Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Luft?
Gerne. Dies ist eine Abschlussfrage.
Bitte schön, Frau Kollegin Luft.
Danke, Herr Minister. Ich sah,
dass Ihre Redezeit zu Ende ging, aber da Sie zu einem
Thema noch nichts gesagt haben und es Hunderttausende
Betroffene gibt, die sicherlich heute Morgen zuhören,
möchte ich Sie bitten, uns darüber zu informieren, wie der
Stand der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Rentenüberleitung ist. Sie haben dazu bis zum
30. Juni 2001 Zeit, das heißt, dieser Zeitpunkt fällt in den
Etat des nächsten Jahres. Ich möchte Sie fragen, wie sich
die Umsetzung nach dem jetzigen Stand Ihrer Arbeit im
Etat Ihres Ministeriums widerspiegelt.
Frau Luft, ich möchte Ihnen diese Antwort
dann geben, wenn der Diskussions- und Vorbereitungsprozess abgeschlossen ist. Einen Zwischenbericht möchte
ich in diesem Fall nicht geben.
({0})
Nun hat das Wort der
Kollege Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Es ist schon sehr enttäuschend, ({0})
- dass der zuständige Minister auf das größte Reformprojekt, das angeblich für 30 Jahre Sicherheit schaffen soll,
die Rentenreform, in seiner 30-minütigen Rede ganze
drei Minuten verwendet.
({1})
Herr Minister, wenn Sie heute die Vorlage eines Gesetzentwurfs für nächste Woche ankündigen, wäre es auch an
der Zeit gewesen, der Öffentlichkeit nach zehnmonatiger
Diskussion endlich mitzuteilen, was Sie in der Rentenpolitik wirklich vorhaben.
({2})
Ich kann allerdings verstehen, dass Sie diesem Thema
ausweichen; denn die Rentenpolitik ist ohne Zweifel einer der großen Schwachpunkte dieser Regierung.
({3})
Sie ist mangelhaft und konzeptionslos. Betrachtet man die
letzten zwei Jahre, so gab es nur Fehlentscheidungen,
Kehrtwendungen und Wortbrüche.
({4})
Erste Fehlentscheidung: Sie nehmen die Rentenreform
von Norbert Blüm, die den demographischen Faktor
berücksichtigte und nicht nur kurzfristig, sondern auch
langfristig mehr Stabilisierung in der Rentenversicherung
geschaffen hätte, zurück. Das war ein großer Fehler.
({5})
Viele Experten haben Ihnen damals gesagt: Das wird
teuer. Jetzt müssen Sie diese Rechnung einlösen. Sie sprechen vom Reformstau, und die große Rentenreform nehmen Sie zurück. Es war nicht nur ein großer Fehler, es war
auch töricht.
({6})
Meine Damen und Herren, hätten Sie den demographischen Faktor, der ab 1999 gewirkt hätte, in Kraft gelassen,
dann hätten Sie die gesetzliche Rente im Jahr 2001 allein
durch den demographischen Faktor in einer Größenordnung zwischen 5 und 6 Milliarden DM entlastet. Die
nächste Stufe der Ökosteuer zum 1. Januar 2001, die Sie
beschlossen haben und gegen deren Aussetzung Sie sich
wenden, führt zu zusätzlichen Einnahmen von 5,4 Milliarden DM. Das macht das Dilemma deutlich, das Sie mit
der Rücknahme der Blüm’schen Rentenreform angerichtet haben.
({7})
Hätten Sie den Demographiefaktor in Kraft gelassen,
dann müssten Sie im nächsten Jahr die nächste Stufe der
Ökosteuer nicht in Kraft treten lassen, weil der Demographiefaktor für die Rentenversicherung finanziell
die gleiche Wirkung gehabt hätte wie die Ökosteuer.
({8})
Meine Damen und Herren, die Regierung hat hier genau
die Falle aufgestellt, in der sie jetzt selber sitzt.
Zweiter Fehler: Wortbruch. Es gab große Töne vor der
Wahl: An die Renten wird nicht herangegangen, die Renten werden nicht angetastet. Noch im Februar 1999 hat der
Bundeskanzler in Bayern erklärt: Ich stehe dafür, dass die
Renten in Zukunft so steigen wie die Nettolöhne.
({9})
Wenige Monate später werden die 40-jährige Sozialtradition in Deutschland, das Wahlversprechen und das Wort
des Kanzlers vom Februar 1999 gebrochen, und die Rentenanpassung wird für zwei Jahre von der Nettolohnentwicklung abgekoppelt. Gestern sprach der Kanzler
von der Verantwortungsgemeinschaft und der Moral in
der Politik. Das Verhalten gegenüber den Rentnern in den
letzten zwei Jahren war unmoralisch und verantwortungslos.
({10})
Dann haben Sie gesagt: Regt euch nicht so stark auf,
ihr Rentner, wir sichern euch doch den Kaufkraftausgleich. Das war der dritte Wortbruch.
({11})
Herr Riester, Sie haben noch im September 1999
gesagt: Die Rentenanpassungen entsprechen der Preissteigerungsrate in den Jahren 2000 und 2001, und dies
bedeutet nichts anderes als die Sicherung der Kaufkraft.
Sie haben also Kaufkraftsicherung für die Rentner versprochen. Mit der Rentenerhöhung für dieses Jahr am
1. Juli 2000 haben Sie das Gegenteil gemacht. Sie haben
mit dem Trick gearbeitet, dass Sie die Inflationsrate des
Vorjahres von 0,6 Prozent gewählt haben, ({12})
- während die Inflationsrate im Juli dieses Jahres bei
1,9 Prozent lag. Das heißt, die Höhe Ihrer Rentenanpassung am 1. Juli dieses Jahres war dreimal niedriger als die
aktuelle Inflationsrate.
({13})
Sie haben also Ihr Versprechen der Kaufkraftsicherung
für die Rentner nicht eingelöst.
({14})
Tatsächlich sind also die Renten gekürzt worden. Dies
trifft insbesondere die Rentner in den neuen Ländern. Was
macht es für einen Sinn, wenn der Bundeskanzler die Ostproblematik zur Chefsache macht, aber sein Arbeitsminister die Renten im Osten kürzt? Dies ist die Folge dieser Rentenanpassung.
({15})
Dritter Punkt der Fehlentscheidungen und Wortbrüche:
Sie machen sich zum Anwalt der Langzeitarbeitslosen,
aber was haben Sie tatsächlich getan? Sie haben die
Beiträge zur Rentenversicherung für Bezieher von Arbeitslosenhilfe, die der Bund zahlt, fast um die Hälfte
gekürzt. Arbeitslosenhilfe beziehen aber bekanntlich die
Menschen, die länger arbeitslos sind. Dies ist auch wieder
insbesondere in den neuen Ländern ein Problem, wo nicht
nur die Arbeitslosenquote doppelt so hoch ist wie im Westen, sondern wo die Menschen typischerweise auch länger
arbeitslos sind. Deswegen sind sie von der Absenkung der
Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezieher auch besonders betroffen.
({16})
Sie haben die Beiträge um fast die Hälfte gesenkt. Und
da machen Sie sich zum Anwalt der Langzeitarbeitslosen?
Tatsächlich haben Sie für jemanden, der vier oder fünf
Jahre lang Arbeitslosenhilfe bezieht, die monatliche Rente
um 100 DM gekürzt. Herr Riester, nehmen Sie diese unsoziale Maßnahme zurück!
({17})
Jetzt ist da auch noch dieser soziale und ökologische
Krüppel der Ökosteuer: Dies ist eine doppelte Ohrfeige
für die Rentner. Die Rentner zahlen überproportional
hohe Energiepreise, aber die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge, die Sie der Bürgerschaft immer als ausgleichende Entlastung verkaufen, hat für die Rentnerinnen und Rentner keine Bedeutung, weil sie keine Beiträge
mehr bezahlen. Die Ökosteuer ist eine reine Strafaktion
gegen die 18 Millionen Rentnerinnen und Rentner.
({18})
Dann sagen Sie, dass für die Aktiven die Beiträge gesenkt werden. Ich habe mir jetzt noch einmal die verschiedenen Berechnungen besorgt. Der Rentenversicherungsbeitrag im Jahre 2000 beträgt 19,3 Prozent. Der
Rentenversicherungsbeitrag im Jahre 2001 beträgt
19,3 Prozent. Sagen Sie der deutschen Öffentlichkeit die
Wahrheit, dass im nächsten Jahr die Ökosteuer steigt - Sie
haben sie beschlossen - und der Rentenversicherungsbeitrag gleich bleibt. Dies ist eine Zusatzbelastung, eine
Strafaktion, und trifft insbesondere die ältere Generation.
({19})
Rücknahme der Rentenreform, Wortbruch bei der Nettolohnanpassung, Wortbruch beim Kaufkraftausgleich,
Strafaktion mit der Ökosteuer und ein Feldzug gegen die
Langzeitarbeitslosen durch die Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezieher! Herr
Riester, ich bin schon lange auf dem sozialpolitischen Gebiet tätig und traue mir hier wirklich ein Urteil zu. Eines
steht fest: In der deutschen Sozialgeschichte hat noch kein
Sozialminister in so kurzer Zeit Jung und Alt hinsichtlich
der Alterssicherung so verunsichert und die Rentner so
bestraft, wie Sie das in den letzten zwei Jahren gemacht
haben, Herr Riester.
({20})
Das größte innenpolitische und sozialpolitische Reformprojekt ist in der Tat die Rentenreform, wo Sie - ich wiederhole es - den akuten Handlungsbedarf durch die Rücknahme unserer Rentenreform aus dem Jahre 1996/1997
verschärft haben. Auch hier unterscheiden wir uns fundamental. Wir haben uns - das war der Vorschlag von
Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber - im November
1999 bereit erklärt, an die große Tradition anzuknüpfen
und die Alterssicherung parteiübergreifend und im Konsens zu lösen. Wir stehen auch zu unserem Vorschlag.
Dies ist kein Blankoscheck für die Regierung; die Inhalte
müssen stimmen. Aber hiermit unterscheiden wir uns fundamental von Ihrer - Sie waren damals in der IG-Metall
an führender Position verantwortlich - und von der Verhaltensweise der Sozialdemokraten.
Sie waren 1996/97 nicht nur nicht zum Konsens bereit,
sondern haben mit uns nicht einmal über eine Rentenreform gesprochen, weil Sie damals Blockadepolitik zum
Schaden unseres Landes betrieben haben. Da unterscheiden wir uns entscheidend.
({21})
- Herr Schlauch, wer laut schreit, hat keine Argumente
oder, wie wir in Bayern sagen: Die lautesten Kühe geben
die wenigste Milch.
({22})
Herr Schlauch, die wirkliche Reform- und Konsensbremse sitzt in der Regierung. Wir wissen nämlich bis
zum heutigen Tag nicht - wir haben es auch heute nicht
erfahren -, was die Regierung jetzt eigentlich will, außer
allgemeinen Grundsätzen.
Was wir in den letzten Monaten erlebt haben, waren
drei völlig unterschiedliche Konzepte zur Rentenreform.
Das ist jetzt nicht meine Konstruktion als Opposition. Die
Frau Engelen-Kefer ({23})
- hat Ihnen am 4. Juli, ausgerechnet an meinem Geburtstag, einen netten Brief geschrieben, Herr Riester. Ich lese
jetzt gar nicht vor, was sie zu Demagogie und Diffamierung geschrieben hat. Ich lese Ihnen nur vor: Ich will gern
zugestehen, dass wir nicht so flexibel sind wie du, Walter
Riester. Immerhin ist es dir gelungen, während deiner
Amtszeit als Minister mindestens drei unterschiedliche
Rentenkonzepte vorzulegen.
({24})
Das war am 4. Juli dieses Jahres. Mittlerweile basteln Sie
am vierten Konzept, meine Damen und Herren. Sie können froh sein, dass Sie als Partner eine christliche Partei
haben, die die Tugend der Barmherzigkeit beherrscht.
({25})
Aber lange hält unser Langmut mit Ihrer Herumstöpselei
nicht mehr.
({26})
Nachdem Sie für nächste Woche ein Rentenreformgesetz angekündigt haben - von dem ich prognostiziere,
dass es erst über- oder überübernächste Woche vorgelegt
werden wird -, möchte ich Ihnen vorsorglich noch einmal
klipp und klar sagen, worauf es uns ankommt, ({27})
- und zwar etwas konkreter als Sie.
Herr Riester, was ich an Ihren Einlassungen, auch
heute wieder, entscheidend bemängele, ist Folgendes. Sie
haben keine rentenpolitische Konzeption.
({28})
Sie verfechten nicht eine Idee, sondern: Wer zuletzt mit
Ihnen gesprochen hat, hat Recht bei der Rentenreform.
Das ist Ihre Vorgehensweise.
({29})
- Nein.
Herr Seehofer?
Nein. Wir waren gerade gemeinsam im Fernsehen. Ich weiß, was er sagen
will.
({0})
Es reicht nicht, Herr Riester, Rentenformeln und Faktoren nur handwerklich abzuarbeiten. Die Menschen wollen von Ihnen endlich wissen, welche rentenpolitische
Philosophie Sie haben, was Sie mit einer Rentenversicherung erreichen wollen.
({1})
Ich muss Ihnen erstens sagen. Das Wichtigste ist, dass
wir den Menschen sagen: Die Alterssicherung muss auch
in der Zukunft Lebensstandardsicherung bedeuten. Wer
ein ganzes Leben lang gearbeitet hat, muss darauf vertrauen können, dass er im Alter seinen Lebensstandard
wie im aktiven Erwerbsleben fortführen kann.
({2})
Das sind keine Selbstverständlichkeiten, meine Damen
und Herren. Bis 1957, bis zur großen Rentenreform unter
Konrad Adenauer mit der Handschrift der Union, war die
gesetzliche Rente mehr oder weniger eine Überlebenshilfe. Erst die Einführung der dynamischen Rente 1957
hat zu einer Lebensstandardsicherung geführt, das heißt,
die Rente ist ein Spiegelbild der beruflichen Lebensleistung. Wir werden alles tun, dass diese Grundphilosophie
der Lebensstandardsicherung nicht ausgerechnet von Sozialdemokraten zerstört wird.
Es wäre gut, wenn Sie der Öffentlichkeit einmal sagen
würden, ({3})
welches Ziel Sie mit der Rentenreform eigentlich verfolgen. Ist es Armutsvermeidung oder Lebensstandardsicherung? Wir wollen Lebensstandardsicherung.
({4})
Zweitens. Wir wollen, dass wir mit der Rentenreform
nicht Altersarmut produzieren. Deshalb halten wir an
dem Ziel fest, das wir vor der Bundestagswahl in unsere
Rentenreform geschrieben haben, dass das Rentenniveau
in der gesetzlichen Rente nicht unter 64 Prozent eines
Nettodurchschnittsverdienstes sinken darf.
({5})
Meine Damen und Herren, wenn es darunter sinkt, heißt
das, dass auch für langjährig Versicherte im Alter Armut
angesagt ist. Es ist übrigens einer der größten Erfolge der
dynamischen Rente, dass Altersarmut heute in Deutschland zwar nicht ausgeschlossen, aber kein Massenphänomen ist.
Die Höhe des Rentenniveaus ist nicht nur eine mathematische Größe. Sie ist insbesondere für jene Menschen
wichtig, die eben nicht 45 oder 40 Versicherungsjahre
vorweisen können. Dies sind bisher typischerweise
Frauen; sie kommen vielleicht auf 27 oder 28 Versicherungsjahre. Herr Riester, die Rentenversicherungsträger
sagen uns - wir bekommen von Ihnen seit acht Wochen
keine Berechnungen bezüglich der Rentenreform; deshalb muss ich mich auf die Rentenversicherungsträger berufen -, dass nach Ihren Vorstellungen von einer Rentenreform das Rentenniveau nicht, wie gegenüber Ihrer
eigenen Fraktion versprochen, bei 64 oder 65 Prozent liegen wird, sondern bei 61 Prozent. Wenn Sie einen Konsens mit uns wollen, dann müssen Sie uns das erklären.
Ich sage Ihnen aber heute schon prophylaktisch: Wenn
Ihre Reform tatsächlich zu einem Rentenniveau von
61 Prozent führen sollte, dann wird es keinen Rentenkonsens mit uns geben; denn das entspräche einer organisierten Altersarmut.
({6})
Das Dritte hatten Sie eigentlich aufgegeben, aber ich
habe gehört, dass es unter dem Druck der Gewerkschaften und auch Ihrer Fraktion wieder aufleben kann: die bedarfsabhängige Grundsicherung. Meine Damen und
Herren, die gesetzliche Rente muss ein Spiegelbild der
Lebensarbeitsleistung, muss leistungsbezogen bleiben:
Wer mehr und wer länger Beiträge einzahlt, muss eine
höhere Rente bekommen als der, der das nicht tut.
({7})
Damit verträgt sich der Gedanke einer bedarfsabhängigen
Grundsicherung nicht.
Man muss es der Öffentlichkeit einmal sagen: Bei der
Grundsicherung handelt es sich nicht um 800 oder
900 DM, wie es die Grünen in den 80er-Jahren diskutiert
haben. Sie selbst haben Professor Hauser beauftragt, ein
Gutachten vorzulegen, aus dem hervorgeht, wie hoch
die Grundsicherung jetzt wäre. Er kommt zu dem Ergebnis, dass nach Ihren ursprünglichen Vorstellungen in
Deutschland an ein Rentnerehepaar mit über 65 Jahren,
das Bedarf hat, im Monat 2 000 DM plus Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 150 DM, also
insgesamt 2 150 DM, an Grundsicherung zu zahlen wären. Um eine Rente in Höhe von 2 100 DM erhalten zu
können, muss aber ein Durchschnittsverdiener 45 Jahre in
die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben.
Wenn Sie also zu diesem Vorschlag zurückkehren - ich
hoffe es nicht; denn dann gäbe es keinen Konsens -,
würde jemand, der wenig oder überhaupt nichts in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, wegen Ihrer
bedarfsabhän-gigen Grundsicherung am Ende genauso
viel erhalten wie derjenige, der das ganze Leben hart gearbeitet, geschuftet und Beiträge eingezahlt hat. Das wäre
das Ende der guten alten gesetzlichen Rentenversicherung.
({8})
Dass Sie wieder zur Nettolohnanpassung zurückkehren wollen, begrüßen wir. Das war immer unsere Forderung; wir müssen weg von der Willkür. Uns geht es dabei
gar nicht so sehr um die Größenordnung. Aber es ist schon
erstaunlich, meine Damen und Herren: Solange die Inflationsrate bei 0,6 Prozent lag, haben Sie die Anpassung
nach der Inflationsrate vorgenommen. Jetzt, wo sich die
Inflationsrate allmählich der Nettolohnentwicklung annähert, nehmen Sie wieder Abstand davon - weil der
Spareffekt weg ist.
({9})
Was sollen die Leute eigentlich denken, wenn die Rentenanpassung alle halbe Jahre nach neuen Parametern erfolgt, je nach Kassenlage und wie es dem Arbeitsminister
gerade passt? Das zerstört Verlässlichkeit und Vertrauen.
({10})
Aber Vorsicht, meine Damen und Herren: Der Bundeskanzler hat gesagt, er kehre zu den „Grundzügen“ der Nettolohnanpassung zurück. Es könnte also sein, dass Sie das
machen, was Sie ursprünglich vorhatten, nämlich eine
Anpassung nach der Inflationsrate, die Sie dann einfach Nettolohnanpassung nennen. Solche semantischen
Schwindel sind ja in den letzten Monaten öfter erfolgt.
({11})
Deshalb werden wir uns sehr genau anschauen, was hier
passiert.
Es ist ein großer Schwachpunkt, Herr Arbeitsminister,
dass Sie den Demographiefaktor von Blüm auf Gedeih
und Verderb nicht wollen, obwohl Sie jetzt eingesehen haben, dass Sie vom Inhalt her das Gleiche machen müssen.
Ich sichere Ihnen zu: Sie können es anders nennen. Aber
nehmen Sie den Gedanken des Demographiefaktors wieder auf; denn er ist angesichts der Alterspyramide die gerechteste Lösung, weil er die Lasten auf Jung und Alt gerecht verteilt.
Sie wollen einen Ausgleichsfaktor, nach dem jeder,
der ab dem Jahr 2011 in Rente geht, einen jährlichen Abschlag - deshalb ist es auch kein Ausgleichsfaktor, sondern ein „Kürzungsfaktor“ - von 0,3 Prozent über 20 Jahre hinweg hinzunehmen hat. Das entspricht innerhalb von
20 Jahren einer Rentenkürzung von 6 Prozentpunkten.
Die Wirkung ist erstens: Je später man in Rente geht,
desto höher ist der Abschlag. Die Wirkung ist zweitens,
dass nur die junge Generation davon betroffen ist.
({12})
Wenn gestern, auch vom Finanzminister und vom Bundeskanzler, so oft gesagt worden ist, die Sozialdimension
hat eine Gegenwartsfunktion und eine Zukunftsfunktion,
und man darf in der Gegenwart nicht die Zukunft zulasten
der kommenden Generationen „verfrühstücken“, dann
tun Sie jetzt bei der Rente genau das Gegenteil. Von Ihrer
Rentenreform ist die junge Generation am stärksten betroffen.
({13})
Ich fordere Sie auf, dass Sie diesen Ausgleichsfaktor
- der in Wahrheit ein Kürzungsfaktor ist - aufgeben und
einen Vorschlag vorlegen, wie Sie die Generationengerechtigkeit wirklich herstellen wollen und wie Sie auch
langfristig einen Beitragsatz von 22 Prozent für die junge
Generation vermeiden wollen; denn es kann nicht sein,
dass diese junge Generation nach Ihrer Rentenreform die
höchsten Beiträge, das geringste Rentenniveau, die längste Lebensarbeitszeit und die höchsten Abschläge hat. Die
Generationengerechtigkeit muss hergestellt werden!
({14})
Ein Letztes. Herr Riester, wir bitten Sie noch einmal
dringendst - das ist ein dringender Wunsch meiner Fraktion -, nach Möglichkeiten zu suchen, das Solidarprinzip dadurch zu stärken, dass Menschen, die 45 Jahre in die
Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung eingezahlt haben, in Rente gehen können, ohne dass
sie einen rentenversicherungsmathematischen Abschlag
bekommen. Wenden Sie sich dieser Sache noch einmal
zu. Das ist ein dringender Wunsch meiner Fraktion. Darüber muss noch einmal gesprochen werden.
({15})
Herr Riester, ich rate Ihnen dringend: Nehmen Sie unsere Vorschläge auf. Es sind keine neuen Vorschläge. Wir
machen sie seit Monaten. Scheibchenweise, Zug um Zug,
scheinen Sie uns entgegenzukommen. Aber entscheidend
kommt es darauf an, was Sie schwarz auf weiß vorlegen.
({16})
Hören Sie endlich mit dem Zickzackkurs auf, dass Sie
in sieben Monaten vier Rentenkonzepte vorlegen. Sorgen
Sie bitte dafür, dass Verlässlichkeit, Beständigkeit und
Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung einziehen. Wir wissen - auch das sagen wir der Öffentlichkeit -,
dass die Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche
Rente allein nicht mehr gewährleistet werden kann, sondern durch die private Vorsorge ergänzt werden muss. Das
haben wir früher als Sie gesagt. Aber es muss so ausgestaltet werden, dass man es auch gegenüber den Kleinverdienern und den Familien mit Kindern verantworten
kann.
Wenn Sie hierbei unseren Vorschlägen folgen, dann haben Sie uns bei einem Rentenkonsens als verlässlichen
Partner an Ihrer Seite. Wenn Sie das nicht tun, haben Sie
uns in der Rentenpolitik der nächsten Monate als entschiedenen Gegner.
({17})
Nun erteile ich der
Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Seehofer hat uns eben wieder einige Rätsel aufgegeben. Er hat viel über die Vergangenheit gesprochen. Aber
leider, Herr Seehofer, haben Sie uns immer noch nicht
verraten, an welcher Stelle und wie Sie sich die zukünftige Konzeption vorstellen.
({0})
Aber wir werden Rentenkonsensgespräche haben. Dort
werden wir zur Sache kommen. Wir warten dann auf Ihre
Antworten. Was ich jetzt machen möchte, ist, nicht so sehr
über die Vergangenheit zu reden, wie Sie das gerade getan haben. Es würde sich anbieten, weil wir natürlich einiges von dem aufzeigen könnten, was Sie uns hinterlassen haben. Aber ich möchte doch lieber über das Heute
und das Morgen reden.
Ich glaube, dass die letzten zwei Jahre der rot-grünen
Koalition eines sehr deutlich gezeigt haben: Sie haben der
Bevölkerung konsequent deutlich machen können, dass
soziale Gerechtigkeit auch und insbesondere eine Zukunftsdimension hat, dass es bei den Themen, über die wir
reden, Sozialpolitik und Haushaltspolitik, darum geht,
über das Heute und das Morgen zu sprechen.
({1})
Ich denke, dass die Bevölkerung sehr eindrücklich verstanden hat, dass der Sozialstaat heute nicht mehr wie in
der Vergangenheit von der Hand in den Mund leben kann,
sondern dass es auch eine sozialpolitische Aufgabe ist,
den großen Schuldenberg, den Sie uns hinterlassen haben,
Stück für Stück abzutragen.
({2})
Ich finde es gerade auch unter sozialpolitischer Perspektive sehr beglückend, dass wir es geschafft haben, in diesem Jahr zweierlei zu erreichen, nämlich die Schulden abzubauen und gleichzeitig die Steuern zu senken. Das
haben Sie in der letzten Zeit nicht fertig bringen können,
und es ist ein Gewinn für die Gesellschaft, der uns Zukunftsperspektiven öffnet.
({3})
Es ist für Sozialpolitiker manchmal ganz schwer, aber
ich glaube, gerade an dieser Haushalts- und Finanzpolitik,
die den Rahmen liefert, wird sehr deutlich: Sozialpolitik
ist ein Teil eines Gesamtkonzeptes. Sozialpolitik ist auch
ein Teil einer Finanzpolitik der Konsolidierung, einer
Politik der Steuer- und der Abgabensenkung. Nur darüber
erhalten wir den Handlungsspielraum, um zukünftig anstehende Modernisierungen des Sozialstaates vorzubereiten und in Angriff zu nehmen.
Ich denke, dass die Politik der letzten zwei Jahre schon
Früchte trägt. Wir sehen das an ganz knallharten Daten,
die positiv sind: 3,3 Prozent reales Wachstum in diesem
Jahr, 1,8 Prozent Inflationsrate - das kann sich im europäischen Vergleich wirklich sehen lassen - und dabei
gleichzeitig und kontinuierlich seit dem letzten Herbst ein
Abbau der Arbeitslosigkeit, eine kontinuierliche Steigerung der Beschäftigung. Das macht wirklich froh für die
Zukunft, für den Gestaltungsspielraum, den wir brauchen.
Ich glaube, an diesen Zahlen wird deutlich: Wir haben
es in den ersten zwei Jahren von Rot-Grün geschafft, die
ersten Schritte eines Perspektivwechsels in der Politik
umzusetzen - einer Politik, die endlich Fairness auch gegenüber der zukünftigen Generation walten lässt, die mit
dem Konzept aufhört, die Problematik der Schulden weiter in die Zukunft schieben zu wollen.
({4})
Meine Damen und Herren, der Sozialetat ist der größte
Etat in diesem Haushalt. Deswegen wird der Löwenanteil
dieser Politik der Konsolidierung und der Neukonzeptionierung in diesem Haushalt vollbracht. Ohne die
Reformbereitschaft und übrigens auch den Mut, gesellschaftliche Konflikte auch anzugehen, ohne diese Haltung des Arbeitsministers Riester wäre die Konsolidierungspolitik der gesamten Regierung, wäre die Finanzund Haushaltspolitik auf Sand gebaut. Wir, der Minister,
die Sozialpolitik sind das Rückgrat dafür, dass die Politik
der Konsolidierung und der Generationengerechtigkeit
auch in die Zukunft wirken kann.
Die rot-grüne Koalition hat bei allem, was wir in den
letzten zwei Jahren gemacht haben, und bei dem, was für
die nächsten Jahre veranschlagt ist, eines ins Zentrum gestellt: mehr soziale Gerechtigkeit für die kleinen Leute
- und zwar nachrechenbar in ihrer Kasse - zu schaffen.
Wir haben im Jahre 2001 durch die Steuerreform 45 Milliarden DM, die an die Unternehmer und die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie an die Bevölkerung
zurückgegeben werden. Es klingelt auch in der kleinen
Geldbörse.
({5})
Hinzu kommen besonders für die kleinen Einkommen:
die zweimalige Erhöhung des Kindergeldes, die Erhöhung des Kindergeldes auch für Sozialhilfeempfänger,
der höhere Kinderfreibetrag, die BAföG-Erhöhung und
nach zehn Jahren endlich zum ersten Mal wieder eine
Wohngelderhöhung.
({6})
Ich finde, das markiert deutlich und zu Recht, wo unsere Politik hinläuft: Für eine vierköpfige Familie mit
jährlich 60 000 DM brutto im nächsten Jahr 2 900 DM
mehr in der Tasche - und zwar real -, für eine allein stehende Frau mit jährlich 40 000 DM brutto im nächsten
Jahr 1 209 DM mehr Entlastung. Es ist wirklich real, was
bei den Menschen ankommt.
Aber wir haben in der Sozialpolitik sehr viel mehr zu
leisten, als diese Beiträge zur Konsolidierung zu erbringen und neu zu gestalten.
({7})
Wir müssen an die sozialen Sicherungssysteme heran,
weil sich der gesellschaftliche Zusammenhang, der Lebenszusammenhang und die Arbeitswelt sehr stark verändert haben. Die Sicherungssysteme müssen auch an die
veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen angepasst
werden. Ich glaube, hier ist wirklich Ehrlichkeit gefordert.
Verändert hat sich ungeheuer viel: die Lebenszeit verlängert sich; die Geburtenrate geht zurück; die Alleinerziehenden werden zahlreicher; die Scheidungsraten
steigen; in der Zukunft werden immer weniger Leute es
hinbekommen, 45 Jahre lang in einem Beruf tätig zu sein.
Alle diese Faktoren waren bei der Konstruktion unseres
jetzigen Sozialsystems ausschlaggebend. Darauf ist es
eingestellt.
Wir müssen die Philosophie, aber auch die Grundlagen
und die Struktur der Sozialsysteme an diese Veränderungen anpassen. Da müssen wir eine sehr offene und ehrliche Diskussion führen. Heute sind es 2,3 Erwerbstätige,
die auf einen Rentner, eine Rentnerin kommen. Schon im
Jahre 2030 werden es nur noch 1,3 Erwerbstätige sein. Jedem in der Bevölkerung, der rechnen kann - und die können rechnen -, wird doch klar, dass ein umlagefinanziertes Rentensystem allein zukünftigen Generationen nicht
mehr den Lebensstandard sichern kann.
Herr Seehofer hat hier Ehrlichkeit in der Debatte eingeklagt. Ehrlichkeit muss genau an dieser Stelle ansetzen:
Wir müssen sagen, dass wir das umlagefinanzierte System
durch eine private Säule und eine betriebliche Säule ergänzen müssen. Diese Ehrlichkeit bringen wir auf.
({8})
Sie dagegen stellen sich hier hin und behaupten, der Lebensstandard sei weiterhin über das umlagefinanzierte
System zu sichern. Das haben Sie hier gerade wiederum
gemacht. Wir und auch unser Sozialminister bringen den
Mut auf, ({9})
- die Wahrheit der demographischen Entwicklung in der
Gesellschaft zu diskutieren.
({10})
Wer heute immer noch behauptet, dass die Beitragsentwicklung in den sozialen Sicherungssystemen nicht so
wichtig sei, und wer uns rät, in dieser Debatte über die
Rentenstrukturreform den Konsolidierungskurs zu verlassen, der hat die Schärfe des Problems überhaupt nicht
erkannt. Weder in der Rentenversicherung noch in den anderen Versicherungssystemen können wir Reformen machen, die mit einer Steigerung der Beitragssätze verbunden sind. Wir brauchen die Beitragsstabilität. Sie ist ein
wichtiger Beitrag zur künftigen Beschäftigungsentwicklung.
Bei aller Offenheit in der Debatte um die Rentenstrukturreform ist eines vollständig klar, die Schmerzgrenze
der Beitragssatzentwicklung ist in dem Konzept der Bundesregierung benannt: bis zum Jahre 2020 unter 20 Prozent - das ist wirklich eine reife Leistung - und bis zum
Jahre 2030 nicht über 22 Prozent. Diese Schmerzgrenze
können wir nicht überschreiten. Wir brauchen Fairness
gegenüber der jungen Generation.
Meine Damen und Herren, in den Rentenkonsensgesprächen sind die wesentlichen Punkte für die Rentenreform genannt worden. Herr Seehofer sagte erst, es gebe
kein Konzept; jetzt hat er beklagt, dass es vier Konzepte
gebe.
({11})
Herr Seehofer, Sie waren derjenige, der uns in den Rentenkonsensgesprächen hinter geschlossenen Türen - das
will ich deutlich sagen, damit es jeder hört - mehrfach bestätigt hat, dass die Eckpunkte der rot-grünen Regierung,
die dort vorgelegt wurden, ein mutiges und der Zukunft
zugewandtes Konzept sind, das das Problem der Generationengerechtigkeit ernst nimmt.
({12})
- Genau! Herr Seehofer hat in Bezug auf das Regierungskonzept sogar von einem „Quantensprung“ in der Rentenpolitik geredet. - Herr Seehofer, entscheiden Sie sich!
Sie wissen, die Gespräche laufen weiter.
Eines will ich Ihnen und der CDU/CSU insgesamt sagen: Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie bei der
Steuerreform! Danach sieht es fast aus. Folgen Sie nicht
Stoiber, sondern folgen Sie der Vernunft bei der Frage der
Rentenstrukturreform! Denn sie bietet Ihnen eine Chance,
ein Stück Ihrer Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Die
Kampagne gegen die Ökosteuer, die Sie im Moment betreiben und mit der Sie Verwirrung auslösen, ist unglaubwürdig und an Unseriosität und Unredlichkeit gerade im
Zusammenhang mit der Rentenreform wirklich nicht zu
überbieten.
({13})
Herr Merz hat gestern die Eckpunkte der CDU/CSUFraktion genannt, von denen die zwei ersten sehr interessant sind.
Die erste Forderung war: Das Niveau der heutigen Renten muss gehalten werden. Ich erinnere Sie daran - Sie haben eben gerade wieder erwähnt, der demographische
Faktor sei die Lösung -, dass der demographische Faktor
alle Generationen, mit Ausnahme der jetzigen Rentnergeneration, nach der Rasenmähermethode betreffen
würde. Bleiben Sie redlich in Ihrer Argumentation!
({14})
- Sie fordern den demographischen Faktor immer noch.
Wir haben eine bessere Antwort, die im Sinne der Generationengerechtigkeit auch ehrlicher ist.
Die zweite Forderung - da wird es interessant, wenn
die beiden Dinge zusammenkommen - von Herrn Merz
lautete: Die Beiträge dürfen dauerhaft nicht höher sein als
zurzeit. Wir haben zurzeit einen Beitragssatz von
19,3 Prozent. Dieser Beitragssatz - das wissen Sie auch ist wegen der Ökosteuer zustande gekommen. Ohne Ökosteuer läge in diesem Jahr der Beitragssatz in der
Rentenversicherung um einen Prozentpunkt höher, das
heißt, wir wären bei über 20 Prozent. Deshalb ist die Argumentation an dieser Stelle höchst unredlich.
Wie Sie wissen, fließen die Einnahmen aus der Ökosteuer in die Rentenkassen. Wenn Sie hier über Beitragssätze reden, die wir erreicht haben, und diese zur Grundlage Ihrer eigenen Vorstellungen machen, dann aber die
Ökosteuer abschaffen wollen, schlagen Sie - das wissen
auch Sie - dem Rentensystem ein Bein weg. Sagen Sie,
wie Sie es finanzieren wollen, beispielsweise über Beitragserhöhungen, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder
eine höhere Nettoneuverschuldung! Meine Damen und
Herren von der CDU, eine solche unehrliche Politik werden wir nicht mitmachen.
({15})
Ich schlage Ihnen in aller Freundschaft - die Diskussionen sind oft sehr anregend - vor, von der Straße, von
der Zapfsäule zurückzukehren und wieder in die Rentenkonsensgespräche einzusteigen. Die Konzepte liegen vor,
wir werden weiter diskutieren. Sie haben Ihre Punkte ja
benannt. Ich denke, Sie rennen mit Ihren Forderungen offene Türen ein.
Die betriebliche und private Vorsorge muss natürlich weiter ausgebaut werden. Aber der Kanzler hat Ihnen
doch schon angeboten, noch einmal 20 Milliarden DM in
die Hand zu nehmen, um gerade Beziehern kleiner Einkommen den Gang in die private und betriebliche Vorsorge zu erleichtern, und zwar mittels einer - was wir
Grünen schon immer gefordert haben - Kinderkomponente. Darüber können wir doch reden, das ist doch überhaupt keine Frage. Sie brauchen doch nicht so zu tun, als
seien Sie hier auf einen unüberwindbaren Punkt gestoßen.
Wir sind durchaus bereit, genau dieses zu tun.
Das Ziel, für alle Altersvorsorgesysteme die nachgelagerte Besteuerung zu erreichen, ist klar, über die Schritte
müssen wir aber reden. Aber das ist eine Frage des Weges;
in einem Schritt geht es nicht. Wir müssen dazu natürlich
auch die betriebliche Altersvorsorge attraktiver gestalten.
Wir laden Sie ein, diesen Weg weiterzugehen. Ich denke,
das ist auch für Sie sehr hilfreich.
Wir haben in der Sozialpolitik noch sehr viel mehr zu
leisten. Wir haben dank der positiven Konjunkturentwicklung und dank der vorhin von mir genannten Daten
im Moment eine sehr günstige Ausgangsposition.
Mir bleibt nicht genügend Zeit, um die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in Einzelheiten darzustellen. Klar ist aber, dass wir seit Herbst letzten Jahres
hier eine kontinuierliche Verbesserung erleben. Klar ist,
dass wir - entgegen allen Ihren Unkenrufen - in diesem
Jahr eine positive Entwicklung haben, die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse von Monat zu Monat zunimmt,
allein im Mai dieses Jahres um mehr als 700 000. Dies
lässt sich nicht allein durch die Demographie erklären,
sondern ist Folge der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.
Diese positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
macht uns für die Zukunft eines möglich: Wir müssen versuchen - die Zeichen sind günstig -, spätestens im Jahre
2002 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um
0,8 bis 1 Prozent zu senken.
({16})
Ich denke, das können wir auch erreichen. Das wäre ein
guter Schritt, um mit den Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu kommen. Das wäre wiederum ein effektiver Beitrag zur Beschäftigungsförderung und zu der positiven
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.
Trotzdem werden die Aufgaben einer aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht kleiner werden, auch wenn das viele
denken mögen. Es gibt nach wie vor strukturelle Verwerfungen zwischen Ost und West, insbesondere einen hohen
Anteil an Langzeitarbeitslosigkeit, also an verfestigter
Arbeitslosigkeit. Aber die jetzige Situation gibt uns auch
die Chance, über Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik neu nachzudenken. Die Tatsache, dass ein großer Teil
der Arbeitslosen Langzeitarbeitslose sind, macht deutlich,
dass wir mit unserer Arbeitsmarktpolitik zukünftig nicht
erst dann eingreifen dürfen, wenn sich die Langzeitarbeitslosigkeit schon verfestigt hat; vielmehr müssen wir
die Arbeitsmarktpolitik sehr viel stärker präventiv ausrichten, eher an die Betriebe herangehen und auf eine Veränderung des Qualifikationsniveaus setzen. Das sind alles
Aufgaben, die wir zu bewältigen haben.
Liebe Kollegin, Sie
haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.
Ja,
ich weiß. Deswegen komme ich jetzt zum Schluss.
Wir haben an dieser Stelle zwar viele Aufgaben zu
bewältigen. Aber: Wir kehren nicht mehr zur Politik der
ungedeckten Schecks zurück; vielmehr werden wir in der
Arbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik die Fairness
gegenüber den zukünftigen Generationen in den Mittelpunkt stellen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat nun die
Kollegin Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir bisher in
dieser Debatte erlebt haben, ist ja wohl etwas bizarr: Der
Arbeitsminister flicht 30 Minuten lang Lorbeerblatt um
Lorbeerblatt zu einem Kranz zusammen, den er sich anschließend selber aufsetzt.
({0})
Dabei hat er nichts, wirklich nichts zu den wichtigsten Reformvorhaben gesagt, über die wir gerade diskutieren.
Wer aber beschreibt die Verblüffung, als Herr Seehofer
nach dem Motto: „Was kümmern mich meine Sprüche
von gestern?“ eine Kehrtwende hin zu einer sicherlich gut
gemeinten, aber doch in weiten Bereichen illusionären
Politik von Norbert Blüm machte? Herr Seehofer, Ihre
Forderung, es bei einem Rentenniveau von 64 Prozent zu
belassen, ist - das haben die Rechnungen sehr klar gezeigt - entweder nur durch weitere massive Fütterung der
Rentenversicherung mit Steuern oder durch weitere massive Beitragsanhebungen zu erfüllen. Wir waren uns zu
Beginn der Rentenkonsensgespräche darüber im Klaren,
dass eine solche Politik nicht zukunftsfähig ist, weil die
Grundlagen dafür nicht mehr vorhanden sind.
({1})
Wenn Sie, Herr Seehofer, eine solche Politik trotzdem fordern, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie sind unverantwortlich und tun nichts für einen Generationenausgleich,
weil Sie nämlich nicht in der Lage sind, die Lasten so zu
verteilen, wie sie verteilt werden sollten.
({2})
Lassen Sie mich zunächst den Aspekt ansprechen, dass
ein gewisser Anteil an Steuern in die Rentenversicherung fließt. Im Einzelplan 11, der mit knapp 170 Milliarden DM wieder der mit Abstand größte Einzelplan des
Bundeshaushalts ist, werden die Zuschüsse zur Rentenversicherung für dieses Jahr immerhin mit 137 Milliarden DM ausgewiesen. Die drastische Erhöhung des steuerfinanzierten Zuschusses zur Rentenversicherung ist im
Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Sie seit zwei
Jahren das Aufkommen der Ökosteuer in die Rentenversicherung fließen lassen. Dies wollen Sie auch noch für
weitere zwei Jahre fortsetzen. Insofern ist das schon eine
weitere Facette der Debatte über die Ökosteuer, die auch
die bisherige Haushaltdebatte sehr stark geprägt hat.
Sie werden auch im nächsten Jahr wiederum 8 Milliarden DM in die Rentenversicherung fließen lassen, die die
Autofahrer jetzt beim Tanken und all diejenigen, die noch
Heizöl für den Winter brauchen, mit ihrer nächsten
Heizölrechnung bezahlen. Damit liefert die Bundesregierung wieder einmal ein neues Stück Politik, das die Bürger in Deutschland nicht mehr verstehen. Vielleicht war
das der Grund, weshalb Herr Riester nur sehr knapp auf
die Rentenversicherung eingegangen ist.
Die Diskussion um die Ökosteuer, meine Damen und
Herren, zeigt nur, auf welch abschüssige Bahn sich die
Bundesregierung damit begeben hat. Bis zum Jahre 2003
werden die mobilitätshungrigen Deutschen mit ihren
Tankfüllungen weitere 27 Milliarden DM in die Rentenkasse einzahlen. Sie wissen aber nicht, wo es bleibt. Sie
hatten damit gerechnet, dass so die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt werden. Aber ab dem Jahr 2001 werden
die Rentenversicherungsbeiträge nicht mehr gesenkt. Die
zusätzliche steuerliche Spritze dient ausschließlich dazu,
den Rentenversicherungsbeitrag einigermaßen stabil zu
halten. Was wird dadurch erreicht? Nichts anderes, als
dass die Notwendigkeit von Reformen in der Rentenversicherung wieder einmal verschleiert wird,
({3})
einige wieder hasenfüßig werden und eine durchgreifende
Rentenreform nicht mehr anpacken wollen.
Selbst bei den Grünen kursiert inzwischen ein Papier,
das diesen Weg der zunehmenden Steuerfinanzierung als
äußerst fragwürdig beschreibt. Ich weiß nicht, welchen
Stellenwert Herr Metzger heute noch in Ihrer Fraktion
hat - zumindest ist nicht mehr sehr viel von ihm zu
hören -, aber Herr Metzger hat in einem Papier ganz klar
festgestellt, dass dieses von den Grünen als Ideologie betriebene Konzept, nämlich die Ökosteuer zu erhöhen und
deren Aufkommen anschließend in die Rentenversicherung fließen zu lassen, der Bevölkerung nur schwer zu
vermitteln ist und darüber hinaus die massiven Zuschüsse
aus Steuermitteln das langfristige Konsolidierungsziel der
Bundesregierung gefährden. Hier kann ich nur die Frage
stellen: Welche Konsequenzen werden die Grünen innerhalb der Koalition ziehen? Oder werden sie, wie in der
Vergangenheit, solche Dinge einfach übergehen und
nichts für den Generationenausgleich tun?
({4})
Herr Riester, Sie sind in der fraktionsübergreifenden
Konsensrunde zur Reform der Altersvorsorge in Deutschland gut gestartet. Das Ziel, eine Stabilisierung der Rentenversicherung bis 2030 zu erreichen, ist richtig und
bleibt richtig. Die Entscheidung, die zwangsläufig aus
dieser Umgestaltung entstehende geringere Versorgung
aus der gesetzlichen Rentenversicherung frühzeitig durch
den Aufbau einer privaten und einer betrieblichen Altersversorgung aufzufangen, ist richtig und bleibt richtig. Nach dem, was Herr Seehofer heute gesagt hat, ist es
ganz offensichtlich ein mutiges Konzept gewesen, dem
sich die größere Oppositionsfraktion derzeit noch nicht
recht anschließen kann. Die Entscheidung, die hoffentlich
im Bundeshaushalt 2001 ihren Niederschlag findet, den
Aufbau der privaten Altersvorsorge für alle - nicht nur für
diejenigen, die Steuern zahlen, auch für diejenigen, die
keine Steuern zahlen - massiv aus Steuermitteln zu unterDr. Thea Dückert
stützen, ist richtig und bleibt richtig. Falsch, Herr Riester,
ist es, dass Sie vor den massiven Forderungen und Drohungen der Gewerkschaften innerhalb und außerhalb ihrer eigenen Fraktion eingeknickt sind. Sie wollen die Einführung eines Abschlagsfaktors, den Sie eigentlich als
eine Art demographischen Ausgleich ab dem Jahr 2011
einsetzen wollten - das ist unserer Meinung nach sowieso
zu spät -,
({5})
noch weiter hinausschieben. So können Sie niemandem
erklären, wieso Sie zu der Behauptung kommen, dass der
Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung bei
22 Prozent stabil gehalten werden kann.
({6})
Sie belasten die Rentenversicherung stärker, Sie entlasten
sie an keiner anderen Stelle. Und das soll zum gleichen
Beitragssatz gehen? Wir wissen doch, wer dann Beiträge
zahlen wird, da sie alle schon heute geboren sind. - Das
Ganze wird nicht funktionieren. Herr Riester, seien Sie
bitte ehrlich und sagen Sie, dass dies die falsche Entscheidung ist, wenn Sie wirklich am Ziel der langfristigen
Stabilisierung festhalten wollen.
({7})
Ich appelliere an Sie, wieder zu dem ziemlich radikalen
Reformer zu werden, der Sie zu Beginn dieses Jahres waren.
Dennoch muss man auch die Oppositionsparteien
CDU und CSU auffordern, auf den Boden der Realitäten zurückzukehren. Herr Seehofer, Sie haben wirklich
nicht erklärt, wie Sie es schaffen wollen, mit einem Beitragssatz von 22 Prozent oder weniger ein Rentenniveau
von 64 Prozent beim „Standardrentner“ zu erhalten. Das
geht nicht. Das wird Ihnen sicherlich auch Ihr Rentenexperte, Herr Storm, erklären. Insofern sind Sie hier wirklich noch Aufklärung schuldig, wie Sie dies tatsächlich
machen wollen.
Der Bundeskanzler hat in seiner Rede gestern an einer
Stelle schon darauf hingewiesen, dass es in Zukunft, nämlich bei den Rentnern der Jahre 2015/2020/2030, nicht darauf ankommen wird, was sie aus der gesetzlichen Rentenversicherung bekommen. Was für sie vielmehr zählen
wird, ist, dass der Lebensstandard insgesamt gesichert
wird. Das heißt, aus der gesetzlichen Rentenversicherung
und aus der privaten Vorsorge und aus der betrieblichen
Altersversorgung setzt sich das Einkommen zusammen,
aus dem die Lebensstandardsicherung erfolgen soll.
({8})
Das war auch unser Ausgangspunkt. Übrigens, die
F.D.P. hat dies leichten Herzens getan, weil wir es seit
15 Jahren fordern. Wir freuen uns, dass es inzwischen die
eine oder andere Fraktion in diesem Hause gibt, die uns
auf diesem Wege folgen will. Entscheidend ist also die
Lebensstandardsicherung, aufbauend auf allen drei Säulen. Ich appelliere an die CDU, auch hier wieder auf den
Boden der Tatsachen zurückzukehren.
({9})
Die F.D.P. ist nach wie vor der Meinung, dass der demographische Ausgleich nicht erst im Jahre 2011 einsetzen darf. Er muss früher einsetzen.
({10})
Für die F.D.P. gilt ganz genauso, dass es Möglichkeiten
der Verlängerung der Lebensarbeitzeit gibt: indem man
Schulzeiten verkürzt, nämlich beim Abitur von 13 auf
zwölf Jahre, indem man Studienzeiten verkürzt ({11})
- und indem man möglicherweise, darüber werden wir am
nächsten Sonntag einen Beschluss fassen, eine Freiwilligenarmee schafft.
Das würde drastische Erleichterungen in der Rentenversicherung bringen. Man muss über eine Verlängerung
der Lebensarbeitszeit über 65 Jahre hinaus zum jetzigen
Zeitpunkt gar nicht diskutieren. Unser Drängen auf einen
niedrigen Beitragssatz ist keine Marotte, sondern im Hinblick auf den Arbeitsmarkt schiere Notwendigkeit. Aus
diesem Grund unterstützen der DIHT, also der Deutsche
Industrie- und Handelstag, aber auch die Arbeitgeberverbände unser Drängen, vom jetzt eingeschlagenen
Kurs der alten Gefälligkeitspolitik wieder zur Vernunft
zurückzukehren.
Der Kuhhandel, der bei der Zusammenkunft von Regierung und Gewerkschaften getrieben wurde, hat aber
noch zwei weitere negative Konsequenzen gehabt. Ganz
offensichtlich soll jetzt die auch von mehreren SPD-Ländern gewollte Reform des Ladenschlussgesetzes für diese
Legislaturperiode wieder von der Agenda gestrichen werden. Aber so blind können doch eigentlich nur noch Menschen sein, die ihre Milch nicht selber einkaufen, dass sie
nicht sehen, wie ganz legal - manchmal auch an der
Grenze der Legalität - das antiquierte Ladenschlussgesetz unterlaufen wird.
Dies alles geschieht nur, damit die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen zufrieden ist. Die Tankstellen werden sich freuen, aber wir, die F.D.P., würden
gerne für Verbraucher, aber auch für moderne Einzelhändler noch in dieser Legislaturperiode eine Abschaffung des Ladenschlussgesetzes sehen.
({12})
Das ist Reformbereitschaft, die im Übrigen auch die Grünen immer wieder einfordern. Also: Machen Sie es, unterstützen Sie unseren Antrag und setzen Sie sich gegenüber den Gewerkschaften durch!
Unter die Räder gekommen ist im Gespräch mit den
Gewerkschaften auch der Ansatz zur Flexibilisierung des
Arbeitsmarktes, den die alte Bundesregierung in ihrem
Beschäftigungsförderungsgesetz auf den Weg gebracht
hat. Der Abschluss befristeter Arbeitsverträge hat sich gerade in Zeiten des Umbruchs in vielen Betrieben bewährt.
Da geht es darum, durch flexible Maßnahmen zusätzliche
Aufträge bewältigen zu können, ohne dass man weiß, ob
es auch einen Nachfolgeauftrag gibt. Die bürokratische
Krücke, Herr Riester, die derzeit in Ihrem Ministerium
vorbereitet wird und die Sie als Gesetzentwurf vorlegen
wollen, ist für den Abschluss befristeter Arbeitsverträge
so etwas wie der Tod. Damit werden Sie wieder eine
Menge zusätzlicher Investitionen in osteuropäischen Ländern bewirken, aber sicherlich wenig zusätzliche Investitionen in Deutschland.
({13})
Aber es gibt - ich sehe das an der Reaktion - viele, die
diese Realität in Deutschland nicht wahrnehmen wollen.
Diese sind eher bereit, auf mehr Beschäftigung zu verzichten, als über ihren eigenen Schatten zu springen.
({14})
Die F.D.P.-Fraktion hat einen eigenen Gesetzentwurf
für befristete Arbeitsverhältnisse in den Bundestag eingebracht. Wir laden die Modernisierer in der Koalition ein,
uns dabei zu unterstützen.
({15})
Deswegen freue ich mich, auch bei den Haushaltsberatungen, noch auf viele interessante Diskussionen.
Danke schön.
({16})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich hier heute
Morgen von verschiedenen Seiten Stellungnahmen zur
Rente gehört habe, bin ich wirklich auf Ihren möglichen
Konsens gespannt.
Für mich steht nach zwei Jahren rot-grüner Regierungspolitik fest: Jawohl, es hat ein Politikwechsel stattgefunden, aber, ich fürchte, er wird vielen nicht gefallen,
die noch 1998 ihre Hoffnung auf Rot-Grün gerichtet hatten. Ich gebe offen zu: Ich schließe mich dabei nicht aus.
Ich werde mich deshalb bei meiner Rede vor allen Dingen
auf die Punkte konzentrieren, die es zu kritisieren gilt, unabhängig davon, dass es auch das eine oder andere gegeben hat, dem wir frohen Herzens zustimmen konnten.
Wollte noch Bundeskanzler Schröder bei seinem Regierungsantritt den Abbau der Arbeitslosigkeit zur Messlatte über Erfolg und Misserfolg seiner Politik machen, ist
es nun der Bundesfinanzminister, der mit seiner Konsolidierungspolitik allen den Rang abläuft. Sparen hat
oberste Priorität, Schuldenabbau wird bei Ihnen zum Garanten für soziale Gerechtigkeit heute und in Zukunft
hochgeredet. Ich sage Ihnen: Schuldenabbau per se hat
weder etwas mit sozialer Gerechtigkeit noch mit Innovation zu tun, wenn die Richtung nicht stimmt.
({0})
Ich finde, Sie sparen an den Falschen. Schon das erste
eichelsche Sparpaket vom letzten Sommer - 30 Milliarden DM, Sie erinnern sich - ging eindeutig zulasten von
Rentnerinnen und Rentnern, Erwerbslosen und Sozialhilfeberechtigten. Allein bei den Langzeitarbeitslosen
haben Sie im Rahmen dieses Pakets durch die Kürzung
der Rentenbeiträge 4,5 Milliarden DM gespart. Hier kann
ich Herrn Seehofers Kritik ausdrücklich zustimmen. Die
neuen Maßnahmen, die Sie für diese Bevölkerungsgruppen einleiten, werden diesen Kurs leider noch verschärfen, weil Sie penetrant die wirklich Vermögenden und
Besserverdienenden, die so genannten Leistungsträger,
ins Zentrum Ihrer Politik stellen und aus allen Belastungen herauslassen.
Sie sind nicht nur dabei, die Sozialsysteme in der Bundesrepublik von der Reichtumsentwicklung abzukoppeln,
sondern sie sind auch dabei, den Sozialstaat auf seine
wettbewerbsfördernde Funktion einzudampfen. Dabei
- das ist ja auch klar - wird dann eben zu oft nur noch nach
Nützlichkeitsgesichtspunkten entschieden und nicht vorrangig danach, was der Sozialstaat heute und vor allen
Dingen in Zukunft leisten muss und leisten soll, um den
sozialen Wandel in dieser Gesellschaft gestaltbar zu machen.
Der berühmte Reformstau, den auch Sie jetzt immer
bemühen, wird doch nicht allein dadurch aufgelöst, dass
Sozialleistungen gekürzt und Sozialkosten gedeckelt werden. Der Reformstau ist erst dann wirklich aufgelöst,
wenn den tatsächlich vorhandenen Umbrüchen in unserem Arbeitssystem aufgrund der Veränderung von Beschäftigungsverhältnissen und der Bevölkerungsstruktur
staatliche Konzepte gegenübergestellt werden, die auf sozialer Sicherheit und Solidarität aufbauen und eben nicht
auf Privatisierung sozialer Risiken und Eigenverantwortung.
({1})
Sie sind aber genau auf diesem Weg der Privatisierung sozialer Risiken. Dabei verletzen oder verändern Sie willkürlich grundlegende Prinzipien unseres sozialen Sicherungssystems.
Das Abkoppeln der Rentenerhöhungen von der Nettolohnentwicklung für zwei Jahre war ein erster Schritt
dorthin. Nun schrecken Sie auch nicht davor zurück, die
paritätische Finanzierung der Rente aufzukündigen. Getrieben von der fixen Idee - das sage ich ausdrücklich
auch noch einmal an die Adresse der Kollegin Thea
Dückert -, die Unternehmen bei den Lohnkosten zu entlasten, wollen Sie die Rentenkassen einseitig durch private Vorsorge der abhängig Beschäftigten sanieren. Das,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch weder gerecht
noch eine Reform, die diesen Namen wirklich verdient.
Nun hat uns gestern der Bundeskanzler in seiner Rede
darüber belehrt, dass private Vorsorge noch nie paritätisch finanziert worden sei.
({2})
Das ist wohl wahr. Der feine Unterschied besteht allerdings darin: Sie wollen das Rentenniveau absenken. Damit wird die private Vorsorge im Prinzip zur Pflicht für all
diejenigen, die auch in Zukunft eine Rente in der Höhe haben wollen, die die gesetzliche Rentenversicherung heute
noch garantiert. Das heißt doch, die private Vorsorge wird
bei Ihnen zum Ausfallbürgen Ihrer Rentenkürzungspläne.
({3})
Das ist der Ausstieg aus der solidarisch finanzierten Alterssicherung. Das führt dazu, dass die Rente nicht sicher
ist, dass die Leistungen für die heutigen Rentnerinnen und
Rentner gekürzt werden und dass die jungen Generationen unverantwortlich belastet werden.
({4})
- Das Rentenniveau wird doch wohl abgesenkt; darüber
waren wir uns hier schon einig.
Diesen Weg gehen wir jedenfalls nicht mit. Die PDS
hat Alternativen für eine Rentenreform vorgelegt. Sie sind
bezahlbar, sie sind solidarisch, sie sind zukunftsfähig und
sie verhindern Altersarmut. Das ist für uns der wichtigste
Punkt.
({5})
Ich empfehle Ihnen: Holen Sie uns mit an den Tisch.
Die soziale Grundsicherung, die Sie, Herr Minister
Riester, heute wieder angeführt haben und die Sie versprochen haben, als Sie die Rentenbeiträge der Langzeitarbeitslosen abgesenkt haben, werden Sie mit dieser Seite
jedenfalls nicht durchsetzen. Das sollte Ihnen klar sein.
({6})
Wenn Sie das Vertrauen in den Sozialstaat und in die
Rente nicht ganz verspielen wollen, dann folgen Sie unserem Vorschlag und nutzen Sie einen kleinen, einen winzigen Teil der UMTS-Erlöse, um rückwirkend auch für
das Jahr 2000 zur Nettolohnanbindung der Rente zurückzukehren.
({7})
Eine letzte Bemerkung zur Rente. Herr Minister, Ihre
Antwort auf die Frage meiner Kollegin Luft ist ja äußerst
dürftig ausgefallen. Ich will es Ihnen noch einmal deutlich
sagen: Die Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland
warten darauf, dass Sie endlich die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts umsetzen und die Überführungslücken im Rentenrecht schließen.
({8})
Ich finde, nach zehn Jahren Einheitspolitik müsste RotGrün dies aus eigenem Antrieb tun und endlich das Rentenunrecht beseitigen. Im Übrigen: Die Rentnerinnen und
Rentner in Ostdeutschland wollen die Anpassung des
Rentenwerts Ost an den Rentenwert West noch bei Lebzeiten mitbekommen.
({9})
In der Behindertenpolitik hat es zaghafte Schritte
voran gegeben, besonders beim Abbau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter. Aber ich sage auch: Der von den
Betroffenen ersehnte Schub zu einem wirklichen Nachteilsausgleich ist bisher ausgeblieben. Verunsicherung
hinsichtlich der Zukunft der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente herrscht gegenwärtig gerade bei den Menschen mit Behinderungen. Da müssen Sie endlich „aus
dem Knick“ kommen.
({10})
Nun zu Ihrer Arbeitsmarktpolitik. Die Arbeitslosenzahlen sinken seit einigen Monaten. Das ist gut so. Die
Regierung, allen voran der Bundeskanzler, ist zufrieden.
Aber ich sage Ihnen: Für Selbstzufriedenheit fehlt jede
Grundlage. Die Veränderungen in unserer Arbeitsgesellschaft, die zunehmende Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses, die notwendige Neuverteilung bezahlter und
unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern sind alles
Herausforderungen, die wir angehen müssen. Die Menschen, die uns in der Politik begleiten, erwarten, dass wir
endlich Lösungen anbieten.
Da drängt sich mir die Frage auf: Was ist eigentlich mit
dem Bündnis für Arbeit? Seit zwei Jahren dümpelt es dahin. Es beschäftigt sich mit diesem und jenem und dient
vor allen Dingen dazu, die Gewerkschaften in die Konsenspolitik der Bundesregierung einzubinden. Auf Vorschläge, die dazu führen, die Arbeitslosigkeit in diesem
Land wirksam abzubauen, warten wir bisher vergeblich.
Was ist mit dem Überstundenabbau? Was ist mit einer
Regelung zur sinnvollen Arbeitszeitverkürzung? All diese
Schritte wären aber notwendig, um beim Abbau der
Arbeitslosigkeit vom Trippelschritt zum Laufschritt zu
kommen.
({11})
Natürlich, Herr Minister - ich habe alle Ihre Zahlen
hier zur Kenntnis genommen -, bin auch ich froh über jeden neuen Arbeitsplatz. Aber das bisschen Licht am Ende
des Tunnels ist noch keine Trendwende und schon gar
nicht ein Anlass, in der Arbeitsmarktpolitik nachzulassen,
wie Sie es beabsichtigen.
Natürlich - dagegen können Sie anreden, wie immer
Sie wollen - ist es vor allem der Rückgang der Zahl der
Erwerbstätigen, der die Statistik im Moment schön macht.
Die Zahl ist innerhalb von zwei Jahren um 361 000 gesunken. Die Einbeziehung der 630-Mark-Jobs macht die Statistik noch ein bisschen schöner. Ein echter Beschäftigungseffekt ist leider noch nicht zustande gekommen,
vielleicht mit Ausnahme der zurzeit boomenden Exportwirtschaft Westdeutschlands. In anderen Gebieten sind
die Prognosen düster. Ich erinnere nur an die Bauwirtschaft. Gerade gestern hat sie verkündet: 60 000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
In Ostdeutschland ist die Lage nach wie vor zutiefst deprimierend. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es dort einen
Stillstand. Die Arbeitslosenquote ist dort mit 17 Prozent
noch immer mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Auch in diesem Jahr stehen wieder Zehntausende
junge Menschen ohne eine Ausbildungsplatzperspektive
auf der Straße. Das JUMP-Programm allein löst diese
Probleme nicht.
({12})
In dieser Situation - das sage ich hier wirklich mit allem Nachdruck - den Bundeszuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit für das kommende Jahr komplett zu streichen halte ich für politisch völlig verantwortungslos.
({13})
Jede Einschränkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik führt
im Osten Deutschlands zu dramatischen Einbrüchen. Das
hat sich im letzten Jahr allein daran gezeigt, dass Sie die
Kürzung der Sachkostenzuschüsse für AB-Maßnahmen
durchgesetzt haben.
In Sachsen-Anhalt macht der Anteil der Teilnehmer an
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen 26,1 Prozent aller
Beschäftigten aus. Während in Westdeutschland auf eine
freie Stelle sieben Arbeitslose kommen, sind es in Sachsen-Anhalt 21. Ohne die Beibehaltung und Verstärkung
der aktiven Arbeitsmarktpolitik geht hier gar nichts. Das
Motto „Chefsache Ost“ ernst zu nehmen bedeutet, endlich
Zeichen zu setzen. Falsche Zeichen sind, AB-Maßnahmen weiter auszubluten, die Kosten für Strukturanpassungsmaßnahmen - zumindest in gleicher Höhe - nicht zu
übernehmen und beim Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit nachzulassen.
Nun gibt es ja im Einzelplan 11 den wunderschönen Titel „Förderung der Erprobung und Entwicklung innovativer Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“.
Sie wissen, das ist eines meiner Lieblingsthemen. Ich bin
nach wie vor enttäuscht und entsetzt darüber, was mit diesem Titel angestellt wird. 60 Prozent der dort eingestellten Gelder werden zur Förderung der Beschäftigung im
Niedriglohnbereich eingesetzt. Das ist, so finde ich, kein
bisschen innovativ. Es gibt zahlreiche Beschäftigte, die
heute darum bangen, ob sie in Zukunft ein Einkommen erzielen können, von dem sie und ihre Familien leben können. Angesichts dessen, dass in diesem Zusammenhang
Modellversuche gemacht werden, muss ich Sie fragen:
Was ist eigentlich der Erkenntniswert daraus?
Wir brauchen endlich den Einstieg in den öffentlich
geförderten Beschäftigungssektor.
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten.
Ich komme sofort
zum Ende. - Schauen Sie doch einmal nach MecklenburgVorpommern. Dort versucht die Regierung aus eigener
Kraft, die Langzeitarbeitslosigkeit durch den Einstieg in
den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu
bekämpfen. Hier könnten Sie auf innovative Weise fördernd eingreifen. Dies wäre hier am Platz. Ich empfehle
Ihnen diese Stoßrichtung dringend für die Zukunft, damit
wir mit dem Problem der Arbeitslosigkeit fertig werden.
({0})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Ulla Schmidt, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist unbestritten: Wir sind
eine reiche Gesellschaft. Sie ist reicher als vor 100 oder
200 Jahren. Aber der Reichtum ist ungleich verteilt. Deshalb möchte ich im Rahmen dieser Debatte einmal feststellen, dass der Sozialstaat deutscher und europäischer
Prägung die wohl größte kulturelle Errungenschaft des
letzten Jahrhunderts gewesen ist.
({0})
Wenn dieser Sozialstaat erhalten werden soll - dies
ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts -, dann hat das nichts damit zu tun, Frau Kollegin
Knake-Werner, dass er einfach nur wettbewerbskompatibel gemacht werden soll. Vielmehr ist zu sagen: Wer den
Sozialstaat erhalten will, der muss Reformen einleiten,
damit die Wirklichkeit mit den Maßnahmen in Übereinstimmung gebracht wird, die wir zu leisten haben.
({1})
Wir müssen ihn in Übereinstimmung mit der sich verändernden Arbeitswelt bringen. Wir müssen ihn in Übereinstimmung mit der Tatsache bringen - diese Entwicklung
erfolgt Gott sei Dank -, dass die Lebenserwartung der
Menschen auf der einen Seite aufgrund des medizinischen
Fortschritts und auf der anderen Seite - das möchte ich an
dieser Stelle ganz besonders betonen - aufgrund des Erfolges des Kampfes der Gewerkschaften um humane Arbeitsbedingungen in den Betrieben, um Jugendarbeitsschutz und um das Verbot von Kinderarbeit immer größer
wird. Das ist gut so; das halte ich für positiv. Wir alle
freuen uns darüber, weil wir hoffen, davon profitieren zu
können.
({2})
Trotzdem besteht das Problem, dass es angesichts dieser wachsenden Lebenserwartung eine immer geringer
werdende Zahl an Menschen gibt, die am Erwerbsleben
teilnehmen und die die Leistungen für diejenigen aufzubringen haben, die entweder noch nicht erwerbstätig sein
können oder die, weil sie die Altersgrenze erreicht haben,
nicht mehr erwerbstätig sein müssen oder die nicht mehr
im Arbeitsleben stehen, weil es eine Massenarbeitslosigkeit gibt. Wenn es so bleibt, dass die entsprechenden Leistungen immer umfangreicher werden, dann verliert der
Sozialstaat seine Akzeptanz. Bei den jungen Menschen
wird dann der Trend, sich aus diesem Sozialstaat zu verabschieden, immer größer werden.
Deshalb glaube ich, dass eine der wichtigsten Fragen
im Rahmen des Einzelplans 11 ist - auch der Bundesarbeitsminister hat sie heute angesprochen -: Was müssen
wir tun, um die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden?
Wie können wir wieder in Menschen investieren, um
dahin zu kommen, dass die Menschen in diesem Land für
ihre Arbeit bezahlt werden und sie nicht vom Staat bezahlt
werden müssen, weil sie nicht arbeiten dürfen und nicht
ihr eigenes Geld verdienen können?
({3})
Wir haben eine ganze Menge getan. Dass jemand von
Ihnen jetzt einen Zwischenruf über Sozialabgaben macht,
ist ein wenig früh, da Sie doch erst zwei Jahre aus der Regierung sind.
({4})
Denn als wir die Mehrheit erhielten, hatten wir die höchste Abgabenquote, die es in Deutschland jemals gegeben
hat.
({5})
Diese hohe Abgabenquote hat nicht dazu geführt, dass die
öffentlichen Haushalte saniert wurden. Nein, zu den Abgaben, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
die Unternehmen in diesem Land erbringen mussten, kam
auch noch die höchste Steuerbelastung, die es je in
Deutschland gegeben hat.
({6})
- Nein, nicht weil wir die Steuerreform blockiert haben.
Uns ging es immer darum, eine Steuerreform zu machen, die sozial gerecht ist, die Beschäftigung fördert und
die den Familien wieder das gibt, was sie brauchen, damit
sie ohne soziale Sorgen leben und ihre Kinder großziehen
können. Das, meine Damen und Herren, ist Fakt.
({7})
In zwei Jahren haben wir schon eine ganze Menge
geschafft. Die Investitionsstimmung ist viel positiver
geworden. Es kommen auch wieder Menschen nach
Deutschland, die sagen: Wir wollen investieren, wir
schaffen Arbeitsplätze. - Das hat nicht allein mit der demographischen Entwicklung zu tun. Ich habe es schon
einmal gesagt: Demjenigen, der das immer wieder behauptet, biete ich an, die Statistiken gemeinsam mit ihm
zu lesen. Dann ist er nämlich schlauer.
({8})
Darum sage ich: Es ist unser Erfolg, dass die Zahl der
Beschäftigten in Deutschland wieder steigt.
({9})
In diesem Jahr nahm sie um 730 000 gegenüber dem Vorvorjahr zu und gleichzeitig - da können Sie lachen - sank
die Zahl der Erwerbslosen. Vielleicht sollten Sie lieber
nicht lachen, sondern sich freuen, ({10})
- dass die Zahl der Erwerbslosen sinkt und wieder mehr
Menschen eine Beschäftigung finden. Das wäre in der
Union, die sich christlich nennt, angebrachter, als darüber
zu lachen.
({11})
Trotz dieser positiven wirtschaftlichen Entwicklung
braucht die Beschäftigungspolitik eine sozialstaatliche
Flankierung; denn wir brauchen einen Arbeitsmarkt, der
für alle, für Frauen und Männer, attraktiv ist und in dem
alle, die arbeiten wollen, auch ihren Platz finden. Wir
brauchen einen Arbeitsmarkt, der nicht nur auf wirtschaftliche Interessen ausgerichtet ist, sondern auch
denjenigen, die weniger leistungsfähig sind, wieder eine
Chance eröffnet. Wir brauchen einen Arbeitsmarkt, der
auf familiäre Belange Rücksicht nimmt.
Deshalb ist für mich eindeutig: Bei allem, was wir im
Bereich Arbeit und Soziales machen, steht der Mensch im
Mittelpunkt, der junge Mensch, der Mensch mittleren Alters und der ältere Mensch. In sie müssen wir investieren,
sie wollen wir qualifizieren. Für sie wollen wir die Voraussetzungen für lebensbegleitendes Lernen schaffen,
damit nicht nur der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben gefördert wird, sondern auch die Zeiten zwischen dem
Wechsel von zwei Arbeitsplätzen wieder kürzer werden
und die Qualifikation der Menschen erhalten bleibt, damit
sie weiterhin ihre Arbeitskraft einsetzen können.
({12})
Meine Damen und Herren, deshalb verbirgt sich hinter
dem Einzelplan 11 die grundsätzliche Verpflichtung des
Staates, sozial verantwortlich zu handeln. Das betrifft
nicht nur die Ausgaben für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,
sondern auch die Möglichkeit, für die Problemgruppen
des Arbeitsmarktes initiativ zu werden und das geltende
Arbeitsförderungsrecht, das weitgehend auf passive
Leistungen und, weil das so war, auf eine Beschränkung
des Ausgabenvolumens bei anwachsenden Arbeitslosenzahlen gesetzt hat, so weiterzuentwickeln, dass es tatsächlich ein aktivierendes Arbeitsförderungsrecht wird und jedem Menschen die auf ihn abgestimmte individuelle
Beratung gibt und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglicht.
({13})
Eine der Gruppen, mit denen wir heute noch bei der
Entwicklung des Arbeitsmarkts Probleme haben, sind
zweifellos die älteren Arbeitslosen. Ich begrüße es deshalb, dass die Bundesanstalt für Arbeit eine Vermittlungsoffensive unter dem Motto „50 Plus“ anlaufen lässt. Es
soll dabei vor allen Dingen darauf ankommen, die Vorbehalte der Wirtschaft gegenüber der Einstellung älterer
arbeitsloser Menschen abzubauen. Ich kann nur an die
Wirtschaft appellieren, dass sie sich darauf einlässt. Denn
wenn wir auf der einen Seite die demographische Entwicklung beklagen und auch wissen, dass es in absehbarer Zeit einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften geben wird, muss die Wirtschaft auf der anderen Seite ein
Interesse daran haben, die Qualifikation, die Fähigkeiten
und die Kenntnisse der älteren Arbeitslosen für ihren Betrieb zu erhalten.
Ich nenne noch einen zweiten Punkt, der auch die Rentenreform - sie ist wichtig - betrifft. Wenn wir wollen
- das wird auch von der Wirtschaft gefordert -, dass das
tatsächliche Renteneintrittsalter wieder mit dem gesetzlichen Renteneintrittsalter übereinstimmt, dann kann und
darf es nicht sein, dass Menschen mit 58 oder 59 Jahren,
Ulla Schmidt ({14})
die bis 65 arbeiten wollen, auf diesem Arbeitsmarkt keine
Chance mehr haben.
({15})
Ich glaube, dass es eine Vielzahl von Instrumenten
gibt, um auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes Einfluss
zu nehmen. Hier möchte ich gar nicht weiter auf die Instrumente des Arbeitsförderungsrechts, sondern auf zwei
andere Punkte eingehen, die auch hier angesprochen wurden. Das eine ist die Frage, wie wir mehr Teilzeitarbeit
organisieren können. Deshalb halte ich im Gegensatz zu
anderen, die sich heute dazu geäußert haben, die Initiative
der Bundesregierung zur Förderung der Teilzeitarbeit für
eine adäquate Antwort nicht nur auf die Bedürfnisse der
Menschen, die in vielen verschiedenen Formen erwerbstätig sein wollen, sondern auch auf die lange geforderte
Flexibilisierung in der Wirtschaft. Denn wir müssen dahin
kommen, dass die individuelle Arbeitszeit von Maschinenlaufzeiten oder anderen Dingen losgelöst wird. Wir
müssen versuchen, dies in Einklang zu bringen.
Auf der einen Seite haben wir die Bedürfnisse der
Menschen, die weniger arbeiten möchten, weil sie die Familie versorgen, weil sie sich weiterbilden oder andere
Dinge machen wollen. Auf der anderen Seite stehen wir
vor der Frage, wie wir Arbeit auf mehr Schultern verteilen können. Das ist vorausschauende Sozialpolitik. Wenn
die Erwerbsarbeit auf mehr Schultern verteilt wird und
Männer und Frauen gleichermaßen erwerbstätig sein können, sichert dies die soziale und finanzielle Situation der
Familien. Dadurch haben sie die Möglichkeit, dass dann,
wenn der eine arbeitslos ist, der andere für den Lebensunterhalt sorgen kann. Deshalb kommt eine vorausschauende Sozialpolitik an einer Arbeitszeitflexibilisierung und
der Beendigung der Diskriminierung von Teilzeitarbeit
nicht vorbei. Dies haben uns andere europäische Länder
gezeigt, die dabei viel weiter sind und ihre Arbeitslosenquote ganz dramatisch senken konnten. Diesen Weg wollen auch wir gehen.
({16})
Kollegin Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn von
der PDS-Fraktion?
Nein, ich möchte dies
abschließen.
Wenn wir über Teilzeitarbeitzeit reden, dürfen wir dies
nicht nur auf Altersteilzeit beschränken, auch wenn es
dazu sehr viele Fragen gibt. Ich nenne noch einige Zahlen: Wir haben 6,3 Millionen Teilzeitbeschäftigte. Davon
sind 87 Prozent Frauen. Wir haben aber auch über 300 000
Menschen, die eine Teilzeitstelle suchen. Wir sollten auch
deren Chancen verbessern.
Im Rahmen der Rentenreform haben wir vor, die Zeiten, in denen ein Vater oder eine Mutter bis zu dem Zeitpunkt, an dem das jüngste Kind zehn Jahre alt ist, seine
wöchentliche Arbeitszeit reduziert, bei den Rentenanwartschaften um 50 Prozent bis maximal zum Durchschnittseinkommen höher zu bewerten. Wir bieten nicht
nur finanzielle Sicherheit in der Zeit, in der die Familie
davon leben muss, sondern wir sagen auch, dass derjenige, der dies aus familiären Gründen macht, im Alter
nicht durch eine geringere Rente gegenüber denjenigen,
die Vollzeit arbeiten konnten, bestraft werden darf.
({0})
Genauso viel Abwehr ruft jetzt das Beschäftigungsförderungsgesetz hervor. Dazu lese ich von Herrn Hundt,
dass dies die wirtschaftliche Entwicklung behindere. Aber
ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor, Frau Kollegin Schwaetzer. Ich bin für Flexibilisierung, weil ich
glaube - ich bin auch ein sehr flexibler Mensch -, dass
diese Welt ohne Flexibilisierung nicht gestaltet werden
kann ({1})
- Kollege Fuchtel, vielleicht gilt das auch für BadenWürttemberg -, aber Flexibilisierung ist nicht gleichzusetzen mit Schutzlosigkeit. Darauf kommt es an.
({2})
Das muss man sich doch einmal vorstellen. Ich bin ja
für dieses Instrument. Die Abschaffung dieses Instrumentes würde bedeuten, dass man in Überstunden, Leiharbeit
oder Sonstiges ausweichen würde. Das ist keine Frage.
Nach zwei Jahren muss ein Unternehmen wissen, ob
es eine Arbeitskraft braucht. Das ist - glaube ich - eine
lange Zeit: drei Mal Verlängerung, 24 Monate. Man muss
sich doch einmal in die Situation desjenigen versetzen,
der beschäftigt ist: Er weiß dann immer noch nicht, ob er
in sechs Monaten wieder einen festen Arbeitsplatz hat.
Es macht vielen auch Probleme bei Bankgeschäften oder
Mietverträgen. Das Instrument erhalten, Missbrauch bekämpfen und den Menschen, die in diesen Verhältnissen
beschäftigt sind, wieder soziale Sicherheit zu geben, das
ist die Herausforderung der Zukunft. Diese werden wir
annehmen und nicht das Instrument abschaffen.
({3})
Jetzt komme ich zu einigem, was der Kollege
Seehofer gesagt hat.
({4})
- So wichtig ist er ja auch nicht.
({5})
Mir ist wichtiger, dass die Menschen, die hier zuschauen,
auch diejenigen vor den Fernsehgeräten, hören, was
wir wirklich zur Zukunftssicherung in dieser Gesellschaft vorhaben, und ich will nicht den Kollegen
Seehofer mit der Antwort befriedigen.
({6})
Herr Kollege Seehofer, es hat mich schon gewundert,
dass Sie hier sagen: Die große Rentenreform Norbert
Ulla Schmidt ({7})
Blüms mit dem demographischen Faktor nehmen Sie nun
zurück. - Ich erinnere mich noch an die Gespräche, die
wir hatten, in denen Sie gesagt haben, die Rentenreform
Norbert Blüms greife zu kurz. Das, worüber wir jetzt diskutieren und was wir gemeinsam machen wollen - ich
hoffe: auch werden -, ist ein Quantensprung.
({8})
- Es ist nicht nur bei uns ein Quantensprung.
Ich will nur auf drei Dinge eingehen, die Sie hier gesagt haben, Herr Kollege Seehofer.
Blüms Modell war: 64 Prozent für alle spätestens 2015,
ohne dass auch nur eine einzige Initiative zum Aufbau der
kapitalgestützten Säule eingeleitet worden wäre, ({9})
- ohne dass auch nur einmal diskutiert worden wäre, was
denn getan werden muss, damit wir die Hemmnisse, die
heute im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge bestehen, beseitigen, ({10})
- und ohne dass nur ein Wort dazu gesagt worden wäre,
was wir denn tun müssen, um dann, wenn das Rentenniveau sinkt, die bestehenden Anwartschaften von Menschen, die wenig verdienen oder die, wie ich eben gesagt
habe, aus familiären Gründen Teilzeit arbeiten, auszubauen. Das führt dazu, dass letztendlich das Niveau keine
Rolle mehr spielt, wenn das, was faktisch in der Tasche
ist, mehr ist, nachdem man jahrelang dafür gearbeitet hat.
Das will ich nur festhalten.
({11})
Sie haben gesagt: Die Rente muss lebensstandardsichernd sein.
({12})
Wir sagen: Eine angemessene Lebensstandardsicherung wird es nur dann geben, wenn wir neben der umlagefinanzierten Säule auch die kapitalgestützte Säule
fördern.
({13})
Vielleicht sollten Sie sich eine Untersuchung, die gestern veröffentlicht wurde, besorgen. Diese Untersuchung
besagt, dass das, was Minister Riester in Bezug auf die kapitalgestützte Säule vorgelegt hat, dazu führt, dass das
Rentenniveau für diejenigen, die heute jung sind, das heutige übertreffen wird.
({14})
Das ist Fakt. So werden wir es auch machen.
({15})
- Ich habe da keine Probleme. Ich kenne meine Fraktion.
Auf die Frage der Generationengerechtigkeit möchte
ich nur kurz eingehen. Ich glaube, wir machen es uns zu
einfach, wenn wir Generationengerechtigkeit allein daran
messen, was die heutige Generation an Rentenbeiträgen
zu zahlen hat. Ich werde oft dafür ausgelacht, aber trotzdem möchte ich es hier sagen: Wenn wir über Generationengerechtigkeit reden, müssen wir auch die eigene Geschichte einer jeden Generation bedenken.
({16})
Jetzt sage ich Ihnen einmal eines: Als ich 17 war, stand
ich vor dem Abitur. Als mein Vater 17 war, hat man ihn in
den Zweiten Weltkrieg geschickt.
({17})
Als meine Mutter 17 war, war ihre Ausbildung schon zu
Ende. Meine Eltern - nicht nur meine Eltern, sondern Ihrer aller Eltern - haben sich nicht ausgesucht, dass sie in
den Krieg hineingeboren wurden. Sie haben sich auch
nicht ausgesucht, dass sie in Diktaturen hineingeboren
wurden. Sie hatten nicht das zur Verfügung, was sich zum
Beispiel mir eröffnete, nicht die Infrastruktur, nicht die
Ausbildungs- und Beschäftigungschancen.
({18})
Sie konnten nicht wissen, was sie würden aufbauen können.
Deshalb, Kollege Seehofer, glaube ich, dass wir unabhängig von der Berücksichtigung der demographischen
Entwicklung - im Übrigen hat die gesetzliche Rentenversicherung heute nicht nur ein Einnahmen-, sondern auch
ein Ausgabenproblem
Frau Kollegin
Schmidt, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
- die Generationen unterschiedlich behandeln müssen.
({0})
Diejenigen, die jetzt 55 Jahre alt oder älter sind, haben de
facto keine Chance mehr, eine kapitalgestützte Säule aufzubauen, wenn sie nicht schon vorher damit begonnen
haben. Und die Menschen in den neuen Bundesländern
leben zu 90 Prozent allein von den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Deshalb bin ich dafür, diesen
Weg Zug um Zug zu gehen, begleitet durch den Aufbau
einer kapitalgestützten Säule. Wir wollen deutlich machen: Wir helfen euch, der jüngeren Generation. Wir geben euch Geld, wenn es anders nicht geht, damit ihr die
private Säule aufbauen könnt.
({1})
Wir halten die Rentenbeiträge stabil, damit ihr Spielräume habt, und wir versuchen, durch eine konsequente
Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik wieder Beschäftigungschancen für euch zu schaffen. - Das ist unser
Ulla Schmidt ({2})
Angebot an die junge Generation. Deshalb bin ich für eine
Zweiteilung in der Rentenversicherung.
({3})
Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken.
Vielen Dank.
({4})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Klaus Grehn,
PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Kollegin Schmidt, von
den vielen Widersprüchen, die in Ihrer Rede aufgetaucht
sind, möchte ich drei herausgreifen.
Erstens. Sie haben davon gesprochen, dass die 58- und
59-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt eine größere Chance
haben sollen. Ist Ihnen nicht bekannt, dass Frauen sogar
schon ab 40 und Männer ab 45 Jahren in beängstigendem
Maße zunehmend geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben?
Zweitens. Sie haben von dem Programm „50 plus“ der
Bundesanstalt für Arbeit gesprochen. Mich interessiert,
wie Sie die Ergebnisse in jenen Ländern einschätzen, in
denen dieses Programm bereits seit Jahren läuft. Vielleicht würden Sie Ihre Hoffnungen dann etwas herunterschrauben.
Drittens. Sie haben von der Möglichkeit gesprochen,
durch Teilzeitarbeit Menschen in Arbeit zu bringen. Vorher haben Sie gesagt, dass insbesondere Problemgruppen
arbeitslos sind, und Problemgruppen sind Niedriglohnbezieher. Aber ist Ihnen nicht bekannt, dass Niedriglohnarbeit als Teilzeitarbeit keine existenzsichernde Arbeit
ist? Teilzeitarbeit muss man sich leisten können. Wir Abgeordnete könnten uns Teilzeitarbeit leisten und trotzdem
existieren. Die Gruppen aber, um die es geht, können sich
Teilzeitarbeit unter dem Aspekt der Sicherung der Lebensqualität und des Existenzminimums nicht leisten.
({0})
Insofern wüsste ich gern, wie Sie diesen Widerspruch auflösen oder diese Fata Morgana zu einem richtigen Bild
ausmalen wollen.
Frau Kollegin
Schmidt, möchten Sie erwidern? - Bitte, ich erteile Ihnen
das Wort.
Ich hätte gedacht, dass
jemand wie Sie, der insbesondere die Interessen der Menschen in den neuen Ländern vertritt, weiß, dass wir gerade
dort die arbeitsmarkpolitischen Instrumente intensiviert
haben, dass wir im letzten Jahr durch ein Vorschaltgesetz
ermöglicht haben, dass Menschen, wenn sie 55 Jahre alt
sind, im Rahmen von Strukturanpassungsmaßnahmen bis
zum 60. Lebensjahr stetig weiterarbeiten können, und
dass wir die Eingliederungszuschüsse für ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen erhöht haben.
Die Tatsache, dass es Arbeitslosigkeit gibt und dass
Frauen über 40 bzw. 45 Jahren besonders in den neuen
Ländern davon betroffen sind, ist doch kein Widerspruch
dazu, dass ich sage: Man muss die Mittel konzentrieren.
Das haben wir im Bereich von Ausbildungsplätzen für
junge Menschen getan. Sie wissen, dass mehr als die
Hälfte der Mittel des JUMP-Programms in die neuen
Bundesländer geflossen ist, weil wir wissen, dass dort die
Entwicklung in den Betrieben noch nicht so weit ist, dass
genügend Ausbildungsplätze angeboten werden können.
Ich bin der Meinung, dass auf dem ersten Arbeitsmarkt
alle außerhalb der Problemgruppen eher einen Arbeitsplatz finden. Aber wir wollen das nicht hinnehmen. Wir
wollen für Männer und Frauen gleiche Beschäftigungschancen haben. Wir wollen, dass die neuen Bundesländer von dem Strukturwandel, den wir einleiten, profitieren.
Bei der Teilzeitarbeit habe ich nicht von Hungerlöhnen
gesprochen, Herr Kollege. Mir geht es um sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze.
({0})
Wenn in einer Familie zwei Personen zumindest einen
Teilzeitarbeitsplatz haben, dann ist das manchmal mehr,
als wenn einer acht Stunden am Tag arbeiten geht, und die
Frau, die zu Hause bleibt und für den Haushalt zu sorgen
hat, für sich selber nichts verdienen kann.
Vielen Dank.
({1})
Der nächste Redner in
der Debatte ist der Kollege Hans-Joachim Fuchtel für die
Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst wende ich mich
direkt an den Minister. Herr Minister, aus haushaltspolitischer Sicht ist eines ganz klar: Über Ihrem Haushalt hängt
das Damoklesschwert der Ökosteuer. Das ist Ihr größtes
Problem und wird es auch bleiben.
({0})
Die direkte Verknüpfung von Energie und Rente ist
kontraproduktiv. Das sagen wir nicht erst seit heute, seit
Sie die Probleme sehr handfest zu spüren bekommen, sondern von Anfang an. Sie brauchen, um das Finanzierungssystem aufrechterhalten zu können, immer höhere
Beiträge aus den Energiesteuern. Es ist doch keine vernünftige Zusammenstellung von Haushaltsproportionen,
die wir hier in Milliardenhöhe vorfinden, dass man Abhängigkeiten schafft. Jede Turbulenz, die auf dem Energiesektor auftritt, führt automatisch zu Verunsicherungen
bei der Rente. Das darf doch nicht sein. Das hat die viel
beschworene ältere Generation, Frau Schmidt, ganz sicher nicht verdient.
({1})
Ulla Schmidt ({2})
Nur Ideologen können solchen volkswirtschaftlichen,
hauswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Unsinn
produzieren.
({3})
Man muss das Kleingedruckte lesen. Ich dachte, wir
sind in der Haushaltsdebatte. Manchmal erscheint es mir,
als hätte ich etwas versäumt. Man hat zum Beispiel festgestellt, dass man für die Landwirtschaft Geld gebraucht
hat. Deshalb hat auf einmal nicht mehr so viel Ökosteuer
sein sollen. Dazu heißt es: Dies bedeutet, dass das dem
BMA zugeordnete Aufkommen aus der Ökosteuer im
Jahre 2001 um 460 Millionen DM, im Jahre 2002 um
580 Millionen DM und ab 2003 jährlich um 700 Millionen DM geringer ist als bisher unterstellt.
Wenn man die Rentenversicherung davon abhängig
macht, dass man heute etwas in die Landwirtschaft und
morgen in einen anderen Bereich geben muss, dann frage
ich: Wie soll man denn dann die Sicherheit der Renten garantieren können? Es glaubt Ihnen doch niemand, dass Sie
das können. Sie sitzen in der selbst gemachten Ökofalle.
Aus dieser müssen Sie sich lösen.
Eine ganz wichtige Forderung meiner Fraktion ist, dass
wir eine Entkoppelung zwischen der Rentenfinanzierung
und der Ökosteuer herbeiführen.
({4})
Das Zweite, was wir fordern, ist eine Absenkung der
Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Die Zeit ist reif,
dass wir diesen Schritt gehen. Jetzt, da die Konjunktur anspringt, muss ein weiteres Zeichen gegeben werden.
({5})
Ich sage Ihnen auch, warum: Hinter Arbeitslosigkeit stehen Einzelschicksale. Das wissen wir alle; das nehmen
wir alle sehr ernst. Arbeitslosigkeit ist nach zwei Jahren
Schröder immer noch das beherrschende Problem in
Deutschland; von wegen: Wir sind bereit.
({6})
Wir haben eine gute Konjunktur. Dazu haben Sie mit
Ihrer Politik wenig beigetragen. Selbst vom Kanzler wird
bei entsprechenden Industrieveranstaltungen akzeptiert,
wenn das gesagt wird. Aber eines ist auch klar: Im dritten
Regierungsjahr gehen Sie mit einem äußerst bescheidenen Beschäftigungszuwachs in diesen Haushalt. Wenn ich
das nicht als ein Versagen bezeichnen soll, dann weiß ich
nicht, was Versagen eigentlich ist. In Ostdeutschland stabilisieren Sie Arbeitslosigkeit auf einem sehr hohen Niveau. Das ist nicht tragbar. Deswegen muss hier mehr geschehen.
Was sind denn 120 000 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse bei einer solchen konjunkturellen Entwicklung?
({7})
200 000 Beschäftigungsverhältnisse müssen Sie aus
Gründen der Demographie ja abziehen, die können Sie
doch gar nicht dazuzählen. Dann sehen Sie, wie mickrig
all Ihre Versprechungen sind, dass sie wie ein Kartenhaus
zusammenfallen und dass Sie all die Menschen mit Ihren
Wahlaussagen 1998 betrogen haben. Deswegen sollten
Sie wenigstens einen Schritt der Wiedergutmachung tun.
({8})
Sie sollten den Mut haben, mit uns zusammen an der
Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu arbeiten. Wir können hier mit Sicherheit 0,5 Beitragsprozentpunkte erreichen. Das ist im Übrigen die ganze Marge der
Ökosteuer, die Sie dem Volk zumuten wollen. Also: Statt
der Erhöhung in der nächsten Stufe der Ökosteuer machen
wir uns auf und senken wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 0,5 Prozentpunkte. Millionen von Menschen werden es uns danken.
({9})
Der Spielraum ist vorhanden.
({10})
- Er ist auf jeden Fall vorhanden.
Zunächst einmal dürfen Sie keinen Sand in das Getriebe werfen. Wenn ich höre, was Sie alles mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz vorhaben, kann ich Ihnen
nur sagen: Sobald Sie anfangen, den Einstieg in den Arbeitsmarkt wieder zu erschweren, werden wir feststellen,
dass die Leute lieber Überstunden und nicht zusätzliche
Beschäftigungen wählen. Was wir aber als Allererstes
brauchen, ist zusätzliche Beschäftigung.
Deswegen: Lassen Sie bei diesem Punkt die Hände
weg von einer Veränderung bei dem Beschäftigungsförderungsgesetz. Sie können zu Kleinbetrieben gehen, da
werden Sie das hören, und Sie können zu großen Firmen
gehen - ob zu Porsche oder zu Daimler -, überall im
Lande werden Sie das hören.
Es stimmt eben nicht, dass die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse so dramatisch zugenommen hätte, wie
es diejenigen behaupten, die jetzt ihre Spielchen machen
wollen. Manus manum lavat - eine Hand wäscht die
andere -: bei der Rente etwas Nachgeben der Gewerkschaften, dafür beim Beschäftigungsförderungsgesetz
jetzt entsprechend zupacken. Das ist die alte Gewerkschaftsmauschelei, Herr Riester, die Sie jetzt wieder in die
Politik einführen, die aber aus der Politik herausgehalten
gehört - viel mehr, als Sie das hier in Ihrer Person verkörpern.
({11})
Das kritisieren wir ganz besonders. Wir können die Einstellungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem Anwachsen der Konjunktur nur dann nutzen, wenn nicht
neuer Sand ins Getriebe geworfen wird.
Ein anderes Thema, worüber auch einmal gesprochen
werden muss. Ich komme aus dem Wahlkreis Calw-Freudenstadt. Dort herrschen 3,7 Prozent Arbeitslosigkeit. Es
gibt in der Zwischenzeit 27 Arbeitsamtsbezirke, in denen
die Arbeitslosigkeit unter 5 Prozent liegt. Auf der anderen
Seite haben wir 29 Arbeitsamtsbezirke, in denen die Arbeitslosigkeit zwischen 15 Prozent und 22 Prozent liegt.
Ich frage mich: Was ist das für ein Arbeitsmarkt? Der Arbeitsmarkt müsste doch eigentlich in der Lage sein, einen
Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage zu organisieren.
({12})
Herr Minister, wo ist Ihr Konzept für diesen Ansatz? Es
ist kein Konzept vorhanden. Wir brauchen - das fordern
wir - eine neue Partnerschaft zwischen Regionen mit
ganz niedriger Arbeitslosigkeit und Regionen mit sehr hoher Arbeitslosigkeit,
({13})
damit wir mit intelligent angesetzten arbeitsmarktpolitischen Konzeptionen wieder einen Arbeitsmarkt schaffen
und allen helfen.
({14})
- Wenn Sie mir bitte eine Zwischenfrage stellen würden,
könnte ich das noch ausführlicher beantworten; so kann
ich es leider nicht tun.
Meine Damen und Herren, ich habe mich bei der Bundesanstalt für Arbeit auf den heutigen Tag hin informiert,
was es in diesem Zusammenhang an Instrumenten gibt.
Was hat man mir gesagt? Man tut schon ein bisschen etwas, aber man werde jetzt - ich denke, auch weil ich diese
Anfrage als Haushaltsberichterstatter gemacht habe - eine
neue Rundverfügung erarbeiten. Sie sei noch nicht fertig;
aber man wolle in diesem Sinne neue Initiativen ergreifen.
Lieber Herr Riester, wo war Ihre Initiative auf diesem Gebiet bisher? Hätten Sie Ihrem Kanzler mit auf den Weg
nach Ostdeutschland gegeben, dass er in die Bezirken mit
hoher Arbeitslosigkeit gehen und dort Vorschläge machen
soll, dann wäre die gesamte Aktion nicht nur Volksschauspielerei in der Sommerpause gewesen, sondern wäre
tatsächlich von großem politischem Nutzen gewesen.
({15})
Wenn jetzt die Arbeitslosenquote zurückgeht, dann erwarten wir, dass auch die Bundesanstalt selber schlanker
wird.
({16})
Es kann nicht sein, dass die Arbeitslosenzahlen zurückgehen, aber die Beamten bleiben. Es muss daran gearbeitet
werden, hier eine Reduzierung zu erreichen.
Meine Damen und Herren, eines können wir Ihnen
nicht durchgehen lassen. Sie haben uns im Zusammenhang mit der deutschen Einheit ständig gescholten, dass
wir Aufgaben nicht im Steuerteil des Haushalts finanzierten, sondern auf die Bundesanstalt für Arbeit abdrückten.
Im Entwurf zum Haushaltsgesetz 2001 sehen wir, dass
dieses Abdrücken ohne Not noch verstärkt wird. Bis
jetzt hatten wir ein Langzeitarbeitslosenprogramm mit
750 Millionen DM im Bundeshaushalt, ein Strukturanpassungsprogramm Ost mit 1,7 Milliarden DM, ganz
am Anfang sogar JUMP mit 2 Milliarden DM, also insgesamt 4,4 Milliarden DM. Das schieben Sie jetzt ganz
einfach in die Bundesanstalt für Arbeit. Im klein gedruckten Riester-Deutsch heißt das: Gleichzeitig wird die
Kostentragung für die aktive Arbeitsmarktpolitik ab 2001
im Haushalt der Bundesanstalt konzentriert. - Hokuspokus-Verschwindibus bei der Bundesanstalt für Arbeit!
Eichel macht sich eine weiße Weste und sagt, er senke die
Neuverschuldung. So primitiv sollten Sie mit diesem Parlament nicht umgehen.
({17})
Wenn die Arbeitslosenversicherung eine Versicherung
ist, wenn Leute, die von ihr Geld wollen, zuvor Anwartschaften ansammeln müssen, dann kann man doch der
Versichertengemeinschaft nicht einfach 5 Milliarden DM
ohne Gegenleistung auflasten. Das gehört in den steuerfinanzierten Teil. Dann sehen die Rechnungen ganz anders aus. Sie sollten den Mut haben, das hier zu sagen.
Inwieweit Sie dazu in der Lage sind, weiß ich nicht. Als
der zuständige Haushaltspolitiker habe ich zur Kenntnis
genommen, dass Sie extra für Ihre Medienauftritte einen
Berater brauchen.
({18})
Das muss die Öffentlichkeit wissen. Offensichtlich haben
Sie vor jeder Pressekonferenz die Hosen so voll, dass Sie
einen zusätzlichen Berater brauchen, der den Steuerzahler
nicht weniger als 130 000 DM kostet.
({19})
Das ist doch keine Leistung!
Es ist schon gar keine Leistung - damit komme ich
zum Schluss, Frau Präsidentin -, wenn Sie in diesen
Haushalt einen neuen Haushaltstitel aufnehmen. Man
glaubt es gar nicht: Man braucht 400 000 DM für Auslandsreisen, die der Herr Minister künftig zusammen mit
Vertretern aus dem Tarifbereich durchführen möchte.
Meine Damen und Herren, wer den Rentnern Einsparungen zumutet, wer den Arbeitslosenhilfebeziehern riesige
Einsparungen zumutet, der sollte in dieser Phase nicht so
mit Geld um sich werfen und für Auslandsreisen mit seiner direkten Umgebung 400 000 DM in einen Sparhaushalt einstellen.
({20})
Das ist nicht in Ordnung, Herr Minister. Verzichten Sie
wenigstens auf diesen Haushaltsansatz!
({21})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr
Kollege Fuchtel! Ich möchte einmal ganz kurz zusammenfassen, was hier schon alles gesagt wurde. Die
Staatsverschuldung sinkt. Die Einkommensteuern sinken. Familien bekommen über Kindergelderhöhung und
Familienlastenausgleich mehr Geld. Die Nettolöhne
steigen. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Das ist die Antwort
auf die Probleme, die die rot-grüne Regierung der jungen Generation bietet.
({0})
Welche Antworten bieten Sie mir und meiner Generation? Auf diese Frage möchte ich Antworten hören, und
zwar auf einem Niveau, das diesem Thema gerecht wird,
und nicht auf dem von Ihnen praktizierten Niveau, das
übrigens gestern in den Nachrichten als für das Parlament
beschämend bezeichnet wurde. Dieses Niveau möchte ich
- ich spreche im Namen meiner Generation - hier nicht
weiterführen.
({1})
Wenn die Reduzierung der Arbeitslosigkeit die beste
Sozialpolitik ist, wie Sie, Herr Blüm, immer gesagt haben,
sind wir doch jetzt auf dem besten Weg dazu. Vor einem
Jahr hatten wir noch eine Jugendarbeitslosigkeit von
10 Prozent, inzwischen sind es nur noch 7 Prozent. Auf
diesen Lorbeeren wollen wir uns nicht ausruhen. Ich
möchte festhalten: Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa und das ist ein Verdienst,
das sich sehen lassen kann.
({2})
Wir haben die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung verbessert, wir haben mit dem JUMPProgramm ein sehr erfolgreiches Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt. Es handelt sich um ein
Programm, das vielen Jugendlichen geholfen hat, die
sonst vielleicht aus der Arbeitslosenstatistik herausgefallen wären, keine Arbeit gefunden hätten oder nicht die leiseste Hoffnung gehabt hätten, eine wirkliche Integration
auf dem Arbeitsmarkt zu erfahren.
Ich freue mich von daher ganz besonders, dass wir sagen können: Wir setzen JUMP fort, weil es erfolgreich
war und weil es konkrete Früchte trägt. Wir setzen es sowohl in diesem Jahr als auch im kommenden Jahr fort.
({3})
Wir bleiben am Ball, was die Reform der beruflichen
Bildung angeht. 30 000 Ausbildungsverträge wurden im
vergangenen Jahr in Berufen geschlossen, die erst in den
vergangenen zwei Jahren entstanden sind. Wir modernisieren derzeit 50 Ausbildungsberufe, wir setzen sie instand, wir aktualisieren sie und bereiten sie für die Jugend
von morgen und deren Zukunftschancen vor. Wir reden
nicht über Green Card oder Ausbildung, sondern wir sagen: gezielte Zuwanderung und Ausbildung. Beides zusammen bürgt dafür, dass wir Zukunftschancen für die Jugend schaffen, diese Zukunftschancen nutzen und somit
diese Gesellschaft weiterentwickeln.
Es gibt bei der Ausbildung aber natürlich auch Probleme. Mehr als 50 Prozent der Auszubildenden lassen
sich in Berufen ausbilden, in denen nur 25 Prozent der Berufstätigen arbeiten. 25 Prozent aller Azubis brechen ihre
Ausbildung ab. Das sind Zahlen, die wir kennen und auf
die wir reagieren müssen. Wir brauchen - auch von der
Bundesanstalt für Arbeit - spezifische Angebote für Benachteiligte, eine bessere Berufsberatung, eine Ausbildung, die die Jugendlichen motiviert und sie mitreißt, und
nicht zuletzt zusätzliche Schlüsselqualifikationen für die
Berufswelt von morgen. Kreativität, Team- und Kommunikationsfähigkeit müssen in die Ausbildung integriert
werden und dürfen nicht nur auf dem Papier stehen.
({4})
Wir brauchen keine Debatte über die Probleme von
gestern, wir brauchen vielmehr eine Debatte über Ausund Weiterbildung und über zukunftsweisende Konzepte
für morgen. Wir brauchen eine Ausbildung in Modulen,
aber nicht, um das duale System zu unterwandern, sondern - ganz im Gegenteil - um das duale System zu stärken, da dieses Ausbildungssystem ebenso verbesserungsbedürftig wie verbesserungsfähig ist.
Es besteht ein Unterschied zu Ihnen: Wir schauen nicht
einfach nur zu, wir kommentieren nicht nur, sondern wir
sind aktiv. Wir spielen die Arbeitslosigkeit auch nicht gegen andere sozialpolitische Notwendigkeiten aus. Im Gegenteil: Wir erkennen und stehen dazu, dass es in diesem
Land Armut gibt. Vorhin gab es eine Andeutung, Armut
betreffe ja nicht so viele Rentner im Alter. Ich möchte
nicht diejenige sein, die sagt: Armut im Alter ist einfacher
zu bewältigen als Armut in der Jugend. Es ist nicht unsere
Aufgabe, das zu bewerten. Armut ist kein Naturschicksal,
sie ist in dieser Gesellschaft vorhanden und eine Herausforderung für die Politik, eine Herausforderung, vor der
wir die Augen nicht verschließen dürfen.
({5})
Wir haben mit der Neuregelung des Familienlastenausgleichs bereits sehr viel für die Familien getan. Es ist
bereits beschlossen worden, dass Familien für die ersten
beiden Kinder je 600 DM zusätzlich pro Jahr an Kindergeld bekommen. Erstmals profitieren auch Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger von der Kindergelderhöhung. Genau das, was ich vor einem Jahr für meine
Fraktion gefordert habe, haben wir also in praktische Politik umgesetzt. Diese Umverteilung war dringend notwendig.
Unser Leitspruch für die kommende Zeit wird sein:
Kinder dürfen in dieser Gesellschaft kein Armutsrisiko
mehr sein.
({6})
Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Forderung der
Familienverbände nach einem Kindergeld, das das sozio-kulturelle Existenzminimum tatsächlich abdeckt.
Aber dies wird nur schrittweise zu verwirklichen sein. Wir
wollen - darauf steuern wir bereits mit großen Schritten
zu - am 1. Januar 2000 - hoffentlich - ein Kindergeld in
Höhe von mindestens 300 DM vorweisen können.
({7})
- 2001!
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: 2002!
Die Forderung nach einem existenzsichernden Kindergeld in Höhe von 460 DM oder 600 DM ist zwar gut. Aber
wie das bei der gegenwärtigen Kassenlage zu verwirklichen sein soll, ist eine nicht einfach zu beantwortende
Frage. Das heißt nicht, dass wir nicht weiterdenken sollten. Wir sollten gerade deshalb weiterdenken und uns fragen: Wo besteht Notwendigkeit zum Handeln? Wo besteht
Bedürftigkeit? Deshalb arbeitet gerade die grüne Fraktion
- auch die SPD-Fraktion tut das - an Lösungen, die es uns
ermöglichen, direkt dort zu helfen, wo Armut entsteht,
nämlich in den Familien, die von Sozialhilfe leben oder
über ein niedriges Einkommen verfügen. Über ein existenzsicherndes Kindergeld müssen wir in den kommenden zwei Jahren dringend reden.
({8})
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Mein
letzter Satz: Diese Koalition meint es mit der Generationengerechtigkeit tatsächlich ernst. Diese Koalition bietet
Antworten auf die Fragen meiner Generation. Diese Koalition wird ihre Politik in diesem und im nächsten Jahr
sowie in den weiteren Jahren fortsetzen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Dirk Niebel für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung jubelt über die leicht zurückgehenden Arbeitslosenzahlen.
Das ist verständlich. Auch ich freue mich über jeden einzelnen Arbeitslosen, den es weniger gibt. Aber es ist unredlich, so zu tun, als sei dies das Ergebnis der grandiosen
Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung.
Wir alle wissen, dass allein aufgrund der demographischen Entwicklung 200 000 Arbeitslose weniger zu verzeichnen sind. Wir wissen auch, dass ein großer Teil des
Zuwachses an Beschäftigung, den es glücklicherweise
gibt, leider aufgrund der Euroschwäche zu verzeichnen
ist. Dessen ungeachtet bestehen bereits heute deutliche
Spielräume für die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
({0})
Die Beiträge könnten schon heute um mindestens 0,5 Prozentpunkte gesenkt werden. Aber es gibt noch weitaus
größere Spielräume, auf die ich Sie hinweisen möchte.
Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung könnten um
gut 1 Prozentpunkt gesenkt werden, wenn der Bereich der
aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht so von Ihnen aufgebläht
worden wäre. Eine neue Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung bestätigt nicht nur das, was
wir schon immer gesagt haben, nämlich dass übersteigerte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen die ungeförderte Beschäftigung behindern. Nein, es wird auch festgestellt, dass - erstens - den
Teilnehmern an diesen Maßnahmen die Teilnahme als
solches schadet, da sich diese während der Dauer der
Maßnahme weit weniger bemühen, eine ungeförderte Beschäftigung aufzunehmen, und dass - zweitens - viele Arbeitgeber die Teilnahme an einer ABM als Manko verstehen.
({1})
Sie verschieben 2 Milliarden DM, die für das so genannte JUMP-Programm gedacht sind, in den Haushalt
der Bundesanstalt für Arbeit und entlasten den Haushalt
des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Damit
Herr Eichel sich einen schlanken Fuß machen kann, werden zulasten der Beitragszahler insgesamt über 4 Milliarden DM in den BA-Haushalt verschoben. Hier wären
Einsparmöglichkeiten.
({2})
Die Einbeziehung von Einmalzahlungen wie Urlaubsund Weihnachtsgeld in die Berechnung des Arbeitslosengeldes war ein großer Fehler. Die Gewährung von Leistungen auf Einmalzahlungen geht in die völlig falsche
Richtung, weil sich dadurch die Beitragslast erhöht. Wir
hätten hier Beitragsspielräume nutzen können, weil kein
einziger Mensch weniger Leistungen bekommen hätte,
wenn Sie einfach die Einmalzahlungen freigestellt und
auf die Leistungsausweitung verzichtet hätten.
({3})
- Frau Dückert, wenn ich daran denke, was Sie und Ihre
Kollegin Deligöz über die Akzeptanz grüner Politik in der
jungen Generation gesagt haben, kann ich Ihnen nur mit
einem guten deutschen Sprichwort antworten: Wer im
Schlachthaus sitzt, soll nicht mit Schweinen werfen.
({4})
Was die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs angeht,
muss ich Ihnen sagen: Von einer Risikoabsicherung sind
wir mehr und mehr auf dem Weg zu einer Daueralimentierung. Wir brauchen dringend eine Neuregelung mit einer Bezugsdauer von 12 bis 18 Monaten. Dann hätten wir
eine Beitragsentlastung von 1 Prozentpunkt für die Arbeitnehmer und für die Arbeitgeber. Auf diesem Wege
könnten wir neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen.
Das ist das Beste, was wir für die Versichertengemeinschaft tun können. Neue Beschäftigungen haben doppelte
Effekte: Erstens spart man Geld, weil man weniger
Beiträge zahlt, und zweitens kommen mehr Arbeitslose in
Arbeit, was wiederum die Beitragskosten senkt. So könnten wir die Arbeitslosigkeit zum Teil bekämpfen.
({5})
Nichtsdestotrotz müssen wir auch an die Strukturen
der Bundesanstalt für Arbeit herangehen. Das haben
wir heute schon gehört. Der Arbeitsmarkt in Görlitz ist
halt anders als in Berlin oder in Heidelberg.
({6})
Seien Sie mutig. Machen Sie wenigstens einen Modellversuch, indem Sie dezentralisieren, indem Sie einem
Modellarbeitsamt einen Globalhaushalt zur Verfügung
stellen, damit dieses Arbeitsamt inklusive Personalhaushalt vor Ort probieren kann, was der richtige Weg ist, um
den Arbeitsmarktausgleich herbeizuführen.
({7})
Dann kann der Direktor entscheiden, ob er 150 000 DM für
einen zusätzlichen Arbeitsvermittler investieren möchte,
der Langzeitarbeitslose assistierend vermittelt und sie
nachgehend betreut, oder ob er 150 000 DM in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme steckt.
({8})
Mittelfristig stellt sich die Frage, inwieweit die Verwaltungsstrukturen der Bundesanstalt für Arbeit noch zukunftsfähig sind. Hier müssen wir feststellen, dass eine
Verwaltungsebene locker eingespart werden könnte. Die
Rahmenbedingung soll die Hauptstelle setzen. Die Arbeitsmarktpolitik vor Ort ist regional so unterschiedlich,
dass wir den örtlichen Arbeitsämtern die Mittel an die
Hand geben sollten. Der Wasserkopf Landesarbeitsämter
reicht als Stabsstelle beim besten Willen aus oder kann
meinetwegen auch völlig abgeschafft werden. Hier können wir die bürgernahe Verwaltung umsetzen.
({9})
Ich möchte Sie herzlich auffordern, das einmal in einem
Modellprojekt auszuprobieren, Herr Riester. Seien Sie
mutig, damit wir langfristig neue Wege gehen, auch was
die Verwaltung angeht.
Herr Kollege Niebel,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss, indem
ich Ihnen eine letzte Bitte auf den Weg mitgeben möchte.
Sie haben die Zusammenarbeit der Arbeitsämter mit
den Sozialämtern verbessert. Gehen Sie diesen Weg mutig weiter. Es kann nicht sein, dass unterschiedliche öffentliche Haushalte versuchen, ihre Leistungsempfänger
auf Kosten eines anderen Haushaltes hin- und herzuschieben. Versuchen Sie endlich, die Zusammenfassung
von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als steuerfinanzierte
Lohnersatzleistung auf den Weg zu bringen. Ich weiß,
dass das schwierig ist. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion
wird Sie dabei nach allen Kräften unterstützen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Arbeitsminister, die heutige Debatte hat eines
gezeigt: Sie und die sozialdemokratische Partei haben bis
heute noch keine Philosophie ihrer Sozialpolitik gefunden. Man kann sie einfach nicht erkennen.
({0})
In der Vergangenheit haben wir immer Grundsätze in
der Sozialpolitik gehabt. Die haben wir auch heute noch.
Ein Grundsatz ist der soziale Ausgleich. In der Sozialversicherung ist es die Beitragsbezogenheit. Ganz wichtig ist
die Verlässlichkeit. Wenn man Arbeitsminister ist und
man zwei Millionen Einsprüche gegen die Rentenanpassungen vom Juli hat, ist das der schlagende Beweis dafür,
dass in diesem Land kaum ein Rentner Riester und
Schröder noch ein Wort glaubt.
({1})
Zu den Grundsätzen gehört auch die Generationengerechtigkeit. Bei Ihnen ist es so, dass Sie sich von Vorgaben des Bündnisses für Arbeit über Vorgaben des Kanzleramtes bis hin zu europäischen Vorgaben Punkt für
Punkt durch die Probleme hangeln. Denken Sie einmal
zurück. Beim 630-Mark-Gesetz hat der Kanzler Ihnen das
Gesetz diktiert. Bei der Scheinselbstständigkeit war es
eine eingesetzte Kommission. Seitdem Sie im Arbeitsministerium sind, kommt aus eigener Kraft gar nichts mehr.
In den zehn Jahren, in denen ich dem Sozialausschuss angehöre, sind in diesem Jahr zum ersten Mal Sitzungen
ausgefallen, weil es keine Initiativen der Bundesregierung
gab. Dies ist ein Vorgang, der seinesgleichen sucht.
({2})
Ich habe Verständnis dafür, dass Sie die leichten Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt hier als Ihren Erfolg
feiern. Aber können Sie, Herr Riester, mir eigentlich erklären, warum in dem Zeitraum, da Sie Minister sind, die
Arbeitslosigkeit in Frankreich um 2 Prozentpunkte, in
Spanien um 4 Punkte, in Finnland um 2 Punkte und in
Deutschland nur um 1 Prozentpunkt abgenommen hat?
Die stellvertretende Vorsitzende des DGB sagte vor
kurzem, dass wir in Deutschland eine Stagnation auf
dem Arbeitsmarkt haben. Auch die EU-Kommission
kritisiert die Beschäftigungspolitik in Deutschland und
stellt fest: Es gibt kein Land in der Europäischen Gemeinschaft, in dem die Belastungen auf Arbeit durch
Steuern und Abgaben so hoch wie bei uns sind.
({3})
- Zu dem, was Sie, die Sozialpolitiker der SPD, in den
letzten zwei Jahren alles verteidigt haben, kann ich Ihnen
nur noch eines sagen: Ich erkenne bei Ihnen nicht mehr
das Rückgrat, das Gewerkschafter eigentlich haben sollten. Sie haben im Rücken mittlerweile eine Fischgräte,
damit Sie all die Windungen überhaupt noch hinbekommen, die Sie in den letzten Jahren zu verantworten hatten.
({4})
Sie wissen doch, dass Sie mittlerweile in jedem Kreisvorstand des DGB für Ihre Lügen im Wahlkampf verprügelt
werden und dass Ihnen beim DGB heute keiner mehr
8 Millionen DM für den Wahlkampf geben würde, wie es
geschehen ist. Denn die Politik, die Sie jetzt machen, haben die Leute nicht gewollt.
({5})
Was ich Ihnen wirklich übel nehme, ist, dass Sie bei einem anspringenden Arbeitsmarkt nicht einmal eine einzige Idee entwickelt haben, wie wir mehr ältere Arbeitnehmer auf dem ersten Arbeitsmarkt halten können. Wir
wissen alle, dass Sie der Entwicklung, die Alten „herauszubomben“, die in den Unternehmen, vor allem in den
Großunternehmen, bei den Großbanken, bei der Verschmelzung von RWE und VEW - in meiner Region erlebe ich mit, wie viel Geld in die Hand genommen wird,
um 50- oder 55-Jährige herauszunehmen - anläuft, nichts
entgegensetzen.
Wir haben im Deutschen Bundestag einen Antrag zur
Förderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer eingebracht, in dem wir klare Vorschläge machen. Von Ihnen ist
bis heute kein Vorschlag gekommen. Wir diskutieren mit
Ihnen in diesen Fragen wie mit einer alten Wand. Ich will
Ihnen auch sagen, warum Sie wie eine alte Wand sind:
weil sich noch vor einem Jahr zwei alte Männer in
Deutschland getroffen haben, um zum letzten Mal einen
Streit für alte Männer auszutragen, indem sie nämlich die
„Rente mit 60“ vereinbaren wollten. Diese Personen
hießen Riester und Zwickel. Sie haben das natürlich
unterstützt. Wer eine solche Politik macht, der muss sich
nicht wundern, dass niemand mehr in die Weiterbildung
von 55-Jährigen investiert.
Eines sage ich uns allen voraus: Wir werden die Probleme bei der Alterssicherung - egal mit welchem Konzept - nicht in den Griff bekommen, wenn wir glauben,
dass wir es uns bei einer steigenden Lebenserwartung erlauben können, mit unter 65 Jahren in Rente zu gehen.
Das ist einfach die Wahrheit, auch wenn sie bei vielen
Leuten nicht sehr beliebt ist.
Frau Schmidt, Sie haben gesagt, dass Sie für die heutige Rentnergeneration im Grunde wenig oder gar nichts
verändern möchten, weil dies die Kriegsgeneration bzw.
die Nachkriegsgeneration ist, die, wie ich immer sage,
sicherlich eine sehr schlechte Jugend gehabt hat. Auch ich
gönne dieser Generation eine etwas bessere Situation im
Alter von ganzem Herzen. Aber wenn man es so pathetisch darstellt, wie Sie es getan haben, dann muss man
auch sagen, dass es zur Wahrheit gehört, dass Sie bei der
Rentenreform planen, auch diese Renten um 4 Prozent
abzusenken, indem Sie die Leistungen für die private Vorsorge bei der Formel für die Berechnung von Rentenerhöhungen berücksichtigen wollen.
({6})
Ich sage Ihnen eines: Wenn wir über die Gerechtigkeit
innerhalb einer Generation reden - bei der Rentenform
werden wir sicherlich noch manches Gespräch führen -,
dann sollten wir einmal vorurteilsfrei prüfen, ob diejenigen, die aus einer Generation kommen, in der viele mit 14
oder 15 Jahren Beitragszahler in der Rentenversicherung
geworden sind, nach 45 Jahren Arbeit und mit einem Alter von 63 Jahren nicht etwas anders behandelt werden
müssen als diejenigen, die bis zu ihrem 30. Lebensjahr
studiert haben und erst dann ihren ersten Beitrag zur Rentenversicherung überwiesen haben.
({7})
Die Frage, ab wann jemandem eine abschlagsfreie Rente
zusteht, muss noch einmal unter dem Aspekt der Gerechtigkeit einer bestimmten Generation gegenüber diskutiert
werden. Ich glaube schon, dass die Leute, die mit 14, 15
oder 16 Jahren auf dem Bau zu arbeiten angefangen oder
in diesem Alter schon Schichtarbeit auf sich genommen
haben und dann auf eine lange Erwerbsbiografie zurückschauen können, aus Gerechtigkeitsgründen im Alter etwas anders bezüglich der Frage, wann sie in Ruhestand
gehen können, behandelt werden müssten, als es heute gehandhabt wird.
Wir hatten ja damals ins Rentenrecht eine Regelung für
die vor 1941 Geborenen eingeführt - das sind die Jahrgänge, die in den nächsten Jahren in Rente gehen oder
schon gegangen sind -, gemäß deren sie nach 45 Jahren
Erwerbstätigkeit oder mit 63 Jahren ohne Abschläge in
die Rente gehen können. Das war unsere Politik.
Ich möchte Sie ermuntern, noch einmal über die Frage
nachzudenken, ob man hier nicht eine andere Lösung finden kann.
Wir Sozialpolitiker müssen auch noch etwas anderes
erreichen, worüber gar nicht mehr geredet wird. Es ist
keine Kunst, die Lebensarbeitszeit bei den Älteren zu verlängern. Vielmehr ist in Deutschland eine nationale Anstrengung nötig, um die Ausbildungszeiten zu verkürzen, damit die Menschen wieder eher ins Berufsleben
eintreten.
({8})
Wenn wir dort ein Jahr gewinnen, macht das genauso gut
1,5 Prozent der Beiträge aus wie eine Verlängerung des
letzten Abschnitts des Erwerbslebens.
({9})
Es gibt viele Länder in Europa, die uns vormachen, dass
man sehr wohl mit kürzeren Ausbildungszeiten leben
kann.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Länder mit einer sehr
niedrigen Arbeitslosenquote, wie etwa die Schweiz, Norwegen, Schweden, Japan oder Amerika, haben zugleich
eine sehr hohe Beschäftigungsquote von Menschen über
55 Jahren. In den Ländern, in denen die Beschäftigungsquote von Menschen über 55 Jahren sehr niedrig liegt,
etwa bei uns, in Italien oder in anderen Ländern, gibt es
mit die höchsten Arbeitslosenquoten. Angesichts dieser
Tatsache sollten wir einfach einmal darüber reden, ob die
Formel, die ja manche von uns vertreten - die Alten in den
Vorruhestand, damit die Jungen Arbeit haben -, überhaupt funktioniert. Wenn ich mir die Tabellen anschaue,
kommen bei mir Zweifel daran hoch. Das kann ohnehin
keine Antwort auf die Frage bieten, wie die Finanzierung
des Sozialstaates in Zukunft sicherzustellen ist.
Ich möchte Ihnen einen weiteren Punkt vorstellen.
Auch die Rednerin der Grünen hat davon gesprochen. Sie
tragen ähnlich wie wir Katholiken bei der Fronleichnamsprozession das JUMP-Programm wie eine Monstranz
vor sich her. Ich weiß, dass es bei großen Programmen immer auch eine Zielungenauigkeit und immer wieder einmal ein Projekt gibt, wo man sich fragt, ob es richtig war,
was dort gemacht wurde. Darüber will ich heute gar nicht
reden. Es ist aber eine Frechheit, ab dem Haushalt 2001
dieses Programm, das ja auch dazu dient, dass die Leute
einen Hauptschulabschluss bekommen, nur noch aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit, also aus den Beiträgen
der Angestellten, Arbeiter und deren Arbeitgeber zu finanzieren, während kein Beamter, kein Bundestagsabgeordneter und kein Minister mehr für dieses Programm bezahlt. Damit ist jetzt eine versicherungsfremde Leistung
der Arbeitslosenversicherung aufgebürdet.
({10})
Ich hätte mir zumindest von den sozialdemokratischen
AfA-Leuten gewünscht, einmal eine Pressemitteilung zu
diesem Thema zu lesen. Fehlanzeige, denn die AfA ist
mittlerweile zum roten Teppich für das Bundeskanzleramt
geworden. Auch die Wahlen zum SPD-Fraktionsvorstand
am Montag legen diesen Schluss nahe.
Ich denke, dass es ein weiterer großer Fehler war, dass
Sie, ohne Widerstand zu leisten, dem Finanzminister
nachgegeben und zugelassen haben, dass die Rentenversicherungsbeiträge so weit abgesenkt werden, wie es
nun geschehen ist. Wer vorher fünf Jahre durchschnittlich
verdient hat und dann fünf Jahre Arbeitslosengeld bezogen hat, bekommt im Alter 100 DM weniger Rente. Wissen Sie, wen Sie damit treffen? - Damit treffen Sie ganz
besonders diejenigen, die vor zehn Jahren, als es durch die
Wende zu einem riesigen Strukturwandel auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt kam, 45, 50 oder 55 Jahre alt waren. Diese hatten es sehr schwer, weil die Strukturen, in
denen sie groß geworden waren, unter den Füßen weggebrochen sind, im ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wenn
ich durch die neuen Länder fahre, treffe ich unzählige dieser Schicksale an. Deren Rente kürzen Sie jetzt. Die werden unter Altersarmut leiden. Das Verursacherprinzip
zeigt deutlich, dass dafür Rot-Grün die Verantwortung
trägt.
({11})
Dass ein Sozialminister dazu schweigt und nicht versucht, den Finanzminister in die Schranken zu weisen, ist
schlimm. Dieses Land hätte einen Arbeitsminister mit einer stärkeren Statur verdient, als wir ihn zur Zeit haben.
Schönen Dank.
({12})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Adolf Ostertag,
SPD-Fraktion, das Wort.
Meine Damen und Herren!
Herr Laumann, ich möchte zu zwei Aspekten etwas sagen.
Sie haben erstens gesagt, wir hätten nichts zu tun gehabt,
deswegen seien sogar Ausschusssitzungen ausgefallen.
Ich glaube, in diesem Parlament und auch in der Öffentlichkeit ist unbestritten, dass der Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung einer der fleißigsten sein muss. Wir hatten
allein in dieser Legislaturperiode schon 51 Sitzungen
({0})
und wir hatten sechs Anhörungen. Warum wohl? Weil wir
nämlich sehr intensiv gearbeitet haben. Es ist eine Sitzung
ausgefallen; das war, übrigens auch mit Ihren Obleuten,
verabredet. Da haben wir einige Tagesordnungspunkte
zusammengelegt. Was Sie sagen, ist also wirklich nur billige Polemik und Irreführung über den Fleiß der Sozialpolitiker. Das muss ich zurückweisen.
({1})
Sie haben zweitens gesagt, wir hätten nichts zu tun,
weil wir keine Konzeption und keine Programme hätten.
Dazu möchte ich gerne etwas sagen. Wir haben natürlich
zu Beginn dieser Legislaturperiode viel Müll wegräumen
müssen, den Sie hinterlassen haben.
({2})
Das muss man ganz eindeutig sagen. Das waren die ganzen Korrekturgesetze. Ich will sie jetzt nicht aufzählen,
weil die Zeit einer Kurzintervention dafür nicht ausreicht.
({3})
Diesen Müll mussten wir erst wegräumen.
Außerdem haben wir in dieser Legislaturperiode vier
große Vorhaben. Ich lade die CDU-Politiker gern ein, mit
uns zu Veranstaltungen des DGB oder anderen Veranstaltungen zu gehen und eine Diskussion darüber zu führen,
was wir alles machen werden. Wir haben mit den Gewerkschaften schwierige Diskussionen über die Rente.
Das ist unbestritten; das kann man nachlesen. Aber diese
Diskussion können wir, glaube ich, gut bestehen, wenn
wir in der übernächsten Woche einen Gesetzentwurf auf
dem Tisch liegen haben. Sie werden das nachvollziehen
können. Wir werden manche Podiumsdiskussion gemeinsam führen, bei der wir wirklich gute Gründe für diese
weit reichende Reform vorbringen können. Das ist einer
der großen Komplexe.
Wir können auch glänzend bestehen, wenn wir in den
nächsten Monaten über die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes diskutieren. Die Regierung kann
dann auf 16 Jahre Stillstand verweisen. Dieser Stillstand
wird jetzt mit diesem wirklich wichtigen, zentralen Gesetz für die Interessenvertretungen in den Betrieben aufgelöst.
Wir haben - der Minister hat es schon gesagt - einen
weiteren großen Komplex vor uns, bei dem wir schon etwas getan haben und weiterhin etwas tun werden. Wir
werden das Sozialgesetzbuch IX im Hinblick auf die gesamte Behindertenpolitik novellieren. Auch in diesem
Punkt war Stillstand. Wir haben die Beschäftigung von
Behinderten mit einem Programm vorangebracht und nun
wird eine grundlegende Novellierung des SGB IX erfolgen.
Wir werden auch für die Arbeitsförderung etwas tun.
Mit Vorschaltgesetzen haben wir schon etwas dafür getan.
Jetzt wird es eine Novellierung des Arbeitsförderungsrechts geben. Da haben Sie in Ihren 16 Jahren doch nur
herumgewurstelt.
({4})
Die Arbeitsämter kamen doch mit der Umsetzung der Regelungen, die Sie geschaffen haben, gar nicht nach. Wir
werden das Ganze grundsätzlicher angehen.
Sie sollten vielleicht, Herr Laumann - dies als
Letztes -, nicht nur die schwarzen Blätter der CDU/CSU
lesen, sondern auch einmal in die roten Programmpunkte
der SPD schauen.
({5})
Herr Kollege
Laumann, möchten Sie erwidern? - Wenn das nicht der
Fall ist, hat jetzt die Kollegin Renate Jäger für die SPDFraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt für Arbeit und Sozialordnung ist wie kein anderer geeignet, immer wieder
auch die Frage der Gerechtigkeit neu zu beleuchten und
an verschiedenen Punkten aufzuwerfen. Wenn aber Politik unter anderem die Funktion hat, Benachteiligungen
und Chancenungleichheiten zu beseitigen, die durch
Wettbewerb und Marktwirtschaft entstehen, dann heißt
das in allererster Konsequenz, den Staat handlungsfähig
zu erhalten und so zu stärken, dass er diese Ausgleiche
schaffen kann.
({0})
Weil eine politische Entscheidung für oder gegen bestimmte Maßnahmen immer ein Abwägungsprozess ist,
ein Für und Wider zwischen einer Menge unterschiedlicher Faktoren und Wirkungen, darf die Verantwortung für
die Gesamtentwicklung in unserem Land bei noch so notwendiger Detaildiskussion niemals außer Acht gelassen
werden.
Deshalb ist es Frevel, wenn bei allen kritischen Anmerkungen größere Rahmen und Zusammenhänge nicht
beachtet oder Ursache und Wirkung verkannt werden.
Werden dann auch noch Fakten vorsätzlich in falsche Zusammenhänge gestellt oder gar weggelassen, dann haben
wir es bereits mit Demagogie zu tun.
({1})
Leider haben wir heute entsprechende Äußerungen von
Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Union,
mehrfach gehört, weil offensichtlich sachkundige und
gute Argumente ausgegangen sind.
({2})
Übrigens tut das die CDU/CSU auch mit ihrer Unterstützung der Kampagne gegen die Ökosteuer. Dies ist
ein Szenario der Sinnlosigkeit und Verantwortungslosigkeit ersten Ranges. Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der rechten Seite, deshalb auf: Prüfen Sie
wirklich Ihr Gewissen! Wollen Sie diese demagogische
Kampagne mit dem Verschweigen der wirklichen
Folgen - ich nenne sie noch einmal: Gewinne für die Ölmultis, Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge, Erhöhung der Lohnnebenkosten, keine dauerhafte Preissenkung für die Verbraucher - tatsächlich mittragen?
Von einem bin ich überzeugt: Selbst wenn ein Bürger
kurzfristig auf diese Demagogie hereinfällt, wird er sie
doch irgendwann durchschauen. Diese Kampagne trägt
dazu bei, Politikverdrossenheit zu schaffen, weil unverantwortlich mit der Aufgabe eines Abgeordneten umgegangen wird. Verantwortungsvolle Politik bietet nicht Lösungen an, die ein Problem kurzfristig aus dem Blickfeld
schaffen, um dann in einer Sackgasse ohne Ausweg zu enden. Verantwortungsvolle Politik bietet Lösungen an, die
gleichzeitig Vorsorge für die Zukunft bringen.
Haushaltskonsolidierung bedeutet die Herstellung
von Gerechtigkeit gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern.
({3})
Haushaltskonsolidierung erbringt finanzielle Mittel für
soziale Leistungen, für die Schaffung von bezahlbarer Arbeit und trägt zu einem solidarischen Zusammenleben in
unserer Gesellschaft bei. Deshalb ist Haushaltskonsolidierung für mich als Sozialpolitikerin neben allen anderen
Maßnahmen das größte sozialpolitische Vorhaben dieser
Regierung.
({4})
Stellen wir uns doch einmal vor, wie die Lage ist, wenn
wir erstmals im Jahr 2006 einen Haushalt ohne Schulden haben. Was wäre allein durch die Zinseinsparungen
in Milliardenhöhe möglich? Was könnten wir für Familien und Kinder, für Jugendarbeit, für Benachteiligte und
Schwache sowie für den sozialen Ausgleich ausgeben,
ganz abgesehen von Investitionen für neue Arbeitsplätze,
Strukturentwicklung und Naturschutz sowie für Forschung und Innovation mit allen positiven Folgewirkungen? Fast könnte man ins Träumen kommen, wenn nach
den Zwängen einiger konsequent härterer Jahre wieder
ein Boden für Zukunftsvisionen entstünde, die allen Parteien mehr oder weniger abhanden gekommen sind. Dieser heute von uns zu diskutierende Haushalt, den wir Sozialpolitiker mitzuverantworten haben, trägt einen
würdigen Anteil dazu bei.
Unsere Politik, die wir mit diesem Haushalt vorlegen,
ist geprägt von der Verantwortung für die Zukunft. Nicht
nur die Tendenz zur höheren Neuverschuldung haben
wir aufgehalten und umgekehrt, auch die Tendenz der
Verteilung der Mittel von unten nach oben ist gestoppt
worden.
({5})
Ich erinnere an die Senkung des Eingangsteuersatzes.
Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an Ihren
Kampf um die Senkung des Spitzensteuersatzes, der eine
Verteilung in die andere Richtung, nämlich von oben nach
unten, bewirkt hätte.
({6})
Ich erinnere an die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge, an die Erhöhung des Kindergeldes - das ist
schon mehrfach zur Sprache gekommen - und an die weitere Aufstockung im Jahre 2002. Ich erinnere an Verbesserungen beim Erziehungsgeld und beim Wohngeld.
({7})
Wir haben auch solide Rahmenbedingungen für die
Entstehung neuer Arbeitsplätze geschaffen. Nicht die
von der alten Regierung verlängerten Ladenöffnungszeiten haben das von ihr versprochene Mehr an Arbeitsplätzen gebracht, auch nicht die Einschränkungen beim Kündigungsschutz. In unserer bisher kurzen Regierungszeit
ist durch richtige politische Schwerpunktsetzung die Erwerbsquote gestiegen. Da zählt Ihr Argument, Herr
Fuchtel, nicht mehr, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit auf bundesweit 9,3 Prozent - übrigens der niedrigste
Stand seit fünf Jahren - ausschließlich auf demographische Gründe zurückzuführen sei.
({8})
Hier sind tatsächlich neue Arbeitsplätze entstanden. Alle
Prognosen sagen aus, dass sich diese positive Entwicklung fortsetzen wird. Dass schließlich im Haushalt 2001
der Bundeszuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit nicht
mehr nötig ist - das bekritteln Sie ja reichlich -, ist eine
Folge erfolgreicher Politik und nichts anderes.
({9})
Mehrfach ist in den letzten Tagen im Rahmen der
Haushaltsdebatte von einer noch nicht zufrieden stellenden Situation auf dem Arbeitsmarkt Ost gesprochen
worden. Es ist wahr: Man erschrickt fast, wenn man die
Arbeitslosenquote der westdeutschen Länder - sie beträgt
7,5 Prozent - und die der neuen Länder - sie beträgt
17 Prozent - gegenüberstellt.
({10})
Lassen Sie uns die Situation einmal genauer ansehen:
Der Umstrukturierungsprozess in Wirtschaft und Verwaltung ist immer noch nicht abgeschlossen. Da die alte Regierung diesen Prozess innerhalb von acht Jahren nicht
bewältigte, müssen wir ihn weiterführen. Das heißt, insbesondere im öffentlichen Dienst sowie im Baubereich
müssen weitere Anpassungen vorgenommen werden.
Trotzdem gibt es bereits in diesem Jahr in einigen
Branchen des gewerblichen Bereiches Erfolgsquoten. Es
gibt Bereiche, in denen die Talsohle durchschritten worden ist und die gute Wachstumsraten verzeichnen. Das
Statistische Bundesamt ermittelte für die neuen Länder
und für Ostberlin im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs an Beschäftigung in Höhe von 3,1 Prozent und einen Umsatzzuwachs von 5,5 Prozent - was noch nicht
ausreicht. Seit Juni 1999 sank die Arbeitslosenzahl erstmals wieder leicht unter das Augustniveau des Vorjahres.
({11})
Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit liegt
nur noch gering über der in den alten Ländern. Angesichts
des Erbes, das wir vor zwei Jahren von der alten Regierung übernommen haben, ist nunmehr ein leichter, zarter
Beginn eines Wandels, einer positiven Entwicklung spürbar.
({12})
Lassen Sie mich noch etwas zur Ausbildungs- und Beschäftigungssituation junger Menschen sagen. Nachdem
die CDU/CSU unser Programm zur Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit in der Vergangenheit hart kritisiert
hat, ist es stiller geworden. Offensichtlich hat sie die
Tatsache zur Kenntnis genommen, dass dadurch die
Jugendarbeitslosigkeit deutlich gesenkt werden konnte leider aber auch hier nicht mit größerer Wirkung in den
neuen Ländern. Doch ohne dieses Programm sähe es
in den neuen Ländern noch ungünstiger aus.
Lassen Sie mich das an einem Zahlenvergleich deutlich machen: In Sachsen gab es im September 1999
im Baugewerbe über 31 900Arbeitsuchende. Im August 2000
war diese Zahl auf fast 40 300 angestiegen. Darunter
befindet sich ein großer Anteil an jungen Menschen.
Dieser massive Arbeitsplatzrückgang - dort regiert die
CDU - konnte auch durch das Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit nicht aufgefangen werden; es hat
aber die Situation entschärft. Diese Tendenz besteht leider
in allen ostdeutschen Ländern. Wir werden das JUMPProgramm im Jahre 2001 weiterführen, und zwar mit einem noch höheren Anteil für die ostdeutschen Länder.
({13})
Auch hinsichtlich der Ausbildungsplätze sind im
Osten Deutschlands weitere Anstrengungen nötig. Die
schwächere Wirtschaftsstruktur mit einem geringen Industrieanteil, die wir als Erbe einer verfehlten Treuhand- und
Umstrukturierungspolitik von der alten Regierung übernommen haben, muss zunächst gestärkt werden. Doch mit
unseren verbesserten Rahmenbedingungen für die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung werden wir auch
diese Fehlentwicklung in die richtigen Bahnen lenken.
Die gesünderen Staatsfinanzen eröffnen weitere finanzielle Spielräume für die Förderung der neuen Länder, auch
unter den Schwerpunkten Ausbildung und Arbeit für
junge Menschen.
Ich hoffe auf Ihre konstruktive Mitarbeit und auf Ihre
konstruktiven Beiträge bei der Diskussion über den
Haushalt und über eine zukunftsträchtige Politik in unserem Land überhaupt.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({14})
Der letzte Redner in
dieser Debatte zum Einzelplan 11 ist der Kollege
Wolfgang Meckelburg für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte
dem Arbeitsminister gern das Angebot gemacht, ihm
meine zehn Minuten Redezeit zur Verfügung zu stellen
({0})
- klatschen Sie nicht zu früh -, wenn damit zu rechnen
gewesen wäre, dass er in diesen zehn Minuten noch etwas
Konkretes zu dem, was an Plänen vorliegt, sagen würde.
Bisher war alles staatstragend und nichtssagend, aber wir
haben nichts Konkretes gehört. Es war der Knappschaftsminister; es war alles sehr knapp geraten, Herr Riester.
({1})
Ich will die Diskussion zwischen den Kollegen
Laumann und Ostertag aufgreifen. Wenn ich als Obmann
im Ausschuss Bilanz ziehe, muss ich sagen: Das, was wir
in der ersten Halbzeit von Rot-Grün in der Sozialpolitik
im Ausschuss erlebt haben, war Hektik, Durcheinander
und Verunsicherung. Anschließend gab es eine Phase von
gesetzgeberischem Stillstand. Das ist die Realität. Sie haben nichts mehr auf den Tisch gelegt.
Sie haben die Korrekturgesetze im Dezember im Hauruckverfahren durchgezogen. Der größte Fehler dabei war
die Rücknahme des Blüm’schen Demographiefaktors.
Ansonsten haben Sie Schwierigkeiten verursacht: Durcheinander bei den 630-Mark-Jobs und Durcheinander bei
der Scheinselbstständigkeit. Ihre Korrektur bei der Scheinselbstständigkeit haben Sie inzwischen selbst wieder korrigiert.
Wir lassen uns nicht davon täuschen, meine Damen
und Herren von der SPD, dass Sie sagen, das sei die Förderung der Selbstständigkeit. So einfach geht das nicht.
Man kann nicht einfach ein neues Etikett darauf kleben.
Das, was Sie geschaffen haben, bleibt einfach ein Durcheinander.
({2})
Bei der Rente haben Sie geradezu einen Stufenplan der
Verunsicherung in den letzten beiden Jahren entwickelt.
Ich ziehe das Korrekturgesetz heran, mit dem Sie den Demographiefaktor von Norbert Blüm entfernt haben. In der
Gesetzesbegründung steht: Mit diesem Aussetzen soll
Zeit gewonnen werden. Ich habe bisher nicht den Eindruck, dass Sie Zeit gewonnen und genutzt hätten. Stattdessen haben Sie ein Rentendurcheinander produziert.
Das Aussetzen der Blüm’schen Reform war der Anfang. Die Abkehr von der nettolohnbezogenen Rente war
der nächste Schritt. Dann sagten Sie, es wird einen Inflationsausgleich geben. Kaum war das ausgesprochen, erfuhr man, es ist gar kein Inflationsausgleich, weil die Inflation, die in diesem Jahr bei etwa 1,8 Prozent liegen
wird, mit 0,6 Prozent ausgeglichen wird.
({3})
- Sparen Sie sich die Zwischenfrage, Herr Dreßen. Ich
sage Ihnen knallhart: Wir haben früher niemals den Inflationsausgleich gehabt, deswegen können Sie nicht behaupten, das wäre früher immer so gewesen.
({4})
Sie haben den Inflationsausgleich eingeführt und die
Rentnerinnen und Rentner dadurch betrogen, ({5})
Dass Sie ihnen für 1,8 Prozent Inflationsrate 0,6 Prozent
Rentenanpassung in diesem Jahr geben. Das ist die Wahrheit.
({6})
Dann haben Sie den Rentnern gesagt, dass Sie irgendwann zur nettolohnbezogenen Rente zurückkehren werden. Kaum war das ausgesprochen, hörte man, dann
müsse man die Formel wieder neu berechnen. Das heißt
doch wahrscheinlich, man muss sie nach unten korrigieren. Während das alles passierte, haben Sie die Rente mit
60 durchs Dorf getrieben. Es waren doch nicht wir, die
diese Verunsicherungen verursacht haben.
Ihr Stufenplan der Verunsicherung ist ein Leidensweg
für die Rente. Der Riester-Renten-Schlager heißt: tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert. Bisher jedenfalls gilt diese Bilanz, Herr Arbeitsminister.
Lassen Sie mich ({7})
zum Thema Reformstau, das heute Morgen eine Rolle
gespielt hat, etwas sagen. Ich finde es ziemlich dreist,
wenn selbst der Bundeskanzler, weil er etwas vor der
Sommerpause abfeiern will, sagt, der Reformstau sei nun
aufgelöst.
({8})
Das glauben Sie doch wohl selber nicht. Bei der Rente haben Sie einen wahnsinnigen Reformstau produziert, indem Sie die Blüm’sche Reform ausgesetzt haben und jetzt
an anderen Reformen herumbasteln.
Ich habe als Obmann ständig gefragt: Was wollt
ihr wirklich? In dem Moment, in dem wir gesagt haben,
dass wir zu einem Konsens bereit sind, habt ihr euch
zurückgezogen und gesagt: Wir reden erst einmal miteinander. Was die SPD, was Rot-Grün wirklich will, ist uns
bisher nicht auf den Tisch gelegt worden.
({9})
Sie haben das benutzt, um sich dahinter zu verstecken.
Sie haben auch den Reformstau bei der Steuerreform
- um das auch einmal zu sagen - produziert. Diesen hätten wir 1997/1998 längst auflösen können.
({10})
Dazu kommen die Reformnotwendigkeiten, die Sie selbst
produziert haben. Bei den 630-Mark-Jobs und bei der
Scheinselbstständigkeit, wo Sie die Reform selbst wieder
zurückgenommen haben. Hier frage ich mich wirklich,
wie Sie die Dreistigkeit besitzen können, hier als Bilanz
festzuhalten, dass Sie den Reformstau beseitigt hätten.
Das Gegenteil ist der Fall!
({11})
Lassen Sie mich noch etwas zu den Arbeitsplätzen sagen, denn dies ist die Herausforderung, die der Bundeskanzler schwerpunktmäßig in Angriff nehmen möchte.
({12})
Dazu will ich Ihnen erst einmal sagen, dass es zurzeit allein durch den demographischen Faktor Veränderungen
bei den Arbeitslosenzahlen nach unten gibt. Jedermann
weiß das. Diese Zahlen hören Sie von Wirtschaftsverbänden und von der Bundesanstalt für Arbeit. Dadurch, dass
immer mehr ältere Menschen aus dem Arbeitsleben
ausscheiden und immer weniger junge Menschen nachrücken, haben wir Jahr für Jahr etwa 200 000 Arbeitslose
weniger.
Nun kommt der Herr Bundeskanzler persönlich - gestern noch einmal hier - und sagt: Wir werden es schaffen,
die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahre 2002 auf unter 3,5 Millionen zu senken.
({13})
Dazu sage ich Ihnen: Das ist nicht Programm, das ist kein
mutiges Ziel oder sogar Superergebnis. Nein, das, was
Schröder da sagt, ist nichts anderes als die plumpe Beschreibung dessen, ({14})
- was ohnehin aufgrund der Bevölkerungsentwicklung
passieren wird. Dabei ist es ganz egal, ob der Bundeskanzler Schröder, Meier oder Schulze heißt.
({15})
Dieser Rückgang hat allein demographische Gründe.
({16})
Wenn Sie wirklich daran gemessen werden wollen, wie
Sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen, müssen Sie weit unter den 3,5 Millionen landen. Das ist jedenfalls unsere
Vorstellung.
({17})
Entscheidend ist aber nicht nur, in welcher Größenordnung die Zahl der Arbeitslosen sinkt, sondern entscheidend ist auch, wie Arbeitskräfte in Arbeit kommen, wie
sich der Arbeitsmarkt wirklich entwickelt. Wenn Sie die
letzten drei Jahre nehmen, stellen Sie fest, dass das Jahr
1998 eines gewesen ist, in dem wir etwa 340 000 bis
350 000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben.
({18})
Im letzten Jahr gab es hier eine Stagnation.
Ich bleibe dabei, dass die Arbeitsplatzsteigerung in diesem Jahr im Wesentlichen darauf beruht, dass Sie jetzt
nach dem neuen Verfahren die 630-Mark-Jobs mitzählen.
({19})
Das heißt, es sind eigentlich mehr, als wir alle miteinander gedacht haben. Sie werden einfach mitgezählt und
dies ist dann das Ergebnis. Parallel dazu sind natürlich das darf man nicht verschweigen - viele Arbeitsplätze dadurch verloren gegangen, dass Sie diesen Murks mit der
630-Mark-Regelung eingeführt haben. Auch dies ist die
Wahrheit.
Der Arbeitsminister hat uns heute Morgen gesagt, dass
es in diesem Jahr 750 000 neue Arbeitsplätze gibt, wobei
die 630-Mark-Jobs - so eben in der Debatte - nicht eingerechnet sind. Ich würde ihn gern bitten, uns, wenn er
dies zeitlich noch schafft - ich weiß, dass er einen Anschlusstermin hat -, zu erklären, welche Auswirkungen
dies in seinem Finanzplan auf den Bundeszuschuss, die
Entwicklung bei der Arbeitslosenversicherung oder was
auch immer hat.
({20})
Dies würden wir gerne hören, weil sich dann für unsere
Haushälter in den Beratungen eine völlig neue Situation
ergibt. Wenn Sie das noch schaffen würden, wäre das sehr
schön.
({21})
Ich möchte noch daran erinnern - das sind zum Teil
Tricksereien -, dass die Änderung der Bezugsbasis für die
Arbeitslosenquotenberechnung - ab April werden die
630-Mark-Jobs mit eingerechnet - 0,4 Prozent ausmacht.
Ich will ein Letztes sagen. Für einen Kanzler, der Ostdeutschland, den Aufbau Ost zur Chefsache machen will,
ist es eigentlich ein schlechtes Ergebnis, wenn wir heute
nach wie vor feststellen müssen, dass es eben nicht gelungen ist, dies zur Chefsache zu machen. Das belegt die
ständig steigende Arbeitslosigkeit im Osten. 1999 stieg
die Arbeitslosigkeit um 37 000 auf 1,467 Millionen zum
Jahresanfang 2000. Im Juli betrug die Arbeitslosenquote
im Osten 17 Prozent gegenüber 7,5 Prozent im Westen,
also mittlerweile knapp das Zweieinhalbfache. Dass da
offensichtlich Nachholbedarf ist, hat der Kanzler vielleicht selber verspürt. Aber dadurch, dass man in die
neuen Länder fährt und sich in den neuen Ländern die
möglicherweise blühenden Stellen anschaut, erreicht man
nichts. Von dem Thema „Chefsache Aufbau Ost“ ist Ihre
Koalition noch weit entfernt.
Wenn ich als Obmann heute eine Schlussbilanz für die
erste Halbzeit ziehe, so bleibt festzuhalten, Herr Ostertag:
Hektik, Durcheinander, Verunsicherung bei den Rentnern. Sie treffen Ihre bisherigen Stammwähler und
Wähler der Neuen Mitte sicherlich alle an den Zapfsäulen.
({22})
Gehen Sie da mal hin und hören Sie sich an, was die über
Ihre Politik sagen. Wenn sich da in den nächsten zwei Jahren nichts wesentlich bessert, bin ich ganz optimistisch.
Was die Leute nämlich von Politik erwarten, sind Strukturveränderungen, mutige Schritte nach vorne, die Sie
nicht machen, und nicht nur vordergründiges Theater und
einen glänzenden Medienkanzler.
({23})
Das ist zu wenig. Das hat Deutschland nicht verdient.
({24})
Weitere Meldungen
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09.
Zur Vorstellung des Einzelplans 09 erteile ich jetzt dem
Herrn Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Dr. Werner Müller, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! In Deutschland haben sich in den letzten beiden
Jahren alle Wirtschaftsdaten entscheidend verbessert. Die
Wirtschaft wächst mit 3, vielleicht sogar mit über 3 Prozent. Die Unternehmen investieren wieder. Die Arbeitslosigkeit sinkt spürbar, und zwar nicht nur demographisch
bedingt, denn die Erwerbstätigkeit nimmt zu, vor allem
im Dienstleistungsbereich. Aber keineswegs nur da, sondern auch im produzierenden Gewerbe, wie etwa dem
Maschinen- und Anlagenbau, aber auch in der Elektroindustrie. Deutschland ist wieder zu einem Land der Innovationen, der zukunftsweisenden Technologien, des
strukturellen Wandels geworden.
({0})
Für diese positive Entwicklung gibt es verschiedene
Gründe, zum Beispiel die gute weltwirtschaftliche Entwicklung, die den Exportboom der deutschen Wirtschaft
ermöglich hat, und die Tarifpolitik, die von Wirtschaft und
Gewerkschaften mit Augenmaß betrieben wurde.
Einen gehörigen Anteil am Erfolg hat zweifelsohne
auch die Politik dieser Bundesregierung.
({1})
Sie hat den Reformstau der letzten Jahre aufgelöst und mit
ihrer Politik der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft
die Weichen in Richtung Zukunft gestellt. Wenn eben gesagt worden ist, der Reformstau sei noch nicht richtig aufgelöst, bin ich dankbar dafür, dass Sie wenigstens zur
Kenntnis genommen haben, dass ein enormer Reformstau
bestanden hat.
({2})
Kernelemente unserer Politik sind die Ordnung und die
Konsolidierung der Staatsfinanzen, die Rückführung der
Steuerabgaben und der Staatsquote zugunsten von mehr
Freiraum für private Initiative, ({3})
- der Abbau der Belastungen von Arbeit und Kapital, die
Stärkung der IuK-Technologien und ihre breite Durchsetzung, die Strukturreform in vielen Bereichen ({4})
- sowie die Fortführung der Politik der Marktöffnung,
zum Beispiel im Bahnnetz, bei den Energiemärkten oder
der Telekommunikation, was teilweise zu deutlichen
Kostenentlastungen der Gesellschaft geführt hat. Diese
konsequente Politik trägt nun Früchte.
({5})
Deutschland hat sich in Europa zum führenden Markt
für Wagniskapital entwickelt. Die Gründerlandschaft in
Deutschland blüht wieder deutlich auf. Die am Neuen
Markt etablierten Unternehmen beschäftigen inzwischen
120 000 Menschen mit überwiegend sehr hochwertigen
Arbeitsplätzen. Nach Einschätzung von Roland Berger ist
am Neuen Markt allein im Verlauf dieses Jahres ein Zuwachs der Beschäftigung von etwa 80 000 möglich.
Auf wichtigen Feldern neuer Technologien hat
Deutschland kräftig aufgeholt; ich nenne beispielhaft die
Biotechnologie. Um die Chancen optimal auszuschöpfen,
die die neuen Technologien bieten, schaffen wir innovationsfreudige Rahmenbedingungen, zum Beispiel
durch die Unternehmensteuerreform und durch unseren
Einsatz auf EU-Ebene für geeignete Genehmigungsvorschriften betreffend diese neuen Technologien.
Mit der Förderung von Unternehmensgründungen im
Bereich der Hochtechnologie und von Forschungskooperationen hat auch das Wirtschaftsministerium erheblich
dazu beigetragen, dass Deutschland gemessen an der Zahl
der Biotech-Unternehmen inzwischen in Europa führend
ist. Wir kommen generell technologisch dynamisch
voran, wie wir es nun anhand des steilen Anstiegs der Zahl
der Anmeldungen von Patenten und Marken beobachten
können. Das spricht für die Wiederbelebung der Innovationskraft.
Umso trauriger war übrigens der Zustand des Patentamtes, den wir beim Regierungswechsel vor zwei Jahren
vorgefunden haben.
({6})
Gerade dieses Amt muss doch auf modernstem Stand sein,
um mit effizienter Verwaltung der innovatorischen Wirtschaft zügig zu Dienst stehen zu können. Seit Anfang der
90er-Jahre aber ist die Zahl der Prüfer Jahr für Jahr
zurückgeschnitten worden. Den Einsatz elektronischer
Medien kannten die Prüfer nur, wenn sie entsprechende
Patente durchzusehen hatten.
({7})
Ich habe damals mit Frau Däubler-Gmelin darüber gesprochen und ich bin der Justizministerin sehr dankbar,
dass sie sich sofort nach Amtsantritt um das Patentamt
gekümmert und dort eine Trendwende eingeleitet hat: bei
den Patent- und Markenprüfern ebenso wie bei der EDVAusstattung und bei der Verbesserung der Arbeitsorganisation.
({8})
Die Modernisierung des Patentamtes - um Ihnen nur einen kleinen, aber überaus wichtigen Bereich von Reformstau zu verdeutlichen - muss im Interesse der Investitionskraft unserer Wirtschaft konsequent weitergeführt
werden.
({9})
Die Informations- und Kommunikationstechnologien
erobern alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft in
rasendem Tempo. Unser Ziel ist, Deutschland bei der Nutzung dieser Techniken ganz nach vorne zu bringen; denn
die IuK-Technologien, einschließlich des E-Commerce,
sind Keimzellen unseres Wirtschaftswachstums. Bereits
in fünf Jahren will die Branche zum größten deutschen
Wirtschaftszweig werden, dann größer als die Automobilindustrie. Bis zum Jahr 2010 können wir bis zu 750 000
zusätzliche Arbeitsplätze im IuK-Sektor gewinnen. Wir
sind fest entschlossen, diese Chancen für Deutschland zu
nutzen.
({10})
Dies tun wir zum Beispiel durch Initiativen wie den
Gründerwettbewerb Multimedia sowie die Umsetzung
des Signaturgesetzes und der EG-Richtlinie für den elektronischen Geschäftsverkehr.
Einer sozialen Spaltung unserer Gesellschaft durch unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu den neuen digitalen Medien treten wir entschieden entgegen.
({11})
Auch das ist ein Aspekt der Schaffung von Chancengleichheit in unserer Gesellschaft.
Das Wirtschaftsministerium fördert im Rahmen seiner
Zuständigkeiten die marktwirtschaftliche Erneuerung allenthalben sehr konkret. Das lässt sich auch auf Heller und
Pfennig am vorgelegten Haushalt des BMWi belegen.
Zum einen leisten wir einen beträchtlichen Beitrag zur
Konsolidierung der Staatsfinanzen und zum anderen leiten wir mehr Mittel in Zukunftsinvestitionen. Die Konsolidierung schafft auch Freiraum im BMWi-Haushalt, Freiraum, der es ermöglicht, Zukunftsbereiche zu stärken, um
die notwendigen Akzente für die Modernisierung der
Wirtschaft zu setzen und Akzeptanz dafür zu bekommen.
Im Einzelnen: Die Mittel für Forschung und Innovation werden um rund 4,5 Prozent auf knapp 900 Millionen DM aufgestockt. Mit Förderprogrammen zur Forschungskooperation, wie zum Beispiel der Maßnahme
PRO INNO, unterstützen wir den Austausch von Wissen
und Personal zwischen Unternehmen sowie öffentlichen
Forschungseinrichtungen. In den neuen Ländern geben
wir technologieorientierten Unternehmensgründungen
mit dem Programm FUTOUR 2000 zusätzliche Impulse.
Wir fördern Multimedia und IuK-Anwendungen im Mittelstand.
Wir unterstützen die Mobilisierung von Beteiligungskapital für innovative Unternehmen. Im vergangenen Jahr
konnten wir immerhin 1,6 Milliarden DM Beteiligungskapital für junge Technologieunternehmen mobilisieren.
Das waren 100 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das heißt,
die jungen Unternehmen können auf uns vertrauen und
auf uns bauen.
({12})
Im neuen „Aktionsprogramm Mittelstand“ meines
Hauses sind die Initiativen der Bundesregierung für den
Mittelstand zusammengefasst. Das Aktionsprogramm
wird von den Wirtschaftsverbänden in seinen Grundlinien
und Grundanliegen voll unterstützt. Zentrale Themen
sind unter anderem die Modernisierung der Aus- und
Weiterbildung, die Förderung der Innovationskraft und
der internationalen Ausrichtung auch des Mittelstandes.
Hier besteht gerade auch für den Mittelstand ein großes
Chancenpotenzial.
Wir fördern 24 Kompetenzzentren - einige unter der
Regie des Handwerks - die den elektronischen Geschäftsverkehr in Handwerk und Mittelstand gängig machen sollen. Wir fördern auch die technische Ausstattung
von Berufsbildungsstätten des Handwerks.
Die bewährten Förderprogramme für Existenzgründer
und mittelständische Unternehmen werden auf hohem Niveau fortgesetzt. Die Deutsche Ausgleichsbank wird zur
Gründungs- und Mittelstandsbank des Bundes ausgebaut.
Nicht zuletzt mit der Steuerreform wird der Mittelstand
netto um insgesamt 30 Milliarden DM entlastet.
({13})
Für den Aufbau Ost steht im Rahmen der Regionalförderung für neue Projekte ein Fördervolumen von rund
3,5 Milliarden DM zur Verfügung. Die Gemeinschaftsaufgabe wird auch weiterhin ein verlässlicher Eckpfeiler
der Wirtschaftsförderung, insbesondere in den neuen
Ländern bleiben.
In der Energiepolitik haben wir Kurs in Richtung einer nachhaltigen Energieversorgung aufgenommen. Hierfür steht die Vereinbarung über die sehr allmähliche Beendigung der Kernenergienutzung. Hierfür steht ein
ganzes Bündel von Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz. Hierfür steht die Förderung der erneuerbaren
Energien. Die Nachfrage beim Marktanreizprogramm bei
regenerativen Energien und beim 100 000-Dächer-Solarstromprogramm zeigt, dass die Bevölkerung längst zukunftsorientiert denkt und handelt.
({14})
Für mehr Nachhaltigkeit steht auch die Ökosteuer.
Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist eine
neuerliche Variante Ihres politischen Postkartenpopulismus, wenn Sie Bürgerinnen und Bürgern einzureden
versuchen, die Ökosteuer sei an den aktuellen Benzinpreisen schuld.
({15})
Keine Frage, dass die Benzin- und Heizölpreise so
hoch sind, dass sich alle ärgern, dass viele Familien unter
dieser Belastung leiden und einzelne Zweige der Wirtschaft, namentlich das Transportgewerbe, ernste Schwierigkeiten bekommen haben. Darüber muss man sachlich
reden und nicht etwa unter dem Vorzeichen, der Bundeskanzler sei der Benzinpreistreiber der Nation.
({16})
Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Das ist
das, was einen Quereinsteiger in der Politik mitunter stört,
nämlich die unsägliche Primitivität.
({17})
Auslöser ist die Verdopplung der Rohölpreise in den
vergangenen Monaten bzw. die Verdreifachung der Rohölpreise seit Frühjahr 1999. Wenn jemand die Autofahrer
„gemolken“ hat - um einmal Ihre Sprache zu verwenden dann waren Sie es; denn in den 16 Jahren Ihrer Regierung
wurde die Mineralölsteuer auf Benzin sage und schreibe
verdoppelt. Oder in absoluten Zahlen: Seit Amtsantritt der
Regierungen Kohl ist die abkassierte Mineralölsteuer von
20 Milliarden DM im Jahre 1982 auf über 80 Milliarden DM im Jahre 1998 erhöht worden.
({18})
Die hohe Importabhängigkeit Deutschlands bei Energie spricht dafür, dass es durchaus Sinn macht, auch einen
gewissen Kernbestand an nationaler Energie zu erhalten.
({19})
Auch deshalb setzen wir uns in Brüssel mit Nachdruck für
eine neue Beihilferegelung für die Zeit nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrages ein und wollen darin die Förderung regenerativer Energien einbinden; denn auch das ist
eine nationale Energie, die wir fördern.
({20})
Noch eines: Ich finde es höchst befremdlich, dass mich
die heutige Opposition nun schon des Öfteren zum offenen Bruch der von Ihnen selbst geschlossenen Verträge
mit dem Bergbau auffordert.
({21})
Meine Damen und Herren, Konsolidierung und Modernisierung müssen sich nicht ausschließen. Hierfür
steht der Haushaltsentwurf des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie. Ich werde diesen Kurs konsequent fortsetzen. Wichtige Themen sind: das Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“, das schon
teilweise umgesetzt ist und weiter planmäßig umgesetzt
wird. Die Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie ist für
2001 vorgesehen. Die neu geordnete Technologieförderung wird evaluiert und weiterentwickelt. Insbesondere
will ich mich darum kümmern, dass die Finanzierung von
Handwerk und Mittelstand auch dann weiter gesichert ist,
wenn die Großbanken dieses Geschäftsfeld verlassen.
({22})
Der Bürokratieabbau bleibt eine ständige Aufgabe. Ich
werde ein neues verlässliches Energiekonzept für
Deutschland entwickeln. Schließlich: Ich werde in meinen Bemühungen für eine neue und umfassende WTORunde nicht nachlassen. Eben für diese Vorhaben bitte ich
um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({23})
Das Wort für die Fraktion der CDU/CSU hat der Kollege Gunnar Uldall.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Minister Müller, es ist völlig legitim, dass ein Wirtschaftsminister seine eigene Politik
gut findet und hier voller Lob vorträgt.
({0})
Aber es kommt nicht darauf an, ob ein Wirtschaftsminister seine eigene Politik gut findet. Die Entscheidung, ob
die Politik gut ist oder nicht, treffen die internationalen
Finanzmärkte.
({1})
Die Sprache, die an den internationalen Finanzmärkten
in der letzten Zeit gesprochen wurde, ist eindeutig. Die
Schwäche des Euro deckt schonungslos auf, dass das gesamte wirtschaftspolitische Rahmenwerk bei uns in
Euro-Land nicht stimmt. Die stärkste europäische Volkswirtschaft ist mit großem Abstand die deutsche Volkswirtschaft. Deswegen ist die Schwäche des Euros
eine Kritik an der Wirtschaftspolitik, die Sie, Gerhard
Schröder und die anderen Minister dieses Kabinetts zu
verantworten haben, Herr Minister.
({2})
Herr Minister Müller, Sie sind in erster Linie für die
Ordnungspolitik verantwortlich.
({3})
Erst in zweiter Linie sind Sie für die Eröffnung von Messen verantwortlich. Deswegen müssen Sie sich durchsetzen gegen einen Bundeskanzler, der rein punktuell versucht, wirtschaftspolitischen Einfluss zu nehmen. Sie sind
dafür verantwortlich, dass insgesamt ein Rahmen entsteht, in dem die Betriebe, die Unternehmen, die Arbeitnehmer, die Verbände und die Verbraucher langfristig und
kalkulierbar ihre Entscheidungen treffen können und
nicht durch augenblickliche Überlegungen ein anderes
Rahmenwerk vorfinden.
So hat der Bundeskanzler die Schwäche des Euros
als begrüßenswert bezeichnet. Die Finanzwelt war erschrocken.
({4})
Zunächst hat man sich noch damit getröstet, indem man
gesagt hat: Er wird das so nicht gemeint haben, er hat sich
vielleicht versprochen. Dann wurde plötzlich irgendeine
schuldige junge Dame aus irgendeinem Ministerium gefunden - so schrieb eine Zeitung -, die das Ganze eigentlich zu verantworten habe. Nein, meine Damen und Herren, gestern hat der Bundeskanzler hier diese Aussage
wiederholt, ({5})
- und zwar zur gleichen Zeit, zu der im Finanzministerium und in den anderen europäischen Staaten darüber
nachgedacht wird, wie man den Euro wieder stützen
könnte. Solange ein Bundeskanzler seine eigene Währung
herunterredet, können die Finanzminister nicht gegen
diese Marktschwäche anarbeiten.
Die Schuld trifft den Bundeskanzler.
({6})
Wenn Sie jetzt sagen, das sei alles nicht so schlimm,
dann kann ich nur den angesehenen Kommentator Heinz
Brestel zitieren, ({7})
- der einen Londoner Devisenhändler gesprochen hat, der
sagte:
Ein solcher Sprachfehler
- damit ist der vermeintliche Versprecher von Gerhard
Schröder gemeint wird den Euro viel Geld kosten. Die Devisenmärkte
verstehen keinen Spaß, sie pflegen sehr grausam zu
sein.
Diese Grausamkeit bekommen heute die deutschen Verbraucher zu spüren.
({8})
Es ist nicht nur die Ökosteuer, sondern das Zusammenspiel von Ökosteuer und Euro-Schwäche, das die
Schwierigkeiten bei der Energieversorgung bei uns in
Deutschland hervorgerufen hat.
({9})
Ich habe es einmal ausgerechnet: Eine Tankfüllung EuroSuper kostete für ein normales Auto im Oktober 1998, als
wir noch die Regierung hatten, 79,00 DM. Sie kostete im
August 2000 - die jüngste Preissteigerung habe ich noch
nicht einmal mit eingerechnet - 100,55 DM. Das sind
21,55 DM mehr.
({10})
Nun können wir uns gerne darüber streiten, ob man zweimal, dreimal oder viermal im Monat tankt. Aber es kommt
eine Summe von knapp 1 000 DM zusammen. Das muss
der Verbraucher bezahlen. Die Entlastung durch Ihre
Steuerreform gleicht das nicht aus. Da können Sie viele
Steuerreformen machen. Wir müssen hier bezahlen.
({11})
Das betrifft nicht nur den privaten Haushalt, sondern
auch den Handwerksmeister. Ich habe gestern mit einem
Schlachtermeister gesprochen. Der Schlachtermeister liefert sein Fleisch mit einem Pkw oder mit einem Lkw aus.
Er kann nicht den grünen Ratschlägen folgen und auf die
U-Bahn oder den Bus umsteigen und sein Fleisch mit der
Straßenbahn transportieren. Ihre Forderungen sind völlig
wirklichkeitsfremd.
({12})
Das Beste haben wir heute gelesen. Als Antwort auf die
Frage, wie ein Haushalt mit den gestiegenen Heizölkosten fertig werden könne, haben die Grünen sich etwas
Tolles ausgedacht. Ich habe auch das ausgerechnet: Eine
Heizöltankfüllung kostete im Oktober 1998 noch 1 640 DM.
Der gleiche Tank muss heute für 2 988 DM gefüllt werden. Das ist ein Plus von 1 348 DM.
({13})
Das probate Mittel, das die Grünen jetzt anzumelden haben, bezeichnet die „Bild“-Zeitung ({14})
- heute als „rotzfrech“. Sie fordern in SchleswigHolstein,({15})
- dass die Leute in Zukunft weniger Urlaub machen sollen. Das ist die Folge einer falschen rot-grünen Energiepolitik.
({16})
Meine Damen und Herren, die Aussage von Schröder,
ein schwacher Euro sei wünschenswert, weil er durch
niedrige Verkaufspreise die Exporte fördere, ist wirklich
nur auf den allerersten Blick richtig. Natürlich kann jeder
Kaufmann mehr verkaufen, wenn er seine Preise senkt.
Aber nennen Sie mir irgendeinen Einzelhändler, der durch
ein dauerhaftes Absenken seiner Preise seinen schlecht
gehenden Laden saniert hätte! Sie sind auf die Dauer
pleite gegangen. Das müssen wir in Deutschland verhindern.
({17})
Deswegen ist die Politik von Gerhard Schröder, den Euro
herabzureden, ein Weg in die falsche Richtung.
({18})
Zusammengefasst können wir sagen: Schwache Wechselkurse sind Ergebnis einer schwachen Wirtschaftspolitik. Deswegen muss die Wirtschaftspolitik geändert und
nicht der Wechselkurs herabgeredet werden. Sie, Herr
Minister, sind für die Ordnungspolitik in Deutschland
verantwortlich. Sie stehen in unmittelbarer Verantwortung für diese Fehlentwicklungen.
({19})
Was muss bei uns in der Wirtschaftspolitik alles geändert werden? Die wichtigste Reform muss am Arbeitsmarkt erfolgen. Wir müssen in Deutschland überhaupt
erst einmal zu einem Arbeitsmarkt kommen. Zu viele Reglementierungen und Staatseingriffe setzen die Marktmechanismen außer Kraft.
Natürlich kann der Arbeitsmarkt kein völlig freier
Markt sein, er muss auf die beteiligten Menschen Rücksicht nehmen. Heute funktioniert dieser Markt aber
nicht und schadet so den Menschen, die Arbeit suchen.
Millionen von Menschen suchen Arbeitsplätze, gleichzeitig werden Millionen von Arbeitsplätzen angeboten.
({20})
Wenn man diese nicht zusammenführen kann, ist das ein
Zeichen dafür, dass es in Deutschland keinen Arbeitsmarkt gibt.
({21})
Das zeigen auch die geleisteten Überstunden. In diesem Jahr werden in Deutschland 2 Milliarden Überstunden geleistet werden, mit steigender Tendenz. Die IG Metall nimmt das zum Anlass, über die Unternehmer
herzuziehen und diese zu beschimpfen. Viel klüger wäre
es doch, einmal die Frage zu stellen: Warum ordnet ein
Unternehmer die teure Überstunde an anstatt einen kostengünstigeren zusätzlichen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin einzustellen? Wenn Sie einmal mit einem Unternehmer sprechen, wird er Ihnen sagen: Wir befürchten,
dass wir uns bei einem Auftragsmangel von neuen Mitarbeitern nicht wieder werden trennen können; wir befürchten langwierige Arbeitsgerichtsprozesse; wir befürchten
überhöhte Abfindungszahlungen. Deswegen entscheidet
sich dann der Unternehmer gegen Neueinstellungen und
für die Ableistung von Überstunden.
({22})
Deswegen, Herr Minister Müller, muss die Wirtschaftspolitik hier eingreifen. Sie müssen dafür sorgen,
dass diese heute schon sehr eng gezogenen Regelungen
nicht noch weiter verschärft werden. Zum Ende dieses
Jahres plant die Koalition, die Regelung über befristete
Arbeitsverträge weiter einzuengen. Sie müssen sich gegen den Arbeitsminister stemmen und müssen sagen: Aus
arbeitsmarktpolitischer Sicht dürfen wir das nicht durchsetzen.
Sie planen ein weiteres Folterinstrument gegen den
Mittelstand, nämlich den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit.
({23})
Ein solcher Anspruch ist völlig wirklichkeitsfremd. Wenn
Sie das gesetzlich festschreiben, werden Sie nicht mehr
Arbeitsplätze, sondern weniger Arbeitsplätze bekommen.
({24})
Deswegen, Herr Minister, müssen Sie das verhindern.
Sie müssen dafür sorgen, dass durch die Wiedereinführung einer sinnvollen 630-DM-Regelung den Betrieben endlich wieder eine Möglichkeit gegeben wird,
einen Spitzenbedarf aufzufangen.
({25})
Sie müssen erreichen, dass junge Selbstständige nicht als
Scheinselbstständige diskriminiert und gesetzlich behinGunnar Uldall
dert werden. Sie müssen dafür sorgen, dass der Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht schon bei 5,
sondern erst bei 20 Arbeitnehmern greift.
({26})
Das sind die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, durch
die wir dann zu einer Belebung auf dem Arbeitsmarkt
kommen werden.
In den Wirtschaftsmagazinen kann man lesen: Der
Minister Müller ist nett und sympathisch. Ich schließe
mich dem ausdrücklich an. Aber ich kenne viele, die nett
und sympathisch sind.
({27})
Das alleine reicht nicht. Sie müssen die harte Auseinandersetzung mit Kanzler und Sozialminister über die
Reform des Arbeitsmarktes aufnehmen. Das ist Ihre Aufgabe als zuständiger Minister für Ordnungspolitik. Sie
dürfen die Verantwortung nicht wegschieben! Sie müssen
dafür streiten, Herr Minister, Sie müssen die Richtung
weisen!
Es sind noch andere Fehler im ordnungspolitischen
Rahmenwerk in Deutschland festzustellen, die aufmerksam beobachtet werden und die natürlich ebenfalls eine
der Ursachen für die schwache Einschätzung des Euro
sind. Sie sprachen eben im Zusammenhang mit Ihrer
Energiepolitik über die Kernenergie. Auch die Tatsache,
dass sich eine Industrienation aus einer Spitzentechnologie verabschiedet, ({28})
- und zwar nicht deshalb, weil es sozusagen der Markt gefordert hätte, sondern weil Parteitagsbeschlüsse umgesetzt werden sollen, ist etwas, was in der Welt nur mit einem Kopfschütteln beobachtet wird. Da kann ich nur
sagen: Dieses wird von keinem Menschen in der Welt
verstanden.
({29})
In diesen Zusammenhang gehören auch die Subventionen, die wir im Energiebereich haben. Ohne dass es richtig wahrgenommen wird, baut sich eine neue Subventionsgröße auf.
({30})
Wir werden in wenigen Jahren für die erneuerbaren Energien mehr Subventionen aufwenden als für die Kohle. Da
kann ich nur sagen: Versuchen Sie mal, das später wieder
wegzubekommen. Deswegen muss heute gehandelt
werden.
Es dürfen nur Einführungssubventionen, aber keine
Dauersubventionen gezahlt werden. Das ist der richtige
Weg.
({31})
Deswegen gibt es mit uns auch keinen Bruch des Kompromisses über die Kohlesubventionen aus dem Jahre 1997.
Sie sollten schon heute sagen, wie es nach 2005 weitergehen soll. Man muss den Bergleuten, den Kommunalpolitikern und den Unternehmern im Ruhrgebiet die Wahrheit
sagen, damit sie die Weichen langfristig stellen können.
Nachdem ich jetzt sehr viel Kritikwürdiges an Ihrer
Ordnungspolitik festgestellt habe, werden Sie mir sicherlich entgegnen: Wir haben doch gerade im Zuge der Ordnungspolitik eine großartige Steuerreform gemacht.
({32})
Nein, das stimmt überhaupt nicht. Ihre Steuerreform
leistet keinen Beitrag zu einer guten Ordnungspolitik.
({33})
Sie haben zwar die Tarife gesenkt; aber Sie haben keine
Steuerreform gemacht.
({34})
Das Steuersystem in Deutschland bleibt nämlich genauso
kompliziert wie bisher oder wird sogar noch komplizierter. Trotzdem behauptet der Finanzminister im Bundestag, das deutsche Steuerrecht sei gar nicht so kompliziert;
es sei eigentlich einfach. So werden die Dinge verdreht.
Tatsächlich ist das deutsche Steuerrecht mit eines der
kompliziertesten Steuerrechte der Welt.
({35})
Wir haben festgestellt: 70 Prozent der Weltliteratur über
Steuerrecht erscheint in deutscher Sprache. Das mag zwar
ausgelutscht sein, lieber Herr Schlauch. Aber Sie sind mit
dafür verantwortlich, dass diese Steuerreform nicht genutzt wurde, um unser Steuerrecht entsprechend zu vereinfachen.
({36})
Es gibt noch einen weiteren Hauptfehler. Sie besteuern
die Personengesellschaften in einer unverantwortlichen
Weise höher als die Kapitalgesellschaften.
({37})
Wenn Sie uns nicht glauben wollen, dann lesen Sie doch
bitte den letzten Bericht der Deutschen Bundesbank.
({38})
Danach muss eine GmbH für 100 000 DM einbehaltenen
Gewinn in der Spitze 38 000 DM Steuern zahlen. Der
Wettbewerber dieser GmbH, der sich in Form einer OHG
organisiert hat, muss für den gleichen Gewinn 51 000 DM
Steuern zahlen. Kann mir irgendjemand diese Ungleichgewichtigkeit erklären? Wahrscheinlich kann das
niemand; denn dafür gibt es keine Erklärung. Deswegen
kann ich nur sagen: Selbst wenn durch das In-Kraft-Treten der nächsten Reformstufe 2005 eine kleine Milderung
eintritt - weit ist sie entfernt -, wird diese Reform nach einer kurzen Ernüchterungsphase eindeutig auf Kritik in
den Betrieben stoßen.
Heute konnte man lesen, dass die Betriebe durch die
Änderung der Abschreibungsbedingungen nicht mit
3,5 Milliarden DM, sondern mit 14 Milliarden DM zusätzlich belastet werden. Dazu kann ich nur sagen: Diese
Reform führt gerade in die falsche Richtung. Es hätte ein
einfacheres Steuerrecht mit einer besseren Entlastungswirkung und einer besseren Struktur geschaffen werden
müssen.
({39})
Herr Kollege Uldall,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Seien Sie sich über den
Konjunkturverlauf in den nächsten Monaten nicht zu
sicher!
({0})
Die Schwäche des Euro ist eine erste Warnung. Verschiedene Frühindikatoren sind von einer Aufwärtsbewegung
in eine Abwärtsbewegung übergegangen. Schließlich
mehren sich die Stimmen der Fachleute, die die Bundesregierung warnen. Jüngst sprach der Chefvolkswirt von
Morgan Stanley, Joachim Fels, davon, dass die Konjunktur ihren Höhepunkt bereits überschritten habe. Wir hoffen das nicht, Herr Minister. Wir werden dazu beitragen,
dass die deutsche Politik gute Rahmenbedingungen
schafft.
Herr Kollege Uldall,
Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Aber Sie tragen die Verantwortung. Sie müssen sich in der Bundesregierung für
eine gute Ordnungspolitik stark machen.
({0})
Die nächste Rednerin
in der Debatte ist die Kollegin Margareta Wolf für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Uldall, es tut mir für
Sie Leid, dass Sie sich mit Ihren durchaus bemerkenswerten Vorstellungen über eine Steuerreform in Ihrer
Fraktion nicht durchsetzen konnten.
({0})
Aber vielleicht lesen Sie einmal die Wirtschaftspresse und
ziehen dann einen Schlussstrich. Wir haben jedenfalls
eine gute Unternehmensteuerreform auf den Weg gebracht.
({1})
Noch eine Bemerkung vorweg. Herr Kollege Uldall, zu
Ihrem Ausflug in die Weltwirtschaft: Sie reden ja gerne
- das haben wir auch heute wieder gemerkt - über Österreich, die Ökosteuer und die Euro-Schwäche. Das sind die
drei Punkte, die in allen Reden der letzten Tage immer
wieder hervorgehoben wurden.
Ich möchte Ihnen etwas zum Euro sagen. Lieber Herr
Kollege, vielleicht ist Ihnen entgangen, dass der Dollarkurs im Jahr 1985 im Jahresschnitt bei 3,47 DM lag. Umgerechnet in Euro bedeutet dies einen Euro-Kurs von
0,56 Dollar. Niemand wäre bei diesem Höhenflug des
Dollar damals auf die Idee gekommen zu sagen, dass die
D-Mark schwächelt.
({2})
- Herr Scherhag, davon verstehen Sie nichts.
Wenn Sie sagen, der Bundeskanzler redet den Euro
runter, so stimmt das nicht. Sie wissen selber, Herr Kollege Uldall - ich schätze Sie sehr -, dass die Unterbewertung des Euro wirtschaftspolitisch kein Problem ist. Sie
wissen auch, dass sich alle EU-Finanzminister für einen
stärkeren Euro ausgesprochen haben und dass die ChefVolkswirte der großen deutschen Banken gesagt haben,
dass sich der Kurs des Euro in den nächsten sechs Monaten erholen wird. Man geht davon aus, dass er einen Kurs
von 1,05 Dollar haben wird.
({3})
Herr Uldall hat darauf hingewiesen, dass die Entscheidung, ob die Wirtschaftspolitik gut ist, nicht vom Wirtschaftsminister getroffen wird, sondern von der Bevölkerung. In den letzten Tagen ist schon oft aus Gutachten von
Forschungsinstituten zu Wachstumsprognosen und zur
Inflationsrate zitiert worden. Ich möchte heute aus einer
Bevölkerungsbefragung zitieren, die die Wirtschaftsjunioren in Deutschland bis Ende August durchgeführt und
dokumentiert haben. Sie schreiben:
Noch nie ... blickte die Bevölkerung so zuversichtlich in die Zukunft wie in diesem Jahr.
({4})
- Das wurde auch seinem Büro zugesandt; es war gestern
in der Post.
Den Tiefpunkt haben die Wirtschaftsjunioren im Jahr
1997 ausgemacht. Damals waren nur 18,1 Prozent der
Deutschen optimistisch. Heute erwarten rund 50 Prozent
der Deutschen einen Konjunkturaufschwung und gerade
mal 12,8 Prozent einen Konjunkturrückgang. Auch in
Bezug auf die Entwicklung der persönlichen finanziellen
Verhältnisse überwiegen, so schreiben die Wirtschaftsjunioren, erstmals die Optimisten. Damit liegen, so
schreiben sie, erstmals beide Stimmungsbarometer im
Plus. Dies spricht - das wissen wir alle - für ein verbessertes Konsumklima und damit für einen weiter anhaltenden Konjunkturaufschwung.
({5})
Besonders optimistisch - das möchte ich auch vor dem
Hintergrund Ihrer arbeitsmarktpolitischen Bewertung
hervorheben, Herr Uldall -, weil es einmalig ist, blicken
die Selbstständigen, die Auszubildenden und die Arbeitslosen in die Zukunft. Das haben sie seit Jahren nicht mehr
getan. Das spricht für die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung.
({6})
Die Menschen gehen nämlich von einem erheblichen
Konjunkturaufschwung aus und von einer signifikanten
Belebung auf dem Arbeitsmarkt.
Noch etwas, Herr Kollege: In dieser wunderbaren Studie steht auch, dass die Menschen in Hamburg und in
Rheinland-Pfalz die optimistischsten Menschen in diesem
Land seien.
({7})
Um den Anschluss an die Bevölkerung wirklich zu halten,
kann ich Herrn Brüderle und auch Ihnen mit auf den Weg
geben, dass Sie sich dem Optimismus gegenüber unserer
Wirtschafts- und Finanzpolitik anschließen sollten.
({8})
Miesepetrigkeit - das wissen Sie so gut wie ich - ist überhaupt nicht gut. Bleiben Sie optimistisch! Sie werden
dafür belohnt.
({9})
Meine Kolleginnen und Kollegen, ein zentraler
Schwerpunkt des hier zur Debatte stehenden Einzelplanes 09 besteht in dem Komplex neue Technologien. Die
Bundesregierung, federführend das Bundeswirtschaftsministerium, hat das Aktionsprogramm „Innovation
und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des
21. Jahrhunderts“ vorgelegt. Die Umsetzung des Programms finden wir in der Titelgruppe 09 des Einzelplanes, die einen erfreulichen Aufwuchs zu verzeichnen hat.
Binnen zwei Jahren ist das Internet so bekannt geworden
wie Coca-Cola in Deutschland. Das ist ein Erfolg unserer
Politik. Das ist ein Erfolg dieses Einzelplans.
({10})
- Sie sind lange nicht so bekannt wie Coca-Cola, Herr
Westerwelle. Hier haben Sie noch einiges nachzuholen.
Kaum ein Bundesbürger hat den Begriff noch nicht gehört. Das wissen Sie ganz genau.
({11})
- Sie dürfen Cola trinken. Auch ich trinke Cola.
({12})
- Klar. Was denken Sie denn?
({13})
- Das war der Werbeblock.
15 Prozent der Deutschen kommunizieren inzwischen
über das Internet. Wir alle wissen, dass sich noch nie eine
Technologie derart schnell in der Welt verbreitet und darüber hinaus unser Leben so sehr verändert hat.
({14})
- Wenn Sie das so komisch finden, dann haben Sie die wesentlichen Dinge des Lebens nicht begriffen, wie man an
Ihren wunderbaren möllemannschen Werbekampagnen,
die Sie immer wieder gerne auflegen, tatsächlich sehen
kann.
Auch die Produktionsprozesse werden in den Netzwerkökonomien neu strukturiert. Der effiziente Einsatz
von Informations- und Kommunikationstechnologie ist
heute Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der
Wirtschaft. Die Informationstechnologie ist zum Wachstumsmotor Nummer eins geworden. Wir gehen davon
aus, dass eine Erhöhung der Realeinkommen die Folge
dieser Entwicklung sein wird.
Wir wissen auch: Neue Arbeitsplätze entstehen bei den
Diensten im Internet, bei Softwareentwicklern und bei
IT-Beratern, bei Webdesignern und bei Dienstleistern.
Wir begrüßen die steigende Zahl von Unternehmensgründerinnen und -gründern. Sie entwickeln neue Produkte und sie schaffen neue Arbeitsplätze. Man kann
ohne Übertreibung sogar sagen, dass sich mit diesem
dot.com-Gründerboom tatsächlich eine neue Unternehmenskultur in unserem Land entwickelt, die auf flache
Hierarchien und auf Mitarbeiterbeteiligung setzt. Man
setzt auf eine Unternehmenskultur, die in Teilen an die
Debatte um den Kommunitarismus in den USA erinnert.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas sagen: Ich
halte die Kinokampagne des DGB - Herr Brüderle, das
wird Sie vielleicht interessieren -,
({15})
- die die gesamte IT-Branche als vorindustrielle
Hire-and-fire-Betriebe klassifiziert, nicht nur für kalt und
hartherzig, sondern ich glaube auch, dass diese Kampagne an der Realität vorbeigeht und unser Land spaltet. Jeder, der Einfluss auf den DGB hat, sollte das zum Ausdruck bringen. Vielleicht waren Sie noch nicht im Kino.
Ich rate Ihnen dringend: Schauen Sie sich das an! Diese
Kampagne ist kein Beitrag zur Verständigung zwischen
Margareta Wolf ({16})
„old economy“ und „new economy“. Sie ist leider ein Beitrag, der unsere soziale und ökologische Marktwirtschaft
schwächt und nicht stärkt.
Wir unterstützen und begrüßen die deutlichen Aufwüchse im Bereich FuE und Innovation im Mittelstand in
diesem Einzelplan. Wir haben deutliche Aufwüchse
in den Titelgruppen „Beteiligungskapital für Technologieunternehmen“, „Multimediaunternehmen“ und „Forschungskooperationen“. Innovationskompetenz wird durch
Mittelaufwüchse bei FUTOUR deutlich gestärkt. Darauf
ist hingewiesen worden.
Die Titelgruppe „Innovative Netzwerke“ sowie der Titel „IT-Anwendung und -Sicherheit“ bilden einen
Schwerpunkt in diesem Haushaltsplan. Wir unterstützen
die so dokumentierte Intention des Bundeswirtschaftsministers, den Mittelstand für die Zukunft und für den Strukturwandel fit zu machen. Wir müssen den Optimismus des
Mittelstands und den der freien Berufe als Rückenwind
für unsere Politik begreifen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu den freien
Berufen und zu der Rolle sagen, die das EU-Kommissariat für Wettbewerb bei der Gestaltung deutscher Politik
zunehmend spielt. Ich halte es für eine denkwürdige
Angelegenheit, wenn Herr Monti - so vorgestern im Wirtschaftsteil der „FAZ“ dokumentiert - die Preisabsprachen
der freien Berufe als kriminell bezeichnet. Wir legen die
Gebührenordnungen für die freien Berufe fest. Ich bin
der Meinung, dass der EU-Kommissar darauf achten
sollte, dass er nicht durch Rundumschläge - es ist nicht
der erste dieser Art - den europäischen Gedanken beschädigt und vielleicht sogar den Status seines Kommissariats schwächt. Ich fände das wettbewerbspolitisch
problematisch.
({17})
Wir wissen, die Zukunft des Mittelstandes hängt ganz
entscheidend davon ab, ob und inwieweit es den Unternehmen gelingt, die Potenziale der modernen Kommunikationstechnologie auszuschöpfen und neue Technologien schnell umzusetzen. Von daher begrüßen wir, dass
das Bundeswirtschaftsministerium in einem Kraftakt
der Bürokratieabbau fördert. Wir begrüßen, dass das
Bundeswirtschaftsministerium mit dem großen Multimediaprojekt „Mediakomm“ die Nutzung neuer Kommunikationsmittel in den Kommunen fördert. Durch das
digitale Rathaus und den digitalen Marktplatz werden alle
Transaktionsprozesse, also Meldewesen, Bauanträge, öffentliche Ausschreibungen und Wirtschaftsförderung, erheblich beschleunigt. Ich freue mich, dass ab Sommer
2000, also ab jetzt, Unternehmen in unserem Land das Internet im Rahmen der Auskunftspflichten gegenüber dem
Statistischen Bundesamt nutzen können. Damit reagieren
wir auf die Klage des Mittelstandes, dass die Kosten für
statistische Erhebungen für ihn zu hoch seien, und bieten
eine adäquate Lösung.
Gleichzeitig begrüßen wir ausdrücklich, dass sich die
Kultur der Selbstständigkeit in Deutschland verbessert
hat. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es eine
enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Ausgleichsbank
gibt. Ich finde besonders die sehr schnelle Einrichtung
von Existenzgründerlehrstühlen bemerkenswert. Wir haben inzwischen elf davon. Ich glaube, dass sich damit die
neue Unternehmenskultur tatsächlich auch in die Unis
hereintransportieren lässt.
Man kann nicht über diesen Haushalt und über Mittelstandspolitik reden und gleichzeitig das Handwerk unerwähnt lassen. Meine sehr geehrten Damen und Herren,
zumindest diejenigen von Ihnen, die sich mit dem Einzelplan beschäftigt haben, werden wissen, dass rund 80 Prozent aller Mittel des Bundes für den Mittelstand dem
Handwerk zufließen. Ich begrüße ganz besonders, dass
das Handwerk bereit ist, den Technologietransfer und
die Innovationsfähigkeit der Betriebe zu fördern. Der
Schwerpunkt der Mittel, die jetzt in diesem Einzelplan
dem Handwerk zufließen, liegt genau auf diesen beiden
Punkten. Umso mehr freue ich mich, dass der ZDH jetzt
auch unter www.handwerk.de im Netz ist. Wir unterstützen die Aktivitäten, wobei das Niveau in der mittelfristigen Finanzplanung von 23 Millionen DM bis auf 30 Millionen DM im Jahre 2003 steigt.
Noch eine Bemerkung zum Handwerk: Ich freue mich,
dass wir uns in einem sehr konstruktiven und freundlichen
Diskurs mit dem Handwerk über notwendige Flexibilisierungsmaßnahmen befinden. Das Handwerk selber hat
sehr diskussionswürdige Vorschläge gemacht, ({18})
- wie wir gemeinsam auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts reagieren, unterhalb einer HWO-Novelle
Ausnahmetatbestände realisieren und somit die Existenzgründung im Handwerk erleichtern können.
({19})
Lassen Sie mich aber auch noch auf einen anderen
Punkt eingehen. Mit der Erhöhung des Ansatzes - hier
hat fast eine Verdreifachung stattgefunden - beim
100 000-Dächer-Programm wird einer entscheidenden
Anreizfunktion Rechnung getragen, die zum Ziel hat,
die Photovoltaik marktwirtschaftlich auszugestalten.
Deutschland ist hier auf dem Weg, in einer Zukunftstechnologie die deutliche Marktführerschaft zu erlangen. Sie
werden sich erinnern, dass die Anbieter vor zwei Jahren
noch ins Ausland gegangen sind. Heute kommen sie
zurück, wie Shell in Gelsenkirchen. Ich glaube, das
100 000-Dächer-Programm gehört zu einer der größten
ökologischen und ökonomischen Erfolgsstorys dieser
Bundesregierung, auf die wir, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, stolz sein können.
({20})
Eine zukunftsfähige Energieversorgung hängt aber
vor allem davon ab, dass frühzeitig neue Technikoptionen
zur Verfügung stehen; ich verweise da auf die Debatte um
die Brennstoffzelle. So freue ich mich, dass das Energieforschungsprogramm mit einem fortgeschriebenen Haushaltsvolumen von 230 Millionen DM dazu beiträgt, die
Emissionen klimaschädlicher Gase zu senken, die EntMargareta Wolf ({21})
wicklung von Hochtechnologie in Deutschland voranzubringen und die Exportchancen deutscher Unternehmen
auf einem von starker Konkurrenz geprägten Weltmarkt
für Energietechniken zu verbessern und Arbeitsplätze in
dieser Zukunftsbranche zu schaffen.
({22})
Ein weiteres Ziel dieses Einzelplans und unserer gemeinsamen Politik ist es, die Energieeffizienz zu erhöhen. Es ist ein Ziel unserer Politik, erneuerbare Energien zu stärken und den Anteil der Erneuerbaren an der
Primärenergieversorgung zu verdoppeln.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, abschließend
lassen Sie mich sagen: Wir wollen, dass Deutschland im
Bereich der innovativen, zukunftsfähigen Technologien
stark und wettbewerbsfähig wird. Mit dem vorliegenden
Ansatz in diesem Haushalt setzen wir dafür hervorragende Rahmenbedingungen. Es ist ein moderner Haushalt, ein zukunftsfähiger Haushalt und ein Reformhaushalt.
Ich danke Ihnen.
({23})
Nächster Redner für
die Fraktion der F.D.P. ist der Kollege Rainer Brüderle.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister
Müller, Ihr Etat ist zu meinem Bedauern ein Manifest der
Rückwärtsgewandtheit und Zukunftsverweigerung.
({0})
Sie, Herr Müller, verordnen dem Standort Deutschland
Valium, obwohl er Viagra braucht.
({1})
Sie halten an längst überkommenen Wirtschaftsstrukturen
fest und behindern den notwendigen Strukturwandel. In
Ihrem Zahlenwerk finden hingegen New Economy und
Mittelstand so gut wie keinen Platz. Für beide haben Sie
nur warme Worte und kaum Geld übrig. Dafür wird die
Uralt-Economy mit viel Geld künstlich am Leben gehalten.
Ihr halber Etat fließt als Beihilfe in den Bergbau. Für
zukunftsgewandte Wirtschaftspolitik spricht das nicht.
({2})
Am Anfang dieser Legislaturperiode haben Sie von der
Wirtschaft noch vollmundig eine Subventionsstreichliste
verlangt. Als die Betroffenen Ihrem Verlangen verständlicherweise nicht mit der allergrößten Begeisterung gefolgt sind, haben Sie die Hände untätig in den Schoß gelegt.
({3})
Jetzt hat die EU bei den Steinkohlebeihilfen die Fleißarbeit für Sie übernommen. Doch Ihnen fällt nichts Besseres ein, als zusammen mit dem nordrhein-westfälischen
Ministerpräsidenten Clement einen nationalen Energiesockel zu fordern. Ist Ihnen eigentlich bewusst, welch unsinniges Vorhaben das ist? Sie stellen damit den europäischen Binnenmarkt infrage; denn jetzt kann jedes Land
nach Belieben einen Olivenöl-Sockel, einen nationalen
Auto-Sockel, einen Camembert-Sockel fordern.
({4})
Die Waren- und Dienstleistungsfreiheit in der EU ist
Ihnen offensichtlich völlig schnuppe.
({5})
Wenn Sie tatsächlich einmal europarechtliche Probleme artikulieren, dann knicken Sie vor den Grünen ein,
etwa bei der Subventionierung erneuerbarer Energien
oder bei der Kraft-Wärme-Kopplung. Wahrscheinlich
kommt daher Ihre Sehnsucht nach einem grünen Staatssekretär. Ihr Stromeinspeisungsgesetz wird den Weg vor
den Europäischen Gerichtshof nehmen. Ihre geplante
Nachfolgeregelung zum Kraft-Wärme-Kopplung-Vorschaltgesetz wird dazu führen, dass 40 Prozent des deutschen Energiemarktes wieder reguliert sind. Sie drehen
damit die Liberalisierung, die eine deutliche Preissenkung von 15, 16 Milliarden DM für alle, für Bürger und
Wirtschaft, gebracht hat, zurück. Sie haben entweder keinen Mumm, sich gegen die grünen Ideologen zu stellen,
oder Sie stehen auf Kriegsfuß mit dem Wettbewerb. Beides ist für einen Wirtschaftsminister ein Armutszeugnis.
({6})
Ihre Politik für die Steinkohle offenbart auch die Widersprüchlichkeit der Koalition in Umweltfragen. Letzte
Woche verweisen Sie in einem Interview in der „Bild“Zeitung auf die Klimaschutzziele und wollen deshalb die
Ökosteuer weiter steigern. Dabei weiß jeder, dass auch
die Nutzung der Steinkohle den Treibhauseffekt verstärkt.
Sie zocken lieber kaltschnäuzig die Bürger an der
Zapfsäule ab, um mit dem Geld eine umweltschädliche
Altindustrie am Leben zu erhalten.
So sieht Ihre Wirtschaftspolitik aus: unausgegoren, in
sich widersprüchlich und nicht mehr vermittelbar.
({7})
Anstatt die berechtigten Sorgen der Menschen über
den dramatisch gestiegenen Sprit- und Heizölpreis ernst
zu nehmen, ergehen Sie sich in Energiesparappellen. Sie
tun gerade so, als ob die Ökosteuer gottgegeben wäre! Das
ist unredlich.
Herr Müller, auch Sie wissen: Die Bundesregierung hat
es in der Hand, die drohende Konkurswelle bei mittelständischen Fuhrunternehmen, den Verlust von Arbeitsplätzen, die angekündigten Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr und die enormen Belastungen von
Millionen Pendlern abzuwenden.
Margareta Wolf ({8})
Es ist doch geradezu absurd: Sie führen die Ökosteuer
ein, der Kanzler erklärt, man müsse das sozial ausgleichen,
({9})
und Sie nehmen das Steuergeld in die Hand, um die Wirkung Ihrer Besteuerung wieder auszugleichen. Das ist
doch ein Stück aus dem Tollhaus, was Sie hier vorführen!
({10})
Die Grünen haben natürlich gleich einen kompetenten
Vorschlag gemacht, wie man das ausgleichen kann. Der
Vorsitzende in Schleswig-Holstein fordert, die Deutschen
sollten auf den Urlaub verzichten, um die Ökosteuer zahlen zu können. Das ist blanker Zynismus.
({11})
Lieber sollten die Ökopädagogen von ihrer politischen
Betätigung Urlaub nehmen und die Menschen nicht länger mit dem Unfug belästigen, den sie in die deutsche Politik einführen.
({12})
Gerade jetzt aus ideologischen Gründen aus der Kernenergie auszusteigen, da doch die Entwicklung auf dem
Energiemarkt schwer vorhersehbar ist, zeigt nicht von
Weitsicht, sondern eine Konzession der SPD wider besseres Wissen - das will ich einigen attestieren - in Richtung
des grünen Koalitionspartners.
Nun erzählt Herr Müller immer: Mit der Ökosteuer
senken wir die Rentenbeiträge. - Ich habe mir einmal die
Zahlen über das, was Sie wirklich machen, genau zusammenstellen lassen. Wenn Sie alle Einnahmen aus der Ökosteuer für die Senkung der Rentenbeiträge verwenden
würden, käme man auf 18,3 Prozent. Sie kommen aber
nur um ein Zehntel herunter. Warum? Weil Sie von den
7 Milliarden DM aus der zweiten Stufe 6 Milliarden DM
für andere Zwecke verwenden und nicht für die Senkung
der Beiträge, wie Sie es vor der Wahl versprochen haben.
Das ist der zweite Wahlbetrug, den Sie im Zusammenhang mit der Ökosteuer begehen.
({13})
Sie haben in Ihrem Wirtschaftsbericht großspurig die
Senkung der Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent
noch in dieser Legislaturperiode gefordert. Doch auch
nach zweimaliger Erhöhung der Mineralölsteuer sind wir
von dieser Marke meilenweit entfernt, weil eben ein
Großteil der Einnahmen anders verwendet wird. Der
Steuermark sieht man es nicht an, ob sie für einen Krötentunnel in Schleswig-Holstein oder für eine Straßenbaumaßnahme in Mecklenburg-Vorpommern verwendet
wird.
Herr Kollege
Brüderle, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, aber erst gegen Ende
meiner Rede. Ich will im Zusammenhang vortragen, damit Sie es besser verstehen. Aber dann können Sie gerne
Fragen stellen. Dadurch wird meine Redezeit verlängert.
Bitte fragen Sie öfter.
Doch anscheinend ist der Bundesregierung alles andere wichtiger als der Aufbau Ost. Da kann der Bundeskanzler noch so oft in die neuen Länder reisen und Hof
halten. Gestern sahen übrigens die Bilder in Schwerin
ganz anders aus. Das war eine Riesenbegeisterung - aber
nicht für die Politik von Herrn Schröder.
Sie, Herr Müller, haben ihm - zumindest verbal - die
Schleppe getragen. Doch mehr als warme Worte haben
Sie für den Osten nicht übrig. Wie wollen Sie eigentlich
den ostdeutschen Bürgern und Unternehmen erklären,
dass Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur Ost um
300 Millionen DM kürzen, aber gleichzeitig nach Brüssel
rennen, um mit 8 Milliarden DM die westdeutsche Steinkohle staatlich zu alimentieren? Das versteht niemand.
({0})
Ebenso wenig versteht jemand Ihr Verhalten im Zusammenhang mit der VEAG. Ein eigenständiges großes
Stromunternehmen wollten Sie den Ostdeutschen nicht
gönnen, sondern lieber Ihrem ehemaligen Arbeitgeber
und anderen westdeutschen Stromriesen lästige Konkurrenz vom Hals halten. Erst als die Kartellwächter in Bonn
und Brüssel auf einem starken neuen Stromkonzern im
Osten bestanden, haben Sie eingelenkt. Wo bleibt bei dieser Wirtschaftspolitik der Weitblick und die Solidarität
mit den neuen Bundesländern? Beides bleibt leider auf
der Strecke.
({1})
Herr Müller, nach Ihrer Negativbilanz kann ich ja
nachvollziehen, dass Sie sich das Leben in der Politik einfacher vorgestellt haben. Offensichtlich sind Sie nach
zwei Jahren so ausgepowert und phantasielos,
({2})
dass Sie schon einmal Ihren Nachfolger benennen. Auch
lassen Sie sich die - wie versprochen - zurückzugliedernde Grundsatzabteilung ohne großes Aufsehen wieder
aus den Händen reißen. Damit wird das ordnungspolitische Vakuum der Bundesregierung noch einmal sehr deutlich symbolisiert. Aber dass Sie sich nach Ihrem eigenen
Bekunden über nichts aufregen, kann ich nicht verstehen;
denn noch sind Sie nicht im Ruhestand, auch wenn man
es oft nicht merkt. Vielleicht täte Ihnen ein bisschen Aufregung ganz gut.
({3})
Mich jedenfalls regt es auf, dass der Euro Gefahr läuft,
zur Weichwährung zu verkommen, weil die Wirtschaftspolitik dieses Landes kein schlüssiges Konzept darstellt
und gleichzeitig leichtfertige Äußerungen des Kanzlers
diese Effekte verstärken.
({4})
Die importierte Inflation steht vor der Tür.
Mich regt es auf, dass die Bürger nicht einkaufen können, wann sie es möchten, weil die Bundesregierung beim
Ladenschluss weiter auf der Modernisierungsbremse
steht.
({5})
Mich regt es auch auf, dass sich die Pendler dumm und
dämlich zahlen, weil die Regierung die Ökosteuer erhöht.
Das alles lässt Sie offensichtlich kalt.
So sieht auch Ihr Budget aus. Ihr Zahlenwerk lässt für
2001 weder eine Vision noch politisches Gewicht erkennen. Der Standort Deutschland verdient aber mehr als
bunte Wirtschaftsberichte und einen phantasielosen Etat.
Wir kommen nur voran, wenn wir die Dinge mit Phantasie und Mut verändern. Es gibt einen wahrlich großen
Bedarf an Reformen, nicht nur beim Ladenschluss, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt, nämlich durch Flexibilisierung. Alle Wirtschaftsforschungsinstitute, die
OECD sowie alle anderen wichtigen Instanzen sagen,
dass die Inflexibilität des deutschen Arbeitsmarktes eine
Kernursache dafür ist, dass wir beim Abbau der Arbeitslosigkeit nicht vorankommen. In dieser Hinsicht müssten
Sie sich als ordnungspolitisches Gewissen äußern. Stattdessen finden Sie als Feigenblatt im Rahmen von Messeeröffnungen warme Worte für die von Ihnen gemachten
falschen Weichenstellungen. In dieser Beziehung sollten
Sie von dem ursprünglich vorgesehenen Wirtschaftsminister Herrn Stollmann ein wenig lernen. Der war sich
dann zu schade, ein Feigenblatt für nicht erfolgende Weichenstellungen zu sein.
Wir werden nur dann vorankommen, wenn wir diese
Probleme in Angriff nehmen. Nur dann wird der Euro eine
andere Bewertung erzielen. Diese kann man nicht herbeireden. Vielmehr handelt es sich dabei um eine tägliche
Abstimmung der Welt über die Einschätzung der Zukunftsperspektiven in Euro-Land. Wir sind mit 80 Millionen Menschen der größte Teil von Euro-Land. Solange
man uns weniger zutraut als der amerikanischen Wirtschaft, wird das Geld nach Amerika fließen und nicht in
Deutschland bleiben und hier keine Investitionen bzw.
neue Arbeitsplätze auslösen. Deshalb ist eine Wende, eine
Renaissance der Ordnungspolitik unbedingt notwendig.
({6})
Herr Kollege
Brüderle, wollen Sie die Frage des Kollegen Heil beantworten? Ihre Rede können Sie dann gleich fortsetzen.
Ja.
Ich gebe jetzt dem
Kollegen Hubertus Heil das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Brüderle, ich
halte Sie ja für einen vernunftbegabten Menschen, wie im
Rahmen der Steuerreform deutlich wurde.
({0})
Heute hatte ich nicht immer diesen Eindruck.
Nun meine Frage: Sie zielen immer wieder darauf ab,
dass die in Deutschland bestehenden hohen Sprit- und
Energiepreise im Wesentlichen die Schuld der Bundesregierung seien. Wie erklären Sie sich dann die Entwicklung
in anderen europäischen Ländern bzw. in anderen Industrienationen? Auch Sie schauen bestimmt manchmal
Fernsehen und nehmen wahr, was sich in anderen Ländern abspielt. Sind die Grünen und die SPD auch dafür
verantwortlich?
Wenn - so wie in Deutschland beim Benzin - auf ein Produkt Steuern in Höhe von
70 Prozent erhoben werden, dann können Sie doch den
Ölmultis - ({0})
- Sie können fragen, was Sie wollen. Ich antworte, wie ich
es für richtig halte.
({1})
So sind die Spielregeln im Parlament. Wenn Sie mir mit
der Frage auch noch die Antwort vorschreiben wollen,
dann können wir gleich zu Hause bleiben. In diesem Parlament herrschen doch wohl noch Meinungs- und Redefreiheit! Wollen Sie mir noch vorschreiben, was ich hier
zu antworten habe? Was fällt Ihnen denn ein!
({2})
Sie dürfen sich doch nicht wundern, wenn andere angesichts von 70 Prozent Steuern auf ein Produkt zugreifen. Die OPEC hat eine klare Aussage getroffen:
({3})
- Wer schreit, hat Unrecht. Hören Sie zu!
({4})
Sie ist bereit, die Ölförderung so zu steigern, dass das
Barrel Öl wieder rund 25 Dollar kostet. Aber sie fordert
gleichzeitig, dass auch die Industrieländer ihren Beitrag
leisten.
({5})
- Ich bin mit meiner Antwort noch nicht ganz fertig. Das
interessiert Sie aber anscheinend nicht.
({6})
Die OPEC hat gesagt: Wir helfen euch, wenn auch ihr
euren Beitrag dazu leistet, dass der Staat bei diesem ProRainer Brüderle
dukt nicht 70 Prozent abkassiert, während wir durch unsere Preise eure Wirtschaft einseitig in Gang halten. Diese
Forderung ist verständlich und nachvollziehbar.
({7})
Eines müssen Sie sehen: In der Wirtschaftspolitik ist es
oft so, dass ein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt.
({8})
Dies ist die unsinnige Ökosteuer, die ökologisch
gesehen keinen Effekt hat. Denn wenn sie wirken würde,
wären gar keine Einnahmen vorhanden, um Rentenbeiträge und anderes zu verringern. Dass dann, wenn eine
solch unsinnige Steuer, die nun wirklich nicht ökologisch
ist, eingeführt wird, die Scheunentore für andere, zuzulangen, weit geöffnet werden, ist doch geradezu logisch.
Haben Sie von der SPD doch endlich den Mut - in anderen Dingen haben Sie die Grünen doch auch platt gemacht -, eine unsinnige Sache zu revidieren, und gleichen
Sie nicht nur die aus dieser widersinnigen grün-ökologischen Ökosteuer für die kleinen Leute entstandenen Belastungen durch Sozialmaßnahmen aus! Haben Sie endlich den Mut, etwas Vernünftiges zu tun! Ich sage Ihnen
voraus: Sie werden es nicht durchhalten - Sie werden es
verpacken oder was auch immer -, dass es unter Ihrer Verantwortung zu solch hohen Belastungen kommt.
({9})
Wer Unsinn sät, wird Protest ernten. Das erleben Sie zurzeit.
({10})
Herr Präsident, habe ich noch ein bisschen Redezeit?
Nein, Herr Kollege.
Alles hat einmal ein Ende, auch Ihre Rede.
Nun gebe ich für die Fraktion der PDS dem Kollegen
Rolf Kutzmutz das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Brüderle, ich
möchte zwei Anmerkungen zu Ihrer Rede machen: Die
erste: Ich habe jetzt gelernt, wie man seine Redezeit verlängern kann; wir versuchen es alle einmal. Die zweite:
Mir war das Lied „Männer“ von Grönemeyer schon im
Kopf, als Sie richtig losgepoltert haben. Als Sie dann aber
sagten, worüber Sie sich alles aufregen, habe ich gedacht,
ich empfehle Ihnen einfach einmal, da hineinzuhören,
was Männern alles passieren kann, wenn sie sich zu sehr
aufregen. Vielleicht sollten wir uns auf ein Maß einigen.
({0})
- Er kann noch mehr, ich weiß das.
Herr Minister Müller hat gesagt, noch mehr wirtschaftliche Kompetenz, Innovation und neue Arbeitsplätze und noch mehr ökologische Modernisierung und
Nachhaltigkeit sind die Zielmarken für die zweite Halbzeit der Regierungspolitik. Ich will hier offen sagen:
Wenn man den Wirtschaftsetat betrachtet, hält sich die
Innovation in Grenzen. Dafür feiert die Kreativität des
Verschleierns von Kosten und Risiken wie zu Herrn
Rexrodts und Herrn Waigels seligen Zeiten fröhliche Wiederauferstehung.
Die Kohlesubventionen werden schätzungsweise eine
halbe Milliarde DM zu niedrig veranschlagt, ebenso die
Kosten für bereits eingegangene Eigenkapitalhilfen und
Technologiebeteiligungen. Letztere Programme sollen
wie schon in den Vorjahren die Eigenkapitalhilfe kurzerhand aus dem Wirtschaftsetat entsorgt und im Schattenhaushalt ERP-Vermögen endgelagert werden. Der aber
hat nicht nur Lasten und Risiken zu tragen, die jetzt schon
substanzgefährdend sind; jetzt soll auch noch sein bisher
vergleichsweise gut funktionierender Vergabeapparat, die
Deutsche Ausgleichsbank, als Mittelstandsbank der KfW
zugeschlagen werden.
Die Gefahr - ich sage ausdrücklich: die Gefahr -, dass
bei der Suche nach Synergien die Mittelstandspolitik leidet, ist nicht von der Hand zu weisen. Deshalb ist die
tatsächliche Einbeziehung des Parlaments in all diese
Entscheidungsprozesse dringend nötig.
({1})
Das Einzige, das mich bei der Argumentation zum Verkauf der Deutschen Ausgleichsbank bisher überzeugt hat,
ist, dass auch auf diesem Wege Geld in die Kassen des Finanzministers fließt. Das mag kreativ erscheinen, innovativ aber ist es auf keinen Fall.
({2})
Herr Minister, Sie haben das Aktionsprogramm „Mittelstand“ angesprochen, mit dem Existenzgründungs- und
Beteiligungsförderungen weiter auf hohem Niveau versprochen werden. Aber auch hier gilt: Ohne Moos nix los.
Dem Aktionsprogramm droht ansonsten dasselbe Schicksal wie der Schöpfung des vorhergehenden Sommerlochs.
Ich meine damit die schon legendäre „Innovationsmilliarde“ im „Zukunftsprogramm 2000“, von der auch die
von Herrn Minister Müller verantwortete Mittelstandsund Technologieförderung profitieren sollten.
Inzwischen war wenigstens herauszubekommen, was
es mit dem Ding auf sich hat: Es geht um die Aufstockung
ausgewählter Titel gegenüber der ursprünglichen Finanzplanung. Diese aber befand sich regelmäßig im freien
Fall, sodass nicht 1 Milliarde DM mehr, sondern bestenfalls Geld auf dem Niveau der Vorjahre gesichert würde.
Aber selbst wenn man sich auf diese Phantomrechnung
einlässt, stellt man fest: Im Wirtschaftsetat tauchen ganze
119 Millionen DM auf. Da bleibt nur, den Minister in Abwandlung eines Oldies zu fragen: Sag mir, wo die Milliarden sind, wo sind sie geblieben.
({3})
Dies zu fragen muss zumindest im Jahr des unerwarteten
UMTS-Geldsegens erlaubt sein, zumal die Koalition versprochen hat, deren Zinsersparnis dauerhaft in Zukunftsinvestitionen zu stecken.
Zukunft aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht
nur Straße und Schienen. Ich stelle mir unter Zukunft insbesondere Innovationsnetzwerke vor, die gefördert werden sollen. Ich meine damit auch das in den Schubladen
des Wirtschaftsministeriums schlummernde NEMO-Projekt oder die schon laufenden erfolgreichen Programme
wie Pro Inno und BTU/Futour.
Dabei - das gestehe ich den verehrten Kolleginnen
und Kollegen von den Koalitionsfraktionen gern zu - ist
ihre Politik nicht gänzlich innovationsarm. Ich will ein
Beispiel für deren Chancen, aber auch zugleich Grenzen
nennen: Anfang 1998 haben wir von der PDS konkrete
Vorschläge für eine vernetzte und homogene Arbeitsmarkt-, Wirtschaftsförderungs-, Struktur- und Regionalpolitik eingebracht. Zugegeben: Das Ganze hatte den
ziemlich drögen Titel „Konsequente Ausrichtung der
staatlichen Instrumente zur Förderung der wirtschaftlichen Tätigkeit auf Beschäftigungswirksamkeit“. Das
liest sich ziemlich schlimm. Aber das war für Sie nicht der
Grund der Ablehnung.
Sie haben bessere Titel gefunden. Nach dem Regierungswechsel mischten dann knackige Namen wie „InnoRegio“ oder „soziale Stadt“ die tradierten Förderkulissen
auf. Sie entsprachen durchaus unseren Vorstellungen,
auch wenn sie nur Bausteine und noch keine durchgehende Förderphilosophie darstellten.
Vor wenigen Tagen nun kam ein Bericht des zuständigen Unterausschusses an den Planungsausschuss der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ auf den Tisch. Und was kann ich dort
unter „Handlungsempfehlungen“ hoffnungsfroh lesen? Vernetzung von aktiver Arbeitsmarktpolitik und insbesondere der GA Infrastrukturförderung, Vernetzung von
Gemeinschaftsaufgabe und „sozialer Stadt“, von Gemeinschaftsaufgabe und „Inno-Regio“. Nun frage ich mich
besorgt: Wann geht es los?
In dem Bericht wird auch für die Vernetzung von Gemeinschaftsaufgabe und „integrierter Konzeption zur
Entwicklung des ländlichen Raumes“ plädiert. Im Entwurf des später zu lesenden Landwirtschaftsetats wird in
den Vorbemerkungen zur dortigen Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur“ bereits ausdrücklich
auf vom Bundesministerium für Wirtschaft - Zitat - „in
diesem Zusammenhang zu ergreifende Maßnahmen“ hingewiesen. Nur finde ich dazu nichts im Wirtschaftsetat
und frage mich noch besorgter: Womit soll das eigentlich
losgehen?
Schließlich wird die Gemeinschaftsaufgabe im nächsten Jahr nach dem Willen der Koalition erstmals unter die
2-Milliarden-Grenze sinken. 1996 wurden noch über
3 Milliarden DM, im vergangenen Jahr noch über 2,5 Milliarden DM vom Bund ausgezahlt. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, zum Nulltarif ist die Schließung der zwischen
beiden Landesteilen klaffenden Entwicklungsschere nicht
zu erreichen.
Es stimmt auch nicht - das wird von vielen und wurde
auch vom Bundeskanzler in Eisenhüttenstadt gesagt -,
dass Politik keine Arbeitsplätze schaffen könnte. Er hat
dort gesagt:
Die Bundesregierung kann selbst keine Jobs schaffen. Aber sie kann durch eine gute Politik die Bedingungen schaffen, dass Menschen wieder in Arbeit
kommen.
Nein, Herr Bundeskanzler, auch Politik kann Arbeitsplätze schaffen, beispielsweise indem der Bund die Entwicklung des Airbus A3XX nur subventioniert, wenn im
Gegenzug die Hälfte der mit ihm einhergehenden Wertschöpfung in Ostdeutschland erfolgt.
({4})
Es gibt dort leistungsbereite und gut ausgebildete Beschäftigte und Hochschulabsolventen für die HightechIndustrie, die auf jeden Fall geschaffen werden muss, aber
keinesfalls ohne Starthilfe entstehen wird.
({5})
Ob Sie es mit dem Osten tatsächlich ernst meinen, muss
die Koalition in den nächsten Wochen auch im Umgang
mit einem PDS-Antrag beweisen.
Aber nicht nur bei Hochtechnologien muss die Koalition Flagge zeigen. Schon zum zweiten Mal in diesem
Jahr hungern Handwerkerinnen nur wenige Meter von
hier, am Brandenburger Tor. Ich weiß, es gibt die Einstellung, dies gehe den Bund nichts an. Ich sage nur: Herr
Minister, Sie haben in einer bemerkenswerten Rede zum
Thema „Leistungseliten und soziale Gerechtigkeit - ein
({6}) Widerspruch“ letzten Freitag in Münster gesagt, Leistung lasse sich
nicht mit wirtschaftlichem Erfolg oder gar mit Spitzengehältern gleichsetzen. Handwerker oder Mittelständler, die sich durch Kundennähe, Qualität und
Zuverlässigkeit auszeichnen, gehören selbstverständlich zu den Leistungseliten in diesem Land.
Aus meiner Sicht ergibt sich daraus auch eine große Verantwortung.
({7})
Kümmern Sie sich angesichts der grassierenden Zahlungsunmoral auch um diese Menschen; beispielsweise
mit einem Soforthilfefonds für unschuldig in Not geratene
Handwerkerinnen und Handwerker. Bei einer Summe von
12 Millionen DM käme schon die Hälfte davon von einer
Frau, die da draußen mithungert. Sie hat durch ihre Recherchen für den Fiskus 6 Millionen DM vor einem Betrüger gerettet, soll aber weiter vergeblich auf die ihr
zustehenden 400 000 DM warten.
Ihr erster selbst gewählter Schwerpunkt für die zweite
Halbzeit der Wahlperiode, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, lautet: „Zukunftsfähigkeit und
Teilhabe“. Dafür ist noch einiges zu leisten.
Danke schön.
({8})
Für die SPD-Fraktion gebe ich dem Kollegen Dr. Norbert Wieczorek das
Wort.
Herr Brüderle, ich
fand eines an Ihrer Rede gut: dass Sie sie gleich selber
zum Discount freigegeben haben. Sie haben nämlich gesagt: „Wer brüllt, hat schlechte Argumente“, und so lautstark habe ich Sie in diesem Haus noch nie gehört.
({0})
- Ja, da ist er sehr kooperativ. Das freut mich und das
kann ich nur begrüßen.
Ich möchte Ihnen keine Nachhilfe geben, sondern nur
daran erinnern, dass wir hier eigentlich über die Wirtschaftspolitik reden. Es ist auch schon der Begriff „Ordnungspolitik“ gefallen. Es gibt auch noch die Prozesspolitik. Die Frage ist vor allem, wie dies zusammengehört.
Es wird nämlich immer nur über einzelne Kästchen diskutiert.
Ich möchte daran erinnern: Als wir, die Koalition, die
Regierung übernommen haben, haben wir eine Zielsetzung gehabt - Zukunft zu gestalten, und zwar nachhaltig
zu gestalten und dabei soziale Gerechtigkeit walten zu
lassen.
Was haben wir vorgefunden? Hohe Arbeitslosigkeit,
einen zerrütteten Haushalt, Reformstau und vor allen Dingen ein negatives Image im In- und im Ausland.
Also galt es umzusteuern. Das ist gemacht worden
durch Konsolidierung und neue Prioritätensetzung aufgrund der Erkenntnis, dass Nachfrage- und Angebotspolitik zwei Seiten der gleichen Medaille sind und unverrückbar zusammen gehören. Jeder Volkswirt weiß, dass
Kreislaufzusammenhänge nicht dadurch aufgelöst werden, dass man über Einzelprojekte redet.
({1})
Es geht auch darum, Vertrauen zu schaffen.
Das haben wir angefangen mit der Steuerreform I. Hier
ist die Konsolidierung der Steuerbasis geleistet worden.
Sie brachte zugleich eine Stärkung der privaten Einkommen. Ich erinnere nur an den Grundfreibetrag und die Tarifveränderungen, die auch den kleineren und mittleren
Unternehmen als Personenunternehmen zugute kommt,
was Sie gern negieren, und ich darf weiter - Stichwort: soziale Gerechtigkeit - an die Erhöhung des Kindergeldes
erinnern. Und wir haben im letzten Jahr das berühmte
JUMP-Programm aufgelegt.
Nun sehen Sie sich einmal an, wie das zusammengehört. Es besteht ein Angebot - durchaus mit einem gewissen Druck, dass man es annimmt, weil ein Angebot
natürlich auch dazu verpflichtet, dass man es annimmt zur weiteren Ausbildung, zur Aufnahme einer Arbeit. Das
ist der eine Teil.
Der andere Teil: Es war natürlich für die, die dort hineingekommen sind, ein Erfolg. Sie wissen, dass es ein
Erfolg war. Dass nicht alles ordentlich lief, ist klar. Aber
es war ein Erfolg, hat natürlich auch zur Stärkung der
Kaufkraft beigetragen und vor allen Dingen zum Vertrauen: Es geht wieder aufwärts. Das halte ich für ganz
wichtig.
Zur Ökosteuer und Ihrer Argumentation sage ich gleich
noch etwas.
Das Gleiche gilt für die Lohnnebenkosten. Man muss
einfach sehen: Es ist gelungen, die Lohnnebenkosten herunterzudrücken, und zwar sowohl für Arbeitnehmer als
auch für Arbeitgeber. Bei den Arbeitnehmern hat das mehr
kaufkräftige Nachfrage mit sich gebracht. Schauen Sie
sich einmal an, was die Bundesbank zur Entwicklung der
privaten Arbeitnehmereinkommen sagt. Die sind nämlich
im letzten Jahr deutlich gestiegen. Das muss man einfach
sehen.
Am Anfang hatten wir natürlich Schwierigkeiten in der
Koalition, also in der Regierung. Ich gebe das zu. Da
brauchen wir uns nichts zu erzählen. Es hat ja keinen Sinn,
darum herumzureden. Nachdem sich das konsolidiert hat,
sehen Sie jetzt auch, dass sich die Konjunktur stabilisiert
hat.
Es ist mitnichten nur der Export. Es ist vor allem der
Export. Dazu gleich eine Klammerbemerkung: Unser Export, der auf Dollarbasis abgerechnet wird, ist bei weitem
geringer als der, der auf Euro-Basis abgerechnet wird.
Und da spielt der Wechselkurs keine Rolle. Also muss es
andere Gründe dafür geben.
Das können Sie an der deutlichen Steigerung der Produktivität, an der deutlichen Verbesserung der Kostensituation ablesen. Nehmen Sie die Entwicklung der Lohnstückkosten. Die Stabilisierung der Konjunktur erfolgt
auf der Basis einer solchen Politik, nämlich mit sehr vernünftigen Tarifabschlüssen zwischen den Tarifvertragsparteien.
({2})
Das ist auch das Bündnis für Arbeit.
({3})
Das ist auch die Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation. Sie ist auch dieses Jahr noch nicht ideal. Der
September ist immer der kritische Monat. Aber zum ersten Mal sieht es so aus, als könne zumindest in Westdeutschland ein Ausgleich zwischen angebotenen Ausbildungsplätzen und Nachfrage erfolgen; in Ostdeutschland
aus vielen Gründen, die mit der Entwicklung seit 1990 zu
tun haben, noch nicht. Es ist aber bemerkenswert, dass
sich in Ostdeutschland die Anzahl der von Betrieben angebotenen Ausbildungsplätze gesteigert hat. Das ist doch
auch kein Zufall. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis.
Dann sieht das alles schon ein bisschen anders aus, als es
in Ihrem Lamento eben anklang.
({4})
Deswegen kommt es jetzt auch darauf an, diese Politik
fortzusetzen. Das macht dieser Haushalt, nämlich mit einer weiteren Konsolidierung, nicht etwa mit einer Entscheidung, den plötzlichen Geldregen aus der UMTSVersteigerung für alles mögliche auszugeben. Es gab ja
viele Vorschläge. Vielmehr beschränkt er sich darauf, die
aus ersparten Zinszahlungen freien Mittel gezielt einzusetzen.
Ich möchte hier einmal nennen, was wir machen. Da ist
die Steuerreform mit erheblichen Entlastungen - zusätzlich zu denen des letzten Jahres - bis 2005, Anfang im
nächsten Jahr.
Die Mär, die Sie vorgelesen haben, war wirklich ganz
lustig: 51 Prozent. Sie wissen genauso gut wie ich, dass
über 90 Prozent der so genannten mittelständischen Unternehmen deutlich unter der Schwelle liegen, sogar noch
begünstigt werden, weil wir für sie die Gewerbesteuer
praktisch abgeschafft haben. Die Gewerbesteuer für die
Gemeinden bleibt erhalten, aber die Unternehmen brauchen sie in diesem Bereich nicht mehr zu bezahlen. Seien
Sie da einmal ein bisschen korrekter.
Ich möchte darauf hinweisen - dies zu dem Stichwort
„soziale Gerechtigkeit“ -, dass wir gerade für die Gruppen, die es nötig haben, zu Beginn des nächsten Jahres
Einkommenssteigerungen in Kraft treten lassen. Ich darf
zum Beispiel an das Wohngeld erinnern; dies steht auch
in direktem Zusammenhang mit dem Thema Heizöl. Nur
als kleine Randbemerkung betreffend das Heizöl: In diesem Bereich ist überhaupt keine Erhöhung der Ökosteuer
geplant. Es kann also gar nichts ausgesetzt werden. - Das
aber nur zu Ihrer Information; denn es ist ja geradezu absurd, was da erzählt wird.
({5})
Darüber hinaus erhöhen wir die BAföG-Leistungen;
das ist gleichzeitig eine Investition. Natürlich haben wir
das Problem, dass zu wenig junge Leute Naturwissenschaften und IT-Wissenschaften studieren. Aber wer hat
das BAföG denn eingefroren: Sie oder wir? Wir erhöhen
die Leistungen und geben den jungen Leuten gleichzeitig
eine Zukunftschance.
({6})
Ich darf an das Erziehungsgeld erinnern und auch daran,
dass wir die Förderkulissen stabilisieren. Das gilt auch
und gerade für den Aufbau Ost. Herr Minister Müller hat
schon darauf hingewiesen. Mein Kollege Staffelt wird
gleich ausdrücklich darauf eingehen.
Dies alles hat bereits zu deutlichen Verbesserungen geführt, und zwar in Bezug auf das Vertrauen im Inneren, sogar beim Handel. Ich habe hier ein Schaubild vorliegen,
das zeigt, dass sich das Handelsklima schon deutlich gebessert hat. Das reicht zwar noch nicht aus. Aber unsere
Politik wird fortgesetzt und das wird anerkannt.
Dass es vorwärts geht, erkennen Sie auch daran, dass
Deutschland im berühmten „competitive ranking“ von
Platz 6 auf Platz 3 gestiegen ist; das ist eine für uns sehr
positive Einschätzung. Woher kommt das denn? Woher
kommt es denn, dass „Business Week“ und “Financial
Times“ die deutsche Politik jetzt loben, aber vorher von
der deutschen Sklerose geredet haben? Insofern stimmt
auch das, was Sie in Bezug auf den Euro gesagt haben,
nämlich dass die Schwäche der Währung durch die Bundesrepublik verursacht wird, nicht.
Aber lassen Sie mich zum Thema zurückkommen.
({7})
- Ich werde noch auf den Euro zu sprechen kommen,
keine Sorge. Ich möchte Ihnen aber empfehlen, einmal darüber nachzudenken, was man durch loses Reden anrichten kann.
({8})
- Ich weiß, was Sie hören wollen, werde aber etwas anderes sagen. Ich meine nämlich etwas viel Grundlegenderes.
({9})
- Das habe ich gar nicht nötig; ich unterstütze ihn. Sie
werden gleich erfahren, was ich meine.
({10})
Jetzt zurück: Diese Verbesserungen resultieren aber insbesondere - Herr Brüderle, das ist sonst Ihr Thema - aus
der verbesserten Flexibilität in den Unternehmen. Ich
nenne einen konkreten Fall. Ich habe vorige Woche mit
dem Vorstand eines internationalen Konzerns gesprochen,
der jetzt Produktionen nach Groß-Gerau, in den Wahlkreis, den ich vertrete, verlagert, weil nach einer Konzernstudie die Flexibilität des Arbeits- und Kapitaleinsatzes in Deutschland besser ist als an anderen Standorten,
besser auch als zum Beispiel in Mexiko. Und das ist doch
ein Land, von dem Sie immer sagen, wie toll das dort ist.
Ähnliches gilt übrigens auch für Opel - nur damit wir wissen, wovon wir reden.
({11})
Wir sind also auf dem richtigen Weg mit einer in sich
aufeinander abgestimmten Politik. Wir alle wissen, dass
nicht alle Einzelheiten genau aufeinander abgestimmt
sein können. Ich warne aber davor, immer nur Kästchendenken zu betreiben. Wir sollten die Linie verfolgen, die
ich vorhin verdeutlicht habe.
Ich möchte nun zu zwei Problemen kommen, die unser
Wachstum beeinträchtigen können.
Erster Punkt. Benzin- bzw. Dieselpreis. Allen, die sagen, man müsse nur die Ökosteuer aussetzen oder senken, dann würde der Preis sinken, empfehle ich, sich das
Schaubild aus dem „Spiegel“ dieser Woche dazu anzusehen. Ich greife beispielhaft nur zwei Länder heraus: In Luxemburg betragen die Steuern auf Dieselkraftstoff
0,68 DM pro Liter, in Deutschland 0,96 DM. In Luxemburg verbleiben den Anbietern - das ist der Nettopreis,
also der Preis ohne Steuern - 0,75 DM pro Liter, in
Deutschland 0,65 DM. Würde man bei uns die Ökosteuer
um 10 Pfennig senken, ginge sicher der Anteil der Anbieter, also der Ölkonzerne, auf 0,75 DM hoch. Genau das
würde eintreten. Machen Sie sich doch nichts vor!
({12})
Zweitens. Wir erleben in der Ölbranche eine Konzentration sondergleichen. Denken Sie nur an die letzten ZuDr. Norbert Wieczorek
sammenschlüsse, zum Beispiel von Shell, BP, Arco und
anderen. Dies sind zum großen Teil die Ölförderer und
-exporteure. Es geht ja nicht nur um die OPEC; wir bekommen relativ wenig von der OPEC. Und fragen Sie
sich einmal, warum die Charterraten für Tanker so merkwürdig gestiegen sind. Es ist doch kein Geheimnis: Eine
Reihe von Tankern wird als Lagerstätten für gefördertes
Öl, das aus Spekulationsgründen nicht an den Markt gebracht wird, genutzt.
Das alles wollen Sie schützen? Sie behaupten, da
müsse jetzt etwas gemacht werden. Aber was Sie wollen,
ist doch etwas ganz anders. Sie nutzen die Ökosteuer wegen des verständlichen Ärgers der Bevölkerung. Auch ich
ärgere mich, wenn ich tanke. Völlig klar! Aber ich kann
es mir als Bundestagsabgeordneter noch eher leisten als
ein Facharbeiter bei Opel oder erst recht als ein Rentner.
({13})
Ich fahre allerdings auch langsamer. Dabei kann man
eine Menge sparen. Ich fahre nicht mehr 160, sondern
130 Stundenkilometer. So spare ich mindestens 1,5 Liter.
Aber das war nur eine kleine Randbemerkung.
Was Sie mit Ihrer Kampagne wollen, ist etwas anderes.
Aber Sie müssen die Risiken bedenken: Erstens müssen
Sie darauf achten, dass es nicht so wird wie in Großbritannien. Dann ist nämlich das Image dieser Bundesrepublik auch wirtschaftspolitisch wieder kaputt. Insofern
warne ich, was solche Reden angeht, vor Neugier.
({14})
- Ich habe nicht dich gemeint. Es gibt aber solche Äußerungen, lieber Gunnar.
({15})
- Gunnar, muss ich dir denn die Zitate geben? Das brauchen wir beide doch nicht.
({16})
- Mein lieber Herr Kollege, jetzt will ich einmal deutlich
werden. Ich fand es unverschämt, als gestern jemand in
diesem Zusammenhang auf die Kohledemonstration in
Bonn verwiesen hat. Damals gab es eine gesetzliche
Grundlage, übrigens von ihrem Kollegen Rexrodt mit
unterschrieben, und trotzdem sollte die Fördermenge gekippt werden. Dagegen hat man demonstriert. Das mit der
jetzigen Situation zu vergleichen finde ich unverantwortlich.
({17})
Wenn Sie diese Kampagne weitermachen, gehen Sie
also ein gewisses Risiko ein, was ich eben benannt habe.
Aber wir müssen zweitens auch darüber reden, was es an
notwendigen Änderungen gibt. Dazu zähle ich zum einen
die soziale Absicherung. Dazu habe ich schon einige
Punkte genannt. Über die Absicherung der Allerärmsten,
die Bezieher von Sozialhilfe, kann man reden. Das werden wir berücksichtigen.
Zum anderen: Es gibt doch mit dem Speditionsgewerbe Gespräche darüber, dass - was auch durch Ihre Politik mit verursacht wurde - die Wettbewerbsbedingungen, die in dieser Branche nicht normal sind - graue
Cabotage, extreme Ausnutzung von ausländischen Fahrern für 20 Dollar und weniger am Tag -, verbessert werden müssen. Dazu sind wir bereit, das müssen wir angehen.
({18})
Sie dürfen das jetzt nicht kaputt machen, indem Sie
gleichzeitig entweder eine Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge - das wäre für unsere Konjunktur hervorragend - oder die Aufgabe der Haushaltskonsolidierung fordern, was alles andere als erfreulich ist. Wollen Sie das?
Das ist doch der Hebel, den Sie strategisch benutzen. Sie
wissen genau: Das ist das eigentliche Ziel; alles andere
sind doch Krokodilstränen.
({19})
Auch wenn meine Redezeit fast abgelaufen ist, möchte
ich noch ein Wort zum Euro sagen. Wer glaubt, dass der
Euro nur von der deutschen Bundesregierung abhängt, der
täuscht sich.
({20})
Der Kollege Waigel ist im Grunde ein sehr seriöser Mann,
auch wenn er manchmal ganz schön polemisieren kann.
Er hat zu Recht in der „FAZ“ etwas zu der Entwicklung
der Wechselkurse gesagt und darauf hingewiesen, dass
wir zeitweise eine konkurrenzlos hohe Dollar/D-MarkRelation hatten. Dies war einmal Anfang der 80er-Jahre
- in den 70er-Jahren gab es einen sehr niedrigen Dollarkurs - und dann noch mal Ende der 80er-Jahre der Fall.
Dazu kann man doch nur sagen: Wie kann man dann denken, das liefe alles über die Politik?
Der eigentliche Grund für die Euro-Schwäche ist doch
erstens, dass das Wachstum in den USA besser läuft. Wir
sind gerade dabei aufzuholen. Wir haben übrigens die begründete Vermutung, dass die Statistik das Wachstum bei
uns unterschätzt. Das hat jetzt gerade auch deutlich
Eurostat gemerkt. Ein zweiter Grund sind die Kapitalbewegungen. Hierbei muss man natürlich sehen, dass insbesondere nach Asien viel Geld zurückfließt, weil dort, insbesondere in Japan, Liquiditätsknappheit herrscht
aufgrund der Tatsache, dass dort die Banken kaum Kredite mehr vergeben.
Der dritte Grund ist - damit komme ich darauf zurück,
was ich vorhin angedeutet habe - das lose Reden. Das
Theater, was wir hier veranstalten, aber auch das, was
über die Entwicklung der Europäischen Union gesagt
wird, stimmt natürlich einen mittelfristigen Anleger, der
sich fragt, mit wem er kontrahiert, nachdenklich: nicht nur
mit der EZB, sondern auch mit der Politik. Deswegen pläDr. Norbert Wieczorek
diere ich sehr dafür, dass man gerade in der Europapolitik - ich war Europapolitiker und bin es nach wie vor -,
nicht einer Renationalisierung à la Stoiber das Wort redet,
sondern, wenn man Zukunftsvisionen beschreibt, sehr detailliert sagt, wie man von dem Hier und Heute ohne Aufgabe dessen, was man erreicht hat, zu einem neuen Standpunkt kommt, den wir, glaube ich, alle wollen. Denn
soweit ich weiß, könnten auch Sie sich, Herr Brüderle,
eine andere EU vorstellen.
({21})
Dieses ist für mich ganz wichtig. Wenn wir das gemeinsam machen, dann haben wir eine Chance, um weiterzukommen mit der Politik und den Ergebnissen, die wir
haben. Wir können uns über die Einzelheiten der Politik
trefflich streiten, wie wir es bei der Steuerreform gern gemacht hätten, wenn die CDU/CSU, Kollege Uldall, in der
Lage und bereit gewesen wäre, in echte Verhandlungen
einzutreten. Die Papiere Bayerns dazu zum Beispiel sind
ja in München liegen geblieben.
Dass du, lieber Gunnar Uldall, entsetzt und etwas traurig bist, ist klar. Nur, deine Steuerreform ist ja auch gescheitert. Insofern konntest du mit der Vereinfachung
auch nicht weiterkommen. Deswegen verstehe ich die
Frustration.
({22})
Für die CDU/CSUFraktion spricht nun der Kollege Klaus Brähmig.
Herr Präsident! Sehr
geehrte Damen und Herren! Im Bundeshaushalt 2001 gibt
es zwei Etatpläne, die gegenüber dem Vorjahr brutal zusammengekürzt wurden: der Einzelplan Verkehr um
9,8 Prozent und der Einzelplan Wirtschaft, über den wir
heute debattieren, um 7 Prozent. Mit einer Investitionsquote von 11,4 Prozent des Bundeshaushaltes wird der
Anteil für Straßenbau, Wirtschaftsförderung und Investitionen das niedrigste Niveau seit 1982 erreichen - ein
trauriger Rekord, den die rot-grüne Bundesregierung hält.
Diese drastischen Kürzungen treffen in besonderer
Weise die mitteldeutschen Bundesländer. Dort besteht
nach wie vor - trotz der massiven Investitionen seit 1990 immer noch ein großer Nachholbedarf, um überhaupt erst
die richtigen Rahmenbedingungen für eine sich selbst tragende, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu schaffen.
An diesen Fakten zeigt sich erneut, dass Anspruch und
Wirklichkeit im politischen Handeln der rot-grünen Bundesregierung noch weiter voneinander entfernt sind als
der Mond von der Erde.
({0})
Wenn der Haushaltsentwurf 2001 die Lehre aus der
„Entdeckungsreise“ des Bundeskanzlers in „seinen persönlichen Fernen Osten“ ist, dann kann man nur hoffen
und wünschen, dass er sich mit dem nächsten intensiven
Besuch wieder zehn Jahre Zeit lässt.
Seit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung werden die Unterschiede zwischen Ost und West wieder
größer. Von der bundesweiten Arbeitsmarktentwicklung
hat sich der Osten fast völlig abgekoppelt. Die ungleiche
Entwicklung führt auch zu einem deutlichen Anstieg der
Abwanderung von Fachkräften von Ost nach West. Wie
wollen Sie den Menschen im Osten erklären, dass trotz
dieser negativen wirtschaftlichen Kennzahlen die Mittel
für den Aufbau Ost im nächsten Jahr um knapp 3 Milliarden DM gekürzt werden sollen? Ich hätte mir gewünscht,
dass der Ostminister, Herr Schwanitz, heute hier wäre.
Einige besondere Misstöne in diesem Streichorchester
stellen die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung“ mit minus 299 Millionen DM, der Straßenbau
in den östlichen Bundesländern mit minus 207 Millionen DM und der Bereich Forschung und Entwicklung
in Sachsen, Thüringen, Brandenburg, MecklenburgVorpommern und Sachsen-Anhalt mit minus 30 Millionen DM dar.
Gestatten Sie mir eine genauere Betrachtung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den ostdeutschen Bundesländern. Unter der CDU/CSU-geführten
Bundesregierung standen 1998 in diesem Bereich noch
mehr als 300 Millionen DM zur Verfügung. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie meldete für
den Haushalt 2001 einen Bedarf von 255 Millionen DM
an. Im Haushaltsentwurf wurden jedoch nur 225 Millionen DM eingestellt. Die rot-grüne Bundesregierung hat
mit diesen Entscheidungen die Mittel für Forschung und
Entwicklung in den neuen Ländern nicht nur innerhalb
von drei Jahren um ein Drittel reduziert, sondern die mittelfristige Finanzplanung sieht sogar vor, diesen Titel bis
2003 auf 50 Millionen DM zurückzuführen.
({1})
Mit dieser Maßnahme können keine neuen Anträge auf
Industrieforschung gestellt werden und die externe Industrieforschung bzw. Ansiedlung von Forschung und Entwicklung in ostdeutschen kleinen und mittelständischen
Unternehmen wird massiv behindert. Hier zeigt sich erneut, wie wenig das Kanzlerwort von Gerhard Schröder
wert ist. Wurde den ostdeutschen Ländern beim Amtsantritt nicht eine „Zukunftsmilliarde“ versprochen? Zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch hier ein himmelweiter Unterschied!
Mit diesem Streichpaket trifft die Bundesregierung in
besonderer Weise strukturschwache Regionen. Ist das Ihr
Beitrag zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit zwischen
Erzgebirge und Rügen, die mittlerweile knapp das Zweieinhalbfache der westdeutschen Quote beträgt? Wie sieht
es im Haushaltsentwurf im Bereich der Förderung des
Tourismus aus, der in der sich verändernden Wirtschaftslandschaft des Ostens eine besondere Rolle spielt und
gerade dort einer der wichtigsten Hoffnungsträger bei der
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist? Herr Minister
Müller, leider haben Sie in Ihrer Rede kein einziges Wort
zu diesem wichtigen Wirtschaftsfaktor gesagt.
Meine Damen und Herren, im Haushaltsentwurf kann
man nicht erkennen, dass die Bundesregierung eine
besondere Kraftanstrengung unternehmen will, um die
2,8 Millionen Arbeitsplätze und 80 000 Lehrstellen in
ganz Deutschland zu sichern bzw. zusätzliche Arbeitsplatzpotenziale im Tourismus zu aktivieren. Im Gegenteil,
die Gesamtmittel für die beiden Titel zur Förderung des
Fremdenverkehrs werden sogar noch um eine knappe
Million gekürzt. Eine Expertenkommission der Europäischen Union hat bis 2010 innerhalb der EU ein Potenzial
für neue Arbeitsplätze im Tourismus in Höhe von 3,3 Millionen Arbeitsplätzen festgestellt.
Wir brauchen mehr internationale, kaufkräftige Besucher, und das besonders im Osten der Republik, der auch
hier erheblichen Nachholebedarf hat: Während im Westen
unseres Vaterlandes der Anteil ausländischer Gäste bei
den Übernachtungen bei 12,9 Prozent liegt, beträgt dieser
Wert im Osten mit 5,6 Prozent nicht einmal die Hälfte.
Welchen Sinn macht denn die maßgeblich aus Bundesmitteln finanzierte Auslandswerbeorganisation DZT
mit Vertretungen zum Beispiel in Stockholm, Wien, Oslo,
Zürich, Toronto und New York, wenn die Marketingbudgets nicht ausreichen, um eine nachhaltige Marktdurchdringung für das Urlaubs- und Reiseland Deutschland zu
erreichen?
({2})
Meine Damen und Herren, bei meinen Gesprächen mit
Auslandsvertretungen der DZT wurde deutlich, dass das
Budget teilweise noch nicht einmal ausreicht, um alle
Prospektanfragen zu beantworten, geschweige denn, um
substanzielle Marketingkampagnen durchzuführen.
Auch die EXPO konnte in wichtigen Quellmärkten leider nicht adäquat vermarktet werden. Es sieht so aus, als
sei auch diese Chance von der Bundesregierung und den
Koalitionsfraktionen einfach verschlafen worden. Dabei
hat die Bundesregierung die große Bedeutung von Werbung und Marketing offensichtlich erkannt, aber leider
nur für sich selbst. Sonst hätten Sie ja nicht die Titel für
Werbung und Öffentlichkeitsarbeit in allen Bundesministerien seit 1999 drastisch erhöht. Mit ganzseitigen Anzeigen werden in „Stern“, „Spiegel“, „Focus“ und „Gala“ sowie in Tageszeitungen die „Wohltaten“ der rot-grünen
Bundesregierung gelobhudelt. Sinnvoller als diese Verwendung der Steuergelder wäre die verstärkte Vermarktung unseres Landes als Tourismusstandort, von der
Deutschland auch als Wirtschafts-, Wissenschafts-, Kultur- und Verkehrsstandort nachhaltig profitieren könnte.
Meinen Vorschlag, das Jahr 2001 zum „Jahr des Tourismus“ in Deutschland auszurufen, haben Sie, Herr
Minister Müller und Herr Staatssekretär Mosdorf, dankenswerterweise aufgenommen und sich zu Eigen gemacht. Da ich Sie bisher als redliche Verhandlungspartner
kennen gelernt habe, gehe ich davon aus, dass Sie das
Urheberrecht für diese Idee nicht für sich in Anspruch
nehmen.
({3})
Dieses Projekt könnte für den Tourismusstandort
Deutschland eine große Chance sein, darf aber nicht halbherzig gestartet werden. Nicht Kleckern, sondern Klotzen
muss dann die Devise heißen. Herr Müller, Herr Mosdorf,
nicht nur Worte, sondern Taten sind gefragt. Unterstützen
Sie unsere Forderung nach einer kräftigen Erhöhung der
Tourismusmittel im Haushalt!
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, lassen Sie mich abschließend noch einen preiswerten Marketingtipp in die Debatte einbringen: Auf einer Informationsreise der Arbeitsgruppe Tourismus unserer Fraktion nach Österreich konnten wir bei allen
Gesprächspartnern, vom Bundeskanzler Dr. Schüssel bis
hin zu Bürgermeistern von kleinen Gemeinden, die tiefe
Verbitterung der Menschen und politisch Verantwortlichen in unserem Nachbarland spüren, die das unsägliche
Verhalten der rot-grünen Bundesregierung im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen hervorgerufen hat. Gott
sei Dank hat die deutsche Bevölkerung der Regierung
Schröder in doppelter Weise die rote Karte gezeigt:
({4})
Über 80 Prozent unserer Bevölkerung lehnt nach Umfragen die Sanktionen gegen Österreich ab und auch bei der
Wahl des Urlaubsziels ließen sich die Menschen nicht von
der Schröder-Regierung beeinflussen.
Als Wiedergutmachung fordere ich Bundeskanzler
Schröder auf, sich bei seinem Amtskollegen Dr. Wolfgang
Schüssel und dem gesamten österreichischen Volk zu entschuldigen.
({5})
Adäquat wäre eine Einladung der österreichischen Bundesregierung auf die EXPO in Hannover, um dort wieder
auf den Weg der Kooperation und nachbarschaftlichen
Zusammenarbeit zurückzukehren.
({6})
Dies wäre auch eine symbolische Wiedergutmachung gegenüber dem misslungenen EXPO-Empfang für den
österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil im
Juni und auch eine dringend notwendige Marketingmaßnahme für mehr österreichische Besucher auf der
EXPO 2000 in Hannover.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir sollten im Zusammenhang mit dieser Haushaltsdebatte und der Kritik, die hier
laut geworden ist, noch einmal auf die Tatsachen und Fakten zurückkommen. Wenn ich es richtig sehe, enthält dieser Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft Schwerpunkte, die wir hier im Hause hoffentlich alle teilen.
Allein für die Mittelstandsförderung und für die Entwicklung des Mittelstandes sind 885 Millionen DM vorgesehen. Ich sage das hier, weil man anderenfalls, wenn
man Ihnen und Ihren Reden folgt, den Eindruck bekommen könnte, als werde hier gar nichts mehr getan.
({0})
Wir haben in der Gewerbeförderung für den Mittelstand über 300 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Das
bedeutet: Beratungsförderung, Lehrlingsunterweisung und
Meister-BAföG. Wir haben im Bereich von Innovation
und Forschung 540 Millionen DM allein für die Energieforschung bereitgestellt.
({1})
Für die Förderung der Außenwirtschaft haben wir in diesem Haushalt 177 Millionen DM verankert. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können.
({2})
Noch eines müssten Sie uns eigentlich, wenn Sie einigermaßen redlich sind, zugestehen: Es ist doch nicht die
Wahrheit, wenn behauptet wird, bei jeder Haushaltsaufstellung müsse ein Plus dazukommen, nur das bringe
ein Mehr an Effektivität. Frau Wöhrl, das ist in keinem
Unternehmen so und das ist auch bei öffentlichen Haushalten nicht so. Unser Auftrag und die Aufgabe des Bundesministers ist doch, dass wir die Programme so konzentrieren und so einsetzen, dass es wenig Leerlauf gibt,
dass eine gezielte Förderung mit entsprechenden Auswirkungen auf den Markt und auf die Unternehmen stattfindet. Das ist das Ziel und das wird mit den Zahlen dieses
Haushaltes allemal erreicht.
({3})
Damit auch die folgenden Zahlen das Licht der Öffentlichkeit erblicken: Wir haben allein im Bereich der
Förderbanken des Bundes, nämlich der Deutschen Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau, ein
Volumen von 42 Milliarden DM für Gründer- und Mittelstandsprogramme bereitgestellt. Auch das ist doch wohl
ein angemessener Beitrag zur Entwicklung des Mittelstandes in unserem Lande.
({4})
Tun Sie also nicht so, Herr Brüderle, als machten wir
eine Politik, die den Mittelstand nicht fördert. Seien Sie
ehrlich: Das Gegenteil ist der Fall. Jeder von uns hat seine
eigenen Erfahrungen, hat - wir kennen das ja - mit dem
Präsidenten X oder Y gesprochen. Meine Erfahrung ist,
dass sehr viele Vertreter der Branchen des Mittelstandes
die Politik dieser Bundesregierung ausdrücklich begrüßen. Das gilt übrigens auch für die Steuerreform, die wir
realisiert haben.
({5})
Herr Kollege
Staffelt, Ihr Fraktionskollege Hubertus Heil möchte eine
Frage an Sie stellen.
({0})
Ja, bitte schön, Herr Heil.
Herr Kollege Dr. Staffelt, Sie
haben das Thema Steuern angesprochen. Mich interessiert
in Bezug auf das, was Herr Uldall ausgeführt hat: Wie verhält es sich mit der angeblichen Diskriminierung von Personenunternehmen, die von der Opposition immer wieder
vorgebracht wird?
({0})
- Das ist das Forum des Volkes, wenn Sie das noch nicht
mitbekommen haben, und nicht eine Privatveranstaltung
für irgendwelche Menschen mit Schnauzbart.
Schönen Dank, Herr Kollege Heil. Ich wollte nur sagen: Ich habe ein ähnliches
Recht wie Herr Brüderle, auch ich kann auf Fragen antworten und dabei noch das sagen, was ich gerne sagen
möchte. Insoweit, Herr Brüderle, sind wir wieder ganz
nahe beieinander.
Um Ihre Frage aufzunehmen: Ich halte es einfach für
eine Mär - die von Ihnen immer und immer wieder in die
Öffentlichkeit gesetzt wird -, dass Personengesellschaften gegenüber Kapitalgesellschaften benachteiligt werden.
({0})
Die 38-prozentige Gewinnbelastung, von der wir bei Kapitalgesellschaften ausgehen - Körperschaftsteuer plus
Gewerbesteuer -, wird ja überhaupt nur von Personenunternehmen erreicht, die einen Gewinn vor Steuern von
mehr als 240 000 DM ausweisen. Mehr als 90 Prozent
aller Personenunternehmen weisen aber einen Gewinn
vor Steuern von nur ungefähr 100 000 DM aus. Das, was
Sie vorrechnen, mag zwar auf Einzelfälle zutreffen. Aber
im Grunde genommen haben wir durch die Reform des
Einkommensteuertarifs die Personengesellschaften besser gestellt als die Kapitalgesellschaften. Das soll hier
noch einmal ausdrücklich gesagt werden. Genau das ist
ein Beitrag zur Förderung des Mittelstandes.
({1})
Lassen Sie mich noch kurz etwas zu dem Thema Aufbau Ost sagen, weil mich das die ganzen Ferien über
geärgert hat. Ähnlich wie damals bei Holzmann erklärt
man - je nachdem, wer gerade unterwegs ist -: Der macht
das ja nur, um eine Shownummer abzuziehen. Diese Art
der Beliebigkeit Ihrer Argumentation wird Ihnen noch auf
die Füße fallen. Es ist doch wohl zunächst festzuhalten:
Seit über 16 Jahren hat sich kein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland so intensiv um die ökonomischen Fragen dieses Landes gekümmert wie Gerhard
Schröder.
({2})
- Hören Sie bloß auf! Sie praktizieren eine parteipolitische Instrumentalisierung. Sie aus dem Sauerland sind so
weit weg von den Realitäten Ostdeutschlands, dass Sie
jetzt besser ein bisschen ruhiger sein sollten.
({3})
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Den Menschen ist zwar
viel Herz vermittelt worden, aber das hat an vielen Stellen
leider nicht zu einer Verbesserung der ökonomischen
Lage geführt. Wenn ein Bundeskanzler durch Ostdeutschland reist und dabei auf die positiven Beispiele der wirtschaftlichen Entwicklung verweist, auf Produkte aufmerksam macht, die in Ostdeutschland in hervorragender
Weise entwickelt worden sind, dann ist das ein Beitrag zur
Entwicklung Ostdeutschlands, den man nur begrüßen
kann. Alles andere ist doch nichts weiter als billige Agitation.
({4})
Lassen Sie mich schließlich noch auf Folgendes verweisen: Dieses Land hat durch gute Rahmenbedingungen,
die diese Regierung geschaffen hat - auch im Bereich der
Unternehmen des Neuen Marktes -, eine Landschaft entwickelt, die sich sehen lassen kann. Wenn Sie sich alleine
die Zahlen über das Venture Capital anschauen, dann
wissen Sie, welches Potenzial hier zur Verfügung steht.
Jeder dritte Euro, der in Beteiligungen investiert wird,
fließt in junge, neue Unternehmen.
({5})
Das kommt doch nicht daher, weil sich diese Regierung
weigert, diese Entwicklung zu unterstützen. Das kommt
doch vielmehr daher, dass die Investoren wissen: Ja, diese
Regierung fördert die Entwicklung der modernen Technologien. Das ist unser Ziel, das wir auch konsequent verfolgen.
Wir haben nie viel davon gehalten, Old und New Economy gegeneinander auszuspielen. Das wäre ja auch
Blödsinn; denn beide gehören zusammen und bedingen
einander. Deshalb müssen wir einerseits zu dem stehen,
was wir im Bereich der Old Economy zugesagt haben,
und andererseits das Neue dynamisch aufbauen. Das ist
unsere Grundphilosophie.
({6})
Ich möchte schließlich kurz und knapp auch noch auf
das Handwerk eingehen, um Missverständnissen vorzubeugen. Wir wollen auch beim Handwerk die notwendigen Modernisierungsschritte mittragen, und zwar in Abstimmung mit dem Zentralverband des Deutschen
Handwerks, und das aufnehmen, was Präsident Philipp
und Hauptgeschäftsführer Schleyer immer wieder gesagt
haben: Auch das Handwerk ist beweglich und will die
Moderne. Das werden wir im Konsens mit diesen Herren
machen. Die Gespräche laufen bereits. Niemand muss
sich sorgen, dass diese Koalition etwa die Handwerksordnung aushebelt und den großen Befähigungsnachweis
abschafft. Wir wissen, was dieses Land am Handwerk hat,
und zwar sowohl hinsichtlich Arbeitsplätzen als auch hinsichtlich Ausbildungsplätzen.
({7})
Ich möchte auch erwähnen, dass die Entwicklung in
diesem Land - das können Sie doch gar nicht leugnen insgesamt mehr als erfreulich ist: 3 Prozent, möglicherweise sogar 3,25 Prozent Wachstum und eine sich aufgrund von Neueinstellungen und Investitionen positiv
entwickelnde Arbeitslosenzahl.
({8})
- Frau Wöhrl, Sie machen auch solche Sprünge. Auf der
einen Seite erklären Sie im Ausschuss, dass das Rabattgesetz etwas ganz Gefährliches für den Mittelstand sei, und
auf der anderen Seite bietet Ihre Firma das „knopfstarke“
Wöhrl-Bonus-Programm mit vielen Extras an, neu und
einzigartig.
({9})
Sie gehen in Wahrheit mit der Moderne mit. Aber Sie
trauen sich nur noch nicht, dies der Öffentlichkeit zu
sagen, wenn Sie den CSU-Rock anhaben.
({10})
Haben Sie mehr Mut! Tun Sie das! Dann können wir in
diesem Lande auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik
betreiben.
({11})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Gunnar Uldall das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Durch die SPD-Kollegen wurde ich
auf meinen Beitrag über die Auswirkung der Steuerreform
auf die unterschiedliche Rechtsform der Betriebe angesprochen. Es gibt einen absolut unabhängigen und wirklich souveränen Beobachter der deutschen Wirtschaftsund Finanzpolitik: Das ist die Deutsche Bundesbank. Es
geht nicht darum, verschiedene Beispiele zu konstruieren.
Wir sind alle lange genug im Geschäft, um das zu beherrschen.
Deswegen sage ich: Beziehen wir uns auf die Zahlen
der unabhängigen Deutschen Bundesbank. Sie schreibt in
ihrem letzten Bericht: Wenn man einen Gewinn in der
Höhe von zum Beispiel 100 000 DM erzielt, der thesauriert wird, das heißt in die Rücklage gestellt wird, und man
bereits den höchsten Steuersatz erreicht hat - das ist bei
einer Personengesellschaft bei 240 000 DM der Fall -,
dann erfolgt bei einer KG, einer OHG, einer GbR die Besteuerung mit 51 Prozent. Eine GmbH, eine Aktiengesellschaft, die auch über 240 000 DM Gewinn macht und
ebenfalls 100 000 DM thesaurieren will, wird nur mit
38 Prozent besteuert. Somit stehen den 38 000 DM
51 000 DM gegenüber. Diesen Unterschied können Sie
nicht erklären. Ich prognostiziere, dass Sie diesen Unterschied auf Dauer nicht vertreten können. Kein Mensch in
Deutschland versteht, dass eine Besteuerung nicht nach
der Höhe des Gewinns erfolgt, sondern nach der Rechtsform des Unternehmens. Solchen Unsinn werden Sie auf
Dauer nicht vertreten können. Deswegen garantiere ich
Ihnen: Sie werden dieses in den nächsten Jahren wieder
zurücknehmen.
({0})
Nun hat der Sauerland-Abgeordnete Hartmut Schauerte um eine Kurzintervention gebeten.
Herr Kollege
Staffelt, ohne dass ich Ihnen einen Anlass dazu gegeben
habe: Sie haben die herrliche Region des Sauerlandes in
einer negativen Weise angesprochen, ({0})
- als sei der Standort Sauerland nicht geeignet, damit
man erkennt, was in den neuen Ländern los ist. Möglicherweise haben Sie zunächst an Ihren Generalsekretär
Müntefering gedacht.
({1})
Das könnte ich noch nachvollziehen. Grundsätzlich lehne
ich ab, Herr Kollege Staffelt, dass man Regionen mit solchen Bemerkungen belastet. Es gibt in jeder Region Wertvolle und weniger Wertvolle, Kluge und Dumme. Das soll
auch für Berlin gelten.
Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Ich
bin mit der sauerländischen mittelständischen Wirtschaft
und Industrie sehr verbunden. Die sauerländischen Unternehmen haben mit Investitionsentscheidungen und der
Schaffung von Arbeitsplätzen in den neuen Ländern unglaublich erfolgreich gewirkt und Gutes gestiftet. Ich behaupte, dass sie mehr Gutes bewirkt haben, als die Berliner Wirtschaft zusammen in allen neuen Ländern geleistet
hat.
({2})
Zur Erwiderung der
Kollege Staffelt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal, Herr Schauerte: Sollte
ich die Sauerländer oder das Sauerland hier beleidigt
haben, nehme ich das sofort zurück. Ich habe überhaupt
keinen Anlass, das zu tun. Es gibt nur einige vorwitzige
Bewohner des Sauerlandes, die nie zuhören können. Denen muss man einmal sagen, dass sie die Kirche im Dorf
lassen sollen.
Im Übrigen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die Vergleiche mit dieser schönen Hauptstadt in Zukunft etwas
vorsichtiger formulieren, damit es nicht zu atmosphärischen Störungen zwischen diesen beiden sehr schönen
und bedeutenden Regionen unseres Landes kommt. So
viel zu diesem Thema.
Noch ein kurzes Wort zu Ihnen, Herr Uldall. Ich muss
Ihnen sagen: Ich kann nicht verstehen, warum Sie eigentlich dann, wenn es so ist, wie Sie gesagt haben, vom Optionsmodell Abstand genommen haben. Beim Optionsmodell hätte nämlich jede der Personengesellschaften den
Weg wählen können - wenn es sich am Ende, errechnet
durch den Steuerberater, als vorteilhaft ergeben hätte -,
steuerlich als Kapitalgesellschaft betrachtet zu werden.
Das wollten Sie ausdrücklich nicht. Das muss man hier
einmal sagen.
({0})
Im Übrigen weise ich noch einmal darauf hin: In all
den Fällen, die wir Ihnen hier im Einzelnen dokumentieren können, sprechen wir überhaupt nicht über diese
Regionen. Ich habe Ihnen schon eben gesagt: 100 000 DM
sind für viele selbstständige Personengesellschaften - ich
spreche jetzt von Gewinnen vor Steuern - Beträge, die
schon zu den Spitzenergebnissen zählen. Das ist so. Dementsprechend gilt das, was ich hier gesagt habe: Die Besteuerung nach Einkommensteuertarif ist - verglichen mit
den Kapitalgesellschaften - diejenige Variante, die für
den Mittelstand günstiger ausfällt. Ich bitte, das noch einmal im Einzelnen zu prüfen.
Außerdem möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wir
haben natürlich immer das Problem, dass es Einzelfälle
gibt, die nicht ins Muster passen. Dies können wir bei Gelegenheit - das will ich gerne tun - einmal gemeinsam besprechen. Wir wollen uns dieser Frage dann gerne annehmen.
({1})
Ich gebe der Kollegin
Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort aber nicht zum Firmenprogramm.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich will nichts zur Firmenpolitik sagen. Ich werde mich nachher mit dem Kollegen
Staffelt zusammensetzen und ihm etwas über die WöhrlCard erzählen. Ich glaube, dass er weiß, was richtig ist.
Herr Staffelt, Sie haben am Anfang Ihrer Rede Haushaltszahlen auf den Tisch gelegt. Aber Sie haben etwas
nicht gemacht: Sie haben keine Vergleichszahlen aus dem
Jahre 1998, als Sie an die Regierung gekommen sind, genannt. Damals waren die Zahlen nämlich bei weitem
höher - gerade im mittelständischen Bereich -, als sie es
jetzt sind. Allein derjenige Titel, der dem Handwerk zugute kommt, wird von 271 Millionen DM auf 238 Millionen DM gekürzt. Das sind mehr als 12 Prozent. Dennoch
stellen Sie sich hier als großer Freund des Handwerks dar.
Diese Zahlen passen genau in das Bild: Mittelständler
und Handwerker sind für Ihren „Genossen der Bosse“
nämlich ein ganz großer Störfaktor, weil sie diejenigen
sind, die sich der Umarmungsstrategie entziehen. Wer bei
Ihnen nicht gleich genügend Beifall spendet, der wird einfach abgestraft. So ist auch Ihre Politik.
({0})
Das beweist auch die Diskussion über den großen Befähigungsnachweis, die Sie auf den Weg gebracht haben.
Allein diese Diskussion hat nämlich dazu geführt, dass
viele junge Gesellen jetzt nicht mehr bereit sind, den
Meisterbrief zu machen, weil sie auf eine Änderung warten.
({1})
Sie wissen genau, was das bedeutet: weniger Existenzgründungen. Ihre Taten strafen Sie doch Lügen, wenn Sie
hier von Förderungen des Handwerks sprechen. Sie gefährden unter anderem die 40 Prozent der Ausbildungsplätze, die das Handwerk stellt. Ich möchte jetzt einen anderen Bereich nennen. Im Güterkraftverkehrsgewerbe
sind jetzt allein 40 000 Unternehmen und 380 000 Arbeitsplätze durch die hohen Dieselpreise akut bedroht.
Das Problem sind nicht die Nettopreise.
({2})
Das will ich ganz ausdrücklich sagen. Diese müssen die
Konkurrenten im Ausland auch bezahlen. Das Problem ist
der massive Wettbewerbsnachteil aufgrund der hohen
Steuerbelastung. Was geschieht im Ausland? Das Ausland
kommt seinen Lkw-Unternehmen entgegen.
({3})
Diese Länder senken nämlich die Dieselsteuer oder erlassen sie ihnen vollständig.
({4})
Was ist bei uns? Sie drehen immer mehr an der Ökosteuer-Schraube. Das ist wie eine steuerliche Rolltreppe:
immer feste nach oben, anstatt diesen Unternehmen entgegenzukommen.
({5})
Transportkosten sind zur Standortfrage geworden. Der
zuständige Verband rechnet mit 10 000 Betriebsaufgaben
und Pleiten; über 100 000 Arbeitsplätze sollen allein hier
gefährdet sein. Daraus folgt aber nicht, dass der Verkehr
jetzt einfach auf die Bahn verlagert wird, wie es sich ja
vielleicht viele erhoffen. Ganz etwas anderes wird passieren: Die in den Ländern ringsherum subventionierten
Transportunternehmen, in Frankreich, den Niederlanden,
Italien und demnächst auch noch in Belgien, werden das
Geschäft hier übernehmen. Auf diesem Wege exportieren
Sie die Arbeitsplätze ins Ausland.
({6})
Sie schaden nicht nur dem traditionellen Mittelstand,
auch Existenzgründern aus dem Hightechbereich und
Unternehmen der New Economy schaden Sie. Was haben
Sie denn mit denen im Rahmen der Steuerreform gemacht? Es ist schon paradox, auf der einen Seite mehr
Existenzgründungen zu fordern und sie gleichzeitig steuerlich wesentlich höher als anonyme Unternehmen zu belasten. Außerdem muss nach Ihrer Steuerreform zukünftig jeder, der mehr als 1 Prozent Beteiligung an einer
Firma hat, bei einer Veräußerung den Gewinn vollständig
versteuern; vorher lag diese Grenze bei 10 Prozent. Das
heißt, Sie erschweren jungen Unternehmen so die Eigenkapitalbeschaffung. Es muss schon ein sehr idealistischer
Business-Angel sein, der das erhebliche Risiko einer Unternehmensbeteiligung eingeht, wenn er zugleich einen
späteren Veräußerungsgewinn kräftig versteuern muss.
Kollege Mosdorf hat uns ja im Ausschuss erklärt, man
bemühe sich, bei diesem Problem zu einer Lösung mit
dem Finanzministerium zu kommen. Die Lösung sieht
jetzt so aus: Das Finanzministerium hat sich voll und ganz
durchgesetzt und die Existenzgründer schauen in die
Röhre. Was ist denn mit der Besteuerung von Aktienoptionen? Wir wissen ganz genau, dass diese Stock-Options
unwahrscheinlich wichtige Anreize sind, um Spitzenkräfte zu bekommen, auch nach Deutschland. Tatsache
ist, dass der Fiskus bei uns viel stärker zugreift als in den
meisten anderen Wirtschaftsnationen, denn er greift schon
mit dem hohen persönlichen Einkommensteuersatz zum
Zeitpunkt der Optionsausübung und nicht erst bei der Veräußerung zu. Ich fordere Sie auf, endlich Freibeträge und
ein Wahlrecht hinsichtlich des Besteuerungszeitpunktes
einzuführen, damit wir wenigstens diesen Standortnachteil abbauen.
({7})
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie schaden
dem Mittelstand nicht nur durch die Steuergesetzgebung
- da können Sie, Herr Staffelt, sagen, was Sie wollen -,
Sie schaden ihm auch woanders.
({8})
So werden am 1. Januar 2001 nicht nur die Abschreibungsbedingungen hinsichtlich der Nutzungsdauer total
verschlechtert werden, ({9})
- hören Sie zu, Herr Staffelt, ich habe Ihnen auch anständig und brav zugehört, so, wie ich erzogen worden bin -,
({10})
sondern auch die Hindernisse im Arbeitsrecht erhöht.
({11})
Ich denke zum Beispiel an die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes. Herr Riester wird hier offensichtlich
von Albträumen geplagt und sieht gewisse weiße Flecken
auf der Landkarte der betrieblichen Mitbestimmung vor
sich, wie er sagt. Ich weiß nicht, warum sich der Minister
Riester eigentlich vor diesen weißen Flecken fürchtet. Die
Menschen, die in den kleineren und mittleren Betrieben
im Bereich dieser weißen Flecken arbeiten, sind glücklich. Sie wollen ihre Interessen nicht kollektiv, sondern individuell vertreten.
({12})
Leider steht zu befürchten, dass sich der DGB seine Zustimmung zur Rentenreform nicht nur mit einem Stillstand beim Ladenschluss, sondern auch mit einem Betriebsverfassungsgesetz à la DGB abkaufen lässt.
({13})
Das bedeutet: zukünftig auch Betriebsräte bereits in Betrieben mit drei Mitarbeitern. Das bedeutet ferner eine Erweiterung der Mitbestimmung durch den DGB. Alle
wirtschaftlichen Angelegenheiten, heißt es in diesem Papier, sollen zukünftig der Mitbestimmung unterliegen,
also nicht nur Umstrukturierungen bei Unternehmen, sondern auch der Verkauf von Unternehmensteilen, die
Eingliederung von Unternehmen und vieles andere mehr.
Wissen Sie, was dem Unternehmer noch bleibt? Eines
lasst ihr ihm: das Risiko und sonst nichts.
({14})
Das wäre eine Enteignung, wenn so etwas wirklich kommen sollte.
({15})
Ein Betriebsinhaber, meine Damen und Herren von der
Koalition, der das unternehmerische Risiko trägt, der
meist auch noch persönlich haftet und bei einer unternehmerischen Entscheidung nicht mehr das letzte Wort haben
darf - was ist denn das?
({16})
Hier wird Art. 14 des Grundgesetzes angegriffen. Versuchen Sie einmal, eine Änderung des Art. 14 zu erreichen.
Viel Spaß dabei!
({17})
Sie wissen, dass wir in Deutschland eines der schärfsten Mitbestimmungsgesetze weltweit haben. Wenn wir es
noch mehr verschärfen, schaden wir uns im internationalen Wettbewerb. Das lenkt Investitionskapital nicht hierher, wo wir es haben wollen; das wissen Sie.
({18})
Wir sind in einem Zeitalter der New Economy. Da
brauchen wir nicht mehr Restriktionen und mehr Reglementierungen, sondern da brauchen wir Flexibilisierung.
Und was machen Sie mit dem Anspruch auf Teilzeitarbeit? Das ist doch das Allerletzte!
({19})
Sie greifen in die Vertragsfreiheit ein. Wie soll denn ein
Unternehmer zukünftig überhaupt noch Personalplanung
gestalten? Man merkt, dass Sie in vielen Dingen so praxisfremd, so weit weg von der Wirtschaft sind, dass man
es sich überhaupt nicht vorstellen kann.
Das Weltwirtschaftsforum in Genf hat kürzlich zusammen mit der amerikanischen Harvard-Universität eine
Vergleichsstudie über 59 Wirtschaftsstandorte durchgeführt. In der Rubrik „Leistungskraft der Unternehmen“
haben wir sehr gut abgeschnitten.
({20})
Aber bei der Kategorie „Lohnfindung“ - hören Sie zu steht Deutschland auf Platz 57, bei der Kategorie „Kündigungsschutz“ auf Platz 58 und bei der Kategorie „Arbeitslosenversicherung“ auf dem letzten Platz. Das zeigt
erschreckend deutlich, wo Nachholbedarf besteht, wo
sich zukünftig auch die wirtschaftliche Kompetenz zeigen
wird; es besteht Handlungsbedarf bei der Arbeitsmarktordnung.
({21})
Und was machen Sie, außer dass Sie hier immer
dazwischenrufen?
({22})
Sie stecken einfach den Kopf in den Sand. Packen Sie
doch endlich einmal die Reformen an, die hier notwendig
sind, damit wir zukunftsfähig werden, damit Deregulierung geschaffen wird, damit wir zu einer Flexibilisierung
des Arbeitsmarktes kommen. Trauen Sie sich bitte auch
einmal an das Günstigkeitsprinzip heran.
({23})
Ich glaube, betriebliche Vereinbarungen, mit denen bestehende Arbeitsplätze gesichert und neu geschaffen werden
können, dürfen zukünftig nicht mehr von einem Tarifkartell verhindert werden.
Herr Minister Müller, Sie haben kürzlich das Aktionsprogramm für den Mittelstand vorgestellt. Sie dürfen mir
nicht böse sein, wenn ich sage: Für uns war es sehr enttäuschend. Es stand nichts Neues, nichts Zukunftsweisendes drin. Aber es bleibt Ihnen überlassen, ob Sie zukünftig wieder solche Papiere verfassen wollen, die eigentlich
nichts bringen. Es wäre viel besser, wenn Sie sich mit dem
Mittelstand an einen Tisch setzten und mit ihm sprächen
und dem dann Taten folgen ließen. Denn schon in der Bibel steht geschrieben: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“
Vielen Dank.
({24})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie liegen nicht vor.
Daher rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Das ist der Einzelplan 16. Ich gebe das
Wort zunächst Herrn Bundesminister Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch dieser Haushalt ist eine solide
Grundlage für eine Politik der ökologischen Modernisierung. Der Haushalt ist die Grundlage für eine moderne
Umweltpolitik: ökologisch, nachhaltig und innovativ.
Der Haushalt des Bundesumweltministeriums bildet
bekanntlich nur einen kleinen Teil der Umweltausgaben
des Gesamthaushaltes ab, ungefähr 15 Prozent. Insgesamt
sind die Ausgaben des Bundes für Umweltschutz in diesem Jahr mit rund 8 Milliarden DM zu veranschlagen.
Trotz Sparens ist es uns gelungen, große Programmtitel
des BMU im Wesentlichen auf dem Vorjahresniveau
fortzuschreiben: etwa die Naturschutzgroßprojekte mit
40 Millionen DM oder Umweltschutzpilotprojekte im
Ausland.
Im Wege der Umschichtung ist es uns aber auch gelungen, für wichtige Bereiche zusätzliche Mittel bereitzustellen. Das gilt insbesondere und vor allem - dies ist sehr
wichtig - für den Bereich des Naturschutzes. Naturschutz
ist einer der Bereiche, die über keine wirtschaftliche
Lobby verfügen und wo sich der wirtschaftliche Nutzen
häufig erst auf den zweiten Blick erschließt.
Wir wollen im kommenden und im nächsten Jahr
20 neue Stellen schaffen, um das Bundesamt für Naturschutz stärker auszubauen. Das wird mit einer grundlegenden Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes
verbunden. Dadurch wollen wir das deutsche Naturschutzrecht insgesamt modernisieren.
Ebenfalls in diesem Zusammenhang erfreulich: Wir
haben die Projektfördermittel für die Umwelt- und die
Naturschutzverbände erhöhen können. Sie steigen jetzt
auf 6,3 Millionen DM. Verglichen mit den Ausgaben der
Vorgängerregierung haben wir es hier mit einer Steigerung von insgesamt 37,1 Prozent zu tun. Wir stellen damit
die Arbeit der Verbände, der Anwältinnen und Anwälte
der Natur, auf eine solide Grundlage.
Der Klimawandel ist das größte Umweltproblem, dem
die Menschheit heute gegenübersteht. In vielen Teilen der
Welt - auch hier bei uns - sind extreme und ungewöhnliche Wetterphänomene verstärkt zu beobachten. Ich setze
mich gerade mit meinen Kolleginnen und Kollegen innerhalb der EU dafür ein, dass wir im November 2000 bei
der großen Klimakonferenz in Den Haag tatsächlich die
Grundlagen schaffen, damit das Protokoll von Kioto endlich ratifiziert werden und in Kraft treten kann. Das setzt
allerdings glaubwürdige Regeln bei der Ausgestaltung
dieses Protokolls voraus. Es setzt auch voraus, dass insbesondere die Industriestaaten ihren eingegangenen Verpflichtungen nachkommen.
({0})
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland - übrigens: mit dem Ausstieg aus der Atomenergie - neben
Großbritannien als einziges Industrieland tatsächlich
messbare Reduktionsleistungen zu verzeichnen. Gemessen an der EU-Verhandlungsposition, die besagt, dass die
Hälfte der Reduktionen auf nationaler Ebene erbracht
werden muss, hätten wir unser Ziel heute schon erreicht.
Doch wir wollen mehr. Wir haben deswegen am
26. Juli mit dem Zwischenbericht zum Klimaschutzprogramm erstmals sektorale Minderungsziele festgelegt,
weil wir uns damit auf die besonders problematischen Bereiche konzentrieren können, bei denen CO2 entsteht,
nämlich Verkehr und private Haushalte. Grundlage unserer Politik wird deshalb ein Konzept zur Verringerung
des Energiebedarfs von Neubauten sein. Hier soll durch
die Energiesparverordnung eine Reduktion des Energieeinsatzes um 30 Prozent erfolgen. Wir wollen eine CO2Minderung im Gebäudebestand erreichen; insbesondere
gilt dieses auch für den Altbaubereich. Wir werden also
einen Teil der Zinserlöse aus der Versteigerung der
UMTS-Lizenzen in einem angemessenen Umfang zur
Gegen-finanzierung eines Altbau-Sanierungsprogramms
einsetzen. Das schafft übrigens Arbeitsplätze in einer
sechsstelligen Größenordnung.
({1})
Gegen den Widerstand der Union wollen wir unseren
Kurs der Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien
und der Kraft-Wärme-Kopplung konsequent fortsetzen.
Wir haben in diesem Jahr 200 Millionen DM - übrigens
durch Einnahmen aus der Ökosteuer finanziert - für ein
Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien eingesetzt. Das gilt auch für die folgenden Jahre. Allein mit diesen Maßnahmen, die darauf abzielen, kleine
Wasserkraftwerke, einzelne Windanlagen, Anlagen zur
Nutzung von Biomasse und Geothermieanlagen zur
Marktreife zu führen, rechnen wir bei einem durchschnittlichen Förderanteil von 20 Prozent mit 12 000 bis
15 000 neuen Arbeitsplätzen.
Hinzu kommt das 100 000-Dächer-Programm für Solarstromanlagen mit einem Fördervolumen von ungefähr
280 Millionen DM. Zusammen mit dem ErneuerbareEnergien-Gesetz haben wir bei Photovoltaikanlagen einen Boom ausgelöst. Die Industrie kommt zurzeit mit der
Produktion kaum nach. Die Kurse der Aktien der führenden Photovoltaikunternehmen haben sich seit Jahresanfang mehr als verdoppelt.
Das meine ich, wenn ich sage: Umweltpolitik ist modern und innovativ, schafft Arbeitsplätze und bedeutet den
Einstieg in eine neue Ökonomie.
({2})
Meine Damen und Herren, die Erfolge der Bundesrepublik beim Klimaschutz waren möglich, weil wir in unserer Klimaschutzpolitik auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen gesetzt haben. Ich betone: In diesem Bündel von
Maßnahmen war die ökologische Steuerreform ein zentrales Element.
({3})
Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung, dass
Steuern ein wichtiges Instrument sind, um die richtigen Signale für die Nutzung knapper Umweltgüter
zu setzen ... Die knappen Güter Umwelt und Ressourcen werden während ihrer Nutzung nicht ausreichend bewertet. Die Folge: Es entstehen soziale
Kosten. Diese können durch eine Steuer ausgeglichen werden ... Damit stellen ökologisch orientierte
Steuern wichtige Instrumente für die Trendwende zu
einer nachhaltigen Entwicklung dar.
({4})
Dieses Zitat stammt aus dem Jahre 1997. Zwei Jahre
zuvor hat die gleiche Autorin unterstrichen, die Einführung einer CO2-Energiesteuer sei „ein notwendiges
Element der nationalen Klimaschutzpolitik“. 1998 nannte
die gleiche Autorin den von der Partei Bündnis 90/Die
Grünen in Magdeburg gefassten Beschluss bezüglich des
Benzinpreises eine „gute Grundidee“. Es handelt sich,
wie einige von Ihnen gemerkt haben, um Angela Merkel.
Frau Merkel, ich finde es peinlich und beschämend,
dass Sie sich nun hinstellen und die Umsetzung Ihrer Vorstellungen mit einer dümmlichen Kampagne bekämpfen.
({5})
Sie können sich nicht einmal darauf berufen, dass Sie immer von einer Ökosteuer im europäischen Kontext gesprochen haben.
Denn es ist und bleibt wahr: Deutschland liegt bei den
Mineralölsteuersätzen und bei den Benzinpreisen im europäischen Vergleich in der unteren Mitte. Die von Ihnen,
Frau Merkel, 1997 angemahnte „nüchterne Auseinandersetzung um Steuern und Abgaben als umweltpolitische Instrumente“ - Originalton Angela Merkel - müsste es Ihnen verbieten, mit der Lüge über das Land zu ziehen,
Autofahren sei noch nie so teuer gewesen wie heute.
({6})
Nehmen Sie zur Kenntnis: Im gleichen Zeitraum, in
dem sich die Haushaltseinkommen verachtfacht haben, in
dem sich der Brotpreis verfünffacht hat und eine Busfahrkarte elfmal so teuer geworden ist, wurde das Benzin lediglich zweieinhalbmal so teuer.
({7})
Gemessen an der Preisentwicklung und der Einkommensentwicklung war Autofahren in Deutschland noch
nie so billig wie heute.
({8})
Ihre Kampagne gegen die Ökosteuer ist verlogen und
verhetzend, weil sie den Menschen weismacht, dass all
das, was die jetzige Regierung im Hinblick auf die Entlastung von Geringverdienenden und Familien mit Kindern
durch eine Steuerreform und durch die Anhebung des
Kindergeldes geleistet hat,
({9})
nicht stattgefunden habe und dass nun der nackte Notstand drohe, weil sich die Benzinpreise nach oben entwickelt haben.
({10})
Dies sei zur Vollständigkeit noch hinzugefügt: Wer die
Ökosteuer abschaffen oder aussetzen will, der muss den
Bürgerinnen und Bürgern sagen, was das für die Rentenbeiträge bedeutet.
({11})
Wo sollen 2001 22,4 Milliarden DM, 2002 27,2 Milliarden DM und 2003 32,4 Milliarden DM Bundeszuschüsse
herkommen? Wollen Sie die Rentenbeiträge erneut erhöhen? Das wäre in der Tat ein Anschlag auf die Beschäftigung in Deutschland.
({12})
Das ist der Grund dafür, warum alle seriösen Wirtschaftsinstitute dieser Republik, vom Ifo bis zum DIW,
eine Aussetzung der Ökosteuer ablehnen.
Meine Damen und Herren, eine Frage sei mir noch erlaubt: Sind Sie sich sicher, dass ein Aussetzen der Ökosteuer Auswirkungen auf den Preis haben wird? Die Erfahrungen mit dem Heizöl belegen das Gegenteil. Obwohl
es von den Erhöhungen der Ökosteuer ausgenommen ist,
steigt der Preis des Heizöls.
Nein, meine Damen und Herren, die Ökosteuer ist gut
für Umwelt und Beschäftigung. Es ist und bleibt klüger,
Kilowattstunden zu rationalisieren als Arbeitsplätze.
({13})
Die Ökosteuer macht das Dreiliterauto lohnend. Sie bringt
das Wasserstoffauto näher und sie ist der Weg, um schneller von Ölkartellen und knapper werdenden Ressourcen
unabhängig zu werden.
({14})
Deswegen ist die Ökosteuer die nachhaltige Antwort auf
die Herausforderungen der Zukunft.
({15})
Für die CDU/CSUFraktion spricht nun der Kollege Dr. Klaus Lippold.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Bundesumweltminister, Sie werden nicht müde, bei jeder
sich bietenden Gelegenheit darauf hinzuweisen - Sie haben das auch gerade wieder getan -, dass die Klimaveränderungen die zentralen Probleme sind, vor denen wir
stehen. Auch der Kollege Rezzo Schlauch hat das Problem gestern gestreift. Darauf komme ich gleich noch
zurück.
Ich erinnere daran, was Sie am 6. Mai 1999 gesagt haben: Tatenlosigkeit, gerade beim Klimaschutz, ist ein
Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. - Bundeskanzler Schröder hat den Delegierten der Weltklimakonferenz zugesagt - ich habe es mir notiert, als wir in Bonn
waren -, bis Mitte 2000 eine umfassende nationale Strategie mit Handlungselementen, nicht nur mit Zielvorgaben, die noch nicht abgestimmt sind, vorzulegen.
Was machen Sie? Sie machen nichts als Ankündigungen, Herr Trittin.
({0})
Diese umfassende Strategie liegt bis heute nicht vor. Dieses Handlungskonzept liegt nicht vor. Sie brauchen sich
gar nicht so selbstzufrieden zurücksetzen.
({1})
Arroganz, Herr Minister, wie schon neulich bei Ihrem
Auftritt in einer Fernsehsendung, zahlt sich nicht aus. Sie
können das versuchen, aber Sie werden damit nicht weiterkommen.
Das alles führt nicht an dem Fakt vorbei, dass Sie nur
angekündigt und nichts getan haben. Ich darf dazu den
Sachverständigenrat heranziehen, der gesagt hat, dass die
Bundesrepublik Deutschland in den früheren Jahren Vorreiter im Klimaschutz war und jetzt zurückgefallen ist.
Das sind Sie, Herr Trittin. Sie sind kein Vorreiter, wir sind
im internationalen Vergleich zurückgefallen, weil Sie die
Akzente Ihrer Politik falsch setzen, weil Sie ankündigen
und nicht handeln. Das einzige, was Sie an Nachhaltigkeitsstrategien übernommen haben, sind Punkte, die wir
bereits auf den Weg gebracht haben. Diese führen Sie jetzt
fort, allerdings ohne jedes neue innovative Konzept.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Fraktion greift nicht nur auf Bewährtes zurück. Wir gehen in
der Klimaschutzpolitik weiter und wir haben die Akzente
anders gesetzt. Wir setzen darauf, dass wir in Zukunft
nicht nur mit dem Ordnungsrecht und mit Belastungen arbeiten. Unser Konzept zielt wesentlich stärker auf Anreize, auf Selbstverpflichtung, auf Fördermaßnahmen und
auf marktwirtschaftliche Lenkungsmechanismen, die
keine Belastung darstellen. Das ist der Schwerpunkt dessen, was wir im Fraktionsvorstand mit einem Eckpunktepapier zur Energiepolitik vorgelegt haben.
Ich durfte heute vom Herrn Wirtschaftsminister erfahren, dass auch das Energiekonzept, das er vorlegen wollte,
verschoben wird. Das heißt, in dieser Regierung wird nur
verschoben. Es wird angekündigt, es solle etwas kommen,
und wenn der Zeitpunkt da ist, wird gesagt: Wir kündigen
an, jetzt geschieht endlich wirklich etwas. - Bei Ihnen geschieht gar nichts, außer dass Sie untätig auf der Regierungsbank sitzen! Genau das ist der Punkt.
({3})
Sie versuchen immer wieder, die Ökosteuer als Instrument näher zu bringen. Herr Loske hat in verschiedenen Papieren zum Ausdruck gebracht, dass der Lenkungseffekt nicht da ist. Die Gutachten Ihres eigenen
Hauses belegen, dass die Ökosteuer nicht lenkt, dass sie
keine Klimaschutzsteuer ist, sondern dass sie lediglich die
Menschen belastet. Ich sage das so deutlich, weil Sie
schon ganz andere Konzepte überlegen. Ich weiß nicht, ob
Sie jetzt schon aufgrund von Verhandlungen, nämlich
Energieaudit, davon Abstand genommen haben, um ein
wirklich effizientes Instrument zu bekommen. Aber dies
ist wieder ein anderes Thema. Sie haben erkannt, dass Sie
falsch liegen, und weil Sie falsch liegen, rudern Sie herum
und versuchen abzulenken.
Sie können nicht zwischen Ihrer Ökosteuer und einer
europäisch orientierten Klimaschutzsteuer differenzieren.
Der Bundeskanzler hat das partiell begriffen. Er sieht wenigstens, dass man Dinge nicht nur national, sondern auch
europäisch angehen soll, und ist insofern klüger als Sie.
({4})
Er hat damals bei der Einführung der Ökosteuer gesagt:
die erste Stufe national und alles andere nur europäisch.
Aber bei diesem Bundeskanzler ist es so, dass das, was er
gestern gesagt hat, heute nicht mehr gilt. Dies war einer
der vielen Wortbrüche, die wir bei ihm erleben mussten.
Dadurch wird diese Politik nicht besser und auch nicht
glaubwürdiger.
({5})
Auch der Kollege Rezzo Schlauch - gerade war er
noch da ({6})
- kennt den Unterschied nicht, aber ich bin gern bereit,
Herr Kollege, mich mit Ihnen einmal intensiv zu unterhalten, damit Sie den Unterschied zwischen europäischer
Klimaschutzsteuer und Ökosteuer, wie Sie sie praktizieren, begreifen.
({7})
Wenn Sie dann ganz einfach unser Eckpunktepapier
falsch zitieren, Herr Schlauch, und sagen, dass wir selbst
eine Lkw-Maut fordern und das, was wir machen, sei
Heuchelei, sage ich Ihnen: Der Unterschied ist, dass Sie
Straßennutzungsgebühren fordern und wir zwar ein
ähnliches Konzept haben, es aber - jetzt hören Sie zu,
Herr Schlauch -, belastungsneutral ist, ({8})
- und wir das benötigte Geld an anderer Stelle wieder
zurückgeben. In Ihrem Konzept steht das nicht. Ihr Finanzminister hat die Einnahmen schon wieder ganz anders eingeplant. Es stellt nur eine zusätzliche Belastung
des Verkehrsgewerbes dar. Es ist keine Entlastung, wie
das bei uns der Fall wäre. Das ist der Unterschied, Herr
Schlauch. Aber das kommt davon, dass sich andere Fraktionsvorsitzende in die Materie hineinknien, Sie sich aber
etwas auftragen lassen, es ablehnen und nicht begriffen
haben. Dies müssen wir noch einmal aufarbeiten, denn so
geht es wirklich nicht.
({9})
Dr. Klaus W. Lippold ({10})
In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen noch etwas:
Sie haben seinerzeit, als Ihre Fraktion einen Schwächeanfall hatte, eine Kampagne gemacht, mit der Sie nachweisen wollten, dass Sie gar nicht so sehr gegen das Auto und
für Automobilität sind. Von dieser Automobilität, Herr
Schlauch, ist nichts außer den frommen Sprüchen, die Sie
damals so pressewirksam formuliert haben, übrig geblieben. Mit Ihrer Politik der Verteuerung von Benzin lassen
Sie die Reichen Auto fahren und die armen Schlucker sollen von der Straße weggehen.
({11})
Dazu sagt dann Herr Trittin arrogant, man könne ja
ausweichen. Herr Trittin, fahren Sie doch einmal ohne
Dienstwagen aufs flache Land und erkundigen Sie sich,
wie die Menschen ihre Arbeitsplätze erreichen. Dies haben Sie nie begriffen und das werden Sie auch nicht begreifen. Aber Ihre Arroganz, mit der Sie dies einfachen
Menschen vorhalten, teilen wir in der Union nicht.
({12})
Herr Kollege
Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Metzger?
Nein, ich will erst diesen Gedanken zu Ende führen.
Es kulminiert ja: Auf dem Höhepunkt der seinerzeitigen 5-DM-pro-Liter-Kampagne haben Sie auch noch gesagt: Alle drei Jahre einmal Urlaub auf Mallorca langt.
({0})
Dies ist schon eine Zumutung für die Bürger. Diese arroganten Hansel, die jedes Jahr in Urlaub fahren, wollen
dem Bürger vorschreiben, nur einmal in drei Jahren in Urlaub zu fahren.
({1})
Jetzt sagt Ihr Kollege aus Schleswig-Holstein: Dann
verzichten Sie doch einmal auf Urlaub.
({2})
Die Menschen in diesem Lande arbeiten hart und haben
Urlaub verdient. Sie haben es nicht verdient, dass eine so
nachlässige Fraktion mit so wenig Überlegung ihnen das
abspricht. Hier zeigt sich eine durch Macht entstandene
Arroganz, die eine Partei, die so jung wie die Ihre ist, einfach nicht haben dürfte.
({3})
Ich weiß, das tut weh, Herr Schlauch.
({4})
Das können wir Ihnen aber nicht ersparen.
Sie und auch der Bundeskanzler, der mittlerweile nervös wird, sagen, wir würden eine harte Kampagne fahren,
das sei unangemessen und Anstachelung zum Aufruhr.
Wer hat denn seinerzeit die Bergarbeiter aufgewiegelt, als
es in Bonn um die Subventionen ging?
({5})
Wer hat denn damals davon gesprochen, dass das alles
richtig sei, und hat Öl ins Feuer gegossen? Nein, es kann
nicht sein, dass Sie sich eine Bevölkerungsgruppe aussuchen und nur deren Anliegen als berechtigt ansehen, und
dann, wenn es um das Verkehrsgewerbe, um die Bauern
oder die Taxifahrer geht, sagen: Das ist uns Wurscht und
schnuppe.
({6})
Bei den Kumpeln haben Sie damals Öl ins Feuer gegossen. Wenn Sie jetzt die Argumente existenzbedrohter
Menschen nicht ernst nehmen, müssen Sie sich entgegenhalten lassen: Uns ist es nicht egal, ob ein Taxifahrer mit
einem 12-Stunden-Einsatz am Tag hinterher nur noch
knappe 100 DM in der Tasche hat. Das mögen Sie für ein
Trinkgeld halten. Aber diese Menschen müssen hart arbeiten. Da sollten Sie einmal von Ihrer Arroganz herunterkommen, Herr Schlauch.
({7})
Das Gleiche gilt für den Bundesumweltminister. So
können wir es wirklich nicht machen.
({8})
Dieses Argument hat früher Ihr heutiger Außenminister
verwandt, bis er gemerkt hat, dass es nicht zieht, sondern
dass es ganz gut ist, wenn jemand in diesem Haus vorweisen kann, dass er eine ordentliche Ausbildung hat,
dass er ordentlich arbeiten kann und dass er es im Beruf
zu etwas gebracht hat. Ich habe keine Pflastersteine geworfen. Auf Mutlangen-Geschichten wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht eingehen.
({9})
Ich will Ihnen noch eines sagen, Herr Schlauch, auch
wenn es Ihnen weh tut: Der wesentliche Teil kommt doch
noch, wenn es um die Erhöhung der zweiten Miete geht,
weil die Preise jetzt explodieren, und Sie Ihren Beitrag
nicht leisten wollen, ({10})
Dr. Klaus W. Lippold ({11})
- wenn die kleinen Leute die steigenden Nebenkosten bei
der Miete tragen müssen, was Sie ja nicht interessiert, ({12})
- weil Sie als Großverdiener überhaupt kein Gespür mehr
dafür haben. Ich sage Ihnen ganz offen: Wer nach so kurzer Zeit so abhebt wie Sie, dem werden die Leute das nicht
vergessen.
({13})
Ich sage jedenfalls: Wenn unsere Nachbarn in Europa
in dieser Frage handeln können, obgleich sie sich politisch
festlegen, könnten auch Sie eigentlich handeln, wenn Sie
nicht so verbohrt wären. Herr Schlauch, es wird mir gut
tun: Wenn der Kanzler mit den Kuba-Zigarren dann irgendwann vor den nächsten Wahlen feststellt, ({14})
- dass die Nervosität in reale Existenzangst umschlägt,
dann wird dieser Kanzler Sie dort sitzen lassen, wo Sie sitzen, und auf Ihre Argumentation keine Rücksicht nehmen.
({15})
Er hat Ihnen schon in der Kernenergiedebatte das
Rückgrat gebrochen.
({16})
Sie haben doch politisch kein Rückgrat mehr. Bei allem,
was Sie Ihren Wählern politisch versprochen haben
- Kernenergieausstieg -, hat er so getan, als wäre es das.
Der Kernenergieausstieg, Herr Trittin, kann doch die CO2Ausstöße gar nicht beeinflussen. Es ist doch noch gar kein
einziges Kraftwerk abgeschaltet. Sagen Sie das doch den
Leuten einmal und erwecken Sie nicht den Eindruck, als
sei Ihr Beschluss schon Realität. Ich sage Ihnen heute voraus: Ihr Beschluss wird keine Realität werden und wir
werden einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
({17})
Nehmen Sie Abstand von Ihrer unerträglichen Arroganz. Denken Sie wenigstens einmal an die kleinen Leute,
Herr Schlauch. Der SPD empfehle ich, dem zu folgen.
({18})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Oswald
Metzger.
Herr Präsident! Kollege Lippold, von einem Parlamentarier erwarte ich normalerweise die Souveränität, dass er
Zwischenfragen aus dem Plenum zulässt. Da Sie meine
Zwischenfrage nicht zugelassen haben, mache ich jetzt
eine Kurzintervention.
Erstens. Ich wollte Sie beim Stichwort „ländlicher
Raum“ fragen, warum Sie hier der Bevölkerung verschweigen, dass noch im Steuerkonzept der Union vom
Frühsommer als Gegenfinanzierung für die Senkung der
Steuertarife steht, dass zum Ersten Pendler nur ab einer
Entfernung von 15 Kilometern überhaupt eine Entfernungspauschale bekommen und dass zum Zweiten die
Entfernungspauschale für Pendler bei Pkw-Nutzung auf
50 Pfennig gesenkt wird?
({0})
Wie wollen Sie sich jetzt als Vertreter des ländlichen
Raumes aufspielen, obgleich Ihre Fraktion, um den Spitzensteuersatz weiter zu senken, nicht eine Entlastung der
Pendler im ländlichen Raum will, sondern eine Belastung?
({1})
Zweitens. Kollege Lippold, Sie vergessen, dass diese
Koalition mit einer soliden Finanzpolitik im nächsten Jahr
- trotz Sparzeiten - das erste Mal seit zehn Jahren sicherstellt, dass das Wohngeld, jedenfalls im Westen, wieder
angehoben wird, dass das Erziehungsgeld steigt, dass das
BAföG wieder mehr BAföG-Bezieher erreicht und dass
mit dem Abbau der Staatsverschuldung langfristig die
Weichen dafür gestellt werden, dass die Menschen in diesem Land eher weniger als mehr Steuern zahlen, dass die
Abgaben sinken.
Sie verschweigen außerdem, dass mit der nächsten
Stufe der Ökosteuer der Rentenversicherungsbeitrag weiter sinken wird. Es ist keine Frage: Der Beitragssatz bei
der Rente wird sich im nächsten Jahr nach unten bewegen
müssen, genauso wie bei der Arbeitslosenversicherung im
Jahr 2002 eine Senkung der Beiträge ansteht, wenn unsere
Politik dazu führt, dass auf dem Arbeitsmarkt die Beschäftigung steigt, und zwar nicht nur aus demographischen Gründen, sondern auch konjunkturbedingt.
Diese Conditio können Sie durchaus als Realität ansehen. Bereits heute ist es nicht so, wie Ihr Fraktionssprecher gestern hier zum Ausdruck brachte, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland nur aus demographischen
Gründen sinkt. Inzwischen geht selbst Ihr CDU-Freund
Jagoda, an der Spitze der Bundesanstalt für Arbeit, davon
aus, dass die Arbeitslosigkeit im August überwiegend aus
konjunkturellen Gründen zurückgegangen ist. Wenn
wir als Koalition diesen Weg fortsetzen, dann, Kollege
Lippold, wird das magische Quadrat Realität: Wir wirtschaften solide mit den Staatsfinanzen, bauen die Verschuldung des Staates ab und geben die dadurch geschaffenen Spielräume in Gestalt niedrigerer Steuern und
Abgaben an die Bevölkerung weiter. Gleichzeitig tun wir
etwas für den ökologischen Umbau in dieser Gesellschaft.
Vielen Dank.
({2})
Dr. Klaus W. Lippold ({3})
Zu einer Erwiderung
der Kollege Lippold.
Herr
Kollege Metzger, Sie wissen, dass ich keiner Diskussion
aus dem Wege gehe. Ich wollte vorhin lediglich einen Gedanken zu Ende führen, der Ihren Kollegen Schlauch
motiviert hat, unruhig zu werden, und dabei lasse ich mich
ungern stören.
({0})
Lassen Sie mich mit dem letzten Punkt beginnen. Der
ökologische Umbau, wie Sie ihn vorhaben, klappt nicht.
Dazu habe ich gerade einiges gesagt. Ich könnte dies im
Detail ausführen.
Lassen Sie mich etwas zu der Entfernungspauschale
sagen. Wir handeln anders als Sie, Herr Metzger, wir formulieren neu. Wenn Sie das Eckpunktepapier lesen, werden Sie feststellen, dass wir, wenn Handlungsbedarf ist,
auf die aktuelle Situation Rücksicht nehmen. Das Gleiche
hatte ich von Ihnen erwartet. Aber Ihre Fraktion ist nicht
wie Sie. Ihre Fraktion analysiert nicht, bevor sie spricht.
Ihre Fraktion hat vielmehr ein vorgegebenes Bild und
versucht noch nicht einmal, dies der Realität anzupassen.
Aufgrund Ihrer vielfachen Analysen sage ich mit Bewunderung: Wie viel Mut haben Sie in dieser Fraktion!
Aber lassen Sie mich noch einiges zu dem einen oder
anderen Aspekt sagen, Herr Kollege Metzger. Bezüglich
der Senkung der Arbeitslosigkeit haben Sie zutreffend auf
die Demographie hingewiesen; das ist ein Element. Sie
sollten aber hinzufügen, dass der rapide Werteverfall des
Euro gegenüber dem Dollar zu einer ganz erheblichen
Verstärkung der Exporte beigetragen hat. Sie wie ich wissen, dass der Export ein ganz erheblicher Arbeitsplatzgarant ist. Man sollte sich aber jetzt nicht darauf berufen,
dass unser Geld an Wert verliert, und dies in einer Debatte
darüber, wie sich langfristig der Arbeitsmarkt orientiert,
als positiv darstellen. So kann es nicht weitergehen; da
sind wir uns doch wohl einig, Herr Metzger. Kurzfristig
mögen Sie von diesem Element arbeitsmarktpolitisch
profitieren. Langfristig aber - das wissen Sie wie ich - ist
ein Werteverfall des Geldes das Tödlichste, was einer
Marktwirtschaft und übrigens auch im Hinblick auf die
Zahl der Arbeitplätze passieren kann.
({1})
Dass Sie durch die Verkäufe der UMTS-Lizenzen Einnahmen erzielt haben - über diese wollen wir gar nicht
verfügen, allenfalls über die Zinseinsparungen -, ist unbestritten. Aber ohne unsere Politik der Privatisierung hätten Sie diese Einnahmen nie erzielt.
({2})
Ich erinnere mich noch daran - da waren Sie noch nicht
im Parlament, Herr Metzger -, wie ich mit meinem Kollegen Schwarz-Schilling gegen Ihre Fraktion und gegen
die Sozialdemokraten fighten musste, damit wir die Privatisierung überhaupt auf den Weg bringen konnten. Die
Arbeitsplätze, die jetzt in diesem Bereich entstehen, rechnen Sie jetzt sich zu. In meiner Heimat, im Raum Frankfurt, sitzen die Softwareunternehmen mit den vielen Arbeitsplätzen. Ohne uns wäre das nicht passiert.
({3})
Und dies ist gegen den entschiedenen Widerstand Ihrer
Fraktion - nicht von Ihnen selbst - und der Sozialdemokratie geleistet worden. Ich will es nur einmal in Erinnerung rufen: Die Weichen sind von uns gestellt worden,
nicht von Ihnen.
({4})
Nun hat für die SPDFraktion die Kollegin Ulrike Mehl das Wort.
Lieber Herr Kollege Lippold, Sie
sind doch nun stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Ich
dachte, dass Sie daher etwas ruhiger und in Ihren Reden
etwas sachlicher und konkreter würden.
({0})
Schade, dass das nicht der Fall ist. Sie haben Ihr altes
Temperament behalten.
({1})
Leider hat sich die Qualität Ihrer Redeinhalte nicht erhöht.
({2})
Sie haben eine ganze Reihe von Punkten angesprochen, die Herr Trittin gewissermaßen im Vorgriff widerlegt hat. Deshalb will ich gar nicht im Einzelnen darauf
eingehen.
Aber eines ist bei der Ökosteuerdebatte interessant:
Diese Debatte ist nicht neu, sondern wir führen sie seit
über zehn Jahren, sowohl in Ihrer Fraktion als auch in allen anderen Fraktionen. Es sind viele Modelle diskutiert
worden, aber über eines waren wir uns zumindest phasenweise einig, dass die Ökosteuer in sich ein sinnvolles
Instrument ist. Sie sind auch maßgeblich in der EnqueteKommission zum Klimaschutz beteiligt gewesen. Über
das, was die CDU in dieser Kommission alles mitgetragen
hat, muss man sich heute manchmal die Augen reiben, besonders wenn ich dann höre, was jetzt zum Thema Ökosteuer gesagt wird. Das kann ich nicht mehr nachvollziehen.
({3})
Sie wissen ganz genau, dass nicht die Ökosteuer für
den dramatischen Anstieg der Energiepreise verantwortlich ist, sondern die vielen Faktoren, die vorhin schon
alle genannt worden sind: der Markt, die Mineralölunternehmen. Alle möglichen Mechanismen spielen dabei
eine Rolle, aber auf jeden Fall nicht die Ökosteuer. Sie
spielt die kleinste Rolle und die Einnahmen werden an
Arbeitnehmer und an Arbeitgeber komplett zurückgegeben. Wir wissen heute aufgrund von Umfragen, dass
dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden. Auch dies ist
schon mehrfach über die Tage gesagt worden. Es werden
keine bestehenden Arbeitsplätze zerstört, sondern es werden in großer Zahl neue geschaffen.
Selbst die Wirtschaft - jedenfalls ihre fortschrittlichen
Teile - hat im Laufe dieser Diskussion über die Jahre hinweg immer gesagt: Jetzt beschließt doch endlich einmal
die Ökosteuer, damit die Energiepreise Schritt für Schritt
kalkulierbar ansteigen. Darauf können wir uns dann einstellen. Wir halten das Konzept im Prinzip für richtig.
Nun soll das alles nicht mehr wahr sein? Sie suchen
händeringend nach Themen, mit denen Sie die Öffentlichkeit richtig aufmischen können. Wenn Sie sich einmal
ansehen, wie die Leute befragt werden und was im Fernsehen und in der Presse übertragen wird, dann wird deutlich, mit welchen Argumenten, nämlich falschen, gearbeitet wird. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Teile
der Presse auf der Suche danach sind, dass in der Republik wieder einmal so richtig etwas los ist. Es geht alles
viel zu glatt. Deswegen wird dieses Thema benutzt. Das
hat aber überhaupt nichts mit vernünftiger oder mit ökologiefreundlicher Politik zu tun. Deswegen lehne ich das ab.
({4})
Wer aus billigem Populismus das Aussetzen oder gar
die komplette Rücknahme der Ökosteuer verlangt, der
setzt erstens gegenüber den OPEC-Staaten und den Mineralölfirmen ein völlig falsches Signal. Zweitens gaukelt
er den Bürgerinnen und Bürgern vor, dass die Bundesregierung stabile Verbraucherpreise garantieren könnte. Die
These, die dieser Ökosteuer zugrunde liegt, ist nach wie
vor richtig, nämlich: Umweltverbrauch muss verteuert
und Arbeit billiger werden. Das ist die Überschrift, unter
der wir die eingenommenen Mittel aus der Ökosteuer einsetzen, nämlich nicht zum Stopfen irgendwelcher Haushaltslöcher, so wie Sie es über viele Jahre gemacht haben,
sondern sie zielt darauf ab, die Rentenversicherungsbeiträge zu senken.
({5})
Die Einnahmen fließen also zurück. Es wird immer wieder rätselhafterweise behauptet, sie flössen in irgendwelche Haushaltslöcher, was nicht der Fall ist.
Diese Ökosteuer hilft im Bereich Energiesparen. Investitionen in höhere Effizienz werden für private Haushalte und Gewerbe attraktiver. Sie haben am Anfang, als
wir diese Ökosteuer diskutiert haben, immer gesagt, das
sei nur ein Abkassieren - das wird zum Teil jetzt noch behauptet -, das Ganze habe überhaupt nichts mit Ökologie
zu tun und auch nichts mit Energiesparen. Wenn dem so
wäre, dann weiß ich gar nicht, was hier diskutiert wird.
Natürlich hat es damit zu tun, weil es jetzt für den Einzelnen interessant wird, Energie einzusparen, und viele
Leute sich darüber Gedanken machen.
({6})
Wenn die Automobilindustrie heute offensiv für Autos wirbt, die weniger Sprit verbrauchen, und zwar in einer Zeit, in der das Thema in der Öffentlichkeit uninteressanter wurde, weil die großen Autos verkauft wurden,
solche, die mehr Sprit verbrauchen, dann hat es doch in
den Köpfen geschaltet. Diesen Lenkungseffekt sollte die
Ökosteuer auch haben.
Wir haben hier ein sehr differenziertes Konzept. Der
Steueranteil für die Landwirtschaft liegt durch die teilweise Rückvergütung bei 57 Pfennig, der ÖPNV wird in
der zweiten Stufe der Ökosteuer nur mit dem halben Steuersatz belastet und -, das wird für viele private Haushalte
für den bevorstehenden Winter interessant - Heizöl
kommt in den nächsten Stufen der Ökosteuer überhaupt
nicht vor. Leichtes Heizöl wurde nur in der ersten Stufe ab
April 1999 einmalig mit 4 Pfennig belastet. Außerdem
werden hier wiederum produzierendes Gewerbe sowie
Land- und Forstwirtschaft mit einem gemäßigten Steuersatz versehen. Bei den Gaspreisen für private Endverbraucher liegt der Steueranteil unter 10 Prozent. Da wird
auch keine Verschiebung zulasten der Verbraucher vorgenommen.
Also: Wer im Zusammenhang mit der Ökosteuer von
Abzockerei spricht, der ist nicht nur des billigen Populismus entlarvt, sondern betreibt gezielte Volksverdummung.
({7})
Ich kann nur sagen: Das machen wir nicht mit.
({8})
Wir haben von vornherein erklärt, dass wir mit der
Ökosteuer die maßvolle und berechenbare Verteuerung
der Energie gewollt haben, um einen Lenkungseffekt, von
dem ich gesprochen habe, zu erreichen. Besonders wirksam muss sie - da bin ich einmal auf Ihre Konzepte gespannt - im Verkehrsbereich sein. Gerade der Kfz- und
Lkw-Verkehr ist es doch, der nach wie vor steigende CO2Emissionen zu verbuchen hat.
Wenn ich mich recht erinnere, war es die Regierung
Kohl, die eine 25-prozentige CO2-Reduzierung bis zum
Jahre 2005 beschlossen und jahrelang auch offensiv vertreten hat. Ich möchte einmal wissen, wie Sie das eigentlich erreichen wollen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer im
Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Sie hatten
16 Jahre Zeit, an diesem Thema zu arbeiten. Sie haben das
nur begrenzt getan. Deswegen müssen wir jetzt in aller
Kürze der Zeit das rausholen, was bei Ihnen versäumt
worden ist. Also: Legen Sie Ihre Konzepte vor, wie Sie
sich vorstellen, wie Sie es in den letzten Jahren bis zur Erfüllung 2005 geschafft hätten. Konzepte hatten Sie auch,
aber sie wurden leider von der Regierung nicht beschlossen.
Wir können jetzt jedenfalls angesichts der hysterischen
Reaktionen auf die von uns nicht beeinflussbaren Faktoren wie Dollarkurs und Ölpreisentwicklung nicht alle klugen Erkenntnisse und sinnvollen Steuerungselemente
über Bord werfen und uns zum Spielball der Ölkonzerne
und OPEC-Staaten machen lassen. Das ist jedenfalls nicht
mein Politikverständnis.
Wenn ich dann auch noch an die Liebäugeleien einiger
Politiker mit der Nötigung durch Lkw-Blockaden denke,
dann hört, muss ich Ihnen sagen, mein Verständnis für
Populismus vollends auf.
Wir wollen eine Politik der Nachhaltigkeit, die sich an
zukünftigen ökonomischen und ökologischen Anforderungen orientiert und nicht wie Fähnlein im Winde jeder
unkalkulierbaren Preisentwicklung folgt. Wir brauchen
langfristig eine drastische Verminderung des Energie- und
Ressourcenverbrauchs. Das müsste an dieser Stelle eigentlich der zentrale Punkt sein; denn wir wissen, dass wir
zu 74 Prozent von Energieimporten abhängig sind.
({9})
Diese Diskussion ist ja vor 20 Jahren geführt worden.
Heute wird sie auf einmal nicht mehr geführt. Heute wird
mit Scheinargumenten debattiert, statt zu sagen: Es muss
doch unser Ziel sein, dies alles mithilfe neuer Technologien und Energieeinsparungen - all das ist ja schon in
Gutachten und Enquete-Kommissionen usw. erarbeitet
worden - zu erreichen, und zwar möglichst schnell. Es
kann nicht hilfreich sein, mit einer solchen Kampagne
hausieren zu gehen. Vielmehr muss man sagen: Wir müssen weitgehend unabhängig vom Energieimport werden.
Daran müssen wir arbeiten und genau das tut diese Regierung.
({10})
Energie- und Ressourceneinsparungen sollen das eigentliche Stichwort in dieser Debatte sein. Das ist auch
nahe liegend, es zog sich ja wie ein roter Faden durch die
Debatten der letzten Tage. Der Haushalt 2001 ist ein gutes Beispiel dafür, dass mit konsequenter Einsparung auf
Dauer ein solides Fundament für eine zielgerichtete Politik zur ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit
gelegt werden kann.
({11})
Ich bitte, immer noch einmal einen Blick darauf zu
richten, dass wir jetzt seit zwei Jahren an der Regierung
sind, wir einen einigermaßen großen Trümmerhaufen hinterlassen bekommen haben und deswegen zunächst erst
einmal sehen müssen, wie man wieder richtig auf Kurs
kommen kann. Wir tun das. Der BMU hat im Zusammenhang mit diesem Haushalt erstaunlich deutlich gemacht,
was es an Möglichkeiten gibt - nicht nur im BMU-Bereich an sich, sondern insgesamt in der Bundesregierung;
denn Nachhaltigkeit kann sicherlich nicht nur in dem
Haushalt des Umweltministeriums erreicht werden.
Wir haben den Ausstieg aus Ihrem Atomkonzept erreicht. Wir werden das Atomgesetz novellieren und
die ersten Kraftwerke werden 2002, 2003 abgeschaltet.
Mülheim-Kärlich wird nicht mehr ans Netz gehen.
({12})
Das Konzept, das jetzt vorliegt, ist natürlich diskussionsbedürftig und wird auch ins Parlament kommen.
Aber es wird mit Sicherheit dazu geeignet sein, dass der
Ausstieg aus der Atomenergie kommen wird.
Wir haben eine ganze Menge im Bereich erneuerbarer Energien, beim 100 000-Dächer-Programm und bei
der Förderung regenerativer Energien gemacht. Das ist
auch in den Haushaltsplänen wiederzufinden. Ich verzichte darauf, das alles zu wiederholen.
Wir haben zehn Jahre lang über die Weiterentwicklung
des Naturschutzes gestritten. Ein Gesetz ist in diesen
zehn Jahren nicht zustande gekommen. Wir werden jetzt
einen Gesetzentwurf vorlegen und uns dann, wie ich annehme, weiter streiten. Dabei werden wir uns aber in einer anderen Rolle als früher befinden und das ist gut so.
In Zusammenarbeit von Parlament und Regierung haben wir im Hinblick auf die anstehende Veräußerung bundeseigener Liegenschaften in den neuen Ländern einen
wirklich großen Erfolg erzielt. Wir haben 50 000 Hektar
der wichtigsten naturschutzrelevanten Flächen herausnehmen können und erreicht, dass diese Flächen kostenlos übertragen werden. So etwas wäre bei Ihnen überhaupt
nicht möglich und denkbar gewesen. Deswegen bin ich
sehr froh, dass 1998 der Regierungswechsel kam. Wäre er
früher gekommen, hätten wir dieses Problem wahrscheinlich gar nicht gehabt.
({13})
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte an die Redezeit denken.
Ich sehe es hier schon und komme
auch gleich zum Schluss.
Eine ganze Reihe von Fördermaßnahmen konnten wir
im Bundeshaushalt erhalten und erweitern, beispielsweise
die institutionelle Förderung von -
Sie können jetzt keine
Beispiele mehr bringen. Ihre Redezeit ist weit überschritten.
Deswegen komme ich jetzt zum
Ende. Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Birgit Homburger, F.D.P.-Fraktion.
({0})
Kleiner Tipp am Rande:
Ohren spitzen! Dann wird das schon gehen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein
Großteil dessen, was für die Umwelt getan wird oder, besser gesagt, getan werden müsste, findet außerhalb des
Haushalts statt; das hat der Herr Minister auch gesagt.
Aber auch innerhalb des Haushalts gibt es nichts großartig Neues. Ihrer Rede hat man auch nicht viel entnehmen können, außer - das fand ich bemerkenswert - dass
Sie diesmal noch weniger als bisher angekündigt haben.
Offensichtlich sind einige Projekte zwischenzeitlich bereits gestorben. Der Chef von Greenpeace Deutschland
hat das Fiasko vor kurzem noch beim Namen genannt. Er
hat gesagt, die Bundesregierung habe kein zukunftsweisendes Umweltkonzept.
In Deutschland existieren also keine klaren Ziele und
überzeugenden Konzepte für die Umweltpolitik. Folgerichtig sucht man im Haushaltsplan vergeblich nach entsprechenden Niederschlägen. Damit nicht genug: Der
Einzelplan des Umweltressorts, Herr Minister, ist ein drastisches Beispiel für Augenwischerei und Geldverschwendung. Das möchte ich Ihnen jetzt einmal vorführen.
({0})
Als erstes Beispiel nehme ich die Endlagerung radioaktiven Mülls. Die Bundesregierung erzwingt jetzt die
provisorische Lagerung radioaktiven Mülls in oberirdischen Zwischenlagern. Die Tatsache, dass an anderen
Orten dieser Republik Endlagerstätten zur Verfügung
stehen, deren Eignung von seriösen Wissenschaftlern
nicht mehr bestritten wird, schert Sie offensichtlich überhaupt nicht. Mit dem Stopp der Endlagerprojekte
„Schacht Konrad“ und in Gorleben werden jetzt Milliardeninvestitionen, die bisher schon getätigt wurden, aus
ideologischen Gründen kaputtgemacht.
Das ist aber noch nicht genug: Wenn Sie dieses Ziel
weiter verfolgen, das Sie sich gesetzt haben, brauchen wir
weitere Mittel im Haushalt für die Erkundung anderer
Endlagerstandorte. In den Haushalt 2001 haben Sie
10 Millionen DM statt bisher 5 Millionen DM eingestellt.
Diese Zahl ist aber eine Täuschung der Öffentlichkeit,
und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens wird die Erkundung neuer Standorte tatsächlich noch ein Hundertfaches
der Summe verschlingen, die Sie jetzt in den Haushalt eingestellt haben, ohne dass aber solche Bemühungen zu
neuen Erkenntnissen führen werden. Die Verausgabung
dieser Gelder ist also unnötig und überflüssig. Millionen
Mark werden so aus ideologischen Gründen zur Verschwendung freigegeben.
Zweitens sind die Projekttitel „Schacht Konrad“ und
„Gorleben“ nach wie vor mit Blick auf die Haushaltsgrundsätze der Wahrheit und Klarheit bedenklich. Es gibt
nämlich eine Refinanzierungsvereinbarung, nach der
diese Projektkosten an die Staatskasse zurückerstattet
werden. Das wissen Sie auch. Eine Erhöhung der Titelansätze im Haushalt des BMU täuscht also staatliches
Handeln vor, obwohl Sie tatsächlich nur das Geld anderer
Leute ausgeben.
({1})
Die Ironie ist natürlich, dass ausgerechnet diese Ausgaben für den Endlagerbereich maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass der Gesamthaushalt des BMU im
Jahr 2001 im Vergleich zum Vorjahr um 2,7 Prozent ansteigt. Ohne diese Geldverschwendung und ohne den
Sonderbedarf wegen Tschernobyl sinkt der Stammhaushalt im Vergleich zum Vorjahr aber um 0,4 Prozent. Derart bereinigt steigt also der Verwaltungshaushalt, während
der Programmhaushalt - also die Mittel, die Sie für wirklich ökologische Projekte zur Verfügung haben - weiter
sinkt.
Insofern werden von den Gesamtmitteln demnach weniger für Umweltschutz und mehr für die Verwaltung ausgegeben. Auf den ersten Blick - diesen Eindruck haben
Sie versucht zu vermitteln - haben wir einen gestiegenen
Umwelthaushalt. Auf den zweiten Blick verkehrt sich
aber die Aussage in das Gegenteil. So werden in den Fußnoten des Haushaltes Sachverhalte versteckt, die die
Grundaussagen der Tabellen ändern. Das heißt also: Verschleierung, Zahlenschieberei, um dem flüchtigen Betrachter umweltpolitisches Engagement vorzugaukeln.
Offenkundig, Herr Minister Trittin, ist aber, was wir Ihnen
durch viele Beispiele bewiesen haben: Sie haben weder
Interesse noch Engagement für die Umweltpolitik.
({2})
Das zeigt sich auch bei dem Thema Verpackung und
Mehrweg. Ich wunderte mich vorhin, dass Sie sich dazu
nicht geäußert haben. Auf der anderen Seite muss man
sich vielleicht auch wieder nicht wundern, ({3})
- dass Sie hier dieses Thema aussparen, obwohl Sie genau
wissen, dass Entscheidungen getroffen werden müssten.
Wir haben im Sommer die Ökobilanzen des UBA bekommen. Danach sind moderne Getränkekartons in einigen
Bereichen dem Mehrweg ökologisch gleichwertig. Trotzdem klammern Sie sich wie ein störrischer Esel an dieses
Zwangspfand. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen:
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse müssen dringend die Verpackungsverordnung novelliert und die
Mehrwegquote flexibilisiert werden.
({4})
Das haben wir aus ökologischen und ökonomischen
Gründen in einem Antrag gefordert.
Ich will Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Die
Zwangspfandregelung mit den starren Quoten ist zwischenzeitlich ökologisch kontraproduktiv, technisch völlig unzeitgemäß und wirtschaftlich unvertretbar.
({5})
Nun komme ich zum Themenbereich Klimaschutz.
Die Erwartungen, die man an diese Regierung gestellt hat,
waren wirklich hoch. Aber auch hier ist das Ergebnis völlig enttäuschend. Die Bundesregierung hat das anspruchsvolle Ziel, die CO2-Emissionen in Deutschland bis zum
Jahre 2005 um 25 Prozent zu senken, offensichtlich aufgegeben. Anders kann ich es nicht deuten. Nach wie vor
liegt kein Klimaschutzprogramm vor.
Wissenschaftler haben deswegen vor kurzem wieder
bestätigt, dass die klimapolitischen Ankündigungen der
Bundesregierung zu spät kommen und allenfalls - wenn
überhaupt - langfristig greifen könnten. Alle Chancen für
einen modernen und flexiblen Klimaschutz in Deutschland haben Sie vertan. Das letzte Beispiel dafür war die
Debatte um die Energienutzung im Gebäudebereich.
({6})
Klimaschutz ist also bei Ihnen auf salbungsvolle Worte
beschränkt. Es gibt keine Impulse für eine wirkungsvolle
Klimapolitik auf nationaler oder internationaler Ebene.
Ich muss Ihnen auch sagen: Ich habe Sie und - im Umweltausschuss - Ihre Staatssekretärin Altmann mehrfach
gefragt, was Sie für Initiativen ergriffen haben, um für den
Bereich des Klimaschutzes in Den Haag zu einem Ergebnis zu kommen. Die Fragen sind bisher unbeantwortet
geblieben. Ich habe auf eine schriftliche Nachfrage nach
Ihren Initiativen eine ausgesprochen peinliche Auflistung
Ihrer Staatssekretärin erhalten. Darin werden selbst
Punkte wie irgendwelche Gutachten, die üblicherweise
sowieso von der Verwaltung in Auftrag gegeben werden,
sowie Fragen, die Sie im Rahmen von Konferenzen gestellt haben, und Gespräche, die Sie im Rahmen von normalen Treffen geführt haben, aufgeführt, um zu beweisen,
dass Sie etwas für den Klimaschutz tun. Wer so etwas
nötig hat, Herr Minister Trittin, der offenbart, dass er in
dieser Frage keinerlei Interesse hat und nichts unternimmt.
({7})
Wenn es so weitergeht wie bisher, dann werden Standorte für Klimabörsen im Ausland und nicht in Deutschland eingerichtet. Die Spielregeln für internationale Klimatransaktionen werden dann ohne Einflussnahme
Deutschlands ausgehandelt. Die F.D.P. fordert die Bundesregierung deswegen auf, den Börsenhandel mit Emissionszertifikaten endlich in die Tat umzusetzen. Wenn
Sie schon nicht auf mich hören wollen und die Vorschläge
der F.D.P. zur Kenntnis nehmen wollen, dann sage ich
Ihnen: Reden Sie doch vielleicht einmal mit dem umweltpolitischen Sprecher Ihrer eigenen Fraktion, der in
der Sommerpause in ein paar Presseveröffentlichungen
genau die Position vertreten hat, die die F.D.P. seit Monaten einnimmt.
({8})
Deutschland hat international auf dem Gebiet des Klimaschutzes nicht nur seine Vorreiter- bzw. Initiativrolle,
sondern auch gänzlich den Anschluss verloren.
Sie haben immer wieder die Ökosteuer angesprochen.
Auch die Kollegin Mehl hat sie noch einmal ins Gespräch
gebracht. Hier wird immer behauptet, die Ökosteuer sei
die Maßnahme dieser Bundesregierung schlechthin für
den Klimaschutz.
({9})
Dazu kann ich nur sagen: Das ist gänzlich lächerlich. Sie
haben in den Debatten der letzten Tage um die Ökosteuer
mehrfach deutlich gemacht, dass die Ökosteuer deswegen
nicht abgeschafft werden könne, weil ansonsten der Rentenversicherungsbeitrag automatisch steige. Das hat Herr
Poß, das hat Herr Eichel und heute haben auch Sie es, Herr
Minister Trittin, in diesem Hause gesagt. Wer sich so
äußert und als Einziges diese Begründung anführen kann,
der offenbart ganz klar, dass er mit dem Instrument Ökosteuer nie ökologische Ziele verfolgt hat. Ihnen ging es
nur um das Abkassieren.
({10})
Sie wollten mit der Ökosteuer nie ernsthaft ökologisch
lenken. Diese Steuer ist ökologisch widersprüchlich. Wir
haben das in diesem Hause mehrfach deutlich ausgeführt.
Sie ist ohne Wirkung. Sie, meine Damen und Herren von
den Koalitionsfraktionen, versuchen die Bürgerinnen und
Bürger für dumm zu verkaufen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Herr Minister, auch mit Ihrem jetzt
vorgelegten dritten Bundeshaushalt versuchen Sie, die
Bürger durch Rechentricks zu blenden. Sie scheren sich
überhaupt nicht um ökologische Fragen. Alles in allem ist
das ein umweltpolitisches Fiasko.
({11})
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Umweltpolitik
auf Bundesebene nicht alleine über den Etat des Umweltministeriums betrieben wird, haben wir alle sicherlich in
den vergangenen Tagen mitbekommen. Die Ökosteuer
berührt diesen Haushalt allerdings nicht direkt. Gleichwohl ist sie eine Bundesangelegenheit mit höchster umwelt- und sozialpolitischer Relevanz.
Nicht nur die jetzige Regierung meinte die Einnahmen
aus der Ökosteuer zur Senkung der Lohnnebenkosten
und nicht für den ökologischen Umbau verwenden zu
müssen. Nicht nur für die jetzige Regierung kam die
Steuer nur infrage, wenn sie üppige Ausnahmen für die
großen Energieverbraucher beinhaltet. Die Wirtschaft
hat anständig zugelangt. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, haben dem Ausverkauf der Ökosteueridee zugesehen oder ihn sogar selber betrieben.
({0})
Weil Unternehmen 96 Prozent ihrer Energiesteuern,
die sie über 1 000 DM zu zahlen hätten, erstattet bekommen, gibt es keine ökologische Lenkungswirkungen. Weil
die Unternehmen gleichzeitig durch die Senkung der
Lohnnebenkosten in vollem Umfang entlastet werden, ist
die Ökosteuer - netto - eine Gelddruckmaschine für die
großen Unternehmen. Weil sie dies ist, fehlt das Geld für
den sozialen Ausgleich für untere Einkommensgruppen
und für den ökologischen Umbau. Es fehlt Geld für einen
bezahlbaren ÖPNV und für eine leistungsfähige Bahn, die
uns die Laster von der Straße und die Bürgerinnen und
Bürger in die Züge holt.
({1})
Hinzu kommt, dass durch die sinnlose Kopplung an die
Lohnnebenkosten diejenigen, die es eigentlich nicht nötig
hätten, anständig entlastet werden, während Geringverdiener in die Röhre gucken.
Jetzt zu Ihrer Kampagne, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen von CDU/CSU und F.D.P. Sie erklären sich
zum Anwalt der kleinen Leute. Darüber kann ich nur lachen. 16 Jahre lang konnten Sie beweisen, wie toll Sie als
Anwalt der kleinen Leute sind. Mit Ihren Raubrittergesetzen zum Sozialabbau
({2})
haben Sie bewiesen, wie sozial Sie eigentlich sind. Dafür
wurden Sie abgewählt. Also stellen Sie sich nicht als so
sozial dar. Sie sind die Partei derjenigen, die freie Fahrt
für freie Bürger gefordert hat. Wir kennen das aus dem
Wahlkampf. Einige haben das schon vergessen. Seien Sie
also nicht so scheinheilig. Einer Ihrer größten Vertreter in
Bayern hatte dafür gesorgt, dass das Flugbenzin nicht besteuert wurde. Er hatte selber ein Flugzeug.
({3})
Die Menschen in diesem Lande sollten sehen, welche
Interessen Sie haben. Sie wollen Ihr Mütchen kühlen und
sonst überhaupt nichts. Wir sollten die Menschen aufklären: Nicht die Ökosteuer, sondern die Ölpreise sind die
Hauptverantwortlichen für den rasant gestiegenen Benzinpreis.
({4})
Es sollte uns nach zehn Jahren Nachhaltigkeitsdiskussion
auch klar sein, dass die Umwelt ihren Preis hat. Im Umweltausschuss diskutieren wir auch darüber. So ist es
nicht.
Um die Verteuerung des Straßenverkehrs kommen wir
nicht herum, aber wir brauchen bezahlbare Alternativen
und den sozialen Ausgleich.
({5})
Warum stecken Sie nicht das aus Benzinsteuern eingenommene Geld in bezahlbare Alternativen oder in Forschung und Investitionen zur Energieeinsparung? Dann
bräuchten Sie im Wirtschaftshaushalt auch nicht die dafür
vorgesehenen Titel um 59 Millionen DM zu kürzen.
Lehnen Sie sich einmal zurück und denken Sie darüber
nach, welche Dynamik bei den erneuerbaren Energien
nach Ihrem EEG auf dem entsprechenden Arbeitsmarkt
eingetreten ist. Das sind intelligente Finanzierungsideen
für den direkten ökologischen Umbau. Es ist sogar haushaltsneutral. Das Ganze hat klar messbare umwelt- und
beschäftigungspolitische Wirkungen. Wie teuer ist in vielerlei Hinsicht dagegen die Ökosteuer? Und für was wird
sie gezahlt? Sie wird für Unternehmenssubventionen auf
Kosten der Armen und zulasten umweltpolitischer Handlungsfähigkeit gezahlt.
Dieses Politikversagen setzt sich im Haushalt fort. Um
bald 1 Milliarde DM liegen die Mittel, die Sie im Finanzbericht als Bundesausgaben mit umweltverbessernder
Wirkung für 2001 ausweisen, unter denen des Jahres
1999. Das sind immerhin noch fast 800 Millionen DM
weniger als unter der Regierung Kohl. Das hat seine Logik. Wer mit Gelb-Schwarz in den Wettbewerb um Wirtschaftsfreundlichkeit und Liberalismus tritt, dem fehlt irgendwann der Schotter für den Otter.
({6})
Es versteht sich also von selbst, dass der Stammhaushalt des BMU zwecks Konsolidierung Jahr für Jahr bluten muss. In diesem Jahr haben wir nur eine Reduzierung
von einem halben Prozent, doch im letzten Jahr waren es
immerhin noch 7 Prozent.
Im Umwelthaushalt gibt es nur den Lichtblick, dass Sie
endlich ein paar Mark mehr für die Umweltverbände
locker machen. Bis heute verstehe ich aber nicht, warum
der virtuelle Bund für Umwelt und Heimat fast genauso
viel oder wenig bekommt wie der Dachverband der
tatsächlichen Umweltverbände DNR. Dafür werden die
Mittel für Investitionen zur Verminderung der Umweltbelastung mit 4,5 Prozent Minus genauso gekürzt wie für
den Naturschutz, der zweieinhalb Prozent weniger bekommt. Und weil Umweltpolitik künftig wohl in Plauderrunden bei Sabine Christiansen verabredet und nicht
wie bisher mit Fachleuten erarbeitet wird, werden im
BMU im nächsten Jahr - genauso wie in diesem - 36 Stellen gestrichen.
In Bezug auf den Naturschutz beklagen übrigens schon
jetzt die Verwaltungen von ostdeutschen Naturschutzgebieten, dass durch den Geiz der Bundesregierung - die
Vorgängerregierung war auch nicht besser - und durch die
Vorrangregelung für Alteigentümer und Wiedereinrichter
im vor der Sommerpause novellierten Ausgleichsleistungsgesetz bis zu 80 Prozent der betroffenen Naturschutzflächen in private Hände gelangen werden. Der
Bund freut sich über klingelnde Kassen. Die Ländernaturschutzhaushalte werden den Naturschutz wohl in vielen
Fällen den neuen Besitzern abkaufen müssen. Ich meine,
eine wirklich überzeugende Leistung ist das nicht. Sie
müssen hier nachbessern.
({7})
Zum Atomausstieg können wir noch einmal feststellen: Es war keiner. Herr Lippold hat angemahnt, dass in
dieser Legislaturperiode endlich ein Atomkraftwerk stillgelegt wird.
({8})
- Ja, ich finde das sehr pikant, weil Sie das nicht wollen
und bekämpfen werden. - Ich unterstütze die Forderung,
mindestens eins stillzulegen. Uns wären natürlich wesentlich mehr lieber. Doch so wird es nicht kommen und
wir werden einmal schauen, ob überhaupt etwas passiert.
Ich bezweifle es.
({9})
- Sie können es ja beweisen.
Wir sind dafür, die Gelder für Schacht Konrad und für
Gorleben zu streichen.
({10})
Wir wollen sie gegen null fahren und in Titel zur Finanzierung der Stilllegung umwidmen. Das Gleiche fordern
wir für den Sicherheitsfonds, da sich dahinter in der Regel eine Förderung der Atomwirtschaft durch die Hintertür verbirgt.
Ich habe leider wenig Zeit. Abschließend möchte ich
nur folgende Bemerkung machen: Es gibt am 23. September eine Halbzeitkonferenz in der Berliner Humboldt-Uni. Dort werden Umwelt- und Sozialverbände sowie entwicklungspolitische Organisationen über zwei
Jahre Rot-Grün diskutieren. Das wird für die eingeladenen Grünen und Sozialdemokraten - Stichwort Atompolitik - wohl ein Gang nach Canossa werden; denn die
NGOs lassen sich glücklicherweise noch nicht so schnell
wie manche auf Parteitagen einlullen.
Danke.
({11})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Waltraud Lehn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch im Umwelthaushalt hält die
Regierungskoalition Kurs.
({0})
Wir halten die haushaltspolitische Gesamtlinie, Staatsverschuldung abzubauen, ein und wir setzen unseren Weg,
Zukunft zu gestalten, fort.
({1})
Unsere Haushaltspolitik orientiert sich wie unsere Umweltpolitik nicht nur an den Bedürfnissen der Bevölkerung von heute, sondern auch an der zukünftigen Generation. Beide, Haushalts- wie Umweltpolitik, dürfen nicht
auf Kosten unserer Kinder und Enkel gehen. Danach richten wir uns.
({2})
Dass dies keine abstrakten Ziele sind, dass wir ganz
konkret lebens- und alltagsnah handeln, dafür steht auch
der Haushalt des BMU und dafür stehen die Ausgaben für
eine nachhaltige Umweltpolitik, auch in anderen Ressorts. Umweltschutz ist bei dieser Regierung eine wichtige Querschnittsaufgabe. Im Bundeshaushalt 2001
belaufen sich die Ausgaben für den Umweltschutz insgesamt auf mehr als 7,8 Milliarden DM, obwohl der Haushalt des BMU selbst nur 1,18 Milliarden DM ausweist.
Für diesen Querschnitt möchte ich zwei Beispiele anführen.
Zum einen sind im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums rund 1,4 Milliarden DM für umweltrelevante
Aufgaben vorgesehen. Davon entfallen rund 450 Millionen DM, also rund ein Drittel, auf die Förderung der erneuerbaren Energieträger. Das Bundesministerium für
Bildung und Forschung weist in seinem Haushalt
962 Millionen DM für die Grundlagenforschung zum
Umweltschutz aus. Auch hier entfallen 365 Millionen DM
auf Projekte zur umweltgerechten, nachhaltigen Entwicklung. Es gibt erstmals den Zustand, dass so viel Geld, so
viele Milliarden DM konsequent für die Umweltpolitik
eingesetzt werden. Das, Herr Lippold - ich weiß nicht, wo
er gerade steckt -, ist nicht nur kein Stillstand, sondern es
sind förmlich Sprünge nach vorne, gemessen an dem, was
Sie früher gemacht haben.
({3})
- Die Begrenztheit Ihres Denkens wird in dieser Zwischenbemerkung wirklich sehr deutlich.
({4})
Wenn wir nämlich Umweltpolitik nur ressortbezogen und
nicht als Querschnittsaufgabe begreifen, als etwas, was in
alle anderen Bereiche hineinwirkt, dann können wir uns
in der Tat von Umweltpolitik verabschieden. Darin liegt
ja auch wohl der Grund, warum Sie keine gemacht haben.
({5})
Auch bei der Verwendung der Zinsersparnisse aus
dem Versteigerungserlös der UMTS-Lizenzen wird der
Umweltschutz angemessen berücksichtigt. Mit einem
Sonderprogramm zur Wärmedämmung in Altbauten
unternehmen wir einen wichtigen Schritt, um das Klimaschutzziel, die CO2-Emissionen bis 2005 gegenüber 1990
um 25 Prozent zu reduzieren, zu erreichen. Hier liegt übrigens auch eine Antwort auf die Ölpreiserhöhung. Kolleginnen und Kollegen, viele Familien, aber auch Rentner,
deren Einkommen gerade so ausreicht, wohnen aus Kostengründen sehr häufig in Altbauten. Ihnen haben wir
durch eine Erhöhung des Wohngeldes, wenn sie ein entsprechend niedriges Einkommen haben, und durch die
Steuerreform geholfen.
({6})
Übrigens - das sei am Rande noch einmal gesagt - haben
wir diese Maßnahmen nicht durchgeführt, um damit die
Konten der Ölmultis zu füllen.
({7})
Zugleich ist aber das Sonderprogramm zur Wärmedämmung in Altbauten in diesem Zusammenhang auch ein
wichtiger Beitrag zur Senkung der Heizkosten.
Steigende Ausgaben für Benzin und Diesel belasten
nicht nur Sport- und Spaßfahrer - das müsste uns ja auch
nicht weiter tangieren -, sondern eben auch Menschen,
die lange Anfahrtswege zu ihrer Arbeitsstätte haben. Je
geringer deren Einkommen ist, umso höher liegt natürlich
in diesem Zusammenhang die Belastung. Obwohl wir
diese Problematik sehen, wäre es völlig falsch, hier panikartig zu reagieren. Eine Reduzierung oder gar Streichung
der Ökosteuer würde den Öl produzierenden Staaten und
der Ölindustrie doch nur weiteren Spielraum für eine
Anhebung der Preise - geradezu auf dem Silbertablett serviert - eröffnen.
({8})
Richtig ist es stattdessen, auch hier auf langfristige, nachhaltig wirksame Maßnahmen zu setzen, wie etwa auf das
Dreiliterauto.
Energieeffizienz heißt also das Stichwort. Andere, vor
allem erneuerbare Energieträger müssen verstärkt in
den Mittelpunkt rücken. Der Klimaschutz ist nach wir vor
eines unserer wichtigsten umweltpolitischen Ziele. Nicht
zuletzt hat die aktuelle Entwicklung der Ölpreise deutlich
gemacht, dass eine nachhaltige Energieeinsparpolitik zu
unseren wichtigsten Aufgaben gehören muss, sehr wohl
aus ökologischen, aber eben auch aus ökonomischen
Gründen.
({9})
Noch eine weitere Antwort auf die Ölpreiserhöhung
hat die Regierungskoalition: 2 Milliarden DM aus eingesparten Zinszahlungen im Zusammenhang mit dem Erlös
aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen werden für
zusätzliche Investitionen in den Schienenverkehr bereitgestellt. Auch hier gibt es einen doppelten Effekt: Zum einen haben diese hohe beschäftigungspolitische Effekte,
zum anderen sind sie umweltpolitisch unverzichtbar.
({10})
Trotz der anhaltenden Notwendigkeit zum Sparen ist es
gelungen, im Wege der Umschichtung für umweltpolitisch wichtige Bereiche zusätzliche Mittel bereitzustellen.
So werden die Projektfördermittel für die Umwelt- und
Naturschutzverbände weiter erhöht. Für die Ansiedlung
einer Abteilung des Europäischen Zentrums für Umwelt und Gesundheit des europäischen Regionalbüros
der WHO in Bonn werden 2001 zusätzlich 3 Millionen DM bereitgestellt. Insgesamt sollen dort bis zu 20
Mitarbeiter arbeiten.
({11})
Das stärkt nicht nur die Region Bonn, sondern es hilft
auch, dass das wichtige Thema Umwelt und Gesundheit
gerade auch in der Bundesrepublik Deutschland - denn
dort, wo die Kapelle sitzt, wird die Musik gespielt prophylaktisch, also vorbeugend, aufgegriffen und vertieft wird.
Eine besondere Priorität - darauf hat Minister Trittin
bereits hingewiesen - genießt der Naturschutz. Die Personalverstärkung um fast 10 Prozent, bei insgesamt
zurückgehenden Zahlen, ist der richtige Schritt, um endlich Brachland zu bestellen,
({12})
das Sie hinterlassen haben und das sich, gut bearbeitet und
gut behandelt, gut entwickeln kann.
Wir bleiben mit dem Haushalt 2001 unserem Weg treu,
das Prinzip der Nachhaltigkeit auch in der Haushaltspolitik anzuwenden. Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen als Voraussetzung für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und soziale Stabilität auch im Interesse
kommender Generationen, das ist das Ziel und das ist der
Auftrag der Konferenz von Rio 1992. Umweltminister
Trittin unternimmt mit dem Haushalt 2001 einen weiteren
wichtigen Schritt zur Umsetzung dieses Ziels. Es wurde
höchste Zeit, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Wir haben, als
Sie an der Regierung waren, wichtige Zeit verloren, weil
von der damaligen Bundesregierung nach der Konferenz
von Rio über Jahre hinweg nur Lippenbekenntnisse und
Sonntagsreden zu hören waren.
({13})
Es gab zwar gute Ansätze von einzelnen Personen, aber
anschließend kein Handeln.
Heute, da wir den Stillstand beenden, bewegen Sie sich nur leider in die falsche Richtung.
({14})
Statt mitzumachen, bauen Sie an Blockaden mit und türmen Hindernisse auf.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen:
({15})
Es gibt im Fernsehen einen tollen Werbespot. In diesem
Werbespot fährt ein Mann, übrigens in einem schicken roten Auto, zur Arbeit, zur Bank, Brötchen holen, mit der
Familie übers Land. Nach einer Woche fährt er zur Tankstelle. Da zeigt der Kilometerzähler genau 100 Kilometer
an und die Benzinanzeige zeigt 4,4 Liter an. - Damit wird
heute geworben und nicht mehr, wie zu Ihrer Zeit, mit
mehr als 120 PS. Es hat ein Umdenken stattgefunden, das
müssen Sie doch endlich einmal kapieren!
({16})
So weit sind wir heute schon, dass mit dem sparsamen
Auto geworben wird, und wir wollen, dass in diesem Bereich noch mehr passiert.
Und wie verhalten Sie sich? Wie verhält sich die
Opposition, stellvertretend Herr Lippold und Frau
Homburger? Wie der Tankwart in dem Fernsehspot:
höchst unzufrieden. Nachdem Sie jahrelang erst bewegungsarm ({17})
- und dann sogar bewegungslos waren, kommt Ihnen gerade zur rechten Zeit eine gute - nein, falsch: eine böse Fee zu Hilfe, verwandelt Sie beide in zwei kleine Wichte,
die neben den Bremspedalen hocken und jedes Mal, wenn
der Fahrer Gas gibt, versuchen, durch kräftige Bremsbewegungen deutlich zu machen, dass das Auto doch
mehr Benzin braucht, wie Sie es schon immer gesagt haben. So konstruktiv ist Ihre Oppositionspolitik!
({18})
Wir haben begonnen, zu handeln und Weichen für die
Zukunft zu stellen - in der Energiepolitik, mit der Konsolidierung des Haushaltes und mit dem Bemühen um mehr
Generationengerechtigkeit in der Sozialversicherung, um
nur einige Stichworte zu nennen. Nachhaltige Entwicklung ist bei uns Chefsache. Deshalb hat das Kabinett Ende
Juli beschlossen, hierfür eine nationale Gesamtstrategie
zu erarbeiten.
({19})
Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung einen ständigen Staatssekretärsausschuss aus diesen Ressorts eingerichtet hat, der die nationale Gesamtstrategie entwickeln
wird
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.
- ja -, und zwar in einer gemeinschaftlichen Anstrengung über die Ressortgrenzen
hinweg.
Wir möchten, dass möglichst viele Menschen - und
irgendwann vielleicht sogar auch die Opposition, wenn
sie denn ein Thema gefunden hat, das ihr hilft, ihr eigenes Profil wieder zu finden; dann wird sie auch die
Nebenkriegsschauplätze nicht mehr benötigen - diesen
Weg gehen. Wenn die Opposition das nicht tut, ist es auch
nicht schlimm; dann haben wir es nur um so leichter.
Vielen Dank.
({0})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Jochen Borchert.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, nach zwei
Jahren rot-grüner Koalition ist es an der Zeit, auch im Bereich der Umweltpolitik eine Zwischenbilanz des Handelns bei der Bundesregierung zu ziehen. Sie fällt alles andere als positiv aus.
Das Magazin „Stern“ - es steht ja nun nicht in dem Ruf,
uns besonders nahe zu stehen ({0})
- hat das Forsa-Institut beauftragt, eine repräsentative Anzahl von Bürgern zu befragen. Die Meinung der Bürger ist
eindeutig: 58 Prozent der Bürger würden dem Umweltminister lieber heute als morgen einen blauen Brief
schicken. Hätte man diese Umfrage allein unter Mitgliedern des Bündnisses 90/Die Grünen durchgeführt, dann
wäre die Zahl der Unzufriedenen sicher noch größer gewesen.
({1})
Deswegen schreibt der „Stern“ auch zu Recht: „Jürgen
Trittin ... versagt als ökologisches Gewissen der Regierung.“
Frau Zahrnt, die Vorsitzende des BUND, hat am
20. Juli in der „FAZ“ festgestellt:
Trittin hat noch kein Profil. Man weiß noch nicht, für
welche Umweltthemen ... er sich konsequent einsetzen will.
Und das nach zwei Jahren als Bundesumweltminister!
Auch der Haushalt 2001 ist wie in den Vorjahren eine
konsequente Fortführung der zerfahrenen und letztlich erfolglosen Umweltpolitik. Ich will dies an einigen Punkten
im Haushalt deutlich machen.
Mit 1,118 Milliarden DM bleibt der Gesamthaushalt
des BMU im Jahr 2001 weiterhin auf einem erschütternd
niedrigen Niveau. Bereinigt um Sonderfaktoren sinkt der
Haushalt des BMU wieder um fast ein halbes Prozent.
Verglichen mit dem letzten Haushalt der Regierung
Helmut Kohl ergibt sich ein Minus von rund 10 Prozent,
während in der Zwischenzeit der Gesamthaushalt weiter
gestiegen ist.
({2})
Gemessen am Gesamthaushalt betrug der Haushalt des
Bundesumweltministers 1998 noch 0,26 Prozent. Heute
sind es noch 0,23 Prozent. Wenn wir im Jahr 2001 für den
Einzelplan 16 den gleichen Anteil am Gesamthaushalt
wie im Jahre 1998 hätten, dann wäre er um 127 Millionen DM höher. Dies kennzeichnet Ihre Umweltpolitik.
Der Verwaltungsanteil des BMU-Haushalts beträgt
weiterhin über 50 Prozent. Weniger als 50 Prozent der
Mittel werden für die eigentliche Programmarbeit eingesetzt. Von jeder eingesetzten Mark fließen also über
50 Pfennige in die Verwaltung. Deutlich unter 50 Pfennige werden für den Umweltschutz eingesetzt.
Wenn Frau Lehn darauf hinweist, dass Umweltschutz
eine Querschnittsaufgabe ist, und den niedrigen Ansatz
für das Umweltministerium damit rechtfertigt, dass die
Mittel in anderen Bereichen des Haushaltes eingesetzt
werden, dann wird deutlich, dass aufgrund dieser Entwicklung das BMU immer überflüssiger wird.
({3})
Die Mittel befinden sich in anderen Haushalten. Die Entscheidungen fallen etwa im Wirtschaftsministerium und
im Kanzleramt, aber nicht im Umweltministerium.
({4})
Mit dem einseitigen Ausstieg aus der Kernenergie
- immerhin wird ein Drittel des Stroms aus Kernenergie
erzeugt - wird die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern weiter erhöht.
({5})
- Diese Tatsache können Sie auch mit Zwischenrufen
nicht wegdiskutieren.
({6})
Aus dem Blickwinkel des Klimaschutzes ist es schlicht
paradox. Da hilft auch der ständige Hinweis auf Windund Sonnenergie nichts. Es macht schon nachdenklich,
dass Sie bisher kein Konzept vorlegen können, wie Sie
den Ausfall der Kernenergie etwa im Bereich der Umweltpolitik und damit des Umweltschutzes ausgleichen
wollen. Es fehlt jedes Konzept, wie Sie angesichts der
Aufgabe der Kernenergie die Zusagen von Kioto in den
nächsten Jahren umsetzen wollen.
({7})
Im Laufe der Diskussion um den so genannten Atomausstieg hat sich gezeigt - die Vereinbarung zwischen der
Bundesregierung und den EVUs beweist dies ja -, dass
das jahrelang von den Grünen angeführte Argument von
der mangelnden Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke reine Rhetorik war. Denn wer eine Laufzeit von
32 Jahren verabredet, der würde doch unverantwortlich
handeln, wenn er nicht von der Sicherheit der Anlagen
überzeugt wäre.
({8})
In Ihrer Broschüre „Deutschland erneuern“ schreiben
Sie unter dem Stichwort „Energiepolitik“, dass Sie das
Ziel, die CO2-Emissionen im Zeitraum von 1990 bis
2005 um 25 Prozent zu vermindern, weiter erreichen wollen. Diese Zusage haben wir auf der Klimakonferenz in
Kioto gemacht. Aber wenn Sie diese Zusagen wirklich
einhalten wollen, sollten Sie jetzt endlich einmal deutlich
machen, wie Sie den Ausfall der Kernenergie ersetzen
wollen, ohne dass die CO2-Belastung steigt.
({9})
Da der Klimaschutz eine Querschnittsaufgabe ist, müssen in diesem Bereich das Bau-, das Verkehrs- und das
Wirtschaftsministerium eng zusammenarbeiten. Diese
Zusammenarbeit ist leider nicht zu erkennen - weder bei
der Altbausanierung noch bei der Förderung der KraftWärme-Kopplung. