wir können gerne noch einmal darüber sprechen, warum jetzt plötzlich ein entschlossenes Handeln möglich ist, was lange Zeit sehr schwer durchzusetzen war. Ich könnte Ihnen jetzt sagen, von welcher Seite Widerstand kommt. Ich habe es gestern im Landwirtschaftsausschuss sehr deutlich gemerkt: Unter den Landwirtschaftspolitikern ist das Tiermehlfütterungsverbot parteiübergreifend eine bittere Pille. ({2}) Da sollte sich hier keiner etwas vormachen. Das Gleiche gilt für die Frage der BSE-Tests, die von den Landwirtschaftspolitikern ebenfalls sehr kritisch beurteilt werden, weil man Angst hat, dass man damit überhaupt erst die Nachricht in die Welt setzt, es gebe in Deutschland ein BSE-Problem. Vielleicht werden auch wir hier in Deutschland einmal ähnlich wie die Briten einen Bericht vorlegen - ich fände das interessant -, wer wann was wie falsch gemacht hat. Im Moment aber ist es viel klüger, dass sich jeder an seine Nase packt und überlegt, was man vielleicht hätte anders machen müssen, und dass man dann ebenso wie beim Tiermehlfütterungsverbot bei allen anderen in diesem Zusammenhang erforderlichen Maßnahmen gemeinsam vorgeht. Unsere Aufgabe ist es, mit der jetzigen Situation umzugehen. Manche Dinge sind jetzt möglich, die lange Zeit wegen großer Widerstände nicht möglich waren. ({3}) Das Tiermehlverbot ist ein dramatischer Eingriff in einen ganzen Wirtschaftszweig. Es verlangt von allen Beteiligten unglaublich viele Umstellungsmaßnahmen. Offenkundig bedurfte es erst eines weiteren Vorfalles, bis endlich Handlungsbereitschaft entstanden ist. Darüber könnte ich als Grüne sehr lamentieren. Das tue ich nicht, sondern ich sage: Ich bin froh, dass uns die Durchsetzung dieses Verbotes jetzt gelingt. Das ist ein wichtiger und bedeutsamer Schritt. Noch bedeutsamer ist, dass dieser Schritt jetzt offensichtlich auch auf EU-Ebene zumindest in die Nähe des Möglichen rückt. ({4}) Denn wir müssen in diesem Bereich etwas tun; auf anderem Wege können wir keine Sicherheit herstellen. Ich verweise im Zusammenhang mit der Fleischhygienedringlichkeitsverordnung, die ich zurzeit mit den Ländern berate und die vermutlich nächste Woche verkündigungsreif ist, darauf, dass die Länder dafür zuständig sind, BSE-Tests durchzuführen. Ich kenne auch in diesem Zusammenhang Äußerungen von Mitgliedern mancher hier im Hause vertretenen Partei, warum man keine Ausweitung der Tests vornehmen wolle. - Auch dies also dazu, dass sich jeder einmal an die eigene Nase packen sollte. Es ist notwendig und richtig, dass wir jetzt flächendeckende Tests einführen, ohne dabei die Verbraucherinnen und Verbraucher in falscher Sicherheit zu wiegen. Denn diese Tests werden uns zwar Aussagen darüber geben, wie die epidemiologische Lage ist. Aber sie bieten keine hundertprozentige Sicherheit darüber, wie es um das einzelne Tier steht. Jetzt nur noch kurz ein Wort zum Exportverbot - denn ich möchte auch noch auf die Gesundheitspolitik zu sprechen kommen -: Der Europäische Rat von Florenz im Jahre 1996 hat festgelegt, unter welchen Bedingungen das Exportverbot für britisches Rindfleisch aufgehoben werden kann. Wenn ich mich nicht völlig täusche und nicht schon vom Rinderwahnsinn befallen bin, ({5}) waren ich und die anderen, die jetzt auf der Regierungsbank sitzen, 1996 noch nicht an der Regierung. Als das Importverbot letztes Jahr aufgehoben wurde, waren die Bedingungen, die der Europäische Rat von Florenz unter Beteiligung der damaligen deutschen Bundesregierung aufgestellt hatte, erfüllt. Deswegen wurde das Importverbot aufgehoben. Deutschland bzw. die neue Bundesregierung hat trotzdem dagegen gestimmt. Aber wenn das Importverbot von allen anderen Ländern erst einmal aufgehoben ist, dann kann man zwar in Bezug auf das europäische Recht Robin Hood spielen, so wie Herr Parr das hier versucht hat, aber dann sind Sie noch lange kein Verbraucherschützer. Denn ein Verbraucherschützer muss sich doch die Frage stellen, ob man nur heldenhaft gegen europäisches Recht kämpft oder ob man nicht auch dafür sorgen sollte, dass die Menschen wissen, welches Fleisch sie auf den Teller bekommen. Denn auf alle anderen Mitgliedstaaten haben Sie keinen Einfluss. Das ist der Punkt, Herr Parr. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seehofer?

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Selbstverständlich.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ich stimme Ihrer Argumentation am Schluss hundertprozentig zu. Es wird nämlich in der Öffentlichkeit viel zu häufig übersehen, dass dieses Gebiet vergemeinschaftet ist und es sich um zwingendes Recht der Europäischen Union handelt. Könnten Sie aber dafür sorgen, dass in Ihrer Koalition die gleichen Maßstäbe bei der Beurteilung eines gewissen Zeitraums - es waren fünf Monate im Jahr 1995 - angelegt werden? Damals hatten wir den gleichen Streit, damals wurde ich aufgefordert, national vorwegzumarschieren und allein zu handeln. Meine Argumentation damals war genau die gleiche, die Sie jetzt verwenden. Können Sie bestätigen, dass das so ist? ({0})

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Nein, so leicht kann ich es Ihnen nicht machen. Es gibt einen Unterschied. Kollege Seehofer, Sie müssen mir zuhören, wenn ich versuche, Ihnen eine Antwort zu geben. ({0}) - Sie können sich nicht zwischen zwei Damen entscheiden? - Lasst ihn einen Augenblick in Frieden! ({1}) Herr Kollege Seehofer, durch die Vergemeinschaftung - hier sind wir in der Tat einer Meinung - in einem Europa der offenen Grenzen sind die Möglichkeiten, diesen Schutz auf nationaler Ebene herzustellen, begrenzt. Ich reklamiere für mich aber, dass wir damals als es um die Aufhebung des Importverbots ging - dabei habe ich einen durchaus abenteuerlichen Umgang mit den Rechtsverpflichtungen gepflegt -, gesagt haben: Wir heben das Verbot nur auf, wenn ihr uns erlaubt, strenge Vorschriften für die Kennzeichnung vorzunehmen. Das ist uns gestattet worden, aber wir sind mit dem Stand der Dinge noch nicht zufrieden. An diesem Punkt sehe ich den einen Unterschied zu Ihrer Argumentation. Es gibt noch einen zweiten, der allerdings nichts mit meiner oder Ihrer Politik zu tun hat. In dem Moment, zu dem bei uns BSE-Fälle auftreten, kommen wir natürlich in Argumentationsnöte gegenüber anderen Ländern, deren Fleisch wir nicht bei uns haben wollen, weil sie BSEFälle haben. ({2}) Damit man mir nachher nicht vorwirft, ich hätte über nichts anderes gesprochen, möchte ich mich nun der Gesundheitspolitik zuwenden. Vorher möchte ich aber noch einen Vorschlag machen: Wir dürfen nicht nur akutes Krisenmanagement betreiben. Das war notwendig, damit wir jetzt weitere Schritte gehen können. Ich möchte gern einen Arbeitsstab BSE beim BMG mit Vertretern aus dem Haus, aus den Ländern und der Wissenschaft einrichten, in dem wir gemeinsam darüber beraten können, welche weiteren Schritte wir gehen können. Dazu möchte ich alle Beteiligten einladen. ({3}) Jetzt möchte ich zur Gesundheitspolitik kommen, bei der ich einiges Vorgetragene so nicht stehen lassen kann. Lassen Sie mich mit den neuesten Zahlen zur finanziellen Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung, die uns seit heute Morgen vorliegen, beginnen. Das Defizit ist im dritten Quartal zurückgegangen. Wir werden am Ende des Jahres einen Überschuss von etwa 1 Milliarde DM haben. ({4}) So viel zu den Unkenrufen. Es ist gelungen, den Stand der hohen Schulden in Ostdeutschland etwas abzubauen. Dafür war eine große Solidaritätsanstrengung der Versicherten aus dem Westen notwendig. Die Leistungsausgaben - jetzt hören Sie gut zu sind um 1,8 Prozent gestiegen; darauf komme ich später noch zurück. Der durchschnittliche Beitragssatz liegt derzeit bei 13,57 Prozent, im ersten Halbjahr 1998 lag er bei 13,64 Prozent. Das ist eine gute Ausgangsbasis für das nächste Jahr, in dem wir es mit vielen Herausforderungen zu tun haben werden. So haben wir zum Beispiel, zwei Verfassungsgerichtsurteile umzusetzen, die ebenfalls aus einer Zeit stammen, in der ich nicht die Verantwortung trug. ({5}) Die Entwicklung des Beitragssatzes ist ein Erfolg, zwar nicht für die Kassen oder für mich, aber für die Versicherten, deren Belastungsfähigkeit in den 90er-Jahren aufgrund Ihrer Abgabenquote an eine Grenze gestoßen war. Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Beitragssätze stabil halten. ({6}) Dazu war es notwendig, die Einnahmenseite zu stärken. Dass Ihnen der Weg nicht gefallen hat, ändert nichts daran, dass wir es getan haben. Dabei hatten wir eine Hypothek zu tilgen. Da gerade von Verschiebebahnhöfen die Rede war, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die größten Verschiebungen zwischen Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung gab es im Jahr 1995 mit 5 bis 6 Milliarden DM. Ich habe durchgesetzt - das muss ich einfach richtig stellen -, dass bei der Erwerbsunfähigkeitsrente es handelt sich hier um ein Gesetz, das noch aus der alten Regierungszeit stammt und bei dem die höhere Belastung für die Krankenversicherung kampflos hingenommen wurde - die Belastung auf 250 Millionen DM begrenzt wird. ({7}) Ich möchte jetzt noch auf die internationalen Vergleiche zu sprechen kommen. Die internationalen Vergleiche beziehen sich nicht auf den Stand des Jahres 2000, sondern auf einen längeren Zeitraum. Die Qualitätsmängel sind ein altbekanntes Problem unseres Landes. Ich will Ihnen deswegen im Zusammenhang mit dem Argument - ich kann es nicht mehr hören, denn das ist nun wirklich intellektuell dürftig -, alle Probleme in unserem Gesundheitswesen lägen an der Budgetierung, sagen: Da machen Sie sich einen schlanken Fuß, weil Sie sich nicht mit dem eigentlichen Qualitätsproblem in unserem Gesundheitswesen beschäftigen wollen. ({8}) Natürlich weiß ich, dass in diesem Lande Ärzte mit Verweis auf das Budget Medikamente verweigern. Das halte ich für skandalös. ({9}) Aber die Frage ist: Haben die Ärzte Recht, wenn sie sich bei der Verweigerung eines Medikamentes auf das Budget berufen? Diese Frage müssen Sie stellen. Damit ist schon Frau Yzer vom VFA auf die Nase gefallen, als sie unter Krokodilstränen eine Studie vorlegte, nach der vielen Leuten Medikamente verweigert worden sind. Beim genauen Hinsehen hat sich jedoch herausgestellt, dass 70 bis 80 Prozent der verweigerten Medikamente solche waren, die seit 1992 von der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung als Bagatellmedikamente ausgeschlossen sind. ({10}) Wo ist das Problem? ({11}) Dass es in der Praxis natürlich einfacher ist, die Schuld auf die böse Frau Fischer zu schieben, anstatt zu erklären, dass Bagatellleistungen nicht von der Solidargemeinschaft finanziert werden, verstehe ich. Aber deswegen ist es trotzdem nicht richtig, auch wenn Sie es sich immer zu Eigen machen. Dann haben Sie sich, Herr Wolf, widersprochen. Sie haben gesagt, die Arzneimittelausgaben seien trotz Budgetierung ständig gestiegen. Was denn nun? Werden die Ausgaben durch die Budgetierung zu stark gedeckelt oder ist sie als Deckel zu wenig wirksam, weil die Ausgaben weiter steigen? Das liegt übrigens daran, dass allein bei den Arzneimittelbudgets keine Grundlohnsummensteigerung vorgesehen ist. Wenn Ärzte nachweisen können, dass es durch Innovationen zu höheren Kosten kam, dann können sie höhere Abschlüsse machen. Dies obliegt nicht der Bundesgesundheitsministerin, sondern der Selbstverwaltung. Diese versagt in diesem Punkt. ({12}) Die Selbstverwaltung versagt auch, wenn es darum geht, die Ärzte bei einer rationalen Arzneimitteltherapie zu beraten. ({13}) Sie wollen die Budgets freigeben und die Ärzte so viel verschreiben lassen, wie sie wollen. ({14}) Verschwendung bei der Verschreibung von Arzneimitteln ist weder im Interesse des Patienten noch im Interesse der Solidargemeinschaft, die dann Medikamente mitbezahlen muss, die niemand braucht. ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Ministerin, es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage des Kollegen Wolf.

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Bitte.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben bei unseren politischen Vorschlägen die Erfahrung gemacht, dass Sie sie wieder rückgängig machen. Ist es nicht richtig, dass wir die Arzneimittelsteuerung nicht völlig freigeben wollten, sondern budgetablösende Richtgrößen auf den Weg gebracht haben, ({0}) und dass Sie das mit Ihrem Gesetz einfach kassiert haben? Heute besteht das Problem, dass Sie Budgets plus Richtgrößen vorschreiben, die dazu führen können, dass ein Arzt, obwohl er anständig verordnet und seine Richtgrößen eingehalten hat, am Ende dennoch mit seinem Honorar wegen Arzneimittelüberschreitung haftet. Halten Sie das für richtig und gerecht?

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Herr Wolf, wenn ich Sie jetzt wie den Blinden von der Farbe reden höre, dann weiß ich schon, dass ich mich besser nicht Ihrer Unterstützung versichern sollte, obwohl Sie mir heute so viel Mitleid haben angedeihen lassen. ({0}) - Ich würde es Ihnen jetzt gerne erklären. Noch einmal: Die Richtgrößen gibt es noch immer. Wenn sich Ärzte in ihren Praxen darüber beklagen, sie hätten unzureichende Budgets, dann meinen sie die Richtgrößen; denn die Budgets sind eine Vereinbarung, die auf der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigung getroffen wird. Der einzelne Arzt erfährt nur von der Richtgröße, die Sie so schätzen. Bei diesen Richtgrößen - das sollten Sie sich einmal anschauen - gibt es in der Bundesrepublik Deutschland in den Regionen und auch in den Facharztgruppen riesige Unterschiede. Es sind aber immer Festlegungen der Selbstverwaltungen. Wenn es trotz Richtgrößenprüfung und des erfolgten Regresses nicht gereicht hat, dann kommt der Kollektivregress, von dem Sie gerade gesprochen haben. Dann steht es der Kassenärztlichen Vereinigung frei - so steht es im Gesetz -, wie sie damit umgeht. Der Radiologe, der sich darüber beklagt, dass er kein Medikament verschrieben habe, muss von der kassenärztlichen Vereinigung überhaupt nicht in diese Art von Regress einbezogen werden. Noch etwas zu den budgetablösenden Richtgrößen. Die einzige Kassenärztliche Vereinigung, die das gemacht hat - das wissen Sie ganz genau -, war die Kassenärztliche Vereinigung in Bayern. Ich habe mich damit viel beschäftigt; das hat den bayerischen Ärzten wenig Freude gebracht. ({1}) - Auch wenn Sie dabei waren, wurde dadurch die Sache zu meiner großen Überraschung nicht besser. - Was ich damit sagen will, ist: Die Richtgrößen haben wir als Instrument im Gesetz festgeschrieben. ({2}) Sie sind derjenige, der die ganze Zeit diesen Popanz mit dem Budget aufbaut. Die Richtgrößen sind vollkommen richtig dargelegt. Ich will es anders formulieren: Wenn der Deckel, der die Richtgrößen festlegt, so eindeutig wäre, dann könnte es diese breiten Unterschiede in unserem Land in dieser Form nicht geben. Das hat vielmehr mit den unterschiedlichen Facharztgruppen und mit den üblichen Konflikten zwischen den verschiedenen Beteiligten zu tun. ({3}) Ich glaube, dass die Richtgröße keine Alternative ist. ({4}) Ich will jetzt nur noch abschließend darauf eingehen, was Sie wollen. Sie wollen keine Budgets, aber Sie wollen stabile Beitragssätze. Also sagen Sie den Leuten deutlich: Sie wollen, dass die Menschen höhere Zuzahlungen leisten, oder den Anschluss von Leistungen, die komplett privat abgerechnet werden sollen. Etwas anderes kann es nicht sein. Außerdem habe ich ja Ihre Texte gelesen, in denen das zum Teil steht. Da gibt es ein Drei-Stufen-Modell mit einer „untergestuften“ Grundleistung, für die man dann weniger bezahlt, und irgendwelchen ergänzenden Wahlleistungen. Das alles steht in Ihren Texten. Ich finde, dann sollten Sie hier auch ehrlich sagen, dass Sie die Einkommen all derjenigen, die im Gesundheitswesen verdienen, verteidigen wollen, dass dort überhaupt keine Abstriche gemacht werden sollen. Immer mehr Menschen wollen im Gesundheitswesen ihr Geld verdienen. Das heißt, auch auf der Anbieterseite entsteht ein hoher Druck. Diese Einkommen verteidigen Sie und stattdessen wollen Sie bei den Patienten in die Tasche greifen. Das ist Ihre Alternative und das sollten Sie ehrlich sagen. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Luther für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, wieder etwas Sachlichkeit in die Debatte zu bringen. Da es um den Haushalt geht, will ich etwas zur Haushaltsberatung sagen. Ich meine, das Berichterstattergespräch fand in einer angenehmen und konstruktiven Atmosphäre statt. Dafür will ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanken. ({0}) Damit hören allerdings die Punkte auf, für die ich mich bedanken kann. Auch wenn ich neu in dem ganzen Metier bin, habe ich relativ schnell erkannt, welche strategischen Ziele das Bundesgesundheitsministerium eigentlich verfolgen sollte und welche es nicht verfolgt, wo im Endeffekt die Defizite liegen. Herr Schöler, Sie haben hier schon sehr ausführlich zu der Diskussion zum BfArM Stellung genommen. Aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich sagen: Das Parlament muss ein ganz besonderes Augenmerk darauf legen, dass dieses Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zum Arbeiten kommt. So wie es momentan vor dem Hintergrund eines europäischen Marktes wirkt und arbeitet, ist es schädlich für die Pharmaindustrie, weil Zulassungen von Medikamenten sehr lange dauern, weil es Widersprüche innerhalb des eigenen Hauses gibt. So werden zum Beispiel Unterlagen einerseits angenommen und andererseits in Verbindung mit anderen Antägen abgelehnt. Da weiß also die eine Hand nicht, was die andere macht. Für die neuen Bundesländer stellt sich noch ein besonderes Problem: 25 000 Nachzulassungen von Anträgen aus dem Gebiet der ehemaligen DDR sind noch offen. Das ist diskriminierend. ({1}) All diese Dinge beschreiben die Arbeitsweise des Institutes. Hier muss also etwas passieren. Das ist aber nicht allein Schuld der jetzigen Bundesgesundheitsministerin, das gestehe ich gern zu. ({2}) Ich meine vielmehr, dass das Parlament vielleicht zu lange zugeschaut hat. Es wird nun endlich Zeit, dass hier etwas passiert. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen. Eines wundert mich allerdings an dieser Stelle, Herr Schöler: Wenn das Parlament hier eine besondere Kontrollfunktion ausüben soll, dann muss es auch die Kontrollinstrumente, die es hat, nutzen. Ich glaube, das Instrument einer qualifizierten Haushaltssperre schafft uns die Möglichkeit, qualifiziert Einfluss zu nehmen, also dort, wo ein Fortschritt bei der Modernisierung des Instituts zu verzeichnen ist, entsprechend zu reagieren. Dieses Instrument ist extra für das Parlament eingerichtet worden, aber Sie haben es abgelehnt und das wundert mich. ({3}) - Sie legt das Institut nicht lahm. ({4}) Wir haben im Berichterstattergespräch sehr lange über diese Frage gesprochen. Wir wissen, was gemacht werden muss. Ich denke, die Kontrolle sollte vom gesamten Parlament und nicht nur durch von der SPD-Fraktion durchgeführt werden. Ich will nun etwas, zu dem Gesetz zur Neuordnung der seuchenrechtlichen Vorschriften sagen.Damit soll der Schutz der Menschen in Deutschland vor Infektionskrankheiten verbessert werden. Dieses Gesetz ist im Frühjahr dieses Jahres verabschiedet worden. Noch im Mai hat die Koalition im Deutschen Bundestag mitgeteilt: Das Robert-Koch-Institut, dem die Umsetzung dieses Gesetzes obliegt, benötigt zusätzlich 45 Personalstellen, 700 000 DM jährlich für Ausgaben im Sachbereich und eine einmalige Anschubfinanzierung in Höhe von 810 000 DM. Als ein, zwei Monate später der Haushalt aufgestellt worden ist, wurde deutlich, dass die Koalition das schon wieder vergessen hatte; denn die entsprechenden Ansätze im Haushalt wurden nicht erhöht. Weder auf Nachfrage noch nach der Diskussion im Haushaltsausschuss wurde etwas geändert. Es wundert mich, wie Sie sich, Frau Ministerin, hier verhalten und wie Sie es zulassen konnten, dass das Robert-Koch-Institut im Hinblick auf die Umsetzung des Gesetzes letztendlich unzureichend mit Personal ausgestattet wird. Es werden jeweils nur 14 Stellen für 2001 und 2002 und keine zusätzlichen Mittel für die laufenden Sachkosten bewilligt. Die Folge ist, dass Sie letztendlich die Umsetzung dieses Gesetzes gefährden. ({5}) Wenn man darüber nachdenkt, dann ist das angesichts der Bedeutung dieses Themas besonders makaber. Aber das passt in das Bild, das die Bundesgesundheitsministerin insgesamt abgibt. Sie kündigt vollmundig etwas an und muss dann im Kabinett einen Rückzieher machen. Das gilt nicht nur für dieses Thema. Sie sind auch bei dem Thema „Verringerung der Beitragszahlungen zur „Krankenversicherung für Arbeitslosenhilfeempfänger“ gescheitert. Das kostet die gesetzlichen Krankenkassen 1,2 Milliarden DM, was, gemessen am gesamten Ansatz für das Gesundheitswesen, eine geringe Summe zu sein scheint, die aber den Krankenkassen wirklich fehlt. Wir alle wissen, dass das Hauptproblem in Deutschland die fehlende Sicherung der Finanzierung des Gesundheitswesens ist. ({6}) Hier besteht dringender Reformbedarf. Die Defizite - das möchte ich an dieser Stelle betonen - sind schon lange bekannt. Horst Seehofer und die damalige Koalition hatten bereits eine Reform im Gesundheitswesen auf den Weg gebracht. Wir haben schwierige Schritte unternommen, um zu einer wirklichen Lösung beizutragen. Als Sie Regierungsverantwortung erlangten, haben Sie unseren Reformkurs nicht fortgeführt. Sie haben sogar Teile der Reform zurückgenommen und haben etwas Neues auf den Weg gebracht, ich sage: verschlimmbessert. Jetzt tun Sie gar nichts mehr. ({7}) Die Folgen Ihrer Politik sind heute eigentlich ausreichend beschrieben worden. Ich möchte nur noch darauf hinweisen: Sie gefährden letztendlich die medizinische Versorgung der Patienten genauso wie die Existenzgrundlage der gesetzlichen Krankenkassen, der Ärzte und der Krankenhäuser. Diese Liste ließe sich beliebig bis hin zu den Logopäden fortschreiben. All diese Gruppen befinden sich in einer schwierigen Lage, weil Sie eines nicht beachten: Das Gesundheitswesen ist ein kompliziertes Räderwerk, in dem ein Zahnrad in das andere greift. Wenn man dort mit dem Holzhammer hineinschlägt, dann zerschlägt man das ganze Getriebe. Man muss versuchen, mit Augenmaß zu reformieren. Darauf kommt es an. Wir haben angeboten, daran mitzuwirken. Aber von Ihrer Seite kommt zurzeit überhaupt nichts. Das finde ich mehr als bedauerlich. ({8}) Ich finde es deshalb mehr als bedauerlich, weil Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, an und für sich gute Ansätze gezeigt haben. Ihr Parteirat hat die Durchführung einer Gesundheitsreform beschlossen, der wir sehr viel Positives abgewinnen können. ({9}) Aber warum wollen Sie die Reform nicht schon jetzt, sondern erst 2002 auf den Weg bringen? ({10}) Ich vermute, der eigentliche Grund ist: Ein gutes Gesetz passt nicht zu dieser Regierung und vor allem nicht zur SPD, gegen die Sie es nicht durchsetzen wollen. ({11}) Ich gebe an dieser Stelle zu: Ich bin medizinischer Laie. Das müssen Sie bedenken, wenn ich mich jetzt zum Thema Richtgrößen und Budgets äußere. Ich verstehe das Thema so: Bei einem Budget wird ein Rahmen vorgegeben, der eingehalten werden muss. Die Ärzte bekommen dann im Laufe des Jahres von den Kassenärztlichen Vereinigungen, ihren Selbstverwaltungsorganen, mitgeteilt: Die Budgets, die eigentlich für das ganze Jahr ausreichen sollten, sind bereits im September aufgebraucht. Verraten Sie mir einmal, wie sich jemand an Richtgrößen orientieren soll, wenn das Budget aufgebraucht und kein Geld mehr da ist? ({12}) Als Haushälter muss ich auch die Öffentlichkeitsarbeit ansprechen. Sie haben im Haushalt 3,3 Millionen DM für die Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen. Ich habe Sie schon im Haushaltsausschuss gefragt: Was wollen Sie mit diesem Geld machen? Wollen Sie die Pflegeversicherung bekannt machen? Ich glaube, das braucht man nicht mehr. Die kennt jeder in Deutschland. Wollen Sie die Gesundheitsreform publizieren? Welche wollen Sie denn publizieren? ({13}) Ich weiß, wozu es dient: zur gefälligen Selbstdarstellung. Das haben Sie sicherlich auch nötig, denn bei substanzloser Politik braucht man besonders viel Geld zur Selbstdarstellung. ({14}) Ein weiteres Thema, das mir persönlich Sorgen bereitet, ist heute noch nicht angesprochen worden. Das ist die Drogenpolitik. ({15}) - Ich habe schon zugehört. Ich kann auch den Haushalt lesen, Herr Schöler. Es gibt zwei Projekte, mit denen sich die Bundesregierung befasst. Das eine ist das Modellprojekt auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs. Dafür sind wie in diesem Jahr 9,8 Millionen DM eingestellt. Bis zum September dieses Jahres sind aber nur 3,7 Millionen DM hierfür ausgegeben worden. So hieß es am Anfang der Berichterstattergespräche. Sie haben also offensichtlich große Probleme beim Umsetzen dieses Programms. Auf der anderen Seite planen Sie 12 Millionen DM für Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs ein und bleiben damit beim Haushaltsansatz der letzten Jahre. Aber manchmal muss man politisch auf die jeweilige Zeit reagieren. Ich will ein paar Zeitungsüberschriften der letzten Wochen zitieren: „Der Drogenkonsum nimmt erschreckend zu“, ({16}) so die „Neue Osnabrücker Zeitung“ vom 4. November 2000. - „Immer mehr Kokain auf dem Markt“, so „Die Welt“ vom 28. Oktober 2000. - „Neue Drogen - unveränderte Gefahren“, so die „Neue Züricher Zeitung“ vom 11. Oktober 2000. Das ist die Beobachtung, die auch wir machen: Mit Drogen wird sorgloser umgegangen. Ich zitiere nochmals, und zwar „Die Welt“ vom 7. November 2000. Herr Rüdiger Engler - er ist Leiter des für die Drogendelikte zuständigen LKA 22 hier in Berlin sagte Bei den Erstkonsumenten von Kokain verzeichnen wir im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 50 Prozent. ({17}) Auch wenn man mit Jugendlichen spricht - ich spreche oft mit Jugendlichen - stellt man fest, dass man sich beim Umgang mit dem Thema Drogen und mit den Drogen selbst der Gefahren nicht bewusst ist. ({18}) Ich meine darauf muss man mit einer adäquaten Aufklärungskampagne reagieren. Fixerstuben nützen überhaupt nichts. ({19}) Denn es kommt vor allem darauf an, Jugendliche, junge Menschen, junge Erwachsene vor dem Einstieg in die Drogen zu bewahren, und es geht nicht darum, wenn es zu spät ist, zu sehen, wie man einen Entzug organisieren kann. ({20}) Deshalb sage ich an dieser Stelle: Stecken Sie die 3,3 Millionen DM, die Sie für die Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen haben, lieber zusätzlich in die Drogenaufklärung. Dort wäre dieses Geld gut angelegt. ({21}) Um der Meinung vorzubeugen, wir hätten keine entsprechenden Anträge gestellt: Dies haben wir im Haushaltsausschuss getan. Sie haben sie leider abgeschmettert. Ich meine, Herr Schöler, man kann nicht einfach so weitermachen wie bisher. Ich komme zum Schluss. Ich habe die Bundesministerin am Anfang für die gute und nette Beratung, die wir hatten, gelobt. Das kann ich noch einmal bestätigen. Über mehr positive Impulse konnte ich leider nicht berichten. Schade. Vielleicht klappt es im nächsten Jahr. ({22})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Regina Schmidt-Zadel das Wort.

