Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Kollege Singhammer.
Herr Minister,
trifft es zu, dass die Koalition bei einem der Herzstücke
dieser Rentenreform - nämlich bei dem so genannten
Ausgleichsfaktor - schon jetzt, zum Zeitpunkt der Vorlage
Ihres Gesetzentwurfs, Veränderungs- und Nachbesserungsbedarf sieht? Das hat dann natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Statik der gesamten Konstruktion Ihrer
Rentenreform. Können Sie mir sagen, wo dieser Nachbesserungsbedarf schon jetzt gesehen wird?
Ich kann Ihnen zuerst einmal sagen: Es gibt
keinen Nachbesserungsbedarf. Als Zweites kann ich Ihnen sagen: Die Eckpunkte - unser Ziel ist die Beitragsstabilisierung; Sie kennen die Aussagen, die wir dazu gemacht haben: Wir werden den Beitrag möglichst über das
Jahr 2020 hinaus unter 20 Prozent halten - werden nicht
verändert. Der Beitrag bleibt absolut stabil. Den Ausgleichsfaktor, den wir eingeführt haben und mit dem wir
gerade diese Justierung vornehmen, haben wir in der bekannten Form eingebracht.
Wir führen gern weitere Diskussionen. Leider sind uns
bisher jedoch keine positiven, besseren Vorschläge gemacht worden. Wir warten ja noch immer auf Vorschläge
der Opposition.
Herr Kollege Dreßen von der SPD-Fraktion.
Herr Minister, können Sie einmal die Voraussetzungen schildern, die gegeben waren,
als Sie mit dieser Rentenreform begannen? War es nicht
so, dass sich der Arbeitsmarkt immer mehr aufgespalten
hat? Welche gesetzlichen Maßnahmen hat die Regierung
ergriffen, um zu erreichen, dass es mehr Beitragszahler
für die Rentenversicherung gibt?
Das Zweite: Ist es - im Gegensatz zur alten Reform nicht so, dass diese Regierung nun alles unternimmt, um
wieder ein Niveau von 70 Prozent zu erreichen,
({0})
während es die alte Regierung bei 64 Prozent belassen
und sich überhaupt nicht darum bemüht hätte, wie man
wieder 70 Prozent erreichen könnte?
Das kann ich Ihnen gerne beantworten. Es
war nicht schön, was wir vorfanden: eine Rentenversicherung, die gezwungen war, die Beiträge jährlich zu steigern. Wir haben einen Beitragssatz von 20,3 Prozent vorgefunden, der - natürlich in gleichem Maße - die
Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie den Arbeitsmarkt
belastet hat. Wir haben eine Rentenversicherung vorgefunden, die im Jahr 1998 gerade noch Rücklagen von
21 Tagen bilden konnte. Wir haben einen Arbeitsmarkt
vorgefunden - Sie haben darauf hingewiesen -, bei dem
5,5 Millionen geringfügig Beschäftigte keinerlei Zahlungen in die Sozialversicherungssysteme leisteten. Es hatte
sich in zunehmendem Maße eine Grauzone zwischen
Selbstständigen und abhängig Beschäftigten entwickelt,
die rechtlich nicht geklärt war.
Wir haben diese Situation, die natürlich in hohem
Maße unbefriedigend war und auch zur Verunsicherung
beigetragen hat, in ersten Schritten bereinigt. Wir haben
dafür gesorgt, dass auch für geringfügig Beschäftigte
Zahlungen in die Rentenversicherung erfolgen. Das sind
ganz erhebliche Zahlungen; denn insgesamt sind 4 Millionen geringfügig Beschäftigte in der Rentenversicherung
erfasst. Dieses stabilisiert die Beitragseinnahmen der
Rentenversicherung.
Wir haben als Zweites dafür gesorgt, dass die von dem
Gesetzgeber vorgesehene Mindestschwankungsreserve
von einem Monat aufgefüllt wird. Das heißt, wir haben
den Rentenversicherungen Rücklagen von 8,4 Milliarden DM gegeben. Die gesetzliche Rücklage ist damit wieder vorhanden.
Wir haben als Drittes dafür gesorgt, dass wir nicht
mehr von versicherungsfremden oder nicht beitragsgedeckten Leistungen sprechen müssen; denn der Bundeszuschuss, der nun an die Rentenversicherung geht, deckt
diese Leistungen jetzt ab, und nicht nur diese.
({0})
- Entschuldigung, das habe ich vergessen. Die Situation
ist folgende: Der so genannte Eckrentner, dessen Rente
nach 45 Jahren durchschnittlicher Einzahlung eine statistische Größe ist, erhält gegenwärtig eine Rente, die in
etwa bei 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens der Beschäftigten liegt. Von der alten Regierung war
vorgesehen, das Rentenniveau durch geringere Rentenanpassungen abzusenken.
Je nach demographischer Entwicklung wäre ein Rentenniveau in Höhe von 64 Prozent, das vom Gesetz als
niedrigster Wert vorgesehen war, erst im Jahre 2015, 2018
erreicht worden. Es hätten dann nur noch zwei Möglichkeiten bestanden: entweder die Beiträge weiter zu
steigern oder das Rentenniveau unter 64 Prozent zu senken.
({1})
Wir haben uns bei der Rentenreform darauf festgelegt,
für alle heutigen Rentner und für alle jene, die bis zum
Jahre 2010 in Rente gehen, das Rentenniveau stabil zu
halten und erst ab dem Jahr 2011 - nach Aufbau und Stabilisierung der kapitalgedeckten ergänzenden Altersvorsorge - leichte, aber notwendige Senkungen im Rentenniveau vorzunehmen. Diese werden aber durch das, was
aufgrund der kapitalgedeckten Vorsorge aufgebaut wird,
überkompensiert. Insgesamt kann ich feststellen: Jeder,
der sich am Aufbau einer kapitalgedeckten Vorsorge beteiligt, wird sich hinsichtlich des Volumens seiner Rentenleistungen besser stellen als jetzt.
({2})
Das Wort
hat die Kollegin Ina Lenke von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Minister, Sie haben gerade
davon gesprochen, dass Sie bei den geringfügig Beschäftigten Änderungen in der Weise vorgenommen haben,
dass nunmehr auch aus diesen Beschäftigungsverhältnissen Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Sie haben aber vergessen zu erwähnen, dass in der Regel von der
normalen Pauschalabgabe keine einzige Mark an die Rentenversicherung der Betroffenen abgeführt wird. Etwas
anderes gilt nur, wenn von den geringfügig Beschäftigten
zusätzliche Beiträge entrichtet werden. Was verstehen Sie
nun unter dem Begriff „bereinigt“, wenn die Maßnahme
für den geringfügig Beschäftigten nichts bringt?
Ihre Annahme ist schlicht falsch, da die Pauschalabgabe in Höhe von 12 Prozent für den einzelnen geringfügig Beschäftigten einerseits Rentenansprüche und
andererseits Rentenanwartschaftszeiten zur Folge hat.
Die von Ihnen offensichtlich angesprochene Aufzahlung
auf die 19,3 Prozent - wir raten sehr dazu; es wird leider
dennoch häufig nicht gemacht - würde dem Versicherten
zusätzliche Ansprüche aus der Rentenversicherung, zum
Beispiel auf Reha-Leistungen, geben. Ich darf Sie daher
beruhigen: Die Pauschalabgabe in Höhe von 12 Prozent
kommt voll und ganz den Versicherten in der Rentenversicherung zugute.
Das Wort
hat die Kollegin Knake-Werner von der PDS-Fraktion.
Herr Minister, ich
beziehe mich in meiner Frage auf Ihre Antwort auf die
Frage des Kollegen Laumann. Sie haben gesagt, die Förderung bei der privaten Altersvorsorge solle in vier Etappen, beginnend mit dem Jahre 2002, umgesetzt werden.
Wenn ich alle Meldungen richtig verstanden habe, soll
aber ab dem Jahr 2002 auch der Abschlagsfaktor wirken.
Sie haben jetzt gesagt, dieser solle in 0,5-Prozent-Schritten eingeführt werden, da das den Vorteil habe, dass es erst
nach dem ersten Förderschritt einsetzt. Nach meiner
Rechnung wäre das das Jahr 2003. Können Sie Ihre
Aussagen noch etwas präzisieren?
Ich kann das gerne tun. Die erste Förderung wird
für diejenigen, die eine ergänzende Altersvorsorge betreiben, am 1. Januar 2002 gewährt. Die Rentenanpassung des
Jahres 2002 wird zum 1. Juli des Jahres 2002 vorgenommen. Wie die Rentenanpassung zum 1. Juli 2002 aussehen
wird, ob sie vom Gesetzentwurf abweicht oder nicht, entscheiden Sie als Parlament.
Das Wort
hat der Kollege Wolfgang Meckelburg von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Minister,
wir haben am Sonntag vor zehn Tagen auf dem ÖTV-Gewerkschaftstag das „Basta!“ von Bundeskanzler Schröder
gehört. Wir haben damit den Eindruck bekommen, das sei
das letzte Wort in dieser Sache. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind einige Punkte - zumindest im Entwurf - wohl geändert worden.
Gehen Sie nach dem, was Sie in den letzten zehn Tagen persönlich erlebt haben, davon aus, dass der Entwurf,
so wie Sie ihn mit den entsprechenden Vorschlägen, die
Sie jetzt auf den Tisch legen, einbringen, vom Parlament
wirklich verabschiedet werden wird?
Herr Meckelburg, Sie sind der Parlamentarier. Sie entscheiden über diesen Entwurf mit. Deswegen
erspare ich es mir, Ihre Frage zu beantworten. Abgeordnete, Sie sind der Souverän, Sie können natürlich Vorschläge einbringen, abändern und dann mit Mehrheit entscheiden. Sie entscheiden, meine Damen und Herren.
Das Wort des Kanzlers, das ich in dem Sinne übersetzen würde, dass nun einmal ein vorläufiges Ende der Diskussion sein muss, dass nun entschieden werden muss, ist
absolut richtig.
({0})
Dahinter stehe ich. Ich kann nur sagen: Sie haben jetzt die
Möglichkeit der Entscheidung. Es liegen Beschlüsse der
Koalitionsfraktionen vor, es liegt ein Kabinettsbeschluss
vor. Morgen werden wir die erste Lesung haben. Sie haben dann die Möglichkeit, sorgfältig zu beraten und dann
zu entscheiden.
({1})
Mir liegen jetzt noch 13 weitere Wortmeldungen vor. Ich bitte,
davon Abstand zu nehmen, sich weiterhin zu Wort zu melden, denn dafür reicht die Zeit nicht aus.
Als Nächster hat der Kollege Heinz Schemken von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Minister, da ich
ja, nach dem, was Sie soeben sagten, als Abgeordneter
auch gehalten bin, den Menschen draußen Auskünfte zu
geben, möchte ich von Ihnen doch vorab schon eine Hilfe
haben.
Wie erklären Sie Ihren ersten Satz, demzufolge Leistungen angehoben und langfristig gesichert werden, angesichts der Formel, die von 2011 bis 2030 Abschläge
bringt, die besonders die jungen Menschen trifft, die jetzt
die hohen Beiträge zahlen
({0})
- ganz stark dann 2030 - und die dann noch einmal mit
4 Prozent, die sich aus der Verrechnung zwischen Bruttound Nettolohn ergeben, getroffen werden, sodass die
Rente letztlich auf 61 Prozent sinkt? Wie kann ich dem
Wähler erklären, dass dann 61 Prozent mehr sind als jetzt
70 Prozent?
({1})
Wie kann ich erklären, dass gerade die Generation, die
jetzt die Beiträge zahlt, davon ausgehen muss, dass sie nur
noch 61 Prozent erreicht?
Herr Schemken, so erklären Sie es sicherlich
nicht. So, wie Sie es sagen, trägt dies eher zur Verwirrung
bei. Aber ich will Ihnen gerne helfen, dies zu erklären.
Zunächst einmal gibt es keinen Abschlag, sondern einen Ausgleichsfaktor, der Folgendes ausgleicht: Die jüngere Generation, insbesondere diejenigen, die in den Jahren 2020 bis 2030 in Rente gehen, hat voraussichtlich eine
Lebenserwartung von durchschnittlich mindestens zwei
Jahren mehr. Hieraus ergibt sich eine um mindestens zwei
Jahre längere Rentenbezugsdauer. Dies wiederum heißt,
dass das Volumen der Rentenzahlungen, die diese Menschen erhalten, um 10 Prozent bis 15 Prozent höher ist als
das der jetzigen Generation. Dem müssen wir Rechnung
tragen. Das tun wir wie folgt: Ab 2011 setzen wir einen
Faktor von 0,3 Prozent für jeden Rentenzugangsjahrgang
ein. Rechnerisch sind dies im Höchstfall - für den Rentenzugangsjahrgang des Jahres 2030 - 6 Prozent. 6 Prozent für 12 Prozent bis 15 Prozent mehr Volumen.
Dies zeigt auch Ihnen, dass es kein Abschlag, sondern
ein Ausgleich ist.
Gleichzeitig bauen wir, kapitalgedeckt und breit unterstützt, eine Eigenvorsorge auf, sodass, wenn sich die
Menschen beteiligen - wir schaffen hierfür die Voraussetzungen -, ihre Gesamtversorgung deutlich höher ist als
heute.
({0})
Nun bitte ich Sie, in diesem Sinne auch bei Ihren Zuhörern zu werben.
({1})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin von der F.D.P.Fraktion.
Herr Minister, wie kommentieren Sie Pressemeldungen der letzten Zeit, in denen
führende Sozialdemokraten so zitiert werden, dass Ihre
Reform der Rentenversicherung nur von etwa 10 bis 15
Mitgliedern der SPD-Fraktion begriffen würde?
Herr Koppelin, ich habe mir schon lange abgewöhnt, Pressemeldungen zu kommentieren.
({0})
Das Wort
hat der Kollege Weiß von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Bundesminister, die Mehrkosten für die im Rahmen des Rentenreformkonzeptes geplanten Änderungen im Bundessozialhilfegesetz werden laut Ihrer Gesetzesvorlage auf
600 Millionen DM geschätzt. Die kommunalen Spitzenverbände bezweifeln das und halten die Summe für wesentlich höher. Hat es mittlerweile Gespräche mit den
kommunalen Spitzenverbänden gegeben, in denen man
sich hinsichtlich der tatsächlichen Höhe der Mehrkosten,
die durch die Neuregelungen entstehen, angenähert hat?
Des Weiteren ist geplant, dass auf das Einkommen und
das Vermögen unterhaltspflichtiger Kinder zurückgegriffen werden soll, wenn die Eltern ihre Bedürftigkeit durch
grob fahrlässiges Verhalten in den letzten zehn Jahren
selbst herbeigeführt haben. Welchen Sinn macht diese
Regelung? Müsste es nicht logischerweise umgekehrt
sein, nämlich dass die Kinder bei grob fahrlässigem Verhalten der Eltern nicht zum Unterhalt herangezogen werden?
({0})
Zu Ihrer ersten Frage: Seit der Vorlage des
Gesetzentwurfes - Sie müssen mir das nachsehen - haben
wir noch keine Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden geführt; denn der Gesetzentwurf wird erst
morgen eingebracht werden. Aber wir werden dann mit
den kommunalen Spitzenverbänden darüber intensive
Gespräche führen. Die Gespräche werden möglicherweise noch intensiver werden, wenn der Gesetzentwurf,
der zustimmungspflichtig ist, dann in den Bundesrat eingebracht wird.
Bei der Regelung hinsichtlich des grob fahrlässigen
Verhaltens in den letzten zehn Jahren geht es um Folgendes: Wir wollen sicherstellen, dass nicht durch Schenkungen und Übertragungen eine Situation herbeigeführt wird,
in der dann die Berechtigung entsteht, ohne Rückgriffsmöglichkeit, Sozialhilfe zu beanspruchen. Diese Missbrauchsmöglichkeit wollen wir ausschließen.
Als Nächstem steht dem Kollegen Karl-Josef Laumann das Fragerecht zu.
({0})
Lieber Herr
Staatssekretär Andres, wir schwächeln nicht; wir sind immer am Ball.
Herr Minister, ich habe gehört, dass die SPD-Fraktion
gestern beschlossen hat, prüfen zu lassen, ob nicht noch
weitere Teile der erwerbstätigen Bevölkerung in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden können.
({0})
Können Sie sich vorstellen, welche Gruppen der Erwerbstätigen gemeint sind, und können Sie uns das auch mitteilen?
({1})
Ich glaube, dass breite Bevölkerungsschichten daran interessiert wären, beispielsweise Sie in die
Rentenversicherung aufzunehmen, und nicht nur Sie.
Ich kann mir das vorstellen. Ich greife auf die Praxis
zurück: Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass im letzten Jahr beispielsweise zwei Gruppen - das war ganz erheblich - in die Rentenversicherung aufgenommen worden
sind, nämlich die geringfügig Beschäftigten - das ist erledigt - und die - treffend oder untreffend so bezeichneten Scheinselbstständigen. Sie werden mir vielleicht zustimmen, dass bei diesen beiden Gruppen Sozialversicherungspflichtigkeit sinnvoll ist.
Wir haben darüber hinaus dafür gesorgt, dass ein weiterer Kreis von Selbstständigen der Rentenversicherungspflicht unterworfen wurde. Aber noch immer unterliegt
ein ganz erheblicher Teil der erwerbstätigen Bevölkerung - das ist bei uns leider anders als in fast allen anderen europäischen Ländern - nicht der Rentenversicherungspflicht. Wir werden den Prozess, immer mehr
Menschen in die Rentenversicherung aufzunehmen, vorantreiben, allerdings wohl nicht in dieser Legislaturperiode.
Der
nächste Fragesteller ist der Kollege Dr. Ilja Seifert von der
PDS-Fraktion.
Herr Minister, wir sind uns wahrscheinlich darüber einig, dass Ihr heute vorgestellter Gesetzentwurf im Zusammenhang mit verschiedenen anderen
Initiativen gesehen werden muss, die Sie auf den Weg gebracht haben bzw. die Sie im Bundestag schon eingebracht
haben. Sie sprachen in der vergangenen Woche unter anderem davon, dass der Rentenversicherungsbeitrag um
0,2 Prozentpunkte gesenkt werden soll. Der eine Punkt, den
Sie mit Ihrer Strategie verfolgen, ist ja, die Beiträge zu senken. Kann es sein, dass diese 0,2 Prozentpunkte durch Änderung der Bestimmungen über Regel- und Ausnahmefälle
in der Erwerbsminderungsrente eingespart werden sollen,
also dadurch, dass zukünftig die Erwerbsminderungsrente
in der Regel als befristete Rente gezahlt werden soll und
demzufolge die Zahlungen erst sechs Monate später beginnen werden? Ich würde es nicht gut finden, wenn Sie bei
den Renten für berufsunfähig oder erwerbsunfähig gewordene Menschen sparen wollten, um so die Senkung der
Rentenbeiträge um 0,2 Prozentpunkte zu finanzieren.
Nein, das würde ich auch nicht gut finden,
Herr Abgeordneter Seifert. Das wäre sicherlich nicht im
Sinne dieser Regierung. Aber ich möchte Ihnen Ihre Sorgen auch rechnerisch und faktisch nehmen.
Zuerst zum Faktischen: Die Neuregelung der Erwerbsunfähigkeitsrente sieht vor, dass in einem höheren Maße
befristete Erwerbsunfähigkeitsrenten genehmigt werden.
Wir wollen nicht, dass Menschen ein Leben lang auf Erwerbsunfähigkeitsrente angewiesen sind. Wir wollen,
dass bei Erwerbsunfähigen oder befristet Beschäftigten
ein angemessener Schutz vorhanden ist. Es gibt die Regelung, dass bei befristeten Renten sechs Monate länger
Krankengeldleistungen erfolgen. Diese sind in aller Regel
höher als die Leistungen aus der Erwerbsunfähigkeitsrente. Es geht um den Menschen. Er ist materiell besser
gestellt.
Nun zum Rechnerischen: Wir veranschlagen aus dieser
Regelung Mehrkosten für die Krankenversicherung im
nächsten Jahr in Höhe von 250 Millionen DM. Die Entlastung der Rentenversicherung ist etwas höher, weil nicht
jeder Erwerbsunfähige aus dem Krankengeldbezug
kommt. Ich denke hier an bestimmte Phasen von Arbeitslosigkeit. Ein um 0,2 Prozentpunkte verminderter Rentenversicherungsbeitrag führt zu einem Einnahmeausfall
von etwa 3,4 Milliarden DM. Wenn Sie die 250 Millionen DM und die 3,4 Milliarden DM vergleichen, so sehen Sie, dass schon daher überhaupt kein Zusammenhang
besteht.
Als
nächste Fragestellerin hat die Kollegin Maria Eichhorn
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Minister, abgesehen davon, dass das neue Konzept der privaten Altersvorsorge hinsichtlich der Kinderförderung nach wie vor unzureichend ist, ist festzustellen, dass die Verschiebung der
privaten Altersvorsorge um ein Jahr erhebliche Auswirkungen auf die Rentenanpassung hat. Bei der alten Regelung wäre im Wahljahr 2002 eine Anpassung von
1,23 Prozent zu verzeichnen gewesen. Durch die Verschiebung um ein Jahr wird nach unseren Berechnungen
die Anpassung im Wahljahr 2002 deutlich höher sein,
nämlich bei 1,85 Prozent liegen. Das Erwachen kommt
dann im nächsten Jahr doppelt: Dann wird nämlich die
Anpassung umso niedriger ausfallen. Herr Minister, das
ist aus meiner Sicht Wählerbetrug. Wie steht die Bundesregierung dazu?
Ich darf Sie beruhigen. In Ihrer Frage sind
einige falsche Annahmen enthalten.
({0})
Erstens. Wie die Anhebung im Jahr 2002 erfolgt - hier
wiederhole ich mich -, entscheiden Sie mit Mehrheit. In
dieser Frage haben Sie als Opposition sicher mitzureden.
Daran bin ich sehr interessiert.
Zweitens. Die Annahme ist falsch, dass wir heute
schon sagen können, wie die Rentenanpassung der Jahre
2002 und 2003 aussieht. Im Moment haben wir bestimmte
Annahmen in Bezug auf die Lohnentwicklung. Genau
wissen wir das aber noch nicht. Wir haben lediglich Annahmen für unsere Rechnungen zugrunde zu legen.
Drittens. Falsch ist, dass die Rentenanhebung des Jahres 2002 Auswirkungen auf die Rentenanhebung des Jahres 2003 hat. Unterstellt man eine Rentenanhebung des
Jahres 2002 - ich sage noch einmal: Auch Sie entscheiden
darüber - ohne Berücksichtigung des Kapitalvorsorgebeitrags, dann werden im Jahre 2003 nur 0,5 Prozent ihren
Niederschlag finden. Über all das - hier darf ich Sie und
alle Beschäftigen beruhigen - wird im Frühjahr nächsten
Jahres Klarheit sein, und zwar längst bevor Wahlen anstehen.
({1})
Die Zeit
für diesen Teil der Regierungsbefragung ist abgelaufen.
Ich lasse aber noch drei Fragen zu. Dann gibt es noch zwei
weitere Fragen zu anderen Bereichen. Ich bitte, dies zu
akzeptieren.
Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Ulla
Schmidt.
