Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Gibt es Nachfragen? - Bitte schön, Herr Kolb.
Herr Staatssekretär, Sie
haben uns vorgetragen, dass die Bundesregierung jetzt
- ich sage, zum Glück - einen Schwellenwert in die gesetzliche Regelung aufgenommen hat. Das ist zu begrüßen. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich mit seinen Bedenken offensichtlich im Kabinett durchgesetzt.
Meine Frage ist: Welche Gründe haben dazu geführt, mit
der Zahl von 15 Beschäftigten jetzt einen weiteren
Schwellenwert in das ohnehin schon mit zahlreichen
Schwellenwerten belegte deutsche Sozial- und Arbeitsrecht einzuführen? Gibt es sachliche Erwägungen, bei befristeten Arbeitsverhältnissen einen anderen Schwellenwert vorzusehen als etwa im Kündigungsschutzrecht?
Nein, wir haben die
Schwelle von 15 Beschäftigten auch in anderen gesetzlichen Vorhaben, wie Sie wissen. Es gab im Anhörungsverfahren eine Diskussion um die Frage, ob man Betriebe mit
einer geringen Zahl von Beschäftigten nicht von dieser
Regelung ausnehmen sollte. Wir haben uns dann darauf
verständigt, diese 15er-Regelung einzuführen.
Sie haben eine
weitere Nachfrage? - Bitte.
Ich wollte noch einmal
zur sachlichen Erwägung fragen: Wenn der Schwellenwert von 15 Beschäftigten jetzt Schule macht, das heißt aus welchen Erwägungen auch immer -, der richtige
Schwellenwert zu sein scheint, ist die Bundesregierung
dann bereit, auch im Kündigungsschutzrecht eine Anhebung von derzeit fünf Beschäftigten auf richtigerweise
15 Beschäftigte vorzunehmen?
Nein, diese Absicht haben wir nicht.
({0})
Eine Nachfrage
des Kollegen Meckelburg.
Herr Staatssekretär, die Unternehmen haben die Möglichkeit der Ablehnung - ursprünglich hieß es: bei vorliegendem dringenden Grund. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass diese
Möglichkeit - wie auch immer sie formuliert ist - dazu
führen wird, dass es im Zweifelsfalle zur sehr vielen gerichtlichen Verfahren kommt, wenn ein Arbeitnehmer den
Rechtsanspruch hat, aus Teilzeitarbeit einen Dauerarbeitsplatz zu machen?
Nein, das glauben wir
nicht. Wir setzen beispielsweise wie die Niederlande, die
ein ganz ähnliches Gesetz gemacht haben, darauf, dass
sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer verständigen. Wir haben eine ganze Reihe von Regelungen eingebaut, die einerseits verhindern sollen, dass der Arbeitgeber überfordert wird, es aber auf der anderen Seite dem Arbeitnehmer
ermöglichen sollen, diesen Rechtsanspruch notfalls
durchzusetzen. Wir setzen aber darauf, dass weitgehend
Regelungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
zustande kommen.
Zu einer weiteren Nachfrage, bitte.
Geringfügig
Beschäftigte sind ja auch Teilzeitarbeitnehmer. Wie wird
das Ganze gehandhabt, wenn nach diesem Gesetzentwurf
der Rechtsanspruch auch für diese Personen gelten soll?
Sehen Sie nicht insbesondere hier die Gefahr vieler gerichtlicher Verfahren?
Nein, wir haben ja bestimmte Kriterien festgesetzt. Der Arbeitnehmer kann
nicht willkürlich irgendeine Arbeitszeit fordern, sondern
nur eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Für
geringfügig Beschäftigte gibt es also bestimmte Bedingungen; sie werden davon meiner Meinung nach nicht erfasst.
Jetzt hat der
Kollege Grehn das Wort.
Herr Staatssekretär, mit dem
Entwurf folgen Sie ja wohl der Aufforderung der Europäischen Union, das Diskriminierungsverbot stärker durchzusetzen. Sie sind dem auch nachgekommen. Nur, in § 4
Abs. 2 ist festgelegt, dass es sachliche Gründe geben
kann, die eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern
mit befristeten und unbefristeten Verträgen rechtfertigen.
Ich hätte gerne einmal gewusst: Welche sachlichen
Gründe sind das, oder obliegt es den Arbeitgebern zu entscheiden, wen sie ungleich behandeln?
Sie meinen die sachlichen Gründe, die in § 4 Abs. 2 aufgeführt sind. Es kann
natürlich auch sachliche Gründe geben, die in der Person
des Arbeitnehmers liegen. Wir haben ja bestimmte Ausschlussgründe aufgenommen; sie sind explizit dargelegt.
Diese müssen gewürdigt werden. Dann kann es dazu
kommen, dass dies nicht entsprechend greift.
Möchten Sie
noch eine Nachfrage stehen?
Ja. Ich würde gerne fragen,
wie Sie hinsichtlich der Handhabung Rechtssicherheit
herstellen wollen, wenn es eine so allgemeine Aussage zu
den Gründen gibt, die beim Arbeitnehmer liegen? Die Arbeitgeber haben damit doch ein Instrument in der Hand,
die gewollte Gleichbehandlung nicht durchzusetzen.
Ich denke, dass wir mit
diesem Gesetz sehr umfassend Rechtssicherheit schaffen.
Ihre Frage geht ja in etwa in die gleiche Richtung wie die
Frage eben, dass man vermutet, dass ganz viele Fälle vor
Arbeitsgerichten landen. Die gesetzliche Konstruktion ist
so gewählt, dass wir sehr darauf setzen, dass es jenseits
der Bedingungen, die in § 4 Abs. 2 genannt sind, zu vernünftigen Regelungen zwischen dem Arbeitgeber und
dem Arbeitnehmer kommt. Ich denke, das wird sich auch
weitgehend durchsetzen.
Jetzt hat der
Kollege Niebel das Fragerecht.
Herr Staatssekretär, Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf, dass die Ausweitung der
Teilzeitarbeit erhebliche beschäftigungspolitische Bedeutung habe. Könnten Sie Ihre Erwartung konkretisieren,
was die Quantität der zu erwartenden beschäftigungspolitischen Bedeutung anbetrifft, die Sie sich von dem
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit erhoffen, und sagen,
um welchen Zeitraum es sich handelt?
Herr Niebel, es gibt eine
Reihe von Untersuchungen. Die letzte Untersuchung ist
vom IAB durchgeführt worden. Ich denke, dass sie Ihnen
als Abgeordnetem vorliegt. Es wird geschätzt, dass bis zu
1 Million zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden könnten, wenn es in unserem System
- ich habe ja vorgetragen, dass rund 3 Millionen Arbeitnehmer den Wunsch äußern, ihre Arbeitszeit zu reduzieren - zu einer großen Umsetzung eines solchen Anspruchs
kommt.
Über einen Zeitrahmen kann ich Ihnen nichts sagen.
Ich denke, man muss erst einmal schauen, wie die neue
rechtliche Regelung wirkt.
Bitte, Herr
Niebel.
Herr Staatssekretär, selbstverständlich ist mir die Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bekannt.
({0})
- Das sehe ich auch so. - Allerdings beantwortet das nicht
meine Frage. Denn wenn Sie eine solche gesetzliche Initiative auf den Weg bringen, dann werden Sie sich ja Gedanken gemacht haben, wie viel dieses Potenzials Sie
durch diese Initiative tatsächlich werden erreichen können. Da würde mich die Vorstellung der Regierung schon
interessieren.
({1})
Oder gehen Sie davon aus, dass Sie es zu 100 Prozent ausschöpfen, dass also jeder, der einen Teilzeitwunsch hegt,
aufgrund dieses Gesetzes dann auch tatsächlich eine Teilzeitbeschäftigung bekommen wird?
Nein, das wird schon
deshalb nicht funktionieren, weil der Wunsch nicht immer
zu realisieren ist. Das hängt mit dem zusammen, was ich
schon den vorherigen Fragestellern gesagt habe.
Aber vielleicht darf ich einen Vergleich ziehen: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine Teilzeitquote
von 19,5 Prozent. In den Niederlanden beträgt sie gegenwärtig 39 Prozent. - Wenn es so ist, dass es bei den Beschäftigten doch erhebliche Wünsche gibt, ihre Arbeitszeit flexibler zu gestalten und zu reduzieren, und es in
anderen, vergleichbaren Ländern eine deutlich höhere
Teilzeitquote gibt, die auch entsprechend rechtlich unterlegt ist, dann wird unser Gesetz doch sicherlich dazu
führen, dass die Teilzeitquote in unserem Lande steigt.
Und wenn sie steigt, gibt es auch zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten.
Was das IAB und andere Institute dazu sagen, habe ich
angeführt. Ich nehme an, Sie haben das vorher schon
nachgelesen und es ist Ihnen somit bekannt. Es wäre sicherlich Spekulation, zu sagen, in welcher Frist man das
umsetzen kann. Man wird die Entwicklung abwarten
müssen.
Jetzt hat die
Kollegin Baumeister das Wort.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir darin einig, dass sich sowohl im Bereich der Teilzeitarbeit als auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen für Kleinbetriebe eine relative Verschärfung
ergibt, die Sie mit einer Kleinstbetriebsklausel abmildern
könnten? Wären Sie bereit, sich das Problem mit den befristeten Arbeitsverhältnissen noch einmal genauer anzusehen? Die Regelung stellt doch gerade für Kleinbetriebe - wir hatten gestern eine Diskussion mit den
Gewerkschaften - ein relativ großes Hemmnis dar. Befristete Arbeitsverhältnisse sind zum Ausgleich von Schwankungen für sie notwendig.
Nein, ich teile Ihre Einschätzung überhaupt nicht. Kleinbetriebe sind schon von
daher nicht betroffen, weil wir im Geltungsbereich des
Gesetzes ausdrücklich Betriebe mit weniger als 15 Beschäftigten - dazu kommen noch die Auszubildenden ausgenommen haben. Im Übrigen müssen Sie wissen,
dass bei Betrieben bis zu fünf Beschäftigten das Kündigungsschutzgesetz sowieso nicht greift. Die Beurteilung,
Kleinbetriebe würden besonders benachteiligt, kann ich
nicht teilen.
({0})
- Wenn Sie es von der Rechtssystematik her sehen, wurde
das Gesetz so gefasst, dass jede Befristung eines sachlichen Grundes bedarf. Wir schaffen dann sozusagen Zusatzregelungen für Neueinstellungen; da soll eine Befristung ohne sachlichen Grund bis zu zwei Jahren mit
dreimaliger Verlängerung möglich sein. Insofern ist dies
eine gute Regelung. Der sachliche Grund für den Betrieb
muss nicht entfallen.
Ich sehe, dass es
keine weiteren Fragen zu diesem Thema mehr gibt. Gibt
es andere Fragen an die Bundesregierung? - Herr
Koppelin, wollen Sie zu diesem Thema oder zu einem
anderen Thema fragen?
Zu einem anderen Thema.
Herr Koppelin,
bitte.
Ich hätte gerne von der
Bundesregierung gewusst, ob man sich heute im Kabinett
mit dem Verstoß gegen die Bundeshaushaltsordnung
beschäftigt hat. Der Bundeshaushalt liegt jetzt dem Parlament zur Beratung vor. Zum Einzelplan 14 sieht die Situation so aus, dass den entsprechenden Berichterstattern
sowie dem Haushaltsausschuss die notwendigen Fakten
und Unterlagen zur Beratung bisher nicht zur Verfügung
gestellt wurden. Das Finanzministerium hat dem Haushaltsausschuss nichts zugeleitet, sodass wir nicht erkennen können, was die Bundeswehr tatsächlich beschaffen
will. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Bundeshaushaltsordnung.
Darf ich fragen, ob sich das Kabinett mit diesem Verstoß gegen die Bundeshaushaltsordnung beschäftigt hat?
Wenn ich es
richtig sehe, sind wir jetzt schon beim Bereich der sonstigen Fragen, also nicht bei Themen, die im Kabinett behandelt worden sind. Wer möchte vonseiten der Bundesregierung antworten? - Herr Staatsminister Bury, bitte.
Herr Kollege Koppelin, dieses Thema hat heute im
Kabinett keine Rolle gespielt.
Herr Koppelin,
bitte.
Herr Staatsminister, darf
ich Sie dann fragen, wie Sie diesen Verstoß gegen die
Bundeshaushaltsordnung beurteilen? Der Haushalt liegt
nun beim Parlament und nicht mehr bei der Regierung
und damit sind nach der Bundeshaushaltsordnung sämtliche Unterlagen zur Beratung zur Verfügung zu stellen.
Das Finanzministerium ist bis heute nicht in der Lage, die
Unterlagen zum Verteidigungshaushalt zur Verfügung zu
stellen. Das heißt, Sie müssen damit rechnen, dass meine
Fraktion gegebenenfalls verlangen wird, die Beratungen
für den Verteidigungsetat um eine Woche zu verschieben,
was letztendlich Auswirkungen auf die Haushaltsberatungen insgesamt haben würde. Sie können unsere Arbeit
nicht in dieser Weise blockieren. Nicht Sie haben den
Haushalt, sondern das Parlament hat ihn.
Wenn ich es
richtig sehe, möchte jetzt Herr Staatssekretär Kolbow antworten.
Herr Kollege Koppelin, die Angelegenheit hat heute auch im Verteidigungsausschuss
eine Rolle gespielt. In dieser Sitzung war der Herr Bundesminister der Verteidigung anwesend und hat auf Fragen von Abgeordneten erklärt, dass zu den Beratungen im
Haushaltsausschuss und im Verteidigungsausschuss die
Unterlagen zur Verfügung stehen werden.
({0})
Jetzt gebe ich
der Frau Kollegin Hasselfeldt das Wort.
Die Bundesregierung hat heute auch Entscheidungen im Zusammenhang
mit der Ökosteuer, nämlich eine Umwandlung der Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale sowie einen Heizölkostenzuschuss, getroffen. Damit ist eine Mindereinnahme für die Länder verbunden. Wie hoch ist diese
Mindereinnahme und wie gedenkt die Bundesregierung
diese Mindereinnahme für die Länder und auch für die
Kommunen zu kompensieren, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einnahmen aus der Ökosteuer, die in
diesem Zusammenhang anfallen, ausschließlich dem
Bund zustehen?
Bitte schön,
Frau Staatssekretärin Hendricks.
Die Bundesregierung gedenkt nicht, diese Mindereinnahmen der Länder und der
Kommunen zu kompensieren. Bei der Entfernungspauschale handelt es sich um eine Verteilung nach dem Einkommensteuerrecht. In der Finanzverfassung ist geregelt,
dass sowohl bei Mehr- als auch bei Mindereinnahmen
Bund und Länder mit jeweils 42,5 Prozent und die Kommunen mit 15 Prozent beteiligt sind. Das gilt im Guten
wie im Bösen; da können wir die Finanzverfassung nicht
außer Kraft setzen.
Beim einmaligen Heizölkostenzuschuss handelt es
sich um einen Zuschuss im Rahmen des Wohngeldgesetzes und des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Ausgaben im Zusammenhang mit diesen Gesetzen sind von
Bund und Ländern hälftig zu finanzieren. Das wird sicherlich auch so geschehen. Wie Sie wissen, spielt die
Ökosteuer dort überhaupt keine Rolle. Im Wesentlichen
geht es auch nicht um eine Kompensation einer Ökosteuerstufe, sondern um die Begegnung der weltweiten Ölpreiskrise. Dies ist eine gesamtstaatliche Aufgabe.
({0})
Gibt es noch
eine weitere Frage an die Bundesregierung? - Das ist
nicht der Fall. Dann beende ich diese Befragung.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 14/4122 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung der
Fragen ist Herr Kollege Catenhusen bereit.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Maritta Böttcher
auf:
Welchen Stellenwert hat für die Bundesregierung gegenwärtig
die in der Koalitionsvereinbarung verankerte Zielsetzung einer
Absicherung der verfassten Studierendenschaft durch eine Weiterentwicklung des Hochschulrahmengesetzes, insbesondere vor
dem Hintergrund der Überlegungen in Niedersachsen, die verfasste Studierendenschaft im Landeshochschulgesetz abzuschaffen?
Frau
Kollegin Böttcher, auf Ihre Frage 1, welchen Stellenwert
für die Bundesregierung die Zielsetzung einer Absicherung der verfassten Studierendenschaft im Hinblick auf
angebliche Überlegungen in Niedersachsen hat, antworte
ich Ihnen wie folgt: Wie in der Koalitionsvereinbarung
angekündigt, wird die Bundesregierung das Hochschulrahmengesetz in Abstimmung mit den Ländern fortentwickeln. Ab Oktober wird eine vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung eingesetzte Bund-LänderArbeitsgruppe auf Ministerebene die Beratungen über
notwendige Änderungen des Hochschulrahmengesetzes
aufnehmen. Dabei wird auch die Frage der Absicherung
der verfassten Studentenschaft einbezogen werden.
Bitte, Ihre Zusatzfrage.
Sie haben gesagt, das werde
ab Oktober beginnen. Können Sie etwas näher sagen,
wann wir mit einer HRG-Novelle zu rechnen haben? Ist
eventuell angedacht, das im Zusammenhang mit der Reform des Dienstrechtes zu tun?
Das ist
eine der Möglichkeiten. Diese Arbeitsgruppe wird noch in
diesem Jahr ihre Beratungen abschließen. Dann wird die
Bundesregierung auch diese Frage entscheiden. Sie können davon ausgehen, dass wir uns nach dem bisherigen
Beratungsstand bemühen werden, bis etwa Ostern einen
Gesetzentwurf zu erstellen.
Ich rufe nun die
Frage 2 der Abgeordneten Böttcher auf:
Sieht die Bundesregierung angesichts der anerkannten Notwendigkeit des Engagements auch von Hochschulen und Forschungseinrichtungen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus den Bedarf einer Erweiterung der
Aufgaben der verfassten Studierendenschaft nach dem Hochschulrahmengesetz?
Frau
Böttcher, Ihre Frage nach dem Bedarf einer Erweiterung
der Aufgaben der verfassten Studierendenschaft nach dem
Hochschulrahmengesetz beantworte ich wie folgt: Die
verfasste Studentenschaft ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts und insoweit ein Zwangszusammenschluss
von Studierenden. Nach § 41 des Hochschulrahmengesetzes umfasst die landesrechtlich zu regelnde Aufgabenstellung der verfassten Studentenschaften die Wahrnehmung der hochschulpolitischen, sozialen und kulturellen
Belange der Studierenden, die Pflege der überregionalen
und internationalen Studentenbeziehungen sowie die
Wahrnehmung studentischer Belange in Bezug auf sämtliche Aufgaben der Hochschulen nach dem Hochschulrahmengesetz.
Deshalb hat beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen in Ausfüllung der Handlungsspielräume des Hochschulrahmengesetzes in seinem Universitätsgesetz als
Aufgaben der verfassten Studentenschaft festgelegt, dass
sie unter anderem an der Erfüllung der Aufgaben der
Hochschulen insbesondere durch Stellungnahmen zu
hochschul- oder wissenschaftspolitischen Fragen mitzuwirken hat und auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung die politische Bildung, das staatsbürgerliche
Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft zur aktiven Toleranz ihrer Mitglieder fördern soll. Die Studierendenschaft und ihre Organe können in Nordrhein-Westfalen für die genannten Aufgaben Medien aller Art nutzen
und in diesen Medien auch die Diskussion und Veröffentlichung zu allgemein gesellschaftspolitischen Fragen ermöglichen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit diesem
Gesetz der Handlungsspielraum des § 41 Hochschulrahmengesetz auf beispielhafte Weise präzisiert ist. Für uns
ist das Engagement der verfassten Studentenschaft gegen
Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus durch den Spielraum des § 41 Hochschulrahmengesetz abgedeckt.
Haben Sie noch
eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe noch eine
Frage. - Was Sie gesagt haben, ist mir bekannt. Ich
möchte erweitert die Frage stellen: Wie steht die Bundesregierung rechtspolitisch zu dem Sachverhalt, dass bei
behaupteten Kompetenzüberschreitungen von Studierendenschaftsorganen durch Wahrnehmung des allgemeinpolitischen Mandats eine Art Popularklage erhoben werden kann, die dem Verwaltungsrecht im Übrigen fremd
ist?
Wir haben das Problem, dass zu unserem großen Bedauern seit
einigen Jahren die Frage der Auslegung des Handlungsspielraums des § 41 Hochschulrahmengesetz Gegenstand
von Klagen geworden ist, was zu einer sehr einschneidenden Bedrohung der Situation engagierter Funktionsträger der verfassten Studentenschaft geführt hat.
Wir sehen auf der anderen Seite das Problem, dass wir
durch den Charakter des Hochschulrahmengesetzes als
Rahmengesetz des Bundes über Bestimmungen des Rahmengesetzes nicht die notwendige Präzision erreichen
können, die wir eigentlich für die Rechtssicherheit auf
diesem Gebiet gerade im Interesse der engagierten Studenten und Studentenschaftsvertreter dringend bräuchten.
Trotz Ihres Hinweises sehen wir große Schwierigkeiten, jetzt über eine Novellierung des Hochschulrahmengesetzes diese notwendigen Klarheiten zu schaffen. Wir
vertreten die Auffassung, dass auch andere Bundesländer
- etwa nach dem Beispiel von Nordrhein-Westfalen dort, wo solche Rechtsfälle anhängig werden, die notwendigen Präzisierungen über die eigenen Landeshochschulgesetze vornehmen sollten. Das ist möglich und
kann auch zur Sicherheit des Umgangs mit dieser schwierigen Materie auf allen Seiten beitragen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen
wird der Parlamentarische Staatssekretär Mosdorf beantworten.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Koppelin auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung des Bundesministers
der Verteidigung, Rudolf Scharping, dass die Genehmigung für
den Export einer Munitionsfabrik für die Türkei nur hätte abgelehnt werden können, wenn gleichzeitig ein erheblicher Vertrauensschaden „in Kauf genommen worden wäre“ ({0})?
Frau Präsidentin, Herr Koppelin, ich würde ganz gern die Fragen 5
und 6 zusammenhängend beantworten.
Dann rufe ich
außerdem die Frage 6 des Abgeordneten Koppelin auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung des Bundesministers
der Verteidigung, Rudolf Scharping, dass die Genehmigung für
den Export einer Munitionsfabrik für die Türkei erteilt werden
musste, da „die Türkei NATO-Partner ist und schon wegen ihrer
geografischen Lage von enormer strategischer Bedeutung ist“
({0})?
Die Bundesregierung hat vor Erteilung der Ausfuhrgenehmigung
durch das Bundesausfuhramt den Fall sorgfältig geprüft
und die Ausfuhr gebilligt. Dabei wurden die Einzelaspekte des Falls untersucht. Hierbei spielten auch bündnispolitische Aspekte und vorangegangene positive Bescheide auf Voranfragen eine Rolle.
Im Übrigen kommentiert die Bundesregierung nicht
die Äußerungen von Bundesministern in Zeitungsinterviews.
Herr Staatssekretär darf
ich Sie zu Ihrer letzten Bemerkung fragen, ob es eine neue
Entscheidung der Bundesregierung ist, dass sie Äußerungen von Bundesministern nicht mehr kommentiert?
Ich glaube, es
gibt kein Amt der Bundesregierung, das regelmäßig die
Äußerungen und Interviews von Bundesministern kommentiert. Davon ist mir nichts bekannt.
Ich bin gern bereit, Ihnen
da behilflich zu sein, und nenne zum Beispiel den Staatssekretär im Bundespresseamt.
Der kommentiert keine Interviewäußerungen vom Verteidigungsminister oder von anderen Ministern.
Kommen wir zu den Fragen!
Zwei haben Sie
schon verbraucht.
Das weiß ich. Ich weiß
auch, dass von dieser Regierung kaum Antworten zu bekommen sind. Wir versuchen es trotzdem.
Herr Staatssekretär, können Sie mir einmal den Unterschied erklären zwischen einer Munitionsfabrik und der
Lieferung von Panzern? Sie lehnen ja die Lieferung von
Panzern ab, weil man befürchtet, dass sie gegen Kurden
eingesetzt werden. In Bezug auf Munition haben Sie diese
Befürchtung nicht?
Ich kann die
Frage nicht nachvollziehen, weil wir keinen Antrag für
eine Panzerlieferung vorliegen haben.
Da es um Vertrauensschutz geht, darf ich Sie weiter fragen: Behaupten Sie,
dass eine Zusage bereits durch die alte Bundesregierung,
also vor dem Regierungswechsel, erfolgt ist? Das würde
bedeuten, dass solche Anträge über drei Jahre bearbeitet
werden müssen, bis darüber entschieden wird. Oder ist
meine Information richtig, dass diese Regierung die Anfrage bekommen und darüber entschieden hat? Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Äußerungen Ihres grünen Koalitionspartners?
Verehrter Herr
Kollege Koppelin, ich darf Sie darauf hinweisen, dass die
Firma Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen GmbH
langjährige Geschäftsbeziehungen in die Türkei hat, dass
sie seit langem Munition des älteren NATO-Standards liefert und dass sie jetzt dabei ist, die bestehende Struktur zu
erweitern, um auch Munition des neuen Standards liefern
zu können, dessen Produktion entsprechende Technologieanlagen erfordert. Die deutsche Firma ist als Führer eines deutsch-belgisch-französischen Konsortiums aufgetreten. In der Tat - da haben Sie völlig Recht - gab es alte
Anfragen und viele Voranfragen, die bindend waren. Die
Bundesregierung betrachtet diesen Fall als Altfall.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kolb.
Herr Staatssekretär, Sie
haben gesagt, es gebe keine aktuelle Notwendigkeit, die
Lieferung einer Munitionsfabrik mit der Lieferung von
Panzern zu vergleichen. Ein Antrag sei nicht gestellt. Ich
frage deshalb nach, ob Sie über einen entsprechenden Antrag, wenn er gestellt würde, analog entscheiden würden,
das heißt, ob Sie aus bündnispolitischen Gründen die Notwendigkeit der Lieferung einer Munitionsfabrik bejahen
würden. Wie gedenken Sie mit einem solchen Antrag umzugehen?
Herr Kollege
Kolb, wir haben, wie Sie sich sicherlich erinnern werden,
am 19. Januar dieses Jahres Grundsätze verabschiedet, die
eine genaue Prüfung aller Aspekte verlangen. Das wird
auch für neue Anträge gelten. Aber es gibt im Moment
keine Anträge. Sie werden verstehen - das haben Sie,
glaube ich, nicht anders gehandhabt -, dass ich mich hier
zu noch nicht gestellten Anträgen nicht hypothetisch
äußern möchte.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, Sie haben
eben zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesregierung
in diesem Fall von einem Altfall ausgeht. Können Sie mir
erklären, weshalb die Bundesregierung drei Jahre bzw.
zumindest mehr als zwei Jahre benötigt hat, um über die
Lieferung der Munitionsfabrik zu entscheiden, wenn Sie
tatsächlich von einer rechtlichen Verpflichtung zur Lieferung ausgegangen sind? Welche verwaltungstechnischen
Probleme haben dafür gesorgt, dass dieser Entscheidungsprozess nicht schneller abgeschlossen werden
konnte?
Herr Kollege
Niebel, ich habe nicht gesagt, dass es drei Jahre gedauert
hat. Das hat Ihr Kollege Koppelin behauptet.
({0})
- Nein, Sie haben von drei Jahren geredet. Es wäre natürlich besser für das Land, wenn wir schon drei Jahre regieren würden. Aber das ist eine andere Sache.
({1})
- Herr Koppelin, Sie haben doch nicht einmal einen
LKW-Führerschein.
