Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Zusatzfrage, bitte
sehr, Frau Kollegin.
Zunächst einmal danke für
die nicht befriedigende Antwort. Aber zumindest ist es
eine Antwort.
Können Sie näher bestimmen, bis wann diese Kommission eingesetzt wird?
Da
auch dies ein Bestandteil des Ergebnisses sein wird,
möchte ich hier die Absprache mit den Koalitionsfraktionen nicht vorwegnehmen.
({0})
Weitere Fragen liegen
nicht vor. Der Geschäftsbereich ist damit abgeschlossen.
Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk auf:
In jeweils welcher Höhe beabsichtigt die Bundesregierung, die
für das Jahr 2001 eingeplanten Haushaltsmittel in Höhe von
64 Millionen DM zur Unterstützung der deutschen Minderheiten
in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa einschließlich nichteuropäischer Nachfolgestaaten der UdSSR ({0}) auf die betreffenden Staaten aufzuteilen,
und über welche deutschen Mittlerorganisationen werden die Mittel in den betreffenden Staaten - unter Angabe der jeweiligen
Höhe - zur Verfügung gestellt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Eine endgültige Aufteilung der Mittel auf die
jeweiligen deutschen Minderheiten in den genannten
Staaten ist noch nicht vorgenommen worden. Zum einen
ist der Haushalt 2001 vom Parlament noch nicht verabschiedet. Zum anderen hängt dies, wie Sie wissen, Herr
Kollege Koschyk, auch von den Planungsgesprächen mit
den jeweiligen Regierungen und Dachorganisationen der
deutschen Minderheiten ab, die noch nicht geführt worden sind.
Wie in den vergangenen Jahren werden aller Voraussicht nach rund zwei Drittel der durch den Haushalt bewilligten Mittel auf Fördermaßnahmen in der Russischen
Föderation einschließlich der Nachfolgestaaten der
UdSSR entfallen. Der Rest wird für die Förderung der
deutschen Minderheiten in den übrigen Staaten Ostmittel-,
Ost- und Südosteuropas verwandt.
Aus diesen von mir genannten Gründen kann noch
keine Aufteilung auf die einzelnen Mittlerorganisationen
vorgenommen werden. Ein erheblicher Teil der Projektmittel wird über die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und das Deutsche Rote Kreuz abgewickelt. Daneben werden - wie in der Vergangenheit - weitere rund
20 bis 30 Mittlerorganisationen bei der Durchführung der
Projekte beteiligt.
Eine Zusatzfrage,
bitte, Herr Kollege Koschyk.
Herr Staatssekretär,
die Mittel, die Sie angesprochen haben, sind in den letzten Jahren - von 138,8 Millionen DM in 1998 auf 74 Millionen DM im laufenden Haushalt - erheblich zurückgegangen und sollen nach dem Haushaltsentwurf der
Bundesregierung im nächsten Jahr auf 64 Millionen DM
zurückgehen; das ist also noch einmal eine Verringerung
um 10 Millionen DM gegenüber dem Haushaltsansatz
dieses Jahres. Nimmt die Bundesregierung die erheblichen Sorgen der Vertreter deutscher Minderheiten in den
betreffenden Staaten und zunehmend auch von Regierungsstellen angesichts dieses Rückgangs zur Kenntnis?
Kann die Bundesregierung überhaupt einen weiteren
Rückgang der Mittel verantworten?
Herr Kollege Koschyk, wie Sie
wissen, befinden wir uns in sehr guten Gesprächen, auch
mit den Betroffenen. Sie wissen ebenfalls, dass es bei den
Maßnahmen, die wir fördern wollen, eine Veränderung
gegeben hat und wir nicht so sehr in Großprojekte einsteigen, sondern in viele kleinere, regional bezogene Projekte. Das wird übrigens auch gutgeheißen.
Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir mittlerweile an
der einen oder anderen Stelle so genannte Rückflussmittel haben, die vor Ort zur Verfügung stehen. Dies muss bei
der Frage, welche Haushaltsmittel wo zur Verfügung stehen, beachtet werden.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
ich darf jetzt einmal ein Land ansprechen, in dem es nie
umstrittene und teilweise nicht erfolgreich durchgeführte
Großprojekte gegeben hat, sondern immer nur kleinere:
die Republik Polen. Auch dort ist ein drastischer Rückgang der Mittel von 26 Millionen DM im Jahr 1998 auf
14 Millionen DM in diesem Jahr festzustellen. Wenn Sie
bei der Zweidrittelteilung bleiben - auch bei 10 Millionen DM weniger im nächsten Jahr -, wird das für Polen
einen weiteren erheblichen Rückgang von Mitteln zur
Folge haben.
Wie begründen Sie in einem solchen Fall, bei dem
durch die Kürzungen laufende Projekte und der Erfolg
laufender kleiner, regionaler Projekte - ganz in dem
Sinne, wie Sie es gerade genannt haben - gefährdet sind,
einen weiteren Rückgang der Mittel?
Herr Kollege Koschyk, es gibt
eine Schwierigkeit. Ich könnte Ihnen eine Zahl nennen,
bei der ich nicht ganz sicher bin - es geht um Rückflussmittel -, ob die Größenordnung stimmt; das müssen wir
noch überprüfen. Jedenfalls handelt es sich nicht um eine
unerhebliche Summe.
Im Übrigen denke ich, dass der Anteil unserer Förderung im Fall von Polen im Verhältnis zukünftig gleich
bleibt. Sie wissen, nach den Minderheiten in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion erhielt Polen
den größten Anteil der Projektmittel. Ich gehe davon aus,
dass dieses Verhältnis in Zukunft trotz der veränderten
Haushaltssituation so bleiben wird.
Ich danke Herrn
Staatssekretär Körper.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung
steht Herr Staatssekretär Siegmar Mosdorf zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Max
Straubinger auf:
Treffen neuerliche Zeitungsberichte ({0}) zu, dass der Bund bereit ist, entgegen den bisherigen Vereinbarungen mehr als 50 Prozent des EXPO-Verlustes
zu tragen, und werden diesbezüglich Verhandlungen mit der niedersächsischen Landesregierung geführt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Straubinger, Sie haben im
„Straubinger Tagblatt“
({0})
etwas gelesen, was Sie unglaublich aufgeregt hat.
Herr Staatssekretär,
Sie sollten diesen Scherz für das ganze Publikum aufklären.
Max Straubinger
hat bei seiner Frage auf Zeitungsberichte aus dem
„Straubinger Tagblatt“ Bezug genommen.
({0})
Lieber Kollege Straubinger, Sie wissen, dass es Ende
August ein Gespräch des Bundesfinanzministers mit dem
niedersächsischen Ministerpräsidenten gegeben hat. Bei
diesem Gespräch ist vereinbart worden, gemeinsam alle
Anstrengungen zu unternehmen, um die Defizite bei der
EXPO so gering wie möglich zu halten. Die letzten Tage
der EXPO mit den positiven Besucherzahlen geben dazu
auch etwas Hoffnung. Es ist verabredet worden, dass Detailvereinbarungen nach Abschluss der EXPO und nach
Vorliegen der entsprechenden Berichte getroffen werden.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege Straubinger, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
Sie haben meinen Namen mit dem „Straubinger Tagblatt“
in Verbindung gebracht. Leider Gottes bin ich nicht der
Besitzer dieser Zeitung.
({0})
- Leider auch nicht. Das ist bei der SPD aufgrund ihrer
Beteiligungen möglicherweise leichter.
Der Bericht sagt ja - es wurde nicht nur im
„Straubinger Tagblatt“, sondern auch in der „FAZ“ und in
anderen größeren Zeitungen darüber berichtet -, dass der
Bund bereit ist, einen höheren Anteil an dem Defizit zu
übernehmen. Damit würde von der bisherigen Vereinbarung der hälftigen Teilung - 50 Prozent der Bund und
50 Prozent das Land Niedersachsen - abgewichen.
Damit stellt sich für mich die Frage: Was sind die vergangenen Vereinbarungen insgesamt wert, wenn weitere
Verhandlungen durchgeführt werden, wenn der Bund offensichtlich bereit ist, einen höheren Anteil des Defizits
zu übernehmen? Ein Weiteres: Ist die Defizitübernahme
- das wurde in den genannten Zeitungsberichten auch
dargestellt - im Hinblick auf zukünftige Entscheidungen
im Bundesrat zu sehen? Es wird kolportiert, dass gerade
wegen der notwendigen Zustimmung des Bundesrates zu
den Steuergesetzen bzw. zur Entfernungskostenpauschale
dem Land Niedersachsen ein Entgegenkommen signalisiert werden soll.
Herr Kollege
Straubinger, es ist mir völlig schleierhaft, wie Sie auf die
letzte Frage kommen. Zu Ihrer ersten Frage möchte ich Ihnen sagen: Wir haben vertragliche Vereinbarungen - das
wissen Sie - und diese gelten bis zum Ende der EXPO. Es
ist verabredet worden, dass über die Behandlung des möglichen Defizits bei Vorliegen der genauen Zahlen entschieden werden soll. Ein solches Vorgehen entspricht
auch einer guten Praxis bei der Buchhaltung und bei
betriebswirtschaftlichen Abrechnungen. Würde man sich
über die Aufteilung des Defizits verständigen, bevor die
aktuellen Zahlen vorliegen, wäre das auch aus der Sicht
des Bundes nicht hilfreich. Wir wollen die endgültigen
Zahlen abwarten und dann die abschließenden Gespräche
führen.
Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Straubinger.
Herr Staatssekretär,
gesetzt den Fall, das errechnete Defizit von 2,4 Milliarden DM wird zutreffen: Würde sich der Bund an diesem
Defizit zu zwei Dritteln beteiligen, bedeutete dies für den
Bund eine zusätzliche Mehrbelastung von 384 Millionen DM. Gibt es in Ihrem Haus oder vonseiten der
Bundesregierung insgesamt Überlegungen, wie diese
zusätzlichen 384 Millionen DM abgedeckt werden können?
Ich kann Ihnen
bestätigen, dass Ihre Rechnung mathematisch stimmt. Ich
kann Ihnen aber nicht bestätigen, dass wir zwei Drittel des
Defizits übernehmen.
Herr Kollege Otto
will eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, da in der Tat - worauf Herr Kollege Straubinger
zu Recht hingewiesen hat - nicht nur in dem bedeutenden
„Straubinger Tagblatt“, sondern in der gesamten deutschen Medienlandschaft die Rede davon war, der Bund
sei bereit, einen höheren Anteil an dem Defizit zu übernehmen, frage ich Sie: Sind diese Berichte alle an den
Haaren herbeigezogen? Hat es nicht doch schon Vorgespräche - welcher Art auch immer - gegeben, in denen
dem Land Niedersachsen - zufälligerweise das Land, aus
dem unser Bundeskanzler kommt - ein höherer Anteil des
Bundes signalisiert worden ist?
Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Straubinger
hat den Eindruck erweckt, als ob es in den abschließenden
Gesprächen nur noch um die Höhe des Defizits ginge. Ich
frage Sie: Hat es bisher keinerlei Vorgespräche mit der
niedersächsischen Landesregierung über die Höhe des
Anteils gegeben, den der Bund zu tragen bereit ist?
Verehrter Kollege Otto, ich kann Ihnen nicht sagen, ob es Gespräche in
der Landesregierung darüber gegeben hat. Ich kann Ihnen
nur sagen, dass es Vereinbarungen gibt, die der Bundesfinanzminister, wie ich ihn kenne, einhalten wird, und dass
keine Zusagen gemacht werden, bevor nicht die Endabrechnung vorliegt. Wir werden die Finanzen genau ansehen. Wenn auch Sie, Herr Otto, die EXPO besuchen und
mithelfen, dass noch mehr Besucher kommen, dann kann
die EXPO ja noch ein großer Erfolg werden. Erst wenn
die EXPO zu Ende ist, kann die genaue Höhe des Defizits
ermittelt werden. Danach werden wir das fair mit der niedersächsischen Landesregierung besprechen. So wird das
Verfahren sein. Ich glaube, Sie würden das nicht anders
machen.
Nun hat der Kollege
Koppelin eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da
Frau Breuel erklärt hat, dass sie sich für die Verluste der
EXPO verantwortlich fühlt - das habe ich gelesen -,
möchte ich Sie fragen: Werden die Verantwortlichen für
das Defizit der EXPO - falls die Summe der Verluste, die
in den Medien genannt worden ist, zutrifft - in Regress
genommen werden?
Da Sie zu denjenigen gehören, die Frau Breuel damals gebeten haben,
diese Aufgabe zu übernehmen, möchte ich Ihnen sagen:
Sie hat sich mit Nachdruck in diese Aufgabe hineingekniet und hat sich für die EXPO sehr engagiert. Deshalb
kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie Frau Breuel in Regress nehmen wollen.
Damit danke ich dem
Herrn Staatssekretär Mosdorf.
Die Frage 4 wird schriftlich beantwortet. Die Frage 5
der Kollegin Gudrun Kopp aus dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten wird auch schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 der Abgeordneten Maria Eichhorn
auf:
Wann wird die Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann, das seit langem geplante Gespräch mit dem tschechischen Jugendminister führen,
dem insbesondere mit Blick auf die EU-Osterweiterung und den
deutsch-tschechischen Jugendaustausch große Bedeutung zukommt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Frau Kollegin, es wurden mehrere Terminvorschläge für
ein Treffen ausgetauscht. Allerdings konnte bislang kein
definitiver Termin vereinbart werden. Es wird jedoch beabsichtigt, dass Frau Ministerin Dr. Bergmann nach Prag
reist, sobald eine Vereinbarung über den Zeitpunkt getroffen ist. Das tschechische Ministerium für Bildung, Jugend und Sport ist um die Übermittlung eines Terminvorschlags gebeten worden.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
welche Gründe gibt es dafür, dass dieses seit längerer Zeit
geplante Gespräch bisher nicht zustande kam, und was
wurde konkret getan, damit dieses Gespräch schnellstmöglich nachgeholt werden kann?
Herr Minister Zeman und Frau Ministerin Dr. Bergmann
sollten ursprünglich - das wissen Sie sicherlich - gemeinsam an einer Veranstaltung des Koordinierungsbüros
für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch „Tandem“ im Oktober 1999 in Weimar teilnehmen. Im Rahmen dieses Treffens wollten sich beide Minister den Fragen der Vertreterinnen und der Vertreter von deutschen
und tschechischen Jugendaustauschorganisationen stellen
und einen Meinungsaustausch über die jugendpolitische
Zusammenarbeit führen.
Herr Minister Zeman hat dann aufgrund aktueller Entwicklungen in Tschechien den Besuch kurzfristig abgesagt. Er hat im Gegenzug Frau Ministerin Dr. Bergmann
zu einem Arbeitsbesuch nach Prag eingeladen. Frau
Ministerin Dr. Bergmann nahm diese Einladung an und
wollte den Besuch mit einem Gespräch mit dem Arbeitsund Sozialminister Dr. Spidla verknüpfen. Wie Sie vielleicht wissen, hat unser Ressort auch zu dem tschechischen Sozialministerium Kontakte. Der für April 2000 ins
Auge gefasste Termin konnte nicht realisiert werden, da
nicht alle drei Minister an dem geplanten Tag verfügbar
waren.
Ein weiterer Terminvorschlag von tschechischer Seite
für ein Treffen am 20. Juli scheiterte an Terminschwierigkeiten auf deutscher Seite, ebenso wie der deutsche Alternativvorschlag für den 1. August auf tschechischer Seite
scheiterte. Der vom tschechischen Jugendministerium angekündigte neue Terminvorschlag steht noch aus. Auf Arbeitsebene ist bereits nachgefragt worden. Ein baldiger
neuer Vorschlag wurde in Aussicht gestellt.
Die zweite Zusatzfrage.
Ist daran gedacht, dieses Gespräch jetzt endgültig stattfinden zu lassen? Wenn
ich mir die Reihe der Versuche ansehe, zweifle ich daran,
ob das wirklich der Fall ist. Nimmt man sich jetzt einen
Zeitraum vor, in dem dieses Gespräch stattfinden soll,
meinetwegen bis Weihnachten, damit man das endlich abhaken kann?
Ich gehe davon aus, dass das noch in diesem Jahr stattfindet. Wir haben im Sommer, einmal die deutsche, einmal
die tschechische Seite, versucht, einen Terminvorschlag
für die drei Minister hinzubekommen. Dies ist unglücklicherweise nicht gelungen. Nun haben Minister und
Ministerinnen ja auch vielfältige Termine und wenn man
versucht, einen Termin für drei Minister zustande zu bekommen, erschwert das natürlich das Ganze. Sie können
sicher sein, dass sowohl die deutsche als auch die tschechische Seite großes Interesse daran haben, dass dieses
Gespräch stattfindet; denn der deutsch-tschechische Jugendaustausch ist ebenso wie die deutsch-tschechischen
Beziehungen in einem hervorragenden Zustand.
Ich rufe die Frage 7
der Kollegin Maria Eichhorn auf:
Was wird seitens des BMFSFJ getan, um die guten Kontakte,
die auch durch den Aufbau des „Koordinierungszentrums
deutsch-tschechischer Jugendaustausch“ entstanden sind, zu befördern?
Frau Staatssekretärin.
Das BMFSFJ fördert und unterstützt den deutsch-tschechischen Jugendaustausch in erheblichem Umfang, im
Wesentlichen über das Koordinierungszentrum „Tandem“
in Regensburg. Diese Förderung hat zu einer erheblichen
Ausweitung der Jugendbegegnungen und zur Neugründung vieler Partnerschaften zwischen deutschen und
tschechischen Jugendorganisationen geführt.
Ab 1998 ist der Koordinierungsstelle die Bewirtschaftung des größten Teils der Mittel aus dem KJP-Sonderprogramm für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch übertragen worden. Der Koordinierungsstelle
werden zusätzlich alljährlich Mittel zur Qualifizierung
des deutsch-tschechischen Jugendaustausches zur Verfügung gestellt, zum Beispiel für Tagungen mit den Zentralstellen der Jugendorganisationen sowie den Fachstellen, für die Erarbeitung von Materialien, für weitere
innovative Projekte.
Mit Unterstützung des BMFSFJ startete „Tandem“
neue Initiativen mit der Vermittlung von grenzüberschreitenden beruflichen Praktika - zur ergänzenden Finanzierung werden ESF-Mittel beantragt - sowie mit Hospitationsaufenthalten in Einrichtungen der Jugendhilfe. Im
Jahre 1999 wurden 36 Hospitationen mit einer Dauer zwischen vier und zwölf Wochen vermittelt und gefördert.
Mit Blick auf den EU-Beitritt Tschechiens werden auch
europäische Themen aufgegriffen.
Von großer Bedeutung insbesondere für die tschechische Seite sind der Erfahrungsaustausch und der Knowhow-Transfer zu Freiwilligendiensten. Tschechien verfügt bislang noch nicht über Freiwilligendienste. Da es
jedoch an dem EU-Programm „Europäischer Freiwilligendienst“ partizipieren möchte, sind die Erfahrungen
und Hilfestellungen aus Deutschland sehr willkommen.
Auch zwischen den beiden Jugendministerien gibt es
eine direkte Kooperation. Im Mittelpunkt eines im vergangenen Jahr begonnenen und im kommenden November anstehenden, weiteren Hospitationsprogramms von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beider Ministerien
steht der Erfahrungsaustausch über Strukturen der Jugendhilfe auf beiden Seiten sowie über die Jugendgesetzgebung.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gesagt, dass dieses Koordinierungszentrum
eine hervorragende Arbeit leiste. Ich kann das nur bestätigen, weil ich des Öfteren dort Besuche abstatte, zumal
sich das Zentrum in meiner Heimatstadt Regensburg befindet. Bei dieser Gelegenheit habe ich festgestellt, dass
die dortigen Mitarbeiter hoch motiviert sind. Sie könnten
und würden gern mehr leisten, als sie schon tun, wenn die
entsprechenden Möglichkeiten gegeben wären. Darum
frage ich: Gibt es Möglichkeiten, über den Haushaltsansatz, den wir im Ausschuss beraten haben, hinaus diese
Arbeit noch mehr zu fördern und zu unterstützen? Ich
habe Sie ja auch konkret gefragt, wie die guten Kontakte
gefördert werden können. Gibt es über die finanziellen
Möglichkeiten hinaus von Ihrer Seite Bestrebungen auf
der Ministeriumsebene oder wie auch immer, die guten
Kontakte, die vorhanden sind, zu stabilisieren und noch
mehr auszuweiten?
Ich teile Ihre Auffassung, dass das Koordinierungsbüro
hervorragende Arbeit leistet. Dies ist, glaube ich, in den
letzten Jahren auch durch viele finanzielle Zuwendungen
deutlich geworden. Das zeigt nicht nur die Bewirtschaftung des Sonderprogramms. Vielmehr sind seit 1997, wie
Sie wissen, steigend Haushaltsmittel für den deutschtschechischen Jugendaustausch zur Verfügung gestellt
worden. Insofern kann ich Ihre Erwartung - die ich inhaltlich vielleicht teile, haushaltstechnisch aber nicht dass noch mehr Mittel für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch zur Verfügung gestellt werden, nicht teilen.
Sie wissen, dass der internationale Jugendaustausch
sehr begehrt ist. Ich muss im Laufe des Jahres immer wieder Fragen von Abgeordneten aus diesem Haus beantworten, ob der Jugendaustausch mit diesem oder jenem
Land nicht intensiviert werden könnte. Es ist sehr erfreulich, dass es ein großes Interesse am internationalen Jugendaustausch gibt, aber Haushaltsmittel sind auch begrenzt.
Sie haben gefragt, was wir darüber hinaus getan haben.
Ich bin der Meinung, dass „Tandem“ für die deutschtschechische Beratung in Jugendfragen sehr gute Leistungen bringt. Sie wissen, dass der Leiter des deutschen
Büros, Herr Dr. Lenk, erneut in das deutsch-tschechische
Gesprächsforum berufen wurde. Das ist auch ein Beleg
dafür, dass „Tandem“ wichtige Aufgaben leistet und gerade auch diesem höheren Gremium für den deutschtschechischen Jugendaustausch wertvolle Beiträge liefert.
Es wird alles getan, um dieses wichtige Büro auch in die
allgemeinen deutsch-tschechischen Fragen einzubeziehen. Insofern ist die Zusammenarbeit hervorragend.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
teilen Sie meine Meinung, dass im Hinblick auf die EUOsterweiterung gerade die Verbindungen zwischen der
Jugend in Tschechien und Deutschland in Zukunft einen
großen Stellenwert haben müssen?
Diese Meinung teile ich voll. Sie wissen, dass diese Arbeit ein neues Standbein geworden ist. Dies gilt sicherlich
nicht nur für Tschechien, sondern es gilt auch für andere
Beitrittsländer. Darüber werden wir noch viel miteinander
reden müssen: über jugendpolitische Fragen, familienpolitische Fragen, frauenpolitische Fragen. Denn ein gemeinsames Europa hat nicht nur mit Wirtschaftsdaten zu
tun, sondern auch mit gesellschaftspolitischen Daten. Daran arbeiten wir gerne.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin Dr. Niehuis.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister
Dr. Christoph Zöpel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Otto ({0})
auf:
Trifft es zu, dass die Bundesregierung angesichts des als
schlecht kritisierten Images der Bundesrepublik Deutschland in
Tschechien eine PR-Kampagne in den dortigen Medien startet und
welche Kosten sind dafür geplant?
Herr Staatsminister, bitte.
Ihre Frage lässt sich mit Nein beantworten.
Zusatzfrage, Herr
Kollege.
Herr Staatsminister, wollen Sie tatsächlich in Abrede stellen, dass es
konkrete Vorbereitungen für eine solche PR-Kampagne
gibt und dass für diese PR-Kampagne Aufträge an
frühere, von der Deutschen Welle entlassene Mitarbeiter
erteilt worden sind?
Herr Kollege, dazu kann ich Ihnen Folgendes sagen:
Bei der Zusammenstellung der Unterlagen für die
Beantwortung Ihrer Frage hat das Auswärtige Amt darauf
keinen Hinweis gefunden. Mir persönlich ist es auch nicht
bekannt.
Zweite Zusatzfrage.
Ganz präzise gefragt: Die Bundesregierung schließt aus, dass von
Ihrer Seite irgendwelche Vorbereitungen für eine PRKampagne in Tschechien zugunsten des Images von
Deutschland gestartet worden sind? Das möchte ich genau wissen. Sie haben das ausgeschlossen. Habe ich Sie
richtig verstanden, dass die Bundesregierung keinerlei
Aktivitäten unternommen hat, Herr Staatsminister, um in
Tschechien eine PR-Kampagne zugunsten des Images
von Deutschland zu starten?
Herr Kollege, es macht immer Sinn, dass man kommuniziert
({0})
- ja, eben -, um sich klar zu verstehen. Deshalb wiederhole ich das, was ich eben gesagt habe: Aufgrund der Unterlagen des Auswärtigen Amtes zu Ihrer Frage, ob es eine
PR-Kampagne seitens der Bundesregierung gebe, die
auch Kosten verursache - das können ja nur Mittel aus
dem Bundeshaushalt sein -, beantworte ich die Frage
nach meinem Wissen mit Nein. Wenn Sie mich allerdings
fragen, ob es in der Bundesregierung Überlegungen gebe,
sich darum zu bemühen, dass die Einschätzungen der
Deutschen über die Tschechen und der Tschechen über die
Deutschen besser werden, so kann ich dazu sagen, dass
wir das tun. Ich kann Ihnen über die letzte Sitzung des Koordinierungsrates des tschechisch-deutschen Gesprächsforums ausführlich berichten. Dies war ein Gesprächsgegenstand dort. Es war allerdings nicht mit Kosten aus dem
Bundeshaushalt verbunden.
({1})
- Die Kosten für die Sitzung werden aus dem Zukunftsfonds beglichen. Der Referent bekommt auch aus dem
Zukunftsfonds Honorar. Es ist nie auszuschließen - auch
bei den weiteren Überlegungen, die ich für notwendig
halte -, sich angesichts einer noch nicht voll bewältigten
Vergangenheit, einer schwierigen Beziehung zu überlegen, ob es Aufklärungsmaßnahmen geben könnte, die
man aus dem Bundeshaushalt bezahlen müsste. Ich sehe
zurzeit allerdings keinen Anlass dazu, weil ich mir vorstellen kann, dass Anstrengungen aller Beteiligten im
Rahmen der normalen grenzüberschreitenden politischen
Kommunikation dazu einen wertvolleren Beitrag leisten
könnten.
Nun stellt der Kollege
Koppelin eine Frage.
Herr Staatsminister, ich
möchte Sie fragen, ob Sie bei der Vorbereitung der Beantwortung der Frage des Kollegen Otto auch andere
Häuser abgefragt haben, zum Beispiel das Bundespresseamt.
Es geht aus den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht hervor, ob das Auswärtige Amt das Bundespresseamt abgefragt hat.
Nun rufe ich die
Frage 9 des Kollegen Otto auf:
Weshalb haben die Vertreter der Bundesregierung im Rundfunkrat der Deutschen Welle trotz des schwierigen Images
Deutschlands für die Beendigung des tschechischen Programms
der Deutschen Welle gestimmt?
Herr Staatsminister, bitte.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Es ist in der Tat
richtig, dass die Deutsche Welle Programme einschränken
musste. Das hat damit zu tun, dass die Mittel, die der Bund
der Deutschen Welle zur Verfügung stellt, gekürzt wurden. Das wiederum ist im Rahmen der sowohl wirtschafts- als auch europapolitisch dringend erforderlichen
Haushaltskonsolidierung in Deutschland notwendig.
Damit in Zusammenhang stand die Frage, welche Programme nicht mehr ausgestrahlt werden können. Das ist
kritisch geprüft worden. Es gibt dafür ein klares Kriterium: Überall dort, wo - das gilt vor allem für den grenznahen Bereich - durch Deregulierung und Liberalisierung
des Medienmarktes Informationen relativ leicht zugänglich sind, zum Beispiel deutschsprachige Hörfunkprogramme außerhalb der Deutschen Welle relativ gut gehört
werden können, ist die Notwendigkeit deutschsprachiger
Sendungen der aus Bundesmitteln finanzierten Deutschen
Welle nicht mehr so notwendig.
({0})
- Das ist die tiefere Logik der Liberalisierung von Rundfunk, Herr Kollege.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Otto.
Herr Staatsminister, ich hatte schon immer den Verdacht, dass Sie die
Liberalisierung nicht so richtig verstehen. Ich mache Sie
darauf aufmerksam, dass es hier um tschechischsprachige
Programme und nicht um deutschsprachige Programme
geht. Daher kommen Sie mit Ihrer Liberalisierung gar
nicht weiter.
Aber meine Frage ist folgende: War es denn den Vertretern der Bundesregierung im Verwaltungsrat und im
Rundfunkrat der Deutschen Welle nicht möglich, zu erkennen, dass es - auch im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU - das nachweisbar schwierige Image,
das Deutschland in Tschechien hat, nahe legt, das tschechische Programm weiterhin senden zu lassen? Wie kam
man angesichts der historischen Dinge, die wir vorhin andiskutiert haben, und angesichts der Tatsache, dass wir
vor der EU-Osterweiterung stehen, auf die Idee, ausgerechnet das tschechische Programm einzustellen?
Ich habe Ihnen das eben geschildert: Ein Abwägungsprozess im Rahmen von notwendigen Konsolidierungsbemühungen hat zu diesem Ergebnis geführt. Das
entscheidende Kriterium war, dass der außerhalb der
Deutschen Welle stattfindende Kommunikations- und
Medienaustausch zwischen beiden Ländern wegen der
gemeinsamen Grenze im Vergleich mit anderen Gegebenheiten auf dieser Welt umfassend ist.
Alle Erwägungen, die Sie sonst ansprechen, sind voll
nachzuvollziehen. Dass es eine Fülle von Bemühungen
geben muss, um die jeweiligen Auffassungen von Deutschen und Tschechen auch im Rahmen der zukünftigen
Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der EU ins
Bewusstsein zu heben, ist selbstverständlich.
Herr Kollege
Koppelin, bitte.
Herr Staatsminister, da
Sie angeführt haben, das Programm der Deutschen
Welle in tschechischer Sprache habe aus Haushaltsgründen gestrichen werden müssen - Sie haben von
Haushaltskonsolidierung gesprochen -, frage ich Sie, für wie glaubwürdig Sie selber Ihre Antwort halten, angesichts der Tatsache, dass die rot-grüne Koalition zugleich zusätzliche Mittel in Höhe von 50 Millionen DM
für Friedensforschung zur Verfügung stellt.
({0})
- Das andere ist doch auch Friedensforschung.
({1})
Herr Staatsminister,
Sie dürfen die Frage beantworten.
Das habe ich auch vor; herzlichen Dank, Frau Präsidentin.
Aus der hochkomplexen Vielfalt von Präventivmaßnahmen zur Konfliktvermeidung auf dieser Welt diese
beiden Dinge gegenüberzustellen führt ein wenig
({0})
in die Irre. Die hauptsächlichen Mittel, die dafür eingesetzt werden, um Gewalt abzubauen bzw. bereits zivile
Konflikte zu vermeiden, entstammen den Zukunftsfonds - eine hervorragende Entscheidung, die unter der
Regierung gefällt worden ist, an der Sie beteiligt waren.
Wir versuchen, diese Zukunftsfonds weiterzuführen. Damit wurde im tschechisch-deutschen Verhältnis ein spezifischer Schwerpunkt bei der Konfliktvermeidung und der
Friedensgestaltung gesetzt, der im Vergleich zu vielen anderen Ländern - notwendigerweise - überdurchschnittlich ist, sodass es - wenn ich mir das erlauben darf zu sagen - der Sache nicht besonders dient, wenn Sie die Frage,
ob notwendige Entscheidungen im Rahmen der Deutschen Welle zu dem von Ihnen kritisierten Ergebnis geführt haben, generell in eine Beziehung zur Friedens- und
Konfliktforschung in der Welt setzen.
Herr Kollege Hauser.
Herr Staatsminister, kann man, da Sie auf die Liberalisierung des Medienmarktes abgestellt haben, davon ausgehen, dass Sie
sämtliche Programme der Deutschen Welle, die in Richtung Osteuropa gehen, einstellen werden, sobald es entsprechende Liberalisierungen auf dem dortigen Medienmarkt gibt? Kann man daraus weiter schließen, dass Sie
die Sinnhaftigkeit der Deutschen Welle überhaupt infrage
stellen, und zwar in dem Maße, wie sich die Liberalisierung auf dem Medienmarkt in der Welt fortsetzt?
Ich kenne keinen vernünftigen Menschen, der die
Sinnhaftigkeit der Deutschen Welle infrage stellen würde.
({0})
- Auch er nicht.
({1})
Es macht Sinn, einen staatlich finanzierten Rundfunk und
ein staatlich finanziertes Fernsehen zu haben und das in
jenen Ländern auszustrahlen, in denen es relativ schwierig ist, deutsche, in der jeweiligen Landessprache zu
übermittelnde Sachverhalte auf dem freien Medienmarkt
zu bekommen.
