Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den Haushalt
des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Wir
müssen heute in diesem Haushalt nicht über innovative
und neue Ansätze in der Sozialpolitik diskutieren; denn
sie sind einfach nicht zu finden.
({0})
Wir müssen heute Morgen jedoch leider über die gewaltige Verschiebung von Lasten aus dem Bundeshaushalt in die Sozialversicherungen diskutieren, zulasten
der Arbeitslosenversicherung, zulasten der Rentenversicherung und zulasten der Krankenversicherung.
Erstes Beispiel: 400 Millionen DM werden der Pflegeversicherung entzogen, da Sie die Beiträge für die Arbeitslosenhilfebezieher im Bundeshaushalt weiterhin bei
50 Prozent des Zahlbetrages belassen. Deswegen gibt es
in der Pflegeversicherung kein Geld für notwendige Leistungen für Demenzkranke.
Zweites Beispiel: Sie halten an den verschlechterten
Renteneinzahlungen für die Wehr- und Zivildienstleistenden fest. Früher hatte ein Zivil- und Wehrdienstleistender bei zehn Monaten geleistetem Wehr- oder Zivildienst einen Rentenanspruch von 32 DM im Jahr, heute,
bei Ihnen, nur noch von 24 DM. Das heißt, Sie nehmen jemandem, der seinen Dienst tut, zu dem wir ihn verfassungsrechtlich verpflichten, im Alter 100 DM Rente weg.
Was ist das eigentlich für eine Botschaft für die jungen
Leute in diesem Lande, die noch bereit sind, sich für unsere Gesellschaft einzusetzen?
({1})
Drittes Beispiel: Sie senken die Krankenversicherungsbeiträge für die Arbeitslosenhilfebezieher. Auch
hier müssen die anderen Krankenversicherten die Entlastungen im Bundeshaushalt finanzieren.
Viertes Beispiel: Sie mindern die späteren Rentenansprüche der Empfänger von Arbeitslosenhilfe, indem
Sie die Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit zur Rentenversicherung senken. Sie entziehen damit der Rentenversicherung 4 Milliarden DM. Noch viel schlimmer ist:
Früher hat sich ein Bezieher von Arbeitslosenhilfe in einem Jahr einen Rentenanspruch in Höhe von durchschnittlich 39 DM erworben; aufgrund Ihrer Änderungen
sinkt dieser Anspruch auf durchschnittlich 15 DM. Erklären Sie das doch bitte einmal den Menschen in Ostdeutschland, die zum Zeitpunkt der Wende 50 Jahre alt
waren und deshalb aufgrund der strukturellen Veränderungen große Probleme hatten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß
zu fassen. Vom Bundesarbeitsminister und von den Sozialpolitikern von Rot-Grün hört man nichts darüber, wie
sich die Situation dieser Menschen verbessern ließe. Das
ist eine wirklich schlimme Entwicklung.
({2})
Selbst in meinen kühnsten Vorstellungen über rotgrüne Sozialpolitik hätte ich mir nie träumen lassen, dass
Sie gerade denjenigen, die im Alter ohnehin die niedrigsten Renten haben werden, die Rentenanwartschaften
mehr als halbieren. Das ist ein Armutszeugnis Ihrer Sozialpolitik und zeugt davon, dass Sie über ein sehr schwaches sozialpolitisches Gewissen verfügen.
({3})
Bei Ihnen weiß man auch nicht, was Sie überhaupt
wollen. Auf der einen Seite sagen Sie, wir müssten die Basis der Pflichtversicherten in der Rentenversicherung ausweiten - Stichworte 630-DM-Gesetz, Scheinselbstständigkeit -, und auf der anderen Seite bringen Sie
Gesetzentwürfe in den Deutschen Bundestag ein, die zur
Folge haben, dass Gruppen, die schon immer Mitglieder
in der Rentenversicherung waren, aus dieser ausscheiden
können; die Tanzlehrer, die Fahrlehrer und die selbstständigen Lehrer an Volkshochschulen lassen grüßen.
Wir unterhalten uns heute über einen großen Verschiebebahnhof: Die geplanten Strukturanpassungsmaßnahmen müssen in Höhe von 1,7 Milliarden DM von den Beitragszahlern finanziert werden, das Sonderprogramm für
Langzeitarbeitslose im Umfang von 750 Millionen DM
muss ebenso vom Beitragszahler finanziert werden, die
Beiträge für Bezieher von Arbeitslosenhilfe in der Pflegeversicherung in Höhe von 400 Millionen DM müssen von
den anderen Beitragszahlern kompensiert werden, in der
Krankenversicherung müssen 1,2 Milliarden DM kompensiert werden, weil Sie Ihren Haushalt auf Kosten der
Krankenversicherung finanzieren, und die Rentenversicherung wird mit 4,1 Milliarden DM belastet.
Das JUMP-Programm, das Sie wie eine Monstranz
als Sinnbild für Ihre Erfolge bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vor sich hertragen, wird jetzt allein
durch Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert; das heißt, kein Abgeordneter, kein Lehrer und
kein Freiberufler zahlt mehr für diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Was denken Sie sich eigentlich dabei, in
diesem Land eine solche Verschiebepolitik zu machen?
({4})
Jetzt kommt es noch schlimmer: Sie haben im nächsten Jahr Einnahmen aus der Ökosteuer in Höhe von
23,4 Milliarden DM und werden damit die Beitragszahler
zur Rentenversicherung wahrscheinlich um 19,4 MilliarVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
den DM entlasten; hier wird schon eine Differenz von
4 Milliarden DM deutlich. Wenn Sie dann noch in anderen Sozialversicherungssystemen - ich habe schon davon
gesprochen - über 10 Milliarden DM an Ausgaben von
der Haushaltsfinanzierung in die Beitragsfinanzierung
umschichten, ist das schlicht und ergreifend Betrug. Wenn
Sie den Leuten heute noch sagen, sie müssten die Ökosteuer zum Zwecke der Beitragsentlastung zahlen, ist
das Betrug, da nur noch ganze 9 Milliarden DM aus dem
Ökosteueraufkommen zur Beitragsentlastung zur Verfügung stehen, weil Sie 10 Milliarden DM aus dem Haushalt in die sozialen Sicherungssysteme verlagern.
({5})
Damit Sie einfach mal wissen, worüber wir hier reden:
Wenn zur Zeit von Christi Geburt ein Mensch eine Milliarde DM gehabt hätte, hätte er heute noch etwas davon
übrig, selbst wenn er jeden Tag 1 000 DM ausgegeben
hätte. Sie verschieben zehn Mal so viel aus dem Steuerhaushalt in die Sozialkassen. Auf diese Weise sind wir unter Riester in einer sozialpolitischen Eiszeit angelangt.
({6})
Herr Kollege Laumann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?
Bitte schön.
({0})
Herr Kollege Laumann, würden
Sie mir zugestehen, dass während der Regierungszeit von
CDU/CSU und F.D.P. durch die berühmten Fremdleistungen in der Rentenversicherung ein Fehlbetrag im
Umfang von 40 bis 50 Milliarden DM entstanden war?
({0})
- Herr Kollege Blüm, Sie wissen genauso gut wie ich,
dass wir damals einen Bundeszuschuss in Höhe von
60 Milliarden DM hatten, aber Fremdleistungen im Umfang von 100 Milliarden DM - nachgerechnet von Ihrem
damaligen Staatssekretär - finanzieren mussten. Da gab
es also eine riesige Lücke. Das heißt, Sie haben damals in
die Kassen anderer gegriffen, um Fremdleistungen in der
Rente zu finanzieren. Gestehen Sie zumindest zu, dass das
nicht mehr der Fall ist, dass wir die Beiträge nur noch
dafür nehmen, um die Renten über die Beiträge, die
tatsächlich gezahlt wurden, zu finanzieren? Die Fremdleistungen sind wirklich endlich weg aus der Rentenversicherung.
Herr
Kollege Laumann, wollen Sie jetzt antworten oder gestatten Sie eine Frage des Kollegen Blüm?
Die Frage des
Kollegen Blüm höre ich sehr gern, damit endlich sozialpolitische Kompetenz in die Fragestellung hineinkommt.
Herr Kollege
Laumann, können Sie bestätigen, dass am Ende der Regierungszeit Kohl der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung höher war als zu jeder Zeit vor uns, und zwar
absolut und prozentual? Damit hat er alle Fremdleistungen weit übertroffen. Wir haben nie den Bundeszuschuss
gekürzt. Auch das unterscheidet uns von unseren Vorgängern.
({0})
Lieber Kollege
Blüm, das bestätige ich Ihnen sehr gerne. Auch die Sozialdemokraten müssten sich daran erinnern, dass wir Monate vor der Wahl gemeinsam eine Mehrwertsteuererhöhung von 1 Prozent beschlossen haben, um den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung zu erhöhen. Damals
waren sich die Redner sowohl von Ihrer als auch von unserer Seite einig, dass wir das wegen der versicherungsfremden Leistungen so machen müssen und dass die damit abgegolten sind.
({0})
Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie die Ökosteuer nehmen,
um den Rentenversicherungsbeitrag zu entlasten. Wenn
Sie die Rentenversicherung isoliert sehen, ist es so. Aber
Sie stecken jetzt 10 Milliarden DM, die bislang steuerfinanziert waren, wieder in die Sozialversicherung. Das ist
das Inkonsequente Ihrer Politik.
({1})
Dass der Finanzminister das versucht, verstehe ich,
aber wir brauchen in Deutschland wieder einen Arbeitsminister, der sich mit Tapferkeit und Klugheit gegen solche Pläne eines Finanzministers wehrt. Den haben wir
zurzeit nicht. Das war früher in unserem Land anders.
({2})
Kollege
Laumann, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des
Kollegen Andres?
Selbstverständlich.
Bitte
schön, Herr Andres.
Herr Kollege Laumann, können
Sie bestätigen, dass im Dezember des Jahres 1997 auf
Initiative der damaligen Bundesregierung im Bundesrat
beschlossen wurde, dass die Mehrwertsteuer um einen
Prozentpunkt erhöht wird, und dass das Ergebnis der einprozentigen Erhöhung unmittelbar in die Rentenversicherung geflossen ist, damit verhindert wird, dass der Beitrag
auf 21 Prozent steigt? Können Sie bestätigen, dass dadurch jeder Käufer, der Mehrwertsteuer bezahlen muss,
unmittelbar Leistungen für die Rentenversicherung erbringt? Können Sie bestätigen, dass wir in diesem Jahr
22 Milliarden DM unmittelbar an die Rentenversicherung
bezahlen, um echte Beiträge für Kindererziehungszeiten
zu gewährleisten, und dass wir noch einmal rund 3 Milliarden DM aufbringen, um einigungsbedingte Lasten, insbesondere aus den Auffüllbeträgen, der Rentenversicherung zu erstatten? Können Sie bestätigen, dass das
Maßnahmen waren, von denen Sie in Ihrer Regierungszeit
immer geträumt haben, die Sie aber nicht realisieren
konnten?
({0})
Bestätigen kann
ich Ihnen, dass wir die Mehrwertsteuer - das habe ich
gerade gesagt - gemeinsam angehoben haben, um den
Bundeszuschuss zu erhöhen. Es ist unstreitig, dass es
allgemeingesellschaftliche Aufgaben in der Rentenversicherung gibt, die steuerfinanziert werden müssen und
die nicht nur der Beitragszahler finanzieren kann. Dazu
haben wir immer gestanden. Es ist unstreitig, dass das
allgemeingesellschaftlich getragen werden muss. Diese
Diskussionen haben wir ja nicht nur beim VdK und beim
Reichsbund. Solche versicherungsfremden Leistungen
haben wir immer steuerfinanziert. Es ist allerdings auch
wahr, lieber Herr Kollege Andres, dass über die Definition der versicherungsfremden Leistungen nie Einmütigkeit besteht. Jeder packt dort etwas herein, wozu er
lustig ist. Der große Unterschied in der Philosophie zwischen Ihnen und uns ist folgender: Wir waren der
Meinung, dass die Kindererziehungszeiten zum Generationenvertrag der Rente gehören. Wir haben die Kindererziehungszeiten in dem Moment, in dem sie zu einer Rente
geführt haben, über Steuermittel der Rentenversicherung
erstattet. Sie zahlen nun quasi für das Baby Beiträge ein.
In unserer Regierungszeit wurden die Leistungen der
Rentenkasse für die Kindererziehung über Steuereinnahmen finanziert. Unser damaliges Modell war genauso wie
Ihr heutiges steuerfinanziert.
({0})
Lieber Kollege Andres, die Wahrheit ist nun einmal:
Die Einnahmen aus der Ökosteuer liegen bei 23 Milliarden DM. Davon dienen 19 Milliarden DM der Beitragsentlastung. Sie als Mitglied dieser Bundesregierung
haben aber zu verantworten, dass mehr als 10 Milliarden DM - sie wurden über viele Jahrzehnte teilweise über
den Bundeshaushalt finanziert; ich denke an Langzeitsarbeitslosenprogramme; ich erinnere an Ihr JUMP-Programm; der Staat kommt für die Beiträge der Arbeitslosenhilfebezieher an die Sozialversicherungssysteme auf den Beitragszahlern „in die Jacke“ getan werden. Das ist
eine Sauerei.
({1})
Betrachtet man die Sozialversicherung insgesamt, erkennt man, dass in Wahrheit nur noch 9 Milliarden DM
zur Beitragsentlastung zur Verfügung stehen. Ihre Behauptung, die Ökosteuer stehe für eine Beitragsentlastung
- die Einnahmen durch die Ökosteuer liegen bei 23 Milliarden DM, aber davon dienen nur 9 Milliarden DM der
Beitragsentlastung -, ist Betrug an den Menschen.
({2})
Außerdem bleibe ich dabei: Es gibt für die Rentenversicherung bessere Möglichkeiten, an Geld zu kommen,
als die Menschen über die Tankwarte abzukassieren.
({3})
Auch in diesem Punkt ist unsere Position grundsätzlich
anders als Ihre.
Herr Kollege Laumann, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage
des Kollegen Andres?
Nein.
Ich
möchte eigentlich auch keine weiteren Zwischenfragen
zulassen; sonst verzögert sich der Zeitablauf zu stark.
Des Weiteren
müssen wir uns hier darüber unterhalten, dass wir es mit
einem gespaltenen Arbeitsmarkt zu tun haben. Die
Langzeitarbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist um
9,2 Prozent angestiegen. Das bedeutet, dass es in Ostdeutschland 38 000 Langzeitarbeitslose mehr gibt. Selbst
die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen ist um 11,6 Prozent gestiegen. Wir sollten uns gemeinsam über die Spaltung des Arbeitsmarktes in Deutschland zwischen Ost und
West Sorgen machen.
Ich hoffe, dass wir uns zumindest, was manche Tendenzen zur Gewaltbereitschaft von jungen Menschen
in unserem Land angeht, einig sind. Ich beschränke das
ausdrücklich nicht auf Ostdeutschland. Auch ich finde die
Diskussion, wie sie zurzeit teilweise geführt wird, nicht
richtig. Gewaltbereitschaft ist vielleicht eher bei Jugendlichen anzutreffen, die nach der Schulzeit keine beruflichen Perspektiven haben. Wir müssen uns diese Entwicklung genau anschauen - sie ist in Ostdeutschland stärker
als in Westdeutschland ausgeprägt -, um sie besser in den
Griff zu bekommen.
Ich biete der Regierung heute noch einmal an, gemeinsam darüber zu sprechen, wie wir die wenigen Jugendlichen, die nicht bereit sind, unsere Angebote zu Qualifizierung und Arbeit anzunehmen - diese Jugendlichen
gibt es auch -, besser motivieren können und über mehr
Druck vielleicht sogar zwingen sollten, eine Beschäftigung anzunehmen. In Holland sind Modelle entwickelt
worden, die wir uns einmal anschauen und umzusetzen
versuchen sollten. Ich bin für meine Fraktion bereit, daran
mitzuwirken - notfalls bis hin zu gravierenden Gesetzesänderungen. Ich sehe nicht ein, dass ein junger Mensch,
dem Arbeit oder Ausbildung angeboten wird, die er ablehnt, weiterhin nahezu unbegrenzt über die Sozialhilfe
unterhalten wird. Wir tun weder den Jugendlichen noch
der Gesellschaft einen Gefallen, wenn wir die bisherige
Praxis unverändert lassen.
Ich wünsche mir, dass wir hier in Bezug auf Problemgruppen des Arbeitsmarktes - ich denke zum Beispiel
an ältere Arbeitslose - eine unideologische Debatte
führen. Was kann man dafür tun, dass der Arbeitsmarkt
solche Menschen eher aufnimmt? Ich stelle diese Frage
sowohl im Hinblick auf eine Verbesserung von Fördermaßnahmen als auch im Hinblick auf eine Änderung der
arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen. Wenn man versucht, das Arbeitsrecht zu ändern, dann sollte man intensiv über mögliche Auswirkungen nachdenken. Sie aber
bezeichnen jegliche Überlegung in diese Richtung von
vornherein als Instrument aus der Folterkammer zum
Nachteil der Arbeitnehmer. Ich halte das nicht für richtig.
Lassen Sie uns einmal überlegen, ob es Möglichkeiten
gibt, den Kündigungsschutz für Ältere so zu ändern, dass
sie bessere Chancen haben, eingestellt zu werden. Ich erinnere daran, dass die heutigen Kündigungsschutzklagen
zu 98 Prozent Abfindungsklagen sind. Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, was man tun kann, um für etwas
mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen.
Ich finde es sehr traurig, dass in unserem Land eine anscheinend ideologisierte Debatte über das Betriebsverfassungsgesetz geführt wird. Dass sie ideologisiert ist,
liegt im Übrigen daran, Herr Riester, dass Ihr Haus bis
heute keinen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt hat, der
klarmacht, wohin die Reise geht. Solange man die Dinge
in der Schwebe lässt, ist es immer so, dass herumspekuliert wird und der eine oder andere Horrorgemälde entwirft. Wenn Sie mutiger wären und schneller entscheiden
würden, dann hätten Sie der dem Betriebsverfassungsgesetz zugrunde liegenden Idee vieles erspart. Ich warne Sie
sehr davor, weiterhin alles reglementieren zu wollen. Wir
brauchen eine Öffnung der Tarifverträge. Wenn die Sozialpartner eines Betriebes Angelegenheiten wie die Mitbestimmung anders organisieren wollen - beide Seiten müssen darin übereinstimmen -, dann muss das möglich sein.
({0})
Wir sollten auch nicht nur über das Wahlverfahren reden. Das ist billig. Für mich ist klar: In Kleinbetrieben
darf das Wahlverfahren nicht komplizierter sein als die
Aufstellung eines Bundestagsabgeordneten.
({1})
Wir sollten darüber reden, wie die Sozialpartner mehr für
die Qualifizierung machen können. Wir sollten realistisch
sein und nicht an die Schwellenwerte herantreten; sie haben sich bewährt. Aber all diese Dinge sind zu regeln. Legen Sie endlich Lösungsvorschläge vor und sorgen
Sie damit dafür, dass diese Debatte aufhört. Denn Betriebsverfassung, Mitbestimmung und soziale Partnerschaft sind für Deutschland eher ein Standortvorteil als
ein Standortnachteil.
({2})
Das will ich vor allem in Richtung derjenigen sagen, die
immer nur kritisieren.
({3})
Herr Riester, ich muss nun in dieser Debatte leider etwas ansprechen, was mit der Führung Ihres Hauses zusammenhängt. Unter Blüm gab es im Arbeitsministerium
wichtige Beamte, die loyal mit ihm zusammengearbeitet
haben, obwohl sie eine andere parteipolitische Präferenz
hatten als Herr Blüm. Heute haben Sie nur einen Abteilungsleiter - der geht nächstes Jahr in Pension -, der nicht
Ihr Parteibuch hat.
({4})
Dass das von Herrn Achenbach und von Herrn Tegtmeier
organisiert wird, die trotz SPD-Parteibüchern hervorragend mit Blüm zusammengearbeitet haben, ist für mich
eine menschliche Enttäuschung.
({5})
Dass Sie das alles mitmachen, zeigt, dass Sie in diesen
Fragen kleinkariert denken - das hätte ich nicht gedacht oder dass Sie Angst haben. Wenn man Angst hat, dann ist
man unsicher, und wenn man unsicher ist, umgibt man
sich wie in einer Wagenburg nur mit eigenen Leuten.
({6})
Ich erwarte, dass Sie diese Dinge ändern.
Ich möchte nun noch etwas zur Rente sagen. Dass wir
bei der Rente in einer so schwierigen Situation stecken,
liegt auch daran, dass die Menschen wegen Ihrer Politik
kein Vertrauen zur Rentenversicherung mehr haben. Wir
haben nämlich keine Rentenformel mehr. Sie ändern in
vier Jahren viermal die Rentenformel. Was sollen uns die
Leute hinsichtlich der Sicherheit noch glauben? Stellen
Sie sich einmal vor, Ihre Feuerversicherung würde die Bedingungen, unter denen Sie Ihr Haus versichert haben, in
vier Jahren viermal ändern! Dann würden Sie diese Versicherung doch kündigen. Genau das geschieht bei der
Rente: 1999 Nettolohnanpassung; dieses Jahr Inflationsausgleich mit 2 Millionen Einsprüchen gegen diese Politik; 2001 modifizierte Anpassung; 2003 Abzug der modifizierten Anpassung in der Alterssicherung. Herr Riester,
hören Sie auf, die Rente in dieser Weise als Spielzeug zu
betrachten! Kommen Sie zu einer stetigen Politik zurück!
({7})
Wenn ich an die gigantischen Verschiebungen im Haushalt denke, wenn ich daran denke, dass Sie den Ärmsten
der Armen, den Arbeitslosenhilfebeziehern, die Rentenanwartschaften halbieren, wenn ich daran denke, dass Sie
den Soldaten im Alter 100 DM Rente wegnehmen, wenn
ich daran denke, dass Sie den Zivildienstleistenden, die
zum Beispiel in Altenheimen einen schweren Dienst tun,
die Rentenanwartschaften kürzen, dann wünsche ich mir
für das neue Jahr, für das nächste Haushaltsjahr, einen Arbeitsminister, der die Kardinaltugenden hat: Demut gegenüber denen, denen wir als Sozialpolitiker zu dienen
haben, nämlich gegenüber den Schwachen im Land; Mut
und Tapferkeit, die Besitzstände, die Ansprüche, die diese
Menschen haben, in der Fraktion gegenüber anderen Bereichen und vor allen Dingen im Kabinett gegenüber dem
Bundeskanzler und dem Finanzminister zu verteidigen.
({8})
Ein Arbeitsminister braucht Tapferkeit und Mut. Seitdem
Sie Minister sind, vermissen wir das. Bei Norbert Blüm
haben wir beides erlebt.
Schönen Dank.
({9})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Konstanze Wegner
von der SPD das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir Leid, ich bin etwas
erkältet; deshalb kann ich nicht so laut reden wie der Kollege Laumann. Aber das ist ja vielleicht auch gar nicht
nötig.
({0})
- Danke schön.
Eines der wichtigsten Ziele der rot-grünen Regierung
Schröder ist gerade der Umbau des Sozialstaates als Voraussetzung für seinen Erhalt. Daran arbeitet Walter
Riester als zuständiger Minister.
({1})
Wir wissen alle, dass er dabei Tabus knacken muss
({2})
und dass er Kritik erntet, mitunter auch aus den eigenen
Reihen. Das ist bei einer so schwierigen Aufgabe nicht
verwunderlich.
Ich kann nur sagen: Ich habe Respekt vor der Art, wie
er diese Aufgabe angeht, dass er offen für neue Ideen ist
und versucht, den Konsens mit den großen Gruppen in
dieser Gesellschaft zu erreichen.
({3})
Das ist kein Nachteil, sondern ein Vorteil. Das sollten gerade Sie wertschätzen, statt es zu attackieren.
({4})
Die Reform des Sozialstaats ist eine faszinierende,
aber auch sehr schwierige Aufgabe; denn es gibt wohl
kaum einen Bereich, in dem sich Besitzstandsdenken und
Änderungswünsche, Angst vor dem Verlust sozialer
Sicherheit und die Forderung nach schrankenloser so genannter Freiheit so krass gegenüberstehen. Ich glaube, wir
haben allen Grund, auf die Leistungen unseres Sozialstaats stolz zu sein. Ich bin etwas betreten und unglücklich darüber, dass es zurzeit Mode ist, nur die Kosten dieses Sozialstaats zu thematisieren,
({5})
statt auch einmal zu sagen, wie viel diese Republik unserem Sozialsystem verdankt.
({6})
- Da dürften ruhig auch die anderen klatschen.
Ich denke, dass wir gerade in den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit, die wir die ganzen letzten Jahre gehabt
haben, längst rechtsradikale Parteien mit zweistelligen
Wahlergebnissen in unseren Parlamenten hätten, wenn es
diesen Sozialstaat nicht gegeben hätte.
({7})
Die Arbeitslosigkeit ist trotz ihres erfreulichen Rückgangs noch immer das zentrale Problem der deutschen Innen- und Sozialpolitik. Bei ihrer Bekämpfung können wir
meines Erachtens weit mehr von unseren kleinen europäischen Nachbarländern wie Holland - das wurde schon
erwähnt -, Dänemark und Schweden lernen
({8})
als von Amerika, das manchen so vorbildlich erscheint.
Das amerikanische Modell beruht auf ganz anderen kulturellen und sozialen Wurzeln und ist meines Erachtens
nicht auf Deutschland übertragbar.
({9})
Das holländische System der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
({10})
ist gekennzeichnet durch Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften, durch Steuersenkungen, die zur Folge haben, dass die Arbeitnehmer trotz dieser Lohnzurückhaltung nicht weniger Geld zur Verfügung haben,
durch einen sehr pragmatischen Umgang der Spitzen der
Gewerkschaften mit den Unternehmen, durch sehr weit
entwickelte Teilzeitarbeitsformen
({11})
und schließlich durch eine sehr unbürokratische und effiziente Zusammenarbeit von privater und staatlicher Arbeitsvermittlung. Gerade im Bereich der Teilzeitarbeit ich denke hier auch an Teilzeitarbeit für Männer, nicht nur
für Frauen ({12})
und im Bereich der Zusammenarbeit zwischen privaten
und staatlichen Vermittlern haben wir noch einen erheblichen Nachholbedarf.
In Dänemark, Finnland und Schweden - wir haben ja
in diesem Sommer eine Berichterstatterreise gemacht kann man beobachten, dass die Verantwortlichen ebenso
wie unsere Regierung in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau verstetigen, aus der Einsicht heraus, dass es richtig ist, die
Menschen auch in Zeiten der Arbeitslosigkeit im Arbeitsprozess zu halten, und dass es immer noch viel besser ist, in einer Qualifizierungs- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als arbeitslos zu sein.
({13})
Aber - dies erscheint mir für uns durchaus nachahmenswert zu sein - in diesen Ländern gibt es ganz erhebliche Anstrengungen, die Art der Qualifizierung und die
Bedürfnisse der Wirtschaft vor Ort stärker zusammenzubringen.
({14})
Das könnte auch bei uns noch verbessert werden; denn es
ist demotivierend für einen Arbeitslosen, wenn er x Qualifizierungen durchlaufen muss und trotzdem am Ende
wieder arbeitslos ist.
Trotz allem, was noch verbesserungswürdig ist, hat die
Regierung jedoch unleugbar Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erzielt. Sie ist derzeit mit
3,61 Millionen auf dem niedrigsten Stand seit 1995.
({15})
Entgegen Ihren Behauptungen, meine Damen und Herren
von der Opposition, ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit
eben nicht nur demographisch, sondern auch strukturell
bedingt.
({16})
Das heißt, die rot-grüne Koalition hat mit ihren Maßnahmen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen, zur Senkung
der Steuern und zur Senkung der Lohnnebenkosten für die
Wirtschaft die Voraussetzung zur Schaffung neuer Arbeitsplätze geschaffen. Das können Sie nicht bestreiten.
({17})
Besonders erfolgreich ist das Zwei-Milliarden-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, mit
dem es gelungen ist,
({18})
die Jugendarbeitslosigkeit um etwa 8 Prozent zu senken.
Auf die Einzelheiten dieses Programms, vor allem auch
auf die meines Erachtens sehr ungerechte Kritik, wonach
mit diesem Programm sinnlos Mittel verpulvert würden,
da es auch in Regionen mit niedriger Arbeitslosigkeit
durchgeführt werde, wird mein Kollege Schurer nachher
in seiner Rede eingehen.
({19})
Sehr unbefriedigend - das muss man zugeben - ist die
Lage nach wie vor in Ostdeutschland. Hier stagniert die
Arbeitslosigkeit. Es gibt zwar Bereiche, in denen es besser geht, die im Aufwind sind. Aber es gibt auch andere
Bereiche, in denen die Arbeitslosigkeit leider noch zunimmt. Deshalb ist es unabdingbar notwendig, dass wir
die aktive Arbeitsmarktpolitik in diesem Bereich auf
hohem Niveau weiterführen.
({20})
Das schließt nicht aus, dass die Effizienz der einen oder
anderen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme überprüft werden kann.
Neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist die Reform der Rentenversicherung das zweite zentrale Vorhaben der Sozialpolitik der Regierung.
({21})
Es ist ein Kernstück der notwendigen Modernisierung des
Sozialstaats. Auch hier gibt es, wie zu erwarten war, viel
Kritik. Es gibt aus meiner Sicht in manchen Bereichen
auch verständliche Kritik.
({22})
Aber dennoch gilt, dass bis heute alle Kritiker durchsetzbare und finanzierbare Alternativen zum riesterschen
Konzept schuldig geblieben sind.
({23})
Entgegen dem, was behauptet wird, ist Riesters Reform eben kein Systemwechsel, sondern eine Systemergänzung und der Versuch, die Rentenversicherung als
Hauptsicherungspfeiler sowohl für alte als auch für junge
Menschen zu erhalten, ergänzt durch eine private und betriebliche Vorsorge.
({24})
Gewiss wäre eine breite parlamentarische Mehrheit zur
Verabschiedung dieser Reform wünschenswert gewesen.
Ich denke, Minister Riester ist Ihnen von der CDU/CSU
in Ihren Forderungen sehr weit entgegengekommen. Er
hat praktisch alle erfüllt.
Frau Kollegin Wegner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuchtel?
Ja, bitte.
Bitte
schön, Herr Fuchtel.
Frau Kollegin
Wegner, Sie sind jetzt in Ihrer Redezeit schon weit fortgeschritten. Ich hätte erwartet, dass Sie als Haushaltspolitikerin einmal Stellung nehmen zu den Verschiebungen
aus dem Bundeshaushalt zur Bundesanstalt für Arbeit. Ich
bitte Sie, die Kritik zu wiederholen, die Sie dazu im zuständigen Ausschuss vorgebracht haben.
({0})
Lieber Kollege
Fuchtel, Sie können sich darauf verlassen, dass ich noch
zu diesem Punkt komme. Denn ich habe noch genügend
Redezeit.
({0})
Ich will noch ein Wort sagen, das Sie sicher nicht gerne
hören: Sie kritisieren die Ökosteuer. Aber Ihre Kritik an
der Ökosteuer ist absolut heuchlerisch. Denn Sie selbst
haben früher eine solche Steuer gefordert.
({1})
Im Zusammenhang mit dem Benzinpreis ist das, was Sie
betrieben haben, absolute Volksverdummung.
({2})
Auch hier sind Sie eine Antwort schuldig geblieben. Denn
wer die Ökosteuer weghaben will, der muss sagen, wie er
ansonsten die Rentenversicherung stabilisiert. Dazu ist
aus Ihren Reihen keine Antwort gekommen.
Jetzt komme ich zu der Frage, die Sie so beschäftigt: Wie
sieht der Haushalt 2001 konkret aus? Die Bundesanstalt
erhält im Jahre 2001 entgegen dem ursprünglichen Vorhaben der Regierung doch einen Zuschuss von 1,2 Milliarden DM. Die Arbeitsmarktpolitik wird auf hohem Niveau
mit 44 Milliarden DM bei der Bundesanstalt verstetigt. Die
Bundesanstalt wird das Jugendprogramm fortführen und
sie wird auch die bisherigen Arbeitsmarktprogramme aus
dem Bundeshaushalt übernehmen.
({3})
- Schreien Sie doch nicht so. Warten Sie es ab!
Ich sage ganz offen: Ich hätte lieber mit meinen Kollegen von der Sozialpolitik das Jugendprogramm in den
Haushalt eingestellt und der Bundesanstalt keinen Zuschuss gegeben. Dafür habe ich mich auch eingesetzt.
Aber auch Sie wissen doch, dass man sich als Berichterstatter nicht immer gegen die eigene Regierung und
den kleinen Koalitionspartner durchsetzen kann. Solche
Erfahrungen müssten Sie eigentlich auch gemacht haben.
({4})
Auf jeden Fall - das können Sie nicht bestreiten - ist
die Absenkung des Bundeszuschusses von 7,75 Milliarden DM im laufenden Jahr auf 1,2 Milliarden DM ein
deutliches Zeichen dafür, dass die Arbeitslosigkeit drastisch zurückgegangen ist.
({5})
Für die Arbeitslosenhilfe können 22,6 Milliarden DM
verausgabt werden. Ob diese Mittel letztlich ausreichen
werden, ist ungewiss. Die Langzeitarbeitslosen stellen
nach wie vor die größte Problemgruppe und wir müssen
alles versuchen - das ist auch der einzige Punkt, dem ich
aus den lautstarken Ausführungen des Kollege Laumann
zustimmen kann -, um den Eisblock der Langzeitarbeitslosigkeit aufbrechen zu helfen.
({6})
Hier sind aber die Unternehmen gefordert, das ist nicht
Sache der Parlamentarier. Die Unternehmen sind gefordert, nicht nur Junge einzustellen, weil sie angeblich billiger sind, sondern sie sollten den Älteren eine Chance
geben, die teilweise sehr gut qualifiziert und vor allem
hoch motiviert sind. Diesen Appell möchte ich hier loswerden. Unterstützende Programme, die das den Unternehmen finanziell erleichtern, gibt es wirklich jede
Menge.
In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass die
Bundesanstalt für Arbeit ein weiteres Programm mit dem
Namen „50 plus - die können es“ aufgelegt hat. Ich hoffe,
dass uns dieses Programm unserem Ziel, die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen, ein wenig näher bringt.
({7})
Für Modellprojekte zur Förderung innovativer Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stehen in
diesem Haushalt 112,5 Millionen DM zur Verfügung, bis
2004 sind es insgesamt 780 Millionen DM. Die Modellprojekte haben drei Schwerpunkte: Erstens wird es Subventionierungen im Bereich der Sozialversicherung zur
besseren Qualifizierung Geringqualifizierter und Langzeitarbeitloser geben, Zweitens soll die Verbesserung der
Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern erprobt
werden und drittens soll es Geld für innovative Projekte
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor Ort geben.
Entsprechend einem oft geäußerten Wunsch aller Parteien ist die Sprachförderung neu geordnet worden. Das
neue Konzept tritt 2002 in Kraft. Träger der Sprachförderung für die Zuwanderer sind der Sprachverband und das
Goethe-Institut. Die Ressortzuständigkeit wird zwischen
dem Familienministerium - das ist für die Zuwanderer
unter 27 Jahren zuständig - und dem Arbeitsministerium - das ist für die über 27-Jährigen zuständig - geteilt.
Insgesamt stehen für die Förderung 319 Millionen DM
zur Verfügung. Ich freue mich besonders, dass auf Initiative der SPD-Berichterstatterin, die dankenswerterweise
vom gesamten Ausschuss unterstützt wurde, auch das
Geld für die Kinderbetreuung künftig zur Verfügung stehen wird.
({8})
Denn wir wissen alle: Die ausländischen Frauen, die an
Sprachförderungsmaßnahmen teilnehmen, hätten es sehr
schwer, wenn die Kinderbetreuung gestrichen würde.
Das Programm „Xenos“ gegen Fremdenfeindlichkeit
ist neu in den Haushalt aufgenommen worden. Projekte
gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz
sollen in den nächsten Jahre mit jeweils 25 Millionen DM
unterstützt werden. Die Mittel dafür kommen aus dem Europäischen Sozialfonds. Mit „Xenos“ sollen insbesondere
solche Jugendliche angesprochen werden, die durch fremdenfeindliches Denken und Handeln aufgefallen sind.
Die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit ist eine
vielschichtige Aufgabe. Ich bin überzeugt, dass ein Verbot
der NPD und gelegentliche Demonstrationen nicht ausreichen.
({9})
Wir müssen versuchen, wieder Zugang zu den Jugendlichen
zu bekommen, die in den Bann des Rechtsradikalismus geraten sind. Wir müssen versuchen, ihnen das Umdenken und
den Ausstieg zu ermöglichen. Auch dafür gibt es in Skandinavien Vorbilder.
({10})
Mit dem Thema Rechtsradikalismus komme ich am
Schluss zum Ausgangspunkt meiner Rede zurück: der
Modernisierung des Sozialstaats als Voraussetzung für
seinen Erhalt und für die Stabilisierung der Demokratie.
Wir brauchen einen differenzierten Sozialstaat, der dem
Einzelnen Würde und soziale Sicherheit gibt. Wir brauchen aber auch einen Sozialstaat, der natürlich nicht die
individuelle Leistungsbereitschaft hemmt.
Ich denke, der Haushalt des Arbeitsministeriums für
das Jahr 2001 liefert dazu einen Beitrag. Wir stimmen ihm
zu.
Ich danke Ihnen.
({11})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer
von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Kollegin
Wegner gerade etwas vorgetragen hat, was über weite
Strecken an ein neues Kapitel aus Grimms Märchen erinnerte, will ich mich doch wieder dem Haushalt zuwenden.
({0})
Den Bezug zu Grimms Märchen will ich nur an einem
einzigen Beispiel deutlich machen. Sie haben in den höchsten Tönen gelobt, dass das JUMP-Programm, das Integrationsprogramm für Jugendliche, nun völlig der
Bundesanstalt für Arbeit zugeordnet wird - wir halten das
für falsch, weil es damit aus Mitgliedsbeiträgen finanziert
wird - und das Erste, was die Bundesanstalt für Arbeit gemacht hat, ist, eine Sperre zu verhängen.
({1})
Das zeigt doch wohl, dass dies eine falsche Entscheidung
gewesen ist.
({2})
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und
Sozialordnung macht mit 170 Milliarden DM fast ein
Drittel des gesamten Bundeshaushalts aus. Er ist wiederum mit Abstand der größte Einzelplan. Insofern, Frau
Wegner, ist die Kritik, die von der Opposition notwendigerweise und richtigerweise geäußert wird, keine Fundamentalkritik an der Existenz des Sozialstaates. Es wird
von uns überhaupt nicht bestritten, dass der Sozialstaat für
die innere Stabilität der Bundesrepublik Deutschland über
Jahrzehnte sehr wichtig gewesen ist. Unsere Kritik bezieht sich vielmehr darauf, dass dies ein Haushalt der
Mutlosigkeit ist, einHaushalt, der den Reformbedarf der
sozialen Sicherung in Deutschland verschleiert. Das ist
der eigentliche Punkt.
({3})
Sie haben in vorher nie da gewesener Weise Verschiebebahnhöfe zwischen der Arbeitslosenversicherung, der
Rentenversicherung, der Krankenversicherung und der
Pflegeversicherung eingeführt.
({4})
Sie haben darüber hinaus die Anwartschaften der Arbeitslosen in einer Weise gekürzt, wie es die alte Regierung nie
gemacht hätte.
({5})
- Dazu stehen Sie nicht, aber Sie sollten dazu stehen. Das ist keine soziale Großtat, sondern zeigt schlicht Ihre
Überforderung mit der Aufgabe, die vor Ihnen liegt.
({6})
Ich will mich ein wenig mit der Rentenversicherung
beschäftigen. Für den Bundeszuschuss an die Rentenversicherung sind über 100 Milliarden DM vorgesehen. Dieser Bundeszuschuss ist zu einem nicht unerheblichen Teil
aus einer schlichten Umfinanzierung entstanden. Gleich
wird die Kollegin Dückert wieder mit Vehemenz und Pathos vortragen, wie wichtig es war, die Lohnnebenkosten
gesenkt zu haben.
({7})
Kein Stück haben Sie die Lohnnebenkosten gesenkt!
({8})
Sie haben zwar die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt,
aber durch die Ökosteuer, die allein im nächsten Haushalt
22 Milliarden DM ausmacht, haben Sie die Lohnnebenkosten insgesamt nicht gesenkt, sondern lediglich den Reformbedarf verschleiert.
({9})
Frau Kollegin Schwaetzer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Dückert?
Gerne.
Frau
Dr. Dückert, bitte schön.
Frau Kollegin Schwaetzer, ich habe eine kurze Frage. Sie
kann ganz einfach mit den Rechenarten von Adam Riese
beantwortet werden.
Sind nicht auch Sie der Ansicht, dass die Lohnnebenkosten, die 1998 bei über 42 Prozent gelegen haben und
jetzt bei gut 41 Prozent liegen, heute niedriger sind als
vorher? Ist dies keine Senkung der Lohnnebenkosten?
Liebe Frau Kollegin Dückert, mit solchen Taschenspielertricks können Sie
die Realität in der Bundesrepublik nicht verschleiern.
({0})
Für die Unternehmen genauso wie für die Arbeitnehmer
ist es völlig egal, ob sie Beiträge plus Ökosteuer oder ob
sie nur Beiträge zahlen. Sie verfahren wieder nur nach
dem das Prinzip, von der rechten in die linke Tasche zu
wirtschaften. Sie beweisen, dass Sie das nicht auseinander halten können.
({1})
Nicht einmal Ihr Motto „Tanken für die Rente“ stimmt;
denn inzwischen hat sich der Bundesarbeitsminister einiges abhandeln lassen. Die Einnahmen aus der Ökosteuer
sollten einmal vollständig in die Rentenversicherung gehen. Jetzt werden anscheinend erhebliche Milliardenbeträgen daraus anders verwendet; denn sonst müsste der
Rentenversicherungsbeitrag im Jahr 2003 deutlich niedriger sein als 18,8 Prozent, die jetzt vom Arbeitsministerium angepeilt werden.
Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Dem Reformbedarf innerhalb der Rentenversicherung können Sie
nicht dadurch Rechnung tragen, dass Sie sagen: Wir halten die Beitragssätze jetzt unter 20 Prozent. Die Beitragssätze müssen dauerhaft unter 20 Prozent liegen und das
werden Sie nicht schaffen. Sie bekennen sich auch gar
nicht zu diesem Ziel, sondern verschieben den Beginn der
Ausgleichsmaßnahmen zwischen den Generationen im
Rahmen der Rentenreform immer weiter in die Zukunft.
Damit - das ist insbesondere ein Vorwurf an die Grünen,
die ja immer von der Generationengerechtigkeit geredet
haben - verraten Sie die junge Generation.
({2})
Sie verraten die junge Generation, indem Sie einen Beitragssatz von 22 Prozent anpeilen, dazu kommen noch die
vier Prozent private Vorsorge. Die junge Generation wird
Ihnen schon zeigen, was sie davon hält.
({3})
An dieser Stelle muss ich mich allerdings auch über das
wundern, was ich vonseiten der Union höre. Da sitzen
Herr Seehofer und Herr Blüm, vehemente Verfechter eines Rentenniveaus von 64 Prozent für den so genannten
Eckrentner,
({4})
und gestern sagt der Fraktionsvorsitzende, Herr Merz,
ganz kühl in seiner Rede, der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung müsse bei 20 Prozent liegen.
Herr Blüm, Sie werden mir nicht vorrechnen können, dass
das zusammenpasst,
({5})
auch nicht, wenn Sie die Lebensarbeitszeit auf 67 oder
70 Jahre verlängern.
({6})
Deswegen haben auch Sie noch Klärungsbedarf, bis Sie
wieder regierungsfähig werden.
({7})
Ich kann Ihnen nur raten, dieses möglichst schnell in den
eigenen Reihen zu klären.
Zurück zum Regierungsentwurf. Herr Riester, Sie haben ganz zum Schluss noch in Ihren Entwurf zur Rentenreform geschrieben - das ist ziemlich systemfremd, dass
die tariflichen Lösungen auch beim Aufbau der privaten
Altersvorsorge Vorrang haben sollen. Ich frage mich, was
diese Verbeugung vor den Gewerkschaften soll und welche Auswirkungen sie hat.
({8})
Die Gewerkschaften werden ein sehr weit gehendes Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der Zusatzversorgung
erhalten. Dieses Recht ist sogar so formuliert, dass ohne
Zustimmung der Gewerkschaften überhaupt keine Produkte, die auf dem Markt angeboten werden, gefördert
werden können. Sie haben noch keine Antwort auf die
Frage gegeben, wie das denn gemacht werden soll.
({9})
Die Gewerkschaften werden selbstverständlich die Beteiligung der Arbeitgeber an der privaten Altersvorsorge fordern,
({10})
was völlig systemfremd ist und auch von Ihnen bisher abgelehnt wurde.
({11})
Deswegen kann ich auch zu diesem Thema nur sagen:
Herr Riester, Sie sind gut gestartet. Dafür haben Sie auch
von der Opposition, von der F.D.P., viel Lob bekommen.
In der Tat ist es der richtige Reformansatz, die gesetzliche
Rentenversicherung zurückzunehmen und zusätzlich eine
private kapitalgedeckte Altersversorgung aufzubauen.
Aber Sie haben sich Schritt für Schritt von diesem Konzept verabschiedet, weil Sie es in Ihrer eigenen Fraktion
nicht durchsetzen konnten. Den letzten Schritt haben Sie
getan um die Gewerkschaften zu befriedigen. Das wird
keine tragfähige Reform, meine Damen und Herren, und
deswegen werden wir sie, wenn Sie sie so durchsetzen
wollen, sicherlich nicht mittragen.
({12})
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu einem anderen Thema sagen, zur Künstlersozialversicherung. Im
Haushalt 2001 wird schlicht der Ansatz des Jahres 2000
übernommen, der da schon zu niedrig war, weil er um
37 Millionen DM gekürzt worden ist. Das heißt, die Fortschreibung in 2001 bedeutet faktisch eine Absenkung des
im Gesetz festgeschriebenen Bundeszuschusses zur
Künstlersozialversicherung und ist damit ein Verrat an
den Künstlern, die in Deutschland weiß Gott kein einfaches Leben haben.
({13})
Die Absenkung des Bundeszuschusses lehnt die F.D.P.
natürlich ab. Wir haben einen Antrag gestellt, den Zuschuss des Bundes um 19 Millionen DM wieder auf
171 Millionen DM zu erhöhen.
({14})
- Wir haben im Haushaltsausschuss einen Deckungsvorschlag gemacht. Wenn er Ihnen nicht vorliegt, dann können
wir Ihnen den selbstverständlich jederzeit nachliefern. Aber
Sie, Herr Urbaniak, hätten sich im Haushaltsausschuss einmal mit den Verwertern und den Künstlern zusammensetzen müssen.
({15})
- Das haben wir gemeinsam beschlossen; damals waren
wir noch in der gleichen Koalition. Übrigens: Die Künstlersozialkasse hat nur deshalb ihren Sitz in Wilhelmshaven, weil der damalige Arbeitsminister Ehrenberg, ein
Genosse, aus der Gegend kam.
({16})
Die Künstler und die Verwerter haben einen Vorschlag
zur Neuordnung der Künstlersozialversicherung gemacht. Aber Sie haben es vor der Einbringung des Gesetzes, über das wir nächste Woche im Bundestag debattieren werden, noch nicht einmal für notwendig gehalten,
sich mit diesem Vorschlag auseinander zu setzen. Das ist
die Arroganz der Macht. Dies ist nicht hinzunehmen. Ich
denke, die Wählerinnen und Wähler werden diese Arroganz richtig einschätzen.
({17})
Wir werden bei der Beratung dieses Gesetzes uns alle
zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, damit Sie Ihrer
Verantwortung für einen Bereich, der einmal vom Ansatz
her gut gestaltet war, endlich wieder gerecht werden. Wir
hoffen, dass wir nun, nachdem Sie insgesamt elf Minister
und Staatssekretäre durch Fahnenflucht oder Entsorgung
verloren haben, mit dem neuen Staatsminister und Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der
Kultur und der Medien auch über dieses Thema einen
konstruktiven Dialog führen können.
({18})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Thea
Dückert vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Laumann hat uns vorhin, etwa kurz nach
12 Uhr, mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ begrüßt.
Als er dann seine Rede vorgetragen hat, habe ich gedacht:
Er hat wohl - das ist ihm eigentlich zu gönnen - nicht nur
den heutigen Tag, sondern ganz offensichtlich auch die
Entwicklungen in der Sozialpolitik der letzten zwei Jahre
verschlafen.
({0})
Die Opposition verfährt weiterhin nach dem Motto,
dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Auch der Haushalt 2001 zeigt eines ganz deutlich: Wir bringen wieder
mehr soziale Gerechtigkeit in die Politik der Bundesrepublik Deutschland hinein. Unser Motto ist die Nachhaltigkeit, das bedeutet: Wir wollen eine Politik für das Heute
und für das Morgen machen. Wir wollen die Lasten nicht
auf Kosten der jüngeren Generation in die Zukunft verschieben, wie Sie das getan haben.
({1})
Wir wollen den Haushalt konsolidieren und gleichzeitig
gestalten.
Sie wissen genau, welch hohen Schuldenberg Sie uns
hinterlassen haben. Die Steuern sind über Jahre und Jahrzehnte hinweg trotz der Regierungsbeteiligung der angeblichen Steuersenkungspartei F.D.P. gestiegen. Die
Lohnnebenkosten, Frau Schwaetzer, sind allein von 1990
bis 1998, also in acht Jahren, um 6,5 Prozent gestiegen.
Auch die Mehrwertsteuer ist gestiegen.
({2})
Sie haben uns aber nicht nur einen Schuldenberg, sondern auch - das ist sehr beschämend - einen Berg an Jugendarbeitslosigkeit hinterlassen. Als wir in die Regierung kamen, gab es insgesamt 4,7 Millionen Arbeitslose.
({3})
- Frau Schwaetzer, ich glaube nicht, dass es primitiv ist,
nach zwei Jahren unserer Regierungstätigkeit einen Vergleich anzustellen. Während Ihrer Regierungszeit, wie gesagt, gab es 4,7 Millionen Arbeitslose. Jetzt sind es nur
noch 3,6 Millionen. Das kann man nicht primitiv nennen.
Vielmehr zeigt das sehr deutlich, dass wir die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in allen Politikbereichen zur
zentralen Aufgabe gemacht haben, und zwar in der Steuerpolitik, in der Finanzpolitik und in der Arbeitsmarktpolitik.
({4})
Wir haben hier einen großen Etappenschritt gemacht.
({5})
Der Trend hat sich umgekehrt.
({6})
Die Steuern sinken. - Frau Schwaetzer, davon hätten Sie
nur geträumt, wir setzen es durch. - Die Lohnnebenkosten
sinken. Zum nächsten Jahr sinken auch die Rentenversicherungsbeiträge auf 19,1 Prozent.
({7})
- Zur Ökosteuer komme ich gleich, Frau Schwaetzer,
auch zu den Gesamtbelastungen. - Die Arbeitslosigkeit
sinkt und die Beschäftigung nimmt zu, und zwar nicht aufgrund der demographischen Entwicklung,
({8})
sondern - das sage ich ausdrücklich - aufgrund einer zusätzlichen Zugangs von Arbeitskräften, beispielsweise
von Frauen, in einer Größenordnung von 500 000. Das ist
eine positive Bilanz, meine Damen und Herren.
({9})
Frau Kollegin Dückert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laumann?
Gerne, Herr Laumann.
Bitte
schön, Herr Laumann.
Verehrte Frau
Kollegin, können Sie mir denn bestätigen, dass sich den
Gutachten der fünf Weisen, des Sachverständigenrats der
Bundesregierung, zufolge zwar - da haben Sie Recht - die
Zahl der Beschäftigten erhöht hat, dass aber, gemessen an
Erwerbsarbeitsstunden, die Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gestiegen ist? Können Sie mir
bestätigen, dass das in den Gutachten des wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung steht?
Herr Laumann, ich kann Ihnen bestätigen, dass uns der
Sachverständigenrat bestätigt hat, dass der Zusammenhang zwischen Steuerpolitik, Finanzpolitik, Haushaltskonsolidierung und Arbeitsmarktpolitik dazu geführt hat,
({0})
dass die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist und die Zahl
der Beschäftigten in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren um 500 000 steigen wird.
({1})
Das hat uns der Sachverständigenrat bestätigt, Herr
Laumann.
Meine Damen und Herren, ich denke, dass wir durch
diese Politik, auch durch unsere Haushaltspolitik eine
gute soziale Bilanz vorzuweisen haben. Ich will Ihnen in
Erinnerung rufen, was passiert ist und was passieren wird.
Ich erinnere an die zweimalige Erhöhung des Kindergeldes und an die Erhöhung des Kinderfreibetrages und
ich sage Ihnen: Wir werden in dieser Legislaturperiode
das Kindergeld noch weiter erhöhen.
({2})
Was bedeutet die Erhöhung des BaföG? - Sie bedeutet,
dass Jugendliche, die bisher große Schwierigkeiten hatten, am Bildungsangebot teilzuhaben, Erleichterung erfahren. Es ist ein Schritt zu mehr Chancengleichheit auch
beim Zugang zur Bildung. Das haben wir bitter nötig.
Wir haben das Wohngeld erhöht. Zum ersten Mal seit
zehn Jahren. Auch das gehört zur sozialen Bilanz.
Und wir haben das Arbeitslosengeld und das Krankengeld erhöht, weil wir im Gegensatz zu Ihnen verfassungskonform handeln und auch die Einmalzahlungen in
höhere Krankengeld- und Arbeitslosengeldzahlungen
umsetzen.
Unter dem Strich bedeutet das, dass eine vierköpfige
Familie mit einem jährlichen Durchschnittseinkommen
von 60 000 DM im Jahr 2001 3 000 DM mehr in der Tasche hat.
({3})
Frau Schwaetzer, auch das sollten Sie bei Ihren kleinlichen Rechnereien einmal zur Kenntnis nehmen.
({4})
Meine Damen und Herren, daran zeigt sich: Diese Politik hat ein soziales Gesicht.
({5})
Wir ruhen uns nicht aus; das ist völlig klar. Aber dies ist
ein Grund zur Zufriedenheit.
({6})
Wir wollen die Herausforderungen annehmen. Das bezieht sich nicht nur auf den Schuldenberg, den Sie uns hinterlassen haben,
({7})
sondern auch auf die Veränderungen in der Arbeitswelt,
auf die veränderten Erwerbsbiografien. Heute wollen und
müssen immer mehr Alleinerziehende in dieser Arbeitsgesellschaft Platz finden. Zu nennen ist auch die Veränderung im Altersaufbau dieser Gesellschaft. Dies ist ein
ungeheurer Reformbedarf, dem wir uns stellen. Das sind
die Herausforderungen der Zukunft.
Ich habe gestern mit Interesse gelesen, wie es weitergegangen wäre, wenn beispielsweise Herr Blüm Sozialminister geblieben wäre.
({8})
Er hat gestern in einem Interview in sehr deutlicher Weise
die schwarze Katze aus dem schwarzen Sack gelassen.
Herr Blüm, Sie haben gestern gesagt, eine gesetzliche
Rentenversicherung lasse sich nicht mit einer privaten
verknüpfen.
({9})
Unser Angebot, Personen mit geringem Einkommen und
insbesondere Familien mit Kindern beim Aufbau der privaten Altersvorsorge zu helfen, ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit.
({10})
Außerdem ist es ein Gebot der Fairness. Auch Herr Blüm
hätte damals schon sagen müssen, dass in Zukunft zur Altersversorgung neben dem Herzstück der gesetzlichen
Rentenversicherungen ein weiteres Standbein nötig ist,
nämlich die private Vorsorge. Diese muss hinzukommen,
damit die zukünftigen jungen Generationen im Alter gut
abgesichert sind. Wir bieten ihr genau hierzu Hilfen an.
Wir wollen nicht wie Herr Blüm erst losspringen und dann
abstürzen. Wir wollen mit der Rentenreform der jungen
Generation die Hand reichen und ihre Altersversorgung
absichern.
({11})
Ich komme nun auf den Arbeitsmarkt zu sprechen,
einen sehr wichtigen Aspekt unserer Politik. Die Prognosen, nicht nur die des Sachverständigenrates, beweisen,
dass unsere Politik hier schon Auswirkungen zeigt. Selbst
in vorsichtigen Prognosen wird davon ausgegangen, dass
in den nächsten Jahren eine positive Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt zu erwarten ist. Trotz der demographischen
Entwicklung entstehen zusätzliche Arbeitsplätze. So werden wir, auch wenn in Zukunft weitere Personengruppen
wie zum Beispiel Frauen auf den Arbeitsmarkt drängen,
ein Sinken der Arbeitslosenzahlen verzeichnen können.
Diese Entwicklung sollte die Opposition einmal wahrnehmen. Auch heute verhalten Sie sich in Ihren Reden
wieder wie die berühmten drei Affen: nichts hören, nichts
sehen, nichts sagen. Stattdessen klagen Sie nur.
({12})
Meine Damen und Herren, kommen Sie herunter von
den Bäumen und diskutieren Sie mit uns einmal über
Konzepte der Arbeitsmarktpolitik, die der zukünftigen
Entwicklung Rechnung tragen. Eines ist völlig klar: Es ist
ein Irrglaube, zu meinen, dass man, wenn es auf dem Arbeitsmarkt brummt, die aktive Arbeitsmarktpolitik einstellen könne. Das ist nicht so. Das zeigt auch die Struktur des Arbeitsmarktes: Es gibt große regionale Gefälle
bei der Höhe der Arbeitslosigkeit; Jugendliche und Ältere
besonders in den neuen Bundesländern haben große Probleme, Arbeit zu finden; es gibt das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit. Deswegen verstetigen wir die aktive
Arbeitsmarktpolitik - das wollen Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, die ganze Zeit verhindern auf einem hohen Niveau. Wir werden auch das JUMPProgramm - und zwar steuergegenfinanziert - weiter
fortführen, denn es war schon in der Vergangenheit erfolgreich.
({13})
Wir werden unsere beschäftigungspolitischen Anstrengungen nicht zurückschrauben. Wir werden unsere Politik der Senkung der Lohnnebenkosten und der Steuer- und
Abgabenlast konsequent fortsetzen. Wir werden das
Bündnis für Arbeit unterstützen und vorantreiben. Es ist
auch dringend notwendig, moderne Formen von Teilzeitarbeit und der Teilung von Arbeit voranzutreiben. Wir
werden das Betriebsverfassungsgesetz weiter reformieren.
({14})
Wir werden außerdem die Arbeitsförderung sehr kreativ
und mithilfe neuer Ansätze reformieren.
({15})
- Herr Präsident, ich sehe, dass es blinkt.
Seit langem!
({0})
Ich komme zum Schluss. - Meine Damen und Herren, ich
denke, dass sowohl die Bilanz des Gesamthaushaltes mit
der dort vorgesehenen Unterstützung von Familien mit
Kindern und den dort vorgesehenen strukturellen Maßnahmen, mit denen wir den Herausforderungen der Zukunft begegnen, als auch die Bilanz des Arbeitsmarktes
eines deutlich machen:
({0})
Dieser Haushalt ist ein sozialpolitisch richtiger Ansatz,
mit dessen Hilfe Rot-Grün soziale und ökologische Politik verantwortlich weiter voranbringen kann.
Ich danke Ihnen.
({1})
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Klaus Grehn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In seiner gestrigen Rede hat der
Bundeskanzler die Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und das Wachstum der Beschäftigung gefeiert und zur gemeinsamen Freude aufgerufen. - Die
Botschaft hört‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
({0})
Deswegen kann man dies - wie manches andere auch nicht unwidersprochen stehen lassen.
Um es gleich vorwegzunehmen, Frau Kollegin
Dückert: Dieser Widerspruch bedeutet keine Miesmacherei und auch kein Jammern, sondern er ist der Tatsache geschuldet, dass die Welt eben ganz anders aussieht, je nachdem, ob man vor dem Schreibtisch der Arbeitsvermittler,
die nicht vermitteln können, oder vor den Mitarbeitern
der Sozialämter, die dem Spardiktat zu folgen haben, steht
oder ob man hinter einem Schreibtisch sitzt.
Die Tatsachen, dass die geschaffenen neuen Arbeitsplätze vor allem 630-Mark und Teilzeitarbeitsplätze sind,
dass demographische Faktoren diese Entwicklung beeinflussen, sind in der Rede des Kanzlers nicht aufgetaucht.
Der Bundeskanzler hat wohlweislich die ihm spätestens seit seiner Reise durch die neuen Bundesländer bekannte Tatsache der sich zwischen Ost und West vertiefenden Spaltung auf dem Arbeitsmarkt außen vor
gelassen. Ich bin überzeugt, dass dies in den neuen Bundesländern genauso aufmerksam registriert worden ist
wie der Verschiebebahnhof bei der Finanzierung, von
dem hier verschiedentlich die Rede war, und wie die Tatsache, dass eine zündende Idee für eine Verbesserung dieses Zustandes nicht zu entdecken war.
({1})
Leider ist dies aber keine Einzelenttäuschung, wie unter anderem die Themen Ausbildungsplätze, Rente insgesamt und insbesondere das Teilthema Rente Ost belegen.
Dieser Einschätzung steht auch der vorgelegte Haushalt in
nichts nach. Er macht deutlich, dass die Bundesregierung
die Chance die soziale Schieflage in der Gesellschaft zu
korrigieren, leider nur unzureichend genutzt hat.
Solange vonseiten der Arbeitgeber noch immer völlig
abwegige Forderungen nach einem Abbau der Sozialleistungen erhoben werden - Stichworte dazu sind die Erhöhung der Lebensarbeitszeit, die Senkung von Lohnersatzleistungen, die Erhöhung des Drucks auf die aus dem
Arbeitsleben Ausgegrenzten -, muss sich diese Bundesregierung entscheiden, wofür sie steht, für die Interessen der
Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, der Armen und Ausgegrenzten, wie Sie es im
Wahlkampf versprochen haben, oder einseitig für die Interessen der Unternehmen, der Konzerne, der Banken, der
fusionierenden Großunternehmen.
Wir halten es für falsch, wenn der Bundesarbeitsminister den Arbeitgeberverbänden Gesprächsbereitschaft über
die Verlängerung der Lebensarbeitszeit signalisiert.
Schon längst nämlich haben die unzureichende Arbeitsmarktpolitik, die so genannte Ökosteuer und das Rentenkonzept nichts mit den Interessen des kleinen Mannes zu
tun, sondern all dies geht zu seinen Lasten. Es wird ein
Klima geschaffen, in dem sich der arbeitslos Gemachte
schämt, der Sozialhilfeempfänger an den Pranger gestellt
wird, der Arme und Bedürftige gefälligst für die ihm verabreichten Almosen dankbar zu sein hat.
Diese Bundesregierung ist weit davon entfernt, von der
deutschen Wirtschaft einen angemessenen Beitrag für
sinnvolle und sozial gerechte Reformen zu verlangen.
Stattdessen gibt sich der Kollege Schlauch, der ja nicht
gerade auf einer hinteren Bank in der regierenden Koalition sitzt, dazu her, das anzugreifen, was die bisherige
wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik ganz maßgeblich hervorgebracht hat: die Tarifautonomie von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und deren fair ausgehandelte
Flächentarifverträge.
({2})
Wer heute gegen die Gewerkschaften zu Felde zieht, verzichtet auf den sozialen Ausgleich.
Die Stoßrichtung aller so genannten Reformvorhaben
der letzten Zeit ist klar erkennbar. Sie zielen auf die Abkopplung der Sozialsysteme von der Reichtumsentwicklung. Die Funktion des Sozialstaates wird auf Wettbewerbsförderung reduziert. Bei dem, was das falsche
Denken vor allem des Bundesfinanzministers hervorbringt, weht uns kein Hauch von Zukunftsfähigkeit
entgegen. Die Finanzierbarkeit ist eine wichtige Voraussetzung, der gesellschaftliche Konsens über die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft eine andere. Die Bedürfnisse und Erwartungen der Millionen Bürgerinnen
und Bürger dieses Landes lassen sich nicht durch angebliche Sparzwänge einseitig reduzieren oder vom Tisch wischen. Der Staat hat ihnen Rechnung zu tragen; dafür werden Regierungen gewählt.
Deutlich sichtbar wird dieses falsche Denken bei der
angegangenen Rentenreform. Die Antwort dieser Regierung auf das Erfreulichste in einer Gesellschaft, nämlich
die Verlängerung der durchschnittlichen Lebenszeit, lautet: Wenn ihr älter werdet, müsst ihr ärmer leben. Welch
eine Armseligkeit des Denkens, welch eine Unfähigkeit,
die Zukunft schon heute attraktiv und erstrebenswert zu
gestalten!
Geradezu unerträglich ist der Gedanke, dass nichts getan wird, um endlich die Lebensleistungen der Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern genauso
anzuerkennen wie die derjenigen in den alten Bundesländern. Stattdessen wollen Sie die Leistungen insgesamt absenken. Wenn alle Alten ärmer werden, dann sollen die
ungeliebten Alten im Osten immer noch ärmer bleiben.
({3})
Dies ist das Signal, Herr Minister Riester. Es wird wohl
vernommen. Die Regierung tut ein Übriges und kürzt gar
den Bundeszuschuss für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten um 870 Millionen DM.
({4})
Auf dem Arbeitsmarkt ist kein Umschwung zu erkennen. Die Prognosen über die konjunkturelle Entwicklung münden seit Jahren lediglich in Spekulationen über
das Auf und Ab der Zahlen der Arbeitslosen. Das Konjunkturtempo wird sich nach jüngsten Aussagen der Wissenschaft trotz erhöhter Steuereinnahmen und milliardenschwerer Privatisierungserlöse weiter verlangsamen. Die
Folgen für den Arbeitsmarkt sind vorhersehbar. Der unverhoffte Gewinn bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen in Höhe von 100 Milliarden DM könnte eine entscheidende Grundlage sein, um die Probleme auf dem
Arbeitsmarkt nachhaltig zu lösen.
({5})
Diese Möglichkeit wird nicht genutzt.
Unverständlich ist auch, dass der Haushaltsplan die
Kürzung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt
für Arbeit auf 1,2 Milliarden DM vorsieht. Erneut wird
im Kaffeesatz der Prognosen gelesen, statt sich mit der
tatsächlichen Lage vor allen Dingen im Osten Deutschlands zu befassen. Hier bleibt eine aktive Arbeitsmarktpolitik für Hunderttausende von Arbeitslosen dringend
geboten. Bundesweit muss der dramatisch wachsende
Sockel der Langzeitarbeitslosen gezielt abgebaut werden.
Nach der Lage der Dinge ist die Bereitstellung von
Bundesmitteln für expansive und zugleich innovative
Fördermaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit eine notwendige Voraussetzung für Lösungen. Jeder, der anderes
veranlasst, nimmt Ertrinkenden die Schwimmweste weg
mit dem Hinweis auf das nahe liegende Ufer, das sich allerdings als Fata Morgana erweist. Der Änderungsantrag
der PDS sieht deshalb die Erhöhung der Mittel auf
maßvolle 2 Milliarden DM vor.
Die völlige Streichung der Sachmittel für ABM ist eine
weitere soziale Grausamkeit; denn sie bedeutet das Aus
für viele sozial und soziokulturell engagierte Vereine, die
einen wichtigen Beitrag zur individuellen Bewältigung
gesellschaftlicher Aufgaben leisten. Jeder durch ABM geschaffene Arbeitsplatz benötigt ein Mindestmaß an Ausstattung mit Sachmitteln, weil er sonst nicht wahrgenommen werden kann. Deshalb fordern wir in unserem
Änderungsantrag die Bereitstellung von 500 Millionen DM für diese Sachmittel.