({0})
Herr Minister, die
Frau Kollegin Eichhorn hat gerade darauf hingewiesen,
dass nach Meinung der CDU/CSU die Kinderförderung
völlig unzureichend ist. Können Sie einmal an einem Beispiel erklären, wie die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Beispiel eine Familie mit
50 000 DM Einkommen und drei Kindern, wenn sie in der
Endstufe 4 Prozent ansparen soll, fördert? Wie wird sie es
Familien mit geringem Einkommen ermöglichen, eine
zweite Säule aufzubauen, damit sie im Alter über ein Einkommen verfügen, das mehr ist als das heutige?
Das will ich gern machen, Frau Abgeordnete
Schmidt. Ich nehme das von Ihnen skizzierte Beispiel:
eine Familie mit drei Kindern, ein Jahresverdienst in
Höhe von 50 000 DM. Das würde bedeuten, dass insgesamt ein Sparvolumen von 2 000 DM pro Jahr aufgebracht werden muss. Wie setzt sich das Sparvolumen zusammen? Die Familie bekommt zuerst einmal zwei
Zulagen von 300 DM - das sind 600 DM -, dann für jedes Kind 360 DM. Damit sind wir bei einem Unterstützungsvolumen von insgesamt 1 680 DM für diese Familie. Die Familie selbst muss also letztlich noch 320 DM
einbringen. Insofern kann ich die von Ihnen zum Ausdruck gebrachte Sorge völlig ausräumen.
Die
nächste Frage stellt die Kollegin Erika Lotz von der SPDFraktion.
({0})
Herr Minister Riester, es gab ja die
breite Forderung nach einer Verbesserung der Situation
der Kinder Erziehenden. Nun hat Frau Schmidt schon die
Frage nach der Förderung gestellt. Aber die Forderung
nach einer Besserstellung der Kinder Erziehenden läuft
nicht nur auf eine bessere Förderung hinaus, sondern betrifft beispielsweise auch die Kindererziehungszeiten.
Können Sie einmal darstellen, ob es in Ihrem Gesetzentwurf auch dort zu einer Verbesserung kommt, und gibt es
beispielsweise auch Sonderregelungen für Erziehende mit
behinderten Kindern?
Das mache ich gerne. Der Gesetzentwurf
sieht vor - ich hoffe sehr, dass Sie das Gesetz so beschließen -, dass zukünftig in den ersten zehn Jahren der
Kindererziehung derjenige, der die Kinder erzieht und
dadurch im Regelfall geringere Verdienstmöglichkeiten
hat, rentenrechtlich höher bewertet wird, und zwar bis
zum Durchschnittsverdienst, der im fraglichen Jahr erzielt
wird. Das bedeutet eine deutlich höhere Rentenbewertung.
Nun gibt es natürlich auch Familien, in denen zwei
oder drei Kinder gleichzeitig erzogen werden. Wenn diejenige, die die Kindererziehung übernimmt, überhaupt
nicht erwerbstätig ist, bekommt sie gleichwohl, weil sie
eine große Erziehungsleistung erbringt, ein drittel Entgeltpunkt zugerechnet.
Der dritte Punkt, den Sie angesprochen haben: Wenn
behinderte Kinder erzogen werden, wird die Zeit der rentenrechtlichen Höherbewertung von zehn auf 18 Jahre
ausgeweitet. Damit entsprechen wir der berechtigten Forderung, dass Unterbrechungen des Erwerbslebens bzw.
niedrigere Verdienste, die auf Kindererziehung zurückgehen, besser ausgeglichen werden.
Die letzte
Frage zu diesem Themenbereich stellt der Kollege
Johannes Singhammer.
Herr Minister,
es ist ja schon die berühmte Basta-Rede des Bundeskanzlers angesprochen worden. Während der Bundeskanzler
auf dem Gewerkschaftskongress festgestellt hat, von Regierungsseite sei nun endgültig alles festgezurrt, haben
nach Presseberichten der Finanzminister und der Arbeitsminister darüber beraten, wie denn die private Vorsorge in
die Jahre 2002 ff. verschoben werden kann. Deshalb
meine Frage, Herr Minister: Welches Basta gilt denn nun,
das des Bundeskanzlers oder das des Arbeitsministers,
und ab wann gilt dieses Basta?
Herr Abgeordneter Singhammer, als Erstes
kann ich Ihnen sagen, dass die Überlegung der Vereinfachung der ergänzenden Förderung aus dem Parlament heraus von den Finanzpolitikern entwickelt worden ist. Ich
bin aber sehr dankbar, dass wir die Schritte von acht auf
vier - doppelt so hohe - Schritte reduzieren. Darüber können sicherlich alle froh sein, da es sich auch um eine Verwaltungsvereinfachung handelt. Dies haben wir im Rahmen der Diskussion des Referentenentwurfes entwickelt.
Dahinter steht der Bundeskanzler voll und ganz; da kann
ich Sie absolut beruhigen. Dies werden wir morgen im
Rahmen der ersten Lesung in den Bundestag einbringen.
Ich bin überzeugt, dass wir in dieser Frage auch Ihre Zustimmung bekommen werden; denn seitens der Union ist
gegenüber der jetzigen Regierung immer die massive Forderung nach einer breiten, kapitalgedeckten ergänzenden
Vorsorge gestellt worden. Sie selbst haben dieses Vorhaben nicht realisiert; wir machen es, mit einer Unterstützung einer solchen ergänzenden Vorsorge von 20 Milliarden DM bis zum Jahre 2008. Das ist vom Volumen her
mehr, als Sie überhaupt gefordert haben. Sie können sich
sehr darüber freuen, dass unsere Maßnahmen diesen Umfang haben und dass wir so unbürokratisch wie irgend
möglich vorgehen.
Die Zeit
für die Behandlung dieses Themenbereichs der heutigen
Kabinettssitzung ist abgelaufen. Ich bitte die übrigen Fragesteller, auf ihre Fragen zu verzichten.
Mir liegen jedoch noch drei weitere Fragen vor, die
diesen Themenbereich nicht betreffen, die ich noch aufrufen will.
Als Erster hat der Kollege Eckart von Klaeden von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Wir haben den Meldungen der Agenturen entnommen,
dass der Fall Klimmt im Kabinett eine Rolle gespielt hat.
Ich frage die Bundesregierung, ob auch die heute bekannt
gewordenen neuen Vorwürfe gegenüber Herrn Klimmt
eine Rolle gespielt haben. Es heißt, dass Spendenquittungen der SPD unter die Lupe genommen würden, da bei einem privaten Treffen im Hause von Herrn Doerfert 1998
unter den Gästen eine Wette über das Abschneiden des
Sängers Guildo Horn beim Schlager-Grand-Prix abgeschlossen worden sei, in dessen Folge Herr Doerfert alle
Wetteinsätze bezahlt und Klimmt als Spende für die SPD
ausgehändigt habe. Ist es in der Kabinettssitzung um diesen Sachverhalt gegangen?
Sind auch die juristischen Konsequenzen eines solchen
Sachverhalts - seine Wahrheit unterstellt - besprochen
worden, nämlich erstens, dass es sich um eine Beihilfe zur
Steuerhinterziehung handelt, und zweitens, dass dort in
parteienrechtlicher Hinsicht eine Verschleierung der wahren Spender stattgefunden hat, sodass der SPD-Rechenschaftsbericht für diesen Zeitraum ungültig ist?
({0})
Wer will
diese Frage beantworten? - Bitte schön, Herr Staatsminister Bury.
Herr Kollege von Klaeden, weder hat die Bundesregierung in der heutigen Kabinettssitzung den von Ihnen
zitierten Pressebericht diskutiert noch habe ich die Absicht, ihn hier zu kommentieren.
({0})
Die
nächste Frage stellt der Kollege Jürgen Koppelin von der
F.D.P.-Fraktion.
Hat in der heutigen Kabinettssitzung eine Pressemeldung im „Handelsblatt“ eine
Rolle gespielt, wonach - ich versuche meine Frage sehr
weit zu fassen, damit Sie entsprechend antworten können - es beim Bundeswirtschaftsminister eventuell Planungen, Vorstellungen oder Wünsche gibt, einen weiteren
Parlamentarischen Staatssekretär zu bekommen, vorzugsweise aus den Reihen der Grünen?
Herr
Staatsminister Bury.
Herr Kollege Koppelin, auch diese Frage ist im Kabinett heute nicht erörtert worden.
({0})
Die letzte
Frage in diesem Teil der Regierungsbefragung stellt der
Kollege Norbert Röttgen von der CDU/CSU-Fraktion.
Ich frage die Bundesregierung, ob im Bundeskabinett heute - über irgendetwas muss ja gesprochen worden sein - über die Errichtung eines UN-Campus in der Bundesstadt Bonn - eine
für die Region Bonn bedeutende Angelegenheit - entschieden worden ist.
Herr
Staatssekretär Großmann, bitte schön.
Über
diese Frage ist im Kabinett gesprochen worden.
({0})
- Es ist schon korrekt: Das war die Antwort auf die Frage.
({1})
- Wenn Sie mir die Zeit geben, die Frage noch genauer zu
beantworten, dann kommt vielleicht noch mehr Freude
auf.
Folgender Beschluss ist gefasst worden: Die Entscheidung über eine Unterbringung von Organisationen der
Vereinten Nationen im ehemaligen Parlaments- und Regierungsviertel wird wegen des Sachzusammenhangs mit
dem internationalen Kongress- und Veranstaltungszentrum im Bereich des alten Plenarsaals dann getroffen,
wenn die Voraussetzungen für die Errichtung dieses Zentrums seitens der Bundesregierung, des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesstadt Bonn geschaffen
sind. Wir rechnen mit dieser Übereinkunft etwa im Frühjahr 2001.
Wegen der besonderen Dringlichkeit kann das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dem Sekretariat der Klimarahmenkonvention
UNFCCC und dem Wüstensekretariat UNCCD aber eine
Unterbringung in Bonn im Alten Hochhaus zusichern.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Ich bitte zu entschuldigen, dass ich keine weiteren Fragen mehr zulasse,
aber die Zeit ist schon weit überschritten.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 14/4567, 14/4592 Als Erstes rufe ich eine dringliche Frage des Abgeordneten Eckart von Klaeden auf:
Wird der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten nunmehr die
Entlassung des Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Reinhard Klimmt, vorschlagen, nachdem das Amtsgericht
Trier gegen den Bundesminister Reinhard Klimmt am Montag dieser Woche Strafbefehl wegen Beihilfe zur Untreue in Höhe von
90 Tagessätzen zu 300 DM erlassen hat ({0}) und Bundesminister Reinhard Klimmt, der
den Strafbefehl rechtskräftig werden lassen will ({1}), eine Strafe in Höhe von
27 000 DM zahlen muss und vorbestraft sein wird?
Zur Beantwortung steht der Staatsminister im Kanzleramt, Herr Bury, zur Verfügung.
Herr Kollege von Klaeden, der Bundesminister für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Reinhard Klimmt,
hat heute seine Anwälte angewiesen, gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Trier Einspruch einzulegen.
Reinhard Klimmt geht davon aus, dass sich in der Hauptverhandlung herausstellen wird, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Die Bundesregierung äußert
sich grundsätzlich nicht zu laufenden Verfahren. Ausdrücklich möchte ich allerdings darauf hinweisen, dass
auch für Bundesminister die Unschuldsvermutung gilt. Es
gibt also keinen aktuellen Entscheidungsbedarf.
({0})
Zusatzfrage, Herr von Klaeden?
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, dass nach §§ 407 ff.
der Strafprozessordnung Voraussetzungen für die Rechtskraft eines Strafbefehls die Geklärtheit des Sachverhaltes
({0})
und das Schuldeingeständnis des Täters sind? Inwieweit
können Sie aus politischen Gründen die Unschuldsvermutung für Herrn Klimmt noch gelten lassen, wenn er bereits durch die Bereitschaft zur Annahme seine Tat gestanden hat?
({1})
Dies ist ja Voraussetzung für die Rechtskraft eines Strafbefehls.
({2})
- Schauen Sie ins Gesetz.
({3})
Zur Beantwortung steht der Staatsminister Bury zur Verfügung.
Herr Kollege von Klaeden, ich habe Sie eben darauf
hingewiesen, dass Reinhard Klimmt seine Anwälte angewiesen hat, gegen den Strafbefehl Einspruch einzulegen,
weil er davon überzeugt ist, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen und sich dieses in der Hauptverhandlung erweisen wird.
Zweite
Zusatzfrage, Herr von Klaeden.
Ist der Bundesregierung ein Präzedenzfall bekannt, in dem ein Bundesminister gezwungen war, die Einschränkung der Leistungsfähigkeit bei der Erledigung seiner Amtsgeschäfte
hinzunehmen, weil er sich in einem aktuellen Strafverfahren hat verteidigen müssen?
({0})
Ich vermag nicht zu erkennen, wo Bundesminister
Reinhard Klimmt in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt wäre.
({0})
Eine weitere Frage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatsminister, gelten
für die Bundesregierung und den Bundeskanzler noch die
gleichen moralischen Maßstäbe wie 1983, als die damalige SPD-Bundestagsfraktion den Rücktritt des Bundeswirtschaftsministers, ohne dass der betroffene Bundesminister eine Anklageschrift in der Hand hatte, gefordert und
zu einer Debatte im Plenum aufgefordert hat? Ich will Ihnen im Detail gar nicht sagen, was die SPD damals alles
verlangt hat.
({0})
Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen? Gilt die gleiche Messlatte auch heute noch?
Da Sie eben das Verhalten von Bundesminister Klimmt
angesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie uns erklären können, wie der Sinneswandel bei Bundesminister
Klimmt zustande gekommen ist. Er hat ja noch in einer
Sendung von n-tv am 13. November wörtlich Folgendes
auf die Frage: „Warum legen Sie gegen eine Ungerechtigkeit keinen Einspruch ein?“,
({1})
gesagt: Ich möchte jetzt meine Arbeit weitermachen können und möchte mich nicht fragen lassen: Wann ist denn
nun der Prozess? Wann wird neu entschieden? Wer tritt als
Zeuge auf? Das ist etwas, dem ich mich nicht aussetzen
möchte. Aus dem Grunde sage ich: Wir machen jetzt den
Deckel zu. - Welche Gründe gibt es nun für einen Sinneswandel?
Zum ersten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Koppelin:
Es gilt die Unschuldsvermutung, das heißt früher wie
heute, dass es keine Vorverurteilung in Fällen gibt, in denen sich der Betroffene selbst für nicht schuldig hält.
({0})
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Reinhard Klimmt hatte
in der Tat am 13. November dieses Jahres erklärt, er sei
bereit, den vom Amtsgericht Trier erlassenen Strafbefehl
rechtskräftig werden zu lassen, obwohl er davon überzeugt sei, dass er sich nichts habe zuschulden kommen
lassen.
({1})
Damit entsprach Reinhard Klimmt einer Empfehlung seiner Anwälte.
Weil diese Ankündigung jedoch öffentlich als Schuldeingeständnis interpretiert wurde, hat Minister Klimmt
heute seine Anwälte angewiesen, gegen den Strafbefehl
Einspruch einzulegen. Er ist überzeugt, dass sich in der
Hauptverhandlung herausstellen wird, dass er sich nichts
hat zuschulden kommen lassen.
Weitere
Fragen des Kollegen Axel Fischer.
Herr
Staatsminister, ist dem Bundeskanzler bekannt, dass laut
einer „Spiegel“-Umfrage die Mehrheit der Deutschen für
einen „Abpfiff“ von Klimmt ist und dass auch 55 Prozent
der SPD-Anhänger diese Einschätzung teilen?
({0})
Ich kann, Herr Kollege, nicht ausschließen, dass der
Bundeskanzler den „Spiegel“ gelesen hat.
({0})
Eine weitere Frage des Kollegen Dirk Fischer.
Herr Staatsminister Bury, ich möchte nachfragen: Wenn nach dem
Wortlaut des Gesetzes die Vorbedingung für den Antrag,
einen Strafbefehl zu erlassen, ist, dass der Sachverhalt
eindeutig geklärt
({0})
und der Täter geständig ist
({1})
- dies war bis zu der Erklärung von Minister Klimmt die
Basis -, müssen das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit dann davon ausgehen, dass Minister Klimmt damit sein Geständnis zurückgenommen hat, was ja sein
gutes Recht ist, oder würden Sie bestreiten, dass er in diesem Verfahren bisher geständig war?
Da ich nicht Jurist bin, Herr Abgeordneter, würde ich
bitten, dass der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz den rechtlichen Teil Ihrer Frage
beantwortet.
({0})
Herr
Staatssekretär, bitte schön.
({0})
Herr Fischer, Sie wissen, dass Strafbefehle unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen
zustande kommen können. Solange die Einspruchsfrist
besteht, kann er natürlich jederzeit angefochten werden.
Insofern ist die Rechtsfolge, dass es zu einer Hauptverhandlung kommt.
({0})
- Ich kann Ihnen nicht sagen, welche Beweggründe damals entscheidend waren, und ich glaube, Sie werden von
mir auch nicht erwarten, dass ich darüber sinniere, aus
welchen Gründen die Aussage von Herrn Klimmt erfolgt
ist. Ich nehme an, er hatte seinen guten Grund, und er hat
auch einen entsprechend guten Grund, nun zu sagen: Ich
fechte den Strafbefehl an.
Eine weitere Frage der Kollegin Sylvia Bonitz.
Herr Staatsminister, darf
ich in diesem Zusammenhang fragen, was Herrn Klimmt
bewogen hat, den Strafbefehl zunächst anzunehmen und
ihn jetzt, einige Tage danach - letztendlich auf anwaltlichen Beistand hin - doch anzufechten?
({0})
Frau Kollegin, wenn Ihnen meine Antwort auf die
gleiche Frage vorher entgangen ist, bin ich gerne bereit,
sie zu wiederholen.
Reinhard Klimmt hatte am 13. November in der Tat erklärt, er sei bereit, den vom Amtsgericht Trier erlassenen
Strafbefehl rechtskräftig werden zu lassen, obwohl er davon überzeugt sei, dass er sich nichts habe zuschulden
kommen lassen. Damit hatte Reinhard Klimmt einer
Empfehlung seiner Anwälte entsprochen.
Diese Ankündigung - darauf hatte ich vorhin hingewiesen - ist jedoch öffentlich als Schuldeingeständnis interpretiert worden, und deshalb hat Reinhard Klimmt
heute seine Anwälte angewiesen, gegen den Strafbefehl
Einspruch einzulegen, weil er überzeugt ist, dass er sich
nichts hat zuschulden kommen lassen und dass dieses in
der Hauptverhandlung auch so festgestellt werden wird.
Eine weitere Frage des Abgeordneten Koschyk.
Herr Staatsminister,
der Kollege von Klaeden hat vorhin auf einen Fernsehbericht im ARD-Magazin „Report“ verwiesen, in dem über
diesen Wettvorgang unter Beteiligung des Herrn Bundesministers Klimmt berichtet wurde. Kann man davon ausgehen, Herr Staatsminister, dass dieser Vorgang von
Herrn Klimmt in der Öffentlichkeit entsprechend zurechtgerückt wird, falls diese Vorwürfe in diesem Magazin
nicht zutreffen?
Kann man ferner davon ausgehen, dass der Herr Bundeskanzler den Herrn Bundesminister darüber befragen
wird, ob diese ungeheuerlichen Vorwürfe im Zusammenhang mit einer von Herrn Bundesminister Klimmt im
Hause von Herrn Doerfert initiierten Wettrunde zutreffen:
Scheinbare Wetteinsätze sollen nicht beglichen worden
sein, sondern als Spende an die SPD geflossen sein, indem
der angeklagte Herr Doerfert Herrn Klimmt pauschal einen Scheck übergeben hat; die Beteiligten haben jetzt
Selbstanzeige erstattet, weil sie befürchten, in den Strudel
der Spendenaffäre Klimmt hineingezogen zu werden?
Kann man also davon ausgehen, dass diesen in einem
Fernsehmagazin erhobenen Vorwürfen von der Bundesregierung, von Herrn Klimmt in irgendeiner Weise entgegengetreten wird?
Herr
Staatsminister.
Herr Kollege, ich habe weniger Zeit zum Fernsehen
als der Abgeordnete von Klaeden.
({0})
Ich kann daher den von Ihnen zitierten Fernsehbericht
nicht kommentieren.
Ich rufe
jetzt die Fragen auf, die mit der eben gestellten dringlichen Frage im Zusammenhang stehen. Zur Beantwortung
steht weiterhin der Staatsminister Hans Martin Bury zur
Verfügung.
Die Frage 37 des Abgeordneten Eckart von Klaeden ist
zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Eckart von
Klaeden auf:
Wie bewertet der Bundeskanzler, dass Bundesminister
Reinhard Klimmt ihn bislang nicht von sich aus ersucht hat, dem
Bundespräsidenten seine Entlassung vorzuschlagen, obwohl die
Konsequenz der Ermittlungen der beantragte Strafbefehl ist?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Abgeordneter von Klaeden, Bundesminister
Klimmt ist davon überzeugt, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Er setzt darauf, dass seine Unschuld in der Hauptverhandlung festgestellt wird. Es gilt
die Unschuldsvermutung.
Zusatzfrage, Herr von Klaeden.
Herr Staatsminister, ich möchte nach der Motivation von Herrn Klimmt
fragen, den Strafbefehl zunächst anzunehmen und hinterher doch Einspruch einzulegen. Hatte Minister Klimmt
Anlass, davon auszugehen, dass der Bundeskanzler ihn
im Falle der Annahme des Strafbefehls - wie es die Medien berichtet haben - im Kabinett belassen würde, oder
hat es eine derartige Vereinbarung nicht gegeben?
Herr Kollege von Klaeden, ich habe Sie bereits zweimal darauf hingewiesen, warum Reinhard Klimmt
zunächst erklärt hat, er werde den Strafbefehl akzeptieren,
dann aber - wegen der Missinterpretation als Schuldeingeständnis - heute zu einer anderen Entscheidung gekommen ist.
Der Bundeskanzler hat heute im Kabinett deutlich gemacht, dass es in dieser Frage aktuell nichts zu entscheiden gibt. Er geht davon aus, dass sich in der Hauptverhandlung die Unschuld von Reinhard Klimmt erweisen
wird.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Kollege von Klaeden.
Herr Staatsminister, da Sie meine Frage nicht beantwortet haben, muss ich
meine zweite Zusatzfrage dafür opfern, Sie noch einmal
zu fragen, ob Bundesminister Klimmt Anlass hatte, davon
ausgehen zu können, dass er im Kabinett verbleiben
würde, falls er den Strafbefehl annimmt.
Herr Kollege von Klaeden, ich antworte nicht auf hypothetische Fragen.
({0})
Zusatzfrage des Kollegen Dirk Fischer.
Herr Staatsminister Bury, hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob das widersprüchliche Verhalten des Bundesministers Klimmt aufgrund eigener freier Entscheidung oder
auf Drängen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck
zustande gekommen ist?
({0})
Selbstverständlich ist es die eigene Entscheidung von
Reinhard Klimmt, wie er sich in diesem Verfahren verhält.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Norbert Geis.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mit mir darin überein, dass nicht der von Ihnen
genannte Grund für den Einspruch gegen den Strafbefehl
zutrifft, sondern dass ein ganz anderer Grund wahrscheinlich ist? Denn jeder, der bereit ist, einen Strafbefehl anzunehmen, bekundet damit für die Öffentlichkeit klar, dass
er sich für schuldig hält; sonst würde er ja den Strafbefehl
nicht annehmen.
Nein, Herr Kollege, ich stimme darin ausdrücklich
nicht mit Ihnen überein.
Zusatzfrage der Kollegin Bonitz.