Es ist - ich nehme es auch nicht hin, Herr Otto, wenn
Sie sagen, ich hätte die Liberalisierung nicht verstanden in der Tat so: Dort, wo ein frei finanzierter Medienmarkt
dazu führt, dass man sich im Ausland über Deutschland in
der Form informieren kann, wie es über die Deutsche
Welle möglich ist, ist das eine sehr erfolgreiche Maßnahme, auch im Sinne des Abbaus nicht notwendiger
Staatstätigkeit. In Ländern hingegen, in denen das nicht
möglich ist - aus verschiedenen Gründen: weil es zu weit
ist, weil das Angebot der Medien zu klein ist -, wird die
Deutsche Welle weiterhin ihren Sinn behalten. Ich halte
das für völlig konsensual zwischen Menschen, die sich
um eine Liberalisierung des Medienmarktes bemühen.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man das ernsthaft
diskutieren muss.
({2})
Nun kommt die
Frage 10 des Abgeordneten Dr. Christian SchwarzSchilling:
Welche konkreten Zusagen für den Wiederaufbau und die Demokratisierung in der Bundesrepublik Jugoslawien wurden dem
neu gewählten jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica auf
dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der EU am
15. Oktober 2000 in Biarritz gegeben und in welchem Zeitraum
sollten sie eingehalten werden?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege Schwarz-Schilling, die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich auf dem Europäischen
Rat in Biarritz darauf verständigt, die Bereitschaft zu einer Soforthilfe in Höhe von 200 Millionen Euro zu erklären, um damit die dringendsten Maßnahmen im Bereich
der Infrastruktur einleiten zu können. Die Bundesregierung wird sich in den zuständigen EU-Gremien um die
unverzügliche Umsetzung dieses Beschlusses bemühen.
Zusatzfrage Nummer
eins, bitte sehr.
Teilt
die Bundesregierung die in der Parlamentsdebatte vom
11. Oktober 2000 von den Vertretern der Koalitionsfraktionen vorgetragene Auffassung, dass die Nachbarn Jugoslawiens im finanziellen Bereich auf keinen Fall politisches Opfer des Wechsels in Belgrad werden dürfen - ich
glaube, Herr Erler hatte das sehr deutlich gesagt - und
dass die finanziellen Mittel innerhalb des Stabilitätspaktes nicht zulasten der anderen Empfängerländer umgeJürgen Koppelin
schichtet werden dürfen? Wenn ja: Wie will die Bundesregierung dieser Forderung angesichts der geplanten
Mittelkürzungen von 2000 auf 2001 gerecht werden?
Den Kern Ihrer Frage, Herr Kollege, kann ich mit Ja
beantworten. Die Bundesregierung teilt diese Auffassung
und sie ist, nachdem es jetzt die entsprechenden demokratischen Voraussetzungen gibt, bemüht, für die notwendigen, durch europäische Hilfe zu finanzierenden Maßnahmen zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.
Den letzten Teil Ihrer Frage, der sich auf Kürzungen in
einem Haushalt bezieht, habe ich nicht so einordnen können, dass ich das beantworten könnte. Meinen Sie Kürzungen bei der EU oder im Bundeshaushalt?
Zunächst einmal bei der EU.
Herr Staatsminister.
Die 200 Millionen Euro Soforthilfe fließen außerhalb des Stabilitätspaktes. Der Haushalt der EU für das
kommende Jahr ist noch nicht verabschiedet. Die Bundesregierung wird sich bemühen, zusätzlich zu den im
Rahmen des Stabilitätspaktes relevanten Maßnahmen
weitere Mittel einzustellen, sowohl kurzfristig als auch
bei der Finanzvorausschau bis 2006. Ihnen dürfte bekannt
sein, dass die ohnehin nicht einfache Debatte über die
Haushaltspolitik der EU darum geht, wie die auf dem Balkan relevanten Programme mit den Prioritäten der
MEDA-Programme abgeglichen werden können.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr, Herr Kollege.
Wenn ich das richtig verstanden habe, dann stimmt das
mit dem überein, was der Koordinator des Stabilitätspaktes, Bodo Hombach, in der „FAZ“ gesagt hat: dass die Soforthilfen für Jugoslawien zunächst aus den nationalen
Budgets der EU-Mitgliedstaaten finanziert werden sollten. Das ist natürlich für jemanden, der die europäische
Koordination vornehmen soll, ein guter Vorschlag. Aber
es ergibt sich die Frage: Aus welchen Etatmitteln wird
dann die Bundesrepublik Deutschland eine solche Finanzierung gewährleisten? Ist das in den Haushaltsberatungen bereits vorgesehen?
Ihre Frage steht in Zusammenhang mit anderen Fragen. Ich muss das jetzt beantworten, ohne dass ich an der
entsprechenden Stelle noch einmal ganz exakt nachgucken kann. Erlauben Sie mir, dass ich unter diesem Vorbehalt einige Antworten gebe.
Es gibt ja in der EU Auseinandersetzungen darüber,
wie das geschehen soll. Hier hat die Bundesregierung in
der Tat eine Grundsatzposition, nämlich: Von der Agenda 2006 soll nicht abgewichen werden - das ist eine wichtige und auch richtige Position; ich verweise auch hier auf
die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung -, sodass
innerhalb der EU Umschichtungen notwendig sind.
Vor einem Jahr hätte auch ich das für einen etwas leichteren Vorgang gehalten. Ich habe inzwischen miterlebt,
wie schwierig das ist und wie da je nach Nähe der Mitgliedstaaten zu anderen von der EU zu bedenkenden Gebieten reagiert wird. Aber wir halten daran fest, dass es
möglich sein müsste, innerhalb der EU-Haushalte mehr
Mittel für Südosteuropa bereitzustellen, und wir haben
den Eindruck, dass das MEDA-Programm im Augenblick
so langsam abläuft, dass hier zumindest zeitlich Umschichtungen möglich sind. Das ist die Position hierzu.
Aber die Haushaltsberatungen sind dort noch nicht beendet.
Im Rahmen des Bundeshaushalts gibt es einige zusätzliche, in diesem Jahr schon aktivierbare Möglichkeiten im Einzelplan des BMZ. Im Rahmen der Haushaltsberatungen, die in diesem Hause noch laufen, wird man
sich darauf verständigen können und müssen, ob es einen
Finanzbedarf gibt, der tatsächlich im Jahr 2001 finanzwirksam wird. Dabei teile ich - wie viele andere - Ihre
Erwartung und Analyse, dass das wohl der Fall sein wird.
All dies kommt noch
einmal in den weiteren Fragen zur Sprache, aber trotzdem
hat die Kollegin Heinen zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatsminister, ich
habe noch einmal eine Nachfrage: Woher kommt jetzt genau das Geld, diese 200 Millionen Euro, die die EU jetzt
in Aussicht gestellt hat? - Das habe ich doch richtig verstanden: Die Europäische Union hat der Bundesrepublik
Jugoslawien, also Kostunica, 200 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Die Zusatzfrage ist jetzt also, wann genau
Jugoslawien das Geld erhält - der Winter ist ja nun sehr
nahe - und woher das Geld aus dem EU-Haushalt konkret
kommt.
Frau Kollegin, jeder, der seit jetzt 14 Monaten miterlebt, wie in Brüssel entschieden wird, und hier sagt, er
könne das genau beantworten, wird Ihnen nicht die Wahrheit sagen. Es kann keiner genau sagen. Das dauert
manchmal Monate lang. Ich habe miterlebt, wie lange es
gedauert hat, bis die Montenegro-Hilfe lief. Es liegt auch
nicht in der Macht eines einzelnen Mitgliedstaates. Es
wäre nicht sinnvoll, wenn ich an dieser Stelle kritische
Bemerkungen zu anderen Mitgliedstaaten und ihrem Verhalten machen würde. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer sich
hier hinstellt und sagt, er wisse genau, was in welcher
Ratssitzung der Europäischen Union passiert und wie
schnell das Geld abfließt, der handelt nicht verantwortlich.
Vielleicht verfolgen Sie ja auch, dass generell die fiskalischen Aspekte der Außenpolitik der EU Gegenstand
der Außenministerkonferenzen sind - das war auch in
Gymnich der Fall -, und im Augenblick gibt es einige Beschlüsse, das zu verbessern.
Ich muss Ihnen das so sagen. Die Bundesregierung
wird versuchen - sie hat das auch in den vergangenen
zwölf Monaten getan -, das so schnell zu beschleunigen,
wie es geht. Aber es müssen immer 14 andere zustimmen.
Je nach Fall kann ein Veto ausreichen - manchmal ist auch
eine qualifizierte Mehrheit notwendig -, um dies zu verhindern.
Für die Bundesregierung gilt der Obersatz, dass wir
von der Agenda 2006 nicht abweichen wollen. Daher lassen sich zusätzliche Mittel nur von Mitteln an anderen
Haushaltsstellen abzweigen, die bisher noch nicht abgeflossen sind. Von diesen Mitteln gibt es auch im internationalen Bereich bekanntlich genug. Das kann man in
späteren Jahren wieder ausgleichen.
Jetzt hat der Kollege
Weiß eine Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, können Sie bestätigen, dass im Frühjahr
dieses Jahres die EU-Kommission vorgeschlagen hat, für
den Balkan einen Hilfeplan mit einem Finanzvolumen
von 5,5 Milliarden Euro aufzulegen, wovon 2,3 Milliarden Euro für Jugoslawien im Falle eines demokratischen
Machtwechsels in Serbien, wie er jetzt mit der Wahl von
Herrn Kostunica zum Präsidenten eingeleitet worden ist,
vorgesehen waren, dass aber die Realisierung dieses Hilfeplans im Rat, also von den Regierungen, abgelehnt worden ist, weil dies bedeutet hätte, dass die finanzielle Vorausschau für die Jahre 2000 bis 2006 hätte geändert
werden müssen?
Bedeutet Ihre Antwort, die Sie auf die Frage von Herrn
Schwarz-Schilling gegeben haben, dass die Bundesregierung eventuell auf diesen Plan der EU-Kommission
zurückkommen und im Rat vorschlagen wird, dass die finanzielle Vorausschau der EU für die nächsten Jahre im
Hinblick darauf doch noch geändert wird?
Herr Kollege, ich glaube, ich habe die Frage beantwortet. Die Bundesregierung, hier insbesondere der Finanzminister - auch ich teile diese Grundposition -,
möchte nicht von der Agenda 2006 abweichen. Sämtliche
jährlichen Haushaltspläne der EU - über den Haushaltsplan 2001 wird derzeit beraten - wie auch die Modifizierungen der Finanzvorausschau sind für mehrere Jahre
gültig. Der von Ihnen genannte Betrag von 5,5 Milliarden Euro bezieht sich auf die Jahre bis 2006. Es ist immer
sinnvoll, zu sagen - ich glaube, darüber sind wir uns einig -, für welchen Zeitraum entsprechende Haushaltszahlen gültig sind. Der Betrag muss sich also im Rahmen des
Haushaltsvolumens, das nach der Agenda 2006 zur Verfügung steht, bewegen.
Es gibt in diesem Zusammenhang einen Vorschlag für
ein Programm, das CARDS genannt wird. Wenn sich die
benötigten Mittel im Rahmen der mittelfristigen Finanzvorausschau bewegen, ist eine Realisierung möglich. Angesichts des derzeitigen Mittelabflusses in anderen
Programmen kommen wir zu der Überzeugung, dass das
möglich sein muss.
Ich glaube nicht, dass es sinnvoll wäre, von der
Agenda 2006 abzuweichen; denn eine Übereinstimmung
darüber war schwer genug zu finden. Ich sage ausdrücklich - über diesen Punkt kann man nicht streiten -: Es gibt
in Europa auf fiskalischem Gebiet derzeit nichts Wichtigeres, als in Südosteuropa schnell zu helfen. Wenn man
aber sozusagen den Deckel der Agenda 2006 anheben
würde, käme man in viele Untiefen bezüglich der Osterweiterung. Auch das muss ich Ihnen nicht erklären. Ich
glaube, die Position, dieses Problem im Rahmen der
Agenda 2006 zu lösen, ist richtig.
Ich rufe die Frage 11
des Kollegen Dr. Christian Schwarz-Schilling auf:
Sind die von Deutschland und Europa für dieses und für nächstes Jahr in Aussicht gestellten Hilfen an Bedingungen geknüpft,
etwa hinsichtlich der Demokratie des Landes, insbesondere in der
Teilrepublik Serbien, und wenn ja, an welche?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege, Ihre Frage berührt einige Punkte, die
wir eben schon angesprochen haben. Die Bundesregierung hat bereits vor Amtsantritt von Präsident Kostunica
an Serbien humanitäre Hilfe geleistet und die demokratischen Oppositionskräfte unterstützt. Die Bundesregierung wird auch weiterhin solche humanitäre Hilfe leisten,
sofern dafür Bedarf besteht. Die Regierung hat keinen
Zweifel daran gelassen, dass weiter gehende Hilfe die Ablösung des Regimes Milosevic durch eine demokratisch
legitimierte Regierung voraussetzt.
Ich komme auf die EU zu sprechen. Auch sie hat vor
der Demokratisierung Serbiens humanitäre Hilfe geleistet
und die demokratische Opposition unterstützt. Sie hat
gleichfalls keinen Zweifel daran gelassen, dass eine
umfangreichere Unterstützung die Ablösung des
Milosevic-Regimes durch eine demokratische Regierung
voraussetzt.
Die aktuell geltende Rechtsgrundlage für die Hilfsprogramme der EU im Westbalkan, die OBNOVA-Verordnung, macht dies in Art. 2 explizit deutlich. Dort steht:
Grundlage und wesentliches Element dieser Verordnung ist die Beachtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien sowie die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Im Entwurf der eben schon zitierten CARDS-Verordnung heißt es:
In diesem Sinne ist die Hilfe insbesondere für den
Auf- und Ausbau des institutionellen, rechtlichen,
wirtschaftlichen und sozialen Rahmens bestimmt,
der sich an den Werten und Modellen ausrichtet, auf
denen die Europäische Union gründet.
Die Wahrung der demokratischen Grundsätze, der
Menschenrechte, der Rechte der Minderheiten und
der Grundfreiheiten ist eine Voraussetzung für die
Gewährung der Hilfe.
Ich glaube, mit dieser neuen Verordnung wird das fortgesetzt, was schon in der Vergangenheit Praxis sowohl der
Bundesregierung als auch der Europäischen Union hinsichtlich der Hilfen für demokratische Oppositionsgruppierungen war.
Zusatzfrage, Herr
Kollege?
Ich
habe mit Genugtuung gehört, dass Sie diese Konditionalität erwähnt haben, frage Sie aber: Warum sind auf dem
EU-Gipfel in Biarritz, wie veröffentlicht wurde, die Gewährung der Wiederaufbauhilfe und die Aufhebung der
europäischen Wirtschaftssanktionen ohne jede Bedingung erfolgt? Wir haben davon nichts vernommen.
Ich weiß, dass mit der neuen Regierung, wenn man sie
schon so bezeichnen darf, Gespräche auch über den Minderheitenschutz geführt worden sind, insbesondere was
die Vojvodina anbetrifft. Warum werden nicht die Mittelzuführungen ganz konkret mit solchen Fragen verbunden? Bezogen auf die übrigen umliegenden Länder - ich
erinnere an die Republika Srpska - sehe ich immer nur die
Mittel fließen, ohne dass aber eine Änderung in Richtung
der Struktur erfolgt, die wir haben möchten.
Herr Kollege, es wäre zunächst einmal formal korrekt, wenn ich sagen würde: Der Europäische Rat in Biarritz hat in sehr kleinem Rahmen getagt. Ich war nicht
dabei. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum dies nicht in der
Erklärung stand. - Diese Antwort aber würde dem Problem nicht gerecht werden.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es - dies verbindet
sich ja mit der Tatsache, dass es zu Milosevic überwiegend keine diplomatischen Beziehungen gegeben hat und
dies auch mit Sanktionen verbunden war - Zweifel daran
geben kann, dass die Freigabe der Mittel darauf zurückzuführen ist, dass es jetzt nach freien Wahlen einen demokratisch gewählten Präsidenten gibt, der sich bemüht,
in einem komplizierten Prozess - ich brauche Ihnen das
nicht zu schildern - der wirklichen Demokratie näher zu
kommen.
Auf dem Biarritz-Gipfel gab es keine formellen
Konklusionen. Das ist ein Vorteil für die Verhandlung,
aber ein Nachteil in Bezug auf die Korrektheit dessen, was
nachher übermittelt wird. Das kann auch ein Grund gewesen sein.
Die Schwierigkeiten der EU bei der Umsetzung - ich
konnte dies auf Fragen eben schildern - haben wie alles
Schlechte auch einen Vorteil: Dabei wird auf all diese
Aspekte zu achten sein. Ich füge hinzu, weil mir dies
wegen persönlicher Bekanntschaften zu politischen Repräsentanten sehr wichtig ist: Wir werden ein besonderes Augenmerk darauf richten, inwieweit die Vojvodina
im Rahmen des demokratischen Prozesses, der hoffentlich - dies kann man als Deutscher sagen - föderale
Aspekte haben wird, Berücksichtigung findet. Ich persönlich möchte mich dafür verbürgen, dass wir Sie - wie
natürlich das ganze Haus - laufend darüber informieren
werden.
Ihr Hinweis, soweit er über das hinausgeht, was ich
abstrakt dazu sagen kann, ist ausgesprochen dankenswert.
Eine Zusatzfrage der
Frau Kollegin Heinen.
Herr Staatsminister,
knüpfen Sie die Hilfen an die Bundesrepublik Jugoslawien an die Bedingung, dass Milosevic nach Den Haag
ausgeliefert wird?
Diese Frage wird nicht nur von Ihnen, sondern von
vielen gestellt. Ich denke, es ist auch berechtigt, dies zu
diskutieren.
Es ist ganz unstreitig, dass die völkerrechtliche Position, dass Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien
der internationalen Gerichtsbarkeit ausgeliefert werden
müssen, nicht aufgegeben werden kann.
Für die Frage, wie schnell oder wie langsam dies geht,
würde ich diesen Maßstab wählen: Wie lange hat es in
früher diktatorisch-kommunistischen Staaten gedauert,
bis die Gerechtigkeit ihren Lauf genommen hat? Darin
schließe ich unseren Umgang mit strafbaren Handlungen
in der ehemaligen DDR ein. Ich bitte, dies als Maßstab anzusetzen, wenn wir die Verhältnisse in Serbien respektive
der heutigen Bundesrepublik Jugoslawien berücksichtigen. Es macht auch Sinn, zu prüfen, wie das jugoslawische Recht mit dem Völkerrecht kompatibel gemacht
werden kann. - Ich glaube, ein anderer Umgang damit
wäre wenige Tage nach dem Erfolg demokratischer Oppositionskräfte nicht sinnvoll.
Herr Kollege Weiß
hat eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr
Staatsminister, für die Entwicklungszusammenarbeit der
Bundesrepublik Deutschland mit vielen Ländern der Welt
gelten bestimmte Kriterien: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und - wie es im EU/AKP-Abkommen enthalten ist Good Governance, so genannte - das kann man schlecht
übersetzen - gute Regierungsführung. Sind für die Hilfen,
die Jugoslawien zugesagt worden sind, auch solche Kriterien maßgeblich und entscheiden darüber, ob solche Hilfen dauerhaft geleistet werden?
Abstrakt - das habe ich mehrfach gesagt - unstreitig Ja. Im Augenblick besteht folgende Aufgabe. Wir
möchten, dass auch diese Länder Europas, sobald es geht
und ohne Verzögerung, die wir verschulden, in die Europäische Gemeinschaft integriert werden können. Auf dem
Weg dorthin ist, wie in allen anderen postkommunistischen Staaten, eine Menge zu machen an Institutionenbildung, an der Schaffung von Voraussetzungen für Good
Governance, an Ausformung eines entsprechenden
Rechtssystems. Die Hilfen dienen teilweise sozusagen
dazu, die Voraussetzungen erfüllen zu können. Das alles
ist selbstverständlich. Im Augenblick - so sage ich Ihnen
offen - bin ich beeindruckt von der Fähigkeit von Oppositionsparteien, dies überhaupt herbeigeführt zu haben.
Dahinter steckt mehr Demokratie als in manchen Gewohnheitsdemokratien in westeuropäischen Ländern.
Da zu drängen, auch nach mancher Fehleinschätzung,
({0})
die sich westeuropäische Staaten geleistet haben, hielte
ich für verkehrt. Das Ergebnis, das die Bundesregierung
will, das vermutlich Sie wollen und das ich will, ist, dass
nichts unterlassen werden darf, damit sich Serbien und
Montenegro so schnell wie überhaupt möglich zusammen
auf den Weg zur europäischen Integration und zur vollen
Verpflichtung auf die Kopenhagen-Kritieren begeben.
Nun rufe ich die
Frage 12 des Abgeordneten Peter Weiß auf:
Wie viele Mittel für Nothilfe und Wiederaufbaumaßnahmen
und zur Unterstützung der demokratischen Entwicklung in der
Bundesrepublik Jugoslawien wird die Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr und in 2001 aus welchen Einzelplänen und
Haushaltstiteln zur Verfügung stellen?
Jetzt können wir das ganze Thema noch einmal von der
anderen Ecke beleuchten. Herr Staatsminister.
Herr Kollege, dazu kann ich Ihnen mitteilen, dass
die Mittel, die die Bundesregierung für Nothilfe und Wiederaufbaumaßnahmen und zur Unterstützung der demokratischen Entwicklung in der Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 2000 zur Verfügung stellt, aus den
300 Millionen DM in dem Kap. 60 04 Tit. 547 04 - er hat
die Überschrift „Sonstige Leistungen im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa“ - stammen. Das Auswärtige Amt wird in diesem Jahr für die Bundesrepublik
Jugoslawien ohne Kosovo insgesamt 33 Millionen DM
zur Verfügung stellen. Davon entfallen 19 Millionen DM
auf humanitäre Hilfe und Demokratisierungshilfe, die
über Städteprojektpartnerschaften im Rahmen des Szeged-Prozesses des Stabilitätspaktes abgewickelt wurden.
Es wird derzeit geprüft, ob darüber hinaus noch weitere
Mittel zur Verfügung gestellt werden können.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat angekündigt, in diesem Jahr 30 Millionen DM für die Bundesrepublik Jugoslawien ohne
Montenegro und Kosovo zur Verfügung zu stellen. Diese
Mittel setzen sich aus 10 Millionen DM Barmitteln
- 5 Millionen DM werden dem entsprechenden Ministerium in seinem Einzelplan 23 überplanmäßig zur Verfügung gestellt - und 20 Millionen DM aus Verpflichtungsermächtigungen zusammen.
Die Bundesregierung beabsichtigt, für das Jahr 2001
Mittel in Höhe von 200 Millionen DM für den Stabilitätspakt Südosteuropa im Einzelplan 23 zu veranschlagen.
Was daraus wird, entscheidet der Bundestag.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege Weiß.
Herr
Staatsminister, zulasten welcher Länder werden die der
Bundesrepublik Jugoslawien zusätzlich zur Verfügung
gestellten Mittel gehen, wenn ausweislich des Haushaltsplanentwurfs der Bundesregierung für das Jahr 2001
die Mittel aus dem Einzelplan 23 und dem Einzelplan 60
zusammengenommen für die Länder Mittel-, Ost- und
Südosteuropas - also die MOE-Programme, die Transform-Programme und die Stabilitätspaktmittel - von 2000
auf 2001 um 151 Millionen DM gekürzt werden, was einer Kürzung von 28 Prozent entspricht? Zulasten welcher
Länder geht es, wenn zusätzlich neue Mittel für Jugoslawien zur Verfügung gestellt werden sollen?
Es geht darum, die Punkte, die klar sind, von denen
zu scheiden, die noch nicht geklärt werden konnten. Dem
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
werden in diesem Jahr zusätzliche Mittel zur Verfügung
gestellt, die es verausgaben kann.
({0})
- Ja, das sind 5 Millionen DM. Wir befinden uns ziemlich
am Ende des Jahres; somit ist das vermutlich ein Betrag,
der in Ordnung geht, selbst wenn man davon ausgeht, dass
in Ländern, in denen es noch nicht ganz so bürokratisch
wie teilweise in Deutschland zugeht, Mittel schneller verausgabt werden können. Wenn man selber einmal einen
Investitionshaushalt verantwortet hat, weiß man, wie
lange das dauert. Außerdem gibt es Verpflichtungsermächtigungen für das nächste Jahr.
Lassen Sie mich auf alle Fragen, die das nächste Jahr
betreffen, sagen: Als der Haushaltsentwurf vorgelegt
wurde, konnte man nicht mit Sicherheit voraussehen, dass
die demokratischen Oppositionsparteien in Jugoslawien
gewinnen würden. Das ist jetzt eingetreten. Sowohl auf
die Frage, welche Umschichtungen es innerhalb einzelner Etats geben soll - wobei ich zu den Dispositionsmöglichkeiten im Etat des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit nichts sagen kann, weil
ich ihn nicht verantworte -, als auch auf die Frage, welche Vereinbarungen außerdem bei den Haushaltsberatungen noch getroffen werden, werde ich heute keine
abschließende Äußerung von mir geben können. Es obliegt dem Bundestag, dieses zu tun. Soweit ich das mitverfolgen kann, wird darüber intensiv beraten.
In vielen Fällen sind solche Maßnahmen ohne Erhöhung des Haushaltsetats möglich, weil bei Investitionshilfen immer und überall der Zeitfaktor zu berücksichtigen
ist. Oft hat es auch keine negativen Auswirkungen, wenn
man Haushaltsmittel gegen Verpflichtungsermächtigungen austauscht oder einmal ein Projekt um ein weiteres
Jahr streckt. Darüber kann man dann zwar sehr intensiv
diskutieren - das bleibt einem unbenommen -, aber einem
vernünftigen Management im Rahmen der Haushaltsberatung wird es gelingen, die Vorkehrungen zu treffen, die
notwendig sind, um in Serbien und Montenegro in diesem
und im nächsten Jahr das Erforderliche zu tun. Jetzt noch
weiter darauf einzugehen macht keinen Sinn. Diese Fragen liegen überwiegend in der Entscheidungsgewalt des
Bundestages.
Zweite Zusatzfrage?
- Bitte sehr.
Herr
Staatsminister, in diesem Zusammenhang möchte ich
noch einmal auf einen Sachverhalt, den schon Herr
Schwarz-Schilling angesprochen hat, zurückkommen. In
der Debatte zu Jugoslawien in der letzten Sitzungswoche
haben die Vertreter der Regierungskoalition sehr nachdrücklich vorgetragen, dass die Maßnahmen, die jetzt notwendig sind, um den demokratischen Wechsel und den
Wiederaufbau in Jugoslawien zu unterstützen, nicht
zulasten der anderen Länder in dieser Region gehen sollen. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie an dieser
Stelle noch einmal ausdrücklich fragen: Teilt die Bundesregierung diese Auffassung von Vertretern der Regierungskoalition? Heißt das, dass Sie während der jetzt noch
laufenden Haushaltsberatungen Vorschläge unterbreiten
werden, wie die vorgesehenen Mittelkürzungen für die
Länder Mittel- und Osteuropas zurückgenommen bzw.
die Mittel erhöht werden können?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die finanziellen Hilfen für Serbien und Montenegro nicht zulasten anderer Länder auf dem Balkan gehen dürfen. Dass
das im Rahmen der Etatberatungen hier diskutiert wird,
wissen Sie so gut wie ich. Das muss ich nicht von neuem
darstellen. Hinsichtlich dessen, wie sich das haushaltstechnisch auswirkt, möchte ich mich nicht festlegen. Ich
verweise schlichtweg noch einmal darauf, dass man vor
allem Investitionsprogramme nicht daran messen darf,
was in einem Jahr passiert, da sie gestreckt werden können. Viele der Dinge, über die wir hier sprechen, werden
noch in zehn Jahren im Haushalt ihren Niederschlag finden.
Nehmen wir einmal ein Beispiel: Eine Brücke über die
Donau zwischen Bulgarien und Rumänien lässt sich
selbst dort nicht über Nacht bauen. Es macht keinen Sinn,
aus dem Faktor, wann der Mittelabfluss tatsächlich geschieht, oder aus Verschiebungen über einige Jahre hinweg grundsätzliche Wertungen abzuleiten. Das macht
auch vor dem Hintergrund unserer fiskalischen Interessen
keinen Sinn; es kann vielmehr zu Verwirrungen führen.
Zusammengefasst lautet die Auffassung der Bundesregierung, dass der Stabilitätspakt jetzt noch besser greifen
kann und alles das, was für Serbien getan wird, nicht zulasten anderer Staaten erfolgen darf.
Nun rufe ich die
Frage 13 des Kollegen Peter Weiß auf:
Wie viele Mittel für Nothilfe und Wiederaufbaumaßnahmen
und zur Unterstützung der demokratischen Entwicklung in der
Bundesrepublik Jugoslawien wird die EU in diesem Jahr und in
2001 aus welchen Einzelplänen und Haushaltstiteln zur Verfügung stellen?
Herr Staatsminister.
Herr Kollege, Sie wollten mit Ihrer Frage eine Antwort darauf haben, woher die Mittel der EU für die Bundesrepublik Jugoslawien ohne Montenegro und Kosovo
im Einzelnen kommen. Ich kann Ihnen dazu sagen, dass
im Haushaltsjahr 2000 aus dem regulären Budget des
OBNOVA-Programms, das Bestandteil des Kapitels 7-5 4
„Zusammenarbeit mit den aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangenen Republiken“ ist, bisher 10 Millionen Euro für Serbien zur Verfügung gestanden haben.
Über Kap. B7-2 1, Überschrift „Humanitäre Hilfe“ - dies
finanziert die EU-Organisation ECHO -, sind in diesem
Haushaltsjahr 32 Millionen Euro nach Serbien geflossen.
Davon gingen 4 Millionen Euro in die Vojvodina, und
zwar für die Opfer der Flutkatastrophe, die sich dort in
diesem Jahr ereignet hat.
Zusätzlich zu diesen Mitteln - darüber haben wir schon
gesprochen - hat der Europäische Rat in Biarritz eine Soforthilfe in Höhe von 200 Millionen Euro beschlossen.
18 Millionen Euro stammen aus noch vorhandenen
ECHO-Mitteln und 2 Millionen Euro aus noch vorhandenen OBNOVA-Mitteln mit dem Untertitel „Schools for
Democracy“. 180 Millionen Euro sollen zu diesem Zweck
neu in den OBNOVA-Etat eingestellt werden. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihnen erst jetzt dazu eine genaue
Auskunft geben konnte.
Erste Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herr
Staatsminister, trifft es zu, dass die Europäische Kommission zur Finanzierung der von Ihnen soeben angesprochenen zusätzlichen Mittel vorgeschlagen hat, Kürzungen einerseits im Titel für den Agrarhaushalt 2001 und
andererseits im MEDA-Programm der Europäischen
Union vorzunehmen? Stimmt es, dass sich vor allen Dingen Frankreich nicht mit den Kürzungen im Agrarhaushalt und sich vor allen Dingen Spanien nicht mit den Kürzungen im MEDA-Programm einverstanden erklären
will? Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge
hinsichtlich der Umschichtungen innerhalb des EU-Haushalts? Wie können nach Ansicht der Bundesregierung die
angekündigten zusätzlichen Mittel für Jugoslawien seitens der EU tatsächlich zur Verfügung gestellt werden?
Fragen dieser Art haben wir schon häufiger zu beantworten versucht. Die Antwort darauf kann ich jetzt
präzisieren. Über das von mir schon zitierte CARDSProgramm zur Unterstützung für den Westbalkan wird
noch verhandelt. Im Rahmen der geltenden finanziellen
Vorausschau - Agenda 2000 - wären lediglich 3,5 Milliarden Euro für den Wiederaufbau des Balkans bereitstellbar gewesen. Die Bundesregierung setzt sich dafür
ein, dass durch Umschichtungen innerhalb der Rubrik 4
„Externe Politiken“ der finanziellen Vorausschau der
EU zusätzliche finanzielle Spielräume eröffnet werden,
die eine Aufstockung der Westbalkanhilfe auf 5 Milliarden Euro ermöglichen würden. Im Rahmen dieser Finanzplanung wird sich die Bundesregierung im Haushaltsverfahren 2001 dann für eine entsprechende
Erhöhung des bisherigen Haushaltsansatzes einsetzen.
Die für die Aufstockung der CARDS-Mittel erforderlichen Beiträge sollen nach Vorstellung der Bundesregierung durch Begrenzung des Mittelansatzes für das neu
auszuhandelnde MEDA-Programm auf 5 Milliarden Euro
geleistet werden. Nach unserer Kenntnis über den Abfluss
der Mittel des MEDA-Programms wird dort im Augenblick kein Geld ausgegeben, weshalb die Umsetzung dieses Vorhabens möglich ist. Hierüber wird mit Spanien,
mit Italien, mit Griechenland und - nach meiner Beobachtung der diesbezüglichen Wortmeldungen im Allgemeinen Rat - weniger intensiv mit Frankreich zweifellos
streitig verhandelt.
Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen werden sehr
viele Tatbestände miteinander vernetzt. Wir gehen im Augenblick davon aus, dass sich im Blick auf den Gesamthaushalt Kompromisse finden lassen. Wir sind auch gern
bereit, Sie ständig über den Fortschritt zu informieren.
Noch eine Zusatzfrage des Kollegen Weiß, bitte sehr.
