Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich erteile dem Kollegen Dietmar Kansy, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sie haben Recht, Frau Ministerin - ich freue
mich, dass zwischenzeitlich auch zwei Staatssekretäre aus
dem Bauministerium eingetroffen sind; der Minister ist
uns ja nun bedauerlicherweise wieder abhanden gekommen -:
({0})
Ein gesichertes Dach über dem Kopf ist ein elementares
Grundbedürfnis der Menschen. Dies sicherzustellen - ich
sage das über alle Regierungswechsel und Fraktionsgrenzen hinweg - ist ein Eckpfeiler der deutschen Politik nicht
nur, aber insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, allerdings verteilt auf unterschiedliche staatliche
Ebenen unseres föderativen Systems, also auf Bund, Länder und Gemeinden.
Aber auch in diesem Politikbereich gilt - trotz des gesicherten Dachs über dem Kopf - neben dem Prinzip der
Solidarität das Prinzip der Subsidiarität. Das heißt im
Bereich der Wohnungspolitik: Die Wohnung ist gleichermaßen ein hohes Sozialgut, aber auch ein teures und langlebiges Investitionsgut. Staatliche Hilfen im materiellen,
aber auch im immateriellen Sinne, zum Beispiel das Mietrecht, sollten deswegen Hilfe zur Selbsthilfe sein und
nicht ein allumsorgendes staatliches Recht.
({1})
Meine Damen und Herren, der Bund hat in der Wohnungspolitik Aufgaben in vielfältiger Weise zu erfüllen.
Im Zusammenhang mit dem sozialen Wohnungsbau, der
Städtebauförderung, dem Programm „Soziale Stadt“ oder
dem Wohngeld gewährt er eine direkte objekt- oder subjektgebundene Förderung, die heute dem Minister für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen obliegt. Aber wir sind
uns klar darüber, dass das Steuerrecht und das Mietrecht
einen mindestens genauso großen Einfluss auf ein ausreichendes und bezahlbares Wohnungsangebot haben.
Das Steuerrecht ermöglicht es dem Staat, im Mietwohnungsbau durch verschiedene „Stellschrauben“,
zum Beispiel durch AfA oder Spekulationsfrist oder anderes, private Investoren zu ermuntern oder aber abzuschrecken, ihr Kapital in Wohnungen zu investieren. Über
eine mehr oder weniger attraktive Eigenheimzulage ermutigt er darüber hinaus Menschen - mehr oder weniger -,
selbst Wohnungseigentum zu bilden.
Das Mietrecht ist für Millionen Vermieter und - wie die
Ministerin schon ansprach - für knapp 60 Prozent der Bevölkerung Deutschlands, die zur Miete wohnen, von elementarer Bedeutung. Eine mehr mieterfreundliche oder
mehr vermieterfreundliche Ausformung hat nicht nur Einfluss auf die Miethöhe - das weiß jeder -, sondern auch
auf die Anzahl und die Qualität der Wohnungen. Für die
CDU/CSU galt während ihrer Regierungszeit und gilt
auch heute noch die Leitlinie: Ein ausreichendes Wohnungsangebot ist der beste Mieterschutz.
({2})
Ich muss heute noch einmal daran erinnern, dass die
jetzige rot-grüne Koalition den Wohnungsmarkt in bester
Verfassung vorgefunden hat, und die ist nicht vom Himmel gefallen, sondern einer konsequenten Wohnungspolitik der Vorgängerregierung zu verdanken.
({3})
Von Fertigstellungszahlen von über 600 000 Wohnungen
jährlich Mitte der 90er-Jahre bis hin zu den daraus resultierenden historischen Tiefständen der Mietindexsteigerung von 1,1 Prozent im Jahr 1999 - nie hat eine neue Regierung in einem für die Bedürfnisse aller Menschen so
zentralen Bereich, wie ihn ein angemessener Wohnraum
darstellt, eine so ausgesprochen günstige Position vorgefunden wie Sie.
({4})
Deswegen möchte ich gleich anfügen, obwohl mein
Kollege Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten darauf noch
eingehen wird: Wer eine Politik macht mit Mietpreissteigerungen von 1,1 Prozent im Jahr - wie wir sie gemacht
haben -, braucht sich eben nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob die Kappungsgrenze bei 30 oder 20 Prozent
im Jahr liegen soll.
({5})
Nun haben wir teilweise, insbesondere in den neuen
Bundesländern, sektorale Leerstände. Ich glaube aber,
dass die derzeitige Regierung und die sie tragenden Fraktionen eine verhängnisvolle Fehleinschätzung begehen,
({6})
und zwar nicht nur in den einzelnen Politikbereichen. Das
zeigen zahlreiche Maßnahmen, die in den letzten beiden
Jahren hier beschlossen wurden: die radikale Kürzung der
Mittel für den sozialen Wohnungsbau, die gleichzeitige
Verschlechterung der steuerlichen Rahmenbedingungen
für den freifinanzierten Mietwohnungsbau, die Verschlechterungen bei der Eigenheimzulage oder jetzt, Frau
Ministerin, einzelne beabsichtigte Änderungen im Mietrecht.
Wirklich schlimm ist, dass wir im Bund zum ersten
Mal überhaupt keine abgestimmte Wohnungspolitik haBundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
ben. Das ist noch freundlich formuliert; eigentlich gibt es
gar keine Wohnungspolitik dieser Regierung. Der Bauminister fährt den sozialen Wohnungsbau herunter, der Finanzminister verschlechtert die steuerlichen Rahmenbedingungen, reduziert die Förderung des selbstgenutzten
Wohneigentums, und Sie, Frau Ministerin, legen jetzt ein
Mietrecht vor - ({7})
- „Zum Thema!“, ruft da jemand. Das ist das Verständnis
dieser Leute von Wohnungspolitik. Hauptsache, die Paragraphen stimmen. Das Dach über dem Kopf ist das Wesentliche!
({8})
Die Ministerin verschlechtert jetzt mit einer ganzen
Reihe von Bestimmungen auch die Rahmenbedingungen
weiter.
({9})
Wenn es in Zukunft überhaupt noch Investoren geben soll,
die sich nicht entmutigt fühlen, dann bedarf es mehr als
einiger kleiner Korrekturen bei den anstehenden Ausschussberatungen. Ich sage das im vollen Bewusstsein der
komplizierten Situation und im vollen Bewusstsein der
Tatsache, dass Sie jeden zweiten Tag in einer Sendung
oder in einem Presseartikel von Wohnungsleerständen
hören oder lesen. Das gilt für partielle Bereiche Deutschlands; das gilt aber nicht überall.
Wenn wir nicht aufpassen, kommt der nächste so genannte Schweinezyklus in der Wohnungspolitik wieder.
Ich sagte schon, dass die durchschnittliche Neubaurate
Mitte der 90er-Jahre bei 600 000 lag. In diesem Jahr erwartet das Städtebauinstitut eine Neubaurate von nur noch
380 000. Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass die so
genannte Ersatzbaurate zwischenzeitlich schon unterschritten wird.
Wie bereits gesagt, wird mein Kollege Dr. Wolfgang
Freiherr von Stetten die einzelnen Vorschriften noch besprechen. Eines ist aber für die CDU/CSU-Fraktion klar
und auch für unseren ehemaligen Staatssekretär Funke
- wir beide wissen, wovon wir reden; Sie können dazu
nachher auch gern Stellung nehmen -:
({10})
Zur Vereinfachung ein klares Ja, zur Verschiebung des in
langen Jahren der Gesetzgebung und Rechtsprechung gefundenen sensiblen Gleichgewichts zwischen Mietern
und Vermietern ein klares Nein.
({11})
Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode als Regierungsfraktion mit der F.D.P. nicht geeinigt, weil sie das
Gleichgewicht zulasten der Mieter verschieben wollte,
und wir werden uns heute weigern, dieses Gleichgewicht
zulasten der Vermieter zu verschieben.
({12})
Die unter der Regierung Kohl gebildete Bund-LänderArbeitsgruppe zur Mietrechtsvereinfachung - ich betone:
Vereinfachung; nomen est omen - hatte hauptsächlich das
Ziel, eine Mietrechtsvereinfachung zu erreichen. In Teilbereichen sollten Innovationen möglich sein. Dazu standen und stehen wir. Wir stehen aber nicht dazu, das von
mir angesprochene Gleichgewicht in der Weise zu verschieben, wie es im Regierungsentwurf vorgesehen ist.
Richtig ist: Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen
erfüllen nicht - oder zumindest nicht mehr - den Anspruch auf Übersichtlichkeit, Klarheit und Verständlichkeit; denn in den letzten 40 Jahren sind viele Änderungen
der Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch selbst oder
auch in anderen Gesetzen erfolgt. So ist es dem Bürger
zum Beispiel angesichts der Änderungen im Miethöhegesetz oder im Sozialklauselgesetz - es beinhaltet den
Schutz des Mieters bei Umwandlung der Wohnung in eine
Eigentumswohnung - fast unmöglich, dieses Mietrecht zu
verstehen und zu begreifen.
Deswegen ist es gut, dass sich der Deutsche Bundestag
heute endlich in die Debatte um ein neues Mietrecht einschalten kann; denn diese Gesetzgebungsmaterie, die für
über 15 Millionen Mieterhaushalte von großer Bedeutung
ist, hat in der Länderkammer immerhin schon einen Beratungsvorlauf von über einem Jahr. Ich erinnere daran,
dass Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bereits im
September 1999 einen entsprechenden Reformgesetzentwurf im Bundesrat eingebracht haben, also lange bevor
die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht hat.
Die CDU/CSU hatte damals gehofft, dass diese Initiative der beiden SPD-regierten Länder eine Art Minenhundfunktion hatte, mit der man herausfinden wollte, ob
die Möglichkeit eines Konsenses mit der CDU/CSU und
mit den CDU- und CSU-regierten Bundesländern bestand. Das war uns damals sehr recht. Für diesen Konsens
schien zunächst einmal zu sprechen, dass die beiden beteiligten Bundesratsausschüsse eine Arbeitsgruppe bildeten und einen ernsthaften Anlauf unternahmen, das
Thema Mietrecht so zu behandeln, dass das Potenzial für
Polemik niedrig gehalten wurde - wir wissen, dass dies in
der Vergangenheit nicht immer der Fall war - und dass
eine über eine Wahlperiode hinausgehende Rahmensetzung möglich war. Ich bedauere es für meine Fraktion
ausdrücklich, dass dieser Anlauf durch die Meinungsbildung in der rot-grünen Koalition im Bund und mit der Beschlussfassung des Bundeskabinetts über einen Regierungsentwurf beendet wurde.
Frau Ministerin, Sie haben uns nicht nur mit dem Gesetzentwurf selber, sondern auch mit Ihren Äußerungen
beim Deutschen Mieterbund am 12. September schwer irritiert; denn sie waren völlig inakzeptabel. Die Ministerin
hat damals gesagt - ich erwähne dies für die Kolleginnen
und Kollegen, die nicht dabei waren -, in den Parlamentsberatungen sollten über den Gesetzentwurf hinaus
eine weitere Absenkung der Kappungsgrenze auf 15 Prozent, asymmetrische Kündigungsmöglichkeiten für Mieter mit einer Absenkung der Kündigungsfrist von sechs
auf drei Monate, der Verzicht auf Zustimmungsbedürftigkeit bei der Erstellung von qualifizierten Mietspiegeln
durch die Vermieterseite, die Erhöhung der Sperrfristen
bei Umwandlungskündigung und die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters aufgrund Zerrüttung geprüft werden. Diese Punkte waren nicht Bestandteil des Regierungsentwurfs.
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, nachdem der Kabinettsbeschluss vorlag, haben Sie in der Berliner Presse behauptet, dieser Gesetzentwurf entspreche nicht den Absprachen innerhalb der Koalition. Deswegen lautet meine
Frage: Was gilt denn nun? Gilt der Gesetzentwurf, gelten
die Ankündigungen der Ministerin oder gelten Ihre Bemerkungen? Es gab erfreulicherweise zwischenzeitlich
eine Annäherung zwischen Referentenentwurf und Kabinettsbeschluss. Ich nenne in diesem Zusammenhang die
Modernisierungsumlage und die Asymmetrie der Kündigungsmöglichkeit.
({13})
- Wir beobachten die Entwicklung sehr genau.
Wir begrüßen auch die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Bundesratsbeschlüssen, eine Mietrechtsreform nicht ohne eine Regelung bezüglich der prozessträchtigen Schönheitsreparaturen vorzunehmen, sowie
die Bereitschaft zur Überprüfung des vor allem für die
neuen Länder wichtigen Anliegens, bei erheblichem Wohnungsleerstand eine Kündigung zum Zwecke der Verwertung des Grundstückes zuzulassen.
({14})
Lange Rede, kurzer Sinn: Die CDU/CSU-Fraktion
wird die Beratungen in beiden Ausschüssen, im federführenden Rechtsausschuss und im Bauausschuss, ernst
nehmen und den Gesetzentwurf von Vorschrift zu Vorschrift daraufhin überprüfen, was mit uns machbar ist und
was nicht. Wir wollen eine Vereinfachung und - ich wiederhole mich - sinnvolle Innovationen zum Beispiel im
Umweltbereich. Aber wir wollen keine Verschiebung des
sozialen Gleichgewichts durch diese Mietrechtsreform.
({15})
Ich erteile der Kollegin Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Kansy, als Erstes muss ich
Ihre Erklärung, es gebe in dieser Koalition keine Wohnungspolitik, mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen. Offenbar haben Sie sowohl die letzten zwei Jahre als auch die
aktuellen Haushaltsberatungen entweder einfach verschlafen oder nicht zur Kenntnis genommen. Ich denke,
wir haben bisher eine sehr engagierte Wohnungspolitik
gemacht. Wir haben die Mittel für die Städtebauförderung
gerade bei dieser Haushaltsberatung erhöht. Wir haben
das Programm „Soziale Stadt“ auf den Weg gebracht und
den Ansatz jetzt wieder ein Stück hochgeschoben. Wir haben ein sehr engagiertes Altbausanierungsprogramm auf
den Weg gebracht, kümmern uns um die Altschuldenhilfeproblematik Ost ganz anders, als Sie das gemacht haben, werden eine Reform des sozialen Wohnungsbaus auf
den Weg bringen und sind jetzt dabei, das Mietrecht zu reformieren. Ich glaube, da können Sie sich wirklich nicht
beschweren, oder Sie sind irgendwie in einem anderen
Film.
({0})
Als Zweites möchte ich mich ganz herzlich bei der
CSU dafür bedanken, dass sie es in der letzten Legislaturperiode verhindert hat, dass es eine Mietrechtsreform
unter Ihrer Regierung, Schwarz-Gelb, gegeben hat. Denn
der Mietrechtsentwurf, den die F.D.P. hier jetzt wieder
vorgelegt hat, macht mir in Bezug auf seine Zielsetzung
große Sorge. Von daher bin ich froh, dass Sie uns die
Chance überlassen, über ein wirklich ausgewogenes Reformkonzept zu beraten.
({1})
Das tut, glaube ich, der Gesellschaft und den auch von Ihnen genannten vielen Vermietern und Mietern wirklich
gut.
Zur Sache: Ich glaube, wir haben hier einen Reformvorschlag vor uns liegen, der zum einen dem Ziel, die in
den Einzelgesetzen verstreuten Regelungen zusammenzufassen und neu zu ordnen sowie das Mietrecht einfacher
zu machen, einen deutlichen Schritt näher kommt und
zum anderen allen Beteiligten, nicht zuletzt der Justiz,
hilft bzw. die Justiz entlastet.
Obwohl ja bekannt ist, dass ich mich sehr stark für
Mieterinteressen engagiere, denke ich, dass es richtig ist,
dass wir einen Gesetzentwurf vorliegen haben, der auf einen fairen Interessenausgleich zwischen der Vermieterseite und der Mieterseite achtet, der auf der einen Seite
Bausteine für mehr Liberalisierung und Stärkung der Vertragsfreiheit enthält - Dinge, die die Mieterverbände
durchaus kritisch sehen. Wir nehmen diese Einwände sehr
ernst. Wir tragen auch Verantwortung für die Ausgewogenheit. Auf der anderen Seite enthält der Gesetzentwurf
wichtige Bausteine, die die Mieterseite stärken. Ich nenne
die beiden, die mir die wichtigsten sind: die Stärkung des
Mietspiegels - ich bin froh, Herr Kollege Kansy, dass Sie
doch auch die Gegenäußerung der Bundesregierung zur
Stellungnahme des Bundesrates gelesen haben - und die
Absenkung der Kappungsgrenzen. Das sind Punkte, die
den Mietern mehr Rechtssicherheit und mehr Schutz an
Stellen geben, wo es sehr wichtig ist.
({2})
Weil Wohnungen kein x-beliebiges Wirtschaftsgut
sind, sondern eine existenzielle Voraussetzung für ein
menschenwürdiges Leben, ist es zwar richtig, dass, wie
Sie, Herr Kansy, gesagt haben, das Mietrecht ein Instrument für Subsidiarität ist, das den gesellschaftlich beteiligten Kräften und Vertragspartnern ein hohes Maß an Eigenverantwortung überträgt - ich weiß nicht, was Sie da
beim Mietrecht insgesamt zu klagen haben -, möchte ich
aber doch sehr deutlich in Richtung F.D.P. sagen, dass ich
ihren Ansatz unverantwortlich und unvereinbar mit dem
Sozialstaatsprinzip finde. Sie, Herr Funke, meinen, das
Mietrecht müsse von all seinen sozialen Schutzfunktionen entrümpelt werden.
({3})
Wir wollen ein modernes und zeitgemäßes Mietrecht, das
Verantwortung überträgt, aber wir wollen keinen Abschied vom Sozialstaatsprinzip. Das gilt für Rot-Grün.
({4})
Wir nehmen auch die Bedenken zum Gesetzentwurf,
die gerade jetzt noch einmal vom Mieterbund gekommen
sind, sehr ernst. Darum haben wir auch noch einige
Punkte, um die wir in der Koalition ringen; das kann ich
deutlich sagen. Da brauchen Sie gar nicht immer Zeitungsartikel zu zitieren; wir haben das selber schon klargemacht.
Ich nenne dafür einige Beispiele. Wir wollen, dass sich
durch die so genannte Zerrüttungskündigung auf keinen Fall eine Verschlechterung gegenüber der heutigen
Rechtslage ergibt. Hieraus darf auf keinen Fall ein Freibrief für Mobbing und Willkür entstehen. Deswegen werden wir die Besorgnisse des Mieterbundes sehr ernsthaft
prüfen. Wir wollen außerdem keinen Missbrauch des Instruments des Zeitmietvertrags. Deswegen werden wir
im weiteren parlamentarischen Verfahren intensiv prüfen,
ob mit der Vorlage die Probleme schon gelöst sind oder ob
Nachbesserungsbedarf besteht.
({5})
Ich möchte - gerade auch in Ihre Richtung, Herr
Kansy - auf folgenden Punkt hinweisen: Seit der Mietrechtsreform der 70er-Jahre hat sich der Wohnungsmarkt
entschieden weiterentwickelt. Die Lebensrealität vieler
Haushalte hat sich hinsichtlich der Wohnsituation verändert. Wir haben keinen flächendeckenden Wohnungsmangel mehr. Der Wohnungsmarkt ist aber stark differenziert:
Im Süden und teilweise in Westdeutschland gibt es Ballungsgebiete mit hohen Mietpreisen und einer angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt. Dem muss Rechnung
getragen werden. Auf der anderen Seite haben wir in Westdeutschland aber auch Gebiete mit einer entspannten Situation auf dem Wohnungsmarkt, und deindustrialisierte
Gebiete in Ostdeutschland weisen teilweise sogar dramatische Wohnungsleerstände auf.
Dieser großen Spannbreite von unterschiedlichen Situationen muss das Mietrecht in seiner heutigen Ausgestaltung meiner Meinung nach Rechnung tragen. Es kann
nicht mehr einseitig - wie es von vielen Vermieterverbänden gesehen wird - als Instrument ständiger Mieterhöhungen angesehen werden. Das war ein Problem der
Anpassungsphase der 70er-, 80er- und im Osten der 90erJahre. Heute geht es um einen gerechten Ausgleich. Den
werden wir auch schaffen, weil die Mieten im Durchschnitt längst das Marktniveau erreicht haben.
Von daher ist aus unserer Sicht das Konzept der Koalition und der Regierung, die Kappungsgrenze der Mietsteigerungen bei den Bestandsmieten auf 20 Prozent zu
senken, richtig. Ich habe es nicht so verstanden, dass die
Frau Ministerin von 15 Prozent gesprochen hat. Sie hat
vielmehr zu dieser Absenkung gestanden. Sie hat berichtet, dass aus München weitere Forderungen gekommen
sind. Zu der Absenkung auf 20 Prozent stehen wir. Wir
halten sie für angemessen. Für die Mieter bringt eine
Mietsteigerung von 20 Prozent - das ist ein enormer
„Schluck aus der Pulle“ - genügend Probleme. Für die
Vermieter ist das aber ein zumutbares Maß.
Lassen Sie mich nun das Problem der Kündigungsfristen ansprechen. Wir Grünen setzen uns im Verfahren auch
weiterhin deutlich für eine einheitliche Kündigungsfrist
von drei Monaten für Mieter ein.
({6})
Wir hoffen, dass wir den Koalitionspartner da auf unserer
Seite haben. Wir finden es richtig, darüber zu verhandeln,
inwieweit auf der Seite der Vermieter eine Absenkung
durchgesetzt werden kann. Aber das Konzept der asymmetrischen Kündigungsfristen möchten wir nicht angetastet wissen. Wir wissen sehr wohl, dass zwischen Vermieter und Mieter gerade bei dem Gut Wohnung deutliche
Unterschiede bestehen. Von daher muss den Mietern mehr
Handlungsspielraum gegeben werden.
Ich fände es schön, wenn es gelänge, noch einmal das
Thema der Schönheitsreparaturen aufzugreifen. Wir
wissen es alle - darüber hat es schon eine Reihe von Gesprächen gegeben -: Es ist sehr schwierig, eine einfache
Formel zu finden, die mehr Rechtssicherheit schafft.
Dann müssten weniger strittige Fälle bis vors Gericht getragen werden. Ich hoffe, dass wir noch eine Formel finden. Wir haben ja schon viele Diskussionen geführt und
viel Schweiß hineingesteckt, ohne eine endgültige Lösung zu finden.
Ich möchte nun einen letzten Punkt ansprechen, die
CO2-Minderung und die Energieeinsparung im Gebäudebestand. Auch hier sind wir einen großen Schritt weitergekommen. Ich möchte mich ganz herzlich bei der Frau
Ministerin dafür bedanken, dass wir das geschafft haben.
Für uns Grüne ist es gerade von besonderer Bedeutung,
dass im Bereich Wohnen Schritt für Schritt mehr Energieeinsparung erfolgt.
Danke schön allerseits.
({7})
Ich erteile dem Kollegen Michael Goldmann, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Ministerin,
ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Ich habe mir auch
Ihren Gesetzentwurf gründlich und in allen Einzelheiten
angesehen, komme aber zu einem ganz anderen Ergebnis.
Ich denke nicht, dass er den Erwartungen gerecht wird.
Ich glaube nicht, dass Mieter und Vermieter nach der Verabschiedung eines solchen Gesetzes besser klarkommen
werden. Ich stelle zwar fest, dass das, was Sie auf den
Tisch legen, scheinbar gut lesbar ist, meine jedoch, dass
Sie die falschen Antworten auf das geben, was sich im
Moment zwischen Mietern und Vermietern als notwendig
erweist.
Nein, sehr verehrte Frau Ministerin, Ihr Gesetz reiht
sich nahtlos in die bisherige eigentums- und investitionsfeindliche Wohnungspolitik der Bundesregierung ein.
({0})
Es ist leider festzustellen, dass der Neubau von Mietwohnungen fast vollständig zum Erliegen gekommen ist. Das
entscheidende Signal, das von diesem Gesetz an die Investoren ausgeht, lautet ganz simpel: Wer auch noch zukünftig in den Wohnungsbau investiert, ist selbst schuld!
Die lange Kette der investitionsfeindlichen Initiativen
und der Drohungen der rot-grünen Mehrheit reißt auch mit
diesem Gesetzentwurf nicht ab. Dazu gehören die Absenkung der degressiven AfA, der Fallenstellerparagraph 2 b
des Einkommensteuergesetzes, die Beschränkung der Verlustverrechnung aus Vermietung und Verpachtung, die Erhöhungen der Grundsteuer und der Erbschaftsteuer und
die Erhöhung der Wohnnebenkosten durch die so genannte
Ökosteuer. Gleichzeitig haben Sie die Förderung des selbst
genutzten Wohneigentums durch eine Kürzung der Eigenheimzulage geschwächt.
Sie lassen auch die Wohnungswirtschaft im Osten
weitgehend im Stich; denn das, was Sie mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz und den Folgeverordnungen eingebracht haben, ist nicht geeignet, die Not in den neuen Ländern zu lindern.
({1})
Es muss jedem klar sein, dass der Wohnungsbau in
Deutschland in erster Linie und zunehmend von privaten
Investoren getragen wird. Das betrifft den kleinen Handwerker und den mittelständischen Betrieb, der in ein
Zwei- oder Vierfamilienhaus investiert, das gilt aber genauso für den Geldgeber für einen offenen Immobilienfonds. Sie wissen es alle: Der staatliche Wohnungsbau hat
dagegen fast keine Bedeutung mehr und ist bei Rot-Grün
zu einer Restgröße verkommen.
Liebe Frau Eichstädt-Bohlig und andere Kollegen aus
diesem Bereich, Sie müssen sich doch fragen: Wer eigentlich soll die 400 000 bis 500 000 Wohnungen bauen, die
wir brauchen, um nicht wieder in andere „Schweinezyklen“ hineinzukommen, die den Mietern ganz erheblich
schaden. Wir dürfen doch nicht die Bereitschaft der Privaten zerschlagen, in den Mietwohnungsbau zu investieren.
Das Gesetz, das uns vorliegt, bringt eben Vermieter
und Mieter nicht auf gleiche Augenhöhe. Es trägt nicht
dazu bei, das Vertrauensverhältnis zwischen Mietern und
Vermietern zu stärken; stattdessen führt es dazu, dass wir
wieder in großem Maße Konflikte produzieren. Sie produzieren mit diesem Gesetz den zukünftigen Wohnungsmangel.
Die Folge wird sein: Die Mieten werden so lange steigen, bis sich die Investoren wieder in den Markt hineintrauen. Damit wird sich der Markt das zurückholen, was
Sie ihm jetzt gesetzlich vorzuenthalten versuchen. Das,
was Sie wollen, wird sich ins Gegenteil verkehren. Das
wissen Sie auch sehr genau und das sagen auch diejenigen, die Sie in besonderer Weise vertreten, nämlich die
Mieter.
Der Mieterschutz wird zu Wohnraummangel führen.
Die Kappungsgrenzen werden zu Preiserhöhungen auf
dem Markt. Spezielle Schutzvorschriften, die Sie vorsehen, werden zu Zugangsbeschränkungen.
({2})
Die Verschärfung des Mietrechts wird zu einer Verschlechterung der Versorgung mit Wohnraum führen. Ihr
verschärftes Mietrecht hilft höchstens kurzfristig denjenigen, die jetzt schon in einer Wohnung sitzen, aber nicht
denjenigen, die eine Wohnung suchen, und auch nicht den
kleinen Vermietern, die nicht über einen Justiziar verfügen und keiner Vermietervereinigung angehören.
Die F.D.P. spricht sich dafür aus, gerade das Vertrauensverhältnis zwischen Mietern und Vermietern zu begünstigen. Zurzeit gibt es dieses Vertrauensverhältnis ja in
weiten Bereichen. Tun wir doch nicht so, als ob die Dinge
in diesem Bereich besonders schwierig oder belastet
wären. Nehmen wir doch ganz einfach zur Kenntnis, dass
dieses Gesetz dazu beitragen könnte, die Investitionsbereitschaft zu stärken. Es könnte zu mehr Mietwohnraum
und dadurch zu mehr Arbeitsplätzen und Investitionen
führen. Es könnte insgesamt einem Teil unserer Wirtschaft erheblich dienen.
Unser Gesetzentwurf, den wir bereits vor geraumer
Zeit eingebracht haben, trägt dem Gedanken der Begegnung auf Augenhöhe zwischen Mieter und Vermieter in
besonderer Weise Rechnung. Mieter und Vermieter sind
- davon bin ich überzeugt - im Grunde gutwillige Partner.
Das kann man am besten fördern, indem man ihnen Vertrauen entgegenbringt. Das tun Sie aber mit diesem Gesetz nicht.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird eine gründliche
Überarbeitung im federführenden Rechtsausschuss und
im begleitenden Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen erfahren müssen, damit er dem Rechnung
trägt, was wir gemeinsam wollen, nämlich mehr zufriedene Vermieter und Mieter.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich erteile der Kollegin Evelyn Kenzler, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung dieses Gesetzesvorhabens kann ich nur unterstreichen. Das Recht auf
angemessenen Wohnraum ist ein grundlegendes MenHans-Michael Goldmann
schenrecht. Etwa 50 Millionen Menschen in Deutschland
können dieses Recht nicht durch Wohneigentum, sondern
nur durch das Anmieten einer Wohnung verwirklichen.
Die Mietwohnung ist für sie ein Ort sozialer Geborgenheit
und persönlicher Freiheit, ein Mittel „zur Befriedigung
elementarer Lebensbedürfnisse“, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung von 1993 festgestellt
hat.
Insofern kommen - so das Bundesverfassungsgericht dem Besitzrecht an der Wohnung typische Funktionen des
Sacheigentums zu. Da derjenige, der besitzt, gerüstet sein
muss, wie bereits Goethe feststellte, ist ein durchschaubares und soziales Mietrecht unverzichtbar. Ein solches
Mietrecht zu schaffen ist auch ein wichtiges Anliegen
meiner Fraktion.
Ich will nicht falsch verstanden werden: Das Wohnraummietrecht muss einen Interessenausgleich beinhalten, der die legitimen Interessen der Vermieter einschließt.
Sie sind es, die den entsprechenden Wohnungsbestand sichern und damit erst die Voraussetzungen schaffen, dass
das soziale Gut Wohnung zur Verfügung steht. Aber
- auch das ist wohl unzweifelhaft - im Wohnungsmietverhältnis stehen sich in der Regel ungleiche Partner gegenüber. Der Vermieter nimmt aufgrund seiner Eigentümerstellung gewöhnlich eine stärkere Position als der
Mieter ein.
({0})
Deshalb verfolgt meine Fraktion das besondere Anliegen, dass der in Jahrzehnten erkämpfte soziale Mieterschutz erhalten und weiter ausgebaut wird.
({1})
Aus diesem Grunde müssen im Rahmen der vorher
genannten Interessenabwägung der Vertragsfreiheit im
Mietrecht sachgerechte und angemessene Grenzen gesetzt
werden.
Wenn ich den Entwurf der Bundesregierung an diesen
Ansprüchen messe, dann muss ich sagen, verehrte Frau
Ministerin: Die Erwartungen vieler Betroffenen - der
Mieterverbände und auch meine eigenen - werden damit
nicht erfüllt. Eine wirkliche Reform ist das, was Sie vorlegen, noch nicht. Ich teile die Kritik des Deutschen Mieterbundes an diesem Entwurf. Seine Präsidentin, unsere
Abgeordnetenkollegin Frau Anke Fuchs, hat gesagt: Ohne
spürbare Korrekturen und Nachbesserungen in zentralen
Punkten ist das Reformvorhaben für uns inakzeptabel. Das gilt auch für unsere Fraktion.
({2})
Besonders bedauerlich finde ich es, dass Sie es, Frau
Ministerin, zugelassen haben oder zulassen mussten, dass
der heute vorliegende Text gegenüber dem Referentenentwurf aus Ihrem eigenen Hause in zwei Punkten, und
zwar zentralen Punkten, verschlechtert wurde: Der Referentenentwurf sah eine Absenkung der Umlage der Kosten für die Modernisierung von 11 auf 9 Prozent vor.
Von Ihnen, Frau Ministerin, gab es sogar öffentliche
Überlegungen, dass die Beibehaltung der Modernisierungsumlage keineswegs selbstverständlich sei; man
hätte sie eigentlich ganz streichen müssen, weil sie im
Vergleichsmietensystem ein Fremdkörper sei.
({3})
Jetzt ist sogar die Absenkung wieder vom Tisch. Es soll
bei den 11 Prozent bleiben. Meine Fraktion wird deshalb
in den kommenden Debatten die Abschaffung der Modernisierungsumlage in die Diskussion bringen.
({4})
Der Referentenentwurf hat in Aussicht gestellt, dass
für den Mieter eine einheitliche Kündigungsfrist von
drei Monaten - unabhängig von der Dauer des Mietverhältnisses - gelten soll, während es auf der Seite des Vermieters bei der bisherigen Regelung bleibt. Dafür gibt es
gute Gründe. So mancher Mieter ist gezwungen, seine
Wohnung sehr kurzfristig aufzugeben, weil er beispielsweise seinen Arbeitsort wechseln oder aus anderen zwingenden Gründen umziehen muss. Jetzt wird also schon zu
Beginn des parlamentarischen Prozesses die asymmetrische Kündigungsfrist zu einem wesentlichen Teil leider
wieder zurückgenommen, was den steigenden Flexibilitätsanforderungen an die Mieter deutlich widerspricht.
Wir streben eine Rückkehr an. Ich habe mit Freude vernommen, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, dass auch Ihre
Überlegungen in diese Richtung gehen.
Nach der meines Erachtens notwendigen deutlichen
Kritik will ich jedoch nicht den Eindruck erwecken, ich
ließe kein gutes Haar am Regierungsentwurf. Das würde
diesem Entwurf nicht gerecht werden. Eine gewisse Vereinfachung ist durchaus gelungen. Das Mietrecht ist verständlicher, für den Laien handhabbarer geworden. Die
Zusammenführung der Regelungen im BGB und die
Gliederung nach dem natürlichen Ablauf eines Mietverhältnisses halte ich für richtig. Die Herabsetzung der Kappungsgrenze für Mieterhöhungen von 30 auf 20 Prozent
begrüße ich; nach meiner Meinung hätten 15 Prozent allerdings gereicht. Die Abschaffung der Möglichkeit zur
Mieterhöhung wegen gestiegener Kapitalkosten halte ich
ebenfalls für sachgerecht.
({5})
- Na, warten Sie einmal ab.
Anerkennenswert ist im Entwurf die Aufwertung der
Mietspiegel als des geeignetsten Instruments zur Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Sie erfolgt jedoch inkonsequent. Die Rolle der Mietspiegel sollte weiter gestärkt werden. Wir schlagen vor, Gemeinden mit
mehr als 50 000 Einwohnern zur Aufstellung von Mietspiegeln zu verpflichten.
({6})
Einen Fortschritt bringt der Entwurf mit der Anerkennung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften im Mietrecht. Es ist aber in meinen Augen inkonsequent, dass der
Entwurf sowohl den Ehepartner des Mieters als auch die
Personen, die mit ihm in einem auf Dauer angelegten
Haushalt leben und diesen mit ihm führen, im Grunde erst
beim Tod des Mieters zur Kenntnis nimmt, nämlich als
mögliche Partner, die den Mietvertrag weiterführen. Sie
sollten schon zu Lebzeiten des Mieters die rechtliche
Möglichkeit des Eintritts in das Mietverhältnis erhalten.
Meine Fraktion wird auch dazu einen Vorschlag unterbreiten. - Alles in allem: Der Entwurf entspricht bisher
nicht den Erwartungen.
Bedeutend kritischer sehe ich allerdings den Entwurf
der F.D.P. für ein Mietrechtsvereinfachungsgesetz, was
Sie nicht wundern wird. Dieser Entwurf verfolgt offensichtlich das Ziel, im Namen der Vertragsfreiheit und des
Anreizes für Investitionen die Vermieterseite besser zu
stellen und Veränderungen zugunsten der Mieterseite tunlichst zu vermeiden.
Es steht uns offenbar ein hoffentlich produktiver Streit
um ein besseres Wohnungsmietrecht in den Ausschüssen
und in der Öffentlichkeit bevor. Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Koalition, sollten den Entwurf allerdings nicht mit Ihrer Mehrheit auf die Schnelle durchboxen, sondern uns ausreichend Zeit für die Diskussion
geben.
Ich kann schon jetzt ankündigen, dass meine Fraktion
in die Diskussion mit einem umfassenden Änderungsantrag eingreifen wird. Neben dem, was ich bereits angedeutet habe, werden eine Reihe von Vorschlägen von uns
gemacht, zum Beispiel zu Mietverhältnissen in Wohngemeinschaften, zu klaren Regelungen für Schönheits- und
Kleinreparaturen, zur Duldung von Maßnahmen des Mieters zur Verbesserung der Wohnung, zur Haustierhaltung
in der Wohnung, zum Wohnungstausch, zur Abschaffung
der Verwertungskündigung und der so genannten Zerrüttungskündigung sowie zur weiteren Ausgestaltung der
Sozialklausel.
Danke schön.
({7})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dirk Manzewski, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Mietrecht kommt im alltäglichen
Leben - auch wenn dies vielleicht nicht immer wahrgenommen wird - eine besondere Bedeutung zu. Millionen
von Menschen sind als Mieter auf gute und bezahlbare
Wohnungen angewiesen. Für Millionen von Vermietern
gehören Mieteinnahmen zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage.
Das geltende Mietrecht wird den heutigen Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft jedoch längst nicht
mehr gerecht. Es trägt weder den gewandelten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnissen
noch der veränderten Wohnungsmarktsituation Rechnung.
Soweit im Mietrecht überhaupt einmal eine Systematik
existierte, ist diese längst nicht mehr erkennbar. Änderungen und Ergänzungen haben das Mietrecht meiner Auffassung nach immer komplizierter und unübersichtlicher gemacht. Hinzu kommt, dass das Mietrecht auch sprachlich
veraltet und deshalb nur schwer verständlich ist.
Die Bundesjustizministerin hat deshalb völlig Recht,
wenn sie eine Modernisierung unseres Mietrechts für
dringend erforderlich erachtet. Es ist durchaus nicht so,
dass wir die Ersten sind, die das so sehen: Gefordert wird
eine solche Reform schon seit langem. Bereits die letzte
Bundesregierung hat Handlungsbedarf gesehen und deshalb eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, deren
Vorschläge dem heute diskutierten Gesetzentwurf als
Grundlage dienen, dem parallel eingebrachten Gesetzentwurf der F.D.P., Herr Kollege Goldmann, im Übrigen
auch.
Was wir dringend brauchen, ist vor allem eine Vereinfachung des Mietrechts. Das Mietrecht muss klarer, verständlicher und transparenter werden. Mietern und Vermietern muss es wieder möglich sein, ihre Rechte und
Pflichten auch ohne fachlichen Beistand erkennen zu können. Das ist derzeit meist nicht mehr der Fall.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss das Mietrecht zunächst systematisch neu geordnet werden. Das geltende
Mietrecht enthält Vorschriften für alle Arten der Miete:
die Miete von Wohnraum, von Tieren, von Schiffen oder
von Grundstücken. Das eminent wichtige Wohnraummietrecht, das schon mehrfach diskutiert wurde, ist bislang noch nicht in einem eigenen Teil gesondert geregelt.
Ich halte daher den Schritt der Bundesregierung für richtig, das Mietrecht neu zu gliedern, und zwar in allgemeine
Vorschriften für alle Arten von Mietverhältnissen und gesonderte Vorschriften für die speziellen Bereiche der
Miete, insbesondere die Wohnraummiete. Es ist längst
überfällig, dass in diesem Zusammenhang überlange und
übermäßig detaillierte Vorschriften gestrafft und - soweit
erforderlich - entsprechend untergliedert werden.
Die Reform legt zu Recht einen besonderen Schwerpunkt auf das Wohnraummietrecht. Hier gilt es, Versäumnisse der Vergangenheit zu bereinigen.
({0})
Frau Justizministerin, ich bin besonders darüber erfreut,
dass wichtige Vorschriften für das Wohnraummietrecht,
die bisher in Spezialgesetzen außerhalb des Bürgerlichen
Gesetzbuches niedergelegt waren, nun im Bürgerlichen
Gesetzbuch zusammengefasst werden. Ich sage das als
ehemaliger Praktiker nicht nur deshalb, weil es auf diese
Weise leichter wird, die Vorschriften aufzufinden. Auch
die Tatsache, dass innerhalb der Wohnraummietverhältnisse eine klare Gliederung der Vorschriften nach dem typischen zeitlichen Ablauf eines Mietverhältnisses vorgenommen werden soll, wird vieles vereinfachen.
All diese Maßnahmen werden dazu beitragen, den
Rechtsfrieden zu stärken und das Streitpotenzial im Mietrecht zu verringern. Auf diese Weise können die Änderungen - die Bundesjustizministerin hat darauf bereits hingewiesen - zu einer Entlastung der Gerichte beitragen. Wer
genau weiß, wozu er berechtigt und wozu er verpflichtet
ist, braucht dies nicht erst in langen und teuren Gerichtsverfahren abklären zu lassen.
({1})
Dies reicht jedoch nicht. Eine Mietrechtsreform kann
nur dann Erfolg haben, wenn ihr auch eine inhaltliche
Modernisierung des Mietrechts gelingt. Zwischen den unterschiedlichen Interessen von Vermietern und Mietern
muss wieder ein angemessener und gerechter Ausgleich
gefunden werden. Dabei, Herr Kollege Goldmann, ist
natürlich zu berücksichtigen, dass sich die schutzwürdigen Interessen von Vermietern und Mietern aufgrund
geänderter Lebensverhältnisse und Veränderungen des
Wohnungsmarktes verschoben haben.
({2})
Ich kann insofern nicht alle Ihre Ausführungen teilen.
({3})
- Danke.
Wir befürworten daher ausdrücklich den Vorschlag der
Bundesregierung, das bewährte Vergleichsmietenverfahren
noch zu stärken, indem zusätzlich zum bislang bestehenden
Mietspiegel ein so genannter qualifizierter Mietspiegel
eingeführt wird. Dieser nach wissenschaftlich anerkannten
Grundsätzen erstellte Mietspiegel wird sowohl bei den
Mietparteien als auch bei den Gerichten eine größere Akzeptanz finden und viele Streitigkeiten vereinfachen.