({6})
Gestatten Sie mir eine weitere Bemerkung zur Arbeitsmarktpolitik. Es ist nicht lange her, da wurde das Verfahren zu SAM/OFW verschärft, weil erhebliche Mitnahmeeffekte durch Unternehmen registriert wurden. Mir
liegt eine Ausschreibung für ein Vorhaben vor, in der steht
- es geht um 25 Gewerke -: „Die Arbeiten sind unter maßgeblicher Beteiligung von ABM-Arbeitnehmern durchzuführen. Für die zugewiesenen Arbeitnehmer ist bei der
Angebotsabgabe ein Nachlass bei der Preisbildung anzustreben.“ - Das passiert in Bereichen, die durch ABM
überhaupt nicht abzudecken sind.
({7})
- Das ist die offizielle Ausschreibung eines Landrates. Ich
kann Ihnen die entsprechenden Unterlagen gerne zur Verfügung stellen.
({8})
Ich nenne ferner den reduzierten Zuschuss zur Krankenversicherung. Die Gerechtigkeit bleibt auch bei der
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe außen vor. Sie haben die
Unterfinanzierung der Arbeitslosenhilfe ansteigen lassen
und die Deckelung der Sozialhilfe nicht zurückgenommen. Sie haben stattdessen den Zuschuss zur Rentenversicherung von Arbeitslosenhilfebeziehern gesenkt. Das
wird sich doppelt rächen: Es fällt uns zweimal auf die
Füße, einmal heute und einmal zuzeiten der Altersarmut,
die bevorsteht.
Die Ihnen zur Abstimmung vorgelegten Änderungsanträge der PDS zum Einzelplan 11 zielen auf mehr
Gerechtigkeit und auf die Korrektur unvertretbarer Kürzungen. Wir bitten deshalb um Ihre Zustimmung.
({9})
Ich gebe
nunmehr dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es in Erinnerung zu rufen: Wir sprechen über den Haushalt für Arbeit und Soziales. Es
handelt sich um 170 Milliarden DM, die wir für Arbeit
und Soziales einsetzen. Das sind 15 Milliarden DM mehr
als vor zwei Jahren, im letzten Jahr der alten Regierung.
({0})
Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Unverfrorenheit
dazu, zu erklären, dieser Haushalt sei Ausdruck einer sozialen Eiszeit.
({1})
- Herr Laumann, was geht in Ihrem Kopf vor?
({2})
Ich darf Sie als CDU-Mitglied daran erinnern, was wir
übernommen haben: Wir haben die größte Staatsverschuldung übernommen, die dieses Land jemals gehabt
hat.
({3})
Wir haben die höchste Steuerquote übernommen, die dieses Land jemals gehabt hat. Wir haben die höchsten Lohnnebenkosten übernommen, die dieses Land jemals gehabt
hat.
({4})
Wir haben die höchste Arbeitslosenquote übernommen,
die dieses Land jemals gehabt hat. All dieses haben wir
übernommen. Da bin ich gerne bereit, jetzt Bilanz zu ziehen.
({5})
- Ich höre von der rechten Seite: „die deutsche Einheit“.
Ja, die haben wir übernommen und an der arbeiten wir,
aber ohne laufend neue Schulden aufzubauen. Da unterscheiden wir uns von Ihnen.
({6})
Wiedervereinigung bedeutet für uns nicht, laufend Steuereinnahmen auszuweiten und laufend Schulden weiter
aufzubauen. Darin unterscheiden wir uns.
({7})
- Wenn sich das Murmeln etwas legt, dann kommen wir
einmal zu dem, was wir erreicht haben.
({8})
Wir haben als Erstes die Steuern gesenkt.
({9})
Wir haben als Zweites die Lohnnebenkosten gesenkt.
({10})
- Auf Ihr „Wo denn?“ komme ich im Detail noch zu sprechen. - Wir haben als Drittes in zwei Jahren Rahmenbedingungen - wenn es Ihnen um die Leute ginge, müssten
Sie darüber eigentlich jubeln - für über 1 Million zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse geschaffen.
({11})
- Nun schreit der für die Zwischenrufe sehr bekannte Herr
Niebel: „630-Mark-Jobs“. Dazu darf ich Ihnen etwas sagen: Eine halbe Million sozialversicherungspflichtige zusätzliche Arbeitsverhältnisse ohne die 630-Mark-Jobs
sind entstanden.
({12})
Sie haben es in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit geschafft, die Zahl der Arbeitslosen um rund 3 Millionen zu
erhöhen; allein in den letzten zehn Jahren um rund
2,5 Millionen.
({13})
Ich bin stolz darauf, dass wir es geschafft haben, die Zahl
der Arbeitslosen um eine halbe Million zu senken, sodass
wir uns erstmals über eine Bilanz verständigen können.
({14})
- Nun kommt der hervorragende Einwand der Damen
und Herren von rechts, das sei alles Demographie. Mein
Herr, Sie waren ja früher einmal beim Arbeitsamt beschäftigt:
({15})
Wenn Sie sich einmal die Zahlen anschauen würden
({16})
- da höre ich qualifizierte Zwischenrufe; für Zwischenrufe sind Sie ja bekannt, aber bitte ein bisschen qualifizierter -,
({17})
dann wüssten Sie, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen
nicht deshalb um 100 000 gesunken ist, weil so viele aus
dem Erwerbsleben ausgeschieden sind.
({18})
- Wir haben im Bereich der Jugend ein Schwerpunktprogramm eingesetzt.Über die Frage, wie diese Ausgaben
finanziert werden, möchte ich mich gern mit Ihnen fetzen.
Unbestritten ist aber doch, dass wir es überhaupt angegangen sind. Sie sind es doch noch nicht einmal angegangen!
({19})
Herr Laumann, Ihnen mangelt es an Innovation. Gott
sei Dank ist Herr Seehofer da, der mir sicherlich bestätigen kann, dass er einmal gesagt hat, unsere Vorschläge zur
Rentenreform seien ein Quantensprung in der Sozialpolitik. Sie waren damals dabei und hätten Ihren Protest anmelden können;
({20})
Sie hätten sagen können, dass Ihnen der Entwurf zu wenig innovativ ist. Noch besser wäre es allerdings gewesen,
Sie hätten eigene Vorschläge eingebracht. Darauf warte
ich noch immer.
({21})
Herr Seehofer hat gesagt, es sei ein Quantensprung, dass
wir endlich dazu kommen, eine kapitalgedeckte zusätzliche Altersvorsorge systematisch aufzubauen.
({22})
Er hat ganz leise dazugesagt, die frühere Koalitionsregierung hätte das leider nicht geschafft.
({23})
Der Ehrlichkeit halber muss das gesagt werden; es waren
mehrere Damen und Herren anwesend.
({24})
Wir werden dafür sorgen - es dauert nicht mehr lange,
bis das Gesetz verabschiedet ist -, dass die Altersvorsorge
stärker gefördert wird. Wir haben dafür gesorgt - ich zeige
Ihnen gerne unsere Bilanz -, dass die Rentenversicherungsbeiträge und damit die Lohnnebenkosten gesenkt
werden. Die Damen und Herren Abgeordneten möchten
gerne wissen - es wurde in der Debatte vorhin verschiedentlich angesprochen -, wie es sich mit der Bilanz bezüglich des Ökosteueraufkommens und der Einnahmen
in der Rentenversicherung verhält. Ich kann das nur als
rhetorische Frage verstehen, da Sie es ohne weiteres im
Gesetzentwurf nachlesen könnten.
({25})
Ich will sie aber trotzdem konkret beantworten:
({26})
Die Einnahmen aus der Ökosteuer werden sich im nächsten Jahr auf 22,3 Milliarden DM belaufen, während der
Rentenversicherung 22,4 Milliarden DM zugeführt werden.
({27})
Das heißt, der Rentenkasse stehen 100 Millionen DM
mehr zur Verfügung, als durch die Ökosteuer eingenommen werden. Das ist die Wahrheit, die jeder von Ihnen aus
dem Gesetzentwurf ersehen kann, von dem ich annehme,
dass er Ihnen zur Verfügung steht.
({28})
Hören Sie also auf, mit Ihren Äußerungen solche Verwirrungen hervorzurufen. Es gibt ja sicherlich viele Menschen, die unsere Debatte verfolgen und denen im Gegensatz zu Ihnen die entsprechenden Unterlagen nicht zur
Verfügung stehen.
Gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg?
({0})
- Frau Kollegin Schwaetzer, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Auseinandersetzungen mit dem amtierenden
Präsidenten nicht zulässig sind. Ich habe Ihre Zwischenfrage nicht zugelassen, weil Sie sich bereits nach
den ersten drei Sätzen des Kollegen Riester gemeldet haben. Ich fand das nicht angemessen.
({1})
Ja, ich gestatte die Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg.
Herr Arbeitsminister, Sie haben mit den Einnahmen aus der ersten
Stufe der Ökosteuer im Umfang von 8 oder 9 Milliarden
DM pro Jahr dafür gesorgt, dass der Rentenversicherungsbeitrag von 20,3 Prozent auf 19,5 Prozent gesunken
ist. Mit der dritten Stufe, die im nächsten Jahr greift und
mit der Sie wiederum ein Drittel des geschätzten Gesamtaufkommens aus allen Stufen erhalten, wollen Sie erreichen, dass der Rentenversicherungsbeitrag von
19,3 Prozent auf 19,2 Prozent sinkt.
Können Sie mir bitte erklären, warum die erste Stufe
der Ökosteuer zu einer drastischen Senkung des Rentenbeitrags im Umfang von 0,8 Prozent führte, während die
für das nächste Jahr vorgesehene Stufe nur 0,1 Prozent
bringt, und wo der Rest der Einnahmen bleibt?
({0})
Das kann ich Ihnen gern erklären. Wir haben
zwei Entlastungen realisiert: Mit den Einnahmen aus
der ersten Stufe der Ökosteuer in Höhe von 8,4 Milliarden DM 1999 haben wir die Beitragsbelastungen reduziert. Man darf nicht vergessen, dass ich die Verantwortung für die Rentenversicherung zu einer Zeit übernommen habe, in der zur Deckung der gesetzlich vorgesehenen
Schwankungsreserve - sie reichte Ende 1998 nur noch für
21 Tage Rentenzahlungen - rund 8 Milliarden DM gefehlt
haben.
({0})
- Herr Blüm, ich lasse Ihre Zwischenfrage gerne zu, weil
Sie diesen Sachverhalt hoffentlich bestätigen werden. Mit diesen rund 8 Milliarden DM haben wir diese Lücke
wieder geschlossen. Seit 1994 wird jetzt zum ersten Mal
wieder die vom Gesetz vorgesehene Schwankungsreserve
in der Rentenversicherung voll eingehalten.
Wir haben also aus den Ökosteuereinnahmen zwei
Dinge finanziert. Ich sage Ihnen nochmals: Wir werden
im nächsten Jahr 100 Millionen DM mehr in die Rentenversicherung hineingeben, als wir Einnahmen aus der
Ökosteuer haben. Das ist die Wahrheit.
({1})
Herr Bundesminister, nachdem mir jetzt drei Zwischenfragen und
zwei angemeldete Kurzinterventionen vorliegen, möchte
ich eine kurze Zwischenbemerkung machen: Wir sind von
Vertretern aller Fraktionen gebeten worden, Rücksicht auf
die nachfolgenden Debatten und die noch anstehenden
namentlichen Abstimmungen zu nehmen.
({0})
Auch in dieser Debatte muss auf die zeitliche Einteilung
etwas Rücksicht genommen werden. Deswegen haben Sie
Verständnis dafür, dass wir vom Präsidium sehr zurückhaltend mit dem Zulassen von Zwischenfragen und Kurzinterventionen umgehen.
Herr Bundesminister, bitte fahren Sie fort.
Danke schön. - Ich fasse zusammen: Wir
bauen die Altersvorsorge, die auf zwei Säulen steht, deutlich aus. Wir senken die Beiträge und stabilisieren sie
dauerhaft. Ein weiterer Punkt ist, dass diejenigen, die wegen Kindererziehung niedrigere Einkünfte oder Arbeitsunterbrechungen haben - das sind insbesondere die
Frauen -, rentenrechtlich deutlich besser gestellt werden.
Weiterhin regeln wir die leider immer noch vorhandene verschämte Altersarmut im Rentenrecht und im Sozialhilferecht so, dass sie in diesem Land nicht mehr entstehen muss. Das ist Innovation.
({0})
Herr Laumann, ich komme auf Ihre Rede zu sprechen.
Sie haben nicht alles lautstark vorgetragen; einige Dinge
haben Sie leise gesagt. Einige Dinge fasse ich als Angebot auf und nehme sie gerne auf. Sie haben gesagt, Sie
möchten über das zu entwickelnde Betriebsverfassungsgesetz mitdiskutieren. Ich biete Ihnen das gerne an. Ich
bin sehr daran interessiert, dass sich auch die Union daran
beteiligt. Ich weiß, dass sie diesbezügliche Erfahrungen
einbringt. Diese möchte ich hören. Ich halte es für unangemessen, über einen noch nicht vorliegenden Gesetzentwurf in einer solchen Weise zu spekulieren. Wir werden
dafür sehr schnell einen Referentenentwurf vorlegen. Ich
biete Ihnen an, an diesem mitzuarbeiten, sich als Union
einzubringen, weil ich weiß, dass das ein wichtiger Punkt
ist, an dem wir gemeinsam arbeiten müssen.
({1})
Sie haben einen zweiten Punkt angesprochen, den ich
sehr ernst nehme und der nicht gern angesprochen wird.
Es gibt Leistungsmissbrauch und Verhaltensweisen, die
wir so nicht tolerieren können. Sie haben es, bezogen auf
junge Menschen, angesprochen. Es trifft nicht nur auf
junge Menschen zu, es trifft auf einer breiteren Ebene zu.
Ich mache die Erfahrung, dass wir dort mit gesetzlichen
Regelungen keine Wirkung erzielen können. Die bestehenden Gesetze lassen Leistungseinschnitte zu, wenn
Menschen leistbare Arbeit bewusst verweigern. Das ist
ein Problem, das wir vor Ort angehen müssen. Wir müssen das vonseiten der Sozialämter und Arbeitsämter angehen. Wir müssen es als Politiker deutlicher ansprechen.
Das nehme ich positiv auf. Wir müssen uns auch dieser
Seite stellen. Wir können uns ihr aber am besten dadurch
stellen, dass wir den Leuten nachvollziehbare Chancen
geben und diese aufzeigen.
Sie haben einen dritten Punkt angesprochen und darauf
hingewiesen, dass es wichtig ist, die starke Diskrepanz in
der Entwicklung zwischen Ost und West nicht aus den Augen zu lassen. Auch hier haben Sie mich auf Ihrer Seite.
Stärker als im Westen ist es notwendig, dass wir in den
neuen Bundesländern mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen unterstützend eingreifen. Genau das machen wir.
Beispielsweise haben wir das JUMP-Programm schwerpunktmäßig noch einmal stärker auf die neuen Bundesländer verlagert. Wir haben im nächsten Jahr vor, 50 Prozent der Mittel des JUMP-Programms in den ostdeutschen
Ländern einzusetzen.
({2})
Sie haben immer geschrien, dass das JUMP-Programm
eine Sperre hat. Es hat keine Sperre mehr. Wir werden uns
dafür einsetzen. Ich bin froh, wenn auch die Union daran
entsprechend mitarbeitet.
Weiter haben Sie die Frage der Flexibilisierung angesprochen. Dazu haben wir ein Gesetz mit zwei Ansätzen
eingebracht, das im Deutschen Bundestag verabschiedet
worden ist. Ich hätte mich darüber gefreut, wenn die
Union dem zugestimmt hätte.
({3})
Zunächst geht es um die Beschäftigungssicherung. Wir
haben - für viele Sozialdemokraten war das gar nicht einfach - die Befristung ohne sachlichen Grund weiterhin ermöglicht. Dieses Recht ist nicht befristet. Eines haben wir
dabei ausgeschlossen - es handelt sich um ein Anliegen
von Sozialdemokraten, von Gewerkschaftern und von
Bündnisgrünen; ich hätte mich gefreut, wenn auch Ihre
Partei zugestimmt hätte -, nämlich Kettenarbeitsverträge
mit Mehrfachbefristungen.
({4})
Dieses Gesetz enthält ein weiteres Element zur Stärkung der Flexibilisierung. Ich war sehr überrascht, als ich
in einem Interview des „Spiegel“ gelesen habe, dass der
Ihnen wahrscheinlich nicht fern stehende Ministerpräsident von Bayern lauthals einen Teilzeitarbeitsanspruch
in der Privatwirtschaft gefordert hat.
({5})
- Er hat das nicht eingeschränkt. Das können Sie nachlesen, Frau Baumeister.
Als es dann eine Woche später ernst wurde und wir den
Gesetzentwurf eingebracht haben - wir selbst haben dieses Anrecht daran gebunden, dass seine Umsetzung betrieblich überhaupt möglich ist -, haben Sie dagegen gestimmt.
Herr Laumann, bei Ihnen stimmen Anspruch und
Wirklichkeit nicht überein. Ich biete Ihnen an, in diesen
Fragen zusammenzuarbeiten, genauso wie ich es bei der
Rentenreform angeboten habe. Aber arbeiten Sie dann
bitte wirklich mit und verzögern Sie nicht! Bringen Sie
Vorstellungen ein! Wenn es zum Schwur kommt, dann
stehen Sie zu den Vereinbarungen, stimmen Sie zu und
nicht dagegen!
({6})
Herr Minister Riester, der Kollege Laumann - Sie haben ihn gerade
direkt angesprochen - möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ja, gerne.
Herr Minister,
sind Sie bereit, hier zu bestätigen, dass die CDU/ CSUBundestagsfraktion eine eigene Vorlage zur Teilzeitproblematik eingebracht hat? In dieser Vorlage ist ein Anspruch auf Teilzeitarbeit enthalten - betriebliche Gründe
dürfen dem nicht entgegenstehen -, wenn jemand ein
Kind von unter zwölf Jahren zu erziehen hat, wenn jemand einen pflegebedürftigen Familienangehörigen betreuen muss oder wenn jemand gesundheitlich gehandicapt ist und deshalb nicht so lange arbeiten kann.
Der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Position
ist nur folgender: Sie wollen einen Anspruch auf Teilzeitarbeit, egal aus welchem Grund, während wir diesen Anspruch mit Gründen wie Familie, Pflege oder Erwerbsminderung versehen haben. Ich bitte, das einmal zur
Kenntnis zu nehmen. Können Sie mir bestätigen, dass es
im Deutschen Bundestag eine entsprechende Vorlage gegeben hat, die Ihre Kollegen abgelehnt haben?
({0})
Herr Laumann, zunächst einmal bestätige
ich Ihnen, dass Sie zu dem Zeitpunkt, als diese Teilzeitinitiative der Regierungskoalition vorlag, eine Vorlage
eingebracht haben, die einen eingeschränkten Anspruch
enthielt. Zwar bin ich mir nicht sicher, aber ich nehme an,
dass die Vertreter der jetzigen Regierungskoalition in den
Zeiten, als sie noch in der Opposition waren, einem solchen Antrag von Ihnen - Sie stellten damals die Regierungskoalition - zugestimmt hätten; allerdings haben Sie
ihn damals nicht eingebracht. Wenn Sie eine solche Vorlage nur dann einbringen, wenn eine Teilzeitoffensive bereits auf dem Weg ist, dann ist klar, dass Sie eine Einschränkung wollen. Deswegen konnten wir Ihrer Vorlage
nicht zustimmen.
({0})
Ich komme zum Schluss. Wir legen einen Einzelplan
mit einem Volumen von 170 Milliarden DM vor. Mit diesem Geld werden wir die Politik des Aufbaus von Beschäftigung bzw. des Abbaus von Arbeitslosigkeit, eine
innovative Rentenpolitik und eine innenpolitische
Erneuerung in diesem Land vorantreiben. Deswegen ist
dieser Einzelplan nicht nur vom Volumen her der größte,
sondern auch von der Innovation und vom ganzen politischen Ansatz her. Ich bitte Sie sehr, diesem Einzelplan zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich gebe für
die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Hans-Joachim
Fuchtel das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister,
Ihre Aussagen können wir so nicht stehen lassen. Ich verwahre mich für die CDU/CSU energisch gegen die Behauptung, dass unter der früheren Regierung nichts für die
Langzeitarbeitslosen getan worden sei.
({0})
750 Millionen DM wurden jedes Jahr eingesetzt. Und was
machen Sie? - Sie nehmen das aus dem Haushalt heraus
und schieben es zur Bundesanstalt für Arbeit und dort
wird die Förderung Stück für Stück abgebaut!
({1})
Das ist der Unterschied zwischen unserer Regierungszeit
und Ihrer Regierungszeit.
Ich kann ein Beispiel anfügen. Die Kollegen durften
Sie hier nicht zu dem Hin-und-her-Jonglieren zwischen
Ökosteuer und Bundeszuschuss für die Rente fragen. Auf
eine Anfrage der PDS hin haben Sie die Hosen herunterlassen müssen.
({2})
Sie haben in der Antwort zugegeben, dass Sie der Rentenversicherung zunächst einmal 4,6 Milliarden DM entziehen, um das dann durch die Ökosteuer auszugleichen.
Das werfen wir Ihnen vor: dass Sie erst Geld in den Haushalt verschoben haben und dann neues geholt haben, um
die Rentenversicherung zu finanzieren. Solche Taschenspielertricks, Herr Minister, können wir nicht durchgehen
lassen. Sie müssen schon offen legen, wie die Transferströme verlaufen sind.
({3})
Wenn man das mit dem Einheitsprozess Anfang der
90er-Jahre vergleicht, haben Sie jetzt ganz bescheidene
Hausaufgaben zu machen, Herr Minister.
({4})
Die Steuereinnahmen sind besser, die Konjunktur ist wesentlich besser, ob er etwas dafür kann oder nicht. Es herrschen einfachere Rahmenbedingungen, und die Aufgaben, die erfüllt werden müssen, sind einfacher. Trotzdem
bringen Sie es nicht fertig, dass die Beschäftigung so stark
steigt wie sonst in Europa.
({5})
Es ist doch ein Armutszeugnis dieser Regierung, dass sie
bei der Wahl große Erwartungen geweckt hat und wir jetzt
bei der Zunahme der Beschäftigung im hinteren Drittel
herumdümpeln. Da kann ich nur sagen: Das hätte die Regierung Kohl besser gemacht.
({6})
1998 hatten wir einen Zuwachs von 400 000. Das wäre so
weitergegangen. Durch Lafontaine haben wir dann den
totalen Abbruch dieser Entwicklung erlebt. Das ist die
Wahrheit.
({7})
Herr Minister, Ihnen müssten eigentlich die Augen aufgehen, wenn Sie diese Turbulenzen in der Rentenpolitik
sehen. Sie kommen mir wie ein Leichtmatrose vor, der
ständig ängstlich nach dem Wetter schaut, und nicht wie
ein Kapitän, der auf der Brücke steht und das Steuer in der
Hand hat. So geht es auch weiten Teilen der Bevölkerung.
({8})
Die frühere Regierung wusste eben besser mit Rentenfragen umzugehen. Das muss man Ihnen sagen. Sie nehmen den Mund sehr voll. 1987 gab es viele Gutachten, die
einen Anstieg des Rentenbeitrags bis 2030 auf mindestens 36,6 Prozent prognostiziert haben. Dann machte
Blüm die Rentenreform, die sich sehen lassen konnte.
Man erwartete danach für das Jahr 2030 noch 26 Prozent.
Die Reform 1996/97 ließ dann 23,6 Prozent im Jahr 2030
erwarten. Die rot-grünen Pläne landen im Jahr 2030 bei
21,8 Prozent. Blüm brachte eine Reduzierung um 13 Prozent fertig. Sie kämpfen seit zwei Jahren darum, ob Sie
überhaupt zu 2 Prozent fähig sind. Das ist der Unterschied
in der Qualität.
({9})
Mit Ihrem Personal und mit Ihrer miserablen Qualität
hätten Sie die deutsche Einheit niemals geschafft. Jetzt
stehen Sie auf, machen ein großes Theater und werfen uns
die schwierigen Probleme, die damals zu bewältigen waren, vor. Ich denke, das merken alle Leute. Sie sollten den
Mund nicht so voll nehmen.
Das Gleiche gilt übrigens für die Arbeitsmarktpolitik. Sie mussten im letzten Augenblick Ihre Prognosen für
den Haushalt nochmals herunterrechnen.
({10})
Sie wollten 320 000 Beschäftigte mehr erreichen. 270 000
mussten Sie dann in der letzten Runde der Haushaltsberatungen annehmen.
({11})
So ist es gewesen. Das müssen Sie hier auch einmal sagen. Wenn die Zahlen steigen, sind wir sehr zufrieden.
Aber wir haben große Sorge, ob Sie das bewirken können.
Wenn es dazu kommt, dann wahrscheinlich deswegen,
weil andere im internationalen Bereich die konjunkturelle
Lage verbessern, aber nicht, weil Sie gute Gesetze machen.
({12})
Sie haben nichts bewegt.
Auf das Thema der 630-Mark-Jobs muss man heute
noch einmal eingehen.
({13})
Still und heimlich wurde nämlich die Statistik geändert.
„Hokuspokus Riesterbus“ wurden aus 630-Mark-Beschäftigten auf einmal Erwerbstätige. Die Aktion fand in
der Nacht zum 1. Mai 2000 statt. Seitdem - man höre und
staune - haben wir 0,4 Prozent weniger Arbeitslose; das
sind immerhin 100 000 Arbeitslose weniger in der Statistik. Sie haben das dem deutschen Volk niemals gesagt,
sondern das klammheimlich in Ihre Statistik übernommen.
({14})
Ähnliches gilt für das Thema zweiter Arbeitsmarkt.
Vor der Bundestagswahl haben Sie uns immer vorgehalten, dass wir diesen nach oben gefahren hätten. Aber Sie
haben dieses Niveau beibehalten. Bei Rot-Grün ist eben
gut, was bei Schwarz-Gelb schlecht war. Das haben wir
jetzt gelernt. Aber das können wir nicht so stehen lassen.
Der Grüne Schlauch hat kürzlich den Kopf etwas aus
dem Sand gesteckt und mehr Flexibilität bei den Löhnen
gefordert.
({15})
Wer glaubt, dass dies Zufall war, ist ein politisches
Milchmädchen. Herr Riester, da geht einiges an Ihnen
vorbei. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat bereits am 28. Februar 2000 den
Endbericht seines Gutachtens beim Finanzministerium
abgeliefert. In diesem Bericht steht, was Schlauch jetzt
fordert. Dem Bundesfinanzministerium - so kann man in
der Expertise lesen - sind die Programme des Arbeitsministers zu teuer und zu ineffektiv. Deswegen wurde - nicht
von Ihrem Haus; Sie lässt man da schon einmal wie einen
Pappkameraden liegen ({16})
vom Finanzminister und seinem Staatssekretär Overhaus
eine Untersuchung über die Frage in Auftrag gegeben, ob
man den ersten Arbeitsmarkt nicht stärker nutzen könnte,
um endlich aus dieser Baisse bei der Arbeitslosigkeit herauszukommen.
({17})
Das Ergebnis ist: Erstens löst der zweite Arbeitsmarkt
nicht die Probleme, zweitens muss der erste Arbeitsmarkt
flexibler gestaltet werden und drittens steht der Wert der
Programme nicht im Verhältnis zum Aufwand.
Genauso, wie Sie Angst haben, in diesem Rentengesetz
das Problem der Rentenbesteuerung anzugehen, haben
Sie Angst vor diesen Erkenntnissen der Arbeitsmarktpolitik, die aus einem vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegebenen großen Gutachten gewonnen wurden, und
verweigern sich ihnen.
Ich habe immer das Gefühl, dieser Minister verhält
sich wie ein Mann, der in einem Zug sitzt und merkt, dass
er in die falsche Richtung fährt. Er stöhnt: Ich fahre in die
falsche Richtung! - Da sagt sein Gegenüber: Warum ziehen Sie nicht die Notbremse? - Darauf sagt er: Weil es
hier so schön warm ist.
({18})
Das ist mit Sicherheit die falsche Verhaltensweise, wenn
man für die Zukunft das Richtige tun will.
Wir hinken in Deutschland mit einer Arbeitslosigkeit
von mehr als 8 Prozent hinter unseren europäischen Nachbarstaaten her. Das ist das Problem, das Sie nicht sehen.
Sie dürfen nicht nur nach Deutschland schauen. Wir verlangen, dass wir uns im europäischen Vergleich sehen lassen können. Das hat diese Regierung trotz aller Ankündigungen nicht geschafft.
({19})
Sie könnten jetzt die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken, aber Sie tun es nicht. Stattdessen schönen
Sie die Zahlen im Bundeshaushalt
({20})
zulasten der Beitragszahler. Die Arbeitgeber haben bekanntlich die Beitragssenkung verlangt, ebenso die Gewerkschaften. Die Union ist bereit. Mit der Union würde
das Bündnis für Arbeit funktionieren. Bei Ihnen sind nur
Ruinen sichtbar!
({21})
Geradezu makaber ist, mit welcher Kaltschnäuzigkeit
Sie die Sozialversicherungen belasten. Ganz besonders
übel muss man Ihnen die Übertragung der Mittel für die
Strukturanpassung Ost auf die Bundesanstalt für Arbeit
nehmen. Das ist ein Schlag ins Gesicht jedes Arbeitslosen
in Ostdeutschland.
({22})
Man geht selbstverständlich davon aus, dass durch
diese Übertragung die Ausgaben reduziert werden. Von
wegen Chefsache: Nicht einmal mehr Bundessache, sondern Sache der Bundesanstalt für Arbeit ist das nun! Dort
wird man das Programm austrocknen. Das ist das erklärte
Ziel. Wenn Sie ein Arbeitsminister wären, der für Ostdeutschland das Notwendige tun wollte, dann würden Sie
jetzt die 29 Arbeitsamtsbezirke in Ostdeutschland, in denen wir eine Arbeitslosigkeit von mehr als 15 Prozent haben, herausgreifen und würden ein neues Gesamtpaket
schnüren, um dort gezielt zu helfen, und würden nicht
weiter mit der Gießkanne durch das Land spazieren. Sie
sind doch nicht Gärtner, sondern Minister!
({23})
Innovationen können wir von diesem Minister nicht erwarten; das ist uns klar.
({24})
Das sehen wir übrigens bei den Bestimmungen zum Altersvermögen. Sie verbinden die Ökosteuer mit der
Rente. Das verträgt sich nicht. Das merkt zumindest auch
schon das Bundesfinanzministerium. Ich bin überzeugt:
Auch der Rest von Ihnen wird dies noch merken. Denn die
Kraft, von Ihrer Seite aus etwas dagegen zu tun, haben
Sie ja nicht, wie vorhin auch der Beitrag der Kollegin
Dr. Wegner gezeigt hat. Dies wird sich nicht so fortsetzen
lassen, weil sich die Ökosteuer und die Rente wie der
Teufel und das Weihwasser vertragen. Deswegen wird es
mit diesem Spielchen ein Ende haben und wird es wieder
zu einer vernünftigen Finanzierung kommen.
({25})
Ich frage Sie - jetzt kommt ein Angebot von unserer
Seite -:
({26})
Warum schaffen wir es nicht, betriebliche Vermögensbildung und Rente zusammenzuführen? Das wäre zielorientiert und würde in Zukunft etwas bringen.
({27})
Hieran müssen wir arbeiten. Denn dadurch kann ein
großer sozialpolitischer, aber auch wirtschaftspolitischer
und letztlich gesellschaftspolitischer Fortschritt erreicht
werden. Im Sinne einer Vision für die nächsten Jahre im
Rentenbereich verlangen wir, dass eine solche Konzeption in ein zukünftiges Gesetz aufgenommen wird. Unsere
Wirtschaft hat einen riesigen Innovationsschub hinter
sich. Ich frage mich, wo in der Politik Innovationen und
neues Denken bleiben. Bei dieser Gesetzgebung ist das sicher nicht der Fall.
({28})
Die AGP - das ist der Zusammenschluss der Firmen in
Deutschland, die sich der Vermögensbildung angenommen haben - mit ihrem Präsidenten Gerhard Schuler hat
Vorschläge gemacht, die aufgegriffen werden müssen.
Wir fordern, dass das so genannte Win-Win-Modell geprüft wird. Dieses verbindet den sozialen mit dem wirtschaftlichen Fortschritt. Diese Schnittstelle muss erkannt
werden. Als Partei Ludwig Erhards werden wir nicht eher
Ruhe geben, bis dies erreicht worden ist und dies Inhalt
einer Zukunftsgesetzgebung für die Rente wird.
({29})
Als Haushälter noch ein paar Worte zum Abschluss:
({30})
Liebe Frau Dr. Wegner, Sie haben uns immer vorgeworfen, wir würden mit Modellprojekten Wahlkampf machen.
({31})
Wir hatten dafür einmal in einem Haushalt 100 Millionen DM vorgesehen. Was Sie jetzt aber machen, das ist
echter Wahlkampf. Im Jahre 2002 planen Sie - man höre
und staune - 152 Millionen DM Spielgeld für die Koalition ein, um durch das Land zu ziehen und so genannte innovative Projekte zu fördern.
({32})
Wir müssen dies kritisch ansprechen, nachdem in der Vergangenheit immer so getan wurde, als seien Sie auf diesem Gebiet ganz brav und solide und als würden nur wir
Schlimmes tun.
({33})
Meine Damen und Herren, zum Abschluss komme ich
zur Solidität dieses Haushalts. Im Bereich der Arbeitslosenhilfe kam es im letzten Jahr zu einer Unterfinanzierung
von 4 Milliarden DM. Trotzdem haben Sie nur ganze
100 Millionen DM mehr in den Haushalt hineingeschrieben. Es ist doch schon vorgegeben, dass wir überplanmäßige Ausgaben haben werden.
Herr Minister, es ist schon eine große Unverschämtheit, dass Sie mit der nächsten Stufe der Ökosteuer den sozial Schwächsten auch noch das Weihnachtsfest versauen.
Ich verstehe schon, warum die Gewerkschaften von Ihnen
immer mehr Abstand nehmen.
({34})
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin
Ekin Deligöz.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition in diesem Haus ist in keiner beneidenswerten Lage.
Noch vor einem Jahr standen wir hier heftig unter Beschuss. Vor einem Jahr haben Sie die düstersten Voraussagen getroffen, die Sie überhaupt machen konnten.
Heute machen Sie einfach damit weiter. Wir dagegen können bestätigen, dass wir unsere Hausaufgaben gut erledigt
haben.
({0})
Wir haben nicht nur den Staatsbankrott abgewendet
und die Steuern gesenkt, wir haben nicht nur den Mittelstand und die Familien entlastet, sondern wir haben auch
Zeichen gesetzt und uns neue Ziele gesteckt: Dieses Land
setzt inzwischen auf ökologisch verträgliches Wachstum.
Herr Fuchtel, Sie haben so schön über Ostdeutschland
gesprochen
({1})
und ich möchte aus dem heutigen „Handelsblatt“ zitieren:
Die Wirtschaft in den neuen Ländern legt wieder
stärker zu. Der Beschäftigungsabbau ist gestoppt.
Das Niveau des Wirtschaftswachstums im Osten
wird noch im kommenden Jahr das Niveau der alten
Länder erreichen.
({2})
- Sie glauben nicht, Herr Laumann, dass ich das „Handelsblatt“ lese. Ich informiere mich im Gegensatz zu Ihnen.
Diese Koalition stellt sich den Herausforderungen von
morgen und vergisst dabei nicht die Notwendigkeiten von
heute. Mit JUMP haben wir ein erfolgreiches Programm
aufgelegt. Wir haben über 200 000 Jugendliche in
Maßnahmen und in beruflicher Weiterbildung untergebracht. Wir haben JUMP für dieses Jahr dauerhaft gesichert und fest verankert. Damit werden wir aber nicht
aufhören, wir werden weitermachen.
({3})
Wir haben bereits mehr als 50 neue Berufsbilder
geschaffen. Wir haben das Berufsausbildungssystem
reformiert und bleiben auch damit nicht stehen. In den
kommenden Monaten wird ein Entwurf zur Aufstiegsfortbildung vorgelegt werden. Dabei handelt es sich
im Gegensatz zu dem, was Sie als Meister-BAföG vorgelegt haben - das war ein absoluter Flop und kam überhaupt nicht an -, um einen guten Entwurf. Wir machen das
um einiges besser, als Sie es je angedacht haben.
({4})
Wir bereiten aber nicht nur die Jugend auf die Arbeitswelt von morgen vor, sondern wir sagen ganz bewusst: Es
gibt zwar keine Patentlösungen, aber es gibt gute Lösungsansätze.
Sie, Herr Laumann, sprachen vorhin die internationalen Vorbilder an. Wir orientieren uns nicht nur an den Vorbildern, Entwicklungen und Erfahrungen aus dem Ausland, sondern wir prüfen sie auch. Wenn sie sinnvoll
erscheinen, versuchen wir, sie umzusetzen. Wir ignorieren diese Vorbilder nicht, das hat doch wohl eher Ihre Regierung gemacht.
Wir wollen einen dialogorientierten Ansatz. Zum Dialog gehört auch, dass wir alle Verbände, wie zum Beispiel
die Gewerkschaften, die Sozialverbände, aber auch die
Unternehmen und viele andere, in die Gespräche einbeziehen. Einer fehlt allerdings noch - da muss ich Ihnen
Recht geben -: Das ist die jetzige Opposition. Sie sind
überhaupt nicht in der Lage, einen Dialog zu führen, geschweige denn in diesem Bereich mitzuarbeiten.
({5})
Wir haben trotz des Sparzwangs Milliarden zugunsten
von Familien mit Kindern umverteilt. Wir haben die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts übererfüllt. Wir
haben höhere Kinderfreibeträge und ein höheres Kindergeld durchgesetzt. Das gilt auch für das Kindergeld in der
Sozialhilfe. Wir sparen, aber wir sparen, um zu gestalten.
Wir verteilen um und lassen nichts im luftleeren Raum
stehen.
({6})
Vielleicht haben Sie ja aufmerksam zugehört. Unsere
Haushälter haben am Dienstag angekündigt, dass weitere
5 Milliarden DM zur Entlastung von Familien mit Kindern vorgesehen sind. Im nächsten Frühjahr werden wir
zum ersten Mal einen Armuts- und Reichtumsbericht vorlegen. Wir möchten Fakten und Sachzusammenhänge
auswerten,
({7})
um daraus Taten abzuleiten, was Sie bisher versäumt haben. Sie, Herr Singhammer, haben Recht mit Ihrem Zwischenruf.
Wichtig ist uns ein aktives soziales Sicherungssystem,
das auf Selbsthilfe Wert legt und die Menschen nicht für
unmündig erklären will.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zu Ihnen, Herr
Fuchtel, sagen. Sie sprachen von dem Kapitän und dem
Wetter. Wenn Sie Ahnung vom Segeln hätten, dann wüssten Sie, wie wichtig das Wetter für den Kapitän ist und wie
man überhaupt vorgehen muss.
({8})
Ich wäre an Ihrer Stelle vorsichtig, bevor ich solche Behauptungen aufstellte.
Diese Regierung ist aktiv. Sie hat Erfolge, die sie vorzeigen kann. Sie baut nicht nur die Arbeitslosigkeit ab,
sondern macht eine aktive Politik gegen verdeckte und
sichtbare Armut in diesem Land. Diese Regierung lässt
sich an Taten messen und nicht nur an schlauen Sätzen
wie Sie.
({9})
Ich gebe
dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb für die Fraktion der
F.D.P. das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich
mich zunächst an den Bundesarbeitsminister wende. Herr
Riester, Sie haben einiges zu dem gesagt, was Sie von uns
als Erbschaft übernommen hätten.
({0})
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Sie heute nur deswegen große Reden schwingen können, weil Sie zum Beispiel 100 Milliarden DM aus dem Erlös der UMTS-Lizenzen von uns geerbt haben. Sie sind Ihnen in den Schoß
gefallen.
({1})
Ich weiß sehr wohl und will Sie daran erinnern, dass die
Privatisierung im Telekommunikationsbereich und die
Einführung von Wettbewerb gegen den erbitterten Widerstand der SPD durchgesetzt wurde. Es ist heuchlerisch,
was Sie hier machen.
({2})
Herr Riester, Ihre Erfolge beim Aufbau von Beschäftigung sind nicht ohne die Tatsache zu erklären, dass wir
den Neuen Markt geschaffen und damit den Kapitalmarkt
gerade für kleine innovative Unternehmen geöffnet haben, die sich als besonders beschäftigungsfördernd erwiesen haben. Also: Eine Erbschaft besteht aus Soll und Haben. Betreiben Sie keine Rosinenpickerei. Bitte nehmen
Sie die Erbschaft insgesamt an oder gar nicht.
({3})
Im Übrigen besteht zur Selbstzufriedenheit, Herr
Riester, kein Anlass. Ich habe mir in Vorbereitung auf
diese Rede einmal das Sachverständigengutachten sehr
intensiv angesehen. Es wird üblicherweise nur von
Wirtschaftspolitikern gelesen. Das ist schade, weil gerade
zur Sozialpolitik sehr viel gesagt wird. Es ist richtig: Die
Bundesrepublik Deutschland hat das drittschwächste
Wachstum in der Europäischen Union. Nur noch in Italien
und Dänemark ist das Wachstum geringer. Es ist richtig:
Wachstum findet mittlerweile fast ausschließlich in den
alten Bundesländern statt. Die neuen Bundesländer sind
ausgeblendet. Das sind Dinge, die Sie zur Kenntnis nehmen müssen.
Sie sind stolz darauf, dass Sie für mehr Beschäftigung
gesorgt haben. Wir freuen uns mit Ihnen, Herr Riester.
({4})
Das sage ich auch an Ihre Adresse. Aber nehmen Sie bitte
zur Kenntnis: Der Arbeitsmarkt ist keine Einbahnstraße.
Auch wir hatten während unserer Regierungszeit Phasen,
in denen wir binnen kürzester Zeit einen Beschäftigungszuwachs von 3 Millionen erreicht haben. Aber die Frage
ist doch, was bei einer rückläufigen Konjunktur sein wird.
Meine Sorge und die meiner Fraktion ist, dass hinterher
eine wesentlich höhere Sockelarbeitslosigkeit zurückbleibt, weil Sie Ihre Hausaufgaben nicht machen.
({5})
Schauen wir einmal, was die Sachverständigen schreiben. Sie schreiben erstens: Die Arbeitslosigkeit ist immer
noch viel zu hoch. - Das ist richtig. Wir haben im Jahresdurchschnitt 2000 immer noch 3,9 Millionen Arbeitslose.
Das ist unerträglich. Sie schreiben zweitens: Ein günstiger Konjunkturverlauf ist nicht mit einer Wachstumsdynamik aus eigener Kraft gleichzusetzen. - Auch das ist
richtig. Sie schreiben drittens: Ganz oben auf der Liste des
dringenden Handlungsbedarfs stehen zukunftsweisende
Reformen der Arbeitsmarktordnung und des Gesundheitswesens. Ich zitiere: „Hier bewegt sich wenig.“ - Das
ist die Zensur, die Sie vom Sachverständigenrat bekommen haben, Herr Riester!
({6})
Schauen wir uns die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt an. Diese sind von entscheidender Bedeutung. Ich frage mich manchmal, ob Sie die richtige Grundauffassung haben. Arbeitsplätze können auf Dauer im
ersten Arbeitsmarkt nur in Unternehmen und von Unternehmern geschaffen werden. Sie werden dann geschaffen,
wenn die Rahmenbedingungen nicht zu restriktiv sind
und wenn es sich vor allen Dingen nach Abzug von Steuern lohnt.
({7})
Was haben Sie gemacht? Ich kann Ihnen nicht ersparen, einen Blick zurückzuwerfen. Heute ist die Gelegenheit zu einer Halbzeitbilanz. Sie haben die 630-MarkRegelung verändert. Sie haben dem Mittelstand damit
seine Flexibilitätsreserve geraubt. Sie haben massive Probleme in der Betriebsorganisation, gerade bei kleinen Unternehmen, geschaffen.
({8})
Das Verrückteste ist: Sie sind stolz darauf, dass Sie damit die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten erhöht haben. Aber Sie haben nur abgezockt, Herr
Minister. Was Sie nicht geschafft haben, ist eine Lösung
des Problems, das Sie jahrelang wie eine Monstranz
hochgehalten haben, nämlich die Verbesserung hinsichtlich der Rentenversicherungsverläufe, insbesondere bei
Frauen. Ein marginaler Prozentsatz derjenigen, die heute
eine geringfügige Beschäftigung haben, macht von Ihrem
Angebot bei der Rente Gebrauch. Das zeigt: Sie haben am
Interesse der Menschen vorbei gehandelt.
({9})
Thema Scheinselbstständigkeit. Sie wollten die
Flucht aus der Sozialversicherung stoppen. Aber anstatt
zu fragen, warum die Menschen aus der Sozialversicherung fliehen, haben Sie versucht, die Ausgänge zu vernageln. Dabei haben Sie aber übersehen: Was Sie Scheinselbstständigkeit nannten, Herr Riester, nämlich die
Tätigkeit, die gekennzeichnet ist durch anfangs nur einen
Arbeitgeber, ist ein wichtiger Zwischenschritt auf dem
Weg in die Selbstständigkeit. Deswegen sind die Zahlen
zur Existenzgründungstätigkeit in Deutschland, seit Sie
an der Regierung sind, vernichtend.
({10})
Sie haben die Gründungsdynamik der 90er-Jahre platt gemacht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte noch lange fortfahren,
zur Teilzeitarbeit und zu dem, was Sie als eine Reform des
Betriebsverfassungsgesetzes hier auf den Weg zu bringen
gedenken. Ihr Handeln geht an den Notwendigkeiten des
Arbeitsmarktes vorbei. Der Sachverständigenrat hat es
Ihnen bescheinigt. Denken Sie um - noch ist Zeit -, anderenfalls werden Sie eines Tages ein böses Erwachen erleben.
Vielen Dank.
({11})
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Ewald Schurer.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir sind ein ökonomisch,
ein wirtschaftlich reiches Land, im Export Europameister,
sogar Vizeweltmeister. In weltweiten Vergleichen der
Produktivitätsraten sind wir anhaltend an der Spitze. Wir
werden international gelobt für ein duales System in der
beruflichen Bildung.
Aber ich darf hier feststellen: In einer 16-jährigen
„Dürreperiode“ kam es in diesem Land zu einer anhaltenden politischen Desorientierung, auch im Bereich des
Ausbildungs- und Arbeitsmarktes. Langsam, aber sicher zogen sich damals auch große Konzerne zunehmend
aus der beruflichen Ausbildung zurück. Das seien Kosten,
hörte man Anfang der 90er-Jahre, die keiner mehr tragen
möchte.
Da entwickelte sich ein Zeitgeist, der sich in wirtschaftsliberalen Befreiungschorälen den Weg in eine
Shareholder-Value-Kultur bahnte, aber einfach nicht
erkennen wollte, dass für diese Volkswirtschaft Bildung und Ausbildung die gesellschaftliche Investition
schlechthin bedeuten.
({0})
Die Liberalen forderten damals in Fortsetzung ihrer gesellschaftlichen Fehlanalysen sogar die vollständige Einstellung öffentlicher Programme, trotz ökonomisch nachhaltiger Verwerfungen in dieser Republik im Zuge der
Wiedervereinigung.
({1})
Im wieder vereinten Deutschland brachen in den neuen
Bundesländern die industriellen Strukturen teilweise fast
vollkommen zusammen. Die angekündigten „blühenden
Landschaften“ verkehrten sich damals, zumindest am Arbeits- und Ausbildungsmarkt, ins krasse Gegenteil.
1998 neigte sich dieser reale Albtraum dann endlich
dem Ende zu.
({2})
Nach den Bundestagswahlen wurde im Oktober 1998 ein
neues Koalitionsprogramm vorgestellt. Darin war als einer der wesentlichen Eckpfeiler das Sofortprogramm der
neuen rot-grünen Bundesregierung zur Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit enthalten. Die Chancen junger
Menschen, sich über Bildung und Beruf gesellschaftlich
zu integrieren und sich mit der Gesellschaft zu identifizieren, sollten nicht mehr länger dem Zufall überlassen
werden. Nein, sie sollten gezielt verbessert und ausgebaut
werden. Im neuen Programm wurden von der Arbeitsverwaltung aus dem SGB III bereits bewährte und
neue Maßnahmen konzentriert, damit zunächst einmal
100 000 junge Menschen unter 25 Jahren Ausbildung und
Beschäftigung bekamen.
({3})
Doch noch einmal, meine verehrten Damen und Herren, meldeten sich die Geister, zwar nicht aus dem Jenseits
- so weit sind sie noch nicht -, aber aus dem Abseits. „Sofort abschaffen“, hieß es damals aus den Reihen der Union
von vermeintlichen Sozialexperten der CSU,
({4})
noch bevor das Programm richtig loslegte. „Sie operieren
mit falschen Zahlen“, wollte die liberale „Sozialabsängerin“ schon in der Startphase des JUMP-Programms damals wissen.
({5})
Tatsache ist: Allein im Jahre 1999 wurden rund 176 000
Einzelpersonen durch das JUMP-Programm persönlich
gefördert.
({6})
Bis Oktober dieses Jahres verzeichnete das Programm
rund 75 000 weitere Eintritte. Weil circa 7 000 Jugendliche in beiden Jahren in Maßnahmen des Programms eintraten, kann wie folgt bilanziert werden: Von Anfang 1999
bis zum Herbst 2000 sind insgesamt rund 243 000 junge
Menschen unter 25 Jahren in dieses Programm eingetreten und wurden in ungefähr 279 000 Fördermaßnahmen
weitergebildet, qualifiziert und gefördert.
Zum 1. Januar 2000 wurde das Programm schwerpunktmäßig auf die Eingliederung Jugendlicher in den
ersten Arbeitsmarkt hin ausgerichtet. So ergibt sich für
das laufende Jahr folgende Situation: Gut 28 000 Eingliederungen in den ersten Arbeitsmarkt konnten mit Lohnkostenzuschüssen vorgenommen werden. Mehr als
17 000 Jugendliche sind in Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eingetreten. Fast 14 000 Jugendliche wurden in Trainingsmaßnahmen nach Art. 7
integriert, um in einem systematischen Findungsprozess
die beruflichen Neigungen und Fähigkeiten junger Menschen ganz gezielt herauszuarbeiten. Damit müssen Sie
sich, liebe Oppositionskollegen, auch einmal fachlich befassen. Erst dann können Sie sich ein Urteil erlauben.
({7})
Fast 14 000 junge Menschen wurden in diesem Jahr mit
„hinführenden Maßnahmen“ über soziale Betreuung gerade auch durch Streetworker, also durch eine individuelle
Sozialarbeit, erreicht. Circa 10 000 Nach- und Zusatzqualifizierungen wurden und werden in diesem Jahr als
Vollmaßnahmen nach Art. 7 durchgeführt. Noch nicht
ausbildungsgeeignete Jugendliche werden über Praktika
an die Berufsausbildung herangeführt. Die außerbetriebliche Ausbildung ist in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands nach wie vor ein ergänzendes Instrument,
auf das wir vorerst nicht verzichten können. Bleibt noch
zu ergänzen: Maßnahmen zum Nachholen des Hauptschulabschlusses dürfen in der Palette der Maßnahmen
des Sofortprogramms nicht fehlen.
({8})
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit hat erst kürzlich festgestellt: Das Programm hilft ausbildungs- und arbeitslosen Jugendlichen gezielt. Die Begleitforschung
belegt: 27 Prozent der teilnehmenden Jugendlichen kommen aus Familien mit niedriger sozialer Stellung. Fast
15 Prozent der Teilnehmer haben keinen Schulabschluss,
was eine wichtige Voraussetzung wäre, um beruflich gebildet werden zu können. 77 Prozent der Teilnehmer des
Sofortprogramms waren zuvor arbeitslos, davon 45 Prozent einmal und 32 Prozent mindestens zweimal. Das
zeigt: Das Programm erreicht exakt die Richtigen.
({9})
Junge Menschen werden mit dem Sofortprogramm
JUMP gezielt angesprochen, geworben, motiviert und zu
einem guten Teil neu ausgebildet und beschäftigt. Dass in
Ostdeutschland trotz dieses Programms die Jugendarbeitslosigkeit in diesem Jahr ein Stück weit gestiegen ist,
spiegelt leider die geographisch gespaltene Konjunktur
des Landes wider. Der gesamtwirtschaftliche Aufschwung konnte sich aufgrund tief greifender Strukturdefizite in einzelnen Regionen des Ostens noch nicht in ausreichendem Maße durchsetzen.
Während die Jugendarbeitslosigkeit im Westen im
Oktober 2000 gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres um 21 000 abnahm, gab es im Osten leider einen
Zuwachs von circa 15 000 jungen Menschen unter 25 Jahren. Aber ohne das Sofortprogramm - das ist die Wahrheit wäre die Jugendarbeitslosigkeit in den neuen Ländern wesentlich stärker - ein Teil der Expertinnen und Experten
sagt sogar: explosionsartig - gestiegen.
Gemäß den Empfehlungen des Spitzengespräches im
Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit vom 10. Juli 2000 wurden in das JUMP-Programm
zusätzlich Mobilitätshilfen für Jugendliche aufgenommen und vom Kabinett im Herbst entsprechend beschlossen. Jugendliche, die mindestens drei Monate arbeitslos
sind, können durch diese Mobilitätshilfen zusätzliche Unterstützung erhalten, wenn ihr neuer Arbeitsplatz mindestens 100 Kilometer oder wenigstens eineinhalb Stunden einfache Fahrzeit - vom alten Wohnort entfernt liegt.
Mit einer Verwaltungsvereinbarung - darauf hat Herr
Minister Walter Riester schon hingewiesen - wird die
Bundesregierung sicherstellen, dass die Mittel für das Sofortprogramm im Jahr 2001 zu 50 Prozent in die neuen
Länder fließen, also schwerpunktmäßig dort eingesetzt
werden, wo es die jungen Menschen ganz besonders nötig
haben.
({10})
Das Programm wird - das ist bedeutend - im Jahr 2001
in einem Volumen von 2 Milliarden DM fortgeführt, wovon - auch das ist interessant - 800 Millionen DM aus
dem Europäischen Sozialfonds refinanziert werden. Jungen Menschen, die aufgrund fehlender Voraussetzungen
vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind bzw. den Zugang
dazu nicht gefunden haben, eröffnet diese Bundesregierung auch weiterhin die Chance zum Einstieg in Beruf
und Gesellschaft. Über den Beruf Lebensperspektiven zu
entwickeln bedeutet, dass junge Menschen neben dem
Fachwissen auch soziale Kompetenz erlangen. Ich betone
das deshalb, weil das Sofortprogramm damit auch ein
Projekt gegen die Versuche des Rechtsradikalismus in
diesem Land ist, Jugendliche für sich, also für die falsche
Seite, zu vereinnahmen. Das zählt auf jeden Fall doppelt.
Ich bedanke mich.
({11})
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Johannes
Singhammer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im „Spiegel“ dieser Woche ist eine Einschätzung der Konzeption rot-grüner Regierungspolitik aus dem Regierungslager zu lesen.
Der Urheber will sich nicht mit Namen dazu bekennen.
Darin heißt es:
Wir bauen ein Auto, ohne einen Plan zu haben. Am
Schluss haben wir das Auto, nur das Lenkrad ist nicht
in Fahrtrichtung.
Herr Bundesarbeitsminister Riester, bei Ihnen könnte
man hinzufügen: Der Motor stottert, die Luft ist raus, Sie
fahren auf den Felgen und das auch noch im Zickzackkurs.
({0})
Da nützt es auch nichts, wenn Ihnen der Bundeskanzler
immer wieder ins Lenkrad greift.
In der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode haben Sie
die Nähe der Bosse gesucht. „Genosse der Bosse“ zu sein
war das Ziel, das auch Sie angestrebt haben. Mit zunehmender Nähe zum Wahltermin ist eine merkwürdige Veränderung festzustellen. Jetzt wollen Sie wieder gern der
Boss der Genossen sein und Sie suchen die wärmende
Nähe der Gewerkschaften.
Die Folge dieses Schlingerkurses ist es allerdings, dass
die rot-grüne Bundesregierung nicht nur bei Arbeitnehmern, sondern auch bei Arbeitgebern jeden Tag mehr an
Kredit verliert und dass es um Sie als Arbeitsminister von
Tag zu Tag politisch einsamer wird. Ihr politischer Überlebenskampf wird nicht einfacher. Auch dass Sie heute
den Verteidigungsstaatssekretär Kolbow mitgebracht haben, wird Ihnen nicht viel nützen.
({1})
Mit den von Ihrer Regierung als besonders herausragend und wichtig proklamierten Projekten, nämlich der
Rentenreform und der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, kommen Sie nicht voran.
Im Jahre 1998 haben Sie angekündigt, die Rentenreform der Regierung Kohl/Waigel, die in Kraft war,
außer Kraft zu setzen und nach kurzer Zeit ein völlig
neues Gebäude zu errichten. Das Erstere haben Sie getan,
aber was Letzteres angeht, so liegt noch immer erst ein
Entwurf vor, obwohl wir bereits über die Hälfte der Legislaturperiode hinter uns haben. Und über diesen Entwurf - das muss man auch einmal sagen - werden von Tag
zu Tag mehr Kübel an Kritik ausgeschüttet, wie dies in der
Rentendiskussion der vergangenen Jahre noch nie der Fall
war.
Ich möchte Ihnen nur eine kurze Kostprobe geben.
Der sächsische LVA-Direktor, Heinz Löffler, trifft die
generelle Aussage, die Rentner seien die Gewinner der
deutschen Einheit gewesen. Nun ändere sich dies, denn
die Rentner gerieten auf die Verliererseite. Der Präsident
des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, Bernd Michaels, kritisiert, dieser Zickzackkurs
zerstöre das „zarte Pflänzchen an Vertrauen“. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Hajo Hoffmann, sagt,
wenn Sozialhilfe als Grundrente missbraucht werde,
drohe ein Anstieg der Zahl der Sozialhilfeempfänger von
derzeit 180 000 auf 400 000. Und ein Zitat aus dem Bereich der Wirtschaft: Der Allianz-Vorstand Gerhard
Rupprecht sagt, das Defizit der Reform liege im Handwerklichen.
Wenn Ihnen das immer noch nicht reicht, so kann ich
auch noch einige Stimmen aus Ihrem Lager zitieren: Die
finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Frau Scheel,
sagte, es sei naiv, zu glauben, man könne die neue Rentenformel schon im nächsten Jahr anwenden, mit der privaten Absicherung aber erst ein Jahr später starten - beides gehöre zusammen. - Recht hat sie! Kurz und knapp
hat die Kritik, die hier von vielen schon zitiert worden ist,
ein Plakat auf dem ÖTV-Kongress in Leipzig mit der Aufschrift: „Riesters Rente macht uns arm“ zusammengefasst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Kritik,
die aus allen Lagern kommt, die ideologisch nicht einzuordnen ist, zeigt: Diese Bundesregierung sitzt mit ihrem
Entwurf buchstäblich zwischen allen Stühlen. Dieser
Bundesregierung fehlt der Kompass.
({2})
Den neuen Herausforderungen dieses eben begonnenen
Jahrhunderts - auch das kann man an dieser Stelle sagen - wird sie in keiner Weise, weder intellektuell noch
politisch, gerecht. Was ist das Megaproblem der deutschen Sozialpolitik in den nächsten Jahren? Das Megaproblem wird darin bestehen, dass sich die Sozialpolitik
auf eine völlig andere demographische Entwicklung, als
wir sie im zurückliegenden Jahrhundert verzeichnen
konnten, einstellen muss.
Die große Veränderung wird daran deutlich, dass die
Bevölkerungspyramide in den unteren Bereichen abschmilzt und ausfranst. Dies hat Folgen für die Bevölkerungspolitik und wird nicht nur die Renten-, sondern auch
die Kranken- und die Pflegeversicherung massiv
berühren. Der eigentliche Grund dafür, warum eine Diskussion über die Reform der Rente aufgekommen ist, ist,
dass die Zahl der Beitragszahler in den kommenden Jahren zurückgehen, die Zahl derjenigen, denen zum Beispiel
Leistungen aus der Rentenversicherung zustehen, aber
wachsen wird. Auf dieses entscheidende Problem geben
Sie eine völlig unzureichende Antwort. Sie weichen aus
und sagen, dass Sie das Problem durch erhöhte Zuwanderung lösen. Aber das Problem der demographischen Entwicklung werden Sie mithilfe von Zuwanderung nicht in
den Griff bekommen.
({3})
Nach Modellrechnungen der Vereinten Nationen
- vielleicht glauben Sie denen, wenn Sie mir nicht glauben, Herr Hagemann; passen Sie bitte genau auf! - wäre
eine jährliche Zuwanderung von sage und schreibe
3,4 Millionen Menschen nach Deutschland nötig - das
entspricht der Bevölkerungszahl von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein -, um das zahlenmäßige Verhältnis der 15- bis 64-Jährigen zu den über 64Jährigen in der Balance zu halten. Eine Zuwanderung in
derartiger Größenordnung befürwortet in diesem Haus
Gott sei Dank niemand und würde Deutschland auch
überfordern. Deshalb - jetzt komme ich zu dem entscheidenden Punkt - brauchen wir eine nachhaltige, vernetzte
Politik für Familien und Kinder, gerade auch im Ressort
des Arbeitsministers.
({4})
Es geht uns nicht darum, die Zahl der Deutschen zu erhöhen, sondern es geht uns darum, dass die Familien, die
Kinder wollen, diesen Wunsch auch realisieren können,
ohne dass dadurch der soziale Abstieg vorprogrammiert
wird und sie, wenn sie selbst in Rente gehen, erhebliche
Nachteile befürchten müssen. Deshalb haben wir beim
Einstieg in die private Vorsorge so großen Wert darauf
gelegt, dass die Familien besonders gefördert und nicht
erneut benachteiligt werden. Denn nur so kann der Generationenvertrag wieder ins Gleichgewicht kommen.
({5})
Von einer schnellen und kräftigen Förderung für
die Familien kann aber bei Ihnen keine Rede sein. Ich
möchte nur diesen einen Punkt herausgreifen. Die hier
vorgesehene Familienkomponente kommt einem Miniprogramm gleich. So beläuft sich die Kinderkomponente
beispielsweise im ersten Jahr - das wäre dann 2002 - auf
nur 7,50 DM pro Kind im Monat. Wie soll denn eine junge
Frau, ein junger Mann eine sichere zusätzliche Altersvorsorge mit diesen minimalen Beträgen aus eigener Kraft erreichen? Völlig unverständlich ist, dass die Bezieher hoher Einkommen durch Steuerersparnisse zum Beispiel
aufgrund von Abschreibungsmöglichkeiten wesentlich
günstiger gestellt werden. So erhält eine allein stehende
Verkäuferin mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen eine Zulage von gerade 300 DM im Jahr und
auch dies wird erst im Jahr 2008 erreicht, während ein
allein stehender Großverdiener bei einem Grenzsteuersatz
von 50 Prozent einen Steuervorteil von 2 000 DM hat.
Wenn er verheiratet ist, hat er sogar einen Vorteil von
4 000 DM. Das ist nicht das, was Sie angekündigt haben;
das ist auch nicht sozial, sondern das ist ungerecht.
({6})
Damit diese Ungerechtigkeit von den Menschen in
Deutschland nicht bemerkt wird, verschieben Sie aus
wahltaktischen Gründen den Einstieg in die private Altersvorsorge auf das Jahr 2002. Der Trick: Die Förderung
würde zwar im Jahr 2002 einsetzen, die Bilanz aber wird
erst nach dem Wahljahr 2002 vorliegen. Dann wird sich
mit großer Wahrscheinlichkeit herausstellen, dass sich
alle Ihre Ankündigungen von einer breiten Inanspruchnahme dieser privaten Vorsorge eben nicht bestätigen, weil es sich nämlich viele mit einem schmalen Geldbeutel überhaupt nicht leisten können.
({7})
Aufgrund der demographischen Gründe gibt es auch
nicht den geringsten Anlass, dass sich Rot-Grün am Rückgang der Arbeitslosenzahlen berauscht und geradezu
trunken vor Glück einen Erfolg proklamiert. Auch bei völligem Politikstillstand, wenn Sie die Hände in den Schoß
legten und nichts täten - manchmal wäre es im Übrigen
besser, Sie täten nichts statt das Falsche -, verließen Jahr
für Jahr 220 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
mehr den Arbeitsmarkt, als Jüngere in ihn neu einträten.
Deshalb sind die Arbeitslosenzahlen dieser Regierung,
die Sie hier als Erfolg verkaufen wollen, der Lackmustest
für die Erfolglosigkeit; denn hätten Sie wirklich etwas
außerhalb der demographischen Entwicklung bewirkt,
dann müssten Sie mit den Arbeitslosenzahlen weit näher
an der 3-Millionen-Marke angekommen sein, als dies
jetzt der Fall ist.
({8})
Kommen wir noch zu dem zweiten großen Vorhaben,
der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. Vor der
Bundestagswahl versprach dieser Bundeskanzler den Gewerkschaften eine weitgehende Umsetzung der damals
schon vorliegenden gewerkschaftlichen Forderungen.
Schließlich hat man diesen Bundeskanzler im Wahlkampf
ja mit 8 Millionen DM unterstützt.
({9})
Mit dem Start des Bündnisses für Arbeit war allerdings
klar, dass die Arbeitgeber es nicht hinnehmen werden,
wenn die gewerkschaftlichen Vorstellungen detailgenau
umgesetzt werden. Deshalb wird nun die Vorlage des Entwurfes für ein geändertes Betriebsverfassungsgesetz ständig weiter verschoben. Es werden Eckpunkte vorgelegt,
sie werden auch einmal präzisiert, aber ein echter Entwurf, den dieses Hohe Haus schon längst einmal sehen
wollte, kommt nicht, weil Sie die Auseinandersetzung
scheuen.
({10})
Herr Bundesarbeitsminister, das ist das politische
BSE-Prinzip: aussitzen, abwarten und hoffen, dass die
Katastrophe nicht eintritt. Aber damit werden Sie nicht
sehr weit kommen. Deshalb möchte ich Sie fragen, Herr
Bundesarbeitsminister: Wie sieht denn nun Ihr Entwurf
letztendlich aus? Was haben Sie denn in den Schubladen?
Welche Auswirkungen werden Ihre Vorschläge für den
Standort Deutschland haben? Werden die Mitbestimmungstatbestände jetzt ausgeweitet oder nicht? Wird die
maßgebliche Zahl der Arbeitnehmer -, ab der ein Betriebsrat gegründet werden muss, verändert oder nicht?
({11})
Wird mehr reguliert, wird mehr bürokratisiert oder weniger? Wie sieht das Verfahren bei den Betriebsratswahlen
aus?
Und, Herr Bundesarbeitsminister: Was geschieht hinsichtlich dieser Fragen in Nizza?
({12})
In Nizza soll der Bereich der Mitbestimmung in die Reihe
der durch Mehrheitsentscheid zu regelnden Bereiche
überführt werden. Das heißt in der Konsequenz: Wenn es
dabei bliebe, wenn dieser Bereich in eine Mehrheitsentscheidung überführt würde, würde die letzte Entscheidung eben nicht mehr hier im Deutschen Bundestag getroffen, sondern in Brüssel. Welche Auswirkungen hat das
auf die Mitbestimmung? Welche Auswirkungen hat das
auf das Betriebsverfassungsgesetz? - Dazu brauchen wir
von Ihnen endlich einmal eine Auskunft!
Es wundert nicht, wenn die Menschen in Deutschland
mit dieser Art von Politik immer weniger zufrieden sind.
Eine Emnid-Umfrage aus der letzten Woche belegt dies.
Speziell für Ihren Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik
fällt die Beurteilung besonders schlecht aus. Nur ein Drittel der Bürger bejaht die Frage, ob die sozial Schwachen
von der Politik der Bundesregierung profitiert haben. Die
Mehrheit sieht in Ihrer Politik also das Gegenteil von
dem, was Sie versprochen haben.
Herr Bundesarbeitsminister, es wird kälter in Deutschland. Sie tragen die Verantwortung dafür.
({13})
Ich gebe nun
der Kollegin Katrin Göring-Eckardt das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Singhammer, es stimmt, dass es in Deutschland kälter wird. Das hat aber mit der Jahreszeit und ganz sicher
nicht mit unserer Sozialpolitik zu tun.