Herr
Staatsminister, Sie haben dargelegt, dass die zusätzlichen
Hilfen für Jugoslawien durch Umschichtungen im Haushalt der Europäischen Union finanziert werden, die den
Plafond des Etats nicht erhöhen. Trifft es zu, dass im Falle
der EU-Hilfen nicht gewährleistet ist, dass die Aussagen
der Vertreter der Koalitionsfraktionen in der Debatte der
letzten Sitzungswoche eingehalten werden, dass die Hilfen für Jugoslawien nicht zulasten anderer Länder gehen?
Bedeuten diese Umschichtungen nicht vielmehr, dass andere Programme und andere Länder - im Zweifel auch andere Länder des Balkans - mit weniger Mitteln seitens der
EU zu rechnen haben, wenn die angekündigte Jugoslawienhilfe tatsächlich finanziert werden soll?
Herr Kollege Weiß, wir wollen uns ja verständigen:
Ich habe vorhin auf Ihre Frage, ob die vorgesehenen Maßnahmen zulasten von Ländern auf dem Balkan gehen würden, eindeutig gesagt: nein. Das wiederhole ich jetzt. Ich
habe an keiner Stelle gesagt - ich habe sehr genau aufgepasst -, dass diese Maßnahmen nicht zulasten außerhalb
des Balkans liegender Länder, die im Rahmen der externen Politik der EU Hilfen erhalten, gehen könnte, wobei
offen bleibt, zu welchem Ausgleich es im Verlauf der Zeitachse kommt.
Deshalb wiederhole ich: Unsere Analyse der Haushaltsansätze und vor allem des Haushaltsvollzugs der
diesbezüglichen Politik der EU führt zu dem Ergebnis,
dass beim Abfluss der MEDA-Mittel - ich nenne jetzt
keine genaue Prozentzahl; aber sie ist so niedrig, dass man
erschrickt - keine konkreten Schäden auftreten.
Da in jeder Haushaltsverhandlung jedem daran Beteiligten etwas einfällt, was gekürzt werden kann - sonst
gäbe es ja in Bezug auf den Haushalt keine Kürzungsvorschläge der Opposition -, würde ich es an dieser Stelle für
die einzig verantwortliche Strategie halten zu sagen: Wir
brauchen für den Westbalkan so schnell wie möglich mehr
finanzielle Hilfen. Es ist aber nicht nötig, die für diesen
Zweck im Haushalt angesetzten Mittel zu erhöhen. Vielmehr ist es sowohl angesichts der Haushaltsansätze als
auch angesichts des Mittelabflusses im Zeitablauf möglich, den vorgesehenen Haushaltsrahmen beizubehalten,
niemandem konkret zu schaden und trotzdem dem Westbalkan zu helfen.
({0})
- Dass wir beide das hoffen, verbindet uns. Es freut mich,
dass Sie das hoffen.
Nun rufe ich die
Frage 14 der Kollegin Ursula Heinen auf:
Welche Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien
sind durch Beschlüsse aufgehoben worden bzw. sollen aufgehoben werden?
Herr Staatsminister, bitte.
Der Allgemeine Rat der Europäischen Union hat am
9. Oktober 2000 in Luxemburg beschlossen, sämtliche
Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, mit
Ausnahme derjenigen Bestimmungen aufzuheben, die
sich unmittelbar gegen den ehemaligen Präsidenten
Milosevic und mit ihm verbundene Personen richten.
In Umsetzung dieses Beschlusses wurden am 9. Oktober 2000 das Ölembargo und das Verbot von Flügen zwischen dem Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien und
dem Gemeinschaftsgebiet aufgehoben. Vorbereitet wird
derzeit die Aufhebung der Finanzsanktionen gegen Unternehmen, Institutionen und Einrichtungen mit Sitz in
der Teilrepublik Serbien. An deren Stelle soll das gezielte
Einfrieren von Guthaben des ehemaligen Präsidenten
Milosevic, mit ihm verbundener Personen und von Unternehmen, Institutionen und Einrichtungen, die von dieser Personengruppe kontrolliert werden, treten.
Zusatzfrage, Frau
Kollegin? - Bitte.
Gehe ich recht in der
Annahme, dass Sie die Aufhebung der Sanktionen nicht
an irgendwelche Bedingungen knüpfen, dass also das,
was Sie vorhin auf die Frage des Kollegen SchwarzSchilling zu den Finanzhilfen geantwortet haben, in ähnlicher Weise auf die Sanktionen zutrifft?
Ja.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Meine zweite Frage lautet: Sie sprachen von der Umwandlung der Finanzsanktionen. Wann wird es Ihrer Meinung nach dazu kommen?
Denn Sie sagten, das Ölembargo etc. seien sofort aufgehoben worden und die Aufhebung der Finanzsanktionen
in Bezug auf Unternehmen solle in näherer Zukunft erfolgen. Wann wird das in etwa der Fall sein?
Ich möchte die aus meiner Sicht begründbare Erwartung äußern, dass dies auf dem nächsten Allgemeinen
Rat, der am 20. November 2000 stattfinden wird, erfolgen
wird.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Weiß.
Herr
Staatsminister, Sie hatten ja bereits die gegenüber
Milosevic und seiner Familie verhängten Finanzsanktionen angesprochen. Dabei geht es um Mittel, die
hauptsächlich auf Bankkonten außerhalb Jugoslawiens
geparkt sind. Gibt es seitens der Bundesregierung und der
Europäischen Union Bemühungen, dass diese dem Volk
und dem Staat vom Milosevic-Clan geraubten Mittel sichergestellt und für Maßnahmen, die den Wiederaufbau in
Jugoslawien betreffen, zur Verfügung gestellt werden?
Es gibt diesbezüglich Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft. Immer dann, wenn sich eine
günstige Gelegenheit ergibt, sprechen wir Regierungen
von Staaten, über die zu lesen bzw. zu hören ist, es gebe
dort solche Gelder, darauf an.
({0})
- Wir sprechen solche Länder in der Form an, die unserem Einfluss entspricht. Sie nennen in diesem Zusammenhang China. Auf dieses Land kann man sicherlich weniger Einfluss als auf Zypern nehmen. Ich war dort im
Rahmen meines offiziellen Besuches. Ich habe dem
Außenminister, Herrn Kasoulides, sehr deutlich gemacht,
dass jeglicher Hinweis darauf, dass dort mit Wissen und
Beteiligung der zypriotischen Regierung derartige Konten eingerichtet wurden, einen Vertrauensverlust im Wege
des Integrationsprozesses bedeuten würde.
Zum Umgang mit China fallen mir im Augenblick nur
die WTO-Verhandlungen ein. Ob sie dazu geeignet sind,
auf China Einfluss zu nehmen, ist offen. Die internationale Staatengemeinschaft, an ihrer Spitze die Vereinigten
Staaten - sie sind etwas mächtiger als die Bundesregierung -, bemüht sich darum. Ich wollte Ihnen anhand des
einen Falles, an dem ich mich selber beteiligen konnte,
schildern, wie wir vorgehen.
Ich danke dem Herrn
Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht
die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 der Abgeordneten Ursula Heinen
auf:
In welchem Umfang wird sich die Bundesrepublik Deutschland am Treuhandfonds der Weltbank für die Finanzierung dringender Entwicklungsaufgaben in der Bundesrepublik Jugoslawien beteiligen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Frau Kollegin Heinen, einen Treuhandfonds der Weltbank für Jugoslawien gibt es
bislang nicht. Sollte künftig ein solcher Fonds eingerichtet werden, wird sich die Bundesregierung entscheiden,
ob und in welchem Umfang sie sich daran beteiligen wird.
Erste Zusatzfrage.
Recht herzlichen Dank
für Ihre Antwort, Frau Staatssekretärin. Meine Frage lautet: Gibt es denn schon Beratungen über die Einrichtung
eines solchen Treuhandfonds? Sind Sie schon darauf angesprochen worden?
Es gibt in diesem Zusammenhang natürlich Überlegungen. Aber es kann zurzeit
noch nichts dazu gesagt werden, ob und - wenn ja - mit
welchem Volumen ein Treuhandfonds von der Weltbank
tatsächlich aufgelegt werden wird. Das hängt unter anderem von einer gemeinsamen EU Weltbank-Mission in der
Region ab. Sie wird noch in diesem Monat stattfinden.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Kann die Bundesrepublik Jugoslawien damit rechnen, dass sie in näherer Zukunft wieder in den Internationalen Währungsfonds und
in die Weltbank aufgenommen wird?
Ich vermag diese Frage
nicht zu entscheiden, weil es sich um multilaterale Gremien handelt, die das letztlich für sich allein entscheiden
müssen. Klare Voraussetzung für die Wiederaufnahme in
die Weltbank ist allerdings die Aufnahme in den Internationalen Währungsfonds. In dieser Reihenfolge müsste
das erfolgen.
Wenn sich das demokratische System in der Bundesrepublik Jugoslawien, wie wir es alle wünschen, festigt,
wird sich die Bundesregierung in den multilateralen Gremien natürlich dafür einsetzen, dass die Bundesrepublik
Jugoslawien wieder aufgenommen wird.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Weiß.
Frau
Staatssekretärin, Hauptproblem für eine eventuelle Wiederaufnahme der Bundesrepublik Jugoslawien in den Internationalen Währungsfonds wie in die Weltbank ist der
hohe Schuldenstand, den die Bundesrepublik Jugoslawien bei diesen beiden internationalen Finanzinstitutionen hat. Deshalb wäre es für eine Wiederaufnahme notwendig - so wie es auch bei anderen Ländern der Fall
war -, dass sich eine Gebergemeinschaft für eine Überbrückungsfinanzierung für Jugoslawien findet.
Aus diesem Grunde möchte ich die Bundesregierung
fragen: Ist seitens der Bundesregierung beabsichtigt, sich
an einer Überbrückungsfinanzierung für die Bundesrepublik Jugoslawien zu beteiligen, um ihr wieder die Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds und in der
Weltbank zu ermöglichen?
Sehen Sie, Herr Kollege
Weiß, diese Maßnahmen sind alle aufeinander abzustimmen. Sie sind auch nicht kumulativ, sondern alternativ zu
ergreifen. Wenn zum Beispiel, wie aus der Frage der Kollegin Heinen hervorgeht, ein Weltbanktreuhandfonds eingerichtet wird, dann muss nicht zugleich noch ein anderes
Finanzierungsgremium daneben treten. Da wir im Moment noch nicht genau wissen, wie die multilateralen Organisationen hier vorgehen werden - ich hatte davon gesprochen, dass die gemeinsame Mission von EU und
Weltbank und möglicherweise des IWF noch in diesem
Monat stattfinden wird -, können wir diese Entscheidung
jetzt noch nicht fällen. Sie können aber zuversichtlich
sein, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre internationalen Verpflichtungen entsprechend der demokratischen Entwicklung in Jugoslawien wahrnehmen wird.
Die Bundesrepublik Jugoslawien ist mit 1,7 Milliarden
US-Dollar im Ausland verschuldet. Das ist zwar eine
große Summe, die aber andererseits noch überschaubar
ist. Es ist nicht das, was man sich beispielsweise angesichts der hohen Verschuldung des Bundeshaushaltes unter einer sehr hohen Verschuldung vorstellt. Gleichwohl
ist es schwer, sich angesichts von 1,7 Milliarden USDollar Auslandsverschuldung und der vorliegenden Verhältnisse, der Kriegszerstörungen und des Niedergangs
der Wirtschaft in der Bundesrepublik Jugoslawien, vorzustellen, dass Jugoslawien dies alleine leisten kann.
Seien Sie versichert: Wir werden die erforderlichen Instrumente im Rahmen der internationalen Solidarität mittragen und in den multilateralen Organisationen für eine
demokratische Bundesrepublik Jugoslawien werben. Allerdings halte ich es nicht für sinnvoll, jedes denkbare Finanzierungselement kumulativ nebeneinander zu stellen.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Die Fragen 16, 17 und 18 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht die
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte
zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 19 und 20 der Abgeordneten Ina
Albowitz auf:
Trifft es zu, dass Soldaten aufgrund der für sie geltenden besonderen Altersgrenzen im Falle einer Ehescheidung bei dem gesetzlich vorgeschriebenen Versorgungsausgleich benachteiligt
werden und im Vergleich zu Beamten und anderen Berufsgruppen
in kürzerer Zeit vergleichsweise höhere Anwartschaften erwerben?
Trifft es zu, dass ein Berufssoldat, der mit dem 53. Lebensjahr
pensioniert wurde, viele Jahre Versorgungsausgleich abgezogen
bekommt, ohne dass die von ihm geschiedene Ehefrau davon einen unmittelbaren Vorteil hat, und mit welcher Begündung wird
so verfahren?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Albowitz, Ihre
Frage möchte ich differenziert beantworten.
Sie erinnern sich: Das Bundesverfassungsgericht hat
zur Zeit der sozial-liberalen Koalition - die den Versorgungsausgleich eingeführt hat - in einer Grundsatzentscheidung vom 28. Februar 1980 ausgeführt, dass der Versorgungsausgleich zwischen geschiedenen Ehegatten mit
dem Grundgesetz vereinbar ist. Soweit der Gesetzgeber
aufgefordert wurde, grundgesetzwidrigen Auswirkungen
zu begegnen, ist das mit dem Gesetz zur Regelung von
Härten im Versorgungsausgleich im Februar 1982 erfolgt.
Danach unterbleibt die Kürzung des Ruhegehalts eines
zur Zeit des aktiven Dienstes geschiedenen Berufssoldaten nur in den im Gesetz näher bezeichneten Fällen: Erstens wenn der betreffende ausgleichberechtigte Ehepartner verstirbt, bevor das Ruhegehalt gezahlt wird, und
zweitens wenn bei einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung des Ausgleichspflichtigen gegenüber dem geschiedenen Ehegatten bis zur Rentenberechtigung mit
dem Versorgungsausgleich die entsprechenden Leistungen des Ehepartners in der erworbenen Ehezeit gleichmäßig aufgeteilt sind.
Versuche des Bundesministerium der Verteidigung - es
kam wiederholt die Klage, dass Soldaten benachteiligt
würden -, eine andere Regelung für betroffene Berufssoldaten zu erreichen, sind auch in der Zeit der christlich-liberalen Regierung und an den Stellungnahmen der beteiligten Ministerien, nämlich des Bundesinnenministeriums,
des Bundesarbeits- und -sozialministeriums, des Bundesjustizministeriums sowie des Bundesfinanzministeriums
aus folgenden Gründen gescheitert: Wir haben eine wachsende Zahl von Rentnern und Pensionären. - Verbesserungen müssten nicht nur für Berufssoldaten, sondern
auch für alle anderen Berufsgruppen erfolgen; diese sind
nicht zu finanzieren.
Die Höhe des Versorgungsausgleichs hängt dabei wesentlich von dem Verhältnis der in die Ehezeit fallenden
ruhegehaltfähigen Dienstzeit zu der bis zu der jeweiligen
Altersgrenze verlängerten so genannten Gesamtzeit ab.
Da aber Berufssoldaten wegen ihrer im Vergleich zu
Beamten, die zumindest nach dem Gesetz bis zum 65. Lebensjahr arbeiten können, je nach Dienstgrad vorgezogenen Altersgrenzen eine geringere Gesamtzeit aufweisen,
ergibt sich aufgrund der genannten Verhältnisrechnung
für sie ein höherer auszugleichender Versorgungswert.
Dies hatte ja auch die Zeitschrift des Deutschen Bundeswehr-Verbandes berichtet.
Ein solcher bei Soldaten berufsbedingter und damit
stets proportional höherer Versorgungsausgleich ergibt
sich aber auch bei Beamten oder solchen Personengruppen, bei denen wegen Dienstunfähigkeit ein vorzeitiger
Versorgungsfall eintritt und daher der Berechnung eine
kürzere Gesamtzeit zugrunde zu legen ist. Hier kann es
aufgrund des versorgungsausgleichsrechtlichen Bewertungsverfahrens dazu kommen, dass sich bei Erwerb eines Versorgungsanspruchs vor der sonst maßgebenden
Altersgrenze ein höherer auszugleichender Ehezeitanteil
ergibt.
Dieser höher auszugleichende Wert ist bei Soldaten unmittelbare Folge des Soldatenversorgungsrechts. Viele
Berufssoldaten scheiden aufgrund ihres Dienstgrades
früher aus. Wenn sie dann die erforderlichen vierzig
Dienstjahre und damit die Höchstversorgung in Höhe von
75 Prozent der Besoldung des letzten Amtes nicht erreicht
haben, erhalten sie einen Zuschlag, der rund 13 Prozent
der früheren Besoldung betragen kann. Damit erreicht fast
jeder Berufssoldat bei seinem Ausscheiden sein Höchstruhegehalt. Deswegen liegt keine Benachteiligung der
Soldaten vor. An dieser vergleichsweise günstigeren versorgungsrechtlichen Ausgestaltung nimmt im Rahmen
des Versorgungsausgleichs natürlich auch der geschiedene Ehepartner teil.
Das frühere Ausscheiden des Berufssoldaten kann sich
im Rahmen des Versorgungsausgleichs allerdings auch
positiv auswirken. Dies gilt dann, wenn sich der Berufssoldat im Zeitpunkt der Ehescheidung bereits im Ruhestand befindet. In diesem Fall sind - ebenso wie im Beamtenbereich - die Versorgungsbezüge erst dann zu
kürzen, wenn aus der Versicherung des berechtigten
Ehepartners eine Rente zu gewähren ist.
Damit ergibt sich: Die dargestellte Situation ist mit
dem Gesetz vereinbar und - so bedauerlich das ist, weil es
auch andere Berufsgruppen betrifft - nicht zu verändern.
Nun haben wir alle
verstanden, wie kompliziert das ist. Nun hat die Kollegin
Albowitz das Wort.
Frau Staatssekretärin, ich danke
Ihnen sehr herzlich. Ich denke, nur wir beide und einige
wenige wissen, worüber hier geredet wurde. Insofern
möchte ich das jetzt abkürzen: Ich habe keine Bundeswehrzeitung, sondern vielmehr einen Vorgang dazu
bei mir auf dem Tisch liegen. Sie haben - ich glaube, das
geht auch nicht anders - bereits einen Teil der Frage 20
mit beantwortet. Nach der bestehenden Bundeswehrplanung sollen Soldaten teilweise früher in den Vorruhestand
geschickt werden, wodurch sich das Problem verschärft.
Bei einem geschiedenen Soldaten, der nach der momentanen Planung mit 48 Jahren in den Vorruhestand gehen
könnte und damit circa 30 Jahre bei der Bundeswehr wäre,
müsste in den Versorgungsausgleich erheblich länger gezahlt werden, ohne dass die Ehefrau, die erst mit 65 Jahren in Rente gehen kann und die nicht bei der Bundeswehr
ist, davon profitieren könnte.
Ich weiß nicht, ob wir das hier angesichts der Kompliziertheit des Themas so fortsetzen sollten. Ich wäre dankbar, wenn Sie auf die Fragen schriftlich eingehen oder wir
über die Probleme ein Gespräch führen könnten.
Ich wollte gern etwas ausführlicher auf Ihre Fragen antworten. Wir haben das ja dann
im Protokoll stehen. Es ist eine sehr komplizierte
Angelegenheit.
Gerne, wenn die Frau Präsidentin das gestattet.
Ich wollte uns nur ein
bisschen Entspannung verschaffen, indem ich gesagt
habe, wir hätten jetzt alles verstanden. Es ist sehr gut,
wenn Sie es hier klären könnten. Ich bin an dem Thema
grundsätzlich interessiert.
({0})
Wir sind alle an dem Thema interessiert, weil wir als Abgeordnete verstärkt angesprochen werden. Wir alle kennen die Fälle, in denen jemand
kurz nach Erreichen der Altersgrenze den Ehepartner und
damit den entsprechenden Versorgungsanteil verliert. Das
gleiche Problem gibt es auch bei der Rente. Es trifft jeden
- auch bei anderen Berufsgruppen; wir haben uns das im
Einzelnen zeigen lassen - in dem Fall, in dem der Ehepartner relativ früh verstirbt und die nach der Ehescheidung auf diesen übertragene Versorgungsanwartschaften
verloren gehen. Eine Ausnahme besteht dort, wo die
Übergangszeit weniger als 24 Monate betrug.
Dieses Dilemma betrifft auch den ausscheidenden Berufssoldaten. Er wird aber nur dann mit 48 Jahren in den
Ruhestand gehen, wenn wir ihm eine entsprechend gute
Altersversorgung gewähren. Sonst kann er sich das wahrscheinlich nicht erlauben.
Ich bin sehr erstaunt, dass fast alle Berufsgruppen von
diesem Problem betroffen sind. In manchen Fällen sind
die Folgen für die Betroffenen besonders hart. Aus Gründen der Gleichbehandlung lässt sich aber kaum eine andere Regelung treffen.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin Albowitz.
Frau Staatssekretärin, ich bin
mir nicht sicher, ob wir das nicht doch regeln könnten. Berufssoldaten können ohnehin früher als der normale Bürger - auch unter Berücksichtigung aller Vorruhestandsregelungen - in den Ruhestand gehen. Es ist notwendig,
tatsächliche oder von Bürgern als solche empfundene Ungerechtigkeiten zu beseitigen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ein Berufssoldat, der mit
48 Jahren ausscheidet, weil im Rahmen der neuen Bundeswehrplanung ein geringerer Bedarf entstanden ist, eine
besondere Versorgung braucht. Er ist in diesem Alter noch
jung genug - das werden die meisten auch so sehen -, um
sich eine zusätzliche Versorgung aufzubauen. Wir fordern
auch an anderen Stellen den Aufbau einer privaten Vorsorge durch Abschluss von Privatversicherungen in den
kommenden Jahren. Ich denke, im Zusammenhang mit einer umfassenden Sozialreform müssen wir auch an diesen
Punkt herangehen, um für einen gewissen Grad an Gerechtigkeit zu sorgen.
Frau Kollegin Albowitz, ich
möchte nur daran erinnern: Es gibt den Fall der Berufsoffiziere der Luftwaffe, die mit 41 Jahren in den Ruhestand gehen können. Das sind die Strahlflugzeugführer,
die im Vergleich zu anderen Berufsgruppen auch früher
höhere Anwartschaften erwerben. Auch das ist geprüft
worden. Wir mussten für Gerechtigkeit für alle sorgen.
Die Soldaten, die normalerweise mit 53 Jahren in Pension gehen - Offiziere gehen zum Beispiel mit 56 oder
59 Jahren in Rente -, werden sich selbstverständlich nicht
so früh pensionieren lassen, wenn die Grenze, ab der sie
einen Pensionsanspruch erwerben können, nicht auf 48
Jahre abgesenkt würde.
Wenn sich der Soldat scheiden lässt, bekommt die Ehepartnerin als Ausgleichsberechtigte einen entsprechenden
Anteil an der Pension. Ich weiß zwar, dass das für die Betroffenen unbefriedigend ist. Aber ich sehe unter dem Gerechtigkeitsgesichtspunkt keine Möglichkeit für eine andere Regelung.
Wir haben gestern Abend lange über Alternativen diskutiert. Das Ganze wird sofort zu einem Mann-FrauThema, weil die Zahl der Frauen, die wie wir beide, Frau
Albowitz, oder wie die Frau Vizepräsidentin hohe Altersversorgungsansprüche haben und ihren Männern im Fall
einer Scheidung eher etwas abgeben müssten, außerordentlich gering ist. Viele Männer hingegen diskutieren
über dieses Thema mit Leidenschaft. Manchmal wird man
auch als Abgeordnete eingeschaltet, wenn jemand die
Regelung für zu ungerecht hält. Aber ich muss Ihnen ehrlich gestehen: Es lässt sich nicht anders regeln.
Drum prüfe, wer sich
ewig bindet. Es muss auch noch die Frage beantwortet
werden: Wie soll der Versorgungsausgleich im Hinblick
auf das Verhältnis von Soldaten mit kürzerer Dienstzeit
und Rentnerinnen und Rentnern geregelt werden? Das
möchte ich zu bedenken geben. Ich bitte um Nachsicht.
Eigentlich steht mir eine solche Anmerkung nicht zu.
Die Fragen 21 und 22 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung steht Herr Staatssekretär Siegfried
Scheffler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Paul Breuer
auf:
Kann die Bundesregierung definitiv zusagen, ab dem Jahre
2001 Finanzmittel für den vorbereitenden Grunderwerb sowie
zum Weiterbau der Autobahn A 4 von Olpe-Süd bis zur Krombacher Höhe und der Hüttentalstraße, B 54, bis Kreuztal zur Verfügung zu stellen?
Lieber Kollege Breuer, wenn Sie gestatten, beantworte ich
Ihre Fragen 23 und 24 im Zusammenhang, da es in beiden
um eine Infrastrukturmaßnahme in Nordrhein-Westfalen
geht.
Herr Kollege Breuer,
sind Sie damit einverstanden?
Ja.
Dann rufe ich auch
Frage 24 auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, zügig Finanzmittel aus dem Zukunfts-Investitions-Programm ({0}) für
den vorbereitenden Grunderwerb zum Weiterbau der Hüttentalstraße, B 62, von Siegen-Süd über die Landesgrenze NordrheinWestfalen/Rheinland-Pfalz einzusetzen?
Bitte sehr.
Über
die Verwendung der Erlöse aus der Versteigerung der
UMTS-Lizenzen wird im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierung, das für den
Straßenbau mit Schwerpunkt Ortsumgehung zusätzlich
2,7 Milliarden DM für drei Jahre vorsieht, zusammen mit
den Koalitionsfraktionen und im Zusammenhang mit den
Beratungen über den Haushaltsentwurf 2001 entschieden.
Daher können zurzeit noch keine konkreten Zusagen zur
Finanzierung von einzelnen Straßenbauvorhaben gemacht werden.
Erste Zusatzfrage,
bitte.
Herr Staatssekretär, wie
können Sie sich erklären, dass der nordrhein-westfälische
Verkehrsminister Schwanhold bereits Zusagen, die offenbar nicht mit dem Bundesminister für Verkehr abgestimmt sind, in der Öffentlichkeit abgegeben hat? Daran
möchte ich eine zweite Frage anschließen: Wie können
Sie sich erklären, dass Projekte, für die das Baurecht nicht
gilt und für die die Planfeststellungsunterlagen neu erstellt werden müssen - ich spreche von der Autobahn Bielefeld-Halle -, von dem eben genannten Landesverkehrsminister in der Öffentlichkeit als quasi finanziert
dargestellt werden? Ist hier die Kommunikation zwischen
der nordrhein-westfälischen Landesregierung und der
Bundesregierung gestört?
Die
Kommunikation - das muss ich voranstellen - zwischen
der Bundesregierung und der Landesregierung in NRW ist
zurzeit nicht gestört und war auch noch nie gestört. Das
war in den Zeiten, als Sie den Bundesverkehrsminister gestellt haben, vielleicht ein bisschen anders. Gegenwärtig
gibt es, wie gesagt, keine Probleme.
Ich spekuliere nicht, weil mir die konkreten Äußerungen weder schriftlich noch mündlich bekannt sind. Ich
nehme Ihre Aussage entgegen. Ich kann Ihnen versichern,
dass die Bundesregierung gegenwärtig mit den Koalitionsfraktionen die letzten Abstimmungen tätigt. Wir haben
gerade heute im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in erster Lesung über den Haushaltsentwurf
gesprochen. Insofern ist darüber nicht abschließend beraten.
Sie gehen in Ihrer zweiten Frage - wenn Sie, Frau Präsidentin, gestatten, möchte ich auf diese zweite Frage
gleich eingehen - von dem Abschnitt Krombach bis
Kreuztal aus, für den seit dem 11. September ein Planfeststellungsbeschluss mit Bestandskraft besteht, während am anderen Ende der Hüttentalstraße im Zuge der
B 54 und der B 62 neu, nämlich von Siegen-West bis zur
Landesgrenze, für einen Teil die Planfeststellung noch erarbeitet werden muss. Die Planfeststellungsunterlagen
wurden im Mai/Juni 1999 offen gelegt. Dort gibt es Probleme mit dem Grunderwerb. Das ist Ihnen bekannt.
Das wäre also Spekulation. Wenn die Entscheidung getroffen worden ist, werden wir rechtzeitig informieren.
Die zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie etwas über die Wahrscheinlichkeit sagen, dass
planfestgestellte Projekte, für die also Baurecht existiert
- ich nehme den noch nicht planfestgestellten Abschnitt
heraus -, eine zügige Finanzierung erfahren können, dass
also insbesondere bestimmte Maßnahmen, die in erheblicher Weise Auswirkungen auf den Fortgang des Bauprojekts haben, nämlich vorbereitender Grunderwerb, Bau
bestimmter Brückenteile, damit überhaupt mit dem Bau
begonnen werden kann, zügig finanziert werden können?
Sie
werden von mir natürlich keine Äußerungen hören, wie
aufgrund der Abschlussgespräche mit den Koalitionsfraktionen zur Verwendung der Mittel aus den Zinseinsparungen im Zusammenhang mit dem Verkauf der UMTS-Lizenzen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden können.
Sicherlich werden diese Mittel dazu beitragen, dass auch
in NRW wie in anderen Bundesländern über die Haushaltsfinanzierung Mittel zur Verstärkung eingesetzt werden können. Aber - Ihre Frage zielt ja auf die Zinseinsparungen im Zusammenhang mit dem Verkauf der
UMTS-Lizenzen - hierzu ist zurzeit noch keine definitive
Aussage möglich.
Die dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meinen Sie, dass die Äußerungen des nordrhein-westfälischen Verkehrsministers und von Kollegen aus dem
nordrhein-westfälischen Landtag im Hinblick auf die gesicherte Finanzierung als etwas vorschnell zu bewerten
sind?
Das
kann ich nicht bewerten, weil mir diese Aussagen - Sie erweitern jetzt den Kreis - überhaupt nicht bekannt sind. Insofern kann ich dazu überhaupt keine Äußerungen abgeben.
Ich bedanke mich.
Damit haben Sie auf
eine Frage verzichtet.
Wir kommen damit zur Frage 25 des Abgeordneten
Koschyk:
Inwieweit ist die anhaltende lärmmindernde Wirkung von offenporigem Asphalt - zum Beispiel auf Referenzstrecken und mit
bestimmten Messergebnissen - erwiesen, der zum Beispiel beim
Ausbau der Autobahn A 9 im Stadtgebiet Bayreuth Verwendung
finden soll, und wie will die Bundesregierung die Nachhaltigkeit
der Lärmminderung auf diesen Streckenabschnitten gewährleisten?
Kollege Koschyk, anhand der Ergebnisse der seit Anfang der
90er-Jahre im Auftrage der Bundesanstalt für Straßenwesen nach dem Merkblatt für den Bau offenporiger Asphaltdeckschichten aus dem Jahre 1991 auf entsprechenden Referenzstrecken an Autobahnen nach festgelegter
Methodik vorgenommenen Messungen konnte die lärmmindernde Wirkung offenporiger Asphaltschichten - im
Folgenden nur OPA 0/8 genannt - für mindestens vier
Jahre bestätigt werden.
Der für den Ausbau der A 9 im Stadtgebiet Bayreuth
vorgesehene, 1998 erstmals im Nachbarabschnitt Autobahndreieck Kulmbach/Bayreuth bis Bayreuth-Nord eingebaute OPA 0/8 der dritten Generation mit gegenüber
dem Merkblatt von 1991 deutlich erhöhtem Hohlraumgehalt lässt nach den bisher vorliegenden Messergebnissen
eine über die genannte, bisher bestätigte vierjährige Dauer
hinaus länger anhaltende lärmmindernde Wirkung erwarten.
Die Bundesregierung wird die Dauerhaftigkeit der
Lärmpegelminderung unter Berücksichtigung der jeweils
neuesten technischen Erkenntnisse der BASt sicherstellen
und durch geeignete Maßnahmen an der offenporigen Asphaltdeckschicht dauerhaft gewährleisten, insbesondere
durch eine Erneuerung zur erforderlichen Zeit.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatssekretär,
Sie haben davon gesprochen, dass es mehrere Generationen des offenporigen Asphalts gibt und dass auf der Referenzstrecke, die Sie genannt haben, zwischen dem
Autobahndreieck Kulmbach und Bayreuth-Nord, die
dritte Generation eingebaut worden ist. Die Messungen
haben eine höhere Nachhaltigkeit der Lärmminderung ergeben. Gibt es Weiterentwicklungen dieses offenporigen
Asphalts, sodass damit zu rechnen ist, dass die Lärmminderung bei Asphalt, der bei Autobahnen künftig aufgetragen wird, noch höher sein wird?
Die
Frage hat mich nicht nur als Staatssekretär interessiert. Sie
wissen, dass ich Straßenbauingenieur bin. Insofern hat
mich die Frage auch beruflich interessiert. Es ist bekannt,
dass diese Bauweise jüngeren Datums ist. Wenn wir in
diesem Zusammenhang von Generationen sprechen, sprechen wir nicht von Generationen im Sinne von Lebensalter, sondern von der Abfolge von Bauweisen. Erst seit
etwa 15 Jahren existiert diese Bauweise. Erst seit den
90er-Jahren gibt es verlässliche Messdaten. Diese sind
zwischen 1992 und 1996 erhoben worden. Auch die technische Richtlinie wurde 1998 infolge der neueren Erkenntnisse noch einmal überarbeitet. Wir gehen davon
aus, dass aufgrund der Verbesserungen der Technologie
beim Einbau, aber auch einer Laborauswertung der zur
Verfügung stehenden Baustoffe zukünftig eine Lebenserwartung von sechs bis acht Jahren besteht.
