Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem
Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die
Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine
Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen
jedermann üben werde.
Ich darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses unsere herzlichen Glückwünsche
aussprechen.
({0})
Herr Bundesminister Kurt Bodewig hat den vom
Grundgesetz vorgeschriebenen Eid geleistet. Ich darf Ihnen nochmals im Namen des ganzen Hauses die besten
Wünsche aussprechen. Zugleich wünschen wir dem
ausgeschiedenen Bundesminister Reinhard Klimmt für
seine weitere Zukunft alles Gute.
({1})
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 j sowie
die Zusatzpunkte 1 und 2 auf:
2 a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zum bevorstehenden Europäischen Rat in Nizza
vom 7. bis 9. Dezember 2000
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Günter
Gloser, Hermann Bachmaier, Hans-Werner
Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Christian
Sterzing, Ulrike Höfken, Claudia Roth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Europäischer Rat in Feira - Europa entschlossen voranbringen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Peter
Hintze, Peter Altmaier, Dr. Ralf Brauksiepe,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Innere Reform der Europäischen Union Stand der Regierungskonferenz - Stabilität
des Euro - Haltung zu Österreich
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Hildebrecht Braun ({3}),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Mutige EU-Reform als Voraussetzung für
eine erfolgreiche Erweiterung
- Drucksachen 14/3514, 14/3377, 14/3522,
14/4457 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Roth ({4})
Peter Altmaier
Dr. Helmut Haussmann
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({5})
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer ({6}), Joachim Poß,
Günter Gloser, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Claudia Roth ({7}), Christian Sterzing,
Volker Beck ({8}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur vereinbarten Debatte zur EUGrundrechte-Charta
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Peter Hintze, Norbert Geis, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Entwurf der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Ina Albowitz,
Hildebrecht Braun ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Präsident Wolfgang Thierse
Europäische Grundrechte-Charta als Eckstein einer europäischen Verfassung
- Drucksachen 14/4269, 14/4246, 14/4253,
14/4584 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer ({10})
Peter Altmaier
Claudia Roth ({11})
Uwe Hiksch
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({12})
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der Sondertagung
des Europäischen Rates vom 23./24. März
2000 in Lissabon
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU zu der Abgabe einer Erklärung
der Bundesregierung zu den Ergebnissen der
Sondertagung des Europäischen Rates vom
23./24. März 2000 in Lissabon
- Drucksachen 14/3099, 14/3101, 14/3903 Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Gloser
Christian Sterzing
Manfred Müller ({13})
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({14}) zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Regierungskonferenz 2000 und Osterweiterung - Herausforderungen für die Europäische
Union an der Schwelle zum neuen Millennium
- Drucksachen 14/2233, 14/3472 Berichterstattung:
Abgeordnete Winfried Mante
Markus Meckel
Michael Roth ({15})
Michael Stübgen
Peter Altmaier
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Manfred Müller ({16})
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({17}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann,
Hildebrecht Braun ({18}), Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Beziehungen zu Österreich normalisieren
- Drucksachen 14/3187, 14/4323 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Roth ({19})
Gerd Höfer
Markus Meckel
Arnold Vaatz
Christian Schmidt ({20})
Dr. Helmut Lippelt
Uwe Hiksch
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Dr. Gregor Gysi, Uwe Hiksch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Die Europäische Union als Zivilmacht ausbauen
- Drucksache 14/4653 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({21})
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus
Grehn, Uwe Hiksch, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Für eine verbindliche und erweiterbare Europäische Charta der Grundrechte
- Drucksache 14/4654 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({22})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
i) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
60. Bericht der Bundesregierung über die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die
Europäische Union ({23})
- Drucksache 14/3434 ({24}) Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({25})
Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Präsident Wolfgang Thierse
j) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahr 1999 ({26})
- Drucksache 14/4017 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({27})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Hintze, Peter Altmaier, Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Der Europäische Rat von Nizza muss zum Erfolg für Europa werden
- Drucksache 14/4732 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({28})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Dr. Heinrich Fink, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Klarheit des Begriffs Mensch in EU-Grundrechte-Charta sichern und Menschenwürde
umfassend gewährleisten
- Drucksache 14/4720 Zur Erklärung der Bundesregierung zum bevorstehenden Europäischen Rat in Nizza liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen und ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In der kommenden Woche
werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union beim Europäischen Rat in Nizza zusammenkommen.
Auf diesem Gipfeltreffen zum Ende der französischen
Präsidentschaft geht es - nicht nur nach meiner Auffassung - um wegweisende Entscheidungen. Nizza muss ein
Europäischer Rat werden, auf dem die Weichen für die Zukunft der Europäischen Union gestellt werden. Diese Aufgabe wird deutlich an den Themen, die den Europäischen
Rat bestimmen werden: die Regierungskonferenz zu den
institutionellen Reformen und zu der künftigen Entwicklung der Union, die Ausgestaltung der europäischen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die gemeinsame Proklamation der Grundrechte-Charta der Europäischen Union durch das Europäische Parlament, den Rat
und die Kommission.
In Nizza geht es vor allen Dingen darum, vonseiten der
Europäischen Union die letzten internen Hindernisse für
die Erweiterung aus dem Weg zu räumen. Uns Deutschen ist die Erweiterung ein besonderes Anliegen, nicht
nur, weil wir zu unserer historischen Verantwortung stehen. Auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse haben
wir uns immer als Anwalt der beitrittswilligen Staaten
verstanden.
Wir, die Deutschen, wollen die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten und nach Südosten, weil sie
im wirtschaftlichen und natürlich auch im politischen Interesse Deutschlands liegt, und wir wollen sie so rasch,
wie es irgend möglich ist. Wir müssen jetzt die institutionellen Reformen verabschieden, damit, wie in den Beschlüssen von Helsinki vorgesehen - die Europäische
Union ab Ende 2002, also Anfang 2003 in der Lage ist,
neue Mitgliedstaaten aufzunehmen. Die jüngsten Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission zu den
einzelnen Beitrittsländern haben gezeigt, dass deren Reformen gut vorankommen. Die EU der 15 Mitgliedstaaten
muss und wird nun ihrerseits Bedingungen dafür schaffen, dass eine starke Union mit mehr als 20 Mitgliedern
entstehen kann.
Wir wollen aber keine Erweiterung auf Kosten der
Handlungsfähigkeit der Union. Deshalb müssen wir in
Nizza die Effizienz, Legitimität und Transparenz der Europäischen Union auf Dauer sichern. Nur auf diese Weise
können wir die Erweiterung zu einem Erfolg für uns alle
werden lassen.
({0})
In dieser Reformdiskussion geht es auch um die
Frage, wie wir Europa weiter ausgestalten wollen. Für die
Bundesregierung steht dabei außer Zweifel, dass der Weg
der weiteren Integration der richtige Weg ist. Mit dem
Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion, der Erarbeitung einer gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik und
der Schaffung einer sicherheits- und verteidigungspolitischen Dimension hat die Europäische Union einen Integrationsstand erreicht, der - anders, als manche glauben mit bloßer intergouvernementaler Zusammenarbeit nicht
zu halten sein wird.
({1})
Das ist der Grund, weshalb sich die Bundesregierung
nachdrücklich zur Fortsetzung der Integration mit starken
europäischen Institutionen bekennt. Wir wollen eine
starke Kommission. Aber im Gegenzug erwarten wir, dass
sich die Kommission bei der Ausübung ihrer umfangreichen Kompetenzen Zurückhaltung auferlegt, dass sie das
Subsidiaritätsprinzip ernst nimmt. Wir wollen ein starkes
Parlament und wir wollen einen handlungs- und beschlussfähigen Rat, in dem die Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle in der Ausübung einer effizienten europäischen
Politik spielen können. Dabei muss jedoch gelten: Für gePräsident Wolfgang Thierse
meinsam getroffene Entscheidungen müssen die Beteiligten auch in ihrem jeweiligen Bereich die politische Verantwortung übernehmen.
Die Bundesregierung hat in intensiven Gesprächen
versucht, mögliche Kompromisslinien für ein substanzielles Ergebnis in Nizza auszuloten. Beim deutschfranzösischen Gipfel in Vittel, in den Gesprächen mit
Premierminister Blair und Premierminister Juncker, Bundeskanzler Schüssel, den Ministerpräsidenten Kok,
Rasmussen, Verhofstadt und Amato sowie bei meinen
Begegnungen mit der Präsidentin des Europäischen Parlaments habe ich den festen Willen gespürt, zu einem
wirklich tragfähigen Ergebnis zu kommen. Alle Gesprächspartner haben ihre Bereitschaft signalisiert, auf
nationale Maximalpositionen zu verzichten und sich konstruktiv an der Suche nach belastbaren Kompromissen zu
beteiligen. Solche Kompromisse - das wissen Sie alle werden nicht zuletzt in Nizza angestrebt werden müssen.
Dieses schwierige Dossier ist bei der französischen Präsidentschaft - jedenfalls nach deutscher Auffassung - in
guten Händen. Wir wollen ihr bei der Lösung der bestehenden Probleme, soweit es in unserer Macht steht, helfen. Deutschland und Frankreich sind sich ihrer besonderen europäischen Verantwortung bewusst und nehmen sie
im Geiste der engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich wahr.
Wenn wir in Nizza den Weg für die Erweiterung der
Europäischen Union nach Osten und Südosten frei machen, wird dieser Gipfel einen historischen Wendepunkt
in der Geschichte der europäischen Einigung markieren.
Er wird entscheidend voranbringen, worum sich alle Europäer während des vergangenen Jahrzehnts intensiv
bemüht haben: die Spaltung des Kontinents endgültig zu
überwinden und Europa wieder zu kultureller, wirtschaftlicher und politischer Einheit zu führen.
({2})
Meine Damen und Herren, Sie alle kennen die zentralen Fragen, die sich der Regierungskonferenz stellen und
den Gipfel in Nizza bestimmen werden. Deshalb möchte
ich nur kurz skizzieren, welche Ergebnisse die Bundesregierung von den Verhandlungen in Nizza erwartet und
welches unsere wichtigsten Aufgaben sein werden. Ein
Festhalten am bisher geltenden Einstimmigkeitsprinzip
wäre, insbesondere für den Fall der Erweiterung der Europäischen Union, gleichbedeutend mit einer Selbstblockade der Europäischen Union. Deshalb ist es - nicht
zuletzt auch für uns - wichtig, in einer erweiterten Union
Beschlüsse so weit wie möglich mit qualifizierter Mehrheit fassen zu können.
({3})
Zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit gehört
nach unserer Auffassung immer dann, wenn es um Gesetzgebung auf europäischer Ebene geht - ich betone: um
Gesetzgebung auf europäischer Ebene -, auch die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments; seine Kontroll- und Legislativfunktionen müssen weiter gestärkt
werden.
({4})
Mit den Ländern haben wir darin Einigkeit erzielt, das
Prinzip der Mehrheitsentscheidung auf möglichst viele
Bereiche anzuwenden. Nach unserer Vorstellung sollte es
nur bei Erfüllung strenger Kriterien eine Ausnahme vom
Prinzip der Mehrheitsentscheidung geben, beispielsweise
bei ratifizierungsbedürftigen Beschlüssen sowie bei Beschlüssen mit konstitutionellem Charakter oder mit verteidigungspolitischen Bezügen. Darüber hinaus - das gilt
auch für besondere deutsche Anliegen - sollten wir uns in
Bereichen, die aus verständlichen Gründen für einzelne
Mitgliedstaaten sensible Fragen berühren, auf differenzierte Lösungen verständigen. Ich denke, das wird sich erreichen lassen.
Allerdings haben wir bisher im Kreis der Partner für
unsere Vorstellungen zur qualifizierten Mehrheit noch
nicht überall die Unterstützung gefunden, die wir uns erhoffen; diese Frage muss offen diskutiert werden. Dies
gilt insbesondere für die Anwendung der qualifizierten
Mehrheit im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheits- sowie der Innen- und Justizpolitik. Aber, meine
Damen und Herren, das wird und darf uns nicht daran hindern, mit allem Nachdruck und der Unterstützung vor allem auch des Europäischen Parlamentes weiter für unsere,
wie wir meinen, richtigen Positionen zu werben.
({5})
Es gibt einen Zusammenhang, den man nicht übersehen darf: Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit erfordern vor allem aus Legitimitätsgründen, dass das
Stimmengewicht der einzelnen Mitgliedstaaten stärker an
den Realitäten orientiert wird.
Ich will ein Beispiel nennen: Es kann nicht sein, dass
künftig in einer erweiterten Union Deutschland mit mehr
als 80 Millionen Einwohnern über zehn Stimmen im Rat
verfügt, während 19 kleinere Länder, die zusammen noch
nicht einmal auf 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger
kommen, im Rat 57 Stimmen hätten, wenn man das nicht
änderte.
Eine stärkere Rücksicht auf demographische Tatsachen
muss auch für die Zusammensetzung des Europäischen
Parlamentes gelten. Das Parlament selbst hat zu diesem
Thema Überlegungen entwickelt, die aus unserer, aus
deutscher Sicht eine gute Grundlage für eine Entscheidung bilden.
Mittlerweile wird von allen Partnern ausdrücklich anerkannt, dass das derzeitige System der Stimmengewichtung im Rat nicht einfach fortgeschrieben werden kann.
Allerdings - das gilt es einzuräumen - liegen die Vorstellungen darüber, wie der Bevölkerungszahl konkret zu
mehr Geltung verholfen werden soll, noch auseinander.
Für Deutschland - das will ich hier ausdrücklich betonen - ist sowohl eine reine Neugewichtung der Stimmen
als auch das Prinzip der doppelten Mehrheit akzeptabel,
also eine Abstimmung zunächst nach dem Kriterium „Jedem Staat eine Stimme“ und dann im zweiten Durchgang
eine Abstimmung nach dem Kriterium der Einwohnerzahl. Aber ich betone noch einmal: Für Deutschland ist
auch eine einfache Stimmengewichtung akzeptabel.
Für welches Verfahren sich die Konferenz in Nizza
schließlich entscheiden wird, lässt sich derzeit nicht klar
sagen. Die Reise der französischen Präsidentschaft durch
die Mitgliedstaaten ist im Gange bzw. steht in vielen Mitgliedstaaten noch bevor. Ich gehe davon aus, dass die Präsidentschaft ihren abschließenden Vorschlag erst nach der
üblichen Präsidentschaftsreise durch die Mitgliedstaaten
vorlegen wird. Ich betone aber noch einmal ausdrücklich,
dass Deutschland sowohl gegenüber dem Prinzip einer
einfachen Neugewichtung der Stimmen als auch gegenüber dem Prinzip der doppelten Mehrheit, die ich erläutert
habe, aufgeschlossen ist. Man muss sehen: Es besteht eine
enge Verbindung zwischen dem Stimmengewicht der einzelnen Mitgliedstaaten, der Regelung der Mehrheitsentscheidungen und selbstverständlich auch der Größe der
Kommission.
Ein starkes Europa - das ist gewiss - braucht eine
starke Kommission. Der Kommission ist es nicht zuletzt
aufgetragen, über den Binnenmarkt und über die Einhaltung der Verträge zu wachen. Deshalb - das betone ich
hier ausdrücklich - will Deutschland eine unabhängige,
eine handlungsfähige und eine selbstbewusste Kommission mit einem starken Präsidenten, der in der Perspektive
auch über eine klare Richtlinienkompetenz verfügen
muss.
Dazu gehört aber auch - ich habe dies bei meinem
jüngsten Besuch in Brüssel deutlich gemacht -, dass die
Kommission die ihr aufgetragenen Aufgaben mit Augenmaß und mit Zurückhaltung ausübt. Europäisches Recht
muss gewiss eingehalten werden. Aber dann müssen die
entsprechenden Entscheidungen aus Brüssel auch nachvollziehbar sein.
({6})
Wenn die Kommission Entscheidungen trifft, die Auswirkungen auf einzelne Mitgliedstaaten und auf einzelne Regionen haben, dann muss die Kommission dafür auch erkennbar politische Verantwortung übernehmen. Nur so,
denke ich, lassen sich auf Dauer die Unterstützung und
das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger für die Entscheidungen der Gremien in Brüssel und in Straßburg gewinnen.
Zugleich brauchen wir eine Kommission, deren Größe
und Zusammensetzung sich nach ihren Aufgaben richtet.
Gemeinsam mit Frankreich und anderen Mitgliedstaaten
sind wir dafür eingetreten, die Zahl der Kommissare zu
begrenzen. Es kann nicht sein, dass die Europäische Kommission mit jeder Erweiterung größer wird, ohne dass für
die Vielzahl der Kommissare jeweils eigenständige Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereiche vorliegen.
({7})
Wir wollen gewiss keine Europäische Union, in der es
Mitgliedstaaten erster und zweiter Klasse gibt. Gerade
deshalb habe ich beim Rat in Biarritz in Absprache mit einigen Partnern vorgeschlagen, die Begrenzung der Größe
der Kommission mit einem gleichberechtigten Rotationssystem zu kombinieren, in dem kein Mitgliedstaat, auch
nicht die größeren, ein automatisches Recht besitzt, einen
Kommissar zu stellen. Das ist nicht zuletzt deshalb sachgerecht, weil die Kommissare nach der Konstruktion der
Kommission eben keine Vertreter der Mitgliedstaaten sein
sollen; vielmehr sollen sie gleichsam das Gemeinschaftsinteresse definieren und über das Gemeinschaftsinteresse
wachen.
Ich habe Zweifel, ob diese Vorstellung nicht nur
Deutschlands, sondern auch Frankreichs und anderer Mitgliedstaaten sofort umzusetzen sein wird, Zweifel deshalb, weil es eine Reihe wichtiger kleiner und mittlerer
Staaten gibt, die auf eine Präsenz in der Kommission nicht
oder noch nicht verzichten wollen. Da die Entscheidungen indessen, wie Sie wissen, dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegen, wird man sich auch in dieser Frage um einen Kompromiss bemühen müssen.
Die Kommission ist die europäische Institution par excellence. Sie muss an europäischen Notwendigkeiten ausgerichtet werden. Die Kommission ist eben nicht die Vertretung der Mitgliedstaaten in Brüssel. Mein Eindruck ist,
dass wir für diese Ansicht noch werben müssen.
Große Fortschritte haben wir in den letzten Wochen in
einem Bereich erzielt, dem ich persönlich immer besondere Bedeutung zugemessen habe, dem Ausbau der Regelungen zur verstärkten Zusammenarbeit innerhalb
des Gemeinschaftsrahmens, ich betone: innerhalb des Gemeinschaftsrahmens; denn mir ist wichtig, dass die Staaten, die bezüglich der Integration weitergehen wollen, das
auf dem Boden der Verträge tun. Es darf nicht dazu kommen, dass verstärkte Zusammenarbeit nicht auf dem Boden der Verträge stattfindet. In einer erweiterten Europäischen Union wird es immer schwieriger werden,
Integrationsfortschritte mit allen Mitgliedsländern gleichzeitig zu erreichen. Aber ohne weitere Integration würden
die Handlungs- und Einflussmöglichkeiten der Europäischen Union gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung auf Dauer geschwächt werden. Deshalb brauchen wir die Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten,
die das wollen und können, im Hinblick auf die Integration voranschreiten, wie es ja auch schon im SchengenBereich oder bei der Wirtschafts- und Währungsunion mit
Erfolg geschehen ist.
Über das Grundprinzip der verstärkten Zusammenarbeit besteht seit Biarritz weit gehendes Einvernehmen unter den Mitgliedstaaten. Wir werden uns in Nizza um die
konkrete Ausgestaltung dieses wichtigen Prinzips kümmern müssen. Hierzu haben Deutschland und Italien zusammen einen viel beachteten Vorschlag vorgelegt, der
die Basis für die Schlussberatungen bilden dürfte. Es ist
gelegentlich die Frage aufgeworfen worden - das habe ich
gelesen -, warum dies eine Aktion Deutschlands und Italiens gewesen sei und Frankreich nicht einbezogen worden sei. Ich möchte das ohne jede Polemik erklären: Das
hat schlicht damit zu tun, dass die jeweilige Präsidentschaft, also auch die jetzige französische Präsidentschaft,
in der Lage sein muss, Kompromisse aufgrund der Vorschläge der Mitgliedstaaten zu formulieren. Das hat also
nichts mit Irritationen im deutsch-französischen Verhältnis zu tun. Es geht schlicht darum, der jeweiligen Präsidentschaft die Möglichkeit, eigene Kompromisse zu erarbeiten, zu erhalten. Der eine oder andere, der das kritisiert
hat, hat das offensichtlich übersehen.
Unsere gemeinsame Vorstellung ist, dass verstärkte
Zusammenarbeit künftig durch einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit eingeleitet werden kann und dann für
einen Mitgliedstaat keine Vetomöglichkeiten mehr bestehen. Dabei sollte die Mindestteilnehmerzahl auf acht Länder beschränkt sein. Es ist auch wichtig, dass kein politischer Bereich von vornherein von der Möglichkeit zu
einer verstärkten Zusammenarbeit ausgenommen sein
sollte.
({8})
Genauso selbstverständlich muss es sein, dass kein Mitgliedstaat, der bereit und in der Lage ist, an der verstärkten Zusammenarbeit teilzunehmen, von dieser ausgeschlossen werden darf. Es darf also keinen „closed shop“
geben.
Unbestritten ist auch, dass sich die verstärkte Zusammenarbeit möglichst innerhalb der Verträge vollziehen
soll und dass die Kommission als Hüterin der Verträge
eine starke Rolle spielen muss. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in Nizza in dieser Frage eine wirklich gute
Lösung finden werden, die einer erweiterten Union die
notwendige Flexibilität gibt, um auf dem Weg der zunehmenden Integration vorankommen zu können.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung der Europäischen Union findet mit Nizza und mit der Erweiterung
keineswegs ihren Abschluss. Vielmehr müssen wir uns
Gedanken machen, wie wir die Union weiter festigen und
wie wir den Bürgerinnen und Bürgern ein klareres Bild
von der künftigen Europäischen Union vermitteln können. Hierfür haben wir mit der Grundrechte-Charta ein
gutes Fundament geschaffen.
({9})
Die Charta wird in Nizza als gemeinsames Dokument von
Europäischem Parlament, Rat und Europäischer Kommission feierlich proklamiert werden. Ich nehme gerne
die Gelegenheit wahr, um von dieser Stelle aus dem Konvent, vor allem dem Leiter, Altbundespräsident Herzog,
noch einmal meinen Dank und meine Anerkennung für
die großartige Leistung auszusprechen, die erbracht worden ist.
({10})
Die Charta - das kann man wirklich sagen - fasst europäische Wertevorstellungen und europäische Traditionen klar und für alle Bürgerinnen und Bürger verständlich
zusammen. Deshalb ist dieses Dokument ein Gewinn für
Europa.
({11})
Die Bundesregierung tritt dafür ein, die Charta mittelfristig in die Verträge zu übernehmen, gleichsam als Herzstück für ein Grundgesetz der Europäischen Union.
({12})
Was wir darüber hinaus brauchen, ist eine Vereinfachung und Neuordnung der Verträge, eine Klärung der
Gewaltenteilung zwischen den Brüsseler Institutionen
und eine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen
dem, was in Brüssel geschieht, und dem, was in den Mitgliedstaaten zu geschehen hat.
({13})
Die Bürger beklagen sich zu Recht darüber, dass die
Entscheidungswege in Europa nicht nachvollziehbar und
vielfach undurchsichtig sind. Deswegen - nicht nur wegen des Freistaats Bayern, Herr Glos - sind wir der Auffassung, dass geklärt werden muss, wer für welche Fragen
und für welche Entscheidungen zuständig ist. Das ist eine
Frage der Klarheit, der Transparenz und damit der Legitimität Europas.
({14})
Das sind einige der wichtigen Aufgaben für eine Regierungskonferenz, die wir für das Jahr 2004 vorgeschlagen haben.
Um die Akzeptanz der Union bei unseren Bürgerinnen
und Bürgern zu erhöhen, ist es wichtig, dass diese Fragen
geklärt werden, aber nicht nur auf einer Regierungskonferenz - das kann nur der Abschluss sein -, sondern auch
in einer breiten öffentlichen Debatte.
Deswegen sollten wir uns schon in Nizza in den Grundzügen über die Aufgaben, über den Zeitpunkt und über die
Vorbereitung dieser neuen Regierungskonferenz verständigen. Auch hierfür gibt es viel Zustimmung bei den Kolleginnen und Kollegen im Rat.
Damit hier und anderswo keinerlei Missverständnisse
aufkommen: Diese neue Regierungskonferenz ist nicht
als eine Beitrittshürde für die beitrittswilligen Staaten gedacht. Sie formuliert keine neuen Voraussetzungen für die
Erweiterung der Union. Dies wird auch in Nizza noch
einmal ausdrücklich betont werden.
({15})
Die Europäische Union - das ist mir wichtig - steht zu
ihren Zusagen von Helsinki: Bis Ende 2002, so haben wir
es beschlossen, ist die interne Erweiterungsfähigkeit
der EU hergestellt und über die konkreten Beitrittstermine der einzelnen Kandidaten entscheidet dann allein
deren Fähigkeit, den Acquis der Europäischen Union
wirklich in vollem Umfang zu übernehmen.
Das ist der Grund, warum ich von einer Datendiskussion so wenig halte. Wir haben mit den Beschlüssen von
Helsinki vernünftigerweise, wie ich finde, festgelegt: Das
Europa der 15 strebt an - es wird das Ziel erreichen -, bis
Ende 2002, Anfang 2003 aufnahmefähig in Bezug auf
neue Mitglieder zu sein. Es liegt vor allen Dingen an den
beitrittswilligen Staaten selbst - wir können und wollen
da hilfreich sein -, beitrittsfähig zu werden. Wann das in
den einzelnen Staaten erreicht ist, ist nicht Sache der Europäischen Union, des Europas der 15, zu entscheiden;
vielmehr liegt die Entscheidung vor allen Dingen bei den
beitrittswilligen Staaten selbst.
({16})
Hierin liegt der Grund, warum wir der Auffassung sind,
dass eine Datendiskussion von den Notwendigkeiten eines zügigen Fortschritts bei den inneren Reformen in den
Beitrittsstaaten eher ablenkt und nicht hilfreich ist.
({17})
Im Zusammenhang damit ist etwas anderes wichtig:
Die politische Frage der Erweiterung ist geklärt. Niemand
- ich denke, auch niemand in diesem Hohen Hause - ist
der Auffassung, dass an der Notwendigkeit, Europa nicht
an der deutschen Ost- oder an der polnischen Westgrenze
enden zu lassen, ein vernünftiger Zweifel erlaubt ist. Also
verschiebt sich die Frage eines Beitritts weg von der rein
politischen Ebene hin zu einer ökonomisch zu beantwortenden Frage. Ob ein Staat objektiv in der Lage ist - seine
Bereitschaft unterstelle ich -, die ökonomischen Konsequenzen einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union
zu tragen - sie sind ja nicht nur entlastender, sondern auch
belastender Natur; wir wissen das aus der Transformation
einer Kommandowirtschaft in eine Marktwirtschaft in
Deutschland -, das entscheidet sich nach dem Stand der
inneren Reformen in den Beitrittsstaaten selbst.
Es entzieht sich der direkten Verantwortung der Mitgliedstaaten des Europas der 15. Dass das Europa der 15
ein Interesse daran hat, dass die Erweiterung zügig vonstatten geht, erklärt sich aus der politischen Dimension
dieser Frage, aber auch aus der ökonomischen Dimension. Das gilt nicht zuletzt für Deutschland.
Ich halte es deshalb - ich sage es noch einmal - für
falsch, jetzt eine Diskussion darüber zu beginnen, wann
welches Land seine Beitrittsfähigkeit erreicht haben wird.
Diese Diskussion würde falsche Hoffnungen und Erwartungen wecken. Unter Umständen würde sie den Reformeifer der einzelnen Länder schwächen und auf diese Weise
eventuell gewaltige Enttäuschungen hervorrufen.
Was wir indessen brauchen und was wir auch schaffen
wollen, ist, einen Fahrplan über die Behandlung der Sachfragen in den Beitrittsverhandlungen aufzustellen, um das
hohe Tempo, das inzwischen erreicht worden ist, beibehalten und die Einzelheiten zielgerichtet umsetzen zu
können. Für ein solches Vorgehen, für eine solche „road
map“, wie man es nennt, wird sich die Bundesregierung
in Nizza einsetzen.
({18})
In Nizza geht es noch um eine Reihe weiterer wichtiger Fragen. Ich erwähne hier vor allen Dingen die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Bei diesem zentralen Vorhaben, das wir 1999 unter deutscher
Präsidentschaft auf den Weg gebracht haben, werden wir
in Nizza aller Voraussicht nach ein wirklich bedeutendes
Etappenziel erreichen. Die Truppensteller-Konferenz in
der vergangenen Woche hat deutlich gemacht, dass die
Europäer bereit und entschlossen sind, im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Die Europäer werden bei der
Krisenprävention und bei der Krisenbewältigung ein starker Akteur sein.
Schließlich haben wir - nicht zuletzt auf deutsches
Drängen hin - erreicht, dass zivile Krisenprävention und
ziviles Krisenmanagement im Rahmen dieser Konzeption
einen bedeutenden Stellenwert erreichen.
({19})
Ich halte es für einen Vorzug, dass Europa nicht in erster
Linie in militärischen Kategorien denkt. Für uns kann der
Einsatz militärischer Mittel - das unterstreiche ich - immer nur Ultima Ratio sein.
Aus deutscher Sicht ist darüber hinaus die Sicherung
der öffentlichen Daseinsvorsorge von besonderer Bedeutung. Die Kommission hat dazu gemäß dem von
Deutschland angeregten Beschluss des Europäischen Rates in Lissabon im Spätsommer eine neue Mitteilung vorgelegt, die die aus dem Jahr 1996 ersetzt. Diese Mitteilung
wird derzeit im Rat intensiv beraten. Wir sind der Auffassung, dass sie wichtige Schritte in die richtige Richtung
enthält. Der kommende Europäische Rat sollte nach unserer Auffassung die Kommission beim Wort nehmen und
die Erwartung formulieren, dass das Beihilferecht der Europäischen Union im Hinblick auf eine Stärkung der
Rechtssicherheit fortentwickelt wird. Es muss sichergestellt werden, dass die besonderen Leistungen, die Einrichtungen der Daseinsvorsorge im Interesse der Allgemeinheit erbringen, bei der Anwendung wettbewerbsund beihilferechtlicher Vorschriften des EG-Vertrages angemessen berücksichtigt werden.
({20})
Meine Damen und Herren, Beitrittsverhandlungen und
Verfassungsdiskussionen, Erweiterung und Vertiefung das sind die großen Themen, die die Europadiskussion in
den kommenden Jahren prägen werden. Am Ende dieses
Jahrzehnts werden wir in einem anderen Europa leben.
Dieses Europa wird größer sein; aber es muss zugleich politisch enger verflochten sein und es wird nach meiner
festen Überzeugung über eine verfassungsmäßige Grundlage verfügen müssen und verfügen.
Der Weg dorthin ist keineswegs zwangsläufig. Um dieses Europa muss also politisch gekämpft werden, und
zwar nicht nur auf der Ebene von Staaten und Regierungen, sondern vor allen Dingen in den europäischen Gesellschaften selbst. Wir müssen um des großen Projektes
willen verstärkt nicht bloß um den Verstand der Bürgerinnen und Bürger, sondern eben auch um ihr Engagement
für dieses Europa und, wenn man so will, um ihre Herzen
ringen.
({21})
Angesichts dessen, was ich skizziert habe, lässt sich
wirklich ohne falsches Pathos sagen: Europa ist unsere
Zukunft. Seine Vertiefung und Erweiterung bringen uns
Fortschritte, die im gemeinsamen Interesse, aber eben
auch im nationalen Interesse Deutschlands liegen. Dabei
wissen wir um die Ängste und Sorgen der Bürgerinnen
und Bürger. Auch wenn sich diese Sorgen im Ergebnis als
weitgehend unbegründet erweisen werden, müssen wir
diese Sorgen im Prozess der Erweiterung und Vertiefung
ernst nehmen.
({22})
Weil das so ist, meine Damen und Herren, dürfen wir bei
diesem Thema keine Stimmungsmache betreiben,
({23})
sondern müssen gemeinsam die politische und ökonomische Notwendigkeit und unser nationales Interesse
an der Erweiterung betonen. Ich sage das noch einmal
insbesondere mit Bezug auf die Menschen, die in den
Grenzgebieten zu Polen, zu Tschechien leben und die an
gesichts bestimmter Fragen Ängste haben, die ich nachvollziehen kann.
Ich habe dort immer wieder gesagt und will es auch
hier sagen: Es gibt längs der Grenze eine Reihe wirklich
wichtiger Industrieunternehmen, die sich Gott sei Dank
dort angesiedelt haben. Mit ihrer Ansiedlung verbanden
sie aber die klare Strategie, aus diesen Grenzgebieten,
zum Beispiel längs der Oder, die mittel- und osteuropäischen Märkte zu bearbeiten und für ihre eigenen Produkte
zu erobern.
({24})
Die Strategie dieser Unternehmen, die in diesen Bereichen Arbeitsplätze schaffen, kann und wird nur aufgehen,
wenn die Märkte auch aufnahmefähig für die Produkte
werden, die längs der Grenze hergestellt werden. Hier
liegt einer der Gründe, warum es auch und gerade im Interesse der Grenzregionen liegt, dass die Erweiterung
kommt.
({25})
Wir alle müssen begreifen, dass es in unserem ökonomischen Interesse liegt und uns nützt, wenn durch Integration in die Europäische Union in den Staaten Mittel- und
Osteuropas für uns wichtige Märkte entstehen. So können
wir den richtigen Weg einschlagen. Dabei wird dann auch
deutlich, dass die Chancen einer Erweiterung weit größer
sind als die Nachteile, die viele befürchten.
({26})
In diesem Zusammenhang noch etwas: Natürlich wird
im Laufe der Verhandlungen auch darüber geredet werden
müssen,
({27})
welche Übergangsfristen erforderlich sind. Das ist doch
gar keine Frage. Das wird übrigens ein bilateraler Prozess
sein. Es steht doch völlig außer Frage, dass es für gewisse
Zeiträume bezüglich einiger Tatbestände Übergangsfristen auch für die beitrittswilligen Staaten geben muss und
geben wird. Ich will dazu keine Beispiele nennen. Aber
Sie alle kennen doch die Tatsache, dass der Industrialisierungsgrad auf absehbare Zeit noch unterschiedlich sein
wird. Deswegen muss natürlich auch auf der anderen
Seite und keineswegs nur auf unserer Seite über Übergangsfristen diskutiert werden. Das wird auch geschehen.
Auf unserer Seite bezieht sich die Diskussion zum Beispiel auf die Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wir
wollen und wir werden kein Lohndumping zulassen. Das
ist gar keine Frage.
({28})
Sie bezieht sich auch auf gewisse Formen von Dienstleistungsfreiheit, denn wir wollen und wir werden bei uns
kein Preisdumping zulassen. In den beitrittswilligen Staaten bezieht sie sich etwa auf für diese wichtige Fragestellungen der Industrie- und Landwirtschaftspolitik. Insofern bin ich ganz sicher, dass es im Interesse beider Seiten
liegt, hier zu vernünftigen, den Ängsten der Bevölkerung
auch wirklich begegnenden Regelungen zu kommen. Wir
jedenfalls werden uns dafür einsetzen.
({29})
Politische Orientierungen für das zukünftige Europa zu
geben und dafür um die Zustimmung der Bürgerinnen und
Bürger zu werben sollte vor diesem Hintergrund eine
gemeinsame Aufgabe des Hohen Hauses sein. Ein so herausragendes politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Zukunftsprojekt wie die europäische
Einigung lebt gewiss von der produktiven Auseinandersetzung um seine Gestaltung. Die Auseinandersetzung
zwischen allen Beteiligten und in der Gesellschaft bei uns
sollte konstruktiv - ich betone: konstruktiv - geführt werden.
Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung bereit
- sie befindet sich damit in einer guten deutschen Tradition -, die großen europapolitischen Aufgaben der Zukunft, die im wohlverstandenen nationalen Interesse
Deutschlands liegen, gemeinsam mit allen Fraktionen des
Deutschen Bundestages anzugehen, um die zwischen uns
weitgehend unstrittigen Ziele hinsichtlich der Perspektiven der europäischen Einigung in und eben auch für Europa zu verwirklichen. Ich sage es noch einmal: Das
schließt produktiven Streit nicht aus. Aber er sollte auf der
Basis der gemeinsamen Grundüberzeugungen, was die
Entwicklung der Europäischen Union, ihre Erweiterung
und ihre Vertiefung angeht, ausgetragen werden.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({30})
Ich erteile dem Kollegen Friedrich Merz, dem Vorsitzenden der CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler,
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt Sie und
Ihre Regierung bei dem wichtigen Vorhaben, am 7. und
8. Dezember in Nizza zu einem guten Abschluss der Regierungskonferenz zu kommen. Wir wissen, dass dies
vermutlich eine der wichtigsten Konferenzen ist, die die
Europäische Union in den letzten Jahren abgehalten hat.
Wir wollen, dass diese Konferenz ein Erfolg wird, insbesondere weil sie die Voraussetzungen für die auch von uns
gewollte und von uns für notwendig und richtig gehaltene
Osterweiterung schaffen soll.
({0})
Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass
dies einen breiten politischen Konsens in der Bundesrepublik Deutschland erfordert. Sie haben auch angemahnt,
den Menschen in unserem Land die Ängste vor diesen
Veränderungen zu nehmen. Ich habe mir allerdings
während Ihrer Regierungserklärung die Frage gestellt,
wie denn wohl jemand reagiert, der Sie heute Morgen am
Fernseher gesehen hat,
({1})
welche Empfindungen er hat und ob er die eine oder andere Sorge weniger hat, nachdem Sie gesprochen haben.
({2})
Herr Bundeskanzler, Ihre Regierungserklärung war so
leidenschaftslos
({3})
und in einer solchen Bürokratensprache abgefasst,
({4})
dass nun wirklich niemand, der Ihnen zugehört hat, die
zentrale Botschaft verstanden hat, um die es eigentlich
uns allen gehen müsste.
({5})
Sie haben sauber abgearbeitet, was Ihnen aufgeschrieben
worden ist. Aber die zentrale Botschaft - es geht nämlich
darum, mit dem Erfolg dieser Regierungskonferenz das
wichtigste Projekt zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der
Europäischen Union auf den Weg zu bringen - hat niemand verstanden, der Ihnen heute Morgen zugehört hat.
({6})
Herr Bundeskanzler, wenn es darum geht, den Menschen Ängste und Sorgen zu nehmen, stelle ich mir schon
die Frage, warum Sie ein zentrales - vielleicht das zentrale - europäisches Thema, das in diesen Tagen die Öffentlichkeit beherrscht und das den Menschen wirklich
Angst macht, überhaupt nicht angesprochen haben, nämlich die Fälle von BSE-Erkrankungen und die sich daraus
ergebene Krise.
({7})
- Nein, das ist kein Thema von Nizza.
({8})
Aber wenn Sie die Zustimmung zur europäischen Politik
zurückgewinnen wollen, dann müssen Sie über die Themen sprechen, mit denen die Nöte und Sorgen der Menschen zusammenhängen. BSE ist ein europäisches Thema!
({9})
Sie hätten durchaus darauf hinweisen können, dass es
große Schwierigkeiten gibt, die Rechtsgemeinschaft der
Europäischen Union bei diesem Thema herzustellen, bei
dem es darum geht, dass sich nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die anderen Mitgliedstaaten an das halten, was in der Europäischen Union vereinbart worden ist. Aber kein Wort davon an dieser Stelle. Sie
haben eine große Chance vertan, den Menschen Sorgen zu
nehmen und ihnen das Vertrauen zu geben, dass die Europäische Union in der Lage ist, die großen Aufgaben der
Zukunft zu lösen.
({10})
Herr Bundeskanzler, mir ist bei der Vorbereitung der
heutigen Aussprache ein Zweites aufgefallen: Sie haben
in der zweijährigen Amtszeit als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland bis zum heutigen Tag, einschließlich dieser Regierungserklärung, weder hier im
Deutschen Bundestag noch außerhalb des Deutschen
Bundestages eine wirklich große europäische Rede gehalten,
({11})
in der die Leidenschaft für dieses große Thema Europa
zum Ausdruck gekommen wäre.
({12})
Bei aller berechtigten oder unberechtigten Kritik an der
früheren Bundesregierung kann ich nur sagen: Für Europa
hat es in der früheren Bundesregierung - wie übrigens in
allen früheren Bundesregierungen - eine größere Bereitschaft zum Engagement und eine größere Leidenschaft
als bei Ihnen gegeben.
({13})
In einer der wenigen Reden, die nachhaltige Wirkung
haben sollte, nämlich in der Rede, die Sie vor rund einem
Jahr in der Französischen Nationalversammlung gehalten
haben, haben Sie - völlig zu Recht - darauf hingewiesen,
dass die Zukunft der Europäischen Union ganz maßgeblich davon abhängig ist, dass das deutsch-französische
Verhältnis der Motor in dieser Europäischen Union
bleibt. Sie haben in Paris gesagt, Europa zähle auf
Deutschland und Frankreich. Keine der großen europäischen Aufgaben sei je gelöst worden, wenn sich Deutschland und Frankreich nicht einig gewesen seien. Keines der
großen europäischen Integrationsprojekte, so haben Sie
weiter ausgeführt, wäre jemals verwirklicht worden, hätten Deutschland und Frankreich nicht den Anstoß gegeben. Sie haben Recht, Herr Bundeskanzler, es ist wahr:
Die Zusammenarbeit der beiden großen Mitgliedstaaten
Deutschland und Frankreich war immer der Motor der
Europäischen Union.
Jetzt stelle ich Ihnen aber einmal die Frage: Was ist der
Befund ein Jahr später? Wir bekommen von den Medien
gegenwärtig - da ist offensichtlich nicht nur ein bisschen
Rauch, sondern da ist Feuer unterm Dach - eine Beschreibung des deutsch-französischen Verhältnisses, die
schlechter ist als jemals in den Jahren und Jahrzehnten zuvor. Ich nenne Ihnen nur einige Stichworte: „Außenminister Fischer irritiert Paris“; „Klimasturz in den Beziehungen zu Frankreich“; „Zwietracht stellt sich ein zwischen
Berlin und Paris“;
({14})
„Ein Duft von Arroganz“; „Der Lack ist ab“; „Védrine
über Fischer verärgert“. Herr Bundeskanzler, Ihr Außenminister wird in Paris in Anlehnung an den Rattenfänger
von Hameln mittlerweile offen als der „Flötenspieler“ bezeichnet.
({15})
Was ist los im deutsch-französischen Verhältnis, Herr
Bundeskanzler?
({16})
Wenn das, was Sie heute Morgen in Ihrer Regierungserklärung hier gesagt haben, richtig ist, dann erwarten
nicht nur wir, sondern das ganze Land von dieser Bundesregierung ein höheres Engagement hinsichtlich der
deutsch-französischen Beziehungen. Deswegen möchte
ich Ihnen die Frage stellen: Ist es richtig, was in den Zeitungen stand, dass Bundesaußenminister Joschka Fischer
seit Anfang Juli, also seit Beginn der französischen
Ratspräsidentschaft, die Sie mit Recht als so wichtig und
entscheidend bezeichnet haben, nicht mehr an den Ministerrunden seines französischen Amtskollegen in Paris
teilnimmt? Ist es richtig, dass Herr Fischer in Brüssel gesagt hat, es sei völlig nutzlos, an diesen Ministerrunden
teilzunehmen, und dass seitdem nur noch einer seiner Beamten dahin geschickt wird? Was war der Hintergrund der
Absage - nicht Ihres Verteidigungsministers, sondern des
Präsidenten der europäischen Sozialisten - am letzten
Wochenende bei dem Kongress der französischen Sozialisten in Grenoble? Warum hat er dort nicht teilgenommen, für die deutsch-französischen Beziehungen geworben und als Präsident der Sozialdemokratischen Parteien
Europas eine Rede für Europa gehalten?
({17})
- Angesichts der Zurufe, die Sie zu diesem Thema hier
machen, werden bei mir die Zweifel, ob BSE auf den
Menschen übertragbar ist, noch geringer, als sie bisher ohnehin schon waren.
({18})
- Regen Sie sich ruhig weiter auf!
Herr Bundeskanzler, entscheidend ist doch, dass es offenbar im deutsch-französischen Verhältnis bei der Vorbereitung des Abschlusses der Regierungskonferenz in
Nizza eine ganze Reihe von ungeklärten Fragen gibt und
dass dies der Grund dafür ist, dass der Erfolg dieser Konferenz wirklich auf der Kippe steht.
Sie haben soeben in Ihrer Regierungserklärung ausdrücklich festgestellt, dass man sich im Ministerrat vorstellen kann, so oder so zu entscheiden. Das hier im Deutschen Bundestag von uns gemeinsam für richtig gehaltene
Entscheidungsverfahren der doppelten Mehrheit im Ministerrat ist also offensichtlich aufgegeben worden.
Schwerer wiegt, dass offensichtlich zwischen Deutschland und Frankreich in einer Reihe von politischen Sachfragen, die die europäische Politik betreffen und die auf
dem Gipfel in Nizza entschieden werden müssen, größere
Verstimmungen bestehen. Ich nenne ein wichtiges Beispiel, über das Sie kein Wort verloren haben: Was ist eigentlich auf europäischer Ebene und insbesondere im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich in Bezug auf
die gemeinsame Handelspolitik los? Ende letzten Jahres
ist die Ministerkonferenz der WTO in Seattle gescheitert.
Das hatte vielfältige Gründe, die mit Sicherheit auch in
dem beginnenden amerikanischen Wahlkampf zu suchen
waren. Aber was ist die Konsequenz für die Europäer?
Sind Sie zusammen mit Frankreich bereit, dafür zu sorgen,
dass auf dem Gipfel in Nizza beschlossen wird, dass der
Bereich der Handelspolitik vom Einstimmigkeitsprinzip
zu Mehrheitsentscheidungen überführt wird? Sind Sie bereit, die auf WTO-Ebene stattfindenden Verhandlungen
über geistiges Eigentum und Dienstleistungen auf der
Grundlage von Mehrheitsentscheidungen der Europäischen Union zum Erfolg zu führen?
({19})
- Herr Fischer, Sie machen hier ständig Zurufe.
({20})
- Das kann er ja tun. Mich stört das nicht. - Nur, warum,
Herr Fischer, ist beim letzten deutsch-französischen
Gipfel in Vittel der Bundeswirtschaftsminister überhaupt
nicht dabei gewesen? Weil er in diesem Land offensichtlich nichts mehr zu sagen hat. Aber wirtschaftliche Fragen
sind doch wichtig!
({21})
Zu den Abschlusskommuniqués, die in diesem Zusammenhang verabschiedet worden sind, ist festzustellen:
Auf dem Gipfel in Nizza sollte die Entscheidung getroffen werden, dass die Kommission im Bereich der
Handelspolitik in Zukunft weltweit auf der Grundlage
von Mehrheitsentscheidungen des Rates tätig werden
kann. Zu diesem Thema wurde kein Wort gesagt.
Ein weiterer Punkt in Bezug auf das deutsch-französische Verhältnis: Warum ist es streitig, Maßnahmen, die
Personenkontrollen an den Binnen- und Außengrenzen
der Europäischen Union betreffen, zwischen Deutschland
und Frankreich vorzubereiten? Warum gibt es in dieser
Frage einen offensichtlich größer werdenden Dissens?
Glauben Sie denn im Ernst, dass der Gipfel von Nizza der
Erfolg werden kann, den wir wollen und der notwendig
ist, wenn es vorher im deutsch-französischen Verhältnis
eine solche Zunahme an Problemen und Störungen gibt,
die offensichtlich auch mit dem persönlichen Verhalten
mehrerer Mitglieder der Bundesregierung in Verbindung
zu bringen sind?
({22})
Herr Bundeskanzler, Sie haben über die Osterweiterung gesprochen und darauf hingewiesen, dass natürlich
gerade wir als Deutsche ein Interesse daran haben müssten, dass die deutsche Ostgrenze und die polnische Westgrenze nicht die Grenze bleibt, die den europäischen Kontinent weiter teilt. Wenn das aber so ist, dann frage ich Sie,
warum sich der polnische Außenminister vor kurzem veranlasst gesehen hat, ein Interview zu geben, in dem er zum
Ausdruck gebracht hat, dass er die deutsche Unterstützung insbesondere für den Beitritt Polens zur Europäischen Union vermisst. Was ist los im deutsch-polnischen
Verhältnis,
({23})
dass solche Erklärungen des polnischen Außenministers
notwendig gewesen sind?
Die Probleme in Ihrer Koalition und die Probleme, die
intern zwischen Ihnen, Herr Bundeskanzler, und der SPDBundestagsfraktion bestehen, absorbieren Sie in einem so
hohen Maße, dass Sie für die wichtigen europapolitischen
Themen und die bedeutenden Angelegenheiten, die jetzt
entschieden werden müssen, nicht den Kopf frei haben.
Das war Ihnen heute Morgen anzumerken.
({24})
Ich will es noch einmal ganz ausdrücklich sagen, damit
keine Missverständnisse entstehen: Wir sind bereit, mit
Ihnen zusammen dafür zu sorgen, dass Nizza ein Erfolg
wird.
({25})
Wir tragen dazu bei; übrigens haben wir mittlerweile offensichtlich bessere Kontakte zu unseren befreundeten
Parteien in Paris als Sie.
({26})
Wir sind bereit, mit Ihnen die Entscheidungen zu treffen,
die notwendig sind, um die Osterweiterung der Europäischen Union zu ermöglichen. Zu diesen Entscheidungen gehört nicht nur, dass die Institutionen in der Europäischen Union neu geordnet werden und dass das
Zusammenwirken der Institutionen innerhalb der Europäischen Union besser wird. Das ist eine notwendige
Voraussetzung, aber ganz sicher keine hinreichende.
Wir müssen in der Bevölkerung der Bundesrepublik
Deutschland für dieses große Projekt werben, und wir
brauchen eine Zustimmung der Bevölkerung, die wir gegenwärtig - das wissen Sie - nicht haben. Wir müssen den
Menschen gerade in unserem Lande deutlich machen, was
es bedeutet, dass wir vor der größten Erweiterung der Europäischen Union in ihrer Geschichte stehen.
Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie so weitermachen,
dann werden Sie die Zustimmung der Bevölkerung in
Deutschland dazu nicht gewinnen. Die Deutschen wollen
nämlich eine Antwort.
({27})
- Ich bedanke mich sehr herzlich, dass Sie der Opposition
so viel zutrauen, dass sie vernünftiges Regieren verhindern kann, wie das in Ihren Kreisen jetzt zum Ausdruck
gebracht wird. Ich will Ihnen ausdrücklich sagen: Wir
sind in diesem Bereich nicht an einem kleinlichen parteipolitischen Streit und Gezänk interessiert.
({28})
Sie werden sich schon einmal anhören müssen - ob Sie
wollen oder nicht -, wo die wirklich substanziellen Probleme in der Europäischen Union liegen. Wir lassen es
uns jedenfalls auch mit Ihren Zwischenrufen und mit
Ihrem Geschrei nicht verbieten, hier anzusprechen,
worum es in der europäischen Politik geht.
({29})
Neben allem, was jetzt in Nizza entschieden werden
muss - die Institutionen neu ordnen, das Zusammenwirken der Institutionen neu regeln, eine Vertiefung der Zusammenarbeit, die Überführung einer großen Zahl der
Entscheidungen in den Mehrheitsentscheid -, müssen Sie
bestrebt sein, die Zustimmung der Bevölkerung zu gewinnen. Ich will Ihnen übrigens ausdrücklich sagen: Ich
halte das, was Sie vorgeschlagen haben im Hinblick auf
das Rotationssystem in der Kommission, für mutig und
richtig. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein großes
Mitgliedsland wie Deutschland sagt: Wir sind bereit, mit
Frankreich zusammen mal zwischendurch auf Zeit auf
die Vertretung in der Kommission zu verzichten. Das ist
ein mutiger und richtiger Schritt. Aber alles das reicht
nicht aus, um die Zustimmung der Bevölkerung für die
weitere europäische Politik, insbesondere für die Osterweiterung und die vertiefte Integration in Europa, zu gewinnen.
Wir werden eine sehr viel intensivere Debatte um
die Fragen führen müssen: Was soll die europäische Politik eigentlich lösen? Wo sind ihre Zuständigkeiten, ihre
Kompetenzen im wahrsten Sinne des Wortes? Was muss
bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union - möglicherweise sogar bei den Ländern und den Kommunen verbleiben bzw. von Europa auf sie zurück übertragen
werden?
Wenn Sie diese Debatte - wie das in einem im Übrigen
nicht zu kritisierenden Dokument der letzten deutsch-italienischen Begegnung zum Ausdruck kommt - auf das
Jahr 2004 vertagen, wenn Sie nicht unmittelbar nach
Nizza beginnen, die Frage der Kompetenzordnung und
eines Verfassungsvertrages auf die Agenda der europäischen Politik zu setzen, dann werden Sie größere Schwierigkeiten haben, schon das akzeptabel zu machen, was in
Nizza verabschiedet wird.
({30})
Die Menschen wollen wissen: Was kann und was muss
diese Europäische Union machen? Wofür ist sie zuständig, was sind die großen politischen Themen: Auf die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, die wir gemacht haben, Gott sei Dank mit breiter Zustimmung in
diesem Haus, müssen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, eine gemeinsame Verteidigungspolitik
und, so füge ich hinzu, eine gemeinsame Rüstungs- und
Rüstungskontrollpolitik folgen.
({31})
- Sie sagen: „Ja klar!“. Aber was war denn das am vergangenen Wochenende? Sie haben von einer „Truppenaufstellerkonferenz“ gesprochen, und zum selben Zeitpunkt müssen Sie sich von einem der führenden früheren
Soldaten öffentlich sagen lassen, dass die notwendigen
materiellen Voraussetzungen, die die Bundesregierung
dazu schaffen muss, überhaupt nicht vorhanden sind. Herr
Naumann hat Ihnen in der Wochenendpresse dezidiert
dargelegt, dass Sie eine Luftbuchung abgegeben haben.
Das ist so, wie Sie es hier vorgeschlagen haben, nicht zu
machen.
({32})
Es ist ja schön, dass da eine „Truppenaufstellerkonferenz“ stattgefunden hat. Wunderbar! Aber der Verteidigungsminister, der heute Morgen noch nicht einmal hier
im Plenum ist, muss die notwendigen Voraussetzungen
dafür schaffen, dass die Bundeswehr an einem solchen
Eurokorps, wie Sie es vorgeschlagen haben, wirklich teilnehmen kann. Fehlanzeige bei dieser Bundesregierung!
Nein, Herr Bundeskanzler, so geht es nicht.
Wir müssen darüber hinaus in der Innen- und Rechtspolitik dafür sorgen, dass die Europäische Union zumindest die Kompetenz erhält, die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Auch dazu haben
Sie in Ihrer Regierungserklärung praktisch nichts gesagt.
Die Menschen erwarten aber eine Antwort der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland auf diese große Herausforderung der Kriminalität, die mittlerweile grenzüberschreitend stattfindet. Fehlanzeige bei dieser Bundesregierung, kein Wort zu diesem Thema!
({33})
Wir sind - ich betone das jetzt ein drittes Mal, damit
Sie nicht immer wieder versuchen, uns zu widersprechen - mit Ihnen auf dem Weg zu einer vertieften Europäischen Union. Wir sind mit Ihnen auf dem Weg, damit
die Europäische Union auch wirklich erweitert und dieser
großen Herausforderung entsprochen werden kann. Das
ist das Projekt einer gesamteuropäischen Friedens- und
Freiheitsordnung, das maßgeblich davon abhängig ist, ob
die Bundesrepublik Deutschland in der geopolitischen
Mitte dieses Kontinents dazu einen eigenen Beitrag leistet. Wenn Sie aber wie heute Morgen völlig emotionslos
und ohne jede innere Anteilnahme an dem, was hier stattfindet, agieren, dann wird es nicht gelingen, Herr Bundeskanzler.
({34})
Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss:
({35})
Wir sind bereit, mit Ihnen über viele Details und alle möglichen Sachfragen hier und in den Ausschüssen des Bundestages zu streiten.
({36})
- Wissen Sie, wenn Sie noch nicht einmal verstanden haben, dass ich dargelegt habe, was in den drei großen Bereichen - in der Außen- und Sicherheitspolitik, der Wirtschafts- und Währungspolitik und der Innen- und
Rechtspolitik - geschehen muss, damit die Europäische
Union handlungsfähig sein muss,
({37})
dann haben Sie offensichtlich während der ganzen Zeit
nicht zugehört.
({38})
Wenn Sie es aber genauer wissen wollen, will ich Ihnen
an dieser Stelle noch etwas sagen.
({39})
- Nein, ich mache es jetzt. Ich hätte es sonst morgen gemacht, aber ich will es jetzt an dieser Stelle tun, damit das
vollständig wird: Sie werden auch nicht um die Debatte
darüber herumkommen, wie die Mitgliedstaaten in der
Europäischen Union ihre Rolle in den nächsten Jahren
und Jahrzehnten sehen. Wenn es richtig ist, dass die Mitgliedstaaten, die Nationen in Europa, eine wesentliche
tragende Säule der europäischen Integration bleiben, dann
müssen wir uns auch über das Thema nationale und kulturelle Identität der Mitgliedstaaten selbst unterhalten.
Sonst wird es nicht gelingen.
({40})
- Man kann ja über Worte trefflich streiten, aber wenn Ihnen zum Thema einer freiheitlichen Leitkultur in
Deutschland
({41})
nicht mehr einfällt als diese „Leithammel!“-Zwischenrufe, wenn die Bundesregierung, wenn der Außenminister sich an Entenhausen und Mickymaus erinnert
fühlen und wenn die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung über Erbsensuppe und Pickelhaube daherschwadroniert, dann muss ich dazu sagen: Das ist dem Thema
überhaupt nicht angemessen; die Bundesregierung wird
ihrem Auftrag nicht gerecht, wenn sie nur mit solchen
Plattitüden auf ein Thema reagiert, zu dem die Menschen
Orientierung suchen.
({42})
Das Thema werden wir Ihnen nicht ersparen. Sie werden auch darauf Antworten geben müssen, was die Mitgliedstaaten, die Nationen in der Europäischen Union, im
Inneren zusammenhält. Ich bin sehr dafür und von Grund
auf überzeugt, dass die Bundesrepublik Deutschland nur
dann eine gute Zukunft hat, wenn das europäische Projekt
gelingt. Die Bundesrepublik Deutschland löst sich aber in
diesem europäischen Projekt nicht auf, sondern sie muss
eine eigene Identität und eine eigene Zukunft haben. Auch
über dieses Thema müssen wir reden. Nation und Europa schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig. Ohne Nationen wird Europa nicht gelingen.
({43})
- Sie können mit Ihren Zwischenrufen bleiben, wo Sie
sind. Die Zustimmung der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland werden Sie mit dieser Art und Weise,
Europapolitik zu machen, nicht bekommen.
({44})
Wir sind leidenschaftlich auf dem Weg nach Europa.
Wir wollen die Erweiterung und die Vertiefung und wir
sind bereit, Ihnen dabei zu helfen. Wenn allerdings das,
was für Nizza geplant ist, aufgrund mangelnder Vorbereitung und aufgrund der von mir beschriebenen Probleme,
die offensichtlich im deutsch-französischen Verhältnis
bestehen, nicht gelingt, dann trägt daran die Regierung
der Bundesrepublik Deutschland ein höheres Maß an Verantwortung, als mit dieser abgelesenen Regierungserklärung des Bundeskanzlers heute Morgen zum Ausdruck
gekommen ist.
({45})
Ich erteile Außenminister Joseph Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Nizza stehen wir vor einem der ganz entscheidenden Schritte nach
vorn, hin zu einem integrierten, zu einem erweiterten Europa. In Nizza geht es darum, dass wir in einem wichtigen
ersten Schritt darüber entscheiden, dass im 21. Jahrhundert die europäischen Nationen, die europäischen Völker,
indem sie zusammenfinden, ihr Schicksal - eingebunden
in multilaterale Strukturen - im Wesentlichen selbst bestimmen können. Selbst die größten europäischen Nationalstaaten - Frankreich, Deutschland, Großbritannien,
Italien - werden für die anstehenden Herausforderungen
zu klein sein.
Wenn wir nicht zusammenfinden, dann wird dieses Europa stagnieren, zurückfallen in die europäische Selbstfesselung, in die europäische Problem- und Konfliktlage
der Vergangenheit. Das genau ist die Herausforderung,
vor der wir stehen. Alle Redner haben betont, dass die europäische Vereinigung die historische Aufgabe ist, vor
der wir stehen, die jetzt zu bewältigen ist. Wenn man dieses so sieht, dann muss man allerdings diese Aufgabe tabulos durchdeklinieren, dann wird man, wie der Bundeskanzler heute in seiner Rede sehr präzise dargestellt hat,
({0})
die Fragen der Erweiterung und der Vertiefung durchdeklinieren müssen, und dann wird man feststellen, dass
Nizza ein zentraler Schritt nach vorn sein muss.
Allerdings, Herr Merz, hätte ich mir Ihrerseits schon
einen Hinweis darauf gewünscht, dass wir in Nizza die
Überbleibsel, die „leftovers“, das, was in Amsterdam
während Ihrer Regierungszeit nicht gelöst wurde, zu lösen haben. Das hätte ich mir von Ihnen dann schon gewünscht.
({1})
Da ich jetzt gerade bei Ihnen bin, verehrter Herr Oppositionsführer, muss ich Ihnen sagen: Ich habe mich gefragt, wie ausgerechnet Sie dazu kommen, Leidenschaft
zu fordern. Dass ausgerechnet Sie das fordern!
({2})
Sie haben das Niveau vorgegeben. Ich will gerne darauf
eingehen. Ich leide etwas darunter, dass ich nur noch
Sachdebatten führen darf. Jetzt haben Sie mir die Chance
gegeben;
({3})
also will ich mich auf Ihr Niveau begeben, wenigstens für
fünf Minuten.
({4})
Was werfen Sie dem Bundeskanzler vor? - Sie werfen
dem Bundeskanzler einen Mangel an Leidenschaft vor,
Sie werfen ihm vor, dass er zum Rinderwahn nichts gesagt
hat, und am Ende landeten Sie bei der Leitkultur.
Zu dieser Debatte um die Leitkultur kann ich Ihnen nur
sagen: Nennen Sie mir ein anderes Volk, eine andere Nation in der Europäischen Union oder unter den Beitrittskandidaten, die sich innerlich so schwach fühlt, dass sie
es nötig hätte, diese Debatte um die Leitkultur zu
führen.
({5})
Sie müssten einmal einen Franzosen fragen, einen
Belgier, einen Niederländer, einen Italiener, einen Polen,
einen Tschechen! - Ich sage Ihnen: Nicht die Deutschen
haben hier eine Schwäche, sondern die demokratische
deutsche Rechte hat nach dem Ende des Kalten Krieges
ein Defizit, in einem zusammenwachsenden Europa ihre
eigene Identität zu definieren.
({6})
Aber dennoch finde ich, man sollte diese Debatte
durchaus ernsthaft führen. Nur: Nicht die Frage danach,
wie wir uns selbst definieren, beantworte ich mit Entenhausen und Mickymaus, sondern wenn ich Sie darüber reden höre, fällt mir das ein, Herr Merz. Das ist für mich der
entscheidende Unterschied.
({7})
Wenn das heute die Leitkultur war, dann kann ich Ihnen
nur sagen: oppositionelle und europapolitische Trostlosigkeit.
({8})
- Ich komme gleich zu den inhaltlichen Punkten.
Ich nehme es als Zustimmung, dass Sie inhaltlich zu allen Punkten geschwiegen haben, weil Sie der Linie, die
der Bundeskanzler hier vorgegeben hat, im Grunde genommen nichts entgegenzusetzen haben. Ich kenne doch
die Positionen; ich kenne die Positionen von Schäuble,
von Pflüger, von Lamers, von Hintze und all den anderen
Europapolitikern. Es ist im Wesentlichen dieselbe Position.
({9})
Dann muss ich Sie aber fragen: Haben Sie mit Ihrer Rede
die Position der Bundesregierung in diesen schwierigen
Verhandlungen, bei denen es auch um nationale Interessen ging, gestärkt oder geschwächt?
({10})
Dagegen haben wir, habe ich - bei aller Kritik, die es
nach Amsterdam an der Position von Bundeskanzler Kohl
gab; ich weiß sehr wohl von der Kritik, die es daran gab Ihre Position in der Europapolitik damals aus der Opposition heraus in allen wesentlichen Teilen unterstützt.
({11})
Wir waren nicht daran interessiert, die Position der Bundesregierung bei solch schwierigen Verhandlungen zu
schwächen. Auch hinterher, selbst wenn das Ergebnis
nicht gestimmt hat, war die Kritik moderat. Haben wir
nach dem Treffen in Amsterdam die „leftovers“, die
schwierigen Fragen, die nicht gelöst wurden, als Anlass
zu einer Fundamentalkritik genutzt? Nein.
({12})
Haben wir, als die schwierige Entscheidung zum EZBPräsidenten anstand - jeder von uns weiß, was dort auch
hinsichtlich des deutsch-französischen Verhältnisses
stattgefunden hat -, eine solche Kritik geübt, wie Sie sie
heute geübt haben?
Ich sage Ihnen: Sie haben die Position der Bundesregierung vor diesen wichtigen Verhandlungen nicht im
deutschen Interesse gestärkt - was ich mir gewünscht
hätte -, sondern Sie haben versucht, sie zu schwächen.
Das finde ich fatal.
({13})
Wir stehen in Nizza in der Tat vor einem ganz zentralen und wichtigen Schritt. Ich gehöre nicht zu denen, die
meinen, dass unter der französischen Präsidentschaft
keine gute Arbeit geleistet wurde und dass in Nizza nicht
die Voraussetzungen dafür vorhanden sind, nach schwierigen Verhandlungen - sie werden sehr schwierig werden,
weil es in einer sich erweiternden Europäischen Union um
die Verteilung der Gewichte auch zwischen großen und
kleinen Mitgliedstaaten geht - zu einer Lösung zu kommen.
Es ist völlig klar: Dabei geht es um viel, nämlich um
die Stimmengewichtung, die Anzahl der Kommissare und
um Mehrheitsentscheidungen. Das sind Fragen, die von
zentraler Bedeutung sind. Darüber hinaus: Wollen wir in
Richtung einer europäischen Verfassung gehen? Natürlich wird es auch um die Annahme der GrundrechteCharta gehen. Wir wünschen uns, dass die GrundrechteCharta in die Verträge aufgenommen wird. Auch
wünschen wir uns selbstverständlich, dass wir in der
ESVP substanziell weiter vorankommen. Wichtig ist aber,
die Beschlüsse, die in diesem Bereich gefasst werden können, zu fassen.
Ich hoffe, dass wir all das erreichen. Ich möchte hier im
Gegensatz zum Kollegen Merz doch noch einmal auf das
Problem der Stimmengewichtung eingehen. Es ist doch
tatsächlich so, dass es seit Beginn der Union zwischen der
französischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland das Problem der Größenproportion gibt.
({14})
Dieses Problem wurde durch eine politische Entscheidung gelöst.
({15})
- Numerisch existiert dieses Problem. Es wurde politisch
gelöst, indem die Gleichrangigkeit beider Länder festgeschrieben wurde.
({16})
- Es war schon vorher da. Aber das ist jetzt nicht der
Punkt.
({17})
- Es gab schon vorher die numerische Differenz zwischen
der alten Bundesrepublik Deutschland und Frankreich.
Das ist doch völlig klar. Aber diese Differenz hat sich
durch die Wiedervereinigung noch verschärft. Aber auch
das ist nicht der entscheidende Punkt. Für Frankreich ist
es eine ganz entscheidende politische Frage, ob das Verhältnis trotz der numerischen Bevölkerungsdifferenz
gleichrangig bleibt. Das ist einer der ganz wichtigen
Punkte.
Umgekehrt werden wir ein Prinzip finden müssen - das
machte die Diskussion in Biarritz und danach klar -, das
für alle gilt. Wenn es nur ein deutsch-französisches Problem wäre - das hat der Bundeskanzler mehrmals betont -, wäre es innerhalb kürzester Zeit durch eine politische Entscheidung gelöst, weil wir um die Bedeutung des
Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zur französischen Republik wissen.
Was wir in Nizza aber finden müssen, ist eine wirkliche Lösung dieses Problems. Es kann nicht sein, dass am
Ende durch den Beitritt vieler kleinerer Staaten die Proportionalität in der Stimmengewichtung - das heißt,
wie viel eine Stimme eines Mitgliedslandes wiegt, wenn
es um Mehrheitsentscheidungen geht - dermaßen aus der
Balance gerät, wie es Wirklichkeit zu werden droht, wenn
wir keine neue Stimmengewichtung erzielen.
({18})
- Gut, ich stelle fest: Wir werden in diesem Punkt von der
Opposition voll unterstützt. Ich versuche ja, Ihre Unterstützung zu den Punkten herauszuarbeiten, zu denen Sie
so beredt geschwiegen haben.
({19})
Bei der Frage der Kommission sind Sie schon etwas
deutlicher geworden. Sie haben den Vorschlag unterstützt.
Allerdings muss man bei diesem Thema ehrlicherweise
hinzufügen: Die kleineren Mitgliedstaaten haben zum
Rotationsprinzip leider eine klare Gegenposition bezogen. Ich sage bewusst „leider“; aber man muss es in einer
solchen Debatte realistisch beschreiben. Ich freue mich
über Ihre Unterstützung für diese weiter gehende Forderung. Dennoch denke ich, dass man auch hier einen Kompromiss finden kann. Wir wollen - der Bundeskanzler hat
es vorhin nachdrücklich betont - eine starke Kommission.
({20})
- Die Opposition will es also auch - wieder ein Konsens!
Ich würde mir auch eine stärkere Opposition wünschen,
damit ein bisschen mehr Druck vorhanden wäre.
Eine starke Kommission bedeutet für uns, dass die
Zahl der Kommissare nicht beliebig erweitert werden
kann, weil es ansonsten zu Scheinzuständigkeiten kommt.
Das wiederum wäre zulasten der Handlungsfähigkeit der
Kommission. Insofern wird es hier Möglichkeiten geben,
einen Kompromiss zu finden, wenn dieser Mechanismus
in den Verträgen tatsächlich formuliert und nicht als neues
„leftover“ vertagt wird.
Der nächste Punkt: Ausweitung der qualifizierten
Mehrheit. Herr Merz, in dieser Frage haben Sie mit dem
Tremolo des Anklägers das Beispiel der Handelspolitik
genannt. Weil Sie das deutsch-französische Verhältnis angesprochen haben, will ich sagen: Wir wären bei der Handelspolitik in der Tat zu sehr weitgehenden Schritten bereit. Aber die französische Republik tut sich damit sehr
schwer.
({21})
- Gut, aber dann kann man nicht einfach im Brustton der
Überzeugung anklagend fragen: Seid ihr dazu bereit? Wir
sind dazu bereit.
({22})
- Gut, dann will ich Ihnen die Frage beantworten. Es sieht
im Moment so aus, als wenn Frankreich die Frage der
Handelspolitik ganz hoch ansetzen würde. Es gibt einige
andere Fragen - die Frage der Steuerpolitik, des Asylrechts und noch einige Fragen kleinerer Mitgliedstaaten -,
zu denen es schwierige Verhandlungen geben wird, weil
die nationale Interessenlage hier einen Graben lässt, der
noch nicht durch die Möglichkeit zu einem Kompromiss
überbrückt ist. Dennoch glaube ich, dass wir hier zu einem substanziellen Ergebnis kommen, die Probleme
weitgehend lösen und, ich hoffe, dann auch zu Mechanismen der Überwindung finden können, und zwar innerhalb
der Verträge. Aber es ist sehr schwierig, weil hier unterschiedliche nationale Interessen zusammengefügt werden
müssen.
Zur verstärkten Zusammenarbeit. Ich fasse das
Schweigen der Opposition hierzu als eine klare Zustimmung und auch als ein Lob auf.
({23})
- Herr Merz, Ihre Ausführungen waren dermaßen erregend, dass das bei uns dazu führte, sie auf der Regierungsbank kommunikativ begleiten zu müssen. Das sollte
Sie doch freuen.
({24})
Sie sind gewissermaßen der große Diskursstifter auf der
Regierungsbank. Ich habe bei dieser hochgradig emotioBundesminister Joseph Fischer
nalen Rede zwar etwas die Emotionen in den Reihen Ihrer eigenen Leute vermisst - aber das möchte ich nicht
weiter vertiefen.
({25})
Die verstärkte Zusammenarbeit ist deswegen von so
großer Bedeutung, weil - hier komme ich noch einmal auf
den Beginn meiner Rede zurück - die historische Herausforderung der Vereinigung Europas die Notwendigkeit
der Vertiefung mit sich bringt. Wie der Bundeskanzler gesagt hat, würden wir es uns wünschen, dass nach Möglichkeit alle den nächsten Schritt zur politischen Integration im Rahmen dieser Verträge tun. Wenn dies aber nicht
der Fall ist, dann dürfen diejenigen, die weitergehen wollen und können, nicht daran gehindert werden. Insofern
freuen wir uns - das ist eine originäre Leistung der Bundesrepublik Deutschland, dieser Bundesregierung -, dass
etwas, was noch vor einem Jahr als unmöglich angesehen
wurde, seit Biarritz, im Wesentlichen auf der Grundlage
der deutsch-italienischen Initiative, mehrheitsfähig geworden ist, nämlich die verstärkte Zusammenarbeit.
({26})
Dann sollte es in Nizza noch gelingen, das Europäische
Parlament zu stärken, die definitiven Strukturen der
ESVP mit einem entsprechenden Beschluss in Kraft zu
setzen und gleichzeitig die Frage der GrundrechteCharta zu verabschieden sowie eine Perspektive für das
weitere Vorgehen in den Schlussfolgerungen zu verankern.
Das alles hat nichts mit Vertagung zu tun. Jeder Weg
erfolgt Schritt für Schritt. Bisweilen sind es strategisch
wichtige Schritte, Entscheidungen an einer Weggabelung.
Nizza ist solch ein großer Schritt. Das bedeutet aber nicht,
dass wir mit Nizza am Ende des Weges der politischen Integration angekommen sind. Sie sollten dem Bundeskanzler hier nicht unterstellen, wir wollten etwas vertagen.
({27})
- Ich gehe auf dieses Argument ein, weil ich es kenne. Ich
kann Ihnen nur sagen: Für uns ist entscheidend, dass in
Nizza keine „leftovers“ bleiben. Für uns ist entscheidend,
dass bei den Schlussfolgerungen eine Perspektive für die
nächsten Schritte eröffnet wird, mit der dann unter der
schwedischen, der belgischen und den folgenden Präsidentschaften weiter gearbeitet werden kann. Dieses hat
der Bundeskanzler mit der Perspektive für 2004 - diese
Zeit werden wir brauchen - sehr konkret beschrieben.
({28})
Ich denke, dass wir bei der Erweiterung gut daran tun,
uns an Helsinki zu orientieren. Ich kann nur unterstreichen, was der Bundeskanzler gesagt hat: Vor allen Dingen
Schweden wird sich in seiner Präsidentschaft sehr energisch um diese Themen zu kümmern haben, wenn den Ergebnissen von Nizza ein dauerhafter Erfolg beschieden
sein soll. Der Fortschrittsbericht der Kommission ist
eine gute Grundlage für das weitere Verfahren.
({29})
Es darf keine politischen Gefälligkeitsentscheidungen,
aber auch keine politisch motivierten Bremsentscheidungen geben.
({30})
Das ist für uns ganz entscheidend.
Lassen Sie mich auf Grundlage der Ergebnisse der Gespräche von Helsinki betonen: Wir reden über die Wiedervereinigung Europas und dabei kommt Polen eine
ganz besondere Bedeutung zu. Der Zweite Weltkrieg begann durch den Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen,
auf den das Vereinigte Königreich und die französische
Republik mit einer Kriegserklärung an Deutschland reagierten. Polen wurde militärisch besiegt, hat aber nie die
Waffen gestreckt; es kämpfte immer für die Freiheit. Polen war nach 1945 im System von Jalta auf der falschen
Seite, aber hat erneut nicht die Waffen gestreckt. Das gilt
auch für andere, aber Polen hat eine zentrale historische
Bedeutung: Wir reden bei der Osterweiterung nicht nur
über eine der Erweiterungsrunden, sondern über den Kern
der Wiedervereinigung Europas nach seiner Teilung,
({31})
die unser Land durch den Absturz in die Verbrechen des
Nazi-Regimes verursacht hat.
({32})
Insofern sind wir auch besonders verpflichtet, uns hier
zur engagieren. Vergessen wir nicht: Den ersten wirklichen Stein aus der Mauer hat die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc Ende der 70er-Jahre gebrochen.
({33})
Ich weiß, dass auf diesem Feld ein breiter Konsens besteht. Ich will nur die Bedeutung dieses Schrittes klarmachen: Für uns ist es von überragender Wichtigkeit, dass
wir die Wiedervereinigung Europas nach der Wiedervereinigung Deutschlands hinbekommen. Mit dieser Forderung kann ich mich auf Helmut Kohl berufen und wir
vergeben uns nichts dabei, wenn wir diesen wirklich bedeutsamen Teil seines Erbes in eine europapolitische Debatte einführen. Nebenbei bemerkt: Auch das hätte ich mir
von Ihnen gewünscht.
({34})
Da es einen engen Zusammenhang zwischen der Wiedervereinigung Deutschlands und der Wiedervereinigung
Europas gibt, fühlen wir uns verpflichtet, auf der Grundlage von Helsinki gemeinsam mit unseren polnischen
Freunden alle Anstrengungen zu unternehmen, damit
Polen die Bedingungen, die ökonomischen, empirischen
und rechtlichen Bedingungen, schafft, um bei einer Erweiterung in den kommenden Jahren bei den Ersten zu
sein.
Ich bedanke mich.
({35})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Helmut Haussmann, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es führt kein Weg daran vorbei: Um Europa steht es derzeit nicht gut. Wir alle
spüren, sofern wir uns für die Osterweiterung einsetzen,
dass die Skepsis zunimmt; nur noch ein Drittel unserer
Bevölkerung ist für die Osterweiterung, zwei Drittel sind
dagegen. Das Symbol der Integration, die europäische
Währung, verliert immer mehr an Außenwert und wirkliche Reformen zur Stützung des Euro unterbleiben. Bei der
Bevölkerung in Osteuropa und bei den Reformern in diesen Ländern nimmt die Enttäuschung zu. Damit wir uns
nicht missverstehen, Herr Fischer: Wir als Opposition
wollen nicht weniger, sondern mehr Europa.
({0})
Wenn Sie dafür sorgen, das Nizza ein Erfolg wird - Sie
haben dafür nur noch neun Tage Zeit -, haben Sie die volle
Unterstützung der liberalen Fraktion. Als Ergebnis von
Nizza muss die Handlungsfähigkeit Europas gestärkt und
die Tür für die Wiedervereinigung Europas aufgestoßen
werden.
Herr Bundeskanzler, ich habe Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört. In Ihrem Redetext stand, genaue Termine hinsichtlich der Osterweiterung seien unangebracht.
Sie haben aber in Ihrer Rede darauf hingewiesen, Sie würden sich in Nizza für eine „road map“, das heißt für einen
konditionierten Beitrittsfahrplan, einsetzen. Das wäre ein
großer Fortschritt. Das heißt, dass unter ganz bestimmten
erfüllten Bedingungen Länder wie Polen oder die Tschechische Republik mit einem Beitrittstermin rechnen können. Richtig ist, dass Reformbemühungen in den Beitrittsländern unternommen werden müssen; falsch war
aber Ihre Bemerkung, dass die Länder diese Entscheidung
selber zu treffen hätten. Die 15 EU-Staaten treffen die politische Entscheidung, wer Mitglied in Europa wird, einstimmig.
Meine Damen und Herren, was Nizza angeht: Die
Stimmung ist gedrückt. Das Europaparlament droht mit
Ablehnung. Die Chefin des Europaparlaments war hier.
Sie sprach von einem Ergebnis, das eher „médiocre“ ausfällt. Dies wurde zunächst mit „mittelmäßig“ übersetzt.
Nachher hieß es: „schlecht, unterdurchschnittlich“.
Außenminister Fischer versteckt sich in Berlin und in
Brüssel hinter abstrakten Visionen. Die deutsch-französischen Verhandlungen laufen schlechter denn je.
Deutsche Beamte stehen gewieften sozialistischen Europapolitikern gegenüber. - Dies ist ein großes Manko,
meine Damen und Herren. Wir dürfen uns nicht wundern,
dass wir in der Handelspolitik große Probleme haben.
Die schlechten Voraussetzungen für einen Erfolg
dieses wichtigen Gipfels hängen auch mit zwei Problemen zusammen, an denen die Bundesregierung als
wichtigste Regierung Europas im Hinblick auf Nizza
entscheidenden Anteil hat. Das eine ist die Verschlechterung des deutsch-französischen Verhältnisses.
Die gegenseitigen Beschuldigungen sind ein schlechtes
Zeugnis. Es hätte nie so weit kommen dürfen. Aber wir
erinnern uns - wir haben das immer wieder gesagt -:
Schon der Start war miserabel. In Frankreich haben die
unsensiblen Auftritte - zunächst von Herrn Lafontaine,
dann von Herrn Trittin - die Atmosphäre von Anfang an
verschlechtert.
({1})
Die damaligen Pläne des Bundeskanzlers, die er inzwischen aufgegeben hat, das bewährte Sonderverhältnis
zwischen Deutschland und Frankreich um Großbritannien
zu erweitern, haben in Frankreich zu weiteren Missverständnissen geführt. Deshalb können wir Sie nur auffordern: Nutzen Sie die letzten neun Tage vor Nizza, um
auf die französische Präsidentschaft einzuwirken, dass es
zu einem substanziellen Ergebnis kommt, dem auch wir
hier aus Überzeugung zustimmen können.
({2})
Meine Damen und Herren, der zweite große Fehler der
Bundesregierung war und bleibt die schlechte Behandlung kleiner Länder.
({3})
Alle bisherigen Bundesregierungen haben ihre europäischen Erfolge durch eine besondere Berücksichtigung
der kleineren EU-Staaten erzielt. Die absurde, von der
Bundesregierung geduldete Sanktionspolitik gegenüber
Österreich hat die Erfolgsaussichten für Nizza weiter
geschmälert.
({4})
Nicht zuletzt trifft dies auf die Behandlung des österreichischen Bundeskanzlers durch Bundeskanzler Schröder
zu. Man konnte es am Fernsehen erleben: ein Treffen erst
auf Vermittlung eines Verbandes, in einem Hotelzimmer,
mit der Bemerkung: Ich habe weitere ausländische Gäste;
nach 25 Minuten ist Schluss.
({5})
Diese Art von Behandlung führt dazu, dass nicht nur Österreich, sondern auch andere kleine Länder, auch kleine
Länder in Osteuropa, große Zweifel haben, ob die Bundesregierung die bewährte Politik, Anwalt der kleinen
Staaten zu sein, wirklich fortführt.
({6})
Daher kann ich nur ganz klar sagen, Herr Außen- und
Europaminister Fischer: Mit einem schwachen Ergebnis
in Nizza können Sie mit unserer Stimme nicht rechnen.
Kommen Sie bitte nicht mit Vertagung auf 2004. Ich halte
diese Diskussion für falsch, weil sie den Druck, in Nizza
zu einem Erfolg zu kommen, eher abschwächt. Ein
schwaches Ergebnis in Nizza - ich hoffe, dass ich von
überzeugten Europäern in der SPD unterstützt werde hätte extrem schlechte Folgen für die Osterweiterung, für
den weiteren Euro-Kurs, aber auch hinsichtlich der Zustimmung unserer Bevölkerung zu weiteren europäischen
Fortschritten.
({7})
Deshalb sage ich: Wir begleiten Sie bei substanziellen
Kompromissen. Aber ohne wesentliche Fortschritte bei
der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen werden
wir nicht zustimmen, meine Damen und Herren. Ich verweise auf das Europaparlament: Lösen Sie die Blockade,
die durch das Vetorecht verursacht wird, auf. Aber, Herr
Fischer, hüten wir uns davor - davor möchte ich heute
auch warnen -, die verstärkte Zusammenarbeit als Alibi
zu missbrauchen, wenn die Durchsetzung des Mehrheitsprinzips scheitern sollte; denn wenn die Union aufgrund
der Blockade in wichtigen Bereichen auseinander driftet,
dann wird daran auch die verstärkte Zusammenarbeit
nichts ändern, eher im Gegenteil. Das ist die große Gefahr.
Deshalb muss zuerst das Mehrheitsprinzip durchgesetzt
werden und dann die verstärkte Zusammenarbeit forciert
werden.
({8})
Wir appellieren an Sie: Verhindern Sie ein Scheitern in
Nizza! Ein solches Scheitern, das bisher möglich erscheint, hätte verheerende Auswirkungen. Kämpfen Sie
für den Erfolg; zeigen Sie wirkliche Leidenschaft! Europa
ist nicht ein Pflichtthema unter anderen. Die bisherigen
Bundesregierungen hatten auf solchen Gipfeln immer Erfolg.
Herr Außenminister Fischer, wenn Sie an Maastricht
erinnern, dann kann ich nur sagen: Das, was uns von der
damaligen Opposition, von Herrn Lambsdorff, von der
Deutschen Bundesbank und von der CSU auf den Weg
gegeben wurde, hat die Bundesregierung unter Kohl und
Kinkel mit dem Vertrag von Maastricht umgesetzt, in dem
in vorbildlicher Weise deutsche Stabilitätsinteressen und
europäische Integrationsbestrebungen zusammengeführt
werden.
({9})
Heute gibt es nur ein unterdurchschnittliches Ergebnis.
Die osteuropäischen Länder warten dringend auf die
Ergebnisse von Nizza. Ich kann Sie nur auffordern: Werden Sie zum Anwalt dieser Länder! Deutschland ist nicht
irgendein europäisches Land. Von Ihrer Haltung und von
Ihrem Engagement, aber auch von Ihrer Leidenschaft
wird es abhängen, ob Nizza den Weg für die europäische
Einigung freimacht.
Ich danke Ihnen.
({10})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Uwe Hiksch, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS und die europäische Linke
begreifen die Europäische Union vor allen Dingen als
Chance, eine politische, zivilgesellschaftliche Macht als
Ausgleichs- und Demokratiefaktor gegen die sich immer
weiter ökonomisierenden und institutionalisierenden Finanz- und Kapitalmärkte durchzusetzen. Die Europäische
Union hat vor allen Dingen auch die Aufgabe, die Sorgen
und die Nöte der Menschen aufzugreifen, die spüren, dass
auf der einen Seite der Nationalstaat nicht mehr das leisten kann, was er zu leisten hätte, nämlich soziale Sicherheit herzustellen und soziale Daseinsfürsorge zu gewährleisten, und dass auf der anderen Seite die Politikerinnen
und Politiker ihre eigenen Forderungen nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene erfüllen können und die berechtigten Interessen der Menschen auf europäischer Ebene
einzuklagen sind.
Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe an, im Rahmen des Nizza-Prozesses und der gesamten Diskussionen, die momentan über die Zukunft der Europäischen
Union geführt werden, deutlich zu machen, dass die
alltäglichen Sorgen und Nöte der Menschen, die Angst
haben, dass Dinge, die geschaffen wurden, kaputtgehen,
aufgegriffen werden müssen und der Internationalisierung der Kapital- und Finanzströme endlich zivilgesellschaftlich entgegengewirkt werden muss.
({0})
Die PDS-Bundestagsfraktion hat immer wieder darauf
hingewiesen, dass der bisherige europäische Prozess vor
allen Dingen wirtschaftlich, ökonomisch und monetär
ausgerichtet war, nicht etwa deshalb, um die Europäische
Union zu kritisieren, sondern um deutlich zu machen: Ein
Europa, das sich nicht endlich ökologisch und sozial ausrichtet, wird von vielen Menschen als Gefahr empfunden
werden. Dann werden solche Reden über Leitkultur, wie
sie Herr Merz hält, und solche nationalistischen Äußerungen wie die von Herrn Meyer eine Art Brandstiftung sein
und mittelfristig den Haiders, die es auch in Deutschland
gibt, den Weg bereiten. Sie sollten sich dafür schämen und
endlich erkennen: Nicht nationalstaatliche Diskussionen,
wie sie der rechte Teil der CDU/CSU führt, müssen jetzt
auf der Tagesordnung in unserem Land stehen; vielmehr
muss endlich eine Diskussion über europäische Integration und über Solidarität zwischen den verschiedenen
Bevölkerungsgruppen geführt werden. Sie betreiben ein
gefährliches Spiel. Sie zünden etwas an, das das, was wir
täglich erleben, nämlich den Nationalismus in seiner brutalsten Form, vorantreibt.
({1})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir der
festen Überzeugung, dass die Aufgabe der Bundesregierung darin bestehen muss, sich für die Daseinsvorsorge in der Europäischen Union einzusetzen. Wir fordern
Sie auf, Herr Außenminister, Herr Bundeskanzler, in
Nizza deutlich zu machen, dass das bundesdeutsche
System und die anderen europäischen Systeme im Bereich des sozialen Sektors von den Wohlfahrtsverbänden - der Arbeiterwohlfahrt, der Caritas, dem Deutschen
Paritätischen Wohlfahrtsverband - nicht durchkapitalisiert werden dürfen, nicht dafür benutzt werden dürfen,
nur noch Gewinne zu machen. Die Aufgabe der Bundesregierung muss darin bestehen, deutlich zu machen, dass
wir mit den Menschen in den Altenheimen, mit den Menschen in den Sozialstationen und mit den Menschen und
Beschäftigten in den Behinderteneinrichtungen dafür
kämpfen, dass die Durchkapitalisierung von geschützten
Bereichen nicht passieren darf und Europa die Verantwortung hat, die sozialen Bereiche zu erhalten.
({2})
Als PDS-Bundestagsfraktion machen wir deutlich,
dass wir uns dagegen wehren werden, dass die Wirtschaftspolitik durch eine falsch verstandene Liberaliisierung zerstört wird; denn die öffentlichen Banken,
allen voran die Sparkassen, leisten einen wichtigen
Beitrag dafür, regionale Strukturentwicklungen zu ermöglichen. Sie helfen kleinen und mittelständischen Unternehmen und vor allen Dingen geben sie Existenzgründern das notwendige Kapital. Hier sehen wir eine Aufgabe
der Bundesregierung.
({3})
Wenn die Bundesregierung Europa als Europa der Menschen, die hier arbeiten und leben wollen, gestaltet, dann
werden wir sie unterstützen.
Deshalb hat sich die PDS-Bundestagsfraktion auch
deutlich dafür ausgesprochen, dass die GrundrechteCharta, so wie sie jetzt vorliegt, hätte weiter gehend sein
müssen, da wir der Überzeugung sind, dass die sozialen
Grundrechte bei weitem nicht so ausgestaltet sind, wie sie
eigentlich sein müssten. Wir vermissen ein Recht auf Arbeit. Wir vermissen ein Recht auf Wohnen. Wir vermissen
vor allen Dingen, dass die Grundrechte auch individuell
einklagbar sind. Wir setzen uns dafür ein, dass mit der
Grundrechte-Charta und mit einer schnellen Verankerung
in den Verträgen sowie einer schnellen Einklagbarkeit für
die Menschen in der Europäischen Union ein erster
Schritt in die richtige Richtung getan wird, nämlich Europa sozialer als bisher zu gestalten.
({4})
Als PDS wollen wir, dass möglichst viele Menschen zu
den Großveranstaltungen nach Nizza fahren, um bei den
Demonstrationen, die vom Europäischen Gewerkschaftsbund, den Arbeitslosenverbänden, der Arbeitsloseninitiative, von der Euro-Marsch-Bewegung und der ATTAC angeregt wurden, deutlich zu machen, dass die Forderungen
der Menschen nach mehr sozialer Gerechtigkeit, die individuelle Einklagbarkeit und die bürgerlichen Freiheitsrechte auf der einen Seite bestehen. Es muss aber auf der
anderen Seite eine Unteilbarkeit der sozialen Grundrechte
geben. Auch die F.D.P. muss lernen, dass das Recht auf Arbeit, das Recht auf Wohnen, das Recht auf sozialen Ausgleich genauso hoch einzuschätzen ist wie das Recht auf
Freiheit. Wir müssen es endlich schaffen, diesen leidigen
Widerspruch zwischen Freiheitsrechten auf der einen Seite
und sozialen Rechten auf der anderen Seite zu überwinden.
({5})
Deshalb hoffen wir, dass die Hunderttausende, die nach
Nizza kommen werden, Druck auf die Regierungen ausüben werden, um die Rechte der Menschen durchzusetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind der
Meinung, dass es vor allen Dingen erreicht werden muss, in
Nizza die „leftovers“ vollständig abzuarbeiten. Nizza wird
darüber entscheiden, ob die Integration der mittelosteuropäischen Staaten in die Europäische Union zu einem Erfolg
führt oder mit noch mehr Schwierigkeiten und noch mehr
Bürokratie auf europäischer Ebene verbunden ist. Deshalb
wird die PDS diesen Diskussionsprozess konstruktiv begleiten und deutlich machen, wo wir Weiterentwicklungen
fordern. Wir werden vor allen Dingen von der Bundesregierung verlangen - wenn sie dem folgt, werden wir
sie unterstützen -, dass bereits in Nizza eine Nachfolgekonferenz mit einer klaren Terminierung festgelegt wird,
um auf dieser Nachfolgekonferenz die sozialen Fragen, die
ökologischen Fragen und die Fragen der Bekämpfung der
Massenarbeitslosigkeit in Europa und in unserem Land
endlich auf die Tagesordnung zu setzen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünschen wir uns, dass das, was in
Europa ohne Probleme stattgefunden hat und mit einer
großen Schnelligkeit und Präzision durchsetzbar war, überall durchgesetzt wird.
Es geht hier auch um die Frage der Militärpolitik, um
die Frage der Streitkräfte. Die einzige - ich sage das in
Anführungsstrichen - „Erfolgsgeschichte“ der Europäischen Union ist leider die Militarisierung der europäischen Ebene. Wir von der PDS wünschen uns, dass
Diskussionen über Klimafragen, Diskussionen über
soziale Standards, beispielsweise bei der WTO, oder
Diskussionen darüber, wie Kinderarbeit in der Welt
bekämpft werden kann, mit der gleichen Präzision, mit
der gleichen Schnelligkeit und vor allen Dingen in der
gleichen Art und Weise wie Militärfragen durchgesetzt
werden könnten.
({6})
Wir stellen an der Diskussion über die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik fest, dass genau das, was
Rot-Grün als Oppositionsparteien einmal vertreten haben,
dass nämlich das Primat des Militärischen überwunden
werden soll und endlich durch das Primat des Politischen
ersetzt werden muss, aufgegeben wurde. Wir stellen fest,
dass gerade die deutsche Bundesregierung - sie will
18 000 Personen für die gemeinsame europäische Armee
zur Verfügung stellen und wäre dann mit 30 Prozent überproportional an dem beteiligt, was europäische Sicherheitspolitik sein soll - alles, was sie in der Vergangenheit
einmal vertreten hat, aufgegeben hat. Diese Bundesregierung betreibt die Militarisierung der Außenpolitik
und die Militarisierung der Europäischen Union mehr als
die alte Bundesregierung.
Wir werden auch weiterhin dafür eintreten, dass die
Europäische Union als zivile Union gestaltet wird,
({7})
dass es keine Militarisierung der Europäischen Union
geben wird und dass die Europäische Union ihre Aufgabe
vor allen Dingen darin sehen muss, sich als internationaler
Kriegsdienstverweigerer dafür einzusetzen, dass die OSZE
gestärkt wird und dass militärische Sicherheitsstrukturen
nicht immer weiter ausgebaut werden, damit das Primat der
Außenpolitik, die friedliche Beilegung von Konflikten,
mehr als bisher zur Geltung kommt.
Deshalb sagt die PDS Nein zu allen Plänen des militärischen Engagements der Europäischen Union „in und
um Europa“, wie es so schön heißt. Wir sagen Nein zu
einer schnellen, überall einsetzbaren Eingreiftruppe, wie
sie auf der europäischen Ebene aufgebaut werden soll.
Wir sind der Überzeugung, dass zivile Konfliktbewältigung den Einsatz von Militärs verhindert. Man muss
endlich darüber diskutieren, ob es richtig ist, 60 Milliarden DM für ein neues Großflugzeug zur Verfügung zu
stellen. Dieses Geld sollte dafür eingesetzt werden, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und den Menschen zu helfen.
Man muss endlich erreichen, dass die politische Institution Europa eine Gegenmacht gegen das wird, was Militärs außerhalb Europas betreiben, und gegen das, was sich
in den Unternehmen abspielt.
Der Gipfel in Nizza sollte über die Bewältigung der organisatorischen Aufgaben hinaus endlich ein Signal in
diese Republik aussenden: Menschen, wir nehmen eure
Sorgen und Nöte ernst; wir geben euch keine nationale
Antwort darauf; die Antwort lautet, dass internationale
Zusammenarbeit, dass das Zusammenleben der Völker,
dass das Zusammenleben der Nationen dazu führen
müssen, dass eine große europäische, ökologische und
soziale Union geschaffen wird, die dazu da ist, den Menschen im heutigen Europa, vor allen Dingen denjenigen in
Mittelosteuropa, die zu uns kommen wollen, eine sichere
und soziale Zukunft zu geben.
Danke schön.
({8})
Ich erteile dem Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Wir befinden uns heute Morgen in einem
Diskurs über die Leidenschaft. Ich meine damit die politische Leidenschaft im Sinne von Max Weber. Ich habe
den Bundeskanzler so verstanden, dass er mit Leidenschaft zur Sache eine Kursbestimmung vorgenommen
hat.
({0})
Davon muss man die künstliche Leidenschaft des Stils
von Herrn Merz unterscheiden. Diese beiden Kategorien
muss man in der politischen Diskussion sehr genau auseinander halten.
Ich finde, dass unser Bundeskanzler mit Leidenschaft
zur Sache das gesagt hat, was vom 7. bis zum 8. Dezember ansteht. Wir sollten die Diskussion heute Morgen
sachlich führen - das wurde auch von Ihrer Seite bekundet -: Weshalb ist er in den letzten Tagen so viel in europäischen Hauptstädten gewesen, wenn nicht deswegen,
weil es darum ging, die Dinge voranzubringen und ein
mögliches Scheitern - Herr Haussmann, zum Beispiel
von Ihnen wurde es fast an die Wand gemalt - zu verhindern? Motiv war unsere Verantwortung. Dieser Bundeskanzler nimmt sie genauso wie sein Vorgänger, der
ebenfalls hier sitzt, wahr. Wir sollten die Debatte heute
Morgen nicht mit falschen Fronten führen. Damit werden
wir unserer Verantwortung als Bundesrepublik Deutschland nicht gerecht.
({1})
Es ist doch wohl unbestritten, dass es in Nizza um einen
politischen Quantensprung geht und dass Erfolg und Misserfolg eng beieinander liegen, übrigens ganz unabhängig
von der Erweiterung. Wir wissen, dass sich die Union
grundlegend reformieren muss. Aber das wissen wir doch
nicht erst seit dem Jahre 2000. Herr Fischer hat zu Recht
darauf hingewiesen, dass jetzt der dritte Anlauf zu einer
Reform genommen wird. Bei all seinen Verdiensten hat
der Vorgänger dieses Bundeskanzlers in Maastricht und
Amsterdam nicht das geschafft, was jetzt in Nizza
angepackt werden muss. Dies schmälert nicht seine Verdienste; aber man muss es feststellen. Das muss jetzt
gemeinsam bewältigt werden.
Die Herausforderungen sind doch so groß, meine
Damen und Herren, weil es sich um nichts Geringeres als
um die Teilung und Neuaufteilung von Macht handelt.
({2})
Deshalb tut sich die Europäische Union so schwer, dass
sie einen dritten Anlauf nehmen muss, um zur Einführung
der qualifizierten Mehrheit als Regel, zur Neugewichtung
der Stimmen im Ministerrat und zur Bestimmung der
zukünftigen Zahl der Kommissare zu kommen.
In dieser Situation, Herr Haussmann, ist es doch - auch
für das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern - hilfreich, sich des geschichtlichen Kontextes zu versichern.