Herr Staatsminister, hat
es in dieser Angelegenheit eine Einflussnahme des Herrn
Bundeskanzlers auf den Bundesminister Klimmt vor dem
Hintergrund gegeben, dass - was wir zumindest in den
Medien nachlesen können - der Bundeskanzler beabsichtigt, ein Verbleiben des Bundesministers Klimmt im Amt
davon abhängig zu machen, wie das Medienecho bzw. der
Druck der Öffentlichkeit auf Herrn Klimmt ausfällt?
Nein, die Entscheidungen sind - offenkundig im Übrigen - nicht vom Medienecho abhängig gemacht worden.
Wir kommen dann zur Frage 39 des Kollegen Erwin Marschewski:
Ist der Bundeskanzler der Ansicht, der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Reinhard Klimmt, könne bei einem Strafbefehl im Amt bleiben, wie dies zum Beispiel vom Vorsitzenden der Fraktion der SPD vertreten wird, und ist damit zu
rechnen, dass Bundesminister Reinhard Klimmt bei einer Anklageerhebung in jedem Fall entlassen würde?
Nein, Herr Kollege Marschewski, wie bereits in der
Antwort auf die Frage des Kollegen von Klaeden ausgeführt, gilt auch für Bundesminister in laufenden Verfahren
die Unschuldsvermutung.
Zusatzfrage? - Herr Marschewski, bitte.
Herr Staatsminister, teilt der Herr Bundeskanzler die Auffassung zum Beispiel des Untersuchungsausschussvorsitzenden Neumann und großer Teile der Bevölkerung, dass
ein Rücktritt allein wegen dieses ungeheuren Schummelvorgangs, dieses unseligen Geschäftes zwischen Caritas
und FC Saarbrücken, nötig sei, oder teilt er die Auffassung, Klimmt sei ein anständiger Mensch und müsse
schon allein deswegen im Kabinett verbleiben?
Herr Abgeordneter Marschewski, der Bundeskanzler
teilt die von Ihnen hier vorgetragene erste Auffassung nicht.
Mit Interesse habe ich im Übrigen einer ddp-Meldung von
heute Mittag entnommen, dass auch der designierte CDUGeneralsekretär, Herr Laurenz Meyer, einen sofortigen
Rücktritt von Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt
nicht für notwendig erachtet.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Wilhelm Schmidt von der SPDFraktion.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, dass die Art und
Weise von Kesseltreiben und Vorverurteilung gegenüber
Bundesminister Klimmt offensichtlich ein Licht auf große
Teile der CDU/CSU und ihre Art, die Leitkultur zu verstehen, wirft?
({0})
Herr Kollege Schmidt, es fiele mir schwer, Ihrer Einschätzung an dieser Stelle zu widersprechen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatsminister, Bundesminister Klimmt hat sich in der Öffentlichkeit
zu seiner Verteidigung in der Form eingelassen, dass er
den hier in Rede stehenden Vertrag, bei dem es immerhin
um über 600 000 DM gegangen ist, ohne Vorsatz unterschrieben habe; er habe einfach das unterzeichnet, was
ihm die Juristen vorgelegt hätten. Ist zu befürchten, dass
er dieselbe Sorgfalt auch bei seinen Amtsgeschäften als
Bundesminister an den Tag legt?
({0})
Was den ersten Teil Ihrer Frage angeht, Herr Abgeordneter von Klaeden, habe ich schon vorhin darauf hingewiesen, dass ich mich zu dem laufenden Verfahren
grundsätzlich nicht äußere. Was den zweiten Teil betrifft:
Ich habe keinen Anlass, an der Sorgfalt der Amtsführung
des Kollegen Klimmt zu zweifeln.
Frau
Bonitz, bitte schön.
Herr Staatsminister, wenn
Herr Klimmt sagt - so ist es seinen Ausführungen in den
Medien zu entnehmen -, dass er selbstverständlich davon
ausgegangen sei, dass alles seine Ordnung habe, bezieht
sich das dann auch darauf, dass es heutzutage anscheinend
eine Selbstverständlichkeit ist, wenn knappe Mittel der
Caritas dazu verwandt werden, einen Fußballklub vor der
Pleite zu bewahren?
Wir haben hier denselben Fall wie eben, Frau Abgeordnete: Ich darf auf meine vorhergehende Antwort verweisen, dass ich mich zu einem laufenden Verfahren
grundsätzlich nicht äußere.
Wir
kommen nun zur Frage 40 des Abgeordneten Erwin
Marschewski:
Macht der Bundeskanzler Bundesminister Reinhard Klimmts
politisches Schicksal vom politischen Echo auf das Ergebnis der
staatsanwaltlichen Ermittlungen bzw. Vernehmung von Bundesminister Reinhard Klimmt abhängig und trifft insofern die Einschätzung zu, dass der Bundeskanzler für den Verbleib in einem
herausragenden Amt wie dem eines Bundesministers weniger die
Schwere der Vorwürfe strafbarer Handlungen ins Kalkül zieht als
vielmehr vor allem die damit verbundene öffentliche Resonanz
ausschlaggebend sein lässt?
Die Antwort auf die Frage lautet: Nein.
Keine Zusatzfrage, Herr Marschewski? - Herr von Klaeden, Ihre
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, glauben Sie eigentlich, dass nach diesen Vorfällen
Bundesminister Klimmt noch der in Sonntagsreden immer wieder beschworenen Vorbildfunktion von amtierenden Ministern nachkommen kann?
Ich darf Sie noch einmal auf Folgendes hinweisen: Da
Sie Rechtsanwalt sind,
({0})
dachte ich eigentlich, dass Ihnen geläufig ist, dass in einem laufenden, nicht abgeschlossenen Verfahren auch für
Bundesminister die Unschuldsvermutung gilt.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Bonitz. Bitte schön.
Herr Staatsminister, da
die Vorgänge, die dem Strafbefehl gegen Herrn Klimmt
zugrunde liegen, bislang unbestritten sind, frage ich, in
welcher Weise Bundesminister Klimmt, falls er während
dieses Verfahrens im Amt bleibt, seine politische Vorbildfunktion beeinträchtigt sieht.
Frau Kollegin, noch einmal: Bundesminister
Reinhard Klimmt geht davon aus, dass er sich nichts hat
zuschulden kommen lassen und dass dies in einer entsprechenden Hauptverhandlung bestätigt wird.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dirk Fischer.
Herr Staatsminister Bury, hat es Überlegungen dahin gehend gegeben,
Klimmt solle besser gleich zurücktreten, als durch sein
Verbleiben im Amt die Landtagswahlen in RheinlandPfalz und Baden-Württemberg zu belasten?
Nein.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Gesundheit.
Die Frage 1 des Abgeordneten Gerald Weiß ({0}) soll schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin
Simone Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Konrad Kunick
auf:
Welche Folgen hat nach Auffassung der Bundesregierung die
globale Erwärmung für den vorausschauenden Küstenschutz?
Frau Staatssekretärin, bitte schön.
Herr Kollege, neben der Zunahme der Zahl an Stürmen,
Überschwemmungen und Naturkatastrophen, mit denen
wir in der vergangenen Zeit in diesem Zusammenhang
konfrontiert worden sind, wird auch ein weiterer Anstieg
des Meeresspiegels als unmittelbare Folge weltweiter
Klimaveränderungen prognostiziert.
Der Anstieg des Meeresspiegels wird sich zweifelsohne regional sehr unterschiedlich auswirken. Wenn wir
über vorsorgenden Küstenschutz sprechen, sind ganz besonders sehr dicht besiedelte Gegenden, die unmittelbar
unterhalb des Meeresspiegels liegen, zu beachten. Dies
sind vor allem kleine Inselstaaten, die sich während der
Klimaverhandlungen zu einer Interessengruppe konstituiert haben.
Der vorausschauende Küstenschutz als Reaktion auf
den Klimawandel ist für uns allerdings nur die zweitbeste
Lösung. Es ist hier vielmehr notwendig, eine wirklich
wirksame Verminderung der Emission der für den Treibhauseffekt verantwortlichen Spurengase zu erreichen.
Das Kioto-Protokoll bietet hierfür eine Grundlage, einen
ersten Schritt; es ist aber sicherlich nicht ausreichend.
Falls wir aber in die Situation geraten, dass sowohl
durch die aktuellen Verhandlungen als auch durch die Verringerung der Emission von Spurengasen nicht verhindert
werden kann, dass der Meeresspiegel ansteigt, sind
vorausschauende Küstenschutzmaßnahmen erforderlich.
Eine Erhöhung der Deiche sowie der Bau neuer Sperrwerke und die Verstärkung von bestehenden Sperrwerken
können tiefer liegende Gebiete vor Überflutung schützen.
Aufgrund der unterschiedlichen Betroffenheit wird allerdings ein vorsorgender Küstenschutz vordringlich in den
Entwicklungsstaaten erforderlich werden. Als Beispiel
nenne ich Bangladesch. Von den westlichen Industriestaaten sind hier besonders die Niederlande zu nennen.
Auch wenn es diese besondere Betroffenheit gibt, sind
wir natürlich ebenso in unserer nationalen Politik gefragt.
Sie wissen, dass in Deutschland die Länder für den Küstenschutz zuständig sind. Der Bund finanziert auf der
Grundlage der im Planungsausschuss der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ festgelegten Fördergrundsätze bis zu
70 Prozent der Maßnahmen der Länder. Der Umfang der
Bundesmittel beträgt hier jährlich 150 bis 170 Millionen
DM.
In der Planung für den Küstenschutz ist schon seit langem ein Anstieg des Meeresspiegels um 25 bis 30 Zentimeter berücksichtigt. Falls der Meeresspiegel um 50 Zentimeter ansteigen sollte, wäre in den nächsten Jahren
hinreichende Sicherheit gegeben. Um allerdings auch bei
alten Deichen und entsprechenden Bauwerken auf diesen
Stand zu kommen, sind noch eine Reihe von Maßnahmen
notwendig. Wir rechnen mit einem Kostenaufwand für die
nächsten zehn Jahre in Höhe von circa 2 Milliarden DM.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kunick.
Ist die Bundesregierung bereit, die wissenschaftlichen Erkenntnisse über einen nicht
mehr abzubremsenden Klimaschub bezüglich des Deichschutzes im deutschen Küstengebiet vertiefen zu lassen,
sodass wir rechtzeitig weitere Deicherhöhungen veranlassen können?
Selbstverständlich, Herr Kollege. Wissenschaftlich
sind die Möglichkeiten eines Meeresspiegelanstiegs
untersucht. Die Enquete-Kommission des Deutschen
Bundestages und das IPCC gehen davon aus, dass der
Klimawandel solche Folgen haben wird. Da wir seit langem vorausschauend sind, hat die Bundesregierung eine
Erhöhung des Meeresspiegels um 25 Zentimeter bis
30 Zentimeter einbezogen. Falls der Meeresspiegel um
50 Zentimeter ansteigen würde, wären wir noch auf der
sicheren Seite. Selbstverständlich aber müssen wir alle
wissenschaftlichen Erkenntnisse und Untersuchungen zu
Rate ziehen, um hier vorausschauend tätig werden zu können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kunick.
Ist die Bundesregierung bereit, gegebenenfalls ein Programm zur weiteren Erhöhung
der Deichsicherheit und zur Verkürzung von Deichlinien
mit den Küstenländern zu erörtern?
Sie wissen, dass wir mit den Ländern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe immer im Gespräch sind. Die
Gesamtinvestitionen von Bund und Ländern für den Küstenschutz innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Küstenschutz“ betragen jährlich circa 200 Millionen DM. Seit
der Sturmflut 1962 sind 9 Milliarden DM investiert worden. Diese Beratungen gehen natürlich auch aufgrund der
wissenschaftlichen Erkenntnisse weiter. Wir halten es für
richtig, dass wir uns mit 70 Prozent an diesen Maßnahmen
beteiligen, und werden mit den Ländern ausloten, wo zusätzliche Maßnahmen nötig sind.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Walter Hirche.
Frau Staatssekretärin, ist es
richtig, dass heute, rund 40 Jahre später, noch nicht alle
Küstenschutzmaßnahmen abgeschlossen sind, die nach
der Sturmflut von 1962 als notwendig erachtet wurden?
Welches Volumen haben die noch ausstehenden Maßnahmen und welches Volumen haben die von Ihnen genannten Maßnahmen, wenn man um 20 bis 30 Zentimeter erhöhte Deiche berücksichtigt?
Ein Anstieg des Meeresspiegels um 20 bis 30 Zentimeter
ist in den Planungen bereits berücksichtigt worden. Es
wird jetzt im Nachgang zu den Sturmfluten noch notwendig sein, die See- und Stromdeiche auf einer Länge von
280 Kilometern auszubauen. Ich habe vorhin die Höhe der
notwendigen Investitionen genannt. Zwischen Bund und
Ländern wird die Finanzierung geklärt. Das ist eine Aufgabe, die wir nur gemeinsam bewältigen können.
Sie können aber versichert sein, dass uns der Ausbau
der 280 Kilometer Länge sehr am Herzen liegt und wir ihn
aufgrund der neuen Erkenntnisse und der Situation, mit
der wir konfrontiert sind, schnell vorantreiben werden.
Wir sind mit Überflutungen, Sturmfluten und Wettersituationen konfrontiert, die immer deutlicher werden lassen, dass ein Klimawandel voranschreitet. Deshalb müssen diese Schutzmaßnahmen getroffen werden.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin Probst.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister
Dr. Christoph Zöpel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk auf:
Über welche Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung hinsichtlich der Gesetzgebung zum Schutze nationaler und ethnischer Minderheiten in der Tschechischen Republik und wie bewertet die Bundesregierung die hierzu bislang von der
Tschechischen Republik bekannt gewordenen Positionen?
Herr Präsident! Herr Kollege, Sie fragen nach der
Gesetzgebung zum Schutz nationaler und ethnischer Minderheiten in der Tschechischen Republik. Dazu ist auf geltendes Recht zu verweisen. Im tschechischen Verfassungsrecht gibt es eine Charta der Grundrechte und
Grundfreiheiten, die in ihren Artikeln 3 sowie 24 und 25
entsprechende Regelungen vorsieht. Über Artikel 3 der
tschechischen Verfassung ist diese Charta ihr integraler
Bestandteil.
Die Frage kann sich aber auch auf laufende Gesetzgebungsverfahren beziehen. Im tschechischen Parlament
befindet sich ein Gesetzentwurf hinsichtlich eines spezifischen Minderheitengesetzes, bei dessen Ausarbeitung
auch Vertreter nationaler und ethnischer Minderheiten sowie der Minderheitenbeauftragte der Regierung Gelegenheit hatten, Stellungnahmen abzugeben. Es wurde im Oktober im Kabinett verabschiedet und befindet sich derzeit
im parlamentarischen Verfahren. Es orientiert sich an den
einschlägigen Rechtsnormen des Europarates, in Sonderheit an der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen vom 5. November 1992, der die Tschechische Republik am 9. November 2000 beigetreten ist.
Schließlich haben wir Informationen, dass es ergänzend zu diesem bereits im Parlament befindlichen Gesetzentwurf in der tschechischen Regierung Überlegungen gibt, Gesetzesnovellen für Einzelbereiche des
Minderheitenschutzes zu erarbeiten, mit denen die Rechte
von Minderheiten namentlich im Bereich der Medien und
der Justiz gestärkt werden sollen.
Zusatzfrage, Herr Koschyk? - Bitte.
Herr Staatsminister,
ist denn der Bundesregierung bekannt, dass es in der
Tschechischen Republik gegenüber dem aktuell im Parlament zu beratenden Gesetzentwurf der Regierung doch
Vorbehalte sowohl seitens der nationalen und ethnischen
Minderheiten in der Tschechischen Republik als auch seitens des vom Menschenrechtsbeauftragten Uhl gibt und
dass die Vorschläge des Menschenrechtsbeauftragten weit
über die Regelungen des Gesetzentwurfes hinausgegangen sind, der jetzt dem tschechischen Parlament zur Diskussion vorliegt?
In der Art und Weise, wie wir miteinander in solchen
Angelegenheiten umgehen, bedanke ich mich für Ihren
Hinweis. Ich gehe ihm nach. Ich bin vorher nicht darauf
aufmerksam gemacht worden.
Herr
Koschyk zu einer weiteren Zusatzfrage.
Ich habe noch eine
Frage: Wie äußert sich die Kommission in ihrem aktuellen Fortschrittsbericht im Hinblick auf das Beitrittsverfahren der Tschechischen Republik zur Europäischen
Union zu dem Menschenrechts- und Minderheitenschutzstandard in der Tschechischen Republik, der nach den Kopenhagener Beitrittskriterien ein sehr wichtiger Gesichtspunkt ist?
Soweit ich es der Zusammenfassung des Berichts
entnommen habe, enthält er diesbezüglich keine beitrittshinderlichen Hinweise.
Ich rufe
die Frage 4 des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf:
Über welche Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung hinsichtlich der Berücksichtigung von Gewahrsamszeiten in tschechoslowakischen Internierungs- und Arbeitslagern nach dem
Zweiten Weltkrieg in der tschechischen Rentenversicherung für
die Angehörigen der deutschen Minderheit in der Tschechischen
Republik, und sieht die Bundesregierung in den diesbezüglichen
Bestimmungen eine Diskriminierung gegenüber den Angehörigen
der tschechischen Mehrheitsbevölkerung, für deren Beseitigung
sich die Bundesregierung gegenüber der tschechischen Seite einsetzen will?
Herr Präsident! Herr Kollege, die Bundesregierung
verfügt zurzeit für die Beantwortung Ihrer Frage hinsichtlich der Berücksichtigung von Gewahrsamszeiten in
tschechoslowakischen Internierungs- und Arbeitslagern
nach dem Zweiten Weltkrieg in der tschechischen Rentenversicherung für die Angehörigen der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik nicht über ausreichende Erkenntnisse. Die deutsche Botschaft in Prag
wurde von uns um Prüfung des tschechischen Rentenversicherungsrechts in Bezug auf diese Frage gebeten. Das
geht nicht von einem Tag auf den anderen, wie Sie dankenswerterweise akzeptieren wollen. Wir werden Ihnen
dazu ausführlich schriftlich berichten.
Zusatzfrage.
Sollte sich ergeben,
Herr Staatsminister, dass Gewahrsamszeiten für Angehörige der deutschen Minderheit in der Tschechischen
Republik im tschechischen Rentenrecht nicht anerkannt
werden: Wird sich die Bundesregierung dann gegenüber
der tschechischen Seite für eine entsprechende Anrechnung dieser Gewahrsamszeiten in der Rentenversicherung einsetzen?
Ohne ausweichen zu wollen: Dass es sich hierbei
um einen Tatbestand handelt, der im Interesse der Betroffenen mit aller Sorgfalt durch die Bundesregierung geprüft werden muss, ist klar. Angesichts der Tatsache, dass
vermutlich weder Sie noch ich im Augenblick ganz genau
wissen, was in den entsprchenden Gesetzen steht bzw.
was in ihnen fehlt, möchte ich auch keine abstrakte Antwort auf Ihre Frage geben. Wenn aber die Recherche ergibt, dass Ihre Befürchtungen richtig sind, werden wir
dies sorgfältig prüfen.
Ich möchte Ihnen persönlich zusagen, vor einer Entscheidung darüber mit Ihnen in Kontakt zu treten.
Vielen
Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr. Eckhart Pick
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Wolfgang
Dehnel auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, die Sicherheit der
Bevölkerung vor besonders gefährlichen Sexualstraftätern zu verbessern?
Herr Kollege Dehnel, ich darf
zunächst darauf verweisen, dass vor kurzem das Gesetz
zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Sexualstraftätern umfassend
verbessert hat. So ist gerade gegenüber dieser Gruppe von
Straftätern die Verhängung der Sicherungsverwahrung
deutlich erleichtert worden. Seitdem schreibt das Gesetz
ausdrücklich vor, dass die Gerichte bei der Entscheidung
über eine mögliche vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft prüfen müssen, ob - ich zitiere aus § 57 Abs. 1 Nr. 2
des Strafgesetzbuches - „dies unter Berücksichtigung
des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet
werden kann“.
Mit diesem Gesetz wurde zudem der umfassend belegten Erkenntnis Rechnung getragen, dass eine angemessene therapeutische Behandlung von Sexualstraftätern
durchaus erfolgreich sein kann und dass gerade eine erfolgreiche Therapie den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit dient, da sie den Tätern die Gefährlichkeit
nimmt. Deswegen wurde § 9 des Strafvollzugsgesetzes,
der übrigens erst zum 1. Januar 2003 in Kraft treten wird,
neu gefasst. Damit wird eine Verlegung von behandlungsbedürftigen und behandlungsfähigen Sexualstraftätern, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren
verurteilt wurden, in eine sozialtherapeutische Anstalt
zwingend vorgeschrieben, wenn diese Verlegung aufgrund einer Untersuchung der Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse des Gefangenen angezeigt ist. Das spätere In-Kraft-Treten wurde im Übrigen beschlossen, um
den Ländern entsprechende Maßnahmen zu ermöglichen.
Weiterhin verpflichtet das Gesetz die Vollzugsbehörden schon jetzt, bereits in der zu Beginn des Vollzuges
durchzuführenden Behandlungsuntersuchung zu prüfen,
ob die Verlegung unter Behandlungsgesichtspunkten angezeigt ist, und eine Entscheidung zu treffen. Für den Fall,
dass das Erfordernis der Verlegung verneint wird, ist die
Entscheidung unter Berücksichtigung der Entwicklung
des Gefangenen im Vollzug in regelmäßigen Abständen
zu wiederholen.
Nun ist, wie Sie wissen, der Vollzug dieser Gesetze Sache der Länder. Ungeachtet dessen überprüft die Bundesregierung ständig die bestehenden Gesetze auf Änderungsbedarf. Deshalb und zur Unterstützung der Länder
vergibt sie beispielsweise Forschungsaufträge, die sich
mit dieser Thematik befassen. So wird die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden, eine Forschungs- und
Dokumentationseinrichtung der Justizministerien des
Bundes und der Länder, in Kürze ihr Forschungsvorhaben
zur Rückfälligkeit von Sexualstraftätern abschließen. Aus
diesem Vorhaben erhofft sich die Bundesregierung weitere Erkenntnisse für die Bekämpfung und Prävention vor
allem von wiederholt begangenen Sexualstraftaten.
Ferner hat die Kriminologische Zentralstelle in den
letzten zwei Jahren zwei Fachtagungen zu dieser Thematik durchgeführt und die Ergebnisse im Übrigen auch veröffentlicht. Außerdem steht die Kriminologische Zentralstelle hinsichtlich der Anwendung der geänderten
Strafvorschriften in engem Kontakt mit den Landesjustizverwaltungen und dokumentiert zum Beispiel auch die
Entwicklungen bei den sozialtherapeutischen Einrichtungen.
Zusatzfrage des Kollegen Dehnel.
Ich bedanke mich
ausdrücklich für die ausführliche Antwort. Es bleibt noch
eine Frage offen. Sie haben die Therapie angesprochen.
Zur Therapie gehört unseres Wissens auch der Freigang
und gerade dabei kam es immer wieder zu Verbrechen.
Freigänger sind geflohen und mussten mit einem Millionenaufwand wieder eingefangen werden. Sie haben zwar
darauf verwiesen, dass dies Ländersache sei. Aber mich
interessiert Folgendes: Vonseiten speziell der sächsischen
Landtagsfraktion kam der Vorschlag, Freigängern eine
elektronische Fußfessel anzulegen. Würden Sie diesen
Vorschlag unterstützen? Wird die Bundesregierung in dieser Richtung aktiv werden?