Zusatzfrage zwei,
bitte sehr.
Unabhängig von der
Frage einer Weiterentwicklung der andauernden Lärmminderung durch offenporigen Asphalt bleibt es - so habe
ich Sie verstanden - also bei der Zusage, dass, wenn Messungen ergeben sollten, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte nicht eingehalten werden, der Asphalt,
wenn er vorzeitig abgenutzt ist, auch erneuert wird?
Diese Frage möchte ich nicht nur mit einem klaren Ja beantworten, weil ich weiß, Herr Koschyk, dass Sie den
Planfeststellungsbeschluss kennen. Sie kennen auch den
Brief des damaligen Bundesministeriums für Verkehr an
den Oberbürgermeister. Sie waren 1997 selbst dabei. Die
Bundesregierung übernimmt die Verpflichtung der alten
Bundesregierung, die besagt, dass im Stadtgebiet von
Bayreuth eine frühzeitige Sanierung erfolgt, um die
Lärmminderung wieder zu erreichen, wenn eine Reinigung nicht ausreicht.
Nun rufe ich die
Frage 26 des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf:
Liegen für die Streichung von Interregio-Regionalzugverbindungen in Ostbayern, die zu einer „deutlichen Verringerung der
Kapazität“ einiger Strecken i. S. d. § 11 Allgemeines Eisenbahngesetz führen, bereits Anträge der Deutschen Bahn AG auf
Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen an das Eisenbahnbundesamt vor, und wie soll nach Ansicht der Bundesregierung hierüber entschieden werden im Hinblick darauf, dass
eine Abkopplung der ostbayerischen Grenzregion vom internationalen Bahnfernverkehr verhindert werden sollte?
Herr Staatssekretär, bitte.
Kollege Hofbauer, die DB Netz AG hat bislang keine derartigen Anträge für die von Interregio-Zügen befahrenen
Strecken in Ostbayern an das Eisenbahnbundesamt gestellt.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatssekretär, es
ist aber allgemein bekannt und wird in aller Öffentlichkeit
diskutiert, dass ein erheblicher Teil der Strecken Ostbayerns vom Fernverkehr entsorgt werden soll. Das bedeutet für die Region, dass zwei Regierungsbezirke mit
fast 3 Millionen Einwohnern in Zukunft überhaupt keinen
Fernverkehrsanschluss mehr haben.
Wenn diese Bundesregierung und die sie tragenden
Parteien immer wieder die Stärkung der Bahn betonen
und die Ökosteuer eingeführt haben, um zu erreichen,
dass mehr Menschen mit der Bahn fahren, aber zugleich
den Menschen vor Ort eine überregionale Anbindung genommen wird, dann passt eine solche Politik nicht zusammen. Deswegen meine ganz konkrete Frage, Herr
Staatssekretär: Sind die Überlegungen richtig, die überall
veröffentlicht werden, und könnte eine solche konkrete
Entscheidung überhaupt getragen werden?
Kollege Hofbauer, wenn meine Antwort nicht eindeutig genug war, muss ich das präzisieren. Ich gehe hier nicht auf
Vermutungen in der Öffentlichkeit oder auf Spekulationen ein. Die Bundesregierung sieht dann Handlungsbedarf, wenn das nicht eingehalten wird, was bei der Bahnreform gemeinsam verabredet worden war. Insofern kann
ich nur wiederholen, dass nach Auskunft des Eisenbahnbundesamtes die DB Netz AG bislang keine derartigen
Anträge für von Interregio-Zügen befahrenen Strecken in
Ostbayern gestellt hat. Auch sind dem Eisenbahnbundesamt keine entsprechenden Planungen gekannt.
In diesem Zusammenhang gehe ich auf Ihre zweite
Frage ein: Die Planungen der DB Reise- und Touristik AG
zielen nicht auf eine Einstellung der Verkehrsbedienung
auf den von Interregio-Zügen befahrenen Hauptstrecken
ab. Es handelt sich vielmehr nur um eine Umstellung des
Verkehrsangebotes auf Nebenbahnen. Diese kann Gegenstand von Anträgen der DB Netz AG nach § 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes sein. Die Neuanmeldung
des Freistaates Bayern für den Bundesverkehrswegeplan,
Bereich Schiene, über die die DB AG und der Bund natürlich noch nicht entschieden haben, enthält im Hinblick auf
Ostbayern ein Vorhaben zwischen München, Landshut,
Regensburg und Marktredwitz.
Zusatzfrage zwei.
Herr Staatssekretär,
heißt das konkret, dass ein Antrag von der Bundesregierung nicht genehmigt würde, wenn er gestellt würde?
Sie
wissen natürlich ganz genau, dass die Bundesregierung
keine Strecken genehmigt oder ablehnt. Vielmehr gibt es
einen entsprechenden Versorgungsauftrag aus der Bahnreform. Ich verweise auf das im September verabschiedete „Zukunftspaket Schiene“, das zwischen Minister
Klimmt und Herrn Mehdorn verabredet worden ist. Dass
es nicht nur ein Zukunftsprogramm zwischen Wunsch
und Wolke ist, wird daran deutlich, dass die Bundesregierung für den Ausbau der Schieneninfrastruktur - daran ist
Bayern in erheblichem Maße beteiligt - über drei Jahre
jährlich 2 Milliarden DM, also insgesamt 6 Milliarden DM, zusätzlich bereitstellt. Daran kann man den politischen Willen sowohl der Bundesregierung als auch der
Koalitionsfraktionen erkennen, dass mehr für den Ausbau
der Schieneninfrastruktur getan wird, als die alte Regierung bisher getan hat.
Nun rufe ich die
Frage - ({0})
- Ich hatte den Eindruck, dass Sie schon zwei Fragen gestellt haben. Aber bitte sehr!
Ich habe nur bis eins
gezählt, Frau Präsidentin.
Herr Staatssekretär, was hilft uns das viele Geld, das
Sie ausgeben wollen, wenn keine Investitionen in das angesprochene Schienennetz geplant sind? Das deutet darauf hin, dass der Fernverkehr auf diesen Strecken immer
mehr abgebaut werden soll. Diese Sorge haben wir in der
Region.
({0})
Kollege Hofbauer, lassen Sie mich die Position unseres
Hauses bzw. die Verantwortung des Bundes für den Schienenpersonenfernverkehr ergänzend erläutern. Wenn Sie
von Nah- oder Regionalverkehr sprechen, dann wissen
Sie natürlich, dass bei der Bahnreform verabredet worden
ist, den gesetzlichen Auftrag den Ländern zu übertragen.
Was den Fernverkehr angeht, wissen Sie, dass sich der
Gewährleistungsauftrag des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4
des Grundgesetzes auf die Infrastruktur und - ich sage das
mit aller Deutlichkeit - natürlich ein dem Wohl der Allgemeinheit dienendes Verkehrsangebot - hier nehme ich
den Schienenpersonennahverkehr ausdrücklich aus - der
Eisenbahn des Bundes erstreckt. Der Bund nimmt diese
Verantwortung für beide Bereiche wahr, indem er entsprechend dem Verkehrsbedarf und im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel Investitionen in die
Schienenwege der Eisenbahn des Bundes finanziert.
Ihnen ist aus den Haushaltsberatungen bekannt, dass
allein in diesem Jahr für zinslose Darlehen und Baukostenzuschüsse in diesem Bereich immerhin 6,8 Milliarden DM bereitgestellt werden. Das sehen wir als unseren
Auftrag aus der Bahnreform an.
Damit wäre Ihre
Frage 27 eigentlich beantwortet.
Frau
Präsidentin, vielleicht gestatten Sie, dass ich den Antworttext zur Frage 27 einmal konkret vorlese.
Dann rufe ich nun die
Frage 27 des Kollegen Klaus Hofbauer auf:
Wie ist die massive Streichung von überregionalen Zugverbindungen mit der Verpflichtung der Bundesregierung zur Gewährleistung des Wohls der Allgemeinheit in Bezug auf Verkehrsbedürfnisse der Bürger und zur Sicherstellung überregionaler Schienenverkehrsangebote gemäß Art. 87 e Abs. 4
Grundgesetz in Einklang zu bringen?
Der
Gewährleistungsauftrag des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4
erstreckt sich auf die Infrastruktur und ein dem Wohl der
Allgemeinheit dienendes Verkehrsangebot - ausgenommen Schienenpersonennahverkehr - der Eisenbahn des
Bundes. Der Bund nimmt diese Verantwortung für beide
Bereiche wahr, indem er - entsprechend dem Verkehrsbedarf und im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel - auf der Grundlage des Bundesschienenwegeausbaugesetzes Investitionen in die Schienenwege der
Eisenbahn des Bundes finanziert. Damit werden den
Eisenbahnverkehrsunternehmen Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Verkehrsangebote zur Verfügung gestellt.
Ich rufe nun die
Frage 28 des Abgeordneten Helmut Heiderich auf:
In welcher Weise will die Bundesregierung den versprochenen
IC-fähigen Ausbau der gesamten Mitte-Deutschland-Verbindung,
insbesondere des Streckenabschnitts Kassel-Bebra, sicherstellen
vor dem Hintergrund der Mitteilung der Deutschen Bahn AG, die
Interregio-Verbindung Düsseldorf-Kassel-Bebra-Erfurt-Dresden Ende des Jahres 2002 einzustellen?
Herr Staatssekretär.
Mit
der Anpassung der Strecke Paderborn-Kassel-Bebra-Erfurt-Weimar-Jena-Glauchau-Chemnitz, der so genannten Mitte-Deutschland-Verbindung, für den Einsatz von
Neigetechnikfahrzeugen als zweiter Realisierungsstufe
können die mit dem ursprünglich geplanten IC-fähigen
Ausbau des Abschnitts Kassel-Bebra beabsichtigten
Fahrzeiteinsparungen weitgehend erreicht werden. Daher
kann unter anderem auf den Bau der in diesem Abschnitt
vorgesehenen Verbindungskurve bei Altmorschen mit
dem Anschluss an die vorhandene Neubaustrecke Hannover-Würzburg zugunsten kleinerer Ausbaumaßnahmen
vorerst verzichtet werden.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Anpassung der Infrastruktur bedarfsgerecht mit dem neu zu
planenden Einsatz dieser Fahrzeuge frühestens ab dem
Jahre 2003 abgeschlossen sein wird. Soweit der Bundesregierung bekannt, plant die DB AG nicht die Einstellung
der Interregio-Linie 20 Ende des Jahres 2002. Vielmehr
wird erwogen, die Linie zwischen Weimar und Chemnitz,
die zurzeit nur mit einem Zugpaar täglich verkehrt, durch
gleichwertige Nahverkehrsangebote zu ersetzen.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatssekretär,
habe ich Sie eben richtig verstanden, dass die ehemalige
Zusage des Bundesverkehrsministeriums, die Gesamtstrecke zwischen Dortmund und Dresden IC-fähig auszubauen, jetzt hinfällig geworden ist und Sie stattdessen beabsichtigen, die Strecke mit Neigetechnikfahrzeugen zu
bedienen?
Vielleicht sollten wir hier präzisieren: Nicht die Bundesregierung hat garantiert, sondern die DB AG. Mir ist das
Ergebnis der Besprechung mit dem damaligen Minister
Wissmann am 29. März 1993 wohl bekannt. Ich kenne
natürlich auch die Teilnehmer an diesem Gespräch; der
damalige hessische Ministerpräsident war dabei. Aber die
Bundesregierung schreibt nicht vor, wie die Strecke zu bedienen ist, wenn die DB AG durch den Einsatz von Neigetechnikzügen eine adäquate Fahrzeit sichert.
Zusatzfrage zwei.
Herr Staatssekretär,
ich beziehe mich mit dem Begriff der Ausbaugarantie
natürlich, wie Sie eben angedeutet haben, auf den ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Eichel. Wir - sowohl er als auch ich - meinen damit nicht die Bedienung
dieser Strecke durch Interregio-Fahrzeuge, sondern den
Ausbau der Schieneninfrastruktur in der Art und Weise,
wie sie damals mit „IC-fähig“ beschrieben worden ist und
wie sie eben von Ihnen, wenn ich das richtig verstanden
habe, als in der Zukunft nicht mehr notwendig bezeichnet
wurde.
Herr Staatssekretär.
Ich
habe nicht gesagt: „in der Zukunft nicht mehr notwendig“,
sondern ich habe darauf abgehoben, dass hier die Fahrzeit
eine entsprechende Rolle spielt. Natürlich hatten der damalige Verkehrsminister und auch der Ministerpräsident
die Einordnung dieser Strecke in den entsprechenden
Bundesverkehrwegeplan oder in das Bundesschienenwegeausbaugesetz unter Beachtung des Kosten-Nutzen-Faktors vorzunehmen.
Dazu möchte ich einmal anmerken, dass ein entsprechender Ausbau 1,5 Milliarden DM kosten würde und
dass bei einem solchen Ausbau mit den entsprechenden
Fahrzeitgewinnen lediglich ein Nutzen-Kosten-Faktor
von 0,2 herauskommen würde. Ich denke, dass das, was
die DBAG hier vorgeschlagen hat, diesen Fahrzeitgewinn
durch den Einsatz von Neigetechnik zu erreichen, vorteilhaft ist, weil so ganz erhebliche Mittel - ganz konkret:
über 1 Milliarde DM - eingespart werden können.
Nun rufe ich die
Frage 29 des Abgeordneten Heiderich auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Einhaltung der Zusagen
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
für einen IC-fähigen Ausbau und die vollständige IC-Bedienung
der gesamten Mitte-Deutschland-Verbindung vor dem Hintergrund der Forderung des früheren hessischen Ministerpräsidenten
und jetzigen Bundesministers der Finanzen, Hans Eichel, das
Land Hessen habe einen Anspruch auf die Einhaltung dieser Zusagen, und angesichts der Ankündigung der Deutschen Bahn AG,
auf dieser Relation die Interregio-Züge durch Regionalexpresszüge und IC-Züge zu ersetzen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die
Zusage des BMVBW für einen IC-fähigen Ausbau der so
genannten Mitte-Deutschland-Verbindung bezog sich auf
den Ausbau des Abschnitts Kassel-Bebra. Mit der Anpassung dieses Streckenabschnitts für den Einsatz von Neigetechnikfahrzeugen wird diese Zusage eingehalten. Ich
habe das schon bei den Zusatzfragen beantwortet. Aufgrund der Bahnreform entscheidet die DB AG in eigener
Verantwortung über den Einsatz von Zügen.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatssekretär,
meine Zusatzfrage erstreckt sich noch ein wenig auf die
Antwort zum vorigen Punkt: Sie haben gesagt, es gebe
bisher keine Erkenntnis über die Einstellung der Interregio-Züge. Nun weiß ich nicht, wie die Informationswege
der Bundesregierung sind, aber ich habe hier vom vergangenen Mittwoch eine entsprechende Presseerklärung,
in der der Konzernbeauftragte der Bahn AG für Hessen,
Herr Göbertzhahn, öffentlich erklärt, die Interregio-Bahnverbindung zwischen Düsseldorf und Dresden soll Ende
2002 eingestellt werden, und zwar insgesamt sämtliche
dort bisher verkehrenden sieben Zugpaare.
Wie sehen Sie vor dem Hintergrund dieser Ankündigung und in der Erkenntnis, dass der Einsatz der Neigetechnik seit 1997 Jahr für Jahr neu versprochen worden ist
und nun, wie ich eben von Ihnen gehört habe, für das Jahr
2003 erneut versprochen wird, die Sicherstellung des
überregionalen Bahnverkehrs in der Region Nordhessen?
Sie
haben das schon angesprochen. Natürlich liegt auch mir
der Fahrplan vor. Wenn ich mir den ansehe, dann wird
klar, dass es um eine einmal am Tag durchgehende Interregio-Verbindung Aachen-Chemnitz bzw. Chemnitz-Aachen geht. Nach Auskunft der DB AG wird sie durch entsprechende andere Verkehrsleistungen sichergestellt.
Insofern wird keine Reduzierung des Angebotes vorgenommen.
Hinsichtlich der Neigetechnikzüge ist es richtig, dass
die Bahn AG sie in der Tat viel früher einsetzen wollte.
Aber hier kommt es mit dem Fahrplanwechsel zu Verzögerungen, weil entsprechende Neigetechnikzüge zum genannten Zeitpunkt nicht zur Verfügung stehen.
Wollen Sie noch eine
Zusatzfrage stellen?
Ja, gern.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
in der eben von mir angesprochenen Aussage des Konzernbeauftragten der Bahn AG wird zum Zweiten erklärt,
dass auf dieser Strecke in Zukunft der Bahnverkehr durch
Intercity- oder Regionalexpresszüge bedient werden
solle. Bedeutet das vielleicht, wenn ich die gegenwärtigen
Ausbaumaßnahmen betrachte, die ja nur zwischen Dortmund und Kassel auf der einen Seite und zwischen Erfurt
und Dresden auf der anderen Seite stattfinden, dass man
zukünftig damit rechnen muss, dass im Abschnitt Kassel-Bebra der Regionalexpress im Angebot ist und dass
damit natürlich die Verantwortung der Bahn AG auf das
Land Hessen und das Land Thüringen - gegebenenfalls
auch noch auf die Kommunen - abgeschoben wird?
Herr
Kollege Heiderich, Ihnen ist ja bekannt - in der Abkürzung ICE-T kommt auch der Buchstabe „E“ vor -, dass
Neigetechnikzüge eine adäquate Alternative zum ICE
sind. Diese Variante wird von der DB AG favorisiert, weil
sie wesentlich kostengünstiger ist.
Ich danke dem Herrn
Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen 30 und 31 werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Es war vereinbart, dass wir die Debatte unterbrechen.
Deshalb frage ich: Sind alle Debattanten der nächsten
Runde schon anwesend?
({0})
- Wir müssen also nicht unterbrechen?
({1})
- Dann unterbreche ich die Sitzung für fünf Minuten.
({2})
Wir set-
zen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:
ZP 2 a) Vereinbarte Debatte
Zur aktuellen Situation in Nahost
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Günther Friedrich
Nolting, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten ({0})
- Drucksache 14/4392 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Professor Gert Weisskirchen von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gute Nachbarn zu
werden - das war das Ziel der Verständigung zwischen Israel und Palästina, das war das Ziel in Oslo und Camp David. Es ging darum, Gemeinsamkeiten zu suchen in einer
schwierigen Region: die gemeinsame Sorge um das Wasser, die Lebensmittel und Arbeit.
Immer waren es die USA, die trotz aller Schwierigkeiten, auch wenn der Prozess ins Stocken geriet, auch
wenn der Prozess abriss, immer wieder, unermüdlich einen neuen Anfang suchten, die Fäden neu zu knüpfen.
Auch diesmal nimmt es Bill Clinton auf sich, zu versuchen, die Fäden neu zu knüpfen. Wir wünschen, dass Bill
Clinton dabei Erfolg hat. Wir wünschen, dass diese Region endlich eine Zukunft hat, dass sie zu einer friedlichen Region wird, dass ein gutes Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern möglich wird.
({0})
Lieber Herr Bundeskanzler, es ist zu wünschen, dass
Ihre Reise, wenn Sie sie denn unternehmen - ich hoffe,
Sie werden es tun -, genau diesem Zweck dienen kann,
nämlich die Fäden neu zu knüpfen und so dafür zu sorgen,
dass Deutschland gemeinsam mit den Europäern einen
entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, die Gewalt dort
einzudämmen. Herr Bundeskanzler, wir wünschen Ihnen
dabei alles Gute.
({1})
Seit Tagen, seit Wochen sehen wir nun diese schrecklichen Bilder. Wer kann sich ihnen entziehen? Junge
Menschen, von Hass erfüllt und mit Schleudern in den
Händen, werfen Steine. Hundertmal und öfter antwortet
der Tod. Junges Leben wirft sich weg, zerstört Chancen
auf eine gelingende Zukunft. Aber ist es nicht das, worauf
sich alles konzentrieren müsste: das Zusammenleben in
der gemeinsamen Region? Juden und Araber, sie können
nicht leben wie Feuer und Wasser. Schimon Peres sagt:
Gewalt und Frieden sind wie Feuer und Wasser.
Gewiss, Ariel Scharon - wir haben es gesehen - hat fatal provoziert. Die Extremisten beider Seiten haben Fesseln abgestreift. Wilde Exzesse palästinensischen Hasses
sind aufgelodert. Dahinter und darunter sind Schichten eines Jahrhundertkonfliktes explodiert, auf die Dan Diner
kürzlich hingewiesen hat. Ich zitiere:
An der Jerusalem-Frage
- schreibt Dan Diner offenbart sich die Tiefendimension des Konflikts. An
ihr nämlich hängen alle anderen Fragen: nach den jeweiligen Identitäten, Legitimitäten und historischen
Ansprüchen.
Dabei - wenn wir es richtig verstehen und gehört haben waren sich die beiden, Barak und Arafat, doch schon so
nahe gekommen, dass es beinahe die Chance zu einem
wirklich historischen Kompromiss gegeben hätte.
Wie aber lässt sich nun der Zwang durchbrechen, dass
Gewalthandeln immer wieder neue Gewalt produziert?
Gibt es einen Weg, der aus dem Zwang herausführt? Der
Weg hat einen gemeinsamen Punkt. Ich hoffe sehr, dass
wir alle dazu beitragen können, noch einmal alle Beteiligten auf diesen gemeinsamen Punkt hinzuweisen und
deutlich zu machen, worum es geht. Es ist das Wissen darum, dass die Palästinenser die Israelis nicht ins Meer
werfen können und umgekehrt die Israelis die Palästinenser nicht in die Wüste schicken können. Das wissen beide.
Sie sollten es wissen. Sie müssen es immer wieder neu
wissen. War das nicht die Chance, die in Oslo begann?
Schließlich: War es denn nicht so, dass Ehud Barak mit
unerhörtem Mut dem Willen Arafats entgegengekommen
war?
Der Gewinn von Zeit, das war das Ziel des Prozesses,
der 1993 begonnen hatte. Beide wollten sich, nach der gegenseitigen Anerkennung, aneinander gewöhnen, die existenziellen Probleme zunächst ausklammern, Schritt für
Schritt aber dem palästinensischen Willen auf selbstbestimmte Autorität Raum geben. Ein eigener Staat gar
sollte sich so entwickeln können.
Aber die palästinensischen Hoffnungen und die der israelischen Araber kreuzten sich mit den Ängsten eines
großen Teils in Israel selbst. Die Mehrheit Baraks war fragil. Obwohl er Netanjahu politisch hat besiegen können,
gesellschaftlich stärker wäre er nur geworden, hätte
Arafat seinerseits jene Chance wirklich konstruktiv genutzt. Auf den unerhörten Mut Baraks hätte er, Arafat, mit
unerhörtem Mut antworten können.
({2})
Er hat es nicht getan.
Auf die Provokation Scharons jedoch hat er sich dem
arabischen Extremismus dann allerdings, als er aufloderte, nicht in den Weg gestellt. Gewalteruptionen sind
die fast zwanghafte Folge dieses unseligen Miteinanderverkettet-Seins.
Zwei Nationalismen stehen sich nun gegenüber, auf
der einen Seite ein arabischer, von diffuser Gewalt besetzt, schwer kontrollierbar, in Flüchtlingscamps auch
noch geschürt, mythisch aufgeladen und von sozialer Not
getränkt, und auf der anderen Seite ein Nationalismus in
Israel, pragmatisch gebrochen, von einer sich aufklärenden Zivilgesellschaft gezähmt, die in inneren Kämpfen
versucht, sich von religiösen Zwängen zu lösen - und das
nun auch noch im Angesicht des periodisch ins Unermessliche wachsenden feindlichen Umfeldes, in dem sich Israel bewegt.
Der unerhörte Mut Baraks ruhte auf einem zerbrechlichen politischen Bündnis. Als es zerbrach, stürzte die
Hoffnung in das Vakuum, das die Hoffnung hinterließ.
Moshe Zimmermann hat den historischen Grund dessen ausgeleuchtet - es hat etwas mit uns zu tun, was da geschieht -, was sich vor unseren Augen ereignet - ich zitiere:
Am Anfang steht die „Erbsünde“ Europas: die gescheiterte Emanzipation und Integration der Juden.
Sie brachte die Auswanderer dazu, nach Israel auch nationalistische Einstellungen aus ihrer Herkunft mitzunehmen. Macht das nicht auch einen Teil unserer Ohnmacht
aus, unser Wissen, dass wir Gefangene der eigenen Geschichte sind, dass der jüdische und der arabische Nationalismus die Nachgeburt auch europäischer Verstrickungen sind? Mit den Kreuzzügen haben sie begonnen,
sich über die Vertreibungen des Islam aus Europa fortgesetzt und in der Schoah so furchtbaren Schrecken verbreitet.
Ich hoffe, niemand ist Gefangener der Geschichte. Wir
teilen Schimon Peres’ Hoffnung: „Krieg und Terror ({3})
nur tödliche Sackgassen.“
Wenn es doch jeder verstünde!
({4})
Er hat Recht: Die Straße darf nicht über Krieg und Frieden entscheiden.
Wäre es nicht unsere Aufgabe als Europäische Union,
im Nahen Osten dabei mitzuhelfen, dass eine gemeinsame
Wirtschaftszone aufgebaut wird, fragt uns Schimon Peres.
Wäre es nicht unsere Aufgabe, den Barcelona-Prozess zu
verstärken, dem Frieden ein sicheres Fundament zu geben, vertrauensbildend mitzuwirken und uns gemeinsam
mit der arabischen Welt, den USA und Israel dafür
einzusetzen, dass auf den Einsatz von Gewalt verzichtet
wird und sich eine neue Perspektive für den Nahen Osten
auftut?
Wir unterstützen daher Bill Clinton und hoffen, dass es
ihm gelingt, Ruhe in die Region hereinzutragen oder ihr
wenigstens eine neue Perspektive zu geben.
({5})
Gert Weisskirchen ({6})
Diesem Ziel wird auch die Reise des Bundeskanzlers verpflichtet sein, ohne unsere eigenen Möglichkeiten dabei
zu überschätzen. Alle unsere Hoffnungen und alle Anstrengungen zielen darauf, dass die Kontrahenten wieder
miteinander reden, verhandeln und schließlich ein dauerhafter Friede erreicht wird.
Darf ich sagen, wie ich es verstehe? Ja, ich will es sagen und hoffte, ich könnte für viele sprechen: Wir stehen
für Israel ein. Das sage ich nicht nur mit dem Blick auf die
eigene dunkle Vergangenheit. Israel ist die Demokratie im
Nahen Osten. Wer nach verlässlichen Pfeilern für regionale Stabilität sucht, muss zu dem Ergebnis kommen: Israel ist der wichtigste Pfeiler für regionale Stabilität. Ohne
ein starkes demokratisches Israel haben die Menschen
im Nahen Osten keine Zukunft. Eine friedliche Zukunft
aber wird Gestalt annehmen, wenn die Menschen beginnen, auf Gewalt zu verzichten, damit sie ohne Angst voreinander zusammenleben können. Das beginnt damit,
dass ein solches Vertrauen wieder aufgebaut wird, wie es
Schimon Peres gegenüber Vaclav Havel am letzten Sonntag in Prag beschrieben hat: Einen Optimisten nenne ich,
der optimistisch blickt, nicht nur auf sich selbst - das wäre
egozentrisch, wie er sagt -, sondern Optimist ist, wer optimistisch auf die Fähigkeiten seiner Nachbarn blickt. Das
ist die große Perspektive, die sich für diese Region bietet.
Heute muss, wie ich glaube, für uns alle klar sein - und
so wird es auch unverrückbar für Deutschland gelten, niemand aus der arabischen Welt, im Nahen oder Mittleren
Osten, sollte sich darin irren -: Wer Israel von der Landkarte tilgen will, der trifft auf unseren Widerstand. Wenn
es um das Existenzrecht Israels geht, ist Deutschland Partei.
({7})
Als
nächster Redner hat der Kollege Karl Lamers von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Der Friedensprozess im Nahen Osten ist mit der Eskalation von Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern zum Stillstand gekommen. Ging
es in Camp David noch um Frieden, so geht es jetzt nur
noch um die Abwendung roher Gewalt. Das Risiko ist
groß, dass die Krise auf die gesamte Region übergreift
und zu Radikalisierung und einer weiteren Entfremdung
zwischen dem Westen und der arabischen Welt führt. Das
müssen wir mit allen Mitteln unterbinden.
Dieser erneute Ausbruch von Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern zeigt, wie explosiv die Lage im Nahen Osten ist und wie viel Hass und Frustration auf beiden Seiten, bei Israelis und Palästinensern, vorhanden
sind und - das füge ich hinzu - wie viel Angst auf israelischer Seite, auch wenn der Anschein ein anderer ist. Deshalb war der Besuch von Oppositionsführer Scharon auf
dem Tempelberg unverantwortlich. Natürlich mussten die
Palästinenser ihn als Provokation empfinden. Die Reaktion der israelischen Sicherheitskräfte auf in diesem Zusammenhang geschehene Ausschreitungen hat die Lage
eher noch angeheizt als beruhigt.
Nach den Lynchmorden an den drei israelischen Soldaten und den israelischen Vergeltungsschlägen auf Ramallah und Gaza-Stadt folgten leider mit der Freilassung
der Dschihad- und Hamas-Häftlinge auf der palästinensischen Seite sowie den fortgesetzten israelischen Raketenangriffen auf palästinensische Siedlungen weitere
Schritte der Eskalation. Die Vereinbarungen des Gipfels
von Scharm el-Scheich, mit denen die Gewalt beendet
werden sollte, drohen zu scheitern.
Nun rächt sich, dass Ministerpräsident Barak und
Palästinenserführer Arafat in Camp David keinen Kompromiss gefunden haben. Dafür tragen nach meiner Überzeugung beide Seiten Verantwortung. Es verwundert
nicht, dass die Enttäuschung und die Frustration über den
bisherigen Verlauf des Friedensprozesses groß sind. Dies
gilt vor allem für die Palästinenser, weil ihnen der gesamte bisherige Friedensprozess keine Früchte gebracht
hat und ihnen bis heute das Recht auf einen eigenen Staat
vorenthalten wird. Sie sehen sich nach wie vor auch einem
demütigenden Besatzungsregime gegenüber, das sie für
ihre wirtschaftliche Lage - wenn auch nur teilweise zu
Recht - verantwortlich machen.
Die Israelis waren anfangs ebenfalls enttäuscht, dass
der Friedensprozess sie nicht vor schlimmen Terroranschlägen schützte.
In den letzten Jahren hatten allerdings gemeinsame Anstrengungen von Israelis, von Palästinensern und von den
Vereinigten Staaten dazu geführt, dass es zu keinen weiteren schweren Zwischenfällen gekommen ist. Mittlerweile sind aber auch diejenigen, die sich für den Friedensprozess immer engagiert haben, schockiert und fragen
sich, ob sie einer Illusion nachgelaufen sind.
Die Verunsicherung ist groß und vor allen Dingen das
gegenseitige Vertrauen ist, so fürchte ich, fast zerstört. Es
bedarf viel Zeit, um aus dieser Atmosphäre der Feindschaft zu den notwendigen, alternativlosen Friedensverhandlungen und zu Kompromissbereitschaft zurückzufinden. Es bedarf vor allen Dingen auf beiden Seiten mehr
Mut als Rache und Gewalt.
Klar ist für uns: Wenn es um das Existenzrecht Israels
geht - Kollege Weisskirchen, da sind wir in diesem Hause
gottlob einer Meinung -, dann kann es für Deutsche keine
Neutralität geben.
({0})
Dies gebietet nicht nur die aus der Geschichte erwachsende Verantwortung, sondern auch unsere Verbundenheit
mit Israel, einem Land, das zur westlichen politischen Zivilisation gehört. Mit Israel verbinden uns gemeinsame
Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Diese grundsätzliche Solidarität mit Israel schließt unseren besonderen Einsatz für den Friedensprozess und
Gert Weisskirchen ({1})
damit für einen fairen Ausgleich mit den Palästinensern
ausdrücklich ein.
({2})
Ein solcher Friedensprozess dient nicht nur den legitimen
Interessen der Palästinenser und den Interessen der Europäer in der nahöstlichen Region, sondern auch dem
wohlverstandenen eigenen Interesse Israels.
Zur Unterstützung des Friedensprozesses in Israel
kann es insofern auch geboten sein - wir werden von israelischer Seite immer wieder dazu aufgefordert -, bestimmte einzelne Aspekte und bestimmte einzelne Maßnahmen der israelischen Politik zu kritisieren. Grundsätzliche Solidarität und Partnerschaft bedeuten nicht Verzicht auf Kritik.
Es ist daher richtig, dass der EU-Gipfel in Berlin die
Siedlungspolitik Israels ausdrücklich kritisiert hat. Seit
dem Osloer Abkommen hat sich die Zahl der Siedler in
der West Bank von etwa 100 000 auf 200 000 verdoppelt. Auch unter der Regierung Barak hat diese Siedlungspolitik angehalten. Das Anlegen neuer Siedlungen
und israelisch kontrollierter Straßen führt dazu, dass das
palästinensische Gemeinwesen, beispielsweise die Stadt
Ramallah, im Hinblick auf seine zukünftige Entwicklung
nahezu stranguliert wird. Wir können nicht übersehen,
dass diese Siedlungspolitik von den Palästinensern als
eine permanente Aggression empfunden wird.
