Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert, PDSFraktion?
Ja.
Frau Ministerin, Sie sprachen
gerade mit großer Euphorie von den Möglichkeiten der
biologischen Wissenschaften. Sie haben einige Krankheiten genannt, die Ihrer Ansicht nach dadurch bekämpft
werden könnten. Sie hatten auch angekündigt, von den
UMTS-Geldern vieles in die entsprechenden Forschungsrichtungen zu stecken.
Sie wissen doch aber so gut wie ich, dass sowohl innerhalb der Bevölkerung als auch innerhalb des Hauses,
als auch innerhalb Ihrer eigenen Fraktion sehr große Vorbehalte und Ängste mit Biotechnologien - insbesondere
der Gentechnik - verbunden sind. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass Sie damit die Arbeit der Enquete-Kommission, die wir extra zu diesem Zweck eingesetzt haben,
sehr stark präjudizieren? Schaffen wir damit nicht sehr
einseitige Tatsachen, die dann unabhängig von den Ergebnissen der Enquete-Kommission - für den Fall, dass
die Enquete-Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass
die Gefahren wesentlich größer sind als die Chancen überhaupt nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein könnten?
Da ich selbst zu den Abgeordneten
gehöre, die 1989/90 das Embryonenschutzgesetz auf den
Weg gebracht haben, bin ich mir sehr wohl bewusst, dass
wir bei der Anwendung der Gentechnik ethische Grenzen ziehen müssen.
({0})
Ich bin der Überzeugung, dass wir in unserem Land das
Embryonenschutzgesetz aufrechterhalten müssen und
kein therapeutisches Klonen zulassen sollten. Ich hoffe
hier auf eine breite Zustimmung im Parlament.
({1})
Ich bin allerdings der Auffassung, dass wir auch in der
Verantwortung stehen, die Chancen, die uns diese Technologie bietet, im Interesse der Menschen zu nutzen, die
an den Krankheiten leiden, die ich genannt habe. Wir wissen, dass wir wahrscheinlich nur über diesen Weg wirksame Therapien entwickeln können. Deshalb ist es kein
Widerspruch, sondern es gehört beides zusammen: auf der
einen Seite ganz klare ethische Grenzen in der Anwendung zu ziehen und auf der anderen Seite die Chancen zu
nutzen.
({2})
Der Vorteil in unserem Land ist, dass wir inzwischen
gelernt haben, dass es nicht darauf ankommt, Ja oder Nein
zu sagen, sondern dass es darauf ankommt, den Weg so
einzuschlagen, dass man die Chancen neuer Entwicklungen nutzt, aber auch ganz klar sagt, welche Anwendungen
man nicht will, und dann in der Forschungsförderung und
in der Gesetzgebung die entsprechenen Entscheidungen
trifft.
({3})
Noch eine Rückfrage
des Kollegen Seifert.
Ich danke Ihnen für Ihre klare
Aussage in Bezug auf die ethischen Grenzen, die Sie ziehen wollen. Gleichwohl zeigt die Erfahrung, Frau Ministerin, dass ethische Grenzen allein häufig nicht sehr
haltbar sind, wenn die technischen und sonstigen Voraussetzungen dafür geschaffen sind, dass man andere Dinge
tun kann als das, was Sie oder ich oder wir gemeinsam
wünschen. Auch wenn Sie beispielsweise das therapeutische Klonen verbieten wollen, ist doch die Möglichkeit
für wissenschaftliches Klonen eröffnet. Sie wissen so gut
wie ich, dass man dann, wenn man wissenschaftlich klonen kann, auch therapeutisch und schließlich auch reproduktiv klonen kann. Das kann mit denselben Methoden,
mit denselben Instrumenten und von denselben Menschen
gemacht werden. Mein Problem ist, dass dann, wenn die
technischen Möglichkeiten da sind, ethische Grenzen von
Einzelnen bedauerlicherweise überschritten werden können und dies nie wieder rückgängig gemacht werden
kann.
Ich bin der Überzeugung, dass der Unterschied zwischen Menschen und Tieren gerade darin besteht, dass wir ganz bewusst entscheiden können, dass wir
urteilen und auch werteorientiert handeln können. Deshalb wiederhole ich, dass wir die ethischen Grenzen nicht
nur in Werturteilen, sondern auch in unseren Gesetzen ziehen müssen, wie wir es bereits getan haben. Die gesetzliche Grenze, die wir gezogen haben, soll aufrechterhalten
werden. In den gesetzlichen Vorschriften wird im Übrigen
nicht differenziert: In der Bundesrepublik ist Klonen generell untersagt.
({0})
- Im Embryonenschutzgesetz ist das Klonen generell untersagt und das soll auch so bleiben.
Frau Ministerin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Werner
Lensing, CDU/CSU-Fraktion?
Aber selbstverständlich.
Ich weiß, dass es heute
primär um haushaltspolitische Fragen geht. Aber da wir
hier gerade an einer Nahtstelle von Forschungspolitik und
Ethik sind und über ethische Aspekte reden, möchte ich
Sie, Frau Ministerin, noch Folgendes fragen: Können Sie
sich vorstellen, dass in Ihrem Hause im Hinblick auf das
weite Feld der Forschung, das wir gerade behandelt haben, eines Tages Handlungsbedarf insofern entstehen
könnte, als dass wir im Bereich der Humanforschung vieles in der Bundesrepublik Deutschland nicht machen dürfen, was aber im Ausland erforscht wird, und wir gleichwohl mit Teilergebnissen, die im Ausland erzielt worden
sind, anschließend in der Bundesrepublik Deutschland
weiterarbeiten? Sehen Sie da nicht eventuell die Gefahr
einer doppelten Moral?
Eine doppelte Moral ist immer schlecht.
Deshalb halte ich zum Beispiel die Regelung, die in den
USA gilt, für nicht erfolgversprechend und nicht gut. Das
heißt, dass man zum Beispiel die Finanzierung der Arbeit
mit embryonalen Stammzellen durch private Forschungsförderungsmittel zulässt, die durch staatliche aber nicht.
Das halte ich nicht für eine gute Regelung.
({0})
Ich bin dabei schon der Auffassung, dass man eine
klare Position haben sollte. Ich habe eine klare Position,
dahin gehend, die verbrauchende Embryonenforschung
nicht zuzulassen, so wie es auch im Embryonenschutzgesetz niedergelegt worden ist. Ich persönlich werde mich
auch in Zukunft dafür einsetzen - so wie ich es auch in der
Vergangenheit getan habe -, dass es dabei bleibt und dass
dieses Gesetz in diesem Punkt nicht geändert wird.
Herr Lensing, ich habe vorhin gesagt, dass die Tatsache, dass wir urteilsfähig sind und differenzieren können,
uns als Menschen auszeichnet. Deshalb bin ich der Auffassung, dass man eine Position, von der man zutiefst
überzeugt ist, vertreten muss, und zwar auch in internationalen Gremien. Das tue ich auch, im Übrigen gar nicht
so erfolglos, weil zum Beispiel sehr viele meiner Forschungsministerkollegen in der Welt, im G-8-Kreis, aber
auch im europäischen Bereich meine Position durchaus
teilen. Von daher sind wir da nicht isoliert. Ich persönlich
bin der Meinung: Wir sind in einer guten Position, die auf
unseren humanistischen Weltbild basiert, das wir in Europa haben. Ich finde, es lohnt, sich dafür einzusetzen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade vor dem Hintergrund, den wir jetzt miteinander diskutiert haben, ist
wohl jedem deutlich geworden, dass es wichtig ist, die
Chancen dieser Technologie zu nutzen, aber auch klare
Grenzen zu ziehen. Wir haben im Bereich der Genomforschung mehr Mittel eingesetzt und die Mittel in diesem Jahr auf 144 Millionen DM erhöht. Das bedeutet eine
Steigerung der Fördermittel um 70 Prozent für diesen zentralen Bereich der Lebenswissenschaften. Damit nehmen
wir hinter den USA bei der staatlichen Förderung den
zweiten Platz ein. Also: Das ganze Gerede, wir stünden
hier hintenan, ist schlichtweg falsch. Wir haben inzwischen den zweiten Platz deutlich zurückerobert. Ich
glaube, das ist wichtig zum Nutzen der Menschen.
({2})
Bei der Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft haben unsere Hochschulen eine Schlüsselrolle. Wir
haben für die Hochschulen in den letzten Jahren bereits
eine ganze Menge auf den Weg gebracht und setzen dies
in diesem Jahr fort. Wir erhöhen zum einen die Mittel für
den Hochschulbau auf rund 2,2 Milliarden DM. Das ist
notwendig, weil hier in den vergangenen Jahren - gerade
Anfang und Mitte der 90er-Jahre - erheblich gekürzt worden ist. Es passt einfach nicht zu einer modernen Hochschule, wenn der Putz von den Wänden bröckelt und man
mit Geräten arbeiten muss, die 20 Jahre alt sind. Das geht
nicht und deshalb haben wir die Mittel hier deutlich erhöht.
({3})
Wir erhöhen zum anderen auch die Mittel für das
BAföG. Das Thema BAföG war in der ersten Hälfte der
90er-Jahre ein wirkliches Trauerspiel. Frau Pieper, ich
sage ganz offen: Eine Opposition, die in den 16 Jahren ihrer Regierungsverantwortung nicht den kleinsten Finger
dafür gerührt hat, dass das BAföG vernünftig ausgestattet
wird, nehme ich ihre Kritik einfach nicht mehr ab.
({4})
Ich kann Ihnen versichern, Sie hätten in all den Jahren, in
denen wir in der Opposition waren, unsere Unterstützung
gehabt, wenn Sie ernsthafte Anträge zu einer nennenswerten Aufstockung gestellt oder eine Reform durchgeführt hätten. Wir hätten damals mitgestimmt; das kann ich
für alle Kollegen zusagen. Aber Sie haben es nicht ein
einziges Mal wirklich versucht.
({5})
Wir sanieren das BAföG von Grund auf. Damit gibt es
einen neuen Anfang. Wir erhöhen die Freibeträge und
die Bedarfssätze beim Höchstsatz um 7,3 Prozent. Wir
sorgen durch die Begrenzung der Darlehensbelastung auf
20 000 DM dafür, dass die Jugendlichen aus den einkommensschwächsten Familien am Ende ihres Studiums nicht
mit dem größten Schuldenberg dastehen. Genau das ist ja
zurzeit der Fall.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper,
F.D.P.-Fraktion?
Ja, das mache ich.
Ich als Abgeordnete danke
Ihnen, Frau Ministerin, für die Gelegenheit, in einen Dialog mit Ihnen einzutreten. Wenn ich Sie richtig verstanden
habe, haben Sie gesagt, Sie hätten zusammen mit der
SPD-Bundestagsfraktion einer BAföG-Strukturreform
zugestimmt. Ich möchte deshalb gerne wissen, warum Sie
jetzt keine BAföG-Strukturreform, sondern nur eine weitere Novelle vorlegen wollen.
({0})
Frau Pieper, das, was wir vorlegen, ist
eine BAföG-Strukturreform und keine weitere Novelle.
({0})
Wir werden das BAföG von Grund auf verändern. Wir
werden das Gesetz erheblich entschlacken, sodass es auch
wirklich wieder praktikabel ist und die Leute nicht mehr
sagen: Das ist so kompliziert, dass ich einen BAföGAntrag erst gar nicht stelle. - Das ist im Augenblick - leider - oft der Fall. Ich hoffe, dass Sie alle dazu beitragen
werden, dass die Akzeptanz für dieses Gesetz wieder
wächst und dass es wieder ernst genommen wird.
Wir werden mit dieser Strukturreform erreichen
- auch deshalb ist es eine Strukturreform -, dass circa
80 000 Jugendliche wieder BAföG-berechtigt sind. Das
ist eine große Zahl. Wenn Sie den Vorschlag gemacht hätten, die Freibeträge um 7,3 Prozent anzuheben, dann hätten wir dem zugestimmt. Wenn Sie das vorgeschlagen hätten, was ich jetzt vorschlage - die Begrenzung der
Darlehensbelastung und damit des Schuldenbergs der
Studierenden -, dann hätten wir das mitgetragen. Wenn
Sie - wie wir jetzt - vorgeschlagen hätten, dass auch
BAföG-Empfängern nach dem zweiten Semester ein längeres Auslandsstudium ermöglicht wird, dann hätten wir
das mitgetragen. Wenn Sie die Gleichstellung von Studierenden in Ost und West vorgeschlagen hätten - das machen wir jetzt; das ist längst überfällig -,
({1})
dann hätten wir auch das - das kann ich Ihnen versichern - mitgetragen.
Wenn Sie alle diese Vorschläge gemacht hätten, dann
hätten wir Sie unterstützt, dann hätten wir sie jetzt nicht
selber machen müssen und dann hätten wir das BAföG
jetzt noch weiter verbessern können. Ich sage ganz offen:
Ich finde es nicht besonders überzeugend, dass Sie uns
jetzt sagen: „Es reicht aber nicht“, nachdem Sie selber
16 Jahre überhaupt nichts getan haben.
({2})
Frau Ministerin, Kollegin Pieper möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.
Gut.
Frau Ministerin, gestehen
Sie mir zu, dass ich noch nicht so alt aussehe, als ob ich
schon 16 Jahre in diesem Parlament sitze?
({0})
Gestehen Sie mir des Weiteren zu, dass die F.D.P.-Bundestagsfraktion zusammen mit mir die Angleichung der
Wohngeldzuschüsse für Studenten im Osten schon während der letzten Haushaltsberatung gefordert hat? Es gab
damals einen sehr heftigen Disput hier im Plenum darüber.
Ich frage auch: Ist es richtig, dass Ihre jetzige so genannte Strukturnovelle eine elternabhängige Förderung
der Studenten vorsieht, obwohl Sie, Frau Ministerin, noch
vor zwei Jahren eine elternunabhängige Förderung beim
BAföG gefordert haben?
Zu Ihrer ersten Frage kann ich nur sagen:
Frau Pieper, es kommt darauf an, wann Sie Mitglied des
Bundestages geworden sind. Wenn man in relativ jungen
Jahren in den Bundestag gewählt wird - das trifft auf einen
Teil der Abgeordneten zu -, dann kann man jung aussehen
und trotzdem schon 16 Jahre Mitglied dieses Parlaments
sein. Wie gesagt, es kommt darauf an, wann man zum ersten Mal Mitglied des Bundestages wird.
({0})
- Genau, wann man anfängt.
Zur zweiten Frage: Die SPD-Fraktion hat sich über
viele Jahre hinweg für zwei Dinge eingesetzt. Wir haben
zum einen eine Grundsanierung des BAföG gefordert. Sie
wissen genauso gut wie ich, dass dies absolut zwingend
war. Deshalb war ich ja so verärgert, dass dies in den
16 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht gemacht worden ist.
Wir haben zum anderen eine Änderung der Familienförderung gefordert. Allerdings bringt die Änderung
der Familienförderung - um auch das ganz deutlich zu sagen - den einkommensschwächeren Familien keine müde
Mark mehr ins Portemonnaie. Auch das wissen Sie genauso gut wie ich. Aber gerade die Förderung von Jugendlichen aus einkommensschwächeren Familien ist
notwendig, weil wir festgestellt haben, dass sich zurzeit
immer weniger junge Menschen, die aus solchen Familien
kommen, ein Studium leisten können. Deshalb ist die von
uns vorgelegte Strukturreform ein wichtiger Schritt für
Jugendliche aus einkommensschwächeren Familien. Sie
können nämlich wieder sagen: Ich kann studieren, weil
ich es finanzieren kann; denn ich erhalte ein vernünftiges
BAföG. - Genau das werden wir mit unserer Strukturreform erreichen.
({1})
Wir werden zusätzlich zu dem, was ich bereits zur
Strukturreform in der Antwort auf die Fragen von Frau
Pieper gesagt habe, die Möglichkeit schaffen, Bildungskredite in besonderen Notsituationen in Anspruch zu nehmen. Daran arbeiten wir. Auch das halte ich für ein sinnvolles Ergänzungsinstrument.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind vor allem die
jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in
unserem Land darüber entscheiden, wie fit unsere Hochschulen, unsere Gesellschaft und auch unsere Wirtschaft
morgen sind. Deshalb müssen wir den bevorstehenden
Generationenwechsel an unseren Hochschulen im Interesse der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen. Deshalb haben wir die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gestärkt und verstetigt. Die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist für
uns eine Daueraufgabe und keine Sonderaufgabe, wie es
von der alten Bundesregierung tituliert wird. Sie braucht
eine langfristige Perspektive.
({3})
Wir gestalten die Hochschulfinanzierung in Zukunft
berechenbarer und stellen die Förderung von Begabtenförderungswerken sowie Graduiertenkollegs und den internationalen Austausch von Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf eine verlässliche
Grundlage. Damit bekommen unsere Hochschulen endlich die Planungssicherheit, die sie brauchen.
Mit der von mir auf den Weg gebrachten Reform des
öffentlichen Dienstrechts im Wissenschaftsbereich will
ich erreichen, dass gute Leistungen in Lehre und Forschung honoriert werden und nicht an starren Strukturen,
an Bürokratie oder Beamtenrecht scheitern.
({4})
Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der Einführung von
Juniorprofessuren und einer Besoldung für Professoren,
die von den Leistungen und nicht nur vom Alter abhängt,
dem wissenschaftlichen Nachwuchs neue Chancen eröffnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, junge Menschen
brauchen eine gute und qualifizierte Ausbildung, damit
sie ihr Leben meistern können. Das gilt für diejenigen, die
studieren. Es gilt aber auch generell. Unser Land braucht
gut ausgebildete Menschen. Wir brauchen sie, damit sich
unsere Demokratie, unser Land, unsere Wirtschaft, weiterentwickeln können.
Die Modernisierung der beruflichen Bildung und die
Sicherung des Ausbildungsplatzangebotes sind deshalb
wesentliche Schwerpunkte dieses Haushaltes und unserer
Arbeit. Ich bin sehr froh darüber, dass unsere Arbeit im
Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit Erfolge zeigt. Wir haben in den alten Bundesländern
in diesem Jahr zum ersten Mal seit langer Zeit eine fast
ausgeglichene Ausbildungsplatzbilanz. In den neuen
Bundesländern sieht es noch nicht so gut aus. Hier mangelt es an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Aber auch
hier haben wir endlich eine Trendwende geschafft. Denn
wir haben zum ersten Mal einen spürbaren Zuwachs an
betrieblichen Ausbildungsplätzen. Es muss unser Ziel
sein, betriebliche Ausbildungsplätze in ausreichender
Zahl zu haben.
({5})
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang ausdrücklich bei den Kammern, aber auch bei vielen einzelnen
Handwerksbetrieben und Unternehmen bedanken, dass
sie hier mitgemacht und Ausbildungsplätze angeboten haben.
({6})
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass es uns gelingt, dass die 3 000 Jugendlichen, die zu Beginn des Ausbildungsjahres noch unvermittelt waren, bis Ende September einen Ausbildungsplatz finden werden. Wir
werden das Unsrige dafür tun, damit es gelingt. Damit
machen wir unser Versprechen wahr, dass jeder Jugendliche, der kann und will, einen Ausbildungsplatz erhält.
Wir haben in unserem Haushalt noch einen weiteren
Schwerpunkt gelegt, nämlich auf den Ausbau von Bildung, Wissenschaft und Forschung in den neuen Ländern.
Dafür werden wir auch künftig mehr als 3 Milliarden DM
pro Jahr zur Verfügung stellen.
Hier möchte ich zwei Programme nennen. Zum einen
unterstützen wir mit dem Ausbildungsplatzprogramm
Ost betriebliche Ausbildungsplätze in den neuen Bundesländern. Zum anderen haben wir die Initiative InnoRegio. Mit diesem neuen Förderansatz geben wir gerade
den neuen Bundesländern wichtige Impulse. Mit diesem
neuen Ansatz haben wir schon jetzt große Erfolge erreicht. Wir schaffen mit ihm etwas, was mir sehr wichtig
ist: Wir schaffen zukunftsfähige Arbeitsplätze in den
neuen Bundesländern.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verkaufserlöse aus
der Versteigerung der UMTS-Lizenzen wird die Bundesregierung voll und ganz zur Schuldentilgung einsetzen.
So haben wir es angekündigt. Mit den Zinsersparnissen
werden wir unsere Zukunftsinvestitionen in Bildung und
Forschung weiter verstärken, und zwar zusätzlich zu dem,
was wir im Haushalt haben.
({8})
Damit werden wir unserer Politik der Modernisierung und
der sozialen Gerechtigkeit zusätzlichen Schub geben.
Wir sind mit dem Versprechen angetreten, unser Land
zu modernisieren. Wir halten dieses Versprechen.
({9})
Ich sage ganz klar: Die Zeit der Sonntagsreden, wie wir
sie in den 90er-Jahren erlebt haben, ist vorbei. Wir packen
es an.
({10})
Ich erteile dem Kollegen Gerhard Friedrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja
Verständnis dafür, dass unsere Ministerin die Auffassung
vertritt, dass nach der Bundestagswahl im Herbst 1998 in
Deutschland die heile Welt begonnen hat.
({0})
Diese Überzeugung hat sich aber noch nicht einmal bei allen Mitgliedern Ihrer Koalition verfestigt.
({1})
Beim Durchlesen von Zeitungsartikeln der letzten Tage
habe ich festgestellt, dass der Kollege Berninger die Auffassung vertritt, dass die Bildungspolitik der Koalition
blass geblieben ist.
({2})
Das wird uns der von mir sehr geschätzte Kollege
Berninger heute sicher noch erläutern; er steht auf der
Rednerliste.
In Sachen Forschung und Technologie habe ich noch
einmal den letzten Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands durchgesehen. Frau Ministerin, ich habe bemerkt, dass sich seit dem Regierungswechsel bei den wichtigsten Daten nichts geändert hat.
Wir geben nach wie vor nur 2,3 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus.
({3})
Ich komme nachher noch auf die gar nicht so schlechten
Zahlen Ihres eigenen Hauses zu sprechen. Aber es kommt
natürlich auch auf die Gesamtbilanz an.
Ich habe mir eine Übersicht des Bundeswirtschaftsministeriums, das Zuständigkeiten im Bereich von Forschung und Entwicklung übernommen hat, mitgenommen. Es behandelt dieses Gebiet absolut stiefmütterlich.
Nach eigenen Angaben liegt die Steigerungsrate im Jahr
2001 im Vergleich zum Istergebnis des Jahres 1998 bei
0,5 Prozent.
({4})
Man könnte noch andere Ministerien heranziehen, um
festzustellen: Die Gesamtbilanz ist nicht sehr gut.
Frau Ministerin, ich lese in diesem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands etwas, was
ich für sehr bemerkenswert halte: Wir sind - das sagen Sie
ja auch - bei den Spitzentechnologien dabei, etwas aufzuholen. Die Gründe, die von den Gutachtern genannt
werden, sind sehr interessant. In diesem Bericht steht
nämlich, das sei vor allem das Ergebnis von Deregulierung im Bereich von Telekommunikation und von Gentechnik. Bei der Deregulierung sind Sie bekanntlich
besonders schwach.
({5})
Wir sollten uns hüten, zu glauben, dass wir alles in dieser Welt nur mit Geld verändern können.
({6})
Geld ist wichtig, aber nicht alles, Herr Kollege Tauss. Es
kommt auch auf andere Dinge an.
Trotzdem: Wir sind in den Haushaltsberatungen und
daher will ich mit dem Geld beginnen. Sie haben nach der
Wahl zugesagt - auf frühere Versprechungen will ich gar
nicht eingehen -, die Ausgaben für Bildung und Forschung jährlich um 1 Milliarde DM zu erhöhen. Sie sind
dann sehr schnell in Sparzwängen stecken geblieben. Auf
dem Papier haben Sie das Versprechen im Jahr 1999 noch
so ungefähr eingehalten. Jetzt liegen uns die Istzahlen vor
- Frau Bulmahn, das haben wir Ihnen schon damals angekündigt -: Von dem zusätzlichen Geld haben Sie im
Jahr 1999 - das ging auch gar nicht anders - 236 Millionen DM an den Finanzminister zurückgegeben.
Im laufenden Haushaltsjahr wurde rechnerisch 1 Milliarde DM dazugelegt. Dann wurde gespart und es kam
ein Minus von 340 Millionen DM heraus. Wenn ich das
beim Taschengeld meiner Söhne so handhabe, dann halten die mich für völlig verrückt.
({7})
Man kann nicht 1 Milliarde DM zusätzlich ankündigen
und weniger auszahlen.
Ich sage ausdrücklich: Der in diesem Jahr vorhandene
Zuwachs von 780 Millionen DM ist beachtlich. Ich
möchte erwähnen, dass es durchaus ein Zuwachs an Ehrlichkeit ist, dass die Bundesministerin dieses Mal, da sie
das Geld vielleicht tatsächlich noch bekommen wird, darauf verzichtet hat, von der zusätzlichen Milliarde zu reden und diese Summe sozusagen rechnerisch herbeizuzaubern.
Wir entnehmen der Presse, Herr Kollege Tauss, dass
gegenüber der alten Finanzplanung schon 411 Millionen DM mehr im Haushalt enthalten sind. Dabei handelt
es sich offensichtlich um Gelder aus den Zinsersparnissen, die der Finanzminister eingeplant hat. Nach der
neuen Finanzplanung sollen die Ausgaben unserer Bildungs- und Forschungsministerin für Bildung und
Forschung bis zum Jahr 2003 - das ist nach Ende dieses
Fünfjahreszeitraums - um 2 Milliarden DM steigen. Das
ist, gemessen an Ihren Versprechungen, ein ganz bescheidener Betrag.
({8})
Das sind 14 Prozent mehr; das bedeutet eine jährliche
Steigerungsrate von nicht einmal 3 Prozent.
Wir sollten die Chance, die sich aus den Zinsersparnissen ergibt, nutzen. Wir freuen uns, dass wir dabei auch
die Unterstützung unserer eigenen Haushaltspolitiker haben, ({9})
- um diesem Ressort einen kräftigen Nachschlag zu geben. Frau Ministerin Bulmahn sollte sich im Übrigen da
einmal bei unseren früheren Ministern Bötsch und Waigel
bedanken, die die Privatisierung von Post- und Telekommunikationsleistungen gegen den Widerstand der damaligen Landesfürsten Schröder und Eichel durchgesetzt haben.
({10})
Deshalb können Sie heute diese Zusage einhalten.
Meine Damen und Herren, wir als Opposition sollten
nicht an allem herumnörgeln,
({11})
aber auch nicht auf die Knie fallen und diese Regierung
nur noch loben und preisen.
({12})
Die Ministerin hat die BAföG-Mittel angesprochen.
Frau Ministerin Bulmahn, dieses Mal habe ich die Unterlagen nicht dabei, aber ich habe die Debatten sehr intensiv verfolgt und meine Notizen aufgehoben. In meinen
Akten befinden sich nach wie vor die Beschlüsse der Finanzministerkonferenz aus der letzten Legislaturperiode,
bei der diese einstimmig festgelegt hat, dass eine BAföGReform kostenneutral sein muss, und festgestellt hat, dass
alle Modelle, die vorgeschlagen wurden, nicht brauchbar
und finanzierbar sind. Sie erinnern sich vielleicht: Die
Bayern hatten ein Modell, Herr Rüttgers hatte ein Modell
und Sie hatten damals noch ganz andere Vorstellungen,
die Sie inzwischen beerdigt haben. Wenn Sie hier jetzt
Vorwürfe erheben, müssen Sie sie schon gerecht verteilen.
Sie wissen, dass sich im Zweifel auch bei der SPD nicht
die Bildungspolitiker, sondern die Finanzpolitiker durchsetzen.
({13})
Die Bereitstellung der Mittel für die BAföG-Reform ist
überfällig. Auch Herr Eichel hat eine Politik des Verzögerns betrieben, um dadurch zu sparen. Die Studierenden
müssen jetzt fast zwei Jahre warten, bis sie echte Leistungsverbesserungen erhalten.
({14})
Die Aufstockung der Mittel - die nochmalige Aufstockung der Mittel, muss ich sogar sagen - für den Hochschulbau ist notwendig, auch wenn ich von herunterprasselndem und -fallendem Putz an den bayerischen
Hochschulen nichts bemerke, weil wir sehr viel vorfinanziert haben.
({15})
Ich bin der Meinung, dass wir, wenn die Länder die Kofinanzierung sicherstellen können, hier sogar noch einmal
Gelder aus den Zinsersparnissen drauflegen sollten. Daran hat auch der Bund ein Interesse, weil wir so die Investitionsquote des Bundes verbessern könnten, die sich ja
zurzeit ganz miserabel entwickelt.
({16})
Ich habe gelesen, dass Frau Ministerin Bulmahn vorschlägt, 1 Milliarde DM aus den Zinsersparnissen verteilt
auf fünf Jahre zusätzlich in die Genomforschung zu
stecken. Hierbei sind wir uns völlig einig. Diesen Antrag,
fünfmal 200 Millionen DM, also 1 Milliarde DM insgesamt, zusätzlich zu investieren, haben wir schon im letzten Jahr gestellt. Er ist damals leider abgelehnt worden.
({17})
Hier können wir uns sicher einigen.
({18})
Wir hoffen nur, dass Sie sich auch bei Ihren eigenen Finanzpolitikern durchsetzen.
In der Informationstechnologie setzen Sie zugegebenermaßen einen Schwerpunkt. Das halten wir für richtig.
Da wird einiges gemacht. Es hilft der Ministerin jedoch
nicht, ihre Vorschläge bei den eigenen Finanzpolitikern
durchzusetzen, wenn sie jetzt vorschlägt, jeder Schüler
Dr. Gerhard Friedrich ({19})
solle einen Laptop erhalten. Das halte ich für völlig übertrieben. Das ist nicht solide.
({20})
Wenn Vertreter dieser Regierung eine Chance sehen, in
den Medien eine Wirkung zu erzielen, dann verlieren sie
schlicht und einfach die Bodenhaftung.
({21})
Wir schlagen für diesen Bereich etwas ganz anderes
vor. Unser Bundeskanzler hat bei seiner Green-CardInitiative gerade noch rechtzeitig gemerkt, dass man
zunächst einmal etwas für den eigenen Nachwuchs tun
muss. Wir sind ja nicht gegen eine begrenzte Lockerung
des Anwerbestopps.
Er hat dann den Vorschlag eines Bund-LänderProgramms gemacht. In diesem Zusammenhang hat er von
100 Millionen DM gesprochen. De facto gibt der Bund nur
fünfmal 10 Millionen DM zu diesem Programm. Das, verteilt auf alle Bundesländer, wird weder in Berlin noch anderswo verhindern, dass in der Informatik der Numerus
clausus eingeführt wird. Deshalb schlagen wir vor, in diesem Bereich noch einmal kräftig aufzustocken.
Ein weiterer Vorschlag zur künftigen Haushaltsgestaltung. Staatliche Forschungsmittel sind nach Auffassung
aller Sachverständigen möglichst im Wettbewerb zu verteilen. Insofern hat die Projektförderung einen gewissen
Vorteil gegenüber der institutionellen Förderung.
Nun sieht der Haushalt eine globale Minderausgabe
von 265 Millionen DM vor. Es besteht immer die Gefahr,
dass diese globale Minderausgabe dort erwirtschaftet
wird, wo es am einfachsten ist, nämlich bei der Projektförderung. Deshalb werden wir bei den Haushaltsberatungen vorschlagen, diese globale Minderausgabe zu
streichen. Das ist übrigens ein Antrag, den Sie, Frau
Ministerin, wie ich gehört habe, früher in der Opposition
regelmäßig selbst gestellt haben.
({22})
Also wird es hier einen großen Konsens geben.
Ich muss leider zum Schluss kommen und vieles weglassen. Ich darf noch einen Vorschlag machen. Aus guten
Gründen muten wir unseren Hochschulen und unseren
Forschungseinrichtungen Evaluation, also Überprüfung,
kontinuierliche Begutachtung, zu, um die Effizienz
sicherzustellen. Frau Ministerin, diesmal habe ich mir
bei der Durchsicht des Haushaltes auch die Anlagen angesehen und bei der Anlage 2 festgestellt, dass wir bei den
Projektträgern 540 Mitarbeiter finanzieren, die Forschungsmittel vergeben. Nun vermute ich, dass auch
einige der 934 Mitarbeiter Ihres Hauses an der Vergabe
dieser Mittel beteiligt sind. Ein Fachmann hat - ich kann
es aber nicht überprüfen - einmal hochgerechnet, dass wir
insgesamt 7 Prozent der Projektmittel für Verwaltung ausgeben. Wenn wir also anderen Evaluation zumuten, dann
sollten wir dies auch bei unserer eigenen Forschungsverwaltung tun.
Das ist kein Vorwurf an Sie allein; das hat sich über
Jahre aufgebaut. Es wäre aber ein Vorschlag, um für mehr
Effizienz auch im staatlichen Sektor zu sorgen.
Vielen Dank.
({23})
Ich erteile nun dem
Kollegen Matthias Berninger, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In jeder Haushaltsdebatte findet ein Streit darüber statt, wie viel diese
Bundesregierung trotz Sparkurs zusätzlich für Bildung
und Forschung ausgibt. Dieser Streit findet vor allem deshalb statt, weil Sie von der Opposition sich darüber ärgern, dass solche Zuwächse, wie wir sie jetzt im Bildungsbereich haben, in Ihrer Regierungszeit nicht erreicht
worden sind. Vor diesem Hintergrund sehe ich dem Streit
sehr gelassen entgegen.
({0})
Sie haben völlig Recht: Im Koalitionsvertrag steht,
dass wir eine deutliche Aufstockung der Mittel für Bildung und Forschung wollen. Darüber hinaus wurde
selbst in Regierungserklärungen des Bundeskanzlers die
Forderung aufgestellt, die Investitionen in Bildung und
Forschung zu verdoppeln. Wir können uns darüber streiten, ob diese Verdopplung der Investitionen in Bildung
und Forschung in voller Höhe erreicht worden ist. Aber
ich möchte in Erinnerung rufen: Angesichts der
1 500 Milliarden DM Schulden, die wir von Ihnen übernommen haben, war es eine Riesenleistung, die Zuwächse, die wir bei Bildung und Forschung erreicht haben, in den Haushalten der vergangenen Jahre zu sichern,
und ist es ebenso eine Leistung, diese Sicherung in den
nächsten Jahren fortzusetzen.
({1})
Herr Kollege Friedrich, Sie sagen, im letzten Jahr seien
die Mittel um 375 Millionen DM gekürzt worden. Sie
wissen genau, dass das nicht stimmt. Wir haben innerhalb
des Bundeshaushalts eine Reihe von Veränderungen vorgenommen. Nur ein Beispiel: Der Darlehensanteil des
BAföG wird nicht mehr aus dem Haushalt finanziert, sondern über die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
({2})
Ergebnis: 500 Millionen DM mehr Spielraum für Bildung
und Forschung. Das können Sie hier nicht als Kürzung
hinstellen. Auch diesen Streit hatten wir schon häufiger.
Dr. Gerhard Friedrich ({3})
Entscheidend ist doch:
({4})
Wie sind die Zuwächse bei den einzelnen Titeln? Wenn
Sie sich das anschauen, merken Sie: Die Spielräume in
uns sehr wichtigen Forschungsbereichen und bei vielem
im Bereich der Hochschulpolitik sind von dieser Bundesregierung erweitert worden. Die Bundesregierung hat
auch die Unterstützung der Koalitionsfraktionen, dass das
in Zukunft so bleibt.
({5})
Die BAföG-Reform ist in dieser Debatte schon ein
wichtiges Thema gewesen. Die Kollegin Pieper hat dazu
einige Fragen gestellt. Es bleibt hier festzustellen: Die
Koalition hat versprochen, zum Frühjahr nächsten Jahres
eine Strukturreform des bestehenden BAföG auf den Weg
zu bringen. Wir hatten ehrgeizigere Ziele; das wissen Sie.
Wir wollten eine grundsätzliche Reform der Ausbildungsfinanzierung. Damit sind wir im Januar gescheitert. Aber
uns ist es gelungen, 1,4 Milliarden DM zusätzlich für das
BAföG zu mobilisieren.
Frau Kollegin Pieper, diese zusätzlichen Mittel bewirken, dass die durchschnittliche BAföG-Förderung nicht
mehr 640 DM, sondern 730 DM beträgt und dass der
BAföG-Höchstsatz anstatt bei etwas über 1 000 DM inzwischen bei 1100 DM liegt. Ich halte diese große Ausweitung des BAföG, die erreicht worden ist - verbunden
mit dem Wegfall vieler Detailregelungen aufgrund der
Vereinfachung, verbunden mit Regelungen, dass Studierende in Ost- und Westdeutschland das gleiche BAföG bekommen, verbunden mit der Deckelung der maximalen
Darlehensschuld bei 20 000 DM -, für einen großen Erfolg, auch wenn ich mir mehr gewünscht hätte. Ich finde,
das sollten Sie einmal zugeben.
({6})
Meiner Einschätzung nach ist dennoch Handlungsbedarf in der Bildungsfinanzierung gegeben. Neben dem
über die Steuer finanzierten Teil der Unterstützung von
Eltern, deren Kinder studieren, und neben dem BAföG
wollen wir ein weiteres Element, nämlich einen elternunabhängigen Bildungskredit, einführen. Auch hierfür
werden wir die Voraussetzungen im Haushalt 2001 schaffen, damit diejenigen, die durch den bisher vorhandenen
Förderrost gefallen sind, auch eine Unterstützung bekommen. Dies ist ein erster Schritt in Richtung Elternunabhängigkeit und ein weiterer Schritt in Richtung Entbürokratisierung.
Ich wünsche mir dafür auch die Unterstützung der Opposition, insbesondere in den Ländern, Herr Kollege
Friedrich - ich nenne in diesem Zusammenhang Bayern -,
die sich bisher ein bisschen zieren, ein solches Programm
in ihren BAföG-Ämtern mitzuverwalten, obwohl sie keinen Pfennig bezahlen müssen. Sie können noch eine
ganze Menge in Ihren eigenen Ländern tun, damit die Studierenden ein weiteres Förderinstrument nutzen können,
das dazu beiträgt, dass schneller studiert werden kann,
dass der Studienortwechsel und das Studium im Ausland
erleichtert werden und dass die Anschaffung zum Beispiel
eines neuen Computers, wenn er für das Studium nötig ist,
möglich wird. Dafür legen wir dieses Programm auf. Helfen Sie, dass es umgesetzt wird, statt hier zu schwadronieren!
({7})
Als wir die Verantwortung übernommen haben, lag der
Hochschulbau brach. Die Mittel für den Hochschulbau
waren viel zu gering - das haben Sie selber zugestanden -,
weil Sie windige Vorfinanzierungsmodelle mit einigen
Ländern vereinbart haben. Hier findet eine kontinuierliche Aufstockung der Investitionsmittel für den Hochschulbau statt. Wir können zwar mit dieser Maßnahme
nicht groß in die Öffentlichkeit gehen und sagen, wir sind
diejenigen, die das Allerbeste auf den Weg bringen. Aber
trotzdem kann man deutlich machen, dass diese konkreten Hilfen bei den Hochschulen ankommen. Die Aufstockung der Hochschulbaumittel in kleinen Schritten
- wir unternehmen diese kleinen Schritte nicht, weil wir
nicht mehr machen könnten, sondern weil die Länder
signalisieren: bitte nicht zu viel, wir können das nicht
gegenfinanzieren - halte ich für sehr vernünftig.
({8})
Es ist schon angesprochen worden: Zusätzlich werden
wir die UMTS-Milliarden auch dafür nutzen können, im
Bildungsbereich weitere Spielräume zu eröffnen. Ich
möchte in diesem Zusammenhang auf einige Punkte hinweisen, die mir besonders wichtig erscheinen. Im Bereich
der Gentechnik ist es vernünftig, hinsichtlich der Adultenstammzellen in die Genomforschung zu investieren
und die Volkskrankheiten, die die Ministerin schon ansprach, zum Schwerpunkt unserer Forschungsförderung
zu machen, weil wir da den Menschen konkret helfen können.
Als die Ministerin vorhin diesen Punkt angesprochen
hat, raunten aber einige Ihrer Kollegen - auch da unterscheiden Sie sich von Ihrer Parteivorsitzenden, Frau
Merkel - gleich wieder, das sei grüne Gentechnik und, bei
der Landwirtschaft würde sich nichts tun. Diese Bundesregierung - das hat die Ministerin dargestellt - fährt bei
der Gentechnik einen sehr vorsichtigen Kurs. Wir sind
nicht blind fortschrittsgläubig. So wie die Konsumenten
kein Interesse daran haben, Nahrungsmittel, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen produziert werden, einfach so ohne Kenntnis der Risiken zu konsumieren - das
ist ja bekannt; das ist die große Krise der grünen Gentechnik -, so wollen wir die ethischen und die übrigen Risiken mitbeachten. Wir wollen die neuen Chancen besonnen und nicht blind fortschrittsgläubig nutzen. Ich bin
froh, dass sich die Koalition in dieser Frage einig ist.
({9})
Ein weiterer mir wichtiger Punkt ist die Situation an
den Berufsschulen. Wir können in der Schulpolitik in den
meisten Bereichen nichts machen, weil dafür die Länder
zuständig sind. Hier müssen die Länder nach meiner Einschätzung noch deutlich mehr machen. Wenn alles gut
läuft, können wir aber zumindest im Bereich der Berufsschulen etwas tun. Ich glaube, es wäre wichtig, die technische Ausstattung in den Berufsschulen zu verbessern.
Warum? Weil sie dort am schlechtesten ist. Wir können
damit gegen die Spaltung in Bezug auf die Nutzung der
neuen Technologien - auch „digital divide“ genannt - einen wichtigen Schritt unternehmen. Wenn es uns gelänge,
jährlich 500 der 6 600 Berufsschulen mit besseren Technologien auszustatten, würden wir viel dafür tun, dass
diejenigen, deren Chancen, Zugang zur Informationstechnologie zu bekommen, bisher gering sind, neue Spielräume erhalten. Meine Fraktion steht einer solchen Überlegung sehr offen gegenüber.
({10})
Darüber hinaus glaube ich, dass jeder Student vom ersten Semester an zusammen mit dem Immatrikulationsausweis ein Notebook - ähnlich wie es heute ein Semesterticket gibt - in die Hand bekommen sollte. Warum?
In die Studiengänge an den Hochschulen sollten die
neuen Technologien von Anfang an mit einfließen. Es
sollten neue Konzepte erarbeitet werden, die dann vielleicht auch in den Schulen dazu führen, dass man mit dem
Computer besser arbeiten kann. Das Internet gibt uns
große Chancen, unser Bildungssystem zu revolutionieren.
Die Bundesregierung fängt damit nicht nur dadurch an,
dass die Spitze des Bildungsministeriums weiß, wovon
sie spricht, sondern auch dadurch, dass wir Fördermittel
für den IT-Bereich einsetzen und hier einen Akzent setzen. Ich wäre sehr froh darüber, wenn es uns gelänge, einiges anzustoßen, was in den nächsten zehn oder 20 Jahren positive Wirkung entfalten könnte.
({11})
Ein letzter Punkt, der mir wichtig ist, ist die Frage der
Weiterbildung, sind die Herausforderungen des lebenslangen Lernens; auch darüber besteht Einigkeit in den
Sonntagsreden aller Politiker, vor allem aber bei den Bildungspolitikern. Im Bereich des lebenslangen Lernens
können wir noch in dieser Legislaturperiode neue Akzente setzen. Was auffällt, ist: Die Menschen sind bereit,
für Weiterbildung mehr Geld auszugeben. Es ist aber so,
dass der Staat Weiterbildung bisher nicht in der Form unterstützt, wie er viele andere Dinge unterstützt. Meiner
Meinung nach sollten wir darüber nachdenken, so etwas
wie ein Bildungssparen einzuführen, wie wir es vom
Bausparen und von der Altersvorsorge kennen, damit
Menschen mit geringem Einkommen, die bereit sind,
Geld für Weiterbildung auszugeben, eine staatliche Unterstützung zum Beispiel für Computerkurse bzw. Umschulungen erhalten, um dadurch in der Lage zu sein, sich
einen neuen Job zu suchen. In diesem Bereich müssen
noch Akzente gesetzt werden.
Wir sind uns darüber einig - Frau Schavan hat hier aus
unserem Entschließungsantrag abgeschrieben -, dass es
mehr Qualitätssicherung geben muss, Stichwort: Stiftung
Bildungstest. Ich bin der Meinung, dass wir alle miteinander im Bereich der Weiterbildung einen zusätzlichen
Akzent setzen sollten, und hoffe, dass wir in diesem Haus
in dieser Sache einen Konsens finden.
({12})
Es stehen eine Reihe von Strukturreformen vor uns, die
oft gar nicht sehr viel mit Geld zu tun haben, die aber sehr
wichtig sind; daher meine Ungeduld, Herr Kollege
Friedrich. In den nächsten acht Jahren geht die Hälfte aller
Professoren in Rente. Unser Dienstrecht stammt aus dem
19. Jahrhundert. Wenn wir nichts tun, werden wir dieses
verkrustete Dienstrecht auch noch im 21. Jahrhundert haben.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten.
Jawohl, Herr Präsident. - Auch die Länder sind gefragt,
wenn es darum geht, etwas dafür zu tun, dass eine Dienstrechtsreform zustande kommt. Hier bin ich ungeduldig.
Ich wünsche mir, dass Sie genauso ungeduldig sind, damit wir in diesem Bereich die bestehende Reformchance
nicht verpassen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile das Wort
Kollegin Ulrike Flach, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! In der Sommerpause haben wir eine Bildungsministerin erlebt, die mit dem Füllhorn der UMTSMilliarden durch die Lande zog und alle Wünsche der Bildungs- und Forschungspolitiker dieses Landes erfüllen
wollte.