({0})
Lassen Sie mich auf ein paar Punkte eingehen, die Sie
angesprochen haben. Sie haben gesagt, die demographische Entwicklung werde uns stark beschäftigen. Das tut
sie in der Tat - im Gegensatz zu der damaligen Regierung.
Sie haben ferner gesagt, Menschen mit kleinem Geldbeutel und Menschen mit Kindern könnten sich eine private
Vorsorge nicht leisten. Herr Singhammer, finden Sie es
falsch, dass wir mit der privaten Vorsorge und ihrer Förderung langsam einsteigen, weil wir der Meinung sind,
dass sich die Menschen erst darauf einstellen müssen?
Finden Sie es falsch, dass beispielsweise eine allein erziehende Frau am Ende der Förderung mehr als 1 000 DM
als private Zusatzrente bekommt, wenn sie monatlich jeweils etwa 10 DM für die private Vorsorge eingesetzt hat?
({1})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das falsch finden.
Frau Schwaetzer, auf Sie gehe ich heute nicht ein. Das,
was Sie heute hier gesagt haben, beinhaltete nichts, was
man als Konzept bezeichnen könnte. Sie haben lediglich
der Union vorgeworfen, sie würde anstreben, mit einem
Rentenbeitrag von 20 Prozent ein Rentenniveau von über
64 Prozent zu halten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Sie in der Vergangenheit gesagt haben, man
könne mit 18 Prozent Beitrag auskommen. Aber über das
Rentenniveau haben Sie sich nie geäußert. Da Sie darauf
auch heute nicht eingegangen sind, möchte ich mich mit
Ihrer Rede auch nicht beschäftigen.
({2})
Aber ich möchte mich gerne mit Ihrem Kollegen Herrn
Kolb beschäftigen. Er hat nämlich gesagt, die Rente für
Frauen werde sich nicht verbessern.
({3})
Diese Feststellung ist eine riesige Fehleinschätzung.
({4})
Wir werden mit unserer Rentenreform nämlich zum ersten Mal dafür sorgen, dass es keine unterbrochenen Rentenbiografien für Frauen mehr gibt. Darauf haben die
Frauen sehr lange gewartet. Wir machen das und schaffen
das auch. Das ist die Wahrheit.
({5})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?
Nein, ich denke, wir sollten mit der Debatte zum
Schluss kommen.
({0})
Ich würde gerne noch auf einen Beitrag eingehen, der
gestern im „Tagesspiegel“ zu lesen war, und zwar vom
Kollegen Blüm. Ich weiß nicht, warum er in dieser Debatte nicht redet. Ich gehöre dem Bundestag ja erst seit
dieser Legislaturperiode an und hätte ihn gern als Redner
erlebt. Herr Blüm, Sie haben in diesem Beitrag ein paar
Punkte angesprochen, auf die man eingehen muss. Sie haben gesagt, die Rentenreform sei Willkür. Das ist falsch:
Die Rentenreform ist nicht Willkür, sondern sie reagiert
auf die gegebene demographische Entwicklung und
gleicht über die private Vorsorge das aus, was der jungen
Generation später fehlt und was sie deshalb zusätzlich
braucht.
Sie haben darüber hinaus gesagt, die junge Generation
werde benachteiligt. Von allen Seiten wurden heute Gutachten angeführt. Ich möchte einen Wissenschaftler zitieren, der wohl von Herrn Seehofer zur Anhörung eingeladen wurde, nämlich Herrn Raffelhüschen. Dieser
Wissenschaftler, der Generationenbilanzen erstellt - das
ist ja ein großes Anliegen von Ihnen -, kommt in seiner
neuesten Generationenbilanz, die auf dem beruht, was
wir im Zuge der Rentenreform vorgeschlagen haben, zu
dem Schluss: „Die Lasten für Jung und Alt werden gleichmäßig verteilt.“ Er weist diesen Sachverhalt in Zahlen
nach, was ich aufgrund der Kürze meiner Redezeit nicht
machen kann.
({1})
Der Artikel über unsere Rentenreform, der in der „Wirtschaftswoche“ erschienen ist, trägt die Überschrift „Der
Stein der Weisen“. Wir hätten es nicht gewagt, unsere Reform so zu beurteilen.
({2})
Es gibt noch einen ähnlichen Artikel, der die Überschrift „Expertenlob“ trägt. Herr Singhammer, auch diesen sollten Sie sich einmal zu Gemüte führen. In diesem
Artikel wird von nicht Rot-Grün nahen Wissenschaftlern
berichtet, denen man nicht unterstellen kann, dass sie uns
nach dem Munde reden. Vielmehr handelt es sich um
diejenigen Wissenschaftler, von denen Sie sich beraten
lassen. Dann lassen Sie sich bitte auch hier beraten.
Diese Reform hält, was sie verspricht, nämlich den
Ausgleich zwischen Jung und Alt. Sie führt die Generationengerechtigkeit in diesem Land endlich wieder ein.
Das ist die Wahrheit.
({3})
Ich möchte zum Schluss auf das zu sprechen kommen,
was Sie zum Thema Arbeitsmarkt gesagt haben. Wir haben nie festgestellt, dass wir mit dem, was wir erreicht haben, zufrieden sein können. Aber wir haben einen Anfang
gemacht und wir werden weitermachen. Darauf kommt es
an. Wir werden weitermachen mit der Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit von Jugendlichen mithilfe des JUMPProgramms. Wir werden weitermachen mit den Reformen
am ersten Arbeitsmarkt. Wir werden die Lohnnebenkosten senken. Sie wissen ganz genau, dass es darauf ankommt. Es geht eben nicht um das Motto: von der einen
Tasche in die andere Tasche. Was Sie mit der Mehrwertsteuer gemacht haben, bedeutete, in die Rentenversicherung zu zahlen, wenn man Kinderkleidung, Nahrungsmittel oder sonst etwas gekauft hat. Wir sagen Ja zur
Ökosteuer. Energie zu verteuern und die Lohnnebenkosten zu senken - das ist der richtige Ansatz.
({4})
Wir sagen: Der erste Arbeitsmarkt muss auch den Behinderten offen stehen. Deswegen führen wir entsprechende Maßnahmen durch. Wir wollen weniger Arbeitslose. Das bisher Erzielte reicht noch nicht; wir müssen
weitermachen. Die Bilanz wird 2002 gut aussehen. Ich
bin mir ganz sicher, dass wir auch danach noch weitermachen werden mit der Senkung der Lohnnebenkosten,
mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit und mit sozialer
Wärme in diesem Land, Herr Singhammer.
Vielen Dank.
({5})
Eine Kurzintervention des Kollegen Dr. Heinrich Kolb.
Frau Kollegin GöringEckardt, ausweislich des Sachverständigengutachtens,
das Sie in Auftrag gegeben haben und das Sie auch wohl
bezahlen werden, ist es so, dass sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den letzten Jahren
- der Stichtag ist genannt worden: 1. Mai dieses Jahres in Deutschland um etwa 4 Millionen erhöht hat. Das sind
4 Millionen Menschen, die vorher in geringfügiger Beschäftigung waren und jetzt von Ihnen in den Kreis der
Sozialversicherungspflichtigen aufgenommen worden
sind.
({0})
Diese 4 Millionen Arbeitsverhältnisse waren für Sie,
als Sie noch in der Opposition waren, regelmäßig ein rotes Tuch. Sie haben uns immer wieder vorgejammert, es
sei unerträglich, dass Menschen in solch schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen seien. Sie haben sich auch um die
Rentenversicherungen gerade von Frauen gesorgt, die
sehr häufig von dieser Art Beschäftigungsverhältnis Gebrauch machen.
Frau Göring-Eckardt, als ich das letzte Mal nachgesehen habe, waren es zwischen 3 und 4 Prozent der geringfügig Beschäftigten, die jetzt sozialversicherungspflichtig
sind, die von Ihrem Angebot Gebrauch gemacht haben,
durch zusätzliche Beiträge einen eigenen Rentenanspruch
zu erwerben. Man muss den Menschen sagen: Die Sozialversicherungsbeiträge, die jetzt abgeführt werden, werden in der Regel nicht zum Aufbau eines Rentenanspruchs
der geringfügig Beschäftigten verwendet. Vielmehr hat
man nur dann, wenn man zusätzlich zahlt, einen Anspruch
auf eine geringfügige Rente. - Ich höre gerade, der aktuelle Stand beträgt etwa 7 Prozent.
Sind Sie bereit, mir zuzustimmen, dass Sie mit Ihrer
Regelung offensichtlich ein Problem gelöst haben, das
überhaupt nicht bestand, dass Ihre Regelung zumindest an
den berechtigten Interessen der betroffenen Menschen
vorbeigegangen ist? Sonst hätten mehr als bisher davon
Gebrauch gemacht.
({1})
Zur Erwiderung Kollegin Göring-Eckardt.
Nein, Herr Kolb, dazu bin ich nicht bereit. Ich
glaube nämlich,
({0})
dadurch, dass wir die geringfügig Beschäftigten sozialversichert haben, können erstens eigene Rentenansprüche
erworben werden. Zweitens: Durch eine Reihe von wichtigen Maßnahmen innerhalb der Rentenreform können eigenständige Renten der Frauen gesichert werden. Drittens
- Frau Kollegin Dückert hat vorhin darauf hingewiesen haben wir von allen Experten bestätigt bekommen - darauf kommt es bei Ihrer Argumentation an -, dass bereinigt um diese Arbeitsverhältnisse und und um all diejenigen, die neu auf den Arbeitsarkt gekommen sind, die
Arbeitslosigkeit in Deutschland deutlich zurückgegangen
ist.
Ich glaube, dass Ihre Argumentation an dieser Stelle
ziemlich schräg ist und dass wir auf dem richtigen Weg
sind.
({1})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nunmehr Kollege Franz Thönnes
für die SPD-Fraktion. Dann haben wir zwei namentliche
Abstimmungen.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir in
den letzten zwei Stunden von den Rednern der Opposition
erfahren haben, dass sie nach zwei Jahren in der Opposition schon wieder alles besser wissen, muss man sich die
Frage stellen: Warum haben Sie es denn in den letzten
zwei Jahren Ihrer Regierungszeit nicht besser gemacht?
({0})
Ich muss Ihnen klar sagen: Diese Republik braucht
keine Besserwisser, sie braucht Bessermacher!
({1})
Deshalb arbeitet diese Regierung jetzt sehr solide am Abbau der Arbeitslosigkeit.
({2})
Das Thema Arbeit ist das Thema Nummer eins in
Deutschland. Die Menschen begreifen Arbeit als eine
Chance, an dem gesellschaftlichen Gestaltungsprozess
teilzunehmen. Arbeit ist eine zentrale Voraussetzung, um
die Lebensbedingungen aktiv gestalten zu können: Wohnung, Kultur oder gesellschaftliches Leben.
({3})
Deswegen hat diese Regierung den Abbau der Arbeitslosigkeit auf Platz eins ihres Arbeitsprogramms gestellt.
({4})
Diese Regierung ist erfolgreich; wir haben in zwei Jahren die Zahl der Erwerbstätigen um 1 Million und die
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um
460 000 erhöht und gleichzeitig die Zahl der Arbeitslosen
um 390 000 im Jahresdurchschnitt gesenkt. Wenn Kollege
Kolb die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in
diese Zahlen hineinrechnet, muss ich ihm entgegenhalten:
Zu diesem Personenkreis zählen viele, die ihre Nebenbeschäftigung aufgegeben haben - praktisch eine Überstundenreduzierung durchgeführt haben - oder als Schüler,
Rentner oder Hausfrauen durch die gesetzliche Regelung
sozialversicherungspflichtig wurden. Wir haben einen
echten Beschäftigungszuwachs in diesem Land.
({5})
Der Sachverständigenrat bestätigt die Politik dieser
Regierung, indem er für das Jahr 2001 einen weiteren
Rückgang der Arbeitslosigkeit um 200 000 Menschen
- die Arbeitslosenquote wird damit auf 9,1 Prozent sinken und einen Anstieg der Beschäftigungsquote um 400 000
prognostiziert. Das sind Größenordnungen, von denen Sie
nur geträumt haben.
({6})
Die Sachverständigen führen diese Entwicklungen auf die
gute Finanz- und Steuerpolitik dieser Bundesregierung
zurück; sie bezeichnen sie als Ergebnis der gestiegenen
Binnennachfrage mit einer Steuerentlastung von 46 Milliarden DM für die Menschen in diesem Land.
({7})
Das ist das gute Zusammenwirken von Finanz-, Steuer-,
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, das Sie nie geschafft haben. Alle Elemente müssen zusammen begriffen
und dürfen nicht, so wie Sie das gemacht haben, separat
betrachtet werden.
({8})
Wir sind mit der vorliegenden Situation nicht zufrieden. Wir geben uns keiner Selbstzufriedenheit hin, sondern investieren weiter in eine aktive Arbeitsmarktpolitik. In Ihrer Regierungszeit sind bei weit über 4 Millionen
Arbeitslosen nicht so viel Finanzmittel in die aktive Arbeitsmarktpolitik geflossen wie bei uns. Sie haben 37 Milliarden DM bei 4,4 Millionen Arbeitslosen investiert,
während wir jetzt - die Arbeitslosenquote ist um 7 Prozent
gesunken - 44,5 Milliarden DM bei 3,9 Millionen Arbeitslosen investieren.
({9})
Sie haben die ganze Zeit die wirklich gute Arbeit des
Bündnisses für Arbeit verschwiegen. Im Bündnis für Arbeit tragen die Tarifvertragsparteien für die Beschäftigungspolitik in Deutschland eine gemeinsame Verantwortung. Das Bündnis für Arbeit ist damit Ausdruck einer
sozialen Marktwirtschaft, die alle betroffenen Parteien
- bei allen Interessengegensätzen - an einen Tisch bringt,
weil sie Bereitschaft und Verantwortung zeigen. Das ist
das Gegenbeispiel von Spaltung und einseitiger Interessenwahrnehmung, wie es in Ihrer Regierungszeit der Fall
gewesen ist.
({10})
Mein Kollege Schurer hat zu dem JUMP-Programm
eigentlich alles gesagt. Dieses Programm ist beim Abbau
der Jugendarbeitslosigkeit erfolgreich gewesen: Die Arbeitslosenquote junger Menschen hat sich um 9 Prozent
verringert. Auch das ist im Konsens mit den Arbeitgebern
und den Gewerkschaften erfolgt.
Die große Bedeutung dessen, in die Zukunft junger
Menschen zu investieren, wird auch am Beispiel eines anderen Feldes der Regierungspolitik deutlich: Wir hatten
1998 341 000 BAföG-Empfänger; immer weniger Kinder aus Arbeitnehmerhaushalten konnten in den Genuss
dieser Förderung kommen. Wir sorgen jetzt mit unserer
Politik dafür, dass im Jahre 2001 fast 450 000 junge Menschen vom BAföG profitieren können.
({11})
Wir machen das, weil wir es den Wählerinnen und
Wählern versprochen haben. Wir sind der Auffassung,
dass gut ausgebildete junge Menschen ein wichtiger
Faktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland sind. Die
Zukunft der Kinder in unserem Land soll nie wieder vom
Geldbeutel der Eltern, sondern von dem, was in ihren
Köpfen ist, abhängen. Das ist unser Verständnis von
Chancengleichheit.
({12})
Bei Besuchen, die ich in den letzten Wochen beim Arbeitsamt meines Bezirks gemacht habe, habe ich eine
schreckliche Erfahrung gemacht, die uns alle zum Nachdenken bringen sollte. Überall sagen die Vermittler - die
Schicksale von Arbeitslosen bestätigen uns das -, dass wir
die Frage stellen müssen: Was ist das Alter in unserer Gesellschaft noch wert? Ich vermag nicht einzusehen,
warum Arbeitslose von 50 Jahren zum alten Eisen
gehören sollen.
({13})
Das ist das Ergebnis eines ständigen Werteverfalls in dieser Gesellschaft, für den Ihre Regierung mit verantwortlich ist.
({14})
Sich heute hierhin zu stellen und über deutsche Leitkultur zu reden ist völlig unangemessen. Diskutieren Sie
einmal über eine Wertekultur, bei der deutlich wird, was
das Alter wert ist, was es wert ist, das Gemeinwesen dieser Gesellschaft solidarisch zu gestalten. Diskutieren Sie
einmal darüber, was Solidarität und Individualität bedeuten, was Eigenverantwortung und gesellschaftliche Verantwortung bedeuten.
({15})
Und diskutieren Sie darüber, was Menschenwürde und
Sozialstaatlichkeit bedeuten. Das sind die Fragen, die gestellt werden müssen.
({16})
Gestern haben wir zum Schluss der Debatte vom Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU eine neue Sandkastenspieltheorie erlebt. Es wurden zwei Angebote gemacht. Es
gab den interessanten Vorschlag, ältere Arbeitnehmer
sollten bei der Einstellung auf ihren Kündigungsschutz
verzichten und stattdessen eine Abfindung vereinbaren.
Wissen Sie, was Sie hier betreiben? Sie befördern eine für
die Arbeitslosenversicherung höchst gefährliche Entwicklung. Der schieben Sie am Ende die gescheiterten
Fälle aus diesem Prozess zur Finanzierung zu. Außerdem
erwecken Sie dadurch den Eindruck, als seien Kündigungen am Ende nicht möglich. Betriebsbedingte Kündigungen sind immer dann, wenn es keine andere Möglichkeiten für ein Unternehmen gibt, durchaus im Bereich des
Möglichen. Ich sage Ihnen, was mit Ihren Vorschlag erreicht wird: Ältere Arbeitnehmer werden zum Freiwild
auf dem Arbeitsmarkt. Das steckt dahinter. Diese Philosophie wird die Sozialdemokratie nicht mitmachen. Flexibilität und Sicherheit ja, aber nicht die Arbeitnehmer als
Freiwild und als Kostenfaktor hinstellen.
({17})
Der zweite Vorschlag, der gemacht wurde, war höchst
interessant. Aus dem Mund von Herrn Merz haben wir erfahren, dass die deutsche Arbeitslosenversicherung, die
sich sehr bewährt hat, abgeschafft werden soll.
({18})
Nicht anders, Kollege Laumann, ist sein Vorschlag zu verstehen, dass ein Optionsmodell entwickelt werden soll,
dass sich Arbeitslose so versichern können, wie das Risiko der Beschäftigung ist, wobei unterschiedliche Tarife
vereinbart werden können. Nein, das ist nicht zuzulassen,
weil das bedeutet, dass die geringen Risiken aus der Solidarversicherung herausgenommen werden, dass die Beschäftigungsverhältnisse mit größerem Risiko mit immer
höheren Beiträgen belastet werden, dass die größeren Betriebe mit ihren größeren Arbeitsmärkten Vorteile gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen haben und dass
die Frage bewertet werden muss, wer das Risiko der möglichen Arbeitslosigkeit einschätzt. Die Individualisierung,
die Sie predigen, trägt dazu bei, dass der Arbeitgeber einen noch viel stärkeren Druck auf die Mitarbeiter, vor allem die älteren, ausüben kann. Das ist mit uns nicht zu machen.
({19})
Der Arbeitgeber geht kein Risiko ein. Am Ende soll der
ältere Arbeitnehmer das Gesamtrisiko tragen. Das ist in
unserem Sozialstaat unsolidarisch.
({20})
An dieser Stelle sage ich, dass sich die solidarische
Arbeitslosenversicherung in Deutschland bewährt hat.
Eine Spaltung werden wir nicht zulassen, weil wir an dieser Stelle nicht wollen, dass Sie Ihre Politik, für die Sie abgewählt worden sind, mit der Sie die Versicherungssysteme fast gegen die Wand gefahren haben, im Deutschen
Bundestag weiterpraktizieren.
Für uns steht auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik
ganz vorne an: Wir werden weiterhin dafür sorgen, Freiheit zu garantieren, Gerechtigkeit zu praktizieren und den
gesellschaftlichen Zusammenhalt zu organisieren.
({21})
Ich schließe
die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst werden
wir über die Änderungsanträge abstimmen.
Abstimmung über den Änderungsantrag der CDU/
CSU auf Drucksache 14/4786. Die Fraktion der CDU/
CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist
der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmungen fort.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/4806. Die Fraktion der
F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, ihres Amtes zu walten und die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle
Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmungen fort.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erbitte Ihre Aufmerksamkeit für mündliche Abstimmungen.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4805. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/4793. Wer stimmt dafür?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der PDS abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/4794. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
der PDS abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/4795. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/4796. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zum Vorliegen
der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.
({1})
({2})
Die Sitzung ist wieder
eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/4786 bekannt. Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt 265 Abgeordnete. Mit Nein haben gestimmt 315 Abgeordnete. Es gab
keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
davon
ja: 266
nein: 314
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen ({0})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({1})
Peter H. Carstensen ({2})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({3})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Gerhard Friedrich ({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({7})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({8})
Hansgeorg Hauser ({9})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers ({10})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({11})
Dr. Klaus W. Lippold ({12})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann ({13})
Julius Louven
Erich Maaß ({14})
Erwin Marschewski ({15})
Dr. Martin Mayer ({16})
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({17})
Elmar Müller ({18})
Bernd Neumann ({19})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({20})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({21})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch ({22})
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({23})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({24})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({25})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Dr. Rita Süssmuth
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Peter Weiß ({26})
Gerald Weiß ({27})
Heinz Wiese ({28})
Hans-Otto Wilhelm ({29})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({30})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({31})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({32})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Walter Hirche
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto ({33})
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Pia Maier
Angela Marquardt
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
Nein
SPD
Brigitte Adler
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({34})
Klaus Barthel ({35})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({36})
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({37})
Bernhard Brinkmann
({38})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({39})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Christel Deichmann
Karl Diller
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({40})
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({41})
Lilo Friedrich ({42})
Harald Friese
Anke Fuchs ({43})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({44})
Angelika Graf ({45})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({46})
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann ({47})
Walter Hoffmann ({48})
Iris Hoffmann ({49})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({50})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Christian Lange ({51})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({52})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({53})
Winfried Mante
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({54})
Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({55})
Jutta Müller ({56})
Christian Müller ({57})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Michael Roth ({58})
Birgit Roth ({59})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({60})
Ulla Schmidt ({61})
Silvia Schmidt ({62})
Dagmar Schmidt ({63})
Heinz Schmitt ({64})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({65})
Brigitte Schulte ({66})
Reinhard Schultz ({67})
Volkmar Schultz ({68})
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({69})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({70})
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({71})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({72})
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({73})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({74})
Helmut Wieczorek ({75})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({76})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({77})
Waltraud Wolff ({78})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({79})
Marieluise Beck ({80})
Volker Beck ({81})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({82})
Joseph Fischer ({83})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({84})
Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({85})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({86})
Werner Schulz ({87})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({88})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571
davon
ja: 33
nein: 538
Ja
CDU/CSU
Dr. Reinhard Göhner
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({89})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({90})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({91})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Walter Hirche
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto ({92})
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({93})
Klaus Barthel ({94})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({95})
Klaus Brandner
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({96})
Bernhard Brinkmann
({97})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({98})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Christel Deichmann
Karl Diller
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({99})
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({100})
Lilo Friedrich ({101})
Harald Friese
Anke Fuchs ({102})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({103})
Angelika Graf ({104})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({105})
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann ({106})
Walter Hoffmann ({107})
Iris Hoffmann ({108})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({109})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Christian Lange ({110})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Götz-Peter Lohmann
({111})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({112})
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({113})
Jutta Müller ({114})
Christian Müller ({115})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Michael Roth ({116})
Birgit Roth ({117})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({118})
Ulla Schmidt ({119})
Silvia Schmidt ({120})
Dagmar Schmidt ({121})
Wilhelm Schmidt ({122})
Heinz Schmitt ({123})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Nun gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/4806 bekannt. Abgegebene
Stimmen 572. Mit Ja haben gestimmt 33, mit Nein haben
gestimmt 539. Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({124})
Brigitte Schulte ({125})
Reinhard Schultz ({126})
Volkmar Schultz ({127})
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({128})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({129})
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({130})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({131})
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({132})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({133})
Helmut Wieczorek ({134})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({135})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({136})
Waltraud Wolff ({137})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen ({138})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({139})
Peter H. Carstensen ({140})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({141})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({142})
Axel E. Fischer ({143})
Dr. Gerhard Friedrich
({144})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({145})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({146})
Hansgeorg Hauser ({147})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers ({148})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({149})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold ({150})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann ({151})
Erich Maaß ({152})
Erwin Marschewski ({153})
Dr. Martin Mayer ({154})
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({155})
Elmar Müller ({156})
Bernd Neumann ({157})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({158})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({159})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch ({160})
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({161})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({162})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({163})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({164})
Ich bitte jetzt diejenigen Kolleginnen und Kollegen,
die dem Einzelplan 11 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 11 angenommen.
Ich rufe nun auf:
III. 20 Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
- Drucksachen 14/4514, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Matthias Berninger
Jürgen Koppelin
Dr. Barbara Höll
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der
CDU/CSU hat jetzt der Kollege Aribert Wolf das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Jahren
konnten wir noch stolz sein auf das deutsche Gesundheitswesen. Wir waren auch international hoch angesehen,
teilweise sogar Vorbild für die Länder in Osteuropa.
Heute, nach nur zwei Jahren rot-grüner Bundesregierung, hat unser Gesundheitswesen massiv an Ansehen
verloren.
({0})
Wenn heute Experten wie der Kölner Gesundheitsökonom Professor Lauterbach eine Bestandsaufnahme machen, dann klingt das so:
Das deutsche Gesundheitswesen ist zwar teuer, aber
medizinisch nur Mittelmaß.
Meine Damen und Herren, nach 25 Monaten rot-grüner Budgetierungspolitik hat das deutsche Gesundheitswesen einen rasanten Abstieg von der Champions League
in die Kreisklasse hinter sich. Eine richtige Linie und
klare Zielvorstellungen sind in der Gesundheitspolitik
von Rot-Grün nicht erkennbar. Ähnlich wie bei der Rente
taumelt man orientierungslos hin und her und lässt viele
Probleme einfach liegen. Man versucht, sich wie im Irrgarten ein Stückchen voranzutasten, aber den richtigen
Weg hat man noch lange nicht gefunden.
Wenn heute Experten sagen, wir seien medizinisch nur
noch Mittelmaß in Deutschland, dann sagen sie es nicht
deswegen, weil unsere Ärzte plötzlich all das verlernt haben, was sie in den Jahren vorher positiv geleistet haben,
sondern weil Rot-Grün die Rahmen- und Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert hat.
({1})
Es geht um einen Würgegriff von zwei Seiten. Auf der
einen Seite lässt Rot-Grün zu, dass dem Gesundheitswesen Geld entzogen wird und der ohnehin enge finanzielle
Spielraum der Kassen noch weiter eingeengt wird. Auf
der anderen Seite - der Ausgabenseite - würgt man die
Ärzte durch eine gnadenlose Budgetierung und nimmt
den in den Heilberufen Tätigen und all denen, die sich im
Gesundheitswesen positiv einbringen, die Motivation und
das Engagement, auf Deutsch: die Freude am Beruf.
({2})
Wenn im Fußball zum Beispiel jemand auf die Idee
käme, einen Leistungsträger, einen hervorragenden SpieVizepräsidentin Petra Bläss
Dr. Rita Süssmuth
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Peter Weiß ({3})
Gerald Weiß ({4})
Heinz Wiese ({5})
Hans-Otto Wilhelm ({6})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({7})
Marieluise Beck ({8})
Volker Beck ({9})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({10})
Joseph Fischer ({11})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({12})
Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({13})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({14})
Werner Schulz ({15})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({16})
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Pia Maier
Angela Marquardt
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
ler, der mehr leistet als der Durchschnitt, zurückzupfeifen
und ihm zu sagen, er müsse langsamer und schlechter
spielen und dürfe nicht so schnell rennen, dann würde jeder sagen: Derjenige, der so etwas vorschlägt, spinnt
doch. Genau dies aber bewirkt die Budgetierung im Medizinbetrieb.
Jeder Arzt, der bereit ist, mehr zu leisten, mehr zu geben und mehr Patienten zu bekommen, wird von der Budgetierung auf das Mittelmaß zurückgepfiffen. Er muss erkennen, dass er, wenn er sich mehr anstrengt, auffällt und
dann kontrolliert wird. Das verhagelt die Stimmung.
({17})
Bei uns war die Gesundheitspolitik noch ein Aktivposten der Regierung.
({18})
Seehofer war hoch angesehen, da können Sie schreien,
was Sie wollen. Wir sehen ja heute noch, wie gern viele
wieder Horst Seehofer als Gesundheitsminister zurückhaben wollen. Vielleicht wird es eines Tages auch so kommen, Sie werden es erleben.
({19})
Bei Rot-Grün - auch das pfeifen mittlerweile die Spatzen von den Dächern - ist die Gesundheitspolitik ein
Schwachpunkt, ist Ballast, ist geradezu die Achillesferse
der Regierung Schröder. Eigentlich kann uns die liebe
Frau Fischer fast Leid tun. Sie ist als Quotenfrau ins Ministerium gerutscht.
({20})
Das Gesundheitswesen ist bekannt als Haifischbecken.
Nur wer fachlich sattelfest ist, kann sich darin entsprechend profilieren.
Blicken wir zurück, wie es anfing: Zuerst gab es die
Querschüsse von SPD-Dressler, dann kam das Gemäkel
aus der eigenen grünen Partei. Wenn der Kanzler eine Abschussliste durchsickern lässt, steht Frau Fischer immer
ganz oben. Das schwächt natürlich. Und irgendwo tut es
einem menschlich fast Leid. Aber wir müssen sehen, dass
ihre politische Schwäche verheerende Auswirkungen auf
unser Gesundheitswesen hat. Weil die Gesundheitsministerin politisch so schwach ist, kann sie nicht verhindern,
dass andere Minister unsere Kranken- und Pflegeversicherung wie eine Weihnachtsgans finanziell ausnehmen.
({21})
Wenn Sie sehen, wie viel Geld, das dringend für die
Versorgung von Kranken und Pflegebedürftigen benötigt
wird, heute abgezwackt, umgeleitet und zur Haushaltssanierung missbraucht wird, dann wird Ihnen klar, welch
gewaltige Summen Rot-Grün der Kranken- und Pflegeversicherung entzieht.
({22})
Ich darf nur ein paar Dinge nennen. Allein 500 Millionen DM klaut man den Pflegebedürftigen, weil der Staat
weniger Beiträge für die Arbeitslosen bezahlt. Die
Schwächsten müssen dafür büßen, dass Frau Fischer so
schwach ist. Das ist die Wahrheit.
({23})
Das gleiche Spiel läuft in der gesetzlichen Krankenversicherung ab. 1,2 Milliarden DM fehlen der GKV
künftig, weil für Arbeitslosenhilfeempfänger weniger
Geld in die Kassen fließt. 600 Millionen DM fehlen der
Krankenversicherung durch die Kürzung der Renten.
Noch nicht abzuschätzen sind die Millionenbeträge, die
jetzt durch die Einführung der beitragsfreien Mitversicherung für Schwule und Lesben auf die gesetzliche
Krankenversicherung zukommen. Mindestens 250 Millionen DM - das hat man großartig als Erfolg verkündet beträgt die Belastung durch die Neuregelung der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten.
Wie haben sich die Grünen aufgeplustert, als sie zum
Kanzler marschiert sind. Als sie hinterher rausgekommen
sind, hat ihnen der Kanzler fast alle Federn ausgerupft.
Nur ein paar hat er ihnen noch gelassen, damit sie nicht
ganz nackig sind. Der Krankenversicherung fehlen damit
mindestens 250 Millionen DM, um Kranke in unserem
Land anständig versorgen zu können.
({24})
Es kommen zusätzliche Zahlungsverpflichtungen
auf die Kassen zu, die Rot-Grün selbst auf den Weg gebracht haben. Man hat am Anfang großkotzig die Zuzahlungen zurückgenommen. Das führte bei der Krankenversicherung zu einem Einnahmeausfall von 1 Milliarde DM.
Man hat das Krankenhausnotopfer abgeschafft. Damit
fehlen jährlich 700 Millionen DM. Man hat Leistungen
ausgeweitet, die Soziotherapie zum Beispiel, das bringt
zusätzliche Kosten von 1 Milliarde DM jährlich mit sich.
Das ist noch nicht alles. Auch künftig soll es munter
weitergehen - so die Planungen -, und den Krankenkassen weiter kräftig Geld entzogen werden. Durch das
SGB IX, das neue Rehabilitationsrecht - so die Rechnung
der Krankenkassen, wenn diese Regelung in Kraft tritt -,
werden die Kassen eine weitere Belastung von 500 Millionen DM zu tragen haben. Das sind wieder 500 Millionen DM, die fehlen. Wenn wir sehen, wie das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Krankenversicherung der
Rentner umgesetzt werden soll, dann stellen wir fest, dass
2002 auch dort wieder 500 Millionen DM an zusätzlicher
Belastung drohen.
({25})
Wenn 2002 die Rentenreform kommt und es mit dem
Aufbau der privaten Rentenversicherung ernst wird,
dann müssen wir davon ausgehen, dass der Krankenversicherung wiederum Jahr für Jahr zunächst 700 Millionen DM fehlen. Dies steigert sich bis 2008 auf einen Betrag von insgesamt 5,5 Milliarden DM pro Jahr, der in den
Kassen der Krankenversicherung fehlt. Es sind gewaltige
Beträge, die sich aufsummieren und die wir dringend
bräuchten, um unseren Menschen auch in der Gesundheitspolitik eine Perspektive zu bieten.
Wäre die Ministerin Kassiererin im Supermarkt, dann
wäre sie längst entlassen, weil sie sich das Geld von anderen zu leicht aus der Tasche ziehen lässt.
({26})
Ich meine, Frau Fischer, Sie müssen kämpfen, damit das
Geld in der Kasse bleibt. Sie müssen sich stärker auf der
Einnahmeseite engagieren. Dann müssten Sie auf der
Ausgabenseite nicht so stark die Muskeln spielen lassen.
Sie glauben, Sie könnten dort alles über Budgetierung,
Reglementierung und noch mehr Bürokratie regeln. Aber
all das schafft mehr Probleme, als es Probleme löst.
({27})
Gerade auf der Ausgabenseite darf eine verantwortungsvolle Gesundheitsministerin nicht nur auf das Geld
und auf die Kassenbilanzen schauen. Menschen müssen
immer wichtiger als Zahlen und Bilanzen sein.
({28})
Wer Gesundheitspolitik ernst nimmt, der darf eben nicht
nur die wirtschaftliche Seite der Krankenversicherung
sehen, sondern er muss in seinem politischen Programm
auch Versorgungsziele definieren und sich fragen: Wie
steht es mit der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung? Wie gehen wir heute mit chronisch Kranken um?
Wenn wir uns diesen Bereich näher ansehen, dann merken wir, dass sich draußen dramatische Szenen abspielen.
Ich möchte Ihnen einiges von dem nennen, was an uns
herangetragen wird. Ohnehin protestieren die Leistungserbringer auf den Straßen. Aber darauf will die Ministerin nicht reagieren. Das sind alles schwer reiche
Leute, denen es nur ums Geld geht. - Ich glaube nicht,
dass wir damit dem Problem gerecht werden; denn es gibt
viele Ärzte, die sehr engagiert arbeiten. Auch gibt es viele
Pfleger in den Pflegediensten, die ihre Patienten liebend
gerne gut versorgen würden.
Wenn Sie dann in einer Emnid-Umfrage lesen, dass
chronisch Kranken in bis zu 15 Prozent der Fälle unter
Hinweis auf die rot-grüne Budgetierung Arzneimittel
verweigert werden, dann sollte das zum Nachdenken anregen.
({29})
Wenn Sie zur Kenntnis nehmen, dass in einer Langzeitstudie der Uni Bremen und der Gmünder Ersatzkasse
festgestellt wurde, dass jedem vierten Patienten ein Arzneimittel aus Budgetgründen heute nicht mehr verordnet
wird, wenn die Deutsche Rheuma-Liga sagt, durch die
rot-grüne Gesundheitspolitik werden Ärzte und Patienten
in gleicher Weise verunsichert, das Arzt-Patienten-Verhältnis leide massiv unter der Budgetierungsdiskussion,
was an Medikamenten gespart werde, müssen die Patienten mit größerer Unbeweglichkeit und stärkeren Schmerzen bezahlen, was am Ende zu Krankenhauseinweisungen
führe, die wiederum höhere Folgekosten nach sich zögen,
dann sehen wir, auf welchem Irrweg sich Rot-Grün mit
dieser Budgetierungspolitik befindet und warum es bitter
notwendig ist, dass wir hier umsteuern.
({30})
Auch wenn Sie es immer noch nicht glauben: Die
Deutsche Parkinson-Vereinigung stellt fest, dass Patienten, die nach langen Krankenhausaufenthalten endlich
medikamentös gut eingestellt sind, nach ihrer Entlassung
aus dem Krankenhaus, wenn sie beim niedergelassenen
Arzt weiterbehandelt werden, Medikamente nicht in der
gleichen Weise verordnet bekommen wie im Krankenhaus, weil dieser Arzt unter Budgetzwang steht; Heilmittel werden fast überhaupt nicht mehr verordnet.
({31})
Ich frage mich: Ist das der richtige Weg, den Sie hier so
selbstherrlich beschreiten? Haben Sie wirklich kein Ohr
mehr für die Sorgen und Nöte von vielen armen und kranken Leuten in unserem Land?
({32})
Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Die Frauenselbsthilfe für Krebspatienten stellt fest: Nach Operationen
werden wichtige Heilmittel wie zum Beispiel Lymphdrainage und Krankengymnastik nicht mehr verordnet. Nur
noch 10 Prozent der Tumorpatienten erhalten eine adäquate Schmerztherapie.
Auch Kinder werden Opfer der Budgets. Der Bundesverband für Logopädie und Ergotherapie
({33})
und der Bundesverband für Pflegeberufe stellen fest, dass
gerade auch bei Kindern eine zunehmende Verordnungszurückhaltung der Ärzte festzustellen ist. Alles Folgen der
Budgets, meine Damen und Herren.
Die Folge daraus wiederum sind Entwicklungsstörungen für Kinder und schwerwiegende Spätfolgen. All das
kostet künftig sehr viel Geld. Budgetierung spart nicht,
Budgetierung treibt auf lange Sicht die Kosten.
({34})
Die Multiple-Sklerose-Gesellschaft berichtet, dass von
60 000 Patienten, bei denen eine Therapie mit Interferon
erforderlich ist - das kostet pro Patient zwischen 25 000 DM
und 30 000 DM -, nur noch circa 15 000 behandelt werden und dass schuld daran die Budgets sind. Der Grund
ist, dass ein Neurologe, der heute einen Patienten mit Interferon behandelt, kompensatorisch dafür 113 andere Patienten ohne Behandlung und ohne Medikamente nach
Hause schicken muss, weil er sonst seine Budgetvorgaben
überschreitet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollege Dr. Wodarg?
Ja, gerne.
Herr Kollege, Sie haben eben die Logopäden und die Entscheidung der Bundesausschüsse zitiert, Sie haben aber nicht gesagt, dass es
die Bundesausschüsse waren, sondern Sie haben gesagt,
es liege am Budget, dass hier jetzt möglicherweise
Schwierigkeiten in der logopädischen Versorgung entstehen.
({0})
Ist Ihnen klar, dass Sie hierbei jetzt in die Arbeit der
Selbstverwaltung eingreifen wollen?
({1})
Würden Sie es für richtig halten, wenn die Arbeit der
Selbstverwaltung durch eine staatliche Gestaltung, zum
Beispiel durch das Ministerium, abgelöst würde?
({2})
Ist das wirklich Ihre Auffassung?
({3})
Wir sind uns ja einig, dass in der Logopädie etwas getan werden muss. Die grundsätzliche Frage ist hier aber,
ob die Entscheidung der Selbstverwaltung, die Sie hier
missbraucht haben, in dieser Debatte überhaupt eine Rolle
spielt.
({4})
Herr Dr. Wodarg, ich muss
Ihnen Folgendes sagen: Stellen Sie sich vor, Sie sagen Ihrer Frau, sie möchte am Abend acht Personen zum Essen
einladen, geben ihr aber nur Geld, um für vier Personen
einkaufen zu können. Ihre Frau kocht dann und versucht,
etwas auf den Weg zu bringen, und Sie machen Ihrer Frau
hinterher Vorwürfe, dass sie zu wenig gekocht hat. Das
heißt doch: Sie haben ihr vorher zu wenig Geld zur Verfügung gestellt.
({0})
Das ist die gleiche Situation wie bei den Budgets, meine
Damen und Herren. Das ist das Problem.
({1})
Wenn Sie mit Ihrer rot-grünen Politik mit der Budgetierung weiterfahren, haben wir die Probleme. Dann können Sie nicht die Selbstverwaltung für die Beschränkungen verantwortlich machen, sondern Sie müssen an die
Wurzel des Übels gehen und die Budgetierung aufheben.
({2})
Meine Damen und Herren, auch die Budgets selbst halten beileibe nicht das, was sie zu versprechen scheinen.
Ich darf Ihnen nur einmal die Entwicklung der Arzneimittelausgaben schildern, die ja von 1991 bis 1999 relativ stark budgetiert waren. 1993 waren es 27,5 Milliarden DM.
({3})
- Natürlich sind die schuld. - 1996 sind wir schon bei
34,2 Milliarden DM, 1998 bei 34,7 Milliarden DM und
1999 bei 37,6 Milliarden DM. Sie werden sehen, die Arzneimittelausgaben werden auch weiterhin steigen, ob Sie
budgetieren oder nicht.
({4})
Wenn aber nicht mehr die richtigen Arzneimittel verordnet werden, die Menschen nicht mehr richtig therapiert
werden und später, wenn sie richtig krank sind, ins Krankenhaus müssen und die Behandlung dort wesentlich teurer ist, dann werden Sie feststellen, dass die Budgetierung
hohe Folgekosten verursacht und deshalb auch unter Kostengesichtspunkten ein Schuss in den Ofen war.
({5})
Wir müssen aus diesen Beispielen zwei Dinge lernen:
Erstens. Budgetierung spart auf lange Sicht keine Kosten,
sondern verschlechtert die Qualität der gesundheitliche
Versorgung. Zweitens. Nicht das Abschaffen von Budgets, sondern das Festhalten an Budgets führt zu einer
Zweiklassenmedizin. Wenn Sie an der Budgetierung
festhalten - wenn man sich die Wirklichkeit in den Arztpraxen heute ansieht, dann wird man feststellen, dass sich
das schon abzeichnet -, dann werden teure und aufwendige Behandlungen zum Privileg derer, die es sich leisten
können, solche Behandlungen aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Arme, der sozial Schwache, der nicht privat
zahlen kann, bleibt auf der Strecke. Eine solche Gesundheitspolitik wollen wir nicht mittragen. Deswegen kämpfen wir gegen diese Politik.
({6})
Es wird Ihnen nicht gelingen, den Menschen vorzugaukeln, dass trotz begrenzter Mittel Leistungen unbegrenzt gewährt werden können und dass nur mit der Jagd
auf Wirtschaftlichkeitsreserven die Weichen in unserem
Gesundheitswesen in Richtung Zukunft gestellt werden
können. Frau Fischer, ich kann Ihnen nur raten: Befreien
Sie sich aus dem Treibsand der Budgetierung und Reglementierung; denken Sie endlich innovativer!
({7})
Ansonsten gehen Sie eines Tages im Treibsand der Budgetierung unter. Sie werden, wenn Sie sich nur ein bisschen in der politischen Landschaft umschauen, erkennen
müssen, dass es auch bei den Grünen ein paar gibt, die
sich offen zu den Ansätzen bekennen, die wir von CDU
und CSU immer wieder als Alternativen zu Ihrer Budgetierungs- und Überreglementierungspolitik aufzeigen.
Sie müssen die Wahrheit sagen: Es gibt ein demographisches Problem in Deutschland. Dieses Problem betrifft nicht nur die Renten-, sondern auch die Krankenversicherung. Es ist mathematische Logik, dass es für den
Einzelnen unter dem Strich teurer wird, wenn es immer
weniger Junge, die einzahlen, und immer mehr Ältere
gibt, die Leistungen in Anspruch nehmen. Wenn Sie sich
nicht trauen, den Menschen diese Wahrheit zu sagen, und
stattdessen behaupten, dass die Budgetierung ausreicht,
dann betreiben Sie auch in der Gesundheitspolitik Rosstäuscherei. Das werden Sie politisch bitter bereuen.
({8})
Da Sie noch immer nicht zur Kenntnis nehmen wollen,
dass der medizinische Fortschritt heute rasanter voranschreitet als die Entwicklung der Einkommen, möchte ich
Ihnen ein paar Beispiele nennen: In den letzten 40 Jahren
hat sich die Zahl der Diabeteskranken verdoppelt. Die
Zahl der Asthmakranken hat sich verdreifacht. Innerhalb
der letzten 15 Jahre ist die Zahl der Dialysepatienten von
null auf über 50 000 gestiegen. Die Zahl der HIV-Patienten ist von null auf 40 000 gestiegen. Jeder weiß, dass die
Behandlung von HIV-Patienten besonders teuer ist.
Wenn Sie zur Kenntnis nehmen, dass es inzwischen innovative Medikamente für die Behandlung bestimmter
Krebskrankheiten, von Hepatitis und von multipler Sklerose gibt, dann müssen auch Sie trotz Ihrer ideologischen
Verblendung feststellen, dass dies alles Geld kostet und
dass dieses Geld nicht alleine durch Einsparungen an anderer Stelle erwirtschaftet werden kann. Wenn wir verantwortungsvoll handeln wollen, müssen wir erkennen, dass
der medizinische Fortschritt es vielen Patienten ermöglicht, ein längeres und erträglicheres Leben zu führen.
({9})
Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir auch
ohne Budgetierung und Reglementierung künftig sicherstellen können, dass der medizinische Fortschritt breiten
Schichten der Bevölkerung zugute kommt.
Sie werden über kurz oder lang erkennen, dass unser
System von Wahlleistungen und Kernleistungen und
unser Vorschlag, dem Einzelnen ein bisschen mehr Verantwortung zuzutrauen, ihm mehr Eigenverantwortung zu
geben, der bessere Weg ist. Wir sind der Meinung, wer
mehr Eigenverantwortung übernehmen soll, braucht auch
entsprechende Informationen; deswegen brauchen wir
mehr Transparenz im Gesundheitswesen.
({10})
Wir brauchen auch mehr Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern.
({11})
Letzter Punkt - auch damit werden Sie von Rot-Grün
sich bei der Diskussion über den Risikostrukturausgleich beschäftigen müssen -: Es kann nicht sein, dass
sich Krankenkassen heute ausschließlich um Junge, Gesunde und Gutverdienende kümmern und der chronisch
Kranke völlig an den Rand gedrängt wird. Wir denken
über diese Dinge intensiv nach. Wir haben Lösungsvorschläge entwickelt.
({12})
Deswegen billigen uns die Menschen auch mehr Kompetenz zu und deswegen kommen viele schon heute zu dem
Ergebnis, es sei höchste Zeit, dass die CDU/CSU, dass
Horst Seehofer auf die Regierungsbank zurückkommt.
({13})
Mir ist nicht bange, dass Sie, wenn Sie in der Gesundheitspolitik so weiter machen, die Quittung 2002 vom
Wähler präsentiert bekommen.
({14})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Walter Schöler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Antwort auf die Frage des
Kollegen Wodarg hat der Kollege Wolf ein Beispiel gewählt, das ich überhaupt nicht akzeptieren kann. Herr
Kollege Wolf, eine gute Hausfrau kommt auch mit dem
halben Budget aus und macht noch ein hervorragendes
Essen. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen zu Hause ist.
({0})
- Meine Mutter hat das mit acht Kindern immer geschafft,
obwohl das nicht einfach war.
({1})
Der Kollege Wolf hat immer die gleichen Rezepte, die
gleichen Strickmuster. Es wird ein Horrorbild von der
deutschen medizinischen Versorgung gezeichnet.
({2})
Die Patienten sollen verunsichert werden und Sie wollen
von dem Erbe, das Sie uns hinterlassen haben, ablenken.
({3})
Denn nichts anderes als Ihre Bilanz haben Sie hier aufgezählt.
Übrigens habe ich zum Haushalt von Ihnen noch kein
Wort gehört.
({4})
- Das stimmt. Er hat bestimmt nicht reingeguckt. - Ich
will mich deshalb zunächst diesem Gesundheitsetat und
seinen Schwerpunkten zuwenden.
Auf den ersten Blick nimmt sich der Einzelplan für die
Bereiche Gesundheit und Pflege mit 1,77 Milliarden DM
auch relativ bescheiden aus. Aber ich will daran erinnern:
Die Leistungen für unser Gesundheitssystem betragen
mehr als 560 Milliarden DM im Jahr und übersteigen damit bei weitem den Gesamthaushalt des Bundes. Rund die
Hälfte dieser Aufwendungen für die Gesundheit werden aus Beiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung
finanziert. Unser Etat für 2001 vermindert sich gegenüber
dem Vorjahr zwar um 63 Millionen DM, aber das beruht
im Wesentlichen auf geringeren Bauinvestitionen - ich
nenne nur das Stichwort BfArM - und auch auf der im
Jahr 2000 erfolgten Abwicklung der Einmalzahlung an
die Hepatitis-C-Opfer. Darauf komme ich gleich noch
zurück. Im Übrigen leistet dieser Einzelplan 15 auch weiterhin seinen Beitrag zur Konsolidierung des Gesamthaushalts. Modellprogramme können weiter zurückgeführt werden.
({5})
Denn der erhebliche Nachholbedarf, den es aufgrund der
deutschen Einheit gab, wird zunehmend befriedigt. Zudem
sind inzwischen viele dieser Modellvorhaben - deshalb
sind es auch Modellvorhaben gewesen - in die Regelversorgung und damit in die Finanzierung der Kostenträger
oder auch der Länder übergegangen.
Bei allen notwendigen Sparbemühungen stellt dieser
Einzelplan Gesundheit die Finanzierung wichtiger gesundheitspolitischer Maßnahmen sicher.
Für Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung
sind wiederum 8 Millionen DM eingeplant. Die Ausgaben
für die Aids-Aufklärung mit 18 Millionen DM sowie die
Aufklärung gegen Drogenmissbrauch mit 12 Millionen DM werden auf hohem Niveau verstetigt. Dieses
Geld dient der Sicherung eines hohen Informationsstandes der Bevölkerung und vor allem der Jugendlichen. Wir
müssen leider immer wieder feststellen, dass es in den
verschiedenen Bereichen nach wie vor großen Aufklärungsbedarf gibt.
Die Arbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung könnte nicht so effektiv sein, würde sie nicht
dankenswerterweise von Sponsoren in millionenschwerem Wert unterstützt. In diesem Zusammenhang ist zu bedauern, dass die Wirkung der Aufklärungskampagne
„Keine Macht den Drogen“ auf Trikots von Spitzensportlern angesichts des Konsums von Drogen und auch von
Anabolika durch einige schwarze Schafe eingeschränkt
wurde. Das Verhalten dieser Sportpromis unterläuft das
Bemühen um Aufklärung.
Und nun sollen im Reichstagsgebäude auch noch Spuren von Kokain gefunden worden sein. Auch das könnte
das Vertrauen in bestimmte Aufklärungsmaßnahmen etwas schwächen. Zyniker könnten jetzt sicherlich sagen,
die Drogenbeauftragte der Bundesregierung habe mit ihrer Feststellung Recht, dass sich seit dem Regierungswechsel vor zwei Jahren einiges bewegt habe ({6})
aber leider in die falsche Richtung.
Aber, meine Damen und Herren, mit dem Umsteuern
in der Drogenpolitik zu mehr Prävention und Schadensminimierung haben wir den richtigen Weg eingeschlagen.
Das wird sich auf Dauer auch zeigen. Auch wenn wir damit leben müssen, dass es nirgendwo und zu keiner Zeit
eine suchtfreie Gesellschaft geben wird, werden wir uns
trotzdem damit nicht abfinden.
({7})
Wir müssen immer wieder verdeutlichen: Jeder Drogentote ist einer zu viel.
({8})
Die Rentenzahlungen zur Entschädigung von Hepatitis-C-Opfern aus der ehemaligen DDR wurden jetzt bei
3,3 Millionen DM verstetigt und unterliegen künftig einer
Dynamisierung. Damit hat die Koalition ein wichtiges
Versprechen eingelöst. Nach Jahren des Vertröstens erhalten die betroffenen Frauen endlich eine angemessene
Entschädigung. Das hat die alte Regierung nicht zustande
gebracht.
({9})
- Sie haben den Bundesrat nicht auf Ihrer Seite. Ich weiß
das.
({10})
- Herr Zöller, ich kenne die Vorgänge genau.
In Form eines Entschließungsantrages haben wir jetzt
die Bundesregierung aufgefordert, die Weiterführung der
Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte
HIV-infizierte Personen“ zu sichern.
({11})
Der Anteil des Bundes beträgt dabei 68 Millionen DM.
Dieser Betrag muss in den Finanzplan 2001 bis 2005 eingestellt werden.
({12})
Dies soll ein deutliches Zeichen für die weiteren an der
Stiftung Beteiligten - die Pharmaindustrie, das Deutsche
Rote Kreuz und die Bundesländer - sein. Auf der Grundlage des im HIV-Hilfegesetzes vereinbarten Schlüssels
werden von diesen nämlich weitere 102 Millionen DM
aufzubringen sein. Ich hoffe, dass im Rahmen der
Verhandlungen deren Zustimmung erreicht werden kann.
Die 700 Opfer des Blutskandals haben weiterhin Anspruch auf unsere Unterstützung.
({13})
Neu vorgesehen wurde im Haushalt das Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ mit einem Ansatz
von 1 Million DM und Verpflichtungsermächtigungen in
Höhe von 3 Millionen DM für die kommenden Jahre. Dieses gemeinsame Programm von BMG und BMU setzt
sich erstmalig ganzheitlich mit Fragestellungen des gesundheitsbezogenen Umweltschutzes und des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes auseinander. Umweltbezogene Erkrankungen sollen erforscht und Umweltrisiken
realistisch eingeschätzt werden. Die rot-grüne Bundesregierung gibt mit diesem Programm ein weiteres Signal in
der Gesundheitspolitik. Wir greifen damit ein wichtiges
Thema auf, das die alte Regierung ebenfalls vernachlässigt hat.
({14})
Wir begrüßen ausdrücklich das von der Bundesregierung in der vergangenen Woche verabschiedete Forschungsprogramm „Gesundheitsforschung: Forschung
für den Menschen“.
({15})
Bis 2004 werden rund 1,1 Milliarden DM für die effektive
Bekämpfung von Krankheiten, für Gesundheitsforschung
in Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft und
für die Stärkung der Forschungslandschaft durch Strukturoptimierung und Innovationen zur Verfügung gestellt.
Auch dieses Programm zeigt: Für die Regierung ist die
Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger eines der höchsten Güter. Darauf, Herr Wolf, sind wir stolz.
({16})
Meine Damen und Herren, Herr Seehofer, den ich hier
sitzen sehe, hat uns 1998 ein besonderes Sorgenkind hinterlassen: das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
({17})
Schon während der Haushaltsberatungen im vergangenen
Jahr habe ich auf die hohe Zahl von unerledigten Nachzulassungsanträgen aufmerksam gemacht. Sie von der
Opposition haben damals relativ wenig getan, um den
Stau bei den Zulassungen schnell abzubauen.
({18})
Von den ursprünglich 32 000 unerledigten Zulassungsanträgen sollte Ende 1999 noch ein Restbestand von 14 000
Fällen übrig bleiben. So wurde uns voriges Jahr und auch
noch im Frühjahr gemeldet.
({19})
Jetzt zeigt die neueste Statistik, dass es wieder 21 000 Zulassungsfälle gibt, die noch zu erledigen sind.
Ich weiß, dass es sich um ein sehr sensibles Thema
handelt, Frau Bergmann-Pohl. Ich will auch nicht aus dem
„Spiegel“ von dieser Woche zitieren oder die PanoramaSendung vom 12. Oktober nochmals anführen. Dort
wurde behauptet, dass es infolge von Nebenwirkungen
von auf dem deutschen Markt befindlichen Medikamenten ohne Zulassung zu einer erheblichen Zahl von Todesfällen komme. Ich vermag diese Meldung weder auf ihre
Richtigkeit noch auf ihre Seriosität hin zu prüfen,
({20})
aber eines ist klar: Es war dringender Handlungsbedarf
geboten.
({21})
Die Gesundheitsministerin und die Koalitionsfraktionen
haben hier im Gegensatz zu der Verfahrensweise während
Ihrer Regierungszeit gehandelt.
({22})
Dazu gehörte auch - das will ich nicht verschweigen - die
Auswechslung in der Spitze des Instituts. Ich meine auch,
dass im Parlament bestimmte Dinge angesprochen werden müssen, weil wir auch hierfür eine Mitverantwortung
haben.
Sollte der „Spiegel“-Artikel von dieser Woche zutreffend sein,
({23})
wonach der alte Chef - nein, ich zitiere ihn nicht, aber es
steht in diesem Bericht ({24})
seinem Nachfolger auf dem Bonner Schreibtisch nur eine
Postkarte mit dem Gruß „Viel Spaß“ hinterlassen haben
soll, würde ich dringend dazu raten, statt über das Gnadenbrot über disziplinarische Maßnahmen nachzudenken,
({25})
wohl wissend, dass ein hohes Maß an Verantwortung auf
der politischen Ebene Herr Seehofer hat,
({26})
der vom Gesundbeter zum Rentenzampano der Union
avanciert ist,
({27})
und dass vielleicht auch seine frühere Staatssekretärin
entsprechende Verantwortung trägt.
Sie haben damals 250 Aushilfsstellen mit kw-Vermerken geschaffen, nachrichtlich im Haushalt geführt, zu
finanzieren aus Gebühreneinnahmen, und da diese offensichtlich nicht so flossen wie erwartet, wurde dann wiederum an Personal gespart. Das war dann ein Teufelskreis,
den wir nun durchbrochen haben, indem wir diese Stellen
zunächst in den Haushalt übernommen haben.
Wir haben im Jahr 2000 weitere 75 Stellen bereitgestellt, und 2001 sind es noch einmal 75 Stellen.
Das reicht immer noch nicht, wie wir jetzt erfahren
mussten. Deshalb haben wir die Ansätze für Sach- und
Personalkosten nochmals erhöht, haben für die Erweiterung der Informationstechnik, für den Geschäftsbedarf,
für eine Personalbewirtschaftung und viele andere organisatorische Punkte des Hauses 5,7 Millionen DM eingestellt und zusätzlich weitere 40 Planstellen vorgesehen.
Die Mehrkosten betragen nochmals 6,2 Millionen DM,
und ich befürchte, wir werden diese nicht so sehr aus Gebühren finanzieren können, wie das früher vorgesehen
war.
Nicht die Sperrung eines Drittels des Etats, wie es von
Ihnen als Druckmittel im Haushaltsausschuss vorgeschlagen wurde, ist der richtige Weg. Ihr Antrag im Haushaltsausschuss war pure Ablenkung von Ihrer Verantwortung
in der Vergangenheit.
({28})
Sie sind auf diese Situation sehr stolz, Herr Wolf. Sie
haben eben von Stolz geredet. Das BfArM braucht keinen
Druck, das BfArM braucht Unterstützung. Wir werden sie
ihm geben.
({29})
Wir haben die Befürchtung, dass die jetzt getroffenen
Maßnahmen noch nicht das Ende des Tunnels sein werden, aber wir gehen einmal davon aus. Ein Bericht ist für
Anfang nächsten Jahres durch die Bundesregierung zugesagt. Er wird die Situation offen legen, Zukunftsperspektiven aufzeigen, und danach können wir gemeinsam
beraten, um die dringend erforderliche Bearbeitung von
Nachzulassungsanträgen von Arzneimitteln zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, es ist doch gar nicht hinnehmbar, dass nicht zugelassene Altmedikamente verordnet werden und Pharmaunternehmen viele Monate auf die
Zulassung von hilfreichen neu entwickelten Medikamenten warten müssen und deshalb teilweise auch ins Ausland
ausweichen.
({30})
Das ist nicht hinnehmbar, aber Sie haben dafür die Verantwortung. Wir haben die richtige Weichenstellung vorgenommen und damit hoffentlich zugleich auch ein Signal an die Pharmaindustrie gesetzt.
Wir bauen auf den neuen Chef Herrn Professor
Schweim, und wir vertrauen darauf, dass er die Probleme
im BfArM schnell in den Griff bekommt.
({31})
Im Übrigen, meine Damen und Herren, kommen wir
damit auch der Forderung der EU-Kommission nach einer intensiveren Prüfung der Arzneimittel nach. Die gesetzliche Grundlage haben wir im Mai dieses Jahres beschlossen. Mit der 10. Änderung des Arzneimittelgesetzes
wird mehr Transparenz und Qualität erreicht. Es darf kein
Arzneimittel mehr in den Verkehr gelangen, dessen pharmazeutische Unbedenklichkeit und dessen therapeutische
Wirksamkeit nicht belegt ist.
({32})
Der Schutz der Patienten hat Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Das ist unser Grundsatz.
({33})
Daher ist für die Regierungskoalition die Stärkung der Patienten- und Verbraucherrechte ein zentraler Punkt auch
der Gesundheitsreform.
Im Übrigen werden wir auch über die mit dem Zulassungsverfahren verbundenen Gebühren demnächst im
Rechnungsprüfungsausschuss noch zu reden haben. Zu
dieser Altlast der Vorgängerregierung liegen nämlich einige Bemerkungen des Rechnungshofes vor. Herr
Seehofer hatte unter Mitzeichnung des damaligen Wirtschaftsministers - das war wohl Herr Rexrodt - eine neue
Gebührenordnung erlassen, die ja die Finanzierung der
Personalstellen sicherstellen sollte, offensichtlich als Geschenk an die Pharmaproduzenten und vielleicht auch als
Wiedergutmachung für seine in den Reißwolf geschickte
Positivliste, denn statt des durchschnittlichen Gebührensatzes von 125 000 DM je Zulassungsfall hat man großzügige Ermäßigungsregelungen eingearbeitet, die jetzt dazu
führen, dass im Schnitt nur 27 000 DM je Fall an Gebühren erhoben werden können. Wer von uns wünscht
sich nicht auch eine solche Großzügigkeit des Staates bei
anderen Gebühren, die die Bürger zu tragen haben?
Gerade im Medikamentenbereich - das wissen Sie alle gibt es ein erhebliches Einsparpotenzial. Es kann dort gespart werden, ohne die Versorgung der Kranken zu gefährden. Fachleute nennen in diesem Zusammenhang
einen Betrag von über 8 Milliarden DM jährlich. Beispielsweise in den Niederlanden, die Sie so oft als Vorbild
dargestellt haben und noch darstellen, verlassen nur etwa
60 Prozent aller Patienten die Arztpraxis mit einer
Medikamentenverordnung. In Deutschland hingegen erhalten rund 85 Prozent der Patienten ein Rezept von ihrem
Arzt, obwohl sie es manchmal gar nicht haben wollen.
Von diesen Medikamenten wandert oft ein großer Teil
in den Müll. Wir brauchen deshalb die Positivliste und
halten an diesem Ziel fest. Für die Erarbeitung dieser Liste
haben wir in diesem Haushalt drei Planstellen vorgesehen.
({34})
- Herr Thomae, ich war ein halbes Jahr lang Berichterstatter für den Gesundheitsetat. In dieser Zeit hat mich einer Ihrer früheren Fraktionskollegen angerufen und mich
gebeten, mich
({35})
verstärkt mit dieser Thematik zu befassen.
({36})
Auf die Frage, warum er es als Berichterstatter nicht selbst
getan hat, hat er geantwortet: Es ist mir peinlich; ich hatte
nicht genügend Zeit. - Das kennzeichnet die Verantwortung, die Ihre Leute offensichtlich in dieser Frage empfunden haben.
({37})
Der mit Abstand größte Haushaltstitel im Einzelplan 15 mit knapp 900 Millionen DM umfasst den Bereich
der Pflegeinvestitionen, insbesondere der Investitionen in
den neuen Bundesländern. Er dient damit auch weiterhin
dem Aufbau Ost. Wir wenden etwa 918 Millionen DM für
den Gesamtbereich Pflege auf. Die Pflegekassen hingegen haben einen Jahresetat von knapp 33 Milliarden DM.
Was die Zukunft der Pflegeversicherung anbetrifft, so
lässt sich sagen, dass die Koalition auf einem richtigen
Weg ist.
({38})
Wir haben bereits wichtige Verbesserungen beschlossen
und es gibt auch neue Vorschläge der Koalitionsfraktionen und der Regierung für ein Qualitätssicherungsgesetz
und zur Verbesserung der Situation dementer Pflegebedürftiger. Diese Vorschläge stoßen offensichtlich auf
sehr positive Resonanz.
Im Gegensatz zu Herrn Wolf meinen wir: Die soziale
Pflegeversicherung hat ein solides finanzielles Fundament.
({39})
Das zeigt auch der neueste Bericht zur finanziellen Lage
auf Grundlage der Berechnungen des Bundesversicherungsamtes. Defizite werden nur vorübergehender Natur
sein.
({40})
Der Mittelbestand wird dauerhaft und deutlich oberhalb
der gesetzlich vorgeschriebenen Finanzreserve von anderthalb Monatsleistungen sein.
Zu der Gesundheitsreform wird Kollege Kirschner
noch einige Ausführungen machen.
({41})
Wichtig ist für uns im Rahmen der Gesundheitsreform
2000: Wir konnten wesentliche Ziele trotz der Blockadepolitik der Opposition durchsetzen.
({42})
Die meisten Punkte konnten wir im Vermittlungsverfahren verwirklichen.
Wir sollten uns darin einig sein, dass Gesundheit für
alle Menschen bezahlbar bleiben muss. Das hat weder
- wie Herr Brüderle gestern festgestellt hat - etwas mit
Vollkaskomentalität zu tun,
({43})
noch mit der sozialen Hängematte, die von eurem ExKanzler in die Diskussion gebracht wurde und in der er
jetzt offensichtlich selber schaukelt.
({44})
Die Medizin mit ihren zahlreichen und vielfältigen Einrichtungen und Möglichkeiten ist für den Menschen da
und nicht umgekehrt.
Meine Damen und Herren, ich möchte ein Wort des
Dankes an all die richten, die die gesundheitliche Versorgung in Arztpraxen, in Kliniken und in Reha-Einrichtungen sicherstellen.
({45})
Die medizinischen Einrichtungen sind einem ständigen
Strukturwandel unterworfen, Herr Parr, und sie werden
künftig noch effizienter arbeiten müssen.
({46})
Dieser Strukturwandel sichert die gesundheitliche Versorgung, aber auch die Arbeitsplätze der dort Beschäftigten.
Das wissen die Beschäftigten genau und sie sollten sich
deshalb weder verunsichern noch für bestimmte Eigeninteressen Einzelner missbrauchen lassen.
Jetzt noch ein persönliches Wort an Sie, Frau Ministerin Fischer.
({47})
Ich habe mittlerweile verstanden, warum Sie ein besonderes Faible für die Harry-Potter-Bücher haben. Man entwickelt ja so langsam einen Sinn dafür. Ich hoffe, beim
Lesen des Bandes „Die Kammer des Schreckens“ denken
Sie nicht immer an die Ärztekammer.
({48})
Hoffentlich halten Sie sich bei einem Besuch in der
CDU/CSU-Fraktion nicht für die „Gefangene von Askapan“. Man könnte bei diesem Titel fast einen Druckfehler
vermuten und an Aspirin denken.
({49})
Wenn Sie dann aus dem „Feuerkelch“ trinken - so lautet
der Titel des dritten Bandes -, dann wird es Ihnen hoffentlich gelingen, den „Stein der Weisen“ zu finden. Den
hat Herr Seehofer nie gefunden.
({50})
Der Stein der Weisen steht dafür, dass Sie beim Verteilungskampf um den Beitragstopf beim Mehrfrontenkrieg
nicht immer zwischen die Mühlsteine der Kassen, der
Ärzteschaft, der Pharmaindustrie und der Kliniken geraten.