Regina Schmidt-Zadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Walter Schöler ist für meine Fraktion schon ausführlich auf den Einzelplan 15 eingegangen, auch auf die Drogenpolitik, Herr Luther. Vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört. Ich würde Ihnen raten, Ihre Thesen am Tor der Pfarrkirche in Zwickau anzuschlagen. Vielleicht werden sie dann deutlicher vernommen, als das heute hier der Fall war. ({0}) Meine Damen und Herren, die Redner der Opposition haben diese Aussprache genutzt, um eine Generaldebatte über die Gesundheitspolitik zu führen. Ich will an dieser Stelle auf einige aktuelle und grundsätzliche Dinge eingehen. Die Debatte hat gezeigt, dass die Opposition unter starkem Gedächtnisschwund leidet. ({1}) Man kann feststellen, dass dieser umso stärker wird, je länger Sie die Oppositionsrolle wahrnehmen. ({2}) Bei Ihnen, Herr Wolf, ist das besonders deutlich geworden. Sie müssten allein schon aufgrund Ihres früher ausgeübten Berufs mehr wissen und bessere Informationen haben. Ich möchte aber auch noch einmal auf die Verschiebebahnhöfe eingehen. Sie waren beim Erfinden von Verschiebebahnhöfen Weltmeister. ({3}) Ich erinnere an die 5 Milliarden DM, die während Ihrer Regierungszeit von einem Bereich in den anderen verschoben wurden. ({4}) Sie haben heute wieder einmal die übliche Art der Kritik an den Tag gelegt, indem Sie gebetsmühlenartig immer wieder die üblichen Horrorszenarien von den knappen Budgets, von Rationierungsmedizin und Zweiklassenmedizin bringen. ({5}) Nein, meine Damen und Herren, der Rückblick auf das zurückliegende Jahr und der Ausblick auf das Jahr 2001 machen sehr deutlich, dass die grundlegenden Reformen, die die Regierungskoalition mit dem Gesundheitsreformgesetz 2000 auf den Weg gebracht hat, ({6}) zu greifen beginnen und genau das bewirken, was wir beabsichtigt haben. Ich verstehe nicht, warum Sie so schreien. ({7}) Den Versicherten wird auch in Zukunft ein leistungsfähiges, qualitativ hochwertiges ({8}) - hören Sie zu, Frau Bergmann-Pohl, Sie könnten auch noch etwas lernen, wenn Sie einmal zuhören würden! ({9}) und für alle gleichermaßen zugängliches und solidarisch finanziertes Gesundheitswesen zur Verfügung stehen. Unser Ziel war und ist es, das unverzichtbare System der gesetzlichen Krankenversicherung für das 21. Jahrhundert fit zu machen. ({10}) Je länger der eingeschlagene Kurs bei den Reformen beibehalten wird, umso eher greifen sie und umso besser sind die Ergebnisse. ({11}) Ein gutes Beispiel dafür ist die integrierte Versorgung. Sie stellt ein Kernstück unserer Gesundheitsreform dar. ({12}) Unser Ziel war es - dieses haben wir erreicht -, die bislang starre Trennung zwischen dem stationären und dem ambulanten Sektor aufzubrechen. Das oft unkoordinierte und planlose Nebeneinanderherarbeiten von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten hat nämlich Ressourcen vergeudet und der Versorgungsqualität, die wir in den Mittelpunkt unserer Politik gestellt haben, oft genug im Weg gestanden. ({13}) Wir haben die gesetzliche Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich die verschiedenen Leistungserbringer aller Sektoren einmal Gedanken darüber machen, wie eine bessere Verzahnung zwischen den Bereichen möglich ist und was sie bringen kann. ({14}) Das sind Gedanken - hören Sie gut zu -, die vor allem eine Antwort auf die Frage zum Ziel haben: Wie kann man eine Versorgungskette verwirklichen, in deren Mittelpunkt der Patient und nicht allein die wirtschaftlichen Einzelinteressen mehrerer Leistungserbringer stehen, ({15}) die vor allem ihre Geräte auslasten wollen ({16}) und dafür - hören Sie zu! - unnötige und teure Doppelund Dreifachuntersuchungen durchführen? Wie sehr wir mit diesem Ansatz ins Schwarze getroffen haben, ({17}) lässt sich schon heute erkennen auch wenn die Reform vor noch nicht einmal einem Jahr in Kraft getreten ist und die Selbstverwaltung wichtige Rahmenvereinbarungen noch nicht ganz, sondern nur teilweise unter Dach und Fach hat. Modelle für integrierte Versorgungsformen schießen überall wie Pilze aus dem Boden. ({18}) Beinahe an jedem Tag wird irgendwo in Deutschland ein Antrag gestellt, um ein Praxisnetz oder Ähnliches ins Leben zu rufen. Man macht es sich nicht mehr wie bisher in den Nischen bequem, schimpft nicht mehr in ritualisierter Form auf Budgets und beschwört nicht mehr Klischees und alte Feindbilder, ({19}) wie wir das heute bei Ihnen wieder erlebt haben. Vielmehr sind die Strukturen in Bewegung geraten und die Fantasie der Beteiligten wurde angeregt. Das wollten wir damit erreichen. ({20}) Das beweist doch eines, meine Damen und Herren: Bei den Beteiligten im Gesundheitswesen gibt es durchaus genügend Innovationspotenzial. ({21}) Es ist doch offenbar auch die ernsthafte Bereitschaft vorhanden, einmal über den Gartenzaun der eigenen Arztpraxis oder des Kurparkes hinauszuschauen und neue Ansätze der ärztlichen Versorgung zu entwickeln. Man muss Ärzten, Klinikleitern, Apothekern oder Physiotherapeuten doch nur die Möglichkeit an die Hand geben, sich zusammenzutun und ein auf den Patienten zugeschnittenes Versorgungssystem zu entwickeln, bei dem die Qualität - das ist das Wichtigste in unserem Programm - oberste Priorität hat. ({22}) Das gilt auch für den Teil der Reform, der den stationären Sektor unseres Gesundheitswesens vor tief greifende Veränderungen stellen wird, nämlich die Umstellung des Finanzierungssystems unserer Krankenhäuser auf eine leistungsorientierte, pauschalierte Bezahlung. Die stufenweise Einführung der so genannten DRGs läuft planmäßig. Sie sollen bis zum Jahr 2003 in allen Kliniken eingeführt werden. ({23}) Dann wird es endlich möglich sein, die Leistungen der einzelnen Kliniken zu vergleichen - auch das ist bisher nicht möglich -, und dann wird sich zeigen, wer in diesem Land gut und wirtschaftlich arbeitet. ({24}) - Das wird sich wirklich zeigen. Die gesetzliche Krankenversicherung muss heute ein Drittel ihrer Ausgaben für den stationären Bereich aufwenden. Wem sage ich es? ({25}) Hier liegt der Schlüssel, wenn es darum geht, Reserven zu mobilisieren. Ich will noch einmal auf die Reform im stationären Bereich eingehen. Es stand ursprünglich ja auch mehr im Gesetz, als letztlich in Kraft treten konnte. Ich würde mir wünschen, meine Damen und Herren, dass aus der Union nicht nur Mäkelei, sondern mehr Konstruktives käme. ({26}) Erst blockieren und dann beklagen, erst Täter und dann Sanitäter - Herr Wolf, das ist der Wolf im Schafspelz, den Sie heute hier abgegeben haben. ({27}) Zum Ressort der Bundesministerin für Gesundheit gehört seit dieser Wahlperiode auch die Pflegeversicherung. Mein Kollege Walter Schöler ist darauf eingegangen. Ich möchte aber auch noch einmal darauf hinweisen, dass wir in diesem und im nächsten Jahr zwei wichtige Gesetze auf den Weg bringen. So, wie wir mit der Gesundheitsreform 2000 den Qualitätsgedanken in der gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt haben, so wird das als Entwurf vorliegende Qualitätssicherungsgesetz den Qualitätsgedanken in der gesetzlichen Pflegeversicherung verankern. ({28}) Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass Pflegebedürftige - ganz gleich, in welcher Einrichtung und in welcher Region sie gepflegt werden - eine optimale und qualitativ hochwertige Pflege erhalten. ({29}) Der Gesetzentwurf stärkt die Verbraucherrechte in der Pflege. Die Gesundheitspolitik der Koalition ist auf einem guten, nein, auf einem sehr guten Weg. ({30}) Sie stellt sicher, dass die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung auch in Zukunft darauf bauen können, ({31}) dass die Versorgungsqualität nicht von der Region abhängt, in der sie leben. ({32}) - Nein, auch keine Frage des Geldbeutels. Das war zu Ihrer Zeit so und das haben wir abgeschafft, Herr Wolf. ({33}) Es wird keine Frage der Region sein, in der sie leben. ({34}) Sie stellt weiter sicher, dass der Leistungsumfang der notwendigen Versorgung nicht von der Krankenkasse abhängt, bei der sie versichert sind. Sie können sich darauf verlassen, dass Gesundheit in Zukunft bei uns keine Frage des Geldbeutels ist. ({35}) Das ist das, was wir mit unserem Gesundheitssystem und auch mit dem vorgelegten Haushalt bewirken wollen. Ich würde mich freuen, wenn Sie als Opposition konstruktiv daran mitarbeiten würden. ({36})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Kollege Dr. Ilja Seifert für die PDS-Fraktion.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Sicherung einer menschenwürdigen und ganzheitlichen Pflege ist nicht mit der Konzipierung und der Umsetzung der Pflege in Form einer „Teilkaskoversicherung“ vereinbar. Die Sicherung einer menschenwürdigen und ganzheitlichen Pflege ist auch nicht mit einem vorrangig auf somatische Verrichtungen orientierten Pflegebegriff vereinbar. Die Sicherung einer menschenwürdigen und ganzheitlichen Pflege ist erst recht nicht - wir reden ja hier über den Haushalt - mit dem Entzug von 1,6 Milliarden DM verteilt über vier Jahre für die Finanzierung der Pflegeversicherung durch die Absenkung der Bemessungsgrundlage für die Pflegeversicherungsbeiträge der Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosenhilfe vereinbar. Warum also lassen Sie zu, dass sich die konkrete Pflegesituation für eine wachsende Zahl von Menschen weiter zuspitzt? Auf unserer Anhörung am 15. November benannte Claus Fussek aus München, immerhin einer der ausgewiesensten Kenner der Szene, einige der drängensten Probleme: Pflegerinnen und Pfleger arbeiten weit oberhalb der Belastungsgrenze. Sie sind viel zu wenige. Sie kommen gerade dazu, die absolut nötigsten Dinge zu tun nach dem Prinzip: satt, sauber, trocken. Das hat mit menschenwürdiger Pflege nichts zu tun. ({0}) Die weiteren Probleme sind: Ursprünglich durchaus hoch motiviertes und qualifiziertes Personal steht unter massivem Druck. Man verabreicht inzwischen Psychopharmaka als Medikamente gegen die Zeitnot. Dafür sind diese Medikamente nicht gedacht. Betroffene Menschen mit Schluckbeschwerden bekommen eine Magensonde, weil die Zeit fehlt, das Essen mit der notwendigen Ruhe einzunehmen bzw. einzugeben. Windeln und Dauerkatheter gelten inzwischen als pflegeerleichternde Maßnahmen. Die Wörter „pflegeerleichternde Maßnahmen“ sind in den Alten- und Pflegeheimen inzwischen zum Horrorbegriff geworden. ({1}) Wie lange will die Gesellschaft eine solche Unkultur des Leids noch dulden? Liebe Kollegin Schmidt-Zadel, ein Pflege-Qualitätssicherungsgesetz ist nicht zum Nulltarif zu haben. ({2}) Wir brauchen darüber so lange nicht zu reden, solange Sie alles unter Haushaltsvorbehalt stellen. Das ist nämlich weniger, als wenn Sie nach dem Motto „linke Tasche, rechte Tasche“ verfahren würden. Das Einzige, was Sie mit Ihrem Gesetz erreichen, ist eine Erhöhung des bürokratischen Aufwandes für diejenigen, die die Leistungen dokumentieren müssen. ({3}) Es wird weniger Zeit für die Menschen und mehr Zeit für die Papierarbeit aufgebracht. Menschenwürdige und ganzheitliche Pflege muss von der Würde des Menschen ausgehen. Insofern brauchen wir eine Wertediskussion in der Gesellschaft. Ich bin froh, dass die Kollegin Göring-Eckardt vorhin darauf hingewiesen hat, dass im Gesundheitswesen darüber wieder geredet werden soll. Ich hoffe, diese Diskussion führt zu Ergebnissen. Angesichts der Tatsache, dass die Demenzkranken in die Pflegeversicherung einbezogen werden sollen, können wir nicht sagen: 500 Millionen DM und nicht mehr. Wenn man nämlich von der Gesamtzahl der betroffenen Menschen ausgeht, die mit 500 000 bis 2 Millionen angegeben wird, dann ergibt sich ein Betrag - ich gehe von der Untergrenze aus - von 83,33 DM pro Monat. Umgerechnet auf den Tag sind es 2,74 DM. Wer will da noch von einer Unterstützung für die Angehörigen reden? Reden wir also endlich wieder über die Einnahmeseite der Pflegeversicherung. Wo bleibt denn der Beitrag der Arbeitgeber? Er ist nirgendwo erkennbar. Wenn die Pflegeversicherung tatsächlich eine Säule in den sozialen Sicherungssystemen bilden soll, dann braucht sie auch die Beiträge der Arbeitgeber sowie die Beiträge von Beamten und Selbstständigen. Langfristig muss es eine Umstellung auf die Wertschöpfungsabgabe geben. Wir kommen nicht darum herum. Deshalb können wir im Rahmen der Haushaltsberatung nicht nur darüber reden, wie die wenigen Mittel gedeckelt und anders verteilt werden können, sondern wir müssen auch über die Einnahmen reden. Danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Klaus Kirschner für die SPDFraktion.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aussprache über den Einzelplan 15, den Haushalt für Gesundheit, hat deutlich gemacht, meine Damen und Herren von der Opposition, dass Sie in gewohnter Manier - opportunistisch und populistisch zugleich - wild um sich schlagen. Herr Kollege Wolf, hören Sie doch einmal zu. Sie sagen, es wäre nicht genügend Geld für Heilmittel da. Machen Sie sich doch zumindest die Mühe, einmal in die KV 45 zu schauen. Von 1998 zu 1999 gab es eine Steigerung bei den Heil- und Hilfsmitteln und den Mitteln für die Dialyse von 17,41 Milliarden DM auf 17,91 Milliarden DM. Das sind 500 Millionen DM mehr. Da können Sie doch nicht sagen: Das Geld wird weniger. ({0}) - Ich bitte Sie! Schauen Sie sich die Daten und Fakten doch einmal an. Kollege Luther hat gesagt, er kann den Haushalt lesen. Dann nehme ich an, dass Sie auch die Zahlen lesen können. ({1}) - Ja, aber Sie behaupten doch, das Geld würde nicht mehr ausreichen, und vermitteln den Menschen draußen, als ob das Geld weniger geworden wäre. Bleiben Sie doch bei den Fakten. Das gehört auch zur Auseinandersetzung, die wir bei aller Unterschiedlichkeit in den Auffassungen zu führen haben. ({2}) Lassen Sie mich auch sagen: Die wenigen aus Ihren Reihen vernehmbaren Ansätze taugen nicht zur Weiterentwicklung eines solidarischen, die medizinisch notwendige Vollversorgung absichernden Krankenversicherungssystems. ({3}) - Lieber Kollege Herr Zöller ({4}) - er sagt immer: Zöllner; aber ich muss sagen: Herr Zöller -, ich will noch einmal darauf hinweisen: Ihr Konzept, das die Überschrift „Der faire Sozialstaat“ hat, läuft doch darauf hinaus, dass Sie Leistungen kürzen. - Schütteln Sie doch nicht den Kopf, wahrscheinlich haben Sie es noch nicht einmal gelesen. Wenn Sie von 12 Beitragssatzpunkten sprechen und damit um 1,53 Beitragssatzpunkte kürzen wollen, dann müssen Sie doch einmal sagen, wo Sie die rund 25 Milliarden DM einsparen wollen, ohne dass Sie bei den Leistungen kürzen. Es gehört doch dazu, dass Sie das endlich einmal nach außen hin deutlich machen. ({5}) Dann sagt Herr Wolf: Heilmittel werden nicht mehr gewährt. Sagen Sie doch einmal, was Sie denn nun wirklich wollen. Wollen Sie die Heilmittel streichen? ({6}) - Wunderbar. Gut, Herr Kollege Wolf, dann sagen Sie doch einmal, was aus diesem Leistungskatalog gestrichen werden soll. Was definieren Sie als Wahlleistung? ({7}) Ich warte schon lange auf eine Antwort und diese Debatte führen wir ja nun schon seit Jahren; auch der Sachverständigenrat hat das mit seinem Pfirsichmodell, mit seinem Kuchenmodell, mit seinem Zwiebelmodell getan. Sie alle haben von Kernwahlleistungen oder von was auch immer gesprochen. Sagen Sie doch einmal, was Sie bei der Humanmedizin im Leistungskatalog zusammenstreichen wollen. Haben Sie doch endlich einmal den Mut, dieses zu sagen. ({8}) Ich warte schon lange auf diese Diskussion. Die müssen wir doch einmal mit aller Ernsthaftigkeit führen. Sie müssen den Menschen draußen sagen, dass Sie beispielsweise die Heilmittel nicht mehr gewähren. Sagen Sie Ihnen doch, dass Sie den Zahnersatz streichen. Wie sonst kommen Sie auf die zweistellige Milliardensumme, auf über 20 Milliarden DM? ({9}) - Dann erklären Sie es mir doch einmal. Bitte, ich fordere Sie dazu auf. Aber das haben Sie vorher bewusst nicht gemacht, weil Sie es den Menschen nämlich nicht sagen wollen. Es hört sich natürlich unglaublich gut an, zu sagen: Wir wollen nur noch 12 Beitragssatzpunkte. - Sie sagen aber nicht, wie Sie zu diesen 12 Beitragssatzpunkten kommen wollen. Dann sagen Sie im gleichen Atemzug: Das Gesundheitswesen ist ein Wachstumsfaktor; dort gehören noch mehr Mittel hinein. Diesen Widerspruch müssen Sie doch einmal aufklären. ({10}) Bei Ihnen bleibt der Patient auf der Strecke. Aber es muss doch umgekehrt sein: Das Ziel jeder Gesundheitspolitik ist der Patient. Der Patient hat mit seinen berechtigten Bedürfnissen im Mittelpunkt einer modernen Gesundheitspolitik zu stehen. ({11}) Das Ziel muss sein: ein System eines barrierefreien Zugangs zu einer qualitätsgesicherten medizinischen Behandlung, die dem jeweils gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. ({12}) ({13}) - Lieber Herr Kollege Dr. Thomae, Ihr Zuruf zielt in die gleiche Richtung wie die Ausführungen Ihres Kollegen Parr; ich möchte fast sagen - wenn das nicht unparlamentarisch wäre -: „Quatsch“. Deshalb sage ich es nicht. ({14}) Ich will Ihnen bezüglich der Arzneimittel nur Folgendes sagen - ich denke, wir werden nächste Woche eine Debatte dazu haben -: 1998 betrugen die Ausgaben für Arzneimittel 34,66 Milliarden DM und 1999 37,57 Milliarden DM. Sie aber stellen sich hin und sagen, das Geld reiche nicht aus. ({15}) Beweisen Sie doch erst einmal, dass das Geld nicht ausreicht. Sie wissen doch ganz genau, dass wir - gemessen am Bruttoinlandsprodukt - weltweit die zweithöchsten Ausgaben auf diesem Sektor haben und innerhalb der Europäischen Union an erster Stelle liegen. Sie aber tun so, als ob das Geld nicht ausreiche. Sie wissen genau, dass viel Geld in die falsche Richtung geht. ({16}) Mit diesem Gesetz sollen die Wirtschaftlichkeit und die Qualitätssicherung auf dem Gesundheitssektor abgesichert werden. Das Gesetz verpflichtet zur Qualitätssicherung und dafür gibt es eine ganze Reihe tauglicher Instrumente. Wenn Sie fordern, das Budget abzuschaffen, müssen Sie sagen, was Sie stattdessen wollen. Wir haben Ihre Alternativen in der Vergangenheit gesehen: höhere Zuzahlungen und Leistungsausgrenzung. ({17}) Einen solchen Weg gehen wir allerdings nicht mit. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15 - Bundesministerium für Gesundheit - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen. Ich rufe auf: III. 21 Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Drucksachen 14/4515, 14/4521 Berichterstattung: Abgeordnete Waltraud Lehn Oswald Metzger Jürgen Koppelin Heidemarie Ehlert Zum Einzelplan 16 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU, ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Jochen Borchert von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 26. Oktober 2000 verkündete der Bundesumweltminister - wie immer außerordentlich vollmundig - vor der Presse: Die ökologische Erneuerung ist eingeleitet. ({0}) Herr Minister, ich frage Sie: Welches Land meinen Sie eigentlich? Deutschland können Sie jedenfalls nicht meinen. ({1}) - Frau Kollegin, durch Ihre Brille vielleicht. Die umweltpolitische Halbzeitbilanz der Regierung Schröder bietet wahrlich keinen Grund zum Jubeln. ({2}) In den letzten zwei Jahren, Herr Minister Trittin, haben Sie keines der von Ihnen angekündigten Reformvorhaben umgesetzt. Sie haben Gesetzesnovellierungen angekündigt, aber als Ergebnis nur unverbindliche so genannte Eckpunkte zustande gebracht. Aber was soll es auch? Man wollte der Öffentlichkeit sowieso nur Aktivitäten und Betriebsamkeit vortäuschen. Die Umweltpolitik der letzten beiden Jahre ist eine reine Ankündigungsrhetorik. In Wirklichkeit haben Sie die klassischen Felder der Umweltpolitik völlig vernachlässigt. ({3}) Zu Recht schreibt Thilo Bode, der Chef von Greenpeace, in der „FAZ“: ({4}) Die Regierung hat kein zukunftsweisendes Umweltkonzept. Beispielhaft möchte ich hier nur aufführen: Ohne greifbares Konzept ist Deutschland zur 6. Klimakonferenz nach Den Haag gereist. Das Ergebnis ist verheerend. ({5}) Der Klimaschutz stagniert. Deutschland hat seine internationale Führungsrolle unter Minister Trittin verloren. Das vorgelegte Klimaschutzprogramm ist ein reines Ankündigungsprogramm. Mit der Umsetzung der IVU-Richtlinie und der UVP-Änderungsrichtlinie befindet sich der Minister ebenfalls in Verzug. Der Novellierungsentwurf zum Bundesnaturschutzgesetz wurde von den anderen Ressorts noch vor dem Stapellauf gestoppt. Bei der Biomasseverordnung hat die rot-grüne Koalition noch immer keinen Konsens gefunden. Bei der so genannten rot-grünen Energiepolitik handelt es sich um eine Politik mit der geringsten ökologischen Effizienz und den höchsten volkswirtschaftlichen Kosten. ({6}) Hier geht es nicht um Energiepolitik, sondern um die Befriedigung ideologischer Ziele. Das Fazit: In zwei Jahren grüner Umweltpolitik ist noch keine einzige der angekündigten Novellierungen in den Bundestag eingebracht worden. Die Umweltpolitik ist auf der Strecke geblieben. ({7}) Ihre Politik, Herr Minister, zeichnet sich durch Stillstand und durch Rückschritt aus. ({8}) Meine Damen und Herren, die umweltpolitische Halbzeitbilanz ist ein Fiasko. Mit dem ideologisch motivierten einseitigen Ausstieg aus der Kernenergie negiert die Bundesregierung die Tatsache, dass Klimaschutz eine globale Aufgabe ist. Die neuesten Forschungsergebnisse der zwischenstaatlichen UNO-Kommission für Klimawandel machen eines deutlich: Beim Klima muss schnell und global gehandelt werden. Deshalb ist der einseitige Ausstieg aus der Kernenergie falsch. Die Konsequenzen für das Klima sind fatal. Durch den Verzicht auf Kernenergie - immerhin ein Drittel des erzeugten Stroms wird die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern erhöht oder wir beziehen Strom aus Kernkraftwerken anderer Länder, die bei weitem nicht unseren Sicherheitsstandards entsprechen. Da die Bundesregierung gleichzeitig die Mittel für die Forschung im Bereich Reaktorsicherheit weiter kürzt, verliert sie zunehmend die Fähigkeit, mitzuhelfen, die Sicherheit von Kernkraftwerken in anderen Ländern entscheidend zu verbessern. ({9}) Da hilft auch der ständige Hinweis auf Wind- und Sonnenenergie nicht. So notwendig dies ist, die benötigte Strommenge können diese Bereiche in Zukunft sicher nicht liefern. Inwieweit Windanlagen im Offshorebereich sinnvoll betrieben werden können, muss noch erforscht werden. Hier sind technische und ökologische Fragen noch nicht schlüssig geklärt. Deshalb stimmen wir in diesem Bereich der Erhöhung der Forschungsmittel ausdrücklich zu. Die Entsorgungsfrage bleibt nach dem Ausstieg aus der Kernenergie weiterhin ungelöst. ({10}) In der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen ist der ungestörte Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung festgeschrieben. Ich denke, die französische Regierung besteht zu Recht auf dem vertraglich vereinbarten RückVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms transport von deutschem Atommüll aus französischen Wiederaufbereitungsanlagen nach Deutschland. ({11}) Herr Trittin, Sie haben 1998 wegen höherer Gewalt die Verträge mit Frankreich kippen wollen. Jetzt sind Sie auf die Erfüllung dieser Verträge angewiesen. Mit etwas über 1 Milliarde DM bleibt der Gesamthaushalt des BMU im Jahr 2001 weiter auf einem erschütternd niedrigen Niveau. Verglichen mit dem letzten Haushalt der Regierung Helmut Kohl ist das ein Minus von fast 10 Prozent, während der Gesamthaushalt deutlich angestiegen ist. Am Gesamthaushalt partizipiert das Bundesumweltministerium im kommenden Jahr noch mit 0,23 Prozent. 1998 waren es noch 0,26 Prozent. Im Regierungsentwurf des BMU-Haushalts lag der Verwaltungsanteil noch bei über 50 Prozent. Unter 50 Prozent des Gesamthaushaltes sollten für den eigentlichen Programmhaushalt, das heißt für Umweltschutz, eingesetzt werden. Jetzt, nachdem wir die katastrophale Haushaltsplanung über Wochen massiv kritisiert haben, hat die Bundesregierung reagiert. Sie haben die Mittel im Programmhaushalt auf 377 Millionen DM erhöht. Sie kommen jetzt auf etwas über 50 Prozent. Trotzdem ist das Ergebnis: Die Bundesregierung gibt immer weniger für den Umweltschutz aus. Das Wenige, das sie ausgibt, benötigt sie überwiegend für die Verwaltung. Dadurch sinken die Investitionen in wichtigen Bereichen des Umwelt- und Naturschutzes. Aus dem Vertragsnaturschutz steigen sie weitgehend aus. Vertragsnaturschutz ist im Gegensatz zu Ihrer Politik freiwilliger Naturschutz. Beim Vertragsnaturschutz tritt an die Stelle überflüssiger gesetzlicher Regelungen eine vertragliche Vereinbarung. Verwaltung und Betroffene setzen sich an einen Tisch und vereinbaren mit örtlicher Sachkunde und mit Engagement sinnvolle Naturschutzprojekte. Das ist Umwelt- und Naturschutz vom Bürger für den Bürger und das ist gleichzeitig ein Beitrag zu einem Weniger an Bürokratie. Die von der CDU/CSU vorgelegten Anträge, auf diesem Gebiet die Mittel zu erhöhen, sind von Ihnen abgelehnt worden. Dies zeigt, dass Sie nicht auf Vertragsnaturschutz, also auf freiwilligen Naturschutz und damit auf das Engagement der Bürger setzen, sondern dass Sie allein den Vorschriften und Regelungen vertrauen. ({12}) - Wahrscheinlich mehr als Sie; aber darüber können wir ja einmal in Ruhe diskutieren. Ihre Zwischenrufe zeigen zumindest nicht, dass Sie davon viel Ahnung haben. ({13}) Wir werden heute sicherlich noch auf die Vorbereitungen zum Klimagipfel in Den Haag eingehen. Es zeigt sich, dass dieser Klimagipfel aufgrund der schlechten Vorbereitungen mit einem Desaster endete. Nun richten sich die Hoffnungen auf einen „Reparaturgipfel“ in Bonn; aber ob man in sechs Monaten weiter als heute sein wird, das ist angesichts der Art der Vorbereitung zumindest fraglich. Wenn es in Bonn keinen Erfolg gibt, wird Ihnen, Herr Minister, der Wind noch stärker ins Gesicht blasen. Die rot-grüne Regierung hat die Umweltpolitik dem Diktat von Ideologen untergeordnet. Statt Fortschritt gibt es Rückschritt; statt globaler Zusammenarbeit gibt es nur nationale Alleingänge. Von umweltpolitischen Innovationen fehlt jede Spur. Sie stellen damit den Sinn des Umweltministeriums zunehmend infrage. ({14}) Ihre Umweltpolitik ist und bleibt erfolglos. Die ökologische Erneuerung wurde nicht eingeleitet. Wir lehnen diesen Haushalt daher ab. Vielen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn von der SPD-Fraktion. ({0})