Am Anfang der Europäischen Union standen, unter dem
Eindruck zweier furchtbarer Weltkriege, sicherheitspolitische Motive. Durch Verflechtung der Nationalstaaten
sollten bewaffnete Auseinandersetzungen unter ihnen für
die Zukunft weitgehend ausgeschlossen werden. Das bedeutete, Deutschland in die euro-atlantischen Institutionen fest einzubinden. Darüber hinaus ging es darum,
einen Zusammenschluss gegen die Expansionsbestrebung
des Stalinismus zu bilden. Erst Jahre später kam das
Wohlstandsmotiv hinzu: Zunächst durch die Schaffung
des Binnenmarktes, später durch die Schaffung einer
gemeinsamen Währung wurden und werden zusätzliche
Wachstumskräfte freigesetzt, die die einzelnen Ökonomien alleine nicht hervorbringen können.
Wir müssen jetzt fragen, was von diesen Motiven heute
geblieben ist. Das ökonomische Momentum, die Steigerung des Wohlstandes, gilt nach wie vor. Das sicherheitspolitische Motiv hat sich sicherlich ein wenig verändert.
Im Vordergrund steht heute das stetige Bemühen, Machtdifferenzen zwischen den europäischen Staaten nicht
durch „balance of power“, durch Allianzen und Gegenallianzen, sondern durch politische Integration auszugleichen.
Ein wesentliches inneres Merkmal der EU, das in
Zeiten der Globalisierung, wie wir alle wissen, ohne Alternative ist, ist die Abgabe von Souveränität an gemeinsame Institutionen.
({3})
Auch wissen wir alle - zumindest theoretisch, auch wenn
es schwer ist, dies umzusetzen -, dass die EU weltpolitisch nur dann ein handlungsfähiger und ernst zu nehmender, weil machtvoller Akteur ist, wenn sie mit einer
Stimme spricht. Wir machen doch gerade leidvolle Erfahrungen damit, dass wir die Rolle noch nicht spielen
können, die wir spielen könnten, wenn wir all das, was
in Nizza ansteht, schon bewältigt hätten.
Damit sind die strategisch bedeutsamen Vorbereitungen angesprochen, die die EU selbst leisten muss, um
neue Mitglieder aufnehmen zu können. Die weitere Abgabe von Souveränität muss von den Bürgern der Mitgliedsstaaten akzeptiert werden. Dies wird - bei aller
Kompromissbereitschaft der Bundesregierung, die hier
bekundet wurde - nur gelingen, wenn die Stimmen im
Ministerrat so gewichtet werden, dass nicht eine Minderheit von EU-Bürgern, die von einer Mehrheit vergleichsweise bevölkerungsarmer Staaten repräsentiert werden,
die Mehrheit von EU-Bürgern, die in vergleichsweise
großen Staaten leben, überstimmen kann. Dies ist für uns
eine zentrale Frage, meine Damen und Herren.
({4})
Wir müssen berücksichtigen, dass die mit Mehrheit
getroffene Entscheidung im Ministerrat eine Entscheidung von Staaten über Staaten bedeutet. Um mit den
großen Vorhaben der Vertiefung und Erweiterung die
Kluft zwischen Politik und Bürgern nicht noch weiter zu
vergrößern, benötigen wir gerade jetzt den von Europa
wirklich überzeugten Bürger, Herr Haussmann.
({5})
- Da sind wir uns einig. - Wir benötigen eine europäische
Öffentlichkeit, europäische Parteien und europäische Interessenverbände. Denken wir an den Ausruf von Jean
Monnet: „Wir einigen keine Staaten, wir führen Menschen
zusammen.“ Das ist unsere gemeinsame Aufgabe und an
dieser Aufgabe müssen wir auch hier im Parlament arbeiten, auch heute Morgen. Das haben Sie nicht gemacht
und Herr Merz schon gar nicht.
({6})
Sie haben nicht die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um diesen Dialog in den nächsten Jahren zu organisieren.
Die wirklich zentrale Herausforderung, die die Erweiterung mit sich bringt, ist, die Mehrheitsentscheidung
zur Regel werden zu lassen. Nur so bleibt die EU nach der
Aufnahme neuer Mitglieder nach innen und außen handlungsfähig. Die demokratische Legitimation europäischer
Politik muss gestärkt werden. Bei allen Legislativbeschlüssen - der Bundeskanzler hat es ja unterstrichen -,
die der Rat mit qualifizierter Mehrheit trifft, muss das Europäische Parlament zukünftig im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens beteiligt werden. Sie, Herr
Haussmann, haben ja hier sehr deutlich gesagt, wie die
F.D.P. sich hier verhalten könnte. Wir wissen, wie sich das
Europäische Parlament verhalten könnte, wenn wir in unserem eigenen wohlverstandenen Interesse die Interessen
des Europäischen Parlaments berücksichtigten. Wie stehen wir zum Beispiel zu der Forderung des Europäischen
Parlamentes nach Mitentscheidungsrechten in allen
Bereichen der Wirtschafts- und Währungspolitik? Ich bin
dafür, die Warnungen aus dem Europäischen Parlament
ernst zu nehmen.
({7})
Die Vertiefungsvorhaben, die so genannten „leftovers“, müssen bewältigt werden, bevor neue Staaten
aufgenommen werden können. Mein Eindruck ist, dass
die Europäische Union größte Anstrengungen unternimmt, diese in der europäischen Geschichte einzigartige
Herausforderung zu meistern. Was soll dann in diesem
Zusammenhang der Pessimismus, der insbesondere von
Ihnen verbreitet wurde? Ohne Optimismus geht es nicht.
({8})
Das hat doch auch der ehemalige Bundeskanzler bewiesen.
Wir alle müssen berücksichtigen, dass die Europäische
Union aus Stabilitätsgründen die Staaten Südosteuropas
ebenfalls eingeladen hat und ihnen die Perspektive
eröffnet hat, Mitglieder der euro-atlantischen Institutionen zu werden. Wir müssen von daher aufpassen, dass wir
die Strukturen der EU im Zuge der europäischen Einigung
nicht überdehnen. Schnelle Beitritte in eine unvorbereitete Union haben für keine Seite einen Nutzen, da die EU
ihre Verheißungen - sie verspricht ja mehr Wohlstand und
nach wie vor Sicherheit vor Krieg - dann in Zukunft
vielleicht nicht mehr so gut wie bisher erfüllen kann.
Werner Weidenfeld, einer der Mentoren der europapolitischen Diskussion, mahnt mit Blick auf eine mögliche
Überdehnung die Vorstellung eines föderalen Europa an.
Er beschreibt sehr präzise die Probleme einer EU mit
28 Mitgliedern. Ich füge hinzu, dass eine geografisch
definierte Union sogar 36 Mitglieder hätte. Ein solches
Gebilde käme dem Charakter der OSZE, des Europarates
oder der Vereinten Nationen näher als dem Ideal der
Gründergeneration. Ähnliche Sorgen trieben wohl auch
Willy Brandt um, als er mit Blick auf die zukünftige
Größe der EU warnend sagte:
Wenn also von Architektur die Rede ist, widerrate ich
jeder möglichen Neigung zur Gigantomanie.
({9})
Damit hier überhaupt kein Missverständnis aufkommen
kann - mir ist bewusst, Herr Kollege Glos, dass Ihnen ein
Wort wie „Gigantomanie“ viel flüssiger als mir über die
Lippen geht -:
({10})
Das sind keine Argumente gegen die Erweiterung der EU,
sondern Hinweise auf die Größe der politischen und auch
intellektuellen Aufgabe - da wären wir wieder bei Ihnen,
Herr Glos -, die wir zu meistern haben, um die Teilung
Europas zu überwinden.
({11})
Mit Besorgnis muss ich in diesem Zusammenhang feststellen, dass die CDU/CSU dabei ist, sich von einer bewährten politischen Tradition zu verabschieden. Damit
meine ich die Tradition des fraktions- und parteiübergreifenden europapolitischen Konsenses.
({12})
Warum, Herr Merz, war es nicht möglich, für die heutige
Debatte einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen des
Deutschen Bundestages zu formulieren? Wenn man den
Text der Anträge vergleicht, kann man feststellen: Das
hätte sehr wohl möglich sein können. Warum war es also
nicht möglich, einen gemeinsamen Text zu formulieren?
({13})
Unter Verkennung der europapolitischen Auswirkungen leisten Sie sich in diesen Wochen zudem eine unsägliche Debatte über die so genannte deutsche freiheitliche Leitkultur. Kann man an dieser Debatte ablesen,
meine Damen und Herren von der Union, wie sich ein von
Ihnen regiertes Deutschland in Europa aufführen würde?
Ich ahne da nichts Gutes.
({14})
Die von Ihnen ausgelöste Diskussion kultiviert bereits
wieder die unselige Tradition deutscher Überheblichkeit.
({15})
Sie schaden damit unserem Ansehen in der Welt und den
außen- und europapolitischen Interessen unseres Landes.
Ich glaube, dass in der letzten Woche in der „Zeit“ die
gegenwärtige Situation der CDU - das gilt auch für den
Auftritt von Herrn Merz heute Morgen - richtig beschrieben wurde:
Großmäulig in der Form, unbestimmt in der Sache
und jederzeit bereit, sich zum Lautsprecher sämtlicher Unmutsstimmungen zu machen, die man in der
Bevölkerung vermutet, das scheint bis auf weiteres
das Erfolgsrezept zu sein, mit dem die Parteiführung
den Aufbruch in die Zukunft zu bewerkstelligen
sucht.
Es wird hochgefährlich, dieser Rezeptur zu folgen, wenn
es um das Thema Europa in Bezug auf Vertiefung und Erweiterung geht.
({16})
Sie fordern Kompetenzabgrenzung und Subsidiarität.
Das ist nicht falsch. Aber wer das so wie Sie erreichen
will, der muss wissen, dass sich dahinter die nationale
Grammatik eines bayerischen Politikers verbirgt, der nur
zu gern der nächste Kanzlerkandidat der Union werden
würde. Ministerpräsident Stoiber polemisiert bei jeder
Gelegenheit - bei Herrn Merz klang dies ebenfalls an gegen den angeblichen europäischen Superstaat.
({17})
- Ich habe den Parteitag durchaus verfolgt, Herr Müller. Er bedient sich dabei eines durchschaubaren Tricks, indem er Nationalstaat und Nation gleichsetzt. Damit soll
nach Ihrer Lesart jeder, der sich dann aus guten Gründen
für die weitere Übertragung nationalstaatlicher Souveränität an die Europäische Union einsetzt, zu einem Fürsprecher des nationalen Ausverkaufs gemacht werden.
So mobilisieren Sie antieuropäische Ressentiments in
Deutschland und wecken einen Geist, den Sie nicht mehr
in die Flasche zurückbekommen.
({18})
Der europäische Superstaat, der Ihrer Meinung nach die
Nationen vernichtet, ist ein Popanz. Niemand will einen
solchen Staat. Wir wollen nicht die Nationen gegen Europa
ausspielen, so wie es Herr Merz zu unterstellen versucht
hat. Was wir aber wollen, ist eine starke Europäische Union
als Katalysator für die europäischen Nationalstaaten. Nicht
aufgrund eines Brüsseler Bürokratismus, sondern wegen
der Stürme der wirtschaftlichen und politischen Globalisierung haben die europäischen Nationalstaaten längst ihr
Standvermögen in zentralen Bereichen verloren. Das ist
nicht zu leugnen; damit müssen wir umgehen.
Ein Souveränitätszuwachs der Europäischen Union bedeutet von daher im Kern eine Stärkung der europäischen
Nationen. Auf der Basis dieser Klarstellung lässt sich dann
sehr wohl über Aufgabenverteilung und Demokratisierung
in der Europäischen Union diskutieren.
Meine Damen und Herren von der Opposition, es war
Bundeskanzler Gerhard Schröder, der diese Frage auf die
Tagesordnung gebracht hat und der diesen Prozess vorantreibt. Er hat sich auch heute Morgen dazu geäußert.
Ob wir am vorletzten Wochenende auf dem Parteitag
der CSU neue europapolitische Töne gehört haben, wird
sich noch erweisen. Wir werden abwarten müssen, ob und
wie die neuen Worte des Parteivorsitzenden Stoiber in Taten umgesetzt werden. Wir haben sehr wohl gehört, dass
der CSU-Chef von der erweiterten Union als einer größeren politischen Kraft mit einem größeren politischen Gewicht gesprochen hat. Es ist auch aufgefallen, dass Herr
Stoiber über ein Europa mit mehr als 15 Mitgliedern
spricht. Aber diese Worte bleiben zunächst ohne Folgen;
denn sonst hätten wir einen gemeinsamen Antrag in dieser Bundestagsdebatte.
({19})
Europäische Politik ist kein Geschicklichkeitsspiel,
welches man so oder anders betreiben oder vielleicht auch
lassen kann. Europäische Politik darf man nicht nach dem
Motto betreiben, welche Auszahlungsprämie man sich davon erhoffen kann. Vielleicht erkennen Sie irgendwann,
dass so das eingesetzte Kapital verspielt wird. Wenn lediglich so gedacht und gehandelt würde, würden die Mitspieler, also die Staaten Europas, allesamt verlieren. Das
war auch die Maxime, von der sich Ihr ehemaliger Bundeskanzler leiten ließ.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen wollen den Erfolg von Nizza. Die von der
Bundesregierung gemachten Vorschläge sind zukunftsweisend. Die Bundesregierung hat die französische Ratspräsidentschaft bei der Vorbereitung des Gipfels von Biarritz und natürlich auch des von Nizza nach Kräften
unterstützt. Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU-Opposition, wissen das genau. Das wurde
auch bei der Rede von Herrn Merz deutlich. Deswegen hat
er doch zu zentralen Punkten geschwiegen, wie der
Außenminister zu Recht festgestellt hat,
({20})
und mit Schweigen Zustimmung angedeutet. Aber in seinen letzten Satz hat er die Drohung hineingelegt, dass
man, falls es in Nizza nicht klappt, schon einen Schuldigen hätte, nämlich die deutsche Bundesregierung. - Das
kann keine Linie in der Europapolitik sein. Das wäre in
der Tat viel zu billig.
({21})
Deswegen meine Bitte an Herrn Merz: Verhelfen Sie
den Kollegen Hintze, Lamers, Rühe, Pflüger und auch anderen Europapolitikern zu einer Mehrheit in Ihrer Fraktion, die Sie als gesamte Fraktion wieder zur europapolitischen Vernunft zurückbringt. Blockieren Sie nicht
länger die für unser Land und für Europa notwendige Politik!
Vielen Dank.
({22})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Peter Hintze von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Wir haben gerade im Plenum lange gerätselt, warum Herr Poß hier für die Sozialdemokraten spricht. Wir haben nach längerem Nachdenken den Grund gefunden: Die Sozialdemokraten haben
jemanden gesucht, der es nicht besser macht als der Bundeskanzler. Das ist Herrn Poß heute gelungen; das können
wir bestätigen.
({0})
Der Bundesaußenminister hat heute leider keine Auskunft darüber gegeben, ob er bei den Sitzungen der Regierungskonferenz gefehlt hat. Vielleicht sagt uns das ja
noch ein anderer Vertreter der Regierung. Stattdessen hat
er dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU vorgehalten, in den USA, in Frankreich und in Tschechien gebe es
keine Leitkulturdebatte wie in Deutschland. Warum gibt
es in den USA, in Frankreich und in Tschechien keine solche Debatte?
({1})
Es gibt dort keine solche Debatte, weil das, was Friedrich
Merz angesprochen hat, in den von Ihnen zitierten Ländern
eine blanke Selbstverständlichkeit ist und es dort keine solchen hysterischen Reaktionen wie hier in Deutschland gibt,
wenn man eine solche Selbstverständlichkeit ausspricht.
({2})
Dann hat der Bundesaußenminister hier die Unterstützung der Opposition für die Regierungskonferenz eingefordert. Zuhören hätte geholfen. Der Fraktionsvorsitzende
der CDU/CSU hat heute - auch Herr Haussmann hat das
für die F.D.P. getan und ich wiederhole das gerne - gesagt,
dass die Opposition die Bundesregierung hinsichtlich der
anstehenden Verhandlungen in allen Punkten, die der Herr
Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung angesprochen hat - ob es um die verstärkte Zusammenarbeit, um
die Neugewichtung der Stimmen im Rat, um die Stärkung
der Kommission, um das Europäische Parlament oder um
die Osterweiterung geht -, unterstützt. Hier wird ein Popanz aufgebaut, wenn dem Fraktionsvorsitzenden unterstellt wird, er habe das nicht gemacht. Man hat nicht zugehört!
({3})
- Jetzt bleiben Sie mal einen Moment ruhig.
Was wir - wie ich finde, zu Recht - kritisieren, ist die
Differenz zwischen den richtigen Worten und den erlebbaren Taten. Da machen wir uns Sorgen und die sprechen
wir hier an.
({4})
Unsere Sorge ist, dass die Europäische Union - unter
Mitverantwortung dieser rot-grünen Bundesregierung in den letzten zwei Jahren in wichtigen Feldern an Handlungsfähigkeit verloren hat. Die Beitrittsverhandlungen
verlaufen ausgesprochen schleppend. Formal hat das
natürlich die Kommission, de facto die französische Präsidentschaft, zu verantworten. Aber wir sind bei diesen
Verhandlungen ein wichtiger Partner. Die Agenda 2000,
hier in Berlin groß gefeiert, war ein ziemlich bröckeliger
Kompromiss auf einem ziemlich niedrigen Niveau. Das
Ergebnis von Nizza steht auf des Messers Schneide.
Nun habe ich der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“
- Helmut Kohl hat immer gesagt, wir sollen den „Spiegel“
nicht so ernst nehmen; aber ab und zu muss man doch einmal hineinschauen - entnommen, dass Bundeskanzler
Schröder in Deutschland alles hat stehen und liegen
lassen - der Kulturstaatsminister ist ihm inzwischen abJoachim Poß
handen gekommen -, um die Regierungskonferenz von
Nizza doch noch vor dem Scheitern zu bewahren.
({5})
Ich finde das ja richtig. Herr Bundeskanzler, das ist eine
gute Aktivität.
Die Frage, die wir uns mit Blick auf die letzten zwei
Jahre Ihres Regierungswirkens stellen, ist, ob diese Aktivität möglicherweise etwas zu spät kommt und ob nicht
zu viel Zeit verspielt wurde.
({6})
Ich habe soeben voller Freude wahrgenommen, dass Sie
gesagt haben, Sie hätten mit Bundeskanzler Schüssel im
Hinblick auf den Gipfel in Nizza Vereinbarungen getroffen. Es ist für uns eine große Freude, dass Österreich
trotz der Demütigungen, die es erlebt hat, zu uns steht und
dem Gipfel von Nizza zum Erfolg verhelfen will.
({7})
Aber war es denn nötig, mit Österreich derart herumzuhakeln, einen solchen Krampf zu veranstalten und dadurch so viel Energie zu vergeuden?
Die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich
ist ein schwieriges und kompliziertes Thema; ich weiß
das. Ich stelle hier ausdrücklich fest: Wir nehmen den
Bundesaußenminister in Schutz, wenn er von politisch
Verantwortlichen unseres großen Nachbarn in einer nicht
akzeptablen Weise verbal angegangen wird.
({8})
Aber natürlich ist es eine zentrale Aufgabe der deutschen
Politik, das deutsch-französische Verhältnis in Ordnung
zu halten und es gar nicht erst so weit kommen zu lassen,
wie dies heute der Fall ist. Wir müssen den früheren
Regierungen, zum Beispiel der Regierung unter Helmut
Kohl, deutlich bescheinigen, dass auf diesem Gebiet eine
erfolgreiche Politik gemacht worden ist. Die jetzige Form
der Beziehungen stört uns alle. Auch das Gegeneinander
von Großen und Kleinen ist keine gute Sache.
Nun rennt also der Bundeskanzler durch Europa und
versucht zu reparieren; das ist gut. Aber anders als in dem
Film „Lola rennt“, in dem die Handlung immer wieder
neu einsetzt, bis die Akteure die Sache am Ende in Ordnung gebracht haben
({9})
- allerdings -, gibt es hier diese Chance nicht. Auf dem
Gipfel in Nizza muss man, Herr Bundeskanzler, zu einem
ordentlichen Ergebnis kommen. Was die inhaltlichen
Punkte angeht - ich wiederhole das -, haben Sie die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion. Wenn der Bundesaußenminister dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU
zugehört hätte, hätte er das seiner Rede klar entnehmen
können.
({10})
Beim Betreten des Reichstagsgebäudes fragte mich
heute ein Reporter von n-tv, woran es eigentlich liege,
dass trotz der großen Bedeutung des Europathemas die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema so gering
sei. Ich bin der Überzeugung, dass der Gipfel von Nizza
einen Beitrag dazu leisten kann, auch in diesen wichtigen
Fragen eine größere europäische Öffentlichkeit herzustellen und die Aufmerksamkeit zu steigern, und zwar dann,
wenn es uns auf der Regierungskonferenz gelingt, die
Entscheidungsprozesse transparenter zu machen und die
Verantwortlichkeiten eindeutiger zu gestalten. Was die
Menschen beschwert, ist, dass sie ein Europaparlament
wählen und dann keinen Zusammenhang mehr zwischen
ihrer Wahlentscheidung und den auf europäischer Ebene
getroffenen politischen Entscheidungen erkennen. Denn
es gibt auf der europäischen Ebene keine klare Trennung
von Exekutive und Legislative. Da hören die Menschen
etwas von einem Ministerrat, der zugleich eine Art Parlament und ein Exekutivorgan darstellt. Es ist nicht klar,
wer eigentlich für was zuständig ist.
Auch das so wichtige Thema BSE, das die Menschen
im Moment sehr beschäftigt und ihnen große Sorgen bereitet - Friedrich Merz hat es angesprochen -, können wir
nicht allein angehen; das ist eindeutig. Im Gegenteil: Dieses Thema ist eine Herausforderung für die europäische
Politik, und zwar in zweifacher Weise: Zum einen sollten
wir sagen, dass BSE eine große Bedrohung für die Tiere
und möglicherweise auch für die Menschheit ist, die wir
gemeinsam angehen müssen. Zum anderen müssen wir
unsere Institutionen und Verfahren daraufhin überprüfen,
ob sie für die Bewältigung dieses Problems tauglich sind.
Das ist eine ganz wichtige Angelegenheit.
({11})
Übrigens, nebenbei festgestellt: In der Kette der letzten
vielen Ministerrücktritte - es wurden ja der Verkehrsminister und der Kulturstaatsminister ausgewechselt - habe
ich einen in der Tat vermisst: Der Minister, der wirklich
ausgewechselt gehörte, ist der Landwirtschaftsminister.
Dessen Pirouetten in den letzten Wochen und Tagen waren abenteuerlich!
({12})
Zur Struktur von Europa ist zu sagen: Wir haben einen Gesundheitsministerrat, einen Agrarministerrat, einen Verbraucherministerrat und einen allgemeinen
Rat, der leider seine allgemeine Funktion längst verloren
hat. Wir müssen diese Strukturen neu ordnen. Deswegen
ist das, was wir gerade im Zusammenhang mit
dem Post-Nizza-Prozess gefordert haben, sehr wichtig,
nämlich dass wir eine Verfassung in Form eines
Verfassungsvertrages, der die Trennung von Exekutive
und Legislative herstellt und der wieder einen allgemeinen Rat schafft, in dem auch tatsächlich die gesamte und
zentrale Verantwortlichkeit zusammengeführt wird, erhalten. Das jetzige Nebeneinander, das zum Ergebnis hat,
dass derjenige, der zum allgemeinen Rat gehört, sagt, zu
dieser oder jener Sitzung gehe er nicht, weil ihm das zu
langweilig sei und sowieso alles auseinander drifte, sollte
beseitigt werden.
({13})
Deswegen wollen wir einen Rat aus echt für Europa verantwortlichen Ministern, der die zentrale Verantwortung
hat, und die gesamten Fachministerräte müssen Fachausschüsse dieses einen zentralen Rates werden.
Nun will ich gerne dem Herrn Bundeskanzler bestätigen, dass auch aus unserer Sicht die mit Abstand wichtigste Reform der EU der Übergang zur qualifizierten Mehrheit ist. Ich weiß, das war auch in Deutschland immer ein
Thema. Früher haben wir auch oft Angst gehabt. Diese
Einstimmigkeitsregel ist ja eine Angstregel. Wir haben
Angst davor, es würde irgendetwas beschlossen, was gegen uns ginge. In Wahrheit ist es aber eine Fesselungsregel; das erkennen wir mehr und mehr. Wenn wir größer
und nicht schwächer werden sollen und stark und erfolgreich bleiben wollen, dann muss diese Fessel gelöst werden.
Deswegen ist unser nachdrücklicher Wunsch - obwohl
wir bei dem einen oder anderen Thema auch noch diesen
oder jenen Gedanken haben -, dass es in Nizza zu einem
klaren Votum weg von der Einstimmigkeitsfessel hin zur
qualifizierten Mehrheit kommt. Das ist das wichtigste
Kernstück der Reform.
({14})
Darin unterstützen wir Sie nachdrücklich und öffentlich.
Es kommt auch nicht so sehr auf die Zahl der Bestimmungen für die dann die qualifizierte Mehrheit gelten soll,
sondern auf ihre Substanz und ihre Bedeutung an. Dafür
haben Sie die Unterstützung der Opposition; denn Europa
wird seine Rolle im 21. Jahrhundert in dieser Welt nur
wahrnehmen können, wenn es diese Handlungsfähigkeit
in seinen Abstimmungsverfahren herstellt.
In Nizza schlägt die Stunde der Staatsmänner. Ich sage
jetzt ohne Unterton oder Verweis auf verliehene Preise: In
Nizza wird sich entscheiden, ob die Verantwortung, die in
Ihren Händen liegt, wirksam genutzt wird, nicht nur für
unser Land, sondern für Europa, das vor der Chance seiner Wiedervereinigung und vor großen Aufgaben und
Herausforderungen steht. Dabei sind die eben genannten
Punkte zentral. Auch die verstärkte Zusammenarbeit ist
ein ganz wichtiger und zentraler Punkt. Im Zusammenhang mit dem Verfassungsvertrag müssen wir schauen,
dass der Prozess auch nach dem Gipfel von Nizza weitergeht. Sie, Herr Bundeskanzler, haben dafür 2004 genannt.
Das ist aus unserer Sicht wirklich das mit Abstand späteste Datum. Aber die Zeit bis dahin muss genutzt werden.
Ich hoffe, dass auch die Bundesregierung das so sieht und
unterstützt, damit ein solcher Verfassungsvertrag klug erarbeitet werden kann.
Zur Erarbeitung will ich ein Wort sagen: Ich habe das
Gefühl, dass die Methode der Regierungskonferenzen
mittlerweile an eine Erschöpfungsgrenze gekommen ist.
Wir hatten die Einheitliche Europäische Akte, wir hatten
Maastricht und Amsterdam, aber das Handeln wird irgendwie kraftloser. Was uns bei der Grundrechte-Charta
gelungen ist, nämlich eine neue Form der Erarbeitung eines europäischen Themas zu finden, das müssen wir als
Idee auch in die Vorarbeiten für die Konferenz 2004 einbringen.
Ich halte es für total wichtig, dass wir nicht im bisherigen Trott weitermachen. Das hat in der Vergangenheit Erfolge gezeitigt, aber wir brauchen neue Arbeitsformen.
Was Roman Herzog mit der Beteiligung der nationalen
Parlamente, des Europäischen Parlaments, der Kommission und der Regierungen geschafft hat, war eine großartige Sache.
({15})
Die Notwendigkeit einer umfassenden Überprüfung
der Arbeitsweise der Organe der EU ergibt sich aus unserer Sicht auch aus einem Auftrag des Amsterdamer Vertrages. Ich spreche vom siebten Protokoll, Art. 2. Dieser
Auftrag ist für uns verbindlich, den können wir aufgreifen; denn es stellt sich ja ein bisschen die Frage: Soll das
in Nizza schon festgelegt werden oder nicht? Ich finde, es
sollte festgelegt werden.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Ich
will auch ein freundliches Wort zur Regierung sagen, das
ist jetzt einfach mal angebracht:
({16})
Ich finde es gut, wie in der Frage der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zumindest was die
politischen Beschlüsse angeht, Nägel mit Köpfen gemacht wurden. Das ist etwas zügiger gegangen, als es
zu erwarten war. Das ist die eine Seite. Auf der anderen
Seite - damit das Lob auch mit einem Arbeitsauftrag verbunden wird - ist natürlich die Ausstattung zu bedenken.
Friedrich Merz hat zitiert, was General Naumann geschrieben hat, und auch Javier Solana hat es gesagt.
Wenn wir in Europa handlungsfähig sein wollen, brauchen wir Institutionen und politische Beschlüsse. Beides
ist geliefert und wird jetzt in Nizza festgeklopft. Aber wir
müssen natürlich auch zusehen, dass beides materiell
unterfüttert wird. Wenn ich 60 000 Mann aufstelle, brauche ich auch für diese Luft- und Seetransportkapazitäten,
Satellitenaufklärung, Kommunikationsmittel und Mittel
zur Luftbetankung. Ich kann nicht auf der einen Seite die
Bundeswehr austrocknen und auf der anderen Seite sagen: Ich liefere meinen Beitrag für Europa. Wenn Europa
ein Spieler auf der Weltenbühne ist, dann muss er auch mit
den entsprechenden Mitteln ausgerüstet werden.
Mein Wunsch ist, dass die Regierung ihren guten politischen Beschlüssen in Sachen ESVP gute Beschlüsse in
Sachen Bundeswehr folgen lässt, damit wir unsere
Verpflichtungen im Rahmen der europäischen Verträge
auch einhalten können.
Herzlichen Dank.
({17}) -
Gernot Erler [SPD]: Machen wir, auch wenn
Sie uns angegriffen haben!)
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Sterzing vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Berichte über eine Regierungskonferenz haben immer den
Charakter von Berichten über eine Baustelle; es sind sozusagen Statusberichte über die Fortschritte und Schwierigkeiten, die beim Fortgang der Bauarbeiten auftreten.
Wenn man sich aber all das anschaut, was in den letzten
Wochen und Monaten über die Regierungskonferenz geschrieben und gesagt wurde, gewinnt man immer mehr
den Eindruck, dass es hier nicht um eine Neubaustelle,
sondern um eine Altbausanierung geht.
Gerade das macht deutlich, wo viele der Unwägbarkeiten in diesem Prozess liegen. Es gibt nämlich ganz spezifische Schwierigkeiten, unkalkulierbare Risiken bei einem solchen Unterfangen; denn so manches Mal stehen
sich auf der einen Seite der Denkmalschutz und auf der
anderen Seite das Bedürfnis nach Nutzbarkeit dieses europäischen Hauses gegenüber.
Im Kern geht es natürlich um das historische Projekt
der Erweiterung. Der Gipfel in Nizza ist ein ganz wesentlicher Schritt in diesem Prozess. Aber gerade die
Komplexität der in Nizza anstehenden Reform macht die
Begeisterung so schwer. Man hat den Eindruck, hier seien
Vertragsmechaniker am Werk. Schaut man sich die Synthesedokumente der französischen Ratspräsidentschaft
an, erkennt man den Versuch, komplizierte politische
Kompromisse in Vertragsformulierungen zu gießen. Das
ist die augenblickliche Schwierigkeit und sie erfordert die
seriöse Auseinandersetzung über die damit zusammenhängenden Probleme.
Leider - das müssen wir auch in der heutigen Debatte
feststellen - fehlt der Opposition in der Auseinandersetzung so manches Mal die Seriosität.
({0})
- Doch, es gibt schon eine ganze Reihe von Widersprüchen, die in diesem Prozess stecken und von Ihnen
nicht ehrlich angesprochen werden. Auf der einen Seite
fordern Sie, nationale Interessen in diesem Prozess deutlich durchzusetzen und auf der anderen Seite sagen Sie,
die Bundesrepublik müsse natürlich der Anwalt der kleinen Staaten sein.
({1})
Sie müssen doch deutlich sagen, dass es den Konflikt
zwischen großen und kleinen Staaten gibt und dass es sich
darum dreht, einen für beide Seiten tragbaren Kompromiss zu finden. Genauso unaufrichtig sind Sie, wenn
Sie - wie vorhin Herr Merz in der Handelspolitik - einerseits die qualifizierte Mehrheit fordern, anderseits aber sagen, das deutsch-französische Verhältnis dürfe in keiner
Weise gefährdet werden. Das fordern Sie in dem Wissen
darum, dass es darüber eine ganz entscheidende Auseinandersetzung zwischen den Franzosen und einem
großen Teil der anderen Mitgliedstaaten gibt. Das ist
schlichtweg unaufrichtig.
({2})
Ein weiteres Beispiel: Sie werfen der Regierung vor,
sie habe angeblich die Forderung nach der doppelten
Mehrheit aufgegeben, und sagen gleichzeitig, das gute
Verhältnis zu den Franzosen sollte absolute Priorität genießen. Doch auch Sie wissen, dass hier ein fundamentaler Widerspruch zur französischen Position besteht.
Ich glaube, Sie sollten aufhören, diese komplexe Reformauseinandersetzung zu missbrauchen, indem Sie sich
über diese Widersprüche einfach hinwegsetzen. Damit
schaden Sie dem Reformprozess und der europäischen
Sache. Das können Sie auch nicht mit einem rhetorischen
Überschuss in Sachen Europapolitik und europapolitische
Bekenntnisse wieder gutmachen.
Über die „leftovers“ von Amsterdam ist hier schon Wesentliches gesagt worden. Ich möchte zusammenfassend
nur auf zwei Entwicklungen hinweisen, die meines Erachtens drohen: Das sind Intergouvernementalisierung
und Entparlamentarisierung.
Nachdem ich mir den neuesten Vertragsentwurf der
französischen Präsidentschaft angeschaut habe, habe ich
den Eindruck, dass grundlegende Ziele dieses Integrationsprozesses, nämlich Demokratisierung und
Vergemeinschaftung, auf dem Altar der Handlungsfähigkeit geopfert werden sollen. Eine ganze Reihe von
Mitgliedstaaten scheinen sich nicht wie die Bundesrepublik, vertreten durch die Bundesregierung, deutlich
hinter diese Forderungen nach Demokratisierung und
Vergemeinschaftung zu stellen. Insofern halte ich es für
wichtig, dass wir hier deutlich machen: Wenn es zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen kommt, dann muss
es auch zu einer Mitentscheidung des Europäischen Parlaments kommen.
({3})
Das ist Demokratisierung; sie ist notwendig.
Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann dürfen die Entscheidungsprozesse nicht immer in den Europäischen Rat,
in die intergouvernementale Zusammenarbeit verlagert
werden, weil dies nämlich dem Vergemeinschaftungsprozess, so wie wir ihn in den letzten Jahren angelegt haben,
die Möglichkeit nimmt, sich weiterzuentwickeln. Insofern
glaube ich, dass dies auch der Integrationsentwicklung
keineswegs förderlich sein wird.
({4})
Wir wissen, dass die Regierung da auf unserer Seite ist,
und wir hoffen, dass sie sich in den Verhandlungen gegenüber einigen anderen Mitgliedstaaten besser durchsetzen kann, als dies bisher der Fall ist.
Erweiterung, so sagte ich, ist das zentrale Stichwort,
um das es geht. Die Kommission hat die Fortschrittsberichte vorgelegt. Ich glaube, drei Wirkungen sind im Augenblick festzustellen:
Zum Ersten hat mit der objektiven Einschätzung der
Fortschritte in den Beitrittsländern auch in diesen Ländern die Motivation zugenommen, sich in diesem Heranführungsprozess weiter engagiert für den möglichst baldigen Eintritt einzusetzen und dafür auch Opfer auf sich
zu nehmen.
Zum Zweiten wurde, so glaube ich, ein wichtiges Signal in die Mitgliedsländer gesandt, denn dieser mit so
viel Integrations- und Beitrittsrhetorik begleitete Weg
verlangt nach entschlossenem Handeln und deutlicher
Bereitschaft, hierbei den Beitrittsländern entgegenzukommen. Der Bericht ist auch ein Appell an die Regierungen in den Mitgliedsländern, sich offensiver als bisher
für diesen Beitrittsprozess einzusetzen.
Zum Dritten schließlich liegt der Ball in dem Erweiterungsprozess nun bei den Regierungen der Mitgliedsländer. Der ambitionierte Fahrplan für die Erweiterung, der
von der Kommission vorgelegt wurde, muss nun in Nizza
beraten werden. Ich hoffe, dass dort alle bereit sein werden, dem Beitrittsprozess neuen Schwung zu verleihen.
Die Äußerungen der schwedischen Außenministerin in
den letzten Tagen haben gezeigt, dass die schwedische
Präsidentschaft bereit ist, die Verhandlungen hierzu mit
Nachdruck voranzutreiben. Ich hoffe, dass sehr viele Regierungen von Mitgliedstaaten wie auch unsere Bundesregierung bereit sein werden, diesen Ball mit neuem
Nachdruck aufzunehmen, um dann nach einem erfolgreichen Abschluss des Gipfels von Nizza diesen Beitrittsprozess in das Zentrum der weiteren europapolitischen
Zusammenarbeit zu stellen. Vielen Dank.
({5})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schwierigkeiten vor dem Gipfel in Nizza sind unübersehbar und
es besteht auch kein Dissens hier im Hause, dass es auf
dem Gipfel in Nizza große Schwierigkeiten geben wird.
Wir vonseiten der F.D.P. wollen das große Interesse deutlich machen, das wir - wie in all den vergangenen Jahren daran haben, dass der europäische Integrationsprozess
erfolgreich weiter vorangebracht wird.
({0})
Dieser Prozess rührt daher, dass es „leftovers“ gegeben
hat, denn sonst hätten wir die beschriebene Finalität des
europäischen Integrationsprozesses ja schon längst erreichen müssen.
({1})
Leider müssen wir ihn noch beschreiben. Das ist zum Teil
noch immer eine Vision.
Deshalb haben die Gipfel immer wieder auch „leftovers“ von vorangegangenen Gipfeln zum Gegenstand.
Das ist nicht etwas, was man in ständiger Wiederholung
vorhergehenden Regierungen anlastet, sondern es ist die
ganz einfache, selbstverständliche, normale Ausgangslage.
({2})
Deshalb ist Europa immer noch eine Baustelle.
Für uns ist Europa kein Denkmal. Nein, wir wollen
nicht, dass Europa in dieser Form bestehen bleibt. Wir
wollen eine handlungsfähigere Kommission. Wir, die
F.D.P., haben immer sehr mutig gesagt: Wir tragen auch
Lösungen mit - wir fordern sie ein -, die dazu führen, dass
die stärkeren Mitgliedstaaten in der Europäischen Union
ihren Einfluss zurücknehmen. Wir unterstützen es, wenn
die stärkeren Mitgliedstaaten eben nicht mehr wie bisher
zwei Kommissare stellen, sondern es zu einem Modell
kommt, bei dem durch eine Deckelung bei der Anzahl der
Kommissare nicht jedes Land zu jedem Zeitpunkt einen
eigenen Kommissar hat. Wir wollen nicht, dass Europa
eine Baustelle bleibt. Wir wollen, dass das, was in Amsterdam als Grundstock gelegt wurde, jetzt erfolgreich
weitergeführt wird.
Ich möchte die Legende widerlegen, Amsterdam sei
der große Flop gewesen. Im Gegenteil: Wenn dort mit der
Schaffung des Europas der Sicherheit, des Rechts und der
Freiheit - das ist in Art. 6 des Vertrags von Amsterdam
verankert, der die Grundlage der jetzt entwickelten Grundrechte-Charta ist - nicht der Durchbruch gelungen wäre,
wenn nicht das Abkommen von Schengen in den Vertrag
von Amsterdam integriert worden wäre, wenn es in der Innen- und Justizpolitik nicht die ersten Schritte mit konkreten Zeitschienen gegeben hätte, dass es nämlich bei der
Sicherung der Außengrenzen, beim Asylrecht und bei der
Einwanderung zu Vergemeinschaftungen kommt, dann
könnten wir heute nicht über Einstimmigkeit reden oder
wie weit eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung in vielen Bereichen der Europäischen Union durchsetzbar ist,
sondern dann würden wir ausschließlich über intergouvernementale Zusammenarbeit sprechen.
({3})
Dieser Grundstock ist damals im Vertrag von Amsterdam, zusammen mit der Integration der WEU, gelegt worden. Dass dort nicht alles zu schaffen war, ist selbstverständlich. Genauso wird jetzt schon mit der Perspektive
einer nächsten Regierungskonferenz klar, dass „leftovers“
so gut wie sicher sind, die uns nach Nizza in den weiteren
Jahren beschäftigen werden.
Ein entscheidender Schritt in Amsterdam war natürlich
auch die Stärkung des Europäischen Parlamentes. Wir,
die Liberalen wollen, dass in diesem Prozess, von dem der
Bundeskanzler zu Recht sagt, die zivile Gesellschaft
müsse aktiv für Europa kämpfen, gerade das Parlament
als eine entscheidende Kraft neben einer sehr starken
Kommission bestimmt.
Deshalb müssen wir uns vertieft Gedanken darüber
machen, warum das Europäische Parlament in größter
Sorge ist. Wir müssen uns klar machen, dass die Opposition keine Schreckensszenarien an die Wand malt.
({4})
Der zuständige Kommissar in der Europäischen Kommission, Herr Barnier - das war in den letzten Tagen und
auch heute nachlesbar -, ist in größter Sorge, dass es nicht
zu einer Reform kommt, die diesen Namen wirklich verdient, und ein Durchbruch ausbleibt.
({5})
Wir müssen uns nach Nizza zusammensetzen und uns
überlegen, wie wir mit dem Ergebnis umgehen. Ich wünsche mir, dass es nicht dazu kommt, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, ob die Maßnahmen für den
Erweiterungsprozess ausreichen. Die Liberalen wollen
die Erweiterung. Wir wollen, dass die Spaltung in Europa,
genauso wie die Spaltung Deutschlands überwunden worden ist, im 21. Jahrhundert möglichst bald durch ein handlungsfähiges, integriertes Europa überwunden wird.
Aber die Zeichen stehen nicht so gut, wie wir uns das
wünschen. Es nützt nichts, etwas schönzureden. Deshalb
führen wir, die Liberalen, eine konstruktive Debatte und
zeigen auf, welche Linien wir unterstützen. Dass die
Grundrechtecharta ein Projekt ist, das im weiteren Prozess sehr identitätsstiftend sein kann, ist klar. Machen Sie
sie zu einem Projekt, an dem die Bürger nach Nizza beteiligt werden.
({6})
Scheuen Sie sich nicht, in Nizza ein europäisches Referendum zu fordern.
({7})
Lassen Sie uns doch die nächsten Jahre nutzen, damit es
in diesem Prozess zu einer Ausprägung der europäischen
Öffentlichkeit und des europäischen Bewusstseins
kommt, das wir brauchen, um die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen.
Vielen Dank.
({8})
Als
nächster Redner hat der Kollege Hans-Ulrich Klose von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig, Herr Kollege Hintze: Die Debatten, die in diesem Hause zu Europa
geführt werden, sind eigentlich immer sehr sachverständig, zumeist - nicht immer - ernsthaft und im Ergebnis
positiv. Positiv und sachverständig sind in der Regel auch
die Beschlüsse, die dazu verabschiedet werden. Gleichwohl werden diese Debatten von der Bevölkerung - wenn
überhaupt - eher unlustig verfolgt. Europa begeistert die
Menschen heute nicht mehr so wie uns, wie mich früher
und heute noch immer. Es überwiegen - so erlebe ich es
jedenfalls, zum Beispiel im Wahlkreis - Ängste und Sorgen, von denen auch der Herr Bundeskanzler gesprochen
hat.
Warum ist das so? Ohne Polemik, Herr Kollege Hintze,
müsste die Frage wie folgt beantwortet werden: Zum einen ist es so, weil das komplizierte europäische Geflecht,
das europäische Prozedere, für die Mehrheit der Menschen noch immer nicht überschaubar ist. Zum anderen
meinen viele, dass Brüssel nicht tut, was nötig ist, und
sich stattdessen zu oft in Dinge einmischt, die besser auf
nationaler oder sogar auf lokaler Ebene zu regeln seien.
Und schließlich sind mit der Freizügigkeit innerhalb der
Europäischen Union Probleme verbunden, die künftig
noch zunehmen könnten, wenn die ökonomischen Disparitäten zu groß und/oder bestehende Minderheitenprobleme ungelöst bleiben. Auf die Minderheitenprobleme,
Herr Bundeskanzler, weise ich ausdrücklich hin.
Dennoch gilt - es muss auch immer wieder klar und
deutlich ausgesprochen werden -: Europa ist eine große,
eine geradezu unglaubliche Erfolgsgeschichte.
({0})
Man muss sich vorstellen, wo Europa heute stünde, wenn
es die EWG und die EG nicht gegeben hätte und es heute
die EU nicht gäbe. Wo stünden wir, wenn sich die Europäer nicht auf den Weg einer umfassenden und nicht nur
ökonomischen Kooperation begeben hätten? Es stünde
sehr viel schlechter um dieses Europa, um den Frieden
und die Lebens- und Zukunftschancen der Menschen in
Europa.
({1})
Europa ist eine Erfolgsgeschichte. Diese Geschichte
soll in Nizza fortgeschrieben werden. Die Strukturen der
europäischen Verfassung, die es schon gibt, auch wenn
sie so nicht bezeichnet wird, müssen modernisiert und
präzisiert werden - „Vertiefung“ lautet das Stichwort -,
damit sich Europa weiter entwickeln kann, damit dieses
Europa, das 50 Jahre geteilt war, endlich wiedervereinigt
wird. Das ist es doch, was wir meinen, wenn wir von „Erweiterung“ sprechen: Es geht um die Wiedervereinigung
Europas.
({2})
Der Außenminister hat dazu heute in einer Weise gesprochen, die, wie ich finde, den Beifall des ganzen Hauses
verdient hätte.
({3})
Wir Deutschen wissen nur zu gut, wie schwierig ein
solches Werk, das Werk der Wiedervereinigung, ist. Es
wächst eben nicht einfach zusammen, was zusammengehört. Das Zusammenwachsen muss auf nationaler und
europäischer Ebene gestaltet, gefördert und erarbeitet
werden.
Wenn das Werk gelingt, dann ist es ein Gewinn für die
europäischen Völker und jeden einzelnen Menschen. Das
müssen wir immer wieder betonen und beweisen, damit
das große Ziel verstanden wird, damit die kleinen Ängste
und Sorgen uns nicht den Blick für den großen europäischen Entwurf verstellen.
Für uns Deutsche ist die Wiedervereinigung Europas
besonders wichtig. Sie ist geradezu existenziell. Wenn sie
gelingt - und sie muss gelingen -, dann sind wir nicht
mehr Grenzland. Wir Deutsche eignen uns sehr schlecht
als Grenzland in einem weiterhin geteilten Europa. Dann
sind wir nicht mehr Grenzland, sondern rücken in die
Mitte, dann sind wir erstmals in unserer Geschichte nur
noch umgeben von Partnern und Freunden. Welch ein
Glück!
({4})
Für solches Glück zu arbeiten lohnt jede Mühe, auch die
Mühen von Nizza.
Nizza soll die Europäische Union erweiterungsfähig
machen; die heutigen Strukturen und Verfahrensregeln
passen nicht mehr für eine Union mit zwanzig und mehr
Mitgliedern. Deswegen muss über die künftige Größe der
Kommission, über Mehrheitsentscheidungen als Regel
und über die Stimmengewichtung im Ministerrat entschieden werden. Das ist schwierig genug, weil jedes Mitgliedsland Zugeständnisse machen muss und weil es dabei nicht nur um Einfluss, sonder auch um Prestige geht.
Weil das so ist, muss die deutsche europäische Politik
ebenso wie die französische behutsam und kooperativ zugleich sein. Es geht nicht alles, was Deutsche und Franzosen miteinander verabreden, aber ohne französischdeutsche Kooperation geht gar nichts.
({5})
Ich möchte zu zwei Stichworten je eine Bemerkung
machen: In Nizza soll auch über die so genannte verstärkte Zusammenarbeit entschieden werden. Die Entscheidung ist nicht einfach und manch einer missversteht
sie als Versuch, EU-Mitglieder erster und zweiter Klasse
zu installieren. Herr Verheugen hat kürzlich bei einer
Konferenz von einer partiellen Neugründung der EU in
der EU gesprochen. Eine solche Aussage ist gewiss nicht
unproblematisch.
({6})
Ein größeres Problem entstünde jedoch, wenn die Erweiterung der Europäischen Union nicht weiter voran
käme; Stillstand, Lähmung oder Selbstblockade darf nicht
sein. Deshalb muss es möglich sein, dass Länder, die dies
wollen, ihre Kooperation verstärken und schneller bzw.
weiter voranschreiten als andere, und zwar - ich unterstreiche das, Herr Bundeskanzler - in der Gemeinschaft
und nicht außerhalb.
({7})
Zur Finalität der Europäischen Union - ein großes
Wort, bei dem ich wiederum fürchte, dass es der Normalbürger nicht versteht: Es wäre sehr viel gewonnen, wenn
in einer neuen Regierungskonferenz, die nicht allzu lange
auf sich warten lassen dürfte, darüber entschieden würde,
wer in der EU was macht, auf EU-Ebene, auf nationaler
Ebene und darunter. Als Grundregel sollte gelten, dass die
Zuständigkeit der EU auf das beschränkt wird, was auf
nationaler Ebene bzw. darunter nicht geregelt werden
kann. Eine klare Kompetenzzuweisung nach dieser
Grundregel wäre ein wichtiger Schritt, viel wichtiger als
sonstige europäische Symbolik; wobei ich gegen eine
Symbolik, die integrativ und nicht aufgesetzt wirkt, nichts
einzuwenden habe.
Ein letztes Wort zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik: Wir wollen sie, aber wir wollen sie mit
Maßen. Europa will ein globaler Akteur sein - ist es auch
schon heute -, aber keiner, der sich überhebt. Verlässlichkeit und Kooperationsfähigkeit sind politische Tugenden,
militärische Stärke aber ist ein Instrument, eines neben
anderen, um Krisen zu bewältigen und Sicherheit zu gestalten. Weil es keinen Sinn macht, bewährte Strukturen
zu beschädigen und gewachsenes Vertrauen zu
schwächen, sollten wir Europäer unsere Sicherheits- und
Verteidigungsidentität selbstbewusst und bewusst partnerschaftlich - europäisch und atlantisch - definieren. Europäische Handlungsfähigkeit herstellen und erweitern
und damit zugleich die NATO zu stärken, das muss gemeinsam angestrebtes Ziel sein, in Nizza und darüber hinaus.
Im Übrigen sollten wir Europäer bei dieser Debatte bedenken, dass es eine Sache ist, institutionelle Grundlagen
für eine eigenständige militärische Komponente zu beschließen, eine andere dagegen, die tatsächlichen Voraussetzungen für eine nicht nur beschworene, sondern praktizierte größere Verantwortung zu schaffen.
({8})
Im Klartext: Die Europäer - auch wir Deutsche - werden
mittelfristig nicht darum herumkommen, die Mittel für
Verteidigung und Sicherheit in ihren jährlichen Haushalten zu erhöhen und deren Einsatz zugleich effektiver
zu gestalten.
({9})
Das ist, wie wir alle wissen, leicht gesagt und schwer
getan. Man muss den europäischen Steuerzahlern erklären, warum zehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges - unsere Sicherheitslage ist dadurch dramatisch verbessert worden - die Verteidigungsausgaben nicht weiter
reduziert werden können, sondern in Zukunft sogar wieder steigen müssen, jedenfalls im investiven Bereich. Das
ist, wenn man so will, die europäische Lektion, die zu lernen ist.
Es gibt auch eine amerikanische Lektion. Amerika,
die einzig verbliebene Weltmacht, hat noch immer
Schwierigkeiten - heute offensichtlich mehr als noch vor
Jahren -, sich auf Verbündete einzustellen, zumal auf europäische Verbündete, bei denen immer mehrere Telefone
zugleich bedient werden müssen.
({10})
Und doch muss Amerika einsehen, dass auch eine Supermacht Partner braucht, dass es eigentlich nur die Europäer
sind, die für Amerika als Partner bereitstehen, und dass
man Partner wie Partner behandeln muss, wenn Führung
akzeptiert werden soll.
({11})
Grundlage der europäisch-amerikanischen Partnerschaft ist die NATO, Grundlage der europäischen Zusammenarbeit die Europäische Union. Dies klar zu machen,
uns selbst und der Bevölkerung, den Menschen, ist eine
Aufgabe, der sich auch deutsche Politik immer wieder
stellen muss, die Regierung ebenso wie die Opposition.
Dabei hat es die Opposition schwer. Sie will, sie muss kritisieren und attackieren, obwohl sie im Grundsatz zustimmt. Das ist eine schwierige Rolle, Herr Kollege Merz.
Ich weiß es und habe auch persönliche Erfahrung damit.
({12})
Für die Bevölkerung aber, im Übrigen auch für unsere
Partner, ist es sehr gut zu wissen, dass sich diese deutsche
europäische Politik auf eine große Mehrheit im Deutschen Bundestag stützen kann.
({13})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Gerd Müller von der CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Klose, Sie haben
eine sehr gute Rede gehalten, die auch auf die Unterstützung der Opposition gestoßen ist. Ich glaube, in der Europapolitik sollten wir uns alle um einen breiten Konsens
in der Darstellung und in der Umsetzung unserer Positionen bemühen.
({0})
Herr Außenminister Fischer, Sie haben sich von der Regierungsbank herunter gesetzt, sicherlich um treffende
Zwischenrufe zu machen.
({1})
Aber es stellt sich die Frage - ganz bestimmt auch für unsere Zuschauer -: Warum gelingt Ihnen dies nicht, Herr
Fischer, Herr Bundeskanzler? Herr Fischer, ich möchte
Ihnen persönlich etwas dazu sagen: Der Ton stimmt nicht
bei Ihnen; er ist arrogant. Sie sind in Ihrer Aussage persönlich verletzend. Das ist nicht der angemessene Stil, mit
dem man an diesem Thema arbeiten sollte.
({2})
Herr Klose, Sie haben sehr zu Recht nach außen, an die
Bürgerinnen und Bürger, die Frage gestellt: Wer kann
denn diese Zusammenhänge noch verstehen? Dies ist in
der Tat sehr schwierig. Es gab große Debatten in diesem
Haus, insbesondere im Parlament in Bonn. Ich erinnere
mich zurück an die großen Themen der vergangenen
Jahrzehnte. Es waren Konrad Adenauer, Ludwig Erhard
und Helmut Kohl, die Themen wie Westintegration,
NATO und Wiedervereinigung aufgegriffen haben. Der
gemeinsame Binnenmarkt, die Einführung des Euro, die
Erweiterung der Europäischen Union von sechs auf zwölf
Mitgliedstaaten waren die großen Ergebnisse unserer Politik der letzten 50 Jahre, zumeist gemeinsam getragen.
Heute, in Nizza und in den nächsten Monaten stehen die
Themen der Herstellung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union nach innen - wir wollen daran mitwirken - und die Vorbereitung der Erweiterung nach Mittelund Osteuropa auf der Tagesordnung. Große Hoffnungen
der Menschen dort ruhen auf uns, die billige Polemik eigentlich überflüssig machen.
Wir erwarten von der Bundesregierung Überzeugungskraft, Entschlossenheit und einen klaren Kurs. Ich frage
mich am Ende dieser Debatte: Wofür stehen Sie? Wie
sieht Ihr Kurs aus? Welche Vorgaben machen Sie? Was
wollen Sie erreichen?
Es gibt noch ein weiteres Problem: Abgesehen von
Ihrem Ton, von Ihrem Geschrei und davon, wie Sie Ihre
Partner behandeln, geht es um die Fragen: Welche Methoden wollen Sie anwenden? Welche Strategie wollen
Sie verfolgen? Welche inhaltlichen Vorgaben wollen Sie
machen? Wir wissen nicht, wohin Sie wollen, zum Beispiel hinsichtlich der „leftovers“.
({3})
Herr Fischer, Ihr Kanzler ist im Hinblick auf die Besetzung der Kommission - um ein Detail herauszugreifen - für das Rotationsprinzip eingetreten. Damit hat er
zunächst alle kleinen Staaten verärgert. Dann hat er
den kleinen Staaten vorgeschlagen, auf einen Kommissarsposten gänzlich zu verzichten. Dagegen waren alle.
Nun kommen Sie mit dem richtungsweisenden Vorschlag,
den Kommissionspräsidenten direkt wählen zu lassen.
({4})
Dagegen spricht sich sogar die SPD-Fraktion im Europäischen Parlaments, allen voran Klaus Hänsch, aus.
Ein anderer visionärer Vorschlag von Ihnen, Herr
Fischer, war, neben dem Europäischen Parlament eine
zweite Europakammer zu installieren.
({5})
Wenn man sich das einmal vorstellt: das Europäische
Parlament, die nationalen Parlamente und nun Ihr Vorschlag, eine neue, zweite Europakammer einzurichten!
({6})
Herr Fischer, Sie haben viele visionäre Vorschläge gemacht,
({7})
aber keine praktischen Gesamtkonzepte zur Lösung der
Probleme vorgelegt, die jetzt auf der Tagesordnung stehen.
({8})
Das verunsichert Ihre Partner, unsere Freunde.
({9})
Kommissar Barnier stellt in seinem Dokument „Zwei
Phasen und drei Wege für Europa“ vom 8. Juni fest:
Joschka Fischer lehnt den Status quo ab, präzisiert indessen nicht, welcher der aufgezeigten Wege eingeschlagen werden sollte. Deutet seine Ablehnung des
historischen Föderationsmodells als synthetisches
Konstrukt auf eine intergouvermentale oder auf eine
föderalistische Einstellung hin?
Herr Fischer, es ist nicht angekommen, wohin Sie uns
führen wollen. Deshalb bleiben wesentliche Gipfelerfolge
aus.
({10})
Sie haben kein Vertrauensverhältnis zu den Partnern
aufgebaut.
({11})
Ich erinnere an das Auftreten von Minister Trittin in den
vergangenen Jahren oder an den Gipfel von Berlin, auf
dem Sie Chirac als Bauernpräsidenten beleidigt haben.
({12})
Der einzige Erfolg war der Misserfolg.
({13})
Jetzt streiten Sie sich mit dem französischen Europaminister Moscovici.
({14})
Auch dabei spielt die Frage des Stils eine Rolle.
({15})
- Wie Sie krakeelen! Herr Fischer, so wie Sie hier krakeelen, krakeelen Sie vermutlich auch im Europäischen
Rat. Wie soll da Vertrauen aufkommen?
({16})
Wie gehen Sie mit den Menschen um, mit deren Unterstützung Sie etwas erreichen wollen?
({17})
Sie haben keinen Stil, keinen Anstand und kein inhaltliches Konzept.
({18})
Ihnen fehlt offensichtlich die Kinderstube.
({19})
- Outen Sie sich ruhig als verbaler Gewalttäter - wenn Sie
das wollen -, so gut Sie können.
({20})
Wir brauchen einen Bauplan für das europäische Haus.
Der richtige Einstieg wäre jetzt - das ist vielleicht die
zweite entscheidende Frage -, die Kompetenzen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten klar abzugrenzen.
Die Menschen - das ist zweifelsfrei - wollen wissen:
Wofür steht Europa? Für welche Themen steht Europa?
Steht es für Bekämpfung von BSE und Kriminalität oder
nicht? Wen können wir wählen?
({21})
Wen können wir - das wollen unsere Landwirte wissen zur Verantwortung ziehen? Wofür stehen die Mitgliedstaaten? Die Frage, wie die Kompetenzen präzise und klar
abgegrenzt werden können, muss jetzt beantwortet werden, nicht erst 2004. Dann ist es zu spät. Die entsprechenden Entscheidungen müssen jetzt, vor der Erweiterung, getroffen werden.
({22})
Eine klare Kompetenzabgrenzung wäre auch die Voraussetzung für die Ausweitung des Mehrheitsprinzips
im Europäischen Rat.
({23})
Dies setzt allerdings die Reform des Rates selbst voraus.
Kollege Peter Hintze hat dazu einige sehr wichtige Ausführungen gemacht.
({24})
Heute haben wir 130 Ratsgruppen. Hier brauchen wir sicherlich ein zielführendes Konzept.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss
möchte ich etwas zum Thema Osterweiterung sagen.
({25})
Der Zuschauer kann sich von der Flegelhaftigkeit des
deutschen Außenministers selber ein Bild machen. Das
spricht für sich, meine Damen und Herren.
({26})
Für mich ist klar, warum wir auf internationaler Ebene so
dastehen, wie wir dastehen. Das liegt daran, dass wir einen Flegel als Außenminister haben.
({27})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Beitrittsverhandlungen zur Osterweiterung verlaufen schleppend und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wir haben
keine Beteiligung der Öffentlichkeit. Auch hier stelle ich
die Frage: Warum schaffen Sie keine Offenheit und sagen
den Menschen draußen, den Bauarbeitern, den LKW-Fahrern, den Menschen an der Grenze, den Landwirten, was
auf sie zukommt?
({28})
Wir können dieses europäische Vorhaben nur voranbringen, wenn wir Offenheit und Transparenz schaffen.
Haben Sie Angst vor dem Volk?
({29})
Haben Sie Angst vor den Menschen?
({30})
Nein, das kann nicht der Weg sein.
Ich sage zum Schluss, meine sehr verehrten Damen
und Herren noch einmal: Wir wollen den Erfolg in Nizza.
Diese Opposition ist konstruktiv und unterstützt die Regierung in ihren Vorstellungen.
({31})
Danke schön.
({32})
Als
nächster Redner hat der Kollege Michael Roth von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war eine Konsens
stiftende Rede, wie wir sie vom Kollegen Müller erwartet
haben.
({0})
Ich war am Anfang schon etwas besorgt, weil ich Sie als
sehr netten, aber auch sehr streitlustigen Kollegen im Ausschuss kennen gelernt habe. Sie haben die Machete ordentlich herausgeholt und haben richtig herumgerüpelt.
Wer jedoch im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen
werfen.
({1})
Halten Sie sich mit derlei Vorwürfen an den Außenminister zurück. Ich finde das sehr bemerkenswert, wo Sie zu
Recht die Rede des Kollegen Klose gelobt haben. Es ist in
der Debatte um Nizza sicherlich auch notwendig, sich an
die Wurzeln Europas zu erinnern und deutlich zu machen,
warum wir uns mit diesem Prozess so viel Mühe geben
und warum wir in den vergangenen Monaten so hohe Erwartungen an Nizza hatten.
Über die Bedeutung von Nizza ist viel gesagt worden.
Es geht - darüber sind wir uns glücklicherweise einig um die Überwindung der Teilung Europas. Es geht uns
darum, dass Europa so handlungsfähig wird, wie es die
Menschen von Europa erwarten, wie wir es von Europa
erwarten, damit die Probleme, die wir national oder regional nicht mehr lösen können, zukünftig gesamteuropäisch unter Einschluss von Ost und West gelöst werden können.
({2})
Ich finde den Beitrag von Ihnen, Herr Müller, auch deshalb so bemerkenswert, weil ich mich noch gut an eine
Debatte im Deutschen Bundestag erinnern kann, in der
der Bundesregierung, aber auch der Regierungskoalition
immer wieder vorgeworfen wurde, sie wolle sich nur auf
die so genannten „leftovers“ konzentrieren. Sie haben die
Ausweitung der Agenda für Nizza gefordert. Jetzt zeigt
sich, wie wichtig es war, dass wir die drei großen
Herausforderungen, verbunden mit dem Vorschlag einer
verstärkten Zusammenarbeit, in den Mittelpunkt von
Nizza rücken und keine weiteren Projekte in Angriff nehmen.
({3})
Das muss jetzt in Nizza geregelt werden. Wir brauchten
keine Ausweitung. Hier haben wir Recht behalten.
Wir müssen uns natürlich auch fragen, welche Rolle
der Deutsche Bundestag hierbei spielen kann. Wir haben
darüber Einvernehmen erzielt, dass das zentrale Projekt
die weit gehende Beseitigung des Vetorechtes im Rat ist.
Meines Erachtens ist der ambitionierte Vorschlag, den die
Bundesregierung entwickelt hat, für die weit gehende
Einbringung der qualifizierten Mehrheit auch ein Erfolg
der Europapolitiker dieses Hauses. Wir haben mit den
Fachleuten in den anderen Arbeitsgruppen und Ausschüssen sowie mit den Ressorts Verhandlungen geführt und
haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Deutschland mit einem zukunftsweisenden Vorschlag in die Verhandlungen gehen muss. Wir müssen das Vetorecht zu einer großen Ausnahme werden lassen. Wir müssen die
qualifizierte Mehrheit zur Regel werden lassen.
Deswegen gibt es nur relativ wenige Vorschläge seitens
der Bundesregierung, nach denen das Vetorecht auch in
der Zukunft beibehalten werden soll. Das ist ein Erfolg
dieses Hauses und seines Europaausschusses. Wir sollten
ruhig einmal selbstbewusst auf die Möglichkeiten des
Deutschen Bundestages hinweisen.
({4})
Ich möchte mich auch bei der Bundesregierung - vor
Nizza werden wir dazu wahrscheinlich keine Gelegenheit
mehr haben - bedanken. Mein Dank gilt vor allem Staatssekretär Pleuger, der in einer außerordentlich offenen und
auch auf die konfliktreichen Punkte hinweisenden Art in
unseren wöchentlichen Jours fixes, in den Gesprächen mit
den Obleuten und mit den Berichterstattern über die Ergebnisse der bisherigen Verhandlungen berichtet hat. Das
ist nicht selbstverständlich. Sein offener Gesprächsstil hat
uns immer wieder die Möglichkeit gegeben, unsere Anforderungen an Nizza deutlich zu machen.
Herr Barnier - er ist heute schon mehrfach zitiert worden - hat natürlich Recht: Wenn wir über die qualifizierte
Mehrheit sprechen, dann geht es nicht um neue Kompetenzen für die EU. Es geht nur darum, dass die bisherigen
Kompetenzen zielgerichteter und effizienter genutzt werden. Deswegen ist die Begrenzung des Vetorechts für uns
so wichtig.
Herr Hintze hat auf einen Streit hingewiesen, den ich
nicht verstanden habe. Er hat der Bundesregierung, aber
auch uns vorgeworfen, wir hätten den Konflikt zwischen
kleinen Mitgliedstaaten einerseits und großen Mitgliedstaaten andererseits geschürt. Ich sehe das überhaupt
nicht. Es gibt in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Union kein einziges
Beispiel für einen Konflikt zwischen den Großen und den
Kleinen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich immer
als Sachwalter der kleinen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union verstanden. Das ist unser Beitrag zum Solidaritätsprinzip in Europa gewesen. In dieser Frage müssen Sie uns keine Nachhilfe erteilen.
({5})
Es war auch notwendig, dass der Bundeskanzler einen
dynamischen Vorschlag im Hinblick auf die Zusammensetzung der Kommission in die Verhandlungen
eingebracht hat. Erst der Vorschlag, dass auch die großen
Mitgliedstaaten bereit sind, auf einen Kommissar zu verzichten, hat die notwendige Dynamik ausgelöst und gezeigt, dass es neben der Hierarchisierung und neben dem
Rotationsprinzip auch andere Möglichkeiten gibt, die sich
nicht negativ auf die Kleinen auswirken könnten, sondern
bedeuten, dass ein großes Mitglied gegebenenfalls auch
einmal nicht in der Kommission vertreten ist. Die Kommission ist nun einmal kein Repräsentationsorgan der
Mitgliedstaaten, sondern ein den gemeinsamen europäischen Interessen dienendes starkes Organ der EU. Das
soll auch zukünftig so sein.
Sie haben die deutsch-französische Zusammenarbeit und die Rolle der französischen Präsidentschaft angesprochen. Auch wir sind - das muss man der Offenheit
halber hier so sagen - in dieser Hinsicht besorgt. Die Europapolitiker der SPD-Fraktion waren kürzlich in Paris
und haben dort viele Gespräche geführt. Die Sorge und
das Unbehagen sind zum Teil auch von unseren parlamentarischen Kolleginnen und Kollegen in Paris unterstrichen worden. Wir sind uns auf der parlamentarischen
Ebene einig. Es gibt also keinen deutsch-französischen
Konflikt; verschieden sind vielmehr die Sichtweisen der
Parlamente auf der einen Seite und der die Verhandlungen
führenden Regierungen auf der anderen Seite. Wir haben
unsere französischen Kollegen in der Assemblée Nationale unterstützt. Sie wiederum haben uns gesagt: Macht
deutlich, wo auch für uns die Knackpunkte liegen und wie
unsere alternativen Vorschläge aussehen. - Das gehört zu
einer stabilen Freundschaft. Ich betone: Die deutsch-französische Freundschaft ist stabil.
Der Bundeskanzler hat in den vergangenen Wochen
nicht umsonst bedeutsame bilaterale Gespräche geführt.
Wo war er nicht überall? Er war gerade in den kleinen
Mitgliedstaaten, um deutlich zu machen, dass wir auch
deren Sachwalter sind. Er hat klargestellt, dass es nicht
um originär nationale Interessen, sondern um unser gemeinsames europäisches Interesse geht, das nicht zwischen den Interessen von großen und denen von kleinen
Mitgliedstaaten unterscheidet.
Ich finde es sehr positiv, dass der Kollege Hintze auch
die Systemproblematik der Regierungskonferenz angesprochen hat; denn das liegt uns Parlamentariern sehr am
Herzen. Einer der schon jetzt erzielten Erfolge von Nizza
ist doch die Grundrechte-Charta und die Tatsache, dass
wir zusammen mit den Kollegen Meyer und Altmaier und
mit vielen anderen ein Modell installiert haben, das die
Hinterstubendiplomatie der Regierungskonferenzen einmal alternativ beleuchtet.
Im Grundrechte-Charta-Konvent saßen Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die deutlich gemacht haben,
dass sie ebenso wie Diplomaten bereit und in der Lage
sind, ihre Arbeit zügig und erfolgreich zum Abschluss zu
bringen.
({6})
Das sollte auch uns für die nächsten Jahre ein Vorbild sein,
wenn wir die Verfassungsdebatte so führen, wie sie vom
Außenminister angeregt wurde. Chirac hat sich dazu
geäußert, auch Tony Blair hat sich dazu geäußert. Tony
Blair hat eine der pro-europäischsten Reden gehalten, die
jemals ein britischer Premierminister gehalten hat. Deswegen habe ich auch nicht verstanden, warum die Aufregung darüber so groß war. Der Beitrag von Tony Blair
passt doch in das Konzept, Visionen über Europa zu entwickeln. Sie von der Opposition fordern von uns alles
Mögliche ein; aber Sie haben weder Visionen noch einen
pragmatischen Ansatz, wie wir in Nizza zum Erfolg komMichael Roth ({7})
men können. Sie haben auch keine konkreten Alternativen
zu dem geliefert, was die Bundesregierung bislang in die
Verhandlungen eingebracht hat.
({8})
Ich wünsche mir eine Parlamentarisierung des verfassungsgebenden Prozesses. Es ist deshalb nur richtig,
dass wir das Modell des Konventes auch über Nizza
hinaus in den nächsten Jahren immer wieder als unsere
Forderung einbringen. Es darf nicht nur die „Nacht der
langen Messer“ geben, in der hinter verschlossenen Türen
gefeilscht wird, sondern es kann eben auch anders gehen.
Es ist der Beitrag von uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern, diesen Punkt immer wieder offensiv in die
Debatte zu bringen.
({9})
Lassen Sie mich noch eine abschließende Anmerkung
zu dem Post-Nizza-Prozess machen. Ich verstehe das Unbehagen mancher im Hinblick auf die Erweiterung um
die mittel- und osteuropäischen Länder nicht. Ich verspreche mir eine erhebliche Zunahme der europapolitischen Dynamik, wenn Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien und die anderen mittel- und osteuropäischen
Staaten erst einmal der EU angehören, weil es durchweg
pro-europäische, integrationsfreundliche Länder sind, die
uns dabei unterstützen können, zu einem Europa zu kommen, wie es sich die Bürgerinnen und Bürger wünschen:
handlungsfähiger, demokratischer, transparenter. Wir
brauchen vor dem Erweiterungsprozess gar keine Angst
zu haben.
Die SPD-Fraktion hat in den vergangenen Monaten einen Beitrag geleistet, um die Bürger aufzuklären und zu
informieren. Dabei haben wir nicht auf populistische
Angstmacherei gesetzt, sondern eine Informationskampagne in den Regionen der Bundesrepublik gestartet, die an
Tschechien und Polen grenzen. Wir haben mit Bürgerinnen und Bürgern und mit Kommunalpolitikern gesprochen und deutlich gemacht, dass der Erweiterungsprozess
nicht nur Risiken mit sich bringt, sondern dass es gerade
in den Grenzregionen große Chancen und Potenziale gibt,
die wir auf allen politischen Ebenen gemeinsam nutzen
müssen. Diesen Beitrag hat die SPD-Fraktion geleistet.
Wir wünschen ihn uns auch von Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition.
({10})
Ich bin auch überhaupt nicht pessimistisch, wenn ich
an die Bürgerinnen und Bürger denke. Sie setzen immer
noch - trotz mancher Probleme und trotz mancher Skepsis - ihr Vertrauen in den europäischen Integrationsprozess. Gerade in der Bundesrepublik Deutschland gibt es
immer noch eine große Zustimmung zu Europa. Dieses
Vertrauen müssen wir rechtfertigen. Deswegen müssen
wir die Teilung Europas überwinden. Voraussetzung dafür
ist eine größere Gestaltungskraft Europas. Dazu müssen
wir in Nizza einen Beitrag leisten. Die Probleme, die wir
hier im Bundestag und die die Bundesregierung allein
nicht mehr lösen können, müssen auf europäischer Ebene
gelöst werden können.
Der Bundesregierung für Nizza ein herzliches Glückauf! Unsere guten Wünsche begleiten sie. Ich hoffe, dass
sie zusammen mit den anderen Partnern zu einem guten
Ergebnis kommen wird, über das wir uns werden freuen
können.
Vielen Dank.
({11})
Ich
schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Überweisungen und Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt II a: Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschließungsantrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
14/4733 zur federführenden Beratung an den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union und zur
Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Finanzausschuss und den Verteidigungsausschuss zu überweisen.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/4666 soll zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Rechtsausschuss und den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Unter Tagesordnungspunkt II b liegt eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der
Europäischen Union auf Drucksache 14/4457 vor.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
14/3514 mit dem Titel „Europäischer Rat in Feira Europa entschlossen voranbringen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der
Fraktion der PDS angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/3377 mit dem Titel „Innere
Reform der Europäischen Union - Stand der Regierungskonferenz - Stabilität des Euro - Haltung zu Österreich“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/3522 mit dem Titel „Mutige
EU-Reform als Voraussetzung für eine erfolgreiche
Erweiterung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Michael Roth ({0})
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von
CDU/CSU und F.D.P. und bei Enthaltung der PDS-Frak-
tion angenommen.
Unter Tagesordnungspunkt II c liegt eine Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der
Europäischen Union auf Drucksache 14/4584 vor.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung die Annahme des Entschließungsantrags der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 14/4269 zur vereinbarten Debatte zur EU-
Grundrechte-Charta. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU
und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/4246 zu dem Entwurf der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Es liegen Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung
zur Abstimmung zum einen vom Kollegen Hubert
Hüppe1) von der CDU/CSU-Fraktion und zum anderen
von weiteren 26 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion
vor2). Sind Sie damit einverstanden, dass wir diese Erklärungen zu Protokoll nehmen? - Das ist der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung
der F.D.P.-Fraktion angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/4253 mit dem Titel „Europäische Grundrechte-Charta als Eckstein einer europäischen
Verfassung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU und
F.D.P. und Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
Unter Tagesordnungspunkt II d liegt eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der
Europäischen Union auf Drucksache 14/3903 vor. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Entschließungsantrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 14/3099 zur Erklärung der Bundesregierung
zu den Ergebnissen der Sondertagung des Europäischen
Rates in Lissabon. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU, F.D.P.
und PDS angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Entschließungsantrags
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/3101 zur
Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der
Sondertagung des Europäischen Rates in Lissabon. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist
damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU und
F.D.P. angenommen.
Unter Tagesordnungspunkt II e liegt eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der
Europäischen Union auf Drucksache 14/3472 vor. Der
Ausschuss empfiehlt die Ablehnung des Antrages der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2233 mit dem
Titel „Regierungskonferenz 2000 und Osterweiterung Herausforderungen für die Europäische Union an der
Schwelle zum neuen Millennium“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei
Gegenstimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Unter Tagesordnungspunkt II f liegt eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der
Europäischen Union auf Drucksache 14/4323 vor. Der
Ausschuss empfiehlt die Ablehnung des Antrags der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/3187 mit dem Titel
„Beziehungen zu Österreich normalisieren“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei
Gegenstimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten II g bis II j
und zum Zusatzpunkt 1. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/4653,
14/4654, 14/3434 ({1}), 14/4017 und 14/4732 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Zusatzpunkt 2: Wir kommen zur Abstimmung über den
Antrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4720 mit
dem Titel „Klarheit des Begriffs Mensch in EU-Grund-
rechte-Charta sichern und Menschenwürde umfassend
gewährleisten“. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
F.D.P. bei Zustimmung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt III auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2001
({2})
- Drucksachen 14/4000, 14/4302 ({3})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({4}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
1) Anlage 2
2) Anlagen 3 und 4
Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004
- Drucksachen 14/4001, 14/4301, 14/4524 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
Wir beginnen mit drei Einzelplänen, zu denen keine
Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe auf:
III. 1 hier: Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 14/4501, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth ({5})
Ewald Schurer
Antje Hermenau
Dr. Christa Luft
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Darf ich einmal fragen, wie sich die PDS-Fraktion verhält?
({6})
- Sie stimmt dafür. Damit ist der Einzelplan 01 einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
III. 2 hier: Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 14/4502, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Jochen Borchert
Antje Hermenau
Dr. Barbara Höll
Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Einzelplan 02 ist damit bei Enthaltung der PDS-Fraktion
mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.
Ich rufe auf:
III. 3 hier: Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 14/4503, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Matthias Berninger
Heidemarie Ehlert
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Einzelplan 03 ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
III. 4 hier: Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 14/4508, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Manfred Hampel
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
III. 5 hier: Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 14/4519 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Dr. Uwe-Jens Rössel
III. 6 hier: Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 14/4520 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Manfred Kolbe
Oswald Metzger
Dr. Uwe-Jens Rössel
III. 7 hier: Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksache 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Oswald Metzger
Ewald Schurer
Josef Hollerith
Heidemarie Ehlert
Zum Einzelplan 08 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der PDS vor. Zum Einzelplan 32 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Zum Einzelplan 60 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU, ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.
und ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Über
den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. werden wir
später namentlich abstimmen. Zum Einzelplan 60 liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor,
über den wir am Freitag abstimmen werden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dietrich Austermann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir beginnen heute mit der
zweiten Lesung des Bundeshaushalts für das Jahr 2001.
Ich möchte mit vier Feststellungen beginnen:
Erstens. Die rot-grüne Regierung und die sie tragende
Mehrheit haben durch falsche wirtschaftspolitische Weichenstellungen die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtert.
({0})
Die Stichworte sind: Einführung neuer Steuern - ich brauche nur die Ökosteuer zu erwähnen -, das so genannte
Steuerentlastungsgesetz, das zu Mehrbelastungen geführt
hat, das Thema „Minijobs“ sowie die Frage der
Scheinselbstständigkeit und die Rücknahmen beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung. Ich glaube,
diese Stichworte sind inzwischen in jedermanns Vokabular.
({1})
Die Wirtschaft ist ernüchtert über den Reformkurs.
Zweitens. Infolge dieser Politik trüben sich die Wachstumsaussichten ein. Zum fünften Mal hintereinander
kühlt sich der Ifo-Geschäftsklimaindex ab. Die Stimmung
ist zwar noch besser als die Lage; gestützt wird das Ganze
aber auf tönerne Füße: auf den Exportboom. Hinzu
kommt eine erdrückende Belastung durch die Energiepreise.
Drittens. Die rot-grüne Bilanz in Bezug auf den Arbeitsmarkt und die Beschäftigung ist blamabel.
({2})
Statt den Arbeitsmarkt zu modernisieren, wollen Sie
ihn betonieren.
({3})
Dies machen aktuelle Gesetzentwürfe, die bei Ihnen auf
der Tagesordnung stehen, deutlich: Rechtsanspruch auf
Teilzeitarbeit, Einschränkungen bei befristeten Arbeitsverhältnissen und die Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung. Das sind neue Fesseln für mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslose.
({4})
Viertens. Vieles ist in unserem Land zurzeit nicht mehr
in Ordnung. Darauf weist nicht nur der Abgang von fünf
Ministern in den ersten zwei Jahren Ihrer Regierung hin.
Nummer sechs und Nummer sieben stehen gewissermaßen schon an der Tür.
({5})
- Ich denke, Ihre Fantasie reicht aus, um sich vorstellen
zu können, wer das sein könnte. Die Diskussion um ein
aktuelles Thema macht das deutlich. - Vieles ist also nicht
mehr in Ordnung. Das gilt besonders für die Finanz- und
Haushaltspolitik. Man muss endlich mit dem Argument
aufräumen, dass unter Hans Eichel gespart wird.
({6})
Der Eindruck, Herr Finanzminister, Sie seien ein Sparkommissar, ist falsch. Kein Finanzminister hat je mehr
Einnahmen erzielt. Keiner hatte je größere Taschen. Kein
Finanzminister - das Jahr 1923 vielleicht einmal ausgenommen - hat je in Deutschland mehr Steuereinnahmen
und mehr Privatisierungserlöse erzielt.
({7})
Bürger und Betriebe wurden noch nie stärker angezapft,
als das derzeit der Fall ist.
(Beifall bei der CDU/CSU
Ein Vergleich der fünf Jahre vor 1998, in denen die Gesamtausgaben sanken, mit den fünf Jahren zwischen 1998
und 2003 zeigt: Es kommt im Jahresvergleich nicht nur zu
Mehrausgaben in Höhe von 38 Milliarden DM, sondern
Sie machen auch 230 Milliarden DM neue Schulden.
Wenn nicht der Glücksfall der UMTS-Lizenzen hinzugekommen wäre, für den Sie, wie wir alle wissen, nichts
können - denn Sie haben damals gegen die Postprivatisierung gestimmt -, sähe dies noch viel dramatischer aus.
Die Abgabenquote steigt; die Staatsquote verharrt auf hohem Niveau. Angesichts Ihrer Steuerpolitik in Trippelschritten wird die Steuerbelastung im Jahre 2004 höher
sein als im Jahre 1998.
Lassen Sie mich zu diesen vier Feststellungen genauere Ausführungen machen: Die Wachstumsaussichten für das kommende Jahr trüben sich ein. Darauf haben
die Sachverständigen hingewiesen; dies sagt die OECD.
Ich verkenne nicht, dass Sie mit der Steuerreform - viel
zu spät - richtige Schritte eingeleitet haben. Aber Sie haben Besseres verhindert. Das, was Sie getan haben, ist
nicht ausreichend wachstums- und beschäftigungsfördernd, zumal das Ganze durch eine falsche Energiepolitik
und eine ungeheure Belastung durch die hochgeschnellten Energiepreise überlagert wird.
({8})
- Das hat nichts mit Sauertopf zu tun, Frau Kollegin. Das
ist eine realistische Beschreibung der Situation.
({9})
Sie sollten sich einmal Folgendes vor Augen führen:
Für das nächste Jahr wurde eine Erhöhung der Gaspreise
um 20 Prozent angekündigt. Beim Öl waren es 100 Prozent. Kollege Metzger hat noch vor zwei Monaten gesagt,
er wette, dass die Benzinpreise am 1. Januar 2001 niedriger sein würden als zum damaligen Zeitpunkt. Das Gegenteil ist der Fall: 60 Pfennig mehr bei Sprit und Strom
und, und, und. Das alles zusammen bedeutet aufs Jahr
hochgerechnet eine zusätzliche Belastung der GesamtVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
wirtschaft, von Bürgern und Betrieben, von 65 Milliarden DM. Setzen Sie das in Relation zur Steuerentlastung,
dann stellen Sie fest: Das ist eine Rekordbelastung für
Bürger und Betriebe.
Dies hat natürlich Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, auch wenn Sie mehr denn je für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgeben. In den letzten Haushaltsberatungen
war die Frage „Wer hat mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben?“ ein Streitpunkt. Wenn man allein die Titel des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit für Eingliederungsmaßnahmen betrachtet, also für ABM, F und U und
dergleichen, kommt man in diesem und im kommenden
Jahr auf einen Betrag von 27,8 Milliarden DM. Im Jahr
1998 waren es 25,7 Milliarden DM. Man sollte doch annehmen, wenn die Zahl der Arbeitslosen zurückgeht,
könnte man in diesem Bereich mehr tun. Sie weisen die
Mittel aus.
Was bei Schröder „Chefsache“ bedeutet, kann man an
der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in den neuen
Bundesländern ablesen. Sie steigen; denn die weitere direkte Förderung der neuen Bundesländer soll über den
Haushalt 2001 gekürzt werden.
Sie ergreifen neue Maßnahmen, die den Arbeitsmarkt
beschränken; dies halten wir für falsch. Wenn Sie tatsächlich eine positive Bilanz bei der Arbeitslosenquote aufweisen, ist dies im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen. Das eine ist die Tatsache, dass wir einen
demographischen Effekt haben, dass weniger Jüngere in
den Arbeitsmarkt kommen und mehr Ältere ausscheiden.
Das andere ist die Tatsache, dass Sie - ich nehme mal an,
das war der ganze Grund für die Neuregelung der Minijobs - nun die Minijobs als Vollerwerbsbeschäftigungen
ausweisen, was allein ein Plus von 0,4 Prozent oder
144 000 Arbeitslose weniger bei der Arbeitsmarktstatistik
bedeutet.
({10})
Das ist ein unanständiger Trick, um die Bilanz zu fälschen.
({11})
Meine Damen und Herren, mit großem finanziellen
Aufwand haben Sie, Herr Eichel, versucht, sich als erfolgreicher Sparkommissar darzustellen. Mit zweistelligem
Millionenaufwand ganzseitige Anzeigen, nur der Kopf
des Finanzministers - das kannte man früher bei den Genossen im sozialistischen Personenkult. Null Aussage,
nur das Gesicht war dort abgebildet.
({12})
- Nicht in dieser Form. Es kann ja jeder Werbung machen,
aber man darf nicht in den Steuertopf greifen, um Wahlpropaganda für die eigene Person zu machen.
({13})
Ich glaube, wenn man sich ein paar Details anguckt,
wird deutlich, dass in Deutschland in der Tat nicht gespart
wird. Nehmen wir nur einmal die Luxussanierung des alten Kanzleramtes in Bonn für die Entwicklungshelfer!
44 Millionen DM zusätzlich, damit sich die Ministerin
dort etwas wohler fühlt. Was könnte man mit diesem Geld
in der Entwicklungshilfe tun!
({14})
Ein anderes Thema ist die wachsende Zahl von Spitzenämtern für Genossen. Immer neue Behörden, immer
neue Gesellschaften werden gegründet, um abgehalfterte
Genossen mit einem gut bezahlten Job zu bedienen.
({15})
Herr Eichel, ich könnte es nicht an einer Hand aufzählen,
wie viele Parteifreunde Sie in letzter Zeit zu einem neuen
Amt in einer neuen Behörde oder in einer neuen Gesellschaft gebracht haben. Und dann noch die verfassungswidrige Öffentlichkeitsarbeit!
Für das Jahr 2001 wird die Ausgabenausweitung mit
ein paar Tricks kaschiert.
({16})
- Ganz genau, Frau Kollegin. - Tatsächlich steigen die
Ausgaben im nächsten Jahr. Über ein paar Tricks versucht
man, das zu kaschieren.
({17})
Da gibt es Zuflussvermerke beim Verteidigungsetat
und beim Entwicklungshilfeetat, was bedeutet: Die Mehrausgaben erscheinen nicht sofort, sondern erst in der Bilanz am Ende des Jahres. Bestimmte Ausgaben, beispielsweise für die EXPO - Welchen Anteil übernimmt denn
nun der Bund? -, führt man gar nicht erst im Haushalt auf.
Schätzansätze werden mit Absicht, aber gegen die Realität, herabgesetzt. Die Ausgaben für die Arbeitslosenhilfe
werden zu niedrig angesetzt - 4 Milliarden DM sind zu
wenig, weil die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt.
Wenn man sich die Beratungen am letzten Beratungstag vor Auge führt, ist das Ganze einfach nur noch als
unseriös zu kennzeichnen. Innerhalb von wenigen Stunden wurden die Ausgaben und Einnahmen um 29 Milliarden DM verändert. Man kann doch nicht sagen, dass dem
eine sinnvolle Beratung vorausgegangen ist. Es gab Papiere aus dem Finanzministerium, aber in dieser kurzen
Zeit war eine Beratung nicht möglich. In diesen wenigen
Stunden wurden auch die Verpflichtungsermächtigungen,
die man für in der Zukunft vorgesehene Projekte eingeplant hatte, auf 78 Milliarden DM aufgestockt. Die Steuern wurden niedriger angesetzt als in der letzten Steuerschätzung.
Bei dem vorgelegten Haushalt stimmt doch alles hinten und vorne nicht, und das nur, um die Ausgabensituation im Jahre 2001 künstlich unter der des Jahres 2000 zu
halten.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich im Laufe
der Beratungen einer Reihe von Forderungen der Union
angeschlossen. Zum Teil wurden unsere Anträge einfach
abgeschrieben und vier Wochen später als eigene vorgelegt.
({18})
Sie haben sich der Forderung angeschlossen, mehr für die
Investitionen zu tun. Das haben Sie fast wörtlich abgekupfert.
({19})
Das ist doch wie in der Schule, aber wenn der Lehrer es
dort entdeckt, gibt es dafür eine Sechs und die Arbeit wird
als ungültig gewertet.
({20})
Damit haben Sie die falsche Haushaltspolitik ein bisschen korrigiert. Nur wegen des Zufallsprodukts der Erlöse
aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen war das möglich und die Entscheidung zu deren Versteigerung fiel zu
unserer Regierungszeit. Doch die Stärkung der Investitionen reicht bei weitem nicht aus. Die Investitionsquote im
kommenden Jahr ist immer noch niedriger als im Jahre
1998, also im Jahr des letzten Waigel-Etats. Selbst unter
Einrechnung der Mehrausgaben für Straßenbau und
Schiene liegen Sie darunter.
Betrachten Sie die beiden Haushalte Wirtschaft und
Technologie plus Forschung auf der einen Seite und Bauund Wohnungswesen auf der anderen Seite. Sie werden
feststellen, dass bei beiden die Ausgaben im kommenden
Jahr niedriger sind als zu unserer Regierungszeit. Sie geben also weniger für Investitionen aus, als wir das bei einem niedrigeren Haushaltsniveau gemacht haben. Sie geben weniger für Investitionen und damit weniger für die
Zukunft aus.
Nehmen wir ein Beispiel, das noch aus der Debatte um
das Thema BAföG aktuell ist. Die BAföG-Reform ist auf
den Weg gebracht, für das BAföG wird im Jahre 2001
deutlich weniger Geld ausgegeben als 1998 und 1997.
Das nennen Sie Reform.
Der Anspruch von Rot-Grün hat gelautet: Wir wollen
Schulden abbauen. Wir haben Ihnen vorgehalten - ich tue
das heute noch einmal -, dass der Bund von 1999 bis 2004
insgesamt sage und schreibe über 230 Milliarden DM
neue Schulden macht. Die Steuerzahler sind zur Melkkuh
von Herrn Eichel geworden. Die Steuerzahler sind Opfer
von Dr. Eichels Schröpfkur,
({21})
wobei das Steuerrecht durch die Entscheidung des letzten
Jahres mittelstandsfeindlicher und komplizierter geworden ist.
({22})
- Ich verstehe ja, dass Sie das beunruhigt,
({23})
aber die Tatsache kann doch jeder Bürger in seinem Portemonnaie und jedes Unternehmen an seiner Investitionskraft feststellen. Daran, dass die Steuereinnahmen des
Bundes bei uns um fast 15 Milliarden DM gesunken sind
und bei Ihnen um 82 Milliarden DM steigen, wird doch
ganz deutlich, dass sich die Steuerreform zwar auf dem
Papier, aber nicht in den Taschen bemerkbar macht. Es
geht um sage und schreibe 82 Milliarden DM. Die angeblich größte Steuerreform der Geschichte ist nichts als das
Feigenblatt einer planvoll und mit großem Aufwand vernebelten Steuererhöhungspolitik,
({24})
die den Normalverdiener und die so genannte Neue Mitte
gnadenlos schröpft.
({25})
Unter dieser Regierung haben die Menschen immer weniger Geld in der Tasche und der DGB beklagt, dass die
Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird.
({26})
Die nächste Stufe der Ökosteuer ab 2001 ist vorprogrammiert. Machen wir uns das noch einmal klar: Zurzeit
haben die Belastungen durch Steuern und Abgaben ein
dramatisches Maß angenommen und Sie beabsichtigen,
durch die Ökosteuer ab dem 1. Januar im Rahmen der
nächsten Stufe weitere 7 bis 8 Milliarden DM zusätzlich
einzunehmen. Das verstehen wir nicht unter den notwendigen Schritten für eine bessere Förderung des wirtschaftlichen Wachstums in Deutschland.
Insgesamt ist auch die Abgabenquote gestiegen. Nach
den offiziellen Zahlen des Sachverständigenrates lag sie
1998 bei 42,3 Prozent, im kommenden Jahr wird sie bei
43,1 Prozent liegen. Betrachtet man das ganz in Ruhe,
stellt man fest, dass es natürlich unsozial ist, dass Sie Verschiebungen zulasten der Krankenkassen und der Solidarsysteme, zulasten von Bund und Ländern und zulasten
der Rentenversicherung vornehmen. Das gilt auch für die
vorgesehene Entfernungspauschale, die von anderen öffentlichen Kassen mitfinanziert werden soll.
Im Übrigen werden auch Zahlungsverpflichtungen, die
mit den Händen zu greifen sind, verschoben. Erinnern wir
uns doch, was Sie uns bezüglich der Kohlebelastungen
vorgehalten haben, als wir einen Teil von dem gemacht
haben, was Sie jetzt machen. Sie verschieben Belastungen, die gesetzlich festgelegt sind, in die nächsten Jahre.
Hierbei handelt es sich um 1,5 Milliarden DM. Auch damit täuschen Sie über das tatsächliche Volumen des Haushalts hinweg. Das hat mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit nichts mehr zu tun.
Lassen Sie mich etwas zu dem Thema Privatisierung
sagen. Dies ist ein Thema, das wir über viele Jahre kennen, weil immer gesagt wird, wir hätten in unserer damaligen Regierungszeit das Tafelsilber verscherbelt.
Zunächst muss man erstaunt sein, wie viel Tafelsilber
noch da ist. Wir haben es doch angeblich verscherbelt.
Wenn ich mir allerdings ansehe, wie hier Privatisierung
mit der Brechstange betrieben wird, dann ist „Verscherbeln von Tafelsilber“ noch ein harmloser Ausdruck. Einerseits wird alles, was nicht niet- und nagelfest ist, ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Erlöses verkauft,
während andererseits Darlehensforderungen gegen die
Bahn mit einem kräftigen Abschlag an die Bahn selbst
verkauft werden. Gleichzeitig fordert der Bund von der
Bahn noch 500 Millionen DM für die Ökosteuer - das
muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen -,
obwohl doch die Menschen auf dieses Verkehrsmittel umsteigen sollen.
({27})
Bei der Ausgleichsbank wird der tüchtige Vorstand, der
der Quasi-Fusion mit der KfW widersprochen hat, hinausgeekelt. Hinter dem eiligen Verkauf der Bundesdruckerei stehen viele Fragezeichen. Der Leiter der Postregulierungsbehörde muss gehen.
Wenn man sich diese Fakten vor Augen führt und feststellt, dass zum Schluss schnell noch einmal, um Reserven für den Haushalt 2002, das heißt: für das Wahljahr, zu
haben, die Privatisierungserlöse niedriger angesetzt werden als im Entwurf, dann zeigt dies, welche Taktik Sie
verfolgen. Nein, das alles trägt den Stempel „unseriös“.
Dies ist nicht zuletzt durch das Verfahren in den letzten
Tagen deutlich geworden.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat sich bei
den Haushaltsberatungen von einer klaren Generallinie
leiten lassen. Sie heißt: Investitionen steigern, Forschung
und Technologie fördern, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken, die Bundeswehr modernisieren.
Diese vier Punkte können Sie in sämtlichen Anträgen, die
wir vorgelegt haben, nachlesen. Diese Generallinie hat
dann auch zu einzelnen Anträgen geführt, die ich kurz erläutern möchte.
Wir haben vorgeschlagen und beantragt, den Ansatz für
den Bundesfernstraßenbau um 2 Milliarden DM zu erhöhen; zurzeit gibt es keinen aktiven Bundesverkehrswegeplan, weil Sie ihn ausgesetzt haben. Wir wollen ebenfalls um 2 Milliarden DM höhere Investitionen für die
Schiene. Ich sagte es schon, hier haben Sie abgekupfert.
Wir wollen die Erhöhung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in den neuen Bundesländern um 300 Millionen DM. Hier haben Sie die Mittel zulasten der
Situation in den neuen Bundesländern gekürzt.
Wir wollen mehr für den Hochschulbau tun. Wir wollen eine Verstärkung der Forschungs- und Bildungsausgaben nicht von 600 Millionen DM, sondern von 1 Milliarde DM.
Wir wollen Verbesserungen für die Landwirtschaft, für
den Unterglasgartenbau. Wir stellen jetzt - Stichwort
BSE - einen neuen Antrag auf zusätzliche Mittel für ein
Sofortprogramm für Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher und zur Umstrukturierung der Landwirtschaft.
Wir wollen mehr Mittel für die Bundeswehr, denn es
macht keinen Sinn, eine Reform anzustreben und gleichzeitig die Bundeswehr nicht mit dem nötigen Geld auszustatten.
({28})
Wir wollen mehr Geld für die Stadtsanierung und die
Wohnumfeldverbesserung in West und Ost. Wir wollen
die Abschaffung der überflüssigen Ökosteuer, und wir
wollen die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
Dass Letzteres möglich ist, hat der Verwaltungsrat der
Bundesanstalt für Arbeit durch einen Brief deutlich gemacht. Sowohl die Vertreter der Gewerkschaften als auch
die der Arbeitgeber haben gesagt: Wenn Sie nicht Lasten,
die bisher im Bundeshaushalt enthalten waren - Jugendarbeitslosenprogramm, Lohnkostenzuschüsse für Langzeitarbeitslose, Strukturanpassungsmaßnahmen Ost -, der
Bundesanstalt und damit dem Beitragszahler aufs Auge
gedrückt hätten, dann wäre ein Spielraum für die Senkung
der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vorhanden.
({29})
Wir halten das für unbedingt erforderlich, damit wenigstens im nächsten, im dritten, also im vorletzten Jahr Ihrer
Regierung etwas von der Senkung von Abgaben, die Sie
angekündigt haben, zu erkennen ist.
Insgesamt hätten unsere Anträge im Haushaltsausschuss
dazu geführt, dass die Nettokreditaufnahme auf knapp unter 40 Milliarden DM hätte gesenkt werden können, mithin
also eine deutlich stärkere Senkung der Neuverschuldung
als bei Rot-Grün. Wir fordern Sie auf, unserem Antrag zuzustimmen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu
senken.
Meine Damen und Herren, inzwischen ist eine Fülle
von Wirtschaftsinstituten, aber auch die Presse offensichtlich etwas mehr davon überzeugt, dass vieles von
dem, was Sie in letzter Zeit gemacht haben, nicht geeignet ist, die Stärkung des Wirtschaftsstandortes zu fördern.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das nicht
den Ruf hat, der Union besonders nahe zu stehen, hat dies
deutlich so umschrieben:
Einerseits vermindert der Bund - offensichtlich in
dem Bestreben, die staatlichen Ausgaben zu senken die Mitfinanzierung von Aufgaben wie die Arbeitsförderung, die gesamtgesellschaftlicher Natur sind.
Eigentlich gehen so von der Gesellschaft zu tragende
Ausgaben nur zulasten der Versichertengemeinschaft.
Es folgert:
Würde der Bund also seiner Mitfinanzierungspflicht
für gesellschaftlich zu tragende Aufgaben stärker
nachkommen, entstünden zusätzliche Spielräume für
Beitragssenkungen.
Wo das DIW Recht hat, hat es Recht. Dies wollen wir unterstreichen.
Mit der von uns beantragten Umschichtung, die auch
für mehr Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit sorgt,
ergeben sich aufgrund der Anträge der CDU/CSU sowie
den von uns mitgetragenen Kürzungen per Saldo Minderausgaben von 300 Millionen DM, Investitionssteigerungen um 5 Milliarden DM und die Investitionsquote würde
das Niveau des Jahres 1998, des letzten Jahres unserer
Regierungszeit, erreichen. Wir wollen weniger Steuern,
weniger Abgaben, mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze.
