Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/13/2000

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Anni Brandt-Elsweier, SPD-Fraktion.

Anni Brandt-Elsweier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Antrag verlangt die CDU/CSU-Fraktion in Sachen des Kollegen Pofalla eine sofortige Entscheidung des Bundestages ({0}) mit dem Ziel, der Bundestag möge beschließen, die Bundesregierung aufzufordern, Klage gegen das Land Nordrhein-Westfalen wegen eines Verstoßes gegen seine verfassungsmäßigen Pflichten zu erheben. Das ist sicherlich ein ungeheuerlicher Vorwurf. ({1}) - Das ist ein Vorwurf, selbstverständlich. ({2}) Lassen Sie mich vorab betonen, dass ich die tiefe Betroffenheit des Kollegen Pofalla über die dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zugrunde liegende Angelegenheit verstehen kann. Ihm ist Unrecht geschehen, wie das Landgericht Kleve in seinem rechtskräftigen Beschluss vom 11. August 2000 ausdrücklich festgestellt hat. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich ja auch für das Vorgehen seiner Behörde entschuldigt. ({3}) Es ist das Schicksal von Abgeordneten, dass sie zweifach von Strafe bedroht sind, wenn gegen sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, weil die Aufhebung der Immunität stets öffentlich gemacht werden muss und sich die Medien sofort auf diese Sensation stürzen. ({4}) Im Falle des Kollegen Pofalla ist es gut, dass das Landgericht Kleve sehr schnell die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen festgestellt hat und dass das Ermittlungsverfahren eingestellt worden ist. ({5}) Es ist klar, dass die hiermit verbundene Rufschädigung damit nicht ungeschehen gemacht werden kann. ({6}) Dennoch ist dies kein Grund für uns, die Tagesordnung heute zu ändern und den vorliegenden Antrag aufzunehmen und darüber heute zu entscheiden. Selbst wenn die Frist für eine Bund-Länder-Klage demnächst ablaufen sollte, haben wir in der nächsten Sitzungswoche Gelegenheit und Zeit, den Antrag eingehend zu diskutieren und darüber zu befinden. Den Fraktionen muss ausreichend Gelegenheit gegeben werden, die geforderte Verfassungsklage der Bundesregierung gegen das Land Nordrhein-Westfalen, die meines Wissens in der Geschichte des Bundestages einmalig ist, ({7}) in allen rechtlichen Konsequenzen zu prüfen und dann darüber zu entscheiden. Dies muss mit der gebotenen Eckart von Klaeden Gründlichkeit geschehen, da der Antrag eine Vielzahl rechtlicher Probleme aufwirft, mit denen die SPD-Fraktion äußerst kurzfristig, nämlich am 10. Oktober, konfrontiert worden ist. Insbesondere die Frage der Zulässigkeit muss sorgfältig geprüft werden. Ohne in die inhaltliche Diskussion einzusteigen - es handelt sich ja um eine Geschäftsordnungsdebatte -, möchte ich doch auf Folgendes hinweisen: Allein die Sachverhaltsdarstellung im Antrag ist unvollständig. Es kann nicht übersehen werden, dass die Ursachenkette zwischen den Maßnahmen der Staatsanwaltschaft und der Entscheidung des Immunitätsausschusses bzw. des Bundestages schon dadurch unterbrochen worden ist, dass das Amtsgericht Kleve durch seine Beschlussfassung zu den Beschlagnahmemaßnahmen eine eigene Entscheidung getroffen hat. Diese wiederum war auch Grundlage für die Entscheidung des Immunitätsausschusses und des Bundestages. Niemand wird davon ausgehen - dies wird nicht einmal im Antrag der CDU/CSU-Fraktion behauptet -, dass der zuständige Richter ohne eigene Prüfung und unter Missachtung von Gesetzen seine Beschlüsse gefasst hat. Die Entscheidung des Amtsgerichts wird in dem vorliegenden Antrag nicht einmal erwähnt. Sowohl der Immunitätsausschuss als auch der Bundestag haben die Aufhebung der Immunität in diesem Fall nach Recht und dem geltenden Gesetz und den selbst gegebenen Regeln auf der Grundlage gerichtlicher Beschlüsse einstimmig - ich betone: einstimmig - beschlossen. Um die schwerwiegende Verletzung der Bundestreue durch das Land Nordrhein-Westfalen feststellen zu können, bedarf es einer eingehenden und seriösen Beratung; denn auch bei näherer Befassung mit dem Antrag drängt sich dieser Verstoß nicht auf. Wir lehnen diesen Geschäftsordnungsantrag ab. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Jörg van Essen, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Auch wir werden dem Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSUFraktion nicht zustimmen. ({0}) Ich habe gemerkt, dass bei diesem Thema die Emotionen natürlich hochkochen. Ich glaube, das ist zu Recht der Fall; denn jeder von uns kann sich vorstellen, in welche Situation man kommt, wenn man für ein höheres Amt vorgesehen ist und dann wenige Tage vorher eine solche Maßnahme durchgeführt wird, von der sich hinterher auch noch herausstellt, dass sie klar und eindeutig rechtswidrig war. Deshalb stehen wir in der Verpflichtung - und zwar in der Verpflichtung gegenüber diesem Haus, aber auch gegenüber jedem und jeder einzelnen Abgeordneten -, Konsequenzen daraus zu ziehen. Wir als F.D.P. haben dies als eine persönliche Verpflichtung empfunden. Zum Beispiel habe ich als Erster die Vorladung des nordrhein-westfälischen Justizministers vor den Immunitätsausschuss beantragt, damit er vortragen kann, welche Konsequenzen er zieht. Für mich gehört zu dieser Verpflichtung ferner, dass in Zukunft die Akten des Verfahrens zur Generalstaatsanwaltschaft und zum Justizministerium mitgeschickt werden müssen, damit dort eine sachliche Prüfung stattfinden kann, was jetzt nicht geschehen ist. Die F.D.P.-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen hat die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragt. Auch das scheint mir eine vernünftige Reaktion zu sein. Warum sagen wir aber heute Nein zu dem Antrag? Die Begründung ist ganz einfach. Wir ziehen uns nicht darauf zurück, dass wir noch Zeit brauchen. Wenn Fristen ablaufen, sollte es auch möglich sein - wir als kleine Fraktion haben dies getan -, die Sachverhalte schnell zu prüfen. Wir kommen aber zu dem Ergebnis, dass ein Antrag durch die Bundesregierung, wie von der CDU/CSU vorgeschlagen, nicht erforderlich ist. Die CDU/CSU kann nämlich aus eigenem Recht einen Antrag stellen. Aufgrund der Konstellation - die Bundesregierung ist mit der gleichen Farbe besetzt wie die Landesregierung - sollte man von der Bundesregierung nicht verlangen zu klagen, sondern man sollte aus eigenem Recht einen Antrag stellen. Ich denke, das entspricht der politischen Hygiene. ({1}) Ein zweiter Aspekt hat für uns dabei eine Rolle gespielt. Wenn man die Prüfung aus eigenem Recht vornimmt, könnte es sein, dass der Prüfungsumfang eingeschränkt ist, dass nicht so weit geprüft werden kann, wie die Angelegenheit es verlangt. Aber auch das ist nicht der Fall. Da die Situation so ist, sollten wir der CDU/CSU-Fraktion raten, diesen Weg zu gehen. Wir sind dafür, dass es zu einer verfassungsrechtlichen Prüfung kommt, aber dann auf diesem Wege. Deshalb werden wir dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion nicht zustimmen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Namens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen widerspreche ich dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Aufsetzung des Antrages auf die heutige Tagesordnung. Sie haben dem Deutschen Bundestag äußerst kurzfristig einen absolut ungewöhnlichen Antrag vorgelegt und verlangen, dass innerhalb von drei Tagen über einen so weitreichenden Antrag entschieden wird. Ich halte das bei dem Ansinnen, das dieser Antrag enthält, für der Sache nicht angemessen, zumal der Antrag nach einer ersten Prüfung aus meiner Sicht unzulässig, juristisch äußerst zweifelhaft begründet und die Bundesregierung der falsche Adressat für Ihr Ansinnen ist. ({0}) Sie wollen, dass die Fraktionen dieses Hauses die Bundesregierung zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auffordern, ohne dass Sie diesen Fraktionen, im Übrigen auch Ihrer eigenen, ausreichend Gelegenheit geben, diesen Antrag zu prüfen. Ich teile nicht die Argumentation, dass die Zeit für eine Prüfung nicht ausreichen würde, da zum Ende dieses Monats eine Verjährung des Vorganges eintreten würde. Ich denke, dass genug Zeit wäre, diesen Antrag sorgfältig zu prüfen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das Angebot aller Fraktionen dieses Hauses vorliegt, sich mit den Vorgängen in Nordrhein-Westfalen eingehend zu beschäftigen. Wir haben Ihnen dieses Angebot im Immunitätsausschuss unterbreitet. Sie haben im Immunitätsausschuss dazu bisher keine eigenen Vorschläge eingereicht. Sie haben dort nicht dargelegt, wie man sich mit diesem Verfahren noch einmal beschäftigen kann. Der Kollege van Essen hat darauf hingewiesen, dass von ihm der Vorschlag ausgegangen ist, Justizminister Dieckmann in den Ausschuss einzuladen. Ich denke, Sie sollten zunächst im Ausschuss für Immunität Ihrer Sorgfaltspflicht hinsichtlich dieses Vorganges nachkommen, bevor Sie den Bundestag mit Ihrem Antrag befassen. Das Landgericht Kleve hat vor zwei Monaten entschieden, dass die Vorgänge in Nordrhein-Westfalen nicht in Ordnung waren. ({1}) Sie hatten zwei Monate Zeit, den Bundestag mit einem solchen Antrag zu konfrontieren. Sie hatten zwei Monate Zeit, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Angelegenheit juristisch geprüft werden kann. Kollege Pofalla war vor vier Wochen im Immunitätsausschuss anwesend und hat uns dort seine Sicht der Dinge dargelegt, in einem sehr emotionalen Vortrag, was ihm aber angesichts der Schwere des Vorganges mit Sicherheit zustand. ({2}) Aber dann nach vier Wochen mit einem solchen Antrag vor den Bundestag zu treten, finde ich nicht in Ordnung. Die Forderung an die Bundesregierung, eine Bundesverfassungsgerichtsklage einzureichen, ist die falsche Forderung. ({3}) - Es geht nicht um Recht und Moral bei Ihrem Antrag. ({4}) Wir haben gesagt, dass wir diesen Vorgang sehr wohl prüfen wollen, nach Recht und Moral, ({5}) aber nicht auf die Art und Weise, die Sie dem Bundestag vorschlagen. ({6}) Sie haben die Bundesregierung aufgefordert, die aber in dieser Angelegenheit des Immunitätsrechts keine Rechte hat, den Deutschen Bundestag zu vertreten. Das ist eine Angelegenheit, die der Deutsche Bundestag selber klären muss und die nicht seitens der Bundesregierung über eine Verfassungsgerichtsklage zu klären ist. Das ist der falsche Weg der Befassung mit diesem Vorgang. ({7}) Wir haben Ihnen im Immunitätsausschuss zugesichert, dass wir die Vorgänge in Nordrhein-Westfalen diskutieren wollen, dass wir bereit sind, zu überprüfen, inwieweit das Immunitätsverfahren an dieser Stelle verändert werden muss, um einen solchen Vorgang in Zukunft zu verhindern. All diese Zusagen liegen Ihnen vor. Offensichtlich legen Sie aber im Moment auf diese Art der Befassung keinen Wert. Ich denke, dass inzwischen seitens des Kollegen Pofalla und auch seitens der CDU/CSU-Fraktion sehr wohl eine Verfassungsgerichtsklage hätte eingereicht werden können. Dass Sie darauf abzielen, dass dies die Bundesregierung tun soll, finde ich nicht richtig. An dieser Stelle möchte ich dem Kollegen van Essen widersprechen: Es geht mir nicht darum, dass die Bundesregierung die gleiche Konstellation hat wie die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. ({8}) Das ist nicht die Begründung dafür, dass die Bundesregierung den von Ihnen vorgeschlagenen Weg nicht beschreiten soll. Sie sollten sich vielmehr mit der Argumentation Ihres Antrages auseinander setzen. Die Bundesregierung übernimmt doch nicht die Vertretung der juristischen Angelegenheiten des Deutschen Bundestages. Sie haben in Ihrem Antrag eine äußerst zweifelhafte Begründung vorgelegt. Deshalb werden wir nicht zustimmen, dass sich heute der Bundestag mit diesem Antrag befassen soll. Wir werden über das, was vor dem Bundesverfassungsgericht geprüft werden soll, in unserer eigenen Fraktion noch einmal diskutieren und uns mit diesem Vorgang noch einmal befassen, aber nicht auf die Art und Weise, wie Sie es heute dem Bundestag vorgeschlagen haben. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen den Kollegen Pofalla ist in der Tat alles andere als rechtmäßig - Konsequenzen sind bereits gezogen worden - und das gegenüber dem Immunitätsausschuss des Bundestages unverantwortlich. Damit hat sich der Bundestag in der Tat noch zu befassen. Beide Vorgänge sind für uns völlig inakzeptabel. Dafür, dass Sie den Fall Pofalla zum Anlass nehmen, Fragen, die die Aufhebung der Immunität betreffen, grundsätzlich anzugehen, gibt es bei uns ein gewisses Verständnis. Nach einer ersten juristischen Prüfung haben wir allerdings Zweifel, ob das angestrebte Bund-Länder-Streitverfahren das richtige juristische Mittel ist, gegen den unrechtmäßigen Eingriff in die Immunität des Kollegen Pofalla vorzugehen. Wir glauben, dass die Bundesregierung hier die falsche Adresse ist. Genau das ist der Grund dafür, warum auch die PDS dagegen stimmen wird, dass Ihr Antrag hier heute behandelt wird und dass über ihn abgestimmt wird. Ich will das kurz begründen: Wenn die Bundesregierung - genau das ist ja die eigentliche Intention Ihres Antrages - gegen das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen Verfassungsbeschwerde führt, dann ist das etwas, was nicht jeden Tag vorkommt. Im Gegenteil - das ist schon angesprochen worden -, das ist ein sehr ungewöhnlicher Fall. Wir haben es hier also mit einem richtigen politischen Schwergewicht zu tun. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sehen Sie ja wohl genauso. Deshalb haben Sie sich sehr gründlich vorbereitet: Sie haben ein paar Wochen lang recherchiert und Sie haben Gutachten anfertigen lassen. All das war sicherlich auch angemessen. Was ich allerdings nicht verstehen kann, ist, dass Sie den anderen Fraktionen hier im Hause nicht die gleiche Chance zur gründlichen Prüfung zubilligen. Das ist überhaupt nicht einzusehen. Im Gegenteil, Sie versuchen mit Ihrem Antrag, das Parlament im Eilverfahren zu verpflichten, einen weitreichenden juristischen Schritt gegen das Land NRW einzuleiten. Das halten wir für nicht akzeptabel. Deshalb werden wir nicht zustimmen. Ein möglicher Konflikt zwischen der Bundesregierung und dem Land NRW eignet sich nach unserer Auffassung nicht für einen parlamentarischen Schnellschuss. Ich sage es Ihnen ganz offen: Wir werden das Gefühl nicht los, dass es Ihnen mehr um einen Vorführeffekt im Hinblick auf die SPD auf Bundes- und auf Landesebene in NRW geht, dass dies ein Stück weit ein Nachkarten in Bezug auf die Landtagswahlen in NRW ist und dass es Ihnen weniger darum geht, für ein wirklich ernstes Problem eine solide, gemeinsame Grundlage zu finden. Darum aber geht es uns und deshalb stimmen wir nicht zu, dass sich der Bundestag heute mit Ihrem Antrag befasst. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der CDU/CSU-Fraktion? ({0}) Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Auf- setzungsantrag ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion, des Bündnisses 90/Die Grünen, der PDS-Fraktion und von Teilen der F.D.P.-Fraktion gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei einigen Stimmenthaltungen aus der F.D.P.-Fraktion abgelehnt worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis f sowie die Zusatzpunkte 11, 12, und 13 auf: 14. a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Entfernungspauschale und zur Zahlung eines einmaligen Heizkostenzuschusses - Drucksache 14/4242 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Vergütung der Mineralölsteuer für die Land- und Forstwirtschaft ({2}) - Drucksachen 14/4218, 14/4294 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 22. März 2000 zur Änderung des Übereinkommens vom 9. Februar 1994 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen - Drucksachen 14/3651, 14/4052 ({4}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5}) - Drucksache 14/4273 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich ({6}) bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/4274 - Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Dr. Rolf Niese Dr. Günter Rexrodt Dr. Uwe-Jens Rössel d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun ({9}), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der F.D.P. Ökosteuer zurücknehmen - Drucksachen 14/3519, 14/4276 - Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Schultz Heinz Seiffert Gerhard Schüßler Dr. Barbara Höll e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({10}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Weisheit, Annette Faße, Iris Follak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Kerstin Müller ({11}), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Wettbewerbsposition für die deutsche Landwirtschaft verbessern und nachhal- tige Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume sichern - zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Heizöl als Kraftstoff für die deutsche Land- und Forstwirtschaft - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn, Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Agrodiesel tanken - Gasölbetriebsbeihilfe abschaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Kersten Naumann und der Fraktion der PDS Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen - Drucksachen 14/2766, 14/2690, 14/2384, 14/2795, 14/3724 - Berichterstattung: Abgeordnete Detlev von Larcher f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Tanken von eingefärbtem Agrardiesel unbürokratisch ausgestalten - Drucksache 14/3105 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({12}) Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Unterglasgartenbau in Deutschland sichern - Drucksache 14/4243 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten({13}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Anpassungsbeihilfen für Unterglasbetriebe im Gartenbau - Drucksache 14/4257 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten({14}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich ({15}), Hildebrecht Braun ({16}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Kraftfahrzeugsteuer für schwere LKW auf EUNiveau senken - Bedingungen am Güterkraftverkehrsmarkt harmonisieren - Drucksache 14/4254 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({17}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, die heutige Tagesordnung zu erweitern: ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kersten Naumann, Rolf Kutzmutz, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Schaffung eines Nothilfefonds für existenzbedrohte Unterglasgartenbaubetriebe - Drucksache 14/4291 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten({18}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Der Antrag soll bei diesem Tagesordnungspunkt beraten werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist es so beschlossen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Angelika Mertens, SPD-Fraktion. Vorher bitte ich aber diejenigen, die den Saal verlassen wollen, es möglichst geräuscharm zu tun, damit die Rednerin eine Chance hat, gehört zu werden. Herzlichen Dank.

Angelika Mertens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002734, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann auch ziemlich laut sein. Ich werde also jetzt, am Freitag, dem 13., dagegen anbrüllen. Seit Anfang der 70er-Jahre haben wir eine problematische Beziehung zu Energie und vor allen Dingen eine problematische Beziehung zum Öl. Wir hätten in dieser Zeit Präsident Wolfgang Thierse eigentlich dringend an einer Partnerschaft arbeiten müssen. Wir haben uns aber gar nicht so unwohl gefühlt: Es hat einen erhöhten Wohlstand gegeben, es hat erhöhte Mobilität gegeben, es hat erhöhte Gewinne - vor allem bei den Mineralölkonzernen - und auch erhöhte Steuereinnahmen gegeben. Auf der rechten Seite des Hauses sitzen viele Abgeordnete, die innerhalb ihrer Regierungszeit die Mineralölsteuer viermal angehoben haben, und zwar um 50 oder 55 Pfennig, die im Haushalt versickert sind. ({0}) Es hat immer wieder ein paar Krisen gegeben. Man hat sich dann, was die Energie anging, auch einmal geschworen, dass endlich Schluss sei. In einer normalen Beziehung hätte man wahrscheinlich den Scheidungsanwalt angerufen oder wäre wenigstens in eine Partnerschaftsberatung gegangen. Irgendwie ist es aber doch immer wieder zur Versöhnung gekommen. Der eine Partner hat sich längst neue Nester gebaut. Die Ölförderländer fördern ihr Öl ja nicht mehr sozusagen von der Hand in den Mund, sondern haben ihr verdientes Geld hoffentlich ordentlich angelegt. Die Mineralölkonzerne produzieren auch nicht nur Mineralöl. Der andere Partner ist aber eigentlich immer ohne strukturelle Alternativen gewesen. Er konnte zwar einige Maßnahmen ergreifen: Er konnte sich ein sparsameres Auto kaufen, intelligenter fahren oder sich eine neue Heizung zulegen. An der Grundabhängigkeit hat sich aber nichts geändert. Es ist also bei dieser ungleichen Beziehung geblieben. Es ist auch schon lange keine Liebesbeziehung mehr. Wenn man sich jetzt nicht schnell voneinander trennen kann oder will, dann, denke ich, muss man die Verhältnisse klären. Da gibt es eigentlich nur zwei Strategien: erstens mit dem, was man quasi als Unterhalt bekommt, so sparsam wie möglich umgehen und zweitens auf die Piste gehen und sich etwas anderes suchen. Auch andere Mütter haben schöne Töchter und Söhne. Davon sind einige schon im beziehungsfähigen Alter. Einige sind noch ein bisschen jung und müssen noch etwas wachsen. Das sind leider vor allen Dingen die, die uns Mobilität garantieren oder sie verbessern können. Die deutsche Automobilindustrie - das muss hier auch einmal gesagt werden - entwickelt ja alternative Antriebstechniken. Wir können uns eigentlich nur wünschen, dass ihr dies so schnell wie möglich gelingt. Diese Techniken wären auf dem Weltmarkt der große Renner. ({1}) Seit der ersten Ölkrise, also seit mehr als einem Vierteljahrhundert, wissen wir, dass wir mit Energie anders umgehen müssen, besonders mit Öl. Es hat sich schon viel getan. Der durchschnittliche Benzinverbrauch der Autos ist zum Beispiel von 9,7 Litern im Jahre 1978 auf 7 Liter im Jahre 1998 gesunken. Wenn wir heute einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Entfernungspauschale und zur Zahlung eines einmaligen Heizkostenzuschusses vorlegen, bedeutet das nicht, dass wir irgendetwas an unserer Entscheidung für die Ökosteuer zur Disposition stellen. Die Ökosteuer ist für uns nicht verhandelbar. ({2}) Sie beträgt zurzeit 12 Pfennig pro Liter plus Mehrwertsteuer. Der übrige Preisanstieg geht voll auf das Konto der OPEC, der anderen Rohölexporteure, des starken USDollars - über den sich übrigens unsere exportierende Wirtschaft richtig freut - und der Mineralölkonzerne. Die Einnahmen durch die Ökosteuer oder besser die ökologisch-soziale Steuer werden in vollem Umfang zurückgegeben. Die Rentenbeitragssätze sind um 1,2 Prozentpunkte gesunken. Die CDU hat mit ihrer dümmlichen Ökosteuer-Kampagne eines bewirkt, nämlich dass den Menschen klarer geworden ist, wohin die Einnahmen fließen und warum sie dahin fließen. ({3}) Es hat - das können Sie auch sehen - sehr viel Akzeptanz für die Ökosteuer gegeben und diese Akzeptanz steigt auch weiter. ({4}) Es ist klug, den Energieverbrauch zu verteuern und Arbeit preiswerter zu machen. Es ist klug, dies schrittweise zu tun, damit sich die Verbraucher und vor allem die Verkehrsteilnehmer darauf einstellen können. Auf der rechten Seite des Hauses gibt es genügend Kronzeugen, die das belegen können: Herr Schäuble, Herr Merz und Frau Merkel. ({5}) Von ihnen gibt es diverse Aussagen, die ich hier nicht noch einmal zitieren muss. ({6}) Im Übrigen liegen unsere Benzinpreise trotz der Ökosteuer innerhalb Europas im Mittelfeld. Außerdem gibt es bei uns keine Belastung der Verkehrsteilnehmer durch Maut. Die F.D.P. will die Ökosteuer gänzlich abschaffen. ({7}) Die Partei der Marktwirtschaft beruft sich auf das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Dazu sage ich Ihnen: Eine Preisreduzierung durch den Wegfall der Ökosteuer würde nicht erst in Wochen, sondern schon in Tagen oder vielleicht sogar Stunden von den Mineralölkonzernen ausgefüllt werden. Dies belegen auch die nach Abzug der Steuer unterschiedlichen Preise in Europa. Die Mineralölkonzerne nehmen das, was der Markt hergibt. Dies ist auch nicht verwerflich, sondern entspricht den Grundsätzen der Marktwirtschaft. Ich frage Sie von der F.D.P.: Für wen kämpfen Sie eigentlich? Kämpfen Sie für die Mineralölkonzerne oder für die Autofahrer? ({8}) Man kann natürlich von einer Partei, die bei einem bundesweiten Anteil von 6,7 Prozent einen Kanzlerkandidaten nominieren will, vielleicht auch nichts anders erwarten. Hier übersteigt das Angebot wohl entscheidend die Nachfrage. Seit Möllemann Ihren Kurs bestimmt, haben Sie sich als ernsthafter Gesprächspartner verabschiedet. ({9}) Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir die Kilometerpauschale endlich in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale umwandeln. Wir machen Schluss mit der sozialpolitisch und ökologisch bedenklichen Bevorzugung des Autos. ({10}) Dadurch legalisieren wir auch eine beliebte Form der kreativen Steuererklärung. Gleichzeitig erhöhen wir die Pauschale um zehn Pfennig auf 80 Pfennig pro Kilometer. Damit tragen wir den sprunghaft gestiegenen Benzin- und Dieselpreisen Rechnung, für die wir nichts können. Dies bedeutet für jemanden, der schlau handelt, bares Geld, wenn er den ÖPNV nimmt. Auch - das freut mich als Großstädterin besonders - gibt es weiterhin die Möglichkeit, die Monatskarte abzurechnen. Dies ist besonders für diejenigen interessant, die sehr kurze Strecken zu fahren haben. Wir gewähren einkommensschwachen Haushalten einen einmaligen Heizkostenzuschuss in Höhe von 5 DM pro Quadratmeter Wohnfläche, um die drastisch gestiegenen Heizölpreise aufzufangen. ({11}) Diesen Zuschuss erhalten Wohngeld- und Sozialhilfeempfänger, BAföG-Empfänger, die nicht mehr zu Hause wohnen, und Haushalte mit niedrigem Einkommen; das heißt derjenige, der nicht mehr als 1 650 DM monatlich als Haushaltsvorstand plus 650 DM für die zweite und 550 DM für jede weitere Person verdient. Mit diesen Maßnahmen helfen wir zielgenau denen, die von den gestiegenen Ölpreisen besonders betroffen sind: den Berufspendlern und den einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürgern. ({12}) Die Betonung liegt hier auf dem Wort „zielgenau“. Wir wollen, dass denen geholfen wird, die es wirklich brauchen. ({13}) Für die Union und die F.D.P. mag diese Zielgenauigkeit zwar Flickschusterei sein, aber für uns Sozialdemokraten ist sie eine Frage sozialer Gerechtigkeit. ({14}) Wir müssen davon ausgehen, dass die Ölpreise langfristig steigen werden. Wir können auf die vorhersehbaren Preisentwicklungen nicht mit regelmäßigen Heizkostenzuschüssen reagieren. Es wird also Zeit für eine Energieeffizenzoffensive. Das mag zwar die Opposition in ihrem Kampf gegen die Ökosteuer nicht mitbekommen haben. Aber wir haben schon einmal ohne sie angefangen, die ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in Angriff zu nehmen. ({15}) Wir schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen für eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene. Ihre Krokodilstränen, was die Schiene angeht, können Sie sich wirklich sparen. ({16}) Sie haben geschlafen, als Sie für die Schiene hätten eintreten können. In den nächsten Jahren werden wir der Bahn 6 Milliarden DM aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm zur Verfügung stellen. ({17}) Um eine Gleichberechtigung der Partner zu gewährleisten, führen wir ab 2003 die entfernungsabhängige LKW-Maut ein. Damit werden wir auch endlich das Verursacherprinzip in die Verkehrspolitik mit einbeziehen. Auch in der Wohnungs- und Baupolitik setzen wir neue Akzente. Wir wissen, dass etwa ein Drittel des Energiebedarfs für den Gebäudebestand verwandt wird. Hier gibt es enorme Einsparpotenziale, die wir nutzen sollten, damit Heizen nicht zu einem unerschwinglichen, dauersubventionierten Luxus wird. Wir haben jetzt ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen. Wir streben mit der Energieeinsparverordnung eine Senkung des Energieverbrauches bei Neubauten um durchschnittlich etwa 30 Prozent an. Ein weiteres wichtiges Instrument ist die Bekämpfung von sinnloser Energieverschwendung durch das CO2-Minderungsprogramm, das knapp 12 Milliarden DM umfasst. 10 Milliarden DM werden für die Wohnraummodernisierung der KfW zur Verfügung gestellt. Auch hier werden wir erhebliche Einspareffekte erzielen. In der Eigenheimförderung ist eine Ökokomponente eingebaut. Am 1. April dieses Jahres trat das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kraft. Mit ihm stärken wir die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen ebenso wie mit dem 100 000Dächer-Programm.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie sind schon über Ihre Redezeit hinaus.

Angelika Mertens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002734, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gestern haben wir außerdem beschlossen, 300 Millionen DM für die Erforschung schadstoffarmer Antriebe zur Verfügung zu stellen. Das, meine Damen und Herren, ist moderne Verkehrs-, Energie- und Umweltpolitik sowie übrigens auch Arbeitsmarktpolitik. Nur so gestaltet man die Zukunft. Das heißt: mehr Wohlstand und Mobilität durch weniger Energieverbrauch. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Einführung einer Entfernungspauschale und zur Zahlung eines einmaligen Heizkostenzuschusses gesteht auch die Bundesregierung ein, dass die Ökosteuer gescheitert ist. ({0}) Wir haben von Anfang an gesagt, dass es sich hier um eine Mogelpackung handelt. Die Grundidee der Ökosteuer ist ja, den Energieverbrauch aus umweltpolitischen Gründen zu verteuern und die dadurch eingenommenen Erträge der Rentenversicherung zuzuführen. Dieses Konzept konnte von vornherein nicht aufgehen. Lassen Sie mich den gedanklichen Fehler, der diesem Konzept zugrunde liegt, einmal überspitzt formulieren. Wenn ich die Steuer auf ein bestimmtes Gut verdopple, dann kann ich damit die Erwartung verbinden, dass sich der Verbrauch dieses Gutes halbiert. Oder ich kann damit die Erwartung verbinden, dass sich die Steuereinnahmen verdoppeln. Beide Wirkungen zugleich eintreten zu lassen, das wird selbst dem größten Staatsmann des Jahres 2000 nicht gelingen. ({1}) Inzwischen wird auch in der Bundesregierung offen darüber nachgedacht, wie man sich möglichst geräuschlos aus der Ökosteuer verabschieden kann. Der Bundesfinanzminister hat sich dafür ausgesprochen, den engen Zusammenhang zwischen Ökosteuer und Rentenversicherungsbeiträgen aufzugeben. Ich kann Sie dazu nur beglückwünschen, Herr Finanzminister. ({2}) Auch der Bundeskanzler lässt keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen, vor allem bei Treffen mit den Bossen der Automobilindustrie zu zeigen, was er von der Ökosteuer hält, nämlich eigentlich gar nichts. ({3}) Das eine Mal lässt er verlauten, dass er das Instrument nicht für ideal halte. Das andere Mal lässt er seinen Verkehrsminister verkünden, dass ab 2003 mit dieser Steuer Schluss sei. ({4}) Auch wenn es kurz darauf heißt, dass das alles nicht so gemeint gewesen ist, Herr Kollege Schmidt: Der Bundeskanzler ist auf jeden Fall dabei, die Ökosteuer sturmreif zu schießen, oder wie „Die Welt“ schrieb - ich darf das zitieren, weil mir der Satz so hervorragend gefallen hat -: Wenn der Bundeskanzler seine Macht gefährdet sieht, dann verabschiedet er sich mit Brutalität von Positionen, die gestern noch als unverbrüchlich galten. ({5}) Diese Lockerungsübungen in Sachen Ökosteuer sind aber natürlich keine Antwort auf die Probleme, vor denen die Menschen in Deutschland heute aufgrund des enormen Anstiegs der Energiekosten stehen. Inzwischen hat auch die Regierung gemerkt, dass diese selbstgefällige Attitüde sie bei den bevorstehenden Wahlen teuer zu stehen kommen könnte. Vor allem die Sozialdemokraten haben erkannt, dass etwas geschehen muss, um die über den Energiepreisanstieg beunruhigten Wähler zu beschwichtigen. Das Nächstliegende und einzig Richtige, die Ökosteuer abzuschaffen, so wie wir dies fordern, wollen sie aber nicht tun. ({6}) Zum einen würde das ihr grüner Koalitionspartner nicht hinnehmen. Zum anderen wäre damit das offene Eingeständnis verbunden, dass diese Steuer von Anfang an falsch war. ({7}) Wenn man erkannt hat, dass man etwas tun muss, das einzig Richtige aber nicht tun kann, dann bleibt in der Regel immer nur die Möglichkeit, etwas Falsches zu tun. Genau dies, nämlich das Falsche, tut die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Dieser Gesetzentwurf ist ein Meisterstück an Flickschusterei. ({8}) Er ist eine Notlösung, der nicht an der Sache, sondern an rein taktischen Erwägungen orientiert ist. Der Energiepreisanstieg betrifft in der einen oder anderen Form jeden Menschen in Deutschland. Die heute von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen kommen aber nur einem kleinen Teil der Bürger zugute. ({9}) Das sind noch nicht einmal unbedingt diejenigen, die unter dem Energiepreisanstieg und den hohen Kosten am meisten zu leiden haben. Von der Einführung der Entfernungspauschale profitieren diejenigen am meisten, die darauf am wenigsten angewiesen sind, weil ihnen durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte keine oder nur geringfügige Kosten entstehen. Das sind Fußgänger, Radfahrer oder Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Sie sollen mit dem Pauschbetrag von 80 Pfennig pro Kilometer künftig wesentlich höhere Kosten absetzen können, als ihnen tatsächlich entstehen. In vielen Fällen wird die Kluft so groß sein, dass die tatsächlichen Aufwendungen sogar geringer als die Steuerminderungen sind, die sich aus dem Abzug des Pauschbetrages ergeben. In diesen Fällen bringt jeder Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte dem Arbeitnehmer bares Geld ein. Viele werden die Entfernungspauschale als Steuergeschenk zu nutzen wissen. Ich nenne ein Beispiel aus der Wirklichkeit, das wir in der Arbeitswelt in Berlin erleben. Ein Fernpendler, der 200 Kilometer fahren muss und einen guten ICE-Anschluss hat, kann jeden Tag 160 DM absetzen. Bei 200 Arbeitstagen sind das 32 000 DM im Jahr. Bei einer Steuerquote von 35 Prozent hat er eine Steuerersparnis von 11 200 DM aus dieser Entfernungspauschale. Davon kauft er sich für 6 500 DM bei der Bundesbahn eine Netzkarte. Damit hat er ein gutes Geschäft gemacht und kann auch noch privat kostenlos fahren. Vom Überschuss kann er auch seiner Frau eine Netzkarte kaufen; mit diesem Geschenk haben dann beide völlig freies Fahren mit der Deutschen Bundesbahn. Ein anderes Beispiel: Wenn einer hier in Berlin 15 Kilometer Entfernung zur Arbeitsstelle hat, sind das bei 80 Pfennig Kilometerpauschale 840 DM Steuerersparnis im Jahr, wenn er seine Werbungskosten ansonsten ausnutzt. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen auf dem Lande, die zu ihrem Auto keine Alternative haben. ({10}) - Herr Poß, hören Sie einmal zu und rechnen Sie nach.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sie gestatten keine Zwischenfrage des Kollegen Poß?