Auf der anderen Seite kann nicht bestritten werden,
dass Ministerpräsident Barak bei den Verhandlungen in
Camp David wie auch in der Öffentlichkeit mit seinen Angeboten an die palästinensische Seite über alles hinausgegangen ist, was bislang von israelischer Seite angeboten
worden ist. Insbesondere ist festzuhalten, dass er in der israelischen Öffentlichkeit deutlich über zwei Hauptstädte
in Jerusalem gesprochen hat. - Sicherlich wäre es noch
besser gewesen, wenn er diesbezüglich nicht nur eine Autonomie, sondern auch eine wirkliche Souveränitätsteilung in Aussicht gestellt hätte. - Dieser Vorstoß Baraks
traf Arafat anscheinend unvorbereitet; zumal das palästinensische Volk - übrigens auch die arabische Öffentlichkeit insgesamt - auf eine Kompromisslösung, vor allem
im Hinblick auf Jerusalem, nicht ausreichend vorbereitet
war.
Für seine Maximalforderungen dagegen blieb Arafat
selbst unter den arabischen Staaten ohne engagierte Unterstützung.
Dies lässt zumindest den Verdacht zu, er habe als Reaktion auf die unverantwortliche Provokation Scharons
den Volkszorn der Palästinenser gleichsam als Druckmittel vorführen wollen. Fraglich erscheint jedoch, ob er
seitdem die Lage immer vollständig im Griff hat, da die
wiederholten Aufforderungen zu Gewaltlosigkeit ohne
sichtbare Auswirkungen blieben. Wenn diese Analyse zutreffend ist, dann, fürchte ich, ist die Lage noch ernster, als
wir sie jetzt empfinden.
Jetzt jedenfalls ist es dringend geboten, die noch geringe Chance auf eine Umsetzung der Resultate des Gipfels in Scharm el-Scheich zu nutzen. Eine Voraussetzung
für den politischen Neuanfang dürfte vor allem die Untersuchung der Vorkommnisse der letzten Wochen und
Tage unter Beteiligung sowohl der USAals auch der UNO
sein. Ich benutze diese Gelegenheit übrigens gerne, um an
dieser Stelle die herausragende und außerordentlich konstruktive, kluge, ja weise Rolle von Kofi Annan lobend zu
erwähnen.
({3})
Langfristig erwächst aus dieser schmerzlichen und tragischen Krise vielleicht die Einsicht - das hoffe ich jedenfalls -, einen Schritt über den Gipfel von Camp David
hinaus machen zu müssen. Denn zu einem friedlichen und
fairen Ausgleich zwischen Palästinensern und Israelis
gibt es in der Tat keine Alternative. Ich weiß, der Satz „Es
gibt keine Alternative“ ist vielfach ein dummer Schnack.
Aber hier ist er nichts anderes als die harte Wahrheit.
({4})
Eine einseitige Schaffung von Fakten seitens der Palästinenser oder der Israelis - also zum Beispiel der Rückzug
Israels aus weiten Teilen der West Bank und der Versuch
einer Separierung - würde nach meiner Überzeugung
nicht zu einer Befriedung führen. Im Gegenteil: Es wäre
sogar mit einer Verschärfung des Kampfes um Jerusalem
zu rechnen.
Israel muss wissen, dass es militärisch gegen Steine
werfende Jugendliche nicht gewinnen kann.
({5})
Es muss hinterfragt werden, ob das israelische Vorgehen
wirklich immer angemessen ist. Die Israelis müssen das
selber tun. Ich sage das mit großer Vorsicht. Aber ich
meine dies deutlicher, als ich es hier sage; um dies einmal
hinzuzufügen. Israel muss sich fragen, ob die dauernde
Besetzung der West Bank nicht eine Ursache für viele Ereignisse ist, die nur als Menschenrechtsverletzungen bezeichnet werden können.
Andererseits muss auch festgestellt werden: Palästinensische Intifada-Anführer, die Kinder und Heranwachsende Steine werfend gegen Militärposten schicken, handeln vollkommen unverantwortlich. Es ist unbegreiflich,
dass sie so handeln.
({6})
Die internationalen Bemühungen um eine Entschärfung der Lage - so auch die aktuellen Bemühungen Präsident Clintons, Arafat und Barak zu Gesprächen in Washington zu bewegen - erfordern unsere uneingeschränkte Unterstützung. Herr Kollege Weisskirchen,
auch Sie haben das festgestellt. Der amerikanische Präsident hatte sich allerdings nach dem Gipfel von Camp David öffentlich - fälschlicherweise, wie ich finde - einseitig auf die Seite Israels gestellt. Das hat seine Stellung
nicht gestärkt. Wir müssen ein Interesse daran haben, dass
die amerikanische Position gegenüber beiden Konfliktparteien stark ist. Natürlich ist er durch das herannahende
Ende seiner Präsidentschaft gehandicapt. Deswegen
sollte die Europäische Union Vermittlungsbemühungen
unterstützen, die die Amerikaner unternehmen, und sich
selber engagieren. Ich will nicht sagen, dass sie eigene,
zusätzliche und unkoordinierte - dies vor allen Dingen
schon gar nicht - Vermittlungsbemühungen unternehmen
sollte. Herr Außenminister, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass wir, Deutschland, das auf gar keinen Fall allein tun sollten.
Wir bekennen uns klar zu einem politischen Engagement Europas. Denn es geht um mehr als um die finanzielle und wirtschaftliche Absicherung dieses politischen
Prozesses, der ja ohnehin in einer sehr tiefen Krise steckt;
um das einmal ganz vorsichtig auszudrücken. Wir können
diesen Prozess aber nicht unterstützen, wenn wir ihn nicht
mitgestalten. Europa hat in dieser Region ganz vitale politische Interessen. Der Nahe Osten heißt nicht „Naher
Osten“, weil er nahe bei Amerika liegt, sondern weil er
nahe bei Europa liegt.
Deshalb haben wir es sehr begrüßt, dass der Hohe Repräsentant der EU, Javier Solana, an dem Gipfel von
Scharm el-Scheich konstruktiv teilgenommen hat. Wenn
das zutrifft, Herr Minister, was Sie heute Morgen ausgeführt haben - ich habe keinen Zweifel daran, dass dies der
Fall ist -, dann möchte ich ihn zu seiner Rolle, die er in
Scharm el-Scheich gespielt hat, ausdrücklich beglückwünschen.
({7})
Allerdings werden die EU-Staaten dadurch noch mehr
verpflichtet, eine gemeinsame Position zu diesem Konflikt zu finden. Gemeinsame Erklärungen wie die von
Berlin und Biarritz reichen nicht aus, wenn die EU-Staaten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen wieder unterschiedlich votieren und damit die Glaubwürdigkeit von Javier Solana unterminieren.
Der Bundesregierung kommt innerhalb des europäischen Engagements eine besondere Verantwortung zu.
Bilateral, im Verbund mit den EU-Partnern und in Absprache mit den USA, sollte das Gespräch nicht nur mit
Israel, sondern vor allem auch mit der arabischen Welt intensiver geführt werden, um einer weiteren Entfremdung
zwischen ihr und dem Westen vorzubeugen und um den
Dialog zwischen Palästinensern und Israelis sowie die für
eine Friedenslösung notwendige Kompromissbereitschaft
und Vertrauensbasis zu fördern.
Ihre geplante Reise in die Region, Herr Bundeskanzler,
wird wohl die schwerste sein, die Sie zu bewältigen haben. Ich hoffe, dass die Abstimmung unter den Europäern
bis dahin so weit gediehen ist, dass Sie, wenn auch ohne
EU-Mandat, eine europäische Position vertreten können.
Ich wünsche Ihnen im Namen meiner Fraktion für diese
Reise jeden denkbaren Erfolg.
({8})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Christian Sterzing von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen fürchterliche Bilder aus dem
Nahen Osten gesehen: erschossene Kinder, Lynchmord an
Soldaten und einen exzessiven Gebrauch von Gewalt, die
auch durch den Gipfel von Scharm el-Scheich nicht beendet werden konnte. Diese Bilder haben uns alle aus einer Illusion erweckt, nämlich der Illusion, dass der OsloProzess, den wir alle - ich meine: zu Recht - unterstützt
haben, eine Eigendynamik entwickeln und damit automatisch zu einem guten Ende führen würde - irgendwie, irgendwann.
Aber wir müssen heute sehen, dass in den letzten sieben oder acht Jahren dieser Prozess das Vertrauen zwischen den Konfliktparteien eben nicht, wie gehofft, gestärkt, sondern geschädigt und sogar weitgehend zerstört
hat. Es ist leider nicht gelungen, durch wechselseitige
Akte schrittweise Vertrauensbildung zu betreiben und
damit eine Basis für die Regelung des Endstatus dieser
Gebiete zu legen.
Die Gewalt, die wir in diesen Tagen erleben, hat nicht
das Vertrauen vieler Menschen in dieser Region zerstört,
sondern die Gewalt ist Ausdruck eines schon weitgehend
zerstörten Vertrauens. Wir müssen deshalb deutlich machen, dass dieser berühmte Oslo-Prozess zu einem hohen
Grad an Frustration, an Enttäuschung und Vertrauensverlust gerade auch auf palästinensischer Seite geführt hat.
Ohne das zu berücksichtigen, kann man aber über Auswege aus dieser Situation nicht mit Hoffnung auf Erfolg
reden. Der Oslo-Prozess war eben als ein Prozess angelegt, an dessen Anfang die Palästinenser Zugeständnisse
und am Ende die Israelis Zugeständnisse machen sollten.
Dieser Prozess hat sich jedoch - das wurde schon angesprochen - für die Palästinenser nicht in dem erwarteten
Maße ausgezahlt. Die Friedensdividende ist bis heute ausgeblieben. Das muss man schon deutlich ansprechen, um
zu verstehen, was heute in der Region vorgeht und warum
Appelle, von der Gewalt abzulassen, alleine nicht ausreichen.
Die Situation ist schwierig, nicht nur weil die Gewalt
und der Vertrauensverlust zwischen den beiden Konfliktparteien solche Ausmaße angenommen haben, sondern
weil auch die Situation, die jeweiligen Gesellschaften so
zerrissen sind. Beide Gesellschaften sind in sich zerrissen;
es gibt keine klaren Mehrheiten für die Fortsetzung dieses
Friedensprozesses.
Wir müssen feststellen, dass die gewalttätige Auseinandersetzung natürlich auch aus innenpolitischen Gründen von beiden Seiten instrumentalisiert wird. Wenn wir
uns das vor Augen halten und hier über Perspektiven für
die Region reden, dann tun wir das gewiss nicht besserwisserisch von außen, als ob wir die Lösungen parat hätten, sondern aus Sorge und Verbundenheit mit den Opfern
der Gewalt in der Region und ganz besonders aus Solidarität, die uns mit dem israelischen Staat verbindet, und aus
Verantwortung, die wir alle für die Existenz dieses Staates übernehmen wollen.
Was machen in dieser Situation? Ich glaube, wir müssen uns genau anschauen, was die Beteiligten in der Region insgesamt tun, und nicht nur - natürlich auch -, was
sie zum Abbau der Gewalt tun. Wir müssen uns auch anschauen, was sie tun, um eine Rückkehr zu Verhandlungen zu ermöglichen. Da gibt es an beide Seiten erhebliche
Nachfragen zu stellen.
Darüber hinaus müssen wir uns fragen, welche Rolle
wir spielen können. Es muss einen Weg zwischen der Hybris einer deutschen Vermittlerrolle in der Region und einer bloßen Statistenrolle der EU geben. Ich glaube, es gibt
einen solchen Weg. Die Berliner Erklärung der EU vor
fast anderthalb Jahren hat einen Weg gewiesen. Wir wollen und können diesen Prozess nicht nur ökonomisch unterstützen, sondern können auch diplomatisch-politisch
im Hintergrund tätig werden, um die Sprachlosigkeit der
Konfliktparteien zu überwinden, um Wege aufzuzeigen,
wie man - sicherlich langsam - von der Konfrontation zu
einer konstruktiven Atmosphäre zurückkehren kann. Auf
diesem Weg kann - so hoffe ich - die Reise des Bundeskanzlers ein wichtiger Schritt sein. Wir wünschen ihm dabei viel Erfolg.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Klaus Kinkel von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, da Sie aus
verständlichen Gründen weg müssen, möchte ich Ihnen
auch für die F.D.P.-Fraktion sagen: Sie sollten reisen. Ich
weiß, dass das schwierig ist. Ich weiß es aus meiner persönlichen und aus familiärer Verbundenheit mit diesem
Land und ich kenne die Situation, die im Augenblick dort
herrscht, glaube ich, sehr genau. Sie sollten reisen und wir
wünschen Ihnen für diese Reise alles Gute!
({0})
Ein Vierteljahr nach dem tragischen Scheitern des
hoffnungsvollen Nahost-Friedensgipfels von Camp David ist der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern
leider wieder aufgeflammt. Mehr als hundert Tote, erneut
Bilder von Gewalt und Schrecken aus Gaza und Jerusalem, innenpolitisch motivierte Verhärtungen der Positionen und Drohgebärden auf beiden Seiten und die ständige
Gefahr der Eskalation zum Krieg - es scheint, als könne
diese Region niemals zur Ruhe kommen.
Aber wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen,
wir dürfen auf gar keinen Fall aufgeben. Der Friedensprozess in Nahost muss weitergehen.
Es gibt auch ein paar Hoffnungszeichen. Der Krisengipfel von Scharm el-Scheich und auch die Gipfelkonferenz der Arabischen Liga in Kairo haben gezeigt, dass
alle Beteiligten im Grunde davon überzeugt sind, dass es
zum Frieden, wie wir alle zu Recht meinen, keine Alternative gibt.
Die arabischen Länder haben eine relativ moderate
Gipfelerklärung verabschiedet und entgegen allen Erwartungen nicht zu konkreten Maßnahmen gegen Israel aufgerufen. Der israelische Premier Barak, mit dem ich eine
relativ kurze, aber immerhin ausgefüllte Zeit zusammengearbeitet habe, hat trotz seiner innerpolitischen Schwierigkeiten in Camp David gezeigt, dass er im Grunde bereit ist, für den Frieden über seinen Schatten, den Schatten
der Israelis, zu springen und den Palästinensern sogar in
der Jerusalemfrage entgegenzukommen und das ist verdammt schwierig.
({1})
Bei aller Verzweiflung in Anbetracht der gegenwärtigen Situation: Das Friedensmomentum im Nahen Osten
ist im Prinzip und grundsätzlich weiter vorhanden. Es gilt
gerade jetzt - angesichts des Wiederaufflammens der Gewalt - es zu nutzen.
Die Einwirkungsmöglichkeiten von außen - wir alle
wissen das - sind sehr begrenzt. Allein mit bilateralen
Vermittlungsversuchen kommen wir offensichtlich nicht,
jedenfalls nicht dauerhaft, weiter. Das gilt auch für die
Amerikaner, die in diesem Prozess die stärkste Rolle spielen, spielen können und auch spielen müssen. Deshalb ist
es an der Zeit, sich möglichen Friedenslösungen - das ist
jedenfalls die Auffassung der F.D.P. und auch meine persönliche - für den Nahen Osten von einer anderen Seite
zu nähern und zumindest den Versuch zu machen, mit einer Initiative für die Einrichtung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten ein
neues Kapitel aufzuschlagen.
Wir alle wissen, dass das nicht die aktuelle Gewalt beseitigen kann und wird. Es sind daher weiterhin Appelle
an die Vernunft der Konfliktparteien, bilaterale Vermittlungsbemühungen und ein couragiertes Einschreiten der
Verantwortlichen auf beiden Seiten gegen die extremistischen Friedensfeinde im eigenen Lager notwendig. Aber
eine solche Initiative für eine Sicherheitskonferenz kann
eine Perspektive für eine dauerhafte Friedenslösung bieten, die den Menschen in der krisengebeutelten Region einen Ausweg aufzeigt und ihnen etwas Hoffnung gibt sowie vielleicht auch Anreize schafft, die Waffen jetzt aus
der Hand zu legen.
Die Ansatzpunkte für eine solche Initiative sind bestechend einfach: Der Nahost-Konflikt ist durch eine komplizierte, viele Länder in der Region und außerhalb
betreffende Gemengelage gekennzeichnet. Bilaterale Ansätze reichen ganz offensichtlich nicht aus. Zudem geht es
im Nahen Osten nicht nur um Spannungen zwischen einzelnen Staaten oder Völkern, sondern um Erdöl, Wasser,
Wirtschaftsinteressen und vieles mehr. Es handelt sich
ferner eindeutig um einen Regionalkonflikt und ein Regionalkonflikt braucht einen regionalen Lösungsansatz,
bei dem alle Probleme auf den Tisch kommen und bei dem
alle mit am Tisch sitzen, die in der Region Interessen haben und die bereit sowie in der Lage sind, bei einer umfassenden Friedenslösung zu helfen.
Wir haben in Europa bei der Überwindung des OstWest-Konfliktes mit einem solchen Lösungsansatz ausgezeichnete Erfahrungen gemacht und könnten diese Erfahrungen in den aktuellen Konflikt einbringen. Der
KSZE-Prozess hat nach der Gründung der Organisation
vor 25 Jahren mit seinem Ansatz einer regionalen Vertrauensbildung einen ganz entscheidenden Beitrag zum
Ende des Kalten Krieges geleistet. Dies war der Fall, weil
dieser Prozess nicht nur eindimensional auf Rüstungskontrolle und unmittelbare Konfliktverhinderung ausgerichtet war, sondern mit seinen unterschiedlichen Körben
auch auf Wirtschaftsthemen, auf innergesellschaftliche
Prozesse, auf einen breiten Dialog, auf Interessenausgleich und auf Annäherung gesetzt hat.
Ich glaube, dass die Voraussetzungen günstig sind, so
etwas jetzt auch für den Nahen Osten zumindest zu versuchen. Während des Kalten Krieges waren die Israelis
- daran erinnere ich mich besonders gut - und die arabische Welt auf dem Koordinatenkreuz des Ost-West-Konfliktes stets fest eingeordnet. Das ist vorbei. Russland war
damals Kosponsor und ist heute - die Welt hat sich anders
entwickelt - bereit, sich einzubringen und bei einer ausgewogenen, dauerhaften Friedenslösung für Nahost mitzuhelfen. Diese Chance sollten wir nutzen.
Die Initiative für die Einrichtung einer solchen Konferenz müsste von der Europäischen Union ausgehen. Sie
hat gute Kontakte zu allen Beteiligten; sie will und sollte
sich ohnehin stärker und aktiver einbringen. Diese Forderung wird von der arabischen Seite deutlich erhoben; die
Israelis haben - das wissen wir - eine andere Auffassung.
Der Hohe Repräsentant der EU für die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik sollte die Federführung
übernehmen. Hier könnten wir Europäer der Welt zeigen,
dass wir es mit unserer gemeinsamen außenpolitischen
Verantwortung ernst meinen. Die Bundesregierung sollte
in Abstimmung mit der französischen Präsidentschaft den
Anstoß geben.
Herr Kollege Fischer, ich weiß - ich habe Ihre Pressekonferenz im Fernsehen mitverfolgt -, dass Sie Zweifel
angemeldet haben, ob das der richtige Ansatz wäre. Ich
fordere Sie trotzdem auf, nochmals darüber nachzudenken. Die bevorstehende Reise des Bundeskanzlers in die
Region könnte ein guter Ansatzpunkt sein.
Unser Verhältnis zu Israel wird immer ein besonderes
bleiben, einfach wegen dem, was war. Israel muss wissen
und weiß es auch, dass es sich auf uns verlassen kann, vor
allem dann - das ist heute schon mehrfach betont worden -, wenn es um Sicherheitsfragen und existenzielle
Fragen geht. Aber auch die Palästinenser und die gesamte
arabische Welt setzen große Hoffnungen auf uns. Der Anstoß zu einer Regionalisierung der Friedenslösung für
den Nahen Osten ist für meine Begriffe ein gangbarer
Weg, um diesen Erwartungen gerecht zu werden.
Zum Schluss: Wir Deutsche haben von den Segnungen
des KSZE-Prozesses am meisten profitiert, nämlich mit
der Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden und
Freiheit. Versuchen wir doch einmal, einen ähnlichen
Weg wie damals im Rahmen des KSZE-Prozesses im Hinblick auf den Nahen Osten zu gehen und so etwas von dem
Geschenk, das uns gemacht worden ist, zurückzugeben.
Setzen wir uns mit all unseren Kräften dafür ein, dass ein
solcher Prozess auch im Nahen Osten in Gang kommt, damit eine der am meisten von Krieg und Gewalt gebeutelten Regionen dieser Erde endlich zur Ruhe kommen kann.
Es ist für die Deutschen schwierig, einen Beitrag zu
leisten. Auf bilateraler Ebene und im europäischen Rahmen ist es einfacher, einen der KSZE entsprechenden Beitrag zu leisten. Es wäre der richtige Ansatz, wenn eine entsprechende Initiative von uns ausgehen würde. Ich bitte,
darüber nachzudenken und nicht von vornherein den
Kopf zu schütteln; denn es haben sich ein paar Abgeordnete, die von der Region etwas verstehen, Gedanken über
einen solchen Ansatz gemacht.
Vielen Dank.
({2})
Das
Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke von der
PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Plenum des Deutschen
Bundestages hat sich, wenn mich nicht alles täuscht, in
den letzten zehn Jahren kein einziges Mal im Rahmen eines gesonderten Tagesordnungspunktes mit der Lage in
den von Israel besetzten Gebieten befasst. Die heutige Debatte über die Krise des Friedensprozesses im Nahen
Osten kommt spät. Das zeigt: Wir tun uns schwer mit dem
Thema Israel und Palästina. Aber von dem Verhältnis
Israels zu den Palästinensern und den arabischen Nachbarn hängt die Sicherheit und Stabilität in der Welt im
großen Maße ab. Um den Frieden in der Region steht es
schlecht; das muss man nicht noch einmal erklären.
Ministerpräsident Barak spricht von einer Pause im
Friedensprozess, einer Friedenspause sozusagen. Wenn
aber der Friede Pause macht, dann herrschen Gewalt und
Krieg. Nein, Krieg und Gewalt brauchen eine Pause. Sie
müssen stillstehen, damit der Friede eine Chance erhält.
({0})
Diese Aufforderung ist auch Inhalt der jüngsten UNOResolution. Diese richtet sich nicht nur, aber in erster Linie an die Regierung Israels.
Wenn wir über Israel debattieren, dann können wir das
nicht tun, ohne uns an den Völkermord Deutscher an den
europäischen Juden zu erinnern. Eine kritische Debatte
über das Verhältnis zu Israel ist auch deswegen zusätzlich
schwierig, weil Antisemitismus in unserem Lande um
sich greift und weil Rechtsextreme Synagogen und Friedhöfe angreifen und schänden. Auch das ist ein Teil des
Hintergrunds unserer Debatte. Ich habe zwar viel darüber
nachgedacht, ob es Sinn macht, hier eine solche Debatte
zu führen. Ich habe sehr gehofft, dass wir uns dieses Problems auch bewusst werden. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir - auch um der Sicherheit Israels willen die Verpflichtung haben, eine solche Debatte im Deutschen Bundestag zu führen.
({1})
Meine Kritik an der Politik Israels im Hinblick auf die
Palästinenser verbinde ich mit einer Kampfansage an Antisemitismus und rechte Gewalt im eigenen Land.
({2})
Ich kritisiere die Politik Israels, weil ich glaube, dass sie
keinen Frieden schafft. Im Gegenteil: Sie gebiert leider
neue Gewalt und, wie ich befürchte, auch neue Kriege.
Israel hat einen Anspruch auf Sicherheit. Israel braucht sichere Grenzen. Diese bekommt das Land aber nur, wenn
auch die Palästinenser Sicherheit und durchlässige Grenzen erhalten. Gewalt und Unsicherheit in der Region werden erst aufhören, wenn die Palästinenser ihren Staat
bekommen, einschließlich Ostjerusalem. Erst der Palästinenserstaat wird auch Israel Sicherheit geben.
Wir haben es heute nicht mehr nur und vorwiegend
mit einer Auseinandersetzung zwischen Israel und seinen
arabischen Nachbarstaaten zu tun. Darauf hat Israel immer eine Antwort gefunden, häufig eine militärische, die
ich oftmals für falsch gehalten habe.
({3})
Wir sind heute mit einer Intifada der dritten Generation konfrontiert. Sie hat ihre Besonderheiten. Es ist ein
Aufstand der Verzweiflung, ein Aufstand gegen Entrechtung, tiefe soziale Not, ein Aufstand gegen den Raub von
Land, Würde, Menschenrechten. Die Verzweiflung darüber, dass über den Frieden geredet wird, dass er aber nicht
kommt, ist so groß, dass sogar Kinder zu Steinen greifen - und das ist fürchterlich. Dieses Mal erheben sich
auch arabische und palästinensische Bürger Israels; auch
das ist neu.
Ich glaube, man muss auch und gerade in Israel und bei
uns bedenken: Vielleicht kann dieser Aufstand noch einmal militärisch niedergeschlagen werden; aber er wird
wiederkommen. Die Sicherheit Israels ist tatsächlich in
Gefahr. Um der eigenen Sicherheit Israels und des Rechts
der Palästinenser willen muss man fordern, dass die Resolutionen der Vereinten Nationen nicht nur anerkannt,
sondern befolgt werden. Weder Israel noch ein anderer
Staat hat das Recht, mit Beschlüssen der UNO nach Gutdünken umzugehen.
Mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Eindringlichkeit müssen wir eine Rückkehr zum Osloer Vertrag
fordern. Wer, Kollege Kinkel, eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten will, der muss
an Oslo anknüpfen; denn nur dann, wenn Oslo gesichert
wird, wieder Grundlage wird, sind weitergehende Überlegungen überhaupt möglich und durchsetzbar. Dazu müssen sich die Menschen in Israel durchringen, darauf müssen die Menschen in Palästina hoffen können. Das fällt
ihnen leichter, wenn ihnen Freunde dazu raten und ihnen
zur Seite stehen.
Aus zahlreichen Gründen findet Europas Vermittler
derzeit im Nahen Osten viel Akzeptanz; Europa und damit Deutschland darf sich um diese Herausforderung
nicht herumdrücken oder herumreden. Europa kann dazu
beitragen, dass der Friedensprozess im Nahen Osten wieder aufgenommen wird. Dabei hilft Geld für soziale Projekte in den palästinensischen Gebieten. Dort ist viel geschehen und das ist gut so. Jetzt aber ist vor allem
politische Einmischung mit erkennbaren eigenen Positionen und deutlichen Forderungen nötig.
Die Regierung Barak will eine Notstandsregierung
bilden. Wäre es nicht besser, den Notstand zu beenden?
({4})
Ich glaube, dass viele große Hoffnung auf die Reise des
deutschen Bundeskanzlers in den Nahen Osten setzen. Ich
bin dafür, dass er diese Reise antritt. Ich wünsche ihm eine
glückliche Hand - eine glückliche Hand auch im Aussprechen von Wahrheiten; denn Wahrheiten helfen immer,
dem Frieden näher zu kommen.
Herzlichen Dank.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Christoph Moosbauer
von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist angesichts der Eindrücke der letzten Wochen nicht leicht, über
die Entwicklung im Nahen Osten zu sprechen, ohne ein
sehr pessimistisches Bild zu zeichnen - wenn wir heute
hören, dass sich der israelische Generalstab darauf einrichtet, dass die Auseinandersetzungen noch weit bis ins
nächste Jahr hinein andauern werden, wenn wir hören,
dass auf der anderen Seite der palästinensische Geheimdienstchef sagt, dass das Schlimmste noch bevorstehe,
und wenn wir uns unsere Lage irgendwo dazwischen klar
machen, mit der Hilflosigkeit, wenig mehr tun zu können,
als Appelle an die Vernunft zu richten, und gleichzeitig sehen zu müssen, wie mit der Spirale der Gewalt im Nahen
Osten neue Fakten geschaffen werden.
Es ist auch schwer mit den vielen Bildern der Gewalt
im Kopf - dem Bild des kleinen Jungen, der im Kugelhagel stirbt, den Bildern der Israelis, die von einer Menschenmenge buchstäblich zerrissen werden. Es ist schwer,
sich trotz dieser Eindrücke nicht emotionalisieren zu lassen. Es schmerzt natürlich auch, dass wir zusehen müssen,
wie das, was auch wir mit unserer Hilfe, mit viel Engagement und viel persönlichem Einsatz über lange Zeit aufgebaut haben, nun in so kurzer Zeit mit groben Händen
eingerissen wird.
Doch unsere Aufgabe muss es jetzt sein, so schwer es
in der momentanen Situation auch ist, vom Tagesgeschehen sozusagen einen Schritt zurückzutreten und den Blick
zu richten auf das, was in den letzten sieben Jahren seit
den Oslo-Verträgen im Friedensprozess schief gelaufen
ist.
Denn was immer wieder gesagt und auch jetzt noch geschrieben wird, nämlich dass der Besuch Ariel Scharons
auf dem Tempelberg der Auslöser für die Gewalttätigkeiten gewesen sei, stimmt ja nicht ganz. Er mag das
Streichholz gewesen sein, das das Pulverfass entzündet
hat. Aber was sich hier entlädt, ist doch die Unzufriedenheit mit dem Verlauf des Friedensprozesses insgesamt,
und zwar auf beiden Seiten.
Deutschland und auch Europa müssen eine schonungslose Analyse der Jahre seit Unterzeichnung der Oslo-VerWolfgang Gehrcke
träge vorantreiben. Nur sie kann die Basis für einen neuen
Anlauf sein, der eine Wiederholung der Fehler vermeidet.
Auf allen Seiten wurden hier Fehler gemacht. Ich plädiere
nicht dafür, schwarze Peter zu verteilen. Ganz im Gegenteil: Ich warne in der aktuellen Auseinandersetzung ausdrücklich davor. Bei allem Verständnis dafür, dass man
sich angesichts der Fernsehbilder zu schnellen Urteilen
hinreißen lässt - jetzt der einen oder der anderen Seite die
Schuld an der Krise in die Schuhe zu schieben ist weder
gerecht noch zielführend. Aber wir müssen uns fragen,
warum eine solche Situation entstehen konnte, in der die
gezielte Provokation Scharons zu dem führen konnte, was
wir jetzt täglich in den Schlagzeilen lesen können.
Wir müssen uns auch fragen, ob nicht westliche Hoffnungen den Prozess überfrachtet und überfordert haben.
Um Jerusalem ist jetzt schon Tausende von Jahren gestritten worden. Innerhalb eines Jahres eine Lösung für
den Konflikt zu erwarten muss vor diesem Hintergrund
dann doch als allzu optimistisch erscheinen. Sosehr wir
den Frieden im Nahen Osten und eine Lösung herbeisehnen, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird, so
brauchen wir dann doch Geduld. Das zeigt vor allem die
schreckliche Krise jetzt.
Ich unterstreiche das, was der Bundesaußenminister
heute im Auswärtigen Ausschuss gesagt hat, nämlich dass
die Situation eigentlich absurd ist und dass sich die Kontrahenten eines Tages wieder an einen Tisch setzen und
dann da weitermachen müssen, wo sie vom Tisch aufgestanden sind.
Eine schnelle Lösung der vielen Probleme - Jerusalem
ist sicher das Problem mit den meisten Emotionen, aber
bei weitem nicht das einzige - ist trotz allem nicht in
Sicht. Aber eine Lösung kann es nicht geben: Das ist die
Lösung der Gewalt.
({0})
Wir brauchen einen langen Atem in der Nahost-Politik,
auch in der deutschen und der europäischen Nahost-Politik.
Ich freue mich, dass mit Javier Solana in Scharm elScheich das erste Mal Europa mit am Verhandlungstisch
saß. Auch wenn wir in Europa von einer gemeinsamen
Haltung in der Nahost-Politik - das ist bereits erwähnt
worden - noch weit entfernt sind, so haben wir doch einen Grundkonsens. Der heißt: keine Gewalt. Das ist der
Grundkonsens, auf dem wir aufbauen können und müssen.
Europa hat auch eine Vorbildfunktion. Denn wie oft
hören wir mit Verweis auf die unterschiedlichen Mentalitäten, die es im Nahen Osten gibt, dass es im Nahen
Osten nie zu einem Frieden kommen kann. Das hat man
von Europa auch einmal gesagt, und das ist nicht allzu
lange her. In Europa haben wir bewiesen, dass Frieden
möglich ist. Frieden wird auch im Nahen Osten möglich
sein. An diesem Ziel halten wir fest und dieses Ziel muss
uns viele Anstrengungen wert sein. Ich weiß aber nicht,
Herr Kollege Kinkel, ob ein KSZE-Prozess oder ein vergleichbarer Prozess im Nahen Osten möglich sein wird;
denn wir haben andere Voraussetzungen. Vor allem mangelt es nicht an Strukturen zur Vertrauensbildung im Nahen Osten, sondern es mangelt daran, dass sie nicht wahrgenommen werden.