({30})
Rot-Grün bewirkt mit seiner Politik genau das Gegenteil.
Wir werden in dieser Woche unsere Anträge wiederholen.
Sofern ihnen nicht im Rahmen der zweiten Lesung gefolgt wird, werden wir dem Haushalt insgesamt nicht
zustimmen können.
Lassen Sie mich mit einem Dank an den Vorsitzenden
des Haushaltsausschusses, die Obleute und die bei der
Vorberatung Anwesenden schließen. Das, was wir beschrieben haben, hat oft zu sachlichen Unterschieden geführt. Ich habe sie deutlich gemacht, für manchen von Ihnen vielleicht zu deutlich; aber es war notwendig.
Gleichwohl hat es über die Parteigrenzen hinweg im Rahmen der Rolle, die wir zu spielen haben, erträgliche Beratungen gegeben. Ich würde mich freuen, wenn dies dazu
führen könnte, dass Sie einer Reihe von unseren Anträgen
zustimmen,
({31})
damit sich die Situation in Deutschland im nächsten Jahr
verbessert und sich die Wirtschaftslage nicht weiter eintrübt.
Herzlichen Dank.
({32})
Als
nächster Redner hat der Kollege Hans Georg Wagner von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Während der Rede des
Kollegen Austermann dachte ich: Das kann doch nicht
der Austermann sein, so redet bestenfalls der Weihnachtsmann. Das passt auch zur Jahreszeit. Dem Weihnachtsmann kann man unterstellen, dass er vom Haushalt keine
Ahnung hat, aber von Ihnen kann man erwarten, dass Sie
zumindest die Kapitel des Bundeshaushaltes kennen.
Deshalb bin ich über Ihren Diskussionsbeitrag etwas verblüfft.
Aber er hat bei mir nur geringe Verblüffung ausgelöst;
denn ich hatte meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebeten, einmal zusammenzustellen, was der Herr
Austermann sagen könnte. Sie haben genau die angeführten Punkte genannt. Insofern waren wir bestens präpariert. Deshalb will ich auf Ihre Rede nicht näher eingehen.
Bei Ihrer Eingangsrede stimmte nur der erste Satz, dass
wir heute die zweite Lesung des Bundeshaushaltes haben.
Das ist richtig. Das möchte ich ausdrücklich bestätigen.
({0})
Alles andere ist falsch. Wenn Sie sich die Zeitung von
heute anschauen, Herr Kollege Austermann, dann werden
Sie unschwer feststellen, dass sich die Industrieinvestitionen in Deutschland seit 1992 erstmals auf über
100 Milliarden DM belaufen. Das Statistische Bundesamt
hat festgestellt, dass die größten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes und der Bergbau rund 102 Milliarden DM investiert haben.
Jetzt noch ein Wort zur Zukunft des Steinkohlebergbaus. Wir haben eine einvernehmliche Lösung zwischen
dem Unternehmen RAG, der Bergbaugewerkschaft, der
Landesregierung in Nordrhein-Westfalen und der Koalition gefunden. Sie wird die Zukunft des Bergbaus sichern.
({1})
- Sie können lachen, so viel Sie wollen. Diese Lösung
wird bis zum Jahre 2005 das sicherstellen, was Sie, Herr
Rexrodt, als Vereinbarung im Jahre 1997 unterschrieben
haben. Diese Regierung hält ihre Versprechen. Sie hält sogar die Versprechen ein, die Sie, die alte Regierung, seinerzeit den Bergwerkern gegeben haben.
({2})
Auch die EU-Kommissarin de Palacio wird dieser
Regelung zustimmen, sodass wir auf der sicheren Seite
sind und die Wünsche des Bergbaus erfüllen können. Sie
wissen alle: 2003 wird über die Auszahlung entschieden.
Bis 2005 muss ausgezahlt werden.
Heute wird eine Umfrage der Deutschen Genossenschaftsbank veröffentlicht, die unter 2 500 mittelständischen Unternehmen durchgeführt wurde. Darin steht,
dass die Geschäftslage des deutschen Mittelstandes von
den Unternehmen selber als unverändert gut bezeichnet
wird. Dynamik herrsche in den Traditionsbranchen Elektro, Metall und Chemie. Beim Bau sei allerdings noch
eine flaue Gesamtlage festzustellen. Deshalb haben wir
bei den Bauinvestitionen etwas hinzugetan. Die Zinsersparnisse haben wir auch für die Bauinvestitionen eingesetzt, damit die Bauwirtschaft wieder besser über die
Runden kommt. Das alles ist doch bei Ihnen vernachlässigt worden.
({3})
Das Wichtigste ist: Die 2 500 Mittelständler sagen,
dass es auch in den nächsten zwei Monaten einen erheblichen Anstieg der Zahl der Beschäftigten geben wird. Das
heißt, es werden Arbeitsplätze geschaffen. Da greift doch
unser Programm. Sie haben sich nie so intensiv darum
gekümmert.
({4})
Unser Haushalt, so wie er von der Koalition verabschiedet worden ist, ist ein wichtiger Meilenstein zur
Konsolidierung der Bundesfinanzen. Unser Tenor „Sparen und Gestalten“ ist Wirklichkeit geworden - das kann
nachgelesen werden -, im Gegensatz zu früher, als hemmungslos Schulden gemacht worden sind, anstatt Maß zu
halten, und man gegenüber allen praktischen Vorschlägen
der damaligen Opposition, wie man Geld einsparen
könne, uneinsichtig war.
Die Koalition hat im Verfahren den Regierungsentwurf
zum Haushalt um 1,7 Milliarden DM auf nunmehr 477 Milliarden DM gekürzt. Das hat es bei Ihnen nie gegeben. Wir
kürzen permanent auch bei den eigenen Entwürfen, weil
wir der Meinung sind, dass immer noch eine Chance besteht, etwas herauszuholen. Wir holen auch etwas heraus,
wie diese Zahlen beweisen.
Herr Kollege, Sie haben eben die Investitionsquote
beklagt. Dazu muss ich Ihnen sagen: Die Investitionen
steigen durch die Beschlüsse der Koalition um 3,4 Milliarden DM auf 57,9 Milliarden DM.
({5})
Die Investitionsquote liegt damit bei 12,2 Prozent. Sie haben öffentlich behauptet, diese Investitionsquote sei sogar
niedriger als 1998. In der Tat hatten Sie 1998 eine Investitionsquote von 12,5 Prozent, also eine höhere als jetzt.
Wir wissen aber alle, dass die alte Regierung das Haushaltsrecht nicht so genau nahm. - Herr Kollege Austermann,
Sie waren ja im Haushaltsausschuss maßgeblich daran beteiligt. - Sie legte nicht nur verfassungswidrige Haushalte
vor, sondern manipulierten den Investitionsbegriff, um
den Verschuldungsrahmen nach Art. 115 des Grundgesetzes hoch zu halten. Investitionsausgaben wurden künstlich hochgerechnet, um dann am Ende - wie 1996 - 5,3 Milliarden DM unter dem Soll des Haushaltsplanes 1996 zu
liegen. Das heißt, es wurden Investitionen angesetzt, bei
denen Sie von vornherein wussten, dass sie niemals umgesetzt werden können. Das war nicht Haushaltswahrheit
und -klarheit, das war Haushaltsverlogenheit.
({6})
Im Jahr 1998 wurden 1,7 Milliarden DM für Strukturanpassungsmaßnahmen im Osten eingestellt, und zwar
für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die nun wirklich
keine Investitionen sind. Subtrahiert man diese 1,7 Milliarden DM von der Investitionssumme des Jahres 1998,
dann erhält man eine Investitionsquote von exakt 12,1 Prozent. Und diese liegt unter der Investitionsquote unseres
Haushaltes für das Jahr 2001.
Herr Kollege Austermann, Sie haben vorhin gesagt,
das Problem der Arbeitslosigkeit werde nicht verringert.
Schauen wir uns doch einmal die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit an. Ich darf die Zahlen noch einmal vergegenwärtigen: 1997 hatten wir 4 396 000 Arbeitslose, 1998
4 266 000 Arbeitslose, 1999 4 093 000 Arbeitslose, im
Oktober 2000 3 611 000 Arbeitslose. Bei der Prognose für
2001 gehen die Bundesregierung und die Institute wiederum von einem Rückgang von 400 000 Arbeitslosen
aus. Wie man da von einer Stagnation beim Arbeitsmarkt
sprechen kann, begreife ich überhaupt nicht. Die Arbeitslosigkeit geht ganz klar zurück. Sie wollen das nur nicht
zur Kenntnis nehmen.
({7})
Die Anträge, die Sie gestellt haben, sind alle nicht gegenfinanziert. Sie sprechen von einer Erhöhung des Bundeshaushaltes um 8,1 Milliarden DM. Aber das geht nur
durch Erhöhung der Nettokreditaufnahme; anders können
Sie das nicht finanzieren. Der Finanzierungsvorschlag,
den Sie gemacht haben, Gelder der Europäischen Union
als Einnahme zu veranschlagen, ist völlig unüblich und
widerspricht schlicht und ergreifend dem deutschen
Haushaltsrecht. Das hätten Sie aber wissen müssen, bevor
Sie den Antrag gestellt haben. Deshalb werden wir den
Antrag ablehnen.
Natürlich hätten wir gerne ein höheres Investitionsvolumen beschlossen. Wer denn nicht? Aber dann hätten wir
unser Sparziel verfehlt. Das ist mit uns nicht zu machen.
({8})
Noch eine Anmerkung zur Investitionsquote. Diese
Kennziffer ist zumindest verwirrend, wenn nicht problematisch. Ich beziehe mich dabei auf die Rede des Bundespräsidenten am Donnerstag der vergangenen Woche in
Bonn zum 50-jährigen Jubiläum des Bundesrechnungshofes. Kollege Kalb war meines Wissens anwesend.
({9})
- Natürlich, ich habe mich auch gefreut, Sie zu sehen. Der Bundespräsident hat die Frage gestellt, ob es richtig
sein kann, dass die Anschaffung eines Dienstwagens nach
unserem Haushaltsrecht eine Investition ist, wogegen Investitionen im Bildungs- und Forschungsbereich als konsumtive Ausgaben bezeichnet werden. Wenn jeder davon
spricht, wir müssten für die Zukunft unserer Kinder und
Enkelkinder etwas tun, so ist damit doch die Investition in
die Zukunft Deutschlands gemeint; solche Ausgaben werden aber nicht als Investitionen, sondern als konsumtive
Ausgaben gewertet. Über diese Sache müssen wir in Ruhe
reden.
({10})
Sicherlich sind auch Brücken, Straßen, Schienen und Gebäude Zukunftsinvestitionen, aber auch Mittel, die in die
Bildung und Ausbildung von Menschen fließen, müssen
in die Investitionsquote mit einbezogen werden. Auf diesem Feld bestehen zwischen Ihnen und uns keine Streitigkeiten; wir müssten gemeinsam diskutieren, wie wir zu
einem anderen Begriff kommen können.
Gerade im Bereich Bildung und Ausbildung haben
Sie in der Vergangenheit am schwersten gesündigt.
({11})
Von 1992 bis 1998 haben Sie die Mittel hierfür von
20,6 Milliarden DM auf 18,7 Milliarden DM gesenkt. In
Ihrer Regierungszeit wurden also die Ausgaben für Bildung massiv gesenkt und das BAföG verkümmerte. Die
Mittel in diesem Bereich belaufen sich im Haushalt 2001
wieder auf 20,6 Milliarden DM, also den Stand des Jahres
1992. So gewinnen wir die Zukunft. Beim BAföG sind
Sie völlig von der Rolle: Eben haben Sie beklagt, beim
BAföG sei wenig gemacht worden, obwohl doch im
nächsten Jahr 500 Millionen DM mehr bereitgestellt werden, damit auch die Arbeiterkinder Gelegenheit haben zu
studieren.
({12})
Es ist nicht mehr so wie bei Ihnen, dass nur Kinder von
Ärzten oder Professoren Ärzte und Professoren werden
konnten, während Arbeiterkinder nur Arbeiter werden
konnten. Die Zeit ist vorbei!
({13})
Wir sind angetreten, die Arbeit billiger zu machen, und
senken die Lohnnebenkosten. 1999 betrug der Beitragssatz zur Rentenversicherung 19,5 Prozent, 2000 beträgt er
19,3 Prozent. 2001 wird er bei 19,1 Prozent liegen, 2002
bei 18,8 Prozent und 2003 bei 18,6 Prozent. Jetzt klatschen Sie nicht, obwohl das für Sie Traumzahlen sein
müssten. Dies hätten Sie nie erreicht, wenn Sie Ihre Politik hätten fortsetzen können. Das Schöne ist, dass Sie abgewählt worden sind.
Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Herr
Jagoda, hat in den letzten Tagen erklärt, dass auf dem Ausbildungsmarkt zurzeit mehr Ausbildungsplätze verfügbar
als Bewerber vorhanden seien. Das ist gut so und unter anderem auch ein Ergebnis des Sonderprogramms, das wir
aufgelegt haben. Es hat sich als äußerst erfolgreich erwiesen, und wir werden es mit einer Größenordnung von
2 Milliarden DM fortsetzen. Man muss aber auf diesem
Gebiet etwas genauer hinsehen:
({14})
In Deutschland gibt es Regionen, in denen die Jugendarbeitslosigkeit hoch ist, und andere, in denen sie niedrig ist.
Man muss also versuchen, die Gelder dorthin zu bringen,
wo die Not am größten ist, wo die wenigsten Ausbildungsplätze angeboten werden. In diesen Regionen muss
man Jugendliche in Ausbildung bringen und ihnen damit
eine berufliche Chance geben. Das wird geschehen. Wir
sind dabei, dieses Ziel genauer zu formulieren, aber an
dem Ansatz in Höhe von 2 Milliarden DM ändert sich
nichts.
({15})
Sie haben damals gestänkert und gehetzt, aber wir haben mit diesem Programm einen großen Erfolg gehabt.
Alle sagen, dass die Koalition stolz darauf sein kann, dieses Ziel erreicht zu haben, und wir sind auch stolz darauf.
Die gesamte Arbeitsmarktpolitik wird auch im Jahre 2001
in einem Umfang von 44 Milliarden DM finanziert. Auch
das ist Kontinuität in unserer Arbeit. Auf uns, auf RotGrün, ist auch bei der Arbeitsmarktpolitik Verlass.
({16})
Ich will zwei große Problemfelder ansprechen - es erscheint mit notwendig, dies anzuführen - die Bundeswehr und die Bundesbahn. Zum Thema Bundeswehr sage
ich: Rudolf Scharping ist nicht zu beneiden,
({17})
aber er hat die volle Solidarität von Rot-Grün. Er ist nicht
zu beneiden, weil er die Bundeswehr in einem technologisch schlechten Zustand übernommen hat.
({18})
Ich will das an Beispielen klarmachen, damit Sie es begreifen: Vom Heer wurden Leo-II-Panzer in den Kosovo
transportiert, von denen die eine Hälfte dadurch einsatzfähig gemacht wurden, dass man die andere Hälfte ausgeschlachtet hat. Das ist die Wahrheit.
Man hat Mörser in den Kosovo transportiert, sie als
Drohkulisse aufgebaut, aber nicht die geringste Menge an
Munition gehabt, die hätte verschossen werden können.
Das war das Ergebnis Ihrer Politik.
({19})
Jetzt zur Marine. Wie sah es dort aus? Ich will Ihnen einen Punkt nennen. Es fand ein Marinemanöver der NATO
im Ägäischen Meer statt. Die NATO musste die Anforderungsstandards sehr tief setzen, damit die Bundesmarine
überhaupt teilnehmen konnte. Also auch dort alles tote
Hose. Das ist das Ergebnis Ihres Versagens, meine Damen
und Herren.
({20})
Jetzt zur Luftwaffe. In Deutschland gibt es Fliegerhorste, in denen junge Piloten ausgebildet werden sollen, in
denen aber für 30 auszubildende Piloten nur eine einzige
Maschine zur Verfügung steht,
({21})
weil alle anderen nicht einsatzfähig sind. Dann kommt
noch ein NATO-Offizier, der seine Flugstunden haben
muss und das Flugzeug noch vier Tage in der Woche belegt. Also sitzen 30 junge Menschen, hoch motiviert für
diesen Beruf, herum, spielen Mensch-ärgere-dich-nicht
oder Skat oder trinken. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Das müssen wir jetzt angehen.
({22})
Deshalb sage ich: Rudolf Scharping ist absolut nicht zu
beneiden, wenn er Ihr Chaos beseitigen muss.
Sie arbeiten auch mit der Unwahrheit, wie immer,
wenn Sie sagen, das Finanzvolumen reiche nicht aus. Ihr
Oberexperte ist ja heute nicht anwesend. Ich frage aber
alle, die sich als Experten bezeichnen, insbesondere die
Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU aus dem VerHans Georg Wagner
teidigungsausschuss: Haben Sie denn über Jahre und
Jahrzehnte wirklich nicht bemerkt, was mit der Bundeswehr los ist?
({23})
Dabei geht es nicht nur um die von Ihnen verursachte Unterbezahlung vieler Soldaten und später auch Soldatinnen.
Das werden wir - damit das auch klar ist - ändern, damit
die Motivation in der Bundeswehr wieder steigt.
({24})
Mit 46,8 Milliarden DM, die in den Beratungen von
uns noch um 60 Millionen DM erhöht wurden, und mit
den Erlösen, die das Verteidigungsministerium durch den
Verkauf von Liegenschaften und anderen Einrichtungen
erzielen kann, sowie durch eine Modernisierung der Verwaltung ist die Reform zu finanzieren. Dies werden wir,
wenn die Finanzierung steht und die Umstrukturierung
in Gang gesetzt ist, auch darstellen.
({25})
Wir haben in diesem Falle großes Zutrauen zu Rudolf
Scharping und wir werden ihn bei dieser Umstrukturierung auch unterstützen. Falls Sie etwas anderes erwarten,
machen Sie sich falsche Hoffnungen.
({26})
Das zweite problematische Thema ist die Deutsche
Bahn AG. Hierzu frage ich die Kolleginnen und Kollegen
der CDU/CSU aus dem Verkehrsausschuss: Haben Sie
wirklich über Jahre und Jahrzehnte - spätestens seit der
Privatisierung der Bundesbahn - nicht bemerkt, dass das
Schienennetz so marode ist, wie dies heute, im Jahr 2000,
festgestellt wird?
Herr Mehdorn hat mir, als ich ihn gemeinsam mit
Herrn Poß besuchte, eine Schraube gezeigt, mit der Schienen an Holzschwellen festgemacht sind und die er mit der
Hand herausgezogen hatte. Auf dieser Strecke fahren
ICE-Züge. Dieser marode Schienenweg ist das Ergebnis
Ihres Wegsehens. Das kann nur daran liegen, dass Sie
überhaupt nicht aufgepasst haben.
({27})
Wie desolat der Zustand ist, will ich jetzt nicht mit eigenen Zahlen belegen. Ich zitiere vielmehr aus dem Brief
der deutschen Bauindustrie vom 13. November. Sie haben
ihn wohl alle bekommen. Zumindest Herr Austermann hat
ihn auch bekommen. Darin steht Folgendes:
Die deutsche Bauindustrie begrüßt die Entscheidung
der Bundesregierung, der Deutschen Bahn AG in den
Jahren 2001 bis 2003 jährlich 2 Milliarden DM zusätzlich an Baukostenzuschüssen bzw. Darlehen für
Investitionen zur Verfügung zu stellen. Die Initiative
der Bundesregierung wird aber nur dann erfolgreich
sein, wenn diese zusätzlichen Mittel auch tatsächlich
in die Modernisierung des Schienennetzes in
Deutschland fließen.
Richtig! Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass dies
in den letzen Jahren nicht immer der Fall war. In den
Haushaltsjahren 1992 bis 1996 hat die Deutsche Bahn AG
Investitionsmittel in Höhe von 4,2 Milliarden DM nicht
abgerufen. Warum?
({28})
- Sie hatten doch die Kontrolle. Was haben Sie denn gemacht? Vor allem die neuen Bundesländer hatten unter der
Investitionsschwäche der DB AG zu leiden.
In den Haushaltsjahren 1996 bis 1998 hat der Bund für
den Bereich der ehemaligen Deutschen Reichsbahn
Investitionsmittel in Höhe von 11,1 Milliarden DM zur
Verfügung gestellt. Das war das Haushalts-Soll. Tatsächlich sind nur 6,6 Milliarden DM in das ostdeutsche Schienennetz geflossen. Das war das Haushalts-Ist. Das war
doch unter Ihrer Verantwortung, meine Damen und Herren! Sie müssen sich dieser Verantwortung endlich einmal
stellen.
Im Haushaltsjahr 1998 haben Sie sogar 960 Millionen DM aus allgemeinen Investitionsmitteln zur Abwendung des Fehlbedarfs beim Bundeseisenbahnvermögen,
also zur konsumtiven Verwendung, umgeschichtet.
({29})
Das war ein fataler Fehler. Anstatt mit diesen Mitteln das
Schienennetz zu sanieren und Investitionen zu tätigen, haben Sie mit den Mitteln konsumtive Ausgaben bestritten.
Das war falsch, meine Damen und Herren.
({30})
Sie behaupten, von Sparen könne keine Rede sein.
Wenn Sie so etwas behaupten, dann spricht die pure Unwissenheit aus Ihnen. In der Tat sind die Ausgaben von
1998 zu 1999 um 25,9 Milliarden DM auf 482,8 Milliarden DM gestiegen. Aber warum? Sie wissen es doch am
besten. Wir mussten die Ausgaben um rund 10 Milliarden DM erhöhen, um das zu etatisieren, was vorher gar
nicht oder zu niedrig etatisiert wurde. Ich verweise auf
den Arbeitsmarkt, auf die Sonderhilfen für Bremen und
das Saarland und auf die Gewährleistungen.
Wir haben für Haushaltsklarheit gesorgt. Zuschüsse zu
den Postunterstützungskassen wurden in den Haushalt
eingestellt. Außerdem haben wir den Bundeszuschuss zur
Rentenversicherung, der aus dem Ökosteueraufkommen
finanziert wird, erstmalig veranschlagt. Bereinigt man
den Haushalt um diese Faktoren, dann stieg der Haushalt
1999 nur um 1,7 Prozent. Der Zuwachs beträgt von 1999
bis 2003, in vier Jahren, nur 2,6 Prozent. Gleichzeitig
steigt das Bruttoinlandsprodukt um 16,5 Prozent. Was
will man denn noch mehr? Sie haben solche Erfolge, die
wir in der kurzen Zeit unserer Regierungstätigkeit schon
erreicht haben, nie erzielt.
({31})
Ein paar Sätze zur Entwicklungshilfepolitik, die Sie
vorhin kritisiert haben: Ich mache es mir einfach und verweise auf das, was Herr Wolfensohn, der Präsident der
Weltbank, in einem Gespräch mit mir und einigen Kolleginnen und Kollegen gestern in Berlin gesagt hat. Er lobte
ausdrücklich die deutsche Entwicklungshilfe und sagte,
sie sei im Gegensatz zu der anderer Industriestaaten wie
etwa USA und Japan vorbildlich. Das ist unsere Entwicklungspolitik, die Entwicklungspolitik von Rot-Grün!
({32})
Wir setzen Akzente und stellen die Mittel zur Verfügung,
die wir zur Unterstützung der dritten Welt zugesagt haben.
Wenn die Weltbank uns derart lobt, dann sollten wir froh
sein. Sie sollten sich mit freuen; denn die deutsche Regierung, die auch Ihre Regierung ist, hat diesen Erfolg erzielt.
Herr Austermann hat natürlich wieder behauptet: Die
rot-grüne Koalition schröpft die Bürger und die Unternehmen. Das ist Ihr Standardsatz, seitdem Sie in der Opposition sind. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass die
deutschen Steuerzahler durch die Steuerreform 2000 um
62,5 Milliarden DM bis 2005 entlastet werden.
({33})
Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002,
Maßnahmen zur Familienförderung und durch die anderen Reformmaßnahmen kommen Entlastungen in Höhe
von 30 Milliarden DM hinzu. Die Wirtschaft, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und der Sachverständigenrat haben das positiv gewürdigt. Viele Arbeitnehmer sollten sich im Januar ihren Lohnzettel einmal
genau anschauen. Dann werden sie sofort erkennen, dass
CDU/CSU und F.D.P. gezielt versuchen, sie hinters Licht
zu führen. Auf Dauer können Sie so keine Politik machen,
schon gar keine ehrliche.
Im Beratungsverfahren hat die CDU/CSU Anträge gestellt, die den Etatansatz um 8,1 Milliarden DM erhöht
hätten, und zwar ohne Gegenfinanzierungsvorschläge.
Die F.D.P. hat Anträge eingebracht, die eine Erhöhung um
4,6 Milliarden DM bedeutet hätten, ebenfalls ohne
Gegenfinanzierungsvorschläge. Die PDS-Anträge hätten
eine Erhöhung um rund 700 Millionen DM bedeutet. Damit waren Sie, meine Damen und Herren von der PDS,
noch sehr zurückhaltend. Allerdings wollten Sie diese
Summe durch Kürzungen im Verteidigungsetat gegenfinanzieren.
({34})
- Sie waren zwar die einzigen, die Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht haben - das ist wahr; das gestehe ich
Ihnen ausdrücklich zu -, aber diese waren vollkommen
unrealistisch. Sie wollten den Verteidigungshaushalt
schröpfen, um Ihre Vorschläge gegenzufinanzieren. Das
konnten wir nicht mitmachen.
Wir haben vernünftige Anträge der Opposition mitgetragen. Natürlich haben wir den Antrag der F.D.P. mitgetragen, die politischen Stiftungen, die Aufbauarbeit im
Osten und insbesondere auf dem Balkan leisten, zu unterstützen. Das war ja auch ein vernünftiger Antrag. Deshalb
wurde er von der SPD und von den Grünen unterstützt.
Wir haben auch den PDS-Antrag, in Not geratene Handwerker sowie kleinere und mittlere Unternehmen zu unterstützen, mitgetragen, weil er vernünftig war.
({35})
Ich habe mich geärgert - das muss ich ehrlich zugeben -,
dass wir selber nicht auf die Idee gekommen sind. Von der
CDU/CSU kam kein einziger vernünftiger Antrag. Deshalb konnten wir keinen Ihrer Anträge unterstützen. Das
ist Realität.
({36})
Ich möchte noch eine Minute bei dem Thema der mangelnden Zahlungsmoral der öffentlichen Hand und der
Privaten bleiben; denn das ist kein Thema, um das es zwischen Koalition und Opposition Auseinandersetzungen
gibt. Viele Unternehmen
({37})
- genau! - leiden unter der mangelnden Zahlungsmoral.
Wir haben ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht. Es greift noch nicht so, wie wir uns das vorgestellt
haben. Ich bin jedenfalls mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden. Der Versuch war es jedenfalls wert. Viele Betriebe, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben leben aufgrund der mangelnden
Zahlungsmoral in ständiger Ungewissheit hinsichtlich ihrer Zukunft. Herr Kollege Rauen - wir beide kommen sozusagen aus demselben Gewerbe -, Sie wissen ja: Man
muss die Gewährleistung mit Bankbürgschaften absichern. Man muss aufgrund der Vorfinanzierung Abschlagszahlungen hinnehmen. Wenn dann die Zahlungen
ausbleiben oder nur verzögert erfolgen, dann ist der Konkurs des Unternehmens vorprogrammiert. So einfach ist
das. Deshalb muss man an die öffentliche Hand und an die
Privaten appellieren, damit sie die Finanzierung endlich
so vornehmen, dass die Betriebe nicht über die Wupper
gehen. Wir sollten das gemeinsam angehen, damit dem
entgegengesteuert wird.
Ich fasse zusammen: Der Haushalt des Jahres 2001 ist
die Fortsetzung unseres strikten Konsolidierungsprozesses. Der Sparkurs wird uneingeschränkt fortgesetzt. Spätestens 2006 wollen wir keine Nettokreditaufnahme mehr
vornehmen und damit auch keine neuen Schulden machen. Ab 2007 wollen wir, mit dem Abbau des Schuldenberges, den Sie uns hinterlassen haben, beginnen. Das
dauert sehr lange, weil die Schulden sehr hoch sind. Wir
sind es unseren Kindern und Enkeln schuldig. Die Koalition ist gewillt, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Sie werden sich wundern, wie die nächsten Haushalte aussehen
werden. Wir werden diesen Kurs weiterführen, denn nur
er führt zum Erfolg. Dass Rot-Grün ein Erfolg wird, werden Sie sehen, wenn wir vor die Wähler treten und wenn
abgerechnet wird.
Schönen Dank.
({38})
Nun gebe
ich dem Kollegen Dr. Günter Rexrodt für die F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Im Haushalt 2001 fällt zweierlei auf:
Der Kurs des Schuldenabbaus stimmt. Die Staatsschuld
ist zu hoch, die Neuverschuldung muss zurückgeführt
werden und sie muss in absehbarer Zeit auf null gebracht
werden. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich
im Übrigen in Gleichklang mit anderen Industrienationen.
({0})
Ich zögere nicht, dies am Anfang als ein positives Ergebnis der Haushaltspolitik herauszustellen.
({1})
Der Kurs ist gut. Aber er macht aus dem Haushalt 2001
beileibe noch kein Highlight. Wenn man genau hinschaut,
ist dieser Haushalt eher Magerkost. Der Haushalt profitiert auf der Einnahmeseite von sprudelnden Steuern und
Privatisierungserlösen. Das gibt Freiraum für die rotgrüne Koalition. Sie hat diesen Freiraum in einem entscheidenden Punkt aber nicht richtig genutzt: Sie hat ihn
nicht genutzt, um die wirklichen, die strukturellen Probleme des Haushalts anzugehen. Die liegen auf der Ausgabeseite. Die Ausgabeseite des Haushaltes ist nicht konsolidiert.
({2})
Da gibt es keine Reserven. Das wird dem Bundesfinanzminister und der Koalition bei erstbester - oder anders:
bei erstschlechter - Gelegenheit zu schaffen machen.
Dazu genügen ein ungünstiger Verlauf der Konjunktur - die
Konjunktur, Herr Wagner, ist sehr fragil; das kann bereits
im nächsten Jahr so sein, was ich nicht hoffen will -,
weniger Steuereinnahmen oder auch höhere Ausgaben für
Europa. Dafür sind so lange keine Reserven vorhanden,
wie man die Ausgabeseite des Haushaltes nicht richtig angeht. Dies ist nicht geschehen.
Der Kurs des Schuldenabbaus ist ohne Alternative. Ich
füge hinzu: Er ist umso bemerkenswerter, als er durchaus
nicht in sozialdemokratischer Tradition steht. Ihre Regierungen in Bund und Ländern haben sich nicht unbedingt
durch finanzielle Disziplin ausgezeichnet, ganz im Gegenteil.
({3})
- Man lernt dazu. - Auch in der Amtszeit des Kollegen
Eichel in Hessen ist die Verschuldung dieses Bundeslandes um sage und schreibe 59 Prozent gestiegen.
({4})
Sozialdemokratische Oppositionspolitik war nicht immer
durch Ausgabendisziplin gekennzeichnet.
({5})
Ich erinnere mich sehr gut daran - es ist gerade zwei Jahre
her -, dass Sie Anträge von uns nur deshalb abgelehnt haben, weil Sie der Auffassung waren, dass an der jeweiligen Stelle von uns nicht genügend Geld in die Hand
genommen worden sei. Sie haben immer noch draufgesattelt. Von Disziplin konnte keine Rede sein.
({6})
Das eine Lager der Grünen spielt sich heute als Oberkonsolidierer auf. Gleichzeitig holt das andere Lager jeden vernünftigen Vorschlag, auch den von Ihnen, Herr
Schlauch,
({7})
dahin zurück, wo die Grünen herkommen, wo sie mit
ihrem Herzen und auch in der öffentlichen Wahrnehmung
eigentlich anzusiedeln sind. Das ist der wesentliche
Punkt.
Ich höre an dieser Stelle oft Protestgeschrei, zum Beispiel von Ihnen, Herr Wagner. Auch der Bundesfinanzminister tut sich hervor. Da wird immer gesagt: Ihr seid doch
diejenigen, die die Bundesschuld auf 1,5 Billionen DM
getrieben haben. - Das ist eine perfide Argumentation, die
ganz geschickt angelegt ist. Damit will man die Menschen
glauben machen, dass es gewissermaßen zum Wesen der
alten Koalition gehört habe, leichtfertig mit dem Geld der
Steuerzahler umzugehen, Schulden zu machen und Gefälligkeiten zu verteilen. Ich weise das mit Nachdruck
zurück.
({8})
In dieser perfiden Argumentation lassen Sie ein glückliches Ereignis, das unsere Entwicklung in den letzten
zehn Jahren geprägt hat, immer ganz bewusst und geschickt außen vor: die Wiedervereinigung. Sie kostet uns
bis zum heutigen Tage viel Geld. Ich sage gern: Wir müssen in die Wiedervereinigung noch immer viel Geld investieren, Geld, das sich amortisieren wird. Es ist perfide,
diese Entwicklung dazu zu benutzen, uns zu unterstellen,
wir seien die Schuldenmacher.
({9})
- Wenn Sie dies sagen, dann zeigen Sie, dass Sie keine
Ahnung haben. Sie wissen genau: Die Menschen nehmen
es Ihnen nicht ab.
({10})
Der Zuwachs der Bundesschuld entspricht in etwa
dem, was im gleichen Zeitraum, also in den letzten zehn
Jahren, in die neuen Länder geflossen ist. Die Zahlen
sind fast identisch. Das weiß jeder Mann und jede Frau in
diesem Lande. Sie betreiben eine perfide Politik, indem
Sie dieses Ereignis in Ihrer Argumentation weglassen.
({11})
Die günstige Entwicklung der Einnahmeseite hat zwei
Ursachen:
Als erste nenne ich: die verbesserte konjunkturelle Situation und die geringere Arbeitslosigkeit. Das führt zu
Mehreinnahmen im Jahr 2001 von 14 Milliarden DM.
Zweitens. Man muss die enormen Geldzuflüsse aufgrund der Privatisierungen hinzufügen. Wenn sich die
Konjunktur verbessert, dann rechnen sich die Regierungen das immer selbst zu. Das stimmt nur zu einem Teil.
Ich zögere aber nicht zu sagen: Auch wir haben das gemacht. Insoweit sei Ihnen der Bonus der guten Konjunktur gegönnt; zumal Sie eine Steuerreform verabschiedet
haben, die für den Mittelstand zwar ganz gravierende
Nachteile enthält und das Ziel der Steuervereinfachung
verfehlt, die aber insgesamt so ist, wie es von der Großindustrie gewünscht wurde, und die alles in allem - ich sage
das ausdrücklich: alles in allem - in die richtige Richtung
geht.
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit - es handelt sich
übrigens um einen sehr zögerlichen Rückgang - hat auch
etwas mit der Konjunktur zu tun. Vor allem ist er ein Ergebnis der demographischen Entwicklung.
({12})
Es geht um die Tatsache, dass aus dem Erwerbsleben altersbedingt mehr Arbeitnehmer ausscheiden als Berufsanfänger in das Berufsleben eintreten. Der Saldo ist also negativ. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit entlastet den
Haushalt 2001.
Ich möchte an dieser Stelle auf eine besondere, und
zwar hausgemachte, Gefahr hinweisen. Sie liegt in der
mangelnden Flexibilität unseres Arbeitsrechts. Mangelnde Flexibilität besteht im Arbeitszeitrecht, im Kündigungsrecht und im Tarifvertragsrecht. Ich erinnere zum
Beispiel an die unselige Bestimmung, dass Arbeitgeber
und Arbeitnehmer in den Betrieben nicht das individuell
regeln dürfen, was regelmäßig Bestandteil von Tarifverträgen ist. Mit anderen Worten: Was im Tarifvertrag steht,
kann individuell nicht mehr anders geregelt werden.
Wenn dies in der Bundesrepublik Deutschland so bleibt,
sehe ich enorme Gefahren für unsere konjunkturelle Entwicklung und auch für unsere Wettbewerbsfähigkeit im
internationalen Vergleich.
Nachdem wir mit der Steuerreform einigermaßen rübergekommen sind und sich auch bei der Rente etwas abzeichnet - beim Thema Gesundheit tun wir uns nach wie
vor schwer -, ist die Flexibilisierung des Arbeitsrechtes
der entscheidende Reformpunkt in der Bundesrepublik
Deutschland.
({13})
Die rot-grüne Koalition wagt sich an diesen Punkt nicht
heran. Wenn wir aber an ihn nicht herangehen, wird das
zum Nachteil der Arbeitsplätze sein. Das hat man irgendwie begriffen und deshalb wird nun ein Gesetzentwurf
über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse gemacht. Das ist eine Verschlimmbesserung des bestehenden Rechts. Es kann nicht angehen, dass der Arbeitgeber,
das Unternehmen schutzlos gemacht wird, während der
Arbeitnehmer nahezu um jeden Preis Teilzeitarbeit, die
wir ja alle wollen, begehren kann. Das führt zu mangelnder Flexibilität der Unternehmen; das führt dazu, dass
„teilzeitverdächtige“ Personengruppen, vor allem Frauen,
überhaupt nicht mehr eingestellt werden. Sie haben einen
schlimmen Gesetzentwurf gemacht, der der notwendigen
Flexibilisierung entgegenwirkt.
({14})
Was Sie sich in Ihrem Haushalt nicht zurechnen lassen
können, ist der Milliardensegen aus der Privatisierung
und dem Lizenzverkauf. Meine Damen und Herren,
diese Erlöse beruhen zum großen Teil auf Reformen, die
Sie leidenschaftlich bekämpft und manchmal auch über
Jahre verzögert haben. Welch ein Geschrei gab es hier im
Deutschen Bundestag und bei den Gewerkschaften
draußen, als es um die Privatisierung der „alten Tante“
Deutsche Bundespost ging! Was wäre denn, wenn nicht
die Zuflüsse aus dem Börsengang der Telekom oder aus
der Versteigerung der UMTS-Lizenzen kämen? Herr
Eichel, diese Zuflüsse haben Ihnen eine enorme Entlastung gebracht; das können Sie nicht in Abrede stellen. Ich
sage ja auch gar nicht, dass Sie das Geld falsch verwenden, indem Sie es in den Schuldenabbau stecken. Aber
diese Entlastung ist aus Reformen gekommen, die wir gemacht und die Sie leidenschaftlich bekämpft haben.
({15})
Das gilt auch für die Zuflüsse, die jetzt aus der gelben Post
und vielen anderen Privatisierungsvorhaben kommen
werden.
Meine Damen und Herren, dass Sie diese Mittel zum
Schuldenabbau verwenden, bringt Zinsersparnisse. Mit
diesen Zinsersparnissen können Sie in den Bereichen
Wissenschaft, Verkehr und Bildung etwas tun. Das ist
grundsätzlich okay, auch wenn wir - darüber werden wir
noch am Freitag sprechen - ein paar Akzente anders setzen wollen. Die richtigen Bereiche sind das jedenfalls
schon, gar keine Frage.
Nicht zuletzt - das muss ich nun auch ansprechen profitiert die Einnahmeseite von der unseligen Erhöhung
der Mineralölsteuer und der Gassteuer sowie von der Einführung der Stromsteuer. Sie fassen diese Steuererhöhungen und diese neue Steuer unter dem Begriff Ökosteuer
zusammen. Im Jahre 2001 werden Sie nach Realisierung
der dritten Stufe Einnahmen in Höhe von 22,3 Milliarden DM haben. Immer wieder muss gesagt werden - das
gehört in diese Debatte, weil es die Einnahmeseite des
Haushalts berührt -, dass diese Steuer nichts mit „Öko“ zu
tun hat, weil die Hauptverursacher, unter anderem die Industrie, von der Steuer ausgenommen worden sind. Das
ist zwar mit Blick auf die Arbeitsplätze richtig, mit Blick
auf die Begründung dieser Steuer aber lächerlich und absurd. Diese unselige Ökosteuer bezeichnet der Finanzminister sehr gern als durchlaufenden Posten, der gewissermaßen so, wie er hereinkommt, weiter an die Rentenkassen
geht. Jedes Kind, jeder Laie weiß, dass eine so geartete
Zurechnung von Einnahme- und Ausgabepositionen in
einem öffentlichen Haushalt gar nicht erfolgen darf. Deshalb bleibe ich dabei: Die Ökosteuer ist schlicht der Gegenposten dafür, dass Sie, Herr Eichel, auf der Ausgabenseite nicht zurechtkommen. Für den Verbraucher stellt das
Ganze ohnehin nur eine Abzockerei dar.
({16})
Sie haben auf der Ausgabeseite Ihre Schularbeiten
nicht gemacht. Den Leuten werden die paar Mark, die sie
im Zuge der ersten Stufe der Steuerreform mehr bekamen,
durch die Ökosteuer wieder abgenommen, mehr noch:
Selbst diejenigen, die nichts herausbekamen, die Rentner,
die Sozialhilfeempfänger, die Arbeitslosen und die
BAföG-Empfänger, werden kräftig zur Kasse gebeten.
Eine feine Politik ist das.
({17})
Hätten wir das so gemacht, dann hätten Sie auf die Tränendrüse gedrückt.
({18})
Alle Leute, die im sozialen Bereich arbeiten - das sind
viele in Deutschland -, wären auf die Straße gegangen
und hätten protestiert, wenn wir eine solch unselige Steuer
eingeführt hätten.
({19})
So richtig durchhalten können Sie Ihre Politik auch
nicht. Das merken Sie ja. Die Ölpreise sind gestiegen,
diese Erhöhungen gibt der Markt an den Verbraucher weiter. Das ist ja eigentlich von Ihnen gewünscht, denn nur so
lässt sich das Argument von der ökologischen Lenkungsfunktion dieser Steuer begründen. Die Preiserhöhungen
sind also eigentlich gewollt. Oder wollte man sie doch
nicht? Es ist jedenfalls eng für Sie geworden. So gibt es
nun für einen Teil der Betroffenen einen Heizkostenzuschuss und vielleicht wird auch noch eine Entfernungspauschale eingeführt.
Es ist der Fluch der bösen Tat, dass Böses sie gebären
muss. - Nun haben wir wütende Verbraucher, ungehaltene
Länder und wieder einmal zusätzlichen Aufwand und zusätzliche Bürokratie. Wenn die Leute aus den Weihnachtsferien nach Hause fahren und noch einmal sieben
Pfennig pro Liter mehr bezahlen müssen, weil die Ideologen das so gewollt haben, werden Ihnen die gar nicht
weihnachtlichen Verwünschungen in den Ohren klingen.
({20})
Erst recht werden die Leute, wenn sie nach der Heizperiode im Mai/Juni ihre Abrechnungen über Heiz- und
Stromkosten und was sonst noch alles bekommen, die
paar Mark, die sie im Zuge der ersten Stufe der Steuerreform bekommen haben, längst vergessen haben. Sie werden Ärger bekommen. Den haben Sie dann auch verdient.
({21})
Nun zur Ausgabeseite des Haushaltes: Dort liegt die
eigentliche Herausforderung - ich habe es schon gesagt.
Der Finanzminister sagt, es werde gespart. Das haben im
Übrigen alle Finanzminister gesagt. Bemerkenswert ist
doch eines: Während die Ausgaben des Bundes unter
Theo Waigel im Zeitraum von 1995 bis 1998 um rund
30 Milliarden DM gesenkt werden konnten, bleibt das
Ausgabevolumen in den Jahren 2000 und 2001 in etwa
konstant, um dann wieder kräftig anzusteigen. Der eigentliche Kraftakt, der Einstieg in die Konsolidierung,
wurde schon in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre unter
sehr viel schwierigeren Zeitumständen, weil wir sehr viel
näher am Zeitpunkt der Wiedervereinigung waren, vollzogen.
Nach Ihren Prognosen werden die Ausgaben im Bundeshaushalt im Jahre 2004 erstmals über einer halben Billion DM liegen. Der Finanzminister bagatellisiert das. Er
sagt, der Anstieg bei den Ausgaben bewege sich innerhalb
der Inflationsrate und deshalb sei das eigentlich gar kein
Anstieg. Ich sage Ihnen, Herr Eichel: Das ist eine falsche
Betrachtungsweise.
({22})
Ich will nicht Erbsen zählen, aber es kommt darauf an, bei
der Konsolidierung der Staatsfinanzen nicht einseitig auf
die Einnahmeseite zu setzen. Es muss auch die Ausgabeseite angegangen werden. Das haben Sie nicht getan.
Darin liegt das Manko dieses Haushalts.
({23})
Ein anderer Strukturfehler ist das verheerende Missverhältnis zwischen investiven und konsumtiven Ausgaben. Die konsumtiven Ausgaben wachsen ständig
weiter, eine Trendwende ist nicht in Sicht. Die Investitionsquote wird 2004 auf das historische Tief von 10,4 Prozent gesunken sein. Herr Kollege Wagner, ich weiß sehr
wohl, dass die Unterscheidung von investiven und konsumtiven Ausgaben schwierig ist. Darüber können wir
diskutieren. Aber auch wir sind auf der Basis der Abgrenzung und Zurechnung gemessen worden, wie sie im Moment vorgenommen wird, mit all den damit verbundenen
technischen oder administrativen Schwierigkeiten.
Die Leistungen des Bundes an die Rentenversicherung steigen überproportional. Im Jahre 2001 wird es eine
Steigerung von 127 Milliarden auf 137 Milliarden DM
geben. Eine Rentenreform ist längst überfällig. Ich muss
zugeben: Herr Riester hat in den letzten Monaten einiges
gelernt.
({24})
Es wäre uns allen aber viel Ärger erspart geblieben, wenn
die demographische Komponente, die wir eingeführt haben, nicht abgeschafft worden wäre, um sie jetzt wieder
einzuführen. Sie hätten auch gut daran getan, die Vorstellungen gerade meiner Partei zur Förderung der privaten
Vorsorge sehr viel früher zu übernehmen. Der Lernprozess hat uns allen viel Ärger und Ihnen - das ist auch berechtigt - sehr viel Verdruss eingebracht.
Ein Hauptübel der Sozialausgaben liegt darin, dass die
Bundesanstalt für Arbeit als Verschiebebahnhof für finanzpolitische Manöver genutzt wird. Riesige Ausgabevolumina, zum Beispiel für das Programm zum Abbau der
Jugendarbeitslosigkeit und für Strukturanpassungsmaßnahmen, werden jetzt aus dem Haushalt der Bundesanstalt
und nicht mehr aus dem Haushalt des Arbeitsministeriums bezahlt. Das hat tief greifende Konsequenzen. Die
Regierung begibt sich der Möglichkeit, die Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung angesichts geringerer Arbeitslosigkeit zu senken. Im Koalitionsvertrag noch konnte
man lesen: Senkung der Quote der Sozialbeiträge auf unter 40 Prozent. Eine Politik, die falsche Maßnahmen weiter finanziert und Ausgaben nur verschiebt, bringt unser
Land um die Möglichkeit, einen für die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wirtschaft wichtigen Reformschritt einzuleiten, nämlich der Senkung der Beiträge der
Arbeitslosenversicherung. Da gehen Sie nicht heran.
({25})
Mit Blick auf meine verbliebene Redezeit will ich das
Thema Verkehrspolitik nicht allgemein anschneiden. In
diesem Bereich ist eine Menge gemacht und auch finanziell zugelegt worden. Ich möchte aber zu dem Thema
Bahn, das mich umtreibt und zu dem das letzte Wort noch
nicht gesprochen ist, eine Bemerkung machen.
Ich sage Ihnen und dem ganzen Hause - auch wir waren in diesem Punkt nicht konsequent genug; das muss ich
meinen Freunden sagen -:
({26})
Ohne Trennung von Netz und Betrieb ist die Bahn ein
Fass ohne Boden.
({27})
Sie werden die Probleme nicht lösen, wenn Netz und Betrieb nicht getrennt werden. Es muss Geld ins Netz gesteckt werden - auch vom Bund. Aber diese finanzielle
Unterstützung muss berechenbar und überschaubar sein.
Wenn Sie Netz und Betrieb zusammenlassen, ist es ein
Fass ohne Boden. Die Bahn würde auf diese Weise nie
wettbewerbsfähig werden und die Menschen würden sich
weiterhin ärgern.
Es mag zwar nicht Ihren ethischen Grundvorstellungen
entsprechen, aber die Erfahrungen insbesondere des letzten Jahrzehnts haben uns gelehrt: Es geht nur mit Wettbewerb. Er muss endlich auch im Bereich der Schiene - wie
schon im Bereich der Telekommunikation - eingeführt
werden. Nur so bekommen wir die Probleme der Bahn in
den Griff. Diese große Reform steht in der Bundesrepublik Deutschland noch aus. Keiner von Ihnen spricht diesen Reformbedarf an, nur wir, die F.D.P, tun dies.
({28})
Wenn Sie am Ende diese Reform doch machen, dann sagen Sie aber nicht, Sie seien die großen Reformer gewesen. Wir waren es, die Sie in diese Richtung getrieben haben, zu der es keine Alternative gibt.
Der Präsident mahnt mich zu Recht, meine Rede zu beenden. Ich will Ihnen zum Schluss sagen, Herr Eichel: Der
Abbau der Schulden und damit die Konsolidierung sind in
Ordnung. Sie haben das Glück, dass die Konjunktur läuft
und dass es Privatisierungserlöse gibt. Aber die eigentliche, die schwierige Aufgabe eines Finanzministers, an die
Struktur der Ausgabenpolitik zu gehen, um Vorsorge für
eine Zeit zu treffen, in der die Einnahmen nicht mehr so
ergiebig sind, haben Sie nicht erfüllt. Wir werden Sie und
die rot-grüne Koalition daran messen, ob Sie dies schaffen.
Danke.
({29})
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege
Oswald Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte
meine Rede folgendermaßen durchkomponieren:
({0})
Im ersten Teil beschäftige ich mich mit dem, was die Kollegen Rexrodt und Austermann aufgeworfen haben. Im
zweiten Teil werde ich die globale finanzpolitische Konzeption dieser Regierung im Kontext vortragen. Damit
man sich nicht im Detail verliert, sondern sieht, in welche
Richtung die Finanzpolitik dieser Republik steuert, lege
ich im dritten Teil die Schwerpunkte dar, die wir Sozialdemokraten und Grüne in diesem Haushalt gesetzt haben.
Kollege Rexrodt und Kollege Austermann, wenn Sie
immer wieder, bereits im September bei der ersten Lesung, sagen, Sie hätten zwischen 1995 und 1998 die Ausgaben reduziert, und das dem gegenüberstellen, was wir
von 1998 bis 2002 machen, dann wollen Sie wohl dieses
Parlament und die interessierte Öffentlichkeit für dumm
verkaufen. Denn am 1. Januar 1996 wurde die Finanzierung des Kindergeldes umgestellt. Im Bundeshaushalt
1995 betrug das Ist-Ergebnis der Ausgaben für das Kindergeld 21,3 Milliarden DM. 1996 wurde diese Ausgabe
durch den Abzug bei der Lohnsteuer über die Arbeitgeber
in eine Einnahmeverkürzung umgewandelt. Allein durch
diese Bilanzkürzung ist Ihre rückläufige Ausgabeposition
zustande gekommen, aber nicht durch konkretes politisches Handeln. Sie machen dadurch den Menschen ein X
für ein U vor.
({1})
Außerdem, Kollege Roth und Kollege Austermann,
nenne ich als Beispiel die Postunterstützungskasse, die
früher, unter Waigel, im Bundeshaushalt etatisiert war.
Unter Ihrem Finanzminister waren die strukturellen Defizite so groß, dass Sie mit der Investitionsquote kaum die
Vorschriften des Art. 115 des Grundgesetzes erfüllen
konnten und in einem Jahr sogar einen verfassungswidrigen Haushalt im Vollzug hatten. Da würde ich mich als
Haushaltssprecher der Opposition schämen, hier so die
Backen aufzublasen. Das ist absolut unredlich.
({2})
Da könnte ich den heiligen Zorn bekommen als jemand,
der sich bemüht, die Fakten für sich sprechen zu lassen.
({3})
Außerdem, Kollege Rexrodt, waren doch gerade die
Liberalen ({4})
bis 1998 30 Jahre Regierungspartei, immer der kleine
Motor, der die großen Volksparteien angeschoben hat diejenigen, die, was alle Ökonomen in dieser Republik
wissen, in den 70er-Jahren, in denen es keine Wiedervereinigung gab, in Relation zur volkswirtschaftlichen Leistung mit ihrem damaligen Partner die größte Neuverschuldung generiert haben. Wieso stellen Sie sich dann
jetzt hin und sagen: Nach der Wiedervereinigung hatten
wir diesen Sondereffekt und mussten deshalb in die Verschuldung gehen?
({5})
- Wissen Sie, Kollege Rexrodt, mich ärgert, dass Sie jetzt
auf Parteitagen Programme gegen Verschuldung und für
eine Senkung der Lohnnebenkosten verabschieden, nachdem Sie als einzige von allen politischen Parteien in dieser Republik 30 Jahre lang das genaue Gegenteil gemacht
haben.
({6})
Allein zwischen 1990 und 1998 stiegen die Lohnnebenkosten um 6,5 Prozent. Das war eine Finanzierungslast der deutschen Einheit. Das Geld ging natürlich
auch in die Transfers in den Osten. Aber was, um Gottes
willen, hat das denn bewirkt? Schauen Sie sich doch den
ökonomischen Zusammenhang an: Arbeitsplätze wurden
vernichtet, in den 90er-Jahren gab es Reallohnverluste,
weil der Verteilungsspielraum bei den Lohnverhandlungen gegen null tendierte.
({7})
- Wenn man, Kollege Rexrodt, den Solidaritätszuschlag
bereits 1990 in der Wiedervereinigungseuphorie eingeführt hätte - und nicht, wie Sie erst später -, hätten die
Leute gespannt, dass ein solcher Kraftakt nur in einer solidarischen Kraftanstrengung der Gesellschaft zu leisten
ist.
({8})
Wenn Sie in Ihrer Rede so argumentieren, wie Sie es
getan haben, dann müssen Sie jetzt in Kauf nehmen, dass
ich etwas härter zurückschlage.
({9})
Mir geht es nämlich auf den Geist, dass Sie sich hier ständig hinstellen und sich auf die Schulter klopfen, obwohl
Sie eine absolut desaströse finanzpolitische Situation hinterlassen haben. Ich könnte den Sachverständigenrat der
Jahre 1996, 1997 und 1998 zitieren, der Ihnen vorgehalten hat, dass Sie zwar ständig von Konsolidierung reden,
sie aber faktisch nicht vorangebracht haben.
Wir haben als Koalition jetzt einen mühsamen Weg
beschritten. Ich erinnere daran, dass, als Hans Eichel vor
13, 14 Monaten das Zukunftsprogramm 2000 vorgelegt
hat, viele Leute - auch ich selber - skeptisch waren, dass
er dieses tatsächlich realisieren kann, ein 30-Milliarden-DM-Kürzungsprogramm, über Jahre angelegt, das
auch die mittelfristige Finanzplanung tangiert. Aber wir
standen zur Konsolidierung, sowohl die Sozialdemokraten - mein Respekt für eine große Volkspartei; angesichts von fünf Landtagswahlen standet ihr im letzten
Jahr dazu, obwohl ihr euch viel Kritik habt anhören müssen - als auch meine Partei.
({10})
Und wissen Sie was? Wir haben die fünf Wahlen verloren,
aber wir haben den Turnaround in der Finanzpolitik dieser Regierung eingeleitet und mit der Steuerreform, die im
nächsten Jahr greift, den Baustein für eine vernünftige Finanzpolitik gelegt, ohne dass wir wieder zum Verschuldungsstaat werden oder den Leuten Steuersenkungen
durch riesige Privatisierungen versprechen. Dass das
Ganze positiv kommuniziert wird, stellen Sie fest, wenn
Sie sich einmal die Reaktionen der breiteren Öffentlichkeit anschauen.
({11})
In einer Pressemitteilung des Deutschen Industrie- und
Handelstages vom 28. November 2000, die heute, zu Beginn der Haushaltsberatungen, veröffentlicht worden ist,
heißt es schlicht und einfach: „Respekt für den Konsolidierungskurs dieser Regierung“. Die Rückführung der
Nettoneuverschuldung nach Plan gehe in Ordnung. Besonders beachtlich sei die Rückführung deshalb, weil in
den nächsten Jahren mit der Steuerreform eine gewaltige
Einnahmenverschlechterung für die öffentlichen Haushalte einhergehe. Was der DIHT nur beklagt, ist die Tilgungsstreckung, die von den Ländern verlangt worden ist.
Das ist praktisch das einzige Haar in der Suppe, das der
Deutsche Industrie- und Handelstag laut der Pressemitteilung von heute zu dem im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beschlossenen Haushalt gefunden hat.
Ich finde, das ist ein Kompliment,
({12})
das zwar nicht von der falschen Seite kommt, aber immerhin aus einer Richtung, die Ihnen von der Opposition
normalerweise näher steht. Deshalb sollten Sie ein bisschen aufpassen, wenn Sie hier mit solchem Eifer auf
meine Darstellung Ihrer in der Vergangenheit gemachten
Versäumnisse reagieren.
Die globale Strategie unserer Koalition lautet - dies
sage ich mit den Worten meiner Fraktion -: Wir sind für
eine nachhaltige Finanzpolitik, eine Rückführung der
Staatsverschuldung und ausgeglichene Budgets, damit
die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft nicht
ständig immer mehr Steuern allein für Zinsen auf alte
Schulden zahlen müssen.
Liebe Leute, wir hatten im ursprünglichen Haushaltsentwurf der Regierung für das nächste Jahr Zinsausgaben
in Höhe von fast 82 Milliarden DM etatisiert. Das sind
17 Prozent aller Ausgaben des Bundes. Fast jede vierte
Mark aus den Steuereinnahmen hätte für Zinszahlungen
verwendet werden müssen. Wenn wir von dieser Last herunterkommen wollen, müssen wir langsam und stetig
dazu übergehen, dass mit den laufenden Einnahmen die
Ausgaben des Staates finanziert werden können. Auf diesem Weg sind wir.
Wir haben jetzt - auch das gehört zur Haushaltswahrheit - aus diesen von mir genannten 82 Milliarden DM
etwa 77 Milliarden DM gemacht,
({13})
die Zinsausgaben also um rund 5 Milliarden DM senken
können. Dies wurde natürlich durch die UMTS-Versteigerungserlöse ermöglicht. Herr Kollege Adolf Roth, als
Vorsitzender des Haushaltsausschusses und Obmann
während der CDU/CSU-Regierungszeit wissen Sie mehr
als andere hier im Bundestag, wie groß die Begehrlichkeiten innerhalb des Parlaments sind, wenn man sagt:
Diese unverhofften Einnahmen kann man auch in ein Investitionsprogramm stecken.
({14})
Auch von euch kamen Vorschläge, die Investitionen zu erhöhen. Ihr hättet die Erlöse aus der Versteigerung der
UMTS-Lizenzen doch gern dafür verwandt.
Nein, wir - dies gilt auch für den Haushaltsausschuss
des Deutschen Bundestages - blieben konsequent, haben
dem Finanzminister den Rücken gestärkt und haben damit
folgende seriöse Position durchsetzen können: Unverhoffte einmalige Privatisierungserlöse müssen für die
Tilgung genutzt werden, damit sich die Zinsausgabenstruktur des Bundes langfristig bessert, und zwar in dem
Sinne: Wir geben künftig weniger für Zinsen aus; das dadurch freiwerdende Geld wollen wir - das haben beide
Regierungsfraktionen beschlossen - für Investitionen in
Zukunft, für Forschung, Bildung und Verkehrsinfrastruktur einsetzen, um damit die von Ihnen im September
zu Recht beklagte rückläufige Investitionsquote aufzustocken.
Herr Kollege Austermann, mir klingt es noch in den
Ohren, wie Sie hier im September dieses Jahres anlässlich
der ersten Lesung gesagt haben:
({15})
Im letzten Jahr habt ihr von Rot-Grün im Haushaltsausschuss nur abgenickt, was von Eichel, von der Regierung,
kam. - Unter den besonderen Umständen des damaligen
Konsolidierungspaketes war das vertretbar. Denn wir
wollten an keiner Stellschraube den Sack öffnen, um nicht
von den Änderungswünschen aus den Koalitionsfraktionen insgesamt überfahren zu werden.
Dieses Jahr haben wir während des Haushaltsverfahrens den Haushaltsentwurf der Regierung massiv, das
heißt in ganz maßgeblichen Größenordnungen, geändert
und trotzdem die Eckpunkte der Regierungsvorlage eingehalten, ja sogar getoppt. Wir haben das Volumen der
Ausgaben auf 477 Milliarden DM reduziert. Es kommt
also zu einem leichten Minus der im nächsten Jahr geplanten Ausgaben im Vergleich zu den in diesem Jahr getätigten Ausgaben. Das nenne ich Sparen. Wir haben
ferner die Nettokreditaufnahme von 46,1 Milliarden DM
auf 43,7 Milliarden DM reduziert und wir haben die Investitionsquote von 11,4 auf 12,2 Prozent erhöht. Einen
solchen Dreiklang von Positivbotschaften nach einer Ausschussberatung von zweieinhalb Monaten präsentieren zu
können halte ich für eine grandiose Leistung der jetzigen
Koalition.
({16})
Wir versuchen, den Weg der Verstetigung für die Zukunft weiterzuentwickeln. Ich erinnere an folgende Tatsache - dies habe ich schon in meiner Eingangsreplik auf
Sie, Herr Rexrodt, angesprochen -: Die jetzige Koalition
konnte gleichzeitig sogar der von den Ländern gewünschten Tilgungsstreckung - unionsgeführte Länder
haben im Bundesrat die Mehrheit - für den Fonds „Deutsche Einheit“ nachkommen, die ja nichts anderes bedeutet, als dass ich - die Häuslebauer wissen das genau - länger Schulden abzahle und es unterm Strich teurer wird. Aber ihr wollt das.
({17})
- Das nennt man nicht sparen. Ihr habt die Mehrheit im
Bundesrat, Kollege Austermann. Von euch kommt das,
auch deshalb, weil eure Finanzminister in den Ländern
Probleme haben, ihre Haushalte auszugleichen, weil sie
die Schizophrenie besessen haben, das von Hans Eichel
im letzten Jahr vorgelegte Konsolidierungsprogramm in
Bezug auf die Beamtenbesoldung im Bundesrat abzulehnen, obwohl gerade die Länder mit ihren hohen Personalausgaben am meisten davon profitiert hätten, bei der
Beamtenbesoldung und -versorgung nur den Inflationsausgleich zu gewähren. Das finde ich besonders bemerkenswert.
Herr Kollege Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Aber bitte, gerne.
({0})
Lieber Oswald Metzger,
weil du so schnell sprichst, bist du natürlich schon von
dem Punkt weg, wo ich einhaken wollte, nämlich bei der
„soliden Haushaltspolitik“ der Koalition. Ich versuche es
trotzdem: Lieber Kollege Metzger, können Sie mir sagen,
ob es solide ist, wenn eine Vorlage der Koalition, in der es
um 8 Milliarden DM für ein Lufttransportflugzeug geht,
zunächst einkassiert wird und daraus dann mithilfe von
Rot-Grün - die Grünen haben ja auch zugestimmt - innerhalb einer Stunde plötzlich 10 Milliarden DM werden?
Ist das solide Finanzpolitik?
Mit Solidität und Geschwindigkeit im parlamentarischen
Verfahren haben wir alle Erfahrungen, das wissen Sie. Ich
habe es zwar nicht persönlich erlebt, aber ich weiß, dass
als Sie 1993 einmal in einer Nachtaktion, kurz vor Abschluss der Haushaltsberatungen - Kollege Koppelin, Sie
waren meines Wissens damals schon im Haushaltsausschuss - , eine globale Minderausgabe in Höhe von 5 Milliarden DM beschlossen hatten, von der die damalige Opposition von einer Minute auf die andere überrascht
wurde. Sie waren, was das betrifft, sogar noch einen Taktschlag schneller.
Entscheidend ist bei der Geschichte, die Sie ansprechen: Es geht um eine Verpflichtungsermächtigung für die
Beschaffung eines Transportflugzeuges für die Bundeswehr als Ersatz für die Transall. Die Verträge sollen im
ersten Quartal nächsten Jahres abgeschlossen werden.
Ohne Verpflichtungsermächtigung im Haushalt wären die
Verträge nicht möglich, dann bräuchten wir einen Nachtragshaushalt. Wir haben die formalrechtlichen Voraussetzungen geschaffen und werden, wenn der Verteidigungsminister eine Beschaffungsvorlage macht, in den
Koalitionsfraktionen darüber reden, wie wir dieses Flugzeug finanzieren und wie viel Stück wir beschaffen.
Das ist die Faktenlage. Ich finde, wir haben in der Koalition ordnungsgemäß gearbeitet, auch wenn wir, was die
Höhe der Etatisierung anbetrifft, durchaus unterschiedlicher Meinung waren. Wir haben uns aber, wie es in einer
Koalition guter Brauch ist, zusammengerauft und einen
entsprechenden Beschluss gefasst, den auch wir als Grüne
vertreten.
Ich war bei der globalen Botschaft zum Thema, was es
heißt, eine nachhaltige Finanzpolitik zu betreiben - Konsolidierung, Rückführung der Staatsverschuldung, Spielräume schaffen -, damit den Bürgerinnen und Bürgern
mehr Geld in der Tasche bleibt. Sie alle, Kolleginnen und
Kollegen von der Union, instrumentalisieren mit Ihrer Erwartungshaltung natürlich ein Stück weit die Konjunktur.
Im September, als die Konjunkturerwartungen in der
gesamten Bandbreite der Auguren überaus positiv waren,
hatten Sie den Eindruck vermittelt: Die Konjunktur läuft
gut, trotz der Koalition. Jetzt, wo eine leichte Seitwärtsbewegung zu merken ist, sagen Sie: Die Konjunktur kann
ja nicht gut laufen, weil ihr so eine unmögliche Politik
macht. - Da merkt man schon, wie beliebig Ihre Argumentation ist.
({0})
Richtig ist auf jeden Fall, dass sowohl das Ifo-Institut
als auch das DIW - wie alle Wirtschaftsauguren - sagen,
die Behauptung, die Energiepreissituation schlage massiv
auf die Weltkonjunktur durch, sei so nicht mehr haltbar.
Der IWF hat erst vor vier oder sechs Wochen in seinem
Outlook angesichts der Energiepreise im September dargestellt, dass für Europa die Wachstumsbremse durch die
hohen Energiepreise lediglich etwa 0,1 Prozent ausmache
und die Inflationsrate durch die hohen Energiepreise in
Europa im nächsten Jahr um nur etwa 0,2 Prozent steigen
werde.
Die Politik der Steuersenkungen im nächsten Jahr wird
im Januar sehr wohl bei den Bürgerinnen und Bürgern im
Portemonnaie spürbar sein. Sie wird übrigens, Herr Kollege Rexrodt, auch beim Mittelstand spürbar sein. Ab Januar bezahlen die mittelständischen Unternehmer in
Deutschland faktisch keine Gewerbeertragsteuer mehr,
(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das stimmt
doch nicht! Völliger Unsinn! - Peter Rauen
[CDU/CSU]: Keine Ahnung!
weil sie von der Einkommensteuerschuld weitestgehend
abgezogen wird. Diese Entlastung beim Mittelstand werden die Menschen spüren.
Von diesen positiven Effekten der Steuerreform verspreche ich mir, dass das bessere Konsumklima im nächsten Jahr wieder in eine Wachstumssituation münden wird.
Kollege Rexrodt, es ist natürlich richtig, dass diese Koalition vereinbart hat, die Lohnnebenkosten auf unter
40 Prozent zu senken. Darauf legen wir Grünen großen
Wert. Wir wollen das auch durch strukturelle Maßnahmen
erreichen. Dazu gehört nicht nur, dass wir die Einnahmen
aus der Ökosteuer zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge heranziehen, sondern wir brauchen auch eine
Rentenreform, von der wir hoffen, dass wir sie Ende Januar im Deutschen Bundestag verabschieden können. Wir
werden uns jedenfalls darum bemühen, Kollege Poß, das
hinzubekommen.
Wir haben heute eine Sozialversicherungsquote von
41,1 Prozent. Die Zahl, die der Kollege Austermann genannt hat - 43,1 Prozent -, ist einfach falsch. Das kann
jeder von Ihnen nachrechnen: 19,3 Prozent werden im
Moment in die Rentenversicherung gezahlt; 13,6 Prozent
ist der Durchschnittswert der Krankenversicherungsbeiträge; 6,5 Prozent beträgt der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung und 1,7 Prozent der Beitrag zur Pflegeversicherung. Diese Beiträge müssen jeweils hälftig vom
Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen werden. Das
macht unter dem Strich eine Belastung von 41,1 Prozent
aus.
Im nächsten Januar wird der Rentenversicherungsbeitrag um zwei Zehntel heruntergehen. Das ist nämlich die
Gegenfinanzierungsseite zur nächsten Stufe der Ökosteuer. So merken Arbeitgeber und Arbeitnehmer wenigstens, dass diese Umfinanzierung in ihrem Geldbeutel Spuren hinterlässt.
Wir als Grüne, und zwar die gesamte Fraktion, sehen
durchaus seit September per Beschluss die Chance, aufgrund möglicher Überschüsse der Arbeitslosenversicherung - wir gehen von 3,3 Millionen Arbeitslosen im Jahr
2002 aus, das sind 300 000 weniger als im nächsten Jahr,
und deshalb könnte ein Überschuss in Höhe von 10 Milliarden DM bei der Bundesanstalt für Arbeit entstehen ab 1. Mai 2002 den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um
1 Prozentpunkt zu senken. So war auch Walter Riester am
Freitag der letzten Woche in der „FAZ“ zu vernehmen.
Damit lägen wir unter 40 Prozent, wie es im Koalitionsvertrag bis zur Bundestagswahl im Herbst 2002 versprochen ist.
Ich sage Ihnen: Das wäre das erste Mal in der Geschichte dieser Republik, dass eine Regierung ihr Versprechen gehalten hätte, die Lohnnebenkosten für die
Arbeitgeber und die Abgabenbelastung für die Arbeitnehmer signifikant zu senken. Auch das ist eine Leistung,
die wir anstreben und auf die wir, wenn wir sie erreichen,
stolz sein können.
({1})
Ordnungspolitisch ist klar: Die Gesamtkonzeption
heißt nichts anderes, als mit solider Finanzpolitik, mit der
Abkehr vom Verschuldungsstaat Spielräume für mehr Investitionen und für mehr Geld im Portemonnaie der
Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft durch die Absenkung der Steuertarife und der Lohnnebenkosten zu
schaffen. In dieser politischen Konzeption liegen vernünftige Gestaltungsspielräume auch für die zukünftigen
Generationen.
Es geht hier nicht um eine Angelegenheit eines Jahres
oder einer halben Legislaturperiode, sondern das ist eine
Dauerveranstaltung. Eine solche Finanzpolitik ist, wie es
der Finanzminister in seiner Rede in der Humboldt-Universität aus meiner Sicht zutreffend gesagt hat, Gesellschaftspolitik. Das müssen auch Sozialpolitikerinnen und
Sozialpolitiker begreifen. Wir müssen diesen soliden und
langfristigen Weg in den Parlamenten des Bundes und der
Länder und in den Köpfen unserer Bevölkerung verankern. Wir müssen klarmachen, dass nur eine Politik, die
darauf abzielt, mit den vorhandenen Ressourcen auszukommen, Spielräume eröffnet, um zukünftig den Sozialstaat finanzierbar zu halten.
Löst man diesen Zusammenhang auf, wird der Sozialstaat langfristig nicht mehr bezahlbar; denn die Arbeit
würde immer teurer und durch Rationalisierung entstünde
immer mehr Beschäftigungslosigkeit - in jeder konjunkturellen Krise auf immer höherem Niveau -, folglich wäre
die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, wenn
Steuereinnahmen wegbrächen und die ohnehin hohen Belastungen durch die zunehmende Arbeitslosigkeit in Krisensituationen zunähmen, nicht mehr ohne massivste Eingriffe in soziale Leistungen zu meistern. Insofern ist diese
Konzeption eine vernünftige Gesellschafts- und Sozialpolitik, weil mit ihr der Vorsorgegedanke aufgegriffen
wird und man sich davon verabschiedet, ständig nur als
Reparateur durch die politische Arena zu laufen.
Im letzten Abschnitt möchte ich jenseits der globalen
Strategie auf die Schwerpunkte zu sprechen kommen, die
wir unter dem Motto „Sparen“ setzen. Denn wir wollen
nicht nur sparen, sondern auch gestalten, und zwar schon
jetzt, da wir uns durch eine solide Politik bestimmte Gestaltungsspielräume eröffnen.
Ich nenne den Bereich Verkehrsinfrastruktur. Sie haben natürlich Recht, Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition: Die geltenden Bundesverkehrswegepläne
sind unterfinanziert. Ist das aber unsere Schuld? Der Fünfjahreshorizont für den Verkehrswegeplan wurde in Ihrer
Regierungszeit beschlossen. Wenn man eine solche Geschichte wie ein Märchenbuch ausgestaltet und nicht für
die Finanzierung sorgt und dann, wenn eine neue Regierung kommt, sagt, ihr habt es verbockt, dass nicht genügend Mittel für die Schiene, für Ortsumfahrungen bereitgestellt werden können, ist das ziemlich verlogen.
({2})
Wir dagegen sagen: Dadurch, dass sich durch die
UMTS-Erlöse Spielräume bei den Zinsausgaben eröffnen
- ansonsten werden die Mittel zur Tilgung verwandt; das
ist eine solide Position -, kann die Bahn ab nächstem Jahr
und in den folgenden drei Jahren jeweils 2 Milliarden DM
für Investitionen in die Schienenwege erhalten und können 900 Millionen DM für den Straßenbau bereitgestellt
werden, schwerpunktmäßig für das Ortsumfahrungsprogramm. Das ist ein Wort und das führt immerhin dazu,
dass wir in den nächsten drei Jahren bei den Investitionen
in die Verkehrswege auf einem Niveau sind, wie Sie es in
Ihrer letzten Legislaturperiode nicht mehr erreicht haben.
Wir sind also deutlich besser geworden und haben das solide finanziert.
Wir können nur hoffen, dass sowohl die Bahn AG als
auch die Träger der Straßenbaulast die entsprechenden Investitionsmittel tatsächlich verbauen und die Investitionen nicht nur im Bundeshaushalt stehen, sondern wirklich
draußen in der Fläche ankommen. Aber ich finde, das ist
eine Schwerpunktsetzung, die diese Koalition gegenüber
der breiten Öffentlichkeit jederzeit positiv kommunizieren kann. Da brauchen wir uns weiß Gott nicht zu verstecken.
({3})
Wir haben einen zweiten Schwerpunkt, Bildung und
Forschung. Ich muss noch einmal auf die Ausführungen
des Herrn Kollegen Austermann, die er ganz am Anfang
der Debatte gemacht hat, zurückkommen.
({4})
Wenn er sich hier hinstellt und sagt, für das BAföG sei
praktisch weniger etatisiert als 1998 - er als haushaltspoOswald Metzger
litischer Sprecher seiner Fraktion übersieht dabei, dass
wir noch einmal die gleiche Summe über die Staatsbank
KfW finanzieren und damit tatsächlich bei den Studentinnen und Studenten so viel wie seit vielen Jahren nicht
mehr ankommt -,
({5})
dann ignoriert er damit einfach eine Leistung dieser Koalition, die auch durch die Aufstockung der Ausgaben für
Bildung und Forschung durch die UMTS-Milliarden zustande kommt.
Auch wenn wir als ökologische Partei zum Thema Klimaschutz natürlich weiter gehende Wünsche angemeldet
haben, ist es durchaus eine Leistung - da gucke ich auch
die Sozialdemokraten an; es ist ein gemeinsames Projekt
dieser Koalition -, dass wir in den nächsten fünf Jahren
pro Jahr zwischen 180 000 und 190 000 Wohnungen des
Altbaubestandes in Deutschland - schlecht isoliert, mit
schlechten Heizungsanlagen - wärmedämmen können
und es dafür zinsverbilligte Darlehen vom Staat gibt. Wir
haben für dieses Programm - das erste Mal im nächsten
Jahr - 400 Millionen DM aus diesen UMTS-Zinsmilliarden eingestellt, und das wird bis zum Jahr 2005 durchgezogen, sodass wirklich ein absolut großes Klimaschutzprogramm und Altbausanierungsprogramm bei der
Bevölkerung ankommt.
({6})
Das ist eine Leistung, auf die wir als Koalition stolz sein
können.
({7})
Weiter müssen Sie sehen: Wir setzen auch in Politikfeldern, die gesellschaftspolitisch diskutiert werden,
wie zum Beispiel beim Rechtsextremismus, Akzente, halten nicht nur Sonntagsreden, sondern legen auch in diesem Bereich Programme auf: für Opferschutz, für mobile
Beratungsstellen für Opfer rechtsradikaler Gewalt,
({8})
für Aufklärungsarbeit in der Bundeszentrale für politische
Bildung. Hier geht es zwar nicht um die extrem großen
Summen, häufig geht es nicht nur um Geld, sondern vor
allem um entsprechende Aufklärung und um eine gesellschaftspolitische Grundorientierung, um den „Aufstand
der Anständigen“ in dieser Gesellschaft, aber auch so werden von uns gesellschaftspolitische Weichen gestellt. Wir
treten nicht nur bei Demonstrationen auf und brandmarken diesen rechten Terror, sondern wir sagen tatsächlich:
Dort, wo es konkret wird, in der Prophylaxe wollen wir
als Koalition auch etwas tun. Das haben wir gemacht, und
darauf, dass diese Bemühungen in den Haushaltsberatungen ihren Niederschlag gefunden haben, können wir auch
ein Stück weit stolz sein.
({9})
Jetzt komme ich zum Ausblick, weil ich natürlich als
haushaltspolitischer Sprecher unserer Fraktion jetzt schon
den übernächsten Haushalt in der Pipeline habe.
({10})
So ist das nun einmal, auch wenn man gerade erst den einen abgeschlossen hat.
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du bist eben immer deiner Zeit
voraus!
- Das ist manchmal sinnvoll, Rezzo Schlauch, der Zeit
voraus zu sein.
Wenn wir uns das Jahr 2002 anschauen, dann wissen
wir natürlich - auch der Finanzminister weiß das -, dass
auch das Glück des Tüchtigen dazugehört, um bestimmte
Ziele zu erreichen. Wenn wir unterstellen, dass die Konjunktur im Rahmen der Erwartungen der Koalition bleibt,
dann sind wir damit auf der sicheren Seite. Wir haben bei
den Erwartungshaltungen für das nächste Jahr nicht die
Phantasien von Theo Waigel übernommen.
({11})
Waigel baute in Sachen Haushalt auf das Prinzip Hoffnung und wurde dann durch die Konjunkturentwicklung
meistens bestraft.
Für das Jahr 2002 kann man Folgendes konstatieren:
Unsere Koalition wird die zweite Stufe des Familienleistungsausgleichs auf den Weg bringen. Dabei geht es um
Kindergeld und Kinderbetreuungsfreibeträge. Sie wissen
ganz genau - ich werde keine Zahlen nennen -, dass wir
in diesem Bereich die Leistungen verbessern. Je nachdem, wie hoch das Kindergeld sein wird, was die
Regierungsfraktionen dazu beschließen und in Absprache
mit dem Finanzministerium, das die globale Situation
des Haushalts berücksichtigt, werden wir allein für die
Verbesserung des Familienleistungsausgleichs im Bundeshaushalt rund 5 Milliarden DM reservieren müssen.
Dies ist eine Summe, die in der Finanzplanung noch nicht
berücksichtigt ist.
Wenn wir an den übernächsten Haushalt denken und
auf dem Pfad der Tugend bei der Rückführung der
Staatsverschuldung bleiben wollen, wenn wir das ehrgeizige Ziel - der Kollege Wagner und ich haben es in der
Präsentation nach Abschluss der Haushaltswoche vorletzte Woche öffentlich erklärt -, im Wahljahr 2002 zu
einer Nettoneuverschuldung von unter 40 Milliarden DM
zu kommen, erreichen wollen, dann müssen wir uns als
Regierungsfraktion an die Brust klopfen, damit wir nicht
in vielen Politikfeldern - es ist schließlich ein Wahljahr neue Ausgaben tätigen.
Dieses Wasser will ich in den Wein der Regierungskoalition gießen; denn Sparen ist nicht eine Angelegenheit, die nur ein oder zwei Jahre dauert. Vielmehr ist
es ein Prozess, von dem die Bürgerinnen und Bürger
profitieren. Ich glaube, Kollege Poß, dass das die Finanzpolitiker in beiden Koalitionsfraktionen wissen. Überzeugungsarbeit - steter Tropfen höhlt den Stein - ist wichtig.
Wir müssen es schaffen, im Gespräch mit den Menschen
genau diese Solidität unserer Finanzpolitik und ihre positiven langfristigen Auswirkungen zu kommunizieren.
Dann wählen die Leute nämlich Politiker, die eine solide
Finanzpolitik machen, und nicht nur diejenigen, die die
Spendierhosen anziehen.
Mit diesem Appell an die Selbstdisziplin der Koalition
möchte ich schließen.
Vielen Dank.
({12})
Nun gebe
ich für die PDS der Kollegin Dr. Christa Luft das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang ein Wort zum Kollegen Austermann sozusagen von Opposition zu Opposition. Es ist als Opposition in einer parlamentarischen
Demokratie natürlich unsere Aufgabe, die Regierung zu
kritisieren und sie auch scharf anzugreifen. Aber ich
finde, jede einseitige Übertreibung wirkt schnell unglaubwürdig.
Ich meine, wir sollten als Opposition keine Skrupel haben zuzugeben: Es gibt in diesem Haushalt 2001 einige
Dinge, von denen jedenfalls ich sagen würde, dass sie
sträfliche Vernachlässigungen der CDU-geführten Regierung der vergangenen Jahre korrigieren. Ich nenne hier
nur die verbesserten Leistungen für Familien, die Erhöhung des Wohngeldes und des BAföG. Wir hätten noch
andere finanzielle Vorstellungen gehabt. Aber es sind in
jedem Fall Tendenzen erkennbar, von denen wir sagen
können, dass sie in die richtige Richtung gehen.
({0})
Ihnen, Kollege Wagner - er ist im Moment nicht
hier -, und Ihnen, Kollege Metzger, muss ich sagen: Vergleichen Sie doch Ihre Finanz- und Haushaltspolitik nicht
so häufig mit jener der Vorgängerregierung; denn diese ist
gerade wegen ihrer Fehlleistungen abgewählt worden.
({1})
Sie müssten das, was Sie tun, an Ihren Wahlversprechen
und an Ihrer Koalitionsvereinbarung messen; denn dies ist
immerhin der Haushalt zum Einstieg in die zweite Hälfte
der Legislaturperiode. Zu diesem Zeitpunkt wird eine
Abrechnung immer wichtiger.
Im Zentrum Ihrer Ankündigungen stand 1998, dass Sie
nachhaltige Impulse für mehr existenzsichernde Arbeitsplätze setzen wollen. Sie wollten bis zum Jahr 2002 die
Zahl der Arbeitslosen um eine Million reduzieren. Die
Lage aber ist uns bekannt. Es nützt nichts, Herr Kollege
Wagner, die Lage zu beschönigen.
({2})
Allein die Einbeziehung der 630-DM-Jobs hat - das haben Ihnen auch die Sachverständigen neulich ins Stammbuch geschrieben - das Ergebnis der Statistik überzeichnet.
({3})
Es werden mehr Beschäftigungsverhältnisse neu ausgewiesen, als die Arbeitslosenzahlen abnehmen. Sie dürfen
auch nicht übersehen, wie viele Entlassungen es in großen
Unternehmen in den nächsten Monaten noch geben wird.
Ich nenne nur die Deutsche Bahn AG. Es ist schlimm, was
den Beschäftigten dort bevorsteht.
Auch im Handwerk ist die Lage nicht so rosig, wie sie
Kollege Wagner hier beschrieben hat. Daher lautet unser
Plädoyer nach wie vor: Gerade für das Handwerk, für arbeitsintensive Dienstleistungen - darunter Reparaturleistungen -, ist der geringere Mehrwertsteuersatz in Anwendung zu bringen.
({4})
Das würde die Schwarzarbeit begrenzen und Arbeitsplätze sicherer machen. Das wäre auch ökologisch, weil
nicht so viel weggeworfen würde. Zu dem Argument, dass
wir dann ein paar Steuerausfälle hätten - Herr Bundesfinanzminister, ich erahne Ihr Gegenargument -: Sie haben
eine Steuerreform auf den Weg gebracht, bei der so viele
Steuermindereinnahmen zu erwarten sind, dass Sie diese
für das Handwerk auch noch verkraften könnten, zumal
dadurch, dass weniger Menschen arbeitslos wären, zusätzliche Steuereinnahmen entstehen würden.
({5})
Ich will nochmals betonen: Das Handwerk ist nicht in
einer rosigen Lage. Ich habe es übrigens als ein Zeichen
von Vorurteilsfreiheit der Koalition gehalten, dass sie
keine Probleme damit hatte, einem PDS-Antrag zuzustimmen, um einen Härtefallfonds für unschuldig in Not
geratene Handwerkerfirmen zu schaffen. Ich finde nur, es
hätten auch ein paar weitere Anträge der PDS ihre Zustimmung verdient.
Soziale Ungerechtigkeiten sollten rasch abgebaut werden; so steht es in der Koalitionsvereinbarung. Einiges
- ich habe Beispiele genannt - haben Sie auf den Weg gebracht. Aber Sie haben auch neue Ungerechtigkeiten geschaffen. Auch hier kann ich nur einige Beispiele nennen.
Den Zuschuss an die Krankenversicherungskassen
für Arbeitslosenhilfebezieher wollen Sie entscheidend reduzieren. Wir haben einen Antrag gestellt, das zu korrigieren. Noch ist Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob
Sie das nicht doch tun. Sie werden entweder die Beitragszahlerinnen und -zahler künftig mit höheren Beiträgen
wieder mehr belasten oder die Krankenkassen werden geringere Leistungen erbringen. Das ist nicht im Interesse
der Gesellschaft.
({6})
Im Unterschied zur Rente, bei der eine - wenn auch
modifizierte - Anpassung an die Nettolohnentwicklung
erfolgen soll, haben Sie eine Anpassung bei der Arbeitslosenhilfe und bei der Sozialhilfe nicht vorgesehen. Damit
wird die Bevölkerung, die von solch einem Schicksal betroffen ist, leider wieder von einer Anpassung ausgeschlossen.
Im Übrigen soll - ich sagte das schon - die Anpassung
nach einer modifizierten Formel erfolgen. Das heißt im
Klartext: Der fiktive Durchschnittslohn sinkt, weil die
Geringbeschäftigten erstmals in diesem Jahr in die Nettolohnstatistik aufgenommen werden. Eine genaue Berechnung der Wirkungen liegt zwar noch nicht vor, aber
nach Schätzungen von Experten wird sich die Einbeziehung der 3 Millionen bis 4 Millionen prekären Beschäftigungsverhältnisse längerfristig so auswirken, dass der
Durchschnittslohn um bis zu 5 bis 6 Prozent geringer ausfällt. Man muss den Renterinnen und Rentnern bei dieser
Gelegenheit auch einmal sagen, was - allein durch einen
statistischen Trick - auf sie zukommen kann.
({7})
Endlich eingeleitet werden sollten von Rot-Grün der
selbsttragende Aufschwung in den neuen Bundesländern und die Angleichung der Lebensverhältnisse der
Menschen im Osten an die im Westen. Der Prozess sollte
jedenfalls beschleunigt werden. Ich kann von „Chefsache
Ost“ im Haushalt 2001 wenig erkennen; das gestehe ich.
({8})
Um es zur Chefsache zu machen, um eine höhere Wertschöpfung - absolut und auch pro Kopf - zu schaffen,
wäre eine Initialzündung bei Forschung und Entwicklung
sowie bei Innovationen notwendig. Man gewinnt eher den
Eindruck, die Menschen im Osten sollen sich mit Niedriglohnsektoren begnügen.
Kollege Schlauch hat neulich diese kühne Idee gehabt,
man solle Tarifverträge aufweichen. Ich kann nur sagen:
Er scheint lange nicht mehr im Osten gewesen zu sein.
Dort gibt es nur noch eine Hand voll Unternehmen, die
Tarifverträge tatsächlich einhalten. Die meisten sind aus
dem Unternehmerverband ausgetreten. Das hat zur Folge,
dass in der privaten Wirtschaft Löhne von brutto 8 DM die
Stunde gezahlt werden. Ich weiß nicht, was man da noch
mehr öffnen will und wo das hinführen soll. Das kann
nicht die Zukunft für den Osten sein.
({9})
Statt die Umsetzung all der Wahlversprechen, von denen ich einige wiederholt habe, vorzunehmen, haben Sie
die Reduzierung der Nettokreditaufnahme zum überragenden Ziel der Haushaltspolitik gemacht. Den ehrgeizigen Plan des Bundesfinanzministers, die neuen Schulden gegenüber dem Vorjahr von 49,5 Milliarden DM auf
46,1 Milliarden DM zu reduzieren, haben die rot-grünen
Haushälter noch einmal um 2,4 Milliarden DM übertroffen. Dafür mussten Ausgaben im Sozialbereich zum Teil
empfindlich gekürzt werden. Beim Verteidigungshaushalt
aber haben Sie die Spendierhosen wieder angezogen und
in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Verpflichtungsermächtigungen im Umfang von 10 Milliarden DM für die Beschaffung eines Großraumtransporters eingestellt, mit
dem die Bundeswehr weltweit operieren können soll. Wir
lehnen dies entschieden ab.
({10})
Dieses Geld sollten Sie für Investitionen im Bereich der
Bildung verwenden.
Wir haben keinen Widerspruch dazu, dass eine rückläufige Nettokreditaufnahme eine erhebliche Bedeutung
für die Bundesrepublik hat, da ein Abbau des Schuldensockels im Interesse zukünftiger Generationen liegt. Sparen darf aber nicht zum Selbstzweck werden; Zukunftsvorsorge hat mehr Facetten, als dass sie sich auf das
Schuldenthema reduzieren ließe. Finanzpolitik, Herr Kollege Metzger, ist mehr als Schuldenabbau. Zukunftsvorsorge heißt - ich will nur ein Beispiel anführen -, den
heute 20- bis 35-Jährigen - also denjenigen, die von Ihrer
Rentenreform betroffen würden, wenn sie, was ich nicht
hoffe, beschlossen würde - die Chance zu geben, sich eine
lebensstandardsichernde Rente zu erarbeiten. Das bedeutet, diese Menschen müssen in Arbeit kommen. Tatsache
ist aber, dass gerade diese Gruppe von Arbeitslosigkeit
vermehrt betroffen ist. Darüber hinaus hat in dieser Altersgruppe bundesweit jeder Sechste einen unsicheren
Job. Diese Menschen brauchen existenzsichernde Arbeit.
Das setzt Investitionen voraus, die aber nach der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahre 2004 sinken werden.
Der Einstieg in ein Zehn-Jahres-Programm für den
städtebaulichen Rück- und Umbau leer stehender Wohnungen wäre zum Beispiel eine Chance gewesen, der besonders Not leidenden Bauwirtschaft und den Menschen,
die auf diesem Sektor arbeiten, zu helfen. Wir halten es
unserer Initiative zugute, dass Sie in diesem Bereich
schließlich 60 Millionen DM in den entsprechenden Titel
des Haushalts eingestellt haben.
({11})
Wir meinen aber, es wäre ein höherer Betrag notwendig
gewesen; aber immerhin ist ein Einstieg gelungen. Es
wäre aber wichtiger gewesen, Geld für solche Projekte zur
Verfügung zu stellen, als sich einen Kopf darüber zu machen, woher das Geld für den Bundeszuschuss zur
Deckung des EXPO-Defizits kommen soll. Die von mir
genannten Projekte sollten im Mittelpunkt der Bundesfinanzpolitik stehen.
Ich will ein letztes Beispiel anführen.
Frau Kollegin Luft, Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen. Das
geht zulasten des zweiten Redners Ihrer Fraktion.
Ich bin sofort fertig. - Zukunftsvorsorge bedeutet, Schulabgängern eine solide und
vom Markt anerkannte Ausbildung zu geben. Sie wissen,
dass wir nie gegen das JUMP-Programm polemisiert haben, aber es werden zum dritten Mal 2 Milliarden DM
ausgegeben und damit wird etwas erreicht, was Rot-Grün
nicht anstreben sollte: Sie privatisieren öffentliches Vermögen, reprivatisieren aber nicht Pflichten von Unternehmen, nämlich die Pflicht, junge Leute fachlich auszubilden. Kämen die Unternehmen auf diesem Gebiet ihrer
Pflicht nach, könnten wir 2 Milliarden DM einsparen und
für andere Zwecke einsetzen.
({0})
Ich erteile
nunmehr dem Bundesfinanzminister Hans Eichel das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Finanzpolitik in Deutschland ist wieder berechenbar geworden.
({0})
Herr Kollege Rexrodt, Ihre Tricks waren unter Ihrem Niveau. Sie könnten einmal zurückblenden und sich fragen,
wie das seit Mitte der 90er-Jahre bei Ihren Haushalten gelaufen ist: Sie haben von Steuerschätzung zu Steuerschätzung gezittert und bei jeder Steuerschätzung wurde das
Loch größer.
({1})
Das war nicht der Tatsache geschuldet, dass man das Steueraufkommen nur schwer schätzen konnte. Der Umstand
hatte zwei Hintergründe: zum einen die systematische
Zerstörung des Steuerrechts durch immer mehr Steuervergünstigungen, die Sie in Ihrer Regierungszeit eingeführt haben
({2})
mit der Konsequenz, dass die Steuerbasis - ich berufe
mich dabei auf Ausführungen des Kollegen Waigel - zerbröckelt ist,
({3})
und zum anderen die systematische Beschönigung der
Annahmen. Die Realitäten haben sich um Ihre Annahmen
nicht gekümmert und so brauchten Sie sich nicht zu wundern, dass Sie zu allerlei Buchungstricks greifen mussten,
um zu verschleiern, dass Sie in der Finanzpolitik von der
Hand in den Mund gelebt haben. Eine solche Verschleierung gelang in der Jahresrechnung letztlich nicht.
({4})
Herr Kollege Rexrodt, diese Politik war völlig unter
Ihrem Niveau. Durch die so genannten Sparoperationen
von 1995 bis zum Ende der Ära des Kollegen Waigel sind
- ich will das noch einmal aufgreifen, weil der Kollege
Metzger dies sehr nachdrücklich deutlich gemacht hat alleine beim Kindergeld auf der Ausgabenseite statistisch 40 Milliarden DM verschwunden.
({5})
Sie hatten zunächst 20 Milliarden DM vorgesehen. Dann
mussten Sie, weil Sie sich ein Verfassungsgerichtsurteil
einhandelten, das Ihnen bestätigte, dass Sie die Familien
verfassungswidrig hoch besteuert haben - das war, wenn
Sie sich erinnern, übrigens immer die Meinung der Sozialdemokraten Ihnen gegenüber -, das Kindergeld auf
200 DM heraufsetzen.
({6})
- Das war übrigens das Ergebnis auch unseres Einflusses
über den Bundesrat. - Das bedeutet einen Ausgabeposten
von 40 Milliarden DM. Dann haben Sie das Ganze als
steuerliche Maßnahme deklariert, und damit erscheint es
nicht mehr auf der Ausgabenseite, sondern es vermindert
die Einnahmen. Mit anderen Worten: Ihre gesamte Sparoperation ist in Wirklichkeit eine Ausgabenerhöhung um
20 Milliarden DM, die statistisch zu einer Einnahmeminderung um 40 Milliarden DM führt. Auf der Ausgabenseite erscheint das Ganze dann nicht mehr.
({7})
Das ist die Wirklichkeit, meine Damen und Herren:
10 Prozent des Ausgabenvolumens des Haushaltes erscheinen alleine durch diese Rechtsänderung nicht mehr
auf der Ausgabenseite.
({8})
- Regen Sie sich doch nicht so auf! Es kommt noch dicker.
({9})
Zweitens. Der Haushalt des Jahres 1999, den Sie,
meine sehr verehrten Damen und Herren, noch vorgelegt
haben, hat - verfassungswidrig - eine Fülle von Ausgaben
gar nicht mehr enthalten. Daher bestand im Jahre 1999 für
die neue Bundesregierung die Notwendigkeit - noch nicht
in meiner Verantwortung als Finanzminister -, zunächst
einmal für Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit
zu sorgen.
({10})
Das habe ich Ihnen übrigens als Finanzkoordinator der sozialdemokratisch geführten Länder im Bundesrat noch
zwei Tage vor der Bundestagswahl vorgerechnet.
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kalb?
Nein.
Sie gestatten nicht. - Bitte sehr, Herr Minister.
Ich
möchte im Zusammenhang vortragen. Das können Sie
sich zunächst einmal im Zusammenhang anhören.
({0})
Die Wahrheit ist, meine Damen und Herren: Erstens
wurden Ausgaben nicht veranschlagt und zweitens erfolgte eine völlige Umveranschlagung beim Kindergeld,
sodass die Mittel als Ausgabeposten ausgebucht wurden,
was dazu geführt hat, dass Sie erzählen können, Sie hätten in dieser Zeit gespart.
({1})
Wenn das so gewesen wäre, wäre ja zu fragen: Wieso hatten Sie dann seit 1996 zumindest im Vollzug verfassungswidrige Haushalte? Später haben Sie das Ganze überhaupt nur noch durch Privatisierungserlöse verdecken
können. Das war der Sachverhalt, den wir vorgefunden
haben.
({2})
Deswegen glaubt Ihnen in der Finanzpolitik in der Tat niemand. Das ist also - leider, sage ich - berechtigt.
Ich wünsche mir Kontinuität in der Finanzpolitik und
sage ausdrücklich einen herzlichen Dank an den Haushaltsausschuss insgesamt und auch an seinen Vorsitzenden für das kollegiale Verhältnis, in dem dort, unbeschadet unterschiedlicher Positionen, beraten wird. Ich sage
auch einen herzlichen Dank an die Koalitionsfraktionen.
Denn gemeinsam haben wir - Bundesregierung und Koalitionsfraktionen - es geschafft - obwohl wir das alle erst
noch einüben müssen -, auch im zweiten Jahr in den Eckpunkten des verabredeten Programms, das wir im Sommer vergangenen Jahres präsentiert haben, zu bleiben und
sogar noch ein bisschen besser zu werden. Das ist eine
hervorragende Leistung.
({3})
Das heißt, Finanzpolitik hat wieder Kontinuität und Finanzpolitik ist auch berechenbar.
Der Haushalt des Jahres 2001, der zweite auf dem
Konsolidierungspfad, ist davon gekennzeichnet, dass wir
erstens ohne alle Abweichung und sogar - darauf komme
ich gleich noch zu sprechen - mit einigen Verbesserungen
konsequent versuchen, aus der Falle von immer neuen
Staatsschulden herauszukommen und jedes Jahr weniger
Schulden zu machen, mit dem mittelfristigen Ziel, im
Jahre 2006 zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Dies ist zweitens umso erstaunlicher, als wir mit
dem 1. Januar 2001 die größte Nettoentlastung, die die
steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen in diesem Lande jemals bekommen haben, durchführen. Gleichzeitig - so wird auch ein Zusammenhang
daraus - kann nur der, der seine Ausgaben im Griff hat,
der Ausgabendisziplin übt, wirklich Steuern senken. Alles
andere sind nämlich Steuersenkungen, die nichts anderes
bedeuten als Steuererhöhungen in der Zukunft.
({4})
Drittens. Wir verbessern die Ausgabenstruktur mit diesem Haushalt. Einerseits sorgen wir - das ist auch notwendig; ich möchte mich anschließend mit Ihrem Begriff
der konsumtiven Ausgaben auseinander setzen, Herr Kollege Rexrodt - für mehr soziale Gerechtigkeit in dieser
Gesellschaft. Das war nach 16 Jahren Ihrer Regierungstätigkeit dringend notwendig.
({5})
Andererseits sorgen wir für Zukunftsinvestitionen - was
immer das auch präzise sein mag; denn dieser Begriff
setzt sich aus zwei Wörtern zusammen, die wir im Haushaltsrecht so nicht kennen; nicht jede Investition ist gleich
eine Zukunftsinvestition und nicht alles, was wir für zukunftswichtig erachten, muss auch eine Investition im
klassischen Sinne sein -, indem wir die Schulden reduzieren - richtig, der Zufallsfund UMTS-Erlöse; darauf
komme ich gleich zurück - und die aufgrund der eingesparten Zinsen frei werdenden Mittel - ohne eine einzige
D-Mark mehr auszugeben! - in die Felder investieren, die
für die Sicherung des künftigen Wohlstands wichtig sind.