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 2001, Herr Borchert, ist für die Umwelt ein guter Haushalt: ({0}) 8,3 Milliarden DM geben wir zusätzlich für den Klimaschutz aus. Wir setzen mit diesem Haushalt einen umweltpolitisch deutlichen Akzent. Das ist Handeln und nicht Reden. Das sind Taten - und was für welche! ({1}) Die 8,3 Milliarden DM verteilen sich wie folgt: für Energieeinsparungen bei Altbauten zusätzlich 2 Milliarden DM, für umweltschonende Energieformen zusätzlich 300 Millionen DM und für die Bahn zusätzlich 6 Milliarden DM. ({2}) - Wenn Sie etwas fragen möchten, dann können Sie sich melden und ich werde auf Ihre Kommentare gerne eingehen. ({3}) Für die Wärmedämmung bei Altbauten und die Umrüstung von Heizungsanlagen und Haustechnik werden für die Dauer von fünf Jahren zusätzlich 400 Millionen DM im Bauhaushalt bereitgestellt. Für den Umweltschutz ist es ein besonderer Erfolg, dass wir die Förderdauer, die zunächst nur drei Jahre betragen sollte, jetzt auf fünf Jahre verlängert haben. Dadurch erhält dieses Förderprogramm eine Perspektive. Durch entsprechende Verpflichtungsermächtigungen wurde das Fördervolumen immerhin von 1,2 auf 2 Milliarden DM erhöht. Mit diesem Geld kann ein Kreditvolumen von insgesamt 10 Milliarden DM angestoßen werden. Es entstehen zusätzliche Arbeitsplätze in mittelständischen Betrieben. Zugleich - das ist genauso wichtig tragen wir mit diesem Förderprogramm ganz entscheidend dazu bei, dass unser Klimaschutzziel „25 Prozent weniger CO2 bis 2005“ erreicht werden kann. Alle Fachleute sind sich mit uns einig, dass das CO2-Einsparpotenzial bei Altbauten besonders hoch ist. ({4}) Doch damit nicht genug: Für die Erforschung und Entwicklung zukunftsweisender Energieformen werden in den nächsten drei Jahren jährlich 100 Millionen DM bereitstehen, von denen 20 Millionen DM im Umwelthaushalt veranschlagt werden. ({5}) Ein Schwerpunkt wird dabei die Entwicklung der Brennstoffzelle sein. Damit führen wir die von uns eingeleitete Wende in der Energiepolitik konsequent, nachhaltig und auch mit großen Beträgen fort. ({6}) Es geht weiter: Auch unser Umsteuern in der Verkehrspolitik zugunsten der Bahn ist ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz. Er unterstreicht die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in ihrem Bemühen, das CO2-Reduktionsziel zu erreichen. In den nächsten drei Jahren werden jährlich 2 Milliarden DM zusätzlich für den Ausbau der Schienenwege im Verkehrshaushalt zur Verfügung stehen. All diese Maßnahmen sind ein Beitrag zum Erreichen des Klimaschutzziels. Sie ergänzen die bereits von der Bundesregierung seit 1998 getroffenen Maßnahmen, die ich hier in Erinnerung rufe: das Erneuerbare-EnergienGesetz, das 200-Millionen-DM-Anreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien, das 100 000-Dächer-Solarstrom-Programm und auch die Ökosteuer. Anstatt mit billiger Polemik gegen die ökologische Steuerreform zu wettern, sollten Sie von der CDU/CSU lieber auf das hören, was Ihnen Ihr früherer Umweltminister und der heutige Exekutivdirektor des UNO-Umweltprogramms UNEP, Klaus Töpfer, ins Stammbuch geschrieben hat. ({7}) In einem Interview mit dem „Spiegel“ vom 13. November, also von vor gerade 14 Tagen, hat er Ökosteuer nicht nur als sinnvoll bezeichnet, sondern außerdem erklärt: Wir können es uns nicht leisten, ein sinnvolles Instrument wie die Ökosteuer einfach wegzuwerfen. Recht hat der Mann. ({8}) Allein bis heute haben wir schon mehr CO2 eingespart als alle anderen EU-Staaten zusammen. Mit dem erst im vergangenen Monat verabschiedeten Klimaschutzprogramm haben wir einen weiteren wichtigen Schritt unternommen, um das Klimaschutzziel zu erreichen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir sind auch auf dem richtigen Weg, was die Ökosteuer angeht, denn aus ihr wird auch das Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien gegenfinanziert. Hierfür sind im Haushalt des Wirtschaftsministeriums für die Jahre 2001 bis 2004 erneut 200 Millionen DM vorgesehen. ({9}) Beide Programme haben einen Photovoltaikanlagenboom in der Bundesrepublik Deutschland ausgelöst. In diesem Jahr werden in unserem Land 50 Megawatt Solarzellenleistung installiert. Das ist ungefähr ein Viertel der Weltproduktion. Unser Ziel ist es, bis zum Jahr 2010 den Anteil erneuerbarer Energien zu verdoppeln. Insgesamt haben wir in dieser Legislaturperiode mehr als 1 Milliarde DM bereitgestellt - das sind nun wahrlich keine Peanuts -, um die beschleunigte Markteinführung von Energie aus Wind, Sonne, Biomasse und Erdwärme zu fördern. ({10}) Hinzu kommen 300 Millionen DM für die Forschungsförderung in diesem Bereich. Alle bisher genannten Fördermittel, bis auf die jährlich 20 Millionen DM für umweltschonende Energieformen, werden außerhalb des Haushalts des BMU veranschlagt. Daran wird deutlich, dass der Erfolg der Umweltpolitik nicht allein an der Höhe des Etats des BMU gemessen werden kann. Damit wird unterstrichen, welchen Stellenwert die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit der Umweltpolitik einräumt. ({11}) Herr Borchert, wenn Sie sich ausschließlich auf die Zahlen des BMU-Haushalts, auf den ich gleich im Detail zu sprechen komme, beziehen, ist das nicht nur konservativ, sondern geradezu rückständig. ({12}) Wir können uns eine Beamtenmentalität nach dem Motto „Dafür bin ich nicht zuständig“ nicht leisten. Wir brauchen vernetztes Denken und vernetztes Handeln. Wir brauchen Minister und Ministerinnen, die nach rechts und links schauen, die raten und sich beraten lassen. Wir haben mit vielen Instrumentarien einen flexiblen Haushalt geschaffen, der sich von Starrheit entfernt. Wir müssen auch in unserem politischen Handeln hin zu Querdenken und Problemlösungen kommen. Umweltschutz ist und bleibt eine Querschnittsaufgabe. Wenn wir über den Umwelthaushalt diskutieren, dann diskutieren wir immer auch über die umweltpolitischen Zielsetzungen. Deshalb muss man den Blick für das Ganze statt nur für einen Teilbereich haben. Insgesamt sind im Bundeshaushalt 2001 fast 10,4 Milliarden DM für Umweltmaßnahmen veranschlagt, von denen 10 Prozent auf den Haushalt des BMU entfallen. Daneben gibt es noch die Steuerungs- und Beratungsfunktion dieses Ministeriums. Mit dem Hauptanteil von 90 Prozent leisten, abgestimmt mit dem BMU, fast alle anderen Ressorts ihren aktiven Beitrag zum Umweltschutz. Ich möchte, dass das so bleibt. Jedes einzelne Ressort muss sich für Umweltschutz engagieren, muss sich der Bedeutung von Umweltschutz und Klimaschutz bewusst sein. Nur so werden wir die Chance haben, Deutschland bei diesem wichtigen Thema nach vorne zu bringen. ({13}) Aber auch im Haushalt des BMU ist eine Steigerung zu verzeichnen. Im Vergleich zum Regierungsentwurf ist der Programmhaushalt des BMU in den Haushaltsberatungen um 34,3 Millionen DM, das heißt um 9,2 Prozent, erhöht worden. Davon sind 20 Millionen DM die bereits erwähnten zusätzlichen Mittel für die Erforschung und Entwicklung umweltschonender Energieformen. Daneben wurden aber auch andere deutliche umweltpolitische Akzente gesetzt. Die Fördermittel für Naturschutzgroßprojekte wurden um 4 Millionen DM aufgestockt. Das bedeutet gegenüber dem Regierungsentwurf eine Steigerung um 10 Prozent. Damit kann dieses Förderprogramm, mit dem der Bund wichtige Anstöße für den Naturschutz in den Ländern gibt, auf einem deutlich höheren Niveau fortgeführt werden. Insgesamt gehört der Naturschutz ohnehin zu den Schwerpunkten in der Umweltpolitik der Bundesregierung. Dies wird auch deutlich durch die 20 neuen Stellen, die das Bundesamt für Naturschutz in den beiden kommenden Jahren erhält, durch die Erhöhung der Projektfördermittel für die Umweltverbände und Naturschutzverbände um noch einmal 11,7 Prozent in diesem Jahr und durch die zusätzlichen Mittel von 3 Millionen DM für die Ansiedlung einer Abteilung des Europäischen Zentrums für Umwelt und Gesundheit des europäischen Regionalbüros in Bonn mit 20 Mitarbeitern. Zusammenfassend stelle ich fest, dass der Bundeshaushalt 2001 klare umweltpolitische Akzente setzt. Hierbei steht ein wirksamer Klimaschutz mit einer 25-prozentigen CO2-Reduzierung bis 2005 im Mittelpunkt. ({14}) Der Haushalt ist damit eine hervorragende Grundlage für eine auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode erfolgreiche Umweltpolitik. Sie folgt dabei unserem Grundsatz, dass eine moderne, zeitgemäße Umweltpolitik nicht dabei stehen bleiben darf, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren oder nur auf Naturkatastrophen zu reagieren. Vielmehr muss sie durch die Entwicklung präventiver Maßnahmen zukünftige Belastungen vermeiden. Ich möchte mich auch in diesem Jahr bei meinen Mitberichterstattern aus den anderen Fraktionen für die gute, konstruktive Zusammenarbeit bedanken. In diesen Dank schließe ich Herrn Minister Trittin und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesondere aus dem Haushaltsreferat ein, die mich mit gewohnt kompetenter und schneller Zuarbeit in allen Fragen unterstützt haben. Vielen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Birgit Homburger von der F.D.P.-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Borchert für die Aufzählung all dessen, was die Regierung zwar angekündigt hat, als sie hier angetreten ist, aber bis heute nicht getan hat, sehr dankbar. So kann ich mir das sparen und muss das nicht alles noch einmal aufzählen. Festzustellen bleibt, Herr Trittin, dass außer dem so genannten Atomausstieg und der so genannten Ökosteuer nichts, aber auch gar nichts erreicht worden ist. ({0}) Das zeigt sich jetzt auch wieder bei einem aktuellen Beispiel: Sie sind mit leeren Händen aus Den Haag zurückgekehrt. ({1}) Während die alte Bundesregierung in Sachen Klimaschutz noch Impulsgeber war, ({2}) ist von Deutschland seit der Übernahme des Umweltressorts durch einen grünen Minister auf internationalem Parkett überhaupt nicht mehr die Rede. ({3}) Sie können zwar zwischenzeitlich einen Beschluss zum Klimaschutzprogramm vorweisen; aber umgesetzt ist davon absolut nichts. Sie haben sich vor der Konferenz in Den Haag auf internationaler Ebene in keiner Weise gekümmert. Zudem haben Sie die Einführung eines Emissionsrechtehandels sträflich vernachlässigt und für Deutschland auf diesem Gebiet keinerlei Sachkompetenz entwickelt. ({4}) Herr Minister, es reicht eben nicht aus, immer nur zu sagen, was man nicht will. Die Herausforderung auf dieser Konferenz bestand darin, während der Verhandlungen die Reihen der EU-Umweltminister geschlossen zu halten und an einem dynamischen Prozess teilzunehmen. Stattdessen haben die Europäer nur noch auf den Mangel an Beweglichkeit aufseiten der Amerikaner gestarrt. Dadurch waren sie nicht mehr imstande, eine effektive gemeinschaftliche Strategie zu entwickeln, um die USHaltung zu verändern. Dies war ein Zitat aus dem „Algemeen Dagblad“, einer unabhängigen Tageszeitung der Niederlande. An der Unbeweglichkeit der Europäer waren Sie, Herr Trittin, maßgeblich beteiligt. Das heißt schlicht, dass Sie an der Lösung der Aufgabe, die Sie dort hätten wahrnehmen sollen, kläglich gescheitert sind. ({5}) Ich sage Ihnen heute: Sie bleiben klimapolitisch in der Pflicht. Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, mögliche Kompromisslinien zu finden und gemeinsame Positionen zu vereinbaren. Nutzen Sie doch einmal Ihr bekanntermaßen gutes persönliches Verhältnis zu Ihrer französischen Kollegin! Sehen Sie nicht zu dabei, wie persönliche Irritationen und Meinungsverschiedenheiten dazu führen, ({6}) dass es bei den Verhandlungen Schwierigkeiten gibt! Nehmen Sie die Herausforderung an, als Vermittler zwischen Großbritannien und Frankreich zu wirken! Dabei gilt es, verlorenes Terrain wieder gutzumachen. ({7}) Herr Schröder sagte gestern in seiner Rede zum Haushalt: „Was dieses Land braucht, ist ein Mehr an Internationalität.“ Ich habe das wohl gehört. Ob er dabei auch an Sie gedacht hat, weiß ich nicht. Ich zweifle aber daran, ob Sie für die Lösung dieser Aufgabe wirklich der Richtige sind. ({8}) Wenn man diese Aufgabe annimmt, dann sollte die Bundesregierung nicht nur daran arbeiten, eine Kompromisslinie zu finden, die von den EU-Staaten gemeinschaftlich getragen wird. Sie muss darüber hinaus sofort in Sondierungsgespräche mit anderen Ländergruppen, zum Beispiel mit den Staaten der Umbrella-Gruppe, mit den GUS-Staaten und den G-77-Staaten usw., eintreten. Von Deutschland müssen endlich wieder konstruktive Initiativen ausgehen. ({9}) Die nächste Klimarunde in Bonn ist unsere letzte Chance in diesem Bereich - es ist eh schon furchtbar spät -, hier zu endgültigen Ergebnissen zu kommen. Deswegen muss mit allem Engagement dafür gesorgt werden, dass der Kioto-Prozess nicht endgültig und ausgerechnet in der Bundesstadt Bonn scheitert. Geschähe dies, wäre auch Minister Trittin endgültig gescheitert. ({10}) Ich komme jetzt von der Klimapolitik zum Entwurf des nationalen Haushaltsgesetzes. Ich muss Ihnen sagen, dass Sie auch hier in den Detailberatungen überhaupt nicht auf unsere Vorschläge eingegangen sind. So bleibt Ihr Haushalt schlicht enttäuschend. ({11}) Wie schon in den letzten beiden Jahren sucht man vergeblich nach einem zukunftweisenden Umweltkonzept. Statt Haushaltsmittel für sinnvolle umweltpolitische Projekte bereitzustellen, plant der Minister die Subventionierung ökologisch unsinniger Maßnahmen. Jetzt will die Bundesregierung Zuschüsse für die Aufarbeitung von Altöl zu Basisöl gewähren, um die EU-Altölrichtlinie umzusetzen, deren mangelnde Umsetzung der EuGH in einem Urteil festgestellt hat. ({12}) - Hören Sie zu, Herr Matschie. Die Subventionierung ist unsinnig, da in Deutschland im Vergleich zu anderen EULändern schon bisher Altöl in erheblichem Umfang zu Basisöl aufbereitet wird. ({13}) In dem Urteil hat der EuGH die Subventionierung ausdrücklich nicht gefordert. Er sagt, dass es nicht seine Aufgabe sei, festzustellen, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten hätten ergreifen müssen. Vor diesem Hintergrund wäre eine rechtliche Privilegierung nicht nur nach Auffassung der F.D.P. völlig ausreichend. Das zeigt sich im Übrigen auch daran, dass Sie diesen Haushaltstitel mit einem Sperrvermerk versehen haben. ({14}) Das heißt nämlich, dass Sie sich intern nicht darüber einig sind. Ich weiß auch, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen zwischen den verschiedenen Ministerien innerhalb dieser Bundesregierung gibt. ({15}) Der Vorrang der stofflichen Verwertung ist auch ökologisch nicht zu rechtfertigen. Es gibt vom Umweltbundesamt ein neueres Forschungsprojekt, das eindeutig feststellt, dass man aus der Ökobilanz keinen eindeutigen Vorteil eines Verwertungsverfahrens gegenüber einem anderen herauslesen kann. ({16}) Eine zusätzliche Förderung der Aufarbeitung ist also auch aus ökologischer Sicht unsinnig. Deswegen fordern wir die Bundesregierung noch einmal auf, auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, ({17}) dass die Richtlinie dem aktuellen technischen Stand angepasst wird. Aber auch hier ist - wie immer, wenn es um umweltpolitisches Engagement geht -, absolut nichts geschehen. Sie, Herr Minister Trittin, haben mir auf meine Frage, ob Sie das auf europäischer Ebene angehen wollen, erklärt, Sie hätten die UBA-Studie nach Brüssel geschickt. Wenn Sie sich bei dieser Sache einbilden, das allein würde ausreichen, um in Brüssel etwas zu bewirken, dann scheint es mir doch so, dass Sie überhaupt keine Ahnung davon haben, wie man vorgehen muss, um etwas politisch durchzusetzen. ({18}) Aus ökologischer Sicht ebenfalls zweifelhaft sind im Übrigen die Vorgaben zur EU-Altfahrzeugrichtlinie, die in nationales Recht umgesetzt werden soll. Auch hier haben Sie wieder einmal gepennt. Die vorgesehenen Quotenvorgaben zum Recycling werden dafür sorgen, dass die Fahrzeughersteller in Zukunft schwerere Autos bauen werden, was den Kraftstoffverbrauch erhöhen wird. Das hat die Bundesregierung gerade erst in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion zugegeben. Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was Sie hier machen, ist ein ökologischer Schildbürgerstreich. ({19}) Hinzu kommt, dass die drohende Rücknahmepflicht schon bald für einen entsprechenden Rückstellungsbedarf in Milliardenhöhe bei der Industrie und damit für entsprechende Steuerausfälle sorgen wird. Das ist rot-grüne Umweltpolitik im wahrsten Sinne des Wortes. Maßnahmen des grünen Umweltministers lassen Bilanzen rot werden; aber rot werden vermutlich auch Ihre Ohren, Herr Trittin, wenn Sie das nächste Mal ins Kanzleramt zum selbst ernannten Autokanzler Schröder zitiert werden. ({20}) Auch die Atompolitik ist wenig durchdacht. Ich möchte sie heute ansprechen - wir haben bereits vielfach darüber diskutiert -, weil sie für die Haushaltsberatungen eine ganz erhebliche Rolle spielt. Die Endlagerung radioaktiven Mülls war im rot-grünen Koalitionsvertrag noch als „fehlende Lösung des Atommüllproblems“ bezeichnet worden. Jetzt haben Sie das Problem dadurch gelöst, dass Sie schlicht erklären, sie stellten die Castoren auf die grüne Wiese. Das nennt man Umweltpolitik nach Gutsherrenart. ({21}) Anstatt die Endlagerprojekte Konrad und Gorleben, in die im Übrigen bereits Milliardenbeträge investiert wurden, zügig voranzutreiben, sollen alternative Endlagerstandorte erkundet werden. Der Ansatz des vergangenen Jahres hierfür ist zwar erhöht worden. Trotzdem ist die Sache irreführend, weil die Erkundung neuer Standorte tatsächlich ein Hundertfaches dieser Summe kostet, ohne dass es neue Erkenntnisse geben wird. Das Ganze geschieht darüber hinaus mit dem Geld anderer Leute, weil diese Ausgaben von den Kraftwerksbetreibern refinanziert werden. Das ist für mich ideologisch motivierte Geldverschwendung. ({22}) Ich möchte ein letztes Thema aufgreifen, das wir hier noch nicht diskutiert haben, was mir aber vor kurzem zu Ohren gekommen ist. Sie, Herr Umweltminister, verfahren bei der Besetzung von Gremien und Sachverständigenräten die ganze Zeit nach Gutsherrenart. Wie ich erfahren habe, soll die Führung der Geschäftsstelle der Störfallkommission nicht mehr wie bisher durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln, sondern durch die Infrastruktur und Umweltschutz GmbH in Bonn wahrgenommen werden. Ich frage mich, was Sie damit bezwecken. ({23}) Die Störfallkommission hat eine wichtige Aufgabe zu bewältigen. Die Geschäftsstelle muss nicht nur das Plenum, sondern auch noch zehn Arbeitsgruppen inhaltlich betreuen. Das heißt also, man braucht inhaltlich und administrativ wirklich hoch kompetente Leute. Bisher wurde diese Aufgabe zu aller Zufriedenheit sehr zuverlässig erfüllt. Deshalb: Warum diese Neuausschreibung? ({24}) Warum wollen Sie nicht, dass die GRS diese Aufgabe weiter übernimmt? Mir stellt sich die Frage: Fühlen Sie sich den Experten der GRS nicht gewachsen? Nur das erklärt für mich, warum Sie diese Aufgabe nun an die GFA geben wollen, die auf diesem Gebiet bisher keinerlei Erfahrung hat. Die GFA hat bisher lediglich zusammen mit der GTZ entwicklungspolitische Projekte abgewickelt. Ich bin gespannt, Herr Minister Trittin, ob Sie in Ihrer Rede ausnahmsweise dazu öffentlich Stellung nehmen wollen und damit aufhören, alles in Hinterzimmern zu besprechen und das Parlament im Dunkeln zu lassen. ({25}) Der Umwelthaushalt 2001 - das will ich Ihnen abschließend sagen, Herr Minister Trittin - ist ein deprimierendes Dokument umweltpolitischen Widersinns und ökologisch sinnloser Geldverschwendung. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich möchte Ihnen bekannt geben, dass die beiden namentlichen Abstimmungen, die von der CDU/CSU beantragt worden waren, nicht stattfinden werden. Der Antrag ist zurückgezogen worden, sodass es heute keine namentlichen Abstimmungen mehr geben wird. ({0}) Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Reinhard Loske von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch nicht lange her, dass viele Medien der Umweltpolitik das Totenglöckchen läuteten. ({0}) Die ökologischen Hauptprobleme hierzulande - so war zu lesen und zu hören - seien weitgehend gelöst; wir hätten jetzt andere Sorgen, das Verfolgen ökologischer Ziele müsse ins zweite oder dritte Glied zurücktreten. Manche redeten vom Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nur noch als Kostenfaktor. Andere sahen in dem Reden über die Umweltkrise nur noch Hysterie. Viele von uns haben gerne die Melodie der Ökooptimisten vernommen, die da lautet: Alles halb so wild, alles wird gut. Ich glaube, in diesen Tagen ist es nicht übertrieben, wenn man sagt, dass diese Lebenslüge in den letzten Monaten einen schnellen Tod gestorben ist. Das zeigen vier Beispiele besonders deutlich, nämlich der Klimawandel, der BSE-Skandal, die Krise unserer Bahn und leider auch nachwie vor die chronische Erkrankung unserer Wälder. Auf ganz unterschiedliche Weise erinnern uns die Problemfelder daran, dass wir - nach wie vor - vor sehr schwierigen Aufgaben stehen und sie noch keineswegs gelöst haben. Zum Thema Klimaschutz. Wir haben nächste Woche - wenn ich das richtig verstanden habe - Gelegenheit, im Rahmen einer Regierungserklärung umfassend darüber zu reden. Deswegen will ich jetzt nicht auf die Details eingehen. Aber ich will wenigstens so viel sagen, dass auf der Konferenz in Den Haag die Zwischenergebnisse des Intergovernmental Panel on Climate Change präsentiert wurden und dass dort gezeigt wurde, dass der Anstieg der Temperaturen bis zum Jahre 2100 bei möglicherweise bis 6 Grad Celsius liegt. Das sprengt alles, was bis jetzt im Bereich der natürlichen Klimaschwankungen zu beobachten war. Soll - diese Aussage ist dort noch einmal bestätigt worden - die Erderwärmung in Grenzen gehalten werden, muss der Ausstoß von Treibhausgasen bis Mitte des nächsten Jahrhunderts, bis zum Jahr 2050, halbiert werden. Wir bewegen uns hier mittlerweile auf der Basis von gesichertem Wissen. Die vielen Wetterextreme der letzten Jahre und Monate sind deutliche Indizien dafür, dass wir uns bereits mitten in dem größten Experiment, das die Menschheit sich je vorgenommen hat, befinden. Ich glaube, es war auch kein Zufall, dass vor allen Dingen die Rückversicherer in Den Haag zugegen waren und mahnend ihre Stimme erhoben haben. Sie sagen uns, dass die großen Risiken - Stürme, Sturmfluten oder Extremniederschläge - kaum noch zu kalkulieren sind und dass es nicht auszuschließen ist, dass Menschen, die in besonderen Risikolagen leben, etwa in Küstennähe oder im Gebirge, keine Versicherungen mehr finden werden, wenn der Klimawandel sich weiter zuspitzt. Kommen wir jetzt zum politischen Teil. All diese Einsichten - und das war ja schon eine große Errungenschaft in diesem Hohen Hause - haben bislang dazu geführt, dass wir gemeinsam den Schluss gezogen haben: Klimaschutz ist eine vorrangige politische Aufgabe. Darin sind wir uns einig. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben sich dieser Aufgabe angenommen und ein anspruchsvolles - ob es erfolgreich ist, wird man sehen - Klimaschutzprogramm vorgelegt. Frau Kollegin Homburger, wenn ich Sie immer reden höre, diese Regierung habe außer Atomausstieg und Ökosteuer nichts gemacht, ({1}) dann muss ich doch glauben, Sie sind zwei Jahre hinter der Diskussion zurück. ({2}) Wir haben uns - das wurde bereits von der Kollegin Lehn ausgeführt - die energetische Sanierung des Altenbaubestandes vorgenommen ({3}) und dafür in den nächsten fünf Jahren 2 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung gestellt. Wir haben bei der Kraft-Wärme-Kopplung den Bestand gesichert und uns den Ausbau fest vorgenommen. ({4}) - Wir haben das Gesetz in Kraft gesetzt. Sie wissen es vielleicht nicht: Kurzfristig gilt die Bonusregelung; perspektivisch wollen wir ein Zertifikat-Modell, das heißt, eine Verdoppelung der Kraft-Wärme-Kopplung bis zum Jahr 2010. ({5}) Wir fördern umfassend die erneuerbaren Energien. Wir werden ab 2003 eine Schwerverkehrsabgabe einführen, und - darauf komme ich noch - wir haben die Investitionsmittel für die Bahn um 50 Prozent erhöht. Meine Damen und Herren, das alles sind Dinge, die es früher nicht gegeben hat. Sie sind das Ergebnis dieser Regierung. ({6}) Dazu gehört natürlich auch die ökologische Steuerreform. Ich bin einigermaßen froh, dass das heute nicht wieder auf diese ganz primitive Art gelaufen ist. Wir können ab sofort die Diskussion so führen: Wir können uns darüber streiten, wie man es macht, aber wir können uns nicht mehr darüber streiten, ob man es macht. ({7}) Bei Ihrer nächsten Kampagne gegen die Ökosteuer werden wir Sie genau daran messen, ob Sie den Klimaschutz Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms ernst nehmen oder ob Sie auf die Ökosteuer zielen und in Wahrheit den Klimaschutz meinen. ({8}) - Sie, Herr Paziorek, waren ja da, im Gegensatz zu Frau Homburger. Es kann zwar immer mal sein, dass man verhindert ist; das gilt es nicht zu kritisieren. Aber wenn man die Klappe so weit aufreißt, obwohl man gar nicht da war, ist das schon bemerkenswert. Wirklich bemerkenswert war dort, dass die Industrie in Sachen Klimaschutz an unserer Seite gestritten hat. Das war ganz eindeutig zu spüren und ist ein wichtiges Signal. Wir hatten Präsentationen zusammen mit der Industrie - eine organisiert vom Umweltministerium -, zusammen mit Unternehmen aus den Bereichen erneuerbare Energien. Es ging um die Brennstoffzelle, um Mikrokraftwerke, um Contracting, also darum, wie mit Energieeinsparung Geld zu verdienen ist. Die Veranstaltung war ein Supererfolg, die Hütte war rammelvoll, die Leute standen draußen vor der Tür. ({9}) Die Wahrheit ist, dass sogar der BDI an unserer Seite gestanden hat. Die letzten Mohikaner, Frau Homburger, sind Sie; Sie haben es nur noch nicht gemerkt. Das ist das Problem. ({10}) Über die Klimakonferenz werden wir nächste Woche ausführlich sprechen. Wir müssen da ganz eindeutig eine Doppelstrategie ins Auge fassen. Es gibt Staaten, bei denen überwiegt die Sorge; die glauben, sie könnten sich die Reduktion nicht leisten, und versuchen, durch abwegige Schlupflöcher sich gesund zu rechnen und aus ihren Verpflichtungen herauszukommen. Das konnten wir so nicht akzeptieren. Ich persönlich glaube dennoch, dass es möglich sein wird, in den nächsten Monaten eine Lösung herbeizuführen und in Bonn zu einem Ergebnis zu kommen. Umso dringlicher ist, wie gesagt, eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite müssen wir das Kioto-Protokoll am Leben halten und ausbauen; und auf der anderen Seite, da, wo man auf Innovationen setzt, brauchen wir einen „fast track“. Wir können es vielleicht so sagen: Das Kioto-Protokoll ist nicht die Voraussetzung für nationales Handeln. Das hat diese Regierung kapiert. Deswegen gehen wir auf den Innovationstrack. ({11}) Wir schreiten voran, weil wir glauben, dass derjenige, der etwas tut, auch auf den Weltmärkten der Zukunft Vorteile hat. Da wollen wird dabei sein. ({12}) Zum Thema BSE. Auch die BSE-Krise ist, jedenfalls in ihrem tieferen Zusammenhang, eine ökologische Krise. Sie steht gewissermaßen als Synonym für eine völlige Entfremdung des Menschen von seinen Nahrungsmitteln. Es ist auch richtig: Da, wo Massentierhaltung und Industrialisierung der Landnutzung zu Prinzipien erhoben werden, bleiben Natur und Verbraucherschutz automatisch auf der Strecke und da, wo nur nach den niedrigsten Preisen geschielt wird, bleibt die Qualität auf der Strecke. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Deshalb ist es wichtig, dass wir neben den Akutmaßnahmen - Schnelltests, Tiermehlverbot, Kennzeichnungspflicht -, über die wir uns hoffentlich weitgehend einig sind, endlich beginnen, über die Zukunft unserer Landwirtschaft nachzudenken und sie selbst auf den Prüfstand zu stellen. ({13}) Das ist jetzt die Stunde des ökologischen Landbaus, das ist - ganz wichtig für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft - die Stunde der Regionalvermarktung. Eine große Aufgabe für unsere Europapolitiker und absolut notwendig ist es, dafür zu sorgen, dass die Vergabe der Agrarsubventionen an ökologische Qualitätskriterien geknüpft wird. Wir müssen - das steht jetzt auch auf der politischen Tagesordnung - im Zuge der Beratung über die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, die hoffentlich bald stattfinden wird, den „Naturschutz durch nachhaltige Nutzung der Kulturlandschaft“ zum Prinzip erheben. Wir brauchen eine qualitative Definition dessen, was ordnungsgemäße Landwirtschaft ist. Das ist aus unserer Sicht unverzichtbar. ({14}) Es muss auch endlich Schluss sein mit der „Alarmismuskritik“. In den letzten Jahren war es so, dass fast jeder, der auf irgendeine Umweltgefahr hingewiesen hat, sofort als Panikmacher hingestellt wurde. Es ist sicherlich richtig, dass in den 70er- und 80er-Jahren manches Umweltproblem hysterisch überzeichnet wurde. Aber ein ebenso schlechter Ratgeber - wenn nicht noch ein viel schlechterer - wie Hysterie ist Herunterspielen und Abwiegeln; denn das kostet Vertrauen und sät in der Bevölkerung nur Misstrauen. Deshalb hilft jetzt nur eins: absolute Transparenz! ({15}) Zur Krise der Bahn - auch das ist ein großes Thema -: Die Bahn hat, wie wir alle wissen, Riesenprobleme. Aber darin liegt auch eine Chance; denn Politik und Gesellschaft müssen sich über die Frage klar werden: Welche Rolle soll die Bahn beim Transport von Mensch und Gütern in Zukunft spielen? Die Umweltschützer und die Umweltpolitiker waren immer Verbündete der Bahn. Das ist wichtig und - das hat die Regierung erkannt - soll auch so bleiben. Deswegen sind die Investitionsmittel - hören Sie genau hin! - von 6 Milliarden DM im Jahr 1998, als wir an die Regierung kamen, auf 9 Milliarden DM in den Haushaltsjahren 2001 bis 2003 erhöht worden. Das ist ein Plus von 50 Prozent. Davon könnten Sie sich wirklich einmal eine Scheibe abschneiden. ({16}) Wir erwarten aber im Gegenzug von der Bahn, dass sie auf mehr Geld nicht nur mit Streckenstilllegungen und Personalabbau antwortet. Eine Schrumpfbahn, die sich aus der Fläche zurückzieht, hat keine Perspektive. Wir brauchen eine Bahn, die sich aktiv um die Erschließung neuer Märkte bemüht, und zwar im Personenverkehr und im Güterverkehr. Deswegen lautet der Deal, den wir Umweltpolitiker den Bahnern anbieten: Bemüht euch um neue Märkte! Dann werdet ihr unsere Unterstützung bekommen; denn die Bahn ist gut für die Umwelt. ({17}) Zum Thema Waldsterben kann ich wegen Zeitmangels nicht mehr viel sagen. Nur so viel: Es ist erstaunlich, dass viele von uns das Thema Waldsterben längst abgehakt haben. Die Realität ist leider so, dass das, was sich über Jahre und Jahrzehnte im Boden an Schadstoffen kumuliert hat, sozusagen schleichend über uns kommt. So schön es ist, jetzt über Wasserstoffautos zu reden, die vielleicht 2010 oder 2015 über die Straßen fahren werden, so wichtig ist es auch, den Emissionsausstoß jetzt zu senken. Ich komme zum Schluss. Der ökologische Strukturwandel ist eine der wichtigsten Aufgaben, der sich die Politik zu stellen hat. Sollte diese Aufgabe kurzzeitig auf der politischen Agenda nach hinten gerückt sein, so ist dies nun definitiv vorbei. Ich glaube, Umweltpolitik ist wieder da, und zwar allein aufgrund der Macht der Verhältnisse. Sie ist eine Querschnittsaufgabe. Deshalb lässt sich Umweltpolitik zunehmend auch im Haushalt anderer Ministerien wiederfinden, zum Beispiel in dem Etat des Ministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen oder des Wirtschaftsministeriums. Der Haushalt 2001 des Umweltministeriums ist ein guter Haushalt. Deshalb bitte ich Sie, ihn zu unterstützen. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Birgit Homburger von der F.D.P.-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Loske, Sie haben Bezug darauf genommen, dass ich an der Klimakonferenz in Den Haag nicht teilgenommen habe. Das ist richtig. Ich sehe, dass Herr Minister Trittin klüger geworden ist: Während er mir nach der letzten Debatte noch einen Brief geschrieben hat, in dem er sich wütend darüber beschwert hat, dass ich ihn angegriffen habe, und mir mitteilte, dass er kein Verständnis dafür habe, dass ich nicht nach Den Haag fahre, hat er es heute also Ihnen überlassen, das in die Debatte einzuführen. Dazu möchte ich Stellung nehmen: Die F.D.P. steht ganz klar zur Klimaschutzpolitik. Wir wollen den Emissionsausstoß mindern. Wir wollen den Erfolg des KiotoProzesses. Daran arbeiten wir mit. ({0}) Die F.D.P. hat seit Monaten Vorschläge zum internationalen Klimaschutz gemacht. Wir haben mehrfach nachgefragt, was der Bundesumweltminister mit Blick auf Den Haag zu unternehmen gedenkt. Wir haben Vorschläge gemacht, wie der Zertifikathandel funktionieren kann. ({1}) Alle diese Vorschläge wurden entweder ignoriert oder abgelehnt. Stattdessen hat man uns erklärt, es gebe eine Arbeitsgruppe zum Zertifikathandel im Umweltministerium und bei der Börse. Auf Nachfrage, wer da mitarbeite, hat man keine Antwort erhalten. Im Gegenteil, es hat sogar geheißen, die betreffenden Ministeriumsvertreter hätten eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. ({2}) Man bekommt also überhaupt nichts mit: Klimaschutz in Geheimzirkeln! Sie haben der F.D.P. seit Monaten die Tür vor der Nase zugeschlagen und uns von der Mitarbeit ausgeschlossen. ({3}) Ich kann schon verstehen, dass es der Minister gern gesehen hätte, wenn ich nach Den Haag mitgekommen wäre. Er hätte ohne Zweifel jegliche fachliche Unterstützung gut gebrauchen können. ({4}) Ich bin absolut sicher, dass Sie größtes Verständnis dafür haben, dass ich mich angesichts der nicht bestehenden Mitwirkungsmöglichkeiten schweren Herzens entschlossen habe, nicht mitzufahren. Ich bin im Übrigen der festen Überzeugung, dass es nicht mein Job ist, zur psychologischen Verstärkung hinter einem Minister herzulaufen. Es wäre zwar schön für ihn gewesen, aber er muss die Misserfolge von Den Haag selber vertreten. ({5}) Eine einzige letzte Bemerkung noch: In dem bereits angesprochenen Brief hat sich der Herr Minister bei mir beschwert, ich hätte ihm bei der letzten Rede „Lustlosigkeit“ vorgeworfen. ({6}) Insoweit kann man allerdings nur über einen einzigen Punkt streiten: Ob es nach niedersächsischer Wortwahl „Lustlosigkeit“ oder nach baden-württembergischer Wortwahl „Luschtlosigkeit“ war. Ich bin dafür, dass es „Luschtlosigkeit“ war. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Herr Loske.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zwei Punkte. Erstens. Herr Trittin hat mir nichts überlassen. ({0}) Zweitens. Ich habe bis jetzt nicht verstanden, woran die Klimakonferenz von Den Haag gescheitert ist. Aber jetzt weiß ich es. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter von der PDS-Fraktion das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dabei sein ist nicht immer alles. Erfolge zählen. Ich denke, wir in diesem Hause sind uns einig, dass Den Haag ein Desaster war. Wie mit natürlicher Umwelt umgegangen wird, wurde uns in letzter Zeit klar vor Augen geführt. Zum einen markiert das Desaster in Den Haag die Unfähigkeit und den Unwillen der führenden Industrieländer, dem Klimakollaps entgegenzutreten. Zum anderen zeigen uns die nunmehr auch „deutschen“ BSE-Rinder, welch unbeherrschbare Risiken der industrielle Umgang mit Leben - die Abstinenz natürlicher Kreisläufe bei der Nahrungsmittelherstellung - für Mensch und Natur birgt. Beide Ereignisse verbindet eines: Die Politik stellt sich nicht wirklich den Problemen. Sie schiebt vielmehr das Umsteuern auf Zeiten hinaus, in denen es höchstwahrscheinlich für Lösungen zu spät sein wird. Beim BSE ist - so könnte man es poetisch formulieren - die heile Welt der glücklichen und gesunden deutschen Almkühe in den Niederungen friesischer Mastanlagen versunken: ({0}) von einem auf den anderen Tag Alarmstufe rot! Plötzlich ist alles möglich. Tiermehl ist „out“, Schnelltests sind „in“, wenn auch so dosiert, dass es nicht zu teuer kommt. Das Massenschlachten beginnt. Wahrscheinlich bricht der Rindfleischmarkt trotz plötzlichen Aktionismus nachhaltig zusammen. Das wird dann weitaus kostspieliger sein als die verpassten und verdrängten Vorsorgemaßnahmen. Dies ist eine Katastrophe für viele Bauern, aber es ist keine Katastrophe für die Menschheit. Anders beim Klima. Während der BSE-Schock wenigstens eventuell einen Impuls in Richtung ökologischer Tierhaltung und Futtermittelproduktion auslösen könnte, wäre es beim Eintreten des Klimakollapses für ein Umsteuern zu spät. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle hier wissen, was Klimakollaps wirklich bedeutet. Reißt erst einmal der Golfstrom ab und hat das Abschmelzen der Gletscher und Pole einen bestimmten Punkt überschritten, sind die dramatischen Veränderungen bei Niederschlag, Wind und Temperatur nicht einfach umkehrbar. Der BSEGefahr kann man ausweichen: Schweineschnitzel statt Rinderrouladen. Wenn das Klima erst einmal kollabiert ist, gibt es kein Entrinnen. Dieser Gefahr ausweichen können wohl nur diejenigen, die Geld oder Macht haben. Das sind größtenteils die Gleichen, die heute umfassenden Klimaschutz verhindern. Die Betreffenden sitzen nicht nur in Washington, Toronto oder Tokio, sondern dazu gehören auch die Allianz der Mineralöl- und Automobilindustrie und die Kuponschneider vieler anderer Wirtschaftsbereiche, dazu gehören die Lobbyisten in Parlamenten und Verwaltungen, auch hierzulande. ({1}) - Ich spreche gerade von Lobbyisten; die sind Ihnen sicher bekannt. Hierzu gehören auch diejenigen, die in Deutschland dafür sorgen, dass die Bahn zerschlagen wird. Das Medienbild vom germanischen Klimaritter und -retter, das unser Umweltminister abgibt, ist ein Zerrbild. Während Jürgen Trittin in Den Haag den harten Mann spielt - was ich in diesem Fall unterstütze -, zertrümmert der Bund als Eigentümer der Bahn einen wesentlichen Pfeiler CO2sparender Mobilität. ({2}) Allein im Geschäftsbereich Fernverkehr soll die Zahl der Lokführer bis zum Jahre 2003 um 45 Prozent zurückgehen, trotz Ihrer Zuschüsse. Der Grund für diesen Abbau sind natürlich eingesparte Züge, denn Roboter bewegen ja noch keine Triebwagen. ({3}) Die Beschäftigtenzahl der Deutschen Bahn AG soll gar bis zum Jahr 2015 von derzeit 240 000 auf 120 000 halbiert werden. ({4}) - Jetzt auf einmal? ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird eben häufiger mit dem Auto gefahren, wenn keine Möglichkeiten bestehen, mit der Bahn zu fahren. ({6}) - Sie können das ja nachher dementieren und sagen, was Sie wirklich für den Ausbau der Bahn in der Fläche tun. ({7}) In diesem Punkt geht es um Ökologie und auch um Arbeitsplätze. ({8}) Wenn zu viel Auto gefahren wird - die Menschen müssen ja zur Arbeit kommen -, dann kann die Bundesregierung noch so viele Klimaschutzprogramme auflegen - es wird nichts nützen. Wer seine Förderung de facto auf den Ausbau von Autobahnen und Flughäfen statt auf den Schienenverkehr orientiert, ist im Klimaschutz nicht ernst zu nehmen. ({9}) Schließlich sagen die Prognosen des Wuppertal-Instituts - das kennen Sie -, dass der CO2-Ausstoß des LKWVerkehrs bis 2020 von 33 Millionen auf 66 Millionen Tonnen steigen wird. Die CO2-relevanten Belastungen aus dem deutschen Flugverkehr werden gar von 38 Millionen Tonnen auf 120 Millionen Tonnen zunehmen und sich damit vervierfachen. Dagegen bleiben im gleichen Zeitraum die Emissionen der Bahn bei lediglich konstant 10 Millionen Tonnen. Dieser Wert berücksichtigt dabei noch nicht einmal den geplanten Kahlschlag. Gerade der Anteil des Verkehrsmittels, das die Atmosphäre vergleichsweise minimal belastet, soll also nicht nur stagnieren, sondern nun sogar noch schrumpfen. Ich halte das für Irrsinn. ({10}) Mir fällt es angesichts des Haushaltsentwurfs schwer, ein Umschwenken in Richtung Ökologisierung der Landwirtschaft - damit wären wir wieder bei BSE - oder gar ein Durchstarten im Naturschutz zu erkennen. Der Titel „Zuschüsse für Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes“ wird, nachdem er im letzten Jahr schon um 14 Prozent reduziert wurde, wiederum um 15 Prozent abgesenkt. Mit diesem Titel wurden aber insbesondere Forschungsprojekte innerhalb des spannungsgeladenen Verhältnisses zwischen Naturschutz und Landwirtschaft finanziert. Hier gab es hochinteressante Vorhaben mit dem vorbildlichen Ziel, zum einen Arbeit und Einkommen im ländlichen Raum zu entwickeln und zum anderen Naturschutzgebiete und Kulturlandschaft zu schützen. Die so ökologisierte Landwirtschaft schuf auch Leitbilder für regionale Kreisläufe im ländlichen Raum. Dort ist nun Kahlschlag angesagt. Aber so richtig verwundern kann dies nicht; denn wenn vom zuständigen EU-Kommissar der Ruf nach genverändertem Sojaschrot als Ersatz für Tiermehl als Futtermittel laut wird, ({11}) dann wird klar, wo Schwerpunkte gesetzt werden. Ein Risiko wird gegen das nächste so lange ausgetauscht, bis es wieder in die Hose geht. Hier hat man die Wahl zwischen Pest und Cholera. Beides lehnen wir ab. ({12}) Dabei ist noch nicht einmal klar, ob die BSE-Erreger gar in die Böden eingedrungen sind, wie der Wissenschaftliche Bodenschutzbeirat zu bedenken gibt. Wir haben also eventuell noch Probleme vor uns, die wir im Moment überhaupt nicht überblicken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Klimakollaps und BSE, aber auch der drohende Zusammenbruch von Morsleben sollten uns Anlass geben, generell die ökologische Nachhaltigkeit der bundesdeutschen Politik zu hinterfragen. Einiges wurde von dieser Bundesregierung auf den Weg gebracht, aber der grundlegende Wandel blieb nur ein Versprechen. Im Gegenteil: Im Vergleich zum letzten Haushalt der Kohl-Regierung wurden - über alle Einzelpläne verteilt - Umweltschutzausgaben von mehr als einer halben Milliarde DM gestrichen. ({13}) Der Atomausstieg blieb nur ein Versprechen, die Verkehrspolitik ein Chaos. In diesem Sinne ist der Regierungsentwurf auch aus umweltpolitischer Sicht von uns abzulehnen. Der ausbleibende Wandel manifestiert sich in diesem Zahlenwerk. ({14}) Dies können wir nicht unterstützen. ({15}) Zum Schluss noch Folgendes: Sie haben sehr protestiert, als ich die Punkte diskutiert habe, die sich auf die Bahn beziehen. Sie können das alles anders machen; wir erwarten da etwas. Wir erwarten natürlich - Kollege Loske hat das angesprochen - ein vernünftiges, weiter gehendes KWK-Gesetz. Ich erwarte, dass Herr Minister Trittin auch dazu etwas sagt. Danke. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Christoph Matschie von der SPD-Fraktion das Wort.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, man kann ganz klar sagen, dass sich dieser Haushalt an den Erfordernissen einer zukunftsorientierten Umweltpolitik ausrichtet. ({0}) Herr Borchert, ich kann nicht verstehen, dass Sie immer wieder Programmhaushalt und Verwaltungshaushalt gegeneinander ausspielen. Ich bin zwar einerseits froh, dass es gelungen ist, den Programmhaushalt im Stammhaushalt des BMU noch einmal um über 34 Millionen DM aufzustocken - ich bin dafür der zuständigen Haushälterin Frau Lehn sehr dankbar -, ({1}) aber es macht doch überhaupt keinen Sinn, Verwaltungshaushalt und Programmhaushalt gegeneinander auszuspielen. Das Umweltministerium - das haben Sie doch selber an dieser Stelle immer wieder betont, als Sie noch in der Regierung waren - ist doch in erster Linie nicht etwa ein Programmministerium, sondern ein Gesetzgebungsministerium. ({2}) Auf der anderen Seite wissen Sie genauso gut wie ich, dass wesentlich mehr Mittel für den Umweltschutz im Bundeshaushalt zur Verfügung stehen, als in diesem Einzelplan verankert sind. ({3}) Herr Grill, wir haben in diesem Haushalt insgesamt über 10 Milliarden DM, wenn man alle Ressorts zusammennimmt, die für Umweltschutzaufgaben und für die notwendigen Investitionen in diesem Bereich zur Verfügung stehen. Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn Sie sich ab und zu einmal daran erinnerten, dass wir mit diesem Haushalt wie mit dem vorangegangenen Haushalt auch Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik durchsetzen und die Altlasten, die Schulden, abarbeiten, die Sie uns hinterlassen haben und die nicht wir aufgehäuft haben. ({4}) Wir gehen Investitionen im Umweltschutzbereich in vielfältiger Form an. Wir verstärken den Verwaltungsbereich. Frau Lehn hat auch dazu etwas gesagt. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, 20 neue Stellen im Bundesamt für Naturschutz zu schaffen, weil die Aufgaben in diesem Bereich wachsen. Deshalb ist es notwendig, auch in diesem Bereich deutlich aufzustocken. Man darf nicht gering schätzen, dass auch über Maßnahmen entschieden worden ist, die zu Mindereinnahmen im Haushalt führen, aber dem Naturschutz zugute kommen. Ich erinnere daran, dass es uns gelungen ist, einen wichtigen Beitrag zum Schutz des Naturerbes in den neuen Bundesländern zu leisten, indem wir 50 000 Hektar an Naturschutzflächen kostenlos für die Bundesländer bzw. Naturschutzverbände zur Verfügung gestellt haben und weitere 50 000 Hektar zu verbesserten Konditionen anbieten. ({5}) Ich denke, dass die Überlegungen zu einer Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes gute Voraussetzungen bieten, auch diesen Bereich zukunftsorientiert weiterzuentwickeln. Das Naturschutzrecht wird stärker an der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes, an den ökologischen Zusammenhängen und an dem Schutz der biologischen Vielfalt ausgerichtet. Wir schreiben zum Beispiel die Verpflichtung fest, Biotopverbundsysteme zu schaffen und mindestens 10 Prozent der Landesfläche als Naturschutzvorrangflächen auszuweisen. Ich glaube, dass es notwendig ist, in diesem Bereich weiter voranzukommen. Die Konferenz von Den Haag ist von mehreren Seiten angesprochen worden. Ich glaube auch, dass sie ein Rückschlag für die internationale Umweltpolitik war. Aber das lag weder an der Bundesregierung, wie Herr Borchert uns glauben machen will, noch lag es an der Verhandlungsführung von Herrn Trittin, wie Sie, Frau Homburger, behaupten. Sie tragen damit zur Weiterentwicklung der F.D.P. als Ferndiagnosepartei bei. Wenn man an einer Konferenz nicht teilnimmt, dann kann man hier nicht solche Behauptungen aufstellen. ({6}) Die Konferenz hat uns etwas anderes gezeigt, nämlich dass wir keinen Schritt weiterkommen, wenn Einzelinteressen und Klientelinteressen über gemeinsame Lösungen in der Umweltpolitik gestellt werden. ({7}) Die Konferenz hat uns weiterhin gezeigt, wie schwierig es in der Klimaschutzfrage ist, die Kernbereiche der Industriegesellschaft berührt, zu gemeinsamen Auffassungen zu kommen. ({8}) Es war die erste Konferenz, bei der es um harte Entscheidungen ging, ({9}) weil sich auf dieser Konferenz herausstellen musste, welche Maßnahmen umzusetzen sind und welche nicht. ({10}) Im Gegensatz zu manchen anderen Regierungen, die auf dieser Klimaschutzkonferenz im Bremserhäuschen gesessen haben, hat die Bundesregierung ein mutiges Klimaschutzprogramm verabschiedet, mit dem der Kohlendioxidausstoß in der Bundesrepublik Deutschland bis 2005 noch einmal um 70 Millionen Tonnen verringert werden kann. Diese Senkung ist auch notwendig, wenn wir die Verpflichtungen erfüllen wollen, die Deutschland damals unter Ihrer Regierung eingegangen ist. Wir haben die Verpflichtung zur Reduktion um 25 Prozent im Vergleich zu 1990 für richtig gehalten und stehen dazu. Aber genauso wahr ist es, dass uns die Experten bei der Regierungsübernahme 1998 gesagt haben, dass wir mit der Fortsetzung Ihrer Politik die Klimaschutzziele weit verfehlen werden. ({11}) Es war deshalb notwendig, dass die Bundesregierung ein neues Programm zum Klimaschutz beschlossen hat. Wir werden dazu beitragen, dass Ressourcen effizienter genutzt werden, dass die Energieeinsparung stärker gefördert wird und dass die Nutzung erneuerbarer Energien weiter ausgebaut wird. Wir wollen, dass der Anteil erneuerbarer Energien bis 2010 verdoppelt wird. Wir werden dafür die Rahmenbedingungen weiter verbessern. Ein wesentlicher Schritt ist mit dem Erneuerbare-EnergienGesetz schon getan worden. ({12}) Auch der Ausstieg aus der Atomenergie, der ja von Ihnen immer wieder kritisiert wird ({13}) - nein -, ist ein Beitrag dazu, den notwendigen Umbau der Energiestrukturen voranzutreiben und Freiräume für mehr dezentrale Versorgung und Energieeinsparung zu schaffen. ({14}) Herr Borchert, Sie haben gesagt, jetzt würden wir den Atomstrom aus anderen Ländern importieren. Wenn Sie sich einmal die Import- und Exportzahlen der deutschen Stromwirtschaft anschauen, dann werden Sie feststellen, dass sich der Import und der Export von Strom fast die Waage halten. ({15}) Es kann also gar nicht die Rede davon sein, dass Strom aus Deutschland durch Atomstrom aus dem Ausland ersetzt wird. ({16}) - Das ist keine seltsame Argumentation. Man kann nicht von dem Ersetzen von Energie reden, wenn man sich die Energieflüsse in beide Richtungen anschaut. Wir werden auch die Kraft-Wärme-Kopplung und deren Ausbau weiter voranbringen. Auch hier ist ein erster wichtiger Schritt getan worden. Wir werden in den nächsten Monaten weitere rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass die Kraft-WärmeKopplung in Deutschland ausgebaut wird. Ich bin froh, dass es gelungen ist, das bereits bestehende Förderprogramm zur Markteinführung erneuerbarer Energien nochmals finanziell aufzustocken. Allein im nächsten Haushaltsjahr stehen uns dafür 300 Millionen DM zur Verfügung. Ich denke, dass es auch sinnvoll ist, einen Teil der Zinsersparnisse aus den UMTS-Lizenzerlösen gezielt für die Forschung im Bereich umweltfreundlicher Technologien zur Energieerzeugung einzusetzen. Auch die von Ihnen jahrelang verschleppte Energieeinsparverordnung liegt jetzt endlich auf dem Tisch. ({17}) Das zeigt, dass diese Bundesregierung handelt. Gestern ist die Fassung vorgelegt worden. ({18}) - Sie können sie erhalten, sie sich anschauen und dann können wir gemeinsam darüber diskutieren. ({19}) Hier werden Wärmestandards definiert, die dazu führen, den Heizenergiebedarf von Neubauten um 30 Prozent gegenüber den bisherigen Anforderungen zu senken. Um auf den Vorwurf bezüglich der Bahn einzugehen, Frau Bulling-Schröter. Es ist dieser Regierung gelungen, mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm in den nächsten drei Jahren zusätzlich 6 Milliarden DM zu mobilisieren, die dem Ausbau der Schieneninfrastruktur zugute kommen. Ich glaube, so gut, wie es die Bahn unter dieser Bundesregierung hat, hat sie es lange nicht gehabt. ({20}) Zum Schluss ein kurzer Blick auf Ihr Lieblingsthema, die Ökosteuer und Ihren Antrag, den Sie zur Abschaffung der Ökosteuer vorgelegt haben. Übrigens: Ihre Argumente gegen die Ökosteuer richten sich am Ende ja gegen Ihr eigenes Programm; denn in der CDU ist die Ökosteuer programmatisch eigentlich nie umstritten gewesen. Hören Sie einmal auf Ihren früheren Umweltminister Töpfer, der erst vor kurzem gesagt hat: Wer die Ökosteuer als K.-o.Steuer bezeichnet, hat nichts begriffen. Davon können Sie etwas lernen. ({21}) Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich kann Ihnen nur sagen: Kommen Sie aus Ihrer Schmollecke heraus. Machen Sie konstruktive Umweltpolitik. Das nützt der Umwelt und dem Klima im Parlament. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Peter Paziorek von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Matschie hat gerade sinngemäß ausgeführt, dass der Haushalt der rot-grünen Regierungskoalition für das nächste Jahr unter die Überschrift „Zukunftsfähigkeit gewinnen“ gestellt worden ist. Bei der Bewertung dieses Haushaltsplanes, glaube ich, muss man aber große Zweifel daran haben, ob Sie dieser Überschrift, die Sie sich gerade selbst gegeben haben, überhaupt gerecht werden. Bei einer Prüfung der einzelnen Haushaltsstellen drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass Sie die erfolglose Umweltpolitik der letzten zwei Jahre auch im nächsten Jahr fortsetzen wollen. ({0}) Sie, lieber Kollege Reinhard Loske,haben gerade ausgeführt, all die Hinweise auf das so genannte Totenglöcklein für die Umweltpolitik seien jetzt nicht mehr angebracht. Ich will auf die Ausgabe des „Tagesspiegels“ vom gestrigen Tage verweisen. In einem Kommentar mit der Überschrift „Zurück ins Kerngeschäft“ heißt es: „Die Grünen verwechseln Realpolitik mit Ökologie-Verzicht...“. Hervorragend ist diese Überschrift. Es heißt in diesem Artikel weiter - ich darf zitieren, Herr Präsident -: Aber es nutzt nichts, neues Terrain zu erschließen, wenn das angestammte preisgegeben wird. Es lag nicht am Profil des linken, angeblich allenfalls am Atomausstieg interessierten, ansonsten der Ökologie abholden Umweltministers Trittin, dass die Grünen so blass aussehen. Weite Kreise ihrer herrschenden Schicht von Polit-Profis haben Realpolitisierung wie De-Ökologisierung verwechselt. Recht hat der Kommentator des „Tagesspiegels“. ({1}) Ich will auch auf die Klimaschutzkonferenz in Den Haag eingehen; das Thema wurde ja von vielen Vorrednern bereits angesprochen. Ich glaube, dass in einer Haushaltsdebatte auch zur Klimakonferenz in Den Haag Stellung bezogen werden muss. Alle von uns, die auf der Konferenz waren, stehen noch unter dem Eindruck des negativen Konferenzergebnisses. Wir als CDU/CSUFraktion - ich will das ganz deutlich sagen - werden uns dafür einsetzen, dass in Deutschland und auch in diesem Hause alle gemeinsam an einem erfolgreichen Rio-Nachfolgeprozess arbeiten. Die Unterbrechung der sechsten Klimakonferenz in Den Haag war ein schwerer Rückschlag und insofern eine Enttäuschung, als man manchmal das Gefühl hatte, eine Einigung wäre greifbar nahe gewesen. ({2}) Herr Matschie, Sie haben gerade mit Ihrem Hinweis auf die vergangenen Klimakonferenzen ein Beispiel dafür gegeben, was sich im Parlament abgespielt hätte, wenn der jetzige Umweltminister nicht Trittin, sondern Merkel hieße. Dann wäre alles nach dem bekannten Motto „Es gibt nur eine Stelle, die an dem Scheitern dieser Klimakonferenz schuld ist“ - so ähnlich haben Sie das damals gesagt - verlaufen. ({3}) - Frau Ganseforth, Sie haben sich an einer Stelle differenziert geäußert; das gebe ich zu. Ich habe Ihre Stellungnahme nachgelesen. Ansonsten gab es nur eine generelle Kritik, die die Hauptschuld an den schlechten Ergebnissen der bürgerlichen Koalition anlastete. Heute haben Sie auf einmal Verständnis für Schwierigkeiten und gewisse Handlungszwänge - nur weil das Regierungslager gewechselt hat. Das ist in der Tat keine sinnvolle Kontinuität. Herr Matschie, ich will ganz deutlich sagen: Herr Trittin hat mehrfach - auch in Presseerklärungen - in Den Haag erklärt, die Ergebnisse von Kioto dürften nicht „zurückverhandelt“ werden; er möchte die Ergebnisse von Kioto aufrechterhalten. Wer war denn damals in Kioto in der deutschen Delegation federführend? Das war die damalige Bundesumweltministerin Merkel von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie stellen sich jetzt hier hin und tun so, als ob im Grunde genommen auf Klimakonferenzen der 90er-Jahre keine Erfolge erzielt worden wären. Schauen Sie sich das bisher Erreichte an und dann kommen Sie zu einem anderen Ergebnis. ({4}) - Ich habe nicht Sie angesprochen, Herr Loske. Um eines - auch für die Nachfolgekonferenz in Bonn - ganz deutlich zu machen: Wir wollen keine Schlupflöcher, sondern eine konsequente Verhaltensänderung der Industriestaaten. Jeder, der einen solchen Kurs einfordert, erhält unsere Unterstützung. Sie sollten sich die Pressemeldungen ansehen, die unmittelbar nach dem Scheitern der Konferenz von Den Haag veröffentlicht wurden. An einer Stelle wird zum Beispiel ausgeführt, dass sich die so genannte Supermacht USA, unterstützt von Japan und den OPEC-Staaten, durchsetzen konnte, weil sie gegenüber einem zerstrittenen Europa angeblich die besseren Argumente hatte. ({5}) Das ist doch das Hauptproblem: Sie hatten nicht die besseren umweltpolitischen Argumente - das konzedieren wir -, aber die EU-Staaten konnten sich bis zur letzten Minute der Konferenz nicht darüber einigen, mit welchen Mitteln die verfahrene Situation hätte aufgebrochen werden können. Das war das Hauptproblem der letzten Stunden dieser Verhandlungen. So darf es nicht weitergehen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwartet von dem Bundesumweltminister, dass er sich im Vorfeld der Nachfolgekonferenz seiner besonderen Verantwortung stellt und ein hohes Maß nicht nur an Durchsetzungskraft und klarer Positionierung, sondern auch an Flexibilität zeigt, um zu einem guten Ergebnis zu gelangen. Ohne Flexibilität bei den Verhandlungen werden wir unsere Grundsatzposition bei internationalen Verhandlungen nicht durchsetzen können. Deshalb sage ich: Sie sind als Bundesumweltminister massiv gefordert. Wenn Sie diese Vorgaben einhalten, werden Sie auch von unserer Seite die notwendige Unterstützung erhalten. Wir als CDU/CSU wollen nicht, dass die Nachfolgekonferenz von Den Haag zu einem großen umweltpolitischen SuperGAU wird. Daran kann keiner in diesem Hause ein Interesse haben. ({6}) Herr Bundesumweltminister, wenn man sich Ihren Bericht vor dem Umweltausschuss vom Januar 1999, also vor fast zwei Jahren, ansieht und daraufhin überprüft, was Sie in diesem Bericht als umweltpolitische Schwerpunkte dieser Legislaturperiode herausgestellt haben, wird man unschwer feststellen können, dass Sie mit Ausnahme des so genannten Atomausstiegs in allen anderen Bereichen Ihre selbstgesetzten Zielvorstellungen in dieser Legislaturperiode nicht mehr erreichen werden. Wenn wir uns überlegen, was Sie im Augenblick als Sachstand bei der Atomausstiegspolitik vorliegen haben, haben wir große Zweifel daran, ob das, was Sie pressemäßig gut verkauft haben, auch realisiert werden kann. Im Augenblick haben Sie nur eine Erklärung paraphiert. Sie wissen ganz genau, dass das juristisch ein Nullum ist. Sie können alles Mögliche paraphieren. Gesetzgeberisch bringt Ihnen das überhaupt nichts. Sie müssen ein Atomausstiegsgesetz vorlegen. ({7}) - Sie sagen, dass es noch kommt. Sie haben angekündigt, dass es in diesem Herbst kommen wird. Wir wissen ganz genau, dass bis heute diesem Haus noch kein Atomausstiegsgesetz vorliegt. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sich vieles, was Sie vollmundig erklärt haben, juristisch nicht umsetzen lässt. Das ist das Problem dieser Regierung: Im Umweltbereich haben wir einen Ankündigungsminister, der in vielen Bereichen keine Taten folgen lässt. Das ist das große Problem in unserer Umweltpolitik. ({8}) Sehen wir uns die Abfallpolitik an. Was ist hier nicht alles genannt worden! Es sollte ein übergreifendes Konzept zum produktbezogenen Umweltschutz vorgelegt werden. Im Augenblick diskutieren wir in diesem Bereich nur das Zwangspfand. In der Öffentlichkeit wird so getan, als ob hier schon alles geklärt sei. Ich habe mir noch einmal das Ergebnis des Kamingesprächs angesehen. An dem Abend nach dem Kamingespräch haben Tickermeldungen angekündigt, dass das Pfand kommt. Bei der Erklärung der Umweltminister zur Verpackungsverordnung heißt es unter Ziffer 4 - ich zitiere -: Zur abschließenden Beurteilung muss das BMU für seinen Vorschlag eine ökologische Untermauerung der Lenkungswirkung des Modells zur Stabilisierung von ökologisch vorteilhaften Verpackungen vorlegen. Das kann ich nur so verstehen, dass man darüber nachdenkt, ob man ökologisch unverträgliche Verpackungen mit einem Pfand belegt. Der Minister hat aber erst einmal die Aufgabe, seine Schularbeiten zu machen, um dann vorzulegen, in welchem Maße das ökologisch sinnvoll gemacht werden kann. Bis heute wissen wir nicht, ob und zu welchem Zeitpunkt der Minister das Konzept vorlegen will. Sie wissen genauso gut wie wir, dass im Bundesrat darüber nachgedacht wird, die ganze Angelegenheit zu vertagen, bis der Umweltminister nicht nur eine Presseerklärung herausgibt, dass so etwas kommt, sondern bis der Umweltminister wirklich eine Ökobilanz vorlegt, dass ein Zwangspfand in dieser Form berechtigt ist. Machen Sie bitte erst einmal Ihre Schularbeiten, bevor Sie Presseerklärungen zu dieser Frage herausgeben. ({9}) Der Naturschutz ist gerade ebenfalls angesprochen worden. Es gibt Ländertreffen der Naturschutzverbände, bei denen Vertreter des BMU ankündigen, dass im Bereich des Naturschutzes tatsächlich etwas passiert. Schön wäre es. Im Augenblick ist weder im Umweltausschuss noch in diesem Hause ein Entwurf für ein Bundesnaturschutzgesetz zur Novellierung des bestehenden Gesetzes angekommen. Angeblich ist es auf dem Dienstweg zwischen dem Umweltministerium und dem Landwirtschaftsministerium abhanden gekommen. Ich frage mich, ob dieser Entwurf überhaupt abgeschickt worden ist. Sie erklären immer: Wir wollen das Naturschutzgesetz novellieren. Aber niemand im Umweltausschuss hat bis jetzt Kenntnis davon bekommen, wie der Gesetzentwurf aussieht und wann er vorgelegt wird. Sie kündigen in einer Presseerklärung etwas an, ohne in diesem Hause - wie heißt es so schön - Butter bei die Fische zu tun. ({10}) - Na gut, Herr Matschie, Sie wissen sicherlich, dass Sie auch damals dazwischengerufen haben, als wir die letzte Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 1997 vorgenommen haben. Das Ganze ziehlt also ins Leere. Zum Stichwort „Umwelt und Gesundheit“. Dies soll ein Hauptthema der Umweltpolitik in dieser Legislaturperiode sein. Das Eckpunktepapier haben Sie vorgelegt und dann war Schluss. Als ob man mit einem Eckpunktepapier verantwortlich Umweltpolitik betreiben kann. Interessant war die Diskussion zum Sommersmog. Sie haben über Jahre Frau Merkel als ehemalige Umweltministerin attackiert, weil im Bereich des Sommersmogs die Regelungen angeblich defizitär seien. Jetzt, zu einem Zeitpunkt, zu dem Sie die Regierungsverantwortung haben, haben Sie nichts anderes zu tun, als die Konzepte zu übernehmen, die CDU/CSU- und F.D.P.-geführte Länderregierungen in ihren Bereichen schon längst umgesetzt haben und in einem Entschließungsantrag dem Bundesrat vorgelegt haben. Sie haben in diesem Bereich abgeschrieben. Damit haben Sie der Öffentlichkeit überhaupt nicht zur Kenntnis gegeben, dass, damit Ihre ganze Kritik, die Sie uns über Jahre vorgehalten haben, völlig an der Sache vorbeigegangen ist. ({11}) Eines will ich Ihnen konzedieren: Eine Fehlanzeige will ich nicht unbedingt vermelden. Es war die einzige Stelle, Herr Minister, bei der Sie in den letzten zwei Jahren lernfähig gewesen sind. Das Stichwort Ökosteuer ist schon des Öfteren genannt worden. ({12}) - Nein, es ist auch von Ihnen angesprochen worden. - Ich muss noch einmal sagen: An dieser Form der Ökosteuer kann man nicht festhalten. Das sieht man in Ihrer Fraktion teilweise genauso. Ich habe gestern in der „Berliner Zeitung“ einen Artikel mit der Überschrift gefunden: „Eurosolar-Kritik an der Ökosteuer“. Dort ist ein sehr bekanntes Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion zitiert worden. Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich aus diesem Artikel widergeben: Der Bundestagsabgeordnete und Präsident der Vereinigung Eurosolar, Hermann Scheer ({13}), hat die Verwendung der Einnahmen aus der Ökosteuer kritisiert. Die Abgabe wäre den Steuerzahlern viel leichDr. Peter Paziorek ter zu begründen, wenn das Geld in die Förderung erneuerbarer Energien und des Energiesparens fließen würde ... ({14}) Man muss aber sagen: Er hat sich bei Ihnen nicht durchsetzen können. Die Verwendung der Einnahmen aus der Ökosteuer ist völlig kontraproduktiv. Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken gibt es ein umweltpolitisches Bedenken, das wir hier klar und deutlich benennen müssen. ({15}) Zum Schluss möchte ich noch einen Hinweis auf das von Ihnen hier mehrfach genannte Programm zur Förderung erneuerbarer Energien geben. Kein Umweltpolitiker wird die Notwendigkeit bestreiten, dass wir erneuerbare Energien fördern müssen. Entscheidend ist aber, wie Sie das machen. Die Bedenken - ich sage das ganz grundsätzlich -, die gegen Ihre Förderpraxis inzwischen in immer stärkerem Maße vorgebracht werden, sind berechtigt: Sie überregulieren, Sie greifen in den Markt ein, Sie schaffen Vorgaben, Sie machen mittlerweile eine Energieund Umweltpolitik, die in den Markt so detailliert eingreift, dass man große Bedenken haben muss, ob erneuerbare Energien damit langfristig sinnvoll gefördert werden. Denn mit dieser Politik betreiben Sie in Wirklichkeit die Zementierung des Status quo und Sie schaffen gerade bei den erneuerbaren Energien keine neuen Entwicklungen. Aus diesem Grunde kann ich vor der Fortsetzung der Überregulierung nur warnen. Langfristig bedeutet das, dass wir auch im Bereich der erneuerbaren Energien den entscheidenden Schritt nicht vorankommen, sondern im Status quo verharren. Das wäre kontraproduktiv. ({16}) Die Bilanz nach zwei Jahren rot-grüner Umweltpolitik lautet: Es ist nicht sehr viel gewesen. Den Hinweis in einer Werbebroschüre des Bundesumweltministeriums „Na klar ...“ - als Antwort auf die Frage in der Überschrift: „Zwei Jahre umsonst?“ - kann ich an dieser Stelle nur als absolut berechtigt bezeichnen. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anders als es Herr Borchert meint, geht es bei diesem Haushalt nicht um Ankündigungen, sondern um die haushaltsmäßige Feststellung von künftigen Ausgabeberechtigungen. ({0}) Wir haben einen ganz einfachen Umstand zu verzeichnen: Wir haben mit diesem Haushalt das größte ökologische Zukunftsinvestitionsprogramm vorgelegt, das diese Republik je gesehen hat. ({1}) Wir geben allein für den Klimaschutz 8,3 Milliarden DM aus. 6 Milliarden DM fließen in den Ausbau der Schiene, 2 Milliarden DM in den Ausbau der Wärmedämmung und 300 Millionen DM in Förderung von Zukunftsenergien. Vor diesem Hintergrund kann ich verstehen, dass Sie als Oppositionsfraktion Schwierigkeiten haben. Denn was soll man daran kritisieren? ({2}) Als erfahrener Oppositionspolitiker empfehle ich Ihnen in so einem Fall: Greifen Sie besser nicht auf das Manuskript vom vergangenen Jahr zurück, weil Sie dann an den Tatsachen schlicht und ergreifend vorbeireden. ({3}) - Ich hoffe, dass wir nächste Woche ausführlicher darüber diskutieren werden. Wir haben in Den Haag einen schweren Rückschlag im Hinblick auf die gemeinsamen Anstrengungen für den Klimaschutz einstecken müssen. Ich persönlich habe mich mit den Kollegen Müller, Loske, Paziorek und Lippold gefreut, dort diese Diskussion zu führen. ({4}) - Frau Ganseforth, Entschuldigung. Dich hätte ich eigentlich als Erste nennen müssen, Monika. Sie war auch am längsten da. ({5}) - Habe ich das jetzt wieder gutgemacht? Ich glaube allerdings, dass wir uns gemeinsam bemühen müssen, auch international - mit aller Festigkeit in der Position und mit aller Notwendigkeit zur Flexibilität bei Erreichung eines Ergebnisses - dafür Sorge zu tragen, dass es möglichst schnell eine Fortsetzung gibt. Darüber führen wir zurzeit viele bilaterale Gespräche - mit den Amerikanern, mit den Engländern, mit der EU-Präsidentschaft -, weil wir glauben, dass wir jetzt das, was an Gemeinsamkeiten in Den Haag auch erreicht worden ist - es haben sich ja auch Lösungen abgezeichnet -, schnell unter Dach und Fach bringen müssen. Vielleicht besteht für Frau Homburger dann auch einmal die Gelegenheit, das Ganze aus der Nähe zu betrachten. Eines will ich hinzufügen, meine Damen und Herren: Wir haben unsere gute Position bei internationalen Verhandlungen unter anderem dadurch erreicht, dass die Bundesrepublik Deutschland neben Großbritannien und Luxemburg eines der wenigen Länder ist, in denen mit dem Klimaschutz Ernst gemacht worden ist. ({6}) Es ist zwar richtig, dass wir mit einem CO2-Ausstoß von 5 Prozent des weltweiten Ausstoßes nicht die Probleme für alle lösen können. Deswegen brauchen wir eine internationale Lösung. Aber umgekehrt ist auch richtig, dass wir dadurch, dass wir hier im Lande etwas tun, international etwas bewegen können. Deswegen wünsche ich mir sehr, dass wir hier, unabhängig vom Streit über das eine oder andere Instrument - darauf komme ich noch -, einen Konsens über Parteigrenzen hinweg erreichen. Nur so können wir international tatsächlich etwas bewegen. Ich freue mich, dass dies von den Anwesenden in Den Haag auch so gesehen wurde, und empfand dies als eine sehr angenehme Form der Kooperation. Mit dem Programm zur Förderung der Kraft-WärmeKopplung, mit der Energieeinsparverordnung, mit der beabsichtigten Einführung des Niedrigenergiehauses haben wir Meilensteine gesetzt. Wir wollen das fortsetzen, indem wir uns den Verkehrsemissionen zuwenden. Als Stichworte nenne ich die entfernungsabhängige Autobahngebühr und einen weiteren Ausbau der Bahn. Natürlich hat in diesem Zusammenhang auch die Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft vom 9. November 2000 eine Rolle gespielt. Einmal in die andere Richtung gefragt, Frau Homburger: Was hätte ich unserer Industrie eigentlich sagen sollen, die gerade erklärt hat, sie wolle ihre Einsparungen von 20 auf 28 Prozent und bis 2012 sogar auf 35 Prozent steigern, wenn ich dem Ansinnen zugestimmt hätte, dass den Amerikanern ein Plus von 1,5 Prozent zugestanden wird? Denn das war die Forderung. Die Vertreter des BDI, die in Den Haag waren, waren mit mir völlig einer Auffassung, dass man in dieser Form nicht verhandeln könne und dass auf dieser Basis ein Abschluss nicht zu erreichen sei. ({7}) Man kann natürlich auch nicht über Klimaschutzpolitik diskutieren und sich zugleich jeder konkreten Maßnahme im eigenen Land verweigern. Ich will das an einem Beispiel belegen: Die ökologische Steuerreform ist im Klimaschutzprogramm mit einem Einsparpotenzial von 10 Millionen Tonnen CO2 veranschlagt. Das bedeutet einen Prozentpunkt von den einzusparenden 25 Prozent. ({8}) - Ich wusste gar nicht, dass wir hier im dänischen Parlament sind, Herr Kollege Hirche. Führen Sie diese Debatte bitte dort. Wenn Sie von der F.D.P. und der CDU/CSU gegen die Ökosteuer sind, dann frage ich Sie nach Ihrem konkreten Vorschlag zur Einsparung dieser 10 Millionen Tonnen CO2. Wir reden hier nicht über Programmatik, sondern über einen Wettstreit ganz konkreter Einsparungsmaßnahmen. ({9}) - Kommen Sie mir nicht mit der Idee, Herr Paziorek, Sie wären ja eigentlich für eine Ökosteuer und würden nur die Verwendung der Mittel aus der Ökosteuer kritisieren. ({10}) Ich habe mir den Spaß gemacht, mir die Homepage der CDU anzugucken, auf der Sie einen Wettbewerb „Gedichte gegen die Ökosteuer“ ausloben. ({11}) Ich möchte einmal eines dieser Gedichte zitieren: Kalte Zeiten brechen an. Wärme sich, wer wärmen kann! Die Heizung wird herabgestellt, das Auto besser abbestellt. Wohlbefinden wird zu teuer dank der grünen Ökosteuer. Schröder strahlt und Eichel rafft: „Haha, wir haben es geschafft!“ ({12}) Die Verfasserin dieses „Ökosteuer-Blues“ heißt Undine Weidlich und hat dafür von Ihnen einen Preis bekommen. ({13}) Da höre ich richtig, wie Sie die Verwendung der Ökosteuer kritisieren. Aber ich muss Ihnen, auch in Abwesenheit Ihres Fraktionsvorsitzenden, eines sagen: Solche Rumpelreime sind der wahre Anschlag auf die deutsche Leitkultur. ({14}) Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind in der Frage Klimaschutz tatsächlich in einer Vorreiterrolle. Dazu ist die ökologische Steuerreform ein wichtiges und zentrales Instrument. Wir wollen es als Teil einer Umstrukturierung, auch der Art und Weise, wie wir mit Energie umgehen, gestalten. Sie werden keinen Einstieg in eine andere Energiestruktur, in mehr Effizienz, in mehr erneuerbare Energien, das heißt auch in eine dezentralere Struktur, bekommen, wenn Sie aus reinem Strukturkonservatismus und jenseits aller ideologischen Debatten des Pro und Kontra von Atom an zentralisierten Energietechnologien festhalten. ({15}) Deswegen gehören der Ausstieg aus der Atomenergie, Klimaschutz und mehr Effizienz untrennbar zusammen. ({16}) Bevor ich mich abschließend kurz den Bereichen Naturschutz und Landschaftspflege zuwende, möchte ich mich -Frau Lehn hat das schon getan - ausdrücklich bei den Berichterstattern der Koalitionsfraktionen bedanken. ({17}) Es ist gelungen, 14,3 Millionen DM zugunsten des Programmhaushaltes umzuschichten. Am meisten freut uns, dass wir es geschafft haben, die Naturschutzgroßprojekte auf 44 Millionen DM aufzustocken. Auch der operative Teil des Bundesamtes für Naturschutz wird ausgebaut. Das empfinde ich als nachdrückliche Stützung für eines unserer herausragenden umweltpolitischen Anliegen, in deren Zentrum die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes steht. ({18}) Das Bundesnaturschutzgesetz besteht nicht nur aus dem Biotopverbund und der Einführung einer Verbandsklage. Nein, es geht auch um einen Ausgleich zwischen dem Schutzbedürfnis der Natur und denjenigen, die die Natur nutzen, zumeist zum Broterwerb, aber auch in der Freizeit. ({19}) Dieser neue Ausgleich zwischen den Interessen der Landwirtschaft und dem Naturschutz ist notwendig. Wir haben hier erstmalig eine Definition der guten fachlichen Praxis aus Naturschutzsicht vorgelegt. ({20}) Das ist in meinen Augen deswegen so wichtig, weil wir angesichts der BSE-Krise vor der Herausforderung stehen, uns gemeinsam von der industrialisierten Agrarproduktion zu verabschieden und auf eine naturverträgliche, an Qualität statt an Quantität orientierte Produktion in der Landwirtschaft umzusteigen. ({21}) Ich füge einen weiteren Gedanken hinzu. Zu einem modernen Naturschutz gehört auch ein anderer Umgang mit Bio- und Gentechnik. Wir haben es auf internationaler Ebene geschafft, das Protokoll über die biologische Sicherheit abschließend zu verhandeln; wir werden es hier ratifizieren. Außerdem ist es uns gelungen, für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen neue Regeln zu schaffen. Aber das ist nicht genug. Wir erwarten gerade vor dem Hintergrund der schrecklichen Erfahrung mit BSE, dass es in Europa - das können wir nicht alleine und ausschließlich für uns regeln - klare Regeln nicht nur für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, sondern auch und gerade für gentechnisch veränderte Lebensmittel gibt: unmissverständliche Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit bis zur Quelle und vor allen Dingen klare Haftungsregeln, damit nicht letztendlich der Konsument angeschmiert ist. ({22}) Mit einem solchen anderen Verständnis des Verhältnisses von Naturschutz und Landwirtschaft sowie des Umgehens mit gentechnisch veränderten Organismen wollen wir erreichen, dass die Verbraucher selbst entscheiden können, welchem Risiko sie sich aussetzen wollen. Solange dies nicht gegeben ist, soll es - davon bin ich fest überzeugt - für einen kommerziellen Anbau solcher Pflanzen ein Moratorium geben. Das ist die Herausforderung, der wir uns gemeinsam zu stellen haben, wenn wir die Sorgen der Verbraucherinnen und Verbraucher ernst nehmen wollen und klarstellen wollen, dass bei uns der Schutz von Mensch und Umwelt tatsächlich Vorrang hat. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Bartholomäus Kalb von der CDU/CSU-Fraktion.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ich bedauere es außerordentlich, dass Sie in Ihrer Rede kein einziges Wort zum Kernkraftwerk Temelin gesagt haben, obwohl dieses Thema viele Menschen in der Grenzregion zur Tschechischen Republik sehr bewegt. Ich frage Sie, warum Sie es ablehnen, die Gesellschaft für Reaktorsicherheit zu beauftragen - dies hat die tschechische Regierung angeboten -, ihrer Tätigkeit in Temelin weiter nachzugehen und zusätzliche Überprüfungen vorzunehmen. Sie lehnen dies ab, so ist mitgeteilt worden, weil Sie keine herbeigerechnete Sicherheit wollen. Auch wir wollen dies nicht. Wir wollen aber wissen - die Tschechen haben sich bereit erklärt, daran mitzuarbeiten -, ob das Kernkraftwerk Temelin den europäischen Sicherheitsstandards entspricht oder nicht. ({0}) Entspricht es diesen Sicherheitsstandards, dann müssten wir das den Menschen sagen, damit sie sich nicht unnötigerweise Sorgen machen. Entspricht dieses Kernkraftwerk diesen Sicherheitsstandards nicht, dann sind Sie bzw. die Bundesregierung aufgefordert, unverzüglich in nachdrückliche Verhandlungen mit der tschechischen Regierung einzutreten, um dort die in Europa sonst üblichen Sicherheitsstandard durchzusetzen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung, Herr Bundesminister Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Herr Kollege, ich bin Ihnen für diese Kurzintervention dankbar. Dies gibt mir erstens Gelegenheit, der geschätzten Kollegin Homburger auf ihre Frage nach der Nichtweiterbeschäftigung der GRS in der Störfallkommission zu antworten. Diese Nichtweiterbeschäftigung ist Ergebnis einer Ausschreibung nach Haushaltsrecht und insofern eine kaufmännische Entscheidung. Ich dachte bisher, die F.D.P. sei der Auffassung, dass man so etwas regelmäßig tun sollte, stelle aber angesichts Ihrer Äußerungen immer wieder fest, dass die alte Weisheit gilt: Wer sich eine Decke über den Kopf zieht, soll sich nicht beschweren, dass er im Dunkeln sitzt. ({0}) Nun zweitens zu dem ernsten Thema Temelin. Es liegt ein diesbezügliches Ergebnis der GRS vor. Die GRS ist bei der Begutachtung von relevanten Anlageteilen zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen: Diese Anlage ist nach deutschem Recht nicht genehmigungsfähig. Ich wüsste nicht, was an dieser Stelle noch zu untersuchen ist. Das weiß auch die tschechische Regierung; denn wir haben ihr dieses Ergebnis mitgeteilt. Wir haben es in langwierigen Verhandlungen mit der tschechischen Regierung geschafft, die Vereinbarung zu treffen, dass in Bezug auf mehrere Anlageteile - Ihre Bayerische Staatsregierung ist da die ausführende Behörde ({1}) eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird. ({2}) Dies betrifft zum Beispiel die Veränderung des Brennstoffkreislaufes, den veränderten Zuschnitt der entsprechenden Druckleitungen und Ähnliches, also zentrale Teile der Anlage. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass dies nicht die Umweltverträglichkeitsprüfung ist, die wir immer gefordert haben, zu der die Tschechen immer sagen, es werde sie nicht geben. ({3}) - Noch einmal langsam für Sie: Die GRS ist zu einem einfachen Ergebnis gekommen - das müsste auch in ein bayerisches Hirn reingehen -: ({4}) Die Anlage ist nach deutschem Recht nicht genehmigungsfähig. Wir haben mit der tschechischen Regierung in Abstimmung mit den zuständigen Landesbehörden ein Verfahren verabredet, das zurzeit läuft. Ich erwarte von der tschechischen Regierung, dass sie die Ergebnisse dieser grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung im Hinblick auf zentrale Bestandteile der Anlage tatsächlich so ernst nimmt, wie sie uns das zugesagt hat. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Kurt-Dieter Grill von der CDU/CSU-Fraktion.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an Ihre Ausführungen, Herr Minister Trittin, anschließen, indem ich sage: Die GRS darf gar nicht mehr nach Temelin, seitdem das SPD-Mitglied und EU-Kommissar Verheugen öffentlich festgestellt hat, Temelin sei das sicherste Kernkraftwerk Europas. Es bedarf wohl keiner Prüfung mehr. ({0}) Ich habe heute Nachmittag hier gehört, dass in Deutschland seit dem Regierungswechsel 1998 sozusagen der große Sprung in der Umweltpolitik gelungen sei. Ich denke, bei einem größeren Zeitkontingent könnte ich darstellen, wie wenig Sie sowohl in der Perspektive als auch real geschafft haben. ({1}) Ich will zwei Bemerkungen machen: Es gab einmal eine Zeit, unmittelbar nach dem Regierungswechsel 1983, da hat ein Umweltminister - Zimmermann - den Katalysator in Deutschland eingeführt. Das war zu der Zeit, als die Sozialdemokraten in Niedersachsen behauptet haben: Wenn der Kat eingeführt wird, geht VW Pleite. ({2}) Daneben ist es interessant, Ihnen vorzuhalten, dass in der Zeit von Helmut Kohl der Energieverbrauch in Westdeutschland gegenüber den Prognosen um 30 Prozent zurückgegangen ist. Ich kann das mit Zahlen belegen. Bei dem, was Sie als Erbe übernommen haben, haben Sie überhaupt keine Veranlassung, uns zu kritisieren. ({3}) - Herr Loske, ich zähle Ihnen das alles auf. - Zu der Zeit, als Sie kritisierten, es würde nichts passieren, haben wir in Wahrheit das Fundament gelegt, auf dem Sie heute operieren können. Wir haben das Fundament in 16 Jahren geschaffen. ({4}) Herr Minister, wir sind uns nicht ganz klar darüber gewesen, was Sie mit 10 Millionen Tonnen CO2 und der Ökosteuer gemeint haben. Meinten Sie das jährlich oder auf die ganze Zeit bezogen? Beziehe ich das auf ein Jahr, so kostet die Vermeidung von 1 Tonne CO2 entweder 2 500 DM oder 12 500 DM. Ich will Ihnen sagen: Wenn das der Maßstab ist, mit dem Sie die CO2-Reduzierung in Deutschland vorantreiben wollen, machen Sie die Bundesrepublik Pleite. ({5}) Zum Vergleich: Bei BP kostet die Vermeidung von 1 Tonne CO2 im innerbetrieblichen Handel 16 DM bis 24 DM. Sie können mit uns wieder darüber reden, wenn Sie uns ökonomische Wege der CO2-Reduzierung und nicht einen Weg aufzeigen, der die Bürger dieses Landes plündert und soziale Ungerechtigkeit befördert. ({6}) Herr Matschie, Sie und auch die Kollegin Lehn haben das gemacht, was zu erwarten war. Sie haben heute alle Haushalte des Bundes zusammengezählt, weil Sie sonst das hätten darstellen müssen, was Sie uns früher vorgeworfen haben. ({7}) Sie sind vom Umwelthaushalt auf den Gesamthaushalt ausgewichen und selbst dort sehen Sie in der Bilanz schlecht aus. ({8}) Der ökologische Sprung fand von 1993 bis 1998 in der Luftreinhaltepolitik statt. Es wurden zwei Drittel weniger SO2 und NOX ausgestoßen und 100 Milliarden DM von der Wirtschaft zur Luftreinhaltung investiert und die Industrie verursachte 30 Prozent CO2 weniger. Das ist das Fundament. Eines darf ich gleich hinzufügen: Den Weltmeistertitel für installierte Windenergie haben Sie aus unserer Zeit übernommen, den haben nicht Sie geschaffen. In dieser Situation befinden wir uns. Mercedes Benz - heute DaimlerChrysler - hat seine Entscheidung über die industrielle Anwendung der Brennstoffzelle in einem serienreifen Fahrzeug 1996 gefällt und nicht zu Zeiten dieser Bundesregierung. Sie ernten das, was wir gesät haben. Das ist unser Problem. ({9}) Da, wo Sie Neues ankündigen, vielleicht auch schon einmal zu Papier gebracht haben, sind die Korrekturen sehr oft falsch, beispielsweise bei der Verpackungsverordnung und anderem mehr. Wenn wir Ihnen die Vorbereitung von Rio überlassen hätten - das ist das Thema -, dann wäre Rio nie zustande gekommen. Das ist das Elementare. ({10}) Sie haben Merkel und Töpfer kritisiert, als Kioto, Berlin und anderes nicht so erfolgreich verliefen, wie Sie das gewünscht haben. Ich aber sage Ihnen: Wir legen nicht diese Elle an, sondern wir messen Sie an unseren Erfolgen. Gemessen an unseren Erfolgen in der internationalen Umweltpolitik haben Sie nicht gerade viel gebracht, um es gelinde zu sagen. ({11}) Die Klimapolitik dient als Beleg dafür. Wir können uns in der Frage des Ausstiegs aus der Kernenergie darüber streiten, ob die Kernenergie ein unverantwortliches Risiko darstellt. Dafür sind Sie den Beleg bisher schuldig geblieben. Aber wenn Sie aus der Kernenergie aussteigen, dann sollten Sie wenigstens nachweisen, wie der klimaverträgliche Ausstieg aus der Kernenergie vonstatten gehen soll. Sie haben gesagt: Wer aussteigt, muss auch sagen, wo er einsteigt. Den Beleg für den Einstieg, das Aufzeigen der neuen Richtung, ist diese Bundesregierung bisher schuldig geblieben. Der Bundeswirtschaftsminister hat erklärt: Es wird in diesem und voraussichtlich auch im nächsten Jahr kein Energiekonzept der Bundesregierung geben. Auf einer Veranstaltung der IG BCE vor einigen Wochen in Hannover hat der Bundeswirtschaftsminister Müller hinter verschlossenen Türen - das gebe ich zu, aber es gibt für dieses Gespräch genügend Zeugen - gesagt, es gebe kein Energiekonzept, weil er nicht in der Lage sei, bis 2020 die Klimalücke, die durch den Ausstieg aus der Kernenergie entstehe, zu schließen. ({12}) Deswegen verbreiten Sie vordergründig das Gerede über erneuerbare Energien. Aber der Bundeskanzler selber hat erst vor wenigen Wochen gesagt: ({13}) Das wird nicht die Zukunft der deutschen Energieversorgung sein. So lange wie Gerhard Schröder auf öffentlichen Veranstaltungen - zuletzt bei Daimler-Chrysler Kohlekraftwerke als Ersatz für Kernkraftwerke beschreibt, werden Sie in der Klimapolitik nicht dorthin kommen, wo Sie international hinkommen müssen, sondern der CO2Ausstoß wird am Ende Ihrer Regierungszeit höher als bei Regierungsantritt sein. ({14}) Ich will hinzufügen, Herr Loske: Sie selber sind es doch gewesen, die im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie davor gewarnt haben, dass Deutschland seine Leitbildfunktion in Sachen Klimapolitik verlieren könnte. Das KWK-Vorschaltgesetz ist keine ökologische Leistung; denn es bevorzugt Stromproduktionen aus Kohle. So, wie die Realität ist, produzieren Sie damit mehr CO2, als Sie einsparen. Das ist der Punkt. ({15}) Ich will Ihnen, Herr Matschie, noch etwas zur Bahn sagen. Nur durch die Milliardenerlöse aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen, die Sie nicht bekommen hätten, wenn Eichel und Schröder bei der Privatisierung Recht behalten hätten, sind Sie in der Lage, die Mittel für die Bahn zur Verfügung zu stellen, die Sie zu unserer Zeit gehabt hätten. Das ist aber nicht der Punkt. Wenn wir zu unserer Zeit eine solche Bahnpolitik zugelassen hätten, wie Sie sie jetzt mit Herrn Mehdorn betreiben, wären Sie auf die Gleise gegangen und hätten wider den Abbau der Eisenbahn geredet. Das, was jetzt passiert, ist kein Aufbau, sondern ein Abbau, den Sie zu verantworten haben. ({16}) - Nein, das ist kein dummes Zeug, sondern die Wahrheit. Das ist das Schlimme. ({17}) Es gibt noch einen sehr interessanten Punkt, den ich zum Schluss aufgreifen will. Ich will ihn mit „Das Ende der Katastrophe“ überschreiben. Der Bundesminister Jürgen Trittin hat sich in Artikeln der „Berliner Zeitung“, aber auch auf einer Veranstaltung mit den Umweltverbänden geäußert. Ich zitiere eine ap-Meldung: Im grundsätzlichen Teil seiner Bilanz sagte Trittin: Mit Katastrophen ist keine Politik mehr zu machen. Dieser Mechanismus, von dem die Umweltschutzorganisation Greenpeace lebe, funktioniere nicht mehr. ({18}) Ich glaube, Herr Trittin, Sie hätten ebenso gut sagen können, dieser Mechanismus der Grünen funktioniere nicht mehr. Denn die Katastrophenpolitik, die Sie Greenpeace vorwerfen, ist genau das Prinzip gewesen, das Sie bis zu Ihrem Regierungsantritt angewendet haben. Sie haben Greenpeace als Wahlhelfer bei der Darstellung von Katastrophen zur Unterstützung Ihrer Politik gebraucht. Es geht nicht um Greenpeace, sondern Sie erklären Ihr eigenes Politikprinzip für beendet, das Sie in die Regierung gebracht hat. ({19}) Sie sind mit der Instrumentalisierung der Katastrophen und der Ängste der Menschen in die Regierungsverantwortung gekommen. Jetzt erklären Sie diese Politik für beendet. Deswegen muss man die interessante Frage stellen, warum der Bundesumweltminister die Katastrophe als Mittel der Politik für beendet erklärt hat. Ich kann Ihnen hierfür Beispiele nennen: Stichwort Castor-Behälter. Unter Trittin ist es so, dass das, was früher als unverantwortlich galt, nämlich die Halle wegzulassen, heute möglich ist: Unter Ihnen kann der Castor-Behälter ohne Halle auf der grünen Wiese stehen. Ein zweiter Punkt ist, dass Sie rechtzeitig vor dem nächsten Castor-Transport die Ungefährlichkeit zum Prinzip machen. Aber das hat ja nicht damit zu tun, dass sich seit dem Regierungswechsel in Sachen Sicherheit des Castors etwas geändert hätte. Nein, es geht lediglich darum, Herr Trittin, dass Sie den Castor für sicher erklären, weil Sie jetzt auf der Lok sitzen und nicht mehr Töpfer und Merkel für diese Frage verantwortlich machen können. ({20}) Sie sagen, Greenpeace müsste mit der Katastrophenpolitik aufhören, und meinen die Grünen. ({21}) Das hat etwas damit zu tun - das hat man auch heute wieder an Ihrer Arroganz gemerkt -, dass Sie die Macht lieben. Die Katastrophe als Mittel der Politik hat für Sie ausgedient - das ist Ihre Realität, Sie haben es wunderschön belegt -, weil dieses Prinzip heute Ihre Macht eher gefährden könnte. Zu der Tatsache, dass Sie sich selber zur höheren Gewalt erklärt haben, ist zu sagen: Die höhere Gewalt ist die Katastrophe. Ich würde das so formulieren: Die Katastrophe ist beendet, weil die Katastrophe jetzt regiert. Herzlichen Dank. ({22})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte zu Beginn auf Herrn Paziorek eingehen - nicht auf den Zitatenklempner Herrn Grill, der sich seine Wahrheit zurechtschneidet, ({0}) sondern auf Sie, Herr Paziorek. Ich finde, dass Ihr Satz zur Klimaproblematik richtig ist. Wir haben hier im Haus über alle parteipolitischen Grenzen hinweg eine gemeinsame Verantwortung. Deshalb will ich auch ausdrücklich bestätigen, dass der Klimaprozess, der Rio-Prozess, weitergehen muss. Da sind wir einer Meinung, ({1}) aber da werden wir auch Sie an Ihren Taten messen. ({2}) Das ist der Maßstab, an diesen Maßstab werden wir Sie erinnern, und daran werden wir Sie auch messen. ({3}) Wir haben in der Bundesrepublik die Ausgangssituation, dass wir gegenüber 1 Milliarde Tonnen CO2-Jahresausstoß im Jahre 1990 heute etwa 850 Millionen Tonnen haben. Das heißt, es fehlen noch etwa 100 Millionen Tonnen CO2-Reduktion, um die 25 Prozent CO2-Reduktion zu erreichen. Diese 100 Millionen Tonnen sind jetzt ungleich schwerer zu erreichen als die Erfolge der Vergangenheit. ({4}) Darüber sollten wir uns im Klaren sein, weil wir heute sehr viel stärker in den Strukturwandel hinein müssen. Das Schlimme ist, und da muss man auch die Wahrheit sagen: Seit etwa zehn Jahren sinkt der Zuwachs in der Energieproduktivität. Wir sind heute bei einem Zuwachs von nur noch 1,5 Prozent pro Jahr, wir waren in den 80er-Jahren bei deutlich über 2,5 Prozent. Das heißt, in den letzten zehn Jahren ist leider viel zu wenig getan worden für rationelle Energieverwendung, für erneuerbare Technologien etc. Das ist die Wahrheit. ({5}) Es ist jetzt also heute deutlich schwieriger geworden, weil die Energieproduktivität weit hinter dem zurück bleibt, was zu erreichen wäre. Auch unter den Bedingungen liberalisierter Energiemärkte ist es jetzt sehr viel schwieriger, mehr Einsparen durchzusetzen. Man muss noch einen Punkt sehen, Herr Paziorek. Wir haben das große Problem, dass die ökonomisch stärkste Weltmacht, die USA, sich auf dem Gebiet des Klimaschutzes wie der Allerletzte verhält, wie eine unverantwortliche Nation; anders kann man das gar nicht bezeichnen. ({6}) In Wahrheit wird dort ökologischer Kolonialismus gegenüber der Zukunft betrieben. Das muss man in aller Klarheit kritisieren. ({7}) Nach neuen Aussagen wird damit gerechnet, dass der Energieverbrauch in den USA bis zum Jahre 2010 um 34 Prozent und bis zum Jahr 2020 um 51 Prozent steigt. Das ist schlicht unverantwortlich. ({8}) Deshalb ist es schwer, mit einem solchen Land zu einem Konsens zu kommen. Wir wollen doch ehrlich sein: Das wäre einem Ihrer Minister nicht anders gegangen als Herrn Trittin. Mehr noch: Es ist richtig, dass er nicht auf einen falschen Konsens eingegangen ist. Dafür bekommt er unsere volle Unterstützung. ({9}) - Sie wissen doch genau, dass das nichts mit Vorarbeiten zu tun hat. Im Gegenteil, wir müssen uns Sorgen über die Entwicklung der Umweltpolitik in den USA machen. Sie müssten das genauso sehen wie wir. ({10}) Da ist die Ökologie herunter gerutscht. ({11}) - Das stimmt doch nicht. ({12}) - Sie haben doch wirklich Erfahrungen aus dem Innenleben der Regierung und sollten deshalb hier nicht solche leichtfertigen Behauptungen aufstellen. ({13}) Das ist auch eine Form von leichtfertiger Politik, die wir nicht akzeptieren können. Lassen Sie uns bitte bei der Frage bleiben, welche Konsequenzen wir aus Den Haag ziehen. Die Konsequenz, die auch Herr Loske genannt hat, ist richtig. Jetzt muss Europa zeigen, ob es den Klimaschutz ernst nimmt. ({14}) Wir kommen nicht zu einer globalen Regelung in der kurzen Zeit, in der wir sie bräuchten. Also müssen wir durch eigenes Vorbild der Welt zeigen, dass es geht. Das wird der entscheidende Punkt sein, an dem wir uns zu messen haben. ({15}) Das fordern wir, und da bitten wir Sie auch um Unterstützung, Herr Paziorek. Das muss unsere gemeinsame Linie sein. ({16}) Nun zu einige anderen Punkten, zunächst zur Ökosteuer: Auch hier ist die Wahrheit relativ einfach. Aus unserer Sicht und aus der Sicht vieler Wirtschaftsverbände und Wissenschaftler - wenn ich mich an Ihre früheren programmatischen Grundsätze richtig erinnere, dann waren Sie hier auch schon einmal viel weiter - war und ist die ökologische Steuerreform Teil einer modernen Wirtschafts- und Umweltpolitik. ({17}) Jetzt ist die Sache in der Realität wieder relativ einfach: Die einen machen die ökologischen Reformen; die anderen, also Sie, blockieren sie. So sieht die Wirklichkeit aus. An dieser einfachen Wahrheit kommen Sie nicht vorbei. Natürlich kann man über einzelne Punkte der Ökosteuer diskutieren. Auch ich bin dafür - Sie haben diesen Punkt angesprochen -, die erneuerbaren Energien von der Ökosteuer zu befreien, wenn es möglich wäre. Aber Sie wissen, dass das unter den heutigen Bedingungen europarechtlich leider nicht möglich ist, weil sich nicht exakt nachweisen lässt, woher welcher Strom kommt. ({18}) Das ist doch das Problem. Wir wollten die regenerativen Energien doch ursprünglich von der Ökosteuer befreien. Aber mit diesem Vorhaben sind wir bei der EU gescheitert. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das geschah nicht aus bösem Willen. Wir haben keinen Pfusch gemacht. Wir mussten bei der Einführung der Ökosteuer der realen Situation Rechnung tragen. Wie gesagt, natürlich kann man über den einen oder anderen Punkt reden. Aber tun Sie doch jetzt nicht so, als hätten Sie sich in der Vergangenheit dafür eingesetzt, dass ein großer Teil des Aufkommens aus der Ökosteuer für ökologische Investitionen verwandt wird. Eine solche Position haben Sie nie vertreten. Das tun Sie erst jetzt. ({19}) Sie haben in der Vergangenheit immer nur von der Aufkommensneutralität geredet. Insofern liegen unsere Positionen - wenn Sie ehrlich sind - viel nähe, beieinander. ({20}) Nein, die Wahrheit ist auch hier ganz einfach: Sie instrumentalisieren die ökologische Steuerreform, weil Sie damit Stimmung machen wollen; denn Sie haben in Wahrheit keine inhaltlichen Themen anzubieten. Das ist der eigentliche Punkt, um den es Ihnen geht. ({21}) - Nein, das stimmt auch nicht. Sie sollten sich erst einmal informieren. Nach dem jetzigen Stand ist der Energieverbrauch in den letzten Monaten deutlich gesunken. Der Mineralölverbrauch ist um rund 4 Prozent zurückgegangen. Da können Sie doch nicht behaupten, die Ökosteuer habe keine Wirkung. Nehmen Sie zum Beispiel auch die Untersuchung des RWI über die Arbeitsplatzeffekte. Diese sind beträchtlich. Sie können doch nicht so tun, als ob die ökologische Steuerreform keine Wirkung habe. Sie sollten sich erst einmal informieren. Sowohl bei der Minimierung von Emissionen und Verbrauch als auch bei der Schaffung von Arbeitsplätzen gibt es deutliche Effekte. Die könnte man natürlich beträchtlich ausweiten. ({22}) Aber das Problem ist nicht unser Wille. Das Problem sind Sie; denn wenn wir versuchen würden, die Effekte stärker und schneller auszuweiten, dann würden wir bei Ihnen auf noch mehr Widerstand stoßen. Seien Sie doch bitte ehrlich in der Argumentation. ({23}) - Die habe ich doch gerade genannt! Sie scheinen auf Ihren Ohren zu sitzen! ({24}) - Alle Studien belegen, dass der Mineralölverbrauch um rund 4 Prozent zurückgegangen ist. ({25}) Ich empfehle Ihnen: Schauen Sie sich die Zahlen an, wenn Sie mir nicht glauben wollen. Das kostet doch nicht viel Mühe. Machen Sie wenigstens das. Dann können wir weiterreden. Nächster Punkt: Natürlich gibt es einen Grundsatzstreit über die Frage des Atomausstiegs. Aber Sie müssen doch zugeben, dass die Entwicklung ohne die innovative Dynamik, die wir mit dem Ausstiegsbeschluss in den Energiemarkt hineingebracht haben, noch viel eindeutiger in Richtung Monopolisierung der Strommärkte im europäischen Verbund gegangen wäre. Ist das Ihre Alternative? Nein, wir wollen die neuen Märkte erschließen. Deshalb musste diese Richtungsentscheidung getroffen werden. Wir haben mit unserem Ja zum Ausstieg aus der Atomenergie diese Richtungsentscheidung getroffen. Es geht jetzt um neue Märkte und neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Die von uns gewünschten Effekte zeichnen sich in der Zwischenzeit bereits ab. Sie sind richtig gut. ({26}) Insgesamt ist festzustellen: Im Vergleich zu früher gibt es zwei fundamentale Unterschiede: Als wir noch in der Opposition waren, waren wir bereit, Sie sehr viel stärker in der Umweltpolitik zu unterstützen. Aber Sie haben unsere Angebote nicht angenommen. ({27}) Sie hätten während Ihrer Regierungszeit mit Unterstützung der Opposition sehr viel mehr machen können. Heute kritisieren Sie das, was wir in der Umweltpolitik machen, mit dem Argument, dass das alles nicht stimmig sei. Nein, in Wahrheit kritisieren Sie uns, weil Sie mehr Umweltpolitik ablehnen. Das ist der Punkt. ({28}) Niemand, den man ökologisch ernst nimmt, lehnt die ökologische Steuerreform ab. Nur Sie tun das. Wie soll man Sie dann ökologisch Ernst nehmen? Das geht nicht. Ihr Verhalten passt dazu einfach nicht. Lassen Sie es uns so sehen: Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir den Umbauprozess begonnen haben. Es ist eine strategische Frage, wie es weitergeht. Ich glaube, dass die Grundidee der ökologischen Effizienz auch ein überragendes Ziel für die Wirtschafts- und Industriepolitik ist. Lassen Sie mich das an einem Punkt verdeutlichen. In der Bundesrepublik entfällt auf Wirtschaft und Dienstleistung ein Anteil am Bruttoinlandsprodukt von etwa 2,2 Billionen DM. Von diesen 2,2 Billionen DM entfallen ungefähr 1,4 bis 1,6 Billionen DM auf Transport, auf Material, auf Energie, auf Abfallkosten etc. Gleichzeitig besteht die Situation, dass bei den vier Wertschöpfungsketten unserer Wirtschaft, also Rohstoffanlieferung, Produktbearbeitung, Produktnutzung und Entsorgung, auf jeder dieser Stufen etwa 50 Prozent des Materialeinsatzes an die Umwelt abgegeben werden. Wenn wir es erreichten, diese gewaltige Verschwendung erheblich zu reduzieren, so wäre dies ein gigantisches Programm für mehr Arbeit, für mehr Umwetlschutz und für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Die Ökologie ist in Wahrheit eine Chance, und wir wollen diese Chance zur Modernisierung unseres Landes nutzen. ({29}) Deshalb muss man nicht alles kaputt reden, man muss vielmehr nach vorne denken. Nach vorne zu denken, das ist unser Ziel, meine Damen und Herren. Die Ökologie ist eine Chance für eine moderne Bundesrepublik in Europa, das damit auch ein Modell für die Globalisierung wird, ein Modell dafür, wie man Produktivität sinnvoller so organisiert, dass sie mit Arbeit und Umwelt verbunden werden kann. Das ist unser Ziel und für dieses Ziel kämpfen wir. Deshalb werden wir uns auch nur begrenzt an den Debatten beteiligen, die noch einmal die Schlachten von gestern oder vorgestern führen. Vielen Dank. ({30})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Debatte. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen. Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4788. Wer stimmt für diesen Änderungs- antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ände- rungsantrag ist abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4789. Wer stimmt für diesen Änderungs- antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Än- derungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ab- gelehnt worden. Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa- che 14/4810. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tionen und der CDU/CSU bei Enthaltung der PDS und ge- gen die Stimmen der F.D.P., die natürlich zugestimmt hat. Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4797. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des gesam- ten übrigen Hauses abgelehnt worden. Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4798. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthal- tungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des gesamten übrigen Hauses abgelehnt worden. Ich bitte nun diejenigen, die dem Einzelplan 16 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Einzelplan 16 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen gegen die Stimmen der gesamten Opposition ange- nommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte VII a bis VII h sowie Zusatzpunkt 4 auf: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Verarbeitung und Nutzung der zur Durchführung der Verordnung ({0}) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten - Drucksache 14/4721 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) Ausschuss für Gesundheit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 1989 über Bergung - Drucksache 14/4673 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Bergungsrechts in der See- und Binnenschifffahrt ({3}) - Drucksache 14/4672 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({4}) Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren ({5}) - Drucksache 14/4554 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung von Vorschriften auf dem Gebiet der An- erkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen - Drucksache 14/4591 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss f) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Fonds „Deutsche Einheit“ und des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern - Drucksache 14/4436 Michael Müller Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({6}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Sonderausschuss „Maßstäbegesetz/Finanzausgleichsgesetz“ g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 1. Oktober 1999 der Satzung der Internationalen Atomenergie-Organisation - Drucksache 14/4454 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Abwicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte - Drucksache 14/4264 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({8}) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({9}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Diemers, Karl-Josef Laumann, Bernd Neumann ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU Verbesserung des Programmangebots für Schwerhörige, Gehörlose, Sehbehinderte und Blinde im Fernsehen und den neuen Medien - Drucksache 14/4385 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({11}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Kultur und Medien Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu den abschließenden Beratungen ohne Aussprache. Tagesordnungspunkt VIII a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({12}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare siebenundneunzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 14/3995 ({13}), 14/4093 Nr. 2.1, 14/4565 Berichterstattung: Abgeordneter Werner Schulz ({14}) Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung der Bundesregierung nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Das Stimmverhalten der PDS habe ich nicht sehen können. Tagesordnungspunkt VIII b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({15}) zu der Verordnung der Bundesregierung Einundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 14/4166, 14/4308 Nr. 2.1, 14/4566 Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung der Bundesregierung nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt VIII c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({16}) zu der Verordnung der Bundesregierung Achtundneunzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 14/4167, 14/4308 Nr. 2.2, 14/4585 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt Der Ausschuss empfiehlt wiederum, die Aufhebung der Verordnung der Bundesregierung nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt VIII d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 12 zu Petitionen - Drucksache 14/135 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 12 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der F.D.P. gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Tagesordnungspunkt VIII e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 212 zu Petitionen - Drucksache 14/4609 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 212 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Tagesordnungspunkt VIII f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 213 zu Petitionen - Drucksache 14/4610 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 213 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Tagesordnungspunkt VIII g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 214 zu Petitionen - Drucksache 14/4611 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 214 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Tagesordnungspunkt VIII h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 215 zu Petitionen - Drucksache 14/4612 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 215 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und denen der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden. Tagesordnungspunkt VIII i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 216 zu Petitionen - Drucksache 14/4613 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 216 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. Ich rufe nun auf: III. 22 Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - Drucksachen 14/4510, 14/4521 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel Iris Hoffmann ({23}) Matthias Berninger Jürgen Koppelin Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU, zwei Änderungsanträge der Fraktion der F.D.P. und ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Die Fraktion der F.D.P. hat einen Entschließungsantrag eingebracht, über den morgen nach der Schlussabstimmung abgestimmt werden soll. Außerdem rufe ich die Zusatzpunkte 5 bis 7 auf: ZP 5 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verbot des Verfütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel - Drucksache 14/4764 ({24}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({25}) - Drucksache 14/4838 Berichterstattung: Abg. Peter Bleser ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Sofortprogramm zur Abwehr von Gefahren durch BSE - Drucksache 14/4778 ({26}) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({27}) A.usschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Detlef Parr, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Vorrang für einen vorsorgenden Verbraucherschutz bei der Bekämpfung von BSE - Drucksache 14/4852 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({28}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben zu ihrem Gesetzentwurf über das Verbot des VerVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer fütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel einen Entschließungsantrag eingebracht. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Abgeordneten Heinrich Wilhelm Ronsöhr.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Erstes möchte ich für die Fraktion der CDU/CSU hier erklären, dass wir dem Gesetz, das die Tiermehlverfütterung verbietet, zustimmen werden. ({0}) Wir tun dies, obwohl wir gestern vom Landwirtschaftsminister in der Sitzung des Landwirtschaftsausschusses gehört haben, dass er eine solche Gesetzgebung so nicht eingeleitet hätte und dass er das für seine Enkel auch zu Protokoll geben wolle. Ich finde das schon etwas eigenartig, ({1}) wenn das einer der beiden Fachminister, die mit dem Gesetz beschäftigt sind, so erklärt. ({2}) Meine Damen und Herren, wir investieren auch in diese Gesetzgebung ein Stück Vertrauen, von dem wir gar nicht wissen, ob es so rechfertigen lässt, denn natürlich tritt dieses Gesetz auch eine ungeheure Kostenlawine los. Ich glaube, darüber sind wir uns hier im Hause auch einig. ({3}) Aber dann muss natürlich auch klar und eindeutig gesagt werden, bei wem die Kosten ankommen. Ich habe heute Nachmittag, als ich aus Hannover wieder zurückgekommen bin, gehört, man habe offensichtlich im Kanzleramt vereinbart, dass der Bund, die Länder und auch die Kommunen jeweils ein Drittel der Kosten tragen würden. Nur muss man dann immer auch darüber diskutieren. Ich gehe davon aus, dass der Bund und die Länder dann von den Kosten entlastet würden, aber darüber, ob die Kommunen auch darauf verpflichtet werden können, muss dann zumindest in weiteren Beratungen noch diskutiert werden. Ich glaube, dass dazu auch noch Beratungsbedarf besteht, ({4}) und ich hoffe, dass die entsprechenden Beratungen zum Ergebnis haben werden, dass zumindest bei Landwirten und anderen keine Kosten hängen bleiben, denn wir haben jetzt sinkende Rindfleischpreise, und unter dieser Bedingung können Rindermäster keine zusätzlichen Kosten vertragen. Ich denke, darüber müssen wir uns einig sein. Weil wir im Grunde genommen nicht konkret wissen, wie die Kostenfrage geregelt sein wird, entwickeln wir hier auch aufgrund der gestrigen Erklärungen des Bundeslandwirtschaftsministers Vertrauen. Aufgrund dieser Erklärung gehe ich davon aus, dass der Bund so mitfinanzieren wird und hoffentlich auch die Länder so mitfinanzieren werden, dass möglichst keine Kosten zusätzlich auf die Landwirte in Deutschland zukommen. ({5}) Meine Damen und Herren, wir entwickeln dieses Vertrauen auch, obwohl es ja einige Ungereimtheiten in den Beratungen in der letzten Woche gab. Viele von uns - nicht nur die Gesundheitspolitiker, sondern auch die Agrarpolitiker - haben an der Beratung des Gesundheitsausschusses teilgenommen. Dort ist uns etwas über BSE-Schnelltests gesagt worden, was danach von Ministerialbeamten korrigiert wurde. ({6}) Ich bin sehr dankbar, dass sich jetzt die Bundesregierung korrigiert hat und auch für die Einführung flächendeckender Schnelltests ist. Wenn ich den Ministerialbeamten am Dienstagmorgen zugehört habe - das haben ja auch andere getan -, dann war das offensichtlich nicht so, sondern da sollten auch durch manche Privatinitiative BSE-Schnelltests auf uns zukommen. Aber wenn das nur der Privatinitiative überlassen bliebe und wir ansonsten mit BSESchnelltests nur die Tiere kontrolliert hätten, die verendet sind oder die krank sind, die also auffällig geworden sind, dann hätte das nach meiner Meinung nicht gereicht, weil es damit zu einem Flickenteppich bei den BSE-Schnelltests gekommen wäre. Wir von meiner Fraktion wollen ganz eindeutig, dass es so schnell wie möglich - wir wissen, dass die Länder dafür eine Infrastruktur aufbauen müssen - zu flächendeckenden BSE-Schnelltests kommt. Wenn die Regierungsfraktionen und die Regierung das jetzt auch wollen, dann halte ich das für sehr positiv und für eine begrüßenswerte Entwicklung, aber ich finde, dass hätte man uns am Dienstagmorgen auch schon erklären können. ({7}) Gestern fand wieder eine Beratung statt. Ich kann bestätigen, dass sie sehr sachlich abgelaufen ist. Ich glaube, dass wir von der CDU/CSU-Fraktion für Argumente zugänglich waren. Es wurde zwischenzeitlich über einen Antrag diskutiert, der vorsah, dass Fischmehl an Ferkel bis 35 Kilogramm verfüttert werden kann. Wir haben diesen Antrag gar nicht für so schlecht gehalten. Aber nachdem wir erfahren hatten, dass die EU ein generelles Tiermehlfütterungsverbot, das auch eine Fischmehlverfütterung nicht zulässt, aussprechen will, haben wir gesagt, dass wir jetzt mit Klugheit handeln müssen. ({8}) Man kann sich natürlich ein anderes Vorgehen vorstellen. Aber es wäre sozusagen idiotisch gewesen, wenn wir in dieser Woche etwas beschlossen hätten, was die EU durch ihren Beschluss schon am nächsten Montag konterkariert hätte. Dieser Beschluss hätte kein Vertrauen in den Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Verbraucherschutz in Deutschland geschaffen und hätte auch nicht das Vertrauen der Rinder haltenden Landwirte und Rindfleisch produzierenden Betriebe in unsere Politik gestärkt. Wir haben uns auf diese Vorgehensweise in konstruktiver Weise eingelassen. ({9}) Wir von der Christlich Demokratischen Union und von der Christlich-Sozialen Union werden den Gesetzgebungsprozess konstruktiv begleiten und die sich aus dem Gesetz ergebenden Folgen beobachten. ({10}) Aber wir sind der Auffassung, dass es eine bessere Koordination und Zusammenarbeit zwischen den Ministerien geben muss, um die Folgen zu bewältigen. Gestern hat meine Kollegin Annette Widmann-Mauz gefragt, ob denn jemand etwas zu der Kontamination der Böden mit BSE-Erregern sagen könne. Der Landwirtschaftsminister hat darauf geantwortet, da gebe es nichts. ({11}) Gestern lagen aber schon Erkenntnisse vor. Ich erwarte, dass ein Landwirtschaftsminister darüber Bescheid weiß und uns gegenüber nicht den Eindruck erweckt, dass er nichts weiß. ({12}) Möglicherweise hat er tatsächlich nichts gewusst, aber das darf angesichts der großen Probleme nicht sein. ({13}) Wenn wir Vertrauen schaffen wollen, dann muss ein besseres Management an den Tag gelegt werden, als es von der Gesundheitsministerin und dem Landwirtschaftsministerium bisher gezeigt wurde. ({14}) Wir alle, die Bundesregierung und das Parlament, sollten dazu beitragen, dass von uns das Signal ausgeht, dass wir angesichts der BSE-Krise gemeinsam daran arbeiten, das Risiko zu vermindern. Ich setze mich beruhigt in ein Flugzeug, wenn ich weiß, dass die Airline alles tut, um die Absturzgefahr zu mindern. Man kann zwar nie wissen, ob man nicht möglicherweise abstürzt. Aber es ist für mich wichtig, zu wissen, dass die Fluggesellschaft und die Flughafenverwaltung alles tun, damit es nicht zu einem Absturz kommt. Bei der BSE-Bekämpfung müssen wir in gleicher Weise handeln. Die Bevölkerung muss wissen - nur so kann sie wieder Vertrauen fassen -, dass wir alles zur Risikominderung in diesem Bereich tun werden. ({15}) Natürlich muss es nach dem Tiermehlverbot finanzielle Regelungen geben; denn wir wissen, dass die Landwirte in finanziellen Nöten sind, dass sie teilweise mit dem Rücken zur Wand stehen, dass ihre Existenz gefährdet ist und dass ein Stück Kulturlandschaft in Deutschland möglicherweise kaputtgeht. Ich fordere alle Fraktionen dieses Hauses auf, mit uns dafür zu kämpfen, dass es zu finanziellen Regelungen zugunsten der Landwirte und der Schlachtereien kommt, damit dieses Stück deutsche Kultur, das sich in vielen Grünlandschaften widerspiegelt, ({16}) nicht kaputtgeht. ({17}) Der Landwirtschaftsminister hat im Rahmen der Diskussion über die Preisentwicklung, die es in bestimmten Bereichen gab und gibt, erklärt, wir von der CDU/CSU würden immer nur über Geld und nur die anderen würden über Strukturen reden. Jetzt reden wir auf einmal alle über Strukturen. Ich habe hier erlebt, wie die Sozialdemokraten über die bayerischen und baden-württembergischen Strukturen in der Landwirtschaft geredet haben. Sie haben sich lustig gemacht - ich kann mich noch an das Lachen erinnern. Aber darüber, dass die strukturelle Ausgangssituation dort eine andere war, ist nicht gesprochen worden. Jetzt kritisiert jeder die bäuerlichen Strukturen; plötzlich gibt es nur noch industrielle Agrarfabriken. Ich weiß nicht, ob es sich bei den beiden im Gespräch befindlichen Betrieben - bei dem einen ist die Wahrscheinlichkeit eines BSE-Vorfalls sehr groß, bei dem anderen ist tatsächlich ein BSE-Fall aufgetreten - nicht um bäuerliche Betriebe handelt. Ich halte es aber für ungerecht, wenn jetzt schon wieder die konventionelle Landwirtschaft ausgespielt wird und jemand auf der Anklagebank sitzt, der dort nicht hingehört. Die Landwirte in Deutschland haben Tiermehl meiner Meinung nach legal eingesetzt, und zwar nicht bei Wiederkäuern, sondern bei Schweinen und Hühnern. Das haben wir gesetzlich nicht untersagt. Warum gerät die Landwirtschaft jetzt so massiv in die Kritik? Warum tut auch der Bundeskanzler so, als wäre die bäuerliche Agrarstruktur in der Bundesrepublik Deutschland eigentlich eine industrielle? Ich halte das für ungerecht. ({18}) Die Landwirte stehen so nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch mit dem Rücken zur Wand. Aus dieser Lage müssen wir sie befreien. Ich fordere noch eines: Machen wir doch bitte eine Agrarpolitik, die die Landwirtschaft nicht ständig belastet! Wenn es um steuerliche Entlastungen oder um die Senkung der Sozialabgaben in der Landwirtschaft geht, handelt es sich nach Meinung dieses Landwirtschaftsministers um Subventionen. Wenn wir aber die Sozialabgaben oder die Steuern im industriellen Bereich senken, handelt es sich um die Verbesserung von Rahmenbedingungen. Diese Unterschiede zwischen Agrarpolitik und der übrigen Wirtschaftspolitik belasten die Bauern in unserem Land. Von daher fordere ich zum Umdenken in der Agrarpolitik auf. ({19}) Ich hoffe, dass wir hier im Bundestag verdeutlichen, dass nicht nur die CDU/CSU-Fraktion dafür einsteht, sondern das sich auch andere Fraktionen dafür einsetzen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Ronsöhr, Ihre Redezeit.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir eine zusätzliche Minute zugestanden haben. -Tschüs. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Iris Hoffmann.