Man muss natürlich berücksichtigen, dass immer von Fall zu Fall entschieden wird, ob ein
Strafgefangener in den offenen Strafvollzug kommt und
damit Freigang erhält. Insofern müssen die entsprechenden Gesetze, die vorhanden sind, von den zuständigen
Behörden angewandt werden.
Die elektronische Fußfessel ist eine Möglichkeit, um
beim Freigang, der dem Strafgefangenen den Wechsel in
die Freiheit erleichtern soll, die entsprechende Sicherheit
zu gewährleisten. Insofern ist dies ein interessanter Vorschlag. Insbesondere in den nordischen Staaten Europas
wird es bereits praktiziert. Die Bundesregierung wird prüfen - sie macht sich die dortigen Erfahrungen zu Eigen -,
ob dies eine Möglichkeit ist, die Wiedereingliederung von
Strafgefangenen zu erleichtern.
Ich rufe
die Frage 6 des Abgeordneten Wolfgang Dehnel auf:
Wie viele Opfer gab es nach Kenntnis der Bundesregierung in
den vergangenen zehn Jahren aufgrund von erneuten Straftaten
flüchtiger Sexualstraftäter?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Hierzu liegen der Bundesregierung
keine Erkenntnisse vor. Entsprechende Angaben werden
in den Statistiken für die Strafrechtspflege nicht erhoben.
Zusatzfrage, Kollege Dehnel.
Herr Staatssekretär,
Sie haben bei der letzten Regierungsbefragung vor einer
Woche angekündigt, dass eine Verbrechenspräventionskommission der Bundesregierung eingesetzt wird, die
Vorschläge erarbeiten soll, wie die Verbrechensbekämpfung weiter vorangetrieben werden kann. Meine Frage ist:
Wie können Sie eine Analyse durchführen, wenn Sie
keine genauen Zahlen, keine Statistiken haben? Und
warum haben Sie keine Werte und Statistiken über diese
Verbrechen, die die Bevölkerung sehr verunsichern, obwohl es ein Bundesministerium des Innern, ein Bundesministerium der Justiz und ein Bundeskriminalamt gibt?
Ich darf es wiederholen: Es gibt
hierzu bisher keine Statistiken. Die Länder reagieren auch
ausgesprochen allergisch darauf, wenn sie vonseiten des
Bundes bedrängt werden, neue Statistiken vorzulegen. Ich
gehe aber davon aus, dass dies ein Thema in dem von Ihnen angesprochenen Präventionsrat sein wird, in dem
auch die Länder hochrangig vertreten sein werden. Insofern besteht die Möglichkeit, dass wir genauere Erkenntnisse gewinnen.
Weitere
Zusatzfrage, Kollege Dehnel.
Stimmen Sie mit mir
darin überein, dass man die Erstellung einer solchen Statistik nicht allein den wirklich gut arbeitenden Journalisten der verschiedenen Medien überlassen darf?
Ich habe erhebliche Zweifel, ob die
Statistiken, die von privater Seite angefertigt werden,
überhaupt den Tatsachen entsprechen; denn es gibt in den
Ländern keine Quelle, die dies in einer entsprechenden
Form vermitteln könnte. Insofern glaube ich, dass das
Ganze sehr viel mit Spekulation zu tun hat. Das schließt
aber nicht aus, dass im Einzelfall entsprechende Informationen an die Presse gegeben werden. Bundesweit aber
haben wir - darauf möchte ich mich beziehen - keine Statistik, die uns in die Lage versetzt, Ihre Frage so deutlich
zu beantworten, wie sie es wert wäre, beantwortet zu werden.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Sylvia Bonitz.
Herr Staatssekretär, ich
bin - gelinde gesagt - entsetzt, dass wir zu diesem wichtigen und für unsere Sicherheit relevanten Thema keine
vernünftigen Zahlen vorliegen haben. Meinen Sie nicht,
dass es gerechtfertigt wäre, in diesem hochsensiblen Bereich von Sexualstraftaten Erhebungen vorzunehmen nicht nur aufgrund der jüngsten Vorfälle, sondern auch
aufgrund der immer wieder von den Medien dargebotenen
und uns alle entsetzenden Vorfälle, bei denen Straftätern
die Flucht und erneute Straftaten gelingen? Zu jedem anderen Pipifax erlegen wir es der Wirtschaft auf, statistische Erhebungen durchzuführen, aber in diesem für unsere Sicherheit so relevanten Bereich haben wir keine
fundierten Zahlen zur Verfügung.
Frau Kollegin, ich glaube, dass es
nicht damit getan wäre, nur Zahlen zu registrieren. Um
überhaupt Konsequenzen ziehen zu können, muss bei jedem Einzelfall betrachtet werden, unter welchen Umständen die Betroffenen die Möglichkeit hatten, zu Wiederholungstätern zu werden. Insofern ist es nicht damit getan,
die Statistik zu pflegen. Es muss vielmehr ermittelt werden, unter welchen Voraussetzungen die Taten begangen
worden sind. Erst daraus kann man die entsprechenden
Schlüsse ziehen und Verallgemeinerungen ableiten.
Ich rufe
die Frage 7 des Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Allgemeinheit vor Straftätern wie dem Sexualstraftäter und mutmaßlichen
Mörder Frank Schmökel zu schützen und einen erneuten Freigang
gemeingefährlicher Täter zu verhindern ({0})?
Herr Kollege Dr. Uhl, mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 wurde der
Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Sexualstraftätern umfassend verbessert.
Ich wiederhole, was ich bereits auf die vorige Frage geantwortet habe: Unabhängig von diesen Verbesserungen
überprüft die Bundesregierung die bestehenden Gesetze
ständig daraufhin, ob sie zeitgerecht sind. In diesem Zusammenhang sind auch entsprechende Forschungsaufträge ergangen.
Nach den Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes
dürfen Vollzugslockerungen nur für solche Strafgefangene angeordnet werden, die dazu geeignet sind. Das
heißt, es darf nicht zu befürchten sein, dass sich die Gefangenen dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder
die Lockerungen des Strafvollzuges zur Begehung von
Straftaten missbrauchen. Die Frage, inwieweit Straftätern, die in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, Vollzugslockerungen gewährt werden können, bestimmt sich nach Landesrecht.
Auch der Vollzug des Strafvollzugsgesetzes ist - ebenso wie die Durchführung des Maßregelvollzuges - Angelegenheit der Länder. Diese unterstehen dabei nicht - Sie
wissen das - der Dienst- oder Fachaufsicht des Bundes.
Die Entscheidung über die Eignung einzelner Straftäter
für Vollzugslockerungen entzieht sich daher der Beurteilung durch die Bundesregierung.
Herr Kollege Uhl, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
ich glaube, die aktuellen Vorkommnisse haben uns allen
gezeigt, dass das Thema nicht geeignet ist, eine Zuständigkeitsdebatte zu führen und sich mit Blick auf die Länder auf eine mangelnde Zuständigkeit des Bundes zu berufen.
Teilen Sie angesichts dieses Umstandes die etwas sonderbare Aussage des brandenburgischen Gesundheitsministers Alwin Ziel, der - bisher unwidersprochen - gesagt
hat, ein erneuter Freigang Schmökels sei im Rahmen seiner Therapie auch in Zukunft möglich und dürfe nicht
ausgeschlossen werden?
Herr Kollege, ich glaube, Sie haben
Verständnis dafür, dass sich das Bundesministerium der
Justiz bzw. die Bundesregierung nicht zu einem laufenden
Verfahren äußert. Ich will der Frage aber nicht ausweichen: Es muss in der Tat hinterfragt werden, ob die Behörden damals richtig entschieden haben.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Uhl.
Es muss in der Tat
gefragt werden, ob richtig entschieden wurde. Im konkreten Fall war es so, dass Gutachten von Fachleuten die
Grundlage für die Entscheidung waren. Auch in Zukunft
wird in gleicher Weise verfahren werden. Ist die Bundesregierung bereit, in Zusammenarbeit mit den Ländern die
Rechtsfrage zu erörtern, ob ein gesetzlicher Haftungstatbestand für Gutachter eingeführt werden kann, mit der
Folge, dass Sachverständige wenigstens für einen Teil der
Schäden aufzukommen haben, die als Folge eines erwiesenen Falschgutachtens entstanden sind?
Bei dem aktuellen Ereignis ist aufgrund einer falschen
Einschätzung des Täters nicht nur ein Mensch ums Leben
gekommen, sondern es ist auch dem Steuerzahler ein
Schaden in Millionenhöhe zugefügt worden. Auch dieser
Umstand darf nicht vergessen werden und sollte für die
Bundesregierung und die Landesregierungen Anlass sein,
über die Möglichkeit eines gesetzlichen Haftungstatbestandes nachzudenken.
Herr Kollege Uhl, ich gehe davon
aus, dass jede Sachverständige bzw. jeder Sachverständige ein Gutachten nach bestem fachlichen Können erstellt. Die Frage, ob sich an ein falsches Gutachten Haftungsfolgen knüpfen können, stellt sich uns in vielen
Bereichen. Teilweise kann dies bejaht werden. Ob dies allerdings in dem genannten Bereich zielführend ist, müsste
in Zusammenarbeit mit den Bundesländern erörtert werden. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die nächste Justizministerkonferenz auch mit diesem Thema beschäftigen wird.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Sylvia Bonitz.
Herr Staatssekretär, welche weiteren Konsequenzen - außer der Erteilung neuer
Forschungsaufträge und der Erstellung neuer Gutachten ziehen Sie aus dem Fall Schmökel und ähnlichen Fällen?
Es ist doch so, dass frühere Opfer bei einem solchen Vorkommnis unter Polizeischutz gestellt werden müssen, obwohl sie ihr ganzes Leben lang unter den Spätfolgen einer
Sexualstraftat leiden. Können wir nicht gemeinsam zu
sinnvollen Lösungen kommen, um durch konsequentes
gesetzgeberisches Handeln solche Fälle für die Zukunft
unmöglich oder zumindest unwahrscheinlicher zu machen, anstatt ständig neue Gutachten in Auftrag zu geben
und uns dahinter ein wenig zu verstecken?
Frau Kollegin, die gesetzlichen
Grundlagen sind vorhanden und verpflichten ja auch die
Behörden, im Einzelfall sehr sorgfältig zu überprüfen, ob
eine Vollzugslockerung angezeigt ist oder nicht. Wir können natürlich nicht in jedem einzelnen Fall sagen, ob richtig gehandelt worden ist oder nicht. Die Behörden werden
- das gebe ich Ihnen zu - durch diese schlimmen Fälle sicherlich dazu veranlasst werden, diese Fragen noch sorgfältiger als bisher zu prüfen. Ich glaube, es ist auch notwendig, dass man im Zweifel noch einmal überprüft, ob
tatsächlich ein Gutachten ausreicht oder ob man sich eines weiteren Gutachtens bedienen sollte. Alles in allem
denke ich, dass die Verantwortung, die hier bei den zuständigen Behörden liegt, normalerweise sehr sorgfältig
wahrgenommen wird.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Martin Hohmann.
Ich darf eine Frage in
die gleiche Richtung stellen. Ich glaube, dass die Personenidentität zwischen dem Therapeuten und dem Gutachter in der Regel dazu führt, dass die betreffende Person
ihre eigene therapeutische Arbeit bewerten muss. Sowohl
als Therapeut als auch als Gutachter wird sie ihr jeweiliges Arbeitsergebnis nicht herunterreden wollen. Allein
durch diesen - ich möchte einmal sagen - Systemfehler
ist eine Möglichkeit gegeben, dass es immer wieder zu
solch schlimmen Vorfällen kommt. Wären Sie gegebenenfalls bereit, darauf hinzuwirken, dass insoweit eine
Trennung vorgenommen wird?
Herr Kollege, Sie haben sicherlich
Recht, dass die Nähe des Gutachters, der ja bisher schon
mit dem Strafgefangenen „gearbeitet“ hat, natürlich auch
die Gefahr in sich bergen kann, dass dieser zu subjektiv an
die Beurteilung des Sachverhalts herangeht. Insofern ist
es Ausdruck der Sorgfaltspflicht der Behörden, gerade
wenn es im Vorfeld um besonders schwere Taten gegangen ist, zu prüfen, ob man nicht ein weiteres, „neutraleres“ Gutachten heranziehen sollte. Erforderlich ist mehr
Fingerspitzengefühl. In manchen Fällen kommt es dann
möglicherweise zu einer weiteren Absicherung der Entscheidung.
Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Uhl:
Ist es zutreffend, dass es mittlerweile Erkenntnisse gibt, wonach sich die bisherige Vermutung nicht bestätigt, dass deutsche
Rechtsextremisten hinter dem Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge in der Nacht zum 3. Oktober 2000 stehen?
Die Antwort lautet: Nein. Das Verfahren wurde am 4. Oktober 2000 gemäß § 120 Abs. 2
Satz 1 Nr. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom Generalbundesanwalt übernommen. Das Polizeipräsidium
Düsseldorf ist mit den Ermittlungen beauftragt. Diese Ermittlungen dauern noch an.
Zusatzfrage, Herr Kollege Uhl.
Herr Staatssekretär,
hält es die Bundesregierung für denkbar, dass Gerüchte
zutreffen, wonach die ermittelnden Beamten der Polizei
in Düsseldorf angehalten werden, in einer bestimmten
Richtung nicht weiterzuermitteln, damit nicht ein
„falsches“ Ermittlungsergebnis herauskommt? Ich meine
damit: Halten Sie es für denkbar, dass man den Grundverdacht aufrecht erhalten will, dass Rechtsextreme aus
Deutschland tätig waren, obwohl es bereits Vermutungen,
Hinweise und Erkenntnisse gibt, dass es so nicht gewesen
ist, sondern dass es möglicherweise ein Anschlag der Russen-Mafia gewesen sein könnte?
Herr Kollege, ich kann mich an diesen Spekulationen nicht beteiligen. Ich weiß nur, dass
zwei Jugendliche, die gefasst wurden und zunächst als Täter infrage kamen, aus der Haft entlassen werden mussten,
weil sie mit der Tat offenbar nichts zu tun hatten. Mehr ist
mir in diesem Zusammenhang nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär,
halten Sie es nicht für merkwürdig, dass noch immer
keine Ermittlungszwischenergebnisse vorliegen, obwohl
nach diesem spektakulären und bundesweit Aufsehen erregenden Fall eine Sonderkommission in Düsseldorf
durch den Innenminister Behrens mit erheblichem Personalaufwand eingesetzt wurde?
Ich kann mir das nur so erklären,
dass die Ermittlungen ausgesprochen schwierig sind und
die zuständigen Behörden, wie sich das gehört, in alle
Richtungen ermitteln müssen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dehnel.
Vor diesem Hintergrund frage ich: Ist der Bundesregierung bekannt, dass gerade in Frankreich Anschläge von muslimischen Extremisten auf Synagogen verübt worden sind und, wenn ja,
ist die Bundesregierung dann nicht der Meinung, dass
man sich angesichts der Medienberichterstattung über
diese Anschläge mit Äußerungen über die Anschläge in
Düsseldorf zurückhalten sollte?
Herr Kollege, das spricht dafür, dass
die Justizbehörden in alle denkbaren Richtungen ermitteln müssen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Sylvia Bonitz.
Herr Staatssekretär, vor
dem Hintergrund, dass der Anschlag auf die Synagoge auf
ein überdurchschnittliches Interesse gestoßen ist, was
dazu geführt hat, dass sich der Bundeskanzler höchstpersönlich vor Ort ein Bild gemacht hat, möchte ich fragen, ob sich der Herr Bundeskanzler laufend über die Ermittlungsergebnisse, auch wenn es möglicherweise nur
Zwischenergebnisse sind, unterrichten lässt und ob wir
davon ausgehen können, dass auch das Parlament über
Zwischenergebnisse der Ermittlungen informiert werden
wird.
Frau Kollegin, da der Generalbundesanwalt das Verfahren an sich gezogen hat und er, wie
Sie wissen, dem Bundesjustizminister zugeordnet ist und
damit auch der Bundesregierung, ist die Bundesregierung
über den aktuellen Stand der Ermittlungen informiert.
Ich rufe
nun die Frage 9 des Kollegen Detlef Parr auf:
Welche Auswirkungen hat nach Auffassung der Bundesregierung der Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention,
der das Selbstbestimmungsrecht, die Entscheidungs- und Willensautonomie des Individuums als zentrales Menschenrecht unterstreicht, auf die Autonomie des Menschen am Lebensende und die
in Deutschland geltende Rechtslage?
Herr Kollege Parr, Artikel 8 Abs. 1
der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK,
lautet:
Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privatund Familienlebens, seiner Wohnung und seines
Briefverkehrs.
Artikel 8 Abs. 2 regelt die Befugnisse der öffentlichen
Behörden bei einem Eingriff in diese Rechte.
Die Achtung der Privatautonomie am Lebensende ist in
Deutschland gesichert. Nach nationalem Recht ist eine
ärztliche Behandlung nur mit Einwilligung des Betroffenen zulässig. Kann die Einwilligung nicht erteilt werden,
weil der Betroffene zum Beispiel wegen Bewusstlosigkeit
nicht einwilligungsfähig ist, so ist der mutmaßliche Wille
des Betroffenen zu ermitteln und danach vorzugehen. Bei
der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Betroffenen sind insbesondere auch Patienten- oder Betreuungsverfügungen zu berücksichtigen, die der Betroffene zu einer Zeit getroffen hat, als er noch entscheidungsfähig war.
Bei einwilligungsunfähigen Volljährigen kann nur ein Betreuer in eine Behandlung einwilligen.
Ein Betreuer darf nur bestellt werden, wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise
nicht besorgen kann. Der Betreuer hat den Wünschen des
Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl entspricht und dem Betreuer zuzumuten ist. Damit trägt das
geltende Recht zum einen dem Selbstbestimmungsrecht
des Betroffenen Rechnung, das als Teil des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts den Schutz unserer Verfassung genießt und deshalb insbesondere auch vom Gesetzgeber zu
beachten ist.
Es stellt zum anderen sicher, dass auch diejenigen, die
ihr Selbstbestimmungsrecht aufgrund einer psychischen
Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung nicht hinreichend auszuüben vermögen, behandelt
werden, wenn das Unterbleiben der Behandlung nicht
verantwortet werden kann.
Der in der Bestellung eines Betreuers liegende Eingriff
ist auch nach Artikel 8 Abs. 2 EMRK zulässig, weil er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die
zum Schutze des Betreuten selbst notwendig ist. Die
Rechtslage in Deutschland entspricht damit jener der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Zusatzfrage, Herr Kollege Parr.
Herr Staatssekretär, der Deutsche
Juristentag hat sich kürzlich mit dieser Frage beschäftigt. Er
hat eindeutig die Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen gefordert, auch im Hinblick auf die Verhaltensweisen der Ärzteschaft. Wie erklären Sie, dass Sie in Ihrer
Antwort deutlich gemacht haben, dass es keine Notwendigkeit gibt, gesetzgeberische Maßnahmen anzugehen?
In der schriftlich beantworteten
Frage aus der letzten Woche habe ich Ihnen dargelegt,
dass die Bundesregierung der Meinung ist, dass die Frage,
wie man mit der Würde eines sterbenden Menschen umgeht, durchaus zu regeln ist. Wir respektieren, dass sich
auch die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ mit dieser Thematik befasst und warten
auf die Ergebnisse ihrer Beratungen. Wir halten eine Diskussion quer durch unsere Gesellschaft für notwendig.
Der Deutsche Juristentag hat hierzu sicher wertvolle Hinweise gegeben, insbesondere was Patiententestamente
und Ähnliches angeht. Hier wurde sehr kontrovers diskutiert. Dies muss mit einbezogen werden. Am Ende müssen wir alle entscheiden, ob wir zu einer Form der Sterbehilfe raten können oder nicht. Dies ist heute im
Wesentlichen durch das Standesrecht der Ärzte geregelt.
Insofern ist ein langer und sorgfältiger Diskussionsprozess notwendig.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Parr.
Herr Staatssekretär, wir werden
immer älter. Die Fragen, die wir gerade besprechen, werden in den Familien immer mehr zum Gegenstand von
Überlegungen. Wenn Sie sagen, Sie möchten prüfen, erörtern und eine breite Beteiligung herbeiführen, so ist das
richtig. Es ist aber nur eine Seite. Auf der anderen Seite
brauchen wir dringend Antworten auf diese Fragen. Deswegen möchte ich gerne von Ihnen wissen, ob Sie Vorstellungen haben, wie Sie Ihre weiteren Überlegungen inhaltlich und zeitlich strukturieren wollen.
Der erste Teil meiner Antwort bezog
sich auf die eingesetzte Enquete-Kommission, deren Ergebnisse für uns ganz wichtig sind. Ich halte es nicht für
gut, auch aus Respekt vor dem Parlament, wenn die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf vorprellen würde.
Wir sind aufgerufen, diese Fragen in der Enquete-Kommission des Bundestages zusammen mit allen Interessierten zu erörtern. Am Ende sollten Vorschläge stehen, die
dann den Gesetzgeber betreffen können. Bis dahin sollten
wir die Diskussion abwarten.
Eine
Frage des Kollegen Hirche.
Herr Staatssekretär, ist die
Auffassung der Bundesregierung über die Verbindlichkeit
von Patientenverfügungen rechtlich einwandfrei und abschließend geregelt? Welche Bedeutung messen Sie der
Patientenverfügung zu?
Ich denke, dass die Patientenverfügung in dem Kontext, den ich genannt habe, wenn der Betreffende oder die Betreffende, der oder die das Testament
errichtet hat, nicht mehr in der Lage ist, diesen Willen zu
formulieren, Anhaltspunkt für den mutmaßlichen Willen
sein kann. Es kann im Einzelfall natürlich sein, dass sich
der Patient eines anderen besinnt. Wenn das der Fall ist,
muss man diesem geänderten Willen Rechnung tragen.
Insofern ist es sicher hilfreich, wenn wir alle vorsorglich
festlegen, wie wir nicht nur in diesem Fall, sondern auch
im Betreuungsfall die Dinge geregelt haben wollen. Es ist
dann der in erster Linie zum Ausdruck kommende mutmaßliche Wille, von dem wir unterstellen, dass er noch
fortbesteht.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär Pick. Die Fragen 10 und 11 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 12 und 13
sind zurückgezogen.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 14 des Abgeordneten Helmut
Heiderich:
Welche Einsparungen für den Bundeshaushalt wird die Bundesregierung 2001 durch den teilweisen Rückzug des Bundes aus
der Finanzierung des Unterhaltsvorschusses sowie der Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe gegenüber der früheren
Rechtslage erzielen und wie wird sich dies als Belastung auf die
Landkreise und kreisfreien Städte im Bundesland Hessen 2001 gegenüber der früheren Rechtslage auswirken? ({0})
Herr Kollege
Heiderich, zunächst möchte ich zur Finanzierung des Unterhaltsvorschusses Stellung beziehen. Durch die Änderung des § 8 des Unterhaltsvorschussgesetzes zum 1. Januar 2000 werden die Geldleistungen nunmehr zu einem
Drittel vom Bund und im Übrigen von den Ländern getragen. Bisher galt eine hälftige Finanzierung.