({0})
Der vorgelegte Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums sieht anders aus, Frau Bulmahn. Er soll im
nächsten Jahr auf 15,37 Milliarden DM wachsen. Das ist
die von Ihnen angekündigte Steigerung um 780 Millionen DM. Diese Steigerung ist übrigens nicht kontinuierlich, wie Sie eben festgestellt haben. Im letzten Jahr waren es 100 Millionen DM weniger; da gab es kein Plus.
Nun frage ich mich natürlich - das habe ich mir bei der
Vorbereitung meiner Rede durch den Kopf gehen lassen -:
Über welche Vorhaben sollen wir heute eigentlich mit
Ihnen diskutieren? Über diejenigen, die Sie vollmundig
ankündigen, oder über diejenigen, die wirklich konkret im
Haushalt stehen?
({1})
Sie sprechen viel über die virtuelle Hochschule und die
neuen Medien in der Bildung. Manchmal habe ich den
Eindruck: Sie sind uns, aber auch Ihrem Ministerium in
der virtuellen Welt verloren gegangen. So haben wir uns
inzwischen an Ihre zweistufigen Vorschläge gewöhnt: erst
ein buntes Feuerwerk bildungspolitischer Highlights und
dann ein deutlich abgespeckter Vorschlag für den Hausgebrauch.
({2})
Das gilt zum Beispiel auch für den Vorschlag des Kollegen Berninger - dies toppte er soeben sogar noch für die
Studenten -, alle Schüler mit Laptops auszustatten.
82 Milliarden DM sollte dieses Unterfangen nach ersten
Berechnungen kosten, sozusagen alle UMTS-Erlöse auf
einen Schlag. Dann kam die Version für den Alltag:
Laptops für Bedürftige. Dafür wollen Sie nun jährlich
50 Millionen DM, 350 Millionen DM bis 2006 ausgeben.
Frau Bulmahn, das hört sich schon ganz anders an, wobei
ich mich mehr als über solch blumige Vorschläge gefreut
hätte, wenn Sie uns Vorschläge über Leasing-Verträge,
über Folgekosten beim Strom, über Softwareanpassung,
Haftpflicht und über die ganz simple Frage, wie ich mit
Kindern umgehe, die solche teuren Geräte zu Hause stehen haben, gemacht hätten.
({3})
Bildung und Forschung sind teuer, das wissen wir, und
dazu steht die F.D.P. So haben wir - Frau Pieper hat es
soeben erläutert - ein BAföG-Modell vorgelegt, das die
Studienförderung strukturell angeht und nicht nachbessert
wie Ihre Reparaturnovelle.
({4})
Aber natürlich ist eine solche Reform nicht für 500 Millionen DM zu haben. Hier hätten Sie ansetzen müssen - wie
im Wahlkampf versprochen und wie übrigens auch von
Herrn Berninger immer wieder betont.
Sie haben sich stattdessen von Ihrer ureigenen programmatischen Idee einer elternunabhängigen und sozial
gerechten BAföG-Reform verabschiedet.
({5})
Es ist eben leichter, Laptops anzukündigen, anstatt, wie es
Herr Berninger in der letzten Debatte gesagt hat, eine
wirklich mutige Reform anzugehen. Wo bleibt übrigens
der Koalitionsvertrag auf diesem Gebiet?
Wir stimmen mit Ihnen bei der Genomforschung völlig überein. 1 Milliarde DM zusätzlich für die deutsche
Humangenomforschung wäre ein Schritt vorwärts für
diese wirklich wichtige Schlüsseltechnologie. Ich hoffe
sehr, dass der gute Wille Realität wird. Das allerdings,
was Sie jede Woche mit immer fantastischeren Summen
ankündigen, sind bisher reine Luftbuchungen. Das einzige, was wir wissen, ist, dass Sie 1,8 Milliarden DM gefordert haben, Frau Bulmahn, ob Sie diese auch bekommen, steht in den Sternen.
Frau Bulmahn, Sie können sicher sein, dass Sie unsere
Unterstützung haben, wenn es darum geht, den Finanzminister von der Notwendigkeit eines massiven Schubs für
die Bildung zu überzeugen. Ich warne sehr davor, der Argumentation des Kollegen Berninger zu folgen, der laut
ddp vor wenigen Tagen sagte, die Regierung müsse sich
für das Wahljahr 2002 finanzielle Spielräume offen halten.
({6})
Meine Damen und Herren, unsere Studierenden, unsere
Lehrenden und Forscher haben es nicht verdient, dass auf
ihrem Rücken wahltaktische Spiele ausgetragen werden.
({7})
Auch ich möchte in diesem Zusammenhang an die Regierungserklärung 1998 von Bundeskanzler Schröder erinnern, die mit den schönen Worten endete: Wir werden
die Investitionen in Forschung und Bildung in den nächsten fünf Jahren verdoppeln. Daran müssen Sie sich messen lassen, Frau Bulmahn, ob es Ihnen passt oder nicht.
({8})
Auf Ihrer Habenseite steht bisher eine Erhöhung
des Haushaltsansatzes um 8,2 Prozent gegenüber den
14,2 Milliarden DM des letzten von Minister Rüttgers
verantworteten Haushalts. Das ist ein Schritt nach vorn,
da stimme ich zu, aber gemessen an Ihrem Versprechen,
das Haushaltsvolumen zu verdoppeln, haben Sie sich weit
vom Klassenziel entfernt.
Ich vertrete eine Partei, die in Gestalt ihrer Minister
nicht nur für die Bildung gekämpft hat, sondern sich auch
durchgesetzt hat. Sie können sicher sein, dass ich Sie auch
als Oppositionspolitikerin massiv unterstützen werde,
wenn es um die Verbesserung der finanziellen Situation
unseres Haushaltsplans geht. Wir sind an Ihrer Seite,
wenn Sie für einen höheren Mittelansatz kämpfen, aber
wir erwarten mehr als nur blumige Ankündigungen.
({9})
Wir beide wissen: Unsere Generation hat einen Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik zu bewältigen. Wir
müssen mit einer Aufholjagd beginnen, um international
zu einem attraktiven Bildungs- und Forschungsstandort
zu werden.
({10})
- Roman Herzog sprach von einem Ruck, lieber Herr
Tauss. Leider haben nur wenige etwas geruckt und viele
sind sehr gemütlich im Sessel sitzen geblieben. Die F.D.P.
will mehr als einen Ruck, wir wollen einen Sprint an die
Spitze der Bildungspolitik.
({11})
Dazu brauchen wir nicht die Haushaltspolitik der tröpfelnden Gießkanne, ({12})
- sondern ein entschlossenes, schnelles und mutiges Angehen der drängendsten Probleme im Bildungsbereich.
Stichwort Hochschulbau: Die Ausgaben für den Hochschulbau werden im Haushalt 2001 erhöht. Das ist ein erfreuliches Faktum - selbstverständlich -, aber gemessen
am Bedarf ist die Steigerung völlig unzureichend. Sie
kennen genauso wie ich das Votum des Wissenschaftsrats,
der von einer doppelten Anzahl von Milliarden - 4,7 Milliarden DM - ausgeht. Wir alle wissen, dass im Osten das
nachgebaut werden muss, was im Westen schon bald wieder renoviert werden muss. Das heißt, mit kleinen Trippelschritten kommen wir zwar weiter, aber weiß Gott
nicht so weit, wie wir müssten.
({13})
Frau Bulmahn, begehen Sie nicht den Fehler, sich an
Jürgen Rüttgers zu messen.
({14})
Dieser hatte zwar den klangvollen Beinamen des „Zukunftsministers“, aber im Kabinett war er ein Leichtgewicht.
({15})
Frau Ministerin, damit, Ihre Millionenhäppchen liebevoll
jeweils dahin zu schieben, wo die Medienwirkung am
größten zu sein scheint, laufen Sie Gefahr, ebenso zu
scheitern wie Ihr Vorgänger.
({16})
Wir müssen endlich einsehen, dass Bildung die soziale
Frage des 21. Jahrhunderts ist - das Mega-Thema, bei
dem wir einen massiven Schub und nicht Zückerchen für
die jeweiligen medialen Highlights brauchen. Sie brauchen Mut, Frau Bulmahn. Geben Sie sich nicht mit
Laptops zufrieden, gehen Sie an die Wurzeln unserer Bildungsprobleme heran. Das geht - hier stimme ich Herrn
Berninger absolut zu - nicht immer nur mit Geld.
({17})
Was wir aus Ihrem Hause bisher zum Beispiel zum
Hochschuldienstrecht sehen, ist kleinmütig und zaghaft.
({18})
Die leistungsbezogenen Elemente in der Besoldung reichen nicht aus. Das Fallbeil der Kostenneutralität hängt
über der gesamten Reform. Die Entrümpelung der Prüfungs- und Studienordnungen ist nicht entschlossen genug. An die Schaffung schnellerer Promotionsverfahren
haben Sie sich gar nicht erst herangetraut.
({19})
Das Thema Verbeamtung, Frau Bulmahn, ein Thema,
das uns Liberalen besonders am Herzen liegt, umgehen
Sie. Wir würden Sie dabei sehr massiv unterstützen. Ich
habe mir vor einigen Tagen sehr interessiert Ihre Bemerkungen in der Sendung von Frau Christiansen zu diesem
Thema angehört. Die Professoren brauchen nicht weiterhin verbeamtet zu werden. Wenn wir unsere Schulen und
Hochschulen modernisieren wollen, brauchen wir Luft
und das Abschneiden alter Zöpfe; weg mit alten Hierarchien. Wenn Sie aber den Vorschlägen der Expertenkommission folgen, die Sie eingesetzt haben, werden wir den
gewünschten Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nicht erreichen; denn das ist kein Anreiz für Hochschulprofessoren.
({20})
Apropos Hochschule: Der schöne Titel „Zukunftsinitiative Hochschule“ beschreibt leider nur einen höchst
konventionellen Ansatz. Sie wollen - so haben wir den
Medien entnommen - 650 Millionen DM für die Anwerbung von Spitzenwissenschaftlern aus dem Ausland. Ich
bitte Sie: Hören Sie auf das, was Ihnen der Präsident der
Gesellschaft für Informatik, Professor Mayr, deutlich ins
Stammbuch geschrieben hat:
Das vorrangige Problem ist nicht, gute Köpfe importieren zu müssen, sondern deren Abwanderung aus
Deutschland zu verhindern.
({21})
Die Belastung der Wissenschaftler mit Lehr- und Administrationsaufgaben liegt ein Mehrfaches über
dem amerikanischer Universitäten.
Ihr Hochschuldienstrecht in der bisherigen Form entlastet
die Hochschullehrer aber nicht von Gremienaufgaben,
sondern sieht sogar noch Zulagen für die Wahrnehmung
von Gremienarbeit vor.
Meine Damen und Herren, wenn unsere Hochschulen
für ausländische Wissenschaftler attraktiver wären, müssten wir die Leute nicht mit Ihren 650 Millionen DM ködern, sondern sie würden uns die Bude einrennen, um hier
zu forschen, zu lehren und zu studieren.
({22})
Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, wie viele Amerikaner und Japaner bei uns, wie viele Deutsche aber in deren
Ländern tätig sind.
Das Schrödersche Green-Card-System, die Leute im
Ausland einzukaufen, greift zu kurz. Wir müssen unser
Bildungssystem internationaler machen. Dies bedeutet
eine massive Investition in die Ausstattung der Hochschulen. Den letzten Schub gab es Anfang der 90er-Jahre.
Von der virtuellen, vernetzten Hochschule, von der die
Frau Ministerin so gerne spricht, sind wir leider sehr weit
entfernt. Die Lebenswirklichkeit der Studierenden und
Professoren ist noch immer von überfüllten Hörsälen, der
Verlosung von Laborplätzen, ausgeliehenen Büchern und
Rissen in den Gebäuden geprägt. Sie wissen das genau,
Frau Bulmahn. Trotzdem reicht Ihr Biss bisher nicht, sich
gegen die Beharrungskräfte in den Institutionen durchzusetzen.
({23})
Sie laufen Gefahr, ähnlich wie Jürgen Rüttgers eine
„Zukunftsministerin“ zu werden: viele Pläne, viel Zukunft, wenig konkrete Umsetzung.
({24})
Mit der Methode, kleckerweise, aber mediengerecht Geld
anzukündigen, verbauen Sie sich die Chance zu einer
wirklichen Strukturveränderung. Überlassen Sie - das ist
meine herzliche und ganz persönliche Bitte an Sie - diese
Art der Politik einem sehr prominenten Mitglied Ihres
Landesverbandes.
Ich lade Sie ein, gemeinsam mit der F.D.P. dafür zu
kämpfen, dass der Bildungs- und Forschungshaushalt
endlich einen angemessenen Stellenwert erhält.
({25})
Wenn Sie wirklich eine Verdopplung wollen - wann, Frau
Bulmahn, wenn nicht jetzt? Nutzen Sie diese Chance, machen Sie mehr Druck im Interesse der nachfolgenden Generationen! Ohne Fleiß kein Preis und ohne Druck kein
Ruck!
({26})
Nun hat Kollegin
Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr
Tauss, ich werde versuchen, Ihnen keine schlaflose Nacht
zu bereiten.
({0})
Der Haushalt des BMBF gehört zu den Gewinnern im
Haushalt 2001, zumindest gemessen an den Kürzungen,
die andere Ressorts hinnehmen mussten.
({1})
Gemessen jedoch an Ihren Versprechungen, gemessen
auch an der Ausgabenstruktur, bleibt vieles offen. Wo ist
zum Beispiel die versprochene jährliche Forschungsmilliarde geblieben, die ab 2000 zu 30 Prozent in den Haushalt des Wirtschaftsministeriums und zu 70 Prozent in den
Haushalt des Bildungsministeriums fließen sollte? Wenn
ich richtig sehe, bekommt der Wirtschaftsminister sogar
weniger. Entsprechend fallen die Kürzungen aus. Zu den
geschröpften Titeln gehören dort bezeichnenderweise
Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern
und die Förderung des Meister-BAföG.
Da wir es auch im Einzelplan 30 wieder mit erheblichen Umstrukturierungen, Verschiebungen, Streichungen
und Neueinführungen verschiedener Titel zu tun haben, ist
schwer nachzuvollziehen, wo bestimmte Gelder hingeraten sind und wer am Ende tatsächlich leer ausgeht. Also,
kurz gesagt, der ganze Einzelplan 30 bleibt immer noch
ein Rechenkunststück.
Die Aufstockung der globalen Minderausgabe, die Erwartungen von Einsparungen aus den Kapiteln 30 02 bis
30 07 für Mehrausgaben im Hochschulbau und die Einführung von Leertiteln, zu deren Finanzierung ebenfalls
bereits Einsparungen bei anderen Titeln veranschlagt
sind, stehen nicht gerade für Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.
Eine Priorität der Forschungsmilliarde soll die Finanzierung von Bildung und Forschung in den neuen Bundesländern sein. Das HSP III ist ausgelaufen, es wird nicht
annähernd weitergeführt. Umfassende Finanzierungsalternativen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den neuen Bundesländern werden nicht sichtbar.
Zu den Leitprojekten für Diagnose und Therapie in der
Molekularmedizin gab es durch die Zwischenfrage meines Kollegen Dr. Ilja Seifert schon eine kleine Diskussion.
Frau Bulmahn, ich bin der Auffassung, dass das, was Sie
hier verdeutlicht haben, das Minimum sein muss.
({2})
Selbstverständlich erkennen wir an, dass die Bundesregierung mit diesem Haushalt eine Trendwende zumindest im BAföG-Etat vollziehen will. Für jede Mark, die
Sie zusätzlich in die Ausbildung junger Menschen investieren, können Sie mit der Unterstützung der PDS-Fraktion rechnen. Sie müssen sich dennoch den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie mit Ihrer Vorlage weit hinter den
Erwartungen zurückbleiben.
Nach Ihren Vorstellungen wird der Bund 2001 rund
1,5 Milliarden DM für die Ausbildungsförderung ausgeben. Hinzu kommen die Darlehenszahlungen der Deutschen Ausgleichsbank. Zusammengerechnet wird der
Bund also im nächsten Jahr rund 2 Milliarden DM bereitstellen. Damit haben Sie aber gerade einmal das Niveau
von Mitte der 90er-Jahre erreicht.
Die Vorschläge für eine Strukturreform der Ausbildungsförderung liegen seit Jahren auf dem Tisch und beruhen auf einer bestechend einfachen, aber, wie ich finde,
nach wie vor pfiffigen Idee. Von heute auf morgen könnten wir jeder Studentin und jedem Studenten jeden Monat
elternunabhängig zusätzlich mindestens 350 DM als Zuschuss ohne Rückzahlungsverpflichtung geben, indem
wir eben Kindergeld und bislang gewährte Steuerfreibeträge in die Ausbildungsförderung überführen.
({3})
Wenn wir außerdem die BAföG-Ausgaben deutlich
über das damals von Ihnen selbst als unzureichend kritisierte Niveau der 90er-Jahre hinaus anheben und dabei
berücksichtigen, dass Jahr für Jahr Darlehensrückzahlungen ehemaliger Studentinnen und Studenten in Höhe von
über 1 Milliarde DM an den Fiskus fließen, ließen sich
über die von Ihnen vorgesehenen Verbesserungen hinaus
zusätzlich sogar 500 DM pro Kopf bereitstellen.
Sie führen die Öffentlichkeit aber bewusst in die
Irre, ({4})
- wenn Sie sich heute damit brüsten, einen Teil der Zinsersparnisse aus den UMTS-Erlösen in die Ausbildungsförderung zu investieren, gleichzeitig aber verschweigen,
dass Sie damit keine zusätzlichen Verbesserungen im
BAföG finanzieren, sondern lediglich den BundeshausUlrike Flach
halt von den bereits im Januar 2000 zugesicherten Mehrausgaben im BAföG-Etat entlasten möchten.
({5})
Lassen Sie uns gemeinsam einen ersten Schritt in eine
wirklich strukturelle Erneuerung der Ausbildungsförderung gehen und hören Sie auf mit der halbherzigen
Kesselflickerei.
({6})
Selbstverständlich begrüßen wir auch das Vorhaben,
alle Schulen - und bis 2006 jede Schülerin und jeden
Schüler mit Computer bzw. Laptop auszustatten.
({7})
Natürlich können die für dieses Vorhaben notwendigen
Gelder unmöglich von Bundesregierung und Kommunen
allein aufgebracht werden. Aber machen wir uns doch
nichts vor: Ohne die nicht unbedingt selbstlose Initiative
der Wirtschaft wäre bei der Kampagne „Schulen ans
Netz“ wahrscheinlich noch nicht allzu viel passiert.
Die Kritik ist aber nicht so wichtig. Wichtig ist, wie fast
immer, auch in diesem Punkt das Ergebnis. Wir halten daran fest: Auch für die neuen Medien muss die Schule
wichtigster Bildungsträger bleiben, weil die sozialen Unterschiede sonst zu einem modernen Analphabetismus
führen werden.
({8})
Im Übrigen, Herr Friedrich: Aus pädagogischer Sicht ist
es schon wichtig, dass auf jeder Schulbank ein Laptop
steht.
({9})
Wird schon der gesamte Einzelplan den Versprechungen nicht gerecht, mit denen die Bundesregierung auf dem
Gebiet von Bildung und Forschung angetreten ist, so trifft
dies für die berufliche Bildung und die Weiterbildung
ganz besonders zu. Ausgerechnet dieses Kapitel ist von
einer Kürzung der Mittel um 10,5 Millionen DM betroffen. Bezogen auf die Projektförderung dieses Kapitels
steht die Regierung damit wieder so ziemlich auf dem
Stand, den ihr die Regierung unter Helmut Kohl hinterlassen hat. Diese Entwicklung steht im krassen Gegensatz
zu Ihrer Ankündigung bei Ihrem Amtsantritt, Frau Ministerin, als Sie erklärten: Mein erster Schwerpunkt ist die
Modernisierung der beruflichen Bildung.
Nun weiß auch ich, dass Geld allein nichts mit Modernisierung zu tun hat. Betroffen von den Kürzungen sind in
erster Linie das BIBB, dem rund 8 Millionen DM weniger zur Verfügung stehen, und die überbetrieblichen Ausbildungsstätten, die mit 9 Millionen DM weniger auskommen müssen. Kritik an diesen Kürzungen findet sich
in den Erläuterungen des Titels selbst. Dort heißt es:
Mit der Entwicklung einer kleinbetrieblichen
mittelständischen Wirtschaftsstruktur in den neuen
Ländern wächst der Bedarf an ergänzender überbetrieblicher Berufsausbildung und überbetrieblichen
Fortbildungsmöglichkeiten...
Es bleibt ein Geheimnis dieses Haushalts, wie ein wachsender Bedarf durch weniger Mittel gedeckt werden kann.
Geht die Kürzung bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten hauptsächlich zulasten der Ausbildungswilligkeit bei den kleinen Unternehmen, so kommt die Bundesregierung mit der erneuten Aufstockung der Mittel für
Sonderprogramme zur Schaffung von Ausbildungsplätzen in erster Linie der Ausbildungsunwilligkeit bei Teilen
der großen Unternehmen entgegen. Diese erneute Aufstockung aus Steuermitteln, so sehr sie als Notlösung im
Interesse derjenigen, die einen Ausbildungsplatz suchen,
geeignet sein mag, steht im krassen Gegensatz zu der Litanei, mit der aus dem BMBF regelmäßig verkündet wird,
dass die Wirtschaft nunmehr ihrer Verantwortung bei der
Bereitstellung von betrieblichen Ausbildungsplätzen gerecht werde.
({10})
Dieser Haushalt und die aktuelle Zahl der noch nicht vermittelten Jugendlichen belegen das Gegenteil und machen ein weiteres Mal deutlich: An einer solidarischen
Umlagefinanzierung führt kein Weg vorbei. Wenn die
Bundesregierung die sich verweigernden Unternehmen
auf diese Weise stärker in die Finanzierung der Ausbildung einbeziehen würde, hätte sie auch größeren Spielraum für die Förderung anderer dringlicher Reformschritte im Bereich der Bildung.
Alle Fraktionen - F.D.P. und CDU/CSU waren jedoch
nicht anwesend - haben gestern von der IG-MetallJugend vor dem Reichstag eine Gesetzesrolle erhalten.
Ich sage Ihnen: Setzen wir dieses Gesetz endlich um!
({11})
Zum Thema Weiterbildung muss ich mich wegen der
knappen Zeit auf einen Satz beschränken: Nehmen Sie
Ihre Kompetenz auf diesem Gebiet konsequent wahr und
legen Sie ein Rahmengesetz zur Weiterbildung vor!
Insgesamt belegen die Zahlen des vorliegenden Entwurfs den fehlenden Mut der Bundesregierung, die Haushaltsmittel, wie hoch auch immer sie sein mögen,
grundsätzlich neu zugunsten der Belange der Bildung umzuverteilen. Bildung als Investition in die Zukunft, als
Beitrag zu einer solidarischen Gesellschaft und auch als
Mittel zur Zurückdrängung neofaschistischen Gedankenguts bekommt so kaum die dafür notwendige materielle
Basis.
Frau Bulmahn, ich wünsche uns gemeinsam mehr Mut
auf diesem Gebiet, damit wir endlich zu einer Trendwende im Bildungsbereich in unserem Land kommen.
Danke.
({12})
Ich erteile der Kollegin Siegrun Klemmer, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Sie vor
einem Jahr nach der Bedeutung der Abkürzung UMTS
gefragt hätte, hätten sicherlich die meisten von Ihnen
- auch ich - mit dem Kopf schütteln müssen. Seit der
Versteigerung der Mobilfunklizenzen durch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation weiß nun nahezu
jedes Kind, dass hinter „UMTS“ nicht nur Frequenzen für
Mobilfunktelefone stecken, sondern dass damit vor allem
ein ordentlicher Batzen Geld verbunden ist.
({0})
Dieser Versteigerungserlös versetzt uns nun in die
Lage, einen ganz kleinen Teil des von der christlichliberal geführten Bundesregierung in 16 Jahren angehäuften Schuldenberges abzubauen,
({1})
und lässt eindrucksvoll erkennen, warum der von uns
eingeschlagene Weg der Haushaltskonsolidierung kein
Selbstzweck, sondern haushalts- und finanzpolitisch sinnvoll ist. Weniger Schulden bedeuten nämlich weniger Zinsen. Weniger Zinsen bedeuten größeren politischen Gestaltungsspielraum für innovative und zukunftsträchtige
Projekte.
({2})
Wir haben den von Ihnen geerbten Reformstau aufgelöst, indem wir die Probleme, die auch im Bereich Bildung und Forschung eklatant waren, nacheinander angegangen sind. Wir bringen eine BAföG-Reform auf den
Weg.
({3})
Wir investieren in die Infrastruktur der Hochschulen und
erhöhen dafür kontinuierlich die Mittel. Wir wagen uns an
das Dienstrecht und reformieren es. Und wir widmen uns
den Zukunfts- und Schlüsseltechnologien, ({4})
- die unseren wirtschaftlichen Wohlstand auch für die
kommenden Generationen sichern werden.
({5})
Kurzum: Wir haben Wort gehalten und unsere Versprechen in die Tat umgesetzt.
({6})
Lassen Sie mich zum Anlass der Debatte zurückkehren, zur Einbringung des Haushaltes 2001 für den Bereich
Bildung und Forschung. Wir können heute einen Einzelplan vorstellen, der bereits im dritten Jahr den Schwerpunkten der von uns geführten Bundesregierung Rechnung trägt: Erhöhung der Mittel für Bildung und
Forschung - trotz Haushaltskonsolidierung. Der Gesamtumfang des hier zu debattierenden Einzelplans 30 ist gegenüber dem Haushaltsjahr 2000 um 5,3 Prozent - das ist
mehr als 750 Millionen DM - gestiegen.
Herausragender Eckpfeiler im Haushalt 2001 wird die
BAföG-Reform sein. Im Vergleich zum letzten Jahr erhöhen sich die zur Verfügung stehenden Mittel um
425 Millionen DM. Berücksichtigt man den Länderanteil
und den Anteil der Deutschen Ausgleichsbank, dann wird
den Studierenden in Deutschland rechtzeitig zum Beginn
des Sommersemesters 2001 knapp 1 Milliarde DM mehr
zur Verfügung stehen.
({7})
Auch für die BAföG-Reform gilt: nicht nur mehr Quantität, sondern vor allem mehr Qualität!
({8})
Erstens erhöhen wir die Bedarfssätze spürbar, wodurch
sich die Anzahl der Studierenden mit Förderanspruch vergrößert. Das leitet die seit langem notwendige Trendwende bezüglich der Anzahl der BAföG-Empfänger
ein.
({9})
Während die Zahl der Studierenden, die unter der Vorgängerregierung staatliche Beihilfen zu ihrem Studium
erhielten, von 605 000 im Jahre 1991 auf nur noch
340 000 dramatisch abgefallen war, werden wir diese Entwicklung stoppen und umkehren.
Zweitens erhöhen wir die Freibeträge, die für die anrechenbaren Einkommen entscheidend sind. Hierbei
schlägt vor allem die in Zukunft geltende Nichtanrechenbarkeit des Kindergeldes nachhaltig zu Buche. Das
wird besonders Familien mit mittlerem Einkommen zugute kommen.
Drittens erhöhen wir den BAföG-Höchstsatz von
1 030 DM auf 1 100 DM und tragen damit den steigenden
Lebenshaltungskosten Rechnung.
Viertens gilt künftig eine absolute Rückzahlungsobergrenze von 20 000 DM. Das nimmt vielen jungen Menschen die Angst, überhaupt ein Studium aufzunehmen
bzw. ihren BAföG-Anspruch geltend zu machen. Sie werden nun Planungssicherheit haben und wissen, wie hoch
die möglichen Rückzahlungsbelastungen sein werden.
Fünftens vereinfachen wir die bürokratischen Antragsund Verwaltungsverfahren, weil wir einerseits die Förderungshöchstdauer der Regelstudienzeit anpassen und andererseits das komplizierte System der Freibeträge
abschaffen.
Sechstens - dieser Punkt wird von mir erst an sechster
Stelle aufgeführt, war aber für uns von besonderer Priorität - stellen wir Studierende aus Ost und West endlich
gleich und realisieren damit die längst überfällige innere
Einheit auch auf diesem Gebiet.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, vor
allen Dingen der rechten Seite: Das sind die Felder, die
beim BAföG die Studierenden und ihre Eltern tatsächlich
interessieren, weil sie die Verbesserungen im Portemonnaie spüren werden. Das interessiert sie mehr als die
Frage, ob es sich um eine Strukturreform, eine Gesetzesänderung oder was auch immer handelt.
({11})
Beim Hochschulbau gehen wir mit unverminderter
Beharrlichkeit einen Sektor an, der unter Ihnen jahrelang
brachlag; davon war schon die Rede. Nachdem wir nach
Regierungsübernahme die jährlichen Leistungen bereits
von 1,8 auf 2 Milliarden DM erhöht und verstetigt haben,
packen wir in diesem Jahr nochmals 150 Millionen DM
drauf und stellen insgesamt 2,15 Milliarden DM zur Verfügung. Und wir fangen an, eine von Ihnen übernommene
Altlast zu begleichen, indem wir endlich die Vorleistungen der Länder zurückzuzahlen beginnen.
Ich erwähne diese beiden Punkte ganz besonders, weil
sie Ihnen verdeutlichen, dass das Hochschulstudium wieder Priorität genießen soll. Gerade deswegen stehen wir
zu unserem Versprechen, das Erststudium in Deutschland
gebührenfrei zu belassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ich
denke, man kann Ihnen nicht oft genug vortragen: Der in
unserem Land herrschende Wohlstand basiert auf einem
Wissens- und Technologievorsprung. Der lässt sich nur
erhalten und vor allen Dingen auch vergrößern, wenn unsere Fach- und Hochschulen, unsere Universitäten fähige
und kompetente Absolventen hervorbringen.
({12})
Zu diesem Wissens- und Technologievorsprung
gehört, dass wir in den zukunftsträchtigen Schlüsseltechnologien Spitzenpositionen ausbauen und sie dort erreichen wollen, wo wir noch Bedarf sehen. Daher schaffen
wir Rahmenbedingungen, dass auf den Feldern - namentlich der Informations- und Biotechnologie -, die das Leben des 21. Jahrhunderts grundlegend bestimmen werden,
eine herausragende Schwerpunktsetzung erfolgt.
Der Haushaltsansatz für den Bereich Informationsund Kommunikationstechnologie sieht mehr als eine
halbe Milliarde DM vor. Damit stellen wir ausreichend
Ressourcen für diesen äußerst dynamischen Sektor, in
dem die technischen Neuerungen in immer kleineren und
schnelleren Zyklen verlaufen, bereit.
Wesentlich dynamischer entwickelt sich die Biotechnologie und ist deshalb die nächste große Herausforderung. Hierbei handelt es sich zweifelsohne für viele Bürgerinnen und Bürger um eine noch unbekannte Größe.
Gleichwohl wird die Entwicklung auf diesem Sektor ähnlich rasant verlaufen wie auf dem Gebiet der Informationstechnologie.
Ich denke, es bedarf keiner seherischen Fähigkeiten,
um vorauszusagen, dass uns die nächsten Jahre, vor allen
Dingen auch hier in diesem Haus, noch etliche, natürlich
auch kontroverse Debatten bescheren werden. Doch unabhängig davon, wie - auch in der Öffentlichkeit - die
Debatten verlaufen werden, birgt die Biotechnologie
enorme Forschungs- und Entwicklungspotenziale. Die
Bundesregierung erkennt die Zeichen der Zeit und veranschlagt im Ansatz 2001 220 Millionen DM für die Biotechnologie - das sind 7,3 Prozent mehr als im Vorjahr.
({13})
Die enge Kooperation mit der Wirtschaft, die zahlreiche Kompetenzzentren entstehen ließ, ist ursächlich für
den Gründerboom in dieser Branche und bestätigt gleichzeitig, dass unsere Strategien und Konzepte sinnvoll,
kreativ und wirtschaftlich viel versprechend sind. Der im
Sommer vorgelegte Aktionsplan für die Genomforschung
belegt, dass Deutschland in Europa an Großbritannien
vorbeigezogen ist und sich im internationalen Vergleich
hinter die Vereinigten Staaten an die zweite Stelle vorgearbeitet hat.
Auch ein so heißes Eisen wie die Dienstrechtsreform
werden wir auf den Weg bringen. Die von der Expertenkommission vorgelegten Vorschläge sehen unter anderem
die Etablierung von Juniorprofessuren vor. Diese Neuregelung wird Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Gelegenheit bieten, bereits in jungen Jahren in eigener Verantwortung Lehrveranstaltungen zu leiten. Damit
werden wir verkrustete Strukturen an Universitäten aufbrechen, die den nötigen Generationenwechsel beschleunigen sollen.
Auch die Besoldung wird flexibler gestaltet und mehr
dem Leistungs- als, wie bisher, dem Senioritätsprinzip
unterworfen sein. Das versetzt die Hochschulen in die
Lage, durch individuelle Budgetierung fähige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Wirtschaft für
Institute der Hochschulen zu interessieren.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die vorgesehene Schwerpunktsetzung der Bundesregierung bei der
Verwendung der Zinsersparnisse im Zusammenhang mit
den UMTS-Erlösen ist zugleich investitions- und zukunftsfördernd. Dass Bildung und Forschung neben Städtebau und Verkehr auch hier Priorität genießen, setzt den
bei Regierungsübernahme eingeschlagenen Weg konsequent fort. Allerdings bin ich der Meinung, heute und hier
ist nicht der Ort, um über die genaue Höhe und die Verwendung der Mittel zu debattieren. Das ist den parlamentarischen Organen, insbesondere dem Haushaltsausschuss, für die Beratung der Haushaltspläne vorbehalten.
Wir werden daher erst Ende November, wenn wir den
Haushalt verabschieden, Genaueres dazu sagen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen die
zentralen Eckpunkte des Einzelplans 30 vorgestellt. Herr
Kollege Hilsberg wird zu den Bereichen Weiterbildung
und berufliche Bildung noch etwas sagen. Mir als Haushälterin liegt besonders am Herzen, deutlich zu machen,
dass der Bildungs- und Forschungsetat 2001 der höchste
seit über 15 Jahren ist.
({14})
Ich empfehle daher der Frau Ministerin, auf gar keinen
Fall in irgendeiner Weise in einen Wettbewerb mit Herrn
Rüttgers einzutreten. Das ist nicht nötig; diesen Wettbewerb hat sie längst gewonnen.
({15})
Wir sind zu Recht stolz auf diesen Haushalt. Mit Fug
und Recht lässt sich sagen: versprochen und Wort gehalten!
({16})
Ich erteile dem Kollegen Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist jetzt
schon der dritte Etat, der von der Frau Bundesbildungsministerin vorgestellt wird und mit dem man, abgesehen
von der Botschaft, sie sei besser als im Vorjahr, nichts verbindet. Vor allem hat sie bis heute keine bildungs- und forschungspolitische Konzeption vorgelegt. Das ist schon
ein schwaches Stück.
({0})
Es stimmt noch nicht einmal, dass die Investitionen in
Bildung und Forschung wachsen; denn Tatsache ist,
Frau Bundesministerin, dass Sie in Ihrem Etatentwurf für
2001 500 Millionen DM weniger für Investitionen zur
Verfügung haben, als 1998 Herr Rüttgers für Investitionen
in Bildung und Forschung ausgewiesen hatte. Davon
muss die deutsche Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt werden, denn das ist eine Tatsache.
({1})
Selbst wenn ich mir den Aufwuchs des Forschungsetats anschaue und unter diejenigen Teile, die Sie vor einiger Zeit an das Wirtschaftsministerium abgegeben haben, und Ihre Forschungsansätze einen Strich ziehe, dann
stelle ich fest, dass das, was Sie dazubekommen haben,
der Wirtschaftsminister eingespart hat. In der Summe ist
das keine erfolgreiche Forschungspolitik dieser Bundesregierung.
({2})
Sie haben vorhin gesagt, die Regierung Kohl habe
keine müde Mark in Bildung und Forschung investiert.
Das ist insoweit richtig, als zu der Zeit, zu der wir regiert
haben, die Mark noch nicht müde, sondern hart war. Das
ist ein entscheidender Unterschied.
({3})
Ihre politische Halbzeitbilanz fällt in unseren Augen
eher beschämend aus. Ich will mit einem Zitat belegen,
dass unsere Kritik auch in der Koalition geteilt wird. Der
bildungs- und forschungspolitische Sprecher der grünen
Bundestagsfraktion, also Ihr Koalitionspartner, wird im
„Handelsblatt“ vom 7. September so zitiert:
Trotz des erfreulicherweise steigenden Etats für Bildung und Forschung
- dass auch das falsch ist, habe ich gerade belegt ist es noch nicht gelungen, das Thema jenseits der
Sonntagsreden zum Schwerpunkt der Regierungspolitik zu machen.
({4})
Geld alleine, Frau Ministerin, macht halt nicht glücklich. Sie werden offensichtlich von Ihrer eigenen Koalition negativ bewertet. Sie reichen wohl für Sonntagsreden, aber nicht für tatsächliche Politik.
({5})
Fehlanzeige beispielsweise, wenn Sie sagen, Sie hätten
uns hier eine forschungspolitische Konzeption vorgetragen. Fehlanzeige, wenn Sie meinen, Sie hätten beim
Thema Gentechnologie die Meinungsführerschaft in
Deutschland. Bei der Rechtschreibreform, einem Thema,
das viele Menschen in Deutschland beschäftigt, sind Sie
weggetaucht. Zur Bildungspolitik haben Sie hier außer
Leerformeln nichts vorgetragen. Die Liste Ihrer politischen Fehlleistungen und Misserfolge ist lang. Ich weise
nur darauf hin, dass die Kritik auch von einer breiten
Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Laut einer repräsentativen Umfrage des Forsa-Instituts, kürzlich im
„Stern“ veröffentlicht, ist eine Mehrheit der Deutschen
der Auffassung, dass Sie aus Ihrem Amt scheiden sollten.
Sie sind der sozialdemokratische Totalausfall im Kabinett
Schröder.
({6})
Ich kann Ihnen daher die Aufzählung Ihrer Fehlleistungen in der heutigen Etatdebatte nicht ersparen.
Das Erste, das von der Frau Kollegin Klemmer sehr
charmant vorgetragen wurde, war die BAföG-Reform.
Sie entspricht im Wesentlichen dem, war wir schon vor
drei Jahren gemeinsam mit Ihnen hätten verabschieden
können. Drei Jahre Verspätung für eine von Ihnen
blockierte Reform kann im Jahre 2000 kein politischer Erfolg sein.
({7})
Auch in dieser Frage haben Sie nicht mehr die Unterstützung Ihrer Koalition. Der Kollege Berninger hat nämlich
schon anlässlich dessen, was Sie als BAföG-Reform vorgestellt haben, gesagt, dies reiche noch nicht aus, vielmehr müsse im Anschluss an die BAföG-Reform, die Sie
hier fälschlicherweise als Strukturreform dargestellt haben, eine Strukturreform der Bildungsfinanzierung kommen. Ich halte es für ein Stück aus dem Tollhaus, wenn
hier behauptet wird, ein Kernelement Ihrer Bildungspolitik sei die BAföG-Reform, wenn vor Verabschiedung dieser BAföG-Reform die Reform der Reform schon von einem Vertreter Ihrer eigenen Koalition angekündigt wird.
({8})
Sie haben auch mehrfach verkündet, Sie wollten Studiengebühren verbieten lassen. Der Versuch ist gescheitert. Auch das ist ein Misserfolg Ihrer Politik. Wenn ich
höre, dass die Dienstrechtsreform nun endlich komme,
muss ich sagen: Ich kann es kaum mehr glauben. Sie haben uns das schon so oft angekündigt, aber nichts ist
passiert. Im Sommer haben Sie aus der SPD-Bundestagsfraktion Kritik dafür bekommen. Ich zitiere aus dem
„Handelsblatt“ wieder einmal einen Ihrer Bildungspolitiker, Herrn Berninger:
In den Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen
wächst die Unzufriedenheit mit dem Kurs von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn. Anlass
sind die schleppenden Fortschritte bei der Dienstrechtsreform... Hintergrund sei die Sorge in den beiden Fraktionen, dass die Regierung bei dem derzeitigen Tempo in dieser Legislaturperiode kein großes
Reformprojekt in der Bildungspolitik mehr verwirklichen kann.
({9})
Wenn Jürgen Rüttgers damals so von seiner eigenen Fraktion bzw. der Koalitionsfraktion eingeschätzt worden
wäre, wäre er zurückgetreten.
({10})
Es ist bedauerlich, dass Sie nicht das notwendige politische Gewicht besitzen, die auch von uns für notwendig
gehaltenen Flexibilisierungen im Dienstrecht durchzusetzen. Wir werden Sie bei der Umsetzung politisch unterstützen, Sie müssen aber erst in Ihrer eigenen Koalition
Mehrheiten haben und uns einen Entwurf vorlegen, der
dann von uns diskutiert werden kann.
({11})
Ich will auf einen weiteren Punkt kommen, nämlich die
Internationalisierung der Hochschulen. Wir stellen fest
- Sie haben es hier mehrfach beklagt -, dass die Internationalisierung der deutschen Hochschulen nicht ausreicht.
So werden in den Vereinigten Staaten fünfmal so viele
ausländische Doktoranden wie in Deutschland geprüft.
({12})
Wenn ich in den Haushalt sehe, stelle ich fest, dass Sie
beispielsweise beim Deutschen Akademischen Austauschdienst Kürzungen vorgenommen haben, wenn man
die Projektmittel hinzu nimmt, die der DAAD früher auch
noch aus dem Hochschulsonderprogramm III bekommen
hat.
Sie reden viel von Internationalisierung, handeln aber
nicht entsprechend. Sie hätten beispielsweise spielend mit
dem Geld, das Sie haben, das Gastdozentenprogramm
ausweiten können. Sie hätten auch mehr für die Modellprojekte der Internationalisierung tun können. Ihren Erkenntnissen, die Sie als Opposition hatten, als Sie im Oktober 1998 festgestellt haben, dass die Internationalität
von Wissenschaft und Forschung die Erfordernisse der
Gegenwart sind, folgt leider keinerlei konsequentes Regierungshandeln.
({13})
Etwas schwach und vage, Frau Bundesbildungsministerin, waren Ihre Ausführungen zu UMTS, also den „unheimlichen Mehreinnahmen trotz Schröder“. Ich kann es
eigentlich verstehen, dass Sie sehr vage zu UMTS reden,
denn als wir am 29. Juni 1994 im Deutschen Bundestag
über die Grundgesetzänderung abgestimmt haben - ({14})
- Der Brüllfrosch der SPD-Fraktion Tauss hat ausschließlich die Aufgabe, hier zu stören, aber keine Beiträge zu
liefern. Das ist einfach unerträglich.
({15})
Herr Tauss, auch wenn es Ihnen nicht passt: Am 29. Juni
1994 hat der Deutsche Bundestag über die Liberalisierung
der Telekommunikation abgestimmt. Die SPD-Fraktion
hatte Zustimmung signalisiert. Es gab eine namentliche
Abstimmung und unter den 92 Abgeordneten der Kommunisten, der Grünen und der SPD, die versucht haben,
die Liberalisierung im Deutschen Bundestag zu verhindern, war Edelgard Bulmahn an der Spitze und heute kassiert sie die Gelder ein. Damals versuchte sie, das zu verhindern.
({16})
Ich will darauf hinweisen, dass diese Abkassiererei noch
auf einige Schwierigkeiten stoßen wird. Nach meinen Informationen hat Bundesfinanzminister Eichel Ihnen in dieser Woche einen Brief geschrieben, in dem er Sie auffordert, Ihre Ansprüche hinsichtlich der Zinseinsparungen, die
durch die UMTS-Mittel möglich geworden sind, anzumelden. Dann soll es einen Kabinettsbeschluss geben und die
sozialdemokratische Bundestagsfraktion soll diesen Kabinettsbeschluss nur noch abnicken und ihn in die Haushaltsberatungen einbringen.
({17})
- Herr Kollege, Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass
Sie in dieser Frage zu einer Abnickerfraktion geworden
sind.
({18})
Das übliche Verfahren wäre gewesen, dass die Fraktion
der SPD gemeinsam mit der Fraktion der Grünen uns
heute einen konkreten Vorschlag im Deutschen Bundestag vorlegt, in dem auf Mark und Pfennig belegt wird,
wofür sie die durch den UMTS-Erlös frei werdenden Gelder ausgeben möchte. Aber jetzt wird das wieder am Parlament vorbei gemacht und ein Beschluss einfach exekutiert. Sie dürfen den dann abnicken. Ich würde mich
schämen, in einer solchen Fraktion Mitglied zu sein.
({19})
Meine Fraktion wird im Rahmen der Haushaltsberatungen konkrete Vorschläge machen, wie wir den Bereich Bildung und Forschung durch Mittel aus dem Etat
des Wirtschaftsministeriums und aus dem Etat von Frau
Bulmahn fördern. Wir werden Vorschläge über eine Offensive für die technologische Infrastruktur des 21. Jahrhunderts vorlegen, die eine Größenordnung von 1,5 Milliarden DM hat. Alle Mehrausgaben, die wir für diesen
Bereich veranschlagen, sind durch Minderausgaben in anderen Bereichen gedeckt.
({20})
Es geht um die Revitalisierung der technologischen
Mittelstandsförderung, die Verkehrstechnologie, die
Umweltforschung, die Weltraumtransportsysteme, die
industrienahe Forschung und die umweltfreundlichen
Transporttechnologien sowie die Revitalisierung des
deutschen Hochschulwesens. Wir leisten damit einen
konstruktiven Beitrag zur Debatte, den wir von dieser
Forschungs- und Bildungsministerin bisher vermisst haben.