Ich halte es auch für richtig, die Kappungsgrenze von
30 Prozent auf 20 Prozent zu senken. In der Vergangenheit hat es sich nun einmal häufig gezeigt, dass höhere
Mietsteigerungen, insbesondere bei preisgünstigen Wohnungen in Ballungsgebieten, zu nicht hinnehmbaren Härten, gerade bei einkommensschwachen Mietern, geführt
haben. Insbesondere junge Familien mit Kindern werden
daher von der Neuregelung profitieren.
Dass es im Bereich der Betriebskosten mehr Abrechnungsgerechtigkeit geben soll, indem noch stärker auf den
tatsächlichen Verbrauch oder die reale Verursachung abgestellt wird, findet unsere volle Unterstützung. Es ist nur
gerecht und billig, dass der tatsächliche Verbraucher für
diesen Verbrauch auch aufkommt.
({4})
Auch dem Vorschlag, die Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung von Index- und Staffelmieten durch den Wegfall der zeitlichen Beschränkungen zu fördern, wird von
unserer Seite zugestimmt. Wir begrüßen auch die Überlegung, den Schutz für Haushaltsangehörige und auf Dauer
angelegte gemeinsame Haushalte zu verbessern, indem
auch diesen nach dem Tode des Mieters ein Eintrittsrecht
in einen bestehenden Mietvertrag eingeräumt wird. Damit
wird den geänderten Lebensgewohnheiten in unserer Gesellschaft Rechnung getragen.
({5})
Zu Recht verweist die Bundesregierung darauf, dass
der Kündigungsschutz den heutigen Erfordernissen einer modernen Gesellschaft angepasst werden muss. Bei
der zunehmend geforderten Mobilität und Flexibilität
sind für den Mieter bei lang andauernden Mietverhältnissen Kündigungsfristen von bis zu einem Jahr nicht mehr
hinzunehmen. Gleiches gilt im Übrigen für Alte und
Kranke, die zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen
kurzfristig in ein Alten- oder Pflegeheim umziehen müssen. Auch wir sehen daher das dringende Bedürfnis, die
Kündigungsfristen für Mieter erheblich zu verkürzen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein Wort an
die Kollegen von der F.D.P. richten: Es kann nicht sein,
dass man Mobilität und Flexibilität von Arbeitnehmern
nur dann fordert, wenn es gerade passt. Sie haben hier die
Gelegenheit, Ihrer Argumentation mehr Inhalt zu geben
und den Betroffenen entgegenzukommen. Ich hoffe, dass
Sie das auch tun werden. Im Übrigen würde ich Ihnen
empfehlen, Ihren eigenen Gesetzentwurf zu lesen, da
auch Sie für Alte und Kranke einschränkende Regelungen
vorsehen.
({6})
Neben der Garantie des Eigentums einerseits und der
sozialen Verpflichtung hieraus sowie der Verantwortung
der Mieter gegenüber der Mietsache andererseits setzt die
Mietrechtsreform vor allem auf die partnerschaftliche
Kooperation von Mietern und Vermietern. Die Reform
behält dabei die große sozial-, wohnungs- und wirtschaftspolitische Bedeutung des privaten Mietrechts im
Auge. Die besondere Bedeutung der Bau- und Wohnungswirtschaft als Wirtschaftsfaktor werden ebenso wie
die Belange des Umweltschutzes berücksichtigt.
Ich komme zum Schluss. Wir brauchen ein modernes
Mietrecht. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt
meiner Auffassung nach Maßstäbe. Wir werden gerne der
Einladung folgen, uns an den spannenden Debatten hierüber in den nächsten Wochen und Monaten aktiv zu beteiligen. Meine Damen und Herren von der Opposition,
tun Sie es uns gleich.
Ich danke Ihnen.
({7})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang von Stetten, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Aktueller könnte diese Diskussion über das Mietrecht nicht
sein, denn nur durch den Rücktritt von Herrn Klimmt
haben die Deutschen erfahren, dass er auch Bundesbauminister war. Er war eben für viele ein Bauminister ohne
Resonanz. Denn von Baupolitik und Infrastruktur haben
wir von ihm nichts gehört.
({0})
Bundeskanzler Schröder hatte dieses Mal Pech. Da er für
einen zurückgetretenen Minister keinen abgewählten oder
abgehalfterten Ministerpräsidenten als Ersatz stellen
konnte,
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich finde
das unanständig! Wer hat Ihnen denn diesen
Unsinn aufgeschrieben?)
musste er auf einen neuen, relativ jungen Kollegen
zurückgreifen. Wir werden sehen, was diese Nummer drei
in diesem Amt innerhalb von zwei Jahren bringt.
Der Kanzler dieser Regierung, Gerhard Schröder, ist
einmal angetreten nach dem Motto: Wir machen nicht alles anders, aber wenn anders, dann besser. Das Gegenteil
ist eingetreten.
({1})
Nach zwei Jahren Bilanz ist vieles anders, aber fast nichts
besser geworden.
({2})
Die jahrelange Preisstabilität ist verloren und wir sind auf
dem Wege zur Inflation, weil diese Regierung, gejagt von
den Grünen, in unverantwortlicher Art und Weise Benzinund Dieselpreis, Heizöl- und Strompreis in die Höhe treibt
und Steuern draufknallt,
({3})
anstatt antizyklisch zu handeln und die Steuererhöhung
zurückzunehmen, mindestens aber auszusetzen.
Diese Benzin- und Dieselpreiserhöhung ist übrigens
ein ganz übler Betrug.
({4})
Denn vor den Wahlen hat der damalige Kanzlerkandidat
Gerhard Schröder versichert, mit ihm werde es eine Preiserhöhung um höchstens 6 Pfennig geben.
({5})
Dabei hat er - das ist wohl üblich bei den höheren Chargen der SPD - schon damals netto und brutto verwechselt,
weil 6 Pfennig mit Mehrwertsteuer bereits 7 Pfennig sind.
Als er an der Regierung war, zeigte er seinen Taschenspielertrick und sagte: Ich habe gemeint: 6 Pfennig pro
Jahr. Die Bürger, die ihn gewählt haben, wurden schlichtweg übers Ohr gehauen und die Regierung erhöht lustig
die Preise um 7 Pfennig jährlich, bis sie 35 Pfennig erreicht haben.
Damit bin ich schon beim Mietrecht.
({6})
- Man muss nur die richtige Einführung bringen. Dann
hören Sie zu. Das ist doch ganz wichtig. - Die Folge ist
nämlich, dass das Wohngeld jetzt massiv erhöht werden
muss,
({7})
und zwar aus Steuermitteln, und dass ebenso aus Steuermitteln Heizkostenzuschüsse gezahlt werden müssen. Immer wieder müssen das diejenigen zahlen, die das Geld
verdienen und für das verdiente Geld Steuern zahlen.
Sie versuchen es als Erfolg zu verkaufen, dass für die
Ärmeren ein Heizkostenzuschuss von 2 Milliarden bis
3 Milliarden DM bewilligt und das Wohngeld um 1,4 Milliarden DM erhöht wird.
({8})
Sie nennen das sozial? Ich nenne es unsozial.
({9})
Sie hätten sich das alles sparen können, wenn Sie die Steuererhöhung nicht durchgeführt hätten.
({10})
Ihr Argument, dass Sie die Lohnnebenkosten senken,
stimmt deswegen nicht, weil Sie gerade mit dem gestern
eingebrachten Entwurf zur Rentenreform die Lohnnebenkosten deutlich erhöhen wollen.
({11})
Zudem nützen weder einem Rentner noch einem Beamten
noch einem Landwirt oder Selbstständigen die Zuschüsse
zur Rentenversicherung. Diese Bevölkerungsgruppen
werden schlichtweg abgezockt.
Eines passt in Ihr Mietrechtsreformgesetz ganz gut:
dass die Nettomiete stärker hervorgehoben wird. Denn
dann wird der Mieter und Bewohner merken, was er durch
die gestiegenen Heizölpreise mehr für Heizöl und Warmwasser zu zahlen hat und dass auch die Erhöhung der Nebenkosten überall mit den erhöhten Preisen für Energie
begründet wird. 95 Prozent der Bevölkerung oder mehr
erhalten keinen Ausgleich.
Nun ist es in der Tat richtig, dass das geltende Mietrecht zersplittert ist und in vielen Gesetzen unübersichtlich geregelt ist. Insofern ist eine Reform durchaus richtig. Aber Sie von der rot-grünen Koalition nutzen die
Notwendigkeit einer Reform aus, um es teilweise auf den
Kopf zu stellen. Sie sind auch noch auf halbem Wege stehen geblieben und haben ein halbes Dutzend Gesetze unverändert gelassen.
({12})
Während unserer Regierungszeit war an der Mieterund Vermieterfront dank ausgewogener Gesetze Ruhe.
Darauf hat schon eben der Kollege von der F.D.P. hingewiesen. Sowohl die Mieter als auch die Vermieter konnten mit unseren Gesetzen leben. Es hätte daher nur einer
Gesetzeszusammenfassung bedurft. Der Anstieg der Mieten war gebremst. In manchen Städten geht er inzwischen - bedingt durch einen Überhang an freien Wohnungen - sogar leicht zurück. Die Investitionstätigkeit auf
dem Mietwohnungssektor in den neuen Ländern, ausgelöst durch die hohen Abschreibungsmöglichkeiten, war
in den Vorjahren dramatisch gesunken. Aber in der letzten
Zeit gab es Anzeichen für eine langsame Erholung. Durch
Ihr Mietrechtsreformgesetz machen Sie dieses zarte
Pflänzchen wieder kaputt, weil Sie Investoren neue Erschwernisse in den Weg legen, sie mindestens verunsichern und dadurch von Investitionen abhalten oder sie
zwingen, eine abwartende Haltung einzunehmen. Dieser
ordnungspolitische Unsinn gefährdet zukünftige Investitionen.
In diesen Zusammenhang passt im Übrigen auch die
Entfernungspauschale. Das Gesetz, das das regelt, ist
auch durchgepeitscht worden. Die Entfernungspauschale
hat auch etwas mit dem Miet- und Wohnungsrecht zu tun;
denn die hohen Benzin- und Dieselpreise treffen insbesondere diejenigen, die - oft aus Kostengründen - außerhalb wohnen und die mit dem Auto zur Arbeit und zum
Einkaufen fahren müssen. Nun zäumen Sie auch hier das
Pferd von hinten auf; denn der geschundene Autofahrer
wird mit der geringen Erhöhung von 10 Pfennig pro Kilometer abgespeist
({13})
und denjenigen, die nicht Auto fahren, wird ein Geschenk
gemacht, das letztlich der Autofahrer über erhöhte Steuern
finanzieren muss. Hier zeigt sich, dass sich die Ideologie
der Grünen - das Auto ist der Feind Nummer eins - innerhalb dieser Regierung durchgesetzt hat. Das Autofahren
wird direkt oder indirekt über die Entfernungspauschale
verteufelt. Wir lehnen das ab.
({14})
Der im Gesetz vorgesehene qualifizierte Mietspiegel,
der wissenschaftlichen Ansprüchen genügen muss, ist
völlig überflüssig, weil der derzeitige Mietspiegel durchaus genügt und lediglich ein unnötiger und teurer Bürokratismus angeblichen wissenschaftlichen Ansprüchen
genügen soll. Im Gegensatz zu Ihrer Behauptung ist dies
nicht im Interesse der Mieter und Vermieter, Frau Ministerin, weil die Verfahren vermutlich verzögert und verteuert werden.
Völlig unnötig - weil es, wie Sie anhand der Statistiken sehen können, keine großen Verteuerungen gab - ist
die Senkung der Kappungsgrenze von 30 auf 20 Prozent; denn die bisherigen Regelungen waren ausgewogen
und standen im Einklang mit den Gegebenheiten auf dem
Wohnungsmarkt. Die Senkung der Kappungsgrenze ist
ein weiteres Stoppsignal für Investitionen.
Das neu geregelte Eintrittsrecht von Familienangehörigen oder Personen, die mit dem Mieter einen auf
Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führen, ist eine
unzuträgliche Verschlechterung für den Vermieter, weil er
erst neue höchstrichterliche Urteile abwarten muss, damit
geklärt wird, was „auf Dauer angelegt“ und „gemeinsam“
heißt und wie viele Personen einen solchen Haushalt
führen dürfen. Zu dieser Verschlechterung passt das gerade am letzten Freitag durchgepeitschte Gesetz über die
Lebenspartnerschaft, mit dem das Eintrittsrecht des Lebenspartners bei Tod des Mieters erweitert wird, und zwar
mit dem lapidaren Satz: Dasselbe gilt für Lebenspartner. Hier hat man bewusst die Zahl der Lebenspartner weggelassen;
({15})
denn nach diesem Gesetz können zwei Männer, die eine
Lebenspartnerschaft eingegangen sind, jeweils noch eine
Ehe mit einer Frau eingehen. Dann würden sie zu viert als
kombinierte Ehe- und Lebenspartnergemeinschaft - fröhlich oder weniger fröhlich; aber alle mit dem gleichen
Nachnamen - in einer Wohnung leben. Bei Tod eines Lebenspartners oder Ehegatten wäre dann die Frage, mit
wem der Vermieter den Mietvertrag fortsetzen muss. Das
lässt sich zwar einfach lösen, wenn man diese Vierergemeinschaft als Gesamtlebenspartnerschaft ansieht. Aber
das ist sicherlich nicht im Sinne des Vermieters.
({16})
- Das, was Sie verabschiedet haben, gehört sicherlich
nicht zur deutschen Leitkultur.
({17})
Das möchte ich hier festhalten.
({18})
- Ich kann Ihnen noch einen sagen: Vielleicht haben Sie
§ 172 StGB, Bigamie, bewusst nicht geändert, damit Sie
vor dem Bundesverfassungsgericht sagen können: Es gibt
doch einen Unterschied zwischen der Ehe und der eingetragenen Lebenspartnerschaft.
Die geplante Verkürzung der Kündigungsfristen für
langfristige Mietverträge ist nur dann gerechtfertigt, wenn
sie für beide Seiten gilt. Bei einer Kündigungsfrist von
drei Monaten bei einer Mietdauer von bis zu fünf Jahren
und von sechs Monaten bei mehr als fünf Jahren muss
weiterhin Gleichheit gelten.
({19})
- Herr Fischer, die roten Socken haben Sie lange genug
getragen.
({20})
Denn ein asymmetrisches Kündigungssystem widerspricht auch dem Grundgesetz. Zudem gelten nach wie
vor für den Mieter die Widerspruchsmöglichkeiten des
neuen § 574 BGB bei besonderer Härte, sodass der Mieter auch zusätzlich geschützt ist.
Es war sicher richtig, dass eine Mieterhöhung wegen
gestiegener Kapitalkosten nicht einfach in der Handhabung war. Ich halte es dennoch für falsch, sie ersatzlos zu
streichen, weil das Investoren abschreckt.
Die vielen anderen Einzelheiten und Änderungen, die
oft als redaktionelle Änderungen angekündigt werden,
müssen im Laufe des Beratungsverfahrens genau geprüft
werden, weil vernünftige Änderungen von uns nicht torpediert werden. Der Teufel steckt aber bekanntlich oft im
Detail. Wir wollen nicht, dass uns der Teufel nachher holt.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Wohnungseigentum und zu den Aussichten dafür sagen. Nur wer Eigentum hat, geht auch mit Eigentum anderer sorgfältig
um. Das ist eine Binsenwahrheit. Deswegen ist Eigentumsförderung immer ein großes Ziel der CDU/CSU gewesen.
({21})
- Ich habe große Freude daran, dass ich Sie zu Widerspruch anrege.
Die Idee des geförderten Bausparens entstammt der
Zeit des Beginns der sozialen Marktwirtschaft unter
Ludwig Erhard und hat ihre Grundwurzeln in
Art. 14 Grundgesetz, in dem vom Recht auf Eigentum,
aber auch von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums die
Rede ist.
Vor einigen Jahren haben wir von der CDU/CSU und
der F.D.P. die Eigenheimzulage von 5 000 DM bzw. zusätzlich 1 500 DM pro Kind jährlich, die für mehrere
Jahre gewährt wird, eingeführt. Das war der richtige
Schritt, denn insbesondere Geringverdienende oder jüngere Bauwillige hatten keinen Vorteil von Abschreibungen, um Steuern zu sparen, weil die Einkommen der Familien teilweise gar nicht zur Steuerpflicht führten. Diese
Zulage hat wesentlich zum Eigentumserwerb oder zum
Hausbau beigetragen. Dies ist eine große Leistung der
CDU/CSU-F.D.P.-Koalition. Sie wollen - ich kann mich
nur wundern, dass Sie das als sozial empfinden - diese
Zulage halbieren. Dies ist wiederum ein Schlag gegen die
Geringverdiener und gegen das Eigentum.
({22})
Dabei sehe ich die Finanzierung von Wohnungsbau in
den fünf neuen Bundesländern eher skeptisch. Die hohen
Abschreibungssätze haben zwar Investoren angelockt,
({23})
aber Eigentümer der Wohnungen sind jetzt die falschen,
nämlich in der Regel sehr gut verdienende Bürger aus
dem Westen, die zum Teil 10, 20 und mehr Wohnungen
gekauft haben und die ihre Lage nicht einmal kennen, sondern nur ihr Steuerberater. Der Staat musste hier steuerliche Mindereinnahmen von 40 bis 50 Milliarden DM finanzieren.
({24})
- Lassen Sie mich das doch kritisch sagen. Es war falsch.
Ich habe damals den Vorschlag gemacht, der von vielen belächelt wurde, jedem Bewohner einer Wohnung in
der ehemaligen DDR diese Wohnung zu schenken und
ihm zusätzlich 50 000 DM Renovierungskosten zu geben.
({25})
Dies wäre richtig gewesen. Damit hätten wir 1 Million
Familien die Möglichkeit gegeben, vergünstigt Eigentum
zu erwerben. Dann hätten wir heute nicht das Dilemma
von Hunderttausenden vergammelter Platten- und Altbauten.
Meine Damen und Herren, gestern haben Sie Ihr Rentenkonzept eingebracht. Sie wollen es in den nächsten
Wochen durchpeitschen. Da mag manches richtig sein,
aber eines ist vom Grundsatz falsch, nämlich dass Sie in
die staatlich geförderte Eigenvorsorge für das Alter das
Wohnungseigentum nicht einbauen. Das mag sicher
schwierig sein, aber es ist machbar, auch Wohnungseigentum für das Alter zu sichern, zum Beispiel indem der
Förderbetrag als Resthypothek auf Haus- und Wohnungseigentum grundbuchlich eingetragen wird und ausschließlich für die Altersvorsorge abgesichert wird.
({26})
Es mag sein, dass das der Ideologie mancher linken
Gruppen Ihrer beiden Parteien nicht entspricht, weil viele
fürchten, dass Eigentum die Wähler gegebenenfalls auf
den Gedanken bringt, bürgerlich zu wählen. Aber nehmen
Sie schlichtweg zur Kenntnis, dass sich die jüngeren
Rentner zwischen 60 und 70 Jahren zu 60 Prozent über eigene Wohnungen oder eigene Häuser - oft unter schwierigsten Umständen - eine Altersversorgung zusätzlich zu
Renten, Pensionen oder auch Betriebsrenten aufgebaut
haben. Nahezu 100 Prozent dieser 60 Prozent Rentner haben mit Bausparverträgen begonnen - eine geniale Idee
der sozialen Marktwirtschaft, die im Übrigen aller Anfang
für Eigentumserwerb war. Wohnungseigentum ist daher
ein unverzichtbarer Baustein der privaten Altersvorsorge
und es wäre verhängnisvoll, wenn diese rot-grüne Regierung das nunmehr geplante Alterssicherungssparen gegen
das selbst genutzte Wohnungseigentum ausspielte und
damit das Wohnungsbausparen im Ansatz zerstörte.
({27})
Die Bausparkassen Deutschlands haben Unterlagen
zur Verfügung gestellt, in denen deutlich wird, dass sich
60 bis 70 Prozent der Bausparer aufgrund ihres Einkommens eine doppelte Belastung, nämlich die „freiwillige“
Zwangsabgabe für die selbst finanzierte Altersvorsorge
und die Beiträge zur Bausparkasse, nicht leisten können.
Selten einmütig sind die wohnungsbaupolitischen Spitzenverbände an die Öffentlichkeit getreten: das Evangelische Siedlungswerk in Deutschland, der Katholische
Siedlungsdienst, der Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen, der Bundesverband Freier Wohnungsunternehmen, Haus & Grund Deutschland, Deutsches Volksheimstättenwerk und andere. Sie fordern von
der Regierung unisono, dass selbst genutztes Wohnungseigentum in die Förderung der privaten Altersvorsorge im
Gesetz zur Rentenreform einbezogen wird. Dies ist eine
ganz wesentliche Forderung bei der Mietrechtsreform.
({28})
Der Bausparkassenverband hat übrigens bereits für den
Fall, dass das Wohnungseigentum nicht in die Förderung
aufgenommen wird, die Forderung erhoben, die Förderung des Bausparens um mehrere Milliarden zu erhöhen,
damit die segensreiche Einrichtung des Bausparens nach
50 Jahren nicht zu Grabe getragen werden muss.
Das Mietrechtsreformgesetz ist eine Aufgabe und Verpflichtung für uns alle. Ich appelliere an Sie, mit uns in
Gespräche zu treten, das sozialistische Gedankengut - ich
sage es so deutlich - herauszunehmen und für Mieter und
Vermieter wieder eine vernünftige Basis zu schaffen, aber
auch den Eigentumsgedanken zu fördern. Eines ist ganz
sicher: Selbst bewohntes Eigentum ist nicht nur eine materielle Alterssicherung, sondern auch eine Genugtuung
im Alter, dass man im Leben mit diszipliniertem Sparen
etwas erschaffen hat. Dies trägt auch zur Zufriedenheit am
Lebensabend bei.
Lassen Sie uns für eine vernünftige Lösung, für einen
Ausgleich sorgen, damit die Ruhe, die wir an der Front
zwischen Mietern und Vermietern haben, beibehalten
wird, anstatt unnötigerweise alle aufzuschrecken und damit den Eigentumserwerb zu verhindern und die Investitionen zu stoppen.
Danke schön.
({29})
Ich erteile dem Kollegen Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege von Stetten, für das Mietrecht ist die
Justizministerin und nicht der Bauminister zuständig. Ihr
Seitenhieb ist daher gründlich daneben gegangen.
({0})
- Aber im nächsten Punkt sind wir uns ja schon wieder einig.
Das Mietrecht bedarf der Novellierung und Vereinfachung. Diese Reform war einfach überfällig. Kein anderes Rechtsgebiet ist für weite Teile der Bevölkerung von
so großer Bedeutung für das tatsächliche Leben wie das
Mietrecht.
Trotz dieser hohen Bedeutung des sozialen Wohnraummietrechts mangelte es bisher an der entsprechenden
Überschaubarkeit, Transparenz und Verständlichkeit der
Regelungsmaterie.
({1})
Das Mietrecht war unübersichtlich gegliedert und auf verschiedene Gesetze verteilt. Diese gegenwärtige Zersplitterung des Mietrechts ist das Ergebnis jahrzehntelanger
unsystematischer Gesetzesänderungen auch der Vorgängerregierungen.
({2})
Mit dem vorliegenden Entwurf soll diesem Missstand
endlich abgeholfen werden.
({3})
Die Reform des Mietrechts ist damit bürgerfreundlich,
denn sie führt die Dinge verständlich zusammen, die bisher für die Betroffenen unauffindbar verstreut und unübersichtlich gegliedert sind. Das bedeutet mehr Rechtssicherheit und wird hoffentlich auch die Zahl der heute
immerhin rund 300 000 Mietprozesse im Jahr verringern.
Gerade bei einer Rechtsproblematik, die im täglichen
Leben weitreichend in die Interessen- und Betroffenheitssphäre vieler Bürger eingreift, ist es zwingend geboten,
die beiderseitigen Interessen abzuwägen und, wo erforderlich, die schwächere Vertragspartei zu schützen. Das
ist ein Hauptanliegen meiner Fraktion und dieses Entwurfes, ebenso wie die Anpassung der Normen an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen. Der Entwurf der
Bundesregierung leistet dies.
Die Kündigungsfristen für Mieter werden verkürzt.
Dies trägt den gestiegenen Anforderungen an die Mobilität von Arbeitnehmern Rechnung, die häufig einen Arbeitsplatzwechsel in Kauf nehmen müssen. Aber auch ein
notwendiger Umzug ins Alters- oder Pflegeheim wird dadurch erleichtert. Auf der anderen Seite wird der echte
Zeitmietvertrag eingeführt, der im mobilen Zeitalter
Rechtssicherheit für Mieter und Vermieter schafft. Das
definitive Vertragsende steht dann fest, wenn dies von beiden Seiten - das muss gewährleistet sein - so gewünscht
wird. Dabei ist auf eine mieterfreundliche Ausgestaltung
der Vertragsform geachtet worden.
Der Gesetzentwurf dämpft Mietsteigerungen da, wo es
notwendig ist. Die Kappungsgrenze wird von 30 auf
20 Prozent gesenkt und das schützt insbesondere Familien
mit kleinen Einkommen vor sprunghaften Mietpreissteigerungen.
({4})
- Selbstverständlich ist durch die örtliche Vergleichsmiete
eine Deckelung gegeben; aber es gibt sehr wohl Fälle derartiger sprunghafter Steigerungen. An diesem Punkt müssen wir durchaus eingreifen.
Die Regelung der Zerrüttungskündigung ist gerade bei
den Mieterverbänden noch sehr umstritten, obwohl dies
- ich kann das als Jurist bestätigen - bereits der heutigen
Rechtsprechung entspricht. Vielleicht gelingt es noch,
dies ausdrücklich festzuschreiben.
Endlich erfolgt auch die Gleichbehandlung homosexueller Lebensgemeinschaften bei Eintritt in den Mietvertrag nach dem Tod eines Partners. Bisher gilt: Lebt ein
unverheiratetes Paar in einer Wohnung zusammen, darf
nach dem Tod eines Partners der oder die andere den Mietvertrag selbstverständlich übernehmen, es sei denn - das
ist die Ausnahme -, es handelt sich um ein schwules oder
lesbisches Paar. Dies ist eine eindeutige Diskriminierung
solcher Lebensbeziehungen im Mietrecht. Wir wollen das
ändern: Es soll gleiches Recht für alle Lebensgemeinschaften gelten.
({5})
Das neue Mietrecht möchte auch umweltfreundliches
Verhalten belohnt wissen. Die zukünftig vorgesehene verbrauchsbezogene Art der Abrechnung fördert den sparsamen Gebrauch von Wasser, Energie und Ressourcen und
nützt - neben dem Geldbeutel der Mietparteien - auch der
Umwelt. Zusätzlich soll es weiterhin Anreize für Modernisierungen und Energieeinsparinvestitionen für die umweltbewussten Vermieter geben. Darum bleibt die Modernisierungsumlage bei 11 Prozent bestehen. Das ist
sozial verantwortliches und modernes Handeln, meine
Damen und Herren insbesondere von der F.D.P.
Interessanterweise kommt Ihr Gesetzentwurf, der bereits an die Ausschüsse überwiesen worden ist, in einigen
Punkten durchaus zu ähnlichen Regelungen wie der Gesetzentwurf der Bundesregierung.
({6})
Dort, wo soziale Gesichtspunkte höherrangig zu werten
sind, stehen bei der F.D.P. aber regelmäßig rein wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Das ist mit uns
natürlich nicht zu machen. Das konnten Sie ja noch nicht
einmal mit Ihrem früheren Koalitionspartner machen.
({7})
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist sozial ausgewogen und wir können mit ihm überzeugt in die Ausschussberatungen gehen.
Ich möchte mich bei der Frau Ministerin und bei ihren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich bedanken.
({8})
Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Mehrere Monate nachdem die F.D.P.-Fraktion einen eigenständigen Gesetzentwurf zur Neufassung
des Mietrechts vorgelegt hat, bringt nunmehr auch die
Bundesregierung ihren Gesetzentwurf in den Deutschen
Bundestag ein. Genau wie die F.D.P. in ihrem Entwurf
bemüht sich die Bundesregierung, das bislang zersplitterte und unübersichtliche Mietrecht in einem Gesetz, und
zwar im BGB, zu konzentrieren. Ich glaube, darin sind
und waren wir uns auch schon in der letzten Legislaturperiode einig, dass dieses zu geschehen hat.
Den Anforderungen an Übersichtlichkeit und klare
Sprache wird der Gesetzentwurf zwar nicht überall gerecht, aber das Bemühen erkennt man. Das sollte man
auch anerkennen. Wir werden sicherlich im Ausschuss
noch das eine oder andere nachzubessern haben. Das
dürfte aber überhaupt kein Problem sein, zusammen mit
den Kollegen Verbesserungen durchzusetzen.
Zu kritisieren ist jedoch, dass die Bundesregierung einseitig Mieterinteressen in den Vordergrund rückt. Die
Bundesjustizministerin hat ja mehrfach, zum Beispiel bei
dem schon erwähnten Kolloquium, erklärt, dass sie einseitig für die Mieter Partei ergreifen will und dass das
auch in diesem Gesetz zum Ausdruck kommen soll. Ein
gutes Vertragsrecht - und dazu gehört ja nun einmal das
Mietrecht - muss von der Gleichwertigkeit beider Vertragsparteien ausgehen.
({0})
Recht und Gesetz dürfen nicht von einseitiger Parteinahme geprägt sein, sondern müssen ausgewogen die Interessen beider Vertragsparteien berücksichtigen.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung fehlt es an sozialer Ausgewogenheit. Insbesondere
wurde - das war ja auch das Ziel der Ministerin - den Belangen der Vermieter und Grundeigentümer unter dem
Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie in Art. 14 des
Grundgesetzes nicht ausreichend Rechnung getragen.
({1})
Das gilt vor allem für das vorgesehene asymmetrische Kündigungsrecht. Die einseitige Verkürzung der Kündigungsfristen zugunsten der Mieter birgt für den Vermieter die
Gefahr des Leerstandes, wenn eine sofortige Anschlussvermietung nicht möglich ist, Frau Kollegin. Damit droht
natürlich auch dem Vermieter ein entsprechender Mietausfall. Warum die finanziellen Lasten einseitig nur beim Vermieter liegen sollen und nicht ausgewogen auf Mieter und
Vermieter verteilt werden, kann ich ehrlich gesagt nicht
verstehen.
({2})
Es handelt sich bei den Vermietern nicht immer nur um
Großgrundbesitzer, sondern es gibt ja auch viele kleine
Vermieter. Sie können doch nicht einseitig auf diese die
Risiken verlagern.
({3})
Helmut Wilhelm ({4})
Es wird in den Beratungen auch intensiv zu diskutieren
sein, ob der absolute Vorrang des Mietspiegels bei der
Berechnung der Vergleichsmiete der richtige Ansatz ist.
Mehr Vertragsfreiheit und insbesondere die Berechnung
von örtlichen Vergleichsmieten auf der Basis gemeinsamer Datenbanken von Mietern und Vermietern wären
meines Erachtens der richtige Weg. Darüber können wir
sicherlich im Ausschuss noch miteinander reden. Ich
glaube, dass wir da noch zu einem guten Ergebnis kommen werden.
Die Absenkung der Kappungsgrenze von 30 auf
20 Prozent steht ebenfalls beispielhaft für die Asymmetrie
des Mietvertragsrechts. Man kann zwar sagen: Die Kappungsgrenze spielt eigentlich gar keine Rolle mehr. - Wer
den Markt ein wenig kennt - Sie müssten ihn eigentlich
von Ihrer beruflichen Vergangenheit her kennen -, weiß,
dass die Kappungsgrenze in der Praxis überhaupt keine
Rolle mehr spielt.
({5})
Dass Sie die Kappungsgrenze von 30 auf 20 Prozent herabsetzen, ist dennoch ein Signal in die falsche Richtung.
({6})
Darum werden wir uns hier für die Beibehaltung einer
Grenze von 30 Prozent einsetzen.
Die Regelungen zu Zeitmietverträgen müssen sicherlich noch so ausgestaltet werden, dass echte Zeitmietverträge geschlossen werden können. Da müssen wir noch
nachbessern. Es ist doch, Frau Fuchs, dem Mieter und
Vermieter, wenn sie nur für gewisse Zeit ein Vertragsverhältnis eingehen wollen, durchaus zumutbar, dass das
Mietverhältnis zum Beispiel nach fünf Jahren tatsächlich
von beiden Seiten, der Mieter- und der Vermieterseite, beendet werden kann.
Auch der Vorschlag der Bundesregierung zu § 5 Wirtschaftsstrafgesetz geht an der Rechtswirklichkeit vorbei.
Mietwucher ist nach wie vor strafbar und soll auch strafbar bleiben. § 5 Wirtschaftsstrafgesetz brauchen wir nicht;
er spielt übrigens auch in der Praxis keine Rolle.
({7})
Insgesamt muss daher festgestellt werden, dass das
neue Mietvertragsrecht nach den Vorstellungen der Bundesregierung weniger Vertragsfreiheit, weniger Markt für
die Vertragsparteien mit sich bringt. Stattdessen sind Regulierung und Bevormundung für das Mietvertragsverhältnis die Regel geworden. Die Erfahrung lehrt, dass Regulierung und Bevormundung zu mehr Streitigkeiten
zwischen Mieter und Vermieter und damit zu mehr Gerichtsprozessen führen. Gerade das wollen Sie ja vermeiden.
Ich glaube, es wäre gut gewesen, wenn sich die Ministerin mehr an der Praxis, mehr an den Marktverhältnissen
orientiert hätte, vielleicht auch mehr in den Markt hineingehört hätte; dann wären viele Fehlentscheidungen unterblieben.
({8})
Insgesamt ist daher festzuhalten, dass in den Beratungen des Rechtsausschusses noch kräftig nachgebessert
werden muss, wenn wir das Ziel erreichen wollen, ein einfaches, in sich geschlossenes und stimmiges Mietrecht zu
bekommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich erteile das Wort
Kollegin Margot von Renesse, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Alle wollen ein ausgewogenes Mietrecht und jeder wirft dem anderen vor, seine Vorstellungen seien genau nicht ausgewogen.
({0})
Aber die Frage ist doch eigentlich: Was ist denn ausgewogen? - Ausgewogen kann nicht sein in jedem Einzelfall eines synallagmatischen Vertrages, dass das eine dem
anderen praktisch hundertprozentig entspricht wie die
Zinken von zwei Kämmen. Die Frage muss vielmehr
lauten: Wie ist die Interessenlage im Einzelnen gestaltet,damit im Ergebnis ein Interessenausgleich so geschehen kann, dass niemand - so sage ich einmal ganz allgemein - über den Tisch gezogen wird?
Wie ist das zwischen Mietern und Vermietern? - Glauben Sie mir, Herr Funke, wir haben nicht die Vorstellung,
dass alle Vermieter Miethaie und Kapitalisten sind, die im
Gelde schwimmen. Genauso wenig haben wir die Vorstellung, dass alle Mieter arme Schlucker sind. Mitunter
ist das Verhältnis genau umgekehrt.
({1})
Auch das wissen wir sehr genau.
Das, was wir zur Grundlage der Beurteilung von Ausgewogenheit machen müssen und können, ist das Mietverhältnis selbst. Indem der Vermieter vermietet, sagt er
nicht, ich bin reich, sondern er sagt, ich brauche diese
Wohnung nicht, ich will an ihr verdienen, ich will den
Zins, den ich bekäme, wenn ich das Geld auf die Bank
brächte, in Form von Miete einnehmen.
Das bedeutet auf der einen Seite ganz klar, dass der
Mieter, der nicht zahlt, gegen einen kapitalen, entscheidenden Grundsatz und eine Verpflichtung aus dem Mietverhältnis verstößt, dass die entsprechenden Konsequenzen für den Vermieter sehr, sehr ernst zu nehmen sind und
dass sie auch rechtlicher Natur sein müssen.
Auf der anderen Seite heißt das Vermieten von Wohnungen für den Vermieter: Er lässt es zu, dass sich eine
Grundrechtsentfaltung in dieser seiner - Art. 14 lässt
grüßen - Wohnung vollzieht; er nimmt sie nicht nur hin,
sondern er will sie sogar.
Das bedeutet, dass ganz klar das passieren musste, was
wir bis zum heutigen Tag haben, nämlich ein asymmetrisches Kündigungsrecht. Wir haben es ja schon, denn der
Mieter kann nach gegenwärtigem Recht grundlos kündigen; der Vermieter aber muss sehr massive Gründe haben.
Das ist bereits eine Asymmetrie, wenn auch nicht hinsichtlich der Kündigungsfrist.
({2})
Das heißt, schon das heutige Recht geht von einer unterschiedlichen Bewertung der Interessen aus. Der Vermieter kann nicht sagen, morgen fliegst du raus; der Mieter
kann sagen, sehr bald ziehe ich aus.
Diese Asymmetrie im Hinblick auf die gestiegene Notwendigkeit, die Mobilität von Mietern zu verstärken - das
hat Kollege Dirk Manzewski zu Recht gesagt -, ist also
nicht etwas Systemfremdes, ist nicht eine Ausgeburt sozialistischen Chaos, sondern ist eine konsequente Fortführung des gegenwärtigen Mietrechts.
({3})
Wir werden darüber zu reden haben, aber ich habe da
zunächst einmal keine systematische Bedenken.
Darüber, ob die Fristen richtig angesetzt sind, werden
wir sicher streiten. Wie Sie sehen, hat es ja zwischen Referentenentwurf und Regierungsentwurf diesbezüglich
Differenzen gegeben. Darüber wird zu streiten sein, wobei im Ergebnis - so fürchte ich - nicht nur logisch darüber verhandelt, sondern eine Entscheidung getroffen werden muss. Diese Entscheidung - das ist jetzt wieder etwas,
was Mieter und Vermieter betrifft - muss an den Interessen beider ausgerichtet sein, denn beide haben jedenfalls
ein gemeinsames Interesse: dass es Vermieter gibt, dass
investiert wird. Was es bedeutet, wenn man die Vermieter
platt macht, sehen wir an Plattenbauten und Ähnlichem in
der ehemaligen DDR. Das ist ein Zerrbild und zeigt, wie
man mit Vermietern nicht umgehen sollte, wenn man es
gut meint mit Mietern. Daran sind wir alle nicht interessiert.
Wir werden darüber reden müssen, dass der Interessenausgleich fair geschieht. Ich freue mich, dass es Gesprächsangebote gibt. Ich hoffe, Herr von Stetten, dass
wir dann nicht über alles und jedes reden, nicht jeden
Politikbereich ansprechen müssen,
({4})
sondern dass wir beim Mietrecht bleiben können. Wir
müssen nicht die ganze Welt aus den Angeln heben, um
einen - wenn auch unglaublich wichtigen - Teil des
Alltagsrechts systematisch korrekt so auszugestalten,
dass im Ergebnis alle, mit einem lachenden und einem
weinenden Auge, damit leben können.
Vielen Dank.
({5})
Nun hat der Kollege
Wolfgang Spanier von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, heute ist ein guter Tag des
Parlaments, weil wir endlich in der ersten Lesung über das
Mietrechtsreformgesetz beraten können. Wir nehmen damit eine weitere wichtige wohnungspolitische Weichenstellung vor. Nach der Novellierung des Wohngeldgesetzes beraten wir das Mietrechtsreformgesetz, die anstehende Reform des sozialen Wohnungsbaus, die
Energieeinsparverordnung - sie ist in Vorbereitung -, und
das Modernisierungsprogramm für den Wohnungsbestand.
Ich glaube, dass sich am Ende der Legislaturperiode
die Bilanz durchaus wird sehen lassen können. Wir haben
das, was Sie liegen gelassen, was Sie nicht angepackt,
sondern wie heiße Eisen haben fallen lassen,
({0})
endlich vernünftig gelöst.
({1})
Ich bin meiner geschätzten Kollegin Margot von
Renesse sehr dankbar dafür, dass sie noch etwas gesagt
hat zur Ausgewogenheit. Ja, der Gesetzentwurf der Regierung ist ausgewogen. Er ist ein fairer Interessenausgleich zwischen Vermietern und Mietern.
({2})
Das hindert das Parlament natürlich nicht daran, in der
Feinabstimmung in dem einen oder anderen Punkt durchaus noch andere Akzente zu setzen. Schließlich entscheidet das Parlament, und diese Entscheidung sollten wir uns
als Parlamentarier durchaus vorbehalten.
({3})
Kernbestandteil des sozialen Mietrechts - ich betone,
des sozialen Mietrechts, und schaue dabei ganz bewusst
nach rechts - ist neben dem Kündigungsschutz das Vergleichsmietensystem. Beides wird in diesem Gesetzentwurf nicht nur erhalten, sondern durchaus gestärkt,
und das ist richtig. Dass wir nebenbei mit der Mietrechtsreform zusätzlich umweltpolitische Fortschritte erzielen,
darüber sind wir Sozialdemokraten besonders froh. Damit
werden Vorstellungen unserer Partei auch im Rahmen des
Mietrechts umgesetzt.
({4})
Ich erspare mir und vor allen Dingen Ihnen, dass ich
noch einmal auf die wichtigsten Veränderungen eingehe
- das haben die Frau Ministerin und andere aus der KoMargot von Renesse
alition bereits hinreichend getan -, will aber dennoch einige Anmerkungen machen, zunächst zum F.D.P.-Entwurf.
({5})
- Das macht nichts, Herr von Stetten. Ich wundere mich
an diesem Punkt über Ihren Zwischenruf. Wenn Sie sagen,
ich rede nicht zur Sache, sollten Sie sich an Ihren eigenen
Redebeitrag erinnern. Darüber könnten wir sicher ein
bisschen länger reden.
({6})
In der letzten Dabatte zum Wohngeld- und Mietenbericht hat Herr Funke mit hinreichender Deutlichkeit klar
gemacht, wohin der Kurs der F.D.P. beim Mietrecht geht.
Er hat gesagt: Wir wollen den Markt entscheiden lassen,
auch bei Wohnungen und Mieten.