Würden die Unterhaltsvorschussleistungen auch weiterhin zu 50 Prozent vom Bund getragen, so entfielen
vom Ausgabesoll in Höhe von 1,695 Milliarden DM
847,5 Millionen DM auf den Bund. Von den Einnahmen
erhielte er 190,5 Millionen DM, sodass sich eine Gesamtbelastung des Bundeshaushalts in Höhe von 657 Millionen DM ergäbe. Unter Zugrundelegung des Haushaltsplans 2001 errechnet sich durch die Gesetzesänderung
folglich eine Gesamtentlastung des Bundeshaushalts in
Höhe von 219 Millionen DM.
Bezogen auf das Land Hessen - danach fragen Sie ja ergibt sich folgender Sachstand: Im noch nicht bestätigten
Haushaltsplan des Landes Hessen für das Haushaltsjahr
2001 wird von Gesamtausgaben nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 111 Millionen DM ausgegangen. Die Einnahmen werden mit 16,5 Millionen DM
angegeben. Bei einer weiterhin 50-prozentigen Finanzierung des Unterhaltsvorschusses durch den Bund beliefen sich die Bundesausgaben auf 55,5 Millionen DM, die
Einnahmen auf 8,25 Millionen DM und die Gesamtbelastung somit auf 47,25 Millionen DM. Unter Zugrundelegung des Haushaltsplanes 2001 ergäbe sich somit für den
Bund, bezogen auf das Bundesland Hessen, eine Gesamtentlastung in Höhe von 15,75 Millionen DM. In selbiger
Höhe wird das Bundesland Hessen gemäß Haushaltsplan
2001 mehr belastet.
Nun zum Bereich der originären Arbeitslosenhilfe: In
dem Gesetzentwurf zur Sanierung des Bundeshaushalts
wurde die Haushaltsentlastung des Bundes durch den
Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe für das Jahr 2001
auf 1,3 Milliarden DM geschätzt. Die Belastung der Gemeinden durch gegebenenfalls zu zahlende Leistungen
nach dem Bundessozialhilfegesetz an die betroffenen Personen wird in dem Gesetzentwurf auf circa 45 Prozent der
Entlastung des Bundes - das sind 585 Millionen DM - geschätzt. Eine konkrete Aufteilung der Belastung der
Kommunen auf die einzelnen 16 Bundesländer ist nicht
möglich, da nicht bekannt ist, in welchem Umfang arbeitslose Arbeitnehmer im Jahr 2001 Leistungen nach
dem Bundessozialhilfegesetz beziehen werden, die ansonsten Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe gehabt
hätten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Heiderich? - Bitte schön.
Schönen Dank, Frau
Staatssekretärin, für die ausführliche Darstellung des
Zahlenmaterials. Ich möchte zum zweiten Teil meiner
Frage, der Arbeitslosenhilfe, nachfragen, ob die Bundesregierung Vorausberechnungen oder Hochrechnungen
dazu angestellt hat, in welcher Weise die einzelnen Bundesländer betroffen sein könnten und ob solche Berechnungen auch dem Bundesrat vorgelegt worden sind.
Wir haben keine
Daten über die Verteilung der Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe auf einzelne Landkreise oder Bundesländer. Deswegen kann ich Ihnen eine so detaillierte Antwort, wie Sie sie gerne hätten, leider nicht geben. Solche
Zahlen liegen bei der Bundesanstalt für Arbeit nicht vor.
Eine weitere Zwischenfrage? - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, ich möchte noch ganz allgemein fragen, was eigentlich
die Bundesregierung bewogen hat, die originäre Arbeitslosenhilfe jetzt in die Verantwortung der Länder und Kommunen zu stellen, und inwieweit dabei die Berücksichtigung des Konnexitätsprinzips eine Rolle gespielt hat.
Die Überlegungen
zur Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe basierten darauf, dass es sich bei den Beziehern der originären
Arbeitslosenhilfe bekanntlich um Personen handelt, die
zuvor entweder überhaupt nicht oder nur kurze Zeit als
Arbeitnehmer tätig waren. Es erschien uns nicht mehr vertretbar, Arbeitslosen, die vorher keinen oder nur einen
kurzzeitigen Bezug zur Arbeitslosenversicherung hatten,
also auch nur kurzzeitig oder überhaupt keine Beiträge
gezahlt hatten, Arbeitslosenhilfe und damit den vollen Zugang zu den beitragsfinanzierten Leistungen der aktiven
Arbeitsförderung zu gewähren.
Die Fragen 15 bis 18 sollen schriftlich beantwortet werden. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der
Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Walter
Kolbow zur Verfügung.
Die Fragen 19 bis 22 sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Werner
Siemann auf:
Warum liegen dem Bundesministerium der Verteidigung keine
Erkenntnisse über die Anzahl der Frauen vor, die im Rahmen der
Öffnung aller Laufbahnen und Laufbahngruppen für Frauen in der
Bundeswehr eine vorläufige Einplanung erhalten haben, jedoch
aufgrund der unklaren rechtlichen Grundlage von einem Dienstantritt am 2. Januar 2001 Abstand genommen haben ({0}), obwohl diese Zahlen vorliegen
bzw. durch eine Abfrage bei den fünf Zentren für Nachwuchsgewinnung sowie bei der Offiziersprüfzentrale leicht zu ermitteln
sind?
Herr Kollege Siemann, bis Ende
Oktober 2000 haben sich annähernd 1 500 junge Frauen
für einen freiwilligen Dienst in den Laufbahnen der Unteroffiziere und der Mannschaften beworben. Nach
erfolgreicher Eignungsfeststellung hatten bis zu diesem
Zeitpunkt etwa 200 Frauen - vorbehaltlich der zu schaffenden gesetzlichen Regelungen - einen vorläufigen
Einplanungsbescheid, der zum Diensteintrittstermin 2. Januar 2001 führen wird, erhalten.
Nach Beschlussfassung des Deutschen Bundestages zu
den einfachgesetzlichen Änderungen am 10. November 2000 wurden alle betroffenen Bewerberinnen verbindlich zum Dienstantritt 2. Januar 2001 aufgefordert.
Abfragen bei den Zentren für Nachwuchsgewinnung und
bei der Offizierbewerberprüfzentrale - Sie sprechen dies
in Ihrer Frage an - haben bestätigt, dass bis zu diesem
Zeitpunkt keine der Bewerberinnen aufgrund der unklaren rechtlichen Situation von ihrem Diensteintrittswunsch
Abstand genommen hat.
Eine Zusatzfrage? - Nein.
Wir kommen zur Frage 24 des Abgeordneten Siemann:
Plant die Bundesregierung im Rahmen der Vorbereitungen für
ein neues Personalanpassungsgesetz zur Einsparung von Personalkosten sowie zur Lösung des Beförderungs- und Verwendungsstaus, Soldaten auch gegen ihren Willen in den vorzeitigen
Ruhestand zu versetzen, und wie wird mit solchen Soldaten verfahren, die ihren Dienst auf Antrag entgegen dem Willen des
Dienstherren vorzeitig beenden möchten?
Herr Kollege Siemann, Maßnahmen gegen den Willen der Betroffenen sind nicht geplant.
Anträge von Soldaten, die ihren Dienst vorzeitig beenden
möchten, an deren vorzeitiger Zur-Ruhe-Setzung aber
kein dienstliches Interesse besteht, werden von der für
Personalfragen zuständigen Stelle abzulehnen sein.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär,
ab welchem Zeitpunkt sollen die personalreduzierenden
Maßnahmen erstmals greifen? Bis zu welchem Zeitpunkt
sollen diese Maßnahmen anhalten?
Der Bundesminister der Verteidigung hat jüngst in seiner Rede auf der Kommandeurstagung darauf hingewiesen, dass es ein Personalanpassungsgesetz geben wird, aber nicht nach den alten
Regeln goldener Handschläge. Wir werden diese Dinge im
Zusammenhang mit der Aufhebung des Staus bei Beförderungen und Verwendungen in den Jahren 2001 und 2002
zeitgerecht vorbereiten.
Ich möchte Folgendes ergänzen - möglicherweise erübrigt das eine Zusatzfrage -: Wir sind im Ministerium
dabei, entsprechende Zahlen für ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Abbau von Überhängen und dem
Aufbau neuer Besoldungs- und Laufbahnstrukturen zu
entwickeln. Die Ergebnisse werden wir in den entsprechenden Ausschüssen, gerade im Verteidigungsausschuss, vortragen. Wir bleiben in dieser Sache am Ball.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Siemann.
Herr Staatssekretär,
wollen Sie mit dieser Antwort sagen, dass durch das Personalanpassungsgesetz der Personalüberhang Ende 2002
beseitigt sein wird?
Das streben wir an. Sie wissen,
dass darüber nicht nur mit dem Bundesminister der Finanzen, sondern natürlich auch mit dem Parlament zu
beraten ist; schließlich kostet dieses Vorhaben Geld. Die
Ergebnisse der Beratungen werden in die entsprechenden
Abläufe einzubringen sein.
Eine weitere Frage des Kollegen Nolting.
Herr Staatssekretär, in welchem Umfang soll pro Jahr Personal abgebaut werden?
Dies wird im Moment erarbeitet,
Herr Kollege. Die Gesamtzahl von etwa 8 500 steht dabei
im Zusammenhang mit den zeitlichen Abläufen.
Wir kommen zur Frage 25 des Kollegen Nolting:
Verletzte die von der Wehrbereichsverwaltung III zum 31. Dezember 2000 verfügte Entlassung des im Kosovo schwer verletzten Stabsunteroffiziers J. R. geltendes Recht ({0}) und worauf stützt sich die rechtliche Begründung
der Aufhebung dieser Verfügung durch den Bundesminister der
Verteidigung?
Herr Kollege Nolting, eine Entlassung des Stabsunteroffiziers Jens Ruths aus der Bundeswehr ist durch die Wehrbereichsverwaltung III nicht
verfügt worden. Eine solche Entscheidung liegt außerhalb
der Zuständigkeit der territorialen Wehrverwaltung.
Aufgrund des Minenunfalls am 22. September 1999
und der nachfolgenden Unterschenkelamputation erhält
der Betroffene über die Wehrbereichsverwaltung III Ausgleich für die Folgen einer Wehrdienstbeschädigung nach
dem Soldatenversorgungsgesetz. Durch die für Personal
zuständige Stelle bei der Luftlandebrigade 31 wurde im
Juli 2000 die Dienstzeit des Herrn Ruths auf acht Jahre
verlängert, wobei jedoch bedauerlicherweise - wir haben
an anderer Stelle auch darüber gesprochen - versäumt
wurde, der Wehrbereichsverwaltung III rechtzeitig eine
Änderungsmeldung zuzuleiten. Infolgedessen ging die
Wehrbereichsverwaltung III gemäß den ihr vorliegenden
Unterlagen noch von einem Ende der Dienstzeit am
31. Dezember 2000 aus und sandte Herrn Ruths im September aus Fürsorgegründen ein Informationsschreiben
zu, mit dem er über die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung nach dem Wehrdienstende in
Kenntnis gesetzt wurde.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ich möchte schon wissen, welche rechtliche
Grundlage es für die Aufhebung der Verfügung durch den
Bundesminister der Verteidigung gibt.
Es wäre sinnvoll, gleich Ihre
zweite Frage - wenn Sie erlauben -, in der Sie auf eine
Äußerung des Herrn Bundesministers der Verteidigung
abstellen, in die Beantwortung der Zusatzfrage mit einzubeziehen.
({0})
Möglicherweise ergibt das die von Ihnen gewünschte notwendige Klarheit.
Dann rufe
ich auch die Frage 26 des Abgeordneten Günther Nolting
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des Bundesministers der Verteidigung, Rudolf Scharping, er habe „schon 1999
unter sehr weiter Auslegung der gesetzlichen Möglichkeiten dem
Zeitsoldaten J. R. die Zusage gemacht, bei der Bundeswehr bleiben zu können - auf Lebenszeit“ ({0}), und besteht die Absicht, derartig weite Auslegungen der
gesetzlichen Möglichkeiten in Zukunft durch die Herbeiführung
einer grundlegenden Änderung der betreffenden Gesetze im Sinne
der verwundeten Soldaten überflüssig zu machen?
Der Bundesminister der Verteidigung möchte in diesem Zusammenhang seine Aussage als
einen Akt selbstverständlicher Fürsorge des Dienstherren
für einen im Einsatz verwundeten Soldaten verstanden
wissen. Es besteht keine konkrete Absicht, die bestehenden Gesetze und Vorschriften zu ändern. Es wird jedoch
geprüft, ob die derzeitigen rechtlichen Grundlagen allen
denkbaren Fallkonstellationen gerecht werden. Das heißt,
dass ein normales Ende der Dienstzeit bevorstand, aber
durch den Unfall Ereignisse eintraten, die aus Fürsorgegründen eine Verlängerung der Dienstzeit erforderlich
machten. Die eigentliche Rechtsgrundlage „Ende der
Dienstzeit“ wurde also durch die Aktion des Herrn Bundesministers der Verteidigung überholt.
Zusatzfrage, Kollege Nolting.
Herr Staatssekretär, ich möchte trotzdem noch einmal einen Schritt
zurückgehen: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass
wir gerade im Bereich des Soldatengesetzes Vorsorge
treffen und eine rechtliche Grundlage schaffen müssen,
nach der verfahren wird und auf die auch der Minister
zurückgreifen kann und muss?
Herr Abgeordneter Nolting,
ich bin ausdrücklich Ihrer Auffassung. Deswegen hat
auch der Bundesminister der Verteidigung eine interne
Arbeitsgruppe im Bundesministerium der Verteidigung
eingesetzt, die alle Gegebenheiten in die Untersuchungen
einbeziehen soll, insbesondere auch die Frage, wie diejenigen Soldaten, die bei Einsätzen körperliche Schäden erleiden, statusrechtlich behandelt werden können.
Wir sind selbstverständlich nach Abschluss dieser Untersuchungen nicht nur bereit, sondern sogar verpflichtet,
Ihnen darüber Auskunft zu geben. Sie können damit rechnen, dass wir das Ergebnis dieser Querschnittsuntersuchungen aller Vorschriften, die bestehen, unverzüglich
vortragen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Nolting.
Herr Staatssekretär, wird durch diese Arbeitsgruppe auch geklärt, ob
es in Zukunft einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin im Ministerium geben sollte, an den bzw. an die
sich der Betroffene direkt wenden kann, sodass es nicht
zu solchen Überschneidungen und Missverständnissen
kommt, wie wir sie jetzt erlebt haben?
Ich denke, dass auch das in die
Prüfung einbezogen wird. Im Übrigen stehen gerade bei
den Fällen, in denen Soldatinnen oder Soldaten im Ausland ein solches Schicksal erleiden, alle Mitglieder der
politischen Leitung, aber auch der militärischen Führung
jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär Kolbow.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Helmut
Heiderich auf:
Welche Einsparungen hatte die Bundesregierung aus dem von
ihr geplanten Rückzug aus der Finanzierung des pauschalierten
Wohngelds im Rahmen des Haushaltssanierungsgesetzes errechnet und wie hätte sich dies 2001 auf die Landkreise und kreisfreien
Städte Hessens ausgewirkt, wäre diese Absicht der Bundesregierung nicht durch den Bundesrat verhindert worden?
Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich, bei Übernahme der vollen
Finanzierung des pauschalierten Wohngeldes durch die
Länder im Rahmen des Haushaltssanierungsgesetzes
wurden für das Jahr 2001 Einsparungen des Bundes in
Höhe von rund 2,37 Milliarden DM errechnet. Davon entfallen auf das Land Hessen schätzungsweise 226 Millionen DM.
Im Rahmen des Sparpaketes zum Bundeshaushalt für
das Jahr 2000 und für die mittelfristige Finanzplanung
waren umfangreiche gesetzliche Änderungen vorgesehen,
die per saldo eine erhebliche Entlastung von Ländern und
Gemeinden bewirken sollten.
Eine Zusatzfrage. Kollege Heiderich.
Herr Staatssekretär,
darf ich nachfragen, was die Bundesregierung in diesem
speziellen Fall bewogen hat, das pauschalierte Wohngeld
auf die Kommunen, also auf die Gemeinden, Städte und
Landkreise, abzuwälzen, obwohl doch sonst immer sehr
betont wird, dass die finanzielle Lage der Kommunen sehr
angespannt sei?
Wir haben damals im Gesetzgebungsverfahren, Herr Kollege
Heiderich, sehr intensiv mit vielen Beteiligten gesprochen, und uns ist immer wieder bestätigt worden, dass es
ordnungspolitisch Sinn macht, die Erstattung von Kosten
dorthin zu verlagern, wo sie entstehen. In diesem Zusammenhang erinnere ich an ähnliche Überlegungen der
alten Bundesregierung. Das heißt, wenn innerhalb der Sozialhilfe solche Aufwendungen geleistet werden, ist es
ordnungspolitisch durchaus sinnvoll, darüber nachzudenken, das vor Ort finanziell zu regeln. Da wir in dem
Maßnahmenpaket auf der anderen Seite gleichzeitig für
Entlastungen der Städte und Gemeinden gesorgt hätten,
wäre das unter dem Strich sicherlich eine durchaus denkbare Alternative gewesen.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Heiderich, bitte.
Welche konkreten
Entlastungen hatten Sie nach den von Ihnen eben genannten Gesichtspunkten für die Länder und Gemeinden
eingeplant?
Es waren
eine ganze Reihe, vom Schließen von Steuerschlupflöchern
angefangen bis hin zu anderen Kompensationslösungen.
Wir haben das seinerzeit mehrfach aufgeschrieben. Ich bin
gerne bereit, Ihnen diesen Katalog zuzusenden.
Wir machen auf diesem Weg auch weiter, jetzt gerade
bei der Entlastung der stark gestiegenen Heizkosten. Wir
zahlen Heizkostenpauschalen an etwa 4,8 Millionen
Haushalte. Ganz viele der betroffenen Haushalte beziehen
Sozialhilfe. Auch dieser aktuelle Schritt, der - so hoffe
ich - morgen im Bundestag beschlossen wird, wird zu einer Entlastung der Kommunen in mindestens zweistelliger Millionenhöhe führen.
Da alle
übrigen Fragen schriftlich beantwortet werden sollen,
sind wir vorzeitig am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche deshalb die Sitzung bis 15.30 Uhr. Um
15.30 Uhr wird die Aktuelle Stunde aufgerufen werden.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zur Rücknahme
von deutschem Atommüll aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague nach dem deutschfranzöschen Gipfel in Vittel
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort
der Kollegin Birgit Homburger für die F.D.P. als antragstellende Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Aktuelle
Stunde aus Anlass des deutsch-französischen Gipfels am
letzten Freitag beantragt. Dort wurde über die Zurücknahme des deutschen Atommülls gesprochen, der zur
Wiederaufarbeitung nach Frankreich gebracht wurde.
Die Transporte von deutschem Atommüll zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich sind gestoppt. Bevor der
deutsche Atommüll aus der Wiederaufarbeitungsanlage
La Hague nicht nach Deutschland zurückgeführt wird,
nimmt Frankreich keinen deutschen Atommüll mehr zur
Wiederaufarbeitung an. Unsere französischen Nachbarn
warten bereits seit drei Jahren darauf, dass der in der Wiederaufarbeitungsanlage gelagerte deutsche Atommüll
zurücktransportiert wird.
Man könnte auf den Gedanken kommen, die alte Bundesregierung trage Schuld an dieser Situation. Ich will
aber gleich vorweg sagen, dass dies nicht der Fall ist. Damals wurden die Transporte aus gutem Grund gestoppt. Es
wurden nämlich überhöhte Strahlungswerte bei den
Transportbehältern festgestellt. Allerdings könnten spätestens seit September dieses Jahres, als das Bundesamt
für Strahlenschutz die Genehmigung für Transporte erteilt
hat, Transporte wieder durchgeführt werden.
({0})
Trotz bestehender Verträge zwischen Cogema und den
Kernkraftwerksbetreibern, abgedeckt durch einen Notenwechsel zwischen den Ländern, ist nichts passiert.
Deutschland betreibt weiterhin faktisch Zwischenlagerung von Atommüll im Ausland.
({1})
Mich wundert, dass der Bundesumweltminister in dieser Debatte sprechen wird, obwohl die Verhandlungen
zwischen den Ländern mittlerweile zur Chefsache erklärt
worden sind.
({2})
Es wäre daher besser gewesen, wenn ein Vertreter des
Kanzleramts heute Rede und Antwort gestanden hätte.
Herr Steinmeier ist schließlich derjenige, der mit diesen
Verhandlungen beauftragt ist. Das zeigt allerdings, dass
Sie, Herr Minister Trittin, infolge des Streits um Atomausstieg und Castortransporte international nicht mehr als
vertrauenswürdig angesehen werden.
({3})
Bemerkenswert ist weiter, dass laut Presseberichten
der französische Premierminister Jospin bei einem persönlichen Treffen mit Bundeskanzler Schröder auf einer
schriftlichen Garantie zur Rückführung des Atommülls
nach Deutschland in den ersten Monaten des nächsten
Jahres bestanden hat, obwohl Herr Schröder ihm dies
mündlich zugesichert hat. Frankreich will also Atommülltransporte nach La Hague nur genehmigen, wenn die
Rücknahme durch Deutschland eindeutig geregelt ist und
wenn dies schriftlich zugesagt wird. Das heißt, das Wort
eines deutschen Regierungschefs ist bei unseren französischen Partnern nichts wert. Das ist ein verheerender Zustand für die Bundesrepublik Deutschland.
({4})
Obwohl die Sache eilt, konnte - das musste nun auch
der Bundeskanzler zugeben - beim deutsch-französischen
Gipfel in Vittel am letzten Freitag noch immer keine Einigung über die Rückführung des Atommülls erzielt werden. Stattdessen wurde - das finde ich bemerkenswert eine bilaterale Arbeitsgruppe eingerichtet, frei nach dem
Motto: Fällt der Regierung nichts mehr ein, setzt sie eine
Arbeitsgruppe ein.
Diese Arbeitsgruppe soll jetzt zu einem Ergebnis kommen, nach Möglichkeit bis Weihnachten. Ziemlich hart
finde ich allerdings, dass der Bundeskanzler gleich sagt,
wenn sie das bis Weihnachten nicht schaffe, wäre es nicht
schlimm; wenn sich die Arbeit bis Anfang Januar hinziehen würde, wäre das noch akzeptabel. Das muss man vor
dem Hintergrund sehen, dass die vom BfS für Transporte
erteilten Genehmigungen nur für das Jahr 2000 gelten.
Das kann, wie ich finde, nicht sein. Die Bundesregierung hat Vereinbarungen getroffen, auch mit den Kernkraftwerksbetreibern in Deutschland. Nach Angaben der
Kernkraftwerksbetreiber ist die Situation so, dass, wenn
bis Frühjahr nächsten Jahres keine Transporte nach La
Hague gehen, für das Kraftwerk Biblis Betriebseinschränkungen unausweichlich wären und für Philippsburg die Gefahr bestünde, dass Reaktoren abgeschaltet
werden müssen.
Das heißt, man betreibt hier eine Verzögerungspolitik
und übersieht vollkommen, dass sich die Bundesregierung im so genannten Atomkonsens verpflichtet hat, einen
ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke zu gewährleisten. Diese Verpflichtung muss sie auch einhalten. Es kann
nicht sein, dass deutsche Atomkraftwerke durch die Verzögerung der Castortransporte von La Hague nach
Deutschland faktisch stillgelegt werden.
({5})
Deswegen fordert die F.D.P. die Bundesregierung auf,
endlich nationale und internationale Verträge einzuhalten
und zu einer berechenbaren Umweltpolitik und vor allen
Dingen zu internationaler Verlässlichkeit zurückzukehren.