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, keine Zwischenfragen jetzt. ({0}) Wie sieht es bei dem aus, der auf das Auto angewiesen ist? Bei einer Entfernung von zum Beispiel 20 Kilometern zum Arbeitsplatz - er hat ansonsten keine Werbungskosten - kann er 8 Kilometer geltend machen. ({1}) - Ich komme gleich darauf zurück. Herr Poß, wer schreit, weiß sich sonst nicht zu helfen; das ist eine alte Regel. ({2}) Das Beispiel tut ihm weh, ({3}) deshalb will er mich stören, damit das nicht im Zusammenhang vorgebracht werden kann. Also noch einmal: Wer auf dem Lande wohnt und 20 Kilometer Entfernung zum Arbeitsplatz und ansonsten keine Werbungskosten hat, kann 8 Kilometer ansetzen. Er bekommt einen Groschen mehr Pauschale, also 80 Pfennig am Tag; mal 20 Tage im Monat sind das 16 DM. Bei einer Steuerbelastung von 35 Prozent hat er 5,60 DM Ersparnis. ({4}) Ab dem 1. Januar muss er dann aufgrund der nächsten Stufe der Ökosteuer 7 Pfennige mehr bezahlen. Er fährt 800 Kilometer im Monat. Bei einem Verbrauch von 10 Litern Benzin pro 100 Kilometer sind das 80 Liter. Er muss dann 7 Pfennige mehr bezahlen, dann sind das 5,60 DM. Also, Sie verarschen genau die Leute, die Sie durch dieses Gesetz eigentlich begünstigen müssten. ({5}) Es kommt noch eines hinzu. Für Arbeitnehmer, die zum Auto keine Alternative haben, bringt der Gesetzentwurf sogar echte Verschlechterungen. Das ist bisher nur wenigen aufgefallen. Wer auf der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einen Unfall erleidet, konnte die dadurch entstehenden Kosten bisher zusätzlich zu den Pauschbeträgen absetzen. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll diese Möglichkeit künftig ausgeschlossen werden. Auch das trifft diejenigen besonders hart, die ohne Rücksicht auf die Witterungsverhältnisse täglich weite Strecken mit dem Auto zurücklegen müssen. Die Einführung der Entfernungspauschale führt auch nicht zu einer Verwaltungsvereinfachung. Im Gegenteil: Die meisten Steuerpflichtigen, die das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen, kommen mit ihren Werbungskosten bisher nicht über den Arbeitnehmerpauschbetrag von 2 000 DM hinaus. Das würde sich durch die Einführung der Entfernungspauschale ändern. Viele dieser Steuerpflichtigen - Herr Eichel, Sie werden das erleben - werden sich deshalb überlegen, welche zusätzlichen Aufwendungen, zum Beispiel für Fortbildung, für Arbeitsmittel, für Berufskleidung, sie noch absetzen können, um die Steuerersparnis aus der Entfernungspauschale voll ausnutzen zu können. Herr Eichel, was Sie da machen, ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Finanzämter. Wundern Sie sich nicht, wie findig die Menschen sind, wenn solche Gesetze erst einmal auf dem Wege sind. ({6}) Überhaupt nicht geholfen wird der gewerblichen Wirtschaft, obwohl die Erhöhung der Energiepreise gePeter Rauen rade für viele kleine Unternehmen zu gravierenden Einkommensverlusten führt. Für Spediteure, Landwirte, Gartenbauer, Reiseveranstalter, Busunternehmer und viele andere ist sie zu einer Existenzbedrohung geworden. Kollege Klaus Lippold hat Beispiele errechnet, die auch in der „Welt“ abgedruckt waren. ({7}) Ein LKW hat 30 000 DM Mehrkosten; 10 000 DM sind nur durch die Ökosteuer bedingt. Ein Stahlbauunternehmen mit einem Fuhrpark von 12 Fahrzeugen und einer Fahrleistung von jeweils 30 000 Kilometern hat Mehrkosten von 30 000 DM pro Jahr; 10 000 DM bedingt durch die Ökosteuer. Höhere Heizöl und Stromkosten für Lagerund Produktionshallen sowie das Bürogebäude bei dem genannten Betrieb sind überhaupt noch nicht eingerechnet. Diese Mehrkosten lassen sich oft wegen des Kostendrucks auch nicht ohne weiteres abwälzen, sodass viele Betriebe diese dramatische Erhöhung teilweise als einen enteignungsgleichen Vorgang begreifen. Der vorgesehene Heizkostenzuschuss von einmalig 5 DM pro Jahr und Quadratmeter Wohnfläche ist sozial nicht ausgewogen. Anspruchsberechtigt sind nur die Empfänger von Wohngeld, Erziehungsbeihilfe und Ausbildungsförderung sowie andere besonders einkommensschwache Personen. Ich will gar nicht leugnen, dass die Wirkung des Energiepreisanstiegs für diesen Personenkreis besonders einschneidend ist. Aber nach den Ausführungen der Regierung werden 2 Millionen Haushalte in Deutschland dadurch begünstigt; wir haben jedoch in Deutschland 38 Millionen Haushalte, darunter sehr viele mit kleinen oder mittleren Einkommen, die sich zwar noch selbst helfen können, aber bei steigender Kostenbelastung auch an ihre Grenzen kommen und dann vom Staat Hilfe fordern. ({8}) An diese wird bei dem heute eingebrachten Gesetzentwurf überhaupt nicht gedacht. ({9}) Wer in diesen Wochen seinen Heizöltank füllt, muss für das Heizöl ungefähr doppelt soviel bezahlen wie im letzten Jahr, das bedeutet für 3 000 Liter einen Mehraufwand von 1 500 DM; dazu kommen 160 DM aus der Stromsteuer. Herr Eichel, der verheiratete Arbeiter mit 5 500 DM Gehalt hat aus Ihrer Steuerentlastung im nächsten Jahr gerade einmal 1 026 DM mehr in der Tasche, während er in diesem Jahr bereits 1 700 DM mehr aufgrund des Heizkosten- und Energiekostenanstiegs bezahlen muss. ({10}) Was denken Sie, was los ist, wenn Millionen von Mietern ihre Nebenkostenabrechnung bekommen und statt Erstattungen erhebliche Nachzahlungen und Nebenkostenerhöhungen ins Haus stehen? Ich kann Ihnen nur raten: Überlegen Sie jetzt schon, wie Sie große Wohnungsbaugesellschaften dahin gehend beeinflussen können, diese Abrechnungen nicht vor dem 25. März - Wahl in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz - zu verschicken. Wir werden umgekehrt überlegen, wie dies geschehen kann. Diese Nebenkostenabrechnungen werden wie eine Bombe einschlagen, wenn sie die Leute erreichen. ({11}) Der Gesetzentwurf ist aber nicht nur auf der Empfängerseite problematisch, sondern auch auf der Finanzierungsseite. Sie haben ja erlebt, dass selbst die SPD-regierten Länder - wir haben das im Bundesrat in der letzten Woche zur Kenntnis genommen - bei diesem Unfug nicht mitmachen werden. Ich kann zum Schluss nur an die Bundesregierung appellieren, die sachlichen Einwendungen gegen den vorliegenden Gesetzentwurf nicht in den Wind zu schlagen. Herr Bundeskanzler, stellen Sie die taktischen Spielchen zurück und packen Sie das Übel an der Wurzel. Nehmen Sie die Erhöhung der Energiepreise durch die Ökosteuer zurück und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zur Senkung der Mineralölsteuer und zur Abschaffung der Stromsteuer zu. Schönen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Lieber Kollege Rauen, Sie haben vorhin - wie soll ich mich ausdrücken einen unsagbaren menschlichen Körperteil in Verbform gebracht. Das ist ein unparlamentarischer Ausdruck. Die deutsche Sprache ist reich, es gibt viele andere Möglichkeiten, seine Empörung auszudrücken. ({0}) Ich erteile dem Kollegen Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einführung einer verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale beendet die steuerliche Benachteiligung all derer, die jeden Tag mit Bus, Bahn oder Fahrrad von der Wohnung zur Arbeit pendeln. Das ist eine gute Nachricht für alle Nutzerinnen und Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel und des Umweltverbundes. Das ist die Beendigung der steuerlichen Bevorzugung des Autofahrens, das steht im Koalitionsvertrag, das werden wir umsetzen, und das ist auch gut so. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Herr Merz, Sie wissen natürlich auch selbst, dass die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale das richtige Konzept ist, denn dieses Instrument ist Bestandteil Ihres eigenen Steuerkonzeptes seit den Petersberger Beschlüssen. ({1}) Wenn es eine Regelung gegeben hat, die zum Schummeln und zum Missbrauch geradezu eingeladen hat, dann war es doch, Herr Kollege Rauen, die alte Regelung, nämlich die Kilometerpauschale, die für die Autofahrer besonders hoch und für andere besonders niedrig ausgefallen ist. Die Entfernungspauschale, die wir einführen wollen und werden, setzt in einer Zeit steigender Benzinpreise genau das richtige Signal: Bus- und Bahnfahrer können mehr von der Steuer absetzen, oder - noch kürzer gesagt - Umsteigen lohnt sich. ({2}) - Ich komme darauf zurück, Herr Kollege, keine Sorge. Das weiß übrigens auch die Deutsche Bahn und das wissen auch die kommunalen Verkehrsbetriebe. Deswegen erwarten sie mehr Fahrgäste, mehr Kundschaft und mehr Geschäft. Es ist folgerichtig und konsequent, dass der Bahnchef in Aussicht gestellt hat, genau deshalb auf die bereits angekündigte Fahrpreiserhöhung im Bahnverkehr zu verzichten. Er hat die kommunalen Verkehrsverbünde eingeladen, sich dieser Haltung anzuschließen. Ich kann alle öffentlichen Verkehrsbetriebe nur bitten: Schließen Sie sich an. Kommen Sie Ihren Fahrgästen mit stabilen Fahrpreisen entgegen. Dann werden Sie mehr Kundschaft und damit auch mehr Einnahmen bekommen. ({3}) Der positive Trend im öffentlichen Verkehr hat übrigens bereits eingesetzt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben wir gegenüber dem Vorjahr beim Schienenpersonenverkehr einen Zuwachs von rund 5 Prozent und beim Güterverkehr auf der Schiene von 11 Prozent zu verzeichnen. Die Ökosteuer, die Sie von der Opposition am liebsten abschaffen möchten, weil sie angeblich keinen Lenkungseffekt hat, hat genau diesen erfreulichen Trend mitverursacht, ({4}) zumal die öffentlichen Verkehrsmittel - anders als Sie immer darzustellen versuchen - zur Hälfte von der Ökosteuer befreit sind. Das verschafft dem Umweltverbund einen relativen Preisvorteil gegenüber dem Straßenverkehr und führt genau zu diesem Wachstum im öffentlichen Verkehr. Diesen Trend werden wir mit der Entfernungspauschale verstärken. ({5}) Ich kann also viele Menschen im Lande nur ermutigen: Machen Sie, wo immer es geht, von der Möglichkeit des Umsteigens auf Bus und Bahn Gebrauch. Sie entlasten damit nicht nur die Umwelt, sondern auch Ihren Geldbeutel; denn Sie sind vor dem Finanzamt nicht länger Pendler zweiter Klasse. Allerdings wissen wir sehr wohl, dass gerade im ländlichen Raum - ich komme selbst aus einer solchen Region in Bayern - viele Menschen noch nicht ein dichtes und attraktives Bus- und Bahnangebot zur Verfügung haben, ({6}) sie also bei dem täglichen Weg zur Arbeit bitter auf das Auto angewiesen sind und nicht einfach sagen können: Heute fahre ich einmal nicht mit dem Auto zur Arbeit, um Benzinkosten zu sparen. Da es Menschen gibt, die sich dieser Art der Zwangsmobilität nicht entziehen können, schlagen wir im Gesetzentwurf die Erhöhung dieser Pauschale um 10 Pfennig vor, übrigens nicht als Ausgleich für die Ökosteuer, die den gefahrenen Kilometer - je nach Fahrzeug - nur um 1 bis 2 Pfennig verteuert, sondern wegen des insgesamt ungleich höheren Preisanstiegs, der durch die Mineralölproduzenten und die Ölkonzerne verursacht worden ist und der für die Berufspendler zweifellos eine Belastung darstellt. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Überlegen Sie sich gut, ob Sie Ihren Wahlkreisbürgerinnen und -bürgern diese Entlastung vorenthalten wollen, indem Sie aus einer kindischen Fundamentalopposition heraus immer prinzipiell Nein sagen. ({7}) Ich verstehe, dass viele Bundesländer zunächst einmal ordentlich über die Finanzierung dieser Erhöhung streiten wollen; denn man will natürlich nicht so gern in die eigene, sondern lieber in die Bundeskasse greifen. Da kennt man erst einmal keine Verwandten. Aber ich sage all denen, die wochenlang so mitfühlend nach der Erhöhung der Pendlerpauschale gerufen haben: Wer sich jetzt nicht selbst daran beteiligen will, der hätte damals besser geschwiegen. ({8}) Wohltaten nur aus der Kasse der anderen zu sponsern ist keine Kunst und es ist auch nicht besonders glaubwürdig. Es ist gut, dass unsere Finanzverfassung insoweit eine gemeinsame finanzielle Anstrengung von Bund und Ländern verlangt. Der Bund ist bereit, seinen Anteil zu leisten. Die Länder sollten es auch sein. Dazu gehört auch der soziale Ausgleich für Menschen an der untersten Einkommensgrenze, die in diesen Wochen eine Heizölrechnung bekommen, die doppelt so hoch ist wie im vergangenen Jahr. ({9}) Dafür die Ökosteuer verantwortlich zu machen ist besonders dumm und ignorant. Die Ökosteuer beträgt je Liter Albert Schmidt ({10}) Heizöl lediglich 4 Pfennig. Der Heizölpreis aber liegt bei 1 Mark. Es ist also überhaupt nicht nötig, die Ökosteuer zurückzunehmen, weil die Auswirkungen in diesem Punkt so gut wie gar nicht da sind. ({11}) Dass Sie hier vorschlagen, mit dem Instrument der Ökosteuer zu operieren, zeigt nur, wie wenig Sachkenntnis Sie haben. ({12}) Wir schlagen stattdessen eine Heizkostenzulage von 5 DM je Quadratmeter für die sozial Schwächsten vor. Das ist schlicht und einfach ein Gebot sozialer Fairness, dem sich auch die Länder nicht verweigern sollten. Meine Damen und Herren von der Opposition, wie töricht Ihr Antrag auf eine gänzliche Abschaffung der Ökosteuer ist, zeigt die Benzinpreisentwicklung der letzten Wochen. Als der Marktpreis vor zwei Wochen bei über 2 Mark lag, hat sich der Kollege Klaus Lippold hier aufgeblasen wie ein Ochsenfrosch und Arm in Arm mit den so genannten Liberalen nach dem Staat geschrien: Weg mit der Ökosteuer! 12 Pfennige müssen verschwinden, Steuerverzicht! - Mit anderen Worten: Planwirtschaft, steuerliche Subventionen. Inzwischen haben die Preise nachgegeben. Sie können an manchen Tankstellen in Berlin den Liter Diesel wieder für 1,56 DM kaufen, obwohl wir an der Ökosteuer gar nichts verändert haben. Wie wollen Sie uns das jetzt erklären? Wollen Sie, dass wir die sinkenden Benzinpreise wieder durch Steuererhöhungen anheben? Wie hoch soll eigentlich der Benzinpreis sein, Herr Brüderle, den wir mithilfe von steuerlichem Dirigismus festschreiben sollen? Was machen Sie von der CDU jetzt eigentlich mit Ihren Unterschriftslisten? ({13}) Die Benzinpreise sind ja schon um mehr als 12 Pfennig gesunken, obwohl Sie mit Ihrer Aktion noch gar nicht fertig sind. Ich finde, die Ölkonzerne hätten schon so lange warten müssen, bis Sie Ihre Unterschriftslisten voll haben. ({14}) Nein, hektischer Aktionismus ist keine Politik. Wir bleiben bei einer klaren und berechenbaren Linie: das Sozialabgabenniveau stabilisieren und senken sowie Anreize zum Energiesparen durch eine entsprechende Besteuerung schaffen. ({15}) Die eigentliche Botschaft der Energiepreisentwicklung - die haben Sie überhaupt nicht verstanden - ist schlicht und einfach: Wir müssen weg vom Öl! Das macht uns unabhängiger von Importen. Das hält das Geld im Land. Das macht uns ökologisch und wirtschaftlich zukunftsfähig. ({16}) Daher ist die Benzin- und Ölpreiskrise eine Chance. Aber Sie definieren sie immer nur als Belastung. Deswegen werden Sie niemals die richtigen Schlüsse daraus ziehen können. ({17}) Sie lamentieren doch nur und rufen nach staatlichen Subventionen. Die richtige Antwort lautet: Energieeinsparung, effizientere Technik und Umsteigen auf die erneuerbaren Energien. ({18}) Wir haben das alles auf den Weg gebracht: 100 000-Dächer-Programm, Erneuerbare-Energien-Gesetz und Solarthermie-Programm. So sieht unsere Antwort aus. Aber Sie haben alles abgelehnt. Was ist denn der Kern dessen, was gestern unter der Überschrift Zukunftsinvestitionsprogramm von den Koalitionsfraktionen beschlossen worden ist? Der Kern ist: zusätzliche Milliarden für eine moderne, bürgernahe, attraktive Bahn; mehr als 1 Milliarde DM als Anreiz zu Sanierung und Wärmedämmung in Hunderttausenden von Wohnungen; 300 Millionen DM für die Erforschung von Antrieben, die auf der Basis erneuerbarer Energien - Stichwort: Solarwasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie - arbeiten; zusätzliche Milliarden für Bildung und Forschung, damit auch die wissenschaftliche Entwicklung der Zukunftstechnologien vorangebracht wird. So sieht unser Programm der ökologischen Modernisierung aus! Ein solches Programm haben Sie in 16 Jahren noch nicht einmal annähernd zustande gebracht. ({19}) Hätten Sie damals auch nur einen kleinen Teil dessen gemacht, was wir heute auf den Weg gebracht haben, dann müssten wir über die Höhe der heutigen Energiepreise gar nicht erschrecken; denn wir könnten mit zwei Dritteln des heutigen Kraftstoffverbrauchs genauso weit fahren und wir könnten es mit zwei Dritteln des heutigen Heizenergieverbrauchs genauso warm haben. Wir müssten dafür noch nicht einmal mehr bezahlen, weil wir die steigenden Kosten durch eine moderne Technologie ausgeglichen hätten. ({20}) Das, was Sie zu tun versäumt haben, werden wir nachholen. Ich bin ganz sicher, dass Sie auch dies wieder ablehnen werden und dass Sie in Ihren Schützengräben bleiben werden. Albert Schmidt ({21}) Ich sage an die Adresse der wirklich Konservativen - die gibt es; das weiß ich; Herr Repnik, ich spreche Sie persönlich an - in Ihren Reihen. Ich bin mir nach vielen Diskussionen, die ich geführt habe, ziemlich sicher: Die Mehrzahl der Menschen wird unser Programm der ökologischen Modernisierung mittragen. Auch viele CDU-Mitglieder wenden sich angewidert von Ihrem plumpen Antiökosteuerklamauk ab. ({22}) Sie erwarten nämlich von der Opposition Alternativen, Konzepte und Ernsthaftigkeit. Aber Sie legen nichts auf den Tisch. ({23}) Wo ist Ihr Ökosteuerkonzept, wenn Sie tatsächlich eine „bessere“ Ökosteuer wollen? Wo ist Ihre Beschreibung des Weges vom Ölzeitalter hin zum Solarzeitalter? Wo sind Ihre ernsthaften Antworten? ({24}) Solange Sie selbst nichts vorlegen, meine Damen und Herren von der CDU, so lange werden Sie niemanden in diesem Land nachhaltig überzeugen können. Uns werden Sie so nicht aus der Ruhe bringen. ({25})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Bundesregierung beglückwünschen, dass sie aus unserem Antrag „Ökosteuer zurücknehmen“ teilweise gelernt hat; ({0}): Aber nur teilweise!) denn die Einführung einer verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale fordern wir nicht erst in unserem heute zur Beratung anstehenden Antrag, sondern schon seit Jahren. Aber für die Erkenntnis, dass eine Entfernungspauschale sinnvoll ist, brauchen wir keine Ökosteuer. ({1}) So haben wir zum Beispiel in Rheinland-Pfalz im Koalitionsvertrag eine ökologisch sinnvolle Entfernungspauschale schon seit langem festgeschrieben. Dass Sie bessere Ideen von uns übernehmen, ist in Ordnung. Aber versuchen Sie bitte nicht, die widersinnige Ökosteuer über die Runden zu retten! Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. In diesem Punkt haben Sie sich unseren Antrag leider nicht zu Herzen genommen. Wir schlagen die Entfernungspauschale nämlich als Alternative zur ökologisch wirkungslosen Erhöhung der Steuern auf Kraftstoffe und Heizöl vor. Wir wollen keine Entfernungspauschale, die die offensichtliche Fehlentwicklung durch die so genannte Ökosteuer kaschiert. Das ist ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. ({2}) Deshalb werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Unsere Forderung ist, das gescheiterte Ökosteuerprojekt endlich abzuschaffen. ({3}) Die Ökosteuer darf nicht bar jeder Vernunft auf Teufel komm raus bis zum Ende der Legislaturperiode durchgeschleppt werden. Die Menschen in Deutschland - Pendler, Rentner, Taxifahrer, Trucker - verdienen Lösungen für drängende Probleme. Heftpflasterstrategien bei berechtigten Sorgen der Menschen sind nicht angemessen. Wir brauchen das Ende einer verbohrten, ideologieverhangenen Steuererhöhungspolitik. Deshalb muss die Ökosteuer weg. ({4}) Die Menschen wissen längst, was sie von dem Abkassiermodell Ökosteuer zu halten haben. Ich brauche all die Fehllenkungen dieser staatlichen Zwangsbeglückungen nicht zu wiederholen. Aber dass Grün-Rot wider besseres Wissen, aus reinem Machterhaltungstrieb und Koalitionsraison mit Rücksicht auf die Grünen, um ihre letzte Begründung für die Dienstwagen aufrechtzuerhalten und auf Gedeih und Verderb an dem Projekt Ökosteuer festhält, ist ein starkes Stück. ({5}) Der Bundeskanzler hat wörtlich gesagt: Über Instrumente können wir reden, wenn es bessere gibt. Der Kanzler weiß, dass es bessere gibt. Verkehrsminister Klimmt sagte wörtlich: Die Steigerungen sind bis 2003 festgelegt und damit ist Sense nach meiner Meinung. In der SPD-Führung widerspricht ihm keiner. Selbst die Grünen äußern derzeit reihenweise, das Konzept sei „verbesserungsfähig“. ({6}) Man hat allmählich den Eindruck, dass uns die Bundesregierung nur noch veralbert. ({7}) Sie sagen beinahe täglich: Das Ökosteuerkonzept ist eine schlechte Politik. Diese führen wir aber bis zum Ende der Legislaturperiode fort. - Das ist eine Frechheit gegenüber den Menschen im Lande und der Gipfel der Schizophrenie. ({8}) Albert Schmidt ({9}) Auch eine andere Legendenbildung muss ein Ende haben. Der penetrante Verweis, dass andere an den gestiegenen Benzinpreisen Schuld sind und nicht die Ökosteuer und nicht die steuerliche Belastung, wird allmählich zur Lachnummer. Frau Mertens, in den USA ist die Steuerbelastung auf die Benzinpreise ungleich niedriger als in Deutschland. Ich kenne kein Produkt, bei dem über 70 Prozent Steuern abkassiert werden. ({10}) Es muss geradezu eine Einladung für alle Scheichs der Welt sein, in den Vereinigten Staaten zuzulangen. Das ist eine Milchmädchenrechnung. Dass Herr Schmidt so laut schreit, beweist, dass er Unrecht hat. Getroffene Hunde bellen. ({11}) Ihnen waren und sind die sinkenden Energiepreise in Deutschland aufgrund der Liberalisierung schon immer ein Dorn im Auge. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Müller spricht wörtlich sogar von einem „unsinnigen Preiskampf auf dem europäischen Strommarkt“. Sie gönnen den Verbrauchern, dem Mittelstand und den großen Unternehmen keine günstigen Strompreise, damit sie mehr Arbeitsplätze schaffen bzw. damit sie mit ihrem Geld besser haushalten können. Deshalb dreht die Bundesregierung die Liberalisierung mit aller Kraft zurück. In den kommenden zehn Jahren werden Sie mit der Subventionierung alternativer Energien und der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung 40 Prozent des Strommarktes wieder aus dem Wettbewerb herausnehmen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Brüderle, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin BullingSchröter?

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne. Ich habe sowieso wenig Zeit. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Kollege Brüderle, Sie haben gerade über die Benzinpreise in den USA gesprochen. Was halten Sie davon, dass gerade die USA das Land sind, das den höchsten CO2-Ausstoß pro Person in der ganzen Welt hat? ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn Sie bei dem Thema, das wir diskutiert haben, die Behauptung aufstellen, Frau Kollegin Mertens, dass niedrige Steuerbelastungen zwangsläufig zu höheren Preisen führen - ({0}) - Sie dürfen fragen, was Sie wollen. Ich antworte, was ich will. Das ist im Parlament so. ({1}) Ich bin zwar noch nicht fertig, Frau Kollegin BullingSchröter, aber Sie können sich schon einmal setzen, wenn es für Sie so zu hart ist. Zur Frage der Kollegin Mertens: Dass die Steuerreduktion zwangsläufig zu höheren Benzinpreisen durch eine Erhöhung der Konzerne führen würde, ist eine so schlichte Milchmädchenökonomie, dass man sie so nicht stehen lassen kann. ({2}) Wer Beispiele aus Ländern wie den USA sieht, wird feststellen, dass dort bei deutlich niedrigeren Steuerbelastungen die Scheichs nicht zulangen. Das zeigt, dass die These falsch ist. Er demaskiert eine Strategie, ({3}) die aufgrund der Politik der Grünen zulasten der kleinen Leute und der Mittelstandsbetriebe in diesem Lande Ideologien austobt. Das ist der Kernpunkt. ({4}) Sie wollen in einem Restaurant ja auch nicht Kotelett geliefert bekommen, wenn Sie Hering bestellen. Sie müssen also schon beim Thema bleiben. Ich verstehe, dass es Ihnen unangenehm ist, wenn hier Wahrheiten ausgesprochen werden. Aber wir sind dafür da, dass hier Wahrheiten ausgesprochen werden. ({5}) Die Grünen schlagen als neues Instrument neuerdings eine Abwrackprämie vor. Die einzige Prämie, die Sie kassieren werden, wenn die nächste Stufe der Ökosteuer im Jahre 2001 in Kraft tritt, wird auf den Stimmzetteln der Wähler in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zum Ausdruck kommen, die Ihrer dreisten Politik damit eine Absage erteilen werden. ({6}) Wir werden die Wahl zu einer Abstimmung über Ihre fehlgeleitete Politik machen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie wissen, befürwortet die PDS eine sozial gerechte und ökologisch wirksame Ökosteuer. Genau deshalb lehnen wir die rot-grüne Ökosteuer ab, um die es heute ja geht. ({0}) Die Koalition hat mit ihrer Steuerkonstruktion die Idee der Ökosteuer in Deutschland sowohl in sozialer als auch in ökologischer Hinsicht diskreditiert. Ihre Beschäftigungseffekte sind zu vernachlässigen. Deshalb können wir sie in dieser Form auf keinen Fall unterstützen. Damit wir nicht missverstanden werden: Wir lehnen nicht das Ziel ab, den Umweltverbrauch teurer zu machen. Besser gesagt, wir sind dafür, die Subventionen für Umweltverschmutzung, Ausplünderung der natürlichen Ressourcen und die Zerstörung der Lebensbedingungen künftiger Generationen abzuschaffen. ({1}) Wer die Ökosteuer pauschal ablehnt, hat also die Nachhaltigkeitsdiskussion verschlafen oder leidet - wie anscheinend Frau Merkel mit ihrer Stammtischkampagne an punktuellem Gedächtnisschwund. Sie, meine Herren und Damen von der CSU, kann ich nur daran erinnern, dass es in Ihren Reihen noch den Herrn Göppel gibt, den umweltpolitischen Sprecher der CSU im Bayerischen Landtag, der sich explizit für eine Ökosteuer ausspricht. ({2}) - Sie diskreditieren Ihren eigenen Kollegen; das empfinde ich nicht als fair. Wir wollen eine intelligente Ökosteuer, die eine Chance hat, zum zukunftsfähigen Umbau der Gesellschaft beizutragen, und einen grundlegenden Strukturwandel befördert. Dann muss sie auch nicht, was praktisch ja gar nicht möglich ist, immer weiter nach oben geschraubt werden, bis alle Umweltkosten internalisiert sind. Wir wollen eine ökologische Steuerreform, die nicht Menschen mit geringem Einkommen sozial ausgrenzt, während Großunternehmen noch ein Schnäppchen machen. ({3}) Die PDS fordert deshalb eine neu gestaltete Ökosteuer und nicht deren Abschaffung. Wir werden dazu einen Antrag vorlegen. ({4}) Jürgen Trittin brüstet sich zur Verteidigung der Ökosteuer damit, dass die Wirtschaft in dieser Stufe netto - ich wiederhole: netto - um 2,2 Milliarden DM entlastet wird. Davon spricht in diesem Haus nur die PDS. Dieses Geschenk kommt daher, dass die großen Unternehmen des produzierenden Gewerbes, insbesondere die Großunternehmen, weitgehend von der Ökosteuer befreit werden, während sie voll von der Senkung der Lohnnebenkosten profitieren. Ich empfinde das, gelinde gesagt, als absurd. Irgendwie verbinde ich mit der Ökosteuer keinen Subventionstatbestand für Konzerne und Banken. ({5}) Am Ende bezahlen nur noch die Bürgerinnen und Bürger sowie das Kleingewerbe und der Mittelstand die Zeche. Außerdem verteilt sich die Senkung des Arbeitnehmeranteils an den Rentenbeiträgen ungleich, und zwar ähnlich wie die Kilometer- oder Entfernungspauschale. Auch wir haben in der letzten Legislaturperiode die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale gefordert und unterstützen sie, geben aber zu bedenken, dass die Konstruktion verändert werden sollte. Momentan bekommt derjenige mehr zurück, der mehr verdient; wer zu arm ist, um Steuern zu zahlen, erhält gar keinen Ausgleich. Ihr Sozialpaket gleicht diese Probleme eben nicht aus. Ich möchte noch eine Bemerkung zur Heizkostenzulage machen, die wir sehr begrüßen. Fakt ist aber, dass damit auf die Länder und auf die Kommunen jeweils zusätzlich 1 Milliarde DM Kosten pro Jahr zukommen, die der Bund nicht ausgleicht. Ich denke, so kann es nicht sein. ({6}) Ihre Ökosteuer ist weder geeignet, es den Menschen einfacher zu machen, auf umweltfreundlichere Alternativen umzusteigen, noch übt sie auf die Wirtschaft wirksamen Druck aus, einen tatsächlichen Wandel in Technologie und Produktion einzuleiten. Wie wir heute zudem aus der Presse erfahren haben, sollen die Unternehmen im Klimaschutz von umweltpolitischen Ambitionen unseres Hauses künftig verschont bleiben. Von Selbstverpflichtung gegen Verzicht auf weitere ordnungspolitische Regelungen seitens der Politik ist im unterschriftsreifen Papier die Rede. Einen solchen Freifahrschein, Herr Trittin, hat noch nicht einmal Frau Merkel ausgestellt. Das „ND“ titelt: „Bundesregierung befreit Wirtschaft vom Klimaschutz“. Ich denke, so kann es natürlich auch nicht gehen. ({7}) Wer von Ökosteuer spricht, der sollte von Ökologie sprechen. Die Ökosteuer soll zum Verkehrsumbau und zum Übergang von einer fossil-atomaren Energiewirtschaft zur Solarwirtschaft sowie zu einer umweltverträglichen Mobilität beitragen. Ich könnte noch einiges andere hinzufügen; aber meine Redezeit ist fast abgelaufen. Wir könnten noch über den Nahverkehr, über die Bahn und die Abschaffung der Interregios - der Kollege Schmidt hat dazu leider nichts gesagt - reden. Wir müssen uns jetzt entscheiden. Wir brauchen einen ökologischen und sozialen Weg, um Akzeptanz bei der Bevölkerung wirklich herzustellen. Danke. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Reinhard Schultz, SPD-Fraktion, das Wort.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An sich wäre es doch intellektuell redlicher, Herr Brüderle und Herr Rauen, dass Sie dann, wenn Sie wirklich helfen und mithilfe von Steuerpolitik Energiepreise regulieren wollten, hier den Antrag stellten, dass die Mineralölsteuererhöhung um 55 Pfennig, die während Ihrer Regierungszeit zustande gekommen ist, sofort zurückgenommen wird, statt Ihre Bemühungen auf die 6 Pfennig zu reduzieren, die unter unserer Verantwortung hinzugekommen sind. ({0}) Diese 6 Pfennig werden an die Arbeitnehmer und an die Wirtschaft dadurch komplett zurückgegeben, dass wir die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt haben und auf niedrigem Niveau stabil halten können, womit wir auch das Versorgungsniveau unserer Rentner auskömmlich halten können. ({1}) Wenn Sie heute fordern, dass die Ökosteuer abgeschafft wird, dann ist das nicht nur wie das Abgeben Ihrer politischen Verantwortung an der Garderobe von Mineralölkonzernen und Ölscheichs; vielmehr müssen Sie uns dann auch erklären, ob Sie die Rentenversicherungsbeiträge auf 25 Prozent anheben oder ob Sie meiner Oma stattdessen lieber die Rente kürzen wollen; ({2}) denn anders als bei Ihren Erhöhungen der vergangenen Jahre gibt es für die Einnahmen aus der Ökosteuer eine klare Zweckbestimmung. ({3}) - Natürlich ist das rechtlich zulässig. - Mit Ausnahme derjenigen 2,5 Millionen DM, die wir für erneuerbare Energien ausgeben, weil wir den Strom aus erneuerbaren Energien besteuern müssen, geht dieses Geld komplett in die Rentenkasse des Bundeshaushalts. Um Sie zu beruhigen und den Spekulationen entgegenzutreten - ich denke, auch unser verehrter Herr Bundesfinanzminister wird das gleich tun -: Das gilt natürlich ebenfalls für die Zukunft. Nach unserem Ökosteuerkonzept wächst die Ökosteuer bis zum Jahr 2003 in fünf Schritten von jeweils 6 Pfennig an. Dadurch entsteht ab dem Jahr 2003 ein Einnahmevolumen, das auf die Dauer dazu beitragen wird, mit den generationsbedingten Problemen der Rentenversicherung fertig zu werden, die Beiträge stabil zu halten und das Versorgungsniveau der Rentner über 2003 hinaus zu sichern. Die Ökosteuer ist ein wichtiger Bestandteil des Rentenreformkonzeptes. Sie dient entscheidend zur Stabilisierung des Generationenvertrages, also des Vertrauens zwischen der jungen, aktiven Generation und der älteren Generation, die im Ruhestand ist und sich darauf verlassen muss, dass sie gute Renten bekommt. Wenn Sie heute fordern, die Ökosteuer abzuschaffen, dann stellen Sie den Generationenvertrag und seine Stabilität infrage. Auch das müssen die Rentner und die jungen Beitragszahler wissen. ({4}) Wie die weitere Entwicklung von Umweltsteuern nach 2003 aussehen wird, wird sich dann entscheiden. Dabei spielt natürlich die Energiepreiskulisse eine Rolle. Wenn also die Preise selber möglicherweise die Funktion übernehmen, die die Ökosteuer bislang übernommen hat, wird man das einkalkulieren müssen. Wir wollen ja niemanden quälen, ({5}) sondern wir wollen neben der Absicherung der Renten zugleich erreichen, dass das Verhalten sich zum Energiesparen hinneigt, Wettbewerbs- und Preisgleichheit für erneuerbare Energien entstehen und Strom, Wärme und andere Energien möglichst effizient hergestellt und genutzt werden. Dazu leisten wir, wie ich denke, auch durch die Ökosteuer einen wertvollen Beitrag. ({6}) Es ist überhaupt nicht zu bestreiten und keiner von uns ist davon begeistert, dass die geplanten kleinen und kalkulierbaren Schritte einer Erhöhung der Ökosteuer durch unkalkulierte Preisentwicklungen und -explosionen überlagert worden sind. Aber dafür hat doch nicht die Politik gesorgt. Wir regieren weder in Kuwait, noch stellen wir die Vorstandsvorsitzenden von Shell, BP oder Esso. ({7}) Das Ganze geschieht derzeit vielmehr auf dem von Ihnen, Herr Brüderle, so geliebten Markt von Angebot und Nachfrage. Derzeit wird hier die Angebotsmacht von der Mineralölwirtschaft und den Erdöl produzierenden Ländern missbraucht. ({8}) Dem müssen wir natürlich auch im europäischen Konzert der Industriestaaten etwas entgegenstellen, zum Beispiel Nachfragemacht gezielter organisieren, um die Erdöl produzierenden Länder und die Mineralölkonzerne zu einer Verstetigung ihrer Preispolitik zu zwingen. ({9}) Diese muss kalkulierbar und vorhersehbar sein, wenn sich die Wirtschaft und die Verbraucher darauf einstellen sollen. Dieses zeichnet unsere Ökosteuer aus, die Zeit dazu lässt, dass die Industrie rechtzeitig sparsamere Aggregate anbieten kann und sich der Verbraucher darauf einstellen kann. ({10}) - Das ist Marktwirtschaft pur. Das haben Sie in Ihrer Regierungszeit nie zustande gebracht. Im Augenblick bemühen Sie sich seminaristisch darum, die Marktwirtschaft zu entdecken. ({11}) Während der Zeit, als Sie Regierungsverantwortung trugen, hat sie nicht stattgefunden. Die Regierung macht ja nicht nur Ökosteuern, ({12}) sondern verstärkt mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm, das die Koalitionsfraktionen gestern dankenswerterweise verabschiedet haben, den Ansatz einer Politik, die weg von der Fixierung auf das Öl und hin zu Energiesparen, zu erneuerbaren Energien und zum öffentlichen Personennahverkehr als Alternative zum individuellen Autoverkehr führt. Es hat eine Größenordnung von 15 Milliarden DM über drei Jahre. ({13}) Das haben Sie während Ihrer Amtszeit nie zustande gebracht. ({14}) Wenn Sie etwas privatisiert oder verkauft haben, dann haben Sie diese Einnahmen in Haushaltslöcher gesteckt. Wir konsolidieren. ({15}) Mit den eingesparten Zinsen finanzieren wir Zukunft: „Zukunftsfähigkeit für Deutschland durch Energiewende“ lautet die Überschrift unseres Zukunftsinvestitionsprogramms. Das haben Sie nie gemacht; wir machen es. ({16}) Ich finde, das kann sich auch gut sehen lassen: auf der einen Seite ein vorsichtiger, planvoller Umgang mit Energiepreisen, auf der anderen Seite eine eindringliche Einladung an die Industrie und die Verbraucher, mit Primärenergie, insbesondere mit Öl, möglichst sparsam umzugehen. Sie glauben doch wohl selber nicht, dass es in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten wieder einen nennenswerten Einbruch bei den Ölpreisen geben wird. Wir müssen uns schon jetzt darauf einstellen, dass die Ölpreise auf hohem Niveau bleiben und nur dann sozialverträglich und wirtschaftlich abgefangen werden können, wenn ein rationeller Umgang mit diesem Öl organisiert wird. Das machen wir nun in einem Umfang, wie es in der Bundesrepublik bislang noch nie der Fall gewesen war. ({17}) Wir denken aber nicht nur auf lange Sicht, wie wir mit den Zukunftsproblemen fertig werden, sondern wir reagieren auch flexibel auf die Marktverzerrungen, die die Ölpreisexplosion gebracht hat. Deswegen ist es natürlich notwendig, denjenigen, die zur Arbeit fahren müssen, zu helfen, damit die Ölpreisexplosion sie nicht hindert, mobil auf dem Weg zur Arbeit zu sein. Deswegen erhöhen wir die Möglichkeiten der steuerlichen Berücksichtigung von Fahrten zum Arbeitsplatz und wandeln die reine Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale um. Gleichzeitig wollen wir damit - das liegt voll auf unserer Linie - eine Einladung zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel oder wenigstens zur Bildung von Fahrgemeinschaften aussprechen. Wer sich vernünftig verhält, der soll auch einen wirtschaftlichen Vorteil davon haben. ({18}) Auch Vorschläge, durch vernünftiges Verhalten Geld zu sparen oder sogar Geld zu verdienen, gehören zum marktwirtschaftlichen Handeln. Anders geht es doch nicht. Im Übrigen bin ich davon überzeugt, dass unsere Politik bei den Landtagswahlen in zwei Flächenländern honoriert werden wird. ({19}) Wir bleiben nicht stur bei einer Linie, sondern wir werden weiterhin flexibel auf die Entwicklungen reagieren. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Mieter. Wir können niemandem eine Winterhilfe angedeihen lassen, auch Ihnen nicht, Herrn Rauen. ({20}) Aber denjenigen, die unter der Heizkostenrechnung wirklich leiden, werden wir helfen. Dazu zählen Mieter mit einem geringen Einkommen und Mieter, deren Miete über die Sozialhilfe gezahlt wird, die einen Wohngeldanspruch haben oder die BAföG beziehen und nicht zu Hause wohnen. ({21}) Diese Gruppe wäre in ihrer Existenz möglicherweise gefährdet, wenn man die Energiekostenexplosion sozusagen ungebremst auf sie abwälzen würde. Hier zu helfen ist unsere politische Verantwortung. Unsere politische Verantwortung ist aber nicht, sämtliche Preisschwankungen auf den Milch-, Kognak-, Auto- oder Mineralölmärkten durch die Politik aufzufangen. ({22}) Wir müssen vielmehr beobachten, wo Notlagen entstehen. Dort haben wir flexibel reagiert und werden es weiterhin tun. Das Gleiche gilt für die Bauern. Wir haben frühzeitig angekündigt - also bevor die Ölpreise explodiert sind -, Reinhard Schultz ({23}) dass wir die Mineralölsteuerbelastung der Landwirtschaft durch die Einführung von Agrardiesel deckeln wollen. Das war zwar nicht das, was sich die Bauern gewünscht hatten. Aber sie haben letztendlich akzeptiert, dass auch die Landwirtschaft einen Konsolidierungsbeitrag leisten muss und dass es keine Gruppe in der Gesellschaft geben kann, die sich diesen Konsolidierungszwängen völlig entziehen kann. Die Bauern waren mit dieser Maßnahme zufrieden. Aber natürlich hat der neue Preisanstieg insbesondere im Dieselbereich die Belastung erhöht; die Sorgen sind ganz gewaltig. Falls die Entwicklung so weitergeht, müssen wir uns natürlich Gedanken darüber machen, ob wir nicht reagieren sollten. Ich glaube nicht, dass wir schon Entwarnung geben können. Nach den fürchterlichen Ereignissen in Israel und im arabischen Raum können wir in den nächsten Wochen nicht damit rechnen, dass es zu einem Einbruch bei den Energiepreisen kommt. Wir müssen uns also Gedanken machen, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen. Ich freue mich darüber, dass der Bundesrat mit den Stimmen vieler Länder beschlossen hat, dass wir hinsichtlich der Besteuerung der Agrarkraftstoffe innerhalb der EU einen vernünftigen Rahmen festlegen müssen, sodass das heute stattfindende Steuerdumping in Reinkultur nicht zu dauerhaften Wettbewerbsverzerrungen und damit zu großen volkswirtschaftlichen Schäden führt. Wenn wir das schaffen, dann haben wir damit auch den Landwirten geholfen. Schaffen wir es aber nicht, werden wir möglicherweise kurzfristig über weitere Schritte nachdenken müssen. ({24}) Der Bundesrat hat die Bundesregierung in diesem Fall schon dazu aufgefordert. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht dazu aber kein Anlass. ({25}) Das Gleiche gilt auch für andere Betroffene. Wenn die F.D.P. in ihrem Antrag zum Beispiel fordert, dass die Kraftfahrzeugsteuer ersatzlos abgeschafft und mit der Mineralölsteuer verschmolzen werden soll, dann kann ich Ihnen nur sagen: Viel Vergnügen! Das würde nämlich bedeuten, dass wir auf die hohen Energiepreise noch 30 Pfennig aufgrund der Erhöhung der Mineralölsteuer draufsatteln müssten. Das zu vertreten wird ein ungeheures Vergnügen sein. Aber davon abgesehen: Man kann aus rechtlichen Gründen nicht so vorgehen; denn das europäische Recht legt fest, dass insbesondere für LKWs eine gewisse Mindestbesteuerung eingehalten werden muss. Darüber hinaus fordert die EU ausdrücklich auch, unter Umweltgesichtspunkten die Kraftfahrzeugsteuer zu spreizen. Dieses europäische Programm wurde 1999, also noch zu der Zeit des Verkehrsministers Müntefering, von allen europäischen Regierungen verabredet. Wir können also keine Ausnahme bilden. Auch ich kann mich nicht hinstellen und sagen, für mich persönlich gelte die Straßenverkehrsordnung nicht, wenn ich mit 100 Stundenkilometer im innerörtlichen Bereich erwischt werde. Natürlich gilt sie, wie auch das europäische Recht für das deutsche Parlament gilt. Man kann also sagen, dass Sie Alternativen anbieten, die es überhaupt nicht gibt. ({26}) Ich glaube, dass wir erstens durch eine ökologisch orientierte Steuerpolitik, - die man sicherlich weiterentwickeln kann, indem wir auch in anderen Steuerbereichen ökologische Leitgesichtspunkte berücksichtigen und für eine dauerhafte Ökologisierung des gesamten Steuersystems sorgen -, zweitens durch ein Programm, das konsensual darauf angelegt ist, dass Wirtschaft und Verbraucher Energie sparen, ökonomisch mit Ressourcen umgehen, und zwar in kürzester Zeit, und das - wenn wir uns politisch dahinter stellen - dazu beitragen wird, dass auch neue Technologien, wie zum Beispiel die Brennstoffzelle, viel schneller eine massenhafte Wirkung erreichen, als die Industrie es selber geglaubt hat, und drittens durch eine flexible, sozialpolitisch motivierte Abfederung von Energiepreisschwankungen für schwache Gruppen in der Bevölkerung eine Politik machen, die vertrauenswürdig ist und das Attribut „zukunftsfähig für Deutschland“ verdient. Vielen Dank. ({27})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, ich muss natürlich gleich einiges klarstellen. Sie sprechen von 6 Pfennig Ökosteuer. Aber in diesem Jahr haben wir einschließlich der Mehrwertsteuer, die Herr Eichel ja gerne mitnimmt, eine Belastung von insgesamt 14 Pfennig. ({0}) Zweitens bin ich überrascht über das Lob hinsichtlich der vernünftigen Verwendung der Zinsen, die durch die Einnahmen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen eingespart werden. Ich kann mich noch an den Streit, auch in diesem Parlament, bei der Postreform erinnern, bei der es um die Privatisierung der Post ging. Der heutige Finanzminister - Herr Eichel, Sie sind heute Morgen dankenswerterweise anwesend; ich vermisse Ihren Kollegen Herrn Funke, der eigentlich auch anwesend sein müsste, da es um den Agrardiesel geht -, ({1}) damals noch Ministerpräsident, hat seinerzeit gegen die Lizenzverkäufe gestimmt. Ich gönne uns allen diesen Erlös, aber Vater dieser Idee war die alte Koalition. Das muss ich einmal trocken feststellen. ({2}) Reinhard Schultz ({3}) Wir sprechen heute über die Ökosteuer und in diesem Zusammenhang auch darüber, was man den Bauern damit Gutes tut. Dass man die Ökosteuer, wie 1998/99 beschlossen - vorgegeben von Oskar Lafontaine, von Kanzler Schröder gewollt; die Grünen waren hellauf begeistert -, ({4}) nicht im europäischen Konsens, sondern, ideologisch verrannt, nur in Deutschland eingeführt hat, ist die Ursache allen Übels. ({5}) Man muss dies noch einmal deutlich sagen, weil unsere Parteivorsitzende, Frau Merkel, in den letzten Tagen und Wochen von Ihnen gerne auf die - im wahrsten Sinne des Wortes - linke Tour genommen wurde. Wir waren immer der Auffassung, dass die Ressourcen, die nur endlich vorhanden sind, vernünftig verwendet werden müssen. Aber wir können das in Deutschland nicht alleine durchziehen und dadurch Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen; denn die gesamte Wirtschaft leidet darunter. Was nun beschlossen und umgesetzt worden ist, bedeutet großen Ärger, vor allem auch bei den sozial ärmsten und schwächsten Schichten der Bevölkerung. Das sind eigentlich die großen Verlierer bei der Ökosteuer. ({6}) Jetzt wird Flickschusterei betrieben, wie Peter Rauen das zu Recht dargestellt hat. Warum haben Sie die Entfernungspauschale und die Heizkostenbeihilfe nicht schon vor zwei Jahren beschlossen? Wir haben doch in der Opposition deutlich darauf hingewiesen, welche Auswirkungen die Ökosteuer hat. ({7}) Herr Kollege Schultz, zur Klarstellung: Es geht in der Konzeption Ihrer Entwürfe und Beschlüsse - auf das Jahr 2003 gesehen - nicht um 6 oder 12 Pfennig Belastung, sondern um 30 Pfennig plus Mehrwertsteuer, also um eine Belastung von - das kann sich jeder ausrechnen - 35 Pfennig durch die Ökosteuer. 20 bis 38 Milliarden DM der Einnahmen daraus werden umverteilt, zum großen Teil auch in die Rentenversicherung. Der gute Ansatz, dass dadurch etwas für unsere Umwelt getan wird, wird von dem Kollegen von den Grünen als großer Erfolg verkauft. Aber nur 300 Millionen DM von den 30 oder 20 Milliarden DM werden lenkungspolitisch in der Umweltpolitik eingesetzt. Es ist ein Armutszeugnis, wenn wir über die sinnvolle Verwendung von Einnahmen aus der Ökosteuer sprechen und nur läppische 300 Millionen DM dabei herauskommen. Da sind Sie zu kurz gesprungen, wenn es Ihnen um Umweltschutz geht. Ich bedaure, dass Bundeskanzler Schröder heute nicht da ist. Aber die Bauern haben ihn vor 14 Tagen auf einem SPD-Parteitag besucht. Da gab es eine nette Auseinandersetzung in folgender Form: Was wollt ihr Bauern denn - das bekommt man ja draußen immer zu hören -, ihr bekommt ja im Hinblick auf die Ökosteuer eine Entlastung. Dies zu vermischen - Herr Eichel, Sie werden ja darauf eingehen - ist eine Unverschämtheit hoch drei. ({8}) Ich muss Folgendes in Erinnerung rufen: 1999 haben die deutschen Bauern aufgrund von Beschlüssen der alten Koalition - das war auch damals immer ein Streitpunkt - als Ausgleich für den Dieselverbrauch auf ihren Feldern 850 Millionen DM bekommen. Man wollte damit die in Europa bestehenden Wettbewerbsungleichheiten einigermaßen ausgleichen. Damals gab es bei den Franzosen bereits eine Besteuerung von 12 bzw. 13 Pfennig pro Liter. Wir lagen bei 23 Pfennig. Was hat Rot-Grün jetzt angestellt? Sie bieten uns, der deutschen Landwirtschaft, gnädigerweise einen neuen Steuersatz von 57 Pfennig an, verkünden dies als große Wohltat und sagen: Damit seid ihr Bauern im Hinblick auf die Ökosteuer entlastet. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt: Netto entsteht durch die Ökosteuer allein bei der deutschen Landwirtschaft eine Belastung von 1,1 Milliarden DM. Wir können keine Gegenfinanzierung vornehmen, weil für uns ein Ausgleich über die Lohnnebenkosten nicht möglich ist. Nun kommt es zum Wegfall der bisherigen Gasölbeihilfe und zur Ökosteuerbelastung. Das macht 1,9 Milliarden DM aus, wobei ich um 100 Millionen DM im Einzelnen gar nicht streite. Jetzt bekommen wir gnädigerweise 700 Millionen DM angeboten. Nach Adam Riese bleiben 1,2 Milliarden DM auf der Strecke. Dafür sollen wir in der deutschen Landwirtschaft noch dankbar sein? Herr Kollege Schmidt, die Bauern können damit doch nicht zufrieden sein! Warum waren wir bzw. die Bauernführer denn so spontan, ({9}) aber dennoch gemäßigt bei unseren Demonstrationen? - Weil wir eine Gesamtverantwortung haben. Aber nun nüchtern zu den Zahlen: Innerhalb von zwei Jahren, Herr Finanzminister Eichel, werden der deutschen Landwirtschaft 1,2 Milliarden DM weggenommen. Andererseits ist festzustellen, dass wir nicht die Möglichkeit der Sonderabschreibung bei beweglichen Wirtschaftsgütern und der linearen Abschreibung von 4 Prozent auf Gebäude eingeräumt bekommen haben, dass man im Forstbereich gemäß § 34 b des Einkommensteuergesetzes nicht zu ermäßigten Steuersätzen in Höhe von einem Achtel bei Kalamitätsnutzungen zurückgekehrt ist, dass die Umsatzsteuerpauschale nicht bei 10 Prozent geblieben ist und dass im Falle von Umstrukturierungen oder Veräußerungen keine Gleichstellung mit den Kapitalgesellschaften erfolgt ist. Die Strafe dafür wird in zwei oder drei Jahren kommen, wenn die Bilanzen und die Steuererklärungen bei den Steuerberatern auflaufen und Wahlen anstehen. Dass wir mit den Kapitalgesellschaften nicht gleichgestellt wurden, deren Verkäufe von Anteilen im Rahmen von betrieblichen Umstrukturierungen steuerfrei gestellt wurden - das ist ja bei den Einzelpersonengesellschaften nicht möglich -, das ist schon ein starkes Stück. Das hat nichts mit Steuergerechtigkeit zu tun. ({10}) Auch im Hinblick auf die Grundsteuer ist einiges zu erwarten. Auf Bundesebene wird gesagt: Mit der GrundNorbert Schindler steuer haben wir nichts am Hut. Vielleicht will man hier intern eine Änderung herbeiführen; das wissen wir als Opposition nicht. Bei der Mitfinanzierung der Entfernungspauschale müssen ja die Bundesländer gefragt werden. Herr Waigel ({11}) - ich bevorzuge natürlich die Verantwortung des Mannes mit dem anderen Namen; das ist aber leider nicht möglich -, also Herr Eichel, ist da vielleicht intern geplant, den Ländern Speck im Hinblick auf eine Neubewertung im Bereich des Grundsteuerrechtes anzubieten, damit die Länder einen Ausgleich für ihre Finanzausfälle erhalten? Wenn man heute im Zusammenhang mit der Ökosteuer eine Bilanz zieht, dann ist festzustellen, dass Rot-Grün für die deutsche Landwirtschaft im Hinblick auf den Umsatz unterm Strich ein Minus, also Geldverluste von mehr als 5 Milliarden DM pro Jahr erwirtschaftet hat. Angesichts dessen sollen wir für die Gewährung von 700 Millionen DM Danke schön sagen? Das ist wirklich eine sehr traurige Bilanz. ({12}) Dass wir mit unserem Antrag, wenigstens die französischen Verhältnisse hier in Deutschland einzuführen, versuchen, die im Vergleich mit anderen europäischen Ländern bestehenden Wettbewerbsnachteile der deutschen Landwirtschaft, die sich zwischen Mainz und Straßburg allein im Energiebereich bei etwa 100 DM pro Hektar bewegen, auszugleichen, das ist nicht nur legitim, sondern wäre auch sehr gerecht. Herr Finanzminister, Sie reden ja selbst gerne davon, dass wir in Europa eine Steuerangleichung betreiben müssen. Das ist auch unser Auftrag, wenn wir Europa wirklich wollen. Aber gerade hier klafft im Steuerrecht eine eklatante Gerechtigkeitslücke. Die letzten Beschlüsse seitens der französischen Regierung in diesem Bereich kritisiere ich auch. Der Satz für Agrardiesel ist in Frankreich - jetzt halten Sie sich fest, liebe Kolleginnen und Kollegen - von umgerechnet 12 noch einmal auf 6 Pfennig herabgesetzt worden. ({13}) Sie wissen das, Herr Finanzminister. Insofern müssten wir unseren Antrag eigentlich erweitern. Deswegen ist diese Bundesregierung in der Verantwortung. Nächstes Jahr sind in Rheinland-Pfalz - ich komme ja wie Herr Brüderle von dort - Landtagswahlen. ({14}) Auch ich hätte mir gewünscht, dass man überlegt, ob man von den 5 Milliarden DM Zinsersparnis im Zusammenhang mit den UMTS-Erlösen nicht einen Teil für ein Sonderprogramm der deutschen Weinwirtschaft einsetzt. Ich habe mit Überraschung gelesen, dass der Bundeskanzler gerne französischen Rotwein trinkt. Damit man sich dieser Sache intensiver annimmt, habe ich mir erlaubt, Herr Finanzminister, Ihnen heute morgen einen Pfälzer Dornfelder mitzubringen; eine weitere habe ich für den Bundeskanzler dabei. ({15}) - Die nächste Flasche bekommen Sie. ({16}) Sie bekommen grünen Veltliner. Es wird Zeit, dass man in diesem Haus wieder den Stellenwert der deutschen Weine zu schätzen weiß. Wir müssen im deutschen Parlament auf deutsche Produkte stolz sein können. Jetzt bekommen Sie die Flasche. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Lieber Kollege Schindler, wir beobachten Ihr Tun alle mit Neid. Ich erteile das Wort der Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wein habe ich leider nicht zu verteilen. Aber wenn ich das nächste Mal welchen mitbringen sollte, wird es von der Mosel sein. Es geht ja nicht, dass nur pfälzischer Wein verteilt wird. ({0}) Zur Steuerpolitik empfehle ich dem Kollegen Schindler die Lektüre des Deutschen Bauernverbandes, in der dieser erklärt, dass die Steuerreformen der Bundesregierung sehr wohl eine Entlastung für die deutsche Landwirtschaft bedeuten. Er kritisiert lediglich, dass es ein wenig langsam gehe. Aber immerhin, es gibt Entlastungen. Das war unter Ihrer Regierung nicht der Fall. ({1}) Also bitte: Diese Entlastung ist besser als gar keine. Nach der zu beschließenden Einführung eines neuen Besteuerungssystems für den in der Land- und Forstwirtschaft genutzten Diesel ist die Landwirtschaft in der Situation, dass sie in diesem Bereich keine weiteren Steuererhöhungen befürchten muss. Mit dieser Konstante tragen wir, so ist unsere Auffassung, der Situation Rechnung, dass auf der einen Seite die Landwirtschaft - wie andere auch - ihren Anteil an den Kosten der Straßenbenutzung zu leisten hat, auf der anderen Seite ein Schlepper aber nun einmal eine Arbeitsmaschine ist, dessen Betrieb mit einem ermäßigten Steuersatz belegt werden sollte. ({2}) Insofern denken wir, dass die Einführung des Agrardiesels - im Übrigen ein von den Bauern lange gewünschtes System - sinnvoll war. Unterhalten müssen wir uns - das ist richtig - über die Art der Ausführung und die Höhe der Besteuerung. In diesem Zusammenhang sage ich deutlich: Eine Einfärbung des Agrardiesels wäre richtig gewesen. Verhindert hat das der Deutsche Bauernverband. Es wäre sinnvoll gewesen, weil man dann eine Lösung hätte finden können, die die Liquidität der Betriebe verbessert hätte. Man hat aber auf dem alten Erstattungsverfahren bestanden. Jetzt schickt der DBV die Bauern zur Demonstration, obwohl er selbst die Einführung eines gefärbten Agrardiesels verhindert hat, mit der die Liquidität verbessert worden wäre. ({3}) Hieran wird die Scheinheiligkeit deutlich. Zweitens zur Höhe der Bezugspreise im Dieselbereich: Aktuell sind 857 Millionen DM an Gasölbeihilfe ausgezahlt worden, 22 Millionen DM mehr als im Haushaltsplan angesetzt. Im nächsten Jahr wird es sowohl die Zahlung der Gasölbeihilfe wie auch die Einführung des neuen Agrardiesels geben; faktisch in gleicher Höhe. Dass die Auszahlungstermine auf Wunsch des Bauernverbandes divergieren, ist etwas anderes. Aber es ist unseriös, wenn man versucht, all die Gesamtzahlungen an die Landwirtschaft nicht vernünftig in Rechnung zu stellen. Der nächste Punkt betrifft die Höhe der Bezugspreise EU-weit. Sicher haben wir damit Probleme - ich verstehe auch die Aufgeregtheiten -, wenn Länder wie Frankreich, Italien oder die Niederlande hier staatliche Subventionen geben und die Mineralölsteuern senken. Aber man muss dann, wenn man eine Gleichstellung möchte - darauf weise ich auch nicht zum ersten Mal hin -, auch ernsthaft die Art und Weise der Verteilungspolitik in den anderen europäischen Ländern prüfen. In Italien ist zum Beispiel nur ein bestimmter Teil der Betriebe bezugsberechtigt. Dort ist die Beihilfe erst vor kurzer Zeit um 230 Millionen DM gekürzt worden. Ist das die Gleichstellung, die Sie von uns einfordern? Oder nehmen wir Frankreich: Auch dort ist das Bezugssystem auf einen engeren Kreis der Berechtigten begrenzt. Wenn man bei uns den Verteilungsschlüssel ändern würde, könnte man auch den wenigen, die dann noch berechtigt wären, mehr geben. Aber diese Forderung hat der Bauernverband nicht erhoben; und wir auch nicht. ({4}) Dies finden wir auch nicht richtig. Daher wäre die Forderung nach Gleichstellung in fast allen Punkten der Agrarpolitik auf europäischer Ebene auch ein Schnitt ins eigene Fleisch. Nun komme ich zum wichtigsten Punkt, der Wettbewerbssituation bei den nachwachsenden Rohstoffen. Wir haben eine Steigerung des Anbaus dieser Konkurrenzprodukte zum Erdöl von 50 Prozent erzielen können. Der Einsatz von Pflanzenölen, von biogenen Treib- und Schmierstoffen in Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau ist sinnvoll. Dies ist ein umweltsensibler Bereich. Dieses Produkt ist wettbewerbsfähig. Sie möchten den französischen Bezugspreis von 79 Pfennig erreichen. ({5}) Die Erzeugungskosten beim Pflanzenöl betragen heute 80 Pfennig pro Liter. Das bedeutet, dass hinsichtlich des Pflanzenöles, das für die Landwirtschaft zur Verfügung steht, auf jeden Fall die Wettbewerbsfähigkeit und Gleichstellung zu Frankreich besteht. Der Unterschied beträgt allenfalls einen Pfennig. Insofern kann ich schlecht verstehen, dass man eine Wettbewerbsverzerrung zuungunsten des Produkts der eigenen Landwirtschaft herbeireden will und sich darauf konzentriert. Hier, in den erneuerbaren Energien, liegt die Zukunft. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und F.D.P., haben es versäumt, hier die technische Innovation rechtzeitig voranzutreiben und die Nutzung so vorzubereiten, dass dieses Produkt in der Landwirtschaft zu 100 Prozent eingesetzt werden könnte. ({6}) Die RME-Verwendung ist auch heute möglich. Statt dies selbst für die Landwirtschaft zu nutzen, gehen Sie hin und wollen dies den Taxifahrern oder den privaten Autofahrern anbieten. Hier muss man umsteuern und die Möglichkeiten, die sich für die Landwirtschaft ergeben, nutzen und die Politik unterstützen, statt die Bauern davon abzuhalten. Weiter zur Wettbewerbsfähigkeit: Wir haben im Bereich der Strom- und Wärmeerzeugung - ich erinnere an das Erneuerbare-Energien-Gesetz -, auch Produkte der Landwirtschaft, und zwar mit einer um 60 Prozent besseren Vergütung in Form von Strom und Wärme. Dies ist also allein bei diesem Beispiel Biomasse eine ganz enorme Steigerung. ({7}) Das Markteinführungsprogramm - übrigens aus der Ökosteuer finanziert - führt nicht nur zur Kostenentlastung, sondern ermöglicht auch entsprechende Deckungsbeiträge, die man mit anderen Produkten in der Landwirtschaft nur sehr schwer erzielen kann. Wir fördern Energieeinsparungen, Motorenumstellungen, BiomasseAnlagen und auch Kooperationen von Betrieben, um hiervon nicht etwa kleine Betriebe auszuschließen. Wir möchten zusätzlich im Bereich der Altbausanierung durch Neubauten Energieeinsparungen ermöglichen, so zum Beispiel im Gartenbau durch Unterstützung des Auswechselns der Gewächshäuser. Darüber wird im Zusammenhang mit der Altbausanierung und den Bemühungen zur CO2-Einsparung diskutiert. Das wird auch umgesetzt. Zu den weiteren Möglichkeiten, die wir gerade im Gartenbau sehen, wird gleich Herr Thalheim noch etwas sagen. Als Letztes möchte ich auf die Erzeugerpreise, die ständig unter die Erzeugungskosten fallen, zu sprechen kommen. 60 Prozent des Einkommens der Landwirtschaft kommen von staatlicher Seite. Es ist nicht so, dass wir dies gewollt haben, aber es ist so. Hier besteht übrigens kein Bezug zum Ölpreis. Aber die Landwirtschaft unternimmt kaum Anstrengungen, um aus dieser Kostenfalle herauszukommen, und zwar angeblich deshalb, weil keine Marktposition gegenüber dem Handel vorhanden ist. Da stellt sich doch tatsächlich auf einer Bauerndemonstration in Bitburg der Vertreter einer Molkerei - der Milchunion - hin und erklärt, dass man die Milchpreise leider Gottes nicht erhöhen könne bzw. sie sogar senken müsse, obwohl die Energiekosten gestiegen seien. Daraufhin klatschen die Bauern. Sie lassen sich von ihren Verarbeitern erzählen, die Preise müssten gesenkt werden. Dafür gibt es Beifall. Das muss man sich einmal vorstellen! ({8}) Ich würde den Rat geben, einen Betriebsrat von Mercedes oder Nestlé an die Spitze des Bauernverbandes zu setzen. Ich glaube, dann entstünde in einem globalen Markt eine bessere Position im Bereich der Erzeugerpreise. Dann könnten die Verteilungskosten etwas anders geregelt werden. ({9}) Mein allerletzter Punkt betrifft den Wettbewerb in der EU. Die alte Bundesregierung hat die Programme, die Sie jetzt kritisieren - massive Subventionsprogramme der Niederländer in Bezug auf den Gaspreis und die Landwirtschaft -, gebilligt und unterstützt. Das müssen die Bauern jetzt ausbaden. Der Vorwurf, den Sie jetzt erheben, bezieht sich auf genau diese Wettbewerbsverzerrungen. Sie hätten - denn die Situation war vorauszusehen; Erdöl ist endlich und eine Preiserhöhung ist immer vorhergesagt worden - eine solche Marktverzerrung nie dulden dürfen. Ich kann dazu nur sagen: Wir werden versuchen, aus dieser Falle herauszukommen, und auf einer Harmonisierung bestehen. Ich denke, dazu besteht aufgrund der Wettbewerbsverzerrungen guter Grund. Der Anlass, dass hier europäische Politik negativ in die Diskussion gerät, muss auch für die Kommission Grund genug sein, hier verstärkt über eine Harmonisierung nachzudenken. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Marita Sehn, F.D.P.-Fraktion.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Höfken, ganz kurz zum Wein: ({0}) In der Tat ist es so, dass hier in Berlin vielleicht etwas zu wenig Moselwein getrunken wird. Das habe ich zum Anlass genommen, vor zwei Wochen ein paar Flaschen in einem Rucksack hierher zu tragen und zu versuchen, ihn auf die Listen in den verschiedenen Restaurants zu bekommen. Vielleicht können wir ja gemeinsam eine Aktion starten, um zu versuchen, den Moselwein hier in Berlin etwas populärer zu machen. ({1}) Die Ökosteuer ist ökologisch kontraproduktiv, ökonomisch unsinnig und sozial ungerecht. ({2}) Diese grundsätzlichen Fehler der Ökosteuer treffen sozial Schwache und all diejenigen Berufsgruppen sehr hart, die in besonderer Weise auf Treibstoffe angewiesen sind. Zu den existenziellen Bedrohungen der Bus-, Speditionsund Taxibranche durch die Ökosteuer ist bereits alles gesagt worden. Aber genauso hart werden die Land- und Forstwirte sowie der Gartenbau - hier insbesondere die Unterglasbetriebe - getroffen. Die Agrardieselregelung ist - mit Verlaub gesagt eine Mogelpackung. ({3}) Sie bringt keine Entlastung, sondern eine Belastung in Höhe von mehr als 200 Millionen DM. Damit verschlechtert Rot-Grün nochmals die ohnehin schon bestehenden Wettbewerbsnachteile für die heimischen Landwirte. Während die Franzosen ihren Steuersatz auf Diesel weiter reduzieren, ({4}) erhöhen SPD und Grüne den Agrardieselsteuersatz von 21 auf 57 Pfennige. Das muss man sich einmal überlegen! Lieber Herr Staatssekretär Thalheim, das ist das glatte Gegenteil von dem, was Minister Funke immer fordert. Er fordert nämlich den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen in Europa. Noch dramatischer ist der direkte Vergleich von deutschen und niederländischen Unterglasbetrieben im Gartenbau. Von Anfang des Jahres 1999 bis heute sind die Kosten für die Beheizung von Gewächshäusern um über 200 Prozent gestiegen. ({5}) Heute zahlen deutsche Gartenbaubetriebe im Vergleich zu ihren niederländischen Konkurrenten für den Liter Heizöl das Dreifache. Damit drohen unweigerlich Arbeitsplätze und Marktanteile verloren zu gehen. Heute vor einer Woche habe ich einen Familienbetrieb in Ockenfels am Rhein besucht. Dort konnte ich hautnah erfahren, welches Ausmaß die unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen angenommen haben und in welche Existenznöte gerade Familienbetriebe dadurch geraten. Allein in diesem Betrieb sind mehr als 15 Arbeitsplätze akut bedroht. Auch früher war die Situation für die deutschen Gartenbaubetriebe nicht gerade einfach. Aber durch Motivation und Innovation konnten die Betriebe diese Unterschiede auffangen. Allerdings gibt es für jede Anpassung Grenzen. Die zusätzliche Verteuerung der Energiekosten ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Betriebe fühlen sich in dieser Situation von der Bundesregierung nicht nur im Stich gelassen, sondern regelrecht dem Untergang preisgegeben. Die F.D.P. fordert deshalb in einem Antrag die Bundesregierung auf, kurzfristig im Haushalt 2001 durch Anpassungsbeihilfen in Höhe von 300 Millionen DM die Existenz von über 5 000 gefährdeten Betrieben mit mehr als 30 000 Arbeitsplätzen im Gartenbau zu sichern. ({6}) Schließlich sind Taten statt Worte gefragt, damit auf europäischer Ebene diese eklatanten Wettbewerbsverzerrungen im Energiebereich endlich behoben werden. Herr Minister Funke oder Herr Thalheim, ich fordere Sie auf: Handeln Sie! ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Kersten Naumann, PDS-Fraktion, das Wort.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Kollegin Eva Bulling-Schröter hat zur Ökosteuer bereits Grundsätzliches gesagt. Ich möchte mich deshalb auf drei Probleme konzentrieren, die die Landwirtschaft betreffen. Erstens. Die PDS-Fraktion ist grundsätzlich für ein Agrardieselgesetz; zum einen, weil damit auch weiterhin der Besonderheit Rechnung getragen wird, dass in der Landwirtschaft der Diesel vor allem auf dem Feld und nicht auf der Straße verbraucht wird, zum anderen, weil mit der Erhöhung des Nettosteuersatzes die Hinwendung zu alternativen, nicht fossilen Energieträgern ökonomisch lohnender werden könnte. Das funktioniert jedoch nur, wenn dafür auch die materiellen und technischen Bedingungen zügig geschaffen werden. Das eigentliche Problem sehe ich aber darin, dass die von der Bundesregierung konkret vorgelegte Lösung sowohl wirtschaftlich wie sozial kaum vertretbar ist. ({0}) Wieder trifft es die Bäuerinnen und Bauern. Ihre Steuerbelastung ist im Verhältnis zu den Landwirten in anderen EU-Ländern wesentlich größer. Wenn der Nettosteuersatz je Liter Diesel von 21 Pfennigen Anfang 1999 auf 57 Pfennige ab dem nächsten Jahr ansteigt, so ist das fast eine Verdreifachung. Das einstimmige Votum der Agrarministerkonferenz für 47 Pfennige ist daher das Mindeste, was in diesem Gesetzentwurf Aufnahme finden sollte. ({1}) Werte Kollegen von der CDU/CSU, anscheinend hat sich der Bundesfachausschuss der CDU mit den Agrarministern der von Ihnen regierten Länder nicht abgestimmt; denn auch sie haben der Forderung nach 47 Pfennigen und nicht nach 12 Pfennigen zugestimmt. Zweitens. Ich komme zum Antrag der PDS: „Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen“. Er steht heute zur Abstimmung. In der ersten Lesung am 24. Februar 2000 hielt es keiner der Redner der anderen Fraktionen und auch nicht Minister Funke für notwendig, darauf einzugehen. Die Landwirte in Ostdeutschland haben das wieder einmal mit Enttäuschung registriert. Es ist mehr als eine politische Peinlichkeit, dass im zehnten Jahr der deutschen Einheit vor allem ostdeutsche Landwirtschaftsbetriebe bei der Gasölbeihilfe massiv benachteiligt werden. ({2}) Es handelt sich hier um einen an Schizophrenie grenzenden Akt politischer Unaufrichtigkeit. Die gleichen Leute, die die 3 000-DM-Obergrenze geschaffen haben, verkaufen den mit dem Agrardieselgesetz verbundenen künftigen Wegfall dieser offensichtlichen Diskriminierung als Beleg einer auf Chancengleichheit ausgerichteten Agrarpolitik. Worin besteht die Diskriminierung? Eine Agrargenossenschaft von 1 500 Hektar hat Einbußen von mehr als 50 000 DM jährlich. Je größer der Betrieb, desto größer die Einbußen. Doch benachteiligt werden auch Wieder- und Neueinrichter. So bekommen die von der Obergrenze betroffenen Haupterwerbsbetriebe auf 35 Prozent der Fläche keine Verbilligung. Meine Damen und Herren von der Koalition, die Landwirte erwarten von Ihnen, dass Sie für das Jahr 2000 Chancengleichheit schaffen, ({3}) zumal diese in den Vorjahren - zumindest auf diesem Feld - gegeben war und ab dem Jahr 2001 auch wieder gelten soll. Es ist dafür noch nicht zu spät, da die Gasölbeihilfe für das Jahr 2000 erst im Jahr 2001 zur Auszahlung kommt. Zum dritten Problem. Die Situation der Unterglasbetriebe im Zierpflanzen- und Gemüseanbau ist dramatisch. Die betroffenen Gärtner dürfen mit den Folgen der Explosion der Heizölpreise als besonders stark Betroffene nicht allein gelassen werden. ({4}) Über die verheerenden Folgen sind sich hoffentlich alle hier im Haus klar, zumal eine Abwälzung der seit Anfang 1999 auf fast das Dreifache gestiegenen Heizölkosten auf die Kunden ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Unter den Bedingungen des EU-Binnenmarktes mit leider noch nicht harmonisierten Energiesteuern hätten hochsubventionierte Konkurrenten ein leichtes Spiel, weitere Anteile auf dem deutschen Markt zu erobern. Das wäre das wirtschaftliche Aus für viele Betriebe. Damit verbunden vergrößerte sich das Heer der Arbeitslosen in den ländlichen Regionen und unökologische Ferntransporte würden unsere Umwelt noch mehr belasten. Wollen Sie das, meine Damen und Herren von der Koalition? Wenn nicht, muss die Politik regulierend eingreifen. ({5}) Zierpflanzen und Gemüse sollten trotz Globalisierung vor Ort produziert und regionale Wirtschaftskreisläufe erhalten werden. Unser Antrag fordert deshalb einen BundLänder-Nothilfefonds, um den akut existenzbedrohten Unternehmen schnell zu helfen. Gleiches verfolgen die Anträge der CDU/CSU und der F.D.P. Der Unterschied zu unserem Antrag besteht allerdings darin, dass wir nicht nur fordern, sondern vorschlagen, woher das Geld kommen soll, nämlich aus den nicht geplanten Steuermehreinnahmen. Wir haben das in der schriftlichen Antragsbegründung am Beispiel der Umsatzsteuer deutlich gemacht. Da hauptsächlich der Bund und die Länder vom ruinösen Preisanstieg profitieren, ist es keine unlautere Forderung, diese unerwarteten Mehreinnahmen von mindestens 100 Millionen DM zur Unterstützung der genannten Betriebe einzusetzen. ({6}) Abschließend begrüße ich ausdrücklich die Ankündigung des Bundesministers Funke, ein Energiesparprogramm Unterglasgartenbau aufzulegen. Reserven liegen auf der Hand, so zum Beispiel das große Energieeinsparpotenzial, das gerade in Ostdeutschland bei der Modernisierung oder beim Ersatz veralteter Gewächshäuser vorhanden ist. Das ist ein Gebot der Vernunft und ein wirklicher Beitrag zur Verhinderung der Klimakatastrophe. ({7}) Werte Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie den Anträgen der PDS zu und lassen Sie den heutigen Tag, Freitag, den 13., zum Glückstag der Bäuerinnen und Bauern werden! ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Kollege Schindler - er ist im Moment leider nicht da; dann werde ich es noch persönlich nachholen -, für den Dornfelder herzlich bedanken. ({0}) - Am frühen Vormittag Rotwein zu trinken, davor muss ich warnen. - Das muss ich den pfälzischen Winzern lassen: Aus dem Dornfelder haben sie einen richtig guten Wein gemacht. ({1}) Früher hat man den nur verwendet - 15 Prozent Verschnitt durfte ja sein -, um den Spätburgunder dunkel zu machen; heute kann man ihn als eigenständige Rebsorte trinken. ({2}) Das ist wirklich gut gelungen. Eine herzliche Gratulation dazu, was sie aus dem Dornfelder gemacht haben. ({3}) - Ja, ich komme aus Kassel und bin geborener Biertrinker. Wenn man aber acht Jahre in Wiesbaden gelebt hat, dann ist man gelernter Weintrinker. Wein zu trinken ist ein Genuss und ich bin auch für deutschen Wein. ({4}) Das erste Thema heute ist die Ökosteuer. Sie von der F.D.P. wollen sie weg haben. Wenn es Ihnen damit aber wirklich Ernst gewesen wäre, hätten Sie den Antrag zum Beispiel um den 1. Januar oder den 1. April vergangenen Jahres gestellt. ({5}) - Vorsicht! Ich komme gleich auf Sie zu sprechen. - Aber nein, Sie stellen den Antrag in dem Augenblick, in dem die Heizöl-, Benzin- und Dieselpreise ordentlich steigen, und wollen damit suggerieren, das habe etwas mit der Ökosteuer zu tun. ({6}) - Ehe Sie sich aufregen, will ich Ihnen eine Grafik zeigen, in der ich alles habe einzeichnen lassen: Die unterste Kurve, die am wenigsten steigt, stellt die Belastung durch die Ökosteuer dar, die Kurve darüber, die vergleichsweise immer noch wenig steigt, die Belastung durch den Euro. Die Kurve darüber bezieht sich auf den Rohölpreis. Sehen Sie das? ({7}) An dieser Entwicklung sind übrigens weniger die OPECStaaten als vielmehr die Mineralölkonzerne beteiligt, die ihre Gewinne von einem Jahr auf das andere um 150 Prozent gesteigert haben und die ihren Sitz in den Vereinigten Staaten haben. Wenn Sie sich jetzt über die steigenden Preise - das empört mich zum Teil auch - beschweren, dann gehen Sie nicht die deutsche Bundesregierung an, sondern endlich die Konzerne, anstatt für diese Propaganda zu machen. ({8}) Von wem sind Sie eigentlich gewählt? Sie müssen sich nur unsere Aufstellung anschauen; die sagt bereits alles. Wir werden sie auch schön publizieren, damit jeder im Lande sieht, wer hier die Preise hochtreibt. ({9}) Des Weiteren: Es ist, meine Damen und Herren von der F.D.P. - bei der CDU ist es nicht anders -, offenbar ein Riesenunterschied, ob man in der Opposition ist - wenn auch nicht so lange - oder in der Regierung. An den 1,10 DM Steuern, die wir in Form von Mineralölsteuer auf Benzin erheben, - die Ökosteuer ist insofern damit vergleichbar -, sind Sie durch Maßnahmen während Ihrer Regierungszeit mit 95 Pfennig beteiligt. ({10}) Das werden wir natürlich auch in den Landtagswahlkämpfen deutlich machen: 95 Pfennig von 1,10 DM Mineralölsteuer sind mit Ihrer Beteiligung von der damaligen Regierung beschlossen worden. ({11}) Der Unterschied ist der: Sind Sie in der Regierung, erhöhen Sie die Mineralölsteuer, sind Sie in der Opposition, dann sind Sie dagegen. Da Sie fast die ganze Zeit in der Regierung waren, haben Sie alle Erhöhungen mitgemacht. Übrigens haben Sie, CDU und F.D.P., in Ihrer Regierungszeit im Schnitt - das könnte ich Ihnen auch noch vorrechnen - pro Jahr eine höhere Belastung durch die Mineralölsteuer hingekriegt als wir mit der Ökosteuer. Das wollen wir alles richtig festhalten. Nur: Was machen wir mit der Ökosteuer? Damit kommen wir zu den entscheidenden Unterschieden. Die Frage ist nicht, ob man das Mineralöl stark oder weniger stark besteuert; das haben Sie stärker gemacht als wir. ({12}) Die entscheidende Frage ist, was wir damit machen, und die Antwort darauf ist sehr einfach: Wir haben zum ersten Mal damit begonnen, das Geld, das wir dadurch zusätzlich bekommen - die Ökosteuer hat uns bisher 17 Milliarden DM eingebracht - dafür zu verwenden, um die Rentenversicherungsbeiträge zu senken. Der Rentenversicherungsbeitrag ist bei uns nämlich in derselben Zeit von 20,3 Prozent auf 19,3 Prozent gesunken und ein Beitragspunkt bedeutet 16 Milliarden DM. Wir haben es also wie geplant umgesetzt: Was wir mit der Erhöhung einnehmen, setzen wir zur Senkung der Lohnnebenkosten ein. ({13}) Jetzt mache ich Ihnen Ihre Bilanz für die Regierungszeit Kohl auf: Sie haben damals die Mineralölsteuer um 51 Pfennig erhöht, in der gleichen Zeit sind die Lohnnebenkosten aber von 34,9 Prozent auf 42,3 Prozent gestiegen. ({14}) Das heißt: Sie haben beides heraufgesetzt. Sie haben die Mineralölsteuer stärker erhöht, als wir es tun, und gleichzeitig die Lohnnebenkosten dramatisch hochgetrieben und damit zum Arbeitsplatzabbau beigetragen. Damit sind Sie den kleinen und mittelständischen Betrieben richtig an die Gurgel gegangen. ({15}) Nicht ohne Grund war ja in Ihrer Regierungszeit die Zahl der Insolvenzen sehr viel höher als bei uns. Es ist übrigens sehr schön, heute das „Handelsblatt“ aufzuschlagen. Da steht: „Steuern und Abgaben steigen rasant“. Die Überschrift ist allerdings ein bisschen falsch, da in dem Artikel die Jahre 1993 und 1998 verglichen werden; er nimmt also auf Ihre Regierungszeit Bezug. Die Überschrift hätte also heißen müssen: „Steuern und Abgaben stiegen rasant“. Die nächste Bilanz wird ganz anders aussehen. Bei Ihnen stiegen in den fünf Jahren die Einkommensteuerbelastung um 13 Prozent, die Lohnnebenkostenbelastung, die Pflichtbeiträge zu den Sozialversicherungen, um 28 Prozent und die Einkommen der Arbeitnehmer um ein Prozent. ({16}) Das ist die Bilanz Ihrer Regierung. ({17}) - Sie können so viele Begründungen nachschieben, wie Sie wollen. Ich halte also fest: Der Unterschied in der Politik besteht nicht darin, ob man die Mineralölsteuer erhöht oder nicht - Sie haben sie stärker erhöht als wir -, der Unterschied besteht darin, ob man gleichzeitig die Lohnnebenkosten ordentlich senkt, die Arbeitnehmer entlastet, Chancen für Arbeitsplätze schafft und kleine und mittlere Betriebe, die arbeitsintensiv sind, entlastet oder nicht. Das ist der erste bemerkenswerte Unterschied. Der zweite bemerkenswerte Unterschied: Sie haben die Diskussion nicht in der Zeit um den 1. Januar herum gesucht, sondern Sie haben es jetzt getan. Sie werden das immer dann zu wiederholen versuchen, wenn gerade die Preise steigen. Übrigens gab es heute Morgen einen besonders interessanten Fall: Auf den Weltrohölmärkten hat sich nichts geändert, aber im Nahen Osten sind schlimme Dinge passiert und fast über Nacht ist der Rohölpreis um 10 Dollar je Barrel gestiegen. Das sollten Sie den Menschen einmal erklären und Sie sollten nicht so tun, als seien die 6 Pfennig Ökosteuer Ursache für den Preisanstieg. ({18}) Was eigentlich halten Sie von Demokratie? Was halten Sie von mündigen Bürgern und was halten Sie von einer ehrlichen Diskussion mit den Menschen? ({19}) Eine ehrliche Diskussion mit den Menschen zu führen heißt - das ist Unterschied Nummer drei -, den Menschen zu sagen: Wir müssen lernen, mit weniger Energieverbrauch auszukommen. - Erster Satz. ({20}) Zweiter Satz: Wir müssen es lernen, mit anderen Energieträgern auszukommen. Die fossilen sind endlich und sie zu verbrennen ist umweltgefährdend. ({21}) Jetzt komme ich wieder zur F.D.P. Es hängt offenbar doch am größeren Koalitionspartner, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. Als wir in den 70er-Jahren zusammen in der Regierung waren, haben wir die Mineralölsteuer erhöht - nicht so stark, aber wir haben es getan. Wir hatten zwei Ölpreiskrisen. Was haben wir gemacht? Wir haben eine konsequente Politik zur Energieeinsparung und zur Energieeffizienz betrieben und zum Beispiel das KWK-Ausbauprogramm - Zukunftsinvestitionsprogramm hieß das damals - und das Fernwärmeausbauprogramm aufgelegt. Kaum waren Sie in den 80erJahren mit der CDU/CSU in der Koalition, ist das alles beendet worden. Hätten Sie doch wenigstens das, was Sie damals mit uns gemeinsam zur Verbesserung der Energieeinsparung und der Energieeffizienz gemacht haben, in die nächste Koalition hinübergerettet! Sie hatten übrigens einmal Politiker, die einen hohen ökologischen Anspruch hatten - sie waren auch wirklich gut -: zum Beispiel Werner Maihofer und Gerhart Baum, auch Peter Menke-Glückert, der mein Denken, was ökologische Fragen angeht, in den frühen 70er-Jahren nicht unmaßgeblich beeinflusst hat. Das war alles vergessen, als Sie die Koalition gewechselt haben. ({22}) Wenn wir diese Politik in den 80er- und 90er-Jahren, als Sie zusammen mit der CDU/CSU in der Regierungsverantwortung waren, nur fortgesetzt hätten - ich will gar nicht darüber reden, was gewesen wäre, wenn Sie das konsequent weiterentwickelt hätten -, dann wären wir heute weniger vom Öl abhängig und dann würden sich die Preisschwankungen an den Rohölmärkten bei uns weniger stark auswirken. ({23}) Deswegen ist die Antwort drittens: Wir müssen eine Politik machen, die zu mehr Energieeffizienz und dazu führt, dass wir weg vom Öl kommen. Genau das tun wir mit dem 100 000-Dächer-Programm, das zur Energieeinsparung in Gebäuden führt ({24}) - da wird man auch bei Unterglasbetrieben etwas machen können -, und vielen anderen Dingen. Darüber hinaus führen wir - diese Debatte wird schön - die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale ein. Sie steht übrigens in allen Wahlprogrammen: bei der CDU, bei der CSU, bei der F.D.P., bei der SPD und auch bei der PDS. ({25}) Ich hoffe also, wir bekommen einen einstimmigen Beschluss zur Einführung der Entfernungspauschale zustande. ({26}) Jetzt müssen Sie allerdings aufpassen, meine Damen und Herren. Der Witz an der Veranstaltung ist der: Sie wollen nur 50 Pfennig; das stand in Ihrem Steuerkonzept. ({27}) Wir wollen die ursprünglich vorgesehenen 70 Pfennig auf 80 Pfennig aufstocken, weil uns die Pendler ein bisschen Leid tun. Auch das wird noch eine spannende Debatte. Wenn übrigens der bayerische oder der baden-württembergische Ministerpräsident - ein besonderer Automann - Schwierigkeiten bei der Entlastung der Autofahrer haben sollte, so muss er nur die 2,5 Milliarden DM, die die Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer im nächsten Jahr bringt, zurückgeben. Mehr muss er gar nicht tun. Das wäre schon eine richtig schöne Leistung. Ich will das gar nicht vertiefen, weil ich weiß, dass auch die sozialdemokratisch geführten Länder damit Probleme haben. Aber man sollte nicht immer nur Einsparvorschläge zulasten anderer machen. ({28}) Wenn also der bayerische oder der baden-württembergische Ministerpräsident meint, er müsse etwas für die Autofahrer tun, dann hat er ein wunderbares Instrument: Er muss nur auf die Mehreinnahmen aus der Kraftfahrzeugsteuer verzichten - mehr muss er gar nicht tun - und wir machen unsere eigenen Aufgaben. ({29})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ilja Seifert?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ich glaube, ich habe keine Zeit mehr. Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen. Wir haben - das sage ich wieder an die Adresse der Vertreter der F.D.P. - heute wie damals, nur in einer anderen Koalition, die Probleme sozial abgefedert. Der Heizkostenzuschuss ist keine Erfindung dieser Bundesregierung. Das haben wir in den 70er-Jahren schon einmal gemacht, weil wir auch damals davon ausgegangen sind, dass es Menschen gibt, die die gestiegenen Heizkosten finanziell nicht verkraften können. Übrigens ist das der Bereich, in dem die Ökosteuer überhaupt keine Rolle spielt. ({0}) Wenn Sie die Heizkosten in der Heizperiode 1999/2000 mit denen der Heizperiode 2000/2001 vergleichen, dann werden Sie feststellen, dass die Steuern zuletzt am 1. April 1999, also vor Beginn der damaligen Heizperiode, erhöht worden sind, und zwar um 4 Pfennig. Obwohl die Ökosteuer überhaupt keine Auswirkung auf den Preis des Heizöls hat, sind gerade beim Heizöl die höchsten Preissteigerungsraten zu verzeichnen. Der Vergleich der beiden Heizperioden belegt, dass der Heizölpreis von 40 bis 60 Pfennig pro Liter - je nachdem, wann man damals Heizöl eingekauft hat - auf 1,10 DM pro Liter gestiegen ist, obwohl die Steuern überhaupt nicht erhöht wurden. So sieht die Situation aus! Fazit: Was müssen wir tun? Erstens. Wir müssen eine Politik machen, die konsequent zu mehr Energieeinsparungen führt. Wir müssen weg von den fossilen Energieträgern, insbesondere vom Öl. ({1}) Zweitens. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen, die durch die Energiepreissteigerungen besonders betroffen sind - wir sind für diese nicht verantwortlich -, mit besonderer sozialer Sensibilität behandelt werden. Die Länderregierungen profitieren übrigens auch von der momentanen Entwicklung. Die Länderhaushalte sehen besser aus als der Bundeshaushalt. Ich habe vor zwei Tagen vorgetragen, dass der Gesamtstaat bereits 2004 kein Defizit mehr haben wird - der Bund wird noch ein Defizit haben -, weil die Länder und Gemeinden nach ihrer eigenen Planung Überschüsse aufweisen werden. Wenn wir sozial anständig sein wollen, müssen wir auch alle unsere Verpflichtungen erfüllen. Nichts, was wir in diesem Bereich vorschlagen, ist neu. An die Adresse der Kollegen von der F.D.P. sage ich: Das haben wir gemeinsam schon anlässlich der Erdölpreissteigerungen in den 70er-Jahren gemacht. Wenn Sie sich daran erinnern, dann wird sich die Debatte, die Sie bisher geführt haben, entspannen. Dass wir mit unserer Politik auf dem richtigen Weg sind ({2}) und dass die Ökosteuer mitnichten die Leistungskraft der Wirtschaft beeinträchtigt, sehen Sie schon an Folgendem: Als wir die Regierungsverantwortung von Ihnen übernommen haben, hat Deutschland hinsichtlich des Wirtschaftswachstums den zweitletzten Platz in der Eurozone belegt. In der heutigen Ausgabe des „Handelsblattes“ Eurostat hat seine neuesten Zahlen veröffentlicht - können Sie nachlesen: Deutschland ist mit seinem Wirtschaftswachstum unter den großen Volkswirtschaften Spitzenreiter in der Europäischen Union. Von wegen zweitletzter Platz! Das ist das Ergebnis unserer Politik. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Eichel, Sie haben versucht, Verschiedenes schönzureden. Der Versuch, so meine ich, ist total misslungen. ({0}) In Oberlehrermanier haben Sie hier gesagt, man müsse den Menschen lehren, mit Energie sparsamer umzugehen. Sie haben mit der Knüppel-aus-dem-Sack-Methode gedroht. Die Menschen sind nicht so dumm, wie Sie meinen; denn sie wissen selbst, was gemacht werden muss. Sie werden nicht von Ihnen lernen; vielmehr werden sie Ihnen bei den nächsten Wahlen etwas lehren. Das prophezeie ich Ihnen. ({1}) Herr Minister Eichel, Sie haben scheinbar nicht mitbekommen, warum die Mineralölsteuer während der Zeit der alten Regierung erhöht worden ist. Ist die deutsche Einheit eigentlich an Ihnen vorbeigegangen? Haben Sie gemeint, das Geld regne wie Manna vom Himmel? ({2}) Sind Sie bereit, endlich anzuerkennen, dass es dringend erforderlich war, zusätzliche Mittel zu beschaffen, die speziell den neuen Bundesländern zur Verfügung gestellt werden mussten? Wir haben ein anderes Verhältnis zu den neuen Bundesländern, als Sie auch heute wieder zum Ausdruck gebracht haben. Sie haben Ihre Rede unter dem Motto „Haltet den Dieb!“ gehalten. ({3}) Herr Trittin - er ist momentan nicht da -, ich habe vor drei Tagen eine schöne Karikatur in der „Landshuter Zeitung“/„Straubinger Tagblatt“ gesehen. Darin hat jemand ein Schild in der Hand, auf dem steht: „Weg mit der Ökosteuer.“ In einem Auto, das sich vor dieser Person befindet, sitzt Herr Trittin und schreit: „Wenn Du Dein Auto schiebst, Michel, kostet der Sprit überhaupt nichts.“ So einfach ist es. Das kann jemand sagen, der den Dienstwagen benutzt, der keinen Führerschein hat, deshalb nicht Autofahren darf und überhaupt nicht weiß, was der Sprit kostet und welche Belastung dies für den Bürger darstellt. ({4}) Meine Damen und Herren, nichts bewegt derzeit die Menschen mehr als die hohen Mineralölpreise. An meinen Unterschriftenständen stehen die Leute Schlange. Man braucht niemanden anzusprechen. Jeder fragt, ob er sich in die Liste eintragen darf. Es kann nicht verschwiegen werden, dass dieses Thema bei Meinungsumfragen das Thema Nummer eins ist und damit sogar das Thema der Sorge um den Arbeitsplatz verdrängt. Jeder ist betroffen: der kleine Mann bis zum Selbstständigen, der Student bis zum Rentner, der Sozialhilfeempfänger bis zum Beamten, der Bauer genauso wie der Transportunternehmer, der Taxi- oder Omnibusunternehmer. Von allen wird gefordert, dass die Ökosteuer - ich meine, dass sie nicht Ökosteuer, sondern „ÖkosozialisBundesminister Hans Eichel tensteuer“ heißen sollte - möglichst schnell abgeschafft wird, und dies zu Recht. ({5}) Die Ökosteuer ist ökonomisch blanker Unsinn, ökologisch nutzlos, sozial zutiefst ungerecht und schafft zudem Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas. Schon der Begriff Ökosteuer ist irreführend. Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf verweisen, dass sich die Belastung für die Bundesbürger, die das bezahlen müssen, bis zum Jahre 2003 auf insgesamt 127 Milliarden DM beläuft. So viel wird ihnen aus der Tasche genommen. ({6}) - Erstens stimmt die Zahl und zweitens können wir rechnen. Ich bin gerne bereit, Ihnen meine Unterlagen zu geben. Dann können Sie dies nachrechnen. Nach der zweiten Ökosteuerrunde beträgt der Steueranteil 70 Prozent. Das - dies muss heute gesagt werden ist der dritthöchste Anteil in ganz Westeuropa bzw. der Europäischen Union.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Hinsken, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Lieber Kollege Hinsken, könnten Sie noch einmal erklären, warum sich der umweltpolitische Sprecher der Landtagsfraktion der CSU in Bayern nicht an der Aktion der CDU/CSU beteiligt hat und sogar explizit für eine Ökosteuer eintritt? Er ist der Umweltexperte der CSU und - wie man in Bayern sagen würde - nicht auf der „Brennsuppn dahergschwomma“. Auf Hochdeutsch heißt das: Er ist kein Dummer. Er muss doch Gründe dafür haben.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Göppel ist der Vorsitzende des Arbeitskreises Umweltschutz in der CSU und kann als Vorsitzender dieses Arbeitskreises seine Meinung immer äußern. Ich lege aber ausdrücklich Wert darauf, dass er in diesem Zusammenhang nicht für die gesamte CSU spricht. Hier haben andere das Sagen und nicht Herr Göppel. Bitte setzen Sie sich. ({0}) Meine Damen und Herren, das, was wir hier zu verzeichnen haben, ist eine pure Mineralölsteuererhöhung. Sie erhöht nicht nur die Preise für Benzin, Diesel und Heizöl, sondern paradoxerweise auch für Busse, Bahnen und die regenerativen Energien. Diese Steuer trifft die Bevölkerung und die Wirtschaft mit voller Wucht und wirft ihr Knüppel zwischen die Beine. Sie bremst den Aufschwung und gefährdet Arbeitsplätze. So weit aber haben Sie wahrscheinlich nicht gedacht. Herr Eichel, es muss doch auch Ihnen zu denken geben, wenn die Inflationsrate innerhalb der Jahresfrist von 0,9 Prozent auf 1,7 Prozent angestiegen ist. Das ist fast das Doppelte. Es ist Augenauswischerei, wenn die Herren Schröder, Eichel und Trittin das, was dem Bürger über die Steuerreform in die Tasche geschoben wird, wieder herausziehen. ({1}) Meine Damen und Herren, gerade die Menschen im ländlichen Raum sind hier besonders betroffen. Sie sind auf das Auto angewiesen, sie können auf das Auto nicht verzichten. Für sie ist es auch ein Stück Lebensqualität. Aber Sie haben sich schon so weit von den Menschen entfernt, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, das zu erkennen. Das Transportgewerbe ist ein Bestandteil unseres Versorgungssystems und kann als Lebensnerv des ländlichen Raumes bezeichnet werden. Es wird von der Ökosteuer ganz hart betroffen. Ich habe deshalb auch Verständnis dafür, wenn sich Fuhrunternehmer und LKWFahrer auf die Straße begeben, demonstrieren und bei Ihnen Vernunft einfordern. Sie wollen doch nichts anderes als solche Bedingungen, wie sie in Frankreich, Italien, Belgien und den Niederlanden gegeben sind. Die dortigen Regierungen haben für die Sorgen der Menschen Verständnis. Das vermissen wir leider Gottes bei Ihnen. ({2}) Dann wird immer davon geredet, mehr Transporte auf die Schiene zu verlagern. Ist Ihnen denn überhaupt bekannt, dass 80 Prozent aller Gütertransporte mit dem LKW auf Strecken unter 100 Kilometern stattfinden? Da rentiert es sich doch gar nicht, die Güter auf die Bahn zu geben. Herr Schmidt von den Grünen, Sie stellen hier ständig die Forderung auf, dass die Bahn mehr Menschen befördern soll. Ich bin nicht im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG; da sitzen Sie. Sie waren früher immer einer derjenigen, die laut getönt haben, dass der Bahn nicht mehr weiter Mittel entzogen werden dürften, weil die Bahn ansonsten ihren Aufgaben nicht nachkommen könne. Was macht die Bahn heute? Wie sollen in Zukunft mehr Menschen befördert werden, wenn die Bahn eine Ausdünnung ohnegleichen vornimmt? Sie wird dazu führen, dass die Menschen überhaupt nicht mehr mit der Bahn fahren können. ({3}) Viele Transportunternehmer stehen vor dem Ruin. Sie werden seit 1998 mit sage und schreibe 14 200 DM höher belastet. Auch viele Busunternehmer wissen nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Herr Eichel, ist es Ihre vielgerühmte Politik für den Mittelstand, dass Sie für diese mittelständischen Unternehmen überhaupt nichts übrig haben? ({4}) Auch die Bauern werden durch die Entwicklung, die wir zu verzeichnen haben, benachteiligt. Kollege Schindler ist bereits darauf eingegangen; auch Kollege Deß mahnt immer wieder Verbesserungen für die Bauern an. Auch hier müssen wir von einer verfehlten Politik der Bundesregierung sprechen, die momentan in Amt und Würden ist. Meine Damen und Herren, wenn dann Herr Verkehrsminister Klimmt erklärt, er sei um eine europaweite Lösung bemüht, dann kann ich dazu nur sagen, dass die Betroffenen davon nicht leben können. Sie werden praktisch auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet. So etwas bezeichnet man bei uns im Volksmund schlicht und einfach als ein Begräbnis erster Klasse. ({5}) Hier lassen Sie die Interessen unserer Mitbürger nicht so einfließen, wie es sich gehörte, wenn man auf europäischer Ebene erfolgreich sein will. Ist es nicht paradox, meine Damen und Herren, wenn beim Heizöl zunächst die Preisspirale in Gang gesetzt wird, dann aber zur Kostensenkung wieder ein Zuschuss aus Steuermitteln gegeben wird? Es ist doch geradezu widersinnig, Steuererhöhungen mit Steuermitteln auszugleichen. ({6}) Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eines verweisen, meine Damen und Herren: Ich bin ja auch Tourismuspolitiker. Jüngst hat die Bundesregierung das Jahr 2001 zum Jahr des Tourismus in Deutschland ausgerufen. Besteht vielleicht der Beitrag der Bundesregierung darin, dass das Urlaub-Machen in Deutschland teurer wird, dass ein Durchschnittsbetrieb in der Gastronomie mit ungefähr 10 000 DM zusätzlich belastet wird und dass der Spritpreis in die Höhe schnellt, sodass die Fahrt zum Urlaubsort auch noch teurer wird? Das passt alles nicht zusammen. Deshalb meine ich, dass Ihre Politik in diesem Fall vom Ansatz her falsch ist. Sie sind - nicht nur von uns, sondern auch von vielen Millionen Mitbürgern im Lande, die sich zu artikulieren versuchen - aufgerufen, diese Ökosteuer möglichst schnell in den Papierkorb wandern zu lassen. Die Ökosteuer - die „Ökosozialistensteuer“, wie ich sie nenne - ist nicht zeitgemäß und muss abgeschafft werden. Dafür wollen wir eintreten und dafür werden wir kämpfen. Ich prophezeie Ihnen: Sie werden noch mehr Widerstand als bisher überwinden müssen, weil die Bürger nicht mehr bereit sind, das hinzunehmen, was Sie ihnen aufoktroyieren. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat nunmehr der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Dr. Gerald Thalheim.