({2})
- Herr Niebel, das ist vorbildlich: Bundeswehr und Führerschein Klasse II!
Zurück zu Ihrer Frage, Herr Kollege Niebel: Es wurden ganz offensichtlich schon frühzeitig, also schon unter
der alten Bundesregierung - insofern haben Sie mit den
drei Jahren nicht ganz Unrecht -, Voranfragen und Anträge gestellt, weil sich die Hersteller in einem schwierigen Prozess befanden, nämlich einerseits der Erweiterung
einer bestehenden Fabrik und andererseits der Bildung eines deutsch-belgisch-französischen Konsortiums. Uns
lag der entsprechende Antrag erst in diesem Frühjahr vor.
Über diesen ist dann sehr rasch entschieden worden.
({3})
- Das ist doch nichts Neues. Rechtsbindungen bestanden
schon vorher. Das war die Antwort auf die Frage von
Herrn Koppelin.
Es gibt keine
weiteren Zusatzfragen zu den Fragen 5 und 6. Der Vollständigkeit halber sage ich, dass die Fragen 3 und 4
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen jetzt zu Frage 7 des Abgeordneten
Hartmut Koschyk. - Er ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Mascher zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dirk Niebel auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die Bearbeitungsfrist für die Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen, die für ausländische Computerexperten per Verordnung innerhalb einer Woche abgewickelt werden - die so
genannte Green Card -, auch für ausländische Arbeitskräfte, die
in Deutschland an Projekten beteiligt sind und den Regelungen
der Anwerbestoppausnahmeverordnung unterliegen, ebenfalls auf
eine Woche verkürzt werden könnte, und, wenn nein, warum
nicht?
Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Mascher.
Herr Abgeordneter Niebel, die Bundesregierung beabsichtigt gegenwärtig
nicht, die in § 7 Abs. 1 der Verordnung über die
Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische
Fachkräfte der Informations- und Telekommunikationstechnologie getroffene Regelung, nach der die Arbeitsämter innerhalb einer Woche über die Erteilung der Arbeitserlaubnis für ausländische IT-Fachkräfte bzw. deren
Zusicherung entscheiden sollen, auf andere Ausnahmen
vom Anwerbestopp zu übertragen.
Ziel der besonderen Regelung für Computerexperten
ist es, die Unternehmen durch ein beschleunigtes Verfahren für die Erteilung der Arbeitserlaubnis im internationalen Wettbewerb um die besten IT-Fachkräfte zu unterstützen. Eine Verkürzung des Bearbeitungsverfahrens ist in
diesen Fällen deshalb möglich, weil es sich um einen klar
und einfach definierten sowie - im Gegensatz zu den Fällen der Anwerbestoppausnahmeverordnung - von vornherein auch zahlenmäßig begrenzten Personenkreis handelt. Dagegen wurden von den Arbeitsämtern im Rahmen
der Ausnahmen vom Anwerbestopp allein im vergangenen Jahr über 300 000 Arbeitserlaubnisse erteilt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel, bitte.
Frau Staatssekretärin, die
Anwerbestoppausnahmeverordnung regelt Ausnahmen
vom generellen Anwerbestopp. Diese Ausnahmen sind
selbstverständlich in der selbigen Verordnung klar umrissen und genau geregelt, weil sie sonst nicht handhabbar
wären. Was spricht dagegen, dass diese Kräfte, für die extra eine Ausnahme geschaffen worden ist, in der deutschen Wirtschaft ebenso dringend gesucht werden wie
Fachkräfte in der IT-Branche?
Bei der
IT-Branche ist eine zahlenmäßige Abgrenzung möglich,
die Sie bei den anderen - ohne Zweifel klar definierten Ausnahmen der Anwerbestoppausnahmeverordnung so
nicht vornehmen können.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, es ist lobenswert, dass im Rahmen der so genannten Green Card
die Arbeitsverwaltung offenkundig in der Lage ist, innerhalb einer Woche zumindest über die Zusicherung der Arbeitserlaubnis zu entscheiden. Aus welchem Grund ist es
so viel schwieriger, über einen Arbeitserlaubnisantrag bei
Ausländern, die sich bereits im Inland befinden, zu entscheiden, wenn - das wissen wir doch alle - eine Mindestprüffrist von vier Wochen vorgeschrieben ist?
Herr Niebel, auch
Sie wissen, dass die Prüffrist festgelegt wurde, weil es
sich um eine Arbeitsmarktprüfung handelt. Angesichts
der noch immer sehr hohen Arbeitslosigkeit - im Moment
geht sie glücklicherweise zurück - halte ich es im Rahmen
einer verantwortlichen Politik für notwendig, dass wir untersuchen, ob auch inländische Arbeitssuchende infrage
kommen und wie die Auswirkungen auf inländische Arbeitssuchende sind.
({0})
Ich rufe jetzt die
Frage 9 des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf:
Wie viele Arbeitsgenehmigungen sind für tschechische Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Grenzgängerregelung in der
ostbayerischen Region - möglichst aufgeteilt nach Arbeitsamtsbezirken - erteilt worden und welche Erfahrungen liegen im Zusammenhang damit vor?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege
Hofbauer, im Jahre 1999 wurden für tschechische Bürgerinnen und Bürger im Landesarbeitsamtsbezirk Bayern
796 Arbeitsgenehmigungen für die erstmalige Beschäftigung, 4 135 für die Fortsetzung der Beschäftigung und
1 794 für eine erneute Beschäftigung erteilt. Eine Differenzierung der Zahlen nach Arbeitsamtsbezirken der ostbayerischen Region war kurzfristig leider nicht möglich.
Die Arbeitsgenehmigungserteilung erfolgt durch das örtlich zuständige Arbeitsamt nach einer Einzelfallprüfung.
Herauszuhebende Erfahrungen mit der Grenzgängerregelung gibt es nicht.
Möchten Sie
eine Zusatzfrage stellen? - Bitte.
Frau Staatssekretärin,
es wundert mich etwas, dass es im Rahmen der Grenzgängerregelung keine Erfahrungswerte gibt. Diese Grenzgängerregelung gibt es eigentlich schon seit zehn Jahren.
Ich komme aus der Region in unmittelbarer Nähe zur
tschechischen Grenze. Wir haben dort zum Teil sehr positive Erfahrungen mit der Grenzgängerregelung gemacht.
Im Zuge der Osterweiterung müssen wir uns Gedanken
machen, wie es mit dem Arbeitsmarkt, insbesondere mit
den Übergangsregelungen, weitergeht. Deshalb frage ich
Sie: Wie soll eine Übergangsregelung zur Bekämpfung
des sehr starken Lohngefälles zwischen deutscher und
tschechischer Seite konkret aussehen? Können Sie sich
Instrumente vorstellen, mit denen wir bereits jetzt die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf dem Gebiet
des Arbeitsmarktes verstärken? Wir könnten zum Beispiel
in Teilbereichen, wo deutsche Jugendliche nicht zur Verfügung stehen, tschechische Jugendliche nach unseren
Grundsätzen ausbilden, um in den nächsten Jahren, also
nach der Osterweiterung, Fachkräfte von dort zu bekommen.
Ich weiß nicht, mit welcher Strategie, mit welchem
konkreten Konzept die Bundesregierung ans Werk geht.
Ich glaube, es handelt sich um eine für die Menschen in
dieser Grenzregion sehr wichtige Frage. Es handelt sich
aber auch um ein wirtschaftliches Problem, weil Fachkräfte auf beiden Seiten der Grenze gefragt sind. Es geht
darum, die Zusammenarbeit vor Ort zu praktizieren.
Herr Abgeordneter Hofbauer, es gibt ohne Zweifel positive Erfahrungen.
Ich habe Ihnen auch gesagt, dass wir - jedenfalls so kurzfristig - keine differenzierten Ergebnisse hinsichtlich der
Arbeitsgenehmigungen mitteilen können. Ich denke aber,
dass wir Ihnen das aufgeschlüsselt geben können, wenn
Sie uns noch ein bisschen Zeit lassen. Wir führen derzeit
die Diskussion über eventuelle Übergangsregelungen für
die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Das Arbeitsministerium ist der Meinung, dass wir solche Übergangsregelungen brauchen, aber wir befinden uns im Moment noch in
einem Diskussionsprozess darüber, wie diese Übergangsregelungen auch unter Berücksichtigung der Interessen
der Beitrittskandidaten - Polen, Tschechien, Ungarn und
der anderen Länder - aussehen können.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, Sie haben
eben zum Ausdruck gebracht, dass allein im Rahmen der
tschechischen Grenzgängerregelung insgesamt 6 725 Arbeitserlaubnisse erteilt worden sind; das ist die Summe
der von Ihnen genannten Zahlen. Auf meine vorhin gestellte Frage haben Sie festgestellt, dass nach der Anwerbestoppausnahmeverordnung über 300 000 Arbeitserlaubnisse erteilt worden sind. Im Rahmen der so
genannten Green Card wird von bis zu 20 000 Arbeitserlaubnissen gesprochen. Nun wissen wir, dass es Grenzgängerregelungen auch mit anderen Nachbarn der Bundesrepublik Deutschland und Fachkräftemangel auch in
anderen Branchen als in der IT-Branche gibt. Aus welchem sachlich nachvollziehbaren Grund sind Sie der Ansicht, dass es nicht sinnvoller wäre, Arbeitsmigration im
Rahmen einer gesetzlichen Zuwanderungsregelung zu regeln, sodass Transparenz und Rechtssicherheit für die
deutsche Wirtschaft und die wandernden Menschen bestehen?
Zum einen zeigen
die Zahlen - sie sind nicht für die Grenzgänger allein ausgewiesen, sondern betreffen Genehmigungen des Landesarbeitsamtes Bayern -, dass wir durchaus flexibel auf den
Arbeitskräftebedarf reagieren. Darüber hinaus ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in unserem eigenen
Land immer sorgfältig zu prüfen, wieweit wir Arbeitssuchenden in Deutschland durch Qualifizierung und durch
bessere Vermittlungschancen wieder eine Eingliederung
in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Darüber hinaus wissen
wir ja, dass wir mit der Osterweiterung - wie auch immer
die Übergangsregelungen aussehen werden - ein erhebliches Arbeitskräfteangebot aus den Beitrittsstaaten dazubekommen. Ich denke, hier muss man sorgfältig und behutsam vorgehen, um die Arbeitsmarktsituation zum
Beispiel für ältere deutsche Arbeitslose nicht dramatisch
zu verschlechtern.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Seifert.
Frau Kollegin Staatssekretärin,
ich darf vielleicht zunächst einmal davon ausgehen, dass
Sie nicht nur dem Kollegen Hofbauer die detaillierten
Zahlen für Bayern, sondern uns allen oder wenigstens mir
auch die Zahlen für Thüringen und Sachsen zukommen
lassen können. Meine Frage lautet aber: In welcher Form
findet denn Zusammenarbeit auf Regierungsebene statt,
um das Lohngefälle und sonstige Gefälle an der Grenze
abzubauen und zwar auf beiden Seiten? Es wäre für uns
sicherlich sehr nützlich, wenn auf der tschechischen Seite
die Löhne steigen würden, damit dieses Gefälle nicht so
groß ist. Ich freue mich, dass gerade heute eine Delegation des Sozial- und Gesundheitsausschusses des tschechischen Parlaments hier bei uns ist. Vielleicht gibt es
ähnliche Kontakte auch auf Regierungsebene, die uns
hierbei etwas voranbringen.
Herr Seifert, wir
alle gehen nach den Erfahrungen mit den Beitritten der
südeuropäischen Länder davon aus, dass sich durch den
Beitritt zur EU die wirtschaftliche Entwicklung und damit
auch die Lohn- und Gehaltssituation der Menschen in den
Beitrittsländern verbessern wird. Die Erfahrungen haben
das gezeigt. Wir gehen davon aus, dass sich das Lohn- und
Gehaltsgefälle - sicher nicht rasch, aber doch in einem absehbaren Zeitraum - verbessern wird.
Ich sage Ihnen zu, dass Sie die Zahlen für Thüringen
und Sachsen bekommen.
Damit kommen
wir zur Frage 10 des Abgeordneten Klaus Hofbauer.
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, im Hinblick auf
die EU-Osterweiterung die geltende Grenzgängerregelung als
Übergangsregelung nach dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union für einen noch festzulegenden Zeitraum beizubehalten?
Herr
Hofbauer, im Rahmen der Osterweiterung hat sich die
Bundesregierung für angemessene Übergangsregelungen
bis zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgesprochen, um wirtschaftliche und soziale Brüche zu vermeiden. Darüber haben wir ja gerade geredet. Wie solche
Übergangsregelungen konkret mit den mittel- und osteuropäischen Kandidatenländern auszugestalten sind, ist
derzeit noch nicht Gegenstand der Beratungen auf EUEbene.
Möchten Sie
eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege Hofbauer?
Frau Staatssekretärin,
ich bin angesichts der Tatsache, dass es sich um ein
Thema handelt, das die Menschen brennend interessiert
und das bald akut wird, schon ein bisschen enttäuscht darüber, dass man noch keine Strategie entwickelt und keine
Überlegungen darüber angestellt hat, wie dieses konkret
umgesetzt werden soll. Gibt es einen Zeitplan bzw.
Überlegungen dazu, wann die Bundesregierung hierüber
Gespräche anfangen wird? Bis wann wird man intern eine
Strategie festlegen, wie man das umsetzen kann? Vor allen Dingen interessiert mich, wann wir mit der konkreten
Zusammenarbeit beginnen können. Wir sollten nicht warten, bis die Osterweiterung erfolgt, denn dann stehen wir
hilflos da und wissen nicht, wie es weitergeht; das sage ich
jetzt ein bisschen überspitzt.
Herr
Hofbauer, Sie haben doch gerade selber sehr anschaulich
beschrieben, welche Formen der Zusammenarbeit es
schon gibt und dass wir nicht dastehen und warten, bis der
Beitritt vollzogen ist, sondern dass gerade in den Regionen die Zusammenarbeit immer mehr ausgeweitet wird.
Ich bitte aber angesichts der Sensibilität dieses Themas sowohl für die Beitrittsländer als auch für die Bundesrepublik Deutschland - um Verständnis, dass wir uns mit irgendwelchen Ankündigungen sehr zurückhalten, bevor
wir darüber nicht mit den anderen EU-Partnern eine Verständigung erreicht haben. Alles andere wäre wirklich
kontraproduktiv.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Singhammer.
Frau Staatssekretärin, trifft es zu, dass es bei der Grenzgängerregelung
eine entsprechende Zielvorgabe der Bundesregierung
gibt, aber nicht bei der so genannten Übergangsregelung?
Ich kann Ihnen
dazu jetzt nichts sagen. Ich habe darüber keine präzisen
Informationen. Aber wenn Sie möchten, kann ich Ihnen
die Frage gerne schriftlich beantworten.
Gerne!
Es gibt keine
weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 11 und 12 werden auf Wunsch der Abgeordneten Heidi Knake-Werner schriftlich beantwortet.
Das Gleiche gilt für die Fragen 13 und 14.
Wir kommen jetzt zur Frage 15 des Abgeordneten
Dr. Ilja Seifert:
Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Bericht im
„Gelben Dienst“ 17/2000 vom September 2000 zu bewerten, dass
die Erarbeitung eines Sozialgesetzbuches IX gestoppt worden sei,
weil der vorliegende Referentenentwurf auf Druck der Fraktion
der SPD zurückgezogen werden musste, und wie beabsichtigt sie,
die Arbeit an diesem Gesetzesvorhaben weiterzuführen?
Ich möchte gerne
die Fragen 15 und 16 gemeinsam beantworten.
Ist der Fragesteller damit einverstanden? - Ja. Dann rufe ich auch
die Frage 16 auf:
Trifft es außerdem zu, dass die „zuständigen Autoren“ des Referentenentwurfs für ein SGB IX sich geweigert hätten, politische
Vorgaben der Koalitionsparteien bei der Erarbeitung eines
SGB IX umzusetzen, und wenn ja, welche praktischen Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Dr. Seifert,
Sie beziehen sich auf eine Darstellung im „Gelben
Dienst“ über die Erstellung des SGB IX, also der Zusammenführung des Rehabilitationsrechtes. Meine Antwort,
Herr Dr. Seifert, lautet: Die von Ihnen zitierte Darstellung
im „Gelben Dienst“ entbehrt zum Glück jeder Grundlage.
Die Erarbeitung eines Neunten Buches des Sozialgesetzbuches, also des SGB IX, geht zügig voran. Alle Spekulationen, die im „Gelben Dienst“ angestellt worden sind,
haben überhaupt keine sachliche Grundlage.
Bitte, Sie können Zusatzfragen stellen.
Frau Staatssekretärin, das kann
man ja vielleicht als positive Nachricht auffassen, obwohl
der „Gelbe Dienst“ gewöhnlich durchaus gut informiert
ist. Es lässt sich aber nicht leugnen, sondern es ist vielmehr deutlich zu erkennen, dass die Bundesregierung bei
ihrer Prioritätensetzung deutliche Veränderungen vorgenommen hat. Ursprünglich hieß es immer: SGB IX, SGB
IX, SGB IX. Jetzt wurde zunächst einmal die Novellierung des Schwerbehindertengesetzes vorgezogen. Zurzeit
ist von einem Gleichstellungsgesetz die Rede. Vom
SGB IX wird momentan eigentlich kaum geredet. Wie
kommt das und wie kann man diese veränderte Schwerpunktsetzung erklären?
Es gibt keine veränderte Schwerpunktsetzung. Nach wie vor werden die
Arbeiten am Referentenentwurf für das SGB IX intensiv
vorangetrieben. Aber es ist vielleicht auch für Sie nachvollziehbar, dass die Zusammenführung der Regelungen
von - ich glaube, neun - unterschiedlichen Rehabilitationsträgern eine Menge Abstimmungsbedarf und sehr
viele Gespräche nach sich zieht und dass das kein ganz
einfaches Unterfangen ist. Aber wir werden den Referentenentwurf bis zum Ende dieses Jahres - das sind noch
drei Monate - fertig stellen.
Wir werden allerdings auch die Arbeiten an einem
Gleichstellungsgesetz mit Nachdruck voranbringen. Dies
müsste an sich auch von Ihnen gewünscht sein.
Selbstverständlich bin ich für
das Gleichstellungsgesetz. Das ist gar keine Frage. Ich
hoffe nur, dass es gut ausgestaltet wird.
Zurück zum SGB IX: Wollen Sie bis Ende des Jahres
einen fertigen Referentenentwurf oder einen Kabinettsbeschluss haben? Das ist ein kleiner Unterschied. Immerhin
darf ich darauf hinweisen, dass schon mindestens fünf
oder sieben Referentenentwürfe im Umlauf sind. Sie haben sich immer wieder sehr schnell verändert. Es gab sehr
viel Kritik von den betroffenen Organisationen, sowohl
von den Rehaträgern als auch von den Behindertenorganisationen.
Herr
Dr. Seifert, was im Umlauf ist und wovon auch Sie
Exemplare haben, sind Arbeitsentwürfe, die intensiv diskutiert worden sind. Es geht hier um sehr komplizierte
und detailreiche Regelungen, die man nicht nur mit Überschriften diskutieren kann. Vielmehr braucht man Formulierungen. Wenn ein solcher Arbeitsprozess nicht mehr
möglich ist, wenn er immer mit dem Verdikt versehen
wird, hier werde nachgebessert, dann ist eine vernünftige
Gesetzgebungsarbeit gerade bei einer so komplexen Materie nicht mehr möglich.
Ich denke, dass es wichtig ist, mit allen Beteiligten
- den Betroffenenverbänden, den Rehabilitationsträgern,
den Anbietern in diesem Bereich - intensive Gespräche
aufgrund konkreter Formulierungen zu führen, die Erfahrungen auszuwerten und dann die Formulierungen zu ändern und zu ergänzen. Ich empfinde das als einen positiven Prozess. Ich bedaure, wenn das mit negativen
Vorzeichen geschieht.
Ein solcher Prozess dauert. Das geht nicht von heute
auf morgen. Aber Sie können versichert sein, dass die
Bundesregierung nach wie vor einen Schwerpunkt ihrer
Gesetzgebungsarbeit im Bereich der Sozialpolitik im
SGB IX sieht.
Frau Staatssekretärin, die breite
Diskussion dieses Prozesses in vielen Gremien und mit
sehr vielen Betroffenen halte ich für positiv. Das ist überhaupt kein Verdikt. Das will ich ganz ausdrücklich sagen.
Dennoch möchte ich noch einmal nachfragen, wie es
nach gegenwärtigem Stand um die inhaltliche Ausgestaltung bestellt ist. Die Eckpunkte, die im vergangenen
Herbst vorgestellt wurden, sind in weiten Kreisen durchaus positiv aufgenommen worden. Aber alle darauf folgenden - wie Sie jetzt sagen - „Arbeitsentwürfe“ sind
keine Nachbesserungen, sondern eher „Nachschlechterungen“ gewesen. Deswegen würde mich interessieren,
wie verbindlich die Eckpunkte jetzt noch für diejenigen
sind, die an diesen Entwürfen arbeiten. Haben sich da Veränderungen ergeben, die inhaltliche Akzentverschiebungen mit sich bringen?
Herr
Dr. Seifert, Eckpunkte sind sozusagen Behälter, die ausgefüllt, sind Überschriften, die konkretisiert werden müssen. Ich will gar nicht abstreiten, dass sich mit den Eckpunkten hohe Erwartungen verbunden haben, die jetzt in
der Konkretisierung vielleicht nicht vollständig erfüllt
werden. Aber nach wie vor sind die Eckpunkte die Orientierung für das SGB IX. Sie sind nach wie vor die gültige
Beschlusslage der Koalitionsfraktionen. An ihnen orientiert sich das Arbeitsministerium bei der Erarbeitung
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
dieses Gesetzentwurfes. Sie sind nicht außer Kraft gesetzt
oder in die Schublade gelegt worden. Sie sind nach wie
vor das Raster, an dem sich die konkrete Ausgestaltung
des SGB IX orientiert.
Sie gehen also davon aus, dass
sich die dann vorliegenden Texte an den Vorgaben der
Eckpunkte messen lassen können. Anders ausgedrückt:
Wenn sie weit hinter diesen Vorstellungen zurückbleiben,
dann wundern Sie sich also nicht über die zu erwartende
Kritik.
Herr
Dr. Seifert, ich hoffe, dass wir dann, wenn der Gesetzentwurf vorliegt, nicht nur eine Diskussion darüber haben
werden, welche Erwartungen vielleicht nicht voll erfüllt
sind, sondern auch darüber, was wir an Positivem in dem
SGB IX erreicht haben. Ich bin davon überzeugt, dass das
Positive, das wir hinsichtlich der Verbesserung der Situation der Betroffenen erreichen, gegenüber dem weit überwiegt, was sich nicht ganz so leicht realisieren lässt.
Herr Kollege
Kolb.
Frau Staatssekretärin,
die Komplexität der Materie des Behindertenrechts ist, so
glaube ich, auch schon zu Beginn der Arbeiten allen Beteiligten bekannt gewesen. Nachdem jetzt anderthalb
Jahre Arbeit am Referentenentwurf hinter Ihnen liegen nach Ihren Angaben liegen nur noch drei Monate vor Ihnen -, müsste doch allmählich ein Umriss des Referentenentwurfs sichtbar sein. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass die SPD in der Opposition immer den
Eindruck vermittelt hatte, sie wisse, auf was es ankomme
und was dann geschehen solle.
({0})
Kann es sein, dass sich Ihre hehren Ankündigungen,
die Sie damals gemacht haben, heute nicht mit den Sparanforderungen des Finanzministers in Einklang bringen
lassen? Insbesondere frage ich: Wie sieht es mit der Nachrangigkeit der Sozialhilfe aus? Dieser Punkt müsste doch
auch wegen der Auswirkung auf die Finanzen allmählich
klargestellt werden: Wird sie beseitigt oder nicht?
Herr
Dr. Kolb, wir wollen die sehr schmerzhafte Erfahrung der
alten Regierungskoalition vermeiden. Damals hat zwar
ein Referentenentwurf vorgelegen, aber alle Verbände haben gesagt: Legt diesen Referentenentwurf bitte wieder in
die Schublade! Dieses Gesetz hilft uns nicht weiter.
Wir wollen versuchen, mithilfe intensiver Gespräche
auch mit den örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgern einen Referentenentwurf und dann einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Betroffenen hilft, der die unübersichtliche Materie des Behindertenrechts vernünftig
ordnet und der die Zeit zwischen Antragstellung auf Maßnahmen zur Rehabilitation und dem Beginn dieser Maßnahmen signifikant verkürzt. Es gibt Antragszeiten, die
über ein Jahr hinausgehen. Herr Niebel, es wäre sehr
schön, wenn Sie bei diesem Punkt einmal nachbohren
würden.
Wir werden einen Gesetzentwurf vorlegen, dessen
Umrisse nicht nebelhaft, sondern deutlich sichtbar sind.
Sie haben aber in der Tat einen schwierigen Punkt angesprochen. Wir müssen zu einer vernünftigen Regelung
kommen. Ich denke, wir haben sie jetzt gefunden. Sie
können das alles nachlesen.
({0})
- Herr Niebel, Sie haben es erkannt.
Es ist schade, dass Sie
auf diesen Zwischenruf so reagiert haben, Frau Staatssekretärin. Ich wollte nämlich gerne wissen, ob Sie vielleicht sozusagen ein bisschen die Decke lupfen und sagen
könnten, in welche Richtung die Regelung geht. Was ist
also mit der Nachrangigkeit?
Ich kann Ihnen leider nicht die Freude machen, es als Erster zu erfahren. Sie
werden das im Gesetzentwurf nachlesen können, so wie
es im parlamentarischen Verfahren üblich ist.
Gibt es zu diesem Punkt weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Wir verlassen damit diesen Geschäftsbereich. Ich danke
Ihnen, Frau Staatssekretärin Mascher.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen wird der Parlamentarische Staatssekretär Walter Kolbow beantworten.
Ich rufe zunächst die Frage 17 des Abgeordneten
Günther Friedrich Nolting auf:
Sind nach Auffassung der Bundesregierung die Verwendungsoptionen von Gewehrmunition und Kampfpanzern bei
eventuellen Einsätzen der türkischen Armee gegen Kurden gleich
oder teilt sie meine Meinung, dass Kampfpanzer eher für rein militärische Auseinandersetzungen geeignet sind?
Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten, möchte ich die beiden Fragen des Kollegen
Nolting zusammen beantworten, da sie in einem Zusammenhang stehen.
({0})
- Aber selbstverständlich, Herr Kollege.
Sie können dann
bis zu vier Zusatzfragen stellen. Ich rufe also noch die
Frage 18 des Abgeordneten Günther Friedrich Nolting
auf:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung die von ihr möglicherweise befürchteten Einsätze von Kampfpanzern der türkischen
Armee gegen Kurden zu verhindern, wenn diese von Drittstaaten
geliefert werden, oder ist sie nicht vielmehr meiner Meinung, dass
ein derartiger Einsatz am ehesten durch eine mit vertraglichen
Auflagen verbundene Lieferung von Leopard 2 zu vermeiden
wäre?
Zu Ihrer ersten Frage, lieber Kollege Nolting. Handwaffen und Kampfpanzer haben verschiedene Verwendungsmöglichkeiten. Da ihr Einsatz
durch eine Vielzahl von Faktoren - wie beispielsweise
Witterung, Tageszeit und Geländebedeckung - beeinflusst wird, lässt sich die Frage nicht generell beantworten, sondern bedarf der Betrachtung der jeweiligen
Situation.