({1})
Wir haben mit dem euro-mediterranen Dialog eine dem
KSZE-Prozess vergleichbare Struktur. Wenn wir hier unsere Anstrengungen verstärken, könnte das zielführend
sein.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es stimmt, was
wir hören, nämlich dass in Camp David die Kompromisslinien für die strittigen Fragen wie Wasser und Flüchtlinge sowie auch für Jerusalem deutlich wurden, dann
muss auf dieser Basis weitergearbeitet werden. Hier ist
auch der deutsche Beitrag gefragt. Wenn wir dazu beitragen können, Konfliktursachen zu entschärfen und damit
eine Lösung für beide Seiten akzeptabel oder akzeptabler
zu machen, dann sollten wir das tun. Ich denke hier vor allem an den Bereich des Wassers. Es ist ein unheimlicher
Konfliktstoff. Hier können wir helfen. Es gibt technische
Lösungen, aber auch politische Lösungen, die wir unterstützen können.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang, dass der Bundeskanzler an seinem Plan festhält, die Region in der
nächsten Woche zu bereisen. Es wird keine leichte Reise
werden. Das haben alle Redner schon gesagt. Es ist aber
eine wichtige Reise. Die deutsche Bundesregierung zeigt
damit vor allem, dass sie eine konstruktive Kraft in der
Nahost-Politik sein will und auch sein wird.
Meine Damen und Herren, natürlich wünsche auch ich
mir, dass die Gewaltspirale im Nahen Osten gestoppt wird
und dass die heutigen Kontrahenten im Kampf als Partner
an den Verhandlungstisch zurückkehren. Aber ich mache
mir keine allzu großen Illusionen hinsichtlich der Wirkungen solcher Appelle, zumal dann, wenn sie von einem
einfachen Abgeordneten kommen. Daher beschränke ich
mich auf einen Appell, der mir besonders am Herzen liegt.
Ich richte ihn bewusst nicht an eine, sondern an beide Seiten: Lasst die Kinder aus der Schusslinie
({3})
und bedenkt, was ihr in den Herzen der Kinder anrichtet,
wenn ihr Hass predigt!
Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, was beide
Seiten zu verlieren haben und dass beide Seiten eine Welt
zu gewinnen haben. Ich bin davon überzeugt, dass sich
früher oder später der Frieden eine Bahn brechen wird.
Als vor nunmehr fast drei Jahren Tausende junger Israelis
in Tel Aviv gegen die Politik Netanjahus demonstrierten,
hielten sie Schilder mit der Aufschrift „Yitzhak Rabins
Weg wird siegen“ in die Luft. Er wird, er muss, und dass
es so kommt, das ist auch unsere Aufgabe.
({4})
Herr Kollege Moosbauer, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten
Rede in diesem Hause.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Christian Schmidt
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist über
die Wahrheit gesprochen worden, die man beachten
müsse und die weiterhelfe. Der Nahe Osten ist eine Region, in der es viele unterschiedliche Wahrheiten gibt, die
aus unterschiedlichen Sichtweisen und Wahrnehmungen
entstehen. Wir sollten doch noch einmal den Blick auf die
Wahrnehmung seitens des israelischen Bürgers lenken,
der sich aus dem arabischen Bereich auch Äußerungen
gegenübersieht, die seine Existenz infrage stellen. In der
letzten Woche war ich in einem europäischen Land auf
Reisen und konnte im Hotelfernseher einen arabischen
Sender empfangen. Dieser arabische Sender erging sich
15 Minuten darin, das Verbrennen israelischer Fahnen
und nach vorne stürmende, mit Kalaschnikows und anderen Waffen ausgerüstete palästinensische Kämpfer, alles
untermalt mit Marschmusik, zu zeigen. Das erhöht die
Angst der israelischen Bürger, von der Herr Kollege
Lamers gesprochen hat.
Dies zeigt, dass Vertrauensbildung notwendig ist. Insofern kommt der Gedanke einer „KSZNO“ - die hat Kollege Kinkel hier vorgeschlagen - zumindest in dieser
Frage zu einem durchaus richtigen Schluss. Ob jetzt der
richtige Zeitpunkt zur Umsetzung dieses Gedankens ist,
ist eine andere Frage; dies sollten wir an anderer Stelle
vertieft diskutieren. Mir kommt es jetzt darauf an, dass
wir nicht nur versuchen, den Vertrauensverlust zu kompensieren und appellativ mit der arabischen Welt zu sprechen. Vielmehr dürfen wir nicht vergessen, dass der Kontakt zur arabischen Welt gerade nach den Äußerungen von
Scharm el-Scheich eine Basis hat. Es gab dort keine Rufe,
Krieg zu beginnen; es gab den Ruf nach den Vereinten Nationen. Kofi Annan hat bei einem Besuch in dieser Stadt
einmal gesagt: Wenn nach den Vereinten Nationen gerufen wird, dann wollen die Staaten einen billigeren Weg,
„they want to do the cheap way“. Was in den letzten Wochen durch das Vergießen von Blut und die Verbreitung
von Angst und Schrecken passiert ist, war teuer genug. Ich
glaube nicht, dass die verantwortungsvollen arabischen
Staatsführungen einem misslungenen und aus der Hand
geglittenen Manöver der palästinensischen Führung - ich
sage das aus meiner Sicht - nachgeben und den Weg der
Gewalt gehen. Aber das muss in einen Dialog münden,
der uns Europäer weitaus mehr fordern wird als jemals in
den letzten Jahrzehnten, in denen wir uns sehr gut hinter
den amerikanischen Positionen verstecken konnten. Wir
müssen dann bei der Aufnahme des Barcelona-Prozesses
und bei der Aufnahme der Möglichkeiten, die wir in beschränktem Rahmen haben, in einer einheitlichen Position sowohl der arabischen Welt als auch dem mit uns in
besonderer Weise verbundenen Staat Israel zeigen, dass
wir konstruktiv bereit sind, auf dem Friedensweg voranzugehen.
Ich zweifle daran, dass das eine aktuelle Frage ist; ich
habe das im Zusammenhang mit der KSZNO - ich nehme
den Begriff gerne auf - angesprochen. Ich vermute, wir
werden Wochen, vielleicht Monate damit zubringen, zu
hoffen, dass die Gewalt versiegt und nicht durch neue Aktivitäten von beiden Seiten noch stärker gefördert wird.
Wenn es so weit ist, muss es allerdings Konzepte geben.
Da scheint mir auf europäischer Ebene noch Nachholbedarf zu bestehen. Wir müssen uns - ich unterstreiche das klar werden, wie alle europäischen Staaten gemeinsam
unter französischer Präsidentschaft, unter schwedischer
Präsidentschaft und danach mit einer gemeinsamen
Stimme sprechen können. Dazu wird die Reise des Bundeskanzlers Gelegenheit bieten. Dabei müssen und werden sicherlich Konsultationen mit Frankreich stattfinden,
und zwar enger als auf dem Asien-Gipfel in der Frage der
diplomatischen Beziehungen zu Nordkorea, bei der Europa wieder einmal auseinander gefallen ist.
Hier kann man nur Glück wünschen. Was allerdings
das Ansinnen von Herrn Barak betrifft, das er, ausweislich
der „Stern“-Vorabmeldungen, in einem Interview zum
Ausdruck gebracht hat, dass nämlich Europa Vermittler
spielen solle, so ist das ein Schuh, den wir uns nicht anziehen sollten. Wir eignen uns nicht als Vermittler auf der
Ebene der Friedensstiftung. Wir eignen uns allerdings
- auch aufgrund unserer eigenen Interessenlage - sehr gut
zu dem Versuch einer Integration dieser Region in eine
Zone, die sich durch wirtschaftliche Stabilität und Prosperität entwickelt und in der durchaus auch eine politische
und möglicherweise irgendwann eine Beteiligung im Bereich der Friedenserhaltung notwendig ist. Aber wir sollten nicht versuchen, im Sinne der Streitschlichtung als
Vermittler aufzutreten.
Wenn wir das europäische Haus anschauen, stellen wir
fest, dass wir unsere Möglichkeiten noch nicht ausgereizt
haben. Ich habe von der Europäischen Union gesprochen.
Hier müssen wir in enger Abstimmung mit einem unserer
strategischen Partner, nämlich der Türkei, Politik betreiben. Ich sehe dabei eine wichtige Rolle für die Türkei, gerade in der gegenwärtigen Situation. Deswegen gehe ich
davon aus, dass sich unsere Bundesregierung und der
Bundeskanzler mit den türkischen Positionen auseinander
setzen und abstimmen; denn die Türkei hat die einmalige
Chance, einerseits von der arabischen Welt, andererseits
von Israel mit Vertrauen ausgestattet, und als enger Partner Europas Aktivitäten zu entfalten. Das steht übrigens
überhaupt nicht im Widerspruch zu der Position, die unsere Fraktion und unsere Parteien zur Frage des vollen
Beitritts der Türkei zur Europäischen Union haben. Das
sind zwei völlig verschiedene Paar Stiefel.
Ich hoffe, dass wir dieser unserer Rolle gerecht werden, dass wir Vertrauensbildung schaffen und dass wir
nicht in derartige Plattheiten verfallen, wie sie ein junger
Parteifreund des Herrn Bundesaußenministers heute in einem Leserbrief in der „Welt“ von sich gibt, in dem er an
die Bundesregierung und seinen Parteifreund Joschka
Fischer appelliert, die Militärschläge Israels scharf zu verurteilen und bei Wiederholung mit militärischem Eingreifen seitens der Völkergemeinschaft zu drohen. Es ist kompletter Quatsch, der hier von sich gegeben wird. Es geht
darum, Vertrauen zu bilden und klarzumachen, dass auch
und gerade auf palästinensischer Seite eine große Verantwortung liegt. Vielleicht hängt die Situation auf palästinensischer Seite auch damit zusammen, dass Demokratie
in den palästinensischen Autonomiegebieten bisher leider
nicht verwirklicht worden ist.
({0})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der
Bundesminister Joseph Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist in tiefer Sorge angesichts der anhaltenden
Spannungen und Konfrontationen und der vielen Opfer,
der Verwundeten und Toten, auf beiden Seiten. Wir sind
vor allen Dingen deswegen in so tiefer Sorge und sind
auch so tief betroffen über diese Entwicklung, weil der
Prozess der Friedensverhandlungen beide Seiten doch
sehr weit angenähert hatte. Alle Elemente eines möglichen Ausgleichs, eines möglichen Kompromisses waren
mehr als einmal durchdiskutiert, die Enden waren so nah,
dass man glaubte den entscheidenden Knoten machen zu
können. Dann kam es wieder zu dieser Gewalteskalation
und zu einem doch ganz erheblichen Rückschritt.
Dies alles geschieht - die Vorredner haben es betont auf dem Hintergrund einer Entwicklung, die bedeutet,
dass diese Gewalt nichts ändern wird, dass sich beide
Nachbarvölker schließlich wieder dort finden werden, wo
sie vom Tisch aufgestanden sind. Insofern wird die Bundesregierung alles tun, um dazu beizutragen - mehr als
beitragen können wir nicht; allerdings können wir im
Rahmen unserer Möglichkeiten dazu beitragen -, eingebunden in die europäischen Strukturen, in die transatlantischen Strukturen, auch in die Anstrengungen der Vereinten Nationen, dass beide Seiten die Gewalt reduzieren,
dass die Gewalt erlischt und dass die Rückkehr an den
Verhandlungstisch möglich ist.
Dazu gehört meines Erachtens allerdings auch die
Klarheit der Position. Ich finde es richtig, wenn Herr Kollege Schmidt noch einmal angesprochen hat, dass es sehr
wichtig ist, dass wir auch die Perzeption, die Wahrnehmung der israelischen Seite verstehen - so wie wir auch
die Wahrnehmung der palästinensischen Seite verstehen
müssen.
Ich kann Ihnen versichern: Die Telefonate, die Gespräche mit beiden Seiten, führen immer dazu, dass man
von beiden Seiten gute Argumente hört, die aber letztlich
die Gewalteskalation nicht durchbrechen. Entscheidend
wird aber sein, dass die Gewalteskalation durchbrochen
wird, dass es zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch
kommt; denn ohne diese Verhandlungen droht in der Tat,
dass die ganze Region in Brand gesetzt wird - mit fatalen
Konsequenzen nicht nur für die regionale Sicherheit und
Stabilität, sondern darüber hinaus. Vergessen wir nicht:
Wir sind Nachbarregion.
Nun, der Kollege Kinkel musste weg. Ich will deshalb
Ihnen, Herr Gerhardt, meine Argumente sagen. Ich bin
grundsätzlich voller Sympathie für die Struktur der
KSZE. Die entscheidende Frage ist nur, ob das zum jetzigen Zeitpunkt eine Lösungsperspektive bedeutet, ob die
Bedingungen dafür gegeben sind. Ich finde, da muss man
schon ein Stück weit in die konkreten Bedingungen
einsteigen.
Die Voraussetzung für einen regionalen Sicherheitsansatz ist die Bereitschaft aller Beteiligten, unter Wahrung vorhandener Dissense zu kooperativen vertrauensbildenden und sicherheitsbildenden Maßnahmen zu
kommen. Das kann ich mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt
nicht vorstellen, und zwar deswegen nicht, weil sich zum
Beispiel Israel mit Händen und Füßen dagegen wehrt, zu
einer Internationalisierung zu kommen, hinter der man
letztlich nur eine Isolierung Israels vermutet. Zum Zweiten sind die Akzeptierung der Bedingungen, etwa der Unverletzlichkeit, der Unverrückbarkeit der Grenzen und
des Gewaltverzichts, sowie die Transparenz in diesen
Punkten unter den Bedingungen des Nahen Ostens - verschiedene Regimes, verschiedene Interessenlagen - so
nicht gegeben.
Der KSZE-Prozess in Europa wäre nicht möglich gewesen, wenn diese Bedingungen nicht klar gewesen
wären, etwa die Unverrückbarkeit der Grenzen. Das heißt,
dass sich die Frage territorialer Veränderungen erst einmal
gar nicht gestellt hat. Das war die entscheidende Voraussetzung.
Dass dann friedliche Veränderungen etwa im Rahmen
der deutschen Wiedervereinigung möglich wurden, war
ein entscheidender Punkt. Dazu gehörte aber auch, dass
andere Territorialverzichte geleistet wurden und dass in
überragender Art und Weise die Aussöhnung nicht nur mit
den Nachbarn im Westen, sondern ebenfalls - durch die
Ostpolitik - mit den Nachbarn im Osten stattgefunden hat.
Bedauerlicherweise, Kollege Gerhardt, müssen wir
feststellen, dass die Voraussetzungen für einen solchen
KSZE-Prozess, übertragen auf den Nahen Osten, der
dann viel für sich hätte, meines Erachtens erst gegeben
wären, wenn analoge Prozesse, wie sie mit Ägypten erreicht wurden, im palästinensisch-israelischen und im israelisch-syrischen Verhältnis stattfinden würden. Dann in
der Tat würde sich meines Erachtens die Frage eines Regionalansatzes dauerhaft stellen, der durchaus Elemente
hätte, die weit über KSZE hinausgingen. Dann wäre die
Situation gegeben.
Das sind meine Einwände. Sie sind nicht grundsätzlicher Natur, aber zur Lösung der gegenwärtigen Probleme
wird dieser Ansatz nichts beitragen können.
Ich habe auch keine grundsätzlichen Einwände gegen
Einbindungsstrategien in Bezug auf den Irak. Trotzdem
muss ich sagen: Wenn Sie, Kollege Gerhardt, diese wichtige Diskussion ernst nehmen - ich nehme sie sehr
ernst -, dann sollten Sie in Ihrer Funktion als Parteivorsitzender mit dem Kollegen Möllemann einmal darüber reden, ob es der geeignete Zeitpunkt ist und ob es zur
Vertrauensbildung beiträgt, wenn er in der jetzigen Situation diese Reise im November unternimmt. Ich glaube, es
ist nicht der geeignete Zeitpunkt.
({0})
Christian Schmidt ({1})
Ich möchte Ihnen noch einmal versichern: Ich bin nicht
der Meinung, wir sollten eine Isolationsstrategie fahren.
Ich bin aber der Meinung - die Entwicklung ist sehr negativ verlaufen, und auch die Rolle des Irak innerhalb des
arabischen Lagers ist neu zu bewerten -, dass Sie über
diese Thematik nochmals nachdenken sollten.
Zurück zu der Frage: Was können wir tun? Wir wollen
und können keine eigenständige Rolle spielen. In diesem
Punkt stimme ich allen Vorrednern zu. Auf der anderen
Seite können wir aber entscheidend zu einer positiven
Entwicklung beitragen. Die Europäische Union hat sehr
wohl Instrumente, Herr Kollege Gerhardt, die in diese
Richtung weisen.
Im November findet das Treffen mit den Mittelmeeranrainerstaaten unter Einschluss der wichtigsten
arabischen Staaten und auch Israels in Marseille statt.
Man wird dann sehen können, ob Ihr Vorschlag sozusagen
ein Realisierungspotenzial hat. Der einzige bestehende
kooperative Regionalprozess - dieser kooperative Prozess ist das einzige Instrument, das es heute gibt - wurde
durch die euro-mediterrane Konferenz eingeleitet, die von
der EU mit den wichtigsten Anrainerstaaten gerade und
auch unter Einschluss des arabischen Raumes in Barcelona organisiert wurde. Deswegen heißt dieser Prozess
auch Barcelona-Prozess.
Wir werden in Marseille alles tun, damit wir einen konstruktiven Fortschritt erreichen. Aber ich prophezeie Ihnen schon heute: Es wird sehr schwierig werden. Wir
müssen diese Instrumente fortentwickeln. Wir sollten sie
nicht unter dem Gesichtspunkt „entweder - oder“ sehen,
sondern wir sollten gleichzeitig am Oslo-Prozess festhalten, für den ich keine Alternative sehe, ohne dass es zu einem Rückschritt kommt.
({2})
Über diese Punkte müssen wir konkret sprechen.
Die Bundesregierung hat sich sehr darum bemüht, und
wir freuen uns darüber, dass Javier Solana in Scharm elScheich zum ersten Mal eine wichtige Funktion hatte. Wir
wollen, dass wir hier zu einer weiteren Vereinheitlichung
der Positionen kommen. Ich betone nochmals: Ich sehe
überhaupt keinen Sinn darin, in Israel ein Gefühl der Isolierung zu produzieren. Diesen Grundsatz müssen wir bei
allem, was wir tun, bedenken. Ansonsten werden Entwicklungen ausgelöst, die nicht zu mehr Frieden und Stabilität beitragen, sondern durch die das Gegenteil erreicht
wird.
({3})
Nicht nur aus historischen Gründen, sondern auch aus
diesen Gründen müssen wir klar machen: Wir stehen nicht
nur in Sonntagsreden, sondern vor allen Dingen auch
dann, wenn es ernst wird, ohne Wenn und Aber zu unseren besonderen Verpflichtungen gegenüber Israel aufgrund unseres besonderen Verhältnisses. Diese Position
sollten wir klar herausstellen. Wir setzen uns aber auch
dafür ein, dass die legitimen Interessen des palästinensischen Volkes unter Einschluss eines eigenen Staates
berücksichtigt werden. Aber dies muss in Frieden, im Einvernehmen und nicht auf dem Weg der Konfrontation
geschehen.
({4})
Beide Völker müssen zusammenfinden. In diesem
Punkt muss Klarheit bestehen - das war bisher der Konsens in der deutschen Nahostpolitik -: Je verlässlicher und
berechenbarer wir für beide Seiten sind, desto mehr werden wir - selbst unter schwierigsten Bedingungen - zu einer Friedenslösung beitragen können.
Lassen Sie mich mit einem Appell an beide Seiten
schließen! Es bringt nichts, Aufrechnungen und Schuldzuweisungen zu betreiben. Das Einzige, was nützt, ist, der
Gewalt abzuschwören und an den Verhandlungstisch
zurückzukehren. Ich denke, die Reise des Bundeskanzlers
bietet eine Chance, dazu beizutragen. Ich möchte mich
auch in seinem Namen bei allen bedanken, die ihm in dieser Debatte alles Gute gewünscht haben. Es wird eine sehr
schwierige Reise werden. Dennoch ist es richtig, dass er
sie im Interesse des Friedens unternimmt.
({5})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4392 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 14/4398 soll an denselben
Ausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der CDU/CSU
Ergebnisse des Europäischen Rates in Biarritz
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
die antragstellende Fraktion, die CDU/CSU, der Kollege
Peter Hintze das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle
Stunde beantragt, weil der EU-Gipfel in Biarritz aus unserer Sicht an seinen selbstgesetzten Zielen gescheitert ist.
({0})
Wir finden es wichtig, dass wir darüber beraten. Wir sollten als Parlament einen Beitrag dazu leisten, dass Nizza
doch noch ein Erfolg wird.
({1})
In Vorbereitung der großen Reformkonferenz in Nizza
ist man bisher in den bekannten Gegensätzen stecken
geblieben: Blockade in der Frage der Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat, Blockade bei der Zusammensetzung der Kommission, Blockade bei der Stimmengewichtung. Dies sind unstreitig zentrale Themen der
Regierungskonferenz. Hier beklagen wir einen Mangel an
politischer Führung; dem muss schnell abgeholfen werden.
({2})
Der einzige Punkt, bei dem der Europäische Rat vorangekommen ist - das ist erfreulich -, ist die Erleichterung der verstärkten Zusammenarbeit. Ausgerechnet das
ist eine politische Forderung, die CDU und CSU lange erhoben haben. Wir mussten sehr drängen, damit dies überhaupt in die Liste der zu behandelnden Themen aufgenommen wurde. Wir freuen uns, dass das seinerzeit in
Lissabon geschehen ist, und sind froh, dass hier auch in
Biarritz ein Erfolg erzielt wurde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Nizza naht
sehr schnell. Es ist wichtig, jetzt zu Ergebnissen zu kommen, und zwar aus zwei Gründen: zum einen um die notwendige Reform der Europäischen Union selber, zum
anderen um die Osterweiterung, das große Stabilitätsprojekt, auf die Reihe zu bringen. Eine weitere Verzögerung
hätte unabsehbare negative Folgen politischer und wirtschaftlicher Art, auch negative Folgen für Deutschland.
Ich sage hier für meine Fraktion klipp und klar: Deutschland muss Anwalt der Osterweiterung bleiben. Das ist
eine moralische, politische und ökonomische Aufgabe,
der wir uns stellen.
({3})
Ich will für meine Fraktion noch etwas klipp und klar
sagen, was in der öffentlichen Diskussion vielleicht nicht
immer so deutlich geworden ist: Wir sind für einen Verfassungsvertrag. Wir wollen, dass es nach Nizza weitergeht. Aber Nizza selber ist die Voraussetzung für die Erweiterungsfähigkeit. In Nizza wird der Schlüssel für die
Osterweiterung geschmiedet. Die danach notwendigen
Diskussionen wollen wir in einem fairen Prozess auch mit
den Kandidatenländern führen.
({4})
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen: Das Erfolgsgeheimnis der europäischen Integration war schon
immer das Zusammenwirken von kleineren und größeren
Staaten. Das hat für alle Kanzler gegolten. Sie haben gewusst, dass nicht nur Paris und London, sondern auch Den
Haag und Luxemburg erste Adressen sind, wenn es um einen Erfolg für Europa geht. Wir blicken mit Sorge auf diesen Gipfel, weil wir befürchten, dass Misshelligkeiten
zwischen den kleineren und den größeren Staaten entstehen. Ich wünsche mir von der Bundesregierung, dass sie
einen Beitrag dazu leistet, dass die gute Tradition in Europa, die für alle Kanzler galt, auch in Zukunft gilt, nämlich dass kleinere und größere Staaten fair miteinander
umgehen.
Die Regierungschefs der Europäischen Union haben
sich für Nizza eine ausgesprochen zaghafte Agenda vorgenommen. Trotzdem wissen wir, dass dort einige Nüsse
zu knacken sein werden; das ist ganz klar. Wir hätten uns
schon für die laufende Regierungskonferenz ein größeres
Reformprojekt gewünscht.
In Nizza muss der Weg für die Erarbeitung eines europäischen Verfassungsvertrages frei gemacht werden. In
dieses europäische Verfassungsdokument gehören die
Grundrechte der Bürger, eine präzise Kompetenzabgrenzung zwischen europäischer und nationaler Ebene und
eine Neuordnung der europäischen Institutionen auf der
Grundlage einer klaren Gewaltenteilung.
Wir als CDU und CSU haben einen solchen Verfassungsvertrag lange Zeit alleine gefordert. Es hat Widerstände und Kritik gegeben. Unsere Forderung ist nicht
recht aufgenommen worden.
({5})
- Der Außenminister macht jetzt mimisch klar, dass er das
anders sieht. Sie können das gleich hier am Pult sagen.
({6})
Ich freue mich, dass mittlerweile auch die Bundesregierung davon spricht, und ich freue mich, dass auch Bundespräsident Johannes Rau sich ausdrücklich für ein solches Projekt eines Verfassungsvertrages ausgesprochen
hat und für seine Inhalte eintritt.
Von der Regierungsbank wird „Januar“ gerufen. Herr
Bundesaußenminister, wir haben diese Forderung bereits
in unserem Konzept für die letzten Europawahlen, also
bereits Mitte des Jahres 1999, erhoben. Damals hatte sie
in der politischen Diskussion etwas Mühe. Heute ist sie
aufgegriffen. Ich finde das gut.
Wir hoffen, dass die Bundesregierung einen Beitrag
dazu leistet, dass Nizza ein Erfolg wird. Das brauchen wir
in Europa, auch um die Zustimmung zu Europa in der Bevölkerung wieder zu steigern. Wir hoffen, dass es nach
Nizza weitergeht, dass in Nizza selbst der Prozess einer
europäischen Verfassungsgebung mit Blick auf einen Verfassungsvertrag eingeleitet wird, damit dieses größere Europa, das wir bauen, ein gutes Fundament bekommt und
wir als Bundesrepublik Deutschland am Bau dieses
großen Hauses Europa einen guten Anteil haben.
Herzlichen Dank.
({7})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dietmar Nietan von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die EU-Ausschusssitzung gerade mit einem Eilprogramm durchgezogen,
damit wir es ermöglichen können, hier in Ihrer Aktuellen
Stunde zu reden. Es ist für mich immer sehr interessant,
zu sehen, dass man nach den konstruktiven Diskussionen
und guten Fragestellungen seitens der Oppositionsfraktionen im EU-Ausschuss hier immer sehr merkwürdige
Fensterreden zu hören bekommt. Vielleicht hätten wir im
EU-Ausschuss länger tagen sollen; das wäre produktiver
gewesen als diese Aktuelle Stunde.
({0})
Herr Kollege Hintze, es war sehr interessant, dass Sie
im Zusammenhang mit Biarritz drei Mal das Wort
„Blockade“ in den Mund genommen haben. Dass das bei
Ihnen angesichts der Strategie der CDU-Opposition ein
beliebtes Wort ist, ist schon richtig. Aber es ist eine Fehleinschätzung der Wirklichkeit, dass Sie bei Biarritz von
einer Blockade sprechen. Im Gegenteil - ich glaube, Sie
brauchen das gar nicht mehr zu hoffen -, Biarritz hat gezeigt: Die Bundesregierung, insbesondere der Außenminister und der Bundeskanzler, sind Motor für einen Erfolg
in Nizza. Das haben sie in Biarritz durch ihre Verhandlungsstrategie eindeutig gezeigt.
({1})
Wenn Sie auf der einen Seite davon sprechen, das Programm von Nizza sei ein zaghaftes, und auf der anderen
Seite unterstreichen, dass Sie die EU-Erweiterung sehr
schnell möchten, kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, dass Sie hier ein doppelbödiges Spiel spielen.
Wer Nizza mit einem noch größeren Katalog belastet,
stellt den Erfolg von Nizza und damit die Erweiterungsfähigkeit der EU infrage. Ich finde, dieses doppelbödige
Spiel muss einmal ein Ende haben, wenn man glaubwürdig bleiben will.
({2})
Ich danke dem Bundeskanzler ausdrücklich dafür, dass
er mit seinem für einige überraschenden Vorschlag des
Rotationsprinzips bei den Kommissaren nicht nur deutlich gemacht hat, dass die Bundesregierung sehr flexibel
verhandeln kann, sondern dass sie mit diesem Vorschlag
auch die Ernsthaftigkeit unterstrichen hat, ihren Beitrag
zu einem Erfolg zu leisten. Ich glaube, es ist umgekehrt:
Dieser Vorschlag war kein Affront gegen die Kleinen,
sondern hat Bewegung, Dynamik und einen Einigungsdruck gebracht und deutlich gemacht, dass man auf der einen Seite bereit ist,
({3})
als großer Staat in der EU bei der Kommission sehr weit
zu gehen, wenn es auf der anderen Seite - das halte ich
auch für richtig - deutliche Fortschritte bei der
Mehrheitsentscheidung und bei der Stimmengewichtung
gibt. Denn nur das macht die EU auch handlungsfähig.
Wir erleben jetzt, dass sich die Flexibilität und die
Möglichkeit, zu weiter gehenden Einigungen zu kommen,
in einigen Punkten schon abzeichnen. Wenn es uns zum
Beispiel wirklich gelingt, bei der verstärkten Zusammenarbeit das Veto wegzubekommen, steht diesem von allen
unterstützten Projekt „verstärkte Zusammenarbeit“ weniger im Weg. Ich glaube, auch das hat etwas mit der Verhandlungsstrategie zu tun, dass wir da jetzt einen Schritt
weiter sind.
Ich will noch einmal sehr deutlich sagen - Sie haben
das ja betont -, dass Nizza ein Schlüssel für die EU-Erweiterung ist. Ich glaube, da zählen nicht die Worte, sondern die Taten. Ich sage das an dieser Stelle sehr deutlich.
Es ist sicherlich einfach für den von mir sehr geschätzten
Premierminister Blair, in Polen Daten für einen EU-Beitritt zu nennen, zugleich aber zuzulassen, dass die britische Delegation bei der Regierungskonferenz nicht gerade zum Motor der Einigung gehört.
Ich finde demgegenüber die Vorgehensweise der Bundesrepublik wirklich vorbildlich. Es würde auch unserer
Delegation auf der Regierungskonferenz nutzen, wenn
die Opposition im Zusammenhang mit Biarritz nicht von
Blockade und einem Fehlschlag sprechen würde, sondern
in diesem Punkt die Regierung unterstützte. Das würde
auch ihre Position stärken.
({4})
Ich will auch sehr deutlich etwas zur Frage der Kompetenzabgrenzung und zur Frage der Folgekonferenz in
Nizza sagen. Das wird ja auch in der aktuellen Diskussion
immer wieder angeführt. Wenn selbst eine Zeitung wie
das „Handelsblatt“, das man ja nun nicht als Regierungsorgan bezeichnen kann, in Kommentaren schreibt, dass es
insbesondere Außenminister Fischer und Bundeskanzler
Schröder zu verdanken ist, dass die Bereiche Kompetenzabgrenzung und Stärkung der konstitutionellen Grundlagen der EU jetzt wirklich Konturen annehmen, zeigt das
doch, dass schon viele erkannt haben, dass Deutschland
als Motor bei der Weiterentwicklung der Europäischen
Union wirkt. Ich hoffe, dass auch Sie irgendwann zu dieser Erkenntnis kommen.
({5})
Zum Schluss will ich noch einmal deutlich sagen, dass
es zwar wichtig ist, dass von der Opposition kritische und
unangenehme Fragen gestellt werden. Wenn dieses kritische Hinterfragen aber dazu führt, dass man grundsätzlich
jede Bewegung in der Regierungskonferenz unter die Rubrik Misserfolg und Blockade einordnet, dann muss man
sich in der Tat fragen lassen, wie ernst man es meint, wenn
man sagt, dass man diese Konferenz wirklich zu einem
Erfolg führen will, oder ob man sich nicht insgeheim den
Misserfolg wünscht,
({6})
weil man - ich sehe Herrn Merz hier sitzen ({7})
dann vielleicht auch wieder ein Thema hat, um sich zu
profilieren. Jedes ist Ihnen dazu ja recht.
Ich bitte Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Union:
Sorgen Sie mit dafür, dass, nachdem Sie nun den
Brückenbauer abgesägt haben, die Pfeilewerfer bei Ihnen
nicht die Innenpolitik mit solchen Themen wie dem der
EU belasten.
({8})
Ich glaube, das würde weder Deutschland noch der EU
nutzen.
Vielen Dank.
({9})
Als
nächster Redner hat der Kollege Helmut Haussmann von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gab hier zumindest
zwischen den klassischen Parteien vor entscheidenden
Gipfeln immer Konsens und überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten. Auch jetzt gilt: Nizza muss ein historischer Erfolg werden. Fraktionen, die sich wie wir immer
gründlich für eine pünktliche Osterweiterung eingesetzt
haben, möchten natürlich, dass die Beschlüsse von Nizza
ein Minimum an Substanz aufweisen; denn ohne Vertiefung steht die Erweiterung Europas auf wackligen Beinen.
({0})
Es geht nun darum, dass die bisherigen Vorergebnisse - es
handelte sich ja nur um einen Vorgipfel - nicht dementsprechend ausgefallen sind. Das haben wir auch in internen Gesprächen geklärt und das ist auch nicht allein
Schuld der Bundesregierung. Es wird aber auf Deutschland und das deutsch-französische Verhältnis, das intakt
sein soll, geschaut. Die bisherige Verhandlungsführung
der Franzosen gegenüber kleinen Staaten war nicht so,
dass ein großer Erfolg in Nizza zu erwarten wäre.