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Ende der Debatte werden wir über einige Anträge abzustimmen haben, die zumindest hinsichtlich ihrer finanziellen Auswirkungen bemerkenswert sind. Die von der CDU/CSU und der F.D.P. geforderte Einführung von Heizöl als Kraftstoff in der Land- und Forstwirtschaft würde bezogen auf das Jahr 2000 eine Steuermindereinnahme von insgesamt 1,6 Milliarden DM bedeuten. Eine Absenkung des Sondersteuersatzes um weitere 10 Pfennig je Liter hätte eine zusätzliche Steuermindereinnahme von 200 Millionen DM zur Folge. Diesen Forderungen auf Steuerverzicht stehen umgekehrt erhebliche Forderungen in den aktuellen Haushaltsberatungen nach Mehrausgaben gegenüber. Die CDU/CSU fordert, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ um 100 Millionen DM aufzustocken. ({0}) - Kollege Hornung, nicht gestrichen. Es handelt sich um das gleiche Ausgabenvolumen wie 1998. Das war das letzte Jahr, das Sie zu verantworten haben. Dass Sie vorher gestrichen haben, ist nicht unser Problem. ({1}) - Das endgültig letzte Jahr. Vielen Dank für den Hinweis. Die CDU/CSU fordert, im Agrarhaushalt 2001 die Mittel für die Alterssicherung der Landwirte um 450 Millionen DM zu erhöhen. Bei der Unfallversicherung fordert sie ein Mehr von 200 Millionen DM und eine Vorruhestandsregelung soll im Umfang von 150 Millionen DM neu aufgenommen werden. Die Antisubventionspartei F.D.P. fordert Anpassungshilfen für den Unterglasgartenbau in Höhe von 300 Millionen DM. ({2}) Die Union hat angekündigt, dass sie diesen Antrag unterstützen wird. Außerdem fordert die F.D.P. 150 Millionen DM mehr für die landwirtschaftliche Unfallversicherung. Die Forderungen summieren sich auf fast 3 Milliarden DM. Dem steht keine Mark für die Gegenfinanzierung gegenüber. Bliebe ich bei der Wortwahl der Vorredner von der CDU/CSU oder von der F.D.P., müsste ich das „dreist“ oder „unverschämt“ nennen. Ich nenne es: unseriös, heuchlerisch und gefährlich. ({3}) Es ist unseriös, weil es die Fortsetzung der Politik des Schuldenmachens in der Opposition bedeutet. Diese Politik hat schon bei der damaligen Regierung in die Katastrophe geführt. Kollege Hinsken, da hilft auch der Hinweis auf die deutsche Einheit nicht. Gerade Sie aus Bayern sollten da sehr vorsichtig sein. ({4}) Ich nenne als Stichwort das „Schloß-Karee“ in Chemnitz und die Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Thalheim, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Wenn der Gedanke zu Ende geführt ist, sofort. Beim „Schloß-Karree“ in Chemnitz hat eine bayerische Städtebaugesellschaft zugegebenermaßen erhebliche Millionen versenkt. Das Finanzproblem der deutschen Einheit ist die unseriöse Finanzierung. Über die letzten zehn Jahre musste vieles korrigiert werden. Gerade im landwirtschaftlichen Bereich werden wir das weiterhin tun müssen, Stichwort „LPG-Altschulden“. ({0}) Diese Abschreibungsruinen, Stichwort „Schloß-Karree“, müssen von den Steuerzahlern am Ende mitfinanziert werden. Diese schlimme Fehlleitung von Mitteln hat zu diesen hohen Belastungen geführt. ({1}) Herr Präsident, jetzt bin ich für Zwischenfragen bereit.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Hollerith hat zunächst die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. Wenn Sie gestatten, fragt danach der Kollege Hinsken.

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Sehr gerne.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, zum Stichwort „Seriosität der Gegenfinanzierung“: Ist Ihnen bekannt, dass die höheren Energiepreise zu Milliarden Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer führen, die eine seriöse Gegenfinanzierung möglich machen?

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Herr Kollege, angesichts eines Bundeshaushalts, in dem die Zinsausgaben 82 Milliarden DM betragen, ist es unseriös, von einer Gegenfinanzierung über höhere Steuereinnahmen zu reden. ({0}) Selbst bei einem Bundeshaushalt, bei dem die Neuverschuldung immerhin noch 46 Milliarden DM beträgt, ist es aus demselben Grunde unseriös, davon zu reden, dass höhere Steuereinnahmen eine Gegenfinanzierung bedeuten würden. ({1}) - Na, Siegfried!

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Thalheim, Sie haben hier die Bauruine in Chemnitz angesprochen. Ich gebe zu, das ist ein Makel. Könnten Sie aber in diesem Zusammenhang nicht doch anerkennen und so wie wir froh und glücklich darüber sein, dass viele Wessis bereit waren, dem Osten Aufbaubeihilfen zur Verfügung zu stellen und dort Gelder zu investieren? Oder sind Sie vielmehr der Meinung, das hätte es nicht gebraucht, man hätte das auch aus eigener Kraft geschaffen? Ein zweiter Aspekt: Man bräuchte den Bundesbürgern ja nur zu raten, nicht nur in die neuen Bundesländer zu fahren, sondern, wenn irgendwie möglich, auch noch nach Tschechien. Das wäre Anschauungsunterricht. Man könnte sehen, wie es früher, also vor zehn Jahren, war und wie es sich in der Zwischenzeit entwickelt hat. Sind Sie bereit, auch diese Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen und mit mir in der Öffentlichkeit zu vertreten?

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Herr Kollege Hinsken, ich kritisiere nicht die Unterstützung und das Engagement. Ich kritisiere vielmehr, dass falsche Instrumente verwendet wurden, insbesondere die Abschreibungsvergünstigungen. ({0}) Mit diesen Abschreibungsvergünstigungen sind die falschen Objekte gebaut worden. Das gilt nicht nur für das „Schloß-Karree“. Jedes Mal, wenn ich vom Flugplatz Leipzig nach Hause fahre, fahre ich an Glasgebäuden vorbei, an denen seit zehn Jahren groß zu lesen steht: „zu vermieten“. Wenn man durch die neuen Länder fährt, findet man so etwas häufig. Das heißt, die falschen Leute haben das Geld für falsche Objekte bekommen. Zuschüsse an die vor Ort Ansässigen wären ein richtiges Instrument gewesen. Aber das wäre bei der Klientel, die Sie zu vertreten haben, nicht angekommen. Das ist zu diesem Thema zu sagen, Herr Kollege Hinsken. ({1}) - Mit gutem Grund. Das werde ich Ihnen gleich beweisen. Die Vorschläge, die ich als unseriös eingestuft habe, sind auch heuchlerisch. Allein in der Zeit, in der ich dem Hohen Hause angehöre, also seit 1990, ist die Mineralölsteuer - das ist heute mehrfach gebracht worden - auch auf Diesel um 18 Pfennig angehoben worden. In dieser Zeit ist die Gasölbeihilfe nicht gesenkt worden. Das heißt, auch in der Zeit von 1990 bis 1998 mussten die Bauern die volle Last dieser Erhöhung tragen. ({2}) Mit dem gleichen Argument, Kollege Schindler, mit dem Sie das damals begründet haben, nämlich dem Transfer in die Sozialkassen, sind die Mineralölsteuererhöhungen zu begründen, die seit 1998 vorgenommen wurden. ({3}) Diese Argumentation ist auch gefährlich, weil bei den Betroffenen der Eindruck entsteht, man könnte per Beschluss die höheren Kosten für Benzin und Diesel einfach rückgängig machen. Das stimmt nicht. Die Ursache sind die Preiserhöhungen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Betroffenen, auch die Landwirtschaft, darauf einstellen. Wir haben in diesem Bereich einiges getan und werden Weiteres tun. Ich komme darauf zurück. Weiterhin ist richtig - das ist auch deutlich gemacht worden -, dass die Be- und Entlastungen aus der Ökosteuer im landwirtschaftlichen Bereich weit auseinander fallen und aus diesem Grunde die Agrarpolitiker der SPD, unterstützt von einer breiten Mehrheit von Politikern aus dem Bündnis 90/Die Grünen und auch aus unserer Partei, gesagt haben, wir müssen hier zu einer Sonderregelung kommen. Der Kollege Schultz hat sie begründet. Ich freue mich, dass wir heute die erste Lesung des Agrardieselgesetzes haben. Für die Zukunft legt es eindeutig einen Steuersatz von 57 Pfennig je Liter fest. Damit wird die Landwirtschaft von weiteren Steuererhöhungen ausgenommen. Das ist das, was finanzpolitisch zu verantworten ist. Auf diese Weise können wir jedoch nicht die Wettbewerbsverzerrungen in den Griff bekommen, die es innerhalb Europas gibt. Aber auch hier möchte ich dezent darauf hinweisen, dass sie nicht in den letzten zwei Jahren entstanden sind, sondern die Ursachen dafür weit zurückliegen. Gerade die Agrarpolitiker hier im Raum wissen, wie schwer es ist, alte Gleise zu verlassen. Wir werden uns um eine Lösung bemühen; denn es geht nicht an, dass wir in einem gemeinsamen Binnenmarkt eine unterschiedliche Energiebesteuerung haben. ({4}) Die Restrukturierungsrichtlinie, die 1997 schon einmal auf dem Tisch lag, muss wieder hervorgeholt werden. Bundesminister Funke wird das Anliegen auf dem nächsten Agrarrat am 18./19. Oktober vortragen. Aber auch bei der Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit des Agrarstandorts Deutschland mahne ich etwas zur Vorsicht. In der „Top Agrar“ von diesem Monat ist zu lesen, wie katastrophal die Situation der Milchviehhalter in Großbritannien ist. Dort gibt es einen Ertragseinbruch von 40 Prozent. Die niederländischen Betriebsleiter beschweren sich über ein rigides Düngergesetz und versuchen, in Deutschland Betriebe zu kaufen oder zu pachten. Diese Unternehmen kommen doch nicht nach Deutschland, um Verluste zu machen. Sie wollen Geld verdienen, eingedenk der Agrarpolitik, die diese Bundesregierung macht. Wir tun vieles; Frau Kollegin Höfken hat schon darauf hingewiesen. Wir haben eine ähnliche Situation wie 1973. Die Umorientierung auf Energieeinsparung ist wichtig. Ferner ist es wichtig, dass biogene Energieträger wettbewerbsfähig werden, wie Sie dies immer gefordert haben, und dass es bei der Zusage für die Biodieselregelung bleibt. Wir fordern, dass die Einnahmen aufgrund der höheren Preise an die Landwirtschaft weitergegeben werden. Wir fordern die Bauern auf, die Möglichkeiten des Stromeinspeisungsgesetzes und des Programms „Bioenergie“ zu nutzen. Ich denke, das sind die Maßnahmen, die in die Zukunft weisen. Dazu gehören aber nicht Forderungen, die schon aus Finanzierungsgründen nicht zu erfüllen sind. Vielen Dank. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Carl-Ludwig Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei der Einführung der Ökosteuer war abzusehen, dass wir uns mit der Ökosteuer im Bundestag erneut beschäftigen müssen. Die F.D.P. hat seinerzeit die Ökosteuer abgelehnt; denn Ihr Konzept der Ökosteuer weist mehrere gravierende Mängel auf. Erstens: der nationale Alleingang. Es ist naiv zu glauben, Umweltschutz höre an der Grenze auf. ({0}) Umweltschutz muss vielmehr grenzüberschreitend betrieben werden. Genau das haben Sie nicht gemacht und genau das holt Sie an dieser Stelle ein. ({1}) Die Folgen für die Arbeitsplätze und die Verbraucher in Deutschland sind verheerend. Lastwagenfahrer verlieren ihre Arbeit, weil die Leistungen der Spediteure im steuerlichen Wettbewerb mit anderen Ländern nicht mehr konkurrenzfähig sind. ({2}) Ein weiteres Beispiel ist der Gartenbaubereich. Die Unterglasbetriebe - auch für diese gibt es Kostensteigerungen, die schon dargestellt wurden - stehen im Wettbewerb mit Konkurrenten aus der EU ({3}) und können diese Kosten nicht auf die Preise abwälzen. Das würde nämlich zu Problemen führen. Die Mietnebenkosten explodieren. Die Auswirkungen werden aber erst später spürbar sein, weil die Abrechnungen noch erstellt werden. Die Gaspreise werden im Vergleich zu den Ölpreisen später erhöht werden. Aber spätestens zu Beginn des nächsten Jahres werden die Bürger die Auswirkungen spüren. Zweitens. Ein zentraler Vorwurf ist, dass mit der Ökosteuer der Reformbedarf in der Rentenversicherung sozusagen überdeckt wurde; er wurde von Ihnen geleugnet. Den Reformbedarf der Alterssicherung kann man nicht kaschieren, indem man die Steuer auf Umwelt erhöht und die Arbeit billiger macht, aber gleichzeitig die demographische Komponente herausnimmt. Das kann nicht funktionieren. Sie haben der Öffentlichkeit Sand in die Augen gestreut. Diese Probleme werden Sie wieder einholen. ({4}) Drittens. Wo bleibt bei der Ökosteuer eigentlich der Umweltschutz? Gas wird besteuert, aber Kohle wird nicht besteuert, obwohl das Verbrennen von Kohle für Heizzwecke und zur Stromerzeugung mindestens doppelt so viel zur Umweltbelastung beiträgt wie das Verbrennen von Gas. Ist das „öko“ oder ist das „logisch“? ({5}) Das Ganze ist eine einzige Mogelpackung. Diese willkürliche Ungleichbehandlung widerspricht dem Umweltschutzgedanken. ({6}) [SPD]: Was re- det der denn?) Die Diskussion um Energie und Umweltschutz erinnert mich an die Demonstration der Bergleute in Bonn in der letzten Legislaturperiode, die mehr Subventionen für die Kohle forderten. Wer war natürlich wieder als Erster auf den Barrikaden für die Subventionen für die Kohle? Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Joschka Fischer. ({7}) Er sah eine Barrikade - schwupp, war er drauf, Umweltschutz hin oder her, immer auf der Höhe des Zeitgeistes. Aber so kann Umweltschutz nicht wirklich betrieben werden. ({8}) Jetzt komme ich zum vierten Punkt; das ist ein zentraler Punkt des Vorwurfes. Die Behauptung, dass die Einnahmen aus der Ökosteuer nur zur Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten verwandt werden, ist falsch. Hier führen Sie die Öffentlichkeit bewusst hinter die Fichte. ({9}) Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen wollen Sie die Bürger unseres Landes glauben machen, dass jede Mark aus der Ökosteuer zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge genutzt wird. ({10}) Dies ist falsch. Das belege ich im Detail. Allein aufgrund des Haushaltssanierungsgesetzes vom Herbst 1999 werden aus dem Etat Riester fast 6 Milliarden DM zweckgebunden nicht mehr der Rentenversicherung zugeführt, Sie zahlen 4 Milliarden DM weniger für die Arbeitslosenhilfebezieher an Beiträgen in die Rentenversicherung, Sie zahlen 500 Millionen DM weniger für Wehrpflichtige und Zivildienstleistende in die Rentenversicherung und Sie kürzen den gezielten Zuschuss um mehr als 1 Milliarde DM pro Jahr und geben das alles als Sparmaßnahme aus. Aber jeder Rentner hat weiterhin seinen ungeschmälerten Anspruch gegenüber der Rentenkasse. Wenn diese Ansprüche jedoch mit den 6 Milliarden DM nicht erfüllt werden können, weil Herr Eichel damit seinen Haushalt sanieren will, dann können Sie das Aufkommen aus der Ökosteuer nur nutzen, um die Haushaltslöcher zu schließen. Darüber kann man ja diskutieren. Aber wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das doch bitte und verkaufen Sie die Leute nicht für dumm, indem Sie sagen: Wir erhöhen die Ökosteuer und senken die Rentenversicherungsbeiträge. ({11}) Ich zeige Ihnen hier auf einer Grafik einmal, wie das läuft: Die Ökosteuer steigt von 17,4 Milliarden DM im Jahr 2000 auf 33,5 Milliarden DM im Jahr 2003. Wenn Sie jede Mark verwenden würden, um die Rentenversicherungsbeiträge zu senken, dann müssten diese von 19,3 auf 18,2 Prozent sinken. Das findet nicht statt. Sie bleiben kontinuierlich über 19 Prozent. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen. ({12}) Wenn Sie sagen, Sie erhöhen die Umweltkosten, um die Rentenversicherungsbeiträge zu senken, senken Sie diese doch entsprechend! Kommen Sie jetzt nicht mit einer neuen Sprachregelung: Es kommt doch alles in die Rentenkasse; wir stabilisieren jetzt die Rentenversicherungsbeiträge. ({13}) - Nein! Sie sind mit dem Versprechen angetreten, jede Mark zur Senkung der Lohnnebenkosten zu nutzen. Das tun Sie nicht. Diesen Punkt werden wir weiterhin kritisieren; denn das ist eine bewusste doppelte Täuschung und Irreführung der Öffentlichkeit: Sie erhöhen die Steuern, senken aber die Rentenversicherungsbeiträge nicht. Das ist unglaubwürdige Politik. Deshalb werden wir das weiterhin kritisieren und das werden Sie sich auch gefallen lassen müssen. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir haben in dieser Debatte noch zwei Redner, dann kommen wir zu den Abstimmungen. Zunächst spricht der Kollege Horst Kubatschka für die SPD-Fraktion.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Umweltschützer will ich nicht hinter die Fichte, sondern höchstens in den Laubwald, weil der stabiler ist als der Fichtenwald. ({0}) Herr Thiele, was Sie gesagt haben, stimmt nicht, auch wenn Sie es noch so oft wiederholen; es entspricht nicht den Tatsachen. ({1}) Sie sagen ganz locker: Wir streichen die Ökosteuer. Aber es geht im Jahr 2001 um 20 Milliarden DM und Sie haben hier nie eine Antwort darauf gegeben, woher das Geld kommen soll. Sie würden wahrscheinlich - das war Ihre Politik - Schuldenpolitik machen. Aber wir führen diese Schuldenpolitik aus Ihrer Regierungszeit nicht weiter. Wir machen solide Finanzpolitik. ({2}) Herr Kollege Schindler, weil Sie vorhin Schwierigkeiten mit Waigel und unserem Finanzminister Eichel hatten: Da gibt es einen ganz einfachen Unterschied. Herr Waigel hat die Bundesrepublik, unseren Staat, finanziell in den Dreck gefahren ({3}) und Herr Eichel zieht den Karren wieder aus dem Dreck. ({4}) Die von der Opposition vorgebrachten Argumente - ich habe mir eine Menge aufgeschrieben - halte ich nicht nur für nicht sehr erwähnenswert, sondern auch für falsch. Ich möchte diese Debatte jetzt einmal unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftssystems führen und den Aspekt der Ökologie, der mir oft viel zu kurz kommt und der für mich entscheidend ist, in die Diskussion einführen. Seit Beginn der Industrialisierung leben wir auf Kosten der Zukunft. Die Industrialisierung war nur möglich, weil wir nicht erneuerbare Energien eingesetzt haben. Je weiter die Industrialisierung fortschritt, umso höher wurde der Ressourcenverbrauch und umso weniger wurde die Entwicklung zukunftsfähig. Wir sind weiterhin auf Crashkurs. Es wird Zeit, dass wir eine Wende herbeiführen. Wir müssen unsere Volkswirtschaft ökologisch modernisieren. Für den Energiesektor bedeutet das: Wir müssen von den nicht erneuerbaren Energien wegkommen und auf erneuerbare Energien umstellen. ({5}) - Herr Kollege, mir braucht man nichts aufzuschreiben. Denn ich kann das selber formulieren; ich stecke in der Materie. Sie dürfen nicht von sich auf andere schließen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, am ehesten absehbar ist, dass das Erdölzeitalter zu Ende geht. Es ist an der Zeit, dass wir das wahrnehmen. Eine Vogel-Strauß-Politik hilft uns nicht weiter. Die Konzernherren oder Herr Hinsken beruhigen in diesem Zusammenhang zwar immer wieder, indem sie sagen: So schlimm wird es schon nicht werden; so schnell wird dies nicht erfolgen. Wir werden dafür sicher technische Lösungen finden; denn bisher haben wir immer Lösungen gefunden. Ich muss aber sagen: Das ist das Prinzip Hoffnung. Ich verlasse mich lieber auf die Aussagen der Geologen und der Lagerstättenfachleute, auf die Aussagen derjenigen also, die vor Ort arbeiten und ihre Prognosen nicht am grünen Schreibtisch erstellen. Ich weise darauf hin, dass ich über das konventionelle Erdöl spreche - davon lebt unsere Wirtschaft -, das 40 Prozent des Weltenergiebedarfes abdeckt. Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Zahlen sprechen lassen: Die jährliche Erdölfördermenge beträgt zurzeit weltweit 3,5 Milliarden Tonnen. Dieses Erdöl wird aus 920 000 Bohrlöchern gewonnen. Dabei muss der Hinweis erfolgen, dass die Qualität der Erdölförderanlagen ganz verschieden ist. Durch die Billigpreispolitik der OPEC-Länder wurden Investitionen an den Bohrlöchern versäumt. Manche Anlagen sind veraltet und sehr störanfällig. Bei vielen Anlagen ist kein Wert mehr auf den Lagerstättendruck gelegt worden. In manchen Bereichen lässt sich zurzeit die Förderung nicht erhöhen. Es wird sicher den Einwand geben, dass wir laufend neue Erdölreserven entdeckt haben. Das stimmt. Nur, die Wahrheit lautet: Die jährlich neu entdeckte Erdölreserve entspricht nur 25 Prozent der jährlichen Fördermenge. Die Reserven werden also Jahr für Jahr weniger; sie nehmen ab. Wir in Deutschland sind vom Erdöl nach wie vor abhängig. ({7}) Nach den USA, Japan und China sind wir der viertgrößte Verbraucher. Wir haben im Jahre 1999 etwa 123 Millionen Tonnen verbraucht. Davon sind etwa 50 Prozent im Straßen- und Luftverkehr verbraucht worden. Circa 24 Prozent haben wir im wahrsten Sinne des Wortes verheizt. Als Rohstoff in der Petrochemie benötigen wir noch 20 Prozent. Eigentlich ist das Erdöl für unsere Zukunft viel zu wertvoll, als dass wir es so verbrauchen. ({8}) Die konventionellen Erdölreserven, die gesichert in der Erdkruste lagern, belaufen sich noch auf 150 Milliarden Tonnen. Bei einem jährlichen Verbrauch von 3,5 Milliarden Tonnen - vorausgesetzt, der Verbrauch steigt nicht - können wir davon ausgehen, dass die konventionellen Erdölvorräte in 40 Jahren verbraucht sind. Manche werden jetzt einwenden: Wir haben ja noch 40 Jahre Zeit. Aber 40 Jahre sind schnell vergangen. Die Rechnung werden unsere Kinder und vor allem unsere Enkel zahlen. Ich halte das für ein sehr ernstes Argument. Ich möchte nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass es nach wie vor Reserven in Ölsanden, Teersanden und bei Schwerstölen gibt. Diese Ölreserven erfordern aber eine andere Technologie und werden zu enormen Umweltbelastungen führen. Auch die Kosten werden gewaltig ansteigen. Deshalb können wir mittelfristig davon ausgehen, dass die Erdölpreise auf hohem Niveau bleiben und weiter steigen werden. ({9}) - An Ihrem Einwand sieht man, Herr Kollege, dass Sie überhaupt nicht kapieren, worum es geht. Es geht in unserem Konzept darum, Ressourcen zu verteuern und Arbeit zu verbilligen. Nur so können wir die Zukunft gewinnen. ({10}) Es wird Zeit, dass wir eine Energiewende einleiten, und zwar über die marktwirtschaftliche Lösung. Deswegen werden wir an der Ökosteuer festhalten. Denn wir müssen handeln. Wir haben die Ökosteuer nicht aus Jux und Tollerei eingeführt, sondern um die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftssystems zu erhalten. Sie von der Opposition dagegen betreiben eine populistische Politik, die nicht der Zukunft verpflichtet ist. Zurzeit sind wir alle erbost über die Politik der Konzerne. Sie nutzen die Gunst der Stunde und versuchen, das Maximale herauszuholen, was der Markt hergibt. Im Schatten der CDU/CSU-Ökosteuer-Kampagne können sie leicht Kasse machen; denn man lenkt von den wahren Argumenten ab. Das Handeln der Konzerne hat auch nichts mit den Realitäten am Markt zu tun. Ich möchte dies mit einem Beispiel aus Berlin belegen: Hier sind die Preise an den Tankstellen in den letzten Tagen, quasi über Nacht, um bis zu 15 Pfennig pro Liter angestiegen, obwohl es gar keine Ökosteuererhöhung gab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Treibstoffpreise sind ein Ärgernis, auch für mich. Aber ein noch viel größeres Ärgernis ist die Entwicklung bei den Heizölpreisen. Die Ökosteuer in Höhe von 4 Pfennig wurde am 1. April 1999 eingeführt. Damals lag der Preis für einen Liter Heizöl bei 49,5 Pfennig. Bis zum Juni 1999 sank dieser Preis noch einmal auf 47,8 Pfennig. Das nennen Sie also „Preistreiberei“, Herr Hinsken. Und dann begann der rasante Anstieg. Im August dieses Jahres betrug der Heizölpreis - bei einer Abnahme von 3 000 Litern - 78,1 Pfennig. Die Preise sind also um 30,3 Pfennig angestiegen, ohne dass ein Pfennig Ökosteuer verlangt wurde. Jetzt liegen die Preise bekanntlich noch höher. Damit ist bewiesen, dass die Konzerne nur testen, wie weit sie gehen können, was sie dem Verbraucher zumuten können. Und die CDU/CSU leistet Schützenhilfe bei dieser Preistreiberei. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten die Chance dieser Preisexplosion nutzen, um die richtigen Antworten zu finden. Die Chancen der ersten und zweiten Ölkrise der 70er-Jahre wurden unter der Regierung Helmut Schmidt voll genutzt. Wir erreichten seitdem ein Einsparpotenzial von circa 40 Prozent. Leider wurde diese entschlossene Politik durch die Regierung Kohl nicht fortgesetzt. Die Aufgabe der Zukunft heißt: Energiewende. Was wir nicht an Öl verbrauchen, müssen wir auch nicht bezahlen. Die rot-grüne Koalition hat bereits die richtigen Schritte eingeleitet: Wir haben das Erneuerbare-EnergienGesetz beschlossen, gegen die Stimmen von CDU/CSU. Wir haben das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz verabschiedet, gegen die CDU/CSU. Wir haben ein 100 000Dächer-Programm für Photovoltaik auf den Weg gebracht. Vom Ausmaß des Erfolges dieses Programms sind wir selbst überrascht worden. Die Bürger haben die Chancen genutzt. Es kommt also darauf an, die richtigen Antworten auf die Ölkrise zu finden, um unser Wirtschaftssystem zukunftsfähig zu machen. Dazu müssen wir die Innovationen vorantreiben. Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht der Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr für die CDU/CSU.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zu Beginn auf das eingehen, was Herr Thalheim hier ausgeführt hat. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen tun in der Öffentlichkeit immer so, als verbillige die jetzt vorgelegte Agrardiesellösung den Spriteinsatz in der Landwirtschaft. Das Gegenteil ist der Fall. Bisher betrug die steuerliche Belastung für den in der Landwirtschaft eingesetzten Diesel 21 Pfennig pro Liter. Jetzt sollen 57 Pfennig pro Liter durchgesetzt werden. Das ist eine Erhöhung um 36 Pfennig. Diese Erhöhung ist übrigens doppelt so hoch wie die durch die Ökosteuer ab dem 1. Januar. ({0}) Das heißt, hier wird die Landwirtschaft schon wieder einseitig belastet, ({1}) schon wieder einseitig benachteiligt. Das kritisieren wir. ({2}) Herr Thalheim - auch wenn Sie nicht darauf eingehen sollten -, wenn man es schon ablehnt, Diesel für die deutsche Landwirtschaft wie Heizöl zu besteuern, dann wäre es doch zumindest richtig und wichtig, in dieser Situation, in der die Preise auf den Energiemärkten ständig steigen, die steuerliche Belastung bei Diesel nicht auch noch um 36 Pfennig pro Liter zu erhöhen. ({3}) Herr Funke hat sich im Ausschuss zu Recht darüber beklagt, dass die Franzosen bei Diesel, den sie in der Landwirtschaft einsetzen, einen Preisvorteil von 46 Pfennig hätten. Aber 36 dieser 46 Pfennig ergeben sich aufgrund des Agrardieselgesetzes, das Sie beschließen wollen. Wenn wir schon auf diese Wettbewerbsverzerrung gegenüber Frankreich thematisieren, dann sehen Sie doch von dieser Erhöhung ab, die auch noch doppelt so hoch ausfällt wie die durch die Ökosteuer. Die Landwirtschaft wird auch noch anderweitig belastet, so zum Beispiel durch höhere Düngemittelpreise. Sie muss ständig zu höheren Preisen einkaufen. Schon zu Beginn der Legislaturperiode wurden bei der Vorsteuerpauschale diese höheren Preise nicht berücksichtigt und man hat die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft auch noch um 1 Prozent gesenkt, somit also das Umsatzvolumen in der Landwirtschaft um 1 Prozent gekürzt, ({4}) obwohl man vor der Bundestagswahl mit uns gemeinsam eine politische Lösung angestrebt hatte. Dies ist ein Problem. Hier bleibt die Bundesregierung hinter dem zurück, was sie selber angekündigt hat. Sie redet ständig davon, dass sich die deutsche Landwirtschaft gefälligst im Wettbewerb zu bewähren hat. Sie schafft aber nicht die Voraussetzungen für diesen Wettbewerb, sondern sie konterkariert ihn. ({5}) Ich habe eben den Bundeslandwirtschaftsminister erwähnt. Ich finde es schon eigenartig: Jetzt führen wir hier eine ganz wichtige Debatte über Argardiesel, auf die wir alle schon sehr lange warten, und der Bundeslandwirtschaftsminister ist nicht einmal da. ({6}) Ich finde schon, dass in einen solchen Debatte auch der Bundeslandwirtschaftsminister reden sollte. Ich habe ohnehin den Eindruck: Wenn es um Agrarpolitik geht, ist Herr Funke überall, ist er U-Boot, er ist nur nicht auf dem Lande, um mit Vertretern der deutschen Landwirtschaft und des ländlichen Raumes ihre Probleme zu diskutieren. ({7}) Das wäre aber seine eigentliche Aufgabe. ({8}) Diese Debatte war schon länger angekündigt, sodass es eigentlich hätte möglich sein müssen, dass nicht nur der Staatssekretär, sondern auch der Landwirtschaftsminister anwesend ist. ({9}) Zu dem anderen Thema, das hier auch bereits angesprochen wurde, haben wir von der CDU/CSU- Bundestagsfraktion noch einmal einen Antrag eingereicht. Der Staatssekretär ist zwar auf diesen Antrag eingegangen, im Grunde hat er das Finanzvolumen kritisiert, sich aber ansonsten zu dem Antrag praktisch nicht geäußert. ({10}) Es geht um die Unterglasgartenbaubetriebe. Diese Betriebe sind im Wettbewerb in eine verheerende Position geraten, ({11}) weil die Preise für die Energie, die man im Gartenbau einsetzt, in Holland nicht steigen, sich aber in Deutschland die Energiekosten für den Unterglasgartenanbau explosionsartig erhöht haben. Wir stehen vor dem Winter. Im Winter muss bei den Unterglasgartenbaubetrieben eine erhebliche Menge Energie eingesetzt werden. Wenn wir jetzt nicht helfen, dann kommen die Gartenbaubetriebe, die schon immer - das will ich offen ansprechen - eine Energiepreisdifferenz zwischen Deutschland und Holland hinnehmen mussten, angesichts der jetzigen Energiepreisdifferenz einfach nicht zurecht. Deshalb sollte die Bundesregierung die Anträge aufgreifen, die von verschiedenen Fraktionen gestellt worden sind, um den Gartenbaubetrieben über den Winter zu helfen. Wenn man Holzmann helfen kann, ({12}) was ich gar nicht kritisieren will, dann kann man doch auch den Gartenbaubetrieben helfen. ({13}) Holzmann ist nicht durch die Fehler der Arbeitnehmer, sondern durch Managementfehler in eine Krise geraten. ({14}) Aber die Gartenbaubetriebe sind nicht durch Managementfehler in eine Krise geraten. ({15}) Sie geraten durch Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen in eine Krise. ({16}) Deshalb ist doch hier viel eher Hilfe angesagt als vielleicht bei anderen Branchen. Ich halte es für ungemein wichtig, dass wir hier zu einer Lösung kommen. Ich hoffe, dass sich die Koalitionsfraktionen in dieser Frage noch bewegen. Auch sollten sie sich hinsichtlich der Agrardiesellösung bewegen. Herr Schultz, Sie haben dazu eine Ankündigung gemacht. Dann realisieren wir es bitte auch! Wir sollten zu einer Agrardiesellösung kommen, die die deutschen Landwirte im Wettbewerb den anderen Europäern gleichstellt. ({17}) Greifen Sie unseren Antrag auf! Wenn Sie ihm zustimmen, ({18}) dann signalisieren Sie den deutschen Landwirten, dass Sie sie im Wettbewerb gleichstellen wollen. ({19}) Das werden wir immer wieder anstreben, weil wir an der Seite des Gartenbaus und der deutschen Landwirtschaft stehen. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. ({20})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 14 a: Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/4242 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Finanzausschuss, zur Mitberatung an den Ausschuss für Arbeit- und Sozialordnung sowie an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 14 b: Die Vorlagen auf Drucksachen 14/4218 und 14/4294 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Das Haus ist damit einverstanden. Auch diese Überweisung ist so beschlossen. Tagesordnungspunkt 14 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen, Drucksachen 14/3651 und 14/4052. Der Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/4273, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie bei der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 14 d: Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. „Ökosteuer zurücknehmen“ auf Drucksache 14/4276. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3519 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 14 e: Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 14/3724. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/2766 mit dem Titel „Wettbewerbsposition für die deutsche Landwirtschaft verbessern und nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2690 mit dem Titel „Heizöl als Kraftstoff für die deutsche Land- und Forstwirtschaft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2384 mit dem Titel „Agrodiesel tanken - Gasölbetriebsbeihilfe abschaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen. ({0}) - Hat sich die CDU/CSU der Stimme enthalten? ({1}) - Ich war jetzt etwas überrascht. ({2}) Dann sage ich noch einmal: Diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS bei Stimmenthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/2795 mit dem Titel „Betriebliche Obergrenze von 3 000 DM Gasölbeihilfe zurücknehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen der anderen Fraktionen bei zwei Enthaltungen aus der Fraktion der CDU/CSU angenommen. Tagesordnungspunkt 14 f und Zusatzpunkte 11 bis 13 und 15: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/3105, 14/4243, 14/4257, 14/4254 und 14/4291 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. - Ich danke Ihnen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit ist bislang Stückwerk und muss konsequent vorangetrieben werden - Drucksache 14/3771 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Das Haus ist einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Dr. Ralf Brauksiepe das Wort.