Zu Ihrer zweiten Frage. Auf die Lieferung von Rüstungsgütern durch Drittstaaten hat die Bundesregierung,
wie Sie wissen, keinen Einfluss.
Ihre eigenen rüstungspolitischen Entscheidungen werden im Bundessicherheitsrat - auch das ist bekannt - auf
der Grundlage der neu gefassten politischen Grundsätze
für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 21. Januar 2000 getroffen. Bei diesen
Entscheidungen würdigt die Bundesregierung die Situation im Empfängerland, insbesondere die Menschenrechtslage. Grundsätzlich stehen der Bundesregierung
rechtliche Instrumente zur Verfügung, um beispielsweise
den Endverbleib im Empfängerland zu sichern. Wie bei
den Fragen 5 und 6 in dieser Fragestunde schon gesagt
worden ist, stellt sich diese Frage im Augenblick nicht, da
kein Antrag der Türkei vorliegt.
Herr Staatssekretär, hat denn die Bundesregierung eine Lieferung von
1 000 Kampfpanzern Leo 2 in die Türkei bereits abschlägig beschieden? Sie wissen, dass es eine entsprechende
Aussage des Fraktionsvorsitzenden der SPD gegeben hat.
Sie sind davon wahrscheinlich genauso überrascht worden wie ich.
Da ich nicht Mitglied des Bundessicherheitsrates bin,
({0})
kann ich aus meiner Informationssituation heraus diese
Frage nicht beantworten. Da aber - das ist logisch - kein
Antrag vorliegt, ist auch im Bundessicherheitsrat noch
nicht darüber entschieden worden. Im politischen Raum
gemachte Äußerungen möchte ich als Mitglied der Bundesregierung nicht kommentieren.
Aber, Herr
Staatssekretär, beabsichtigt denn die Bundesregierung,
das Parlament in der Zukunft mit solchen Fragen zu beschäftigen, wenn es um die Genehmigung von Rüstungsexporten oder deren Versagung geht, wie es vom grünen
Koalitionspartner gefordert wird?
Wenn die laut Verfassung der
Exekutive obliegenden Entscheidungen gefällt sind, wird
die Bundesregierung das Parlament selbstverständlich informieren.
Das Parlament
wird informiert, aber nicht damit befasst. Habe ich das
richtig verstanden?
Das richtet sich nach den in unserer Verfassung getroffenen Festlegungen bezüglich der
Gewaltenteilung.
Das war es.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Rossmanith.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, dass generell die Exportrichtlinien für wehrtechnisches Material und Gerät
europaweit harmonisiert werden müssten? Welche Initiativen ergreift die Bundesregierung, um dem nachzukommen?
Europaweite Harmonisierungen
sind immer gut und auch notwendig. Obwohl ich lieber
mit Ihnen übereinstimme als nicht mit Ihnen übereinstimme - schon aus persönlichen Gründen, lieber Kollege
Rossmanith -, möchte ich in diesem Zusammenhang
deutlich machen, dass wir aus unserer nationalen Verantwortung heraus für Rüstungsexporte der Bundesrepublik
mit gutem Grund die Richtlinien vom 21. Januar gefasst
haben und uns auch danach verhalten.
({0})
Sie können zwei
Zusatzfragen stellen; es waren zwei Fragen.
Dann möchte ich
diese Möglichkeit wahrnehmen. - Herr Staatssekretär,
sind Sie ebenfalls mit mir der Meinung, dass der NATOPartner Türkei über ein halbes Jahrhundert hinweg ein
treuer, verlässlicher Verbündeter war und dass dieser
NATO-Partner deshalb wie die anderen NATO-Partner
behandelt werden sollte, was den Export von Verteidigungs- und Wehrtechnik anbelangt?
Die Türkei ist ein bewährter strategischer und sicherheitspolitischer, aber auch politischer
Partner, der jedoch den Ansprüchen, die weltweit an Menschenrechte gestellt werden, gerecht werden muss und
deshalb auch unseren Exportbestimmungen, die darauf
sehr viel Wert legen, unterliegt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Als Nächster der
Kollege Singhammer.
Herr Staatssekretär, spielt es bei dem Abwägungsprozess der Bundesregierung zur Vorbereitung dieser Entscheidung eine
Rolle, dass dann, wenn der Export zustande kommt, mehr
als 6 000 Arbeitsplätze dauerhaft gesichert bzw. neu geschaffen werden, oder ist die Arbeitsplatzfrage für Sie
völlig ohne Belang?
Solche Abwägungsprozesse, Herr
Kollege Singhammer, sind immer sehr umfassend. Letztlich spielen aber die bestehenden Exportrichtlinien die
entscheidende Rolle.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, Sie haben
mehrfach ausgeführt, dass eine Anfrage für eine Lieferung von 1 000 Panzern, von der man immer wieder liest
oder hört, bisher nicht vorliegt. Stimmen Sie mir zu, dass
das mit dem Vorlauf zusammenhängen könnte, den ich
mit folgendem Vergleich beschreiben möchte: Das ist genauso, als wenn ich mir ein Auto kaufen möchte und in einen Autoladen gehe und mir der Verkäufer sagt: Selbstverständlich erhältst du ein Auto zur Probefahrt; aber auch
wenn es dir gefällt, werde ich es dir nicht verkaufen. Könnte das der Grund dafür sein, dass noch keine Anfrage
für die Lieferung von 1 000 Panzern bei Ihnen eingegangen ist, obwohl bereits ein Panzer zur Ansicht geliefert
worden ist?
Herr Kollege Niebel, wenn ein
Antrag in Bezug auf Rüstungsexporte bei uns eingegangen ist, beschäftigt sich die Bundesregierung mit dem jeweiligen Antrag oder der Anfrage und entscheidet dann in
dem von mir bereits dargestellten Abwägungsprozess auf
der Grundlage der Exportrichtlinien.
Herr Staatssekretär, können Sie
mir irgendwie das Gefühl nehmen, dass es nach diesen Äußerungen für die Bundesregierung offenkundig
NATO-Partner erster und zweiter Klasse gibt?
Es gibt keine NATO-Partner erster und zweiter Klasse. Alle Partner haben sich unseren
Ansprüchen, die wir bezüglich der Menschenrechte haben, zu stellen. Das gilt auch für jede antragstellende Nation, die von uns Exportgüter beziehen will.
Es gibt eine Zusatzfrage des Kollegen Kolb.
Herr Staatssekretär,
nach den rüstungsexportpolitischen Grundsätzen spielen
bündnis- und sicherheitspolitische Interessenlagen eine
herausragende Rolle. Wären Sie bereit, wenigstens zu bestätigen, dass der Export von Kampfpanzern zur Sicherung und Verteidigung der Südostflanke des NATOBündnisses in erheblichen Maße im bündnispolitischen
Interesse liegt?
Die Ausrüstung zur Wahrnehmung der sicherheitspolitischen Aufgaben im Rahmen
des Bündnisses durch jeden Bündnispartner liegt selbstverständlich im sicherheitspolitischen Interesse der
NATO und spielt auch im Rahmen des Abwägungsprozesses, der bei jedem Rüstungsexport stattfindet, eine
Rolle.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, ist
Ihnen bekannt, dass bei dem zukünftigen EU-Mitglied
Türkei - die Bundesregierung unterstützt die Mitgliedschaft - eine solche Exportdiskriminierung nicht mehr
möglich sein wird?
Uns sind die Grundlagen des EUVertrages selbstverständlich bekannt. Mir ist aber auch
bekannt, dass die gegenwärtige Opposition, insbesondere
die gegenwärtig stärkste Oppositionspartei, die Türkei
nicht als europäisches Land bezeichnet.
Es gibt keine
weiteren Zusatzfragen. Ich rufe jetzt die Frage 19 des Abgeordneten Werner Siemann auf:
Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher erarbeitet, um die strukturellen Überhänge und den damit
einhergehenden Verwendungs- und Beförderungsstau im militärischen Personalkörper zu beseitigen und wie sollen diese Maßnahmen innerhalb der vom Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping, vorgegebenen Zweijahresfrist umgesetzt werden?
Herr Kollege Siemann, der Bundesregierung ist bekannt, dass der militärische Personalkörper durch Unwuchten im Altersaufbau gekennzeichnet
ist. Dies behindert seit Jahren strukturgerechte Einstellungen und führt zur Überschreitung von Grenzaltern, zur
Überalterung auf einsatzwichtigen Dienstposten sowie
zum Motivationsverlust Betroffener und ist eine der Ursachen des vorhandenen Beförderungsstaus. Deshalb bedarf es des von Bundesminister Scharping mehrfach angekündigten Abbaus der strukturellen Personalüberhänge
bei den Berufsoffizieren und Unteroffizieren.
Die Prüfung, wie diese Absicht zugleich effektiv und
sozial verträglich umgesetzt werden kann, ist noch nicht
abgeschlossen. Wie Sie aber aus der heutigen Sitzung des
Verteidigungsausschusses wissen, hat Bundesminister
Scharping dieser Aufgabe Priorität zuerkannt. Er hat ihre
Lösung in die Überlegungen für den Haushalt 2001 einbezogen.
Herr Staatssekretär,
da Sie sich auf Einzelheiten nicht eingelassen haben,
meine Nachfrage dazu.
Sie kennen doch sicher die Ministervorlage vom 7. August 2000 unter dem Titel „Abbau personeller Überhänge“ und hierin die Entscheidungen über das weitere
Vorgehen. Können Sie etwas Näheres dazu sagen, unter
welchen Konditionen und in welcher Weise nach dieser
Ministervorlage die Überhänge bei Berufssoldaten und
Soldaten auf Zeit abgebaut werden sollen?
Herr Kollege, wie der Bundesminister der Verteidigung heute in Ihrer Anwesenheit im
Verteidigungsausschuss festgestellt hat, gibt es einen bestimmten Zeitplan für die Grobplanung und für die Feinplanung der Strukturreform der Bundeswehr. In diese Planungen werden auch die von Ihnen angesprochenen
Fragen einbezogen. Dazu wie auch zu anderen Fragen ist
noch keine Ministerentscheidung erfolgt.
Sie werden, wie der Bundesminister der Verteidigung
heute im Verteidigungsausschuss mitgeteilt hat, nach diesen Entscheidungen unverzüglich, das heißt zeitnah, informiert.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Nolting.
Herr Staatssekretär, können Sie denn bestätigen, dass es in Ihrem Hause
Überlegungen gibt, Lösungen zu finden, die in solche für
diejenigen Soldaten, die über 50 Jahre alt sind, und in solche für diejenigen, die unter 50 Jahre alt sind, aufgesplittet sind?
Herr Kollege Nolting, in diesen
Zeiten, da wir Lösungen für vielfältige Probleme aus dem
Verteidigungsbereich, die wir von der Vorgängerregierung übernommen haben, zu finden haben, gibt es natürlich auch vielfältige Überlegungen. Eine davon mag die
von Ihnen angesprochene beim Beförderungs- und Verwendungsstau sein; aber dazu ist noch keinerlei Entscheidung getroffen.
Es gibt auch andere Überlegungen hierzu und zu anderen Problembereichen.
({0})
- Ja, der Berg ist mächtig, den Sie hinterlassen haben.
({1})
Weitere Nachfragen zu diesem Geschäftsbereich gibt es nicht. Ich
danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Die
Fragen wird die Parlamentarische Staatssekretärin Frau
Niehuis beantworten. Die Fragen 20 und 21 werden wie
beantragt schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 22 der Abgeordneten Ina
Lenke:
Worin sieht die Bundesregierung die Ursache für den im Vergleich mit anderen Ländern geringen Einsatz von Mifegyne bei
Schwangerschaftsabbrüchen?
Frau Kollegin Lenke, bei einer Interpretation der Zahl von
Schwangerschaftsabbrüchen, die medikamentös mit dem
Präparat Mifegyne vorgenommen werden, ist zu berücksichtigen, dass das Präparat erst seit einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum in der Bundesrepublik als Arzneimittel zugelassen ist. Zur Erinnerung: Die Zulassung
erfolgte im August 1999. Ende November 1999 wurde der
Sondervertriebsweg eingeführt.
Wie Sie wissen, wird an der Leistungsbewertung der
medikamentösen Abbruchmethode durch die Selbstverwaltung, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, nachhaltig Kritik geübt, auch seitens der Ärzteschaft. Insofern
ist ein Zusammenhang zwischen der Bewertung dieser
vertragsärztlichen Leistung und dem geringen Einsatz
von Mifegyne zu vermuten.
Frau Staatssekretärin, Sie haben
gewiss wie ich auch gehört, dass die Firma den Vertriebsweg nach Deutschland einstellen will. Sind Ihnen diese
Überlegungen bekannt und was machen Sie dagegen?
Sie wissen, dass die Bundesregierung in einem marktwirtschaftlich geprägten Land keine Firma, kein Privatunternehmen, zwingen kann, ein Präparat zu vertreiben.
Was die Firma im Einzelnen bewegt, dieses Präparat
nicht mehr zu vertreiben, kann ich nur vermuten. Ich
denke, dass der tatsächliche Absatz den Erwartungen der
Firma vor Beginn des Vertriebs nicht entsprochen hat.
Sie können sich, Frau Staatssekretärin, wahrscheinlich genau wie ich vorstellen, dass Gesetze und Verordnungen, die diese Vertriebswege und
auch die Bezahlung der Leistung derer, die solche Eingriffe an den Patientinnen vornehmen, regeln, auch Einfluss auf den Verkauf haben oder für ihn ausschlaggebend
sein könnten; denn es ist doch - wenn ich das zu meiner
Frage noch bemerken darf - recht seltsam, dass nur
4,5 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in der Bundesrepublik Deutschland medikamentös vorgenommen
werden, während dieser Anteil in unseren Nachbarländern
höher ist.
Vielleicht darf ich Sie korrigieren. Die Zahl liegt nicht bei
etwa 4 Prozent, sondern der Anteil der medikamentösen
Abbrüche beträgt nur 2 Prozent und ist damit noch geringer als Sie vermutet haben. In Frankreich liegt die Quote
bei ungefähr 30 Prozent.
Nun entnehme ich Ihrer Frage, dass Sie unterstellen,
die Gesetze könnten für den Vertrieb zu kompliziert sein.
Dies meine ich nicht. Wir haben, als wir die Verfügbarkeit
dieser medikamentösen Abbruchmethode damals in Erwägung gezogen haben, ganz bewusst gewollt, dass es ein
sehr kontrollierter Abgabeweg ist. Das soll auch so bleiben.
Zweitens meinen Sie, dass man eventuell gesetzgeberisch etwas an der Bewertung der vertragsärztlichen Leistung machen könnte. Dies ist nicht so, weil die Bewertung
der vertragsärztlichen Leistung der Selbstverwaltung
durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung obliegt und
insofern nicht der staatlichen Einflussnahme unterliegt.
Deshalb glaube ich nicht, dass wir hier eingreifen dürfen.
Allenfalls wäre dies über die Ausübung der Aufsichtspflicht möglich; aber dann müssen die Vorgänge schon
dermaßen gravierend sein, dass man dieses Instrument
einsetzen darf.
Ich denke, dass wir so weitermachen sollten, wie wir es
im Moment tun. Das Bundesministerium für Gesundheit
wie auch unser Ministerium ist im ständigen Gespräch mit
dem Bewertungsausschuss. Wir hoffen, dass die Argumente für eine höhere Bewertung der vertragsärztlichen
Leistungen bei der Selbstverwaltung irgendwann einmal
auf fruchtbaren Boden fallen werden.
Ich rufe die
Frage 23 der Abgeordneten Lenke auf:
Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung mit dem vom
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Projekt „Begleitende Maßnahmen zur Einführung des
medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs“ gemacht und welche weiteren Maßnahmen sind zur Erhöhung der Akzeptanz für
den Einsatz von Mifegyne geplant?
Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend beim Bundesverband Pro Familia geförderte Projekt wird Ende 2000 abgeschlossen sein. Die
endgültige Fassung der Projektdokumentation liegt gegenwärtig noch nicht vor. Nach den bisherigen Ergebnissen wird jedoch die Vermutung eines unmittelbaren
Zusammenhangs zwischen der Leistungsbewertung und
dem geringen Einsatz von Mifegyne durch die im Rahmen des Projekts durchgeführten Befragungen von
medizinischen Einrichtungen, Beratungsstellen und Klientinnen bestätigt.
Am 28. Oktober 2000 findet in Berlin eine Fachkonferenz statt, die Bestandteil des Projekts ist und auf der unter anderem empirische Befunde zur Versorgungssituation vorgestellt werden. Nach Auswertung der
Ergebnisse wird darüber zu entscheiden sein, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen zu ergreifen sind.
Die Bundesregierung beabsichtigt, die Gespräche mit
den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die noch nicht abgeschlossen sind, wie ich Ihnen schon sagte, fortzuführen.
Sie wird sich im Rahmen ihrer Befugnisse mit allen ihr
zur Verfügung stehenden und geeigneten Mitteln für eine
sachgerechte Lösung der Problematik einsetzen.
Frau Staatssekretärin, wir haben
für die Einführung auch politisch gekämpft. Von daher ist
mir Ihr Einwand nicht verständlich, dass wir dann, wenn
das Medikament auf dem Markt ist und wieder vom Markt
genommen werden könnte, politisch keinen Einfluss haben. Dazu habe ich eine ganz unterschiedliche Auffassung.
Ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung der
Überzeugung ist, dass Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch aus gesundheitlichen Gründen wirklich
die Wahl haben müssten zwischen dem chirurgischen Eingriff und dem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch. Würden Sie sich vehement dafür einsetzen, damit
dafür auch politisch - Sie sind schließlich Teil der Regierung - gestritten wird?
Frau Kollegin, ich bestätige Ihnen wirklich gerne, dass
wir gemeinsam politisch dafür gekämpft haben, damit
auch deutschen Frauen dieses Medikament zur Verfügung
steht. Aber was Sie als Zweites schlussfolgern, stimmt
einfach nicht. Wir haben ein Arzneimittelgesetz. Darin
wird die Zulassung von Arzneimitteln bei uns geregelt.
Sie wissen ganz genau, dass damals RU 486 bei uns nicht
zugelassen wurde, weil der Hersteller überhaupt keinen
Antrag gestellt hat, da die damalige Bundesregierung
nicht das politische Signal gegeben hatte, dass sie an diesem Medikament in der Bundesrepublik Deutschland Interesse hätte.
Ihre weitere Schlussfolgerung, dass wir irgendetwas
per Gesetz tun könnten, um die Verabreichung dieses Arzneimittels anders zu bewerten, trifft nicht zu. Es unterliegt
der Selbstverwaltung durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Sie bewertet eigenständig die kassenärztlichen Leistungen. Das ist so und daran können wir im Moment auch nichts ändern, weil die Gesetzeslage so ist.
Allerdings, so denke ich, muss man dem Bewertungsausschuss doch sehr deutlich machen, dass es hier nicht
nur um die Bewertung einer ärztlichen Leistung geht, sondern auch darum, dass die Gesetze, die wir verabschiedet
haben, eingehalten werden müssen. In die Bewertung
müsste eingehen, dass eine Praxis die operativen Möglichkeiten vorhalten sollte, falls die medikamentöse Abbruchmethode versagen sollte. Dieses Vorhalten von operativen Möglichkeiten sollte man zur Erhöhung der
Sachkostenpauschale mit in die Bewertung hineinnehmen.
Dieses ist meine Meinung und auch Meinung der Bundesregierung. Nichtsdestotrotz bleibt es in unserer Republik bei der Selbstverwaltung. Wir können nichts anderes
tun als das, was wir schon tun und auch weiterhin tun werden: uns mit dem Bewertungsausschuss zusammensetzen
und für unsere Argumente kämpfen.
Danke schön,
Frau Staatssekretärin. Ihr Geschäftsbereich ist für heute
beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Gesundheit auf. Die Parlamentarische Staatssekretärin
Christa Nickels wird die Fragen beantworten. Wir kommen zunächst zur Frage 24 des Abgeordneten Dr. Kolb:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Parlamentarische
Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit und
Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Christa Nickels, im Juli
dieses Jahres über einen Link ihrer Homepage Drogenrezepte mit
Anwendungshinweisen angeboten hat, und welche Haltung
nimmt die Bundesregierung hierzu ein?
Herr Kollege Kolb, es ist
der Bundesregierung bekannt, dass in der Zeitung „Bild
am Sonntag“ vom 30. Juli 2000 behauptet wurde, die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin
für Gesundheit und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Christa Nickels, habe auf ihrer Abgeordneten-Internetseite Haschischrezepte veröffentlicht. Das stimmt aber
so nicht. Ich stelle klar: Es trifft zu, dass durch einen Link
auf dieser Homepage eine Verbindung zur Homepage von
„Flohs Cannabis Archiv“ hergestellt wurde, welche Anleitungen zum Herstellen und Verzehren von Cannabisprodukten enthielt. Der Link ist allerdings ohne mein Wissen und Einverständnis installiert worden. Er wurde
unverzüglich von meiner Homepage entfernt.
Die über den genannten Link erreichbaren Anleitungen
zum Herstellen und Verzehren von Cannabisprodukten
sind nicht mit den Vorstellungen der Drogenbeauftragen
der Bundesregierung über eine Präventionspolitik zur
Verhinderung von Sucht- und Drogenproblemen vereinbar. Das habe ich nachdem ich es der „Bild“-Zeitung entnommen hatte, so auch unverzüglich erklärt.
({0})
Eine Nachfrage
des Kollegen Kolb.
Ihrer Erklärung, Frau
Staatssekretärin, entnehme ich zumindest ein gewisses
Bedauern. Nachdem Sie selbst einräumen, es sei nicht mit
den Dienst- und Amtspflichten einer Drogenbeauftragten
der Bundesregierung zu vereinbaren: sehen Sie denn eine
politische Verantwortung in diesem Fall, die von Ihnen
wahrgenommen werden könnte und müsste?
Herr Kollege Kolb, ich
glaube, Sie haben meinen Ausführungen ganz klar entnommen, dass auf meiner Homepage ein Link vorhanden
war, der meiner Meinung nach nicht korrekt ist. Ich habe
aber gleichzeitig gesagt, dass er ohne mein Wissen und
ohne meine Zustimmung eingefügt wurde. Selbstverständlich werde ich dafür Sorge tragen, dass so etwas
nicht mehr passiert. Ich werde diese Homepage jetzt erheblich öfter kontrollieren. Wir haben bisher immer das
Gästebuch und das, was dort eingetragen wird, gut kontrolliert.
Aber: so etwas kann passieren. Es wäre politisch brisant, wenn der Link tatsächlich gewollt gewesen wäre;
dann würde ich Ihnen zustimmen. Allerdings habe ich von
mir nie behauptet, dass ich völlig fehlerfrei bin. Es ist passiert. Ich habe nicht herausbekommen können, wie es passiert ist. Aber es geschah ohne meine Zustimmung. Ich
habe auch ausdrücklich gesagt, was ich von dem Inhalt
halte. Das ist alles, was man machen kann. Schönreden,
Rausreden oder Aufbauschen liegt mir fern. Ich darf hinzufügen - das haben wir auch mit dem Kanzleramt erörtert, es ist nicht meine Privatmeinung; Sie fragen mich ja
hier als Vertreterin der Bundesregierung; es ist auch wichtig für Sie zu hören -, dass es abgestimmt ist.
Ich möchte, Frau
Staatssekretärin, nachfragen: Sicherlich ist das Internet
noch ein relativ junges Medium. Aber wer mit einer eigenen Homepage - Sie haben mir ja bestätigt, dass es Ihre
eigene Homepage gewesen ist - ins Internet geht, muss
eine redaktionelle Verantwortung im Allgemeinen übernehmen. Diese erweitert sich nach meinem Dafürhalten
bei einer politischen Funktionsträgerin zu einer politischen Verantwortung. Es genügt unter Umständen nicht
zu sagen: Es waren ja Mitarbeiter und ich wusste nichts
davon. Es war Ihre Homepage.
Vor diesem Hintergrund muss ich noch einmal nachfragen: Sehen Sie nicht die Notwendigkeit, auch politisch
verantwortlich zu zeichnen?
Herr Kollege Kolb, ich
glaube, ich habe ganz klar gesagt, dass ich eine solche
Verantwortung hier nicht zurückweise. Allerdings sind
die Möglichkeiten, die wir durch das Internet haben, neu.
Ich als Abgeordnete nutze diese Möglichkeiten ausdrücklich. Ich übernehme die vollständige redaktionelle Verantwortung für sämtliche Textbestandteile, die ich ins Internet gestellt habe.
Beim Ins-Netz-Stellen habe ich die Links kontrolliert.
Wie dieser Link hineingekommen ist, haben wir bis heute
nicht herausbekommen können. Er ist von mir weder autorisiert noch veranlasst. Ich schiebe das auch nicht auf
Mitarbeiter. Wir wissen nicht, wie es passiert ist.
Ich habe diesen Vorgang zum Anlass genommen, verschärft zu kontrollieren, damit so etwas nicht mehr passiert. Es betraf keine Textbestandteile, sondern die Linkliste. Ich weiß bis heute nicht, wie es passiert ist. Wir
kontrollieren jetzt auch die Linkliste verschärft.
Bisher haben wir das Gästebuch bearbeitet. Wenn die
Texte hineingestellt werden, sind sie selbstverständlich
von mir geschrieben bzw. mitgeschrieben und autorisiert.
Da haben Sie vollkommen Recht. Man hat eine Verantwortung, auch als Abgeordnete. Noch größer ist diese
Verantwortung, wenn man in einem Regierungsamt ist.
Darüber hinaus kann ich nicht mehr tun. Ich habe aus diesem Vorgang die Lehre gezogen, dass ich die Linkliste
verstärkt kontrolliere, ob nicht irgendein Link hinzugekommen ist, den ich nicht haben möchte und der von mir
nicht autorisiert ist.
({0})
Eine Nachfrage
der Kollegin Bonitz.
Frau Staatssekretärin,
darf ich Ihren Ausführungen von eben entnehmen, dass
dieser Link ja offensichtlich ohne Ihr Wissen und Wollen
und ohne das Wissen und Wollen Ihrer Mitarbeiter dort
eingesetzt worden ist? Haben Sie demzufolge gegebenenfalls Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet, weil offensichtlich jemand zu Unrecht auf Ihrer Homepage ein Element untergebracht hat, das Sie so nicht wollten?
Frau Kollegin, es liegt mir
immer fern - das war schon früher nicht meine Art und
heute ist sie es auch nicht -, mit Kanonen auf Spatzen zu
schießen. Das halte ich für nicht angebracht.
({0})
Das habe ich nicht getan. Das beabsichtige ich auch nicht.
Eine Nachfrage
des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, die „Berliner Zeitung“ vom 24. September dieses Jahres berichtete
mit unterschiedlichen Fotos, auf denen leider auch meine
Kunstbegießung zu sehen war - da ich dieser Koalition
nicht angehöre, gehörte ich nicht in diese Reihe -, dass offenkundig zwei Abgeordnete der rot-grünen Koalition im
Kunstwerk im Innenhof Cannabis- bzw. Hanfsamen ausgesät hätten.
Wie würden Sie in Ihrer Funktion als Drogenbeauftragte der Bundesregierung den Zielkonflikt auflösen, der
sich in der Beschädigung eines Kunstwerkes, somit eines
grundgesetzlich geschützten Gutes, und der Entfernung
dieser bisher in Deutschland illegalen Pflanze auftut?