({21})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Kampeter, dass wir in der Koalition über die Möglichkeiten diskutieren, wie wir die Mittel für Bildung und
Forschung erhöhen können und welche Schwerpunkte
wir setzen können, ist ein Zeichen dafür, dass wir überhaupt keine Abnickfraktion sind, dass wir uns vielmehr
ernsthaft um mehr Mittel bemühen und dass wir zwar unterschiedliche Positionen vertreten, aber zu einem sehr
guten Gesamtkonsens kommen.
Eines haben Sie, meine Damen und Herren von der
Union und auch von der F.D.P., immer wieder übersehen:
Wenn Sie angebliche Kürzungen nennen, dann vermeiden
Sie ganz geflissentlich, zu erwähnen, wohin zusätzliche
Gelder für Bildung und Forschung geflossen sind, die
nicht im Haushalt des BMBF auftauchen, beispielsweise
die BAföG-Mittel oder die einigen 100 Millionen DM, die
in den Etat des Wirtschaftsministeriums geflossen sind.
Sie reden nicht davon, dass es dort einen deutlichen Zuwachs gegeben hat.
({0})
- Die Punkte, die Sie in der Energieforschung kritisieren,
werden wir zusammen mit dem Parlament - wie auch
schon im letzten Jahr - korrigieren. Es wird auch das
Wirtschaftsministerium mit Sicherheit bemerken, dass
aufgrund der Ölpreisentwicklung eine Erhöhung der Mittel für die Energieforschung notwendig sein wird.
Bündnis 90/Die Grünen hat seine Wahlversprechen
hinsichtlich der Forschungspolitik vollständig eingehalten.
Herr Kollege Fell, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Aigner von
der CDU/CSU-Fraktion?
Ja,
bitte.
Herr Kollege Fell, Sie haben
gerade gesagt, dass Mittel in andere Ministerien verlagert
worden seien. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen.
({0})
- Ich frage, ob Sie zugeben, dass die Mittel für das
Meister-BAföG in den Etat des Wirtschaftsministeriums
verlagert worden sind, dass die Mittel von ursprünglich
167 Millionen DM auf 78 Millionen DM im Jahr 2000
gekürzt worden sind und dass sie nun erneut gekürzt werden sollen. Verstehen Sie das unter Neuinvestitionen und
Erhöhung der Investitionen?
Wenn ich von Erhöhung der Forschungsmittel spreche,
dann sollten auch Sie, Frau Kollegin Aigner, zur Kenntnis
nehmen, dass der Anteil der Forschungsmittel auch dort
insgesamt gestiegen ist.
Bezüglich der Kürzungen der Mittel für das MeisterBAföG werden wir unsere Position deutlich machen.
Bündnis 90/Die Grünen hatten vor der Wahl die Erhöhung der Forschungsmittel um 2 Milliarden DM versprochen. Angesichts des vorliegenden Haushaltsentwurfes und der zu erwartenden zusätzlichen Mittel aus den
UMTS-Erlösen können wir unser Versprechen vorzeitig
einlösen.
Angesichts der Lücken, die die alte Bundesregierung
hinterlassen hat, müssen wir allerdings feststellen, dass
wir von den erreichten Mittelzuwächsen nicht ablassen
dürfen. Es ist zwingend erforderlich - darin sind wir uns
mit der Ministerin einig -, dass auch in Zukunft an der Zukunftsmilliarde festgehalten wird. Es geht aber nicht nur
darum, dass wir mehr Mittel zur Verfügung stellen. Es ist
auch notwendig, dass wir die Schwerpunkte anders setzen. Das haben wir bereits getan. Vor allem im Forschungsbereich wurden die Mittel für solche Projekte
gestärkt, bei denen der Nutzen der Gesellschaft im Vordergrund steht.
Hier möchte ich einige Beispiele nennen. Als Mitglied
des Verteidigungsausschusses tut es mir gut, die positive
Entwicklung bei der Friedens- und Konfliktforschung
zu sehen. Wir haben die Bundesförderung der Friedensund Konfliktforschung wieder ins Leben gerufen, nachdem sie die alte Regierung faktisch beendet hatte. Zudem
stellen wir im Jahr 2001 wieder umfangreiche Mittel für
die Gründung eines neuen Friedensforschungsinstitutes
zur Verfügung.
({0})
Ich freue mich, dass im Haushalt 2001 die Mittel für
die Technikfolgenabschätzung erneut spürbar ansteigen.
({1})
So werden sie schon im Jahr 2000 mit 8 Millionen DM
mehr als doppelt so hoch liegen wie bei der Regierungsübernahme. Auch bei der alten rot-grünen Forderung nach
einer Stärkung kleinerer und mittlerer Forschungsinstitute
auf dem Feld der Nachhaltigkeitsforschung lässt sich
Vollzug melden. Das entsprechende Programm ist angelaufen und mit ausreichenden Mitteln ausgestattet. Ich
kann nur sagen: Weiter so, Rot-Grün.
({2})
Ich komme zur Biotechnologie und zur Genomforschung. Auch hier sind erneut Steigerungen vorgesehen.
Bündnis 90/Die Grünen unterstützen auch die Teile der
Gentechnik, die ethisch vertretbar und deren Risiken
überschaubar sind. Gerade in der Gesundheitsforschung
sollten wir die Chancen sehen. Bei der Bekämpfung von
Krankheiten wie Krebs, Alzheimer und Parkinson kann
die Gentechnik möglicherweise eine große Rolle spielen.
Andererseits wäre es aber nicht klug, alles auf die Karte
der Gentechnik zu setzen. Die meisten Krankheiten sind
nicht nur genetisch bedingt. Die anderen Faktoren müssen
ebenso untersucht werden. Deshalb richten wir unser Augenmerk auch auf die Gesundheitsvorsorgeforschung.
({3})
Bündnis 90/Die Grünen werden die bei der rasanten
Entwicklung der Gentechnik auftauchenden Fragen immer wieder neu bewerten. Das ist ein schwieriger Prozess,
bei dem neben ökonomischen auch ethische Fragestellungen und der Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit von
großer Bedeutung sein werden.
Für unverantwortbar halten wir aber den Vorschlag aus
den Reihen der CDU/CSU, die Gentechnik flächendeckend in der Landwirtschaft einzusetzen. Demnächst
wird die CDU/CSU noch vorschlagen, den Menschen
gentechnisch zu optimieren, um vermeintlich den Standort Deutschland zu stärken.
({4})
Ich bin sehr gespannt, was die konservativen Parteien
noch konservieren wollen, wenn sie die Gene und somit
den Kern des Lebens vollständig der Standortdiskussion
unterwerfen.
({5})
Die F.D.P. hat der Union eines voraus: Die Werte, die
außerhalb der Ökonomie liegen, spielen bei ihr schon
längst keine Rolle mehr.
Die Bewertung des Haushalts der Bundesministerin für
Bildung und Forschung seitens der CDU/CSU - ich habe
es eingangs schon erwähnt -, ist vor allem deswegen nicht
richtig, weil Sie die vielen Fälle der Forschungsmittelerhöhung in anderen Haushalten einfach übersehen.
Erwähnen will ich als Ergänzung die Forschungsmittel, die beispielsweise im Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu finden sind.
Meine Damen und Herren, die deutlichen Erfolge grüner Forschungs- und Bildungspolitik ermutigen uns, zielstrebig weiter rot-grüne Grundsatzpositionen umzusetzen
und nachhaltigen Innovationen den Weg zu bereiten.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit vollmundigen Versprechungen ist die Regierung Schröder angetreten. Mit ihrem Wahlkampfslogan „Innovation und
Gerechtigkeit“ hat die SPD versprochen, Forschung und
Innovation in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen.
({0})
Ihre Ankündigungen stehen aber im krassen Widerspruch zum Schneckentempo rot-grüner Politik in der
Realität.
({1})
Im Bundestagswahlkampf hat die SPD eine Garantiekarte
verteilt. „Bewahren Sie diese Karte auf und Sie werden
sehen, dass wir halten, was wir versprechen“, heißt es auf
dieser Karte.
({2})
Unter Punkt 4 können Sie lesen: „Die SPD verspricht die
Verdopplung der Investitionen in Bildung und Forschung
in fünf Jahren.“ Wir haben Ihre Garantiekarte aufgehoben
und wir stellen fest, dass Sie Ihr Versprechen nicht halten.
({3})
Wenn Sie Ihre Zusage einhalten wollten, dann müsste
der Bildungs- und Forschungsetat jetzt, nach den ersten
zwei Jahren Ihrer Regierungszeit, schon bei 21 Milliarden DM liegen. Tatsächlich beträgt er aber nur 15 Milliarden DM. Ihre Halbzeitbilanz ist bescheiden - viel
Lärm um nichts.
({4})
Von einer Bildungs- und Forschungsministerin kann
man verlangen, dass sie ihr Amt nicht nur verwaltet, sondern auch - über ihr Ressort hinaus - als Anwältin für
Innovation und Forschung geradesteht. Doch auch in diesem Punkt versagt die Ministerin. Die „Wirtschaftswoche“ hat ihr die Note „Fünf plus“ gegeben, ({5})
- in der „Welt am Sonntag“ wurde sie als „zweitschlechtestes Kabinettsmitglied“ tituliert. Das SPD-Magazin
oder das SPD-nahe Magazin „Stern“
({6})
gibt ihr die Note „ausreichend“. Herr Tauss, 56 Prozent
der Bevölkerung - da wird Ihnen das Lachen vergehen fordern die Ablösung dieser Forschungs- und Bildungsministerin. Mit einem solchen Standing können Sie für
Forschung und Innovation in der Bundesregierung nichts
gewinnen.
({7})
In dieser Regierung fehlt die Priorität für Forschung
und Innovation; denn Forschung braucht nicht hier und da
ein bisschen mehr Geld, sondern eine nachhaltige Politik
und eine klare Richtung.
({8})
Die Sozialdemokraten reden hier viel über das Geld des
Staates. Dabei wird vollkommen übersehen, dass 70 Prozent der deutschen Forschungsausgaben in der Wirtschaft
erfolgen. Viel mehr als auf das Geld kommt es somit auf
die Rahmenbedingungen für Innovation und Forschung in
diesem Lande an. Hier steht die Ampel, entgegen den Verbalbekenntnissen der Regierung, nicht auf Grün; vielmehr
schimmert im tiefen Inneren der rot-grünen Seele die alte
Feindlichkeit gegenüber neuen Techniken durch.
({9})
Konzeptionslosigkeit und Wurstelei stellen wir fest.
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen.
Erstens. Die Innovationspolitik der Regierung
Schröder ist völlig zersplittert. Sie besteht aus zusammenhanglosen Einzelaktivitäten. Die Aufteilung der Forschungsförderung auf das Wirtschaftsministerium und
das Forschungsministerium hat Chaos erzeugt. Mittlerweile scheinen das auch Politiker bei der SPD und den
Grünen kapiert zu haben. Matthias Berninger von den
Grünen ({10})
- fordert im „Handelsblatt“, dass Energieforschung wieder ins Forschungsministerium eingegliedert werden
müsse. Zitat:
Es zeigt sich..., dass man Grundlagenforschung und
industrienahe Forschung immer weniger trennen
kann,
kritisiert Berninger die mangelhaften Zustände.
({11})
Unzufrieden ist auch der SPD-Politiker Stephan Hilsberg.
Im „Handelsblatt“ kritisiert er - Zitat -:
Angesichts der jetzigen Lage muss man sagen, dass
die Industrieforschung im BMWF besser aufgehoben wäre.
Auf diese Missstände hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits Ende 1998 aufmerksam gemacht; denn ein
zentraler politischer Ansprechpartner für Wissenschaft
und Forschung ist in dieser Regierung nicht auszumachen.
({12})
Aber wo ist Bulmahn?
({13})
Dem „Handelsblatt“ zufolge sorgt sich Frau Bulmahn - ({14})
Frau Bulmahn, vielleicht würden Sie dem Parlament
einmal Ihr geneigtes Ohr schenken und nicht nur auf der
Regierungsbank quatschen. Herr Präsident!
({15})
Reden Sie bitte weiter.
Das „Handelsblatt“
vermutet, dass Frau Bulmahn in der Regierung schon zu
viel Neid auf sich gezogen habe. Das „Handelsblatt“ kommentiert:
Nun will Frau Bulmahn Wirtschaftsminister Müller
nicht auch noch mit Forderungen nach Abtretungen
ganzer Abteilungen ärgern.
Wo bleibt Ihre politische Führungskraft, Frau Bulmahn?
So wird man nie Anwältin für Forschung und Innovation
in dieser Regierung.
({0})
Zweitens. In einer Anfrage vom 29. Juni dieses Jahres
habe ich die Bundesregierung gefragt, wie sich der von
der Regierung beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie mit dem weiterhin gültigen Energieforschungsprogramm vereinbaren lässt, denn darin ist die Kernenergieforschung enthalten. Bis heute - vom 29. Juni bis zum
15. September - war die Bundesregierung nicht in der
Lage, diese Anfrage fristgerecht zu beantworten, obwohl
in der Geschäftsordnung dieses Parlaments steht, dass die
Regierung innerhalb einer Woche zu antworten habe. Ich
finde, das ist ein Skandal, und es zeigt, wie diese Regierung mit dem Parlament umgeht.
({1})
Will die Bundesregierung hinter ihrer Sprachlosigkeit
vielleicht ihre Konzeptlosigkeit verbergen?
({2})
Der ganze Vorgang zeigt, dass die rot-grüne Bundesregierung sich nicht auf ein abgestimmtes Konzept in der Energieforschung einigen konnte. So wird man kein Innovationsstandort auf Weltniveau.
({3})
Drittes Thema. Nach mehr als 30 Jahren Planungs- und
Entwicklungszeit haben Sie das Aus für den Transrapid
verkündet. Damit verlieren wir unseren Entwicklungsvorsprung in der Magnettechnik.
({4})
Viertens. Bei der Genehmigung des neuen Garchinger
Forschungsreaktors FRM II sitzt der Umweltminister im
Bremserhäuschen.
Fünftens. Zu Beginn dieses Jahres hat die rot-grüne
Koalition eine massive Erhöhung der Patentgebühren
beschlossen. Diese Gebührenerhöhung trifft die Erfinder,
die Tüftler, die kleinen Unternehmen, die Patentanmelder
in den Hochschulen. Sie ist ein Hemmschuh für den
Transfer von Forschungsergebnissen in wirtschaftsnahe
Anwendungen. Denn Patente von heute sind die Arbeitsplätze von morgen.
({5})
Vor diesem Hintergrund sind die Schlagworte Innovation
und Gerechtigkeit, die Sie vor der Wahl verkündet haben,
nichts als blanker Hohn.
Sechstes Thema. Als nächste wichtige Technologie
droht die Kernfusion von Rot-Grün beerdigt zu werden.
Bundeskanzler Schröder hat mit seiner seichten Rede in
Greifswald zu überdecken versucht, dass in der Regierungskoalition totale Uneinigkeit bei der Fusionsforschung herrscht. So spricht der forschungspolitische
Sprecher der Grünen, Hans-Josef Fell, von einer Fehlinvestition in Greifswald, die man nicht mehr habe verhindern können, weil die Investitionen liefen.
({6})
Zukunftsträchtige Projekte bei der Fusionsforschung wollen die Grünen aber auf jeden Fall verhindern. Aber gerade in der Fusionsforschung wäre eine zukunftsweisende
Kooperation mit den europäischen Partnern nötig. Stattdessen droht Deutschland in diesem Bereich in die Drittklassigkeit abzurutschen. Das kritisieren wir.
({7})
Siebtens. Neuestes Thema der Ministerin ist der
Laptop für Schüler. Vielleicht wäre es ja wichtiger, dass
wir erst einmal für jede Klasse auch wirklich einen Lehrer zur Verfügung hätten. Ich finde, damit sollten wir einmal anfangen, Frau Bulmahn. Im Übrigen verhält es sich
so: Während Sie über Internet und Laptop lamentieren,
wird im Bundesfinanzministerium die Besteuerung der
privaten Internetnutzung am Arbeitsplatz vorbereitet.
Während Sie vom Aufbruch in die Informationsgesellschaft sprechen, hat Finanzminister Eichel schon längst
das Kassenhäuschen an jedem Internetarbeitsplatz errichtet.
({8})
Meine Damen und Herren, so werden die Arbeitnehmer in
Deutschland von dieser Bundesregierung getäuscht.
({9})
Achtes Thema. Erst auf massiven Druck von Opposition und Wissenschaft will die Bundesforschungsministerin die Mittel für die Genomforschung erhöhen. Wir hatten bereits im letzten Jahr beantragt, 200 Millionen DM
mehr hierfür in den Haushalt einzustellen. Sie haben das
eiskalt abgelehnt. Der neu entdeckte Schwerpunkt Gentechnik ist wichtig, aber wir brauchen auch Fortschritte in
der Anwendung. Sie betreiben hier innovationsfeindliche
Politik. So musste das Robert Koch-Institut auf Anweisung von Gesundheitsministerin Fischer die Ausbringung
einer gentechnisch veränderten Maissorte verbieten, obwohl dies von der EU-Kommission genehmigt war und
ein positives Votum der Zentralen Kommission für die
Biologische Sicherheit vorlag. Mit einer solchen Politik
wird diffuse Angst geschürt und das Vertrauen in wissenschaftliches Urteil und festgelegte Zulassungsverfahren
untergraben.
({10})
Herr Rachel, Sie müssen leider zum Schluss kommen.
({0})
Ja. - Diese Rahmenbedingungen für Innovationen schaden dem Standort
Deutschland. Die rot-grüne Regierung hat sich in wichtigen Bereichen als Innovationshindernis entpuppt. Wir
wollen Entscheidungen am wissenschaftlichen Urteil und
nicht an ideologischen Vorstellungen orientieren. Wir appellieren an Sie: Kommen Sie heraus aus dem ideologischen Bremserhäuschen. Wir wollen, dass Deutschland
als Wissenschaftsstandort eine der ersten Adressen der
Welt wird. Deshalb kämpfen wir für eine ideologiefreie
Modernisierung dieses Landes.
Herzlichen Dank.
Kollege Rachel, gestatten Sie noch eine Nachfrage des Kollegen Röspel,
SPD-Fraktion?
Aber gerne.
Herr Rachel, Sie sprachen gerade an, dass wir es als kritisch angesehen haben, einen
Insektengift produzierenden, gentechnisch veränderten
Mais in die Landschaft ausbringen zu lassen, nachdem wir
erkannt haben, dass immer mehr wissenschaftliche Hinweise darauf abzielen, dass nicht nur Schädlinge, sondern
auch Nützlinge bekämpft werden, dass weiterhin Resistenzen entstehen und dass das Gift, das produziert wird,
im Boden bleibt. Weil wir gesehen haben, dass da noch einige Fragen ungeklärt sind, haben wir die Ausbringung
zunächst ausgesetzt.
Ihre Frage, bitte.
Ich frage Sie, ob Sie es als technikfeindlich ansehen, wenn man neue wissenschaftliche
Erkenntnisse berücksichtigt, die die Ausbringung dieses
Maises als problematisch erscheinen lassen.
Ihre Frage unterstellt,
dass es hier tatsächlich andere wissenschaftliche Erkenntnisse gegeben hat. Dies ist falsch. Die Zentrale
Kommission für die Biologische Sicherheit, die nach unseren gesetzlichen Bestimmungen damit beauftragt ist, zu
beurteilen, ob es Sicherheitsrisiken gibt oder nicht, hat
dies eindeutig negativ beantwortet.
({0})
Außerdem hat die EU-Kommission ihr klares bejahendes
Votum zur Ausbringung gegeben.
Wir kritisieren hier, dass Sie, wenn - mit Ihrer Zustimmung - in einem ordnungsgemäßen, durch Wissenschaft
begleiteten Prozess klare rechtliche Verfahren geschaffen
wurden, um zu entscheiden, ob eine Maßnahme ergriffen
werden darf oder nicht, diese Maßnahmen dann aus rein
ideologischen Gründen unterbinden. Das ist Ideologiepolitik, die wir in diesem Bereich der Forschungspolitik
nicht brauchen können.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hans Eichel hat
hier vor drei Tagen die Einbringung des Haushalts 2001
mit den Worten begonnen, dieser Haushalt 2001 sei ein
Haushalt der Konsolidierung und der Nachhaltigkeit und
ein Haushalt der Stärke. Der Haushalt, den wir hier diskutieren, ist ein Beweis dafür. Recht hat der Mann!
({0})
Nachdem Sie hier versucht haben, so viele Nebelkerzen zu werfen, muss man jetzt wieder zu den Fakten
zurückkehren.
({1})
Man kann es gar nicht häufig genug sagen: Nachdem dieser Haushalt unter Rüttgers innerhalb von vier Jahren um
400 Millionen DM zurückgegangen ist, haben wir ihn alleine um 780 Millionen DM aufgestockt. Das sind
5,3 Prozent mehr, als wir in diesem Jahr haben. Über
BAföG will ich dabei gar nicht reden.
Wenn Sie den Zeitraum nach 1998 zugrunde legen, haben wir sogar eine Aufstockung um 1,7 Milliarden DM
vorgenommen. Das ist ein Plus von über 8 Prozent.
Diese Leistung ist entscheidend, nicht das, was Sie hier
an Nebelkerzen werfen.
({2})
UMTS ist in diese Rechnung noch gar nicht einbezogen.
Wenn man diese Erlöse einbezieht, kommen hier 2 Milliarden DM hinzu. Damit haben wir nicht nur den höchsten
Bildungs- und Forschungshaushalt, den es in der Bundesrepublik je gegeben hat, sondern das ist auch eine Trendwende.
({3})
In Ihrer Regierungszeit ist der Anteil der Bildungsund Forschungsausgaben kontinuierlich gesunken. Warum rufen Sie hier mit Krokodilstränen in den Augen, der
Anteil der Bildungs- und Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt sei gesunken, wenn Sie selber nicht mit
gutem Beispiel vorangegangen sind? Wir sind das angegangen und machen das weiter. Der Anteil der Bildungsund Forschungsausgaben steigt von 3,11 auf 3,21 Prozent.
Vorbild muss man sein, wenn man von den anderen verlangen will, sie müssten mehr machen!
({4})
Meine Damen und Herren von der Opposition, das,
was ich von Ihnen an Kritik gehört habe, war häufig nur
kleinkrämerisch und - diesen Eindruck hatte ich zum Teil schlicht und einfach von Neid geprägt. Herr Kampeter,
mit Ihren Fähigkeiten des spitzen Bleistiftes, des Umbiegens und des Umwertens von Zahlen hätten Sie gut in eine
statistische Behörde der DDR gepasst; da ist das nämlich
permanent gemacht worden.
({5})
- Vielleicht etwas zu Ihrer Beruhigung. Auch von der PDS
brauchen wir uns nichts sagen zu lassen. Bankrotteure
sollten uns keine Ratschläge geben, wie man einen Haushalt aufzustellen hat, besonders wenn die Haushalte gut
sind. Regen Sie sich also ab.
Was ich überhaupt nicht verstehen kann, ist, dass Sie
uns permanent vorhalten, dass wir Ideen realisieren, die
auch Sie möglicherweise schon im Auge gehabt haben.
Natürlich ist es richtig, beispielsweise die Mittel für den
Hochschulbau aufzustocken.
({6})
Aber genug von den Zahlen. Herr Friedrich, Sie haben
völlig Recht: Geld ist nicht alles; es kommt auch auf die
Inhalte an. Dann fangen wir mit denen an. Ich sage das
auch mit Blick auf die Jugendlichen auf der Tribüne.
({7})
- Bleiben Sie doch ganz ruhig, Herr Kampeter. Es kommt
auf die Fakten an. Herr Jagoda war nicht auf unserem Parteiticket. Er hat in diesen Tagen gesagt: Es gibt eine Entspannung am Arbeitsmarkt. Es gibt einen deutlichen
Zuwachs an betrieblichen Ausbildungsplätzen.
({8})
Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage schließt
sich wieder.
Das ist unsere Leistung und ein klares Zeichen dafür,
dass unsere Politik, die Frau Ministerin Bulmahn in Richtung Modernisierung der Berufe begonnen hat, Erfolg hat
und dass sie Früchte trägt. Im Übrigen ist es ein Erfolg des
Konsenses im Bündnis für Arbeit und Ausbildung,
ohne den diese Steigerung der Zahl der Lehrstellen nicht
möglich gewesen wäre. Manchmal wird das Bündnis für
Arbeit und Ausbildung als Gefahr für den Parlamentarismus angesehen. Ich glaube, dieses Bündnis für Arbeit und
Ausbildung ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft.
Man sollte auch diesen Punkt deutlich machen:
Während es jetzt noch - das ist ein Problem - an Ausbildungsplätzen mangelt, werden die Unternehmen gerade
in den strukturschwachen Gebieten in vier bis fünf Jahren
ganz andere, für sie existenziellere Sorgen haben als
heute. Denn dann wird es einen eklatanten Mangel an
Lehrlingen geben. Deshalb kann man diesen Unternehmen insbesondere in den strukturschwachen Gebieten nur
zurufen: Bilden Sie jetzt aus, bevor es zu spät ist!
({9})
Manchmal denke ich - das betrifft die gesamte Wirtschaft -, man müsste hinzufügen: Rufen Sie nicht immer
dort nach dem Staat, wo Sie selbst verantwortlich sind!
Den Hochschulbau habe ich schon erwähnt. Ich will
aber noch erläutern, was hinter den Zahlen steckt. Im Jahr
2001 gibt es eine Aufstockung um 215 Millionen DM.
Das ist seit 1998 eine Aufstockung um über 400 Millionen DM. Zusammen mit dem Kofinanzierungsanteil der
Länder ergeben sich über 800 Millionen DM, die wir zu
verantworten haben. Das waren wir und nicht Sie. Damit
sind wir den Forderungen des Wissenschaftsrats an dieser
Stelle nachgekommen. Schauen Sie sich einmal die Reaktion an den Hochschulen an! Mit Ihren Reden können
Sie sich dort nicht blicken lassen. Es ist doch unseriös,
was Sie sagen.
({10})
Diese Investitionsausgaben werden die Studienbedingungen für über 1 Million Studenten wie auch die Arbeitsbedingungen der Hochschullehrer nachhaltig verbessern.
Es war falsch, wenn von der rechten Seite des Hauses in
den letzten Jahren immer zu hören war, wir hätten zu viele
Studenten. Das war doch letztlich bloß die Kapitulation
angesichts der Tatsache, dass Sie es nicht geschafft haben,
die Aufbauarbeit an den Universitäten und Hochschulen
zu leisten. Andersherum wird ein Schuh daraus: Wir brauchen bessere und leistungsfähigere Hochschulen und
Fachhochschulen; denn die Bedeutung wissenschaftlicher
Ausbildung nimmt genauso wie die Bedeutung der Weiterbildung in unseren Tagen zu und nicht ab.
An dieser Stelle ein Wort zum Meister-BAföG. Sie selber wissen ganz genau, dass Sie die Urheber der Probleme
beim Meister-BAföG waren und dass das Problem nicht
darin besteht, dass wir zu wenig Geld bereitstellen. Das
Problem liegt vielmehr darin, dass das Geld nicht abfließt.
Ich gebe Ihnen hier Brief und Siegel, dass wir dieses Problem im Haushalt 2001 mindern und schließlich lösen
werden.
({11})
Ich will noch einen weiteren Punkt erwähnen. Wir haben über handwerkliche Fähigkeiten geredet. Aber wir
wissen auch - zu diesem Punkt sollten Sie sich ebenfalls
äußern -, dass handwerkliche Fähigkeiten allein heutzutage immer weniger ausreichen, um das Leben zu meistern, um Herausforderungen anzunehmen und um die
Chancen, die sich in dieser Informationsgesellschaft zunehmend bieten, zu erkennen und zu nutzen. Deshalb
muss unser Bildungssystem insgesamt weiterentwickelt
werden.
Wir brauchen mehr die Fähigkeit des Einzelnen zum
eigenen Denken und zur selbstständigen Orientierung.
Wir brauchen seine Fähigkeit, mit Mut, Ausdauer und Zuversicht sein eigenes Leben zu meistern. Das muss im
Vordergrund des Bildungssystems stehen. Deshalb ist es
so wichtig, dass die Abhängigkeiten aufgelöst werden, damit an ihre Stelle Selbstverantwortung und auch Freude
am eigenen Handeln treten können. Daher ist es auch so
wichtig, dass wir das Studium der Kinder wieder stärker,
als Sie es vermocht haben, vom Geldbeutel der Eltern entkoppeln.
({12})
Begabung hat sicherlich etwas mit Vererbung zu tun.
Aber vor allem hat sie etwas mit den sozialen Randbedingungen zu tun, die ihre Entfaltung behindern oder ermöglichen können. Wir Sozialdemokraten wollen - Rot-Grün
realisiert das -, dass die Begabung aller Menschen - ob
sie jung oder alt, Junge oder Mädchen sind, deutschstämmig sind oder aus dem Ausland kommen - in unserer Gesellschaft wieder aufblühen und sich entfalten kann.
({13})
Dass die Bundesregierung - durch die Bank weg allen dem Bund quasi alleine gehörenden außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie die Max-PlanckGesellschaft, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft und Helmholtz-Gemeinschaft der
Großforschungseinrichtungen eine Aufstockung zwischen drei und fünf Prozent gewährt, ist kein Zufall. Darüber haben Sie aber überhaupt nicht geredet. Mir ist völlig klar, warum. Warum sollten Sie auch? Denn das sind
Leistungen, die Sie nie zu verbuchen hatten.
({14})
Diese Aufstockungen folgen nicht nur der Logik, dass
Forschung ein Innovationsmotor ist. Wir alle wissen, dass
Investitionen in Forschung Investitionen in Arbeitsplätze
von morgen sind. Diese Aufstockungen haben auch etwas
mit der hohen Wertschätzung zu tun, die Wissenschaft und
Forschung in unserem Land traditionell genießen und
brauchen und die wir weiterhin garantieren werden. Denn
je offener und aufgeklärter die Wissenschaft an die Erforschung und Behandlung der offenen Fragen unserer Zeit
herangeht - davon haben wir genug -, desto offener und
aufgeklärter kann unsere demokratische Gesellschaft an
die Lösung ihrer Zukunftsprobleme herangehen.
Das betrifft zum Beispiel das Energieproblem, das
ohne eine verstärkte Erforschung alternativer und erneuerbarer Energien wohl nicht lösbar ist.
({15})
Das ist der Knackpunkt bei der Fusionsforschung; Sie
werfen da nur Nebelkerzen.
Übrigens, das Europäische Parlament hat nichts anderes gesagt als wir. Wir sind nicht gegen die Fusionsforschung; um das hier einmal deutlich zu sagen.
({16})
Wir fragen nur: Stimmen an dieser Stelle die Gewichtungen und müssen wir nicht angesichts des Umstandes, dass
die Ergebnisse der Fusionsforschung - wenn überhaupt erst in 50 Jahren vorliegen, schon für die Zeit davor
brauchbare Lösungen liefern, die unser Energieproblem
lösen können? Oder haben Sie alle übersehen, was in der
„Bild“-Zeitung oder sonstwo stand, dass nämlich der
Nordpol bereits zu schmelzen beginnt? Das ist ja nur eine
Kleinigkeit gemessen an den Problemen, die vor uns liegen.
({17})
Richtig ist übrigens auch, dass man mit den Strukturen
von gestern heute keine moderne Forschung mehr betreiben kann. Deshalb war es so wichtig, dass sich Frau
Bulmahn an die Fusion von GMD und FhG gemacht hat.
({18})
Wir sollten dem erfolgreichen Fortgang dieser Fusion ein
gutes Gelingen wünschen.
Auch ist richtig, dass sich die Helmholtz-Gemeinschaft der Großforschungseinrichtungen in Richtung
des Aufbaus neuer Programmforschungsstrukturen begeben hat. Ganz besonders freut mich übrigens dabei, dass
auch sie dann in den Genuss kommt, nicht mehr Jahr für
Jahr anderthalb Prozent ihrer Stellen kürzen zu müssen,
wie wir das bereits bei der Max-Planck-Gesellschaft realisiert haben. Wir hoffen, dass das auch so bleibt, denn
Forschungsstrukturen kann man nicht so behandeln wie
x-beliebige Verwaltungseinheiten.
Bei dieser Gelegenheit ein Wort zur Blauen Liste der
Leibniz-Wissenschaftsgemeinschaft. Auch hier wäre
eine deutliche Aufstockung der Mittel nötig gewesen.
Aufgrund der Mischfinanzierung zwischen Bund und
Ländern ist aber nur ein gemeinsames Vorgehen möglich.
Wenn sich hier - ich sage das sehr deutlich und mit
großem Ernst - die Haltung der ostdeutschen Sitzländer
nicht ändert, dann wird der Transformationsprozess der
ostdeutschen Wissenschaftslandschaft, der sich ja auf der
Zielgeraden befindet, einen schweren Rückschlag erleiden, an dem wir alle kein Interesse haben können.
({19})
- Wieso? Auch Sachsen und Thüringen sind damit gemeint. Schauen Sie sich doch die Bilanzen einmal an!
({20})
- Frau Flach, ein Name ist übrigens auch ein Programm.
An Ihrer Stelle hätte ich diese Bemerkung nicht gemacht. Ihre Meinung, dass mein Hinweis auf die Sorge,
in der ostdeutschen Forschungslandschaft passiere etwas
Schlechtes, gar nicht stimmt - denn da sei ja alles in Ordnung -, zeigt ({21})
- Sie haben nicht anders reagiert -, dass Sie überhaupt
keine Ahnung von der ostdeutschen Forschungslandschaft haben.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir befinden uns mitten
auf dem Weg in die Bildungsgesellschaft. Ich habe schon
festgestellt: Bildung und die Fähigkeit des Einzelnen, sich
stärker selber orientieren zu können, werden angesichts
der Globalisierung eine immer größere Rolle spielen. Wir
haben in den letzten zwei Jahren den Müll, den Sie uns
hinterlassen haben, weggeräumt. Wir stehen vor einer
neuen großen Bildungsoffensive. Der Haushalt, dessen
Beratung in erster Lesung wir jetzt abschließen, ist dafür
ein notwendiger, erfolgreicher und großer Schritt. Dafür
bedanken wir uns.
({0})
Zu einer
Kurzintervention gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen
Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege
Hilsberg, Sie haben mich persönlich wegen meiner Kritik
an der Forschungspolitik der Bundesregierung angesprochen. Deswegen möchte ich meine Kernkritik noch einmal kurz vortragen: In den Jahren 1998 bis 2001 gehen
- dies ist im Haushaltsplan ausgewiesen - die Investitionen in Bildung und Forschung um 500 Millionen DM
zurück. Folgerichtig wird das Versprechen, die Investitionen in Bildung und Forschung zu verdoppeln, in mehrfacher Hinsicht gebrochen. Das sind die Tatsachen.
({0})
Wenn Sie mich angesichts dieser berechtigten Kritik an
der Halbzeitbilanz der Forschungspolitik in die Nähe des
menschenverachtenden Systems der DDR rücken, dann
halte ich das für unangemessen. So etwas kann natürlich
in einer Debatte passieren. Ich halte es jedoch weiterhin
für notwendig, diese miese Politik kräftig zu kritisieren.
({1})
Zur Erwiderung, Herr Kollege Hilsberg.
Herr Kampeter, in den zehn
Jahren, in denen ich hier im Parlament bin - zur deutschen
Einheit habe ich vielleicht ein kleines Stück beitragen
können; ich habe sie immer begrüßt -, habe ich eines bemerkt, nämlich dass die Methoden, mit denen man hier
Politik betreibt, keineswegs harmlos und schön sind und
dass sich nicht alle Politiker der Wahrheit verpflichtet
fühlen.
({0})
Das hat nichts mit Parallelen zur DDR zu tun. Aber mit
Ihren Fähigkeiten - das möchte ich betonen -, Zahlen,
Daten und Fakten zu verleugnen und umzudrehen, hätten
Sie im Statistischen Amt der DDR reüssieren können.
({1})
Weitere
Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung liegen nicht vor.
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06.
Das Wort hat als erster Redner Bundesminister Otto
Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Nach guter
parlamentarischer Tradition bietet die Etatdebatte die Gelegenheit, den Rückblick auf ein vergangenes Etatjahr mit
einem Ausblick zu verbinden. Leider haben wir für eine
solche Debatte immer nur ein sehr enges zeitliches Korsett zur Verfügung. Das will ich an dieser Stelle einmal anmerken. Ich erlaube mir die Anregung, einmal darüber
nachzudenken, ob wir dieses enge Korsett nicht erweitern
sollten,
({0})
ob wir uns nicht mehr Zeit für die Etatdebatte nehmen
sollten, damit wirklich Argument und Gegenargument,
Rede und Gegenrede stattfinden können, damit es auch
möglich wird, die eigene Auffassung kritisch zu überprüfen. Denn die parlamentarische Debatte dient dem demokratischen Dialog.
({1})
Dann wird auch das Parlament in seiner Funktion als Legitimationsinstrument für Politik wieder an Bedeutung
gewinnen.
Ich sage im Übrigen in aller Bescheidenheit: Die Zeit,
die mir zugewiesen ist, reicht nicht aus, um die umfangreiche Erfolgsbilanz des Bundesministeriums des Innern
vorzutragen.
({2})
Ich muss mich also auf einige wenige Stichpunkte beschränken.
Ich stelle die Sportpolitik sehr bewusst an den Anfang.
({3})
Sie wissen, ich bin ein enthusiastischer Sportminister und
es macht mir sehr viel Spaß, auf diesem Gebiet tätig zu
sein. Ich denke, es ist eine der erfreulichsten Nachrichten
dieses Jahres, dass wir im Jahre 2006 als vereintes
Deutschland Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft
sein dürfen.
({4})
Es eint uns, wenn wir Franz Beckenbauer und dem Deutschen Fußball-Bund dazu herzlich gratulieren. Ich möchte
das mit den besten Genesungswünschen an den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bunds, Egidius Braun, verbinden.
({5})
In diesem Zusammenhang darf ich Folgendes erwähnen: Der Bundeskanzler hat mir im Kabinett Vorhaltungen über das schlechte Abschneiden der deutschen
Fußballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft
gemacht. Ich habe in Demut meinen Kopf gesenkt.
({6})
Aber es gibt auch eine erfreuliche Nachricht von der europäischen Fußballmeisterschaft: Wir haben eine große
Leistung für die Sicherheit bei diesem großen Sportereignis in Belgien und Holland erbracht.
({7})
Ich glaube, darauf können wir sehr stolz sein. Wir haben dafür sehr viel Anerkennung bekommen. Ich möchte
deshalb an dieser Stelle den Beamtinnen und Beamten des
Bundesgrenzschutzes und den Beamtinnen und Beamten
der Länderpolizeien meinen sehr herzlichen Dank zum
Ausdruck bringen. Sie haben ihn verdient.
({8})
Die Sportförderung lässt sich auch an Zahlen ablesen.
Ich denke, es ist eine Erwähnung wert, dass der Bundesminister des Innern in seinem Etat die Sportförderung
auf einem sehr hohen Niveau fortsetzt. Wir werden im
kommenden Haushaltsjahr 10 Millionen DM mehr für
die Sportförderung aufwenden, also sogar mehr als im
Olympiajahr 2000.
Ich will eine Zahl herausgreifen. Sie steht im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft. Die Bundesregierung wird für die Sanierung und Modernisierung
des Olympiastadions in Berlin insgesamt - das ist eine gewaltige Summe - 383 Millionen DM zur Verfügung stellen und den Umbau des Zentralstadions in Leipzig mit
100 Millionen DM fördern.
({9})
Ich glaube, das ist eine gute Nachricht für diejenigen, die
in unserem Land sportbegeistert sind.
Wir haben die Mittel auch in anderen Bereichen aufgestockt. Ich will nur einen erwähnen: Wir werden für die
Dopingforschung 900 000 DM zusätzlich zur Verfügung
stellen.
({10})
Meine Damen und Herren, wir sollten den hohen Stellenwert des Sports immer wieder betonen. Er hat eine Integrationskraft in der Gesellschaft. Dies verbinde ich mit
einem Appell an die Länder, den Sportunterricht bitte
nicht zu vernachlässigen.
({11})
Der Sportunterricht ist gerade in einer Welt, in der Kinder
und Jugendliche stärker an technischen Geräten ausgebildet werden, von herausragender Bedeutung.
Wir werden auch ein spezielles Programm „Sport
gegen Gewalt“ auflegen. Auch in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus spielt der Sport eine
große Rolle. Auch in diesem Zusammenhang ist Dank
angebracht, so für Einzelinitiativen von Polizei- und Bundesgrenzschutzbeamten, die sich in dieser Richtung betätigen. Ich glaube, dies ist ein gutes Mittel, dem Rechtsextremismus entgegenzuwirken.
({12})
Damit bin ich beim Thema Rechtsextremismus. Ich
glaube, dass die Etatdebatte wegen des eigentlich benötigten Zeitbedarfes nicht ausreicht, um dieses Thema eingehend und umfassend zu behandeln. Wir haben uns vorgenommen, dieses Thema genauer zu diskutieren, dazu wird
also noch Gelegenheit sein.
Ich möchte aber auf einige aktuelle Fragen eingehen.
Zunächst will ich deutlich sagen, dass ich die Kritik an
manchen Statistiken für berechtigt halte. Dies muss man
offen einräumen. Dazu ist eine Überprüfung veranlasst.
Ich werde dafür sorgen, dass diese Überprüfung auch konsequent durchgeführt wird.
Dass das Engagement des Bundesministers des Innern
in diesem Fall außer Zweifel steht, sehen Sie daran, dass
manches von dem, was dazu jetzt an neuen Überlegungen
öffentlich geworden ist, aus Forschungsergebnissen von
Professor Pfeiffer stammt, den ich beauftragt habe, an
dem periodischen Sicherheitsbericht mitzuwirken.
Dass an dieser Stelle auch einige Schwierigkeiten auftreten, sollten wir ebenfalls nicht leugnen. Im Übrigen ist
das Bundesministerium des Innern natürlich auf das Material angewiesen, das ihm von dezentraler Stelle zur Verfügung gestellt wird. Wir wollen aber ein ungeschminktes
Bild. Niemand kann ein Interesse daran haben, Sachverhalte zu beschönigen oder beiseite zu schieben.
({13})
Auch wenn es manchmal weh tut und für die einzelne
Kommune schwierig ist, das Ganze darzustellen: Wir
brauchen ein ungeschminktes, nicht beschönigtes Bild
dieser Wirklichkeit.
Nun stellt sich die Frage: Was tun wir gegen Extremismus, welche Mittel setzen wir ein? Hier gibt es nicht die
Alternative Repression oder Prävention.
({14})
Dies ist eine falsche Alternative. Beides gehört zusammen. Wir müssen entschlossen repressive Mittel einsetzen.
({15})
Ich habe gestern das Verbot der Organisation „Blood &
Honour“ bekannt gegeben. Wir müssen gegen Organisationen, die dieses Gift bei Jugendlichen ausstreuen, mit
aller gebotenen Härte vorgehen.
({16})
Aber wir sollten auch nicht verkennen, dass es in der
Gesellschaft eine positive Bewegung gibt. Es gibt erfreulicherweise viele Initiativen. Ich will nur zwei von vielen
erwähnen. Das erste Beispiel: Bei mir hat sich ganz spontan ein Bürger aus München gemeldet und gesagt, angesichts des schrecklichen Anschlages in Düsseldorf stelle
er den zwei Schwerstverletzten für die Dauer von zwei
Jahren eine Übergangshilfe zur Verfügung - eine wirklich
rühmenswerte, spontane Reaktion.
({17})
Das zweite Beispiel ist eine Anzeige von Bayern München und der Opel AG. Dies ist eine gelungene Anzeige,
um zu zeigen, wie wichtig Zuwanderung für unser Land
und gerade für den Sport in unseren Fußballstadien ist.
({18})
Wir werden unserer Verantwortung als Bundesregierung gerecht werden und unsere Anstrengungen in diesem Zusammenhang verstärken. Ich darf darauf hinweisen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz im
Verfassungsschutzbericht die Gefahren des Rechtsextremismus wahrlich nicht verharmlost hat. Der neue Präsident hat dies in seinen Worten sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
Das Bundeskriminalamt wird im Herbst eine Tagung
veranstalten, die sich ausschließlich mit diesem Thema
beschäftigt. Viele andere Maßnahmen sind in die Wege
geleitet. Eine Maßnahme, die mir wichtig ist, will ich erwähnen, nämlich die Reform der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Arbeit in dieser Bundeszentrale
muss auch einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung des
Rechtsextremismus setzen. Deswegen haben wir einen erBundesminister Otto Schily
heblichen Teil der Mittel für die Bundeszentrale für diese
Arbeit zur Verfügung gestellt.
({19})
Meine Damen und Herren, wir müssen aber wissen:
Es gibt kurzfristige Maßnahmen, es gibt Verbotsmaßnahmen. Wir werden sehr sorgfältig prüfen, ob wir zu einem
Verbot der NPD gelangen können. Wenn es eine Chance
gibt, werden wir dieses Verbotsverfahren einleiten. Dann
ist es aber wichtig, dass sich alle drei Verfassungsinstitutionen, ({20})
- um diesem Antrag Nachdruck zu verleihen, an dem Antrag beteiligen
({21})
sowohl der Bundesrat als auch der Bundestag und die
Bundesregierung.
Aber es gehört mehr dazu. Es gehört etwas dazu, was
Professor Heitmeyer einmal die „Kultur der Anerkennung“ genannt hat. Wir müssen nicht nur auf das achten,
was der Staat tut. Die Polizei kann die gesellschaftlichen
Probleme nicht lösen. Das kann sie nicht. Sie wird meistens dann tätig, wenn bestimmte Dinge schon in die
falsche Richtung gelaufen sind.