Frau Ministerin Fischer, herzlichen Dank Ihnen und
Ihren Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit, herzlichen Dank auch den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern für die kollegiale Zusammenarbeit! Ich gehe
davon aus, dass das gesamte Haus dem Gesundheitsetat
zustimmen wird. Denn bis auf einen Antrag im Haushaltsausschuss - der zur Sperre zum BfArM - haben Sie
überhaupt keine Anträge im Haushaltsausschuss, geschweige denn heute hier im Parlament vorgelegt. Sie
müssen also sehr zufrieden mit dem Haushaltsentwurf
sein.
({51})
Herr Kollege, das
klingt jetzt schon eine Weile nach einem Schluss, deswegen habe ich Sie nicht erinnert. Ihre Redezeit ist aber abgelaufen.
Die SPD-Fraktion steht für
eine hohe medizinische Versorgungsqualität sowie für die
soziale und solidarische Finanzierung der Krankenversicherung.
({0})
Wir werden dem Haushalt auf jeden Fall zustimmen.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Kollege Detlef Parr, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Ich würde das Lob der Ministerin ja gerne
fortführen, aber mir fehlt der Grund dazu. Ich möchte mit
einem Zitat beginnen:
Die Maßnahmen der Behörden sind nicht immer
rechtzeitig und ausreichend gewesen, ihre Einhaltung ist nicht immer mit der notwendigen Sorgfalt
überwacht worden; die Bevölkerung ist nicht rechtzeitig und angemessen über die denkbaren Risiken
unterrichtet worden.
So liest sich eine Schlussfolgerung aus dem Abschlussbericht des britischen Untersuchungsausschusses zur BSEKrise. Sie trifft voll auf unsere aktuellen Verhältnisse in
Deutschland zu.
({0})
Die beiden ersten BSE-Fälle bei deutschen Rindern
haben die eklatanten Versäumnisse der rot-grünen Bundesregierung in der Verbraucherschutzpolitik offen gelegt.
({1})
Ihr Krisenmanagement, Frau Ministerin, war miserabel.
Die ARD-Korrespondentin Marion van Haaren hat es in
einem Kommentar auf den Punkt gebracht. Sie sagt, Sie
haben in Ihrer Amtszeit Blindekuh gespielt.
({2})
Es ist Ihnen nicht gelungen, das löchrige Sicherheitssystem in Deutschland, vor allem aber in Europa zu
schließen und für den Schutz der Gesundheit unserer
Bevölkerung Entscheidendes durchzusetzen. Ganz im
Gegenteil: Sie hätten 1999 - auch noch unter deutscher
Ratspräsidentschaft - niemals einer Lockerung des Exportverbots für britisches Rindfleisch zustimmen dürfen.
({3})
Im gleichen Jahr sind dort immer noch 2 254 BSEFälle aufgetreten. Ihre damalige lapidare Begründung:
Die Umsetzung der Lockerung ist fachlich vertretbar und
rechtlich unumgänglich“. Was heißt eigentlich „rechtlich
unumgänglich“? Ein EU-Recht, das Vorrang vor den Gesundheitsinteressen unserer Kinder, Frauen und Männer
hat, gehört auf den Sondermüll.
({4})
Pikant in diesem Zusammenhang - ich komme ja aus
Nordrhein-Westfalen und habe das sehr genau beobachtet ist die Rolle der grünen Ministerinnen Bärbel Höhn und
Andrea Fischer. Gegensätzlicher können Bewertungen
ein und desselben Sachverhalts nicht ausfallen. Die Grüne
Bärbel Höhn nahm den Ratschlag renommierter Wissenschaftler ernst, das Exportverbot dürfe keinesfalls vor Ablauf der gesamten Inkubationsperiode von etwa fünf bis
sechs Jahren aufgehoben werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?
({0})
Ja, bitte.
Herr
Kollege Parr, wie beurteilen Sie denn die Tatsache, dass
es sich bei dem BSE-Fall in Schleswig-Holstein um ein in
Deutschland 1996 geborenes Tier handelt, bei dem es
keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass es jemals mit aus
Großbritanien importierten Tieren in Kontakt getreten ist.
Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Effizienz
eines Importverbotes?
Ich habe meine Ausführungen
nicht in diesen Zusammenhang gestellt. Vielmehr habe
ich über das Exportverbot gesprochen und dessen Lockerung kritisiert. Ich bleibe dabei, dass das Exportverbot
hätte aufrechterhalten bleiben müssen.
({0})
Zweites Beispiel: Die grüne Landesministerin forderte
frühzeitig die Entwicklung von Testverfahren. Sie trug
entscheidend dazu bei, die Schnelltests zur Marktreife zu
bringen. Bereits im Frühjahr des letzten Jahres kam der
Prionentest in Nordrhein-Westfalen an über 5 000 Schlachtrindern zum Einsatz. Die grüne Bundesministerin humpelt erst jetzt hinterher.
Drittes Beispiel: Frau Fischer setzt auf Europa - das
muss Sie auch - und auf langwierige Gespräche, die oft
ergebnislos verlaufen. Gestern noch verstieg sich der
Staatssekretär des Landwirtschaftsministeriums im Gesundheitsausschuss in diesem Zusammenhang zu einem
Hinweis auf den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft.
({1})
Das kann doch wohl nicht wahr sein!
({2})
Frau Höhn dagegen erhöht den Druck auf die handelnden
Personen und setzt sich für nationale Alleingänge als drastische Signale ein. Ich denke, es ist notfalls doch besser,
die Gefahr eines Vertragsverletzungsverfahrens in Kauf
zu nehmen, als das Heft des Handelns allein den europäischen Bürokraten in die Hand zu geben.
Ein weiteres Trauerspiel kann man im Bereich der Forschung beobachten. Frau Ministerin, Sie haben in allen
Ihren Talkshow-Auftritten auf Fortschritte auf diesem
Feld hingewiesen. Aber der Blick in Ihren Bericht und auf
die 71 Seiten des viel gelobten und soeben vorgestellten
Gesundheitsforschungsprogramms bestätigen Ihre Aktivitäten keineswegs: Von drei BMG-Projekten zur Erforschung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit stammen zwei
aus den Jahren 1993 und 1997 und damit aus der Regierungszeit der alten Bundesregierung.
({3})
Nach der Regierungsübernahme spielte die BSE-Forschung im BMG bis zum Haushaltsjahr 2000 überhaupt
keine Rolle; das ist auch dem Bericht zu entnehmen. Für
das Jahr 2001 liegt der Antrag für sage und schreibe ein
Forschungsvorhaben vor.
({4})
Auch der Forschungsverbund TSE beim Ministerium
für Bildung und Forschung wurde bereits im Januar 1993
eingerichtet. Besondere zusätzliche Aktivitäten während
Ihrer Regierungszeit sind nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil: Nach Aussagen einer Ärztin in einer der zahlreichen Talkshows gehen immerhin 10 bis 15 Prozent der
betroffenen Fälle auf familiäre Dispositionen zurück - mit
anderen Worten: sie sind genetisch bedingt.
Frau Ministerin, Sie führen in einem Positionspapier
Ihres Hauses unmissverständlich aus, Sie wollten das
Schutzniveau des Embryonenschutzgesetzes nicht antasten. Offensichtlich wollen Sie auch in eng begrenzten
und gegen Missbrauch abgesicherten Bereichen keinen
Millimeter des zehn Jahre alten Gesetzes zur Diskussion
stellen, um auf diese Weise der Forschung neue Möglichkeiten zu eröffnen.
({5})
De facto bedeutet das ein Forschungsverbot! In Deutschland soll es wohl keine neuen Vorsorgemaßnahmen und
keine erweiterten Heilungschancen geben. Also bleibt für
Forscher und Patienten wieder nur der Weg ins Ausland.
Das kann nicht in Ordnung sein!
({6})
Wir haben in einem Antrag zum Haushalt zusätzliche
50 Millionen DM zur Erforschung der Ursachen und der
Folgen sowie der Möglichkeiten zur Bekämpfung der
Rinderseuche gefordert. Wenn aus den UMTS-Zinsersparnissen zu Recht Mittel in die Bildung und die Verkehrsinfrastruktur fließen, so darf doch die Förderung
zusätzlicher Anstrengungen zum Ausbau des Gesundheitsschutzes unserer Bevölkerung erst recht nicht vergessen werden. Der SPD-Kollege Lewering hat in der ersten Lesung des Haushalts ausgeführt:
Wir haben vor der Wahl versprochen, den Schutz der
Menschen vor Gesundheitsgefahren zu einem Leitgedanken der Gesundheitspolitik zu machen. Auch
in diesem Punkt halten wir Wort.
Halten Sie Wort und stimmen Sie unserem Antrag zu! Wir
sind das den Menschen in unserem Land auch im Hinblick
auf das notwendige Vertrauen in unser Gesundheitssystem schuldig. Es hat bereits durch das unverständliche
Festhalten der Bundesregierung an völlig überholten Vorstellungen zur Steuerung des Systems erheblich gelitten.
Frau Ministerin, Sie haben in der ersten Lesung des
Haushalts ausgeführt:
Die Koalition wird sich sicherlich weiterhin mit der
Frage beschäftigen, ob die Budgets in der jetzigen
Form handhabbarer gemacht werden müssen.
({7})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Es geht aber weder um Handhabbarkeit noch um Gesetzestechnik, sondern es geht um die Frage der Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitssystems.
({8})
Mit einer Ausgabendeckelung und einer damit einhergehenden staatlich verordneten Leistungsverweigerung ist die Zukunft nicht zu gestalten. Die Patienten sind
dieser Entwicklung ohnmächtig ausgeliefert. Sie können
sich nicht wehren, wenn zum Beispiel Medikamente nicht
mehr verschrieben werden, dringend notwendige Heilbehandlungen beim Physiotherapeuten nicht mehr durchgeführt werden, nach einem Schlaganfall die erforderliche
Sprachschulung beim Logopäden nicht mehr übernommen wird, Praxen zeitweise geschlossen bleiben, weil die
Ärzte nicht länger bereit sind, zum Nulltarif zu arbeiten,
oder Wartelisten entstehen und Behandlungen zeitlich
verschoben werden. Man kann die Beispiele für Rationierungen beliebig fortsetzen. Diese schleichende Rationierung hat längst eine beängstigend rasante Fahrt aufgenommen.
({9})
Stoppen Sie sie endlich, schaffen Sie die Budgetierung
ab
({10})
und geben Sie den freien Berufen auf dem Wachstumsmarkt Gesundheit endlich wieder eine Chance.
Wie so oft stellen wir fest, dass die Menschen im Denken längst viel weiter sind als die Politik. Nach einer Emnid-Umfrage empfinden 69 Prozent der Befragten das
Arzneimittelbudget als gefährlich, da es zu einer Unterversorgung führt. Hochgerechnet sind bereits etwa dreieinhalb Millionen Menschen in Deutschland von Arzneimittelablehnungen betroffen.
Der Arzneimittelbeauftragte der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, Dr. Bausch aus Hessen, weist in
einer Untersuchung unmissverständlich Leistungseinschränkungen nach. Die Gmünder Ersatzkasse stellt in einer sorgfältig durchgeführten Erhebung bei ihren Mitgliedern fest, dass die Arzt-Patienten-Beziehung einen
erheblichen Vertrauensbruch erlitten hat. Ein grundlegend
falsches System handhabbarer zu machen ist ein Fehler.
Lösen Sie sich von dieser Illusion, Frau Ministerin.
({11})
Wir sollten uns ein Zitat, das erschreckend ist, näher
ansehen. Die Gmünder Ersatzkasse schreibt in der genannten Erhebung:
Wenn schon in einem Quartal fast 30 Prozent der
behandelten Befragten Erfahrungen mit Leistungsverweigerung hatten, bedeutet dies, dass in einem
gesamten Jahr bei unveränderten Bedingungen deutlich mehr als ein Drittel der Krankenversicherten solche Erfahrungen machen.
In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend einen Blick auf die MEDICA in Düsseldorf werfen. Eine
Veranstaltung des Deutschen Krankenhaustages fand besonderen Zulauf. Sie war überschrieben mit dem Motto:
Leistungsgerechte Vergütung versus Budgetierung. Frau
Ministerin, die Teilnehmer hatten wohl die von Ihnen verteilte Beruhigungspille bei der Eröffnung in Form Ihrer
Absichtserklärung entgegengenommen. Die Einführung
der DRGs, der Fallgruppenpauschalen im Krankenhaus
sollte keinesfalls zu einem Preissystem mit Budgetierung
und floatenden Punktwerten führen.
({12})
Das haben Sie gesagt. Geschluckt hatten sie diese Pille
aber noch nicht. Zu frisch klang ihnen noch die Forderung
des grünen Parteirats nach sektoralen Budgets mit Unterlegung von DRGs in den Ohren. Was denn jetzt? Wie denn
jetzt? Sagen Sie uns bitte, wie Sie Ihre Erklärung mit diesem Beschluss zusammenbringen wollen! Ich bin mir sicher, es wird Ihnen nicht gelingen.
Letzte Bemerkung: Wenn das Unternehmen Krankenhaus - so das Motto des Krankenhaustages - wirklich in
die Lage versetzt werden soll, unternehmerisch zu handeln, dann muss die Planwirtschaft weg. Budgets, DRGs
und unternehmerischer Wettbewerb passen einfach nicht
zusammen.
({13})
Es spricht jetzt die
Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Ich glaube nicht, dass die Ministerin Defizite an
Lob hat.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte gerne zwei Vorbemerkungen machen. Die erste
Vorbemerkung betrifft Herrn Wolf und Herrn Schöler.
Wenn mein Mann kocht, dann geht es nicht darum, wie
viel es kostet, sondern erstens darum, wie es schmeckt,
und zweitens darum, ob es harmonisch zusammenpasst.
({0})
So ist es auch mit unserer Gesundheitspolitik.
Die zweite Vorbemerkung, Herr Wolf, richtet sich nur
an Sie. Sie haben gesagt, wir würden die Ängste und Nöte
der Menschen nicht ernst nehmen. Dann haben Sie mehr
als 20 Minuten hier gestanden und die Themen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und BSE, die in dieser Woche
wirklich allen Menschen auf den Nägeln brennen, mit
keinem Wort erwähnt.
({1})
Ich bin Herrn Parr und auch Ihnen dankbar, dass Sie gemeinsam mit uns den Gesetzesantrag einbringen. Ich
glaube aber, Herr Wolf hatte einen Grund, warum er heute
nicht darüber geredet hat. Wenn man sich ansieht, was Sie
in Ihrer Regierungszeit getan haben, dann gibt es dazu
nämlich etwas Konkretes und etwas Allgemeines zu sagen.
Das Konkrete wurde im Jahr 1995 fortgesetzt mit
Äußerungen des damaligen Bundesgesundheitsministers
Horst Seehofer, der der „Bild“-Zeitung gesagt hat, BSE
sei kein Problem bei deutschem Rindfleisch.
({2})
Weiterhin wurde gesagt:
... Horst Seehofer ... verteidigte sein Vorgehen im
Streit um die Lockerung britischer Rindfleischimporte als „konsequent vorbeugenden Gesundheitsschutz“.
Es wurde außerdem gesagt:
Der Minister kritisierte die öffentliche Diskussion
des Themas in den letzten Tagen und sprach von
„Halbwahrheiten und schlichtweg unverantwortlicher Panikmache“. Dagegen kritisierte die GrünenAbgeordnete Ulrike Höfken-Deipenbrock, es sei unseriös, bei dreijährigen Rindern keine Gefahr
anzunehmen. Die Inkubationszeit bei BSE betrage
bis zu 17 Jahre.
Das ist das Konkrete, was in Ihre Regierungszeit fällt.
Jetzt komme ich zum Allgemeinen.
Frau Kollegin, erlauben Sie, bevor Sie dazu kommen, eine Zwischenfrage des
Kollegen Wolf?
Selbstverständlich, Herr Wolf.
Sie wissen, dass heute
Abend noch eine Debatte zum Thema BSE stattfindet. Ich
habe dazu nichts gesagt, weil ich nichts davon halte, alles
fünfmal mit denselben Argumenten durchzukauen.
Meine Frage zielt auf den möglichen Beitritt zu einer
Klage Frankreichs gegen die EU-Kommission, die wollte,
dass das Importverbot fällt. Im Gesundheitsausschuss
stand ein solcher Beitritt zur Debatte und es wurde darüber abgestimmt. Eine Kollegin von Ihnen sagte damals,
sie sei der Meinung, dass mehr auf den Weg gebracht werden müsse. Sie stimmte einem Antrag der CDU/
CSU-Fraktion zu. Diese Kollegin ist hinterher ausgetauscht worden, das heißt, sie musste den Gesundheitsausschuss verlassen.
({0})
Wie stehen die Grünen zu einem Importverbot? Ja oder
nein? Wäre ein Importverbot nicht ein zusätzlicher Schutz
gewesen? Sie und Ihre Ministerin haben der deutschen
Bevölkerung diesen Schutz letztlich verweigert, indem
Sie das Importverbot aufgehoben haben.
({1})
Herr Wolf, Sie kennen das Abstimmungsverhalten
Deutschlands in der EU-Kommission. Sie wissen vor allen Dingen eines: Ein Importverbot hätte zu dem Zeitpunkt, als wir im Gesundheitsausschuss darüber geredet
haben, nichts genützt. Der Grund dafür ist ganz einfach:
Mit einem Importverbot hätten wir nicht ausschließen
können, dass deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher
mit britischem Rindfleisch, das über andere Länder eingeführt worden ist, konfrontiert werden.
({0})
- Herr Zöller, ich sage Ihnen gerne, was anders war. Der
Unterschied besteht darin, dass wir dafür gesorgt haben,
dass die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was
sie auf den Tisch bekommen. Wir haben nämlich eine
konsequente Etikettierung eingeführt. Das haben Sie damals nicht gemacht. Sie haben von Qualitätssiegeln aus
Bayern geredet usw.
({1})
Ich komme jetzt auf den allgemeinen Aspekt zu sprechen. Er geht über das hinaus, was uns in dieser Woche
beschäftigt. Wir Grünen haben in den letzten Jahren von
Ihrer Seite sehr häufig erlebt, dass Sie all das als Spinnerei bezeichnet haben, was die Forderung enthielt, die biologische Landwirtschaft zu fördern. Damals haben ein
paar Menschen ihre Standpunkte beibehalten - Sie haben
sie auch öffentlich als Spinner bezeichnet -,
({2})
obwohl die Politik die artgerechte Tierhaltung zur Produktion von gesundem Fleisch nicht gefördert hat, obwohl sich die Politik nicht um salmonellen-belastete Eier
und genmanipuliertes Gemüse gekümmert hat.
({3})
- An dieser Stelle geht es übrigens nicht um Klein- und
Großbauern. Das ist völlig falsch. - Weil diese Menschen
ihre Standpunkte beibehalten haben, besteht heute die
Möglichkeit, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher für Nahrungsmittel entscheiden können, die aus
ökologischem und damit tatsächlich unbedenklichem Anbau stammen. Ich bin sehr froh, dass diese Menschen
ihren Kampf durchgehalten haben. Wir müssen langfristige Maßnahmen ergreifen, um diese Politik konsequent
fortzusetzen.
({4})
Ich sage Ihnen noch etwas zu den Klein- und Großbauern. Auch bei Kleinbauern stehen die Rinder mitunter
so eng beieinander, dass die Übertragung von Krankheiten nicht auszuschließen ist. Auszuschließen ist auch dort
nicht das Vorhandensein von Antibiotika in Futtermitteln.
Es gibt gerade in Ostdeutschland eine ganze Menge von
Großbauern, deren Rinder vorwiegend im Freien sind. Es
geht also nicht um die Größe eines landwirtschaftlichen
Betriebes. Es geht vielmehr darum, ob unsere LandwirtKatrin Göring-Eckardt
schaftspolitik statt einer industrialisierten eine artgerechte
Tierhaltung ermöglicht.
({5})
- Ich glaube nicht, dass das weit weg von der Gesundheit
ist. BSE ist das Gesundheitsproblem, das die Menschen in
dieser Woche vor allen Dingen bewegt.
({6})
Ich möchte auf einen anderen Teil der Gesundheitspolitik zu sprechen kommen. Wir müssen uns gemeinsam
überlegen, ob uns das, was wir in dieser Zeit erleben, nicht
dazu bringen sollte, die Kompetenzen des Verbraucherschutzes in diesem Lande - ich denke auch an die Möglichkeiten der Menschen, Verbraucherschutz wahrzunehmen - sehr stark zu erweitern, und zwar weit über das
hinaus, was unsere Regierung schon tut.
({7})
Ich möchte nicht wiederholen, was hier zu den Schwerpunkten des Haushalts schon gesagt worden ist. Ich
möchte gern darüber sprechen, was diese Schwerpunkte
im Hinblick auf diejenigen Fragen bedeuten, die uns gesundheitspolitisch interessieren.
Sie haben hier einen Punkt angesprochen, auf dem Sie
offensichtlich unablässig herumreiten wollen: die Budgetierung. Was ist denn Budgetierung überhaupt,
({8})
sieht man einmal von den sektoralen Budgets ab, die Sie
aufgrund Ihres Abstimmungsverhaltens im Bundesrat zu
verantworten haben? Das ist ja nicht das, was wir eingeführt haben oder was uns gefällt.
({9})
Wir wollen die Beitragssatzstabilität erhalten, weil die
Arbeitsmarktpolitik für diese Regierung eine entscheidende Frage ist.
({10})
Aus diesem Grund kann es uns nicht um sektorale Budgets gehen; die haben Sie zu verantworten. Wir wollen
dagegen, dass das Geld, das zur Verfügung steht, sinnvoll
verteilt wird. Uns geht es also - das ist der erste Punkt um Beitragsgerechtigkeit und damit auch um Generationengerechtigkeit.
Der zweite Punkt: Alle medizinisch notwendigen Leistungen - auch hier unterscheiden wir uns von Ihnen, wenn
Sie von Wahl- und Kernleistungen reden - müssen auch
für alle zur Verfügung stehen. Wahlfreiheit der Versicherten darf nicht heißen, dass man zwischen besserer oder
schlechterer Versorgung zu wählen hat. Deswegen diskutieren wir auch über den Risikostrukturausgleich; ich
hoffe übrigens, dass wir mit Ihnen darüber gemeinsam
diskutieren können.
({11})
Es geht dabei nicht um einen Wettbewerb um die billigsten Patienten - da sind wir mit Ihnen völlig einig -, sondern um einen Wettbewerb um die beste Versorgung. In
dieser Diskussion, die wir gemeinsam zu führen haben,
geht es also darum, wie es mit der Einnahmeseite des Gesundheitssystems in Deutschland aussieht. Wir dürfen dabei aber nicht zu dem Ergebnis kommen, die Einnahmeseite über höhere Beiträge oder über höhere Zuzahlungen
zu verbessern. Das ist ja vielleicht Ihre Idee.
({12})
Wenn wir über die Einnahmeseite reden, darf das nicht
nach dem Motto ablaufen: „Wir ziehen den Patienten
mehr Geld aus der Tasche“, sondern es geht um mehr Beitragsgerechtigkeit. Dazu haben wir auch einen entsprechenden Beschluss gefasst.
({13})
Über einige andere Fragen wird man dann sehr konkret
und zeitnah reden müssen. Da würde ich auch nicht sagen,
dass all das, was an Gesundheitspolitik in Deutschland
über viele Jahre hindurch gemacht wurde, der oder der zu
verantworten hat. Es gibt nämlich ein paar Krankheiten
- nicht erst seit zwei Jahren, sondern schon viel länger -,
um die wir uns besonders kümmern müssen. Dazu gehört
- dieses Thema haben Sie auch angesprochen, Herr Wolf die Diabetesversorgung. Wir haben dazu einen Antrag
verabschiedet; dazu muss es noch weitere Maßnahmen
geben. Dazu gehören Krebs, insbesondere Brustkrebs,
und Allergien. Das geht schließlich bis hin zur Gesundheitserziehung an Schulen und zu der Frage, wie sich die
Zahl der Unfalltoten verringern ließe.
Wir sollten uns also gemeinsam auf einen Aktionsplan
„Gesundheitsziele“ verständigen, in dem konkrete Maßnahmen festgelegt werden, die dazu führen, dass unser
Gesundheitssystem auch zukunftsfähig bleibt.
({14})
- Es geht nicht um Budgetierung, sondern darum, dass die
Menschen im Hinblick auf sehr konkrete Krankheiten Sicherheit bekommen.
In diesem Zusammenhang sind für uns drei Punkte
ganz besonders wichtig: Es muss solidarisch ablaufen,
was gegen Kern- und Wahlleistungen, aber auch gegen
Zuzahlungen spricht, es muss patientennah sein und es
muss die Menschen als Partner verstehen, was eine Gesundheitspolitik über die Köpfe der Menschen hinweg
ausschließt.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat für die
PDS-Fraktion die Kollegin Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Göring-Eckardt, das
Letzte höre ich sehr gerne. Endlich Gesundheitsziele festzulegen wäre wirklich etwas Neues. Das fände unsere Unterstützung, vorausgesetzt, die Programme würden entsprechend ausgerichtet werden.
({0})
Aber zurück zum Haushalt: Der Einzelplan 15 ist bei
überwiegender Fortschreibung der bekannten Aufgaben
durch die Sparvorgaben des Finanzministers geprägt. An
dieser Grundbewertung ändert auch die Tatsache nichts,
dass die Aufnahme des Programms „Umwelt und Gesundheit“ positiv zu bewerten ist. Diese Bewertung gilt
auch für das erfolgreiche Bemühen, die humanitäre Hilfe
für die HIV-Opfer durch Blut und Blutprodukte über das
Jahr 2004 hinaus weiterzuführen.
Aus gesundheitspolitischer Sicht liegt der Hauptfehler
des Bundeshaushalts nicht im Einzelplan 15, sondern ist
im Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Soziales
zu finden, über den wir vorhin schon debattiert haben. Die
dort vorgenommene Kürzung des Zuschusses für die
Krankenversicherungsbeiträge der Arbeitslosenhilfebezieher um 1,2 Milliarden DM macht einen neuen großen
Verschiebebahnhof zulasten der GKV auf.
({1})
Dadurch werden der gesundheitlichen Versorgung enorme Mittel entzogen. Bei der gegenwärtigen Einnahmensituation der GKVen ist das unverantwortlich.
({2})
Meine lieben Damen und Herren von CDU/CSU und
F.D.P., von Ihnen waren wir Verschiebebahnhöfe über
Jahre gewohnt. Aber Sie, meine Damen und Herren von
der Koalition, müssen mir und vor allen Dingen Ihrer
Wählerschaft folgenden Widerspruch erklären: In Ihrer
Oppositionszeit haben Sie diese Art von Haushaltssanierung immer aufs Schärfste kritisiert. Damals haben Sie
diese Politik für unsozial und ungerecht gegenüber der
Versichertengemeinschaft gehalten.
({3})
Ich nenne das schlicht und einfach Beitragsklau; das gilt
für früher wie für heute.
({4})
Mit Ihrer vor wenigen Minuten entschiedenen Ablehnung
unseres Antrags haben Sie genau das getan. Die Folgen
Ihres Handelns haben Sie nun alleine zu verantworten.
Für die Mehrausgaben der Kassen beim Krankengeld,
die als Ergebnis der Änderungen bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten entstehen, gibt es keinen Ersatz. Auch
wenn diese jetzt nur 250 Millionen DM pro Jahr betragen,
({5})
bleibt es das Geheimnis der Bundesregierung, wie sie
ihre gesamten finanzpolitischen Willkürakte angesichts
zukünftiger Mehrbelastungen der GKVen in den kommenden Jahren zu verantworten glaubt.
({6})
Ich sage Ihnen: Dem Wunschtraum, die Gesundheitsreform 2000 werde das schon irgendwie richten, wird ein
böses Erwachen folgen.
({7})
Durch die Ereignisse dieser Woche ist in die Haushaltsdebatte ein recht unerfreuliches Thema geplatzt, und
zwar die BSE-Problematik. Dieses Thema ist zwar nicht
neu, aber nachdem die wirkliche Dimension dieses Problems deutlich geworden ist, erleben wir hektische Aktivitäten und heftige gegenseitige Schuldzuweisungen.
Niemand möchte den schwarzen Peter behalten, niemand
hat Schuld, wenn es um den Anteil an der Verharmlosung
der Gesundheitsgefahren von BSE in Ihren jeweiligen
Regierungszeiten geht.
Aber ist es nicht so, dass alle - ich betone: alle - davon
reden, dass das Vorsorgeprinzip verlangt, auch Risiken,
die nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können,
weil Wissenslücken existieren, grundsätzlich als real
anzusehen und nach Möglichkeit zu beseitigen? Ist es
nicht so, dass die Krankheit BSE angesichts der potenziellen Gesundheitsgefahren geradezu als klassischer Fall
für eine konsequente Anwendung dieses Prinzips gelten
muss?
({8})
War es nicht so, dass Minister Seehofer das Problem bereits Anfang der 90er-Jahre durchaus auf diese Weise angehen wollte, er aber schon nach kurzer Zeit - von wem,
habe ich nicht zu beantworten - zum Rückzug gezwungen
wurde?
Aber haben nicht auch SPD und Grüne, damals noch
scharfe Kritiker dieser Entwicklung, ihre guten Vorsätze
mit Übernahme der Regierungsverantwortung auf eigenartige Weise sofort vergessen? Wie anders ist es sonst zu
erklären, dass die Regierung die Umsetzung des EU-Beschlusses zur Vernichtung von Risikomaterialien bis zum
Oktober dieses Jahres immer wieder hinausgezögert hat,
dass sich Gesundheitsministerin Fischer der Aufhebung
des Importstopps im Falle Großbritanniens zu einem Zeitpunkt fügte, als von einem Ende der mit dem Import verbundenen Gefahren keineswegs die Rede sein konnte?
({9})
Blieb nicht auch unter Rot-Grün das Thema Tiermehl unangetastet, obwohl ständig das Risiko bestand, dass das
Tiermehl trotz des Verbotes auch in Rinderfutter gelangen
konnte?
Natürlich trifft es zu, wenn die Gesundheitsministerin
von einem „GAU der industrialisierten Landwirtschaft“
spricht. Aber Recht hat auch die „Süddeutsche Zeitung“,
wenn sie von einem gleichzeitigen GAU der Seuchenbekämpfungspolitik in diesem Lande schreibt. Angesichts
Letzterem sind, wenn es auch viel zu spät erfolgt, das jetzt
angestrebte umfassende Tiermehlverbot und der Einsatz
von Schnelltests, welche wir heute Abend - hoffentlich
alle zusammen - beschließen werden, vor allem von den
Gesundheitspolitikern zu unterstützen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Es spricht jetzt die
Bundesministerin für Gesundheit, Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte
mich zu Beginn meiner Rede bei den Berichterstattern für
die gute Zusammenarbeit bei der Haushaltsberatung sowie bei meinen Mitarbeitern, die die Berichterstatter
- was diese im Haushaltsausschuss gesagt haben - auf das
Allerbeste unterstützt haben, bedanken. Besonders gilt Ihnen mein Dank für Ihre Unterstützung bei den Veränderungen, die beim BfArM anstehen. Der Kollege Schöler
hat dazu bereits das Notwendige gesagt.
({0})
Auch ich möchte mit einigen Aussagen zum Thema
BSE beginnen: In der Vergangenheit hat es zwar in diesem Zusammenhang viele Maßnahmen gegeben. Offenkundig waren diese jedoch nicht ausreichend. Wir müssen
uns der Tatsache stellen, dass dieses Thema näher an uns
herangerückt ist, als wir dies lange Zeit wahrhaben wollten. Nun haben wir es mit einer sehr tief greifenden Verunsicherung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu
tun. Ich glaube, dass wir das Vertrauen in die Politik nicht
dadurch wieder herstellen, dass wir beschwichtigen und
uns darauf verlassen, dass der erste BSE-Befall eines Rindes in Deutschland ein Einzelfall gewesen sein könnte.
Jetzt müssen wir ehrlich sein.
({1})
- Herr Wolf, wir können gerne noch einmal darüber sprechen, warum jetzt plötzlich ein entschlossenes Handeln
möglich ist, was lange Zeit sehr schwer durchzusetzen
war.
Ich könnte Ihnen jetzt sagen, von welcher Seite
Widerstand kommt. Ich habe es gestern im Landwirtschaftsausschuss sehr deutlich gemerkt: Unter den Landwirtschaftspolitikern ist das Tiermehlfütterungsverbot
parteiübergreifend eine bittere Pille.
({2})
Da sollte sich hier keiner etwas vormachen. Das Gleiche
gilt für die Frage der BSE-Tests, die von den Landwirtschaftspolitikern ebenfalls sehr kritisch beurteilt werden,
weil man Angst hat, dass man damit überhaupt erst die
Nachricht in die Welt setzt, es gebe in Deutschland ein
BSE-Problem.
Vielleicht werden auch wir hier in Deutschland einmal
ähnlich wie die Briten einen Bericht vorlegen - ich fände
das interessant -, wer wann was wie falsch gemacht hat.
Im Moment aber ist es viel klüger, dass sich jeder an seine
Nase packt und überlegt, was man vielleicht hätte anders
machen müssen, und dass man dann ebenso wie beim
Tiermehlfütterungsverbot bei allen anderen in diesem Zusammenhang erforderlichen Maßnahmen gemeinsam
vorgeht. Unsere Aufgabe ist es, mit der jetzigen Situation
umzugehen. Manche Dinge sind jetzt möglich, die lange
Zeit wegen großer Widerstände nicht möglich waren.
({3})
Das Tiermehlverbot ist ein dramatischer Eingriff in einen ganzen Wirtschaftszweig. Es verlangt von allen Beteiligten unglaublich viele Umstellungsmaßnahmen. Offenkundig bedurfte es erst eines weiteren Vorfalles, bis
endlich Handlungsbereitschaft entstanden ist. Darüber
könnte ich als Grüne sehr lamentieren. Das tue ich nicht,
sondern ich sage: Ich bin froh, dass uns die Durchsetzung
dieses Verbotes jetzt gelingt. Das ist ein wichtiger und bedeutsamer Schritt. Noch bedeutsamer ist, dass dieser
Schritt jetzt offensichtlich auch auf EU-Ebene zumindest
in die Nähe des Möglichen rückt.
({4})
Denn wir müssen in diesem Bereich etwas tun; auf anderem Wege können wir keine Sicherheit herstellen.
Ich verweise im Zusammenhang mit der
Fleischhygienedringlichkeitsverordnung, die ich zurzeit
mit den Ländern berate und die vermutlich nächste Woche
verkündigungsreif ist, darauf, dass die Länder dafür zuständig sind, BSE-Tests durchzuführen. Ich kenne auch in
diesem Zusammenhang Äußerungen von Mitgliedern
mancher hier im Hause vertretenen Partei, warum man
keine Ausweitung der Tests vornehmen wolle. - Auch
dies also dazu, dass sich jeder einmal an die eigene Nase
packen sollte.
Es ist notwendig und richtig, dass wir jetzt flächendeckende Tests einführen, ohne dabei die Verbraucherinnen und Verbraucher in falscher Sicherheit zu wiegen.
Denn diese Tests werden uns zwar Aussagen darüber geben, wie die epidemiologische Lage ist. Aber sie bieten
keine hundertprozentige Sicherheit darüber, wie es um
das einzelne Tier steht.
Jetzt nur noch kurz ein Wort zum Exportverbot - denn
ich möchte auch noch auf die Gesundheitspolitik zu sprechen kommen -: Der Europäische Rat von Florenz im
Jahre 1996 hat festgelegt, unter welchen Bedingungen das
Exportverbot für britisches Rindfleisch aufgehoben werden kann. Wenn ich mich nicht völlig täusche und nicht
schon vom Rinderwahnsinn befallen bin,
({5})
waren ich und die anderen, die jetzt auf der Regierungsbank sitzen, 1996 noch nicht an der Regierung. Als das
Importverbot letztes Jahr aufgehoben wurde, waren die
Bedingungen, die der Europäische Rat von Florenz unter
Beteiligung der damaligen deutschen Bundesregierung
aufgestellt hatte, erfüllt. Deswegen wurde das Importverbot aufgehoben.
Deutschland bzw. die neue Bundesregierung hat trotzdem dagegen gestimmt. Aber wenn das Importverbot von
allen anderen Ländern erst einmal aufgehoben ist, dann
kann man zwar in Bezug auf das europäische Recht
Robin Hood spielen, so wie Herr Parr das hier versucht
hat, aber dann sind Sie noch lange kein Verbraucherschützer. Denn ein Verbraucherschützer muss sich doch
die Frage stellen, ob man nur heldenhaft gegen europäisches Recht kämpft oder ob man nicht auch dafür sorgen
sollte, dass die Menschen wissen, welches Fleisch sie auf
den Teller bekommen. Denn auf alle anderen Mitgliedstaaten haben Sie keinen Einfluss. Das ist der Punkt, Herr
Parr.
({6})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seehofer?
Selbstverständlich.
Frau Ministerin, ich
stimme Ihrer Argumentation am Schluss hundertprozentig zu. Es wird nämlich in der Öffentlichkeit viel zu häufig übersehen, dass dieses Gebiet vergemeinschaftet ist
und es sich um zwingendes Recht der Europäischen
Union handelt.
Könnten Sie aber dafür sorgen, dass in Ihrer Koalition
die gleichen Maßstäbe bei der Beurteilung eines gewissen
Zeitraums - es waren fünf Monate im Jahr 1995 - angelegt werden? Damals hatten wir den gleichen Streit, damals wurde ich aufgefordert, national vorwegzumarschieren und allein zu handeln. Meine Argumentation
damals war genau die gleiche, die Sie jetzt verwenden.
Können Sie bestätigen, dass das so ist?
({0})
Nein, so leicht kann ich es Ihnen nicht machen. Es gibt einen Unterschied. Kollege Seehofer, Sie müssen mir
zuhören, wenn ich versuche, Ihnen eine Antwort zu geben.
({0})
- Sie können sich nicht zwischen zwei Damen entscheiden? - Lasst ihn einen Augenblick in Frieden!
({1})
Herr Kollege Seehofer, durch die Vergemeinschaftung
- hier sind wir in der Tat einer Meinung - in einem Europa der offenen Grenzen sind die Möglichkeiten, diesen
Schutz auf nationaler Ebene herzustellen, begrenzt. Ich
reklamiere für mich aber, dass wir damals als es um die
Aufhebung des Importverbots ging - dabei habe ich einen durchaus abenteuerlichen Umgang mit den
Rechtsverpflichtungen gepflegt -, gesagt haben: Wir heben das Verbot nur auf, wenn ihr uns erlaubt, strenge Vorschriften für die Kennzeichnung vorzunehmen. Das ist
uns gestattet worden, aber wir sind mit dem Stand der
Dinge noch nicht zufrieden. An diesem Punkt sehe ich den
einen Unterschied zu Ihrer Argumentation.
Es gibt noch einen zweiten, der allerdings nichts mit
meiner oder Ihrer Politik zu tun hat. In dem Moment, zu
dem bei uns BSE-Fälle auftreten, kommen wir natürlich
in Argumentationsnöte gegenüber anderen Ländern, deren Fleisch wir nicht bei uns haben wollen, weil sie BSEFälle haben.
({2})
Damit man mir nachher nicht vorwirft, ich hätte über
nichts anderes gesprochen, möchte ich mich nun der Gesundheitspolitik zuwenden. Vorher möchte ich aber noch
einen Vorschlag machen: Wir dürfen nicht nur akutes Krisenmanagement betreiben. Das war notwendig, damit wir
jetzt weitere Schritte gehen können. Ich möchte gern einen Arbeitsstab BSE beim BMG mit Vertretern aus dem
Haus, aus den Ländern und der Wissenschaft einrichten,
in dem wir gemeinsam darüber beraten können, welche
weiteren Schritte wir gehen können. Dazu möchte ich alle
Beteiligten einladen.
({3})
Jetzt möchte ich zur Gesundheitspolitik kommen, bei
der ich einiges Vorgetragene so nicht stehen lassen kann.
Lassen Sie mich mit den neuesten Zahlen zur finanziellen Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung,
die uns seit heute Morgen vorliegen, beginnen. Das Defizit ist im dritten Quartal zurückgegangen. Wir werden am
Ende des Jahres einen Überschuss von etwa 1 Milliarde DM haben.
({4})
So viel zu den Unkenrufen.
Es ist gelungen, den Stand der hohen Schulden in Ostdeutschland etwas abzubauen. Dafür war eine große Solidaritätsanstrengung der Versicherten aus dem Westen notwendig. Die Leistungsausgaben - jetzt hören Sie gut zu sind um 1,8 Prozent gestiegen; darauf komme ich später
noch zurück. Der durchschnittliche Beitragssatz liegt derzeit bei 13,57 Prozent, im ersten Halbjahr 1998 lag er bei
13,64 Prozent. Das ist eine gute Ausgangsbasis für das
nächste Jahr, in dem wir es mit vielen Herausforderungen
zu tun haben werden. So haben wir zum Beispiel, zwei
Verfassungsgerichtsurteile umzusetzen, die ebenfalls aus
einer Zeit stammen, in der ich nicht die Verantwortung
trug.
({5})
Die Entwicklung des Beitragssatzes ist ein Erfolg,
zwar nicht für die Kassen oder für mich, aber für die Versicherten, deren Belastungsfähigkeit in den 90er-Jahren
aufgrund Ihrer Abgabenquote an eine Grenze gestoßen
war. Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Beitragssätze stabil halten.
({6})
Dazu war es notwendig, die Einnahmenseite zu stärken.
Dass Ihnen der Weg nicht gefallen hat, ändert nichts daran, dass wir es getan haben. Dabei hatten wir eine Hypothek zu tilgen.
Da gerade von Verschiebebahnhöfen die Rede war,
möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die größten Verschiebungen zwischen Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung gab es im Jahr 1995 mit 5 bis 6 Milliarden DM. Ich habe durchgesetzt - das muss ich einfach
richtig stellen -, dass bei der Erwerbsunfähigkeitsrente es handelt sich hier um ein Gesetz, das noch aus der alten
Regierungszeit stammt und bei dem die höhere Belastung
für die Krankenversicherung kampflos hingenommen
wurde - die Belastung auf 250 Millionen DM begrenzt
wird.
({7})
Ich möchte jetzt noch auf die internationalen Vergleiche zu sprechen kommen. Die internationalen Vergleiche beziehen sich nicht auf den Stand des Jahres 2000,
sondern auf einen längeren Zeitraum. Die Qualitätsmängel sind ein altbekanntes Problem unseres Landes. Ich
will Ihnen deswegen im Zusammenhang mit dem Argument - ich kann es nicht mehr hören, denn das ist nun
wirklich intellektuell dürftig -, alle Probleme in unserem
Gesundheitswesen lägen an der Budgetierung, sagen: Da
machen Sie sich einen schlanken Fuß, weil Sie sich nicht
mit dem eigentlichen Qualitätsproblem in unserem Gesundheitswesen beschäftigen wollen.
({8})
Natürlich weiß ich, dass in diesem Lande Ärzte mit
Verweis auf das Budget Medikamente verweigern. Das
halte ich für skandalös.
({9})
Aber die Frage ist: Haben die Ärzte Recht, wenn sie sich
bei der Verweigerung eines Medikamentes auf das Budget berufen? Diese Frage müssen Sie stellen. Damit ist
schon Frau Yzer vom VFA auf die Nase gefallen, als sie
unter Krokodilstränen eine Studie vorlegte, nach der vielen Leuten Medikamente verweigert worden sind. Beim
genauen Hinsehen hat sich jedoch herausgestellt, dass
70 bis 80 Prozent der verweigerten Medikamente solche
waren, die seit 1992 von der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung als Bagatellmedikamente ausgeschlossen sind.
({10})
Wo ist das Problem?
({11})
Dass es in der Praxis natürlich einfacher ist, die Schuld
auf die böse Frau Fischer zu schieben, anstatt zu erklären,
dass Bagatellleistungen nicht von der Solidargemeinschaft finanziert werden, verstehe ich. Aber deswegen ist
es trotzdem nicht richtig, auch wenn Sie es sich immer zu
Eigen machen.
Dann haben Sie sich, Herr Wolf, widersprochen. Sie
haben gesagt, die Arzneimittelausgaben seien trotz Budgetierung ständig gestiegen. Was denn nun? Werden die
Ausgaben durch die Budgetierung zu stark gedeckelt oder
ist sie als Deckel zu wenig wirksam, weil die Ausgaben
weiter steigen?
Das liegt übrigens daran, dass allein bei den Arzneimittelbudgets keine Grundlohnsummensteigerung vorgesehen ist. Wenn Ärzte nachweisen können, dass es durch
Innovationen zu höheren Kosten kam, dann können sie
höhere Abschlüsse machen. Dies obliegt nicht der Bundesgesundheitsministerin, sondern der Selbstverwaltung.
Diese versagt in diesem Punkt.
({12})
Die Selbstverwaltung versagt auch, wenn es darum geht,
die Ärzte bei einer rationalen Arzneimitteltherapie zu beraten.
({13})
Sie wollen die Budgets freigeben und die Ärzte so viel
verschreiben lassen, wie sie wollen.
({14})
Verschwendung bei der Verschreibung von Arzneimitteln
ist weder im Interesse des Patienten noch im Interesse der
Solidargemeinschaft, die dann Medikamente mitbezahlen
muss, die niemand braucht.
({15})
Frau Ministerin, es
gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage des
Kollegen Wolf.
Bitte.
Wir haben bei unseren politischen Vorschlägen die Erfahrung gemacht, dass Sie sie
wieder rückgängig machen. Ist es nicht richtig, dass wir
die Arzneimittelsteuerung nicht völlig freigeben wollten,
sondern budgetablösende Richtgrößen auf den Weg gebracht haben,
({0})
und dass Sie das mit Ihrem Gesetz einfach kassiert haben?
Heute besteht das Problem, dass Sie Budgets plus Richtgrößen vorschreiben, die dazu führen können, dass ein
Arzt, obwohl er anständig verordnet und seine Richtgrößen eingehalten hat, am Ende dennoch mit seinem Honorar wegen Arzneimittelüberschreitung haftet. Halten
Sie das für richtig und gerecht?
Herr Wolf, wenn ich Sie jetzt wie den Blinden von der
Farbe reden höre, dann weiß ich schon, dass ich mich besser nicht Ihrer Unterstützung versichern sollte, obwohl
Sie mir heute so viel Mitleid haben angedeihen lassen.
({0})
- Ich würde es Ihnen jetzt gerne erklären.
Noch einmal: Die Richtgrößen gibt es noch immer.
Wenn sich Ärzte in ihren Praxen darüber beklagen, sie
hätten unzureichende Budgets, dann meinen sie die Richtgrößen; denn die Budgets sind eine Vereinbarung, die auf
der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigung getroffen
wird. Der einzelne Arzt erfährt nur von der Richtgröße,
die Sie so schätzen. Bei diesen Richtgrößen - das sollten
Sie sich einmal anschauen - gibt es in der Bundesrepublik
Deutschland in den Regionen und auch in den Facharztgruppen riesige Unterschiede. Es sind aber immer
Festlegungen der Selbstverwaltungen.
Wenn es trotz Richtgrößenprüfung und des erfolgten
Regresses nicht gereicht hat, dann kommt der Kollektivregress, von dem Sie gerade gesprochen haben. Dann
steht es der Kassenärztlichen Vereinigung frei - so steht
es im Gesetz -, wie sie damit umgeht. Der Radiologe, der
sich darüber beklagt, dass er kein Medikament verschrieben habe, muss von der kassenärztlichen Vereinigung
überhaupt nicht in diese Art von Regress einbezogen werden.
Noch etwas zu den budgetablösenden Richtgrößen.
Die einzige Kassenärztliche Vereinigung, die das gemacht
hat - das wissen Sie ganz genau -, war die Kassenärztliche Vereinigung in Bayern. Ich habe mich damit viel beschäftigt; das hat den bayerischen Ärzten wenig Freude
gebracht.
({1})
- Auch wenn Sie dabei waren, wurde dadurch die Sache
zu meiner großen Überraschung nicht besser. - Was ich
damit sagen will, ist: Die Richtgrößen haben wir als Instrument im Gesetz festgeschrieben.
({2})
Sie sind derjenige, der die ganze Zeit diesen Popanz mit
dem Budget aufbaut. Die Richtgrößen sind vollkommen
richtig dargelegt.
Ich will es anders formulieren: Wenn der Deckel, der
die Richtgrößen festlegt, so eindeutig wäre, dann könnte
es diese breiten Unterschiede in unserem Land in dieser
Form nicht geben. Das hat vielmehr mit den unterschiedlichen Facharztgruppen und mit den üblichen Konflikten
zwischen den verschiedenen Beteiligten zu tun.
({3})
Ich glaube, dass die Richtgröße keine Alternative ist.
({4})
Ich will jetzt nur noch abschließend darauf eingehen,
was Sie wollen. Sie wollen keine Budgets, aber Sie wollen stabile Beitragssätze. Also sagen Sie den Leuten deutlich: Sie wollen, dass die Menschen höhere Zuzahlungen
leisten, oder den Anschluss von Leistungen, die komplett
privat abgerechnet werden sollen. Etwas anderes kann es
nicht sein. Außerdem habe ich ja Ihre Texte gelesen, in denen das zum Teil steht. Da gibt es ein Drei-Stufen-Modell
mit einer „untergestuften“ Grundleistung, für die man
dann weniger bezahlt, und irgendwelchen ergänzenden
Wahlleistungen. Das alles steht in Ihren Texten.
Ich finde, dann sollten Sie hier auch ehrlich sagen, dass
Sie die Einkommen all derjenigen, die im Gesundheitswesen verdienen, verteidigen wollen, dass dort überhaupt
keine Abstriche gemacht werden sollen. Immer mehr
Menschen wollen im Gesundheitswesen ihr Geld verdienen. Das heißt, auch auf der Anbieterseite entsteht ein hoher Druck. Diese Einkommen verteidigen Sie und stattdessen wollen Sie bei den Patienten in die Tasche greifen.
Das ist Ihre Alternative und das sollten Sie ehrlich sagen.
({5})
Nächster Redner ist
der Kollege Dr. Michael Luther für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen,
wieder etwas Sachlichkeit in die Debatte zu bringen. Da
es um den Haushalt geht, will ich etwas zur Haushaltsberatung sagen. Ich meine, das Berichterstattergespräch
fand in einer angenehmen und konstruktiven Atmosphäre
statt. Dafür will ich mich an dieser Stelle recht herzlich
bedanken.
({0})
Damit hören allerdings die Punkte auf, für die ich mich
bedanken kann. Auch wenn ich neu in dem ganzen Metier
bin, habe ich relativ schnell erkannt, welche strategischen
Ziele das Bundesgesundheitsministerium eigentlich verfolgen sollte und welche es nicht verfolgt, wo im Endeffekt die Defizite liegen.
Herr Schöler, Sie haben hier schon sehr ausführlich zu
der Diskussion zum BfArM Stellung genommen. Aus
Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich sagen: Das Parlament muss ein ganz besonderes Augenmerk darauf legen, dass dieses Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zum Arbeiten kommt.
So wie es momentan vor dem Hintergrund eines europäischen Marktes wirkt und arbeitet, ist es schädlich für die
Pharmaindustrie, weil Zulassungen von Medikamenten
sehr lange dauern, weil es Widersprüche innerhalb des eigenen Hauses gibt. So werden zum Beispiel Unterlagen
einerseits angenommen und andererseits in Verbindung
mit anderen Antägen abgelehnt. Da weiß also die eine
Hand nicht, was die andere macht.
Für die neuen Bundesländer stellt sich noch ein besonderes Problem: 25 000 Nachzulassungen von Anträgen aus
dem Gebiet der ehemaligen DDR sind noch offen. Das ist
diskriminierend.
({1})
All diese Dinge beschreiben die Arbeitsweise des Institutes. Hier muss also etwas passieren. Das ist aber nicht
allein Schuld der jetzigen Bundesgesundheitsministerin,
das gestehe ich gern zu.
({2})
Ich meine vielmehr, dass das Parlament vielleicht zu
lange zugeschaut hat. Es wird nun endlich Zeit, dass hier
etwas passiert. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen.
Eines wundert mich allerdings an dieser Stelle, Herr
Schöler: Wenn das Parlament hier eine besondere Kontrollfunktion ausüben soll, dann muss es auch die Kontrollinstrumente, die es hat, nutzen. Ich glaube, das Instrument einer qualifizierten Haushaltssperre schafft uns
die Möglichkeit, qualifiziert Einfluss zu nehmen, also
dort, wo ein Fortschritt bei der Modernisierung des Instituts zu verzeichnen ist, entsprechend zu reagieren. Dieses
Instrument ist extra für das Parlament eingerichtet worden, aber Sie haben es abgelehnt und das wundert mich.
({3})
- Sie legt das Institut nicht lahm.
({4})
Wir haben im Berichterstattergespräch sehr lange über
diese Frage gesprochen. Wir wissen, was gemacht werden
muss. Ich denke, die Kontrolle sollte vom gesamten Parlament und nicht nur durch von der SPD-Fraktion durchgeführt werden.
Ich will nun etwas, zu dem Gesetz zur Neuordnung der
seuchenrechtlichen Vorschriften sagen.Damit soll der
Schutz der Menschen in Deutschland vor Infektionskrankheiten verbessert werden. Dieses Gesetz ist im Frühjahr
dieses Jahres verabschiedet worden. Noch im Mai hat die
Koalition im Deutschen Bundestag mitgeteilt: Das
Robert-Koch-Institut, dem die Umsetzung dieses Gesetzes obliegt, benötigt zusätzlich 45 Personalstellen,
700 000 DM jährlich für Ausgaben im Sachbereich und
eine einmalige Anschubfinanzierung in Höhe von
810 000 DM.
Als ein, zwei Monate später der Haushalt aufgestellt
worden ist, wurde deutlich, dass die Koalition das schon
wieder vergessen hatte; denn die entsprechenden Ansätze
im Haushalt wurden nicht erhöht. Weder auf Nachfrage
noch nach der Diskussion im Haushaltsausschuss wurde
etwas geändert. Es wundert mich, wie Sie sich, Frau Ministerin, hier verhalten und wie Sie es zulassen konnten,
dass das Robert-Koch-Institut im Hinblick auf die Umsetzung des Gesetzes letztendlich unzureichend mit Personal ausgestattet wird. Es werden jeweils nur 14 Stellen
für 2001 und 2002 und keine zusätzlichen Mittel für die
laufenden Sachkosten bewilligt. Die Folge ist, dass Sie
letztendlich die Umsetzung dieses Gesetzes gefährden.
({5})
Wenn man darüber nachdenkt, dann ist das angesichts der
Bedeutung dieses Themas besonders makaber. Aber das
passt in das Bild, das die Bundesgesundheitsministerin
insgesamt abgibt. Sie kündigt vollmundig etwas an und
muss dann im Kabinett einen Rückzieher machen. Das
gilt nicht nur für dieses Thema.
Sie sind auch bei dem Thema „Verringerung der Beitragszahlungen zur „Krankenversicherung für Arbeitslosenhilfeempfänger“ gescheitert. Das kostet die gesetzlichen Krankenkassen 1,2 Milliarden DM, was, gemessen
am gesamten Ansatz für das Gesundheitswesen, eine geringe Summe zu sein scheint, die aber den Krankenkassen
wirklich fehlt. Wir alle wissen, dass das Hauptproblem in
Deutschland die fehlende Sicherung der Finanzierung des
Gesundheitswesens ist.
({6})
Hier besteht dringender Reformbedarf. Die Defizite
- das möchte ich an dieser Stelle betonen - sind schon
lange bekannt. Horst Seehofer und die damalige Koalition
hatten bereits eine Reform im Gesundheitswesen auf den
Weg gebracht. Wir haben schwierige Schritte unternommen, um zu einer wirklichen Lösung beizutragen. Als Sie
Regierungsverantwortung erlangten, haben Sie unseren
Reformkurs nicht fortgeführt. Sie haben sogar Teile der
Reform zurückgenommen und haben etwas Neues auf
den Weg gebracht, ich sage: verschlimmbessert. Jetzt tun
Sie gar nichts mehr.
({7})
Die Folgen Ihrer Politik sind heute eigentlich ausreichend beschrieben worden. Ich möchte nur noch darauf
hinweisen: Sie gefährden letztendlich die medizinische
Versorgung der Patienten genauso wie die Existenzgrundlage der gesetzlichen Krankenkassen, der Ärzte und der
Krankenhäuser. Diese Liste ließe sich beliebig bis hin zu
den Logopäden fortschreiben. All diese Gruppen befinden
sich in einer schwierigen Lage, weil Sie eines nicht beachten: Das Gesundheitswesen ist ein kompliziertes Räderwerk, in dem ein Zahnrad in das andere greift. Wenn
man dort mit dem Holzhammer hineinschlägt, dann zerschlägt man das ganze Getriebe. Man muss versuchen,
mit Augenmaß zu reformieren. Darauf kommt es an. Wir
haben angeboten, daran mitzuwirken. Aber von Ihrer
Seite kommt zurzeit überhaupt nichts. Das finde ich mehr
als bedauerlich.
({8})
Ich finde es deshalb mehr als bedauerlich, weil Sie,
meine Damen und Herren von den Grünen, an und für sich
gute Ansätze gezeigt haben. Ihr Parteirat hat die Durchführung einer Gesundheitsreform beschlossen, der wir
sehr viel Positives abgewinnen können.
({9})
Aber warum wollen Sie die Reform nicht schon jetzt, sondern erst 2002 auf den Weg bringen?
({10})
Ich vermute, der eigentliche Grund ist: Ein gutes Gesetz
passt nicht zu dieser Regierung und vor allem nicht zur
SPD, gegen die Sie es nicht durchsetzen wollen.
({11})
Ich gebe an dieser Stelle zu: Ich bin medizinischer
Laie. Das müssen Sie bedenken, wenn ich mich jetzt zum
Thema Richtgrößen und Budgets äußere. Ich verstehe
das Thema so: Bei einem Budget wird ein Rahmen vorgegeben, der eingehalten werden muss. Die Ärzte bekommen dann im Laufe des Jahres von den Kassenärztlichen
Vereinigungen, ihren Selbstverwaltungsorganen, mitgeteilt: Die Budgets, die eigentlich für das ganze Jahr ausreichen sollten, sind bereits im September aufgebraucht.
Verraten Sie mir einmal, wie sich jemand an Richtgrößen
orientieren soll, wenn das Budget aufgebraucht und kein
Geld mehr da ist?
({12})
Als Haushälter muss ich auch die Öffentlichkeitsarbeit
ansprechen. Sie haben im Haushalt 3,3 Millionen DM für
die Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen. Ich habe Sie schon
im Haushaltsausschuss gefragt: Was wollen Sie mit diesem Geld machen? Wollen Sie die Pflegeversicherung bekannt machen? Ich glaube, das braucht man nicht mehr.
Die kennt jeder in Deutschland. Wollen Sie die Gesundheitsreform publizieren? Welche wollen Sie denn publizieren?
({13})
Ich weiß, wozu es dient: zur gefälligen Selbstdarstellung.
Das haben Sie sicherlich auch nötig, denn bei substanzloser Politik braucht man besonders viel Geld zur Selbstdarstellung.
({14})
Ein weiteres Thema, das mir persönlich Sorgen bereitet, ist heute noch nicht angesprochen worden. Das ist die
Drogenpolitik.
({15})
- Ich habe schon zugehört. Ich kann auch den Haushalt lesen, Herr Schöler.
Es gibt zwei Projekte, mit denen sich die Bundesregierung befasst. Das eine ist das Modellprojekt auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs. Dafür sind
wie in diesem Jahr 9,8 Millionen DM eingestellt. Bis zum
September dieses Jahres sind aber nur 3,7 Millionen DM
hierfür ausgegeben worden. So hieß es am Anfang der Berichterstattergespräche. Sie haben also offensichtlich
große Probleme beim Umsetzen dieses Programms. Auf
der anderen Seite planen Sie 12 Millionen DM für Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und
Suchtmittelmissbrauchs ein und bleiben damit beim
Haushaltsansatz der letzten Jahre.
Aber manchmal muss man politisch auf die jeweilige
Zeit reagieren. Ich will ein paar Zeitungsüberschriften der
letzten Wochen zitieren: „Der Drogenkonsum nimmt erschreckend zu“,
({16})
so die „Neue Osnabrücker Zeitung“ vom 4. November
2000. - „Immer mehr Kokain auf dem Markt“, so „Die
Welt“ vom 28. Oktober 2000. - „Neue Drogen - unveränderte Gefahren“, so die „Neue Züricher Zeitung“ vom
11. Oktober 2000.
Das ist die Beobachtung, die auch wir machen: Mit
Drogen wird sorgloser umgegangen. Ich zitiere nochmals,
und zwar „Die Welt“ vom 7. November 2000. Herr
Rüdiger Engler - er ist Leiter des für die Drogendelikte
zuständigen LKA 22 hier in Berlin sagte
Bei den Erstkonsumenten von Kokain verzeichnen
wir im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um
50 Prozent.
({17})
Auch wenn man mit Jugendlichen spricht - ich spreche
oft mit Jugendlichen - stellt man fest, dass man sich beim
Umgang mit dem Thema Drogen und mit den Drogen
selbst der Gefahren nicht bewusst ist.
({18})
Ich meine darauf muss man mit einer adäquaten Aufklärungskampagne reagieren. Fixerstuben nützen überhaupt nichts.
({19})
Denn es kommt vor allem darauf an, Jugendliche, junge
Menschen, junge Erwachsene vor dem Einstieg in die
Drogen zu bewahren, und es geht nicht darum, wenn es zu
spät ist, zu sehen, wie man einen Entzug organisieren
kann.
({20})
Deshalb sage ich an dieser Stelle: Stecken Sie die
3,3 Millionen DM, die Sie für die Öffentlichkeitsarbeit
vorgesehen haben, lieber zusätzlich in die Drogenaufklärung. Dort wäre dieses Geld gut angelegt.
({21})
Um der Meinung vorzubeugen, wir hätten keine entsprechenden Anträge gestellt: Dies haben wir im Haushaltsausschuss getan. Sie haben sie leider abgeschmettert.
Ich meine, Herr Schöler, man kann nicht einfach so weitermachen wie bisher.
Ich komme zum Schluss. Ich habe die Bundesministerin am Anfang für die gute und nette Beratung, die wir hatten, gelobt. Das kann ich noch einmal bestätigen. Über
mehr positive Impulse konnte ich leider nicht berichten.
Schade. Vielleicht klappt es im nächsten Jahr.
({22})
Für die SPD-Fraktion
hat die Kollegin Regina Schmidt-Zadel das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Kollege Walter Schöler ist
für meine Fraktion schon ausführlich auf den Einzelplan 15 eingegangen, auch auf die Drogenpolitik, Herr
Luther. Vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört. Ich
würde Ihnen raten, Ihre Thesen am Tor der Pfarrkirche in
Zwickau anzuschlagen. Vielleicht werden sie dann deutlicher vernommen, als das heute hier der Fall war.
({0})
Meine Damen und Herren, die Redner der Opposition
haben diese Aussprache genutzt, um eine Generaldebatte
über die Gesundheitspolitik zu führen. Ich will an dieser
Stelle auf einige aktuelle und grundsätzliche Dinge eingehen.
Die Debatte hat gezeigt, dass die Opposition unter starkem Gedächtnisschwund leidet.
({1})
Man kann feststellen, dass dieser umso stärker wird, je
länger Sie die Oppositionsrolle wahrnehmen.
({2})
Bei Ihnen, Herr Wolf, ist das besonders deutlich geworden. Sie müssten allein schon aufgrund Ihres früher ausgeübten Berufs mehr wissen und bessere Informationen
haben.
Ich möchte aber auch noch einmal auf die Verschiebebahnhöfe eingehen. Sie waren beim Erfinden von Verschiebebahnhöfen Weltmeister.
({3})
Ich erinnere an die 5 Milliarden DM, die während Ihrer
Regierungszeit von einem Bereich in den anderen verschoben wurden.
({4})
Sie haben heute wieder einmal die übliche Art der Kritik an den Tag gelegt, indem Sie gebetsmühlenartig immer
wieder die üblichen Horrorszenarien von den knappen
Budgets, von Rationierungsmedizin und Zweiklassenmedizin bringen.
({5})
Nein, meine Damen und Herren, der Rückblick auf das
zurückliegende Jahr und der Ausblick auf das Jahr 2001
machen sehr deutlich, dass die grundlegenden Reformen,
die die Regierungskoalition mit dem Gesundheitsreformgesetz 2000 auf den Weg gebracht hat,
({6})
zu greifen beginnen und genau das bewirken, was wir beabsichtigt haben. Ich verstehe nicht, warum Sie so
schreien.
({7})
Den Versicherten wird auch in Zukunft ein leistungsfähiges, qualitativ hochwertiges
({8})
- hören Sie zu, Frau Bergmann-Pohl, Sie könnten auch
noch etwas lernen, wenn Sie einmal zuhören würden! ({9})
und für alle gleichermaßen zugängliches und solidarisch
finanziertes Gesundheitswesen zur Verfügung stehen.
Unser Ziel war und ist es, das unverzichtbare System der
gesetzlichen Krankenversicherung für das 21. Jahrhundert fit zu machen.
({10})
Je länger der eingeschlagene Kurs bei den Reformen beibehalten wird, umso eher greifen sie und umso besser sind
die Ergebnisse.
({11})
Ein gutes Beispiel dafür ist die integrierte Versorgung. Sie stellt ein Kernstück unserer Gesundheitsreform
dar.
({12})
Unser Ziel war es - dieses haben wir erreicht -, die bislang starre Trennung zwischen dem stationären und dem
ambulanten Sektor aufzubrechen. Das oft unkoordinierte
und planlose Nebeneinanderherarbeiten von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten hat nämlich Ressourcen
vergeudet und der Versorgungsqualität, die wir in den
Mittelpunkt unserer Politik gestellt haben, oft genug im
Weg gestanden.
({13})
Wir haben die gesetzliche Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich die verschiedenen Leistungserbringer
aller Sektoren einmal Gedanken darüber machen, wie
eine bessere Verzahnung zwischen den Bereichen möglich ist und was sie bringen kann.
({14})
Das sind Gedanken - hören Sie gut zu -, die vor allem
eine Antwort auf die Frage zum Ziel haben: Wie kann man
eine Versorgungskette verwirklichen, in deren Mittelpunkt der Patient und nicht allein die wirtschaftlichen
Einzelinteressen mehrerer Leistungserbringer stehen,
({15})
die vor allem ihre Geräte auslasten wollen
({16})
und dafür - hören Sie zu! - unnötige und teure Doppelund Dreifachuntersuchungen durchführen? Wie sehr wir
mit diesem Ansatz ins Schwarze getroffen haben,
({17})
lässt sich schon heute erkennen auch wenn die Reform vor
noch nicht einmal einem Jahr in Kraft getreten ist und die
Selbstverwaltung wichtige Rahmenvereinbarungen noch
nicht ganz, sondern nur teilweise unter Dach und Fach
hat.
Modelle für integrierte Versorgungsformen schießen
überall wie Pilze aus dem Boden.
({18})
Beinahe an jedem Tag wird irgendwo in Deutschland ein
Antrag gestellt, um ein Praxisnetz oder Ähnliches ins Leben zu rufen. Man macht es sich nicht mehr wie bisher in
den Nischen bequem, schimpft nicht mehr in ritualisierter
Form auf Budgets und beschwört nicht mehr Klischees
und alte Feindbilder,
({19})
wie wir das heute bei Ihnen wieder erlebt haben. Vielmehr
sind die Strukturen in Bewegung geraten und die Fantasie
der Beteiligten wurde angeregt. Das wollten wir damit erreichen.
({20})
Das beweist doch eines, meine Damen und Herren: Bei
den Beteiligten im Gesundheitswesen gibt es durchaus
genügend Innovationspotenzial.
({21})
Es ist doch offenbar auch die ernsthafte Bereitschaft vorhanden, einmal über den Gartenzaun der eigenen Arztpraxis oder des Kurparkes hinauszuschauen und neue Ansätze der ärztlichen Versorgung zu entwickeln. Man muss
Ärzten, Klinikleitern, Apothekern oder Physiotherapeuten doch nur die Möglichkeit an die Hand geben, sich zusammenzutun und ein auf den Patienten zugeschnittenes
Versorgungssystem zu entwickeln, bei dem die Qualität
- das ist das Wichtigste in unserem Programm - oberste
Priorität hat.