Das sind die drei Kernelemente unserer Haushaltspolitik.
Sehr verehrter Herr Kollege Rexrodt, der Konsolidierungskurs findet natürlich auf der Ausgabenseite statt.
({6})
Es freut mich - nur Herr Kollege Austermann hat anscheinend noch Nachholbedarf -, dass die Oppositionsfraktionen allmählich zu einer differenzierten Betrachtung unserer Haushaltspolitik kommen. Es setzt sich doch
die Erkenntnis durch, dass wir auf dem richtigen Wege
sind. Herr Rexrodt, Sie haben gesagt: Der Weg aus der
Schuldenfalle ist richtig. Ich kann nur bestätigen: Ja, das
ist er. Aber Sie haben hinzugefügt, der Konsolidierungskurs finde nicht auf der Ausgabenseite, sondern auf der
Einnahmenseite statt. Das lässt sich schlicht durch die
Zahlen widerlegen; denn die Ausgaben, sehr verehrter
Herr Kollege Rexrodt - auf die Einnahmen gehe ich
gleich ein -, sinken das zweite Jahr in Folge, und zwar
ohne die Tricks, die ich Ihnen vorhin vorgeworfen habe
und die während Ihrer Regierungszeit in der zweiten
Hälfte der 90er-Jahre üblich waren. Die Ausgaben sinken
im Jahr 2000 im Vergleich zu 1999 um 1,4 Prozent und
sinken weiter - das war das Ergebnis der Bereinigungssitzung - im Jahr 2001 im Vergleich zu 2000 nominal um
0,4 Prozent. Zeigen Sie mir ein Land in Europa, das eine
solche Kraftanstrengung zuwege gebracht hat! Natürlich
gibt es Länder, die früher mit der Konsolidierung ihrer
Haushalte begonnen haben. Die haben es jetzt nicht mehr
so nötig wie wir, weil wir leider später mit der Konsolidierung begonnen haben. Das Volumen des Gesamthaushalts liegt bei 477 Milliarden DM.
Ich komme nun auf Ihre Mär von den Mehreinnahmen,
sehr verehrter Herr Kollege Rexrodt, zu sprechen, die
man eigentlich nicht mehr hören kann; denn das Gegenteil ist richtig. Die Konsequenz aus der Steuerreform ist,
dass die Einnahmen im nächsten Jahr im Vergleich zu diesem Jahr sinken. In diesem Jahr lagen die Steuereinnahmen bei 387 Milliarden DM. Im Jahr 2001 werden es
auch nach der Steuerschätzung vom November noch
384 Milliarden DM sein. Darin ist übrigens das Aufkommen aus der nächsten Stufe der Ökosteuer - auch darauf
komme ich wieder zurück -, das wir zur Senkung der
Rentenversicherungsbeiträge verwenden, schon eingerechnet. Mit anderen Worten: Wenn man die Mehreinnahmen aus der Ökosteuer abzieht, dann werden die Steuereinnahmen bei 379 Milliarden DM liegen. Das sind
8 Milliarden DM weniger als in diesem Jahr. Das ist die
Konsequenz aus unserer Steuerreform. Deshalb können
Sie den Leuten nicht ernsthaft erzählen, uns wachse das
Geld aus den Ohren und die Konsolidierung finde nur auf
der Einnahmenseite statt. Das ist schlicht Unsinn. Mit den
Zahlen lässt sich das genaue Gegenteil belegen.
({7})
Sie behaupten, die Konsolidierung sei nur aufgrund der
Privatisierungserlöse möglich. Auch das ist schlicht
Unsinn. Sie, sehr verehrter Herr Kollege Rexrodt und sehr
verehrter Herr Kollege Austermann, haben in der Endphase Ihrer Regierungstätigkeit rund 20 Milliarden DM
aus Privatisierungserlösen für laufende Ausgaben eingestellt. Wir haben bereits im Haushalt des Jahres 2000 das
Niveau dessen, was wir aus den Privatisierungserlösen für
die laufenden Ausgaben, zum Beispiel für die Postunterstützungskasse, benötigen, heruntergefahren, und zwar
auf 9 Milliarden DM.
Nur im nächsten Jahr müssen wir - darauf habe ich bereits im letzten Dezember hingewiesen; das geschieht gegen meine Überzeugung; wir werden das in den nächsten
Jahren nicht wiederholen - einen Teil der Privatisierungserlöse - Sie wollten die Steuern eigentlich noch stärker
senken; das wäre ohne neue Schulden nicht finanzierbar
gewesen - zur Finanzierung der nächsten Stufe der Steuerreform verwenden. Das sind 15,6 Milliarden DM. Die
Koalitionsfraktionen haben im Haushaltsausschuss diesen Betrag um 1,5 Milliarden DM gemindert. Sie haben
beschlossen - damit wäre ich bei einem weiteren Aspekt
des Konsolidierungskurses -, dass die konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen, die nach der Steuerschätzung
vom November im nächsten Jahr bei 3,9 Milliarden DM
liegen werden, entweder ausschließlich zur Senkung des
Niveaus der Nettokreditaufnahme um 2,4 Milliarden DM
- das Niveau würde dann im Gegensatz zum Regierungsentwurf bei 43,7 Milliarden DM liegen - oder ausschließlich zur Senkung des Niveaus dessen, was wir aus den
Privatisierungserlösen für die laufenden Ausgaben benötigen, verwendet werden dürfen. In den Folgejahren werden wir Privatisierungserlöse nur noch für die Postunterstützungskasse einsetzen.
Ich will Ihnen, weil wir eine finanzpolitische Debatte
ganz offen führen müssen, noch ein Risiko vor Augen
führen. Was meine Person betrifft, haben Sie Recht: Mit
der Privatisierung der Post war ich nicht einverstanden.
Mit der Privatisierung der Bahn war ich einverstanden,
aber die Erfahrungen waren zu schlecht. Das hat mich
skeptisch gemacht. Leider hatte ich bei der Bahn Recht.
Bei der Post ist es besser gelaufen. Sehen wir uns einmal
die Börsenkapitalisierung der Postnachfolgeunternehmen
an und fragen uns angesichts der gegenwärtigen Situation
- das war vor einem halben Jahr ganz anders -, ob wir das
Geld, das wir brauchen, bekommen, um die Pensionen für
die übergeleiteten Beamtinnen und Beamten und deren
Witwer und Witwen zu finanzieren.
({8})
Als Finanzminister muss ich Ihnen dieses Risiko offenbaren. Tun Sie nicht so, als ob das ein Goldklumpen sei.
({9})
An diesem Punkt könnte Grimm leider Recht bekommen.
Denn wenn wir nicht wieder zu anderen Kursen kommen,
bleibt von dem Goldklumpen am Schluss gar nicht mehr
so viel übrig. Das ist ein großes Risiko.
Für die Zukunft bedeutet das - ich weiß nicht, ob wir
es schaffen -, dass wir uns bei der Finanzierung der Postunterstützungskasse nicht von den Privatisierungserlösen
abhängig machen können, zumal wir angesichts der Kursentwicklung nicht sicher sein können, ob wir es zu den
Zeiten, zu denen wir privatisieren müssten, überhaupt
können. Angesichts unserer Verantwortung für die vielen
Kleinaktionäre und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die
ebenfalls Aktien besitzen, müssen wir die Kurse ebenfalls
im Auge behalten. Wenn Sie auf die sonstigen Einnahmen
schauen würden und sähen, dass sie sinken, und wenn Sie
feststellen, dass der Gewinn der Bundesbank gegenüber
Ihrer Regierungszeit massiv nach unten gegangen ist,
dann würden Sie erkennen, dass wir eine Reihe von Risiken selbst bei dieser Politik zu verkraften haben. Damit ist
Ihre Argumentation in der Tat, Herr Kollege Rexrodt, eine
Mär. Die Konsolidierung findet - das ist schmerzhaft genug - über die Ausgabenseite statt. Deshalb haben Sie
Ausgabenerhöhungsanträge gestellt, weil die Konsolidierung über die Ausgabenseite stattfindet. Das muss man so
machen. Das heißt, bei einem mittelfristigen Kurs haben
wir einen Konsolidierungserfolg von 30 Milliarden DM
im vergangenen Jahr. Im Jahr 2003 steigt er bis auf
50 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, das ist die eine Seite: Ausgabendisziplin, Absenkung der Nettokreditaufnahme,
Verwendung der konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen ausschließlich zur Reduzierung der Neuverschuldung und zur Reduzierung der Privatisierungserlöse.
Künftig wollen wir - die Ermächtigung haben Sie uns gegeben, wofür ich Ihnen sehr dankbar bin -, wann immer
es geht, die Privatisierungserlöse einsetzen, um die Altschulden abzubauen.
({10})
Daraus ergeben sich für uns Handlungsmöglichkeiten,
weil wir dann Zinsausgaben, die bisher unsere Investitionen eingeschränkt haben, in Zukunftsvorsorge wandeln
können. Das wird das Thema der Zukunft sein.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, haben wir die größte Steuer- und Abgabensenkung, die es in
der Geschichte der Bundesrepublik in einem Jahr gegeben
hat: 45 Milliarden DM Nettoentlastung. Das ist das Problem der Länder.
({11})
Es ist verwunderlich, wie Sie hier reden. Kein Finanzminister eines Landes Ihrer Couleur würde eine solche Rede
halten, wie sie hier gehalten wurde, weil er sie nach seinem eigenen Haushalt überhaupt nicht halten könnte. Woher kommen die Klagen der Länderfinanzminister, wenn
die Steuerreform keine Einnahmeausfälle zur Folge gehabt hätte? Das ist, wie Sie wissen, alles nicht wahr.
({12})
Diese Steuerreform kommt zur rechten Zeit. Eine
Nettoentlastung von 45 Milliarden DM in einer Situation,
in der der kurzfristig enorm gestiegene Ölpreis dieser
Volkswirtschaft rund 30 Milliarden DM entzogen hat, bedeutet, dass wir damit die konjunkturellen Gefahren weitestgehend abfedern. Eine Minderung des Wachstumspotenzials um etwa 0,2 Prozent, wie es von allen Instituten
gesagt wird, ist eine volkswirtschaftlich hervorragende
Leistung, wie es sie bei einer solch schockartigen Ölpreisentwicklung vorher nicht gegeben hat.
({13})
Das ist auch richtig so.
Der Einkommensteuereingangssatz sinkt ein Jahr
früher als geplant auf 19,9 Prozent. Einen so niedrigen
Eingangssteuersatz hat es doch zu Ihrer Zeit nie gegeben.
({14})
Wir werden ihn auch noch weiter senken, und zwar bis auf
15 Prozent.
Auch einen Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent für
einbehaltene wie für ausgeschüttete Gewinne hat es zu Ihrer Zeit nie gegeben.
({15})
Die Abschaffung der Gewerbesteuer - ein Kostenfaktor
für das Handwerk, für den Einzelhandel und für die Personengesellschaften - ist ein lang gehegter Traum der Betriebe, der ab dem 1. Januar 2001 Wirklichkeit wird. Sie
haben dies in den Jahrzehnten, in denen Sie in diesem
Land regiert haben, nicht zuwege gebracht. Ein anderer
Teil der Haushalts- und Finanzpolitik für das Jahr 2001
besteht in einer enormen Entlastung der Haushalte und
der Unternehmen sowie in einer nachhaltigen Verbesserung der Nachfrage auf dem Binnenmarkt und einer nachhaltigen Verbesserung der Investitionsbedingungen.
({16})
Ein weiterer Teil der Haushalts- und Finanzpolitik für
das Jahr 2001 besteht in der Zukunftsvorsorge. In diesem
Zusammenhang, Herr Kollege Rexrodt, will ich mich
kurz mit Ihrem Begriff „konsumtive Ausgaben“ auseinander setzen. An dieser Stelle kommen parteipolitische
Unterschiede zum Tragen. Das ist gewiss wahr. Darüber
muss man redlich und offen sprechen. Herr Kollege
Rexrodt, es gibt konsumtive Ausgaben, die in der Tat so
weit zurückzuführen sind, wie es irgend möglich ist. Wir
reduzieren zum Beispiel - das ist schwierig genug - Subventionen, Beihilfen.
Lassen Sie mich mit allem Freimut sagen: Das ist
schon spannend. Kaum haben wir die Körperschaftsteuer
auf den niedrigsten Satz, den es je gegeben hat, gesenkt
und eine ordentliche Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen vorgenommen - alle haben gesagt, das sei der
richtige Weg -, da bekomme ich von großen Unternehmen mit wunderbaren Bilanzen schon wieder Forderungen nach neuen Steuerprivilegien. Mir wird gesagt, man
müsse den Mitarbeitern helfen, den Weg ins Internet zu
finden. - Dafür muss es keine neuen Steuerprivilegien geben.
({17})
- Danke, Herr Kollege Rexrodt. - Ich sage ganz ausdrücklich - das ist schon ein spannendes Thema -: An dieser Stelle sollte man einmal darüber reden, was Subventionsabbau wirklich bedeutet, und dies dann auch machen.
Wenn Sie dabei mitmachen, dann finde ich das ganz
prima.
Es gibt aber konsumtive Ausgaben, zu denen wir uns
nachdrücklich bekennen. Die Unterlassung bestimmter
konsumtiver Ausgaben hat enorme Zukunftswirkungen.
Das BAföG ist ein Beispiel dafür. Das ständige Festhalten
am Berechnen der BAföG-Sätze über das Einkommen der
Eltern ist unterlassene Zukunftsvorsorge, Herr Kollege
Rexrodt.
({18})
Ich verweise darauf, wie viele junge Menschen nicht mehr
gefördert werden und wie viele tatsächlich nicht studiert
haben. Wir haben innerhalb der Europäischen Union mit
den geringsten Anteil von Studentinnen und Studenten in
einem Jahrgang. Das ist unterlassene Zukunftsvorsorge.
({19})
BAföG ist nicht nur eine Sozialleistung, sondern auch
eine Zukunftsinvestition.
Aber wir sagen auch ganz nachdrücklich: Familienförderung ist Zukunftsinvestition. Sie haben die Familienförderung in Ihrer Regierungszeit - verfassungswidrig hoch besteuert. An diesem Punkt werden wir weiterhin
Verbesserungen vornehmen.
({20})
Die Reform des Wohngeldes, wie sie im Haushalt 2001
enthalten ist - sie schafft übrigens in ganz Deutschland
gleiche Verhältnisse -, ist ein sehr vernünftiger Weg. Das
Gleiche gilt für die Aufstockung des Erziehungsgeldes.
Sie haben diesen Schritt ganz lange Zeit überhaupt nicht
in Angriff genommen.
Wenn wir über das Einsparen von konsumtiven Ausgaben reden, dann müssen wir auch über Staatsmodernisierung, wie sie der Kollege Schily intensiv betreibt, sprechen. Damit sind ganz schwierige Themen verbunden:
Bundeswehrreform, Reform der Finanzverwaltung. Ich
bekomme lauter Eingaben. Übrigens, die erste kam von
der Bayerischen Staatskanzlei. Sie kämpft jetzt für jedes
Zollamt in Bayern.
({21})
Ich muss Ihnen sagen: Das ist so etwas von unglaubwürdig! So wird man in der Zukunft allerdings nicht gewinnen.
({22})
- In Richtung Bayern ist das dringend notwendig, Herr
Ramsauer.
Wir müssen uns unsere Perspektive klarmachen: Wir
sind eine alternde Gesellschaft, ob uns das gefällt oder
nicht.
({23})
Wenn der Anteil der Beschäftigten immer weiter zurückgeht, dann werden wir dafür sorgen müssen, dass auch der
Staat mit weniger Beschäftigten auskommt;
({24})
sonst haben wir die Steuererhöhungen der Zukunft bereits
programmiert. Auch das müssen wir uns klarmachen.
({25})
Wer über im Zusammenhang mit dieser Regierungskoalition von Sozialdemokraten und Grünen konsumtive
Ausgaben redet, redet nicht darüber, dass wir die sozialen
Bedingungen verschlechtern, sondern darüber, dass wir
den Staatsaufwand verringern,
({26})
und zwar überall dort, wo es ohne Leistungsminderung
für diejenigen Bürgerinnen und Bürger geht, die auf diese
Leistungen angewiesen sind. Das ist der zentrale Ansatz.
({27})
- Aber dann möchte ich sehen, dass auch Sie dabei sind,
wenn es wirklich darauf ankommt.
Wenn es konkret wird, wird es jedes Mal schwierig.
Deswegen habe ich das bayerische Beispiel genannt. Es
ist nicht auf Bayern beschränkt; in Bayern wird so etwas
nur mit ein bisschen mehr Ellbogeneinsatz als woanders
betrieben. Das ist auf allen Ebenen zu sehen, übrigens
auch parteienübergreifend, wie ich ohne weiteres einräumen will. Nur können Sie hier nicht von Verminderung
des Staatskonsums reden und auf Länderebene das genaue
Gegenteil davon verlangen. Das ist schlicht nicht glaubwürdig.
({28})
Zum Thema Zukunftsinvestitionen sage ich noch einmal einen herzlichen Dank an die Koalitionsfraktionen.
Es war nicht selbstverständlich, dass der Zufallsfund der
100 Milliarden DM aus den UMTS-Lizenzen - als Finanzminister war ich hier wie bei allen sonstigen Annahmen ein bisschen vorsichtig; das muss auch so sein, weil
ich mich ungern unangenehm überraschen lasse - vollständig zur Schuldentilgung eingesetzt wird und niemand
den Versuch unternehmen konnte, davon etwas in die Finger zu bekommen. Das ist eine enorme Leistung, die die
finanzpolitische Debatte in Deutschland wirklich voranbringt.
({29})
Dies war auch für die Regierung nicht leicht, weil es
nämlich eine Fülle von Aufgaben gibt, denen man eigentlich nachkommen müsste.
({30})
- Ja, ich habe viele Vorschläge bekommen, wie man dieses Geld ausgeben kann. Das meiste wäre mir allerdings
auch alleine eingefallen, meine Damen und Herren.
({31})
Der entscheidende Punkt dabei ist folgender: Wir haben
etwas eingeübt, was ab 2006 zum System wird. Dann werden wir sehen, wer in diesem Lande zukunftsfähig ist.
Jetzt bekommen wir nämlich zwei Dinge zusammen, die
zusammengehören: Schuldenabbau und die Chance für
mehr Zukunftsinvestitionen.
({32})
Der Schuldenaufbau hat unsere Zukunftsfähigkeit erheblich ruiniert und der Schuldenabbau gibt uns die Zukunftsfähigkeit wieder. Insofern stellte die Debatte um die
Verwendung der UMTS-Erlöse einen interessanten Lernprozess dar.
Ich sage aber auch mit allem Nachdruck: So schön es
wäre, wenn man nur konsolidierte und auch die Zinsen in
den Schuldenabbau steckte, es wäre nicht nur eine Überforderung der politischen Debatte in Deutschland, sondern vor allen Dingen im Blick auf unsere Zukunftsfähigkeit nicht richtig gewesen. Der Dreiklang, meine Damen
und Herren, muss sein: erstens Schulden abbauen, zweitens richtig in die Zukunft investieren, also die Staatsausgaben in ihrer Zusammensetzung verbessern - Zukunftsvorsorge statt Zinsausgaben -, und drittens Steuern und
Abgaben senken, und zwar so, dass auch schon bei der
Steuererhebung und nicht erst hinterher bei der UmverBundesminister Hans Eichel
teilung über die Ausgaben im Staatshaushalt soziale Gerechtigkeit erkennbar wird.
({33})
Durch Schuldenreduzierung und Reduzierung der
Zinsausgaben können wir es uns leisten, die Investitionen
in den Verkehrssektor, vor allem aber die Investitionen in
den Bereich Bildung und Forschung wieder zu erhöhen.
Der Bildungshaushalt steigt um 1,4 Milliarden DM oder
9,5 Prozent. Das ist die mit Abstand größte Steigerungsrate eines Einzelhaushalts. Das ist so auch richtig, daran
sieht man, dass wir richtig in die Zukunft investieren.
({34})
Es geht auch darum, Vorsorge für die Aufgaben zu treffen, die beim Aufbau Ost - ich sage das mit allem Nachdruck - vor uns stehen und weiterhin zu leisten sind. Wir
müssen noch über lange Zeit in die Infrastruktur investieren. Der Bundeskanzler hat mit den Ministerpräsidenten
verabredet, dass wir noch in dieser Legislaturperiode
nicht nur den bundesstaatlichen Finanzausgleich, sondern
auch den Solidarpakt II neu fassen, damit auch über 2005
hinaus Gewissheit darüber herrscht, dass wir unsere Aufgaben beim Aufbau Ost nicht vernachlässigen werden und
es eine Perspektive für die neuen Bundesländer gibt, an
die westdeutschen Länder herangeführt zu werden.
({35})
Dazu gehört viel, meine Damen und Herren: Dazu
gehören die Infrastruktur, die aktive Arbeitsmarktpolitik,
das Investitionsförderungsgesetz, das Programm InnoRegio und das Jugendbildungsprogramm JUMP, das zu
über 50 Prozent in den neuen Bundesländern greift und
auch greifen muss, weil die Wirtschaft es dort noch nicht
schafft, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu
stellen. Ich sage das übrigens nicht vorwurfsvoll. Wir wissen nämlich, dass es dort zu wenig dafür geeignete Betriebe gibt. Die Struktur ist anders und unter diesem
Aspekt schlechter als in den westdeutschen Ländern.
Im Rahmen von Wohnungsmodernisierungsprogrammen muss man natürlich auch über den Wohnungsleerstand reden, weil dieser ein Anzeichen für eine außerordentlich schwierige Situation ist. All das sind Aufgaben,
denen wir uns mit diesem Haushalt annehmen. In diesen
Bereichen treffen wir auch Vorsorge für die Zukunft. Das
heißt, der Reformstau in Deutschland ist wirklich aufgelöst. Die Maßnahmen hierfür umfassten nicht nur Haushaltskonsolidierung und Steuerreform, sondern auch Rentenreform, Bundeswehrreform und Justizreform. Es ist
schon erstaunlich, was wir nach so vielen Jahren des Stillstandes den Menschen alles zumuten müssen, damit dieses Land wieder vorankommt.
({36})
- Das ist so. Sie hätten ja wenigstens ein paar Aufgaben
mehr angehen können. Da das aber nun nicht mehr zu ändern ist, müssen wir es tun.
({37})
Der Erfolg, meine Damen und Herren, ist ja sichtbar.
Wir können wieder erfreuliche Wachstumsraten verzeichnen. Mit dem Ziel „Mehr Wachstum und Beschäftigung
für die Menschen“ sind wir angetreten; dafür ist Gerhard
Schröder in den Wahlkampf gezogen. Damit sorgen wir
konkret für soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft.
({38})
Die Wachstumsraten in diesem Jahr betragen 3 Prozent.
Unsere Schätzung für das nächste Jahr von 2,75 Prozent
liegt - das sagen alle Institute - am unteren Rand. Diese
Raten liegen doppelt so hoch wie der Durchschnitt der
ganzen 90er-Jahre. Unter Ihrer Verantwortung erlebte
Deutschland damals eine ausgesprochene Schwächeperiode.
({39})
Trotz hoher Ölpreise ist die Kerninflationsrate in
Deutschland nach wie vor niedrig, sie liegt nämlich bei
etwa 1 Prozent.
({40})
Das heißt, dass sich die Europäische Zentralbank im Hinblick auf ihre Geldpolitik darauf verlassen kann, dass vom
größten Mitglied der EU und der Euro-Zone keine Inflationsgefahren ausgehen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass eine Zinspolitik betrieben werden
kann, die dazu beiträgt, dass sich das Wachstum weiter
positiv entwickelt.
Nun komme ich zur Beschäftigung. Auch da erzählen
Sie große Märchen, wenn Sie behaupten, die Beschäftigung sei während Ihrer Regierungszeit gestiegen. Ich
kann Ihnen ganz andere Zahlen vorlesen:
({41})
1992 ging die Zahl der Beschäftigten - Herr Austermann,
Sie wissen, wer damals regiert hat - um 1,5 Prozent, 1993
um 1,3 Prozent und 1994 um 0,2 Prozent zurück. 1995
gab es ein Plus von 0,2 Prozent, 1996 ein Minus von
0,3 Prozent, 1997 ein Minus von 0,2 Prozent, 1998 - jetzt
geht es wieder aufwärts - gab es ein Plus von 0,9 Prozent,
({42})
1999 ein Plus von 1,1 Prozent - da haben wir schon regiert.
({43})
2000 wird es ein Plus von 1,5 Prozent und 2001 ein Plus
von 1,5 Prozent geben. So lauten die Prognosen aller Institute.
({44})
Mit anderen Worten - hierbei bleibt der Effekt des 630Mark-Gesetzes außen vor, Herr Kollege Rexrodt - heißt
das: Wir haben zurzeit einen Zuwachs von jährlich mindestens 500 000 zusätzlich Beschäftigten. Das hat nichts
mit der demographischen Entwicklung zu tun, sondern es
gibt zusätzlich 500 000 Arbeitsplätze in diesem und zusätzlich - eher etwas mehr - 500 000 Arbeitsplätze im
nächsten Jahr.
({45})
Eine so starke Zunahme hat es in den ganzen 90er-Jahren
nicht gegeben, nicht ein einziges Mal. Damals war die
Entwicklung nur negativ.
Es ist auch falsch, wenn Sie behaupten, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit etwas mit der demographischen
Entwicklung zu tun hätte. Es verhält sich ganz anders: Die
Arbeitslosenzahl geht nämlich gar nicht so zurück, wie sie
aufgrund der demographischen Entwicklung zurückgehen müsste. Das hat damit zu tun, dass jetzt eine Menge
Menschen aus der stillen Reserve in die Arbeitswelt drängen, die gar nicht als arbeitslos gemeldet waren. Dieser
Schritt ist mit Blick auf die Zukunft vernünftig. Wir müssen unser Beschäftigungspotenzial nämlich besser ausschöpfen. Eine Quelle hierfür stellen die jungen Frauen
im Westen dar. Dort gibt es eine zu geringe Zahl von berufstätigen Frauen. Im Osten ist die Arbeitslosenquote so
hoch, weil es in der alten DDR sehr viele erwerbstätige
Frauen gab. Hier ist noch eine Menge zu tun. So kommt
zum Beispiel noch die sehr große Aufgabe auf uns zu, die
Kinderbetreuung in den westdeutschen Ländern sicherzustellen, damit Frauen überhaupt einer Beschäftigung
nachgehen können.
({46})
Wir sind damit auf einem sehr guten Weg; alle Daten zeigen dies. Dies bestätigen auch die Wirtschaftsforschungsinstitute, der Sachverständigenrat, die Bundesbank, die
OECD und der Internationale Währungsfonds.
Zwei Dinge trösten mich: Erstens. Diese Politik ist
nicht nur in der Regierungskoalition - wir haben hart
dafür kämpfen müssen; das war nicht einfach -, sondern
inzwischen auch im Lande tief verankert. Es wird keine
unsolide Finanzpolitik wie die, die wir beendet haben,
mehr geben. Diese Erkenntnis hat sich im Lande durchgesetzt.
({47})
Zweitens. Wir befinden uns - darauf hat Herr Kollege
Rexrodt zu Recht hingewiesen - in einem europäischen
und internationalen Geleitzug.
({48})
Wenn wir da ausbüchsen würden, würden wir es teuer bezahlen.
Eine letzte Bemerkung mit Blick auf die Europadebatte heute Morgen, in der der Bundeskanzler eine Regierungserklärung abgegeben hat. Wir werden uns sehr
nüchtern - in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geht es
immer sehr nüchtern zu - damit beschäftigen müssen,
welchen Rahmen uns Europa setzt. Der nächste Jahreswirtschaftsbericht wird genau in diesen Rahmen passen.
Eine Fülle von Reden, die Sie gehalten haben, wird es
dann nicht mehr geben. Könnten diese Reden doch gehalten werden, dann würde dies nämlich bedeuten, dass wir
aus dem europäischen Rahmen herausspringen und unserer Verantwortung für den Euro nicht gerecht werden. Ich
bin aber zuversichtlich, dass es nicht so kommen wird.
({49})
Wir haben die deutsche Stabilitätskultur nach Europa
getragen. Von dort kommt sie jetzt als Forderung an uns
zurück. Ich finde, dies ist außerordentlich tröstlich; denn
man kann aus deutscher Sicht kein besseres Argument für
Europa anführen.
Ich bin für die Zukunft guter Dinge. Wir sind auf dem
richtigen Wege. Überlegen Sie sich, ob Sie dem nicht zustimmen können!
({50})
Für die
CDU/CSU-Fraktion gebe ich dem Kollegen Peter Rauen
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Eichel, die Umstellung des Kindergeldes von der steuerlichen Förderung auf die direkte Förderung erfolgte zum 1. Januar
1996. Damals haben sich die Einnahmen wie auch die
Ausgaben um 20,5 Milliarden DM erhöht. Es war also
nicht so, wie sie vorhin gesagt haben, dass es eine Erhöhung um 40 Milliarden DM im Jahre 1998 gab. Eine
solche falsche Aussage ist eines Finanzministers unwürdig.
({0})
Mir ist klar, warum Sie diese Verneblungstaktik anwenden. Wenn man sich nämlich einmal anschaut, um wie
viel die Nettoneuverschuldung zurückgegangen ist,
dann muss man feststellen, dass dies - eigentlich Ihrem
Ruf gemäß - ziemlich wenig ist. Sie werden im Jahre
2001 43,2 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen als im
Jahr 1998 haben. Aber die Nettoneuverschuldung geht in
demselben Zeitraum nur um 0,7 Prozent zurück.
Diesen Sachverhalt wollen Sie mit dem nicht zutreffenden Hinweis auf das Kindergeld vernebeln. Sie wollen
damit nur verschleiern, dass der Grund für den geringen
Rückgang der Nettoneuverschuldung darin liegt, dass Ihr
Vorgänger Lafontaine die konsumtiven Ausgaben um
30 Milliarden DM erhöht hat. Gehen Sie nicht so weit,
diese Tatsache mit dem Kindergeld zu verknüpfen! Das
hat mit der Politik Ihres unmittelbaren Vorgängers zu tun.
({1})
Ich bin dankbar, dass Sie zugegeben haben, gegen die
Privatisierungsmaßnahmen der alten Bundesregierung
gewesen zu sein. Damit geben Sie endlich zu, dass Sie unverdientermaßen die Sondereinnahmen in Höhe von fast
150 Milliarden DM kassieren können,
({2})
für die Theo Waigel und Helmut Kohl die Saat ausgebracht haben.
({3})
Sie hatten das Glück, dass durch die Zinsersparnis der
nächste Haushalt weniger belastet wird. Wir begrüßen,
dass Sie deswegen Investitionen für das nächste Jahr
vornehmen können. Aber ohne diese Zinsersparnisse
wäre die Investitionsquote nach Ihrem Regierungsentwurf auf 11,4 Prozent gesunken und damit auf einen historischen Tiefstwert gefallen.
({4})
Dennoch sind diese Investitionen noch immer völlig unzureichend.
Wir haben in Deutschland einen gewaltigen Investitionsstau bei notwendigen Reparaturen und Neubauten von
Straßen, Schienen- und Wasserwegen. Dies gilt insbesondere für die neuen Bundesländer.
({5})
Gute Verkehrswege sind die Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität, für eine sich dynamisch entwickelnde Wirtschaft und damit für die Arbeitsplätze von
morgen. Ich halte es deshalb vor diesem Hintergrund für
einen großen Fehler, dass Sie gemäß Ihrer Finanzplanung
die Investitionsquote von 12,2 Prozent im Jahr 2001 über
10,9 Prozent und 10,5 Prozent auf 10,4 Prozent im
Jahr 2004 zurückfahren wollen. Im Klartext heißt das,
dass Sie im Jahr 2004 8,5 Millionen DM weniger für Investitionen ausgeben wollen als noch im Jahr 2001. Ich
halte dies angesichts des Bedarfs an Investitionen in
Deutschland für verantwortungslos.
Diese Finanzpolitik ist ein wirtschaftspolitischer
Blindflug zulasten der Infrastruktur in Deutschland und
eine Gefahr für den Arbeitsmarkt.
({6})
Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist ohnehin die Achillesferse dieser Regierung. Sie geben das nur nicht zu und
versuchen - bisher, wie ich zugeben muss, mit gutem Erfolg -, die öffentliche Wahrnehmung zu täuschen und zu
manipulieren. Bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahlen
rechnen Sie heute 2,2 Millionen 630-Mark-Jobs hinzu,
die vor 1999 niemals mitgezählt wurden. Mehr Beschäftigung ist dadurch nicht entstanden. Im Gegenteil, weil
Sie die 630-Marks-Jobs so uninteressant gemacht haben,
wird manche Arbeit in Deutschland nicht mehr getan, zumindest nicht mehr legal. Kein Wirtschaftszweig in
Deutschland wächst so stark wie die Schwarzarbeit.
Die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt kommt daher,
dass in den letzten beiden Jahren 500 000 ältere Menschen
mehr aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, als
junge Menschen hinzukamen.
({7})
Diesen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials haben
die wirtschaftswissenschaftlichen Institute bereits im
April 1999 vorausgesagt. Die Arbeitslosenzahlen sind
zwar zurückgegangen; mehr Beschäftigung ist dadurch in
Deutschland aber nicht entstanden.
({8})
Hinzu kommt, dass in Deutschland zurzeit neben der
offiziellen Arbeitslosigkeit eine verdeckte Arbeitslosigkeit von 1,8 Millionen Personen existiert, die in AB-Maßnahmen und im arbeitsmarktbedingten Vorruhestand versteckt werden.
Fast 5,5 Millionen Menschen sind in diesem Jahr offen
oder verdeckt arbeitslos; das sind 13,2 Prozent. Andere
Länder sind Beispiele dafür, dass es kein Naturgesetz gibt,
nach dem es auf Dauer hohe Arbeitslosigkeit geben muss.
Es ist möglich, Vollbeschäftigung zu erreichen. In anderen Volkswirtschaften liegt die Arbeitslosenquote wesentlich niedriger, in Holland zum Beispiel bei 3 Prozent, in
Dänemark und in den USA bei 4 Prozent.
Es gibt aber auch bei uns riesige Beschäftigungschancen im Mittelstand, vor allem in der New Economy. Die
Zukunft gehört vielen kleinen und mittleren Unternehmen
sowie Neugründern, die in der Lage sind, flexibel zu arbeiten und schnell auf Nachfrageänderungen zu reagieren. Aber genau daran werden sie durch die Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung gehindert.
({9})
Wenn Sie mir nicht glauben, dann lesen Sie doch wenigstens das Gutachten, das die Sachverständigen im Auftrag Ihrer Regierung abgegeben haben. Darin steht glasklar,
dass der Beschäftigungszuwachs, in Erwerbstätigkeitsstunden gerechnet, zum Stillstand gekommen ist. Das ist der
Beweis, dass die Regierung bei ihrer Arbeitsmarktpolitik
versagt hat. Durch den Rückgang der Arbeitslosenzahlen
ist diese schlimme Entwicklung in der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend noch nicht registriert worden. Die
Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung geht in die völlig
falsche Richtung.
Der Sachverständigenrat gibt auch die Antwort darauf,
warum dies so ist. Als Gründe nennt er das 630-Mark-Gesetz, die überbürokratisierten Regeln zur Scheinselbstständigkeit, die erneute Regulierung beim Kündigungsschutz,
die Rücknahme der verminderten Lohnfortzahlung, die
Schlechtwettergeldregelung und die erneute Regulierung
der Märkte für Energie und Telekommunikation. Statt den
viel zu starren Arbeitsmarkt zu deregulieren, machen Sie
genau das Gegenteil dessen, was die OECD, der Internationale Währungsfonds, die EU-Kommission und die Forschungsinstitute fordern.
({10})
Stattdessen gehen Sie in Ihrer sozialistischen Regelungswut genau in die andere Richtung: voraussetzungsloser Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, Ausweitung der
Mitbestimmung und Herabsetzung der Schwellenwerte,
Einschränkung der befristeten Arbeitsverträge. - Das alles ist Gift für den Arbeitsmarkt und die freie Entfaltungsmöglichkeit von Unternehmern.
Mit dem Unternehmer haben Sie ohnehin, wie ich immer wieder feststellen muss, nichts am Hut.
({11})
Er bleibt für Sie der Kapitalist, der geschröpft werden
muss.
({12})
Das haben Sie mit Ihrer Steuerreform nachdrücklich unter Beweis gestellt.
({13})
- Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören.
Sehr geehrter Herr Eichel, Sie haben die ideologische
Vorgabe von Lafontaine astrein umgesetzt. Sie haben mit
Ihrer Steuerreform zwar die Unternehmen entlastet, nicht
aber die Unternehmer. Sie haben einbehaltene Gewinne
gegenüber ausgeschütteten Gewinnen begünstigt. Diese
Steuerreform ist eine Reform zugunsten der großen Kapitalgesellschaften und zum Nachteil der Personengesellschaften sowie der kleinen GmbHs und damit zum Nachteil des Mittelstandes.
({14})
- Ach, Herr Poß, Ihre dummen Sprüche kenne ich zur
Genüge.
({15})
Das ist letztlich auch das Urteil, zu dem der Sachverständigenrat in seinem Gutachten kommt. Sie werden
zwar dafür gelobt, dass Sie die Steuern senken. Aber was
die Architektur der Reform angeht, hagelt es Kritik. Ob es
die unterschiedliche Behandlung einbehaltener und ausgeschütteter Gewinne, die Ersetzung des Anrechnungsdurch das Halbeinkünfteverfahren oder die Gewerbesteueranrechnung ist, die tragenden Pfeiler Ihres Reformkonzepts hält der Sachverständigenrat für wirtschaftspolitisch
verfehlt, steuersystematisch fragwürdig und verfassungsrechtlich angreifbar.
({16})
Aber nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch bei
den Steuerzahlern hat sich inzwischen herumgesprochen,
was von Ihrer Reform zu erwarten ist: Die mittleren und
kleinen Unternehmen, die in Deutschland in der Vergangenheit für zusätzliche Arbeitsplätze gesorgt haben
und dies auch in Zukunft tun werden, kommen bei dieser
Reform entschieden zu kurz. Sie werden nicht entlastet,
sondern massiv belastet.
({17})
Alle wissen, dass die tarifliche Entlastung der Personenunternehmen zum 1. Januar 2001 mit 3 Prozent weit hinter jener der großen Kapitalgesellschaften, die 13 Prozent
beträgt, zurückbleibt.
Herr Eichel, Sie behaupten immer, dass nur der Mittelstand durch die Steuerreform effektiv entlastet werde.
Demgegenüber erhielten die Kapitalgesellschaften mit
der Tarifsenkung nur das zurück, was ihnen zuvor aufgrund der Verschärfung der steuerlichen Gewinnermittlung durch das so genannte Steuerentlastungsgesetz
1999/2000/2002 genommen worden sei. Sie wollen uns
und dem Mittelstand damit weismachen, dass Ihr Vorgänger nur die Kapitalgesellschaften geschröpft, den Mittelstand aber verschont habe.
({18})
Jeder sachkundige Steuerberater weiß doch, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Lassen Sie mich nur einige
von Lafontaines steuerpolitischen Hinterlassenschaften
nennen: Einführung der Mindestbesteuerung, Einschränkung des Betriebsausgabenabzugs von Schuldzinsen,
Erschwerung bzw. Einschränkung der Teilwertabschreibung, Abschaffung des Mitunternehmererlasses, Einschränkung des Verlustrücktrages, Einschränkung der
Verlustverrechnung und Abschaffung des halben Steuersatzes für Betriebsveräußerungs- und -aufgabegewinne.
({19})
Das alles sind doch Punkte, die auch oder sogar ausschließlich den Mittelstand betreffen. Nur einen kleinen
Teil dieser Verschlechterungen haben Sie in dem entsprechenden Vermittlungsverfahren zurückgenommen. Auch
§ 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes haben Sie jetzt
nur teilweise wieder so eingeführt, wie er früher war.
Durch die Begrenzung des halben Steuersatzes durch den
Mindeststeuersatz werden gerade die kleinen Unternehmer massiv getroffen. Sie sind genauso Betrogene wie die
Mittelständler, die 1999 und 2000 ihren Betrieb aufgeben
mussten, und die Handelsvertreter, deren Abfindungen
beim halben Steuersatz völlig außen vor gelassen wurden.
({20})
Zu den genannten Abschreibungsverschlechterungen
kommen ab 1. Januar 2001 weitere hinzu - das gilt auch
für den Mittelstand -: Die degressive AfA wird um ein
Drittel reduziert.
({21})
- Dümmer kann kein Zuruf sein. Wir haben ein ganz anderes Konzept gehabt als das, das Sie vorgelegt haben.
({22})
Die neuen AfA-Tabellen, die ab Januar 2001 gelten sollen, treffen die gesamte Wirtschaft, besonders aber den
Mittelstand.
Hinzu kommt ab 1. Januar eine weitere Erhöhung der Mineralölsteuer um 7 Pfennig einschließlich der Umsatzsteuer.
({23})
Sie könnten, Herr Minister Eichel - da will ich an das
anknüpfen, was Herr Wagner gesagt hat -, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge im nächsten Jahr um 0,5 Prozentpunkte senken. Stattdessen sanieren Sie den Bundeshaushalt zulasten der Bundesanstalt für Arbeit.
({24})
Ich halte dies für einen Treppenwitz im Zusammenhang
mit Ihrem Geschwätz, dass Sie die Lohnzusatzkosten
mindern wollten.
Der Mittelstand wird nicht entlastet, er wird massiv belastet. Die Tarifentlastung 2005 kommt für Unternehmer
und Arbeitnehmer viel zu spät. Aber ich sage es hier noch
einmal, damit es sich auch einprägt, Herr Minister Eichel:
Wer Unternehmer nicht entlasten will, will auch Arbeitnehmer nicht entlasten, denn beide werden nach dem gleichen Einkommensteuertarif besteuert.
Ich habe Ihnen schon mehrmals vorgerechnet und Sie
haben es mir nicht ein einziges Mal widerlegt,
({25})
dass ein Arbeitnehmer bei einer jährlichen Lohnerhöhung
von 2,5 Prozent bis 2005 dann prozentual genauso viel
Steuern zahlt wie im Jahr 2001. Wenn die Lohnabschlüsse
durch die zwischenzeitlich energiepreisbedingt höhere
Inflationsrate höher ausfallen, wird er prozentual sogar
noch höhere Steuern zahlen als im Jahr 2001.
Sie geben den Unternehmern und den Arbeitnehmern
in den Jahren 2003 und 2005 lediglich das zurück, was Sie
ihnen vorher durch heimliche Steuererhöhungen, durch
die kalte Progression aus der Tasche gezogen haben. Die
Erwartungen der Menschen in die Steuerentlastung werden durch die Realität nicht gedeckt. Auf ihren Lohn- und
Gehaltsabrechnungen ab Januar werden die Menschen ablesen können, dass die Steuerentlastung für die meisten
nicht einmal die Folgen des Energiepreisanstiegs ausgleicht.
({26})
Herr Eichel, weil Sie es eben mit den globalen Zahlen,
die den Staat interessieren, gesagt haben, sage ich es jetzt
einmal am Beispiel eines Lohn- oder Gehaltsempfängers:
Wenn jemand 5 500 DM brutto verdient, wird er durch die
Steuerreform ab 1. Januar monatlich 85,49 DM mehr im
Geldbeutel haben, das sind im Jahr 1 026 DM mehr. Wenn
derselbe Arbeitnehmer jetzt seinen Heizöltank mit
3 000 Litern füllt, muss er 1 500 DM mehr bezahlen als
vor einem Jahr. Der wird von der Steuerentlastung im Januar überhaupt nichts merken. Das ist Fakt.
({27})
Wenn die Mieter im Frühjahr ihre Nebenkostenabrechnungen erhalten, werden neben den Eigenheimbesitzern
alle 39 Millionen Haushalte in Deutschland merken, was
ihnen von der Steuerentlastung an Kaufkraft bleibt, nämlich nichts.
Bei dieser Betrachtung sind die Mehrkosten durch die
hohen Benzin- und Dieselpreise noch gar nicht eingerechnet. Die Menschen auf dem flachen Land, die zwingend auf ihr Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen, haben mittlerweile gemerkt, dass die Erhöhung von
70 auf 80 Pfennig für sie ein schlechter Witz ist. Diese Erhöhung reicht gerade einmal aus, um die 7 Pfennig Mehrkosten ab 1. Januar bezahlen zu können. Das ist ein reines
Nullsummenspiel für die Leute, die ihr Auto zwingend
brauchen, um zur Arbeit zu kommen.
({28})
Für dieses Nullsummenspiel werden sich vor allem die
Bürger in den Flächenländern, zum Beispiel Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, zu bedanken wissen. Sie
werden kaum Verständnis dafür haben, dass sie ohne jegliche effektive Entlastung mit ansehen müssen, wie
gleichzeitig Fußgänger, Radfahrer, Bahn- oder Busfahrer
massiv entlastet werden und dabei teilweise noch ein
gutes Geschäft machen können.
Herr Eichel, dieses Gesetzgebungsverfahren wird allmählich immer mehr zur Posse. Sie wissen ja, dass die
Länder seit Wochen sagen: Wir bezahlen diesen Unfug
nicht mit. Dennoch wurde das Gesetz hier im Parlament
durchgepeitscht. Und jetzt kommen die Überlegungen, ob
man die Erhöhung der Pauschale befristet, die Höhe der
Pauschale nach dem jeweils benutzten Verkehrsmittel
staffelt,
({29})
die Pauschale erst ab einer gewissen Mindestentfernung
oder nur bis zu einer bestimmten Höchststrecke gewährt
oder den Abzug auf einen bestimmten Höchstbetrag begrenzt. Dieses Tohuwabohu ist nur noch mit Riesters
Rentenreform zu vergleichen und hat die Qualität der gescheiterten Gesundheitsreform.
({30})
Herr Minister, schaffen Sie die Ökosteuer ab! Das
wäre für die Konjunktur und die Arbeitsplätze ein befreiendes Signal. Die ganze Flickschusterei bringt nichts. Das
ist alles wie gewollt und nicht gekonnt.
Herr Eichel, in Ihrem Vortrag vor der Berliner Humboldt-Universität am 9. November haben Sie den Grundsatz der Nachhaltigkeit zum Fundamentalprinzip Ihrer
Finanzpolitik erklärt: Keine Generation dürfe auf Kosten
der Nachfolgergeneration wirtschaften.
Dass in Konsequenz dieser Politik der Staat aus der
Schuldenfalle heraus muss, ist richtig. Das unterstützen
wir von der Opposition ohne Wenn und Aber. Richtig ist
aber auch, dass die arbeitenden Menschen aus der Steuerund Abgabenfalle heraus müssen. Ebenso richtig ist es,
dass der Arbeitsmarkt von lähmenden und einstellungsfeindlichen Regulierungen befreit werden muss.
Die Balance dieser drei Grundforderungen für mehr
Wachstum und Beschäftigung hat Ihre Regierung bisher
leider nicht gefunden. Es ist doch eine Schande, dass die
größte Industrienation Europas mit Italien zusammen
Schlusslicht beim Wachstum in Europa ist.
({31})
Ausgerechnet die Wirtschaft in Europa mit dem größten Exportanteil ist trotz der Begünstigung der Außenkonjunktur durch den schwachen Euro nicht in der Lage,
in Deutschland einen Aufwuchs an Beschäftigung herbeizuführen. Wie sollen die internationalen Kapitalmärkte das Vertrauen in den Euro zurückgewinnen, wenn
nicht Deutschland wieder Wachstumslokomotive in Europa wird? Schuldenabbau und gleichzeitige Entlastung
der Menschen von Steuern und Abgaben sind kein Gegensatz, sie bedingen sich einander. Eine erfolgreiche
Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik als Einheit verstanden bewährt sich am besten auf dem Arbeitsmarkt und
genau da haben Sie versagt.
({32}))
Wie das geht, hat die Regierung Kohl von 1982 bis
1989 erfolgreich bewiesen.
({33})
- Hören Sie ruhig zu, Sie haben offenbar ein so kurzes Gedächtnis, dass Ihnen so manches wieder in Erinnerung gebracht werden muss.
({34})
Damals wurde die Nettoneuverschuldung von 37 Milliarden DM im Jahre 1982, die, wenn Schmidt an der Regierung geblieben wäre, in 1983 auf 50 Milliarden DM
angestiegen wäre, auf 19 Milliarden DM in 1989 zurückgefahren und gleichzeitig entstanden in Deutschland
3 Millionen zusätzliche ordentliche Arbeitsplätze, über
die Steuern und Abgaben gezahlt worden sind.
({35})
Hiervon sind Sie heute meilenweit entfernt.
Meine Damen und Herren, ich will abschließend sagen: Die Regierung Schröder, die vor zwei Jahren mit der
Aufforderung an die Nation angetreten ist, sie an ihren Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt zu messen, ist nicht die Lösung unserer Probleme, diese Regierung ist das Problem
selbst.
({36})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren!
Die konjunkturelle Lage der deutschen Wirtschaft ist
gut. Die Politik hat begonnen, den wachstumshemmenden Reformstau aufzulösen. Die Bundesregierung hat in diesem Jahr in der Finanzpolitik wichtige
Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung geschaffen. Im internationalen Wettbewerb der
Investitionsstandorte kann verlorenes Terrain wiedergewonnen werden.
({0})
- Das schreibt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Herr Merz,
in seinem Gutachten, das er Mitte November vorgelegt
hat, aber so etwas lesen Sie ja nicht.
({1})
„Solider Aufschwung“, „Expansion nach klassischem
Muster“ - das sind die Stichworte zur konjunkturellen
Analyse. Dann zieht sich die Zustimmung des Sachverständigenrates zur Finanzpolitik der Bundesregierung und
der sie tragenden Koalition wie ein roter Faden durch dieses Gutachten.
Meine Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P.,
warum können Sie sich nicht einfach einmal darüber
freuen, dass Deutschland eine gute Entwicklung nimmt?
({2})
Sie suchen krampfhaft nach allen möglichen Ecken und
Kanten und unerfüllten Wünschen.
({3})
Sie kommen überhaupt nicht auf die Idee, dass die Wirtschaft und die Menschen in diesem Lande eine ganz andere Einschätzung haben als die, die Sie hier verbreiten.
({4})
Vielleicht pflegen Sie das. Ich kann das ja nachempfinden.
({5})
Es tut Ihnen offensichtlich Leid,
({6})
dass es in Deutschland einen Aufschwung gibt. Das kann
ich noch verstehen. Es tut Ihnen Leid, dass Sie daran nicht
beteiligt sind. Sie haben dafür nichts getan.
({7})
Aber Sie sollten sich hier nicht hinstellen und diesen Aufschwung kleinreden. Es ist nur der schwarz-gelbe Neid,
dass Sie das nicht hingekriegt haben.
({8})
Das, was vom Sachverständigenrat und in ganz ähnlicher Weise vor einigen Wochen auch in dem Gemeinschaftsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute herausgestellt worden ist, ist die positive
Wirkung, die die Finanzpolitik dieser Regierung, die die
Finanzpolitik dieser Koalition für die wirtschaftliche Entwicklung bringt.
Das Erste ist, dass dieser Reformstau überwunden
worden ist, dass über die „deutsche Krankheit“ nicht mehr
geredet wird, sondern dass endlich die Dinge vorangekommen sind.
({9})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer?
Mit Freude.
Bitte sehr, Sie haben
die Freude, Herr Kollege.
({0})
Herr Kollege
Spiller, wenn das alles so ist, wie Sie es hier vortragen,
wie erklären Sie sich dann das regelrecht demonstrative
Desinteresse an Ihrer Finanzpolitik,
({0})
was sich auf der Regierungsbank in der totalen Abwesenheit der Kabinettsmitglieder widerspiegelt, wenn man
von einem gerade ausscheidenden Staatsminister und einigen Staatssekretären absieht?
Unsere Regierung ist immer
am Arbeiten,
({0})
und das macht sie natürlich manchmal auch außerhalb des
Plenums.
({1})
- Ich finde, ich habe es überhaupt nicht schwer. Herr
Rexrodt, Sie haben mir natürlich Leid getan, als ich sah,
mit welcher Verbissenheit Sie nun das kommentieren
mussten, was alle loben.
({2})
Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute und - was
Sie wahrscheinlich noch mehr schmerzt - auch die Unternehmen selbst und die Bürger im Lande sagen: Gut,
dass das endlich zustande gekommen ist.
({3})
Es gibt natürlich immer - je nachdem, wie Sie das handhaben - unterschiedliche Äußerungen. Wenn Sie zu Versammlungen kommen, bei denen die Leute die Jacke ihres Verbandes anhaben, dann wird der eine oder andere
natürlich erst einmal sagen: Wir hätten uns noch Schöneres gewünscht. Wenn Sie aber mit den Leuten, auch den
Mittelständlern, reden, Herr Merz, kommt eigentlich immer heraus: Endlich, wir freuen uns. Gut, dass ihr das geschafft habt und dass es nicht durch den Bundesrat
blockiert worden ist. Sie haben ja damals die völlig richtige Einschätzung gehabt: Am 14. Juli wird sich die Spreu
vom Weizen trennen. Genauso ist es gekommen und wir
haben jetzt eine ordentliche Steuerreform.
({4})
Zu der Wirkung der Steuerreform oder zumindest zu
der Unterstützung, die von der Steuerreform für das Wirtschaftsgeschehen ausgeübt worden ist, gehört die deutliche Belebung der Investitionstätigkeit. Wir haben es seit
langem nicht gehabt, dass Ausrüstungsinvestitionen in der
Größenordnung von 8 Prozent pro Jahr zunehmen und
dass dabei nicht allein die Ersatzinvestitionen das Motiv
dafür sind, sondern auch die Erweiterung von Produktionskapazitäten, Innovation und neue Produkte. Das
Ganze geht mit einer Zunahme von Beschäftigung einher.
Ich kann verstehen, dass es Sie stört, dass das bei Ihnen
nicht stattgefunden hat, Herr Rexrodt. Herr Rauen, Sie
sollten sich vielleicht noch einmal die Tabellen ansehen.
In der ganzen Zeit seit 1990, als Herr Kohl regierte, ist die
Beschäftigung in Deutschland zurückgegangen. Wir haben seit diesem Jahr endlich eine Zunahme an Beschäftigung. Darüber kann man sich doch freuen. Man muss
doch dabei nicht kleinkrämerisch irgendwelche Nachteile
suchen. Ich finde, das ist ein großer Grund zur Freude.
({5})
Es ist im Übrigen so, dass die Investitionstätigkeit gerade im verarbeitenden Gewerbe, auch in Ostdeutschland, erfreulich aktiv ist. Trotzdem sage ich: Das, was wir
in Ostdeutschland brauchen, wäre eine höhere Investitionsrate als in Westdeutschland, damit die Rückstände
in der Kapitalausstattung, in der Ausrüstung der Betriebe
aufgeholt werden. Wir haben jetzt in etwa einen Gleichstand. Wir brauchen aber eine Belebung. Gerade in Ostdeutschland wird die Unternehmensteuerreform, die den
im Unternehmen belassenen Gewinn deutlich schont,
heilsame Wirkungen auslösen. Dessen bin ich ganz sicher.
Wir brauchen eine Stärkung der Eigenkapitalbasis, gerade
in den ostdeutschen Betrieben, die ihre Gewinne zu einem
großen Teil in den Betrieben belassen müssen.
({6})
Es kommt noch etwas hinzu. Herr Rauen, Herr
Rexrodt, auch der Einzelhandel freut sich darauf, dass es
positive Auswirkungen auf die Beschäftigung gibt und die
Kaufkraft zunimmt.
({7})
Gestern erklärte der Präsident des Hauptverbandes des
Deutschen Einzelhandels, Herr Frenzen:
({8})
Das Weihnachtsgeschäft läuft gut. Für 2001 sind die Erwartungen ausgesprochen positiv. Der endgültige Durchbruch sollte nach Ansicht von Herrn Frenzen im kommenden Jahr geschafft sein; denn dann dürften die
Konjunkturentwicklung, der Beschäftigungszuwachs und
auch die Auswirkungen der Steuerreform einen Umsatzzuwachs von real rund 2,5 Prozent ermöglichen.
({9})
Endlich nimmt auch die Kaufkraft der breiten Bevölkerung wieder zu. Wir haben - darauf haben übrigens vor
kurzem die Institute hingewiesen - im kommenden Jahr
zu erwarten, dass die Nettolöhne und -gehälter stärker als
die Bruttolöhne und -gehälter ansteigen werden. Dies bedeutet einen deutlichen Zuwachs an Kaufkraft. Davon haben Sie immer nur geträumt. Bei Ihnen ist nämlich die
Schere zwischen brutto und netto immer mehr aufgegangen.
({10})
Wir haben endlich die Situation, dass Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer von dem, was sie durch ihre Arbeit verdienen, mehr als vorher in der Tasche behalten.
({11})
Ich nenne bloß einmal zwei Beispiele:
({12})
Ein allein stehender Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttoeinkommen von 40 000 DM - es geht um einen jüngeren Menschen - hat in diesem Jahr monatlich 50 DM weniger Lohnsteuerabzug als 1998. Im nächsten Jahr hat er
monatlich 100 DM weniger Abzug als 1998.
({13})
Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Jahresbruttoeinkommen von 65 000 DM hat in diesem Jahr monatlich rund 200 DM mehr in der Tasche und im kommenden
Jahr rund 260 DM monatlich mehr als 1998. Das ist doch
etwas. Sie wollen so tun, als wäre das nichts. Aber die
Menschen in diesem Lande beurteilen das anders.
({14})
Im Zusammenhang mit der Lohnsteuer muss ich noch
eine Bemerkung loswerden. Wir hatten die Situation, dass
sich die Bundesrepublik Deutschland immer mehr zu
einem Lohnsteuerstaat entwickelte. Damit haben wir endlich aufgehört. Die Lohnsteuer war fast die einzige Einnahmenquelle, die beständig wuchs, während die veranlagte Einkommensteuer durch die bewusste Verwüstung
des Steuerrechtes durch die alte Koalition nur noch ein
Restposten war.
({15})
- Frau Präsidentin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gerne.
Bitte schön, Herr
Schauerte.
Herr Kollege, Sie
haben gerade betont, dass die Belastung durch die Lohnsteuer beim Steueraufkommen prozentual nicht mehr so
hoch sein wird, wie es vor einigen Jahren der Fall war. Die
Lohnsteuer war leistungsbezogen. Glauben Sie, dass Sie
mehr soziale und steuerliche Gerechtigkeit hergestellt haben, indem Sie nun die Ökosteuer in brutaler Weise und
völlig unabhängig vom Einkommen auch den Kleinen
und Einkommensschwachen auferlegen?
({0})
Ich sage erst einmal etwas
zur Lohn- und Einkommensteuer. Das Lohnsteueraufkommen ist gerade in den Jahren Ihrer Regierungszeit von
Jahr zu Jahr deutlich gestiegen.
({0})
Die veranlagte Einkommenssteuer ist innerhalb weniger Jahre in der letzten Wahlperiode zu einem kümmerlichen Erinnerungsposten zusammengeschmolzen.
({1})
1993 wies die veranlagte Einkommensteuer noch eine
Größenordnung von gut 30 Milliarden DM auf. 1997 betrug sie noch nicht einmal mehr 6 Milliarden DM. Ihr
standen 250 Milliarden DM Lohnsteuereinnahmen gegenüber.
({2})
Wie ist dieses Verhältnis zustande gekommen? Es ist zustande gekommen, weil die Einkommensteuerabteilungen der Finanzämter in Gegenden, wo gut verdienende
Leute wohnen, zu einer reinen Erstattungskasse verkommen sind.
({3})
Sie haben es nämlich Menschen, die ein gutes, laufendes
Einkommen hatten, durch eine Fülle von Steuerschlupflöchern und Sonderregelungen immer wieder ermöglicht, sich vor dem Finanzamt arm zu rechnen und
sich an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben nicht
mehr zu beteiligen.
({4})
Ich frage Sie, ob Sie
weitere Zwischenfragen des Kollegen Rauen und der Kollegin Dr. Höll zulassen. Wenn Sie damit einverstanden
sind, meine Damen und Herren, lasse ich dann keine weiteren Zwischenfragen mehr zu. - Herr Kollege Rauen,
bitte.
Herr Kollege Spiller, Sie
wissen als Mitglied des Finanzausschusses, dass die Einkommensteuer laut Statistik deshalb so niedrig war, weil
jemand, der ansonsten Lohnsteuer zahlt, eine Einkommensteuererklärung machen muss, wenn er Sonderabschreibungen geltend machen kann.
Das, was Sie eben geschildert haben, hat sehr eindeutig damit zu tun, dass jemand in den 90er-Jahren eine Sonderabschreibung geltend machen konnte, wenn er in den
neuen Bundesländern Wohnungen oder Büro- und Gewerbeflächen gebaut hatte. Das war auch von Ihnen gewollt.
({0})
Es ist unredlich, wenn Sie die Sache so darstellen, als
wenn da übliche Steuerschlupflöcher gewesen wären.
({1})
Vielmehr hatte das mit dem Wiederaufbau in den neuen
Bundesländern zu tun, und zwar gewollt von allen Parteien hier im Hause.
Das, was wir wollten, war
ein System von Zulagen,
({0})
eine gezielte Unterstützung von Unternehmen in Ostdeutschland, die ertragsschwach waren.
({1})
Die originär ostdeutschen Betriebe waren in den frühen
90er-Jahren fast alle ertragsschwach.
({2})
Denen hilft natürlich eine Sonderabschreibung überhaupt
nicht. Sie haben das nachher ja auch, Herr Kollege Rauen,
dankenswerterweise akzeptiert.
({3})
Aufgrund unseres Drängens im Finanzausschuss haben
Sie mitgetragen, dass wir von Sonderabschreibungen auf
Zulagen umgestellt haben.
({4})
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin Dr. Höll?
Ja.
Das ist dann die letzte
Zwischenfrage. Anschließend können Sie im Zusammenhang vortragen.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Kollege Spiller, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Regierungszeit von Schwarz-Gelb ein Wandel zum Lohnsteuerstaat eingetreten ist. Ich habe aber noch nicht ganz
verstanden, wie Sie eine Umkehr realisieren wollen, da
die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage politisch mit
der gleichzeitigen massiven Senkung des Spitzensteuersatzes begründet wurde.
({0})
Auch von einer Wiedereinführung der Vermögensteuer, wie sie von Frau Simonis im Landtagswahlkampf
gefordert wurde, sind Sie weit entfernt.
({1})
Die Entlastung beim Spitzensteuersatz ist natürlich wesentlich größer als im unteren Steuerbereich.
Zunächst einmal darf ich
feststellen, dass das Aufkommen der veranlagten Einkommensteuer in den letzten Jahren wieder deutlich gestiegen ist. Wir haben letztes Jahr im Bereich der Einkommensteuer ein Aufkommen in einer Größenordnung
von 26 Milliarden DM.
({0})
Das führt natürlich dazu, dass Menschen, die sich dank
ihrer Tüchtigkeit ein gutes Einkommen haben verschaffen
können, auch zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben
herangezogen werden. Das ist so in Ordnung.
Es wird für alle - Arbeitnehmer und Selbstständige eine Senkung des Einkommensteuertarifes geben. Es
bleibt aber dabei, dass man sich nicht mehr mit Verlustzuweisungen vor dem Finanzamt arm rechnen kann.
({1})
Es ist sowieso eine Perversion von Ordnungspolitik, wenn
Investitionsentscheidungen nicht nach Gewinnerwartungen, sondern nach Verlustzuweisungen erfolgen. Das hat
im Übrigen fast immer auch dazu geführt, dass Kapital in
eine falsche Richtung gelenkt wurde. Häufig waren diese
Steuersparmodelle zugleich Vermögensvernichtungsmodelle, weil ohne eine vernünftige, nüchterne, kaufmännische Vorgehensweise sehr viel Unsinn finanziert wurde.
({2})
Wir haben wieder mehr Steuergerechtigkeit hergestellt,
indem alle von der Senkung der Tarife profitieren werden,
man sich aber der Steuerpflicht nicht mehr entziehen
kann. Übrigens, Herr Rexrodt: Sowohl die F.D.P. als auch
die Union haben in den Beratungen im Laufe des Jahres
versucht, alle möglichen Lücken, die wir geschlossen haben, wieder zu öffnen.
({3})
Eine letzte Bemerkung zu der Legende, die Herr
Rexrodt vorhin hinsichtlich der Ursachen der Verschuldung erzählt hat:
({4})
Sie haben immer wieder betont, es gäbe eine simple Erklärung für Ihre unsolide Schuldenpolitik,
({5})
nämlich die Wiedervereinigung; die Wiedervereinigung
sei die Ursache für den Anstieg der Verschuldung des
Bundes gewesen. Im Jahre 1982, als Helmut Kohl Kanzler
wurde, betrug die Bundesschuld 350 Milliarden DM; bis
Helmut Kohl abgewählt wurde, hatte sich die Schuld in
etwa vervierfacht, nämlich auf 1 450 Milliarden DM. Im
Jahre 1990 - unmittelbar vor der Wiedervereinigung und
in der Mitte der Regierungszeit von Helmut Kohl - betrug
die Bundesschuld einschließlich der Nebenhaushalte
700 Milliarden DM.
({6})
Das heißt, in der ersten Hälfte der Regierungszeit hat sich
die Bundesschuld von 350 Milliarden DM auf 700 Milliarden DM verdoppelt und in der zweiten Hälfte der Regierungszeit hat sie sich noch einmal verdoppelt.
({7})
Sie haben Schulden gemacht, immer im gleichen Rhythmus, ohne wenigstens halbwegs seriös mit dem Geld der
Steuerzahler umzugehen und eine Belastung künftiger
Generationen zu vermeiden.
({8})
- Dass Sie das nicht gerne hören, kann ich mir vorstellen.
({9})
- Es gefällt Ihnen nicht, wenn man Ihnen nüchtern die
Wahrheit sagt. Das ist Ihnen unbequem.
({10})
Wir haben aber inzwischen etwas erreicht. Das liegt an
der Koalition und das liegt an dieser Regierung. Wir haben zurückgefunden zu der Kombination von soliden Finanzen und gerechten Steuern. Das hilft der Wirtschaft
und das hilft den Menschen in Deutschland.
({11})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen! Seit dem Amtsantritt von
Bundesfinanzminister Eichel ist bekanntlich die Reduzierung der Nettokreditaufnahme zum vorrangigen
Ziel rot-grüner Haushaltspolitik avanciert. Ganz gewiss:
Die Verringerung der gigantischen Zinslasten des Bundes
sowie die erst jetzt begonnene nennenswerte Tilgung von
Bundesschulden - immerhin belaufen sie sich pro Kopf
auf 16 600 DM - haben für die Handlungsfähigkeit des
Bundes große Bedeutung. Haushalts- und Gesellschaftspolitik aber können nicht auf den Schuldenabbau, so
wichtig dieser auch sein mag, verengt werden.
({0})
Notwendig ist vor allem der drastische Abbau der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit. Notwendig ist eine wirklich
Offensive für Bildung und Innovationen, für Wissenschaft und Kultur.
Ungeachtet manch positiver Ansätze bleibt, gemessen
an diesen Anforderungen, der Haushalt 2001 besonders
bezüglich der Zukunftsvorsorge unzureichend. Ich kann
die sehr positive und sehr unkritische Einschätzung des
Kollegen Spiller daher nicht teilen.
So braucht vor allem die arg gebeutelte Deutsche Bahn
endlich ein Zukunftsprogramm und nicht ständig neue
Horrormeldungen aus der Konzernzentrale.
({1})
Die überfällige Bahnsanierung, auch mit Bundesmitteln,
muss sofort auf einer verlässlichen mittelfristigen Finanzplanung beruhen. Sanierung der Bahn statt Halbierung der
Bahn, das muss die Devise sein, nicht nur beim Bahnvorstand, sondern auch bei der Bundesregierung.
({2})
Die PDS-Fraktion wendet sich vehement dagegen,
dass sich der Zugservice weiter verschlechtert, dass Interregio-Verbindungen abgebaut und, Kollege Küster, selbst
Landeshauptstädte wie Magdeburg von der InterregioVerbindung abgekoppelt werden sollen.
({3})
Gleichzeitig erwarten wir, dass sich die Bundesregierung
und der Bahnvorstand dafür engagieren, dass die Bahnwerke eine verlässliche Perspektive erhalten und dort der
drohende Beschäftigungsabbau durch konkrete Maßnahmen abgewendet wird.
({4})
Die Bundesregierung ist gerade auf diesem Zukunftsfeld immens gefordert. Sie kann sich nicht länger, wie
noch unter den vorangegangenen Ministern Müntefering
und Klimmt, in - ich sage es mal ganz bescheiden - vornehmer Zurückhaltung zur Bahn üben.
({5})
Das muss endlich vorbei sein.
({6})
Auch in der Wohnungspolitik des Bundes und im Budget für das Bauwesen sind neue Ansätze vonnöten. So hat
die Bundesregierung lange Zeit die sich zuspitzenden
Strukturprobleme in Ostdeutschlands Wohnungswirtschaft
in der Tat verschlafen. Jetzt ist ein erster, wenn auch noch
bescheidener Budgetansatz geschaffen, der wesentlich ausgebaut werden sollte.
Entschieden mehr Hilfe brauchen auch die Kommunen. Auch unter Finanzminister Hans Eichel, selbst mehr
als ein Jahrzehnt Oberbürgermeister einer Großstadt, verkommen sie immer mehr zu einer Melkkuh für den Bund.
({7})
In der Koalitionsvereinbarung hingegen wurden den
Kommunen noch großzügige Versprechungen hinsichtlich der Stärkung ihrer Finanzkraft gemacht. Eingelöst
aber wurde fast nichts.
({8})
All das aber trifft auf den entschiedenen Widerstand
der PDS-Fraktion. Die Kommunen wurden im Rahmen
der Steuerreform überproportional mit Einnahmeausfällen konfrontiert und werden das in den nächsten Jahren
immens zu spüren bekommen. Darüber hinaus hat der
Bund bekanntlich aus der Versteigerung der Mobilfunklizenzen über 100 Milliarden DM Einnahmen erhalten - ein
wahrer Geldsegen! Auf der anderen Seite müssen dies die
Kommunen mit Steuerausfällen von 17 Milliarden DM in
den nächsten 20 Jahren mit bezahlen. Ein schönes Geschäft für den Bund, aber ein Desaster für die Schwachen,
die Kommunen! Das ist unverantwortlich.
({9})
Deswegen fordern wir als Soforthilfe für die Kommunen,
in den Bundeshaushalt 2001 Mittel für eine Investitionspauschale für die ostdeutschen Kommunen und für Städte,
Gemeinden und Landkreise in strukturschwachen Regionen im Altbundesgebiet einzustellen. Der Budgetansatz
von 3 Milliarden DM soll direkt aus den UMTS-Erlösen
finanziert werden. Die Mittel sollen unbürokratisch direkt
vom Bund in die Kassen der Gemeinden fließen und vor
allem, Kollege Rauen, dem angeschlagenen Bau- und
Baunebenhandwerk zugute kommen und damit Beschäftigung fördern.
Der Spareifer des Bundesfinanzministers ist sprichwörtlich. Aber dieser Ruf ist durch den Haushalt 2001 angeknackst. Während er gemeinsam mit den Kollegen
Scharping und Schily die von uns seit längerem geforderte Angleichung der Bezüge der Zeit- und Berufssoldaten sowie der Zivilbeschäftigten der Bundeswehr aus
Ostdeutschland an die aus Westdeutschland auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben möchte - dafür
wären weniger als 200 Millionen DM erforderlich -, ist
ihm bei prestigeträchtigen milliardenschweren Großprojekten der Bundeswehr offenbar nichts zu teuer. Für die
Umrüstung der Truppe zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee veranschlagt der Bundesfinanzminister
bis zum Jahr 2015 die gigantische Summe von 180 Milliarden DM, ich betone: 180 Milliarden DM.
Herr Kollege, achten
Sie bitte auf Ihre Redezeit. Sie haben sie schon weit überzogen.
Ja, nur noch zwei, drei
Sätze. Zum Vergleich: Der Etat für Umwelt im Bundeshaushalt 2001 umfasst lediglich 1,2 Milliarden DM. Dem
stehen 180 Milliarden für die Interventionsarmee gegenüber. Mit diesem Etat soll nach dem Willen der rot-grünen
Koalition der Einstieg in das größte Programm zur qualitativen Aufrüstung der deutschen Nachkriegsgeschichte
vollzogen werden. Das lehnt die PDS ganz entschieden
ab. Sie sagt Nein zu diesem Haushalt.
({0})
Das Wort hat nun die
Kollegin Susanne Jaffke, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was in den letzten
dreieinhalb Stunden in der Diskussion über diesen Haushaltsansatz gesagt worden ist, war zum großen Teil
schlimm.
({0})
Ich werde mich bemühen, das etwas besser zu machen.
Ich habe den Eindruck, dass jeder hier ein Stück weit nur
seine Region vertritt und sich deswegen nicht mehr so
sehr um das große Ganze bemüht.
Es ist schon bezeichnend, wenn die Bundesregierung
so gut wie nichts zum Aufbau in den neuen Bundesländern sagt.
({1})
Als eine Abgeordnete aus einer sehr ländlichen Region
in Mecklenburg-Vorpommern kann ich all das, was hier
zum Beispiel der Kollege Spiller gesagt hat, überhaupt
nicht mehr nachvollziehen.
({2})
Die Lage des mittelständischen Gewerbes und in der
Landwirtschaft ist dort alles andere als rosig. Ihre so genannte Ökosteuer schlägt in den Betrieben aus diesen Bereichen ganz anders zu Buche, als Sie sich das vorstellen.
Ich kenne so gut wie keinen Betrieb in meiner Region, der
eine Gewinnversteuerung vornehmen kann, geschweige
denn, dass er etwas ansparen kann; denn die Mittelständler in den neuen Bundesländern, gerade die aus
den ländlichen Regionen, befinden sich stets und ständig
am Rande der Pleite.
Die hier immer wieder gerühmte Ökosteuer ist eigentlich gar nichts weiter als eine Erhöhung der Mineralsteuer.
Welche Belastung diese Steuer ist, können Sie am besten
an den Flächenländern sehen, in denen die Menschen auf
das Auto angewiesen sind, wenn sie zur Arbeit kommen
wollen; denn die Bahn fährt in vielen Regionen der
Flächenländer einfach nicht. Dort gibt es keine Schienen.
Da können Sie noch so viel über die Bahn und über die ihr
zu gewährenden Zuschüsse reden! Diese Belastungen für
den normalen Arbeiter und Steuerzahler sind von meinen
Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion und auch von meinem Kollegen Rexrodt dankenswerterweise schon sehr
gut dargestellt worden.
({3})
Dann macht diese Bundesregierung nichts weiter, als
die Sanierung des Haushalts zulasten der Kommunen zu
präsentieren. Die Kommunen werden mit zusätzlichen
Sozialausgaben belastet. Der kleine Ausgleich, der für die
sozial Schwachen als Heizkostenpauschale geleistet werden soll, ist zu vernachlässigen.
In einer Untersuchung der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern wird vom dortigen Innenminister
Timm, SPD, festgestellt, dass die Kommunen am Rande
ihrer Finanzkraft sind, dass für Investitionen keine Spielräume vorhanden sind. Dieses Gutachten, das von den
Wirtschaftsweisen bestätigt wird, gerade für die Flächenländer unter den neuen Bundesländern, wird aber unter
Verschluss gehalten und nicht in die Öffentlichkeit getragen. Es passt nicht in das ach so schöne Bild, das mit den
vielen Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit in diesem
Haushalt gemacht werden soll.
({4})
Als Berichterstatterin für das Bundesfinanzministerium möchte ich auf einige Punkte eingehen, die mit diesem Haushalt konkret zu tun haben. In diesem Haushalt
sind Veranschlagungen für die Betriebe, die als Nachfolgebetriebe der Treuhandanstalt in den neuen Bundesländern noch tätig sein sollen, enthalten. Im Bereich der Sanierung der ehemaligen Braunkohlereviere ist sich der
Bundesfinanzminister nicht zu schade, die an die LMBV
fließenden Investitionsmittel, die mit den Ländern Sachsen und Brandenburg vertraglich vereinbart sind, um
50 Millionen DM zu kürzen. Eigentlich haben die Belegenheitsländer noch gar nicht zugestimmt. Trotzdem wird
der Betrag gesenkt. Die Leidtragenden sind dann wieder
die auftragnehmenden Sanierungsfirmen mit Sitz in den
neuen Bundesländern. Sie müssen die höheren Energiekosten auffangen und werden mit Sicherheit im nächsten
Jahr in akute Existenzschwierigkeiten kommen.
Gleichzeitig zieht der Bund aus den Nachfolgebetrieben der Treuhand, die zum Bundesfinanzministerium
gehören, zusätzliche Liquidität ab. Am Beispiel der TLG
lässt sich das verdeutlichen. Die Treuhand Liegenschaftsgesellschaft, die in den neuen Ländern zur Infrastrukturhilfe ausgegründet wurde, musste in den Jahren 1999 und
2000 nach einem Rechnungshofbericht zusätzlich Liquidität von über 30 Millionen DM über die BvS dem
Bundeshaushalt zuführen und wird im nächsten Jahr Liquiditätsprobleme bekommen.
Weiterhin muss man feststellen, dass in diesem Haushalt die Mittel für die Gemeinschaftsausgabe „Regionale
Wirtschaftsförderung“ in den neuen Bundesländern
gekürzt werden, dass die Mittel für den Straßenbau Ost
um 200 Millionen DM gekürzt werden und dass die Mittel für Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern auch um 30 Millionen DM gekürzt werden.
({5})
All diese Dinge werden in der Öffentlichkeit nur wenig
beachtet.
Der Bundesfinanzminister hat einen weiteren Bereich
angesprochen. Er möchte Personal abbauen. Was da geschieht, ist aber ein Stück aus dem Tollhaus. Da wird mit
großem Brimborium und Trallala eine Gesellschaft für
Entwicklung, Beschaffung und Betrieb, GEBB genannt,
ins Leben gerufen. Eine schlüssige Konzeption für diese
Gesellschaft gibt es noch nicht. Minister Scharping hat sie
noch nicht vorgelegt. Aber in den letzten beiden Sitzungen des Haushaltsausschusses wird per Handzettel die
Information über den Tisch gereicht, dass die GEBB
in Ermangelung anderer Aufgaben die entbehrlichen
Bundeswehrliegenschaften vermarkten soll. Früher
war es üblich, dass das die Bundesvermögensverwaltung
getan hat. Sie hat es bisher mit gutem Erfolg getan. Auch
die Erlöse, die die Bundesvermögensverwaltung erzielt
hat, sind in Verstärkungsvermerken dem Verteidigungsministerium wieder zugeführt worden. Aber wie ist es eigentlich miteinander in Einklang zu bringen, dass Sie auf
der einen Seite ankündigen, Personal abzubauen und damit Beamten ihre eigentliche Arbeit wegzunehmen, und
dass Sie auf der anderen Seite Gesellschaften mit viel besser dotierten Posten und Pöstchen, was die Besoldung angeht, ins Leben rufen? Ich frage mich wirklich: Wo ist da
eigentlich noch Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit?
({6})
Zu der Aushebelung der Beschlüsse des Haushaltsausschusses, dass man sich in der Bundesregierung um ein
einheitliches Liegenschaftsmanagement kümmern soll,
schweigt die Koalition.
Am Rande bemerkt sei nur, dass mit dem Haushalt des
Jahres 2001 die Verbilligungstatbestände bei der Veräußerung von Liegenschaften zugunsten von Alten- und
Pflegeheimen, zugunsten von Frauenhäusern, zugunsten
von Obdachlosenheimen, zugunsten von Kinder- und Jugendhilfeprojekten, zugunsten von Werkstätten für geistig
und körperlich Behinderte ersatzlos gestrichen wurden,
und zwar von einer Regierungskoalition, deren größerer
Partner das Wort „sozial“ in seinen Namen trägt.
({7})
- Diese Dinge anzusprechen tut weh und ich weiß, das
macht Ihnen Kummer; deshalb verschweigen Sie dies so
hartnäckig. An dieser Stelle kann man diese Punkte einmal ansprechen.
Eine weitere im stillen Kämmerlein ausgehandelte
Vereinbarung - oder Nichtvereinbarung, wie auch immer - ist die Neustrukturierung der Zollverwaltung. Die
Zollverwaltung, die sich unter Objektivitätsparametern
für die Wirtschaft als Dienstleister und für die Bekämpfung der Kriminalität in der Zukunft präsentieren soll,
weiß bis heute noch nicht, wie ihre endgültigen Strukturen aussehen. Ich kann mich noch gut an den Bericht des
Kollegen Urbaniak erinnern, der in seinem letzten Diskussionsbeitrag sehr nachdrücklich gefordert hat, etwas
für die Kriminalitätsbekämpfung zu tun. Vor diesem Hintergrund muss er seinen Finanzminister fragen, wie das
mit dessen Aussage in Übereinstimmung zu bringen ist
- er hat sie auch vorhin getätigt -, dass er die Zollverwaltung neu strukturiert, weil Arbeitskräfte abgebaut werden
müssen und weil man weniger öffentlich Bedienstete
braucht.
Ich wünsche uns insgesamt, dass der Spuk dieser Regierung bald ein Ende hat und dass die Haushalte ab 2002
wieder besser werden.
({8})
Jetzt hat der Kollege
Hans-Eberhard Urbaniak, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Kohle rede ich
nicht, Herr Rexrodt. Dazu werden wir an anderer Stelle
Gelegenheit haben. Es kommt nur darauf an, dass der Vertrag eingehalten wird, den Sie unterschrieben haben. Davon wollen Sie offensichtlich Abstand nehmen. Das ist
nicht in Ordnung.
({0})
Ich möchte nur wenige Punkte erwähnen. Bezogen auf
meine liebenswerte Kollegin Jaffke stelle ich fest, dass die
Opposition sehr verkrampft ist und Gespenster sieht.
({1})
Wie kann sie sonst von „Spuk“ reden? Das ist eine sehr eigentümliche Sache. Sie müssen sich mit dieser Regierung
konkret auseinander setzen. Entkrampfen Sie sich und befreien Sie sich vom Spuk! Wenn das geschieht, dann können wir richtig debattieren.
({2})
Bezogen auf den Einzelplan 08 haben wir uns insbesondere mit dem Umsatzsteuerbetrug, mit der Gründung
der FISCUS GmbH, mit der Strukturentwicklung der
Bundesfinanzverwaltung, mit der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung, mit den personalwirtschaftlichen
Auswirkungen und den Folgemaßnahmen und mit den
Grundzügen der Sozialverträglichkeit beschäftigt. Das
sind alles ganz wichtige Tatbestände, auf die ich im Einzelnen kurz eingehen will. Es ist dabei zu erwähnen, dass
der Bundesfinanzminister in seinem Haushalt 420 Millionen DM - das ist eine enorme Summe - sparen wird. Er
hat das Sparen also nicht nur von anderen verlangt, sondern auch für sich selber akzeptiert.
Durch Umsatzsteuerbetrug - wir haben schon des Öfteren darüber geredet - gehen dem Fiskus jährlich 23 Milliarden DM verloren. Wir stellen eine zunehmende
Anzahl von Betrügereien fest, seit der Binnenmarkt entstanden ist. Es sind erhebliche Schwierigkeiten aufgetreten, die Betrüger zu fassen. Wir haben daher Maßnahmen
getroffen, um das Personal für die Verfolgung derartiger
Straftatbestände zur Verfügung zu stellen. Des Weiteren
bedienen wir uns zur Informationsgewinnung einer zentralen Datenbank und auch einer internationalen Datenbank in der Fachwissen über internationales Steuerrecht
zusammengefasst ist. Außerdem werden wir eine qualifizierte Projektgruppe beim Bundesamt für Finanzen einrichten. Ich hoffe, dass wir damit dem Umsatzsteuerbetrug besser auf die Spur kommen können; denn es ist
unerhört, wie die Arbeitnehmer Monat für Monat zur Abgabe ihrer Lohnsteuer herangezogen werden, während
hier ganze Gruppen auf kriminelle Art und Weise Staat
und Gesellschaft betrügen. Damit muss es ein Ende haben, meine Damen und Herren!
({3})
Es wird heute schon von einem organisierten Verbrecherring gesprochen. Diese Situation fordert uns besondere
Aktivitäten ab.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Gründung der
FISCUS GmbH, deren Aufgabe als Softwarefabrik es
künftig sein wird, die Steuerverwaltungen des Bundes
und der Länder mit einheitlichen Softwareprodukten zu
versorgen, damit sie besonders effizient arbeiten können.
Sobald wir diese FISCUS GmbH auf Trab gebracht haben
werden, wird allein der Bund 1,3 Milliarden DM mehr
einnehmen. Die für den Bundeszuschuss benötigten Kosten machen also nur einen Bruchteil der Steuermehreinnahmen aus.
Ein weiterer Punkt ist die Strukturentwicklung der
Bundesfinanzverwaltung, für die der Finanzminister
mittlerweile ein Grobkonzept vorgelegt hat. Auch damit
soll ein Beitrag zum Abbau der Staatsverschuldung geleistet werden. Wir werden zu einer Neustrukturierung der
Zollverwaltung, zu einer Straffung der Bundesvermögensverwaltung, zu einer Überprüfung der Organisationsstrukturen bei den Oberbehörden und zu einer Anpassung
des Organisationsrahmenkonzeptes an die veränderte
Personalstruktur des BMF kommen.
Wir müssen uns insbesondere mit dem Zoll auseinander setzen. Durch den EU-Beitritt der osteuropäischen
Länder stellt sich die Frage, welche Aufgaben den beim
Zoll Beschäftigten übertragen werden sollen, wenn die
Zollgrenzen wegfallen werden. Den Zollfahndungsdienst
und das Zollkriminalamt wollen wir entscheidend verbessern und sie der in der Folge der Verwirklichung des Binnenmarktes und der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa
veränderten Kriminalitätslage anpassen.
({4})
Wir werden die Hauptzollämter so organisieren, dass
deren Strafsachenstellen mit der Bekämpfung von Kleinkriminalität auch fertig werden können, und werden die
Spezialeinheit des Zollfahndungsdienstes beim Zollkriminalamt - die so genannte Zentrale Unterstützungsgruppe Zoll - stärken.
({5})
All dies wird sozialverträglich erfolgen. Man wird das mit
den Personalräten und den Gewerkschaften - mit ihnen
führt man ja Gespräche - wohl vernünftig regeln können.
So werden die Umstrukturierungen in diesem Bereich
selbstverständlich durch soziale Maßnahmen flankiert
werden.
({6})
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bekämpfung der
illegalen Beschäftigung. Wir werden hier die Zahl der
Arbeitskräfte von gegenwärtig 1 100 auf 2 500 erhöhen,
werden also 1 400 Personen in diesem Bereich mehr einsetzen können,
({7})
um der illegalen Beschäftigung Herr zu werden. Jeder
muss dagegen sein. Was hier auf den Baustellen und in anderen Bereichen des Arbeitsmarktes erfolgt, ist ein Skandal. Darum ist es wichtig, dass wir hier intensiv vorangehen.
({8})
- Ich hoffe, Sie, Herr Rexrodt, haben das richtig zur
Kenntnis genommen. Sie riefen ja „Hört! Hört!“, aber das
ist ja Ihre Art. So soll es auch bleiben. Wir werden uns
weiterhin mit Ihnen auseinander setzen.
Wir werden also in diesem Bereich vorankommen, zumal die Zollbehörden weitere staatsanwaltschaftliche Möglichkeiten erhalten werden. Damit wird man derartiger
Leute schneller habhaft werden können. Die Zusammenfassung der Rechenzentren wird ebenfalls vorangebracht.
Wir werden die Bundesaufsichtsämter entsprechend entwickeln und insbesondere deren Effektivität erhöhen. Alle
personalwirtschaftlichen Maßnahmen, das sage ich noch
einmal sehr deutlich, werden sich an sozialverträglichen
Gesichtspunkten orientieren.
Zum Schluss darf ich festhalten: Insgesamt zielt dieser
Haushalt, den der Finanzminister Eichel vorgelegt hat, auf
Schuldenabbau bzw. -tilgung, auf Wachstum, auf das Abdecken von Defiziten, gleichzeitig aber erweitert er die
Gestaltungsmöglichkeiten der Politik, für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Hier konkretisiert sich unsere Politik.
({9})
Als Letzter in dieser
Aussprache hat der Kollege Bartholomäus Kalb,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist meines
Wissens das erste Mal, dass die Ergebnisse der Steuerschätzung vom November nicht exakt in den zu beschließenden Haushalt übernommen werden. Hätten Sie
das getan, hätten Sie beispielsweise eine niedrigere Nettokreditaufnahme ausweisen können. Sie setzen an die
Stelle von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit
Haushaltskosmetik. Damit verfolgen Sie meines Erachtens zwei Ziele:
Zum einen müssen Sie sich schlechter rechnen, um die
Begehrlichkeiten aus den eigenen Reihen nicht zu groß
werden zu lassen, und Vorsorge dafür tragen, dass der
Bundeskanzler keinen allzu großen Angriff auf die Kasse
unternimmt. Er könnte ja sonst noch häufiger der Auffassung verfallen, dass das Erringen von Mehrheiten und die
Zustimmung des Bundesrates nur eine Sache des Kaufpreises sei. Diese Sorge ist berechtigt.
({0})
Das Zweite ist - es deutet alles darauf hin -: Sie wollen mit Blick auf den Haushalt 2002 die Eckdaten glätten.
Es soll nämlich Vorsorge getroffen werden, dass die bereits angedachten und für das Wahljahr 2002 vorgesehenen Mehrausgaben für die Wahlgeschenke in einem nicht
zu negativen Licht erscheinen. Es ist mit den Händen zu
greifen: Sie werden vor der Bundestagswahl ein Feuerwerk abbrennen, um damit die Bürger und Wähler zu beeindrucken und gnädig zu stimmen. Es zeichnet sich
schon in diesem Haushalt ab: Nicht eisernes Sparen, sondern das Verteilen von Wohltaten wird die Devise sein.
Warum begrenzen Sie die zusätzlichen Mittel im so genannten Zukunftsinvestitionsprogramm ausdrücklich bis
zum Jahr 2003 und belassen es bei der alten mittelfristigen Finanzplanung? Sie tun dies, weil sie die Effekte vorher haben möchten und im Jahre 2003 die Bundestagswahl vorbei ist.
Sie schieben, verschleiern und drücken auch bei den
Privatisierungserlösen. Sie haben gar kein Interesse, die
erzielbaren Einnahmen noch dieses Jahr zu realisieren.
Denken wir beispielsweise an den Verkauf der Eisenbahnerwohnungen! Da wollen Sie die Erlöse bewusst erst
im nächsten Jahr erzielen, weil Sie dieses Jahr offenbar
schon genug Einnahmen haben.
({1})
Damit sorgen Sie exakt in dem Sinne vor, den ich gerade
beschrieben habe, nämlich im Jahre 2002 mit Geschenken
und Wohltaten durchs Land ziehen zu können.
Die Steuereinnahmen des Bundes betrugen 1998
341 Milliarden DM. Für das jetzt zu Ende gehende Jahr
beziffern die Steuerschätzer die Einnahmen auf 395 Milliarden DM. Das sind innerhalb von zwei Jahren 54 Milliarden DM mehr, obwohl Sie ein so genanntes Steuerentlastungsgesetz und ein Gesetz zur Familienförderung
beschlossen haben. Auch im nächsten Jahr werden die
Steuereinnahmen des Bundes - trotz der ersten Stufe der
Steuerreform - um 45 Milliarden DM über den Einnahmen des Jahres 1998 liegen. Nach den Zahlen des Finanzplanungsrates werden die Steuereinnahmen bis zum
Jahre 2004 dreimal so schnell steigen wie die Ausgaben
des Bundes.
Trotz dieser Zahlen haben Sie behauptet, eine Steuerreform, wie wir sie vorgeschlagen und eingebracht haben, sei nicht machbar. Der Finanzminister hat seinerzeit
gesagt, sie sei „schlicht und einfach nicht finanzierbar“.
({2})
Sie haben sich während der Beratung allen Vorschlägen
widersetzt. Sie waren stur wie ein Panzer. Selbst der
Kanzler hat alle Änderungsvorschläge abgelehnt. Damals
hat er noch höflich gesagt: Das ist es; so wird es gemacht.
Heute würde er sagen - mittlerweile ist er zu den Genossen etwas unfreundlicher als zu uns -: Basta! - Der weitere Fortgang ist bekannt: In der Nacht zum 14. Juli hatte
der Kanzler auf einmal eine ganze Menge Geld.
({3})
Ob Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von
der Koalition, mit der Steuerreform glücklich werden,
muss sich erst noch zeigen. Sie werden insbesondere im
nächsten Jahr, wenn die steuerfreien Milliardentransfers
der großen Kapitalgesellschaften in Gang kommen, noch
viele Fragen beantworten müssen, warum Sie den Mittelstand und die Arbeitnehmer ungleich schlechter behandeln.
({4})
Jedenfalls kann jetzt niemand mehr behaupten, es habe
nicht genügend Spielräume für eine gute, in sich stimmige
und schlüssige Steuerreform gegeben.
({5})
Der Bundeskanzler hat in der ersten Lesung dieses
Haushalts gesagt, der Begriff „German disease“ - also das
Wort von der deutschen Krankheit - gelte nicht mehr und
er habe den Reformstau überwunden.
({6})
Viele haben das auch geglaubt. Auch Herr Spiller hat dies
eben erwähnt. Es gilt aber: Wenn Sie Glück haben, werden Sie die Steuerreform mit dem Ergänzungsgesetz zum
Ende des Jahres in das Gesetzblatt aufnehmen können. Sie
haben zwar schon im Mai mit der Information der Bevölkerung begonnen. Herr Eichel hat sich 7,5 Millionen DM
extra für die zur Information der Bevölkerung über die
Maßnahmen der Steuerreform bewilligen lassen. Große
Anzeigen sind geschaltet worden. Die Bürger wissen
zwar immer noch nicht, was eigentlich auf sie zukommt.
Aber zumindest wissen sie jetzt, wie fesch unser Finanzminister auf einem Schwarz-Weiß-Porträtfoto wirkt.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michelbach?
Gerne, Frau Präsidentin.
Bitte sehr.
Herr Kollege Kalb,
können Sie mir sagen, worin eigentlich der Informationsgehalt in der Haushalts- und Finanzpolitik besteht, wenn
sich Herr Bundesfinanzminister Eichel in voller Körpergröße auf einer ganzseitigen Anzeige in der Zeitung abbilden lässt?
({0})
Herr Kollege
Michelbach, ich kann nicht erkennen, wo der Bürger in
dieser Aufnahme einen Informationswert sehen sollte.
Deshalb muss ich zur Beantwortung Ihrer Frage auf zwei
Antworten der Bundesregierung in Drucksache 14/3984
zurückgreifen, in denen sie mitteilen lässt:
Mit seinen Informationsanzeigen entspricht das Bundesfinanzministerium seiner Informationsverpflichtung. So tritt der Informationsgehalt nicht hinter die
Aufmachung zurück, sondern nutzt diese vielmehr
zur erfolgreichen Informationsvermittlung. Vor dem
Hintergrund heutiger Seh- und Lesegewohnheiten
lenkt sie den Blick der Bürgerinnen und Bürger auf
die in dem Anzeigentext genannten konkreten Informationen ...
Weiter heißt es dann:
Die personalisierten Informationsanzeigen verstärken die oben beschriebenen Mechanismen der Informationskampagne. Das Bild des Bundesministers
der Finanzen vergrößert den „Stoppereffekt“ der Informationsanzeigen ...
Mir, Herr Kollege Michelbach, ist allerdings nicht ganz
klar, was der „Stoppereffekt“ dieser Anzeige genau sein
soll.
({0})
Herr Kollege, nun
kommen Sie mal zur Sache zurück, weil wir gleich in die
Abstimmung eintreten wollen. - Ich bitte um etwas mehr
Ruhe, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit der Kollege
von Ihnen allen gehört werden kann.
({0})
- Es ist der Wunsch geäußert worden, dass Sie das Bild
noch einmal zeigen, Herr Kollege.
({1})
Warum kommt
die Steuerreform erst jetzt? Sie hätte bereits am 1. Januar 1998 in Kraft treten können, denn schon damals
war sie vom Deutschen Bundestag beschlossen. Aber
Sie haben sie verhindert und jetzt sagen Sie, Sie hätten
den Reformstau aufgelöst. Bei der Rente doktert Herr
Riester herum, kommt aber nicht in die Gänge.
({0})
- Ach, Herr Fischer. - Frau Fischer will erst gar nicht ein Gesundheitsreformgesetz vorlegen. Es war jedenfalls grundfalsch, dass Sie nach der Regierungsübernahme die Reformen zurückgenommen haben; jetzt wissen Sie nicht, wie Sie
die sich daraus ergebenden Probleme lösen sollen.
Mit der Behauptung, Sie hätten den Reformstau aufgelöst, können Sie ja wohl schlecht die Ökosteuer gemeint
haben.
({1})
In 34 Tagen wird die nächste Stufe in Kraft treten, ohne
Rücksicht auf die Belastbarkeit des Bürgers. Mit jeder
Stufe verstärken Sie die Benachteiligung von Rentnern,
Familien mit Kindern und der Bevölkerung im ländlichen
Raum. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die so
genannte Ökosteuer verfassungsrechtlich bedenklich,
wenn nicht falsch ist. Mittlerweile bestätigt Ihnen diese
Auffassung auch der Bundesfinanzhof.
Der Bundesfinanzminister tut manchmal so, als habe er
das Sparen erfunden. Dass er früher ganz andere Auffassungen hatte und eine ganz andere Politik praktiziert hat,
hat Kollege Dr. Rexrodt hier bereits dargelegt.
Bei der 50-Jahr-Feier des Bundesrechnungshofes hat
der Bundesfinanzminister, schon mit Blick auf den europäischen Stabilitätspakt, auf die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung hingewiesen. Diesen Stabilitätspakt
hat im Interesse Europas aber kein anderer als der frühere
Finanzminister Waigel durchgesetzt, in einer Zeit, in der
in Deutschland größte Herausforderungen zu bewältigen
waren, wohl wissend, dass dieses ein sehr ehrgeiziges,
aber richtiges und wichtiges Ziel auch für Deutschland
selbst war.
Die Leitlinien und Ziele waren also exakt vorgegeben.
In der Phase des Aufbaus insbesondere in den neuen Ländern sollte eine stringente Politik der Haushaltskonsolidierung und Defizitrückführung folgen. Die Ziele und die
Zeitpläne wurden seinerzeit klar vorgegeben. So verwundert es auch nicht, dass sich die Zieldaten nur ganz unwesentlich unterscheiden.
Im Übrigen gibt es Länder, die ohne die einmalige Herausforderung der Wiedervereinigung und ohne besondere Verteidigungslasten wesentlich höhere Schulden
haben. So haben zum Beispiel die sozialistischen Bundeskanzler in Österreich 1,8 Billionen Schilling Bundesschulden hinterlassen.
Herr Kollege, einen
Augenblick bitte. - Liebe Kolleginnen und Kollegen - das
gilt jetzt für alle Fraktionen -, ich finde es ein bisschen unfair, dass Sie munter miteinander plaudern und dem Redner nicht mehr die Chance geben, akustisch durchzudringen. Ich bitte um ein wenig Ruhe, damit der letzte Redner
dieser Runde gehört werden kann.
({0})
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin,
ich danke Ihnen. - In Deutschland werden jetzt die vormaligen SPÖ-Bundeskanzler als besonders qualifiziert
angesehen. Franz Vranitzky hat laut „Focus“ einen „hoch
dotierten Job als Berater bei der Westdeutschen Landesbank“ bekommen. Viktor Klima, der letzte SPÖ-Kanzler,
macht einen „spektakulären Neustart bei VW“. Tätige
Mithilfe des deutschen Bundeskanzlers darf wohl unterstellt werden. Aber Schröder scheint den Österreichern
nicht mehr so nahe zu stehen, seitdem dort nicht mehr die
SPÖ regiert.
Schröder scheint jedoch nicht nur die Österreicher,
sondern auch die Bayern nicht mehr zu mögen. Beim Arbeitgebertag - so hat mir ein aufmerksamer Fernsehbeobachter zuverlässig berichtet - hat er sich wieder einmal
über die Bayern ausgelassen. Demnach soll Schröder gesagt haben - ich zitiere -, selbstverständlich müssten Ausländer, die sich in Deutschland integrieren wollten,
Deutsch lernen. Dabei - so Schröder weiter - denke er
aber nicht nur an Ausländer, sondern auch an so manchen
Bayern.
Ich gebe ja zu, dass ich lieber bayerisch spreche und
im Deutschen vielleicht Fehler mache. Aber das ist noch
lange kein Grund dafür, dass der Bundeskanzler glaubt,
er könne uns Bayern beleidigen. Wenn er mit seinem
Deutsch in Bayern besser verstanden würde, würde er
dort vielleicht auf mehr Zustimmung stoßen.