Also müssen wir dafür sorgen, dass in der Gesellschaft
eine Atmosphäre entsteht, die nicht etwa erlaubt, dass irgendwo in unserem Land so genannte befreite Zonen entstehen, in denen der Staat mit dem Gewaltmonopol des
Staates zurückweicht. Das können wir nicht dulden.
({22})
Der Frieden im Innern ist ein hohes Gut. Die innere Sicherheit ist ein hohes Gut. Wenn Sie die Zahlen für den
kommenden Etat lesen, werden Sie erkennen: Die Bundesregierung wird ihrer Verantwortung gerecht. Sie stärkt
die Sicherheitsinstitutionen Bundesgrenzschutz, Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Zu einer modernen Sicherheitspolitik gehört auch, dass wir die
Fragen, die die neue Informationstechnik angehen, sehr
ernst nehmen.
Vor wenigen Tagen bin ich mit dem Leiter des FBI zusammengekommen. Wir haben auch mit den Vereinigten
Staaten eine enge Zusammenarbeit verabredet, damit bestimmte Inhalte von Websites, antisemitische, rassistische, nazistische Inhalte, aus dem Internet verschwinden.
({23})
Ich kann wegen der Kürze der Zeit nicht auf alles eingehen. Eine kurze Bemerkung sei aber der Frage gewidmet, wie wir mit den berechtigten Ansprüchen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst zurechtkommen, an
dem wirtschaftlichen Erfolg teilzuhaben. Sie wissen, wir
haben - wie ich finde - einen sehr ausgewogenen Tarifabschluss, auf eine längere Frist angelegt, zustande gebracht. Ich glaube, das war ein großer Erfolg der Tarifpolitik, weil dieser Abschluss vor allen Dingen den Ländern
und den Kommunen die Möglichkeit verschafft, über einen längeren Zeitraum eine solide Finanzplanung zu haben. Das gilt auch für den Bund.
An dieser Stelle wird sicherlich die Frage gestellt werden, wie wir es mit den Beamten halten. Wir werden eine
Lösung für die Beamten finden, die sich weitgehend an
diesen Tarifabschluss anlehnt. Allerdings müssen wir
auch sehen, dass wir eine Annäherung an die Regelung bei
den Renten finden. Ich muss natürlich auch Rücksicht auf
meinen Kollegen Eichel nehmen, auf die Sparerfordernisse, die von dieser Seite geltend gemacht werden, an
denen ich mich solidarisch beteilige.
Ich will zum Schluss Folgendes sagen - ich glaube,
wenn man über innere Sicherheit redet, darf man diesen
Gesichtspunkt nicht vernachlässigen -: Sie werden in den
letzten Monaten vielleicht festgestellt haben, dass ich
mich als Mitglied der Regierung bei einem bestimmten
Thema sehr bewusst zurückgehalten habe, weil ich der
Meinung bin, dieses Thema ist in erster Linie Angelegenheit des Parlaments, der ihm möglichen Institutionen und
der Aufklärung, die auf diese Weise zustande kommen
kann.
Ich will Ihnen aber in aller Offenheit sagen: Für mich
ist Kern der inneren Sicherheit in einer Demokratie die
Rechtsstaatlichkeit.
({24})
Wir müssen uns bewusst werden, dass wir die innere Sicherheit nur aufrechterhalten können, wenn die innere Legitimität unseres Staatswesens außer Frage steht, wenn
Recht und Gesetz gilt.
({25})
Das muss man gerade in diesen Tagen besonders betonen.
Ich freue mich, dass die sächsische Staatsregierung diesen
Hinweis gerade jetzt auch gegeben hat. Sehr vernünftig!
({26})
- Das gilt für jede Richtung, Herr Bosbach. Wenn es da
Kritik zu üben gilt, werden Sie mich an Ihrer Seite finden.
Aber ich will Ihnen noch etwas sagen. Wir dürfen auch
da nicht das Normengefüge außer Acht lassen. Hier ist
manches in einen Nebel geraten. Ich will Ihnen etwas
vorlesen, damit Sie wissen, was ich meine, nämlich einen
Auszug aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1979:
Der Gefahr, dass anonyme Großspender durch ins
Gewicht fallende finanzielle Zuwendungen auf die
längerfristige Zielsetzung der begünstigten Partei
oder sie berührende innerparteiliche Entscheidungen
von Einzelfragen einzuwirken versuchen, um so indirekt mehr oder minder großen Einfluss auf die
staatliche Willensbildung zu gewinnen, begegnet das
Grundgesetz durch das in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG
an die Parteien gerichtete Gebot, über die Herkunft
ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft zu geben. ... Diesem Verfassungsgebot
- hören Sie bitte gut zu! kommt zentrale Bedeutung zu. Es zielt darauf ab, den
Prozess der politischen Willensbildung für den
Wähler durchschaubar zu machen und ihm offen zu
legen, welche Gruppen, Verbände oder Privatpersonen durch Geldzuwendungen auf die Parteien politisch einzuwirken suchen.
Es ist also nicht etwa eine Ordnungswidrigkeit oder ein
Gesetzesverstoß, sondern ein Verfassungsverstoß, wenn
darüber hinweggegangen wird.
({27})
Meine Damen und Herren, wie soll eine Rechtsordnung bestehen, wenn sich jemand anmaßt, sich über dieses Verfassungsgebot hinwegzusetzen?
({28})
Wie sollen wir von dem kleinen Mann auf der Straße verlangen können, dass er sich an Gesetz und Recht hält,
wenn sich andere darüber erheben?
Ich habe keinen Namen erwähnt und werde dies auch
nicht tun.
({29})
Im Übrigen wird die Sache nicht besser, wenn es sich um
eine Persönlichkeit handelt, die große historische Verdienste erworben hat, die ihm niemand abspricht. Im Gegenteil, dadurch wird es schlimmer; denn diese Persönlichkeit ist ja zu Recht Vorbild für viele junge Menschen.
({30})
Gerade eine solche Persönlichkeit trägt besondere Verantwortung.
Ich sage ein Zweites: Es darf in unserem Lande nicht
sein, dass, wenn ein Strafverfahren bzw. ein Ermittlungsverfahren zur Debatte steht, bei dem es um einen Millionenschaden geht, gesagt wird: Millionenschaden hin oder
her, wir stellen das Verfahren möglicherweise wegen Geringfügigkeit ein. - Ich habe genug forensische Erfahrung, um zu wissen, dass man kleine Handwerker, die in
ihrer Notlage die AOK-Beiträge nicht entrichtet haben,
erbarmungslos wegen Untreue verurteilt.
({31})
Es kann nicht sein, dass es Privilegien gibt, wenn es um
so hohe Summen geht. Das ist für mich keine Geringfügigkeit, es ist eine Aus- und Verdehnung der Vorschrift
in § 153 der Strafprozessordnung.
Wenn wir wirklich wollen, dass unsere Verfassungsordnung so, wie wir sie gemeinsam festgelegt haben, Bestand hat - sie hat immerhin Erfolgsgeschichte geschrieben -, dann muss eines gelten: Gleiches Recht für alle.
({32})
„Das Recht sie sollen lassen stahn“ - das ist die Grundlage und das Fundament unserer Demokratie, meine Damen und Herren.
Vielen Dank.
({33})
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nun in
13 Jahren Parlamentszugehörigkeit schon manche Etatrede eines Innenministers gehört, ({0})
- aber selten eine ({1})
- ich sage einmal -, die so an den Kernthemen der Innenpolitik vorbeimarschiert ist, wie die, die Sie gerade gehalten haben.
({2})
- Schreien Sie doch nicht gleich, bevor Sie mehr als zwei
Sätze gehört haben.
Mir fällt bei dieser Rede, Herr Minister Schily, doch eines auf, insbesondere beim letzten Abschnitt, in dem Sie
sich mit einer hoch brisanten Frage beschäftigen, ({3})
- nämlich der Tatsache, über das Parlament Einfluss auf
gewichtige Einrichtungen wie zum Beispiel Staatsanwaltschaften zu nehmen.
({4})
Ich halte das für eine höchst schwierige Geschichte, die
dort abgelaufen ist. Es kann nicht sein, dass wir in einer
Republik der geteilten Gewalten gegenseitig dahin gehend Druck machen, ({5})
- was richtig und falsch ist. Ich würde umgekehrt Äußerungen von Gerichten, die Druck auf die Exekutive oder
Legislative ausüben wollen, genauso wenig für richtig
halten.
Ich habe zur Rechtsprechung und zu den Gerichten
volles Vertrauen, dass die dritte Gewalt mit Schwierigkeiten in unserem Lande fertig wird.
({6})
- Entschuldigung, es wird doch noch zulässig sein, dass
man an die Prinzipien dieses Rechtsstaates, nämlich an
die Gewaltenteilung, erinnert und darauf hinweist, dass
man zumindest nicht als Bundesverfassungsminister
Druck ausüben sollte.
Wir sind hier zur Halbzeit einer Regierungskoalition,
um die Thematik Innenpolitik zu diskutieren. Der Bundesinnenminister hat vieles im Bereich des Sports und im
Bereich der allgemeinen Thematik behandelt, aber er ist
meines Erachtens auf die Kernproblematik seiner bisherigen Tätigkeit in den letzten zwei Jahren wenig eingegangen.
({7})
Es gibt, wenn man die zwei Jahre Revue passieren
lässt, nicht sehr viele Aktivposten. Sie haben als großes
Highlight in Ihrer Koalitionsvereinbarung eine Reform
des Staatsangehörigkeitsrechtes angekündigt, haben
entsprechend heftige Vorschläge gemacht und sind dann
natürlich kläglich gescheitert. Sie mussten hier einen
Kompromiss akzeptieren. Ich habe den Eindruck, dass
aus diesen Erfahrungen in vielen anderen Themenbereichen bei Ihnen der Schwung weg ist und man sich weitgehend bemüht, Brandherde und Kritik zu vermeiden,
und man daher möglichst wenig tut, um möglichst wenig
anzuecken.
({8})
Im Bereich des Themas Zuwanderung ist außer der
Berufung einer Kommission im Kern nichts passiert. Wir
haben über viele Monate gehört, in dieser Wahlperiode
werde dieses Thema nicht angegangen. Viele Monate gab
es nur Beschwichtigung: Wir machen in dieser Legislaturperiode nichts. Dann irgendwann kam Druck von oben.
Der Bundeskanzler hat erklärt, natürlich könne und müsse
man darüber reden. Nun wird mit einer Kommission versucht - ich sage es einmal so -, eine Atempause einzulegen.
({9})
- Dazu können Sie von mir gerne eine Äußerung bekommen. Als freier Abgeordneter habe ich kein Problem, auch
Kolleginnen infrage zu stellen.
({10})
Herr Schily - der Kollege hat das angesprochen -, wenn
Sie die Dame ({11})
- zur Vorsitzenden einer Kommission für Frauen- und Familienfragen ernannt hätten, hätte ich keine Einwände.
Aber hinter die Tatsache, sie in einem Beritt zur Vorsitzenden zu machen, in dem sie zeit Ihrer Parlamentszugehörigkeit keine Fachkenntnis erworben hat, mache ich
dann doch ein Fragezeichen.
({12})
Aber noch eines zur Kommission. Es hätte auch Alternativen gegeben.
({13})
Herr Minister Schily, wenn Sie im Bereich des Zuwanderungsrechts und des Asylrechts offene Fragen gehabt hätten, hätten Sie doch Sachverständige einsetzen, ihnen
klare Prüfaufträge erteilen können - von mir aus fünf
Wissenschaftlern und fünf Praktikern, ({14})
- Sie haben in Ihrem Haus welche -, sie in Klausur
schicken und sagen können: Binnen vier Wochen möchte
ich zu folgenden Kernfragen Ergebnisse haben.
({15})
Nichts dergleichen. Man hat viele Gutmenschen aus dieser Republik - Bischöfe und andere mehr - zusammengerufen, ({16})
- und erwartet nun zu einer Kernthematik Ergebnisse.
Interessant, dass in Ihrem Haushalt zwölf neue Stellen
ausgewiesen sind, die nur der Kommission dienen sollen.
Warten wir es ab. Ich habe große Zweifel daran, dass man
unter Zuhilfenahme von solchen Kommissionen schneller
und besser zu Ergebnissen kommt. Ich hätte mir die Alternative vorstellen können.
({17})
Herr Minister Schily, Sie haben sich dann zu einem
Thema geäußert, das uns natürlich alle interessieren muss
und interessiert, nämlich die Problematik Radikalismus.
Es ist überhaupt keine Frage, dass Sie in diesem Parlament die volle Unterstützung haben, wenn Sie Radikalismus bekämpfen.
({18})
Nur eins möchte ich auch sagen: Alle Aktionen der
letzten Monate erwecken den Eindruck, als gäbe es in dieser Republik nur noch Rechtsextremismus.
({19})
- Ich will gar nichts verharmlosen. Ich habe gerade erklärt: Wir unterstützen jeden Kampf gegen Extremismus.
({20})
Aber ich habe genauso klar erklärt - als zum Beispiel
diese Aktion zwischen Däubler-Gmelin und Schily lief,
die sich nur gegen Rechts gewandt hat -: Wir hätten uns
sofort mit jedem Aktionsbündnis einverstanden erklärt,
wenn es sich gegen jegliche Radikalität in diesem Land
gerichtet hätte, gegen Rechts und Links ({21})
- ich füge hinzu: auch gegen Ausländerextremismus.
({22})
Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt keinen
Grund, hier irgendetwas zu wiederholen, was ich gerade
gesagt habe, aber es wird möglich sein, dass man ein paar
Zahlen erwähnt:
({23})
Es gibt in unsrem Lande nach dem Verfassungsschutzbericht des Jahres 1999 34 200 Linksextreme, 51 400 Rechtsextreme und 60 000 Ausländerextremisten. Ich zitiere nur
den Verfassungsschutzbericht.
({24})
Und: Es gibt laut Verfassungsschutzbericht 1999
711 linksextreme und 746 rechtsextreme Gewalttaten ({25})
- zu der Statistik sei gesagt: In dem Jahr 1999 gab es, was
linksextreme Gewalttaten anbelangt, keinen Castortransport; warten Sie einmal ab, wie die Statistik aussieht,
wenn wieder Castortransporte stattfinden ({26})
- und es gab 391 ausländerextreme Gewalttaten. Jetzt
sage ich Ihnen: Wenn Sie heute Programme vorstellen, die
gegen beide Richtungen und zudem gegen die der ausländerextremen Richtung vorgehen, haben Sie unsere Unterstützung.
({27})
Ich sage noch einmal: Es wird doch in diesem Lande möglich sein, dass man die Dinge zumindest zurechtrückt.
({28})
Es kann doch nicht sein, dass man auf einem Auge blind
ist und nur den einen Teil der Medaille sieht.
Ein Punkt ist mir in den letzten Wochen noch aufgefallen: Sie, Herr Minister, denken daran - ich glaube, in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ -, die
Aufgaben des BGS auszuweiten. Man kann ja mit uns
über alles reden. Wenn es Sinn macht, warum auch nicht?
Ich hätte nur ganz gerne, dass man solche Gesetzesankündigungen nicht immer zuerst in öffentlichen Medien liest und die Dinge dann im Innenausschuss abwiegelt.
({29})
Ich glaube, es gäbe Anlass, das gesamte Thema Bekämpfung des Radikalismus bis hin zur Änderung des
Versammlungsrechtes schleunigst einmal zu debattieren.
Ich gebe zu bedenken, dass Sie Vorschläge von unserer
Seite bisher eigentlich immer nur abgelehnt haben, ohne
eigene Vorschläge zu bringen - das geht in diesen zwei
Jahren eigentlich laufend so. Ich erinnere mich an Bereiche des Asylrechts und des Ausländerrechts. Auch hinsichtlich des Zuwanderungsrechts AZR haben wir bisher
von Ihnen keine eigenen Vorstellungen gehört, sondern
nur negative Äußerungen zu unseren Vorschlägen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz sagen
- Sie sind ja immerhin Beamtenminister -: Ich finde es
bemerkenswert, dass Sie in Ihrer Rede keinen Satz darüber verloren haben, dass Sie den deutschen Beamten in
diesem Jahr eine Nullrunde und damit ein Sonderopfer
zugemutet haben.
({30})
Dazu hätten Sie schon ein paar Sätze sagen müssen. Dies
spielt dann auch bei der Frage eine Rolle, wie Sie das
nächste Tarifergebnis übertragen werden. Es sollte in unserem Lande gerecht zugehen.
Meine Damen und Herren, ein bisschen mehr Demokratie und ein bisschen mehr Hören auf das, was von der
Opposition kommt, könnten Ihnen nicht schaden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({31})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Cem Özdemir vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit der Haushaltsberatung nutzen, dem Innenminister und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines
Hauses für die hervorragende Zusammenarbeit zu danken. Ich nutze die Gelegenheit zugleich, dafür zu danken,
dass in den Zeiten knapper Kassen auch das Innenministerium seinen Beitrag dazu geleistet hat, mit den finanziellen Ressourcen dieser Republik verantwortungsvoll
umzugehen. Dass es nicht immer einfach ist, wissen wir.
Dass man beim Sparen auch intelligent sparen kann, ohne
dass man „totspart“, belegt dieser Haushalt auf eine sehr
eindrückliche Art und Weise.
({0})
Ein Beispiel dafür, wie man im Haushalt trotz knapper
Kassen Akzente und Schwerpunkte setzen kann, ist der
Haushalt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Ich bin froh darüber, dass auch zehn Jahre nach der
deutsch-deutschen Vereinigung ein klares Signal gesetzt
wurde und die Mittel, die der Bund dafür aufwendet, in
ähnlicher Höhe erhalten werden konnten. Für uns ist die
Arbeit des oder der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen nicht beendet. Nach wie vor besteht eine große
Notwendigkeit für diese Arbeit; ({1})
- das belegt die riesige Zahl von Anfragen, die täglich den
Bundesbeauftragten erreichen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch eines klar machen: Wir alle wären falsch beraten, wenn wir glaubten,
dieses Kapitel betreffe nur die neuen Länder. Wir haben
gerade aus der Arbeit des Bundesbeauftragten sehr eindrücklich erfahren, dass auch die Geschichte der alten
Bundesrepublik Deutschland mehr oder weniger von der
Stasi mit geschrieben wurde.
({2})
Ich sage das auch als jemand, der aus der Friedensbewegung kommt. Wenn ich mir rückblickend anschaue,
wer früher wo war, dann wird mir manchmal ganz angst
und bange. Insofern kann ich, wie ich glaube, im Namen
des ganzen Hauses sagen, dass wir dieser Behörde weiterhin viel Erfolg wünschen. Ich denke auch, dass sich alle
weiterhin dafür verwenden werden, dass dort jede Mark
gut angelegtes Geld ist.
({3})
Lassen Sie mich zu einem weiteren sehr ernsten Thema
kommen, das der Innenminister angesprochen hat, nämlich zum Thema Rechtsradikalismus. Wir sollten alle
miteinander dafür sorgen, dass es sich hier nicht um ein
Sommerlochthema handelt. Vielmehr sollten wir uns darum bemühen, dass dieses Thema ganz oben auf der
Agenda bleibt,
({4})
und zwar auch dann, wenn die rechtsradikalen Anschläge,
die wahrscheinlich leider weitergehen werden, ganz hinten in den Zeitungen veröffentlicht werden und wenn sich
Anschläge nicht nur gegen Nichtdeutsche richten, sondern zunehmend auch gegen Schwule und Lesben, gegen
Obdachlose, gegen Langhaarige, gegen Punks, gegen so
genannte Zecken, wie die Rechtsradikalen sagen. Auch
dann ist das Parlament in der Verantwortung und in der
Pflicht, sich mit diesem Thema in angemessener Form zu
beschäftigen.
({5})
Ich warne auch davor, zu Schnellschüssen zu tendieren. Ich weiß, der Druck aus der Öffentlichkeit ist da.
Gleichwohl können wir jetzt nicht mit einer schnellen Lösung kommen. Der Innenminister hat ein bisschen seine
Skepsis durchklingen lassen, was eine Fokussierung auf
das NPD-Verbot bewirken würde. Es ist sicherlich richtig, ein NPD-Verbot in Erwägung zu ziehen. Gleichzeitig
ist es aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es ein
solches Verbot nicht isoliert geben kann. Ich warne all diejenigen, die sich davon erhoffen, dass es eine einfache Lösung für die Bekämpfung des Rechtsextremismus gäbe.
Die Sympathisanten und Wähler der NPD und diejenigen,
die NPD-Sprüche auf den Lippen haben, werden wir dadurch nicht wegbekommen. Wir werden einen längeren
Atem brauchen, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen.
Wir brauchen einen Dreiklang aus Prävention, Repression und Stärkung der Zivilgesellschaft.
({6})
Ich danke all jenen, die sich tagein, tagaus für die Stärkung der Zivilgesellschaft einsetzen. Manchmal droht
der Zungenschlag aufzukommen, dass sich in den neuen
Ländern quasi nur noch Rechtsradikale bewegten. Dem
ist eindeutig nicht so. Es gibt viele Menschen in den neuen
Ländern, die sich in vorbildlicher Weise für Zusammenleben, Toleranz und gegenseitigen Respekt einsetzen. All
denen gebührt der Dank unseres Hauses.
({7})
Stellvertretend für alle nenne ich die Aktion Courage, die
Amadeo-Antonio-Stiftung, die regionalen Stellen für
Ausländerfragen und die Aktion Zuflucht, in denen sich
viele Menschen in ihrer Freizeit in vorbildlicher Weise für
die Zivilgesellschaft, die Bürgergesellschaft einsetzen.
Ich glaube, das Thema wäre nicht vollständig behandelt, wenn ich nicht auch noch ein paar Worte darüber verlieren würde, dass es nicht angehen kann, dass Opfer
rechtsradikaler Gewalt und deren Angehörige von Abschiebung betroffen sind, wie dies in Brandenburg ganz
offensichtlich der Fall zu sein scheint.
({8})
Dies darf nicht der Fall sein. Wir müssen alle miteinander
dafür sorgen, dass das, was Bundestagspräsident Thierse
zu Recht angesprochen hat, nicht eintritt. Das wäre eine
Blamage für das gesamte Land, eine Schande für unsere
Republik, wenn Opfer rechtsradikaler Gewalt abgeschoben werden. Dann hätten die Rechtsradikalen tatsächlich
ihr Ziel erreicht.
({9})
Ich bin froh, dass der Innenminister die Entschlossenheit dieser Bundesregierung klar gemacht hat, indem er
die Organisation „Blood & Honour“ schnell verboten hat.
Das ist eine richtige Maßnahme, die die Rechtsradikalen,
so glaube ich, verstehen.
({10})
Ich warne auch davor, dass wir auf den Rechtsextremismus mit einem Abbau von Bürgerrechten reagieren.
Das wäre genau das falsche Signal. Eine Bekämpfung des
Rechtsextremismus muss mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolgen. Wir brauchen auch keine neue Bannmeile: die
Regelung, die wir haben - der geschützte Bereich um das
Parlament -, reicht völlig aus und hat sich bewährt.
({11})
Wenn Sie den Blick nach draußen werfen - manche haben
es auch gehört -: Die Junge Union aus Ihrem Bundesland,
Herr Zeitlmann, demonstriert heute, ich weiß nicht wofür
oder wogegen, vielleicht demonstriert sie für diese Bundesregierung. Jedenfalls sind wir dafür, dass solche Demonstrationen auch in einer Sitzungswoche stattfinden
können, wenn sie von Organisationen sind, die Teil unserer Demokratie sind, wozu ich die Junge Union ausdrücklich rechne.
Herr Kollege Özdemir, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?
Gerne.
Herr Kollege Özdemir, halten Sie es weiterhin für richtig,
dass Rechtsradikale unter dem Brandenburger Tor demonstrieren oder teilen Sie nicht vielmehr unsere Auffassung, dass das eine Schande für unser Volk ist?
Ich
glaube, jeder verurteilt diese Demonstrationen. Das Bild,
das im Ausland auf Deutschland fällt, ist skandalös. Was
mich aber mehr ärgert, ist das Bild, das wir in dieser Republik von uns selber haben. Wir müssen uns überlegen,
wie wir dazu beitragen können, dass solche Demonstrationen nicht mehr stattfinden.
({0})
Jede dieser Demonstrationen hat bisher Gegendemonstrationen ausgelöst. Das heißt: Es haben sich viel mehr
Menschen gefunden, die gegen die NPD demonstriert haben, als die NPD selbst aufgeboten hat. Auch das ist ein
Zeichen dafür, dass die Heilinstrumente unserer Gesellschaft funktionieren, dass die Wahrnehmung in unserer
Gesellschaft vorhanden ist. Ich will aber nicht verhehlen,
dass es auch bei uns Überlegungen gibt - ich weiß, dass
es diese auch im Innenministerium und anderen Fraktionen gibt -,
({1})
- durch das Strafgesetzbuch, zum Beispiel durch den § 86,
unter den die Verwendung nationalsozialistischer Symbole fällt, auch die Verwendung naziähnlicher Symbole
unter Strafe zu stellen. Sie kennen in diesem Zusammenhang das Beispiel „88“ für „Heil Hitler“ und andere
Dinge. Auch solche Dinge würden dann unter Strafe gestellt, damit die Polizei flexibler damit umgehen kann.
Was ich aber nicht möchte, Herr Marschewski: Ich
möchte nicht, dass Demonstranten, die für das HolocaustMahnmal demonstrieren wollen, nicht mehr demonstrieren können, weil wir einen geschützten Bereich geschaffen haben.
({2})
Ich möchte, dass demokratische Organisationen auch am
Brandenburger Tor demonstrieren können. Das müssen
wir gewährleisten. Wenn Sie dafür eine Lösung haben,
wie wir das hinkriegen, können wir uns gerne darüber unterhalten.
({3})
Ich möchte zum Abschluss dieses Themas noch auf eines hinweisen: Statt einer immer währenden Diskussion
über neue Gesetzesverschärfungen, beispielsweise über
die verstärkte Anwendung des Erwachsenenstrafrechtes
anstelle des Jugendstrafrechtes - übrigens: das Jugendstrafrecht bietet ausreichend Gelegenheit, um angemessen zu reagieren, deshalb braucht es hier keine Änderungen -, brauchen wir Richter, die schnell und entschlossen
agieren.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich ausdrücklich sagen:
Das Vorgehen in Dessau, bei dem die Täter zwei Monate
nach der Tat verurteilt worden sind, ist genau der Weg,
den wir brauchen. Was wir nicht brauchen, ist das, was
gegenwärtig in Guben passiert. Dort schleppt sich das
Verfahren seit über einem Jahr dahin. Auf diese Weise bekommen die Rechtsradikalen das Signal, nachträglich vor
Gericht noch eine Tribüne zu haben und so noch andere
auf ihre Schandtaten aufmerksam machen zu können. Das
ist der falsche Weg.
({4})
Also: Der Rechtsstaat bietet genug Möglichkeiten, wir
brauchen keine Verschärfungen beim Demonstrationsrecht und beim Versammlungsrecht. Was wir brauchen
ist eine konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.
({5})
Lassen Sie mich noch ein paar wenige Worte zum Verfassungsschutz sagen. Sie wissen, dass ich aus einer
Fraktion komme, die traditionell eine sehr skeptische bis
kritische Haltung zum Verfassungsschutz hat.
({6})
- „Sehr vorsichtig formuliert“, Herr Kollege Westerwelle.
Das hat sich auch nicht geändert. Ich möchte trotzdem die
Gelegenheit nutzen, Herrn Fromm, der zum Präsidenten
des Bundesamtes für Verfassungsschutz ernannt wurde,
zu gratulieren. Ich bin froh darüber, dass er gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine Akzentverschiebung hinsichtCem Özdemir
lich der Bekämpfung des Rechtsextremismus angekündigt hat. Das ist der richtige Weg. Umso weniger verstehe
ich es daher, dass beispielsweise die Jungdemokraten
- das müsste Ihnen von der F.D.P. eigentlich ein Anliegen
sein; da war doch einmal was ({7})
- nach wie vor beobachtet werden. Das ist nicht notwendig. Wir brauchen den Verfassungsschutz nicht, um die
Jungdemokraten zu beobachten.
({8})
Wir brauchen den Verfassungsschutz auch nicht, um die
DKP zu beobachten. Das ist nur Beschäftigungstherapie.
Es wäre besser, wenn wir die dort eingesetzten Ressourcen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus verwenden würden.
Wir können künftig keine innenpolitischen Debatten
mehr führen, ohne nicht auch ein paar Sätze über das
Internet zu verlieren. Alles, was es in der Gesellschaft
gibt, gibt es auch im Internet. Das Internet ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Es ist also nicht schlimmer als
die Gesellschaft. Darum ist es falsch, wenn wir jetzt so
tun, als ob im Internet schlimmere Dinge passieren als in
der Gesellschaft. Ein großes Lob an die Hosts, die sich
jetzt - vielleicht zu spät - bereit erklärt haben, all diejenigen, die rechtsradikale Domains haben, herauszuwerfen.
Ich warne aber davor, wie in China einen Zentralrechner dazwischenzuschalten und damit den Datenfluss im
Internet zu verlangsamen. Ich möchte keinen zentralen
Rechner in der Bundesrepublik Deutschland haben, mit
dem eingehende E-Mails kontrolliert werden. Das würde
sich nicht mit dem vertragen, wofür das Internet steht. Wir
müssen aufpassen, dass wir bei der Bekämpfung von extremistischen Tendenzen nicht mit Mitteln agieren, die
sich nicht mit der Demokratie vertragen.
({9})
Lassen Sie mich zum Ende meiner Redezeit auf ein
Thema kommen, das uns hoffentlich auch noch im zweiten Teil der Legislaturperiode beschäftigen wird. Die Diskussion über den Volksentscheid ist erneut angestoßen
worden. Eine jüngste Umfrage hat ergeben, dass 75 Prozent ({10})
- unserer Bevölkerung sich ausdrücklich für die direkte
Demokratie aussprechen. Herr Bosbach, wenn Ihnen dieses Thema so wichtig ist, warum fürchten Sie sich dann
vor der Bevölkerung? Wenn Ihnen dieses Thema wichtig
ist, dann lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir
Elemente einer direkten Demokratie einführen können.
Das Angebot ist ehrlich gemeint. Wir sind auch bereit, die
Diskussion über Hürden, Quoren und die Ausgestaltung
eines mehrstufigen Verfahrens der direkten Demokratie
zu führen. Sie haben Ihre Themen; wir haben unsere Themen. Wir fürchten uns nicht vor der Bevölkerung.
({11})
Wir fürchten uns auch nicht vor Mehrheitsentscheidungen. Leider hat Ihre Fraktion an der Reise des Innenausschusses in die Schweiz nicht teilgenommen. Sie hätten
dort sehr viele eindrückliche Erfahrungen machen können. Überall dort, wo es direkte Demokratie gibt - ob nun
in der Schweiz oder im wunderschönen Bayern; Sie müssten es eigentlich wissen, Herr Zeitlmann -, hat sich die direkte Demokratie bewährt. Ich verstehe nicht, warum das,
was in Bayern gut funktioniert und von den Grünen bis
hin zur CSU angenommen wird, im Bund schlecht funktionieren soll. Das müssen Sie, bitte schön, der Bevölkerung erklären.
({12})
Die Mehrheit Ihrer Wählerinnen und Wähler möchte die
direkte Demokratie. Hören Sie auf Ihre Wählerinnen und
Wähler! Vielleicht nützt es Ihnen etwas.
({13})
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt eingehen, der im Zusammenhang mit dem Thema der direkten Demokratie steht. Wir brauchen auch ein Gesetz zum
Schutz der Informationsfreiheit. Deshalb bin ich froh,
dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr - meine
Fraktion setzt sich ja seit langem dafür ein - ein Gesetz
zum Schutz der Informationsfreiheit angekündigt hat. Die
Amerikaner haben ein solches Gesetz seit Ende der 60erJahre. Ein solches Gesetz wäre ein wichtiges Signal für
die Abkehr vom Obrigkeitsstaat.
Danke sehr.
({14})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Guido Westerwelle von der F.D.P.Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Innenminister, Sie haben hier eine ausgeglichene Bilanz vorgelegt.
({0})
Das ist für einen Oppositionspolitiker eine wichtige
Bemerkung in einer Haushaltsberatung. Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass das, was im Zusammenhang mit
vielen anderen Etats zu Recht an der Regierung kritisiert
wird, nämlich dass über die Köpfe des Parlaments und der
Abgeordneten hinweg entschieden wird, im Bereich der
Innenpolitik nicht der Fall ist. Die Zusammenarbeit ist
konstruktiv und sachlich. Ihre Politik, Herr Minister, ist
überwiegend pragmatisch, meistens rational und manchmal sogar liberal.
({1})
Deswegen möchte ich ausdrücklich anerkennen, dass Sie
die Zusammenarbeit gut pflegen. Darüber freuen wir uns
sehr.
({2})
Cem Özdemir, Sie müssen nicht gleich feuchte Finger
bekommen. Bleiben Sie ruhig.
Wenn etwas konstruktiv läuft, dann muss man es auch
ausdrücklich anerkennen. Wir haben mit der Regelung der
Staatsangehörigkeit eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen gemeinsam bewältigt.
({3})
Dies ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Das wird auch
von der Fraktion der Freien Demokraten ausdrücklich anerkannt.
Wir hoffen und setzen darauf, dass die Zusammenarbeit bei der wichtigen Frage der Migration, bei der wichtigen Frage der Zuwanderungspolitik fortgesetzt wird.
Auch hier werden wir an einem überparteilichen Konsens
arbeiten. Nach Ihren Ausführungen, Herr Kollege
Zeitlmann - bei allem Respekt gegenüber Frau Kollegin
Süssmuth -, ist man versucht, ihr politisches Asyl anzubieten.
({4})
- Da die Abgeordneten der CDU/CSU gerade rufen: Ihr
dürft sie haben, ({5})
- betone ich ausdrücklich: Wir nehmen sie gerne, wenn
sie denn möchte.
({6})
Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass Ihr Bild bemerkenswert ist. Wenn Frau Süssmuth eine Kommission für
Familie und Frauen geleitet hätte, wäre das in Ordnung
gewesen.
({7})
Trennen Sie sich doch endlich von dem Frauenbild der
drei Ks: Kinder, Küche, Kirche.
({8})
Das ist heute nicht mehr so. Das passt auch nicht mehr.
Meine Damen und Herren, wir müssen - das ist der
Ausblick auf die nächste Zeit - in der Migrationspolitik
eine Lösung finden. Das ist ein herausragendes Anliegen.
Wir müssen es schaffen, und zwar noch in dieser
Legislaturperiode, dafür zu sorgen, dass wir ein Zuwanderungssteuerungsgesetz bekommen. Auch hier liegt ein
Gesetzentwurf der Freien Demokraten vor, der auf den
Entwurf der rheinland-pfälzischen Landesregierung
zurückgeht. Ich kann an Sie nur appellieren, diesen Entwurf zur Grundlage zu machen, weil ich ihn in diesem
Hause und in der Gesellschaft für konsensfähig halte.
Man sollte die Kommission, die Sie, Herr Minister, zu
Recht eingesetzt haben, nicht nutzen, um das Thema auf
die lange Bank zu schieben.
({9})
Wir werden darauf achten, dass das nicht das Vehikel für
die Vertagung in die nächste Legislaturperiode wird.
({10})
Wir wollen in dieser Legislaturperiode eine bessere Kontrolle und Steuerung der Zuwanderung, die sich auch an
den wohlverstandenen nationalen Interessen unseres Landes ausrichtet.
({11})
Meine Damen und Herren, das Thema Extremismus
ist angesprochen worden. Das ist eines der wichtigsten
Themen, das im Rahmen einer solchen Debatte zu besprechen ist. Das ist auch notwendig. In einem Punkt
muss ich Ihnen widersprechen, Herr Minister. Ich glaube,
dass Sie das falsch einschätzen. Sie haben in Ihrer Rede
gesagt: Wenn es eine Chance für ein Verbotsverfahren
der NPD gibt, dann werden wir diese Chance ergreifen.
Das ist der falsche Ansatz. Erst wenn Sie die Sicherheit
haben, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD verbieten wird, dürfen Sie diesen Verbotsantrag stellen, Herr
Minister.
({12})
Denn ein Vabanquespiel vor dem Bundesverfassungsgericht ist leichtsinnig. Man stelle sich vor, die Verfassungsorgane beantragten das Verbot der NPD und das
Verfassungsgericht würde diesem Verbotsantrag nicht folgen. Das wäre der Stempel der Verfassungsmäßigkeit
der NPD, geradezu ein Zulaufprogramm für die NPD.
Korrigieren Sie diesbezüglich Ihre Haltung, Herr Innenminister. Hier liegen Sie eindeutig falsch.
({13})
Erst wenn Sie die Sicherheit haben, dürfen Sie einen solchen Antrag stellen.
Meine Damen und Herren, ich glaube auch, dass Ihr
Ansatz, den Sie vorgetragen haben, den Sie vorgestern
exekutiert haben, richtig ist, wonach Sie sich auf das Vereinsverbotsverfahren konzentrieren. Wir begrüßen Ihre
Entscheidung ausdrücklich, dass Sie die Organisation
„Blood & Honour“ und die angegliederten Nebenorganisationen verfolgen beziehungsweise verbieten. Das ist der
richtige Weg.
({14})
Der Vorzug ist aber auch, dass Sie bei einem Vereinsverbotsverfahren nicht das hohe verfassungsrechtliche
Risiko eingehen, das durch Art. 21 bei den Parteien vorhanden ist. Das ist der klügere Weg. Wir sind jedenfalls
der Auffassung, dass Sie diesen Weg gehen sollten.
Es ist in diesem Hause völlig unstreitig, dass politischer Extremismus, gleich von welcher Couleur, verfolgt
werden muss. Das ist einerseits eine Frage der Prävention.
Das ist andererseits eine Frage der besseren Bildung, übrigens auch einer werthaltigen Bildung. Dies ist in diesem
Zusammenhang ein ganz wichtiges Thema. Das ist aber
auch eindeutig eine Frage der Repression. Ich teile Ihre
Einschätzung: Hier ist im wahrsten Sinne des Wortes der
starke Staat, der starke Rechtsstaat gefordert. Wenn jemand Brandbomben auf Minderheiten wirft, ist das kein
Grund für irgendwelche psychotherapeutischen Erklärungsversuche. Vielmehr muss das zu einem klaren, effizienten Strafverfahren vor Gericht führen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({15})
Da Sie hier zu Recht die Vorbildfunktion des öffentlichen Lebens angesprochen haben, möchte ich Ihnen ausdrücklich sagen: Da haben Sie sich meiner Meinung nach,
als Sie sich von Ihrem Manuskript gelöst haben, deutlich
vergaloppiert. Es ist vielleicht am Privatmann Otto Schily,
aber nicht am deutschen Innenminister im Deutschen
Bundestag, der Bonner Staatsanwaltschaft direkt oder
auch durch die Blume Empfehlungen zu geben, wann sie
ein Verfahren nach § 153a StPO einzustellen hat oder
nicht.
({16})
Das ist hier nicht die Kanzel für solche Empfehlungen.
Das darf kein Abgeordneter und erst recht kein Minister
in diesem Hause. So etwas bleibt nicht ohne Auswirkungen. Sie sollten das korrigieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie es so meinen.
({17})
Aber es muss bei den Ermittlern so ankommen. Es ist
nicht an Ihnen, hier etwas Derartiges zu sagen.
({18})
Last not least möchte ich noch einen weiteren Punkt
ausdrücklich ansprechen, der von Herrn Kollegen
Zeitlmann, wie ich finde, völlig zu Recht erwähnt wurde:
In diesem Bereich der Beamtenpolitik besteht zwischen
uns ein ganz klarer Dissens. Da das hier eine konstruktive
innenpolitische Debatte sein soll - so verstehen wir unsere Oppositionsarbeit -, will ich ganz klar sagen: Es ist
ein Fehler, die Entwicklung der Gehälter der Beamten
von den Vereinbarungen im öffentlichen Dienst abzukoppeln. Dieses Vorhaben ist mit dem Wort Sonderopfer in
der Tat richtig und präzise beschrieben. Es geht in die
falsche Richtung. Sie sollten umkehren!
({19})
Wir möchten, dass in der Logik der bisherigen Politik der
Innenministerien weitergehandelt wird.
({20})
Das liegt auch im Interesse der Beamtinnen und Beamten,
deren Dienstherr Sie sind. Sie sollten sich vor Ihre Beamten stellen und nicht die verlängerte Hand von Herrn
Eichel sein.
Ich danke Ihnen.
({21})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Herr Schily, auch ich meine, dass Ihre Bilanz, die
Sie heute im Rahmen der Haushaltsdebatte zu ziehen versucht haben, eher matt und schwach war. Wenn Sie heute
zugestehen, dass Sie die Statistiken über die Zahl der
Straftaten überprüfen lassen wollen, dann nehme ich das
erst einmal positiv zur Kenntnis. Aber ich möchte Sie einfach darauf aufmerksam machen, dass meine Fraktion seit
zehn Jahren versucht, parlamentarische Kontrolle auszuüben, wenn es um Aktivitäten von Rechtsextremisten,
wenn es um Straftaten und vor allen Dingen wenn es um
die Opfer geht.
Ich meine, dass Ihr Ministerium den Rechtsextremismus systematisch verharmlost hat, nicht nur in der Zeit,
in der Sie regieren, sondern auch in den Jahren davor.
({0})
Ich könnte das an zig Beispielen belegen. Leider wird dieser Trend unter Ihrer Regierung ungebrochen fortgesetzt.
Das kann man zum Beispiel anhand der Zahlen der Opfer
und auch anhand der Antworten auf viele Anfragen beweisen, die zeigen, dass Sie einfach nicht wahrhaben wollen, dass Rechtsextremismus in vielen Institutionen und
Organisationen verbreitet ist und dass Sie bisher nichts
dagegen getan haben.
({1})
Ich habe heute auch ein Wort von Ihnen an die Opfer
vermisst. Ich habe vermisst, dass Sie sich bei den Opfern
entschuldigen ({2})
- und dass Sie hier tatsächlich haushaltsrelevante Maßnahmen vorstellen, die endlich einen Opferschutz darstellen und vor allen Dingen die Opfer entschädigen, die zurzeit beispielsweise mit Nebenklagen und Ähnlichem viele
Gelder aufbringen müssen und keine Unterstützung finden.
({3})
Herr Innenminister, ich meine, dass man die Wahl seiner Worte wirklich prüfen muss. Um ein Beispiel zu geben: Sie haben im Sommer im „Spiegel“ auf die Frage,
warum so viel gegen die RAF getan wurde, aber nichts
gegen den Rechtsextremismus, gesagt:
Wir reagieren nicht matt ... Heute handelt es sich um
eine sehr diffuse Szene - Einzeltäter, Exzess-Taten
sind darunter, häufig spielt der Alkohol eine Rolle.
Ich meine, dass auch das eine Verharmlosung ist. Wenn
Sie nur einmal den Bericht Ihres eigenen Verfassungsschutzes läsen, dann vernähmen Sie von dort ganz andere
Töne, was die Strukturen und die Organisiertheit von
Rechtsextremisten angeht. Wenn Sie sich anschauen, was
gestern im „Tagesspiegel“ und in der „Frankfurter Rundschau“ an Todesfällen dokumentiert wurde, dann werden
Sie sehr genau feststellen können, dass Rechtsextremisten
aus Organisationen der Skinheads immer und teilweise
sogar aus der NPD dabei waren. Dagegen, meine ich, gilt
es anzugehen. Nicht mit Verboten von Kleinstgruppen,
wie es gestern geschehen ist, ist es getan, auch wenn das
ein richtiger Schritt in die richtige Richtung war. Wir
brauchen eine breite gesellschaftliche Gegenwehr gegenüber dem Rechtsextremismus. Wir brauchen eine Ächtung von Fremdenfeindlichkeit und rechter Gewalt in der
gesamten Gesellschaft.
({4})
Nun zum Haushalt: Während des Sommerlochs hat die
Bundesregierung den Eindruck zu erwecken versucht, sie
würde 400 Millionen DM im Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ausgeben. Die Presse
hat sich diese Zahlen genauer vorgenommen - „Spiegel“,
„Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“ - und hat davon
gesprochen, dass diese Zahlen irreführend sind und nicht
den Tatsachen entsprechen. In der Antwort auf eine
Kleine Anfrage, die gerade auf meinem Schreibtisch gelandet ist, lese ich jetzt, dass Sie sogar 635 Millionen DM
für den Kampf gegen den Rechtsextremismus ausgeben
wollen.
Wer sich diese Antwort genauer anschaut, wird feststellen, dass auch hier wieder etwas vorgetäuscht wird.
Sie führen nämlich in Ihrer Übersicht die politische Bildung von Zivildienstleistenden, den Deutschen Entwicklungsdienst, die Kosten für die Eingliederung von Aussiedlern, sogar Mittel für Städtebau und Geld für neue
Unternehmen als Beispiele für den Kampf gegen den
Rechtsextremismus auf. Ich habe mich, ehrlich gesagt,
gefragt, warum Sie nicht gleich den Etat der Bundeswehr,
die Mittel für den Kosovo-Krieg und den Etat des Bundesgrenzschutzes auch noch mit aufgenommen haben. Irgendwo scheint es mir doch wirklich übertrieben zu sein,
was hier formuliert worden ist.
({5})
Meine Fraktion hat seit Jahren bei allen Haushaltberatungen immer wieder Anträge gestellt, mehr Mittel für
Aufklärungsarbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus zur Verfügung zu stellen. In den vergangenen
Jahren hat das Innenministerium gerade einmal 2 Millionen DM dafür zur Verfügung gestellt; in diesem Jahr sollen es ganze 2,5 Millionen DM sein. Außerdem sind - der
Minister hat es erwähnt - 1,8 Millionen DM für die Bundeszentrale für politische Bildung vorgesehen. Ob man
angesichts dieser Zahlen von einer Reform sprechen
kann, möchte ich infrage stellen. Eines ist aber völlig klar:
Diese Mittel reichen nicht aus, um wirkliche Aufklärungsarbeit im Bereich Rechtsextremismus, Antisemitismus und vor allen Dingen im antirassistischen Bereich
zu leisten.