({22})
Das gilt auch für den Teil der Reform, der den stationären Sektor unseres Gesundheitswesens vor tief
greifende Veränderungen stellen wird, nämlich die Umstellung des Finanzierungssystems unserer Krankenhäuser auf eine leistungsorientierte, pauschalierte Bezahlung.
Die stufenweise Einführung der so genannten DRGs läuft
planmäßig. Sie sollen bis zum Jahr 2003 in allen Kliniken
eingeführt werden.
({23})
Dann wird es endlich möglich sein, die Leistungen der
einzelnen Kliniken zu vergleichen - auch das ist bisher
nicht möglich -, und dann wird sich zeigen, wer in diesem
Land gut und wirtschaftlich arbeitet.
({24})
- Das wird sich wirklich zeigen.
Die gesetzliche Krankenversicherung muss heute ein
Drittel ihrer Ausgaben für den stationären Bereich aufwenden. Wem sage ich es?
({25})
Hier liegt der Schlüssel, wenn es darum geht, Reserven zu
mobilisieren.
Ich will noch einmal auf die Reform im stationären Bereich eingehen. Es stand ursprünglich ja auch mehr im Gesetz, als letztlich in Kraft treten konnte. Ich würde mir
wünschen, meine Damen und Herren, dass aus der Union
nicht nur Mäkelei, sondern mehr Konstruktives käme.
({26})
Erst blockieren und dann beklagen, erst Täter und dann
Sanitäter - Herr Wolf, das ist der Wolf im Schafspelz, den
Sie heute hier abgegeben haben.
({27})
Zum Ressort der Bundesministerin für Gesundheit
gehört seit dieser Wahlperiode auch die Pflegeversicherung. Mein Kollege Walter Schöler ist darauf eingegangen. Ich möchte aber auch noch einmal darauf hinweisen,
dass wir in diesem und im nächsten Jahr zwei wichtige
Gesetze auf den Weg bringen.
So, wie wir mit der Gesundheitsreform 2000 den Qualitätsgedanken in der gesetzlichen Krankenversicherung
gestärkt haben, so wird das als Entwurf vorliegende Qualitätssicherungsgesetz den Qualitätsgedanken in der gesetzlichen Pflegeversicherung verankern.
({28})
Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass Pflegebedürftige
- ganz gleich, in welcher Einrichtung und in welcher Region sie gepflegt werden - eine optimale und qualitativ
hochwertige Pflege erhalten.
({29})
Der Gesetzentwurf stärkt die Verbraucherrechte in der
Pflege.
Die Gesundheitspolitik der Koalition ist auf einem
guten, nein, auf einem sehr guten Weg.
({30})
Sie stellt sicher, dass die Mitglieder der gesetzlichen
Krankenversicherung auch in Zukunft darauf bauen können,
({31})
dass die Versorgungsqualität nicht von der Region abhängt, in der sie leben.
({32})
- Nein, auch keine Frage des Geldbeutels. Das war zu Ihrer Zeit so und das haben wir abgeschafft, Herr Wolf.
({33})
Es wird keine Frage der Region sein, in der sie leben.
({34})
Sie stellt weiter sicher, dass der Leistungsumfang der notwendigen Versorgung nicht von der Krankenkasse abhängt, bei der sie versichert sind.
Sie können sich darauf verlassen, dass Gesundheit in
Zukunft bei uns keine Frage des Geldbeutels ist.
({35})
Das ist das, was wir mit unserem Gesundheitssystem und
auch mit dem vorgelegten Haushalt bewirken wollen. Ich
würde mich freuen, wenn Sie als Opposition konstruktiv
daran mitarbeiten würden.
({36})
Es spricht jetzt der
Kollege Dr. Ilja Seifert für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Die Sicherung einer menschenwürdigen
und ganzheitlichen Pflege ist nicht mit der Konzipierung
und der Umsetzung der Pflege in Form einer „Teilkaskoversicherung“ vereinbar. Die Sicherung einer menschenwürdigen und ganzheitlichen Pflege ist auch nicht
mit einem vorrangig auf somatische Verrichtungen orientierten Pflegebegriff vereinbar.
Die Sicherung einer menschenwürdigen und ganzheitlichen Pflege ist erst recht nicht - wir reden ja hier über
den Haushalt - mit dem Entzug von 1,6 Milliarden DM
verteilt über vier Jahre für die Finanzierung der Pflegeversicherung durch die Absenkung der Bemessungsgrundlage für die Pflegeversicherungsbeiträge der Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosenhilfe vereinbar.
Warum also lassen Sie zu, dass sich die konkrete Pflegesituation für eine wachsende Zahl von Menschen weiter
zuspitzt?
Auf unserer Anhörung am 15. November benannte
Claus Fussek aus München, immerhin einer der ausgewiesensten Kenner der Szene, einige der drängensten
Probleme: Pflegerinnen und Pfleger arbeiten weit oberhalb der Belastungsgrenze. Sie sind viel zu wenige. Sie
kommen gerade dazu, die absolut nötigsten Dinge zu tun
nach dem Prinzip: satt, sauber, trocken. Das hat mit menschenwürdiger Pflege nichts zu tun.
({0})
Die weiteren Probleme sind: Ursprünglich durchaus
hoch motiviertes und qualifiziertes Personal steht unter
massivem Druck. Man verabreicht inzwischen Psychopharmaka als Medikamente gegen die Zeitnot. Dafür sind
diese Medikamente nicht gedacht. Betroffene Menschen
mit Schluckbeschwerden bekommen eine Magensonde,
weil die Zeit fehlt, das Essen mit der notwendigen Ruhe
einzunehmen bzw. einzugeben. Windeln und Dauerkatheter gelten inzwischen als pflegeerleichternde Maßnahmen. Die Wörter „pflegeerleichternde Maßnahmen“ sind
in den Alten- und Pflegeheimen inzwischen zum Horrorbegriff geworden.
({1})
Wie lange will die Gesellschaft eine solche Unkultur des
Leids noch dulden?
Liebe Kollegin Schmidt-Zadel, ein Pflege-Qualitätssicherungsgesetz ist nicht zum Nulltarif zu haben.
({2})
Wir brauchen darüber so lange nicht zu reden, solange Sie
alles unter Haushaltsvorbehalt stellen. Das ist nämlich
weniger, als wenn Sie nach dem Motto „linke Tasche,
rechte Tasche“ verfahren würden. Das Einzige, was Sie
mit Ihrem Gesetz erreichen, ist eine Erhöhung des bürokratischen Aufwandes für diejenigen, die die Leistungen
dokumentieren müssen.
({3})
Es wird weniger Zeit für die Menschen und mehr Zeit für
die Papierarbeit aufgebracht.
Menschenwürdige und ganzheitliche Pflege muss von
der Würde des Menschen ausgehen. Insofern brauchen
wir eine Wertediskussion in der Gesellschaft. Ich bin froh,
dass die Kollegin Göring-Eckardt vorhin darauf hingewiesen hat, dass im Gesundheitswesen darüber wieder geredet werden soll. Ich hoffe, diese Diskussion führt zu Ergebnissen.
Angesichts der Tatsache, dass die Demenzkranken in
die Pflegeversicherung einbezogen werden sollen, können wir nicht sagen: 500 Millionen DM und nicht mehr.
Wenn man nämlich von der Gesamtzahl der betroffenen
Menschen ausgeht, die mit 500 000 bis 2 Millionen angegeben wird, dann ergibt sich ein Betrag - ich gehe von der
Untergrenze aus - von 83,33 DM pro Monat. Umgerechnet auf den Tag sind es 2,74 DM. Wer will da noch von einer Unterstützung für die Angehörigen reden?
Reden wir also endlich wieder über die Einnahmeseite
der Pflegeversicherung. Wo bleibt denn der Beitrag der
Arbeitgeber? Er ist nirgendwo erkennbar. Wenn die Pflegeversicherung tatsächlich eine Säule in den sozialen
Sicherungssystemen bilden soll, dann braucht sie auch die
Beiträge der Arbeitgeber sowie die Beiträge von Beamten
und Selbstständigen. Langfristig muss es eine Umstellung
auf die Wertschöpfungsabgabe geben. Wir kommen nicht
darum herum. Deshalb können wir im Rahmen der Haushaltsberatung nicht nur darüber reden, wie die wenigen
Mittel gedeckelt und anders verteilt werden können, sondern wir müssen auch über die Einnahmen reden.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({4})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Klaus Kirschner für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Aussprache über
den Einzelplan 15, den Haushalt für Gesundheit, hat deutlich gemacht, meine Damen und Herren von der Opposition, dass Sie in gewohnter Manier - opportunistisch und
populistisch zugleich - wild um sich schlagen. Herr Kollege Wolf, hören Sie doch einmal zu. Sie sagen, es wäre
nicht genügend Geld für Heilmittel da. Machen Sie sich
doch zumindest die Mühe, einmal in die KV 45 zu
schauen. Von 1998 zu 1999 gab es eine Steigerung bei den
Heil- und Hilfsmitteln und den Mitteln für die Dialyse von
17,41 Milliarden DM auf 17,91 Milliarden DM. Das sind
500 Millionen DM mehr. Da können Sie doch nicht sagen:
Das Geld wird weniger.
({0})
- Ich bitte Sie! Schauen Sie sich die Daten und Fakten
doch einmal an. Kollege Luther hat gesagt, er kann den
Haushalt lesen. Dann nehme ich an, dass Sie auch die
Zahlen lesen können.
({1})
- Ja, aber Sie behaupten doch, das Geld würde nicht mehr
ausreichen, und vermitteln den Menschen draußen, als ob
das Geld weniger geworden wäre. Bleiben Sie doch bei
den Fakten. Das gehört auch zur Auseinandersetzung, die
wir bei aller Unterschiedlichkeit in den Auffassungen zu
führen haben.
({2})
Lassen Sie mich auch sagen: Die wenigen aus Ihren Reihen vernehmbaren Ansätze taugen nicht zur Weiterentwicklung eines solidarischen, die medizinisch notwendige Vollversorgung absichernden Krankenversicherungssystems.
({3})
- Lieber Kollege Herr Zöller
({4})
- er sagt immer: Zöllner; aber ich muss sagen: Herr
Zöller -, ich will noch einmal darauf hinweisen: Ihr Konzept, das die Überschrift „Der faire Sozialstaat“ hat, läuft
doch darauf hinaus, dass Sie Leistungen kürzen. - Schütteln Sie doch nicht den Kopf, wahrscheinlich haben Sie es
noch nicht einmal gelesen. Wenn Sie von 12 Beitragssatzpunkten sprechen und damit um 1,53 Beitragssatzpunkte kürzen wollen, dann müssen Sie doch einmal sagen, wo Sie die rund 25 Milliarden DM einsparen wollen,
ohne dass Sie bei den Leistungen kürzen. Es gehört doch
dazu, dass Sie das endlich einmal nach außen hin deutlich
machen.
({5})
Dann sagt Herr Wolf: Heilmittel werden nicht mehr gewährt. Sagen Sie doch einmal, was Sie denn nun wirklich
wollen. Wollen Sie die Heilmittel streichen?
({6})
- Wunderbar. Gut, Herr Kollege Wolf, dann sagen Sie
doch einmal, was aus diesem Leistungskatalog gestrichen
werden soll. Was definieren Sie als Wahlleistung?
({7})
Ich warte schon lange auf eine Antwort und diese Debatte
führen wir ja nun schon seit Jahren; auch der Sachverständigenrat hat das mit seinem Pfirsichmodell, mit seinem Kuchenmodell, mit seinem Zwiebelmodell getan.
Sie alle haben von Kernwahlleistungen oder von was auch
immer gesprochen. Sagen Sie doch einmal, was Sie bei
der Humanmedizin im Leistungskatalog zusammenstreichen wollen. Haben Sie doch endlich einmal den Mut,
dieses zu sagen.
({8})
Ich warte schon lange auf diese Diskussion. Die müssen wir doch einmal mit aller Ernsthaftigkeit führen. Sie
müssen den Menschen draußen sagen, dass Sie beispielsweise die Heilmittel nicht mehr gewähren. Sagen Sie Ihnen doch, dass Sie den Zahnersatz streichen. Wie sonst
kommen Sie auf die zweistellige Milliardensumme, auf
über 20 Milliarden DM?
({9})
- Dann erklären Sie es mir doch einmal. Bitte, ich fordere
Sie dazu auf. Aber das haben Sie vorher bewusst nicht gemacht, weil Sie es den Menschen nämlich nicht sagen
wollen. Es hört sich natürlich unglaublich gut an, zu sagen: Wir wollen nur noch 12 Beitragssatzpunkte. - Sie sagen aber nicht, wie Sie zu diesen 12 Beitragssatzpunkten
kommen wollen. Dann sagen Sie im gleichen Atemzug:
Das Gesundheitswesen ist ein Wachstumsfaktor; dort
gehören noch mehr Mittel hinein. Diesen Widerspruch
müssen Sie doch einmal aufklären.
({10})
Bei Ihnen bleibt der Patient auf der Strecke. Aber es
muss doch umgekehrt sein: Das Ziel jeder Gesundheitspolitik ist der Patient. Der Patient hat mit seinen berechtigten Bedürfnissen im Mittelpunkt einer modernen Gesundheitspolitik zu stehen.
({11})
Das Ziel muss sein: ein System eines barrierefreien Zugangs zu einer qualitätsgesicherten medizinischen Behandlung, die dem jeweils gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht.
({12})
({13})
- Lieber Herr Kollege Dr. Thomae, Ihr Zuruf zielt in die
gleiche Richtung wie die Ausführungen Ihres Kollegen
Parr; ich möchte fast sagen - wenn das nicht unparlamentarisch wäre -: „Quatsch“. Deshalb sage ich es nicht.
({14})
Ich will Ihnen bezüglich der Arzneimittel nur Folgendes sagen - ich denke, wir werden nächste Woche eine
Debatte dazu haben -: 1998 betrugen die Ausgaben für
Arzneimittel 34,66 Milliarden DM und 1999 37,57 Milliarden DM. Sie aber stellen sich hin und sagen, das Geld
reiche nicht aus.
({15})
Beweisen Sie doch erst einmal, dass das Geld nicht ausreicht. Sie wissen doch ganz genau, dass wir - gemessen
am Bruttoinlandsprodukt - weltweit die zweithöchsten
Ausgaben auf diesem Sektor haben und innerhalb der Europäischen Union an erster Stelle liegen. Sie aber tun so,
als ob das Geld nicht ausreiche.
Sie wissen genau, dass viel Geld in die falsche Richtung geht.
({16})
Mit diesem Gesetz sollen die Wirtschaftlichkeit und
die Qualitätssicherung auf dem Gesundheitssektor abgesichert werden. Das Gesetz verpflichtet zur Qualitätssicherung und dafür gibt es eine ganze Reihe tauglicher
Instrumente. Wenn Sie fordern, das Budget abzuschaffen,
müssen Sie sagen, was Sie stattdessen wollen. Wir haben
Ihre Alternativen in der Vergangenheit gesehen: höhere
Zuzahlungen und Leistungsausgrenzung.
({17})
Einen solchen Weg gehen wir allerdings nicht mit.
({18})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15
- Bundesministerium für Gesundheit - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU,
F.D.P. und PDS angenommen.
Ich rufe auf:
III. 21 Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
- Drucksachen 14/4515, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Heidemarie Ehlert
Zum Einzelplan 16 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der CDU/CSU, ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und zwei Änderungsanträge der Fraktion
der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Jochen Borchert von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am 26. Oktober 2000 verkündete der Bundesumweltminister - wie immer außerordentlich vollmundig - vor der Presse: Die ökologische
Erneuerung ist eingeleitet.
({0})
Herr Minister, ich frage Sie: Welches Land meinen Sie
eigentlich? Deutschland können Sie jedenfalls nicht meinen.
({1})
- Frau Kollegin, durch Ihre Brille vielleicht.
Die umweltpolitische Halbzeitbilanz der Regierung
Schröder bietet wahrlich keinen Grund zum Jubeln.
({2})
In den letzten zwei Jahren, Herr Minister Trittin, haben
Sie keines der von Ihnen angekündigten Reformvorhaben
umgesetzt. Sie haben Gesetzesnovellierungen angekündigt, aber als Ergebnis nur unverbindliche so genannte
Eckpunkte zustande gebracht. Aber was soll es auch? Man
wollte der Öffentlichkeit sowieso nur Aktivitäten und Betriebsamkeit vortäuschen. Die Umweltpolitik der letzten
beiden Jahre ist eine reine Ankündigungsrhetorik. In
Wirklichkeit haben Sie die klassischen Felder der Umweltpolitik völlig vernachlässigt.
({3})
Zu Recht schreibt Thilo Bode, der Chef von Greenpeace,
in der „FAZ“:
({4})
Die Regierung hat kein zukunftsweisendes Umweltkonzept.
Beispielhaft möchte ich hier nur aufführen: Ohne greifbares Konzept ist Deutschland zur 6. Klimakonferenz nach
Den Haag gereist. Das Ergebnis ist verheerend.
({5})
Der Klimaschutz stagniert. Deutschland hat seine internationale Führungsrolle unter Minister Trittin verloren. Das
vorgelegte Klimaschutzprogramm ist ein reines Ankündigungsprogramm. Mit der Umsetzung der IVU-Richtlinie
und der UVP-Änderungsrichtlinie befindet sich der
Minister ebenfalls in Verzug. Der Novellierungsentwurf
zum Bundesnaturschutzgesetz wurde von den anderen
Ressorts noch vor dem Stapellauf gestoppt. Bei der Biomasseverordnung hat die rot-grüne Koalition noch immer
keinen Konsens gefunden. Bei der so genannten rot-grünen Energiepolitik handelt es sich um eine Politik mit der
geringsten ökologischen Effizienz und den höchsten
volkswirtschaftlichen Kosten.
({6})
Hier geht es nicht um Energiepolitik, sondern um die Befriedigung ideologischer Ziele.
Das Fazit: In zwei Jahren grüner Umweltpolitik ist
noch keine einzige der angekündigten Novellierungen in
den Bundestag eingebracht worden. Die Umweltpolitik
ist auf der Strecke geblieben.
({7})
Ihre Politik, Herr Minister, zeichnet sich durch Stillstand und durch Rückschritt aus.
({8})
Meine Damen und Herren, die umweltpolitische Halbzeitbilanz ist ein Fiasko. Mit dem ideologisch motivierten
einseitigen Ausstieg aus der Kernenergie negiert die
Bundesregierung die Tatsache, dass Klimaschutz eine
globale Aufgabe ist. Die neuesten Forschungsergebnisse
der zwischenstaatlichen UNO-Kommission für Klimawandel machen eines deutlich: Beim Klima muss schnell
und global gehandelt werden. Deshalb ist der einseitige
Ausstieg aus der Kernenergie falsch. Die Konsequenzen
für das Klima sind fatal. Durch den Verzicht auf Kernenergie - immerhin ein Drittel des erzeugten Stroms wird die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern erhöht
oder wir beziehen Strom aus Kernkraftwerken anderer
Länder, die bei weitem nicht unseren Sicherheitsstandards
entsprechen. Da die Bundesregierung gleichzeitig die
Mittel für die Forschung im Bereich Reaktorsicherheit
weiter kürzt, verliert sie zunehmend die Fähigkeit, mitzuhelfen, die Sicherheit von Kernkraftwerken in anderen
Ländern entscheidend zu verbessern.
({9})
Da hilft auch der ständige Hinweis auf Wind- und
Sonnenenergie nicht. So notwendig dies ist, die benötigte
Strommenge können diese Bereiche in Zukunft sicher
nicht liefern. Inwieweit Windanlagen im Offshorebereich
sinnvoll betrieben werden können, muss noch erforscht
werden. Hier sind technische und ökologische Fragen
noch nicht schlüssig geklärt. Deshalb stimmen wir in diesem Bereich der Erhöhung der Forschungsmittel ausdrücklich zu.
Die Entsorgungsfrage bleibt nach dem Ausstieg aus der
Kernenergie weiterhin ungelöst.
({10})
In der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und
den Energieversorgungsunternehmen ist der ungestörte
Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung
festgeschrieben. Ich denke, die französische Regierung
besteht zu Recht auf dem vertraglich vereinbarten RückVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
transport von deutschem Atommüll aus französischen
Wiederaufbereitungsanlagen nach Deutschland.
({11})
Herr Trittin, Sie haben 1998 wegen höherer Gewalt die
Verträge mit Frankreich kippen wollen. Jetzt sind Sie auf
die Erfüllung dieser Verträge angewiesen.
Mit etwas über 1 Milliarde DM bleibt der Gesamthaushalt des BMU im Jahr 2001 weiter auf einem erschütternd niedrigen Niveau. Verglichen mit dem letzten
Haushalt der Regierung Helmut Kohl ist das ein Minus
von fast 10 Prozent, während der Gesamthaushalt deutlich
angestiegen ist. Am Gesamthaushalt partizipiert das Bundesumweltministerium im kommenden Jahr noch mit
0,23 Prozent. 1998 waren es noch 0,26 Prozent. Im Regierungsentwurf des BMU-Haushalts lag der Verwaltungsanteil noch bei über 50 Prozent. Unter 50 Prozent
des Gesamthaushaltes sollten für den eigentlichen Programmhaushalt, das heißt für Umweltschutz, eingesetzt
werden.
Jetzt, nachdem wir die katastrophale Haushaltsplanung
über Wochen massiv kritisiert haben, hat die Bundesregierung reagiert. Sie haben die Mittel im Programmhaushalt auf 377 Millionen DM erhöht. Sie kommen jetzt auf
etwas über 50 Prozent. Trotzdem ist das Ergebnis: Die
Bundesregierung gibt immer weniger für den Umweltschutz aus. Das Wenige, das sie ausgibt, benötigt sie überwiegend für die Verwaltung. Dadurch sinken die Investitionen in wichtigen Bereichen des Umwelt- und
Naturschutzes. Aus dem Vertragsnaturschutz steigen sie
weitgehend aus.
Vertragsnaturschutz ist im Gegensatz zu Ihrer Politik
freiwilliger Naturschutz. Beim Vertragsnaturschutz tritt
an die Stelle überflüssiger gesetzlicher Regelungen eine
vertragliche Vereinbarung. Verwaltung und Betroffene
setzen sich an einen Tisch und vereinbaren mit örtlicher
Sachkunde und mit Engagement sinnvolle Naturschutzprojekte. Das ist Umwelt- und Naturschutz vom Bürger
für den Bürger und das ist gleichzeitig ein Beitrag zu einem Weniger an Bürokratie.
Die von der CDU/CSU vorgelegten Anträge, auf diesem Gebiet die Mittel zu erhöhen, sind von Ihnen abgelehnt worden. Dies zeigt, dass Sie nicht auf Vertragsnaturschutz, also auf freiwilligen Naturschutz und damit auf
das Engagement der Bürger setzen, sondern dass Sie allein den Vorschriften und Regelungen vertrauen.
({12})
- Wahrscheinlich mehr als Sie; aber darüber können wir
ja einmal in Ruhe diskutieren. Ihre Zwischenrufe zeigen
zumindest nicht, dass Sie davon viel Ahnung haben.
({13})
Wir werden heute sicherlich noch auf die Vorbereitungen zum Klimagipfel in Den Haag eingehen. Es zeigt
sich, dass dieser Klimagipfel aufgrund der schlechten
Vorbereitungen mit einem Desaster endete. Nun richten
sich die Hoffnungen auf einen „Reparaturgipfel“ in Bonn;
aber ob man in sechs Monaten weiter als heute sein wird,
das ist angesichts der Art der Vorbereitung zumindest
fraglich. Wenn es in Bonn keinen Erfolg gibt, wird Ihnen,
Herr Minister, der Wind noch stärker ins Gesicht blasen.
Die rot-grüne Regierung hat die Umweltpolitik dem
Diktat von Ideologen untergeordnet. Statt Fortschritt gibt
es Rückschritt; statt globaler Zusammenarbeit gibt es nur
nationale Alleingänge. Von umweltpolitischen Innovationen fehlt jede Spur. Sie stellen damit den Sinn des Umweltministeriums zunehmend infrage.
({14})
Ihre Umweltpolitik ist und bleibt erfolglos. Die ökologische Erneuerung wurde nicht eingeleitet. Wir lehnen diesen Haushalt daher ab.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Haushalt 2001, Herr Borchert, ist für die
Umwelt ein guter Haushalt:
({0})
8,3 Milliarden DM geben wir zusätzlich für den Klimaschutz aus. Wir setzen mit diesem Haushalt einen umweltpolitisch deutlichen Akzent. Das ist Handeln und
nicht Reden. Das sind Taten - und was für welche!
({1})
Die 8,3 Milliarden DM verteilen sich wie folgt: für
Energieeinsparungen bei Altbauten zusätzlich 2 Milliarden DM, für umweltschonende Energieformen zusätzlich
300 Millionen DM und für die Bahn zusätzlich 6 Milliarden DM.
({2})
- Wenn Sie etwas fragen möchten, dann können Sie sich
melden und ich werde auf Ihre Kommentare gerne eingehen.
({3})
Für die Wärmedämmung bei Altbauten und die
Umrüstung von Heizungsanlagen und Haustechnik
werden für die Dauer von fünf Jahren zusätzlich 400 Millionen DM im Bauhaushalt bereitgestellt. Für den Umweltschutz ist es ein besonderer Erfolg, dass wir die Förderdauer, die zunächst nur drei Jahre betragen sollte, jetzt
auf fünf Jahre verlängert haben. Dadurch erhält dieses
Förderprogramm eine Perspektive.
Durch entsprechende Verpflichtungsermächtigungen
wurde das Fördervolumen immerhin von 1,2 auf 2 Milliarden DM erhöht. Mit diesem Geld kann ein Kreditvolumen von insgesamt 10 Milliarden DM angestoßen werden. Es entstehen zusätzliche Arbeitsplätze in mittelständischen Betrieben. Zugleich - das ist genauso wichtig tragen wir mit diesem Förderprogramm ganz entscheidend dazu bei, dass unser Klimaschutzziel „25 Prozent
weniger CO2 bis 2005“ erreicht werden kann. Alle Fachleute sind sich mit uns einig, dass das CO2-Einsparpotenzial bei Altbauten besonders hoch ist.
({4})
Doch damit nicht genug: Für die Erforschung und Entwicklung zukunftsweisender Energieformen werden in
den nächsten drei Jahren jährlich 100 Millionen DM bereitstehen, von denen 20 Millionen DM im Umwelthaushalt veranschlagt werden.
({5})
Ein Schwerpunkt wird dabei die Entwicklung der Brennstoffzelle sein. Damit führen wir die von uns eingeleitete
Wende in der Energiepolitik konsequent, nachhaltig und
auch mit großen Beträgen fort.
({6})
Es geht weiter: Auch unser Umsteuern in der Verkehrspolitik zugunsten der Bahn ist ein aktiver Beitrag
zum Klimaschutz. Er unterstreicht die Glaubwürdigkeit
der Bundesregierung in ihrem Bemühen, das CO2-Reduktionsziel zu erreichen. In den nächsten drei Jahren
werden jährlich 2 Milliarden DM zusätzlich für den Ausbau der Schienenwege im Verkehrshaushalt zur Verfügung stehen.
All diese Maßnahmen sind ein Beitrag zum Erreichen
des Klimaschutzziels. Sie ergänzen die bereits von der
Bundesregierung seit 1998 getroffenen Maßnahmen, die
ich hier in Erinnerung rufe: das Erneuerbare-EnergienGesetz, das 200-Millionen-DM-Anreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien, das 100 000-Dächer-Solarstrom-Programm und auch die Ökosteuer. Anstatt mit
billiger Polemik gegen die ökologische Steuerreform zu
wettern, sollten Sie von der CDU/CSU lieber auf das
hören, was Ihnen Ihr früherer Umweltminister und der
heutige Exekutivdirektor des UNO-Umweltprogramms
UNEP, Klaus Töpfer, ins Stammbuch geschrieben hat.
({7})
In einem Interview mit dem „Spiegel“ vom 13. November, also von vor gerade 14 Tagen, hat er Ökosteuer nicht
nur als sinnvoll bezeichnet, sondern außerdem erklärt:
Wir können es uns nicht leisten, ein sinnvolles Instrument wie die Ökosteuer einfach wegzuwerfen.
Recht hat der Mann.
({8})
Allein bis heute haben wir schon mehr CO2 eingespart
als alle anderen EU-Staaten zusammen. Mit dem erst im
vergangenen Monat verabschiedeten Klimaschutzprogramm haben wir einen weiteren wichtigen Schritt unternommen, um das Klimaschutzziel zu erreichen. Wir sind
auf dem richtigen Weg. Wir sind auch auf dem richtigen
Weg, was die Ökosteuer angeht, denn aus ihr wird auch
das Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer
Energien gegenfinanziert. Hierfür sind im Haushalt des
Wirtschaftsministeriums für die Jahre 2001 bis 2004 erneut 200 Millionen DM vorgesehen.
({9})
Beide Programme haben einen Photovoltaikanlagenboom in der Bundesrepublik Deutschland ausgelöst. In
diesem Jahr werden in unserem Land 50 Megawatt Solarzellenleistung installiert. Das ist ungefähr ein Viertel der
Weltproduktion. Unser Ziel ist es, bis zum Jahr 2010 den
Anteil erneuerbarer Energien zu verdoppeln. Insgesamt
haben wir in dieser Legislaturperiode mehr als 1 Milliarde DM bereitgestellt - das sind nun wahrlich keine
Peanuts -, um die beschleunigte Markteinführung von
Energie aus Wind, Sonne, Biomasse und Erdwärme zu
fördern.
({10})
Hinzu kommen 300 Millionen DM für die Forschungsförderung in diesem Bereich.
Alle bisher genannten Fördermittel, bis auf die jährlich
20 Millionen DM für umweltschonende Energieformen,
werden außerhalb des Haushalts des BMU veranschlagt.
Daran wird deutlich, dass der Erfolg der Umweltpolitik
nicht allein an der Höhe des Etats des BMU gemessen
werden kann. Damit wird unterstrichen, welchen Stellenwert die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit der Umweltpolitik einräumt.
({11})
Herr Borchert, wenn Sie sich ausschließlich auf die
Zahlen des BMU-Haushalts, auf den ich gleich im Detail
zu sprechen komme, beziehen, ist das nicht nur konservativ, sondern geradezu rückständig.
({12})
Wir können uns eine Beamtenmentalität nach dem
Motto „Dafür bin ich nicht zuständig“ nicht leisten. Wir
brauchen vernetztes Denken und vernetztes Handeln. Wir
brauchen Minister und Ministerinnen, die nach rechts und
links schauen, die raten und sich beraten lassen. Wir haben mit vielen Instrumentarien einen flexiblen Haushalt
geschaffen, der sich von Starrheit entfernt. Wir müssen
auch in unserem politischen Handeln hin zu Querdenken
und Problemlösungen kommen. Umweltschutz ist und
bleibt eine Querschnittsaufgabe. Wenn wir über den
Umwelthaushalt diskutieren, dann diskutieren wir immer
auch über die umweltpolitischen Zielsetzungen. Deshalb
muss man den Blick für das Ganze statt nur für einen Teilbereich haben.
Insgesamt sind im Bundeshaushalt 2001 fast 10,4 Milliarden DM für Umweltmaßnahmen veranschlagt, von
denen 10 Prozent auf den Haushalt des BMU entfallen.
Daneben gibt es noch die Steuerungs- und Beratungsfunktion dieses Ministeriums. Mit dem Hauptanteil von
90 Prozent leisten, abgestimmt mit dem BMU, fast alle
anderen Ressorts ihren aktiven Beitrag zum Umweltschutz. Ich möchte, dass das so bleibt. Jedes einzelne Ressort muss sich für Umweltschutz engagieren, muss sich
der Bedeutung von Umweltschutz und Klimaschutz bewusst sein. Nur so werden wir die Chance haben,
Deutschland bei diesem wichtigen Thema nach vorne zu
bringen.
({13})
Aber auch im Haushalt des BMU ist eine Steigerung zu
verzeichnen. Im Vergleich zum Regierungsentwurf ist der
Programmhaushalt des BMU in den Haushaltsberatungen um 34,3 Millionen DM, das heißt um 9,2 Prozent, erhöht worden. Davon sind 20 Millionen DM die bereits erwähnten zusätzlichen Mittel für die Erforschung und
Entwicklung umweltschonender Energieformen.
Daneben wurden aber auch andere deutliche umweltpolitische Akzente gesetzt. Die Fördermittel für Naturschutzgroßprojekte wurden um 4 Millionen DM aufgestockt. Das bedeutet gegenüber dem Regierungsentwurf
eine Steigerung um 10 Prozent. Damit kann dieses Förderprogramm, mit dem der Bund wichtige Anstöße für
den Naturschutz in den Ländern gibt, auf einem deutlich
höheren Niveau fortgeführt werden.
Insgesamt gehört der Naturschutz ohnehin zu den
Schwerpunkten in der Umweltpolitik der Bundesregierung. Dies wird auch deutlich durch die 20 neuen Stellen,
die das Bundesamt für Naturschutz in den beiden kommenden Jahren erhält, durch die Erhöhung der Projektfördermittel für die Umweltverbände und Naturschutzverbände um noch einmal 11,7 Prozent in diesem Jahr und
durch die zusätzlichen Mittel von 3 Millionen DM für die
Ansiedlung einer Abteilung des Europäischen Zentrums
für Umwelt und Gesundheit des europäischen Regionalbüros in Bonn mit 20 Mitarbeitern.
Zusammenfassend stelle ich fest, dass der Bundeshaushalt 2001 klare umweltpolitische Akzente setzt. Hierbei steht ein wirksamer Klimaschutz mit einer 25-prozentigen CO2-Reduzierung bis 2005 im Mittelpunkt.
({14})
Der Haushalt ist damit eine hervorragende Grundlage für
eine auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode
erfolgreiche Umweltpolitik.
Sie folgt dabei unserem Grundsatz, dass eine moderne,
zeitgemäße Umweltpolitik nicht dabei stehen bleiben
darf, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren oder nur auf
Naturkatastrophen zu reagieren. Vielmehr muss sie durch
die Entwicklung präventiver Maßnahmen zukünftige Belastungen vermeiden.
Ich möchte mich auch in diesem Jahr bei meinen Mitberichterstattern aus den anderen Fraktionen für die gute,
konstruktive Zusammenarbeit bedanken. In diesen Dank
schließe ich Herrn Minister Trittin und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesondere aus dem Haushaltsreferat ein, die mich mit gewohnt kompetenter und
schneller Zuarbeit in allen Fragen unterstützt haben.
Vielen Dank.
({15})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Birgit
Homburger von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen
Borchert für die Aufzählung all dessen, was die Regierung
zwar angekündigt hat, als sie hier angetreten ist, aber bis
heute nicht getan hat, sehr dankbar. So kann ich mir das
sparen und muss das nicht alles noch einmal aufzählen.
Festzustellen bleibt, Herr Trittin, dass außer dem so genannten Atomausstieg und der so genannten Ökosteuer
nichts, aber auch gar nichts erreicht worden ist.
({0})
Das zeigt sich jetzt auch wieder bei einem aktuellen
Beispiel: Sie sind mit leeren Händen aus Den Haag
zurückgekehrt.
({1})
Während die alte Bundesregierung in Sachen Klimaschutz noch Impulsgeber war,
({2})
ist von Deutschland seit der Übernahme des Umweltressorts durch einen grünen Minister auf internationalem
Parkett überhaupt nicht mehr die Rede.
({3})
Sie können zwar zwischenzeitlich einen Beschluss zum
Klimaschutzprogramm vorweisen; aber umgesetzt ist davon absolut nichts. Sie haben sich vor der Konferenz in
Den Haag auf internationaler Ebene in keiner Weise
gekümmert. Zudem haben Sie die Einführung eines Emissionsrechtehandels sträflich vernachlässigt und für
Deutschland auf diesem Gebiet keinerlei Sachkompetenz
entwickelt.
({4})
Herr Minister, es reicht eben nicht aus, immer nur zu
sagen, was man nicht will. Die Herausforderung auf dieser Konferenz bestand darin, während der Verhandlungen
die Reihen der EU-Umweltminister geschlossen zu halten
und an einem dynamischen Prozess teilzunehmen. Stattdessen haben
die Europäer nur noch auf den Mangel an Beweglichkeit aufseiten der Amerikaner gestarrt. Dadurch
waren sie nicht mehr imstande, eine effektive gemeinschaftliche Strategie zu entwickeln, um die USHaltung zu verändern.
Dies war ein Zitat aus dem „Algemeen Dagblad“, einer
unabhängigen Tageszeitung der Niederlande.
An der Unbeweglichkeit der Europäer waren Sie, Herr
Trittin, maßgeblich beteiligt. Das heißt schlicht, dass Sie
an der Lösung der Aufgabe, die Sie dort hätten wahrnehmen sollen, kläglich gescheitert sind.
({5})
Ich sage Ihnen heute: Sie bleiben klimapolitisch in der
Pflicht. Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel,
mögliche Kompromisslinien zu finden und gemeinsame
Positionen zu vereinbaren. Nutzen Sie doch einmal Ihr bekanntermaßen gutes persönliches Verhältnis zu Ihrer französischen Kollegin! Sehen Sie nicht zu dabei, wie persönliche Irritationen und Meinungsverschiedenheiten
dazu führen,
({6})
dass es bei den Verhandlungen Schwierigkeiten gibt!
Nehmen Sie die Herausforderung an, als Vermittler zwischen Großbritannien und Frankreich zu wirken! Dabei
gilt es, verlorenes Terrain wieder gutzumachen.
({7})
Herr Schröder sagte gestern in seiner Rede zum Haushalt: „Was dieses Land braucht, ist ein Mehr an Internationalität.“ Ich habe das wohl gehört. Ob er dabei auch an
Sie gedacht hat, weiß ich nicht. Ich zweifle aber daran, ob
Sie für die Lösung dieser Aufgabe wirklich der Richtige
sind.
({8})
Wenn man diese Aufgabe annimmt, dann sollte die
Bundesregierung nicht nur daran arbeiten, eine Kompromisslinie zu finden, die von den EU-Staaten gemeinschaftlich getragen wird. Sie muss darüber hinaus sofort
in Sondierungsgespräche mit anderen Ländergruppen,
zum Beispiel mit den Staaten der Umbrella-Gruppe, mit
den GUS-Staaten und den G-77-Staaten usw., eintreten.
Von Deutschland müssen endlich wieder konstruktive
Initiativen ausgehen.
({9})
Die nächste Klimarunde in Bonn ist unsere letzte
Chance in diesem Bereich - es ist eh schon furchtbar spät -,
hier zu endgültigen Ergebnissen zu kommen. Deswegen
muss mit allem Engagement dafür gesorgt werden, dass
der Kioto-Prozess nicht endgültig und ausgerechnet in der
Bundesstadt Bonn scheitert. Geschähe dies, wäre auch
Minister Trittin endgültig gescheitert.
({10})
Ich komme jetzt von der Klimapolitik zum Entwurf des
nationalen Haushaltsgesetzes. Ich muss Ihnen sagen, dass
Sie auch hier in den Detailberatungen überhaupt nicht auf
unsere Vorschläge eingegangen sind. So bleibt Ihr Haushalt schlicht enttäuschend.
({11})
Wie schon in den letzten beiden Jahren sucht man vergeblich nach einem zukunftweisenden Umweltkonzept.
Statt Haushaltsmittel für sinnvolle umweltpolitische Projekte bereitzustellen, plant der Minister die Subventionierung ökologisch unsinniger Maßnahmen. Jetzt will die
Bundesregierung Zuschüsse für die Aufarbeitung von
Altöl zu Basisöl gewähren, um die EU-Altölrichtlinie umzusetzen, deren mangelnde Umsetzung der EuGH in einem Urteil festgestellt hat.
({12})
- Hören Sie zu, Herr Matschie. Die Subventionierung ist
unsinnig, da in Deutschland im Vergleich zu anderen EULändern schon bisher Altöl in erheblichem Umfang zu
Basisöl aufbereitet wird.
({13})
In dem Urteil hat der EuGH die Subventionierung ausdrücklich nicht gefordert. Er sagt, dass es nicht seine Aufgabe sei, festzustellen, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten hätten ergreifen müssen. Vor diesem Hintergrund
wäre eine rechtliche Privilegierung nicht nur nach Auffassung der F.D.P. völlig ausreichend. Das zeigt sich im
Übrigen auch daran, dass Sie diesen Haushaltstitel mit einem Sperrvermerk versehen haben.
({14})
Das heißt nämlich, dass Sie sich intern nicht darüber einig
sind. Ich weiß auch, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen zwischen den verschiedenen Ministerien innerhalb dieser Bundesregierung gibt.
({15})
Der Vorrang der stofflichen Verwertung ist auch
ökologisch nicht zu rechtfertigen. Es gibt vom Umweltbundesamt ein neueres Forschungsprojekt, das eindeutig
feststellt, dass man aus der Ökobilanz keinen eindeutigen
Vorteil eines Verwertungsverfahrens gegenüber einem anderen herauslesen kann.
({16})
Eine zusätzliche Förderung der Aufarbeitung ist also auch
aus ökologischer Sicht unsinnig. Deswegen fordern wir
die Bundesregierung noch einmal auf, auf europäischer
Ebene darauf hinzuwirken,
({17})
dass die Richtlinie dem aktuellen technischen Stand angepasst wird. Aber auch hier ist - wie immer, wenn es um
umweltpolitisches Engagement geht -, absolut nichts geschehen.
Sie, Herr Minister Trittin, haben mir auf meine Frage,
ob Sie das auf europäischer Ebene angehen wollen, erklärt, Sie hätten die UBA-Studie nach Brüssel geschickt.
Wenn Sie sich bei dieser Sache einbilden, das allein würde
ausreichen, um in Brüssel etwas zu bewirken, dann
scheint es mir doch so, dass Sie überhaupt keine Ahnung
davon haben, wie man vorgehen muss, um etwas politisch
durchzusetzen.
({18})
Aus ökologischer Sicht ebenfalls zweifelhaft sind im
Übrigen die Vorgaben zur EU-Altfahrzeugrichtlinie, die
in nationales Recht umgesetzt werden soll. Auch hier haben Sie wieder einmal gepennt. Die vorgesehenen
Quotenvorgaben zum Recycling werden dafür sorgen,
dass die Fahrzeughersteller in Zukunft schwerere Autos
bauen werden, was den Kraftstoffverbrauch erhöhen
wird. Das hat die Bundesregierung gerade erst in einer
Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion zugegeben. Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was Sie hier machen, ist ein ökologischer Schildbürgerstreich.
({19})
Hinzu kommt, dass die drohende Rücknahmepflicht
schon bald für einen entsprechenden Rückstellungsbedarf
in Milliardenhöhe bei der Industrie und damit für entsprechende Steuerausfälle sorgen wird. Das ist rot-grüne
Umweltpolitik im wahrsten Sinne des Wortes. Maßnahmen des grünen Umweltministers lassen Bilanzen rot
werden; aber rot werden vermutlich auch Ihre Ohren, Herr
Trittin, wenn Sie das nächste Mal ins Kanzleramt zum
selbst ernannten Autokanzler Schröder zitiert werden.
({20})
Auch die Atompolitik ist wenig durchdacht. Ich
möchte sie heute ansprechen - wir haben bereits vielfach
darüber diskutiert -, weil sie für die Haushaltsberatungen
eine ganz erhebliche Rolle spielt. Die Endlagerung radioaktiven Mülls war im rot-grünen Koalitionsvertrag
noch als „fehlende Lösung des Atommüllproblems“ bezeichnet worden. Jetzt haben Sie das Problem dadurch
gelöst, dass Sie schlicht erklären, sie stellten die Castoren
auf die grüne Wiese. Das nennt man Umweltpolitik nach
Gutsherrenart.
({21})
Anstatt die Endlagerprojekte Konrad und Gorleben, in
die im Übrigen bereits Milliardenbeträge investiert wurden, zügig voranzutreiben, sollen alternative Endlagerstandorte erkundet werden. Der Ansatz des vergangenen
Jahres hierfür ist zwar erhöht worden. Trotzdem ist die Sache irreführend, weil die Erkundung neuer Standorte
tatsächlich ein Hundertfaches dieser Summe kostet, ohne
dass es neue Erkenntnisse geben wird. Das Ganze geschieht darüber hinaus mit dem Geld anderer Leute, weil
diese Ausgaben von den Kraftwerksbetreibern refinanziert werden. Das ist für mich ideologisch motivierte
Geldverschwendung.
({22})
Ich möchte ein letztes Thema aufgreifen, das wir hier
noch nicht diskutiert haben, was mir aber vor kurzem zu
Ohren gekommen ist. Sie, Herr Umweltminister, verfahren bei der Besetzung von Gremien und Sachverständigenräten die ganze Zeit nach Gutsherrenart. Wie ich erfahren habe, soll die Führung der Geschäftsstelle der
Störfallkommission nicht mehr wie bisher durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln, sondern durch
die Infrastruktur und Umweltschutz GmbH in Bonn wahrgenommen werden. Ich frage mich, was Sie damit bezwecken.
({23})
Die Störfallkommission hat eine wichtige Aufgabe zu
bewältigen. Die Geschäftsstelle muss nicht nur das Plenum, sondern auch noch zehn Arbeitsgruppen inhaltlich
betreuen. Das heißt also, man braucht inhaltlich und
administrativ wirklich hoch kompetente Leute. Bisher
wurde diese Aufgabe zu aller Zufriedenheit sehr zuverlässig erfüllt. Deshalb: Warum diese Neuausschreibung?
({24})
Warum wollen Sie nicht, dass die GRS diese Aufgabe
weiter übernimmt? Mir stellt sich die Frage: Fühlen Sie
sich den Experten der GRS nicht gewachsen? Nur das erklärt für mich, warum Sie diese Aufgabe nun an die GFA
geben wollen, die auf diesem Gebiet bisher keinerlei Erfahrung hat. Die GFA hat bisher lediglich zusammen mit
der GTZ entwicklungspolitische Projekte abgewickelt.
Ich bin gespannt, Herr Minister Trittin, ob Sie in Ihrer
Rede ausnahmsweise dazu öffentlich Stellung nehmen
wollen und damit aufhören, alles in Hinterzimmern zu besprechen und das Parlament im Dunkeln zu lassen.
({25})
Der Umwelthaushalt 2001 - das will ich Ihnen abschließend sagen, Herr Minister Trittin - ist ein deprimierendes Dokument umweltpolitischen Widersinns und
ökologisch sinnloser Geldverschwendung.
({26})
Ich
möchte Ihnen bekannt geben, dass die beiden namentlichen Abstimmungen, die von der CDU/CSU beantragt
worden waren, nicht stattfinden werden. Der Antrag ist
zurückgezogen worden, sodass es heute keine namentlichen Abstimmungen mehr geben wird.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Reinhard
Loske von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
noch nicht lange her, dass viele Medien der Umweltpolitik das Totenglöckchen läuteten.
({0})
Die ökologischen Hauptprobleme hierzulande - so war zu
lesen und zu hören - seien weitgehend gelöst; wir hätten
jetzt andere Sorgen, das Verfolgen ökologischer Ziele
müsse ins zweite oder dritte Glied zurücktreten.
Manche redeten vom Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nur noch als Kostenfaktor. Andere sahen in
dem Reden über die Umweltkrise nur noch Hysterie.
Viele von uns haben gerne die Melodie der Ökooptimisten
vernommen, die da lautet: Alles halb so wild, alles wird
gut. Ich glaube, in diesen Tagen ist es nicht übertrieben,
wenn man sagt, dass diese Lebenslüge in den letzten Monaten einen schnellen Tod gestorben ist.
Das zeigen vier Beispiele besonders deutlich, nämlich
der Klimawandel, der BSE-Skandal, die Krise unserer
Bahn und leider auch nachwie vor die chronische Erkrankung unserer Wälder. Auf ganz unterschiedliche Weise
erinnern uns die Problemfelder daran, dass wir - nach wie
vor - vor sehr schwierigen Aufgaben stehen und sie noch
keineswegs gelöst haben.
Zum Thema Klimaschutz. Wir haben nächste Woche
- wenn ich das richtig verstanden habe - Gelegenheit, im
Rahmen einer Regierungserklärung umfassend darüber
zu reden. Deswegen will ich jetzt nicht auf die Details eingehen. Aber ich will wenigstens so viel sagen, dass auf der
Konferenz in Den Haag die Zwischenergebnisse des Intergovernmental Panel on Climate Change präsentiert
wurden und dass dort gezeigt wurde, dass der Anstieg der
Temperaturen bis zum Jahre 2100 bei möglicherweise bis
6 Grad Celsius liegt. Das sprengt alles, was bis jetzt im
Bereich der natürlichen Klimaschwankungen zu beobachten war. Soll - diese Aussage ist dort noch einmal bestätigt worden - die Erderwärmung in Grenzen gehalten
werden, muss der Ausstoß von Treibhausgasen bis Mitte
des nächsten Jahrhunderts, bis zum Jahr 2050, halbiert
werden. Wir bewegen uns hier mittlerweile auf der Basis
von gesichertem Wissen. Die vielen Wetterextreme der
letzten Jahre und Monate sind deutliche Indizien dafür,
dass wir uns bereits mitten in dem größten Experiment,
das die Menschheit sich je vorgenommen hat, befinden.
Ich glaube, es war auch kein Zufall, dass vor allen Dingen die Rückversicherer in Den Haag zugegen waren und
mahnend ihre Stimme erhoben haben. Sie sagen uns, dass
die großen Risiken - Stürme, Sturmfluten oder Extremniederschläge - kaum noch zu kalkulieren sind und
dass es nicht auszuschließen ist, dass Menschen, die in besonderen Risikolagen leben, etwa in Küstennähe oder im
Gebirge, keine Versicherungen mehr finden werden,
wenn der Klimawandel sich weiter zuspitzt.
Kommen wir jetzt zum politischen Teil. All diese Einsichten - und das war ja schon eine große Errungenschaft
in diesem Hohen Hause - haben bislang dazu geführt,
dass wir gemeinsam den Schluss gezogen haben: Klimaschutz ist eine vorrangige politische Aufgabe. Darin sind
wir uns einig. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben sich dieser Aufgabe angenommen und
ein anspruchsvolles - ob es erfolgreich ist, wird man sehen - Klimaschutzprogramm vorgelegt. Frau Kollegin
Homburger, wenn ich Sie immer reden höre, diese Regierung habe außer Atomausstieg und Ökosteuer nichts gemacht,
({1})
dann muss ich doch glauben, Sie sind zwei Jahre hinter
der Diskussion zurück.
({2})
Wir haben uns - das wurde bereits von der Kollegin
Lehn ausgeführt - die energetische Sanierung des Altenbaubestandes vorgenommen
({3})
und dafür in den nächsten fünf Jahren 2 Milliarden DM
zusätzlich zur Verfügung gestellt. Wir haben bei der
Kraft-Wärme-Kopplung den Bestand gesichert und uns
den Ausbau fest vorgenommen.
({4})
- Wir haben das Gesetz in Kraft gesetzt. Sie wissen es
vielleicht nicht: Kurzfristig gilt die Bonusregelung; perspektivisch wollen wir ein Zertifikat-Modell, das heißt,
eine Verdoppelung der Kraft-Wärme-Kopplung bis zum
Jahr 2010.
({5})
Wir fördern umfassend die erneuerbaren Energien. Wir
werden ab 2003 eine Schwerverkehrsabgabe einführen,
und - darauf komme ich noch - wir haben die Investitionsmittel für die Bahn um 50 Prozent erhöht. Meine Damen und Herren, das alles sind Dinge, die es früher nicht
gegeben hat. Sie sind das Ergebnis dieser Regierung.
({6})
Dazu gehört natürlich auch die ökologische Steuerreform. Ich bin einigermaßen froh, dass das heute nicht
wieder auf diese ganz primitive Art gelaufen ist. Wir können ab sofort die Diskussion so führen: Wir können uns
darüber streiten, wie man es macht, aber wir können uns
nicht mehr darüber streiten, ob man es macht.
({7})
Bei Ihrer nächsten Kampagne gegen die Ökosteuer werden wir Sie genau daran messen, ob Sie den Klimaschutz
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
ernst nehmen oder ob Sie auf die Ökosteuer zielen und in
Wahrheit den Klimaschutz meinen.
({8})
- Sie, Herr Paziorek, waren ja da, im Gegensatz zu Frau
Homburger. Es kann zwar immer mal sein, dass man verhindert ist; das gilt es nicht zu kritisieren. Aber wenn man
die Klappe so weit aufreißt, obwohl man gar nicht da war,
ist das schon bemerkenswert.
Wirklich bemerkenswert war dort, dass die Industrie in
Sachen Klimaschutz an unserer Seite gestritten hat. Das
war ganz eindeutig zu spüren und ist ein wichtiges Signal.
Wir hatten Präsentationen zusammen mit der Industrie - eine organisiert vom Umweltministerium -, zusammen mit Unternehmen aus den Bereichen erneuerbare
Energien. Es ging um die Brennstoffzelle, um Mikrokraftwerke, um Contracting, also darum, wie mit
Energieeinsparung Geld zu verdienen ist. Die Veranstaltung war ein Supererfolg, die Hütte war rammelvoll, die
Leute standen draußen vor der Tür.
({9})
Die Wahrheit ist, dass sogar der BDI an unserer Seite gestanden hat. Die letzten Mohikaner, Frau Homburger, sind
Sie; Sie haben es nur noch nicht gemerkt. Das ist das Problem.
({10})
Über die Klimakonferenz werden wir nächste Woche
ausführlich sprechen. Wir müssen da ganz eindeutig eine
Doppelstrategie ins Auge fassen. Es gibt Staaten, bei denen überwiegt die Sorge; die glauben, sie könnten sich die
Reduktion nicht leisten, und versuchen, durch abwegige
Schlupflöcher sich gesund zu rechnen und aus ihren Verpflichtungen herauszukommen. Das konnten wir so nicht
akzeptieren. Ich persönlich glaube dennoch, dass es möglich sein wird, in den nächsten Monaten eine Lösung herbeizuführen und in Bonn zu einem Ergebnis zu kommen.
Umso dringlicher ist, wie gesagt, eine Doppelstrategie:
Auf der einen Seite müssen wir das Kioto-Protokoll am
Leben halten und ausbauen; und auf der anderen Seite, da,
wo man auf Innovationen setzt, brauchen wir einen „fast
track“. Wir können es vielleicht so sagen: Das Kioto-Protokoll ist nicht die Voraussetzung für nationales Handeln.
Das hat diese Regierung kapiert. Deswegen gehen wir auf
den Innovationstrack.
({11})
Wir schreiten voran, weil wir glauben, dass derjenige, der
etwas tut, auch auf den Weltmärkten der Zukunft Vorteile
hat. Da wollen wird dabei sein.
({12})
Zum Thema BSE. Auch die BSE-Krise ist, jedenfalls
in ihrem tieferen Zusammenhang, eine ökologische Krise.
Sie steht gewissermaßen als Synonym für eine völlige
Entfremdung des Menschen von seinen Nahrungsmitteln.
Es ist auch richtig: Da, wo Massentierhaltung und Industrialisierung der Landnutzung zu Prinzipien erhoben werden, bleiben Natur und Verbraucherschutz automatisch
auf der Strecke und da, wo nur nach den niedrigsten Preisen geschielt wird, bleibt die Qualität auf der Strecke. Das
ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Deshalb
ist es wichtig, dass wir neben den Akutmaßnahmen
- Schnelltests, Tiermehlverbot, Kennzeichnungspflicht -,
über die wir uns hoffentlich weitgehend einig sind, endlich beginnen, über die Zukunft unserer Landwirtschaft
nachzudenken und sie selbst auf den Prüfstand zu stellen.
({13})
Das ist jetzt die Stunde des ökologischen Landbaus,
das ist - ganz wichtig für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft - die Stunde der Regionalvermarktung. Eine
große Aufgabe für unsere Europapolitiker und absolut
notwendig ist es, dafür zu sorgen, dass die Vergabe der
Agrarsubventionen an ökologische Qualitätskriterien geknüpft wird.
Wir müssen - das steht jetzt auch auf der politischen Tagesordnung - im Zuge der Beratung über die Novelle des
Bundesnaturschutzgesetzes, die hoffentlich bald stattfinden wird, den „Naturschutz durch nachhaltige Nutzung der
Kulturlandschaft“ zum Prinzip erheben. Wir brauchen eine
qualitative Definition dessen, was ordnungsgemäße Landwirtschaft ist. Das ist aus unserer Sicht unverzichtbar.
({14})
Es muss auch endlich Schluss sein mit der „Alarmismuskritik“. In den letzten Jahren war es so, dass fast jeder, der auf irgendeine Umweltgefahr hingewiesen hat,
sofort als Panikmacher hingestellt wurde. Es ist sicherlich
richtig, dass in den 70er- und 80er-Jahren manches
Umweltproblem hysterisch überzeichnet wurde. Aber ein
ebenso schlechter Ratgeber - wenn nicht noch ein viel
schlechterer - wie Hysterie ist Herunterspielen und Abwiegeln; denn das kostet Vertrauen und sät in der Bevölkerung nur Misstrauen. Deshalb hilft jetzt nur eins: absolute Transparenz!
({15})
Zur Krise der Bahn - auch das ist ein großes Thema -:
Die Bahn hat, wie wir alle wissen, Riesenprobleme. Aber
darin liegt auch eine Chance; denn Politik und Gesellschaft müssen sich über die Frage klar werden: Welche
Rolle soll die Bahn beim Transport von Mensch und Gütern in Zukunft spielen? Die Umweltschützer und die Umweltpolitiker waren immer Verbündete der Bahn. Das ist
wichtig und - das hat die Regierung erkannt - soll auch so
bleiben. Deswegen sind die Investitionsmittel - hören Sie
genau hin! - von 6 Milliarden DM im Jahr 1998, als wir
an die Regierung kamen, auf 9 Milliarden DM in den
Haushaltsjahren 2001 bis 2003 erhöht worden. Das ist ein
Plus von 50 Prozent. Davon könnten Sie sich wirklich
einmal eine Scheibe abschneiden.
({16})
Wir erwarten aber im Gegenzug von der Bahn, dass sie
auf mehr Geld nicht nur mit Streckenstilllegungen und
Personalabbau antwortet. Eine Schrumpfbahn, die sich
aus der Fläche zurückzieht, hat keine Perspektive. Wir
brauchen eine Bahn, die sich aktiv um die Erschließung
neuer Märkte bemüht, und zwar im Personenverkehr und
im Güterverkehr. Deswegen lautet der Deal, den wir Umweltpolitiker den Bahnern anbieten: Bemüht euch um
neue Märkte! Dann werdet ihr unsere Unterstützung bekommen; denn die Bahn ist gut für die Umwelt.
({17})
Zum Thema Waldsterben kann ich wegen Zeitmangels nicht mehr viel sagen. Nur so viel: Es ist erstaunlich,
dass viele von uns das Thema Waldsterben längst abgehakt haben. Die Realität ist leider so, dass das, was sich
über Jahre und Jahrzehnte im Boden an Schadstoffen kumuliert hat, sozusagen schleichend über uns kommt. So
schön es ist, jetzt über Wasserstoffautos zu reden, die vielleicht 2010 oder 2015 über die Straßen fahren werden, so
wichtig ist es auch, den Emissionsausstoß jetzt zu senken.
Ich komme zum Schluss. Der ökologische Strukturwandel ist eine der wichtigsten Aufgaben, der sich die Politik zu stellen hat. Sollte diese Aufgabe kurzzeitig auf der
politischen Agenda nach hinten gerückt sein, so ist dies
nun definitiv vorbei. Ich glaube, Umweltpolitik ist wieder
da, und zwar allein aufgrund der Macht der Verhältnisse.
Sie ist eine Querschnittsaufgabe. Deshalb lässt sich Umweltpolitik zunehmend auch im Haushalt anderer Ministerien wiederfinden, zum Beispiel in dem Etat des Ministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen oder des
Wirtschaftsministeriums.
Der Haushalt 2001 des Umweltministeriums ist ein
guter Haushalt. Deshalb bitte ich Sie, ihn zu unterstützen.
({18})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Birgit
Homburger von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Kollege Loske, Sie
haben Bezug darauf genommen, dass ich an der Klimakonferenz in Den Haag nicht teilgenommen habe. Das ist
richtig. Ich sehe, dass Herr Minister Trittin klüger geworden ist: Während er mir nach der letzten Debatte noch einen Brief geschrieben hat, in dem er sich wütend darüber
beschwert hat, dass ich ihn angegriffen habe, und mir mitteilte, dass er kein Verständnis dafür habe, dass ich nicht
nach Den Haag fahre, hat er es heute also Ihnen überlassen, das in die Debatte einzuführen.
Dazu möchte ich Stellung nehmen: Die F.D.P. steht
ganz klar zur Klimaschutzpolitik. Wir wollen den Emissionsausstoß mindern. Wir wollen den Erfolg des KiotoProzesses. Daran arbeiten wir mit.
({0})
Die F.D.P. hat seit Monaten Vorschläge zum internationalen Klimaschutz gemacht. Wir haben mehrfach
nachgefragt, was der Bundesumweltminister mit Blick
auf Den Haag zu unternehmen gedenkt. Wir haben Vorschläge gemacht, wie der Zertifikathandel funktionieren
kann.
({1})
Alle diese Vorschläge wurden entweder ignoriert oder abgelehnt. Stattdessen hat man uns erklärt, es gebe eine Arbeitsgruppe zum Zertifikathandel im Umweltministerium
und bei der Börse. Auf Nachfrage, wer da mitarbeite, hat
man keine Antwort erhalten. Im Gegenteil, es hat sogar
geheißen, die betreffenden Ministeriumsvertreter hätten
eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben.
({2})
Man bekommt also überhaupt nichts mit: Klimaschutz in
Geheimzirkeln! Sie haben der F.D.P. seit Monaten die Tür
vor der Nase zugeschlagen und uns von der Mitarbeit ausgeschlossen.
({3})
Ich kann schon verstehen, dass es der Minister gern gesehen hätte, wenn ich nach Den Haag mitgekommen
wäre. Er hätte ohne Zweifel jegliche fachliche Unterstützung gut gebrauchen können.
({4})
Ich bin absolut sicher, dass Sie größtes Verständnis
dafür haben, dass ich mich angesichts der nicht bestehenden Mitwirkungsmöglichkeiten schweren Herzens entschlossen habe, nicht mitzufahren. Ich bin im Übrigen der
festen Überzeugung, dass es nicht mein Job ist, zur psychologischen Verstärkung hinter einem Minister herzulaufen. Es wäre zwar schön für ihn gewesen, aber er muss
die Misserfolge von Den Haag selber vertreten.
({5})
Eine einzige letzte Bemerkung noch: In dem bereits angesprochenen Brief hat sich der Herr Minister bei mir beschwert, ich hätte ihm bei der letzten Rede „Lustlosigkeit“
vorgeworfen.
({6})
Insoweit kann man allerdings nur über einen einzigen
Punkt streiten: Ob es nach niedersächsischer Wortwahl
„Lustlosigkeit“ oder nach baden-württembergischer Wortwahl „Luschtlosigkeit“ war. Ich bin dafür, dass es
„Luschtlosigkeit“ war.
({7})
Zur Erwiderung Herr Loske.
Zwei Punkte. Erstens. Herr Trittin hat mir nichts überlassen.
({0})
Zweitens. Ich habe bis jetzt nicht verstanden, woran die
Klimakonferenz von Den Haag gescheitert ist. Aber jetzt
weiß ich es.
({1})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dabei sein ist nicht immer alles. Erfolge zählen. Ich denke, wir in diesem Hause sind
uns einig, dass Den Haag ein Desaster war. Wie mit natürlicher Umwelt umgegangen wird, wurde uns in letzter
Zeit klar vor Augen geführt.
Zum einen markiert das Desaster in Den Haag die Unfähigkeit und den Unwillen der führenden Industrieländer, dem Klimakollaps entgegenzutreten. Zum anderen
zeigen uns die nunmehr auch „deutschen“ BSE-Rinder,
welch unbeherrschbare Risiken der industrielle Umgang
mit Leben - die Abstinenz natürlicher Kreisläufe bei der
Nahrungsmittelherstellung - für Mensch und Natur birgt.
Beide Ereignisse verbindet eines: Die Politik stellt sich
nicht wirklich den Problemen. Sie schiebt vielmehr das
Umsteuern auf Zeiten hinaus, in denen es höchstwahrscheinlich für Lösungen zu spät sein wird.
Beim BSE ist - so könnte man es poetisch formulieren - die heile Welt der glücklichen und gesunden deutschen Almkühe in den Niederungen friesischer Mastanlagen versunken:
({0})
von einem auf den anderen Tag Alarmstufe rot! Plötzlich
ist alles möglich. Tiermehl ist „out“, Schnelltests sind
„in“, wenn auch so dosiert, dass es nicht zu teuer kommt.
Das Massenschlachten beginnt.
Wahrscheinlich bricht der Rindfleischmarkt trotz
plötzlichen Aktionismus nachhaltig zusammen. Das wird
dann weitaus kostspieliger sein als die verpassten und verdrängten Vorsorgemaßnahmen. Dies ist eine Katastrophe
für viele Bauern, aber es ist keine Katastrophe für die
Menschheit.
Anders beim Klima. Während der BSE-Schock wenigstens eventuell einen Impuls in Richtung ökologischer
Tierhaltung und Futtermittelproduktion auslösen könnte,
wäre es beim Eintreten des Klimakollapses für ein Umsteuern zu spät. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle
hier wissen, was Klimakollaps wirklich bedeutet. Reißt
erst einmal der Golfstrom ab und hat das Abschmelzen der
Gletscher und Pole einen bestimmten Punkt überschritten,
sind die dramatischen Veränderungen bei Niederschlag,
Wind und Temperatur nicht einfach umkehrbar. Der BSEGefahr kann man ausweichen: Schweineschnitzel statt
Rinderrouladen. Wenn das Klima erst einmal kollabiert
ist, gibt es kein Entrinnen. Dieser Gefahr ausweichen können wohl nur diejenigen, die Geld oder Macht haben. Das
sind größtenteils die Gleichen, die heute umfassenden
Klimaschutz verhindern. Die Betreffenden sitzen nicht
nur in Washington, Toronto oder Tokio, sondern dazu
gehören auch die Allianz der Mineralöl- und Automobilindustrie und die Kuponschneider vieler anderer Wirtschaftsbereiche, dazu gehören die Lobbyisten in Parlamenten und Verwaltungen, auch hierzulande.
({1})
- Ich spreche gerade von Lobbyisten; die sind Ihnen sicher bekannt. Hierzu gehören auch diejenigen, die in Deutschland
dafür sorgen, dass die Bahn zerschlagen wird. Das Medienbild vom germanischen Klimaritter und -retter, das
unser Umweltminister abgibt, ist ein Zerrbild. Während
Jürgen Trittin in Den Haag den harten Mann spielt - was
ich in diesem Fall unterstütze -, zertrümmert der Bund als
Eigentümer der Bahn einen wesentlichen Pfeiler CO2sparender Mobilität.
({2})
Allein im Geschäftsbereich Fernverkehr soll die Zahl der
Lokführer bis zum Jahre 2003 um 45 Prozent zurückgehen, trotz Ihrer Zuschüsse. Der Grund für diesen Abbau
sind natürlich eingesparte Züge, denn Roboter bewegen ja
noch keine Triebwagen.
({3})
Die Beschäftigtenzahl der Deutschen Bahn AG soll gar
bis zum Jahr 2015 von derzeit 240 000 auf 120 000 halbiert werden.
({4})
- Jetzt auf einmal?
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird eben häufiger mit dem Auto gefahren, wenn keine Möglichkeiten
bestehen, mit der Bahn zu fahren.
({6})
- Sie können das ja nachher dementieren und sagen, was
Sie wirklich für den Ausbau der Bahn in der Fläche tun.
({7})
In diesem Punkt geht es um Ökologie und auch um
Arbeitsplätze.