({7})
- Typisch F.D.P.! - Da fehlt etwas. Diese einseitige Formulierung ist natürlich mit dem Grundgedanken der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar. Ich könnte erinnern an die Entgegnung von Herrn Pofalla, der sehr schön
deutlich gemacht hat, wieso Sie die Vermieterseite in
Ihrem Gesetzentwurf einseitig massiv bevorteilen.
Sie reden immer von Zweiseitigkeit, aber Ihr Gesetzentwurf entspricht dieser Ankündigung nicht. Sie höhlen
den Kündigungsschutz aus. Bei der Umwandlung lassen
Sie der Spekulation ein weites Feld. Ich nenne außerdem
den Wegfall der Kappungsgrenze und die Streichung des
§ 5 Wirtschaftsstrafgesetz. Damit wird dem Missbrauch
natürlich Tür und Tor geöffnet.
({8})
Wie Sie mit dem sozialen Gut Mietwohnung umgehen,
zeigt eine Form des Liberalismus, wo mindestens die
Silbe „Neo“ vorgesetzt werden müsste.
({9})
Wenn Herr Goldmann von der gleichen Augenhöhe von
Vermietern und Mietern spricht, dann muss ich dazu sagen, Ihr Gesetzentwurf bewirkt, dass der Blick des Mieters höchstens auf die Kniescheibe des Vermieters gerichtet werden kann.
({10})
Zwei Punkte sind in der Vergangenheit öffentlich diskutiert worden. Zum einen betraf das die Senkung der
Kappungsgrenze auf 20 Prozent, einheitlich in ganz
Deutschland. Es ist heute hinreichend angesprochen worden, warum dies ein ganz wichtiger Bestandteil dieses Gesetzes sein muss.
({11})
Zum anderen ist die Modernisierungsumlage, die
jetzt wieder auf 11 Prozent angesetzt werden soll, kritisch
diskutiert worden. Ich sage Ihnen ehrlich, dass dieser
Punkt bei mir nicht gerade Begeisterungsstürme auslöst.
Aber unter dem Strich muss man sagen - Stichwort: Ausgewogenheit; Stichwort: Notwendigkeit, bei Vermietern
eine hinreichende Investitionsbereitschaft zu schaffen -,
dass man die Regelung in dieser Form hinnehmen kann.
Selbstverständlich wird der Gesetzentwurf Veränderungen erfahren. Das ist ein ganz normaler parlamentarischer Vorgang. Ich wundere mich immer, wenn in dem
Zusammenhang von Nachbesserung gesprochen wird.
Mit diesem Begriff entwerten wir unsere parlamentarische Arbeit. Veränderungen sind eine Selbstverständlichkeit. Ich habe aus den Reden der Opposition herausgehört
- ich habe mich übrigens über das ausdrückliche Lob der
PDS heute Morgen sehr gefreut -,
({12})
dass es durchaus eine Bereitschaft gibt, an diesen Veränderungen mitzuarbeiten.
Ich möchte noch auf einige bedenkenswerte Punkte
hinsichtlich der sozialen Schutzfunktion eingehen, die
eindeutig gestärkt werden soll.
Asymmetrische Kündigungsfristen: Wir halten es für
durchaus vertretbar, dass die Kündigungsfrist auf der
Mieterseite drei Monate beträgt. Man sollte prüfen, welche Kündigungsfrist auf der Vermieterseite gelten soll.
Ich glaube, dass eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten
ein bisschen weit weg von der Lebenswirklichkeit ist. Ich
kann mir vorstellen, dass wir in diesem Punkt zu einer Lösung kommen, die den Mobilitätsansprüchen der Mieterinnen und Mieter gerecht wird.
Qualifizierter Mietspiegel: Der entsprechende Vorschlag aus dem Bundesrat ist durchaus vernünftig. Damit
wird sichergestellt, dass es keine Möglichkeit der Blockade durch eine der beteiligten Parteien gibt. Dieser Vorschlag ist also akzeptabel.
Kündigungssperrfrist: Das ist besonders ein Problem
in Städten wie zum Beispiel Hamburg und München. Wir
halten den im Kabinettsentwurf enthaltenen Vorschlag
dazu für deutlich vernünftiger als den Vorschlag des Bundesrates. Es gibt ja noch eine Anhörung, bei der über diesen Punkt gesprochen werden kann. Es geht auch um die
notwendige Klarstellung in Bezug auf den Nachweis einer Ersatzwohnung. In diesem Punkt müssen wir noch um
eine präzisere Formulierung ringen.
Zerrüttungskündigung: Dieser Begriff ist zwar sozusagen ein Kampfbegriff. Aber es ist nicht die Absicht des
Gesetzentwurfes, Situationen herbeizuführen, die dieser
Begriff nahe legen könnte. Wir werden sicherlich diesen
Punkt klar und unmissverständlich formulieren, um vor
allem die vonseiten des Deutschen Mieterbundes
geäußerten Sorgen aus der Welt schaffen zu können. Ich
denke, das ist durchaus möglich.
Bei der Regelung bezüglich der Zeitmietverträge gibt
es die Forderung, dass der Begriff „wesentliche Instandsetzung“ präziser gefasst werden soll, um die Mieter zu
schützen. Ich glaube, dies ist ein vernünftiger Vorschlag.
Ein letzter Punkt: Schönheitsreparaturen. Es wäre
wünschenswert, wenn wir entsprechende Regelungen im
Mietrecht unterbringen könnten. Ich habe mir aber von
den Fachleuten - in diesem Fall: von den Juristen - sagen
lassen, dass es sehr schwierig wird. Auch der Vorschlag
des Bundesrates hat seine Tücken. Wir müssen ernsthaft
prüfen und überlegen, wie wir diesen Punkt berücksichtigen können. Ich denke, das ist eine vernünftige
Absicht.
Ein Ziel bei der Erarbeitung des Entwurfes war es, für
dieses Gesetz eine verständliche und moderne Sprache zu
finden. Das freut einen, besonders einen bekennenden
Deutschlehrer.
({13})
Ich will nicht abstreiten, dass Erfolge erzielt worden sind.
Aber ich glaube, man sollte diesen Gesetzentwurf auch
aus sprachlicher Sicht mit ein bisschen Sensibilität überarbeiten. Ich bringe Ihnen einfach einmal ein Beispiel.
In § 543 BGB - „Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigen Grund“ -, wo es zum Beispiel um den
Rückstand von zwei Monatsmieten geht, heißt es: „Die
Kündigung ist ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird.“
({14})
Gemeint ist, dass der Mieter die Mietschulden bezahlen
soll. Ich möchte auf mögliche Assoziationen hier nicht
näher eingehen; aber ich denke, dieser Sprachgebrauch ist
überholungsbedürftig.
Zusammenfassend will ich sagen: Für uns ist diese Reform des Mietrechts mit Veränderungen, wie ich sie angesprochen habe, ein ganz wesentlicher wohnungspolitischer Fortschritt. Von daher hoffen wir, dass wir, wie Frau
Ministerin es eingangs gesagt hat, den Gesetzentwurf in
den Fachausschüssen zügig beraten können. Ich hoffe,
dass die Mitarbeit der Opposition ein bisschen weiter
geht, als Herr von Stetten es in seinem Beitrag heute hier
angedeutet hat. Dann glaube ich, dass wir nach - wie viele
Jahre ist es her, seit der Bundestag den Auftrag zur Reform gegeben hat?, ich glaube, 27 Jahre - mehr als einem
Vierteljahrhundert endlich das Mietrecht modernisieren
und an die gesellschaftlichen Veränderungen anpassen.
Schönen Dank.
({15})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/4553 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Der deutschen Außenpolitik wieder Einfluss geben
- Drucksache 14/4383 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Volker Rühe, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vertiefung und Erweiterung
der Europäischen Union, der Ausbau der transatlantischen
Partnerschaft, die dauerhafte Befriedung des Balkans, der
Stabilitätstransfer in den postsowjetischen Raum sowie
ein weltweiter Einsatz für Frieden, Demokratie und Menschenrechte, die Herausforderungen der Globalisierung das alles erfordert von unserem Land eine kraftvolle und
kreative Außenpolitik, die Einfluss und Gewicht hat, die
eine strategische Perspektive entwickelt und sich nicht in
taktischer Geschmeidigkeit erschöpft.
({0})
Ich gehe davon aus, dass der Außenminister sein Erscheinen noch realisieren kann.
({1})
- Da ist er. Herzlich willkommen! Er kommt gerade rechtzeitig für das wenige Lob, das ich der Bundesregierung
zollen möchte.
So wurden viele Grundlinien von der vorherigen Bundesregierung übernommen,
({2})
die von Rot-Grün zu deren Oppositionszeiten noch heftig
bekämpft wurden, beispielsweise der Einsatz auf dem
Balkan. Es ist gar keine Frage, dass es eine Leistung der
neuen Bundesregierung war, dass es hier nicht zu einem
Bruch in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gekommen ist.
Aber nach zwei Jahren rot-grüner Regierung hat
Deutschland an Einfluss und Vertrauen verloren
({3})
und Glaubwürdigkeit eingebüßt. In der Frage der Osterweiterung hat Deutschland seine Lokomotivfunktion,
die wir unter Bundeskanzler Kohl und seiner Bundesregierung noch hatten, leider aufgegeben.
({4})
Wichtigen strategischen Fragen wird ausgewichen oder
sie werden gar tabuisiert, sobald sie zu einer Belastung
des rot-grünen Bündnisses zu werden drohen.
Die Agenda der deutschen Außenpolitik hat sich dramatisch verengt. Wesentliche Weltregionen, aber auch
eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den globalen Herausforderungen bis hin zur Bekämpfung von Armut und
ansteckenden Krankheiten werden vernachlässigt.
({5})
Auch international gegebene Versprechen wurden gebrochen. Der Entwicklungsetat für dieses Jahr wurde um
8,7 Prozent gekürzt. Inzwischen ist ein Punkt erreicht, an
dem es immer schwerer fällt, signifikante Beiträge zur
Entwicklung in Partnerländern zu leisten. Dafür trägt die
rot-grüne Bundesregierung die Verantwortung.
({6})
Meine Damen und Herren, fristgerecht zum Parteitag
der Grünen Ende 1998 wurde die NATO-Nukleardoktrin
infrage gestellt. Seitdem herrscht ostentatives Desinteresse an weltweiter nuklearer Abrüstung und an Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen.
({7})
Der Außenminister hat es nicht einmal nötig, nach New
York zur Überprüfungskonferenz im Zusammenhang mit
dem Nichtverbreitungsvertrag zu gehen. Ich meine, das
ist ein besonders trübes Kapitel der neuen Bundesregierung.
({8})
Das freizügige Schwingen der Moralkeule gegenüber
kleinen Staaten wie zum Beispiel Österreich passt nicht
zum weit gehenden Stillschweigen gegenüber massiven
russischen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien.
({9})
Die außenpolitischen Debatten in Bonn zu der Zeit, als
noch Klaus Kinkel Außenminister war, waren häufig von
einem rot-grünen Menschenrechtsfundamentalismus geprägt. Allen voran ging hier mit sich überschlagender
Stimme der jetzige Außenminister. Dies ist besonders erbärmlich, wenn man sieht, dass heute fast schon ein Fundamentalismus der Realpolitik gepflegt wird, Herr
Fischer.
({10})
Was die Europapolitik, insbesondere die Erweiterung
der EU, betrifft, so war Deutschland früher eine Lokomotive. Heute ist der Dampf ziemlich heraus. Zum Teil
wird der Erweiterungsprozess sogar gezielt verzögert.
Herr Minister, in Warschau die Beschleunigung der Verhandlungen zu fordern und gleichzeitig die eigenen Beamten in Brüssel anzuweisen, die Agrarverhandlungen bis
in das nächste Jahr hinauszuzögern, das, finde ich, ist
doppelzüngig und macht die deutsche Europapolitik unglaubwürdig.
Die Erweiterung der Europäischen Union liegt in unserem ureigenen Interesse. Deshalb brauchen wir eine zügige, aber auch eine realistische Erweiterung. Der strategische Ansatz muss sein, die Europäische Union auf dem
Gipfel in Nizza so zu reformieren, dass sie erweitert werden kann. Sie muss zügig so erweitert werden, dass sie danach weiter vertieft werden kann. Man kann daher nicht
erst auf eine maximale Erweiterung drängen und am
nächsten Tag Finalitätsreden über die maximale Vertiefung der Europäischen Union halten.
Einen der Fehler, die der Außenministers in diesem Zusammenhang immer wieder macht, konnte man auch in
den letzten Tagen sehen: Er hat die Direktwahl des Kommissionspräsidenten gefordert, während die französischen Freunde gerade dabei sind, die in dieser Woche anstehenden Hausarbeiten zu erledigen. Manchmal erinnert
Herr Fischer im Zusammenhang mit der europäischen Politik an einen Hans Guckindieluft: den Blick weit auf die
Finalität gerichtet, aber stolpernd über die Aufgaben, die
jetzt geregelt werden müssen.
({11})
Man kann die Beitrittsverhandlungen nicht auf zwölf
Staaten ausweiten, die Türkei noch draufsatteln, sie zugleich zu einem anstößigen Sonderfall erklären, darüber
hinaus den Ländern der Balkanregion eine Beitrittsperspektive eröffnen - also maximale Erweiterung - und
gleichzeitig von einer europäischen Föderation sprechen.
Eine maximale Erweiterung und eine maximale Vertiefung passen nicht zusammen. Ich nenne das Verhalten,
diese beiden Ziele gleichzeitig zu verfolgen, eine Lebenslüge der rot-grünen Europapolitik, Herr Außenminister.
({12})
Deswegen ist zu fragen: Was muss geschehen? Wir
sollten in der Gruppe der zwölf Beitrittsländer wieder
stärkere Differenzierungen vornehmen -lesen Sie einmal
das jüngste Buch von Helmut Schmidt nach, falls Sie mir
nicht glauben! -,
({13})
und zwar nicht willkürlich, indem man sich einzelne Staaten herauspickt, sondern indem man den Verhandlungszeitraum auf Ende 2002 begrenzt, wie es jetzt die Kommission vorgeschlagen hat und wie wir das schon seit
geraumer Zeit vertreten, damit die EU zügig um eine kleinere Gruppe von Staaten erweitert wird, nämlich um diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt die notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Ich fordere die Bundesregierung auf,
sich hinter diese Vorstellungen der Kommission zu stellen. Das macht es dann auch möglich, die Vertiefung der
Europäischen Union durch eine Ausarbeitung eines
Verfassungsvertrages und eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen der europäischen und der nationalen
Ebene fortzusetzen. Dafür muss auf dem Gipfel in Nizza
ein Zeitplan festgelegt werden.
Das für einen ersten Abschluss der Verhandlungen festzulegende Datum sollte nicht zu lange hinausgezögert
werden. Herr Fischer, auch Sie haben sich daran beteiligt,
dieses Datum immer weiter in die Zukunft zu verschieben. Der ungarische Außenminister hat ja nicht ohne
Grund gesagt, Ungarn sei jeweils fünf Jahre davon entfernt, Mitglied der Europäischen Union zu werden. 1995
habe man gesagt, dies solle im Jahre 2000 erfolgen. Im
Jahre 1998 habe man von 2003 gesprochen. Jetzt sprechen
manche - auch Sie - von 2005. Das fördert nicht die
Glaubwürdigkeit. Je länger wir dieses Datum hinausschieben, umso unglaubwürdiger werden wir und umso
größer wird die Gruppe, die aufgenommen werden soll.
Ich glaube, dass das eher eine schwierige Last für die Europäische Union sein wird.
Vieles von dem Unbehagen über die Erweiterung hängt
auch damit zusammen, dass man auf maximale Erweiterung - plus Türkei - drängt, ohne Antworten darauf zu
geben, wie die EU eine solche Entwicklung politisch, finanziell und institutionell verkraften wird.
({14})
Hinzu kommt, dass - leider auch immer mehr in Deutschland - fast ausschließlich über die Probleme und viel zu
wenig über die Chancen der Erweiterung, gerade auch
für unser Land, gesprochen wird.
({15})
Deswegen sage ich: Es gibt einen Mangel an politischer Führung in diesem Land. Das hätte unter der Vorgängerregierung anders ausgesehen.
({16})
- Natürlich, Bundeskanzler Kohl hat die Chancen aktiv
vertreten, ob es um den Euro oder die Erweiterung der
Europäischen Union ging. Das ist es, was ich Ihnen vorwerfe: Mangel an politischer Führung, um diesen Prozess
auch mehrheitlich abzusegnen.
({17})
- Ich freue mich, dass Sie aufwachen, Herr Kollege.
Nur wenn immer wieder die Chancen der Erweiterung
dargestellt und verständlich gemacht werden, können
wir auch damit rechnen, dass die Zustimmung in der Bevölkerung wächst. Europa ist angesichts der globalen
Herausforderungen und der Aufgaben, die auf unserem
Kontinent zu bewältigen sind, mehr denn je auf eine partnerschaftliche, enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den USA angewiesen.
Wir müssen die Partnerschaft zwischen Europa und
den USA zum entscheidenden Faktor bei der Gestaltung
der globalen Entwicklungen ausbauen. Was das deutschfranzösische Tandem in den letzten Jahrzehnten für die Integration Europas geleistet hat, muss nach unserer Überzeugung künftig das europäisch-amerikanische Tandem
für die Schaffung einer freiheitlichen, solidarischen und
friedlichen Weltordnung leisten.
({18})
Deshalb muss die Bundesregierung endlich die Initiative für eine gemeinsame Strategie ergreifen und erläutern, mit welchen Zielen und Mitteln Europäer und Amerikaner den globalen Risiken wie der Proliferation von
Massenvernichtungswaffen und Trägermitteln, der Unterentwicklung und der Umweltbelastung begegnen können.
Denn hier stehen wir Europäer zusammen mit den Amerikanern aufgrund unseres wirtschaftlichen und technologischen Potenzials in einer besonderen Verantwortung.
Wir müssen aber feststellen, dass in dieser Bundesregierung wichtige strategische Fragen des transatlantischen Verhältnisses nicht entsprechend ihrer politischen
Bedeutung behandelt werden, sondern sie werden jeweils
auf das verengt, was eine rot-grüne Belastungsprobe hier
zu Hause gerade noch zulässt. Ich will einige Beispiele
dafür nennen:
Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
ist notwendig, um zu einer echten transatlantischen Lastenteilung zu kommen. Die Amerikaner aber messen uns
zu Recht an unserem Handeln und nicht an Versprechungen. Es gibt viel Kritik daran, dass die Europäer nur reden
und nicht handeln.
({19})
Wenn es eine echte europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik geben soll, müssen die Verteidigungshaushalte in Europa abgestimmt werden. Wir müssen uns auch die Fragen stellen: Welche europäischen
Fähigkeiten brauchen wir? Was ist der deutsche Beitrag
dabei? Welche Finanzmittel sind dafür nötig? Dieser Beitrag muss von den europäischen Aufgaben und Fähigkeiten und darf nicht nur von der Kassenlage bestimmt
sein. Das muss europäisch konzertiert werden. Wir müssen feststellen, dass die Dinge, die notwendig sind, immer
noch nicht oder nicht ausreichend finanziell abgesichert
sind.
Ich halte es im Übrigen für ein großes Dilemma - das
ergibt sich aus dem, was man mit Rot-Grün diskutieren
kann und was nicht -, dass man über eine Truppenstärke
von 200 000 Mann spricht, aber keine Diskussion darüber
stattfindet, in welchen Szenarien diese Truppe eingesetzt
werden soll.
({20})
- Sind Sie sich da sicher? - Wie weit reicht eigentlich der
Konsens unter den Europäern darüber, für welche Aufgaben eine solche Truppe eingesetzt werden soll?
Mein zweites Beispiel ist die NATO-Erweiterung.
Wir haben sie begonnen; das ist ein großer Erfolg. Das
können Sie bis hin zur NATO-Parlamentarierkonferenz in
diesen Tagen in Berlin spüren. Es ist ein ganz großer ErVolker Rühe
folg unserer Politik, dass die Polen, die Ungarn und
Tschechen ganz selbstverständlich dabei sind. Das war
ein richtiger Schritt.
({21})
Wir haben dieses Projekt am Anfang, Herr Außenminister,
ohne die USA oder sogar gegen sie vorangetrieben. Es ist
durchaus eine Ironie der Geschichte, wenn man sieht, wie
wenig Spielraum Sie sich geben. Dieser Prozess muss
weitergeführt werden.
({22})
Neun Kandidatenländer haben sich getroffen und den
Wunsch geäußert, im nächsten Schritt zusammen aufgenommen zu werden. Wie ist die Haltung der Bundesregierung dazu? Soll sich dieser Öffnungsprozess möglichst
deckungsgleich mit dem Öffnungsprozess in der Europäischen Union vollziehen oder eher komplementär? Sollen
wir zuerst diejenigen aufnehmen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation keine Chance haben, Mitglied der
Europäischen Union zu werden?
({23})
Dazu gibt es keinerlei Aussage der Bundesregierung.
Warum? Weil die Grünen gegen die Osterweiterung der
NATO waren.
({24})
Deswegen sage ich Ihnen: Bei strategischen Perspektiven
der Bundesregierung herrscht Fehlanzeige, weil Sie nicht
die Kraft aufbringen, eigene Vorschläge zu machen.
({25})
Jetzt bestreitet Herr Fischer sogar, dass Sie gegen die
Osterweiterung der NATO gewesen sind. Sie haben nicht
einmal den Mut gehabt, damals auf Ihrem Parteitag gegen
die falsche Politik der Grünen anzutreten. Auch die Sozialdemokraten haben die Osterweiterung am Anfang reserviert aufgenommen.
({26})
Drittes Beispiel: Raketenabwehr. Auch dieses Thema
wird von der Bundesregierung tabuisiert.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollege Irmer?
Bitte schön, Herr Kollege.
({0})
Das passt jetzt so schön hier
rein.
Herr Kollege Rühe, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass die Grünen gegen die Osterweiterung der
NATO waren. Ist Ihre Erinnerung so gut, dass Sie noch
wissen, dass die Grünen in der Vergangenheit generell gegen die NATO waren, dass sie noch vor wenigen Jahren
die Auflösung der NATO verlangt haben und sie in die
OSZE überführen wollten?
({0})
Geschichtlich ist das
richtig, aber man soll niemanden beschimpfen, wenn er
einen Lernprozess vollzieht. Jetzt geht es darum, die Osterweiterung voranzutreiben. Ich stelle fest: Es gibt keinerlei Initiative der Bundesregierung in diesem Bereich.
({0})
Herr Kollege Rühe, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, dieses
Mal vom Kollegen Lippelt?
Das geht nicht von meiner
Redezeit ab?
Nein, das
geht nicht von Ihrer Redezeit ab.
Gut.
Da Sie sich immer auf die Vergangenheit beziehen
müssen, um gewisse Ideologien aufrechtzuerhalten - ich
weiß, Sie können noch weiter in die Vergangenheit
zurückgehen -, möchte ich Sie fragen, ob Sie bei der Abstimmung dabei gewesen sind? Wissen Sie zum Beispiel,
dass eine namhafte Riege der Grünen der Erweiterung
zugestimmt hat? Ist Ihnen das Abstimmungsverhältnis
noch bekannt? Sie können gerne einwenden, es hätten
nicht alle zugestimmt. Aber wissen Sie, wie die Mehrheit
gestimmt hat?
Herr Kollege, ich gehöre
nicht Ihrer Partei an, also war ich bei der Abstimmung auf
dem Parteitag nicht dabei. Aber eine zuverlässige Berichterstattung der Medien hat mich darüber informiert,
dass die deutliche Mehrheit dagegen gestimmt und auch
der jetzige Außenminister nicht für die Erweiterung
gekämpft hat.
({0})
Wir sind jetzt beim Thema „Raketenabwehr“.
({1})
Das Thema ist mindestens genauso unangenehm für Sie.
Es ist ein Thema, das wir nicht tabuisieren dürfen. Es wird
auch unabhängig davon, wer einmal amerikanischer
Präsident sein wird - irgendwann wird sich das entscheiden -, auf der Tagesordnung bleiben.
({2})
Was das Alaska-Projekt angeht, so ist die Diskussion über
dieses Thema von Präsident Clinton vernünftigerweise
zurückgestellt worden. Aber wenn wir Europäer mehr als
bisher auf den Meinungsbildungsprozess in den USA Einfluss nehmen wollen, dann müssen wir zu einer einheitlichen europäischen Position finden.
Es ist besonders unglaubwürdig, wenn gerade die Grünen in der Vergangenheit die Haltung, die Aufrechterhaltung des Friedens sei nur durch Abschreckung zu gewährleisten - dies war mit der Drohung verbunden,
notfalls die Welt mit Nuklearwaffen in die Luft zu sprengen; eine fragile Grundlage für die Aufrechterhaltung des
Friedens -, moralisch hinterfragt haben.
({3})
Ich sage Ihnen: Wir brauchen auch in Zukunft Abschreckung. Aber wenn es heute eine Chance gibt, die
Abschreckung - neben der Prävention - durch ein Element der Verteidigung zu ergänzen, dann kann man dies
nicht von vornherein ablehnen,
({4})
sondern dann muss man eine einheitliche europäische Position finden. Ich habe vor kurzer Zeit mit dem französischen Verteidigungsminister gesprochen. Es wird ja immer wieder gesagt, die Franzosen würden uns behindern.
Hier gibt es sehr wohl eine Bereitschaft, europäische Elemente der Verteidigung auch für den Mittelmeerraum als
einen Schutz für Europa zu prüfen. Dafür müssen mittelfristig Finanzmittel vorgesehen werden. Wir müssen
darüber nachdenken, wie man Abschreckung und Verteidigung vernünftig miteinander verbinden kann. Dies
muss allerdings international eingebettet sein und unter
Vermeidung von neuen Risiken geschehen, beispielsweise einer neuen Rüstungsdynamik wie etwa in Asien.
Ebenso muss geprüft werden, ob durch amerikanische
und europäische Initiativen für einen solchen Schutz nicht
eine wirklich umfassende Abrüstung auf wenige Hundert
Sprengköpfe möglich ist. Das ist wirklich ein zentrales
Versagen:
({5})
Es gibt keinerlei deutsche Abrüstungsinitiativen. Es
muss möglich sein, die Rolle der Nuklearwaffen in der
Zukunft neu zu definieren. Wir müssen uns dabei auf die
Aufgabe beschränken, andere vom Einsatz nuklearer
Waffen abzuhalten; das ermöglicht in der Tat die Rückführung auf wenige Hundert Systeme.
Ihre Taktik, bei dieser Frage wegzutauchen, weil in
Rot-Grün darüber nicht diskutiert werden kann, keinerlei
strategische Perspektive zu eröffnen, keinerlei Abrüstungsinitiativen vorzulegen und keine Bereitschaft zu
zeigen, eine aktive europäische Politik zu führen, um auszuloten, in welcher stabilitätsfördernden Weise man Abschreckung mit Verteidigung verbinden kann, ist es, was
wir Ihnen vorwerfen, Herr Bundesaußenminister Fischer.
({6})
Was den Balkan betrifft, unterstützen wir die demokratische Entwicklung in Serbien nachdrücklich. Es war
gut, dass Präsident Kostunica wichtige Gesten im Hinblick auf die Amnestie gemacht hat, dass er auch ein Wort
des Bedauerns angesichts der schrecklichen Massaker gefunden hat. Denn eines ist richtig: Ohne die Wahrheit über
die Vergangenheit kann es keine gute Zukunft mit den
Nachbarn geben.
Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, über den künftigen Status des Kosovo zu entscheiden. Aber, liebe Kolleginnen
und Kollegen, was wir dort endlich brauchen, ist ein politischer Prozess. Es geht nicht nur eine humanitäre Intervention. Dieses Land wird praktisch von der NATO, der
EU und den Vereinten Nationen regiert. Schon viel zu
lange befinden sich unsere Soldaten dort, ohne dass dies
durch einen politischen Rahmenprozess begleitet wird.
(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer
[CDU/CSU]
Soldaten anstelle von Politik - das ist eine Situation, die
wir
({7})
den Soldaten auf Dauer nicht zumuten dürfen.
({8})
Deswegen brauchen wir energische Schritte in Richtung
eines politischen Prozesses.
({9})
Ich halte das Gerede „Wir müssen zehn Jahre dort bleiben“ einfach für unverantwortlich. Wir müssen einen
politischen Prozess in Gang setzten, der dann einen geringeren militärischen Einsatz vor Ort ermöglicht, einen
Prozess, der zu einer nachhaltigen, selbsttragenden Stabilisierung führt, auch um die internationale Präsenz zeitlich begrenzen zu können.
Nach den Kommunalwahlen muss es bald zu kosovoweiten Parlaments- und Präsidentenwahlen kommen.
({10})
Ich denke, ein gewähltes Parlament im Kosovo wäre der
richtige Ort für die Debatten über die künftige Entwicklung im Kosovo. Es geht um die Realisierung der
substanziellen Autonomie innerhalb Jugoslawiens, beispielsweise in Form einer Teilrepublik, wie es mit
Montenegro der Fall ist.
Was Montenegro und Kosovo angeht, würde ich im
Übrigen vorschlagen zu versuchen, die Entwicklungen
politisch parallel zu führen. Falsch ist - das haben wir
auch in Gesprächen mit Bischof Artemije gehört - eine Finalitätsdiskussion zu führen. Jetzt etwas Abschließendes
vorzuschlagen, etwa im Hinblick auf die völlige Unabhängigkeit, wäre kein hilfreicher Beitrag.
Wir müssen aus der Situation herauskommen, in der alles nur vom militärischen Beitrag abhängt. Deswegen
drängen wir darauf, einen politischen Prozess in Gang zu
setzen.
({11})
- Den Stabilitätspakt haben wir unterstützt.
({12})
Ich meine einen politischen Prozess über die Zukunft des
Kosovo, Herr Kollege. Deshalb kann es nicht bei den
Kommunalwahlen bleiben.
({13})
Der nächste Schritt muss ein Republikstatus sein, wie es
auch in Montenegro der Fall ist.
Ein Europa ohne Trennlinien zu schaffen, das muss das
Ziel der deutschen und europäischen Russlandpolitik
sein. Aber wir dürfen die zum Teil unterschiedlichen
Vorstellungen nicht unterschätzen. Das russische Vorgehen gegen die tschetschenische Bevölkerung und zunehmende Einschränkungen der demokratischen Grundfreiheiten in Russland sind nur zwei Beispiele für die
unterschiedlichen Vorstellungen von europäischen Grundwerten und Grundprinzipien. Deshalb muss die Partnerschaft mit Russland pragmatisch-realistisch auch unter
Einkalkulierung von Rückschlägen betrieben werden.
Partnerschaft heißt im Übrigen auch, wenn nötig, Widerpart zu sein. Das bedeutet, dass auf die Fehlentwicklungen, die die Partnerschaft belasten, deutlicher als bisher reagiert werden muss. Für mich ist es unglaubwürdig,
wenn man immer die deutsch-französische Freundschaft
beschwört und dann nicht zur Kenntnis nimmt, mit welcher bewundernswerten Klarheit nicht nur die Intellektuellen, sondern auch die Politiker in Frankreich deutliche Worte zu den Menschenrechtsverletzungen in
Tschetschenien gefunden haben. Im Vergleich zu dem,
was man in Deutschland dazu gehört hat, ist das für die
deutsche Seite eher beschämend.
({14})
Wenn man dies mit den fundamentalistischen Einlassungen in der letzten Legislaturperiode vergleicht, ist das
umso schlimmer.
Herr Bundesaußenminister, wir fordern Sie auf, gegenüber der russischen Seite mit deutlich mehr Nachdruck
darauf zu drängen, eine politische Lösung des Konflikts
herbeizuführen, endlich die OSZE-Zusagen einzulösen
und den humanitären Hilfsorganisationen sowie den Medien einen Zugang zu Tschetschenien zu gewähren. Wenn
Sie mit Rupert Neudeck und anderen dort Engagierten
sprechen, werden Sie erfahren können, dass in diesem
Land die Welt noch völlig vernagelt ist. Es ist Sache der
Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass die schweren
Menschenrechtsverletzungen aufgeklärt, geahndet und
für die Zukunft unterbunden werden.
Nachdem Präsident Putin kürzlich davon gesprochen
hat, dass der deutsch-russische Dialog die gesellschaftlichen Kräfte noch stärker berücksichtigen sollte - also sozusagen ein Königswinter in Sankt Petersburg, was eine
gute Idee ist -, erwarten wir, Herr Bundesaußenminister,
dass das nicht nur ein enger Dialog zwischen regierungsnahen Kräften wird, sondern dass in diesen Dialog auch
andere einbezogen werden, zum Beispiel die russischen
Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte in Tschetschenien eingesetzt haben.
({15})
Es muss zu einem Dialog kommen, der diese gesellschaftlichen Kräfte mit einbezieht. Es ist mir klar, dass die
Grünen jetzt besonders unruhig sind, weil sie in dieser
Frage in den vergangenen zwei Jahren besonders unglaubwürdig geworden sind.
({16})
In den kommenden Jahren wird Deutschland zunehmend internationale Verantwortung übernehmen. Dies
fordern unsere Verbündeten, es entspricht aber im Übrigen auch unserer Interessenlage. Dazu brauchen wir ein
adäquates Instrumentarium. Stattdessen wird der Auswärtige Dienst aufgrund massiver Haushaltskürzungen,
aber auch wegen mangelnder Reformbereitschaft seinen
Aufgaben immer weniger gerecht. Es besteht die Gefahr,
dass der Stellenwert der Außenpolitik in Deutschland
nicht mehr unserem Interesse entspricht und dass es Ansätze einer Provinzialisierung gibt.
({17})
Dem müssen wir uns mit aller Härte entgegenstellen. Wir
haben im Auswärtigen Dienst sehr tüchtige Mitarbeiter
- ich weiß das aus eigener Erfahrung -, die ihre Arbeit in
großartiger Weise machen. Wir schulden ihnen die Unterstützung durch die Zentrale, damit sie unsere außenpolitischen Interessen auf der ganzen Welt vertreten können.
({18})
Deshalb muss das realisiert werden, was auf der Botschafterkonferenz angekündigt worden ist.
Man kann dem Außenminister durchaus gelegentlich
eine geschmeidige Taktik bescheinigen, das allein entspricht aber nicht den außenpolitischen Interessen unseres
Landes. Wir brauchen auch mutige Perspektiven und mutige Initiativen, damit die deutsche Außenpolitik wieder
ein stärkeres Gewicht bekommt und wir unseren Einfluss
mehren können, um auf internationaler Ebene das durchsetzen zu können, was im Interesse unseres Landes ist.
Deswegen ist es gut, dass wir nach zwei Jahren rot-grüner
Regierung darüber gesprochen haben,
({19})
wie Sie sich Verdienste erworben haben, indem Sie einen
Bruch mit den Grundlinien der Außenpolitik der Vorgängerregierung vermieden haben. Wichtig ist aber auch,
den Finger auf die Wunde zu legen und aufzuzeigen, wo
Sie hinter dem zurückbleiben, was notwendig wäre, um
die außenpolitischen Interessen unseres Landes international gebührend zu vertreten.
Vielen Dank.
({20})
Ich gebe das
Wort nunmehr der Kollegin Monika Heubaum von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Wenn ich die letzten Jahre
der Regierung Kohl mit einem Wort beschreiben sollte,
fällt mir genauso wie vielen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes in erster Linie der Begriff „Reformstau“ ein.
({0})
Nachdem ich den Antrag der CDU/CSU zur Außenpolitik
gelesen habe, fällt mir eine ähnlich griffige Bezeichnung
für die Oppositionsarbeit der CDU/CSU ein: Realitätsblindheit.
({1})
In dem Antrag zur deutschen Außenpolitik, den diese
Oppositionsfraktion im Oktober der Öffentlichkeit präsentiert hat, ist auf sage und schreibe zehn Seiten nicht ein
neuer Gedanke formuliert.
({2})
- Ja, woher auch? - In schlechtester Oppositionsmanier
reiht die Union Forderungen aneinander, die komplett
widersprüchlich sind, fordert Initiativen der Bundesregierung, die schon lange realisiert worden sind, und
stellt kostspielige Forderungen auf, erklärt aber natürlich
mit keinem Wort, woher das Geld zur Finanzierung kommen soll.
({3})
Nun muss die CDU/CSU-Fraktion aber feststellen, dass
die breite Öffentlichkeit auf solcherlei realitätsblinden
Aktionismus nicht so reagiert, wie sie es erhofft hat. Die
Bevölkerung hat von dem Antrag der CDU/CSU und den
Vorstellungen der Opposition zur deutschen Außenpolitik
kaum Notiz genommen. Im Gegenteil: Die Außenpolitik
der rot-grünen Bundesregierung findet in Deutschland, in
Europa, aber auch weltweit große Aufmerksamkeit und
Anerkennung,
({4})
wie erst kürzlich wieder die mehrtägige Reise des Kanzlers in den Nahen Osten deutlich gemacht hat.
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Welt hat
sich im letzten Jahrzehnt gewaltig verändert, vor allem
durch die Beendigung des Kalten Krieges, die die Öffnung der NATO und der Europäischen Union nach Osten
nach sich zieht. Dies stellt die Außenpolitik vor große
Herausforderungen, auch in der Entwicklung der transatlantischen Beziehungen. Politische Reformen sind in der
Tat notwendig und wir gehen jetzt konsequent die überfällige Aufhebung des Reformstaus an, den uns die Regierung Kohl auch in der Außenpolitik hinterlassen hat.
({6})
Ein Thema, das die Menschen beiderseits des Atlantiks
bewegt, ist die Entschädigung der Zwangsarbeiter. Wir
haben uns, nachdem das Problem jahrzehntelang diskutiert wurde, aber weiter nichts geschehen war - also auch
hier Reformstau -, zu unserer moralischen Verantwortung
für die Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus bekannt
({7})
und gesetzliche Voraussetzungen für eine schnelle und
unbürokratische Unterstützung ehemaliger Zwangsarbeiter geschaffen.
({8})
Genauso wird im Ausland unser Umgang mit Rechtsradikalismus und rechter Gewalt beobachtet. Das konsequente Vorgehen der Bundesregierung gegen den Rechtsradikalismus ist insofern auch ein wichtiger Punkt auf der
außenpolitischen Tagesordnung. Politische Aktivitäten
wie Absprachen unserer Bundesregierung mit der amerikanischen Regierung zur Bekämpfung rechtsradikaler
Veröffentlichungen im Internet sind in ihrer Bedeutung
nicht zu unterschätzen.
({9})
Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion wird festgestellt,
dass die Europäer „mehr denn je auf eine partnerschaftliche enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den
USA angewiesen“ sind. Dieser Aussage möchte ich nicht
widersprechen. Unser Verhältnis zu Staaten des amerikanischen Kontinents, insbesondere zu den USA und zu Kanada, ist hervorragend. Es gibt ohne jeden Zweifel hier
und da unterschiedliche Standpunkte in Einzelfragen; das
gibt es aber in den besten Beziehungen. Gerade unter
Freunden sollte man unterschiedliche Auffassungen zum
Beispiel zu hormonbehandeltem Rindfleisch oder zu
Lärmstandards für Flugzeuge offen ansprechen, um zu
vernünftigen Lösungen zu kommen. Es gibt jedenfalls
überhaupt keinen sachlichen Grund, das Verhältnis so
problematisch darzustellen, wie dies die Union in ihrem
Antrag versucht.
Die tiefe vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren
Partnern in Amerika findet auf den verschiedensten politischen Ebenen statt. So haben wir auf der NATO-Ebene
gezeigt, dass wir auch große politische Krisen wie den
Krieg im ehemaligen Jugoslawien gemeinsam erfolgreich
bewältigen können. Ich denke, die Umsetzung des vom
deutschen Außenminister initiierten Stabilitätspaktes
spricht für sich.
Nun ist die Bundesrepublik Deutschland auch Mitglied
der Europäischen Union. Gerade die EU hat zuletzt mit
dem Mexiko-EU-Abkommen eine wichtige wirtschaftsund handelspolitische Maßnahme umgesetzt und Liberalisierungen vor allem im Dienstleistungssektor ermöglicht.
Auf bilateraler Ebene ist das transatlantische Verhältnis ausgesprochen gut. Wir sind durch gemeinsame demokratische Grundwerte ebenso verbunden wie durch
eine vielfältige gesellschaftspolitische Zusammenarbeit.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich auf den hohen
Wert von Austauschprogrammen für Schüler, Studenten,
Berufstätige und Wissenschaftler hinweisen.
Wir sind aber auch bedeutende Handelspartner, selbst
wenn die Opposition das transatlantische Verhältnis
schlecht reden will. 1999 hat die Bundesrepublik Waren
im Wert von mehr als 100 Milliarden DM in die USA exportiert und damit das Ergebnis aus dem Vorjahr um mehr
als 4 Prozent gesteigert und einen Exportüberschuss von
nahezu 30 Milliarden DM erwirtschaftet. Wir sind also
nicht nur in der Außenpolitik erfolgreich. Auch unsere
Wirtschaftspolitik ist vom Feinsten.
({10})
Die Exporte der deutschen Wirtschaft in die USA
verzeichnen in den ersten Quartalen dieses Jahres wieder
hohe Zuwachsraten. Unsere Wirtschaft ist, auch dank der
Reformen dieser Bundesregierung, auf dem Weltmarkt
absolut konkurrenzfähig.
In umgekehrter Blickrichtung ergibt sich folgendes
Bild: Gut 1 900 amerikanische Firmenniederlassungen
mit einem Jahresumsatz von mehr als 300 Milliarden DM
beschäftigen etwa 500 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. Das zeigt mehr als deutlich,
wie gut das Ansehen des Wirtschaftsstandortes Deutschland jetzt ist.
({11})
Unsere Zusammenarbeit mit Kanada ist ebenfalls sehr
gut. Das Volumen des Handels zwischen Deutschland und
Kanada liegt bei 12 Milliarden DM im Jahr. Fortschritte
in den deutsch-kanadischen Wirtschaftsbeziehungen gibt
es beispielsweise durch die Schaffung des „Canada Europe Business Round Table“, in dessen Rahmen Unternehmen aus Europa und Kanada gemeinsam Vorschläge
zur Erleichterung der Wirtschaftsbeziehungen erarbeiten.
Wir müssen uns trotz der Erfolge im Außenhandel täglich von neuem den Herausforderungen der Globalisierung stellen. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind die internationalen Handelsabkommen von
größter Bedeutung; denn nur so können wir einen fairen
und gerechten Welthandel ermöglichen.