({6})
Deswegen werden wir auch im Rahmen der Beratungen
dieses Haushalts erneut unsere Anträge zur Ausweitung
der Aufklärungsarbeit einbringen.
Ich komme zu einem weiteren Punkt.
Frau Kollegin, Sie sollten allmählich zum Schluss kommen.
Ja, ich werde mich jetzt kurz fassen.
Wer Rechtsextremismus wirklich bekämpfen will,
muss die Ursachen bekämpfen. Dazu gehört auch, dass
sämtliche Gesetze, die Ausländer diskriminieren bzw.
schlechter als Deutsche stellen, endlich geändert werden.
In den vergangenen Jahren war auch dies ein Boden, auf
dem Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wachsen
konnten.
Ansonsten wünsche ich mir natürlich, dass die Bundesregierung nicht nur Feierstunden mit einem Bündnis
für mehr Toleranz initiiert, sondern tatsächlich ein breites
gesellschaftliches Bündnis initiiert, das Aktionsbereitschaft zeigt sowie Aufklärung bietet, und die Mittel tatsächlich für die Opfer und den Opferschutz eingesetzt
werden.
Danke.
({0})
Als
nächster Redner hat jetzt der Kollege Ludwig Stiegler von
der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Du brauchst nicht schon wieder Angst zu haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurden
hier Zeugnisnoten ausgegeben. Für meine Fraktion kann
ich sagen: Innen und Sport gut.
({0})
Man muss sich einmal anschauen, von welchen Voraussetzungen wir ausgehen mussten. 1 500 Milliarden DM Schulden haben Sie hinterlassen, 82 Milliarden DM an Zinsen.
({1})
156 000 DM zahlen wir pro Minute für Ihre Schulden. Da
trauen Sie sich noch, das Maul aufzureißen! Das ist doch
unerhört!
({2})
Vielmehr müssten Sie dem Innenminister Gold, Weihrauch und Myrrhe dafür geben, dass er mit dieser
Erbschaft, die er eigentlich hätte ausschlagen müssen,
fertig geworden ist. So sieht doch die Situation aus.
({3})
- Das ist okay, aber die Schwarzen haben Weihrauch genug.
({4})
Vor diesem Hintergrund ist das Innenministerium mit
den Aufgaben hervorragend fertig geworden. Es sind
gewaltige Einsparungen vorgenommen worden, ohne
dass zentrale Belange vernachlässigt worden sind.
({5})
Das verdient Anerkennung und deshalb sollten wir dem
Innenministerium, seinen Mitarbeitern und seiner versammelten Führungsmannschaft wirklich herzlich danken, dass sie mit Ihrer Hinterlassenschaft so gut fertig geworden sind und dass sie gute Akzente gesetzt haben.
({6})
Sie haben die Strukturreformen eingeleitet. Auch das,
was Jochen Welt bei der Aussiedlerintegration an neuen
Leistungen geschaffen hat, ist vorbildlich. Darüber freuen
wir uns und dafür bedanken wir uns.
({7})
Es bleibt die Aufgabe, den Rechtsextremismus zu
bekämpfen. Auch das ist ein Erbe. Ich habe am Wochenende einmal in alten Jahrgängen der „Politischen Vierteljahresschrift“ nachgelesen und festgestellt, dass dieses
Thema seit Jahrzehnten immer wieder angesprochen
wird. Es gab richtige Wellen des Rechtsextremismus und
jedes Mal ist das Thema wieder eingeschlafen. Das
Haus war vor der Sommerpause noch nicht sonderlich
interessiert, den von der Koalition vorbereiteten Antrag
- wir haben ein Jahr daran gearbeitet - zu beraten.
({8})
In der Sommerpause ist die Gesellschaft aufgewacht.
({9})
Wir haben unseren Antrag vor der öffentlichen Diskussion eingebracht, Sie haben jetzt irgendetwas nachgelegt.
Das ist der Unterschied zwischen unseren Fraktionen.
Es ist eine Bewusstseinsschärfung erfolgt. Wir brauchen die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern
und die Erhöhung der Mittel; es muss einen Kampf um die
Köpfe geben. Dazu gehört, dass die Bundeszentrale diese
Aufgaben übernimmt. Ich rate der Bundeszentrale, die
neuen Mittel zum Beispiel dafür zu verwenden, mit den
Justizvollzugsangestellten über die Resozialisierung der
verurteilten Jugendlichen zu sprechen. Da schaut es in
manchen Bereichen düster aus. Wir müssen sehen, was
mit diesen Leuten in der Zukunft geschieht.
Ich danke dem Innenminister auch für die BGSHotline, die wesentlich dazu beiträgt, dass es in diesem
Land keinen öffentlichen Raum gibt, den Minderheiten,
Ausländer oder wer auch immer nicht ohne Angst und
Furcht betreten können. Das ist unser Auftrag.
({10})
Der Haushalt 2001 setzt Prioritäten bei der inneren Sicherheit. Ich denke etwa daran, wie Sie früher mit Beförderungsproblemen im BGS umgegangen sind. Damals
haben sich die Kinder von Grenzschutzbeamten, etwa bei
uns an der Grenze, gefragt: Was hat mein Vater angestellt,
dass er im Verhältnis zur Polizei so schlecht dasteht?
Diese Zeiten haben ein Ende.
({11})
Dafür danke ich dem Innenminister und auch Günter
Graf, der sich bei uns darum gekümmert hat, dass wir endlich etwas für die BGS-Beamten tun und dass wir im Bereich der inneren Sicherheit trotz der bestehenden Probleme vorankommen.
Auch die Sportförderung kann sich sehen lassen.
Während wir hier zusammensitzen, läuft die Eröffnungsfeier der Olympiade. Ich glaube, wir alle wünschen unseren Athleten, dass sie so fröhlich agieren, wie der Innenminister sie entlassen hat, dass sie Erfolge heimbringen
und dass sie ein Bild unseres Landes zeichnen, über das
wir uns freuen können.
({12})
- Da können Sie ruhig mitklatschen.
Ich denke an die Leistungen im Zusammenhang mit
der Fußballweltmeisterschaft 2006. Es ist schmerzlich für
meine schwarzen Brüder und Schwestern, dass der „Kaiser“ den Kanzler und den Innenminister lobt. Das ist jedoch bezeichnend. Der „Kaiser“ ist ja keiner primären sozialdemokratischen Umtriebe verdächtig. Aber wenn er
zu dem Eindruck kommt, dass Otto Schily und Gerhard
Schröder eine hervorragende Arbeit für den Sport geleistet haben, dann müssen Sie das wenigstens zähneknirschend anerkennen.
({13})
Ich liefere Ihnen gerne eine Knirschschiene für die Nacht,
wenn es Ihnen zu schwer fällt.
({14})
Ich danke auch dafür, dass der Goldene Plan Ost fortgeführt wird, dass die Baumaßnahmen vorankommen,
dass wir im internationalen Bereich und im Dopingbereich vorangekommen sind.
({15})
- Wir haben eine gute Bilanz. Auf den Sportbereich können wir wirklich stolz sein.
Wir haben die Integrationsbemühungen in Bezug auf
die Aussiedler verstärkt; da habe ich schon Jochen Welt
angesprochen. Das gilt aber auch für die Integration der
Ausländer. Ich hoffe, dass nächste Woche auch die Verhandlungen über die Arbeitserlaubnis vorankommen,
damit wir in diesem Bereich endlich Gerechtigkeit erlangen und einen Beitrag zum inneren Frieden leisten
können. Ich hoffe auch, dass die Neukonsolidierung des
Bundesamtes in Nürnberg mit dem neuen Präsidenten
dazu beiträgt, dass wir viele Probleme - etwa bei der Umsetzung des neuesten Urteils des Bundesverfassungsgerichtes - lösen können.
({16})
Ich danke dem Innenminister, ({17})
- dass er dazu beigetragen hat, dass das Amt neue Zukunftsperspektiven hat.
Wir haben wirklich Anlass, fröhlich zu sein.
({18})
Sie, Herr Zeitlmann, haben jahrelang dem Herrn Kanther
zu Füßen gelegen, ({19})
- an seinen Lippen gehangen.
({20})
Auch der Hinterausgang war besetzt.
({21})
Dabei haben Sie übersehen, dass der Mann wie Dorian
Gray zwei Gesichter hatte. Er hat hier law and order gepredigt, aber heimlich ist er zu einem Experten für organisierte Kriminalität geworden.
({22})
Das ist Ihre innenpolitische Tradition und muss an dieser
Stelle angesprochen werden.
({23})
Der Kanther hatte wenigstens so viel Ehrgefühl, aus dem
Parlament auszuscheiden, während andere Eidesbrecher
von Ihnen groß gefeiert werden.
({24})
Ich kann den Innenminister in diesem Punkt nur unterstützen: Wenn von Ihrer Seite unverhohlen zu Blockaden
aufgerufen wird, wenn von Ihrer Seite der Verfassungsbruch eines ehemaligen Bundeskanzlers gutgeheißen
wird, ({25})
- dann ist das kein Beitrag zur inneren Sicherheit, sondern
ein Anschlag auf die innere Sicherheit. Das sollten Sie zur
Kenntnis nehmen und deshalb hier ganz bescheiden auftreten.
({26})
Vielen Dank und gute Besserung!
({27})
Herr Kollege Geis, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das Wort
Verleumder nicht zum parlamentarischen Sprachgebrauch gehört.
({0})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte gerne eine Vorbemerkung ma-
chen, die meines Erachtens sehr wichtig ist. Herr Minis-
ter, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass ich mit Be-
amten Ihres Ministeriums und mit einem großen Teil der
Kollegen gesprochen habe. Alle sind sich darin einig: Der
Haushalt Ihres Einzelplanes ist a) unübersichtlich, b) sehr
spät gekommen - dazu werde ich gleich noch etwas sagen - und auch sehr kompliziert. Deswegen kann ich angesichts der haushaltspolitischen Themen, über die der
Bayer Stiegler gesprochen hat, nachvollziehen, dass er
den Haushalt nicht verstanden hat. Es ist unvorstellbar.
({0})
Ich bin nur in einem Punkt mit Ihnen einverstanden.
Wir müssen den Sport fördern und den betreffenden
Menschen helfen. Was ist aber definitiv geschehen? Ich
kann Sie ja verstehen, Herr Minister Schily. Der Kanzler
hat Sie mit seinen Ideen derart überrascht, dass Sie von
Ihren alten Standpunkten eingeholt werden. Sie waren
nämlich gegen die Beihilfe für die Polizei - das ist nicht
in Ihrem Einzelplan vorhanden -, aber auch gegen die Unterstützung bezüglich der Stadien. Können Sie sich daran
erinnern, wie wir uns darum bemüht haben?
„Kaiser“ Franz ist von Ihnen in diesem Zusammenhang erwähnt worden, Herr Kollege Stiegler.
({1})
Er hat inzwischen eine weitere Forderung gestellt, nämlich nicht nur für die Sanierung und Modernisierung des
Zentralstadions in Leipzig, sondern auch des Olympiastadions in München als Stadion für die Fußballweltmeisterschaft Mittel zu gewähren.
({2})
Ich bin einmal gespannt, wie sich das weiterentwickeln
wird. Aber in Ihrem Haushalt kann ich die Summe von
383 Millionen DM, die Sie ins Gespräch gebracht haben,
überhaupt nicht erkennen.
({3})
Über diesen Punkt müssen wir in den Einzelberatungen
sicherlich noch klar und deutlich sprechen. Dazu bin ich
bereit.
Ihr Haushalt wird durch Kürzungen im investiven Bereich geprägt. Dies kann kein Bürger der Bundesrepublik
Deutschland verstehen. Ich weiß nicht, wie sorgfältig Sie
Ihren eigenen Haushalt gelesen haben. Er wird um
7,8 Prozent gekürzt. Diese Kürzung findet man in allen
Bereichen.
({4})
Sie haben mit großer Anerkennung von den BGS-Beamten und ihrer Arbeit gesprochen. Auch ich möchte sie
ausdrücklich erwähnen und ihnen ganz herzlich für ihre
großartige Arbeit danken.
Wenn ich den Katalog an Horrorszenen in Bezug auf
die Kürzungen im investiven Bereich hier vortragen
würde, wären Sie verzweifelt.
({5})
Ich nenne nur einen Bereich: Wir haben uns bereits des
Öfteren mit den unvorstellbaren Missständen an den
Bahnhöfen, was die Unterbringung der Bundesgrenzschutzbeamten angeht, auseinander gesetzt. Dieser Bereich des Haushalts wird um 2 Millionen DM gekürzt.
Beim Bundesgrenzschutz kommt ein weiterer Punkt
hinzu: Sie haben in Ihren Haushalt für diesen Bereich
125 Millionen DM eingestellt und sprechen von ausgabenmindernden Wirkungen. Ich sehe das überhaupt nicht
ein; Herr Stiegler spricht ja immer davon, der Haushalt
sei sicher.
({6})
Vielmehr kommt es zu unvorstellbaren Ausgabenbelastungen. Dazu hören Sie gleich noch mehr.
Ich habe in Frankfurt mit Vertretern der Bahn gesprochen: Es wurde in diesem Zusammenhang nichts mit dem
Vorstandsvorsitzenden Mehdorn abgesprochen. Vielmehr
wird es wahrscheinlich Ihrerseits einen Erlass bzw. eine
Verordnung geben, dass der Bahn die Kosten für den Bundesgrenzschutz zwangsweise aufgedrückt werden.
({7})
Aufgabe des Staates ist es, die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Bahnhöfe und die
Schienen in der Bundesrepublik Deutschland, solange sie
Staatseigentum sind, ohne Wenn und Aber gesichert werden. Ich hoffe, dass in dieser Hinsicht etwas passiert.
Die Situation der Bahn ist doch im Moment folgendermaßen: Sie wird nicht nur durch die Ökosteuer bzw. die
„K. O.-Steuer“, sondern auch durch die Stromsteuer belastet. Nun kommen auch noch die Kosten für den BGS
hinzu. Dies gibt es in anderen Eisenbahnunternehmen der
Welt nicht. Deswegen ist es meines Erachtens wichtig,
dass wir uns mit dieser Thematik beschäftigen.
Herr Minister Schily, ein weiterer Bereich, der meines
Erachtens sehr wichtig ist, sind die zusätzlichen Flugsicherheitsgebühren. Man kann darüber natürlich diskutieren. Aber Sie sollten die Öffentlichkeit schon klar und
deutlich darauf hinweisen, was Sie vorhaben. Die Flugsicherheitsgebühren an den Flughäfen werden von 305 Millionen auf 442 Millionen DM erhöht. Das ist eine Erhöhung um knapp 50 Prozent. In Zukunft wird es also
nicht nur die Ökosteuer, die Stromsteuer, also die „K. O.Steuer“, sondern auch noch eine Mallorca-Steuer geben.
Sie, die Sie da oben auf der Tribüne sitzen, wissen nun,
was in Zukunft auf Sie noch zukommt. Ich glaube, dass
wir uns als Opposition in diesem Bereich noch klar und
deutlich melden werden. Darauf werde ich in jeder Veranstaltung hinweisen.
({8})
Diese Horrorliste lässt sich beliebig fortsetzen. Ich
hoffe nur, Herr Minister, dass Sie in den Gesprächen, die
wir in Kürze im Zuge der Haushaltsberatungen haben
werden, hier und dort gewisse Signale geben.
Mir geht es genauso wie Ihnen: Meine Redezeit ist zu
kurz. Ich könnte Ihnen noch einen großen Teil anderer
Dinge erklären.
({9})
Das kann ich heute nicht leisten; denn meine Redezeit ist
zu Ende. Damit möchte ich schließen.
({10})
Weitere
Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren liegen nicht vor.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07, und zum
Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht.
Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Frau
Dr. Däubler-Gmelin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Bekanntlich haben sich die Bundesregierung und die rotgrüne Koalition vorgenommen, den schädlichen und
lange andauernden Reformstau aufzulösen. Damit soll
zum Ersten endlich wieder deutlich werden, dass unser
Recht auf der Seite der Schwächeren steht.
({0})
Damit sollen zum Zweiten wichtige Gebiete unseres
Rechtes und unsere rechtsstaatlichen Institutionen so modernisiert werden, dass sie ihren grundgesetzlichen Auftrag für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auch
in Zukunft gut erfüllen können. Dieser grundgesetzliche
Auftrag, diese Dienstleistung für die Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes ist nämlich von zentraler Wichtigkeit. Damit wollen wir zum Dritten beim Aufbau unseres Europa, das künftig ein gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechtes sein soll, die
Gestaltungselemente und Strukturen, das heißt mehr
Rechtsstaatlichkeit und mehr sozialstaatliche Demokratie, so einbringen, wie sie sich nach unserer Erfahrung in
den vergangenen 50 Jahren bei uns in der Bundesrepublik
bewährt haben.
({1})
Wir haben in den letzten beiden Jahren - wir nähern
uns bald der Halbzeit der Legislaturperiode - sehr deutliche Akzente gesetzt, die diese Weichenstellung unterstreichen. Lassen sie mich zum ersten Teil - Recht auf der
Seite der Schwächeren - sagen: Der Täter-Opfer-Ausgleich ist einer der Bereiche; die Ächtung der Gewalt in
der Erziehung und Hilfe für Alleinerziehende sind weitere Beispiele.
Lassen Sie mich an dieser Stelle hinzufügen: Es ist ungeheuer wichtig, immer wieder zu sagen, dass der Bundesrat hier nicht unter Anleitung einer Mehrheit von Kollegen aus den Justizministerien, die der Opposition
angehören - ich meine jetzt nicht die F.D.P. -, Einspruch
einlegen sollte. Das wäre ganz falsch und würde das dringend erforderliche Signal zur Gewaltbekämpfung in unserer Gesellschaft deutlich konterkarieren.
({2})
Ich appelliere gerade an die Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition: Wenn Sie Einfluss haben, nutzen Sie
diesen Einfluss, damit die klare Aussage „Das Recht steht
auf der Seite der Schwächeren“ auch in diesem Bereich
deutlich wird.
({3})
Das Gewaltschutzgesetz und das Sanktionengesetz
kommen im Herbst. Das wissen Sie. Das erste soll geschlagenen Frauen und ihren Kindern nicht mehr nur die
Möglichkeit belassen, ins Frauenhaus zu gehen - so wichtig und wertvoll diese Institutionen sind, um erste Hilfe zu
leisten -, sondern es wird diesen Frauen die Möglichkeit
eröffnen, in der Wohnung zu bleiben, in der sie bisher gewohnt haben. Wir werden darüber hinaus auch gerichtliche Kontaktverbote in diesem Gesetz vorschlagen. Ich
glaube, damit sind wir wieder ein Stück weiter.
Das Sanktionengesetz, über das wir schon viele Diskussionen geführt haben, wird eine Reihe von Vorschlägen bringen. Über diese wird noch im Einzelnen zu diskutieren sein. Mir ist unter dem Gesichtspunkt „Das Recht
muss auf der Seite der Schwächeren stehen“ ganz besonders das wichtig, was wir hier zusätzlich für die Opfer
wollen und vorschlagen. Wir wollen, dass 10 Prozent der
Geldstrafen endlich dafür zur Verfügung stehen, dass Opfern von Kriminalität geholfen werden kann.
({4})
Diese gehen heute bisweilen leer aus.
Wir alle haben gerade in den letzten Monaten - zu
Recht - darauf hingewiesen, dass Zivilcourage auch gegen Rechts erforderlich ist. Wer aber erfahren hat, wie
Menschen, die diese Zivilcourage aufgebracht haben und
denen dabei etwas passiert ist, manchmal allein gelassen
wurden, der weiß, wovon ich rede. Hier ist ein weiterer
Schritt erforderlich.
Meine Damen und Herren, es muss auch darum gehen,
dass Opfer von Straftaten, die Schäden erlitten haben, eine
leichtere Möglichkeit erhalten, diese Schäden auch ersetzt
zu bekommen. Das ist der zweite Punkt, auf den ich Sie
hinweisen möchte.
Nehmen wir den Schwerpunkt Modernisierung. Wir
haben mit der außergerichtlichen Streitschlichtung begonnen, weil wir der Auffassung sind, dass es im täglichen Leben zum Beispiel Streitigkeiten unter Nachbarn
gibt, bei denen es viel besser ist, eine Lösung zu finden,
die zum Rechtsfrieden beiträgt, statt vor Gericht zu gehen
und die Sache streitig entscheiden zu lassen.
({5})
Das ist bereits Gesetz.
Es gibt jetzt eine ganze Reihe von Ländern, die anfangen, Modelle der außergerichtlichen Streitschlichtung zu
entwickeln. Deshalb erwähne ich das. Wir wissen: In den
vergangenen Jahren ist im Bereich der Mediation, vor allem der Mediationspraxis und der Mediationswissenschaft, von Anwälten, von Instituten und von Menschen,
die ganz besonders viel davon verstehen, eine Menge an
nützlichen Erkenntnissen zusammengetragen worden, die
jetzt für die Praxis verfügbar gemacht werden sollten.
Ich bitte Sie auch hier: Nutzen Sie Ihren Einfluss in den
Ländern, die solche Gesetze der außergerichtlichen Streitschlichtung wollen, aus, damit sie die Mediation und
alles, was dazu dient, den Rechtsfrieden wieder herzustellen, auch tatsächlich in Anspruch nehmen und verbindlich einbeziehen.
Ein weiterer Punkt: Wir haben die Präsidialverfassung
verändert und Gerichte geöffnet. Auch das war, obwohl es
sehr streitig war, sehr wichtig.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dass wir sehr viele wichtige Modernisierungsvorhaben wie die Justizreform, die Einführung der Namensaktie, die Anerkennung von Lebenspartnerschaften, Änderungen im Mietrecht oder eine Reform der Finanzgerichtsordnung bereits auf den Weg gebracht haben - sie
sind zum Teil schon im Gesetzgebungsverfahren -, das
wissen Sie. Im Herbst werden wir hier in diesem Hause
sehr viele Schwerpunktaufgaben zu diskutieren haben.
All dies dient der Modernisierung, dient dazu, dass die Institutionen unseres Landes und dass auch unsere Rechtsordnung ihren grundgesetzlichen Auftrag auf Dauer gut
erfüllen können.
Lassen Sie mich von den Projekten, die im Herbst anstehen, drei wichtige ansprechen. Ich schließe mich meinem Vorredner, Bundesinnenminister Schily, an, der gesagt hat, dass wir für die Diskussion darüber erheblich
mehr Zeit haben müssten. Hier kann man jetzt nur mit wenigen Worten informieren, statt in Ruhe das Für und das
Gegen in Einzelheiten vorzutragen.
Wir setzen nur die Biopatentrichtlinie um. Dies ist ein
ganz wichtiges Werk, und zwar ganz einfach deshalb, weil
es hier darum geht, geistige Leistungen durch Änderungen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes zu
schützen und gleichzeitig Forschung und Innovationen zu
fördern, aber auch die ethischen Grenzen dessen, was wir
machen dürfen, festzulegen.
Ich hätte mir gewünscht, dass diese Diskussion hier
schon sehr viel früher in Gang gekommen wäre, zum Beispiel in den zehn Jahren, in denen die Biopatentrichtlinie
auf europäischer Ebene beraten wurde. Ich lade ausdrücklich alle ein, sich an der Diskussion zu beteiligen. Wir
werden hier eine zielgenaue, klare Gratwanderung, die
diese drei Gesichtspunkte zusammenbringt, unternehmen
müssen. Das können wir am besten gemeinsam.
Ich nenne einen zweiten Bereich, der ebenfalls mit dem
Schutz geistiger Leistungen zusammenhängt: das Urheberrecht.
({6})
- Ich komme gleich zu dem Dank, keine Sorge. - Auch
hier liegt eine Menge Arbeit vor uns. Wir müssen, eingebettet in die rechtlichen Regelungen, die in Europa und
weltweit entwickelt, erarbeitet und ausverhandelt wurden
- man kann das nicht mehr nur national machen -, Urheber im digitalen Zeitalter bzw. im Zeitalter der Informationsgesellschaft besser schützen.
Ich bedanke mich übrigens ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen auch der CDU/CSU und der F.D.P.
dafür, dass sie sich in den letzten Wochen, als es diesen
kurzen Aufschrei von dem einen oder anderen aus Industrieverbänden gegeben hat, die meinten, das gelte nicht
für sie - sie sind zwar der Auffassung, dass man dann,
wenn man einen Kassettenrecorder kauft, eine Abgabe
leisten muss, die den Urhebern zugute kommt, dass dies
aber bei den modernen Vervielfältigungsgeräten nicht so
sein sollte -, dazu geäußert und dem klar widersprochen
haben. Das finde ich gut. In allen Parteien gab es auch andere Stimmen; aber das Urheberrecht ist auch ein schwieriges Gebiet.
Es gibt noch einen dritten Punkt, auf den ich Sie aufmerksam machen möchte und der uns ebenfalls in diesem
Herbst beschäftigen wird. Er hat ebenfalls mit Modernisierung und dem Aufbau eines einheitlichen Raumes der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa zu tun:
die Modernisierung des Schuldrechts. Jeder Jurist und
jede Juristin hat sich seit dem ersten Semester der juristischen Ausbildung immer wieder damit beschäftigt und
geht nahezu täglich damit um. Aber wir wissen ganz genau: Europa der Bürger, Europa der Wirtschaft, Europa
des Handels bedeutet, dass die Einflüsse aus Europa immer stärker werden. Wir müssen - damit fange ich nun
an - verschiedene europäische Richtlinien umsetzen: die
Fernabsatzrichtlinie, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie
und einige andere, mit deren Nennung ich Sie jetzt nicht
erschrecken will. Diese greifen massiv in die Kaufbeziehungen und damit in unser Schuldrecht ein.
Wir hatten seit langem - das ist sehr gut - eine gute
Grundlage, auf der auch die Richtlinien verhandelt worden sind, nämlich die Ergebnisse der Schuldrechtskommission, die Anfang der 90er-Jahre eingesetzt wurde und
ihre Ergebnisse vorgelegt hatte.
Jetzt stehen wir vor einer schwierigen Weichenstellung. Wir müssen entscheiden: Wollen wir bei der Umsetzung des EU-Rechts, wo doch das System des EU-Rechts
anders ist, unser bürgerliches Recht, unser Kaufrecht und
unser Schuldrecht noch stärker verkomplizieren oder sind
wir bei der Modernisierung so mutig zu sagen: Wir nehmen das, was die Schuldrechtskommission vorgeschlagen
hat, dazu und setzen das einmal richtig, aber gründlich
um? Um diese Weichenstellung wird es in diesem Herbst
gehen.
Ich werde Ihnen in den kommenden Tagen einen ersten
Entwurf zur Diskussion zusenden. Ich bitte Sie, sich auch
hier an der Modernisierung zu beteiligen.
Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz für 2001, klein, wie er ist, und
sparsam, wie wir sein müssen, spiegelt diese Schwerpunkte und andere wider. Mir wäre es lieber, wir müssten
nicht so viel sparen. Ich sage das, weil unser Kollege
Bundesfinanzminister im Saal ist, der eine Sparpolitik betreibt.
({7})
- Das macht er ja nicht freiwillig, sondern im Interesse der
Bevölkerung und einfach deswegen, weil er mit Ihrer Erbschaft fertig werden muss.
({8})
Der wird das genauso sehen.
Wir haben das, was wir machen konnten, erreicht.
({9})
- Ich weiß, es gefällt Ihnen nicht.
({10})
Wenn ich in Ihrer Situation wäre, würde ich jetzt ebenfalls
heftig widersprechen. Aber alle Leute wissen mittlerweile, welchen Schuldenberg und welches Erbe Sie uns
hinterlassen haben. Ich denke, darüber brauchen wir jetzt
nicht zu streiten.
({11})
Wir schaffen - verehrter Herr Geis, das wird Sie besonders interessieren - im Haushalt 2001 die Voraussetzungen dafür, dass das Menschenrechtsinstitut, das wir
geplant haben und das die rot-grüne Koalition will, im
nächsten Jahr anfangen kann zu arbeiten. Das bedeutet,
dass wir nicht nur durch Reden, sondern auch durch Tun
sehr deutlich machen, wie viel wir von den Menschenrechten halten. Übrigens gilt das nicht nur im Inland. Lassen Sie mich dazu ergänzen, dass ich jeder Polizistin und
jedem Polizisten, jedem Staatsanwalt und jedem Richter
dankbar bin, der oder die im Rahmen seines oder ihres
Verantwortungsbereiches deutlich macht, dass Straftaten
mit rechtsextremistischem Hintergrund von uns nicht geduldet werden.
({12})
Menschenrechtspolitik und der Schutz der Menschenrechte sind nicht allein bei uns im Inland wichtig. Wir sind
der Meinung, sie müssen auch, und zwar mit deutscher
Beteiligung, über die deutschen Grenzen hinaus unterstützt werden.
({13})
Deswegen bin ich der Auffassung, es ist hoch an der
Zeit, dass die Einsetzung eines internationalen Strafgerichtshofs endlich auch vom Parlament beschlossen wird.
({14})
Mein Appell geht an alle Seiten des Hauses, das nicht
mehr zu verzögern, sondern es wirklich zu beschleunigen.
Dass wir den Rechtsstaatsdialog mit der Volksrepublik
China intensivieren, wird - auch das weiß ich - vom gesamten Haus getragen. Das möchte ich an dieser Stelle
ebenfalls erwähnen. Das tun wir natürlich nicht nur wegen des bilateralen Nutzens, sondern wir machen das
auch, weil wir der Auffassung sind, dass wir dadurch auf
der globalen Ebene zu einem gemeinsamen Verständnis
von Grund- und Menschenrechten beitragen können, das
wir in einer Welt, die immer stärker zusammenwächst,
dringend brauchen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas
zur Modernisierung sagen. Das gilt vor allem für einen
Bereich, nämlich das Deutsche Patent- und Markenamt, das uns 1998, als wir die Regierung übernommen
haben, schon als Sorgenkind angekündigt worden war, ({15})
- als Sorgenkind mit ganz großen Problemen, obwohl die
Menschen, die dort arbeiten, voll motiviert sind und obwohl sie sich jede Mühe geben, als Sorgenkind deshalb,
weil wir seit 1991 sehen mussten, dass die Zahl der Anmeldungen von Patenten erfreulich stieg und steigt - Zeichen ökonomischer Innovationsbereitschaft und auch von
Wirtschaftskraft -, die Zahl der Marken auch, während
aber die Zahl der Stellen beim Deutschen Patent- und
Markenamt von der Vorgängerregierung in erheblichem
Maße gesenkt wurde. Das kann nichts werden, wenn sich
die Schere öffnet.
Hinzu kommt eine völlig unzulängliche Ausstattung
mit Computern oder mit Mitteln einer modernen Arbeitsorganisation.
({16})
Sie werden wissen, wovon ich rede. Im Haushalt - das
sage ich jetzt nur für die Leute, die nachlesen wollen -,
den Herr Waigel für das Jahr 1999 vorgeschlagen hatte,
wäre es mit den Stellenstreichungen weitergegangen.
({17})
Wir haben hier schon 1999 dank der Unterstützung
auch des Herrn Bundesfinanzministers eine - wenn auch
nur leichte - Trendwende erreicht. Wir konnten für 2000
sehr viele zusätzliche Patentprüferstellen einrichten. Wir
haben auch etwas Geld für die Ausstattung mit Computern, an denen Patentprüfer arbeiten sollen, bekommen.
Wir sind schon sehr weit bei der Verbesserung in Bezug
auf Informations- und Kommunikationstechnologie und
eine moderne Arbeitsorganisation.
Ich sage Ihnen: Das, was mich 1998 beinahe zu Tränen
gerührt hat, die gezackte Gebührenmarke, werden wir ins
Euro-Zeitalter ebenso wenig mit hinübernehmen wie das
veraltete Kostenverrechnungssystem.
({18})
Warum sage ich das? Die dringend nötigen Verbesserungen waren und sind ohne eine Gebührenerhöhung
nicht möglich. Das will ich hier auch einmal deutlich ansprechen: Hätte die Union ihre Verpflichtung früher wahrgenommen ({19})
- und das Patent- und Markenamt nicht in diesen Zustand
kommen lassen ({20})
- und hätte sie den Mut gehabt, Herr Feibel, die seit 1976
nicht mehr erhöhten Gebühren vernünftig, mittelstandsBundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
freundlich und erfinderfreundlich anzupassen, wie wir
das jetzt mussten, dann wäre es für uns viel leichter gewesen und dann wären wir jetzt weiter.
({21})
Ich will es Ihnen ganz deutlich sagen: Wir brauchen
noch ein wenig Zeit. Was wir aber überhaupt nicht brauchen, ist, dass diejenigen, die an diesem Zustand schuld
sind, jetzt meinen, beckmesserisch auftreten zu können.
Wir brauchen die Unterstützung des ganzen Hauses und
des Haushaltsausschusses, um noch mehr zu erreichen.
Alles andere wäre unseres Landes unwürdig.
Lassen Sie mich mit einem Dank an all jene schließen,
die an dem Ziel, einen einheitlichen Rechtsraum in Europa zu schaffen, mitgearbeitet und mitgewirkt haben.
Sie alle wissen, wie schwer es ist, die Abwicklung des
Tagesgeschäfts im europäischen Raum voranzubringen.
Wir wussten dies, als Sie die Verantwortung hatten, und
Sie wissen es jetzt, da wir sie haben. Wir haben Eurojust
auf den Weg gebracht. Zusätzlich verbessern wir die Lebensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union, damit sie zum Beispiel ihren Schaden
leichter ersetzt bekommen, wenn sie einen Verkehrsunfall
im Ausland haben, auch bei Gerichtsprozessen und anderen Problembereichen helfen wir ihnen. Auch der E-Commerce gehört dazu.
Eines aber will ich besonders herausstellen, und zwar
die Europäische Grundrechte-Charta. Ich weiß aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Parteien, dass deren Schaffung vielen von ihnen ein
ähnlich großes Anliegen war und ist. Dennoch war immer
wieder Skepsis zu vernehmen, als wir Deutschen, als gerade ich im Rahmen der deutschen Präsidentschaft darauf
gedrungen habe, die Europäische Grundrechte-Charta auf
den Weg zu bringen.
Ich stelle heute mit großer Freude fest, dass die Charta
auf einem guten Wege ist, und darf denen, die uns im Konvent vertreten, ausdrücklich danken. Mein Dank richtet
sich an Herrn Professor Meyer - ich sehe ihn hier vor
mir -, der dort den Bundestag vertritt,
({22})
aber auch an die Adresse von Professor Herzog, der heute
nicht anwesend ist. Ich glaube, ohne die beiden wären wir
nicht so weit, wie wir heute sind. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Europa nicht allein als Europa
der Wirtschaft und Europa des Euro bekannt ist, sondern
zum Europa der Bürgerinnen und Bürger und zum Europa
der gemeinsamen Werte wird. Das brauchen wir alle.
Ganz herzlichen Dank.
({23})
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Bosbach von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch den Justizhaushalt des Bundes wird nur zu einem geringen Teil eine ganz
zentrale und vitale Staatsaufgabe finanziert. Justiz ist
vornehmlich Ländersache und die Zivilgerichtsbarkeit hat
durch die Einnahme von Gebühren zur Freude aller Finanzminister eine hohe Selbstfinanzierungsquote.
Die Arbeit der Ziviljustiz ist keineswegs, wie gerne behauptet wird, durch stetig steigende, sondern durch
tendenziell leicht fallende Fallzahlen, relativ kurze Verfahrenszeiten und geringe Rechtsmittelquoten gekennzeichnet. Aber - dieser Umstand, Frau Ministerin, verdient eine besondere Beachtung - die eingelegten
Rechtsmittel haben eine relativ hohe Erfolgsquote von
fast 50 Prozent.
({0})
Schon diese Zahl belegt, dass es keinen vernünftigen
Grund gibt, die Überprüfung vermeintlich oder tatsächlich fehlerhafter Urteile unnötig zu erschweren.
({1})
Die Regierung plant Änderungen in der Zivilprozessordnung, die so tief greifend sind, dass die konkrete
Gefahr besteht, dass der Recht suchende Bürger zukünftig nicht mehr in dem Umfang Recht erhält, wie unbedingt
notwendig, ({2})
- dass der bewährte Gerichtsaufbau unnötig ins Wanken
gerät ({3})
- und dass unser auch im internationalen Vergleich vorbildliches Rechtssystem nachhaltig geschädigt wird.
({4})
Entgegen anders lautenden Behauptungen, Frau Justizministerin, ist die von Ihnen mit Hochdruck betriebene
Reform der ZPO nicht bürgerfreundlich, sondern bürgerfeindlich.
({5})
Sie macht den Zivilprozess nicht schneller, sondern bürokratischer. Sie sorgt nicht für mehr Recht, sondern muss
fast zwangsläufig zu mehr Ungerechtigkeit führen. Unser
Rechtssystem würde nicht reformiert, sondern deformiert.
Wieso soll ein Berufungsgericht ein angegriffenes
Urteil nur dann korrigieren dürfen, wenn „ernstliche“
Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung besteht? Welchen
vernünftigen, dem Bürger vermittelbaren Grund gibt es
dafür, beim Vorliegen von Zweifeln an der Richtigkeit der
Sachverhaltsfeststellungen die Berufung nicht durchzuführen? Sie können nicht ernsthaft wollen, dass in all
denjenigen Fällen, in denen ein Einzelrichter oder gar
ein Richterkollegium Zweifel an der richtigen Tatsachenfeststellung der ersten Instanz hat, das auf diesen
Feststellungen basierende Urteil nicht mehr überprüft
werden darf. Das wäre nicht Politik für, sondern gegen
den Bürger.
Warum wollen Sie das bewährte Prinzip aufgeben, dass
nun einmal sechs Augen mehr sehen als zwei Augen?
Wenn erstinstanzlich vor den Landgerichten zukünftig
mehr Einzelrichter als Kammern entscheiden sollen, dann
muss sich daraus der zwingende Schluss ergeben, dass zumindest in der nächsten, möglicherweise letzten Instanz
mehr als nur ein Richter Recht spricht.
Auch Ihnen kann nicht entgangen sein, dass Ihre Pläne
von der gesamten Fachwelt, von allen, von Richtern, von
Anwälten, von den Justizministern der Länder, gleich
welcher Couleur, je nach Temperament und Interesse
milde oder hart kritisiert, jedenfalls komplett abgelehnt
werden.
({6})
Gegen diejenigen, die tagtäglich mit der ZPO arbeiten
müssen, und gegen die Länder kann eine Reform keinen
Erfolg haben.
Niemand spricht Ihnen, Frau Professor, ein hohes Maß
an Intelligenz ab.
({7})
Bitte seien Sie aber auch klug und ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Suchen Sie stattdessen das Gespräch
mit der Fachwelt und mit den Kolleginnen und Kollegen
der Länder für eine Reform, die dem Recht dient und nicht
der Rechtskultur unseres Landes und den Recht suchenden Bürgern schadet!
({8})
Kommen wir von der Rechtspolitik zur sozialdemokratischen Rechtspraxis in Nordrhein-Westfalen und in
diesem Hause. Punktgenau drei Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wurde bundesweit publik,
dass unser Kollege Ronald Pofalla in dem Verdacht steht,
Steuern hinterzogen zu haben. Unter Vortäuschung
falscher Tatsachen wurde unser eigener Immunitätsausschuss veranlasst, die Immunität des Kollegen Pofalla
aufzuheben. Der Skandal war perfekt.
({9})
Heute wissen wir: Einen Skandal des Kollegen Ronald
Pofalla hat es zu keiner Sekunde gegeben. Aber wir wissen jetzt genau, dass es skandalöse Verhältnisse in dem
Teil der nordrhein-westfälischen Justiz gibt, der nicht
weiß, dass er nicht der SPD, nicht Herrn Müntefering,
nicht Herrn Dieckmann, sondern nur dem Recht zu dienen
hat.
({10})
- Das ist Ihnen peinlich. Sie hätten natürlich große Freude
daran, wenn ich jetzt, wie die Frau Ministerin, über die gezackte Gebührenmarke reden würde. Genau deswegen tue
ich Ihnen den Gefallen nicht.
({11})
Am 2. August 2000 hat das Landgericht Kleve rechtskräftig festgestellt, dass es nie - ich betone: nie - einen begründeten Tatverdacht gegen den Kollegen Pofalla gegeben hat. Das Gericht hat alle - komplett alle Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse für
rechtswidrig erklärt.
({12})
Bei dieser Lage will man uns allen Ernstes weismachen, dass es nur ein Zufall sei, dass die beiden gegen den
Kollegen Pofalla ermittelnden Staatsanwälte nicht aus der
zuständigen Staatsanwaltschaft in Kleve kommen, sondern erst Anfang des Jahres aus dem Landesjustizministerium nach Kleve versetzt wurden.
({13})
Einer der beiden Helden soll in Kürze als leitender Oberstaatsanwalt Behördenchef in Kleve werden. - Befehl
ausgeführt.
({14})
Die zweite Koryphäe soll ihm in zwei Jahren nachfolgen.
Gibt es hier im Parlament tatsächlich irgendjemanden, der
bei diesen Versetzungen und Beförderungen an einen Zufall glaubt?
Warum wurde auf dem sozialdemokratischen Dienstweg vom Generalstaatsanwalt in Düsseldorf über den
Landesjustizminister, über die Bundesministerin der Justiz bis zum Präsidenten des Deutschen Bundestages und
von dort zur Vorsitzenden des Immunitätsausschusses
nicht ein einziges Mal gründlich überprüft, ob tatsächlich
ein Tatverdacht vorliegt ({15})
- und ob die Behauptung der Staatsanwaltschaft, es sei
wegen drohender Verjährung geboten, die Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen sofort zu genehmigen,
tatsächlich richtig ist? Ein kurzer Blick in § 78b des Strafgesetzbuches hätte genügt, um festzustellen, dass diese
Behauptung im Hinblick auf den Kollegen Pofalla grober
Unfug ist.
Gibt es hier im Deutschen Bundestag irgendjemanden,
der nur an eine Kombination von Schlamperei und
Dummheit glaubt? Minister Dieckmann sagt, er hätte persönlich von dem Treiben seiner Staatsanwälte keine
Kenntnis gehabt. Glauben wir das einmal und warten wir
ab, ob er die Wahrheit sagt.
({16})
Warum hat sich eigentlich bis zur Stunde keiner der beteiligten sozialdemokratischen Würdenträger bei dem
Kollegen Pofalla entschuldigt?
({17})
Sie können das heute in dieser Debatte nachholen.
Minister Schily ist leider gegangen: Ich hätte ihm gerne
gesagt: Wer die Parteispendenaffäre erwähnt und zum
Fall Pofalla schweigt, hat ein gespaltenes Rechtsverständnis.
({18})
Die parteipolitische Wertung der Parteispendenaffäre ist
die eine Sache. Wenn aber ein Innenminister der Bundesrepublik Deutschland einerseits Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zitiert und andererseits dann das
Plenum und sein Amt dazu benutzt, auf die unabhängige
Justiz in einem ganz konkreten Fall aus parteipolitischen
Motiven Druck auszuüben, dann geht das entschieden zu
weit und ist scheinheilig.
({19})
Noch ein kurzes Wort zum Thema rot-grünes Rechtsverständnis. Das Recht auf freie Meinungsäußerung
und das Demonstrationsrecht sind elementare Grundrechte. Sie gelten sogar dann, wenn sich der Volkszorn gegen eine rot-grüne Regierung richtet. - Nur zur Klarstellung. Klar ist auch, dass derjenige, der demonstrieren will,
das Recht beachten muss und vor allen Dingen keine
Straftaten begehen darf. Für diesen Fall hat der Kanzler
mit der ganzen Härte des Gesetzes gedroht.
Aber eines muss ebenfalls klar sein: Man kann nicht
die aufgebrachten Bergarbeiter, die in Bonn die F.D.P.Zentrale attackieren, den Verkehr lahm legen, das Regierungsviertel blockieren und die Bannmeile durchbrechen,
bejubeln und mit Durchhalteparolen unterstützen und
protestierenden Brummifahrern, die um ihre Existenz
bangen, mit der Staatsmacht drohen.
({20})
So verhilft man dem Recht nicht zur Geltung.
({21})
In wenigen Tagen erfolgt die Sachverständigenanhörung zu dem Herzensanliegen des Kanzlers, unter dem
Arbeitstitel „eingetragene Lebenspartnerschaften“ homosexuellen Paaren den Weg zum Standesamt und zur
Eheschließung zu ermöglichen. Den Mut, das Kind beim
Namen zu nennen, hat die Koalition nicht. Mit minimalen
Ausnahmen übertragen Sie die eherechtlichen Regelungen und die damit verbundenen Wirkungen. Sie schaffen
eine vollständige Kopie der Ehe für gleichgeschlechtliche
Paare, die Sie jedoch zur Beruhigung der Bevölkerung
nicht Ehe, sondern anders nennen. Gleichzeitig behaupten
Sie zur Rechtfertigung des Angriffs auf Ehe und Familie,
dass diese Initiative wegen des Gleichheitsgebotes des
Grundgesetzes aus Gründen der Gerechtigkeit dringend
geboten sei. Diese Argumentation belegt, dass Sie von
dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung eine falsche
Vorstellung haben.
({22})
Gleichbehandlung bedeutet, nur Gleiches gleich zu behandeln, und im Umkehrschluss; Ungleiches ungleich zu
behandeln.