Iris Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich einige Worte vorweg sagen. Da wir uns heute in der Haushaltsdebatte befinden, habe ich mir einmal die Änderungsanträge der CDU/CSU angeschaut: Inhaltlich müsste man zwischen den Anträgen sicherlich differenzieren, aber in finanzieller Hinsicht hätten Sie damit in kürzester Zeit round about 900 Millionen DM verfrühstückt. Bis jetzt haben Sie uns nicht wissen lassen, wie Sie dies finanzieren wollen. Das ist letztendlich haushaltspolitische Schleuderwirtschaft und deshalb wurde Ihre Regierung vor zwei Jahren abgewählt. Sie konnten es nicht, deshalb machen wir es. ({0}) Landwirtschaft im Haushalt 2001 heißt, das beschlossene Zukunftsprogramm 2000 auch in diesem Bereich fortzuführen. Die Sanierung der Staatsfinanzen ist für uns nach wie vor eine Hauptaufgabe; denn solide Haushaltspolitik ist eine unverzichtbare Grundlage für neue Arbeitsplätze, für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und für soziale Stabilität. Trotz aller Sparzwänge stand für uns im Mittelpunkt, dass die grundlegenden Ziele und Wirkungen des Einsatzes von Bundesmitteln für die Agrarsozialpolitik nicht beeinträchtigt werden. Ich denke, so ist es uns gelungen, einen Haushalt vorzulegen, der auch im nächsten Jahr tragfähig ist. Der Anteil der Ausgaben für die landwirtschaftliche Sozialpolitik wird trotz des großen Drucks auf den Agraretat - resultierend aus der allgemeinen Haushaltslage - bis zum Jahr 2004 von gegenwärtig 66 Prozent auf 73 Prozent erhöht. Der Bund stellt dafür im kommenden Jahr über 7,3 Milliarden DM bereit. Allein 4,3 Milliarden DM davon entfallen auf die Alterssicherung der Landwirte. Damit finanziert der Bund die Alterssicherung der Landwirte zu zwei Dritteln und entlastet diese dadurch von den Auswirkungen des Strukturwandels. ({1}) Wir haben Wort gehalten: Die in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung versicherten Landwirte mussten lediglich im Jahr 2000 einen einmaligen Sparbeitrag von 250 Millionen DM für den Haushalt aufbringen. Ab dem Jahre 2001 werden wir wieder den ungeschmälerten Bundeszuschuss zur Übernahme der Leistungsaufwendungen der Altenteiler bereitstellen. Fakt ist jedoch, dass die jetzigen Organisationsstrukturen in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz und dem Strukturwandel in keiner Weise gerecht werden. Der Handlungsbedarf auf diesem Gebiet ist keine Erfindung von Rot-Grün, sondern besteht schon seit längerer Zeit. Eine Neugestaltung der Organisation der agrarsozialen Sicherung ist deshalb das dringendste Gebot. Primär geht es hierbei um den verstärkten Einfluss des Bundes auf die Haushalt- und Wirtschaftsführung der landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger. Nach wie vor gehe ich davon aus, dass die Bundesregierung noch bis zum Jahresende einen Gesetzentwurf hierzu vorlegen wird, der auf den Feststellungen des Rechnungsprüfungsausschusses vom April dieses Jahres basiert. An die Länder geht mein Appell, sich angesichts ihrer Verantwortung gegenüber den Landwirten nicht länger zu verweigern. Ansonsten muss man sich hier über den Unmut der Agrar- und Haushaltspolitiker nicht wundern, die letztlich entscheidend dazu beitragen, dass die Bundesmittel bereitgestellt werden, auf deren richtige Verwendung aber keinen Einfluss haben. ({2}) Das muss sowohl im Interesse der Landwirte, die an einer sparsamen Haushalts- und Wirtschaftsführung der Sozialversicherungsträger interessiert sind, als auch im Interesse der Steuerzahler anders werden. Die landwirtschaftliche Unfallversicherung wird mit einem Betrag von 500 Millionen DM im Haushaltsjahr 2001 fortgeführt. Erst seitdem wir in der Regierungsverantwortung stehen, wird intensiv und ernsthaft über den notwendigen Reformbedarf in diesem Bereich diskutiert. Diese Debatte ist nicht erst seit zwei Jahren fällig, sie hätte längst geführt werden müssen. Dazu waren CDU/CSU und F.D.P. jedoch nie wirklich bereit. Deshalb lade ich Sie ganz herzlich ein, bei uns Nachhilfe zu nehmen, um anschließend gemeinsam mit uns die landwirtschaftliche Unfallversicherung hinsichtlich der Kriterien für die Verteilung der Bundeszuschüsse an die landwirtschaftlichen Unternehmer zu reformieren und in diesem Zusammenhang auch über die Weiterentwicklung des materiellen Leistungsrechts nachzudenken. ({3}) In den Haushaltsgesprächen haben wir immer wieder betont, dass es uns nicht darum geht, den gegenwärtigen Titelansatz zu senken, obwohl - das muss man an dieser Stelle ganz klar feststellen - der Bundesrechnungshof sofortige Einsparpotenziale in Höhe von 80 Millionen DM festgestellt hat. Unser Ziel ist es, notwendige Änderungen, insbesondere bei der Verteilung der Bundesmittel dazu zu nutzen, die hierdurch frei werdenden Mittel noch stärker zugunsten der bundesberechtigten Unternehmer zu verwenden. Wir müssen und werden in den nächsten Wochen und Monaten darüber diskutieren, wie eine sachgerechtere Verwendung der Mittel erreicht werden kann. Auf dem Prüfstand wird unter anderem die Frage stehen, inwieweit Nebenerwerbsbetriebe weiterhin in erheblichem Umfang Bundeszuschüsse erhalten können, da diese in der Regel ihr Haupteinkommen außerhalb des landwirtschaftlichen Bereiches erzielen. Ebenso muss darüber nachgedacht werden, inwieweit eine Bundesmitteluntergrenze geschaffen wird, die die Bezuschussung durch Kleinstbeträge ausschließt. Es ist doch lachhaft, wenn ein jährlicher Zuschuss von 82 Pfennig oder 4,58 DM an einzelne Unternehmer gezahlt wird. Ich glaube nicht, dass sich die betroffenen Unternehmen dadurch spürbar entlastet fühlen. Aufwand und Nutzen stehen hier in keinem Verhältnis. Insofern machte eine Bundesmitteluntergrenze von zum Beispiel 200 oder 300 DM - in welcher Höhe auch immer - sicherlich Sinn. Auch die Auszahlung von Bundeszuschüssen an Unternehmen der öffentlichen Hand wird hierbei eine Rolle spielen. Dies zeigt, dass die landwirtschaftliche Unfallversicherung nicht auf die einfache Formel zu bringen ist, der Bund trage die so genannte alte Last und dann werde sich das Problem irgendwann biologisch lösen. So geht es nicht. Im Bundeslandwirtschaftsministerium geht man davon aus, dass selbst dann wenn die alte Last etwa 850 Millionen DM betragen würde, noch nicht einmal im Jahre 2010 eine spürbare Entlastung des Bundeshaushalts erreicht werden könnte. Dies birgt somit ein großes finanzielles Risiko für den Bund in sich. Um verlässliche Angaben zu den finanziellen Auswirkungen eines Systemwechsels auf den Bund, aber auch auf die Landwirte zu erhalten, soll zunächst ein versicherungsmathematisches Gutachten in Auftrag gegeben werden. Sobald uns dieses vorliegt, werden wir hier die richtigen Entscheidungen zur Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung treffen. ({4}) Deshalb ist es, meine Damen und Herren von der CDU, aber auch von der PDS, nicht damit getan, in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses vor 14 Tagen und jetzt auch hier im Plenum Anträge auf Erhöhung dieses Titelansatzes einzubringen, die nicht nur inhaltlich, sondern auch politisch absurd sind. Nutzen Sie lieber die Zeit sinnvoll und machen Sie sich gemeinsam mit uns Gedanken, wie wir in diesem Bereich eine konsensfähige Reform auf den Weg bringen! Alles andere nämlich wäre Flickschusterei. ({5}) In den vergangenen Wochen und Monaten wurde der Agrardiesel vor dem Hintergrund der hohen Mineralölpreise breit thematisiert. Bislang wurde eine Verbilligung des Agrardiesels auf der Basis des Landwirtschafts-Gasölverwendungsgesetzes gewährt. Erst in der vergangenen Sitzungswoche haben wir das neue Agrardieselgesetz verabschiedet, welches ab 2001 gelten wird. ({6}) Danach werden die Landwirte mit einem Steuersatz von 57 Pfennig je Liter Diesel belastet werden. Das bedeutet eine Vergütung oder auch Entlastung von 23 Pfennig pro Liter und hat für 2002 und 2003 die Folge, dass die Landwirtschaft hinsichtlich des Agrardiesels von den weiteren Stufen der Ökosteuer ausgenommen bleiben wird. Für den Bund ergeben sich hieraus steuerliche Mindereinnahmen von insgesamt 700 Millionen DM, die über den Gesamthaushalt zu kompensieren sind. Schon hiermit haben wir als Regierungskoalition ein deutliches Zeichen gesetzt, dass die Landwirte keineswegs das Stiefkind von RotGrün sind. ({7}) Uns ist sehr wohl bewusst, unter welch komplizierten Bedingungen auch im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedstaaten die deutsche Landwirtschaft produziert. Unter diesem Aspekt haben wir über das eigentliche Zukunftsprogramm 2000 hinaus den zusätzlichen Bedarf von 700 Millionen DM anerkannt. ({8}) Natürlich ist mir klar, dass eine weiter gehende Herabsetzung des Steuersatzes primär vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfähigkeit wünschenswert wäre. Eine Lösung, die auch im Vergleich zu den anderen Wirtschaftszweigen wie zum Beispiel den Transport- und Fuhrunternehmen allen Seiten gerecht wird, ist aber nicht in Sicht. Auch eine weitere Obergrenzenlösung in Betracht zu ziehen wäre das falsche Signal, hieße das doch, die größeren norddeutschen, aber insbesondere auch ostdeutschen Betriebe von der Herabsetzung des Steuersatzes auf Agrardiesel auszuschließen. Jeder weiß: Der Dieselkraftstoffverbrauch ist immer noch an die Fläche, unabhängig von der Betriebsgröße, gebunden. Es ist uns noch immer die Möglichkeit gegeben, im nächsten Jahr Spielräume im neuen Agrardieselgesetz zu erschließen. Letztlich aber kann dieses Problem nur durch eine Harmonisierung der Steuersätze zwischen den EUStaaten gelöst werden. Meine Damen und Herren, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ kann trotz der notwendigen Haushaltskonsolidierung auf dem bisherigen Niveau von 1,7 Milliarden DM fortgeführt werden. Wie die Anträge der Opposition uns zeigen, hält sie es eher mit Shakespeare, der seinen Dramenheld Heinrich IV. sagen ließ: „Der Wunsch war des Gedankens Vater.“ Ich darf anfügen: bei Ihnen in diesem Fall wohl auch. ({9}) Auch heute ist es noch verwunderlich, dass Sie erst vor zwei Jahren Ihre förmliche Affenliebe zur Gemeinschaftsaufgabe entdeckt haben und auch erst seitdem permanent eine Erhöhung des Haushaltsansatzes einfordern, obwohl Sie diesen doch jahrelang selbst bis an die Schmerzgrenze reduziert haben, obwohl die Haushaltskonsolidierung für Sie seinerzeit nicht das Thema war. ({10}) Auch das erinnert mich eher an Shakespeare und seinen Sommernachtstraum: „Gut gebrüllt, Löwe!“ Deshalb machen wir Ihre Mätzchen nicht mit und lehnen Ihre Anträge ab. ({11}) Wir als Regierungskoalition stehen für Solidität und konzentrieren uns auch im Agrarhaushalt auf den Rahmen des Machbaren, wissen wir doch alle, dass die Gemeinschaftsaufgabe auch die Kofinanzierung der Länder einschließt. Jeder von uns, auch die Kollegen von der Opposition, hat den heftigen Dissens in dieser Frage zwischen Länderfinanz- und Länderagrarministern miterleben dürfen. Iris Hoffmann ({12}) Trotz des schon dargestellten engen finanzpolitischen Spielraumes im Agrarhaushalt war es möglich, den Titelansatz „Modellvorhaben“ um 5 Millionen DM zu erhöhen. Hiermit haben wir ein Zeichen gesetzt, dass uns die regionale Entwicklung, aber auch die arbeitsmarktpolitischen Initiativen am Herzen liegen. Zusätzlich konnten im Agrarhaushalt ein Hilfsprogramm zur Sicherung der Liquidität von Unterglasgartenbaubetrieben sowie eine verbesserte Investitionsförderung für Energieeinsparmaßnahmen verankert werden. Damit tragen wir der schwierigen Situation in diesem Bereich Rechnung, da vor allem Unterglasgartenbaubetriebe von den enorm gestiegenen Energiepreisen überproportional betroffen sind. Als kurzfristig wirksame Maßnahme wird ein Programm zur Verbilligung der Betriebsmittelkredite aufgelegt, welches von den Ländern durchgeführt wird. Der Bund wird sich hieran auch 2001 und 2002 mit 10 Millionen DM beteiligen - ein entsprechender Länderanteil kommt hinzu -, sodass für dieses Programm jährlich bis zu 20 Millionen DM bereitstehen werden. Um die Abhängigkeit des Gartenbaus von den Energiekosten mittelfristig zu mildern, wird im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe auch die Förderung von Investitionen zur Energieeinsparung, insbesondere im Unterglasanbau, gezielt verbessert. Dies betrifft zum Beispiel den Neubau energiesparender Gewächshäuser, aber auch Wärme- bzw. Kältedämmungsanlagen. Deshalb stellen wir hierfür in den Jahren 2001 und 2002 jeweils 15 Millionen DM zur Verfügung. Auch in diesem Fall kommt ein entsprechender Länderanteil hinzu. Wenn man dem Antrag der CDU folgte - sie fordert eine Erhöhung auf 300 Millionen DM - und die Logik unseres Antrages fortführte, dann müsste es in diesem Bereich ebenfalls eine Beteiligung der Länder geben. Die Ministerpräsidenten, auch die der CDU-geführten Länder, wären sehr dankbar, wenn sie 300 Millionen DM dazulegen dürften - weil sie es nämlich gar nicht könnten. ({13}) - Nur einige. ({14}) Wir tragen damit jedenfalls zur Standortsicherung des Unterglasgartenbaus bei und zugleich sichern wir die damit verbundenen Arbeits- und Ausbildungsplätze. Darüber hinaus sorgen wir für die Steigerung der Energieeffizienz und auch für die umweltpolitisch unverzichtbare Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen. ({15}) Diese Debatte zeigt, dass wir einen soliden und finanzierbaren Agrarhaushalt für 2001 auf den Weg gebracht haben, ({16}) der auch mittelfristig Grundlage unserer nationalen Agrarpolitik sein wird. Trotz aller Konsolidierungszwänge ist es uns darüber hinaus gelungen, eigene agrarpolitische Akzente zu setzen. Auch wenn die Opposition dies gerne als Peanuts abtun möchte: Dies ist - um wieder mit Shakespeare zu sprechen - ebenfalls verlorene Liebesmüh, belegen doch die Fakten, dass wir uns als rot-grüne Regierungskoalition sehr wohl den agrarpolitischen Herausforderungen unserer Zeit stellen. Vielen Dank. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gerade eine, wie ich finde, sehr schöne Nachricht bekommen, über die Sie sich sicherlich mitfreuen: Das Gartenreich Wörlitz ist seit heute Teil des Weltkulturerbes. ({0}) Wir sollten dem Land Sachsen-Anhalt, den Wörlitzern und uns allen gratulieren. Vor allem sollten wir denjenigen danken, die es bis heute erhalten haben. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marita Sehn.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bauern bekommen endlich wieder einen Landwirtschaftsminister, der auch so aussieht. So wurden Sie, lieber Minister Funke, von den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen als Landwirtschaftsminister hier eingeführt. Diese Aussage mag vielleicht stimmen, was das äußere Bild des Ministers anbelangt, aber es handelt sich dabei bestimmt nicht um Inhaltliches. Die Landwirte, die ursprünglich große Hoffnung in Sie als einen Berufskollegen gesetzt haben, sehen sich nun, nach zwei Jahren funkescher Agrarpolitik, bitter enttäuscht. Gut gemeint ist das Gegenteil von gut - so lässt sich das Krisenmanagement der Bundesregierung bei den Maßnahmen zur Bekämpfung von BSE wohl am besten umschreiben. ({0}) Die Gesundheitsministerin scheint, nachdem sie keine maßgeblichen Strukturverbesserungen in der Gesundheitspolitik auf den Weg gebracht hat, die Agrarpolitik als Spielwiese entdeckt zu haben. Man kann ihr leider nur bestätigen, dass sie von Agrarpolitik doppelt so viel versteht wie von der Gesundheitspolitik. Nur: Zwei mal null ist nach den Regeln der Mathematik eben auch null. ({1}) Weiß Frau Fischer denn wirklich, wovon sie redet, wenn sie von einem „GAU der industrialisierten Landwirtschaft“ spricht? Den Betrieb, auf dem das infizierte Tier gefunden wurde, als „industrialisierte Landwirtschaft“ zu diffamieren, ist in höchstem Maße unseriös. ({2}) Iris Hoffmann ({3}) Frau Fischer täte gut daran, den Ratschlag von Herrn Müntefering zu befolgen und im Zusammenhang mit BSE nicht „primitiv und parteipolitisch zu agieren“. In Anbetracht dessen, dass bislang nicht einmal Informationen über die Ursachen der Infektion vorliegen, sollte sich Frau Fischer vielleicht doch etwas zurückhalten, anstatt die deutsche Landwirtschaft pauschal zu verunglimpfen. ({4}) Der BSE-Skandal eignet sich nicht für gegenseitige Schuldzuweisungen. Die Verbraucher erwarten von uns keine parteipolitischen Gladiatorenkämpfe. Sie wollen, dass alles Erdenkliche getan wird, um diese Bedrohung so schnell wie möglich zu beseitigen. ({5}) Das koalitionsinterne Hickhack zum Verbot der Verfütterung von Tiermehl war in diesem Sinne unwürdig und kontraproduktiv. ({6}) Die Bundesregierung wäre gut beraten, die Verunsicherung bei den Verbrauchern und - das möchte ich besonders betonen - auch bei den Landwirten zu beenden. ({7}) Das schafft man nicht mit Schnellschüssen und unüberlegtem, kurzatmigem Handeln. Die weitere Erforschung des Erregers sowie der Infektionswege ist zwingend notwendig. Deshalb fordert die F.D.P. die Aufstockung der Mittel für die Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten von 12 Millionen DM um 50 Millionen DM auf 62 Millionen DM. ({8}) Wenn fundierte Informationen über die Übertragungswege und eventuelle Möglichkeiten der Bekämpfung der Erreger vorliegen, kann auch ein optimaler Schutz der Bevölkerung gewährleistet und die Verunsicherung der Verbraucher beseitigt werden. Wir erwarten, dass alle Fraktionen, die ernsthaft an einer Lösung des Problems interessiert sind, diesem Antrag zustimmen. ({9}) Über die schnellstmögliche Einführung von BSESchnelltests sind wir uns einig. Man darf bei der Debatte eines nicht vergessen: Teurer als jede Maßnahme wäre ein nachhaltiger Vertrauensverlust der Verbraucher in Bezug auf die Sicherheit deutscher Agrarprodukte. Vorrang vor allen wirtschaftlichen Überlegungen müssen die Sicherheit und die gesundheitliche Vorsorge der Verbraucher haben. Das geht nur im engen Schulterschluss aller Beteiligten: der Bundesregierung, der Verbraucher und der Produzenten, unseren heimischen Landwirten. ({10}) Es ist für das Verhältnis der Bundesregierung gegenüber unseren Bäuerinnen und Bauern bezeichnend, dass trotz steigender Belastungen der Betriebe der Agrarhaushalt erneut vermindert wird. Doch damit nicht genug: Auch in anderen Bereichen hat die Bundesregierung Probleme verursacht, mit denen die Landwirte zu kämpfen haben. Nehmen Sie zum Beispiel die Debatte um den Agrardiesel: Allein durch die Ökosteuer haben Sie der Landwirtschaft eine Mehrbelastung von 900 Millionen DM zugemutet. Beim Agrardiesel zahlen die Landwirte pro Liter Diesel anstatt der ursprünglichen 23 Pfennig ab Januar 57 Pfennig Steuern. ({11}) - Nicht gerade 1 000 Prozent. - Während die Franzosen auf die drastisch gestiegenen Energiepreise flexibel mit einer Steuersenkung reagiert haben, muten Sie den Landwirten eine Steuererhöhung um fast 150 Prozent zu. ({12}) Immerhin hat Bundesminister Funke in seiner Rede vom 14. September dieses Jahres sein „außerordentliches Bedauern“ über die Wettbewerbsverzerrung in der Europäischen Union und insbesondere auf dem Energiesektor geäußert. Ich bin mir sicher, dass den Landwirten anstelle Ihrer Krokodilstränen konkrete Maßnahmen lieber gewesen wären. Wir fordern kurzfristig, also in einem ersten Schritt zur Beseitigung der gravierendsten Wettbewerbsverzerrungen, die Absenkung des Steuersatzes für Agrardiesel auf 47 Pfennig pro Liter. Auch im Gartenbau nimmt die Bundesregierung eine Schlechterstellung deutscher Betriebe im europäischen Wettbewerb sowie den Verlust von bis zu 30 000 Arbeitsplätzen in Kauf. Um zumindest den größten Existenznöten der Betriebe zu begegnen, fordern wir ein Hilfsprogramm für die Unterglasbetriebe mit einem Gesamtumfang von 300 Millionen DM. ({13}) Dies versetzte die Betriebe in die Lage, langfristig wirtschaftlich zu arbeiten und sich am Markt zu behaupten. Herr Funke hat als Ziel seiner Agrarpolitik „eine leistungsstarke und wettbewerbsfähige Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft“ definiert. Diesem Ziel stimmen wir ausdrücklich zu. Aber, meine Damen und Herren, Sie handeln nicht danach. Wie sonst soll man die im Sommer von Umweltminister Trittin vorgelegten Eckpunkte zum Bundesnaturschutzgesetz verstehen? Sie verletzen die gute fachliche Praxis der Umweltpolitik, indem Sie auf Konfrontation statt auf Kooperation setzen. Das Landwirtschaftsministerium wird allenfalls informiert und Herr Funke in die Rolle eines politischen Wackeldackels gedrängt, der nur noch die Vorschläge abnickt. Ich appelliere deshalb an Sie, Herr Minister Funke: Wachen Sie auf und sorgen Sie dafür, dass die Interessen der Landwirte gewahrt werden! ({14}) Der größte Wettbewerbsnachteil für die deutsche Landwirtschaft ist die konzeptionslose Agrarpolitik der Bundesregierung. Sehr geehrter Herr Funke, es reicht nicht zu wollen, man muss es auch tun. ({15}) Beim Agrardiesel lassen Sie sich von Herrn Berninger an der Nase herumführen, die gute fachliche Praxis beim Bundesnaturschutzgesetz diktiert Ihnen Herr Trittin in die Feder und bei der Bekämpfung von BSE gibt Frau Fischer den Takt vor. Im Interesse unserer Landwirte hoffen wir, dass sich die Arbeit der Bundesregierung substanziell verbessert. Die F.D.P. hat Vorschläge dazu unterbreitet. ({16})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Steffi Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Da ich, wie einige von Ihnen wissen, aus Dessau stamme, möchte ich die Gelegenheit nutzen, der Region von Dessau, Bitterfeld, Wörlitz, Wittenberg herzlich zu der Aufnahme von Wörlitz in die Weltkulturerbeliste zu gratulieren, und Sie alle einladen, die Region im Frühjahr, im Sommer, im Herbst und im Winter zu besuchen und zu genießen. ({0}) Zum eigentlichen Thema, dem Agrarhaushalt. Zwischen der ersten Lesung dieses Haushaltes und der zweiten Lesung heute sind nur wenige Wochen vergangen. Dennoch führen wir jetzt eine vollkommen andere Debatte, als wir sie damals hier im Bundestag geführt haben. Was hat sich in dieser Zeit verändert? Was ist passiert? Noch vor wenigen Wochen und Tagen haben wir im Agrarausschuss primär über zusätzliche Hilfen für Landwirtschaft und Gartenbau, für die Unterglasbetriebe, für die orkangeschädigten Waldbauern, für die trockenheitgeschädigten ostdeutschen Bauern, für die gesamte Landwirtschaft, die beim Agrardiesel eine größere finanzielle Unterstützung braucht, debattiert. Wenn ich mir die Änderungsanträge der Opposition zum Agrarhaushalt anschaue, stelle ich fest, dass sich die darin enthaltenen Forderungen auf 1,6 Milliarden DM zusätzlich zu dem Betrag, den wir im Haushalt haben, summieren. Ich glaube, dass dies das ganze Dilemma der Agrarpolitik in den letzten Wochen, Monaten und Jahren widerspiegelt. Wir haben darüber gesprochen, dass immer versucht worden ist, die systematischen Mängel der Landwirtschaftspolitik im Nachhinein mit zusätzlichen Zuschüssen in Milliardenhöhe auszugleichen, und dass das nicht mehr geht. Das hat die Debatte über die Sanierung des Haushaltes gezeigt und das hat uns in der letzten Woche in erschreckender Weise und, wenn auch geahnt und erwartet, sehr plötzlich die BSE-Diskussion vor Augen geführt. Wir haben im Haushalt 2001 positive Akzente für eine sozialorientierte und umweltorientierte Politik setzen können. ({1}) Der Sozialetat steigt - ich möchte das noch einmal betonen - um 332 Millionen DM an. Das heißt: Wir haben die sozialorientierte Politik, die auch früher schon in Deutschland stattgefunden hat, fortgeführt. ({2}) Das heißt nicht, dass sie unverändert, so, wie sie in den letzten Jahren von der CDU/CSU/F.D.P.-Bundesregierung betrieben worden ist, fortgeführt werden konnte. Aber das heißt, dass sie nach wie vor den Schwerpunkt ausmacht und wir den landwirtschaftlichen Betrieben soziale Sicherheit geben. Wir haben im Haushalt 2001 umweltorientierte Akzente setzen können. Hätten wir den Haushalt von vornherein im Lichte der BSE-Diskussion, wie sie heute stattfindet, diskutiert, wären diese Akzente stärker ausgefallen. Aber die Ansätze in diesem Haushalt sind dennoch sehr positiv. Das betrifft die Gemeinschaftsaufgabe, in der auch für den ökologischen Landbau wesentlich bessere Förderkriterien enthalten sind. Das betrifft Modellprojekte, die Zukunftsperspektiven für Arbeitsplätze im ländlichen Raum entwickeln. Das betrifft auch einen sehr aktuellen und wichtigen Punkt: die Verbraucheraufklärung und -information, die deutlich verbessert wird, vor allem inhaltlich. Reaktionen seitens der Verbraucherinformation in Deutschland auf die erste BSE-Krise mit Plakaten, auf denen junge Menschen in - ich nenne es einmal so - attraktiver Weise mit dem Motto „Esst mehr Fleisch“ dargestellt worden sind, gibt es heute nicht mehr. ({3}) Herr Ronsöhr hat in seinem Debattenbeitrag ausgeführt - Herr Ronsöhr, ich sehe, Sie haben im Moment wichtigere Dinge zu erledigen; vielleicht hören Sie mir trotzdem zu -, dass es legal gewesen ist, in Deutschland Tiermehl, das als Hauptverursacher für die derzeitige BSE-Krise gilt, zu verfüttern. Sie haben Recht: Das ist legal gewesen. Trotzdem war es falsch; das ist der springende Punkt. ({4}) Was, wie ich meine, in der Landwirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte systemimmanent grundfalsch war, ist: Man hat sich grundsätzlich nicht an den Verbraucherinteressen orientiert. Vielmehr standen ökonomische Interessen im Vordergrund. Aber die BSE-Krise zeigt, dass es sogar ökonomisch falsch gewesen ist, so zu handeln. Im Rahmen der BSE-Krise kommen Folgekosten auf uns zu, deren Höhe im Moment niemand beziffern kann. Ich halte es derzeit wirklich nicht für vordringlich, über ökonomische Hilfen für Bauern zu sprechen. Natürlich müssen wir auch darüber sprechen, aber jetzt ist es das Wichtigste, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, wie wir dies in dem heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Verfütterung von Tiermehl vorsehen und wie wir dies mit der flächendeckenden Einführung von BSETests tun. Darum müssen wir uns momentan zuallererst kümmern. Wir müssen zudem darangehen, die Verbraucher zu informieren und ein deutliches Signal zu setzen - ich bin dem Bundeskanzler dafür dankbar, dass er dies gestern von seiner Seite aus getan hat -, dass es in Zukunft eine andere Form von Landwirtschaftspolitik geben muss. Diese muss sich sehr viel stärker und strikter an den Verbraucherinteressen orientieren. ({5}) Ich möchte dies gemeinsam mit der Opposition tun. Wir haben ja, was das Verbot der Verfütterung von Tiermehl anbetrifft, im zuständigen Ausschuss und auch heute hier im Parlament schon ein Stück Gemeinsamkeit erzielt. Denn es geht nicht darum, die Landwirtschaftspolitik, die anders werden soll, gegen die Landwirtschaft und die Bauern auszurichten; das ist wirklich überhaupt nicht beabsichtigt. Es geht vielmehr darum, dies im Interesse der Bauern zu tun. Denn die sind neben den Verbrauchern die Leidtragenden der momentanen Diskussion. ({6}) Es geht darum, von industrialisierten Formen der Landwirtschaft wegzukommen. ({7}) Es geht nicht darum, eine Diskussion über große und kleine Betriebe zu führen - das sollten die letzten Wochen doch gezeigt haben -, also nicht darum, dass die Politik vorschreibt, wie viel Hektar Land ein Betrieb umfassen muss. Es geht vielmehr darum, darüber nachzudenken, nach welchen kontrollierbaren und für die Verbraucher nachvollziehbaren Qualitätskriterien in großen bzw. kleinen bäuerlichen bzw. nicht bäuerlichen Betrieben Landwirtschaft praktiziert werden soll. Es geht darum, von industriellen Formen, die sich beispielsweise im Rahmen der Käfighaltung von Legehennen - das ist ein gutes Beispiel; ich glaube, Sie können mir zustimmen, dass das industrielle Landwirtschaft ist - manifestiert haben, wegzukommen, also von der flächenungebundenen Tierhaltung, bei der Tiere ohne Auslauf, ohne Weidehaltung und ohne eigene Futterflächen in industriellen Fabriken gehalten werden. Herr Ronsöhr, dies gibt es nicht nur in Ostdeutschland. Das gibt es auch ganz massiv in dem Land, aus dem Sie kommen, nämlich in Niedersachsen. ({8}) Wir müssen zu einer artgerechten, transparenten und kontrollierbaren Form von Landwirtschaft kommen. Der ökologische Landbau gehört aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang an die Spitze. Dies können wir nicht durch ideologische Diskussionen und im Kontra zur konventionellen Landwirtschaft erreichen, sondern dadurch, dass wir, wie Bauernpräsident Sonnleitner das schon vor zwei Jahren getan hat - in diesem Punkt stimme ich ihm voll zu -, den ökologischen Landbau als Vorbild für die gesamte Landwirtschaft in Deutschland begreifen. Das ist das, was der ökologische Landbau leistet und schon geleistet hat. Ich bedanke mich. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Kersten Naumann.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! BSE hat die angeblich heile deutsche Welt wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen. Das Vertrauen in die Landwirtschaft ist gebrochen. Landwirte und Verbraucher sind verunsichert. Viele stehen vor dem Ruin. Auch wenn gegenwärtig noch vieles im Dunkeln liegt, ist zumindest eines klar: Wir haben es hier keineswegs nur mit einem landwirtschaftlichen, sondern mit einem zutiefst gesellschaftlichen Problem zu tun. ({0}) Ich meine damit zum einen, dass die Bauern unter den Zwängen der Konkurrenz liberalisierter Märkte immer billiger produzieren müssen, um ihre Existenz zu sichern. Hieraus resultieren, wie wir alle wissen, eben nicht bloß positive Wirkungen auf die landwirtschaftliche Erzeugung. Zum anderen will ein Großteil der Verbraucher Lebensmittel billig kaufen. Das hat viel damit zu tun, dass die Verlockungen des Konsums angesichts der Fülle von industriellen Konsumgütern und Dienstleistungsangeboten immer größer werden. Die Befriedigung eines mit massiver Werbung manipulierten Kaufrausches erfolgt oft mit dem Geld, das man bei der Ernährung einsparen zu können glaubt. Ich meine, einige Wertevorstellungen werden immer fragwürdiger. Die Mechanismen dieser Gesellschaft gehören deshalb auf den Prüfstand. Die Bewältigung der BSE-Krise darf also nicht nur auf veterinärmedizinische und technisch-organisatorische Konsequenzen beschränkt bleiben. Was wir brauchen, ist eine sachliche Debatte um notwendige Veränderungen bei der Art und Weise der Agrarproduktion, damit wir zu einer tatsächlich zukunftsfähigen Produktionsweise gelangen. ({1}) Das korrespondiert mit der Frage nach einem neuen Ernährungsbewusstsein und -verhalten in der ganzen Breite der Bevölkerung. Der heute vorliegende Gesetzentwurf macht mich nicht unbedingt glücklich. Er erscheint, so sollte man ehrlich sagen, wie ein Kind aktionistischer Hilflosigkeit. ({2}) Trotzdem steht außer Frage, dass auch meine Fraktion ihm zustimmen wird. Erst dann zu handeln, wenn die vielen offenen Fragen wissenschaftlich beantwortet sind, wäre nicht zu verantworten. Schließlich geht es um die Wiederherstellung des Vertrauens der Menschen in die Landwirtschaft. Gerade das ist jetzt besonders wichtig. ({3}) Allerdings sollte allen klar sein, dass diese Entscheidung einen ganzen Rattenschwanz von Problemen nach sich zieht, die gelöst werden müssen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie bald erklärt, mit welcher finanziellen Unterstützung die Betriebe mit Rinderhaltung überhaupt rechnen können. ({4}) Es reicht mir nämlich nicht, dass Sie, Herr Bundesminister Funke, eine finanzielle Beteiligung des Bundes für erforderlich halten. Sie waren schließlich auch für 47 Pfennig beim Agrardiesel und haben sich, bei allem Respekt, nicht durchsetzen können. Einigkeit sollte darin bestehen, dass es nicht angeht, dass die Landwirte den Erlöseinbruch durch den stark reduzierten Schlachtrinderabsatz und sinkende Erzeugerpreise sowie die Mehrkosten durch längere Haltung und Umstellung des Futterregimes infolge des Tiermehlverbots allein tragen. Handlungsbedarf sehe ich auch hinsichtlich der Kostentragungspflicht für die Tierkörperbeseitigung; hier ist eine Änderung der derzeitigen Rechtslage nötig. Es wird nicht gehen, die Länder, Kommunen und Landwirte mit den enormen Mehrkosten allein zu lassen. Hier ist ein Bundeszuschuss dringend erforderlich. ({5}) Leider wurde ein solcher im Ausschuss nur sehr vage in Aussicht gestellt. Zu meinen Erwartungen an die Bundesregierung gehört des Weiteren, dass eine Konzeption zur Sicherung pflanzlicher Eiweißfuttermittel mit Schwerpunkt beim Ausbau der einheimischen Futterpflanzenproduktion, und zwar auch auf derzeitigen Stilllegungsflächen, erarbeitet wird. Ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu dieser Problematik überraschte uns heute positiv. Ich werte diesen Entschließungsantrag als einen Schritt in die richtige Richtung. Er gibt mir die Hoffnung, dass Gen-Soja sowohl aus eigener Produktion als auch aus Importen keinen Zugang in die Tierfütterung finden wird. ({6}) Zu meinen Erwartungen gehört außerdem, dass das Bundeslandwirtschaftsministerium in der Dezember-Sitzung des Planungsausschusses für Agrarstruktur und Küstenschutz für eine vorrangige Förderung des ökologischen Landbaus und der Erzeugung von Biofleisch bis hin zum Absatz eintritt, dass die Forschung zum Komplex BSE und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit intensiviert und die dafür erforderlichen Mittel im Haushalt etatisiert werden und schließlich, dass sich die Regierung nachdrücklich dafür einsetzt, dass die BSE-Problematik auf die Tagesordnungen des EU-Gipfels in Nizza und der Verhandlungen mit den EU-Beitrittskandidaten kommt. ({7}) Auf höchster Ebene, also durch die Regierungschefs, muss ein europaeinheitliches Herangehen an die nicht vor nationalen Grenzen Halt machende BSE abgesichert werden. Wem der Verbraucherschutz und das Vorsorgeprinzip ernst sind, der muss erstens dafür sorgen, dass die Bedingungen für flächendeckende BSE-Tests schnell geschaffen werden, um in Erfahrung zu bringen, wie groß die Zahl infizierter Rinder in Deutschland tatsächlich ist. Zweitens müssen Importe von Fleisch und Fleischerzeugnissen aus Drittländern, die Tiermehl verfüttern und keine BSE-Tests durchführen, ausgeschlossen werden. Das gehört zur Logik des Gesetzentwurfs. ({8}) Ich komme nunmehr zum Haushalt 2001. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag meiner Fraktion vor: Erstens wollen wir, dass die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung um 100 Millionen DM aufgestockt werden. Das soll eine Teilentlastung der Landwirte bei den Beiträgen ermöglichen, was Sie, Kollegin Hoffmann, als absurd bezeichnen. ({9}) Wir solidarisieren uns mit dem Bauernverband hinsichtlich seines gerechtfertigten Verlangens nach gleichwertigen Bedingungen bei der Unfallversicherung wie im Handwerk und der übrigen mittelständischen Wirtschaft. ({10}) Zweitens geht es uns um die Erhöhung des Bundesanteils an der Gemeinschaftsaufgabe um gleichfalls 100 Millionen DM, weil insbesondere die Altverpflichtungen mit derzeit rund 58 Prozent so hoch sind, wie dies in den letzten zehn Jahren nur einmal der Fall war. Damit könnte der nach Ländern sehr differenzierte Antragsstau bei der Investitionsförderung der Betriebe und Dorferneuerung abgebaut werden. Die Finanzierbarkeit des Antrags ist gegeben, wenn Sie unserem Ansinnen folgen und die für die Beschaffung des schlicht überflüssigen Waffensystems Eurofighter 2000 vorgesehenen Mittel, das bekanntlich noch teurer werden soll, als im Entwurf des Verteidigungshaushalts steht, dafür und für andere sinnvolle Verwendungen umschichten. Es ist schon makaber, dass es bisher am politischen Willen für die Einordnung der finanziellen Mittel für eine groß angelegte BSE-Forschung gefehlt hat. Dies geschah trotz der Bedrohung durch BSE, die durch die Ereignisse in England längst eine sehr reale ist, während die so genannte militärische Bedrohung wohl eher ein Phantom ist, um der Rüstungsindustrie ihre Profite mithilfe von Steuergeldern zu sichern und für eventuelle militärische Auseinandersetzungen um Rohstoffe fit zu sein. Das sind finanzielle Mätzchen, werte Kollegin Hoffmann, und verhindern die Aufstockung der Mittel für die GA. ({11}) Als positiv werte ich den Antrag der Koalitionsfraktionen für ein Hilfsprogramm zur Sicherung der Liquidität von Unterglasgartenbaubetrieben, auch wenn dessen finanzielle Ausstattung mehr als dürftig ist. Erwähnenswert ist allerdings, dass die Koalition damit die Intention unseres früher gestellten Antrages zur Einrichtung eines BundLänder-Nothilfefonds aufgegriffen und kreativ umgeschrieben hat. Abschließend möchte ich Ihnen, Herr Minister Funke, Folgendes mit auf den Weg geben: Kluge Regierungen haben immer für zufriedene Bauern und Verbraucher gesorgt. Das sollte auch diese Bundesregierung beherzigen. Danke schön. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Karl-Heinz Funke.