Die WTO-Konferenz von Seattle hat leider nicht zu
dem gewünschten Erfolg geführt. Deutschland hat als
eine der größten Wirtschaftsnationen der Welt eine besondere Verantwortung für die Entwicklung der Weltwirtschaft und als eine der größten Exportnationen auch ein
großes Eigeninteresse daran, dass im Rahmen von internationalen Verhandlungen Fortschritte erzielt werden.
Wir treten weiterhin für die Öffnung der Märkte und für
die verbindliche Festlegung von Arbeits- und Umweltstandards ein. Nur so können wir ein langfristig stabiles
internationales Wirtschaftswachstum erreichen.
({12})
Die Politik der Bundesregierung ist glaubwürdig und
berechenbar. Deutschland hat durch seinen klaren außenpolitischen Kurs in der internationalen Staatengemeinschaft an Vertrauen und Gewicht gewonnen. Unverständlich ist nur, dass die Opposition ohne Not - ich betone:
ohne Not - Konflikte mit der Bundesregierung konstruiert, die gar nicht existieren. Außenpolitik ist eigentlich zu
wichtig, als dass man sie für billige innenpolitische Profilierungen missbrauchen sollte.
({13})
Ich kann zusammenfassend nur feststellen: Wir sind
auf dem richtigen Weg!
({14})
Für die
F.D.P.-Fraktion erteile ich dem Kollegen Ulrich Irmer das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Seit zwei Jahren ist die
deutsche Außenpolitik nunmehr in rot-grüner bzw. fest in
grüner Hand. Das ist, wenn man von den paar Amtsinhabern absieht, den Grünen nicht gut bekommen; das soll
nicht meine Sorge sein.
({0})
Es ist aber vor allem der deutschen Außenpolitik nicht gut
bekommen.
({1})
Das erfüllt mich mit erheblicher Sorge.
Die deutsche Außenpolitik ist, seit sie die Grünen übernommen haben, von zwei Tendenzen geprägt: einerseits
von dem Versuch, der Wirklichkeit einigermaßen Rechnung zu tragen und sich von einigen ideologischen Positionen der Vergangenheit zu verabschieden, andererseits
von dem peinlichen Bemühen, den Frust und die Enttäuschung der grünen Basis über diese neue Realitätsnähe
permanent durch mehr oder weniger unsinnige Aktionen
zu beschwichtigen.
({2})
Zur ersten Tendenz möchte ich zwei Beispiele nennen.
Der iranische Staatspräsident Khatami wird, übrigens zu
Recht, in Berlin mit allen Ehren empfangen. Das ist in
Ordnung. Willkommen in der Realität! Wir haben aber
alle noch im Ohr, wie das vor wenigen Jahren klang, als
die alte Bundesregierung eine ähnliche Iranpolitik - auch
zu Recht - betrieben hat und als Sie gar nicht oft genug
den Rücktritt des damaligen Bundesaußenministers Klaus
Kinkel fordern konnten. Vor wenigen Jahren waren wir,
als es um die Militäraktionen bei Friedensmissionen im
Ausland ging, noch die großen Kriegstreiber. „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“ war einer der mildesten
Ausdrücke. Im Fall Kosovo aber überboten sich Fischer,
Vollmer und Co mit verbalem Säbelrasseln. Sie haben
selbstverständlich die Bundeswehrsoldaten trotz überaus
dubioser Rechtsgrundlagen in das Feuer geschickt. Recht
so, kann ich nur sagen.
({3})
Hier gilt offensichtlich der Spruch: Die schärfsten Kritiker der Elche sind inzwischen selber welche.
({4})
Stichwort „Elch“. Herr Fischer, hören Sie einmal einen
kleinen Moment zu! Sie müssen ja demnächst von
Madeleine Albright Abschied nehmen, mit der Sie immer
so gerne gekuschelt haben. Gehen Sie doch einmal zu
IKEA! Dort gibt es wunderschöne kleine Stoffelche. Kaufen Sie ihr einen, schenken Sie ihn ihr!
({5})
Sie wird Sie immer in bester Erinnerung behalten. Auch
ich habe ein solches Tier zu Hause; es wurde mir von
einem Freund geschenkt. Es ist viel hübscher und handsamer, als Sie es je waren. Madeleine Albright wird ihre
Freude daran haben.
({6})
Zur zweiten Tendenz der grünen Außenpolitik. Seit Sie
bei Ihrer eigenen Basis als Kriegstreiber verschrien sind
- so widersprüchlich das auch ist -, versuchen Sie mit
aller Gewalt, Ihren Friedenswillen und Ihr Gutmenschentum zu dokumentieren, auch da, wo es völlig unangebracht ist. Auch hierzu nenne ich einige Beispiele.
Sie haben den Einsatz der Bundeswehr in Osttimor veranlasst. Da hat uns niemand gerufen, es hat uns niemand
gebraucht. Das hätten die Australier viel besser machen
können. Das war reine Geldverschwendung.
({7})
Das Geld wäre besser für den zivilen Aufbau in der Region ausgegeben worden.
({8})
Als zweites Beispiel nenne ich Ihr Verhalten gegenüber
der Türkei. Ich habe es begrüßt, dass der Türkei der Status des offiziellen Beitrittsbewerbers zuerkannt wurde.
Das Thema war sehr strittig. Sie aber sind der Türkei,
noch dazu einem NATO-Partner, als es um die Lieferung
von Panzern ging, in einer Weise entgegentreten, als sei
das irgendein Land, das auf unserer Gegenseite stünde,
das man nur mit der Zange anfassen könne. Wie verträgt
sich das mit Ihrer offiziellen Politik in der Frage des Beitritts?
({9})
Ich nenne das unsägliche Beispiel Österreich. Hier haben Sie klein beigeben müssen. Letzte Woche haben Sie
ganz stolz verkündet, dass Sie mit Österreich Verträge
über eine weltweite Friedensprävention schließen. Jetzt
ist Österreich plötzlich wieder akzeptabel.
Aber wissen Sie eigentlich, welchen Schaden Sie nicht
nur gegenüber dem österreichischen Volk, sondern auch
bei kleinen Ländern - sowohl Ländern innerhalb der Gemeinschaft als auch solchen, die der Gemeinschaft beitreten wollen - angerichtet haben? Sie sagen doch alle: So,
wie die Gemeinschaft und die großen Länder mit Österreich umgesprungen sind, kann es uns auch passieren. Wo bleibt der Respekt vor kleinen Ländern, vor der demokratischen Entscheidung in solchen Ländern?
({10})
Wenn uns eine innenpolitische Entwicklung nicht
passt, dann müssen wir versuchen, behutsam darauf einzuwirken, und vielleicht gegensteuern. Aber hier mit dem
Holzhammer zu kommen und gegen Österreich so vorzugehen, wie Sie es getan haben, ist ja wohl unsäglich und
diente lediglich dazu, Ihrer grünen Basis zu zeigen, wie
unnachgiebig und großartig Sie sich in Menschenrechtsfragen schlagen.
Bei diesem Spagat, den Sie tagtäglich vollführen, geht
natürlich jeder Ansatz zu konzeptionellem Denken und
Handeln völlig verloren. Das merkt man Ihrer Politik an.
Außer Ihrer Europarede, die Sie ja ausdrücklich als Privatmann gehalten haben, haben Sie bisher konzeptionell
nichts geboten. Dort, wo Sie konzeptionell zu werden versuchen, lässt dann die praktische Ausführung schwer zu
wünschen übrig, wie sich jetzt durch die Kritik, die an Ihrer praktischen Politik im Ausland geübt wird, ganz deutlich zeigt. Nur hektische Ad-hoc-Aktivitäten können Sie
an den Tag legen.
({11})
Außenpolitik muss werteorientiert und interessenbezogen sein. Das ist keineswegs ein Widerspruch. Wie alle
Politik dient die Außenpolitik dem Zweck, unseren Bürgern Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu garantieren.
Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Diese Ziele
der Außenpolitik können natürlich durch gewalttätige
Auseinandersetzungen irgendwo auf der Welt beeinträchtigt und bedroht werden. Krisen und Gewalt brechen immer
da aus, wo Menschenrechte oder Minderheitenrechte mit
Füßen getreten werden. Deshalb ist der weltweite Einsatz
für Menschenrechte unmittelbar in unserem eigenen deutschen Interesse.
({12})
Wertepolitik und Interessenpolitik schließen sich nicht
aus. Aber Sie, die Sie die Menschenrechte immer wie eine
Monstranz vor sich her getragen haben, haben ja nicht einmal auf diesem Gebiet irgendeinen Erfolg vorzuweisen.
Wo sind denn die Ergebnisse der Fernethiker und Weltbeglücker von einst?
({13})
Sie haben keinen Konsens der europäischen Partner bei
der China-Resolution der Konferenz der Vereinten Nationen in Genf erreicht. Sie haben in Menschenrechtsfragen
keinen Erfolg in den bilateralen Beziehungen mit der
Volksrepublik China gehabt. Messen Sie einmal das,
was Sie heute vorzuweisen haben, an dem, was Sie der alten Bundesregierung seinerzeit vorgeworfen haben.
({14})
Dann fahren Sie natürlich als Erster nach Moskau,
machen dort dem Präsidenten Putin Ihre Aufwartung,
machen einen Kotau vor Präsident Putin, während
gleichzeitig in Tschetschenien Tausende und Abertausende von Menschen sterben. Ihre Rhetorik - Herr Rühe
hat das vorhin angesprochen - in der letzten Wahlperiode
zum ersten Tschetschenienkrieg, der nicht annähernd so
blutig und grausam war wie der jetzige, ist uns allen noch
im Ohr. Messen Sie sich an Ihren eigenen Worten!
({15})
Aber auch da, wo es direkt um deutsche Interessen
geht, ist Fehlanzeige. Als ein Beispiel nenne ich die
Osterweiterung der Europäischen Union. Meine Damen und Herren, wo ist denn die Kampagne der Bundesregierung zur Aufklärung und Information der Bevölkerung darüber, dass dieses Projekt Osterweiterung ganz
direkt in unserem deutschen Interesse liegt, dass niemand
sonst mehr Interesse daran hat als wir?
({16})
Das Handelsvolumen mit diesen Ländern ist schon heute
größer als das mit den Vereinigten Staaten. Hier erschließen wir uns doch die Märkte der Zukunft, auf die wir so
dringend angewiesen sind. Sie müssen den Menschen bei
uns die Angst nehmen, dass etwas auf sie zukäme, dem sie
nicht gewachsen wären. Die Osterweiterung bringt uns
nur Vorteile; aber man muss es den Leuten sagen.
({17})
Was Sie auch überhaupt nicht bedenken, ist Folgendes:
Die Verzögerungstaktik, die Sie hier betreiben, führt
natürlich zu erheblichen innenpolitischen Problemen in
den beitrittswilligen Ländern. Sie fühlen sich vernachlässigt und an der Nase herumgeführt, wenn man ihnen immer wieder in Aussicht stellt, dass sich bald etwas rühren
werde, sich in Wirklichkeit aber nichts rührt. Ich habe den
Verdacht, dass Sie, weil Sie wissen, wie ängstlich unsere
Bevölkerung diese Dinge betrachtet, in den Verhandlungsrunden dafür sorgen wollen, dass die eigentlich heiklen
und kritischen Themen vor unserer Bundestagswahl 2002
überhaupt nicht auf die Tagesordnung kommen. In diesem
Punkt müssen wir Tempo anmahnen.
({18})
Das muss jetzt schneller gehen; sonst erleben die beitrittswilligen Länder innenpolitische Rückschläge, mit
denen uns überhaupt nicht gedient ist.
({19})
Die transatlantischen Beziehungen sind schon angesprochen worden. Es ist doch erstaunlich, dass es gerade
im Bereich der Handelspolitik erhebliche Irritationen
gibt. Die Gefahr des Protektionismus ist nach wie vor
nicht gebannt. Ich warte in dieser Sache ebenso auf Initiativen der deutschen Bundesregierung wie in den Bereichen nukleare Abrüstung, Nichtverbreitung, Teststopp im
Zusammenhang mit dem amerikanischen Raketenabwehrsystem NMD.
Wo bleiben - ich nenne nur Stichworte - deutsche
Initiativen? Lateinamerika, Asien, Afrika: Fehlanzeige!
UN-Reform: Nichts! Selbstverständlich wäre ein Sitz im
Sicherheitsrat im deutschen Interesse. Was die Außenwirtschaft angeht, ist festzustellen, dass insbesondere der
Mittelstand dringend auf Förderungen durch die Regierung angewiesen ist. Wir warten vergeblich.
({20})
Ich komme zu Ihrem Vorpreschen in Sachen Nordkorea. Ehe die Frage der Straflager in Nordkorea nicht
durchleuchtet und nicht geklärt ist, sollten wir meiner
Meinung nach - ich erinnere an die Menschenrechte keine Vorleistung erbringen. Nordkorea ist am Zuge; es
muss mehr tun.
({21})
Die deutsche Außenpolitik ist deshalb so desolat, weil
sie sich nicht an den internationalen Notwendigkeiten und
Gegebenheiten, nicht an Werten und auch nicht an deutschen Interessen, sondern nur an der innenpolitischen Akzeptanz bei der grünen Klientel orientiert.
({22})
Es ist Zeit, dass unsere Außenpolitik wieder in liberale
Hände kommt. Dort ist sie gut aufgehoben.
Danke.
({23})
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege
Dr. Helmut Lippelt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Montag dieser Woche hat die „International Herald Tribune“ mit
einem Foto des Bundeskanzlers aufgemacht. Daneben
konnte man lesen, dass es, nachdem Tony Blair viel von
seiner Ausstrahlung verloren habe, nachdem sich in Paris
Präsident und Ministerpräsident befehdeten und die USA
in der bekannten Krise steckten, unter allen demokratischen Führern dieser Welt der deutsche Bundeskanzler
sei, der Orientierung gebe und Zuversicht ausstrahle.
Sie können anderer Meinung sein; das ist völlig klar.
Man kann über diese Angelegenheit denken, wie man
will. Nur eines geht nicht: Man kann nicht in einen Antrag
schreiben, nach zwei Jahren rot-grüner Regierung habe
die deutsche Außenpolitik an Einfluss verloren. Man kann
dieser Regierung nicht vorwerfen, sie habe die deutschamerikanischen Beziehungen beschädigt, wenn gleichzeitig in demjenigen Blatt, das auf diesem Gebiet die Meinungsführerschaft besitzt, zu lesen ist, dass das Gegenteil
zutrifft. Sie können diese Ansicht nicht so einfach aufrechterhalten. Wer so urteilt, muss sich im Gegenteil mangelnde Lektüre der internationalen Presse und Realitätsverweigerung in hohem Grade vorwerfen lassen.
({0})
Wer so urteilt, ähnelt einem Mann, der an nordfriesischen
Deichen sitzt, über das weite Watt den ablaufenden Wassern nachschaut und immer wieder sagt: Land unter, Land
unter. - Daran haben mich einige Reden erinnert.
({1})
Ich möchte drei Punkte zum Nachweis der Konzeptionslosigkeit nennen - nicht dieser Regierung, sondern des
von Ihnen vorgelegten Antrags -:
Erstens. Sie werfen uns mangelnde Glaubwürdigkeit,
fehlende Berechenbarkeit usw. vor. Seit mehr als zehn
Jahren, seit 1989, war klar, dass der Kosovo-Konflikt auf
uns zukommt. Die von Ihnen getragene Regierung und
der von Ihnen getragene Außenminister haben es - unter
anderem in Dayton und bei den anschließenden Normalisierungsgesprächen in Belgrad - versäumt, eine präventive Außenpolitik zu betreiben und auf die Krise einzuwirken. Das einzige Bestreben der damaligen Regierung
bestand darin, Flüchtlinge - bis in den Krieg hinein zurückzuschicken.
({2})
Die neue Regierung erbte den Krieg, als außenpolitisch
schon nichts anderes mehr zu machen war, als ein berechenbarer Bündnispartner zu sein. Der ist sie gewesen.
Gleichzeitig hat sie dann all ihre konzeptionelle Kraft
sofort in Pläne zur Beendigung des Krieges gesteckt. Vom
ersten Tag des Ausbruchs an ist das geschehen. Nicht umsonst ist ja der dann aufgestellte und verwirklichte Friedensplan mit dem Namen unseres Außenministers verbunden. Allgemein wird international doch anerkannt und
akzeptiert, dass der danach zur Festigung des Friedens im
Auswärtigen Amt entworfene und schließlich durchgeführte Stabilitätspakt auf die deutsche Außenpolitik
zurückgeht. Sie können ja sagen, Herr Rühe, das liege daran, dass da so gute Beamte seien. Das Problem ist, dass
der Ideenreichtum dieser Beamten überhaupt erst durch
einen Minister freigesetzt werden musste. Das Amt
musste überhaupt erst wieder in Gang kommen. Vorher
herrschte doch nur Frustration in dem Hause. Hören Sie
sich doch einmal um.
({3})
- Ja, ja. Ihre Vorstellung hier war pures Kabarett, Herr
Irmer. Diese Aufforderung kann ich nur zurückgeben.
Herr Rühe, Sie loben in ihrem Antrag KFOR und
UNMIK, stellen aber dann fest, dass der bisherige Politikansatz zur Lösung nicht ausreiche. Das kennen wir auch
aus anderen Anträgen Ihrer Fraktion. Sie wurden jedoch,
als Sie Ihren Antrag noch niederschrieben, vom Ausgang
der Wahlen in Jugoslawien überrascht. So fügten Sie
ebenso verlegen wie trotzig zu Ihren falschen Behauptungen hinzu, dass alles „trotz der Abwahl Milosevics nicht
... ausreicht“. Sie begriffen überhaupt nicht oder wollen
nicht begreifen, dass die Abwahl Milosevics unter anderem auch aus dem Wunsch des serbischen Volkes resultierte, die ihm mit dem Stabilitätspakt gereichte Hand Europas zu ergreifen.
({4})
Die Serben wählten Milosevic ab, um dem Stabilitätspakt
beitreten zu können. Sie aber jammern hier, es fehle ein
politischer Rahmen für die militärische Tätigkeit. Es war
ein politischer Rahmen da, der sich enorm bewährt hat.
Dieses war und ist ein Höhepunkt der außenpolitischen
Erfolgsgeschichte dieser Bundesregierung.
({5})
Zweitens. Ich gehe im Zusammenhang mit der Europapolitik nicht auf das ein, was Sie zu Hausaufgaben gesagt haben. Zu diesem Thema hat Ihre Fraktion eine völlig hoffnungslose Aktuelle Stunde durchgeführt. In der
haben wir dieser Fraktion sehr schön nachgewiesen, dass
diese Regierung mit dem Schröder-Vorschlag sehr wohl
einen Vorschlag gemacht hat, der die Dinge voranbringt.
Ich weiß nicht, ob Sie ihn überhaupt zur Kenntnis genommen haben.
({6})
Sie greifen dankbar die Rede Prodis auf, ohne zu sehen oder gar den Zusammenhang herzustellen, dass
diese Rede der vom deutschen Außenminister ausdrücklich erwünschte Beitrag des Kommissionspräsidenten zu
der von ihm in Gang gesetzten Debatte über die Zukunft
Europas ist.
({7})
Es haben sich viele europäische Politiker von Chirac,
Védrine über Geremek bis Prodi beteiligt. Aus Ihren Kreisen haben sich Herr Schäuble, Herr Pflüger und Herr
Lamers beteiligt.
({8})
Im Übrigen haben viele von ihnen eher Fischer unterstützt. Hier wird es doch erst interessant. Es stellt sich
doch nun, an Sie, Herr Rühe, gerichtet die Frage: Teilen
Sie die Meinung Prodis?
({9})
- Rezzo, lass einmal. Ich kläre jetzt die Sache auf, damit
die nicht weiter herumfantasieren.
Teilen Sie die Hauptthese Prodis, dass der Hohe Repräsentant für Außen- und Sicherheitspolitik eigentlich in
die Kommission gehöre und nicht dem Rat unterstellt und
für die Abstimmung europäischer Außenpolitik zuständig
sein solle? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie diese
Meinung teilen. Darüber müssen Sie sprechen. Sie dürfen
nicht nur Honig aus der Kritik Prodis saugen, sie müssen
auch auf den Kern der Sache eingehen. Dazu hätten wir
hier eine Stellungnahme von Ihnen erwartet.
Drittens: Menschenrechtspolitik. Da hören wir ja
wieder den Vorwurf - Herr Irmer verwies so schön darauf -, die Bundesregierung fordere Menschenrechtspolitik nur von den Kleinen ein, während die Bundesregierung vor den Großen kusche. Ihre Vorwürfe zum
Umgang mit China haben Sie von der früheren Opposition übernommen. Damals konnten sie mit größerem
Recht als von Ihnen heute erhoben werden. Uns stehen
doch noch die Bilder vom Kotau des früheren Bundeskanzlers vor der chinesischen Volksarmee vor Augen.
({10})
Wir wissen doch noch, dass Wei Jingsheng - kaum war
der Bundeskanzler auf dem Heimflug in Thailand zwischengelandet - wieder verhaftet und zu 14 Jahren Kerker
verurteilt wurde. Sie müssen zugeben: Das sah jetzt etwas
anders aus. Der jetzige Bundeskanzler war in der Lage,
seine geplante China-Reise nach dem katastrophalen
Fehlschuss der NATO auf die chinesische Botschaft sofort
in den Dienst von Bündnisnotwendigkeiten zu stellen, die
zur Begleitung geladene Wirtschaftsdelegation zu Hause
zu lassen, sich auf das Notwendige zu konzentrieren.
Seine Entschuldigung wurde im Gegensatz zu den Versuchen der amerikanischen Politik akzeptiert und damit
die Grundlage zur chinesischen Stimmenthaltung im UNSicherheitsrat gelegt,auf der der Kosovo-Krieg zu Ende
gebracht werden konnte. Das müssen Sie doch als Erfolg
der Bundesregierung sehen.
({11})
Bei der zweiten Reise war er dann sehr wohl in der
Lage, die Wirtschaftsgespräche mit der Diskussion über
Fragen der Religionsfreiheit, der Institutionalisierung eines Rechtstaatsdialogs zu verbinden, der doch in vollem
Gange ist. Oder haben Sie das nicht bemerkt?
({12})
Ich gehe auf Tschetschenien nur kurz ein, denn die
Zeit läuft mir zu sehr davon.
({13})
Dieser Außenminister hat immer darauf hingewiesen,
dass die Regierungen natürlich in bestimmte Notwendigkeiten - in den Abrüstungsdialog, in die Aufrechterhaltung der russischen Einbindung - eingebunden sind, dass
aber wir mehr sagen könnten. Das trifft jetzt nicht Sie. Die
F.D.P. war diejenige, die bei dem interfraktionellen Antrag mit der SPD und uns sofort mitgezogen hat; aber die
Partei des Hauptredners hat diesen Antrag nicht mitgetragen. Herr Rühe, machen Sie sich das erst einmal wieder
klar!
({14})
Sie haben doch bei den deutlichen Worten dieses Parlamentes zur Tschetschenien-Frage geschlafen.
Herr Kollege
Lippelt, Ihre Zeit ist jetzt wirklich „Land unter“.
({0})
Herr Präsident, ich bedanke mich. Ich bin beim letzten
Satz.
Der alleinige oder Co-Verfasser des Antrags, der
Schattenaußenminister der CDU, wurde vorgestern meiner Erinnerung nach zum zweiten oder dritten Mal nach
den schleswig-holsteinischen Wahlen im Auswärtigen
Ausschuss gesehen. Der Antrag wird ihm gewiss Gelegenheit geben, sich intensiv an den dortigen Debatten zu
beteiligen. Vielleicht ist es ihm dann ja auch möglich, sich
etwas von dem von ihm entworfenen Bild deutscher
Außenpolitik als Produkt seiner eigenen Wünsche und
seiner Einbildungskraft zu entfernen und einer einigermaßen realistischen Diskussion näher zu treten.
({0})
Ich gebe
dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die Fraktion der
PDS das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war schon
sehr gespannt, wie die Fraktion der CDU/CSU ihren Antrag begründet. Anders als Kollege Lippelt tippe ich nicht
auf eine Autorenschaft des Kollegen Rühe. Ich finde den
Antrag pfiffiger als die Rede, die er hier gehalten hat, was
nur zeigt: Ein Rühe macht eben noch keinen Lamers. Das
bekam man heute vorgeführt.
({0})
Der Titel des Antrags suggeriert, Deutschland hätte
keinen außenpolitischen Einfluss bzw. hätte diesen unter
Rot-Grün verloren und die CDU/CSU müsste es jetzt
richten. Ich glaube, dass es einfach Unsinn ist, zu behaupten, dass der außenpolitische Einfluss verloren gegangen wäre. Ich finde eher, Deutschland hat zu viel
außenpolitischen Einfluss; darüber wäre zu reden.
Aber selbst wenn dem so wäre, wie es im Antrag steht,
dann müsste die CDU/CSU hier doch einmal erklären,
wieso sie in den letzten zwei Jahren bei allen wichtigen
außenpolitischen Fragen mit der Regierungskoalition und
nicht gegen sie gestimmt hat.
({1})
Dann müssten die CDU/CSU wie auch die F.D.P. einmal erklären, warum sie hier immer wieder die grundsätzliche Übereinstimmung des ganzen Hauses minus PDS in
Fragen der Außenpolitik betonen. Das passt alles nicht zusammen. Das, was geschrieben worden ist, ist ein Vorführantrag, und er eignet sich natürlich auch glänzend,
euch vorzuführen; das muss man ja einmal dazusagen.
({2})
Ich behaupte einfach, die CDU hätte, wenn man sie gelassen hätte, im Wesentlichen nichts anderes gemacht als
das, was die Regierungskoalition gemacht hat - mit einem
Unterschied: Bei der CDU wusste man das, bei der Regierungskoalition, die anders angetreten ist, muss man das
bedauern, finde ich.
Ich will nichtsdestotrotz einige Punkte aus dem Antrag
der CDU/CSU einmal aufgreifen, bei denen ich finde,
dass sie tendenziell Recht hat. Ich glaube nur, ihre Lösungen sind ganz andere als die, die mir vorschweben.
Ich finde, dass die CDU zu Recht den Unterschied zwischen der rot-grünen Menschenrechtsrhetorik, wie sie
schreibt - Menschenrechtspolitik, würde ich sagen -, von
einst in der Opposition und der heutigen Praxis kritisiert
und auf diesen Widerspruch aufmerksam macht. Rüstungsexporte, Türkei-Politik, die Veränderungen der Bundeswehr weg von einer Verteidigungsarmee, die neue
NATO-Strategie - all das sind Stichworte, an denen man
das belegen kann. Das müssen Sie sich dann auch anhören
und eingestehen. Sie müssen nicht so tun, als ob Sie schon
immer so gedacht hätten, wie Sie jetzt denken. Ich bin
mehr für eine Rückwärtswende Ihrer Politik in diese
Richtung. Ich kritisiere es, weil ich grundsätzlich in eine
andere Richtung will.
Aber ich verstehe gar nicht, warum die CDU das kritisiert. Ich finde, die CDU sollte mit der jetzigen Außenpolitik der Regierung zufrieden sein, heißt sie doch eigentlich nichts anderes, als dass sich die Regierung auf dem
Pfad bewegt, der von der CDU angelegt worden ist. Die
CDU kann sich doch zugute halten, dass sie in diesem
Hause noch immer die Richtung der Außenpolitik bestimmt, ohne dass sie regiert. Deswegen ist ihre Kritik
nicht ganz nachvollziehbar.
({3})
Ich finde es richtig, dass die CDU/CSU in ihrem Antrag den Abwärtstrend in der Entwicklungspolitik benennt, dass sie auf eine aktive Rolle in den Vermittlungsbemühungen im Nahostkonflikt drängt. Ich weiß,
Sie wollen in eine ganz andere Richtung gehen, aber ich
finde die Kritik erst einmal richtig, und ich finde
grundsätzlich auch die Kritik an der Balkanpolitik
richtig.
({4})
- Das hätten Sie in den Debatten hier einmal ausführen
sollen. Aber da haben Sie immer Ihre Übereinstimmung
betont.
Wer so formuliert wie Herr Rühe, der will ein selbstständiges Kosovo, der spielt mit dem Status des Kosovo.
Das ist ein höchst gefährliches Spiel, gerade in der jetzigen Situation.
Ich finde die Kritik in dem Antrag der CDU/CSU an
dem maßlosen Vergleich von Kosovo und Auschwitz völlig berechtigt. Dazu hätten Sie auch einmal etwas sagen
sollen oder sagen müssen. Aus meiner Sicht ist auch die
Kritik am Fehlen von politischen Linien richtig. Die CDU
nennt das Beispiel Afrika; die Liste könnte man beliebig
erweitern: Russland, Ukraine, Belarus, Mittelamerika,
Naher Osten.
({5})
Hier sind keine politischen Linien erarbeitet worden, und
das müssen Sie sich dann auch anhören.
Die CDU unterstützt die Ambitionen der Regierung auf
einen Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Aber ich
sehe auch, wo Sie überall nicht oder unzureichend Position beziehen. Seien Sie froh, dass Sie ihn nicht haben,
sonst müssten Sie nämlich Position beziehen. Dann würde
dieses Durchlavieren in vielen Fragen nicht mehr durchgehen.
({6})
Ich will abschließend zu diesem Punkt sagen, dass ich
die Kritik vieler Medien, Außenminister Fischer ersetze
Außenpolitik durch Menschenrechtspolitik, immer für
falsch gehalten habe; das ist nicht zu kritisieren. Zu kritisieren sind aus meiner Sicht die doppelten Standards, die
dort eingeführt worden sind, zu kritisieren ist die Inkonsequenz in der Menschenrechtspolitik. Aber das war bei
der CDU auch nicht anders. Wenn Sie das kritisieren, fällt
das auf Sie selbst zurück.
Ich will zum Abschluss versuchen, etwas zu dem zu sagen oder zumindest anzudeuten, was aus meiner Sicht im
Antrag der CDU/CSU völlig fehlt. In den Alternativen ist
dieser Antrag nicht nur blass, sie sind gar nicht enthalten,
da findet sich überhaupt nichts.
Ich meine, dass eigentlich eine andere Debattenfrage
aufgerufen ist, die wir sehr ernsthaft miteinander besprechen müssten. Deutschland ist nach der Vereinigung zu
einer globalen Großmacht geworden, militärisch, politisch und ökonomisch. Über das, was „globale Großmacht“ bedeutet, muss man nachdenken. Man muss darüber nachdenken, ob man wirklich schon reif ist für
Weltpolitik und in welche Richtung die Weltpolitik gehen
soll.
({7})
Diese neue Rolle muss diskutiert, bedacht und ausgefüllt
werden.
Die Bundesregierung macht das Zug um Zug in eine
Richtung, die ich für falsch halte. Sie macht ihre Ansprüche deutlich in der UNO, in der EU, im Internationalen Währungsfonds, in der Weltbank, bei G 7 und G 8. Das
ist für die Regierung daran gekoppelt, sich auch militärisch engagieren zu können - ich sage nicht: zu müssen oder zu wollen.
Es ist für mich schlichtweg eine Katastrophe, wenn der
Generalinspekteur der Bundeswehr auf der jüngsten Kommandeurstagung von einer - ich zitiere ihn - „Veränderung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee in
ein hochwirksames Instrument der deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik“ spricht. Das ist erstens schlichtweg
verfassungswidrig, weil der Verfassungsauftrag der Armee festgeschrieben ist, und zweitens ist höchste Wachsamkeit angesagt, wenn eine Regierung auch nur darüber
nachdenkt, aus der Armee ein Instrument von Außenpolitik zu machen. Ich glaube, diese höchste Wachsamkeit
muss man dann auch an den Tag legen.
({8})
Was die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik angeht,
denkt die PDS in eine andere Richtung. Deutschland
sollte sich darauf besinnen, die Großmachtrolle behutsam
auszufüllen. Ich glaube nicht, dass Deutschland einen
Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat braucht. Ich glaube
auch nicht, dass sich Deutschland weltweit militärisch engagieren sollte. Ich möchte, dass an den völkerrechtlich
verbindlichen Beschränkungen und Selbstbeschränkungen festgehalten wird, die gerade in Bezug auf Militäreinsätze wichtig sind.
({9})
Deutschland braucht mehr eine zivile und solidarische
Außenpolitik, die letztendlich verlässlich und berechenbar sein muss. Über diese Meinungsverschiedenheiten
müssen wir streiten. Die Frage, wie die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik auszufüllen ist, ist eine interessante Frage. Leider gibt der Antrag der CDU/CSU darauf
keine Antwort.
Danke sehr.
({10})
Das Wort
hat der Bundesaußenminister, Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, dass wir heute Gelegenheit haben, faktisch zur
Halbzeit eine Debatte - eine kritische Debatte; wie könnte
es in einem Parlament auch anders sein? - über die vergangenen zwei Jahre deutscher Außenpolitik zu führen.
Angesichts Ihres Antrags und - noch mehr - angesichts
Ihrer Rede heute, Herr Rühe, muss ich feststellen: Wer die
außenpolitische Tradition der CDU/CSU, die Bedeutung,
die die Außenpolitik in der CDU/CSU hat, und auch Ihre
Leistung auf diesem Gebiet kennt, der kann nur traurig darüber sein, welche Rede Sie heute abgeliefert haben. Das
muss ich Ihnen in der Tat sagen.
({0})
Durch dieses tief gesunkene Niveau wird auch bei denen ein verheerender Eindruck vermittelt, die noch nicht
abgeschaltet haben. Ein solches Niveau habe ich in den
vergangenen zwei Jahren bei Diskussionen im Auswärtigen Ausschuss
({1})
und bei den Debatten in diesem Hause nicht kennen gelernt. Diese Einschätzung gilt auch für einige andere Redebeiträge.
Ich denke, das Thema ist viel zu wichtig, um solche Reden zu halten. Ich verstehe zwar das Bedürfnis, hier eine
Auseinandersetzung zu führen. Ich muss aber daran
erinnern, dass die großen außenpolitischen Kontroversen
an der Sache und nicht an im Plenarsaal künstlich aufgebauten Differenzen orientiert sein sollten, die es bei näherer Betrachtung gar nicht gibt.
({2})
In diesem Punkt stimme ich Herrn Gehrcke zu: Es ist
doch nichts Schlimmes dabei, wenn es in der Außenpolitik ein hohes Maß an Konsens im Deutschen Bundestag
gibt.
({3})
Die Verlässlichkeit und die Berechenbarkeit der Bundesrepublik Deutschland ist nämlich schon ein Wert an sich.
({4})
- Er wäre nicht schöner. Ich werde Ihnen das noch erläutern.
Herr Rühe, Sie hätten Ihre Kritik nicht vorbringen können, wenn Sie sich etwas intensiver mit dem Thema beschäftigt hätten und sich an den Debatten der mit dieser
Thematik beschäftigten Ausschüsse beteiligt hätten. Ich
werde Ihnen anhand der Europapolitik und anderer
Punkte nachweisen, dass die handwerkliche Untermauerung Ihrer Kritik schlicht und einfach nicht stimmig ist.
({5})
Ich denke, wir sollten die Debatte nicht auf dieser Ebene
führen. Ich würde mich freuen, wir hätten eine seriöse
außenpolitische Kontroverse. Ich wäre der Letzte, der bei
Kritik ad personam zurücksteckt. Warum sollte es keine
Kritik geben? Ich teile gern aus und muss deshalb auch
einstecken können.
Aber entscheidend ist doch, ob wir in der Sache übereinstimmen oder ob wir eine Scheinkontroverse führen,
angesichts derer sich die Menschen nur angewidert abwenden und sagen: So sind die halt im Parlament. - Ich
denke, die deutsche Außen- und Europapolitik - egal, ob
sie kontrovers oder konsensual diskutiert wird - ist wesentlich besser, als sie von Ihnen heute dargestellt wurde.
({6})
Die entscheidende Frage ist: Was haben wir in der
Bundesrepublik Deutschland an Traditionssträngen mitbekommen? Angesichts unserer furchtbar missratenen
Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist
nicht nur die Wiedergewinnung der Souveränität entscheidend - fest verankert in den europäischen und transatlantischen Strukturen -, sondern auch die Tatsache, dass
unsere Friedenspolitik unabhängig von den Regierungswechseln ist. Die Friedenspolitik war teilweise heiß umstritten. Es hat sich aber schließlich immer ein Konsens
durchgesetzt.
Friedenspolitik bedeutet Konfliktprävention. Wenn es
einen zentralen Leitsatz für die Politik dieser Bundesregierung gibt, ist er, dass wir diesen Strang unter den neuen
Bedingungen der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges
fortsetzen wollen.
({7})
Das heißt, wir wollen Konflikte - die Welt wird immer
Konflikte produzieren - möglichst so lösen, dass sie nicht
zu einer Konfrontation oder gar zu einer Explosion
führen.
Ich war jüngst in Ostasien. Merkwürdigerweise sind
die Diskussionen mit den Abgeordneten, die man bei solchen Reisen dabei hat, immer ganz anders. Ich lade Sie
ein: Fliegen Sie am Montag mit nach Afrika, wenn Sie in
der Afrikapolitik Defizite sehen! Ich bin zum zweiten Mal
in diesem Jahr in Afrika.
({8})
- Nicht im fünften Anlauf. Vergleichen Sie das doch einmal mit dem, was die Vorgängerregierung in dieser Hinsicht getan hat! Die Zahlen liegen doch vor.
({9})
Sie können doch nicht so tun, als wenn Sie keine Vergangenheit hätten.
Wir werden immer wieder zu dem Punkt kommen
- das haben jetzt wieder der Euromed-Prozess, die Konferenz der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der
Kommission und der Mittelmeeranrainer, und auch mein
Besuch in Ostasien gezeigt -, an dem wir feststellen müssen, dass es in der Welt des 21. Jahrhunderts ein starkes
Bedürfnis nach Europa gibt. Nicht nach deutscher Weltpolitik, sondern nach Europa wird gerufen.
({10})
Deswegen ist es von überragender Bedeutung, dass wir
dieses Europa schaffen.
Kollege Rühe, wir hatten leider persönlich nie die Gelegenheit, diesbezüglich länger miteinander zu reden.
Aber bezüglich der Europapolitik müssen Sie sich selbst
einmal fragen: Was will denn die Union? Das wissen Sie
doch besser als ich.
({11})
- Ich meine nicht das, was im Antrag steht. Es gibt in der
Union doch die unterschiedlichsten Positionen. Es gibt zu
jeder europapolitischen Frage, ob Erweiterung, Vertiefung oder anderes, mindestens fünf bedeutende Beiträge
aus dem CDU-Präsidium, die sich alle widersprechen.
({12})
Der oberste Leitkulturist hat gesagt, die Union werde
nur zustimmen, wenn die Kompetenzabgrenzung bereits
in Nizza beschlossen wird. So Merz hier im Hause.
({13})
Heute hat er - Gott sei Dank, er hat gelernt - bereits den
Rückzug angetreten. Auch Volker Rühe hat angekündigt,
dass er diese Position nicht durchsetzen wird. Ich finde
das richtig; denn wäre das nicht der Fall, würden wir in
Nizza kein Ergebnis erzielen. Und wenn es ein Ergebnis
gäbe, das im Deutschen Bundestag am Ende nicht ratifiziert würde, würde das bedeuten, dass wir fünf Jahrzehnte
erfolgreicher Europapolitik aller Bundesregierungen infrage stellen. Das würde selbst Herr Merz sich nicht
trauen. Insofern ist Vernunft über ihn gekommen.
({14})
- Das ist kein Unfug. Ich und alle, die dabei waren, haben
das hier gehört. Wenn das ein Popanz ist, dann heißt der Popanz Merz und ist Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU.
({15})
Herr Kollege Rühe, lassen Sie mich Ihren Einwand
bezüglich „maximal“ einmal ernsthaft aufnehmen. Ich
verstehe das nicht. Hätten Sie sich den Helsinki-Beschluss angeschaut, hätten Sie festgestellt, dass er nicht
maximalistisch formuliert ist. Das hätten Sie auch erkennen können, wenn Sie sich die Reden Ihrer führenden
Europapolitiker angeschaut hätten. Kollege Pflüger, ein
sehr kompetenter Europapolitiker, sitzt direkt hinter Ihnen.
({16})
- Ist das jetzt eine Drohung, dass er hinter ihm steht? Ich
weiß es nicht.
({17})
Auch Kollege Hintze ist ein kompetenter Europapolitiker.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das Regattaprinzip allgemein begrüßt wurde, nach dem nach Maßgabe
des Fortschritts der konkreten Verhandlungen - eine Bewertung findet durch die Kommission in Fortschrittsberichten statt - und nach Abschluss ein Beitritt erfolgen
kann, nach dem es also keine politisch motivierte Beschleunigung und keine politisch motivierte Bremse geben darf.
({18})
Dieser Helsinki-Beschluss hat hier im Hause eine
breite Zustimmung gefunden.
Kollege Schäuble hat jetzt einen anderen Vorschlag gemacht. Er hat gesagt, man solle, ohne die konkreten Fortschritte abzuwarten, zumindest bei den wichtigsten Ländern jetzt gleich einen politisch motivierten Beitritt
anstreben. Das wiederum wird von Edmund Stoiber heftig bekämpft und bekriegt.
({19})
Ich kann nur sagen, Kollege Rühe: Ihr müsst euch
Klarheit darüber verschaffen - und zwar nicht in Form
von Formelkompromissen -, was ihr in diesem Punkt
tatsächlich wollt. Die Bundesregierung jedenfalls wird an
dem in Helsinki beschlossenen Prozess festhalten. Er ist
nicht maximalistisch, sondern erhebt die jeweiligen konkreten praktischen Fortschritte zum Maßstab für einen
Beitritt.
({20})
Wenn Sie uns vorwerfen, wir seien im Hinblick auf die
Erweiterung zögerlich, dann kann das ein Mitglied der
Vorgängerregierung nur bei völliger Ignoranz der Fakten
tun. Wann sind denn die konkreten Erweiterungsverhandlungen eröffnet worden, Kollege Rühe? Wissen Sie
das? Soll ich es Ihnen sagen? In der zweiten Hälfte des
Jahres 1998 sind konkrete Erweiterungsverhandlungen
eröffnet worden.