({23})
Eine schematische automatische Übertragung von
Rechtsvorschriften und damit verbundenen Rechtswirkungen von einem gesellschaftlichen Bereich auf den anderen ohne Rücksichtnahme auf fundamentale Unterschiede ist kein Gebot des Artikel 3 Grundgesetz, sondern
ein Verstoß dagegen.
Macht es Sie eigentlich kein bisschen nachdenklich,
wenn nicht nur die Union und mit ihr große Teile der Bevölkerung, sondern auch die beiden großen christlichen
Kirchen und viele namhafte Familien- und Staatsrechtler
Ihren Gesetzentwurf mit guten Argumenten ablehnen?
Sie sagen: Der Ehe werde nichts genommen; deshalb
werde Artikel 6 des Grundgesetz nicht verletzt. Richtig ist
das Gegenteil: Es ist gerade das politische Ziel der rotgrünen Pläne, dem traditionellen, bewährten Leitbild der
Ehe und Familie die gesetzliche und gesellschaftliche
Vorrangstellung zu nehmen.
({24})
- Sie sollten den Mut haben, das auch zuzugestehen.
Sie geben das Ziel des besonderen Schutzes des Staates für Ehe und Familie auf und wollen alle Formen des
Zusammenlebens einebnen.
({25})
Es soll zukünftig gerade keine Vorrangstellung von
Ehe und Familie vor anderen Formen des Zusammenlebens geben. Ehe und Familie sind jedoch die Keimzelle
jeder staatlichen Gemeinschaft. Darum stehen sie unter
dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.
Wir sind gern bereit, mit Ihnen offen darüber zu diskutieren, wie dies auf geeignete Art und Weise geschehen
kann. Wir wollen in schwierigen Lebenssituationen helfen und sind selbstverständlich bereit, dort Konsequenzen
zu ziehen, wo es die gleichgeschlechtlichen Partner nach
der derzeitigen Rechtslage nicht schaffen, ihre Probleme
zu lösen.
({26})
Herr Kollege Bosbach, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum
Schluss, Herr Präsident.
Wenn Sie aber weiterhin Ihren Plan verfolgen, auch homosexuellen Paaren unter der Überschrift „eingetragene
Lebenspartnerschaften“ die Eheschließung zu ermöglichen, dann werden Sie zwangsläufig scheitern und möglicherweise denjenigen, denen Sie helfen möchten, nicht
helfen können.
Danke fürs Zuhören.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zu
dem, was Sie, Herr Bosbach, hinsichtlich des Kollegen
Pofalla gesagt haben. Wenn Herrn Pofalla in diesem Zusammenhang Unrecht geschehen sein sollte, ({0})
- dann bedauern wir dies. Aber die Vorwürfe insbesondere gegen das Bundesjustizministerium, ({1})
- die Sie aus diesem Vorfall abgeleitet haben, sind völlig
unangemessen.
({2})
Das Bundesjustizministerium ist nicht die Prüfbehörde
für Tätigkeiten der Landesjustizverwaltung in NordrheinWestfalen.
({3})
Was da geschehen ist, müssen wir uns alle genau anschauen; da haben Sie Recht. Wenn wir weiterhin darüber
diskutieren wollen, müssen wir diesen Sachverhalt sehr
präzise untersuchen und genau feststellen, wer da was
verbockt hat.
Der Reformstau in der Rechtspolitik löst sich allmählich auf. Endlich, muss man sagen. Statt auf Flickschusterei, wie sie noch unter Schwarz-Gelb mit diversen
Rechtspflegeentlastungsgesetzen üblich war, setzt RotGrün auf eine Komplettreparatur der Justiz. Meine Damen und Herren von der Union, selbst Ihr bayerischer
Parteifreund, Herr Justizminister Weiß, erkennt offenbar
die Zeichen der Zeit. Schauen Sie nur, wie er sich im aktuellen „Focus“ geradezu erleichtert und erfreut über unser Gesetz zur außergerichtlichen Streitbeilegung äußert.
Damit wird nämlich auch in Bayern ermöglicht, dass die
überlasteten Gerichte nicht mehr mit jedem Bagatellfall
belästigt werden. Schlichten statt Richten, das ist rotgrüne Rechtspolitik in diesem Bereich, auf die man offensichtlich auch in Bayern lange gewartet hat.
Konsequent und zügig treibt diese Koalition die notwendigen Modernisierung der Justiz voran. Nach der Einführung der außergerichtlichen Streitschlichtung bei
Bagatell- und Nachbarschaftsstreitigkeiten und nach der
Reform der Präsidialverfassung haben wir jetzt eine Reform des Zivilprozesses auf den Weg gebracht. Wir stärken dabei die Eingangsgerichte qualitativ und personell.
Deswegen werden in Zukunft die Korrekturzahlen, die
Sie vorhin im Hinblick auf Rechtsmittel erwähnt haben,
anders ausfallen. Die erstinstanzlichen Entscheidungen
werden eine höhere Qualität haben und deshalb auch häufiger als heute Bestand haben.
({4})
Es ist schon absurd, wenn uns jetzt von Ihnen vorgeworfen wird, Rot-Grün betreibe mit dieser Reform den
Abbau von Rechtsstaatlichkeit.
({5})
Das Gegenteil ist richtig. Gegen 40 Prozent der erstinstanzlichen Urteile steht heute kein Rechtsmittel zur
Verfügung, sieht man vom Gang nach Karlsruhe wegen
Verwehrung rechtlichen Gehörs ab. Damit machen wir
Schluss. Wir schaffen auch in diesen Fällen bei groben
Rechtsfehlern eine rechtliche Überprüfbarkeit. Das ist
eine Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit und eine Verbesserung für die Recht suchenden Bürger.
({6})
Die Menschen beschweren sich im Zusammenhang
mit der Justiz am meisten über Verzögerungen. Das ist
auch klar, wenn in einem Amtsgericht die Richterinnen
und Richter durchschnittlich bis zu 650 Fälle im Jahr zu
bearbeiten haben. Da leidet auch beim fleißigsten Richter
manchmal die Qualität der Entscheidung.
({7})
Das werden wir verbessern, ohne an falschen Stellen Einschnitte vorzunehmen.
Als Bündnisgrüne haben wir erreicht, dass, wenn notwendig, Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz auch
in der Berufungsinstanz überprüft werden können. Der
Richterbund findet das überflüssig; der Anwaltschaft ist
damit das Fenster zur nächsten Instanz noch nicht weit genug aufgestoßen. Diese kontroverse Kritik zeigt, dass wir
eine gute und ausgewogene Lösung gefunden haben.
({8})
Diese Koalition hat den Mut, den Rechtsstaat von Grund
auf zu modernisieren, wo dies geboten ist. Es ist auch an
einem Punkt geboten, den Sie in Ihrer Rede erwähnt haben: die eingetragene Partnerschaft. Es ist einfach nicht
hinzunehmen, dass es in unserer Gesellschaft eine Gruppe
gibt, nämlich die Schwulen und Lesben, die kein Recht
haben, ihre Partnerschaften als Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaften unter rechtlichem Schutz zu leben. Es ist ein Skandal, dass dieser Zustand schon seit
Jahrzehnten unter der Geltung des Grundgesetzes andauert, obwohl uns die Gerichte inzwischen sagen, dass sich
auch die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft auf
den Schutz des Grundgesetzes berufen kann, nämlich auf
die Handlungsfreiheit, den Schutz der Menschenwürde
und die Gleichheit vor dem Gesetz. Das hat uns Karlsruhe
1993 ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben.
({9})
Sie haben ja ein Verständnis des Artikel 6 des Grundgesetzes, den Sie hier immer vortragen, das ein bezeichnendes Licht auf die Familienpolitik der CDU wirft. Für
Sie ist Artikel 6 des Grundgesetzes in seiner Bedeutung
nur noch ein Ausgrenzungsartikel, nicht ein Artikel, bei
dem wir sagen: Wir fördern Partnerschaftlichkeit und Familie. Für Sie geht es nur darum, andere Lebensformen,
die Ihrem Leitbild nicht entsprechen, auszugrenzen und
zu diskriminieren.
({10})
Das ist nicht unser Verständnis. Diese Koalition hat wie
keine andere Koalition zuvor für die Familie gearbeitet:
beim Erziehungsgeld, beim Kindergeld und bei der Steuerreform. Deshalb haben wir es, um familienfreundlich zu
sein, nicht nötig, andere Lebensformen auszugrenzen
und zu diskriminieren.
({11})
Wissen Sie, Herr Bosbach, man muss sich ja schon
manchmal über die Diskussion in unserem Land in Bezug
auf solche Themen wundern. Da wird ein Buhei gemacht!
({12})
In anderen Ländern, zum Beispiel den Niederlanden,
Skandinavien oder Frankreich, diskutiert man solche Fragen ergebnisorientiert und viel gelassener. Ich will auf
eine dpa-Meldung dieser Woche hinweisen, wonach unser Nachbarland Niederlande in dieser Frage viel, viel
weiter geht und trotzdem sehr gelassen damit umgeht. Das
Niederländische Zweite Haus hat diese Woche mit 107 zu
33 Stimmen beschlossen, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Dieses Gesetz wurde unter Zustimmung der Sozialdemokraten, der Grünen, der Liberalen
aller Schattierungen und von einem Teil der Christdemokraten beschlossen.
({13})
Dort hat man anerkannt, dass der Respekt des Rechts
auch vor den homosexuellen Partnerschaften nicht Halt
machen kann. Wenn man dagegen in Ihre Vorschläge,
Herr Bosbach, sieht, wo Sie vereinzelt sagen, Sie wollten
den Homosexuellen helfen, erkennt man, dass das folgende Sachverhalte betrifft: auf dem Totenbett, im Krankenhaus, in der Justizvollzugsanstalt und im Gerichtssaal.
Da sehen Sie die Homosexuellen und da wollen Sie ihnen
ein bisschen helfen.
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Was spricht
denn dagegen?
Die Menschen wollen aber ihre Partnerschaft begründen und ihr Leben gestalten, und das findet nicht nur an
diesen Orten statt, auch wenn das offensichtlich noch
Ihrem etwas zurückgebliebenen Bild von dieser sozialen
Gruppe entspricht.
Wir packen die notwendigen Reformen auch in anderen Bereichen an und werden sie in diesem Jahr auf den
Weg bringen bzw. durchsetzen: zum Beispiel die Reform
des Mietrechts und des strafrechtlichen Sanktionensystems. Das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung, das wir hier beschlossen haben, setzt ein wichtiges
Zeichen, und ich hoffe, dass Sie das im Bundesrat mitmachen. Wir müssen ein Signal gegen die Gewalt in der Gesellschaft setzen. Wir wollen festhalten, dass Kinder ein
Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben.
({14})
Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Gewaltprävention. Wir durchbrechen die Spirale der Gewalt,
weil wir aus den Untersuchungen über gewalttätige kriminelle Jugendliche wissen, dass ein großer Teil derjenigen, die bei Körperverletzungsdelikten auffällig werden,
in ihrer Kindheit im Elternhaus Opfer von Gewalt gewesen sind. Wenn wir dagegen wirklich etwas machen wollen, müssen wir unmissverständlich klarmachen: Gewaltmittel sind keine Erziehungsmittel. Genau da setzen wir
ein Zeichen.
({15})
Bei der Sanktionenrechtsreform, die noch in diesem
Jahr auf den Weg gebracht wird, werden wir den Gerichten das Instrument der gemeinnützigen Arbeit an die Hand
geben. „Schwitzen statt Sitzen“ ist das Motto. Das ist besser, als die ohnehin belasteten Gefängnisse mit Leuten zu
füllen, denen die Mittel zur Bezahlung ihrer Geldstrafen
fehlen. Auch die Aufwertung des Fahrverbotes zur Hauptstrafe ist sinnvoll. Die Mobilitätseinbuße schmerzt den
gut verdienenden Täter wesentlich mehr als eine Geldstrafe, die er locker wegsteckt.
In den Diskussionen der letzten Wochen wurden aber
auch Forderungen nach höheren Strafen für rechtsextremistische Täter laut. Ich möchte dazu ganz klar
Volker Beck ({16})
sagen: Spezielle Sanktionen für rechtsradikale Täter oder
Sonderstraftatbestände aus Gesinnungsgründen lehnen
wir ab. Eine derartige Sonderbehandlung wäre verfassungswidrig.
({17})
Ein Gesinnungsstrafrecht würde die Rechtssicherheit und
das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Justiz erheblich
gefährden. Ich möchte eindringlich davor warnen, im
Rahmen der Rechtsextremismusdebatte allzu sehr auf solche populistischen Schnellschüsse zu setzen. Sagen Sie
- Herr Geis, Sie nicken so freundlich - das bitte Herrn
Schelter in Brandenburg, der solche Vorschläge gemacht
hat.
({18})
Wir haben gesehen, der Rechtsstaat ist in der Lage,
konsequent und angemessen zu reagieren. Wer in
Deutschland fremde Mitbürgerinnen und -bürger durch
die Straßen hetzt, sie beleidigt, verletzt und tötet, der kann
dafür hinreichend bestraft werden. Im Rahmen der Strafzumessung müssen die Gerichte das Motiv „Ausländerhass“ sogar strafverschärfend berücksichtigen.
({19})
Wir haben an den Urteilen, die in Sachsen-Anhalt gefällt wurden, gesehen, dass auch entsprechend reagiert
wird. Es wurde einmal Lebenslänglich und zweimal eine
Jugendstrafe von neun Jahren verhängt. Völlig zu Recht!
Das war ein klares Signal des Rechtsstaates, dass solche
Gewalttaten von uns nicht hingenommen werden und
dass derjenige, der sie begeht, außerhalb dieser Gesellschaft steht. Wir brauchen also zwar keine neuen Gesetze,
aber wir brauchen jede Menge kreative Maßnahmen, um
die Zivilgesellschaftlichkeit zu stärken und um denjenigen zu helfen, die Opfer von solchen Gewalttaten werden.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({20})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesjustizministerium ist trotz
seiner geringen Größe und des geringen Volumens seines
Haushalts ein bedeutendes Haus und ist hinsichtlich der
Wahrung unseres Rechtsstaates, der rechtlichen Rahmenbedingungen unserer Wirtschaft und der Wahrung der
Freiheitsrechte des Bürgers aus unserer Gesellschaft
- Gott sei Dank - nicht mehr wegzudenken. Damit verbunden sind natürlich hohe Ansprüche an das Bundesjustizministerium, aber auch an Sie, Frau Ministerin. Diese
hohe Messlatte ist auch an Ihr Vorhaben einer Justizreform anzulegen, die Sie zurzeit betreiben.
Eine Justizreform macht nur dann Sinn, wenn der
Rechtsschutz des Bürgers gewährt bleibt und wenn sie
nicht gegen die Beteiligten, sondern mit ihnen gemeinsam
durchgeführt wird. Nichts davon wird durch Ihre angebliche Justizreform erfüllt.
({0})
Der Rechtsschutz des Bürgers wird in der zweiten Instanz
drastisch verkürzt. Rechtsanwälte, Richter und praktisch
alle mit dem Rechtswesen verbundenen Verbände lehnen
diese Reform ab. Auch die Mehrzahl der Länder hat sich
in die Reihen der Kritiker begeben. Sie sollten unter diesen Umständen Ihren Entwurf schleunigst zurückziehen.
Schließlich ist der Rechtsfrieden unserer Gesellschaft
ein äußerst wichtiges Gut. Ehe man grundlegende Veränderungen vornimmt, muss eine ausführliche Diskussion
erfolgen. Diese Diskussion haben Sie, Frau Ministerin,
zwar angekündigt, aber Sie haben diese Ankündigung
nicht wahr werden lassen;
({1})
denn die Anwaltsvereine, die Anwaltskammern und die
Richterschaft sind nicht rechtzeitig informiert worden.
({2})
Deswegen ist es zweckmäßig, hier noch einmal genau zu
fragen: Was brauchen wir für eine Justizreform? Wir brauchen im Grunde genommen noch eine grundlegende Diskussion.
Mit großer Sorge sieht unsere Fraktion, dass das Patent- und Markenamt zurzeit über 100 000 Anträge
nicht bearbeitet hat. Diese Zahl wird nach Auskunft des
Präsidenten dieses Amtes weiter steigen. Aber die Wirtschaft und die Rechteinhaber sind auf eine zügige Abarbeitung der Anträge schon aus Gründen der Konkurrenz
mit den internationalen Wettbewerbern angewiesen. Die
F.D.P. wird daher bei den Haushaltsberatungen Anträge
stellen - Frau Ministerin, hören Sie doch zu, dann kann
man das vielleicht auch gemeinsam regeln -, das Personal
weiter aufzustocken, damit beim Patent- und Markenamt
ordnungsgemäß gearbeitet werden kann.
({3})
Frau Ministerin, wir sind auch bereit, Ihren zusätzlichen Wunsch zu unterstützen, einen Arbeitsstab für die
Beilegung internationaler Sorgerechtsstreitigkeiten, insbesondere in Kindschaftssachen, einzurichten. Wir werden das im Haushaltsausschuss und auch im Rechtsausschuss unterstützen. Genauso unterstützen wir Ihre
Vorschläge zum Täter-Opfer-Ausgleich und Ihren Kampf
gegen die Gewalt in der Familie.
({4})
Mit Sorge sehen wir dagegen, dass Sie Ihre Ankündigung, die Sie schon vor zwei Jahren in diesem Hause gemacht haben - nämlich bei der Regierungserklärung -,
eine fünfte und sechste Urheberrechtsnovelle einzubringen, bis heute nicht umgesetzt haben. Sie haben sich lediglich positiv zu einem Gesetzentwurf einiger Professoren zum Urhebervertragsrecht - das hat nichts mit dem
Urheberrecht zu tun - geäußert. Dies ersetzt natürlich
nicht das Einbringen eines eigenen Gesetzentwurfs in den
Volker Beck ({5})
Deutschen Bundestag. Das Urheberrecht ist bei Ihnen wenigstens zurzeit leider noch schlecht aufgehoben.
({6})
Eine Reihe von Gesetzentwürfen, wie zum Beispiel
das Mietrecht, die Änderung des Strafvollzugsgesetzes
zur Gefangenenentlohnung, die Verbesserung der Juristenausbildung, die Änderungen zu Art. 16 und 12a des
Grundgesetzes, bedürfen wegen ihrer grundlegenden Bedeutung ausführlicher Diskussion und eines möglichst
breiten Konsenses innerhalb des Bundestages, mit dem
Bundesrat und sicherlich auch mit der Gesellschaft. In
diesem Zusammenhang darf ich ausdrücklich betonen,
dass der Ton und die Argumentationsweise von Ihnen - im
Gegensatz zur früheren kollegialen Zusammenarbeit im
Deutschen Bundestag - der Sache nicht immer dienlich
gewesen sind. Ich will es bei dieser etwas vornehmen Umschreibung belassen.
Das Justizministerium ist immer ein Hort sachgerechter Mitprüfung der Gesetzesvorhaben der anderen Fachressorts gewesen. Die Prüfung der Rechtsförmlichkeit der
Gesetzesvorhaben anderer Häuser hat ja einen guten Sinn.
Mit Sorge betrachte ich, dass gerade im letzten Jahr diese
Prüfung allzu häufig wegen der Nichteinhaltung von Fristen durch andere Häuser nicht möglich gewesen ist. Sie
haben das einfach widerspruchslos hingenommen. Es ist
nicht nur einmal vorgekommen, dass die Vertreter Ihres
Hauses im Rechtsausschuss erklären mussten, dass sie die
Änderungsanträge und Vorlagen anderer Häuser auch
vorher nicht gesehen haben, geschweige denn sie haben
prüfen können. Gerade Sie als Justizministerin sollten darauf achten, dass in Zukunft wieder geordnete Beratungsgrundlagen im Rechtsausschuss vorhanden sind, denn nur
so können wir unserem gemeinsamen Ziel, die Rechtsordnung den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Änderungen anzupassen, gerecht werden. Dazu wünsche ich
Ihren hervorragenden Mitarbeitern und auch Ihnen, Frau
Ministerin, Erfolg.
Vielen Dank.
({7})
Für die PDS-Fraktion
hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsdebatten sind bekanntermaßen Abrechnungsdebatten im doppelten Sinne.
Abgesehen von der Frage, ob im kommenden Jahr das geplante Budget in vernünftiger Relation zu den anstehenden Aufgaben angesetzt wird und sachgerecht eingesetzt
werden soll, geht es gerade in der ersten Lesung um eine
inhaltliche Bilanz, zumal - wie die Fußballer sagen würden - gerade die zweite Halbzeit angepfiffen wurde. Die
hektischen Aktivitäten des Ministeriums kurz vor Beginn
der Sommerpause, um den Entwurf zum ZPO-Reformgesetz noch in der ersten Halbzeit in Richtung Tor zu bewegen, zeigen, dass man sich in der Jerusalemer Straße
mächtig ins Zeug gelegt hat, um die Halbzeitbilanz positiv zu beeinflussen.
Wie sieht diese Bilanz aus? Bei einigen Gesetzgebungsvorhaben der Koalition ist durchaus das eine oder
andere Positive erreicht worden. Es bleibt jedoch in den
verbleibenden zwei Jahren noch viel zu tun, zum Beispiel
in den Bereichen der Verbraucherinsolvenz, des Sanktionensystems oder auch des Grundstücksrechts. Ich habe erhebliche Zweifel, ob die wichtigen Vorhaben in dieser
Legislaturperiode zu tatsächlichen Reformen geführt werden bzw. überhaupt realisiert werden können. Fraglich erscheint mir dabei insbesondere, wieweit die Bundesregierung bei ihren Reformvorhaben in der Rechtspolitik an
ihren eigenen inhaltlichen Zielvorstellungen festhalten
kann.
Bei der Mietrechtsreform mussten Sie, Frau Ministerin, bereits an zwei wichtigen Punkten, nämlich bei der
Modernisierungsumlage und bei den verkürzten Kündigungsfristen für Mieter, deutliche Zugeständnisse machen, um den Entwurf überhaupt durch das Kabinett zu
bringen. Auch wenn ich weiß, dass größere und große
Projekte ohne Kompromisse kaum zu haben sind, hoffe
ich doch, dass die nächsten Projekte nicht unter dem
mächtigen Druck der Vermieterverbände einseitig zulasten der Mieter gehen.
({0})
Sie werden dazu in Kürze auch einen ausführlichen Änderungsantrag unserer Fraktion erhalten.
Die Geschichte der Justizreform in Deutschland ist im
Wesentlichen eine Geschichte des Scheiterns. Sie ist auch
eine Leidensgeschichte der jeweils amtierenden Justizminister. Im Gegensatz zu früheren Reformvorhaben sind
die Voraussetzungen aber heute besser; denn wir verfügen
dank qualifizierter rechtstatsächlicher Untersuchungen
über eine gute Datenbasis. Deshalb begrüße ich auch die
geplanten Mehrausgaben für Forschungen und Untersuchungen. Daten allein reichen aber nicht aus.
Ich will heute nicht über die Gründe des Widerstandes
gegen die Reform orakeln. Auch hier wird es naturgemäß
ohne Zugeständnisse nicht abgehen. Ich sehe vor allem
das Problem, dass wir jetzt zwar einen Entwurf vorzulegen haben, der vor allem die Rechtsmittelreform beinhaltet, dass jedoch die zweite Seite der Medaille, die angekündigte Reform der Gerichtsverfassung, das heißt vor
allem die Frage der zu begrüßenden Dreistufigkeit, bisher
nur durchscheint.
Wenn jedoch, wie es sich gegenwärtig abzeichnet, bei
der Rechtsmittelreform von den ursprünglichen Vorstellungen immer weiter abgewichen wird oder abgewichen
werden muss, gerät das Gesamtkonzept, einschließlich eines dreigliedrigen Gerichtsaufbaus, ins Wanken. Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass am Ende beide Seiten
nicht mehr zusammenpassen. Um nicht missverstanden
zu werden: Ich sehe durchaus begründeten Änderungsbedarf beim vorliegenden Entwurf, gerade im Hinblick auf
die zweite Instanz. Die Reform des Zivilprozesses und der
Gerichtsverfassung sind jedoch zwei Seiten einer Medaille und müssen deshalb aus einem Guss entstehen.
Hinzu kommt, dass diese Reform, wenn sie funktionieren soll, Geld kosten wird. Wenn uns Recht und
Rechtsstaat teuer sind, wie Sie, Frau Ministerin DäublerGmelin, zum Beispiel auf dem rechtspolitischen
Kongress Ihrer Partei 1997 in Mainz selber gesagt haben,
so muss auch offen und ehrlich über die Kosten gesprochen werden.
({1})
Denn nur wenn die Finanzierung mit den Ländern zufriedenstellend geregelt werden kann, kann die Reform einen
deutlichen Schritt nach vorne machen.
Zu fragen ist auch, wie die Bürgerinnen und Bürger angesprochen werden können, die die Reform doch in erster
Linie angeht. Ich weiß sehr wohl, wie schwer es ist, die
Bevölkerung für die Justiz insgesamt zu interessieren,
über den konkreten Einzelfall hinaus. Selbst die Diskussion im Plenum fand praktisch nur unter Juristen statt. Als
hätte es sich bis in die Kuppel herumgesprochen, gibt es
kaum einmal interessierte Bürger, die diesen Fragen hier
Aufmerksamkeit zuwenden. Erfreulicherweise sieht der
neue Haushalt für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesjustizministeriums eine deutliche Steigerung vor, die hoffentlich auch für solche Zwecke verwendet wird.
({2})
Wenn Politik ein starkes beharrliches Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich bedeutet, dann hat in der Rechtspolitik zunächst ein gelegentliches, jetzt allmählich stärker werdendes Klopfen
begonnen. Frau Ministerin, Sie haben sich für die zweite
Halbzeit nach dem, was Sie eben hier ausgeführt haben,
viel vorgenommen. Ich bin gespannt auf Ihre Vorschläge,
habe jedoch auch Skepsis, ob Sie sich dabei nicht verheben werden. Dort, wo das Recht tatsächlich zu mehr Recht
für die Schwächeren wird und werden soll, werden Sie in
meiner Fraktion einen Verbündeten haben.
({3})
Nächster Redner für
die SPD-Fraktion ist der Kollege Alfred Hartenbach.
Frau Präsidentin, ich
möchte Sie eigentlich bitten, die Sitzung zu unterbrechen,
bis der Herr Bosbach wieder da ist. Erst eine solche
Brandrede zu halten und dann abzuhauen gibt ein ganz
schlechtes Bild ab.
({0})
Da ich aber offensichtlich die Unterbrechung nicht bekomme, muss ich ihn in Abwesenheit tadeln.
({1})
Wenn, meine sehr verehrten Damen und Herren, im
Falle Pofalla etwas falsch gelaufen ist, dann, da können
Sie versichert sein, werden wir uns nicht gegen eine Aufklärung stellen.
({2})
Sie aber, Herr Rechtsanwalt Bosbach, wo auch immer Sie
sich jetzt in diesem Hause nach Ihrer Schandrede verstecken,
({3})
sollten eines wissen: Vorverurteilungen in die eine wie in
die andere Richtung sind hier nicht angebracht.
({4})
Wenn Sie hier berichten, sollten Sie auch wissen: Es
war nicht nur die Staatsanwaltschaft, es war ein deutsches
Amtsgericht, welches dem Immunitätsausschuss einen
Beschluss vorgelegt hat. Sie wissen genauso gut wie ich,
dass der Immunitätsausschuss gar nicht anders entscheiden konnte.
({5})
Wo waren denn da Ihre Leute?
({6})
Ihre Brandrede zeigt doch, dass Sie eine ganz erbärmliche
Justizpolitik vertreten. Da ist nichts an Form, nichts an
Format, sondern nur Hetze, nur Bösartigkeit, nur Unwissen, ({7})
- nur, Herr Geis, übelste Polemik.
({8})
Wir, meine Damen und Herren, werden unsere Reformpolitik heute sachlich darstellen. Wir werden unsere
Reformpolitik weiter betreiben.
({9})
Die Menschen in diesem Land haben nämlich verstanden,
dass nach 16 Jahren Stillstand dieser Tu-nichts-Koalition
endlich wieder etwas geschehen muss.
({10})
Mit einigem Stolz können wir auf eine gute Bilanz verweisen.
({11})
Wir haben sicher keine Gesetze am Fließband produziert,
was die Opposition ja manchmal kritisiert, aber wir haben
mit Verstand Gesetze mit Inhalt gemacht. Die Gesetze, die
wir verabschiedet haben, überzeugen durch Inhalt und
Qualität. Dabei setzen wir, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen, unsere Schwerpunkte genau in den Bereichen,
die die Vorgängerregierung entweder nicht erkannt oder
sträflich vernachlässigt hat. Das sind die Gebiete des
Gesellschaftsrechts, des Wirtschafts- und Wettbewerbsrechts, besonders aber die ordentliche Gerichtsbarkeit, die
dringend der Reform bedarf.
({12})
Wir haben einen mutigen Schritt getan, indem wir das
Gesetz über eingetragene Lebenspartnerschaften in einer viel beachteten ersten Lesung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht haben. Hier hat sich gezeigt, dass
die rot-grüne Rechtspolitik arbeitsfähig und zukunftsorientiert ist. Wir haben das Ende der Diskriminierung von
Menschen mit gleichgeschlechtlicher Neigung eingeläutet und damit für einen großen Personenkreis neue gesellschaftliche Perspektiven geschaffen.
({13})
- Herr Beck hat sich bei mir entschuldigt. - Wir erwarten
von allen Parteien hier im Bundestag, dass sie nicht nur
polemisieren, sondern es so wie Ihre Vorsitzende machen,
die ja schon auf die Schwulen und Lesben Ihrer Partei
zugegangen ist, und mit uns über das Thema sachlich reden.
Die Bürgerinnen und Bürger der mittel- und ostdeutschen Bundesländer finden in uns einen Anwalt ihrer Sache. So haben wir im Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz die Stellung der Opfer verbessert und ihre
Rechte gestärkt. Mit dem Grundstückrechtsänderungsgesetz wollen wir den Ländern und Kommunen mehr
Planungssicherheit geben. Es ist für mich völlig unverständlich, dass dieses Gesetz von der Mehrheit im Bundesrat blockiert wird.
({14})
Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der
Koalition, eine zukunftsorientierte Planung unserer Ministerin und eine solide und gründliche Fleißarbeit der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizministerium
werden weitere Früchte unserer Arbeit bringen.
Dank der neuen Offenheit der Justizministerin im
Gesetzgebungsverfahren wissen diejenigen, die es angeht, dass wir insbesondere das Insolvenzgesetz ändern
und die Zugänge für die Verbraucherinsolvenz öffnen.
Herr Pick - - Er ist auch nicht da;
({15})
alle, die ich ansprechen will, sind nicht da.
({16})
Herr Professor Pick, ich wollte Sie gerade loben: So sehen insbesondere die Väter des Insolvenzgesetzes aus der
12. Legislaturperiode, dass es hier weitergeht.
({17})
Wir wollen eine Chance für die gutwilligen Schuldner
eröffnen, damit sie wieder am Wirtschaftsleben teilnehmen können.
({18})
Das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung stellen
sich derzeit immer wieder als Hemmnisse einer prosperierenden Wirtschaft dar. Dafür haben Sie 16 Jahre lang
kein Auge gehabt. Dies in enger Zusammenarbeit mit
den Betroffenen zu verbessern wird eines unserer Ziele
sein.
Ebenso werden wir uns - da bin ich anderer Ansicht als
Sie, Herr Funke - dem Urheberrecht mit besonderer Aufmerksamkeit widmen.
({19})
Ich lade Sie als Fachmann besonders zu den Gesprächen
ein.
Wir unterstützen den Weg unserer Bundesjustizministerin, die Personaldecke im Deutschen Patent- und
Markenamt zu verbessern. Wir wissen, dass es hier seit
langem einen Schwachpunkt gibt, den wiederum Sie mitverursacht haben.
({20})
Wir wissen, dass hier eine moderne technische Ausstattung notwendig ist. Hier kann die Frau Ministerin alle Unterstützung von uns erwarten.
({21})
Eine unserer wichtigsten Aufgaben wird es jedoch
sein, die ordentliche Gerichtsbarkeit so zu modernisieren, ({22})
- dass sie bürgernah und effizienter wird und sich im europäischen Wettbewerb behaupten kann.
Wenn Herr Bosbach - ich habe das eben in die Debatte
geworfen - selbst lesen und nicht lesen lassen würde, wie
er es offensichtlich getan hat,
({23})
dann würde er merken, dass der Entwurf, wie wir ihn von
der Koalition eingebracht haben und wie er mittlerweile
als Regierungsentwurf im Bundesrat vorliegt, durchaus
eine sehr positive Beachtung gefunden hat.
({24})
Ihr Herr Röttgen hat vom Deutschen Richterbund eins
übergebraten bekommen, weil er ihn falsch zitiert hat.
({25})
Ich verstehe aber auch, dass wir die Politik nicht auf den
Deutschen Richterbund übertragen dürfen.
Wir haben diesen Koalitionsentwurf eingebracht, weil
wir wissen, und zwar nicht erst seit gestern, dass die
Justiz reformbedürftig ist.
({26})
Sie wissen das ebenfalls, denn Sie haben einen Entwurf
eingebracht, dessen Vorschriften sich zu etwa 40 Prozent
mit unseren Vorschlägen decken. Nur, heute tun Sie so, als
ob Sie von nichts mehr wüssten. Aber es ist ja bei Ihnen
in der Union nichts Neues, dass man vergisst, was man
gestern gesagt hat.
({27})
Es ist hier wenig hilfreich, immer nur Nein zu sagen.
Heribert Prantl, den Sie sicherlich alle kennen und schätzen, hat gesagt: Die deutsche Justiz ist nicht das Paradies
auf Erden und die Zivilprozessordnung ist auch nicht die
Heilige Schrift. Er hat im „Deutschen Anwaltsblatt“ 9/2000 - Bosbach sollte das lesen -, zum Besten gegeben -
Herr Kollege
Hartenbach, bevor Sie weiterzitieren, muss ich Sie darauf
aufmerksam machen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Schade, Frau Präsidentin,
dass Sie mich hier stoppen. Ich komme jetzt zum Schluss.
Gestatten Sie mir noch ein Wort.
Aber wirklich nur ein
kurzes!
Wirklich nur ein Wort.
Wenn Sie immer nur Nein sagen, kommen wir nicht
weiter.
({0})
Bringen Sie doch auch einmal wieder etwas Positives hier
ein, nicht nur schwarze Kassen, Meineide und Falschaussagen.
({1})
Ich kann Ihnen eines sagen: Wir werden das gemeinsam schaffen.
Ihnen, Frau Ministerin, danke ich sehr herzlich für die
gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich bitte Sie,
dies auch Ihrer Leitungsebene und Ihren Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern mitzuteilen, die ich genauso schätze wie
Herr Funke. Deswegen habe ich ihm eben eine Kusshand
zugeworfen; Sie wissen das.
Herr Kollege
Hartenbach, das war jetzt wirklich ein sehr, sehr langes Wort.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Langmut, Frau Präsidentin, und wünsche
noch ein schönes Wochenende.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte zum Geschäftsbereich Justiz ist der Kollege
Albrecht Feibel für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe interessierte Bürgerinnen und Bürger! Herzlich willkommen hier bei uns
im Reichstag!
({0})
Vorhin wurde noch gesagt, es gebe keine interessierten
Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen also das Gegenteil
feststellen.
Da der Bundesfinanzminister anwesend ist, möchte ich
noch eine Bemerkung zu seinen Äußerungen in diesen Tagen machen - die Kollegen von den Koalitionsfraktionen
haben sich dem angeschlossen -, bevor ich etwas zu der
Frau Justizministerin sage. Es geht mir um die 50 Pfennig,
die unter der CDU/CSU-Regierung als Steuer auf die
Treibstoffkosten aufgeschlagen wurden.
Lieber Herr Bundesminister, Sie verschweigen zweierlei: Erstens. Die Steuererhöhungen wurden in fast allen
Fällen auch mit Zustimmung der SPD durchgeführt, ({1})
- wobei aber Ihre Änderungsanträge - ich habe mir das
extra angeschaut - lediglich formaler Natur waren. Sie
hatten nie das Ziel, diese Erhöhungen nicht in dieser
Größenordnung durchführen zu wollen.
Zweitens. Sie wissen - aber verschweigen es -, dass
diese Steuererhöhungen nicht willkürlich waren, sondern
dass es darum ging, damit die Kosten des Golfkrieges, der
Bahnreform und der deutschen Einheit mit zu finanzieren.
({2})
Wie wir wissen, hat die Bundesregierung bei ihrem
Amtsantritt 1998 wichtige Reformen der Vorgängerregierung zurückgenommen, ({3})
- beispielsweise Rentenreform und Gesundheitsreform.
Bisher konnten wir allerdings nicht feststellen, Herr Bundesminister, dass die Regierung Schröder die damaligen
Steuererhöhungen zurückgenommen hätte. Die Bundesregierung von SPD und Grünen kritisiert zwar, kassiert
aber diese Erhöhungen munter weiter. Während sie kritisiert, sattelt sie weitere Belastungen drauf.
({4})
- Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Das tut Ihnen
natürlich weh.
({5})
Diese Politik führt zu gewaltigen Belastungen der Familien. Dieser Punkt muss doch immer wieder angesprochen werden. Wer in diesem Jahr für die Heizkosten
2 000 DM gezahlt hat, der zahlt im nächsten Jahr
4 000 DM. Herr Kollege Hartenbach, das ist Ihre soziale
Politik.
({6})
Sie verstehen unter sozialer Politik, dass Sie die Familien,
und gerade die mit geringem Einkommen, mit ihrer Ökosteuer - die diese Bezeichnung ja gar nicht verdient - doppelt belasten.
({7})
Trotz einer leichten Verbesserung der Arbeitsmarktzahlen ist das Arbeitslosenproblem immer noch bedrückend. Ich nehme an, auch Sie stimmen dem zu. Auch
Frau Engelen-Kefer vom DGB kritisiert die Stagnation
auf dem Arbeitsmarkt: zu wenig neue Arbeitsplätze und
zu viele ältere Langzeitarbeitslose. Da hilft kein Schönreden, wir haben immer noch rund 4 Millionen Arbeitslose.
Daraus folgt: Die Bundesregierung muss alles tun, um das
notwendige Wirtschaftswachstum zu fördern, damit das
Problem der Arbeitslosigkeit wirksam angegangen werden kann.
({8})
- Hören Sie ruhig einmal zu! Sie haben sich vorhin über
den Kollegen Bosbach aufgeregt. Sie sollten wissen, dass
er vorhin unterwegs war, um den Kollegen Beck von den
Grünen zu suchen. Deswegen war er nicht anwesend.
({9})
Wichtiger Impulsgeber für das Wirtschaftswachstum
und für neue Arbeitsplätze ist die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Deshalb - Frau Ministerin,
vielleicht hören Sie jetzt einmal zu - kommt dem Patentund Markenwesen in diesem Zusammenhang ganz besondere Bedeutung zu.
({10})
Das erkannte die Frau Ministerin im letzten Jahr noch und
führte dann aus:
({11})
Soweit die Frau Ministerin im letzten Jahr.
Diese 49 neuen Stellen haben Sie zwar versprochen,
aber weder in 2000 geschaffen, noch haben Sie die Absicht, dies in 2001 zu tun.
({12})
Tatsächlich sind es nämlich weniger Stellen, die Sie in
München schaffen werden, obwohl die Zahl der Patentanmeldungen enorm gestiegen ist. Von 1999 bis 2000 haben Sie in Wirklichkeit nicht 49 Stellen, sondern lediglich
10,5 neue Stellen geschaffen.
({13})
Von 2000 zu 2001 wollen Sie 32,5 neue Stellen schaffen.
Frau Ministerin, Sie sollten ruhig zuhören.
({14})
Das sind von 1999 bis 2001 knapp 2 Prozent mehr Stellen.
Gleichzeitig sind die am Jahresende bestehenden
Überhänge an nicht bearbeiteten Patentanmeldungen das waren 1995 noch 70 000 - auf mehr als 100 000 gestiegen. Das heißt, die Überhänge sind um 30 Prozent gestiegen. Diese Steigerung von 30 Prozent wollen Sie mit
einer Personalaufstockung in Höhe von 2 Prozent ausgleichen.
Meine Damen und Herren, Erfindungen, Entwicklungen und neue Marken sind ungeheuer wichtig zur Stärkung des Wirtschaftswachstums und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Diese Zusammenhänge
sollte man ernst nehmen. Die Bundesregierung sollte ein
realistisches Verhältnis zwischen der Zahl der Beschäftigten und der Zahl der zu bearbeitenden Anträge herstellen.
Von einer solchen Annäherung sind Sie, Frau Ministerin,
meilenweit entfernt. Dieser Zustand schadet dem Wirtschaftswachstum und der Wettbewerbsfähigkeit unserer
Unternehmen.
({15})
- Herr Stiegler, damals gab es am Jahresende nur 40 000 bzw.
50 000 Überhänge. Heute sind es 100 000. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Diese Überhänge haben Sie abzubauen, indem Sie Personal einstellen.
({16})
Sie schaffen viel zu wenig neue Stellen.
Gleichzeitig haben Sie, Frau Ministerin, die Gebühren
für die Patentanmeldungen und für die Patentbearbeitungen kräftig erhöht. Diese Gebührenerhöhungen werden
aber nicht zu einer beschleunigten Bearbeitung der Anträge genutzt. Sie belasten die Antragsteller stattdessen
zusätzlich zu den ungebührlich langen Wartezeiten.
({17})
- Wenn das wirklich falsch sein sollte, könnten Sie es ja
nachher richtig stellen.
In einer Zeit, in der Erfindungen insbesondere im
Kommunikationsbereich eine immer kürzere Halbwertszeit haben, müssen unsere Erfinder zwei oder drei Jahre
warten, wenn sie ihr neues Produkt patentgeschützt auf
den Markt bringen wollen. Das ist eine unerträgliche Situation. Durch solche Personalengpässe wird die Wirtschaftsentwicklung bewusst und vorsätzlich ausgebremst
sowie Innovationskraft geschädigt und nicht gefördert.
Der Haushalt des Deutschen Patent- und Markenamtes
ist - ohne Bundesmittel - bei den Einnahmen und Ausgaben nicht nur ausgeglichen, er würde sogar einen Überschuss ausweisen, wenn nicht von diesen Einnahmen
auch noch das Bundespatentgericht finanziert werden
müsste. Frau Ministerin, wir fordern Sie auf, dafür zu sorgen, dass das DPMA eine angemessene Personalausstattung erhält, die die Chance eröffnet, die Bearbeitungszeiten auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Lösen Sie Ihre
Versprechungen ein und setzen Sie dieses Amt in den
Stand, die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft stärken zu helfen!
Wenn man auf der anderen Seite den Ansatz, den Sie in
Ihrem Etat für Öffentlichkeitsarbeit vorsehen, betrachtet, dann ist festzustellen: Da sieht die Welt ganz anders
aus.
({18})
1999 hatten Sie 443 000 DM für Öffentlichkeitsarbeit
vorgesehen. In diesem Jahr waren es 475 000 DM. Für das
Jahr 2001 erhöhen Sie diesen Ansatz um 50 Prozent auf
675 000 DM.
({19})
Dieses Geld sollten Sie besser zur Förderung der Arbeit
im Deutschen Patent- und Markenamt einsetzen als für
Ihre Öffentlichkeitsarbeit. Vielleicht können Sie uns einmal erklären, was mit diesem Geld geschehen soll.
({20})
Jedenfalls können Sie sich nicht länger mit der bestehenden Erblast herausreden. Seit zwei Jahren tragen Sie
für das Deutsche Patent- und Markenamt in München die
Verantwortung. Seit zwei Jahren ist nichts Wesentliches
geschehen, um dort eine beschleunigte Bearbeitung der
Anträge zu erreichen.
Danke schön.
({21})
Herr Kollege Feibel,
dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
möchte ich Sie dazu recht herzlich beglückwünschen.
({0})
Gestatten Sie mir ein Kompliment: Sie haben bei Ihrer
ersten Rede auf Anhieb Ihre Redezeit eingehalten.
({1})
Das ist eine Eigenschaft, über die wir fast alle nicht so
recht verfügen.
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Justiz liegen nicht vor. Wenn ich
den Saal recht überschaue, gibt es auch keine weiteren
Suchmeldungen nach Abgeordneten, die wir während der
Debatte ja reichlich hatten.
Wir kommen deshalb zur Schlussrunde. Ich erteile
zunächst dem Bundesfinanzminister Hans Eichel das
Wort.
Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen ({2}): Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Vor sehr gelichteten
Reihen möchte ich ein paar kurze Schlussbemerkungen
machen: Erstens. Was hätten Sie, meine verehrten Damen
und Herren von der Opposition, nur gemacht, wenn Sie
das Thema Ökosteuer nicht gehabt hätten?
({3})
Wie hätten Sie dann, nach all dem, was Sie hier geboten
haben, die Haushaltsdebatte geführt?
({4})
Es war eine ziemlich lustlose, teilweise kabarettistische Veranstaltung; um den Haushalt ging es nur wenig.
({5})
- Ich bin bereit, Herr Rexrodt, zu differenzieren. Ich bin
dazu ausdrücklich bereit. - Es ging immer nach demselben Motto: Überall, bei jedem Einzelplan, müsste es ein
wenig mehr sein, insgesamt aber wird zu wenig gespart
und viel zu viel ausgegeben, außerdem wurde bei den
Steuern viel zu wenig gesenkt.
({6})
Im Übrigen haben Sie mit den Schulden gar nichts zu tun.
({7})
Nachdem ich das nun zum zweiten Mal in diesem
Hause erlebe, verstehe ich, dass die Finanzlage des Bundes so zustande gekommen ist, wie sie sich heute darstellt.