Seine Haltung liegt auf der gleichen Linie wie die
Androhung, er werde den Bayern „Steine statt Brot“ geben, die Bemerkung von Frau Däubler-Gmelin hinsichtlich des Bayerischen Waldes und die Äußerung des Herrn
Naumann, der von „barocker Verfassungsfolklore“ sprach.
Der Bundeskanzler und Teile der Regierung haben wohl
eine tief sitzende Abneigung gegen Bayern
({0})
und gegen den Süden insgesamt entwickelt, und zwar nur
deshalb, weil dort nicht gleich alle in Ehrfurcht vor der
Bundesregierung erstarren und man sich dort sogar erlaubt, anders zu wählen, als der Herr Bundeskanzler das
gerne hätte.
Der Erfolg der Südstaaten tut sein Übriges. Ohne diese
Erfolge im Süden aber sähen für die Regierung Schröder
wichtige Zahlen und entsprechende Kennziffern sehr viel
schlechter aus.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zu Einzelplan 08 - Bundesministerium der Finanzen - in der
Ausschussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4736 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 08 in der Ausschussfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 08 ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 32 - Bundesschuld in der Ausschussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4745 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Stimmenthaltung der
PDS ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 32 in der Ausschussfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 32 ist angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4737. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung
von PDS und F.D.P. gegen die Stimmen der CDU/CSU
ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4738. Die Fraktion der F.D.P. hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Alle Mitglieder des Hauses, soweit sie da sind, haben ihre Stimmen abgegeben. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Sitzung unterbreche, haben wir noch über Anträge abzustimmen.
Ich habe noch einen Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/4739. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun noch über einen Änderungsantrag
der Fraktion der PDS ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/4742? - Gegenprobe! - Wer
enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung.
({0})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe nun das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der
F.D.P. zu Einzelplan 60 auf Drucksache 14/4738 bekannt:
Abgegebene Stimmen 606. Mit Ja haben gestimmt 74, mit
Nein haben gestimmt 363, Enthaltungen 169. - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 606;
davon
ja: 74
nein: 363
enthalten: 169
Ja
CDU/CSU
Otto Bernhardt
Wolfgang Börnsen ({0})
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Thomas Kossendey
Julius Louven
Dr. Christian SchwarzSchilling
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({1})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({2})
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({3})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto ({4})
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
P.D.S.
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Nein
SPD
Brigitte Adler
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({5})
Klaus Barthel ({6})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({7})
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({8})
Bernhard Brinkmann
({9})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({10})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({11})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({12})
Lilo Friedrich ({13})
Harald Friese
Anke Fuchs ({14})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({15})
Angelika Graf ({16})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({17})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({18})
Walter Hoffmann ({19})
Iris Hoffmann ({20})
Frank Hofmann ({21})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({22})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({23})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({24})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({25})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({26})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({27})
Jutta Müller ({28})
Christian Müller ({29})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({30})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({31})
Birgit Roth ({32})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({33})
Ulla Schmidt ({34})
Silvia Schmidt ({35})
Dagmar Schmidt ({36})
Wilhelm Schmidt ({37})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({38})
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({39})
Brigitte Schulte ({40})
Volkmar Schultz ({41})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({42})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({43})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({44})
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({45})
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen ({46})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({47})
Helmut Wieczorek ({48})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({49})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff ({50})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
CDU/CSU
Norbert Barthle
Brigitte Baumeister
Renate Blank
Peter Bleser
Sylvia Bonitz
Georg Brunnhuber
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({51})
Albert Deß
Dirk Fischer ({52})
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Manfred Heise
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Volker Kauder
Dr. Hermann Kues
Wolfgang Lohmann ({53})
Meinolf Michels
Norbert Otto ({54})
Klaus Riegert
Franz Romer
Hannelore Rönsch ({55})
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({56})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({57})
Carl-Dieter Spranger
Max Straubinger
Michael Stübgen
Aribert Wolf
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({58})
Marieluise Beck ({59})
Volker Beck ({60})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({61})
Joseph Fischer ({62})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({63})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Simone Probst
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Werner Schulz ({64})
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({65})
Margareta Wolf ({66})
Enthalten
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hans-Dirk Bierling
Dr. Heribert Blens
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Hartmut Büttner
({67})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen ({68})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({69})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer ({70})
Dr. Gerhard Friedrich ({71})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({72})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({73})
Gottfried Haschke ({74})
Norbert Hauser ({75})
Hansgeorg Hauser ({76})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dr.-Ing. Rainer Jork
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers ({77})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({78})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Erwin Marschewski ({79})
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 60 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Einzelplan 60 angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 20. - Bundesrechnungshof - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Der Einzelplan 20 ist einstimmig
angenommen.
Nun rufe ich Zusatzpunkt 3 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verbot des Verfütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel
- Drucksache 14/4764 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({80})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/4764 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksachen 14/4516, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje-Marie Steen
Antje Hermenau
Heidemarie Ehlert
Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU und ein Änderungsantrag der Fraktion der
PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Nach zwei Jahren rot-grüner
Regierung muss ich feststellen: Die Politik der Regierung
Schröder geht zulasten der Familien.
({0})
Dass Rot-Grün die Familienpolitik links liegen lassen
würde, war spätestens dann klar, als Gerhard Schröder
seine Familienministerin mit den Worten vorstellte, Frau
Bergmann sei für Frauen, Familie und das sonstige Gedöns zuständig. Statt Familien zu fördern, haben Sie mit
der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes im
Deutschen Bundestag gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften der Ehe nahezu gleichgestellt.
Während der Abstand des Pro-Kopf-Einkommens zwischen Familien und Nichtfamilien rapide wächst, wollen
Sie gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften unter
anderem sowohl im Steuer- und im Unterhalts- als auch
im Versorgungsrecht der Ehe gleichstellen. Das ist ein
Skandal.
({1})
Mit diesem Gesetz haben Sie die Stellung der Ehe entwertet. Wir werden das nicht hinnehmen.
Sie brüsten sich mit der Kindergelderhöhung um
50 DM auf 270 DM. Diese reicht aber nicht aus, um den
Forderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Dr. Martin Mayer ({2})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Bernward Müller ({3})
Elmar Müller ({4})
Bernd Neumann ({5})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Helmut Rauber
Christa Reichard ({6})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({7})
Andreas Schmidt ({8})
Hans Peter Schmitz
({9})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({10})
Gerald Weiß ({11})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({12})
Hans-Otto Wilhelm ({13})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({14})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
werden. Die durch das Verfassungsgerichtsurteil erzwungene erste Erhöhung des Kinderfreibetrags um 3 000 DM
kommt nur etwa 10 Prozent der Bevölkerung zugute. Die
große Mehrheit muss sich jedoch mit dem Kindergeld begnügen. Während die maximale Entlastungswirkung des
Kinderfreibetrages jährlich 1 500 DM beträgt, erhalten
90 Prozent der Eltern mit der Kindergelderhöhung weit
weniger: Es sind in diesem Jahr insgesamt 240 DM.
({15})
Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
müsste der Kinderfreibetrag in der zweiten Stufe, nämlich
zum 1. Januar 2002, nochmals um circa 3 000 DM angehoben werden. Die Meldungen des Wochenendes lassen
jedoch befürchten, dass der Kinderfreibetrag und das
Kindergeld nur geringfügig erhöht werden. Der Deutsche
Familienverband hat gestern dazu ganz klar gesagt - ich
zitiere -: „30 DM Kindergeld mehr sind absolut nicht akzeptabel.“
Statt dafür zu sorgen, dass die Familien die Förderung
erhalten, die ihnen nach dem Verfassungsgerichtsurteil
zusteht, belasten Sie diese zusätzlich. Die Ökosteuer geht
nicht nur durch die höheren Energiekosten zulasten der
Familien, sondern auch durch die Verwendung der Steuereinnahmen zur Rentenfinanzierung. Ein Single bekommt
bei gleichem Bruttoeinkommen dieselbe Beitragsentlastung wie eine mehrköpfige Familie. Dadurch klafft die
Einkommensschere zwischen Familien und Nichtfamilien noch weiter auseinander.
Die im Juli beschlossene Steuerreform wird die Kluft
noch verschärfen: Während Ledige mit einem Einkommen von 60 000 DM im Jahr 2005 mit 2 098 DM entlastet werden, spart eine vierköpfige Familie mit dem gleichen Bruttoeinkommen nur 1 860 DM. Ab einem höheren
Einkommen wird die Kluft noch deutlicher. Das heißt,
durch die Steuerreform 2000 wird der Einkommensabstand zwischen Kinderlosen und Familien systematisch
ausgebaut. Daraus folgt ein zunehmender Verlust von Lebens- und Entwicklungschancen für Kinder und deren Eltern. Ein Kommentar des „Tagesspiegels“ vom 7. November 2000 spricht von einem „Webfehler“ rot-grüner
Familienpolitik. Ich zitiere: „Man tut nicht nur zu wenig,
man tut es auch auf falsche Weise.“
Auch bei der Rentenreform sind Familien mit geringeren Einkommen massiv benachteiligt. Bei der Privatvorsorge können Arbeitnehmer mit einem hohen Einkommen
eine um 400 DM höhere Förderung erhalten als eine Familie mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen
Einkommen. Auch hier geht Ihre Politik wieder zulasten
der Familien.
Die großen Verlierer der Rentenreform sind die
Frauen. Frau Ministerin, ich vermisse Ihren Protest gegen
dieses Rentenkonzept. Sie sind in doppelter Weise gefragt, nämlich als Frauen- und als Seniorenministerin. Die
Senkung des Rentenniveaus auf 61 Prozent trifft die
Mehrzahl der Rentner, die Frauen, besonders hart. Diese
kommen in Deutschland im Durchschnitt auf 28 Beitragsjahre. Damit fällt das Rentenniveau für viele Frauen
unter 50 Prozent. So treiben Sie Frauen in die Altersarmut.
Das ist unverantwortlich, meine Damen und Herren von
der Regierung.
({16})
Ich kann mich der Mitgliederversammlung des Deutschen Frauenrates vom 10. November 2000 nur anschließen und Sie auffordern - ich zitiere -, „endlich eine
generationengerechte, sozialverträgliche, frauen- und familienfreundliche Reform auf den Weg zu bringen“.
Frau Ministerin, Ihre Eckpunkte für ein Gleichstellungsgesetz, die Sie im September vorgelegt haben, werden nicht das bringen, was Sie erreichen wollen. Sie sind
einerseits zu unverbindlich, andererseits aber drohen Sie
mit Zwangsmaßnahmen. Es hat ja auch sehr lange gedauert, bis Sie wenigstens die Eckpunkte vorgelegt haben.
Trotz aller Ankündigungen des Bundeskanzlers in seiner
Regierungserklärung ist es für die Frauministerin wohl
äußerst schwer, sich mit ihren Vorstellungen beim Bundeskanzler Gehör zu verschaffen.
Bereits vor einem Jahr hat das Bundeskabinett den Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen beschlossen. Viele der dort angesprochenen Maßnahmen
liegen in der Verantwortung der Länder und Kommunen,
wo Sie nur eine begrenzte Einflussmöglichkeit haben.
Der angekündigte Gesetzentwurf für ein so genanntes
Gewaltschutzgesetz liegt jedoch in der Zuständigkeit des
Bundes. Hier könnten Sie handeln. Machen Sie Druck bei
Ihrer Kollegin, der Frau Justizministerin, damit der Gesetzentwurf endlich auf den Tisch kommt.
Nach langem Hin und Her liegt nun endlich das Heimgesetz vor. Es schafft viel Bürokratie, bringt aber kaum
Verbesserungen. Obwohl die Personaldecke heute schon
sehr dünn ist, werden der Heimaufsicht eine Fülle von Beratungs- und Aufsichtspflichten vorgeschrieben.
Es ist grundsätzlich richtig, dass die Beratung von Seniorinnen und Senioren verstärkt wird. Aber gerade Beratung ist personal- und kostenintensiv. Wenn Sie behaupten, das Gesetz sei kostenneutral, ist dies aus Sicht der
Kostenträger ein schlechter Witz.
Frau Ministerin, ein absolutes Stiefkind Ihrer Politik ist
der Jugendmedienschutz. Eine Anhörung vor zwei Wochen, die auf Antrag der CDU/CSU durchgeführt wurde,
hat gezeigt, dass Gewalt, Pornographie und Rechtsradikalismus in Internet und Fernsehen brennende Themen
sind. Die Auswirkungen werden immer wieder in ganz erschreckender Weise deutlich.
Wir brauchen im Bereich des Jugendmedienschutzes
wirksame Regelungen, die für gleiche Medieninhalte
auch vergleichbare Maßnahmen vorsehen. Es reicht nicht
aus, dies den Ländern zu überlassen, wie es mancherorts
gefordert wird. Gerade vor dem Hintergrund der weltweiten Vernetzung dürfen Sie sich Ihrer bundespolitischen
Verantwortung nicht entziehen. Sie müssen aktiv und
nachhaltig dazu beitragen, dass europa- und weltweit gemeinsame Strategien und Standards gefunden werden, um
den Jugendschutz auch im Internet wirksam umzusetzen.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Gleichzeitig müssen
die Jugendschutzregelungen den neuen Entwicklungen
besser angepasst werden. Aber Sie haben ja nicht einmal
dafür gesorgt, dass die bestehenden Regelungen umgesetzt werden.
Frau Ministerin, wir erwarten von Ihnen, dass Sie die
Anliegen von Familien und Senioren, von Frauen und Jugendlichen in dieser Regierung kraftvoll vertreten. Ihre
bisherige Politik wird diesem Maßstab nicht gerecht.
({0})
Ich erteile nun der
Kollegin Antje-Marie Steen, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Eichhorn, ich erspare
mir, auf diesen politischen Rundumschlag einzugehen.
Ich glaube, er hat sich von alleine disqualifiziert. Insofern
erspare ich mir nähere Ausführungen.
({0})
Konsolidieren und sozial gerecht reformieren - dieser
Leitlinie der Bundesregierung folgt auch der Ihnen vorliegende Entwurf des Einzelplans 17. Damit entspricht er
den strikten Vorgaben, zu denen sich die Bundesregierung
und die sie tragenden Fraktionen verpflichtet haben: erstens, der Konsolidierung der Staatsfinanzen und zweitens,
den Bemühungen, den angewachsenen Reformstau aufzulösen.
Bereits mit den vorausgegangenen Haushalten unter
unserer Verantwortung haben wir ein Reformprogramm
begonnen, das eine aktiv gestaltende moderne Familien-,
Frauen-, Jugend- und Seniorenpolitik wieder in den Mittelpunkt politischen Handelns rückt.
({1})
Frau Eichhorn, ich sage Ihnen nachdrücklich: Lesen Sie
es einmal nach, vielleicht ist es Ihnen ja entgangen. Ich
will mich nicht wiederholen, möchte aber an die Reform
des Zivildienstgesetzes, dabei besonders an die Gleichstellung bei der Besoldung und der Verkürzung der
Dienstzeit, an die Regelung im Unterhaltsvorschussgesetz und an das Aktionsprogramm zur gewaltfreien Erziehung erinnern. Wir haben hier einen großen Schritt nach
vorne getan. Ich möchte weiter an die Aufstockung des
Bundesaltenplanes sowie an andere Maßnahmen erinnern, die in diesem Haushalt ihre Verstetigung finden. Wir
machen keine kurzatmigen, sondern auf Dauer angelegte
Reformen.
Damit setzen wir unsere Bemühungen zu einem Reformhaushalt fort; eine Ausgabenminderung von
2,23 Prozent halte ich für ein sehr moderates Vorgehen.
Angesichts eines uns von der Vorgängerregierung hinterlassenen Schuldenberges von 1,5 Billionen DM und der
daraus resultierenden Zinsbelastung von über 82 Milliarden DM bleibt uns nichts anderes übrig.
({2})
Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir im Rahmen unserer Beratungen im Haushaltsausschuss noch zusätzliche
Mittel in Höhe von 41,13 Millionen DM haben einstellen
können, um für besondere politische Schwerpunkte einen
finanziellen Rahmen darzustellen.
Große Priorität im Haushalt 2001 genießt - wie immer
für uns - die Verbesserung der Lebenssituation der Familien. Nach den Jahren der Vernachlässigung durch die
konservativ-liberalen Fraktionen setzen wir durch eine
Novellierung des Bundeserziehungsgeldgesetzes das fort,
was wir bereits mit der steuerlichen Entlastung der Familien durch BAföG und eine Erhöhung des Kindergeldes
begonnen haben. 14 Jahre lang wurden die Einkommensgrenzen für das Erziehungsgeld nicht angehoben. Damit
nahmen Sie, meine Damen und Herren der ehemaligen
Regierungsfraktionen, billigend in Kauf, dass junge Familien in wirtschaftliche Nöte gerieten, sich immer weniger junge Menschen für ein Kind entscheiden konnten
und die Frauen die Erziehungsarbeit überproportional
übernehmen mussten.
({3})
Durch die inhaltliche Verbesserung des Gesetzes sind
jetzt weitaus mehr Familien antragsberechtigt bzw. erhalten das volle Erziehungsgeld für einen längeren Zeitraum.
({4})
Alternativ zum monatlichen Erziehungsgeld in Höhe von
600 DM über einen Zeitraum von 24 Monaten können
sich Eltern auch für eine verkürzte Bezugsdauer von einem Jahr entscheiden und erhalten dann monatlich
900 DM. Mit diesen und anderen neuen Wahlmöglichkeiten eröffnen sich den Eltern mehr Chancen, die Erziehungsarbeit individuell zu gestalten.
Damit verbessern wir die Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Elternteile wesentlich. Auch das ist ein Schritt auf dem Weg hin zu einer auf Emanzipation setzenden Gleichstellungspolitik,
der wir einen hohen Rang einräumen und die wir als Angebot an die Lebensplanung und Lebensentwürfe junger
Familien auch noch erweitern werden.
({5})
Für die Maßnahmen der Frauenpolitik bleibt es bei einem Haushaltsansatz in Höhe von 40 Millionen DM. So
stehen zur Verwirklichung der Gleichstellung von Mann
und Frau 22 Millionen DM zur Verfügung. In diesem Zusammenhang seien beispielsweise die Programme „Frau
und Beruf“, „Chancen für Existenzgründerinnen“,
„Neues Leitbild für Männer“ und „IDEE - IT“, mit dem
speziell jungen Frauen zukunftsweisende Berufe in der
IT-Branche näher gebracht werden sollen, genannt.
Ich kann die Frau Ministerin und ihr Ministerium nur
sehr herzlich bitten, für diese und andere Maßnahmen einer zukunftsorientierten Frauen- und Familienpolitik in
ihrem Engagement, für das ich im Namen meiner Fraktion
Dank sagen möchte, nicht nachzulassen.
({6})
Ein gleich großes Augenmerk gilt dem Bereich der
Kinder- und Jugendpolitik - einem politischen Schwerpunkt unserer parlamentarischen Arbeit. Dies schlägt sich
auch in diesem Haushaltsentwurf nieder. So erhöhen sich
die Ansätze im Kinder- und Jugendplan um 2 Millionen DM für ein deutsch-israelisches Jugendwerk, damit
wir neben den bereits etablierten Jugendwerken mit
Frankreich, Polen und der Tschechischen Republik dem
internationalen Jugendaustausch einen größeren Aktionsradius einräumen können. Für die nahe Zukunft sollten
die Länder, die der EU beitreten wollen, zum Beispiel die
baltischen Staaten, in diese Programme intensiver einbezogen werden. Gerade unter dem aktuellen Aspekt des immer stärkeren Anwachsens von Fremdenfeindlichkeit unter Jugendlichen müssen die Begegnungsmöglichkeiten
und das Kennenlernen anderer Kulturen und Lebensweisen erweitert werden.
({7})
Wir setzen - mit dem gleichen Mittelansatz wie im
Vorjahr, nämlich mit 15 Millionen DM - das sehr ehrgeizige und äußerst erfolgreiche Programm „Entwicklung
und Chancen für junge Menschen in sozialen Brennpunkten“ fort, das sowohl in Städten als auch in strukturschwachen ländlichen Räumen zum Abbau von Defiziten
bei beruflicher und gesellschaftlicher Integration beiträgt.
Da, wo für Kinder und Jugendliche ein Mangel an ganzheitlichen, integrierten und vernetzten Sozialisationshilfen und Erziehungsstrategien besteht, trägt diese Programmplattform zur Aktivierung und Beteiligung von vor
Ort tätigen Organisationen, Ämtern und ehrenamtlich
Tätigen bei. Ich glaube, jeder von uns hat in seiner Region
ein solches Projekt und kann sich auch von dem Erfolg
dieses Projektes selbst überzeugen.
Die Eingliederung junger Spätaussiedler und junger
ausländischer Flüchtlinge bleibt eine wichtige Aufgabe.
Hierbei kommt dem Erwerb deutscher Sprachkenntnisse
große Bedeutung zu. Mit 146 Millionen DM ist dieser Ansatz auch nach den Richtlinien des Garantiefonds ausreichend. Derzeit wird ein neues Sprachkonzept entwickelt,
das neben der Qualitätssicherung des Sprachunterrichts
auch Dauer und Umfang der Maßnahme und den Kreis
der Teilnahmeberechtigten regelt und eine klare Kompetenzregelung zwischen den beteiligten Ministerien versucht. Es wird ab 2002 zum Einsatz kommen. Sie werden
sicherlich noch im Fachausschuss Gelegenheit haben,
hierüber zu diskutieren
Um die soziale Betreuung junger Aussiedler sicherzustellen, stehen den Jugendgemeinschaftswerken 50 Millionen DM für zur Verfügung.
Wenn Kinder zu Jugendlichen heranwachsen, sind wir
alle gefordert, ihnen einen angemessenen Platz in unserer
Gesellschaft zu sichern. Ganz besonders deutlich wird das
in letzter Zeit, wo ein anwachsendes Potenzial gewaltbereiter und rassistisch eingestellter Jugendlicher, die anscheinend den Parolen rechtsradikaler Gewalttäter
mehr Gehör leihen und Gefolgschaft leisten, als sich mit
unserem demokratischen Gemeinwesen auseinander zu
setzen, die unsere Gesellschaftsordnung infrage stellen
bzw. sich aus ihr zurückziehen. Viel zu lange ist weggehört worden, wenn rassistische Parolen gegrölt wurden,
weggeschaut worden bei Hetzjagden auf ausländische
Mitbürger und bei der Schändung nationaler Gedenkstätten und jüdischer Einrichtungen.
({8})
Ausgeblendet oder viel zu lange unterschätzt worden
ist das Anwachsen rechter Gewalt auch bei vielen politischen Entscheidungsträgern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht alleine Jugendliche sind als Täter auszumachen. Vielmehr gibt es eine Mittäterschaft im Hintergrund, die diesen Ausschreitungen mehr oder minder
Beifall spendet, nicht widerspricht und die - das ist für
mich das Erschreckendste - oft genug auch im familiären
Umfeld der Täter zu finden ist.
Ausgelöst durch die provozierenden Aufmärsche und
Vorkommnisse rechtsradikaler Parteien und Gruppierungen, die wirklich eine Grenze erreicht haben, beginnt
die Zivilgesellschaft sich eindrucksvoll zu wehren. Die
Bundesregierung zählt den entschiedenen Kampf gegen
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu ihren
Hauptaufgaben. Niederschlag findet dieser politische
Wille auch im Einzelplan 17 mit der Bereitstellung von
zusätzlichen 30 Millionen DM für die politische Jugendbildung, etatisiert im Kinder- und Jugendplan.
({9})
Das ist angesichts des Sparhaushaltes, dem wir uns alle
verpflichtet haben, eine außerordentlich große Leistung.
Dabei geht es um Projekte beispielsweise zu Bekämpfung
des Rechtsextremismus im Internet und mit Hilfe des Internets, Frau Eichhorn. Wir reagieren also. Es geht um das
Aufzeigen von Wegen aus der Gewalt für Kinder und Jugendliche, um Maßnahmen gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, die bundeszentrale
Träger der politischen, kulturellen und sportlichen Jugendbildung dann ausführen können. Weitere zusätzliche
10 Millionen DM zur Finanzierung von Modellprojekten
mobiler Beratungsstellen und Opferberatungsstellen haben wir ebenfalls als neuen Haushaltstitel eingestellt. Vor
allem in den neuen Bundesländern wird ein Schwerpunkt
gebildet werden können. Damit knüpfen wir an bereits erfolgreich agierende Projekte der Länder mit dezentralen
Beratungsstellen und mobilen Beratungsteams an. Das
Land Brandenburg macht so etwas bereits in diesem Bereich.
({10})
In der Konsequenz unserer Bemühungen, dem Rechtsextremismus und dem Rassismus Einhalt zu gebieten,
wird auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften 65 000 DM mehr erhalten. Die Bundesprüfstelle
leistet hervorragende Arbeit für einen wirksamen Jugendmedienschutz, soweit es der gesetzliche Auftrag
bisher beinhaltet. Die Debatte darüber, ob es Bedarf gibt,
diesen Auftrag zu verändern, muss an anderer Stelle geführt werden. Wir haben aber eine Mittelerhöhung beschlossen, um den Bezieherkreis zu erweitern und mehr
Informationen über indizierte Medienprodukte veröffentlichen zu können.
Ein Wort noch zum Zivildienst und den Minderausgaben von 89 Millionen DM. Wie bereits erwähnt, wirken
sich die vor einem Jahr beschlossenen Änderungen im Zivildienstgesetz aus. Die Obergrenze von 124 000 Zivildienstleistenden im Jahresdurchschnitt erbringt erhebliche Einsparungen bei Sold und Versicherungsbeiträgen.
Ich bin trotzdem überzeugt, dass das Bundesamt für Zivildienst seine Aufgaben mit den vorhandenen Mitteln erfüllen wird und kann, auch in dem sensiblen Bereich der
individuellen Schwerstbehindertenbetreuung.
Wir sollten uns auch noch einmal mit den Ergebnissen
der Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“ beschäftigen. Das ist unausweichlich. Aus den dort gemachten Vorschlägen werden wir Anregungen sammeln können.
Ich möchte mich an dieser Stelle für die konstruktive
und kollegiale Zusammenarbeit in der Berichterstattergruppe bedanken, der Frau Ministerin und ihrem Haus für
die gute Vorbereitung und Beratung ebenfalls Dank aussprechen und das Parlament um die Zustimmung zum
Einzelplan 17 bitten. Die Anträge der Opposition möchte
ich Ihnen zur Ablehnung empfehlen, ohne sie hier zu
kommentieren.
Ich danke Ihnen.
({11})
Jetzt hat das Wort der
Kollege Klaus Haupt, F.D.P.-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Schewe-Gerigk, ich werde Sie
nicht enttäuschen.
({0})
Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind gleichermaßen wichtige Anliegen für die Zukunft unserer Gesellschaft. Leider spiegelt sich das kaum im Haushalt der für
dieses Ressort zuständigen Ministerin wider. Die 14. Legislaturperiode ist zur Halbzeit bewältigt. Die Bilanz von
Rot-Grün im Zuständigkeitsbereich von Frau Bergmann
ist durchaus dürftig. Viel Hoffnung auf eine bessere
zweite Hälfte gibt es auch nicht:
({1})
Im Wahlkampfjahr 2002 wird es kaum noch große Gestaltungsmöglichkeiten geben. Dem Haushalt für 2001
kommt deshalb die Schlüsselrolle für die Gesamtbilanz
von Frau Bergmann zu. Leider deutet alles darauf hin,
dass im Bereich Familie, Senioren, Frauen und Jugend
keine originellen und kreativen Entwicklungen mehr zu
erwarten sind. Der angekündigte Quantensprung, Frau
Ministerin, ist in Ihrem Ressort ausgeblieben.
({2})
Das wesentliche Markenzeichen rot-grüner Politik auf
diesem Gebiet bleiben mit viel heißer Luft und Schubi-Du
aufgeblasene Ankündigungen.
({3})
Beispiel Zivildienst: Seit langer Zeit steht neben dem
Wehrdienst auch der Zivildienst unter erheblichem Veränderungsdruck. Aufgrund der angekündigten Bundeswehrreform muss der Dienstleistungsbeitrag unserer Zivis erheblich zurückgefahren werden. Ein Konzept, wie
die Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege oder der
Jugendarbeit diesen Rückgang auffangen sollen, hat die
Bundesregierung nicht.
({4})
Dabei ist schon jetzt glasklar absehbar, dass die Kürzungen eigentlich nur eine Etappe bis zur Aussetzung dieser Dienste sein werden. Wie soll die Altenpflege, wie soll
die Jugendarbeit künftig gestaltet werden - ohne Zivis?
Die Bundesregierung verweigert bis jetzt die Antwort auf
diese Frage.
({5})
Auch bei der Frauenpolitik ist Rot-Grün nicht viel
Neues, geschweige denn Gutes eingefallen. Der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit kostet auf Dauer Arbeitsplätze
für Frauen.
({6})
Auch das Gleichberechtigungsgesetz für die Wirtschaft,
das die Vergabe von Aufträgen an die Erfüllung von Frauenquoten knüpft, ist eine Gängelung des Mittelstandes.
({7})
Das ist keine Politik für, sondern gegen Frauen. Rot-Grün
setzt auf Drangsalierung der Wirtschaft, wir Liberalen dagegen auf Motivation.
({8})
Auch die ältere Generation hierzulande ist gut beraten, viel Geduld zu haben. Trotz steter Ankündigung befindet sich das Heimgesetz noch immer in der Warteschleife. Aber ich halte es mit Shakespeare: Arm sind die,
die keine Hoffnung haben. - Statt ständiger Ankündigungen wünsche ich mir von der Ministerin konkrete Einmischung in die zentrale Frage für unsere Senioren, nämlich
die Rentenreform. Hier hätte ich mir entschlossenes Engagement der Ministerin besonders für die 11 Millionen
Rentnerinnen in unserem Land gewünscht, und zwar für
den Abbau der Benachteiligung von Frauen in der Rentenversicherung.
({9})
In der Familienpolitik bleiben Sie weit hinter dem
zurück, was das Bundesverfassungsgericht fordert. Wir
haben Vorschläge zur Erziehungs- bzw. Elternzeit und zur
Familienförderung auf den Tisch gelegt, durch die endlich
der Erziehung von Kindern die gesellschaftliche Achtung
entgegengebracht wird, die sie verdient. Sie speisen die
Familien mit einer Kindergelderhöhung ab, die passend
zu den Wahlterminen eingeplant wird.
({10})
Das ist wahltaktisch geschickt, doch was Sie den Familien in die eine Tasche hineinstecken, haben Sie mit der
Ökosteuer längst aus der anderen herausgenommen.
({11})
Nein, das ist keine Familienentlastungs-, sondern eine
Familienbelastungspolitik.
Es fehlt ein zukunftsweisendes Konzept zur Familienpolitik vor allem im Interesse der jungen Generation.
({12})
Meine Damen und Herren, in diesem Jahr ist allzu
deutlich geworden, welche immense Bedeutung die Erziehung der jungen Generation für die Zukunft unserer
Gesellschaft hat. Die beschämenden rechtsextremistischen Straftaten der vergangenen Monate zeigen die
stumpfe, primitive Gewalt als sinnlosen Ausweg aus
Frustrationen, die auch aus der Unfähigkeit zur Bewältigung der alltäglichen Lebensprobleme herrühren.
Die komplexe, anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe Erziehung muss endlich einen anderen
Stellenwert in unserer Gesellschaft erhalten. Unsere gemeinsame Verabschiedung des Gesetzes zur Ächtung von
Gewalt in der Erziehung war ein wichtiges Signal. Es
kann zu einer neuen Qualität in der Erziehung, zu einer
neuen Kultur des Aufwachsens in unserem Land beitragen.
Der Kampf der rechten Szene um die Vorherrschaft auf
der Straße und vor allem in den Köpfen unserer Jugend ist
aber nicht nur ein Problem der häuslichen Erziehung oder
widriger äußerer Umstände; es ist auch eine bewusste Erziehung zur Demokratie erforderlich. Demokratie darf dabei nicht nur intellektuell vermittelt werden, Demokratie
muss erfahrbar, erlebbar sein, ja, wir müssen die jungen
Menschen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in unserem Land begeistern.
({13})
Auch und gerade das Jugendministerium ist gefordert,
gegen den braunen Spuk vorzugehen und praktische, geistige Vorsorge zum Schutz der Jugend zu leisten.
({14})
Das muss sich natürlich auch im Haushalt widerspiegeln.
Nehmen wir zum Beispiel die Förderung junger Spätaussiedler und ausländischer Flüchtlinge; Frau Steen,
Sie sind darauf eingegangen. Sie kürzen hier um 6 Millionen DM. Dabei wurde gerade Anfang des Monats auf einer Fachkonferenz in Dresden wieder einmal Folgendes
deutlich: Die Integration junger Spätaussiedler wird immer schwieriger. Nur noch jeder Vierte spricht Deutsch.
Die Unterbringung begünstigt Cliquenbildung, Alkoholprobleme und das Abrutschen ins kriminelle Milieu. Fazit
dieser Fachtagung: Obwohl die Zahl der Aussiedler sinkt,
nimmt der Bedarf an Integrationsmaßnahmen enorm
zu.
({15})
Es wäre eine Chance gewesen, die frei werdenden Mittel
für einen Neuansatz in der Integrationsarbeit zu nutzen.
({16})
Sie haben die Chance leider vertan.
Vor allem aber bei der gezielten Bekämpfung des
Rechtsextremismus müssen wir alle gemeinsam neue
Wege gehen. Wir Liberalen glauben, dass alle demokratischen Kräfte gemeinsam offensiv für eine freiheitlichdemokratische Gesellschaft werben sollten. Deshalb hat
die F.D.P. eine Initiative „Erziehung zur Demokratie“ vorgeschlagen. Wir fordern ein Sonderprogramm zur Förderung der kommunalen Jugendarbeit, insbesondere für politische Bildung, soziales Engagement und kulturelle
Arbeit. Eine offensive Erziehung zur Demokratie muss
uns allen etwas wert sein.
({17})
Ich wiederhole: Familien, Senioren, Frauen und Jugend sind von entscheidender Bedeutung für die Zukunft
unserer Gesellschaft. Ich füge hinzu: Sie verdienen einen
höheren Stellenwert in der deutschen Politik, als in der
ersten Halbzeit von Rot-Grün deutlich geworden ist.
({18})
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Prinzip „Kreatives Sparen und Gestalten“
ist im Einzelplan 17 auch im Jahre 2001 gelungen.
({0})
- Ich erläutere Ihnen das gleich; lachen Sie nicht zu früh!
Während in der Frauenpolitik die Ansätze des Jahres
2000 gehalten wurden, konnten die Maßnahmen für Senioren- und Familienpolitik sogar verstärkt werden.
Frau Steen ist im Einzelnen darauf eingegangen.
Darum entbehrt der bei der ersten Lesung geäußerte
Vorwurf unseres damaligen Kollegen Kolbe, dass unter
Rot-Grün bei den Familien überproportional gekürzt und
der restliche Haushalt aufgebaut wurde, jeglicher Realität.
Ich sage Ihnen noch einmal, weil Sie es immer falsch
wiedergeben: Beim Erziehungsgeld hat es keinerlei Kürzungen gegeben. Im Gegenteil: Es gibt Leistungsverbesserungen, die bis zum Jahre 2004 auf 300 Millionen DM
anwachsen. Allerdings gehen die Geburten in diesem
Zeitraum um 40 000 Kinder zurück. Auch beim Kindergeld wurde nicht geknausert. Seit der Regierungsübernahme durch Rot-Grün ist das Kindergeld um fast ein
Viertel erhöht worden.
({1})
Auch ab 2002, mit der zweiten Stufe des Familienleistungsausgleichs, wird mehr Geld in die Portemonnaies
der Familien fließen. Wohlgemerkt, Herr Haupt, das geschieht nicht, weil es ein Wahljahr ist - das fällt günstig
zusammen -, sondern weil wir einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts folgen.
({2})
Meine Fraktion plädiert für eine Kindergelderhöhung um
30 DM. Das wären dann noch einmal über 5 Milliarden DM mehr für Kinder. Da sagen Sie, das sei nichts!
({3})
Hinzu kommt, dass bereits ab 2001 eine Erhöhung des
Wohngeldes um 475 Millionen DM erfolgt. Auch dies
wird junge Familien deutlich unterstützen.
({4})
Ich frage mich, meine Damen und Herren von der Opposition: Woher nehmen Sie eigentlich die Unverfrorenheit,
uns Familienfeindlichkeit zu unterstellen? Frau Eichhorn,
da auch Sie das vorhin getan haben, kann ich es Ihnen nicht
ersparen, zwei weitere Meilensteine unserer Familienpolitik vorzutragen, die seit vielen Jahren auf eine Realisierung gewartet haben. Das sind zum einen das Programm
für eine gewaltfreie Erziehung und zum anderen das Programm zum Abbau der Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Lebensweisen.
({5})
- Es ist wunderbar. Die Kinder leben dort sehr gut; das
wissen Sie. Es gibt Studien darüber.
Im Juli dieses Jahres haben wir das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung verabschiedet. Danach ist jede körperliche und seelische Gewalt gegen Kinder rechtswidrig. Eine Kampagne soll nun den
notwendigen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft befördern und ein neues Leitbild anstoßen. Eltern und Erziehungsberechtigte werden Unterstützung und Beratung
bekommen, damit das Recht der Kinder auf gewaltfreie
Erziehung auch in der erzieherischen Praxis Eingang findet.
Ich komme nun zu einem Lebensbereich, in dem Menschen tagtäglich mit zahlreichen Diskriminierungen zu
kämpfen haben: die gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Mit dem neuen Gesetz bieten wir lesbischen und schwulen Paaren erstmals in Deutschland einen
gesicherten Rechtsrahmen für ihre Beziehungen. Das
wird von einer deutlichen Mehrheit der deutschen Bevölkerung begrüßt.
({6})
Eine Reihe von Kollegen und - das muss ich auch sagen - Kolleginnen der CDU/CSU hinken der Gegenwart
hoffnungslos hinterher. Frau Eichhorn, ich kann Ihrem
Argument nicht folgen: Wenn Menschen füreinander einstehen, wo wird da, bitte schön, die Ehe entwertet? Vielleicht könnten Sie mir darauf einmal eine Antwort geben!
({7})
- Na gut, sie ist schon weg.
Schwule und Lesben haben in vielen Lebensbereichen
mit Benachteiligungen zu kämpfen, zum Beispiel am Arbeitsplatz. Neben den gesetzlichen Regelungen sind daher
auch Hilfen zum Abbau von Diskriminierungen nötig.
Dafür stehen im Haushalt jetzt insgesamt 430 000 DM zur
Verfügung.
Zum Abschluss der Gespräche über den Bundeshaushalt konnte die Koalition ein weiteres deutliches Signal
setzen, für das ich mich bei den Haushälterinnen und
Haushältern ganz besonders bedanke. Es ist gelungen,
für die Bekämpfung von Rechtsextremismus zusätzlich
75 Millionen DM bereitzustellen. Das heißt, im Einzelplan 17 werden im kommenden Jahr 10 Millionen DM zur
Verbesserung des Opferschutzes und für bessere Aufklärung und Ausbildung der zuständigen Stellen und
30 Millionen DM für die politische Jugendbildung zusätzlich ausgegeben.
({8})
Die Finanzierung der politischen Jugendbildung ist das
eine. Das Verhalten einiger Politiker ist das andere. Ich
spreche jetzt vom Oberbürgermeister von Sebnitz. Das ist
die Stadt, in der der kleine Joseph auf noch ungeklärte
Weise zu Tode gekommen ist. Als dieser Oberbürgermeister heute Morgen im Fernsehen gefragt wurde, wie er es
sich denn erkläre, dass die Familie des Opfers von Rechtsradikalen bedroht wird und rund um die Uhr Polizeischutz
benötigt, sagte er - ich zitiere ihn; ich habe es aufgeschrieben -: „Wenn eine ganze Stadt in Sippenhaft genommen wird, kann es zu Übergriffen kommen.“ Das
nenne ich Brandstifterei.
({9})
Wenn Jugendliche von oberster Stelle ihrer Stadt Signale
bekommen, dass ihr Verhalten toleriert wird, dann können
wir noch so viel Geld investieren, ohne dass eine Änderung herbeigeführt wird.
({10})
Wir alle müssen uns den gesellschaftlichen Anforderungen stellen, wir alle müssen konsequent die Ächtung
und Verhinderung rechtsextremer Übergriffe verfolgen.
Da sind wir Politiker und Politikerinnen besonders gefragt. Wir müssen den Boden für eine Gesellschaft des
Antirassismus, der Toleranz und der gegenseitigen Anerkennung bereiten.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Petra Bläss.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte bietet alle Jahre
wieder Anlass, Bilanz zu ziehen, auch darüber, wie es um
die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung steht. Es sei
daran erinnert, dass Sie seinerzeit einen Aufbruch in der
Gleichstellungspolitik angekündigt haben. Die PDS hat
damals keinen Hehl daraus gemacht - wir tun dies auch
heute nicht -, dass es gerade auf dem Gebiet der Gleichstellungspolitik durchaus Projekte gibt, die in ihrer
Stoßrichtung unsere grundsätzliche Unterstützung finden.
Aber - das habe ich bereits in der ersten Lesung deutlich
gemacht - uns gehen viele Ihrer Initiativen nicht weit
genug. Das gilt für die vorgesehenen Regelungen zur
Gleichstellung von Frauen in der Privatwirtschaft ebenso
wie für das Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen.
Ich fürchte, Sie bleiben hier in Ankündigungen stecken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vergangenen Samstag war der Internationale Tag der Gewalt gegen Frauen.
Wir haben anlässlich dieses Tages wieder erfahren müssen, mit welcher Brutalität Männer überall auf der Welt
gewalttätig gegenüber Frauen sind, leider auch hierzulande. Ich unterstütze die Bundesministerin Bergmann
ausdrücklich in ihren Bemühungen, das Tabu über Gewalt
im Privatbereich zu brechen und Gewalt zu ächten. Aber
wir müssen mehr tun. Gewalt gegen Frauen muss ein
Thema der inneren Sicherheit werden; denn es geht um
die Sicherheit aller hier lebenden Frauen.
({0})
Wir erwarten von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, dass Sie den Worten auch
Taten im Bereich der Gesetzgebung folgen lassen. Polizei
und Justiz brauchen mehr Fortbildung, damit Gewalt an
keiner Stelle mehr als Kavaliersdelikt behandelt wird. Die
Frauenhäuser und Notrufe brauchen langfristige und verlässliche Unterstützung. Die Opfer von Frauenhandel
brauchen mehr Schutz auch vor Abschiebung. Seit Jahren
diskutieren wir über ein unabhängiges Aufenthaltsrecht
für Immigrantinnen und über ein politisches Asyl für
Frauen, die allein deswegen verfolgt werden, weil sie
Frauen sind. Worauf warten Sie? Setzen Sie hier endlich
Zeichen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zurzeit findet in Berlin eine Sondersitzung des CEDAW-Ausschusses der
Vereinten Nationen statt. CEDAW ist das „Internationale
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau“ und das einzige völkerrechtlich
verbindliche Dokument in der Frauenpolitik. Im vergangenen Jahr haben die Vereinten Nationen ein Zusatzprotokoll zu CEDAW verabschiedet. Elf Staaten haben es inzwischen ratifiziert; die Bundesrepublik gehört bis jetzt
leider noch nicht dazu. Das ist bedauerlich, denn das Abkommen ermöglicht es einzelnen Frauen und Gruppen
erstmals, Rechte einzuklagen. Es stellt damit einen riesigen Schritt auf dem Weg zu mehr Rechtssicherheit und
Demokratie dar.
Bei der Anhörung im CEDAW-Ausschuss der Vereinten Nationen im Januar dieses Jahres wurde die Bundesrepublik wegen Verletzung der Rechte von Frauen heftig
kritisiert. Es ist übrigens bedauerlich, dass hierzu bis
heute keine Debatte im Parlament - weder in den Ausschüssen noch im Plenum - stattgefunden hat. Die im
UNO-Bericht kritisierte Benachteiligung insbesondere
von ostdeutschen Frauen und von Migrantinnen auf dem
Arbeitsmarkt ist im Übrigen kein Ressortproblem, sondern eines der Demokratie. Genausowenig ist Gewalt gegen Frauen ein Privatproblem, sondern ein strukturelles
Problem und damit ein Demokratie- und Menschenrechtsthema. Ich fordere die Bundesregierung auf, das
CEDAW-Zusatzprotokoll so schnell wie möglich im Parlament zur Abstimmung zu bringen.
({1})
Die Kritik der Vereinten Nationen ernst zu nehmen
heißt, unsere Politikangebote immer wieder zu prüfen. Ich
schlage Ihnen dazu vor, dass wir einen „Sachverständigenrat zur Begutachtung der geschlechterdemokratischen Entwicklung“ berufen. Ja, die Parallele zu den so
genannten Wirtschaftsweisen ist durchaus gewollt. Wir
haben einen Sachverständigenrat, der über das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wachen soll. Ich meine,
wir brauchen in diesem Land auch einen Rat der Weisen,
der über das demokratische Gleichgewicht wacht. In einem jährlichen „Frühjahrsgutachten“ - warum nicht jeweils zum 8. März? - könnte aufgezeigt werden, wie sich
die Demokratie zwischen den Geschlechtern entwickelt.
Ich schlage vor, dass dieser „Rat der Demokratieweisen“
komplementär zum Rat der Wirtschaftsweisen besetzt
wird. Solange dieser eine 100-prozentige Männerrunde
ist, dürften für die „Demokratieweisen“ nur Frauen nominiert werden. Zug um Zug kann man das dann ändern, bis
in beiden Gremien die Quote tatsächlich stimmt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Bundesrepublik Deutschland hinken wir nach wie vor den internationalen Vereinbarungen hinterher. Wenn wir sie einhalten
wollen, muss sich das auch im Haushaltsentwurf niederschlagen. Vom so genannten „gender budgeting“, das
heißt einer Haushaltspolitik, die in jedem Einzelplan für
die angemessene Berücksichtigung beider Geschlechter
sorgt, sind wir leider noch meilenweit entfernt.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine kurze Anmerkung zu den neuen Haushaltstiteln im Jugendbereich.
Ich bin sehr froh darüber, dass nun zusätzliches Geld für
Initiativen gegen Rechtsradikalismus und für die Arbeit
mit den Opfern bereitgestellt wird. Das findet die volle
Unterstützung der PDS, die sich im Übrigen auch in den
Fachausschüssen und bei der Bereinigungssitzung sehr
stark dafür eingesetzt hat. Es sind die Projekte vor Ort, die
nachhaltig wirken und die nicht der Rotstiftpolitik - egal
auf welcher Ebene - zum Opfer fallen dürfen. Ich denke,
wir alle stehen hier in Verantwortung.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Kollege Michael Luther.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
kommt eine an und für sich immer größer werdende Bedeutung zu. Das ist meine politische Überzeugung. Ich
möchte das an zwei Beispielen, in denen es um Aufgabenbereiche des Ministerium geht, aufzeigen:
Erstens geht es um das Thema Familie.
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen
Schutze der staatlichen Ordnung.
So steht es im Grundgesetz. Das kommt nicht von ungefähr, sondern wurde aufgrund der klaren Erkenntnis so
formuliert, dass Familien den Kern der Gesellschaft bilden und eine wichtige Aufgabe für den Fortbestand unserer Gesellschaft übernehmen, und zwar die Aufgabe der
Kindererziehung. Die demographische Entwicklung in
Deutschland und in ganz Europa macht uns heute bewusst, dass Kinder zwischenzeitlich zum knappsten Gut
unserer Gesellschaft geworden sind.
({0})
Das ist eine Erkenntnis unserer Zeit, die als neue Erfahrung in unser Bewusstsein und in das Bewusstsein unserer Gesellschaft Eingang finden muss. Deshalb kommt
der Familienministerin in dieser Frage eine besondere
Verantwortung zu.
Wir befinden uns in den Haushaltsberatungen. Deshalb
ist die Frage berechtigt, wo diese Erkenntnis im Haushalt
und darüber hinaus in der gesamten Politik dieser Regierung ihren Niederschlag findet.
({1})
Da fehlen mir einfach Impulse. In dieser Frage liegen wir
ein Stück weit auseinander.
({2})
Ich möchte auch die konkreten Differenzen benennen.
Der Haushaltsansatz von Frau Bergmann verringert sich
insgesamt um 204 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr.
({3})
Das liegt zum einen an dem Rückgang der für den Zivildienst eingeplanten Ausgaben um 64,5 Millionen DM.
Zum anderen aber werden 175 Millionen DM weniger für
gesetzliche Leistungen an Familien aufgewandt.
({4})
Das ergibt sich im Wesentlichen aus der Anpassung des
Ansatzes beim Erziehungsgeld und ganz speziell aufgrund der verringerten Ausgaben aufgrund der prognostizierten demographischen Entwicklung. Was heißt das?
Diese Bundesregierung spart Geld ein, weil sie weniger
für Kindererziehung ausgeben muss. Ich verstehe nicht,
Frau Steen, dass Sie darauf auch noch stolz sind.
({5})
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage der Kollegin Steen? - Bitte, Frau
Steen.
Herr Kollege Luther, ich
gestehe Ihnen ja zu, dass Sie sich als neuer Haushälter in
eine schwierige Materie einarbeiten mussten. Das ging
mir auch so. Das wird aber wohl nicht der Grund sein,
dass Sie zu dieser Einschätzung kommen. Ich würde Sie
gerne fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass die Ausgaben
beim Erziehungsgeld deshalb rückläufig sind, weil - das
hat die Kollegin Schewe-Gerigk ja bereits ausgeführt weitaus weniger Kinder geboren werden.
Habe ich ja gesagt.
Ja, aber dann handelt es
sich doch nicht um Kürzungen, sondern die verringerten
Ausgaben sind auf die demographische Entwicklung
zurückzuführen, für die Ihre Politik 14 Jahre lang gesorgt
hat.
({0})
Frau Steen, wenn
Sie aufmerksam zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass
ich das genauso gesagt habe - diese Erkenntnis haben wir
alle -: Es liegt an der demographischen Entwicklung;
Kinder sind das knappste Gut unserer Gesellschaft geworden.
Angesichts der Tatsache, dass Sie im Haushalt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einen Impuls setzen
wollten, muss man feststellen, dass hier mehr getan werden muss, als bisher getan wurde. Das heißt, es muss eine
Veränderung geben. Es muss mehr Geld für diesen Bereich ausgegeben werden als bisher. Sie haben aber in Ihrer Rede von einem „moderaten Rückgang“ gesprochen,
haben sich damit der Haushaltsdisziplin, die Ihnen Herr
Eichel auferlegt hat, unterworfen und diese für gut befunden. Sie sind also stolz darauf, dass Sie die Vorgaben von
Herrn Eichel erfüllen können. Das gelingt Ihnen aber nur,
weil es weniger Kinder gibt. Ich halte das für einigermaßen makaber.
({0})
Ich habe schon gesagt, dass der Haushalt Impulse setzen müsste für mehr Kinder. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass dies geschehen soll: Im Jahre 2002 wollen
Sie das Kindergeld erhöhen. Ich halte das für eine gute
Idee. Ich muss aber fragen: Warum soll das ausgerechnet
im Wahljahr 2002 und nicht vorher geschehen?
Ich vermisse auch zu einem anderen Teil der Regierungspolitik ein klares Wort. Ihnen, Frau Ministerin,
obliegt die Aufgabe, den besonderen Stellenwert von
Ehe und Familie in der Gesellschaft anzumahnen, der
Ehe und Familie zusteht. Stattdessen lassen Sie es zu, dass
die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft in einen
eheähnlichen Status erhoben wird,
({1})
der den vom Grundgesetz geforderten besonders schutzwürdigen Status von Ehe und Familie in einer herabwürdigenden und unerträglichen Weise relativiert.
({2})
Ich habe nichts dagegen, wenn Schwule und Lesben
gegenseitig Verantwortung übernehmen wollen.
({3})
Dafür soll eine rechtliche Basis geschaffen werden. Aber
was wir in diesem Hause erlebt haben, ist ein Paradigmenwechsel; denn de facto wird die gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaft der Ehe und Familie gleichgestellt.
Das können wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion niemals mittragen.
({4})
Lassen Sie mich zu einem zweiten Aspekt kommen,
und zwar zum Thema Jugend. Die Förderung und Unterstützung der Jugend sowie der Schutz der Jugend vor
Gefahren unserer Zeit ist Aufgabe der Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hier setzen Sie
neue Impulse. Vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen Debatte um Rechtsradikalismus und Gewalt hat
man sich in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses doch noch entschlossen, der Bekämpfung dieser
Auswüchse auch im zuständigen Ressort durch einen entsprechenden Haushaltstitel Rechnung zu tragen. Die vorgesehenen 40 Millionen DM mehr sind in Ordnung. Wir
hatten 20 Millionen DM gefordert und sind froh, dass es
diesen Titel jetzt gibt.
({5})
Trotzdem muss man sich das Ergebnis etwas genauer
ansehen.
({6})
Sie wollen nur rechtsextremistische Gewalt bekämpfen.
({7})
Es ist richtig, dass rechtsextremistische Straftaten in
Deutschland zurzeit eine besondere Rolle spielen. Wahr
ist aber auch - das kann man feststellen, wenn man
Verfassungsschutzberichte und die entsprechenden Statistiken der letzten Jahre liest -, dass rechte und linke
Gewalt nahezu die gleiche Rolle spielen.
({8})
Links- und Rechtsextremismus sind in ihrer Zielrichtung
und in ihrer ideologischen Ausrichtung zwar konträr. Aber
in ihrer Gewaltbereitschaft und in ihrer Auswirkung unterscheiden sie sich kaum. Die gesellschaftlichen Ursachen sind aus meiner Sicht in vielen Facetten gleich.
Das wichtigste Mittel gegen Extremismus bei Jugendlichen ist, jungen Menschen aus der vermeintlichen oder
tatsächlichen Perspektivlosigkeit herauszuhelfen.
({9})
Wir brauchen Arbeits- und Ausbildungsplätze.
({10})
Wir brauchen in den neuen Bundesländern einen Aufbau
Ost, der wieder zu einer Herzenssache wird - anstatt zu
einer „Chefsache“ zu verkommen, wie wir das in der letzten Zeit in den neuen Bundesländern erleben.
({11})
Deshalb stelle ich fest: So, wie Sie die Bekämpfung
von Extremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit angehen, werden Sie dem eigentlichen Ziel, nämlich der
Eindämmung derselbigen, eher schaden als nützen, und
zwar deshalb, weil Sie sich nur auf einen Teil der Gewalt,
nämlich die rechtsextremistische Gewalt, konzentrieren,
weil Sie nur denen helfen wollen, die Opfer von rechtsextremer Gewalt geworden sind.
Noch schlimmer finde ich, dass Sie aus zwei Haushaltstiteln mit einem Volumen von insgesamt 10 Millionen DM nur die Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt in den neuen Bundesländern finanzieren wollen.
({12})
Ich fordere Sie deshalb genau wie in den Haushaltsberatungen auf: Ändern Sie die inhaltliche Ausrichtung der
entsprechenden Haushaltstitel 686 02 und 686 03 und
streichen Sie hier die Einschränkung „neue Länder“.
({13})
Rechtsextremistische Gewalt ist ein gesamtdeutsches
Problem.
({14})
Es bleibt Ihnen unbenommen, Schwerpunkte zu setzen;
dagegen habe ich nichts. Mit der Politik, die Sie betreiben,
unterstützen Sie allerdings so etwas wie die Medienkampagne in den letzten Tagen in Sebnitz. Der Fall
Sebnitz muss aufgeklärt werden, keine Frage. Wenn sich
herausstellen sollte, dass weggeschaut wurde, dann muss
das gegeißelt werden, auch keine Frage. Aber es gibt in
Deutschland den Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermutung.
({15})
Dieser gilt für eine Person und auch für eine ganze Stadt.
Zu diesem Rechtsgrundsatz sollten wir dringend zurückkehren. Von Ihnen, Frau Ministerin, die Sie unzweifelhaft
sächsisch sprechen,
({16})
hätte ich auf jeden Fall erwartet, dass Sie das hier mit Augenmaß anmahnen.
({17})
Ministerpräsident Biedenkopf engagiert sich hier in
den letzten Tagen in hervorragender Weise. Ein solches
Engagement schafft Glaubwürdigkeit, indem es zeigt,
dass man tatsächlich etwas gegen Extremismus und Gewalt unternehmen will.
Mit ihrem Haushalt hätte die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Impulse setzen können. Sie hat es nicht getan. Ich finde das schade.
({18})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Simmert.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Ihnen, Herr Luther,
nur einen Satz: Die Aufklärung, die in den letzten 100 Jahren stattgefunden hat, werden Sie heute hier nicht zurückdrehen.
({0})
Es gibt in diesem Land aufgeklärte Menschen, die beim
Thema eingetragene Lebenspartnerschaften eine vernünftige Position haben.
Eine zweite Bemerkung, die den Bereich Zivildienst
betrifft. Die Bundesregierung hat in den letzten zwei Jahren eine einseitige Verkürzung des Zivildienstes von
13 auf elf Monate vorgenommen; das wissen Sie. Wir haben uns den Grundsatz der Gleichbehandlung der Dienste
zu Eigen gemacht
({1})
und auch die Besoldung der unterschiedlichen Dienste angeglichen. Es gibt eine stärkere Beteiligung der Träger.
Wenn Sie von der Opposition bei diesem Punkt sagen, wir
hätten Kürzungen im Zivildienstbereich vorgenommen,
dann müssen Sie auch sagen, dass das dem geschuldet ist,
dass wir nahezu für eine Gleichbehandlung der Dienste
gesorgt haben. Darauf sind die Kürzungen in diesem
Haushaltstitel zurückzuführen.
({2})
Herr Kollege
Simmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Lenke, ich werde wahrscheinlich einige Ihrer Fragen
ohnehin beantworten; deswegen warten Sie bitte noch einen Augenblick.
Natürlich ist die Herstellung der Gleichbehandlung
noch nicht abgeschlossen. Hier stehen für mich vor allen
Dingen die Sprachförderung und der Sonderurlaub für Zivildienstleistende sowie für Bündnis 90/Die Grünen die
gleiche Dienstzeit im Vordergrund. Wir werden in einem
Prozess innerhalb der Koalition weiter versuchen, die Ungleichbehandlung zu beseitigen, die wir als Hinterlassenschaft der Vorgängerregierung, nämlich der schwarz-gelben Koalition, vorgefunden haben. Sie haben beim Thema
Ungleichbehandlung der Dienste im Zivildienst nun
wahrlich nichts zuwege gebracht. Im Gegenteil, Sie haben
sie verstärkt.
Die Kürzungen im Einzelplan 17, die Sie beklagen, gehen also auf die Rückführung der Dienstzeit im Zivildienst zurück. Wenn Sie keine Kürzungen wollen, müssen Sie sagen, dass Sie wieder 13 Monate Dienstzeit
wollen.
({0})
Ich glaube, dass Sie uns da noch eine Antwort schulden.
Wir wollen das auf jeden Fall nicht.
({1})
- Regen Sie sich nicht auf! Warten Sie einfach ab!
In Bezug auf den Zivildienst haben wir im Gegensatz
zur alten Regierung mit den entsprechenden Verbänden und
Trägern einen Dialog geführt. Wir haben uns mit den Organisationen der Kriegsdienstverweigerer an einen Tisch
gesetzt.
({2})
Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Unsere Fraktion hat begrüßt, dass
die Dauer des Zivildienstes weiter verkürzt wird. Wir haben uns dafür ausgesprochen, zu prüfen, ob das FÖJ und
das FSJ zur Ableistung des Zivildienstes genutzt werden
können. Wir wollen, dass der Bund die soziale Absicherung für den Anderen Dienst im Ausland übernimmt.
Über all das führen wir Diskussionen und zu all dem
entwickeln wir Konzepte. Grundsätzlich glaube ich, dass
wir, die Regierungsfraktionen, aber auch Bündnis 90/Die
Grünen allein, deutlich gemacht haben, dass wir angesichts der Änderungen, die im Rahmen der Wehrstrukturreform 2002 anstehen, einen Ausbau der Freiwilligendienste anstreben. Wir wollen ein Freiwilligendienstentsendegesetz auf den Weg bringen; das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Fraktion der Grünen will
aber auch einen Gesetzentwurf einbringen, mit dem der
Ausbau der Freiwilligendienste gestärkt wird, auch
wenn in einem ersten Schritt nicht alle Dienste davon erfasst werden.
Wir brauchen klare Standards für die Freiwilligendienste. Das heißt, wir brauchen eine pädagogische Begleitung, soziale und versicherungsrechtliche Absicherungen sowie Anreize für junge Menschen, sich stärker
gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu engagieren.
({3})
Dem werden wir Rechnung tragen, indem wir ein Freiwilligendienstentsendegesetz auf den Weg bringen werden.
Bei den Trägern gibt es eine Umorientierung zum freiwilligen Engagement. Dieses freiwillige Engagement
wollen wir fördern. Wir warten immer noch darauf, dass
vor allen Dingen die CDU/CSU-Fraktion einmal klarstellt, was sie von den Vorschlägen zu einer allgemeinen
Dienstpflicht, die Herr Koch diese Woche ins Gespräch
gebracht hat,
({4})
hält und wie sich die CDU/CSU - vielleicht kann Herr
Dörflinger das in seiner Rede noch einmal erläutern - eigentlich die Zukunft in diesem Zusammenhang vorstellt.
Herr Kollege
Simmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Seifert?
Nein. Ich möchte im Zusammenhang fortfahren.
Wir wollen eine Entwicklung des Zivildienstes, die auf
zwei Säulen fußt: Wir wollen den Freiwilligendienst ausbauen, so wie wir das vorgeschlagen haben und wie ich es
gerade erwähnt habe, und wir wollen vor allen Dingen die
Schaffung von Arbeitsplätzen in Kernbereichen des Zivildienstes. Auch vor dem Hintergrund der Äußerungen von
Willfried Penner möchte ich für meine Fraktion noch einmal deutlich machen, dass wir natürlich weiterhin eine
schrittweise Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildienstes anstreben und dass wir weiterhin - allerdings
nicht von heute auf morgen - an einer Konversion der
Zivildienstplätze in Arbeitsplätze festhalten werden. Bei
der Lösung dieser Aufgabe auf politischer Ebene werden
wir im Gesundheits- bzw. Pflegebereich das freiwillige
Engagement und die Schaffung von Arbeitsplätzen
durchaus miteinander verbinden können.
Ich glaube also, dass die Fortsetzung des rot-grünen
Kurses der Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienst
und der Förderung der Freiwilligendienste mit dem vorliegenden Einzelplan gewährleistet ist. Auch wenn die
CDU/CSU gerne darüber diskutieren würde, inwiefern
man Pflichtdienste einführen sollte, wären wir gut beraten, wenn wir uns auf das freiwillige Engagement von jungen Menschen und nicht auf einen zusätzlichen Zwang
stützen würden. Das ginge an den Realitäten absolut vorbei.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Thomas Dörflinger.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt im parlamentarischen Sprachgebrauch für das, was Sie, Herr
Kollege Simmert, soeben getan haben, ein ganz einfaches
deutsches Wort: Sie haben geeiert. Sie haben nämlich
nicht gesagt, was Sie eigentlich wollen.
({0})
Herr Kollege Simmert, Sie hätten explizit sagen müssen,
dass die von Ihnen angestrebte Gleichbehandlung und
Gleichbewertung von Wehr- und Zivildienst darin besteht, beides abzuschaffen. Dann werden beide Dienste
gleich behandelt. Das ist die offizielle Position von Bündnis 90/Die Grünen; ich komme gleich noch einmal darauf
zurück.
({1})
Meine Damen und Herren, als die „Berliner Morgenpost“ am 20. Mai eine vorläufige Zwischenbilanz über die
Politik für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der rotgrünen Bundesregierung zog, titelte der Kommentator
„Ministerin mit Mängelliste“. Nun bin ich mit Ihnen der
Meinung, dass dieses Urteil nicht zutrifft, denn es müsste
umgekehrt heißen „Mängelliste mit Ministerin“.
({2})
Nach zwei Jahren Rot-Grün stelle ich, ähnlich wie der
Kollege Klaus Haupt, fest: Die Bilanz ist ziemlich dürftig, und Sie, Frau Ministerin, bestätigen meine Annahme.
Wenn man Ihre Reden nämlich nicht in der Weise, wie sie
einem über Ihr Pressereferat zugehen, sondern in der
Weise, wie Sie sie beispielsweise im Ausschuss halten,
anschließend im Wortprotokoll, wenn es eines gibt, nachliest, dann stellt man fest, dass Ihre Wortwahl sehr verräterisch ist. Sie schließen jedes Statement mit einer Absichtserklärung ab. Es heißt beispielsweise: „Da müssen
wir dranbleiben.“ Es heißt weiter: „Das müssen wir weiter in die Gesellschaft hineintragen“, „Das werden wir angehen“, oder - das war, als mein Vorredner sprach, Ihr
Zwischenruf eben von der Regierungsbank - „Wir sind
auf einem guten Weg.“
({3})
All das sind Absichtserklärungen, die eigentlich nur
darüber hinwegtäuschen sollen, dass von dem, was man
sich programmatisch vorgenommen hat, so viel noch
nicht umgesetzt werden konnte. Ansonsten bedürfte es
dieser Absichtserklärungen nicht.
Das gilt natürlich genauso für das Bekenntnis, das Sie
wiederholt abgegeben haben, wie sehr doch der Herr Bundeskanzler hinter der Politik für Familien und Gedöns
steht. Keine andere oder kein anderer Ihrer Kabinettskolleginnen und -kollegen hat dieses Bekenntnis je abgegeben, es hatte auch keine oder keiner nötig. Ausschließlich
in Ihrem Ressort scheint ständig die Verpflichtung zu bestehen, auf diesen Umstand hinzuweisen.
Meine Damen und Herren, exemplarisch für diese Mischung aus Untätigkeit und dem Zustandekommen von
Zufallsprodukten ist die Diskussion um den Zivildienst.
Ich komme darauf zurück, Herr Kollege Simmert. In diesem Zusammenhang, Frau Ministerin, fand ich es interessant, dass ich von Ihrem Haus und auch von Ihnen selbst
seit dem 14. September, als die Arbeitsgruppe „Zukunft
des Zivildienstes“ ihre Empfehlungen vorgelegt hat, in
dieser Frage rein gar nichts mehr gehört habe.
Zwischendurch hat sich der Wehrbeauftragte noch einmal zu Wort gemeldet, der Bundespräsident fühlte sich
bemüßigt, in die Diskussion einzugreifen oder eine Diskussion zu befördern, auch der eine oder andere aus diesem Hause hat sich zu diesem Thema geäußert, die zuständige Ministerin hat allerdings nichts dazu gesagt.
Sie hat auch nichts zum Thema der Wehrgerechtigkeit
gesagt.
({4})
Sie hat nichts gesagt beispielsweise zu der Tatsache, dass
in dem Eckpunktepapier zur Wehrgerechtigkeit, das Bundesverteidigungsminister Scharping vorgelegt hat und das
er dankenswerterweise auch ins Internet hat stellen lassen,
von gänzlich anderen Zahlen die Rede ist als in dem Papier der Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“. Die
Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“ geht von maximal 144 000 Zivildienstleistenden in den kommenden
Jahren aus.
({5})
- Frau Kollegin Steen, Sie sprachen eben in Ihrer Rede
von 124 000, das fanden wir auch interessant.
({6})
Die Zahl der anerkannten Kriegsdienstverweigerer ist
nach dem Papier von Herrn Scharping in den Jahren 2005
bis 2012 irgendwo zwischen 160 000 und 154 000 anzusiedeln.
Nicht nur die Konzepte zwischen Familienministerium
und BMVg sind nicht aufeinander abgestimmt - das
könnte man noch verschmerzen -, auch zwischen Ministerium und Fraktion und zwischen den Koalitionsfraktionen selbst ist das Ganze nicht abgestimmt.
Ich bin dafür, dass wir genau hinsehen und hinhören.
Wenn beispielsweise die Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“ selbst wörtlich sagt, dass „grundsätzlich Planungssicherheit“ herrsche und zurzeit - wörtliches Zitat „keine grundsätzliche Neustrukturierung im Zivildienst
notwendig“ sei, dann hat man während der Arbeit dieser
Arbeitsgruppe offensichtlich erkannt, dass eben doch
nicht so ganz sicher ist, ob Planungssicherheit besteht, sowohl was die Zukunft der Zivildienststellen als auch was
die Zukunft der Zivildienstleistenden angeht.
Ein letzter Satz, meine Damen und Herren: Frau Ministerin, wenn in der Bilanz über Ihre Amtszeit eine andere Zeitung, der „Tagesspiegel“ hier in Berlin, zugegebenermaßen etwas freundlicher titelte „Lizenz zum
Lächeln“, stelle ich fest: Lizenz zum Lächeln, auch wenn
es charmant ist, ist zu wenig. Wir erwarten, dass Sie, insbesondere in dieser Frage, Ihre Arbeit tun.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat
jetzt die Ministerin Christine Bergmann.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde ja
wahrscheinlich noch einmal lächeln dürfen - jedenfalls in
Richtung der Koalitionsfraktionen. Das mache ich auch
gerne.
({0})
Es ist ja interessant, dass wir uns in diesem Hause immerhin über die Bedeutung dieses Ressorts einig sind.
Das ist schon einmal ganz erfreulich.
({1})
Aber diese Einigkeit trägt nicht weit, wenn man sich
einmal ansieht, wie diese Wertschätzung umgesetzt wird.
Meine Damen und Herren von der Opposition, von Ihnen
höre ich permanent Sprüche, nicht als heiße Luft.
({2})
Das werde ich noch belegen.
Wir handeln wirklich für Familien, Alte, Junge und
Frauen in der Gesellschaft. Immer dann, wenn wir einen
Vorschlag auf den Tisch legen - einen Vorschlag, der zum
Teil sogar von Ihnen gefordert wurde -, sagen Sie: Nein,
das wollen wir nicht. Das ist alles von Übel. - Das werde
ich Ihnen an einigen Beispielen belegen. Das ist es, was
uns ganz wesentlich unterscheidet. Ich denke, das kommt
zum einen in diesem Haushalt, zum anderen aber auch in
unserer Politik zum Ausdruck.
Ich fange mit dem Bereich der Altenpolitik an.
({3})
Meine Damen und Herren von der Opposition, zehn Jahre
lang haben wir um eine bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung gestritten. Diese ist auch von Ihren Fachleuten, von den Fachministern der Länder, immer gefordert worden. Sie haben sie immer hintertrieben. Aber
wir haben es gepackt.
({4})
Wir haben einen entsprechenden Vorschlag auf den Tisch
gelegt. Das ist doch schon einmal ein Ergebnis.
({5})
- Sie haben ihn unterstützt. In Bezug auf die Opposition
muss man differenzieren; das ist klar.
Ab dem 1. August 2001 wird es eine einheitliche, qualitativ hochwertige Altenpflegeausbildung geben, die gewährleistet, dass alte Menschen in unserer Gesellschaft
die Hilfe bekommen, die sie benötigen, und dass dieser
überwiegend von Frauen ausgeübte Beruf die Aufwertung
erfährt, die er verdient.
Frau Eichhorn ist nicht mehr da; das macht nichts. Sagen Sie ihr - aber das ist wahrscheinlich auch egal; denn
sie nimmt nicht zur Kenntnis, was auf dem Tisch liegt -:
Auch die Altenpflegeverbände aus Bayern wollten diese
bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung. Wir haben
alle Fachverbände mit einbezogen.
Mit dem Heimgesetz, das übrigens als Referentenentwurf bereits im Kabinett beschlossen wurde, machen wir
weiter.
({6})
Nun stehen die Beratungen im Bundesrat an. Am
21. Dezember wird der erste Durchgang im Bundesrat
stattfinden. Sie wissen, dass dies ein Stück Vorbereitung
brauchte. Das heißt, unser nächster Gesetzentwurf liegt
auf dem Tisch. Es passiert schon wieder das Gleiche: Sie,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sagen, dass
Sie das alles nicht wollen: keine stärkeren Kontrollen und
offensichtlich auch nicht mehr Transparenz. Was wollen
Sie denn? Wenn Sie sagen, dass Sie etwas für alte und
auch für pflegebedürftige Menschen in dieser
Gesellschaft tun wollen, dann müssen Sie auch einmal
Nägel mit Köpfen machen und sich dementsprechend zu
diesem Gesetzent-wurf verhalten. Dazu wird Gelegenheit
bestehen. Wir werden sehen, wie es läuft. In Bezug auf die
Altenpflegeausbildung gab es vonseiten der CDU oder
der CSU keinen Antrag mit Verbesserungsvorschlägen.
Auch das habe ich mir gemerkt.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Ja, sicher; Frau
Lenke immer.
Frau Bergmann, ich war auf verschiedenen Veranstaltungen von Heimträgern, auch von
karitativen. Ich habe immer gehört, dass das Heimgesetz
und das Pflegequalitätssicherungsgesetz sehr bürokratisch sind. Haben nicht auch Sie Briefe bekommen? Was
wollen Sie tun, um dieses Heimgesetz unbürokratischer
zu gestalten? Denn hier muss wirklich noch etwas getan
werden.
({0})
- Auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD müssen
sich das bei solchen Veranstaltungen anhören.
Das ist klar: Wir
werden diese Debatte weiter führen. Im Vorfeld haben wir
sehr viele Gespräche mit den Verbänden, übrigens auch
mit den Heimbewohnerinnen und -bewohnern und deren
Vertretern geführt. Wir haben ein gutes Maß in Bezug auf
die notwendige Kontrolle gefunden. Wenn man Ältere
schützen möchte, braucht man bessere Kontrollen und
mehr Transparenz. Diejenigen Einrichtungen, die bisher
schon vorbildlich gearbeitet haben - solche haben wir ja
Gott sei Dank überwiegend -, werden mit den Regelungen gut zurechtkommen. Die Fachdebatte werden wir im
Einzelnen noch führen.
Ich komme zu dem nächsten Bereich: Familienpolitik.
Ich muss als Erstes sagen: Wir müssen uns in diesem Haus
darüber im Klaren sein, dass Familienpolitik und Kinderpolitik zunächst einmal bedeuten, dass man nicht - wie
bisher - weiter Schulden macht.
({0})
Diese Last kann die nächste Generation nicht mehr tragen.
Darüber müsste man sich verständigen können. Sie
machen es doch in Ihren Familien zu Hause genauso, indem Sie sagen: Ich will meinen Kindern keine Last
hinterlassen, die sie gar nicht tragen können.
Wenn Sie jetzt beklagen, was sozusagen in Ausfüllung
der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes auf uns
zukommt: Diese Beschlüsse sind die Bilanz Ihrer Regierungstätigkeit.
({1})
Wir haben das jetzt präsentiert bekommen, und wir gehen
an die Umsetzung. Ich denke, wir haben schon ganz erhebliche finanzielle Verbesserungen für Familien erreicht;
das wird auch fortgesetzt werden.
Familien brauchen Geld - das ist klar - aber Familien
brauchen auch eine bessere Infrastruktur, Familien brauchen auch Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, so zu leben, wie sie das gern möchten. Ich denke,
dazu haben wir eine ganze Menge vorgelegt.
Denken Sie an die Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und die darin enthaltenen materiellen Verbesserungen. Aber wir haben jetzt endlich auch Verbesserungen hinsichtlich möglicher Teilzeitarbeit. Zum ersten
Mal haben wir einen Teilzeitanspruch für Väter und Mütter vorgesehen; dieser wird nicht von allen hier gebilligt.
Wir begleiten diese Regelung mit einer entsprechenden
Väterkampagne im nächsten Jahr. Dazu haben wir Unternehmen gewonnen, die wirklich mitmachen und sagen:
Auch uns ist das ein Anliegen. - Das heißt, wir wirken auf
diesem Gebiet in die Gesellschaft hinein.
Herr Dörflinger, da sind wir auf einem guten Weg. Das
erreicht man nicht über Nacht, wenn man eine solche Hypothek übernimmt, wie Sie sie uns hinterlassen haben.
({2})
Erst einmal müssen wir den gesamten Reformstau abbauen, dann müssen wir gesellschaftliche Debatten in
Gang setzen und deutlich machen, dass Familien bei uns
einen höheren Stellenwert haben, einen sehr viel zeitgemäßeren, der dem entspricht, was die jungen Leute und
auch die nicht mehr ganz so jungen in unserer Gesellschaft wirklich wollen. Das setzen wir um.
Damit komme ich zum nächsten Beispiel. Ich kann
mich erinnern - wahrscheinlich bin ich die Einzige, die
sich überhaupt noch daran erinnert -, dass es einmal ein
Papier der CDU zur Familienpolitik gab.
({3})
„Mut zur Familie“ oder so ähnlich war es überschrieben.
Sie haben offensichtlich vergessen, was Sie darin formuliert haben. Das war gar nicht so schlecht. Sie hatten
ganz gute Anleihen bei uns genommen und Dinge präsentiert, die ich zum großen Teil unterstützen könnte. Darin
war zum Beispiel auch ein Anspruch von Eltern auf
Teilzeitarbeit formuliert, der nicht nur für die Zeit des
Erziehungsurlaubs, sondern auch darüber hinaus gelten
sollte. Das haben Sie in Ihrem Papier zur Familie formuliert. Daran gemessen erkennt man Ihre ganze
Heuchelei, die heiße Luft, die Sie produzieren.
({4})
Vor einer Woche haben wir hier ein Teilzeitgesetz auf
den Tisch gelegt, das für Familien, so finde ich, eminent
wichtig ist. Niemand wird gezwungen, dieses Gesetz in
Anspruch zu nehmen; aber es eröffnet sehr viel mehr
Möglichkeiten. Was tun Sie? Sie lehnen dieses Gesetz ab.
Das ist nicht sehr überzeugend. Ich denke, das werden die
Familien in unserem Land auch entsprechend einschätzen
können.
Herr Luther, Sie haben mich auf das Thema gleichgeschlechtliche Lebensweisen angesprochen. Dieses
Thema und die rechtliche Möglichkeit, die wir geschaffen
haben, sind für Sie offensichtlich ein Punkt, der auf der
Skala familienpolitischer Themen zuoberst steht.
Natürlich lasse ich es gern zu, dass endlich eine Akzeptanz dieser Lebensweisen in der Gesellschaft erreicht
wird. Dazu braucht man rechtliche Änderungen, und dazu
braucht man auch eine Änderung des Klimas in der Gesellschaft. Das werden wir ja wohl aushalten.
Ich als altgediente Ehefrau - 37 Jahre mit dem gleichen
Mann; das ist ja schon etwas - sage dazu auch: Mir nimmt
doch niemand etwas weg. Ich fühle mich in gar keiner
Weise von irgendjemandem angegriffen, der in einer
Beziehung mit einer anderen sexuellen Orientierung lebt.
Ich sage: Ihr übernehmt Fürsorge füreinander, seid füreinander da. Das ist doch gut. Das ist doch eigentlich ein
Wert. Standen Sie nicht einmal für Werte?
({5})
Ich will noch einmal deutlich machen, dass - ({6})
- Nein, das war nicht platt. Das geht schon an die
Wurzeln, an die Wurzeln dessen, was wir in unserer
Gesellschaft an Lebensformen akzeptieren. Reden Sie
doch einmal mit den Betroffenen.
({7})
Wenn mir ein schwules Paar sagt: „Wir leben 40 Jahre
zusammen, wir wollen endlich Akzeptanz“, dann nehme
ich das sehr ernst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, gestatten Sie mir
bitte, Sie für einen Moment zu unterbrechen. Ich muss
jetzt einmal eingreifen; denn mir nimmt das mit den
Chauvinismen in dieser Debatte jetzt überhand. Ich
möchte das nicht durchgehen lassen.
({0})
Das fällt schon gar
nicht mehr auf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke,
wenn wir in dieser Gesellschaft etwas verändern wollen,
wenn wir sie weiterentwickeln wollen, dann geht das
nicht ohne die Frauen. Wir brauchen den Mut, die Kraft,
die Qualifikation, den Gestaltungswillen von Frauen in
dieser Gesellschaft. Das haben wir nicht nur begriffen,
sondern verinnerlicht. Deswegen sind wir dabei, die Barrieren abzubauen, die verhindern, dass Frauen zum Beispiel in der Wirtschaft an die entsprechenden Positionen
kommen. Das ist nicht nur eine Frage der Demokratie.
Das ist auch eine Frage der Ökonomie in unserer Gesellschaft.
({0})
Hier gibt es einen ganz deutlichen Nachholebedarf.
Deswegen nehmen wir uns dieses Themas an. Wir haben
die Eckpunkte für die Gleichstellung in der Privatwirtschaft vorgestellt. Ich halte es für sehr kreativ, wie wir
vorgehen. Wir sagen den Unternehmen, die immer erklären, sie möchten gerne etwas tun: Ihr dürft jetzt etwas machen. Ihr seid zwar verpflichtet, etwas zu machen, aber ihr
könnt auswählen, was für euch das Wichtigste ist. Doch
ihr steht in der Pflicht: Wenn ihr es nicht im ersten Anlauf
schafft, dann werden wir in der zweiten Stufe schärfere
Maßnahmen ergreifen.
Wir haben in dieser Sache auch Unternehmen an unserer Seite. Wir haben die Zeit genutzt, um mit Unternehmen ins Gespräch zu kommen, um deutlich zu machen,
dass es den Unternehmen, die das Prinzip begriffen haben
und es umsetzen wollen, ökonomische Vorteile bringt.
Der Nachholebedarf ist nicht bei der Mehrzahl der Unternehmen, sondern bei den Verbandsvertretern - das muss
man einmal ganz klar sagen -, die auf die Anforderungen
von morgen mit den uralten Argumenten von vorgestern
antworten.
Frau Eichhorn hat das Thema Gewalt angesprochen.
Ich habe nicht mehr so viel Redezeit zur Verfügung,
möchte aber sagen: Dass wir in diesem Bereich etwas zustande gebracht haben, ist wohl unstrittig. Wir haben das
Ausländergesetz geändert. Es ist wichtig, dass man hier
mit den Ländern und den Kommunen zusammenarbeitet.
Wir haben die Frauenhäuser und die Beratungsstellen vernetzt. Es gibt eine enge Zusammenarbeit, damit dieses
Thema endlich den Stellenwert in der Gesellschaft erhält,
den es verdient.
({1})
Die Sehnsucht der CSU nach einem Gewaltschutzgesetz
hat mich gefreut. Ich nehme an, Sie werden einem solchen
Gesetz zustimmen. Ich bin gespannt.
Zu Ihnen, Frau Bläss. Sie haben CEDAW angesprochen. Nun muss man fairerweise sagen, was dort wirklich
abgelaufen ist. Es gab in dem Bericht über Deutschland
Kritik. Es war der Bericht über das Handeln der alten Regierung. Es gab aber ebenso viel Zustimmung - auch das
erleben wir - für das, was wir mittlerweile zustande gebracht haben. Das Handeln der alten und der neuen Regierung müssen wir schon auseinander halten.
Ich freue mich, dass wir es gemeinsam geschafft haben
- ich bedanke mich vor allen Dingen bei den Regierungsfraktionen, die das initiiert haben, und bei allen anderen,
die es mitunterstützt haben - dass wir für die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit mehr Geld im Haushalt haben. Das muss man einmal
zur Kenntnis nehmen. Wir haben dadurch mehr Möglichkeiten, etwas zu tun.
({2})
Wir wissen, dass dies ein besonderes Thema ist. Dieses
Thema hat schon eine andere Qualität, Herr Luther. Gewalt ist immer schlimm; darüber werden wir uns schnell
verständigen können. Aber wir erleben diese fürchterlichen rechtsextremen Gewalttaten in einem Ausmaß, wie
wir es uns vor einigen Jahren wahrscheinlich nicht vorstellen konnten. Es geht nicht nur darum, an einem Tag,
dem 9. November, zu demonstrieren - das ist wichtig -,
sondern dass wir all diejenigen, die vor Ort aktiv sind, unterstützen. Das sind die mobilen Beratungsteams und
viele andere kleine Projekte. Dorthin muss das Geld gehen, zum Beispiel in die Unterstützung von Jugendprojekten, die auf vorbildliche Weise versuchen, etwas zu bewegen. Sie wollen in der Gesellschaft ein anderes Klima
herbeiführen.
({3})
Wir haben noch zusätzliche Gelder: Uns stehen mit
dem Programm Xenos in den nächsten drei Jahren pro
Jahr 25 Millionen DM aus dem ESF zur Verfügung. Sie
werden durch die Kofinanzierung von Ländern und Kommunen aufgestockt. Das kommt noch hinzu. Das heißt,
wir können in diesem Bereich - ich bitte hierbei alle um
Unterstützung - sehr viele Projekte fördern.
Noch eines zu Ihnen, Herr Luther. Sie sprachen an, was
man in diesem Bereich für Jugendliche tun soll. Ich weiß
nicht, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass von den
Geldern für das JUMP-Programm - das sind immerhin
2 Milliarden DM - mittlerweile 50 Prozent, also 1 Milliarde DM, neben dem, was wir sowieso an Sonderprogrammen zur Finanzierung von Ausbildungsplätzen haben, in die neuen Länder fließen. Ich denke, ein solches
Ergebnis kann sich sehen lassen.
Die knappe Redezeit erlaubt es mir nicht, noch näher
auf den Zivildienst einzugehen. Aber, Herr Dörflinger,
rechnen sollte man noch können. Wir haben 124 000 im
Jahresdurchschnitt, das heißt 140 000 einberufene Zivildienstleistende. Das muss man auseinander halten. Die
Regelung, die wir gefunden haben, ist vernünftig. Wir haben noch einige Möglichkeiten. Sie werden zu gegebener
Zeit dem Hause vorgestellt. Dann können wir das weiter
diskutieren.
Ich möchte mich zum Schluss bei all denjenigen bedanken, die mich im zuständigen Fachausschuss und
natürlich auch im Haushaltsausschuss bei der politischen
Arbeit unterstützt haben.
Ich denke, das, was wir geschafft haben, kann sich sehen lassen. In den nächsten zwei Jahren haben wir noch
genug zu tun. Herr Dörflinger, ich weiß nicht, was daran
schädlich ist, wenn man Vorhaben hat.
Danke.
({4})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/4740? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/4741? - Wer stimmt dagegen? Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS, die
natürlich zugestimmt hat, abgelehnt worden.
Abstimmung über den Einzelplan 17 in der Ausschussfassung. - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Gibt es
Enthaltungen? - Der Einzelplan 17 ist damit mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
gesamten Opposition angenommen worden.
Ich rufe jetzt die Einzelpläne 07 und 19 auf:
III. 9 hier: Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 14/4507, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Matthias Berninger
Heidemarie Ehlert
III. 10 hier: Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Matthias Berninger
Dr. Christa Luft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Albrecht Feibel.
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Es besteht sicherlich Einigkeit aller demokratischen Parteien in
diesem Hohen Hause, dass Rechtsextremismus nicht geduldet werden darf. Aufrechte Demokraten dürfen nicht
wegschauen, wenn Menschen Opfer rechtsextremistischer Gewalt zu werden drohen.
({0})
Gegen rechtsextremistische Gewalt sind Demonstrationen eine Sache, eine andere ist unsere Aufgabe, die eigentlichen Ursachen dieser Gewaltbereitschaft zu erforschen. Inwieweit kommen Eltern, Schulen, Medien,
Politik und gesellschaftliche Gruppen ihrer Verantwortung nach, junge Menschen so zu erziehen, dass sie eben
nicht für rechtsextremistische Aktionen, Organisationen
und Gewalt anfällig werden?
Leider werden wir - trotz aller Anstrengungen - auch
in Zukunft mit extremistischer Gewalt rechnen müssen.
Deshalb ist es grundsätzlich richtig, dass es im Einzelplan 07, im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Justiz, die Bereitstellung von 10 Millionen DM für Härteleistungen für Opfer extremistischer Gewalt gibt.
Wir werden aber in Zukunft, wie in der Vergangenheit,
mit extremistischer Gewalt unterschiedlicher Hintergründe zu rechnen haben. Es wird neben der rechtsextremistischen Gewalt auch weiterhin eine linksextremistische Gewalt geben. Es wird Gewalt aus religiöser
Motivation geben. Es wird Gewalt geben, die weder einen
politischen, noch einen religiösen Hintergrund hat.
Menschen, die Opfer rechtsextremistischer Gewalt
werden, und nur diese, sollen nach dem vorliegenden
Haushaltsplan Härteleistungen erhalten, so will es die Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Opfer jeglicher anderer extremistischer Gewalt dagegen werden
leer ausgehen.
Das widerspricht dem grundgesetzlich verbrieften
Recht auf Gleichbehandlung aller Bürger in unserer Republik.
({1})
Sie wollen hier ein Gesetz zur Ungleichbehandlung verabschieden. Damit schaffen Sie eine Zweiklassengesellschaft von Opfern extremistischer Gewalt. Hinzu
kommt, dass die Koalitionsparteien in den Erläuterungen
zu diesem Mittelansatz ausführen: „Die Prüfung der Voraussetzungen und Auszahlung der Mittel sollen dem
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof obliegen.“ Weiter heißt es, dass zur Soforthilfe Mittel bereitgestellt werden sollen. Soforthilfe bedeutet für die Koalition, dass diese Hilfe erst nach eingehender Prüfung der
Tätermotivation gewährt werden kann, weil zuerst
geprüft werden muss, ob es sich bei dem Übergriff um
rechts, links oder religiös motivierte Gewalt handelt oder
ob „nur“ ein Opfer mafioser, erpresserischer Gewalt zu
beklagen ist.
Erst nach eingehender Prüfung, die möglicherweise
Monate in Anspruch nimmt, wollen Sie von der Regierungskoalition Ihre so genannte Soforthilfe den Opfern
zukommen lassen. Wenn Sie den Hintergrund der Tatbegehung nicht aufklären können, wird im Zweifel gegen
das Opfer entschieden. Damit schaffen Sie eine Zweiklassengesellschaft von Opfern. Sie teilen in gute und
schlechte Opfer ein; Opfer rechtsextremistischer Gewalt
sind die guten Menschen, denen man helfen muss, und
Opfer linksextremistischer Gewalt oder Opfer religiös
motivierter Straftaten sind schlechte Menschen, die zu
kurz kommen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt
deshalb den Einzelplan 07 in dieser Fassung ab.
({2})
Es gibt einen zweiten wichtigen Grund, warum wir diesen Einzelplan ablehnen: In vielfacher Hinsicht haben sowohl die Regierungskoalition als auch die Regierung
selbst bekundet, dass die Personalsituation beim Deutschen Patent- und Markenamt ganz dringend verbessert werden muss. Das DPMA leidet seit geraumer Zeit
unter einer gewaltigen Zunahme der Patent- und Markenanträge einerseits und einer völlig unzureichenden PersoVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
nalausstattung andererseits. Das ist ein absolut unerträglicher Zustand.
Bedenkt man, dass heute Erfindungen in verhältnismäßig kurzer Zeit überholt sein können und durch neue
Entwicklungen ersetzt werden, kann ein Erfinder angesichts der immensen Wartezeiten seine Erfindung kaum
noch angemessen vermarkten. Dadurch wirkt das DPMA
ungewollt wie eine Innovationsbremse. Vor dem Hintergrund der noch immer angespannten Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt müsste die Bundesregierung bestrebt
sein, das Gegenteil zu erreichen: Gas geben anstatt bremsen. Wir brauchen eine schnellere Bearbeitung der Patentanträge und damit eine Lösung der Innovationsbremse.
({3})
Die jetzt vorgesehene Personalaufstockung um netto
21 Stellen ist der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
In Vorgesprächen waren sowohl das Bundesfinanzministerium als auch das Bundesjustizministerium der Auffassung, dass eine Personalaufstockung um mindestens
43 qualifizierte Mitarbeiter anzustreben ist, um das Problem einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Völlig unverständlich ist uns von der CDU/CSU-Fraktion die ablehnende Haltung der Koalition bei den Beratungen im Haushaltsausschuss und hier im Plenum. Sie
vergießen, wenn Sie die Personalsituation beim Patentund Markenamt ansprechen, immer wieder Krokodilstränen und die sind bekanntermaßen nicht ernst zu nehmen.
Völlig unverständlich wird die Haltung der Koalition
- und natürlich auch Ihre Haltung, Frau Minister -, wenn
man bedenkt, dass das DPMA seine Ausgaben eigentlich
selbst finanziert. Für die zu bearbeitenden Anträge werden entsprechende Gebühren fällig und vereinnahmt. Das
heißt, je mehr Anträge bearbeitet werden, desto mehr
Geld kommt in die Kasse.
Nun hat die Justizministerin auch noch dafür gesorgt,
dass diese Gebühren kräftig erhöht wurden. Gleichzeitig
sind Sie aber nicht bereit, das DPMA in die Lage zu versetzen, die nunmehr auf über 100 000 Überhänge angestiegene Zahl der Anträge in einem angemessenen Zeitraum abzuarbeiten. Mit Ihrem Verhalten schaden Sie den
Erfindern, der deutschen Wirtschaft und auch dem Arbeitsmarkt und betätigen und profilieren sich als Innovationsbremser.
Wenn ich den Bundeshaushalt 2001 insgesamt betrachte, so verstehe ich die Rechnung des Bundesfinanzministers - er ist leider nicht da - ganz und gar nicht. 1998
- der Haushalt wurde von der CDU/CSU und von der
F.D.P. verantwortet - beliefen sich die Ausgaben auf
457 Milliarden DM. Im Jahre 2001 werden es 479 Milliarden DM sein. Das sind bekanntermaßen mehr als
457 Milliarden DM. Aber die Steuereinnahmen, die 1998
noch 341 Milliarden DM betrugen, steigen nach der Planung der derzeitigen Regierung im Jahr 2004 auf 446 Milliarden DM an. Das bedeutet, auf der Grundlage von 1998
gerechnet, 105 Milliarden DM mehr Steuern, die die Bürger zu zahlen haben. Der Bundesfinanzminister will,
großzügig wie er ist, eine Entlastung von 43 Milliarden DM durchbringen. Das bedeutet für die Bürger eine
zusätzliche Belastung von rund 60 Milliarden DM. Da der
Haushalt in diese Richtung zeigt, können wir ihm nicht
zustimmen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Carsten Schneider.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin, wenn wir
heute Abend abschließend über den Haushalt des Einzelplans 07, also über den Etat des Bundesjustizministeriums, debattieren, so müssen wir auch diesen kleinen
Etat im Zusammenhang mit der Haushaltspolitik des Bundes sehen. Ohne wieder zu den grundsätzlichen Debatten
der Finanz- und Haushaltspolitik zurückkehren zu wollen,
möchte ich doch die von allen Seiten - ich betone: wirklich von allen Seiten - gelobte Konsolidierungs- und Reformpolitik von Rot-Grün am Beispiel des Justizhaushaltes erläutern.
Zuvor möchte ich noch sagen, dass es mir als Vertreter
der jungen Generation ein besonderes Anliegen ist, dass
wir mit unserer Haushaltspolitik den eingeschlagenen
Pfad der Konsolidierung voranschreiten.
({0})
Es gibt verschiedene Theorien über die Vor- und Nachteile
öffentlicher Kreditaufnahme. Eines steht aber fest: Die
Schulden werden von Bürgern zurückgezahlt, die nicht in
den Entscheidungsprozess eingebunden waren. Entweder
waren sie zu jung, um zu wählen, oder sie waren noch
nicht einmal geboren. Daher bedarf es der Nachhaltigkeit
auch in der Finanz- und Haushaltspolitik,
({1})
und zwar Nachhaltigkeit in dem Sinn, dass Haushaltspolitik immer die Auswirkungen auf die Gestaltungsspielräume der kommenden Generationen im Blick hat. Schulden schränken die Handlungsfähigkeit kommender
Generationen ein, ja sie schränken deren Freiheit ein.
Mein Verständnis als Mitglied des Haushaltsausschusses
und als Berichterstatter für den Justizetat ist daher von
dem Bestreben eines auf Nachhaltigkeit ausgerichteten
Bundeshaushaltes wie - soweit das eben möglich ist auch Justizhaushaltes geprägt.
Der uns vorliegende Justizhaushalt verbindet wie der
ganze Bundeshaushalt als solcher Konsolidierung mit Reformen. Das heißt ganz konkret: Der Haushalt der Justiz
reagiert sehr schnell auf Veränderungen in Gesellschaft
und Wirtschaft. Er unterstützt dabei lobenswerte Veränderungen im wissenschaftlich-technischen Bereich und er
leistet sogar einen Beitrag gegen den Rechtsextremismus
an einer Stelle, die ich für sehr wichtig halte und auf die
ich in meiner Rede noch zurückkommen werde.
Die Beratungen im Haushaltsausschuss zum Einzelplan 07 waren von einer sehr zielgerichteten und kollegialen Haltung aller Beteiligten geprägt. Das Ergebnis
dieser Beratungen sieht für den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz Einnahmen in Höhe von 516,8 Millionen DM vor. Dem stehen Ausgaben in Höhe von
680,2 Millionen DM gegenüber. Die im Haushaltsausschuss beschlossenen Mehrausgaben sind damit zwar um
14 Millionen DM höher als im Regierungsentwurf vorgesehen. Aber sie sind durch eine Einnahmenerhöhung plafondneutral finanziert worden. Damit sind die Ausgaben
um 13 Millionen DM geringer als die, die für das laufende
Jahr eingestellt sind. Sie sind zum einen das Ergebnis adäquater Sparanstrengungen und beruhen zum anderen auf
dem Rückgang der Bauinvestitionen, der sich auf den
Baufortschritt in einigen Liegenschaften zurückführen
lässt.
Wir stellen mit Freude fest, dass der Kostenplan für den
Umbau des ehemaligen Reichsgerichtsgebäudes in Leipzig eingehalten werden kann, dass unsere Vorschläge zur
Reduzierung der Kosten umgesetzt wurden und dass sogar noch weitere Einsparungen möglich sind. Wir werden
den Umbau natürlich weiterhin mit argwöhnischem Auge
überwachen. Wir hoffen, dass das Gerichtsgebäude 2002
fertig gestellt ist, sodass das Bundesverwaltungsgericht
einziehen kann.
Die Personalausgaben liegen mit knapp 440 Millionen DM in etwa so hoch wie die im Haushalt für 2000.
Damit machen die Personalausgaben mit 64 Prozent zusammen mit den personengebundenen Sachausgaben bei
insgesamt 80 Prozent des Gesamthaushalts für den Justizbereich aus. Das ist so hoch wie in kaum einem anderen
Ressort. Diese Zahl verdeutlicht auch, unter welch
schwierigen Bedingungen dem Konsolidierungspfad der
Haushaltspolitik Rechnung getragen werden muss. Ich
verstehe die zunehmenden Probleme, die sich für das Ministerium aus der linearen Stelleneinsparung ergeben. So
waren wir alle mehr als erstaunt, als wir im Berichterstattergespräch erfuhren, dass allein in diesem Jahr über
25 000 Überstunden verfallen. Ich denke, dass dies auf
Dauer nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Aber
das zeigt auch die sehr hohe Leistungsbereitschaft der
Mitarbeiter des Justizministeriums, denen ich dafür ausdrücklich danken möchte.
({2})
Lassen Sie mich nun auf Veränderungen eingehen, die
wir beim Deutschen Patent- und Markenamt - Herr
Kollege Feibel hat das schon angesprochen - vorgenommen haben. Ich möchte an dieser Stelle zuerst darauf
eingehen, wie sich die Situation des DPMA dargestellt
hat, als 1998 die Bundesregierung wechselte. Das DPMA
hatte von 1991 bis 1999 einen Rückgang der Zahl der Beschäftigten um 13,4 Prozent zu verzeichnen. Herr Feibel,
Sie waren mit dabei, als wir das Amt in München besucht
haben, und konnten vor Ort prüfen, wie sich der Personalbestand entwickelt hat. Wir waren meines Erachtens in
dieser Zeit nicht an der Regierung. Daher kann ich die
Kritik, die Sie vorgebracht haben, nicht in Gänze verstehen. Aber ich kann sie durchaus nachvollziehen. Sie waren zwar genau wie ich damals - leider - nicht Mitglied
dieses Parlaments. Aber zumindest Ihre Fraktion muss
sich vorhalten lassen, dass ihre jetzigen Mehrausgabenforderungen ihrer damaligen Politik entgegenstehen.
Die Zahl der Beschäftigten ging zurück, die Zahl der
Markenprüfer sogar um 19,3 Prozent. Im Gegensatz dazu
stieg die Zahl der Patentanmeldungen um 225 Prozent.