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf einige Punkte eingehen, die in der Debatte schon eine Rolle gespielt haben, insbesondere im Zusammenhang mit dem Gesetz über das Verbot des Verfütterns und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel. Herr Ronsöhr, Sie haben erwähnt, ich hätte im Ausschuss auf die Frage einer Bundestagsabgeordneten - ich dachte, es sei Frau Lemke gewesen, aber vielleicht irre ich mich -, ob es Erkenntnisse über die Infektion über die Böden gebe, geantwortet: Da gibt es nichts. - Das stimmt nicht. Ich habe gesagt: Es gibt keine Erkenntnisse über eine Reinfektion über die Böden. Exakt so habe ich es formuliert. Das ist etwas völlig anderes, als wenn man den Satz in einer Weise ausspricht, die assoziiert, man habe nie davon gehört oder kenne es nicht. Lassen Sie mich noch etwas dazu sagen. Über das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Umweltministerium - insoweit ist die Diskussion überhaupt nicht neu - haben der Kollege Trittin und ich - ich glaube, es war im Mai oder Juni 2000; das genaue Datum könnte ich feststellen - bei einer Veranstaltung des Deutschen Bauernverbandes mit deren Vertretern diskutiert. Dabei ging es im Übrigen auch um den Einsatz von Antibiotika. Wir wissen: Die im Gutachten geäußerte Auffassung wird dort selbst als theoretisch deklariert. ({0}) Wir sind damals gebeten worden - lassen Sie mich das noch zu Ende führen, Herr Carstensen -, Flächen, wenn vorhanden, für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. Das werden wir jetzt machen. Bisher hatten wir keine Flächen in Deutschland, die wir dafür zur Verfügung hätten stellen können. Wir werden jetzt Flächen zur Verfügung stellen, damit dort Forschung betrieben werden kann. Ich weiß überhaupt nicht, was eine solche Behauptung in einer solchen Debatte, in der es um Sachlichkeit und Fairness geht, eigentlich soll. ({1})