({8})
Sie können aber sicher sein: Genauso werden wir das
nicht weitermachen. Deswegen sind wir auf Konsolidierungskurs gegangen, den wir nunmehr im zweiten Jahr
halten. Das ist eine Grundsatzentscheidung; denn nur derjenige, der Ausgabendisziplin übt, wird die Finanzen in
Ordnung bringen. Nur derjenige, der Ausgabendiszplin
übt, hat auch die Chance, aus der Schuldenfalle herauszukommen.
Dass das keine buchhalterische Frage ist, hat inzwischen das ganze Land verstanden. Die Menschen haben
verstanden, dass es um die Zukunft unserer Kinder und
der nächsten Generationen geht, dass wir etwas für deren
Bildung tun und ihnen eine lebenswerte Umwelt hinterlassen müssen, ihnen anstatt immer neue Schulden aufzuhäufen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
({9})
Deswegen gehen wir zunächst konsequent den Weg zu
einem Haushalt ohne neue Schulden. Heute tun wir den
zweiten Schritt; ihm müssen noch mehrere folgen, bis wir
einen ausgeglichenen Haushalt - ich hoffe, in 2006 - erreicht haben. Dann erst beginnt der Abbau der Staatsverschuldung.
Wir werden lernen müssen - ich wiederhole das -, uns
auch über die Grenzen hinweg zu orientieren. Zu dem
Zeitpunkt, da wir erst den Gipfel der Staatsverschuldung
erreicht haben, sind andere Länder - Dänemark ist so ein
Fall - schon fast frei von ihrer Staatsschuld. Wer sich
überlegt, ({10})
- was das für die Chancen der jungen Dänen im Verhältnis zu den Chancen der jungen Deutschen bedeutet, wird
darüber nachdenken, was ihn seine Kinder eines Tages
fragen werden, wenn wir diesen Weg nicht endlich konsequent gehen werden. Deswegen bitte ich um etwas mehr
Seriosität und Konsequenz in den Haushaltsberatungen.
({11})
Es kann sich keiner, der in diesen Beratungen ernst genommen werden will, mehr erlauben, nur die Einnahmeseite oder nur die Ausgabeseite zu betrachten. Denn man
muss das eine immer im Zusammenhang mit dem anderen sehen.
Zweitens. Dieser Haushalt ist der Haushalt, der die
größte Nettoentlastung von Steuern und Abgaben, die es
je in der Geschichte der Bundesrepublik innerhalb eines
Jahres gegeben hat, verkraften muss.
({12})
Die Nettoentlastung beträgt innerhalb eines einzigen Jahres 45 Milliarden DM, das sind 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. So etwas hat es noch nie in Deutschland
gegeben und so etwas gibt es gegenwärtig auch nirgendwo anders in Europa.
Wir haben eine Steuerreform gemacht, die nachhaltig
- dann jährlich - zu einer Entlastung von 93,5 Milliarden DM führt. Und um noch einmal Ihr altes Märchen mit
Zahlen zu widerlegen: Davon kommen 65 Milliarden DM
bei den privaten Haushalten an, 30 Milliarden DM bei den
kleinen und mittleren Unternehmen, während die Großunternehmen sogar mit einer kleinen zusätzlichen Belastung dabei sind. Aber deren Problem war nie die objektive
Steuerlast, sondern das im internationalen Vergleich nicht
wettbewerbsfähige Steuerrecht und Steuersystem. Auch
das haben wir geändert.
({13})
Nun noch wenige Bemerkungen zur Ökosteuer. Herr
Feibel, auf Ihre Bemerkungen muss ich zurückkommen;
die waren gottvoll. Solch eine gute Vorlage habe ich selten bekommen; das war schon fast ein Elfmeter. Sie sagen - wenn ich Sie daran erinnern darf -, Sie hätten die
Mineralölsteuer wegen des Golfkrieges erhöht. Dazu
kann ich nur sagen: Dieser war auch in Ihrer Regierungszeit schon lange vorbei. Wenn das der Grund gewesen
wäre, hätten Sie schon lange vorher die Mineralölsteuer
zurückführen müssen. Das ist übrigens wie mit der Sektsteuer. Diese hätten Sie auch schon lange abschaffen können, denn diese ist vor dem Ersten Weltkrieg wegen der
Reichskriegsflotte eingeführt worden.
({14})
- Ja, aber daran sehen Sie, dass man mit einer solchen Argumentation nicht weiterkommt.
({15})
In einem Punkt haben Sie völlig Recht: Im Unterschied
zu Ihnen, wenn Sie in der Opposition sind, haben wir auch
einmal zugestimmt, wenn wir etwas für vernünftig hielten. Da davon die Rede ist, wer was zu verantworten hat,
habe ich mir angesehen, wie das mit der Mineralölsteuer
zu den verschiedenen Regierungszeiten war.
Herr Minister, gestatten Sie zuvor eine Zwischenfrage?
Nein. Jetzt macht die Mineralölsteuer je Liter Benzin 1,10 DM
aus. Herr Stoiber hat - ich glaube, es war vorgestern
Abend - von „Luxussteuer“ gesprochen, die besonders
die kleinen Leute treffe, was wir zu verantworten hätten.
Meine Damen und Herren, von diesen 1,10 DM sind zuzeiten der Regierungsführung der CDU/CSU ({0})
- 79 Pfennig und zuzeiten der großen Koalition, an der
wir unter Ihrer Führung beteiligt waren, 3 Pfennig - diese können Sie draufrechnen, wenn Sie wollen, Herr
Austermann; Sie können es auch lassen - beschlossen
worden. Unter unserer Führung waren dies 28 Pfennig.
({1})
Ich wiederhole: Von den 1,10 DM verantworten Sie
79 Pfennig ({2})
- und wir 28 Pfennig. Damit wir dies nur richtig festhalten: Abzocke in Sachen Mineralölsteuer haben allein Sie
betrieben.
({3})
Sie haben ungeheuer viel Gelegenheit, über dieses
Thema zu reden. Sie können natürlich sicher sein, sehr
verehrter Herr Austermann, dass wir dafür sorgen werden,
dass jeder Haushalt im Lande dieses Tableau in die Hand
bekommt.
({4})
Alle Sozialdemokraten - ich vermute, auch alle Grünen werden das gerne sehen.
Weil Ihr Debattenbeitrag, Herr Rexrodt, diesmal
freundlicher war - das habe ich gern zur Kenntnis genommen -, will ich nur in aller Freundschaft darauf hinweisen: Es gibt eine Partei, die noch mehr beteiligt war,
und das ist die F.D.P.
({5})
Die F.D.P. war nämlich meistens in der Regierung und an
85 Prozent der Mineralölsteuererhöhungen beteiligt.
({6})
Dies werden wir gelegentlich sagen müssen, wenn Sie
wieder Aktionen an den Zapfsäulen machen. Dies sage ich
nur, damit richtig verstanden wird, wie es angesichts der
Veranstaltungen, die Sie gegenwärtig machen, mit Ihrer
Glaubwürdigkeit aussieht.
({7})
Es gibt einen großen Unterschied: Sie haben - dagegen
will ich gar nichts sagen - die Mineralölsteuer wegen des
Golfkriegs erhöht. Wir - das gebe ich zu - erhöhen die
Mineralölsteuer, um die Rentenversicherungsbeiträge zu
senken.
({8})
Hier sind wir am entscheidenden Punkt. Zu allem, was
Sie an Wohltaten versprechen, müssen Sie immer auch sagen, wie Sie das finanzieren wollen. Etwas anderes wird
man Ihnen nicht durchgehen lassen, denn die finanzpolitische Debatte hat in diesem Punkt sehr an Seriosität gewonnen. Wenn Sie ernst genommen werden wollen, werden Sie das zugeben müssen.
({9})
Es reicht nicht, zu sagen: Wir wollen die nächste Stufe der
Ökosteuer - das sind in der Tat 5 Milliarden DM - nicht.
Vielmehr müssen Sie auch sagen, dass dies entweder
dazu führt, dass der Rentenversicherungsbeitrag wieder
steigt - dies werden Sie gegenüber den Menschen, die
Rentenversicherungsbeiträge bezahlen, ausrechnen müssen -,
({10})
- oder dass neue Schulden gemacht werden. Dazu sage
ich Ihnen dezidiert: Genau das machen wir nicht, meine
sehr verehrten Damen und Herren.
({11})
Dass das Konzept im Übrigen vernünftig ist, bestätigen
Ihnen zurzeit - wenn Sie einmal in die Zeitung schauen so ziemlich alle Wirtschaftsforschungsinstitute und alle
Wirtschaftswissenschaftler. Da sagt heute - ich nehme nur
einen für viele - der Konjunkturchef des Ifo-Instituts, das
bekanntlich in München sitzt und ansonsten Gutachten
schreibt, die vor allem der Bayerischen Staatsregierung
gefallen, zu dieser Frage: Wenn man mit der Ökosteuer
die Rentenbeiträge und damit die Lohnkosten senken
kann und damit Arbeitsplätze schaffen kann, mag man das
durchaus positiv sehen. - So sehen es die Wirtschaftsforschungsinstitute durchweg.
({12})
Wenn Sie sich außerdem den europäischen Vergleich
ansehen, stellen Sie fest, dass Deutschland nicht nur beim
Preis, sondern auch beim Steueranteil unterhalb des
Durchschnitts in der Europäischen Union liegt. Das wollen wir bei der Gelegenheit auch einmal festhalten, meine
Damen und Herren.
({13})
Und noch eines - das ist schon ein ziemliches Stück aus
dem Tollhaus: Vorgestern, pünktlich zu Ihrer Debatte, erhöhen die Mineralölkonzerne ({14})
- die Preise für Benzin um 4 Pfennig und für Diesel um
5 Pfennig. Haben wir da irgendetwas mit der Ökosteuer
gemacht? Sie sollten sich den Zusammenhang zwischen
Besteuerung und Preispolitik der Konzerne einmal genauer anschauen. Dass ich als Sozialdemokrat eines Tages
der Christlich Demokratischen Union und - mit Verlaub auch der F.D.P. etwas über die Regeln der Marktwirtschaft
erzählen muss, habe ich mir auch nicht träumen lassen.
({15})
- Seien Sie ganz vorsichtig! Sogar Herr Gysi hat dazu in
Ihre Richtung eine zutreffende Bemerkung gemacht - und
der kommt aus der Planwirtschaft. Passen Sie auf, dass
Sie da nicht hinmarschieren!
({16})
Der Sachverhalt ist ja ganz einfach - Sie wissen das
auch -: Die Unternehmen nehmen, was der Markt hergibt.
({17})
Allerdings - das ist das Problem und deshalb hätten
Sie, Herr Feibel, diesen Beitrag nicht leisten dürfen -:
Wissen Sie, wo die Preise am stärksten gestiegen sind? Beim Heizöl. Sie haben gesagt, im vorigen Jahr betrug die
Rechnung für die Winterperiode 2 000 DM, dieses Jahr
4 000 DM. In dieser Zeit gab es keinen Pfennig Steuererhöhung!
({18})
Die letzte Steuererhöhung beim Heizöl hat am 1. April
1999 stattgefunden.
({19})
In der Ökosteuer ist das Heizöl überhaupt nicht drin.
({20}) - Lachen und Zurufe bei der
SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr verehrter Herr Koppelin, die Mehrwertsteuer ist das
letzte Mal unter Ihrer Verantwortung erhöht worden. Das
wollen wir auch noch festhalten.
({21})
Wir wollen also festhalten: Wenn voriges Jahr das
Heizöl bei 50 Pfennig pro Liter lag, wenn am 1. April
1999 für viele Jahre letztmalig die Mineralölsteuer auf das
Heizöl um 4 Pfennig erhöht worden ist ({22})
- und jetzt der Liter Heizöl bei 1 DM liegt, dann stellen
wir fest, dass es die höchste Preiserhöhung gerade dort
gibt, wo die Steuer überhaupt keine Rolle spielt.
({23})
Auch in Bezug auf die Mineralölsteuer müssen Sie aufpassen, was da im Moment passiert. Die größten Erhöhungen werden beim Diesel vorgenommen.
({24})
- Ich darf vielleicht einen Moment um Ruhe bitten. Es ist
ein bisschen unruhig bei den Herren da drüben, ({25})
- auch wenn ich verstehen kann, dass denen das nicht gefällt.
({26})
Beim Diesel gibt es inzwischen auf den Steueranteil
von 74 Pfennig einen Aufschlag von über 1 DM, denn der
Preis beträgt schon fast 1,80 DM. Beim Benzin haben wir
einen Steueranteil von 1,10 DM, während der Preis bei
knapp über 2 DM liegt. Was passiert also? - Hier wird auf
kaltem Weg, weil man bei Diesel noch Spielräume für
Preiserhöhungen sieht, der Preis ordentlich mehr angehoben. Man stellt fest, dass der Preis für Diesel langsam an
den Preis für das Benzin herankommt. Das hat aber mit
der Steuer gar nichts zu tun, ({27})
- denn die Steuer beim Diesel ist wesentlich niedriger und
ist auch nicht stärker erhöht worden als beim Benzin.
Muss man Ihnen denn wirklich erklären, dass das ausschließlich eine Frage dessen ist, welchen Preis man am
Markt erzielen kann? Deswegen ist auch völlig klar:
Wenn wir den Platz räumen, dann rücken die nur nach.
Das ist die eiserne Konsequenz der Marktwirtschaft.
({28})
Deswegen ist es schon ein dreistes Stück, wenn Sie an
den Tagen, an denen die Mineralölkonzerne die Preise
hochtreiben, in Ihren Reden gegen die Bundesregierung
zu Felde ziehen. Hätten Sie nur einige Worte über das Verhalten der Konzerne gefunden, hätten Sie den Interessen
der Autofahrer und Bürger im Lande besser gedient.
({29})
Nun zu der „Belastung der Familien“. Herr Feibel, Sie
sind zwar neu im Parlament, aber auch das hätten Sie
nicht sagen dürfen. Es war doch das Bundesverfassungsgericht, das Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat, die
Familie während Ihrer Regierungszeit verfassungswidrig
hoch besteuert zu haben.
({30})
Und wir sind es, die den Mangel, den Sie zu verantworten
haben, jetzt mit unseren Gesetzen beseitigen.
({31})
Ich will Ihnen auch sagen, wie wir Abhilfe schaffen,
nämlich durch die dreistufige Steuerentlastung, die wir
bereits durchgesetzt haben - damit beziehe ich das InKraft-Treten der letzten Stufe zum 1. Januar 2001 ein und durch die eine Durchschnittsverdienerfamilie mit
zwei Kindern eine Entlastung in Höhe von 2 600 DM im
Jahr erfährt. Darin enthalten ist auch die zweimalige Erhöhung des Kindergeldes. Und nachdem Sie zehn Jahre
lang beim Wohngeld nichts getan haben - damit komme
ich zum nächsten Punkt -, erhöhen wir zudem mit unserem Haushalt für das Jahr 2001 das Wohngeld.
Wir erhöhen die BAföG-Leistungen.
({32})
Auch in diesem Bereich haben Sie zehn Jahre lang nichts
getan - mit fürchterlichen Folgen. Im Jahr der deutschen
Einheit wurden noch 605 000 Studentinnen und Studenten
durch das BAföG gefördert, am Ende Ihrer Regierungstätigkeit waren es nur noch 340 000. Das ist Bildungsabbau im gröbsten Sinne. Das haben Sie zu verantworten.
({33})
Das ist schlimm für unseren künftigen Wohlstand; denn
wer so wenig in die Bildung junger Leute investiert und
Kinder aus Familien mit geringem Einkommen dadurch
am Studieren hindert, versündigt sich am künftigen Wohlstand dieses Volkes, meine Damen und Herren.
({34})
Der Anteil des Haushaltes für Forschung und Bildung
wird gerade durch unsere Konsolidierungspolitik systematisch erhöht. Auch das wollen wir festhalten: Sie haben
uns einen Haushalt hinterlassen, wo dessen Anteil am
Bundeshaushalt 3,11 Prozent betrug. Bei uns erreicht dieser Anteil im nächsten Jahr bereits 3,21 Prozent.
Nein, meine Damen und Herren, dies ist ein Haushalt,
der die Zukunft sichert, und wir haben Erfolg damit.
({35})
Das Wirtschaftswachstum war seit über zehn Jahren nicht
so hoch wie heute; das ist die Wirklichkeit. Die Beschäftigung baut sich auf, wie dies seit der Wiedervereinigung
nicht mehr der Fall war. Wir werden 170 000 neue Beschäftigte in diesem Jahr und 270 000 im nächsten Jahr
haben.
({36})
Und die Preise sind, obwohl man da aufpassen muss, nach
wie vor stabil. Deswegen sind wir auf dem richtigen Weg.
Es muss Ihnen schon zu denken geben, wenn die internationale Bewertung Deutschlands auf dem Weg zur
Weltspitze so ausfällt, dass Deutschland bereits in einem
Jahr, nämlich von 1998 auf 1999 - das war also nach dem
Regierungswechsel -, von Platz 6 auf Platz 3 gestiegen
ist, vor uns nur noch Finnland und die Vereinigten Staaten. Und das, obwohl die Einkommen- und Unternehmensteuern zu hoch waren! In diesem Bereich greift jetzt
unsere Reform. Ich bin gespannt, wie die Bewertung
Deutschlands nächstes Jahr aussieht.
Heute ist im „Handelsblatt“ zu lesen: Manager geben
dem Standort Deutschland Bestnoten, die Arbeit der Bundesregierung wird von Führungskräften positiv bewertet,
die Investitionsbereitschaft wächst. Und zum Schluss
steht dort: Sie äußern sich über den Standort Deutschland
so positiv wie nie seit Beginn der Umfragen Anfang 1999.
Wir sind also auf dem richtigen Wege. Es wäre gut,
wenn Sie draußen nicht versuchten, das Volk aufzuhetzen.
Bei allem Ärger der Menschen, den ich verstehen kann,
muss ich nämlich sagen: Eine Verantwortung tragen auch
Sie, nämlich die, die enorm positive Entwicklung in
Deutschland nicht wieder in Gefahr zu bringen durch unsinnige Aktionen, die uns keinen Deut weiterbringen.
({37})
Meine Damen und Herren, gehen Sie einmal davon
aus: Diese Bundesregierung hält Kurs. Diese Bundesregierung hat schon im vorigen Jahr gegen alle Ihre Widerstände und auch gegen Lobbyisten den notwendigen Konsolidierungskurs durchgesetzt. Damit sich da keiner
täuscht: Was wir im vorigen Jahr an Standhaftigkeit erprobt haben, hält auch dieses Jahr.
({38})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Dietrich
Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben sich möglicherweise versprochen. Deswegen möchte ich richtig stellen, was beim Publikum eventuell als Falschaussage angekommen ist. Sie
haben behauptet, an der Höhe des Heizölpreises habe die
Bundesregierung keine Schuld. Im letzten Jahr sei von Ihrer Seite aus nichts passiert.
Nun weiß ich, dass die Haushaltspolitiker immer das
letzte Jahr für das Jahr nehmen, in dem man sich befindet,
wobei das neue das eigentlich gültige Jahr ist.
Erstens. Die Ökosteuer hat natürlich, wie Sie genau
wissen, auch das Heizöl verteuert: 4 Pfennig im Jahre
1999. Diese Verteuerung setzt sich fort.
({0})
Zweitens. Über die Mehrwertsteuer sind Sie ein Trittbrettfahrer der OPEC und der anderen Organisationen, die
die Preise treiben.
({1})
Drittens. Auch die Euro-schädliche Politik, über die
vor allen Dingen in der Wirtschaftsdebatte gesprochen
worden ist, trägt natürlich dazu bei, dass sich die Preise so
entwickelt haben. Die Relation Euro-Dollar ist zum Teil
auch auf das Versagen der Bundesregierung zurückzuführen.
({2})
Nun haben Sie sich auf den wirtschaftlichen Sachverstand berufen. Dazu lese ich Ihnen ganz kurz vor, was ein
wirklich anerkannter Sachverständiger im Bereich der
Wirtschaft, der Vorstandschef des größten deutschen
Unternehmens, Herr von Pierer - übrigens auch aus München, wie das Institut, das Sie erwähnt haben -,
({3})
- heute in einer Zeitung dazu sagt: Die Ökosteuer lähmt
unseren Aufschwung.
Dies kann man ganz leicht nachvollziehen. Darauf
möchte ich mich beschränken. Das, was an Energiepreisverteuerung innerhalb eines Jahres auf Bürger und Betriebe zukommt, summiert sich mit Ökosteuer, Mehrwertsteuer und höheren Preisen für Gas und Heizöl auf ein
Gesamtvolumen von 65 Milliarden DM im Jahr. Dies
übersteigt bei weitem das, was es möglicherweise am
1. Januar 2001 durch die Steuerreform an Bürgerentlastung geben wird.
({4})
Jeder Vermieter denkt heute darüber nach, den Bürgern
die Heizkostenabrechnung im nächsten Jahr dadurch zu
erleichtern, indem er die Vorauszahlungen erhöht. Auch
der Bund müsste das tun und tut es wahrscheinlich auch.
Wenn die Situation so ist, wie können Sie dann versuchen,
den Bürgern vorzumachen, dass Sie mit alldem nichts zu
tun haben?
({5})
Zur Erwiderung, Herr
Bundesfinanzminister Eichel, bitte.
Erstens.
Herr Austermann, ich wiederhole: In den Heizölpreisen,
von denen Herr Feibel gesprochen hat, nämlich in der
Steigerung von 2 000 DM aus der vorherigen Heizperiode
auf 4 000 DM in dieser Heizperiode, steckt kein Pfennig
Erhöhung über die Ökosteuer drin, weil das Heizöl in
dem betreffenden Gesetz überhaupt nicht enthalten ist.
Die letzte Erhöhung - in den nächsten Jahren ist keine geplant - hat am 1. April 1999 stattgefunden und betrug
4 Pfennig.
({0})
Also steckt in der Verdoppelung des Heizölpreises ich wiederhole das - von der vorherigen Heizperiode zu
dieser Heizperiode kein einziger Pfennig Steuererhöhung
durch die Bundesregierung.
({1})
Zweiter Punkt. Natürlich ist die Mehrwertsteuer enthalten. Es ist übrigens erstaunlich - das war auch zu Ihrer
Zeit so -: Wann immer irgendwo Preise erhöht werden,
betrifft das auch die Mehrwertsteuer. Das war 35 Jahre
lang so, als Sie den Finanzminister gestellt haben. Das haben Sie als Problem übrigens nie entdeckt. Das entdecken
Sie erst, seitdem Sie nicht mehr den Bundesfinanzminister stellen.
({2})
Aber der entscheidende Punkt ist doch ein ganz anderer. Es ist nicht so, dass die Mehrwertsteuer insgesamt
steigt. Auch das gehört zu Ihren Märchen. Das Problem,
das an dieser Stelle entsteht, ist doch ganz einfach: Die
Leute haben nicht mehr Geld in der Tasche, sondern sie
sind wegen der Preispolitik der OPEC und der Konzerne
gezwungen, mehr Geld für Kraftstoff auszugeben, Geld,
das sie an anderer Stelle nicht ausgeben können. Die
Mehrwertsteuer wächst doch gar nicht überproportional.
Die Mehrwertsteuer wächst völlig unabhängig davon, wie
sich im Einzelnen das Preisgefüge im Land entwickelt.
Das ist doch der einfache Sachverhalt.
({3})
Sie wissen das ganz genau. Das ist zu der Zeit, als Sie
den Finanzminister gestellt haben, nicht anders gewesen.
Deswegen halte ich fest: Dort, wo überhaupt kein Pfennig
Ökosteuererhöhung enthalten ist, ist die Preistreiberei am
allerschlimmsten; beim Diesel, für den die Mineralölsteuer niedriger ist, ist die Preistreiberei höher als beim
Benzin.
Deswegen sage ich: Es ist ein einfaches Gesetz der
Marktwirtschaft, dass sich jeder nimmt, was er kriegen
kann. Das ist der Punkt. Der Spielraum, den Sie schaffen,
wenn Sie Steuern nicht erheben, bewirkt, dass das die
Kassen der Konzerne füllt.
({4})
Im Übrigen darf man ja noch einmal darüber nachdenken, wie das funktioniert: Morgens fängt ein Mineralölkonzern an und am selben Tag sind dann ruck, zuck alle
Tankstellen und alle Konzerne umgestellt. Darüber darf
man doch noch einmal nachdenken, das ist doch eine
spannende Sache.
({5})
Darüber einmal zu reden hätte Ihnen doch angestanden,
wenn Sie das schon zum Thema machen wollen.
({6})
Wenn es Ihnen ein Herzensanliegen ist, frage ich noch
einmal: Wieso haben Sie eigentlich zehn Jahre lang das
Wohngeld nicht erhöht? Das hätten Sie getan, wenn Ihnen
die Mieterinteressen irgendetwas bedeutet hätten.
({7})
So, Herr Austermann, geht das doch nicht. Ich verstehe
ja, dass Sie jetzt eine Kampagne machen, aber ich sage Ihnen: Wir werden den Leuten präzise die Wahrheit sagen.
({8})
Eins lassen wir Ihnen nicht durchgehen: das, was die
Kassen bei den Konzernen füllt, uns noch auf die politische Rechnung zu schreiben. Da hört der Spaß auf.
Sehen Sie sich einmal an - es sind übrigens weniger die
OPEC-Staaten -, wie bei den Konzernen von 1999 auf
2000 die Gewinne explodiert sind: Sie haben sich im
Schnitt mindestens verdoppelt. Darüber müssen Sie einmal ein Wort reden. Das ist auch eine spannende Veranstaltung, wenn wir über die Frage reden, wer hier die
Preise treibt.
({9})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Anmeldungen zu Kurzinterventionen,
die mich gerade erreichen, kommen einfach zu spät. Bekanntlich darf man nur eine Kurzintervention auf eine
Rede hin machen und sich nicht auf eine andere Kurzintervention beziehen.
Der nächste Redner in der Debatte ist der Kollege Hans
Jochen Henke für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister
Eichel, ich möchte Sie zuerst direkt ansprechen. Auch
wenn Sie es nicht glauben: Wenige Tage vor dem 3. Oktober 2000 stehen wir ohne Wenn und Aber zu allen Leistungen wie zu allen Lasten, die aus zehn Jahren Wiedervereinigung resultieren. Wir stellen fest: Der von Helmut
Kohl und Theo Waigel eingeschlagene Weg zur Vollendung der deutschen Einheit war wichtig und richtig - auch
gerade gegen Zauderer und Verweigerer.
({0})
Ich habe zu wenig Zeit, ({1})
- aber zwei Zitate will ich bringen. Minister Eichel Herbst 1989: Die Bereitschaft kann weder bei unseren
westlichen noch bei unseren östlichen Nachbarn geweckt
werden, die Einheit Deutschlands auf die Tagesordnung
der Weltpolitik zu setzen.
({2})
Eichel in der „Frankfurter Neuen Presse“ genau vor zehn
Jahren: Einheit bringt Ländern untragbare Last!
({3})
Es war und bleibt richtig, Schulden und Altlasten der
DDR zu übernehmen und Folgelasten der Wiedervereinigung auch gegen egoistische Länderinteressen entschlossen beim Bund zu schultern. Es ist gelungen, die größte
finanzielle Belastung in so kurzer Zeit zu bestehen - und
dies ohne diejenigen, die vor Währungs- und Kreditmarktrisiken und vor der Überforderung der Leistungsfähigkeit aller Beteiligten gewarnt haben. Es ist und bleibt
eine einmalige historische Leistung.
({4})
Vor dem Hintergrund kann es nicht die Aufgabe einer
inzwischen nicht mehr amtierenden Regierung gewesen
sein, aber es ist auch nicht allein Aufgabe der jetzt amtierenden Regierung, diese Herausforderung abzutragen.
Am Ende ist dies auch nicht entscheidend. Das Ganze war
und bleibt eine Generationen-, ja wahrscheinlich eine
Jahrhundertaufgabe und -herausforderung. In diesem
Lichte erkennen wir die Leistung an und zollen allen
Menschen in Ost und West und denjenigen, die konsequent Verantwortung in dieser Zeit getragen haben, Dank.
({5})
Es gehört auch zur Ehrlichkeit dieser Haushaltsdebatte,
festzuhalten, dass trotz dieser Sondersituation, Herr
Eichel, gleichzeitig der Weg über die Maastricht-Kriterien
und über den europäischen Stabilitätspakt bis hin zu einer
europäischen Währung gegangen werden konnte.
Werte rot-grüne Koalitionäre, ohne die Haushaltskonsolidierung, begonnen in den 80er-Jahren, ohne stabilitätsorientierte Euro-Grundlagen und eine sparsamste,
zielgerichtete Haushaltsführung in den 90er-Jahren wäre
das alles nicht möglich gewesen.
Der amerikanische Botschafter John Kornblum hat bei
mehreren Gelegenheiten erklärt, er kenne keine andere
historische Leistung, die in so kurzer Zeit bewältigt worden wäre, wie die Wiedervereinigung. Jeweils fügte er
dann sehr nachdenklich hinzu, er wisse nicht, wie die
amerikanische Nation in einer vergleichbaren Situation
mit einer solchen Herausforderung umgegangen wäre. Ob
in diesem Lichte, verehrte Koalitionäre von Rot-Grün, die
vom Bundeskanzler bemühte „deutsche Krankheit“ überhaupt angeführt werden kann, mögen andere entscheiden.
Sie mögen dann aber insbesondere die Beiträge von den
Ministerpräsidenten Lafontaine, Schröder und Eichel mit
ihren Errungenschaften von der Steuer- über die Gesundheits- und die Lohnnebenkosten- bis hin zur Arbeitsmarktspolitik angemessen würdigen.
({6})
Ich habe mir zu den Bereichen Gesundheit, Rentenreform, Pflegeversicherung und den Strukturreformen bei
Telekom, Post und Bahn sowie zum Investitionsförderungsgesetz so viele Punkte aufgeschrieben, dass es den
Zeitrahmen sprengen würde, und möchte nur einige Reformen in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre herausstellen.
({7})
Ihr nach der Wahl einsetzender Reformeifer führte unter Schröder/Lafontaine, Gott sei es geklagt, in eine völlig andere, verquere Richtung: Ökosteuer, Rücknahme
von Rentenreform und zusätzliche Belastungen mit weit
reichenden Konsequenzen für den Haushalt 2001 und alle
Folgehaushalte sowohl auf der Einnahmen- als auch auf
der Ausgabenseite.
({8})
Sie haben entscheidende Fehler Ihrer eigenen ersten
Regierungsphase bis heute nicht korrigiert. Wenn manBundesminister Hans Eichel
cher Finanzspielraum nicht so ist, wie Sie es gern hätten,
ist es darauf - vor allem auf die verheerende Ökosteuer zurückzuführen.
({9})
Der Minister hat ja vorhin gerade selber die besten Argumente für die Abschaffung der Ökosteuer geliefert. Sie
belasten im Jahre 2004 nach fünf Stufen den Markt und
die Bürger mit zusätzlich 33 Milliarden DM jährlich.
({10})
Dies passiert in einer Zeit, in der Ihre Jahrhundertsteuerreform angeblich nachhaltige Entlastungen für die Menschen in unserem Lande bringen soll. Wirklichkeit ist aber
nach Ihren eigenen Planansätzen, dass die Steuereinnahmen des Bundes trotz Ihrer Jahrhundertreform in diesem
Jahr erstmals die 400-Milliarden-DM-Schallgrenze überschreiten werden und in den nächsten Jahren sage und
schreibe auf mehr als 450 Milliarden DM pro Jahr anwachsen werden. Dabei ist die von Ihnen fälschlicherweise vorgenommene Abkoppelung vom Zuwachs des
Bruttoinlandsprodukts und von den Zuwächsen bei den
Steuern eingerechnet, was noch nie der Fall war, was sich
auch als falsch, als „Arm-Rechnen“ herausstellen wird.
({11})
Ich sage an dieser Stelle nur: Eichel weiß, warum er
uns keinen Nachtragshaushalt liefert: weil sich die Öffentlichkeit insbesondere unter Berücksichtigung von
UMTS- und anderen Privatisierungserlösen staunend die
Augen darüber reiben würde, welch historisch einmalige
Einnahmesituation in diesem Jahr gegeben ist. Nur haben die Weichen andere gestellt, die Vorleistungen andere
erbracht.
({12})
Wenn wir gerade bei der Steuerreform sind: Die Zeit in
jenen 48 Stunden um den 14. Juli hätten Sie besser für
nachhaltige Verbesserungen der Reform verwandt, statt
Ländern Leistungen in Aussicht zu stellen, die zusätzliche
Ausgaben verursachen und mit Blick auf die Zukunft des
neu zu ordnenden Länderfinanzausgleichs neue und nicht
kalkulierbare Risiken für den Bund zeitigen werden. Auf
diesen Merkposten werden wir rechtzeitig zurückkommen.
({13})
Wir sind der Meinung, dass die falsch angelegte Ökosteuer zurückgenommen werden muss, weil sie eben nicht
geeignet ist, eine dauerhafte Gegenfinanzierung der Renten sicherzustellen und weil sie trotz Ihrer anders lautenden Beteuerungen nicht nur zur Gegenfinanzierung der
Renten herangezogen wird.
({14})
Sie dient zur allgemeinen Haushaltsdeckung und ist ein
schlichtes, blankes Abkassieren.
({15})
Wer demnächst näherungsweise 100 Milliarden DM
einschließlich Umsatzsteueranteile - ohne Ökosteuer aus Mineralölsteuereinnahmen erwirtschaften wird, hat
doch wahrhaftig genügend Steuerungs- und Gestaltungsspielräume, auch für ökologische Steuerungsmaßnahmen.
Im Übrigen haben Sie Ihr Ökosteuerkonzept bei der Verabschiedung ganz anders dargestellt und sich selbst beschränkt. Sie wollten nämlich nur eine Stufe einführen
und alles andere im europäischen Kontext machen. Nur
reden Sie davon heute nicht mehr. Das heißt: Sie handeln
eigentlich gegen Ihre eigenen Vorgaben.
({16})
Seien Sie konsequent und nehmen Sie das Geld, das
Sie aus den Zinsersparnissen durch die ausdrücklich von
diesem Haus einvernehmlich mitgetragene Sondertilgung
aus den UMTS-Erlösen und weitere Privatisierungen erwirtschaften und setzen Sie es zielgerichtet ein. Herr
Minister Eichel - auch darüber werden wir noch reden -,
in Wirklichkeit sind es ja mehr als 5 Milliarden DM.
Es ist auch nicht notwendig, die Investitionen auf einer historisch einmalig niedrigen Stufe anzusiedeln. Dies
hat verheerende Wirkungen für den Standort Deutschland, die Wettbewerbsfähigkeit, die Wirtschaft und die
Zahl der Arbeitsplätze. Der Ansatz beläuft sich auf
10,4 Milliarden DM. Das gab es nie und wird es hoffentlich in der Zukunft auch nie wieder geben.
Diese Regierung hat angekündigt, die Spielräume sollten größer werden. Just zu unserer heutigen Beratung
kommt eine volkswirtschaftliche Schätzung der Einkommensbelastung durch den Bund der Steuerzahler. Das ist
eine völlig neutrale Seite.
({17})
Wer dieses Tableau nimmt und die Zahlen von 1998 und
2002 vergleicht - das wollen Sie nicht hören -, wird feststellen: Es wird für die Bürger weder im Jahre 2000 noch
im Jahre 2003 und auch nicht im Jahre 2005 nachhaltige
Entlastungen geben. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
({18})
Die aktuelle Haushaltssituation ist aus Gründen, für die
nicht Sie, sondern andere verantwortlich sind, besser, als
Sie es je zu träumen wagten. In den zwei Jahren Ihrer Regierungszeit ist außer beim Herunterfahren und Sparen
eine klare Linie nicht erkennbar gewesen. Die nachhaltigen Strukturprobleme sind nicht gelöst. Schröder ist im
Kleinen, wie bei Holzmann, Österreich und der Green
Card, groß. Ob er auch im Großen nicht, wie bisher, klein
bleiben wird, muss sich erweisen.
Herr Eichel und ich haben gestern Abend einen sehr interessanten Vortrag über die Situation des Euro und die
Ursachen für seine Schwäche gehört. Der Redner hat wenige Meter von hier - sehr kompetent festgestellt, dass
die Entscheidung der Märkte über den Wert einer
Währung im Grunde eine Abstimmung über die Solidität
und Seriosität der Politik ist. Das sollten diejenigen, die
Verantwortung für den Standort Deutschland und die Leitwährung tragen, beachten.
Herr Kollege, würden
Sie bitte zum Schluss kommen.
Jawohl, ich
komme zum Schluss.
Die Risiken Ihrer Fiskalpolitik liegen voll beim Bürger, dem Steuerzahler und der Wirtschaft, und zwar mit
unverändert hohen Steuer- und Abgabenlasten, mit wachsenden Zins-, Inflations- und Währungsrisiken, mit real
gekürzten Renten und mit nur geringfügigen Tarifverbesserungen.
({0})
Es ist mehr und Nachhaltigeres gefordert als das, was
Sie bisher gebracht haben. Wenn Herr Schröder wirklich
meint, zum Jahresende könne Redaktionsschluss bei allen
Reformen sein,
Herr Kollege Henke,
ich bitte Sie, nun wirklich zum Schluss zu kommen.
- werden Sie erheblich zu kurz gesprungen sein.
Ich danke Ihnen.
({0})
Für die Fraktion von
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Matthias
Berninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nur
wegen des zehnten Jahrestages ist die deutsche Einheit in
der Tat in Verbindung mit diesen Haushaltsberatungen ein
sehr wichtiges Thema. Ich denke, hier muss noch einiges
gerade gerückt werden.
Die CDU bekennt sich zu den Schulden, die sie gemacht hat. In Ordnung. Die Schulden in Höhe von
1 500 Milliarden DM werden im Rahmen der Beratungen
über das Sparpaket von den CDU-Kollegen zum Teil noch
bestritten.
({0})
Es wurde gesagt, das alles sei eine Hinterlassenschaft von
Helmut Schmidt. In diesem Punkt haben Sie nach einem
Jahr dazugelernt. Nicht schlecht!
Sie sagen dann aber wieder Halbwahrheiten. Im Zuge
der deutschen Einheit, also seit 1990, sind die Lohnnebenkosten um 6,5 Prozentpunkte gestiegen. Was bedeutet
das für den Durchschnittshaushalt? Jeden Monat haben
Sie von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
150 DM zur Finanzierung der deutschen Einheit verlangt.
({1})
- Sie haben auch jeden Monat 150 DM von den Betrieben
zur Finanzierung der deutschen Einheit verlangt. Damit
haben Sie wesentlich zu der hohen Arbeitslosigkeit beigetragen, die uns und damit auch den Haushalt beinahe in
den Ruin getrieben hätte.
Vor diesem Hintergrund finde ich es eine Unverschämtheit, wenn Sie hier eine Diskussion über die kleinen und mittleren Einkünfte beginnen. Sie haben die
deutsche Einheit auf dem Rücken der Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen finanziert. Das ist das
Hauptproblem, mit dem wir heute zu kämpfen haben.
({2})
Hier gibt es auch eine Verbindung zur Ökosteuer. Die
rot-grüne Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, die Lohnnebenkosten wieder zu drücken, ({3})
- und zwar unter 45 Prozentpunkte.
({4})
Wir haben den Wählerinnen und Wählern reinen Wein
eingeschenkt, indem wir ihnen gesagt haben: Wir erhöhen
die Ökosteuer und stecken die daraus erzielten Gelder in
die Rentenversicherung, mit dem Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken.
({5})
Das haben wir nicht gesagt, weil wir uns irgendwann einmal etwas Lustiges überlegt haben; wir machen das vielmehr deshalb, weil die hohen Lohnnebenkosten, die Sie
uns hinterlassen haben, eine erdrückende Last sind, mit
der wir seit der Regierungsübernahme 1998 zu kämpfen
haben. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, bevor Sie hier
gegen die Ökosteuer polemisieren. Wenn Sie das nicht
tun, machen Sie eine unseriöse Politik.
Mit den Mehreinnahmen von 100 Milliarden DM
durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen - diesen
Privatisierungserlös verwenden wir übrigens auch deshalb zur Schuldentilgung, weil das die Haushälter
während der letzten Haushaltsberatungen gefordert
haben - tilgen wir gerade einmal die Schulden von acht
Monaten der Amtszeit von Helmut Kohl, acht Monate von
16 Jahren! Vor diesem Hintergrund muss man noch einmal unterstreichen: Der einzig gangbare Weg ist, die erzielten Mehreinnahmen zum Senken der Schuldenlast zu
verwenden.
Dennoch wird es bis zum Jahr 2006 dauern - damit
hebe ich ein weiteres Kernproblem in dieser Haushaltsdebatte deutlich hervor -, bis wir Haushalte aufstellen
können, ohne neue Schulden machen zu müssen. Wir werden trotz des Sparkurses noch 145 Milliarden DM an
Schulden machen müssen, bevor wir das Ziel erreichen,
für das Hans Eichel eisern steht und für das er in den
Fraktionen die volle Unterstützung hat, dass in Deutschland ausgeglichene Haushalte aufgestellt werden können.
Wie gesagt, erst nach 2006 beginnen wir, den Schuldenberg Jahr für Jahr systematisch abzutragen. Trotzdem fordern Sie die Aussetzung von Steuern. Sie können sich selber ausrechnen, welche Konsequenzen das hätte. Die
Konsequenzen der Aussetzung von Steuern sind neue
Schulden. Das bedeutet, es dauert länger, bis der Haushalt
im Gleichgewicht ist; das bedeutet, es werden mehr Geld
der Bürgerinnen und Bürger und mehr Steuereinnahmen
auf die Zahlung von Zinsen verwendet.
({6})
Auch vor diesem Hintergrund finde ich die von Ihnen angestoßene Ökosteuerkampagne eine Unverschämtheit.
Ich möchte Ihnen einen weiteren Grund nennen,
warum ich es eine Unverschämtheit finde, hier die Ängste der Bürgerinnen und Bürger zu schüren. Das Konzept
der Bayerischen Staatsregierung, das von der CDU/CSUFraktion übernommen wurde ({7})
- mit dem Titel „Die bessere Alternative - Eine Steuerreform für Wachstum und Beschäftigung“, ist Ihnen wohl
bekannt. Damit haben Sie uns vor der Sommerpause genervt, als Sie glaubten, Sie könnten die Steuerreform
blockieren.
({8})
- Sie waren also dabei, als das Konzept ausgearbeitet
wurde.
({9})
Das finde ich ganz hervorragend, Herr Kollege Kalb. Sie
wollten den Bürgerinnen und Bürgern, den Pendlern, auf
deren Kosten Sie derzeit Stimmung machen, eine um
20 Pfennig gekürzte Entfernungspauschale zumuten.
Aber das erwähnen Sie nicht in Ihrer Ökosteuerkampagne. Seien Sie stolz darauf!
({10})
Wir können über alles reden. Wir können auch über die
Frage diskutieren, ob die Entfernungspauschale sinnvoll
ist. Ökologen argumentieren, sie trage zur Zersiedelung
der Landschaft bei. Ich finde es aber falsch
({11})
- Herr Kollege, Sie können mir eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie ein Problem mit dem haben, was ich sage -,
wenn Sie Stimmung gegen die Ökosteuer machen, obwohl Sie selber die Pendler massiv belasten wollten.
({12})
Nebenbei gesagt: Es ist ein gravierender Unterschied,
ob die Pendler mit 20 Pfennig oder mit noch nicht einmal
2 Pfennig, wie es jetzt durch die Ökosteuer geschieht, belastet werden. Das muss man hier auch noch sagen. Das,
was Sie den Leuten zumuten wollten, wäre mehr als das
Zehnfache gewesen.
({13})
Trotzdem haben Sie die Stirn, eine solche Kampagne vom
Zaum zu brechen. Mich ärgert das tierisch, weil ich finde,
dass dies das Unglaubwürdigste ist, was man machen
kann.
({14})
Sie machen Kampagnen und reden über den hohen
Steueranteil bei dem Mineralölpreis. Sie behaupten, dass
es beim Preis einen Steueranteil in Höhe von 70 Prozent
und einen Rohölanteil von 30 Prozent gibt. In Ihrer Amtszeit betrug der Steueranteil 80 Prozent und der Rohölanteil 20 Prozent. Das heißt nichts anderes, als dass das Problem der Preissteigerung nicht an der Ökosteuer liegt,
sondern daran, dass die Preise auf dem Weltmarkt in die
Höhe gegangen sind. Insofern sind wir der falsche Adressat für Ihre Kritik. Das muss noch einmal sehr deutlich gesagt werden.
({15})
Ich möchte noch einmal auf die 145 Milliarden DM
neuen Schulden zurückkommen, die wir in dieser und der
nächsten Legislaturperiode abbauen wollen. Den Betrag
von 145 Milliarden DM wollen die Koalitionsfraktionen
möglichst noch senken. Wir haben uns zum Ziel gesetzt,
die Nettoneuverschuldung unter 45 Milliarden DM zu
drücken. Wir können das vergessen, wenn wir jetzt anfangen, blindlings irgendwelche Steuern auszusetzen. Wir
erreichen das nur, wenn der eiserne Sparkurs eingehalten
wird, wenn die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent gesenkt werden, damit wir Impulse für mehr Wachstum und
Beschäftigung auslösen, und wenn es uns gelingt, die Mittel für Investitionen im Bundeshaushalt wieder nach oben
zu treiben.
Als zum ersten Mal über den Kabinettsentwurf zum
Haushalt geredet wurde, haben wir gesagt, dass wir uns
alle wünschen, dass es in diesem Haushalt mehr Investitionen gibt. Niemand bestreitet, dass echte Investitionen
in Straße, in Schiene, in Altbausanierung Arbeitsplätze
schaffen. Wir haben aber gesagt, dass wir keine Investitionen zum Preis von neuen Schulden machen wollen.