({8})
Wenn zu viel Auto gefahren wird - die Menschen müssen ja zur Arbeit kommen -, dann kann die Bundesregierung noch so viele Klimaschutzprogramme auflegen - es
wird nichts nützen. Wer seine Förderung de facto auf den
Ausbau von Autobahnen und Flughäfen statt auf den
Schienenverkehr orientiert, ist im Klimaschutz nicht ernst
zu nehmen.
({9})
Schließlich sagen die Prognosen des Wuppertal-Instituts - das kennen Sie -, dass der CO2-Ausstoß des LKWVerkehrs bis 2020 von 33 Millionen auf 66 Millionen Tonnen steigen wird. Die CO2-relevanten Belastungen aus
dem deutschen Flugverkehr werden gar von 38 Millionen
Tonnen auf 120 Millionen Tonnen zunehmen und sich damit vervierfachen. Dagegen bleiben im gleichen Zeitraum
die Emissionen der Bahn bei lediglich konstant 10 Millionen Tonnen. Dieser Wert berücksichtigt dabei noch nicht
einmal den geplanten Kahlschlag. Gerade der Anteil des
Verkehrsmittels, das die Atmosphäre vergleichsweise minimal belastet, soll also nicht nur stagnieren, sondern nun
sogar noch schrumpfen. Ich halte das für Irrsinn.
({10})
Mir fällt es angesichts des Haushaltsentwurfs schwer,
ein Umschwenken in Richtung Ökologisierung der
Landwirtschaft - damit wären wir wieder bei BSE - oder
gar ein Durchstarten im Naturschutz zu erkennen. Der
Titel „Zuschüsse für Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes“ wird, nachdem
er im letzten Jahr schon um 14 Prozent reduziert wurde,
wiederum um 15 Prozent abgesenkt. Mit diesem Titel
wurden aber insbesondere Forschungsprojekte innerhalb
des spannungsgeladenen Verhältnisses zwischen Naturschutz und Landwirtschaft finanziert. Hier gab es hochinteressante Vorhaben mit dem vorbildlichen Ziel, zum einen Arbeit und Einkommen im ländlichen Raum zu
entwickeln und zum anderen Naturschutzgebiete und
Kulturlandschaft zu schützen.
Die so ökologisierte Landwirtschaft schuf auch Leitbilder für regionale Kreisläufe im ländlichen Raum. Dort
ist nun Kahlschlag angesagt. Aber so richtig verwundern
kann dies nicht; denn wenn vom zuständigen EU-Kommissar der Ruf nach genverändertem Sojaschrot als Ersatz
für Tiermehl als Futtermittel laut wird,
({11})
dann wird klar, wo Schwerpunkte gesetzt werden. Ein Risiko wird gegen das nächste so lange ausgetauscht, bis es
wieder in die Hose geht. Hier hat man die Wahl zwischen
Pest und Cholera. Beides lehnen wir ab.
({12})
Dabei ist noch nicht einmal klar, ob die BSE-Erreger
gar in die Böden eingedrungen sind, wie der Wissenschaftliche Bodenschutzbeirat zu bedenken gibt. Wir haben also eventuell noch Probleme vor uns, die wir im Moment überhaupt nicht überblicken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Klimakollaps und
BSE, aber auch der drohende Zusammenbruch von Morsleben sollten uns Anlass geben, generell die ökologische
Nachhaltigkeit der bundesdeutschen Politik zu hinterfragen. Einiges wurde von dieser Bundesregierung auf den
Weg gebracht, aber der grundlegende Wandel blieb nur
ein Versprechen. Im Gegenteil: Im Vergleich zum letzten
Haushalt der Kohl-Regierung wurden - über alle Einzelpläne verteilt - Umweltschutzausgaben von mehr als einer halben Milliarde DM gestrichen.
({13})
Der Atomausstieg blieb nur ein Versprechen, die Verkehrspolitik ein Chaos.
In diesem Sinne ist der Regierungsentwurf auch aus
umweltpolitischer Sicht von uns abzulehnen. Der ausbleibende Wandel manifestiert sich in diesem Zahlenwerk.
({14})
Dies können wir nicht unterstützen.
({15})
Zum Schluss noch Folgendes: Sie haben sehr protestiert, als ich die Punkte diskutiert habe, die sich auf die
Bahn beziehen. Sie können das alles anders machen; wir
erwarten da etwas. Wir erwarten natürlich - Kollege
Loske hat das angesprochen - ein vernünftiges, weiter gehendes KWK-Gesetz. Ich erwarte, dass Herr Minister
Trittin auch dazu etwas sagt.
Danke.
({16})
Als
nächster Redner hat der Kollege Christoph Matschie von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, man kann ganz
klar sagen, dass sich dieser Haushalt an den Erfordernissen einer zukunftsorientierten Umweltpolitik ausrichtet.
({0})
Herr Borchert, ich kann nicht verstehen, dass Sie immer wieder Programmhaushalt und Verwaltungshaushalt
gegeneinander ausspielen. Ich bin zwar einerseits froh,
dass es gelungen ist, den Programmhaushalt im Stammhaushalt des BMU noch einmal um über 34 Millionen DM
aufzustocken - ich bin dafür der zuständigen Haushälterin Frau Lehn sehr dankbar -,
({1})
aber es macht doch überhaupt keinen Sinn, Verwaltungshaushalt und Programmhaushalt gegeneinander auszuspielen. Das Umweltministerium - das haben Sie doch
selber an dieser Stelle immer wieder betont, als Sie noch
in der Regierung waren - ist doch in erster Linie nicht
etwa ein Programmministerium, sondern ein Gesetzgebungsministerium.
({2})
Auf der anderen Seite wissen Sie genauso gut wie ich,
dass wesentlich mehr Mittel für den Umweltschutz im
Bundeshaushalt zur Verfügung stehen, als in diesem Einzelplan verankert sind.
({3})
Herr Grill, wir haben in diesem Haushalt insgesamt über
10 Milliarden DM, wenn man alle Ressorts zusammennimmt, die für Umweltschutzaufgaben und für die notwendigen Investitionen in diesem Bereich zur Verfügung
stehen.
Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn Sie sich ab und zu
einmal daran erinnerten, dass wir mit diesem Haushalt
wie mit dem vorangegangenen Haushalt auch Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik durchsetzen und die Altlasten,
die Schulden, abarbeiten, die Sie uns hinterlassen haben
und die nicht wir aufgehäuft haben.
({4})
Wir gehen Investitionen im Umweltschutzbereich in
vielfältiger Form an. Wir verstärken den Verwaltungsbereich. Frau Lehn hat auch dazu etwas gesagt. Ich glaube,
dass es sinnvoll ist, 20 neue Stellen im Bundesamt für Naturschutz zu schaffen, weil die Aufgaben in diesem Bereich wachsen. Deshalb ist es notwendig, auch in diesem
Bereich deutlich aufzustocken.
Man darf nicht gering schätzen, dass auch über Maßnahmen entschieden worden ist, die zu Mindereinnahmen
im Haushalt führen, aber dem Naturschutz zugute kommen. Ich erinnere daran, dass es uns gelungen ist, einen
wichtigen Beitrag zum Schutz des Naturerbes in den
neuen Bundesländern zu leisten, indem wir 50 000 Hektar an Naturschutzflächen kostenlos für die Bundesländer bzw. Naturschutzverbände zur Verfügung gestellt haben und weitere 50 000 Hektar zu verbesserten Konditionen anbieten.
({5})
Ich denke, dass die Überlegungen zu einer Novelle des
Bundesnaturschutzgesetzes gute Voraussetzungen bieten,
auch diesen Bereich zukunftsorientiert weiterzuentwickeln. Das Naturschutzrecht wird stärker an der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes, an den ökologischen
Zusammenhängen und an dem Schutz der biologischen
Vielfalt ausgerichtet. Wir schreiben zum Beispiel die Verpflichtung fest, Biotopverbundsysteme zu schaffen und
mindestens 10 Prozent der Landesfläche als Naturschutzvorrangflächen auszuweisen. Ich glaube, dass es notwendig ist, in diesem Bereich weiter voranzukommen.
Die Konferenz von Den Haag ist von mehreren Seiten angesprochen worden. Ich glaube auch, dass sie ein
Rückschlag für die internationale Umweltpolitik war.
Aber das lag weder an der Bundesregierung, wie Herr
Borchert uns glauben machen will, noch lag es an der Verhandlungsführung von Herrn Trittin, wie Sie, Frau
Homburger, behaupten. Sie tragen damit zur Weiterentwicklung der F.D.P. als Ferndiagnosepartei bei. Wenn
man an einer Konferenz nicht teilnimmt, dann kann man
hier nicht solche Behauptungen aufstellen.
({6})
Die Konferenz hat uns etwas anderes gezeigt, nämlich
dass wir keinen Schritt weiterkommen, wenn Einzelinteressen und Klientelinteressen über gemeinsame Lösungen
in der Umweltpolitik gestellt werden.
({7})
Die Konferenz hat uns weiterhin gezeigt, wie schwierig es
in der Klimaschutzfrage ist, die Kernbereiche der Industriegesellschaft berührt, zu gemeinsamen Auffassungen
zu kommen.
({8})
Es war die erste Konferenz, bei der es um harte Entscheidungen ging,
({9})
weil sich auf dieser Konferenz herausstellen musste, welche Maßnahmen umzusetzen sind und welche nicht.
({10})
Im Gegensatz zu manchen anderen Regierungen, die
auf dieser Klimaschutzkonferenz im Bremserhäuschen
gesessen haben, hat die Bundesregierung ein mutiges Klimaschutzprogramm verabschiedet, mit dem der Kohlendioxidausstoß in der Bundesrepublik Deutschland bis
2005 noch einmal um 70 Millionen Tonnen verringert
werden kann. Diese Senkung ist auch notwendig, wenn
wir die Verpflichtungen erfüllen wollen, die Deutschland
damals unter Ihrer Regierung eingegangen ist. Wir haben
die Verpflichtung zur Reduktion um 25 Prozent im Vergleich zu 1990 für richtig gehalten und stehen dazu.
Aber genauso wahr ist es, dass uns die Experten bei der
Regierungsübernahme 1998 gesagt haben, dass wir mit
der Fortsetzung Ihrer Politik die Klimaschutzziele weit
verfehlen werden.
({11})
Es war deshalb notwendig, dass die Bundesregierung ein
neues Programm zum Klimaschutz beschlossen hat.
Wir werden dazu beitragen, dass Ressourcen effizienter genutzt werden, dass die Energieeinsparung stärker
gefördert wird und dass die Nutzung erneuerbarer Energien weiter ausgebaut wird. Wir wollen, dass der Anteil
erneuerbarer Energien bis 2010 verdoppelt wird. Wir werden dafür die Rahmenbedingungen weiter verbessern. Ein
wesentlicher Schritt ist mit dem Erneuerbare-EnergienGesetz schon getan worden.
({12})
Auch der Ausstieg aus der Atomenergie, der ja von Ihnen immer wieder kritisiert wird
({13})
- nein -, ist ein Beitrag dazu, den notwendigen Umbau der
Energiestrukturen voranzutreiben und Freiräume für
mehr dezentrale Versorgung und Energieeinsparung zu
schaffen.
({14})
Herr Borchert, Sie haben gesagt, jetzt würden wir den
Atomstrom aus anderen Ländern importieren. Wenn Sie
sich einmal die Import- und Exportzahlen der deutschen
Stromwirtschaft anschauen, dann werden Sie feststellen,
dass sich der Import und der Export von Strom fast die
Waage halten.
({15})
Es kann also gar nicht die Rede davon sein, dass Strom aus
Deutschland durch Atomstrom aus dem Ausland ersetzt
wird.
({16})
- Das ist keine seltsame Argumentation. Man kann nicht
von dem Ersetzen von Energie reden, wenn man sich die
Energieflüsse in beide Richtungen anschaut.
Wir werden auch die Kraft-Wärme-Kopplung und
deren Ausbau weiter voranbringen. Auch hier ist ein erster wichtiger Schritt getan worden. Wir werden in den
nächsten Monaten weitere rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass die Kraft-WärmeKopplung in Deutschland ausgebaut wird.
Ich bin froh, dass es gelungen ist, das bereits bestehende Förderprogramm zur Markteinführung erneuerbarer Energien nochmals finanziell aufzustocken. Allein
im nächsten Haushaltsjahr stehen uns dafür 300 Millionen DM zur Verfügung. Ich denke, dass es auch sinnvoll
ist, einen Teil der Zinsersparnisse aus den UMTS-Lizenzerlösen gezielt für die Forschung im Bereich umweltfreundlicher Technologien zur Energieerzeugung einzusetzen.
Auch die von Ihnen jahrelang verschleppte Energieeinsparverordnung liegt jetzt endlich auf dem Tisch.
({17})
Das zeigt, dass diese Bundesregierung handelt. Gestern
ist die Fassung vorgelegt worden.
({18})
- Sie können sie erhalten, sie sich anschauen und dann
können wir gemeinsam darüber diskutieren. ({19})
Hier werden Wärmestandards definiert, die dazu führen,
den Heizenergiebedarf von Neubauten um 30 Prozent gegenüber den bisherigen Anforderungen zu senken.
Um auf den Vorwurf bezüglich der Bahn einzugehen,
Frau Bulling-Schröter. Es ist dieser Regierung gelungen,
mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm in den nächsten
drei Jahren zusätzlich 6 Milliarden DM zu mobilisieren,
die dem Ausbau der Schieneninfrastruktur zugute kommen. Ich glaube, so gut, wie es die Bahn unter dieser Bundesregierung hat, hat sie es lange nicht gehabt.
({20})
Zum Schluss ein kurzer Blick auf Ihr Lieblingsthema,
die Ökosteuer und Ihren Antrag, den Sie zur Abschaffung
der Ökosteuer vorgelegt haben. Übrigens: Ihre Argumente
gegen die Ökosteuer richten sich am Ende ja gegen Ihr eigenes Programm; denn in der CDU ist die Ökosteuer programmatisch eigentlich nie umstritten gewesen. Hören
Sie einmal auf Ihren früheren Umweltminister Töpfer, der
erst vor kurzem gesagt hat: Wer die Ökosteuer als K.-o.Steuer bezeichnet, hat nichts begriffen. Davon können Sie
etwas lernen.
({21})
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich
kann Ihnen nur sagen: Kommen Sie aus Ihrer Schmollecke heraus. Machen Sie konstruktive Umweltpolitik.
Das nützt der Umwelt und dem Klima im Parlament.
({22})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Peter Paziorek von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Matschie hat gerade
sinngemäß ausgeführt, dass der Haushalt der rot-grünen
Regierungskoalition für das nächste Jahr unter die Überschrift „Zukunftsfähigkeit gewinnen“ gestellt worden ist.
Bei der Bewertung dieses Haushaltsplanes, glaube ich,
muss man aber große Zweifel daran haben, ob Sie dieser
Überschrift, die Sie sich gerade selbst gegeben haben,
überhaupt gerecht werden. Bei einer Prüfung der einzelnen Haushaltsstellen drängt sich vielmehr der Eindruck
auf, dass Sie die erfolglose Umweltpolitik der letzten zwei
Jahre auch im nächsten Jahr fortsetzen wollen.
({0})
Sie, lieber Kollege Reinhard Loske,haben gerade ausgeführt, all die Hinweise auf das so genannte Totenglöcklein für die Umweltpolitik seien jetzt nicht mehr angebracht. Ich will auf die Ausgabe des „Tagesspiegels“ vom
gestrigen Tage verweisen. In einem Kommentar mit der
Überschrift „Zurück ins Kerngeschäft“ heißt es: „Die
Grünen verwechseln Realpolitik mit Ökologie-Verzicht...“. Hervorragend ist diese Überschrift. Es heißt in
diesem Artikel weiter - ich darf zitieren, Herr Präsident -:
Aber es nutzt nichts, neues Terrain zu erschließen,
wenn das angestammte preisgegeben wird. Es lag
nicht am Profil des linken, angeblich allenfalls am
Atomausstieg interessierten, ansonsten der Ökologie
abholden Umweltministers Trittin, dass die Grünen
so blass aussehen. Weite Kreise ihrer herrschenden
Schicht von Polit-Profis haben Realpolitisierung wie
De-Ökologisierung verwechselt.
Recht hat der Kommentator des „Tagesspiegels“.
({1})
Ich will auch auf die Klimaschutzkonferenz in Den
Haag eingehen; das Thema wurde ja von vielen Vorrednern bereits angesprochen. Ich glaube, dass in einer Haushaltsdebatte auch zur Klimakonferenz in Den Haag Stellung bezogen werden muss. Alle von uns, die auf der
Konferenz waren, stehen noch unter dem Eindruck des
negativen Konferenzergebnisses. Wir als CDU/CSUFraktion - ich will das ganz deutlich sagen - werden uns
dafür einsetzen, dass in Deutschland und auch in diesem
Hause alle gemeinsam an einem erfolgreichen Rio-Nachfolgeprozess arbeiten. Die Unterbrechung der sechsten
Klimakonferenz in Den Haag war ein schwerer Rückschlag und insofern eine Enttäuschung, als man manchmal das Gefühl hatte, eine Einigung wäre greifbar nahe
gewesen.
({2})
Herr Matschie, Sie haben gerade mit Ihrem Hinweis
auf die vergangenen Klimakonferenzen ein Beispiel dafür
gegeben, was sich im Parlament abgespielt hätte, wenn
der jetzige Umweltminister nicht Trittin, sondern Merkel
hieße. Dann wäre alles nach dem bekannten Motto „Es
gibt nur eine Stelle, die an dem Scheitern dieser Klimakonferenz schuld ist“ - so ähnlich haben Sie das damals
gesagt - verlaufen.
({3})
- Frau Ganseforth, Sie haben sich an einer Stelle differenziert geäußert; das gebe ich zu. Ich habe Ihre Stellungnahme nachgelesen. Ansonsten gab es nur eine generelle
Kritik, die die Hauptschuld an den schlechten Ergebnissen der bürgerlichen Koalition anlastete. Heute haben Sie
auf einmal Verständnis für Schwierigkeiten und gewisse
Handlungszwänge - nur weil das Regierungslager gewechselt hat. Das ist in der Tat keine sinnvolle Kontinuität. Herr Matschie, ich will ganz deutlich sagen: Herr
Trittin hat mehrfach - auch in Presseerklärungen - in Den
Haag erklärt, die Ergebnisse von Kioto dürften nicht
„zurückverhandelt“ werden; er möchte die Ergebnisse
von Kioto aufrechterhalten. Wer war denn damals in Kioto in der deutschen Delegation federführend? Das war
die damalige Bundesumweltministerin Merkel von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie stellen sich jetzt hier
hin und tun so, als ob im Grunde genommen auf Klimakonferenzen der 90er-Jahre keine Erfolge erzielt worden
wären. Schauen Sie sich das bisher Erreichte an und dann
kommen Sie zu einem anderen Ergebnis.
({4})
- Ich habe nicht Sie angesprochen, Herr Loske.
Um eines - auch für die Nachfolgekonferenz in Bonn
- ganz deutlich zu machen: Wir wollen keine Schlupflöcher, sondern eine konsequente Verhaltensänderung der
Industriestaaten. Jeder, der einen solchen Kurs einfordert, erhält unsere Unterstützung. Sie sollten sich die
Pressemeldungen ansehen, die unmittelbar nach dem
Scheitern der Konferenz von Den Haag veröffentlicht
wurden. An einer Stelle wird zum Beispiel ausgeführt,
dass sich die so genannte Supermacht USA, unterstützt
von Japan und den OPEC-Staaten, durchsetzen konnte,
weil sie gegenüber einem zerstrittenen Europa angeblich
die besseren Argumente hatte.
({5})
Das ist doch das Hauptproblem: Sie hatten nicht die besseren umweltpolitischen Argumente - das konzedieren
wir -, aber die EU-Staaten konnten sich bis zur letzten
Minute der Konferenz nicht darüber einigen, mit welchen
Mitteln die verfahrene Situation hätte aufgebrochen werden können. Das war das Hauptproblem der letzten Stunden dieser Verhandlungen.
So darf es nicht weitergehen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwartet von dem Bundesumweltminister,
dass er sich im Vorfeld der Nachfolgekonferenz seiner
besonderen Verantwortung stellt und ein hohes Maß nicht
nur an Durchsetzungskraft und klarer Positionierung, sondern auch an Flexibilität zeigt, um zu einem guten Ergebnis zu gelangen. Ohne Flexibilität bei den Verhandlungen
werden wir unsere Grundsatzposition bei internationalen
Verhandlungen nicht durchsetzen können. Deshalb sage
ich: Sie sind als Bundesumweltminister massiv gefordert.
Wenn Sie diese Vorgaben einhalten, werden Sie auch von
unserer Seite die notwendige Unterstützung erhalten. Wir
als CDU/CSU wollen nicht, dass die Nachfolgekonferenz
von Den Haag zu einem großen umweltpolitischen SuperGAU wird. Daran kann keiner in diesem Hause ein Interesse haben.
({6})
Herr Bundesumweltminister, wenn man sich Ihren Bericht vor dem Umweltausschuss vom Januar 1999, also
vor fast zwei Jahren, ansieht und daraufhin überprüft, was
Sie in diesem Bericht als umweltpolitische Schwerpunkte
dieser Legislaturperiode herausgestellt haben, wird man
unschwer feststellen können, dass Sie mit Ausnahme des
so genannten Atomausstiegs in allen anderen Bereichen
Ihre selbstgesetzten Zielvorstellungen in dieser Legislaturperiode nicht mehr erreichen werden. Wenn wir uns
überlegen, was Sie im Augenblick als Sachstand bei der
Atomausstiegspolitik vorliegen haben, haben wir große
Zweifel daran, ob das, was Sie pressemäßig gut verkauft
haben, auch realisiert werden kann. Im Augenblick haben
Sie nur eine Erklärung paraphiert. Sie wissen ganz genau,
dass das juristisch ein Nullum ist. Sie können alles
Mögliche paraphieren. Gesetzgeberisch bringt Ihnen das
überhaupt nichts. Sie müssen ein Atomausstiegsgesetz
vorlegen.
({7})
- Sie sagen, dass es noch kommt. Sie haben angekündigt,
dass es in diesem Herbst kommen wird. Wir wissen ganz
genau, dass bis heute diesem Haus noch kein Atomausstiegsgesetz vorliegt. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sich vieles, was Sie vollmundig erklärt haben,
juristisch nicht umsetzen lässt. Das ist das Problem dieser
Regierung: Im Umweltbereich haben wir einen Ankündigungsminister, der in vielen Bereichen keine Taten folgen
lässt. Das ist das große Problem in unserer Umweltpolitik.
({8})
Sehen wir uns die Abfallpolitik an. Was ist hier nicht
alles genannt worden! Es sollte ein übergreifendes Konzept zum produktbezogenen Umweltschutz vorgelegt
werden. Im Augenblick diskutieren wir in diesem Bereich
nur das Zwangspfand. In der Öffentlichkeit wird so getan,
als ob hier schon alles geklärt sei. Ich habe mir noch einmal das Ergebnis des Kamingesprächs angesehen. An
dem Abend nach dem Kamingespräch haben Tickermeldungen angekündigt, dass das Pfand kommt. Bei der Erklärung der Umweltminister zur Verpackungsverordnung
heißt es unter Ziffer 4 - ich zitiere -:
Zur abschließenden Beurteilung muss das BMU für
seinen Vorschlag eine ökologische Untermauerung
der Lenkungswirkung des Modells zur Stabilisierung von ökologisch vorteilhaften Verpackungen
vorlegen.
Das kann ich nur so verstehen, dass man darüber nachdenkt, ob man ökologisch unverträgliche Verpackungen
mit einem Pfand belegt. Der Minister hat aber erst einmal
die Aufgabe, seine Schularbeiten zu machen, um dann
vorzulegen, in welchem Maße das ökologisch sinnvoll
gemacht werden kann. Bis heute wissen wir nicht, ob und
zu welchem Zeitpunkt der Minister das Konzept vorlegen
will. Sie wissen genauso gut wie wir, dass im Bundesrat
darüber nachgedacht wird, die ganze Angelegenheit zu
vertagen, bis der Umweltminister nicht nur eine Presseerklärung herausgibt, dass so etwas kommt, sondern bis der
Umweltminister wirklich eine Ökobilanz vorlegt, dass ein
Zwangspfand in dieser Form berechtigt ist. Machen Sie
bitte erst einmal Ihre Schularbeiten, bevor Sie Presseerklärungen zu dieser Frage herausgeben.
({9})
Der Naturschutz ist gerade ebenfalls angesprochen
worden. Es gibt Ländertreffen der Naturschutzverbände,
bei denen Vertreter des BMU ankündigen, dass im Bereich des Naturschutzes tatsächlich etwas passiert. Schön
wäre es. Im Augenblick ist weder im Umweltausschuss
noch in diesem Hause ein Entwurf für ein Bundesnaturschutzgesetz zur Novellierung des bestehenden Gesetzes
angekommen. Angeblich ist es auf dem Dienstweg zwischen dem Umweltministerium und dem Landwirtschaftsministerium abhanden gekommen. Ich frage mich,
ob dieser Entwurf überhaupt abgeschickt worden ist. Sie
erklären immer: Wir wollen das Naturschutzgesetz novellieren. Aber niemand im Umweltausschuss hat bis jetzt
Kenntnis davon bekommen, wie der Gesetzentwurf aussieht und wann er vorgelegt wird. Sie kündigen in einer
Presseerklärung etwas an, ohne in diesem Hause - wie
heißt es so schön - Butter bei die Fische zu tun.
({10})
- Na gut, Herr Matschie, Sie wissen sicherlich, dass Sie
auch damals dazwischengerufen haben, als wir die letzte
Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr
1997 vorgenommen haben. Das Ganze ziehlt also ins
Leere.
Zum Stichwort „Umwelt und Gesundheit“. Dies soll
ein Hauptthema der Umweltpolitik in dieser Legislaturperiode sein. Das Eckpunktepapier haben Sie vorgelegt und dann war Schluss. Als ob man mit einem Eckpunktepapier verantwortlich Umweltpolitik betreiben kann.
Interessant war die Diskussion zum Sommersmog. Sie
haben über Jahre Frau Merkel als ehemalige Umweltministerin attackiert, weil im Bereich des Sommersmogs die
Regelungen angeblich defizitär seien. Jetzt, zu einem
Zeitpunkt, zu dem Sie die Regierungsverantwortung haben, haben Sie nichts anderes zu tun, als die Konzepte zu
übernehmen, die CDU/CSU- und F.D.P.-geführte Länderregierungen in ihren Bereichen schon längst umgesetzt
haben und in einem Entschließungsantrag dem Bundesrat
vorgelegt haben. Sie haben in diesem Bereich abgeschrieben. Damit haben Sie der Öffentlichkeit überhaupt nicht
zur Kenntnis gegeben, dass, damit Ihre ganze Kritik, die
Sie uns über Jahre vorgehalten haben, völlig an der Sache
vorbeigegangen ist.
({11})
Eines will ich Ihnen konzedieren: Eine Fehlanzeige
will ich nicht unbedingt vermelden. Es war die einzige
Stelle, Herr Minister, bei der Sie in den letzten zwei Jahren lernfähig gewesen sind.
Das Stichwort Ökosteuer ist schon des Öfteren genannt worden.
({12})
- Nein, es ist auch von Ihnen angesprochen worden. - Ich
muss noch einmal sagen: An dieser Form der Ökosteuer
kann man nicht festhalten. Das sieht man in Ihrer Fraktion
teilweise genauso. Ich habe gestern in der „Berliner Zeitung“ einen Artikel mit der Überschrift gefunden: „Eurosolar-Kritik an der Ökosteuer“. Dort ist ein sehr bekanntes
Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion zitiert worden. Mit
Erlaubnis des Präsidenten möchte ich aus diesem Artikel
widergeben:
Der Bundestagsabgeordnete und Präsident der Vereinigung Eurosolar, Hermann Scheer ({13}), hat die
Verwendung der Einnahmen aus der Ökosteuer kritisiert. Die Abgabe wäre den Steuerzahlern viel leichDr. Peter Paziorek
ter zu begründen, wenn das Geld in die Förderung erneuerbarer Energien und des Energiesparens fließen
würde ...
({14})
Man muss aber sagen: Er hat sich bei Ihnen nicht durchsetzen können. Die Verwendung der Einnahmen aus der
Ökosteuer ist völlig kontraproduktiv. Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken gibt es ein umweltpolitisches
Bedenken, das wir hier klar und deutlich benennen müssen.
({15})
Zum Schluss möchte ich noch einen Hinweis auf das
von Ihnen hier mehrfach genannte Programm zur Förderung erneuerbarer Energien geben. Kein Umweltpolitiker wird die Notwendigkeit bestreiten, dass wir erneuerbare Energien fördern müssen. Entscheidend ist aber, wie
Sie das machen. Die Bedenken - ich sage das ganz
grundsätzlich -, die gegen Ihre Förderpraxis inzwischen in
immer stärkerem Maße vorgebracht werden, sind berechtigt: Sie überregulieren, Sie greifen in den Markt ein, Sie
schaffen Vorgaben, Sie machen mittlerweile eine Energieund Umweltpolitik, die in den Markt so detailliert eingreift, dass man große Bedenken haben muss, ob erneuerbare Energien damit langfristig sinnvoll gefördert werden.
Denn mit dieser Politik betreiben Sie in Wirklichkeit die
Zementierung des Status quo und Sie schaffen gerade bei
den erneuerbaren Energien keine neuen Entwicklungen.
Aus diesem Grunde kann ich vor der Fortsetzung der
Überregulierung nur warnen. Langfristig bedeutet das,
dass wir auch im Bereich der erneuerbaren Energien den
entscheidenden Schritt nicht vorankommen, sondern im
Status quo verharren. Das wäre kontraproduktiv.
({16})
Die Bilanz nach zwei Jahren rot-grüner Umweltpolitik
lautet: Es ist nicht sehr viel gewesen. Den Hinweis in
einer Werbebroschüre des Bundesumweltministeriums
„Na klar ...“ - als Antwort auf die Frage in der Überschrift:
„Zwei Jahre umsonst?“ - kann ich an dieser Stelle nur als
absolut berechtigt bezeichnen.
({17})
Das Wort
hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anders als es Herr Borchert meint, geht
es bei diesem Haushalt nicht um Ankündigungen, sondern
um die haushaltsmäßige Feststellung von künftigen Ausgabeberechtigungen.
({0})
Wir haben einen ganz einfachen Umstand zu verzeichnen: Wir haben mit diesem Haushalt das größte ökologische Zukunftsinvestitionsprogramm vorgelegt, das
diese Republik je gesehen hat.
({1})
Wir geben allein für den Klimaschutz 8,3 Milliarden DM
aus. 6 Milliarden DM fließen in den Ausbau der Schiene,
2 Milliarden DM in den Ausbau der Wärmedämmung und
300 Millionen DM in Förderung von Zukunftsenergien.
Vor diesem Hintergrund kann ich verstehen, dass Sie als
Oppositionsfraktion Schwierigkeiten haben. Denn was
soll man daran kritisieren?
({2})
Als erfahrener Oppositionspolitiker empfehle ich Ihnen
in so einem Fall: Greifen Sie besser nicht auf das Manuskript vom vergangenen Jahr zurück, weil Sie dann an den
Tatsachen schlicht und ergreifend vorbeireden.
({3})
- Ich hoffe, dass wir nächste Woche ausführlicher darüber
diskutieren werden.
Wir haben in Den Haag einen schweren Rückschlag im
Hinblick auf die gemeinsamen Anstrengungen für den
Klimaschutz einstecken müssen. Ich persönlich habe
mich mit den Kollegen Müller, Loske, Paziorek und
Lippold gefreut, dort diese Diskussion zu führen.
({4})
- Frau Ganseforth, Entschuldigung. Dich hätte ich eigentlich als Erste nennen müssen, Monika. Sie war auch am
längsten da.
({5})
- Habe ich das jetzt wieder gutgemacht? Ich glaube allerdings, dass wir uns gemeinsam
bemühen müssen, auch international - mit aller Festigkeit
in der Position und mit aller Notwendigkeit zur Flexibilität
bei Erreichung eines Ergebnisses - dafür Sorge zu tragen,
dass es möglichst schnell eine Fortsetzung gibt. Darüber
führen wir zurzeit viele bilaterale Gespräche - mit den
Amerikanern, mit den Engländern, mit der EU-Präsidentschaft -, weil wir glauben, dass wir jetzt das, was an Gemeinsamkeiten in Den Haag auch erreicht worden ist - es
haben sich ja auch Lösungen abgezeichnet -, schnell unter
Dach und Fach bringen müssen. Vielleicht besteht für Frau
Homburger dann auch einmal die Gelegenheit, das Ganze
aus der Nähe zu betrachten.
Eines will ich hinzufügen, meine Damen und Herren:
Wir haben unsere gute Position bei internationalen Verhandlungen unter anderem dadurch erreicht, dass die
Bundesrepublik Deutschland neben Großbritannien und
Luxemburg eines der wenigen Länder ist, in denen mit
dem Klimaschutz Ernst gemacht worden ist.
({6})
Es ist zwar richtig, dass wir mit einem CO2-Ausstoß von
5 Prozent des weltweiten Ausstoßes nicht die Probleme für
alle lösen können. Deswegen brauchen wir eine internationale Lösung. Aber umgekehrt ist auch richtig, dass wir
dadurch, dass wir hier im Lande etwas tun, international
etwas bewegen können. Deswegen wünsche ich mir sehr,
dass wir hier, unabhängig vom Streit über das eine oder andere Instrument - darauf komme ich noch -, einen Konsens über Parteigrenzen hinweg erreichen. Nur so können
wir international tatsächlich etwas bewegen. Ich freue
mich, dass dies von den Anwesenden in Den Haag auch so
gesehen wurde, und empfand dies als eine sehr angenehme
Form der Kooperation.
Mit dem Programm zur Förderung der Kraft-WärmeKopplung, mit der Energieeinsparverordnung, mit der
beabsichtigten Einführung des Niedrigenergiehauses haben wir Meilensteine gesetzt. Wir wollen das fortsetzen,
indem wir uns den Verkehrsemissionen zuwenden. Als
Stichworte nenne ich die entfernungsabhängige Autobahngebühr und einen weiteren Ausbau der Bahn.
Natürlich hat in diesem Zusammenhang auch die
Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft vom
9. November 2000 eine Rolle gespielt. Einmal in die andere Richtung gefragt, Frau Homburger: Was hätte ich
unserer Industrie eigentlich sagen sollen, die gerade erklärt hat, sie wolle ihre Einsparungen von 20 auf 28 Prozent und bis 2012 sogar auf 35 Prozent steigern, wenn ich
dem Ansinnen zugestimmt hätte, dass den Amerikanern
ein Plus von 1,5 Prozent zugestanden wird? Denn das war
die Forderung. Die Vertreter des BDI, die in Den Haag waren, waren mit mir völlig einer Auffassung, dass man in
dieser Form nicht verhandeln könne und dass auf dieser
Basis ein Abschluss nicht zu erreichen sei.
({7})
Man kann natürlich auch nicht über Klimaschutzpolitik
diskutieren und sich zugleich jeder konkreten Maßnahme
im eigenen Land verweigern. Ich will das an einem Beispiel belegen: Die ökologische Steuerreform ist im Klimaschutzprogramm mit einem Einsparpotenzial von
10 Millionen Tonnen CO2 veranschlagt. Das bedeutet einen Prozentpunkt von den einzusparenden 25 Prozent.
({8})
- Ich wusste gar nicht, dass wir hier im dänischen Parlament sind, Herr Kollege Hirche. Führen Sie diese Debatte
bitte dort.
Wenn Sie von der F.D.P. und der CDU/CSU gegen die
Ökosteuer sind, dann frage ich Sie nach Ihrem konkreten
Vorschlag zur Einsparung dieser 10 Millionen Tonnen
CO2. Wir reden hier nicht über Programmatik, sondern
über einen Wettstreit ganz konkreter Einsparungsmaßnahmen.
({9})
- Kommen Sie mir nicht mit der Idee, Herr Paziorek, Sie
wären ja eigentlich für eine Ökosteuer und würden nur die
Verwendung der Mittel aus der Ökosteuer kritisieren.
({10})
Ich habe mir den Spaß gemacht, mir die Homepage der
CDU anzugucken, auf der Sie einen Wettbewerb „Gedichte gegen die Ökosteuer“ ausloben.
({11})
Ich möchte einmal eines dieser Gedichte zitieren:
Kalte Zeiten brechen an.
Wärme sich, wer wärmen kann!
Die Heizung wird herabgestellt,
das Auto besser abbestellt.
Wohlbefinden wird zu teuer
dank der grünen Ökosteuer.
Schröder strahlt und Eichel rafft:
„Haha, wir haben es geschafft!“
({12})
Die Verfasserin dieses „Ökosteuer-Blues“ heißt Undine
Weidlich und hat dafür von Ihnen einen Preis bekommen.
({13})
Da höre ich richtig, wie Sie die Verwendung der Ökosteuer
kritisieren.
Aber ich muss Ihnen, auch in Abwesenheit Ihres Fraktionsvorsitzenden, eines sagen: Solche Rumpelreime sind
der wahre Anschlag auf die deutsche Leitkultur.
({14})
Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind in der Frage
Klimaschutz tatsächlich in einer Vorreiterrolle. Dazu ist
die ökologische Steuerreform ein wichtiges und zentrales
Instrument. Wir wollen es als Teil einer Umstrukturierung,
auch der Art und Weise, wie wir mit Energie umgehen, gestalten. Sie werden keinen Einstieg in eine andere Energiestruktur, in mehr Effizienz, in mehr erneuerbare Energien, das heißt auch in eine dezentralere Struktur,
bekommen, wenn Sie aus reinem Strukturkonservatismus
und jenseits aller ideologischen Debatten des Pro und
Kontra von Atom an zentralisierten Energietechnologien
festhalten.
({15})
Deswegen gehören der Ausstieg aus der Atomenergie, Klimaschutz und mehr Effizienz untrennbar zusammen.
({16})
Bevor ich mich abschließend kurz den Bereichen Naturschutz und Landschaftspflege zuwende, möchte ich
mich -Frau Lehn hat das schon getan - ausdrücklich bei
den Berichterstattern der Koalitionsfraktionen bedanken.
({17})
Es ist gelungen, 14,3 Millionen DM zugunsten des Programmhaushaltes umzuschichten. Am meisten freut uns,
dass wir es geschafft haben, die Naturschutzgroßprojekte
auf 44 Millionen DM aufzustocken. Auch der operative
Teil des Bundesamtes für Naturschutz wird ausgebaut.
Das empfinde ich als nachdrückliche Stützung für eines
unserer herausragenden umweltpolitischen Anliegen, in
deren Zentrum die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes steht.
({18})
Das Bundesnaturschutzgesetz besteht nicht nur aus
dem Biotopverbund und der Einführung einer Verbandsklage. Nein, es geht auch um einen Ausgleich zwischen
dem Schutzbedürfnis der Natur und denjenigen, die die
Natur nutzen, zumeist zum Broterwerb, aber auch in der
Freizeit.
({19})
Dieser neue Ausgleich zwischen den Interessen der Landwirtschaft und dem Naturschutz ist notwendig. Wir haben
hier erstmalig eine Definition der guten fachlichen Praxis
aus Naturschutzsicht vorgelegt.
({20})
Das ist in meinen Augen deswegen so wichtig, weil wir angesichts der BSE-Krise vor der Herausforderung stehen,
uns gemeinsam von der industrialisierten Agrarproduktion
zu verabschieden und auf eine naturverträgliche, an Qualität statt an Quantität orientierte Produktion in der
Landwirtschaft umzusteigen.
({21})
Ich füge einen weiteren Gedanken hinzu. Zu einem modernen Naturschutz gehört auch ein anderer Umgang mit
Bio- und Gentechnik. Wir haben es auf internationaler
Ebene geschafft, das Protokoll über die biologische Sicherheit abschließend zu verhandeln; wir werden es hier
ratifizieren. Außerdem ist es uns gelungen, für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen neue Regeln zu schaffen.
Aber das ist nicht genug. Wir erwarten gerade vor dem
Hintergrund der schrecklichen Erfahrung mit BSE, dass es
in Europa - das können wir nicht alleine und ausschließlich für uns regeln - klare Regeln nicht nur für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, sondern
auch und gerade für gentechnisch veränderte Lebensmittel
gibt: unmissverständliche Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit bis zur Quelle und vor allen Dingen klare Haftungsregeln, damit nicht letztendlich der Konsument angeschmiert ist.
({22})
Mit einem solchen anderen Verständnis des Verhältnisses von Naturschutz und Landwirtschaft sowie des Umgehens mit gentechnisch veränderten Organismen wollen
wir erreichen, dass die Verbraucher selbst entscheiden
können, welchem Risiko sie sich aussetzen wollen. Solange dies nicht gegeben ist, soll es - davon bin ich fest
überzeugt - für einen kommerziellen Anbau solcher Pflanzen ein Moratorium geben.
Das ist die Herausforderung, der wir uns gemeinsam zu
stellen haben, wenn wir die Sorgen der Verbraucherinnen
und Verbraucher ernst nehmen wollen und klarstellen wollen, dass bei uns der Schutz von Mensch und Umwelt
tatsächlich Vorrang hat.
({23})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen
Bartholomäus Kalb von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Bundesminister, ich bedauere es außerordentlich, dass Sie in Ihrer
Rede kein einziges Wort zum Kernkraftwerk Temelin
gesagt haben, obwohl dieses Thema viele Menschen in der
Grenzregion zur Tschechischen Republik sehr bewegt. Ich
frage Sie, warum Sie es ablehnen, die Gesellschaft für Reaktorsicherheit zu beauftragen - dies hat die tschechische
Regierung angeboten -, ihrer Tätigkeit in Temelin weiter
nachzugehen und zusätzliche Überprüfungen vorzunehmen. Sie lehnen dies ab, so ist mitgeteilt worden, weil Sie
keine herbeigerechnete Sicherheit wollen.
Auch wir wollen dies nicht. Wir wollen aber wissen
- die Tschechen haben sich bereit erklärt, daran mitzuarbeiten -, ob das Kernkraftwerk Temelin den europäischen
Sicherheitsstandards entspricht oder nicht.
({0})
Entspricht es diesen Sicherheitsstandards, dann müssten
wir das den Menschen sagen, damit sie sich nicht unnötigerweise Sorgen machen. Entspricht dieses Kernkraftwerk
diesen Sicherheitsstandards nicht, dann sind Sie bzw. die
Bundesregierung aufgefordert, unverzüglich in nachdrückliche Verhandlungen mit der tschechischen Regierung einzutreten, um dort die in Europa sonst üblichen Sicherheitsstandard durchzusetzen.
({1})
Zur Erwiderung, Herr Bundesminister Trittin.
Herr Kollege, ich bin Ihnen
für diese Kurzintervention dankbar. Dies gibt mir erstens
Gelegenheit, der geschätzten Kollegin Homburger auf ihre
Frage nach der Nichtweiterbeschäftigung der GRS in der
Störfallkommission zu antworten. Diese Nichtweiterbeschäftigung ist Ergebnis einer Ausschreibung nach Haushaltsrecht und insofern eine kaufmännische Entscheidung.
Ich dachte bisher, die F.D.P. sei der Auffassung, dass man
so etwas regelmäßig tun sollte, stelle aber angesichts Ihrer
Äußerungen immer wieder fest, dass die alte Weisheit gilt:
Wer sich eine Decke über den Kopf zieht, soll sich nicht
beschweren, dass er im Dunkeln sitzt.
({0})
Nun zweitens zu dem ernsten Thema Temelin. Es liegt
ein diesbezügliches Ergebnis der GRS vor. Die GRS ist bei
der Begutachtung von relevanten Anlageteilen zu einem
eindeutigen Ergebnis gekommen: Diese Anlage ist nach
deutschem Recht nicht genehmigungsfähig. Ich wüsste
nicht, was an dieser Stelle noch zu untersuchen ist. Das
weiß auch die tschechische Regierung; denn wir haben ihr
dieses Ergebnis mitgeteilt.
Wir haben es in langwierigen Verhandlungen mit der
tschechischen Regierung geschafft, die Vereinbarung zu
treffen, dass in Bezug auf mehrere Anlageteile - Ihre
Bayerische Staatsregierung ist da die ausführende
Behörde ({1})
eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird.
({2})
Dies betrifft zum Beispiel die Veränderung des Brennstoffkreislaufes, den veränderten Zuschnitt der entsprechenden Druckleitungen und Ähnliches, also zentrale
Teile der Anlage.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass dies nicht die
Umweltverträglichkeitsprüfung ist, die wir immer gefordert haben, zu der die Tschechen immer sagen, es werde
sie nicht geben.
({3})
- Noch einmal langsam für Sie: Die GRS ist zu einem einfachen Ergebnis gekommen - das müsste auch in ein
bayerisches Hirn reingehen -:
({4})
Die Anlage ist nach deutschem Recht nicht genehmigungsfähig.
Wir haben mit der tschechischen Regierung in Abstimmung mit den zuständigen Landesbehörden ein Verfahren
verabredet, das zurzeit läuft. Ich erwarte von der tschechischen Regierung, dass sie die Ergebnisse dieser grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung im Hinblick auf zentrale Bestandteile der Anlage tatsächlich so
ernst nimmt, wie sie uns das zugesagt hat.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Kurt-Dieter
Grill von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an Ihre Ausführungen, Herr Minister Trittin, anschließen, indem ich
sage: Die GRS darf gar nicht mehr nach Temelin, seitdem
das SPD-Mitglied und EU-Kommissar Verheugen öffentlich festgestellt hat, Temelin sei das sicherste Kernkraftwerk Europas. Es bedarf wohl keiner Prüfung mehr.
({0})
Ich habe heute Nachmittag hier gehört, dass in Deutschland seit dem Regierungswechsel 1998 sozusagen der
große Sprung in der Umweltpolitik gelungen sei. Ich
denke, bei einem größeren Zeitkontingent könnte ich
darstellen, wie wenig Sie sowohl in der Perspektive als
auch real geschafft haben.
({1})
Ich will zwei Bemerkungen machen: Es gab einmal
eine Zeit, unmittelbar nach dem Regierungswechsel 1983,
da hat ein Umweltminister - Zimmermann - den Katalysator in Deutschland eingeführt. Das war zu der Zeit, als
die Sozialdemokraten in Niedersachsen behauptet haben:
Wenn der Kat eingeführt wird, geht VW Pleite.
({2})
Daneben ist es interessant, Ihnen vorzuhalten, dass in
der Zeit von Helmut Kohl der Energieverbrauch in Westdeutschland gegenüber den Prognosen um 30 Prozent
zurückgegangen ist. Ich kann das mit Zahlen belegen. Bei
dem, was Sie als Erbe übernommen haben, haben Sie
überhaupt keine Veranlassung, uns zu kritisieren.
({3})
- Herr Loske, ich zähle Ihnen das alles auf. - Zu der Zeit,
als Sie kritisierten, es würde nichts passieren, haben wir in
Wahrheit das Fundament gelegt, auf dem Sie heute operieren können. Wir haben das Fundament in 16 Jahren
geschaffen.
({4})
Herr Minister, wir sind uns nicht ganz klar darüber gewesen, was Sie mit 10 Millionen Tonnen CO2 und der
Ökosteuer gemeint haben. Meinten Sie das jährlich oder
auf die ganze Zeit bezogen? Beziehe ich das auf ein Jahr,
so kostet die Vermeidung von 1 Tonne CO2 entweder
2 500 DM oder 12 500 DM. Ich will Ihnen sagen: Wenn
das der Maßstab ist, mit dem Sie die CO2-Reduzierung
in Deutschland vorantreiben wollen, machen Sie die Bundesrepublik Pleite.
({5})
Zum Vergleich: Bei BP kostet die Vermeidung von
1 Tonne CO2 im innerbetrieblichen Handel 16 DM bis
24 DM. Sie können mit uns wieder darüber reden, wenn
Sie uns ökonomische Wege der CO2-Reduzierung und
nicht einen Weg aufzeigen, der die Bürger dieses Landes
plündert und soziale Ungerechtigkeit befördert.
({6})
Herr Matschie, Sie und auch die Kollegin Lehn haben
das gemacht, was zu erwarten war. Sie haben heute alle
Haushalte des Bundes zusammengezählt, weil Sie sonst
das hätten darstellen müssen, was Sie uns früher vorgeworfen haben.
({7})
Sie sind vom Umwelthaushalt auf den Gesamthaushalt
ausgewichen und selbst dort sehen Sie in der Bilanz
schlecht aus.
({8})
Der ökologische Sprung fand von 1993 bis 1998 in der
Luftreinhaltepolitik statt. Es wurden zwei Drittel weniger SO2 und NOX ausgestoßen und 100 Milliarden DM
von der Wirtschaft zur Luftreinhaltung investiert und die
Industrie verursachte 30 Prozent CO2 weniger. Das ist das
Fundament.
Eines darf ich gleich hinzufügen: Den Weltmeistertitel
für installierte Windenergie haben Sie aus unserer Zeit
übernommen, den haben nicht Sie geschaffen. In dieser Situation befinden wir uns. Mercedes Benz - heute DaimlerChrysler - hat seine Entscheidung über die industrielle
Anwendung der Brennstoffzelle in einem serienreifen
Fahrzeug 1996 gefällt und nicht zu Zeiten dieser Bundesregierung. Sie ernten das, was wir gesät haben. Das ist unser Problem.
({9})
Da, wo Sie Neues ankündigen, vielleicht auch schon
einmal zu Papier gebracht haben, sind die Korrekturen
sehr oft falsch, beispielsweise bei der Verpackungsverordnung und anderem mehr. Wenn wir Ihnen die Vorbereitung von Rio überlassen hätten - das ist das Thema -,
dann wäre Rio nie zustande gekommen. Das ist das Elementare.
({10})
Sie haben Merkel und Töpfer kritisiert, als Kioto, Berlin und anderes nicht so erfolgreich verliefen, wie Sie das
gewünscht haben. Ich aber sage Ihnen: Wir legen nicht
diese Elle an, sondern wir messen Sie an unseren Erfolgen.
Gemessen an unseren Erfolgen in der internationalen Umweltpolitik haben Sie nicht gerade viel gebracht, um es gelinde zu sagen.
({11})
Die Klimapolitik dient als Beleg dafür. Wir können uns
in der Frage des Ausstiegs aus der Kernenergie darüber
streiten, ob die Kernenergie ein unverantwortliches Risiko
darstellt. Dafür sind Sie den Beleg bisher schuldig geblieben. Aber wenn Sie aus der Kernenergie aussteigen, dann
sollten Sie wenigstens nachweisen, wie der klimaverträgliche Ausstieg aus der Kernenergie vonstatten gehen soll.
Sie haben gesagt: Wer aussteigt, muss auch sagen, wo er
einsteigt. Den Beleg für den Einstieg, das Aufzeigen der
neuen Richtung, ist diese Bundesregierung bisher schuldig
geblieben.
Der Bundeswirtschaftsminister hat erklärt: Es wird in
diesem und voraussichtlich auch im nächsten Jahr kein
Energiekonzept der Bundesregierung geben. Auf einer
Veranstaltung der IG BCE vor einigen Wochen in Hannover hat der Bundeswirtschaftsminister Müller hinter verschlossenen Türen - das gebe ich zu, aber es gibt für dieses Gespräch genügend Zeugen - gesagt, es gebe kein
Energiekonzept, weil er nicht in der Lage sei, bis 2020 die
Klimalücke, die durch den Ausstieg aus der Kernenergie
entstehe, zu schließen.
({12})
Deswegen verbreiten Sie vordergründig das Gerede
über erneuerbare Energien. Aber der Bundeskanzler selber hat erst vor wenigen Wochen gesagt:
({13})
Das wird nicht die Zukunft der deutschen Energieversorgung sein. So lange wie Gerhard Schröder auf öffentlichen Veranstaltungen - zuletzt bei Daimler-Chrysler Kohlekraftwerke als Ersatz für Kernkraftwerke beschreibt,
werden Sie in der Klimapolitik nicht dorthin kommen, wo
Sie international hinkommen müssen, sondern der CO2Ausstoß wird am Ende Ihrer Regierungszeit höher als bei
Regierungsantritt sein.
({14})
Ich will hinzufügen, Herr Loske: Sie selber sind es doch
gewesen, die im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der
Kernenergie davor gewarnt haben, dass Deutschland seine
Leitbildfunktion in Sachen Klimapolitik verlieren könnte.
Das KWK-Vorschaltgesetz ist keine ökologische Leistung; denn es bevorzugt Stromproduktionen aus Kohle.
So, wie die Realität ist, produzieren Sie damit mehr CO2,
als Sie einsparen. Das ist der Punkt.
({15})
Ich will Ihnen, Herr Matschie, noch etwas zur Bahn sagen. Nur durch die Milliardenerlöse aus dem Verkauf der
UMTS-Lizenzen, die Sie nicht bekommen hätten, wenn
Eichel und Schröder bei der Privatisierung Recht behalten
hätten, sind Sie in der Lage, die Mittel für die Bahn zur
Verfügung zu stellen, die Sie zu unserer Zeit gehabt hätten. Das ist aber nicht der Punkt. Wenn wir zu unserer Zeit
eine solche Bahnpolitik zugelassen hätten, wie Sie sie jetzt
mit Herrn Mehdorn betreiben, wären Sie auf die Gleise gegangen und hätten wider den Abbau der Eisenbahn geredet. Das, was jetzt passiert, ist kein Aufbau, sondern ein
Abbau, den Sie zu verantworten haben.
({16})
- Nein, das ist kein dummes Zeug, sondern die Wahrheit.
Das ist das Schlimme.
({17})
Es gibt noch einen sehr interessanten Punkt, den ich
zum Schluss aufgreifen will. Ich will ihn mit „Das Ende
der Katastrophe“ überschreiben. Der Bundesminister
Jürgen Trittin hat sich in Artikeln der „Berliner Zeitung“,
aber auch auf einer Veranstaltung mit den Umweltverbänden geäußert. Ich zitiere eine ap-Meldung: Im grundsätzlichen Teil seiner Bilanz sagte Trittin: Mit Katastrophen ist
keine Politik mehr zu machen. Dieser Mechanismus, von
dem die Umweltschutzorganisation Greenpeace lebe,
funktioniere nicht mehr.
({18})
Ich glaube, Herr Trittin, Sie hätten ebenso gut sagen
können, dieser Mechanismus der Grünen funktioniere
nicht mehr. Denn die Katastrophenpolitik, die Sie Greenpeace vorwerfen, ist genau das Prinzip gewesen, das Sie
bis zu Ihrem Regierungsantritt angewendet haben. Sie haben Greenpeace als Wahlhelfer bei der Darstellung von
Katastrophen zur Unterstützung Ihrer Politik gebraucht.
Es geht nicht um Greenpeace, sondern Sie erklären Ihr eigenes Politikprinzip für beendet, das Sie in die Regierung
gebracht hat.
({19})
Sie sind mit der Instrumentalisierung der Katastrophen
und der Ängste der Menschen in die Regierungsverantwortung gekommen. Jetzt erklären Sie diese Politik für beendet. Deswegen muss man die interessante Frage stellen,
warum der Bundesumweltminister die Katastrophe als
Mittel der Politik für beendet erklärt hat.
Ich kann Ihnen hierfür Beispiele nennen: Stichwort Castor-Behälter. Unter Trittin ist es so, dass das, was früher
als unverantwortlich galt, nämlich die Halle wegzulassen,
heute möglich ist: Unter Ihnen kann der Castor-Behälter
ohne Halle auf der grünen Wiese stehen. Ein zweiter Punkt
ist, dass Sie rechtzeitig vor dem nächsten Castor-Transport
die Ungefährlichkeit zum Prinzip machen. Aber das hat ja
nicht damit zu tun, dass sich seit dem Regierungswechsel
in Sachen Sicherheit des Castors etwas geändert hätte.
Nein, es geht lediglich darum, Herr Trittin, dass Sie den
Castor für sicher erklären, weil Sie jetzt auf der Lok sitzen
und nicht mehr Töpfer und Merkel für diese Frage verantwortlich machen können.
({20})
Sie sagen, Greenpeace müsste mit der Katastrophenpolitik aufhören, und meinen die Grünen.
({21})
Das hat etwas damit zu tun - das hat man auch heute wieder an Ihrer Arroganz gemerkt -, dass Sie die Macht lieben. Die Katastrophe als Mittel der Politik hat für Sie ausgedient - das ist Ihre Realität, Sie haben es wunderschön
belegt -, weil dieses Prinzip heute Ihre Macht eher gefährden könnte.
Zu der Tatsache, dass Sie sich selber zur höheren Gewalt erklärt haben, ist zu sagen: Die höhere Gewalt ist die
Katastrophe. Ich würde das so formulieren: Die Katastrophe ist beendet, weil die Katastrophe jetzt regiert.
Herzlichen Dank.
({22})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Michael Müller.
Ich möchte zu
Beginn auf Herrn Paziorek eingehen - nicht auf den Zitatenklempner Herrn Grill, der sich seine Wahrheit
zurechtschneidet,
({0})
sondern auf Sie, Herr Paziorek. Ich finde, dass Ihr Satz zur
Klimaproblematik richtig ist. Wir haben hier im Haus
über alle parteipolitischen Grenzen hinweg eine gemeinsame Verantwortung. Deshalb will ich auch ausdrücklich
bestätigen, dass der Klimaprozess, der Rio-Prozess, weitergehen muss. Da sind wir einer Meinung,
({1})
aber da werden wir auch Sie an Ihren Taten messen.
({2})
Das ist der Maßstab, an diesen Maßstab werden wir Sie
erinnern, und daran werden wir Sie auch messen.
({3})
Wir haben in der Bundesrepublik die Ausgangssituation, dass wir gegenüber 1 Milliarde Tonnen CO2-Jahresausstoß im Jahre 1990 heute etwa 850 Millionen Tonnen
haben. Das heißt, es fehlen noch etwa 100 Millionen Tonnen CO2-Reduktion, um die 25 Prozent CO2-Reduktion
zu erreichen. Diese 100 Millionen Tonnen sind jetzt ungleich schwerer zu erreichen als die Erfolge der Vergangenheit.
({4})
Darüber sollten wir uns im Klaren sein, weil wir heute sehr
viel stärker in den Strukturwandel hinein müssen. Das
Schlimme ist, und da muss man auch die Wahrheit sagen:
Seit etwa zehn Jahren sinkt der Zuwachs in der Energieproduktivität. Wir sind heute bei einem Zuwachs von nur
noch 1,5 Prozent pro Jahr, wir waren in den 80er-Jahren
bei deutlich über 2,5 Prozent. Das heißt, in den letzten
zehn Jahren ist leider viel zu wenig getan worden für rationelle Energieverwendung, für erneuerbare Technologien etc. Das ist die Wahrheit.
({5})
Es ist jetzt also heute deutlich schwieriger geworden, weil
die Energieproduktivität weit hinter dem zurück bleibt,
was zu erreichen wäre. Auch unter den Bedingungen liberalisierter Energiemärkte ist es jetzt sehr viel schwieriger,
mehr Einsparen durchzusetzen.
Man muss noch einen Punkt sehen, Herr Paziorek. Wir
haben das große Problem, dass die ökonomisch stärkste
Weltmacht, die USA, sich auf dem Gebiet des Klimaschutzes wie der Allerletzte verhält, wie eine unverantwortliche Nation; anders kann man das gar nicht bezeichnen.
({6})
In Wahrheit wird dort ökologischer Kolonialismus gegenüber der Zukunft betrieben. Das muss man in aller Klarheit kritisieren.
({7})
Nach neuen Aussagen wird damit gerechnet, dass der
Energieverbrauch in den USA bis zum Jahre 2010 um
34 Prozent und bis zum Jahr 2020 um 51 Prozent steigt.
Das ist schlicht unverantwortlich.
({8})
Deshalb ist es schwer, mit einem solchen Land zu einem
Konsens zu kommen. Wir wollen doch ehrlich sein: Das
wäre einem Ihrer Minister nicht anders gegangen als Herrn
Trittin. Mehr noch: Es ist richtig, dass er nicht auf einen
falschen Konsens eingegangen ist. Dafür bekommt er unsere volle Unterstützung.
({9})
- Sie wissen doch genau, dass das nichts mit Vorarbeiten
zu tun hat. Im Gegenteil, wir müssen uns Sorgen über die
Entwicklung der Umweltpolitik in den USA machen. Sie
müssten das genauso sehen wie wir.
({10})
Da ist die Ökologie herunter gerutscht.
({11})
- Das stimmt doch nicht.
({12})
- Sie haben doch wirklich Erfahrungen aus dem Innenleben der Regierung und sollten deshalb hier nicht solche
leichtfertigen Behauptungen aufstellen.
({13})
Das ist auch eine Form von leichtfertiger Politik, die wir
nicht akzeptieren können.
Lassen Sie uns bitte bei der Frage bleiben, welche Konsequenzen wir aus Den Haag ziehen. Die Konsequenz, die
auch Herr Loske genannt hat, ist richtig. Jetzt muss Europa
zeigen, ob es den Klimaschutz ernst nimmt.
({14})
Wir kommen nicht zu einer globalen Regelung in der kurzen Zeit, in der wir sie bräuchten. Also müssen wir durch
eigenes Vorbild der Welt zeigen, dass es geht. Das wird der
entscheidende Punkt sein, an dem wir uns zu messen haben.
({15})
Das fordern wir, und da bitten wir Sie auch um Unterstützung, Herr Paziorek. Das muss unsere gemeinsame Linie
sein.
({16})
Nun zu einige anderen Punkten, zunächst zur Ökosteuer: Auch hier ist die Wahrheit relativ einfach. Aus unserer Sicht und aus der Sicht vieler Wirtschaftsverbände
und Wissenschaftler - wenn ich mich an Ihre früheren programmatischen Grundsätze richtig erinnere, dann waren
Sie hier auch schon einmal viel weiter - war und ist die
ökologische Steuerreform Teil einer modernen Wirtschafts- und Umweltpolitik.
({17})
Jetzt ist die Sache in der Realität wieder relativ einfach:
Die einen machen die ökologischen Reformen; die anderen, also Sie, blockieren sie. So sieht die Wirklichkeit aus.
An dieser einfachen Wahrheit kommen Sie nicht vorbei.
Natürlich kann man über einzelne Punkte der Ökosteuer diskutieren. Auch ich bin dafür - Sie haben diesen
Punkt angesprochen -, die erneuerbaren Energien von
der Ökosteuer zu befreien, wenn es möglich wäre. Aber
Sie wissen, dass das unter den heutigen Bedingungen europarechtlich leider nicht möglich ist, weil sich nicht exakt nachweisen lässt, woher welcher Strom kommt.
({18})
Das ist doch das Problem. Wir wollten die regenerativen
Energien doch ursprünglich von der Ökosteuer befreien.
Aber mit diesem Vorhaben sind wir bei der EU gescheitert.
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das geschah nicht
aus bösem Willen. Wir haben keinen Pfusch gemacht. Wir
mussten bei der Einführung der Ökosteuer der realen Situation Rechnung tragen. Wie gesagt, natürlich kann man
über den einen oder anderen Punkt reden.
Aber tun Sie doch jetzt nicht so, als hätten Sie sich in
der Vergangenheit dafür eingesetzt, dass ein großer Teil
des Aufkommens aus der Ökosteuer für ökologische Investitionen verwandt wird. Eine solche Position haben Sie
nie vertreten. Das tun Sie erst jetzt.
({19})
Sie haben in der Vergangenheit immer nur von der Aufkommensneutralität geredet. Insofern liegen unsere Positionen - wenn Sie ehrlich sind - viel nähe, beieinander.
({20})
Nein, die Wahrheit ist auch hier ganz einfach: Sie instrumentalisieren die ökologische Steuerreform, weil Sie damit Stimmung machen wollen; denn Sie haben in Wahrheit
keine inhaltlichen Themen anzubieten. Das ist der eigentliche Punkt, um den es Ihnen geht.
({21})
- Nein, das stimmt auch nicht. Sie sollten sich erst einmal
informieren. Nach dem jetzigen Stand ist der Energieverbrauch in den letzten Monaten deutlich gesunken. Der
Mineralölverbrauch ist um rund 4 Prozent zurückgegangen. Da können Sie doch nicht behaupten, die Ökosteuer
habe keine Wirkung. Nehmen Sie zum Beispiel auch die
Untersuchung des RWI über die Arbeitsplatzeffekte.
Diese sind beträchtlich. Sie können doch nicht so tun, als
ob die ökologische Steuerreform keine Wirkung habe. Sie
sollten sich erst einmal informieren. Sowohl bei der Minimierung von Emissionen und Verbrauch als auch bei der
Schaffung von Arbeitsplätzen gibt es deutliche Effekte.
Die könnte man natürlich beträchtlich ausweiten.
({22})
Aber das Problem ist nicht unser Wille. Das Problem sind
Sie; denn wenn wir versuchen würden, die Effekte stärker
und schneller auszuweiten, dann würden wir bei Ihnen auf
noch mehr Widerstand stoßen. Seien Sie doch bitte ehrlich
in der Argumentation.
({23})
- Die habe ich doch gerade genannt! Sie scheinen auf
Ihren Ohren zu sitzen!
({24})
- Alle Studien belegen, dass der Mineralölverbrauch um
rund 4 Prozent zurückgegangen ist.
({25})
Ich empfehle Ihnen: Schauen Sie sich die Zahlen an, wenn
Sie mir nicht glauben wollen. Das kostet doch nicht viel
Mühe. Machen Sie wenigstens das. Dann können wir weiterreden.
Nächster Punkt: Natürlich gibt es einen Grundsatzstreit
über die Frage des Atomausstiegs. Aber Sie müssen doch
zugeben, dass die Entwicklung ohne die innovative Dynamik, die wir mit dem Ausstiegsbeschluss in den Energiemarkt hineingebracht haben, noch viel eindeutiger in
Richtung Monopolisierung der Strommärkte im europäischen Verbund gegangen wäre. Ist das Ihre Alternative?
Nein, wir wollen die neuen Märkte erschließen. Deshalb
musste diese Richtungsentscheidung getroffen werden.
Wir haben mit unserem Ja zum Ausstieg aus der Atomenergie diese Richtungsentscheidung getroffen. Es geht
jetzt um neue Märkte und neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Die von uns gewünschten Effekte zeichnen sich in
der Zwischenzeit bereits ab. Sie sind richtig gut.
({26})
Insgesamt ist festzustellen: Im Vergleich zu früher gibt
es zwei fundamentale Unterschiede: Als wir noch in der
Opposition waren, waren wir bereit, Sie sehr viel stärker
in der Umweltpolitik zu unterstützen. Aber Sie haben unsere Angebote nicht angenommen.
({27})
Sie hätten während Ihrer Regierungszeit mit Unterstützung der Opposition sehr viel mehr machen können.
Heute kritisieren Sie das, was wir in der Umweltpolitik
machen, mit dem Argument, dass das alles nicht stimmig
sei. Nein, in Wahrheit kritisieren Sie uns, weil Sie mehr
Umweltpolitik ablehnen. Das ist der Punkt.
({28})
Niemand, den man ökologisch ernst nimmt, lehnt die ökologische Steuerreform ab. Nur Sie tun das. Wie soll man
Sie dann ökologisch Ernst nehmen? Das geht nicht. Ihr
Verhalten passt dazu einfach nicht.
Lassen Sie es uns so sehen: Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir den Umbauprozess begonnen haben. Es
ist eine strategische Frage, wie es weitergeht.
Ich glaube, dass die Grundidee der ökologischen Effizienz auch ein überragendes Ziel für die Wirtschafts- und
Industriepolitik ist. Lassen Sie mich das an einem Punkt
verdeutlichen.
In der Bundesrepublik entfällt auf Wirtschaft und
Dienstleistung ein Anteil am Bruttoinlandsprodukt von
etwa 2,2 Billionen DM. Von diesen 2,2 Billionen DM entfallen ungefähr 1,4 bis 1,6 Billionen DM auf Transport, auf
Material, auf Energie, auf Abfallkosten etc. Gleichzeitig
besteht die Situation, dass bei den vier Wertschöpfungsketten unserer Wirtschaft, also Rohstoffanlieferung, Produktbearbeitung, Produktnutzung und Entsorgung, auf jeder dieser Stufen etwa 50 Prozent des Materialeinsatzes an
die Umwelt abgegeben werden. Wenn wir es erreichten,
diese gewaltige Verschwendung erheblich zu reduzieren,
so wäre dies ein gigantisches Programm für mehr Arbeit,
für mehr Umwetlschutz und für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Die Ökologie ist in Wahrheit eine Chance, und wir
wollen diese Chance zur Modernisierung unseres Landes
nutzen.