Durch technische Neuerungen ist es gelungen, den Mitarbeitern des DPMA ihre Arbeit zu erleichtern und die Effizienz ihrer Arbeit zu steigern. Aber das reicht nicht aus,
keine Frage. Deshalb sage ich nicht ohne Stolz, dass
es unsere Haushaltspolitik in den letzten zwei Jahren war
- das wird auch weiterhin so sein; das sage ich dem
DPMA zu -, die dem Patent- und Markenamt wieder die
Geltung verschafft hat, die es auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes eigentlich verdient.
({3})
Deutschland ist für seine Erfinder- und Ingenieursleistungen bekannt. Das Markenzeichen „made in Germany“
steht weltweit noch immer für erstklassige Produkte. Dass
das so bleibt und noch intensiviert wird, damit junge Menschen und somit die gesamte Gesellschaft die Möglichkeit
bekommen, kreative und innovative Arbeit anzunehmen,
sehe ich als einen wichtigen Beitrag an, um die Position
Deutschlands als Entwickler- und Forscherland zu stärken.
Die Stärkung des Deutschen Patent- und Markenamtes
ist nachhaltige Politik im wahrsten Sinne des Wortes und
der beste Beweis dafür, dass trotz der Vorgaben des Einzelplans 07 die Möglichkeit besteht, eine Haushaltspolitik
zu betreiben, die im Ergebnis zu einer Verbesserung des
Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts Deutschland
führen wird.
({4})
Um ein Zitat des früheren Bundesfinanzministers Karl
Schiller etwas abzuändern: Wir sparen da, wo es möglichst sinnvoll ist, und wir investieren da, wo es nötig ist.
Natürlich reicht das Plus von 49 Stellen - Herr Kollege
Feibel, es sind 49 Stellen, die wir in diesem Jahr neu
schaffen; das DPMA hatte nur 43 Stellen gefordert - nicht
aus, um die gesamte Bugwelle abzuarbeiten; da bin ich
mir sicher. Allerdings wissen Sie auch, dass der Arbeitsmarkt gerade im Bereich der Patentprüfer nicht sehr viel
hergibt und dass es deshalb schwer genug werden wird,
diese 49 Stellen im Laufe des Jahres zu besetzen und die
neuen Mitarbeiter einzuarbeiten. Ich glaube aber, dass
dies eine gute und mit Augenmaß getroffene Entscheidung der Koalitionsfraktionen war.
Mehr Personal ist jedoch nicht alles. Daher haben wir
auch zusätzliche 4 Millionen DM zur Stärkung des
DEPATIS-Systems beschlossen. Dieses elektronische Archiv- und Recherchesystem, welches dem DPMA und der
Öffentlichkeit dient, ist obendrein auch zur Sicherstellung
der internationalen Kooperation im Patentwesen ausgesprochen nützlich.
Der Haushalt des Einzelplans 07 hat sich gegenüber
dem Regierungsentwurf aber auch an anderen Stellen verändert. Als Beispiel hierfür möchte ich den Arbeitsstab
zur Beilegung internationaler Konflikte in Kindschaftssachen nennen.
({5})
Hier hat das Ministerium rasch reagiert und die Voraussetzungen für die Bildung eines Arbeitsstabes, befristet
auf drei Jahre - wie ich gehört habe, hat er bereits am
Montag in Paris getagt -, geschaffen. Dieser soll vor allem im Interesse der Kinder helfen, akzeptable Lösungen
für alle Beteiligten zu finden.
Als nächsten Punkt nenne ich den nächste Woche erfolgenden Gründungsbeschluss für ein Deutsches Institut für Menschenrechte.
({6})
Wir kommen damit einerseits unserer Koalitionsvereinbarung und andererseits internationalen Verpflichtungen
nach. Wir tragen damit der weltweit steigenden Bedeutung der Menschenrechte Rechnung und unterstreichen
die Förderung der Menschenrechte als Leitlinie unserer
Außenpolitik.
({7})
In diesem Zusammenhang möchte ich der Ministerin
nochmals für ihre Initiative des Deutsch-Chinesischen
Rechtsdialogs danken.
({8})
In den Haushaltsberatungen wurde kritisiert, dass wir
die Mittel im Bereich der Forschung ein weiteres Mal erhöht haben. Wir haben das getan, weil wir zu den dank der
so tatkräftigen Justizministerin umfangreichen Reformvorhaben der Bundesregierung auch eine begleitende Forschung benötigen, ein Teil des Geldes aber noch durch die
Vorhaben der Vorgängerregierung gebunden ist.
({9})
Beim Institut für Ostrecht, von dessen Nützlichkeit
wir uns als Berichterstatter vor Ort überzeugt haben,
wurde der Haushaltsvermerk ausgebracht, dass ein Teil
der zusätzlichen Einnahmen im Institut verbleibt. Damit
ist diesem Institut ein Anreiz gegeben, noch mehr Drittmittel einzuwerben, die dann letztendlich auch im Institut
- in die Bibliothek - investiert werden können.
({10})
In der ersten Lesung zum Bundeshaushalt hat die Ministerin auf eine Anregung des Kollegen Hoyer - man
sieht daran, dass die SPD auch auf gute Vorschläge der
F.D.P. eingeht - davon gesprochen, dass das Recht auf der
Seite der Schwächeren stehen muss. Ich kann ihr da nur
zustimmen und bin nicht zuletzt aus diesem Grund stolz,
dass wir eine Soforthilfe für Opfer rechtsextremistischer
Überfälle geschaffen haben. Wir setzen damit ein Zeichen, dass der Staat und die Gesellschaft konsequent gegen rechtsextremistische Übergriffe vorgehen. Zur verfassungsrechtlichen Einordnung dieser Soforthilfe wird
die Ministerin wohl später noch etwas beitragen. Ich
möchte hier nur so viel sagen: Wer auf der einen Seite bürgerschaftliches Engagement als Voraussetzung für eine
erfolgreiche Bekämpfung des Rechtsextremismus fordert, der muss auf der anderen Seite auch bereit sein, sie
zu fördern. Es ist gut, dass die Bundesregierung hierfür
Geld bereitstellt und auch die Opfer von Gewalt im Auge
hat.
Herr Feibel, ich habe - um noch einmal auf Ihre vorhin
gemachten Ausführungen einzugehen - im Ausschuss
ganz deutlich gesagt, dass im Zweifelsfalle - wenn nicht
klar ist, ob es ein rechtsextremistischer Anschlag ist, wie
das in Düsseldorf der Fall ist - zugunsten der Opfer entschieden wird. Ich sehe dieses Geld, die 10 Millionen DM
für die Entschädigungen, als wichtiges politisches Zeichen nach außen an, dass wir uns nicht nur um die Prävention, sondern auch um die Opfer rechtsextremistischer
Gewalt kümmern.
({11})
Als ich 1998 Berichterstatter für diesen Einzelplan
wurde, hätte ich nicht gedacht, dass die Etatisierung einer
solchen Soforthilfe in diesem Einzelplan nötig sein wird.
Ich hätte auch nicht gedacht, dass meine Heimatstadt
Erfurt dadurch an Bekanntheit gewinnt, dass am 20. April
dieses Jahres rechtsextremistische Jugendliche einen
Brandanschlag auf die dortige Synagoge verübten. Ich
hätte vor allen Dingen nicht gedacht, dass ein solcher
heimtückischer Anschlag in Erfurt überhaupt denkbar ist.
Er hat aber einmal mehr gezeigt, dass unsere Demokratie
verteidigt werden muss. Dafür tragen wir alle Verantwortung.
Unsere Politik muss klarmachen, dass wir Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Intoleranz keine Chance geben. Und wir müssen klarmachen, dass wir mit unseren jüdischen Mitbürgerinnen und
Mitbürgern, mit den hier lebenden Ausländerinnen und
Ausländern und mit denen, die Opfer von Gewalttaten geworden sind, solidarisch sind. Wir müssen unseren Worten auch Taten folgen lassen. Daher ist die nun vorgesehene Opferentschädigung der richtige Weg.
({12})
Bei dem Anschlag in Erfurt wurde kein Mensch verletzt, weil die Brandsätze nicht zündeten. Es hätte aber
Opfer geben können, wie es beispielsweise in Düsseldorf
geschehen ist. Deshalb ist es wichtig, dass den Opfern die
benötigte Hilfe schnell zuteil werden kann.
Zum Schluss meiner Rede möchte ich den Kolleginnen
und Kollegen Mitberichterstattern für die konstruktive
Zusammenarbeit danken. Ich möchte auch der Frau Ministerin, dem Herrn Staatssekretär und deren Mitarbeitern
im Justizministerium sowie den Mitarbeitern des Bundesverfassungsgerichts danken.
({13})
Es ist viel wert, wenn ein Ministerium von einer allseits
kompetenten, von Juristen und Nichtjuristen geachteten
Persönlichkeit geleitet wird. Sie werden jetzt vielleicht
fragen, warum ich das so betone. Das ist in den jeweiligen
Bundesländern nicht selbstverständlich. Rechtspolitische
Differenzen liegen in der Natur der Sache. Wer das Vertrauen der gesamten thüringer Justiz durch seine Einflussnahme in laufende Verfahren, so wie es der thüringer Justizminister Birkmann getan hat, missbraucht hat, der
sollte die Größe haben, die Konsequenzen zu ziehen und
sich zu verabschieden.
({14})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerade die Vorkommnisse der letzten
Wochen und Monate zeigen, wie wichtig die rechtsstaatliche Ordnung für unser Gemeinwesen ist. Das Bundesministerium der Justiz hat dabei eine zentrale Funktion,
obwohl der Etat des Justizministeriums eher von geringer
Bedeutung ist, was sicherlich auch an der föderalen Ordnung in der Bundesrepublik liegt, da die Justizverwaltungen Organe der Länder sind.
Aber überall stellen wir fest, dass trotz des Rufens nach
Recht und Ordnung, nach Rechtsstaatlichkeit, die Finanzminister von Bund und Ländern versuchen, die Justizhaushalte zu kürzen und Personaleinsparungen vorzunehmen. Dies ist sicherlich der falsche Weg, wenn man den
Rechtsstaat erhalten oder gar ausbauen will.
({0})
Innere und äußere Sicherheit sowie das Justizwesen sind
Kernaufgaben des Staates. An dieser Stelle zu sparen bedeutet sicherlich, am falschen Ende zu sparen.
({1})
Auch die so genannte Justizreform, die am Freitag in
erster Lesung für eine halbe Stunde im Deutschen Bundestag beraten werden darf - eine halbe Stunde ist für eine
wichtige Reform, die sie sein soll, ja „angemessen“ -, hat
zumindest im Ansatz fiskalische Ursprünge der Einsparung gehabt und hat sie eigentlich noch heute. Den
Rechtsschutz des Bürgers zu verkürzen ist sicherlich der
falsche Weg, wenn man den Rechtsstaat stärken will.
({2})
Mit Sorge sieht meine Fraktion, dass die Justizministerin immer wieder versucht, ihre Gesetzesvorhaben durch
den Rechtsausschuss zu peitschen. Selbst bessere Einsichten aufgrund von Anhörungen im Rechtsausschuss
und Diskussionen in Berichterstattergesprächen werden
nicht berücksichtigt. Vom Justizministerium wird Druck
auf die Kollegen, beispielsweise auf die der SPD, ausgeübt. Es wäre wünschenswert, wenn wir im Rechtsausschuss zur kollegialen Zusammenarbeit, wie es sich unter
Juristen eigentlich gehört, zurückkehrten.
({3})
Das Niederstimmen der Opposition hilft bei der Erarbeitung von Gesetzen nicht immer weiter. Ein gewisses
Verständnis kann man sicherlich dafür haben, dass man
nach 26 Jahren Arbeit als Abgeordnete - später auch als
Oppositionspolitikerin - nunmehr Erfolgserlebnisse in
der Form haben möchte, dass diese Gesetze schnell ins
Bundesgesetzblatt kommen. Das darf aber nicht zulasten
der gründlichen Erarbeitung, vor allem nicht zulasten der
Kollegialität im Rechtsausschuss gehen.
({4})
Die Justizreform allerdings wird sicherlich kein Erfolgserlebnis für Sie werden, Frau Ministerin,
({5})
da alle im Justizbereich Tätigen gegen dieses so genannte
Reformvorhaben sind. Dasselbe Schicksal könnte auch
die Schuldrechtsreform erleiden, wenn man versucht,
auch sie durch die Parlamentsgremien zu peitschen.
({6})
Eine so grundlegende Reform bedarf gründlichster, auch
wissenschaftlicher Begleitung. Unter Hinweis auf umzusetzende Richtlinien der EU Druck zu machen dient nicht
der Sache. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen
Schuldrechtsreform und den umzusetzenden Richtlinien
besteht ohnehin nicht; das wissen Sie ganz genau, Herr
Hartenbach.
Die F.D.P.-Fraktion begrüßt, dass durch die Initiative
auch meiner Fraktion - Herr Hoyer ist ja hier - die Zahl
der Personalstellen beim Deutschen Patent- und Markenamt erhöht worden ist. Das Patent- und Markenamt
bietet eine für unsere Wirtschaft unentbehrliche Dienstleistung. Wir werden sehr genau beobachten, ob es durch
diese Stellenvermehrung gelingt, den erheblichen Rückstau aufzulösen, und sagen hierfür auch unsere Hilfe zu.
Wir teilen Ihre Kritik, Herr Kollege Feibel, nicht ganz; wir
sind vielmehr froh, dass wir durch gemeinsame Anstrengungen diese Stellen bekommen haben. Ich hoffe, dass
dadurch wenigstens Teile des Rückstaus abgebaut werden
können.
Mit Sorge sehe ich jedoch, dass die Bundesregierung
noch immer kein Konzept für die internationale rechtliche Beratung entwickelt hat. Zunehmend haben sowohl
Industrieländer als auch Entwicklungsländer und die
MOE-Staaten ein Interesse daran, sich mit unserer deutschen Rechtsordnung auseinander zu setzen und Gesetze
zu übernehmen. Die Zuständigkeit für diese Beratung ist
aber in der Bundesregierung nach wie vor zersplittert. Ich
habe schon vor zwei Jahren angeregt, die Beratung konzentriert im Bundesjustizministerium anzusiedeln. Dort
wäre diese rechtliche Beratung am besten aufgehoben und
dort könnte ein Konzept entwickelt werden.
({7})
Ich frage mich nur, warum dies nicht geschieht. Das sollte
nun endlich in Angriff genommen werden.
({8})
Lassen Sie mich abschließend zur Insolvenzordnung
kommen.
Die 1994 verabschiedete und seit dem 1. Januar 1999
in Kraft getretene Insolvenzordnung hat sich im Prinzip
bewährt. Sie ist seinerzeit gründlich vorbereitet und auch
von der damaligen Opposition - auch von Ihnen, Frau
Justizministerin; Sie haben zum Teil an den Berichterstattergesprächen teilgenommen - unterstützt worden. Ich
glaube, es ist ein gutes Gesetz geworden. Das damals eingeführte Institut für Verbraucherinsolvenz und der Restschuldbefreiung ist im Prinzip richtig, auch wenn es in
den vergangenen Monaten bei den Vorverfahren, also insbesondere bei den Schuldnerberatungsstellen, zu Engpässen gekommen ist. Dies liegt im Wesentlichen an den
Bundesländern, die diesen Flaschenhals nicht durch entsprechende finanzielle Spritzen erweitert haben. Mit anderen Worten, es fehlt schlicht am Geld und es ist auch
von den Ländern - auch weil man sparen wollte - schlecht
vorbereitet worden. Das gilt für alle Länder. Am Prinzip
der Verbraucherinsolvenz und an den Restschuldverfahren werden wir nicht rütteln lassen; denn wir wollen, dass
den zwei Millionen überschuldeten Haushalten und deren
Familienangehörigen eine Perspektive für ihr künftiges
Leben gegeben wird. Deswegen werden wir dort, wo es
zu Fehlentwicklungen gekommen ist, an einer Novellierung der Insolvenzordnung tatkräftig mitwirken. Ich
glaube aber, dass die Insolvenzordnung insgesamt gut ist.
Abschließend danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der Justiz für ihre nicht
immer leichte Arbeit und hoffe auch für das nächste Haushaltsjahr auf konstruktive Gespräche.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese rotgrüne Koalition steht für einen entschlossenen und konsequenten Kampf gegen den Rechtsextremismus. Das
belegt auch der Justizhaushalt für das nächste Jahr:
10 Millionen DM werden Opfern rechtsextremistischer
Übergriffe künftig als Soforthilfe zur Verfügung stehen.
Auch wenn in diesem Zusammenhang letzte juristische
Fragen, etwa das Verhältnis zu anderen Ausgleichsansprüchen wie dem Opferentschädigungsgesetz, noch im
Detail geklärt werden müssen, steht fest, dass diese Koalition es nicht hinnehmen wird, dass die Opfer des braunen Mobs nur deshalb leer ausgehen, weil den Tätern in
aller Regel die Mittel zur Wiedergutmachung des Schadens fehlen. Dort, wo aus humanitären Gründen zügige
und unbürokratische Hilfe geboten ist, werden wir die
Opfer nicht auf den Rechtsweg verweisen. Auch das zeugt
von verantwortungsvoller Rechtspolitik.
Meine Damen und Herren, es hat mich doch sehr verwundert, dass Herr Feibel hier gesagt hat, er sei gegen
diese Soforthilfe, weil wir hier Opfern rechtsextremistischer Gewalt einen besonderen Zugang zur Opferentschädigung ermöglichen. Ich bin über seine Äußerungen sehr erstaunt. Sein brandenburgischer Kollege, der
Justizminister Schelter, fordert seltsamerweise genau für
diesen Bereich Strafverschärfungen.
({0})
Da kann man auf einmal rechtsextremistische Gewalt sehr
genau definieren - oder meint es zumindest. Wenn es aber
um die Opfer geht, geht dieses auf einmal nicht mehr.
({1})
Wir als Politiker haben die Bevölkerung draußen im
Lande aufgefordert, aufzustehen, Zivilcourage zu zeigen
und einzuschreiten. Wenn aber jemand einmal einschreitet und dabei zum Opfer wird, dann hat er unsere Solidarität verdient.
({2})
Wenn wir diese nicht zeigen, dann lassen wir die Menschen alleine und dann sind unsere Aufforderungen zur
Zivilcourage leere Phrasen. Hier geht es um die Glaubwürdigkeit der Politik. Unser Verhalten ist nur konsequent.
({3})
Meine Damen und Herren, die von der Bundesregierung zusätzlich bereitgestellten Mittel im Kampf gegen
rechts tragen einer alarmierenden Entwicklung Rechnung: Über 1 000 Straftaten haben rechtsgerichtete Täter
allein im letzten Monat verübt. Knapp 11 000 Straftaten
waren es seit Jahresbeginn. Rund 600 Menschen wurden
in diesem Jahr von rechten Schlägern verletzt, zwei Personen sogar getötet. Verharmlosungen sind da nicht angebracht, aber auch kein legislatorischer Aktionismus. Machen wir uns nichts vor: Weder ein NPD-Verbot durch
Karlsruhe noch irgendwelche, angeblich notwendigen
Gesetzesänderungen würden an dieser Entwicklung irgendetwas nachhaltig ändern: Es gibt keine juristischen
Patentrezepte. Wer aber diesen Eindruck vermittelt, handelt meines Erachtens genauso verantwortungslos wie
derjenige, der nichts tut.
Ein Beispiel für verantwortungslose Schaumschlägerei
ist die Gesetzesinitiative aus Brandenburg. Sie vermittelt
den Bürgern unter dem Motto „Der Gesetzgeber wird es
schon richten - Zivilcourage überflüssig!“ ein von Grund
auf falsches Signal. Dabei hat der vergangene Samstag
doch eindrucksvoll gezeigt: Wer es wagt, sich den Rechten in den Weg zu stellen, kann damit Erfolg haben. Diese
Einstellung müssen wir durch unsere Politik fördern.
({4})
Das schafft keine Gesetzesänderung.
Auch die von einigen vorgeschlagene Änderung des
Versammlungsgesetzes hätte übrigens die NPDDemonstration am Samstag nicht verhindern können.
Warum aber in ein Grundrecht von allen eingreifen, wenn
es noch nicht einmal nützt? Wir brauchen keinen Flickenteppich befriedeter Bezirke in unserem Land. Den Triumph, dass wir in Deutschland Freiheitsrechte opfern, nur
weil ein paar Neonazis es so wollen, dürfen wir den Rechten nicht gönnen. Wir lassen nicht zu, dass Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit eingeschränkt werden.
({5})
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehb?
Aber gerne doch.
Herr Kollege Beck,
ich habe nur die Frage, ob Sie das Verhalten der Gegendemonstranten aus der linken bzw. autonomen Szene gegen die NPD-Demonstration eigentlich als besonderen
Ausdruck von Zivilcourage ansehen.
Ich sehe es als einen besonderen Ausdruck von Zivilcourage an, wenn viele Bürgerinnen und Bürger auf die
Straße gehen, weil sie wissen, dass der braune Mob durch
die Stadt läuft, und diese Tatsache nicht unwidersprochen
hinnehmen, sondern sich dem entgegenstellen.
({0})
Wenn einzelne Demonstranten, bei welcher Veranstaltung
auch immer, Straftaten verüben oder irgendwie über die
Stränge schlagen, dann ist das immer zu verurteilen. Wir
haben Gesetze, die für alle gelten. Man darf aber nicht die
Zivilcourage der vielen Bürgerinnen und Bürger, die sich
in Berlin auf die Straße getraut haben, diskreditieren, nur
weil sich einzelne Personen womöglich nicht hundertprozentig korrekt verhalten haben.
({1})
- Wie ich die Fragen beantworte, die Sie mir stellen, ist
immer noch meine Sache.
Wir brauchen keine neuen Straftatbestände. Der
Straftatbestand der Körperverletzung aus niedrigen Beweggründen, wie ihn Herr Schelter vorschlägt, ist überflüssig. Jedes Gericht ist schon heute verpflichtet, Fremdenfeindlichkeit als strafverschärfend im Rahmen der
Strafzumessung zu berücksichtigen. Dann reichen auch
die Strafrahmen aus. Man muss also die bestehenden Gesetze nur richtig anwenden. Aber damit hat Herr Schelter,
wie sich in den letzten Wochen zur Empörung der gesamten Richterschaft in Brandenburg gezeigt hat, offenbar
seine liebe Mühe.
Was wir brauchen, ist ein Bündel von Maßnahmen.
Dazu mag auch die Initiative zum Verbot der NPD
gehören. In kriminalpolitischer Hinsicht ist im Kampf gegen Straftaten von rechts eine Trias aus Repression,
Prävention und Resozialisierung der Täter unverzichtbar. Der Chef der Staatsschutzabteilung des BKA, Herr
Neidhardt, hat letzte Woche auf der Herbsttagung in Wiesbaden festgestellt: „Hartes Durchgreifen allein ist nicht
ausreichend.“ Recht hat er. Aber dort, wo es geboten ist,
wo hinreichende Verdachtsmomente existieren, da muss
auch konsequent ermittelt und notfalls hart durchgegriffen werden.
({2})
Die rot-grüne Reformpolitik läuft auch im Bereich
Kriminalitätsbekämpfung und Erneuerung des Rechtsstaates auf Hochtouren. Wir werden am Freitag Gelegenheit haben, über die Justizreform ausführlich zu reden.
Mit der Sanktionenrechtsreform erweitern wir für die
Gerichte das Instrumentarium, um auf kriminelles Verhalten angemessen und nachhaltig einzuwirken. Das
unflexible Geld- und Freiheitsstrafensystem aus dem
19. Jahrhundert hat ausgedient. Sanktionen wie Fahrverbot und gemeinnützige Arbeit sind manchmal schmerzhafter und führen das Unrecht einer Tat besser vor Augen
als die Überweisung eines Geldbetrages.
Diese Sanktionenrechtsreform ist auch eine Reform für
die Opfer und zu ihrem Schutz. Denn: Wenn wie heute in
überfüllten Haftanstalten eine Resozialisierung der Täter
gar nicht mehr möglich ist, dann darf man sich über die
hohen Rückfallquoten nicht wundern. Eine Perle dieser
Reform ist, dass 10 Prozent der Geldstrafen an die Opferhilfe gehen. Wir haben also eine Wende in der kriminalpolitischen Diskussion eingeleitet. Wir reden nicht nur
über die Opfer, sondern wir tun auch etwas für sie.
({3})
Am Freitag wird der Bundesrat über ein weiteres wichtiges Reformprojekt der rot-grünen Koalition diskutieren.
Es geht um die eingetragene Partnerschaft, die wir hier
auf den Weg gebracht haben. Das Signal ist klar: Die
eingetragene Lebenspartnerschaft wird ihren Weg ins
Bundesgesetzblatt finden. Deshalb ergibt sich für die
Mehrheit des Bundesrates die Notwendigkeit, die rechtlichen Konsequenzen im Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz zu ziehen und hier nicht aus parteipolitischen
Gründen zu blockieren.
Allgemeine Rechtsgrundsätze müssen auch für homosexuelle Partnerschaften sowie für die schwulen Bürger und die lesbischen Bürgerinnen dieses Landes gelten.
Zu diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört: Die
Besteuerung muss an der steuerlichen Leistungsfähigkeit
anknüpfen.
({4})
Diese wird durch gesetzliche Unterhaltsverpflichtung
berührt. Die Bedürftigkeitsprüfung im Sozialrecht muss
Volker Beck ({5})
gesetzliche Unterhaltsrechte berücksichtigen und einbeziehen. Dies hat auch bei der eingetragenen Partnerschaft
der Fall zu sein. Das Alimentationsprinzip bei Beamten
gilt selbstverständlich auch bei eingetragenen Lebenspartnern, die Beamte sind. In diesem Land ist immer noch
das Standesamt für Personenstandsfragen zuständig.
({6})
Dem Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz kann
nur derjenige die Zustimmung verweigern, der einen Kulturkampf gegen die Rechte von Lesben und Schwulen
führen will. Wie Sie, Herr Geis, vor einigen Wochen zu
diesem Thema gesprochen haben,
({7})
stößt mittlerweile auch bei immer mehr Mitgliedern in Ihrer Partei auf Scham, Entsetzen und Verbitterung.
({8})
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den saarländischen Ministerpräsidenten, der in der „Woche“ gesagt
hat, es habe ihn betroffen gemacht, welche Sätze vonseiten der Unionsfraktion zu diesem Thema gefallen sind.
({9})
- Es waren die Kollegen Geis und Hohmann, die den
Herrn Kollegen Müller betroffen gemacht haben.
Ich finde es gut, dass in der CDU/CSU mittlerweile
eine Debatte beginnt. Ich hoffe deshalb, dass wir hinsichtlich der Rechtsfolgen der eingetragenen Partnerschaft zu einer sachbezogenen Diskussion finden werden,
die zum Ausdruck bringt, dass wir die Rechte von Lesben
und Schwulen in diesem Land respektieren und diesen
auch gesetzgeberisch Rechnung tragen. Ich denke, wir
haben hier eine Riesenchance. Ich hoffe, dass der Bundesrat, dessen Bänke heute leider etwas leer sind,
({10})
am Freitag den Weg für den zweiten Teil der Reform frei
macht.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Sabine Jünger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sieht man sich die Protokolle der letzten Debatten um den Justizhaushalt an, dann fällt auf, dass
fast alle Rednerinnen und Redner ungeachtet ihrer Fraktionszugehörigkeit immer wieder betonen, wie klein, aber
doch fein das Justizministerium ist und wie klein bzw.
schmal auch der dazugehörige Haushalt. Darüber, ob der
Haushalt ebenso fein ist, herrschte hier schon keine Einigkeit mehr.
Im kommenden Haushaltsjahr haben wir die gleiche Situation: Das Justizministerium als Schlüssel- und Querschnittsressort ist noch immer ein feines Haus, das in Relation zu seiner Bedeutung ziemlich klein ist und auch im
nächsten Jahr über ein sehr überschaubares Budget verfügen wird.
Volker Beck hat an dieser Stelle einmal gesagt, die
Rechtspolitik sei in der Koalition ein deutlicher Schwerpunkt. Es sind in dieser Legislaturperiode nicht wenige
rechtspolitische Vorhaben angegangen oder zumindest
angekündigt worden. Das war auch heute wieder der Fall.
Aber ich frage mich schon, wie das alles bewerkstelligt
werden soll. In Anbetracht der großen Veränderungen, die
die Regierungskoalition noch auf den Weg bringen will,
erscheint mir der finanzielle Rahmen doch mehr als dürftig auszufallen. Reformen, vor allem so ehrgeizige, sind
nun einmal nicht zum Nulltarif zu haben.
({0})
Wie Sie mit den vorgesehenen Mitteln zum Beispiel die
Mietrechtsreform zum großen Wurf werden lassen wollen, frage ich mich schon. Wir werden - es ist schon gesagt worden - am Freitag in diesem Haus die Reform der
Zivilprozessordnung behandeln. Das ist wahrlich kein
kleines Gesetzesvorhaben. Eine Reform ist längst überfällig, gerade aus Gründen der Unzulänglichkeiten im Bereich der Rechtspflege. Aber ich sage es ganz deutlich:
Die PDS-Fraktion will eine Reform zugunsten der Bürgerinnen und Bürger. Die vorgesehene Reform wird zwar als
bürgernah gepriesen, hat aber, wie ich denke, nicht zuletzt
den Zweck, Geld zu sparen.
Die angekündigte große Justizreform, bei der die ZPOReform ein Teil sein sollte, ist, wie gesagt, nicht zum
Nulltarif zu haben. Im Gegenteil, zumindest anfangs werden die Umstellungen und Veränderungen sogar zusätzliche Kosten mit sich bringen.
Immerhin wird es im nächsten Jahr wieder mehr Geld
für Fortbildung und für Ausbildung geben. Es scheint
mir dennoch sehr fragwürdig, wie mit so geringen Mitteln
und so wenig Personal ein so bedeutende Reform bewerkstelligt werden soll. Eine wirkliche Strukturreform
sehe ich so nicht.
Wo ich gerade bei den großen Würfen bin, lassen Sie
mich auf ein Gesetz zu sprechen kommen, das vor einigen
Wochen hier verabschiedet worden ist und das in den
letzten Jahren immer als rot-grüner Knüller angekündigt worden ist - Herr Beck hat gerade dazu gesprochen -:
die eingetragene Lebenspartnerschaft. Der Kollege
Ströbele hat im letzten Jahr nicht verstanden, warum ich
gesagt habe, dass man dafür Geld braucht. Ich kann es Ihnen gerne noch einmal erklären. Wir alle haben in den
letzten Monaten deutlich gesehen, wie schlecht die Öffentlichkeit über dieses Projekt informiert war und ist.
Das hat sich daran gezeigt, dass sowohl die CDU/CSU als
auch die Betroffenenverbände und große Teile der Bevölkerung nicht begriffen haben, dass die rot-grüne Koalition
uns hier mitnichten die Homoehe beschert hat.
({1})
Volker Beck ({2})
In diesem Zusammenhang begrüße ich übrigens ausdrücklich, dass das Bundesjustizministerium erneut einen
größeren Etat für Öffentlichkeitsarbeit bekommt. Das
scheint mir ziemlich notwendig. Vielleicht sollten Sie,
Frau Ministerin, wenigstens etwas Geld für eine Aufklärungskampagne lockermachen, damit Schwule und
Lesben mit amtlich besiegeltem Willen zur Bindung und
zur Verantwortungsgemeinschaft wenigstens wissen, worauf sie sich einlassen.
Vielleicht schieben Sie gleich noch einen Infobrief an
die bundesdeutschen Gerichte einschließlich des Bundesverfassungsgerichtes, dessen Etat wir hier mit verhandeln, hinterher. Erklären Sie den Richterinnen und Richtern, warum Sie Ihre politische Verantwortung an die
Rechtsprechung delegieren. Die rot-grüne Koalition hat
nicht den Mumm in den Knochen, für die völlige Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben zu streiten,
({3})
und belastet jetzt die Gerichte damit, die notwendigen
Klarstellungen zu verfassen.
({4})
- Herr Hartenbach, das, was Sie verabschiedet haben,
zeigt mir, dass Sie nicht den Mumm in den Knochen haben, wahrlich eine Gleichstellung hinzubekommen. - Das
war kein Betriebsunfall und noch nicht einmal Schuld der
konservativen Opposition. Nein, das war von vornherein
von Ihnen so geplant. Dazu könnte man eine Menge von
Zitaten anführen.
({5})
- Manchmal haben auch Sie Schuld.
Frau Ministerin, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, lassen Sie mich ganz zum Schluss einen Vorschlag meiner Kollegin Christina Schenk aufgreifen: Richten Sie doch einen Rechtshilfefonds für die
Homos ein, die wegen ihrer Rechte vor Gericht ziehen
müssen! Wenn Sie schon auf halber Strecke stehen bleiben und die Arbeit andere machen lassen, dann stellen Sie
diesen doch wenigstens die notwendigen Ressourcen zur
Verfügung.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde zu einigen
Punkten der Rechtspolitik Stellung nehmen, ohne dabei
die anderen Punkte, die ich nicht erwähnen kann, völlig
ausklammern zu wollen. Diese Punkte sind genauso wichtig; aber es ist nicht die Zeit vorhanden, um auf alle Probleme, die wir haben, einzugehen.
Das wichtigste Thema der Rechtspolitik ist die Justizreform. Hier wird der Versuch unternommen, gegen den
Rat der Anwaltschaft, gegen den Rat weiter Bereiche der
Richterschaft und gegen den Rat von vielen Sachverständigen und Wissenschaftlern eine Reform durchzuboxen,
die dann am Ende mehr Schaden als Nutzen bringen wird.
({0})
Es wird hier nach der neuen Devise der Rechtspolitik gehandelt: Helm fest, Augen zu und mitten durch die Wand!
Das ist Ihre Methode.
({1})
Die hatten wir früher in der Rechtspolitik nicht.
({2})
Wir konnten uns in der Rechtspolitik auseinander setzen;
wir sind aufeinander zugegangen. Das Argument hat gegolten. Jetzt gilt ein Argument nichts mehr. Wir leben
vielmehr mitten in der „Basta-Politik“: Basta, so wird es
gemacht! Das Argument zählt nicht mehr. Das ist die
Lage, in der wir uns befinden, und das ist das Problem, vor
dem wir stehen.
({3})
Ich unterstütze Herrn Funke in seinem Appell, im
Rechtsausschuss zu einer vernünftigen Diskussion, zu einem vernünftigen Diskurs zurückzukehren.
({4})
Das ist verdorben. Hier müssen wir einiges tun, um den
entstandenen Schutt wegzuräumen.
Die Justizreform wird als bürgernah und effizient verkauft. Die Effizienz unserer Ziviljustiz ist sehr hoch. Im
europäischen Vergleich liegen wir bei den Erledigungszahlen vorne. Die Justiz ist kaum effizienter zu gestalten,
ohne die Einzelfallgerechtigkeit zu beschädigen. Es ist
also nicht notwendig, ein großes Reformwerk auf die
Schiene zu setzen mit der Behauptung, dadurch solle die
Justiz effizienter werden. Wir haben eine effiziente Justiz.
Das muss hier einmal festgehalten werden. Wir brauchen
insofern keine Reform.
({5})
Es wird behauptet, nach der Reform werde die Justiz
bürgernäher werden. Wir haben eine bürgernahe Justiz;
sonst würden sich nicht jährlich immer mehr Menschen
an die Justiz wenden und dort ihr Recht suchen.
({6})
Das ist doch das Ergebnis einer bürgernahen Justiz. Wenn
die Justiz den Bürgern wirklich fern wäre, dann würden
wir nicht derart hohe Eingangszahlen haben. Das ist doch
kein falsches Argument. Wir haben eine bürgernahe Justiz
und ich fürchte, nach der Reform wird sie bürgerfern sein.
Überlegen Sie nur einmal, was geschieht, wenn durchgeht, was vorgesehen ist, nämlich dass die Berufungsinstanz bei den Oberlandesgerichten konzentriert wird.
Dann müsste man bei mir zu Hause von Aschaffenburg
nach Bamberg fahren. Dazu bräuchte man einen ganzen
Tag. Bei einem Streitwert von 1 500 DM sind die dadurch
entstehenden Kosten viel zu hoch. Man verliert viel Zeit und das für 1 500 DM. Die Kostenrelation wird den einzelnen Bürger dazu bringen, zu sagen: Ich gehe nicht in
die Berufung.
({7})
Was bedeutet das? Das ist ein Weniger an Rechtsschutz; das ist ein Weniger an Rechtskultur. Deswegen
müssen Sie von diesem Vorhaben Abstand nehmen. Ich
bitte Sie darum.
({8})
Dies gilt auch für die Zurückschneidung des Sachvortrags. Hier sind Sie uns zwar einen Schritt entgegengekommen;
({9})
aber das ist immer noch zu wenig. Sie müssen den Sachvortrag in zweiter Instanz zulassen. Ich habe es wiederholt
gesagt: 90 Prozent des Zivilprozesses bestehen nun einmal aus Sachverhalt. Der Bürger muss die Möglichkeit
haben, auch in zweiter Instanz noch einmal seinen Sachverhalt zur Debatte und zur Diskussion zu stellen und
dann darüber urteilen zu lassen. Darum geht es im Zivilprozess. Sie machen das zunichte. Ich halte das für einen
Verstoß gegen unsere Rechtskultur.
Wir müssen alles unternehmen, mit der Anwaltschaft,
mit der Richterschaft und mit weiten Teilen der Wissenschaft, damit diese Reform so, wie sie auf dem Tisch liegt,
nicht durchgebracht wird.
Wir werden am Freitag die Regierungsvariante dieser
Reform erleben. Wer geglaubt hat, die vielen Diskussionen und die vielen Gespräche mit den Richtern, den
Rechtsanwälten und der Wissenschaft auf dem Juristentag
hätten irgendetwas gebracht, der sieht sich getäuscht, der
lebt auf einem anderen Stern. Der Vorschlag vom Freitag
wird nichts anderes sein als eine Variation des Vorschlags
der Koalition vor der Sommerpause. Deswegen sind wir
auch insofern tief enttäuscht.
({10})
Die Diskussion hat sich nicht ausgezahlt. Ich fürchte,
auch die Anhörung wird nichts bringen.
Ich fürchte, wir werden dieses Gesetz durchgepeitscht
bekommen, wie das ja üblich ist.
({11})
Die Gesetze werden durchgepeitscht, man kann gar
nicht mehr vernünftig miteinander reden. Die Möglichkeit, noch einmal ein Rechtsgespräch mit Experten zu
führen, ist ja nicht mehr gegeben.
({12})
Ich fürchte, dass wir wieder ein Gesetz bekommen, bei
dem die Regierungsparteien brutal von ihrer Mehrheit
Gebrauch machen und zum Schluss vor einem Scherbenhaufen im justiziellen Bereich stehen.
({13})
Durch die Einführung des Einzelrichters in fast allen
Bereichen werden die Kammern so gut wie abgeschafft.
Alle Welt sieht in der Teamarbeit den großen Wurf, nur hat
sich diese Erkenntnis noch nicht bis zum Justizministerium und bis zur Koalition durchgesprochen. Ich verstehe
das nicht. Der Einzelrichter ist ein Verlust an Binnenkontrolle. Die Abschaffung der Kammern ist ein Verlust der
Binnenkontrolle der Richter untereinander. Das führt zu
Fehlurteilen, das führt zu einem Verlust an Rechtskultur.
Auch dagegen müssen wir uns wehren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es heißt nun
nicht, dass wir nicht aufmerken müssen. Wir müssen alle
Versuche unternehmen, um auch im justiziellen, auch im
zivilrechtlichen Bereich Verbesserungen zu erreichen.
Das Telekommunikationswesen hat auch im Rechtsbereich längst Einzug gehalten. Wir erleben immer mehr,
dass Rechtsgeschäfte über das Internet abgewickelt werden. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Nutzung des
Internets auch im Verhältnis von Richter und Staatsanwalt
auf der einen und Betroffenen auf der anderen Seite und
zwischen Richter und Kläger oder beklagter Partei auf der
einen und der anderen Seite möglich ist. Hier brauchen
wir Rechtsvorschriften. Dafür sollten wir uns einsetzen,
statt Reformvorhaben durchzusetzen, die am Schluss nur
einen Scherbenhaufen übrig lassen.
Dass die Telekommunikation im Bereich der Justiz
sehr wohl ihren Platz hat, beweist das elektronische
Grundbuch, das wir jetzt schon haben. Das Handelsregister muss folgen.
({14})
In diesem großen Bereich bietet sich für den Bundestag
die Möglichkeit, die neue Kommunikationstechnik auch
in der Justiz zu verankern.
Ein Wort zum Gerichtsvollzieher. Wir werden in
Kürze das Gerichtsvollziehergesetz erneuern. Ich glaube,
dass der Gerichtsvollzieher in der Justiz eine wichtige
Funktion hat. Was nützt mir der schönste Titel, wenn ich
ihn nicht durchsetzen kann? Dazu brauchen wir den Gerichtsvollzieher. Deshalb glauben wir, dass der, der hier zu
knapp kalkuliert, am falschen Ende spart.
Ein Wort zur Streitschlichtung. Frau Ministerin, Sie
haben mit Recht - da unterstütze ich Sie - darauf hingewiesen, dass das Instrument der Streitschlichtung, das wir
hier im Parlament geschaffen haben, in den Ländern noch
zu wenig genutzt wird. Die Streitschlichtung ist ein exzellentes Mittel, um bei Streitwerten unterhalb von
1 500 DM zu einem vernünftigen Ausgleich zu kommen,
ohne dafür gleich einen großen Prozess beginnen zu müssen. Es ist nach der Devise eingerichtet worden: mehr Eigenverantwortung und weniger Staat auch im Bereich der
zivilrechtlichen Kleinverfahren. Die kleine Konfliktlösung sollten wir stärker vorantreiben. Hier unterstützen
wir Sie. Wir halten dies für eine richtige und wichtige
Einrichtung.
Ein Wort zum Lebenspartnerschaftsgesetz. Verehrter
Herr Beck, wir haben darüber ausgiebig diskutiert. Aber
mit diesem Gesetz wurde in einer provokanten und, wie
ich meine, missglückten Weise versucht, eine Kopie der
Ehe durchzusetzen. Wir halten dies für verfassungswidrig. In dieser Frage werden wir uns wohl - je nachdem,
wie der Bundesrat entscheidet - vor dem Verfassungsgericht wiedersehen.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Justiz überhaupt ist
nach wie vor die Bekämpfung der Kriminalität. Das
Vertrauen der Bürger hängt davon ab, ob es der Justiz gelingt, die Kriminalität zu bekämpfen und die innere Sicherheit zu wahren.
({15})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier geht es darum, dass wir gute Polizeien haben, dass wir gute Staatsanwaltschaften haben, die entsprechend anklagen, Gerichte, die auch einmal bereit sind, den Strafrahmen
auszuschöpfen, und dass wir über einen vernünftigen
Strafvollzug verfügen, der dem Täter klarmacht, dass er
für seine Taten einzustehen hat und der Strafvollzug keine
Freizeitveranstaltung ist.
({16})
Wir müssen nach wie vor gegen die organisierte Kriminalität kämpfen. Dazu brauchen wir die Kronzeugenregelung. Sie ist vor einem Jahr ausgelaufen. Es ist uns
völlig unverständlich, weshalb die Koalition untereinander zerstritten ist, ob die Kronzeugenregelung nun wieder
eingeführt werden soll oder nicht. Es wurde eine eigene
Kommission eingesetzt.
({17})
Ich hoffe, Sie kommen zu einem vernünftigen Ergebnis.
Hier sollte sich die SPD einmal nicht so sehr nach den
Grünen richten. Beim Lebenspartnerschaftsgesetz haben
Sie es zur Genüge getan. Richten Sie sich nun einmal nach
Ihrem eigenen Empfinden.
Ob es Ihnen und der F.D.P. recht ist oder nicht: Wir
brauchen die Videoüberwachung, um Verbrechen effizient zu bekämpfen. Wir brauchen eine Besserstellung der
Position des verdeckten Ermittlers. Bei der grenzüberschreitenden Verfolgung von Verbrechen brauchen wir
eine europäische Regelung.
Verehrte Frau Ministerin, wir brauchen aber kein
Sanktionssystem, das es letztendlich gut mit dem Täter
meint, das ihn billiger davonkommen lässt und dem Betroffenen unter Umständen nicht sein Recht verschafft.
Wir brauchen vielmehr ein Sanktionssystem, das den
Straftaten gerecht wird. Wenn die Informationen, die aus
Ihrem Hause herausdringen, richtig sind, sind Sie davon
meilenweit entfernt.
Natürlich müssen wir gegen rechtsextremistische
Straftaten angehen. Hier können wir nicht die Hände in
den Schoß legen. Diese Gewalttaten müssen mit aller Entschiedenheit bekämpft werden. Aber es kann doch nicht
möglich sein, dass Sie die Gesinnung eines Täters als ausschlaggebend dafür ansehen, ob das Opfer ein paar Mark
mehr bekommt oder nicht bzw. ob das Opfer besser entschädigt wird oder nicht.
({18})
Das kann doch nicht wahr sein! Das kann nicht mit unserer Rechtsordnung in Einklang gebracht werden. Hier
muss man von Populismus unterscheiden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine:
Die Skinheads sollte man nicht zu hoch einschätzen. Unter diesen - Entschuldigung, wenn ich das so sage - Glatzköpfen ist nicht so viel Hirn, dass allzu viel Ideologie von rechts oder von links - darin Platz hätte. Das sind
dumpfe Gewalttäter und Verbrecher, die das Verbrechen
wollen.
({19})
Der Staat muss mit aller Entschiedenheit dagegen antreten. Ein solches Vorgehen unterstützten wir mit aller Entschiedenheit. Wir fordern die Gerichte auf, ihren Strafrahmen endlich auch einmal auszuschöpfen.
({20})
Wir fordern den Strafvollzug auf, entsprechend strafverfolgend tätig zu sein und den Strafvollzug durchzusetzen.
({21})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber man
darf hier keinen Popanz aufbauen. Wir würden die Täter
nicht richtig einschätzen, wenn wir sie nicht als dumpfe
Gewalttäter qualifizierten und wenn wir nachlassen würden, dieser dumpfen Gewalt mit aller Macht entgegenzutreten.
({22})
Herr Kollege
Geis, denken Sie bitte an die Zeit.
Oh ja. Einen Satz sage ich
noch.
Wir haben im April dieses Jahres, lange bevor die
Welle des Rechtsextremismus begann, eine Verbesserung
des Jugendstrafrechts und des Jugendgerichtsgesetzes
eingeleitet. Hier zeigen wir Möglichkeiten auf, um diesen
rechten Gewalttätern entgegenzutreten. Ich möchte Sie
bitten, diesen Gesetzentwurf zu unterstützen. Die Rechtspolitik ist nicht so spektakulär wie manche andere Politikbereiche. Aber es geht hier um langfristige WeichenNorbert Geis
stellungen für die Gesellschaft. Deswegen kämpfen wir so
sehr um den richtigen Weg.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Frau Bundesministerin der Justiz, Herta DäublerGmelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich bei dem Kollegen
Eichel, dem Bundesfinanzminister, und insbesondere bei
Ihnen, Herr Staatssekretär Diller, und natürlich bei den
verehrten Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses
({0})
ganz herzlich für die zwar außerordentlich schwierigen,
aber doch sehr sachlichen und sehr konstruktiven Verhandlungen zum Haushalt 2001 bedanken.
Lassen Sie mich sagen, warum ich das so ausdrücklich
betone. Wir alle, jedenfalls wir von der Koalition, tragen
gerade auch im Interesse der jungen Generation den
Sparkurs dieser Bundesregierung und gerade auch des
Bundesfinanzministers und des Haushaltsausschusses
mit. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Dass das aber
bei einem kleinen und außerdem außerordentlich stark auf
Verwaltungshaushalt ausgerichteten Etat eine besondere
Schwierigkeit mit sich bringt, das wissen wir. Wir haben
eigentlich keine Rationalisierungspotenziale mehr. Deswegen, meine Damen und Herren, brauchen wir - da bin
ich für die Hilfe, egal, woher sie kommt, dankbar - immer
die Unterstützung dieses Hauses, um unsere Prioritäten
tatsächlich durchsetzen zu können.
Wir müssen angesichts der Notwendigkeiten, also angesichts dessen, was wir eigentlich alles tun müssten, auf
manches Vorhaben verzichten, vieles zurückstellen und
unsere Prioritäten sehr sorgfältig setzen. Das macht uns
im Einzelnen vielleicht ungeduldig, aber es geht nicht anders. Nur: Wenn Sie uns helfen, dass wir die Prioritäten
dann auch zeitgerecht tatsächlich erledigen können, dann
sind wir sehr dankbar.
Zu diesen Prioritäten gehört auf der einen Seite die
Stück für Stück vorzunehmende Modernisierung des
nachgeordneten Bereiches und auf der anderen Seite
auch die Modernisierung von Justiz und Recht sowohl
zum Schutz der Schwächeren in unserer Gesellschaft als
auch zu dem Zweck, dass die Justiz ihre Eigenschaft als
tragender Pfeiler unserer demokratischen und sozialen
Rechtsordnung tatsächlich behalten kann.
Lassen Sie mich mit dem nachgeordneten Bereich,
insbesondere mit dem Deutschen Patent- und Markenamt, beginnen. Ich bin Ihnen, Herr Kollege Schneider,
und Ihnen, Herr Kollege Berninger, sehr dankbar für die
Unterstützung bei der Modernisierung des Deutschen Patent- und Markenamtes, Ihnen, Kollege Diller, auch.
Lieber Herr Feibel, Sie haben gerade so signifikant gesagt, das Deutsche Patent- und Markenamt leide unter
dem stärkeren Eingang von Anträgen. Das ist nicht der
Fall. Es ist sehr gut, dass die deutsche Wirtschaft das
Deutsche Patent- und Markenamt stärker in Anspruch
nimmt. Worunter es leidet, das ist die von Anfang der
90er-Jahre bis 1998 praktizierte falsche Personalpolitik:
Während die Zahl der Anträge stieg, nahm die der Personalstellen ab. Darunter leiden wir noch heute.
({1})
Natürlich brauchen wir noch erheblich mehr Personal,
aber es hat überhaupt keinen Sinn, jetzt die rot-grüne Regierung für Ihre Versäumnisse anzugreifen. Die Stellen,
die wir besetzen können, werden wir besetzen. Wir brauchen Geduld, um auf dem Arbeitsmarkt, den Sie angesprochen haben, tatsächlich hochleistungsfähige Patentprüfer in ausreichender Zahl zu bekommen.
20 Stellen für Patentprüfer, 5 Stellen für Markenprüfer,
14 Stellen für IT-Fachpersonal, 10 weitere Stellen für Juristen zum Abbau des Rückstands im Markenbereich das ist zusätzlich zu dem, was gerade besprochen wurde,
nicht so schlecht, aber Sie haben völlig Recht: Wir werden weitermachen.
Lassen Sie mich noch eines dazu sagen. Der Zustand
des Deutschen Patent- und Markenamtes, so wie wir es
übernommen haben, musste natürlich auch im Bereich der
Informations- und Kommunikationstechnologie verbessert werden. Es war ein Skandal, dass viele Patentprüfer
einen PC zwar aus ihren Patentanmeldungen kannten,
aber nicht als Arbeitsmittel. Dass es einen unglaublich hohen Betrag an Geld erfordert, um tatsächlich PCs und
DEPATIS-Stationen in ausreichender Zahl zur Verfügung
zu stellen, das wissen Sie. Auch dafür, dass wir hierfür
noch zusätzlich etwas bekommen haben, sage ich herzlichen Dank, aber ich sage Ihnen ebenso: Auch das muss
weitergehen.
Wir haben ferner zum 1. April des kommenden Jahres
Maßnahmen vorgesehen, die natürlich in einem industriellen Hightechland längst hätten passieren müssen. Wir
werden zum 1. April des kommenden Jahres in der Tat den
Internetzugang zu DEPATIS - das ist die Patentdatenbank
für Forschung und Industrie - ermöglichen.
({2})
Lassen Sie mich noch etwas sagen. Es wird mir immer
vorgeworfen - ich habe das jedenfalls gehört -, ich würde
im Zuge der Modernisierung gelegentlich heilige Kühe
schlachten oder Sakrilege begehen. Ich bekenne mich
schuldig. Wir werden auch im Bereich des Deutschen Patent- und Markenamtes wieder eine heilige Kuh schlachten, und zwar die gezackte Gebührenmarke, die älter als
100 Jahre ist. Sie wird es ab dem 1. Januar 2002 mit der
Einführung des Euro nicht mehr geben,
({3})
sondern ein außerordentlich modernes Abrechnungssystem.
({4})
Es hätte Sie niemand davon abgehalten, spätestens Anfang der 90er-Jahre diese Veränderungen und Verbesserungen einzuführen. Zu der Zeit waren sie längst auf dem
Markt.
({5})
Ich habe als einen weiteren Punkt genannt, dass wir das
Recht und die Justiz modernisieren und damit den von Ihnen in 16 Jahren hinterlassenen Reformstau Stück für
Stück abbauen, Herr Funke. Natürlich war abzusehen,
dass Ihnen nicht alles gefällt, was wir vorschlagen oder
was wir in den Bundestag einbringen. Aber dass wir Sie
einladen, mitzudiskutieren
({6})
und sich nicht zu verweigern, wie Sie es in weiten Bereichen getan haben, will ich noch einmal sehr deutlich zum
Ausdruck bringen.
({7})
Es waren Sie, die Kolleginnen und Kollegen von CDU
und CSU, die sich bei unserem Gesetz „Erziehung ja Gewalt nein“ verweigert haben. Sie waren es, die Nein gesagt haben.
({8})
- Sie haben dagegen gestimmt, auch wenn es Ihnen jetzt
nicht passt, dass man Sie daran erinnert.
({9})
- Lieber Kollege Geis, Sie haben auch gegen die Besserstellung von Alleinerziehenden hinsichtlich des Kindergeldes gestimmt.
({10})
Wenn Sie jetzt ankündigen, dass Sie beim Gewaltschutzgesetz dafür stimmen werden, finde ich das hervorragend.
Wir werden Sie beim Wort nehmen.
({11})
All das gehört dazu, dass das Recht auf der Seite der
Schwächeren stärker werden muss.
Jetzt kommen wir zu den Kriminalitätsopfern. Sie sind
im Grundsatz, wie ich Ihren Worten entnehmen kann, gar
nicht so weit von mir entfernt. Aber dann müssen Sie
auch, wenn es um den verstärkten Täter-Opfer-Ausgleich geht, zustimmen und dürfen dazu nicht Nein sagen.
({12})
Auch beim strafrechtlichen Sanktionensystem werden wir
die Rechte der Opfer weiter verstärken. Auch dabei werden wir Sie beim Wort nehmen, weil Sonntagsreden allein
ohne Zustimmung hier im Bundestag nicht ausreichen.
({13})
Lassen Sie mich noch etwas zu dem, wie ich hoffe, gemeinsamen Eintreten für Menschenrechte sagen. Herr
Feibel, ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie gesagt hätten: Jawohl, dieser 10-Millionen-DM-Fonds für die Opfer
rechtsextremistischer Gewalt ist wirklich eine gute Sache.
({14})
Wenn Sie noch hinzugefügt hätten, dass Sie einen weiteren Fonds wünschen, wenn Bedarf besteht, lieber Herr
Feibel, dann fände ich das in Ordnung. Aber es hat doch
keinen Sinn, immer die Opfer der einen Seite gegen die
anderen auszuspielen.
({15})
- Ob Sie jetzt nun wieder schreien oder nicht, spielt doch
keine Rolle. Wir werden ja sehen, ob Sie dem Justizhaushalt zustimmen.
({16})
Ich würde mich freuen, wenn Sie das sehr deutlich täten.
Dass 2001 das Menschenrechtsinstitut endlich anfangen
kann, zu arbeiten, dass wir mit der Ratifizierung jetzt in der
Tat dem Internationalen Strafgerichtshof den Weg frei gemacht haben, dass wir dem Menschenrechtsgerichtshof in
Straßburg - übrigens auch dafür ganz herzlichen Dank - die
notwendigen zusätzlichen Mittel tatsächlich zugestehen
können, ist das Ergebnis der Haushaltsberatungen. Ich bedanke mich ausdrücklich beim Haushaltsausschuss, dass
dies möglich gewesen ist.
({17})
Jetzt lassen Sie mich noch etwas zur Modernisierung
sagen. Ich hätte es gerne gesehen, wenn Sie das Mietrecht modernisiert oder angefangen hätten, die Schuldrechtsmodernisierung voranzubringen. Niemand hat Sie
daran gehindert. Herr Funke, in dem Punkt gebe ich Ihnen
völlig Recht: Beides sind ganz wichtige Projekte. Ich habe
mich gerade noch einmal vergewissert: Sie haben am
18. September 2000 unseren Diskussionsentwurf zur
Schuldrechtsmodernisierung übermittelt bekommen.
({18})
Meine Bitte ist, jetzt nicht wieder so lange darüber zu
schimpfen, bis es zu spät ist, sondern mitzudiskutieren.
Ich stehe Ihnen für Diskussionen in beiden Fällen - das
wissen Sie ganz genau - gerne zur Verfügung. Eine wissenschaftliche Begleitkonferenz wird es geben, und zwar
eine ständige, weil wir in der Tat zusammenarbeiten müssen.
Nur, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit muss auch
von Ihrer Seite kommen. Zur Zusammenarbeit laden wir
Sie ein, genauso wie zum Beispiel bei der Namensaktie,
der virtuellen Hauptversammlung oder jetzt bei der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung.
Selbstverständlich tun wir das auch bei den Gesetzesvorhaben, die ja schon alle eingebracht sind und die, wenn es
nach uns geht, bis Ende des kommenden Jahres beraten
werden sollen.
Das sind die Grundlagen, die Sie anmahnen, Herr Geis,
und die die Möglichkeit geben sollen, die Informationsund Kommunikationstechnologien nicht nur bei Gericht, sondern auch im Rechtsverkehr ohne Schaden einzusetzen.
({19})
Auch diese Grundlagen hätten Sie schon vor Jahren einbringen können. Wir tun das jetzt.
({20})
Ich will noch auf zwei Bereiche eingehen, die ganz besonders wichtig sind, nämlich auf das Biopatentgesetz
und das Urheberrecht. Ich sage Ihnen: Auch da werden
wir Sie zu gemeinsamen Diskussionen einladen, da das
Recht auch auf diesen Gebieten modernisiert werden
muss, wenn wir den Anschluss ans 21. Jahrhundert erreichen wollen.
Sie haben die Justizreform erwähnt. Ich freue mich
darüber. Noch nie ist so häufig über die Notwendigkeit der
Modernisierung von Justiz geredet worden wie jetzt und
noch nie so wenig über das, was Sie in den letzten 16 Jahren getan haben, nämlich ständig die Streitwerte zulasten
der kleinen Leute zu erhöhen.
({21})
Wenn ich mir die Debatten der vergangenen Tage und
Monate anhöre, höre ich nichts mehr von diesem etwas
merkwürdigen Vorwurf, wir würden gegen die Amtsgerichte vorgehen.
({22})
Denn Sie wissen mittlerweile, dass Sie damit gar keinen
Erfolg mehr haben werden. Wir stärken die Amtsgerichte.
Auch dazu laden wir Sie ein.
({23})
Verehrter Herr Geis, Sie waren schon einmal weiter.
Ich darf Sie an den Sachverständigenrat „Schlanker Staat“
erinnern und an den Gesetzentwurf zur Rechtspflegeentlastung, den Sie sogar eingebracht haben. Ich fürchte, es
wird wieder Folgendes passieren: Jetzt werden Sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, aber wenn wir das
Gesetz verabschieden, werden Sie sagen: Wir haben das
früher schon immer gesagt, aber Rot-Grün macht das
nicht in der Art und Weise, wie wir das immer wollten.
({24})
Die F.D.P. wird dann auf den Redebeitrag meines Vorgängers, des Herrn Kollegen Schmidt-Jortzig, auf dem
Deutschen Juristentag in Bremen verweisen. Er ist im
Übrigen sehr viel konsequenter in die Richtung, die Sie
heute bekämpfen, gegangen, als es Ihnen heute recht ist.
Ich sage Ihnen: Diskussionen zur Verwaltungsgerichtsordnung, zur StPO und zum FGG werden folgen. Bei der
ZPO freue ich mich auf die Auseinandersetzung, auch am
nächsten Mittwoch bei der Anhörung im Rechtsausschuss.
({25})
Lassen Sie mich noch einmal betonen: Wir machen all
das in größter denkbarer Transparenz. Sie waren früher,
zu Ihrer Regierungszeit, nicht bereit, die Referenten- und
Diskussionsentwürfe allen zur Verfügung zu stellen, die
sich dafür interessieren. Wir tun das. Sie finden sie immer
im Internet.
({26})
- Das kann ja sein - für einige Privilegierte.
({27})
Wir hingegen legen großen Wert darauf, dass sich alle interessierten Bürgerinnen und Bürger via Internet über
diese Vorhaben informieren und ihren Sachverstand oder
ihre Meinungen einbringen können.
({28})
Ich finde es gut, dass jetzt wieder über Rechtspolitik
geredet wird. Ich finde es auch unvermeidlich, dass wir
uns darüber auseinander setzen. Lassen Sie mich
nochmals sagen: Ich lade Sie herzlich dazu ein.
Ich möchte diese Ausführungen gerne damit schließen,
dass ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der Justiz und aller nachgeordneten Bereiche ganz herzlich danke. Ich weiß, wie viel Motivation,
Engagement und Arbeitskraft sie jeweils in die Modernisierung unseres Rechtssystems und der Justiz stecken. Ich
freue mich über alle aus diesem Hause, die ihnen auch gedankt haben.
Herzlichen Dank.
({29})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmen
zunächst über den Einzelplan 07 des Bundesministeriums
der Justiz in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 07 ist angenommen.
Wir kommen zum Einzelplan 19 des Bundesverfassungsgerichts in der Ausschussfassung. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 19 ist mit den Stimmen des gesamten Hauses
angenommen.
Ich rufe auf:
III. 11 hier: Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 14/4506, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Lothar Mark
Herbert Frankenhauser
Dr. Christa Luft
III. 12 hier: Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksachen 14/4000, 14/4302 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt
Ewald Schurer
Josef Hollerith
Heidemarie Ehlert
Zum Einzelplan 06 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der CDU/CSU und neun Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor. Über einen Änderungsantrag der
Fraktion der PDS werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist der Kollege Detlev von
Hammerstein.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Einzelplan 06 gibt
es zumindest in Teilbereichen einen Konsens; das ist in
parlamentarischen Beratungen manchmal ganz schön.
Aber es gibt auch andere Bereiche, die nicht in dem Maße
konsensfähig sind, wie wir als CDU/CSU-Fraktion es uns
vorstellen.
({0})
Ich nenne als Beispiel die Behandlung der Russlanddeutschen sowie andere Themen, zu denen sicherlich mein
Freund Erwin Marschewski später einige politische Aussagen machen wird.
Ein wichtiges Problemfeld - ich denke, darin sind wir
uns parteiübergreifend einig - sind Personalfragen. In
diesem Zusammenhang bin ich sehr glücklich darüber,
dass wir auf einzelnen Sektoren - zum Beispiel Bundeskriminalamt, Bundesgrenzschutz und THW - in der Frage
von Stellenanhebungen ein ganzes Stück weitergekommen sind und zum Teil eine Stellenaufstockung erreichen
konnten.
Allerdings, Herr Minister, gehört zu einem guten und
schlanken Staat auch Personal, das mit Begeisterung an
seine Arbeit geht. Ich habe in den letzten Wochen verhältnismäßig viele Beschwerdebriefe von Mitarbeitern
des Bundeskriminalamts und des Bundesgrenzschutzes
bekommen, die sich darüber beklagt haben, trotz ihrer hohen Qualifizierung nicht originär polizeiliche Aufgaben
wahrnehmen zu müssen, sozusagen im Büro statt an der
Grenze. Ich habe deshalb an Sie die Bitte, sich in Ihrem
Hause um diese Bereiche zu kümmern und sich gegenüber dem Parlament auch klar zu äußern. Denn die Sicherheit der Bundesrepublik, die im internationalem Vergleich Gott sei Dank sehr hoch ist, lässt sich nur
gewährleisten - ich habe das bei früherer Gelegenheit
schon erwähnt -, wenn sie auf gute Beamte mit fundierten Kenntnissen und Fähigkeiten zurückgreifen kann.
Nun lassen Sie mich zu einzelnen Punkten kommen:
Herr Minister, Sie wissen, dass es einige Felder gibt, auf
denen ich erhebliche Schwierigkeiten habe, die Haushaltsansätze nachzuvollziehen. Ich will mit dem Bundesgrenzschutz anfangen; man kennt mich dort und weiß,
dass ich eine andere Auffassung als die Regierung vertrete. Ich habe vorhin ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Herrn Mehdorn, gehabt. Auch zu diesem Zeitpunkt, Herr Minister, steht trotz
der entsprechenden Behauptungen von Ihnen und der
Haushaltsgruppe der SPD noch nicht fest, ob die 125 Millionen DM, die jetzt im Haushalt 06 gekürzt werden, vom
Bundesgrenzschutz zu zahlen sind.
Meine Auffassung ist, dass der Bundesgrenzschutz die
Aufgabe der Sicherung des Schienennetzes und der
Bahnhöfe hat.
Deswegen ist es meines Erachtens sehr wichtig, dass
wir uns zu dieser Thematik klar äußern. Ich bitte Sie,
nachher zu erläutern, ob es hier zu einem Konsens kommen kann. Wer heute die Zeitungen aufgeschlagen hat,
konnte feststellen, dass Herr Mehdorn in Anbetracht von
Konflikten mit dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn sehr
stark angegriffen wird. Ich glaube aber, er ist ein guter Unternehmer und kümmert sich zunächst einmal darum, festzustellen, welche möglichen Ausgaben der Bahn für die
Zukunft noch nicht klar und deutlich feststehen.
({1})
- Nein, lieber Kollege, wir sind jetzt beim Haushalt 2001.
Deswegen sprechen wir dazu. Auch wir haben, rückblickend besehen, vielleicht hier und dort einmal einen
Fehler gemacht.
({2})
Trotzdem berichte ich jetzt über den Haushaltsplan 2001.
Über ihn reden wir und über ihn diskutieren wir. Über ihn
müssen wir uns jetzt Gedanken machen und überlegen,
was wir wollen.
Es kann nicht angehen - das muss ich Ihnen sagen; da
brauche ich gar nicht den Minister anzuschauen -, dass
Vizepräsidentin Petra Bläss
wir zum Beispiel die Bahn, die Sie als Grüne ja favorisieren - ({3})
- Sie kämpfen für sie, aber Sie befreien sie nicht von den
- so die letzten Daten - 700 Millionen DM Ökosteuer. Es
gibt keine Bahn, die in Europa im Wettbewerb und in
Konkurrenz zur Bundesbahn steht, die diese Ökosteuer zu
zahlen hat.
({4})
Wenn Sie sich wirklich definitiv für die Deutsche Bahn
einsetzen, die in ganz großen Schwierigkeiten steckt - ({5})
- Wir kommen zu den zwei Milliarden DM. Ich sprach
von den 125 Millionen DM. Ich komme gleich zu einem
zweiten Fall, dem Flugsicherheitsdienst. Natürlich kann
man immer sagen: Wir sparen Steuern und wir sind bereit,
zusätzliche Gelder auszugeben. Wenn aber zur gleichen
Zeit mehrere hundert Millionen DM zusätzliche Abgaben
geleistet werden müssen, so können wir das nicht mittragen - das muss man verstehen - und der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn auch nicht. Wenn Sie für die
Deutsche Bahn kämpfen, dann ist es auch Ihre Aufgabe,
sich darum zu kümmern, dass zumindest sie diese Ökosteuer nicht zu zahlen hat. Sie hat noch viele andere Dinge
zu bezahlen, die Mehrwertsteuer zum Beispiel, und steht
in Konkurrenz mit anderen. Wenn Sie sich darum kümmerten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich hoffe, dass wir
in Zukunft zu klaren Finanzdaten kommen. Ich gehe auch
davon aus, dass sich der Minister hierzu äußern wird.
Ich will zwei weitere Beispiele aus dem investiven Bereich nennen, die mich ein wenig irritieren, weil dort erhebliche Kürzungen vorgenommen werden. Ich meine den
Bundesgrenzschutz und das Bundeskriminalamt. - Ich
will nicht auf alle Bereiche eingehen, weil meine Redezeit
hierfür zu kurz ist. - Auch hier hoffe ich, Herr Minister,
dass wir zu Regelungen kommen, was Geräte, Ausrüstung,
Waffen, Fahrzeuge und andere Dinge mehr angeht, auch
wenn der Einzelplan 06 nicht so viele Gelder im investiven Bereich ausweist.
Einen weiteren Bereich hatte ich schon angesprochen.
Das ist die Flugsicherheit. Hier werden wir auch nicht
zustimmen. Es mag ja sein, dass wir an den Flughäfen in
Zukunft etwas mehr Geld für die Sicherheit ausgeben sollen. Diese spielt eine große Rolle. Wenn Sie aber so etwas
tun, so ist es wichtig, dass wir es dem Bürger öffentlich
und klar sagen, dass wir also nicht auf der einen Seite sagen, wir sparen Steuern, und auf der anderen Seite ununterbrochen neue Gebühren erheben und neue Verordnungen erlassen. Ich gehe davon aus, dass hierüber eine
einhellige Meinung im Deutschen Bundestag zu erzielen
ist.
Nun zu einem dritten Bereich, Herr Minister, nämlich
dem Sport. Hier besteht nun in vielen Dingen Gott sei
Dank Einigkeit. Meines Erachtens ist es eine Aufgabe
aller Politiker und aller Bürger dieser Bundesrepublik
Deutschland, sich für den Sport einzusetzen. Ich bin auch
ein wenig stolz darauf, dass die CDU/CSU-Haushälter
mit den anderen zusammen - das muss ich klar und deutlich sagen - in vielen Punkten Dinge erreicht haben, die
Sie zunächst nicht wollten, aus welchen Gründen auch
immer, meistens aus finanziellen. Zwar wollten Sie Milliarden, aber Ihr Nachbar, der Herr Eichel, der leider nicht
da ist, wollte immer weiter kürzen.
({6})
- Nein, nein, lieber Günter. Warum er immer noch als
Sparminister bezeichnet wird, weiß ich allerdings nicht.
Darüber wollen wir uns nicht mehr äußern.
({7})
Herr Minister, es gibt also Teilbereiche - ich denke an
den Goldenen Plan -, in denen es Komplikationen gab.
Ich bin sehr stolz darauf, dass es uns als CDU/CSUGruppe gelungen ist, hier etwas zu erreichen. Ich bin auch
damit zufrieden, dass im Spitzensport etwas passiert ist.
Bei den Hochleistungszentren hatten Sie gekürzt. Wir haben eine Aufstockung um 28 Millionen DM vorgeschlagen, die SPD-Fraktion will 14 Millionen DM zusätzliche
Mittel zur Verfügung stellen. Ich halte das für richtig,
auch für die Olympia-Leistungszentren. Obwohl wir in
diesem Jahr nicht mit allen Olympioniken zufrieden gewesen sind, ist es Aufgabe des Staates, sich auch in Zukunft um diese Menschen zu kümmern. Ich bin ganz positiv gestimmt und erwarte, dass da in Zukunft wieder
mehr passiert.
Ein Bereich, Herr Minister, den ich gerne anspreche
und der natürlich auch sehr schön ist, betrifft die beiden
Stadien in Leipzig und Berlin, die jetzt für die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland umgebaut werden.
Das alles ist zwar schön und gut. Aber ich lehne es strikt
ab - das sage ich klar und deutlich -, wenn man sich im
Berliner Senat einkaufen muss, indem man den Umbau
des Olympiastadions mit 386 Millionen DM zusätzlich finanziert - ich weiß noch nicht, in welchem Haushalt diese
Summe eingestellt wird; aber vielleicht lässt sich das herausfinden, und zwar möglichst bald, damit der Bürger
auch mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass das bezahlt
wird; das ist meines Erachtens entscheidend -, um so eine
Mehrheit für die Steuerreform zu bekommen.
Wenn wir den Umbau der Stadien in Berlin und Leipzig mitfinanzieren, dann müssen wir uns in gleichem
Maße - Gunter Weißgerber nickt sporadisch - auch für die
Städte einsetzen, die sich mit ihren Stadien ebenfalls als
Austragungsorte für die Fußballweltmeisterschaft 2006
beworben haben. Deswegen fordern wir, dafür weitere
222 Millionen DM einzustellen.
({8})
Darüber kann der Minister ruhig lachen. Er kann sich dazu
nachher noch äußern, wenn er möchte. Herr Schily, Sie
sollten nur bedenken: Wenn Sie mit den Bürgern in München oder in anderen Städten zum Beispiel in NordrheinWestfalen sprechen, dann werden Sie feststellen, dass die
Leute die gleiche Auffassung haben wie die Menschen in
Berlin und Leipzig.
({9})
Zum Schluss meiner Rede möchte ich - auch wenn der
Staatssekretär dazwischenredet - den Minister direkt ansprechen und ihm sagen: Ich bin sehr zufrieden, dass wir
über alle Parteigrenzen hinweg die finanziellen Regelungen für die Stiftungen hinbekommen haben. Aber ich
glaube, dass im Augenblick die Mitglieder des Präsidiums
und die Fraktionsvorsitzenden sehr intensiv über die finanzielle Ausstattung der Stiftungen und der Botschaften
diskutieren. Ich gebe zu bedenken, Herr Minister: Es ist
ein Fehler, wenn ein so großer und international bedeutsamer Staat mit großen Exportchancen wie die Bundesrepublik Deutschland nicht bereit ist, seine Außenstellen wie
Stiftungen, Botschaften und andere Auslandsvertretungen
finanziell und personell so auszustatten, dass sie auch in
Zukunft gut arbeiten können. Deswegen bitte ich Sie - der
jetzige Haushalt steht schon fest -, sich im laufenden Jahr
Gedanken über eine Verbesserung der Situation zu machen, weil dies meines Erachtens ein sehr wichtiger Bereich ist.
Als Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion möchte
ich mich bei allen Kollegen aus dem Haushaltsausschuss,
die für die Erarbeitung des Einzelplans 06 zuständig waren, herzlich bedanken. Wir haben trotz einiger unterschiedlicher Auffassungen ein gutes, harmonisches und
freundschaftliches Verhältnis untereinander. Herzlichen
Dank!
({10})
Nächster Redner ist
für die SPD-Fraktion der Kollege Lothar Mark.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mir fällt die Aufgabe zu, einiges
über den Sporthaushalt zu sagen. Auch mir steht, lieber
Kollege Hammerstein, sehr wenig Zeit zur Verfügung.
Auch ich möchte betonen, dass wir im Haushaltsausschuss immer wieder ein weitestgehendes Einvernehmen
in Fragen des Sports erzielt haben und dass ein gutes
Klima in den Berichterstattergesprächen über diesen Themenbereich herrschte.
Der Sporthaushalt ist in diesem Jahr deutlich erhöht
worden. Dies ist eine Reverenz an den gesamten Sport.
Ich betone bewusst, dass in diesem Jahr auch der Breitensport im Rahmen des Goldenen Planes Ost davon profitiert, genauso der Behindertensport und der Hochleistungssport.
Der Sport erfüllt in Deutschland nicht nur eine Gesundheitsfunktion, sondern auch eine große soziale
Funktion. Immerhin sind 27 Millionen Mitglieder in
87 000 Sportvereinen organisiert. Im Zusammenhang mit
dem Problem der Fremdenfeindlichkeit fällt dem Sport
eine besondere Bedeutung zu; denn wir wissen, dass in
den Sportvereinen Integration betrieben wird und Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass dort Fremdwörter
sind. Deswegen legen wir großen Wert darauf, dass die
Vereine gestärkt werden und der Sport seinen gegenwärtigen Stellenwert behält bzw. weiter gefördert wird.
({0})
Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass gerade beim
Profisport, der ja in unserem Haushalt nichts zu suchen
hat, sehr viele Sportkoryphäen Ausländer sind. Es gibt
auch Beispiele, wo dies besonders aufgezeigt und gesagt
wird: Wenn sie nicht mehr da wären, könnte diese Mannschaft überhaupt nicht mehr spielen. - Das ist sowohl
beim Fußball, beim Eishockey, beim Basketball als auch
bei vielen anderen Sportarten so.
Der Kollege von Hammerstein hat auf den „Goldenen
Plan Ost“ hingewiesen. Sie wissen alle, dass dies von der
sozialliberalen - wollte ich gerade sagen -,
({1})
von der Regierungskoalition eingeführt wurde und dass
der Mittelansatz für den „Goldenen Plan Ost“ nun erstmals erhöht wurde, und zwar auf 29 Millionen DM, was
zusätzliche Investitionen in den jeweiligen Bundesländern ermöglicht.
Zum anderen ist es uns gelungen, die Mittel für den
Hochleistungssport im investiven Sektor von 40 auf
54 Millionen DM zu erhöhen,
({2})
obwohl die Sportverbände eigentlich schon akzeptiert
hatten, mit diesen 40 Millionen DM auskommen zu müssen. Aber wir wollten dem vorbeugen, dass gesagt würde:
Weil die Bundesrepublik bei der Olympiade nicht so sonderlich gut abschnitt, kürzen wir. - Das kann nicht sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei dieser Gelegenheit möchte ich allen Olympioniken in Sydney Dank sagen. Ob es nun die Olympischen Spiele selbst waren oder
die Paralympics, spielt dabei keine Rolle. Wir dürfen
nicht immer nur denjenigen Dank sagen, die Medaillen
gewinnen, sondern auch denjenigen, die sonst hervorragende Leistungen erbringen.
({3})
Wenn man zum Beispiel in einer Sportart den achten Platz
weltweit einnimmt, dann ist dies eine absolut erwähnenswerte Leistung.
Ich möchte zu den Stadien in Berlin und Leipzig sagen, dass hier von der CDU/CSU ein falsches Spiel getrieben wird.
({4})
Ursprünglich wurde für die beiden Stadien in Berlin und
Leipzig die Zusage erteilt: Wenn die Weltmeisterschaft
nach Deutschland kommt, dann wird der Ausbau dieser
Stadien finanziert. Das haben wir eingehalten. Dies ist
quasi eine Infrastrukturfinanzierung für den Osten, weil
sonst kein Stadion in Ostdeutschland in der Lage wäre,
({5})
Wettkämpfe im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft
durchzuführen.
({6})
Hinzu kommt - und deswegen sage ich auch einiges
zum Antrag der CDU/CSU -: Wenn nun der Antrag
kommt, dass alle anderen Stadien mitfinanziert werden
sollten, in denen Spiele der Weltmeisterschaften ausgetragen werden, dann geht das an der Thematik vorbei.
({7})
Die meisten Fußballvereine, die über Stadien verfügen,
wären in der Lage, diese selbst umzubauen. Dazu kommt
noch, dass sie sich auf einem sehr hohen Niveau befinden.
Ich will als Beispiel erwähnen - weil immer von Bayern
München gesprochen wird -: Wenn ein Bundesligaverein
einen 250-Millionen-DM-Etat für die Mannschaft aufbringen kann, dann kann er auch gemeinsam mit der Landeshauptstadt und dem betreffenden Bundesland das Stadion sanieren, noch dazu, wenn andere Bundesligavereine
in der gleichen Liga - ebenfalls in der ersten - mit weniger als einem Fünftel des Etats auskommen.
({8})
Wir dürfen in diesem Sektor keinen Steinbruch eröffnen, weil die Sportpolitik sonst nicht mehr überschaubar
und finanzierbar sein wird.
({9})
Ich möchte als Nächstes die Olympiastützpunkte erwähnen. Der Deutsche Sportbund hat bereits mitgeteilt,
dass ihre Anzahl reduziert wird. Ich möchte meine Stellungnahme offen lassen. Das Bundesinnenministerium
wird diese Frage diskutieren und hoffentlich mit uns - davon gehe ich einmal aus - eine Entscheidung herbeiführen.
Ich möchte ferner darauf hinweisen, dass wir, was die
Ausgaben für die Olympiastützpunkte angeht, eine Erhöhung vorgenommen haben. Dies beweist, dass wir zumindest in diesem Jahr keine Unruhe hinsichtlich der
Olympiastützpunkte bekommen wollen. Wir werden die
Aufwendungen für die Lehrgänge und die Wettkampfmaßnahmen der Verbände um 2,6 Millionen DM und die
Ausgaben für den Behindertensport erhöhen.
Herr Bundesinnenminister, ich habe den Wunsch, dass
wir uns für die Zeit ab dem Jahr 2002 auch einmal - das
ist perspektivisch gedacht - die Budgetierung bei den
Olympiastützpunkten und bei den Sporteinrichtungen insgesamt zum Ziel setzen.
({10})
Zum anderen möchte ich noch darauf hinweisen, dass
wir die Überlegungen beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft sehr ernst nehmen. Wir sollten über diese Überlegungen hier noch einmal diskutieren, bevor weitere Entscheidungen gefällt werden.
Der Sportetat 2001 macht deutlich, dass die Regierungskoalition dem Sport einen hohen Stellenwert beimisst und dass wir dieses Thema nachhaltig investiv angehen, um auch in der Zukunft Spitzensportangebote,
Breitensportangebote und Behindertensportangebote auf
hohem Niveau gewährleisten zu können.
Vielen Dank.
({11})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Mark, ich
danke Ihnen zunächst einmal für die deutlichen Worte
zum Sport und insbesondere zum Bundesinstitut für
Sportwissenschaft. Ich hoffe, dass im BMI genau gehört
wird, welch großen Konsens wir aufseiten der Berichterstatter in dieser Frage hatten. Das wird sich hoffentlich in
den konkreten Entscheidungen niederschlagen.
({0})
Der Einzelplan des Bundesinnenministeriums spiegelt
die ungeheure Aufgabenvielfalt dieses Ressorts wider.
Folglich verlaufen die Haushaltsberatungen sehr kompliziert, sehr extensiv und sehr intensiv; denn dieser Etat
deckt nicht nur das BMI ab, sondern eine ungeheure Fülle
von nachgeordneten Behörden. Sie reicht von überschaubaren Einrichtungen wie dem Bundesamt für Kartographie und Geodäsie bis hin zu großen Personalkörpern wie
dem BGS und so sensiblen Institutionen wie dem Bundeskriminalamt oder der Gauck-Behörde. Die Haushaltsberatungen verlaufen dementsprechend anstrengend.
Ich möchte die Gelegenheit nicht versäumen, mich als
Hauptberichterstatter bei den Mitberichterstattern für das
gute Klima und für das gute Miteinander ganz herzlich zu
bedanken. Ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Hauses, insbesondere des Haushaltsreferats bedanken. Herr Schmidt, geben Sie bitte meinen
Dank für die hervorragende Zuarbeit während des ganzen
Jahres und insbesondere in den letzten drei Monaten weiter.
({1})
Dass wir im Geschäftsbereich des BMI auf vielen Gebieten eine große Gemeinsamkeit haben und die Position
des Bundesinnenministers durchaus stützen können, hat
mein Kollege Guido Westerwelle in der ersten Lesung
schon gesagt. Deswegen konzentriere ich mich im Folgenden auf ein paar Punkte, in denen wir nicht einer Meinung sind.
Das beherrschende Thema der zweiten Jahreshälfte
2000 war leider der Rechtsextremismus und die Notwendigkeit seiner Bekämpfung. Natürlich muss sich dies
auch im Haushalt niederschlagen. Wir alle wissen, dass
wir diesem Thema nicht einfach mit Geld beikommen
können. Wir wissen aber auch, dass manche gute, sinnvolle und wichtige Initiative ausbleiben muss, wenn das
notwendige Geld nicht etatisiert wird.
Im Bundeshaushalt finden sich nunmehr in fast allen
Einzelplänen, damit natürlich auch im Haushalt des BMI,
an vielen Stellen Einzelansätze, aus denen Initiativen zur
Bekämpfung des Rechtsextremismus und rechtsextremistisch motivierter Gewalt finanziert werden können. Das
ist im Prinzip gut so. Nur, wir Liberalen hätten es schon
bevorzugt, wenn man sich nicht in zig verschiedenen einzelnen Titeln verzettelt hätte, sondern im Einzelplan 60 einen Globalansatz von nach unserer Auffassung nicht weniger als 250 Millionen DM ausgebracht hätte,
({2})
aus dem gezielt sinnvolle Initiativen - von der kommunalen Jugendarbeit bis hin zu Sport-, Gewerkschafts- und
kirchlichen Aktivitäten - hätten finanziert werden können. Man muss jetzt schon sehr genau darauf achten, dass
nicht die organisationalen Eigeninteressen der Träger solcher Maßnahmen im Vordergrund stehen, sondern dass
strikt nach der Devise verfahren wird: Erst die Idee bzw.
das Projekt, dann das Geld.
({3})
Bei einer der Etatentscheidungen, die in diesem Zusammenhang im Haushaltsausschuss getroffen worden
sind - das ist vorhin schon angesprochen worden -, habe
ich große Bedenken und die Begründungen, die die Justizministerin vorhin vorgetragen hat, haben mich nicht
überzeugt.
({4})
Es sieht zwar auf den ersten Blick sehr gut aus, wenn man
einen besonderen Titel zugunsten der Opfer rechtsextremistischer Gewalt ausbringt. Auch gehöre ich nicht zu
denjenigen, bei denen sofort der Reflex ausgelöst wird, zu
fragen, was man eigentlich gegen den Linksextremismus
tut. Das würde der Sache nicht gerecht. Wir haben hier ein
besonderes Problem und brauchen besondere Maßnahmen; völlig d’accord.
Aber diese Fokussierung auf den Rechtsextremismus
sollte nach meiner Auffassung für die Ursachen und für
die Täter gelten. Bei den Opfern zu differenzieren halte
ich für außerordentlich problematisch.
({5})
Es ist den Eltern eines Kindes, das in unserer nun einmal
sehr der Gewalt zugeneigten Zeit abends in der U-Bahn
von völlig unpolitischen Gewalttätern drangsaliert und
malträtiert wird, nicht zu erklären, warum der Staat mit
den Leiden ihres Kindes anders als mit denen eines Opfers rechtsextremistischer Gewalt umgeht.
({6})
Es ist blanker Zynismus, so zu tun, als wären die Schmerzen eines Polizeibeamten, der bei einer Demonstration gegen die NPD von Anhängern der autonomen Szene eine
Eisenstange auf den Kopf geschlagen oder in den Bauch
gerammt bekommt, weniger groß, als es der Fall wäre,
wenn er von einem glatzköpfigen Neonazi in Springerstiefeln angegriffen worden wäre.
({7})
Damit bin ich beim Thema Polizei, dem ich mich neben den Themen Einwanderung und Asyl zuwenden
möchte. Es gibt im Haushalt 2001 ein paar Verbesserungen, über die ich mich freue, insbesondere bei der Personalstruktur im mittleren Dienst des BGS. Aber ich möchte
auch meiner großen Enttäuschung Ausdruck verleihen,
was das Thema BGS und BKA insgesamt angeht. Zum
dritten Mal hintereinander hat die Koalition am Schluss
der Beratungen unseren Antrag abgelehnt, auch die nicht
uniformierten Mitarbeiter des BGS und die die Polizeivollzugsbeamten unmittelbar fachlich unterstützenden
Zivilbeschäftigten des BKA von den pauschalen Stellenkürzungen auszunehmen. Ich hatte den Eindruck, wir
wären hier gemeinsam schon weiter gewesen,
({8})
so wie wir es geschafft haben, gemeinsam einen Fortschritt für die Mitarbeiter der Rechts- und Konsularabteilungen der Auslandsvertretungen, die gewissermaßen
vorgeschobene Außenposten innerer Sicherheit darstellen, zu erzielen. Im Haushalt des BMI ist das leider nicht
gelungen. Dass die Haushälter der Grünen dort mit den
Kollegen der Sozialdemokraten, mit denen ich mich in der
Sache eigentlich immer einig wähnte, so Schlitten fahren
konnten, ist bemerkenswert.
Warum ist denn diese Frage so wichtig? Wir beklagen
in allen politischen Lagern und in allen Sonntagsreden,
dass zu viele Polizeibeamte auf den Revieren und in Stäben sitzen, anstatt auf der Straße oder in der unmittelbaren Ermittlungstätigkeit erkennbar Sicherheit zu produzieren. Wie oft höre ich, dass Politiker aller Parteien nach
Besuchen von Polizeiinspektionen beklagen, dass dort in
Büros, deren Ausstattung eher an ein Schreibmaschinenmuseum als an eine moderne Polizeibehörde erinnert,
hoch qualifizierte Polizeivollzugsbeamte Verwaltungstätigkeiten leisten, die billiger und besser von entsprechendem Verwaltungspersonal erledigt werden könnten.
({9})
Gerade dem steht aber entgegen, dass im Gegensatz zu
den Polizeivollzugsbeamten die zivile Infrastruktur und
die Stellen der Zivilbeschäftigten regelmäßig pauschal
gekürzt werden, obwohl dort das Ende der Fahnenstange
längst erreicht ist. Dann werden in der Not Polizeivollzugsbeamte mit der Bearbeitung von Dienstreiseanträgen
befasst, was sonst noch länger dauern würde, als es ohnehin schon der Fall ist. Die Devise müsste eigentlich
„moderne Technik und effizienter Personaleinsatz“ lauten, aber das Gegenteil passiert: Der Missbrauch von Polizeivollzugsbeamten für nicht vollzugsrelevante Aufgaben wird immer schlimmer. Da steckt in ihrem Haushalt
ein grundlegender Webfehler, Herr Minister, und die Koalition hat es wieder nicht gepackt, daran etwas zu verändern.
({10})
Im BKA stellen sich die Dinge noch etwas anders dar.
Die hohe Qualität der deutschen Kriminalistik im BKA ist
nur mit Spitzenkräften aus Wissenschaft und Technik aufrechtzuerhalten, die mit ihrer Expertise die eigentlichen
Kriminalbeamten nachhaltig unterstützen.
({11})
Wenn ausgerechnet diese Stellen weiter abgebaut werden,
müssen auch in diesen Bereichen von Daktyloskopie bis
Informatik zunehmend Polizeivollzugsbeamte eingesetzt
werden, die für diese Aufgaben eigentlich nicht optimal
vorbereitet sind und an anderer Stelle schmerzlich fehlen.
Zu den Fortschritten dieser Legislaturperiode zählt das
Staatsangehörigkeitsrecht. Ich bin davon überzeugt, dass
wie hier auch bei zwei anderen großen Reformwerken am
Ende der Vorschlag der F.D.P. den Weg weisen und auch
den Weg in das Bundesgesetzblatt finden wird, nämlich
bei der Einwanderungspolitik und bei der rechtlichen Absicherung nicht ehelicher Lebensgemeinschaften.
({12})
Im Zusammenhang mit letzterem Thema haben Sie mit
viel Euphorie und - das unterstelle ich - viel gutem Willen ein schlicht verfassungswidriges Gesetz durchgepeitscht. Deswegen werden Sie noch einmal auf uns zukommen müssen.
Bei der Einwanderungspolitik verlässt Sie der Mut,
den Realitäten und Notwendigkeiten von Einwanderung
gerecht zu werden, wie die halbherzige Green-Card-Lösung zeigt. Wir werden eines Tages noch große Werbekampagnen starten müssen, um die Einwanderungsquoten zu erzielen, die wir benötigen. Deswegen stellt die
F.D.P. übrigens den Antrag, die Mittel, die die Ausländerbeauftragte für diesen Zweck aus dem Einzelplan von
Herrn Riester zur Verfügung gestellt bekommt, entsprechend zu erhöhen. Ich möchte einmal sehen, wie sich die
Koalition bei der Abstimmung über diesen Antrag verhält.
({13})
Wir müssen Einwanderung rational gestalten und aktiv
betreiben. Nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich
ist rationale Einwanderungspolitik von Gewinn.
Herr Kollege Hoyer,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Wiefelspütz?
Von Herrn Wiefelspütz
immer.
Herr Kollege Hoyer, halten Sie es als jemand, der einer Regierung angehört hat,
die 16 Jahre regiert hat, nicht auch für eine respektable
Leistung, dass die neue Regierung in den ersten zwei Jahren, wie Sie zu Recht gesagt haben, einen wichtigen
Schritt mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes
gemacht hat und sich anschickt, in diesem Bereich ein
weiteres Stück Reformstau durch die Regelung der Zuwanderung aufzulösen? Finden Sie nicht, dass diese neue
Regierung schon in ihrer ersten Legislaturperiode auf
wichtigen und zentralen Politikfeldern, die in der Vergangenheit vernachlässigt worden sind, ein beachtliches
Ergebnis vorzuweisen hat?
Wenn dabei tatsächlich so
gute Regelungen herauskommen, wie wir sie jetzt beim
Staatsangehörigkeitsrecht erreicht haben, bin ich sofort
bereit, das auch anzuerkennen. Ich habe aber in der Debatte über die Green-Card-Regelung gemerkt, dass die
Gefahr besteht, dass wir hier in die falsche Richtung gehen und ein Ergebnis herauskommt, das nicht den Realitäten entspricht, denen wir uns im Zusammenhang mit der
Einwanderung stellen müssen.
({0})
Nun zu meinen zwei Punkten:
Erstens. Eine aktive Einwanderungspolitik sieht eben
auch in der kulturellen Bereicherung durch Einwanderung einen Gewinn. Das ist der Grund, warum ich die
Sorge habe, dass der Begriff der Leitkultur möglicherweise in die falsche Richtung führt bzw. Beifall von der
falschen Seite bekommen könnte.
({1})
Ich nehme die Argumente, die der Kollege Merz in diesem Zusammenhang heute vorgetragen hat, sehr ernst. Ich
nehme sie ihm auch ab. Die Debatte zur Europapolitik
heute Morgen hat ja gezeigt, dass wir ein einiges Europa
in Vielfalt wollen, kein Europa, das zu einem kulturellen
Schmelztiegel wird, sondern ein Europa, das seine Kraft
aus der Vielfalt seiner Nationen, Kulturen, Religionen und
Regionen zieht.
({2})
Deshalb ist die Frage nach dem Umgang von Einwanderern mit der Sprache und Kultur des Gast- bzw. Einwanderungslandes mehr als legitim.
Meine Bauchschmerzen rühren allerdings von einer
anderen Überlegung her. Sie kommen daher, dass mit dem
Begriff des Leitens unweigerlich der Eindruck eines
Zwangs zur Anpassung und zumindest partiellen Identitätsveränderung impliziert zu sein scheint. Häufig wird
damit gewissermaßen auch der Eindruck einer Überlegenheit über andere Kulturen vermittelt.
({3})
Das ist das Letzte, was ich den Kollegen von der Union
bei diesem Punkt unterstelle.
Aber ich fürchte, sie bekommen den Beifall von einer
Seite, deren Auffassungen Anlass zu schlimmen Befürchtungen geben. Ich habe so meine Ahnung, was mancher
Beifallspender eigentlich unter deutscher Kultur versteht.
Das ist sicherlich nicht das, was zum Kernbestand unserer ethischen Kultur zählt und was in unvergleichbar schöner Form Einzug in den Text unseres Grundgesetzes gefunden hat:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Zweiter Punkt. Es erfüllt mich die erneute Debatte über
eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl mit Sorge.
({4})
Unser langjähriger Kollege Otto Graf Lambsdorff hat
doch Recht, wenn er sagt, dass es hier um eine ganz zentrale Wertentscheidung des Grundgesetzes geht.
({5})
Der Zusammenhang zwischen der Einwanderungspolitik
und der Asylpolitik darf auf diese Weise nicht hergestellt
werden,
({6})
sondern nur über den Zusammenhang einer aktiven Einwanderungspolitik mit dem aktiven Bekämpfen des Asylmissbrauchs. Hier ist eine Chance gegeben.
({7})
Es muss sich ja wohl jeder darüber im Klaren sein, dass
derjenige, der nachgewiesenermaßen vom Recht auf Asyl
missbräuchlich Gebrauch gemacht hat, hinterher keinen
Anspruch darauf hat, im Rahmen einer Einwanderungsquote noch berücksichtigt zu werden.
({8})
Letztes Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich
möchte dringend dafür plädieren, bei der Änderung der
allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht voranzukommen. Hier gibt es in der Tat noch
etwas nachzubessern. Es war bewusst vorgesehen worden, dass der Einbürgerungsanspruch für Kinder von
rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland lebenden Eltern
nicht nur auf diejenigen bezogen werden soll, die nach
dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes geboren wurden,
sondern auch für diejenigen gelten soll, die noch nicht älter als 10 Jahre sind. Diese Übergangsregelung läuft aus.
Sie ist nicht in dem von uns gewünschten Maße in Anspruch genommen worden. Das liegt an den mit 500 DM
zu hohen Gebühren und auch an den Verwaltungspraktiken. Aus diesem Grunde haben wir einen Gesetzentwurf
eingebracht, der zum einen eine Verlängerung dieser
Übergangsfrist vorsieht und der zum anderen eine deutliche Absenkung der Gebühren auf maximal 100 DM fordert.
({9})
Herr Bundesminister, ich würde mich freuen, wenn es
Ihnen gelingt, mit den Ländern in dieser Frage bald einen
Konsens zum Wohle unserer aktiven Einwanderungspolitik zu erzielen.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächster Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Umgang mit
dem Thema Rechtsradikalismus ist eine der großen Herausforderungen der deutschen Innenpolitik geworden.
Diese Bundesregierung hat gehandelt und entschlossen
Maßnahmen eingeleitet.
Herr Koch aus Hessen befindet sich im Übrigen in einer Koalition mit der F.D.P.
({0})
Dazu sollten Sie etwas sagen, wenn Sie hier zum Thema
Staatsangehörigkeit und Verwaltungsvorschriften sprechen; denn die Koalition in Hessen sagt das Gegenteil von
dem, was die F.D.P. im Bundestag regelmäßig verkündet.
Aber diese schizophrene Situation müssen Sie selbst
klären.
Wenn ich in diesen Tagen im „Stern“ lese, was Herr
Koch von sich gibt, nämlich dass alles halb so schlimm sei
und dass das Thema Rechtsradikalismus im Großen und
Ganzen eine Erfindung der Medien sei, dann möchte ich
in Anlehnung an ein Zitat aus der deutschen Geschichte
sagen: Man kann gar nicht so viel fressen, wie man sich
übergeben möchte, wenn man über Herrn Koch liest.
({1})
Ich hoffe, dass wir alle gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Koch - im Wirkungsbereich Hessen hat er die Verantwortung hoffentlich nicht mehr sehr lange - bundesweit
keine Verantwortung übernimmt. Das wäre wirklich ein
Anlass, sich zu überlegen, ob man in diesem Land noch
richtig aufgehoben ist.
Meine Damen, meine Herren, wir unterstützen die konkrete Arbeit vor Ort, indem wir 50 Millionen DM im
Haushalt einstellen. Dafür möchte ich den Haushältern
herzlich danken, die dieses möglich gemacht haben. Wir
senden damit trotz der angespannten Haushaltslage eine
klare Botschaft im Rahmen der Haushaltsdebatte an die
Initiativen vor Ort und an die Zivilgesellschaft, dass wir
nicht nur in Sonntagsreden die Bekämpfung des Rechtsradikalismus einfordern, sondern dass wir denjenigen, die
Zivilcourage und Mut aufbringen und die sich in
Kirchengemeinden, Initiativen, Gewerkschaften, Betriebsräten und sonstigen Organisationen vor Ort jeden
Tag für Menschlichkeit und Humanität einsetzen, auch
zeigen: Die Bundesregierung lässt sie nicht allein. Sie ist
ihnen dankbar für ihre Arbeit; denn sie setzen sich mit
ihren Initiativen gegen Rechtsradikalismus, gegen Antisemitismus und gegen Rassismus dafür ein, dass das Ansehen unseres Landes im In- und Ausland zunimmt. Deshalb sagen wir mit aller Entschlossenheit: Wir wollen den
Glatzen ihre Springerstiefel ausziehen.
({2})
Dazu gehört auch, dass man das Thema „Verbot der
NPD“ mit dem gebotenen Ernst behandelt. Wir werden
darüber morgen im Innenausschuss debattieren. Meine
Fraktion - das gilt sicherlich auch für die anderen Fraktionen - macht es sich nicht leicht mit der Entscheidung.
Einige Gründe geben uns Anlass, kritisch mit diesem
Thema umzugehen. Ich will die Gründe angesichts der
Kürze meiner Redezeit nicht weiter vertiefen. Die Debatte
wurde schon hinreichend geführt; Sie kennen die Argumente.
Wir haben uns mit dem vorliegenden Material gründlich auseinander gesetzt. Wir haben uns nicht, wie behauptet wurde, nur eine Stunde in die Geheimschutzstelle begeben und anschließend eine Pressekonferenz
abgehalten, auf der wir das gesagt haben, was wir schon
vorher wussten, sondern wir haben uns einem umfangreichen Aktenstudium unterzogen.