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Funke, können Sie vielleicht etwas zu einer Pressemitteilung sagen, die mir heute oder gestern auf den Tisch gekommen ist ({0}) - das spielt, glaube ich, keine große Rolle -, in der einer ich glaube sogar, der Chef dieser Expertengruppe - darauf hingewiesen hat, dass er schon im Februar ernsthaft und sehr real auf Gefahren in diesem Punkt hingewiesen hat, und in der er auch gesagt hat, es sei, obwohl er auf diese Gefahr ernsthaft hingewiesen habe, seitdem weder aus Ihrem Hause noch aus dem Hause der Gesundheitsministerin eine Antwort gekommen?

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Entschuldigung, soweit ich die Pressemitteilung kenne, geht es darum, dass er Flächen, von denen eine BSE-Gefährdung ausgeht, gefordert hat, die er untersuchen kann. Diese Flächen standen nachweislich bisher nun einmal nicht zur Verfügung. Deswegen konnten wir bisher auf diese Aufforderung nicht reagieren, was wir jetzt selbstverständlich tun werden. Ansonsten kenne ich den Inhalt der Presseerklärung nicht. Sie können sie mir ja zugänglich machen, damit ich sehe, ob darin noch andere Forderungen enthalten sind. ({0}) Wir haben über diese Problematik sehr offen diskutiert. Warum auch nicht? ({1}) - Herr Hornung sagt jetzt, wir können nicht Millionen Hektar unter Quarantäne stellen. In Ordnung, ich will das nicht kommentieren. Gleichzeitig gehen wissenschaftliche Analysen, basierend auf Erfahrungen in Großbritannien, bisher eindeutig davon aus, dass es diese Reinfektionen nicht gibt. Genau das habe ich im Ausschuss gesagt und gemeint, meine Damen und Herren. Das ist so, etwas anderes kann ich nicht behaupten. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Gerne.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, können Sie bestätigen, dass ich Sie gestern im Ausschuss gefragt habe, ob die Bundesregierung bei dem Betrieb in Schleswig-Holstein, in dem das BSE-Rind aufgefallen ist, Quarantänemaßnahmen aufgrund des Bundesbodenschutzberichtes der Bundesregierung und aufgrund der Befunde der Wissenschaftler zur Übertragung der BSE-Erreger über Weideflächen plant, und dass Sie mir auf diese Frage keine Antwort gegeben haben? ({0})

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Entschuldigung, ich erinnere mich wirklich überhaupt nicht an diese Frage im Ausschuss. Die haben Sie jetzt formuliert. ({0}) Ich müsste mal einige Kollegen fragen, die dabei gewesen sind. ({1}) Die Formulierung Ihrer Frage entnehmen Sie jetzt einer Pressemitteilung unseres Hauses, in der genau das in etwa steht. ({2}) - Es ist wirklich sehr merkwürdig, was da jetzt läuft. Wie gesagt, wir haben schon im Mai/Juni darüber diskutiert. Meine Damen und Herren, ich will ein paar Punkte ansprechen. Natürlich wird jetzt die Agrarpolitik insgesamt infrage gestellt. ({3}) Darüber findet eine breite Diskussion statt. Es wird über die Art unserer Ernährung nachgedacht. Mir scheint, wissenschaftlicher Rat ist mehr denn je notwendig, um auf die damit verbundenen Fragen Antworten zu finden - auch dann, wenn der Politik und den Politikern - mir ja auch insbesondere - Versagen vorgeworfen wird. Allerdings kann ich bei dem einen oder anderen Vorwurf, insbesondere auch an meine Adresse, nicht umhin zu sagen: Heuchler. ({4}) Nun verfolge ich ja diese Diskussion - den Vorteil habe ich - schon seit längerem, damals noch als niedersächsischer Landwirtschaftsminister in Zusammenarbeit mit dem Kollegen Seehofer. Ich habe mir das eine oder andere noch einmal heraussuchen lassen. Seehofer und ich waren uns damals - er hat mir das im Übrigen auch bestätigt - in vielen Dingen wie der Beurteilung der Situation und den zu ergreifenden Maßnahmen durchaus einig. Deswegen mache ich auch keine Schuldzuweisungen. Das kommt bei mir überhaupt nicht infrage, weil ich vor mir selber noch bestehen und noch in den Spiegel gucken will. Ich mache es nicht und ich habe es bisher auch nicht getan. ({5}) Ich richte weder an die Kommission in Brüssel noch an die vorherige Regierung Schuldzuweisungen. Sonst hätte ich einen abendfüllenden Zitatenschatz, meine Damen und Herren. ({6}) Ich könnte hier fragen, was denn davon zu halten ist, wenn uns Ministerpräsident Stoiber vorwirft, wir würden den Verbraucherschutz hintenanstellen, wirtschaftliche Interessen hätten Vorrang. Dass ausgerechnet Stoiber mir bzw. einer rot-grünen Regierung vorwirft, bei uns kämen wirtschaftliche Interessen vor dem Verbraucherschutz, ist schon eine seltsame Umkehrung der parteipolitischen Positionen. Aber wie gesagt, darauf möchte ich gar nicht eingehen. ({7}) Ich habe mich damals gewundert - ich wurde eben darauf hingewiesen; die „Süddeutsche Zeitung“ soll mittlerweile das eine oder andere aufgearbeitet haben -, als uns ganz bestimmte Bundesländer, die im Süden der Bundesrepublik Deutschland liegen und deren Namen ich nicht nennen möchte, in der Vergangenheit aufgefordert haben, Klage zu erheben, wenn europäische Richtlinien, insbesondere diejenigen zum Schutz vor BSE, umgesetzt werden müssten. Das scheinen diese Bundesländer völlig vergessen zu haben. Soll ich das Abstimmungsverhalten dieser Bundesländer in manchen Ausschüssen des Bundesrates publik machen? Nein, das tue ich alles nicht; das möchte ich nicht. ({8}) - Frau Kollegin, wenn es mir irgendwann zu dumm wird, dann werde ich das vielleicht machen. Ich bekenne mich dazu, gesagt zu haben: Deutsches Rindfleisch ist sicher, Deutschland ist BSE-frei. ({9}) - Natürlich, Herr Kollege Carstensen, ich bekenne mich auch dazu. Nur eines vermeide ich, nämlich heuchlerisch zu werden und so zu tun, als hätte ich das alles überhaupt nicht gesagt. Das ist der entscheidende Punkt. ({10}) Ich weiß nicht, ob man mir deshalb Versagen und Versäumnisse vorwerfen kann. Ich habe das alles vor dem Hintergrund ganz bestimmter Erkenntnisse gesagt, wie sicherlich all jene, die das auch gesagt haben. Ich unterstelle ihnen nicht das, was Sie mir unterstellt haben. Deshalb wünsche ich mir, dass Sie mir das auch nicht unterstellen. Andere haben gesagt: „Setzt das nicht zu schnell um, die Bundesregierung soll erst einmal klagen“, und haben gleich die Zahlen dabei gehabt, anhand derer sie belegen konnten, wie hoch die Landwirtschaft durch die Umsetzung der europäischen Richtlinie belastet wird. So sieht der Sachverhalt aus. Sie haben mich enttäuscht. Aber damit musste ich vielleicht rechnen. Aber das bringt mich nicht dazu - ich will ja vor mir selber bestehen -, die Schuld Brüssel in die Schuhe zu schieben. Zu Brüssel könnte ich auch einiges sagen. Aber das mache ich auch nicht. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch das, was im Vorwort des F.D.P.-Antrages steht. Über die dort aufgelisteten Maßnahmen können wir selbstverständlich reden, zum Beispiel über die Schnelltests. Im Übrigen weiß ich nicht, worin der Widerspruch zwischen dem, was ich in den verschiedenen Ausschüssen gesagt haben, bestehen soll. Ich habe auch im Gesundheitsausschuss zu den Schnelltests Stellung genommen und gesagt, dass wir eine flächendeckende Testung wollen und dass die Tests möglichst schnell verbessert werden müssen, um entsprechende Erkenntnisse zu bekommen. Ich habe dies - das kann man nachlesen - auch so im Agrarrat gefordert, weil die Frage der Testung im Hinblick auf das Vertrauen der Verbraucher ganz entscheidend ist. Nur über die Tests lässt sich das Vertrauen wieder herstellen. Deshalb müssen wir die Test weiter verbessern; denn je besser die Tests sind, desto aussagekräftiger sind die Ergebnisse. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Ja, gerne.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Funke, Sie haben sich gerade wieder für die Durchführung von Tests ausgesprochen. Sie sind wie ich darüber informiert, dass eine große Zahl an Tests - ich glaube, es waren 16 000 auf freiwilliger Basis durchgeführt worden sind. Das ist beachtlich. Warum hat die Bundesregierung angesichts der großen Bereitschaft nicht schon früher eine flächendeckende Testung durchgesetzt bzw. wenigstens Gespräche darüber geführt? ({0})

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Herr Heinrich, darauf kann ich sehr sachlich und sehr nüchtern antworten: Die Tests, die vor allem in der Schweiz weiterentwickelt wurden, sind erst seit Mitte 1999 von der EU evaluiert und als solche anerkannt worden. Seitdem werden sie durchgeführt und weiterentwickelt. Die Position der Bundesregierung war allerdings - offensichtlich ist das auch Ihre Position, wie aus dem Antrag, den Sie gestellt haben, hervorgeht -, dass solche Tests im Grunde genommen europaweit durchgeführt werden müssen, weil sie ansonsten in einem gemeinsamen Markt ohne Grenzen wenig Wert im Hinblick auf die Sicherheit der Verbraucher haben. Genau um diesen Punkt ist es uns immer gegangen, um nichts anderes. ({0}) Im Vorwort Ihres Entschließungsantrages steht - so läuft das manchmal -, das Exportverbot gegen Großbritannien sei 1999 unter deutscher Präsidentschaft aufgehoben worden. ({1}) - Nein, es ist falsch, aber so wird gearbeitet. Ich erinnere mich deshalb noch sehr genau, weil es bei meiner ersten Teilnahme als zuständiger Bundesminister am Agrarrat war. Es war übrigens unter österreichischer Präsidentschaft. Jetzt könnte ich allenfalls sagen - das tue ich aber nicht -, mein Vorgänger habe versäumt, Mehrheiten dafür zu schaffen. Es wäre falsch, das zu sagen. Ich tue es auch nicht. Denn die Kriterien, die letztlich für die anderen Nationalstaaten ausschlaggebend dafür waren, das Exportverbot aufzuheben, hatten die Regierungschefs aller EUMitgliedstaaten zuvor in Florenz festgelegt. Das lief nach einem ganz bestimmten Verfahren ab. Wenn die Kommission sozusagen grünes Licht gegeben hätte, sollte der Agrarrat auf Vorschlag der Kommission zustimmen. - So ist es damals gewesen. Ich würde also meinem Vorgänger niemals sagen: Das hast du alles versäumt. Ich habe trotzdem - so lautete im Übrigen auch das Votum des Deutschen Bundestages - dagegen gestimmt, meine Damen und Herren, weil wir Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz höher stellen. ({2}) So war es und der Kollege Borchert wird das bestätigen. Ihm wäre es - davon bin ich überzeugt - in der Agrarratssitzung - ich glaube, sie war im November oder im Dezember des Jahres 1998 - genauso gegangen. Da stelle ich mich also nicht hin und sage: Mein Vorgänger hat es versäumt, für Mehrheiten zu sorgen; deswegen haben wir das nicht hinbekommen. Das wäre billig und ich täte ihm unrecht, wenn ich das sagte. Ich werde das auch nicht tun. Herr Kollege Heinrich, wenn Sie jetzt davon sprechen, Sie seien für eine offene Deklaration von Futtermitteln, so ist dies nun eine Sache, von der ich zufällig weiß, ohne Mitglied des Deutschen Bundestages oder Mitglied dieser Regierung gewesen sein zu müssen, dass es hierüber immer Diskussionen gegeben hat und wie die Auffassung der jeweiligen Beteiligten war. Nun können Sie sagen, Sie seien als Fraktion immer dagegen oder dafür gewesen, offen zu deklarieren, und die CDU/CSU habe das immer abgelehnt. Mag sein. ({3}) Koalitionsinterna kenne ich nicht. Aber wenn Sie sich ganz heimlich für die vorausgegangenen Jahre aus der Regierungsverantwortung verabschieden und sagen, das müsse aber nun endlich kommen, und den Eindruck erwecken, dass die gegenwärtige Bundesregierung dies versäumt habe, so kann man das nicht zulassen, Herr Kollege Heinrich. ({4}) Nun sage ich Ihnen eindeutig: Ich bin für die offene Deklaration und ich weiß, dass die SPD auch immer dafür war. Also sind wir gemeinsam dafür. Jetzt so zu tun, als seien die einen die Schlimmen und Sie die Guten - nein, meine Damen und Herren, so ist die Diskussion um diese Fragen von Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz in der Vergangenheit niemals geführt worden und deshalb kann man sie auch jetzt nicht mitmachen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will dazu noch eine Bemerkung machen, weil in diesem Zusammenhang Agrarstruktur und Agrarpolitik angesprochen worden sind. Ich habe mir von vielen Seiten genug Kritik angehört, im Übrigen aus allen Parteien, auch aus der eigenen, weil ich immer für bäuerliche Strukturen in der Landwirtschaft eingetreten bin. Aber da bin ich Überzeugungstäter. Da habe ich meine Einstellung. Ich werde immer für bäuerliche Strukturen sein, eingedenk der Tatsache, dass wir auch andere Strukturen haben. Ich bewerte das auch nicht, indem ich sage, das eine sei alles gut und das andere sei alles schlecht. Würde man dies tun, so hielte es auch der Wirklichkeit nicht stand. Ich könnte jetzt aufzählen, welche Vorlagen ich im Laufe der Zeit gemacht habe, die damals noch abgelehnt worden sind. Das will ich aber auch nicht tun. Das bringt im Grunde auch überhaupt nichts. Wenn jetzt jemand so tut, als gebe es auf dieser Welt auch in der Agrarpolitik weder Liberalisierung noch Globalisierung - das geht in mehrere Richtungen, meine Damen und Herren, weil ich nicht will, dass man mir irgendwann sagt: Das hättest du ja auch einmal sagen können -, so kann ich das nicht nachvollziehen. Wir brauchen Spezialisierung, wir brauchen Rationalisierung, um mit dieser Globalisierung und Liberalisierung fertig zu werden. Ob ich die Liberalisierung immer gut finde, ist etwas völlig anderes. Ich nehme sie als Realität. ({5}) - Jetzt sind wir wieder bei dem Thema. Gut, wenn wir insoweit wenigstens einig sind. - Wenn ich die Realität wahrnehme, kann ich nicht den Eindruck erwecken, als könnte ich Europas Grenzen dichtmachen und die Landwirtschaft, die wir hier haben, alleine strukturell festschreiben. Das können wir nicht. Wenn ich das sagen würde, würde ich meiner Verantwortung gegenüber den deutschen Bauern nicht gerecht, weil das mit Realität überhaupt nichts zu tun hat. ({6}) Das sage ich an alle, die glauben, wir könnten gewisse idyllische Züge kennzeichnen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meinolf Michels? ({0})

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Ich gestatte eigentlich immer Zwischenfragen. Es macht mir Freude, darauf zu antworten.

Meinolf Michels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001502, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie sagten gerade, wir könnten die Grenzen nicht dicht machen. Können die deutschen Verbraucher, wenn wir heute Abend das Gesetz beschließen, das Vorgaben für die Fleischproduktion in Deutschland enthält, davon ausgehen, dass kein anders produziertes Fleisch aus EU-Ländern oder Drittländern auf deutschen Frühstückstischen landet? ({0})

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Herr Kollege Michels, bevor ich zu Ihrer Frage komme, möchte ich noch einen Satz zu dem sagen, was ich vorher gesagt habe. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in der durch den BSE-Fall ausgelösten Debatte jetzt über Vertrauen der Verbraucher in die Landwirtschaft und auch darüber reden, dass dann, wenn wir bäuerliche Landwirtschaft haben wollen, für deren Erzeugnisse auch entsprechende Preise auf dem Markt bezahlt werden müssen, damit die Landwirte entsprechend Geld für ihre Produkte bekommen und ihre Betriebe weiter führen können. Hier und da lese und höre ich durchaus etwas anderes. Es muss klar sein, dass die Preisfrage zu diesem Komplex dazugehört. Auf Ihre Frage möchte ich Folgendes antworten: Ich habe prüfen lassen, ob wir im Rahmen unseres auf nationaler Ebene beschlossenen Verbotes, Tiermehl in die Futterkette zu bringen, die Möglichkeit haben, Importe von Tieren, die mit Tiermehl gefüttert wurden, zu verbieten. Das ist rein rechtlich nicht möglich. Die einzige Grundlage hierfür wäre das Tierseuchengesetz. Diese Möglichkeit wurde schon juristisch geprüft, damit kommen wir aber nicht zurecht. Im Übrigen habe ich mich deshalb auch schon vor einer Woche im Agrarrat dafür eingesetzt, dass man das Verbot, Tiermehl zu Futtermittelzwecken zu verarbeiten, auf europäischer Ebene umsetzen sollte. Europa hätte nämlich dann die Möglichkeit, an den Außengrenzen des gemeinsamen Marktes die Importe zu kontrollieren. Ich bin ganz entschieden dafür - Gott sei Dank werden wir ja darüber reden, Byrne und Fischler haben sich gestern dazu geäußert -, ein europaweites Verbot zu erlassen. So entstehen erstens keine Wettbewerbsnachteile für die deutsche Landwirtschaft und zweitens kann dabei über die Frage der Importe ({0}) - das habe ich gerade gesagt, Herr Kollege Carstensen geredet werden. Ich werde sehr darauf drängen, dass meiner Forderung, keine derartigen Importe aus Drittländern zuzulassen, stattgegeben wird. ({1}) - Ich kann jetzt nicht alle Zurufe aufgreifen, weil ich sie schlichtweg akustisch nicht höre. Die beiden oben genannten Dinge gehören aber zusammen. Ich möchte noch etwas zu den Finanzen sagen. Heute Abend spricht ja der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten über dieses Thema. Der Bund wird sich seiner Verantwortung für die Bereiche, für die er zuständig ist, nicht entziehen. Ich gehe davon aus, dass das auch für alle anderen gilt, auch für die Länder. ({2}) Wir haben - das möchte ich sehr offen sagen - noch keine exakten Zahlen, sodass wir noch nicht klar abschätzen können, wie viel Geld dafür nötig ist, um das umzusetzen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen, dass es keiner von uns weiß. Darum sind der Bundeskanzler, der Finanzminister und ich heute Nachmittag in einem Gespräch übereingekommen, dass eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet wird. Diese soll versuchen, alle Faktoren zu erfassen und zu quantifizieren, sodass dann auf dieser Basis dort über eine faire Lastenverteilung geredet werden kann. Dies ist der einzig gangbare Weg, wenn man seriös bleiben will, anders geht es nicht. Ich bin dankbar, dass wir diese Absprache treffen konnten. Wenn man sich heute Abend schon einigt, ist das umso besser. Da meine Redezeit zu Ende geht, muss ich mich jetzt beeilen. Ich möchte noch kurz zum Agrarhaushalt und zur Agrarpolitik überleiten. In der durchaus aufgeheizten Diskussion der letzten Tage ist ein wichtiger Punkt untergegangen, den wir Sozialdemokraten immer für richtig und notwendig gehalten haben und den ich immer so gut wie möglich voranzubringen versucht habe, nämlich die vertraglich gebundene Landwirtschaft. Das heißt, dass Verträge bestehen, angefangen bei der Art der Erzeugung über die Futtermittelwerbung bis zur Ladentheke. Durch eine solche vertragliche Bindung wird alles wie auf einer gläsernen Kette aufgereiht und kann nachvollzogen werden. Einer solchen Landwirtschaft gehört die Zukunft. ({3}) Es gibt in vielen Ländern Deutschlands diesbezügliche Ansätze. Entscheidend ist, dass dieses in Zukunft kommen wird. Abschließend, meine Damen und Herren, nur noch ein Satz zu den Subventionen: Ich bitte diejenigen, die über Subventionen geredet haben, nachzusehen, wie Subventionen definiert sind.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Zeit ist vorbei.

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Selbstverständlich sind steuerliche Rahmenbedingungen dann keine Subventionen. Darüber ist aber auch nie geredet worden. Jetzt konnte ich nicht mehr viel zum Haushalt sagen, aber angesichts des Themas, das auf den Nägeln brennt, ist das vielleicht zu verantworten. Ich bitte um Verständnis. ({0}) Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Josef Hollerith.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir den Saldo beim Einzelplan 10 ziehen, müssen wir feststellen, dass gerade mal 27 Millionen DM bewegt worden sind - 44 Millionen DM Kürzungen, 71 Millionen DM Erhöhungen -, und dies bei einem Gesamthaushalt von 11 Milliarden DM und dies angesichts der existenziellen Probleme unserer Bauern in Deutschland. ({0}) Diese Zahl belegt, dass im Haushaltsausschuss ein Offenbarungseid der rot-grünen Mehrheit geleistet wurde. Sie dokumentiert die Verweigerung vor den existenziellen Problemen der Landwirtschaft in Deutschland. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass wir angesichts dieser Situation Anträge über rund 900 Millionen DM eingebracht haben, weil uns die Menschen, die Bauern, die bäuerlichen Familien, das flache Land, die Strukturen dort am Herzen liegen. ({1}) Ich nehme das, was Sie über die Solidität der Finanzierung gesagt haben, sehr ernst. Es ist eine Frage der Prioritäten. Es ist eine Frage, ob der Herr Bundeskanzler Schröder Schmiergeld in die Hand nimmt, um Länder zu kaufen, ({2}) oder ob wir das Geld nehmen, um den berechtigten Belangen der Landwirtschaft zu entsprechen. ({3}) Das ist die politische Frage, vor der wir stehen. ({4}) Wir haben Anträge gestellt, 200 Millionen DM für die Unfallversicherung einzustellen, weil wir die alte Last vom Bund abfinanziert haben wollen. ({5}) Es ist doch ein besonderes Zeichen der Qualität der rot-grünen Haushaltsberatung, dass gegen uns mit der Mehrheit von Rot-Grün 80 Millionen DM bei der Unfallversicherung gesperrt worden sind und bereits heute die Entsperrungsvorlage der Bundesregierung in den Fächern liegt. Ich weiß schon, warum das so ist. Man hat gemerkt, dass in Rheinland-Pfalz im nächsten Jahr Landtagswahlen anstehen ({6}) und dass bei einer nicht erfolgten Entsperrung die Beiträge vor der Landtagswahl raketenartig hätten erhöht werden müssen. Das ist keine solide Beratung des Haushalts, die von Ihnen geleistet worden ist. ({7}) Sie haben sich unserem Antrag verweigert, den Unterglasbetrieben wirksam zu helfen, und auch hier ist es ja klar, dass von den drei Gründen für die hohen Energiepreise zwei politisch von Ihnen, von der rot-grünen Mehrheit zu verantworten sind. Die Steigerung der Energiepreise wird durch die Knappheit, durch den schwachen Euro - Energie wird in Euro fakturiert - und durch die Ökosteuer verursacht. Es ist deswegen auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Politik, wenn sie diese Verantwortung für die hohen Energiepreise hat, auch für Kompensation sorgt. Deswegen haben wir unseren Antrag für die Unterglasbetriebe gestellt. ({8}) Sie verweigern sich unserem Antrag zur Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe. Wir wollen mit dem Antrag, 300 Millionen DM für BSE-Folgekosten einzustellen, ein Signal der Bereitschaft setzen, ({9}) und ich bin froh und dankbar, dass hierzu offensichtlich auch mit den zuständigen Ministern der Länder eine große Koalition der Vernunft auf dem Weg ist, ({10}) um den Bauern, die hier mit Milliardenverlusten unschuldig in die Misere geraten sind, wirksam zu helfen. ({11}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Rot-Grün traktiert die Bauern mit der Ökosteuer. Es ist ein besonderer Widerspruch, dass man bei Rot-Grün in Bezug auf die Ökosteuer offensichtlich bereit ist, in Europa im Alleingang voranzugehen, man aber, wenn es um die Gesundheitsvorsorge der Menschen geht, auf Europa warten will. ({12}) Das ist eine besondere Widersprüchlichkeit. Sie schikanieren die Landwirtschaft mit den Kürzungen der Gasölbeihilfe und mit der Erhöhung der Mineralölsteuer. In unserer Zeit zahlten die Bauern per Saldo 21 Pfennig Mineralölsteuer pro Liter Agrardiesel. Sie nehmen den Bauern jetzt 57 Pfennig ab. Das ist ungerecht; denn die Bauern haben weniger Mineralölsteuern gezahlt, weil die Traktoren und Mähdrescher eben nicht die Landstraße belasten, sondern weil sie die meiste Zeit auf den Feldern fahren. Deswegen haben die Bauern zu Recht weniger Mineralölsteuern gezahlt. ({13}) Ihr Haushalt wird den dramatischen Problemen der Landwirtschaft in Deutschland nicht gerecht. Die Bauern verdienen eine bessere Politik. Wir lehnen den Haushalt ab. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Uli Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht haben wir Grünen seit 20 Jahren auf einen grundlegenden Wechsel in der Agrarpolitik gedrängt. Am Beispiel von Herrn Hollerith sieht man, warum: Ihm klebt das Esso-Schild auf der Stirn und weist ihn so als einen Vorkämpfer für die Mineralölindustrie aus. ({0}) Wir aber setzen uns für die erneuerbaren Energien und für die Wettbewerbsfähigkeit von Pflanzenölen, also für Produkte der Landwirtschaft, ein. In der BSE-Krise wird auf traurige Weise deutlich: Die Industrialisierung der Agrarwirtschaft ist am Ende. Ich meine nicht den Betrieb in Schleswig-Holstein. Wer kommt denn auf solch blödsinnige Ideen? Ich meine die Industrialisierung in der Futtermittelindustrie. Was ist heute wieder passiert? In Rheinland-Pfalz wurde Tiermehl in Kälberfutter gefunden. ({1}) Dieser Zwang zur Industrialisierung, diese Art der Rohstoffproduktion, die zu den heutigen Strukturen geführt haben, legen den Schluss nahe: Diese Agrarwirtschaft ist am Ende. ({2}) Nur eine Landwirtschaft, die Gesundheit und den Verbraucherschutz in den Vordergrund stellt und gleichermaßen Rücksicht auf die Natur und auf eine artgerechte Haltung der Tiere nimmt, hat Zukunft. ({3}) Hinsichtlich BSE stand Zögern, Zaudern und Verharmlosen viel zu lange auf der Tagesordnung der nationalen und internationalen Politik. Die Folge ist eine klammheimliche Ausbreitung der Rinderseuche. Unter dem Strich kann man von einem maximalen Schaden für Verbraucher und Erzeuger sprechen. Neben vielen anderen Schlussfolgerungen ist daraus auch die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Ernährungspolitik und der Verbraucherschutz eine stärkere Stellung in der Landwirtschaftspolitik bekommen sollten. ({4}) Wir haben seit vielen Jahren dutzendweise Anträge, Anfragen und Initiativen in den Bundestag und in das Europäische Parlament eingebracht, in denen wir konkrete Vorschläge gemacht haben, wie die weitere Verbreitung von BSE zu stoppen ist. Ich erinnere beispielsweise an den Antrag, den wir am 18. April 1996 eingebracht haben und in dem stand: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ... die Verfütterung von Tiermehl an alle landwirtschaftlichen Nutztiere unverzüglich vollständig einzustellen und diese Forderung EU-weit umzusetzen. Am 13. Juni 1997 haben wir in einem Antrag explizit den Ausschluss von Risikomaterialien gefordert. Das hat die Regierung von CDU/CSU und F.D.P. aber abgelehnt. ({5}) Im Dezember 1999, also vor einem Jahr, haben wir auf einer Anhörung „Futtermittel im Fokus“ konkrete Maßnahmen für mehr Transparenz bei der Fleischetikettierung, die Umsetzung einer offenen Deklaration und die Herausnahme von Tiermehlen aus der Futterkette formuliert, und zwar in Anwesenheit von Vertretern der Futtermittelindustrie, die diese Maßnahmen rundweg abgelehnt haben. ({6}) Unser Ziel war es immer, vernünftige Vorschläge zu formulieren und Lösungen zu finden, die Übergänge beinhalten. ({7}) Jetzt, wo das notwendige Umsteuern zu lange herausgezögert worden ist, helfen nur noch die Notbremse und eine schmerzhafte Radikalkur. Die Bundesregierung hat sehr schnell auf den ersten BSE-Fall bei einem deutschen Rind mit den BSE-Tests und mit der Herausnahme der Tiermehle aus der Futterkette, was wir gemeinsam parteiübergreifend beschließen werden, reagiert. ({8}) Das genügt aber nicht; denn weitere Maßnahmen müssen kurzfristig erfolgen. ({9}) Die Herkunftskennzeichnung muss erweitert werden. Auch das ist schon angesprochen worden. Alle geschlachteten Rinder müssen getestet werden. Das muss die langfristige Zielsetzung sein und dazu müssen die Länder in die Lage versetzt werden. Alle Futtermittelbestandteile gehören deklariert. Herr Heinrich, ich kann mich erinnern, als die Präsidentin noch agrarpolitische Sprecherin war, ist dieses einmal eine Initiative von CSU und Grünen gewesen, die dann leider im Laufe der Jahre wieder gestoppt wurde. ({10}) Es gibt weitere Maßnahmen und Notwendigkeiten, zum Beispiel bei der Forschung. Aber das wird der Kollege sicherlich noch weiter ausführen. EU, Bund und Länder sind aufgefordert, die Umstellung auf den Anbau von Ersatzfuttermitteln und die Umstellung der Tierkörperbeseitigungsanlagen mit Sofortprogrammen zu fördern sowie die betroffenen Landwirte zu unterstützen. Da wird so verfahren, wie Minister Funke das dargestellt hat. Die Koalitionsfraktionen haben dazu heute einen Entschließungsantrag eingebracht, mit dem Ziel, den Anbau von eiweißhaltigen Futtermittelpflanzen auf Stilllegungsflächen zu ermöglichen. Das heißt, auf dem Agrarrat am nächsten Montag muss eine Öffnung in diesem Bereich erreicht und damit eine Perspektive für die Pflanzeneiweißversorgung eröffnet werden. Aber auch das reicht noch nicht aus. Nur mit einer radikalen Änderung der industriellen Produktionsweisen in der Agrarwirtschaft sind Verbrauchersicherheit und -vertrauen zurückzugewinnen. Die Lebensmittelproduktion insgesamt muss dabei das Vorsorgeprinzip immer in den Vordergrund stellen. ({11}) Industrielle und zukunftsfähige Landwirtschaft schließen sich weitgehend aus. Die Produkte, die wir durch diese Massenproduktion auf den Markt gebracht haben, sind nicht wettbewerbsfähig, wie man jetzt sieht. Die Zukunft der Landwirtschaft muss auf vier Säulen stehen. Erstens: die Verstärkung der ökologischen Lebensmittelerzeugung; wir werden in den nächsten Wochen einen konkreten Aktionsplan vorlegen. Zweitens: Marktorientierung und Verbraucherschutz; das beinhaltet auch die Durchsetzung erhöhter Erzeugerpreise und die Umschichtung der Agrarförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe und der Agenda 2000. Drittens: artgerechte Tierhaltung und gesunde Tierernährung. Viertens: erneuerbare Energien. Die Chancen, jetzt die richtigen Weichen zu stellen, stehen gut. Mit Andrea Fischer haben wir eine Ministerin, die die Interessen der Verbraucher durchsetzt. ({12}) Bei der neuen Politik unterstützen wir auch Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke, von dem wir erwarten, dass er diese Neuausrichtung der Landwirtschaft mit aller Kraft betreibt. Mit Gerhard Schröder haben wir erstmals einen Bundeskanzler, der klipp und klar sagt: Die Zeit der Agrarfabriken ist zu Ende, Perspektive hat nur noch eine verbraucherfreundliche Landwirtschaft. Darin werden wir diese Bundesregierung mit allen Möglichkeiten unterstützen. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe leider Gottes nur dreieinhalb Minuten. ({0}) Ich möchte mich deshalb sehr auf Ihre Rede konzentrieren, Herr Minister. Sie war enttäuschend und es war dem Anlass nicht entsprechend, was Sie zum Verbraucherschutz, was Sie unserer Landwirtschaft und unseren landwirtschaftlichen Betrieben gegenüber gesagt haben. Es klingt immer so, als wären die Bauern an dem Problem schuld. Die Bauern sind nicht schuld. ({1}) Herr Minister, hätten Sie doch ein Wort des Bedauerns darüber ausgesprochen, dass hier fast jeder landwirtschaftliche Betrieb in Mitleidenschaft gezogen wird, auch diejenigen, die überhaupt keine Rinder halten. Es wird eine extreme Preisexplosion auf dem Futtermittelmarkt geben. Ich sage Ihnen: Es hätte Ihnen gut angestanden, auch einmal die Tragweite dieses Gesetzes darzustellen. ({2}) Wir reden hier von 3 oder 4 Milliarden DM. Aber es wird sehr viel mehr kosten. Denn die Beseitigung des Tier- oder Fischmehls ist nur die eine Seite. Das andere, all das, was sich noch im Anschluss daran vollzieht, überblickt heute noch niemand. Hier wäre ein seriöses Wort angebracht gewesen. ({3}) Frau Kollegin Höfken, so zu tun, als wäre mit dem Tiermehlverbot jetzt eine andere Agrarpolitik eingeleitet, als hätten wir den Agrarfabriken den Kampf angesagt, das stellt ja doch wohl alles auf den Kopf. Als hätten wir BSE in Deutschland in einer Agrarfabrik gehabt! Wir haben es in einem ganz normalen mittelbäuerlichen Betrieb vorgefunden, der mit einer Agrarfabrik überhaupt nichts zu tun hat. ({4}) Nachdem wir noch nicht einmal wissen, wie die Infektionswege ablaufen, kann man auch nicht darüber reden, wer Schuld oder wer keine Schuld hat wer Verantwortung zu tragen hat und wer nicht. Unsere Bauern haben sich an Recht und Gesetz gehalten und sind jetzt, wie sich die gesamte Entwicklung von BSE seit 1985 darstellt, die Leidtragenden. ({5}) Man muss klar feststellen, dass die Bundesregierung ausgesprochen kopflos gehandelt hat. Sie hat zu keiner Zeit die Souveränität ausgestrahlt, die sie hätte haben müssen, ({6}) obwohl die Wissenschaft klar gesagt hat, dass für Deutschland eine BSE-Freiheit nicht garantiert werden kann. Sie hat keine vorbeugenden Maßnahmen getroffen; das Kabinett ist wie ein Hühnerhaufen durcheinander gelaufen und jeder hat etwas anderes gesagt. ({7}) Die Bauern und die Verbraucher sind auch durch die Politik dieser Bundesregierung verunsichert. Das Kabinett hat keine einzige vorbeugende Strategie gefahren. Wenn der Bundeskanzler heute so tut, als wäre jetzt eine andere Agrarpolitik eingeleitet, irrt er ganz gewaltig. Durch die jetzigen Maßnahmen ist nichts darüber gesagt, wie die zukünftige Agrarpolitik aussehen wird. Fest steht nur, dass die Preise für Futtermittel massiv steigen, viele Verwertungsstränge ausfallen und die Betriebe - unabhängig von ihrer Größe - hinsichtlich ihrer Rentabilität ganz gewaltig unter Druck geraten werden. Insofern ist der vorgelegte Gesetzentwurf für mich nicht schlüssig. Er enthält Widersprüche und erfasst nicht die finanziellen Auswirkungen. ({8}) Ich bin gespannt, ob die Bauern, die absolut unschuldig in eine existenzvernichtende Situation geraten sind, in dieser Sache nicht entsprechende Regressansprüche einklagen werden. Sie werden von den Landwirten keine Anrufe bekommen, diese bekommen wir. ({9}) Die Lage der Landwirtschaft hat durch Ihre Politik und das BSE-Problem eine Dramatik angenommen, die ihresgleichen sucht. Ich bin gespannt, was hier noch auf die Regierung zukommen wird. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Heinrich, ich bitte Sie, jetzt wirklich zum Schluss zukommen.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich werde dem Gesetzentwurf deshalb nicht zustimmen und mich der Stimme enthalten. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wodarg. ({0})