({21})
- Aber man kann doch nicht uns dies vorwerfen, die
wir alles getan haben, um den Prozess voranzutreiben.
Wann war denn der Gipfel von Luxemburg? Jahre sind
zwischenzeitlich verstrichen. Es gab von Bundeskanzler
Dr. Helmut Kohl das Versprechen an Polen, dass es im
Jahre 2000 Mitglied der EU sein werde. Gleichzeitig ist
aber nichts Konkretes getan worden, um aus diesem visionären Versprechen praktische Politik zu machen.
({22})
Und Sie kommen heute und werfen uns dies vor. Ich
weiß, dies ist ein Scheinvorwurf. Denn in Wirklichkeit sehen Sie das nicht sehr viel anders als wir, und zwar nicht
deshalb, weil dies eine außenpolitische Verschwörung ist,
wie das die PDS meint, sondern schlicht und einfach deshalb, weil bestimmten Erfordernissen nachgekommen
werden muss: Die Erweiterung muss solide und praktisch
durchführbar konstruiert werden. Gleichzeitig ist es unverzichtbar, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Konsequenz des Endes des Kalten Krieges im Jahre 1989 nicht
nur die Wiedervereinigung Deutschlands, sondern auch
die Europas ist. Die europäische Einigungsidee würde,
wenn dies nicht so gesehen würde, einen substanziellen
Schaden nehmen. Deswegen werden wir alles in unseren
Kräften Stehende tun, dies zu verwirklichen.
Wir wollen, dass Polen zu den ersten neuen Beitrittsländern gehört; um das klipp und klar festzustellen.
({23})
Allerdings müssen in Polen die dafür erforderlichen
Voraussetzungen geschaffen werden. Ich für meinen Teil
kann Ihnen nur sagen: Die Bundesregierung wird alles tun,
um die Erweiterung so schnell wie möglich Realität werden zu lassen.
({24})
Herr Bundesaußenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Volker Rühe? - Bitte, Herr Rühe.
Herr Bundesaußenminister, die Kommission hat sich ja jetzt für eine Straffung
des Verhandlungsrahmens ausgesprochen. Da Sie, wie
Sie soeben festgestellt haben, wollen, dass eine Erweiterung so schnell wie möglich durchgeführt wird, möchte
ich Sie fragen, ob Sie sich hinter den Vorschlag der Kommission stellen, die erste Verhandlungsrunde bis Ende
2002 abzuschließen, damit diejenigen, die die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, dann umgehend Mitglied
der Europäischen Union werden können.
Ich finde es sehr gut, wenn wir es bis dahin schaffen. Unsere Haltung ist: möglichst schnell. Wenn dies bis dahin
möglich ist, dann gerne.
Jetzt komme ich aber einmal zu Ihnen: Ihre derzeitige
Haltung ergibt sich daraus, dass Sie in der Opposition
sind. Früher, als ihr in der Regierung wart, konntet ihr
euch folgenden Luxus nicht erlauben: Ihr fordert ein gutes
deutsch-französisches Verhältnis und gleichzeitig die Einführung der Kofinanzierung im Bereich des Agrarmarktes. Wie soll das im Moment zusammengehen? Wir müssten Wunder vollbringen, wenn wir die politischen Fakten
entsprechend ändern wollten.
({0})
- Sicher. Das habe ich Ihnen doch gesagt.
({1})
Wenn die Kommission die Verhandlungen bis dahin zum
Abschluss bringt,
({2})
werden wir uns darüber freuen. Von uns wird es diesbezüglich keine Bremse, keine Behinderungen und nichts
dergleichen geben. Im Gegenteil.
({3})
Herr Rühe, damit wir uns richtig verstehen: Dies sollte
kein Wunschdenken sein, sondern muss auch realisierbar
sein.
({4})
Das heißt, wir müssen das schwierige Agrarmarktkapitel
ebenso wie einige andere Kapitel auch abschließen.
({5})
- Genau, ohne Verzögerung. Da gibt es überhaupt keinen
Dissens. Ihre Europapolitiker wissen das im Übrigen nur
zu gut.
Aber nun zur Vertiefung. Herr Rühe, mit der Europapolitik haben Sie sich nicht sehr beschäftigt; Sie halten
sich nur an Überschriften. Ich möchte Sie fragen: Wie soll
denn eine Union der 25, wie soll eine Union der 27 und
wie soll eine Union der 30 funktionieren? Diese Frage
müssen wir parallel zur Erweiterung beantworten. Das ist
kein rhetorischer Trick nach dem Motto: Maximalismus
hier, Maximalismus da. Dies ist vielmehr ein Ergebnis des
Endes des Kalten Krieges.
Wie viele Ihrer Kollegen aus der Union, zum Beispiel
wie Kollege Schäuble, Kollege Pflüger und Kollege
Hintze, bin ich der Meinung, dass eine erweiterte Union,
die in den substanziellen Fragen des politischen Einigungsprozesses nicht vorankommt - wir wollen eine
handlungsfähige Europäische Union haben und die neuen
Mitglieder wollen in eine handlungsfähige Europäische
Union eintreten -, schlicht und einfach in eine Blockade
gerät, das heißt handlungsunfähig wird. Deswegen ist das
Sprechen über die Erweiterung und über die Vertiefung
kein Trick. Ich hatte als Oppositionsabgeordneter dieselbe
Position und habe hierbei Helmut Kohl unterstützt. Vielleicht wäre es sinnvoll, dass auch die Opposition bei aller
Kritik, die es geben muss, einmal darüber nachdenkt. Gerade weil Europa an erster Stelle unseres nationalen Interesses steht, halte ich es für unverzichtbar, dass wir hier
vorankommen. Dazu gibt es aus Ihrer Fraktion wichtige
Beiträge, von denen ich einiges gelernt habe. Das ist gar
nicht schlimm. Sie müssen sich darüber freuen.
Wir müssen hier aber gemeinsam eine große Anstrengung unternehmen. Ich freue mich, dass mittlerweile
selbst der Bayerische Ministerpräsident von seiner Fundamentalopposition abgekommen ist und auf der Grundlage des Kompromisses einer Souveränitätsteilung zwischen Europa - „Wer macht was“ heißt: Die europäischen
Institutionen müssen mehr Handlungsmöglichkeiten erhalten, die ihnen heute teilweise nur eingeschränkt zustehen - und den Nationalstaaten wie auch der Neuordnung der Institutionen zueinander zustimmt. In diese
Richtung sollten wir weiter diskutieren.
Das deutsch-französische Verhältnis lebt natürlich
auch aus seinen Spannungen heraus, aber es ist überaus
produktiv, das gilt für die jetzige Bundesregierung, wie es
für die Vorgängerregierung gegolten hat. Selbstverständlich werden wir in Nizza gemeinsam auf Erfolg setzen.
Aus meiner Sicht kann ich Ihnen nur sagen: Wir haben die
Chance, in Nizza zu einem erfolgreichen Abschluss zu
kommen. Das wird ein erster großer Schritt sein, der die
Erweiterungsfähigkeit definiert. Herr Kollege Schäuble,
wir sollten in Nizza nichts anstreben, was für Nizza nicht
vorgesehen war.
({6})
- Sie haben aber so geguckt, als hätten Sie es gesagt. Das
mache ich auch manchmal.
({7})
Wir sollten Nizza nicht mit zu vielen Dingen befrachten. Der Kollege Lamers hat mir im November des vergangenen Jahres in einem Tête-à-tête gesagt, dass es im
Falle der Erweiterung unbedingt zu einer verstärkten Zusammenarbeit kommen muss. Diejenigen, die bei der politischen Integration enger zusammenarbeiten wollen,
müssen auch enger zusammenarbeiten können. Ich habe
davon gelernt, das gebe ich offen zu. Er hat aber auch gesagt: Das schaffen Sie nie. Heute ist dieser Punkt am wenigsten umstritten, und zwar auch aufgrund der deutschitalienischen Initiative. Das muss man anerkennen.
({8})
- Nein, das ist nicht der Punkt für Sie, aber für die Europapolitiker, die etwas von der Sache verstehen, ist das ein
zentraler Punkt.
({9})
Es fehlt mir jetzt in dieser europapolitischen Debatte
die Zeit, auf die anderen Punkte einzugehen. Die Parallelität ist in der Tat die zentrale Frage, denn sie wird noch
lange zwischen den nationalen und europäischen Institutionen bestehen, sie wird auch die wachsende europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik betreffen.
Aber über diese Parallelität müssen wir immer wieder diskutieren. Ich stelle fest, dass wir seit einem Jahr, seit Javier Solana im Amt ist, erhebliche Fortschritte in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erreicht
haben.
Sie haben uns Konzeptionslosigkeit vorgeworfen.
Schauen Sie sich nur den Balkan an. Werfe ich Ihnen vor,
dass wir heute noch mit Soldaten in Bosnien stehen? Ich
habe Ihnen damals zugestimmt. Ich gebe zu, zuerst war
ich dagegen, nach Srebrenica aber dafür und ich habe als
Oppositionsabgeordneter hier ebenso wie bei der NATOOsterweiterung zugestimmt. Viele meiner Kolleginnen
und Kollegen haben das getan, andere waren dagegen.
Uns aber vorzuwerfen, wir hätten kein Konzept, finde ich
schlimm. Kollege Rühe, wir stehen heute noch in Bosnien
und das verantworten Sie und ich mit.
({10})
- Aber Sie hatten doch kein politisches Konzept. Wir haben den Stabilitätspakt aus den fünf Punkten über die Petersberger Vereinbarung entwickelt. Wir haben Russland
wieder ins Boot geholt, was Sie immer gefordert, aber
nicht hinbekommen haben. Wir haben während der deutschen Präsidentschaft die Initiative für die spätere Sicherheitsresolution 1244 in Köln entscheidend angeschoben.
Wichtiger ist aber noch: Der Stabilitätspakt ist entwickelt
und implementiert worden. Gott sei Dank gab es jetzt die
friedliche demokratische Revolution in Belgrad und damit die Chance, den Balkan an Europa heranzuführen, um
so zu einer dauerhaften Friedensordnung zu kommen.
({11})
Wenn das Konzeptionslosigkeit ist, lasse ich mich
gerne konzeptionslos schimpfen. Wenn die deutsche
Sprache aber einen Sinn macht, werden Sie das nicht als
konzeptionslos bezeichnen können.
({12})
- Die Lage im Kosovo will ich Ihnen auch gern erläutern.
Ich stimme Ihnen zu: Die finale Statusfrage ist gegenwärtig nicht zu entscheiden. Das ist aber eher eine Kritik, die
Sie mit dem von mir sehr geschätzten Kollegen Lamers
ausdiskutieren müssen, denn wir sind an diesem Punkt
nicht über Kreuz.
Dieser politische Prozess wird stattfinden und wir müssen so etwas wie eine regionale Sicherheitsstruktur, die
Vertrauen schafft, aufbauen. Die Veränderungen in Belgrad waren dafür die zentrale Voraussetzung. Sie sind
nicht alles, aber ohne diese Veränderungen wäre es nicht
gegangen.
({13})
Versöhnung muss auf Wahrheit gründen. Deswegen haben wir den Vorschlag zur Einrichtung einer Wahrheitskommission gemacht. Ich freue mich, dass Kostunica
diese Idee bereits aufgegriffen hat.
Die Frage der Verschwundenen muss gemeinsam
gelöst werden. Die Gefängnisse müssen geöffnet werden.
Über das, was geschehen ist, muss die Wahrheit auf den
Tisch. Die legitimen Interessen aller Beteiligten - nicht
nur der Serben und Kosovo-Albaner, sondern aller Beteiligten in der Region - müssen anerkannt werden. In diesem Zusammenhang ist auch ein Gewaltverzicht zu nennen. Nur durch eine friedliche Veränderung der Grenzen
und durch Vereinbarungen kann ein Klima geschaffen
werden, in dem die finalen Fragen auf dem Kompromissweg angegangen werden können. Hinsichtlich Ihres Vorschlages, jetzt ein Parlament zu wählen, um diesen Weg
zu beschleunigen, habe ich große Zweifel; das muss ich
Ihnen ganz ehrlich sagen.
Dies gilt auch für andere Dinge: Sie fordern manchmal
das Richtige und greifen dann aber ohne Rücksicht auf die
Logik oder die Realitäten zum völlig falschen Mittel. Ich
finde auch Ihre Haltung zu Russland - mit Verlaub gesagt - sehr fahrlässig. Ich weiß nicht, ob sie von Ihrer
Fraktion geteilt wird. Ich hätte mir gewünscht, dass
Volker Rühe, der mannhafte Streiter für Menschenrechte,
im Ausschuss gewesen wäre, als Igor Iwanow, der russische Außenminister, damals dort war. Ich war dabei.
({14})
Auch der Kollege Irmer ist für die Menschenrechte
nicht gerade heldenhaft auf die Barrikaden gegangen,
sondern ihr wart - mit Verlaub gesagt - dort alle sehr moderat.
({15})
- Das ist überhaupt keine Kritik. Aber ihr habt die Parallelität unserer Interessen gesehen. Das eine ist, Klartext zu
reden. Alle haben dort Klartext geredet. Dabei gibt es zwischen dem französischen Außenminister und mir keinen
Unterschied. Sie können sich in Moskau erkundigen. Bei
der Tatsache, Klartext zu reden, gibt es kein Problem. Das
Einzige, was geholfen hätte, wäre eine strategische Isolierung Russlands zu versuchen, die dann allerdings fatale
Wirkungen in die völlig falsche Richtung gehabt hätte.
Darüber waren wir im Ausschuss immer einer Meinung.
An Klartext hat es nie gemangelt, aber eine strategische
Isolierung wäre wirklich töricht gewesen.
Die NATO-Erweiterung steht auf der Grundlage dessen, was wir in Washington beim Jubiläumsgipfel beschlossen haben.
({16})
- Halt! Auch ich hatte einmal eine Phase, in der ich immer alles sofort wollte. Offensichtlich sind Sie in der
Spätphase Ihrer politischen Karriere in diese Phase eingetreten. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich plädiere dafür, jetzt
die EU-Erweiterung energisch voranzutreiben.
({17})
Ich will Ihnen sagen, warum. Dies wird nämlich auch ein
verändertes Sicherheitsumfeld schaffen. Zu der NATOErweiterung ist meine Meinung klar: Es darf für niemanden ein Vetorecht geben. Aber die Ablehnung eines
Vetorechts heißt nicht, dass man die legitimen Interessen
anderer Partner deswegen ad acta legt. Die Weisheit gebietet es, so vorzugehen, dass wir mögliche Konflikte
möglichst gering halten. Das gilt meines Erachtens auch
für die NATO-Erweiterung. Sie wissen ganz genau:
Schwierigkeiten macht das Baltikum. Die Sensitivitäten,
die dort existieren, müssen sehr sorgfältig diskutiert und
die Interessen abgewogen werden. Dies muss auf der
Grundlage dessen geschehen, was in Washington in den
entsprechenden Dokumenten vereinbart wurde.
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen:
Nordkorea. In Bezug auf Asien können wir sagen: Wenn
wir den Balkan - Stichwort Kosovo - nicht an Europa
herangeführt hätten, wenn wir nicht alle die Kraft gehabt
hätten, dort entsprechend einzugreifen, dann wären die
Krisen Asiens bis vor unsere Haustür gekommen.
({18})
- Ich will jetzt nur zu diesem Punkt sprechen.
Wenn ich mir anschaue, mit welchen Krisen und Konflikten wir es im Nahen und Mittleren Osten zu tun haben - dabei habe ich immer den nuklearen Rüstungswettlauf vor Augen -, wenn ich den Kaukasus betrachte
- Zentralasien und die Kaspische Meerregion -, wenn ich
an die Talibanisierungsgefahr in Pakistan und den Rüstungswettlauf auf dem indischen Subkontinent denke und
sich auch in Südostasien mit Indonesien und den Philippinen sehr instabile Situationen vorfinden, sich gleichzeitig in Ostasien ein drohender Rüstungswettlauf und ein
großes Konfliktpotential aufbauen, wenn man weiß, dass
es auf diesem Kontinent, der für uns von entscheidender
Bedeutung ist, keine kooperativen Sicherheitsstrukturen
gibt und sich gleichzeitig ein Denken breit macht, bei dem
das Misstrauen auf nationaler Grundlage gegenüber den
anderen Fakten schafft, die sich hochzuschaukeln drohen,
dann kann ich Ihnen nur sagen: Die Entwicklung auf der
nordkoreanischen Halbinsel - Nordkorea war in diesem
Zusammenhang von den USA immer als ein Hauptargument angeführt worden - ist ein wirklicher Hoffnungsschimmer. Um diese Entwicklung zu verstärken, muss
man abwägen.
Die Frage ist: Wie sehr wollen wir solche Regimes,
über deren Menschenrechtsverachtungen Sie mit mir
nicht streiten müssen, einbinden? Oder: Wie weit lassen
wir sie treiben? Das ist die Entscheidung. Deswegen wird
die Bundesregierung die Entscheidung im Rahmen ihres
grundsätzlichen Ansatzes zur Konfliktvermeidung jeweils im Einzelfall prüfen und entsprechend vorgehen.
Es ließe sich jetzt noch vieles hinzufügen, meine Damen und Herren;
({19})
ich habe meine Redezeit weit überschritten. Ich freue
mich, dass ich Gelegenheit hatte, unsere Politik einmal
konzeptionell zu erläutern.
({20})
Ich hoffe, Herr Kollege Rühe, dass wir in den kommenden Jahren verstärkt die Gelegenheit haben, dieses im
Ausschuss auf einer sachlichen Grundlage fortzusetzen.
Vielen Dank.
({21})
Für die Fraktion der CDU/CSU spricht Kollege Christian Schmidt.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen! Meine Kollegen! Da ist er doch
ins Plaudern gekommen, der Herr Bundesaußenminister.
So interessant viele Aspekte auch waren: Die eigentlichen
Fragen, auf die einzugehen war, Herr Minister, habe ich
vermisst, nämlich die Grundfragen: Was sind die entscheidenden Positionen der deutschen Außenpolitik in
Zukunft? Was waren sie in der Vergangenheit? Wie rankt
sich um diese Positionen herum die praktische deutsche
Außenpolitik?
Lassen Sie die Thematik, wer die Osterweiterung der
Europäischen Union erfunden hat, nicht an Volker Rühe
aus.
({0})
Denn er war derjenige, der dafür gesorgt hat, dass im sicherheitspolitischen Kontext Europas mit der NATO-Erweiterung der erste wichtige Schritt getan worden ist.
({1})
Dass Polen, Ungarn und Tschechien heute dabei sind, war
ein Erfolg der alten Bundesregierung. Dass sie für die Erweiterung der Europäischen Union die Grundsteine gelegt hat, können Sie bereits jetzt in der „FAZ“ an den
Grußadressen von Herrn Putin zum 10-jährigen Bestehen
des deutsch-russischen Vertrages - damals noch des
deutsch-sowjetischen Vertrages -, zum bald bevorstehenden 10-jährigen Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages, zum in zwei Jahren anstehenden
10-jährigen des deutsch-tschechoslowakischen - jetzt
deutsch-tschechischen und deutsch-slowakischen - Vertrages usw. sehen.
({2})
- Mit Ungarn, mit Bulgarien, mit Rumänien. Es war ein
Geflecht bilateraler Verträge, getragen von der zielgerichteten Hoffnung auf eine baldige Eingliederung dieser
Länder in ein Europa, zu dem sie gehören.
Wir machen Ihnen nicht den Vorwurf, dass die Europapolitik ganz hinten anstünde. Ich möchte nur noch einmal auf die Frage der deutschen Präsidentschaft zurückkommen. Ich erinnere mich noch daran, wie wir hier
- nein, es war noch in Bonn, aber es war die gleiche Situation - zusammensaßen und in der Fragestunde die
CDU/CSU-Fraktion die Frage stellte: Wie sieht denn euer
Programm der Präsidentschaft aus? Der Bundesaußenminister war damals nicht in der Lage, zu den angesprochenen Punkten eine Antwort zu geben - nicht, weil er es
nicht wollte, sondern, weil er es nicht wusste. Er hat möglicherweise schneller gelernt als sein Bundeskanzler, der
nicht nur bei Stilfragen unsicher ist. Lassen Sie sich das
bei dieser Gelegenheit einmal sagen.
Wissen Sie, es gibt in der Außenpolitik einen Konsens,
der auch den Stil betrifft. Wenn der deutsche Bundeskanzler meint, er müsse einen Oppositionsantrag, der sich
mit der Frage der deutsch-tschechischen Beziehung befasst, von Prag aus kommentieren, dann muss er sich langsam fragen lassen, ob er den Stilanforderungen seines
Amtes gewachsen ist.
({3})
Ich habe es mir wie alle unsere Kollegen zur Prämisse
gemacht: Solange der deutsche Regierungschef im Ausland ist, wird er nicht kritisiert. Kritisiert wird er zu
Hause, und da anständig und ordentlich. Daran hat er sich
aber auch zu halten.
({4})
Wer der neuen Form der Lässigkeit huldigt: so zu tun,
als wäre Außenpolitik einfach so aus dem Handgelenk zu
schütteln - weil ja jeder wie bei der Bundestrainerfrage
über Fußballspielen Bescheid weiß -, der unterschätzt die
Probleme der Außenpolitik.
({5})
Das Problem der Außenpolitik, nämlich die Frage, welche Konzeption damit verbunden ist, betrifft natürlich auch
die transatlantischen Beziehungen. Sie haben gefragt:
Was will die Union denn? Einerseits sollen wir mit den
Amerikanern kooperieren, andererseits wird kritisiert,
dass zu sehr mit amerikanischen Interessen hantiert wird.
Wer auch immer der neue Präsident wird - Kollege
Weisskirchen weiß es offensichtlich schon, weil er mit dem
Gore-Lieberman-Sticker hier sitzt; ich weiß es noch nicht
und die Wähler in den USA offensichtlich auch noch
nicht -: Er wird gewisse Dinge nicht zulassen und er wird
die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht
gutheißen. Er wird danach fragen, welchen Eindruck es
macht, wenn man in Helsinki headline goals verabschiedet und gleichzeitig in Köln vom Ansatz her bezüglich einer Geberkonferenz in den nächsten Tagen richtige Positionen vertritt, die - hoffentlich - von den anderen
finanziert werden sollen.
({6})
- Die Heiterkeit bei den Grünen ist nach dieser Debatte
verständlich, aber Sie sollten Ihren Fraktionskollegen
ebenso wie ich die Frage stellen, wieso der Bundesaußenminister zur Bundeswehrreform, die einen strategischen
außen- und sicherheitspolitischen Ansatz haben muss,
nicht ein Wort gesagt hat, wieso Herr Scharping in seinem
windmühlenartigen Abwehrkampf gegen das Streichkonzept des Herrn Eichel seine eigenen Konzepte nicht
besser durchsetzt. Ich sage Ihnen voraus, dass Sie Schwierigkeiten haben werden. Wenn die Stiftung Wissenschaft
und Politik vor kurzem ausgeführt hat, die Krisenreaktionsfähigkeit der Bundeswehr würde mit der geplanten
Konzeption eher geschwächt als gestärkt werden, muss
Sie das auf den Plan rufen. Die Tatsache, dass der Bundesverteidigungsminister bei den Vereinten Nationen in
New York die Bundeswehr auf dem Silbertablett anbietet,
ohne vorher den Außenminister zu konsultieren - ich
kann es mir nicht anders vorstellen -, legt den Verdacht
nahe, dass hier Luftbuchungen vorgenommen und Luftschlösser gebaut werden.
({7})
Da wird es für die deutschen Interessen problematisch.
Geld ist zwar nicht alles, ist aber in vielen Fällen entscheidend. Dass im Haushalt des Bundesaußenministers zwischenzeitlich mit geschickten Transaktionen
- ich unterstelle mal, er will mehr haben, wir würden ihn
darin unterstützen und bitten alle anderen Fraktionen um
Mitwirkung - über den Umweg des Einzelplans 23, des
BMZ, Gelder verschoben werden und dann am Ende weder für die Entwicklungshilfe noch für die Außenpolitik
mehr Geld zur Verfügung steht, sondern unter dem Strich
Kürzungen vorgenommen werden, ist bittere Realität.
Diesen Tatsachen muss sich auch der Bundesverteidigungsminister im Verteidigungsausschuss stellen.
Wir hatten auf Ihren Wunsch - übrigens mit unserer
Zustimmung, die uns nicht leicht gefallen ist - die Aktivitäten in Bezug auf Osttimor akzeptiert. Ob wir das
heute noch tun würden, möchte ich ausdrücklich infrage
stellen. Es hat sich nicht nur ein reiner Symbolismus in
der Politik gezeigt; auch die Frage, wie weit Sie Aktivitäten einer humanitären Intervention konzeptionell ausdehnen wollen, ist unbeantwortet geblieben. Sie haben in Ihrer Rede vor den Botschaftern - ich glaube, es war am
4. September - über die Begrenzung der deutschen
Außenpolitik gesprochen. Die Tatsache, dass diese nicht
mehr so wie 1990 begrenzt werden kann, ergibt sich aus
der Natur der Sache. Über diese grundsätzliche Ansicht
können wir uns durchaus verständigen.
Christian Schmidt ({8})
Das bedeutet dann allerdings auch, dass Sie das durchdeklinieren müssen. Sie müssen auch in Ihren eigenen
Reihen die unangenehme Frage beantworten: Wie ist das
mit dem Primat der Vereinten Nationen? Wenn das so ist
- auf der einen Seite einen Sitz im Sicherheitsrat anzustreben und auf der anderen Seite ein Recht auf humanitäre Intervention zu postulieren -, muss man darüber reden und auch fragen, wie und wie lange man das
durchsetzen kann und wo die Maßstäbe dafür sind. Bedeutet das, mit dieser Bundeswehr - ausgezehrt durch die
jetzige Entwicklung, nicht zuletzt auch durch die Verpflichtung, im Kosovo und in Bosnien aktiv zu sein weltweit Menschenrechte zu schützen? Sie wissen, dass
Herr Scharping damals, als wir über Osttimor gesprochen
haben, einem verstärkten Engagement ursprünglich nicht
zugestimmt hat, weil er sonst das letzte Reservelazarett
hätte aufbieten müssen.
Sie müssen die Maßstäbe und Prioritäten Ihrer Politik
definieren. Das haben Sie bisher nicht getan. Die „Kleinigkeiten“, die beim deutsch-französischen Verhältnis
nicht angesprochen worden sind, gehören übrigens zu diesen Prioritäten. Sie haben die Fragen zu Nordkorea, die
sowohl der Kollege Irmer als auch ich gestellt haben, elegant überspielt. Das kann er und das konnte er schon, als
er noch auf den Abgeordnetenbänken saß. Das ist schon
beeindruckend.
Jetzt stellt sich bloß die Frage, wieso eigentlich die
französische Ratspräsidentschaft bei dieser strategisch
wichtigen Frage für Europa überhaupt nicht beteiligt ist.
Das muss uns doch zu denken geben. Kann es sein, dass
ein deutscher Staatsminister, der sowohl bei den Fragestunden als auch im Auswärtigen Ausschuss durch besonders „parlamentsfreundliche“ Verhaltensweisen - negativ - auffällt, dort hinfährt und sagt: Toll, das finde ich
gut; Sie haben mich gut bewirtet; dann machen wir auch
mal mit.
({9})
- Ich weiß, es war ein bisschen mehr dahinter.
({10})
Ich bin aber schon überrascht über die SPD-Fraktion.
In der letzten Ausschusssitzung hat Ihre Sprecherin - sie
ist jetzt nicht da -, die Kollegin Ernstberger, dem Bedenken zugestimmt, dass es zu früh war und dass die Frage
der Gegenleistungen bei der Anerkennung Nordkoreas
nicht geklärt ist. Ihre eigene Fraktion hat zugestimmt. Daher müssen Sie sich schon fragen lassen: Wo ist denn da
die Strategie? Was soll das? Ist es wichtiger, als deutsche
Bundesregierung in solch heiklen Fragen vorn zu sein,
oder ist es wichtiger, eine gemeinsame europäische Position zu haben?
({11})
Wer europäische Interessen als im Wesentlichen deutsche
Interessen definiert, definiert sie richtig, muss dann allerdings auch im europäischen Interesse handeln.
({12})
Ich befürchte, dass wir in Nizza die Probleme, die angesprochen worden sind - darüber wird nächste Woche
bei der Regierungserklärung des Bundeskanzlers noch
diskutiert werden -, nicht unbedingt lösen werden. So
glänzend steht die französische Präsidentschaft vor Nizza
nicht da.
Ich will auf eines hinweisen: Wenn es Karl Lamers geschafft haben sollte, Sie, Herr Kollege Fischer, davon zu
überzeugen, dass die verstärkte Zusammenarbeit wichtig
ist, dann muss wohl der Rest der Union für sich in Anspruch nehmen, dass er Sie davon überzeugen konnte,
dass die Frage der Kompetenzabgrenzung eine entscheidende Frage für die künftige Struktur der Europäischen
Union ist. Wenn es Ausdruck Ihrer Lernfähigkeit ist, dass
Sie von der Union lernen - von der Union lernen, heißt,
gut Politik machen zu lernen -,
({13})
dann ist noch nicht alles verloren, dann ist auch die deutsche Außenpolitik nicht verloren. Ich bin skeptisch; aber
ich warte darauf.
({14})
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Gernot Erler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem herzlichen Willkommen an den Kollegen Rühe beginnen. Herzlich willkommen zurück auf der Erde! Sie haben offensichtlich
einen längeren außerplanetarischen Aufenthalt hinter sich
gebracht.
({0})
Anders ist der Realitätsverlust, der sich in Ihrem Antrag
widerspiegelt, nicht zu erklären.
({1})
Angeblich sprechen wir ja hier über einen Antrag.
Tatsächlich ist es aber ein ungegliedertes Sammelsurium
von Kritik und Vorwürfen an die Bundesregierung, durch
einen lustlos angefügten und dürren Forderungskatalog
notdürftig in Antragsform gebracht. Man erfährt zwar,
woran die CDU/CSU überall etwas auszusetzen hat, aber
nirgendwo etwas Verbindliches und damit Diskussionsfähiges zur Position der CDU/CSU, geschweige denn,
dass ein Konzept oder wenigstens ein roter Faden erkennbar wäre. Das ist schade. Denn eigentlich brauchen
wir durchaus grundsätzliche Debatten zur Außenpolitik.
Aber diese Vorlage ist dazu nicht geeignet. Insofern ist sie
eine verpasste Chance.
({2})
Christian Schmidt ({3})
Notgedrungen muss man sich dann mit Ihrer Einzelkritik und Ihren Einzelforderungen auseinander setzen.
Dabei erhält man sehr schnell den Eindruck: Bei der Kritik ist alles inkonsistent und widersprüchlich; bei den Forderungen haben wir es mit Wunschlisten zu tun, die keine
Auskunft über die Finanzierung geben.
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, Volker Rühes
Wunschliste zusammenzustellen. Sie sieht folgendermaßen aus:
Die Bundesregierung soll viel mehr Geld in die Bundeswehr und in die europäischen militärischen Fähigkeiten stecken. Sie soll den Auswärtigen Dienst besser ausstatten.
({4})
Sie soll den Etat für Entwicklungspolitik drastisch und
unter Rückgängigmachung der regionalen und sektoralen
Schwerpunktsetzungen aufstocken.
({5})
Sie soll mehr Mittel für die globalen Herausforderungen
bereitstellen. Sie soll die Beschränkungen - man höre und
staune - der Agenda 2000 auflösen und mehr Geld in Europa stecken.
({6})
Sie soll die Transformation in den ostmitteleuropäischen Staaten stärker unterstützen.
({7})
Man könnte sagen: Prima, es ist ja auch bald Weihnachten.
({8})
Ich habe mir die Mühe gemacht, die aus den Anträgen,
die Sie in den einzelnen Ausschüssen gestellt haben, resultierenden finanziellen Forderungen einmal durchzurechnen. Dabei habe ich festgestellt: Sie haben Forderungen erhoben, die Mehrausgaben von ungefähr
100 Milliarden bis 120 Milliarden bedeuten würden,
ohne zu belegen, wo das Geld herkommen soll.
({9})
Dazu kann ich nur sagen: Tut mir furchtbar Leid. Das
macht es schwierig, sich mit Ihrem Antrag auseinander zu
setzen. Er ist schlicht unseriös.
({10})
Da, wo Kritik geübt wird, verwickelt sich dieser Antrag
sofort in Widersprüche.
({11})
Ich möchte das an dem Beispiel, das schon Joschka
Fischer angeführt hat, klarer machen. In Ihrem Antrag
wird die Bundesregierung aufgefordert, die Beitrittsverhandlungen über die Erweiterung der Europäischen Union nicht länger zu verzögern. Das heißt also,
wir haben bislang die Verhandlungen verzögert. Dann
wird kritisiert, dass die Bundesregierung auf dem
Helsinki-Gipfel „leichtfertig weit reichende Entscheidungen über die künftige Größe und Zusammensetzung
der Europäischen Union getroffen” habe. Vorher hätte
- das ist die Verbeugung vor Bayern - nämlich geklärt
werden müssen, welches Selbstverständnis, welche Gestalt und welche Grenzen die EU haben soll.
Der Widerspruch besteht schon darin, dass zuerst gesagt wird: „Ihr verzögert”, und dann eine Forderung erhoben wird, die, wenn man sie ernst nehmen würde, erst
recht zu einer großen Verzögerung führen würde. Niemand versteht, was Sie eigentlich wollen: einen baldigen
Abschluss der Beitrittsverhandlungen oder einen längeren
Selbstfindungs- und Definitionsprozess der Europäischen
Union vor der Erweiterung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, das spiegelt leider den Stand Ihrer Diskussion über die Osterweiterung wider.
Ich habe mich - das kommt selten vor - über einen Satz
Ihres europapolitischen Sprechers, Herrn Hintze, gefreut,
den er hier vor wenigen Wochen in der Haushaltsdebatte
gesagt hat: „Ich sage für die CDU/CSU-Fraktion klipp
und klar Ja zur Osterweiterung.”
({12})
Prima, darüber sind wir uns einig.
({13})
Aber, Herr Klipp-und-Klar-Kollege, leider ist es dabei
nicht geblieben; denn Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr
Merz, hat wenige Tage später gesagt, es sei ein schwerer
politischer Fehler gewesen, auf dem Gipfel in Helsinki
die Zahl der möglichen Beitrittskandidaten kritiklos auf
elf angehoben zu haben. Es sind zwar nicht elf, sondern
13 Beitrittskandidaten; aber man soll ja nicht kleinlich
sein. Das ist ein Widerspruch zu dem, was Sie gesagt haben, Herr Hintze, und lässt sich mit Ihrem klipp und klar
geäußerten Ja zur Osterweiterung gar nicht vereinbaren.
Herr Stoiber hat gesagt, bevor die Osterweiterung
möglich sei, müsse erst die Frage der Kompetenzabgrenzung innerhalb der EU geklärt sein. Des Weiteren hat er
davor gewarnt, schon im Jahr 2004 neue Länder in die
Europäische Union aufzunehmen. Frau Merkel hat gesagt, sie sei für einen frühen Beitrittstermin. In einem lesenswerten Aufsatz, der in der „FAZ“ am 22. September
erschienen ist, hat Ihr Kollege Herr Pflüger unter anderem
geschrieben, zu lange seien die Kandidatenländer dann
mit der Aussicht auf einen festen Beitrittstermin hingehalten worden. Er hat hinzugefügt, er sei für den großen
Beitritt, für den großen Knall. Aber Sie, Herr Hintze, haben Nein zur Konvoilösung gesagt.
Außerdem hat Herr Pflüger in dem Aufsatz geschrieben, er sei dafür, dass die ersten Kandidaten spätestens da hat er sich genau festgelegt - zum 1. Oktober 2004 der
EU beitreten. Ihr Kollege aus dem Europaparlament, Herr
Markus Ferber, ist dagegen der Meinung, die ersten Kandidaten könnten erst ab 2007 beitreten. Herr Rühe hat sich
für 2003 als Beitrittstermin ausgesprochen. Kajo
Schommer, Sachsens Wirtschaftsminister, hat wiederum
einen anderen Termin genannt und hat hinzugefügt, er
halte Spekulationen über Beitrittstermine grundsätzlich
für fatal. Wenn man sich das alles anschaut, dann muss
man feststellen, dass bei Ihnen ein großes Durcheinander
herrscht.
({14})
Fazit: Sie sagen nicht, wie viele Kandidaten der Europäischen Union beitreten sollen. Sie behaupten zwar, dass
es zu viele seien; aber Sie sagen nicht, welche Länder
nicht beitreten sollen. Sie legen sich nicht fest. Sie halten
den Beitrittsprozess einerseits für zu schnell und andererseits für zu langsam. Sie sind einerseits für und andererseits gegen Terminsetzungen. Bei den Terminen haben Sie
alles im Angebot. Es reicht von 2002 bis 2007. Hinsichtlich der Europapolitik sieht es bei Ihnen wie auf einem
Hühnerhof aus, auf dem alles hin- und herrennt. Ein solcher Hühnerhof braucht einen Leitgockel, der Ordnung
schafft. Herr Rühe, Sie wären die ideale Besetzung. Dafür
wären Sie geeignet. Machen Sie das doch! Sie würden uns
allen damit einen Dienst erweisen.
Sie müssen sich, um ernst genommen zu werden, entscheiden. Wollen Sie die gute Tradition Ihrer Fraktion in
Bezug auf die Europapolitik aus Ihrer Regierungszeit
fortsetzen, nämlich beim Integrationsprozess vorne bleiben, Avantgarde sein, für andere ein Vorbild abgeben,
oder wollen Sie das Erweiterungsthema zu populistischer
Wahlkampfmunition kleinhäckseln und bei dieser großen
Herausforderung der europäischen Geschichte versagen
und letzen Endes den Versuch machen, das ganze Thema
zu einem Werkzeug zu instrumentalisieren, das dazu dienen soll, dass Sie zu Mehrheiten und zur Macht zurückkehren? Sie haben sich ganz offensichtlich noch nicht entschieden. Das zeigen diese eigenartigen Widersprüche.
Aber die Öffentlichkeit und die Medien haben das gemerkt und erwarten von Ihnen Klarheit in dieser Frage.
Ich will zum Abschluss den Journalisten Richard Meng
aus der „Frankfurter Rundschau“ vom 24. Oktober 2000
zitieren. Sein Artikel trug die Überschrift: „Die haltlose
Union“. Er schreibt zu diesem Thema:
In den großen außenpolitischen Fragen, beispielsweise bei der Integration des Nationalen in ein
zusammenwachsendes Europa, leistet die Union sich
ein Sowohl-als-auch, das nur in abstrakten Sonntagsreden zusammenpasst. Konkret ist sie hin und hergerissen und auch hier höchst populismusanfällig.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Es gibt weitere Beispiele für die Inkonsistenz Ihrer
Forderungen, zum Beispiel im Falle von Russland. Herr
Rühe, Sie schaffen es in einem einzigen Absatz Ihres Antrages, die Bundesregierung aufzufordern, die russische
Regierung zu Reformen für ein stärkeres Engagement europäischer Investoren zu drängen, und im gleichen Kontext zu sagen, dass weitere staatliche Kredite so lange
nicht gewährt werden sollten, so lange die erforderlichen
Voraussetzungen für den Aufbau einer Marktwirtschaft
nicht gegeben sind und der Krieg in Tschetschenien nicht
beendet ist. Ich fordere Sie auf, Herr Rühe: Gehen Sie einmal nach Moskau zur Repräsentanz der deutschen Wirtschaft. Dort gibt es seit vielen Jahren 900 deutsche Firmen, die Pionierarbeit leisten, die wir anerkennen sollten.
({15})
Lassen Sie sich dort einmal über den Zusammenhang
zwischen stärkerem Engagement im Sinne von Investitionen auf der einen Seite und der Notwendigkeit einer Kreditabsicherung auf der anderen Seite berichten. Beides
gehört zusammen. Deswegen hat die Bundesregierung
richtig gehandelt, als sie die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Hermeskredite geschaffen und somit die
Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt hat. Dies war ein
gutes Ergebnis, das beim letzten Besuch von Gerhard
Schröder in Moskau bei den Gesprächen mit Putin erzielt
wurde. Wir sind auch froh darüber, dass über die so genannten Petersburger Gespräche ein dauerhafter Dialog
auf den Weg gebracht worden ist.
({16})
Das Beispiel Türkei zeigt ebenfalls Ihre Inkonsistenz.
Sie fordern von uns alle Anstrengungen, um die Türkei
wirtschaftlich, politisch und institutionell enger mit Europa zu verbinden. - Damit sind wir einverstanden. Dazu
hat auch die EU in Helsinki einen Beschluss gefasst. Sie
hat nach dem Scheitern des Luxemburg-Systems beschlossen, dass es beim Kandidatenstatus der Türkei weiter vorangeht. Das haben alle europäischen Staaten mitgetragen.
Was sagen Sie? Sie üben daran Kritik und sagen, die
Verleihung des Kandidatenstatus sei verfrüht gewesen
und wir hätten dazu gedrängt. Das ist ein kompletter Widerspruch. Es ist auch völlig inkonsistent, dauernd zu kritisieren, dass wir eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik gegenüber der Türkei betreiben, und dann zu
betonen, wie wichtig der Partner Türkei ist. Wenn Europa
sagt, durch den Kandidatenstatus der Türkei fördere man
dort eine vernünftige Entwicklung, so finden Sie dies
falsch. Das ist eine völlig widersprüchliche Politik.
({17})
Ich komme abschließend kurz zu Ihren Forderungen.
Ich habe schon gesagt, dass diese eher lustlos klingen und
lediglich angehängt sind. Sie benutzen hier die Methode,
die Bundesregierung dauernd dazu aufzufordern, das zu
tun, was sie sowieso schon tut oder schon getan hat. Sie
fordern zum Beispiel mehr Engagement bei globalen Herausforderungen. Sie nehmen überhaupt nicht zur Kenntnis, dass die Entwicklungsministerin Frau WieczorekZeul mit der Kölner Schuldeninitiative etwas Konkretes
gemacht hat, das mehr wert ist als die Sammlungen von
Forderungen, die Sie in Ihre Anträge hineingeschrieben
haben.