({3})
- Ich glaube, wir wissen alle, wer gemeint ist. Es ist der
Herr, der sich gelegentlich in den Container von „Big Brother“ verirrt. Das umfangreiche Aktenstudium hat auch
die Mehrzahl derjenigen unter uns, die sich mit diesem
Thema kritisch auseinander setzen, davon überzeugt, dass
es notwendig ist, diese widerliche Vereinigung NPD zu
verbieten. Deshalb wollen wir die Bundesregierung und
auch den Bundesrat in den Maßnahmen bezüglich eines
NPD-Verbotes unterstützen.
({4})
Ich möchte ausdrücklich begrüßen, dass die Haushälter die Errichtung des neuen Bundesgrenzschutzstandortes Lausitz mit circa 80 Vollzugsbeamten ermöglichen.
Das kostet uns 10 Millionen DM. Ich glaube aber, dass
dieses Geld gut angelegt ist. Sie wissen, dass meine Fraktion Ausgaben in diesem Bereich traditionell sehr kritisch
gegenübersteht. Aber dieses Geld ist gut angelegt,
({5})
weil dort Beamte des Bundesgrenzschutzes für eine sinnvolle Arbeit eingesetzt werden. Es wird eine intensive Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien geben. Die Zusage
des Innenministers steht, dass Beamte des Bundesgrenzschutzes immer dort zur Unterstützung eingesetzt werden,
wo es einen Bedarf gibt. Ich bin sehr gespannt, ob das in
den neuen Ländern in Anspruch genommen wird.
Lassen Sie mich kurz auf einen aktuellen Fall eingehen. Ich möchte mich nicht umfassend dazu äußern, sondern nur einen Aspekt des schrecklichen Ereignisses in
Sebnitz vor drei Jahren aufgreifen. Die Ermittlungen laufen; Sie wissen, dass das Verfahren neu aufgerollt worden
ist. Mich hat neben dem Tod des Kindes Joseph und den
Begleitumständen vor allem eine Sache schockiert. Am
Tag nach dem Bekanntwerden dieses Falles in den Medien marschierten grölende alkoholisierte Jugendliche an
dem Haus der Familie des Jungen vorbei und obwohl man
davon ausgehen konnte, dass es dort zu Problemen
kommt, dass die Familie bedroht wird, war niemand da,
der die Familie geschützt hat. Es waren die Medien, die
das dokumentiert und am nächsten Tag im Fernsehen gezeigt haben.
({6})
Ich finde, diese Jugendlichen gehören vor ein ordentliches Gericht, wo sie entsprechend dem, was der Rechtsstaat in einem solchen Fall vorsieht, bestraft werden müssen.
({7})
Das muss vor allen Dingen deshalb geschehen, damit der
schreckliche Verdacht, dass unsere Sicherheitsbehörden
auf dem rechten Auge Sehstörungen haben könnten, so
schnell wie möglich und gründlich ausgeräumt wird.
({8})
Ich habe an die Kollegen aus Sachsen die Bitte - die
Grünen sitzen ja bedauerlicherweise nicht im Landtag
von Sachsen; in diesem Zusammenhang merkt man, wie
notwendig das wäre -, dass sie, vielleicht auch in Form eines Untersuchungsausschusses, dieser Sache nachgehen
und sie umfangreich erforschen.
({9})
- Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie
Fragen dazu haben.
Ich möchte aber auch die Gelegenheit nutzen, dem
Bundeskriminalamt dafür zu danken, dass es sich bei seiner jüngsten Herbsttagung sehr kritisch und auch sehr
selbstkritisch mit diesem Thema auseinander gesetzt hat.
Das Thema der Tagung des Bundeskriminalamtes lautete:
„Rechtsextremismus und Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft - Sind die Behörden auf dem rechten
Auge blind?“ Dazu wurden Kritiker eingeladen, ein Vorgang, den man wahrscheinlich zu Ihrer Regierungszeit in
der Form nicht erlebt hätte. Es waren viele Leute dabei,
die sich mit Kritik an der Ermittlungsarbeit in den vergangenen Jahren hervorgetan haben. Ich finde es sehr begrüßenswert, dass sich unsere Sicherheitsorgane mit den
Kritikern zusammensetzen, sich dieser Kritik stellen und
versuchen, diese in ihre Arbeit einzubauen. Auch von dieser Stelle aus einen herzlichen Dank an das Bundeskriminalamt, dass es dieses Thema aufgegriffen hat.
Wir sagen Ja zu Maßnahmen gegen rechts, aber wir sagen Nein zum Abbau von Bürgerrechten. Lassen Sie mich
dies in aller Deutlichkeit sagen. Ich meine die Debatte um
die Beschneidung des Versammlungsrechts. Das Recht,
sich friedlich unter freiem Himmel zu versammeln, ist in
unserer Gesellschaft ein Grundrecht und keine rechtsstaatliche Gnade. Das wird es auch bleiben. Ich bitten alle,
sich dafür einzusetzen. Dieses Recht ist ein Kronjuwel unserer Verfassung. Wir sollten vorsichtig damit umgehen.
Mein Appell an die Innenminister ist, hier nicht das Kind
mit dem Bade auszuschütten. Die notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus dürfen
nicht so weit gehen, dass wir dazu den Rechtsstaat abbauen. Das ist mit unserer Fraktion nicht zu machen.
({10})
Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Wir halten nichts davon, Berlin in eine Art Flickenteppich unterschiedlicher Demonstrationszonen zu verwandeln. Wir
wollen die Glatzenparaden der NPD verhindern. Am letzten Wochenende konnte man sehen, wie das erfolgreich
geschehen kann. Da haben sich Bürgerinnen und Bürger
versammelt und gegen die NPD demonstriert. Man muss
auch der Polizei für ihre schwierige Arbeit, die sie leistet,
danken; denn sie muss das Demonstrationsrecht, auch das
der NPDler, schützen. Ich weiß von vielen Polizeibeamten, dass es nicht gerade eine vergnügungssteuerpflichtige
Arbeit ist, wenn man diese Glatzköpfe, diese widerlichen
Gestalten auch noch schützen muss. Das ist ein Grund,
warum das NPD-Verbot überfällig ist.
Wir werden die Einführung einer Superbannmeile, wie
sie Herr Werthebach, der Innensenator von Berlin,
möchte, nicht unterstützen. Überlegungen einiger Innenminister, Orte von herausgehobener nationaler Bedeutung
herauszugreifen, sind nicht verfassungsfest. Wir werden
keinem Gesetz zustimmen, das nicht verfassungsfest ist.
({11})
Wie soll man sich das denn praktisch vorstellen, wenn
eine Demonstration angemeldet wird? Zunächst darf nach
dem normalen Versammlungsrecht am Alexanderplatz
demonstriert werden. Danach geht es vielleicht in Rich-
tung Neue Wache; dafür bedarf es dann nach den Plänen
der Innenminister wegen der herausgehobenen nationalen
Symbolik einer besonderen Genehmigung. Von wem ei-
gentlich? Von den Erben von Käthe Kollwitz oder von dem
Verein der Auslandspresse? Nachdem die Neue Wache
dann glücklich passiert wurde, geht es Unter den Linden
weiter zum Brandenburger Tor, dem nationalen Symbol
Nummer zwei. Hier wird wahrscheinlich der Regierende
Bürgermeister persönlich die Durchgangskarten verteilen.
Wenn auch das geschafft ist, landen wir schließlich in dem
befriedeten Bereich des Reichstagsgebäudes. Da wird es
dann dank unserer liberalen Regelung unproblematisch
zugehen.
So wird das Versammlungsrecht garantiert nicht ausse-
hen. Einen solchen Unsinn werden wir nicht mitmachen.
Ich lade alle ein, sachlich mit uns zu debattieren. Wem es
um den Schutz des Holocaust-Mahnmals, das noch nicht
gebaut worden ist, geht, den lade ich ein, sich gemeinsam
mit dem Kuratorium Gedanken zu machen, wie ein sol-
cher Schutz erfolgen kann. Wir müssen abwarten, was das
Kuratorium dazu sagt. Dies werden wir dann sehr ernst
nehmen.
Meine Damen, meine Herren, ich möchte einen Be-
reich ansprechen, der in der innenpolitischen Debatte ge-
meinhin zu kurz kommt - ich bin froh, dass alle Vorred-
ner darauf eingegangen sind, dass hier ein sehr hohes Maß
an Einigung besteht -: Ich meine das Thema Sport. Es
freut mich, dass die Mittel für den Goldenen Plan Ost von
15 Millionen DM auf 29 Millionen DM aufgestockt wer-
den konnten. Wir alle wissen, dass die Überorganisiertheit
des Lebens in der ehemaligen DDR für viele in zahlrei-
chen Lebensbereichen - dies betrifft auch die Freizeitge-
staltung - eine Desorientierung mit sich gebracht hat. Ein
unabhängiges Vereinsleben muss erst noch aufgebaut
werden. Gesellschaftliche Selbstorganisationen benöti-
gen nach wie vor staatliche Unterstützung. Das gilt vor al-
lem auch im sportlichen Bereich. Gerade dort, wo marode
oder gar keine Sportstätten vorhanden sind, greift der Gol-
dene Plan Ost. Mit ihm werden gerade in Brennpunkten
nach sozialen und - das ist für uns besonders wichtig -
ökologischen Kriterien Sportanlagen gefördert. Ich
glaube, dieses Geld ist sehr gut angelegt. Wir alle sollten
a) den Haushältern danken und b) darauf achten, dass dies
in den Folgejahren entsprechend weitergeführt wird.
Noch einen Punkt möchte ich lobend hervorheben: Das
sind die Maßnahmen, die wir nachträglich bei den
Kriegsheimkehrern vornehmen konnten. Sie wissen,
dass diese Menschen in den neuen Ländern ein besonders
dramatisches Schicksal erfahren haben; denn sie durften
über ihr Schicksal, über das erduldete Unrecht, das sie erlebt haben, nicht sprechen. Gleiches gilt für SED-Opfer.
Wie Sie alle weiß ich, dass kein Geld dieses erlittene Unrecht, dieses Leid aufwiegen kann. Trotzdem, glaube ich,
müssen wir dankbar dafür sein, dass hier jeweils 5 Millionen DM für Unterstützung und für die Rehabilitation
vorgesehen sind. Auch dafür ein herzlicher Dank an die
Haushälter.
Ein Punkt, auf den ich noch eingehen möchte - denn er
konnte bisher nicht zu unserer Befriedigung gelöst werden; wir brauchen dazu die Unterstützung der Opposition -, ist das Thema „direkte Demokratie“. Jüngste
Untersuchungen zeigen, dass 75 Prozent der Menschen in
der Bundesrepublik Deutschland Volksentscheide wünschen. Die Koalitionsmehrheit weiß sich hier an der Seite
der Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung. Die
Mehrheit unserer Bevölkerung möchte, dass Volksentscheide eingeführt werden.
Dafür benötigen wir eine Verfassungsänderung. Ich appelliere an Sie von der Opposition, Ihre hier bestehende
Blockade aufzugeben. Kommen Sie aus dem Bremserhäuschen heraus und lassen Sie uns gemeinsam mehr Elemente der direkten Demokratie einführen! In diesem Zusammenhang kann auch gern über Ihren Vorschlag der
Verlängerung der Legislaturperiode gesprochen werden;
aber bitte nur in diesem Zusammenhang. Denn wir können nicht auf der einen Seite die Legislaturperioden verändern, wenn wir nicht den Bürgerinnen und Bürgern auf
der anderen Seite direktdemokratische Mittel an die Hand
geben. Übrigens, mehr als die Hälfte der Anhänger der
Union ist für mehr direkte Demokratie. Sie sehen also, es
gibt keinen Grund, hier Angst vor der Vernunft unserer
Wählerinnen und Wähler zu haben.
Da der von mir sehr geschätzte Kollege Max Stadler in
diesem Zusammenhang gerne die Gelegenheit nutzt, die
Regierung zu kritisieren, noch ein Wort an die F.D.P.: Es
war in der Gemeinsamen Verfassungskommission vor allem der geschätzte Kollege Otto, der damals nun wirklich
jeden Vorschlag meiner Gruppe in Richtung mehr Demokratie verhindert hat. Von den Akteneinsichtsrechten über
mehr direkte Demokratie bis hin zum Verbandsklagerecht
wurde jeder Vorschlag von der F.D.P. abgelehnt. Von daher sollte auch die F.D.P. ein wenig Aufarbeitung ihrer
Vergangenheit betreiben.
({12})
Zum Thema Datenschutz möchte ich ganz kurz Folgendes feststellen: Für uns steht ein modernes Datenschutzrecht im Mittelpunkt einer Bürgerrechtspolitik. Datenschutz ist eben mehr als ein Abwehrrecht, wie wir es
aus der Vergangenheit kennen. Zum modernen Datenschutz gehört auch, dass wir moderne Mittel nutzen. Ich
nenne das Stichwort „Auditierung“. Das heißt, es müssen
für Unternehmen wirtschaftliche Anreize geschaffen werden, datenschutzfreundlich zu sein. Datenschutz und
Wirtschaft sind kein Gegensatz. Im Gegenteil: Dies ist
mittlerweile genauso ein Standortfaktor, wie es der
Umweltschutz geworden ist. Ich bin froh, dass die Regierung in diesem Zusammenhang die entsprechende EURichtlinie so schnell wie möglich umsetzen wird, die Sie
damals nicht umgesetzt haben, und noch in dieser Legislaturperiode die zweite Stufe eines neuen Datenschutzrechtes in Angriff nimmt, damit wir in Deutschland wieder eines der modernsten Datenschutzrechte bekommen.
Zum Schluss möchte ich noch auf die Migrationsdebatte eingehen. Es freut mich, dass Herr Müller von der
Union, der Ministerpräsident des Saarlandes, mittlerweile
klar Position bezogen hat, indem er gesagt hat, dass eine
Vermischung von Asyl und Einwanderung keinen Sinn
macht. Dafür gebührt Herrn Müller Dank. Man kann hier
nur sagen, dass Herr Müller offensichtlich der Galileo Galilei der Union ist. Man kann der Union nur zurufen: Und
sie dreht sich doch!
Ähnlich wie damals bei der Green Card gilt das Angebot an die von der Union regierten Länder, die dazu bereit
sind, zum Wohle unseres Landes mitzuarbeiten: Arbeiten
Sie an der Beantwortung einer der wichtigsten Zukunftsfragen dieser Republik mit, an der Frage, wie wir die Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland in dem
Bereich, wo das möglich ist, steuern können. Sie sind
herzlich eingeladen, mit uns zusammenzuarbeiten.
Die Anregung, die verschiedentlich in der Debatte
kam, den Etat unserer Ausländerbeauftragten über das,
was wir gemacht haben, hinaus weiter aufzustocken, nehmen wir sehr gerne auf.
(Dr. Werner Hoyer [F.D.P.]: Der Haushalt wird
am Freitag beschlossen!
Ich schlage vor, dass wir baldmöglichst eine Berichterstatterrunde machen, in der wir uns überlegen, wie wir das
im nächsten Haushalt machen können. Vielleicht können
wir sogar im Rahmen dessen, was wir eingeleitet haben,
aus der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck, die anerkanntermaßen eine sehr gute Arbeit macht, eine Integrationsbeauftragte machen. Auch das wäre ein sehr wichtiges
Signal für die Bundesrepublik Deutschland.
({13})
- Der Innenminister schreit nicht,
({14})
sondern der Innenminister unterstützt uns und macht, wie
wir wissen, beim eigenständigen Aufenthaltsrecht für
Frauen und der Einsetzung der Einwanderungskommission
eine Politik, die die Mehrheit des Parlaments stützt.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Auch ich meine, dass die Diskussion um den
Kampf gegen den Rechtsextremismus in diesem Sommer die gesamte Öffentlichkeit bewegt hat. Wenn man
den Haushalt des Innenministeriums betrachtet, hat man
aber den Eindruck, dass die Diskussion an diesem Haushalt vorbeigegangen ist.
Ich bin der Meinung, dass es weder einen Aktionsplan
noch ein Gesamtkonzept gibt. Auch wenn man mit einbezieht, die Mittel auf verschiedene Einzelpläne aufgeteilt
sind, wird nach meiner Meinung nicht deutlich, dass es
ein Konzept der Bundesregierung für den Kampf gegen
Rechtsextremismus gibt.
Richtig ist - das ist schon erwähnt worden und das begrüßen wir auch -, dass aufgrund des Drucks vieler Initiativen und gesellschaftlicher Institutionen - meiner
Meinung nach eher zu spät - endlich etwas getan wird für
den Opferschutz bzw. für die Entschädigung von Opfern
von rechter Gewalt und natürlich auch für diejenigen, die
Menschen helfen wollten, die Opfer rechter Gewalt geworden sind.
Wenn wir von Schutz reden, dann möchte ich an dieser
Stelle noch einmal einfordern, dass Schutz eben auch
heißt, den Opfern ein Bleiberecht zu geben, und sie nicht
abzuschieben, wie es leider immer noch passiert. Wenigstens das könnte ein erster Beitrag sein, den das
Innenministerium hierzu leistet.
Zynisch wird es allerdings, wenn man die Tagung des
BKA in Wiesbaden, die eben schon der Kollege Özdemir
erwähnt hat, genauer betrachtet. Zweifellos hat der Innenminister in der letzten Haushaltsdebatte angekündigt,
man werde die unterschiedlichen Zahlen über Straftaten
mit rechtsextremistischem und antisemitischem Hintergrund prüfen. Er hat sich sehr kritisch und sehr offen gezeigt.
Wenn ich aber die neuen Zahlen sehe, die bei der BKATagung bekannt gegeben wurden, kommen mir große
Zweifel, ob diese Überprüfung eigentlich ernsthaft vorgenommen wurde, weil immer wieder schnell neue Zahlen
in die Öffentlichkeit gebracht werden. Ein Blick in die
Zeitung zeigt: Sofort ist auch wieder das Argument der
Verharmlosung da, meines Erachtens zu Recht.
Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen:
Noch im Sommer hat die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage für den Zeitraum von 1990 bis 1999
exakt die Zahl von 26 Todesopfern durch rechte Gewalt
genannt. Ich möchte daran erinnern, dass die alte
CDU/CSU-F.D.P.-Regierung schon für die Jahre 1990 bis
1993 auf 30 Opfer gekommen ist. Danach hat es eine
breite Initiative von Journalisten und auch von uns gegeben, die Zahl der Todesopfer und die diesbezüglichen Urteile zusammenzutragen. Diese sind im „Tagesspiegel“, in
der „Frankfurter Rundschau“ und in anderen Medien
veröffentlicht worden. Man kann den Urteilen entnehmen, dass tatsächlich rechtsextremistische Hintergründe
vorlagen.
Trotzdem kommt der Innenminister auf der BKA-Versammlung seit 1990 auf ganze 36 Opfer, die es seit 1990
gegeben haben soll. Ich frage mich: Wie will man diese
Bagatellisierung abwenden, wenn nicht endlich anerkannt
wird, dass die Zahl der Opfer - unserer Meinung nach inzwischen sogar weit über 100 liegt? Denn wenn wir
über Opfer, Opferschutz und Entschädigungen sprechen,
muss festgestellt werden: Es sind die Opfer, die Ansprüche erheben können und die, wie auch ihre Familien,
ein Recht haben, entsprechende Gelder bzw. Entschädigungen zu bekommen. Ich meine, dass es wirklich an der
Zeit ist, dass die Forderung - die nicht nur wir erhoben haben -, eine unabhängige Beobachtungsstelle einzurichten, erfüllt wird. Über diesen Antrag werden wir heute namentlich abstimmen. Diese Forderung ist mehr denn je
notwendig.
Ich möchte verdeutlichen, warum eine solche unabhängige Beobachtungsstelle wichtig ist. Wir alle haben
persönlich viele Beispiele erlebt. In vielen Städten, in denen ich Veranstaltungen durchführe oder Asylunterkünfte
besuche, bekomme ich auf meine diesbezügliche Frage
die Antwort, es gebe in dieser Stadt keine organisierte
rechte Szene, sondern nur vereinzelte Rechte.
Auch der Innenminister hat noch im Sommer, bevor er
für das NPD-Verbot eingetreten ist, von einer dubiosen
und alkoholisierten Jugendszene gesprochen. In fast allen
Städten besteht das große Problem, dass man Zahlen bagatellisiert oder überhaupt nicht registriert. Denn man
möchte natürlich nicht zu den Gemeinden bzw. Städten
zählen, die von braunem Sumpf und brauner Gewalt geprägt sind.
Betrachten wir beispielsweise die Debatte um den kleinen Joseph und um Sebnitz. Ich möchte diesen Fall hier
nicht aufrollen. Dazu möchte ich mich nicht äußern. Das
kann ich auch gar nicht. Aber die Tatsache, wie hier reagiert wird, und die Angst, dass diese Stadt sich damit auseinander setzen muss, dass sie eine rechtsextremistische
Szene hat, sind wichtige Punkte. Und diese Stadt hat eine
Szene. Wer sich damit beschäftigt, stellt das fest. Man
braucht nur in die Verfassungsschutzberichte zu schauen,
in denen Sebnitz eindeutig auftaucht.
({0})
Anstatt sich damit auseinander zu setzen, werden
Schlachten geführt, um das Bild einer sauberen Stadt zu
erhalten. Das halte ich für unerträglich. Genau dies soll
eine Beobachtungsstelle recherchieren.
Ich denke auch an die Angstzonen. Das haben wir in
den Anhörungen erfahren. Auch hier gibt es häufig Bagatellisierungen und das Herunterspielen von entsprechenden Straftaten und von tatsächlichen gesellschaftlichen
Verhältnissen. Wer den Kampf gegen den Rechtsextremismus wirklich ernst nimmt, muss die Untersuchung,
vor allen Dingen der Straftaten, unabhängigen Beobachtungsstellen übergeben. Darum werden wir diesen Antrag
heute zur Abstimmung stellen.
Der nächste Punkt. Wir haben herausgefunden, dass
jetzt etwa 50 Millionen DM mehr ausgegeben werden.
Natürlich tauchen sie nicht im Haushalt des Innenministeriums auf. 30 Millionen DM werden im Bereich Jugend
und Familie angesiedelt sein. Wir wissen nicht genau, was
mit diesen 30 Millionen DM tatsächlich gemacht wird
und welche Formen der Aufklärungsarbeit es geben
wird. Ich bin der Meinung, dass diese 50 Millionen DM
ein Tropfen auf den heißen Stein sind und dass man überhaupt nicht erkennen kann, was tatsächlich mit diesem
Geld bekämpft werden soll bzw. wie die Aufklärungsarbeit dieser Bundesregierung in Zukunft aussehen wird.
Das Innenministerium selbst hat eine halbe
Million DM mehr für Aufklärungsarbeit veranschlagt. Im
Vergleich zu dem Betrag von 2 Millionen DM, der zuvor
zur Verfügung stand, ist diese Erhöhung fast eine Lachnummer; insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass
das „Bündnis für Toleranz“ immer noch eine Luftnummer
ist und dass wir kaum Aktivitäten dieses Bündnisses
wahrnehmen, geschweige denn Taten.
Wir werden heute auch einen Antrag zur Abstimmung
stellen, der Initiativen unterstützen will, die antirassistische Arbeit bzw. Arbeit gegen Antisemitismus leisten und
die seit vielen Jahren vor Ort - in Schulen, in Institutionen - sehr viel Kleinarbeit geleistet haben, um tatsächlich
über die Situation aufzuklären bzw. um Menschen ausländischer Herkunft Hilfestellung zu geben und ihnen Beratung anzubieten.
Ich möchte daran erinnern, dass das Land
Nordrhein-Westfalen - das ist zwar nicht viel, aber immerhin - pro Bürger 1 DM zur Verfügung stellt, also fast
20 Millionen DM, die für solche Initiativen ausgegeben
werden sollen. Über diese Gelder entscheiden die runden
Tische gegen rechts, die Ausländerbeiräte und antifaschistische Initiativen.
Wenn man diesem Beispiel folgen würde und auf
Bundesebene ebenfalls 1 DM pro Bürger bereitstellte,
hätte man immerhin 80 Millionen DM für solche Initiativen und könnte solche Initiativen auch materiell fördern.
Denn Sie wissen alle: Öffentlichkeitsarbeit, egal ob in
Form von Publikationen, von Hilfestellung oder von Beratung, kostet Geld.
Solche Bemühungen sind in diesem Haushalt überhaupt nicht erkennbar. Deswegen möchte ich darum bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Frau Kollegin Jelpke,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Zum Schluss möchte ich Sie noch
einmal darauf aufmerksam machen: Solange man über ein
formales NPD-Verbot redet, aber nicht über ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, solange man nicht eine andere Flüchtlingspolitik betreibt
und nicht endlich aufhört, Menschen in Länder wie beispielsweise die Türkei abzuschieben - nach der Antwort
auf eine Anfrage von mir sind das seit 1998 allein 16 000
Kurden, die auch in der Westtürkei Verfolgung und Folter
ausgesetzt sind -, muss ich Sie auffordern endlich eine andere Ausländerpolitik zu betreiben. Denn auch das wäre
ein wichtiger Beitrag gegen den Rechtsextremismus.
Danke.
({0})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Günter Graf.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, der bisherige
Debattenverlauf hat eines deutlich gezeigt: Die rot-grüne
Bundesregierung setzt ihren erfolgreichen Weg der Haushaltskonsolidierung fort.
({0})
Die Nettokreditaufnahme wird in diesem Haushalt
weiter zurückgeführt. Damit kommen wir dem sicherlich
sehr ehrgeizigen Ziel, die Nettoneuverschuldung bis zum
Jahr 2006 auf null zu bringen, ein großes Stück näher. Das
ist zwingend notwendig, damit wir Handlungsspielräume
zur Politikgestaltung zurückgewinnen.
Wenn ich unhöflich wäre, würde ich jetzt an die
Adresse der ehemaligen Koalitionsregierung sagen: Sie
haben uns ein Finanzchaos hinterlassen. Ich will das nicht
tun; ich sage: Sie haben uns einen Schuldenberg hinterlassen und den wollen wir jetzt abtragen.
({1})
Aber das ist nicht mein wesentlicher Punkt, sondern das
ist meine Vorbemerkung.
Ich möchte mich in einigen Punkten mit dem Einzelplan 06, dem Einzelplan des Ministeriums des Innern, befassen, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der inneren Sicherheit in unserem Lande.
Dabei möchte ich zunächst einmal grundsätzlich feststellen, dass gerade der für unser Land so wichtige Bereich der inneren Sicherheit durch die Einsparungen beim
Bundesgrenzschutz und beim Bundeskriminalamt nicht
berührt wird, im Gegenteil: Vergleicht man die Haushalte
der Jahre bis 1998 mit dem Haushaltsplanentwurf für das
Jahr 2001, stellt man fest, dass es beim Bundesgrenzschutz und beim Bundeskriminalamt deutliche Erhöhungen gegeben hat. Dies war notwendig und richtig, um der
Kriminalitätsfurcht der Bevölkerung wirksam zu begegnen.
({2})
Lassen Sie mich zunächst in aller Deutlichkeit darauf
hinweisen, dass die Kriminalität in unserem Land seit
1993 ständig zurückgegangen ist. Die Aufklärungsquote
hat den höchsten Stand seit 1966 erreicht und beträgt nunmehr 52,8 Prozent. Sicherlich ist das nicht allein das Ergebnis der Politik. Aber es ist ein besonderes Verdienst der
Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Deswegen
möchte ich an dieser Stelle in besonderer Weise den Polizeibeamten in Bund und Ländern für das großartige Engagement danken. Ohne die hoch motivierte Arbeit der
Polizei wäre ein solches Ergebnis nicht zu erreichen gewesen.
({3})
Auch bei der Prävention hat sich eine Menge getan.
Wenn ich dies sage, will ich nichts schönreden. Es gibt
immer noch über 6 Millionen polizeilich registrierte
Straftaten. Mit besonderer Sorge erfüllt uns alle der hohe
Anstieg von Gewalt, Rauschgift- und Wirtschaftskriminalität. Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion die
Bemühungen des Bundesinnenministers nachhaltig unterstützen, die Kriminalitätsbekämpfung und eine noch bessere Kriminalprävention weiter zu verstärken.
Was die Sicherheitsbehörden des Bundes angeht, lassen Sie mich einige wenige Bemerkungen zum Bundesgrenzschutz machen. Auch hier werden die Ausgaben auf
einem zwingend erforderlichen Niveau gehalten. Mit
rund 3,3 Milliarden DM stehen dem Bundesgrenzschutz
gegenüber den Ausgaben von 1999 rund 264 Millionen DM mehr zur Verfügung. Diese Ausgaben sind notwendig, da insbesondere die Grenzsicherung auch im Jahr
2001 eine der wesentlichen Aufgaben des Bundesgrenzschutzes bleibt.
Ich darf Sie darauf hinweisen, dass sich die am 1. September 1998 in Kraft getretene Befugniserweiterung des
Bundesgrenzschutzes zur Verhinderung und Unterbindung unerlaubter Einreisen bewährt hat. Allein bei diesen
Kontrollen wurden fast 20 Prozent aller unerlaubten Einreisen in die Bundesrepublik Deutschland festgestellt.
Hierzu beigetragen hat ganz sicher auch die verbesserte
Ausstattung des Bundesgrenzschutzes. Ich darf nur an die
geländegängigen Fahrzeuge, die Infrarot-Nachtsichtgeräte und Ähnliches erinnern. Wir haben gerade vor einigen Wochen, als wir über den Schutz der deutsch-tschechischen Grenze gesprochen haben, diese Dinge in aller
Deutlichkeit dargestellt.
Was die illegale Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland angeht, so muss man auch darauf hinweisen,
dass sich die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten in
den letzten Jahren massiv verbessert hat. Dazu beigetragen hat ganz sicherlich, dass wir die Finanzmittel zur Unterstützung der Grenzschutzbehörden der mittel- und osteuropäischen Staaten gegenüber dem Haushaltsansatz auf
nunmehr 6 Millionen DM verdoppelt haben. Diese Mittel
werden unter anderem zur polizeilichen Ausbildung und
zur Ausstattungshilfe in den mittel- und osteuropäischen
Staaten verwandt. Dies scheint mir eine zwingende Notwendigkeit zu sein, um der illegalen Einreise noch wirksamer begegnen zu können.
Da ich bereits den Dank an die Polizei und den Bundesgrenzschutz gerichtet habe, will ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich immer deutlich gemacht habe:
Nur Danke zu sagen kann es nicht sein. Dem müssen Taten folgen. Umso erfreuter bin ich darüber, dass der
Bundesinnenminister gemeinsam mit der SPD-Fraktion
und natürlich mit der vollen Unterstützung des Haushaltsausschusses und unserer Vertreter dafür gesorgt hat,
den Planstellenkegel für den Bundesgrenzschutz für das
Jahr 2001 erheblich zu vergrößern.
({4})
Mit diesem Haushalt sind alleine 1 361 Planstellenhebungen beabsichtigt. Dies bedeutet, dass zusätzlich rund
3 500 Beförderungen im Bundesgrenzschutz im kommenden Jahr möglich sein werden.
Eine weitere Behörde des Bundes, die für die innere Sicherheit von großer Bedeutung ist, ist das Bundeskriminalamt. Gestatten Sie mir dazu einige Bemerkungen.
Auch das Bundeskriminalamt erhält aus dem Haushalt
2001 gegenüber dem Jahr 1999 rund 26 Millionen DM
mehr. Das entspricht einer Steigerung von 5 Prozent; es
sind nunmehr insgesamt 562 Millionen DM. Mit dieser
Bereitstellung wird es dem Bundeskriminalamt möglich
sein, die neuen Aufgabenfelder, die ihm zugewiesen worden sind, mit Leben zu erfüllen:
Erstens. Es wird ein neues kriminalpolizeiliches Auswertungsverfahren eingeführt.
Zweitens. Es werden neue Technologien eingeführt,
um die Kriminalitätsforschung und die Ermittlungsarbeit
mit diesen neuen Technologien zu unterstützen.
Drittens. Ich darf auf die Zentralstelle für anlassunabhängige Recherchen im Datennetz verweisen.
Hierbei kommt dem internationalen Bereich eine besondere Bedeutung zu. So darf ich daran erinnern, dass
die erforderlichen Ausgaben für Europol auch in diesem
Jahr steigen werden. Nach Jahren der Stagnation ist es
endlich gelungen, in einem für die Sicherheit wichtigen
Bereich in Fahrt zu kommen. Allein 4 Prozent der Mittel
des Bundeskriminalamtes werden für Leistungen an internationale Organisationen verausgabt.
({5})
Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass es zwischenzeitlich 51 Rauschgift-Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes gibt, die in 41 Ländern dieser Welt ihre
Arbeit verrichten, und das oft unter sehr schwierigen Bedingungen. Sie sind aber in unserem System unverzichtbar
geworden. Deswegen möchte ich von dieser Stelle den vielen Mitarbeitern unseren herzlichen Dank - zumindest den
Dank unserer Fraktion - aussprechen.
({6})
Die vom Bundesinnenminister ins Leben gerufene
Stiftung „Deutsches Forum für Kriminalprävention“ ist
nunmehr im Haushalt 2001 abgesichert. Die Einlage des
Bundes in das Stiftungsvermögen beträgt 2,5 Millionen DM bei einem Kapitalgrundstock in Höhe von
10 Millionen DM. Das Ziel dieses „Deutschen Forums für
Kriminalprävention“ liegt darin, die Entwicklung von
Strategien gegen die Kriminalitätsursachen sowie die Intensivierung der Zusammenarbeit öffentlicher und privater Stellen sowie internationaler Einrichtungen zu leisten.
Ein Wort noch zu dem Titel über die Mittel für die Bereitschaftspolizeien der Länder. Wir haben es letztlich
geschafft, 20 Millionen DM bereitzustellen, damit die
Führungs- und Einsatzmittel für die Bereitschaftspolizeien der Länder auf den neusten Stand gebracht werden.
Es könnte sicherlich mehr sein, aber es ist schon einiges
und wir sind auf einem guten Weg. Wir haben das am Anfang nicht erwarten können. Das ist wichtig, damit die geschlossenen Einheiten der Polizei in Bund und Ländern
auch künftig in der Lage sein werden, polizeiliche Großlagen in diesem Lande zu bewältigen.
Herr Kollege Graf, ich
muss auch Sie an Ihre Redezeit erinnern. Das Problem haben heute aber merkwürdigerweise alle.
Es geht ganz schnell.
Ich möchte dem Inspekteur der Bereitschaftspolizeien,
Herrn Manthey, ganz herzlich für seinen engagierten Einsatz danken. Das kann man nicht immer unbedingt erwarten, deshalb möchte ich es hier in besonderer Weise erwähnen.
({0})
Es gibt noch eine Menge zu sagen, aber wir haben noch
einige Redner. Ich muss an dieser Stelle leider Schluss
machen. Ich hätte gerne noch etwas zu der hervorragenden Arbeit des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung, des Kollegen Jochen Welt, gesagt, was die Integration von Spätaussiedlern in diesem Lande angeht. Aber
vielleicht komme ich noch an anderer Stelle zu Wort.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld, Frau Präsidentin.
({1})
Das Wort hat der Kollege Erwin Marschewski für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, ich räume ein: Sie haben wenig Fehler
gemacht. Aber ich muss auch gestehen, dass dies nur die
halbe Wahrheit ist. Die andere Hälfte lautet: Wer kaum etwas verändert, wer kaum etwas verbessert, wer wenig tut,
macht wenig Fehler.
({0})
Sie haben beim Amtsantritt nicht nur versprochen, wenige Fehler zu machen, sondern auch, vieles besser zu machen. Stattdessen sind Sie nach der verfehlten Doppelpassentscheidung weiteren Fehlerquellen konsequent aus dem
Weg gegangen. Anstatt zu handeln, haben Sie es häufig
dabei belassen, für die Koalition, aber auch für Ihre Umgebung überraschende Feststellungen zum Asylrecht und
zur Zuwanderungsbegrenzung zu treffen.
Ihr Verfassungsauftrag ist aber ein anderer: Sie müssen
nicht nur reden, Herr Minister, Sie müssen nicht nur Probleme erkennen, Sie müssen handeln!
({1})
Die Themen liegen auf der Straße: Wo bleibt die Regelung zum Asylrecht? Wann kommt endlich das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, das Sie vor der Wahl versprochen haben? Warum haben Sie zugestimmt, die
Bannmeile so einzuschränken, dass es den Nazis möglich
wurde, unter dem Brandenburger Tor zu demonstrieren,
Günter Graf ({2})
Herr Minister? Das Gesetz über befriedete Bezirke war
kein gutes Gesetz.
({3}) [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ein hervorragendes Gesetz! Ein
Beispiel! - Zuruf von der SPD: Doch!)
Ich hoffe, Herr Bundesinnenminister, dass nicht nur
unsere Innenminister zustimmen, wenn es um ein neues
Gesetz geht. Sie haben vorhin gehört, dass die Grünen dagegen sind, eine Bannmeilenregelung zu schaffen.
({4})
Sie haben auch gehört, dass die SPD nicht sehr viel davon
hält. Die einzige Unterstützung, die Sie bekommen, ist offensichtlich die der Christlich-Demokratischen Union.
Wir haben einen Gesetzentwurf vorbereitet, da wir keine
Aufzüge der Nazis am Brandenburger Tor oder an anderen Orten nationaler bzw. historischer Bedeutung wollen.
({5})
Wir wollen keinen grundgesetzlichen Schutz für Verfassungsfeinde.
Ein anderes Gebiet: Bekämpfung der organisierten
Kriminalität. Sie wissen, dass wir eine Reihe von Gesetzen beschlossen haben wie zum Beispiel das Geldwäschegesetz, das Gesetz bezüglich des genetischen Fingerabdrucks oder zur Bekämpfung der Korruption.
({6})
Wir sind die politische Kraft, die sich gegen das Verbrechen entschlossen zur Wehr setzt.
({7})
Bei Ihnen dagegen herrscht tatenlose Ratlosigkeit. Sie haben kein einziges wirksames Gesetz zur Bekämpfung der
organisierten Kriminalität beschlossen.
({8})
Das ist eine Schande.
({9})
Wenn ich Ihren Haushalt lese, fallen mir nur unbegründete Einschnitte auf: Herr Bundesinnenminister, Sie
kürzen bei der Integration von Aussiedlern und Vertriebenen.
({10})
Sie schließen Behörden oder bringen diese ideologisch
bzw. personell auf Linie. Sie streichen investive Ausgaben zusammen und kassieren für die Verpflichtung des
Staates, den Bahnkunden und Fluggästen Sicherheit zu
gewähren, ab. Das ist nicht in Ordnung, das ist weder einfallsreich noch zukunftsträchtig, aber leider das Spiegelbild, in dem sich Ihre Politik darstellt.
Herr Kollege
Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf?
Bitte schön, Herr Kollege Graf.
Herr Kollege
Marschewski, haben Sie eben gesagt - ich weiß nicht,
vielleicht habe ich mich auch verhört -, dass die Bundesregierung die Mittel für die Integration von Spätaussiedlern gekürzt hat? War das ein Hörfehler meinerseits?
Das war kein Hörfehler, Sie haben im Haushalt zum
Nachteil dieser Menschen umgeschichtet; die Haushälter unserer Fraktion, zum Beispiel Herr Dr. von
Hammerstein, können Ihnen das bestätigen. Das ist, was
ich kritisiere.
Nehmen wir als ein anderes Beispiel die Zuwanderung: Herr Bundesinnenminister, Sie haben zu Recht gesagt, die Grenzen der Belastbarkeit seien überschritten. Es
hat zu lange gedauert, bis Sie die Zuwanderungskommission gegründet haben und ich erwarte von dieser Kommission Ergebnisse.
({0})
Sie haben einen interessanten Vorschlag der F.D.P. auf
dem Tisch und auch wir haben Resolutionen und Beschlüsse gefasst. Auf uns, Herr Minister, können Sie rechnen! Sie müssen einen entsprechenden Gesetzentwurf
sehr schnell vorlegen. Wir legen keinen Wert darauf, diese
Problematik im Wahlkampf zu diskutieren. Wir müssen
das Problem - ebenso wie damals beim Asylrecht; ich
spreche hier über Bereiche, die ich kenne - vor der Bundestagswahl lösen, damit es kein Wahlkampfthema wird.
({1})
Dazu passt aber eines nicht: Sie können nicht durch die
Hintertür die Zuwanderungsmöglichkeiten, so wie es
SPD und Grüne machen, ständig erweitern. Ich denke dabei an die so genannte Familienzusammenführungsrichtlinie des Europäischen Parlaments; SPD und Grüne haben
ihr zugestimmt. Wenn das Realität wird, kommen jährlich
Hunderttausende zu uns. Sie verringern die notwendigen
Aufenthaltszeiten für den Familiennachzug, erstrecken
ihn auf homosexuelle und unverheiratete Paare und dehnen ihn auf Eltern und Großeltern aus.
({2})
Erwin Marschewski ({3})
Wer kann da noch Grenzen ziehen?
({4})
Sie tun das alles, ohne diesen Menschen eine Integrationsbereitschaft abzuverlangen oder entsprechende Sprachkenntnisse zu fordern.
({5})
- Herr Kollege Schmidt, ich begrüße, dass auch nichtdeutsche Angehörige der Spätaussiedler deutsche Sprachkenntnisse nachweisen müssen; das ist gut so. Ich meine
aber, das sollte auch für alle Ausländer gelten, die auf
Dauer in Deutschland bleiben wollen. Diese sollten nachweisen müssen, dass sie deutsch können. Entsprechendes
wird auch von anderen Staaten, zum Beispiel den Vereinigten Staaten von Amerika und Australien, praktiziert.
Das gilt zum Beispiel auch für das türkische Mädchen,
das nach Deutschland kommt, hier heiratet und auf Dauer
hier bleibt.
({6})
- Jawohl, meine Damen und Herren, Integration auf
Dauer ist nur dann möglich, wenn man die Sprache kann.
Erst das eröffnet die Chance, in diesem Land gleichberechtigt, unabhängig und erfolgreich zu sein.
({7})
Ich habe das Thema Kriminalitätsbekämpfung schon
angesprochen und wiederhole das, was Kollege von
Hammerstein vorhin gesagt hat: Es ist nicht in Ordnung,
dass die Bundesbahn 125 Millionen DM für den Einsatz
des Bundesgrenzschutzes zahlen muss. Das ist nicht nur ein finanzieller Verschiebebahnhof, meine Damen und
Herren der SPD. Damit strangulieren Sie auch die
umweltfreundliche Eisenbahn. Und die Grünen haben
dem sogar zugestimmt, was mich wirklich wundert. Aber
langsam wundert mich gar nichts mehr. Was, verehrte
Damen und Herren der Grünen, bleibt von Ihren Grundsätzen noch übrig? Sie strangulieren die Bundesbahn, der
es ohnehin nicht gut geht.
Es wäre besser gewesen, Sie hätten Maßnahmen zur
Bekämpfung der organisierten Kriminalität zugestimmt.
Da gibt es doch Bedarf, Herr Bundesinnenminister. Ich
habe es vor einer Woche von diesem Pult aus gesagt:
Warum sprechen wir nicht gemeinsam über die akustische
Wohnraumüberwachung in Gangsterwohnungen?
({8})
In der Kommission gab es doch auch andere Meinungen dazu: Diese vielen Ausnahmen führen letzten Endes
dazu, dass Gangster in ihren Wohnungen konspirativ neue
Verbrechen planen. Das darf nicht sein. Deshalb brauchen
wir auch die Möglichkeit einer optischen Überwachung in
diesen Gangsterwohnungen.
Oder nehmen wir das Thema Kreditkartenkriminalität: Im letzten Jahr hatten wir in diesem Bereich eine
Steigerung von 40 Prozent zu verzeichnen, jetzt von
60 Prozent. Dabei ginge das ganz einfach: Wir führen
fälschungssichere Chips ein, wir führen Fotos auf den
Kreditkarten ein, und das Problem ist zumindest
eingeschränkt. Jetzt habe ich im Innenausschuss gehört,
die Wirtschaft brauche fünf Jahre, um das, was ich
gefordert habe - Lichtbilder, fälschungssichere Chips umzusetzen. Wenn das so lange dauert, Herr Bundesinnenminister, müssen wir dieses Problem durch Gesetze
lösen. Und das eilt, meine Damen und Herren!
({9})
Herr Innenminister, wir sind einer Meinung: Innere
Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Sie wird
garantiert durch den Bundesgrenzschutz, durch Polizeibeamte, durch Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Daher ist es falsch, wenn Beamte in diesem Jahr auf die
lineare Gehaltserhöhung verzichten müssen. Lassen
Sie mich das einmal so flapsig sagen: Der öffentliche
Dienst besteht nicht nur aus Staatssekretären und Ministerialdirektoren, die Sie umgeben. Die meisten Leute im
öffentlichen Dienst - ich komme ja daher; ich war Bundesbahnarbeiter und kleiner Bundesbahnbeamter - verdienen 2 000 DM bis 3 000 DM. Sie warten natürlich auf
eine lineare Gehaltserhöhung. Darauf sind sie angewiesen.
({10})
Sie kennen § 14 des Bundesbesoldungsgesetzes, der
davon spricht, dass die Besoldung im öffentlichen Dienst
den allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen entsprechen muss. Was Sie machen, ist ein
Gesetzesverstoß, Herr Bundesinnenminister, und eine
Missachtung der Fürsorgepflicht. Denn dies fördert nicht
gerade das, was wir gefordert haben: mehr Mobilität,
mehr Initiative und mehr Leistungsbereitschaft im öffentlichen Dienst.
Herr Bundesinnenminister, ich fordere Sie auf, das zu
tun, was Sie bei dem Entwurf, den mein Freund Meinrad
Belle eingebracht hat, getan haben, wo es darum geht, die
kinderreichen Beamtenfamilien - insbesondere jene der
unteren Besoldungsgruppen - finanziell zu unterstützen.
Nach langem Zaudern haben Sie unsere Vorstellungen
akzeptiert. Tun Sie dies auch bei dem Entwurf der Union
zum Besoldungsrecht! Denn die lineare Erhöhung steht
den Polizeibeamten und den anderen Beamten genauso
zu wie den Arbeitern und Angestellten im öffentlichen
Dienst.
Das Fazit, Herr Bundesinnenminister: Er ist kein Meisterstück, Ihr Bundeshaushalt. Wir hören große Worte, was
jedoch fehlt, sind Taten. Ich wiederhole: Erstens. Das
Zuwanderungsbegrenzungsgesetz lässt auf sich warten.
Zweitens. Sie haben kein einziges Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität eingebracht. Drittens.
Kleine und mittlere Beamte sind offensichtlich nicht Ihre
besten Freunde.
Erwin Marschewski ({11})
Wir müssen daher den Bundeshaushalt ablehnen. Er ist
kein Signum für eine erfolgreiche deutsche Innenpolitik.
Herzlichen Dank.
({12})
Nächster Redner ist
der Kollege Gunter Weißgerber, SPD-Fraktion.
Herr Marschewski, das
war ja ein mächtiger Theaterdonner. Aber das Stück, in
dem wir spielen, heißt, glaube ich, anders.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Konsolidieren mit Augenmaß, Verbesserung
der inneren Sicherheit, Prävention und Bekämpfung extremistischer Ideologien und Gewalttaten sind wichtige
Markenzeichen der vorliegenden Beschlussfassung zum
Einzelplan 06. Sah der Regierungsentwurf im Vergleich
zum Haushalt 2000 bereits eine Ausgabensteigerung um
1,5 Prozent auf 6,786 Milliarden DM vor, so brachten die
Beratungen im Ausschuss eine nochmalige Steigerung um
rund 194 Millionen DM. Dies ist beachtlich, gerade in Anbetracht unserer fortdauernden Pflicht zur Haushaltskonsolidierung.
Seit 1990 bin ich mit bundesdeutscher Politik befasst.
Seitdem erlebe ich hautnah die Diskussion über Zuwanderung, Spätaussiedler und Asyl. Zwischenzeitlich hatte
ich sogar den Eindruck gewonnen, dass sich die Diskussion versachlicht. Seit der anmaßenden Nonsensdiskussion über Leitkultur ist dieser Eindruck allerdings dahin.
In Deutschland wird die Diskussion über das Thema
Zuwanderung zulasten Wehrloser und zur Freude von
Rechtsextremisten wieder stärker missbraucht. Bleibt zu
hoffen - davon gehen wir selbstverständlich aus -, dass
die vom Innenminister einberufene Kommission „Zuwanderung“ Lösungswege aufzeigen wird, die in der
Bevölkerung und im Parlament einen breiten Konsens
finden werden. Wir brauchen eine geregelte Zuwanderung. Wir wollen weiterhin politisches Asyl gewähren
und wir müssen Missbrauch verhindern. Vor der Lösung
dieser Aufgaben stehen wir.
({0})
Die unabhängige Kommission und ihre Vorsitzende
haben eine gewaltige Aufgabe übernommen, eine Aufgabe mit Langzeitwirkung. Im Haushaltsausschuss haben
wir deshalb für 2001 3,5 Millionen DM für die Arbeit der
Kommission veranschlagt, gut angelegtes Geld, wie ich
meine.
Der Bundesinnenminister und wir wollen, dass
Deutschland sicherer wird, dass sich die Bevölkerung
sicherer fühlt.
({1})
Der Anstieg der Ausgaben für die innere Sicherheit seit
1998 stellt dies nachdrücklich unter Beweis. Hervorragend passt in diesen Zusammenhang die Vereinbarung
vom Juni 1999 zwischen dem Bundesinnenminister und
dem brandenburgischen Innenminister über die Zusammenarbeit ihrer Polizeien. Ich zitiere:
… die Minister bekräftigen ihren Willen, vor allem
grenzüberschreitender und internationaler Kriminalität gemeinsam entgegenzuwirken und die Kriminalitätsbekämpfung insgesamt durch koordiniertes
Vorgehen zu verbessern, gemeinsam mit der Republik Polen die polizeilich-nachbarschaftliche Zusammenarbeit weiterzuentwickeln, auf den Gebieten der
Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung unter Bündelung der Kräfte einen effektiven Sicherheitsverbund im Land Brandenburg anzustreben.
Für die Umsetzung dieser Vereinbarung stellen wir dem
Bundesgrenzschutz zusätzlich 9,1 Millionen DM zur Verfügung.
Ebenso gut angelegt ist der Zuschuss in Höhe von
2,6 Millionen DM an das Deutsche Forum für Kriminalprävention als zentrale Informations- und Servicestelle
der Kriminalprävention. Leider sehen sich Baden-Württemberg, Bayern und Berlin finanziell noch nicht in der
Lage, sich zu beteiligen, was gerade angesichts der finanziellen Situation dieser Länder Verwunderung auslösen sollte.
Stichwort Integration der Spätaussiedler und Vertriebenen: Auch hier setzen wir unsere Politik der letzten
Jahre fort, also weg von dem populistischen Vorgehen, die
Menschen aus ihren jetzigen Heimatländern anzuwerben,
hin zur Integration der hier Angekommenen.
({2})
2,65 Millionen DM stellen wir hier zusätzlich bereit. Damit steigt der entsprechende Titel auf 52,625 Millionen DM.
Beständig halten wir an der Verbesserung der Situation der SED-Opfer fest. Wir müssen uns hier nicht wie
andere verbiegen. Anders als die vorherige CDU/CSURegierung können wir den SED-Opfern in die Augen
schauen. Wir haben 1999 die Entschädigung auf die von
uns versprochenen 600 DM für alle Häftlinge erhöht - anders als die CDU/CSU-Regierung, die bis 1998 die
Entschädigungen bei 350 DM deckelte und jetzt perfide
politpopulistisch 1 400 DM pro Haftmonat fordert.
({3})
Stammtische haben für so etwas extrem deftige Ausdrücke. Ich nenne es Rosstäuscherei. Wir stocken den entsprechenden Titel um weitere 5 Millionen DM auf. Gleiches tun wir bei dem Titel für die Heimkehrer.
({4})
Die Mittel für die Ostseeakademie Lüneburg
mussten wir in Höhe von 700 000 DM qualifiziert sperren.
({5})
Das Durcheinander von persönlichen Vorwürfen, angeblichen finanztechnischen Fehlleistungen und möglicher
politischer Schwerpunktverlagerung ins Völkische war
Erwin Marschewski ({6})
für uns im Haushaltsausschuss nicht klärbar. Deshalb
diese Sperre.
({7})
Sollte diese Situation politisch schwierig bleiben, dann erwarten wir vom BMI grundsätzliche Vorschläge zur Trägerschaft der Akademie.
({8})
Einigen konnten wir uns im Kreise der Berichterstatter
mit dem BMI über die fortlaufende Finanzierung der
politischen Stiftungen. In dieser Legislatur wird der
Ansatz im Einzelplan 06 bei 167 Millionen DM bleiben.
Ich kann an dieser Stelle nur raten, diesen Ansatz auch
über 2002 hinaus mindestens beizubehalten. Gerade vor
dem Hintergrund des ausufernden Rechtsextremismus
müssen wir uns auch an dieser Stelle zur Bedeutung der
politischen Bildung bekennen.
({9})
In diesem Zusammenhang stelle ich für mich klar:
Sowohl Rechts- als auch Linksradikalismus gehören in
Deutschland beobachtet, selbstverständlich auch extremistisch motivierte Straftaten ausländischer Organisationen. Doch ist die Situation im Moment in Deutschland
anders, als vielfach von der rechten Seite hier im Hause
beschrieben. Die größten Probleme bereitet uns derzeit
der Rechtsextremismus; deshalb liegt die Betonung darauf, deshalb auch die Notwendigkeit des NPD-Verbots.
Sehr fahrlässig in dieser Diskussion, meine ich, argumentiert die F.D.P. Angeblich reichen über 600 Seiten
Material zur NPD beim Innenminister nicht aus. So oder
ähnlich leichtfertig wurde in den 20er-Jahren Hitlers
„Mein Kampf“ abgetan. Dessen kriminelles Konvolut
nahm damals auch fast niemand ernst und doch führte er
dann seine Politik wie in seinem Buch beschrieben durch.
Wir haben angesichts dieser Erfahrungen keinen Grund,
anzunehmen, dass Nazis das, was sie heute sagen, nicht
ernst meinen.
({10})
Hüten wir uns vor solcher Leichtfertigkeit!
({11})
Der Bundesinnenminister hat Recht. Die NPD muss verboten werden. Dieses Zeichen müssen wir setzen.
Insgesamt bleibt festzustellen: Der Bundeshaushalt
2001 bildet ein solides Fundament für eine rot-grüne Innenpolitik, die uns Sicherheit gibt. Herr Minister, viel Erfolg! Unsere Unterstützung haben Sie.
({12})
Abschließend möchte ich mich bei meinen Berichterstatterkollegen für die fairen und konstruktiven Beratungen bedanken. Besonderen Anteil an diesem Klima hatte
der Hauptberichterstatter Dr. Werner Hoyer; dies soll hier
nicht unerwähnt bleiben.
Danke schön.
({13})
Es spricht jetzt Kollege Hartmut Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Kollege Özdemir
hat gesagt, jetzt könne man die Regierung einmal loben.
Also, lieber Herr Özdemir, bei dem vielen Lob, das Sie
von den Koalitionsfraktionen über der Regierung ausgeschüttet haben, müssen wir, damit das Verhältnis heute
Abend noch irgendwie stimmt, einige kritische Anmerkungen bringen. Ich möchte mich, bevor der Herr
Minister zum Schluss der Debatte das Wort nimmt, zu drei
Bereichen äußern.
Ein Bereich ist schon von fast allen Rednern angesprochen worden - das zeigt auch die Bedeutung, die
dieses Thema im Hinblick auf die innere Sicherheit für
uns alle hat -: der Bundesgrenzschutz. Wir haben uns
immer fraktions- und parteiübergreifend bemüht, lieber
Kollege Graf, Anstrengungen zu unternehmen, um den
Bundesgrenzschutz für die Aufgaben, die er im
Sicherheitsverbund unseres Landes hat, fit zu machen.
Wir haben damals - noch unter unionsgeführter Bundesregierung - eine Reform in die Wege geleitet, die der
Herr Bundesinnenminister im Wesentlichen fortgesetzt
hat.
Wenn ich mich bei Einsatzabteilungen des Bundesgrenzschutzes in Bayern umhöre, erfahre ich, dass sie nahezu dieselbe Abordnungsquote in den Einzeldienst
haben, wie es vor der Reform der Fall war, obwohl dies ja
gerade abgestellt werden sollte. Wenn wir uns einmal
überlegen, welche Großlagen für den Bundesgrenzschutz
im nächsten Jahr anstehen - ich denke zum Beispiel an die
dann wieder stattfindenden Castor-Transporte oder die
Geldtransporte, die der Bundesgrenzschutz am Ende des
Jahres 2001 im Zusammenhang mit der Einführung des
Euro mit zu bewachen haben wird -, dann müssen wir
schon fragen, ob diese hohe Abordnungsquote den Einsatzwert der Einsatzabteilungen des BGS so erhält, dass
er nach wie vor in der Lage ist, auch bei Großlagen
entsprechend zu agieren.
Es gibt weitere Herausforderungen für den BGS im
nächsten Jahr, zum Beispiel den Beitritt der Nordischen
Passunion zum Schengener Übereinkommen. Wir
müssen fragen, ob vor allem im Norden Deutschlands
Vorkehrungen getroffen sind, damit wir dort nicht ebenso
überrascht werden, wie seinerzeit, als an den Grenzen zu
den Beneluxstaaten nach Wegfall der Passkontrollen die
Einführung eines Sicherheitsschleiers notwendig war.
Herr Bundesinnenminister, uns ist zu Ohren gekommen, dass es im Hinblick auf die Einführung des neuen
Fahndungssystems Inpol-neu - sie steht im nächsten Jahr
an; bezüglich einer Softwarelösung ist ein Vertrag mit
dem Freistaat Sachsen über die Anwendung von PAVOS
abgeschlossen worden - doch fraglich sein soll, ob diese
Softwarelösung auf den Bundesgrenzschutz uneingeschränkt übertragen werden kann. Man sieht die Gefahr,
dass im Falle dieser Einführung auf bestimmte
Datenbestände nicht mehr zurückgegriffen werden kann.
Das sagen uns Fachleute. Man muss der Sache nachgehen, damit die Einführung von Inpol-neu nicht zu einem
Flop wird.
Lassen Sie mich auf ein Thema kommen, das heute
bereits angesprochen worden ist, nämlich die Eingliederung von Spätaussiedlern, aber auch die Unterstützung deutscher Minderheiten in den Staaten Mittelund Osteuropas. Wir erkennen an - das darf ich hier
sagen -, dass Sie die Mittel für den Integrationsfonds, der
vor allem der Eingliederung junger Spätaussiedler dient,
erhöht haben. Lieber Kollege Welt, Sie wissen, dass wir
uns in dieser Diskussion immer um einen Konsens bemühen. Sie sollten nicht im Lande herumreisen und so
tun, als hätte die neue Bundesregierung diesen Integrationsfonds erfunden. Er bestand bereits 1998. Horst
Waffenschmidt hat ihn eingeführt. Dieser Fonds war
damals, 1998, mit 38 Millionen DM bestückt. Sie erhöhen
seine Mittel jetzt auf 50 Millionen DM. Wir begrüßen das.
Allerdings: Der Preis, zu dem Sie diese Erhöhung
erkaufen, ist sehr hoch.
({0})
Denn Sie sparen bei den Rückführungskosten ganz massiv, also bei den Kosten für diejenigen Aussiedler, die zu
uns kommen.
Wir hatten heute Mittag - Herr Graf, ich habe gehört,
dass auch Sie ein Gespräch gehabt haben - ein Treffen mit
Vertretern des Katholischen Flüchtlingsrats in Deutschland. Wir haben dabei erschütternde Berichte darüber
gehört, unter welch unwürdigen Verhältnissen Großfamilien mit alten Menschen 14 Tage lang mit der Bahn und
mit Bussen unterwegs sind, um in die Bundesrepublik
Deutschland zu kommen. Sie sollten noch einmal darüber
nachdenken, ob man diese Maßnahme, dass Sie bei den
Rückführungskosten so massiv sparen, nicht revidieren
kann.
Ich möchte einen zweiten Bereich nennen, in dem die
Einsparungen wirklich eklatant sind. Es geht um die Unterstützungsleistungen für deutsche Minderheiten in
den Staaten Mittel- und Osteuropas. Im Jahr 1998 betrug der entsprechende Ansatz im Haushalt des Bundesinnenministeriums nahezu 140 Millionen DM. Dieser
Ansatz wird im Haushalt 2001 auf 64 Millionen DM
gekürzt.
Herr Welt, wir stimmen mit Ihnen darin überein, dass
es richtig war, bestimmte Großprojekte, vor allem solche
in der ehemaligen Sowjetunion, zu überdenken. Vor dem
Hintergrund der Weite und der Größe dieses Landes und
der schwierigen Verhältnisse dort ist es sicherlich besser,
statt in Großprojekte, die in der Vergangenheit viel Geld
verschlungen und die teilweise auch zu Misserfolgen
geführt haben, in kleine Projekte zu investieren.
Aber Sie kürzen nicht nur bei Großprojekten, sondern
auch ganz empfindlich bei anderen Projekten. Ich war vor
kurzem in Polen und habe mir dort angesehen, welche
Auswirkungen die Rückführung der Projekte hat. Sie wissen, dass dort ein sehr starkes Verlangen nach einer
Diskussion mit Ihnen, mit der Bundesregierung besteht.
Inzwischen haben schon polnische Gesprächspartner die
Sorge, dass Infrastrukturmaßnahmen, die dank der
deutschen Projekte eingeleitet worden sind, in Zukunft
aufgrund der Kürzungen in diesem Bereich notleidend
werden. Ich halte das für sehr bedenklich.
Insgesamt müssen wir schon darauf achten, Herr Welt
und Herr Bundesinnenminister, kein falsches Signal zu
setzen, damit Deutsche in Staaten Mittel- und Osteuropas
nicht das Gefühl haben, dass wir nicht mehr die nötigen
Haushaltsmittel aufbringen, um ihnen für ein Verbleiben
in ihren Herkunftsländern die notwendige Unterstützung
zukommen zu lassen.
({1})
Lassen Sie mich ein letztes Thema ansprechen, bei dem
zwar die Initiative bei den Koalitionsfraktionen liegt, aber
bei dem auch Sie, Herr Innenminister, eine gewisse Verantwortung tragen: die Vorschläge, die die Koalitionsfraktionen jetzt im Hinblick auf Veränderungen bei der
Einteilung der Bundestagswahlkreise vorgelegt haben.
Dass von den Vorschlägen der Wahlkreiskommission so
massiv abgewichen wird, wie Sie es jetzt tun, hat es in der
Vergangenheit noch nicht gegeben.
Für den Freistaat Sachsen wollen Sie bei 17 Wahlkreisen
14 gravierende Abweichungen vornehmen, die völlig an
dem vorbeigehen, was die Wahlkreiskommission empfohlen hat. Herr Minister, ich verweise auch auf Bayern.
1997 haben wir darüber diskutiert, ob der im Freistaat Bayern einzusparende Wahlkreis in Oberbayern, in der Landeshauptstadt München oder in Oberfranken wegfallen
soll. Dass Sie jetzt nicht mehr berücksichtigen, dass sich
von 1997 bis 2000 Veränderungen der Einwohnerzahlen
ergeben haben, ist ein Problem, auf das Sie auch Ihre
Parteifreunde in München und Oberbayern ansprechen.
Ferner werden Veränderungen, die Sie in drei Wahlkreisen
in Oberfranken vornehmen wollen, von Ihren eigenen
Parteifreunden in der SPD als manipulativ bezeichnet.
Ich möchte Sie daher noch einmal herzlich bitten - wir
hatten uns in der Vergangenheit auch darum bemüht -, die
Veränderungen, die angesichts der Vorschläge der
Wahlkreiskommission bei der Neuzuschneidung von
Wahlkreisen vorgenommen werden müssen, einigermaßen im Konsens herbeizuführen, statt sie par ordre de
mufti durchzusetzen, sogar ohne die kommunalen Körperschaften zu hören. Mir hat in den letzten Tagen ein
bayerischer Landrat gesagt, dass er zwar ständig höre,
dass sein Landkreis „zerlegt“ werden solle, dass aber
bisher noch niemand mit ihm gesprochen habe. Kein Kollege der SPD aus dieser Region hat mit diesem Landrat
- trotz schwer wiegender Veränderungen durch die
Neueinteilung der Wahlkreise - darüber gesprochen.
({2})
Herr Innenminister, mein Appell ist, dass Sie noch einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen sprechen, damit die Neueinteilung der
Wahlkreise klug und maßvoll vorgenommen wird und die
Menschen nicht am Ende das Gefühl haben, hier werde
politisch manipuliert. Die Menschen würden es uns nämlich bei der Bundestagswahl 2002 mit Wahlverweigerung
und Wahlenthaltung quittieren, wenn sie das Gefühl hätten, die da oben teilten die Wahlkreise an den Köpfen der
Menschen vorbei willkürlich neu ein. Deshalb unser Appell, dass Sie sich dieser Sache annehmen.
Herzlichen Dank.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Bundesinnenminister Otto Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich
zunächst für eine doch weitgehend faire Debatte bedanken. Selbst der Kollege Marschewski hat eine für seine
Verhältnisse fast sachliche Rede gehalten.
({0})
Insofern glaube ich schon, dass man diesen Dank rückhaltlos aussprechen kann. Mein Dank richtet sich aber vor
allen Dingen an die Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses und natürlich in erster Linie an die der
Koalitionsfraktionen, die ja die Mehrheit haben.
Der Haushalt meines Hauses ist eine gute Grundlage
für eine weitere verlässliche, kompetente und erfolgreiche
Arbeit der Sicherheitsinstitutionen im Interesse unserer
Bürgerinnen und Bürger und für die kompetente und
zukunftsorientierte Politik der Bundesregierung.
({1})
Meine Damen und Herren, auch der Innenminister hat
in der Parlamentsdebatte eine begrenzte Redezeit. Deshalb wird es mir nicht möglich sein, auf alles einzugehen,
was hier in der Debatte zuvor gesagt worden ist. In einigen Bereichen lohnen die Stichworte, die dort angesprochen worden sind, eine eigenständige Debatte.
Aber auf eines möchte ich die Damen und Herren von
der Opposition schon hinweisen: Sie verwirbeln sich ein
wenig in Ihren Widersprüchen. Ich war heute den ganzen
Tag in dieser Parlamentsdebatte zugegen - vielleicht im
Gegensatz zu anderen.
({2})
Deshalb habe ich Herrn Austermann noch im Ohr, der
vorhin behauptet hat, wir würden zwar im Interesse der
Haushaltskonsolidierung handeln, aber keine Ausgabenbeschränkungen vornehmen, keine Ausgabendisziplin
üben. Sie allerdings haben heute eigentlich immer nur
Ausgabenerhöhungen gefordert. Das passt nicht zusammen.
({3})
Verehrter Herr Hoyer, auch Ihnen danke ich für Ihren
sehr sachlichen Beitrag. Ich weiß - ich nehme das auch
ernst -, dass Sie sich sehr engagiert für die Sicherheitsinstitutionen, für den Bundesgrenzschutz und für das
Bundeskriminalamt, einsetzen. Ich bedanke mich dafür.
Auf der anderen Seite muss ich sagen: Das, was wir in
dem Bereich, ungeachtet der Haushaltskonsolidierungen,
geleistet haben - Herr Kollege Graf hat die Stellenanhebungen beim Bundesgrenzschutz erwähnt -, hält den
Vergleich mit Ihrer Regierungszeit wahrlich aus.
({4})
Wir haben die Zahl der Stellenanhebungen verdoppelt.
Sie wissen genau, dass die Stellenstruktur beim Bundesgrenzschutz weit schlechter ist - das lag 16 Jahre lang in
Ihrer Regierungsverantwortung - als bei den Länderpolizeien. Deshalb kommen die Einsichten, so sehr ich sie begrüße, relativ spät.
({5})
Aber auch wer spät mit solchen Einsichten kommt, ist
willkommen. Deshalb bleibt Ihnen der Dank erhalten.
Herr von Hammerstein hat dankenswerterweise die
Sportpolitik angesprochen. Mir fehlt hier die Zeit, das
ausführlich vor Ihnen darzustellen. Sie wissen, ich bin ein
engagierter Sportminister.
({6})
Deshalb ist es auch gut, dass wir die notwendigen Mittel
für eine gute Sportpolitik von den Haushältern zugestanden bekommen haben. Ich bedanke mich insoweit auch
ausdrücklich bei der Opposition, dass sie das mitgemacht
hat. Dass Sie nun das Urheberrecht für den Goldenen Plan
Ost beanspruchen, finde ich allerdings ein wenig übertrieben; denn in Ihrer Regierungszeit hat es einen Goldenen Plan Ost nicht gegeben.
({7})
Deshalb müssen Sie verstehen, dass der Dank in erster Linie an die Koalition geht. Sie sind ein Begleiter dieses
Projektes und haben daher einen Teil des Dankes verdient.
Herr von Hammerstein, Sie haben eine - das will ich
gar nicht bestreiten - schwierige Frage angesprochen. Es
ist die Frage, wie wir mit der Tätigkeit des Bundesgrenzschutzes im Bereich der Bahn umgehen und wie wir dort
die Kosten ordnen. Das ist eine offene Frage, die zwischen den Häusern - Bundesfinanzministerium, Bundesverkehrsministerium und Innenministerium - entschieden wird. Wir sind der Meinung, dass der
Kostenfaktor der Bahn berücksichtigt werden muss. Aber
die Gespräche sind ja noch im Gang. Ich hoffe, sie kommen zu einem guten Ergebnis. Wie Sie wissen, schätze ich
Herrn Mehdorn sehr. Ich kenne ihn aus früherer Verantwortung in meinem Wahlkreis München-Land: Da war er
noch bei der DASA; später ging er zur Heidelberger
Druck. Er ist eine hervorragende Wahl für diesen wichtigen und schwierigen Posten. Ich sage jedenfalls für mein
Haus: Ich komme mit Herrn Mehdorn hervorragend aus.
Wir haben vor gerade erst 24 Stunden - die Tinte ist noch
nicht ganz trocken - eine Ordnungspartnerschaft unterschrieben. Das zeigt auch, wie effizient die Sicherheitspolitik der Bundesregierung ist. Wir sorgen nämlich
dafür, dass ein privater Sicherheitsdienst der Bundesbahn
gut und effizient mit dem Bundesgrenzschutz zusammenarbeitet. Das werden wir auch in Zukunft so handhaben.
({8})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hoyer?
Bitte schön.
Herr Minister, wenn Sie
jetzt sagen, dass diese Frage noch offen ist und dass da
noch Bewegung drin ist, müssen wir dann nicht die Befürchtung haben, dass der Einnahmeposten von 125 Millionen DM an diesem Punkt eine Luftbuchung ist?
Nein, das ist
keine Luftbuchung. Wir werden für eine vernünftige
Regelung sorgen. Ich sage Ihnen, die Regelung ist auf
gutem Wege. Machen Sie sich deshalb an der Stelle keine
Sorgen: Die 125 Millionen DM werden im Haushalt sein.
Herr von Hammerstein und auch Herr Hoyer haben die
Frage der Tarifbeschäftigten beim BKA und beim BGS
angesprochen. Ich will Ihnen sagen, dass ich zum Beispiel
beim BGS-Präsidium West dafür gesorgt habe, dass
Möglichkeiten zu mehr Tarifbeschäftigung geschaffen werden. Sie wissen, die Versetzung von Tarifbeschäftigten ist
nicht immer ganz einfach.
Beim BKA besteht in der Tat die Schwierigkeit - wir
haben sie von Ihnen geerbt -, dass es keine Ausnahmen
bei den linearen Stellenkürzungen gibt. Aber, Herr Hoyer,
wir haben immerhin eine Flexibilisierung erreicht. Das ist
für diesen Bereich wichtig.
Herr Marschewski, Sie haben eine sehr eingeschränkte
Wahrnehmung von Innenpolitik.
({0})
Der größte Vorwurf, den Sie mir machen, ist, dass ich kein
Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität
auf den Weg gebracht habe. Wer Innen- und Sicherheitspolitik mit der Produktion von Gesetzen gleichsetzt,
der hat von Innenpolitik keine Ahnung.
({1})
Im Übrigen will ich Sie daran erinnern - das haben wir
doch gemeinsam zustande gebracht -, dass wir vor einigen Jahren - es ist also noch nicht allzu lange her - sehr
vernünftige Gesetze zur Bekämpfung der organisierten
Kriminalität auf den Weg gebracht haben,
({2})
auch Gesetze zur erweiterten Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes. Nun kommt es darauf an, diese Gesetze ordentlich zu vollziehen. Das ist der entscheidende Punkt:
Es kommt nicht nur auf das Gesetz, sondern auch auf den
Gesetzesvollzug an.
({3})
Das müssen Sie endlich lernen. Wenn Herr Marschewski
es bis jetzt noch nicht gelernt hat, dann muss er es eben
heute lernen.
Herr Marschewski, versuchen Sie doch einmal, sich einen Einblick zu verschaffen. Wir haben die Sicherheitsstrukturen auf nationaler und internationaler Ebene deutlich verbessert. Wir haben mit einer Reihe von Ländern
- mit Brandenburg, Sachsen, Schleswig-Holstein und anderen - Sicherheitspartnerschaften abgeschlossen. Wir
haben ein vorbildliches Abkommen mit der Schweiz zustande gebracht. Das ist das beste Abkommen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, das es im internationalen Bereich gibt.
({4})
Ich habe gerade ein Abkommen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit der Volksrepublik China abgeschlossen. Es gibt ein entsprechendes Abkommen mit
Tschechien. Von diesen Erfolgen konnten Sie während Ihrer Regierung nur träumen. Deswegen sage ich: Die Sicherheit unseres Landes ist bei der Bundesregierung in
guten Händen.
({5})
Herr Koschyk, über das Thema Inpol-neu haben wir
gerade auf der Innenministerkonferenz gesprochen. Bevor Sie dieses Thema in einem kurzen Debattenbeitrag zur
Sprache gebracht haben, hätten Sie sich im Land Hessen
bei meinem Kollegen Bouffier informieren können, welche Schwierigkeiten das Land Hessen hat, den Termin für
die Einführung von Inpol-neu einzuhalten. Das würde Ihnen vielleicht mehr Sorge bereiten, als Sie sie in Bezug
auf einen anderen Bereich geäußert haben.
Lassen wir das Thema an dieser Stelle ruhen. Ich stehe
Ihnen gerne später zu einem Zwiegespräch zur Verfügung. Dann werde ich Sie über den Sachstand informieren, den ich jetzt nicht im Detail erörtern kann; es ist ein
schwieriges Thema. Ich bin mit Ihnen einer Meinung,
dass dieses System für die Kriminalitätsbekämpfung
wichtig ist. Wir müssen dafür sorgen, dass es zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingesetzt wird.
Sie haben ferner die Einteilung der Wahlkreise angesprochen. Ich bin ja ein Innenminister, der besonderen
Respekt vor dem Parlament hat.
({6})
Deshalb bin ich der Meinung, dass die Wahlkreiseinteilung in erster Linie eine Sache des Parlaments ist. Wir geben in dieser Frage gerne eine Hilfestellung - mein Staatssekretär Körper ist in diesem Punkt sehr engagiert -, aber
wir werden hier nicht, wie Sie behauptet haben, irgendetwas par ordre du mufti verfügen. Das können wir nämlich
gar nicht. Das Parlament muss sich damit beschäftigen.
Ich stimme Ihnen zu, dass wir einen Konsens suchen müssen. Mit dem Bemühen um einen Konsens war es in Ihrer
Regierungszeit nicht sehr weit her.
({7})
- Ich habe es selber bei meinem eigenen Wahlkreis erfahren, bei dem Sie eine künstliche Einteilung vorgenommen
haben, indem ein anderer Bereich aus wahltaktischen
Gründen zugeschlagen wurde.
So viel zu Ihren Einzelbemerkungen. Ich könnte zu
einzelnen Fragen natürlich noch sehr viel mehr sagen.
Ich lege großen Wert darauf, dass erkannt wird, dass
ein Schwerpunkt der innenpolitischen Arbeit auf der Gewährleistung der inneren Sicherheit liegt. Herr Kollege
Graf hat das schon sehr deutlich anhand von Zahlen dargelegt. Wir leisten mit diesem Haushalt mehrere Dinge:
Die Innenpolitik leistet ihren solidarischen Beitrag zur
Haushaltskonsolidierung. Das ist wichtig. Dieses Vorhaben ist in meinem Haushalt aber besonders schwierig
umzusetzen, weshalb ich auf diese Leistung sehr stolz bin.
({8})
Gleichzeitig verstärken wir die Mittel für den Einsatz
für die innere Sicherheit. Es gibt einen Aufwuchs beim
Bundesgrenzschutz, beim Bundeskriminalamt und auch
beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Ähnliches gilt
für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Darüber hinaus haben wir es vermocht - dafür
bedanke ich mich besonders -, die Mittel für die Bereitschaftspolizei von 6 Millionen DM auf 26 Millionen DM
zu erhöhen. Das ist ein gutes Zeichen für eine ordentliche
und solide Sicherheitspolitik.
({9})
Deshalb können wir uns neuen Aufgabenfeldern zuwenden. Wir brauchen neue kriminalpolizeiliche Auswertungsverfahren, wir müssen das Sachgebiet neue
Technologien ordentlich angehen, wir brauchen eine Zentralstelle für anlassunabhängige Recherchen im Datennetz und Ähnliches.
Natürlich gilt das auch für den internationalen Bereich.
Wenn Sie sich bei den Innenministerkollegen in Europa
erkundigen - ich bin inzwischen einer der dienstältesten
Innenminister in Europa -, stellen Sie fest, dass die Innenpolitik gerade unter dieser neuen Bundesregierung in
Europa erheblich an Ansehen gewonnen hat. Das kann ich
Ihnen versichern.
({10})
Dazu gehören natürlich die Ansätze, die wir gewählt
haben. Wir haben etwa, um nur ein Beispiel zu nennen,
das „Deutsche Forum für Kriminalprävention“ geschaffen. Damit tun wir etwas sehr Vernünftiges, das auch
im Sinne der Modernisierung unserer Verwaltung liegt. Ich bräuchte mindestens eine halbe Stunde Zeit, um über
die Modernisierung der Bundesverwaltung zu sprechen,
die wir in Gang gebracht haben. - Aber gerade durch das
„Deutsche Forum für Kriminalprävention“ suchen wir
den Dialog mit der Wirtschaft und mit der Gesellschaft.
Wir beziehen in die Kriminalprävention eben nicht nur die
Polizei ein, die ein wichtiger Faktor in diesem Bereich ist,
sondern auch gesellschaftliche Institutionen einschließlich der Wirtschaft.
Ich habe kürzlich mit Vertretern der Wirtschaft zusammengesessen. Dabei war auch der Punkt Kreditkartenmissbrauch ein Thema. Wir haben die Vertreter der
Banken und der Kreditinstitute eingeladen und einen
Workshop veranstaltet, um mit der Wirtschaft über diese
Dinge zu sprechen und Lösungen zu finden. Das ist der
richtige Weg.
({11})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte, den Geräuschpegel ein wenig zu
verringern, damit wir dem Bundesinnenminister bis zum
Schluss seiner Rede angemessen folgen können.
({0})
Die Bundesregierung ist ein Garant für die innere Sicherheit.
({0})
Sie ist ein Garant für die entschlossene Bekämpfung von
Extremismus, insbesondere des Rechtsextremismus. Sie
ist ein Garant für die entschlossene Bekämpfung der Kriminalität, insbesondere der organisierten Kriminalität,
und zwar unter strikter Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Das muss immer dazugesagt werden.
({1})
Außerdem ist sie ein Garant für die resolute und rasche
Modernisierung der Verwaltung. Nicht zuletzt ist sie ein
Garant für grundlegende Reformen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Dinge ansprechen. Das Erste ist das Staatsangehörigkeitsrecht.
Herr Hoyer, wenn ich noch einen Moment Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen darf,
({2})
möchte ich Ihnen sagen, dass Sie zu Recht darauf hingewiesen haben, dass es in der Verfassungs- und Staatsgeschichte unseres Landes eine historische Zäsur ist, dass
wir das Staatsangehörigkeitsrecht von einer ethnischen
Fixierung losgelöst und auf ein europäisches Niveau gebracht haben.
({3})
Die Leute innerhalb der CDU/CSU, die das noch immer
nicht wahrhaben wollen und sich jetzt in dem unseligen
Begriff der Leitkultur verheddern, wollen wieder hinter
dieses Niveau zurückfallen.
({4})
Die zweite Reform auf diesem Wege - sie beweist eine
sehr konsequente Politik - wird die Reform des Zuwanderungsrechtes sein. Da wählen wir den Weg über eine
unabhängige Sachverständigenkommission. Ich freue
mich, dass sich sehr viele Menschen für diese Kommission zur Verfügung gestellt haben, insbesondere deren
Vorsitzende, Frau Kollegin Professor Süssmuth. Ich
möchte mich ausdrücklich bei ihr bedanken, dass sie den
Mut gefunden hat, diesen Kommissionsvorsitz zu übernehmen.
({5})
Alle Vorschläge sind willkommen. Wenn der Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Müller, Vorschläge hat, die
durchaus vernünftig sein mögen, sind sie willkommen.
Andere Vorschläge, etwa vom Kollegen Beckstein, sind
ebenfalls willkommen. Wir werden sie vorurteilsfrei prüfen.
Ich bin auch der Meinung, dass es bei einem solchen
Vorhaben, das weit über eine Legislaturperiode hinausgeht, das etwas für das Schicksal kommender Generationen bedeutet, verantwortungslos wäre, wenn wir uns nicht
alle sorgfältig und engagiert um einen großen Konsens
bemühten. Das ist die Sache wirklich wert.
({6})
Herr Marschewski, da Sie hier nun Eile anmahnen,
frage ich Sie: Wie lange haben Sie denn gebraucht, um
überhaupt festzustellen, dass es in Deutschland Einwanderung gibt? Das haben Sie doch gerade einmal in diesem
Jahr entdeckt. Sprechen Sie doch nicht von Eile!
({7})
Sorgen Sie dafür, dass in unserem Land nicht die Stimmung entsteht - es ist für viele Menschen ja nicht ganz
einfach, zu begreifen, welche Probleme damit verbunden
sind -, dass Zuwanderung als eine Bedrohung empfunden
wird. Ich unterstelle Herrn Merz nicht, dass er mit dem
Wort „Leitkultur“ irgendwelche ausländerfeindlichen
Überlegungen verbunden hat. Er hat es vielleicht gut gemeint, aber schlecht gemacht.
({8})
Kürzlich waren bei mir Vertreter der dänischen Minderheit - das will ich Ihnen zum Abschluss sagen; Herr
Koppelin weiß das -, die gesagt haben: Wir sind gute
deutsche Staatsbürger; aber wir wollen unsere dänische
kulturelle Herkunft nicht verleugnen und wollen dänisch
sprechen.
({9})
- Herr Marschewski, zum eigentlichen Problem komme
ich doch erst. Hören Sie doch einmal einen Moment zu! Ich wurde von diesen Vertretern der dänischen Minderheit
gefragt: Ist unsere Kultur weniger wert als die deutsche
Kultur? - Sie empfinden den Begriff „Leitkultur“ als Bedrohung.
({10})
Nehmen Sie das ernst! Dieser Begriff ist Unsinn. Verrennen Sie sich nicht in diese Debatte! Hören Sie damit auf!
Dann ziehen wir einen Strich unter diese Debatte und
dann können wir uns wieder zusammensetzen.
({11})
Ich bin nun ein wahrlich überzeugter und leidenschaftlicher Europäer. Auch Herr Fischer hat es heute Morgen
schon angesprochen: Kein Franzose, kein Italiener und
übrigens auch kein Schweizer käme auf den Gedanken,
von einer französischen, einer italienischen und einer
Schweizer Leitkultur zu sprechen. Man spricht zum Beispiel von französischer Kultur und ist sich sicher, dass sie
eine der wunderbarsten Kulturen ist, die es gibt. Warum
sprechen wir nicht schlicht von deutscher Kultur? Sie ist
eine der wunderbarsten Kulturen, die es gibt.
({12})
Also lassen Sie das doch mit der Leitgeschichte und
bleiben Sie besser bei Herrn Stoiber, der zu Recht auf
Bayerisch gesagt hat: D‘Leut brauch‘n a Kultur. - Im
Bayerischen stimmt das ja, Herr Merz.
({13})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Ich rufe den
Einzelplan 06 - Bundesministerium des Innern - in der
Ausschussfassung auf. Es liegen Änderungsanträge vor,
über die wir zuerst abstimmen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Än-
derungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa-
che 14/4769. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungs-
antrag ist abgelehnt. 1)
Ich rufe die Abstimmung über den Änderungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4771 auf.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. 2)
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/4765. Die Fraktion der PDS ver-
langt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh-
1) Anlage 5
2) Anlage 6
rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort, und ich bitte
alle Kolleginnen und Kollegen, die Plätze wieder einzunehmen. - Ich wiederhole noch einmal meine Aufforderung: Bitte, nehmen Sie die Plätze ein, damit wir die Abstimmungen fortsetzen können. Es gibt keine weitere
namentliche Abstimmung.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/4766. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie
nochmals, die Plätze einzunehmen, da wir noch einige
Abstimmungen und letztlich auch die Endabstimmung
über den Haushalt haben.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/4767? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/4768. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/4770 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/4772? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/4773 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache
14/4774 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/4775? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.
({0})
Die Sitzung ist wieder
eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/4765 bekannt. Abgegebene Stimmen
582. Mit Ja haben gestimmt 31 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 551 Abgeordnete, Enthaltungen gab es
keine. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 570;
davon
ja: 30
nein: 540
Ja
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Nein
SPD
Brigitte Adler
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Klaus Brandner
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich ({7})
Lilo Friedrich ({8})
Harald Friese
Anke Fuchs ({9})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({10})
Angelika Graf ({11})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({12})
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann ({13})
Walter Hoffmann ({14})
Iris Hoffmann ({15})
Frank Hofmann ({16})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({17})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({18})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({19})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({20})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({21})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({22})
Jutta Müller ({23})
Christian Müller ({24})
Andrea Nahles
Volker Neumann ({25})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({26})
Birgit Roth ({27})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({28})
Ulla Schmidt ({29})
Silvia Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Wilhelm Schmidt ({32})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({33})
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({34})
Brigitte Schulte ({35})
Volkmar Schultz ({36})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({37})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({38})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Gert Weisskirchen ({41})
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({42})
Helmut Wieczorek ({43})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({44})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff ({45})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({46})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({47})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({48})
Peter H. Carstensen ({49})
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({50})
Ilse Falk
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({51})
Axel E. Fischer ({52})
Dr. Gerhard Friedrich ({53})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({54})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({55})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({56})
Norbert Hauser ({57})
Hansgeorg Hauser ({58})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers ({59})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({60})
Dr. Klaus W. Lippold ({61})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann ({62})
Julius Louven
Erwin Marschewski ({63})
Dr. Martin Mayer ({64})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Bernward Müller ({65})
Elmar Müller ({66})
Bernd Neumann ({67})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({68})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Helmut Rauber
Christa Reichard ({69})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch ({70})
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth ({71})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({72})
Andreas Schmidt ({73})
Hans Peter Schmitz
({74})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({75})
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({76})
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({77})
Gerald Weiß ({78})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({79})
Hans-Otto Wilhelm ({80})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({81})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Peter Kurt Würzbach
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({82})
Marieluise Beck ({83})
Volker Beck ({84})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({85})
Katrin Göring-Eckardt
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({86})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Simone Probst
Christine Scheel
Werner Schulz ({87})
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({88})
Margareta Wolf ({89})
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({90})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({91})
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Vizepräsidentin Petra Bläss
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 06. Wer stimmt für den Einzelplan 06 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 33, Versorgung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Einzelplan 33 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 12
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen
- Drucksachen 14/4512, 14/4521 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Dietmar Schütz ({92})
Matthias Berninger
Dr. Uwe-Jens Rössel
Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU und drei Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor. Weiterhin liegen ein Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU und ein Entschließungsantrag der
Fraktion der F.D.P. vor, über die am Freitag nach der
Schlussabstimmung abgestimmt wird.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion
der CDU/CSU dem Kollegen Bartholomäus Kalb das
Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei
Minister in zwei Jahren sind nicht gerade Ausweis für
Kontinuität in der Verkehrspolitik. Das spricht nicht
schon per se gegen den neuen Ressortchef; es spricht aber
gegen den Bundeskanzler, der diese Position zunächst mit
einem reinen Parteifunktionär und dann mit einem abgewählten Ministerpräsidenten besetzte, um Ruhe an der
Westfront der SPD zu haben.
({0})
Eine klare Linie fehlt und Effizienz gibt es nicht. Bereits
Müntefering hatte einen Scherbenhaufen hinterlassen
({1})
und Klimmt fehlte offenbar das Vertrauen der eigenen
Leute und der eigenen Fraktion, um etwas bewegen zu
können.
({2})
Wir müssen zu einer verlässlichen und wirkungsvollen
Verkehrs- und Baupolitik zurückkehren.
({3})
Zwei Jahre Rückschritt sind genug.
({4})
Wir brauchen wieder eine langfristig angelegte Ressortpolitik, die geeignet ist, die Probleme bei der Bahn zu lösen, die Herausforderungen im Bereich des Fernstraßenbaus zu bewältigen und das Durcheinander im Wohnungsund Städtebau zu beenden. Der Bereich Verkehrs-, Bauund Wohnungswesen ist viel zu wichtig und daher völlig
ungeeignet, um als personalpolitischer Verschiebebahnhof missbraucht zu werden.
({5})
Wie man in der Sache innerhalb der Bundesregierung
mit diesem Ressort umgegangen ist, belegt der Regierungsentwurf. Die Investitionen wurden drastisch gekürzt,
am stärksten im Bereich des Verkehrsetats. Nur noch
11,4 Prozent Investitionsanteil am Gesamthaushalt waren
vorgesehen. Weitere fallende Linien waren zu verzeichnen.
Zudem hatte der Finanzminister mit milliardenschweren
Sperr- und Deckungsvermerken bereits Folterwerkzeuge
bereitgelegt, um bei mangelndem Wohlverhalten des Verkehrsministers im Haushaltsvollzug weiter kürzen und
streichen zu können.
Die Mittel aus dem jetzt vielgerühmten Zukunftsinvestitionsprogramm haben Sie nicht bei den normalen
Investitionstiteln veranschlagt, sondern dafür extra Ansätze gewählt und sie gleichzeitig ausdrücklich bis zum
Jahr 2003 begrenzt. Damit fehlt die notwendige Flexibilität und Berechenbarkeit.
Natürlich weiß ich, dass alle nicht gesetzlich gebundenen Ansätze unter dem Vorbehalt künftiger Beratungen
stehen; aber schon jetzt ausdrücklich zu beschließen, dass
nach 2003 die vorgenommenen Erhöhungen wieder
zurückgenommen werden, ist schon ein sehr starkes
Stück.
({6})
Trotz dieser Sonderaktion erreichen Sie jetzt gerade ein
mal eine Quote der Investitionen von 12,1 Prozent des Gesamthaushaltes und bleiben weit hinter den Investitionsquoten früherer Jahre zurück. Ein Zickzackkurs bei Investitionen ist aber für die Bauwirtschaft und letztlich auch
für den Auftraggeber, insbesondere die öffentliche Hand,
von Übel. Im Hinblick auf die langen Planungs- und Genehmigungsabläufe von Verkehrsprojekten braucht man
Planungssicherheit und längerfristige Berechenbarkeit.
Deshalb fordern wir dringend eine Verstetigung der Investitionen.
Auch die angebliche Rekordhöhe von Investitionen im
Fernstraßenbau ist nichts anderes als irreführend. Sie
Vizepräsidentin Petra Bläss
kommen trotz der Sonderaktionen nicht über die Höhe der
Ansätze früherer Jahre hinaus.
({7})
- Das stimmt doch. - Auch Ihre weiteren Straßenbauinvestitionsprogramme bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Ihr vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen
großartig angekündigtes Anti-Stau-Programm steckt im
Stau. Mit den Maßnahmen kann frühestens 2003 begonnen werden. Die Einnahmen haben Sie noch gar nicht,
ebenso wenig wie die rechtlichen Voraussetzungen. Auch
die Zustimmung der EU fehlt.
Nach meiner Überzeugung sind auch zahlreiche Projekte der so genannten ZIP-Liste in keiner Weise gesichert, wenn es bei der Begrenzung bis zum Jahr 2003
bleibt, weil die Anschlussfinanzierung schlicht und einfach fehlt.
Herr Minister Bodewig, Sie werden es nicht leicht haben. Ihr Vorgänger hat nämlich innerhalb eines Jahres vier
Zukunftsprogramme aus dem Hut gezaubert. Für Sie wird
es schwierig, diesen Rekord zu brechen.
({8})
- Das ist allerdings richtig, Herr Kollege Kansy.
Insbesondere die Bahn wird sich sehr schwer tun, die
gewünschten und notwendigen Maßnahmen durchzuführen, wenn Sie bei Ihren Beschlüssen bleiben. Sie wird
nicht in der Lage sein, die Kapazitäten für Planung und
Bauleitung so schnell aufzubauen und dann wieder
zurückzuführen.
({9})
Die Bahnpolitik hat schließlich während der Haushaltsberatungen besondere Aufmerksamkeit erlangt. Meldungen über eine Ergebnisabweichung bis 2005 um
20 Milliarden DM haben nicht nur heftige Diskussionen
ausgelöst. Das bedeutet letztlich auch 20 Milliarden DM
weniger für Modernisierung und damit auch weniger an
Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich - das war Thema in der
vorausgehenden Debatte - belasten Sie die Bahn mit Sonderlasten wie der Ökosteuer und mit Kosten für den
BGS - dieses Problem ist immer noch nicht ausgeräumt in einer beträchtlichen Größenordnung.
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Was wahr ist,
ist wahr!
Trotz der nun angesetzten Sonderdotierung bei Bahninvestitionen bleiben Sie weit hinter dem zurück, was die Bahn
für die Umsetzung der Bahnreform wirklich bräuchte.
Sicherlich haben die Probleme der Bahn viele Ursachen. Diese werden aber nicht zu lösen sein, wenn es erstens nicht gelingt, jahrzehntelang gewachsene und verkrustete Strukturen mehr als bisher aufzubrechen, wenn
es zweitens nicht gelingt, sich aus der engen Umklammerung der Gewerkschaften und zum Teil auch der Politik zu
lösen,
({10})
und wenn drittens nicht alle begreifen - Mitarbeiter und
Gewerkschaften ebenso wie Unternehmensvertreter auf
hoher und höchster Ebene -, dass sie an einem Strang und
in eine Richtung ziehen müssen.
({11})
Ich meine damit nicht nur das Aufsichtsratsmitglied
Albert Schmidt. Dennoch: Auch und gerade vom Bund
entsandte Aufsichtsratsmitglieder haben ihre Pflichten besonders ernst zu nehmen und gewissenhaft zu erfüllen.
({12})
Das Ansehen der Bahn, Herr Schmidt, ist mit Ihren öffentlichen Äußerungen, solange Sie sie nicht belegen können, jedenfalls nicht gemehrt worden.
({13})
Wir wissen alle, dass die Stärke der Bahn besonders auf
einer Entfernung zwischen 400 und 500 Kilometern zum
Tragen kommt. Das zeigen jedenfalls internationale Erfahrungen. Wir sind in Deutschland und in Europa aber
bereits an die Nationengrenzen gestoßen. Die dringend
notwendige Harmonisierung ist bisher nicht erreicht worden.
Es kann doch nicht sein, dass Automobilhersteller mit
Werken in ganz Europa ihre Werke nicht vernetzen können, nur weil die Bahnen nicht zueinander kommen und
die Systeme nicht kompatibel sind. Wir legen zwar europaweit den zulässigen Krümmungsradius für Gurken fest
und definieren einheitlich, was Schnitt-, Stich- und Stoßstellen sind und wie die Schleppersitze aussehen müssen.
Nur bei der Bahn kommen wir keinen Schritt voran.
({14})
Vor drei Wochen wurde der neue Verkehrsbericht
vorgelegt. Danach werden bis 2015 der Personenverkehr
um rund 20 Prozent und der Güterverkehr gar um 64 Prozent steigen. Ein Großteil der Verkehrssteigerungen wird
sich aus dem Zusammenwachsen Europas und dem Beitritt weiterer Länder zur Europäischen Union ergeben.
Wir müssen uns darauf einstellen und Vorsorge treffen,
um den Herausforderungen gewachsen zu sein. Wir verlangen deshalb ein Programm „Verkehrsprojekte Europäische Einigung“, um auf das zu erwartende, enorm steigende Verkehrsaufkommen vorbereitet zu sein.
Herr Carsten Kreklau vom BDI sagt:
Zum einen muss die Verkehrsinfrastruktur modernisiert, zum anderen dem zusätzlichen Verkehrsaufkommen infolge der EU-Osterweiterung Rechnung
getragen werden.
Mit Blick auf die Beitrittsländer wird die Verkehrsachse
Nürnberg-Regensburg-Passau-Wien enorm an Bedeutung und Belastung gewinnen; auch und gerade auf der
Schiene. Deshalb wäre es fatal, diese Strecke jetzt zu vernachlässigen und das Angebot auszudünnen.
Auch für den Donauausbau ist es erforderlich, dass
die - soweit ich das beurteilen kann - sehr gründlichen
und sehr sorgfältigen Untersuchungen zeitgerecht zum
Abschluss kommen und dass dann eine objektive Beurteilung vorgenommen und ohne weitere Verzögerungen
gemeinsam mit dem Freistaat Bayern eine klare Entscheidung getroffen wird.
({15})
Alle Beteiligten und vor allem die betroffenen Bürger und
Kommunen müssen wissen, wie es weitergehen soll. Sie
müssen sich mit ihren Planungen darauf einstellen können.
Das deutsche Transportgewerbe scheint für diese Bundesregierung keine Bedeutung zu haben. Man hat den
Eindruck, viele hier wissen nicht oder wollen nicht wissen, von welchen Existenzsorgen die Inhaber, insbesondere von kleineren und mittleren Unternehmen und deren
Mitarbeiter bereits erfasst sind. Versprechungen, sich bei
der EU dafür einzusetzen, dass es keine weiteren Genehmigungen für Subventionen anderer Länder seitens der
EU gibt, werden nicht eingehalten. Subventionen für Italien wurden mit rot-grünen Stimmen genehmigt. Das
deutsche Transportgewerbe leidet unter massiven Wettbewerbsverzerrungen. So treiben Sie unser Transportgewerbe in den Ruin bzw. zur Ausflaggung und vernichten
Hunderttausende von Arbeitsplätzen hier im Lande.
({16})
Man fragt sich langsam: Interessiert denn den Bundeskanzler eigentlich nur noch das Großkapital? Interessieren ihn die kleinen und mittleren Betriebe und die dort arbeitenden Menschen nicht mehr?
({17})
Ich darf noch einen anderen Punkt ansprechen. Wir haben es immer für falsch gehalten, dass die Transrapidstrecke Hamburg-Berlin von Ihnen aufgegeben wurde.
Ich möchte dazu gerne sagen: Ich begrüße es ausdrücklich, dass man mit den beiden Projekten in München und
in Nordrhein-Westfalen nun endlich wieder einen neuen
Start begonnen hat. Ich denke, es ist wichtig, dass wir
diese neue, zukunftsweisende Technologie bei uns im
Lande zur Anwendung bringen, dass wir die Vorteile unsere Investitionen, die wir in Forschung und Entwicklung
gesteckt haben, auch selber nutzen und damit die Voraussetzungen dafür schaffen, dass diese neue Technologie ein
Exporterfolg werden kann.
({18})
Herr Minister Bodewig, bei aller Kritik an der Verkehrspolitik, die wir zu üben haben, und bei allen unterschiedlichen Standpunkten, die wir einnehmen, möchte
ich es dennoch nicht versäumen, Ihnen persönlich im Interesse der Sache für Ihr neues, soeben angetretenes Amt
eine sehr glückliche Hand zu wünschen.
Herzlichen Dank.
({19})
Als
nächster Redner hat der Kollege Gerhard Rübenkönig von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Einzelplan 12 Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, beraten wir heute den
Haushalt, der ein Signal für die Zukunft einer neuen Verkehrspolitik in Deutschland gibt.
Zunächst möchte ich aber von dieser Stelle aus unseren - erstmals auf der Regierungsbank - neuen Minister
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Kurt Bodewig,
begrüßen. Ich wünsche Ihnen, Herr Minister, alles Gute
für die Zukunft und eine erfolgreiche Arbeit.