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die europäische Entwicklungszusammenarbeit und ihr Reformbedarf sind ein Dauerthema, mit dem wir Entwicklungspolitiker uns in diesem Parlament schon des Öfteren beschäftigt haben. Der Anlass für die heutige Debatte ist ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Thema. Was diese Debatte von ihren Vorgängern schon vom äußeren Rahmen her unterscheidet, ist, dass sie ausnahmsweise einmal nicht zu nachtschlafender Zeit, sondern noch bei Tageslicht stattfindet. ({0}) Wenn die Entwicklungspolitik auf diese Weise einmal wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerät, ist allein das schon ein Erfolg unseres Antrages, selbst wenn er - überraschenderweise - am Ende der Beratungen doch nicht die Mehrheit dieses Hauses finden sollte. „Überraschenderweise“ sage ich deswegen, weil wir uns früher hier im Hause, auch schon in früheren Legislaturperioden, über die europäische Entwicklungszusammenarbeit im Grundsatz einig gewesen sind und auch im Vorfeld des neuen Lomé-Abkommens, das in diesem Jahr unterzeichnet worden ist, gemeinsame Positionen und Ansprüche an dieses Abkommen formuliert haben. Unser heutiger Antrag steht ganz in der Tradition dieser gemeinsamen Beschlüsse. Ich denke, dass es von daher nur konsequent ist, das neue Lomé-Abkommen und die heutige EU-Entwicklungszusammenarbeit an diesen gemeinsam formulierten Zielen zu messen und auch an den Ankündigungen, die die rot-grüne Bundesregierung in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit gemacht hat. Wir sagen nicht: Zu unserer Regierungszeit war alles gut und jetzt, wo wir in der Opposition sind, macht die neue Regierung nur Schlechtes. ({1}) Wir begrüßen ausdrücklich die Teilerfolge, die mit dem neuen Lomé-Abkommen auch in unserem Sinne erzielt worden sind. Es war in der Vergangenheit ein gemeinsames Anliegen, zu einer Effizienzverbesserung der europäischen EZ zu kommen - unter anderem durch eine Neuordnung von Zuständigkeiten in Brüssel, weg von einer Vielzahl zuständiger Kommissare und Generaldirektionen. Das ist zumindest vordergründig jetzt ein Stück weit erreicht. Wir wissen noch nicht, wie das Ganze am Ende ausgehen wird. Uns ist jedenfalls wichtig, dass der Posten des für die Entwicklungshilfe zuständigen Kommissars am Ende nicht abgeschafft wird. Es ist unsere Erwartung, dass die Bundesregierung darauf ein Auge hat. Wir begrüßen auch, dass sich die künftige Strategie der EU-Kommission prioritär auf Armutsbekämpfung und die schrittweise harmonische Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft richten soll. Gleichzeitig sollen Anreize für eine verstärkte regionale Integration der Entwicklungsländer untereinander geboten werden. Das alles sind Reformschritte, die im Grundsatz richtig sind und die wir begrüßen. Sie bleiben aber noch hinter dem zurück, was wir im Deutschen Bundestag in der Vergangenheit gemeinsam beschlossen haben. Ich bin ganz sicher, dass die Bundesregierung zu Recht für sich in Anspruch nimmt, zu den Teilerfolgen einen wesentlichen Beitrag geleistet zu haben. Das tut sie schon deshalb zu Recht, weil die Bundesrepublik natürlich ein großes Gewicht in der Europäischen Union hat. Daraus folgt dann aber, dass sich die Bundesregierung die weiterhin bestehenden Defizite in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit ein Stück weit anrechnen lassen muss. Es ist unser Wunsch - den wir mit diesem Antrag zum Ausdruck bringen -, auf die Bundesregierung dahin gehend Druck zu machen, ihr Gewicht im Sinne einer weiter verbesserten europäischen Entwicklungszusammenarbeit auf europäischer Ebene einzubringen. Ich will ein paar Punkte ansprechen, die uns in dem Zusammenhang wichtig sind. Schon seit langem wird viel über die verbesserte Koordinierung der Entwicklungszusammenarbeit gesprochen. Leider sieht die entwicklungspolitische Praxis heute immer noch anders aus. Davon mussten wir uns, Frau Ministerin, in diesen Tagen bei einer Reise nach Vietnam und Kambodscha wieder einmal persönlich überzeugen lassen. Wenn man vor Ort mit Vertretern der EU und den Botschaftern der Mitgliedstaaten über Entwicklungspolitik spricht und sie fragt: „Gibt es eigentlich ein gemeinsames entwicklungspolitisches Profil der EU und ihrer Mitgliedstaaten? Wird die EU, werden ihre Mitgliedstaaten entwicklungspolitisch als eine Einheit wahrgenommen, die mit einer Stimme sprechen?“ dann ernten wir schon für solche Fragen oft nur ein mildes Lächeln. Tatsache ist, dass es eine solche gemeinsame, für unsere Partnerländer erkennbare entwicklungspolitische Strategie der EU nicht gibt. Es sollte unsere geVizepräsident Rudolf Seiters meinsame Aufgabe bleiben, dahin gehend Druck zu machen, dass es eine solche gemeinsame Strategie gibt. ({2}) Ein weiteres Thema, das uns wichtig ist, ist die Kohärenz der EU-Entwicklungspolitik mit anderen Politikressorts. Das ist immer ein beliebtes Thema für Anhörungen: Kohärenz zwischen Entwicklungspolitik und Agrarpolitik und vieles andere. Es gibt Resolutionen des Europäischen Parlaments und andere Beschlüsse, aber im Ergebnis sind wir noch nicht viel weitergekommen. Ich will ein weiteres Feld ansprechen, auf dem die Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit bisher leider Stückwerk geblieben ist. Es ist die Zusammenführung der verschiedenen Abkommen der europäischen Entwicklungszusammenarbeit, das heißt der Abkommen mit den AKP-Staaten, mit den Entwicklungsländern in Asien und Lateinamerika sowie mit den Mittelmeeranrainerstaaten. Das bleibt für uns weiterhin ein wichtiges Anliegen; denn die koloniale Vergangenheit eines Entwicklungslandes darf doch heute kein Kriterium mehr dafür sein, in welchem Ausmaß und mit welchen Instrumenten wir einem Land Hilfe gewähren. Die Möglichkeit, von europäischer Entwicklungszusammenarbeit zu profitieren, sollte jedem Land - unter Berücksichtigung seiner eigenen Anstrengungen - in gleichem Maße gegeben werden. Das ist jedenfalls unser Anspruch. ({3}) Dabei bedeutet Entwicklungszusammenarbeit für unsere Fraktion und sicherlich auch für andere in diesem Hause mehr als nur wirtschaftliche Effizienz. Es geht auch um politische Kriterien und deshalb komme ich auf das Stichwort Teilerfolge zurück. Daher begrüßen wir es im Grundsatz, dass das Prinzip des „good governance“ im neuen Vertragstext von Lomé fixiert worden ist. Wir müssen aber gleichzeitig kritisieren, dass nur für den Sonderfall extremer Korruption Möglichkeiten der Sanktionsverhängung vorgesehen sind. Nach unserer Überzeugung müssen aber auch andere Verstöße gegen das Prinzip des „good governance“ mit Sanktionen belegt werden können. In diesem Zusammenhang ist uns wichtig, Sanktionsmöglichkeiten auch dann konsequent zu nutzen, wenn wesentliche Bestandteile des Abkommens wie die Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit verletzt sind. Die Bundesministerin hat sich zu Beginn ihrer Amtszeit mit ihrer britischen Kollegin und ihrem französischen Kollegen genau in dieser Richtung geäußert. Ich darf aus einem Artikel aus der „FAZ“ vom 1. März des letzten Jahres zitieren: Die globalen Probleme können nur dann gelöst werden, wenn bei unseren Partnern die Menschenrechte geachtet werden, die Beteiligung der Bevölkerung an politischen Prozessen sichergestellt ist und Rechtsstaat sowie verantwortungsvolle Staatsführung einen geeigneten Entwicklungsrahmen bieten. Soweit die Worte der Ministerin. Angesichts dieser Worte nehmen Sie die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba auf und werten dieses kommunistische Unterdrückungssystem politisch auf. Das passt eben nicht zusammen und Sie wissen selbst genau, dass das nicht zusammengeht. ({4}) Es geht uns dabei auch gar nicht darum, die Schlachten der Vergangenheit noch einmal zu schlagen, denn diese haben wir schon gewonnen. Ob Sie sich da zu den Siegern zählen können, müssen Sie selbst entscheiden. Es geht uns vielmehr darum, dass in Kuba auch heute noch täglich Menschenrechte mit Füßen getreten werden und deshalb erwarten wir von der Bundesregierung eine andere Antwort als die, ein solches Regime noch politisch aufzuwerten. Der Kern der Auseinandersetzung ist: Sie werden Ihren eigenen Ansprüchen - Beachtung der Menschenrechte als wesentliches Kriterium der Entwicklungszusammenarbeit - nicht gerecht. Aber auch ein anderes Zitat aus dem genannten Artikel, Frau Ministerin, kann uns mit einem Abstand von anderthalb Jahren nur in Erstaunen versetzen. Sie schrieben seinerzeit: Es liegt somit im Interesse aller, systematisch nach Mitteln und Wegen zu suchen, die Effizienz der Zusammenarbeit zu steigern. Dies ist auch die Voraussetzung dafür, dass der Anteil der öffentlichen Entwicklungsmittel der EU wieder steigt. Also, Steigerung der öffentlichen Entwicklungsmittel ist das formulierte Ziel. Politisch tun Sie aber im eigenen Land genau das Gegenteil. Wir als CDU und CSU bekennen uns durchaus - darüber war hier nie Streit - zur supranationalen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Das ist ein wichtiges Element - aber eben nur ein wichtiges Element - unserer Entwicklungspolitik immer gewesen. Aber das Lob für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit darf eben nicht als Vorwand für Kürzungen bei der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit dienen. Beides ist wichtig und wir dürfen uns nicht hinter noch so richtigen Argumenten für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit verstecken. Ich denke dabei an unsere Beiträge an den Europäischen Entwicklungsfonds, der sicherlich auch hinsichtlich seiner Transparenz und Kontrollmöglichkeiten reformbedürftig ist. Wir müssen auch bei der bilateralen Zusammenarbeit unserer Verantwortung gerecht werden. Das tun Sie von der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen nicht dadurch, dass Sie seit Ihrem Regierungsantritt den Entwicklungshilfeetat um fast 1 Milliarde DM gekürzt haben. Damit werden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Sie tragen die Verantwortung auch als Regierung eines wichtigen Landes in der Europäischen Union. Deswegen, Frau Ministerin und Ihre Fraktionen: Erledigen Sie auch auf diesem Gebiet Ihre Hausaufgaben, dann sind Sie ein gutes Vorbild für die weitere Reform der europäischen Entwicklungszusammenarbeit, die unser Anliegen ist. Vielen Dank. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Werner Schuster.