({18})
Wir sind auch froh, dass der Bundeskanzler die Zielsetzung der G-7- oder G-8-Staaten unterstützt, bis zum
Jahr 2015 eine Halbierung der Armut auf der Welt zu erreichen. Das hat die volle Zustimmung meiner Fraktion.
Dann sagen Sie, Herr Rühe, wir sollten die Rüstungsexportrichtlinien überarbeiten und eine verbindliche europäische Regelung befördern. Offenbar waren Sie wieder auf irgendeinem Planeten, als wir Ende letzten Jahres,
Anfang dieses Jahres dies gemacht haben. Sie können ja
sagen, dass es Ihnen nicht gefällt, dass wir zum Beispiel
Menschenrechte als Kriterium für Rüstungsexporte in
diese Richtlinien eingebaut haben, nachdem Sie 16 Jahre
lang nichts getan haben, sodass das Wort „Menschenrechte“ in den Rüstungsexportrichtlinien überhaupt nicht
vorkam.
({19})
Außerdem haben wir genau das gemacht, was Sie verlangen, Herr Schmidt. Der Code of Conduct ist jetzt für die
Bundesrepublik verbindlich.
({20})
- Wenn Sie natürlich die Realitäten überhaupt nicht zur
Kenntnis nehmen, dann kommen Sie eben zu solch eigenartigen Dingen.
({21})
Schließlich verlangen Sie ein Regionalkonzept für
den Kaukasus. Sie haben offenbar nicht gemerkt, dass
der Bundeskanzler schon im März in Tiflis war und dort
als erster größerer europäischer Staatsmann auf der Basis
unserer positiven Erfahrungen in Südosteuropa einen Stabilitätspakt für den Kaukasus gefordert hat und dass die
OSZE längst mit deutscher Unterstützung ein entsprechendes Konzept auf den Weg gebracht hat. Auch hier
stellen Sie also Forderungen, die in Wirklichkeit schon
längst reale Politik dieser Bundesregierung sind, die von
der Regierungskoalition voll und ganz unterstützt wird.
Herr Rühe und Ihre Freunde, es wird Ihnen nicht gelingen, hier den Eindruck zu erwecken, dass es bei der
deutschen Außenpolitik ein Problem mit Vertrauen,
Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit gibt. In Wirklichkeit weiß die ganze Welt, dass unsere Außenpolitik verlässlich, professionell und kreativ ist. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Vergessen Sie ganz schnell diesen Antrag!
({22})
Außenpolitik hat etwas Seriöseres als das verdient, was
Sie hier anbieten. Verlassen Sie nicht den wichtigen
außenpolitischen Grundkonsens. Wir sind bereit, mit Ihnen ernsthaft über Außenpolitik zu diskutieren, aber nicht
auf der Basis dieses Antrags.
({23})
Zu einer
Kurzintervention - um 12.47 Uhr liegt die Betonung auf
„kurz“ - gebe ich dem Kollegen Peter Hintze das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss dem Kollegen Erler das
Kompliment machen, dass er sich mit wichtigen Texten
der Union, mit Aufsätzen und Reden, gründlich beschäftigt hat. Ich muss das Kompliment aber leider dahin gehend modifizieren, dass er sie nicht richtig verstanden hat.
({0})
Deswegen möchte ich hier zur Klarheit beitragen.
Rühe, Pflüger, Merz, Hintze, Lamers, Stoiber - in allen
Reden und Schriften findet sich ein klares Ja zur Osterweiterung als ein Gebot der moralischen, politischen
und ökonomischen Vernunft. Wir haben es zugesagt. Es
schafft Stabilität in Europa und Wohlstand und soziale Sicherheit für alle Beteiligten. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.
Nun haben Sie gesagt, Herr Merz habe hier im Deutschen Bundestag vorgetragen, dass in Helsinki die Kandidatenzahl zu sehr erhöht worden sei, und haben das als
einen Widerspruch empfunden. Ich löse diesen Widerspruch für Sie gern auf: Wir glauben, dass die Osterweiterung gerade dann gelingt, wenn der Kreis der Kandidaten, die übrigens zum Teil mit Osteuropa gar nichts zu tun
haben - denken Sie einmal daran, was in Helsinki hinsichtlich der Türkei beschlossen wurde -, nicht so groß
wird, dass es praktisch und politisch schwer wird, den
Beitrittsprozess wirklich zügig voranzubringen. Dies war
unsere Sorge, die wir hier zum Ausdruck gebracht haben.
({1})
Nun möchte ich das noch einmal konkret auf den Punkt
bringen. Wir haben zwei Probleme. Das eine Problem ist,
dass der Kandidatenkreis so sehr ausgeweitet wurde. Das
zweite Problem ist, dass die Beitrittsverhandlungen im
Moment zu schleppend geführt werden. Formal führt sie
die Kommission; de facto werden sie von der Präsidentschaft geführt. Die deutsche Europapolitik hat natürlich
entscheidenden Einfluss darauf, wie sie geführt werden.
Unsere Auffassung ist, dass sie zu schleppend geführt
werden. Wir haben die Fortschrittsberichte und sehen,
dass die Länder, die beitrittsreif sind, schon sehr weit gekommen sind. Wir wünschen, dass auch die komplizierten Kapitel wie Landwirtschaft und Arbeitnehmerfreizügigkeit zügig auf die Agenda kommen und verhandelt
werden, damit den politischen, moralischen und ökonomischen Versprechen Taten folgen.
Wir hätten uns in dieser Hinsicht von der Bundesregierung etwas mehr erwünscht, als beispielsweise Österreich
zu drangsalieren oder Herrn Hombach zu installieren. Ich
erinnere auch an andere Vorgänge, die den Prozess der europäischen Einigung hemmen.
Ich bin sehr froh, dass wir mit der heutigen Debatte
einmal die Gelegenheit haben, hinsichtlich der Außenbzw. der Europapolitik ein paar Dinge klarzustellen. Deswegen war diese Debatte zentral und wichtig. Wenn Sie,
lieber Kollege Erler, die von Ihnen zitierten Reden nachlesen
- Sie können sie alle mit Gewinn auch zweimal lesen -,
dann werden Sie vielleicht feststellen, dass sich der von
Ihnen entdeckte Widerspruch vielleicht doch nicht so darstellt, wie Sie es vermutet haben.
Schönen Dank.
({2})
Zur Erwiderung hat der Kollege Erler das Wort.
Herr Kollege Hintze, bei Ihrer
„Langintervention“ habe ich eben daran gedacht, wie es
wäre, wenn es demnächst zur Rettung Österreichs einmal
einen Film mit dem Titel „Der Rächer der Entrechteten“
mit Herrn Hintze in der Hauptrolle gäbe.
Jetzt zu Ihrem Vorwurf, ich könne nicht lesen. Fraglich
ist nicht, ob ich lesen kann. Das Problem besteht darin,
dass andere Menschen lesen können. Sie lesen zum Beispiel im Protokoll der Haushaltsdebatte vom 14. September dieses Jahres die Aussage von Herrn Merz:
Deswegen war es ein schwerer politischer Fehler,
dass Sie die Zahl der möglichen Kandidaten beim
Gipfel in Helsinki kritiklos auf 11 angehoben
haben ...
({0})
- Er hat „elf” gesagt. Zu den elf gehört die Türkei nicht
dazu.
Herr Rühe hat am 18. September in der „Frankfurter
Allgemeinen“ für eine „realistische Erweiterung“ - so
steht es auch in Ihrem Antrag - geworben. Außerdem hat
er dort gesagt:
Mit 13 Staaten auf einmal zu verhandeln ist eine Lebenslüge der Europapolitik. Es müssen Unterschiede
gemacht werden.
Übrigens, Herr Rühe, es wird gar nicht mit 13 Staaten
verhandelt, sondern nur mit zwölf.
Können Sie sich vorstellen, wie die Wirkung solcher
Sätze auf die zwölf Kandidaten aussieht?
({1})
Sie fragen doch, was Ihr Hinweis darauf, dass es zu
viele sind, bedeutet.
({2})
Was heißt „realistische Erweiterung“? Sie müssen
doch einmal sagen, wer aus dem Kreis der Beitrittskandidaten herausfallen soll, mit wem man also die Verhandlungen einstellen soll.
({3})
Die Frage nach der Bedeutung dieser Aussage wird im
Ausland an uns gerichtet. Sie müssen sich die Wirkung
solcher Worte überlegen.
Herr Hintze, ich höre Ihre Worte gerne. Sie sind der
Klipp-und-Klar-Politiker, der zur Osterweiterung Ja sagt.
Sorgen Sie dafür, dass auch alle Ihre Kollegen so denken;
dann haben wir eine gemeinsame Basis. Aber verunsichern Sie die Kandidatenländer nicht, die sich die Frage
stellen, was die Hinweise darauf, dass es zu viele Beitrittskandidaten sind und dass Unterschiede gemacht werden sollen, bedeuten.
({4})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4383 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit
einverstanden. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Maritta Böttcher,
Roland Claus, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Demokratisierung des Wahlrechts
- Drucksache 14/1126 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 14/2150 Berichterstattung:
Abgeordnete Harald Friese
Erwin Marschewski ({2})
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von einer
halben Stunde verständigt. - Das Haus ist einverstanden.
Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe zunächst der Kollegin Dr. Evelyn Kenzler für die Fraktion der PDS das
Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dank der Vereinigten Staaten
ist das Thema Wahlen dieser Tage absolut in. Wenn jenseits des großen Teichs ein altertümliches Wahlsystem zu
einem grotesken Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen
führen sollte, dann wird sich sicherlich wieder einmal zeigen, wie sehr das Wahlrecht den Nerv des Volkes berührt.
Dass man die Ausgestaltung des Wahlrechts nicht hoch
genug schätzen kann, hat wohl kaum ein anderer so gut
wie der spanische Philosoph Gasset mit folgenden Worten
zum Ausdruck gebracht:
Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und
Rang sie immer seien, hängt von einer geringfügigen, technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Alles andere ist sekundär. ... Ohne diese Stütze einer
vertrauenswürdigen Abstimmung hängen die demokratischen Institutionen in der Luft.
Genau darum geht es der PDS mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf, gerade vor dem Hintergrund unserer Verantwortung für ein Wahlrecht in der DDR, das faktisch
keines war. Es geht uns um den Ausbau der demokratischen Institutionen in unserem Lande, um ihre Verankerung auf einer möglichst breiten Basis der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen.
Die erste Lesung unseres Gesetzentwurfs zur Demokratisierung des Wahlrechts machte mir diesbezüglich
zunächst durchaus Hoffnung. Kollegin Deligöz verwies
zum Beispiel ausdrücklich darauf, dass einige unserer
Vorschläge, wie die Senkung des Wahlalters auf
16 Jahre oder das kommunale Wahlrecht für ausländische Bürgerinnen und Bürger, zumindest zum Teil auch
im Programm von Bündnis 90/Die Grünen enthalten
seien. Sie appellierte an die Fraktionen, sich gemeinsam
an einen Tisch zu setzen, um über die Reformmaßnahmen
zu debattieren. Auch Kollege Funke verwies auf die Verbesserungsfähigkeit und -bedürftigkeit unseres Wahlrechts und die Diskussionswürdigkeit und -notwendigkeit
unserer Vorschläge.
Es gab natürlich, für uns nicht überraschend, auch andere Stimmen, wenngleich ich sie nicht in dieser Schärfe
aus den Reihen der SPD erwartet hätte. So sah Kollege
Friese in dem Gesetzentwurf einen „alten Hut“. Abgesehen davon, dass alte Hüte manchmal auch sehr kleidsam
sein können, ist das Anliegen meines Erachtens aktueller
denn je.
({0})
Aber Sie hatten natürlich Recht, wenn Ihnen unser Anliegen bekannt vorkam. Das geht uns allerdings bei neu
aufgelegten Gesetzentwürfen anderer Fraktionen, einschließlich denen der SPD-Fraktion, auch nicht anders. Es
handelt sich also um eine gängige Praxis und einen Ausdruck von politischer Beharrlichkeit und nicht um Beschäftigungstherapie oder mangelnde Kreativität.
Wenn Sie uns vorwerfen, populistische Forderungen
zu vertreten, dann kann ich Ihnen nur sagen: Ja, wir
bemühen uns - neben der Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene - auch auf dem Wege der Reformierung des Wahlrechts darum, die Bürger wieder stärker
in die Politik einzubeziehen.
({1})
Was daran populistisch sein soll, ist mir schleierhaft. Für
mich ist es jedenfalls Ausdruck eines gehörigen Maßes an
parteipolitischer Selbstgefälligkeit, wenn Sie fordern, es
den Parteien selbst zu überlassen, wie sie den Dialog mit
den Wählern führen, und allein auf eine Einigung zwischen den Fraktionen setzen. Das Wahlrecht geht doch in
erster Linie die Bürger selbst etwas an. Die Behandlung
von Grundsatzfragen der parlamentarischen Demokratie,
von denen Sie richtigerweise in diesem Zusammenhang
sprechen, sind doch kein Privileg der Parteien. Genau
diese Haltung, die hier zum Ausdruck kommt oder zumindest durchscheint, befördert Politik- und Politikerverdrossenheit bei den Bürgern.
Gestatten Sie mir, kurz auf einige wesentliche Einwände zu unseren Vorschlägen einzugehen. Dabei möchte
ich nicht von ungefähr mit der Einführung des Wahlrechts
für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger beginnen. Wenn sich die demokratischen Kräfte in diesen Tagen verstärkt gegen rechtsextremistische und fremdenfeindliche Bestrebungen in unserem Lande wenden, dann
ist das eine wichtige Seite der Medaille. Die Integration
der hier lebenden ausländischen Bürgerinnen und Bürger,
nicht zuletzt auch durch die Einräumung des Wahlrechts,
ist die andere.
({2})
Wenn der Bundeskanzler den Aufstand derAnständigen
in der Gesellschaft verlangt, dann müssen wir auch hier
im Parlament über verschiedene Möglichkeiten der stärkeren politischen Integration der Ausländer reden.
Das Grundgesetz sagt nicht ausdrücklich, dass Aktivbürgerrechte den Deutschen vorbehalten sind, auch wenn
es in der Vergangenheit selbstverständlich war, dass das
Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft geknüpft wurde. Inzwischen wurde bekanntlich aufgrund des Maastrichter
Vertrages allen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EG auch in Deutschland das aktive und passive
Wahlrecht bei Kommunalwahlen verliehen, sofern sie
hier wohnen. Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes musste
deshalb entsprechend geändert werden. Insofern haben
wir bereits einen Wandel vom Staatsvolk zum Wohnvolk
eingeleitet. Da Ausländer aus anderen Staaten der EG
ebenso wenig Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind
wie Angehörige von Staaten außerhalb der EU, entfallen
die früheren verfassungsrechtlichen Bedenken, falls diese
Ausländer ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Wenn
Sie nicht so weit wie wir gehen wollen, dann müssen Sie
sich zumindest die Frage gefallen lassen, warum Sie keine
eigenen Vorschläge zur Einführung eines Kommunalwahlrechts für die hier lebenden Ausländer ab einer bestimmten Aufenthaltsdauer unterbreiten.
({3})
Das wäre ein wichtiges Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in unserer Gesellschaft; das sollten
wir doch gemeinsam setzen.
Zur Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre kann ich nur
sagen, dass ich immer dafür bin - wie von Kollegen vorgeschlagen -, auch Erfahrungen, die die Länder damit gemacht haben, nutzbar zu machen. Das mache ich umso
lieber, als ich keine negativen Erfahrungen aus den Ländern kenne, die mich davon abhalten könnten, einer politisch reifer werdenden Jugend dieses Grundrecht nicht zuzuerkennen.
({4})
Nebenbei bemerkt: Warum das Recht auf Irrtum ein spezifisches Recht der Jugendlichen sein soll, verstehe ich
nicht.
Last but not least: Die leidige Fünfprozentklausel ist,
wie wir alle wissen, seit ihrem Bestehen umstritten. Ich
schenke es mir deshalb, die bekannten Argumente aufzuzählen, die für die Abschaffung dieser Klausel sprechen.
Ich bin mir sicher, dass auch Sie mir die gegenteiligen Argumente ersparen werden.
Nur so viel: Mancher Befürworter dieser Klausel ist heute
angesichts geschwundener Wählerzustimmung verstummt. Wenn durch die Aufhebung oder zumindest Absenkung dieser Klausel die eine oder andere Partei zusätzlich in den Bundestag käme, könnte man dann nicht
vielmehr mit einem stärkeren Engagement im Vorfeld der
Wahlen, mit einer höheren Wahlbeteiligung und mit mehr
Pluralität im Parlament rechnen? Wie sieht es denn mit einer Absenkung der Fünfprozentklausel zumindest bei den
Wahlen zum Europäischen Parlament aus?
Abschließend: Herr Kollege Friese hat in der ersten Lesung zu unserem Gesetzentwurf am Schluss seiner Rede
Änderungen zum Bundeswahlgesetz mit eigenen Vorschlägen angekündigt. Nun haben wir vor wenigen Wochen diese historischen Änderungen im 15. Gesetz zur
Änderung des Bundeswahlgesetzes nachlesen können.
Besonders beeindruckt hat mich - wie Sie sicher schon
ahnen - die Abschaffung der Briefumschläge bei der Urnenwahl. Gewünscht hätte ich mir einen wirklichen
Schritt in Richtung Reformierung des Wahlrechts. Aber
was nicht ist, kann ja noch werden; die Wahlperiode ist
noch nicht um.
Danke.
({5})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Harald Friese für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So falsch kann man verstanden werden. Ich habe gedacht, Frau Kollegin Dr. Kenzler,
ich hätte am 9. September 1999 eine besonders liebevolle
Rede gehalten. Sie haben mich jetzt aber geradezu als
Wahlrechtswüstling hingestellt. Ich nehme das einfach
mal so hin.
({0})
Ich kann mich jedenfalls daran erinnern, dass ich Ihnen
namens der Fraktion Gespräche angeboten habe. Dazu
will ich aber gleich noch kommen.
Ihre Aussagen bezüglich des Dialogs der Parteien mit
den Bürgern kann ich aber nicht stehen lassen. Sie haben
in Ihrer Begründung geschrieben, ein System wirklich
konkurrierender Parteien fördern und alle Parteien zum
Dialog mit den Wählerinnen und Wählern zwingen zu
wollen. Dagegen habe ich mich gewandt. Wir können
doch nicht gesetzlich regeln, wie die Parteien in den Dialog mit den Bürgern treten. Wenn die Parteien das nicht
von sich aus machen, werden sie schon die Quittung von
den Bürgern bekommen. Es ist aber eine ureigenste Aufgabe der Parteien selbst, zu entscheiden, wie sie ihren politischen Dialog nach außen darstellen und organisieren
wollen.
Ich möchte zunächst eine Feststellung in Richtung Antragstellerin machen: Sie haben Ihren Gesetzentwurf sehr
dilatorisch behandelt. Ich habe Ihnen in der ersten Lesung
Gespräche angeboten. Sie haben das Gespräch nicht gesucht. Ich habe den Eindruck - ich wiederhole das aus der
ersten Lesung -, Sie wollen eine Ablehnung, um sagen zu
können: Da sieht man es wieder einmal, die etablierten
Parteien sind gegen eine Demokratisierung des Wahlrechts. Das haben Sie in der 12. Legislaturperiode versucht; das haben Sie in der 13. Legislaturperiode versucht;
das gleiche Spiel machen Sie in der 14. Legislaturperiode.
Ich meine, schon die Überschrift „Demokratisierung
des Wahlrechtes“ lässt tief blicken. Wahlrecht ist Kernbestandteil einer Demokratie. Ohne Wahlen, die auf den
Grundsätzen der allgemeinen Wahl, der freien Wahl, der
öffentlichen Wahl, der geheimen Wahl und bei uns auch
der unmittelbaren Wahl beruhen, kann es keine Demokratie geben.
({1})
Da habe ich etwas Probleme mit Ihrer Begrifflichkeit: Sie
wollen ein Wesenselement der demokratischen Grundordnung, einer parlamentarischen Demokratie, demokratisieren. Da komme ich nicht so ganz mit.
In Ihrer Begründung schreiben Sie auch, dass es Ihnen
um die Überwindung der Politik- und Parteiverdrossenheit geht. Diese gibt es, das bestreitet niemand. Aber
lassen Sie mich Ihnen sagen: Ihre Therapievorschläge
zeichnen sich durch eine bemerkenswerte Schlichtheit
aus. Politik- und Parteiverdrossenheit durch die Abschaffung der Fünfprozentklausel und durch die Einführung
von Präferenzstimmen beseitigen zu wollen, das ist mir
ein bisschen zu kurz gesprungen. Wenn Sie meinen, dass
schon dadurch die Vertrauenskrise zwischen Bürgern und
Parteien beseitigt werden kann, dann haben Sie sich
getäuscht. Die Ursachen liegen tiefer.
Die Ursachen dafür, dass die Bürger kein Vertrauen in
Politik und Politiker mehr haben, liegen darin, dass die
Politiker und die Politik ihre Glaubwürdigkeit verloren
haben. Wer zwei Tage im Untersuchungsausschuss war
und das zwei Tage miterlebt hat - dass machen wir ja gemeinsam -, der weiß, warum das so ist. Da wird die Aussage verweigert, da wird nichts gewusst, da kann man sich
an nichts erinnern. Man kann sich dann nur sehr konkret
erinnern, dass man sich an nichts erinnern kann - das weiß
man dann ganz genau. Da wird bedenkenlos Verfassungsund Rechtsbruch begangen, wenn es der eigenen Partei
und der eigenen Machterhaltung dient. Da wird der politische Wettbewerb, der Wettbewerb der Ideen, durch Geld
ersetzt. Da wird im Prinzip demokratiefeindliches Verfahren praktiziert. Davon wenden sich die Menschen mit
Recht angewidert ab. Deshalb müssen wir dagegen kämpfen. Wir müssen die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen,
nicht formale Änderungen im Wahlrecht vornehmen, um
Partei- und Politikverdrossenheit zu überwinden.
Meine Damen und Herren, Wahlrecht ist ein ganz sensibles Rechtsgebiet. Hier darf kein Verdacht aufkommen,
dass eine Partei Vorschläge macht, die nur ihrem eigenen
Interesse dienen. Bei Ihrem Vorschlag, die FünfprozentDr. Evelyn Kenzler
klausel zu streichen, habe ich ein wenig das Gefühl, dass
das eben doch in der Interessenlage der PDS liegt, weil sie
Sorgen hat für 2002. Nehmen Sie mir bitte nicht übel, dass
ich das so sage.
Ich wiederhole: Wahlrecht ist ein sehr sensibles
Rechtsgebiet, und wir sind der Auffassung, dass Änderungen nur dann vorzunehmen sind, wenn sie notwendig
werden. Man muss sehr behutsam an dieses Thema herangehen. Der Politikwissenschaftler Heinrich Pehle sieht
die Notwendigkeit dann, wenn das Wahlrecht sein Legitimationspotenzial verliert. Als Legitimationspotenzial
nennt er die Chancengleichheit für Wähler und Parteien
und auch die Nachvollziehbarkeit und Transparenz
der Spielregeln. Dieses Legitimationspotenzial ist nicht
berührt. Deshalb meinen wir, dass eine grundlegende Revision des Wahlrechts nicht erforderlich ist.
Kurz zu Ihren Vorschlägen: Ausländerwahlrecht. Sie
wissen ganz genau, dass es in diesem Haus dafür keine
Zweidrittelmehrheit gibt. Das Problem des Art. 79 Abs. 3
in Verbindung mit Art. 20 des Grundgesetzes können Sie
mit „Europa“ auch nicht wegdiskutieren. Der Begriff des
Staatsvolks zählt nämlich zu den unveränderlichen Begriffen und Inhalten des Artikels 20 und ist damit einer
Grundgesetzänderung entzogen.
Überhangmandate: Sie bewegen sich auf verfassungsrechtlich unglaublich vermintem Gebiet. Wenn
Überhangmandate durch Landeslistenplätze ausgeglichen
werden sollen, muss ich Sie fragen: Von welcher Landesliste sollen dann die Plätze gestrichen werden? Damit
würden Sie nachträglich das Wahlergebnis auf Landesebene korrigieren. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Das
Bundesverfassungsgericht wird das nicht mitmachen.
({2})
Das Problem hat sich auch entschärft. Einmal durch das
Wahlkreisneugliederungsgesetz, aber auch durch das
neue Wahlkreisgesetz, über das wir im Augenblick diskutieren, wird sich die theoretische Zahl der Überhangmandate, die immer noch möglich sind, deutlich reduzieren.
Damit ist das verfassungsrechtliche Problem eindeutig
entschärft.
Zur Frage der Präferenzstimmen: Sie stellen sich ein
Stück mehr Demokratie vor, wenn in Nordrhein-Westfalen 70 Namen auf der Landesliste stehen, die der Wähler
alle nicht kennt. Dass das ein zusätzliches Stück Bürgerdemokratie sein soll, kann ich auch nicht nachvollziehen.
({3})
Was sich auf kommunaler Ebene bewährt hat, muss auf
Landesebene noch lange nicht richtig sein. Ich sage Ihnen:
Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse bei
Wahlen. Bei diesem Satz wissen Sie, was ich meine.
Schließlich zum Wahlalter 16: Dieses Thema ist in der
politischen Diskussion, aber auch hier füge ich hinzu: Wir
wollen die Erfahrungen abwarten, die mit der Senkung
des Wahlalters auf 16 gemacht wurden. Die Senkung hatte
als Ziel und Zweck, zusätzliche Partizipation von Jugendlichen zu erreichen. Wenn das der Fall ist - und dafür
braucht man Erfahrungen -, dann werden wir darüber
auch hier ernsthaft und ergebnisoffen diskutieren.
Wir werden Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Er ist ein
Sammelsurium von Vorschlägen. Ich möchte noch einmal
den Politikwissenschaftler Heinrich Pehle zitieren, der
uns, dem Parlament, eine Note gibt. Pehle sagt: Wir haben
es mit einem Wahlgesetzgeber zu tun, der von seinem
Handwerk nicht sonderlich viel versteht.
Das kann ich so nicht stehen lassen. Was Herr Pehle
sagt, muss ich in aller Form zurückweisen. Wir verstehen
von unserem Handwerk schon etwas.
Wenn wir aber diesem Antrag zustimmen würden,
dann hätte Herr Pehle Recht. Recht will ich ihm in dem
Zusammenhang aber nicht geben. Wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem hat der Kollege Friese völlig Recht: Die
PDS ist eine langweilige Partei.
({0})
- Ich werde es Ihnen gleich belegen. Sie ist eher grau als
rot. Von Ihnen haben wir schon lange nichts Neues mehr
gehört. Parlamentarisch dokumentieren Sie Ihre Einfallslosigkeit dadurch, dass Sie immer wieder die gleichen, die
alten, die untauglichen Vorschläge zur Beratung vorlegen,
so auch bei diesem Gesetzentwurf, Frau Kollegin. Den
kennen wir seit Jahren.
So beraten wir in erster Lesung, im Ausschuss, dann
noch in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag, und das Ergebnis ist immer das gleiche: Alle anderen Fraktionen des Hohen Hauses lehnen Ihre Vorschläge ab,
({1})
nicht weil sie von der PDS sind - wir haben im Ausschuss
sehr lange über diese Vorschläge diskutiert -, sondern
weil sie das Wahlrecht einfach nicht verbessern.
Doch um die Meinung dieser großen Mehrheit im Bundestag schert sich die PDS immer noch nicht, genauso wie
in alter Zeit, sehr verehrte Frau Kollegin. Stattdessen werden unverdrossen alte Anträge abgeschrieben, neu eingebracht und dann hier diskutiert.
Wenn Sie Anträge abschreiben wollen, die gut sind,
dann wäre es besser, Sie würden das tun, was die SPD
diese Woche gemacht hat. Sie hat unsere Vorschläge hinsichtlich kinderreicher Familien von Beamten akzeptiert.
Zunächst einmal hatte die SPD sie abgelehnt, dann aber
wortgleich übernommen, unter eigener Fahne eingebracht
und dann schließlich beschlossen. Dies ist zwar etwas
peinlich für die SPD. Aber es zeigt immerhin, wie man etwas Wirkungsvolles erreichen kann.
Zu Ihrem Gesetzentwurf: Sie wollen das Wahlalter
auf 16 Jahre senken.
({2})
Das könnte verlockend sein. Sie wissen aber auch, dass
der Mythos der Linken als Jungwählermagnet hin ist.
({3})
Wir werden uns dieser Forderung Ihres Gesetzentwurfs
nicht anschließen.
Gleiches gilt für die Regelung hinsichtlich der Fünfprozentklausel. Übrigens: Wenn man den jungen Menschen mehr Rechte gibt, dann muss man ihnen auch mehr
Pflichten geben. Deswegen können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
({4})
Es wäre vielleicht besser - ich will nur kurz darauf eingehen -, zum Beispiel das Wahlrecht der über 500 000
im Ausland lebenden Deutschen anders zu regeln. Es ist
nämlich so kompliziert, dass die Menschen nicht zur Wahl
gehen. Dieses Wahlrecht müsste geändert werden.
Es wäre selbstverständlich sinnvoll - ich fordere dies
erneut -, die Legislaturperiode auf fünf Jahre auszudehnen.
({5})
Kaum sind wir ins Parlament gewählt, wird erneut gewählt. Das ist nicht gut.
Es ist Freitagnachmittag. Daher will ich es sehr kurz
machen: Wir sind mit Ihren Vorschlägen nicht einverstanden. Wir lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf ab.
({6})
Aber wirklich
ungewöhnlich kurz! Vielen Dank im Interesse aller.
Jetzt hat der Kollege Cem Özdemir das Wort.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stehe natürlich jetzt, nachdem sich der Kollege Marschewski kürzer
gefasst hat, als es seine Redezeit vorsah,
({0})
stark unter dem Druck, es ihm nachzutun.
({1})
Sie wissen, dass meine Fraktion sehr gerne zu dem
Thema „mehr Demokratie“ redet. Der Hintergrund ist,
dass wir Kinder der Demokratie- und der Bürgerrechtsbewegung sind, lieber Max Stadler.
({2})
- Wir wissen das noch sehr genau und arbeiten im Gegensatz zu Ihnen daran.
Allerdings - darauf haben verschiedene Vorredner bereits hingewiesen - ist das, was Sie vorgelegt haben, liebe
Kolleginnen von der PDS, wahrlich nicht sehr originell.
Es ist eine Stoffsammlung dessen, was Sie in den vergangenen Jahren gemacht haben. Ich glaube aber, dass jede
Fraktion ein Recht darauf hat, dass ihre Anträge ernsthaft
beraten werden. Deshalb will ich mich im Folgenden kurz
mit dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf auseinander setzen.
Ein Punkt in diesem Gesetzentwurf ist die Senkung
des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre. Ich möchte nicht
verhehlen, dass wir vom Bündnis 90/Die Grünen Sympathien dafür hegen. Ich sage allerdings auch - darauf hat
der Kollege Friese zu Recht hingewiesen -, dass man erst
die Erfahrungen auf der kommunalen Ebene abwarten
sollte. Gerade wenn man ernsthaft Interesse daran hat,
dass dieses Thema noch populärer wird, sollte man die
breite öffentliche Debatte suchen und sollte sie mit denen
führen, die gegenwärtig gegen eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sind.
({3})
Ich rede genauso wie Sie mit Jugendlichen. Was man
von denen hört, ist durchaus unterschiedlich. Wenn man
für die Absenkung des Wahlalters ist, dann muss man
schon das ernst nehmen, was die Jugendlichen sagen.
Meine Erfahrung ist - vielleicht sieht Ihre Erfahrung anders aus -, dass die Meinungen sehr unterschiedlich sind.
({4})
Auf der einen Seite gibt es Jugendliche, die sagen, dies sei
sinnvoll. Auf der anderen Seite gibt es Jugendliche, die
das Gegenteil erklären. Ich halte nichts davon, dass wir
Sechzehnjährigen erklären, was für sie gut und was für sie
schlecht ist. Ich komme aus einer Partei, die dafür eintritt,
dass Ältere den Jugendlichen nicht sagen, was sie zu tun
oder zu lassen haben.
Mein Appell: Lassen Sie uns diese wichtige Diskussion
auf einer breiten Grundlage führen! Ich richte an die
Union den Appell, ihren pauschalen Widerstand gegen
mehr Jugendrechte, beispielsweise gegen ein Jugendwahlrecht auf Landesebene, aufzugeben und hier in eine
seriöse Diskussion einzutreten. Das kann der Demokratie
insgesamt nur gut tun.
({5})
Was die Grundgesetzänderung zum Ausländerwahlrecht angeht, möchte ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir das Staatsangehörigkeitsrecht geändert haben. Man kann sicherlich der Meinung sein - auch ich bin
Erwin Marschewski ({6})
dieser Meinung -, diese Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts sei nicht weit genug gegangen. Wir bedauern
dies ebenfalls. Ich glaube, auch Max Stadler bedauert das.
Aber seine Fraktion war es, die das Gesetz in wesentlichen Teilen verschlimmbessert hat.
({7})
Jetzt wird sie hoffentlich mit uns gemeinsam daran arbeiten, das Gesetz an den entsprechenden Stellen wieder zu
verbessern, Stichworte: Gebühren, Frist.
Mit dem Staatsangehörigkeitsrecht haben wir das Geburtsrecht eingeführt. Dadurch haben wir in Deutschland
eine historische Zäsur. Das heutige Deutschland ist nicht
mehr dasselbe Deutschland wie vor dem 1. Januar 2000.
Das Ius soli ist in diesem Land eine neue Entwicklung. Ich
verstehe nicht, warum Sie sich auf das Ausländerwahlrecht beschränken wollen. Ist es denn nicht viel mehr
wert, wenn Menschen, die hier geboren sind, mit der Geburt gleiche Rechte und gleiche Pflichten erhalten, das
heißt Bürgerinnen und Bürger erster Klasse sind? Der
Weg in das Ausländerwahlrecht ist ein Weg in die Vergangenheit. Der Weg zu gleichen Rechten über das Staatsangehörigkeitsrecht ist der Weg in die Zukunft.
({8})
Hier befinden wir uns übrigens in guter Gesellschaft mit
unseren europäischen Nachbarn. Wir haben uns mit unserem Staatsangehörigkeitsrecht an das europäische Recht
angenähert, an ein Recht, das viele andere Länder praktizieren.
Ich will mich aber auch hier ernsthaft damit beschäftigen. Ich rate Ihnen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum kommunalen Wahlrecht nicht außer
Acht zu lassen. Man kann dieses Urteil unterschiedlich
bewerten, aber es ist da. Das Risiko, dass man das Verfassungsrecht verfassungswidrig gestaltet, ist meiner
Fraktion zu groß, als dass wir diesen Weg für einen gangbaren Weg hielten. Ich halte auch nichts davon, Doppelbotschaften auszusenden, indem wir zwischen Wahlrecht
und Einbürgerung differenzieren. Der Weg zum Wahlrecht führt darüber, dass man sich zu einer Gesellschaft
bekennt und Bürger des jeweiligen Landes wird.
Lassen Sie uns lieber über das kommunale Wahlrecht
reden. Da gibt es wirklich ein Ärgernis, das meine Fraktion beseitigen möchte. Wir möchten das kommunale
Wahlrecht auch auf Drittstaatenausländer ausdehnen.
Dieser Punkt steht in unserer Koalitionsvereinbarung. Sie
wissen, dass die Umsetzung bisher daran scheitert, dass
wir keine verfassungsändernde Mehrheit haben. Das ist
aber eine Sache, die Ihre und unsere Energie lohnt. Ich appelliere an Sie, dass wir uns dafür einsetzen.
Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Fünfprozentklausel. Sie wissen, dass die Höhe der Klausel, die Sie abschaffen wollen, bisher auch dazu diente, Leute zu verhindern, die wir hier, glaube ich, alle nicht haben wollen:
Leute von der NPD, die hoffentlich bald verboten wird,
über die DVU bis hin zu den Republikanern und anderen
sehr unangenehmen Zeitgenossen.
({9})
Ich halte nichts davon, dass man die Debatte zu diesem
Thema durch eine völlige Beseitigung der Sperrklausel
kaputtmacht. Ich glaube allerdings schon, dass wir mit
Blick auf die Urteile, die es in diesem Zusammenhang
gibt - Stichwort: NRW und Kommunalwahl -, bei anderer Gelegenheit darüber diskutieren sollten, ob wir nicht
auf kommunaler Ebene weiter gehen können, als wir es
bisher tun.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Zum dritten Mal hintereinander beschäftigen wir uns am Freitagmittag mit
Gesetzentwürfen zum Wahlrecht. Aber während es in der
ersten Debatte um Formalien ging und in der zweiten um
die Wahlkreiseinteilung geht, dringen wir aufgrund des
Antrags von Frau Kollegin Kenzler jetzt allmählich zu
den wirklich substanziellen Fragen vor.
Gleichwohl will ich vorweg sagen, dass auch die
F.D.P.-Fraktion den PDS-Antrag ablehnt, weil in ihm
zwar diskussionswürdige Ideen, aber auch einige Punkte
enthalten sind, denen wir nicht zustimmen können.
Wir meinen zum Beispiel, dass das Wahlalter und das
Volljährigkeitsalter identisch sein sollten. Da derzeit niemand eine Absenkung des Volljährigkeitsalters von
18 Jahren auf 16 Jahre betreibt, kann man auch das Wahlalter nicht auf 16 Jahre absenken.
Zum Ausländerwahlrecht hat Kollege Özdemir am
Ende seiner Ausführungen dann doch noch den richtigen
Punkt gefunden. Ich war über seine Argumentation
zunächst ein wenig erschrocken; denn verfassungsrechtlich ist es uns nicht verboten, ein Ausländerwahlrecht einzuführen. So deute ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls nicht.
({0})
Aber auch wir meinen, der erste Schritt wäre, das Wahlrecht auf kommunaler Ebene über EU-Staatsangehörige
hinaus auf Angehörige von Drittstaaten auszudehnen, immer geknüpft an eine bestimmte Aufenthaltsdauer in
Deutschland, etwa fünf Jahre. Damit sollte man beginnen;
das hat wirklich eine Berechtigung. Später kann man sich
dann der Problematik auf Länder- und Bundesebene zuwenden, nicht schon jetzt.
({1})
Die Präferenzstimmen, die von der PDS vorgeschlagen werden, sind, Herr Kollege Friese, aber durchaus diskussionswürdig. Hierfür gibt es Beispiele, etwa im
bayerischen Landtagswahlrecht. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass nicht die Parteien mit ihrer Vorauswahl und
der Reihenfolge auf den Listen, die zur Abstimmung gestellt werden, praktisch schon bestimmen können, wer in
das Parlament einzieht, sondern dass die Wählerinnen und
Wähler innerhalb der Listen Kandidaten nach vorne oder
nach hinten wählen können. Das ist eindeutig ein Mehr an
Demokratie. Ich verstehe Ihr Verdikt, das Sie vorhin ausgesprochen haben, nicht ganz. Dieser Punkt wird von der
F.D.P. sehr wohl als diskussionswürdig angesehen.
Dagegen haben Sie Recht, Herr Kollege Friese, wenn
Sie feststellen, dass die Problematik der Überhangmandate nicht mehr so aktuell ist wie früher. Denn durch die
neue Wahlkreiseinteilung ist ja sichergestellt, dass kaum
noch Überhangmandate auftreten. Unabhängig davon
muss man aber festhalten: Überhangmandate sind eine
Abweichung vom eigentlichen Wahlergebnis, das nach
dem Verhältniswahlrecht festgestellt wird. Daher hat die
PDS zu Recht versucht, hierzu einen Lösungsvorschlag
zu machen. Aber, wie gesagt, diese Thematik ist nicht aktuell.
Schließlich zur Fünfprozentklausel: Als Angehöriger
einer kleinen Partei gerät man hier immer in den Verdacht,
pro domo zu sprechen.
({2})
Seitdem aber die F.D.P. ihr Projekt 18 in die Welt gesetzt
hat, weiß ja jeder, dass wir davon nicht mehr betroffen
sind,
({3})
sodass ich hier gewissermaßen aus neutraler Warte feststellen kann: Jede Sperrklausel führt dazu, dass der Erfolgswert der einzelnen Wählerstimme nicht mehr der
gleiche ist. Das ist das eigentliche Problem der Sperrklauseln.
({4})
Manche Stimmen, die abgegeben werden, fallen unter den
Tisch und andere werden in ihrem so genannten Erfolgswert erhöht. Das halte ich für wirklich problematisch. Zumindest auf der kommunalen Ebene sollte man dem Vorbild mancher Kommunalverfassungen folgen und die
Fünfprozentklausel dort hinwerfen, wo sie hingehört,
nämlich in den Mülleimer der Wahlrechtsgeschichte.
({5})
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Gesetzentwurf der PDS gibt Anlass - und damit möchte ich
schließen -, dass wir über die im Einzelnen vorgelegten
Vorschläge hinausdenken. Es ist ja mehr zu tun, um das
Vertrauen in die Demokratie bzw. in die Parteiendemokratie wieder herzustellen. Das Ziel muss lauten, mehr
direkte Mitbestimmung für die Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Das heißt, man muss ernsthaft darüber nachdenken, die Möglichkeiten der Volksinitiative,
des Volksbegehrens und des Volksentscheides auch auf
Bundesebene einzuführen.
Dies setzt zweierlei voraus: Da man dafür eine Verfassungsänderung benötigt, muss zum Ersten die Union endlich über ihren Schatten springen und bereit sein,
({6})
diesen Vorschlägen näher zu treten, wie dies aus den Reihen der CSU eigentümlicherweise neuerdings gefordert
wird. Dies setzt zum Zweiten voraus, dass die Regierungskoalition aus Rot-Grün endlich daran geht, nicht nur
über ihre Wahlversprechen zu reden, sondern auch dementsprechend zu handeln, oder dass der Versuch des Handelns, den Teile der Regierungskoalition für sich beanspruchen können, endlich auch zu einem Erfolg führt.
Alles in allem sollte der Gesetzentwurf der PDS Anlass
sein, dass das, was in jeder dieser Debatten immer wieder
beschworen wird, endlich realisiert wird: Wir alle müssen
uns an einen Tisch setzen und ernsthaft über eine Modernisierung des Wahlrechts bzw. des Abstimmungsrechts
in der Bundesrepublik Deutschland verhandeln - mit dem
Ziel, mehr Mitbestimmung für die Wählerinnen und
Wähler zu erreichen.
({7})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der PDS zur Demokratisierung des Wahlrechts auf Drucksache 14/1126. Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/2150, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS mit den
Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt worden. Damit
entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Investitionszulagengesetzes
- Drucksache 14/3273 ({0})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksachen 14/4624, 14/4626 Berichterstattung:
Abgeordnete Simone Violka
Gerhard Schulz ({2})
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/4627 Dr. Max Stadler
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Lothar Binding.
Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
freuen uns natürlich, dass diesem Gesetzentwurf alle zustimmen werden. Insofern wird es jetzt sicherlich keine
sehr hektische Debatte geben. Aber es lohnt sich doch, bei
einzelnen Punkten einmal genauer hinzuschauen, was wir
damit eigentlich erreichen wollen.
Zunächst zielt der Gesetzentwurf insbesondere darauf
ab, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Europäische Kommission die Genehmigung für die betriebliche Förderung durch das Investitionszulagengesetz
1999 ab dem Jahr 2000 erteilt.
Zur Lösung dieses Problems gibt es eine ganze Reihe
von Einzelmaßnahmen, auf die noch genauer eingegangen wird. Ich möchte mich auf folgende Punkte beschränken: die Aufhebung der mit dem Steuersenkungsgesetz beschlossenen Einschränkung bei der Verrechnung
von Gewinnen und Verlusten aus Aktien- und Derivatengeschäften, bei Eigenhandel von Kreditinstituten und bestimmten Finanzdienstleistungsunternehmen. Man fragt
sich, was das mit dieser Überschrift zu tun hat, und erkennt es schnell. Es ist Eile geboten und es geht darum,
dass diese Vorhaben gleichzeitig in Kraft treten sollen.
Ich möchte zweitens etwas zur Steuerbefreiung der privaten Nutzung von betrieblichen Personalcomputern und
Telekommunikationsgeräten durch Arbeitnehmer, drittens etwas zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts
und viertens etwas zum Missbrauch in Bezug auf Steuervergünstigungen für gemeinnützige Körperschaften sagen.
Einmal angenommen, es gäbe keinen Betrug, dann
müssten wir an verschiedenen Stellen auch gar nichts tun.
Leider ist es aber so, dass im Umsatzsteuerbereich gegenwärtig geschätzt wird, dass wir einen zwei- bis dreistelligen Milliardenbetrag an Betrugsvorgängen haben. Die
Erfahrungen aus der Prüfungspraxis zeigen, dass zur effektiven Umsatzsteuerkontrolle mehr Informationen
verfügbar sein müssen, die zeitnahe und übergreifende
Untersuchungen erlauben.
Die Hauptursache für die Betrugstatbestände und die
Schwierigkeit, diese aufzudecken, sind Ringgeschäfte,
die länderübergreifend organisiert werden und deshalb
besonders schwer erfassbar sind. Gegenwärtig existiert
eine Liste bei der OFD Köln, die Schein- und Betrugsfirmen usw. erfasst. Allerdings wird diese Liste nur einmal
jährlich erneuert und ist im Grunde genommen für eine
zeitnahe Lösung der Probleme nicht geeignet.
Die Prüfungsdienste der Länder können gegenwärtig
auf keine Dateien oder Datenbanken zugreifen, um diese
Probleme zu lösen. Deshalb gibt es Handlungsbedarf. Es
soll eine Datenbank beim Bundesamt für Finanzen eingerichtet werden, die eine Sammlung und Auswertung von
Informationen über Betrugsfälle im Bereich der Umsatzsteuer ermöglicht, um damit dem Betrug in diesem Bereich zukünftig Einhalt zu gebieten.
Mein nächstes Stichwort heißt Gemeinnützigkeitsrecht. Wir haben Steuervergünstigungen nur für ideelle
satzungsgemäße Tätigkeit gemeinnütziger Körperschaften vorgesehen und das wollen wir auch. Es gibt auch
Steuervergünstigungen für wirtschaftliche Betätigungen
gemeinnütziger Körperschaften, aber diese wollen wir
nicht; denn sie wären gegenüber den im Wettbewerb stehenden steuerpflichtigen Unternehmen unfair.
Nun gibt es einen Trick, mit dem man Steuervergünstigungen für gemeinnützige Körperschaften zur Beschaffung steuerbegünstigter Spenden gemeinnützigen Fördervereinen vorschaltet und damit den Missbrauch
systematisch organisiert. Angenommen, es gäbe diesen
Missbrauch nicht, dann hätten wir keinen Handlungsbedarf, aber zur Vermeidung dieser Missbrauchsmöglichkeit wird mit Art. 5 die Abgabenordnung geändert.
Ein weiterer Punkt bezieht sich auf die steuerfreie Internetnutzung unabhängig vom Verhältnis der beruflichen und privaten Nutzung. Sachbezüge - vorausgesetzt,
der Arbeitgeber stimmt zu - führen zu einem extrem komplexen Bewertungssystem. Aufteilung und Abgrenzung
von privater Nutzung von DV-Anlagen ist extrem kompliziert und steuerlich praktisch nicht gerecht zu handhaben.
Im Grenzbereich, in dem innovative Entwicklungen
und deren umfassende Anwendungspraxis auch dem Arbeitgeber nutzen, ist es sehr sinnvoll, solche Tätigkeiten
steuerfrei zu stellen. Vielleicht hätten wir vor 100 Jahren
eine entsprechende Regelung für jemanden treffen müssen, der die Drehbank für private Zwecke nutzte und damit dem Betrieb diente. Daraus abgeleitet existiert aber
natürlich kein Rechtsanspruch für den Arbeitnehmer; es
ist alles nur insofern möglich, als es der Arbeitgeber erlaubt.
Ich möchte noch auf einen Sonderfall zu sprechen
kommen, der sich auf Aktien und Derivate bezieht. Die
Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften
und Dividenden sind steuerfrei; das ist mit dem Halbeinkünfteverfahren systematisch auch sehr gut begründbar.
Ziel war dabei, Strukturwandel und innovative Entwicklungen zu erleichtern, Fehlallokationen von Kapital zu
vermeiden usw. All dies erfordert aber langfristig geplante
und langfristig wirkende Transaktionen.
Deshalb gibt es in § 8 b Körperschaftsteuergesetz die
Einjahresfrist, die sicherstellen soll, dass unterjährig
verkaufte Anteile der vollen Besteuerung unterliegen.
Außerdem wird auch der Ausgleich von unterjährigen
Verlusten aus Aktiengesellschaften auf Gewinne aus
gleichartigen Geschäften eingeschränkt. Zum Beispiel
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
sind Derivatgewinne nur mit Derivatverlusten verrechenbar. Das bedeutet, einerseits werden bei Banken und
Finanzdienstleistern Risikooptionen aus Aktien durch gegenläufige Risikooptionen aus Aktienderivaten gesichert.
Solche Sicherungsgeschäfte sind in vielen Fällen aufsichtsrechtlich ausdrücklich vorgeschrieben. Andererseits
wird eine solche Risikokompensation bei der Beschränkung von Verlustausgleich und Verlustverrechnung auf
Gewinne und Verluste gleichartiger Geschäfte nach § 15
Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes ausgeschlossen.
Aufgrund der ungleichen Verteilung von Gewinnen
und Verlusten ist dies ein unmöglicher Zustand. Das bedeutet: Ein wirtschaftliches Nullgeschäft kann zu einem
steuerlichen Plusgeschäft und damit zu einem gravierenden Liquiditätsabfluss in diesen Betrieben führen. Beispiel: Ich habe durch Aktien einen Verlust von 100 DM,
durch Derivate einen Gewinn von 100 DM. Das bedeutet
handelsrechtlich einen Gewinn von 0 DM, aber es sind
100 DM zu versteuern. Das ist natürlich nicht gewollt.
Deshalb wird die Behandlung von Aktien und Derivaten
neu geregelt.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gerhard Schulz.
Frau Präsidentin! Sehr
verehrte Damen und Herren! Es ist schön, als Zweiter zu
reden; denn dann kann man manches weglassen, weil es
schon gesagt worden ist. Aber es gibt immer noch etliche
Punkte des Gesetzentwurfes, die einfach genannt werden
müssen. Das ist die Pflicht eines Berichterstatters.
Ich komme zur Änderung des Investitionszulagengesetzes. Die EU-Kommission hat verlangt, die Förderung
für Berlin abzusenken. Stattdessen wird vorgeschlagen
- das soll im Gesetz beschlossen werden -, die Förderung
der östlichen Randgebiete zu verstärken. Damit wird der
Rückgang der Förderung im Raum Berlin durch Mehrausgaben im östlichen Teil der neuen Bundesländer wieder aufgefangen, sodass der Förderrahmen insgesamt
gleich bleibt. Das ist eine sehr gute Entwicklung. Ich
hoffe sehr, dass die EU dem zustimmt; denn diese beiden
Regelungen benötigen immer noch die Zustimmung der
EU.
Allerdings wurde in diesem Zusammenhang von uns
diskutiert, ob es wirklich sinnvoll sei, die Vergünstigungen - dies ist im Investitionszulagengesetz 1999 geplant für das Handwerk in diesem Gebiet mit dem Jahr 2002
auslaufen zu lassen. Zur Erinnerung: Es ist vereinbart
worden: Bevor diese Regelung in Kraft tritt, soll durch ein
Gutachten festgestellt werden, ob die Investitionszulagenförderung 1999 wirklich so weit vorangeschritten
ist, dass es möglich ist, die Vergünstigungen für das Handwerk auslaufen zu lassen oder nicht. Dieses Gutachten ist
in Auftrag gegeben worden. Wir haben vereinbart, dass
wir anhand des Gutachtens über eine Verlängerung der Investitionszulagen für das Handwerk beschließen.
Im § 2 des Investitionszulagengesetzes wird neu geregelt, dass der Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer Investitionszulage für Gebäude und Betriebsvorrichtungen
der Herstellungsbeginn ist. Das führte bei Gebäuden, für
die eine Baugenehmigung erforderlich ist, zu Problemen.
Nunmehr ist es so geregelt: Als Investitionsbeginn gilt der
Zeitpunkt der Einreichung der Bauunterlagen oder die
Abgabe des Antrags auf Baugenehmigung. Leider Gottes
steht nur in der Begründung, dass diese Regelung auch für
Anlagen gilt. Unsere Bitte, dies in den Gesetzestext hineinzunehmen, um damit klarzustellen, dass diese Regelung nicht nur für Gebäude, sondern auch für Anlagen gilt,
wurde mit der Begründung abschlägig beschieden: Wenn
das in den Gesetzestext aufgenommen würde, um Klarheit zu schaffen, würde dies zur Verunsicherung führen.
({0})
- Das führt zur Verunsicherung der Finanzbeamten, Frau
Höll; das ist völlig richtig. - Ich sage es hier noch einmal:
Diese Regelung gilt auch für Anlagen.
Die Änderung in § 3 des Investitionszulagengesetzes
bewirkt, dass der Käufer eines saniertes Mietwohngebäudes, für dessen Sanierung die Investitionszulage bereits in
Anspruch genommen wurde, die erhöhte Abschreibung
nicht noch einmal in Anspruch nehmen kann. Dieses Kumulierungsverbot verhindert eine ungerechtfertigte doppelte Förderung, was durchaus nachvollziehbar ist.
Weiterhin wird geregelt - damit die Behörden besser
miteinander klarkommen -, dass die Feststellung der Bemessungsgrundlage für die Investitionszulage für Wirtschaftsgüter nicht mehr wie bisher vom Finanzamt des
Wohnsitzes, sondern vom Betriebsfinanzamt vorgenommen werden soll. Das ist aber keine Erschwernis für die
Antragsteller selber, so wird uns versichert. Denn der Antrag wird nach wie vor beim Wohnsitzfinanzamt gestellt.
Dann wird das weitergereicht und geprüft.
Der geänderte § 6 des Investitionszulagengesetzes regelt die Übernahme der Leitlinien der Gemeinschaft für
staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten. Sie alle kennen den einen oder anderen Fall, der durch die Presse
ging: Es wurden Investitionszulagen gezahlt, aber dann
kam die EU und sagte: Nein, das wollen wir nicht, das darf
nicht sein, ihr müsst das Geld zurückzahlen. - Sie alle
kennen diese Beispiele. Mit der neuen Regelung wird das
richtiggestellt, sodass dieser Streit in Zukunft wegfällt. Es
wird eindeutig gesagt: Die Festsetzung der Investitionszulage gilt erst ab Genehmigung durch die EU.
§ 10 des Investitionszulagengesetzes erfüllt auch ein
Verlangen der Europäischen Kommission; denn diese Änderung bewirkt die Verlängerung der Zugehörigkeitsund Verbleibensfrist bei beweglichen Wirtschaftsgütern
des Anlagevermögens von drei auf fünf Jahre für nach
dem 31. Dezember 1999 begonnene Investitionen. Dem
müssen wir folgen, wenn wir wollen, dass dem Investitionszulagengesetz als Ganzes zugestimmt wird. AllerLothar Binding ({1})
dings gilt diese Regelung nicht für Investitionen, die vorher getätigt worden sind.
Über die Derivate wurde bereits gesprochen. Es gibt
noch viel darüber zu sagen, warum es überhaupt notwendig ist, diese Gesetzesänderungen zu machen. Ich will
mich zurückhalten.
({2})
- Das ist schlicht und einfach eine Reparaturgeschichte.
Da bereits über die Änderungen in den Bereichen PC
und Telekommunikation berichtet wurde, will ich das
nicht wiederholen.
Die Neufassung des § 7 g des Investitionszulagengesetzes regelt die Sonderabschreibungen und Ansparabschreibungen für kleine und mittlere Unternehmen im
Landwirtschaftssektor. Dieses war notwendig, weil der
neue Gemeinschaftsrahmen eine Förderung in so genannten sensiblen Bereichen ausschließt; die Landwirtschaft
gehört zu diesem sensiblen Sektor. Deswegen musste eine
Anpassung erfolgen.
Bei den Änderungen des Gemeinnützigkeitsrechts ist
nur auf einen Punkt eingegangen worden. Ich will noch
einmal auf die anderen beiden Punkte eingehen. Es geht
nämlich nicht nur darum, den Missbrauch zu beseitigen,
wogegen kein Mensch etwas hat. Vielmehr geht es auch
darum, zu vermeiden, dass die Besteuerung der wirtschaftlichen Tätigkeit von gemeinnützigen Körperschaften höher ist, als bei gewerblichen Wettbewerbern.
Weiterhin geht es darum, die Fernsehlotterien „Aktion
Mensch“ und „Die Goldene Eins“ auf eine sichere rechtliche Grundlage zu stellen.
Herr Kollege
Schulz, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Fromme?
Ja.
Herr Kollege Schulz, teilen Sie meine Auffassung, dass es für das
Finanzministerium wichtig ist, dieser Debatte zu folgen,
da es sich um ein Gesetz handelt, bei dem dieses Haus die
Federführung hat?
Da meine Zeit knapp
ist, eine kurze Antwort: Ich teile Ihre Meinung.
Mit der Änderung des § 64 Abs. 6 Investitionszulagengesetz wird eine nicht gewollte Auswirkung eines BFHUrteils von 1991 - so lange ist das schon im Gange - beseitigt. Das Problem lässt sich folgendermaßen
beschreiben: Ein steuerbegünstigter Verein veranstaltet
eine Autorenlesung und verkauft dabei dessen Bücher.
Der Verkauf ist wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb und
steuerpflichtig. Von diesen steuerpflichtigen Einnahmen
kann der Verein aber das Autorenhonorar, Reise- und Hotelkosten nicht absetzen. Der Erlös aus dem Verkauf der
Bücher unterliegt also in voller Höhe der Besteuerung.
Die Begründung für diese absurde Geschichte ist: Die
Kosten für den Autor und alle anderen Kosten hätte der
Verein ja auch gehabt, wenn er keine Bücher verkauft
hätte. Deswegen könne man das nicht von den Einnahmen
abziehen.
Ein Buchhändler aber, der in seinem Geschäft auch eine
dieser Lesungen veranstaltet und Bücher verkauft, kann
natürlich von den Erlösen aus dem Verkauf der Bücher die
Kosten für den Autor abziehen. Ergo: Der Verein wird
höher besteuert als der Buchhändler. Das ist ja wohl nicht
in unserem Sinne, die wir Vereine fördern wollen.
Dieses Problem wird gelöst, indem pauschal einfach
angenommen wird, dass der Gewinn aus solchen Veranstaltungen und Geschäftstätigkeiten von Vereinen 15 Prozent der Gesamteinnahmen beträgt, sodass nur 15 Prozent
der Gesamteinnahmen der Besteuerung unterliegen.
Ein weiterer Punkt betrifft die Fernsehlotterien. Die
zahlenmäßige Begrenzung der Zweckbetriebsfiktion wird
aufgehoben. Erlassen Sie mir bitte, zu erklären, was
Zweckbetriebsfiktion ist. Ich habe angefangen, das zu erläutern, aber dann wurde der Text zu lang. Nehmen wir
das einfach einmal so hin. Durch diese Änderung wird geregelt, dass die beiden Fernsehlotterien ihre nicht zu vernachlässigende Arbeit weiterführen können. Die Erlöse
können nach wie vor gemeinnützigen Zwecken zugeführt
werden.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft
die Neufassung von § 5 Abs. 1 des Finanzverwaltungsgesetzes. Durch die Änderung wird es dem Bundesamt für
Finanzen ermöglicht, eine zentrale Sammlung und Auswertung von Informationen über Betrugsfälle im Bereich
der Umsatzsteuer einzurichten. Die Erweiterung des
Aufgabenkatalogs zielt auf bessere Kontrollmöglichkeiten und eine wirksamere Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug. Da der Mehrwertsteuerbetrug in letzter Zeit
- so wird berichtet - sehr zunimmt, ist diese Maßnahme
durchaus gerechtfertigt. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas Unrechtes zu tun, und man sollte alles unternehmen,
um das zu verhindern.
Ich gebe zu, dass das viel trockenes Zeug war, aber es
musste gesagt werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Fromme, Sie sehen, dass der mit Ihrer verklausuliert vorgetragenen Zwischenfrage verfolgte Wunsch, ein
Vertreter des Finanzministeriums möge Ihrer aufregenden
Debatte folgen, sofort in Erfüllung gegangen ist.
({0})
Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes 1999. Das wurde notwendig, weil die
Europäische Kommission der Änderung des Investitionszulagengesetzes, so wie sie durch das Steuerbereinigungsgesetz erfolgt ist, nicht zugestimmt hat. Insofern haben wir eine Änderung der Änderung. Aber über die
Notwendigkeiten, als Reparaturbetrieb tätig werden zu
müssen, kann man sich streiten; in diesem Zusammenhang würde mir einiges über die Häufigkeit von Änderungen in der Zeit von 1990 bis 1998 einfallen.
Die Tatsache, dass wir hier etwas ändern müssen, hängt
damit zusammen, dass Ihr im August 1997 beschlossenes
Investitionszulagengesetz bei der EU-Kommission nicht
notifiziert worden ist. Der eigentliche Grund ist: Ihnen ist
sehr spät aufgefallen, dass die Ostförderung - darum,
Herr Kollege Schulz, geht es ganz besonders - nicht nur
mit steuerlichen Abschreibungen, die zu gewaltigen
Fehlallokationen geführt haben, zu machen ist, wie wir
das in der Regierungszeit von Kohl erlebt haben, sondern
dass es besser ist, die Maßnahmen im Investitionszulagengesetz zu bündeln. Sie haben diese Bündelung aber
so dilettantisch vorgenommen, dass Sie es in Brüssel nicht
durchbekommen haben. Deswegen ist die Änderung erforderlich geworden. Das sage ich so, weil es den Tatsachen entspricht.
({1})
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Gerhard Schulz?
Sie haben doch gerade erst geredet. Ist Ihr Drang,
zu reden, so groß? - Aber bitte.
Bitte.
Herr Kollege, sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Notifizierung
aller Fördermaßnahmen, die wir in der Vergangenheit auf
den Weg gebracht haben, immer zu Problemen geführt
hat, dass die EU-Kommission immer etwas gefunden hat,
von dem sie meinte, so könne es nicht gehen, und entsprechende Änderungen verlangt hat? Sind Sie weiterhin
bereit zuzugeben, dass es durchaus zu den Gepflogenheiten gehört, in Erwartung möglicher Kürzungsmaßnahmen
eine stärkere Förderung festzuschreiben, um letztlich das
Maß der Förderung erreichen zu können, das man haben
möchte?
({0})
Ich gestehe gerne zu, dass es schwierig ist, bei der
EU-Kommission derartige Beihilfen und Investitionszulagen durchzubekommen; die Begründungen für die
Maßnahmen müssen hieb- und stichfest sein. In dem vorliegenden Fall wurde der Umstand kritisiert, dass es keine
Unterscheidung zwischen Erst- und Ersatzinvestitionen
gegeben hat. Nach zehn Jahren Aufbau Ost muss man aber
in der Lage sein zu erkennen, dass jemand, der einen Betrieb neu gründet, eine andere Anschubfinanzierung
braucht als bereits wettbewerbsfähige Betriebe, die in der
Lage sind, ihre Ersatzinvestitionen aus eigenen Mitteln zu
tätigen.
Diese Unterscheidung mussten wir vornehmen; insofern ist die Kritik der Europäischen Union absolut berechtigt gewesen. Die CDU/CSU ist mit Steuermitteln
sehr großzügig umgegangen. Das hat sich offensichtlich
bis Brüssel herumgesprochen. Herr Kollege Schulz, die
wunderschönen Einkaufszentren auf der grünen Wiese
und die Investitionsruinen etwa in Leipzig zeugen davon.
Es war wichtig, dass in diesem Bereich Änderungen vorgenommen wurden. Deshalb sind wir zu der notwendigen
Differenzierung aufgefordert worden. Das haben wir getan und dieser Schritt ist mittlerweile auch anerkannt.
Wir haben eine Qualifizierung der Investitionszulage
und der Förderung Ost in der Hinsicht erreicht, dass bei
Erstinvestitionen eine Aufstockung auf 12,5 Prozent bzw.
25 Prozent bei kleinen und mittelständischen Unternehmen erreicht worden ist und dass es bei den Ersatzinvestitionen nicht mehr ganz so üppig läuft, wie das bislang
der Fall war. Das ist die eigentliche Sachlage.
In diesem Zusammenhang ist auch interessant zu erwähnen: Als diese Änderung erfolgt ist, konnte im Grunde
niemand genau sagen, wie der Förderumfang bei Erstund Ersatzinvestitionen genau beziffert werden kann.
So genau war das bis dahin nicht differenziert worden.
Aber dass Sie dann gleich damit hausieren gegangen sind,
dass dies 1 Milliarde DM weniger für den Aufbau Ost bedeuten würde, fand ich schon stark.
({0})
Bis heute ist es zu keinem Rückgang bei der Ostförderung gekommen. Wir sind im Gegenteil in der Lage, gerade den neu gegründeten Unternehmen wesentlich zu
helfen. Aber die eigentlichen Änderungen, die beim Investitionszulagengesetz vorgesehen sind, beziehen sich ja
eher darauf, dass wir die Fördersätze für das Land Berlin
von 25 Prozent auf 20 Prozent zurücknehmen müssen und
dass wir vor allen Dingen die Leitlinien der Europäischen
Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und
Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten
- so kompliziert wird das ausgedrückt - mit aufnehmen
müssen. Dem ist Genüge getan worden. Dies ist jetzt im
Gesetz enthalten. Das sind eigentlich die wesentlichen
Veränderungen und nicht das viele Kleingedruckte, das
Sie hier als das vorgestellt haben, was in diesem Gesetz
verändert worden ist.
Dass uns in letzter Minute noch eine Menge Änderungen zugemutet wird, erfreut keinen Parlamentarier und
strapaziert, glaube ich, jeden. Auch wenn das früher bei der
alten Regierung passiert ist, habe ich es gerügt. Dass dies
nun wieder der Fall ist, hängt möglicherweise damit zusammen, dass wir es mit den gleichen Beamten aus den
Ministerien zu tun haben. Wir sollten nicht nur über Tariferhöhungen, sondern vielleicht auch einmal über Qualitäts- und Leistungskriterien im öffentlichen Dienst reden.
So weit zur Änderung des Investitionszulagengesetzes.
({1})
Werner Schulz ({2})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Cornelia Pieper.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Investitionszulagengesetzes vom 18. August 1997 hat die damalige Bundesregierung aus Union und F.D.P. eines der
wichtigsten Förderinstrumente für die kleinen mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundesländern in
Gang gesetzt.
({0})
Ich sage Ihnen auch, meine Damen und Herren: Die
Ausgabe von Steuermitteln in Milliardenhöhe war gerechtfertigt. Ich will das kurz begründen.
Die Lage der kleinen mittelständischen Unternehmen
bleibt auch nach zehn Jahren deutscher Einheit zwischen
Ost und West grundsätzlich gespalten. Der typische mittelständische Betrieb „Made in West-Germany“ hat rund
300 Beschäftigte und ist im Osten eher selten zu finden.
Dominierend sind hier kleine und Kleinstunternehmen
mit maximal zehn Beschäftigten. Dementsprechend sieht
natürlich auch die Eigenkapitaldecke aus. Für kleine mittelständische Unternehmen ist sie nach Auskünften der
Deutschen Ausgleichsbank rückläufig, das heißt, der Eigenkapitalstock liegt nach zehn Jahren unter der 10-Prozent-Grenze.
In diesem Sinne sind Investitionszulagen für Erst- und
Ersatzinvestitionen eigentlich so etwas wie ein Rechtsanspruch auf direkte Förderung, der in keinem anderen Gesetz ohne langwieriges Antragsverfahren gewährt wird.
({1})
Nicht nur Neugründungen, gerade auch die Bestandssicherung von mittelständischen Unternehmen bleibt ein
zentrales Thema für die Politik. Gerade deshalb ist es eigentlich notwendig, die Förderung von Folge- bzw. Ersatzinvestitionen fortzuführen. Wir halten deswegen das
Auslaufen der Investitionszulagen für Ersatzinvestitionen
für falsch, glauben aber, dass auf dem Weg über das Gutachten eine Lösung aufgezeigt wurde, um dies wieder
rückgängig zu machen.
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich
um die notwendige Umsetzung einer EU-Richtlinie, die
es erforderlich macht, die Förderung zielgenauer zu gestalten. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen, wenn
die Treffsicherheit der Fördermaßnahmen für die Unternehmen erhöht wird. So werden - das wurde schon erwähnt - Teile Berlins und Brandenburgs - Teile, die zum
so genannten Speckgürtel gehören - in Zukunft nicht
mehr die erhöhte Förderung bekommen. Insgesamt werden die Investitionszulagen für Erstinvestitionen um jeweils 2,5 Prozent erhöht. Die Ersatzinvestitionen für das
Handwerk laufen im Jahr 2001 vorzeitig aus. Das halten
wir für das falsche Signal.
Trotz des Erfordernisses, das Investitionszulagengesetz EU-konform zu gestalten, gibt es zwei gravierende
Kritikpunkte, die ich der rot-grünen Bundesregierung aufzeigen möchte.
Erstens. Angesichts der bevorstehenden EU-Osterweiterung hätten wir eine Parteinahme für alle neuen
Bundesländer gegenüber der EU hinsichtlich erhöhter
Fördersätze für die Randgebiete, die an Osteuropa grenzen, erwartet. Bis jetzt sind Mecklenburg-Vorpommern,
Sachsen, Brandenburg und Thüringen berücksichtigt.
Sachsen-Anhalt bleibt außen vor. Sicherlich liegt Sachsen-Anhalt nicht an einer der Grenzen zu Osteuropa, aber
Thüringen auch nicht.
Handwerksbetriebe, Mittelständler und Freiberufler in
den neuen Bundesländern befürchten, dass sie angesichts
ihres rückläufigen Kapitalstocks förmlich überrannt werden, wenn Polen und Tschechien in die EU integriert werden; denn das wird einen ungeheuren Wettbewerbsdruck
zur Folge haben. Ich glaube, dass man diese Ängste ernst
nehmen muss. Wo bleibt das Engagement der Bundesregierung, den kleinen und mittelständischen Unternehmen
in den neuen Bundesländern mit einheitlich erhöhten Fördersätzen den Rücken zu stärken? Sie setzen zwar gesetzestechnisch die Vorgaben der EU-Richtlinie um. Aber
Sie kämpfen erst gar nicht, wenn die neuen Bundesländer
über das dort vorgegebene Maß hinaus gefördert werden
sollen.
Zweitens. Die Gesetzesänderung - das wurde schon
angesprochen - erfordert ein Finanzvolumen von
2,5 Milliarden DM. Aber die Steuermehreinnahmen, die
durch diese Gesetzesänderung erzielt werden, betragen
3,5 Milliarden DM. Es bleibt also 1 Milliarde DM übrig,
die einfach im Bundeshaushalt verschwindet. Warum
lässt man diese Milliarde nicht in die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur bzw. in das Programm zur Förderung innovativer Wachstumskerne in den neuen Ländern, das von
der Bundesregierung - das halte ich für richtig - aufgelegt
worden ist, fließen?
({2})
Um es auf den Punkt zu bringen: Sie kommen mit
Ihrem Gesetzentwurf zwar rein technokratisch dem Erfordernis nach, die Vorgaben einer EU-Richtlinie umzusetzen. Die rot-grüne Bundesregierung ist nicht der Anwalt von Handwerk und Mittelstand in den neuen
Ländern. Das hat diese Gesetzesänderung wieder einmal
gezeigt.
({3})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie die anderen Fraktionen wird
auch die PDS-Fraktion dem vorliegenden Gesetz zustimmen. Wir begrüßen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes, weil die direkte
Wirtschaftsförderung gestärkt wird. Sie ist vom Prinzip
her zielgenauer und effektiver als steuerliche Förderungsinstrumente. Sie ermöglicht es, insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen in Notsituationen zu helfen.
Steuerliche Förderung funktioniert nun einmal nach
dem Gießkannenprinzip und nutzt vor allem ertragsstarken Unternehmen. Deshalb haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode ein Einkommensteuerkonzept vorgelegt, in dem vorgeschlagen wurde, einen Großteil der
steuerlichen Vergünstigungen für Unternehmen zugunsten der direkten Wirtschaftsförderung zu streichen. Zu
den Inhalten haben sich meine Vorrednerinnen und Vorredner schon ausführlich geäußert.
Mit dem Gesetzentwurf wird das geltende Recht an
EU-Recht angepasst. Der bisherige Verlauf der Debatte
dürfte bestimmt Befremden insbesondere bei den Zuhörerinnen und Zuhörern auf der Besuchertribüne ausgelöst
haben. Obwohl die Investitionszulagenförderung das
Thema ist, wird hier über das Gemeinnützigkeitsrecht,
über die „Goldene Eins“ und - im Zusammenhang mit
Mehrwertsteuerbetrug - über das Bundesamt für Finanzen geredet.
Einen Punkt muss man wirklich sehr scharf kritisieren:
Die steuerliche Behandlung von Verlusten aus dem Aktien- und Derivatenhandel wird im jetzt vorgelegten Gesetz wieder neu geregelt.
Diese Änderung ergibt sich als Folge aus dem Steuersenkungsgesetz. Gerade wurde das Steuersenkungsergänzungsgesetz verabschiedet. Nun kommt wieder eine Ergänzung. Ich frage mich, welche Gesetzestechnik das ist,
wenn fast jedes Gesetz, insbesondere solche aus dem
Finanzministerium, nach dem Gesetzgebungsverfahren
eine erste, eine zweite und vielleicht noch eine dritte
Nachbesserung erfordert.
({0})
Es ist bezeichnend, wenn Sie eine Änderungs- und Ergänzungspolitik bei Gesetzgebungsverfahren machen.
Ein solches Gesetzgebungsverfahren macht es für Bürgerinnen und Bürger immer schwerer, überhaupt zu verstehen, was im Bundestag passiert. Die Transparenz von Gesetzgebungsverfahren, von Gesetzen hat unmittelbar
Bezug auf die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger,
die sich selbst kundig machen wollen. Ich finde es sehr
befremdlich, wenn Frau Hendricks als Staatssekretärin
bei der Ausschussberatung sagt: Dieses Gesetz versteht
niemand mehr. - Scheinbar ist es so, dass wir Gesetze
nicht für die Menschen machen, die davon betroffen sind
und die damit umgehen sollen, sondern für Steuerberater,
Wirtschaftsprüfer, Anwälte und andere. So verstehe ich
unsere Aufgabe im Bundestag nicht.
({1})
Ich habe ein anderes Demokratieverständnis.
Ich fordere Sie aus Anlass der Beratung dieses Gesetzes deshalb auf, den Gesetzgebungsstil sehr kritisch zu
hinterfragen und zu ändern. Gesetze müssen auch von den
so genannten normalen Menschen, die im täglichen Leben
stehen und einem Beruf nachgehen, verstanden werden
können. Nur dann haben wir im Parlament unsere Arbeit
gut und richtig erledigt.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Dr. Barbara Hendricks.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Erlauben Sie mir eine ganz kurze Bemerkung. Der wesentliche Gegenstand des Investitionszulagengesetzes ist die verlässliche Förderung der Unternehmen in den neuen Bundesländern. Darauf wird Herr
Kollege Schwanitz noch eingehen.
Ich will etwas zu dem sagen, was an das Gesetzgebungsverfahren angehängt worden ist, und um Verständnis dafür werben, weil es möglicherweise falsch verstanden werden könnte. Zum einen mussten wir aufgrund von
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes sehr rasch tätig
werden. Das war bei den Gemeinnützigkeitsregelungen
der Fall. Zum anderen kann der Fall eintreten, dass man
einen Gesetzestatbestand für einen kleinen Regelungsgegenstand braucht. Das betrifft in diesem Fall die Zuständigkeit des Bundesamtes für Finanzen bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges. Die Alternative wäre,
dass man für diesen kleinen Regelungsgegenstand ein eigenes Gesetz machen würde. Es ist hierbei die Frage, ob
es nicht arbeitsökonomisch ist, ein anderes Steuergesetz
als Vehikel zu nutzen, um kleine Regelungsgegenstände
dort unterzubringen. Dies haben wir getan. Ich bitte hier
um Verständnis. Man kann nicht sagen, dass es an der Unfähigkeit der Beamten liegt, dass so verfahren wird. Es hat
etwas mit der Arbeitsökonomie dieses Parlamentes zu tun.
Ganz kurz zu dem, was Sie, Frau Höll, gerade gesagt
haben. Ich habe nicht gesagt, dass dieses Gesetz sowieso
keiner versteht, sondern ich habe zugesagt, zu diesem Regelungstatbestand eine Broschüre des Bundesfinanzministeriums herauszugeben, die leicht verständlich ist.
Das kommt den Bürgern auf jeden Fall eher entgegen, als
wenn man sie auf den Gesetzestext verweist.
({0})
Ich halte es im Übrigen für eine Mär, wenn man verlangt, dass alle Gesetze aus sich selbst heraus und für alle
Bürgerinnen und Bürger verständlich sein sollen. Alle
Juristen dieses Landes leben davon, Kommentare zu Gesetzen zu schreiben: vom Wasserrecht in Nordrhein-Westfalen, zu dem Herr Rüttgers einen Kommentar geschrieben hat, bis zum Grundgesetz. Wenn also alle Gesetze aus
sich selbst heraus verständlich wären, dürfte es juristische
Kommentare gar nicht geben.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Staatsminister Rolf Schwanitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zum Schluss der Debatte eine Bemerkung zur
Bedeutung dieses Gesetzes machen. Das Gesetz zur Änderung des Investitionszulagengesetzes 1999 ist nach
Auffassung der Bundesregierung wichtig für den weiteren
wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern. Die
Bedeutung dieses Themas darf überhaupt nicht klein geredet werden. Ich will dazu drei Bemerkungen machen.
Der erste Grund dafür hängt mit der Entstehungsgeschichte des Investitionszulagengesetzes 1999 zusammen.
Das hat der Kollege Werner Schulz bereits angesprochen.
Ich erinnere mich noch an die Debatte 1996/1997, als man
über Fraktionsgrenzen hinweg zu der Auffassung kam,
dass man von einer Förderung über Sonderabschreibungen
wegkommen, zu einer unmittelbaren Förderung der Investitionszulagen im Interesse der Indus-trie und des industrienahen Dienstleistungsbereiches gelangen, den Kapitalstock stärken und etwas für die Eigenkapitalbildung tun
sollte. Das war die Geburtsstunde dieser seinerzeit überfraktionell getragenen Veränderung.
Damals ist es allerdings nicht gelungen - das war noch
in den letzten zwei Jahren Ihrer Tätigkeit -, für das I-Zulagengesetz 1999 die Genehmigung in Brüssel zu erlangen. Das heißt, das Flaggschiff der Investitionsförderung
in den neuen Bundesländern lag in einer nicht rechtsverbindlichen Fassung für die ostdeutschen Unternehmen vor.
Das war die Ausgangsposition. Im Dezember 1998 bekamen wir eine Teilgenehmigung für 1999, jedoch nur bezogen auf die Erstinvestitionen und begrenzt auf die Region
Berlin. Natürlich waren damit Verunsicherungen für die
ostdeutschen Unternehmungen verbunden, was die mittelfristige Ausgestaltung dieses wichtigen Gesetzes anging.
Dass es mit diesem Änderungsgesetz jetzt gelingt, eine
Genehmigung aus Brüssel sicherzustellen, die eine Fördersicherheit und damit verbunden auch eine Investitionssicherheit für die gesamte Periode bis 2004 beinhaltet,
ist ein ganz wichtiges Element für die wirtschaftlichen
Aufbauleistungen in den neuen Bundesländern, meine
Damen und Herren. Das ist der erste Grund dafür, dass
dieses Gesetz von großer Bedeutung ist.
Als zweiten Grund spreche ich die Veränderungen an,
die wir zwar nicht unmittelbar mit dem Änderungsgesetz,
aber zuvor mit dem Steueränderungsgesetz 1999 vorgenommen haben. Wir haben einen Schwerpunkt auf
Erstinvestitionen gesetzt. Dieses Thema haben wir nicht
nur vor dem Hintergrund der Beanstandungen aus Brüssel aufgegriffen, sondern auch deshalb, weil es mit einer
für die neuen Bundesländer wichtigen Innovationsstrategie korrespondiert: mit einer Konzentration der Förderung, die zugleich verstärkt wird, auf neue Erzeugnisse
und neue Technologien. Dies bringen wir mit unserem
Gesetzentwurf für die Zeit bis 2004 auf den Weg. Ich bin
davon überzeugt, dass dies eine wichtige und richtige
Weichenstellung für die Modernisierung in den neuen
Ländern ist.
Eine dritte Bedeutung dieses Gesetzes kann gar nicht
klein geredet werden: Das Änderungsgesetz schafft im
Zusammenhang mit den Veränderungen, die Berlin und
den Speckgürtel um Berlin betreffen, eine bessere Förderungspräferenz für den grenznahen Bereich im Osten und
Süden der neuen Länder, also im Grenzraum zu den potenziellen Beitrittskandidaten. Die I-Zulage wird, bezogen auf die Grundförderung, auf 15 Prozent und, bezogen
auf die erhöhte Förderung der kleinen und mittelständischen Unternehmen, auf 27,5 Prozent erhöht. Auch das ist
ein ganz wichtiges Element für eine benachteiligte und
mit großen Problemen belastete Region, die für den vor
uns stehenden Prozess der EU-Osterweiterung fit gemacht werden müssen. Ich erinnere daran, dass beispielsweise die SPD-Bundestagsfraktion dazu Erwartungshaltungen formuliert hat. Wir steigen hier jetzt in eine
Stärkung der Investitionsanreize ein, wenn man es an der
Subventionsintensität misst; das Ganze ist ja steuerfrei.
Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren: Die
I-Zulage ist in den letzten Monaten und Jahren mit dem
Image einer nicht zielgenauen, nach dem Gießkannenprinzip funktionierenden Förderung verbunden worden.
Herr Kollege Schulz hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Rechtsanspruch für einen investierenden Unternehmer einen nicht zu unterschätzenden Tatbestand
darstellt. Mit der Konzentration auf Erstinvestitionen und
der regionalen Differenzierung machen wir deutlich, dass
die I-Zulage ein modernes Instrument ist, das sein
schlechtes Image überhaupt nicht verdient. Deshalb ist es
gut, wenn diese Gesetzesnovelle einen so breiten Konsens
erfährt.
Schönen Dank.
({0})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Investitionszulagengesetzes, Drucksachen 14/3273
und 14/4624. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das
ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in der dritten Lesung einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Auswirkungen der Ökosteuer und der hohen
Kraftstoffpreise auf den Deutschlandtourismus
- Drucksachen 14/3867, 14/4334 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Klaus
Brähmig.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute debattieren wir über die Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu den
Auswirkungen der Ökosteuer und der hohen Kraftstoffpreise auf den Deutschlandtourismus vom 4. Juli 2000.
Einleitend möchte ich auf einige grundlegende Punkte
in der Beantwortung der Anfrage eingehen. Ich stütze
mich dabei auf den Titel der „Bild“-Zeitung von heute
- dort werden die Belastungstatbestände ganz klar zusammengefasst -: Ökosteuer - Macht sie den ganzen Aufschwung kaputt?
({0})
Die Bundesregierung behauptet wiederholt, dass der
Tourismusstandort Deutschland von der Ökosteuer profitiert, da sie einen Beitrag zum Erhalt einer intakten Umwelt und Natur leistet. Hören Sie endlich auf, sich selbst
zu belügen! Das Herbstgutachten der sechs führenden
wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute hat
doch deutlich nachgewiesen, dass die Ökosteuer aufgrund
der vielen Ausnahmetatbestände in ihrer jetzigen Form
keinerlei positive Lenkungseffekte für die Umwelt hat.
({1})
Die nun von der Bundesregierung geplanten Ausgleichsmaßnahmen konterkarieren dieses Ziel zusätzlich.
Weiterhin behauptet die Bundesregierung wiederholt,
dass die Einnahmen aus der Ökosteuer ausschließlich zur
Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden.
({2})
Hören Sie auf, die Öffentlichkeit zu belügen!
({3})
Eine kurze Berechnung zeigt, dass im Jahre 2003 der
Beitragssatz in der Rentenversicherung auf 18,2 Prozent
sinken könnte. Sie aber wollen den Beitragssatz bei
19,2 Prozent belassen. Der Rest fließt zweckentfremdet in
den Bundeshaushalt.
({4})
Außerdem behaupten Sie, dass es keine Anzeichen für
eine besondere, durch die Ökosteuer verursachte Belastung der deutschen Tourismuswirtschaft gibt.
({5})
Hören Sie auf, die gesamte Branche zu belügen! Denn
natürlich gehört die deutsche Tourismuswirtschaft zu den
besonders betroffenen Branchen. Dies gilt vor allem für
den Deutschlandtourismus, der überwiegend durch mittelständische und eigentümergeführte Betriebe strukturiert ist.
Mobilität ist das Lebenselixier für den Deutschlandtourismus und die deutsche Wirtschaft insgesamt. 50 Prozent des PKW-Verkehrs in Deutschland sind auf Freizeitund Urlaubsverkehr zurückzuführen. Der Anteil der Nutzung des eigenen PKWs bei Urlaubsreisen im Inland wird
auf 73 Prozent und der Anteil der Busse auf weitere
10 Prozent geschätzt.
Da nach den vorläufigen Berechnungen des Mineralölwirtschaftsverbandes in den ersten zehn Monaten dieses
Jahres der Mineralölabsatz um 3,7 Prozent gegenüber
dem Vorjahrszeitraum zurückgegangen ist, nimmt die
Mobilität anscheinend deutlich ab. Der Bürger kann nicht
bei den Wegen zur Arbeit einsparen und eine Flottenumstellung kann diesen Rückgang beim Mineralölabsatz so
kurzfristig nicht realisieren. Die Einsparungen gehen also
größtenteils zulasten des Urlaubs- und Freizeitverkehrs.
({6})
- Frau Kollegin Irber, das dürfte auch Ihnen letztendlich
nicht entgangen sein.
Der Rückgang an Mobilität ist auf zwei Ursachen
zurückzuführen: die Ökosteuer und die gestiegenen Energiepreise. Beide sorgen für deutliche Kaufkrafteinbußen
bei unserer Bevölkerung. Allein durch die Ökosteuer wird
ein verheirateter Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttoeinkommen von 60 000 DM nach der erneuten Anhebung zum 1. Januar 2001 um 7 Pfennig inklusive Mehrwertsteuer und mit einer Jahresfahrleistung von
20 000 Kilometern im nächsten Jahr 179 DM weniger in
der Tasche haben; ein Rentnerhaushalt mit 12 000 Kilometern Jahresfahrleistung wird sogar 432 DM weniger
haben.
({7})
- Der Rentner zum Beispiel gar nichts. - In beiden Fällen
steigt die Mehrbelastung in den Folgejahren noch kräftig
an. In diesen Zahlen ist die neue Entfernungspauschale
mit 80 Pfennig pro Kilometer und die Entlastung bei der
Sozialversicherung schon berücksichtigt.
({8})
Meine Damen, meine Herren, nach Berechnungen des
Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung haben die privaten Haushalte durch die gestiegenen Energiekosten und die Ökosteuer vom 2. Quartal
1998 zum 2. Quartal 2000 einen Kaufkraftverlust von
37,3 Milliarden DM hinnehmen müssen. Die von der
Bundesregierung genannte Entlastung der privaten
Haushalte im Zuge der Steuerreform 2000 von rund
33 Milliarden DM ist also bereits mehr als verfrühstückt.
Bei anhaltend hohen Energiekosten wird die von der
Bundesregierung angegebene Gesamtentlastung von
65 Milliarden DM im Zeitraum von 1998 bis 2005 noch
nicht einmal die höheren Energiekosten kompensieren.
Hören Sie auf, sich selbst zu belügen!
Insofern sind sehr wohl Rückgänge im Deutschlandtourismus zu befürchten. Bei den durchgeführten Reisen
wird durch die Kaufkraftminderung natürlich bei Ausgaben am Zielort gespart. Einbußen bei der Hotellerie und
Gastronomie, beim Einzelhandel, beim Souvenirverkauf
sowie bei Ausflügen oder Konzertbesuchen sind vorprogrammiert. Schon jetzt stagniert im Gastgewerbe der Umsatz und sinkt die Zahl der Arbeitsplätze. Belügen Sie also
nicht die Öffentlichkeit über die „Boombranche Tourismus“, indem Sie einseitig auf steigende Gäste- und Übernachtungszahlen in ausgewählten Regionen und Städten
hinweisen.
({9})
- Wir werden das dann weiter ausdiskutieren.
({10})
Ich fordere den Bundeskanzler, der heute leider nicht
anwesend sein kann, auf: Verzichten Sie auf einen weiteren Schluck aus der von Ihnen so geliebten „Ökopulle“ ab
dem 1. Januar 2001
({11})
und holen Sie sich lieber noch ‘ne Flasche Bier, die trinken wir dann hier!
({12})
Auch letztes Jahr wurde vom Bundeskanzler ein Weihnachtsgeschenk verteilt; ich erinnere an den Fall Holzmann AG.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Aufforderung an die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen lautet: Setzen Sie die Ökosteuer aus!
({13})
Machen Sie der deutschen Wirtschaft und besonders der
Tourismusbranche dieses Weihnachtsgeschenk! Die Flasche Bier erhalten Sie dann von der Branche gratis.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stelle immer wieder fest, dass die
Zwischenrufe umso lauter ausfallen, je weniger Abgeordnete im Raum sind.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Brunhilde Irber.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müsste ich jetzt mein
Manuskript zur Seite legen und dir, lieber Kollege
Brähmig, einmal ein wenig heimleuchten. Du bist
schlecht beraten, wenn du deine Informationen über einen
angeblichen Kaufkraftverlust nur aus der „Bild“-Zeitung
beziehst. Manchmal kommt es mir schon so vor, als leide
die Opposition an Realitätsverlust und Gedächtnisschwund.
({0})
Es tut mir Leid, aber das musste ich jetzt sagen, obwohl
heute Freitag ist und wir kurz davor sind, ins Wochenende
aufzubrechen.
Gedächtnisverlust liegt, wenn ich daran erinnern darf,
insoweit vor, als die Parteivorsitzende Merkel früher als
Umweltministerin ständig die Ökosteuer gefordert hat,
({1})
um eine Entlastung der Arbeit zu erreichen. Genau das
haben wir dann gemacht.
Jetzt muss ich Ihnen noch etwas anderes sagen: Lieber
Herr Brähmig, auch diese Woche treiben Sie die Ökosteuer wieder durchs Dorf,
({2})
diesmal unter dem Deckmantel des Tourismus. Leider fallen Sie dieses Mal damit herein, weil es nicht gelingen
wird, auch noch den Deutschlandtourismus schlecht zu
reden.
({3})
Es genügt schon, dass der Standort Deutschland immer
schlecht geredet wird; der Gipfel der Frechheit ist es aber,
auch noch den Tourismusstandort Deutschland herunterzumachen.
({4})
- Nein, das stimmt nicht! Das möchte ich auch belegen.
Ich habe hier einen Sonderdruck aus „Wirtschaft und
Statistik“ des Statistischen Bundesamtes dabei. 1999,
heißt es hier, war ein Rekordjahr im deutschen Inlandstourismus.
Als weiteren Beleg darf ich noch auf den Artikel „Tourismus in Deutschland brummt“ in der „Welt“ vom
31. Oktober 2000 - also ganz aktuell - verweisen, in dem
Herr Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotelund Gaststättenverbandes, ganz klar zum Ausdruck
bringt, dass unsere Politik richtig ist und dass sie dazu geführt hat, den Deutschlandtourismus zu steigern.
({5})
- Ich komme noch darauf.
Ich muss schon sagen: Die Opposition ignoriert einfach alles. Sie ignorieren die Erholung auf dem Arbeitsmarkt, Sie ignorieren die Erholung der Sozialsysteme
- mit der Absenkung der Lohnnebenkosten, die über die
Ökosteuer finanziert wird -, Sie ignorieren die Stabilisierung der Rentenversicherung und Sie ignorieren, dass wir
die dramatisch hohen Lohnnebenkosten, die wir aus Ihrer
Zeit übernommen haben, gesenkt haben und weiter senken werden.
({6})
- „Quatsch“ kann man natürlich sagen, wenn man alles
ignoriert. - Sie ignorieren auch, dass der Mittelstand
enorme Probleme dadurch bekommen hat, dass die Lohnnebenkosten immer weiter in die Höhe geklettert sind.
Dann hat man mit 630-Mark-Kräften und mit jugendlichen Auszubildenden versucht, das Problem zu lösen wohlgemerkt auf deren Kosten. Das geht mit uns nicht.
({7})
Sie haben nur partielle Interessen, Sie übernehmen
keine Gesamtverantwortung. Sie suchen sich einige
Gruppen heraus und glauben, wenn Sie die befriedigen
können, hätten Sie einen Dienst für das ganze Volk getan.
Es geht Ihnen immer nur ums Geld. - Wenn ich boshaft
wäre, würde ich sagen: Es geht nur um Bimbes. Ich bin
heute aber gnädig und sage es nicht. ({8})
Es ist das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
unseres ganzen Landes, nicht nur das Geld einiger Interessengruppen.
Jetzt zum Tourismus: Der Tourismus ist eine Wachstumsbranche. Wie kommen Sie eigentlich auf die Idee,
das in Abrede stellen zu wollen? Das zieht nicht mehr, die
Platte hat einen Sprung. Ich möchte Sie daran erinnern,
was Sie schon alles gefordert haben, wo Sie überall das
angebliche Siechtum der Branche an die Wand gemalt haben. Es gab von Ihnen große Worte zur Senkung der
Mehrwertsteuer im Gastgewerbe; Sie meinten, ohne diese
Senkung gebe es ein Hotelsterben. Tatsache ist: Die Hotellerie liegt auf Erholungskurs. Die durchschnittliche
Auslastung der Hotels ist - trotz Ökosteuer - im vergangenen Jahr von 61,1 auf 63,6 Prozent gestiegen.
({9})
Hier eine kleine Anmerkung: Genau wie der Hotelverband Deutschland habe ich nicht die Auslastung der Betten gemeint, sondern die Zimmerauslastung. Die Bettenauslastung ist aber ebenso gestiegen.
Dann haben Sie ein großes Schreckensszenario im Zusammenhang mit der Neuregelung bei den 630-MarkJobs an die Wand gemalt. Faktum ist, dass jetzt 5 Milliarden DM pro Jahr in die Sozialversicherung fließen. Dies
entlastet die Lohnnebenkosten und stabilisiert unsere Sozialversicherungssysteme.
({10})
Jetzt kommen Sie mit Ihrem Gerede daher, dass wegen
der Ökosteuer eine Katastrophe im Tourismus zu erwarten wäre.
({11})
- Das passt uns schon. Wir können das leicht parieren.
Die Warnungen der Opposition waren bisher in allen
Punkten falsch.
({12})
- Jetzt passen Sie einmal auf, Herr Burgbacher und Herr
Brähmig! - Während Ihrer Regierungszeit ist die Kapazitätsauslastung in den Hotels kontinuierlich heruntergegangen,
({13})
und zwar von 1992 bis 1998 um 11 Prozent in den neuen
Bundesländern. In unserer Regierungszeit haben wir allein von 1998 bis 1999 2 Prozentpunkte zurückgewonnen.
({14})
- Ja, genau.
Eines sage ich noch dazu, weil Sie hier immer die hohen Energiekosten, speziell die Benzinkosten, ansprechen - Herr Brähmig, seien Sie jetzt einmal ein bisschen
aufmerksam; vielleicht können Sie sich auch hier noch
bilden -: Der Deutschlandtourismus ist im Wesentlichen
erdgebunden, also von der Ökosteuer belastet. Sie haben
es angesprochen: Das Auto ist - das ist richtig - das
Hauptverkehrsmittel. Trotzdem verzeichnen wir in diesem Bereich Steigerungen. Die Dresdner Bank hat ermittelt, dass im Vergleich von 1998 auf 1999 die erdgebundenen Reisen um 5 Prozent zugelegt haben - das kann
man nicht wiederlegen -, trotz Ökosteuer.
({15})
Natürlich werden Sie in der Antwort der Bundesregierung auch Problembeschreibungen für einzelne Branchen
finden.
({16})
Die Schausteller stehen sich schlechter - das geben wir
zu - und auch das Gastgewerbe bilanziert negativ.
Aber warum gibt es denn diese Problembereiche? Ich
muss jetzt noch einmal auf die Ökosteuer und die Lohnnebenkosten eingehen. Sie haben in Ihrer Regierungszeit
die Lohnnebenkosten immer weiter in die Höhe getrieben.
Diese Branchen sind dann natürlich ausgewichen und haben - wie schon erwähnt - Auszubildende eingestellt, Familienangehörige und 630-Mark-Beschäftigte beschäftigt. Die können natürlich nicht entlastet werden über eine
Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Wer keine
Sozialversicherungsbeiträge zahlt, kann auch nicht auf
diesem Wege entlastet werden. Die hat es jetzt erwischt
und deshalb können wir hier nichts ändern.
({17})
Der DEHOGA hat davon gesprochen, dass 40 Prozent
der Beschäftigung über 630-Mark-Verträge abgewickelt
werden. Solche Betriebe werden von einer unsozialen
Problemlösung natürlich eingeholt. Es ist auch kein Qualitätsmerkmal, wenn 40 Prozent der Beschäftigten in einer
Branche Aushilfskräfte sind.
({18})
Unsere Betriebe brauchen in Europa vergleichbare Wettbewerbsbedingungen. Deshalb haben wir mit der großen
Steuerreform die Steuern gesenkt. Wir haben die für Unternehmen relevanten Steuern, die Körperschaftsteuer und
die Einkommensteuer, gesenkt. Das können Sie beim besten Willen nicht ignorieren, weil es von allen Wirtschaftsverbänden anerkannt worden ist. Im europäischen Vergleich der Steuerbelastung sind wir jetzt in der Mittellage,
bei Ihnen waren wir ganz oben. Bei der Steuerquote liegen wir mit 21,9 Prozent jetzt im unteren Drittel und bei
der Abgabenquote mit 37,1 Prozent im Mittelfeld. Es ist
beschlossenes Programm dieser Bundesregierung, die
Abgabenquote noch weiter zu senken. Die Bemerkungen
zu den Steuersätzen lasse ich jetzt weg, weil ich noch etwas zum Tourismus an sich sagen möchte.
Wenn ich das letzte Jahr betrachte, stelle ich fest: 1999
war bereits ein Rekordjahr für das deutsche Beherbergungsgewerbe. Erstmals konnten die Hotels, Pensionen
und sonstigen Beherbergungsbetriebe mit neun und mehr
Betten in Deutschland über 100 Millionen Gäste begrüßen.
({19})
Dieser positive Trend hält auch im Jahr 2000 an: In den
ersten sieben Monaten sind die Übernachtungen um
weitere 6,1 Prozent gestiegen, und die Anzahl der Auskünfte ausländischer Gäste hat sich um 8,8 Prozent erhöht. Die Zahl der Übernachtungen von ausländischen
Gästen ist um 9 Prozent gestiegen.
Auch hier ist das Handeln der Bundesregierung die
Ursache. Herr Brähmig, Sie wissen, dass wir DZT-Mittel
angehoben haben und auf positive Effekte verweisen
können.
({20})
Aber auch das ignorieren Sie. Sie fordern immer wieder
mehr Geld.
Bei den Inlandsreisen verzeichnen wir ebenfalls eine
deutliche Steigerung. 1999 ist die Gesamtzahl der Inlandsreisen mit wenigstens einer Übernachtung um
6,3 Prozent auf 55 Millionen gestiegen und im ersten
Halbjahr 2000 stieg diese Zahl erneut um 7 Prozent.
Ein Plus hat es auch beim Campingtourismus gegeben. Nach Rückgängen in drei aufeinander folgenden Jahren stieg hier die Zahl der Ankünfte in 1999 um 9,3 Prozent und die Zahl der Übernachtungen um 7,1 Prozent.
({21})
Auch die neuen Bundesländer profitieren von diesen
positiven Effekten unserer Wirtschaftspolitik. Der positive Trend aus 1999 hat sich im Jahr 2000 weiter verstärkt.
Paradebeispiele sind Mecklenburg-Vorpommern mit plus
23 Prozent bei den Übernachtungszahlen und Berlin mit
plus 31 Prozent - trotz Ökosteuer, Herr Brähmig!
({22})
Besonders erfreulich ist, dass der Trend sich auch auf
dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt niederschlägt. So
hat das Gastgewerbe 1999 die Rekordzahl von 13,7 Prozent mehr Ausbildungsplätzen gegenüber 1998 zur Verfügung gestellt. Das bedeutet, dass im Gastgewerbe 40 000
Ausbildungsverhältnisse neu begonnen wurden. Die Gesamtzahl der Ausbildungsplätze liegt jetzt bei rund
90 000. Das bedeutet allein im Gastgewerbe eine Steigerung der Ausbildungsplätze von 10,4 Prozent. Hinzu
kommen noch weitere Stellen in den übrigen Tourismusberufen. Diese Zahlen zeigen, dass der Tourismus boomt.
Es würde kein Personal eingestellt werden, wenn die
Wirtschaft kein Geschäft machen würde.
({23})
Die Leistungsträger können auf ihre Leistung stolz
sein. Ich möchte an dieser Stelle allen im Tourismus Beschäftigten für die großartige Leistung danken, die sie für
die deutsche Volkswirtschaft erbringen.
({24})
Der DEHOGA schreibt in seiner jüngsten Hotelmarktanalyse - ich zitiere -:
Nach einer fast zehn Jahre andauernden Durststrecke
weisen die Konjunkturindikatoren der deutschen
Hotellerie endlich eine nachhaltige Entlastung aus.
({25})
Das einzige Problem der deutschen Hotelbetreiber ist die
selbstgeschaffene Überkapazität. Wir müssen aufpassen,
dass nicht noch weitere Überkapazitäten - und damit eine
Verstärkung des Verdrängungswettbewerbs - entstehen.
({26})
Nochmals der Hinweis: Der Deutschlandtourismus ist
im Wesentlichen erdgebunden. Ihrer Theorie zufolge
müssten wir in diesem Bereich sinkende Zahlen haben.
Aber die Zahlen weisen nach oben.
Ich möchte nochmals den DEHOGA als Zeugen anführen. Herr Ehlers sagte am 30. Oktober in der „Welt“:
Die Talsohle der letzten Jahre scheint durchschritten.
Hotellerie und Gastronomie schauen zu großen Teilen wieder mit Optimismus in die Zukunft.
Herr Brähmig, der DEHOGA schaut also mit Optimismus
in die Zukunft. Das gilt für die Hotellerie und für die Gaststättenbetreiber; bei Letzteren allerdings besteht - das
gebe ich zu - „gedämpfter Optimismus“.
Wir haben in den ersten zwölf Monaten unserer Regierungszeit gezielt die Kaufkraft gestärkt. Wir haben das
Kindergeld zweimal erhöht, die Einkommen- und Unternehmensteuern gesenkt sowie ein Förderprogramm für
mehr Qualifizierung und Ausbildung im Tourismusbereich aufgelegt. Jede Familie mit zwei Kindern und einem
durchschnittlichen Einkommen - 50 000 DM im Jahr wird nach der Steuerreform 2 500 DM mehr in der Tasche
haben. Dieses Geld fließt unter anderem in den Urlaub
und damit in den Tourismus.
Liebe Frau Kollegin, jetzt muss ich Sie doch ermahnen, zum Schluss zu
kommen.
Ich darf zum Schluss noch auf
das Modellprojekt verweisen, das wir finanzieren und das
für die Branche bestimmt sehr wichtig ist.
Herr Brähmig, ich möchte Ihnen ans Herz legen:
Schauen Sie sich die Zahlen an! Dann kommen Sie selbst
zu der Erkenntnis, dass es dem Deutschlandtourismus gut
geht, seit wir an der Regierung sind. Das wollen wir bleiben, damit es dem Deutschlandtourismus noch besser
geht.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Irber,
das Wort vom Realitätsverlust fällt auf die zurück, die es
gebraucht haben.
({0})
Die Behauptung, der Deutschlandtourismus laufe besser,
seit Sie an der Regierung sind, soll jeder selbst beurteilen.
Sie verschweigen dabei völlig, dass wir insgesamt gesehen eine wirtschaftliche Erholung haben
({1})
und dass wir erheblich höhere Steuereinnahmen haben.
An beiden Entwicklungen hat die Regierung mit Sicherheit keinen Anteil. Diese Entwicklung gibt es in Europa
insgesamt, was Sie offenbar nicht begreifen.
({2})
Sie reden über Steuererhöhungen.
({3})
Wir hätten eine Steuerreform mit deutlichen Entlastungen vor drei, vier Jahren haben können. Aber Sie haben
sie abgelehnt.
Einige Punkte, die angesprochen wurden, fordern mich
zu einer Entgegnung heraus. Angesichts meiner kurzen
Redezeit will ich aber nur auf die wichtigsten Punkte eingehen.
Wir haben im Tourismus Entwicklungen, die weder mit
Ihrer noch mit unserer Politik zusammenhängen, sondern
einfach dem Trend entsprechen.
({4})
Wir haben ein völlig verändertes Urlaubsverhalten. Wir
haben ein neues Marketing bei der DZT, mit dem schon
weit vor Ihrer Regierungszeit angefangen wurde.
({5})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nur schreien und
lachen kann, entlarvt sich selbst. Zuhören wäre vielleicht
besser.
({6})
Ich finde es angesichts der Bedeutung dieses Themas beschämend, dass Sie bei der Rede des Kollegen Brähmig
nur gegrinst und gelacht haben. Das muss ich Ihnen ganz
offen sagen.
({7})
Wir hatten in diesem Jahr die EXPO, die Weltausstellung. Im Tourismusausschuss haben Sie in dieser Woche
alle gesagt, dass die Ausstellung tolle Auswirkungen auf
den Deutschlandtourismus hatte. Aber in dieser Debatte
stellen Sie es so dar, als wäre das Ganze ein Verdienst der
Regierung. Sie füllen nicht die Betten der Hotels, das machen immer noch die Gäste!
({8})
Lassen Sie mich in aller Kürze noch drei Punkte ansprechen.
Erstens. Wenn Sie von Realitätsverlust reden, bitte ich
Sie, sich doch auch einmal die Realitäten anzusehen. Es
ist überhaupt keine Frage, dass die Benzinpreiserhöhungen, an denen die Ökosteuer mit schuld ist - nicht alleine,
aber sie hat sie wesentlich mit beeinflusst -, und die Heizkostenerhöhungen im Geldbeutel ein Loch zurücklassen.
Wir haben schon heute genügend Prognosen, die zum
Ausdruck bringen, dass insbesondere der Hotel- und
Gaststättenbereich im Frühjahr darunter leiden wird, weil
das Verhalten der Menschen von dieser Situation psychologisch abhängig ist. Das wollen Sie nicht wahrhaben.
({9})
Zweiter Punkt. Wir haben bei der so genannten ökologischen Steuerreform eine wirklich schizophrene Entwicklung; denn die, die viel Energie verbrauchen, haben
Sie von dieser Steuer ausgenommen, während Sie ökologisch sinnvolle Transportmittel wie Bus und Bahn nicht
ausgenommen haben.
({10})
Jetzt nenne ich Ihnen einmal zwei Zahlen. Die Treibstoffkosten sind in den zwei Jahren der rot-grünen Regierung von 29 Pfennig auf 47 Pfennig pro Kilometer gestiegen. Das macht für einen Bus Mehrkosten von 12 000 DM
aus. Davon sind 3 600 DM auf die Ökosteuer zurückzuführen; das lässt sich errechnen. Ein bestimmter mittelständischer Busbetrieb, den Frau Gradistanac wahrscheinlich sehr gut kennt, beziffert seine eigenen zusätzlichen
Ausgaben und Belastungen mit 1,4 Millionen DM. Das
können Sie, da die Franzosen im selben Augenblick entlasten, im Wettbewerb zu den Nachbarn nicht mehr auffangen.
Dritter Punkt. Auch beim Hotel- und Gaststättengewerbe gibt es zusätzliche Belastungen. Darüber können
Sie doch nicht so blauäugig hinweggehen. Die Hotels haben eine durchschnittliche zusätzliche Belastung von
10 000 DM. Sie wissen, dass der große Teil der Hotels familiengeführt ist. In diesen Fällen haben Sie keine Entlastung bei der Rentenversicherung.
Es tut mir furchtbar Leid, aber mir erschließt sich nicht,
wie man hier noch lachen und über alle Tatsachen hinweggehen kann.
({11})
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben im Tourismus
deutliche Steigerungsraten. Dafür gibt es sehr viele Gründe, sicherlich auch die, die die Kollegin Irber genannt hat.
Wenn Sie den Deutschlandtourismus stärken wollen,
dann nutzen Sie doch das Jahr des Tourismus dazu, die
dritte Stufe und auch die bisherigen Stufen der Ökosteuer
zu streichen.
({12})
Dann haben Sie einen Beitrag zum Jahr des Tourismus geleistet und werden den Tourismus fördern. Wir werden da
nicht locker lassen, sondern weiter bohren.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Sylvia Voß.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Burgbacher und liebe Kollegen von der rechten Seite des
Hauses, der Humor, der hier aufgekommen ist, kommt
wahrscheinlich daher, dass hier ständig eine Ökoplatte
aufgelegt wird, die einen Sprung hat.
({0})
Dem kann man nur noch mit Humor begegnen. Auch
wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: In der Tourismusbranche in Deutschland herrscht überwiegend Zufriedenheit.
({1})
Einer Saisonumfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages zufolge, dessen Kompetenz Sie doch hoffentlich nicht anzweifeln wollen, sind die Aussichten für den
Tourismus in Deutschland schlichtweg gut.
({2})
- Ja, genau, dank Rot-Grün. - Die Zahl der Touristen, die
aus dem Ausland nach Deutschland reist, wächst ständig,
Herr Burgbacher. Auch nach der Einführung der ersten
Stufe der Ökosteuerreform im April 1999 gab es einen erneuten Anstieg um 3,7 Prozent.
Die Deutschen verreisen offensichtlich ebenfalls sehr
gern innerhalb des eigenen Landes. Der Deutsche Tourismusverband - auch dem wollen Sie hoffentlich nicht die
Kompetenz absprechen - macht Deutschland als beliebtestes Reiseziel der Deutschen aus. Trotz Ökosteuer, stellen Sie sich das einmal vor! Da stellt sich mir doch die
Frage, wie diese Zahlen mit der Einschätzung zu vereinbaren sind, die die CDU/CSU gerade getroffen hat:
Die ersten beiden Stufen der Ökosteuer haben offensichtlich zu massiven Belastungen der deutschen
Tourismuswirtschaft und einer Schwächung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit geführt.
Diese offensichtlich doch komplette Fehleinschätzung
der Christdemokraten lässt erkennen, dass die Opposition
lieber die Augen vor der Realität verschließt, als anzuerkennen, dass die von ihr erwarteten negativen Auswirkungen tatsächlich ausgeblieben sind und dass die rot-grüne
Bundesregierung mit ihrer Reformpolitik, die man in ihrer Gänze sehen muss, günstige Rahmenbedingungen für
die deutsche Tourismuswirtschaft geschaffen hat und
schafft. Der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Tourismuswirtschaft selbst hat kürzlich auf dem
Welttourismusgipfel in Hannover - da waren Sie alle
zugegen - genau diese Tatsache anerkannt.
({3})
Sie hören das nicht gerne; aber es ist schlichtweg so. Da
ist nichts mit Lügen, Herr Brähmig.
Angefügt sei noch, dass zum einen seit Mai 1999
12 Pfennig der gestiegenen Benzinpreise auf die Ökosteuer zurückzuführen sind und dass zum anderen die
Benzinpreise im europäischen Vergleich im Mittelfeld liegen - das wissen auch Sie -, und zwar in der EU auf Platz
neun und in Gesamteuropa auf Platz zwölf. Also schreien
Sie nicht immer im Zusammenhang mit der Ökosteuer!
Auch die immer wieder sehr lauten Rufe nach einer
Aussetzung der Ökosteuer, die vor dem Hintergrund der
Belastungen durch den Ölpreisanstieg auftauchen und die
wir gerade wieder gehört haben,
({4})
sollten zugunsten konstruktiver Debattenbeiträge verstummen.
({5})
Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die sechs
großen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute - hören Sie jetzt einmal genau hin - begrüßen die
deutliche Entlastung von Unternehmen und Verbrauchern
durch die Steuerreform und lehnen eine Senkung der Mineralölsteuer oder gar eine Abschaffung der Ökosteuer als
Reaktion auf den Ölpreisanstieg ab. Bezweifeln Sie den
Sachverstand der führenden deutschen Wirtschaftswissenschaftler
({6})
oder bezweifeln Sie den des früheren CDU-Bundesumweltministers Töpfer? Dieser erklärte am 13. November
dieses Jahres im „Morgenmagazin“:
Ich glaube nicht, dass die Ökosteuer eine K.o.-Steuer
ist. Wir brauchen marktwirtschaftliche Signale. Wir
brauchen Veränderungen von Energiepreisen, um
Technik zu stimulieren, um Verhalten zu verändern.
Sie sollten Ihrem Herrn Töpfer besser zuhören, statt sich
in der „Bild“-Zeitung zu bilden, Herr Brähmig.
({7})
Ein Ziel der Ökosteuer ist es, den Verkehr zunehmend
auf öffentliche Verkehrsmittel zu verlegen. Schließlich
profitiert auch der Städtetourismus, der sich im Übrigen
trotz Ihrer Äußerungen ebenfalls wachsender Beliebtheit
erfreut, von einem Umstieg der Touristen vom eigenen
PKW auf öffentliche Verkehrsmittel.
({8})
Wenn sich nun die CDU/CSU überzeugt zeigt, dass der
öffentliche Nah- und Fernverkehr unter der Ökosteuer
leide, so ist auch dieser Vorwurf von wenig Sachkenntnis
getragen. Denn die Bundesregierung hat in den Vereinbarungen zur Ökosteuer die umweltfreundlichen Verkehrsträger privilegiert.
({9})
Um nämlich die Verlagerung des Verkehrs auf öffentliche Verkehrsmittel zu beschleunigen, zahlt die Bahn für
einen festgelegten Zeitraum nur den halben Satz der
Stromsteuer und der ÖPNV nur den halben Ökosteuersatz
beim Kraftstoffverbrauch.
({10})
Damit wird im Gegensatz zu Ihrer früheren Politik
nicht nur die Wettbewerbssituation von Bahn und ÖPNV
gestärkt. Es wird für die Touristen auch die Attraktivität
der Städtereisen vergrößert. Denn letztendlich - das sei
nur am Rande bemerkt - fällt bei der Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln das lästige Parkplatzproblem weg.
Festgelegte Mineralölsteuersätze und somit ähnliche
Bedingungen wie für den ÖPNV wurden für die Bustouristik vereinbart. Auch Sie sind ja auf die Bustouristik
eingegangen. Bis 2003 sind hier die Mineralölsteuersätze
festgelegt worden. Den Unternehmern in diesem Bereich
wurde durch diese Regelung also genügend Zeit eingeräumt, steuerliche Belastungen beim Kraftstoffverbrauch
in die Preiskalkulation mit einzubeziehen.
Nach Auskunft des Deutschen Tourismusverbandes
- auch hier beziehe ich mich auf eine kompetente Institution, wie Sie das immer einfordern - werden sich keine
negativen Auswirkungen auf den Tourismus bemerkbar
machen. Wenn die CDU/CSU nun weiterhin die Ansicht
vertritt, dass „für Reisende aus Deutschland ... die Attraktivität des eigenen Landes als Urlaubsziel ... sinkt“, müssen von ihr künftig ganz andere Gründe als die Ökosteuer
gesucht werden. Noch besser wäre es jedoch, endlich einmal die Realität zur Kenntnis zu nehmen und umwelt- und
tourismuspolitisch in der Wirklichkeit anzukommen.
Beherzigen Sie doch die Worte Ihres Parteifreundes
Klaus Töpfer, der seine Ausführungen im bereits angeführten Interview mit dem Satz schloss:
Also, ein gutes Wort an alle, die Verantwortung mit
tragen, hier nicht die kurzfristige Entwicklung, sondern die mittel- und langfristige Entwicklung in den
Mittelpunkt zu stellen.
Sie können nach dem Hau-drauf-Motto alles noch so
verdrehen und schlechtreden, aber wahr werden Ihre Aussagen dadurch nicht.
({11})
Das Wort hat die
Kollegin Neuhäuser.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es ist leider nicht möglich, in drei
Minuten auf all die Fragen, die in der Großen Anfrage
eine Rolle spielen, einzugehen. Ich denke aber, dass ich
trotz der vielen Probleme, die hier aufgeworfen wurden,
sagen kann, dass der Tourismus in Deutschland eine positive Entwicklung nimmt. Die Zahlen sind aber nur eine
Seite, die Fakten sprechen für sich.
Ich denke, es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass viele in diesem Haus den Tourismus für die
Jobmaschine schlechthin halten und ihn zur Leitökonomie erklären. Sie reden dabei nur wenig - ich habe heute
nur einmal das Wort Umwelt gehört - über die Ökologie.
Gerade die Folgen des Tourismus für Natur und Umwelt
werden oft im Zusammenhang mit der Tourismusentwicklung in Deutschland verdrängt. Das wird sicherlich auch für die Tourismusentwicklung verheerende
Folgen haben.
Die Entwicklungen im Tourismus können nicht bis ins
Unermessliche gefördert werden, meinen wir, weil Umwelt und Natur das Hauptkapital des Tourismus sind.
({0})
Zum Erhalt derselben brauchen wir andere Verbindlichkeiten, als Sie sie zum Beispiel im Papier der Bundesregierung zur Ökosteuer festgeschrieben haben.
Meine Fraktion hat in vielen dieser Debatten deutlich
gemacht, dass die ökologische Steuerreform der Bundesregierung den Namen nicht verdient, weil sie nicht ökologisch ist und keine ökologischen Lenkungswirkungen hat.
({1})
- Die hat sie nicht. Ich muss Ihnen doch nicht erklären,
dass Steuern in der kapitalistischen Wirtschaft schon immer Lenkungscharakter hatten. Wenn es also eine
ökologische Steuerreform sein soll, dann muss sie der Bevölkerung Erleichterungen bringen und die Menschen in
die Debatte über einen ökologischen Umbau einbeziehen.
Kurz gesagt: Die ökologische Steuerreform braucht
Akzeptanz in der Bevölkerung. Von oben verordnetes umweltbewusstes Handeln über das Geld steuern zu wollen
wird von den Menschen als Bedrohung empfunden. Damit erreichen Sie, dass das Umsteuern im Verbrauch der
Ressourcen ad absurdum geführt wird. Es kann doch nicht
angehen, dass Sie zum Beispiel die Energiesteuer beim
Verbrauch, aber nicht bei der Herstellung erheben. Das ist
nicht ökologisch. Sie glauben doch selbst nicht, dass Sie
Energie, Gas, Heizöl und Benzin verteuern, um den Verbrauch zu beschränken.
Ich möchte nun eine Anmerkung zur Benzinpreissteigerung machen. Sie trifft unter anderem - das ist hier
schon deutlich geworden - die Bahn, die Busse und das
Taxigewerbe. Für mich bedeutet mehr Mobilität in dieser
Gesellschaft: niedrigste Fahrpreise, ein dichteres ÖPNVNetz, neue Busanbindungen an Bahnhöfen und Flughäfen
und den Ausbau, nicht den Abbau des Schienennetzes.
({2})
Das wiederum hätte auch positive Auswirkungen auf den
Tourismus. Aber wir haben uns schon oft genug darüber
unterhalten, dass diese Maßnahmen nicht erfolgen. Ein
wichtiger Schritt aus unserer Sicht ist die Befreiung der
ÖPNV- und Reisebusse von der Mineralölsteuer. Das
heißt, dass die Auferlegung des halben Steuersatzes, die
bis jetzt vorgeschrieben ist, ausgesetzt werden muss. Genau dafür setzen wir uns ein.
Unser Fazit lautet: Das, was uns die rot-grüne Bundesregierung als Ökosteuer verkaufen will - ich kann das
vonseiten meiner Fraktion nur wiederholen; das haben
wir schon des Öfteren gesagt -, ist kein Einstieg in den
ökologischen Umbau. Die Pläne der Regierung begünstigen Großunternehmen und belasten insbesondere Menschen mit geringerem Einkommen. Das kann man nicht
oft genug deutlich machen.
Meine Damen und Herren, die Auswirkungen für den
Deutschlandtourismus sind nahe liegend: Eine Familie
mit Kindern wird künftig bei der Urlaubsplanung sehr genau prüfen, welches Reiseziel das Familienbudget hergibt. Ob dann das Ziel immer Deutschland sein wird,
wage ich zu bezweifeln.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU verstärkt in meinen Augen nochmals
die soziale Ungerechtigkeit der Ökosteuer insbesondere
mit Rücksicht auf die Tourismusbranche.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Anita Schäfer.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bereits die ersten zwei Stufen
des rot-grünen Projektmanagements Ökosteuer haben
dem Tourismusstandort Deutschland im internationalen
Vergleich einen erheblichen Schaden zugefügt.
({0})
Diese Sondersteuer auf Benzin, Diesel, Strom und Heizöl
belastet nicht nur die Reiseunternehmen und alle in der
Branche Tätigen, sondern auch die touristischen Infrastruktureinrichtungen, zum Beispiel bei Volksfesten und
in Freizeitparks.
Im Schaustellergewerbe ist die Mehrbelastung durch
die gestiegenen Kraftstoff- und Energiekosten weitaus
höher als die von der Bundesregierung viel gepriesene
Entlastung bei den Lohnnebenkosten. Die Bundesregierung gibt auf unsere Anfrage hin sogar zu, dass das mobile Gewerbe, das Schaustellergewerbe, durch den hohen
Strombedarf für die Beleuchtung und den Betrieb der
energieintensiven Fahrgeschäfte bei jährlich circa
40 000 Volksfesten und durch die hohen Kraftstoffkosten
mehr belastet als entlastet wird.
({1})
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition,
das alles wissen Sie doch. Warum tun Sie dann nichts?
Auch im Hotel- und Gaststättengewerbe liegt die
Kostenbelastung über der Entlastung der Betriebe bei den
Lohnnebenkosten. Selbst bei umweltfreundlich geführten
Hotels macht das eine durchschnittliche Nettobelastung
von jährlich 10 000 DM pro Betrieb aus.
({2})
- Ich kann das nachweisen. - Gerade weil wir es in dieser Branche in besonderem Maße mit Familienbetrieben
zu tun haben, kommen die nicht rentenversicherungspflichtigen Selbstständigen und deren Familienangehörige auch nicht in den Genuss geringerer Rentenbeiträge. Das musste die Bundesregierung auf unsere
Große Anfrage hin zugeben.
({3})
Nicht nur wir von der CDU/CSU, sondern auch die
DEHOGA fordert schon seit Monaten, diese Belastungen
und die Standortnachteile wieder zurückzunehmen.
({4})
- Das haben Sie schon einmal anders gesagt.
Ein anderes Beispiel ist die Bustouristik. Die Busreiseunternehmen sind von ihrer Veranlagung her mittelständisch geprägt. Der Bus ist unter ökologischen
Gesichtspunkten als vorbildlicher Verkehrsträger einzustufen. Die Bundesregierung gefährdet mit dieser so genannten Ökosteuer die Busreiseunternehmen in ihrer
Existenz. Die Fahrten nach und innerhalb Deutschlands
haben sich für den Touristen aus dem Ausland verteuert.
Die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber ausländischen
Konkurrenzzielen vergrößern sich für den Tourismusstandort Deutschland. Damit haben Sie nicht nur der gesamten Branche einen Bärendienst erwiesen, sondern auch
dem „Jahr des Tourismus“ eine jämmerliche Startposition
verschafft.
({5})
Für unsere Bürger sinkt die Attraktivität des eigenen
Landes zugunsten ausländischer Ferienziele, welche nun
zunehmend mit dem Flugzeug angesteuert werden.
({6})
Das heißt: Reiseland Deutschland, nichts wie weg! Ich
frage Sie: Kann diese unökologische Bilanz im Sinne des
grünen Umweltministers sein?
({7})
Offensichtlich bedenken Sie dabei auch nicht, dass der
Bus direkt und indirekt rund 750 000 Menschen in
Deutschland den Arbeitsplatz sichert. Mit 10 000 produzierten Omnibussen in 1997 gehört die deutsche Automobilindustrie zu den weltweit führenden Omnibusherstellern. Kann die Gefährdung dieses Potenzials im Interesse
des Automannes Gerhard Schröder sein?
Lassen Sie mich abschließend noch das „Unternehmen
Zukunft“, die Deutsche Bahn, ansprechen. Genauso wie
uns die Regierung nicht lange verheimlichen konnte, dass
die von Kanzler Schröder gemachten Entlastungsversprechen durch die Entfernungspauschale so wohl nicht zu
halten sind, ist nun klar, dass die Deutsche Bahn jährlich
immense Zuschüsse seitens des Bundes benötigt.
({8})
Warum also nehmen es die Verantwortlichen im Bundesverkehrministerium hin, dass es für die umweltfreundliche Bahn durch die Ökosteuer für die Jahre 1999 bis 2003
zu einer Nettobelastung von sage und schreibe 1,1 Milliarden DM kommt? Vom Nachfolger des zurückgetretenen Bundesverkehrsministers Klimmt erwarte ich mehr
Rückgrat.
({9})
- So kann man es auch sagen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, eine angemessene und gleichmäßige
Förderung aller öffentlichen Verkehrsmittel umzusetzen,
anstatt alle gleichmäßig zu belasten. Ich fordere Sie auf:
Machen Sie Schluss mit der Ökosteuer!
Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen allen ein
schönes Wochenende. Genießen Sie, wo immer Sie auch
wohnen, Ihre reizvolle Landschaft!
Danke.
({10})
Dafür bedanken
wir uns.
Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 28. November 2000, 9 Uhr, ein.
Auch ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen sowie den letzten Besuchern ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.