Vielen Dank.
({6})
Für die
SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Monika Griefahn.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die deutsch-französische
Arbeitsgruppe ist eingerichtet. Ich habe gestern Abend
noch einmal mit dem französischen Botschafter gesprochen. Der Kanzleramtschef, Herr Steinmeier, wird sich
mit dem Industriestaatsminister, Herrn Pierret, treffen,
und zwar noch vor Weihnachten.
({0})
Es soll eine Lösung gefunden werden. Auch die Genehmigungen für die Transporte liegen seit dem 10. November vor, das heißt, insofern sind die Rücktransporte sicher.
Der Punkt ist nur - das ist doch ganz klar -: Zum Teil
sorgen die Kernkraftwerksbetreiber selber für Engpässe;
({1})
denn sie können natürlich eine Zwischenlagerung am
Kraftwerksstandort vornehmen. Der Druck, unter dem sie
stehen, soll besonders auf die jetzige Bundesregierung
und die sie tragenden Koalitionsfraktionen wirken, da
diese den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen haben und grundsätzlich auch das Ende der Wiederaufarbeitung wollen. Denn durch die Wiederaufarbeitung fällt erstens zusätzlicher Atommüll an und zweitens tragen die
Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und in La Hague nicht gerade dazu bei, dass die radioaktive Verseuchung der Nordsee, des Atlantiks und der Irischen See
vermindert wird. Im Gegenteil: 80 Prozent der Verseuchung der Irischen See stammen aus den beiden Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague und Sellafield.
Insofern haben wir ein Interesse daran, dass die französische Regierung - ich arbeite seit 1973 regelmäßig mit
Frankreich zusammen und die einzigen Konflikte, die wir
je hatten, betrafen immer Atomfragen - dieses Thema
problematisiert und Sicherheitsmaßnahmen verstärkt angeht, was sie mit ihrer grünen Umweltministerin seit einigen Jahren auch macht.
Die Wiederaufarbeitung ist grundsätzlich ein problematisches Unterfangen. Die Aufarbeitungsanlagen sind
gebaut worden, weil die Länder Frankreich und Großbritannien damit auch andere Interessen befriedigt haben.
Sie erhalten auf diese Weise zum Beispiel Plutonium, das
sie für den Bau der Atombombe nutzen können. Heute
besteht durch die Zusammenarbeit auf internationaler
Ebene, durch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die wir gerade mit Frankreich und Großbritannien
haben, die wir auch aufseiten der Regierungsfraktionen
voranzutreiben versuchen, ein ganz anderes Interesse.
Insofern sind die Atomtransporte ein Bereich, der sich
noch aus der Vergangenheit ergibt und in dem wir Lösungen finden müssen, den wir aber nur nicht gerne angehen.
Natürlich haben wir die Verpflichtung, die 4 000 Tonnen
deutschen Atommüll, die sich in Frankreich bislang angesammelt haben, zurückzunehmen. Wir haben aber kein
Interesse daran, dass das alles in Plutonium umgewandelt
wird. Insofern ist es dringend erforderlich, entsprechende
Regelungen zu finden, die ohne Wiederaufarbeitung auskommen.
Der Bau der für den Transport notwendigen Brücke im
Bereich Lüchow-Dannenberg wird Anfang nächsten Jahres abgeschlossen sein. Die Atomtransporte können in einem Fenster von 14 Tagen ab Ende März erfolgen. Eine
diesbezügliche Genehmigung liegt vor.
Aber ganz klar ist zu sagen - hier spreche ich als Niedersächsin -: Beim letzten Mal hatten wir in Niedersachsen keine Unterstützung vonseiten der anderen Länder.
Da mussten zusätzlich 100 Millionen DM für den Polizeischutz eingesetzt werden. Besonders die Länder, die
ein Interesse an der Atomkraft haben, sprich: BadenWürttemberg und Bayern, waren nicht besonders hilfreich. Sie sagten: Macht ihr das einmal! Lagert ihr bei
euch den Atommüll; wir machen weiter mit der Atomkraft. - Das kann nicht Sinn der Sache sein.
({2})
Insofern rufe ich Sie auf, Ihre Positionen nicht losgelöst zu vertreten, sondern dafür zu sorgen, dass das
Konzept des Ausstiegs aus der Atomenergie schnell umgesetzt wird und dass es nicht mehr zu unnötigen Transporten kommt. Denn jeder Transport ist mit einem Risiko
verbunden. Auf der einen Seite müssen wir also unseren
Verpflichtungen nachkommen, und auf der anderen Seite
müssen wir dafür sorgen, dass nicht weiterhin Transporte
von Atommüll aus deutschen Kraftwerken in Wiederaufarbeitungsanlagen notwendig werden, dass vor Ort Zwischenlager eingerichtet werden und dass der Ausstieg aus
der Atomenergie so umgesetzt wird, dass wir sehr schnell
die Möglichkeit haben, unsere Energiepolitik durch alternative Energien und durch Energieeinsparung vorbildlich
zu gestalten.
({3})
Ich gebe das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen KurtDieter Grill.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Frau Griefahn, Sie haben zu vielen Dingen gesprochen, nur nicht zu dem
Thema, das Gegenstand dieser Aktuellen Stunde ist. Das
Stichwort „Atombombe“ und Ähnliches durften natürlich
im Zusammenhang mit Plutonium und Wiederaufarbeitung nicht fehlen. Nur, das ist nicht Gegenstand der heutigen Erörterung.
({0})
Ich will am Anfang meiner Rede erstens darauf hinweisen, dass wir hier über Konsequenzen aus den Verträgen
sprechen, die noch zu Zeiten der Regierung Schmidt, zu
Zeiten der sozial-liberalen Koalition, Ende der 70er-/Anfang der 80er-Jahre abgeschlossen worden sind und dass
es beileibe nicht um ein Problem geht, das ein Erbe der
letzten Regierung ist.
({1})
Zweitens. Der Termin, den die Bundesregierung vorgeschlagen hat, nämlich 14 Tage ab Ende März, ist sehr
fatal, weil der niedersächsische Innenminister Ihnen mitteilen wird, dass er zu Zeiten der CeBIT keinen Transport
wird organisieren können. So seriös sind Ihre Angebote!
Drittens. Sie sprechen von Transportkosten in Höhe
von 100 Millionen DM. Wenn Sie den Polizeibeamten die
Gehälter zahlen, die in die Berechnung dieser 100 Millionen DM eingeflossen sind, werden die Polizisten „Krösusse“. Werden sie aber nicht: Dass in diesen Berechnungen ein Gehalt von 120 DM pro Stunde angesetzt wird, ist
schlicht und einfach eine Täuschung der Öffentlichkeit im
Hinblick auf die Kosten der Transporte.
({2})
Beim ersten Transport haben wir über Kosten in Höhe von
40 Millionen DM gesprochen. Im niedersächsischen
Haushalt waren ganze 7 Millionen DM eingestellt. Wenn
Sie dies auf 100 Millionen DM hochrechnen, dann kommen wir vielleicht auf 14 oder 15 Millionen DM, und nur
dann, wenn die Hamburger Polizei einen Wasserwerfer
kaputtfährt, muss der Schaden durch den niedersächsischen Haushalt ersetzt werden. - Kein Polizist bekommt also das Gehalt, das in diese Berechnungen eingeflossen ist.
Aber das ist gar nicht der Gegenstand dieses Themas.
({3})
- Ich habe nur das abgearbeitet, was Frau Griefahn meinte,
in diesem Zusammenhang sagen zu müssen. Wir führen ja
eine Debatte und spulen nicht vorgefertigte Texte ab.
({4})
In Wahrheit geht es doch darum, dass Sie sich selber in
eine Entsorgungsfalle manövriert haben. Sie haben doch
unterschrieben, dass bis 2005 wiederaufgearbeitet werden
kann. Was nützen also die Grundsatzerklärungen, die Sie
hier geben? Sie haben nicht erst letzte Woche, sondern bereits im November 1998 der französischen Regierung im
Rahmen der ersten deutsch-französischen Konsultationen
nach dem Regierungswechsel, die in Potsdam stattgefunden haben, Zusagen gemacht. Mir liegt auch der entsprechende Schriftwechsel des Außenministers vor.
Es ist doch nicht so, dass Sie erst jetzt anfangen, mit der
französischen Regierung zu diskutieren. Dies geschieht
doch seit zwei Jahren. Sie haben immer den Eindruck erweckt, als gingen die Transporte demnächst los. Sie haben
Genehmigungen, Atommülltransporte nach Frankreich
durchzuführen, ausgestellt, wohl wissend, dass die französische Regierung das nicht akzeptieren wird, wenn
nicht der in Frankreich aufgearbeitete deutsche Abfall aus
Frankreich abtransportiert wird.
Dann kommen Sie bis hin zu Herrn Sailer mit geradezu
abenteuerlichen Lösungen. Frau Griefahn, Sie waren es
doch, die Gorleben als Leichtbauhalle hingestellt hat. Ihre
Koalition sagt jetzt: Man kann Castorbehälter auf die
grüne Wiese ohne Halle stellen. Ist das Ihre Sicherheit?
Schämen Sie sich!
({5})
Das ist die Zwischenlösung, die Sie vorlegen. Das ist Ihre
Sicherheit.
Sie haben den Ausbau der Infrastruktur verschlafen.
Die Brücke in Dannenberg wird doch nicht repariert, weil
Sie das Geld in die Hand nehmen, sondern Sie lassen es
sich bezahlen. Sie haben lange zugewartet, dabei hätten
Sie es regeln können.
Das, was hier stattfindet - ich habe in diesem Jahr Gespräche in Paris geführt -, ist Folgendes: Die Präsidentin
von Cogema steht unter dem Druck eines Untersuchungsrichters, weil - gegen französisches Recht - die Bundesregierung dafür sorgt, dass deutscher Abfall in Frankreich
zwischengelagert wird. Das heißt, Sie verlangen von der
Cogema einen Rechtsbruch. Damit haben Sie ja Erfahrung. Herr Schröder, Herr Trittin, Frau Griefahn und Herr
Fischer haben im Zusammenhang mit der Kernenergie
große Erfahrungen mit Rechtsbrüchen. Sie erwarten, dass
die französische Regierung einen Rechtsbruch begeht,
weil Sie unfähig sind, Ihren Aufgaben bei der nuklearen
Sicherheit nachzukommen.
({6})
- Frau Griefahn, das können wir hier gern austragen. Ich
kann es Ihnen nachweisen: Sie haben genügend Gerichtsprozesse wegen Rechtsbruches verloren.
({7})
- Sie haben einen Vertrag mit der GNS zur Vermeidung
einer Amtspflichtverletzung geschlossen. Das können wir
gern ausdiskutieren.
Das eigentliche Problem besteht darin, dass Sie behauptet haben, das Entsorgungskonzept sei nicht tragfähig. Sie haben aber in zwei Jahren keinen Weg aufgezeigt, der Ihre Alternative in der Entsorgung darstellen
würde. Sie haben sich selber in diese Falle getrieben, Sie
haben konzeptionell versagt. Sie versagen bei der Entsorgung und bei der nuklearen Sicherheit und gefährden das
internationale Vertrauen in die Bundesrepublik Deutschland. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
({8})
Ich gebe
nunmehr dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich den geehrten Kollegen Grill reden hörte, fiel mir F. K. Waechter ein: Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.
({0})
Wer hat es jahrelang zugelassen, dass deutscher Atommüll ins Ausland verschoben wurde?
({1})
Die bloße Ablieferung bei den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague und Sellafield galt bei Ihnen als Entsorgungsnachweis.
({2})
- Dass Sie unruhig werden, verstehe ich. - Das galt als
Verwertungsnachweis, obwohl die Wiederaufarbeitung
überhaupt keine Entsorgung ist. Die Wiederaufarbeitung
führt nämlich zu zusätzlichem Abfall an Plutonium. Der
Abfall wird mehr und er wird giftiger, dennoch hat Ihre
Koalition 4 500 Tonnen hoch radioaktiven Müll nach La
Hague und Sellafield verschoben.
({3})
- Sie in Ihrer Amtszeit, reden Sie sich da nicht raus.
({4})
Heute warten 2 500 Tonnen des von Ihnen verschobenen Atommülls in Frankreich auf den Rücktransport. Die
Verantwortung für diese Atommüllverschiebungen, verehrter Herr Hirche, tragen die Energiewirtschaft, tragen
CDU/CSU und F.D.P.
({5})
Die Verantwortlichen heißen Merkel und Kohl, Kinkel
und Töpfer. Das sind die Verantwortlichen für die Atommüllverschiebereien.
({6})
Sie erzählen hier etwas von Rechtsbruch. Das, was Sie
gemacht haben, war der größte Rechtsbruch überhaupt.
Es war nämlich der Bruch des geltenden deutschen
Atomsrechts, weil Sie auf einen Verwertungsnachweis
verzichtet haben, Punkt. Wir haben uns jetzt mit Ihren Altlasten herumzuschlagen.
({7})
Deswegen sage ich Ihnen: Die französische Regierung
drängt zu Recht auf einen schnellen Rücktransport. Sie
will so lange keinen Müll von uns mehr hereinlassen, bis
wir den Rücktransport - hier haben Sie uns ein Problem
hinterlassen - sichergestellt haben. Dazu und natürlich
zur Klärung der Fragen, die dann noch hinsichtlich des
Hintransports gelöst werden müssen, gibt es die erwähnte
Arbeitsgruppe.
Aber ich will Ihnen in aller Ruhe und Sachlichkeit auch
sagen: Die französische Regierung wahrt das legitime Interesse ihrer Bevölkerung. Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass das, was Sie praktiziert haben - Herr Grill
hat das auch noch zugegeben; so schlau war er dann ja
nicht, darauf zu verzichten -, nach französischem Recht
nicht legal ist.
({8})
Deswegen erklären wir hier mit allem Nachdruck: Die
sechs Castorbehälter, die übrigens schon unter Frau
Merkel zum Abtransport bereitgestellt wurden, müssen
zurückgeführt werden. Wir haben Verständnis dafür, dass
die französische Regierung hierauf drängt. Wir betonen
an dieser Stelle mit allem Nachdruck: Wir haben nicht nur
die völkerrechtliche Pflicht, diesen Rücktransport so bald
wie möglich zu organisieren, wir haben auch die politische und die moralische Pflicht, die von Ihnen betriebene
Verschiebung von Atommüll ins Ausland zu beenden. Das
ist so.
({9})
Dafür haben wir die Voraussetzungen geschaffen. Wir
haben am 10. November die Genehmigung für die Rücktransporte zu den Zeitpunkten, die der Bundeskanzler
Herrn Jospin brieflich zugesagt hat, also für die 13. und
14. Kalenderwoche 2001, erteilt. Das bezieht sich auf
exakt diese sechs Behälter mit verglastem Atommüll.
Wir haben allerdings, liebe Frau Kollegin, den ersten
Antrag der NCS, den Transport über Arendsee durchzuführen, ablehnen müssen. Wir haben ihn ablehnen müssen, weil die Vorstellung bestand, nach dem Transport der
Behälter auf der Schiene bis Arendsee diese weiter über
Straßen anzuliefern. Dazu haben uns dann die Innenbehörden von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gesagt:
Das können wir nicht sicherstellen. - Wenn dieses polizeilich nicht sicherzustellen ist, dann können wir diesen
Transport nicht genehmigen.
Sie sollten sich hier nicht hinstellen und so tun, als
wenn die Bundesregierung da nun auf eine besonders perfide Machenschaft gekommen wäre, wenn sie den Ratschlägen und den klaren Hinweisen der Polizeibehörden,
die das umzusetzen haben, Folge leistet. Glauben Sie
denn, sie tun das aus Daffke? Oder glauben Sie nicht wie
ich, dass die Verantwortlichen bei den Innenministerien in
Niedersachsen und Sachsen-Anhalt dieses aus Sorge um
die Sicherheit auf den Straßen und aus Sorge auch und gerade um die Kolleginnen und Kollegen von der Polizei,
die diese Einsätze zu bewältigen haben, tun? Glauben Sie
ernsthaft, dass sie leichtfertig solche Stellungnahmen herausgeben?
({10})
Meine Damen und Herren, wir haben diese Genehmigung erteilt, wir haben den Weg an dieser Stelle frei gemacht, und wir werden das umsetzen. Daran kann niemand zweifeln.
Ich füge nur eines hinzu: Solange die französische Regierung ihre Haltung beibehält, nützt es auch gar nichts,
bei dieser Bundesregierung über die bestehenden Transportgenehmigungen Richtung Frankreich hinaus weitere
Genehmigungen einzuklagen. Denn was sollen die Betreiber mit diesen Genehmigungen anfangen, wenn sie sie
nicht nutzen können?
Deswegen werden wir auch sicherzustellen haben, lieber Herr Hirche, dass es zu keinen Stillständen an den
Kraftwerken kommt, wenn die französische Regierung
bei ihrer Haltung bleibt. Aber auch das sage ich in aller
Deutlichkeit: Die Sicherheit und die Fortdauer des Betriebes hängen nicht allein von den Transporten nach La
Hague ab,
({11})
sondern sie hängen auch davon ab, dass beispielsweise in
Philippsburg das gelingt, was in Neckarwestheim und
Biblis ohne Probleme möglich war, nämlich einen Deckel
auf den Castor zu tun, um eine Transportbereitstellung zu
erreichen.
Meine Damen und Herren, Atomtransporte sind immer
ein Risiko. Die Bundesregierung hat durch den Konsens
mit der Energiewirtschaft die Voraussetzungen dafür geschaffen, diese Transporte auf ein Drittel zu minimieren.
Aber wir stehen auch zu unserer Verantwortung: Die Altlasten, die Sie, die Vorgängerregierung, uns in Tausenden
von Tonnen hochgiftigen Atommülls hinterlassen haben,
werden wir zurückholen müssen. Wir müssen die Lagerung von deutschem giftigem Atommüll im Ausland beenden. Wir werden deshalb die radioaktiven Glaskokillen
bei uns, im Verursacherland, geordnet zwischenlagern,
bis sie mit dem anderen Atommüll in einem Endlager hier
endgelagert werden können.
Das heißt verantwortungsvolle Energiepolitik, und das
heißt, verantwortlich mit den Problemen umzugehen, die
Sie uns leider hinterlassen haben.
({12})
Kollegin
Eva Bulling-Schröter spricht nunmehr für die Fraktion
der P.D.S.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir das Thema der
Aktuellen Stunde und die Beiträge dazu vor Augen führe,
dann kann ich nur sagen: Die AKW-Lobby hat es wieder
einmal geschafft, im Parlament ihren Einfluss geltend zu
machen. So wird es wohl tatsächlich sein. Sie mahnen den
störungsfreien Betrieb an, der in den Konsensgesprächen
sanktioniert wurde. Ich denke, ich kann Sie beruhigen:
Auch diese Bundesregierung wird für die nächste Zeit den
störungsfreien Betrieb garantieren; denn der AtomausBundesminister Jürgen Trittin
stieg ist nicht unmittelbar beschlossen worden. Es gibt
eine Ausstiegsfrist von 10 oder 20 Jahren.
({0})
So lange werden die AKWs weiterlaufen. Mit den entsprechenden Problemen wird diese Regierung leben müssen.
Frau Homburger hat zu Recht angesprochen, dass Frau
Merkel vor einigen Jahren die Castortransporte - es waren zwei - aus guten Gründen gestoppt hat. Damals wurde
der Zehn-Punkte-Katalog beschlossen. Meine Frage dazu
ist: Ist er wirklich schon umgesetzt?
({1})
Ich möchte aus einem Greenpeace-Brief vom 26. Oktober dieses Jahres zitieren. Darin steht:
Über zwei Jahre nach dem so genannten CastorSkandal hat das Bundesamt für Strahlenschutz im
September 2000 acht Transporte in die Wiederaufarbeitung genehmigt.
In der Presseerklärung zur Genehmigungserteilung
vom 22. Oktober 2000 sagte der BfS-
Durch Auflagen habe ich sichergestellt, dass künftig
die international festgelegten Grenzwerte für radioaktive Verunreinigungen auch bei den französischen
Stachelbehältern eingehalten werden.
Aber ein von Greenpeace am Montag veröffentlichter
Bericht des Eisenbahn-Bundesamtes zeigt: Bereits beim
ersten Probelauf einer Stachelbehälterbeladung im Atomkraftwerk Philippsburg ist es zu schwerwiegenden Pannen und zu einer Kontamination gekommen. Das heißt,
die Probleme sind nach wie vor nicht gelöst. Ich meine,
sie müssten jetzt endlich gelöst werden. Dazu gehört auch
die Umsetzung des Zehn-Punkte-Programms.
Wie denken Sie die Akzeptanz der Bevölkerung für
diese Transporte zu bekommen? In diesem Fall ist es egal,
ob sie von Schwarz-Gelb oder Rot-Grün durchgeführt
werden. Es gibt eine ganze Menge Menschen, die wissen,
dass diese Castortransporte gefährlich sind, egal, welche
Fraktionen die Regierung stellen. Die Menschen werden
erst dann Castortransporte akzeptieren, wenn tatsächlich
ein Ausstieg erfolgt. Er erfolgt aber nicht, sondern durch
die Konsensgespräche - das habe ich schon vorher gesagt - wird es noch sehr lange Laufzeiten geben, insgesamt 32 Jahre. Das ist aber meiner Meinung nach viel zu
lange. Eine vernünftige Antwort kann nur der sofortige
Ausstieg aus der Atomenergie sein.
Zum Schluss will ich noch vier grundsätzliche Argumente gegen die Technologie der Wiederaufbereitung in
Erinnerung rufen. Ich will in diesem Zusammenhang auch
in Erinnerung rufen, dass einmal von Herrn Trittin das
Ende der Wiederaufarbeitung zum 1. Januar 2000 versprochen wurde. Das war wohl nichts! Eine reine Luftblase! Ich fürchte: Wenn wir von der PDS die Argumente
nicht noch einmal nennen, dann wird sie in diesem Hause
keiner mehr erwähnen. Jedes Argument für sich kann ein
sofortiges entschädigungsfreies Verbot der Wiederaufarbeitung hinreichend begründen.
Erstens. Anlagen, wie sie in Frankreich und Großbritannien betrieben werden, müssten in Deutschland binnen
24 Stunden aufgrund der radioaktiven Emissionen dichtgemacht werden.
Zweitens. Das gewonnene Plutonium birgt auf kurze
und lange Sicht die Gefahr, in Atombomben verarbeitet zu
werden; sei es als Folge eines Diebstahls oder aufgrund
politischer Fehlentwicklungen.
Drittens. Die Menge der Abfälle wird durch Wiederaufarbeitung nicht geringer, sondern quantitativ größer
und qualitativ vielschichtiger. Das kann die Chance, in
Deutschland ein geeignetes Endlager zu finden, wesentlich mindern. Das ist klar.
Viertens. Über 90 Prozent der gesamten radioaktiven
Belastung des nördlichen Atlantiks stammen aus den atomaren Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague, Sellafield und Dounreay. Die Nuklide lassen sich auch in der
Ostsee und in der Barentssee zwischen Sibirien und der
Arktis nachweisen. 1995 entdeckten Meeresforscher strahlendes Jod 129 aus Sellafield sogar in Küstengewässern
Nordkanadas.
Was soll man dazu noch viel sagen? Die Gefährlichkeit
ist vorhanden. Sie müsste in diesem Hause eigentlich bekannt sein. Nach wie vor wird von vielen Seiten die Wiederaufarbeitung gefordert. Ich fordere Herrn Minister
Trittin auf, die Glaskokillen abzuholen und endlich die
Wiederaufarbeitung zu stoppen, so, wie er es damals versprochen hat.
Danke.
({0})
Ich gebe
dem Kollegen Arne Fuhrmann für die SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich in aller
Schärfe auch im Namen meiner Fraktion zurückweisen,
was Kollege Grill vorhin im Zusammenhang mit Rechtsbruchbeschuldigungen von sich gegeben hat.
({0})
Ich finde es unerhört und unglaublich, dass solche Vorwürfe immer wieder von diesem Mann in diesem Parlament zu hören sind. Ich wünsche mir, dass irgendwann
einmal Konsequenzen gezogen werden.
Aber jetzt zum Thema. Es fällt mir unglaublich schwer,
heute hier zu stehen und begründen zu müssen, warum
diese Bundesregierung, die meine Bundesregierung ist,
Glaskokillen aus La Hague zurück nach Gorleben, in meinen Wahlkreis, bringen wird. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jegliche Art von Nukleartourismus in
Deutschland und in der ganzen Welt zu den schlimmsten,
menschenverachtendsten und damit auch zu den verantwortungslosesten Dingen gehört, zu denen wir Politiker
immer wieder - gezwungen oder auch weniger gezwungen - Ja sagen müssen oder glauben Ja sagen zu müssen.
Diese Bundesregierung befindet sich in der misslichen
Lage - das hat Minister Trittin vorhin ganz exzellent formuliert -, die Suppe auslöffeln zu müssen, die andere
- weder die Grünen noch die Sozialdemokraten - zu verantworten haben.
({1})
- Hören Sie doch endlich mit Ihrer 78er-Philosophie auf!
Wer hat denn 16 Jahre lang regiert, den Schotter irgendwohin gebracht und den Menschen dabei versprochen, ihn
auch wieder hierher zu holen, obwohl es keine Endlagermöglichkeiten gab?
({2})
Es ist schlimm genug, dass wir Atommüll aus den bestehenden AKWs in Deutschland haben.
({3})
Gott sei Dank hat sich ja in der Zwischenzeit die Philosophie durchgesetzt, dass die AKWs in der Lage sind, Atommüll zumindest für eine bestimmte Dauer zwischenzulagern. Aber wir suchen im Moment dringlicher denn vor
drei Jahren in dieser Republik eine Endlagermöglichkeit.
Politisch spitzt sich im Prinzip immer noch alles auf
Gorleben zu - egal, wie auch immer es formuliert wird.
Ich kann es weder durch die Tatsache ändern, dass ich ein
Gegner dieser Transporte bin, noch durch die Tatsache,
dass ich einer Fraktion angehöre, die diese Transporte
auch nicht will. Ich befinde mich vielmehr genau wie alle
anderen in der misslichen Lage, völkerrechtsverbindliche
Verträge auf dem Tisch liegen zu haben und meinem
Minister nicht sagen zu können: Lass die Finger davon.
({4})
In der Kürze der Zeit will ich aber über einen anderen
Teilbereich reden, und zwar über die Befindlichkeit der
Menschen in der Region Lüchow-Dannenberg. Vor knapp
vier Jahren wurde beim letzten Transport in dieser Region
von weiß der Kuckuck was gesprochen. Führend waren
Argumente des damaligen amtierenden deutschen Bundesinnenministers, Herrn Kanther. Ich mag das alles gar
nicht wiederholen; Sie können es alle im Protokoll nachlesen.
Ich habe mehrfach versucht, in den Diskussionen darauf hinzuweisen, dass friedlicher Widerstand - ({5})
- Herr Uldall, lassen Sie mich ausreden. Das, was Sie jetzt
machen, kenne ich aus den letzten Debatten bestens. Ihre
Äußerungen waren immer gespickt mit einer verbalen Zuschusterung von Gewalt. Verbale Unterstellung von Gewalt zieht automatisch eine Gewaltkette nach sich.
({6})
Es war die Fähigkeit Ihres damaligen Innenministers,
durch seine verbalen Gewaltaktionen die Gewalt in der
Region auf die Spitze zu treiben, und zwar auf beiden Seiten:
({7})
bei denen, die in der Absicht demonstriert haben, friedlich
zu bleiben, und bei der Polizei. Durch die Äußerung von
verantwortungslosen Politikern wurden diese in eine Eskalationsposition geschoben, aus der sie kaum wieder herauskamen.
({8})
Ich hoffe nicht nur, Herr Trittin, sondern ich erwarte
von meiner Regierung, dass sie mit den Gefühlen der
Menschen sensibler umgeht, dass sie akzeptiert, dass
Ängste und Sorgen Bestandteil von menschlichem Miteinander und von Verantwortung sind. Es muss uns gelingen, an das Verständnis der Politiker zu appellieren: Menschen, die aus ihren Sorgen heraus demonstrieren gehen,
dürfen von uns nicht verdammt werden. Vielmehr müssen
wir sie verstehen und ernst nehmen. Es ist ihr Recht, in
diesem Lande zu demonstrieren.
Das Gewaltmonopol ist Sache des Staates und steht
sonst niemandem zu. Ich verurteile jede Form von Gewalt, auch Gewalt gegen Sachen. Ich verurteile auch diejenigen, die versuchen, einen vom Staat angeordneten
Transport - auch einen Castortransport - zu stoppen.
Mein Verständnis und meine Fürsorge gilt denen, die ihre
Ängste um ihrer Familie und ihres Landes willen äußern.
Das müssen sie auch dürfen.
Vielen Dank.
({9})
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Dr. Peter
Paziorek.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es ist schon ein Stück aus dem
Tollhaus: Der alte Rechtsgrundsatz „Verträge müssen eingehalten werden“ ist nach der Einlassung von Bundesumweltminister Trittin zu einem Problem dieser rot-grünen
Bundesregierung geworden.
({0})
Dass er ein schlechtes Gefühl dabei hat, weil er weiß,
dass solche Rechtsgrundsätze beachtet werden müssen,
kann man daran erkennen, wie polemisch er in seiner
Rede aufgetreten ist.
({1})
Er hat mehrfach davon gesprochen, es sei etwas „verschoben” worden. Ein Bundesumweltminister, der in seinem Ressort verantwortungsbewusst arbeitet, weiß, dass
aufgrund von Vertragsvereinbarungen, die bereits 1978
unter einer sozialdemokratischen Regierung getroffen
wurden, völkerrechtlich sauber ausgehandelt und verArne Fuhrmann
bindlich und gestützt von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Verfahren in Gang gesetzt
worden ist, das unter keinem Gesichtspunkt verdient, von
einem Bundesumweltminister, der mit Polemik zurückhaltend sein müsste, mit Verdächtigungen hinsichtlich einer Zuweisung von Verschulden in Verbindung gebracht
zu werden. Was Sie gerade gemacht haben, war unverantwortlich.
({2})
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und, so glaube ich, auch wenn ich das eben nicht
mehr verifizieren konnte, des Bundesverfassungsgerichts
sind diese Transporte auch deshalb rechtlich zulässig,
weil in Gorleben die Erkundung des Endlagers läuft. Was
haben Sie mit Ihren Hilfstruppen gemacht? Sie haben versucht, die Erkundung von Gorleben zu verhindern, weil
Sie genau wussten, dass es eigentlich ein rechtlich sauberer Weg ist. Ihnen war klar, durch eine Behinderung von
Gorleben die Entsorgungswege verstopfen zu können.
Aus diesem Grunde haben Sie versucht, die Erkundung
von Gorleben zu verhindern. Jetzt gehen Sie hin und stellen eine solche Rechtsprechung auf den Kopf. Ich kann
dazu nur sagen: Herr Bundesumweltminister, auch Ihre
Polemik wird Ihnen nicht helfen. Wir werden der Öffentlichkeit deutlich sagen, an welchen Stellen Sie unsauber
und unredlich argumentiert haben.
({3})
Die französische Regierung besteht auf den vertraglich
vereinbarten Rücktransporten. Der Rücktransport von
Abfällen aus La Hague ist die Voraussetzung dafür, dass
Frankreich wieder Atommüll aus Deutschland aufnimmt.
Die rot-grüne Regierungskoalition ist damit in eine selbst
konstruierte Entsorgungsfalle geraten und weiß nun nicht
mehr, wie sie aus ihr herauskommen soll. Es zeigt sich,
wie wenig durchdacht die bisherige Atomausstiegspolitik
der Bundesregierung ist.
Der Bundeskanzler sah sich auf der deutsch-französischen Regierungskonferenz nicht imstande, einen konkreten Transporttermin zu benennen. Er hat sich auf den
alten sozialistischen Grundsatz zurückgezogen „Wenn du
nicht weiter weißt, richte einen Arbeitskreis ein, dieser
wird wahrscheinlich schon helfen“. Man muss sich die
Sache einmal auf der Zunge zergehen lassen - deshalb hat
Bundesumweltminister Trittin das auch so laut gesprochen -: Dieser Arbeitskreis soll nun prüfen, was durch
bestehende Verträge längst geklärt ist, nämlich den Transport deutschen Atommülls von Frankreich nach Deutschland.
({4})
Herr Bundeskanzler, was hat es zu bedeuten, dass Sie
trotz einer klaren Rechtslage die Frage einem Arbeitskreis
stellen, der diese in einem bestimmten Sinne beantworten
soll. Das ist absolut nicht tolerierbar. Das einzig Gute, was
für Sie, Herr Bundesumweltminister, spricht, ist, dass die
Zuständigkeit auf diese Weise auf das Kanzleramt übertragen wurde, unter dem Gesichtspunkt, dass der Bundesumweltminister diese schwierige Problematik nicht wird
bewältigen können. Der Fraktionsvorsitzende der SPD,
Herr Struck, hat an anderer Stelle einmal gesagt: Das ist
ein richtiger Fall für Gerhard Schröder. Man muss hier sagen: Das ist wirklich ein echter Schröder. Die Rechtslage
ist klar, dennoch wird geeiert und das halten wir für unverantwortlich.
({5})
Ich will nur in Erinnerung rufen, was die rot-grüne
Bundesregierung mit den Energieversorgungsunternehmen verabredet hat. In der Vereinbarung heißt es:
Andererseits soll unter Beibehaltung der atomrechtlichen Anforderungen für die verbleibende Nutzungsdauer der ungestörte Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet
werden.
An anderer Stelle der Vereinbarung heißt es:
Die Energieversorgungsunternehmen können abgebrannte Brennelemente bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzung bis zur Inbetriebnahme der jeweiligen standortnahen Zwischenlager in regionale
Zwischenlager bzw. bis zur Beendigung der Wiederaufarbeitung ins Ausland transportieren.
Sie werfen uns vor, wir hätten etwas verschoben und
unter Ihrer Verantwortung - ich glaube, Herr Trittin, Sie
haben das sogar unterschrieben - vereinbaren Sie, dass bis
zur Beendigung der Wiederaufarbeitung Transporte ins
Ausland gehen können. Woher nehmen Sie eigentlich die
Frechheit, bei einem Verfahren, das wir sauber verantwortet haben, von „Verschieben“ zu sprechen, wenn Sie
selbst ein Verfahren unterschreiben, bei dem Transporte
zur Wiederaufarbeitung aus Deutschland nach Frankreich
gehen können und damit das Gleiche machen, was andere
Regierungen in Deutschland zuvor getan haben?
({6})
Das ist zweierlei Maß, das ist unredlich und zeigt, dass
Sie nur mit Polemik über die eigene Klippe der Schwierigkeiten Ihrer Atomausstiegspolitik hinwegkommen
wollten. Das werden wir Ihnen natürlich nicht durchgehen
lassen.
Ich kann deshalb zusammenfassend für uns sagen: Die
Bundesregierung hat kein Entsorgungskonzept. Ihre Entsorgungspolitik ist Tagesopportunismus, ihre Politik ist
beliebig und unredlich. Diese Regierung versagt in einer
wichtigen energiepolitischen Frage.
Vielen Dank.
({7})
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin
Michaele Hustedt.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich kann
die französische grüne Umweltministerin gut verstehen,
wenn sie sagt, Frankreich sei nicht dazu bestimmt, die
Atommüllkippe Europas zu werden. Es gibt - Herr Grill
hat ja Recht - seit 1991 ein Gesetz in Frankreich, das besagt, dass aus dem Ausland stammender radioaktiver Müll
nicht über die für die Wiederaufbereitung notwendigen
Fristen - in der Regel fünf bis acht Jahre - in Frankreich
verbleiben darf. Es ist verständlich, dass die Franzosen so
handeln. Denn es handelt sich hierbei nicht um Coladosen
oder um Plastiktüten, sondern um Müll, der Zehntausende
von Jahren strahlen wird. Generation um Generation wird
noch damit zu tun haben, dass wir unsere Stromversorgung mit Atomenergie sicherstellen.
Deswegen - Herr Trittin hat das sehr gut gesagt - ist es
in der Tat eine Sache der Ehre und unsere Verpflichtung,
dass Deutschland den Atommüll zurücknimmt.
({0})
Jetzt frage ich Sie: Wie kommen wir eigentlich in die
sehr unschöne Situation, dass wir diese Verpflichtung
nicht einlösen können? Ungefähr 4 500 Tonnen Atommüll
sind nach La Hague gegangen. Seit wir regieren, war es
keine einzige Tonne. Die knapp 4 000 Tonnen, die in
Frankreich verblieben sind, wurden seit 1976 dorthin
transportiert, also in Ihrer Regierungszeit.
({1})
- Seit 1976.
({2})
- Das war zum Großteil Ihre Regierungszeit.
({3})
- Der F.D.P. allemal. - Seit dieser Zeit sammelt sich das
an. Seit Rot-Grün regiert, ist keine einzige Tonne nach La
Hague gegangen.
Jetzt werfe ich einmal die Frage auf: Warum sind Sie in
Ihrer Regierungszeit nicht der Verpflichtung nachgekommen, diesen Atommüll nach Deutschland zurückzutransportieren? Könnte es vielleicht sein, dass Sie sich gemeinsam mit der Atomindustrie nicht getraut haben, den
Atommüll durch Deutschland nach Gorleben zu bringen?
({4})
- Frau Homburger, Sie können ja gleich noch reden. Liegt die wahre Ursache für dieses Dilemma, in dem wir
stecken, vielleicht darin, dass Sie über Jahrzehnte hinweg
Energiepolitik gegen die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung betrieben haben? Das ist die wahre Ursache, meine
Damen und Herren.
({5})
Deswegen kann ich nur sagen: Diese Aktuelle Stunde fällt
auf Sie persönlich zurück.
({6})
Warum das jetzt in Frankreich hochkommt, hat auch einen Grund. Es gibt nämlich in der Tat eine Klage der Betroffenen vor Ort, die sich auf dieses Gesetz berufen. Deswegen wird das zurzeit besonders energisch thematisiert.
Aber die Ursache liegt, wie gesagt, darin, dass Sie sich
nicht trauen, für Ihre Energiepolitik einzustehen, und dass
Sie deswegen - Jürgen Trittin hat das gesagt -, sozusagen
entgegen dem Atomgesetz,
({7})
als Entsorgungsnachweis anerkannt haben, dass in Frankreich eine illegale Zwischenlagerung stattfindet.
({8})
Jetzt komme ich auf den sachlichen Kern der Diskussion zurück. Herr Paziorek, Sie irren sich leider. Es gibt
eine Genehmigung.
({9})
Der Arbeitskreis, der auf Betreiben des Bundeskanzlers
mit den Franzosen eingerichtet wurde, tagt tatsächlich.
Das ist richtig. Es ist auch richtig, dass es eine Genehmigung für die ersten Rücktransporte gibt.
({10})
Aber der Arbeitskreis hat damit überhaupt nichts zu tun.
Sie haben also vollständig am Thema vorbeigeredet.
Jetzt komme ich auf den Vorwurf von Herrn Grill
zu sprechen, die Rücktransporte würden in die Zeit der
CeBIT fallen. Auch das ist falsch. Herr Grill irrt sich. Er
sollte sich einmal über die Termine informieren. Die Genehmigung tritt am 26. März in Kraft. Die CeBIT findet
vom 22. März bis 28. März statt. Die Genehmigung gilt
zwei Wochen, das heißt, es gibt zwar eine Überschneidung von zwei Tagen, aber der Großteil der Zeit, in der die
Genehmigung gilt, hat überhaupt nichts mit der CeBIT zu
tun. Das Einzige, was Sie tun, ist, mit falschen Vorwürfen
und irreführenden Behauptungen von dem tatsächlichen
Problem abzulenken.
Ich hoffe, dass in der nächsten Aktuellen Stunde, die
wir wahrscheinlich noch in dieser Woche zum Thema
Morsleben beantragen werden, deutlich werden wird, wo
die wahren Ursachen für unsere heutigen Probleme liegen, nämlich in der Tatsache, dass Sie im Prinzip eine
Atompolitik auf dem Rücken zukünftiger Generationen
betrieben haben, dafür nicht einstehen und jetzt versuchen, den Atomausstieg in Ihrem Sinne zu thematisieren. Ich glaube, Sie werden damit in der Bevölkerung
nicht durchkommen.
({11})
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht nun der Kollege Walter Hirche.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Man kann es drehen, wie man will:
({0})
In den Augen der französischen Regierung ist die deutsche Bundesregierung dabei, Vertragsbruch zu begehen
und internationale Verpflichtungen nicht einzuhalten. Das
ist der Kern des Themas, über das wir reden.
({1})
Wenn die Bundesregierung jetzt, nach dem Gipfel in
Vittel, eine Arbeitsgruppe einsetzt und dies als Erfolg der
deutsch-französischen Bemühungen feiert, dann möchte
ich darauf hinweisen - ich tue das, weil die Öffentlichkeit
das offenbar vergessen hat -: Wir haben im Januar 1999,
also vor rund zwei Jahren, im Bundestag in Bonn über die
gleiche Frage wie heute diskutiert. Damals hat Herr Trittin
nach Aussage des Stenographischen Berichts gesagt:
Wir haben einvernehmlich
- also Deutschland und Frankreich die Einsetzung von bilateralen Arbeitsgruppen beschlossen.
Ich stelle fest, dass die vor zwei Jahren angeblich oder
tatsächlich eingesetzten Arbeitsgruppen bis heute kein Ergebnis vorgelegt haben. Deshalb wird die Öffentlichkeit
getäuscht, wenn heute gesagt wird: „Wir setzen jetzt eine
Arbeitsgruppe ein“, und dies als neues Ergebnis der bilateralen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und
Frankreich präsentiert wird. Tatsächlich ist zwei Jahre
lang nichts passiert.
({2})
Warum ist nichts passiert? Es ist nichts passiert, weil
die Vertreter der Bundesregierung gar nicht wollen. So
sieht deren Mentalität aus.
({3})
Ich kann das anhand der Ausführungen, die Herr Trittin in
dieser Debatte gemacht hat, belegen. Herr Trittin hat in
Richtung der Betreiber gesagt: Es hat doch gar keinen
Zweck, Anträge zu stellen, wenn die französische Regierung bei ihrer bisherigen Haltung bleibt.
({4})
Aber die eigentliche Frage ist: Warum bleibt die französische Regierung bei ihrer Haltung? Sie bleibt bei ihrer
Haltung, weil sich die deutsche Regierung weigert, ihre
Vertragsverpflichtungen zu erfüllen.
({5})
Deswegen ist die deutsche Regierung der Verursacher der
internationalen Probleme.
Warum hat die deutsche Bundesregierung die von mir
beschriebene Mentalität? Die Schwierigkeiten - das ist ja
nicht erst seit Beginn dieser Legislaturperiode so - haben
doch damit zu tun, dass alle Versuche, die Lösung des Entsorgungsproblems in diesem Land voranzubringen, über
mehr als zehn Jahre hinweg blockiert worden sind, und
zwar unter anderem von Herrn Trittin und Frau Griefahn.
Demonstranten sind ermuntert worden, notfalls „nur ein
bisschen gewaltfrei“ zu protestieren.
({6})
Herr Trittin weiß ganz genau, wovon ich rede. Wir haben
uns schon im Niedersächsischen Landtag damit im Einzelnen auseinander gesetzt.
Dann hat Herr Trittin vorhin scheinheilig gesagt: Wir
stehen zu unserer Verantwortung. Das hat er auch schon
vor zwei Jahren erklärt. Solche Worte sind Schall und
Rauch.
Die Vokabeln, die Herr Trittin sonst gebraucht hat - es
sei nämlich „Atommüll verschoben“ worden -, beweisen,
dass er sich in eine Sprache flüchtet, von der die Juristen
sagen würden, dass sie in ganz anderen Milieus gesprochen wird.
({7})
Herr Trittin, Sie greifen heute nicht zum ersten Mal zu solchen Sprachmustern. Ich kenne das bereits aus dem Niedersächsischen Landtag. Es ist der Versuch, andere zu provozieren. Meine Damen und Herren, in diesem Hause
könnten sich Regierung und Opposition über Sinn und Unsinn der Kernenergie, Sinn und Unsinn von Wiederaufarbeitung streiten. Das können wir auch tun. Hier geht es
aber um internationale Verträge. Herr Fuhrmann hat in
diese Debatte inhaltliche Aspekte eingebracht. Wir könnten sicher bestimmte Dinge gemeinsam regeln. Wenn die
französische Regierung das aber anders sieht, dann hat die
Bundesregierung ihre gesetzliche und völkerrechtliche
Pflicht zu erfüllen und im Lande dafür Sorge zu tragen
- nicht durch Verbalerklärungen des Ministers, sondern
durch konkretes Handeln -, dass die Dinge vorangetrieben
werden. Da verschleppen, verzögern und vertagen Sie.
Das muss man sagen.
({8})
Im Übrigen brauchen wir uns gar nicht so viel über die
Vergangenheit zu unterhalten. Es liegt ganz klar auf der
Hand. Unter Helmut Schmidt ist eine Vereinbarung mit
den Ministerpräsidenten der Länder getroffen worden.
Diese hat die Regierung Kohl/Genscher fortgesetzt. Es
gab immer einen Konsens mit den Ländern.
Demokratie bedeutet - das will ich ganz deutlich sagen -, dass man zu anderen Meinungen, zu anderen
Mehrheiten kommen kann. Trotzdem muss man Verträge
achten. Hier geht es um das Erfüllen der Verträge. Deswegen ist es für mich die einzige Ermutigung in diesem
Zusammenhang, dass Herr Steinmeier und das Kanzleramt dafür zuständig sind, weil deutlich ist, dass der Bundeskanzler wie die Opposition dem Umweltminister zutiefst misstraut, dass er die internationalen Verhandlungen
nicht boykottiert und damit dem Verhältnis zwischen
Deutschland und Frankreich schadet. Meine Damen und
Herren, wir können nicht hinnehmen, dass das, was über
40 Jahre an deutsch-französischem Vertrauen aufgebaut
worden ist, mit einer solchen unverantwortlichen Politik
kaputt gemacht wird.
({9})
- Das ist nicht so lächerlich, wie Sie meinen!)
Der Kollege
Hans-Peter Kemper spricht nun für die SPD.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich will der Versuchung widerstehen,
die Rede des Herrn Grill in allen Punkten abzuarbeiten.
Zu einem Punkt muss man aber noch etwas sagen. Ich
kenne Herrn Grill seit langem. In Fragen der Atomenergie
haben wir uns in den vergangenen Legislaturperioden
oftmals gestritten. Wir waren unterschiedlicher Meinung.
Das, was er sich heute an Unterstellungen und Unwahrheiten geleistet hat, hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt.
Ich gehöre eher zu den Stillen im Lande, zu denen, die
sich nicht so leicht aufregen. Das, was er sich hier geleistet hat, hat mir den Blutdruck hoch getrieben. Ich bin
dem Kollegen Arne Fuhrmann, aber auch dem Umweltminister dankbar, dass sie diese infamen Unterstellungen
in gebührender Form zurückgewiesen haben. So etwas
kann hier nicht stehen bleiben, denn es ist falsch und erlogen.
({0})
Weil Frau Griefahn und Herr Fuhrmann im Wesentlichen unsere Standpunkte dargelegt haben, will ich die
ganze Situation auch aus der Sicht derjenigen betrachten,
die ein Lager vor Ort haben. Bei mir ist es das Lager in
Ahaus. Die Energieversorgung, vor allen Dingen die Entsorgung, hat sich in der Vergangenheit immer stärker zu
einem Wirtschaftsfaktor, zu einer Umweltschutzfrage und
zu einer Frage der inneren Sicherheit entwickelt. Wenn
ich die Umweltschutzfrage sehe, so sehe ich Herrn
Paziorek hier sitzen. Vorhin hat er ganz einträchtig neben
Herrn Grill gesessen und mir fielen ihre grasgrünen Krawatten auf. Sie sind sehr schön, aber es veranlasst mich zu
der Bemerkung: Zwei grasgrüne Krawatten machen noch
keinen Umweltpolitiker.
({1})
In Ahaus gibt es ein großes Zwischenlager. Ich weiß,
dass Ahaus von dem Transport aus La Hague nicht betroffen ist. In Ahaus haben wir keine Genehmigung für
hoch radioaktive Stoffe, keine Genehmigung für Glaskokillen. Die Stadt Ahaus hat zusätzlich die vertragliche
Vereinbarung mit dem Betreiber getroffen, dass kein Antrag auf Zwischenlagerung hoch radioaktiver Stoffe in
Ahaus gestellt wird.
Aber die Glaskokillen sind eine Folge der Wiederaufarbeitung. Sie ist eine Dinosauriertechnik, denn sie produziert mehr und giftigeren Restmüll. Das haben wir bereits zu Oppositionszeiten gesagt und das sagen wir auch
zu Regierungszeiten; daran hat sich nichts geändert. Wir
haben verbindliche und langfristige Verträge. Sie haben in
der Vergangenheit massenhaft Müll nach Frankreich geliefert, der dort nicht bleiben kann. Wir müssen ihn
zurückholen, denn die Verträge haben Bestand.
({2})
Aber wenn ich Herrn Grill hier eben gehört habe, dann
habe ich den Eindruck, als seien wir diejenigen, die diese
ganze Angelegenheit zu verantworten haben. Dazu fällt
mir aber einiges von dem ein, was Ihre damalige Umweltministerin, Frau Merkel, vom Stapel gelassen hat. Ich
kann mich gut daran erinnern, wie sie auf dem Westfalentag der Jungen Union am 9. Mai 1998 in Ahaus eine flammende Rede für die Atomenergie gehalten hat. Sie hat sich
dort als Atomlobbyistin feiern lassen und die Junge Union
dazu ermutigt, den „Ahauser Appell“ zu verabschieden, in
dem die Atomenergie ausdrücklich als verantwortbar hingestellt wurde. Nur ganz kurze Zeit später aber musste sie
wegen erwiesener Kontamination und Unsicherheit die
Atomtransporte aussetzen, ob nun Transporte aus La Hague nach Gorleben oder von Neckarwestheim beispielsweise nach Ahaus.
Diese Transporte werden auch in Zukunft tiefe Besorgnis bei allen verantwortungsbewussten Menschen
auslösen. Aber sie finden erstmals vor einem anderen Hintergrund statt: Der Ausstieg aus der Atomenergie ist beschlossen, der Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung auch.
Dabei hat die Erkenntnis Pate gestanden, dass die Atomenergie nicht beherrschbar und die Entsorgung nicht gesichert ist. Die Menschen wissen erstmals, dass ein Ende
abzusehen ist.
Dann haben Sie die Themen innere Sicherheit und Polizei angesprochen, die mir sehr am Herzen liegen. Ich
habe sehr oft mit Polizeibeamten gesprochen und bin bei
vielen Castortransporten dabei gewesen. Diese Transporte haben immer schlimme Belastungen für die Polizei
bedeutet. Bei den vergangenen Transporten, ob nach
Ahaus oder nach Gorleben, hatten die Polizeibeamten oftmals den Eindruck, dass sie für die Versäumnisse der Politik den Kopf hinhalten müssten und dass die ungeklärte
Entsorgungssituation und die ungeklärte Situation in der
Atompolitik insgesamt auf dem Rücken der Polizei ausgetragen würden.
Dies ist jetzt erstmals nicht mehr der Fall.
({3})
Die Polizei weiß, dass diese Transporte vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Atomenergie, der Stilllegung
von Atomkraftwerken stattfinden werden.
({4})
Sie weiß die Politik hinter sich und fühlt sich nicht mehr
allein gelassen. Die Transporte werden auch in Zukunft
keine Freude auslösen; das ist ganz klar. Aber ich bin sicher, dass die Transporte jetzt, da die Menschen wissen,
dass ein Ende abzusehen ist, erträglicher werden. Sie werden zwar nicht akzeptiert, in Zukunft aber verstanden
werden. Das ist ein großer Fortschritt und die Zukunft
wird zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
({5})
Ich erteile
dem Kollegen Gunnar Uldall für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen! Meine Herren! Herr Trittin, für Sie wird es jetzt
schwierig. Sie kommen in eine schwierige Lage, in der ich
an Ihrer Stelle nicht stecken wollte.
({0})
Sie können erklären, was Sie wollen: Ihnen als früherem
Mitorganisator und Anführer der Demos in Gorleben, die
alles andere als friedliche Demonstrationen waren - anderenfalls hätten sie ja nicht 100 Millionen DM gekostet -,
({1})
wird es sehr schwer fallen, den Menschen, die sich dort
versammeln, zu erklären, warum jetzt Transporte durchgeführt werden sollen. Dies wird Ihre Glaubwürdigkeit
nicht erhöhen, Herr Trittin.
({2})
Deswegen haben Sie auch alles versucht, um diese
Transporte in irgendeiner Form immer wieder hinauszuschieben.
({3})
Darum haben wir in den letzten Monaten eine völlig groteske Situation gehabt. Zuerst hieß es, die Behälter seien
nicht sicher.
({4})
Als dieses Bedenken ausgeräumt war, war es die EXPO,
die zunächst abgewartet werden musste. Als dann die
EXPO vorbei war, musste erst einmal eine Brücke repariert werden. Jetzt hören wir zu unserer Überraschung,
dass erst einmal eine Arbeitsgruppe tagen muss. Wenn die
Arbeitsgruppe getagt hat, dann müssen zunächst einmal
die Wahlen in Baden-Württemberg und in RheinlandPfalz abgewartet werden, weil die Transporte erst einen
Tag nach den Wahlen in diesen beiden Bundesländern beginnen. Also, Herr Minister, Sie werden von der Wirklichkeit irgendwann einmal eingeholt werden.
({5})
Dann wollen wir einmal sehen, wie Sie sich bei den Demonstrationen verhalten werden.
Diese Demonstrationen in Gorleben wären dann die
ersten, auf denen Sie, Herr Trittin, auf der anderen Seite
der Barrikaden ständen. Es wären die ersten Demonstrationen, auf denen Frau Griefahn, die hier eben gesprochen
hat, die Demonstranten nicht einpeitschen, sondern abwiegeln wird.
({6})
Frau Hustedt wird dort keine Brandrede halten, sondern
beruhigend auf die Menschen einreden.
Die Sicht der Grünen ist offensichtlich ganz einfach:
Wenn die Transporte unter einer CDU/CSU-F.D.P.-Regierung durchgeführt werden, dann ist das ganz schlimm
und das alles ist gar nicht mehr zu verantworten. Wenn
diese Transporte unter einer SPD-Grünen-Regierung
durchgeführt werden, dann ist das alles ganz harmlos und
lässt sich ohne Probleme über die Bühne bringen. Das
zeigt: Es ging Ihnen gar nicht um eine angebliche Gefährdung durch Castortransporte;
({7})
vielmehr sollten die massiven unfriedlichen Demonstrationen die Bevölkerung verunsichern. Das war schlichtweg nichts anderes als ein Teil Ihrer Wahlkampfstrategie.
Jetzt befinden Sie sich in einer Situation, dass Sie genau das Gegenteil von dem erklären müssen, was Sie bisher erzählt haben. Dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß. Es
wird die Gegner der Transporte in keiner Weise überzeugen. Wie ich schon sagte, Herr Trittin, Sie kommen deswegen in eine sehr schwierige Lage. Sie stecken in der
Falle.
({8})
Es gilt der Ausspruch, Herr Minister: Die Geister, die ich
rief, werde ich nun nicht wieder los.
Ich möchte Ihnen noch einen anderen Punkt vorhalten.
In einer dpa-Meldung habe ich gelesen:
Verfahren gegen Besetzer eingestellt. Bundesumweltminister Jürgen Trittin ({9}) hat das Bundesamt für Strahlenschutz angewiesen, die Klage gegen
14 Demonstranten zurückzunehmen. ... Sie waren
auf 100 000 DM Schadenersatz verklagt worden.
Schützt man so, indem man das Bundesamt für Strahlenschutz anweist, eine Klage zurückzuziehen, mit der Schadenersatz von den Verursachern gefordert werden soll,
seine politischen Freunde?
Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, dass hier
offenbar überhaupt kein Vertrauen in die deutschen Gerichte besteht. Offensichtlich versuchen Sie auf diese Art
und Weise, irgendwelche Mitdemonstranten von damals
von irgendwelchen Schadensersatzleistungen zu entlasten, für die dann natürlich irgendjemand anders zu bezahlen hat: der Steuerzahler, der Gebührenzahler oder wer
auch immer, auf jeden Fall nicht die Verursacher. Herr
Minister, was Sie sich in diesem Fall erlaubt haben, ist
schlichtweg ein Skandal.
({10})
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Horst Kubatschka.
Werter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist für mich eigentlich schon erstaunlich, wie bei diesem kleinen Problem
die Emotionen hochkommen.
({0})
Wie wird das Haus eigentlich erst kochen, wenn wir über
die Ausstiegsgesetze beraten? Ich muss sagen: Für mich
war das ganz erstaunlich.
Einiges muss man richtig stellen: Herr Kollege Uldall,
Sie bezeichnen die Kollegin Griefahn als Einpeitscherin.
Ich weise das zurück. Sie war verantwortliche Ministerin
des Landes Niedersachsen und hat die Probleme und
Ängste der Menschen ernst genommen. Sie war eben
keine Einpeitscherin.
({1})
Noch etwas, Herr Kollege: Sie sagen, wir hätten kein
Entsorgungskonzept. Für micht steht ein Entsorgungskonzept erst, wenn das notwendige Endlager vorhanden
ist. Darauf werden wir alle noch eine gewisse Zeit lang
warten. Erst dann haben wir das Konzept entwickelt. Wie
war das bisherige Entsorgungskonzept? Der Entsorgungsnachweis war: Atommüll ab in die Wiederaufbereitungsanlage! Dieses Konzept werden wir durchbrechen; stattdessen werden wir ein neues vorlegen.
({2})
Die Grundzüge dafür haben wir skizziert. Wir werden im
Konsens mit den EVUs vorgehen.
Ich bin der F.D.P. eigentlich dankbar für diese Aktuelle
Stunde. Denn in ihr zeigt sich wieder einmal, wie richtig
die Absicht der rot-grünen Koalition ist, im Konsens aus
der Kernenergie auszusteigen.
({3})
Dieser Konsens löst natürlich nicht das Problem des
Atommülls. Denn was wir verharmlosend Atommüll nennen, muss Hunderttausende Jahre sicher eingeschlossen
werden. Die belebte Umwelt muss auch nach 100 000 Jahren noch vor dem Atommüll geschützt werden. Der Konsens löst zwar nicht das Problem, aber er begrenzt das
Problem. Das ist sehr wichtig, denn weltweit gibt es keine
Lösung für die Endlagerung. Niemand hat eine Lösung:
kein Staat, kein Elektrizitätsversorger. Niemand wird
außerdem ein Endlager haben wollen.
Schon der Transport von abgebrannten Brennelementen war ein Problem. Auch der Transport von radioaktivem Material aus der Wiederaufbereitungsanlage in Glaskokillen war ein Problem. Dieses Transportproblem
wurde nicht von der neuen Bundesregierung geschaffen.
Geschaffen haben es die Stromversorger, die jahrelang
verstrahlte Transportbehälter verwendet haben und damit
die Öffentlichkeit getäuscht haben. Das ist die Ursache
gewesen: ein unglaublicher Vorgang. Die Bundesregierung ist hinters Licht geführt worden - und zwar die alte
Bundesregierung, die so sehr auf Kernenergie gesetzt
hatte. Die Bundesregierung wurde also von ihren eigenen
Freunden und Verbündeten ausgetrickst.
({4})
Daraufhin blieb der damaligen Bundesumweltministerin
Merkel nichts anderes übrig, als die Transporte zu verbieten. Die Entsorgungsfalle hat also nicht die neue Bundesregierung verschuldet, sondern sie geht auf ein Problem
zurück, das Sie nicht lösen konnten.
({5})
Sie, Herr Hirche, stellen es theatralisch so dar, als sei
die deutsch-französische Freundschaft gefährdet. Dazu
muss ich sagen: Der Vertragsbruch geschah eigentlich
schon viel früher. Seit 1991 gibt es ein französisches Gesetz, nach dem das Material nicht zwischengelagert werden darf. Trotzdem wurde es immer wieder zwischengelagert, denn es wurde nicht laufend abtransportiert. Sie
haben die entsprechenden Transportstopps ausgesprochen, dadurch dieses Problem geschaffen und es uns
schließlich überlassen.
({6})
Klar war und ist, die Transporte werden wieder rollen.
Das hat der Herr Umweltminister jetzt gesagt. Wir können
es noch so oft sagen: Sie, die Kollegen von der
CDU/CSU, werden es nicht glauben. Die Transporte werden aber nur genehmigt werden, wenn die Grenzwerte
eingehalten werden. Es müssen Bedingungen geschaffen
werden, dass es zu keiner Gefährdung der Bevölkerung
kommt, dass die Anwohner an den befahrenen Strecken
nicht gefährdet sind, dass das Transportpersonal nicht gefährdet ist und dass die begleitenden Polizistinnen und
Polizisten nicht gefährdet sind. Das sind wir den betroffenen Menschen schuldig.
({7})
Nachdem diese Bedingungen nach Überzeugung des zuständigen Bundesamtes für Strahlenschutz jetzt eingehalten sind, sind auch wieder Transportgenehmigungen ausgesprochen worden.
Sie haben anscheinend Pressemitteilungen nicht mitbekommen: Am 10. November, also am vergangenen
Freitag, hat das Bundesamt für Strahlenschutz die Rückführung von sechs Castorbehältern mit verglastem Atommüll, so genannten Glaskokillen, aus La Hague genehGunnar Uldall
migt. Bitte nehmen Sie das doch zur Kenntnis! Sie haben
vorher also an der Wahrheit vorbei argumentiert.
({8})
Der Transport kann frühestens in der letzten Märzwoche
2001 stattfinden.
Wir von der SPD haben uns mit dem Problem ausführlich auseinander gesetzt. Auch der Umweltausschuss hat
Anhörungen zu diesem Thema durchgeführt. Es war auch
klar: Es besteht ein Rechtsanspruch auf Genehmigung der
Transporte, auch wenn Sie es leugnen.
Obwohl meine Redezeit abläuft, möchte ich noch etwas sagen: Wir haben hier ein ganz kleines Problem, aber
wir hinterlassen unseren Kindern das Megaproblem der
Endlagerung. Vor den Vorwürfen, die mir meine Enkelkinder deswegen machen werden, habe ich Angst. Hier
muss eine Lösung des Problems ansetzen. Wir verschieben etwas in die Zukunft und unsere Enkel müssen das
Problem lösen. Wir leben damit auf Kosten unserer Enkel.
({9})
Bevor ich
das Wort dem letzten Redner gebe, rüge ich einen Zwischenruf des Kollegen Grill in dieser Debatte als unparlamentarisch.
({0})
Nun gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Christian
Ruck für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Auch ich bin der F.D.P. für
diese Aktuelle Stunde dankbar, der nicht das Bedürfnis
nach Theatralik, Herr Kubatschka, zugrunde liegt, sondern in der es um ein hohes Gut geht. Ich meine deutschfranzösische Freundschaft.
Wahr ist doch wirklich, dass das Gipfeltreffen in Vittel
zwischen Bundeskanzler Schröder und Präsident Chirac
vorüber ist, ohne dass dieser schwelende Konflikt um die
Atommülltransporte auch nur annähernd gelöst werden
konnte. Der Rechtsbruch bleibt bestehen, und die Beschädigungen sind eingetreten, Beschädigungen auch für
die deutsche Außenpolitik und für unser Ansehen. Ich
glaube auch, dass unsere französischen Partner durch die
Entscheidungsunfähigkeit der rot-grünen Regierung mit
Recht verärgert sind und politischer Flurschaden entstanden ist.
Das ist nicht das erste Mal. In der EU gelten Sie, Herr
Trittin, seit Ihren Nukleareskapaden gegen Frankreich ohnehin als äußerst unsicherer und unzuverlässiger Kantonist. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum
Ihnen das Problem inzwischen entzogen und zur Chefsache gemacht wurde.
Ich möchte noch einmal auf die Verschiebung zurückkommen, die auch, glaube ich, wirklich von einem
schlechten außenpolitischen Stil zeugt. Es ist ein außenpolitisches Armutszeugnis,
({0})
wenn Sie das Nichteinhalten internationaler Vereinbarungen und international gültiger Verträge mit Frankreich
- und es ist ja nicht nur Frankreich beteiligt, sondern auch
andere Länder in Europa - als Verschieben bezeichnen.
({1})
Man kann es nicht oft genug wiederholen.
({2})
Ich glaube, dass die derzeitige Weigerung Frankreichs,
aus Deutschland weiterhin Brennelemente anzunehmen,
sehr verständlich ist. Man muss sich einmal vorstellen:
Der letzte Rücktransport aus La Hague liegt bereits drei
Jahre zurück, und das, obwohl Deutschland sich mit der
Unterzeichnung der Wiederaufbereitungsverträge zu einer unbehinderten Rücknahme des produzierten Atommülls verpflichtet hat.
({3})
Deswegen sagt zum Beispiel die zitierte französische
Umweltministerin, Dominique Voynet, dass sie wirklich
genug davon hat, dass Frankreich zum Endlager nicht für
europäischen, sondern vor allem für deutschen Atommüll
wird. Ich halte es schon für ein starkes Stück, wenn hier
so getan wird, als seien das alles Peanuts und als sei das
deutsch-französische Verhältnis auch etwas, was man
ganz schnell ruinieren könnte.
Die eigentliche Ursache des Problems ist jedoch, dass
Rot-Grün sich daran festgebissen hat, ein eigenes neues
nationales Entsorgungskonzept aufzustellen, und zwar
auch hier mit den falschen Schwerpunkten. Wir brauchen
keinen neuen Entsorgungsplan.
({4})
- Das bisherige Entsorgungskonzept, Herr Kubatschka
- Sie haben es angesprochen -, mit den Zwischenlagern
in Ahaus und Gorleben - ({5})
- Schreien Sie nicht so, Ihre fünf Minuten sind vorbei. Solange Sie schreien, können Sie nicht zuhören. Das tut Ihnen nicht gut, Herr Kubatschka.
Mit den Endlagerprojekten Konrad und Gorleben steht
das Entsorgungskonzept, und die grundlegenden Probleme sind, auch nach Ansicht renommierter Fachleute,
längst gelöst. Es bedürfte also nur einer konsequenten
Umsetzung.
({6})
Was Sie diesem über lange Jahre bewährten und damals auch mit der SPD vereinbarten, von ihr mit gestalteten und mit initiierten Konzept bisher entgegensetzen, ist
unausgereift, in der Sache ungeeignet und nur aus Sicht
von Atomgegnern verstehbar.
Das Endlager Konrad wurde kurz vor der Planfeststellung nochmals bewusst verzögert, und die weitere Erkundung des Salzstockes in Gorleben ist seit 1. Oktober 2000
gestoppt. Trotz der bislang nicht infrage gestellten Eignung von Gorleben wird in der ganzen Republik wild
nach Standorten gesucht. Dass Sie dabei natürlich auch
Bayern ins Auge fassen, ist ein ganz durchsichtiges politisches Manöver und sonst nichts.
Die bestehenden Zwischenlager in Ahaus und Gorleben sind aufnahmefähig. Sie sind fast leer. Sie zwingen
trotzdem den Kernkraftbetreibern 13 zusätzliche dezentrale Zwischenlager auf und nehmen dabei auch noch in
Kauf,
({7})
dass vor Fertigstellung der Zwischenlager diese Dinge
acht Jahre lang in Garagen herumgammeln,
({8})
anstatt einen 24-Stunden-Transport zu vorhandenen dezentralen Zwischenlagern durchzuführen. - Ja, in Garagen vergammeln, das ist genau der Punkt, den man hier
ansprechen muss.
({9})
- Sie haben doch von Physik keine Ahnung, Herr
Kubatschka.
({10})
Auch national beweisen Sie durch die Blockade von
Transporten aus Frankreich ein weiteres Mal Ihre Unzuverlässigkeit. Sollte Frankreich - im Übrigen: völlig zu
Recht - keine weiteren Brennelemente aus Deutschland
mehr annehmen, Herr Schmidt, dann droht spätestens im
Frühjahr die Abschaltung von mindestens drei Atomkraftwerken in Deutschland, und zwar aufgrund dieses
von der Bundesregierung zu verantwortenden Vertragsbruchs.
({11})
- Herr Schmidt, Sie haben doch angeblich eine Vereinbarung zwischen den EVUs und der Bundesregierung, auf
die Sie so stolz sind. Meines Erachtens haben Sie aber angesichts des auf dem Gipfel erzielten Ergebnisses gegenüber den EVUs einen Rechtsbruch begangen oder zumindest im Sinn.
({12})
Wer wie Sie internationale Verträge bricht und sich
nicht an nationale Vereinbarungen hält, gefährdet auch
das Vertrauen in unseren Rechtsstaat.
({13})
Sie stellen Ideologie über getroffene Absprachen. Sie untergraben damit die Glaubwürdigkeit deutscher Politik
und verschleudern das große Kapital, das Sie von der vorherigen Regierung geerbt haben.
({14})
Herr Kollege Ruck, Sie müssen zum Schluss kommen.
Das wird die Spielräume deutscher Politik nachhaltig einengen, was Sie zu
verantworten haben. Diese verfehlte Energiepolitik
- siehe Klimagipfel - betreiben Sie auf dem Rücken der
zukünftigen Generationen.
Ich denke,
Herr Kollege Ruck, das war ein guter Schlusssatz. Ich
muss Sie bitten, Ihre Rede zu beenden.
Ich bedanke mich
für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Die Aktuelle
Stunde ist beendet. Damit sind wir am Schluss unserer
heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 16. November
2000, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.