Dr. R. Werner Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002118, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, von dieser Stelle nochmals herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe bemitleidenswerte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, lieber Herr Hedrich! ({1}) Welchen internen Zustand müsst ihr haben, wenn ihr ausgerechnet einen Antrag zur europäischen Entwicklungspolitik wahlkampfmäßig formuliert? Als ich Ihr Papier gelesen habe - nur das ist öffentlich zugänglich -, hatte ich das Gefühl: Mich tritt ein Pferd. Ich bin seit zehn Jahren Mitglied in dem Ausschuss. Acht Jahre lang hat sich in Brüssel ganz wenig bewegt. Lomé V stand vor dem Scheitern. Nun haben wir seit zwei Jahren eine persönlich engagierte Ministerin, einen roten Wirbelwind. Sie schließt sich mit drei anderen Ministerinnen zu dieser berühmten „gang of four“ zusammen, nutzt das Glück, dass wir die Ratspräsidentschaft innehatten, und schon ist die Kuh vom Eis. Hätten Sie 1998 gedacht, dass wir Lomé V und Cotonou in der Form erreichen, wie es jetzt geschehen ist? Sicherlich nicht. ({2}) Auch die EU-Kommission hat auf unseren Druck hin im April 2000 ein Konzept vorgelegt, das nicht einmal Sie ernsthaft kritisieren. Aber dann muss ich in Ihrem Antrag lesen: Die Bundesregierung hat es durch eine zu nachgiebige Verhandlungsführung während der Verhandlungen zum Lomé-Nachfolgeabkommen und durch eine unzureichende Mitarbeit an der Ausarbeitung der neuen entwicklungspolitischen Konzeption der EU versäumt, eine Fixierung der für eine durchgreifende Verbesserung der EU-Entwicklungszusammenarbeit notwendigen Akzente durchzusetzen. Es tut mir Leid, meine Damen und Herren, feststellen zu müssen: Hier haben Sie die Wahrheit auf den Kopf gestellt. ({3}) Sie bestimmen die Spielregeln. Den meisten Ihrer Forderungen werden wir - wie Sie wissen - zustimmen. Sie könnten glatt aus unserem Antrag vom März 1999 abgeschrieben sein. Ich empfehle Ihnen, den Antrag noch einmal nachzulesen, damit Sie merken, an welchen Punkten wir übereinstimmen. Ich denke, das würde die Beratungen im Ausschuss erleichtern, um zu einem - der Sache wegen - gemeinsamen Beschluss zu kommen. Noch ein Hinweis, Herr Brauksiepe: Wir machen unsere Hausaufgaben. Der Haushalt, den Sie uns permanent um die Ohren schlagen, befindet sich in einem noch nicht abgeschlossenen Prozess. Jetzt komme ich zum Inhalt. Wir haben nach meinem Verständnis auf europäischer Ebene keine Defizite in der Strategie, sondern wir haben Umsetzungsdefizite. ({4}) Das ist der zentrale Punkt. Die Forderungen der Bundestagsfraktionen, reduziert auf den Kern, sind, rational betrachtet, weitgehend identisch. Das Kommissionspapier vom April 2000 enthält richtige Vorschläge und richtige Ziele. Nur das Wie bleibt zu vage. Deswegen werden Fortschritte auf EU-Ebene nur im Schneckentempo erreicht. Ich möchte die Defizite anhand von einigen Punkten exemplarisch deutlich machen. Wir alle wollten eine Reform innerhalb der EU statt der vier Kommissare und der drei Generaldirektionen jeweils nur einen bzw. eine. Heute haben wir einen Kommissar, Herrn Nielson - leider ist die Stelle des Generaldirektors immer noch nicht besetzt -, aber die Konkurrenz zwischen Herrn Nielson und Herrn Patten ist vorprogrammiert ({5}) - ich darf Sie an unseren Besuch in Brüssel erinnern -, was ganz sicher nicht die Motivation der oft gescholtenen Mitarbeiter in Brüssel erhöht. Ich denke, hier müssen der Rat und auch der Ministerrat ihre Hausaufgaben als Quasi-Legislative stärker in Angriff nehmen. ({6}) Es darf aber nicht passieren, dass europäische Entwicklungszusammenarbeit zu einem Anhängsel europäischer Außenpolitik degeneriert. ({7}) Genauso wenig darf es passieren, dass europäische Entwicklungszusammenarbeit mit liberalisierter Außenhandelspolitik gleichgesetzt wird. Damit werden wir den Anforderungen an einen Nord-Süd-Ausgleich nicht gerecht. ({8}) Ich finde es übrigens positiv, dass die EU auch ECHO mit integriert hat. Man hat jetzt im Sudan die Aktion „Humanitarian Plus“ eingeführt. Ich habe nicht verstanden, warum man das Modell nicht auf andere Länder überträgt, um so die Nothilfe zu einer Entwicklungszusammenarbeit zu erweitern. Zweitens. Wir erwarten zwar zu Recht mehr Effizienz von Brüssel. Aber jeder von uns Insidern weiß, dass Brüssel chronisch unterbesetzt ist. Die personelle Konsequenz ist: Jeder versucht sich abzusichern. Wer kennt das nicht aus der Praxis? Da müssten wir etwas tun. Wir müssten genauso etwas tun, um mehr deutsche Beamte für einen Job in Brüssel zu interessieren. ({9}) Es stimmt mich nachdenklich, dass wir Politiker im Rahmen der Diskussion über das Ehrenamt zwar sagen: „Wer ehrenamtlich tätig ist, soll in Zukunft von der Wirtschaft bevorzugt eingestellt werden“, dass wir aber den Beamten, die nach Brüssel oder zur UNO gehen, keine entsprechenden Vorteile gewähren, obwohl dies in unsere Zuständigkeit fällt. Auch hier ist die eigene Nase gefragt. Der dritte Punkt betrifft die Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen. Auf dem Papier klingt das wunderbar: Stärkung der Partnerschaft. Aber wenn ich mir das zu Gemüte führe, was im September auf dem Kongress von VENRO formuliert worden ist, dann muss ich feststellen, dass das Ganze zu einem Lotteriespiel zu degenerieren droht. Kommt das Geld rechtzeitig oder nicht oder verzichte ich lieber, weil mir das Risiko zu groß ist? Auf diesem Kongress war die Rede von Abbruch statt Aufbruch und von kafkaesken Verhältnissen. Der administrative Schwanz wackelt mit dem politischen Hund, hieß es. Wer wirklich ernsthaft die Beteiligung der Zivilgesellschaft im Norden wie im Süden durchsetzen möchte, der muss sie ernsthaft fördern und darf sie nicht behindern. ({10}) Wer aber, Herr Hedrich, ist der politische Hund? Nach meinem Verständnis sind das die EU-Kommission und der Europäische Rat, ({11}) solange das Europäische Parlament nicht die Funktionen hat, die nach unserem Verständnis einem Parlament zustehen sollten. Also auch hier sind wir wieder gefordert. Der vierte Punkt betrifft die kohärente Entwicklungspolitik. 55 Prozent der Mittel für die weltweit geleistete Entwicklungszusammenarbeit stammen aus Europa. 10 Prozent kommen direkt von der EU und 45 Prozent aus unseren bilateralen Töpfen. Das wäre - um mit den Worten der Neuen Ökonomie zu reden - Marktmacht, wenn wir sie nutzen würden. Was tun wir aber de facto? Nach wie vor gibt es eine Geberkonkurrenz zwischen den europäischen Ländern. Die nationalen Parlamente müssen diese Konkurrenz beenden. Ich denke, sie sollten sich verstärkt der Aufgabe der Kontrolle zuwenden. Aber dafür sind drei Voraussetzungen notwendig: Erstens. Wir müssen, Frau Ministerin, rechtzeitig vor strategischen Entscheidungen in Brüssel informiert werden. Dabei sind wir ein bisschen auf die Kooperation mit Ihrem Haus angewiesen. Zweitens. Wenn wir eine Zweiwegekommunikation haben wollen - ich kann momentan Herrn Kraus, unseren Ausschussvorsitzenden, nicht sehen -, sollten wir endlich Beschlüsse des Bundestages, die einschlägig sind, ins Englische übersetzen lassen und die Parlamentarier in den anderen nationalen Parlamenten über diese Beschlüsse informieren, damit sie wissen, was wir denken. Drittens. Wir müssen uns ernsthaft fragen, welche Möglichkeiten es gibt, die Abstimmung zwischen den nationalen Parlamenten und den Entwicklungspolitikern zu verbessern. Auch hier wären wir gefordert. Der vierte Punkt betrifft, wie gesagt, die kohärente EUPolitik. Jeder von Ihnen weiß, dass Handel besser ist als Hilfe, wenn wir den Entwicklungsländern faire Handelschancen einräumen. Ich begrüße in diesem Zusammenhang den Beschluss der EU-Kommission, die europäischen Märkte für die ärmsten Länder zu öffnen. Nur, von einem Beschluss bis hin zu Taten ist es leider ein langer Weg. ({12}) Eine wissenschaftliche Studie, die Herr Spranger dankenswerterweise in Auftrag gegeben hat, besagt: 1 DM, die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben wird, hat einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 2,80 DM. Ich denke, das ist auch auf die Industrieländer übertragbar. Das Ergebnis ist zwar eine schöne Legitimation für uns Entwicklungspolitiker. Aber eigentlich ist es auch ein Indiz für eine verkehrte Welt, nämlich für die einseitige Ausbeutung des Südens durch den Norden. ({13}) Solange das so ist, wird der Graben zwischen Nord und Süd größer oder - anders formuliert - der moderne Limes höher. Das darf nicht sein. Wenn wir das nicht ändern, beschränken wir unsere Verantwortung für die Welt auf Sonntagsreden. Letzter Satz, Herr Präsident. Weil Europa weltweit eine solch dominante Rolle spielt, sollten wir als Entwicklungspolitiker gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir die Umsetzungsdefizite beheben können. Wenn die heutige Debatte dazu führt, dann hat sie sich gelohnt. Recht schönen Dank. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, ich möchte nur sagen, dass Herr Seiters heute Geburtstag hat. Deshalb haben wir den Präsidentenwechsel zu einer untypischen Zeit vorgenommen. ({0}) Jetzt hat der Kollege Joachim Günther von der F.D.P.Fraktion das Wort.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach jahrelanger Kritik an der konzeptionslosen und schwerfälligen Entwicklungszusammenarbeit der EU, die aus vielen Bereichen gekommen ist, hat die Kommission nunmehr ihre Vorschläge für eine umfassende Neuordnung der europäischen Entwicklungspolitik vorgelegt. Bedauerlicherweise, Herr Kollege Schuster - hier bin ich anderer Meinung als Sie -, sind die entscheidenden Impulse hierfür nicht von der Bundesregierung ausgegangen. Diese hätten im vergangenen Jahr während der deutschen zum Teil Präsidentschaft in einem viel größeren Umfang durchgesetzt werden können. Als entscheidender Nachteil war bislang empfunden worden, dass die Ziele der EU-Entwicklungspolitik zu zahlreich, zu vage und zu beliebig waren. Es fehlte eine übergeordnete Strategie und es mangelte zugleich an der notwendigen Kohärenz in den verschiedenen Politikbereichen der EU. Das nunmehr vorliegende Grundsatzpapier, das im November als Gesamtstrategie vom Entwicklungsministerrat offiziell verabschiedet werden soll, enthält durchaus vernünftige Ansätze, die mit langjährigen Forderungen der F.D.P.-Bundestagsfraktion übereinstimmen. Unter Aufgabe des Gießkannenprinzips wird eine Konzentration auf Bereiche vorgeschlagen, in denen die europäische Zusammenarbeit deutliche Vorteile aufweist. Die sechs Schwerpunkte Handel, regionale Integration, agrarökonomische Beratung, Verkehr, ländliche Entwicklung und „good governance“ decken sich im Prinzip mit unseren Vorstellungen. Auch die geforderte bessere Arbeitsteilung und Abstimmung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten zwecks Nutzung von Synergiepotenzialen entspricht einer alten F.D.P.-Forderung. Besonders lobenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang die just vor wenigen Tagen, am 9. Oktober, veröffentlichte Ankündigung von Handelskommissar Lamy, dass die Kommission den 48 ärmsten Entwicklungsländern für alle Waren, mit Ausnahme von Waffen, den freien Zugang zu den europäischen Märkten einräumen will. Dies soll sogar für solch sensible Dinge wie Bananen vorgesehen sein. Hier gibt es allerdings eine Übergangsfrist. Das sind hervorragende Nachrichten für die ärmsten unter den Entwicklungsländern. Deren Entwicklung ist weit mehr vom Abbau der Schranken für ihre Produkte abhängig als von entwicklungspolitischen Transferleistungen im Allgemeinen. Die von der Kommission zur Verbesserung der Effizienz vorgeschlagene Einrichtung einer weiteren europäischen Durchführungsbehörde mit dem schillernden Namen „Europe Aid“ sehen wir allerdings kritisch. Eine bessere Effizienz der Arbeit sollte durch Straffung der Strukturen und nicht durch eine weitere kräftige Aufstockung des eigenen Personals erreicht werden. ({0}) Der Fairness halber muss man hinzufügen, dass die Kommission für die Verteilung von 8,6 Milliarden Dollar 2 500 Mitarbeiter beschäftigt, wohingegen in Deutschland für die Verwaltung von nur etwa der Hälfte dieses Betrages fast doppelt so viele Mitarbeiter benötigt werden. Trotz aller berechtigter Kritik ist die EU-Entwicklungszusammenarbeit insgesamt eine Erfolgsstory und gilt in vielen Regionen der Welt als vorbildliche Form der multilateralen Zusammenarbeit. Lobenswert an dem neuen Konzept ist aus unserer Sicht, dass die konkreten Projekte zukünftig nicht im Wesentlichen von der Brüsseler Zentrale, sondern von den EU-Delegationen vor Ort selbst verwaltet und betreut werden können. Aus unserer Sicht, Herr Kollege Dr. Schuster, ist es ebenso begrüßenswert, dass man versucht, eine Außen- und Entwicklungspolitik aus einem Guss zu machen, indem man die Verantwortung auf den Kommissar Chris Patten gelegt hat. Eine Zusammenlegung und Konzentration auf diesem Gebiet entspricht auch unseren Forderungen in der Bundesrepublik Deutschland. Wir fordern deshalb nach wie vor die Bundesregierung auf, endlich die Zusammenlegung von BMZ und AA, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, in Angriff zu nehmen. ({1}) Der heute vorliegende Antrag der Unionsfraktion deckt sich weitgehend mit den in unserem Antrag „Eigenverantwortlichkeit der AKP-Staaten fördern“ aufgestellten Forderungen. Unterstreichen möchte ich insbesondere die Aufforderung, die im Lomé-Nachfolgeabkommen vorgesehenen Konsultations- und Sanktionsmöglichkeiten konsequent zu nutzen. Bedauerlicherweise ist dies bislang weder im Falle von Simbabwe noch in denen von Äthiopien oder Eritrea im erforderlichen Umfange geschehen. Wenn der Begriff „partnerschaftliche Zusammenarbeit“ nicht nur ein Schlagwort sein soll, dann kann diese Partnerschaft nur so lange aufrechterhalten bleiben, wie sich beide Seiten an diese Regeln halten. Deshalb möchte ich alle, die in diesem Bereich tätig sind, noch einmal auffordern, Folgendes zu beherzigen: Wer Völkerrecht und Menschenrechte massiv verletzt, darf in Zukunft nicht mehr mit unserer Unterstützung rechnen. Herzlichen Dank. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Angelika Köster-Loßack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002704, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte dem Antrag der CDU/CSU sofort zustimmen ({0}) - „ich könnte“, habe ich gesagt -, wenn er lauten würde: Die Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit ist ein gutes Stück vorangekommen und muss weiterhin konsequent vorangetrieben werden. Besonders die rot-grüne Bundesregierung hat sich erfolgreich dafür stark gemacht, dass dieser Prozess voranschreitet. Unter deutscher Präsidentschaft wurde eine Mitteilung zur gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik erarbeitet und dem Rat zur weiteren Befassung vorgelegt. Zentraler Inhalt des Kommissionsvorschlags ist die Ausrichtung der gemeinschaftlichen EZ auf das Oberziel Armutsbekämpfung. Die Bemühungen der Europäischen Kommission, erstmals eine Gesamtstrategie zur Entwicklungspolitik auszuarbeiten, sind ausdrücklich zu begrüßen. Die Schwerpunktsetzungen unter dem Titel „Vorrangige Aktionsfelder für die Entwicklungshilfe der Gemeinschaft“ sind sinnvoll und geben jetzt endlich einen Rahmen vor, der konstruktiv ausgefüllt werden kann. Ich möchte hier besonders den Punkt Aufbau institutioneller Kapazitäten, „good governance“, also verantwortungsvolle Regierungsführung, und Rechtsstaatlichkeit hervorheben. Ich halte diesen Punkt gerade hinsichtlich des spezifischen entwicklungspolitischen Profils für ganz zentral. Im Vergleich etwa mit der Außenwirtschaftspolitik und der Außenpolitik der EU kommt an dieser Stelle die besondere Qualität von Entwicklungspolitik zum Ausdruck. Mit der Aufnahme dieses Punktes in das Lomé-Nachfolgeabkommen, das im Juni 2000 in Cotonou in Benin unterzeichnet wurde, konnte trotz enormer Vorbehalte der AKP-Staaten ein wichtiges Ziel der Bundesregierung verankert werden. Gravierende Fälle wie Korruption können bei Verletzung sanktioniert werden. Für andere Bestandteile des Abkommens wie die Beachtung der Menschenrechte, die Einhaltung demokratischer Grundsätze und Rechtsstaatlichkeit gilt es, die strikte Einhaltung zu überwachen und die vorgesehenen Konsultations- und Sanktionsmöglichkeiten konsequent zu nutzen. So wurden zum Beispiel Ende Juli 2000 Konsultationsverfahren im Rahmen der Nichterfüllungsklausel mit den Fidschi-Inseln, wo im Mai ein Militärputsch stattgefunden hatte, und mit Haiti, wo es Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen gegeben hatte, eingeleitet. Die Formulierung solcher Konditionalitäten ist eminent wichtig, wenn die EU weniger Projekt- und mehr Programmhilfe oder gar direkte Budgethilfen leisten will. Das ist nämlich nur sinnvoll, wenn das Empfängerland sicherstellen kann, dass die Mittel vorrangig zur Armutsbekämpfung genutzt werden. ({1}) Gleichzeitig darf Konditionalität aber auch nicht überstrapaziert werden, um alle Probleme einseitig auf die Empfänger zu verlagern. Zur Armutsbekämpfung sollte es konkrete gegenseitige Selbstverpflichtungen von EU und Empfängerländern geben. Im Cotonou-Abkommen ist das ja schon angelegt. Wesentlich für jede Zusammenarbeit - auch dies ist im Abkommen enthalten - ist die Partizipationskomponente. Es sollen unter Beteiligung der Zivilgesellschaft in Zukunft Länderstrategiepapiere von den Regierungen der Empfängerländer analog zur gemeinsamen Strategie zur Armutsbekämpfung von Weltbank und IWF, also den so genannten Poverty Reduction Strategy Papers, erarbeitet werden. Von zentraler Bedeutung ist dann aber die reale Beteiligung der Bevölkerung; denn ohne eine qualifizierte Beteiligung der Bevölkerung gibt es keine Identifikation und ohne Identifikation ist das Scheitern selbst der besten Hilfsprojekte vorprogrammiert. ({2}) Lassen Sie mich auf einen zweiten zentralen Punkt eingehen: Handel und Entwicklung. Hierbei steht die Herstellung von Kohärenz im Mittelpunkt. Wir haben die Bedeutung dieses Themas schon immer hervorgehoben. Von Handel und Entwicklung reden zwar viele; aber nicht wenige denken dabei an einen Automatismus, der - jedenfalls bisher - nie empirisch nachgewiesen werden konnte, vor allem nicht für die ärmsten Entwicklungsländer. ({3}) Die Armutsreduzierung wird sich nämlich nicht, auch nicht langfristig, als Nebeneffekt einer weiteren Liberalisierung des Handels im Wege eines Trickle-down-Effekts von selber einstellen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass die EU-Handelspolitik nicht den Zielen ihrer Entwicklungspolitik widerspricht. Nicht die außen- und handelspolitischen Interessen der EU dürfen die Maßstäbe für Kohärenz setzen; die Ziele der Entwicklungspolitik, insbesondere die Armutsbekämpfung, sollen vor allem für die ärmsten AKP-Länder den Maßstab liefern. ({4}) Wenn sich die EU auf den Schwerpunktbereich Handel und Entwicklung konzentrieren will, dann muss dies auch auf eine Veränderung der bestehenden WTO-Regeln abzielen. ({5}) Dies schließt sowohl die Zielsetzungen der nachhaltigen Entwicklung ein als auch eine stärkere Beteiligung der Entwicklungsländer am WTO-Aushandlungsprozess. Wir haben das in unserem Antrag zur Kohärenz von EU-Agrarpolitik und EU-Entwicklungspolitik im Rahmen der WTO besonders hervorgehoben. Die EU-Kommission hat - das haben schon andere Kollegen angesprochen -, was die Öffnung der EU-Märkte angeht, vor einigen Wochen einen Aufsehen erregenden Vorschlag unterbreitet: Die Einfuhrzölle für Produkte aus den am wenigsten entwickelten Ländern sollen vollständig abgeschafft werden. Von den Zoll- und Quotenbefreiungen sollen die 48 ärmsten Staaten der Erde profitieren, für die die EU bereits heute Ziel von mehr als 55 Prozent ihres Gesamtexports ist. In der vorgeschlagenen EU-Richtlinie sind auch so sensible Produkte wie Zucker, Reis und Bananen enthalten. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass dieser Vorschlag umgesetzt wird. Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Punkt hervorheben, bei dem ebenfalls wichtige Ansätze schon vorhanden sind, bei dem aber noch mehr geleistet werden muss: bei der Koordinierung und der Komplementarität. Es gibt eine eigene Mitteilung der Kommission zur Koordinierung. Aber eine wirkliche Gesamtstrategie der EU-Entwicklungspolitik muss die bessere Arbeitsteilung noch viel stärker ins Blickfeld nehmen und hierzu wegweisende, umsetzbare Vorschläge machen. Der deutsche Ratsvorsitz hat immerhin erreicht, dass in einer Entschließung der Entwicklungsminister und -ministerinnen im Mai 1999 eine Vielzahl praktischer Möglichkeiten von Abstimmungsprozessen aufgezeigt wurde. Durch die verstärkte Kooperation bei der Erstellung von Länderstrategiepapieren sollte eine wichtige Voraussetzung für eine bessere Koordination geschaffen werden. Die Schwerpunktsetzung der Europäischen Kommission ist vor allem dann sinnvoll, wenn auch die Mitgliedsregierungen eigene Schwerpunkte setzen und so sicherstellen, dass keine Region, kein Land und kein Sektor bei der künftigen europäischen Entwicklungszusammenarbeit ganz unter den Tisch fallen wird. Ich möchte noch einmal betonen: Wir sind mit der EU-Entwicklungspolitik, was die Kohärenz angeht, auf einem guten Weg, der jetzt konsequent verfolgt werden muss, nicht nur auf der europäischen Ebene, sondern auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die PDS-Fraktion erteile ich dem Kollegen Carsten Hübner das Wort.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen, die mit dem Antrag zwar nicht direkt zu tun haben, die mir aber wichtig sind. Zum einen bin ich von den Entwicklungen, die wir derzeit in Israel bzw. in Palästina zu verzeichnen haben, schwer betroffen. Der Friedensprozess, der von vielen erhofft wurde und der längst notwendig ist, ist nicht nur ins Stocken geraten, sondern arg zurückgeworfen worden. Es ist überhaupt nicht klar, worauf die Entwicklung hinauslaufen wird. Eines ist jedenfalls sicher: Auch daraus sollten wir Konsequenzen ziehen. Wir sollten überlegen, in welcher Form wir sowohl für den jetzt stattfindenden als auch für den danach erforderlichen Prozess Verantwortung übernehmen können. Entwicklungspolitiker stehen immer vor der Aufgabe, Konflikte nicht nur rechtzeitig zu begreifen, sondern auch schon dann, wenn sie noch toben, darüber nachzudenken, was man tun kann ({0}) und welche Konsequenzen man ziehen muss, damit so etwas, was sich im Moment dort abzeichnet, nicht noch einmal passieren kann. Das zweite Beispiel ist ein sehr positives Beispiel: Wir haben vor kurzem über Kolumbien und den „Plan Colombia“ gesprochen. Ich habe jetzt aus den Medien erfahren, dass sich die Europäische Union dagegen ausgesprochen hat, sich im Rahmen des „Plans Colombia“ mit erheblichen Millionenbeträgen in Kolumbien zu engagieren. Ich halte das für eine sehr gute Entscheidung. Der „Plan Colombia“ ist fast vom ganzen Haus als ein Plan zur Militarisierung der Auseinandersetzung in Kolumbien charakterisiert worden. Wir sollten jetzt aber die Konsequenzen ziehen und nicht nur kein Geld für den Plan geben, sondern auch überlegen, wie Europa und die Bundesrepublik dort eine eigenständige entwicklungspolitische Konzeption vertreten können, gerade mit Blick auf alternative Ökonomie und Konfliktbewältigung. ({1}) Zum Antrag selber will ich sagen, dass vieles von dem, was im CDU-Antrag aufgeführt wird, Probleme sind, die seit langer Zeit diskutiert werden, aber nicht in der erforderlichen Art und Weise angepackt worden sind. Die EU agiert weiterhin sehr schwerfällig. Oft weiß eine Hand nicht, was die andere tut. In Bezug auf die Koordinationswege ist doch erhebliche Kritik berechtigt. Auch bei der Verteilung der vom Europäischen Entwicklungsfond bereitgestellten Mittel stellt die Struktur der Bürokratie ein ganz erhebliches Hindernis dar. Neben diesen strukturellen Problemen, mit denen die europäische Entwicklungspolitik zu kämpfen hat, gibt es natürlich auch Strategieprobleme, die hier, wie ich denke, ebenfalls benannt werden sollten. Ganz wichtig ist dabei - das ist vorhin kurz angesprochen worden -, dass die Entwicklungspolitik als eigenständiger Faktor und als Querschnittsaufgabe in der gemeinsamen europäischen Außenpolitik vorkommen muss und nicht, wie es vorhin angesprochen worden ist, als Anhängsel einer Außen-, Handels- oder gar Militärpolitik. Wenn man sich die Papiere anschaut, die seit Amsterdam entstanden sind, muss man den Eindruck bekommen, dass in diese Richtung gedacht wird. Das muss man hier auch sagen und das müssen wir als Entwicklungspolitiker rechtzeitig kritisieren und versuchen, es in eine andere Richtung zu lenken. Es wurde die Kohärenz angesprochen: Immer dann, wenn es um Geld, zum Beispiel um die Interessen der Agrarwirtschaft oder um Außenhandelsinteressen, geht, wird seit Jahren Kohärenz eingefordert. Mit der Kohärenz ist aber immer an dem Punkt Schluss für die Entwicklungspolitiker, wo sich die entsprechenden Interessen anderer Politikfelder artikulieren. Auch das muss man so konstatieren. ({2}) Ich will nur noch ein paar Bemerkungen zu dem AKPKooperationsabkommen machen, weil meine Zeit abläuft: Eine grundsätzliche Strukturreform von Lomé ist mit dem Vertrag von Cotonou natürlich ausgeblieben. Auch das müssen wir konstatieren. Die Reform, wie sie von den Entwicklungsländern, von den NGOs und den Kirchen eingefordert worden ist, ist nicht umgesetzt worden, sondern im Grunde genommen haben wir an vielen Punkten einen völlig offenen Bereich, der erst in den nächsten Jahren gefüllt wird, als Vertragswerk konzipiert. Ich hege keine allzu großen Hoffnungen, dass dieser BeDr. Angelika Köster-Loßack reich in einem für uns alle befriedigenden Sinne gefüllt wird. Nur noch zwei Sätze hierzu, weil mir das sehr wichtig ist: Ganz deutliche Zielgröße der EU-Entwicklungspolitik muss in den nächsten Jahren der Geist von Lomé bleiben. Er darf nicht zurück in die Flasche gedrängt werden, sondern es muss in diesem Geiste weitergemacht und mit der Liberalisierungsdoktrin Schluss gemacht werden, die besagt, dass dann, wenn der Handel erst einmal völlig frei ist und eine Entgrenzung der Märkte entstanden ist, dies eine Verringerung der Armut mit sich bringen wird. Ich habe hier eine Auswertung aus der „Frankfurter Rundschau“. Dort stehen auf einer Seite zwei Aussagen, die für uns ganz wichtig ist: „Hilfswerke rügen Regierung wegen der Kürzungen im Entwicklungshilfe-Etat“. Dieser ist, wie ich denke, eine ganz entscheidende Größenordnung. Die zweite Aussage lautet: „Globalisierung bringt den ärmsten Ländern nichts“. Wenn man dieses mit den bisherigen Kernelementen des Lomé-Vertrages kombiniert, sollten damit doch genügend Hinweise gegeben worden sein, die uns aufzeigen, in welche Richtung sich die EUEntwicklungspolitik in den nächsten Jahren entwickeln sollte. Danke. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es ist doch erstaunlich, wie lang zwei Sätze sein können. Nun hat das Wort Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Vertreterinnen und Vertreter der Regierungskoalition tragen in dieser Debatte in etwa vor, in der EU-Entwicklungszusammenarbeit sei doch alles auf einem guten Weg, ({0}) alles werde gut, die Dokumente und Beschlüsse stimmten, eigentlich sei der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion völlig unnötig. ({1}) - Lieber Herr Schuster, das war Ihr Obersatz. Ich komme auf die Details, die Sie angesprochen haben, noch zu sprechen. Wenn es so wäre, dass in der Europäischen Union im Prinzip alles auf einem guten Weg ist, dann wäre der Antrag unnötig. Der Punkt ist aber: Die Sonntagsreden, die Überschriften und die Dokumente stimmen, aber die Realität in Bezug auf die Umsetzung stimmt nicht mit dem überein, was groß angekündigt wird. Das ist die Ursache für die großen Probleme. ({2}) Ich will einige Punkte ansprechen. Erstens. Die Änderungen innerhalb der EU-Kommission und die derzeit geplanten Veränderungen in den Zuständigkeiten, vor allem aber die Gründung des neuen Superamtes „Europe Aid“ mit über 1 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, führten tendenziell nicht zu einer Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit, sondern zu einer Schwächung. Während in Deutschland Herr Außenamtsstaatssekretär Pleuger auf Botschafterkonferenzen darüber spekulieren darf, ob es nicht sinnvoll wäre, das Entwicklungshilfeministerium in das Auswärtige Amt einzugliedern, wird in Europa genau diese Politik bereits praktiziert. Die Entwicklungszusammenarbeit droht gegenüber dem Alleinvertretungsanspruch des Kommissars für Außenbeziehungen unterzugehen. ({3}) Damit ist das Ende einer eigenständigen Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union bereits vorgezeichnet. Diejenigen, die sich zu Recht für eine Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt hatten, haben sich fürwahr etwas anderes vorgestellt. Zweitens. Ich zitiere: Die Auslandshilfeprogramme der Europäischen Union sind bekannt für ihre schleppende und unflexible Durchführung, für schlechte Qualität und übermäßig zentral gesteuerte und starre Verfahren. Dieser Satz steht in einem Dokument der EU-Kommission. Es ist gut, dass es diese Selbsterkenntnis gibt. Nachdem die Kommission dies festgestellt hatte, war die Hoffnung groß, dass die Reform der EU-Entwicklungspolitik zu einem verbesserten Verfahren bei der Genehmigung von Anträgen führen würde. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Von mehr als 900 Projektanträgen deutscher Nichtregierungsorganisationen auf Kofinanzierung durch die Europäische Union sind jetzt, im Oktober 2000, nur ein paar wenige tatsächlich bewilligt. Die meisten Nichtregierungsorganisationen warten bis zum heutigen Tag auf Geld aus Brüssel. Als Quintessenz aus einer kürzlich in Bonn durchgeführten Tagung, die der Kollege Schuster schon erwähnt hat, kommt der Bonner „General-Anzeiger“ zu dem Schluss: „Das Verhältnis zwischen den Nichtregierungsorganisationen und der Kommission ist auf einem Tiefpunkt.“ Brot für die Welt, ein großes kirchliches Hilfswerk, stellt fest: „Aufwand und Ertrag stehen in keinem vernünftigen Verhältnis mehr.“ Man überlegt sich dort, ob man bei der EU überhaupt noch einen Antrag stellen soll. Ich finde, das ist ein Skandal. ({4}) Drittens. Zu den Fortschritten auf dem Papier - auch das ist schon erwähnt worden - gehört zweifelsohne das neue Abkommen zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten. Dieses beinhaltet vor allem, dass der Beteiligung der Zivilgesellschaft endlich ein gebührender Rang eingeräumt wird. Aber auch hinsichtlich der Erfüllung dieser Zusage warten wir auf konkrete Schritte. Ich befürchte - auch dieser Punkt ist schon angesprochen worden -, dass die Zivilgesellschaft und die Nichtregierungsorganisationen erst recht unter die Räder kommen, wenn die verstärkten Budgethilfen der Europäischen Union für die AKP-Staaten Platz greifen. Budgethilfen darf und kann es meines Erachtens nur geben, wenn gleichzeitig eine starke Kontrolle und Mitwirkung der Zivilgesellschaft in den jeweiligen Ländern gewährleistet ist, wenn die Bevölkerung den Regierenden wirklich auf die Finger schauen kann und wenn bei der Durchführung von Projekten der Armutsbekämpfung auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen an den staatlichen Mitteln und Instrumenten partizipieren können. Kooperation mit der Zivilgesellschaft darf aber nicht dazu führen, dass die Europäische Union, wie sie es leider bis zum heutigen Tag tut, einzelne Nichtregierungsorganisationen, die ihren Interessen nützen, wie Rosinen aus dem Kuchen pickt und andere benachteiligt. Deshalb brauchen wir entsprechende Programme zur Unterstützung der Nichtregierungsorganisationen in ihrer Zusammenarbeit mit der EU. Der Antrag, den wir als CDU/CSU-Fraktion heute stellen, soll die Bundesregierung zum Handeln auffordern und wachrütteln, damit die Weichenstellungen in Brüssel korrigiert werden, die derzeit falsch vorgenommen werden. ({5}) Verehrte Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul, Sie werden anschließend sprechen. Wir erwarten von Ihnen konkrete Aussagen zu folgenden Fragen: Erstens. Was werden Sie in der nächsten Sitzung des EU-Entwicklungsrates am 10. November dieses Jahres unternehmen, damit die EU-Entwicklungszusammenarbeit eine selbstständige Aufgabe mit einem eigenen Kommissar bleibt und nicht zu einer nachgeordneten Angelegenheit des Kommissars für Außenbeziehungen wird? ({6}) Zweitens. Was werden Sie im EU-Ministerrat konkret unternehmen, damit die administrativen Mängel beseitigt und die Gelder für das Jahr 2000 sofort ausbezahlt werden? Es ist schon erwähnt worden, dass bei der Tagung der Nichtregierungsorganisationen der Satz fiel: „In der Kommission wackelt der administrative Schwanz mit dem politischen Hund.“ Frau Ministerin, sorgen Sie dafür, dass in Brüssel endlich die Politik der Administration sagt, wo es langzugehen hat, und nicht umgekehrt. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich das Wort der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Diskussion sehr genau verfolgt. Wenn man einmal einen Teil der verbalen Zuspitzungen beiseite lässt, wird ersichtlich, dass es in der Frage der weiteren notwendigen Reform der Europäischen Union in diesem Hause eine breite gemeinsame Überzeugung gibt. Diese sollte nicht durch allzu viele verbale Überspitzungen verdeckt werden. ({0}) Es wird auch deutlich, dass, seitdem die Bundesregierung die europäische Politik mit beeinflussen und gestalten kann, wichtige Schritte gegangen worden sind. Der Grund, warum ich in dieser Frage zur Gemeinsamkeit aufrufe, ist folgender: 55 Prozent der gesamten Entwicklungszusammenarbeit - Werner Schuster hat es vorhin erwähnt - werden von der EU-Kommission und ihren Mitgliedstaaten finanziert. Wenn wir unser Gewicht bei der weiteren Reform und dem Festhalten an dem, was erreicht worden ist, gemeinsam in die Waagschale werfen, dann erreichen wir auch mehr, und zwar im Interesse der Entwicklungsländer. Es geht ja nicht darum, dass wir untereinander irgendwelche Schlachten schlagen, sondern wir müssen alles dafür tun, dass die EU-Entwicklungspolitik effektiver wird, damit die Menschen in den Partnerländern davon einen Vorteil haben. Das ist doch das Ziel der ganzen Angelegenheit. ({1}) Eine zweite Gemeinsamkeit konstatiere ich. Es gibt eine breite Unterstützung - das begrüße ich ausdrücklich - hinsichtlich der Vorschläge der EU-Kommission, die der französische Kommissar Lamy eingebracht hat, dass zukünftig den ärmsten Entwicklungsländern der freie Zugang zu den Märkten der europäischen Mitgliedstaaten eröffnet werden soll. Das ist ein ganz wichtiger Schritt der Hilfe für diese Länder, damit sie ihre eigene Wirtschaft entwickeln können. Deshalb sollten wir uns gemeinsam dafür engagieren, dass durch die Zustimmung der anderen EU-Mitgliedstaaten aus diesen Vorschlägen Wirklichkeit wird. Ich sage jedenfalls für die Bundesregierung, dass wir dieses Vorhaben unterstützen. ({2}) Wir haben - das ist die Wahrheit und das war auch gut so - in der EU-Ratspräsidentschaft sofort die wichtigsten Weichenstellungen vornehmen können, sowohl in Bezug auf die bessere Abstimmung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten als auch in Bezug auf das Abkommen von Cotonou. Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Das ist ein Beispiel einer umfassenden Partnerschaft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und es ist das Maximum dessen, was unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten hat erreicht werden können. Ich bin stolz darauf, dass wir das erreicht haben. Wir sollten das gemeinsam würdigen. ({3}) Ich will darauf hinweisen, an welchen Punkten es gute Fortschritte im Interesse dieser Länder gegeben hat: Peter Weiß ({4}) Erster Punkt. Es können zukünftig in den politischen Dialog alle Fragen eingebracht werden - bis hin zur Frage der Reduzierung und Verhinderung des Transfers von Kleinwaffen; das ist ein ganz wichtiger Punkt, der darin enthalten ist. Zweiter Punkt. Entwicklung und Handel sind sinnvoll miteinander verzahnt worden. Was ich erreicht habe - wir, die Bundesregierung bzw. mein Ministerium, waren in diesem Bereich die Verhandlungsführer -, ist, dass nicht nur bis zum Jahre 2008 Freihandelsabkommen geschlossen werden - die entsprechenden Beschlüsse dazu sind gefasst worden -, sondern dass die Entwicklungsländer auch Zeit haben - notfalls zehn oder zwölf Jahre, also bis zum Jahre 2020 -, ihre eigenen Märkte zu schützen und sich auf diesen Freihandel vorzubereiten. Das halte ich für einen ganz großen Fortschritt, der in dieser Situation von vielen nicht erwartet worden ist. Wir haben das verankern können. Der dritte Punkt, der meiner Meinung nach außerordentlich positiv ist, ist, dass das Abkommen von Cotonou effektiver als all seine Vorgängerabkommen sein wird. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Herr Hedrich heute so still ist. All das, was Sie in Ihrem Antrag verlangen, hätten Sie doch in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit tun können. ({5}) Ich habe in dem halben Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft mehr Reformen in der EU-Entwicklungspolitik in Gang gebracht als Sie während der vielen Jahre Ihrer Regierungszeit. Das ist die Wahrheit. ({6}) Lassen Sie uns das einfach einmal anschauen: Das Abkommen von Cotonou wird also effektiver als all seine Vorgängerabkommen. Es führt zu einer Entbürokratisierung und zu Erleichterungen. Stabex und Sysmin, die sich in den entsprechenden Ländern strukturkonservierend ausgewirkt haben, sind beseitigt worden. Im Falle kurzfristiger Schwankungen bei Ausfuhrerlösen kann auch zukünftig Unterstützung gewährt werden. Das ist ein entwicklungspolitisch sinnvoller Ansatz und ein gutes Ergebnis. Vierter Punkt. Wir haben das Prinzip „Good Governance“ verankert. Zukünftig wird es möglich sein - das haben Sie von der Opposition zu Ihrer Regierungszeit nie geschafft -, in Fällen schwerer Korruption die Zusammenarbeit mit dem betroffenen Staat auszusetzen. Das ist wichtig. Denn Korruption bedeutet, das Geld der Armen zu stehlen. Deshalb müssen wir im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit alles dafür tun, dass Korruption in den Partnerländern unterbleibt. Das ist unsere Aufgabe. ({7}) Zukünftig kann in solchen Fällen die finanzielle Unterstützung ausgesetzt werden. Ich möchte aber auch nicht verhehlen - das richte ich jetzt an die Adresse all derjenigen, die immer Good Governance für andere anmahnen -, welche sarkastischen Kommentare ich im Zuge der Diskussion mit den Partnerländern über diese Frage gehört habe. Sie haben gesagt: Kehrt doch erst einmal vor der eigenen Tür, vor einer ganz besonders. Auch darauf will ich an dieser Stelle einmal hinweisen. ({8}) Wer also mit dem Finger auf andere zeigt, muss wissen: Die Regeln des AKP-Abkommens mit der EU binden nicht nur die eine Seite, sondern alle Seiten. Auch das ist ein wichtiges Kriterium. Ich möchte dann darauf hinweisen, dass wir - das wird uns auf dem nächsten Ministerrat beschäftigen; danach wurde ja gefragt - in einer gemeinsamen Erklärung von Rat und Kommission eine übergreifende Konzeption für die gemeinschaftliche Entwicklungspolitik verabschieden werden. Ich denke, dass das Europäische Parlament daran entsprechend beteiligt sein muss. Wir begrüßen die Konzeption, die die EU-Kommission zu den neuen Zielsetzungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit vorgelegt hat; ich brauche die einzelnen Details hier nicht anzusprechen. Aber ich will für die Bundesregierung feststellen: Wir möchten, dass die Erklärung zur gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik der EU für alle Entwicklungsländer gelten soll, dass damit also ein Stück Kohärenz gegenüber anderen erreicht wird. Umwelt- und Ressourcenschutz, die Frage der Gleichstellung von Frauen, die Einhaltung der Menschenrechte, die Demokratieförderung und die Krisenprävention müssen Querschnittsthemen sein, wenn diese Neupositionierung der Europäischen Union erfolgt. Das Hauptziel muss doch sein, dass die Europäische Union ihre Rolle, die sie selbst im Sinne regionaler Zusammenarbeit spielt, so einbringt, dass auch andere regionale Strukturen auf der Welt unterstützt werden. Das, was die EU ausmacht, nämlich Frieden durch Zusammenarbeit zu sichern, Frieden durch wirtschaftliche Verflechtungen zu sichern, muss sie auch in anderen Regionen der Welt voranbringen. Dieser Punkt ist uns bei der gemeinsamen Erklärung wichtig. ({9}) Ich möchte zum Schluss noch ein paar praktische Punkte ansprechen. Wir begrüßen es, dass die EU-Kommission zukünftig ihre Verfahren vereinfachen will, dass sie die Umsetzung ab der Programmierungsphase in einer Hand zusammenfassen will. Aber ich sage ausdrücklich dazu: Ich halte wenig davon, dass die EU-Kommission jetzt versucht, sich eigene Durchführungsorganisationen zuzulegen. ({10}) Es gibt bereits entsprechende nationale Durchführungsorganisationen, die jederzeit dafür in Anspruch genommen werden können. Wir kommen unter Effizienzgesichtspunkten ein gutes Stück voran, wenn sich die Kommission auf ihre Kernaufgaben wie Politikformulierung, Programmierung und Bewertung konzentriert und die Durchführung weitgehend den nationalen Organisationen überlässt. ({11}) Diese Position vertrete ich auch. Ich weise aber darauf hin, dass es Mitgliedstaaten gibt - das wissen Sie -, die diese nationalen Durchführungsorganisationen nicht haben. Deren Unterstützung in dieser Frage ist vielleicht nicht ganz so stark, wie das zum Beispiel bei Großbritannien der Fall ist. Zum Schluss zu den Nichtregierungsorganisationen. Ich finde es wirklich schwer erträglich, was die EU-Kommission in diesem Bereich praktiziert. ({12}) Wir waren übrigens die Ersten - ich bitte, das anzuerkennen -, die in Europa Regierungen und Nichtregierungsorganisationen an einen Tisch gebracht haben: Die Bundesregierung hat während ihrer Ratspräsidentschaft hier in Berlin zu einem gemeinsamen Seminar geladen. Die EU-Kommission hat damals zugesichert, das werde zukünftig alles einfacher. Das ist nicht eingetreten. Ich werde nächste Woche auf einer Reise, bei der ich auch in Brüssel sein werde, ein Gespräch mit dem EU-Kommissar Poul Nielson führen und dabei eindrücklich darauf hinweisen, dass sowohl der Zugang von Nichtregierungsorganisationen als auch deren Antragsrechte schnell verbessert werden müssen. ({13}) - Ja, das wollte ich gerade sagen: In der Zwischenzeit beraten wir als Bundesregierung die Nichtregierungsorganisationen - was in unserem Bereich eigentlich gar nicht notwendig wäre -, damit sie es im Umgang mit der Kommission in Brüssel einfacher haben. Fazit: Lassen Sie uns die Kräfte bündeln, damit die EU-Politik in der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt wird. An die Adresse all derjenigen, die Sorge haben, der Außenpolitik könnte auf EU-Ebene künftig mehr Gewicht zukommen als der Entwicklungszusammenarbeit, sage ich: Je entschlossener wir in diesen Fragen auf die Partnerländer einwirken, die in diesem Bereich keine eigenen Strukturen haben und infolgedessen unseres nachdrücklichen Engagements bedürfen - dies ist vielleicht ein dezenter Hinweis an Herrn Günther -, umso eher werden wir es schaffen, das Gewicht der Entwicklungszusammenarbeit auf europäischer Ebene zu erhöhen. Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/3771 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - Drucksache 14/3764 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 14/4265 Berichterstattung: Abgeordnete Harald Friese Erwin Marschewski ({2}) Dr. Max Stadler Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Harald Friese, SPD-Fraktion.