Der Kollege Henke sagte, dass die Investitionsquote
bei 10,4 Prozent liege. Lieber Kollege Henke, am Ende
der Haushaltsberatungen werden wir eine Investitionsquote von 12,1 Prozent erreichen. Dies werden echte Investitionen sein und keine Buchungstricks wie bei der Investitionsquote des Kollegen Waigel.
({16})
Sie haben Dinge als Investitionen bezeichnet, die alles
waren, aber keine Investitionen. Wir wollen echte Investitionen. Wir wollen die Angleichung der Mittel für die
Schiene an die für die Straße. Wir wollen dort, wo es nötig
ist, in den Straßenbau investieren, damit Staus bekämpft
werden und die Anwohner vom Lärm entlastet werden.
Wir wollen ein Altbausanierungsprogramm, das zum
Klimaschutz beiträgt und den Menschen eine höhere
Wohnqualität gibt. Wir wollen das alles aber nicht zum
Preis von neuen Schulden. Daran werden wir festhalten.
Davon weichen wir keinen Millimeter ab. Sie sollten sich
überlegen, warum Sie das so selten thematisieren. Mein
Eindruck ist, dass Sie das nur aus einem Grund tun: Sie
wissen genau, dass wir Recht haben. Gerade die konservativen Haushaltspolitiker wissen genau, dass das Ihre
Achillesferse ist. Wir machen keine Politik auf Pump, wie
es die Regierung Kohl getan hat. Es ist nicht so, dass die
Roten und die Grünen nicht mit Geld umgehen können.
Sie sind es, die es nicht konnten! Das ist Ihre Achillesferse.
({17})
Zum Abschluss der Haushaltsberatungen dieser Woche
muss das deutlich gemacht werden.
Die Haushaltsdebatte zeigt doch: Die Koalitionsfraktionen sind sich über zwei Dinge einig. Sie wollen die
UMTS-Milliarden zur Schuldensenkung verwenden. Sie
wollen den Haushalt im Gleichgewicht halten und Spielräume für neue Investitionen schaffen. Das ist die eine Sache, über die wir uns einig sind. Die andere Sache ist: Wir
wollen die Lohnnebenkosten so weit wie möglich senken.
Wir Grüne halten an dem Ziel fest: unter 40 Prozent.
Was ist Ihr Alternativkonzept? Sie fabulieren über
Steuererleichterungen. Das hat der Kollege Stoiber schon
im letzten Jahr gemacht. Am Ende des Jahres waren sie
nicht so hoch. Sie blenden Risiken aus, zum Beispiel die
Postunterstützungskasse, den Kurs der Telekom-Aktie,
was sich natürlich auch auf den Haushalt auswirkt. Sie
haben kein Alternativkonzept auf den Tisch gelegt. Wenn
Sie Alternativkonzepte vorlegen, wie dieses wundersame
Steuerkonzept, dann sind es Konzepte, die wirklich zulasten der kleinen und mittleren Einkommen gehen, die die
Menschen tatsächlich belasten. Das lassen Sie in solchen
Situationen unter den Tisch fallen. Das lassen wir Ihnen
nicht durchgehen.
({18})
Zum Schluss möchte ich noch etwas dazu sagen, wofür
die UMTS-Milliarden ausgegeben werden sollen. Das
müssen wir in den Koalitionsfraktionen beraten. Es muss
im Kabinett beraten werden.
({19})
Wir werden auch dafür Sorge tragen, dass die Koalitionsfraktionen den Oppositionsfraktionen und damit dem gesamten Parlament die Möglichkeit geben, darüber seriös
zu beraten. Das ist bisher unter den Tisch gefallen.
({20})
Mir ist es wichtig, dass Sie unsere Vorschläge nicht in der
letzten Minute prüfen müssen, sondern dass Sie vernünftig mitberaten können. Wir werden uns als Parlamentarier
dafür einsetzen, schon aus Gründen der Kollegialität.
({21})
- Ich habe Ihnen gerade schon gesagt, welches Parlamentsverständnis ich habe, Herr Kollege Kalb.
Ich bin der Meinung, dass wir darüber in Ruhe beraten
müssen. Ich glaube, es wird uns gelingen, ein vernünftiges Paket für mehr Wachstum und Beschäftigung und für
einen Haushalt im Gleichgewicht zu schnüren.
Vielen Dank.
({22})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesfinanzminister
schloss seine Rede mit der Bemerkung ab, diese Regierung und natürlich vor allem er hielten Kurs. Herr Bundesfinanzminister, das kam mir so wie bei Kolumbus vor:
Auch er hat immer Kurs gehalten; aber als er ankam,
wusste er nicht, wo er war.
({0})
So ist das auch bei Ihnen.
Der Haushalt des Bundesfinanzministers Eichel ist wie
eine Medaille, die bekanntlich zwei Seiten hat. Ich will
die eine Seite beleuchten, die aus Sicht der F.D.P.-Fraktion durchaus positiv ist: Der Bundesfinanzminister will
die Schulden des Bundes senken. Wir finden, dass er dabei durchaus auf dem richtigen Weg ist.
({1})
- Hören Sie doch einfach einmal zu! - Wir denken, er ist
durchaus auf dem richtigen Weg, wenn er die 100 Milliarden DM aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen allein für die Senkung der Schulden des Bundes benutzt.
Mein Kollege Rexrodt hat schon am ersten Tag der Debatte gesagt: Das werden wir voll unterstützen. - Über
das, was mit den Zinsersparnissen zu geschehen hat, müssen wir uns im Haushaltsausschuss noch unterhalten. Ich
bin der Auffassung, man könnte sie genauso zur Schuldensenkung oder zur Förderung des Mittelstandes verwenden. Ich kann mir auch noch das eine oder andere
vorstellen. Wir sollten sie nur nicht verkleckern. Ich persönlich bin eher für Schuldensenkung.
Herr Bundesfinanzminister, mit der Einnahme aus der
Versteigerung der Lizenzen sind Sie ein wahrer Hans im
Glück. Man könnte fast sagen: Sie sind wie ein Lottospieler, der alle Zahlen falsch getippt hat, aber trotzdem
den Hauptgewinn bekommt.
({2})
Denn diese Einnahmen durch die Versteigerung der Lizenzen war nur möglich, weil die frühere Koalition aus
CDU/CSU und F.D.P. die Privatisierung der Post vorgenommen hat, und das gegen den erbitterten Widerstand
von Sozialdemokraten und Grünen.
({3})
Während die Grünen zu dieser Zeit sogar das Handy für
Teufelszeug gehalten haben, trat der heutige Bundesfinanzminister im Bundesrat massiv gegen die Privatisierung ein.
({4})
Ich sage noch einmal: Gut, dass unsere alte Koalition
nicht dem ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten gefolgt ist.
Aber es wird noch interessanter. Ich rate - leider ist keiner vom Bundespresseamt da -, einmal die ganzen
Reden, die Herr Eichel im Bundesrat gehalten hat, als
Broschüre herauszugeben. Die Republik würde staunen,
was Sie alles gesagt haben. Ich kann Ihnen heute nur eine
kleine Kostprobe davon geben.
({5})
Herr Eichel sagte im Bundesrat als hessischer Ministerpräsident:
Aufgabe der Postreform ist nicht die Sanierung des
Bundeshaushaltes. Es muss sichergestellt werden,
dass Verkaufserlöse bei der Post verbleiben und zur
Erfüllung ihres Auftrages wieder eingesetzt werden
können. Kein Verständnis hätte ich dafür, wenn die
Verkaufserlöse an den Bund abgeführt würden.
({6})
So Hans Eichel als Ministerpräsident. Als Haushaltspolitiker der F.D.P. bin ich natürlich froh, dass wir Herrn
Eichel nicht gefolgt sind.
Herr Bundesfinanzminister, da Sie uns hier einige Vorhaltungen gemacht haben - Sie werfen uns vor, früher
nicht gespart zu haben -, erlauben Sie - es ist noch nicht
lange her, genau drei Jahre - noch eine Kostprobe. Da haben Sie der damaligen Bundesregierung im Bundesrat
vorgeworfen - ich habe das Protokoll bei mir -, sie spare
zu viel. Sie sagten, Sie seien es leid, über das Sparen zu
reden. Sie haben den Wohnungsbau, das BAföG und eine
ganze Liste weiterer Punkte aufgeführt ({7})
- und behauptet, wir brächten die Zukunftsfähigkeit unseres Landes in Gefahr, wenn wir weiterhin so sparten.
Das haben Sie uns noch vor drei Jahren vorgeworfen.
Stellen Sie sich nicht hier hin und halten Sie nicht solche
Reden, wie Sie es heute getan haben!
({8})
Herr Bundesfinanzminister, Sie sind in einem Punkt
unehrlich:
({9})
Sie vergleichen sich immer mit Theo Waigel. Zu dessen
Politik könnte man zwar das eine oder andere sagen,
aber Sie müssen sich mit Ihrem Vorgänger vergleichen.
Der hieß Oskar Lafontaine und schmiss das Geld zum
Fenster raus.
({10})
Der Bundesfinanzminister - das ist jetzt die andere
Seite der Medaille des Haushaltes - behauptet - das hat er
auch heute gemacht; wir unterstützen das -: Es muss gespart werden. Wenn man sich den Haushalt anschaut,
dann erkennt man: Er spart gar nicht. Bei Eichel bekommt
das Wort „sparen“ eine völlig neue Bedeutung: Abkassieren und das Geld in den eigenen Haushalt stecken, das ist
für ihn sparen. Er hat auch davon gesprochen - dabei können wir ihm teilweise sogar folgen -, man dürfe nicht zu
viele Wohltaten verteilen und man müsse wissen, wie die
Gegenfinanzierung aussieht. „Gegenfinanzierung“ ist
übrigens sein Lieblingswort.
({11})
- Nein, hören Sie doch einfach einmal zu! Ich war bei
Ihrer Rede, glaube ich, der Ruhigste und das war verdammt schwer. Ich wäre dankbar, wenn Sie auch bei mir
zuhören würden.
({12})
Bei Eichel sieht es folgendermaßen aus: Wenn aus seiner eigenen Fraktion oder aus der Koalition der Wunsch
geäußert wird, Wohltaten - ich benutze den Ausdruck, den
Sie gebraucht haben - zu verteilen, dann sagt er: „Okay,
das machen wir; aber wir brauchen die Gegenfinanzierung.“ Die Bürgerinnen und Bürger bekommen dann
1 000 DM in die eine Tasche und aus der anderen nimmt
er ihnen 1 300 DM heraus. Das ist dann die „Methode
Eichel“ der Gegenfinanzierung.
({13})
Real sieht es nämlich so aus - darauf wurde schon unter anderem vom Kollegen Rexrodt in seiner Rede hingewiesen -: Bürger und Unternehmen zahlten im Jahre 1999
etwa 376 Milliarden DM an den Bund; im Jahre 2004 werden es bereits fast 450 Milliarden DM sein. Das sind Gelder, die die Steuerzahler zahlen, Herr Minister. Sie müssen doch immer wieder überlegen, was Sie von dieser
großen Summe an den Bürger zurückgeben können.
({14})
Wir als Freie Demokraten sind überhaupt der Auffassung,
dass der Bürger besser mit dem Geld umgehen kann, als
Sie es können.
Nun - das möchte ich noch einmal unterstreichen machen wir uns schon um die hohen Mineralöl- und
Heizölpreise Sorgen. Herr Minister, Sie können nicht einfach sagen, die Bürger müssten das so tragen oder, wie
es der Landesvorsitzende der Grünen in Schleswig-Holstein sagte, auf die Urlaubsreise verzichten. So geht es
nicht.
({15})
Angesichts des Vorschlags von den Grünen aus Schleswig-Holstein, auf die Urlaubsreise zu verzichten, ({16})
- fällt mir noch etwas ein - Herr Kollege Metzger, ich
sehe Sie gerade -: Nach einer Forsa-Umfrage, die ich
kürzlich gelesen habe, könnte sich jeder vierte Deutsche
vorstellen, mit Joschka Fischer Urlaub zu machen. Daraus
wird dann nichts, kann ich Ihnen da nur sagen.
({17})
Wenn wir uns über Ökosteuern sowie Benzin- und
Heizölpreise unterhalten, dann darf ich Ihnen doch noch
einmal wieder zu Gehör bringen - das habe ich diese Woche ja schon einmal gemacht -, was der jetzige Bundeskanzler als niedersächsischer Ministerpräsident in einem
dpa-Interview 1997 gesagt hat. Er hat gesagt: Für die Bürger in den Flächenstaaten ist ein höherer Benzinpreis eine
erhebliche Mehrausgabe. Die SPD muss in Kauf nehmen,
dass die Leute dann die Schnauze von uns voll haben. Das hat Schröder gesagt.
({18})
Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, dass Sie
ein Konzept anbieten werden, in dem es Entlastungen für
die Bürger geben wird. Sie halten diesen Druck ja gar
nicht aus; das wissen wir. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dieser Bundeskanzler, der ja den Ruf hat,
auch ein Freund der großen Autobosse zu sein, gerne in
die Geschichte als Heizöl- oder Benzinkanzler eingehen
will. Das kann ich mir bei ihm nicht vorstellen. Wir werden einmal die nächsten Tage abwarten, was da kommen
wird. Die Grünen werden dann wieder alles schlucken;
davon sind wir fest überzeugt.
Nun noch ein paar Punkte zum Haushalt, Herr Minister.
({19})
Schauen Sie sich einmal Ihren Verteidigungshaushalt
an. Ich weiß, wie schwer das ist. Aber mit diesem Verteidigungshaushalt ist eine Reform der Bundeswehr nicht
möglich. Das steht eindeutig fest. Wie Sie uns das noch
verkaufen wollen, zumal die entsprechenden Ergänzungen aus dem Ministerium, Frau Staatssekretärin, fehlen,
werden wir ruhig abwarten.
Wo setzt der Haushalt für Forschung und Bildung
Akzente? Ich kann Ihnen aufgrund der Zeit nur wenige
Punkte nennen. Wo setzt er Akzente? Ich habe dazu nichts
gehört.
({20})
Straßenbau und vieles andere findet nicht statt.
Deswegen sage ich zum Schluss, liebe Kolleginnen
und Kollegen: Wir werden interessante Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuss haben. Die Freien Demokraten werden sich daran beteiligen; das ist selbstverständlich. Wir werden aus der Oppositionsrolle heraus
versuchen, unsere Vorstellungen darzulegen. Unsere Vorstellungen sind ganz klar: wo es möglich ist, Arbeitsplätze
schaffen, Arbeitsplätze schaffen und nochmals Arbeitsplätze schaffen. Diese Linie werden wir verfolgen.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({21})
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Von der ersten Minute dieser
einwöchigen Redeschlacht bis zu den letzten Minuten findet hier offenbar vor allen Dingen eines statt: nämlich
gegenseitige Schuldzuweisungen der früheren Koalition
an die jetzige und der jetzigen an die frühere. Dabei wird
mitunter auch noch Lautstärke mit Argumentationsstärke
verwechselt.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wer arbeitslos ist, als Bauarbeiter oder in einem anderen Beruf seinen Lebensunterhalt bestreiten muss, wer als Elternpaar für seinen
zwölfjährigen Sohn bzw. seine zwölfjährige Tochter sich
darum Sorgen machen muss, ob in vier Jahren eine
Lehrstelle zu finden ist, wer als Rentner bzw. Rentnerin
mit um 0,6 Prozent angehobenen Rentenbezügen in diesem Jahr eine 1,8-prozentige Inflationsrate verkraften
muss oder wer als Pendler - in Ostdeutschland sind das
immerhin 500 000 Menschen - mit den explodierenden
Spritkosten konfrontiert ist, dem nützen gegenseitige
Schuldzuweisungen überhaupt nichts.
({0})
Der möchte Lösungsangebote haben, damit er sich
zwischen den jeweiligen politischen Kräften entscheiden
kann.
Was konkrete Lösungsangebote anbetrifft, sah das
hier eher mager aus. Ich habe gehört, dass den Rentnern
empfohlen wird, sich Energie sparende Heizgeräte anzuschaffen, und den Pendlern empfohlen wird, endlich einmal einen ADAC-Lehrgang für Sprit sparendes Fahren zu
besuchen. Das kann man alles empfehlen, aber insgesamt
sind das, wie ich finde, ärmliche Vorschläge.
({1})
Herr Minister, in dieser Schlussrunde wäre Gelegenheit gewesen zu sagen: Denken Sie nicht vielleicht doch an
eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale?
({2})
Wie wollen Sie den öffentlichen Personennahverkehr so
entlasten, dass er auch noch von den Leuten genutzt werden kann, die nicht besonders viel Geld in der Tasche haben? Und haben Sie nicht vielleicht doch vor - hoffentlich; man konnte im Sommer so etwas hören -, die
Nettolohnformel für die Anpassung der Renten wieder
einzuführen? Heute wäre Gelegenheit gewesen, solche
Signale zu senden; ({3})
- denn die Bürgerinnen und Bürger, die uns zugehört und
zugeschaut haben, warten auf Signale.
Herr Minister, Sie sagen: Sollen doch die Brummifahrer, sollen doch die von den Spritpreisen betroffenen
Menschen ihren Frust bei der OPEC und bei den Ölkonzernen ablassen. - Diese haben aber leider keine gewählten Vertreter. Die gewählten Vertreterinnen und Vertreter
des Volkes sitzen hier. Daher muss hier die Debatte dazu
stattfinden und daher muss hier eine Antwort gegeben
werden.
({4})
Ich finde es reichlich absurd, wenn der Außenminister
dieser Koalition vor der UNO sagt: Wir müssen alles tun,
um die schädlichen Marktkräfte in der Welt einzudämmen - was ich natürlich unterstreiche. Aber wenn die eigene Regierung zu Hause sagt: „Gegen diese schädlichen
Marktkräfte können wir leider nichts tun, die müssen wir
hinnehmen“, ist das ein bisschen absurd.
({5})
Nie ist in diesem Hause - ich kann mich jedenfalls
nicht erinnern - innerhalb einer Woche so häufig von den
Interessen künftiger Generationen die Rede gewesen wie
dieses Mal. Das ist zu begrüßen. Es ist natürlich richtig,
dass die Interessen künftiger Generationen bei der Verteilung öffentlicher Steuergelder schon heute vertreten werden. Das ist unbestritten und das unterstützen wir.
Wir unterstützen als PDS - das mögen Sie vielleicht
nicht erwartet haben - den eingeschlagenen Kurs der
Haushaltskonsolidierung, wenngleich wir sagen: Das
Ganze darf nicht zum Selbstzweck werden. Schon heute
wirft Ihnen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vor, dass ein übergroßer Spareifer auch Probleme
für die Zukunft aufwerfen kann.
({6})
Diesen Aspekt werden wir in den weiteren Haushaltsberatungen stark beachten.
Also: Haushaltskonsolidierung in jedem Falle, aber sie
darf nicht zum Selbstzweck werden.
Es sind ja nicht nur die Finanzschulden, die die junge
Generation belasten. Unsere Kinder und Kindeskinder
sind auch belastet, wenn ihre, in vielen Fällen hoch qualifizierten, Eltern arbeitslos sind, wenn ihre berufserfahrenen Großeltern frühverrentet werden.
({7})
Das ist für die junge Generation eine Bürde. Daher muss
es dabei bleiben, dass Zukunftssicherung nicht erst mit
der Haushaltskonsolidierung beginnt, sondern schon mit
der Bekämpfung der aktuellen Arbeitslosigkeit.
({8})
Dabei stößt mir zweierlei bitter auf; ich will es in aller
Kürze noch hier andeuten. Sie setzen, wie die frühere Koalition, darauf, dass die Arbeitslosigkeit durch Steuersenkungen für die Unternehmen bekämpft werden kann
und muss, was Sie auch tun.
({9})
Außerdem setzen Sie auf die Einführung neuer Technologien und anhaltenden Exportboom. Es bleibt jedoch dabei, dass sehr viele Unternehmen trotz sinkender Steuern
noch in diesem Jahr in Konkurs gehen werden.
({10})
Es bleibt auch dabei, dass es in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Arbeit gibt, die leider nicht rationalisierbar ist: Auch wenn Sie die Unternehmensteuern
auf null zurückfahren würden, würden Private in bestimmten Bereichen keine Arbeit anfassen.
Ich nenne nur den sensiblen Bereich Kinder- und
Jugendarbeit, in dem es in diesem Lande geradezu
brennt. Jeder von uns bekommt Briefe von betroffenen
Verbänden und Vereinen. Eine Vereinsvorsitzende aus
dem Be-reich der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg hat mir geschrieben, dass sie morgen vor die
dann ge-schlossenen Räume treten und den Kindern - es
sind meis-tens verhaltensgestörte Kinder - sagen muss:
Kinder, es liegt nicht an euch, aber es gibt kein Geld.
({11})
Sie sagt zu mir: Wenn Sie mich kennen, ahnen Sie, wie
mir zumute sein wird. - Ich kann es ihr nachfühlen.
Wir als PDS werden daher ein Modellvorhaben in die
Haushaltsberatungen einbringen, um zu zeigen, wie man
im Bereich Kinder- und Jugendarbeit feste Stellen schaffen kann. Das kann man nicht den Kommunen überlassen,
weil es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.
Frau Kollegin Luft,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Die sich ergebenden Kosten
sind nicht höher, als zum Beispiel die Steuerbefreiung für
Flugbenzin ausmacht.
Aufgrund meiner abgelaufenen Redezeit kann ich ein
weiteres Problem nicht mehr ansprechen. Nur so viel
möchte ich noch sagen: Wenn Sie das Programm gegen
Jugendarbeitslosigkeit weiter so finanzieren - wir haben
uns diesbezüglich immer mit Kritik zurückgehalten -,
dann wird es die Steuerzahler nach drei Jahren 6 Milliarden DM gekostet haben, ein beträchtlicher Batzen Geld.
Wenn Sie sich endlich entschließen würden, die Unternehmen, die sich aus der Finanzierung der Ausbildung
heraushalten, mit einer Ausbildungsplatzumlage zu belegen,
Frau Kollegin, ich
muss Sie noch einmal ermahnen.
- dann würden wir jedes
Jahr 2 Milliarden DM für andere Zwecke im Haushalt
zur Verfügung haben.
({0})
Der nächste Redner ist
der Kollege Hansgeorg Hauser für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Am Ende der mehrtägigen Debatte zur Einbringung des Haushalts 2001 bleibt eine wichtige Frage
unbeantwortet.
({0})
Wer die Debatte zur Finanz- und Steuerpolitik dieser Regierung verfolgt hat, fragt sich unwillkürlich, was aufseiten dieser Regierung und der sie tragenden Regierungsfraktionen denn nun größer sei: die Blindheit, die Sturheit
oder die Arroganz.
({1})
Trotz eindeutiger Zahlen über die eklatanten Preissteigerungen in allen Energiebereichen tut die Regierung so,
als wäre alles ganz normal verkraftbar. Der Anstieg der Inflation wird nicht zur Kenntnis genommen. Die Belastungen der Wirtschaft werden als das übliche Gejammere
dargestellt. Die Sorgen der Bürger, insbesondere der kleinen Leute, werden damit abgetan, dass soziale Härtefälle
mit ein paar Mark Ausgleich geregelt werden könnten und das natürlich in der für Sozialdemokraten typischen
Art: mit riesigem bürokratischem Aufwand und mithilfe
der Erfindung neuer Beihilfen. Es wird wahrscheinlich
ein neuer Bezugsscheinbürokratismus kreiert werden.
({2})
Es ist bezeichnend, dass man das Ganze auf die Sozialhilfe abwälzen will; denn die zahlen die Kommunen. Die
Regierung ist dafür nicht zuständig.
Diese Regierung ist offensichtlich blind und taub gegenüber Warnungen, dass die anspringende Konjunktur
einen deutlichen Schaden erleiden könnte. So gesehen ist
es natürlich verständlich, dass der Bundeskanzler einen
niedrigeren Euro als gut für die Wirtschaft bezeichnet und
sich damit seines soeben gewonnenen Titels wahrhaft
würdig erweist.
Sicher ist es richtig, dass ein Teil der Preissteigerungen nicht alleine die Regierung zu vertreten hat. Aber,
sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, nach Ihrem
dramatischen Auftritt vorgestern, ({3})
- muss ich sagen: Sie hätten schon einmal an das Geschachere zwischen Ländern und Bund zur Finanzierung
der Einheit erinnern können. Der Bund hatte als einzige
Möglichkeit nur die Erhöhung der Mineralölsteuer, weil
dies die einzige Steuer ist, die ihm zufließt. Die anderen
Steuern hätten alle nur mit Beteiligung der Länder erhöht
werden können. Diesen Punkt sollten Sie schon einmal
richtig stellen.
({4})
Aber der auf die Regierung zurückzuführende Anstieg
aufgrund der Erhöhung der Mineralölsteuer und der auf
den Bund entfallende Anteil bei der Mehrwertsteuer sind
ein wesentlicher Teil dieser Preissteigerungen.
Absolut alleine zu vertreten hat die Regierung den Unfug mit der Ökosteuer. Es ist schon mehrfach ausgeführt
worden, dass diese Steuer weder ökologisch sinnvoll noch
steuersystematisch vertretbar und schon gar nicht sozial
gerecht ist. Was hat denn der Rentner davon, dass die
Beiträge gesenkt werden? - Gar nichts. Er darf nur die
Kosten dafür tragen. Diese Politik machen Sie, obwohl
Sie doch immer die kleinen Leute vertreten wollen.
Die Regierung vertritt stur die Haltung, dass diese
Steuer notwendig ist und eines ihrer Meisterstücke darstellt. Lenkungseffekte für ein besseres ökologisches Verhalten sollen von ihr ausgehen. Der Bürger hat aber längst
gemerkt, dass es - wie einst bei dem 5-Mark-Beschluss
der Grünen - nur auf eines hinausläuft: Man will dem
Bürger vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hat,
wann und wie oft er mit dem Auto fahren darf, wie schnell
er unterwegs sein darf und welches Auto er letzten Endes
fahren darf.
Dass die ökologische Lenkungswirkung ein Märchen
ist, hat sich längst herausgestellt. Bei der unlogischen
Konstruktion des Gesetzes, wonach beispielsweise regenerative Energiequellen nicht von der Besteuerung ausgenommen sind und obendrein öffentliche Verkehrsmittel
zusätzlich belastet werden, ist dies kein Wunder.
Auch - wie immer wieder behauptet wird - die ausschließliche Verwendung der Einnahmen zur Finanzierung des Zuschusses an die Rentenkasse ist längst aufgedeckt und nimmt Ihnen niemand mehr ab. Diese systemwidrige Finanzierung wird Sie nicht davor bewahren,
im Rentenbereich erhebliche Kostenreduzierungsmaßnahmen durchzuführen und die Augen gegenüber den
Generationsveränderungen aufzumachen.
Herr Bundesfinanzminister, wie alle Vorredner aus
meiner Fraktion kann ich Sie nur auffordern, den Unfug
mit der Ökosteuer endlich zu beenden.
({5})
Dazu gibt es eine gute Gelegenheit: Stimmen Sie unserem
Entwurf eines Ökosteuerabschaffungsgesetzes, das wir
einbringen werden, zu.
({6})
Diese Aufforderung wird in einer arroganten Art und
Weise missachtet und einfach nur als Druck von der
Straße diffamiert. Das wird Ihnen sicher noch einmal
Leid tun. Wer den Brummifahrern vorwirft, sie würden
Maßnahmen vorbereiten, die den Straftatbestand der
Nötigung erfüllen, zeigt, dass er von deren Sorgen keine
Ahnung hat.
({7})
Der Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr,
Logistik und Entsorgung, des BGL, Hermann Grewer, ist
ein sehr besonnener und intelligenter Mensch.
({8})
Ihm vorzuwerfen, er erarbeite Aufmarschpläne, und ihn
damit mit Chaoten und Gewaltdemonstranten gleichzustellen ist eine Unverschämtheit.
({9})
Wenn in ihrer Existenz gefährdete Bürger zu Demonstrationen aufrufen, dann regt sich der Bundeskanzler auf.
Als in Hannover die Chaoten randalierten, hat dies den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten wenig
gekümmert.
({10})
Wenn Sie den Bürgern vorschlagen, langsamer zu fahren,
dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn dieser Rat
von den Brummifahrern befolgt wird.
({11})
Die Folgen können Sie verantworten.
Der Gipfel der Arroganz - das ist schon erwähnt worden - ist die Äußerung des Vorsitzenden der Grünen in
Schleswig-Holstein, dass auf den Urlaub verzichtet werden müsse. Die „Bild“-Zeitung hat es richtig erkannt, als
sie fragte: Sind die Sorgen der Menschen, die um ihre
Existenz bangen, Nebensache?
Angesichts eines Kanzlers, der im Himmel schwebt,
eines Finanzministers, der vor Kraft nicht mehr laufen
kann, ({12})
- und eines Außenministers, der die Freundschaft mit einem Nachbarstaat zerstört hat und sich lieber mit dem Ölmulti Gaddafi trifft, ist es kein Wunder, dass sich die Bevölkerung fragt, ob diese Regierung noch etwas mit ihren
Bürgerinnen und Bürgern zu tun haben will.
({13})
80 Prozent der Deutschen lehnen die Ökosteuer ab.
Eine Umfrage der „Woche“ hat ergeben, dass 60 Prozent
sogar bereit sind, die Regierung mit Aktionen in die Knie
zu zwingen. Das sollte Ihnen die Augen öffnen und Sie zu
einer Umkehr von diesem falschen Weg bewegen.
Auch bei der Steuerreform ist nach anfänglicher Euphorie schnell Ernüchterung eingetreten. Sie haben in den
Sommermonaten Ihren Triumph genossen, Verhandlungspartner über den Tisch gezogen zu haben und auf Teufel
komm raus eine Steuerreform umzusetzen. Erste Reparaturarbeiten werden bereits vorgenommen. Denn nichts
anderes ist das Steuersenkungsergänzungsgesetz, das wir
jetzt beschließen sollen.
Das Urteil über die Steuerreform bleibt unsererseits
trotzdem bestehen: Entlastungen kommen zu spät. Die
vorgesehenen Steuersatzsenkungen sind ungerecht, weil
nicht rechtsformneutral verteilt, und der Systemwechsel
vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren
bringt erhebliche Komplizierungen und führt zu neuen
Ungerechtigkeiten.
Lassen Sie mich ganz kurz drei Beispiele aufführen,
die zeigen, dass diese Gerechtigkeitslücke zu einem
Scheunentor geworden ist: Veräußerungsgewinne - Sie
kennen das Thema - werden in dreifacher Hinsicht vollkommen unterschiedlich behandelt. Bei einer Kapitalgesellschaft wird die Beteiligungsveräußerung steuerfrei
belassen. Bei einer natürlichen Person, die einen Anteil an
einer Kapitalgesellschaft hat, gilt das Halbeinkünfteverfahren. Kommt es zu einer Veräußerung eines Einzelunternehmens oder einer Beteiligung an einer Personengesellschaft, wird das Ganze voll besteuert.
({14})
Ein weiteres Beispiel sind die Steuerbelastungen bei
gewerblichen Einkünften. Auch diese werden vollkommen unterschiedlich behandelt. Gewerbliche Einkünfte
aus einer Personengesellschaft oder einem Einzelunternehmen unterliegen in voller Höhe der Einkommensteuer,
wenn der Spitzensteuersatz erreicht wird. Dieser Satz beträgt im Jahre 2001 immerhin noch 48,5 Prozent.
Die Gewinne der Kapitalgesellschaften werden mit
25 Prozent besteuert. Hier ist es ein großer Unterschied,
ob die Gewinne im Inland erwirtschaftet werden oder ob
sie beispielsweise aus einer Beteiligung im Ausland stammen, denn die Erträge aus der Beteiligung an ausländischen Gesellschaften sind in Deutschland völlig steuerfrei.
International tätige Unternehmen werden sich daher
künftig sehr genau überlegen, ob sie Investitionen in
Deutschland oder im Ausland tätigen. Genau an dieser
Stelle wird Ihr Anliegen, dass die Steuerreform einen
beschäftigungspolitischen Erfolg erzielt, zum Scheitern
verurteilt sein. Die Überlegungen, ob künftig mehr im
Ausland investiert werden soll, sind bereits in vollem
Gange.
Dazu trägt auch bei, dass künftig Auslandsverluste im
Inland nicht mehr geltend gemacht werden können, mit
dem Ergebnis, dass risikobehaftete Investitionen eher in
Deutschland durchgeführt werden und ertragreiche Investitionen eher im Ausland.
Experten tüfteln vielfach, weil sie alle den Schluss gezogen haben, dass beim Schritt über die Grenze die früheren Personengesellschaftsstrukturen an Bedeutung verlieren und durch Konzernsachverhalte ersetzt werden.
Hansgeorg Hauser ({15})
Durch den Wegfall des Anrechnungsverfahrens und den
Übergang auf das Halbeinkünfteverfahren steigt die Attraktivität von Auslandsinvestitionen. Daher wird den
Mandanten in allen großen Kanzleien empfohlen, im Ausland und nicht mehr im Inland zu investieren.
Herr Poß, Sie können den Menschen - Sie haben am
Wochenende auf Ihrem Parteitag Gelegenheit dazu - erklären: Früher haben die großen Gesellschaften relativ
wenig Steuern gezahlt - so haben Sie es immer behauptet -, jetzt zahlen sie gar keine mehr. Das ist der Erfolg Ihrer Politik.
({16})
Genauso ist es bei den Dividenden. Bei deren Besteuerung gilt die gleiche Problematik.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie
haben nichts kapiert!
Auch hier sind diejenigen mit niedrigen Steuersätzen
künftig wesentlich schlechter gestellt als diejenigen mit
höheren Steuersätzen, denn diese werden künftig kräftig
entlastet. Das ist der Erfolg Ihrer Steuerreform. Ich hoffe,
Sie erzählen auch das auf dem Parteitag der SPD.
({17})
Letzter Redner in dieser Haushaltsdebatte ist der Kollege Hans Georg Wagner
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Es gehört zu den Absonderlichkeiten dieser Debatte, dass ausgerechnet der Heizer des Schuldenzugs von Herrn Waigel in dieser Form
über die Bundesregierung herzieht.
({0})
Als Sie geschürt haben, sind die Schulden gestiegen. Herr
Kollege Hauser, erinnern Sie sich bitte daran.
Zu den Absonderlichkeiten dieser Debatte gehört auch,
dass vonseiten der CDU/CSU und F.D.P. überhaupt kein
konkreter Vorschlag zum Haushalt gekommen ist. Ich bedaure das. Nur Frau Luft hat einige Punkte genannt, die
durchaus diskussionswürdig sind. Wir hätten gern über
Vorschläge diskutiert, wenn nicht ständig durch die Debatte über die Ökosteuer vom Thema abgelenkt worden
wäre. Auch dazu werde ich gleich noch etwas sagen.
({1})
Ich gehe zunächst auf etwas ein, das mich als Sozialdemokrat furchtbar geärgert und tief getroffen hat.
({2})
- Ich bin sonst sehr hart im Nehmen, Herr Kollege
Repnik. Ich halte viel aus und ich teile viel aus. Wenn sich
aber ein Herr Merz hier hinstellt und die Sozialdemokratie im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung
Deutschlands diffamiert, dann erwarte ich, dass Frau
Merkel endlich einmal den Mund aufmacht, ihn zurechtweist und sich bei allen Sozialdemokraten in Deutschland
entschuldigt.
({3})
Ich nenne Ihnen Herbert Wehner, der Mann für Mann
aus den Gefängnissen der DDR geholt hat, als Sie noch
gar nicht daran dachten, mit den Herrschenden zu reden.
Soll ich an den Friedensnobelpreisträger Willy Brandt erinnern? Muss ich andere wie Helmut Schmidt nennen?
Hätte Helmut Schmidt durch seine Gespräche mit den
Führern der DDR nicht für Verständigung gesorgt, hätte
Helmut Kohl nicht den roten Teppich in Bonn ausrollen
können, über den Herr Honecker schreiten konnte.
Erhard Eppler, Hans-Jochen Vogel und viele andere,
Tausende von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben sich bemüht. Sie haben mit heißem Herzen für
die Wiedervereinigung gekämpft, die dann die Menschen
in der DDR - und nicht Sie - verwirklicht haben. Sie waren das nicht, Sie waren wie auch wir nur Zuschauer im
Westen.
({4})
- Sie haben das auch noch fortgesetzt, Herr Kollege Kalb.
Die Sozialdemokratie hat hier im Deutschen Bundestag
der Verabschiedung des Einigungsvertrags einstimmig
zugestimmt, während 13 Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU den Einigungsvertrag abgelehnt haben. Es ist
scheinheilig, wie Sie sich hier aufführen.
({5})
Wie ist das mit den Blockflöten, die hier noch am Mittwoch geklatscht haben? Die Blockflöten waren an jeder
SED-Regierung der DDR beteiligt. Es gab nie eine Alleinregierung der SED. Es war immer die Bauernpartei
dabei. Es war immer die Ost-CDU, die bei Ihnen gelandet
ist, an der Regierung beteiligt. Sie waren am Mord durch
den Schießbefehl an der Mauer beteiligt. Sie waren immer
beteiligt, wenn irgend eine Schmutzigkeit gegen die Menschen in der DDR gemacht wurde. Damit sollten Sie einmal in Ihren Reihen aufräumen.
({6})
Nun zur Ökosteuer. Ein schlimmeres und makabereres
Spiel als das, was Sie zurzeit mit den Betroffenen treiben,
hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben. Das ist ein ganz makaberes Spiel.
Ich gebe nur wieder, was Martin Hüfner, der Chefvolkswirt der bayerischen Hypovereinsbank, im ZDF gesagt hat. Er hat gesagt: Die Ökosteuer muss bleiben. Nun
kann es sein, dass Sie zu einem bestimmten Konzern
- hier denke ich an Elf Aquitaine und an die Minol-Übernahme, die Übernahme der Tankstellen der ehemaligen
DDR - natürlich eine besondere Affinität besitzen. Dies
wird zumindest in den Büchern in Frankreich behauptet.
Denn wo sonst sollen die ganzen Spenden herkommen,
über die Herr Kohl nicht zu sprechen wagt? Elf Aquitaine
Hansgeorg Hauser ({7})
ist immerhin ein großer Benzinkonzern, der natürlich die
Preise auch erhöht.
({8})
- Herr Kollege, er ist inzwischen in Lyon angesiedelt, Sie
können mal hinfahren und gucken. Reden Sie einmal mit
Ihren Spenderfreunden, vielleicht senken sie in diesem
Zusammenhang ja die Preise.
Heute morgen hat der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Hans Werner Busch,
laut ddp erklärt, er befürworte die Ökosteuer. Im
„Deutschlandradio Berlin“ begründet Busch dies heute
mit den positiven Effekten der Ökosteuer auf den Arbeitsmarkt. Er führte weiter aus, eine Abschaffung hätte
eine Erhöhung der Beiträge und damit eine Erhöhung der
Lohnnebenkosten zur Folge. Die Entwicklung der
Arbeitsplätze wäre gefährdet. Und Herr Busch ist kein
ausgewiesener Sozialdemokrat, eher ein F.D.P.-Mann,
wie wir wissen.
Wenn Sie schon über diese ganzen Erhöhungen reden:
Der Biodiesel hat zur Zeit die höchsten Preissteigerungen
und dies hat mit unserer Ökosteuer überhaupt nichts zu
tun. Fragen Sie einmal Ihre Landwirtsfreunde, die heute
auf dem Traktor sitzen und hier in der Gegend herumfahren, warum sie den Biodiesel so teuer machen. Warum
machen sie ihn denn nicht billiger, wenn das wirklich ein
Produkt sein soll, das weltweit verbreitet werden soll?
Ich schenke es mir, noch einmal darauf einzugehen,
was hier die Frau Kollegin Merkel gesagt hat. Interessanterweise hat sie als Parteivorsitzende von Dienstagmittag
bis eben, als sie verschwunden ist, standhaft den Mund
gehalten. Zum Haushalt oder zur politischen Auseinandersetzung hat sie offenbar gar nichts zu sagen. Ich bedaure das außerordentlich, denn ich würde gern hören, wo
es mit der CDU eigentlich langgeht. Aber das ist nicht erkennbar.
Ich werde auch Herrn Merz nicht mehr zitieren, der im
November 1998 noch gesagt hat, durch die Ökosteuer
sollten Einnahmen erzielt werden, um Sozialabgaben zu
reduzieren. Dies hat Herr Merz gesagt. Am Mittwoch hat
Herr Merz jetzt eines gefordert - das ist klar -, nämlich
die Nettokreditaufnahme in Deutschland um 22 Milliarden DM zu erhöhen; denn der Wegfall der Ökosteuer
würde einen Wegfall von 22 Milliarden DM bedeuten.
({9})
Er sagte dazu, dass wir diese Summe auf die Nettokreditaufnahme draufschlagen müssten, damit wir die Höhe der
Rentenversicherungsbeiträge überhaupt halten könnten.
Das ist die Logik seiner Ausführungen.
({10})
Nach dem, was die CDU hier vorgetragen hat, entspricht
das einer Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge auf
21 Prozent.
Mit den 22 Milliarden DM kämen wir dann an die
denkwürdige Grenze des Artikel 115 des Grundgesetzes:
Der Haushalt wäre verfassungswidrig.
({11})
Was Herr Merz hier vorschlägt, ist eine Aufforderung an
die Koalition, das Gesetz zu brechen.
({12})
Dies ist eine Aufforderung an die Koalition, die Nettokreditaufnahme so zu erhöhen, dass der Haushalt 2001 verfassungswidrig wird. Für wie doof halten Sie uns eigentlich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU?
({13})
Dass wir einen solchen Blödsinn nicht mitmachen, ist
doch wohl selbstverständlich.
Herr Gysi - um auch hier einen Punkt aufzugreifen schlägt vor, man solle von den Einnahmen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen in Höhe von 100 Milliarden DM 10 Milliarden DM für andere Zwecke verwenden. Dazu kann ich nur sagen: Er muss sich das
Haushaltsgesetz für das Jahr 2000 durchlesen. Auch die
PDS muss dieses Gesetz einhalten. Darin steht ausdrücklich, dass die Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen in den Bundeshaushalt zur Schuldentilgung aufgenommen werden, und zwar in ihrer Gesamtheit. Man
kann keinen Teil davon wegbrechen und damit machen,
was man will. Auch dies gehört zur Redlichkeit der Politik.
Herr Gysi - auch wenn er nicht mehr im Saal ist -, wir
haben nicht vor, die Bundesanstalt für Arbeit hinsichtlich
der AB-Maßnahmen schlechter zu stellen. Dies bleibt für
die neuen Länder genauso, wie auch die Finanzhilfen zur
Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die Sie
infrage gestellt haben, erhalten bleiben.
({14})
- Gut, wir können darüber diskutieren. Dies sollte alles so
bleiben, wie es war.
Herr Austermann hat mir gesagt, er müsse früher weg.
Ich habe ihm aber ordnungsgemäß gesagt, ich würde ihn
jetzt beschimpfen. Er hat heute morgen Ihr Leib- und Magenblatt, die „Bild“-Zeitung, zitiert. Er legte dem armen
Herrn Pierer die Überschrift der „Bild“-Zeitung in den
Mund und behauptet, er hätte gesagt: „Die Ökosteuer
lähmt unseren Aufschwung“.
Jetzt lese ich einmal nach, was Herr Pierer in dem Interview wirklich gesagt hat. Er sagte auf eine entsprechende Frage:
Davon halte ich gar nichts! Man sollte sich über die
Ökosteuer noch einmal unterhalten.
- Ist das so schlimm? Aber Austermann zitiert Pierer. Pierer habe gesagt, weg mit der Ökosteuer, sie lähme die
Wirtschaft. Nachdem Herr Pierer der CDU eine Telefonanlage finanziert hat - Siemens spendierte ja der CDU
eine Telefonanlage -, kann es sein, dass das die Dankbarkeitsretourkutsche war.
({15})
Das ist über einen Konzern bekannt geworden. Die Anlage ist in Potsdam installiert worden. - Herr Koppelin,
Sie beugen sich interessiert vor. Ich verstehe: Sie wollen
wissen, wie Sie für die F.D.P. Geld einsparen können.
({16})
Das geht bis zu Herrn Däke. Herr Däke ist Ihnen bekannt. Er ist Ihr Kronzeuge vom Bund der Steuernichtzahler. Er erklärt, man solle doch bitte das Kfz-SteuerÄnderungesetz von 1997 aufheben. Er meinte, uns ans
Leder zu können bei einem Gesetz, das Sie verabschiedet
haben. Er geht also mittlerweile gegen Sie. Seien Sie also
bitte vorsichtig, wenn Sie ihn als Kronzeugen aufrufen. Er
ist in der Tat ein schlechter Kronzeuge dafür, wenn es um
irgendwelche steuerlichen Überlegungen geht.
Kurzum, meine Damen und Herren, wir haben bei diesem Haushalt Folgendes festzustellen: Der Regierungsentwurf verlässt heute, in diesen Minuten, die Regierung
und wird zum Entwurf des Parlamentes. Sie brauchen sich
deshalb gar keine Gedanken zu machen. Wir Abgeordnete
werden alles ordnungsgemäß beraten, wie es sich im
Deutschen Bundestag gehört. Wir werden diesen grundsoliden Haushalt mit unserer und - so hoffe ich jedenfalls - mit Ihrer Mitwirkung verabschieden und die Konsolidierung fortsetzen. Ich bin sicher, dass wir auf gutem
Wege sind, insbesondere im Interesse unserer Kinder und
Kindeskinder.
Schönen Dank.
({17})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/4000 und 14/4001 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich möchte mich ausdrücklich bei all denjenigen bedanken, die es bis zum Ende des Sitzungsmarathons dieser Haushaltswoche ausgehalten haben. Mein Kompliment an Sie.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. September 2000, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche allen, auch Ihnen oben auf der Tribüne,
ein interessantes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.