({0})
Als Berichterstatter für den Bereich Verkehr möchte
ich zunächst meinen Kollegen Berichterstattern für die
gute, vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit
danken. Bedenkt man, dass sich das Volumen des Einzelplans 12, wie ihn die Bundesregierung eingebracht hat, in
einer Höhe von 44,8 Milliarden DM bewegte und jetzt,
nach den Beratungen, in einer Höhe von 48,6 Milliarden DM, so kann man ersehen, welch intensive Beratungen hierzu erforderlich waren.
({1})
Allein für Investitionen im Verkehrsbereich sind in diesem Haushalt über 22 Milliarden DM veranschlagt; das ist
ein Anteil von über 60 Prozent und liegt damit weit über
dem, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, uns in Ihrer Regierungszeit vorgelegt haben.
({2})
Aufgrund meiner begrenzten Redezeit möchte ich hier
nur zu einigen Schwerpunkten Stellung nehmen:
Erstens zum Zukunftsinvestitionsprogramm: Wie
Sie wissen, brachte die Versteigerung der UMTS-Lizenzen dem Bund 99,4 Milliarden DM ein und diese Gelder
werden voll zur Rückführung der Staatsschulden eingesetzt. Die in diesem Zusammenhang aufgrund der Zinsersparnis für die Bundesschuld frei werdenden Mittel in
Höhe von rund 5 Milliarden DM werden zielgerecht für
Investitionen in die Zukunft eingesetzt. Für den Verkehrshaushalt bedeutet das pro Jahr einen Mittelzufluss von
2,9 Milliarden DM. Damit verbessern wir die Mobilität in
Deutschland. Mit einer Ausweitung der Investitionen in
das Schienen- und Straßennetz werden somit die Grundlagen für einen reibungslosen und energiesparenden Verkehrsfluss in Deutschland verbreitert. Bis zum Jahre 2003
werden diese zusätzlichen Investitionen 8,7 Milliarden
DM betragen und damit neue Impulse für die erfolgreiche
Beschäftigungspolitik dieser Bundesregierung geben.
({3})
Zweitens zu Investitionen in das Straßennetz: Für Investitionen in das Straßennetz werden einschließlich der
Mittel für das Zukunftsinvestitionsprogramm rund 9 Milliarden DM bereitgestellt. Rechnet man die Zuschüsse für
die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden hinzu, so sind rund 10 Milliarden DM für Investitionen in den Straßenbau vorgesehen.
({4})
- Hör zu! - Gegenüber 1998 - dem letzten Jahr der Regierung Kohl - ist das eine erhebliche Steigerung.
({5})
Mit den zusätzlichen Mitteln aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm werden über 120 lang ersehnte Ortsumgehungen gebaut, was in Ihrer Regierungszeit nicht möglich war.
({6})
Mir ist auch bewusst, dass die Mittel für den Straßenbau, gemessen an den Wünschen, noch höher sein müssten. Allein die Tatsachen, dass für Brückensanierungen in
Zukunft circa 80 Milliarden DM erforderlich sind, dass an
den zweispurig ausgebauten Autobahnen, auf denen sich
immer wieder Staus bilden, dringend die dritte Spur gebaut werden muss
({7})
und das im Rahmen der europäischen und innerdeutschen
Vernetzungen von Fernstraßen erhebliche Maßnahmen
zum Lückenschluss erforderlich sind, zeigen unter anderem, dass in Zukunft weitere massive Investitionen in den
Straßenbau erforderlich sind. Ich denke aber, dass wir
durch unsere realistische Planung der Verkehrsinvestitionen, die sauber gerechnet ist, der Bevölkerung nichts
mehr vorgaukeln und dass damit die unrealistische Spatenstichpolitik der ehemaligen Regierung Kohl endgültig
ein Ende hat.
({8})
Drittens zum kombinierten Verkehr: Zur Förderung
von Umschlaganlagen des kombinierten Verkehrs haben
wir die Mittel von 90 Millionen DM auf 120 Millionen
DM erhöht. Dabei nimmt der kombinierte Verkehr in unserer Politik einen großen Stellwert ein. Hierdurch erreichen wir einen erheblichen Verlagerungseffekt von der
Straße auf die umweltfreundlicheren Verkehrsträger
Schiene und Wasserstraße.
Viertens zu Investitionen in die Bahn: Gerade die neuesten Diskussionen über die Bahn AG haben viele Probleme, die in diesem Bereich existieren, ans Tageslicht
gebracht. Das einzig Erfreuliche an dieser Situation ist,
dass hier erstmals - ich sage das ganz bewusst - nach der
Bahnreform intensiv über den Zustand der Bahn und ihres Netzes diskutiert wird. Diese Regierung hat sich zum
Ziel gesetzt, die Investitionen in die Schienenwege den
Straßenbauinvestitionen gleichzusetzen.
In unserem Zukunftsinvestitionsprogramm veranschlagen wir daher für den Erhalt des Schienennetzes circa
6 Milliarden DM bis 2003 zusätzlich. Damit können unter anderem veraltete Signalanlagen, marode Brücken saniert und Langsamfahrstrecken beseitigt werden. Mit der
Umstellung der Finanzierung von Bestandsnetzinvestitionen von zinslosen Darlehen auf Baukostenzuschüssen
helfen wir der BahnAG erheblich bei der Finanzierung ihrer Aufgaben. Mit den jetzt vorgesehenen Investitionen in
die Schiene geben wir ein deutliches Signal pro Bahn.
({9})
Die Bahn AG ist jedoch aufgefordert, endlich eine Bilanz vorzulegen und ein Zukunftskonzept aufzuzeigen,
wie sie unter anderem erstens die Bahn attraktiver machen, zweitens mehr Verkehre von der Straße auf die
Schiene bringen, drittens das vorhandene Schienennetz
instand setzen und ausbauen, viertens neue in Deutschland erforderliche Strecken in einem europäischen Netz
ausbauen und fünftens den Nahverkehr neu organisieren
will.
({10})
Durch die Investitionen in die Bahn trägt die Bundesregierung zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen in der mittelständischen Bauindustrie, aber auch bei
der Bahn AG selbst bei. Ich fordere daher von dieser Stelle
aus den Bahnvorstand, an der Spitze Herrn Mehdorn, auf,
diese Zukunftskonzeption der Bahn schnellstens vorzulegen und mit uns zu diskutieren.
({11})
Ich sage aber auch, dass ein Arbeitsplatzabbau alleine,
so wie er zurzeit in den Medien diskutiert wird, zur Konsolidierung der Bahnfinanzen meines Erachtens nicht beitragen kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum
Schluss ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu meinem - ich sage das ganz bewusst - Lieblingsprojekt
Transrapid machen: Als am 5. Februar dieses Jahres die
Deutsche Bahn AG entschieden hat, aus wirtschaftlichen
Gründen die Strecke Hamburg-Berlin nicht zu realisieren, glaubte jeder - und manche, auch hier im Hohen
Hause, wünschten sich das -, dass der Transrapid nun
endgültig gestorben sei. Ich persönlich, aber auch der daGerhard Rübenkönig
malige Verkehrsminister Reinhard Klimmt und die Bundesregierung wollten dies nicht zulassen.
({12})
- Sie können ruhig sagen: „Ach du meine Güte!“ Aber es
ist so. - Somit wurden in Abstimmung mit den Ländern
zwei Strecken in Deutschland für eine weitere Planung
und Realisierung festgelegt.
({13})
In diesem Haushalt werden hierfür 6,1 Milliarden DM abzüglich der bereits verausgabten Mittel festgeschrieben.
Ich bin daher zuversichtlich, dass bis zur Fußballweltmeisterschaft 2006 der Transrapid von München City
zum Flughafen und ein so genannter Metrorapid in Nordrhein-Westfalen schweben werden.
({14})
Mit der Unterzeichnung des Memorandums zur Zusammenarbeit der Bundesregierungen der USA und der Bundesrepublik Deutschland bezüglich der - ({15})
- Wenn es Ihnen in dieser Sache Ernst wäre
({16})
- das haben Sie früher immer gesagt -, dann würden Sie
jetzt zuhören und erkennen, wie wichtig es für Deutschland ist, dieses Zukunftsprojekt nach vorne zu bringen.
({17})
Deshalb lassen Sie mich in Ruhe noch ein paar Ausführungen machen.
Mit der Unterzeichnung des Memorandums zur Zusammenarbeit der Bundesregierungen der USA und der
Bundesrepublik Deutschland bezüglich der Entwicklung
der Transrapidtechnik ist ein großer Schritt dahin getan,
dass auch in den USA eine Strecke gebaut wird. Die amerikanische Regierung hat hierfür bereits 2,3 Milliarden DM bereitgestellt.
({18})
- Nein, die Deutschen haben 6,1 Milliarden DM bereitgestellt. Es ist möglich, dass Sie das so einschätzen.
Kolleginnen und Kollegen, wie Sie aus den Medien
vernommen haben, steht eine Verwirklichung des Projektes von Schanghai zum Flughafen Pudong kurz vor dem
Abschluss. Ich gehe davon aus, dass entsprechende Verträge noch in diesem Jahr unterzeichnet werden und dass
mit dem Bau im Januar 2001 begonnen werden wird.
Mit der Realisierung dieses Projektes wird der Transrapid im Jahr 2003 erstmalig auf einer Anwendungsstrecke schweben. Ich hoffe, dass die Bundesregierung
die zugesagte finanzielle Unterstützung in den nächsten
Tagen konkretisieren wird und uns entsprechende Vorschläge gemacht werden. Ich persönlich bin zutiefst davon überzeugt, dass nach Realisierung der Projekte in
China, den USA und in Deutschland ein neues Zeitalter in
der Personenbeförderung eingeläutet wird.
Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes feststellen:
Der uns vorliegende Verkehrshaushalt ist ein Schritt
({19})
in eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik. Mit den eingestellten Investitionen gibt er ein Signal für eine bessere
Mobilität in unserer Gesellschaft. Er ist die Grundlage für
mehr Wachstum und mehr Beschäftigung. Deshalb bitte
ich Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Haushalt und bedanke mich gleichzeitig für Ihre Aufmerksamkeit.
Schönen Dank.
({20})
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Friedrich von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Ministerium für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ist ja richtig was los:
In knapp zwei Jahren drei Minister und immerhin zehn
Staatssekretäre! Absoluter Weltrekord!
({0})
Aber ob das die richtige Antwort auf die die Mobilität betreffenden Probleme in der jetzigen Zeit ist, muss man mit
einem Fragezeichen versehen. Wo bleiben denn die Antworten auf die wesentlichen Fragen des Lebens, die über
die dauernde Umbesetzung der Posten hinausgehen?
Wenn wir angesichts der Globalisierung in einer arbeitsteiligen Welt mit der Stärkung des Wirtschaftsstandortes
Deutschland tatsächlich Ernst machen wollen, dann brauchen wir mittlerweile eine Mobilitätsgarantie für alle Verkehrsträger, damit derjenige, der in den PKW, in den Zug
oder in das Flugzeug steigt, wenigstens einigermaßen zuverlässig weiß, wann er abfährt und - vor allen Dingen wann er ankommt.
({1})
Das ist mittlerweile nicht nur eine Frage der verkehrspolitischen Situation, sondern im Wesentlichen auch des
volkswirtschaftlichen Schadens. BMW hat errechnen lassen, dass allein durch die Staus auf den Autobahnen jährlich 200 Milliarden DM an Volksvermögen schlicht und
ergreifend verschleudert werden.
({2})
Vor dem Hintergrund muss man sich fragen, ob die
Investitionsprogramme, die Anti-Stau-Programme, die
Zukunftsinvestitionsprogramme - und wie sie alle sonst
noch heißen - tatsächlich ausreichende Antworten auf die
drängenden Fragen geben. Daran habe ich, meine Damen
und Herren von Rot-Grün, meine Zweifel. Vorschläge
gibt es ja genug.
Sie selbst haben eine hochrangige Kommission unter
Leitung von Herrn Pällmann eingesetzt. Er war immerhin
Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG und ist insofern unverdächtig hinsichtlich seiner Vorschläge zum
Straßenverkehr. Er hat Ihnen wesentliche Wahrheiten ins
Stammbuch geschrieben, die Sie aber offensichtlich nicht
akzeptieren wollen:
Erstens. Wir müssen, wenn wir es tatsächlich schaffen
wollen, bedarfsgerecht zu finanzieren, auf eine realistische Nutzerfinanzierung umstellen. Das hat die
Pällmann-Kommission ganz klar in ihrem Bericht festgestellt.
Zweitens. Die Umstellung - das ist der entscheidende
Punkt - der zeitbezogenen LKW-Gebühr auf eine
streckenbezogene bringt keine zusätzlichen Güter auf die
Schiene. Auch das ist im Pällmann-Bericht definitiv festgestellt worden. Das Einzige, was Sie umzusetzen versuchen - ob das zum 1. Januar 2003 gelingen wird, ist noch
mit einem Fragezeichen zu versehen -, ist eine Erhöhung
der LKW-Gebühr. Die Vorschläge reichen mittlerweile
von 25 Pfennig - das hat die SPD vorgeschlagen - bis hin
zu 40 Pfennig, die der Kollege Schmidt in die Diskussion
eingebracht hat. Dazwischen bewegen sich alle anderen
Vorschläge. Jeder kann sich auf der Spielwiese tummeln.
Die Tendenz - auch das ist schon deutlich worden - geht
eher dahin, so hohe Gebühren wie in der Schweiz zu erheben,
({3})
und das alles, ohne dem deutschen Transportgütergewerbe zu signalisieren, dass ein Ausgleich gewährt
werden wird, und in einer Zeit, in der alle europäischen
Länder um uns herum ihre Straßenverkehrsgütergewerbetreibenden auf nationaler Ebene kräftig unterstützen.
({4})
Mir liegt die offizielle Antwort der Bundesregierung
auf unsere Kleine Anfrage vom Oktober dieses Jahres vor.
Dass die Niederländer - Herr Müntefering bzw. Herr
Klimmt hat es mir sogar noch schriftlich bestätigt; das ist
beim Bundesverkehrsministerium noch gar nicht angekommen - dieses Gewerbe subventionieren, habe ich
schriftlich vorliegen. Mittlerweile steht es in den Unterlagen: Es gibt eine Rückvergütung von bis zu 17 Pfennig
pro Liter Sprit.
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Die F.D.P. und die Subventionen - das ist ein weites Feld!
Sie negieren das Thema einfach und sagen: Ja, wir
führen die EU-Förderlizenz ein, wir unterbreiten einen
Vorschlag zur Beseitigung der grauen Kabotage. - Das ist
alles richtig und wunderschön, kommt aber vier bis fünf
Jahre zu spät,
({5})
weil es bei der Bewältigung der jetzigen Probleme nicht
hilft. Das nächste Problem ist Ihr immer wiederkehrender
Glaube, die Bahn würde es schon richten.
Herr Kollege Rübenkönig, Sie haben soeben festgestellt, dass Sie aus den Windfall Profits der UMTS-Lizenzen zusätzliche Gelder bekommen haben, die Sie uns zu
verdanken haben. Die Grundlage für das Erzielen der Erlöse ist ja nicht von Ihnen geschaffen worden. Nun sind
Sie froh und hoffen, dass die 6 Milliarden DM in den
nächsten drei Jahren der Bahn helfen.
Sie haben hier - ich habe es zumindest nicht festgestellt - keine Antwort darauf gegeben, was denn mit der
Kostenüberschreitung der Bahn bei ihren drei großen Projekten geschehen wird, die sich mittlerweile - von der
Bahn selbst zugegeben - mindestens in derselben Höhe
summiert.
({6})
Es gibt mittlerweile sogar Aussagen, dass auf der Strecke
Köln-Rhein/Main die von der Bahn unterschriebenen
Kostenansätze um 4 Milliarden DM überschritten werden.
({7})
Auf all diese Fragen haben Sie im Haushalt - wenn Sie
es wirklich ernst meinten, müssten Sie dies tun - keine
Antworten gegeben und vor allen Dingen keine Rückfahrposition eingenommen.
({8})
Nun höre ich mit großem Wohlwollen, dass die Grünen
als mittlerweile letzte Fraktion außer der SPD gestern
- endlich! - öffentlich erklärt haben, die Herauslösung
des Netzes aus der Bahn AG wäre sinnvoll. Ich kann Sie
nur auffordern,
({9})
dem seit 22. Februar dieses Jahres vorliegenden Antrag
der F.D.P. zur Trennung von Netz und Betrieb im Deutschen Bundestag zuzustimmen. Wir haben mittlerweile
eine parlamentarische Mehrheit. F.D.P., CDU/CSU,
Grüne und PDS sind für die Trennung von Netz und Betrieb.
({10})
Horst Friedrich ({11})
Alle Sachverständigen im Deutschen Bundestag sind
für die Trennung von Netz und Betrieb.
({12})
Die einzigen, die sich immer noch verweigern, weil ja
nicht sein kann, was nicht sein darf, gehören der SPD an.
Aber auch die werden noch schlauer. Es dauert ein bisschen länger, aber es wird schon noch kommen.
({13})
Der letzte Punkt betrifft die Kapazität auf der Schiene
überhaupt. Originalton Mehdorn im Verkehrsausschuss
des Deutschen Bundestages vor wenigen Tagen: Ziel der
Bahn ist, den Anteil des Verkehrs auf der Schiene bis zum
Jahre 2015 um 50 Prozent zu erhöhen. 50 Prozent Erhöhung des Güteranteils zum jetzigen Zeitpunkt bedeuten
aber nur ungefähr 5 Prozent dessen, was derzeit auf der
Straße herumfährt.
({14})
- Das ist noch nicht einmal der Zuwachs eines Jahres!
Und das alles geschieht vor dem Hintergrund einer EUOsterweiterung, die uns nach Auffassung der EU-Kommission eine Steigerung des Verkehrsaufkommens von
60 Prozent - und davon wahrscheinlich 80 Prozent auf der
Straße - bringt. Auf diese Problematik geben Sie mit Ihren
Haushalten im Übrigen auch keine Antworten;
({15})
denn zu dem Thema „Grenzüberschreitende Verkehrsinfrastruktur kurzfristig signalisieren“ ist nichts zu sehen.
({16})
Wir haben den Antrag vorgelegt, dieses Thema neu zu
diskutieren, zum Beispiel bezüglich der planungsrechtlichen Möglichkeiten der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit; denn darauf müssen wir eine Antwort geben. Es kann
ja wohl nicht sein, dass die Verkehrswege aus der
Tschechei, aus Polen, aus anderen Ländern - wie schon
jetzt - an unsere Grenzen heranwachsen und dann nahtlos
in einen zweistreifigen Feldweg übergehen.
({17})
Wenn wir uns das leisten können, dann haben wir das
Thema eigentlich nicht ernst genommen. Sie bleiben in
Ihrem Haushaltsentwurf die Antworten auf all diese Fragen schuldig.
Das nächste Thema ist die Luftfahrt.
Es gibt ein wunderschönes Luftfahrtkonzept der Bundesregierung. Auch darin stehen wesentliche Dinge des Lebens. Einer der markantesten Sätze ist: Die Umlagerung
der möglichen Passagiere im Nahbereich auf die Schiene
löst kein einziges Problem der Luftfahrt.
({18})
Wir brauchen einen konsequenten Ausbau in Deutschland, was Flughafenkapazitäten angeht. Es gibt mittlerweile seriöse Gutachten, die von vier zusätzlichen Startund Landebahnen in Deutschland sprechen, um den
Nachfrageüberhang, um das Zuwachspotenzial von jährlich schätzungsweise 6 Prozent tatsächlich unterzubringen. Auf alle entscheidenden Fragen bleibt das Flughafenkonzept der Bundesregierung die Antwort eigentlich
schuldig.
({19})
Das, was Sie tatsächlich noch goutieren können - ich
meine das ausschließlich im positiven Sinne -, ist das,
was wir eingeleitet haben, nämlich eine organisationsund leistungsfähige Flugsicherung in Deutschland und
eine privatisierte Lufthansa, die bewiesen hat, dass sie,
losgelöst von den Fesseln des Staates, in der Lage ist, jedes Jahr ein Rekordergebnis vorzulegen.
Warum, so frage ich mich, liebe Kollegen von der SPD,
weigern Sie sich eigentlich, der Bahn ebenfalls die Wettbewerbssituation zu verschaffen? Warum weigern Sie
sich, Wettbewerb auf der Schiene zuzulassen? Warum
signalisieren Sie nicht endlich weiteren Wettbewerbern,
dass nicht Herr Mehdorn von der Bahn, sondern eine unabhängige Institution darüber entscheidet, wer die
Schiene zu welchen Zeiten und zu welchen Bedingungen
nutzen darf? Dann würde in diesem Bereich investiert und
die Bahn würde endlich in den Wettbewerb gezwungen
werden. Es müssten dann keine Krokodilstränen mehr darüber geweint werden, dass es in Deutschland schon so
viel Wettbewerb gibt.
Eine hohe Zahl von Unternehmen ist dem Wettbewerb
ausgesetzt. Nur, der Anteil von Verkehr auf der Schiene
liegt bei knapp 5 Prozent aller Wettbewerber außerhalb
der Bahn. Die Bahn ist also nach wie vor Monopolist. Was
sich im Bereich des Güterverkehrs anbietet, ist nicht unbedingt das Gelbe vom Ei.
({20})
Ich möchte noch etwas zum Transrapid sagen: Es ist
schon bezeichnend, dass wahrscheinlich ausgerechnet
China die Vorteile dieses Systems erkannt hat
({21})
Horst Friedrich ({22})
und unter Umständen eher als die so technikfreundliche
SPD in der Lage ist, dieses System umzusetzen.
({23})
Ob das mit den im Haushalt ausgewiesenen Ansätzen zu
machen ist - die Chinesen rechnen vielleicht damit, um
das System umzusetzen -, bleibt dahingestellt.
({24})
Sehr verehrter Herr Verkehrsminister, wir werden Ihre
Arbeit kritisch verfolgen. Wir werden Ihnen zu gegebener
Zeit auch unbequeme Fragen stellen. Diesen Haushalt
können wir allerdings nicht mittragen, weil er zu den von
uns gestellten richtigen Fragen die falschen Antworten
gibt. In diesem Sinne!
({25})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Franziska
Eichstädt-Bohlig das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte auch ich für unsere Fraktion unseren neuen Minister, Herrn Bodewig, ganz herzlich begrüßen. Das Gleiche gilt für unsere neue Parlamentarische
Staatssekretärin, Angelika Mertens, und unseren neuen
Parlamentarischen Staatssekretär, Stephan Hilsberg. Dass
ihr jetzt auf dieser Bank sitzt, das finde ich spannend. Ich
freue mich auf eine gute Zusammenarbeit.
({0})
- Danke schön, Herr Kollege Oswald, das ist völlig richtig: Ein Dank an die Ausgeschiedenen!
({1})
- Ja, an Elke Ferner, aber auch an den Kollegen Scheffler.
Das ist schon richtig.
Zum Einzelplan 12. Trotz der Miesmache des Kollegen
Kalb und des Kollegen Friedrich:
({2})
Ehrlich gesagt, mir macht die Rede zum Einzelplan 12
heute richtig Spaß. Ich lasse mir diese Laune auch nicht
verderben; denn wir können heute in gewissem Sinne einen ganz großen Erfolg feiern.
({3})
Am allermeisten möchte ich mich bei den roten und bei
den jetzt nicht anwesenden grünen Haushältern dafür bedanken,
({4})
dass sie für den Haushalt des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen so aktiv gestritten haben. Wir sind in ganz besonderer Weise, Herr Kollege
Friedrich, die Nutznießer der UMTS-Profite in dem Zukunftsprogramm geworden. Das kommt nicht nur uns,
sondern vor allen Dingen der Bauwirtschaft zugute, die es
auch wirklich bitter nötig hat.
({5})
Von daher ist das, was uns in den letzten Wochen gelungen ist, gar nicht hoch genug zu bewerten.
Ich werde jetzt nichts zur Bahn und zum Straßenbau sagen; das macht nachher noch mein Kollege Ali Schmidt.
Vielmehr möchte ich etwas ansprechen, was bisher noch
nicht zur Sprache gekommen ist. Wir haben auch im
Bauressort enorme Erfolge zu verzeichnen. Ich bitte daher die Kollegen, die sich sonst ausschließlich mit dem
Verkehrsbereich befassen, auch einmal zuzuhören.
({6})
- Das kann sich nämlich auch sehen lassen, nicht wahr,
Herr Kollege Kansy?
Es ist uns gelungen, für die Altbausanierung, für die
die alte Regierung ein ganz bescheidenes CO2-Minderungsprogramm mit einem Budget von 16 bis 20 Millionen DM hatte, ein echtes Förderungsvolumen in Höhe
von jährlich 400 Millionen DM für fünf Jahre zu realisieren. Ich finde das sensationell.
({7})
Damit werden wir es schaffen, ein Kreditvolumen von
jährlich 2 Milliarden DM für die Altbausanierung, für
CO2-Minderung und damit für den Klimaschutz im Baubereich auf den Weg zu bringen. Das sind 10 Milliarden DM. Selbstverständlich werden wir uns darum
bemühen, dass dieses Programm nach 2005 fortgesetzt
werden wird. Das ist ein enormer Beitrag für Umwelt und
Arbeit. An dieser Stelle bedanke ich mich nicht nur bei allen hier im Hause, sondern auch beim Bündnis für Arbeit,
in dem sich die Untergruppe für Umwelt und Arbeit in besonderer Weise für dieses Programm engagiert hat. Mit
ihm leisten wir sowohl etwas für die Umwelt als auch für
die Beschäftigung in der Bauwirtschaft.
({8})
Horst Friedrich ({9})
Als Zweites ist es gelungen, den Verpflichtungsrahmen
für die Städtebauförderung West, über die immer wieder gesagt wird, wir schafften hier nichts, noch einmal um
100 Millionen DM aufzustocken. Auch das zeigt, dass wir
uns nicht von der Neubautätigkeit abhängig machen. Wir
wissen genau, dass wir inzwischen in Ballungsräumen
Wohnungsüberangebote haben, sodass wir nicht ständig
den Wohnungsbestand ausweiten müssen, sondern Schritt
für Schritt die Bestandsorientierung und Bestanderneuerung verstärken können. Das ist uns sehr wichtig. Dazu
dienen beide Bausteine, die ich eben genannt habe, und
dazu dient indirekt auch das Programm „Soziale Stadt“.
Auch hier ist es uns gelungen, noch einmal
50 Millionen DM auf den Verpflichtungsrahmen aufzusatteln. Auch das ist sehr wichtig, denn es hat sich ja gezeigt, dass gerade dieses Programm in unseren Städten
enorm nachgefragt wird.
({10})
Ein Drittes: Vor einem Jahr war es noch nicht möglich,
das Wort „Leerstand Ost“ öffentlich in den Mund zu
nehmen; da galt dies noch als unschicklich. Seither haben
wir, Rot und Grün, erst einmal intensiv daran gearbeitet,
dass das Problem überhaupt wahrgenommen wurde, und
dann dafür gesorgt, dass der Bund seinen Beitrag zur Lösung des Problems in diesem Jahr sehr engagiert vorangetrieben hat. Wir stellen jetzt einen Verpflichtungsrahmen in Höhe von 700 Millionen DM in den Einzelplan 12
ein. Aus diesen Mitteln wird in Härtefällen Hilfe für Wohnungsunternehmen geleistet, die ihre Altschulden wegen
zu großen Wohnungsleerstands nicht finanzieren können.
Parallel dazu hat das Ministerium die entsprechende Verordnung auf den Weg gebracht. Wir haben dazu im Frühsommer die Verordnungsermächtigung beschlossen. Von
daher haben wir jetzt die Tür für die schwierige Aufgabe
des Stadtumbaus Ost geöffnet. Wir werden weiterhin darauf achten, dass dieses schwierige Thema auch wirklich
Schritt für Schritt einer Lösung zugeführt wird. Auch
dafür bedanke ich mich bei den Haushältern.
({11})
Lassen Sie mich noch einen vierten Punkt ansprechen.
Wir haben es schon im letzten Haushalt, dem harten Sparhaushalt, geschafft, dass ab dem 1. Januar 2001 die Wohngeldnovelle greifen wird. Auch das ist eine großartige
Leistung. Gerade in diesem Winter, in dem ja die Heizölpreise gestiegen sind - die Opposition weiß allerdings
nicht, dass die Heizölpreise ohne Ökosteuer gestiegen
sind; aber das lernt sie eben erst allmählich - bringt diese
Wohngeldnovelle eine wirkliche Entlastung. Mit dem besonderen Heizkostenzuschuss, den wir überwiegend aus
dem diesjährigen Haushalt, punktuell aber auch aus dem
Haushalt 2001 finanzieren, satteln wir noch einmal drauf.
({12})
Wer sich immer beschwert, wir würden nicht arbeiten
und die Dinge kräftig vorantreiben, muss sich einmal genau anschauen, was in dieser Koalition passiert. Viele
Bausteine kommen zusammen. Inzwischen haben wir
schon ein ganz solides Haus gebaut.
({13})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Christine Ostrowski
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich muss Ihren Spaß natürlich etwas
dämpfen, Frau Eichstädt-Bohlig; Sie werden das ja auch
nicht anders erwarten.
({0})
Manfred Rommel war ein kluger Mann. In seinem politischen Lexikon steht folgender Satz:
Noch nie hat einer die Wirklichkeit dadurch verbessert, dass er sie geleugnet hat.
Ich muss sagen, das ist ein treffendes Motto; denn der
Bauhaushalt und die Realität gehen nicht immer zusammen. Im Gegenteil: Sie klaffen in manchen Positionen
ganz schön auseinander.
({1})
Erstes Beispiel: Wohngeld. Ab nächstem Jahr steigen
die Wohngeldleistungen für die bisher Berechtigten um
ungefähr 50 Prozent. Außerdem vergrößert sich der Anspruchskreis durch die Erhöhung der Einkommensgrenzen, das heißt, neue Haushalte kommen hinzu und andere, die in den letzten Jahren herausgefallen waren, haben
wieder einen Anspruch. Es ist also mit einem Anstieg der
Mittel zu rechnen. Das DIW schätzt - ganz aktuell, Sie
können das im letzten Wochenbericht nachlesen -, dass
mittelfristig Mehraufwendungen von bis zu 1,5 Milliarden
DM benötigt werden. Das entspricht im Übrigen auch
Ihren Rechnungen; als Sie die Wohngeldnovelle eingebracht haben, haben Sie die gleichen Zahlen genannt. Für
das nächste Jahr rechnet das DIW - das entspricht auch unseren Überlegungen - mit 9 Milliarden DM insgesamt.
Das würde für den Bund 4,5 Milliarden DM bedeuten. Sie
setzen nunmehr nur 3,9 Milliarden DM an. Man fragt sich:
Warum dieser unrealistische Ansatz? Ich sehe dafür drei
Gründe.
Erster Grund: Es besteht ein Rechtsanspruch auf
Wohngeld. Daher ist es fast schon egal, welche Summe
Sie in den Haushalt schreiben. Zahlen müssen Sie am
Ende auf jeden Fall. Weil das so ist, eignet sich die Position Wohngeld wunderbar zum Zurechtrechnen des Haushaltes: Denn über eine überplanmäßige Ausgabe am Jahresende regt sich niemand auf, die kriegt keiner mehr mit.
Zweiter Grund: Sie kalkulieren niedrigere Zahlungen
bei den Sozialhilfeempfängern. Sozialhilfeempfänger
werden bekanntlich nicht mehr nach ihren Unterkunftskosten bezuschusst, sondern nach Mietobergrenzen.
Zwei-Personen-Sozialhilfehaushalte überschreiten bei
der Mietstufe III zu 26 Prozent, bei der Mietstufe V zu
38 Prozent und bei der Mietstufe VI zu 60 Prozent die
neuen Mietobergrenzen. Für diese Überschreitungen
müssen jetzt die Gemeinden aufkommen. Dass Sie auf
Kosten der Schwächsten sparen, geben Sie in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf sogar klipp und klar
zu. Dort reden Sie Klartext und sagen: Es wird eine Leistungsminderung geben. Sie zahlen weniger Wohngeld
und verlangen von den Kommunen, dass die Unterkunftskosten per Sozialhilfe aufgebracht werden.
({2})
Diesem finanziellen Druck werden die Gemeinden einfach dadurch ausweichen, dass Sozialhilfeempfänger in
billigere Wohnungen kommen.
Dritter Grund: Sie hoffen, dass durch sinkende Arbeitslosenzahlen auch die Zahl der Wohngeldberechtigten sinkt.
({3})
Mag sein - Prinzip Hoffnung. Ich nenne nur drei Stichworte: weit über 3 Millionen ausschließlich geringfügig
Beschäftigte, Lohnzurückhaltung, Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung.
Fazit eins: Ihr Wohngeldansatz geht unseres Erachtens
an der Realität vorbei.
({4})
- Darüber habe ich geredet, haben Sie mir nicht zugehört?
({5})
Punkt zwei: der ostdeutsche Wohnungsmarkt.
Schaut man in die Ost-Haushaltspositionen des Planes
12 25, dann kommt man sich vor wie im falschen Film.
Ungeachtet der konkreten Realität, unbeeinflusst von der
Wohnungsmarktkrise, vom Leerstand und vom Konkurs
von Wohnungsunternehmen setzen Sie wie eh und je das
überholte und tradierte Schema an: Hier das Programm
für dieses, da jenes Programm für jenes; hier Städtebauförderung - und gnade Gott, auch nur eine Mark soll für
Abriss verwendet werden -, da sozialer Wohnungsbau und gnade Gott, man will mit nur einer Mark einen Spielplatz mitfinanzieren. Wir hatten beantragt, die getrennten
Programme zu einem einzigen Fonds zusammenzufassen,
aus dem je nach Lage vor Ort Sanierung, Stadtentwicklung, Abriss, Wohnumfeld usw. finanziert werden kann.
Das war ein intelligenter Vorschlag.
({6})
Er kostet Sie keine Mark mehr, aber er hätte der ostdeutschen Wirklichkeit hundertmal besser entsprochen als
Ihre überholte, starre Struktur. Aber Sie konnten sich ja
nicht einmal dazu durchringen, diesen Vorschlag zu
akzeptieren.
Ihr einzig konkretes finanzielles Zugeständnis - das
muss einmal festgehalten werden - sind die 60 Millionen DM, die im nächsten Jahr für existenzbedrohte
Wohnungsunternehmen für die Entlastung beim Wohnungsabriss vorgesehen sind. Das betrifft ungefähr 7 000
Wohnungen. Es gibt aber 1 Million Leerwohnungen.
Auch der Verpflichtungsrahmen von 700 Millionen DM
reicht nicht aus - er reicht nur für die Härtefälle -, die generelle Situation in Ostdeutschland zu entkrampfen.
Wir haben beantragt - und zwar rechtzeitig, bevor Sie
die UMTS-Geschenke aufgeteilt haben -, 3 Milliarden DM davon zur Streichung der Altschulden einzusetzen. Auch dieser Antrag wird den Weg alles Irdischen gehen; das ist uns bewusst. Dieser Punkt ist heute schon
mehrfach strapaziert worden: Wer in letzter Minute
10 Milliarden DM für einen Großraumtransporter der
Bundeswehr zusammenbringt, aber auf der anderen Seite
nicht bereit ist, 3 Milliarden DM für die Streichung der
Altschulden im Osten auszugeben, der interessiert sich
nicht wirklich für den Osten.
({7})
Fazit zwei: Haushalt und Ostrealität sind wie Feuer und
Wasser.
Punkt drei: Investitionen. Die Investitionen im Wohnungswesen sinken, wie ein Diagramm über die Bundesausgaben im Wohnungswesen zeigt.
({8})
- Darüber können Sie ja reden. - Ihre Investitionen gehen
also nach unten.
({9})
Die Ausgaben für den Wohnungsbau sind bereits unter die
Grenze für den Ersatzbedarf gesunken.
({10})
- Sie verstehen vielleicht etwas vom Einmaleins, aber
vom Bauwesen haben Sie keine Ahnung.
({11})
Seien Sie also bitte ruhig oder stellen Sie mir eine Zwischenfrage. Dann habe ich mehr Redezeit, Ihnen das zu
erklären.
Man kann sich darüber streiten, ob man jährlich 400 000
oder 500 000 Wohnungen braucht. Worüber man sich nicht
streiten kann: Wenn man die Lebensdauer einer Wohnung
mit 100 Jahren ansetzt, dann kommt man um 380 000 neue
Wohnungen jährlich nicht herum. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Darunter zu bleiben hieße schleichender
Substanzverzehr, neue Wohnungsknappheit, steigende
Mieten und schließlich - gezwungenermaßen - erneut hohe
Subventionen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen.
Besonders schwer wiegt in diesem Zusammenhang Ihr
Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau, auf dessen Reform wir nach wie vor warten. Folgende Bemerkung passt
gut an diese Stelle: Der perfide Umgang mit den Eisenbahnerwohnungen ist wohl das Letzte.
({12})
Sie haben Wahlversprechen gebrochen. Für eine einmalige Einnahme verkaufen Sie 114 000 Wohnungen. Ich
halte das für einen ungeheuerlichen Vorgang.
Fazit drei: Auch bei Investitionen hat der Haushalt mit
der Realität herzlich wenig zu tun.
Punkt vier: CO2-Minderungsprogramm. Ich verstehe Frau Eichstädt-Bohlig, dass sie sich sehr darüber
freut. Vielleicht tritt ja auch der gewünschte Effekt ein.
Aber ich bitte Sie, auf den Boden der Realität zurückzukommen. Es ist ja nicht so, dass in diesem Bereich noch
nichts unternommen wurde. Die Bundesregierung hat ein
interessantes Diagramm veröffentlicht, das den CO2-Ausstoß für die Jahre 1990 bis 1998 zeigt.
({13})
Dieses Diagramm zeigt, dass der CO2-Ausstoß der privaten Haushalte trotz der Mitte der 90er-Jahre in Kraft gesetzten Wärmeschutz- und Heizungsanlagenverordnung,
trotz des bereits vorhandenen CO2-Minderungsprogramms und der Ökozulage vom Jahr 1990 bis zum Jahr
1998 gestiegen ist. Die entsprechende Kurve ist zwar eine
Zickzackkurve, aber der Trend zeigt nach oben.
({14})
Ich muss Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob Sie
einmal analysiert haben, woran das liegt. Ehe man neue
Steuergelder für einen gut gemeinten Zweck ausgibt,
möchte man doch bitte schön wissen, warum alle Maßnahmen der vergangenen Jahre das gewünschte Ziel nicht
erreicht haben. Ansonsten geht man unwirtschaftlich an
das Problem heran. Das hat mit der Realität nichts zu tun.
Frau
Ostrowski, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum
Schluss.
Ihr Haushalt liegt fern der Wirklichkeit. Vielleicht liegt
das daran, dass es schon den dritten Minister für dieses
Ressort gibt. Alle Minister waren nur Verkehrsminister.
Keiner hat nämlich auf mich den Eindruck gemacht
- auch Sie nicht, Herr Bodewig, bei Ihrem Amtsantritt -,
dass er ein Herz für das Wohnungswesen hat. Sie haben
sich ausschließlich zum Verkehrswesen geäußert. Sie waren alle nur Verkehrsminister.
Ich möchte aber endlich einen Bauminister haben,
dessen Herz auch für das Bau- und Wohnungswesen
schlägt; denn Wohnungsunternehmen, Genossenschaften,
private Vermieter, Kommunen und vor allem die Mieter
verdienen einen anderen Haushalt. Sie finanzieren ihn
nämlich zu einem großen Teil mit. Vergessen Sie das nie!
({0})
Wir kommen zur zweiten Runde. Ich darf darauf hinweisen, dass
die geplanten Redezeiten nicht unbedingt eingehalten
werden müssen. Sie können unterschritten werden.
({0})
- Sie dürfen nicht überschritten werden, aber sie können
unterschritten werden.
Der nächste Redner ist der Kollege Dietmar Schütz von
der SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der städtebau- und wohnungspolitische Teil des Einzelplans 12 hat, Herr Kalb,
durch unsere Bemühungen einen sehr deutlichen Aufwuchs hin zu mehr Investitionen erfahren. Der Investitionsanteil des gesamten Haushaltsplanes beträgt jetzt
etwa 56 Prozent und gehört damit immer noch zu den investitionsfreundlichsten und am meisten mittelstandsorientierten Haushalten insgesamt.
Ich will einige Investitionsbereiche nennen.
Zu unseren ambitioniertesten Vorhaben - darauf ist
vorhin schon von meiner Vorrednerin von den Grünen
hingewiesen worden - gehören die Maßnahmen zum Altbausanierungsprogramm bzw. CO2-Minderungsprogramm. Dafür haben wir in diesem Jahr 400 Millionen DM sowie für die Jahre 2002 bis 2005 viermal
400 Millionen DM eingestellt. Durch die Bereitstellung
der Zinsen werden etwas mehr als 200 000 Wohnungen
sanierungsfähig. Durch dieses Kreditprogramm haben
wir mehr als 10 Milliarden DM aktiviert.
Endlich, Frau Ostrowski, wird mit diesem Programm
der Erkenntnis der ersten Enquete-Kommission Klima
Rechnung getragen, dass die gesamte CO2-Belastung um
etwa 40 Prozent im Wohnungsbau reduziert werden kann.
({0})
Rot-Grün handelt an dieser Stelle. Sie haben gesagt, das
sei Unsinn.
({1})
Die klare Positionierung dieser Energiepolitik müssen
Sie natürlich auch im Zusammenhang mit den anderen
Haushaltstiteln sehen. Man darf nicht immer nur seinen
eigenen Haushalt anschauen, sondern kann sich zum Beispiel auch den Wirtschaftshaushalt seines Kollegen ansehen, mit dem die Forschung finanziert wird. Auch das
100 000-Dächer-Programm zur Förderung der Solarenergie und das Erneuerbare-Energien-Gesetz sind solche Beispiele.
({2})
Wenn wir all das zusammennehmen, kann man feststellen, dass wir wirklich etwas in die Hand genommen haben. Ich bin stolz, dass wir das gemeinsam getan haben.
({3})
Es gibt ein vorzeigbares Gesamtprogramm dieser Regierung, das den Betonköpfen der Global Climate Coalition auf der Weltklimakonferenz in der vorigen Woche die
Schamröte hätte ins Gesicht treiben können.
({4})
Wir tun etwas; Sie haben das nicht getan. Das ist der Unterschied zwischen uns.
Kollege Kalb, dieses Altbausanierungsprogramm ist
ein Mittelstandsförderungsprogramm erster Güte für
Klempner, Dachdecker, Zimmerleute, Installateure und
die gesamte Bauindustrie. Auch in anderen Bereichen gibt
es Mittelstandsförderungsprogramme, zum Beispiel im
Anlagenbau. Das ist keine Sache der Großindustrie, sondern Mittelstandsförderungspolitik, auf die wir stolz sind.
({5})
Ich freue mich, dass wir Haushälter das mit durchgesetzt haben. Da haben wir mit unseren Kollegen gut zusammengearbeitet.
Der zweite Bereich. Wir haben vor einem Jahr hier in
der Haushaltsdebatte auf unsere Verpflichtungen hingewiesen, die sich aus den veränderten Bedingungen auf
dem Wohnungsmarkt mit Auswirkung auf das Wohngeld
ergeben. Die Wohngeldnovelle, Frau Ostrowski, tritt am
1. Januar 2001 in Kraft. Wir haben unsere Hausarbeiten
jetzt zum größten Teil erledigt, teilweise ohne die Länder.
Wir lösen mit der Finanzierung der Wohngeldnovelle unser wichtigstes wohnungs- und sozialpolitisches Versprechen ein. Der Reformstau der Vorgängerregierung wird
beseitigt, die Gerechtigkeitslücke wird geschlossen.
({6})
Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Mietbelastung der Privathaushalte in den alten Ländern nach Wohngeld von 23 Prozent im Jahr 1990 auf 31 Prozent im Jahr
1998 gestiegen war, also von knapp einem Viertel auf
knapp ein Drittel des gesamten Haushaltseinkommens.
Viele Haushalte mit Einkommen nur knapp oberhalb der
Sozialhilfegrenze hatten ihren Wohngeldanspruch völlig
verloren. Das ändern wir jetzt mit der Wohngeldnovelle.
Ich denke, dafür gebührt uns Dank.
({7})
Zusätzlich zu den 2,8 Millionen Haushalten, die derzeit
Wohngeld bekommen, werden 400 000 Haushalte wieder
oder erstmalig Wohngeld erhalten. Diese Haushalte liegen
insbesondere in den neuen Ländern.
Dieser Titel, Frau Ostrowski, ist nach unseren Vorstellungen auch völlig ausreichend finanziert. Es besteht doch
ein Rechtsanspruch. Deswegen habe ich Sie vorhin überhaupt nicht verstanden, als Sie gesagt haben, dass das
Ganze nicht finanziert sei. Es ist ein Schätztitel und es besteht ein Rechtsanspruch. Deswegen ist das, was Sie gesagt haben, für einen, der ein bisschen Ahnung davon hat,
völlig unverständlich.
({8})
Wir haben hier vernünftig gehandelt und etwas Richtiges
gemacht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
zum dritten Punkt: Wir haben im vorigen Jahr interfraktionell über die Mittelausstattung des Programms „Soziale Stadt“ gestritten. Denn ein Kollege, der jetzt
Oberbürgermeister in Krefeld geworden ist,
({9})
hatte behauptet, wir wollten damit nur Sozialprogramme
finanzieren. Wir haben jetzt durch die in diesem Zusammenhang sehr erfolgreich angelaufenen Programme bewiesen - davon sind Sie mittlerweile überzeugt -, dass
diese Programme vernünftig sind, wir die Programme
richtig angepasst haben und dass wir keine Marterinstrumente in Form von qualifizierten Sperrungen usw. benötigen.
({10})
Wir alle sind überzeugt, dass die Erhöhung der Integrationskraft unserer Städte und deren Wohnquartiere gerade auch vor dem Hintergrund der jüngsten Diskussion
über desorientierte Jugendliche, Rechtsradikale und Skinheads in bestimmten Wohnquartieren unbedingt erforderlich ist. Wir können doch nicht immer nur Demonstrationen organisieren, sondern müssen auch die Bedingungen
ändern, zum Beispiel durch solche Programme wie das
der „Sozialen Stadt“,
({11})
mit dem wir das Wohnumfeld sowie die Lebensumstände
verändern und mit dem wir etwas für Bürger in sozialen
Brennpunkten tun. Das haben wir durch die Verbesserung
der Wohnquartiere getan. Wir haben den Ansatz von
100 Millionen DM um 50 auf 150 Millionen DM erhöht.
Ich glaube, das wird seine Folgen haben. Sie werden das
nächste Mal vielleicht fordern, noch einmal draufzusatteln, weil Sie dann wahrscheinlich der Meinung sein werden, dass dieses Programm sehr gut und erfolgreich ist.
({12})
Ein letzter Punkt im Rahmen des Investitionsprogramms: Wir haben den für die Städtebauförderung vorgesehenen Ansatz erhöht und diesen insbesondere auf den
Städtebau Westdeutschlands fokussiert. Das zuständige
Fachressort hatte den für das Jahr 2000 für die Städtebauförderung Ostdeutschlands festgelegten Ansatz in
Dietmar Schütz ({13})
Höhe von 520 Millionen DM für das Jahr 2001 beibehalten, weil die Hausarbeiten in der Städtebausanierung
in Ostdeutschland natürlich noch lange nicht abgeschlossen sind. Trotz der eklatanten Fehler in der städtebaulichen Entwicklung finde ich, dass dieser richtigerweise
hohe Ansatz der Stadtsanierungsmittel für Ostdeutschland
erhalten bleiben muss und dass diese Mittel weiterfließen
müssen.
Gleichwohl bleibt aber auch in Westdeutschland die
Aufgabe, die Städtebauförderung erhalten. Die nicht zu
üppige Erhöhung des Gesamtansatzes um 100 Millionen DM auf 180 Millionen DM halten wir deshalb für unabdingbar erforderlich. Wir müssen unsere Förderung zunehmend in den Bestand lenken, darauf unser Augenmerk
konzentrieren und sehen, dass dort noch vieles verbesserungswürdig ist.
Ich will an dieser Stelle keine Diskussion über die Förderung im Bereich des Bestandes und im Neubaubereich
beginnen; denn das würde sehr weit führen.
({14})
Aber als Haushälter haben wir die richtigen Maßnahmen
ergriffen und für die Städtebauförderung im Westen noch
einmal 100 Millionen DM draufgelegt.
({15})
Meine Damen und Herren, auch wenn der Haushaltstitel des Modellprogramms zur Weiterentwicklung des
Wohnungs- und Städtebaus, kurz ExWoSt, also experimenteller Wohnungs- und Städtebau, genannt, verhältnismäßig gering ist, möchte ich trotzdem auf ihn eingehen.
Im ExWoSt-Programm werden städtebauliche und wohnungspolitische Instrumente entwickelt, getestet, weiterentwickelt und erprobt, zugespitzt und bei Bedarf auch
wieder fallen gelassen. Dieser experimentelle Wohnungsund Städtebau ist quasi das Frühbeet und das Experimentierfeld für größere Vorhaben in Richtung nachhaltige Entwicklung in unseren Städten.
Wir sind gut beraten, diese Instrumente weiter zu erproben und für die großen Programme der Städtebauförderung, des Wohnungsbaus, der Eigenheimförderung und
der „Sozialen Stadt“ richtige und kostenschonendere Rahmenbedingungen zu formulieren. Hierfür haben wir
5 Millionen DM mehr in die Hand genommen. Ich glaube,
die sind richtig und gut angewendet. Sie sollten das durch
Ihren Beifall unterstützen. Zumindest wir haben gehandelt.
({16})
Eines der zentralen Probleme der ostdeutschen Wohnungswirtschaft ist - darüber haben schon einige Vorredner gesprochen - der Leerstand insbesondere in den Plattenbaugebieten.
({17})
Wir haben die Leerstandsproblematik, die dann auch zur
Schuldenproblematik wird - diese Leerstände müssen ja
auch finanziert werden -, mit einem Baransatz von
60 Millionen DM und einem Gesamtansatz von 700 Millionen DM im Rahmen des Altschuldenhilfe-Gesetzes ergänzt und durchfinanziert. Nach unseren Berechnungen,
Frau Ostrowski, ist das ausreichend, um die Altschuldenproblematik in den Griff zu bekommen. Wir können darüber noch im Einzelnen diskutieren. Leider wird mir gerade signalisiert, dass meine Redezeit abgelaufen ist;
deshalb kann ich darauf nicht weiter eingehen.
Zusammenfassend möchte ich feststellen: Der Investitionsanteil in diesem Einzelplan, den wir durch Haushaltsansätze im Rahmen der Altbausanierung um etwa
2 Milliarden DM, im Rahmen des Altschuldenhilfe-Gesetzes um 700 Millionen DM, durch Haushaltsansätze
zur Städtebauförderung West um 100 Millionen DM und
zum Programm „Soziale Stadt“ um 50 Millionen DM erhöht haben, hat ein Volumen von fast 3 Milliarden DM.
Wir haben also noch einmal draufgesattelt. Nehmen Sie,
Kollege Kalb, das einmal zur Kenntnis. Dann müssten Sie
sich in Bezug auf den Angriff in Ihrer Rede, wir hätten
keine Investitionsbereitschaft gezeigt, keines Besseren
belehren lassen. Wir sind stolz und froh, dass wir für den
Wohnungs- und Städtebau richtig viel getan haben.
({18})
Ich glaube, wenn Sie richtig nachdenken, werden Sie das
auch unterstreichen können.
Ich danke Ihnen.
({19})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dirk Fischer
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder kommt ein neuer Verkehrsminister und macht neue
Versprechungen, die gebrochen werden, insgesamt bleibt
es aber doch bei drastischen Kürzungen im Verkehrshaushalt.
({0})
Aus dem Ministerium ist schon zu hören, in dieser Legislaturperiode sei keine ergebnisorientierte Sacharbeit
mehr möglich, allein schon aufgrund der ständigen Ministerwechsel, von der völlig missratenen Zwangsfusion von
Verkehrs- und Bauministerium ganz abgesehen. Stark ist
diese rot-grüne Bundesregierung eigentlich nur im Tricksen, Tarnen und Täuschen.
({1})
Ihr Investitionsprogramm 1999 bis 2002 und das
Anti-Stau-Programm sollen - so sagen Sie - Klarheit und
Wahrheit für die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen bringen. Das krasse Gegenteil ist der Fall. Das Investitionsprogramm ist in Wahrheit ein Investitionskürzungs- und
Dietmar Schütz ({2})
Täuschungsprogramm. Kürzungsprogramm deshalb, weil
Straßenbaumittel für den Zeitraum 1999 bis 2002 nur in
Höhe von rund 18 Milliarden DM vorgesehen sind,
({3})
also eine Kürzung gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung von Verkehrsminister Wissmann um rund 5 Milliarden DM.
({4})
Täuschungsprogramm, weil es in Wahrheit nicht 2002,
sondern allerfrühestens 2010 abgearbeitet sein wird. Der
größere Teil der Straßenbauinvestitionen liegt nämlich
außerhalb dieses Zeitraums. 22 Milliarden DM sind erst
für die Zeit ab 2003 vorgesehen. Jeder kann sich ungefähr
vorstellen, welche Bedeutung ein IP 1999 bis 2002 hat,
wenn der große Finanzkuchen erst hinterher zur Verfügung steht. Bei Schiene und Binnenwasserstraße ist die
Situation noch viel krasser. Drei Viertel der investiven
Mittel hierfür sind erst für die Zeit nach 2002 vorgesehen.
Ein Anti-Stau-Programm ist bei der gegenwärtigen
Lage auf Deutschlands Straßen besonders dringlich. Das
gilt aber nicht, wenn der Name eine trügerische Fassade
für Straßenbauverzögerungsprogramme ist. Es wird eine
beschleunigte Engpassbeseitigung suggeriert; in Wahrheit
werden aber dringliche Maßnahmen auf die Zeit nach
2003 vertagt und jetzt gar nicht angepackt.
({5})
Dass ein Anti-Stau-Programm aus einer LKW-Maut
finanziert werden soll, ist in Ordnung: dass aber von den
geplanten Einnahmen von 20 Milliarden DM im Zeitraum 2003 bis 2007 nur 3,7 Milliarden DM wieder in den
Straßenbau zurückfließen, beweist erneut, dass der Straßengüterverkehr mittels unzumutbarer Gebührensteigerungen nur als Schröpfkuh missbraucht wird.
({6})
Um es deutlich zu sagen: Die Straßenbenutzungsgebühr für LKWs wird um 500 Prozent erhöht - für viele
Unternehmen ist das absolut ruinös - und weniger als
20 Prozent der Einnahmen werden für den Straßenbau
verwendet. Das ist völlig unzumutbar.
Nicht nur bei uns, sondern auch in der Öffentlichkeit
und bei Verbänden mehren sich die Zweifel, ob die nutzungsabhängige elektronische LKW-Maut überhaupt
2003 eingeführt wird. Es könnte noch ziemlich spannend
werden, wie der Minister das versprochene Anti-StauProgramm dann finanzieren wird. Deswegen hat er das InKraft-Treten dieses Programms vorsichtshalber schon
einmal hinter die nächste Bundestagswahl verschoben.
Vieles wird wohlklingend in so genannte Zukunftsprogramme verpackt. Diese Programme sind aber nichts als
Leimruten, die ausgelegt werden, damit Bürger und Wirtschaft dieser Regierung auf den sprichwörtlichen Leim
gehen. Nur einmal vorhandene Mittel werden in verschiedene Programme eingestellt und tauchen in Teilmengen immer wieder auf.
({7})
Auf diese Art und Weise werden sie in der Öffentlichkeit
mehrfach verkauft und es wird der Eindruck erzeugt, als
gebe es immer mehr Geld; in Wahrheit ist es immer das
gleiche Geld.
({8})
Noch nicht vorhandene Mittel aus erhofften zukünftigen
Einnahmen werden bereits großzügig verplant und verteilt, als wären sie schon in der Kasse;
({9})
Milchmädchenrechnungen sollen vertuschen,
({10})
dass im größten Investitionshaushalt des Bundes massiv
der Rotstift angesetzt wurde.
Im Rahmen des Haushaltes 2000 wurde das so genannte erste Zukunftsprogramm beschlossen. Es bestand nicht aus Projekten, sondern ausschließlich aus Kürzungen. Im Einzelplan 12 wurden überwiegend im
Verkehrsbereich - im Zeitraum von 2000 bis 2003 Kürzungen in Höhe von 20,8 Milliarden DM vorgenommen.
Im zweiten Zukunftsprogramm versprach Ex-Minister
Klimmt der DB AG in einer gemeinsamen Presseerklärung
mit Herrn Mehdorn 25 bis 30 Milliarden DM für die nächsten zehn bis 15 Jahre. Lediglich 6 Milliarden DM davon
hat Herr Eichel für die nächsten drei Jahre übrig gelassen.
Die versprochene Zukunftsperspektive für die DB-AG
- so stand es in der Erklärung geschrieben - war eine schillernde Seifenblase, die ganz schnell zerplatzte.
({11})
- Herr Kollege Schmidt, damit ist der Bahn die längerfristige Planungsmöglichkeit verweigert worden.
({12})
Diese hat Herr Ludewig gerade in seinen letzten Tagen im
Amt immer wieder eingefordert.
({13})
Die Bahn kann gar nicht über einen längeren Zeitraum
planen, wenn sie diese Perspektive nicht hat.
Herr Kollege Schmidt, Ihr politisches Vorgehen ist aufgrund der aktuellen Lage des Unternehmens ein schwerwiegender Vorgang.
({14})
Dirk Fischer ({15})
Noch schwerwiegender ist allerdings, dass die von Herrn
Mehdorn im Haushaltsausschuss, im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und gemeinsam mit
Herrn Klimmt in der Bundespressekonferenz genannten
Horrorzahlen offenbar im Unternehmen umstritten sind
sowie durch die mit der Prüfung beauftragten Firma
McKinsey nicht bestätigt werden.
({16})
Dort wird erst im März 2001 mit Ergebnissen gerechnet.
Der Aufsichtsrat hat gerade jetzt seine für den 6. Dezember dieses Jahres geplanten Beratungen über die mittelfristige Unternehmensplanung bis 2005 und über das
Budget 2001 auf März 2001 verschoben.
({17})
„Verschoben“ durch Herrn Mehdorn müssen sich auch die
Abgeordneten und die Öffentlichkeit fühlen.
({18})
Denn er hat nicht gesagt, dass er uns ungesicherte, bahninterne Schätzzahlen vorträgt.
Aus der „Berliner Zeitung“ von heute darf ich eine Passage zitieren,
({19})
in der es heißt:
Friedhelm Sack, Finanzvorstand der Bahn, wollte
sich diese Zahlen, die seit Wochen unter Bezugnahme auf McKinsey gezielt auch in der Öffentlichkeit gestreut wurden, partout nicht zu Eigen machen.
({20})
Sie hätten, so Sack intern, mit den bei der Bahn vorliegenden Daten wenig gemein.
Ich kann nur eines sagen: So kann man das Parlament
und die Öffentlichkeit wirklich nicht behandeln.
({21})
Für wie dumm halten Sie die Öffentlichkeit eigentlich? Es
ist nach unserer Auffassung an Dreistigkeit kaum noch zu
überbieten, dass Sie die spärlichen 6 Milliarden DM, die
übrig geblieben sind, nach diesem ersten Desaster jetzt
noch einmal als ein „Zukunftsinvestitionsprogramm
Schiene“ verkaufen. Sind Ihre Mitarbeiter im Ministerium etwa nur noch damit beschäftigt, sich schön klingende Titel auszudenken? Herr Minister, fehlende Konzepte und Taten - in der Verkehrspolitik kann diese Art
von Semantik und Propaganda - Öffentlichkeitsarbeit unter gar keinen Umständen ersetzten.
Das Wort Zukunft soll dynamisches Handeln propagieren. Aber im Haushaltsentwurf 2001 taten Sie das Gegenteil. Sie haben die Schieneninvestitionen auf ein Rekordtief von nur noch 6,7 Milliarden DM abgesenkt.
({22})
Dann kamen die Windfall Profits, die jetzt wieder eine
Steigerung ermöglichen. Aber im Sommer dieses Jahres
wurde vom Kabinett unter Leitung von Herrn Schröder
die Entscheidung getroffen, für Schieneninvestitionen nur
noch 6,7 Milliarden DM vorzusehen. Daran können Sie
nicht vorbei. Das war Ihre politische Entscheidung.
({23})
Mit dem auf drei Jahre angelegten 2,7-Milliarden-DMProgramm für die Straße ist es nicht anders. Auch hier
wird der wahre Sachverhalt verschleiert. Die angeblich
zur Verfügung gestellten zusätzlichen 2,7 Milliarden DM
für die Bundesfernstraßen gleichen die vorherigen Kürzungen in Höhe von rund 5 Milliarden DM überhaupt
nicht aus. Besonders dreist ist, dass die 2,7 Milliarden DM
auch noch für Ihre Wahlkampftaktik im Jahre 2002 missbraucht werden, um dann im Wahlkampf von einer Rekordhöhe bei dem Straßenbauinvestitionen sprechen zu
können. Die Verteilung sieht folgendermaßen aus:
900 Millionen DM im Jahre 2001, 1,2 Milliarden DM im
Jahre 2002 - Wahlkampfboom - und als Nachwahlflop
nur noch 500 Millionen DM im Jahr 2003.
({24})
So machen Sie Politik. So täuscht man die Bürger.
Unsere Forderung sieht eine Erhöhung der Mittel für
den Straßenbau um 2 Milliarden DM im Haushalt 2001
({25})
und eine Verstetigung dieses Ansatzes statt kurzfristiger
Strohfeuerprogramme vor. Das ist angesichts eines inzwischen entstandenen Investitionsstaus bei baureifen Projekten im Umfang von 35,5 Milliarden DM angemessen.
Das sind keine Zahlen der Opposition, das sind Zahlen Ihrer Pällmann-Kommission.
({26})
Ich sage es hier einmal ganz deutlich: Viele teuer erworbenen Baurechte sind vom Verfall bedroht; deswegen
müssen wir uns mit dem Antrag aus dem Bundesrat beschäftigen.
({27})
Dirk Fischer ({28})
Wann hört diese Regierung endlich mit ihren immer
neuen Propagandaprogrammen auf? Unverantwortliche
Investitionskürzungen sollen verschleiert werden, die Finanzierung ist unklar, die Realisierung von Verkehrsprojekten wird in unverantwortlicher Art und Weise verzögert.
({29})
Wir müssen vielmehr die Finanzmittel dem tatsächlichen
Bedarf anpassen. Wir brauchen eine spürbare Erhöhung
der Mittel für Straße, Schiene und Wasserstraße.
({30})
Eine streckenbezogene, nutzungsabhängige Straßenbenutzungsgebühr für LKWs in wettbewerbsverträglicher
Höhe ist unumgänglich. Die Einnahmen müssen aber dem
Unterhalt, der Erneuerung und dem Ausbau der Straßeninfrastruktur zugute kommen.
({31})
Meine Damen und Herren, Ziel meiner Fraktion ist es,
die hohe Qualität und Leistungsfähigkeit unseres Verkehrssystems zu erhalten und weiter voranzutreiben.
({32})
Das geht aber nur, wenn endlich mit Taschenspielertricks
und neuen Luftbuchungen Schluss gemacht wird.
({33})
Ich sage zum Abschluss, Herr Minister: Wie die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung selbst bei den wohlmeinenden Freunden des DGB eingeschätzt wird, haben Sie doch gerade bei der Eisenbahnergewerkschaft
erfahren müssen. Als Sie behaupteten, die Bundesregierung habe ein klares verkehrspolitisches Konzept,
({34})
wurden Sie von den Freunden des DGB ausgelacht. Das
sagt wohl alles.
({35})
Als
nächster Redner hat der Kollege Albert Schmidt von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Einzige, was mich an Ihnen immer wieder
wirklich verblüfft, Kollege Fischer, ist: Sie scheinen den
ganzen Unsinn, den Sie erzählen, wirklich zu glauben.
({0})
Das finde ich wirklich beachtlich.
({1})
Die Kollegin Karin Rehbock-Zureich und ich waren
heute Nachmittag auf dem Gewerkschaftstag in Magdeburg. Sie von der CDU/CSU sind gar nicht erst hingefahren - Fehlanzeige! Sie haben überhaupt kein Recht,
sich darüber zu beklagen, wie die Gewerkschaft mit uns
umgeht, weil Sie selbst gar nicht erst hingehen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt leistet Folgendes: Erstens. Wir bauen die Staatsschulden ab.
Sie haben sie erhöht.
({3})
Zweitens. Wir führen die Neuverschuldung zurück. Sie
haben sie auf Rekordhöhen getrieben. Drittens. Wir erhöhen dabei die Investitionen, die Sie über Jahre dramatisch zusammengestrichen haben.
({4})
Das werde ich Ihnen sehr präzise vorrechnen. Es ist viel
einfacher, als Sie es hier mit Ihren 100 000 Zahlen darzustellen versucht haben.
({5})
Die Finanzkrise der Deutschen Bahn ist im Wesentlichen eine Krise des Netzes. Warum ist das so? - Es sind
gravierende Fehler gemacht worden, die sich jetzt addieren und kumulieren und einander verstärken.
Das Bestandsnetz wurde über Jahre sträflich vernachlässigt; es waren Waigel und Wissmann, die in den ersten
Jahren der Bahnreform die Investitionen von Jahr zu Jahr
brutal zusammengestrichen haben, bis zuletzt - 1998, als
wir übernommen haben - überhaupt nur noch 5,8 Milliarden DM in die Bahn geflossen sind, im Vergleich zu einstmals 9 bis 10 Milliarden DM, was wir alle gemeinsam für
notwendig befunden haben.
({6})
Das war Ihre Politik.
({7})
Ich kann es Ihnen anhand einer Entwicklungskurve
nachweisen. Die Investitionen erreichten einmal 9 Milliarden DM, im Jahr 1995, und dann rutschten sie ab in den
Keller. Sie aber besitzen die Frechheit, sich hier hinzustellen und mehr Investitionen zu verlangen, obwohl Sie
sie jedes Jahr gekürzt haben.
Dirk Fischer ({8})
Ich sage Ihnen noch, was wir gemacht haben. In den
ersten beiden Jahren bereits - 1999 und 2000 - haben wir
die Investitionen für die Bahn um über 1 Milliarde DM
gesteigert - auf 6,8 Milliarden DM, nicht gekürzt. Wir haben sogar überplanmäßig 300 Millionen DM zusätzlich
ausgegeben, die gar nicht im Plan enthalten waren.
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dirk Fischer?
In Anbetracht der schon fortgeschrittenen
Zeit möchte ich jetzt zu Ende reden.
({0})
Sie hatten ausreichend Zeit, Ihre obskuren Berechnungen
vorzuführen.
({1})
Es wird nicht dadurch besser, dass Sie jetzt eine Zwischenfrage stellen.
Wir haben im ersten Jahr über 1 Milliarde DM draufgesattelt. Wir satteln ab dem nächsten Jahr noch einmal
2 Milliarden DM drauf. Das heißt, innerhalb von drei Jahren steigern wir die Bahninvestitionen von knapp 6 Milliarden auf über 9 Milliarden DM. Das ist innerhalb von
drei Jahren bei den Investitionen eine Steigerung von
50 Prozent. Wenn Sie das nur in einem einzigen Jahr geschafft hätten, dann hätten wir jetzt nicht die Löcher im
Netz, die wir haben.
({2})
So viel zum Thema Investitionshöhe.
Es kommt aber noch etwas anderes hinzu, nämlich die
Art und Weise, wie investiert wird. Das ist ein entscheidender Punkt. Der Kollege Rübenkönig hat es bereits angesprochen. Die Bestandsnetzinvestitionen fließen jetzt
erstmals als Baukostenzuschuss und nicht mehr als zinsloses Darlehen.
({3})
Wissen Sie, was das heißt, Sie Weltmeister der Rechenkünste, Herr Fischer? Das bedeutet, dass die Bahn
dieses Geld nicht mehr zurückbezahlen muss und bei bestimmten Projekten keine Abschreibungen bilanzieren
muss. Das allein wird die Bilanz des Unternehmens in den
nächsten zehn Jahren um 4,5 Milliarden DM entlasten.
({4})
Das ist der Beschluss des Haushaltsausschusses. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Ihnen, Herr Kollege
Rübenkönig, bei Matthias Berninger, Oswald Metzger
und Hans Georg Wagner; denn es war nicht so einfach,
diesen Beschluss zu erreichen. Es besteht ein Unterschied
zwischen dummem Gerede und dem tatsächlichen Handeln.
Nun komme ich zu den Schwerpunkten der Investitionen. Es geht nicht nur um die Höhe des Geldbetrages. Es
geht auch darum, wofür er ausgegeben wird. Diese zusätzlichen dreimal 2 Milliarden DM für das Bestandsnetz
werden - das ist heute mehrmals angesprochen worden eben dieses Mal nicht in überteuerte Großprojekte gesteckt, sondern gehen Mark für Mark in die Erneuerung
des bestehenden Netzes.
Was heißt das für die Fahrgäste? Das heißt Beseitigung
von Langsamfahrstellen, verbesserte Pünktlichkeit, Anschlusssicherheit und moderne Leit- und Sicherungstechnik. Das schafft mehr Sicherheit im System Bahn. Darüber hinaus werden elektronische Stellwerke gebaut. Das
erhöht die Kapazität von Strecken und schafft modernen
Standard im Gleisnetz. Das sind unsere Schwerpunkte,
die dieses Mal richtig gesetzt sind.
Jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen: Herr Kollege
Kalb, ich will Ihnen keine Antwort schuldig bleiben. Sie
haben mir vorgeworfen, ich hätte mich negativ über das
Unternehmen geäußert und ihm Bilanzmanipulationen
vorgeworfen. Ich habe das noch am selben Tage dementiert.
({5})
Darauf lege ich großen Wert. Nicht alles, was in der
„Bild“-Zeitung steht, ist richtig.
({6})
Was ich gesagt habe - dazu stehe ich und wiederhole es -,
ist, dass von der früheren Bundesregierung politisch gewollte Großprojekte wie Frankfurt-Köln, Nürnberg-Ingolstadt und der Knoten Berlin mit Phantasiepreisen
schöngerechnet wurden. Das fliegt jetzt auf. Im Vollzug
wird jetzt alles viel teurer.
({7})
Ich weiß noch, wie der Kollege Wissmann hier mit
leuchtenden Äuglein wie ein Erstkommunikant stand.
Plötzlich, über Nacht, kostete eine Neubaustrecke Frankfurt-Köln - freuet euch, ihr Kindlein - nur noch 7,8 Milliarden DM. Alle wussten, dass das nicht stimmt.
({8})
Jetzt kommen die realen Preise zum Vorschein. Das sind
die Folgen Ihrer Lügen und Betrügereien von damals. Wir
decken sie jetzt auf und müssen sie in Ordnung bringen.
({9})
Ich will noch ein Wort zu der angeblichen Misserfolgsbilanz sagen. Im Oktober dieses Jahres haben
wir im Personenverkehr auf der Schiene 11 Prozent
mehr Fahrgäste im Vergleich zum Vorjahresmonat und
Albert Schmidt ({10})
16 Prozent mehr Güterverkehr gehabt. So viel, Herr
Kollege Friedrich, zu Ihrem dummen Gerede, man könne
auf der Schiene gar nicht mehr Güterverkehr unterbringen.
({11})
In einem Jahr wurde ein Plus von 16 Prozent im Güterverkehr auf der Schiene erreicht. Das ist noch nicht die
Lösung der Probleme, aber es ist ein enormer erster Erfolg. Darauf sollten wir stolz sein.
({12})
Ich will auf die Fragen nach Wettbewerb und Umgang
mit dem Netz die Antworten nicht schuldig bleiben, Herr
Kollege Friedrich. Sie wissen sehr genau: Es war niemand
anders als die bündnisgrüne Fraktion, die schon 1996, als
Sie noch gläubig den Worten von Herrn Wissmann gelauscht haben, gesagt hat: Die Lösung, die man bei der
Bahnreform gefunden hat, ist nicht optimal.
({13})
- Wenn wir als Grüne 1996 einen Parlamentsantrag gestellt hätten - das können Sie sich vorstellen -, dann wäre
die Republik erzittert.
({14})
Wir haben gestern einen Vorschlag gemacht, der ernsthaft diskutiert und geprüft werden sollte. Es geht uns nicht
um ein Hauruck-Verfahren, sondern darum, die Potenziale, die im Wettbewerb stecken, zu mobilisieren. Wir
dürfen nicht länger ausgerechnet das Eisenbahnnetz dem
Diktat der Eigenwirtschaftlichkeit unterwerfen, indem
wir es weiter als Aktiengesellschaft führen, bei der jede
Strecke immer wieder neu ihre Kosten erwirtschaften
muss.
Herr
Schmidt, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Dass wir in diesem Bereich mehr Wettbewerb brauchen,
ist, glaube ich, einheilige Meinung. Aber es geht darum,
dieses auch verantwortlich umzusetzen. Das ist ein Prozess, der seine Zeit brauchen wird.
Mehr Investitionen, verbesserte Rahmenbedingungen
für den Verkehr und ein neuer Minister, der mit Tatkraft
und Engagement zur Sache geht - was gibt es Schöneres?
So wollen wir weitermachen.
({0})
Das Wort
hat jetzt Kollege Dietmar Kansy von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine
fünf Damen und Herren Zuschauer, auch Sie darf ich begrüßen.
({0})
In diesen Tagen, in denen wir unseren Bundeshaushalt
2001 beraten, bekommt Deutschland - das ist ja zwischenzeitlich ausreichend gewürdigt worden - den dritten
Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in
dieser Legislaturperiode. Ich erspare mir jetzt einmal, alles zu kommentieren, was über Müntefering und Klimmt
gesagt wurde. Aber eins möchte ich mit aller Ernsthaftigkeit sagen: Vielleicht ist der Neuanfang für Sie, Herr
Minister, eine neue Chance. Ich bezweifle, dass es bisher
überhaupt eine Chance gegeben hat, durch die Zusammenlegung der beiden Ministerien Synergieeffekte für
beide Bereiche zu erreichen; dieses war bisher aber schon
allein aufgrund des Bäumchen-wechsel-dich-Spiels der
letzten zwei Jahre nicht möglich.
Schauen wir einmal, was in den nächsten Jahren passiert.
({1})
Ich gratuliere Ihnen, Herr Minister, auch im Namen insbesondere der Baupolitiker dieser Fraktion herzlich und
wünsche Ihnen auch ausdrücklich Gottes Segen und eine
glückliche Hand. Ich bitte Sie aber dringend, nicht nur als
Verkehrsminister zu agieren, sondern auch wieder als
Bauminister dieses Landes; denn einen solchen brauchen
wir im Bund.
({2})
Die von der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht prognostizierte Trendwende ist trotz aller schönen
Worte im Baubereich natürlich nicht eingetreten. Statt einer Zunahme der Bauinvestitionen um 1,5 Prozent - wie
noch vor Jahr und Tag erwartet - erwarten die Forschungsinstitute jetzt einen Rückgang um 2,5 Prozent. In
Arbeitsplätze umgerechnet bedeutet das ganz einfach eine
Abnahme der Beschäftigung um rund 100 000. Das ist
- bei aller Notwendigkeit zur Haushaltskonsolidierung mehr als ein Warnzeichen. Das Hauptwarnzeichen für unsere Fraktion ist dabei der Wohnungs- und Städtebau.
Wir haben es in den Ausschüssen schon so oft thematisiert und versucht, Sie zu bewegen, Ihre Politik zu ändern, statt sich leichtfertig auf der nicht von Ihnen, sondern von der Vorgängerregierung geschaffenen guten
Ausgangsposition am Wohnungsmarkt auszuruhen.
({3})
- Ich weiß nicht, warum Sie lachen. Ich gebe Ihnen gerne
ein Privatissimum, wenn es erforderlich ist. Nie hat in diesem Land ein so ausgeglichener Wohnungsmarkt geherrscht. Nie hat es eine so niedrige Mietpreissteigerung
Albert Schmidt ({4})
in Höhe von 1,1 Prozent gegeben.
({5})
Schon allein dieses Lachen zeigt, wie ernst dieses Thema
von einigen Leuten genommen wird.
({6})
Der Fehlschluss, wir bräuchten keine Wohnungspolitik mehr - anders war das Handeln dieser Bundesregierung ja nicht zu deuten -, wird in den nächsten Jahren
noch zu schweren Problemen in diesem Lande führen.
Denn wie kann man es sich sonst erklären, dass der Etat
für den sozialen Wohnungsbau gleichzeitig mit dem Regierungswechsel von 1,3 Milliarden DM auf heute
0,45 Milliarden DM runtergefahren wurde und die Rahmenbedingungen für den frei finanzierten Wohnungsbau
durch unkoordinierte Eingriffe - ich unterstreiche das
Wort „unkoordiniert“ - ins Steuer- und Mietrecht sichtbar
verschlechtert werden? Gleichzeitig wurde und wird weiter so lange an der Eigenheimzulage gebastelt, bis auch
dieses bisherige Flaggschiff der Baukonjunktur, das die
Wünsche der Bürger am ehesten erreicht und das übrigens
auch die beste Alterssicherung ist - wir diskutieren ja immer wieder über die Neuorientierung der Renten -, auf
Grund gesetzt wird.
Dieses Nichtstun oder Wenigtun wird teilweise - wir
haben es vorhin wieder gehört - mit angeblich hohen
Leerständen in den neuen Ländern begründet. Diese
Leerstände gibt es und sie sind eine Riesenherausforderung für uns alle, und zwar für Bund, Länder und Gemeinden. Diese Leerstände dürfen aber nicht als Alibi
dafür dienen, nicht mehr wohnungspolitisch zu handeln.
Wir haben zwar - das sagen alle Institute - rückläufige
Geburtenzahlen und Leerstand in den neuen Ländern,
trotzdem wird die Nachfrage nach Wohnraum in Deutschland weiter steigen, da es Wanderungsbewegungen gibt,
die Haushaltsgrößen kleiner werden und pro Kopf mehr
Wohnfläche beansprucht wird. Diese Steigerung wird in
erheblichem Umfang eintreten, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern über Jahre hinaus.
Deswegen fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Sie nochmals auf, jetzt baldmöglichst eine aktuelle Fortschreibung der vom damaligen Bauminister Töpfer vorgelegten Raumordnungsprognose mit der erwarteten
Haushalts-, Wohnungs- und Wohnbauentwicklung vorzunehmen, um einen neuen so genannten Schweinezyklus
im Wohnungsbau zu vermeiden.
({7})
Wir bedauern, dass wir bereits im Fachausschuss bei
SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit unserer Forderung
nach einer nur bescheidenen Anhebung der Mittel für den
sozialen Wohnungsbau gescheitert sind. Umso dringender
ist es jetzt, in einer intelligenten Verknüpfung von Städtebauförderung und dem Programm „Soziale Stadt“
einen neuen Schwerpunkt zu setzen. Wir hatten im Fachausschuss Anträge gestellt - ebenso abgelehnt von RotGrün -, die Mittel für die Städtebauförderung West, die
Städtebauförderung Ost und das Programm „Soziale
Stadt“ um insgesamt 400 Millionen DM zu erhöhen, wobei 100 Millionen DM auf das Programm „Soziale Stadt“
entfallen wären.
({8})
Wir sind nämlich der Auffassung, dass in diesen Bereichen nicht gekleckert werden darf, sondern geklotzt werden muss.
({9})
Sie haben nun - ich sage das als jemand, der 16 Jahre
lang Sprecher einer Fraktion war, die die Regierung stellte
und das Ringen zwischen Fachministern und Finanzministern, nicht zuletzt auch mit den Staatssekretären, die
auch bei Regierungswechseln im Amt bleiben, miterlebt
hat - 100 Millionen DM mehr für Städtebauförderung und
50 Millionen DM mehr für das Programm „Soziale Stadt“
angesetzt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
({10})
- Ja, Herr Kollege Schütz, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Nicht nur Ihr Zuruf war sympathisch, auch
Ihr Vorname ist mir außerordentlich sympathisch.
Aber das ist zu wenig um eine wirkliche Initialzündung
zu erreichen. Es ist eine alte Tatsache, die sich vielfach bestätigt hat: Eine Mark des Bundes mehr in der Städtebauförderung setzt 8 DM an tatsächlichen Ausgaben im
Baubereich frei. Das gilt gerade für das von Ihnen angesprochene Handwerk, in dem kleinteilig gearbeitet wird.
Sie haben Philipp Holzmann nicht erwähnt, aber das sei
Ihnen heute verziehen. Basta!
Wir sehen in der Städtebauförderung den einzig zentralen Ansatz. Wenn Sie sagen, Sie wollten den sozialen
Wohnungsbau nicht finanzieren, hätten wir auch in anderer Zusammensetzung über das Programm „Soziale
Stadt“ und Städtebauförderung reden können. Die angesetzte Summe ist uns aber insgesamt zu niedrig. Wir werden deshalb unseren Antrag etwas modifizieren und die
Summe von 400 Millionen DM mit dem Schwerpunkt auf
Städteförderung etwas anders aufteilen. Ich hoffe aber,
dass die Erhöhung der Mittel für das Programm „Soziale
Stadt“ in Verbindung mit den Mitteln für die Städtebauförderung in Höhe von 100 Millionen DM einen Neuanfang ermöglicht und damit Prioritäten gesetzt werden,
die auch unseren Auffassungen entsprechen.
Das Programm „Soziale Stadt“ ist keine Erfindung der
rot-grünen Koalition.
({11})
Die entsprechende Kommission ist von Bauminister
Töpfer eingesetzt und von seinem Nachfolger Oswald
weitergeführt worden.
({12})
Sie haben auf Ergebnissen aufgebaut, die von dieser
Kommission erarbeitet worden sind.
Ich möchte Ihnen zum Schluss noch sagen: Natürlich
begrüßen wir die Erhöhung der Haushaltsmittel für die
Minderung des CO2-Ausstoßes. Soweit ich informiert
bin, ist die Abstimmung darüber im Haushaltsausschuss
einstimmig erfolgt. Wir tragen auch den Wohngeldkompromiss mit. Sie sollten aber nie vergessen, dass nach dem
ursprünglichen Plan der Regierung Kosten in Höhe von
2,5 Milliarden DM auf Länder und Gemeinden abgewälzt
werden sollten. Das haben wir zu dessen Gunsten verhindert.
({13})
Kommen
Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Kansy.
Jawohl, Herr
Präsident.
Der Schluss soll sein: Herr Minister, nehmen Sie etwas
stärker als Ihre beiden Vorgänger auch das Bauwesen innerhalb Ihres neuen Amtsbereichs wahr und Sie werden
sehen, Sie finden ein interessiertes Parlament, das auf diesem Sektor mit Ihnen zusammenarbeitet.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Kurt Bodewig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist für mich ein besonderer Tag, nicht nur
wegen des Beginns dieses Plenartages. Ich finde es auch
ausgesprochen schön, dass ich jetzt am Abend die Erfolge
dieser Regierung verkünden kann.
Ich glaube, dass wir einen Haushalt vorlegen, den Sie
gerne gehabt hätten; Sie hätten sich nach der Decke
strecken müssen, um das zu erreichen. Wir haben - auch
dank der Berichterstatter im Haushaltsausschuss - viele
Erfolge erzielen können.
({0})
Das freut mich in ganz besonderem Maße - ich sage es unumwunden -, weil dies eine gute Vorgabe ist, auf der man
aufbauen, mit der man etwas machen kann.
Herr Kollege Fischer, ich kenne Ihre Zahlen, Ihre Berechnungsmethoden. Ich kann Ihnen nur sagen: Die
20 Milliarden DM, die Sie für eine entfernungsabhängige
LKW-Maut in Rechnung stellen, hätte ich gerne. Ich hätte
nichts dagegen, wenn ich sie bekäme. Aber man darf sich
die Zahlen nicht backen, sondern man muss die Zahlen
fundiert ermitteln.
Deshalb sage ich auch dem Kollegen Kalb ganz ausdrücklich: Ich habe eine klare Linie. Die Linie heißt: notwendige Investitionen. Damit kommen wir, denke ich,
voran, im Sinne des gesamten Parlaments und im Sinne
aller Menschen, die hier leben. Diese klare Linie haben
wir bislang schon verfolgt. Wir haben Schulden abgebaut,
wir haben neue Handlungsspielräume entwickelt und wir
können froh sein, dass uns dies gelungen ist. Allen muss
dies am Herzen liegen.
Hierzu will ich noch einige Bemerkungen machen.
Erstens. Im Straßenbau ist im Jahre 2001 eine neue
Rekordhöhe zu verzeichnen: 10,8 Milliarden DM für diesen Haushaltsbereich. Zweitens. Erstmals haben im
Investitionsbereich Straße und Schiene gleichgezogen.
Das hätten Sie auch gerne erreicht. Jetzt haben wir es realisiert. Ich denke, das ist ein Riesenerfolg.
({1})
Ich sage - das macht mir noch viel mehr Vergnügen -: 2 Milliarden DM in ein Zukunftspaket Schiene zu
investieren, ist sinnvoll. Das sage ich vor dem Hintergrund, dass wir, Herr Friedrich, das marode Netz nicht zu
verantworten haben. Wir haben es übernommen und wir
verbessern es jetzt.
({2})
An dieser Stelle kann ich nur unterstreichen: Wir sind fünf
Jahre zu spät. Wir hätten Ihre Regierung schon drei Jahre
vorher ablösen sollen. Dann wären wir auch bei den
Langsamfahrstellen schon ein Stück weitergekommen.
({3})
Lassen Sie mich mit Blick auf Herrn Kansy den dritten
Punkt auch noch ausdrücklich nennen: Ab 2001 werden
wir jährlich 400 Millionen DM für die Altbausanierung
aufwenden, und zwar mit ausgesprochen positiver Wirkung. Wir werden den Energieverbrauch senken. Die
Kosten für Mieter und Eigentümer werden sinken. Wir
werden die Wohnungsbestände fit machen. Ich kann Ihnen, Herr Kansy, ausdrücklich versichern - rechnen Sie
damit -: Ich verstehe mich als Infrastrukturminister. Dieses Haus hat auch in der neuen Konstellation ungeheure
Chancen. Da sind Potenziale, da sind kreative Mitarbeiter
vorhanden. Wir haben hier etwas und wir müssen es sinnvoll zusammenfügen. Deshalb sage ich: Es wird keine isolierte Betrachtung des Verkehrs und keine isolierte Betrachtung des Bauens und Wohnens geben, sondern wir
sprechen von einem integrierten Gesamtkonzept.
({4})
Ich kündige einen zweiten Schritt an. Ich möchte noch
eine andere Form der Integration und ich glaube, das habe
ich auch bewiesen. Wir werden nicht mehr die Debatte
Ost und die Debatte West führen, sondern wir werden eine
gesamtdeutsche Integrationsdebatte haben. Dies ist eine
Riesenaufgabe und wir werden sie erfüllen. Auch in diesem Sinne verstehe ich mich als Integrationsminister in
einem Infrastrukturministerium.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zu den Mitteln. Ich kann Ihnen versichern: Das Zukunftsinvestitionsprogramm ist
durchfinanziert. Das gibt mir Beruhigung, weil ich weiß,
dass hiermit ungeheuer viele wichtige Maßnahmen in
Gang gesetzt werden. Ich kann Ihnen bündelweise die
Schreiben von Bürgermeistern, von Bürgern, von Bürgerinitiativen zeigen, in denen steht: Ich bin froh, dass die
Ortsumgehung gebaut worden ist. Ich bin froh, dass die
Lärmbelastung weg ist. Ich bin froh, dass sich der Verkehr
nicht mehr staut.
({5})
- Es sind viele CDU-Kollegen dabei, die auch gesagt haben, es sei prima, dass wir das endlich anpacken. Sie hätten es schon früher machen können. Wir machen es. Ich
denke, das ist ein guter Grund, stolz zu sein.
({6})
Politik für den Bürger zu machen macht Spaß. Wir haben hinsichtlich des Investitionsprogramms endlich für
eine klare Haushaltslinie gesorgt. Wir haben für kalkulierbare Haushaltsansätze gesorgt. Bei uns gibt es den
Wunsch- und Wundertitel „100 Milliarden DM für den
unterfinanzierten Bundesverkehrswegeplan“ nicht mehr.
Wir stellen zusätzlich zu unserem Investitionsprogramm,
das ein Gesamtvolumen von 67,4 Milliarden DM umfasst,
über drei Jahre hinweg zusätzlich 8,7 Milliarden DM für
Schiene und Straße zur Verfügung. Das ist ein riesiger
Schritt nach vorne. Damit können wir wunderbar leben.
Wir werden das Anti-Stau-Programm realisieren. Ab
2003 werden wir zusätzlich 7,4 Milliarden DM zur Beseitigung von Engpässen zur Verfügung stellen. Ich freue
mich, dass es im Sommer gelungen ist, die globale Minderausgabe vom Tisch zu wischen. Auch das fand ich gut;
denn auch das ist ein Riesenschritt nach vorne. Alles passt
also zusammen. Alle Bundesländer werden profitieren,
unter anderem auch Baden-Württemberg. Ich möchte
gern aus einem Kommentar der „Stuttgarter Nachrichten“
vom 16. August zitieren:
Die CDU-F.D.P.-Landesregierung hat sich … in ihrer Fundamentalopposition verrannt. Dabei übersieht sie geflissentlich, dass die … jahrelange Benachteiligung des Südwestens zusehends korrigiert
wird. Denn die Durststrecke fiel in die Ära der CDURegierung unter Kanzler Kohl. Nun aber, unter RotGrün, wird es … langsam, aber sicher wieder etwas
besser. Vom Anti-Stau-Programm … profitiert
Baden-Württemberg mit 755 Millionen DM nach
NRW am stärksten. Außerdem gibt es nun schon für
2001/2002 weitere 125 Millionen DM …
Das Gute ist: Die Mittel aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm, mit denen 15 Ortsumgehungen in BadenWürttemberg realisiert werden sollen, sind hier noch gar
nicht berücksichtigt, genauso wenig wie die Mittel für
Hunderte Schienenprojekte. Es geht also voran. Wir haben, glaube ich, da einiges auf die Schiene bzw. den Weg
gebracht.
({7})
Der letzte Transnet-Kongress war für mich sehr wichtig; denn auf diesem Kongress ist deutlich geworden: Es
muss sich etwas bei der Bahn bewegen. Die Bahn in ihrer jetzigen Form kann so nicht bleiben. Wir wollen, dass
es auch noch in Zukunft eine Bahn gibt und dass der Güterverkehr auf die Schiene verlagert wird. Wir haben ehrgeizige Ziele.
Wir werden nächste Woche über den Verkehrsbericht
2000 diskutieren. Das ist ein schönes Dialogangebot an
Sie von der Opposition. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir
müssen etwas verändern. Ich bin auch entschlossen,
Veränderungen herbeizuführen. Dazu gehört auch, die Finanzen der Bahn klar zu regeln. Die interministerielle Arbeitsgruppe der Staatssekretäre, die ich neu eingesetzt
habe und die direkt unterhalb der Ebene der Minister des
BMVBW, des BMF und des BMWi angesiedelt ist, zeigt,
dass wir ganz ernsthaft an die Lösung der Probleme herangehen und dass wir den Umgestaltungsprozess wirklich begleiten und überwachen werden. Das werden wir
auch tun; das kann ich Ihnen versichern.
({8})
Stichwort Investitionen für die Bahn: Wir haben die Investitionen in das Schienennetz deutlich verstärkt. 6 Milliarden DM an Steuergeldern müssen jetzt sinnvoll investiert werden. Ich bin mir sicher: Die Bahn schafft das.
Auch diesen Prozess werden wir begleiten. Wir werden darauf habe ich eben schon hingewiesen - die Mittel für
Investitionen in das Netz, die bisher als zinslose Darlehen
gewährt wurden, künftig mit nicht rückzahlbaren Zuschüssen finanzieren. Die Bahn ist dann nicht mehr gezwungen, für teures Geld Darlehen auf dem Kapitalmarkt
aufzunehmen und Zinsen zu zahlen. Die Zuschüsse gehen
jetzt direkt in das Netz. Meine Linie heißt - hören Sie zu,
Herr Fischer! -: Investieren in das Netz und keine Subventionen für den Betrieb. Dies wird die Bahn voranbringen.
Zu den ordnungspolitischen Maßnahmen: Wir werden
- das sage ich deutlich - den diskriminierungsfreien Zugang gewährleisten. Schluss, Punkt, aus! Das ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Wettbewerb. Aber ich möchte
auch noch einen Satz zur Trennung von Fahrweg und Betrieb sagen. Ich schließe dies für die Zukunft nicht gänzlich aus. Aber ich möchte auch, dass die Bahn endlich
wieder Ruhe hat. Auf dem Transnet-Kongress wurde
deutlich: Die Eisenbahner wollen nicht, dass ihre Bahn jeden Tag in die Schlagzeilen gerät. Sie wollen vielmehr
kalkulierbare Konzepte und deren Umsetzung. In diese
Richtung werden wir weitergehen.
({9})
Herr Bundesminister, Herrn Fischer drängt es, eine Zwischenfrage
zu stellen. In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit
möchte ich Sie allerdings bitten, diese Zwischenfrage
nicht zuzulassen.
Ich folge Ihrer Bitte. Herr Fischer, wir
werden noch so viel Zeit haben, miteinander zu streiten.
Das werden wir mit Vergnügen zu einem späteren Zeitpunkt nachholen.
({0})
Ich hätte noch so viel zur Verkehrspolitik, zur anstehenden Liberalisierung in Europa und zu den neuen Verkehrsträgern, insbesondere zum Transrapid, zu sagen. Ich
kann Ihnen jetzt nur eines sagen: Wir werden in der kommenden Woche und auch noch später Zeit genug haben,
darüber ausführlich zu diskutieren. Darauf freue ich mich.
Das sage ich mit ehrlichem Herzen.
Ich möchte in den restlichen sechs Minuten meiner Redezeit auch noch etwas zur Wohnungs- und Städtebaupolitik sagen. Ich kann Ihnen, Herr Kansy, nur eines sagen: Es darf nicht dazu kommen - das ist mir wichtig -,
dass die Öffentlichkeit mich nur als Verkehrsminister
wahrnimmt. Das wäre falsch. Ich bin der Verkehrs- und
Bauminister. Wir werden beides miteinander verknüpfen.
Wir tun dies durch die raumordnerische Funktion im Bundesverkehrswegeplan - das ist der erste Schritt ({1})
und wir werden dies mit einer konsequenten Wohnungsbaupolitik, mit einer Stadtpolitik fortsetzen. Auch das ist
für mich wichtig. Wir haben hier viel zu sagen.
Was das Programm „Soziale Stadt“ angeht: Ich will
mich nicht darüber streiten, wer der Urheber dieser Idee
ist. Aber wir haben es realisiert, nicht Sie. Darum geht es
doch.
({2})
Dass wir die Mittel hierfür ordentlich erhöhen, nämlich
von 100 Millionen DM auf 150 Millionen DM, dass wir
mit den Mitteln der Länder und Gemeinden 450 Millionen DM mobilisieren, ist der entscheidende Punkt. Es
geht nicht um den Streit der Ideen - den sollten wir kreativ führen -, sondern darum, wer Politik macht. Das ist
unser Profil: Wir sehen Probleme und lösen Probleme.
Wenn wir so weitermachen, dann bin ich frohen Mutes,
dass wir eine gute Politik für die Bürger in diesem Land
machen.
Was die Städtebauförderung betrifft, freue ich mich,
dass wir die Bundesmittel für die alten Länder von 80 Millionen auf 180 Millionen DM anheben konnten. 100 Millionen DM sind doch kein Pappenstiel. Auch dass wir das
hohe Niveau bei der Förderung für die neuen Länder mit
520 Millionen DM beibehalten, freut mich. Ich sage
gleichzeitig: Dass nach zehn Jahren Stillstand endlich das
Wohngeld wieder angehoben wird, ist ein entscheidender
Punkt. Wir haben 1,4 Milliarden DM zusätzlich. Wir werden insgesamt fast 8 Milliarden DM dafür aufwenden.
Dadurch werden wir viel mehr Menschen erreichen als in
der Vergangenheit.
({3})
- Plus Heizkostenzulage und vieles mehr. Darauf freue
ich mich und ich weiß, dass sich diejenigen, die es betrifft,
ebenfalls darauf freuen. Das werden wir am 1. Januar des
kommenden Jahres erleben können.
({4})
Wir haben eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt.
Das ist mir wichtig. Frau Ostrowski, all Ihre Zahlenrechnereien will ich jetzt nicht kommentieren, aber eines will
ich Ihnen sagen: Die Eisenbahnerwohnungen haben für
die betroffenen Mieter wie auch für die Beschäftigen der
Gesellschaften die besten, nämlich optimale, Schutzvorschriften, die man sich denken kann. Ich komme aus der
Wohnungswirtschaft; ich weiß, wovon ich spreche. Darauf kann man stolz sein. Auch die Gewerkschaft Transnet kann stolz sein, dass sie ihren Mitgliedern diese Konditionen bieten kann. Das ist doch etwas! Politik heißt
nicht mäkeln, Politik heißt gestalten. Das haben wir an
dieser Stelle getan.
({5})
Ich richte meinen Dank an die Haushälter, dass endlich
dieser Unsinn mit den kommunizierenden Röhren, die nur
dazu führen, dass die Investitionstätigkeit, die dringend
notwendig ist, unterbleibt, endlich beseitigt ist. Herr Kalb,
herzlichen Dank! Das gilt auch für die Herren Rübenkönig,
Schütz und alle anderen, die daran mitgewirkt haben; denn
das ist eine große Leistung, die von allen gewollt war. Ich
danke auch dafür, dass der Haushaltsausschuss diese Linie
in den vergangenen Jahren klar gehalten hat. Wir haben es
lange gewollt, jetzt haben wir es geschafft; das freut mich.
Das müssen Sie mir auch zubilligen.
({6})
Ich will auf noch einen Punkt eingehen, nämlich auf
die Probleme der Wohnungswirtschaft in den neuen
Ländern. Wir alle wissen um die Problematik von Wohnungsunternehmen, die durch hohen Leerstand in ihrer
Existenz gefährdet sind. Wenn ein Abriss unvermeidlich
ist, dann muss man den Abriss auch finanzieren, dann
muss man die Wohnungsunternehmen von den Altschulden befreien. Die Bundesregierung stellt in den nächsten
zehn Jahren hierfür 700 Millionen DM ein; 60 Millionen DM schon im nächsten Jahr. Das zeigt, dass wir
diese Problematik erkannt haben. Wir werden die Vorschläge der Leerstandskommission prüfen. Ich denke, das
ist das Beste, was wir hier machen können: ruhig und
sachlich an ein Problem herangehen und gemeinsam nach
den besten Lösungen suchen.
Zum Bereich Bau- und Wohnungspolitik wäre noch
viel zu sagen, gerade im Zusammenhang mit diesem erfreulichen Haushalt. Ich will jedoch die Redezeit nicht
überdehnen und mit einem Dank schließen: Ich danke
meinen Kollegen von den beiden Regierungsfraktionen,
Dietmar Schütz, Herrn Rübenkönig, dem Kollegen
Berninger, sowie dem Generalberichterstatter, dem Kollegen Kalb, weil ich weiß, dass die Haushälter hier sehr
verantwortlich gehandelt haben, verantwortlich im Sinne
dieser Gesellschaft.
({7})
- Ihnen, Hans Georg Wagner, sei ebenfalls gedankt. Der
Dank richtet sich an alle Berichterstatter. Auch diejenigen, die für die Fraktion etwas zusammenhalten mussten,
verdienen hier einen besonderen Dank. Ich spreche diesen
Dank wirklich ehrlichen Herzens aus, weil ich finde, wir
haben hier gemeinschaftlich - das ist immer der beste
Weg - einige neue Wegmarken gesetzt. Mein Dank gilt
aber auch dem Ausschussvorsitzenden, Herrn Oswald.
({8})
Ich sage allen, die mitgewirkt haben - allen aus den
Koalitionsfraktionen, die die Impulse gegeben haben,
aber auch allen aus den Oppositionsfraktionen, die einmal
dafür und einmal dagegen gestimmt haben -: Im Ergebnis
werden dieses Parlament, die Koalitionsfraktionen und
die Regierung deutlich machen können, dass wir einen
Haushalt haben, für den es sich zu kämpfen gelohnt hat.
Ich bin froh, dass ich in Zukunft mit diesem Haushalt arbeiten darf. In diesem Sinne: Herzlichen Dank!
({9})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmen
zunächst über die Änderungsanträge ab.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4755. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Zustimmung der
CDU/CSU-Fraktion und bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4756. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion
und bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4757. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von CDU/CSU und PDS und
bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4758. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von CDU/CSU und PDS und
bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4759. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und
der F.D.P. bei Zustimmung der PDS abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4760. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und
der F.D.P. bei Zustimmung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4761. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 12 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 12 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 29. November 2000,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.