({29})
Deshalb muss man nicht alles kaputt reden, man muss
vielmehr nach vorne denken. Nach vorne zu denken, das
ist unser Ziel, meine Damen und Herren. Die Ökologie ist
eine Chance für eine moderne Bundesrepublik in Europa,
das damit auch ein Modell für die Globalisierung wird, ein
Modell dafür, wie man Produktivität sinnvoller so organisiert, dass sie mit Arbeit und Umwelt verbunden werden
kann.
Das ist unser Ziel und für dieses Ziel kämpfen wir. Deshalb werden wir uns auch nur begrenzt an den Debatten
beteiligen, die noch einmal die Schlachten von gestern
oder vorgestern führen.
Vielen Dank.
({30})
Ich schließe
damit die Debatte.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst zu den Änderungsanträgen.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4788. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt worden mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der
CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4789. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Än-
derungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ab-
gelehnt worden.
Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/4810. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
ist abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der CDU/CSU bei Enthaltung der PDS und ge-
gen die Stimmen der F.D.P., die natürlich zugestimmt hat.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/4797. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des gesam-
ten übrigen Hauses abgelehnt worden.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/4798. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthal-
tungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS mit den Stimmen des gesamten übrigen
Hauses abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Einzelplan 16 in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der
Einzelplan 16 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der gesamten Opposition ange-
nommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte VII a bis VII h sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über die Verarbeitung
und Nutzung der zur Durchführung der Verordnung ({0}) Nr. 820/97 des Rates erhobenen
Daten
- Drucksache 14/4721 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1})
Ausschuss für Gesundheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 1989 über
Bergung
- Drucksache 14/4673 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Bergungsrechts in der See- und Binnenschifffahrt ({3})
- Drucksache 14/4672 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({4})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen
Verfahren ({5})
- Drucksache 14/4554 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung von Vorschriften auf dem Gebiet der An-
erkennung und Vollstreckung ausländischer
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
- Drucksache 14/4591 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
f) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Errichtung eines Fonds
„Deutsche Einheit“ und des Gesetzes über den
Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
- Drucksache 14/4436 Michael Müller
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({6}) Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Sonderausschuss „Maßstäbegesetz/Finanzausgleichsgesetz“
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 1. Oktober 1999 der Satzung der
Internationalen Atomenergie-Organisation
- Drucksache 14/4454 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über den Stand
der Abwicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte
- Drucksache 14/4264 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({8})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
({9})
Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Diemers, Karl-Josef Laumann, Bernd Neumann
({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
CDU/CSU
Verbesserung des Programmangebots für
Schwerhörige, Gehörlose, Sehbehinderte und
Blinde im Fernsehen und den neuen Medien
- Drucksache 14/4385 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({11})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den abschließenden Beratungen
ohne Aussprache.
Tagesordnungspunkt VIII a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({12}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare siebenundneunzigste Verordnung
zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur
Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 14/3995 ({13}), 14/4093 Nr. 2.1,
14/4565 Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Schulz ({14})
Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung der Bundesregierung nicht zu verlangen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Das Stimmverhalten der PDS habe ich nicht sehen können.
Tagesordnungspunkt VIII b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({15}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Einundfünfzigste Verordnung zur Änderung
der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 14/4166, 14/4308 Nr. 2.1, 14/4566 Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp
Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung der Bundesregierung nicht zu verlangen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt VIII c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({16}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Achtundneunzigste Verordnung zur Änderung
der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 14/4167, 14/4308 Nr. 2.2, 14/4585 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt
Der Ausschuss empfiehlt wiederum, die Aufhebung
der Verordnung der Bundesregierung nicht zu verlangen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt VIII d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 12 zu Petitionen
- Drucksache 14/135 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 12 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der F.D.P. gegen die Stimmen von
CDU/CSU bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Tagesordnungspunkt VIII e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 212 zu Petitionen
- Drucksache 14/4609 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 212 ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt VIII f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 213 zu Petitionen
- Drucksache 14/4610 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 213 ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt VIII g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 214 zu Petitionen
- Drucksache 14/4611 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 214 ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt VIII h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 215 zu Petitionen
- Drucksache 14/4612 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 215 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und denen der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden.
Tagesordnungspunkt VIII i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 216 zu Petitionen
- Drucksache 14/4613 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 216 ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Ich rufe nun auf:
III. 22 Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 14/4510, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel
Iris Hoffmann ({23})
Matthias Berninger
Jürgen Koppelin
Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU, zwei Änderungsanträge der Fraktion der
F.D.P. und ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor.
Die Fraktion der F.D.P. hat einen Entschließungsantrag
eingebracht, über den morgen nach der Schlussabstimmung abgestimmt werden soll.
Außerdem rufe ich die Zusatzpunkte 5 bis 7 auf:
ZP 5 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
das Verbot des Verfütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel
- Drucksache 14/4764 ({24})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
({25})
- Drucksache 14/4838 Berichterstattung:
Abg. Peter Bleser
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Widmann-Mauz, Horst Seehofer, Wolfgang
Lohmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Sofortprogramm zur Abwehr von Gefahren
durch BSE
- Drucksache 14/4778 ({26}) Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({27})
A.usschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Detlef Parr, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Vorrang für einen vorsorgenden Verbraucherschutz bei der Bekämpfung von BSE
- Drucksache 14/4852 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({28})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
haben zu ihrem Gesetzentwurf über das Verbot des VerVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
fütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der
Ausfuhr bestimmter Futtermittel einen Entschließungsantrag eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort
zunächst dem Abgeordneten Heinrich Wilhelm Ronsöhr.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als
Erstes möchte ich für die Fraktion der CDU/CSU hier erklären, dass wir dem Gesetz, das die Tiermehlverfütterung verbietet, zustimmen werden.
({0})
Wir tun dies, obwohl wir gestern vom Landwirtschaftsminister in der Sitzung des Landwirtschaftsausschusses
gehört haben, dass er eine solche Gesetzgebung so nicht
eingeleitet hätte und dass er das für seine Enkel auch zu
Protokoll geben wolle. Ich finde das schon etwas eigenartig,
({1})
wenn das einer der beiden Fachminister, die mit dem Gesetz beschäftigt sind, so erklärt.
({2})
Meine Damen und Herren, wir investieren auch in diese
Gesetzgebung ein Stück Vertrauen, von dem wir gar nicht
wissen, ob es so rechfertigen lässt, denn natürlich tritt dieses Gesetz auch eine ungeheure Kostenlawine los. Ich
glaube, darüber sind wir uns hier im Hause auch einig.
({3})
Aber dann muss natürlich auch klar und eindeutig gesagt
werden, bei wem die Kosten ankommen.
Ich habe heute Nachmittag, als ich aus Hannover wieder zurückgekommen bin, gehört, man habe offensichtlich
im Kanzleramt vereinbart, dass der Bund, die Länder und
auch die Kommunen jeweils ein Drittel der Kosten tragen
würden. Nur muss man dann immer auch darüber diskutieren. Ich gehe davon aus, dass der Bund und die Länder
dann von den Kosten entlastet würden, aber darüber, ob
die Kommunen auch darauf verpflichtet werden können,
muss dann zumindest in weiteren Beratungen noch diskutiert werden. Ich glaube, dass dazu auch noch Beratungsbedarf besteht,
({4})
und ich hoffe, dass die entsprechenden Beratungen zum
Ergebnis haben werden, dass zumindest bei Landwirten
und anderen keine Kosten hängen bleiben, denn wir haben
jetzt sinkende Rindfleischpreise, und unter dieser Bedingung können Rindermäster keine zusätzlichen Kosten vertragen. Ich denke, darüber müssen wir uns einig sein.
Weil wir im Grunde genommen nicht konkret wissen,
wie die Kostenfrage geregelt sein wird, entwickeln wir
hier auch aufgrund der gestrigen Erklärungen des Bundeslandwirtschaftsministers Vertrauen. Aufgrund dieser Erklärung gehe ich davon aus, dass der Bund so mitfinanzieren wird und hoffentlich auch die Länder so
mitfinanzieren werden, dass möglichst keine Kosten zusätzlich auf die Landwirte in Deutschland zukommen.
({5})
Meine Damen und Herren, wir entwickeln dieses Vertrauen auch, obwohl es ja einige Ungereimtheiten in den
Beratungen in der letzten Woche gab.
Viele von uns - nicht nur die Gesundheitspolitiker, sondern auch die Agrarpolitiker - haben an der Beratung des
Gesundheitsausschusses teilgenommen. Dort ist uns etwas
über BSE-Schnelltests gesagt worden, was danach von
Ministerialbeamten korrigiert wurde.
({6})
Ich bin sehr dankbar, dass sich jetzt die Bundesregierung
korrigiert hat und auch für die Einführung flächendeckender Schnelltests ist. Wenn ich den Ministerialbeamten am
Dienstagmorgen zugehört habe - das haben ja auch andere
getan -, dann war das offensichtlich nicht so, sondern da
sollten auch durch manche Privatinitiative BSE-Schnelltests auf uns zukommen. Aber wenn das nur der Privatinitiative überlassen bliebe und wir ansonsten mit BSESchnelltests nur die Tiere kontrolliert hätten, die verendet
sind oder die krank sind, die also auffällig geworden sind,
dann hätte das nach meiner Meinung nicht gereicht, weil
es damit zu einem Flickenteppich bei den BSE-Schnelltests gekommen wäre.
Wir von meiner Fraktion wollen ganz eindeutig, dass es
so schnell wie möglich - wir wissen, dass die Länder dafür
eine Infrastruktur aufbauen müssen - zu flächendeckenden BSE-Schnelltests kommt. Wenn die Regierungsfraktionen und die Regierung das jetzt auch wollen, dann halte
ich das für sehr positiv und für eine begrüßenswerte Entwicklung, aber ich finde, dass hätte man uns am Dienstagmorgen auch schon erklären können.
({7})
Gestern fand wieder eine Beratung statt. Ich kann bestätigen, dass sie sehr sachlich abgelaufen ist. Ich glaube,
dass wir von der CDU/CSU-Fraktion für Argumente zugänglich waren. Es wurde zwischenzeitlich über einen Antrag diskutiert, der vorsah, dass Fischmehl an Ferkel bis
35 Kilogramm verfüttert werden kann. Wir haben diesen
Antrag gar nicht für so schlecht gehalten. Aber nachdem
wir erfahren hatten, dass die EU ein generelles
Tiermehlfütterungsverbot, das auch eine Fischmehlverfütterung nicht zulässt, aussprechen will, haben wir gesagt,
dass wir jetzt mit Klugheit handeln müssen.
({8})
Man kann sich natürlich ein anderes Vorgehen vorstellen. Aber es wäre sozusagen idiotisch gewesen, wenn wir
in dieser Woche etwas beschlossen hätten, was die EU
durch ihren Beschluss schon am nächsten Montag konterkariert hätte. Dieser Beschluss hätte kein Vertrauen in den
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Verbraucherschutz in Deutschland geschaffen und hätte
auch nicht das Vertrauen der Rinder haltenden Landwirte
und Rindfleisch produzierenden Betriebe in unsere Politik
gestärkt. Wir haben uns auf diese Vorgehensweise in konstruktiver Weise eingelassen.
({9})
Wir von der Christlich Demokratischen Union und von
der Christlich-Sozialen Union werden den Gesetzgebungsprozess konstruktiv begleiten und die sich aus dem
Gesetz ergebenden Folgen beobachten.
({10})
Aber wir sind der Auffassung, dass es eine bessere Koordination und Zusammenarbeit zwischen den Ministerien
geben muss, um die Folgen zu bewältigen.
Gestern hat meine Kollegin Annette Widmann-Mauz
gefragt, ob denn jemand etwas zu der Kontamination der
Böden mit BSE-Erregern sagen könne. Der Landwirtschaftsminister hat darauf geantwortet, da gebe es nichts.
({11})
Gestern lagen aber schon Erkenntnisse vor. Ich erwarte,
dass ein Landwirtschaftsminister darüber Bescheid weiß
und uns gegenüber nicht den Eindruck erweckt, dass er
nichts weiß.
({12})
Möglicherweise hat er tatsächlich nichts gewusst, aber das
darf angesichts der großen Probleme nicht sein.
({13})
Wenn wir Vertrauen schaffen wollen, dann muss ein besseres Management an den Tag gelegt werden, als es von
der Gesundheitsministerin und dem Landwirtschaftsministerium bisher gezeigt wurde.
({14})
Wir alle, die Bundesregierung und das Parlament, sollten dazu beitragen, dass von uns das Signal ausgeht, dass
wir angesichts der BSE-Krise gemeinsam daran arbeiten,
das Risiko zu vermindern. Ich setze mich beruhigt in ein
Flugzeug, wenn ich weiß, dass die Airline alles tut, um die
Absturzgefahr zu mindern. Man kann zwar nie wissen, ob
man nicht möglicherweise abstürzt. Aber es ist für mich
wichtig, zu wissen, dass die Fluggesellschaft und die Flughafenverwaltung alles tun, damit es nicht zu einem Absturz kommt. Bei der BSE-Bekämpfung müssen wir in
gleicher Weise handeln. Die Bevölkerung muss wissen
- nur so kann sie wieder Vertrauen fassen -, dass wir alles
zur Risikominderung in diesem Bereich tun werden.
({15})
Natürlich muss es nach dem Tiermehlverbot finanzielle
Regelungen geben; denn wir wissen, dass die Landwirte in
finanziellen Nöten sind, dass sie teilweise mit dem Rücken
zur Wand stehen, dass ihre Existenz gefährdet ist und dass
ein Stück Kulturlandschaft in Deutschland möglicherweise kaputtgeht. Ich fordere alle Fraktionen dieses Hauses auf, mit uns dafür zu kämpfen, dass es zu finanziellen
Regelungen zugunsten der Landwirte und der Schlachtereien kommt, damit dieses Stück deutsche Kultur, das sich
in vielen Grünlandschaften widerspiegelt,
({16})
nicht kaputtgeht.
({17})
Der Landwirtschaftsminister hat im Rahmen der Diskussion über die Preisentwicklung, die es in bestimmten
Bereichen gab und gibt, erklärt, wir von der CDU/CSU
würden immer nur über Geld und nur die anderen würden
über Strukturen reden. Jetzt reden wir auf einmal alle
über Strukturen. Ich habe hier erlebt, wie die Sozialdemokraten über die bayerischen und baden-württembergischen
Strukturen in der Landwirtschaft geredet haben. Sie haben
sich lustig gemacht - ich kann mich noch an das Lachen
erinnern. Aber darüber, dass die strukturelle Ausgangssituation dort eine andere war, ist nicht gesprochen worden.
Jetzt kritisiert jeder die bäuerlichen Strukturen; plötzlich gibt es nur noch industrielle Agrarfabriken. Ich weiß
nicht, ob es sich bei den beiden im Gespräch befindlichen
Betrieben - bei dem einen ist die Wahrscheinlichkeit eines
BSE-Vorfalls sehr groß, bei dem anderen ist tatsächlich ein
BSE-Fall aufgetreten - nicht um bäuerliche Betriebe handelt. Ich halte es aber für ungerecht, wenn jetzt schon wieder die konventionelle Landwirtschaft ausgespielt wird
und jemand auf der Anklagebank sitzt, der dort nicht hingehört.
Die Landwirte in Deutschland haben Tiermehl meiner
Meinung nach legal eingesetzt, und zwar nicht bei Wiederkäuern, sondern bei Schweinen und Hühnern. Das haben wir gesetzlich nicht untersagt. Warum gerät die Landwirtschaft jetzt so massiv in die Kritik? Warum tut auch
der Bundeskanzler so, als wäre die bäuerliche Agrarstruktur in der Bundesrepublik Deutschland eigentlich eine industrielle? Ich halte das für ungerecht.
({18})
Die Landwirte stehen so nicht nur finanziell, sondern auch
psychologisch mit dem Rücken zur Wand. Aus dieser Lage
müssen wir sie befreien.
Ich fordere noch eines: Machen wir doch bitte eine
Agrarpolitik, die die Landwirtschaft nicht ständig belastet!
Wenn es um steuerliche Entlastungen oder um die Senkung der Sozialabgaben in der Landwirtschaft geht, handelt es sich nach Meinung dieses Landwirtschaftsministers
um Subventionen. Wenn wir aber die Sozialabgaben oder
die Steuern im industriellen Bereich senken, handelt es
sich um die Verbesserung von Rahmenbedingungen.
Diese Unterschiede zwischen Agrarpolitik und der übrigen
Wirtschaftspolitik belasten die Bauern in unserem Land.
Von daher fordere ich zum Umdenken in der Agrarpolitik
auf.
({19})
Ich hoffe, dass wir hier im Bundestag verdeutlichen, dass
nicht nur die CDU/CSU-Fraktion dafür einsteht, sondern
das sich auch andere Fraktionen dafür einsetzen.
Herr Kollege
Ronsöhr, Ihre Redezeit.
Vielen
Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir eine zusätzliche
Minute zugestanden haben. -Tschüs.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Iris Hoffmann.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich einige
Worte vorweg sagen. Da wir uns heute in der Haushaltsdebatte befinden, habe ich mir einmal die Änderungsanträge der CDU/CSU angeschaut: Inhaltlich müsste man
zwischen den Anträgen sicherlich differenzieren, aber in
finanzieller Hinsicht hätten Sie damit in kürzester Zeit
round about 900 Millionen DM verfrühstückt. Bis jetzt haben Sie uns nicht wissen lassen, wie Sie dies finanzieren
wollen. Das ist letztendlich haushaltspolitische Schleuderwirtschaft und deshalb wurde Ihre Regierung vor zwei
Jahren abgewählt. Sie konnten es nicht, deshalb machen
wir es.
({0})
Landwirtschaft im Haushalt 2001 heißt, das beschlossene Zukunftsprogramm 2000 auch in diesem Bereich
fortzuführen. Die Sanierung der Staatsfinanzen ist für uns
nach wie vor eine Hauptaufgabe; denn solide Haushaltspolitik ist eine unverzichtbare Grundlage für neue Arbeitsplätze, für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung
und für soziale Stabilität. Trotz aller Sparzwänge stand für
uns im Mittelpunkt, dass die grundlegenden Ziele und
Wirkungen des Einsatzes von Bundesmitteln für die
Agrarsozialpolitik nicht beeinträchtigt werden. Ich denke,
so ist es uns gelungen, einen Haushalt vorzulegen, der
auch im nächsten Jahr tragfähig ist.
Der Anteil der Ausgaben für die landwirtschaftliche Sozialpolitik wird trotz des großen Drucks auf den Agraretat
- resultierend aus der allgemeinen Haushaltslage - bis
zum Jahr 2004 von gegenwärtig 66 Prozent auf 73 Prozent
erhöht. Der Bund stellt dafür im kommenden Jahr über
7,3 Milliarden DM bereit. Allein 4,3 Milliarden DM davon
entfallen auf die Alterssicherung der Landwirte. Damit finanziert der Bund die Alterssicherung der Landwirte zu
zwei Dritteln und entlastet diese dadurch von den Auswirkungen des Strukturwandels.
({1})
Wir haben Wort gehalten: Die in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung versicherten Landwirte
mussten lediglich im Jahr 2000 einen einmaligen Sparbeitrag von 250 Millionen DM für den Haushalt aufbringen.
Ab dem Jahre 2001 werden wir wieder den ungeschmälerten Bundeszuschuss zur Übernahme der Leistungsaufwendungen der Altenteiler bereitstellen.
Fakt ist jedoch, dass die jetzigen Organisationsstrukturen in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung dem
Wirtschaftlichkeitsgrundsatz und dem Strukturwandel in
keiner Weise gerecht werden. Der Handlungsbedarf auf
diesem Gebiet ist keine Erfindung von Rot-Grün, sondern
besteht schon seit längerer Zeit. Eine Neugestaltung der
Organisation der agrarsozialen Sicherung ist deshalb das
dringendste Gebot. Primär geht es hierbei um den verstärkten Einfluss des Bundes auf die Haushalt- und Wirtschaftsführung der landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger. Nach wie vor gehe ich davon aus, dass die
Bundesregierung noch bis zum Jahresende einen Gesetzentwurf hierzu vorlegen wird, der auf den Feststellungen
des Rechnungsprüfungsausschusses vom April dieses Jahres basiert.
An die Länder geht mein Appell, sich angesichts ihrer
Verantwortung gegenüber den Landwirten nicht länger zu
verweigern. Ansonsten muss man sich hier über den Unmut der Agrar- und Haushaltspolitiker nicht wundern, die
letztlich entscheidend dazu beitragen, dass die Bundesmittel bereitgestellt werden, auf deren richtige Verwendung aber keinen Einfluss haben.
({2})
Das muss sowohl im Interesse der Landwirte, die an einer
sparsamen Haushalts- und Wirtschaftsführung der Sozialversicherungsträger interessiert sind, als auch im Interesse
der Steuerzahler anders werden.
Die landwirtschaftliche Unfallversicherung wird mit
einem Betrag von 500 Millionen DM im Haushaltsjahr
2001 fortgeführt. Erst seitdem wir in der Regierungsverantwortung stehen, wird intensiv und ernsthaft über den
notwendigen Reformbedarf in diesem Bereich diskutiert.
Diese Debatte ist nicht erst seit zwei Jahren fällig, sie hätte
längst geführt werden müssen. Dazu waren CDU/CSU
und F.D.P. jedoch nie wirklich bereit. Deshalb lade ich Sie
ganz herzlich ein, bei uns Nachhilfe zu nehmen, um anschließend gemeinsam mit uns die landwirtschaftliche Unfallversicherung hinsichtlich der Kriterien für die Verteilung der Bundeszuschüsse an die landwirtschaftlichen
Unternehmer zu reformieren und in diesem Zusammenhang auch über die Weiterentwicklung des materiellen
Leistungsrechts nachzudenken.
({3})
In den Haushaltsgesprächen haben wir immer wieder
betont, dass es uns nicht darum geht, den gegenwärtigen
Titelansatz zu senken, obwohl - das muss man an dieser
Stelle ganz klar feststellen - der Bundesrechnungshof sofortige Einsparpotenziale in Höhe von 80 Millionen DM
festgestellt hat. Unser Ziel ist es, notwendige Änderungen,
insbesondere bei der Verteilung der Bundesmittel dazu zu
nutzen, die hierdurch frei werdenden Mittel noch stärker
zugunsten der bundesberechtigten Unternehmer zu verwenden. Wir müssen und werden in den nächsten Wochen
und Monaten darüber diskutieren, wie eine sachgerechtere
Verwendung der Mittel erreicht werden kann.
Auf dem Prüfstand wird unter anderem die Frage stehen, inwieweit Nebenerwerbsbetriebe weiterhin in erheblichem Umfang Bundeszuschüsse erhalten können, da
diese in der Regel ihr Haupteinkommen außerhalb des
landwirtschaftlichen Bereiches erzielen.
Ebenso muss darüber nachgedacht werden, inwieweit
eine Bundesmitteluntergrenze geschaffen wird, die die Bezuschussung durch Kleinstbeträge ausschließt. Es ist doch
lachhaft, wenn ein jährlicher Zuschuss von 82 Pfennig
oder 4,58 DM an einzelne Unternehmer gezahlt wird. Ich
glaube nicht, dass sich die betroffenen Unternehmen dadurch spürbar entlastet fühlen. Aufwand und Nutzen stehen hier in keinem Verhältnis. Insofern machte eine Bundesmitteluntergrenze von zum Beispiel 200 oder 300 DM
- in welcher Höhe auch immer - sicherlich Sinn.
Auch die Auszahlung von Bundeszuschüssen an Unternehmen der öffentlichen Hand wird hierbei eine Rolle
spielen. Dies zeigt, dass die landwirtschaftliche Unfallversicherung nicht auf die einfache Formel zu bringen ist, der
Bund trage die so genannte alte Last und dann werde sich
das Problem irgendwann biologisch lösen. So geht es
nicht. Im Bundeslandwirtschaftsministerium geht man davon aus, dass selbst dann wenn die alte Last etwa 850 Millionen DM betragen würde, noch nicht einmal im Jahre
2010 eine spürbare Entlastung des Bundeshaushalts erreicht werden könnte. Dies birgt somit ein großes finanzielles Risiko für den Bund in sich.
Um verlässliche Angaben zu den finanziellen Auswirkungen eines Systemwechsels auf den Bund, aber auch auf
die Landwirte zu erhalten, soll zunächst ein versicherungsmathematisches Gutachten in Auftrag gegeben werden.
Sobald uns dieses vorliegt, werden wir hier die richtigen
Entscheidungen zur Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung treffen.
({4})
Deshalb ist es, meine Damen und Herren von der CDU,
aber auch von der PDS, nicht damit getan, in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses vor 14 Tagen und
jetzt auch hier im Plenum Anträge auf Erhöhung dieses Titelansatzes einzubringen, die nicht nur inhaltlich, sondern
auch politisch absurd sind. Nutzen Sie lieber die Zeit sinnvoll und machen Sie sich gemeinsam mit uns Gedanken,
wie wir in diesem Bereich eine konsensfähige Reform auf
den Weg bringen! Alles andere nämlich wäre Flickschusterei.
({5})
In den vergangenen Wochen und Monaten wurde der
Agrardiesel vor dem Hintergrund der hohen Mineralölpreise breit thematisiert. Bislang wurde eine Verbilligung
des Agrardiesels auf der Basis des Landwirtschafts-Gasölverwendungsgesetzes gewährt. Erst in der vergangenen
Sitzungswoche haben wir das neue Agrardieselgesetz verabschiedet, welches ab 2001 gelten wird.
({6})
Danach werden die Landwirte mit einem Steuersatz von
57 Pfennig je Liter Diesel belastet werden. Das bedeutet
eine Vergütung oder auch Entlastung von 23 Pfennig pro
Liter und hat für 2002 und 2003 die Folge, dass die Landwirtschaft hinsichtlich des Agrardiesels von den weiteren
Stufen der Ökosteuer ausgenommen bleiben wird. Für den
Bund ergeben sich hieraus steuerliche Mindereinnahmen
von insgesamt 700 Millionen DM, die über den Gesamthaushalt zu kompensieren sind. Schon hiermit haben wir
als Regierungskoalition ein deutliches Zeichen gesetzt,
dass die Landwirte keineswegs das Stiefkind von RotGrün sind.
({7})
Uns ist sehr wohl bewusst, unter welch komplizierten
Bedingungen auch im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedstaaten die deutsche Landwirtschaft produziert. Unter diesem Aspekt haben wir über das eigentliche Zukunftsprogramm 2000 hinaus den zusätzlichen Bedarf von
700 Millionen DM anerkannt.
({8})
Natürlich ist mir klar, dass eine weiter gehende Herabsetzung des Steuersatzes primär vor dem Hintergrund der
Wettbewerbsfähigkeit wünschenswert wäre. Eine Lösung,
die auch im Vergleich zu den anderen Wirtschaftszweigen
wie zum Beispiel den Transport- und Fuhrunternehmen allen Seiten gerecht wird, ist aber nicht in Sicht.
Auch eine weitere Obergrenzenlösung in Betracht zu
ziehen wäre das falsche Signal, hieße das doch, die größeren norddeutschen, aber insbesondere auch ostdeutschen
Betriebe von der Herabsetzung des Steuersatzes auf Agrardiesel auszuschließen. Jeder weiß: Der Dieselkraftstoffverbrauch ist immer noch an die Fläche, unabhängig von
der Betriebsgröße, gebunden.
Es ist uns noch immer die Möglichkeit gegeben, im
nächsten Jahr Spielräume im neuen Agrardieselgesetz zu
erschließen. Letztlich aber kann dieses Problem nur durch
eine Harmonisierung der Steuersätze zwischen den EUStaaten gelöst werden.
Meine Damen und Herren, die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
kann trotz der notwendigen Haushaltskonsolidierung auf
dem bisherigen Niveau von 1,7 Milliarden DM fortgeführt
werden. Wie die Anträge der Opposition uns zeigen, hält
sie es eher mit Shakespeare, der seinen Dramenheld
Heinrich IV. sagen ließ: „Der Wunsch war des Gedankens
Vater.“ Ich darf anfügen: bei Ihnen in diesem Fall wohl
auch.
({9})
Auch heute ist es noch verwunderlich, dass Sie erst vor
zwei Jahren Ihre förmliche Affenliebe zur Gemeinschaftsaufgabe entdeckt haben und auch erst seitdem permanent
eine Erhöhung des Haushaltsansatzes einfordern, obwohl
Sie diesen doch jahrelang selbst bis an die Schmerzgrenze
reduziert haben, obwohl die Haushaltskonsolidierung für
Sie seinerzeit nicht das Thema war.
({10})
Auch das erinnert mich eher an Shakespeare und seinen
Sommernachtstraum: „Gut gebrüllt, Löwe!“ Deshalb machen wir Ihre Mätzchen nicht mit und lehnen Ihre Anträge
ab.
({11})
Wir als Regierungskoalition stehen für Solidität und
konzentrieren uns auch im Agrarhaushalt auf den Rahmen
des Machbaren, wissen wir doch alle, dass die Gemeinschaftsaufgabe auch die Kofinanzierung der Länder
einschließt. Jeder von uns, auch die Kollegen von der Opposition, hat den heftigen Dissens in dieser Frage zwischen Länderfinanz- und Länderagrarministern miterleben dürfen.
Iris Hoffmann ({12})
Trotz des schon dargestellten engen finanzpolitischen
Spielraumes im Agrarhaushalt war es möglich, den Titelansatz „Modellvorhaben“ um 5 Millionen DM zu erhöhen.
Hiermit haben wir ein Zeichen gesetzt, dass uns die regionale Entwicklung, aber auch die arbeitsmarktpolitischen
Initiativen am Herzen liegen.
Zusätzlich konnten im Agrarhaushalt ein Hilfsprogramm zur Sicherung der Liquidität von Unterglasgartenbaubetrieben sowie eine verbesserte Investitionsförderung für Energieeinsparmaßnahmen verankert werden.
Damit tragen wir der schwierigen Situation in diesem Bereich Rechnung, da vor allem Unterglasgartenbaubetriebe
von den enorm gestiegenen Energiepreisen überproportional betroffen sind.
Als kurzfristig wirksame Maßnahme wird ein Programm zur Verbilligung der Betriebsmittelkredite aufgelegt, welches von den Ländern durchgeführt wird. Der
Bund wird sich hieran auch 2001 und 2002 mit 10 Millionen DM beteiligen - ein entsprechender Länderanteil
kommt hinzu -, sodass für dieses Programm jährlich bis zu
20 Millionen DM bereitstehen werden.
Um die Abhängigkeit des Gartenbaus von den Energiekosten mittelfristig zu mildern, wird im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe auch die Förderung von Investitionen
zur Energieeinsparung, insbesondere im Unterglasanbau,
gezielt verbessert. Dies betrifft zum Beispiel den Neubau
energiesparender Gewächshäuser, aber auch Wärme- bzw.
Kältedämmungsanlagen. Deshalb stellen wir hierfür in
den Jahren 2001 und 2002 jeweils 15 Millionen DM zur
Verfügung. Auch in diesem Fall kommt ein entsprechender Länderanteil hinzu.
Wenn man dem Antrag der CDU folgte - sie fordert
eine Erhöhung auf 300 Millionen DM - und die Logik unseres Antrages fortführte, dann müsste es in diesem Bereich ebenfalls eine Beteiligung der Länder geben. Die Ministerpräsidenten, auch die der CDU-geführten Länder,
wären sehr dankbar, wenn sie 300 Millionen DM dazulegen dürften - weil sie es nämlich gar nicht könnten.
({13})
- Nur einige.
({14})
Wir tragen damit jedenfalls zur Standortsicherung des
Unterglasgartenbaus bei und zugleich sichern wir die damit verbundenen Arbeits- und Ausbildungsplätze. Darüber
hinaus sorgen wir für die Steigerung der Energieeffizienz
und auch für die umweltpolitisch unverzichtbare Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen.
({15})
Diese Debatte zeigt, dass wir einen soliden und finanzierbaren Agrarhaushalt für 2001 auf den Weg gebracht
haben,
({16})
der auch mittelfristig Grundlage unserer nationalen Agrarpolitik sein wird. Trotz aller Konsolidierungszwänge ist es
uns darüber hinaus gelungen, eigene agrarpolitische Akzente zu setzen. Auch wenn die Opposition dies gerne als
Peanuts abtun möchte: Dies ist - um wieder mit Shakespeare
zu sprechen - ebenfalls verlorene Liebesmüh, belegen
doch die Fakten, dass wir uns als rot-grüne Regierungskoalition sehr wohl den agrarpolitischen Herausforderungen
unserer Zeit stellen.
Vielen Dank.
({17})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gerade eine, wie ich finde,
sehr schöne Nachricht bekommen, über die Sie sich sicherlich mitfreuen: Das Gartenreich Wörlitz ist seit heute
Teil des Weltkulturerbes.
({0})
Wir sollten dem Land Sachsen-Anhalt, den Wörlitzern und
uns allen gratulieren. Vor allem sollten wir denjenigen
danken, die es bis heute erhalten haben.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marita Sehn.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren!
Die Bauern bekommen endlich wieder einen Landwirtschaftsminister, der auch so aussieht.
So wurden Sie, lieber Minister Funke, von den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen als Landwirtschaftsminister hier eingeführt. Diese Aussage mag vielleicht stimmen, was das äußere Bild des Ministers
anbelangt, aber es handelt sich dabei bestimmt nicht um
Inhaltliches.
Die Landwirte, die ursprünglich große Hoffnung in Sie
als einen Berufskollegen gesetzt haben, sehen sich nun,
nach zwei Jahren funkescher Agrarpolitik, bitter enttäuscht. Gut gemeint ist das Gegenteil von gut - so lässt
sich das Krisenmanagement der Bundesregierung bei den
Maßnahmen zur Bekämpfung von BSE wohl am besten
umschreiben.
({0})
Die Gesundheitsministerin scheint, nachdem sie keine
maßgeblichen Strukturverbesserungen in der Gesundheitspolitik auf den Weg gebracht hat, die Agrarpolitik als
Spielwiese entdeckt zu haben. Man kann ihr leider nur bestätigen, dass sie von Agrarpolitik doppelt so viel versteht
wie von der Gesundheitspolitik. Nur: Zwei mal null ist
nach den Regeln der Mathematik eben auch null.
({1})
Weiß Frau Fischer denn wirklich, wovon sie redet, wenn
sie von einem „GAU der industrialisierten Landwirtschaft“ spricht? Den Betrieb, auf dem das infizierte Tier
gefunden wurde, als „industrialisierte Landwirtschaft“ zu
diffamieren, ist in höchstem Maße unseriös.
({2})
Iris Hoffmann ({3})
Frau Fischer täte gut daran, den Ratschlag von Herrn
Müntefering zu befolgen und im Zusammenhang mit BSE
nicht „primitiv und parteipolitisch zu agieren“.
In Anbetracht dessen, dass bislang nicht einmal Informationen über die Ursachen der Infektion vorliegen, sollte
sich Frau Fischer vielleicht doch etwas zurückhalten, anstatt die deutsche Landwirtschaft pauschal zu verunglimpfen.
({4})
Der BSE-Skandal eignet sich nicht für gegenseitige
Schuldzuweisungen. Die Verbraucher erwarten von uns
keine parteipolitischen Gladiatorenkämpfe. Sie wollen,
dass alles Erdenkliche getan wird, um diese Bedrohung so
schnell wie möglich zu beseitigen.
({5})
Das koalitionsinterne Hickhack zum Verbot der Verfütterung von Tiermehl war in diesem Sinne unwürdig und
kontraproduktiv.
({6})
Die Bundesregierung wäre gut beraten, die Verunsicherung bei den Verbrauchern und - das möchte ich besonders
betonen - auch bei den Landwirten zu beenden.
({7})
Das schafft man nicht mit Schnellschüssen und unüberlegtem, kurzatmigem Handeln.
Die weitere Erforschung des Erregers sowie der Infektionswege ist zwingend notwendig. Deshalb fordert die
F.D.P. die Aufstockung der Mittel für die Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten von 12 Millionen DM
um 50 Millionen DM auf 62 Millionen DM.
({8})
Wenn fundierte Informationen über die Übertragungswege und eventuelle Möglichkeiten der Bekämpfung der
Erreger vorliegen, kann auch ein optimaler Schutz der Bevölkerung gewährleistet und die Verunsicherung der Verbraucher beseitigt werden. Wir erwarten, dass alle Fraktionen, die ernsthaft an einer Lösung des Problems
interessiert sind, diesem Antrag zustimmen.
({9})
Über die schnellstmögliche Einführung von BSESchnelltests sind wir uns einig. Man darf bei der Debatte
eines nicht vergessen: Teurer als jede Maßnahme wäre ein
nachhaltiger Vertrauensverlust der Verbraucher in Bezug
auf die Sicherheit deutscher Agrarprodukte.
Vorrang vor allen wirtschaftlichen Überlegungen müssen die Sicherheit und die gesundheitliche Vorsorge der
Verbraucher haben. Das geht nur im engen Schulterschluss
aller Beteiligten: der Bundesregierung, der Verbraucher
und der Produzenten, unseren heimischen Landwirten.
({10})
Es ist für das Verhältnis der Bundesregierung gegenüber unseren Bäuerinnen und Bauern bezeichnend, dass
trotz steigender Belastungen der Betriebe der Agrarhaushalt erneut vermindert wird. Doch damit nicht genug:
Auch in anderen Bereichen hat die Bundesregierung Probleme verursacht, mit denen die Landwirte zu kämpfen haben.
Nehmen Sie zum Beispiel die Debatte um den Agrardiesel: Allein durch die Ökosteuer haben Sie der Landwirtschaft eine Mehrbelastung von 900 Millionen DM zugemutet. Beim Agrardiesel zahlen die Landwirte pro Liter
Diesel anstatt der ursprünglichen 23 Pfennig ab Januar
57 Pfennig Steuern.
({11})
- Nicht gerade 1 000 Prozent. - Während die Franzosen
auf die drastisch gestiegenen Energiepreise flexibel mit einer Steuersenkung reagiert haben, muten Sie den Landwirten eine Steuererhöhung um fast 150 Prozent zu.
({12})
Immerhin hat Bundesminister Funke in seiner Rede
vom 14. September dieses Jahres sein „außerordentliches
Bedauern“ über die Wettbewerbsverzerrung in der Europäischen Union und insbesondere auf dem Energiesektor
geäußert. Ich bin mir sicher, dass den Landwirten anstelle
Ihrer Krokodilstränen konkrete Maßnahmen lieber gewesen wären. Wir fordern kurzfristig, also in einem ersten
Schritt zur Beseitigung der gravierendsten Wettbewerbsverzerrungen, die Absenkung des Steuersatzes für Agrardiesel auf 47 Pfennig pro Liter.
Auch im Gartenbau nimmt die Bundesregierung eine
Schlechterstellung deutscher Betriebe im europäischen
Wettbewerb sowie den Verlust von bis zu 30 000 Arbeitsplätzen in Kauf. Um zumindest den größten Existenznöten
der Betriebe zu begegnen, fordern wir ein Hilfsprogramm
für die Unterglasbetriebe mit einem Gesamtumfang von
300 Millionen DM.
({13})
Dies versetzte die Betriebe in die Lage, langfristig wirtschaftlich zu arbeiten und sich am Markt zu behaupten.
Herr Funke hat als Ziel seiner Agrarpolitik „eine leistungsstarke und wettbewerbsfähige Land-, Forst- und
Ernährungswirtschaft“ definiert. Diesem Ziel stimmen wir
ausdrücklich zu. Aber, meine Damen und Herren, Sie handeln nicht danach. Wie sonst soll man die im Sommer von
Umweltminister Trittin vorgelegten Eckpunkte zum Bundesnaturschutzgesetz verstehen? Sie verletzen die gute
fachliche Praxis der Umweltpolitik, indem Sie auf Konfrontation statt auf Kooperation setzen. Das Landwirtschaftsministerium wird allenfalls informiert und Herr
Funke in die Rolle eines politischen Wackeldackels gedrängt, der nur noch die Vorschläge abnickt. Ich appelliere
deshalb an Sie, Herr Minister Funke: Wachen Sie auf und
sorgen Sie dafür, dass die Interessen der Landwirte gewahrt werden!
({14})
Der größte Wettbewerbsnachteil für die deutsche
Landwirtschaft ist die konzeptionslose Agrarpolitik der
Bundesregierung. Sehr geehrter Herr Funke, es reicht
nicht zu wollen, man muss es auch tun.
({15})
Beim Agrardiesel lassen Sie sich von Herrn Berninger an
der Nase herumführen, die gute fachliche Praxis beim
Bundesnaturschutzgesetz diktiert Ihnen Herr Trittin in die
Feder und bei der Bekämpfung von BSE gibt Frau Fischer
den Takt vor.
Im Interesse unserer Landwirte hoffen wir, dass sich die
Arbeit der Bundesregierung substanziell verbessert. Die
F.D.P. hat Vorschläge dazu unterbreitet.
({16})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Steffi Lemke.
Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen!
Da ich, wie einige von Ihnen wissen, aus Dessau stamme,
möchte ich die Gelegenheit nutzen, der Region von
Dessau, Bitterfeld, Wörlitz, Wittenberg herzlich zu der
Aufnahme von Wörlitz in die Weltkulturerbeliste zu gratulieren, und Sie alle einladen, die Region im Frühjahr, im
Sommer, im Herbst und im Winter zu besuchen und zu genießen.
({0})
Zum eigentlichen Thema, dem Agrarhaushalt. Zwischen der ersten Lesung dieses Haushaltes und der zweiten Lesung heute sind nur wenige Wochen vergangen.
Dennoch führen wir jetzt eine vollkommen andere Debatte, als wir sie damals hier im Bundestag geführt haben.
Was hat sich in dieser Zeit verändert? Was ist passiert?
Noch vor wenigen Wochen und Tagen haben wir im Agrarausschuss primär über zusätzliche Hilfen für Landwirtschaft und Gartenbau, für die Unterglasbetriebe, für die
orkangeschädigten Waldbauern, für die trockenheitgeschädigten ostdeutschen Bauern, für die gesamte Landwirtschaft, die beim Agrardiesel eine größere finanzielle
Unterstützung braucht, debattiert. Wenn ich mir die Änderungsanträge der Opposition zum Agrarhaushalt anschaue,
stelle ich fest, dass sich die darin enthaltenen Forderungen
auf 1,6 Milliarden DM zusätzlich zu dem Betrag, den wir
im Haushalt haben, summieren.
Ich glaube, dass dies das ganze Dilemma der Agrarpolitik in den letzten Wochen, Monaten und Jahren widerspiegelt. Wir haben darüber gesprochen, dass immer
versucht worden ist, die systematischen Mängel der Landwirtschaftspolitik im Nachhinein mit zusätzlichen Zuschüssen in Milliardenhöhe auszugleichen, und dass das
nicht mehr geht. Das hat die Debatte über die Sanierung
des Haushaltes gezeigt und das hat uns in der letzten
Woche in erschreckender Weise und, wenn auch geahnt
und erwartet, sehr plötzlich die BSE-Diskussion vor Augen geführt.
Wir haben im Haushalt 2001 positive Akzente für eine
sozialorientierte und umweltorientierte Politik setzen können.
({1})
Der Sozialetat steigt - ich möchte das noch einmal betonen - um 332 Millionen DM an. Das heißt: Wir haben die
sozialorientierte Politik, die auch früher schon in Deutschland stattgefunden hat, fortgeführt.
({2})
Das heißt nicht, dass sie unverändert, so, wie sie in den
letzten Jahren von der CDU/CSU/F.D.P.-Bundesregierung
betrieben worden ist, fortgeführt werden konnte. Aber das
heißt, dass sie nach wie vor den Schwerpunkt ausmacht
und wir den landwirtschaftlichen Betrieben soziale Sicherheit geben.
Wir haben im Haushalt 2001 umweltorientierte Akzente setzen können. Hätten wir den Haushalt von vornherein im Lichte der BSE-Diskussion, wie sie heute stattfindet, diskutiert, wären diese Akzente stärker ausgefallen.
Aber die Ansätze in diesem Haushalt sind dennoch sehr
positiv. Das betrifft die Gemeinschaftsaufgabe, in der auch
für den ökologischen Landbau wesentlich bessere Förderkriterien enthalten sind. Das betrifft Modellprojekte, die
Zukunftsperspektiven für Arbeitsplätze im ländlichen
Raum entwickeln. Das betrifft auch einen sehr aktuellen
und wichtigen Punkt: die Verbraucheraufklärung und -information, die deutlich verbessert wird, vor allem inhaltlich. Reaktionen seitens der Verbraucherinformation in
Deutschland auf die erste BSE-Krise mit Plakaten, auf denen junge Menschen in - ich nenne es einmal so - attraktiver Weise mit dem Motto „Esst mehr Fleisch“ dargestellt
worden sind, gibt es heute nicht mehr.
({3})
Herr Ronsöhr hat in seinem Debattenbeitrag ausgeführt
- Herr Ronsöhr, ich sehe, Sie haben im Moment wichtigere Dinge zu erledigen; vielleicht hören Sie mir trotzdem
zu -, dass es legal gewesen ist, in Deutschland Tiermehl,
das als Hauptverursacher für die derzeitige BSE-Krise gilt,
zu verfüttern. Sie haben Recht: Das ist legal gewesen.
Trotzdem war es falsch; das ist der springende Punkt.
({4})
Was, wie ich meine, in der Landwirtschaftspolitik der
vergangenen Jahrzehnte systemimmanent grundfalsch
war, ist: Man hat sich grundsätzlich nicht an den Verbraucherinteressen orientiert. Vielmehr standen ökonomische
Interessen im Vordergrund. Aber die BSE-Krise zeigt, dass
es sogar ökonomisch falsch gewesen ist, so zu handeln. Im
Rahmen der BSE-Krise kommen Folgekosten auf uns zu,
deren Höhe im Moment niemand beziffern kann.
Ich halte es derzeit wirklich nicht für vordringlich, über
ökonomische Hilfen für Bauern zu sprechen. Natürlich
müssen wir auch darüber sprechen, aber jetzt ist es das
Wichtigste, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, wie wir dies
in dem heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zum
Verbot der Verfütterung von Tiermehl vorsehen und wie
wir dies mit der flächendeckenden Einführung von BSETests tun. Darum müssen wir uns momentan zuallererst
kümmern. Wir müssen zudem darangehen, die Verbraucher zu informieren und ein deutliches Signal zu setzen
- ich bin dem Bundeskanzler dafür dankbar, dass er dies
gestern von seiner Seite aus getan hat -, dass es in Zukunft
eine andere Form von Landwirtschaftspolitik geben muss.
Diese muss sich sehr viel stärker und strikter an den Verbraucherinteressen orientieren.
({5})
Ich möchte dies gemeinsam mit der Opposition tun. Wir
haben ja, was das Verbot der Verfütterung von Tiermehl
anbetrifft, im zuständigen Ausschuss und auch heute hier
im Parlament schon ein Stück Gemeinsamkeit erzielt.
Denn es geht nicht darum, die Landwirtschaftspolitik, die
anders werden soll, gegen die Landwirtschaft und die Bauern auszurichten; das ist wirklich überhaupt nicht beabsichtigt. Es geht vielmehr darum, dies im Interesse der
Bauern zu tun. Denn die sind neben den Verbrauchern die
Leidtragenden der momentanen Diskussion.
({6})
Es geht darum, von industrialisierten Formen der Landwirtschaft wegzukommen.
({7})
Es geht nicht darum, eine Diskussion über große und
kleine Betriebe zu führen - das sollten die letzten Wochen
doch gezeigt haben -, also nicht darum, dass die Politik
vorschreibt, wie viel Hektar Land ein Betrieb umfassen
muss. Es geht vielmehr darum, darüber nachzudenken,
nach welchen kontrollierbaren und für die Verbraucher
nachvollziehbaren Qualitätskriterien in großen bzw. kleinen bäuerlichen bzw. nicht bäuerlichen Betrieben Landwirtschaft praktiziert werden soll.
Es geht darum, von industriellen Formen, die sich beispielsweise im Rahmen der Käfighaltung von Legehennen
- das ist ein gutes Beispiel; ich glaube, Sie können mir zustimmen, dass das industrielle Landwirtschaft ist - manifestiert haben, wegzukommen, also von der flächenungebundenen Tierhaltung, bei der Tiere ohne Auslauf, ohne
Weidehaltung und ohne eigene Futterflächen in industriellen Fabriken gehalten werden. Herr Ronsöhr, dies gibt es
nicht nur in Ostdeutschland. Das gibt es auch ganz massiv
in dem Land, aus dem Sie kommen, nämlich in Niedersachsen.
({8})
Wir müssen zu einer artgerechten, transparenten und
kontrollierbaren Form von Landwirtschaft kommen. Der
ökologische Landbau gehört aus meiner Sicht in diesem
Zusammenhang an die Spitze. Dies können wir nicht
durch ideologische Diskussionen und im Kontra zur konventionellen Landwirtschaft erreichen, sondern dadurch,
dass wir, wie Bauernpräsident Sonnleitner das schon vor
zwei Jahren getan hat - in diesem Punkt stimme ich ihm
voll zu -, den ökologischen Landbau als Vorbild für die gesamte Landwirtschaft in Deutschland begreifen. Das ist
das, was der ökologische Landbau leistet und schon geleistet hat.
Ich bedanke mich.
({9})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Kersten Naumann.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! BSE hat die angeblich heile deutsche
Welt wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen. Das
Vertrauen in die Landwirtschaft ist gebrochen. Landwirte
und Verbraucher sind verunsichert. Viele stehen vor dem
Ruin.
Auch wenn gegenwärtig noch vieles im Dunkeln liegt,
ist zumindest eines klar: Wir haben es hier keineswegs nur
mit einem landwirtschaftlichen, sondern mit einem zutiefst gesellschaftlichen Problem zu tun.
({0})
Ich meine damit zum einen, dass die Bauern unter den
Zwängen der Konkurrenz liberalisierter Märkte immer billiger produzieren müssen, um ihre Existenz zu sichern.
Hieraus resultieren, wie wir alle wissen, eben nicht bloß
positive Wirkungen auf die landwirtschaftliche Erzeugung. Zum anderen will ein Großteil der Verbraucher Lebensmittel billig kaufen. Das hat viel damit zu tun, dass die
Verlockungen des Konsums angesichts der Fülle von industriellen Konsumgütern und Dienstleistungsangeboten
immer größer werden. Die Befriedigung eines mit massiver Werbung manipulierten Kaufrausches erfolgt oft mit
dem Geld, das man bei der Ernährung einsparen zu können glaubt.
Ich meine, einige Wertevorstellungen werden immer
fragwürdiger. Die Mechanismen dieser Gesellschaft
gehören deshalb auf den Prüfstand. Die Bewältigung der
BSE-Krise darf also nicht nur auf veterinärmedizinische
und technisch-organisatorische Konsequenzen beschränkt
bleiben. Was wir brauchen, ist eine sachliche Debatte um
notwendige Veränderungen bei der Art und Weise der
Agrarproduktion, damit wir zu einer tatsächlich zukunftsfähigen Produktionsweise gelangen.
({1})
Das korrespondiert mit der Frage nach einem neuen
Ernährungsbewusstsein und -verhalten in der ganzen
Breite der Bevölkerung.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf macht mich
nicht unbedingt glücklich. Er erscheint, so sollte man ehrlich sagen, wie ein Kind aktionistischer Hilflosigkeit.
({2})
Trotzdem steht außer Frage, dass auch meine Fraktion ihm
zustimmen wird. Erst dann zu handeln, wenn die vielen
offenen Fragen wissenschaftlich beantwortet sind, wäre
nicht zu verantworten. Schließlich geht es um die
Wiederherstellung des Vertrauens der Menschen in die
Landwirtschaft. Gerade das ist jetzt besonders wichtig.
({3})
Allerdings sollte allen klar sein, dass diese Entscheidung einen ganzen Rattenschwanz von Problemen nach
sich zieht, die gelöst werden müssen. Ich erwarte von der
Bundesregierung, dass sie bald erklärt, mit welcher finanziellen Unterstützung die Betriebe mit Rinderhaltung
überhaupt rechnen können.
({4})
Es reicht mir nämlich nicht, dass Sie, Herr Bundesminister Funke, eine finanzielle Beteiligung des Bundes für erforderlich halten. Sie waren schließlich auch für 47 Pfennig beim Agrardiesel und haben sich, bei allem Respekt,
nicht durchsetzen können.
Einigkeit sollte darin bestehen, dass es nicht angeht,
dass die Landwirte den Erlöseinbruch durch den stark reduzierten Schlachtrinderabsatz und sinkende Erzeugerpreise sowie die Mehrkosten durch längere Haltung und
Umstellung des Futterregimes infolge des Tiermehlverbots allein tragen. Handlungsbedarf sehe ich auch hinsichtlich der Kostentragungspflicht für die Tierkörperbeseitigung; hier ist eine Änderung der derzeitigen
Rechtslage nötig. Es wird nicht gehen, die Länder, Kommunen und Landwirte mit den enormen Mehrkosten allein
zu lassen. Hier ist ein Bundeszuschuss dringend erforderlich.
({5})
Leider wurde ein solcher im Ausschuss nur sehr vage in
Aussicht gestellt.
Zu meinen Erwartungen an die Bundesregierung gehört
des Weiteren, dass eine Konzeption zur Sicherung pflanzlicher Eiweißfuttermittel mit Schwerpunkt beim Ausbau
der einheimischen Futterpflanzenproduktion, und zwar
auch auf derzeitigen Stilllegungsflächen, erarbeitet wird.
Ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu dieser Problematik überraschte uns heute positiv. Ich werte
diesen Entschließungsantrag als einen Schritt in die richtige Richtung. Er gibt mir die Hoffnung, dass Gen-Soja sowohl aus eigener Produktion als auch aus Importen keinen
Zugang in die Tierfütterung finden wird.
({6})
Zu meinen Erwartungen gehört außerdem, dass das
Bundeslandwirtschaftsministerium in der Dezember-Sitzung des Planungsausschusses für Agrarstruktur und Küstenschutz für eine vorrangige Förderung des ökologischen
Landbaus und der Erzeugung von Biofleisch bis hin zum
Absatz eintritt, dass die Forschung zum Komplex BSE und
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit intensiviert und die dafür erforderlichen Mittel im Haushalt etatisiert werden und
schließlich, dass sich die Regierung nachdrücklich dafür
einsetzt, dass die BSE-Problematik auf die Tagesordnungen des EU-Gipfels in Nizza und der Verhandlungen mit
den EU-Beitrittskandidaten kommt.
({7})
Auf höchster Ebene, also durch die Regierungschefs, muss
ein europaeinheitliches Herangehen an die nicht vor nationalen Grenzen Halt machende BSE abgesichert werden.
Wem der Verbraucherschutz und das Vorsorgeprinzip
ernst sind, der muss erstens dafür sorgen, dass die Bedingungen für flächendeckende BSE-Tests schnell geschaffen werden, um in Erfahrung zu bringen, wie groß die Zahl
infizierter Rinder in Deutschland tatsächlich ist. Zweitens
müssen Importe von Fleisch und Fleischerzeugnissen aus
Drittländern, die Tiermehl verfüttern und keine BSE-Tests
durchführen, ausgeschlossen werden. Das gehört zur Logik des Gesetzentwurfs.
({8})
Ich komme nunmehr zum Haushalt 2001. Hierzu liegt
Ihnen ein Änderungsantrag meiner Fraktion vor: Erstens
wollen wir, dass die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen
Unfallversicherung um 100 Millionen DM aufgestockt
werden. Das soll eine Teilentlastung der Landwirte bei den
Beiträgen ermöglichen, was Sie, Kollegin Hoffmann, als
absurd bezeichnen.
({9})
Wir solidarisieren uns mit dem Bauernverband hinsichtlich seines gerechtfertigten Verlangens nach gleichwertigen Bedingungen bei der Unfallversicherung wie im
Handwerk und der übrigen mittelständischen Wirtschaft.
({10})
Zweitens geht es uns um die Erhöhung des Bundesanteils an der Gemeinschaftsaufgabe um gleichfalls
100 Millionen DM, weil insbesondere die Altverpflichtungen mit derzeit rund 58 Prozent so hoch sind, wie
dies in den letzten zehn Jahren nur einmal der Fall war.
Damit könnte der nach Ländern sehr differenzierte Antragsstau bei der Investitionsförderung der Betriebe und
Dorferneuerung abgebaut werden.
Die Finanzierbarkeit des Antrags ist gegeben, wenn Sie
unserem Ansinnen folgen und die für die Beschaffung des
schlicht überflüssigen Waffensystems Eurofighter 2000
vorgesehenen Mittel, das bekanntlich noch teurer werden
soll, als im Entwurf des Verteidigungshaushalts steht,
dafür und für andere sinnvolle Verwendungen umschichten.
Es ist schon makaber, dass es bisher am politischen Willen für die Einordnung der finanziellen Mittel für eine groß
angelegte BSE-Forschung gefehlt hat. Dies geschah trotz
der Bedrohung durch BSE, die durch die Ereignisse in
England längst eine sehr reale ist, während die so genannte
militärische Bedrohung wohl eher ein Phantom ist, um der
Rüstungsindustrie ihre Profite mithilfe von Steuergeldern
zu sichern und für eventuelle militärische Auseinandersetzungen um Rohstoffe fit zu sein. Das sind finanzielle Mätzchen, werte Kollegin Hoffmann, und verhindern die Aufstockung der Mittel für die GA.
({11})
Als positiv werte ich den Antrag der Koalitionsfraktionen für ein Hilfsprogramm zur Sicherung der Liquidität
von Unterglasgartenbaubetrieben, auch wenn dessen finanzielle Ausstattung mehr als dürftig ist. Erwähnenswert
ist allerdings, dass die Koalition damit die Intention unseres früher gestellten Antrages zur Einrichtung eines BundLänder-Nothilfefonds aufgegriffen und kreativ umgeschrieben hat.
Abschließend möchte ich Ihnen, Herr Minister Funke,
Folgendes mit auf den Weg geben: Kluge Regierungen haben immer für zufriedene Bauern und Verbraucher gesorgt. Das sollte auch diese Bundesregierung beherzigen.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Karl-Heinz Funke.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf einige Punkte eingehen, die in der Debatte schon eine Rolle
gespielt haben, insbesondere im Zusammenhang mit dem
Gesetz über das Verbot des Verfütterns und der Ausfuhr
bestimmter Futtermittel.
Herr Ronsöhr, Sie haben erwähnt, ich hätte im Ausschuss auf die Frage einer Bundestagsabgeordneten - ich
dachte, es sei Frau Lemke gewesen, aber vielleicht irre ich
mich -, ob es Erkenntnisse über die Infektion über die Böden gebe, geantwortet: Da gibt es nichts. - Das stimmt
nicht. Ich habe gesagt: Es gibt keine Erkenntnisse über
eine Reinfektion über die Böden. Exakt so habe ich es formuliert. Das ist etwas völlig anderes, als wenn man den
Satz in einer Weise ausspricht, die assoziiert, man habe nie
davon gehört oder kenne es nicht.
Lassen Sie mich noch etwas dazu sagen. Über das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Umweltministerium - insoweit ist die Diskussion überhaupt nicht
neu - haben der Kollege Trittin und ich - ich glaube, es
war im Mai oder Juni 2000; das genaue Datum könnte ich
feststellen - bei einer Veranstaltung des Deutschen Bauernverbandes mit deren Vertretern diskutiert. Dabei ging
es im Übrigen auch um den Einsatz von Antibiotika. Wir
wissen: Die im Gutachten geäußerte Auffassung wird dort
selbst als theoretisch deklariert.
({0})
Wir sind damals gebeten worden - lassen Sie mich das
noch zu Ende führen, Herr Carstensen -, Flächen, wenn
vorhanden, für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. Das werden wir jetzt machen. Bisher hatten wir keine
Flächen in Deutschland, die wir dafür zur Verfügung hätten stellen können. Wir werden jetzt Flächen zur Verfügung stellen, damit dort Forschung betrieben werden
kann. Ich weiß überhaupt nicht, was eine solche Behauptung in einer solchen Debatte, in der es um Sachlichkeit
und Fairness geht, eigentlich soll.
({1})
Herr
Minister Funke, können Sie vielleicht etwas zu einer Pressemitteilung sagen, die mir heute oder gestern auf den
Tisch gekommen ist ({0})
- das spielt, glaube ich, keine große Rolle -, in der einer ich glaube sogar, der Chef dieser Expertengruppe - darauf
hingewiesen hat, dass er schon im Februar ernsthaft und
sehr real auf Gefahren in diesem Punkt hingewiesen hat,
und in der er auch gesagt hat, es sei, obwohl er auf diese
Gefahr ernsthaft hingewiesen habe, seitdem weder aus
Ihrem Hause noch aus dem Hause der Gesundheitsministerin eine Antwort gekommen?
Entschuldigung, soweit ich
die Pressemitteilung kenne, geht es darum, dass er Flächen, von denen eine BSE-Gefährdung ausgeht, gefordert
hat, die er untersuchen kann. Diese Flächen standen nachweislich bisher nun einmal nicht zur Verfügung. Deswegen konnten wir bisher auf diese Aufforderung nicht reagieren, was wir jetzt selbstverständlich tun werden.
Ansonsten kenne ich den Inhalt der Presseerklärung
nicht. Sie können sie mir ja zugänglich machen, damit ich
sehe, ob darin noch andere Forderungen enthalten sind.
({0})
Wir haben über diese Problematik sehr offen diskutiert.
Warum auch nicht?
({1})
- Herr Hornung sagt jetzt, wir können nicht Millionen
Hektar unter Quarantäne stellen. In Ordnung, ich will das
nicht kommentieren.
Gleichzeitig gehen wissenschaftliche Analysen, basierend auf Erfahrungen in Großbritannien, bisher eindeutig
davon aus, dass es diese Reinfektionen nicht gibt. Genau
das habe ich im Ausschuss gesagt und gemeint, meine Damen und Herren. Das ist so, etwas anderes kann ich nicht
behaupten.
({2})
Herr Minister,
gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Minister, können Sie bestätigen, dass ich Sie gestern im Ausschuss gefragt habe, ob die Bundesregierung bei dem Betrieb in Schleswig-Holstein, in dem das BSE-Rind aufgefallen ist, Quarantänemaßnahmen aufgrund des Bundesbodenschutzberichtes der Bundesregierung und aufgrund der Befunde der Wissenschaftler zur Übertragung
der BSE-Erreger über Weideflächen plant, und dass Sie
mir auf diese Frage keine Antwort gegeben haben?
({0})
Entschuldigung, ich erinnere
mich wirklich überhaupt nicht an diese Frage im Ausschuss. Die haben Sie jetzt formuliert.
({0})
Ich müsste mal einige Kollegen fragen, die dabei gewesen
sind.
({1})
Die Formulierung Ihrer Frage entnehmen Sie jetzt einer
Pressemitteilung unseres Hauses, in der genau das in etwa
steht.
({2})
- Es ist wirklich sehr merkwürdig, was da jetzt läuft. Wie
gesagt, wir haben schon im Mai/Juni darüber diskutiert.
Meine Damen und Herren, ich will ein paar Punkte ansprechen. Natürlich wird jetzt die Agrarpolitik insgesamt
infrage gestellt.
({3})
Darüber findet eine breite Diskussion statt. Es wird über
die Art unserer Ernährung nachgedacht. Mir scheint, wissenschaftlicher Rat ist mehr denn je notwendig, um auf die
damit verbundenen Fragen Antworten zu finden - auch
dann, wenn der Politik und den Politikern - mir ja auch
insbesondere - Versagen vorgeworfen wird. Allerdings
kann ich bei dem einen oder anderen Vorwurf, insbesondere auch an meine Adresse, nicht umhin zu sagen: Heuchler.
({4})
Nun verfolge ich ja diese Diskussion - den Vorteil habe
ich - schon seit längerem, damals noch als niedersächsischer Landwirtschaftsminister in Zusammenarbeit mit
dem Kollegen Seehofer. Ich habe mir das eine oder andere
noch einmal heraussuchen lassen.
Seehofer und ich waren uns damals - er hat mir das im
Übrigen auch bestätigt - in vielen Dingen wie der Beurteilung der Situation und den zu ergreifenden Maßnahmen
durchaus einig. Deswegen mache ich auch keine Schuldzuweisungen. Das kommt bei mir überhaupt nicht infrage,
weil ich vor mir selber noch bestehen und noch in den
Spiegel gucken will. Ich mache es nicht und ich habe es
bisher auch nicht getan.
({5})
Ich richte weder an die Kommission in Brüssel noch an die
vorherige Regierung Schuldzuweisungen. Sonst hätte ich
einen abendfüllenden Zitatenschatz, meine Damen und
Herren.
({6})
Ich könnte hier fragen, was denn davon zu halten ist,
wenn uns Ministerpräsident Stoiber vorwirft, wir würden
den Verbraucherschutz hintenanstellen, wirtschaftliche Interessen hätten Vorrang. Dass ausgerechnet Stoiber mir
bzw. einer rot-grünen Regierung vorwirft, bei uns kämen
wirtschaftliche Interessen vor dem Verbraucherschutz, ist
schon eine seltsame Umkehrung der parteipolitischen Positionen. Aber wie gesagt, darauf möchte ich gar nicht eingehen.
({7})
Ich habe mich damals gewundert - ich wurde eben darauf hingewiesen; die „Süddeutsche Zeitung“ soll mittlerweile das eine oder andere aufgearbeitet haben -, als uns
ganz bestimmte Bundesländer, die im Süden der
Bundesrepublik Deutschland liegen und deren Namen ich
nicht nennen möchte, in der Vergangenheit aufgefordert
haben, Klage zu erheben, wenn europäische Richtlinien,
insbesondere diejenigen zum Schutz vor BSE, umgesetzt
werden müssten. Das scheinen diese Bundesländer völlig
vergessen zu haben. Soll ich das Abstimmungsverhalten
dieser Bundesländer in manchen Ausschüssen des Bundesrates publik machen? Nein, das tue ich alles nicht; das
möchte ich nicht.
({8})
- Frau Kollegin, wenn es mir irgendwann zu dumm wird,
dann werde ich das vielleicht machen.
Ich bekenne mich dazu, gesagt zu haben: Deutsches
Rindfleisch ist sicher, Deutschland ist BSE-frei.
({9})
- Natürlich, Herr Kollege Carstensen, ich bekenne mich
auch dazu. Nur eines vermeide ich, nämlich heuchlerisch
zu werden und so zu tun, als hätte ich das alles überhaupt
nicht gesagt. Das ist der entscheidende Punkt.
({10})
Ich weiß nicht, ob man mir deshalb Versagen und Versäumnisse vorwerfen kann. Ich habe das alles vor dem
Hintergrund ganz bestimmter Erkenntnisse gesagt, wie sicherlich all jene, die das auch gesagt haben. Ich unterstelle
ihnen nicht das, was Sie mir unterstellt haben. Deshalb
wünsche ich mir, dass Sie mir das auch nicht unterstellen.
Andere haben gesagt: „Setzt das nicht zu schnell um,
die Bundesregierung soll erst einmal klagen“, und haben
gleich die Zahlen dabei gehabt, anhand derer sie belegen
konnten, wie hoch die Landwirtschaft durch die Umsetzung der europäischen Richtlinie belastet wird. So sieht
der Sachverhalt aus. Sie haben mich enttäuscht. Aber damit musste ich vielleicht rechnen. Aber das bringt mich
nicht dazu - ich will ja vor mir selber bestehen -, die
Schuld Brüssel in die Schuhe zu schieben. Zu Brüssel
könnte ich auch einiges sagen. Aber das mache ich auch
nicht.
Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch das, was
im Vorwort des F.D.P.-Antrages steht. Über die dort aufgelisteten Maßnahmen können wir selbstverständlich reden, zum Beispiel über die Schnelltests. Im Übrigen weiß
ich nicht, worin der Widerspruch zwischen dem, was ich
in den verschiedenen Ausschüssen gesagt haben, bestehen
soll. Ich habe auch im Gesundheitsausschuss zu den
Schnelltests Stellung genommen und gesagt, dass wir eine
flächendeckende Testung wollen und dass die Tests möglichst schnell verbessert werden müssen, um entsprechende Erkenntnisse zu bekommen. Ich habe dies - das
kann man nachlesen - auch so im Agrarrat gefordert, weil
die Frage der Testung im Hinblick auf das Vertrauen der
Verbraucher ganz entscheidend ist. Nur über die Tests lässt
sich das Vertrauen wieder herstellen. Deshalb müssen wir
die Test weiter verbessern; denn je besser die Tests sind,
desto aussagekräftiger sind die Ergebnisse.
({11})
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Ja, gerne.
Herr Minister Funke, Sie haben sich gerade wieder für die Durchführung von Tests
ausgesprochen. Sie sind wie ich darüber informiert, dass
eine große Zahl an Tests - ich glaube, es waren 16 000 auf freiwilliger Basis durchgeführt worden sind. Das ist
beachtlich. Warum hat die Bundesregierung angesichts der
großen Bereitschaft nicht schon früher eine flächendeckende Testung durchgesetzt bzw. wenigstens Gespräche darüber geführt?
({0})
Herr Heinrich, darauf kann
ich sehr sachlich und sehr nüchtern antworten: Die Tests,
die vor allem in der Schweiz weiterentwickelt wurden,
sind erst seit Mitte 1999 von der EU evaluiert und als solche anerkannt worden. Seitdem werden sie durchgeführt
und weiterentwickelt. Die Position der Bundesregierung
war allerdings - offensichtlich ist das auch Ihre Position,
wie aus dem Antrag, den Sie gestellt haben, hervorgeht -,
dass solche Tests im Grunde genommen europaweit
durchgeführt werden müssen, weil sie ansonsten in einem
gemeinsamen Markt ohne Grenzen wenig Wert im Hinblick auf die Sicherheit der Verbraucher haben. Genau um
diesen Punkt ist es uns immer gegangen, um nichts anderes.
({0})
Im Vorwort Ihres Entschließungsantrages steht - so
läuft das manchmal -, das Exportverbot gegen Großbritannien sei 1999 unter deutscher Präsidentschaft aufgehoben worden.
({1})
- Nein, es ist falsch, aber so wird gearbeitet. Ich erinnere
mich deshalb noch sehr genau, weil es bei meiner ersten
Teilnahme als zuständiger Bundesminister am Agrarrat
war. Es war übrigens unter österreichischer Präsidentschaft.
Jetzt könnte ich allenfalls sagen - das tue ich aber nicht -,
mein Vorgänger habe versäumt, Mehrheiten dafür zu
schaffen. Es wäre falsch, das zu sagen. Ich tue es auch
nicht. Denn die Kriterien, die letztlich für die anderen Nationalstaaten ausschlaggebend dafür waren, das Exportverbot aufzuheben, hatten die Regierungschefs aller EUMitgliedstaaten zuvor in Florenz festgelegt. Das lief nach
einem ganz bestimmten Verfahren ab. Wenn die Kommission sozusagen grünes Licht gegeben hätte, sollte der
Agrarrat auf Vorschlag der Kommission zustimmen. - So
ist es damals gewesen.
Ich würde also meinem Vorgänger niemals sagen: Das
hast du alles versäumt. Ich habe trotzdem - so lautete im
Übrigen auch das Votum des Deutschen Bundestages - dagegen gestimmt, meine Damen und Herren, weil wir Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz höher stellen.
({2})
So war es und der Kollege Borchert wird das bestätigen.
Ihm wäre es - davon bin ich überzeugt - in der Agrarratssitzung - ich glaube, sie war im November oder im Dezember des Jahres 1998 - genauso gegangen.
Da stelle ich mich also nicht hin und sage: Mein Vorgänger hat es versäumt, für Mehrheiten zu sorgen; deswegen haben wir das nicht hinbekommen. Das wäre billig
und ich täte ihm unrecht, wenn ich das sagte. Ich werde das
auch nicht tun.
Herr Kollege Heinrich, wenn Sie jetzt davon sprechen,
Sie seien für eine offene Deklaration von Futtermitteln,
so ist dies nun eine Sache, von der ich zufällig weiß, ohne
Mitglied des Deutschen Bundestages oder Mitglied dieser
Regierung gewesen sein zu müssen, dass es hierüber immer Diskussionen gegeben hat und wie die Auffassung der
jeweiligen Beteiligten war. Nun können Sie sagen, Sie
seien als Fraktion immer dagegen oder dafür gewesen, offen zu deklarieren, und die CDU/CSU habe das immer abgelehnt. Mag sein.
({3})
Koalitionsinterna kenne ich nicht. Aber wenn Sie sich
ganz heimlich für die vorausgegangenen Jahre aus der
Regierungsverantwortung verabschieden und sagen, das
müsse aber nun endlich kommen, und den Eindruck erwecken, dass die gegenwärtige Bundesregierung dies versäumt habe, so kann man das nicht zulassen, Herr Kollege
Heinrich.
({4})
Nun sage ich Ihnen eindeutig: Ich bin für die offene
Deklaration und ich weiß, dass die SPD auch immer dafür
war. Also sind wir gemeinsam dafür. Jetzt so zu tun, als
seien die einen die Schlimmen und Sie die Guten - nein,
meine Damen und Herren, so ist die Diskussion um diese
Fragen von Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz in
der Vergangenheit niemals geführt worden und deshalb
kann man sie auch jetzt nicht mitmachen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will dazu
noch eine Bemerkung machen, weil in diesem Zusammenhang Agrarstruktur und Agrarpolitik angesprochen
worden sind. Ich habe mir von vielen Seiten genug Kritik
angehört, im Übrigen aus allen Parteien, auch aus der eigenen, weil ich immer für bäuerliche Strukturen in der
Landwirtschaft eingetreten bin. Aber da bin ich Überzeugungstäter. Da habe ich meine Einstellung. Ich werde immer für bäuerliche Strukturen sein, eingedenk der Tatsache, dass wir auch andere Strukturen haben. Ich bewerte
das auch nicht, indem ich sage, das eine sei alles gut und
das andere sei alles schlecht. Würde man dies tun, so hielte
es auch der Wirklichkeit nicht stand.
Ich könnte jetzt aufzählen, welche Vorlagen ich im
Laufe der Zeit gemacht habe, die damals noch abgelehnt
worden sind. Das will ich aber auch nicht tun. Das bringt
im Grunde auch überhaupt nichts. Wenn jetzt jemand so
tut, als gebe es auf dieser Welt auch in der Agrarpolitik
weder Liberalisierung noch Globalisierung - das geht in
mehrere Richtungen, meine Damen und Herren, weil ich
nicht will, dass man mir irgendwann sagt: Das hättest du
ja auch einmal sagen können -, so kann ich das nicht nachvollziehen. Wir brauchen Spezialisierung, wir brauchen
Rationalisierung, um mit dieser Globalisierung und Liberalisierung fertig zu werden. Ob ich die Liberalisierung
immer gut finde, ist etwas völlig anderes. Ich nehme sie als
Realität.
({5})
- Jetzt sind wir wieder bei dem Thema. Gut, wenn wir insoweit wenigstens einig sind. - Wenn ich die Realität
wahrnehme, kann ich nicht den Eindruck erwecken, als
könnte ich Europas Grenzen dichtmachen und die Landwirtschaft, die wir hier haben, alleine strukturell festschreiben. Das können wir nicht. Wenn ich das sagen
würde, würde ich meiner Verantwortung gegenüber den
deutschen Bauern nicht gerecht, weil das mit Realität
überhaupt nichts zu tun hat.
({6})
Das sage ich an alle, die glauben, wir könnten gewisse
idyllische Züge kennzeichnen.
Herr Minister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meinolf
Michels?
({0})
Ich gestatte eigentlich immer
Zwischenfragen. Es macht mir Freude, darauf zu antworten.
Herr Minister, Sie sagten gerade, wir könnten die Grenzen nicht dicht machen.
Können die deutschen Verbraucher, wenn wir heute Abend
das Gesetz beschließen, das Vorgaben für die Fleischproduktion in Deutschland enthält, davon ausgehen, dass
kein anders produziertes Fleisch aus EU-Ländern oder
Drittländern auf deutschen Frühstückstischen landet?
({0})
Herr Kollege Michels, bevor
ich zu Ihrer Frage komme, möchte ich noch einen Satz zu
dem sagen, was ich vorher gesagt habe. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in der durch den BSE-Fall ausgelösten
Debatte jetzt über Vertrauen der Verbraucher in die Landwirtschaft und auch darüber reden, dass dann, wenn wir
bäuerliche Landwirtschaft haben wollen, für deren Erzeugnisse auch entsprechende Preise auf dem Markt bezahlt werden müssen, damit die Landwirte entsprechend
Geld für ihre Produkte bekommen und ihre Betriebe weiter führen können. Hier und da lese und höre ich durchaus
etwas anderes. Es muss klar sein, dass die Preisfrage zu
diesem Komplex dazugehört.
Auf Ihre Frage möchte ich Folgendes antworten: Ich
habe prüfen lassen, ob wir im Rahmen unseres auf nationaler Ebene beschlossenen Verbotes, Tiermehl in die Futterkette zu bringen, die Möglichkeit haben, Importe von
Tieren, die mit Tiermehl gefüttert wurden, zu verbieten.
Das ist rein rechtlich nicht möglich. Die einzige Grundlage
hierfür wäre das Tierseuchengesetz. Diese Möglichkeit
wurde schon juristisch geprüft, damit kommen wir aber
nicht zurecht. Im Übrigen habe ich mich deshalb auch
schon vor einer Woche im Agrarrat dafür eingesetzt, dass
man das Verbot, Tiermehl zu Futtermittelzwecken zu verarbeiten, auf europäischer Ebene umsetzen sollte. Europa
hätte nämlich dann die Möglichkeit, an den Außengrenzen
des gemeinsamen Marktes die Importe zu kontrollieren.
Ich bin ganz entschieden dafür - Gott sei Dank werden wir
ja darüber reden, Byrne und Fischler haben sich gestern
dazu geäußert -, ein europaweites Verbot zu erlassen. So
entstehen erstens keine Wettbewerbsnachteile für die deutsche Landwirtschaft und zweitens kann dabei über die
Frage der Importe
({0})
- das habe ich gerade gesagt, Herr Kollege Carstensen geredet werden. Ich werde sehr darauf drängen, dass meiner Forderung, keine derartigen Importe aus Drittländern
zuzulassen, stattgegeben wird.
({1})
- Ich kann jetzt nicht alle Zurufe aufgreifen, weil ich sie
schlichtweg akustisch nicht höre. Die beiden oben genannten Dinge gehören aber zusammen.
Ich möchte noch etwas zu den Finanzen sagen. Heute
Abend spricht ja der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten über dieses Thema. Der Bund wird sich seiner Verantwortung für die Bereiche, für die er zuständig ist, nicht
entziehen. Ich gehe davon aus, dass das auch für alle anderen gilt, auch für die Länder.
({2})
Wir haben - das möchte ich sehr offen sagen - noch keine
exakten Zahlen, sodass wir noch nicht klar abschätzen können, wie viel Geld dafür nötig ist, um das umzusetzen.
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen, dass es
keiner von uns weiß. Darum sind der Bundeskanzler, der
Finanzminister und ich heute Nachmittag in einem Gespräch übereingekommen, dass eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet wird. Diese soll versuchen, alle
Faktoren zu erfassen und zu quantifizieren, sodass dann auf
dieser Basis dort über eine faire Lastenverteilung geredet
werden kann. Dies ist der einzig gangbare Weg, wenn man
seriös bleiben will, anders geht es nicht. Ich bin dankbar,
dass wir diese Absprache treffen konnten. Wenn man sich
heute Abend schon einigt, ist das umso besser.
Da meine Redezeit zu Ende geht, muss ich mich jetzt
beeilen. Ich möchte noch kurz zum Agrarhaushalt und zur
Agrarpolitik überleiten. In der durchaus aufgeheizten Diskussion der letzten Tage ist ein wichtiger Punkt untergegangen, den wir Sozialdemokraten immer für richtig und
notwendig gehalten haben und den ich immer so gut wie
möglich voranzubringen versucht habe, nämlich die vertraglich gebundene Landwirtschaft. Das heißt, dass Verträge bestehen, angefangen bei der Art der Erzeugung über
die Futtermittelwerbung bis zur Ladentheke. Durch eine
solche vertragliche Bindung wird alles wie auf einer gläsernen Kette aufgereiht und kann nachvollzogen werden.
Einer solchen Landwirtschaft gehört die Zukunft.
({3})
Es gibt in vielen Ländern Deutschlands diesbezügliche Ansätze. Entscheidend ist, dass dieses in Zukunft kommen
wird.
Abschließend, meine Damen und Herren, nur noch ein
Satz zu den Subventionen: Ich bitte diejenigen, die über
Subventionen geredet haben, nachzusehen, wie Subventionen definiert sind.
Die Zeit ist vorbei.
Selbstverständlich sind steuerliche Rahmenbedingungen dann keine Subventionen.
Darüber ist aber auch nie geredet worden.
Jetzt konnte ich nicht mehr viel zum Haushalt sagen,
aber angesichts des Themas, das auf den Nägeln brennt,
ist das vielleicht zu verantworten. Ich bitte um Verständnis.
({0})
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Kollege Josef Hollerith.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir den
Saldo beim Einzelplan 10 ziehen, müssen wir feststellen,
dass gerade mal 27 Millionen DM bewegt worden sind
- 44 Millionen DM Kürzungen, 71 Millionen DM Erhöhungen -, und dies bei einem Gesamthaushalt von
11 Milliarden DM und dies angesichts der existenziellen
Probleme unserer Bauern in Deutschland.
({0})
Diese Zahl belegt, dass im Haushaltsausschuss ein Offenbarungseid der rot-grünen Mehrheit geleistet wurde.
Sie dokumentiert die Verweigerung vor den existenziellen
Problemen der Landwirtschaft in Deutschland.
Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass wir angesichts dieser Situation Anträge über rund 900 Millionen DM eingebracht haben, weil uns die Menschen, die
Bauern, die bäuerlichen Familien, das flache Land, die
Strukturen dort am Herzen liegen.
({1})
Ich nehme das, was Sie über die Solidität der Finanzierung gesagt haben, sehr ernst. Es ist eine Frage der Prioritäten. Es ist eine Frage, ob der Herr Bundeskanzler
Schröder Schmiergeld in die Hand nimmt, um Länder zu
kaufen,
({2})
oder ob wir das Geld nehmen, um den berechtigten Belangen der Landwirtschaft zu entsprechen.
({3})
Das ist die politische Frage, vor der wir stehen.
({4})
Wir haben Anträge gestellt, 200 Millionen DM für die
Unfallversicherung einzustellen, weil wir die alte Last
vom Bund abfinanziert haben wollen.
({5})
Es ist doch ein besonderes Zeichen der Qualität der
rot-grünen Haushaltsberatung, dass gegen uns mit
der Mehrheit von Rot-Grün 80 Millionen DM bei der
Unfallversicherung gesperrt worden sind und bereits
heute die Entsperrungsvorlage der Bundesregierung in
den Fächern liegt.
Ich weiß schon, warum das so ist. Man hat gemerkt,
dass in Rheinland-Pfalz im nächsten Jahr Landtagswahlen anstehen
({6})
und dass bei einer nicht erfolgten Entsperrung die
Beiträge vor der Landtagswahl raketenartig hätten erhöht
werden müssen. Das ist keine solide Beratung des Haushalts, die von Ihnen geleistet worden ist.
({7})
Sie haben sich unserem Antrag verweigert, den Unterglasbetrieben wirksam zu helfen, und auch hier ist es ja
klar, dass von den drei Gründen für die hohen Energiepreise zwei politisch von Ihnen, von der rot-grünen Mehrheit zu verantworten sind. Die Steigerung der Energiepreise wird durch die Knappheit, durch den schwachen
Euro - Energie wird in Euro fakturiert - und durch die
Ökosteuer verursacht.
Es ist deswegen auch eine Frage der Gerechtigkeit,
dass die Politik, wenn sie diese Verantwortung für die hohen Energiepreise hat, auch für Kompensation sorgt. Deswegen haben wir unseren Antrag für die Unterglasbetriebe gestellt.
({8})
Sie verweigern sich unserem Antrag zur Aufstockung
der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe. Wir wollen mit
dem Antrag, 300 Millionen DM für BSE-Folgekosten
einzustellen, ein Signal der Bereitschaft setzen,
({9})
und ich bin froh und dankbar, dass hierzu offensichtlich
auch mit den zuständigen Ministern der Länder eine große
Koalition der Vernunft auf dem Weg ist,
({10})
um den Bauern, die hier mit Milliardenverlusten unschuldig in die Misere geraten sind, wirksam zu helfen.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Rot-Grün
traktiert die Bauern mit der Ökosteuer. Es ist ein besonderer Widerspruch, dass man bei Rot-Grün in Bezug auf
die Ökosteuer offensichtlich bereit ist, in Europa im Alleingang voranzugehen, man aber, wenn es um die Gesundheitsvorsorge der Menschen geht, auf Europa warten
will.
({12})
Das ist eine besondere Widersprüchlichkeit. Sie schikanieren die Landwirtschaft mit den Kürzungen der
Gasölbeihilfe und mit der Erhöhung der Mineralölsteuer.
In unserer Zeit zahlten die Bauern per Saldo 21 Pfennig
Mineralölsteuer pro Liter Agrardiesel. Sie nehmen den
Bauern jetzt 57 Pfennig ab. Das ist ungerecht; denn die
Bauern haben weniger Mineralölsteuern gezahlt, weil die
Traktoren und Mähdrescher eben nicht die Landstraße belasten, sondern weil sie die meiste Zeit auf den Feldern
fahren. Deswegen haben die Bauern zu Recht weniger
Mineralölsteuern gezahlt.
({13})
Ihr Haushalt wird den dramatischen Problemen der
Landwirtschaft in Deutschland nicht gerecht. Die Bauern
verdienen eine bessere Politik. Wir lehnen den Haushalt
ab.
({14})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Uli Höfken.
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht haben wir Grünen seit 20 Jahren auf einen
grundlegenden Wechsel in der Agrarpolitik gedrängt. Am
Beispiel von Herrn Hollerith sieht man, warum: Ihm klebt
das Esso-Schild auf der Stirn und weist ihn so als einen
Vorkämpfer für die Mineralölindustrie aus.
({0})
Wir aber setzen uns für die erneuerbaren Energien und für
die Wettbewerbsfähigkeit von Pflanzenölen, also für Produkte der Landwirtschaft, ein.
In der BSE-Krise wird auf traurige Weise deutlich: Die
Industrialisierung der Agrarwirtschaft ist am Ende.
Ich meine nicht den Betrieb in Schleswig-Holstein. Wer
kommt denn auf solch blödsinnige Ideen? Ich meine die
Industrialisierung in der Futtermittelindustrie. Was ist
heute wieder passiert? In Rheinland-Pfalz wurde Tiermehl in Kälberfutter gefunden.
({1})
Dieser Zwang zur Industrialisierung, diese Art der
Rohstoffproduktion, die zu den heutigen Strukturen geführt haben, legen den Schluss nahe: Diese Agrarwirtschaft ist am Ende.
({2})
Nur eine Landwirtschaft, die Gesundheit und den Verbraucherschutz in den Vordergrund stellt und gleichermaßen Rücksicht auf die Natur und auf eine artgerechte
Haltung der Tiere nimmt, hat Zukunft.
({3})
Hinsichtlich BSE stand Zögern, Zaudern und Verharmlosen viel zu lange auf der Tagesordnung der nationalen und internationalen Politik. Die Folge ist eine
klammheimliche Ausbreitung der Rinderseuche. Unter
dem Strich kann man von einem maximalen Schaden für
Verbraucher und Erzeuger sprechen. Neben vielen anderen Schlussfolgerungen ist daraus auch die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Ernährungspolitik und der Verbraucherschutz eine stärkere Stellung in der
Landwirtschaftspolitik bekommen sollten.
({4})
Wir haben seit vielen Jahren dutzendweise Anträge,
Anfragen und Initiativen in den Bundestag und in das Europäische Parlament eingebracht, in denen wir konkrete
Vorschläge gemacht haben, wie die weitere Verbreitung
von BSE zu stoppen ist. Ich erinnere beispielsweise an
den Antrag, den wir am 18. April 1996 eingebracht haben
und in dem stand:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ... die Verfütterung von Tiermehl an alle
landwirtschaftlichen Nutztiere unverzüglich vollständig einzustellen und diese Forderung EU-weit
umzusetzen.
Am 13. Juni 1997 haben wir in einem Antrag explizit den
Ausschluss von Risikomaterialien gefordert. Das hat die
Regierung von CDU/CSU und F.D.P. aber abgelehnt.
({5})
Im Dezember 1999, also vor einem Jahr, haben wir auf
einer Anhörung „Futtermittel im Fokus“ konkrete Maßnahmen für mehr Transparenz bei der Fleischetikettierung, die Umsetzung einer offenen Deklaration und die
Herausnahme von Tiermehlen aus der Futterkette formuliert, und zwar in Anwesenheit von Vertretern der Futtermittelindustrie, die diese Maßnahmen rundweg abgelehnt
haben.
({6})
Unser Ziel war es immer, vernünftige Vorschläge zu
formulieren und Lösungen zu finden, die Übergänge beinhalten.
({7})
Jetzt, wo das notwendige Umsteuern zu lange herausgezögert worden ist, helfen nur noch die Notbremse und eine
schmerzhafte Radikalkur.
Die Bundesregierung hat sehr schnell auf den ersten
BSE-Fall bei einem deutschen Rind mit den BSE-Tests
und mit der Herausnahme der Tiermehle aus der Futterkette, was wir gemeinsam parteiübergreifend beschließen
werden, reagiert.
({8})
Das genügt aber nicht; denn weitere Maßnahmen müssen
kurzfristig erfolgen.
({9})
Die Herkunftskennzeichnung muss erweitert werden.
Auch das ist schon angesprochen worden.
Alle geschlachteten Rinder müssen getestet werden.
Das muss die langfristige Zielsetzung sein und dazu müssen die Länder in die Lage versetzt werden. Alle Futtermittelbestandteile gehören deklariert. Herr Heinrich, ich
kann mich erinnern, als die Präsidentin noch agrarpolitische Sprecherin war, ist dieses einmal eine Initiative von
CSU und Grünen gewesen, die dann leider im Laufe der
Jahre wieder gestoppt wurde.
({10})
Es gibt weitere Maßnahmen und Notwendigkeiten, zum
Beispiel bei der Forschung. Aber das wird der Kollege sicherlich noch weiter ausführen.
EU, Bund und Länder sind aufgefordert, die Umstellung auf den Anbau von Ersatzfuttermitteln und die Umstellung der Tierkörperbeseitigungsanlagen mit Sofortprogrammen zu fördern sowie die betroffenen Landwirte
zu unterstützen. Da wird so verfahren, wie Minister Funke
das dargestellt hat. Die Koalitionsfraktionen haben dazu
heute einen Entschließungsantrag eingebracht, mit dem
Ziel, den Anbau von eiweißhaltigen Futtermittelpflanzen auf Stilllegungsflächen zu ermöglichen. Das heißt,
auf dem Agrarrat am nächsten Montag muss eine Öffnung
in diesem Bereich erreicht und damit eine Perspektive für
die Pflanzeneiweißversorgung eröffnet werden. Aber
auch das reicht noch nicht aus.
Nur mit einer radikalen Änderung der industriellen
Produktionsweisen in der Agrarwirtschaft sind Verbrauchersicherheit und -vertrauen zurückzugewinnen.
Die Lebensmittelproduktion insgesamt muss dabei das
Vorsorgeprinzip immer in den Vordergrund stellen.
({11})
Industrielle und zukunftsfähige Landwirtschaft
schließen sich weitgehend aus. Die Produkte, die wir
durch diese Massenproduktion auf den Markt gebracht
haben, sind nicht wettbewerbsfähig, wie man jetzt sieht.
Die Zukunft der Landwirtschaft muss auf vier Säulen
stehen. Erstens: die Verstärkung der ökologischen Lebensmittelerzeugung; wir werden in den nächsten Wochen einen konkreten Aktionsplan vorlegen. Zweitens:
Marktorientierung und Verbraucherschutz; das beinhaltet
auch die Durchsetzung erhöhter Erzeugerpreise und die
Umschichtung der Agrarförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe und der Agenda 2000. Drittens: artgerechte Tierhaltung und gesunde Tierernährung. Viertens: erneuerbare Energien.
Die Chancen, jetzt die richtigen Weichen zu stellen,
stehen gut. Mit Andrea Fischer haben wir eine Ministerin,
die die Interessen der Verbraucher durchsetzt.
({12})
Bei der neuen Politik unterstützen wir auch Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke, von dem wir erwarten,
dass er diese Neuausrichtung der Landwirtschaft mit aller
Kraft betreibt. Mit Gerhard Schröder haben wir erstmals
einen Bundeskanzler, der klipp und klar sagt: Die Zeit der
Agrarfabriken ist zu Ende, Perspektive hat nur noch eine
verbraucherfreundliche Landwirtschaft. Darin werden
wir diese Bundesregierung mit allen Möglichkeiten unterstützen.
({13})
Das Wort hat
jetzt der Kollege Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe leider Gottes nur
dreieinhalb Minuten.
({0})
Ich möchte mich deshalb sehr auf Ihre Rede konzentrieren, Herr Minister. Sie war enttäuschend und es war dem
Anlass nicht entsprechend, was Sie zum Verbraucherschutz, was Sie unserer Landwirtschaft und unseren
landwirtschaftlichen Betrieben gegenüber gesagt haben.
Es klingt immer so, als wären die Bauern an dem Problem
schuld. Die Bauern sind nicht schuld.
({1})
Herr Minister, hätten Sie doch ein Wort des Bedauerns
darüber ausgesprochen, dass hier fast jeder landwirtschaftliche Betrieb in Mitleidenschaft gezogen wird, auch
diejenigen, die überhaupt keine Rinder halten. Es wird
eine extreme Preisexplosion auf dem Futtermittelmarkt
geben. Ich sage Ihnen: Es hätte Ihnen gut angestanden,
auch einmal die Tragweite dieses Gesetzes darzustellen.
({2})
Wir reden hier von 3 oder 4 Milliarden DM. Aber es
wird sehr viel mehr kosten. Denn die Beseitigung des
Tier- oder Fischmehls ist nur die eine Seite. Das andere,
all das, was sich noch im Anschluss daran vollzieht,
überblickt heute noch niemand. Hier wäre ein seriöses
Wort angebracht gewesen.
({3})
Frau Kollegin Höfken, so zu tun, als wäre mit dem
Tiermehlverbot jetzt eine andere Agrarpolitik eingeleitet,
als hätten wir den Agrarfabriken den Kampf angesagt, das
stellt ja doch wohl alles auf den Kopf. Als hätten wir BSE
in Deutschland in einer Agrarfabrik gehabt! Wir haben es
in einem ganz normalen mittelbäuerlichen Betrieb vorgefunden, der mit einer Agrarfabrik überhaupt nichts zu tun
hat.
({4})
Nachdem wir noch nicht einmal wissen, wie die Infektionswege ablaufen, kann man auch nicht darüber reden,
wer Schuld oder wer keine Schuld hat wer Verantwortung
zu tragen hat und wer nicht. Unsere Bauern haben sich an
Recht und Gesetz gehalten und sind jetzt, wie sich die gesamte Entwicklung von BSE seit 1985 darstellt, die Leidtragenden.
({5})
Man muss klar feststellen, dass die Bundesregierung
ausgesprochen kopflos gehandelt hat. Sie hat zu keiner
Zeit die Souveränität ausgestrahlt, die sie hätte haben
müssen,
({6})
obwohl die Wissenschaft klar gesagt hat, dass für
Deutschland eine BSE-Freiheit nicht garantiert werden
kann. Sie hat keine vorbeugenden Maßnahmen getroffen;
das Kabinett ist wie ein Hühnerhaufen durcheinander gelaufen und jeder hat etwas anderes gesagt.
({7})
Die Bauern und die Verbraucher sind auch durch die Politik dieser Bundesregierung verunsichert. Das Kabinett
hat keine einzige vorbeugende Strategie gefahren.
Wenn der Bundeskanzler heute so tut, als wäre jetzt
eine andere Agrarpolitik eingeleitet, irrt er ganz gewaltig.
Durch die jetzigen Maßnahmen ist nichts darüber gesagt,
wie die zukünftige Agrarpolitik aussehen wird. Fest steht
nur, dass die Preise für Futtermittel massiv steigen, viele
Verwertungsstränge ausfallen und die Betriebe - unabhängig von ihrer Größe - hinsichtlich ihrer Rentabilität
ganz gewaltig unter Druck geraten werden. Insofern ist
der vorgelegte Gesetzentwurf für mich nicht schlüssig. Er
enthält Widersprüche und erfasst nicht die finanziellen
Auswirkungen.
({8})
Ich bin gespannt, ob die Bauern, die absolut unschuldig in eine existenzvernichtende Situation geraten sind, in
dieser Sache nicht entsprechende Regressansprüche einklagen werden. Sie werden von den Landwirten keine Anrufe bekommen, diese bekommen wir.
({9})
Die Lage der Landwirtschaft hat durch Ihre Politik und
das BSE-Problem eine Dramatik angenommen, die ihresgleichen sucht. Ich bin gespannt, was hier noch auf die
Regierung zukommen wird.
({10})
Herr Kollege
Heinrich, ich bitte Sie, jetzt wirklich zum Schluss zukommen.
Ich werde dem Gesetzentwurf deshalb nicht zustimmen und mich der Stimme enthalten.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wodarg.
({0})
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nur wenig Zeit
und möchte deshalb vier Punkte besonders herausstellen.
Zum einen freue ich mich darüber, dass in die Neuregelung nicht nur das Tiermehl, sondern auch die Fette mit
einbezogen wurden. Ich erwähne diesen Punkt aus aktuellem Anlass.
Sie wissen, dass ich an dieser Stelle mehrfach davor
gewarnt habe, die Milchaustauscher mit tierischen Fetten anzureichern.
({0})
Das einzige Risiko, das sich jetzt bei dem Rind aus dem
schleswig-holsteinischen Betrieb gezeigt hat, ist die Tatsache, lieber Herr Carstensen - dazu hätten Sie längst etwas tun können -, dass es mit Milchaustauschern gefüttert wurde.
({1})
Herr Kollege
Carstensen, der Kollege Wodarg hat wirklich nur drei Minuten Zeit. Ich bitte Sie, das zu beachten.
({0})
Wahrscheinlich ist dieses Rind damit durch die Milchaustauscher infiziert worden.
({0})
- Ich bitte, das auf meine Zeit anzurechnen - Herr
Carstensen, Sie können sich ja zu einer Zwischenfrage
melden.
({1})
- Ich kann verstehen, dass Herr Carstensen sich hier sehr
getroffen fühlt, weil er als Ausschussvorsitzender - ({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt muss ich aber doch einmal ein
bisschen dafür sorgen, dass der Lärmpegel fällt.
({0})
Insbesondere ist es schwierig, wenn Kollegen nur sehr
kurze Redezeit haben. Es sind nur noch drei Minuten.
({1})
Dann müssen Sie eine Zwischenfrage stellen, damit man
das noch hören kann.
({2})
Ich weise darauf hin,
dass in den Milchaustauschern tierische Fette sind. Ich
habe das hier schon dreimal gesagt. Bisher ist nichts geschehen. Jetzt geschieht etwas. Das machen wir gemeinsam, und darüber freue ich mich.
({0})
Das Zweite, was wichtig ist, haben wir eben vom
Landwirtschaftsminister gehört: Jetzt, wo auf EU-Ebene
eine gemeinsame Strategie entwickelt und Tiermehl verboten wird, besteht die Möglichkeit, die risikoreichen Importe aus Drittländern in Angriff zu nehmen. In den Jahren 1990 bis 1995 sind über 800 000 Tonnen Tiermehle
aus der EU in die Nachbarländer Polen, Tschechien, Ungarn und
Slowakei exportiert worden. In der gleichen Zeit ist
risikoreiches Fleisch importiert worden, insgesamt fast
800 000 Rinder. In Deutschland sind allein 86 000 Tonnen
Rindfleischkonserven aus Ländern verkauft worden, bei
denen wir überhaupt nicht wissen, was dort verfüttert
worden ist. Das muss ein Thema werden. Wenn wir von
Risiken reden, dann sollte das mit auf die Tagesordnung.
Das halte ich für wichtig.
Ein dritter Punkt, den wir beachten müssen: Wenn wir
jetzt flächendeckend Tests machen,
({1})
dann sollte uns bewusst sein, dass jeder gefundene BSEFall mehr Sicherheit bedeutet. Das war bisher nicht
selbstverständlich. Man hatte Angst vor jedem Fall, der
gefunden wurde. Es ist in der Schweiz so gewesen und wir
sollten es uns zum Prinzip machen, dass die Landwirte
und die Tierärzte, die den Fall melden, nicht bestraft,
sondern gelobt werden. Wir müssen ihnen sagen: Gut habt
ihr das gemacht! - Und wir müssen die Landwirte entsprechend entschädigen, damit sie nicht aus Angst vor
wirtschaftlichen Konsequenzen weiterhin die Fälle verschweigen.
({2})
Das, denke ich, sind drei wichtige Dinge. Mir reicht
leider die Zeit nicht. Ich bedaure sehr, dass diese wirklich
sachlichen Argumente, die ich hier vorzutragen versucht
habe, durch diese Pöbeleien von der rechten Seite
untergegangen sind.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Albert Deß.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Schnellverfahren wurde von
der rot-grünen Mehrheit ein Gesetzestext vorgelegt, der
unausgegoren, mehr als mangelhaft und nicht zu Ende gedacht ist.
({0})
- Herr Schmidt, wir werden als Union zwar mit Mehrheit
zustimmen, die Verantwortung für das Gesetz aber
({1})
muss die rot-grüne Koalition in diesem Hause übernehmen.
({2})
Mit Sachverstand ist dieser Gesetzentwurf nicht geschrieben worden.
({3})
Deshalb darf man uns dafür nicht in Haftung nehmen.
({4})
Man braucht kein Prophet zu sein, um vorherzusagen,
dass dieses Gesetz nachgebessert oder durch Eilverordnungen ergänzt werden muss. Von Krisenmanagement
kann man im Bundeslandwirtschaftsministerium nicht
sprechen.
Laut AFP-Meldung vom 27. November heurigen Jahres sagte die Agrarsprecherin der Grünen, Uli Höfken,
Funke richte mit seinem Vorgehen massiven Schaden an.
Sein Vorgehen sei nicht realitätsbezogen. - Wo Uli
Höfken Recht hat, hat sie Recht.
({5})
Auch wenn für mich in den ersten Tagen nicht die finanziellen Auswirkungen im Vordergrund stehen, sondern der Gesundheitsschutz, so litt Minister Funke doch
unter Realitätsverlust, als er in der „Bild“-Zeitung sagte,
die Existenz der Bauern stehe nicht auf dem Spiel. Wer so
daherredet, wird seiner Verantwortung als Bundeslandwirtschaftsminister nicht gerecht.
({6})
Eine solche Denkweise reiht sich in eine Kette von
Fehlentscheidungen dieser Bundesregierung im Agrarbereich ein. Über die anderen Bereiche will ich nicht reden.
Der Bundeskanzler fordert jetzt eine andere Agrarpolitik; doch gerade er hat mit seiner überhasteten Zustimmung zur Agenda 2000 eine Agrarpolitik unterstützt, deren Konsequenzen wir jetzt zu tragen haben.
({7})
- Das könnt ihr doch nicht abstreiten. ({8})
Ihr habt der Agrarpolitik zugestimmt, mit der wir es jetzt
zu tun haben. Dafür könnt ihr keine Vorgängerregierung
verantwortlich machen. Mit der Agenda 2000 wurde im
Interesse unserer Agrarindustrie eine Weichenstellung hin
zu Weltmarktpreisen vorgenommen.
Mit der Würde unserer Bauern hat eine solche Agrarpolitik nichts mehr zu tun.
({9})
Wer wertvolle Agrarprodukte zu Ramschpreisartikeln verkommen lässt, der macht sich für Entwicklungen mitverantwortlich, wie sie jetzt mit der BSE-Krise zum Ausdruck
kommen. Wo sind denn heute die Wirtschaftsjournalisten,
die schlauen Agrarprofessoren, unsere Wirtschaftsbosse,
die Kommissare und leider auch viele Politikerkollegen,
die unsere bäuerliche Landwirtschaft einer Agrarindustrie
opfern wollen? Sind sie nicht mitverantwortlich für die
Gesundheitsgefährdung unserer Bürgerinnen und Bürger?
Herr Schmidt, damit das zwischen uns klar ist: Ich sage das
parteipolitisch vollkommen neutral.
({10})
Bei Minister Funke sehe ich keinen Ansatz für eine
Agrarpolitik, die unseren Bauern eine Zukunftsperspektive
bietet. Seit er Minister in Bonn bzw. in Berlin ist, hat er
seine früheren Aussagen weitgehend über Bord geworfen.
Auch deswegen gilt für ihn heute das agrarpolitische
Credo: Wachsen oder weichen. 5 Prozent Höfesterben sind
für ihn ganz normal. Auch der agrarpolitische Sprecher der
SPD-Fraktion, der liebe Kollege Matthias Weisheit, hat
hier vor kurzem einen beschleunigten Strukturwandel eingefordert.
Herr Kollege
Deß, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
Christa Nickels?
Warum nicht? Ja.
Herr
Kollege, Sie machen hier dieser Regierung Vorwürfe. Sie
sprechen vom Vorrang von Verbraucherinteressen und reklamieren Sicherheit. Wie kommt es dann zustande, dass
Frau Stamm und damit die Bayerische Staatsregierung, als
es um die der Richtlinie der Europäischen Union betreffend die Herausnahme der Risikomaterialien ging, auch
bei der Bundesregierung dahin gehend interveniert haben,
dass man das nicht tun solle, weil es zu teuer sei? Was hat
das mit Verbraucherinteressen zu tun? Erklären Sie mir
einmal diesen Widerspruch!
({0})
Frau Nickels, Sie sollten zur
Kenntnis nehmen, dass es der bayerischen Staatsministerin darum gegangen ist, zu klären, wer die Kosten für die
Herausnahme dieser Risikomaterialien übernimmt.
({0})
Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass die Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen - soweit ich weiß,
gehört sie zu Bündnis 90/Die Grünen - dieser Bundesregierung vorgeworfen hat, beim Thema BSE zwei Jahre
verschlafen zu haben.
({1})
Bevor Minister Funke noch mehr bäuerliche Betriebe
versenkt, soll er lieber selber von Bord gehen; andernfalls
geht das ganze Agrarschiff unter. Der Bundeskanzler kann
bei den Themen Osterweiterung und WTO zeigen, ob er
seinen Worten Taten folgen lässt. Vor den Verhandlungen
zur Agenda 2000 hat er ebenfalls große Töne gespuckt;
umgesetzt hat er aber nichts.
({2})
Ich fordere alle politisch Verantwortlich dazu auf, über
Parteigrenzen hinweg an einem besseren europäischen
Agrarmodell zu arbeiten.
({3})
Unsere Bauern dürfen nicht den Globalisierungsstrategien
geopfert werden. In der Rede von Frau Höfken waren
durchaus Ansätze, denen ich nicht widerspreche.
({4})
Die von vielen zum neuen Glaubensbekenntnis erhobene
Globalisierungsstrategie hat bisher vor allem im Agrarbereich weltweit Schäden hinterlassen. Wir brauchen ein
Denken in regionalen Kreisläufen, um dem Würgegriff der
Agrarindustrie zu entkommen. Nachhaltigkeit muss im
Vordergrund stehen. Wie sagte doch der frühere EU-
Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die BSE-Krise
wirklich ein Unfall der Natur ist. Ist die BSE-Geschichte nicht vielmehr die Folge eines Landwirtschaftsmodells, das auf Produktivität um jeden Preis
ausgerichtet ist?
Die Konsequenzen dieser Produktionsweise zu minimalen Kosten setzen die Grundgesetze der Natur außer
Kraft und führen letztendlich zu höheren Belastungen für
die Gesellschaft. Insofern hat der Kommissionspräsident
Recht, aber umgesetzt hat er von dem, was er gesagt hat,
leider nichts.
Wir sollten heute gemeinsam darüber nachdenken, ob es
für unsere Bauern zumutbar ist, dass sie zu Preisen produzieren müssen, die unter den Preisen vor 30 oder 40 Jahren
liegen. Ein durchschnittlicher Industriearbeiter musste, um
6 Kilogramm verschiedene Grundnahrungsmittel - ich will
jetzt die einzelnen aus Zeitgründen nicht aufzählen - kaufen zu können, 1960 acht Stunden und 20 Minuten arbeiten, dagegen 1997 - von diesem Jahr habe ich die letzten
statistischen Zahlen - nur noch zwei Stunden und neun Minuten.
Eines muss man hier sagen: Eine Ernährung zum Nulltarif kann es nicht geben. Wenn wir eine Lehre aus der jetzigen Krise ziehen, dann die, dass wir gemeinsam daran arbeiten müssen, in Europa ein Agrarmodell zu
verwirklichen, durch das unsere Bauern eine Chance und
unsere Verbraucher sichere Nahrungsmittel erhalten. Das
muss unser gemeinsames Ziel sein.
({0})
Zu einer sie persönlich betreffenden Äußerung in der Debatte erhält jetzt
die Kollegin Uli Höfken das Wort zu einer Kurzintervention.
Ich
bin Albert Deß dankbar, dass er mir die Gelegenheit zu
zwei Korrekturen gibt. Die erste Korrektur bezieht sich auf
das Zitat meiner Aussage gegenüber Minister Funke. Von
diesem Zitat habe ich dank Albert Deß gestern erfahren. Es
geht um die Meldung einer Agentur, in der es heißt, dass
ich gesagt hätte, Minister Funke richte Schaden an.
({0})
- Es mag ja sein, dass du das findest. - Allerdings habe ich
mich sofort falsch zitiert gefühlt; ich bin auch wirklich
falsch zitiert worden. Ich habe nämlich gesagt, dass die
Rücknahme der Eilverordnung in der Öffentlichkeit
und beim Verbraucher durch Verwirrung entsprechenden
Schaden anrichte. Das ist zusammengezogen worden, sodass das durchaus nicht im Sinne meiner Äußerung war.
({1})
Bei einer zweiten Äußerung meinerseits ist es genauso.
Ich bin gefragt worden, ob ich finde, dass man sagen
könne, dass Deutschland BSE-frei sei. Darauf habe ich gesagt, nein, ich finde nicht, dass das realitätsnah ist. Daraus
ist geworden, dass Funke nicht mehr realitätsbezogen sei.
Auch das ist eine ganz andere Aussage.
({2})
- Aber, wie gesagt, ich habe von dieser Meldung erst zwei
Tage später erfahren.
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen.
Albert Deß hat eben gesagt, die bayerische Ministerin
habe aus Kostengründen die Herausnahme der Risikomaterialien abgelehnt. Dazu muss ich sagen, dass es in der
wörtlichen Darstellung der Rede der bayerischen Staatsministerin in der „Süddeutschen Zeitung“ heißt:
Die Entscheidung der Europäischen Kommission
vom 29. Juni
- da geht es um diese Risikomaterialien ... lehnt Bayern aus rechtlichen und fachlichen Gründen ab. Die beschlossenen Maßnahmen sind geeignet,
den Verbraucher zu verunsichern.
Weiter heißt es:
Bayern fordert deshalb die Bundesregierung auf, fristgerechte Klage zu erheben und die einstweilige
Aufhebung der Entscheidung beim Gerichtshof zu
beantragen.
Danke.
({3})
Bitte, Herr Kollege Deß.
Frau Kollegin Höfken, ich
nehme zur Kenntnis, wenn Sie sagen, dass hier falsch zitiert worden ist. Ich habe das Zitat der Presse entnommen.
Du hast mir nicht gesagt, dass es falsch ist.
({0})
Ich muss zu dem gegen Bayern gerichteten Vorwurf sagen: Ich stehe hier nicht für die bayerische Staatsministerin.
({1})
- Ich kann doch nicht für jede Aussage geradestehen, die
in München gemacht wird, zumal wenn ich davon nichts
selber in Händen halte.
Aber ich stelle hier Folgendes fest, wenn ich dies in
aller Ruhe hier sagen darf: Bitte nennt mir ein rot-grün regiertes Bundesland, in dem im Hinblick auf BSE mehr Untersuchungen vorgenommen worden sind als in Bayern.
({2})
In Bayern sind in den letzten Jahren Untersuchungen an
4 000 Tieren vorgenommen worden, die abgeschlachtet
worden sind. Dabei handelte es sich um so genannte Importrinder aus der Schweiz und aus Großbritannien. Kein
Bundesland hat diese Abschlachtungen so konsequent
durchgeführt wie der Freistaat Bayern.
({3})
Unter diesen 4 000 untersuchten Rindern war das berühmte
Rind „Maise“ aus der Schweiz, bei dem BSE festgestellt
wurde. Darüber hinaus wurden 9 740 Rinder untersucht, die
verdächtige Krankheitsanzeichen zeigten. Bei diesen
9 740 Rindern hat sich kein Verdacht auf BSE ergeben. Bayern hat aus seiner Sicht also alles für den Gesundheitsschutz
getan.
({4})
Ich fordere - dies noch in aller Kürze -, dass diese Bundesregierung darüber nachdenkt, wie unsere Verbraucher
noch besser geschützt werden können. Ich habe vor
kurzem gefordert, dass die für alle Rinder DNA-Analyse
eingeführt wird. Hier kann die Bundesregierung eine Vorreiterrolle übernehmen. Herr Minister Funke, dadurch
könnte die Abstammung jedes Rindes mit Sicherheit fehlerfrei festgestellt werden. Ich fordere darüber hinaus die
offene Deklaration von Futtermitteln, verbunden mit dem
Nachweis, aus welchen Ländern die einzelnen Komponenten stammen.
({5})
Außerdem fordere ich die Bundesregierung auf, massiv
dafür einzutreten - der Minister hat das angekündigt -,
dass Importe aus Ländern verboten werden, in denen nicht
nach unseren Standards erzeugt und untersucht wird. Nur
so können wir die Verbraucher entsprechend schützen.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Matthias Weisheit.
Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und
Kollegen! Vielleicht gelingt es mir als vorletztem Redner,
in dieser nicht sehr angenehmen Situation noch einmal auf
die Sache zurückzukommen, um die es heute geht. In dieser Woche hat sich bei diesem Thema Gemeinsamkeit gezeigt. Dafür möchte ich mich bei den Oppositionsparteien
ganz ausdrücklich bedanken. Vor allem möchte ich den
Kollegen des Agrarausschusses dafür danken,dass sie diesem Gesetzentwurf - wie der Kollege Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr gesagt hat: mit gewissen Bauchschmerzen -zugestimmt haben.
({0})
Dafür danke ich Ihnen nochmals ausdrücklich.
Durch dieses Gesetz tun wir das, was nach dem ersten
originären BSE-Fall in Deutschland notwendig ist: Wir
nehmen das Tiermehl, das nach allen bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich der infektiöse
Auslöser dieser Krankheit ist, aus der Nahrungsmittelkette
heraus. Dadurch können wir in Zukunft Infektionen verhindern und beim Verbraucher für Sicherheit und Vertrauen sorgen. Das ist im Sinne unserer Landwirte. Ich
halte das, was wir diese Woche auch mit Ihrer Hilfe hier
geschafft haben, für sehr wichtig. Dafür nochmals herzlichen Dank!
({1})
Im Zusammenhang mit diesem BSE-Fall gab es in der
veröffentlichten Meinung wie auch hier im Hause - und
auch während dieser Debatte - Reaktionen, die mich als einen Agrarpolitiker, der diese Debatten, seitdem es BSE
gibt, mitverfolgt und mitbestritten hat, wirklich fürchterlich geärgert haben. Ich muss sagen: Das Maß an Heuchelei ist - so wie es der Minister gesagt hat - nicht zu überbieten.
({2})
Ich kann mich noch an die Debatten mit dem Kollegen
Seehofer erinnern. Ich war bestimmt einer seiner schärfsten Kritiker; ich habe aber nie gefordert, er solle zurücktreten, weil er sich in der EU nicht durchsetzen konnte. Wir
alle wissen doch, dass wir alleine gegen Gemeinschaftsrecht nichts machen können. Bei dem, was in dem Zusammenhang heute hier gesagt wurde, hört der Spaß wirklich
auf. Für meine Fraktion und für die Grünen erkläre ich ausdrücklich: All dieses Gerede, Minister Funke und Ministerin Fischer hätten hier versagt und hätten schlechte Politik
gemacht, ist falsch. Wir stehen hinter diesen beiden Ministern.
({3})
Wenn es Grund zur Kritik gibt und Eingeständnisse erforderlich sind, dann müssen wir alle uns selbst an die Nase
fassen: Wir alle haben zu lange geglaubt, es reiche aus, die
Tiermehlverfütterung an Wiederkäuer - die deutschen Sicherheitsstandards beim Tiermehl sind anerkannt hoch - zu
verbieten, um die Bundesrepublik vor BSE zu bewahren.
({4})
- Ich spreche von den Agrarpolitikern und nicht von Ihnen,
Frau Widmann-Mauz. - Wir sind eines Besseren belehrt
worden. Wir haben einsehen müssen, dass in einem offenen Europa Tiermehl herumgekarrt werden kann. Wenn
ich dann in der Zeitung lese, dass eine Charge Rinderfutter „aus Versehen“ mit Tiermehl versetzt worden ist und so
beim Empfänger ankam, kann ich nur feststellen: Hier sind
wahrscheinlich doch kriminelle Machenschaften im Spiel.
- Wir können nichts Besseres tun, als dem vorliegenden
Gesetzentwurf zuzustimmen, um in Zukunft die Tiermehlverfütterung zum Schutz der Verbraucher und zum Schutz
der Bauern zu unterbinden.
({5})
Zum Schluss noch einen Satz zu den Entschädigungen - die Redezeit rennt mir davon; das meiste dazu hat
der Minister schon ausgeführt -: Es ist völlig selbstverständlich, dass wir in dieser Frage die Bauern und auch
diejenigen, die für die Entsorgung verantwortlich sind,
nicht allein lassen können.
({6})
- Diesen Antrag werden wir im zuständigen Ausschuss beraten; das ist gar keine Frage.
Herr Kollege,
bitte nicht mehr diskutieren!
Aber die Verbraucher - das
muss ebenso festgestellt werden - werden natürlich für
Fleisch mehr zahlen müssen. Denn in deren Sinne und für
deren Sicherheit passiert das Ganze.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Annette Widmann-Mauz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
zunächst ein paar Worte an den Kollegen Wodarg richten:
Zunächst finde ich es sehr schön, Herr Kollege Wodarg,
dass Sie Sachlichkeit eingefordert haben. Ich bin gespannt,
wie Sie sich nachher in der Abstimmung über den vorliegenden Antrag der Union verhalten werden. Denn viele der
Maßnahmen, die Sie hier als sachlich richtig bezeichnet haben, sind in diesem Antrag enthalten. Wie Sie sich heute in
der Abstimmung verhalten werden, zeigt, wie glaubwürdig
Sie sind.
({0})
- Lieber Kollege Wodarg, ich wäre vorsichtig, sich mit solchen Zurufen zu Wort zu melden. Noch vor zwei Wochen
haben Sie uns, als wir im Gesundheitsausschuss unter einem ganz anderen Gesichtspunkt der Lebensmittelsicherheit über das Thema BSE gesprochen haben, Panikmache
vorgeworfen.
({1})
Gerade angesichts der Entwicklungen in unserem Land seit
letztem Freitag sollten Sie mit solchen Äußerungen vorsichtig sein.
Wer über den Haushalt von Minister Funke sprechen
will, darf über BSE nicht schweigen. Denn enorme Kosten
kommen auf Bund, Länder und Kommunen, auf die Landwirtschaft und die Industrie sowie auf die Verbraucherinnen
und Verbraucher zu. Der Einzelplan des Landwirtschaftsministers berücksichtigt leider nichts davon.
Die Ängste der Menschen sind groß; das Wissen über
BSE ist klein. Die Reaktionen der rot-grünen Bundesregierung auf die ersten BSE-Fälle in Deutschland sind leider unprofessionell und unkoordiniert.
({2})
Die BSE-Epidemie ist von der Bundesregierung völlig unterschätzt worden. Das hat selbst Ministerin Fischer in ihrer
heutigen Rede zum Haushalt klar eingeräumt. Allein ihre
Aussage, jetzt sei es an der Zeit, ehrlich zu sein, zeigt, wie
zögerlich die Bundesregierung die BSE-Problematik behandelt.
Sie haben absolut leichtfertig gehandelt und sich trotz
wissenschaftlich fundierter Warnungen und nicht auszuschließender Risiken der Aufhebung des Importstopps durch
die EU-Kommission unterworfen. Die Bundesregierung hat
den Importstopp aufgehoben, obwohl letzte Zweifel nicht
beseitigt waren. Im Gegenteil: Selbst die neuen BSE-Fälle
in Großbritannien und Frankreich haben Sie schlichtweg ignoriert. Die Bundesregierung hat den vorsorgenden
Verbraucherschutz unterlaufen und das damit verbundene
Risiko für die Konsumenten billigend in Kauf genommen.
({3})
Sie haben im Gegensatz zu Frankreich - daran hätten Sie
sich ein Beispiel nehmen können - die Marktinteressen
über den Verbraucherschutz gestellt.
Wenn die europäische Ebene beim Verbraucherschutz
versagt, dann ist ein Handeln einzelner Mitgliedstaaten gerechtfertigt. Im Übrigen sieht das ja eine Kollegin der Grünen, die Mitglied des Gesundheitsausschusses ist, so wie
wir: Sie stimmt bei Abstimmungen zu diesen Fragen mit
uns, enthält sich oder muss den Raum verlassen.
({4})
Die Bundesregierung muss endlich auf die sichere Seite
kommen und dem Verbraucherschutz Rechnung tragen.
Verbraucherschutz muss in Deutschland endlich wieder
ernst genommen werden; denn jetzt gibt es BSE auch hier.
Die Gefahren durch BSE sind so groß, dass selbst Sie, Herr
Funke, inzwischen erkannt haben, dass sofort gehandelt
werden muss.
Auch die Grünen müssen sich jetzt zu einer einheitlichen Linie durchringen. Fischer hier, Höhn da - so geht es
in Zukunft nicht mehr weiter.
({5})
Auch Sie müssen Ihrer Schutzpflicht für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland endlich nachkommen.
Wir fordern von Ihnen ein umfassendes Sofortprogramm. Wir müssen umgehend alle notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen, um die größtmögliche Sicherheit
vor BSE zu gewährleisten und das Vertrauen in unsere
landwirtschaftlichen Produkte wiederherzustellen. Wir
brauchen ein umfassendes Importverbot für Rinder,
Schafe und Ziegen aus Ländern mit regelmäßigem BSEVorkommen.
({6})
Wir brauchen ein umfassendes Importverbot für deren
Fleisch und die daraus hergestellten Erzeugnisse. Wir
müssen auch am Exportverbot für Rindfleisch aus Portugal festhalten.
({7})
Sie haben uns in den vergangenen Monaten immer wieder Panikmache vorgeworfen und sich allein auf die
Kennzeichnungspflicht verlassen. Sie haben das Junktim
hergestellt, dass wir keine Importverbote bräuchten, wenn
wir eine lückenlose Kennzeichnung hätten. Das war Ihr
Prinzip. Den Fachleuten war von Anfang an klar: In Europa ist die Kennzeichnungsregelung für Rindfleisch und
die daraus hergestellten Produkte unzureichend und die
Umsetzung lückenhaft. Warum ziehen Sie daraus denn
keine Konsequenzen? Ihr Junktim existiert doch de facto
nicht.
Wir fordern seit Monaten ein umfassendes Importverbot
für Rinder sowie deren Fleisch und daraus hergestellten
Fleischerzeugnisse aus Großbritannien. Wenn es sein
muss, sollte man das auch im nationalen Alleingang durchsetzen; denn nur so lässt sich auf europäischer Ebene die
sofortige obligatorische umfassende Kennzeichnung des
Rindfleisches und der Rindfleischprodukte bezüglich Geburts-, Mast-, Schlacht- und Zerlegungsort des Tieres wirkungsvoll durchsetzen. Sie können doch nicht auf der einen
Seite sagen, diese Maßnahme sei „blödsinnig“ - wie Herr
Kollege Wodarg es im Ausschuss formuliert hat -, und auf
der anderen Seite mit genau dieser Maßnahme drohen und
auf der europäischen Ebene für Druck sorgen. Da widerspricht sich Ihr Verhalten doch wohl vollkommen.
({8})
Wir müssen heute prüfen, inwieweit diese Kennzeichnungspflichten auch auf Schaf- und Lammfleisch sowie
auf weitere Produkte von Schafen und Ziegen auszudehnen sind.
({9})
Die Verfütterung von kontaminiertem Tiermehl ist ein
möglicher Übertragungsweg für BSE. Diese Gefahrenquelle kann nur durch ein europaweites Verbot der Verfütterung von Tiermehl gebannt werden.
({10})
- Hören Sie doch einmal zu! Das sind gute Vorschläge, die
die Regierung umsetzen könnte.
({11})
Wir unterstützen in unserem Antrag, den wir eingebracht haben, ein umfassendes EU-weites Tiermehlverfütterungsverbot, weil Infektionen und Kreuzkontaminationen nicht ausgeschlossen sind. Wir sind aber der
Meinung, dass dies nur eine von vielen Maßnahmen sein
kann, um ausreichenden Schutz zu bieten.
({12})
- Ihre Zwischenrufe werden Sie den Verbrauchern erklären müssen.
({13})
Wir brauchen die Schnelltests, und zwar nicht nur
schnell, sondern sofort. Sie müssen flächendeckend an allen
geschlachteten Rindern in Deutschland eingesetzt werden.
({14})
Auch hier muss die EU möglichst schnell nachziehen. Der
von der EU bislang vorgesehene Untersuchungsumfang
reicht aus unserer Sicht noch nicht ganz aus. Es muss unverzüglich mit den Untersuchungen von Schlachttieren
begonnen werden. Die Untersuchung muss alle Schlachttiere ab einem Alter, ab dem wissenschaftliche Aussagen
möglich sind, umfassen. Es darf nicht bei den 30 Monaten
bleiben.
({15})
Weiterhin muss die Erforschung von BSE, TSE, der
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und ihrer Varianten endlich
konsequent vorangetrieben werden. Das umfasst auch die
Weiterentwicklung der Schnelltests sowie Bluttests für lebende Tiere. Das Forschungsprogramm muss intensiviert
werden. Das kostet Geld. Dieses Geld muss jetzt bereitgestellt werden.
Es entstehen vielfältige Kosten; die Landwirte sind schon
jetzt - allein durch die Diskussion über BSE - dramatisch betroffen: Absatzeinbrüche, hohe Futtermittelkosten und steigende Entsorgungskosten verstärken die enormen Einkommenseinbußen, unter denen die Landwirtschaft, seitdem Sie
an der Regierung sind, ohnehin schon genug leidet. Ersten
Betrieben droht das Aus. Deshalb müssen wir über finanzielle Soforthilfen und Ausgleichsmaßnahmen sprechen, und
zwar auf europäischer und auf nationaler Ebene.
Wir fordern ein umfassendes finanzielles Hilfsprogramm
für die betroffene Landwirtschaft.
Herr Funke, gestern haben Sie im Ausschuss eine finanzielle Unterstützung des Bundes in Aussicht gestellt.
Werden Sie in dieser Frage endlich konkret; denn es handelt sich um eine nationale Herausforderung.
Wir stimmen heute dem Tiermehlverfütterungsverbot
zu. Das ist aber nur ein erster Schritt. Unser Entschließungsantrag weist konsequent auf weitere notwendige und
sinnvolle Maßnahmen hin. Deshalb zögern Sie heute nicht
schon wieder, sondern beweisen Sie Glaubwürdigkeit,
liebe Frau Höfken: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu! Sie haben in Ihrer Rede mehrere Punkte angesprochen, die sich genau so in unserem Antrag wiederfinden. Beweisen Sie heute die Glaubwürdigkeit, die Sie
immer einfordern.
Spätestens seit dem letzten Freitag herrscht eine tiefe
Verunsicherung in der Bevölkerung; denn unsere heimischen Produkte und unsere Landwirtschaft stehen unter einem pauschalen Verdacht. Das ist weder sachlich noch gerechtfertigt. Aber Fakt ist: Es gibt keine pauschale Sicherheit mehr. Aus dieser Vertrauenskrise mit all ihren schlimmen Folgen kommen wir nur mit ganz konkreten Schritten
wieder heraus. Landwirtschaftliche Interessen und unsere
Gesundheit sind kein Widerspruch.
Vielen Dank.
({16})
Zu einer Kurzintervention erhält der Herr Kollege Wodarg das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegin Widmann-Mauz, Sie haben wieder ein Importverbot gefordert und gesagt, wir sollten Ihren Antrag unterstützen. Sie verkennen offenbar weiterhin, dass ein Importverbot innerhalb der EU völliger Schwachsinn ist, weil
wir ehrlicherweise - endlich - davon ausgehen, dass sowohl das gefährliche Tiermehl als auch die Waren im freien
Wirtschaftsraum Europa frei verteilt werden. Wir haben
jetzt die Basis, um epidemiologisch vernünftig zu handeln,
vernünftige Konzepte zu machen und nichts Notwendiges
auszulassen.
Wir müssen grundlegend an das Problem herangehen
und dürfen nicht wieder anfangen, nur ein Land als das
schwarze Schaf anzusehen und gewissermaßen rituelle
Handlungen zu vollziehen, wie wir es schon einmal gemacht haben, als zum Beispiel die extensiv gehaltenen Rinder, die nun wirklich am wenigsten gefährdet sind, weil sie
nicht mit Tiermehl gefüttert werden, in Bayern geschlachtet wurden. Wir dürfen keine Ersatzhandlungen vornehmen, sondern wir müssen wissenschaftlich begründet handeln.
Es ist nun einmal so, dass in ganz Europa BSE-Fälle auftreten. Je mehr gesucht wird, desto mehr findet man. Wir
haben laut gerufen, wir seien BSE-frei. Jetzt suchen wir
und finden welche. Das müssen wir ehrlich zugeben.
Ein Importverbot ist Quatsch. Deshalb ist dieser Teil Ihres Antrags Blödsinn. Wir werden uns im Ausschuss über
die anderen, zum Teil vernünftigen Vorschläge unterhalten
können. Aber Ihren Antrag müssen wir ablehnen, weil er
populistische Elemente enthält, die wir nicht unterstützen.
({0})
Lieber Herr
Kollege Wodarg, ich finde es schön, dass Sie Ihre Aussage
wiederholt haben. Sie konterkarieren selbst hier im Plenum des Deutschen Bundestages die Politik Ihrer eigenen
Bundesgesundheitsministerin. Sie tritt doch auf der europäischen Ebene, wie sie uns immer versichert, mit der
Drohung auf, das nationale Importverbot wieder einzuführen, wenn keine umfassende Kennzeichnungspflicht
eingeführt wird.
({0})
Wie muss diese Äußerung von Ihnen, Mitglied der tragenden Regierungsfraktion, auf die anderen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union wirken, wenn Sie diese Maßnahme als „völligen Schwachsinn“ und „Quatsch“
bezeichnen?
({1})
- Nein, er hat „Schwachsinn“ gesagt. Das werden Sie im
Protokoll nachlesen können.
Sie haben damit die Verantwortung für eine Gefahrenquelle übernommen. Wir haben nie behauptet, dass unser
Antrag den umfassenden Schutz bringt. Aber wir sind in
der Lage, jede Gefahrenquelle, die wir kennen, auszuschalten.
({2})
Sie nehmen bewusst in Kauf, eine Gefahrenquelle nicht
auszuschalten. Das verstehen auch Ihre Kollegen von den
Grünen im Ausschuss nicht. Hier gibt es einen Dissens. Ich
habe nicht gesagt, dass wir den Importstopp nur für Großbritannien wollen, sondern wir wollen ihn für alle Ländermit regelmäßigem BSE-Vorkommen.
Sie können die Gefahren durch BSE, die es auch in
Frankreich gibt, doch nicht einfach negieren. Ich frage
mich: Leben Sie immer noch in der Zeit vor dem letzten
Freitag, in der Zeit vor Ihrem Regierungsantritt?
({3})
Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen.
Es besteht der Wunsch des Abgeordneten Norbert
Schindler nach einer Erklärung zur Abstimmung. - Erklärungen zur Abstimmung sind Abgeordnetenrecht. Das
steht jedem Abgeordneten zu.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich werde dem Gesetz zum
Verbot der Tiermehlverfütterung in der vorliegenden Form
nicht zustimmen. Meine Erklärung dafür: Wie erklären wir
draußen, die Schwarte, die wir am Stück Fleisch abschneiden, muss in die Sonderversorgung - so ist es formuliert -, und das andere Stück Fleisch wird zum menschlichen Verzehr absolut empfohlen und zugelassen? Es ist
schon etwas schizophren, wie hysterisch derzeit die Diskussion läuft
({0})
und dass wir unter öffentlichem Druck - natürlich mit
Recht - ein Gesetz verabschieden. Ich begrüße ausdrücklich das Verbot im Zusammenhang mit Tierkadavern. Dahinter stehe ich unbedingt. Aber mit diesem Gesetz schütten wir das Kind mit dem Bade aus.
Der zweite Aspekt betrifft die Kosten. Ich befürchte, es
wird ein teures Gesetz werden und es wird die Bauern beim jetzigen Preisabsturz und durch die Verordnung später - sehr hart treffen.
({1})
Wir haben dafür keine Lösung. Dass etwas getan werden
muss, ist klar; aber die Erklärung von Herrn Minister
Funke - wir reden darüber; natürlich lässt man die Bauern
nicht im Regen stehen - ist mir etwas zu wenig.
Herr Bundeskanzler Schröder hat gestern Morgen von
der Abkehr von der industriellen Agrarpolitik geredet. Ich
bin bereit, ihm sofort zu folgen,
({2})
wenn wir dies europaweit - nicht mit Global-PlayerSprüchen, sondern in einem europäischen Konsens - tun,
damit wir in bäuerlichen Strukturen Nahrungsmittel produzieren können, wie wir sie in der Vergangenheit hatten.
Vielen Dank.
({3})
Nur noch der
Hinweis: Man darf nur sein eigenes Abstimmungsverhalten erklären. Man darf in diesem Prozess nicht mehr mit
dem Bundeskanzler diskutieren.
({0})
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst zu den Änderungsanträgen.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
CDU/CSU auf Drucksache 14/4782. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/4783. Wer stimmt
dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt worden
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/4784. Wer stimmt
dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS bei
Enthaltung der F.D.P. abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/4785. Wer stimmt
dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser
Änderungsantrag ist mit dem gleichen soeben festgestellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/4807. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/4808. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/4744. Wer stimmt dafür? Annette Widmann-Mauz
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, mit einigen
Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen
der PDS bei einigen Enthaltungen aus der CDU/CSU abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Einzelplan 10 in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 10 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS
angenommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über das Verbot des
Verfütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und
der Ausfuhr bestimmter Futtermittel, Drucksachen 14/4764 und 14/4838. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen fast des gesamten Hauses bei
mehreren Gegenstimmen aus der CDU/CSU und einer
Gegenstimme aus der F.D.P. und bei einigen Enthaltungen
aus der CDU/CSU und einer Enthaltung aus der F.D.P. angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 14/4854. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist, soweit ich sehe, einstimmig angenommen worden.
Ich rufe die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Widmann-Mauz, Horst Seehofer, Wolfgang
Lohmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Sofortprogramm zur Abwehr von Gefahren
durch BSE
- Drucksache 14/4778 ({1}) Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Detlef Parr, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Vorrang für einen vorsorgenden Verbraucherschutz bei der Bekämpfung von BSE
- Drucksache 14/4852 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 14/4778 ({4}) und 14/4852 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 1. Dezember 2000, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.