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nur wenig Zeit und möchte deshalb vier Punkte besonders herausstellen. Zum einen freue ich mich darüber, dass in die Neuregelung nicht nur das Tiermehl, sondern auch die Fette mit einbezogen wurden. Ich erwähne diesen Punkt aus aktuellem Anlass. Sie wissen, dass ich an dieser Stelle mehrfach davor gewarnt habe, die Milchaustauscher mit tierischen Fetten anzureichern. ({0}) Das einzige Risiko, das sich jetzt bei dem Rind aus dem schleswig-holsteinischen Betrieb gezeigt hat, ist die Tatsache, lieber Herr Carstensen - dazu hätten Sie längst etwas tun können -, dass es mit Milchaustauschern gefüttert wurde. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Carstensen, der Kollege Wodarg hat wirklich nur drei Minuten Zeit. Ich bitte Sie, das zu beachten. ({0})

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wahrscheinlich ist dieses Rind damit durch die Milchaustauscher infiziert worden. ({0}) - Ich bitte, das auf meine Zeit anzurechnen - Herr Carstensen, Sie können sich ja zu einer Zwischenfrage melden. ({1}) - Ich kann verstehen, dass Herr Carstensen sich hier sehr getroffen fühlt, weil er als Ausschussvorsitzender - ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt muss ich aber doch einmal ein bisschen dafür sorgen, dass der Lärmpegel fällt. ({0}) Insbesondere ist es schwierig, wenn Kollegen nur sehr kurze Redezeit haben. Es sind nur noch drei Minuten. ({1}) Dann müssen Sie eine Zwischenfrage stellen, damit man das noch hören kann. ({2})

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weise darauf hin, dass in den Milchaustauschern tierische Fette sind. Ich habe das hier schon dreimal gesagt. Bisher ist nichts geschehen. Jetzt geschieht etwas. Das machen wir gemeinsam, und darüber freue ich mich. ({0}) Das Zweite, was wichtig ist, haben wir eben vom Landwirtschaftsminister gehört: Jetzt, wo auf EU-Ebene eine gemeinsame Strategie entwickelt und Tiermehl verboten wird, besteht die Möglichkeit, die risikoreichen Importe aus Drittländern in Angriff zu nehmen. In den Jahren 1990 bis 1995 sind über 800 000 Tonnen Tiermehle aus der EU in die Nachbarländer Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei exportiert worden. In der gleichen Zeit ist risikoreiches Fleisch importiert worden, insgesamt fast 800 000 Rinder. In Deutschland sind allein 86 000 Tonnen Rindfleischkonserven aus Ländern verkauft worden, bei denen wir überhaupt nicht wissen, was dort verfüttert worden ist. Das muss ein Thema werden. Wenn wir von Risiken reden, dann sollte das mit auf die Tagesordnung. Das halte ich für wichtig. Ein dritter Punkt, den wir beachten müssen: Wenn wir jetzt flächendeckend Tests machen, ({1}) dann sollte uns bewusst sein, dass jeder gefundene BSEFall mehr Sicherheit bedeutet. Das war bisher nicht selbstverständlich. Man hatte Angst vor jedem Fall, der gefunden wurde. Es ist in der Schweiz so gewesen und wir sollten es uns zum Prinzip machen, dass die Landwirte und die Tierärzte, die den Fall melden, nicht bestraft, sondern gelobt werden. Wir müssen ihnen sagen: Gut habt ihr das gemacht! - Und wir müssen die Landwirte entsprechend entschädigen, damit sie nicht aus Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen weiterhin die Fälle verschweigen. ({2}) Das, denke ich, sind drei wichtige Dinge. Mir reicht leider die Zeit nicht. Ich bedaure sehr, dass diese wirklich sachlichen Argumente, die ich hier vorzutragen versucht habe, durch diese Pöbeleien von der rechten Seite untergegangen sind. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Albert Deß.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Schnellverfahren wurde von der rot-grünen Mehrheit ein Gesetzestext vorgelegt, der unausgegoren, mehr als mangelhaft und nicht zu Ende gedacht ist. ({0}) - Herr Schmidt, wir werden als Union zwar mit Mehrheit zustimmen, die Verantwortung für das Gesetz aber ({1}) muss die rot-grüne Koalition in diesem Hause übernehmen. ({2}) Mit Sachverstand ist dieser Gesetzentwurf nicht geschrieben worden. ({3}) Deshalb darf man uns dafür nicht in Haftung nehmen. ({4}) Man braucht kein Prophet zu sein, um vorherzusagen, dass dieses Gesetz nachgebessert oder durch Eilverordnungen ergänzt werden muss. Von Krisenmanagement kann man im Bundeslandwirtschaftsministerium nicht sprechen. Laut AFP-Meldung vom 27. November heurigen Jahres sagte die Agrarsprecherin der Grünen, Uli Höfken, Funke richte mit seinem Vorgehen massiven Schaden an. Sein Vorgehen sei nicht realitätsbezogen. - Wo Uli Höfken Recht hat, hat sie Recht. ({5}) Auch wenn für mich in den ersten Tagen nicht die finanziellen Auswirkungen im Vordergrund stehen, sondern der Gesundheitsschutz, so litt Minister Funke doch unter Realitätsverlust, als er in der „Bild“-Zeitung sagte, die Existenz der Bauern stehe nicht auf dem Spiel. Wer so daherredet, wird seiner Verantwortung als Bundeslandwirtschaftsminister nicht gerecht. ({6}) Eine solche Denkweise reiht sich in eine Kette von Fehlentscheidungen dieser Bundesregierung im Agrarbereich ein. Über die anderen Bereiche will ich nicht reden. Der Bundeskanzler fordert jetzt eine andere Agrarpolitik; doch gerade er hat mit seiner überhasteten Zustimmung zur Agenda 2000 eine Agrarpolitik unterstützt, deren Konsequenzen wir jetzt zu tragen haben. ({7}) - Das könnt ihr doch nicht abstreiten. ({8}) Ihr habt der Agrarpolitik zugestimmt, mit der wir es jetzt zu tun haben. Dafür könnt ihr keine Vorgängerregierung verantwortlich machen. Mit der Agenda 2000 wurde im Interesse unserer Agrarindustrie eine Weichenstellung hin zu Weltmarktpreisen vorgenommen. Mit der Würde unserer Bauern hat eine solche Agrarpolitik nichts mehr zu tun. ({9}) Wer wertvolle Agrarprodukte zu Ramschpreisartikeln verkommen lässt, der macht sich für Entwicklungen mitverantwortlich, wie sie jetzt mit der BSE-Krise zum Ausdruck kommen. Wo sind denn heute die Wirtschaftsjournalisten, die schlauen Agrarprofessoren, unsere Wirtschaftsbosse, die Kommissare und leider auch viele Politikerkollegen, die unsere bäuerliche Landwirtschaft einer Agrarindustrie opfern wollen? Sind sie nicht mitverantwortlich für die Gesundheitsgefährdung unserer Bürgerinnen und Bürger? Herr Schmidt, damit das zwischen uns klar ist: Ich sage das parteipolitisch vollkommen neutral. ({10}) Bei Minister Funke sehe ich keinen Ansatz für eine Agrarpolitik, die unseren Bauern eine Zukunftsperspektive bietet. Seit er Minister in Bonn bzw. in Berlin ist, hat er seine früheren Aussagen weitgehend über Bord geworfen. Auch deswegen gilt für ihn heute das agrarpolitische Credo: Wachsen oder weichen. 5 Prozent Höfesterben sind für ihn ganz normal. Auch der agrarpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, der liebe Kollege Matthias Weisheit, hat hier vor kurzem einen beschleunigten Strukturwandel eingefordert.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Deß, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Christa Nickels?

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Warum nicht? Ja.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie machen hier dieser Regierung Vorwürfe. Sie sprechen vom Vorrang von Verbraucherinteressen und reklamieren Sicherheit. Wie kommt es dann zustande, dass Frau Stamm und damit die Bayerische Staatsregierung, als es um die der Richtlinie der Europäischen Union betreffend die Herausnahme der Risikomaterialien ging, auch bei der Bundesregierung dahin gehend interveniert haben, dass man das nicht tun solle, weil es zu teuer sei? Was hat das mit Verbraucherinteressen zu tun? Erklären Sie mir einmal diesen Widerspruch! ({0})

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Nickels, Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass es der bayerischen Staatsministerin darum gegangen ist, zu klären, wer die Kosten für die Herausnahme dieser Risikomaterialien übernimmt. ({0}) Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass die Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen - soweit ich weiß, gehört sie zu Bündnis 90/Die Grünen - dieser Bundesregierung vorgeworfen hat, beim Thema BSE zwei Jahre verschlafen zu haben. ({1}) Bevor Minister Funke noch mehr bäuerliche Betriebe versenkt, soll er lieber selber von Bord gehen; andernfalls geht das ganze Agrarschiff unter. Der Bundeskanzler kann bei den Themen Osterweiterung und WTO zeigen, ob er seinen Worten Taten folgen lässt. Vor den Verhandlungen zur Agenda 2000 hat er ebenfalls große Töne gespuckt; umgesetzt hat er aber nichts. ({2}) Ich fordere alle politisch Verantwortlich dazu auf, über Parteigrenzen hinweg an einem besseren europäischen Agrarmodell zu arbeiten. ({3}) Unsere Bauern dürfen nicht den Globalisierungsstrategien geopfert werden. In der Rede von Frau Höfken waren durchaus Ansätze, denen ich nicht widerspreche. ({4}) Die von vielen zum neuen Glaubensbekenntnis erhobene Globalisierungsstrategie hat bisher vor allem im Agrarbereich weltweit Schäden hinterlassen. Wir brauchen ein Denken in regionalen Kreisläufen, um dem Würgegriff der Agrarindustrie zu entkommen. Nachhaltigkeit muss im Vordergrund stehen. Wie sagte doch der frühere EU-

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die BSE-Krise wirklich ein Unfall der Natur ist. Ist die BSE-Geschichte nicht vielmehr die Folge eines Landwirtschaftsmodells, das auf Produktivität um jeden Preis ausgerichtet ist? Die Konsequenzen dieser Produktionsweise zu minimalen Kosten setzen die Grundgesetze der Natur außer Kraft und führen letztendlich zu höheren Belastungen für die Gesellschaft. Insofern hat der Kommissionspräsident Recht, aber umgesetzt hat er von dem, was er gesagt hat, leider nichts. Wir sollten heute gemeinsam darüber nachdenken, ob es für unsere Bauern zumutbar ist, dass sie zu Preisen produzieren müssen, die unter den Preisen vor 30 oder 40 Jahren liegen. Ein durchschnittlicher Industriearbeiter musste, um 6 Kilogramm verschiedene Grundnahrungsmittel - ich will jetzt die einzelnen aus Zeitgründen nicht aufzählen - kaufen zu können, 1960 acht Stunden und 20 Minuten arbeiten, dagegen 1997 - von diesem Jahr habe ich die letzten statistischen Zahlen - nur noch zwei Stunden und neun Minuten. Eines muss man hier sagen: Eine Ernährung zum Nulltarif kann es nicht geben. Wenn wir eine Lehre aus der jetzigen Krise ziehen, dann die, dass wir gemeinsam daran arbeiten müssen, in Europa ein Agrarmodell zu verwirklichen, durch das unsere Bauern eine Chance und unsere Verbraucher sichere Nahrungsmittel erhalten. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer sie persönlich betreffenden Äußerung in der Debatte erhält jetzt die Kollegin Uli Höfken das Wort zu einer Kurzintervention.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin Albert Deß dankbar, dass er mir die Gelegenheit zu zwei Korrekturen gibt. Die erste Korrektur bezieht sich auf das Zitat meiner Aussage gegenüber Minister Funke. Von diesem Zitat habe ich dank Albert Deß gestern erfahren. Es geht um die Meldung einer Agentur, in der es heißt, dass ich gesagt hätte, Minister Funke richte Schaden an. ({0}) - Es mag ja sein, dass du das findest. - Allerdings habe ich mich sofort falsch zitiert gefühlt; ich bin auch wirklich falsch zitiert worden. Ich habe nämlich gesagt, dass die Rücknahme der Eilverordnung in der Öffentlichkeit und beim Verbraucher durch Verwirrung entsprechenden Schaden anrichte. Das ist zusammengezogen worden, sodass das durchaus nicht im Sinne meiner Äußerung war. ({1}) Bei einer zweiten Äußerung meinerseits ist es genauso. Ich bin gefragt worden, ob ich finde, dass man sagen könne, dass Deutschland BSE-frei sei. Darauf habe ich gesagt, nein, ich finde nicht, dass das realitätsnah ist. Daraus ist geworden, dass Funke nicht mehr realitätsbezogen sei. Auch das ist eine ganz andere Aussage. ({2}) - Aber, wie gesagt, ich habe von dieser Meldung erst zwei Tage später erfahren. Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen. Albert Deß hat eben gesagt, die bayerische Ministerin habe aus Kostengründen die Herausnahme der Risikomaterialien abgelehnt. Dazu muss ich sagen, dass es in der wörtlichen Darstellung der Rede der bayerischen Staatsministerin in der „Süddeutschen Zeitung“ heißt: Die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 29. Juni - da geht es um diese Risikomaterialien ... lehnt Bayern aus rechtlichen und fachlichen Gründen ab. Die beschlossenen Maßnahmen sind geeignet, den Verbraucher zu verunsichern. Weiter heißt es: Bayern fordert deshalb die Bundesregierung auf, fristgerechte Klage zu erheben und die einstweilige Aufhebung der Entscheidung beim Gerichtshof zu beantragen. Danke. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte, Herr Kollege Deß.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Höfken, ich nehme zur Kenntnis, wenn Sie sagen, dass hier falsch zitiert worden ist. Ich habe das Zitat der Presse entnommen. Du hast mir nicht gesagt, dass es falsch ist. ({0}) Ich muss zu dem gegen Bayern gerichteten Vorwurf sagen: Ich stehe hier nicht für die bayerische Staatsministerin. ({1}) - Ich kann doch nicht für jede Aussage geradestehen, die in München gemacht wird, zumal wenn ich davon nichts selber in Händen halte. Aber ich stelle hier Folgendes fest, wenn ich dies in aller Ruhe hier sagen darf: Bitte nennt mir ein rot-grün regiertes Bundesland, in dem im Hinblick auf BSE mehr Untersuchungen vorgenommen worden sind als in Bayern. ({2}) In Bayern sind in den letzten Jahren Untersuchungen an 4 000 Tieren vorgenommen worden, die abgeschlachtet worden sind. Dabei handelte es sich um so genannte Importrinder aus der Schweiz und aus Großbritannien. Kein Bundesland hat diese Abschlachtungen so konsequent durchgeführt wie der Freistaat Bayern. ({3}) Unter diesen 4 000 untersuchten Rindern war das berühmte Rind „Maise“ aus der Schweiz, bei dem BSE festgestellt wurde. Darüber hinaus wurden 9 740 Rinder untersucht, die verdächtige Krankheitsanzeichen zeigten. Bei diesen 9 740 Rindern hat sich kein Verdacht auf BSE ergeben. Bayern hat aus seiner Sicht also alles für den Gesundheitsschutz getan. ({4}) Ich fordere - dies noch in aller Kürze -, dass diese Bundesregierung darüber nachdenkt, wie unsere Verbraucher noch besser geschützt werden können. Ich habe vor kurzem gefordert, dass die für alle Rinder DNA-Analyse eingeführt wird. Hier kann die Bundesregierung eine Vorreiterrolle übernehmen. Herr Minister Funke, dadurch könnte die Abstammung jedes Rindes mit Sicherheit fehlerfrei festgestellt werden. Ich fordere darüber hinaus die offene Deklaration von Futtermitteln, verbunden mit dem Nachweis, aus welchen Ländern die einzelnen Komponenten stammen. ({5}) Außerdem fordere ich die Bundesregierung auf, massiv dafür einzutreten - der Minister hat das angekündigt -, dass Importe aus Ländern verboten werden, in denen nicht nach unseren Standards erzeugt und untersucht wird. Nur so können wir die Verbraucher entsprechend schützen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Weisheit.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht gelingt es mir als vorletztem Redner, in dieser nicht sehr angenehmen Situation noch einmal auf die Sache zurückzukommen, um die es heute geht. In dieser Woche hat sich bei diesem Thema Gemeinsamkeit gezeigt. Dafür möchte ich mich bei den Oppositionsparteien ganz ausdrücklich bedanken. Vor allem möchte ich den Kollegen des Agrarausschusses dafür danken,dass sie diesem Gesetzentwurf - wie der Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr gesagt hat: mit gewissen Bauchschmerzen -zugestimmt haben. ({0}) Dafür danke ich Ihnen nochmals ausdrücklich. Durch dieses Gesetz tun wir das, was nach dem ersten originären BSE-Fall in Deutschland notwendig ist: Wir nehmen das Tiermehl, das nach allen bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich der infektiöse Auslöser dieser Krankheit ist, aus der Nahrungsmittelkette heraus. Dadurch können wir in Zukunft Infektionen verhindern und beim Verbraucher für Sicherheit und Vertrauen sorgen. Das ist im Sinne unserer Landwirte. Ich halte das, was wir diese Woche auch mit Ihrer Hilfe hier geschafft haben, für sehr wichtig. Dafür nochmals herzlichen Dank! ({1}) Im Zusammenhang mit diesem BSE-Fall gab es in der veröffentlichten Meinung wie auch hier im Hause - und auch während dieser Debatte - Reaktionen, die mich als einen Agrarpolitiker, der diese Debatten, seitdem es BSE gibt, mitverfolgt und mitbestritten hat, wirklich fürchterlich geärgert haben. Ich muss sagen: Das Maß an Heuchelei ist - so wie es der Minister gesagt hat - nicht zu überbieten. ({2}) Ich kann mich noch an die Debatten mit dem Kollegen Seehofer erinnern. Ich war bestimmt einer seiner schärfsten Kritiker; ich habe aber nie gefordert, er solle zurücktreten, weil er sich in der EU nicht durchsetzen konnte. Wir alle wissen doch, dass wir alleine gegen Gemeinschaftsrecht nichts machen können. Bei dem, was in dem Zusammenhang heute hier gesagt wurde, hört der Spaß wirklich auf. Für meine Fraktion und für die Grünen erkläre ich ausdrücklich: All dieses Gerede, Minister Funke und Ministerin Fischer hätten hier versagt und hätten schlechte Politik gemacht, ist falsch. Wir stehen hinter diesen beiden Ministern. ({3}) Wenn es Grund zur Kritik gibt und Eingeständnisse erforderlich sind, dann müssen wir alle uns selbst an die Nase fassen: Wir alle haben zu lange geglaubt, es reiche aus, die Tiermehlverfütterung an Wiederkäuer - die deutschen Sicherheitsstandards beim Tiermehl sind anerkannt hoch - zu verbieten, um die Bundesrepublik vor BSE zu bewahren. ({4}) - Ich spreche von den Agrarpolitikern und nicht von Ihnen, Frau Widmann-Mauz. - Wir sind eines Besseren belehrt worden. Wir haben einsehen müssen, dass in einem offenen Europa Tiermehl herumgekarrt werden kann. Wenn ich dann in der Zeitung lese, dass eine Charge Rinderfutter „aus Versehen“ mit Tiermehl versetzt worden ist und so beim Empfänger ankam, kann ich nur feststellen: Hier sind wahrscheinlich doch kriminelle Machenschaften im Spiel. - Wir können nichts Besseres tun, als dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen, um in Zukunft die Tiermehlverfütterung zum Schutz der Verbraucher und zum Schutz der Bauern zu unterbinden. ({5}) Zum Schluss noch einen Satz zu den Entschädigungen - die Redezeit rennt mir davon; das meiste dazu hat der Minister schon ausgeführt -: Es ist völlig selbstverständlich, dass wir in dieser Frage die Bauern und auch diejenigen, die für die Entsorgung verantwortlich sind, nicht allein lassen können. ({6}) - Diesen Antrag werden wir im zuständigen Ausschuss beraten; das ist gar keine Frage.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, bitte nicht mehr diskutieren!

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber die Verbraucher - das muss ebenso festgestellt werden - werden natürlich für Fleisch mehr zahlen müssen. Denn in deren Sinne und für deren Sicherheit passiert das Ganze. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Annette Widmann-Mauz.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst ein paar Worte an den Kollegen Wodarg richten: Zunächst finde ich es sehr schön, Herr Kollege Wodarg, dass Sie Sachlichkeit eingefordert haben. Ich bin gespannt, wie Sie sich nachher in der Abstimmung über den vorliegenden Antrag der Union verhalten werden. Denn viele der Maßnahmen, die Sie hier als sachlich richtig bezeichnet haben, sind in diesem Antrag enthalten. Wie Sie sich heute in der Abstimmung verhalten werden, zeigt, wie glaubwürdig Sie sind. ({0}) - Lieber Kollege Wodarg, ich wäre vorsichtig, sich mit solchen Zurufen zu Wort zu melden. Noch vor zwei Wochen haben Sie uns, als wir im Gesundheitsausschuss unter einem ganz anderen Gesichtspunkt der Lebensmittelsicherheit über das Thema BSE gesprochen haben, Panikmache vorgeworfen. ({1}) Gerade angesichts der Entwicklungen in unserem Land seit letztem Freitag sollten Sie mit solchen Äußerungen vorsichtig sein. Wer über den Haushalt von Minister Funke sprechen will, darf über BSE nicht schweigen. Denn enorme Kosten kommen auf Bund, Länder und Kommunen, auf die Landwirtschaft und die Industrie sowie auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zu. Der Einzelplan des Landwirtschaftsministers berücksichtigt leider nichts davon. Die Ängste der Menschen sind groß; das Wissen über BSE ist klein. Die Reaktionen der rot-grünen Bundesregierung auf die ersten BSE-Fälle in Deutschland sind leider unprofessionell und unkoordiniert. ({2}) Die BSE-Epidemie ist von der Bundesregierung völlig unterschätzt worden. Das hat selbst Ministerin Fischer in ihrer heutigen Rede zum Haushalt klar eingeräumt. Allein ihre Aussage, jetzt sei es an der Zeit, ehrlich zu sein, zeigt, wie zögerlich die Bundesregierung die BSE-Problematik behandelt. Sie haben absolut leichtfertig gehandelt und sich trotz wissenschaftlich fundierter Warnungen und nicht auszuschließender Risiken der Aufhebung des Importstopps durch die EU-Kommission unterworfen. Die Bundesregierung hat den Importstopp aufgehoben, obwohl letzte Zweifel nicht beseitigt waren. Im Gegenteil: Selbst die neuen BSE-Fälle in Großbritannien und Frankreich haben Sie schlichtweg ignoriert. Die Bundesregierung hat den vorsorgenden Verbraucherschutz unterlaufen und das damit verbundene Risiko für die Konsumenten billigend in Kauf genommen. ({3}) Sie haben im Gegensatz zu Frankreich - daran hätten Sie sich ein Beispiel nehmen können - die Marktinteressen über den Verbraucherschutz gestellt. Wenn die europäische Ebene beim Verbraucherschutz versagt, dann ist ein Handeln einzelner Mitgliedstaaten gerechtfertigt. Im Übrigen sieht das ja eine Kollegin der Grünen, die Mitglied des Gesundheitsausschusses ist, so wie wir: Sie stimmt bei Abstimmungen zu diesen Fragen mit uns, enthält sich oder muss den Raum verlassen. ({4}) Die Bundesregierung muss endlich auf die sichere Seite kommen und dem Verbraucherschutz Rechnung tragen. Verbraucherschutz muss in Deutschland endlich wieder ernst genommen werden; denn jetzt gibt es BSE auch hier. Die Gefahren durch BSE sind so groß, dass selbst Sie, Herr Funke, inzwischen erkannt haben, dass sofort gehandelt werden muss. Auch die Grünen müssen sich jetzt zu einer einheitlichen Linie durchringen. Fischer hier, Höhn da - so geht es in Zukunft nicht mehr weiter. ({5}) Auch Sie müssen Ihrer Schutzpflicht für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland endlich nachkommen. Wir fordern von Ihnen ein umfassendes Sofortprogramm. Wir müssen umgehend alle notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen, um die größtmögliche Sicherheit vor BSE zu gewährleisten und das Vertrauen in unsere landwirtschaftlichen Produkte wiederherzustellen. Wir brauchen ein umfassendes Importverbot für Rinder, Schafe und Ziegen aus Ländern mit regelmäßigem BSEVorkommen. ({6}) Wir brauchen ein umfassendes Importverbot für deren Fleisch und die daraus hergestellten Erzeugnisse. Wir müssen auch am Exportverbot für Rindfleisch aus Portugal festhalten. ({7}) Sie haben uns in den vergangenen Monaten immer wieder Panikmache vorgeworfen und sich allein auf die Kennzeichnungspflicht verlassen. Sie haben das Junktim hergestellt, dass wir keine Importverbote bräuchten, wenn wir eine lückenlose Kennzeichnung hätten. Das war Ihr Prinzip. Den Fachleuten war von Anfang an klar: In Europa ist die Kennzeichnungsregelung für Rindfleisch und die daraus hergestellten Produkte unzureichend und die Umsetzung lückenhaft. Warum ziehen Sie daraus denn keine Konsequenzen? Ihr Junktim existiert doch de facto nicht. Wir fordern seit Monaten ein umfassendes Importverbot für Rinder sowie deren Fleisch und daraus hergestellten Fleischerzeugnisse aus Großbritannien. Wenn es sein muss, sollte man das auch im nationalen Alleingang durchsetzen; denn nur so lässt sich auf europäischer Ebene die sofortige obligatorische umfassende Kennzeichnung des Rindfleisches und der Rindfleischprodukte bezüglich Geburts-, Mast-, Schlacht- und Zerlegungsort des Tieres wirkungsvoll durchsetzen. Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen, diese Maßnahme sei „blödsinnig“ - wie Herr Kollege Wodarg es im Ausschuss formuliert hat -, und auf der anderen Seite mit genau dieser Maßnahme drohen und auf der europäischen Ebene für Druck sorgen. Da widerspricht sich Ihr Verhalten doch wohl vollkommen. ({8}) Wir müssen heute prüfen, inwieweit diese Kennzeichnungspflichten auch auf Schaf- und Lammfleisch sowie auf weitere Produkte von Schafen und Ziegen auszudehnen sind. ({9}) Die Verfütterung von kontaminiertem Tiermehl ist ein möglicher Übertragungsweg für BSE. Diese Gefahrenquelle kann nur durch ein europaweites Verbot der Verfütterung von Tiermehl gebannt werden. ({10}) - Hören Sie doch einmal zu! Das sind gute Vorschläge, die die Regierung umsetzen könnte. ({11}) Wir unterstützen in unserem Antrag, den wir eingebracht haben, ein umfassendes EU-weites Tiermehlverfütterungsverbot, weil Infektionen und Kreuzkontaminationen nicht ausgeschlossen sind. Wir sind aber der Meinung, dass dies nur eine von vielen Maßnahmen sein kann, um ausreichenden Schutz zu bieten. ({12}) - Ihre Zwischenrufe werden Sie den Verbrauchern erklären müssen. ({13}) Wir brauchen die Schnelltests, und zwar nicht nur schnell, sondern sofort. Sie müssen flächendeckend an allen geschlachteten Rindern in Deutschland eingesetzt werden. ({14}) Auch hier muss die EU möglichst schnell nachziehen. Der von der EU bislang vorgesehene Untersuchungsumfang reicht aus unserer Sicht noch nicht ganz aus. Es muss unverzüglich mit den Untersuchungen von Schlachttieren begonnen werden. Die Untersuchung muss alle Schlachttiere ab einem Alter, ab dem wissenschaftliche Aussagen möglich sind, umfassen. Es darf nicht bei den 30 Monaten bleiben. ({15}) Weiterhin muss die Erforschung von BSE, TSE, der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und ihrer Varianten endlich konsequent vorangetrieben werden. Das umfasst auch die Weiterentwicklung der Schnelltests sowie Bluttests für lebende Tiere. Das Forschungsprogramm muss intensiviert werden. Das kostet Geld. Dieses Geld muss jetzt bereitgestellt werden. Es entstehen vielfältige Kosten; die Landwirte sind schon jetzt - allein durch die Diskussion über BSE - dramatisch betroffen: Absatzeinbrüche, hohe Futtermittelkosten und steigende Entsorgungskosten verstärken die enormen Einkommenseinbußen, unter denen die Landwirtschaft, seitdem Sie an der Regierung sind, ohnehin schon genug leidet. Ersten Betrieben droht das Aus. Deshalb müssen wir über finanzielle Soforthilfen und Ausgleichsmaßnahmen sprechen, und zwar auf europäischer und auf nationaler Ebene. Wir fordern ein umfassendes finanzielles Hilfsprogramm für die betroffene Landwirtschaft. Herr Funke, gestern haben Sie im Ausschuss eine finanzielle Unterstützung des Bundes in Aussicht gestellt. Werden Sie in dieser Frage endlich konkret; denn es handelt sich um eine nationale Herausforderung. Wir stimmen heute dem Tiermehlverfütterungsverbot zu. Das ist aber nur ein erster Schritt. Unser Entschließungsantrag weist konsequent auf weitere notwendige und sinnvolle Maßnahmen hin. Deshalb zögern Sie heute nicht schon wieder, sondern beweisen Sie Glaubwürdigkeit, liebe Frau Höfken: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu! Sie haben in Ihrer Rede mehrere Punkte angesprochen, die sich genau so in unserem Antrag wiederfinden. Beweisen Sie heute die Glaubwürdigkeit, die Sie immer einfordern. Spätestens seit dem letzten Freitag herrscht eine tiefe Verunsicherung in der Bevölkerung; denn unsere heimischen Produkte und unsere Landwirtschaft stehen unter einem pauschalen Verdacht. Das ist weder sachlich noch gerechtfertigt. Aber Fakt ist: Es gibt keine pauschale Sicherheit mehr. Aus dieser Vertrauenskrise mit all ihren schlimmen Folgen kommen wir nur mit ganz konkreten Schritten wieder heraus. Landwirtschaftliche Interessen und unsere Gesundheit sind kein Widerspruch. Vielen Dank. ({16})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält der Herr Kollege Wodarg das Wort.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Widmann-Mauz, Sie haben wieder ein Importverbot gefordert und gesagt, wir sollten Ihren Antrag unterstützen. Sie verkennen offenbar weiterhin, dass ein Importverbot innerhalb der EU völliger Schwachsinn ist, weil wir ehrlicherweise - endlich - davon ausgehen, dass sowohl das gefährliche Tiermehl als auch die Waren im freien Wirtschaftsraum Europa frei verteilt werden. Wir haben jetzt die Basis, um epidemiologisch vernünftig zu handeln, vernünftige Konzepte zu machen und nichts Notwendiges auszulassen. Wir müssen grundlegend an das Problem herangehen und dürfen nicht wieder anfangen, nur ein Land als das schwarze Schaf anzusehen und gewissermaßen rituelle Handlungen zu vollziehen, wie wir es schon einmal gemacht haben, als zum Beispiel die extensiv gehaltenen Rinder, die nun wirklich am wenigsten gefährdet sind, weil sie nicht mit Tiermehl gefüttert werden, in Bayern geschlachtet wurden. Wir dürfen keine Ersatzhandlungen vornehmen, sondern wir müssen wissenschaftlich begründet handeln. Es ist nun einmal so, dass in ganz Europa BSE-Fälle auftreten. Je mehr gesucht wird, desto mehr findet man. Wir haben laut gerufen, wir seien BSE-frei. Jetzt suchen wir und finden welche. Das müssen wir ehrlich zugeben. Ein Importverbot ist Quatsch. Deshalb ist dieser Teil Ihres Antrags Blödsinn. Wir werden uns im Ausschuss über die anderen, zum Teil vernünftigen Vorschläge unterhalten können. Aber Ihren Antrag müssen wir ablehnen, weil er populistische Elemente enthält, die wir nicht unterstützen. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Wodarg, ich finde es schön, dass Sie Ihre Aussage wiederholt haben. Sie konterkarieren selbst hier im Plenum des Deutschen Bundestages die Politik Ihrer eigenen Bundesgesundheitsministerin. Sie tritt doch auf der europäischen Ebene, wie sie uns immer versichert, mit der Drohung auf, das nationale Importverbot wieder einzuführen, wenn keine umfassende Kennzeichnungspflicht eingeführt wird. ({0}) Wie muss diese Äußerung von Ihnen, Mitglied der tragenden Regierungsfraktion, auf die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wirken, wenn Sie diese Maßnahme als „völligen Schwachsinn“ und „Quatsch“ bezeichnen? ({1}) - Nein, er hat „Schwachsinn“ gesagt. Das werden Sie im Protokoll nachlesen können. Sie haben damit die Verantwortung für eine Gefahrenquelle übernommen. Wir haben nie behauptet, dass unser Antrag den umfassenden Schutz bringt. Aber wir sind in der Lage, jede Gefahrenquelle, die wir kennen, auszuschalten. ({2}) Sie nehmen bewusst in Kauf, eine Gefahrenquelle nicht auszuschalten. Das verstehen auch Ihre Kollegen von den Grünen im Ausschuss nicht. Hier gibt es einen Dissens. Ich habe nicht gesagt, dass wir den Importstopp nur für Großbritannien wollen, sondern wir wollen ihn für alle Ländermit regelmäßigem BSE-Vorkommen. Sie können die Gefahren durch BSE, die es auch in Frankreich gibt, doch nicht einfach negieren. Ich frage mich: Leben Sie immer noch in der Zeit vor dem letzten Freitag, in der Zeit vor Ihrem Regierungsantritt? ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Es besteht der Wunsch des Abgeordneten Norbert Schindler nach einer Erklärung zur Abstimmung. - Erklärungen zur Abstimmung sind Abgeordnetenrecht. Das steht jedem Abgeordneten zu.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde dem Gesetz zum Verbot der Tiermehlverfütterung in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Meine Erklärung dafür: Wie erklären wir draußen, die Schwarte, die wir am Stück Fleisch abschneiden, muss in die Sonderversorgung - so ist es formuliert -, und das andere Stück Fleisch wird zum menschlichen Verzehr absolut empfohlen und zugelassen? Es ist schon etwas schizophren, wie hysterisch derzeit die Diskussion läuft ({0}) und dass wir unter öffentlichem Druck - natürlich mit Recht - ein Gesetz verabschieden. Ich begrüße ausdrücklich das Verbot im Zusammenhang mit Tierkadavern. Dahinter stehe ich unbedingt. Aber mit diesem Gesetz schütten wir das Kind mit dem Bade aus. Der zweite Aspekt betrifft die Kosten. Ich befürchte, es wird ein teures Gesetz werden und es wird die Bauern beim jetzigen Preisabsturz und durch die Verordnung später - sehr hart treffen. ({1}) Wir haben dafür keine Lösung. Dass etwas getan werden muss, ist klar; aber die Erklärung von Herrn Minister Funke - wir reden darüber; natürlich lässt man die Bauern nicht im Regen stehen - ist mir etwas zu wenig. Herr Bundeskanzler Schröder hat gestern Morgen von der Abkehr von der industriellen Agrarpolitik geredet. Ich bin bereit, ihm sofort zu folgen, ({2}) wenn wir dies europaweit - nicht mit Global-PlayerSprüchen, sondern in einem europäischen Konsens - tun, damit wir in bäuerlichen Strukturen Nahrungsmittel produzieren können, wie wir sie in der Vergangenheit hatten. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nur noch der Hinweis: Man darf nur sein eigenes Abstimmungsverhalten erklären. Man darf in diesem Prozess nicht mehr mit dem Bundeskanzler diskutieren. ({0}) Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU auf Drucksache 14/4782. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4783. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt worden Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4784. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt worden. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4785. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit dem gleichen soeben festgestellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4807. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4808. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4744. Wer stimmt dafür? Annette Widmann-Mauz Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, mit einigen Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS bei einigen Enthaltungen aus der CDU/CSU abgelehnt worden. Ich bitte nun diejenigen, die dem Einzelplan 10 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 10 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen worden. Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über das Verbot des Verfütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel, Drucksachen 14/4764 und 14/4838. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen fast des gesamten Hauses bei mehreren Gegenstimmen aus der CDU/CSU und einer Gegenstimme aus der F.D.P. und bei einigen Enthaltungen aus der CDU/CSU und einer Enthaltung aus der F.D.P. angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen worden. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 14/4854. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist, soweit ich sehe, einstimmig angenommen worden. Ich rufe die Zusatzpunkte 6 und 7 auf: ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Sofortprogramm zur Abwehr von Gefahren durch BSE - Drucksache 14/4778 ({1}) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Detlef Parr, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Vorrang für einen vorsorgenden Verbraucherschutz bei der Bekämpfung von BSE - Drucksache 14/4852 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/4778 ({4}) und 14/4852 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 1. Dezember 2000, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.