Harald Friese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003125, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten und beschließen heute abschließend das Fünfzehnte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und wissen, dass damit keine grundsätzliche Revision des Bundeswahlgesetzes verbunden ist. Dafür gibt es auch keine Notwendigkeit, denn das Bundeswahlgesetz hat sich bewährt. Aber es gibt natürlich immer wieder neue Erkenntnisse der Rechtsprechung, veränderte Bedürfnisse der kommunalen Praxis und natürlich auch Wünsche zur Vereinfachung des Wahlrechts. Deshalb halten wir eine Novellierung für notwendig. Wir wissen zum Beispiel, dass die Städte und Gemeinden immer größere Schwierigkeiten haben, Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu finden. Auch die Parteien machen immer weniger Vorschläge für Wahlhelfer, die an einem Sonntag zur Verfügung stehen. Dies wundert uns, weil die Parteien eigentlich ein ureigenes Interesse daran haben, mit einem Mitglied in den Wahlvorständen vertreten zu sein, um so den Wahlvorgang und die Stimmauszählung mit kontrollieren zu können. Auf den ersten Blick erscheint unser Novellierungsvorschlag kontraproduktiv, denn wir wollen die Zahl der Mitglieder der Wahlvorstände auf sieben erhöhen. Wir versprechen uns davon, dass die Tätigkeit als Wahlhelfer dadurch attraktiver wird, denn so ermöglichen wir Schichtarbeit, um es einmal so auszudrücken. Wenn der Wahlhelfer weiß, dass er nicht mehr den ganzen Sonntag im Wahllokal sein muss, wird er vielleicht eher zur Mitarbeit bereit sein. Wir hoffen also, dadurch zusätzliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu gewinnen. Wir überlassen es aber den Gemeinden, ob sie von dieser MögBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul lichkeit, die Wahlvorstände zu erweitern, Gebrauch machen. Sie ist fakultativ. Die Änderung des § 9 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes entspricht einer seit langem erhobenen Forderung der Städte und Gemeinden. Gerade weil es immer schwieriger wird, Wahlhelfer zu gewinnen, müssen die Gemeinden verstärkt auf kommunale Bedienstete zurückgreifen, um die Wahlvorstände überhaupt noch ausreichend besetzen zu können. Die Sicherstellung der Durchführung einer Wahl kann aber nicht auf dem Rücken der kommunalen Bediensteten ausgetragen werden. Deshalb wollen wir alle öffentlich-rechtlichen Institutionen verpflichten, auf Ersuchen der Gemeinden Wahlhelfer zur Verfügung zu stellen. Uns erstaunt, dass diese Novellierung öffentlich kritisiert worden ist. So hat die stellvertretende Vorsitzende der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“, unsere Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion, dies heftig kritisiert. Sie hat festgestellt, der Wahlzettel sei kein Antrag, den man einem Behördenvertreter zur Abwicklung übergebe. Zwangsverpflichtung von Beamten sei der falsche Weg, beseelt von dem Irrglauben, der Staat könne von oben das Miteinander der Bürgerinnen und Bürger regeln und regulieren. Dass man durch eine solche Regelung schon fast die Demokratie in Gefahr sieht, wundert mich. Ich muss hier wirklich die Frage stellen, ob unsere Kollegin Dött überhaupt weiß, wovon sie redet. ({0}) Sie macht etwas sehr geschickt: Sie mobilisiert alle Vorbehalte gegen Beamte und Behördenvertreter. ({1}) Dazu sage ich: Das machen wir nicht mit, denn wir sind nicht bereit, zu akzeptieren, dass Beamte und Angehörige des öffentlichen Dienstes, die teilweise seit Jahrzehnten Wahlhelfer sind, in der Öffentlichkeit so diskreditiert werden. Im Gegenteil, wir sagen ihnen herzlichen Dank. ({2}) Ich wiederhole: Dieser Gesetzentwurf trägt dazu bei, die Gewinnung von Wahlhelfern zu erleichtern. Alle Bürger sind aufgerufen, sich als Wahlhelfer zur Verfügung zu stellen. Auch die Parteien sind aufgefordert, Vorschläge zu machen. Wenn es aber zu wenig Wahlhelfer gibt und deshalb die Wahldurchführung unmöglich wird, muss es die Ultima Ratio sein, Menschen zu verpflichten. Die Durchführung einer Bundestagswahl hat Vorrang vor der Freiwilligkeit bei der Verpflichtung eines Wahlhelfers. Wir entsprechen mit dem Gesetzentwurf einem weiteren Wunsch der Gemeinden, nämlich dem Wunsch nach der Errichtung einer Wahlhelferdatei. Hierzu gibt es keine datenschutzrechtlichen Bedenken, weil jemand, der Wahlhelfer ist und in die Datei aufgenommen wird, über sein Widerspruchsrecht informiert wird. Für den Deutschen Städtetag sage ich ausdrücklich: Die Verwendung des Plurals bei „Telefonnummern“ bedeutet, dass auch die Telefonnummer des Arbeitgebers oder Dienstherrn gespeichert werden kann. Weiterhin nehmen wir eine Anpassung des Wahlrechts an das Melderecht vor. Im Melderecht werden an eine erweiterte Melderegisterauskunft relativ hohe Anforderungen gestellt. Das Wählerverzeichnis enthält ebenso sensible Daten wie das Melderegister. Es liegt öffentlich aus und jedermann kann Einsicht nehmen. Das ist mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Bürgers nicht vereinbar. ({3}) Das heißt, in Zukunft werden wir eine Einsicht in das Wählerverzeichnis nur zulassen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit des Wählerverzeichnisses genannt werden können. Ich möchte noch zwei Punkte erwähnen, die das Verfahren der Kandidatenaufstellung betreffen. Bisher konnten Delegierte von einer Delegiertenversammlung 23 Monate nach der Bundestagswahl gewählt werden. Die Kandidatenaufstellung konnte erst 32 Monate danach erfolgen. Daraus ergab sich ein Abstand von neun Monaten. Die Delegierten konnten zwei Jahre vor der nächsten Wahl gewählt werden. Hier sehen wir die Gefahr, dass Delegierte gewählt werden, die zum Zeitpunkt der Aufstellung der Kandidaten nicht mehr die politische Meinung der Parteibasis bzw. der Mitglieder widerspiegeln. ({4}) Deshalb verlängern wir diese Frist - vom Wahltermin aus gerechnet verkürzen wir sie - auf 29 Monate, sodass Delegiertenwahl und Kandidatennominierung nur noch drei Monate auseinanderliegen und insgesamt nur noch eineinhalb Jahre vor der nächsten Wahl stattfinden. Zu dem Bereich der innerparteilichen Demokratie - das, was ich gerade genannt habe, gehört auch zu dem Komplex der innerparteilichen Demokratie -, der sich als Verfassungsauftrag unmittelbar aus Art. 21 des Grundgesetzes ableiten lässt, gehört auch die neue Vorschrift des § 21 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes. Danach hat jeder Teilnehmer an einer Nominierungskonferenz das Recht, einen Kandidaten bzw. eine Kandidatin vorzuschlagen. Der Kandidat - das bekommt er gesetzlich garantiert - hat das Recht, sich in angemessener Zeit persönlich vorstellen und sein Programm darlegen zu können. Meine Damen und Herren, es wäre reizvoll, der Frage nachzugehen, ob man dies im Parteiengesetz als Frage der inneren Ordnung der Parteien oder im Wahlrecht als Ausfluss des Wahlrechtes regeln müsste. Aber das Bundesverfassungsgericht hat es in einer unnachahmlichen Formulierung in seiner Entscheidung vom 20. Oktober 1993 wie folgt entschieden: Die Aufstellung der Wahlkandidaten bildet die Nahtstelle zwischen den von den Parteien autonom zu gestaltenden Angelegenheiten ihrer inneren Ordnung und dem auf die Wahlbürger bezogenen Wahlrecht. Das Bundesverfassungsgericht stellt weiter fest, dass die Wahl eines Kandidaten die Einhaltung eines Kernbestandes an Verfahrensgrundsätzen verlangt, ohne den ein Kandidatenvorschlag schlechterdings nicht Grundlage eines demokratischen Wahlvorganges sein kann. Halten also die Parteien diese elementaren Regeln nicht ein, so begründet dies die Gefahr der Verfälschung des demokratischen Charakters der Wahl bereits in ihren Grundlagen. Meine Damen und Herren, es ist kein Ruhmesblatt für die Parteien, dass wir gesetzlich regeln müssen, dass Delegierte oder Mitglieder einer Partei einen Kandidaten vorschlagen können und dass dem Kandidaten das Recht gegeben wird, sich und sein Programm in einer ausreichenden und angemessenen Zeit vorstellen zu können. Aber Sie kennen ja die Vorfälle aus den Jahren 1990 und 1991 in Hamburg. Ich glaube, es ist notwendig und richtig, dass wir manchmal auch solche Selbstverständlichkeiten regeln. ({5}) Die Neuregelung der Wahlkostenerstattung blieb bis zum Schluss kontrovers. In unserem Gesetzentwurf sind die Abschaffung der Gemeindegrößenklassen, die Spitzabrechnung von Kosten, die man exakt erfassen kann, und eine pauschalierte Zuweisung an die Länder zur Weitergabe an die Gemeinden vorgesehen. Die CDU-Fraktion wollte eine generelle Spitzabrechnung. Herr Marschewski, wir stimmen dem nicht zu, weil dies einen riesigen Verwaltungsaufwand bedeuten würde. Außerdem sind die entsprechenden Kosten nicht bis auf den letzten Pfennig spitz abzurechnen. Der Deutsche Städtetag tritt für eine Beibehaltung der Gemeindegrößenklassen ein. Darüber hätte man zwar sprechen können, aber wir wissen, dass der Bundesrat einer solchen Regelung nicht zugestimmt hätte. Daran wollten wir diese Novellierung nicht scheitern lassen. Das heißt, das jetzige Kombinationsmodell entspricht den Bedürfnissen der kommunalen Praxis. Wir wissen auch, dass die Wahlkosten in Großstädten höher sind als in kleinen Gemeinden. Die Länder haben aber die Möglichkeit, im Rahmen der Verteilung der ihnen pauschal für die Gemeinden zugewiesenen Gelder einen Schlüssel aufzustellen, der diejenigen Städte und Gemeinden, die höhere Wahlkosten aufweisen, entsprechend berücksichtigt. Damit ist auch das Petitum des Deutschen Städtetages erfüllt. Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Vielen Dank. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Erwin Marschewski.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigentlich guter Brauch in diesem Hause, Fragen des Wahlrechts gemeinsam zu regeln. Deswegen bin ich, meine Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition, ein wenig darüber enttäuscht, dass Sie von dieser eigentlich selbstverständlichen und guten Tradition abgewichen sind. Was hat Sie gehindert, in eine ergebnisoffene Beratung mit uns einzutreten? Dabei haben Sie schon selbst fast den Überblick über Ihren eigenen Gesetzentwurf verloren. Sie mussten ihn mit einem eigenen Antrag ein wenig nachbessern. Daher wiederum die herzliche Bitte an Sie: Kehren Sie bei den wichtigen Fragen des Wahlrechts zum Konsens zurück. Sie haben die Chance, dies bei der Neuordnung der Wahlkreise zu tun. Ich hoffe, dass wir im Sinne aller Kolleginnen und Kollegen gemeinsam zu einer vernünftigen Gesamtlösung kommen werden. Doch nun, Herr Kollege, komme ich zu den einzelnen Punkten. Der Wahlzettel ist für uns kein Antrag, den man einem Behördenvertreter zur Abwicklung übergibt. Meine Kollegin Marie-Luise Dött hat völlig Recht, wenn sie dies so formuliert. Man übergibt das nicht einfach dem Staat. Richtig ist, dass wir immer mehr Schwierigkeiten haben, Wahlhelfer zu gewinnen. Für eine Bundestagswahl - auch das sollte man einmal hier erwähnen braucht man sage und schreibe rund 600 000 Wahlhelfer. Ich nehme gern die Gelegenheit wahr, den Damen und Herren, die die langen Stunden in den Wahllokalen verbringen, hierfür ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen. ({0}) Es wäre natürlich sinnvoll, dieses Wahlhilfeengagement durch Förderung des Ehrenamtes zu unterstützen. Sie tun dies aber bedauerlicherweise nicht. Statt Bürger zu motivieren, Herr Friese, wollen Sie Beamte rekrutieren. Ein Kollege hat vorhin zu mir gesagt: Warum nehmen wir dann nicht gleich die Bundeswehr? Nein, das wollen wir nicht. Wahlen sind Angelegenheiten des gesamten Volkes. Die Wahlhelfertätigkeit gehört nicht nur in den Bereich des öffentlichen Dienstes. Ein Weiteres: Auch bei der Regelung der Kostenerstattung meine ich, dass Sie nicht ganz konsequent sind. Ich begrüße es, dass Sie auf der einen Seite eine spitze Abrechnung durchführen. Das ist richtig. Auf der anderen Seite pauschalieren Sie jedoch wieder und machen zwischen den großen und den kleinen Gemeinden keinen Unterschied, obwohl das Bundesverfassungsgericht gerade dies ausdrücklich gefordert hat. Wenn Sie sagen, die Länder haben jetzt die Möglichkeit, den Kommunen Erstattungsgelder zu gewähren, dann antworte ich Ihnen darauf: Ich kenne mein Land Nordrhein-Westfalen. Ich warte darauf, dass der MinisHarald Friese terpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Clement, meiner Gemeinde, der Stadt Recklinghausen, entsprechende Auslagen ersetzen wird. Ich glaube nicht, dass dies geschehen wird. Das bedeutet doch wiederum: Bundespolitik geht letzten Endes - auch Sie wissen das zulasten der Gemeinden. Ansonsten regelt Ihr Gesetzentwurf Selbstverständlichkeiten. Ich teile voll und ganz Ihre Auffassung, dass die Vertreterversammlungen näher an die Bundestagswahl heranrücken sollten. Wir brauchen selbstverständlich aktuelle Kandidaten. Wir brauchen eine aktuelle Diskussion des Programms. Es ist gut, dass dies so geregelt wird, wie wir es durch einen Gesetzentwurf schon vor vier Jahren geregelt haben. Auch die Erhöhung der Zahl der Beisitzer auf sieben ist eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die Idee, dadurch den Schichtbetrieb zu ermöglichen. Auch der Vorschlag - das steht ebenfalls im Gesetz -, die Wahlumschläge bei der Urnenwahl abzuschaffen, ist grandios. Sie sehen, das ist wirklich ein weltbewegender Vorschlag dieser Regierungskoalition. Aber auch das muss geregelt werden. Das ist wahr. Ich stimme Ihnen bei dem Vorschlag zu, das Recht, dass Mitglieder in der Vertreterversammlung Wahlvorschläge machen können, ausdrücklich aufzunehmen. Das stand bisher nicht im Gesetz. Es sollte ebenfalls klar sein, dass sie sich und ihr Programm vorstellen können. Ich habe bereits zu Beginn und auch im Innenausschuss das Verfahren ein wenig kritisiert. Wir haben - das haben Sie erwähnt, Herr Friese - durch zwei Anträge versucht, diese, so meinen wir, Fehler Ihres Entwurfs zu korrigieren. Noch lieber hätten wir über diese Dinge vorab im Konsens diskutiert. Wir hätten dann zum Beispiel vorgeschlagen, die Wahlteilnahme von über 500 000 im Ausland lebenden Deutschen zu erleichtern. Es gehen sehr wenig Deutsche, die im Ausland wohnen, zur Wahl. ({1}) Das liegt zum einen daran, dass Botschaften nicht immer hilfreich sind. Wir wissen dies durch Auslandsbesuche. Das ist so. Zum anderen ist auch das Verfahren außergewöhnlich kompliziert. Ich glaube, darüber sollten wir uns einmal unter fachkundigen Kollegen unterhalten. Auch einen zweiten Punkt hätten wir gerne vorgeschlagen. Ich meine, dass es nun endlich Zeit ist, die Bundestagswahlperiode auf fünf Jahre zu verlängern. Es ist doch die Praxis: Kaum sind wir gewählt, bereiten wir uns schon wieder auf den nächsten Bundestagswahlkampf vor. Wir haben zu wenig Zeit - aufgrund von Wahlkreisänderungen und was weiß ich nicht alles -, uns auf effektive und sachorientierte Arbeit zu stürzen; dafür bleibt zu wenig Zeit. ({2}) Wie gesagt: Das alles macht nur Sinn, wenn wir es nicht im Alleingang, sondern im Gespräch behandeln. Hierzu bieten wir selbstverständlich unsere Mitarbeit an. Meine Damen und Herren der SPD, wir kritisieren zwar die Form und müssen auch zwei Ihrer Vorschläge ablehnen, aber wir machen ein Angebot zur Zusammenarbeit: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf insgesamt zu. Herzlichen Dank. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für das Bündnis 90/Die Grünen erteile ich dem Kollegen Cem Özdemir das Wort.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema eignet sich wahrlich nicht zum Streit der Parteien und der Fraktionen. Ich begrüße es, dass die Union dem Entwurf der Bundesregierung zustimmen möchte. Ich will die Anregung, die Kollege Marschewski auch im Innenausschuss gegeben hat, über dieses Thema künftig gemeinsam mit den Fraktionen zu sprechen, gerne aufgreifen und Ihnen zusagen, dass wir das machen. Das sollte man wirklich tun. Ich will aber eines noch einmal sagen - Herr Marschewski, Sie haben die Wahlkreisneueinteilungen angesprochen -: Ich erinnere mich noch sehr präzise daran, dass die Wahlkreisneueinteilungen mit Mehrheit von der alten Koalition gegen die Opposition verabschiedet wurden. Es gibt einige Willkürentscheidungen - Sie wissen das -, mit denen wir uns demnächst beschäftigen werden. Sie sollten also den Anspruch, den Sie an uns gerichtet haben, auch selber erfüllen, damit Sie glaubwürdig sind. Was die Frage der Verlängerung der Legislaturperiode angeht: - Auch darüber kann man sicherlich reden. Ich weiß, dass es dazu in Ihrer Fraktion unterschiedliche Positionen gibt. Ich finde den Vorschlag dann erwägenswert, wenn man ihn mit der Stärkung von Elementen der direkten Demokratie verbindet. Denn wir dürfen auf der einen Seite den Abstand zu den Wahlen nicht noch mehr vergrößern und geben den Bürgerinnen und Bürgern auf der anderen Seite nicht die Möglichkeit, auch zwischen den Wahlen mitzuentscheiden. Deshalb sagen wir Ja zu fünf Jahren Legislaturperiode, wenn wir auf der anderen Seite in unsere Gesellschaft Elemente der direkten Demokratie einführen. ({0}) Ich möchte zum Gesetz kommen. Das Gesetz - das hat Kollege Friese beschrieben - regelt die Harmonisierung des Wahlrechts mit dem Melderecht und andere wichtige praktische Probleme bei der Durchführung von Bundestags- und Europawahlen. Bedeutsam ist - darauf wurde bereits hingewiesen - die Abschaffung der öffentlichen Auslegung von Wählerverzeichnissen, § 17 des Bundeswahlgesetzes. Das ist auch für alle Datenschützer in unserem Land ein wichtiger Fortschritt. Die Einsicht in die Akten soll künftig nur noch unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Ich finde das notwendig, weil bisher sogar das Geburtsdatum von jedem Mann und jeder Frau einsehbar war; es war praktisch gleichbedeutend mit einem Auszug aus dem Melderegister. Erwin Marschewski ({1}) Die bisherige Rechtslage hat dazu geführt, dass die Daten gefährdeter Personen offen lagen. Die bisher bestehende Regelung, im Melderecht für gefährdete Personen einen Sperrvermerk vorzusehen, lief bisher ins Leere. Die notwendige Schutzwirkung wurde durch die offen gelegten Wählerverzeichnisse unterlaufen. Einen weiteren wichtigen Punkt regelt der neue § 21 Bundeswahlgesetz. Jeder stimmberechtigte Teilnehmer einer Parteivertreterversammlung kann bei der Kandidatenaufstellung Wahlvorschläge unterbreiten. Das gab es bisher nicht; Sie haben alle darauf hingewiesen. Für uns demokratische Parteien ist das eine Selbstverständlichkeit, aber leider, wie wir auch erfahren haben, nicht für alle Parteien. Genauso neu ist der Anspruch jedes Kandidaten, sich und sein Programm der Versammlung vorzustellen. Als ich das im Gesetzentwurf gelesen habe, musste ich erst einmal schmunzeln, um mir erklären zu lassen, dass auch dieses - eigentlich eine verfassungsmäßig selbstverständliche Angelegenheit - nicht für alle selbstverständlich war. Bei Bündnis 90/ Die Grünen, in meiner Partei, und sicherlich auch in den anderen Parteien ist dieses selbstverständlich. Es ist gut, dass es jetzt vorgeschrieben wird. Die Gemeindebehörden sind künftig berechtigt, personenbezogene Daten zum Zwecke der Gewinnung von Wahlvorständen zu erheben. Als eine Partei, die sich dem Datenschutz verpflichtet weiß, haben wir auch dieses mit den Datenschützern sorgfältig geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass man mit dieser Regelung nicht nur gut leben kann, sondern dass sie auch sinnvoll ist. Es hat keinen Zweck, Gesetze zu machen, die vor Ort schlicht nicht praktikabel sind. Die Speicherung von Anschriften und Telefonnummern der Wahlvorstände entspricht einer dringenden Bitte des Deutschen Städtetages. Dieser Bitte sind wir selbstverständlich nachgekommen; denn die Kommunen haben Schwierigkeiten, die Wahlvorstände kurzfristig aufzutreiben. Ich möchte zum Schluss den Appell, den Kollege Marschewski und auch Kollege Friese bereits gemacht haben, auch noch einmal von meiner Fraktion aus wiederholen: Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern, die in die Wahlvorstände gehen, herzlich dafür danken, dass sie dieses machen. Sie machen das ohne viel Aufhebens seit Jahr und Tag. Wir kennen alle die vertrauten Gesichter, wenn wir in die Wahllokale gehen; meistens sehen wir dort dieselben Menschen wieder, die mit einem freundlichen Lächeln ihrer demokratischen Pflicht nachgehen. All diesen Bürgerinnen und Bürgern gebührt unser herzlicher Dank. Im möchte bei dieser Gelegenheit aber auch an andere appellieren, sich zu dieser Aufgabe bereit zu erklären. - Das macht es auch für die Kommunen einfacher, Wahlen zu organisieren. Ich empfehle daher namens meiner Fraktion die Annahme dieses Gesetzentwurfes. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Dr. Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Schock, den der CDU-Spendenskandal ausgelöst hat, hat im Frühjahr dieses Jahres eine Diskussion über die Krise des Parteienstaates eingesetzt, und nahezu alle Parteien haben versucht, neue Antworten auf die Frage, wie denn die Mitbestimmungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in unserer Demokratie entscheidend verbessert werden können, zu formulieren. Wenn man vor dem Hintergrund dieser öffentlichen Debatte heute jemanden, der politisch interessiert ist, aber den Inhalt dieses Gesetzentwurfs nicht zur Kenntnis genommen hat, fragen würde, worüber denn der Deutsche Bundestag vermutlich diskutieren würde, wenn eine Änderung des Wahlrechts anstünde, käme wohl niemand auf die Idee zu antworten, es gehe um die Abschaffung des Umschlags für den Wahlschein, Auslegungsfristen, das Recht eines Kandidaten, sich mit seinem Programm seinen Parteifreunden vorstellen zu können, und Ähnliches. Ich muss schon sagen: Das, was Sie hier vorlegen, ist reine Technik. Dagegen ist ja nichts zu sagen, die meisten Vorschläge sind durchaus sinnvoll, lohnen aber keine nähere Auseinandersetzung hier im Plenum. Trotz all der Mühe und Akribie, die die verehrten Vorredner aufgewandt haben, gelingt es einfach nicht, diesem Gesetz irgendeine Bedeutungsschwere zu verleihen. Die eigentlichen Probleme des Wahlrechts gehen Sie nämlich nicht an. Als ein solches sehe ich zum Beispiel die Frage, wie wir auf die Erkenntnisse der jüngsten Shell-Studie, die einen drastischen Rückgang des Interesses junger Menschen an der Politik dokumentiert, wie wir auf die Erkenntnisse einer Emnid-Umfrage, wonach nur noch 30 Prozent der Bevölkerung großes Vertrauen in die Demokratie haben, und wie wir auf den Umstand antworten sollten, dass das, was an Vertrauensverlust besteht, eben nicht nur in einem Untersuchungsausschuss über Parteispenden aufgearbeitet werden kann, sondern auch Antworten erfordert, die mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger vorsehen. Das beginnt mit halboffenen Listen, bei denen - ähnlich dem Wahlrecht für manche Landtage - es möglich ist, nicht nur eine Partei, sondern auch eine Person direkt zu wählen und somit mehr Einfluss auf die personelle Besetzung zum Beispiel des Bundestages zu nehmen. Eine solche Regelung gibt es im Bundeswahlrecht nicht. Das bedeutet, dass man über die Einführung von Elementen direkter Demokratie, über die Ausdehnung von Bürgerbefragungen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheidungen, nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene nicht nur diskutieren dürfte, sondern auch Entscheidungen fällen müsste, so wie das die F.D.P. auf ihrem Nürnberger Parteitag im Mai beschlossen hat. ({0}) Zu all dem hören wir von der Koalition nichts und das ist auch verständlich. Sie legen uns ein Bürokratengesetz zur Abstimmung vor, da Sie sich in der Koalition leider wieder einmal nicht einig sind. ({1}) Die Grünen haben sich als Ankündigungsspezialisten erwiesen, die es immerhin geschafft haben, in die Koalitionsvereinbarung folgenden Satz hineinzubringen: Wir wollen die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken. Dazu wollen wir auch auf Bundesebene Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid durch Änderung des Grundgesetzes einführen. Das Ergebnis ist gleich null. Lieber Kollege Özdemir, nur meine ablaufende Redezeit hindert mich daran, aus meinem Archiv vorzulesen, was von Ihnen zu diesem Thema noch alles gefordert worden ist, aber nicht verwirklicht wird. ({2}) Stattdessen muss ich die letzten Sekunden meiner Rede auf die Union verwenden, denn auch dort stellen wir Uneinigkeit fest. Während neuerdings Erwin Huber, Staatsminister in München und Leiter der Staatskanzlei, sehr wohl für den Volksentscheid auf Bundesebene eintritt, ist die CDU noch lange nicht so weit, obwohl doch gerade die CDU durch ihr Verhalten dazu beigetragen hat, dass diese Diskussion ausgelöst worden ist und diese Antworten bezüglich mehr Bürgerbeteiligung jetzt gegeben werden müssten. Daher wäre es wünschenswert, wenn in der CDU ein Umdenken stattfände. Wir brauchen für eine Verfassungsänderung nämlich eine Zweidrittelmehrheit. Dem, was Sie heute vorgelegt haben, stimmen wir zu. Es nützt zwar nicht viel. Es verdirbt aber auch nichts. Allerdings bleiben Sie die Antwort auf die wirklichen Fragen noch schuldig. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt spricht die Kollegin Petra Pau für die PDS-Fraktion.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine wahrhaft historische Stunde: Wir schaffen den Wahlumschlag ab. Das ist ein ökologisches Reformprojekt, aber auch ein gesundheitspolitisches. Denken wir nur an die arbeitsschutzrelevanten Aspekte sowohl für Wählerinnen und Wähler als auch für diejenigen, die diese Umschläge öffnen und die Wahlzettel unversehrt herausholen müssen. ({0}) Dann ist da auch noch die demokratische Selbstverständlichkeit - die Kollegen haben schon darauf hingewiesen -, dass Kandidatinnen und Kandidaten, bevor sie es denn werden, möglichst noch sagen, wer sie sind und wie sie ihr Mandat nutzen wollen. Aber im Ernst. Ich hatte, nachdem sich die Koalition für dieses Gesetz so viel Zeit genommen hat, wirklich gehofft, dass sie ihre Ankündigung vom 9. September 1999, als sie über die Vorschläge der PDS zum Wahlgesetz mit uns debattiert und abgestimmt hat, wahr macht und sich nochmals mit der Herabsetzung des Wahlalters beschäftigt, dass wir in diesem Zusammenhang vielleicht auch über die längst fällige Reform des Wahlrechts für Ausländer und Ausländerinnen reden, dass wir Elemente der Volksgesetzgebung ernsthaft debattieren und in das Gesetz aufnehmen oder aber die Beispiele, die der Kollege Stadler eben genannt hat, mit den halboffenen Listen, also die Möglichkeit, zu panaschieren und zu kumulieren, ernsthaft prüfen und in das Wahlgesetz aufnehmen. Nichts von alledem ist passiert. Sie haben versucht, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Nun kann man sich - wie die Kollegen vor mir schon betonten - all diesen Dingen nicht verschließen. Ich möchte dem Staatssekretär mitteilen, dass ich, seinem Hinweis aus der Ausschusssitzung folgend, noch einmal die Fristen zur Einberufung der Versammlung der Vertreter und Vertreterinnen und zur Bestimmung der Delegierten geprüft habe. Es ist richtig; Sie haben dieses geheilt. Ich werde meiner Fraktion deshalb empfehlen, diesen Gesetzentwurf nicht abzulehnen, sondern sich der Stimme zu enthalten ({1}) eine neue Variante, Herr Kollege Marschewski -; denn das Problem ist zwar in diesem Gesetz geheilt. Aber ich sage voraus: Spätestens dann, wenn wir uns mit dem Wahlkreisgesetz beschäftigen, werden wir wieder vor dieser Frage stehen. Mir ist noch unklar, wie dieses Problem für die Wahl des 15. Deutschen Bundestages gelöst werden soll, ohne in die Rechte von Mitgliedern der Parteien, aber auch in die Rechte von Kandidatinnen und Kandidaten einzugreifen. Da Sie das nicht aufklären konnten, machen wir auf diese Art und Weise darauf aufmerksam, dass hier noch ein Widerspruch besteht. Danke schön. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, Drucksachen 14/3764 und 14/4265. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS und Zustimmung der übrigen Fraktionen des Deutschen Bundestages ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der PDS und Zustimmung der übrigen Fraktionen ist der Gesetzentwurf angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Gesetzliche Mitspracherechte bei Unternehmensübernahmen - Drucksache 14/3394 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat die Kollegin Ulla Lötzer, PDS-Fraktion, das Wort.

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur sieben Monate nach der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone haben sich die schlimmsten Befürchtungen, die IG Metall, Beschäftigte und auch wir damals geäußert haben, bewahrheitet. In Rekordzeit wird der Konzern mit 131 000 Beschäftigten zerschlagen. Alles wird verkauft. Schließlich muss das Geld für die Übernahme - das war eine Riesensumme irgendwie zusammengebracht werden. Keines der Versprechen, die Chris Gent damals gegenüber den Beschäftigten und der Gewerkschaft gemacht hatte, ist bisher eingehalten worden. Diese Erfahrungen machen deutlich, was es wert ist, wenn das Recht von Beschäftigten in solchen Prozessen darauf beschränkt ist, Versprechen zu glauben. In verschiedenen Debatten wurde uns vorgeworfen, Ängste vor Fusionen zu schüren. Erfahrungen wie diese im Zusammenhang mit Mannesmann/Vodafone schüren Ängste. Die Ängste der Menschen sind real, weil viele ihre Zukunftsperspektive verlieren. Wir gehen mit unserem Antrag gegen diese Ängste an. Um zukünftig keine Ängste mehr haben zu müssen, brauchen Beschäftigte Rechte, die ihnen helfen, solche Prozesse zu gestalten und ihre Zukunftsperspektiven aktiv zu sichern, und die dazu beitragen, dass sie - das vertritt auch die Bundesregierung ständig - in solchen Prozessen nicht untergehen. Das steht im Mittelpunkt unseres Antrags, nicht etwa das Schlagen von alten Schlachten oder Strukturkonservatismus. Im Gegenteil: In unserem Antrag entwickeln wir eine Vorwärtsstrategie, mit der sich die soziale Demokratie, die sich im Strukturwandel befindet, erneuern lässt. Wenn Sie das als Schlagen von alten Schlachten verstehen, dann erklären Sie die Auseinandersetzung um die Erneuerung der sozialen Demokratie zu einer alten Schlacht und damit auch soziale Demokratie selbst zu einem Auslaufmodell. Der Meinung sind wir allerdings nicht. Auch die Bundesregierung hat sich mehrfach in Reden und mit der Bildung einer Kommission, die ein Übernahmegesetz erarbeiten soll, zur Verbesserung der Mitbestimmung von Beschäftigten bekannt. Im Entwurf des Finanzministeriums ist davon leider nicht viel übrig geblieben. Mehr als eine Pflicht zur Unterrichtung über die Folgen einer Übernahme und ihre Auswirkungen ist nicht vorgesehen. Ich frage Sie daher: Welche Rechte haben die Beschäftigten denn, wenn sie unterrichtet sind? Chris Gent hat die Beschäftigten unterrichtet, zum Beispiel darüber, dass Atec an die Börse geht. Keine drei Monate später waren die Atec-Maschinenbau- und Atec-Autozuliefertöchter verkauft. Mitbestimmung bedeutet Mitentscheidung. Sie kann nicht bei Unterrichtung stehen bleiben, wie Sie das in Ihrem Entwurf tun. Deshalb fordern wir Sie auf, Ihren Entwurf eines Übernahmegesetzes um die Verpflichtung zu einem Fusionstarifvertrag und ein Vetorecht von Beschäftigten, Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten zu ergänzen. Im neuesten Weltinvestitionsbericht stellt die UNCTAD fest: Die Erfahrungen, die bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone gemacht worden sind, sind kein Einzelfall. Fusionen und Übernahmen sind in der Regel mit Beschäftigungsverlusten verbunden. Sie machen inzwischen 83 Prozent der Direktinvestitionen aus. Die UNCTAD setzt sich im Gegensatz zur Bundesregierung sehr kritisch mit diesem Strukturwandel auseinander, und zwar kritisch in Bezug auf die zunehmende Konzentration und Macht der Global Player, kritisch auch deshalb, weil die Entwicklungsländer dadurch noch stärker zurückfallen. Ihr Anteil an den Direktinvestitionen ist von 38 Prozent auf 24 Prozent gesunken. Selbst in den Entwicklungsländern überwiegt inzwischen die Anzahl der Übernahmen, durch die keine neuen Fertigungskapazitäten und Arbeitsplätze entstehen. Der Generalsekretär der UNCTAD fordert internationale Regeln. Wir können uns dem nur nachdrücklich anschließen. Wir fordern Sie deshalb in unserem Antrag - das ist ein erster Schritt auch auf, Vorschläge für eine internationale Fusionskontrolle vorzulegen. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort die Kollegin Nina Hauer für die SPD-Fraktion.

Nina Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003139, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich das Verdienst Ihres Antrages, dass er zwei Anliegen anspricht, die die Öffentlichkeit bewegen, wenn es um die Diskussion der Regelung für Übernahmen und Fusionen in Deutschland geht. Das Erste sind die Interessen der Beschäftigten, und das Zweite ist die Idee, Übernahmen und Fusionen gesetzlich zu regeln. Ich finde, dass ihr Antrag zu sehr auf der Ebene der Vorurteile agiert und widersprüchlich verfasst ist. Mein Eindruck ist, dass Sie den Leuten ideologisch motiviert eher Angst machen wollen, als dass Sie einen konstruktiven Beitrag zur derzeitigen Debatte über die Regelung der Übernahmerichtlinie in Deutschland leisten. ({0}) Vizepräsidentin Anke Fuchs Die SPD-Fraktion unterstützt den von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg, um mit der europäischen Richtlinie eine Gesetzgebung auf den Weg zu bringen, die verbindlich regelt, was bei Übernahmen zu geschehen hat. Dass es unumgänglich ist, dass Unternehmen miteinander fusionieren und dass börsennotierte Unternehmen übernommen werden, können Sie nicht mehr in Abrede stellen. Für ein tragfähiges Gesetz brauchen wir allerdings eine breitere Debatte. Wir lehnen Ihren Antrag heute ab, weil wir glauben, dass wir in Deutschland Zeit für diese Debatte benötigen. Wir müssen diese Diskussion nicht nur auf politischer Ebene im Bundestag führen, wir müssen diese Diskussion mit Experten führen und wir müssen die Diskussion mit denjenigen führen, die Erfahrungen im Bereich der Übernahme haben. ({1}) Uns liegt besonders daran, dass bei der neuen Richtlinie vor allem die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden. Deshalb begrüßen wir, dass dieser Ansatz im Entwurf vorliegt. Hier ist vorgesehen, dass es eine Informationspflicht gegenüber den Arbeitnehmern gibt und dass es eine Pflicht zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage gibt, die nicht nur allgemein verständlich, sondern in deutscher Sprache den Arbeitnehmern, aber auch den Anlegern zugänglich sein soll. Das Zielunternehmen muss in seiner eigenen Stellungnahme auch den Standpunkt der Arbeitnehmervertretung darlegen. Im Übernahmerat, der für die Übernahmerichtlinie zuständig sein wird, sollen auch die Arbeitnehmer und die Kleinanleger vertreten sein. ({2}) Wir denken, dass das nicht das Einzige ist, was die Beschäftigteninteressen sichert. Mich ärgert es, dass Sie so tun, als ob Übernahmen immer zwangsläufig zum Nachteil für die Beschäftigten sind. Sie vergessen, dass es Unternehmen gibt, die von Übernahmen betroffen sind, weil sie hinter ihren Möglichkeiten wirtschaften. Sie arbeiten zum Nachteil ihrer Arbeitnehmer, aber auch zum Nachteil der Beschäftigungsentwicklung in diesen Unternehmen und der gesamten Branche insgesamt. Übernahmen enden nicht damit, dass Unternehmen, die übernommen werden, also die ehemaligen Konkurrenten, zerschlagen werden. Übernahmen verhindern oft das Sterben eines Konkurrenten oder verhindern, dass der Konkurrent auch aus anderen Gründen am Wettbewerb nicht mehr teilnehmen kann. All das kostet Arbeitsplätze. ({3}) In den USA gab es in den 80er-Jahren eine Welle der Umstrukturierung. Diese Welle ist langsam abgeebbt. Jetzt gibt es wesentlich weniger Übernahmen innerhalb der Vereinigten Staaten. In Europa hat diese Welle Anfang der 90er-Jahre begonnen. Mit Mannesmann/Vodafone gab es Ende der 90er-Jahre den spektakulärsten Fall und den ersten Fall, der in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurde. In Ihrem Antrag nennen Sie bestimmte Branchen, die für Unternehmensübernahmen besonders anfällig sind. Bei der Aufzählung dieser Branchen gebe ich Ihnen völlig Recht. Ich will Ihnen an zwei Beispielen demonstrieren, dass es sich bei Übernahmen oft um Umstrukturierungsprozesse handelt, die für Unternehmen dringend notwendig sind, um konkurrenzfähig zu bleiben und um entstehende Märkte auszuschöpfen. Das erste Beispiel stammt aus der Luft- und Raumfahrttechnik. Dies ist ein Bereich, in dem die Entwicklungszeiten besonders lang und die Entwicklungskosten besonders hoch sind. Hier ist es sinnvoll, dass Nationalstaaten die Entwicklung nicht mit einem kleinen Budget bestreiten. Es ist sinnvoll, international zu kooperieren. Das ist für den Transfer des technischen Know-how unumgänglich. Die internationale Kooperation steigert auch die Zahl der Übernahmen in dieser Branche. Das zweite Beispiel stammt aus dem Bereich Telekommunikation und Energie. Wir diskutieren hier - in der Vergangenheit ist schon vieles entschieden worden die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes und des Energiemarktes. Die Verbraucher finden die sinkenden Preise positiv. Es hat viele neue Arbeitsplätze in diesem Bereich gegeben, weil sich große Monopolmarktbeherrscher mit vielen Konkurrenten auseinander setzen müssen. Fusionen sind eine Reaktion auf diese Marktliberalisierung und auf wachsenden Konkurrenzdruck. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Fusionen stattfinden können und auch nach bestimmten Regeln stattfinden. Wir dürfen sie nicht verhindern, denn dann würden wir positive Entwicklungen im liberalisierten Markt behindern und damit letztendlich auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze gefährden. Natürlich sind Übernahmen auch darauf gerichtet, eine Marktdominanz zu erreichen und den Markt zu beherrschen. Das steht außer Frage. Die Europäische Union führt eine strenge Kartellkontrolle durch, die viele Übernahmekandidaten, übrigens auch die Mannesmann AG, dazu zwingt, sich nach einer Fusion von bestimmten Bereichen zu trennen, und zwar nicht nur deswegen, weil sie ökonomisch nicht mehr zum Kerngeschäft gehören, sondern auch deshalb, weil es kartellrechtlich nicht zu verantworten wäre, wenn sie in der Hand eines einzigen Unternehmens verblieben. Auch das führt dazu, dass sich neue Bereiche entwickeln und dass Arbeitsplätze geschaffen werden. Es führt übrigens auch dazu, dass der Markt nicht einseitig dominiert werden kann. Ich gebe Ihnen völlig Recht, dass es da Probleme gibt. Das ist ja auch der Grund, warum die nationalen Kartellbehörden und die Kartellaufsicht der Europäischen Union immens wichtig sind. Dass es für Unternehmen nötig und wichtig ist, sich von Bereichen zu trennen, hat natürlich auch steuerliche Gründe. Das von uns im Rahmen der Steuerreform eingeführte, von Ihnen aber angegriffene Halbeinkünfteverfahren verfolgt auch den Zweck, es den Unternehmen zu ermöglichen, sich von Beteiligungen zu trennen und Rückstellungen aufzudecken, sodass diese kleinen Unternehmungen, um die es sich ja in der Regel handelt, nicht sterben müssen. Dies ist gerade für die Beschäftigten wichtig. Wenn es sich für ein Unternehmen nicht mehr lohnt, einen kleinen Unternehmensteil zu behalten, kann es ihn wegdrücken. Die Beschäftigten aber verlieren ihre Arbeitsplätze. Wenn Konzerne sich leichter von kleinen Beteiligungen trennen können, dann besteht auch die Möglichkeit, dass diese Arbeitsplätze erhalten bleiben. Nicht nur in meinem Wahlkreis gibt es dafür eine Reihe ganz beeindruckender Beispiele. Sie beklagen diese mögliche Marktbeherrschung, verweigern sich allerdings jedem Ausweg. Mich erstaunt ehrlich gesagt schon ein bisschen, dass ausgerechnet die PDS hier antritt, um die Eigentumsstruktur der alten „Deutschland AG“ aufrechtzuerhalten. Eine Untersuchung besagt, dass von den 20 größten börsennotierten Unternehmen der USA 3,2 Prozent Querverflechtungen und Querbesitz haben, während es in Deutschland 20 Prozent sind. Um genau diesem Tatbestand entgegenzutreten, brauchen wir nicht nur eine geregelte Aufsicht über Übernahmen, sondern auch die Ergebnisse, die die Steuerreform in diesem Bereich zeitigen wird. Sie wollen - das ist auch Teil Ihres Antrags - das Barangebot mit aller Gewalt in die Übernahmerichtlinie hineinbringen. Wenn für jede Übernahme automatisch ein Barangebot gemacht werden muss, dann wird die Old Economy, die alten großen Industrien, an den Übernahmen beteiligt sein; die New Economy, die kleinen, wendigen Unternehmen, die neu am Markt antreten, wird hingegen keine Chance haben. Diese Unternehmen werden nicht nur das Vermögen nicht aufbringen können, um ein Barangebot zu leisten, sie werden realistischerweise dafür auch kaum bei irgendeiner Bank einen Kredit bekommen. Übrigens sind auch die Beschäftigten immer häufiger Aktionäre, und zwar nicht nur als Fondssparer, wie es bei vielen Familien in Deutschland mittlerweile der Fall ist, sondern auch als private Kleinanleger oder sogar als Aktionäre des Unternehmens, in dem sie arbeiten. Amerikanische Pensionsfonds haben Klaus Esser bei der Diskussion um Vodafone und Mannesmann Tipps gegeben. Sie kontrollieren Fondsvermögen, in denen sie für ihre Gewerkschaftsmitglieder Altersvorsorgemittel angelegt haben, und sitzen heute schon mit mehreren Prozent Beteiligung bei den Unternehmensübernahmen am Tisch. Wir müssen in Deutschland die Voraussetzungen für eine Aktienkultur schaffen, die auch den Gewerkschaften an die Hand gegeben werden kann - vielfach müssen sie sich diese nur nehmen -, und zwar in der Weise, dass die Mitbestimmung auch in diesem Bereich deutlich ausgebaut wird. Das hat für Übernahmekandidaten, aber auch für Übernahmen, die dann zu regeln sind, eine große Bedeutung. Wenn ich über die Gewerkschaften und ihre Möglichkeiten des Aktienbesitzes rede, dann denke ich natürlich immer auch an kleinere Anleger. An die ist im Diskussionsentwurf der Bundesregierung für die Übernahmerichtlinie ebenfalls gedacht worden. Anleger benötigen nicht nur Information und Transparenz, sondern auch das Recht, die Kursentwicklungen zunächst zu beobachten. Innerhalb einer bestimmten Frist müssen auch sie widerrufen bzw. korrigieren dürfen. Spätestens seit der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone wissen wir, dass kurzfristiges Handeln gewährleistet sein muss, weil sich in kurzer Zeit eine Menge ändern kann. Wir befinden uns in Deutschland am Beginn einer neuen Aktienkultur, aber auch am Beginn eines Umstrukturierungsprozesses in unserer Wirtschaft. Wir wollen diese Strukturveränderungen aktiv begleiten und gestalten, weil wir es für eine Aufgabe der Politik halten, unserer Wirtschaft dabei zur Seite zu stehen, weil es für uns Sozialdemokraten aber auch eine wichtige Aufgabe ist, den Beschäftigten in diesem Prozess beizustehen. Unser Richtlinienentwurf enthält daher folgende Punkte, auf die es uns besonders ankommt: Eine Übernahmerichtlinie muss gesetzlich verankert werden. Ein freiwilliger Kodex mag für viele eine psychologische Wirkung haben. Eine gesetzliche Regelung ist dadurch nicht zu ersetzen. Wir wollen, dass bei 30 Prozent Inbesitznahme ein Pflichtangebot ausgelöst wird; 50 Prozent wäre zu viel. Auf Hauptversammlungen anwesende Aktionäre, die 30 Prozent der Aktien halten, haben dort in der Regel die Stimmenmehrheit. Wir wollen Informationspflicht und Transparenz für Beschäftigte und Aktionäre. Wir wollen ein klares, geordnetes und gesetzlich festgeschriebenes Verfahren, an dem sich alle Beteiligten orientieren können. Wir wollen eine wirksame Aufsicht im Übernahmerat durch Experten aus der Wirtschaft und der Politik, aber natürlich auch durch Vertreter der Arbeitnehmer und der Anleger. Außerdem wollen wir für dieses Gesetz Sanktionsmöglichkeiten; sonst macht eine gesetzliche Regelung keinen Sinn. Wir sind optimistisch, dass wir eine gute Regelung finden werden. Wir sind auf diesen Prozess gespannt, der mit dem Diskussionsentwurf der Bundesregierung jetzt losgetreten wird. Die SPD-Fraktion begleitet und gestaltet diesen Prozess aktiv. Wir fordern alle anderen Parteien auf, daran konstruktiv teilzunehmen. Vielen Dank. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Der Kollege Dr. Kolb gibt seine Rede zu Protokoll. Dasselbe gilt für die Kolle- gin Margareta Wolf.1) Deswegen hat als Letzter in dieser Debatte der Kollege Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Technik und Po- litik verändern die Welt. Die Märkte wachsen zusammen und die Unternehmen müssen darauf reagieren. Sie tun es zum Teil durch eigenes Wachstum und durch Investitio- nen in neue Märkte, zum Teil durch Übernahmen und Fu- sionen. In einer sich so grundsätzlich verändernden Welt finden diese Übernahmen und Fusionen immer häufiger statt. Das alles ist ganz normal. 1) Anlage 3 Es ist auch nichts Besonderes, dass sich die Politik in dieser Situation Gedanken darüber macht, wie sie den Prozess von Fusionen und Übernahmen vernünftig begleiten kann und wie sie für diesen Prozess ein Regelwerk schaffen kann, das Überbürokratisierung vermeidet, aber gleichzeitig zielsicher ist und die Vorgänge planbar, nachvollziehbar und transparent macht. Deswegen begrüßen wir ein Übernahmegesetz ausdrücklich. Das, was von den Experten im Kanzleramt bisher erarbeitet worden ist, enthält eine Menge akzeptabler Punkte. Ich glaube, dass die Debatte über dieses Gesetz ziemlich ideologiefrei ablaufen kann - bis auf den Antrag, den wir gerade beraten. Auf ihn will ich aber gar nicht so intensiv eingehen. Unsere Auffassungen liegen in dieser Angelegenheit sehr nahe beieinander. Man könnte einmal einen Wettbewerb über die Frage veranstalten, wie wir zielgenauer das erreichen, was wir gemeinsam wollen. Frau Kollegin, ich habe in Ihrer Rede eigentlich keine grundsätzlichen Unterschiede erkennen können. Es gibt Nuancen, über die man noch einmal sprechen kann. Man muss über die Fristen nachdenken. Für uns ist zum Beispiel die Frage, ob sich das Unternehmen noch wehren können soll, die so genannte Neutralitätspflicht, sehr wichtig. Ich weiß, dass Vertreter einer strengen Ordnungspolitik sagen, man dürfe ohne Hauptversammlung überhaupt nichts tun. Ich halte das nicht für sehr intelligent. Ich bin der Meinung, wir müssten den Unternehmen die Möglichkeit einräumen, dass ihre Eigentümer durch Verankerung in der Satzung oder in Form von Grundsatzbeschlüssen festlegen können: „Im Falle einer feindlichen Übernahme sollen Vorstand und Aufsichtsrat Folgendes tun dürfen: …“ Das wäre vielleicht praktikabler, als jedes Mal eine Hauptversammlung abhalten zu müssen, die dann in kürzester Zeit mit viel Theater, mit Möglichkeiten zur Manipulation und allem Drum und Dran zusammengerufen werden muss. Vielleicht wäre das ein praktischerer Weg. Ich fände es gut, wenn wir über solche Fragen miteinander reden würden, eher im Stile eines Sachverständigengesprächs als eines politischen Streitgesprächs. Unseren Antrag zur heutigen Debatte haben wir deswegen zurückgezogen, weil der Termin, wie ich meine, im Moment noch nicht günstig ist und es deshalb nicht nötig ist, darüber zu diskutieren. In diesem Zusammenhang ist nämlich die Frage ganz wichtig, was Europa macht. Wir haben klare Hinweise, dass die Europäer nun endlich eine Übernahmerichtlinie veröffentlichen wollen. Deswegen ist es klug - Minister Eichel ist ja mittlerweile auch darauf eingegangen -, die Beratung des Gesetzes in der Hoffnung zurückzustellen, dass der europäische Entwurf nun schnell kommt. Ich gehe einmal davon aus, dass er spätestens im ersten Quartal des neuen Jahres vorliegt. Wir sind klug beraten, unser Übernahmerecht in größtmöglicher Übereinstimmung mit dem europäischen Übernahmerecht zu gestalten. Dieses Thema eignet sich nur sehr begrenzt für nationale Alleingänge. Der PDS-Antrag verfolgt auf seiner ganzen Linie eigentlich nichts anderes als einen nationalen Alleingang. Schon deswegen ist er untauglich. Übernahmen laufen wie kaum eine andere wirtschaftliche Entwicklung auf internationaler Ebene ab, in den wenigsten Fällen auf nationaler. Wir würden deswegen, wenn wir diesen Ansatz weiterverfolgen und permanent nationale Besonderheiten einbringen, einen fatalen Effekt hervorrufen: Damit würden wir erreichen, dass Unternehmen, die so etwas vorhaben, Deutschland meiden und, wenn sie in Deutschland sind, Deutschland verlassen würden. Auf diese Weise würde eine Konzernvertreibungsstrategie verfolgt. Unternehmen, die wir in Deutschland gerne als Kapitalinvestoren sähen, würden unter diesen Bedingungen deutsche Unternehmen nicht übernehmen, sondern auf anderen Wegen versuchen, den deutschen Markt aufzurollen. Sie müssen nicht unbedingt deutsche Unternehmen übernehmen, wenn sie den deutschen Markt aufrollen wollen. Das wäre also eine insgesamt schädliche Entwicklung. Ich kann der PDS nur dringend raten, solche Regeln, wenn sie wirklich Arbeitsplätze schützen will, nicht zu fordern. Ich glaube, mit einer solchen Politik würde man in Deutschland Arbeitsplätze gefährden, zerstören oder die Unternehmen zur Abwanderung bewegen. Davon unterscheidet sich das vernünftige Regelwerk, an dem wir im Moment gemeinsam arbeiten. Ich möchte noch ein paar Forderungen der CDU/CSU nennen, mit denen wir ein vernünftiges Abwehrpotenzial des Zielunternehmens sicherstellen wollen. Wir wollen die Pflicht zu Bargeboten deutlich reduzieren. Vielleicht müssen wir gerade über das Thema Bargebote, Frau Kollegin, noch einmal nachdenken. Ich habe den Sinn, der darin liegen soll, eine frühe Schwelle für Barpflichtgebote einzubauen, noch nicht erkannt. Es gibt nur einen wirklich guten Grund, das zu tun, nämlich dann, wenn die Aktien eines Unternehmens illiquide sind, weil es praktisch kaum welche gibt. Hier ist die Gefahr der Manipulation des Aktienkurses und damit des Übernahmepreises riesengroß. Wenn man sich darauf verständigen könnte, nur an dieser Stelle Bargebote zur Pflicht zu machen und diese dann über den Durchschnittspreis der letzten Zeit vernünftig zu ermitteln - auch darüber kann man sich mit Sachverstand unterhalten -, sind wir einverstanden. Andere Argumente haben mich bisher nicht überzeugt. Wir wollen auch - das ist ein Thema, über das wir mit Ihnen im Steuerbereich noch einmal reden müssen -, dass bei Übernahmen Privatanleger und Belegschaftsaktionäre gleich behandelt werden. Den Belegschaftsaktionären wird eine Übernahme nicht als ein Verkauf angerechnet, für den sie Steuern zahlen müssten, den Aktionären aber wird sie angerechnet. In dem einen Fall gibt es eine einjährige Spekulationsfrist, im anderen Fall ist es eine achtjährige Spekulationsfrist. Ich möchte, dass Aktionäre gleich behandelt werden, auch in dem von Ihnen vorgetragenen Sinn. Aktionäre sind ja nicht nur reiche Leute, sondern auch Mitarbeiter und Arbeitnehmer. Mittlerweile gibt es 15 Millionen Aktionäre in Deutschland. Da kann man nicht mehr von kleinen Eliten sprechen. Wir müssen eine Überregulierung vermeiden, wir müssen die Frage der Aufsichtsbehörde eindeutig regeln. Für mich ist ganz wichtig, dass bei Rechtsstreitigkeiten der Sitz der Zielgesellschaft ausschlaggebend sein müsste. Wenn man schon in Form einer feindlichen Übernahme angegriffen wird, dann sollte man sich wenigstens in einem Rechtsumfeld wehren können, in dem man sich auskennt. Der Angreifer kann sich ja vorbereiten, der Angegriffene nicht. Deshalb ist es unter Fairnessgesichtspunkten richtig, dass der Sitz des Zielunternehmens die Rechtslage bestimmt. Damit steigen ganz eindeutig die Chancen, sich gegen unfreundliche oder feindliche Übernahmen intelligent zu wehren. Wir brauchen praktikable und klar definierte Arbeitnehmerunterrichtungspflichten, aber keine Vetomöglichkeiten, die im PDS-Antrag überall durchschimmern. Dieser Ansatz ist eindeutig verfassungswidrig. Es handelt sich nämlich um einen Eingriff in das Eigentum, der durch nichts zu rechtfertigen wäre. Wir sind gut beraten, wenn wir die europäische Richtlinie abwarten und unsere Gesetze ganz schnell - bis auf kleine Facetten - dementsprechend anpassen. Ich will eine weitere Bemerkung machen. Die Gefahr bei einer Überregulierung in diesem Komplex, wie sie im Antrag der PDS durchschimmert, besteht darin, dass sich die Unternehmen nicht rechtzeitig auf neue Strukturen einstellen können. Wenn wir der Meinung sind, dass angesichts der Größe der Unternehmen Kartell- und Wettbewerbsfragen im Mittelpunkt stehen, dann müssen wir die Probleme mithilfe des Kartellrechts und nicht mithilfe des Übernahmerechts lösen. Eine abschließende Bemerkung zum Kartellrecht. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine intensivere Beobachtung unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten brauchen, als wir sie in der Vergangenheit für notwendig gehalten haben, und dass wir die kartellrechtlichen Instrumente - national, europäisch und möglicherweise darüber hinaus - verbessern und verschärfen müssen. Wir diskutieren ja auch in der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten“ über diese Fragen sehr intensiv. Das Kartellrecht wird eine große Renaissance haben, weil es in einer globalisierten Welt wichtiger wird als in den kleinen, überschaubaren Märkten, an die wir uns gewöhnt haben. Ich habe zwei Minuten meiner Redezeit nicht ausgenutzt, die Sie jetzt mehr für diesen Freitagnachmittag zur Verfügung haben. Alles Gute! ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir danken Ihnen, Herr Kollege. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/3394 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der §§ 1360, 1360 a BGB - Drucksache 14/1518 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ich eröffne die Aussprache. Die Reden der Kollegen Anni Brandt-Elsweier, Margot von Renesse, Ronald Pofalla, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainer Funke und Christina Schenk sind zu Protokoll gegeben worden.1) Ich schließe die Aussprache. ({1}) - Frau Renesse, ich hätte Sie gerne zu diesem spannenden Thema gehört. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1518 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink und der Fraktion der PDS Personalstruktur- und Dienstrechtsreform an Hochschulen und Forschungseinrichtungen - Drucksache 14/3900 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS fünf Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich hätte Ihnen mehr Zeit am Freitagnachmittag gegönnt. Aber kann es etwas Schöneres am Freitagnachmittag geben als eine Diskussion über dieses zukunftsträchtige Thema? Die gute Nachricht zuerst. Erstens. Ich begrüße es, dass Frau Ministerin Bulmahn endlich ein Konzept zur Reform des Hochschuldienstrechts vorgelegt hat, ({0}) obwohl damit nicht alle Blütenträume aus der Koalitions- vereinbarung erfüllt werden. Daher bin ich auch stolz darauf, dass die PDS zur immer wieder aufgeschobenen Reform des Hochschuldienstrechts als erste und lange vor der Koalition einen Antrag vorgelegt hat, der die jahre- lange Debatte um die Defizite der Personalstruktur der 1) Anlage 4 Hochschulen endlich zum Gegenstand einer Bundestagsdebatte macht. Zweitens. Ich erkenne die positiven Ansätze im Konzept an, das sich in mancher Hinsicht wohltuend von den Empfehlungen der Expertenkommission abhebt und sich dem konsequenteren Reformvorschlag der PDS annähert. Ich möchte dies am Beispiel der Habilitation deutlich machen. Die Habilitation ist ein anachronistischer Befähigungsnachweis für die Ausübung des Professorenberufs. Sie ist einseitig auf eine isolierte Forschungsleistung bezogen und wird den modernen Anforderungen an den Hochschullehrerberuf nicht gerecht. Seit langem wird die Habilitation als patriarchales Ritual kritisiert, das insbesondere Wissenschaftlerinnen den Zugang zu Leitungsfunktionen an Hochschulen erschwert. Anders als die Expertenkommission wirft das Ministerium zu Recht über den Wegfall der Habilitation als Berufsvoraussetzung hinaus die Frage nach der Abschaffung des Habilitationsrechts auf. Nur eine Abschaffung der Habilitation als Institution kann gewährleisten, dass die Neuordnung der Hochschullehrerlaufbahn durch Schaffung von Juniorprofessuren das alte System der Abhängigkeiten und Hierarchien wirklich verdrängt. Deshalb begrüße ich die klare Aussage des Ministeriums zur Abschaffung der Habilitation. In vielen Punkten ist das Konzept des Ministeriums unzureichend und bleibt weit hinter dem konsequenteren Reformvorschlag der PDS zurück. Nach der PDS bekennt sich zwar nun auch die Ministerin zur von Gewerkschaften und Hochschullehrerbund geforderten einheitlichen Vergütung für Universitäts- und Fachhochschulprofessorinnen und -professoren. Gleichwohl hält sie an der Unterscheidung zweier Professorenämter, W 2 und W 3, mit unterschiedlichen Grundvergütungen fest. Die Fachhochschulen haben also allen Grund zu der Befürchtung, dass sie am Ende wieder den Kürzeren ziehen werden. Eine wirklich leistungsgerechte Vergütung ist nach meiner Überzeugung aber nur bei einer einheitlichen Grundvergütung für alle Professorinnen und Professoren möglich. ({1}) Notwendige Gehaltsdifferenzierungen dürfen sich allein aus individuellen Leistungen und Belastungen ergeben. Frau Bulmahns Konzept bleibt vor allem Stückwerk, weil es den Beamtenstatus für Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer im Ergebnis unangetastet lässt. Gerade in dieser Frage aber ist der Bundesgesetzgeber gefordert. Die PDS wird weiter auf ihre Forderung nach einem Auslaufen des Beamtenstatus und einer tarifvertraglichen Regelung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des gesamten Personals der Hochschulen und Forschungseinrichtungen pochen. Das Mindeste, was von der Bundesregierung zu erwarten gewesen wäre, ist eine Aufhebung oder wenigstens Lockerung des Hochschulfristvertragsgesetzes von 1985, das noch immer die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie substanziell beschränkt. Es ist doch geradezu absurd: In allen Branchen ist es selbstverständlich, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vereinbaren. Und ausgerechnet an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen soll weiterhin der Staat einseitig die Bedingungen oktroyieren? Die logische Konsequenz aus Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie wäre doch, dass der Staat auch in der Personalpolitik mit dem einseitigen Regulieren und Diktieren aufhört und Prinzipien wie kollektiver Vereinbarung und Selbststeuerung Geltung verschafft. Lassen Sie mich noch auf einen weißen Fleck im Konzept aufmerksam machen. Es ist geradezu beschämend, dass Frau Bulmahn so gut wie nichts zum ungelösten Problem der Gleichstellung von Frauen und Männern zu sagen hat. Noch immer liegt der Frauenanteil bei Professuren unter 10 Prozent. Wenn die Juniorprofessur zur Öffnung von Führungspositionen für Frauen an den Hochschulen beitragen soll, müssen wir zwingend auf rigide Altersgrenzen verzichten, die Frauen und Männer, die einen Teil ihres Lebens der Kindererziehung widmen, systematisch vom Hochschullehrerberuf ausschließen. Die Hälfte aller Juniorprofessuren muss mit Frauen besetzt werden, damit die Erneuerung der Hochschulpersonalstruktur nicht auf eine Erneuerung männlicher Dominanz in der Alma Mater hinausläuft. Die Reform der Personalstruktur und des Dienstrechts an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist mehr als überfällig. Lassen Sie uns also keine Zeit verlieren und dringend an der Lösung dieser Probleme, die ich genannt habe, arbeiten, um sie gewissermaßen im Vorwärtsschreiten gemeinsam zu lösen. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat der Kollege Peter Eckardt, SPD-Fraktion.

Dr. Peter Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000431, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, es ist ein bisschen kühn, zu behaupten, dass sich die Bundesregierung und Edelgard Bulmahn den Vorschlägen der PDS angenähert hätten. Aber ich denke, Sie überlegen sich das noch einmal. Hochschulpolitik ist - ich weiß, dass Gäste aus Helmstedt hier sind - früher ganz anders gemacht worden: Napoleon ist durchs Land gezogen und hat 1806 die Hochschule dichtgemacht. Sie leiden noch heute darunter, dass es so etwas nicht mehr gibt. Aber im Ernst: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kann sich dem Anliegen des PDS-Antrages natürlich nicht anschließen. ({0}) Dieses Votum wird Sie, hoffe ich, nicht überraschen. Richtig ist, dass sich die deutschen Hochschulen modernisieren müssen, dass sie sich den durch Innovation und Leistungsfähigkeit wandelnden gesellschaftlichen und technologischen Prozessen anpassen müssen. Das ist unstrittig. Aber allein für diesen politischen Hinweis wäre der Antrag der PDS nicht notwendig gewesen. Unstrittig ist allerdings auch, dass der Modernisierungsprozess der deutschen Hochschulen noch längst nicht die Dynamik entwickelt hat, die notwendig wäre, um allen Anforderungen, die die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts stellt, gerecht zu werden. Eine grundsätzliche Hochschulreform ist deshalb seit vielen Jahren von der politischen Ebene und auch von den Hochschulen selbst verschleppt worden; das muss man bekennen. Ich habe bisher nur wenige überzeugende Vorschläge von den Hochschulen selbst zur eigenen Reform gehört. HRKPräsident Klaus Landfried muss man sicher zustimmen, wenn er sagt, es dauere noch länger als bei Politikern, bis in den Köpfen der Professoren Reformideen reifen würden. Die Geschichte der deutschen Universitäten und Fachhochschulen zeigt aber auch, dass die deutschen Hochschulen immer dann - wenn auch mit Zeitverzögerung reformiert haben, wenn es gesellschaftlich notwendig war und der Druck von außen wuchs. Meist sind die Anstöße für diese Reform von der gesellschaftlichen Realität und oft auch von studentischen Protesten ausgelöst worden. Reformuniversitäten haben sich aber auch dann neu gegründet, wenn der politische Druck in Bezug auf Wissenschaftsfreiheit und Liberalität zu groß wurde. Die hochschulpolitischen Initiativen der Bundesregierung schaffen für die weitere Entwicklung der deutschen Universitäten und Fachhochschulen gute Grundlagen. Wenn nun Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker - wie in diesem Antrag - glauben, durch ein umfassendes Regelwerk in die Hochschulen hineinregieren zu können, so kann ich davor nur warnen. Nicht nur die Wissenschaftsfreiheit unserer Verfassung spräche gegen umfassende staatliche Eingriffe, auch Effizienz und Leistungsfähigkeit der Hochschulen wären dann gefährdet. Eine umfassende Regelungsdichte, enge Finanzkorsetts, undemokratische Strukturen und mittelalterliche Hierarchien behindern natürlich die internationale Mobilität sowie eine engere Kooperation mit dem Wirtschafts- und Beschäftigungssystem. ({1}) Eine Internationalisierung unserer Hochschulen und der Studienangebote wäre notwendig. Natürlich müsste mehr getan werden, als nur das eigene Gewissen zu beruhigen. Auch die Länder würden auf ihre garantierten Rechte im Hochschulbereich pochen, wenn der Bund zu intensiv und ohne Legitimation ein einheitliches bundesgesteuertes Hochschulsystem einrichten würde. Die Pluralität deutscher Hochschulen in den einzelnen Ländern und die Anerkennung einheitlicher Standards, wie zum Beispiel Gebührenfreiheit, ausreichende BAföG-Regelungen und überwiegend staatliche Hochschulen, sollten weiterhin unsere Wissenschaftslandschaft prägen. Diese Struktur hat sich bewährt und sollte nicht aufgegeben werden. Die Regelung der Zeiten der Anwesenheit von Hochschullehrern an ihrem Arbeitsplatz, die Ausstattung von Büros und Labors, die Anerkennung ausländischer Diplome und Studienanteile sowie die institutionelle Stärkung der Frauenbeauftragten - dies alles ist in der Tat ein Problem - sollten den Ländern überlassen bleiben und nicht durch Bundesregierung und Bundestag, wie im Antrag der PDS gefordert, einheitlich normiert werden. Fast nicht zu vermeiden war ja, dass sich die PDS in ihrem Antrag natürlich auch mit den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den neuen Ländern beschäftigt. Ich widerspreche ausdrücklich der in diesem Antrag aufgestellten Behauptung, den DDR-Hochschulen sei trotz einer Hochschulkrise in Westdeutschland im Jahre 1990 das bundesdeutsche Hochschulsystem übergestülpt worden ({2}) - ich habe es erwartet -, ohne dass die Erfahrungen und Leistungen des DDR-Hochschulsystems jemals ausgewertet worden seien. Dies war objektiv und historisch nachweisbar so nicht der Fall. ({3}) Der Wissenschaftsrat hat jede Hochschule und jede Forschungseinrichtung der DDR in umfangreichen Studien evaluiert und Vorschläge zum Erhalt und auch zur Umstrukturierung gemacht. Es kann nicht im Ernst behauptet werden, dass das Hochschul- und außeruniversitäre Wissenschaftssystem der DDR bis 1990 ein Modell für irgendetwas gewesen ist, was in die Zukunft weist oder als insgesamt erhaltenswert angesehen werden könnte. ({4}) Die Leistungsfähigkeit der Kolleginnen und Kollegen in diesen Instituten vor und nach der Wende wird natürlich nicht bezweifelt. ({5}) - Weil es bestimmte Bereiche gab, die zu erhalten sicher nicht legitim gewesen wäre, zum Beispiel die Hochschule in Potsdam-Hoheneiche, die Clara-Zetkin-Hochschule, die der Volkspolizei, des Innenministeriums und der Grenztruppen. ({6}) Westprofessoren sind in die Bereiche hineinkommen, in denen es Defizite gegeben hat. ({7}) - Dass die DDR nicht genügend Theologen gehabt hat, wollen Sie doch nicht ernsthaft bestreiten. Das wissen Sie doch auch. ({8}) Das Ende einiger formaler Strukturen des Hochschulund Wissenschaftssystems der ehemaligen DDR hat geholfen, das wissenschaftliche Ansehen einiger Standorte der neuen Länder wieder zu verfestigen. Ich habe gelesen, dass die Universität Leipzig - was mich sehr freut - im Jahre 2000 gerade durch diese Umstrukturierung den Andrang westdeutscher Studierender fast nicht mehr bewältigen kann. Das hat sicher auch Qualitätsgründe, die sich seit 1990 ergeben haben. Ich denke, dass die Evaluierung der ostdeutschen Hochschulen nötig und auch fair war. Es ist allerdings auch richtig, dass sich die Regierungen einiger Länder nicht an die Empfehlungen des Wissenschaftsrates gehalten, sondern Einrichtungen erhalten oder zusätzliche geschaffen haben, obwohl der Wissenschaftsrat es anders empfohlen hatte. Es ist nicht notwendig, die Bundesregierung daran zu erinnern, durch Anhebung des Anteils der Forschungsförderung des Bundes für die neuen Ländern endlich gleichgewichtige Verhältnisse zu schaffen. Mit Recht wird in der Wissenschafts- und Forschungsförderung der neuen Länder ein wissenschaftspolitischer Schwerpunkt der Bundesregierung gesehen. Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik sind aber nicht primär Aufgabe der Forschungsförderung, wie in dem Antrag intendiert wird. Hier müssen allein - ob Nord oder Süd, ob Ost oder West Leistung und Qualität zählen, unabhängig vom Standort der Forschungseinrichtung. Der Antrag der PDS wirft aber auch einige Fragen von Interesse auf, auf die schon in den Eckpunkten eines Reformgesetzes zum Hochschuldienstrecht der Bundesregierung Antwort gegeben wurde. Ich verstehe, dass Sie im Sommer 2000 die Gelegenheit nutzen wollten, sofort nach Vorlage des Berichts der Expertenkommission Ihre hochschulpolitischen Vorstellungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Aber die Unterstellung, die Expertenkommission sei einseitig zusammengesetzt gewesen und habe das gewünschte Ergebnis gebracht, unterschätzt die Denkund Diskussionsfähigkeit der Mitglieder dieses unabhängigen Gremiums. Wie Sie an den Eckpunkten der Dienstrechtsreform der Bundesregierung sehen, sind die Vorschläge auch nicht ungeprüft übernommen worden. ({9}) Wir sind uns der Bedeutung der Fachhochschulen für unsere Gesellschaft seit 30 Jahren wohl bewusst und sind uns auch bewusst, welche Bedeutung gleiche Gehaltshöhen für das Ansehen und die Chance, qualifiziertes Personal einzuwerben, für die Fachhochschulen haben. Ich denke, da gibt es unter uns keinen Streit. Die Befristung von Arbeitsverhältnissen an Hochschulen wird flexibel gestaltet werden müssen. Allerdings ist auf sie im Wissenschaftsbetrieb nicht zu verzichten - wie Sie es wollen -, um Kooperationen und einen Personalwechsel zwischen Hochschulen und Wirtschaft nicht zu gefährden. Der Vorwurf, die Expertenkommission habe nur über Teilaspekte einer Hochschulreform diskutiert, ist deshalb nicht richtig, weil genau dies ihre Aufgabe war. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird ein erster Schritt zu einer umfassenden Hochschulreform sein. Er wird die wichtigsten Teilbereiche - Dienstrecht, Besoldung, Qualifizierungswege, Leistungsmotivation und Frauenförderung - umfassen. Einige Punkte des Antrages möchte ich zum Schluss zurückweisen. Es ist nicht sinnvoll, an Fachhochschulen Juniorprofessuren einzurichten, wie Sie meinen. Es muss bei dem bisherigen Weg der Qualifikation über berufliche Tätigkeiten in Betrieben bleiben. Es ist auch nicht sinnvoll, an Fachhochschulen Doktorandenstellen zu schaffen. Es muss dabei bleiben, über eine selbstständige Forschungstätigkeit an einer Universität in Kooperation mit einer Fachhochschule promovieren zu können, wie es bisher schon möglich ist. Nicht der Antrag der PDS, die den Expertenbericht als Steinbruch ihrer Argumente benutzt und dabei natürlich auch Selbstverständliches und Richtiges wiederholt, sondern der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Hochschuldienstrecht, der bald diesem Hohen Hause vorgelegt wird ({10}) - jetzt werden wir wohl diskutieren, was „bald“ heißt -, wird die Diskussionsgrundlage sein. Schönen Dank. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion.

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Erstes möchte ich gern meinem Vorredner, dem Kollegen Eckardt, zu seinem heutigen 60. Geburtstag gratulieren. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Die christlich-liberale Bundesregierung hat in der vergangenen Legislaturperiode das neue Hochschulrahmengesetz auf den Weg und damit mehr Leistungsorientierung und Wettbewerb an die Hochschulen gebracht. Die staatlichen Mittel sollen auf die Hochschulen, aber auch innerhalb der Hochschulen nach Leistungskriterien verteilt werden. Von Anfang an war vorgesehen, dass auch für Professoren zusätzliche Leistungsanreize geschaffen werden, die sich auf die Besoldung auswirken. Dies wollen wir jetzt bei der Dienstrechtsreform umsetzen. Wir müssen dies auch tun, denn durch den nun stattfindenden Generationswechsel an den Hochschulen besteht eine große Chance für die anstehenden Veränderungen. Heute haben nur die C4-Professoren die Möglichkeit, ihr Gehalt durch Zulagen anlässlich von Berufungen zu erhöhen. Das reicht nicht aus. Alle Professoren an Universitäten und Fachhochschulen sollen spüren, dass Leistungen in Forschung und Lehre wahrgenommen und auch finanziell honoriert werden. Deshalb wollen wir als Unionsfraktion mit der Reform eine stärker leistungsorientierte Besoldung durchsetzen. ({1}) In Zukunft soll sich das Gehalt der Hochschullehrer nicht mehr allein durch das Älterwerden, sondern durch ihren persönlichen Einsatz erhöhen. ({2}) Wir wollen das durch den Wegfall der Dienstaltersstufen eingesparte Geld für die neu zu schaffenden Zulagen nutzen. In drei Fällen sollen Zulagen gewährt werden: im Falle einer Berufung, als Funktionszulage, wenn ein Professor nichthauptamtliche Funktionen in der Hochschulverwaltung oder die Leitung eines Sonderforschungsbereichs wahrnimmt, und als Leistungszulage, also als Zulage für die persönlichen Leistungen in Forschung und Lehre. Ich kann mir auch vorstellen, dass derjenige eine Leistungszulage erhält, der bereit ist, ein höheres Lehrdeputat zu übernehmen; denn es muss uns darum gehen, die Lehrtätigkeit an unseren Hochschulen zu stärken. ({3}) Die Fachhochschulen haben in der Vergangenheit eine sehr gute Arbeit geleistet. Wir wollen ihre Kapazitäten ausbauen. Wir wollen mehr hoch qualifizierte Praktiker für das Professorenamt gewinnen. Dafür müssen wir das Besoldungsniveau anheben. Deshalb sollte die bisherige C2-Besoldung für Fachhochschulprofessoren entfallen und durch eine an Fachhochschulen und Universitäten einheitliche C3-Besoldung ersetzt werden. An den Universitäten und gleichgestellten Hochschulen wiederum sollte zusätzlich ein höherwertiges Professorenamt, das C4-Amt, beibehalten werden, denn die Professoren an den Unis haben zusätzliche Aufgaben zu erfüllen. Ich nenne hier nur die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses - Stichwort Promotionen und die Grundlagenforschung. Ein gestuftes Besoldungssystem innerhalb der Universitäten ist auch sinnvoll, um der unterschiedlichen Bedeutung von Lehrstühlen und Instituten, aber auch der besonderen Verantwortung von Klinikleitern Rechnung tragen zu können. ({4}) Nicht zustimmen können wir allerdings den von Bildungsministerin Bulmahn vorgeschlagenen Besoldungsstufen W 2 mit einem Grundbetrag in Höhe von nur 7 000 DM und W 3 mit einem Grundbetrag in Höhe von 8 500 DM. Diese Mindestbeträge sind für Professoren definitiv zu niedrig. ({5}) Sie entsprechen dem Gehalt eines Oberregierungsrates bzw. Regierungsdirektors und schrecken den qualifizierten Nachwuchs, den wir für eine Hochschullaufbahn gewinnen wollen, ab. Wir können es uns nicht länger leisten, dass die besten Köpfe ins Ausland abwandern, weil sie dort bessere Bedingungen vorfinden. Dies müssen wir ändern. ({6}) Wir werden deshalb die von Frau Bulmahn vorgeschlagenen Grundgehälter ablehnen. Die Höhe dieser Mindestbesoldung entspricht nicht der in Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz garantierten amtsangemessenen Besoldung; die Grundgehälter müssen erhöht werden. Die Vorschläge von Bildungsministerin Bulmahn laufen für einen bedeutenden Teil der Professoren in Deutschland auf eine Gehaltskürzung hinaus. Das lehnen wir ab. ({7}) Ich sage auch ganz offen: Eine solche Reform darf nicht kostenneutral sein. ({8}) Wir müssen uns endlich dazu bekennen, dass wir in Deutschland Eliten brauchen. Und Eliten an den Hochschulen sind nicht zum Nulltarif zu bekommen. ({9}) Schauen wir uns die Realität an: Ein Informatikstudent bekommt schon heute von der Wirtschaft ein höheres Gehalt angeboten, als er als Professor an einer Hochschule überhaupt bekommen könnte. Dies zeigt, dass es nicht ausreicht - wie dies Bildungsministerin Bulmahn sagt -, wenn in Einzelfällen die Überschreitung der bisherigen Obergrenze für eine individuelle Besoldung von Professoren zugelassen werden soll. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich dafür aus, dass künftig alle Obergrenzen entfallen, um eine individuelle Besoldung von Professoren zu ermöglichen. Nur so können wir sowohl im Wettbewerb um die besten Köpfe mit der Wirtschaft als auch im Wettbewerb mit den Universitäten und den Forschungseinrichtungen im Ausland bestehen. Denn wir brauchen für die Studierenden, die wir hier ausbilden wollen, die besten Professoren. ({10}) Die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen bis hin zum Professor dauert leider zu lange. Dies ist ein ernst zu nehmendes Problem. Habilitierte sind in Deutschland oft über 40 Jahre alt. Wer nicht direkt nach seiner Habilitation eine Berufung als Hochschullehrer bekommt, gerät in eine Art Altersfalle. Eine berufliche Neuorientierung zu Beginn des fünften Lebensjahrzehnts ist dann nur noch mit Schwierigkeiten möglich. Ein weiteres Alarmzeichen ist, dass in bestimmten Fachbereichen zwei Drittel der deutschen Postdoktoranden nach einem Auslandsaufenthalt nicht nach Deutschland zurückkommen. Das Ziel muss deshalb sein, dass die Erstberufung auf eine Professorenstelle mit Mitte 30 der Normalfall wird. Daher halten wir die von Ihnen vorgeschlagene Juniorprofessur für sinnvoll. Es muss möglich sein, selbstständig zu forschen und zu lehren sowie über eine drittmittelfähige Grundausstattung zu verfügen. Es ist allerdings ein Fehler, wenn Rot-Grün die Habilitation nun generell abschaffen will. ({11}) Ich stimme Ihnen insoweit zu, dass der Nachweis einer zusätzlichen wissenschaftlichen Leistung in Form der Habilitation in manchen Fächern, zum Beispiel in den Ingenieurwissenschaften, heute de facto keine Rolle mehr spielt. ({12}) Hier bietet die so genannte Juniorprofessur den richtigen Qualifikationsweg. In anderen Fächern allerdings kann man seine wissenschaftliche Kompetenz nur mit der Habilitation beweisen. Der Philosoph zum Beispiel muss eine Habilitationsschrift einreichen. Bei Ingenieuren und Naturwissenschaftlern geht dies auch anders. Anstatt nun mit dem Vorschlaghammer die bewährte Habilitation vollständig kaputtzuschlagen, sollte man den unterschiedlichen Fächerkulturen in Deutschland Rechnung tragen. Neben der Juniorprofessur sollte es deshalb auch weiterhin die Habilitation geben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Die Leistungsorientierung darf vor der Besoldung der Professoren nicht Halt machen. Deshalb unterstützen wir, die Unionsfraktion, eine stärker leistungsorientierte Besoldung der Professoren mit Zulagen für ihre persönliche Leistung im Bereich Forschung und Lehre. Wir sind allerdings eindeutig dagegen, dass der Staat bei der anstehenden Dienstrechtsreform auf dem Rücken der Professoren spart. Deshalb lehnen wir die von der rot-grünen Regierung vorgesehenen niedrigeren Grundgehälter für Professoren ab. ({13}) Wir begrüßen die Einführung der Juniorprofessur, weil sie sich gerade für die Ingenieur- und Naturwissenschaften als geeigneter und schneller Qualifizierungsweg erweisen wird. Aber die ideologisch motivierte Abschaffung der Habilitation lehnen wir ab. Denn die Habilitation hat gerade im Bereich der Geisteswissenschaften erheblich zum Qualitätsniveau der deutschen Hochschulen beigetragen. Es ist kein Wunder, dass sowohl aus den Reihen der Hochschulrektorenkonferenz als auch von Professoren deutliche Kritik an dem rot-grünen Konzept geübt wird. SPD und Grüne wollen wieder einmal Veränderungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchsetzen. Diesen Stil der Politik lehnen wir ab. ({14}) Es ist schade, dass Rot-Grün auf diese Weise ein gemeinsames Vorgehen mit der Professorenschaft gefährdet. Denn Sie versuchen leider nicht, die Betroffenen für die vernünftigen Veränderungen zu gewinnen. Die Union wird sich dafür einsetzen, dass eine Reform mit den Professorinnen und Professoren und nicht gegen sie durchgeführt wird. ({15}) Das ist unser Verständnis von einer Reformpolitik, die langfristig tragfähig ist. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Matthias Berninger vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es herrscht ziemlich viel Einigkeit darüber, dass wir den Generationenwechsel an den Hochschulen für eine tief greifende Reform des Dienstrechts und der Personalstruktur an den Hochschulen nutzen sollten. In den nächsten acht Jahren wird die Hälfte aller Professoren in Deutschland in den Ruhestand gehen. Das bietet uns die einmalige Chance, hier tief greifende Änderungen vorzunehmen. Um gleich mit einem Vorurteil aufzuräumen: Es geht hier überhaupt nicht darum, irgendeinem Professor oder irgendeiner Professorin etwas durch die Dienstrechtsreform wegzunehmen. Selbst wenn wir das wollten, könnten wir das gar nicht, weil es sich eben um durch das Beamtenrecht abgesicherte Besitzstände handelt, die niemand antasten darf. Wenn so viele Professorinnen, aber vor allem auch so viele Professoren wie jetzt in den Ruhestand gehen, ist die Chance für eine wirklich tief greifende Reform groß, weil die Besitzstände nicht mehr ein so großes Reformhindernis darstellen, wie sie es sonst nach dem aktuellen Beamtenrecht sind. Infolgedessen hat die Bundesregierung gesagt: Wir wollen eine Dienstrechtsreform auf den Weg bringen. Ein kleiner Rückblick: Der ehemalige Bildungs- und Forschungsminister, Herr Rüttgers, hatte eine solche Reform ebenfalls auf seiner Agenda. Auch er wollte eine solche Reform durchführen. Die F.D.P. hat ihn damals zwar nach Kräften unterstützt, aber das Ergebnis war Zero. Er hat es nämlich nicht geschafft, weil er sich gegen das Innenministerium nicht durchsetzen konnte und weil die verkrusteten Strukturen des Beamtenrechts heiliger und wichtiger zu sein schienen als die Chance, eine Reform des Dienstrechts durchzuführen. Auch das muss einmal gesagt werden, wenn man hier die Vorschläge der Bildungsministerin bewertet. Ich halte es deshalb für einen großen Erfolg, dass die Expertenkommission nicht das gemacht hat, was Expertenkommissionen manchmal machen, nämlich sehr viel Papier zu produzieren, mit dem man dann sehr wenig anfangen kann. Vielmehr hat sie sehr praktische Vorschläge gemacht. Ich glaube, dass diese Vorschläge, die die Bildungsministerin aufgegriffen hat, in die richtige Richtung weisen. Hierüber gehen die Meinungen auch nicht allzu sehr auseinander. Die Grundwerte - das haben wir in der letzten Legislaturperiode diskutiert -, die die Expertenkommission vorgelegt hat, und das, was die Ministerin jetzt vorgelegt hat, entsprechen genau dem, was die Oppositionsfraktionen in den vergangenen vier Jahren gefordert haben, was sie aber nicht durchsetzen konnten. Ich komme nun auf die Details zu sprechen. Im Detail steckt bekanntermaßen - in der Regel - immer der Teufel. Wie wird der Übergang von promovierten Wissenschaftlern in den Professorenberuf organisiert? Ich habe mich sehr darüber gefreut, Kollege Rachel, dass auch die CDUFraktion den Weg der Juniorprofessur für vernünftig hält, nämlich jungen Leute die Chance zu geben, eigenständig zu forschen, und ihnen dies als Qualifikation anerkennen zu lassen, anstatt sie bergeweise Papier produzieren zu lassen. Darüber sind wir uns völlig einig. Aber bei der Habilitation geht es nicht um eine ideologische Auseinandersetzung, sondern um etwas anderes. Es geht darum, ob es uns gelingt, eine ausreichende Zahl von Stellen für Juniorprofessuren zu schaffen. Es ist doch völlig klar, dass diejenigen, die heute an den Unis Professoren sind und über eine Habilitation ihre Qualifikation erreicht haben, diese für den besseren Weg halten. Das ist menschlich verständlich. Wir geben dem wissenschaftlichen Nachwuchs keine Chance, wenn wir so tun, als stünden die Juniorprofessur und die Habilitation auf einer Stufe. Wenn dies das Ergebnis der Reform wäre, dann würden wir in fünf oder sechs Jahren feststellen, dass wir zwar viel über die Juniorprofessur geredet hätten, aber dass die meisten Professoren weiterhin über die Habilitation in ihr Amt gekommen sein werden. Ich sage bewusst: Professoren; denn ohne eine tief greifende Reform wird der Anteil der Professorinnen sehr gering bleiben. Deutschland hat im Vergleich zu allen anderen Ländern viel zu wenig Professorinnen. Die Mehrheit aller Studienanfänger sind Frauen. Frauen machen im Schnitt das bessere Abitur. Doch je weiter es auf der wissenschaftlichen Qualifikationsleiter hochgeht, desto geringer ist der Anteil der Frauen. Das liegt nicht an den Frauen, sondern am System. Auch deshalb ist die Dienstrechtsreform wichtig. Die alten Herren gehen in Rente, aber sie werden nicht nur durch junge Herren ersetzt - für mich ist dies das wichtigste Ziel dieser Reform. ({0}) Deshalb wird man über die Habilitation am Ende sagen müssen, Herr Kollege Rachel, dass es sie in Ausnahmefällen, in bestimmten begründeten Fällen, noch geben wird. Aber sie steht mit der Juniorprofessur nicht auf einer Stufe. Ich glaube, dass dies eine gute Grundlage für einen Kompromiss mit den Ländern sein könnte. Es geht dann um den berühmt-berüchtigten Punkt, dass diese Dienstrechtsreform insgesamt kostenneutral gestaltet werden soll. Ich denke, diese Diskussion wird man in ein paar Jahren so nicht mehr führen, weil die Länder wie die Bundesregierung erkennen werden, dass in Bildung und Wissenschaft investiert werden muss, auch wenn sonst überall gespart werden muss. Der Generationenwechsel wird zu einem Wettbewerb um junge, leistungsfähige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führen. Ich hoffe auch, dass man einen ausländischen Professor dazu bewegen kann, an einer deutschen Universität zu lehren. Dabei hilft die Dienstrechtsreform, weil mit ihr für eine international kompatible Personalstruktur gesorgt und mit ihr der deutsche Sonderweg beendet wird. Man wird sehen, ob sich das kostenneutral gestalten lässt oder ob es mehr Geld kosten wird. Wichtig ist mir aber, dass die Ministerin durchgesetzt hat, dass dort, wo Professoren besser bezahlt werden müssen, der Deckel, den es bisher gab, aufgeschraubt wird. In Abstimmung mit den Länderministern, so der Vorschlag der Koalition, sollen Hochschulen ihre Professoren, wenn es der Wettbewerb notwendig macht, besser bezahlen können. Das halte ich für sehr vernünftig. Ein letzter Punkt. Es ist völlig falsch, immer nur von den angeblich so niedrigen Grundgehältern zu reden. Ich freue mich, dass diese Grundgehälter nicht mehr nach Hochschulformen differenziert werden, sondern für alle Hochschulformen in gleicher Weise gültig sind. Darüber freue ich mich zumindest bei der Stufe B 2. Dass es bei den Unis noch eine höhere Stufe gibt, versteht sich von selbst und das kritisiert auch niemand. Aber, nur diese 7 000 DM bzw. 8 500 DM ins Feld zu führen, ist natürlich eine Milchmädchenrechnung. Die Leistungskomponente wird hinzukommen, sodass Professoren, die etwas leisten, in Zukunft auch mehr verdienen. Diese Reform funktioniert nur, wenn die Grundgehälter niedrig sind und die Mittel, die wir für Leistungszulagen zur Verfügung haben, entsprechend hoch. Vor diesem Hintergrund sollten Sie nicht kleinkariert die niedrigen Grundgehälter kritisieren, sondern mit uns dafür kämpfen, dass genug Geld übrig bleibt, die Professoren nach Leistung vernünftig zu bezahlen. Ich glaube, dass die Reform auf einem guten Weg ist, und freue mich, dass im gesamten Parlament die Grundrichtung und die Grundwerte der Reform akzeptiert werden. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Flach von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich den etwas schwierigen Versuch mache, in dreieinhalb Minuten eine ganze Reform zu erklären, möchte ich auch namens der F.D.P. und als Vorsitzende im Namen des ganzen Ausschusses Herrn Dr. Eckardt ganz herzlich gratulieren. Ich hoffe, Sie haben weiter viel Spaß mit uns allen. ({0}) Wir sind hier eine verhältnismäßig billige Runde; wir treffen uns gleich noch. Der Antrag der PDS enthält einen wichtigen Satz: 1989/1990 wäre eine Chance gewesen, eine Reform der Personalstruktur und der Personalverfassung an Hochschulen in Ost- und Westdeutschland umzusetzen. Ich gebe ganz offen zu: Diese Chance wurde vertan, Frau Böttcher. In den nächsten Monaten wird sich entscheiden, ob wir zehn Jahre später wieder die Chance vertun, unser anachronistisches Dienstrecht an die Notwendigkeiten eines internationalen Bildungswettbewerbes anzupassen. Der PDS-Antrag romantisiert das alte DDR-Hochschulsystem und kombiniert damit einige bedenkenswerte Gedanken. Für mehr Leistungsorientierung und Wettbewerb ist Ihr Antrag nach unserer Ansicht jedoch kaum geeignet. ({1}) Ähnliches gilt übrigens für die uns bisher bekannten Vorschläge von Frau Ministerin Bulmahn. Eine Dienstrechtsreform macht man nicht alle Tage, Herr Catenhusen; sie greift in die Lebensplanung von Hochschullehrern und Studierenden ein. Wenn man das Thema jetzt endlich angeht, muss eine Reform wirklich zu mehr Effizienz, Leistungsorientierung und Wettbewerb führen. ({2}) Entstaatlichung, Deregulierung, Autonomie und Umwandlung der Hochschulen in Stiftungen des öffentlichen Rechts - das ist Reform, meine Damen und Herren. Ich empfehle Ihnen, Frau Bulmahn auszurichten, sich vielleicht einmal mit Herrn Oppermann auszutauschen; so weit sind die Wege innerhalb Hannovers ja nicht. ({3}) Wir Liberalen wollen ein Hochschulrecht mit folgenden Kernpunkten: völlige Personal-, Tarif- und Organisationshoheit für die Hochschulen. Nicht der Staat soll entscheiden, welche Studiengänge die Hochschulen anbieten, wen sie beschäftigen und was sie zahlen, sondern die Universitäten und Fachhochschulen selbst. ({4}) Wenn wir Spitzenforschung und Profilbildung in Kompetenzzentren wollen, dann müssen wir Spitzenwissenschaftlern auch international wettbewerbsfähige Gehälter zahlen; ich glaube, da sind wir uns alle einig. ({5}) Diese Gehälter müssen sich an der Leistung orientieren. Um Leistung zu messen, brauchen wir regelmäßig in- und externe Bewertungen; Evaluierung durch Studierende kann dabei nur ein Kriterium unter vielen sein. Eine umfassende Deregulierung und Umstrukturierung kann nicht kostenneutral sein. Daran können wir nicht vorbeireden, Herr Berninger. Wir wollen weg von der kameralistisch engen Kostenneutralität, die wegen der damit verbundenen Bemessungsgrundlage für die Hochschullehrer auch eine klare Benachteiligung der Fachhochschullehrer darstellt. Hochschullehrer an Fachhochschulen und Universitäten sind nicht gleich, aber gleichwertig - da haben Sie den Deckel nicht geöffnet, wie Sie eben dargestellt haben -; sie müssen auch bei der Besoldung gleichgestellt werden. Die noch existierenden Unterschiede zwischen Hochschullehrerbesoldung in Ost und in West müssen aufgehoben werden. Die neuen Länder brauchen auch für die nächsten fünf bis sieben Jahre eine Anschubfinanzierung. Um den Länderhaushalten Spielräume für die Umsetzung der Reform zu geben, muss der Bund in diesem Zeitraum seinen Anteil am Hochschulbau erhöhen. Das wollen wir im Etat wiederfinden. Die F.D.P. hält die von der Expertenkommission vorgeschlagenen Juniorprofessuren für eine sinnvolle Ergänzung. Eine generelle Abschaffung der Habilitation, wie sie auch die PDS fordert, lehnen wir ab. ({6}) Vor allem in den Geisteswissenschaften sind auch in Zukunft differenzierte Wege zum Professorenberuf notwendig. Lassen Sie mich, Frau Böttcher, zum Schluss eine Übereinstimmung mit dem PDS-Antrag hervorheben: Wir wollen das Beamtentum an den Universitäten auslaufen lassen. Das gilt sowohl für Professoren als auch für alle anderen Mitarbeitergruppen. Die gegenwärtig an den Hochschulen tätigen Beamten sollen eine Wahlmöglichkeit zwischen heutigem Beamten- und zukünftigem Angestelltenstatus erhalten. So weit in der Kürze der Zeit die Eckpunkte dieser Reform. Wir werden einen eigenen Antrag mit dem schönen Titel „Radikale Dienstrechtsreform“ vorlegen. Ich freue mich auf die Diskussion und wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir auseinander gehen, möchte auch ich von diesem Platz aus in unser aller Namen Herrn Eckardt zu seinem 60. Geburtstag gratulieren. Wir wünschen Ihnen auch für die nächsten Jahre viel Erfolg und Wohlergehen. ({0}) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/3900 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. Oktober 2000, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.