({1})
Folgende Forderungen leiten wir daraus ab:
Erstens. Die Bundesregierung und insbesondere der
Bundesaußenminister, der eine große Rede hier in der
Berliner Humboldt-Universität gehalten hat, sollten alles
tun, damit sich das Verhalten der französischen Präsidentschaft gegenüber den kleinen Staaten bessert. Herr
Fischer, das ist die Voraussetzung für einen Erfolg. Wir
haben es dabei nicht nur mit den 15 Staaten zu tun, sondern die Gespräche bei jedem Besuch vor allem in den
kleinen Staaten in Osteuropa zeigen, dass diese jetzt
schon sehr genau darauf achten, wie andere Staaten behandelt werden. Insofern war natürlich die Behandlung
von Österreich ein extrem schlechter Auftakt.
Zweitens. Wir sollten Biarritz nicht schönen. Es gibt
heute in der Bevölkerung genügend Europa-Skepsis. Die
europäische Währung hat heute einen weiteren Tiefstand
erreicht. Das ist nicht gut für die Stimmung in der Bevölkerung. Es findet keine Aufklärung über die Osterweiterung statt. Deshalb ist es so wichtig, dass die Bürger das
Gefühl bekommen, dass die Bundesregierung und das
Parlament die Latte für Nizza hoch legen.
({2})
Denn ohne eine gründliche Reform der internen Prozesse
ist ein Europa der 25 Staaten eben nicht handlungsfähig.
Drittens. Wir brauchen einen Erweiterungsfahrplan.
Wir müssen aufhören, die Osteuropäer auf die Folter zu
spannen. Diese Bemerkung richtet sich nicht gegen den
Außenminister, sondern gegen den Bundeskanzler. Der
Bundeskanzler reist in die Reformländer und sagt: Ich bin
der Anwalt; Sie gehören zur ersten Gruppe; wir setzen uns
für eine schnelle Erweiterung ein. Nachdem der Bundeskanzler zurückgereist ist, sagt er: Die Hausaufgaben sind
noch nicht gemacht; die Landwirtschaft hat ihre Reformaufgaben nicht erfüllt; der Finanzplan reicht nicht aus.
Der neueste Plan besteht darin, möglichst viele Länder
gleichzeitig aufzunehmen. Wir hätten es dann also mit einem Massenbeitritt von mindestens zehn Ländern zu tun.
Das führt dazu, dass die reformbereiten kleineren Länder,
die in die Europäische Union aufgenommen werden
möchten, warten müssen. Wir sind dafür, dass das so genannte Regatta-Prinzip eingehalten wird. Wenn sich die
infrage kommenden kleineren Länder vorbereitet haben
und die politischen und die ökonomischen Ziele erreicht
haben, dann müssen sie schnell die Chance erhalten, der
EU beizutreten. Nur wenn Polen dabei ist - das ist unser
größter Wunsch -, wird dort innenpolitisch klar, dass in
diesem Land noch einige Hausaufgaben zu machen sind.
({3})
Letzter Punkt. Tun Sie alles, damit nach Nizza ein europapolitischer Konsens möglich ist, wie bisher bei allen
Vertragsänderungen.
({4})
- An die Bundesregierung, an die französische Präsidentschaft und an Sie. Sie als Parlamentarier haben Einfluss.
Sie müssen weiter als die Regierung gehen und die Regierung dazu bringen, dass in Nizza Substanzielles beschlossen wird. Wenn das geschieht, werden die Freien
Demokraten dem Vertrag, der nach Nizza geschlossen
wird, zustimmen.
Herzlichen Dank.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Sterzing von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Frage, die im Raume steht, ist, ob Biarritz ein Erfolg war.
Um diese Frage zu beantworten, kommt es darauf an,
welchen Maßstab man anlegt. Legt man den an, den Herr
Haussmann soeben angedeutet hat - er hat kritisiert, dass
über Erweiterung nicht gesprochen worden ist -, ist dem
zu entgegnen: Das stand schlichtweg nicht auf der Tagesordnung. Es gibt einen anderen europapolitischen Fahrplan, auf den man sich innerhalb der Europäischen Union
geeinigt hat. Ich bitte Sie, ihn einmal zur Kenntnis zu nehmen. Ihre ewige Leier reißt hier niemanden mehr vom
Hocker.
Was ist also der Maßstab für Biarritz? Wir scheuen
nicht davor zurück, hohe Maßstäbe an die Arbeit und an
die Leistungen der Regierung anzulegen. Nur müssen
diese Maßstäbe realistisch sein. In dieser Hinsicht gilt es
festzuhalten: Biarritz war ein informeller Gipfel, auf dem
diskutiert wurde, auf dem man Gedankenaustausch betrieben hat und auf dem man neue Entwicklungen besprochen hat. Beschlüsse standen aber nicht auf der Tagesordnung.
Biarritz ist eben nicht Nizza; insofern ist der Vorwurf
gegenüber der Bundesregierung, sie habe vieles von dem,
was für Nizza vorgesehen ist, in Biarritz nicht erreicht,
nicht angemessen und ohne Realitätsbezug.
Wenn man ein Fazit aus den Beratungen dieses Gipfels
zieht, dann kann man sagen, dass es selten einen so erfolgreichen informellen Gipfel gab.
({0})
Das Thema Grundrechte-Charta wurde schon erwähnt.
Auf diesem Gipfel ist das passiert, was sich der Bundestag, auch in der Debatte der letzten Sitzungswoche, erhofft hat: dass diese Grundrechte-Charta von den Regierungschefs der Mitgliedstaaten akzeptiert wird. Außerdem ist Kostunica empfangen worden und es ist über den
Nahen Osten gesprochen worden.
Aus vielen Äußerungen kann man ablesen, dass die
Beratungen durch das Stichwort „Bewegung“ am besten
charakterisiert werden. Zwar hat es keinen Durchbruch
gegeben, aber Bewegung. Schaut man sich das Thema
„verstärkte Zusammenarbeit“ - auch vor dem Hintergrund von Äußerungen des britischen Premierministers an, dann muss man das Zustandekommen einer deutschitalienischen Initiative anerkennen. Es geht jetzt eigentlich nicht mehr um das Ob, sondern sehr konkret um das
Wie, um die Ausgestaltung der Bedingungen, wie man
diese verstärkte Zusammenarbeit durchführen kann.
Auch im Hinblick auf die Kommissionsgröße ist es unter Beteiligung der deutschen Bundesregierung zu einer
Initiative gekommen, die - dies zeigen die entsprechenden Reaktionen - die Debatte in Gang gebracht hat.
Ebenso ist bei dem Problem der Stimmengewichtung
nach dem Besuch des Bundeskanzlers in Spanien Bewegung entstanden. Es wird über neue Zahlen, was die Stimmengewichtung anbelangt, gesprochen. Auch in Bezug
auf das Ziel, den Komplex der Mehrheitsentscheidungen
zu erweitern, hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben
gemacht. Sie hat dargelegt, in welchen Bereichen sie sich
eine solche Ausweitung vorstellen kann. Darüber ist auf
dem Gipfel in Biarritz sehr konkret mit den anderen Mitgliedstaaten gesprochen worden. - Das Fazit lautet also:
kein Durchbruch, aber in sehr vielen entscheidenden
Punkten Bewegung.
Ich bitte Sie, auch folgenden Punkt zur Kenntnis zu
nehmen: An all diesen Initiativen war die deutsche Bundesregierung beteiligt. Auch dies, so glaube ich, ist ein
deutliches Zeichen dafür, dass gute Gründe bestehen, mit
den Ergebnissen dieses Gipfels zufrieden zu sein. Die Beurteilung der Öffentlichkeit entspricht der unsrigen. Mich
wundert schon, dass Sie, Herr Kollege Hintze, ein
schwarzes Bild zeichnen, indem Sie darauf hinweisen,
was alles auf dem Gipfel in Biarritz angeblich nicht erreicht worden ist.
({1})
Dass Sie uns nicht alles glauben, das sei Ihnen zugestanden. Sie sollten sich jedoch einmal bei Ihren Kollegen erkundigen, zum Beispiel bei Ihrem Kollegen Brok,
({2})
der in der Presse sehr deutlich seine Bewertung dieses
Gipfels bekannt gegeben hat und hinzugefügt hat, dass die
Bewegung, die in Biarritz ausgelöst worden ist, nach der
Gipfelkonferenz in den Verhandlungen der Regierungsvertreter im Rahmen der Regierungskonferenz zu weiteren Fortschritten geführt hat. Dies merkt er ausdrücklich
positiv an.
({3})
Insofern ist festzustellen: Ein bisschen Kommunikation mit den Kollegen im Europaparlament erspart uns
hier vielleicht die eine oder andere Aktuelle Stunde.
Vielen Dank.
({4})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Uwe Hiksch
von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als PDS-Fraktion haben die Diskussion über die Europäische Union und über das, was
nach dem informellen Gipfel in Biarritz folgen wird,
durchaus mit Sorge zur Kenntnis genommen. Diese Sorge
haben wir zum einen deshalb, weil in diesem Hause immer mehr feststellbar ist, dass die CDU/CSU-Fraktion die
Europapolitik dazu nutzen will, eine parteipolitische Profilierung zu betreiben, und dass sie damit der europäischen Sache schadet. Diese Sorge haben wir zum anderen deshalb, weil feststellbar ist, dass die CDU/CSU
durch Zuspitzung in eine Richtung versucht, davon abzulenken, dass der Konsens, den es einmal in der Europapolitik in der CDU/CSU gegeben hat, schon lange nicht
mehr besteht und ihre Politik weit auseinander klafft zwischen dem, was beispielsweise Teile der CSU vertreten,
die heute teilweise einen europafeindlichen Kurs verfolgen, und dem, was die Europapolitiker in der CDU/CSUFraktion wollen.
Deshalb kann ich Sie nur auffordern, zu alten Positionen zurückzukehren und wieder zu lernen, dass Europapolitik kein parteipolitisches Thema sein sollte, sondern
dass wir uns darum bemühen sollten, Europa weiterzuentwickeln, zu vertiefen und vor allen Dingen zu erweitern.
({0})
Wir nehmen zur Kenntnis, dass natürlich eines stimmt,
nämlich dass in Biarritz nicht das erreicht wurde, was von
Teilen der Bundesregierung gesagt wurde. Wirkliche
Fortschritte standen nämlich noch nicht auf der Tagesordnung und konnten auch nicht durchgesetzt werden. Es
muss festgestellt werden, dass bei einer ganzen Reihe der
so genannten „leftovers“ das Problem besteht, dass Einigungen in diesen Punkten nach unserer Überzeugung
noch weit entfernt sind. Wir wissen aber, dass solche Einigungen die Grundvoraussetzung dafür sind, dass institutionelle Reformen die Grundlage dafür sein werden,
durchzusetzen, dass eine Erweiterung um die mittel- und
osteuropäischen Staaten möglich wird. Deshalb glauben
wir, dass die Aufgabe der Bundesregierung auch darin bestehen muss, wieder zusammenzuführen.
Wir haben der Presse entnommen - Herr Bundesaußenminister Fischer, hier besteht bei uns durchaus
Sorge -, dass sich die Bundesregierung in eine Diskussion
eingereiht hat, bei der die Unterscheidung zwischen den
Positionen der großen Staaten der Europäischen Union
auf der einen Seite und der kleinen Staaten der Europäischen Union auf der anderen Seite in einer Weise zugespitzt wurde, wie sie einer europäischen Entwicklung
nach unserer Überzeugung nicht gut tut. Wir würden uns
wünschen, dass die Bundesregierung wieder die Position
einnimmt, die deutsche Bundesregierungen über viele
Jahre eingenommen haben, nämlich die, zu versuchen, als
Mittler zwischen den Interessen der großen Nationalstaaten auf der einen Seite und den Interessen der kleinen Nationalstaaten auf der anderen Seite aufzutreten. Denn es
ist immer die Bundesrepublik gewesen, die hier Fortschritte möglich gemacht hat.
Deshalb wollen wir die Bundesregierung zum Ersten
dabei unterstützen, im Sinne der Funktionsfähigkeit der
Organe deutlich zu machen und bei der Stimmenverteilung im Rat zu erreichen, dass auf der einen Seite unsere
Interessen als großer Staat gewahrt werden, nämlich nicht
von einer Reihe kleiner Staaten, die eben nicht die Mehrheit der Menschen in der Europäischen Union stellen,
überstimmt zu werden. Auf der anderen Seite müssen aber
auch die Interessen der kleinen Staaten bei der Stimmengewichtung berücksichtigt werden. Wir können uns vorstellen, dass das, was die Bundesregierung als „doppelte
Mehrheit“ bezeichnet hat, ein Weg sein könnte, der in die
richtige Richtung führt.
Zum Zweiten müssen wir in Bezug auf die Größe der
Kommission auf der einen Seite deutlich machen, dass
wir die Funktionsfähigkeit der Kommission, gerade in einer erweiterten Europäischen Union, für einen zentralen
Punkt halten, um sicherzustellen, dass die Europäische
Union auch weiterentwickelt werden kann. Auf der anderen Seite muss aber auch gesehen werden, dass beispielsweise durch das Rotationsprinzip - das können auch wir
uns vorstellen - die Vertretung der Nationalstaaten wenigstens über einen längeren Zeitraum gegeben sein muss.
Wir halten es zum Dritten für notwendig und werten
deshalb die Vorschläge der Bundesregierung im Großen
und Ganzen positiv, dass es hinsichtlich der Mehrheitsentscheidungen darum gehen muss, ob die Europäische
Union auch in Zukunft handlungsfähig sein wird, um das
Erforderliche durchzusetzen. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass in Nizza darüber diskutiert werden muss,
wie beispielsweise bei Mehrheitsentscheidungen Demokratisierungsprozesse dahin gehend in Gang gesetzt werden können, dass auch das Europäische Parlament ein
Mitentscheidungsrecht bekommt; denn diese demokratisch gewählte Institution muss ebenso mitbestimmen
können. Dies ist eine wichtige Forderung zur Demokratisierung der Europäischen Union.
Wir können aber nicht verstehen, dass die Bundesregierung als einen der Ausnahmetatbestände, die sie definiert hat, gerade die Handwerksordnung genommen hat
und damit nach unserer Überzeugung klargemacht hat,
dass sie mit rein egoistischen Forderungen in die Verhandlung zur Schaffung von Mehrheitsentscheidungen
geht.
Die PDS-Bundestagsfraktion will mit ihren Forderungen erreichen, dass Nizza ein Erfolg wird. Wir wollen
dazu beitragen, dass die Vertiefung der Europäischen
Union auf der einen Seite und vor allen Dingen auch die
Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Staaten
auf der anderen Seite ein Erfolg zum Wohle der Menschen
und zum Wohle der Europäischen Union wird.
Danke schön.
({1})
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Es gab hier einige Beiträge. Gestatten Sie mir, dass ich versuche, unsere
Position in der Kontroverse herauszuarbeiten.
Kollege Hintze, Ihnen wird vorgeworfen, Sie hätten
schwarz gemalt: In welcher Farbe sollen Sie auch sonst
malen.
({0})
Das ist die Farbe, die Ihnen angemessen ist. Ich meine das
gar nicht abwertend.
({1})
- Grün, wie die Hoffnung!
({2})
- Ach was! Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Schäuble.
Für das Schwarzmalen sind Sie zuständig, nicht unsereins. Dass Sie die Arbeit der Regierung nicht in europäischen Morgenrötefarben malen können, kann ich verstehen, auch wenn Sie es durchaus tun sollten. Ein gewisser
Farbenwechsel wäre bei Ihnen zumindest im Kopf angemessen.
Kollege Hintze, wir haben in Biarritz über vieles nicht
nur gesprochen, sondern auch bei vielem, wie ich denke,
erhebliche Fortschritte erreicht. Es ging nicht nur um den
Friedensprozess. Ihn haben wir zuvor in der Debatte erörtert. Auch das Treffen mit dem neuen jugoslawischen,
dem demokratischen Präsidenten Kostunica war nicht nur
symbolisch, sondern auch emotional ein wichtiger Punkt.
Das demokratische Jugoslawien, das demokratische Serbien kehren in die Gemeinschaft der europäischen Demokratien zurück.
({3})
Das hat auch, wie ich gehört habe, in der Belgrader Öffentlichkeit eine große Bedeutung gehabt.
Ich komme jetzt zu den wesentlichen Punkten der
Regierungskonferenz. Die wesentlichen Punkte sind ja
- deutsche Leitkultur, nicht wahr? - „leftovers“. Was
heißt das auf Deutsch? Überbleibsel. Aber ein Überbleibsel von wem? Nicht von Rot-Grün,
({4})
sondern ein Überbleibsel aus der glanzvollen Regierungsperiode Ihrer Koalition. Warum sind sie Überbleibsel geworden - oder „leftovers“, um wieder gemäß der
Leitkultur zu formulieren? Wenn ich Sie so sehe, Herr
Merz, frage ich mich natürlich: Gehört Mickeymaus zu
unserer Leitkultur oder würden Sie das schon als eine
Überfremdung ansehen? - Ich möchte das jetzt nicht vertiefen.
({5})
- Ja, das ist wahr. Es hat in der Tat manchmal etwas Befreiendes, wenn man so etwas liest und nicht andere Reden lesen muss, Herr Kollege Hintze.
Der entscheidende Punkt ist: Es sind deswegen Überbleibsel, weil sie damals nicht lösbar waren. Wenn Sie
diesen Maßstab an Biarritz anlegen, sollten vor allen Dingen doch Sie - getrieben von christlicher Wahrhaftigkeit - die Frage stellen: Sind diese Überbleibsel - damals
der Kern von Amsterdam - jetzt lösbarer geworden? Ja
oder nein? Die Antwort auf diese Frage hätte ich von Ihnen erwartet; das ist der Maßstab.
({6})
Ich kann nur sagen: Wenn sie lösbarer geworden sind,
sollten Sie die schwarze Farbe einmal vergessen und sagen: Das habt ihr gut gemacht.
Es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, nämlich die
verstärkte Zusammenarbeit. Ich erinnere mich noch gut,
wie sie für illusionär gehalten wurde. Im Zuge der Erweiterung wurde uns privat von europasachverständigen Kollegen aus Ihren Reihen gesagt: Das ist der zentrale Punkt;
denn eine sich erweiternde Union muss die Perspektive
zur Vertiefung über die verstärkte Zusammenarbeit haben; aber das werdet ihr nicht schaffen. - Dieser Punkt
gehörte nicht einmal zu den Überbleibseln, sondern zu
den Hoffnungen der sachverständigen Europapolitiker
aus der Union.
Heute kann ich Ihnen sagen: In Biarritz ist klar geworden - die deutsch-italienische Initiative ist erwähnt worden -, dass wir diesen Punkt in Nizza weiter verhandeln
werden. Vor einem europäischen Abschluss muss man das
Ganze immer unter Vorbehalt sehen; aber nach Biarritz
gehe ich mit wesentlich mehr Optimismus nach Nizza.
Wenn wir in diesen Punkten einen Durchbruch erzielen
wollen, wird das mit dazugehören. Das muss man doch
einmal anerkennen; es ist einer der entscheidenden
Punkte.
({7})
Ich komme zu den anderen Punkten: zur Größe und Zusammensetzung der Kommission und zum Rotationsmodell. Wenn gesagt wird, die Bundesregierung würde sich
nicht mehr um die kleinen Mitgliedstaaten kümmern,
dann wissen Sie doch ganz genau, dass dieses schlichtweg
Quatsch ist. Wir haben doch gegensätzliche Interessen der
großen und kleinen Staaten - bei den Fragen, die wir hier
diskutieren, geht es ganz entscheidend darum - bezüglich
der Frage der Stimmengewichtung und der Frage der Zusammensetzung der Kommission. Schauen Sie sich doch
einmal Verhältnis, Bedeutung und Gewicht der Stimme
eines deutschen Bürgers gegenüber denen der Stimme eines Bürgers eines kleineren Mitgliedslandes an. Ich sage
gar nicht, dass das zu beklagen ist - es macht sogar ein
Stück weit den Integrationsmechanismus der Europäischen Union aus -; das Ganze muss nur ausbalanciert
sein.
Genau um diese Balance geht es. Es gibt den Vorschlag
der großen Mitgliedsländer, auf einen von zwei Kommissaren zu verzichten, was nicht allen großen einfach gefallen ist.
({8})
- Nein, Herr Schäuble, uns fällt es nicht leicht. Was soll
das jetzt?
Der entscheidende Punkt ist doch ein anderer. Der entscheidende Punkt ist, dass die Kommission nicht nur eine
Repräsentationsebene für die Integration darstellt, sondern gleichzeitig eine Funktionsebene ist. Das heißt, die
Kommission kann nicht beliebig erweitert werden. Die
großen Staaten haben vorgeschlagen: Wir verzichten auf
einen Kommissar und sind sogar bereit, für ein Jahrfünft
auf die Repräsentation in der Kommission im Sinne der
Rotation zu verzichten, - das heißt, wir sind nicht immer
mit dabei, - um die Funktionalität der Kommission als
Ganzes zu erhalten. Dem haben die Kleinen sehr heftig
widersprochen.
({9})
Ich bin mir sicher, was die Anzahl der Kommissare betrifft, wird es eine Lösung im Austarieren zwischen Groß
und Klein geben, auch hinsichtlich der Repräsentanz und
der Funktionalität. Das heißt, im Zuge der Erweiterung
wird die Kommission nicht so weit ausgedehnt, dass sie
nicht mehr funktionieren kann.
Zur Frage der Stimmengewichtung. Der Bundeskanzler hat klar gesagt: Es ist keine mathematische Frage, sonBundesminister Joseph Fischer
dern es muss letztendlich politisch entschieden werden.
Wir können mit verschiedenen genannten Modellen leben, solange der demographische Faktor mit einbezogen
wird. Auch in diesem Punkt wird deutlich, dass die Diskussion nach Biarritz eine positive Entwicklung auslösen
kann.
Bei der Frage der Mehrheitsentscheidung zeichnet sich
- auch und gerade auf der letzten Vorbereitungssitzung
nach Biarritz - ab, dass wir hier in der Tat vorankommen.
Nur kann man es sich nicht so einfach machen. Wenn Sie
sich die Zahlen anschauen, werden Sie erkennen, dass die
Verteilung das große Problem ist. Ich bin nachdrücklich
dafür, dass wir die Beschlüsse von Tampere umsetzen und
zum Beispiel eine europäische Harmonisierung des Asylrechts bekommen. Wenn die Dinge hier nicht in die richtige Proportion geraten, würde dies zu praktischen Problemen führen, die auf Dauer innenpolitisch nicht mehr
ausbalanciert werden könnten. Dieses Argument muss
man einfach zur Kenntnis nehmen. Ich bin mir sicher, dass
wir bei Punkten, die von anderen Mitgliedstaaten kritisch
gesehen werden, mit Mehrheitsentscheidungen einen echten, substanziellen Fortschritt bekommen können.
Wenn ich die Fragen - ich habe es vorhin angesprochen - einer verstärkten Zusammenarbeit, der Daseinsvorsorge und die deutsche Initiative des Bundeskanzlers
hinzunehme, als Folge daraus den Einstieg bis 2004 in
eine Verfassungsdebatte annehme und dann höre, dass
Sie, Herr Hintze, ganz stolz verkünden, die GrundrechteCharta solle Teil dieser Verfassungsdebatte sein, muss ich
Ihnen sagen: Sie hätten auch hinzufügen können, dass es
die Initiative dieser Bundesregierung war, dass sie das
während ihrer Präsidentschaft auf den Weg gebracht hat
und dass wir heute in den Punkten einen wirklichen Erfolg haben werden. Wenn es sich auch noch nicht in den
Verträgen niedergeschlagen hat, so liegt die Sache doch
auf dem Tisch, findet die Billigung aller Beteiligten auf
der politischen Ebene und wird auch noch in die Verträge
einbezogen werden.
({10})
Wenn ich einen Strich darunter ziehe, kann ich sagen:
Es wird noch sehr schwer werden. Wer die europäische
Gefechtslage und Kompromissstruktur kennt, wird dem
zustimmen. Wir wissen, wie wichtig es ist, die Interessen
der Großen und der Kleinen zusammenzuführen. Wir
werden die Zeit bis Nizza nutzen.
({11})
- Da Sie Österreich angesprochen haben, muss ich sagen:
Österreich hat sich überaus konstruktiv verhalten.
({12})
- Entschuldigung wegen der Kleinen. In dem Punkt werden wir uns einfach nicht einigen. Da die Österreicher
heute ihren Nationalfeiertag haben, lassen Sie uns den
Österreichern ganz herzlich gratulieren. Das hätten Sie
ja erwähnen können, da die Debatten des Deutschen
Bundestages in Österreich sehr aufmerksam verfolgt werden.
({13})
- Dann werden wir uns dort sehen, Herr Gerhardt. Jetzt
habe ich sogar noch eine Überraschung für Sie. Sie sehen,
die Bundesregierung ist immer einen Schritt voraus.
Herr Bundesminister, in der Aktuellen Stunde stehen Ihnen nur
10 Minuten zur Verfügung.
Ich komme jetzt zum Schlusssatz, von dem mich nur der
Zuruf über Österreich abgehalten hat.
Wie gesagt: Es wird alles andere als einfach werden.
Dennoch bin ich nach Biarritz wesentlich optimistischer
als vorher, dass wir in Nizza einen wichtigen Erfolg verbuchen können. Dazu hat diese Bundesregierung wesentlich beigetragen. Das können Sie auch einmal anerkennen.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Friedbert Pflüger von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich am Anfang
meiner Rede zum Kollegen Nietan und zum Kollegen
Fischer sagen: Ungeachtet aller parteipolitischen Differenzen über einzelne Punkte und ungeachtet des für die
Opposition legitimen Vorhabens, im Vorfeld Messlatten
für den Erfolg zu errichten, ist es völlig unbestritten - das
können Sie auch im Lichte der Arbeit im Europaausschuss
nicht anders sehen -: Auch wir als CDU/CSU wollen im
Interesse unseres Landes den Erfolg von Nizza, weil er
- wie es der Kollege Hintze bereits gesagt hat - der
Schlüssel für den Prozess der EU-Erweiterung und der
Wiedervereinigung Europas ist.
({0})
Ich finde, Herr Bundesminister Fischer, Sie haben hier einen Popanz aufgebaut, indem Sie den Kollegen Hintze
kritisiert haben.
({1})
Ich hätte an Ihrer Stelle die Kritik und die Ermahnung,
dass bisher noch nicht einmal ansatzweise erkennbar ist,
wo in Nizza die Kompromisslinien verlaufen werden, genutzt, um die eigene Verhandlungsposition in Nizza zusätzlich zu stärken. Andere Regierungen machen das, indem sie auf die Forderungen ihrer Parlamente verweisen.
Dass Sie solche Forderungen hier abtun und sie als destruktiv bezeichnen, hat weder der Kollege Hintze noch
die Fraktion der CDU/CSU verdient. Das Gegenteil ist der
Fall: Wir wollen den Erfolg. Wir machen konkrete Vorschläge. Aber Sie werden der Opposition in der Tat nicht
verbieten können, eigene Vorstellungen im Vorfeld eines
solchen Gipfels zu artikulieren.
({2})
Wenn der Kollege Hintze sagt, die in Nizza zusätzlich
zu vereinbarende Konferenz über die Kompetenzaufteilung dürfe kein neues Hindernis für die Erweiterung sein,
dann ist das eine sehr konstruktive Einlassung, die ich im
Rahmen der innenpolitischen Debatte
({3})
für wichtig halte. Ich bin dem Kollegen Hintze für das,
was er heute ausgeführt hat, besonders dankbar und verstehe das als einen wichtigen Beitrag zu unserer Debatte.
Stichwort „Schlüssel zur Erweiterung“ - eigentlich
„Schlüssel zur Wiedervereinigung Europas“ -: Herr Professor Geremek, damals der Außenminister Polens, hat
vor zwei Jahren den Karlspreis der Stadt Aachen verliehen bekommen. Geremek ist ein Kind jüdischer Eltern.
Kurz bevor das Warschauer Getto plattgemacht worden
ist, ist er herausgeschmuggelt und von polnischen Bauern,
den Geremeks, aufgezogen worden. Danach wollte er von
Deutschland eigentlich nichts mehr wissen, obwohl
Deutsch seine Muttersprache war. Er hat sich deshalb in
seinem weiteren Leben vor allem mit Frankreich beschäftigt. Er hat in Frankreich studiert und war Assistent an der
Sorbonne.
Ich kann mich noch gut daran erinnern - der eine oder
andere von uns war dabei -, wie Herr Geremek, nachdem
er die Auszeichnung erhalten hatte, den Kaisersaal betrat
und plötzlich auf Deutsch redete. Geremek sagte, er habe
sich lange überlegt, ob er in der Sprache der Mörder seiner Eltern reden sollte, und fügte hinzu: Ich tue es trotzdem, weil sich die Deutschen mehr als jedes andere Volk
für die Einbindung Polens in die euro-atlantischen Strukturen eingesetzt haben.
Herr Bartoszewski, der heutige Außenminister Polens - er hat neun Jahre seines Lebens in Gefängnissen
verbracht, und zwar erst in Auschwitz und dann in stalinistischen Gefängnissen -, sagte: Ich erwarte von
Deutschland, dass es gerade nach der Wiedervereinigung,
die es zu einem Großteil Solidarnosc verdankt, auch die
Grenzen von Jalta endgültig beseitigt und dies nicht immer weiter herausschiebt und sagt: in fünf Jahren. 1995
wurde auf das Jahr 2000 und 1998 auf das Jahr 2003 verwiesen. Und jetzt? Jetzt, so sagt er, brauchen wir ein Zieldatum, damit wir wissen, dass ihr es ernst meint.
Unsere Bitte ist: Geben Sie Polen und den anderen
Staaten in Mittel- und Osteuropa eine konkrete Perspektive für seinen Beitritt zur EU und lassen Sie uns als Deutsche nicht in letzter Minute, sozusagen kurz vor der Ziellinie, von den Forderungen der Engländer, Franzosen und
Spanier übertreffen!
({4})
Es wird erwartet, dass wir die Position, die wir während
der CDU/CSU-F.D.P.-Regierungszeit eingenommen haben und die wir gemeinsam im Parlament vertreten haben,
nämlich Motor des europäischen Einigungsprozesses zu
sein, weiterhin einnehmen. Deshalb bitte ich die Bundesregierung dringend, den Gipfel in Nizza als „Schlüssel zur
Wiedervereinigung Europas“, so hat es der Kollege
Hintze formuliert, zu sehen und möglichst bald nach
Nizza - spätestens unter der schwedischen Präsidentschaft - einen Fahrplan vorzulegen, der den Ländern Mittel- und Osteuropas Licht am Ende des Tunnels bringt.
Wenn wir darüber einen Konsens erzielen würden, dann
wären wir sehr viel weiter.
Es ist sehr wichtig, nicht nur Termine für die einzelnen
Etappen der Vereinigung Europas zu nennen - dies muss
auch getan werden -, sondern auch die Ängste der Menschen in den Grenzregionen ernst zu nehmen, sie nicht abzutun. Gehen wir darauf ein, was sie bewegt!
Es bewegt sie zum Beispiel die Frage: Kommen da
nicht Massen von Menschen aus Osteuropa, die dann Billiglohnarbeitsplätze einnehmen und uns verdrängen? Das ist doch eine Angst, die auch wir haben würden, wenn
wir dort leben würden und nicht hier Politiker wären.
Was ist die Antwort darauf? Die Antwort ist: Wenn wir
den Menschen die Perspektive Erweiterung nehmen, die
Erweiterung immer weiter hinausschieben, kommen viel
mehr, weil die Menschen ihre Heimat meistens nicht deshalb verlassen, weil sie in einem anderen Land ein paar
Mark mehr verdienen, sondern weil sie keine Perspektive
haben.
({5})
Herr Kollege Pflüger, kommen Sie bitte zum Schluss!
Ich komme zum
Schluss. - Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung,
Ängste von Menschen nicht wegzureden, sondern auf sie
einzugehen, nicht indem man sie verstärkt, sondern indem
man sie konstruktiv bearbeitet. Das ist unsere Bitte.
Wir wünschen Ihnen, Herr Bundesminister, für Nizza
wirklich viel Erfolg. Aber bitte haben Sie so viel parlamentarisches Verständnis, dass Sie bei all dem, was Sie
hier moralisierend gesagt haben, auch einer Opposition
zugestehen, dass sie Messlatten auflegt, vor allen Dingen
die Messlatten, die die Regierung vor einigen Monaten
selbst gezogen hat.
Vielen Dank.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Markus Meckel von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Pflüger, es ist
in diesem Hause irgendwie schwierig, wenn der RegieDr. Friedbert Pflüger
rung im Vorwurfston die eigene Position dargestellt wird.
Irgendwie, so denke ich dann, bin ich hier im falschen
Theater.
Nehmen wir die Fragen, die zuletzt angesprochen worden sind: Wer redet denn ständig davon, dass die Vorhaben in Nizza geschafft werden müssen, damit die Erweiterung kommen kann? Natürlich die Bundesregierung
und die sie vertretenden Parteien. Darin sind wir uns überhaupt nicht uneins.