Herr Kollege Niebel, ich
bin nicht die Präsidentin des Deutschen Bundestages und
darum nicht für dieses Kunstwerk verantwortlich. Als
Drogenbeauftragte der Bundesregierung bin ich für die
Präventions- und Drogenpolitik der Bundesregierung verantwortlich. Dieses Vorgehen ist von den in der Bundestagsverwaltung dafür Zuständigen entsprechend zu würdigen. Das bin nicht ich.
Zum anderen ist es so, dass Sie dies mit den Kolleginnen und Kollegen, die dies gegebenenfalls getan haben
- falls es wirklich stimmt; das ist noch gar nicht klar -, zu
erörtern haben und nicht mit mir.
Herr Kollege
Niebel, ich glaube, dass der Zusammenhang mit der Ausgangsfrage jetzt ein sehr ausgedehnter ist. Darauf möchte
ich nur hinweisen.
({0})
Zu Frage 24 gibt es keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 25 auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus diesem
Vorfall für ihre zukünftige Drogenpolitik ziehen?
Herr Kollege Kolb, ich
glaube, aus meinen Antworten ist schon ersichtlich, dass
die Bundesregierung diesen „Vorfall“, wie Sie ihn nennen, nicht zum Anlass nimmt, irgendetwas an der Drogenpolitik zu verändern. Wir haben einen Koalitionsvertrag. Auf dem Boden dieses Koalitionsvertrages mache
ich die Drogen- und Suchtpolitik der Bundesregierung.
Das, was mit dem Link passiert ist, beeinträchtigt bzw.
verändert in keiner Weise die Drogenpolitik der Bundesregierung.
Frau Staatssekretärin,
das Nachfragen wird ja auch dadurch etwas erschwert,
dass Sie heute quasi in eigener Sache hier antworten. Es
wäre denkbar gewesen, dass das zuständige Ministerium
heute ausnahmsweise einen beamteten Staatssekretär zur
Beantwortung der Fragen geschickt hätte. Ich möchte Sie
deswegen nicht in einen Interessenkonflikt bringen.
({0})
- Ja, aber möglicherweise können Interessenkonflikte
auftreten, Frau Staatssekretärin. Ich wollte nämlich fragen: Glauben Sie denn, von Ihrer Person abgesehen, dass
der Vorfall mit diesem Link und auch die öffentliche Würdigung dieser Tatsache zu einer Beschädigung des Amtes
des Beauftragten der Bundesregierung für Drogenpolitik
geführt haben?
Herr Kollege Kolb, ich
habe Ihnen schon in der Beantwortung der vorherigen
Frage dargelegt, dass ich meine Antwort selbstverständlich mit der Bundesregierung abgeklärt habe und dass ich
das Bundeskanzleramt - nachdem die „Bild“-Zeitung die
Meldung gebracht hat unverzüglich - von mir aus eingeschaltet und um Würdigung gebeten habe, vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund, dass ja Ihr Kollege Zöller
die Abberufung der Drogenbeauftragten gefordert hat.
Das Bundeskanzleramt hat mir unmissverständlich zu
verstehen gegeben, dass es darin keinen Anlass sieht,
mich von meinem Amt abzuberufen. Es sieht darin auch
keine Beschädigung des Amtes der Bundesdrogenbeauftragten.
Wenn Sie das gerne schriftlich von Herrn Kollegen
Steinmeier oder aus unserem Haus von dem beamteten
Staatssekretär, Herrn Jordan, haben möchten, reiche ich
Ihnen das gerne nach.
({0})
Danke schön. Herr Kollege Kolb, ich möchte ausnahmsweise selbst
dazu Stellung nehmen. Ich glaube, im Interesse der Lebendigkeit von Fragestunden nutzt es uns allen, wenn diejenigen, denen Fragen gestellt werden, diese auch selbst
beantworten können. Das sage ich im Sinne der parlamentarischen Kultur. Es wäre schön, wenn Sie das ähnlich
sehen würden.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Singhammer
auf:
Aus welchen Gründen erarbeitet die Bundesregierung derzeit
den Entwurf eines Festbetragsneuordnungsgesetzes und wie sieht
der Zeitplan für die parlamentarische Beratung aus?
Herr Kollege Singhammer,
die Festbeträge sind von Zivilgerichten in mehreren Urteilen aus kartellrechtlichen Gründen infrage gestellt worden. Das Bundesministerium für Gesundheit hat deshalb
den Entwurf eines Festbetragsneuordnungsgesetzes erarbeitet, der eine rechtlich einwandfreie Grundlage für die
Festbeträge schaffen soll. Der Arbeitsentwurf eines solchen Festbetragsneuordnungsgesetzes ist mit den Beteiligten und auch zwischen den Koalitionsfraktionen intensiv diskutiert worden. Da beim Bundesverfassungsgericht
konkrete Normenkontrollverfahren zu Arzneimittel-Festbeträgen anhängig sind und dem Ausgang dieser Verfahren grundsätzliche Bedeutung für die künftigen Kompetenzen der Selbstverwaltung zukommt, haben die
Koalitionsfraktionen entschieden, die Arbeit am Festbetragsneuordnungsgesetz bis zu einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes zurückzustellen.
Herr Kollege
Singhammer, Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Ist die Bundesregierung immer noch der Ansicht, dass eine im Frühjahr - wie Sie es angesprochen haben - zu erwartende
Entscheidung des obersten Gerichtes für ein solches Gesetz abgewartet werden soll, obwohl zwischenzeitlich sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht
Düsseldorf sowie das Bundessozialgericht die derzeitigen
Festsetzungen bereits für verfassungswidrig erklärt haben?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung - ich habe das schon dargelegt -, dass hier grundsätzliche Fragen der Kompetenzen
der Selbstverwaltungsgremien berührt sind und dass hier
in der Tat das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abgewartet werden muss. Das Bundesverfassungsgericht
hat die Regierung bereits um eine Stellungnahme gebeten,
die zurzeit zwischen den Ressorts abgestimmt wird.
Herr Kollege
Wolf, Sie möchten eine Zusatzfrage stellen. Bitte.
Frau Staatssekretärin, was
erwarten Sie eigentlich von dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes? Es ist im Prinzip klar, worum es
geht, nämlich um die formale Frage, ob ein Gremium
ohne demokratische Legitimation berechtigt ist, Entscheidungen zu treffen, die allgemeinverbindlichen Charakter haben. Wir kennen das auch aus vielen anderen
Rechtsgebieten. Worin liegt also die besondere Bedeutung dieses Verfassungsgerichtsurteils? Das Bundesverfassungsgericht kann zu dieser Frage entweder Ja oder
Nein sagen und dann die Verfassungswidrigkeit feststellen. Für die politischen Entscheidungen, die Sie zu treffen
haben, hat dieses Bundesverfassungsgerichtsurteil doch
keine Bedeutung.
Herr Kollege, das sieht die
Bundesregierung vollkommen anders. Hier wird die
Frage aufgeworfen, ob Selbstverwaltungsgremien solche
Entscheidungen treffen können, die unter Umständen
auch Auswirkungen auf Dritte haben, oder ob dies nur der
Volksvertretung zusteht. Es war ja auch diskutiert worden,
ob man es eventuell über eine Behörde, die dem Bundesgesundheitsministerium nachgeordnet ist, machen kann.
Das sind grundsätzlich - auch verfassungsrechtlich - verschiedene Herangehensweisen und darum handelt es sich
auch um ein Normenkontrollverfahren, über das im Augenblick beraten und entschieden werden muss. Wir halten dies in der Tat für so gravierend - und zwar in Übereinstimmung mit dem Bundesjustizministerium und dem
Bundesinnenministerium -, dass wir das Urteil abwarten
wollen.
Kann ich eine weitere
Frage stellen?
Nein, leider
nicht, weil Sie nicht der Fragesteller sind. Aber es gibt ja
noch eine weitere Frage des Abgeordneten Singhammer.
Vielleicht passt es dann.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Singhammer
auf:
Wird die Bundesregierung für die Zwischenzeit, bis neue Regelungen in Kraft treten können, eine weitere Festsetzung der Arzneimittel-Festbeträge ({0})
durch die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung
verbieten?
Da nur dem Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zusteht, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entscheiden, beabsichtigt die Bundesregierung nicht, vor einem Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes die Festsetzung von Arzneimittel-Festbeträgen grundsätzlich zu untersagen.
Herr Kollege
Singhammer, Sie haben eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, gibt es denn bereits interne Überlegungen oder
Planungen der Bundesregierung, wie die zukünftigen
Festbeträge festgelegt werden sollen, das heißt, wer das
tun soll und wie die demokratische Legitimation gewährleistet werden soll?
Herr Kollege, ich habe
schon dargelegt, dass unser Haus einen Entwurf erarbeitet hat. Er ist auch nicht unter Verschluss gehalten worden;
die Überlegungen sind bekannt. Die Koalitionsfraktionen
haben vor dem Hintergrund des anhängigen Normenkontrollverfahrens, das nach Auffassung der Bundesregierung von grundsätzlicher Bedeutung ist, ihre eigenen gesetzgeberischen Vorhaben so lange zurückgestellt, bis das
Bundesverfassungsgericht in der Sache entschieden haben wird.
Nun noch eine
Zusatzfrage, Herr Wolf.
Gesetzt den Fall, das Bundesverfassungsgericht halte das jetzige Verfahren für verfassungswidrig: Würde dann das Bundesgesundheitsministerium eher für eine Selbstverwaltungslösung oder für
eine Institutslösung im nachgeordneten Bereich, die jetzt
im Arbeitsentwurf enthalten ist, plädieren?
Herr Kollege, Gewaltenteilung bedeutet, dass das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Die Bundesregierung wird die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts bei ihrer gesetzgeberischen
Arbeit berücksichtigen. Da das Bundesverfassungsgericht an seiner Entscheidung noch arbeitet, werde ich
mich hier an Spekulationen nicht beteiligen. Das wäre
auch nicht der Würde des Bundesverfassungsgerichts angemessen.
({0})
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Frau Staatssekretärin, ich bedanke
mich bei Ihnen, dass Sie die Fragen beantwortet haben.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Der
Parlamentarische Staatssekretär Siegfried Scheffler wird
die Fragen beantworten.
Ich rufe zunächst die Frage 28 des Abgeordneten
Werner Wittlich auf:
Wie werden die im Bundeshaushalt 2000 für Lärmschutz an
bestehenden Bahntrassen vorgesehenen 100 Millionen DM verteilt und in welcher Höhe werden die Bewohner an der Bahntrasse
im Rheintal im Landkreis Neuwied an den Lärmschutzvorhaben
beteiligt?
Frau
Präsidentin, lieber Kollege Wittlich, wenn Sie gestatten,
werde ich die Fragen 28 und 29 im Zusammenhang beantworten. Ihnen stehen dann ja vier Nachfragen zu.
Dann rufe ich
auch die Frage 29 des Abgeordneten Wittlich auf:
In welcher Höhe sind in den Haushaltsplanungen für 2001
Mittel für Lärmschutz an bestehenden Bahntrassen vorgesehen
und wie sollen die Mittel verteilt werden?
Die
im Bundeshaushalt 2000 für Lärmschutz in Härtefällen
an bestehenden Bahntrassen bereitgestellten 100 Millionen DM werden entsprechend den Kriterien eingesetzt,
die der damalige Parlamentarische Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Lothar Ibrügger, mit Schreiben vom 13. Dezember 1999
an alle Mitglieder dieses Hauses anlässlich der Verteilung
der Dringlichkeitsliste mitgeteilt hat.
In den hier angesprochenen Streckenabschnitten werden sowohl aktive als auch passive Lärmschutzmaßnahmen durchgeführt. Letztere umfassen als Lärmschutz an
der Einwirkungsstelle, also in den vom Lärm beeinträchtigten Wohngebäuden, den Einbau von Schallschutzfenstern und Lüftungseinrichtungen. Dies erfordert die
aktive Mitwirkung und finanzielle Beteiligung der betroffenen Hauseigentümer. Deren individuelle Zwänge können durchaus dazu führen, dass dieses Angebot nicht allen Berechtigten zugute kommt. Insofern ist eine Aussage
darüber, in welcher Höhe Mittel für die Lärmsanierung in
den Landkreis Neuwied fließen, definitiv noch nicht
möglich.
Zur Frage 29. In den Haushaltsplanungen für 2001 ist
beabsichtigt, für Lärmschutz an bestehenden Bahntrassen
wieder einen Betrag von 100 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Auch dann wird sich die Verteilung dieser Mittel ausschließlich nach den hierfür festgelegten
Kriterien richten.
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Kollege Wittlich.
Herr Staatssekretär,
wie sieht denn generell die zeitliche Perspektive für die
Abwicklung der gesamten Lärmschutzmaßnahmen entlang der Bahntrasse im Mittelrheintal aus?
Grundsätzlich muss ich Ihnen in diesem Zusammenhang
sagen, dass die gravierenden Versäumnisse früherer ZeiParl. Staatssekretärin Christa Nickels
ten, zum Beispiel auch Ihrer Regierung, mit einem Schlag
nicht auszugleichen sind. Zwar wird seit 1978 die
Lärmsanierung an Bundesfernstraßen praktiziert. Eine
entsprechende Regelung für die Bundeseisenbahnen
konnte bis zum Regierungswechsel 1998 aber nicht gefunden werden. Erst die jetzige Bundesregierung hat den
Einstieg in die Lärmsanierung an Schienenwegen von Eisenbahnen des Bundes vollzogen. Der immense Nachholbedarf führt zwangsläufig dazu, dass Abhilfemaßnahmen
vorerst nur in den gravierendsten Härtefällen ergriffen
werden können, weshalb es seitens der Bundesregierung
nicht möglich ist, einen Zeitrahmen zu nennen, zumal es
auch eine enge Abstimmung mit der DB AG geben muss.
Zweite Zusatzfrage.
Noch eine konkrete
Nachfrage, Herr Staatssekretär: Welche Maßnahmen sind
zum jetzigen Zeitpunkt vor Ort eingeleitet?
Die
Umsetzung des Lärmsanierungsprogramms erfolgt nach
einer sorgfältigen Vorbereitung. Damit Sie einmal eine
Vorstellung von den zeitlichen Abläufen bekommen,
weise ich darauf hin, dass für die Planung und Genehmigung von Lärmschutzwänden und -wällen mindestens ein
Jahr zu veranschlagen ist. In der Regel dauert das eineinhalb Jahre, oft aber auch länger.
Bei den passiven Lärmschutzmaßnahmen müssen
zunächst die berechtigten Hausbesitzer ermittelt, schalltechnische Untersuchungen und schließlich die eigentlichen Arbeiten in Abstimmung mit den Betroffenen durchgeführt werden. Nennenswerte Mittelabflüsse sind
trotzdem bereits zum Jahresende zu erwarten.
Zu Ihrer konkreten Frage, die das Rheintal, den Landkreis Neuwied, betrifft: Die Deutsche Bahn AG praktiziert bereits in den betreffenden Abschnitten das Verfahren „Besonders überwachtes Gleis“, bei dem gegenüber
durchschnittlich unterhaltenen Gleisen eine bessere
Gleisqualität und damit auch eine geringere Schallabstrahlung sichergestellt werden.
Je nach Örtlichkeit könnten möglicherweise andere
Maßnahmen in Betracht kommen wie zum Beispiel die
Errichtung von Lärmschutzwänden oder -wällen. Allerdings erfordert das enge Mittelrheintal ein behutsames
Vorgehen, um dieser einzigartigen Kulturlandschaft keine
Schäden zuzufügen, etwa durch Unterbrechung traditioneller Sichtverbindungen zwischen dem Strom und den
Ortschaften.
Haben Sie weitere Fragen?
Herr Staatssekretär, ist
vorgesehen, dass auf diesen Strecken im Rheintal vordringlich auch Güterwagen eingesetzt werden, die weniger Lärm emittieren?
Die
Bundesregierung ist natürlich entsprechend der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober daran interessiert,
Maßnahmen zu ergreifen, die für die betroffene Bevölkerung Lärmminderung bewirken. Sie hat dies auch immer
wieder in Gesprächen und Schreiben gegenüber der
DB AG deutlich gemacht. Aber letztendlich - das ist Ihnen bekannt - entscheidet die DB AG nach den entsprechenden Kriterien über die Maßnahmen.
Ich rufe jetzt die
Frage 30 des Abgeordneten Rossmanith auf:
Wie verfolgt die Bundesregierung im Allgäu und in Schwaben
das vom Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Reinhard Klimmt, formulierte Ziel, bis 2015 den Gütertransport
per Bahn zu verdoppeln?
Die
Bundesregierung verfolgt weiterhin das Ziel, Kollege
Rossmanith, einen erheblichen Anteil des Verkehrszuwachses von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
Hierzu werden im Rahmen einer integrierten Verkehrspolitik die erforderlichen ordnungs-, und investitionspolitischen Maßnahmen ergriffen, ebenso wie darauf
ausgerichtete Maßnahmen der Eisenbahnunternehmen
selbst. Dies wird mit einer deutlichen Erhöhung der Investitionsmittel, die der Bund für die Sanierung und einen gezielten Ausbau des Schienennetzes einsetzen wird, unterstützt. Aussagen hinsichtlich einzelner Regionen für das
Jahr 2015 sind derzeit nicht möglich.
Haben Sie eine
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär Scheffler, die Bundesregierung und Bundesminister
Klimmt haben ein „Zukunftspaket Schiene“, das bis 2015
geht, vorgelegt. Aber dennoch ist es doch erforderlich, die
derzeitige Situation und das Aufkommen zu würdigen
und in die Überlegungen einzubeziehen.
Ich habe die Frage gestellt, was konkret für gerade von
der Schiene nicht bevorzugte Regionen wie zum Beispiel
das Allgäu jetzt getan wird, um eben diese Verdoppelung
des Güteraufkommens für die Schiene zu ermöglichen.
Damit wird ja auch für Industrieansiedlungen in dieser
Region und für die Verbesserung der Arbeitsplatzsituation
ein entsprechender Beitrag geleistet.
Sie
heben ab auf Aussagen des Bundesministers bei der
Haushaltsdebatte, wo von dieser Verdoppelung geredet
wurde. Allerdings hat er die Verdoppelung der Verkehrsleistung von gegenwärtig etwa 72,8 auf 148 Milliarden Tonnenkilometer im Kontext mit dem „Paket
Schiene“ genannt. Wir wollen ja in Abstimmung mit dem
Bundeskanzler und dem Bundesfinanzminister aus den
Erlösen bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen und
den damit erzielten Zinseinsparungen der Deutschen
Bahn AG, beginnend mit dem Jahr 2001, zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen.
Der Prozess der Abstimmung mit der Deutschen Bahn
AG darüber, ob der Ausbau bzw. der Neubau oder ob die
Ertüchtigung des vorhandenen Netzes im Bereich der
Straße bzw. der Schiene vorgenommen werden soll,
konnte aufgrund des kurzen Zeitraums natürlich noch
nicht abgeschlossen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Rossmanith.
Bei allem Verständnis dafür, dass auch die Bundesregierung entsprechende Öffentlichkeitsarbeit zu leisten hat, stellt sich
doch die Frage, ob nicht derartigen elementaren Äußerungen wie der über die Verdoppelung des Gütertransportes innerhalb von 15 Jahren - das ist sicherlich sehr lang
gefasst - auch konkrete Pläne bzw. ein konkreter Unterbau zugrunde liegen muss.
Bei
allem Verständnis auch für Sie persönlich, der Sie die Interessen einer bestimmten Region vertreten, muss ich darauf hinweisen, dass auch andere Bundestagskolleginnen
und -kollegen - egal, ob sie aus den alten oder den neuen
Bundesländern kommen - die Interessen ihrer jeweiligen
Region vertreten. Der Prozess der Abstimmung sowohl
mit der Deutschen Bahn AG als auch mit den entsprechend beteiligten Regierungsfraktionen konnte in der
Kürze der Zeit noch nicht abgeschlossen werden, sodass
ich Ihnen für Ihre Region keine konkreten Zahlen über die
Höhe der in etwa zur Verfügung stehenden Mittel nennen
kann.
Zusatzfrage des
Kollegen Wiese.
Herr Staatssekretär, wenn Sie davon ausgehen, dass in dem besagten
Zeitraum die Möglichkeit besteht, mehr Schwerverkehr
von der Straße auf die Schiene zu verlagern, glauben Sie
dann nicht auch, dass man gezielte Maßnahmen rechtzeitig vorlegen muss? Die Weichen sind gerade in Richtung
des kombinierten Verkehrs so zu stellen, dass eine ausreichende Zahl an Containerbahnhöfen und Umschlagplätzen im Süden vorhanden ist. Zu berücksichtigen ist natürlich auch die internationale Anbindung an die neuen
Alpentransversalen, gerade in unserem Raum, in Schwaben, im Raum Bodensee und zwischen Stuttgart und München. Sind diesbezüglich schon irgendwelche Weichen
gestellt worden?
Im
Grunde genommen sind Weichen gestellt worden, zuletzt
auch mit dem Brief des Bundesministers an den Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des
Freistaates Bayern, Herrn Josef Miller - er ist Ihnen sicherlich bekannt - , vom 22. September, in dem die Verteilung der Verkehre im Rahmen des Alpentransits - ob
nach Österreich oder in die Schweiz - und die Prämissen
detailliert dargestellt wurden und in dem die Bundesregierung die Einhaltung ihrer gemachten Zusage, mehr
Verkehr von der Straße auf die Schiene - übrigens auch
auf die Wasserstraßen - zu verlagern, als Teil des Regierungshandelns bekräftigt hat.
Letztendlich zeigt das auch die Verteilung der Mittel
aus den Zinseinsparungen, die durch den Verkauf der
UMTS-Lizenzen möglich wurden. Es sind die zwei Bereiche Bildung und Forschung sowie der Aus- und Neubau bzw. die Ertüchtigung der Verkehrsinfrastruktur in
das Regierungsprogramm einbezogen worden. Wir verfolgen das Ziel, mehr Verkehr von der Straße auf die
Schiene zu verlagern, nicht nur mit diesem Programm,
sondern auch mit dem Investitionsprogramm 1999 bis
2002 und mit dem Anti-Stau-Programm bzw. dem Engpassbeseitigungsprogramm, deren Mittel etwa hälftig für
den Ausbau bzw. die Ertüchtigung der Schiene bereitgestellt werden.
Ich rufe die
Frage 31 des Abgeordneten Rossmanith auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den zweigleisigen Ausbau und
die Elektrifizierung der Bahnstrecke München über Buchloe und
Memmingen nach Zürich in den vordringlichen Bedarf aufzunehmen, und welche sonstigen Planungen bestehen?
Die
Bundesregierung misst einer Verbesserung der Bahnverbindung München-Lindau-Zürich hohe Bedeutung bei.
Dies dokumentiert die Aufnahme des Projektes „Ausbaustrecke München-Lindau“ als hoch prioritäre Maßnahme in das laufende Investitionsprogramm bis 2002 für
den Ausbau der Bundesschienenwege, der Bundesfernstraßen und der Bundeswasserstraßen. Es wurde dort mit
dem Vorbehalt versehen, dass die Finanzierung des Vorhabens im Verlauf des Geltungszeitraumes des Investitionsprogramms geprüft wird. Für vorbereitende Maßnahmen sind 1 Million DM in das Programm eingestellt.
Vorgesehen ist die Anpassung der Strecke an den Einsatz von Dieselneigetechnikzügen. Der Einsatz dieser
Züge wird zu einer Reisezeitverkürzung von etwa 30 Minuten zwischen München und Lindau bzw. Zürich führen
und damit die Attraktivität des Schienenverkehrs steigern.
Untersuchungen des Korridors München-Lindau belegen derzeit nicht die Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit eines durchgängigen zweigleisigen Ausbaus des
Streckenabschnitts Buchloe-Memmingen-Hergatz-Lindau sowie einer Elektrifizierung der Strecken über Memmingen und Kempten. Die verkehrliche Entwicklung der
Strecke wird regelmäßig beobachtet. Weitere Planungen
für Fernverkehrsprojekte in diesem Korridor bestehen
derzeit nicht.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, welche Ergebnisse hat diese von Ihnen soeben dargestellte Überprüfung gebracht? Wie begründen Sie die
Aussage im zweiten Teil Ihrer Antwort, dass ein zweigleisiger Ausbau nicht erforderlich ist? Es handelt sich
immerhin - dieser Zusatz sei mir noch gestattet - um eine
internationale Strecke.
Der
Alpentransit Schiene aus bzw. nach Deutschland verteilt
sich gemäß unseren Prognosen von Gutachtern zu einem
Drittel auf Österreich - über Brenner/Tauern - und zu
zwei Dritteln auf die Schweiz, wovon 88 Prozent über Basel, 7 Prozent über Singen und 5 Prozent über Lindau laufen. Mit diesen Daten aus der Prognose ist die Strecke
München-Lindau im Rahmen der Arbeiten zum Abschluss des Abkommens mit der Schweiz zur Sicherung
der Leistungsfähigkeit des nördlichen Zulaufs entsprechend untersucht worden. Dabei hat sich kein zweigleisiger Ausbaubedarf ergeben.
Parallel dazu ist es aber Ziel der Bundesregierung, gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG durch den Einsatz
von Neigetechnikfahrzeugen zunächst die Attraktivität
der Strecke für den Personenverkehr zu steigern. Für den
Zeitraum des Investitionsprogramms bis 2002 - ich sagte
das bereits - streben wir eine Fahrzeitverbesserung von
rund einer halben Stunde zwischen München und Zürich
an. Im Rahmen der Klärung der Finanzierung wird auch
das dazu vorliegende Vorfinanzierungsangebot des Freistaates Bayern geprüft.
Eine weitere
Zusatzfrage des Abgeordneten Rossmanith.
Im Gegensatz zu
Ihrer Antwort auf die vorige Frage, in der von einem Zeitraum von 15 Jahren gesprochen wurde, ist in diesem Falle
der Zeitraum bis 2002 - wir stehen am Beginn der Beratungen des Haushalts 2001 - genannt worden und er ist
sehr begrenzt. Wann werden die ersten Mittel für den Ausbau dieser Strecke fließen? Der Zeitrahmen für die Investitionen - bis 2002 - ist relativ eng. Es ist erforderlich, entsprechende Vorarbeiten zu leisten, um mit dem Ausbau
rechtzeitig beginnen zu können.
Hier
ist grundsätzlich auszuführen, dass diese Mittel für vorbereitende Maßnahmen aufgrund der hoch prioritären
Einstufung der Maßnahme in das Investitionsprogramm
bis 2002 eingestellt wurden. Deshalb sind auch die Kosten der von Ihnen genannten vorbereitenden Maßnahmen
abgedeckt - unabhängig davon, was die Deutsche Bahn
AG mit der Bayerischen Staatsregierung vereinbart, um
zu einer weiteren Ertüchtigung der Strecke zu kommen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Holetschek.
Herr Staatssekretär,
gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang die etwas allgemeinere Frage: Mit welchen Mitteln gedenkt die Bundesregierung in Zukunft sicherzustellen, dass die Deutsche Bahn AG ihrem Auftrag gerecht wird, auch die
Bedienung in der Fläche und die Anbindung peripherer
Landesteile an das Fernverbindungsnetz zu gewährleisten?
Ich
kann Ihnen hier einmal die Bugwelle hinsichtlich der Unterfinanzierung des Investitionsprogramms von etwa
80 bis 100 Milliarden DM vorbeten. In Bayern haben wir
gegenwärtig eine erhebliche Investitionsschleppe zu verzeichnen, die wir im vorgesehenen Zeitraum nicht finanzieren können. Das ist eine Erblast, die wir 1998 von der
alten Bundesregierung übernommen haben.