({0})
Die Frage ist doch: Was ist eigentlich heute das
Thema? Wenn ich Herrn Hintze von Erstgeburtsrecht reden höre - nach dem Motto: „Die Verfassungsdiskussion
haben wir erfunden!“ -, kann ich nur sagen: Schauen Sie
sich einmal die Programme etwa der Europa-Union an.
Das ist ein Verein, zu dem eine ganze Reihe von uns
gehören. Seit zehn oder mehr Jahren gibt es dort regelmäßig Veranstaltungen über genau solche Fragen. Es war
die Bundesregierung, und zwar die jetzt regierende Bundesregierung, die dies zu einem Thema nicht nur in gesellschaftlichen Runden und von Konferenzen gemacht
hat, sondern auf die Tagesordnung der Minister gesetzt
hat, also dort auf die Tagesordnung, wo es wirklich hingehört und wo jetzt die Entscheidungen fallen, dass dieses Thema auf der nächsten Regierungskonferenz behandelt wird.
Bauen wir doch nicht gegenseitig einen Popanz auf,
nur um herauszustellen: Wir sind mehr für Europa als die
anderen. Denn eines finde ich interessant: In den zentralen inhaltlichen Punkten sind wir uns offensichtlich einig.
Die Frage ist nur: War es ein Erfolg oder nicht? Dazu kann
ich Ihnen nur sagen: Den Erfolg von Biarritz werden wir
in Nizza erleben; denn in Biarritz ist nichts verabschiedet
worden, dort hat man versucht, Konsens zu bilden. In
manchen Punkten ist man schon so weit, in anderen noch
nicht. Wir werden Erfolg haben, obwohl uns allen klar ist,
dass es noch schwer werden wird.
Und, Herr Haussmann, wenn ich Ihnen das einmal so
sagen darf: Dass wir in der Bevölkerung noch vieles deutlich machen müssen, ist klar. Aber erzählen Sie uns doch
einmal - das gilt auch für die Kollegen von der
CDU/CSU -, wo Sie diese Veranstaltungen machen. Ich
könnte Ihnen die Veranstaltungspläne unserer Fraktion
nennen.
({1})
- Ja, dann sagen Sie es doch, damit wir es gemeinsam tun.
Richten Sie es nicht als Vorwurf an die Bundesregierung
oder an andere Parteien, sondern sagen Sie: Dies ist eine
gemeinsame Aufgabe der politischen Klasse, die von uns
allen wahrgenommen wird und zu deren Lösung weiterhin noch viel zu tun sein wird.
Die Bilder in Biarritz wurden von der Anwesenheit des
neuen jugoslawischen Präsidenten Kostunica geprägt. Ich
glaube, da haben wir alle gemeinsam einen ganz wesentlichen Erfolg gefeiert. In einem Land, auf das wir lange
geschaut haben, um das wir uns bemüht haben - wir alle
waren uns darüber einig, dass die Entwicklung in Südosteuropa von der Entwicklung der Demokratie in Serbien
abhängt -, haben wir nun endlich einen Durchbruch und
wesentlichen Erfolg. Darüber sollten wir gemeinsam froh
sein.
Gleichzeitig ist klar: Dies braucht europäische Hilfe.
Nicht zuletzt durch deutsche Initiative ist diesbezüglich in
Biarritz Wesentliches entschieden worden. Ich erinnere an
die Soforthilfe in Höhe von 200 Millionen Euro. Wir alle
wissen, dass „Soforthilfe und EU“ manchmal ein gewisser Widerspruch ist. Wir müssen dafür sorgen, dass dies
jetzt möglichst schnell kommt. Deshalb hat die Bundesregierung auf unsere Initiative hin gesagt: Wir wollen,
dass die deutsche Hilfe in Höhe von 50 Millionen DM
möglichst schnell dorthin fließt. Ist das nichts? Ich glaube,
dass wir gemeinsam etwas Wichtiges geschafft haben.
Der Faktor Zeit ist entscheidend für die Entwicklung in
Südosteuropa und die Entwicklung in Serbien, damit wir
bis zur Wahl am 23. Mai in Serbien wirklich etwas geschafft haben. Die Menschen dort warten auf Hilfe und
auf klare Orientierungen.
Klar ist auch: Wir brauchen die nächsten Schritte zur
Integration Jugoslawiens, zur Integration Serbiens in die
internationale Staatengemeinschaft. In den nächsten Tagen wird die Entscheidung über eine Wiederaufnahme in
die OSZE fallen.
Ein zentraler Punkt ist das Beharren auf der Notwendigkeit - darüber waren wir uns im Ausschuss einig - der
Achtung von Minderheitenrechten.
({2})
Dies ist ein zentraler Punkt. Hier muss ich mein Bedauern
äußern, dass wir es leider nicht geschafft haben - Herr
Meyer hat mir dies in einem Gespräch bestätigt -, dass die
Minderheitenrechte in der Grundrechte-Charta, ein erster
wesentlicher Schritt zu einer künftigen europäischen Verfassung, stärker ausgeführt werden. Wir sollten in dem
Bemühen darum aber nicht nachlassen. Denn dies bleibt
ein zentraler Punkt für die europäische Entwicklung.
Ich danke Ihnen.
({3})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Hannelore Rönsch von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn eine Generalprobe
richtig danebengegangen ist, dann hofft man auf die Premiere. Wir hoffen mit Ihnen, dass die Premiere in Nizza
endlich zu einem Erfolg wird.
({0})
Das, was wir in den Medien mitgeteilt bekamen, waren
die Abendtischgespräche. Diese waren vordringlich dadurch gekennzeichnet, dass sich die kleinen Länder von
den großen Ländern überfordert und überrumpelt fühlten.
Hier hat der Bundeskanzler eine alte Tradition, die die
Bundesrepublik Deutschland über viele Jahrzehnte ausgezeichnet hat, einfach über Bord geworfen. Er hat sich
der Ratspräsidentschaft der Franzosen angedient und untergeordnet und hat mit dazu beigetragen, dass die kleinen
Länder plötzlich aufschreien, weil sie darüber nachdenken, wie ihr Votum nachher gewertet wird. Wir werden
das in Zukunft nicht zulassen.
Wir werden aber mit dazu beitragen, dass die Regierungskonferenz in Nizza ein Erfolg wird. Denn wir, die
Christlich Demokratische Union und die Fraktion der
CSU, wollen den Erfolg Europas. Wenn der Vertreter der
PDS hier vorne steht und dies anzweifelt, finde ich es ausgesprochen infam.
({1})
Ein Nachfolger der Partei, die Europa über 40 Jahre durch
einen Eisernen Vorhang getrennt hat, stellt sich hier hin
und spricht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Europafähigkeit und den Willen zu Europa ab. Das können wir
so nicht hinnehmen.
({2})
Ich habe durchaus positiv zur Kenntnis genommen,
dass der Bundeskanzler die Mehrheitsabstimmung im Ministerrat angesprochen hat. Einen klaren Einsatz für die
deutliche Ausweitung qualifizierter Mehrheiten hat die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion immer schon eingefordert. Wir erwarten hier elementare Fortschritte. Wir hoffen, dass die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union
so auf Dauer erheblich erweitert wird.
Ich hätte allerdings erwartet, dass auch die Kompetenzabgrenzung noch einmal klar angesprochen wird. Wir
haben im Sommer dieses Jahres den Außenminister auf
einer so genannten privaten Audienz der Humboldt-Universität gehört. Dort hat er durchaus vernünftige Vorschläge gemacht. Ich hätte mir gewünscht, dass er dies mit
dem Bundeskanzler abspricht und der Bundeskanzler sich
diese Positionen zu Eigen macht. Wir wollen schon wissen, welche Aufgaben von der Europäischen Union und
welche von den Nationalstaaten übernommen werden sollen und welche Zuständigkeiten möglicherweise wieder
von der Europäischen Union auf die Nationalstaaten
zurückverlagert werden sollen. Die Diskussion darüber ist
über Monate verschleppt worden. Hier erwarten wir auch
vom Bundeskanzler ein klares Wort. Wir erwarten, dass
die Bundesregierung an dieser Stelle endlich zu einem
einheitlichen Votum kommt.
Ich habe schon das fehlende Fingerspitzengefühl gegenüber den kleinen Staaten angesprochen. Wir haben
jetzt noch ein paar Monate Zeit, die Irritationen, die auch
in der Bevölkerung entstanden sind, zu bereinigen. Wir
wissen, dass nicht nur in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ein ausgesprochener Europa-Skeptizismus vorhanden ist. Dem müssen wir begegnen; wir
müssen die Bürger auf dem Weg nach Europa mitnehmen.
Dies hat bereits einer der Vorredner - ich glaube, Sie waren es, Herr Kollege Meckel - angesprochen. Wir werden
Sie da begleiten und mit dabei sein, wenn es darum geht,
um die Zustimmung der Bürger zu werben. Wir wissen
nämlich genau, dass die Osterweiterung der EU für die
Bundesrepublik Deutschland von ganz besonderer Bedeutung ist.
({3})
Wir sind aus historischen, kulturellen und geographischen Gründen verpflichtet, diese Osterweiterung so
schnell wie möglich voranzutreiben. Ich habe aber die
große Sorge, dass die Verzögerung von Reformen - sie
können vielleicht nicht in dem Zeitrahmen stattfinden,
den wir uns vorgestellt haben - als Ausrede dafür genommen wird, dass der Zeitplan der Osterweiterung nicht eingehalten werden kann. Wir werden sehr wachsam sein
und darauf achten, dass die angemahnten Reformen umgesetzt werden. Wir wollen im Interesse unserer mittelund osteuropäischen Nachbarn, dass die Zeitrahmen benannt und in Zukunft eingehalten werden.
Ich sage ein Letztes: Außenminister Fischer hat wieder
eine sehr flapsige Bemerkung über Österreich gemacht.
({4})
Es hätte der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen
gut angestanden - sie hat damals dazu beigetragen, die
Sanktionen gegen Österreich in Kraft zu setzen -, bei der
vorbereitenden Regierungskonferenz in Biarritz ein Wort
der Entschuldigung zu sagen und unsere Nachbarn aufzufordern, sich bei Österreich zu entschuldigen.
({5})
Dazu ist es noch nicht zu spät. Tun Sie das spätestens in
Nizza.
({6})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Helmut Lippelt vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde, dies ist eine ausgesprochen skurrile Veranstaltung.
({0})
Ich belege das: Ich habe mich gefragt, warum die Opposition diese Aktuelle Stunde anmeldet, und gedacht, sie
werde auf die Krise, die es in Biarritz gegeben hat, konkret eingehen, sie auseinander falten und interpretieren.
Nein, der Kollege Hintze sagt erst einmal generell, die
Konferenz sei gescheitert. Dann spricht er vom Verfassungsvertrag und der Verfassungskonferenz, obwohl wir
uns alle in diesem Hause einig sind, dass zunächst die drei
„leftovers“ von Amsterdam und einige weitere Punkte behandelt werden müssen und dann die Erweiterung erfolgen muss. Erst danach werden wir zur Verfassungskonferenz, zur Kompetenzabgrenzung usw. kommen. Was soll
es also, uns das zu erzählen? Dass das eine alte Idee der
CDU ist, bestreiten wir doch überhaupt nicht.
({1})
Hannelore Rönsch ({2})
Dann kommt der Kollege Haussmann und sagt, es sei
doch nur eine Vor-Konferenz gewesen, so schlimm sei es
doch nicht. Sie sei zwar falsch gelaufen, aber nicht von
deutscher Seite aus, sondern von französischer Seite.
Seine Empfehlung schließlich ist, unser Außenminister
möge mit den Franzosen einmal darüber reden, dass sie es
beim nächsten Mal ein bisschen besser machen. Das ist
gut und schön, aber auch noch kein Oppositionsthema.
Dann kommt der Kollege Pflüger, der nun den Kollegen Hintze heraushauen muss. Darum sagt er erst einmal,
der Kollege Hintze habe uns doch gute Hinweise gegeben.
Welchen Hinweis des Kollegen Hintze erwähnt Kollege
Pflüger? Seine Äußerungen zur Kompetenzaufteilung.
Das ist zugegebenermaßen eine wichtige Angelegenheit,
gehört aber jetzt auch nicht zur Sache.
Dann spricht der Kollege Pflüger in einer sehr bewegenden Weise - ich will das überhaupt nicht bewerten;
Geremek ist mein Freund so gut wie Ihrer - über polnische Schicksale. Aber während diese Fraktion in Polen
war und sich darum bemüht hat, zu betonen, dass man den
vereinbarten Termin schaffen muss, kam aus Ihrer Ecke
immer nur die Meldung, dass Sie für Big Bang und 2005
seien. Irgendwie passt das - wenn ich das recht verstanden habe - alles nicht zusammen.
({3})
Und statt dass die Opposition die Regierung prügelt,
weil es bei einem Punkt dafür wirklich einen Grund gegeben hat, muss der Außenminister Ihre Arbeit machen
und Ihnen das Thema in aller Ausführlichkeit auseinander
setzen. Über diesen einen Punkt zu sprechen wäre in der
Tat sehr interessant. Es ist für mich nicht der Rede wert,
dass bei einer solchen Vorkonferenz zunächst einmal Probleme und Lösungsmöglichkeiten gesichtet werden. Man
schaut hin und sieht: Der Text der Grundrechte-Charta
- sie sollte ja noch nicht verbindlich werden - steht, sodass es bereits einen Baustein für eine spätere europäische
Verfassung gibt. Abgehakt, ist für Nizza erledigt!
Damit kommt man zu dem nächsten Punkt, der verstärkten Zusammenarbeit. Der Minister hat Ihnen das
schön auseinander gesetzt, wie wenig dafür nötig war. Ich habe ihm das übrigens auch nicht zugetraut.
({4})
Auch ich habe gedacht, dass dies das schwierigste Thema
ist. Ich bin überrascht, wie sich durch die Reduzierung des
Themas auf den Auslösungsmechanismus plötzlich eine
Lösung andeutet. - Auch dieses Thema ist also abgehakt
und wird in Nizza zur Beschlussfassung auf der Tagesordnung stehen.
Dann kommen die drei „leftovers“. Das Erste ist der
Übergang zur Mehrheitsentscheidung. Wir wissen: Alle
haben lange Listen eingereicht, die deutsche Liste ist die
kürzeste. Damit haben wir schon ein Plus. Wir sind
zuversichtlich, dass noch unter französischer Präsidentschaft diese langen Listen im Rahmen des „Beichtstuhlverfahrens“ gekürzt werden. Dann werden wir in Nizza
zwar nicht das haben, was wir alle möchten, aber wir werden viel mehr haben als den Status quo.
({5})
- Ja, mein Lieber, wir sind so reich an Talenten, wir können auch noch welche in der Fraktion lassen!
({6})
Jetzt komme ich zur F.D.P. und zu den kleinen Krisen.
Krisen in Vorkonferenzen sind nötig, sonst löst man die
Probleme am Ende nicht richtig. Es gab eine gute Krise:
hinsichtlich der Größe und der Zusammensetzung der
Kommission und hinsichtlich der Gewichtung der Stimmen. Ich hörte dazu vorhin von dem Kollegen Hornhues,
der Vorschlag von Schröder sei Quatsch, aber ich fand das
gar nicht. Wir haben es doch alle miterlebt: Die frühere
Regierung war nie in der Lage, die Blockade an diesem
Punkte aufzuheben. Denn man wusste nie: Versteckte sie
ihr eigenes Interesse an dem immerwährenden eigenen
Kommissar hinter den Interessen der Kleinen oder
schützte sie wirklich die Interessen der Kleinen? Das ist
nie deutlich geworden. Tatsache ist aber, dass die frühere
Regierung nie in der Lage war, auf französische Vorschläge einzugehen. Hier zeichnet sich ganz klar ein
Durchbruch ab.
Dementsprechend war Biarritz ein Erfolg und ich
zweifle überhaupt nicht daran, dass Nizza ein noch größerer Erfolg werden wird.
({7})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Gerd Müller von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Warum diese Aktuelle Stunde? Ich
glaube, es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass die
Bundesregierung nach oder, noch besser, vor einem
europäischen Gipfel mit dem Parlament in einen Dialog
tritt und die Positionen ausgetauscht werden. Das ist unser demokratisches Verständnis. Die Opposition hat den
Fehler gemacht, darauf zu bestehen, und wir haben den
Fehler gemacht, Ihnen, Herr Außenminister, in dieser Debatte nicht genügend zu huldigen.
({0})
Sie sprachen im Zusammenhang mit Biarritz von
Überbleibseln. Wenn ich an die Damen und Herren auf
den Rängen denke, frage ich mich, ob auch nur ein
Mensch etwas von dem, was Sie von sich gegeben haben,
verstanden hat.
({1})
Sind die Überbleibsel lösbar - ja oder nein? - Das ist
die Frage, die dem Erfolg bestimmen wird.
Ob man bei der Mehrheitsentscheidung drei Stimmen
mehr im Rat hat, keinen deutschen Kommissar oder noch
einen, von 99 auf 101 Abgeordnete im Europaparlament
kommt: Die Bevölkerung hat das Gefühl, hier geht es um
Kuhhandel.
({2})
Der große Wurf, Herr Außenminister, ist dies nicht. Man
könnte das, was Sie betreiben, als Flickschusterei bezeichnen. Ich messe Sie ja - das muss erlaubt sein - an
Ihren großen Vorgaben.
In der Humboldt-Universität haben Sie in der Tat die
zentralen europäischen Themenstellungen aufgeworfen,
nämlich die Frage nach der Rolle der Nationen in diesem
europäischen Prozess. Was macht Brüssel in Zukunft, was
bleibt in Paris und in Berlin und was machen die Länder?
Gibt es eine Finalität dieser Europäischen Union?
({3})
Wohin steuert diese Europäische Union - auf 15, auf 25,
auf 30? Das waren die großen Themen; die hier im Deutschen Bundestag mit uns zu diskutieren haben Sie sich
nicht getraut.
({4})
Sie haben hier eine Rede gehalten, die im Vergleich zu
Ihren Vorgaben, zu dem, welche Ansprüche Sie an sich
selber und an Ihr Amt stellen, getrost mit Flickschusterei
bezeichnet werden darf. Der große Wurf war dies nicht.
Ich sage noch einmal: Die Grundprobleme wurden nicht
einmal angegangen, sie wurden beiseite geschoben, zum
Beispiel der Einstieg in eine klare Kompetenzabgrenzung.
Ich könnte hier Helmut Schmidt zitieren, der genau
dies vorletzte Woche zum Grundproblem gemacht hat:
Die Bürger erkennen nicht mehr, was Brüssel macht, was
Berlin macht, wer überhaupt in dieser Demokratie noch
welche Rechtsetzung verantwortet. Sie haben das Thema
der Kompetenzabgrenzung beiseite geschoben.
({5})
2004 ist zu spät!
({6})
Sie haben das Thema der Reform des Ministerrates
- 20 Räte, die nicht mehr kontrollierbar sind, die nicht
arbeitsfähig sind, die auch nicht durch die nationalen Parlamente legitimiert sind - nicht einmal in die Diskussion
eingeführt. Keine Behebung des Demokratiedefizits! So
schaffen Sie keine Transparenz und keine Akzeptanz bei
der Bevölkerung.
Herr Außenminister, deshalb sage ich: Das ist Flickschusterei, nicht der große Wurf. Sie haben an der Humboldt-Universität eine große Vision entworfen, aber Sie
sind in der Realität - dort, wo Sie als Außenminister handeln müssen, beim Rat - gescheitert. Wenn da nicht mehr
herauskommt, sind Sie gescheitert.
Zum Schluss will ich zum Thema der Osterweiterung
Folgendes sagen: Wir wollen und wir brauchen diese
Osterweiterung. Deshalb muss die Regierungskonferenz
erfolgreich sein, um die Union handlungsfähig zu machen.
({7})
Deshalb liegt uns daran, diesen Prozess voranzubringen.
Schaffen Sie die Voraussetzungen! Wir waren der Meinung, bei den Beitrittsverhandlungen zur Osterweiterung
von sechs auf zwölf zu gehen, war falsch. Jetzt sehen wir,
dass die Verhandlungen nicht den Vertragstechnikern
überlassen bleiben dürfen. Die Menschen in Polen, in
Tschechien, in Ungarn brauchen eine Perspektive, die Sie
ihnen im Augenblick nicht bieten.
({8})
Dabei weisen wir immer darauf hin, dass dieser Prozess
natürlich auch für die Beitrittsstaaten beherrschbar - wirtschaftlich, sozial - sein muss. Das ist die Sorge, das ist das
Problem. Ich habe dazu von Ihnen nichts gehört.
({9})
Ich sage Ihnen zum Schluss, Herr Außenminister: Was
die Bevölkerung, was mich am meisten beunruhigt, ist
Ihre Verachtung des Parlaments, Ihre Arroganz, die Sie
schon auf der Regierungsbank ausstrahlen. Das ist dem
deutschen Parlament nicht gemäß.
Herzlichen Dank.
({10})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Hedi Wegener von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Hintze, Sie haben mit der
Bemerkung angefangen, Deutschland müsse Anwalt für
die EU und die Osterweiterung bleiben. Wir meinen: Gerade die Beiträge des Bundeskanzlers haben erheblich
dazu beigetragen, dass Deutschland weiterhin Anwalt für
die EU und die Osterweiterung bleibt. Auch wir, die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und die Mitglieder des
Europaausschusses haben in den Sitzungswochen Woche
für Woche zusammengesessen, um mit der Regierung entsprechende Überlegungen anzustellen.
Ich frage mich: Was ist eigentlich die Botschaft der von
Ihnen beantragten Aktuellen Stunde? Was bezwecken Sie
damit? Wenn wir diese Zeit genutzt hätten, mit dem
Außenminister im Europaausschuss eine qualifizierte Debatte zu führen, dann hätte es der Anfang eines Dialogs
sein können. Gerade Sie beschweren sich immer wieder,
der Kanzler und der Außenminister würden zu wenig informieren,
({0})
der Innenminister komme zu selten und das Auswärtige
Amt sei zu selten vertreten. Auf der anderen Seite müssen
wir die Sitzung des EU-Ausschusses aufgrund der Aktuellen Stunde vorzeitig beenden.
({1})
Herr Hintze, Sie haben die kleinen Länder angesprochen. Gerade der Vorstoß der Bundesrepublik in Richtung
Kommission - ich meine den Verzicht auf den zweiten
Kommissar, die Reduzierung der Kommission auf möglicherweise 20 Kommissare, die Festlegung auf eine
Obergrenze und auf ein Rotationsprinzip, die gleichberechtigte Teilhabe sowie die Konzentration der Arbeit stärkt in erster Linie die kleinen Länder.
Herr Pflüger, Sie haben gefordert, die Kompromisslinien sollten besser herausgestellt werden. Ich glaube, das
haben die Kollegen wirklich zur Genüge getan. Sie sollten nicht nur zuhören, sondern das Gesetz auch aufnehmen. Das Gleiche gilt für den Umgang mit Frankreich.
Auf der einen Seite sagen Sie, Deutschland habe sich
Frankreich angedient. Auf der anderen Seite sagen Sie
- wo ist denn überhaupt Frau Rönsch? Von ihr stammt dieser Vorwurf -,
({2})
wir würden keinen Dialog mit Frankreich führen. Ohne zu
hinterfragen, legen Sie die Situation so aus, wie Sie es gerade brauchen können.
Natürlich ist die Osterweiterung weiterhin das Grundproblem. So empfinden wir es ja auch. Deshalb muss der
Schwerpunkt auf die verstärkte Zusammenarbeit gelegt
werden. Die Haltung der Bundesrepublik und des
Bundeskanzlers, die verstärkte Zusammenarbeit als Instrument gezielt auszubauen, teilen auch die kleinen Staaten unter den Mitgliedstaaten. Über die Ausweitung des
Instruments der qualifizierten Mehrheit auf die Außenund Sicherheitspolitik muss natürlich noch verstärkt verhandelt werden. Es gilt: Biarritz liegt vor Nizza. Biarritz
war nötig, damit Nizza möglich ist.
Schönen Dank.
({3})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Martina Krogmann
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle wollen
den Erfolg von Nizza. Herr Außenminister und Frau Kollegin Wegener, wir sollten hinsichtlich dieser wichtigen
europapolitischen Frage kein parteipolitisches Gezänk
anfangen.
({0})
Wir sollten vielmehr über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten. Das war schon immer die Tradition.
({1})
Lassen Sie es mich deutlich sagen: Natürlich hat es in
einigen Bereichen Fortschritte gegeben. Aber hinter vielen wichtigen Fragen auch und gerade zu den institutionellen Reformen stehen auch nach Biarritz noch dicke
Fragezeichen.
({2})
Im Gegenteil: Von Biarritz sind für einige Bereiche Signale der Stagnation und auch Signale der Zerstrittenheit
- Groß gegen Klein - ausgegangen. Die Einigkeit, die wir
brauchen, hat es erst wieder in den vollmundigen Erklärungen nach dem Gipfel gegeben. - Ich möchte in diesem
Zusammenhang den Bundeskanzler zitieren. Er hat vom
„Geist von Biarritz“ gesprochen.
({3})
Dazu kann ich nur sagen: Sie müssen noch hart arbeiten,
damit aus dem Geist von Biarritz nicht das Gespenst von
Nizza wird.
({4})
Eines steht fest, meine Damen und Herren: Wenn wir
in Nizza nicht die notwendigen Reformen schaffen, dann
bekommen wir gleich zwei Probleme.
Das erste Problem betrifft die Euro-Schwäche; dies
verunsichert die Leute ganz extrem. Der Euro hat heute
mit 82 Cents seinen historischen Tiefststand erreicht.
Natürlich ist die Euro-Schwäche wirtschaftlich begründet. Das liegt auch an den von Ihnen unterlassenen notwendigen Reformen, aber das soll heute nicht das Thema
sein.
({5})
Die Euro-Schwäche ist aber auch massiv - das will ich
deutlich sagen - politisch begründet. Die Finanzwelt wartet doch geradezu auf Signale der Einigkeit aus Europa,
({6})
Signale, die die Reformfähigkeit der Europäischen Union
anzeigen. Das Zutrauen der internationalen Finanzmärkte
zum Euro wird in dem Maße wachsen, in dem das Zutrauen in die Europäische Union wächst. Wenn wir also
die Reformfähigkeit der Europäischen Union beweisen
können, wird dies auch eine stabilisierende Wirkung auf
den Euro haben.
({7})
Deshalb ist ein Erfolg von Nizza nicht nur von großer Binnenwirkung, sondern auch von extrem großer Außenwirkung.
({8})
Es ist doch gerade die Vielstimmigkeit in Europa, an
der der Euro leidet. Sie haben es versäumt, von Biarritz
ein Signal der Einigkeit ausgehen zu lassen, ein Signal
dafür, dass wir in Europa in wichtigen Fragen an einem
Strang ziehen und die Reform der Europäischen Union
voranbringen wollen. Hier haben Sie versagt.
({9})
Lassen Sie mich noch das zweite Problem ansprechen,
nämlich die Osterweiterung; meine Vorredner sind schon
darauf eingegangen. Wenn Sie in Nizza nicht die notwendigen Reformen schaffen, bekommen wir die Osterweiterung nicht hin. Das müssen wir so deutlich sagen. Wir
wollen in Nizza keinen Minikonsens. Das ist nicht ausreichend angesichts dieser historischen Aufgabe. Wir brauchen vielmehr den großen Wurf, weil es jetzt um die große
historische Chance zur Vereinigung Europas geht. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen und uns in Nizza viel Erfolg.
Vielen Dank.
({10})
Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege Günter
Gloser von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mein geschätzter
Kollege Peter Hintze wird heute nach getaner Arbeit zu
Hause vor den Spiegel treten und sich drei Fragen stellen:
Erstens: Warum habe ich diese Aktuelle Stunde beantragt? Zweitens: Warum argumentiere ich im Sitzungssaal
des Europaausschusses immer so differenziert und warum
bin ich im Reichstag ein solcher Lautsprecher? Drittens:
Warum bekommen wir, wenn es zwischen den Parteien im
Bundestag schon so viel Übereinstimmung gibt, keine gemeinsame Initiative hin, um ausdrücklich zu dokumentieren: „Das deutsche Parlament, der Bundestag, unterstützt
diese Bundesregierung“? - Sie werden sich die Antworten darauf heute Abend sicherlich selbst geben können,
Herr Kollege Hintze.
({0})
Der Kollege Dr. Müller hat auf die Bürgerinnen und
Bürger abgehoben. Ich möchte noch einmal sagen, worum
es eigentlich ging. Zu den drei zentralen Fragen, der Kommissionsgröße, der Stimmengewichtung und der Frage
der qualifizierten Mehrheit, hat diese Bundesregierung
und haben wir, die beiden sie tragende Fraktionen, ein,
wenn ich die Entschließungsanträge lese, doch sehr ambitioniertes Programm vorgelegt. Darin ist das festgelegt,
wofür diese Europäische Union in Zukunft handlungsfähig sein soll.
Es ist ja kein Fehler dieser Bundesregierung, ein so ambitioniertes Programm vorgelegt zu haben. Aber es muss
ein Kompromiss erreicht werden. Gerade weil Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer in Biarritz
versucht haben, Bewegung in diese in der Tat teilweise
festgefahrene Situation zu bringen, sind entsprechende
Vorschläge gemacht worden. Auch wenn wir von Biarritz
keine Ergebnisse erwarten konnten, ist doch die entsprechende Weichenstellung für Nizza vorgenommen worden. Dafür möchte ich der Bundesregierung ausdrücklich
danken.
({1})
Ich möchte ausdrücklich auf den Kollegen Dr. Pflüger
eingehen. Es gibt an dem, was Sie gesagt haben, Herr
Dr. Pflüger, überhaupt nichts zu korrigieren. Manchmal
habe ich oder haben wir den Eindruck gehabt, Sie sprechen nicht zum Haus, sondern zu Ihrer eigenen Fraktion.
({2})
Sie wollten damit ausdrücken: Liebe Freundinnen und
Freunde in der CDU/CSU-Fraktion, so eigentlich müsste
es weitergehen.
Ich darf Sie mit einer Presserklärung vom 17. Oktober
von Michael Glos konfrontieren, der heute nicht da ist.
Der letzte Satz heißt:
({3})
Dass Außenminister Fischer unnötigerweise ein
konkretes Beitrittsdatum nennt, ohne die Kandidatenländer zu verpflichten, ihre Hausaufgaben zu machen, macht die Situation nicht einfacher.
({4})
Ich frage mich: Welches ist denn eigentlich die Position
dieser CDU/CSU? Einige sind jetzt nicht mehr da. Ich
kenne sie alle, Herrn Dr. Pflüger, Herrn Hintze und noch
ein paar andere Aufrechte, den Kollegen Rühe, der sich da
auch sehr dezidiert geäußert hat. Aber es gibt auch andere.
Liebe Freundinnen und Freunde der CDU/CSU, ihr
müsst vielleicht erst einmal eine gemeinsame europäische
Leitpolitik finden,
({5})
und dürft nicht hier in einer so grundsätzlichen und wesentlichen europapolitischen Frage einen so vielfachen
Chor anstimmen.
Herr Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, manchmal, wenn ich Sie
in Bezug auf die Osterweiterung gehört habe, habe ich gedacht, Sie haben sich am Positionspapier der SPDBundestagsfraktion orientiert. Wir sagen eben genau, wir
müssen die Bürgerinnen und Bürger an diesem Prozess
der EU-Erweiterung beteiligen. Wir müssen Informationen geben. Wir müssen in der Tat ihre Befürchtungen, ihre
Ängste ernst nehmen. Wir als Politikerinnen und Politiker
dürfen sie nicht in ihren Ängsten bestärken,
({6})
sondern wir müssen sie informieren, wir müssen sie an
diesem Prozess beteiligen.
({7})
Ich bitte, das in Ihren Reihen endlich einmal als gemeinsamen Nenner zu vermitteln. Ich glaube, das ist wichtig.
Wir waren dieser Tage beide zu einer Konferenz eingeladen. Da ist in der Tat von einem Kollegen aus dem
Auswärtigen Amt, der in einem anderen EU-Mitgliedstaat
Dienst tut, gefragt worden: Freunde, wenn ihr alle im
Bundestag dieses große Projekt EU-Erweiterung haben
wollt und auch die innenpolitische Situation mit den
Ängsten, mit den Befürchtungen kennt, warum macht ihr
- die großen Parteien und andere, die sich da anschließen
wollen - nicht etwas Gemeinsames in diesen Grenzregionen oder in strukturschwachen Regionen, die die Befürchtung haben, die Risiken könnten überfallartig auf die
Menschen zukommen und sie können das deshalb nicht
machen?
({8})
Ich kann diese Idee nur noch einmal aufgreifen. Sie
sollten endlich auch zu einem Konsens kommen. Wenn
der Deutsche Bundestag die Bundesregierung in diesen
wesentlichen Fragen auch im Hinblick auf den Gipfel in
Nizza unterstützt, dann ist das gut so. Wir sollten allerdings keine neuen Hürden aufbauen. 2004 ist keine weitere Hürde für die EU-Erweiterung. Hier werden andere
Dinge gemacht. Auch das sollte in Ihren Reihen feststehen.
Insofern wünschen wir von der SPD-Bundestagsfraktion dem Außenminister und natürlich auch dem Bundeskanzler viel Erfolg in Nizza.
({9})
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. Oktober 2000,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.