Die neue Bundesregierung, die Koalitionspartner und
insbesondere der Finanzminister haben im Investitionsprogramm, im Anti-Stau-Programm, aber auch mit dem
Schienenpaket erstmals dafür gesorgt, dass zur Ertüchtigung der Schiene erheblich mehr Mittel als durch irgendeine andere Bundesregierung zuvor über einen längeren
Zeitraum zur Verfügung gestellt werden. Die Deutsche
Bahn AG wird in der Lage sein, sowohl den Aus- und
Neubau von Hauptmagistralen als auch - in enger Abstimmung mit den Ländern - die Ertüchtigung vorhandener Strecken in der Fläche zu sichern.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kalb.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass Mitte der 90er-Jahre mehr
Haushaltsmittel für den Schienenwegeausbau zur Verfügung standen, als - zumindest in einem Jahr war das sehr
signifikant - die Bahn überhaupt verbauen konnte? Die
Größenordnungen haben zum Teil über 1 Milliarde DM
gelegen.
Lieber Kollege Kalb, mir sind die Aussagen bekannt - ich
möchte sie jetzt natürlich nicht kommentieren -, die damals in der Verantwortung der DB AG gemacht wurden.
Sie wissen ja, dass wir - wir waren schon damals gemeinsam im Verkehrsausschuss mit der Bahnreform und
mit der Privatisierung der Bahn befasst - hier im Deutschen Bundestag bzw. auch die alte Bundesregierung
nicht diese Verantwortung hatten. Was den Mittelabfluss
betrifft, könnte man einiges dazu sagen. Das steht mir
aber, denke ich, nicht zu.
Ich rufe die
Frage 32 des Abgeordneten Dr. Müller auf:
Welche Gründe werden für die Verzögerung des Vertragsabschlusses zum Ausbau der Strecke München-Memmingen-Lindau zwischen der Bundesregierung, der Deutschen Bahn AG und
dem Land Bayern angeführt?
Herr
Kollege Müller, die Ausbaustrecke München-Lindau ist
in das Investitionsprogramm für den Ausbau der Bundesschienenwege, Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen 1999 bis 2002 aufgenommen worden, wie ich
schon bei der Beantwortung der vorangegangenen Fragen
ausgeführt habe. Es wurde dort mit dem Vorbehalt versehen, dass die Finanzierung des Vorhabens im Verlauf des
Geltungszeitraumes des Investitionsprogramms geprüft
wird. Für vorbereitende Maßnahmen sind 1 Million DM
in das Programm eingestellt. Da bisher keine über das Investitionsprogramm hinausgehenden weiteren Haushaltsmittel zur Verfügung standen, konnte auch keine Finanzierungsvereinbarung abgeschlossen werden.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, es
ist umso verwunderlicher, dass Sie noch einmal unterstrichen haben - was ich mit großem Bedauern zur Kenntnis
nehme -, dass Sie nicht bereit sind, die Finanzierung dieser dringlichen Maßnahme jetzt vorzunehmen. Ich frage
Sie, warum Sie nicht bereit sind, auf das Angebot Bayerns
zur Vorfinanzierung dieses Streckenabschnittes mit
80 Millionen DM einzugehen. Der Entwurf eines trilateralen Vertrags zwischen dem Bundesverkehrsminister,
der DB AG und dem Freistaat Bayern bietet die Voraussetzung, um im Zuge der Vorfinanzierung mit bayerischen
Mitteln jetzt zu bauen. Was sind die konkreten Gründe
dafür, dass der Bund die Unterzeichnung dieses trilateralen Vertrags verhindert - mit dem Vertrag könnte jetzt mit
dem Bau begonnen werden -, wenn Sie schon bis 2002
nicht finanzieren?
Herr
Kollege Müller, Sie greifen jetzt schon in den Bereich der
Frage 33 vor. Frau Präsidentin, lieber Kollege Müller,
sind Sie damit einverstanden, wenn ich jetzt die Antwort
zur Frage 33 gebe und dann auf Ihre Zusatzfrage eingehe?
Ja.
Dann rufe ich
die Frage 33 des Kollegen Dr. Müller auf:
Zu welchem Zeitpunkt ist der Bund bereit, die notwendigen
Mittel in Höhe von 80 Millionen DM für den Ausbau der Strecke
München-Memmingen-Lindau für Neigetechnikbetrieb nach § 8
Abs. 1 Bundesschienenwegeausbaugesetz zur Verfügung zu stellen?
Die
Gespräche zwischen dem Freistaat Bayern, der Deutschen Bahn AG und dem Bund über die Finanzierung der
Maßnahmen konnten noch nicht abgeschlossen werden,
sodass über den Zeitpunkt der Finanzierung noch keine
abschließenden Aussagen möglich sind.
Ich möchte zunächst Ihre Behauptung zurückweisen,
dass der Bund hier blockiert. Ihnen ist sicherlich ein
Schreiben unseres Ministeriums vom 1. September dieses
Jahres an die DB Netz AG und nachrichtlich an das Eisenbahn-Bundesamt bekannt, das die Ausbaustrecke
München-Lindau und die weitere Strecke über die deutsche Grenze in die Schweiz, nach Zürich, betrifft. Ich zitiere:
Aus der Sicht des Bundes besteht Bereitschaft zum
Abschluss einer Finanzierungsvereinbarung für die
Ausbaustrecke München-Lindau. Grundlage für
diese Finanzierungsvereinbarung wäre bei geschätzten Gesamtbaukosten von 80 Millionen DM in Übereinstimmung mit dem Investitionsprogramm 1999
bis 2002 ein Mittelabfluss in den Jahren 2001/02 von
je einer halben Million DM und in den Jahren
2003/04 von je 39,5 Millionen DM.
Insofern stimmt das mit meiner Aussage: „1 Millionen DM stehen im Investitionsprogramm hierfür bereit.“
überein.
({0})
Eine gegenüber diesem Zeithorizont schnellere Realisierung des Projektes in Absprache mit dem Land Bayern
begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken. Diesbezügliche Absprachen mit dem Land werden jedoch nicht Bestandteil einer mit dem Bund abzuschließenden Finanzierungsvereinbarung sein. Sie wissen natürlich, dass eine
Finanzierungsvereinbarung mit diesen Inhalten nur die
DB AG mit dem Freistaat Bayern abschließen kann.
Herr Dr. Müller, bitte
eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
können Sie mir eine Hilfestellung dabei geben, wie ich
dem Bürger zu Hause dieses Schwarzer-Peter-Spiel zwischen dem Bund, dem Freistaat und der Bahn erklären
soll? Bayern ist bereit, dieses Projekt bis 2002 vorzufinanzieren, während der Bund nur große Erklärungen abgibt, mehr Geld in die Schiene zu stecken. Das Geld ist
vorhanden, die 80 Millionen DM werden vom Freistaat
vorfinanziert. Die Technik ist geklärt. Die Deutsche Bahn
AG sagt: Okay, es ist alles in Ordnung. Es scheitert aber
an dem Vertragsabschluss zwischen Bahn, Bund und Bayern. Sagen Sie doch heute: Okay, ihr könnt starten.
Die Finanzierung ist gesichert. Was sind die Gründe
dafür, dass Sie diesen trilateralen Vertrag nicht unterzeichnen?
Ich
bitte Sie, Ihre Ausführungen präzise zu beenden. Es geht
nicht um einen Vertrag zwischen Bayern, Bund und
DB AG. Der Bund hat, wie erwähnt, eine FinanzierungsVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
vereinbarung angestoßen, die zwischen der DB AG und
dem Bund geschlossen wird. Wir haben auch gegenüber
dem Eisenbahn-Bundesamt deutlich gemacht, dass wir
grundsätzlich einer positiven Entscheidung überhaupt
nicht entgegenstehen. Ich denke, nach der Prüfung durch
das Eisenbahn-Bundesamt wird es dann auch einen positiven Entscheid geben. Über die Vorfinanzierungsmodalitäten muss aber ein Vertrag zwischen der DB AG und
dem Freistaat Bayern geschlossen werden.
Kollege Müller, bitte
eine nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
eine Fragestunde soll ja auch dazu dienen, Licht in eine
solche Sache zu bringen. Sagen Sie doch mir und den Bürgern: Woran liegt das? Wer verhindert diese Unterschrift?
Mir liegt hier ein Schriftverkehr vor, aus dem hervorgeht,
dass Sie nun seit über einem Dreivierteljahr - die Finanzierung ist sicher, ich sage es noch einmal - miteinander
verhandeln. Wie lange wollen Sie denn noch verhandeln?
Woran liegt das? Wann kommt die Unterschrift? Wann
können die Züge fahren? Wann wird endlich der Schienenverkehr in der Fläche gestärkt?
Ich möchte noch eine Ergänzung zu dem machen, was
der Kollege vorhin gesagt hat. Wie wollen Sie es denn in
Zukunft überhaupt noch sicher stellen, dass neben dem
Fernverkehr auch die Fläche, das Land bedient werden?
Wir haben da große Sorgen. Sie stellen Bahnverbindungen ein, erhöhen die Mineralölsteuer. Sollen die Menschen, die auf dem Land wohnen, zu Fuß zu ihrer Regierung laufen, um zu protestieren?
Nun
könnten wir uns lang und breit darüber unterhalten, wer
für die Regionalisierung verantwortlich ist. Mit ihr einher
ging ja eine Änderung des Grundgesetzes, da die Länder
gefordert hatten, die Verantwortung hierfür vom Bund auf
die Länder zu übertragen. Insofern ist es das regionale Interesse des Freistaates Bayern, hier zu einer Finanzierungsvereinbarung zu kommen. Ich wundere mich schon,
dass Sie hier fragen, was diese Regierung tut, um die Bahn
in der Fläche zu ertüchtigen. Ich könnte Ihnen aus allen
Haushalten aus den zehn Jahren vor November 1998 vortragen, was jeweils getan wurde, um die Bahn zu ertüchtigen. Diese Bundesregierung dagegen hat ja bewiesen
- das habe ich vorhin ausgeführt -, dass sie hier etwas tun
will: Sie hat jetzt in enger Abstimmung mit der Deutschen
Bahn AG ein zusätzliches Paket für die Bahn auf den Weg
gebracht, damit auch der Schienenverkehr in der Fläche
ertüchtigt wird.
Sie können natürlich von mir keine Antwort auf die
Frage bekommen, wann der Finanzierungsvertrag zwischen Bayern und der DB AG unterschriftsreif sein wird.
Sie wissen, dass das Eisenbahn-Bundesamt eine unabhängige Behörde ist. Es ist nun einmal nicht so, dass die
Vertreter der Bundesregierung sagen können: Ihr habt das
und das zu machen. Vielmehr prüft die Behörde sehr gewissenhaft, wie ich denke, den finanziellen Teil.
Nach der Prüfung werden Sie den Bürgern in Ihrer Region
sagen können, dass die Strecke ertüchtigt wird.
Herr Kollege Müller
hat noch eine letzte, aber wirklich allerletzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
kann ich zumindest davon ausgehen, dass Sie morgen
oder in den nächsten Tagen in dieser Angelegenheit Druck
machen, damit die Prüfung nicht weitere Jahre dauert,
sondern wir in den nächsten sechs Wochen eine Entscheidung bekommen?
Die
Bundesregierung hat das in den vergangenen Wochen und
Monaten angeschoben und wird das auch zukünftig tun.
Sie hat mit dem Schreiben vom 1. September 2000 noch
einmal deutlich gemacht, dass vonseiten der Bundesregierung grundsätzlich keine Bedenken bestehen.
Jetzt gibt es eine Zusatzfrage des Kollegen Rossmanith.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, wenn es trilateral nicht
geht, - mit dem Freistaat Bayern eine bilaterale, verbindliche Vereinbarung zu treffen, die festschreibt, - wann der
vom Freistaat Bayern vorfinanzierte Betrag von 80 Millionen DM durch den Bund erstattet wird?
Ich
denke, ich habe den Verhandlungs- und Sachstand klargemacht. Jetzt müssen die Verträge zwischen dem Bund und
der DB AG bzw. zwischen dem Freistaat Bayern und der
Deutschen Bahn AG abgeschlossen werden. Wir sind mitten in der Prüfungsphase. Die Bundesregierung hat dieses
Verfahren mit Nachdruck angeschoben. Aber sie kann
natürlich nicht - das werden Sie verstehen - politischen
Druck auf eine unabhängige Behörde ausüben, die Prüfung in fachlicher oder fiskalischer Sicht zu beschleunigen. Eine solche Abkürzung könnte nachher der DB AG
oder dem Bund auf die Füße fallen. Insofern hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben gemacht.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Meinung, dass gerade
der Strecke München-Buchloe-Memmingen-LindauZürich oberste Priorität einzuräumen ist, alldieweil parallel die A 96 verläuft, von der noch 3,8 Kilometer fehlen,
die aber nicht mehr gebaut werden können, da die Bundesregierung hierfür beim besten Willen kein Geld finden
kann, und die, wenn sie doch einmal fertig werden sollte,
die Verlagerung des Personenverkehrs auf die Straße verstärken würde, und es schwierig wäre, diesen Personenkreis zurück auf die Schiene zu führen?
Sie
konstruieren hier einen Sachzusammenhang, der so nicht
besteht. Das wissen Sie auch.
({0})
Ich wundere mich über Ihre Ausführungen auch insofern,
als diese hoch prioritäre Maßnahme, die von der Bundesregierung anerkannt wird - sonst wäre sie nicht in das
Investitionsprogramm 1999 bis 2002 aufgenommen worden -, von der alten Bundesregierung nicht vorangetrieben wurde. Sie wissen, dass wir erst im November 1998
die Verantwortung in diesem Lande übernommen haben.
Sie hatten doch zudem den Finanzminister, der die Mittel
in den Haushalt eingestellt hat, in der CSU-Landesgruppe.
Das Schienenpaket der neuen Bundesregierung bedarf
der Konsultation mit dem Freistaat Bayern und der Deutschen Bahn AG. Denn diese Strecke ist eine der hoch prioritären Maßnahmen im Freistaat Bayern. Die Prioritätenreihung wird die Bundesregierung nicht von oben
herab, sondern in enger Konsultation mit dem Freistaat
Bayern festlegen. Er hat in dieser Frage, wie auch schon
in der Vergangenheit, ein Mitwirkungsrecht.
Die weiteren Fragen
zu diesem Geschäftsbereich, die Fragen 34 bis 37, werden
sämtlich schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung.
Da die Fragen 38 und 39 des Kollegen Brinkmann
schriftlich beantwortet werden, kommen wir zur Frage 40
des Kollegen Dr. Klaus Rose:
Welche Schritte hat die Bundesregierung bisher unternommen, um das in der Tschechischen Republik geplante Kernkraftwerk Temelin zu verhindern?
Ich beantworte die Frage von Dr. Rose, welche Schritte
die Bundesregierung bisher unternommen hat, um die Inbetriebnahme von Temelin zu verhindern, wie folgt:
Die Bundesregierung hat an der Ablehnung der Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Temelin nie einen
Zweifel gelassen. Seit Regierungsantritt wurden alle sich
bietenden Möglichkeiten genutzt, um in diesem Sinne auf
die Entscheidung der tschechischen Regierung zur Fertigstellung und Inbetriebnahme Einfluss zu nehmen. Die
Zuständigkeit für Errichtung und Betrieb sowie für die Sicherheit nuklearer Anlagen liegt aber allein bei dem Staat,
auf dessen Gebiet sich die Anlage befindet. Insofern hat
die Bundesregierung keine rechtlichen Mittel, die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Temelin zu verhindern.
Herr Dr. Rose, bitte
Ihre erste Zusatzfrage.
In einer dpa-Meldung
vom 14. September 2000 steht geschrieben, dass Bürger
bei einer Demonstration gesagt haben, sie wollten nicht
blind in eine Katastrophe laufen. Meinen Sie, dass Sie mit
Ihrer Antwort diese Bürger beruhigen können?
Die Bundesregierung ist verpflichtet, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten. Wie ich schon gesagt habe,
hat sie in den letzten zwei Jahren alles Erdenkliche getan,
um unterhalb dieser Schwelle, auf diplomatischem Wege,
etwas zu erreichen.
Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass dieser Konflikt nicht erst seit zwei Jahren, sondern schon seit
zehn Jahren existiert. Wenn man sich einmal die Chronologie der Aktivitäten der alten Bundesregierung anschaut - ich habe eine entsprechende Liste vorliegen; ich
bin gerne bereit, Ihnen Auszüge aus dieser Liste auf
schriftliche Anfrage zukommen zu lassen -, dann wird
klar, dass die Aktivitäten zwischen 1998 und 2000 die Aktivitäten zwischen 1990 und 1998 schon rein quantitativ
um ein Vielfaches übersteigen.
In der Bauphase, in der es eventuell noch erfolgversprechende Eingriffsmöglichkeiten gegeben hätte, in der
also ein Abbruch der Bauaktivitäten, noch möglich war,
ist aus Sicht der neuen Bundesregierung seitens der alten
Bundesregierung sehr zurückhaltend verfahren worden.
Herr Kollege Rose,
bitte Ihre zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
haben Sie Verständnis für eine weitere Frage: Wenn ich
nämlich die Begeisterung sehe, mit der Umweltminister
Trittin in Frankreich gegen bereits bestehende Anlagen
agitiert hat, dann muss ich fragen, ob er mit der gleichen
Begeisterung in Tschechien gehandelt hat.
Wie ich bereits sagte, ist sogar schriftlich dokumentiert, mit welcher Begeisterung - man sollte bei diesem
Thema besser sagen: mit welcher Leidenschaft und Eindeutigkeit - der Bundesminister Trittin hier agiert hat.
Nichtsdestotrotz muss ich betonen, dass wir keine weiteren
Eingriffsmöglichkeiten haben, weil Tschechien entsprechende Eingriffe zu Recht als Einmischung ansehen und
sich verbitten würde. Wir hätten uns auch nicht hineinreden lassen wollen, als wir den Beschluss zum Ausstieg
aus der Atomenergie gefasst haben.
Herr Kollege
Kubatschka, Sie haben ebenfalls eine Zusatzfrage. Bitte.
Frau Kollegin Altmann,
Temelin hätte in diesem Monat bereits ans Netz gehen sollen. Die Betreiber haben schon zur Riesenfete eingeladen.
Es ist also schon fünf Sekunden vor zwölf. Deswegen
möchte ich Sie fragen: Was hat die CDU/CSU-F.D.P.-Regierung unternommen, um den Weiterbau von Temelin zu
einer Zeit zu verhindern, als noch die Chance dazu bestanden hat?
Wie ich bereits gesagt habe - dies ist auch dokumentiert -,
ist in einer Phase, in der aus unserer Sicht noch größere
Möglichkeiten bestanden haben, zu einer anderen Entscheidung zu kommen, sehr zurückhaltend verfahren
worden. Wir befinden uns jetzt auf der Zielgeraden. Da ist
es natürlich schwierig, noch Entscheidendes zu ändern.
Nichtsdestotrotz nehmen wir die Bedenken der Bevölkerung sehr ernst. Auch die gegnerischen Aktivitäten, die
sich rund um die Inbetriebnahme vor Ort abspielen, betrachten wir mit Verständnis.
Wir kommen jetzt zur
Frage 41 des Kollegen Dr. Klaus Rose:
Sieht die Bundesregierung eine Chance in bilateralen Verhandlungen zwischen Deutschland und Tschechien, um den Sorgen und Befürchtungen der ostbayerischen Bevölkerung vor dem
Kernkraftwerk Temelin abhelfen zu können?
Die Frage beantworte ich wie folgt:
Die Bundesregierung hat seit Mitte der 90er-Jahre bilateral mit der zuständigen atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde in Tschechien verhandelt,
um ausreichende Informationen zur Sicherheit und zu den
Risiken des Atomkraftwerks Temelin zu erhalten. Im
Rahmen dieser Zusammenarbeit wurden generelle Informationen zur sicherheitstechnischen Auslegung sowie zu
Sicherheitsanforderungen und zur Durchführung des Genehmigungsverfahrens bereitgestellt. Außerdem hat die
tschechische Seite zugesagt, zu Einwendungen bayerischer Bürger aus der Grenzregion schriftlich Stellung zu
nehmen.
Bei dem Atomkraftwerk Temelin handelt es sich um
ein Kraftwerk des sowjetischen Typs WWER 1000, das
unter Einbeziehung US-amerikanischer Technologie im
Bereich des Reaktorkerns und der digitalen Leittechnik
fertig gestellt worden ist. Die Bundesregierung hat zu diesem Reaktortyp eigene generische Untersuchungen zu sicherheitstechnischen Defiziten und Schwachstellen
durchgeführt und hierbei auch die Sicherheitsfragen der
Leittechnik einschließlich der Wechselwirkung mit der
Anlagentechnik russischer Herkunft bewertet.
Die daraus resultierenden Sicherheitsfragen sind der
tschechischen Genehmigungsbehörde vorgetragen worden. Die deutsche Seite hat darüber hinaus darauf gedrängt, dass sich deutsche Experten anhand von Unterlagen aus dem Genehmigungsverfahren ein eigenständiges
Bild von den in Temelin vorgesehenen Lösungen wichtiger ausgewählter Sicherheitsfragen verschaffen können.
Die Ergebnisse dieser vertieften Sicherheitsbewertung
sind der tschechischen Genehmigungsbehörde im August 2000 übermittelt worden. Am 5. September 2000
fand eine Erörterung der Ergebnisse dieser Bewertung
zwischen tschechischer Genehmigungsbehörde, Vertretern des BMU und der Bayerischen Staatsregierung in
Prag statt. Die von deutscher Seite aufgezeigten Sicherheitsbedenken sollen zwischen Fachleuten weiter abgeklärt und in Kürze abschließend bewertet werden.
Herr Kollege Rose,
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Darf ich Sie darauf hinweisen, verehrte Frau Staatssekretärin, dass Sie gerade einen Widerspruch gebracht haben, weil Sie nämlich vorhin
gesagt haben, die vorherige Bundesregierung hätte nichts
getan, in Ihrer jetzigen Antwort aber darauf verwiesen haben, dass seit Mitte der 90er-Jahre durchaus einiges geschehen ist, woraus ich schließe, dass Sie mit dem, was
geschehen ist, einverstanden sind, da Sie es ähnlich fortführen?
Herr Kollege, da haben Sie mich missinterpretiert. Ich
habe nicht gesagt, dass die alte Bundesregierung nichts
getan hat. Ich habe gesagt, dass sie sich im Verhältnis zu
dem, was die neue Bundesregierung getan hat, zurückhaltend verhalten hat.
Kollege Rose, bitte
die zweite Frage.
Frau Staatssekretärin,
es hat sich vor wenigen Tagen eine eigene Kommission
zwischen den Tschechen und den Österreichern gebildet,
die einen Untersuchungsbericht über das Streitobjekt vorlegen wollen. Kann ich davon ausgehen, dass sich die
Deutschen an dieser dann nicht bilateralen, sondern trilateralen Kommission beteiligen werden?
Sie wissen - ich habe das gerade auch mitgeteilt -, dass es
diese bilateralen Abkommen gibt. Die letzte Sitzung der
tschechisch-deutschen Gruppe dazu hat am 5. September 2000 stattgefunden. Dabei wurden weitere sicherheitstechnische Fragen aufgeworfen. Wir werden natürlich
alles tun, was auf politischer Ebene möglich ist, um die Inbetriebnahme von Temelin zu verhindern.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Kubatschka.
Frau Kollegin Altmann,
die CSU-Mehrheit im Bayerischen Landtag hat einen Antrag der Grünen auf sofortigen Baustopp von Temelin am
16. Februar 1995 abgelehnt. War diese Ablehnung hilfreich, um den Befürchtungen der ostbayerischen Bevölkerung entgegenzutreten?
Herr Kollege Kubatschka, es steht mir hier natürlich nicht
zu, Länderbeschlüsse zu kommentieren oder zu interpretieren. Nichtsdestotrotz sei mir gestattet, zu sagen, dass
ich als Ostfriesin diese Logik nicht verstehe. Sie als gelernter bayerischer Staatsbürger können das, so denke ich,
eher leisten.
({0})
Es gibt noch eine Zusatzfrage vom Kollegen Max Straubinger.
({0})
Frau Staatssekretärin,
Sie haben vorhin in Ihrer Antwort darauf hingewiesen,
dass die vorige Bundesregierung angeblich mehr Möglichkeiten gehabt hätte, den Bau von Temelin zu verhindern, als die jetzige Bundesregierung Möglichkeiten hat,
die Inbetriebnahme von Temelin zu verhindern. Wie stellen sich diese Möglichkeiten dar?
Ich möchte nicht falsch interpretiert werden. Sie haben
das gerade wieder einmal getan.
Ich habe eine fünfseitige Liste vor mir liegen, mit der
ich einen rein quantitativen Vergleich anstellen kann: Die
Aktivitäten der alten Bundesregierung zwischen 1990
und 1998 lassen sich auf einer Seite festhalten, während
die Aktivitäten der neuen Bundesregierung zwischen
1998 und 2000 vier Seiten umfassen.
({0})
Herr Kollege
Straubinger, Sie können nur eine Zusatzfrage stellen. Im
Übrigen ist die für die Fragestunde vorgesehene Zeit abgelaufen. Deshalb ist die Fragestunde jetzt beendet. Wie
üblich werden die übrigen Fragen - das sind die Fragen 42
bis 44 sowie 46 bis 64 - schriftlich beantwortet. Die
Frage 45 wurde vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur wirtschaftlichen Lage des Transportgewerbes
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion
der CDU/CSU hat der Kollege Dr. Klaus Lippold.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Dem Güterkraftverkehrsgewerbe steht das Wasser bis
zum Hals und die Bundesregierung schaut tatenlos zu.
Mehr als die Hälfte der Unternehmen dieses Verbandes
schreibt rote Zahlen. Rund 40 000 Unternehmen sind in
ihrer Existenz bedroht und 400 000 Arbeitnehmer müssen
um ihren Arbeitsplatz fürchten. Ich sage es ganz deutlich:
Die Bundesregierung schaut in diesem Fall tatenlos zu
und tut nichts. Sie tut absolut nichts. Die Arbeitnehmer in
diesem Gewerbe sind für sie offensichtlich ohne jedes Interesse.
({0})
Ich will ganz deutlich sagen: Es ist eine Schande, dass
die Arbeitnehmer und die Fuhrunternehmer auf die Straße
gehen müssen, damit ihre Interessen von den Regierungsverantwortlichen überhaupt wahrgenommen werden. Für
noch schlimmer halte ich es, dass der Innenminister dieser Bundesregierung im Vorfeld bereits die Absicht zur
Demonstration halbwegs kriminalisiert hat, nach dem
Motto: Bei Straftaten wird Bundesgrenzschutz eingesetzt.
Es ist eine Schande, dass ein Innenminister mit einer solchen Vergangenheit,
({1})
von dem ich noch nie ein klares Wort zum Thema Gewalt
gegen Sachen gehört habe, jetzt Arbeitnehmer diskriminiert.
({2})
Ich will ja gar nicht einmal davon reden, dass er Terroristen verteidigt hat. Das war seine Aufgabe. Aber: Damals
beim Thema Gewalt gegen Sachen nicht eindeutig Stellung zu beziehen, jetzt aber Arbeitnehmer, die, wie sie
gestern bewiesen haben, friedlich demonstrieren, in diesen Verdacht zu rücken - das ist schon schandbar und das
können wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich sage das in
aller Deutlichkeit. Sie können nicht einfach so tun, als ob
Arbeitnehmer ihre berechtigten Interessen nicht mehr vertreten dürften.
Wenn ich den Fraktionsvorsitzenden der Grünen höre,
Herrn Rezzo Schlauch - nebenbei bemerkt: starke Besetzung bei den Grünen heute hier im Hause! -,
({3})
der ankündigt, Sie ließen sich durch Demonstrationen
nicht unter Druck setzen, dann sage ich: Er hat Recht.
Warum? - Wenn es um seine Klientel geht, dann braucht
es keine Demonstration, sondern dann genügt ein Anruf
und schon wird das Gesetz geändert.
Hier aber geht es um Arbeitnehmer, die zwölf Stunden
und mehr am Tage arbeiten. Für deren Anliegen hat ein
Grüner natürlich kein Verständnis, insbesondere wenn er
Porsche fährt und davon ausgehen kann, dass die Straßen
bald etwas freier sind.
({4})
Leute, so geht es nicht!
({5})
Ich könnte Ihnen Beispiele nennen: Beim KWK-Gesetz, bei Lubmin wurden auf Zuruf Gesetze geändert, weil
Ihre Herren Scheer und andere Interessen geltend gemacht haben. Aber bei diesem Sachverhalt, bei dem es um
Arbeitnehmer aus dem Straßenverkehrsgewerbe geht, da
haben Sie kein Verständnis.
({6})
- Artikulieren Sie es doch deutlicher, Herr Schmidt. Dann
kann ich darauf eingehen.
Der Bundesverkehrsminister, kündigt ständig etwas
Neues an. Erst spricht er von Erleichterungen bei der KfzSteuer - ich lasse einmal völlig außer Acht, dass er die Mineralölsteuer zugunsten des Bundes erhöhen und die KfzSteuer zulasten der Länder senken will - aber 14 Tage
später ist von diesem Vorschlag schon nicht mehr die
Rede. Dann kommen andere Positionen auf und werden
diskutiert. 14 Tage später ist auch davon nicht mehr die
Rede.
Dann wiederum sagt er, wir müssen in Brüssel Harmonisierungen erreichen. Er geht nach Brüssel, aber was ist
das Ergebnis? - Er kommt zurück als gescheiterter Verkehrsminister, der sagt, dieses Mal habe es nicht geklappt,
aber man versuche es beim nächsten Mal erneut. Wir müssen endlich einmal eine Bundesregierung erleben, die sich
in solchen Fragen in Brüssel auch wirklich durchsetzt anstatt eine Ankündigung nach der anderen zu machen, deren Umsetzung allesamt scheitern.
({7})
Machen wir uns nichts vor: Alle Ihre Versuche, mit
Einzelmaßnahmen jetzt etwas zu bewirken, treffen absolut nicht den Kern der Sache.
({8})
Was Sie nicht wollen, ist, das einzig Richtige zu tun und
die Ökosteuer abzuschaffen. Warum nicht? - Sie haben
Ihrem Koalitionspartner mehrfach das Rückgrat gebrochen. Es gibt nahezu kein Wahlversprechen mehr, das die
Grünen gehalten haben. Jetzt glauben Sie, ausgerechnet in
dieser Frage, bei der es um die Interessen deutscher Arbeitnehmer geht, müssten Sie Ihrem grünen Koalitionspartner beistehen. Das ist falsch; das sage ich Ihnen ganz
klar. Korrigieren Sie Ihre Haltung in dieser Frage!
Ich habe Ihnen schon in der letzten Diskussion hierzu
gesagt: Wenn die nächsten Debatten vor den Wahlen in
Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg anstehen,
dann wird Ihr Kanzler, der bisher noch jeder Pression
nachgegeben hat, umfallen. Überlegen Sie sich Ihre Argumentation heute! Wir werden Sie an Ihre Argumentation von heute erinnern, wenn er wieder einmal umgefallen ist.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist ja nicht
so, dass nur das Verkehrsgewerbe betroffen ist, dass nur
die Lastwagenfahrer betroffen sind. Taxifahrer sind betroffen, Bauern sind betroffen; sämtliche Gartenbaubetriebe leiden unter einer existenziellen Bedrohung. Und
was tun Sie? Sie tun nichts, Sie schweigen. Sie nehmen lediglich Maßnahmen in Aussicht, aber wann Sie sie realisieren, wissen wir nicht.
So einfach können Sie es sich nicht machen. Das lassen wir Ihnen auch nicht durchgehen.
Herr Kollege Lippold,
Sie müssen zum Schluss kommen. Es ist eine Aktuelle
Stunde, und Sie wissen, dass die Redezeit auf fünf Minuten begrenzt ist.
Die
letzten anderthalb Sätze: Wenn in solchen Situationen die
arrogante Ministerriege, die bei Ihnen auf den Bänken
sitzt, statt die Ökosteuer abzuschaffen, sagt, die Leute sollen nicht nach Mallorca fahren, die sollen auf ihren Urlaub
verzichten, dann muss ich ganz deutlich sagen: Das können wir nicht akzeptieren. Denken Sie einmal an die Bevölkerung, denken Sie einmal an die Leute, denen Sie in
die Tasche greifen! So jedenfalls ist Ihr Weg falsch.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Angelika Mertens.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Lippold, zu Ihrem Versuch, hier
als Retter der Witwen und Waisen aufzutreten und sich
wie der Wolf im Märchen eine weiße Pfote zu machen, um
damit beim Straßengüterverkehrsgewerbe gut anzukommen, kann ich Ihnen nur sagen: So ein kurzes Gedächtnis
hat das Gewerbe nicht. Sie haben vielleicht gemerkt, dass
sich einige nicht vor Ihren Karren haben spannen lassen.
Dafür gebührt ihnen mein Respekt.
Sie haben nämlich nicht vergessen, was vor einigen
Jahren passiert ist, als Sie die Kabotage freigegeben haben. Das Gewerbe hat gegen Ihr Vorhaben einen erbitterten Widerstand geführt. Wir haben Sie immer gewarnt.
({0})
Ihre Maxime „Liberalisierung vor Harmonisierung“ rächt
sich jetzt. Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, wenn die Leute
jetzt auf die Straße gehen.
({1})
Die Entwicklung der Energiepreise ist besorgniserregend. Das bagatellisiert wirklich niemand. Wenn man mit
dem Gewerbe in Ruhe redet - das haben wir getan -, dann
sagen sie - das werden sie auch Ihnen gesagt haben -, dass
es nicht die Ökosteuer ist, die dem Gewerbe und den
Transporteuren die Luft abdrückt. Insofern ist die Kampagne, die Sie jetzt starten und an die sich die F.D.P. anscheinend anhängt, wirklich die reinste Volksverdummung.
Dr. Klaus W. Lippold ({2})
Die Situation ist doch folgende: Jährlich gibt es in diesem Gewerbe Zuwachsraten von 5 bis 6 Prozent. Darüber
würden sich andere Bereiche sehr freuen.
({3})
Trotzdem kämpfen vor allen Dingen viele kleine und mittlere Unternehmen um ihre Existenz. Es gibt aber auch
- das darf man nicht verschweigen - Unternehmen, denen
es durchaus gut geht.
({4})
Wir haben in diesem Land desolate Wettbewerbsbedingungen. Ein großer Teil dieses Gewerbes - das nehmen wir sehr ernst; Sie wissen, was wir hierzu unternehmen - wird zweifach in die Zange genommen, zum einen
im Inland wegen völlig zusammengebrochener Wettbewerbsbedingungen: durch Billiganbieter aus Drittstaaten,
die mehr oder weniger legal sind, Billiganbieter durch Sozialdumping und Selbstausbeutung, und zum anderen vor
allen Dingen durch einen völligen Verfall der Preise.
Wenn ich ein sparsamer Mensch wäre, dann würde ich
mir, um zum Bahnhof oder sonst wohin zu gelangen, statt
eines Taxis einen 40-Tonner-LKW bestellen; denn er ist
preiswerter als ein Taxi. Wenn ich für einen 40-TonnerLKW 1,70 DM pro Kilometer bezahle, dann können Sie
sehen, dass die Preise wirklich im Keller sind.
({5})
Die Preise können nicht an die Verlader weitergegeben
werden. Es wird unter Kosten gefahren. Das bringt das
Gewerbe immer mehr unter Druck und verschlimmert die
Situation. Es ist mein Appell, dass die Kosten an die Verlader weitergegeben werden. Die Verlader sind übrigens
mittlerweile so frech, dass sie dem Endverbraucher Transportkosten in Rechnung stellen, die das Transportgewerbe
nie sieht.
Zum anderen wird das Gewerbe durch die Situation in
Europa in die Zange genommen. Wir haben hinsichtlich
Europa sicherlich alle irgendwie unsere Leichen im
Keller. Im Verkehrsbereich - das kann ich Ihnen sagen ist dies zum Massengrab geworden. So geht es nicht weiter. Die SPD-Fraktion und, wie ich denke, auch der Koalitionspartner erwarten von der Bundesregierung, dass es
nicht wie in Ihren 16 Jahren bei Worten belassen wird,
sondern dass Abmachungen eingehalten werden und nicht
diejenigen die Angeschmierten sind, die sich an sie halten.
({6})
Wenn die EU in der Welt ernst genommen werden will,
dann kann sie keine Politik nach dem Motto machen:
Rette sich, wer kann. Diesen Wettlauf gewinnt nämlich
niemand.
({7})
Unsere Politik wird sich daran ausrichten, strukturelle
Probleme zu lösen, das heißt, illegale Praktiken zu beenden, die entfernungsabhängige LKW-Gebühr schnellstmöglich einzuführen und den Subventionswettlauf zu beenden. Es könnte zum Beispiel ein erster Schritt sein, hier
wirklich einmal Transparenz herzustellen.
Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen, auch
hinsichtlich Ihrer Aktuellen Stunde. Sie müssen kapieren,
dass ein Transport wieder seinen Preis hat. Ich sage Ihnen:
Ihre dümmliche Ökosteuerkampagne zeigt, dass Sie von
Verkehrspolitik nichts begriffen haben.
({8})
Der nächste Redner
für die Fraktion der F.D.P. ist der Kollege Horst Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!
Wie ernst diese Bundesregierung die Debatte heute und
die Lage des Gewerbes tatsächlich nimmt, zeigt die Präsenz auf der Regierungsbank. Er kommt zwar gerade in
aller Eile, der Kollege Bodewig, aber ein Haus mit einem
Minister und fünf Staatssekretären braucht sage und
schreibe bis zehn Minuten nach Beginn der Plenardebatte,
um hier bei diesem wichtigen Thema überhaupt zu erscheinen.
({0})
Was muss denn eigentlich noch passieren, wie viele
Demonstrationen müssen noch abgehalten werden? Bald
ist es so weit, dass dem Gewerbe das Wasser nicht nur bis
zum Hals steht, sondern dass es bereits unter Wasser ist.
Die einzige Alternative, die Herrn Klimmt dazu einfällt,
ist, dass er KfW-Kredite ausreicht. Das ist ungefähr so, als
wenn Sie einem Ertrinkenden, damit er tatsächlich untergeht, noch einmal einen Schluck Wasser in der Badewanne geben, damit er endgültig ersäuft.
({1})
Jemandem, der rote Zahlen schreibt, mit neuen Krediten weiterzuhelfen zeigt, dass das Problem nicht erkannt
worden ist, Frau Kollegin Mertens - ganz abgesehen davon, dass Sie dem GüKG, in dem die Kabotagesituation
geregelt worden ist, zugestimmt haben.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der
CDU/CSU - Angelika Mertens [SPD]: Ich
nicht!
Wenn wir schon beim „langen Gedanken“ sind: Die
letzte für das Gewerbe spürbare Kostenreduzierung hat
die Koalition aus Union und F.D.P. bei der Kfz-Steuer
1992 festgelegt. Wir haben das deutsche Gewerbe positioniert und aus unserer damaligen Sicht wettbewerbsfähig gemacht. Da hat es Auftrieb gegeben.
({2})
Seit Übernahme der Regierungsverantwortung 1998
erhöhen Sie jetzt Zug um Zug national die Kosten. Sie haben die steuerlichen Bedingungen verändert. Sie sind bei
der Abschreibungsfrist dabei, das Ganze noch weiter zu
verschlimmern. Sie haben die Ökosteuer eingeführt. Sie
weigern sich, zur Kenntnis zu nehmen, dass man die KfzSteuer immer noch weiter reduzieren kann. Sie sagen: Es
darf keinen Wettlauf geben; wir hoffen auf die europäischen Instanzen. Wie lange wollen Sie denn eigentlich
noch warten, bis Regelungen kommen?
({3})
Wenn Sie jetzt nicht dem deutschen Gewerbe signalisieren, dass kurzfristig, unmittelbar morgen geholfen werden
kann, ist für einen Teil der deutschen Unternehmer der
Wettlauf vorbei. Sie sterben dann, weil man sich in Europa nicht geeinigt hat.
({4})
Sie wissen nicht, wie die Situation ist. Ich kann Ihnen
einmal vorlesen, wie die Realität draußen ausschaut. Mir
hat ein befreundeter Unternehmer aus meiner Heimat einen Brief geschrieben und mich gebeten, ihm zu helfen.
Er hat einen Brief beigelegt, in dem einer seiner Kunden
- eine Firma Schott aus Spanien - erklärt hat: Sehr geehrter Herr Maisel, wir haben großes Verständnis für Ihre
Reaktion auf die gestiegenen Treibstoffkosten, dass Sie
nämlich mehr Geld für die Transporte wollen. Aber wir
haben natürlich auch unseren eigenen Kostenrahmen zu
sehen. Deswegen werden wir unsere Sendungen nach
Deutschland und in die Schweiz ab Oktober mit spanischen Spediteuren abfertigen, was wir auch bereits mit
unseren Sendungen nach Frankreich machen.
({5})
Um ein Beispiel zu nennen: Ein spanischer LKW nach
Sankt Gallen kostet uns 33 Prozent weniger. Rechnet man
die unterschiedliche Auslastung dazu, bleiben immer
noch 26 Prozent.
({6})
Da sagen Sie immer noch: Es darf sich national nichts
ändern, es muss so weitergehen wie bisher. Was wollen
Sie eigentlich noch an Unterlagen haben, um Ihre Politik
endlich zu verändern, um die Beratungsresistenz aufzugeben?
({7})
Dann kommt noch der Strohhalm: Die Eisenbahn wird
das Ganze schon richten.
({8})
Das höre ich ja nun immer wieder. Aber es ist ein Irrglaube. 10 Prozent dessen, was heute auf der Straße rollt
und morgen auf die Eisenbahn verlagert wird, bedeutet
dort Verdopplung der Kapazitäten. Wer sich in der Welt
wirklich umschaut, wird sehen, dass 10 Prozent des
Straßengüterverkehrs, verlagert auf die Eisenbahn, nicht
spürbar sind, weil es ungefähr dem Zuwachs eines Jahres
entspricht. Die Bahn hat aber große Probleme, 100 Prozent Zuwachs überhaupt auf die Reihe zu bekommen. Sie
ist mittlerweile zusätzlich mit 2,5 Milliarden DM aus den
Zinsersparnissen im Zusammenhang mit den Erlösen aus
der Versteigerung der UMTS-Lizenzen gesegnet worden.
Herr Mehdorn bedankt sich dafür und fordert zusätzlich,
die Mineralölsteuer müsse aber auch noch abgeschafft
und die Umsatzsteuer am besten halbiert werden.
({9})
Dass er in seinem Haus selber noch Hausaufgaben zu erledigen hat, dass er die Bahn erst einmal leistungsfähig
machen muss, um den Logistikanforderungen zu genügen, das sagen Sie nicht. Meine Damen und Herren von
der Regierung, dass Sie so laut schreien, zeigt eigentlich,
dass ich Sie genau da getroffen habe, wo ich Sie treffen
wollte.
({10})
Im Endeffekt haben Sie kein Konzept für die Probleme
des Gewerbes. Sie werden damit leben müssen - dass ist
dann Ihre Verantwortung -, dass bei Ihrer sturen Verweigerungshaltung unter Umständen die Gefahr besteht, dass
bisher friedliche Demonstrationen aus nackter Existenzangst der Betroffenen unter Umständen ausfransen können.
({11})
Das ist dann Ihre politische Verantwortung, die Sie niemandem mehr auf die Schultern laden können.
Danke sehr.
({12})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Albert
Schmidt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal will ich ganz klar und unmissverständlich sagen: Es ist selbstverständlich legitim
und aus der Betroffenensituation durchaus nachvollziehbar, dass Branchen auch in Demonstrationen und Aktionen ihre Sorgen und Forderungen vortragen und ihrem
Ärger über gestiegene Kosten in ihrer Branche Luft machen. Das ist überhaupt nicht der Streitpunkt. Deshalb bin
ich sogar in gewisser Weise dankbar, dass die Aktuelle
Stunde, die Sie beantragt haben, vielleicht den Einstieg in
eine Debatte ermöglicht, die wirklich auf die Probleme
des Gewerbes eingeht und nicht Scheinprobleme aufbläst,
Horst Friedrich ({0})
von denen wir alle wissen, dass wir sie nicht lösen können.
({1})
Ich möchte Ihnen zunächst einmal Folgendes sagen:
Der Straßengüterverkehr - das bestreitet in diesem Land
niemand - hat eine hervorragende Auftragslage. Es gibt
kaum eine Branche im Land, die derartige Wachstumsraten aufweist. Die Zuwachsprognosen für den Straßengüterverkehr für die nächsten Jahre sind nicht nur gut; sie
sind geradezu erschreckend gut. Das würde bedeuten,
dass eine beachtliche Steigerung - bis zu einer Verdoppelung - des LKW-Verkehrs in den nächsten 20 Jahren auf
uns zurollen würde. Das wird uns veranlassen umzusteuern. Es ist nicht das Problem, dass niemand mit dem LKW
transportieren möchte, sondern dass niemand den Transport mit dem LKW ordentlich bezahlen will. Das verschweigen Sie, wenn Sie immer auf die Ökosteuer einschlagen.
({2})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn heute ein Kilometer Transport mit dem LKW
in bestimmten Relationen - die Kollegin Angelika
Mertens hat es angesprochen - 1,70 DM, weniger als ein
Taxi, kostet, dann zeigt das, dass der interne Markt auf der
Straße total aus den Fugen geraten ist. Das hat nichts mit
der Ökosteuer zu tun. Das geben übrigens alle Spediteure
zu, mit denen ich in diesen Tagen im Gespräch bin. Spätestens nach fünf Sätzen sagen sie: Natürlich ist es nicht
die Ökosteuer.
Die Kolleginnen und Kollegen, die gestern demonstriert haben, kämpfen an der falschen Front.
({3})
- Selbstverständlich war ich vor Ort und habe diskutiert.
Ich war schon in der Frühe um acht Uhr dort. Da haben
Sie noch geschlafen.
({4})
Wenn heute ein bulgarischer Fahrer auf Deutschlands
Straßen 2 DM Stundenlohn bekommt, der deutsche Kollege aber 16 DM oder 18 DM verlangen muss, dann ist
dies der Unterschied, der wirklich wehtut. Das sind die
Probleme, über die wir sprechen sollten - nicht über ein
paar Pfennige Mineralölsteuer.
({5})
Fahrer ohne Ausbildung, die im deutschen Straßennetz
unterwegs sind, Fahrer ohne jeglichen sozialen Schutz
und Fahrer ohne Verantwortung sind das Ergebnis einer
gnadenlosen Liberalisierung auf dem Markt, die nichts
anderes gebracht hat als ein Preisdumping, das den kleinen und mittelständischen Unternehmen das Leben
schwer macht. Das ist übrigens das Ergebnis Ihrer gnadenlosen Liberalisierungspolitik, meine sehr verehrten
Herren von der F.D.P.
({6})
Nun verlangen Sie, dass der Staat Steuerverzicht üben
und den Diesel subventionieren soll. Sie verweisen auf
Frankreich, wo der Dieselpreis sogar nach der Zusage, die
Mineralölsteuer um 6 Pfennige zu senken, immer noch
höher sein wird als bei uns. - Übrigens: In Frankreich gibt
es die LKW-Streckenmaut längst, die wir erst einführen
wollen. - Sie glauben doch nicht im Ernst, dass dies ein
einziges Problem lösen wird? Das Gegenteil ist der Fall.
Erstens. Eine solche Steuersubvention für den Diesel
durch Steuerverzicht, den wir üben würden, wäre ein klares Signal an die Ölmultis: Dreht fröhlich weiter an der
Preisschraube! Die reichen Finanzminister der westeuropäischen Industriestaaten subventionieren dann, damit
es immer noch bezahlbar bleibt.
Zweitens. Keine sechs Monate später würden Sie den
Subventionskonter aus den europäischen Nachbarländern
einfangen, die Sie geradezu ermuntern, auf diesem Weg
fröhlich weiterzumachen. Es wäre ein Aufruf zur nächsten Runde des Preisdumpings, dass das Problem nur verschiebt und verschärft, weil die Handlungsspielräume immer geringer werden.
Wir müssen etwas ganz anderes tun: Wir müssen unsere Anstrengungen vervielfachen, um garantierte Mindestlöhne zu bekommen, um sozialen Mindeststandards
Geltung zu verschaffen und um endlich - als Nachweis
für eine legale Beschäftigung - eine europäische Fahrerlizenz zu bekommen.
({7})
Diese Festlegungen - das sage ich in aller Freundschaft
auch an unsere osteuropäischen Nachbarn - müssen auch
für diejenigen Staaten gelten, die Mitgliedsländer der Europäischen Union werden wollen. Denn es kann nicht
sein, dass jemand zwar die Vorteile des Marktes nutzen,
sich aber nicht an die zivilisatorischen Standards halten
will.
({8})
Wir müssen auch die Kontrollen verstärken. Im letzten
Jahr konnten bei jedem fünften kontrollierten LKW, Herr
Kollege Lippold, Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten
sowie gegen Bestimmungen über Fahrerlizenzen nachgewiesen werden. Das sind Dinge, bei denen wir die
schwarzen Schafe greifen und zur Rechenschaft ziehen
müssen.
Letzter Punkt, Frau Präsidentin: Wenn der Weltmarkt
infolge einer erkennbaren Verknappung des Rohöls und
gleichzeitig verstärkter Nachfrage hohe Preise hervorbringt, kommt die F.D.P. und ruft nach dem Staat. Das
ist Ihr Verständnis, das Verständnis der Hohepriester der
Albert Schmidt ({9})
Marktwirtschaft. Staatssubventionismus, Sozialismus,
das ist das, was Sie im Grunde wollen.
({10})
Sie wollen, dass der Staat in die Kasse greift und den
Markt außer Kraft setzt. In diesem Punkt war Ihr Wirtschaftsminister Günter Rexrodt viel konsequenter. Als es
damals um die DASA ging, hat er gesagt: Jetzt ist Schluss.
Wir wissen, dass der Dollarkurs schlecht ist, und wir wissen, dass die DASA Probleme hat, aber ihr müsst sie aus
eigener Kraft lösen. Das war liberal.
Herr Kollege
Schmidt, jetzt ist wirklich Schluss.
Was Sie jetzt machen, ist eine Volksbetrügerei.
({0})
Das Wort für die PDSFraktion hat der Kollege Rolf Kutzmutz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schmidt, was man in einer solchen
Aktuellen Stunde alles lernen kann, ist ungeheuer.
({0})
Ich komme auf den Sozialismus zurück.
- Ach ja, Herr Schmidt, nicht alles passt zusammen, was
zusammengehört.
({1})
Eines möchte ich vorausschicken: Wir sollten in einer
solchen Debatte vermeiden, die Demonstranten von gestern genau so wie die Demonstranten vor drei oder vier
Jahren in Bonn zu instrumentalisieren.
({2})
Die einen sagen, sie dürften nicht, die anderen sagen, es
sei ihr gutes Recht. Wir sollten dies nicht von Fall zu Fall
entscheiden. Demonstrieren gehört - darin sollten wir uns
einig sein - zum guten Recht derjenigen, die sich politisch
einmischen, die sich ungerecht behandelt fühlen,
({3})
egal, wen es zu welcher Zeit trifft, Herr Lippold. Der Titel der Aktuellen Stunde stammt von Ihnen; ich finde ihn
etwas unredlich. Ich finde auch unredlich, was bisher gesagt worden ist.
({4})
Es geht ja nicht allgemein um das Transportgewerbe.
Sonst müssten wir auch über die Ungleichbehandlung, die
Diskriminierung von Schienen- und Wasserwegen reden.
({5})
- Selbstverständlich ist das das Thema, Sie sollten
zuhören anstatt dazwischenzureden.
({6})
Sie sollten einfach sehen, welche Wettbewerbsbedingungen bestehen. Sie wissen mindestens so gut wie ich, dass
diese ungleich sind.
({7})
Ich will Ihnen und den Kollegen von der CDU/CSU
auch sagen: Gestern hat ein ehemaliger Umwelt- und
Straßenbauminister der CDU/CSU etwas gesagt, was ich
hier nicht höre. Er hat gesagt, eine richtig ausgestattete
Ökosteuer sei keine K.o.-Steuer, sondern ein notwendiges
Instrument für global wichtige Ziele wie etwa den Klimaschutz.
({8})
Er hat dies nicht vom Adenauer-Haus aus gesagt, sondern
von Nairobi aus. Dort war er vor Ihrer Kritik sicher.
({9})
Auch das ist doch wahr: Für die Spediteure ist nach
vielen Bekundungen von gestern - wie Sie war auch ich
bei den Demonstrationen - die Ökosteuer nicht die größte
Sorge.
({10})
Dies ist bei aktuell 21 Pfennig mehr Steuern auf den Liter
Diesel gegenüber März 1999 auch nicht verwunderlich.
Es geht ihnen vielmehr um den Subventionswettlauf, um
die Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Raum, die
sich pro Laster auf mehrere Tausend Mark belaufen können.
({11})
Deshalb wende ich das Töpfer-Zitat auch in Bezug auf die
Koalitionskollegen an. Es geht um eine - da war der Zuruf richtig - richtig ausgestattete Ökosteuer.
({12})
Darin besteht das tatsächliche Problem der aktuellen
Lage. Darauf haben meine Fraktion und auch ich seit Beginn der Wahlperiode immer wieder hingewiesen.
Um es noch einmal klarzustellen: Wir sind nicht gegen
eine ökologische Besteuerung, wir wollten und wollen
aber eine andere. Ökosteuern müssen von vornherein in
Albert Schmidt ({13})
ein entsprechendes sozial-, wirtschafts- und verkehrspolitisches Umfeld eingebettet werden. Mit dem Rezept von
Regierung und Koalition erntet man keine doppelte Dividende - Umwelt und Arbeit -, sondern eine einfache Katastrophe. Ökologische Lenkungswirkung von Steuern einerseits und gleichzeitig Orientierung beispielsweise der
Bahninvestitionen allein in einen Berliner Knoten oder
eine schnelle Flughafenverbindung am Rhein andererseits
stehen sich diametral gegenüber.
({14})
Sie dürfen angesichts der Lage nicht bis zur nächsten
Wahl warten, um dann vielleicht die Einnahmen aus der
Ökosteuer in einen ökologischen Umbau zu lenken. Sie
dürfen auch nicht mit konkreten Maßnahmen gegen
Lohn- und Sozialdumping sowie gegen illegale Praktiken
im Transportbereich warten. Herr Schmidt, Sie haben gesagt, wir müssten und sollten etwas tun. Es gibt eine Regierung und die muss auch in der EU aktiv werden und
darf nicht warten, bis von anderen etwas geleistet wird.
({15})
Sie sollten auch eine entfernungsabhängige Straßenmaut
nicht bis 2002 oder 2003 hinauszögern. Bis dahin hätten
wir keinen Truck weniger auf den Autobahnen, nur wären
es dann fast ausschließlich west- oder osteuropäische und
keine einheimischen mehr.
Ich habe sehr wohl vernommen, dass der Bundeskanzler und der Verkehrsminister gestern über alle Fernsehkanäle Initiativen für europäische Führerscheine und
Standards bei den Arbeitsbedingungen ankündigten.
Richtig, aber eben auch unredlich; denn solche Probleme
sind seit Jahren bekannt - es gab sie übrigens auch schon
unter der alten Regierung -, sie wurden nur nicht ernsthaft
angegangen.
({16})
Wenn sie jetzt angegangen werden, dann aber leider
nicht auf Initiative dieser Regierung. Womit sich Kanzler
und Minister schmücken, das kann jeder seit Anfang Mai
- also lange vor der aktuellen Treibstoffpreisexplosion in der Mitteilung der EU-Kommission „Überprüfung der
Binnenmarktstrategie 2000“ nachlesen. Ich zitiere aus
dem Arbeitsplan: auf Dezember 2000 verschobenes Projekt, aber Priorität: Legislativpaket für den Schienenverkehr; neues Projekt, bis Dezember 2000: Richtlinie Interoperabilität des konventionellen Eisenbahnsystems; neu,
bis Dezember 2000: Richtlinie Arbeitszeiten im Straßenverkehr; neu, bis Dezember 2000: Verordnung über Kontrollen von Berufskraftfahrern.
Sicher, die Kommission ist weit weg und vor ihr sitzen
noch 15 nationale Regierungen, die das alles noch ausgestalten können. Aber eine politische Philosophie, wie sie
diese Vorhaben verdeutlichen, hätten wir uns auch von
dieser Bundesregierung gewünscht, und zwar seit Ende
1998 und nicht erst andeutungsweise in den letzten Tagen.
Wer PKWs und LKWs fast alternativlos lässt, darf die
Kosten ihrer Nutzung nicht einseitig ins Unerträgliche
steigern. Verkehrsalternativen und gerechte Ökosteuern
gehören einfach zusammen, sonst funktionieren sie nicht.
Danke schön.
({17})
Das Wort hat jetzt der
Parlamentarische Staatssekretär Kurt Bodewig.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Zunächst ein Wort der Entschuldigung: Ich hatte mich auf
das ursprüngliche Zeitraster verlassen und war verlassen.
Ich bitte um Nachsicht.
Nach dem, was ich bisher gehört habe, sage ich Ihnen
sehr deutlich, dass die LKW-Fahrer und Spediteure eigentlich etwas anderes als das verdienen, was Sie, Herr
Friedrich, hier vorgetragen haben. Sie verdienen, dass
man sie in ihrem Anliegen ernst nimmt. Das ist der ganz
entscheidende Punkt.
({0})
- Es macht kein gutes Bild für unsere Gäste auf der
Tribüne, wenn Sie noch nicht einmal zuhören wollen.
({1})
Polemik und Scheinlösungen führen nicht weiter. Die
Spediteure und LKW-Fahrer, denen das Wasser zum Teil
bis zum Hals steht, haben es verdient, dass wir ihr Anliegen ernst nehmen und mit dem gnadenlosen Populismus
aufhören, wie ich ihn in den letzten Tagen gehört habe.
({2})
Nicht die Ökosteuer ist das Problem dieser Debatte,
sondern die Wettbewerbsverzerrung.
({3})
Das gilt umso mehr, als es nicht allen Unternehmen gleichermaßen gut oder schlecht geht. Es gibt große Speditionsketten, die auch in diesem Jahr trotz des Preisdrucks
sehr gute Ergebnisse erzielen. Wir haben andererseits
kleine Unternehmen, die davon abhängig sind, dass es
formulierte Standards gibt und dass sie Wettbewerbschancengleichheit erhalten. Genau an diesem Punkt
arbeiten wir. Der Normalfall darf nicht ein deutsches Speditionsunternehmen mit Filialen in Portugal und ukrainischen Fahrern sein. Von diesen geht nämlich der Wettbewerbsdruck aus, mit dem sich zurzeit die kleinen
Spediteure auseinander setzen.
Deswegen führt unser Ministerium mit dem Gewerbe
einen Dialog. Gerade Bundesminister Reinhard Klimmt
hat dies von Anfang an getan. Nicht zuletzt deswegen
wurden in der vergangenen Woche vier Punkte vereinbart.
Der erste Punkt betrifft die Einführung einer EU-Fahrerlizenz. Sie ist notwendig, um zu verhindern, dass über
Lohn- und Sozialdumping kleine Spediteure aus dem
Markt gemobbt werden. Der zweite Punkt betrifft die Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes: Wir wollen den
Unternehmen die Pflicht auferlegen, nur Fahrer einzusetzen, die eine Arbeitsgenehmigung im Original mit einer
amtlich beglaubigten Übersetzung mit sich führen.
({4})
Wenn Sie nun sagen, das sei eine kleine Maßnahme, halte
ich Ihnen entgegen, dass dies eine für die Wettbewerbssituation der deutschen Spediteure ganz entscheidende
Maßnahme ist, die man auch schon vor einigen Jahren
hätte ergreifen können. Wir reden nicht, wir tun es.
({5})
Diese Verpflichtung wollen wir auch auf die Verlader ausdehnen, da diese das zweite Glied in der Kette der Wettbewerbsverzerrung darstellen. Auch hier müssen wir
deutlich arbeiten. Deswegen auch die Verantwortung, bei
den Verladern nur Unternehmen einzusetzen, die genau
über diese Genehmigung oder Gemeinschaftslizenz verfügen. Wir werden den Bußgeldrahmen weiter erhöhen.
Das ist ebenfalls notwendig; denn nur mit Sanktionen
können wir es durchsetzen.
Ich sage Ihnen jetzt einen weiteren Punkt: Ich glaube,
dass wir in Bedrängnis geratenen Unternehmen mit kurzfristigen Überbrückungshilfen jetzt helfen müssen. Wir
müssen ihnen jetzt dieses Stück Spielraum schaffen, in
dem sie sich bewegen können. Da werden wir alle bestehenden Möglichkeiten nutzen. Wir werden sie verbessern
und mit Beratungsangeboten - wirklich mit konkreten
Hilfen, nicht mit Sprüchen - verbinden.
({6})
Das KfW-Programm für Mittelstandsförderung wird
hier spezifiziert. Wir werden genau an diesem Punkt weiterkommen. Wir werden nicht Scheindebatten führen,
sondern wir werden Maßnahmen einführen, die konkret
wirken.
({7})
Ich sage zum Letzten: Auch eine LKW-Gebühr zur
Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen gehört dazu. Interessant ist ja, dass der BGL genau diese Maßnahme begrüßt, wenn er sie auch für den deutschen Speditionsbereich ausschließen will. Das geht europäisch nicht.
Aber eines kann ich Ihnen deutlich sagen: Wenn wir
die Kosten internalisieren, wenn wir sie an den Verursacher bringen, dann werden Transitverkehre aus der
Ukraine nach Portugal zumindest reduzierter sein. Dann
wird die Schiene eine Chance haben. Aber auch die deutschen Speditionen, die gerade im nahen und mittleren Bereich tätig sind, haben dann endlich wieder eine vernünftige Chance.
({8})
Jetzt sage ich noch etwas zur Ökosteuer. Wir kennen ja
die Forderung: Ökosteuer runter, dann gehen die Preise
runter.
({9})
Da kann ich jedem nur die Empfehlung geben, sich in Europa sehr genau den Anteil der Steuer und des Treibstoffs
am Marktpreis anzuschauen. Interessanterweise hat Portugal den niedrigsten Steueranteil und den höchsten
Treibstoffpreisanteil. Das, was Sie vorschlagen, ist die
Einladung an die Mineralölkonzerne, die Preisspirale
weiter hochzutreiben.
({10})
Die Verantwortung dafür hätten Sie, wenn wir einen solchen verantwortungslosen Schritt machen würden.
Ich will aber auch etwas Gutes sagen. Ich appelliere gerade an die Union, die ja heute einen bemerkenswerten
Fortschritt gezeigt hat. Ich appelliere an Sie, gemeinsam
mit uns den Kampf gegen illegale und graue Kabotage
weiterzuführen. Die Ankündigung von heute Morgen,
dass Sie dem Antrag von SPD und Grünen beitreten wollen, war genau der richtige Schritt. Verzichten Sie zukünftig auf Polemik. Helfen Sie, Probleme zu lösen, und wir
kommen am Standort Deutschland einen gehörigen
Schritt weiter.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner ist
der Kollege Eduard Oswald für die Fraktion der
CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, das
deutsche Verkehrsgewerbe braucht keine tröstenden
Worte, sondern rasche Hilfe, jetzt und sofort.
({0})
Es braucht Ergebnisse und keine Vertröstungen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich für die deutschen Unternehmen ebenso einsetzt wie es bei unseren
europäischen Nachbarn für ihr Gewerbe eine Selbstverständlichkeit ist. Die Bundesregierung muss handeln, bevor es zu spät ist. Es geht um die Arbeitsplätze in unserem
Lande. Das ist der Punkt, meine sehr verehrten Damen
und Herren.
({1})
Für mich ist klar: Jede Kostenerhöhung treibt weitere
mittelständische Unternehmen des Transportgewerbes in
den Ruin. Heute stehen viele deutsche Transportunternehmer mit dem Rücken an der Wand. Das deutsche
Transportgewerbe braucht faire Wettbewerbsbedingungen und keine Wettbewerbsverzerrungen.
({2})
Es kann doch nicht sein, dass der Straßenverkehr der
Dukatenesel der Nation ist.
({3})
Anstatt die Unternehmen nach den kräftig gestiegenen
Kraftstoffpreisen zu entlasten, wird nochmals draufgesattelt, und zwar durch die am 1. Januar nächsten Jahres
wirksam werdenden Erhöhungen der Ökosteuer und der
LKW-Vignette.
Tatsache ist, dass das Mineralölsteueraufkommen des
Güterkraftverkehrs bis zum Jahr 2003 mehr als ein Drittel der von den Unternehmen zu erwirtschaftenden Umsätze betragen wird. Diese Mehrbelastung wird lediglich
zu 10 Prozent durch die Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge kompensiert. Nehmen Sie doch diese Fakten zur Kenntnis.
({4})
Angesichts des Missverhältnisses zwischen Mehrbelastung und versprochener Entlastung werden die Gesamtkosten im Güterkraftverkehrsgewerbe so steigen,
dass bei vielen Betrieben die Umsatzrendite aufgezehrt
wird. Das kann doch nicht wahr sein!
({5})
Deswegen wir haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt;
denn es ist uns nicht gleichgültig, was mit diesem Gewerbe in Deutschland passiert.
({6})
Es kann doch nicht wahr sein, dass der deutsche LKW
im Wettbewerb auf dem europäischen Transportmarkt immer mehr auf der Strecke bleibt, da in einigen Ländern die
Kraftstoffsteuer teilweise erstattet wird. Es kann doch
nicht wahr sein, dass ein 40-Tonner in Deutschland jährlich mit Abgaben in Höhe von 40 600 DM belastet wird,
während das gleiche Fahrzeug beispielsweise in Frankreich oder in Belgien um rund 10 000 DM billiger unterwegs ist.
({7})
Hinzu kommt, dass immer mehr osteuropäische LKWUnternehmer auf den Markt drängen, die mit Niedriglöhnen zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen beitragen.
Dies ist jedenfalls nicht das Europa, an dem wir gemeinsam bauen wollen.
({8})
Erkennen wir doch gemeinsam, dass der LKW benötigt
wird, weil ohne ihn in einer arbeitsteiligen Wirtschaft sogar die Versorgung mit dem tagtäglichen Bedarf nicht
möglich ist. 80 Prozent aller Fahrten eines LKW sind unter 100 Kilometern. Hier kann doch nichts auf die Schiene
verlagert werden. Auch dies gehört zu den Realitäten in
Deutschland.
({9})
Wir wissen auch, welch wichtige und unverzichtbare
Verkehrsleistungen der Omnibus in unserem Lande erbringt. Auch dies gehört zu den Realitäten.
Meine Forderungen lauten: Erstens. Heben Sie die
Ökosteuer auf!
({10})
Zweitens. Die Einführung einer streckenbezogenen,
nutzungsabhängigen LKW-Gebühr muss für das deutsche
Güterkraftverkehrsgewerbe wettbewerbsverträglich gestaltet werden.
({11})
Drittens. Die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im Bereich des europäischen Güterkraftverkehrs
darf nicht weiter verschleppt werden.
Viertens. Im Rahmen der EU-Osterweiterung müssen
die Interessen des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes
beachtet werden. Dies ist eine Aufgabe der ganzen Bundesregierung, die dem Verkehrsminister nicht alleine
überlassen werden darf.
({12})
Fünftens. Nehmen Sie sich der Probleme des alpenquerenden Verkehrs intensiver an als bisher!
Sechstens. Bekämpfen Sie die graue und illegale Kabotage wie die illegale Beschäftigung im EU-Straßengüterverkehr. Wir brauchen eine Harmonisierung der Sozialstandards und müssen gegen Sozialdumping kämpfen.
Das ist unser Auftrag.
({13})
- Wenn Sie uns in diesem Punkt folgen, dann sind wir damit einverstanden.
Siebtens. Verfolgen Sie die Pläne zur Verlängerung der
Abschreibungsfristen für LKW von sieben auf zehn Jahre
nicht weiter.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen und von der Bundesregierung, nehmen Sie die
Sorgen des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes und
der Omnibusunternehmer ernst und sichern Sie die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Arbeitsplätze in unserem
Lande!
({15})
Nächste Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Franziska EichstädtBohlig für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sollten nicht länger über die Frage diskutieren, ob die LKW-Fahrer und die Fuhrunternehmer zu
Recht oder zu Unrecht protestiert haben und das Demonstrationsrecht missbraucht haben. Ich habe viel Verständnis für die wirtschaftlichen Probleme vieler kleiner
Transportunternehmen, vor allem für die der Fuhrunternehmen in Ostdeutschland, die nach der Wende sehr viel
Geld investiert haben, um überhaupt ihr Unternehmen
aufbauen zu können.
({0})
Das eigentliche Problem ist eine harte Konkurrenzsituation, in der die großen Unternehmen versuchen, die
kleinen durch Dumping vom Markt zu verdrängen. Eine
ähnliche Situation gibt es auch in der Bauwirtschaft. Wir
haben bereits im Rahmen der Steuerreform einen sehr
wichtigen Baustein beschlossen, um den kleinen Unternehmen wirklich zu helfen: Die kleinen Unternehmen
werden im Rahmen der Unternehmensteuerreform durch
die Möglichkeit, sich die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer anrechnen zu lassen, ab Januar kommenden
Jahres steuerlich deutlich entlastet.
({1})
- Wenn Sie das nicht ernst nehmen wollen, dann ist das
Ihr Problem. Ich weise nur darauf hin, dass die Regierung
und die sie tragenden Koalitionsfraktionen auch solche
Bausteine schon längst auf den Weg gebracht haben, die
Sie nur nicht in Rechnung stellen wollen.
({2})
Ich muss auch ganz deutlich sagen: Die Probleme, die
die LKW-Unternehmen - wie gesagt: die kleinen, nicht
die großen - heute haben, sind das Ergebnis von jahrelang
vorgenommenen falschen politischen Weichenstellungen,
die diejenigen zu verantworten haben, die heute die Sorgen der LKW-Unternehmen instrumentalisieren wollen.
Sie, Ihre beiden Fraktionen, haben das zu verantworten.
Ich finde, es ist ein ganz gefährlicher Populismus, wenn
man erst die Probleme schafft und hinterher fragt: Warum
könnt ihr diese Probleme nicht innerhalb von Stunden aus
der Welt schaffen?
({3})
Wir müssen doch ganz eindeutig sehen: Der Güterverkehr auf der Straße macht heute 80 Prozent des gesamten
Güterverkehrsaufkommens aus. 7,2 Prozent entfallen auf
den Luftverkehr, nur noch 6,8 Prozent auf die Bahn und
5,4 Prozent finden per Schiff statt. Eine solche Ungleichheit ist bedrohlich. Wenn es mit dem LKW-Verkehr so wie
bisher weitergeht, dann werden diese Zustände vor dem
Brandenburger Tor normal sein. Das kann doch nicht Ihr
Ziel sein. Ich bitte Sie ernsthaft, eine verantwortliche Politik zu betreiben.
({4})
Ihr Problem ist, dass Sie die Straße jahrelang bevorzugt
und Investitionen in die Bahn aufgeschoben haben.
({5})
Wir müssen das heute ausbaden.
Ein Problem des Güterverkehrs ist die Ungleichheit
zwischen Bahn und Straße hinsichtlich der Kostenlast.
Die LKW-Vignette macht 2 500 DM im Jahr aus. Damit
kann gerade einmal ein Güterwagen der Bahn von Hamburg nach Frankfurt fahren, weil die Trassenpreise voll
auf dem Güterverkehr der Bahn lasten. Dies verdeutlicht
die Ungleichheit zwischen Bahn und LKW. Die Bundesregierung und die Koalition werden diese Ungleichheit
schrittweise austarieren und ins Lot bringen, nachdem Sie
jahrelang eine falsche Richtung eingeschlagen haben.
Ein zentrales Problem - mehrere Kollegen haben es
schon vor mir angesprochen - ist das europaweite Lohnund Sozialdumping. Wir brauchen eine europäische Fahrerlizenz - es freut mich, dass das von Ihrer Seite unterstützt wird; auch der Kanzler hat entsprechende Ankündigungen gemacht; wir halten das für einen zentralen
Punkt -, in der soziale Mindeststandards für alle, die
durch Deutschland fahren, ganz klar festgehalten sind.
Das ist genauso wichtig wie die LKW-Maut, damit Europa auf einem sozialen Regelwerk aufbauen kann. Diese
Harmonisierung brauchen wir als Allererstes.
({6})
Die von Ihnen angestrebte Harmonisierung in Richtung Subventionsdumping nach unten - Sie haben eben
ungefähr gesagt, wenn wir sämtliche Steuern streichen,
dann braucht demnächst niemand mehr Preise zu zahlen,
weil nichts mehr etwas kostet - ist ein Traum von Marktwirtschaft, den ich ganz sensationell finde.
({7})
- Doch, das wurde hier am Rande erklärt. - Bisher hatte
ich es so verstanden, dass Sie eine Harmonisierung in die
andere Richtung wollen. Ich dachte, dass Sie eine Ökosteuer vor dem Hintergrund einer europäischen Harmonisierung sehr wohl für sinnvoll halten. Aber jetzt versprechen Sie den Bürgern, den LKW-Fahrern und den
LKW-Fuhrunternehmern das Gegenteil.
Sie argumentieren hier nicht fair. Uns werfen Sie vor,
unsere Ökosteuer sei noch nicht treffsicher und ökologisch genug, ihre Lenkungswirkung reiche noch nicht
aus. Sie behaupten, Sie könnten alles viel ökologischer
und besser. Gleichzeitig erklären Sie den Betroffenen in
der Öffentlichkeit, Sie seien dafür, die Ökosteuer komplett abzuschaffen. Sie spielen mit gezinkten Karten. Ich
fordere Sie auf, den Bürgern und den LKW-Fuhrunternehmen reinen Wein einzuschenken, damit sie sehr genau
wissen: Das Klima wird sich nur verbessern, wenn wir auf
eine Ökosteuer setzen und den zweiten Schritt, die europäische Harmonisierung der Ökosteuer, vorantreiben. Wir
dürfen nicht in die umgekehrte Richtung gehen.
({8})
Last not least: Wir wissen sehr genau, dass sich unsere
Regierung und unser Verkehrsminister sehr wohl für eine
europäische Harmonisierung der Steuern und Abgaben
- inklusive Ökosteuer - einsetzen. Mit falschen populistischen Versprechungen ist uns nicht geholfen.
({9})
Nächster Redner ist
der Kollege Dirk Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dem deutschen
Transportgewerbe muss umgehend geholfen werden. Gewerbevertreter haben gesagt, dass sonst 90 Prozent der
mittelständischen Unternehmen das Jahresende nicht
überleben werden.
({0})
Die gestrige Protestfahrt Tausender Lastwagen, Busse
und Taxen zeigt, dass vielen Unternehmen das Wasser bereits bis zum Halse steht.
Minister Klimmt hat heute im Ausschuss ein Bild völliger Hilflosigkeit geboten, und das in der tiefsten Existenzkrise unseres nationalen Transportgewerbes. Ich
finde das Versagen des Ministers dramatisch.
({1})
Er hat rasche Hilfe durch die Sondersitzung des Verkehrsministerrates in der letzten Woche in Luxemburg angekündigt. Es ist ein völliger Fehlschlag geworden. Er hat
dem Gewerbe kurzfristige Harmonisierungserfolge versprochen. Er hat versprochen zu verhindern, dass den
Wettbewerbsländern Frankreich, Niederlande, Belgien
und Italien Beihilfegenehmigungen der EU-Kommission
erteilt werden. Nichts hat er erreicht. Der Bericht, der
heute gegeben wurde, war deprimierend.
Was geschieht demgegenüber? Die Straßenbenutzungsgebühr, also die Vignette, wird zum 1. Januar um
10 Prozent verteuert; das haben Sie heute beschlossen.
Wir haben gesagt: Das passt jetzt unter keinen Umständen
in die Landschaft, das ist das völlig falsche Signal. Sie haben sich darüber hinweggesetzt und gesagt: Sie wird verteuert. Sie erhöhen die Mineralölsteuer zum 1. Januar
2001 um weitere 7 Pfennig je Liter. Der Minister kündigt
dem Gewerbe für 2003 eine Verfünffachung der Straßenbenutzungsgebühr an, um dem LKW wohl endgültig den
Garaus zu machen.
({2})
Dann werden den Unternehmen zynischerweise KfWKredite bis 5 Millionen DM als Überbrückungshilfen angeboten. Das heißt also, Unternehmen, die bis unters
Dach verschuldet sind und bei denen die Kosten-ErtragsSituation überhaupt nicht stimmt, sollen sich jetzt weiter
verschulden. Dadurch wird die Lage nicht verbessert,
sondern verschlimmert.
Das Ergebnis ist also: Es wird nicht nur keine Hilfe gewährt, sondern es wird sogar eine Verschlimmerung der
Krise betrieben. Rot-Grün macht die Betriebe kaputt,
treibt deutsche Unternehmen ins Ausland, vernichtet Arbeitsplätze. Das ist der Skandal.
({3})
Ich habe in der Öffentlichkeit gesagt - ich wiederhole
das -: Klimmts Programm ist ein Vernichtungsprogramm,
nichts anderes.
({4})
- Die Wahrheit ist, Herr Schmidt: Sie und die Grünen Sie insbesondere - jubeln klammheimlich, weil Sie ohnehin den LKW fertig machen wollen, genau wie den
Luftverkehr und den Transrapid.
({5})
Wo bleibt in dieser Lage Schröder? Was macht der
Bundeskanzler à la Philipp Holzmann? Tony Blair, sein
Vorbild, hat auf dem Labour-Parteitag in Brighton zu seiner Benzinsteuer gesagt - ich zitiere -:
... es ist kein Wunder, dass die Regierung eins auf den
Deckel bekommen hat.
({6})
Ich übernehme die Verantwortung dafür. Wir haben
Dinge getan, die die Leute wütend gemacht haben,
und wir sollten so offen sein, das zuzugeben.
Da ich kann ich nur sagen: Schröder, endlich ran!
({7})
Was macht Schröder? Er hat keine Einsichtsfähigkeit,
sondern verteuert die Steuern auf Benzin in den nächsten
drei Stufen der Ökosteuer um weitere 21 Pfennig je Liter.
Am 6. September 1998, im Bundestagswahlkampf, hat er
wörtlich gesagt: „Sechs Pfennig teurer, dann ist das Ende
der Fahnenstange!“. Beim Bundeskanzler gilt das gebrochene Wort.
({8})
Durch diese Preisexplosion sind die Gesamtkosten der
Taxiunternehmen innerhalb kürzester Zeit um 5 bis
10 Prozent gestiegen. Viele Kleinunternehmer haben
schon aufgeben müssen. Fixkosten und Sozialabgaben lagen sowieso an der Schmerzgrenze. Das Fahrtenaufkommen ging zurück. Die Treibstoffpreiserhöhungen durch
die Ökosteuer sind nicht mehr zu verkraften gewesen.
({9})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen
und von der SPD: Das rot-grüne Konzept ist gescheitert.
Da helfen keine Reparaturen, sondern da hilft nur eines:
Die Ökosteuer muss weg, ersatzlos!
({10})
Wenn Sie sie nicht abschaffen, werden Sie auch nicht
mit kleiner Kosmetik, Herr Bodewig, die steuerlichen Bedingungen für einen fairen internationalen Wettbewerb in
Europa schaffen können. Um uns herum wird konkret geholfen. Bei uns wird draufgesattelt, draufgesattelt, draufgesattelt. Das kann doch nicht gut gehen. Die Bundesregierung muss endlich zur Vernunft kommen. Andernfalls
haben Sie politisch eine katastrophale Konkurswelle im
Straßengüterverkehr zu verantworten. Wir werden Sie
stellen und treiben. Sie kriegen keine Ruhe. Sie werden
sich dieser Verantwortung draußen beim Bürger stellen
müssen.
Tony Blair hat erkannt: Die britischen Bürger sind wütend geworden. Der deutsche Bürger verhält sich noch relativ gelassen und manierlich.
({11})
Sie aber machen ihn mit Ihrer Beratungsresistenz und
Ihren Wahrnehmungsdefiziten jeden Tag wütender. Wir
werden als Opposition unsere Pflicht tun, nämlich zu artikulieren, was die Bürger berechtigterweise von dieser
Regierung verlangen.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf für die SPD-Fraktion.
Lieber Herr Kollege Fischer, ich weiß nicht, warum Sie hier so herumschreien müssen. Ich glaube, das Thema bedarf einer vernünftigen und sachlichen Auseinandersetzung und nicht
so vieler Emotionen.
({0})
Herr Oswald hat gesagt: Die Bundesregierung muss
handeln. Ich darf Ihnen vielleicht ein paar Bereiche nennen, in denen die Bundesregierung bereits gehandelt hat.
Wir haben nämlich nicht zugewartet, wie Sie es
offensichtlich während Ihrer Regierungszeit gemacht haben.
Die Tatsache, dass zumindest in der Vergangenheit
viele produzierende Betriebe, die vorher selbst einen
Fuhrpark unterhalten haben, ihre bisher fest angestellten
Fahrer auf die Straße gesetzt bzw. outgesourct haben, sodass sie fortan als Einzelunternehmer tätig sein mussten,
hat unter anderem zu Überkapazitäten und Wettbewerbsverzerrungen am Markt geführt. Diese Fahrer haben sich
selbst ausgebeutet und haben damit eine Konkurrenz für
viele mittelständische Betriebe dargestellt, die mit der auf
Selbstausbeutung beruhenden Preisgestaltung der
Kleinstbetriebe eben nicht haben mithalten können. Gegen diese Praxis hat die Bundesregierung 1999 das Gesetz
gegen die Scheinselbstständigkeit verabschiedet. Sie haben sich heftig dagegen gewehrt. Das war ein Gesetz für
das Fuhrgewerbe.
({1})
Ein weiterer Punkt, der heute schon öfter angesprochen
wurde, ist die Aufhebung des Kabotageverbotes 1998. Ich
frage Sie: Warum haben Sie denn nicht, als damals die
Aufhebung des Kabotageverbotes ausgehandelt wurde,
Ihre Zustimmung davon abhängig gemacht, dass zugleich
Harmonisierungsdefizite in diesem Bereich beseitigt werden? Warum haben Sie das nicht getan?
({2})
- Das Kabotageverbot ist, zu Ihrer Information, im Juli
1998 gefallen. Da waren wir noch nicht an der Regierung.
({3})
Ich möchte ein weiteres Problem ansprechen, an dem
ich genau zeigen kann, wieso es zu dieser Situation gekommen ist. Das ist das Problem der grauen bzw. illegalen
Kabotage. Viele von Ihnen werden nicht wissen, worum
es dabei geht; deswegen möchte ich es kurz erklären. Es
ist die Praxis von Fuhrunternehmen, nicht nur einen Firmensitz im Inland bzw. im EU-Ausland zu haben, sondern
auch einen in den Staaten des ehemaligen Ostblocks. Auf
Fahrzeugen, die im EU-Ausland zugelassen sind, lassen
sie Fahrer aus diesen MOE-Staaten ohne die entsprechenden Arbeitspapiere unter ausbeuterischen Bedingungen
fahren. Die Fahrer kommen als Touristen oder als Fahrer
von MOE-Fahrzeugen nach Deutschland. Es lässt sich
nicht kontrollieren, wie sie einreisen.
({4})
Das führt zu Problemen bei der Überwachung.
Die Kontrolle dieser grauen Kabotage ist sehr schwierig. Wir haben festgestellt, dass es, selbst wenn ein Verstoß gegen das Ausländergesetz in diesem Zusammenhang festgestellt werden kann, immer nur den Fahrer und
selten den Halter dieser Fahrzeuge trifft. Der Fahrer wird
ausgewiesen, der Halter kann weiter fahren lassen. Viele
der großen Fuhrunternehmen in unserem Land, die sich
mehrere Firmensitze innerhalb und außerhalb der EU leisten können, machen deshalb von dieser Praxis Gebrauch
und drücken damit kleine und mittelständische Unternehmen vom Markt. Die Branche kennt dieses Problem schon
lange. Sie wissen das vielleicht auch. Der BGL war leider
nicht imstande, auf die Mitglieder des eigenen Verbandes
einzuwirken und diese Praxis zu unterbinden.
Ich kann mich nicht erinnern, dass die Regierung Kohl
irgendetwas gegen diese Dinge unternommen hätte. Wenn
Sie, Herr Oswald, jetzt sagen, wir sollten da endlich etwas
unternehmen, muss ich Ihnen darauf antworten: Sie sind
zu spät dran. Wir haben bereits etwas unternommen. Wir
haben eine Anhörung zu diesem Thema durchgeführt
({5})
Dirk Fischer ({6})
und einen Antrag eingebracht, der Ihnen vorliegt.
({7})
Sie sollten sich vielleicht ein bisschen darüber informieren, wie die Situation wirklich aussieht.
({8})
Ihre Aufforderung, in diesem Sinne tätig zu werden, brauchen wir also nicht.
Sie sehen, die Probleme des Fuhrgewerbes - ich führe
viele Gespräche mit den Vertretern des Fuhrgewerbes werden von dieser Regierung aufgenommen; und das
nicht erst seit gestern.
({9})
Ich bin sicher, dass die Besonnenen unter den Fuhrunternehmern und den Verbandsvertretern das wissen und die
Probleme gemeinsam mit uns lösen. Mit Geschrei und Populismus - da bin ich mir ganz sicher - werden wir dieses
Problems nicht Herr werden. Das bedeutet harte Arbeit;
die haben Sie offensichtlich in der Vergangenheit nicht
geleistet.
({10})
Nächste Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Elke Wülfing für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Graf, Sie haben nach dem Motto argumentiert: Wenn es
einem schon schlecht geht, dann hauen wir noch einmal
drauf, damit er ganz am Boden liegt.
({0})
- Wollen Sie es sehen? Ich habe das geschrieben, als hier
geredet wurde.
Die Grünen sagen es genau andersherum - insofern ist
diese Argumentation schizophren -: Je höher die Steuern,
desto froher die Menschen. Irgendwie habe ich das Gefühl, Sie - gerade Herr Schmidt - sitzen immer noch auf
einem Baum.
({1})
Dieser Baum steht auf einer einsamen Insel. Diese einsame Insel ist irgendwo im Ozean, aber nicht in dem harten europäischen und außereuropäischen Wettbewerb.
({2})
Herr Grewer, der Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, hat gestern sehr deutlich gemacht, dass
100 000 Arbeitsplätze im Transportgewerbe gefährdet
sind, wenn die Steuer- und Sozialbelastung so bleibt und
wenn der Subventionswettlauf in Europa so weitergeht.
Er hat deutlich gemacht, dass ein Großteil der Betriebe
rote Zahlen schreibt und nicht, wie Sie, Herr Schmidt,
meinen, schwarze Zahlen. Wenn die nächste Stufe der
Ökosteuer kommt, bedeutet das das Aus für viele kleine
und mittlere Betriebe.
Die Grünen und große Teile der SPD, die sich das Auto
und den LKW zum Lieblingsfeind auserkoren haben,
({3})
glauben ja immer noch an die Mär, dass der Güterkraftverkehr auf die Schiene zu verlagern sei. Bei aller Liebe:
Jeder vernünftige und realistische Mensch weiß doch,
dass dafür überhaupt keine zusätzlichen Kapazitäten vorhanden sind.
Die Steuer- und Sozialbelastung, der verschärfte Wettbewerb und vor allen Dingen der galoppierende Subventionswettlauf anderer europäischer Staaten haben deshalb
nur eine Schwächung des deutschen Transportgewerbes
zur Folge, nicht aber eine Verlagerung auf die Schiene.
Das ist Illusion und das wissen Sie auch ganz genau.
Die 17 Milliarden DM Sonderabgaben, die der deutsche Kraftverkehr zahlen muss, sind doppelt so hoch wie
der Betrag, den der Bund für den Straßenbau ausgibt.
Wenn sich da nichts ändert und Sie aus ideologischer Verbohrtheit immer noch etwas gegen Straßenbau haben
- Straßenbau jetzt, heute, in dieser Situation -, werden wir
im Baubereich 100 000 Arbeitsplätze zusätzlich verlieren.
Sie sind jetzt schon am Schlingern; das wissen Sie ganz
genau.
({4})
Ich gebe zu, dass ich als Münsterländerin auch sehr
gerne mit dem Fahrrad fahre.
({5})
Aber ich mache wenigstens keine Strampelideologie daraus, wie Sie es tun.
({6})
Sie schaden mit Ihrer grünen oder rot-grünen - daran sind
auch einige von der SPD beteiligt - Fahrradfahrerphilosophie dem Standort Deutschland und den Menschen.
({7})
Geben Sie doch endlich zu, dass Sie sich mit dieser
blödsinnigen Ökosteuer verrannt haben. Sie wissen ganz
genau, dass auch Herr Eichel überhaupt nichts von ihr
hält. Sonst hätten die Grünen nicht zusammen mit Herrn
Angelika Graf ({8})
Eichel darüber nachgedacht, ob die Ökosteuer für etwas
anderes als für die Rente verwendet werde könnte.
Eines wollen wir festhalten: Wenn Sie die Rentenreform so gelassen hätten, wie wir sie gemacht haben, wenn
Sie den demographischen Faktor gelassen hätten, wie er
war,
({9})
hätten Sie die Ökosteuer zur Finanzierung der Rentenversicherung überhaupt nicht gebraucht.
({10})
Sie machen zurzeit - das wissen Sie ganz genau und
deswegen sind Sie so unsicher - auf fast allen politischen
Feldern Fehler, wie das „Politbarometer“ deutlich ausweist: immerhin minus 9 Prozentpunkte von August bis
September.
Wenn ich mir vorstelle, mit welcher Kraftanstrengung
wir während unserer Regierungszeit den Energiemarkt liberalisiert haben,
({11})
und wenn ich mir dann die jetzige Situation angucke, dann
kommen mir wirklich die Tränen.
({12})
50 Prozent der Preissenkungen, die durch die Liberalisierung des Energiemarktes erreicht werden konnten, sind
jetzt durch die hohen Rohstoffpreise und die darauf liegenden Steuern und Sozialabgaben wieder aufgesogen
worden.
({13})
Ein Kaufkraftentzug in Deutschland von 60 Milliarden DM bei einer Inflationsrate von inzwischen 2,4 Prozent - in Nordrhein-Westfalen liegt sie noch ein bisschen
höher: 2,6 Prozent - führt dazu, dass das zarte Pflänzchen
Binnenkonjunktur
({14})
auf diese Weise nicht nur nicht begossen - wie Sie es eigentlich tun sollten -, sondern mit Elefantenfüßen totgetrampelt wird.
({15})
Wie wollen Sie eigentlich Ihren immer weniger werdenden Wählern noch erklären,
({16})
dass Sie die Ökosteuer nur aus ideologischer Sturheit aufrechterhalten, gleichzeitig die Mehrwertsteuer als Windfall Profit mitnehmen und damit Hunderttausende Arbeitsplätze im Transportgewerbe, im Baugewerbe und in
anderen Bereichen gefährden? Wie wollen Sie das Ihren
Wählern erklären, die es bald nicht mehr gibt?
({17})
Ihre Ökosteuer hat ihre Lenkungswirkung verfehlt. Sie
hat zusätzlich eine Wettbewerbsverzerrung im europäischen Transportgewerbe geschaffen, weil die versprochene Aufkommensneutralität für das deutsche Transportgewerbe bei weitem nicht erreicht wird. Sie haben es aber
versprochen.
Frau Kollegin
Wülfing, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Das mache ich; ich bin mit
meiner Rede fast am Ende.
({0})
Ich denke, dass es vernünftig wäre, den LKW-Fahrern,
den Omnibusunternehmen, den deutschen Automobilunternehmen, den Taxifahrern, dem Gartenbau, der Landwirtschaft, den Bauern und der ganzen Bevölkerung für
diesen Winter Luft zu verschaffen.
({1})
Sie können dafür sorgen. Tun Sie es!
({2})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Karin Rehbock-Zureich.
Sehr verehrte Frau
Kollegin Wülfing, das von Ihnen für Ihre gute Politik
während Ihrer Regierungszeit angeführte Beispiel von der
Liberalisierung auf dem Energiemarkt war ein Beispiel
für eine Katastrophe. Diese Katastrophe hat sich ergeben,
weil diese Liberalisierung nicht sinnvoll mit anderen
Maßnahmen begleitet wurde. Die Folgen konnten wir
Gott sei Dank 1998 noch auffangen. Genau diese Art von
Katastrophe müssen wir jetzt verhindern, weil für den
Markt des Transportgewerbes keine Harmonisierung
stattgefunden hat.
({0})
Herr Kollege Fischer, Sie müssen es doch eigentlich
besser wissen - Sie wissen es auch -: Das Fahraufkommen auf der Straße bezüglich der Transporte ist nicht gesunken. Im Gegenteil: Die Zahl der Transporte hat sich erhöht und wird sich weiter erhöhen.
({1})
- Sie sagten, die Zahl der Fahrten würde sinken. Dies ist
absolut nicht der Fall.
({2})
Deswegen hat das Gewerbe einen Anspruch darauf, dass
das Problem nicht in solchen Beiträgen behandelt wird,
wie es meine Vorrednerin getan hat, sondern dass wir in
angemessener Weise darüber diskutieren und dass wir die
Sorgen ernst nehmen.
Die Zahl der Fahrten hat zwar zugenommen, aber der
einzelne Spediteur hat immer weniger davon. Hier ist
doch ein Markt völlig aus den Fugen geraten. Sie aber instrumentalisieren die Ökosteuer, indem Sie sagen, Herr
Friedrich: Die Spanier fahren 33 Prozent billiger. Wollen
Sie diesen Zustand mit Abschaffung der Ökosteuer beseitigen?
({3})
Sie beklagen zu Recht diesen Zustand. Wir aber beklagen diesen Zustand nicht nur, sondern wir haben - die
Kollegin hat es bereits ausgeführt - Initiativen ergriffen,
um den Zustand zu beseitigen, dass Fahrer aus osteuropäischen Staaten für 2 DM die Stunde auf den Böcken sitzen und die Waren transportieren. Da wollen Sie uns doch
nicht erzählen, dass dieser Zustand durch die Abschaffung
der Ökosteuer beseitigt werden kann.
({4})
Wir müssen realistisch darüber diskutieren, wie wir
diesem Gewerbe helfen können.
({5})
Die SPD hat mehrere Maßnahmen auf die Tagesordnung
gesetzt. Wir haben den EU-Führerschein auf die europäische Tagesordnung gesetzt. Mithilfe dieses Führerscheins kann EU-weit festgestellt werden, welche Bedingungen die Fahrer einhalten müssen.
({6})
Der unfaire, ungleiche Wettbewerb innerhalb Deutschlands und innerhalb der EU macht die mittelständischen
Unternehmen kaputt.
({7})
Wir müssen die Harmonisierung im Steuerbereich auf
die Tagesordnung bringen. Sie haben es in den letzten
16 Jahren versäumt, den Abbau der Harmonisierungsdefizite voranzubringen; vielmehr haben Sie die Fahne der
Liberalisierung hoch gehalten, allen voran die F.D.P., die
heute am lautesten klagt.
({8})
Der Preisdruck der Firmen durch graue oder illegale
Kabotage ist mit einer Ökosteuerbeseitigung nicht zu beenden; hierfür benötigen wir vielmehr einen fairen Wettbewerb in ganz Europa. Dies kriegen wir nur zustande,
wenn wir europaweit Initiativen für eine Harmonisierung
ergreifen.
Sie haben auch darauf hingewiesen, Herr Kollege
Oswald - ich schätze Sie sonst sehr; aber in dieser Aussage schätze ich Sie gar nicht, das will ich gleich vorausschicken -, dass es Zeit wird, europaweit den alpenquerenden Verkehr auf die Tagesordnung zu bringen. Wir
haben dies längst getan. Es wird in Rücksprache mit dem
BGL eine Lösung für den alpenquerenden Verkehr nach
Österreich gefunden werden.
Zweitens haben wir es in Angriff genommen - auch das
ist eine wichtige Botschaft -, dass auch der alpenquerende
Verkehr Richtung Schweiz - neue Alpentransversale - auf
die Schiene gebracht werden kann. Deswegen wird - das
hat der Minister bereits gesagt - auch das dritte bzw. vierte
Gleis, das den Zulauf zu diesem alpenquerenden Verkehr
auf deutscher Seite absichert, auf die Tagesordnung gebracht werden.
({9})
Dies wird mit einem Teil der zusätzlichen Milliarden bezahlt werden, die wir haben.
Frau Kollegin, achten
Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Ich komme zum
Schluss. - Es ist erstens erforderlich - wir sind dies angegangen -, die Harmonisierungsdefizite zu beseitigen.
Zweitens benötigen wir dringend auch europaweit eine
Energiepolitik, die sich auf Energieeffizienz, Energieeinsparung und neue Technologien auch im Verkehrsbereich gründet,
({0})
damit wir von der Abhängigkeit von den Mineralölkonzernen wegkommen. Dies sollte eigentlich unser gemeinsames Anliegen sein, um dem Verkehrsgewerbe unter die
Arme zu greifen.
Vielen Dank.
({1})
Es spricht jetzt der
Kollege Georg Brunnhuber für die Fraktion der
CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war schon sehr enttäuschend, was wir hier heute vonseiten der Regierung
und der Regierungskoalition erlebt haben.
({0})
Wie wenig das Thema diese Regierung interessiert, wird
auch daran deutlich: Hier sitzen zwei mit dem Schlaf
kämpfende Staatssekretäre. Wo ist der Minister bei diesem wichtigen Thema?
({1})
Zusammenfassend kann man heute eines festhalten:
Diese Regierung ist bei diesem Thema hilflos. Sie ist konzeptionslos und gegenüber den Betroffenen auch noch
herzlos. Das muss man Ihnen ins Stammbuch schreiben.
({2})
Wie hilflos Sie sind, wird auch an Folgendem deutlich:
Da reisen alle Verkehrsminister nach Brüssel und
schwören, dass alle in Europa hart bleiben und gegenüber
dem Gewerbe auf gar keinen Fall nachgeben. Kaum sind
sie zu Hause, da sagen die Franzosen, die Belgier und die
Niederländer: Es ist uns völlig wurscht, was wir da beschlossen haben. Runter mit dem Dieselpreis! Wir helfen
dem Gewerbe. - Die Italiener ziehen nach. Unser Minister aber kommt heim und erklärt, er habe die Kommission
gebeten zu prüfen, ob das rechtens ist. Liebe Freunde, das
war das Geld, was die Reise nach Brüssel gekostet hat,
nicht wert.
({3})
Da braucht man sich doch nicht zu wundern, dass die
„Stuttgarter Zeitung“ heute die Äußerung eines Genossen
aus der Regierung, der nicht genannt werden will, abdruckt: Unser Verkehrsminister ist der Berti Vogts der Politik. Dem kann man wirklich nur zustimmen.
({4})
Meine lieben Freunde, die Regierung ist konzeptionslos.
({5})
Heute hätten wir die Gelegenheit gehabt, zu hören, welche Konzepte diese Regierung wirklich hat. Vor kurzem
haben wir im Fernsehen den Umweltminister gesehen, der
grinsend erklärt hat, man solle halt weniger Gas geben.
Heute sagt die Regierung: Wir haben eine Patentlösung;
ab dem neuen Jahr erhalten alle, die Probleme haben,
eventuell günstige Kredite von der KfW. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 1. Januar brauchen sie keine Kredite mehr, weil die meisten von ihnen bis dahin pleite sind.
({6})
Das ist Ihre Politik, von der Sie glauben, dass das Gewerbe mit ihr zufrieden sein kann.
Es geht hier um Zehntausende von Arbeitsplätzen und
Existenzen. Ich kann nur sagen: Das sind Steine; das ist
nicht das Brot, das die Leute brauchen. Sie haben absolut
keine Konzeption. Sie versuchen, sich davonzustehlen in
der Hoffnung, irgendwie werde es sich schon wieder geben.
({7})
Dieses Mal werden Sie Pech haben.
Sie haben gestern Ihre Herzlosigkeit gezeigt. Ich frage
Sie: Wo waren Sie, als zehntausend Menschen demonstriert haben? Da hätten Sie Ihre Politik, die doch so gut ist,
verteidigen können.
({8})
Nein, feige haben Sie hinter diesen Mauern gehockt und
zum Fenster hinausgeschaut.
({9})
Es gibt in dieser Regierung offensichtlich zweierlei
Maß. Vor wenigen Jahren noch sind Sie Arm in Arm mit
den streikenden Kumpeln durch die Bonner Bannmeile
gezogen und haben Milliardensubventionen gefordert. Zu
den demonstrierenden Arbeitnehmern des Philipp-Holzmann-Konzerns kam der Kanzler abends - natürlich medienwirksam - mit einigen 100 Millionen DM. Das Transportgewerbe braucht nur ein paar Millionen und Sie
trauen sich nicht einmal, mit denen zu diskutieren. Da
sieht man doch, wie schwach Ihre Argumente sind, sonst
wären Sie mannhaft hingegangen und hätten Ihre idiotische Politik erklärt.
({10})
Wer wie Sie eine solche Politik weiterbetreibt, muss
sich darüber im Klaren sein, dass die Menschen noch wütender werden, weil Sie alle ihre Argumente nicht akzeptieren. Wer Politik so betreibt, dass am Schluss aus Wut
Radikalität wird, der kann nicht die Opposition beschuldigen, weil sie solidarisch mit den Sorgen dieser Menschen ist.
({11})
Sie müssen das auf Ihre eigene Kappe nehmen.
Sie haben zum ersten Mal in der Geschichte im Verkehrsgewerbe eine Situation herbeigeführt, die Ihnen am
Schluss noch um die Ohren fliegen wird.
({12})
Sie haben ein Chaos angerichtet und Sie werden Sturm
ernten. Das kann ich Ihnen garantieren.
({13})
Die letzte Rednerin in
dieser Aktuellen Stunde ist die Kollegin Margit Wetzel für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Herr
Fischer, die Scheinheiligkeit, mit der Ihre Seite hier debattiert, ist nicht mehr zu überbieten.
({0})
Die Aktuelle Stunde hat einen aktuellen Anlass, nämlich die gestiegenen Mineralölpreise. Dafür gäbe es eine
aktuelle Abhilfe: Die gesunkenen Preise für das Barrel
Rohöl könnten sofort von den Mineralölkonzernen an die
Verbraucher weitergegeben werden.
({1})
Alle Maßnahmen, die wir einleiten können, helfen nicht
direkt. Ihre Debatte um die Ökosteuer ist scheinheilig,
weil sie von den eigentlichen Problemen ablenkt; das ist
der Punkt.
Der BGL fordert zu Recht eine entfernungsabhängige
Straßenbenutzungsgebühr, aber leider braucht es noch ungefähr zwei Jahre, bis wir tatsächlich die technischen
Vorkehrungen treffen können, um dies umzusetzen.
Warum? Wir brauchen diese Zeit, weil die ausländischen
LKW an den Kosten, die sie hier verursachen, beteiligt
werden sollen. Und warum brauchen wir noch zwei
Jahre? - Wir brauchen zwei Jahre, weil Ihre Regierung
keinerlei Vorarbeiten geleistet hat. Wir haben dies zehn
Jahre vergeblich gefordert.
({2})
- Das ist nicht unwahr. Gucken Sie in die alten Protokolle! - Wir können den Betroffenen nicht mit einer Kurzfristmaßnahme helfen.
Aber sehen wir uns doch einmal an, wer die Betroffenen sind. Das sind nicht die großen Speditionsketten, sondern - das ist mehrfach gesagt worden - die zehntausend
kleinen und mittelständischen Unternehmen. Aber der
Verdrängungswettbewerb, in dem sie sich befinden, die
Wettbewerbsverzerrung, unter der sie existenziell leiden,
- das nehmen wir ernst -, haben sich über Jahre aufgebaut. Das wissen Sie ganz genau.
({3})
Die Dieselpreise sind über die letzten Jahre in den europäischen Ländern immer unterschiedlich gewesen. Das
Gleiche gilt für die Kraftfahrzeugsteuern, für die Abgaben
und für die Lohnkosten.
({4})
- Sie haben in der Zeit die Mineralölsteuer angehoben.
Erinnern Sie sich bitte einmal an den Anfang der 90erJahre. Damals folgten Ihren Steuererhöhungen Ausflaggungswellen. Wir haben Anfang der 90er-Jahre Standortdebatten zum Ausflaggen der Unternehmer geführt. Uns
wurden damals in der Opposition exakt die gleichen Zahlen bezüglich der Steuerausfälle und der Kosten durch
Arbeitslosigkeit vorgelegt, wie sie jetzt vorliegen. Das
war genau die gleiche Diskussion. Damals, Anfang der
90er-Jahre, sind Dependancen in Portugal, in Luxemburg,
in Holland und Belgien gegründet worden. Das war doch
der Kern.
({5})
- Aber natürlich waren das Ausflaggungen.
({6})
Von da an hat der Verdrängungswettbewerb seinen Lauf
genommen. Inzwischen haben wir täglich mehr als
100 000 gebietsfremde LKWs auf unseren Straßen. Vier
Fünftel des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs
kommen aus dem Ausland, mit ausländischen LKWs.
({7})
- Das ist kein Transitverkehr.
({8})
- Im Moment habe ich noch das Wort. - Die Spediteure
verweisen doch zu Recht darauf, dass der Verkehr auf ausländische LKWs verlagert wird. Uns geht es um die
80 Prozent der Güterverkehrstransporte, die sich in Bereichen von unter 100 Kilometern abspielen.
({9})
- Das sind die, die wir keineswegs auf die Schiene verlagern können; das wissen wir auch, alle, die wir hier sind.
Aber das sind die Transporte, die wir eben nicht an ausländische LKWs weitergeben wollen.
Wenn Sie sich vielleicht noch einmal erinnern: Das
Aushandeln der Kabotagefreiheit war die erste Amtshandlung des damaligen Verkehrsministers Wissmann.
Und was brachte er als Trostpflästerchen mit? - Die Vignette. Wir hingegen hatten gehofft, dass wir endlich eine
vernünftige Straßenbenutzungsgebühr bekommen.
({10})
Das alles scheinen Sie vergessen zu haben. Nichts ist kürzer als Ihr Gedächtnis, wenn es darum geht, hier scheinheilige Debatten zu führen.
({11})
- Wir waren nicht in Brüssel, Ihr Minister war in Brüssel.
({12})
Das Kernproblem ist das in der EU durch die Kabotagefreiheit bestehende Sozialdumping. Es ist bereits erklärt worden, weshalb dieses Sozialdumping besteht.
Kein deutscher Spediteur kann mithalten, wenn auf einem
anderen Bock zwei osteuropäische Fahrer für’n Appel
und‘n Ei arbeiten, sich gegenseitig ablösen und dadurch
rund um die Uhr fahren können.
({13})
Sie stehen so im Wettbewerb zu unseren kleinen Transportunternehmern.
Es gibt also keine anderen Möglichkeiten als die hier
bereits erwähnten. Die eine Möglichkeit besteht darin,
sich in der EU stark zu machen, damit das Sozialdumping
verhindert wird. Die EU-Fahrerlizenz ist mehrfach genannt worden. Auch das Güterkraftverkehrsgesetz ist erwähnt worden.
Die zweite Möglichkeit ist, den wirtschaftlichen Vorteil, der durch diesen unlauteren Wettbewerb entsteht, zu
kassieren. Wir brauchen hohe Bußgelder. Es kann nicht
angehen, dass diejenigen, die etwas Illegales tun, auch
noch einen wirtschaftlichen Vorteil dadurch haben.
({14})
Das heißt, meines Erachtens müssten wir, wenn tatsächlich Missbräuche entdeckt werden, die LKWs so
lange festsetzen, bis endlich ein legaler Fahrer da ist. Das
merken die Unternehmer dann schon.
Ich meine aber auch, dass die kleinen Unternehmen
sich ein bisschen selbst helfen müssen, indem sie gemeinsam stärker auftreten; denn sie sollen in diesem
Markt, der ja expandiert, bestehen. Das heißt, sie müssen
die Vorteile nutzen können, die für die großen Unternehmen selbstverständlich sind: Logistik, Vermeidung
von Leerfahrten, Internet. Sie müssen zu dem, was es allein in diesem Bereich an neuem Handel gibt, Zugang haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir diesen kleinen Unternehmen kurzfristig die Möglichkeit geben, ihre
Liquiditätsengpässe zu überwinden, bis unsere Maßnahmen greifen. Anders geht es nicht.
Frau Kollegin, auch
Sie muss ich ermahnen. Bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Mein letzter Satz: 50 Prozent der Transportunternehmer haben kein Eigenkapital
mehr. Das müssen wir ernst nehmen, weil sie bei jedem
Rating durchfallen würden. Deshalb ist es nicht zu unterschätzen, dass sich der Verkehrsminister dafür einsetzt,
dass die KfW diese Liquiditätsengpässe durch das Mittelstandsförderungsprogramm beseitigt. Das ist das Beste,
was wir im Moment machen können.
({0})
Außerdem wünsche ich mir, dass unsere Regierung in
Europa ordentlich mit der Faust auf den Tisch haut, damit
den Transportunternehmern endlich geholfen wird; denn
die Folgen, die wir jetzt auszubaden haben, haben Sie verursacht.
({1})
Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. September
2000, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.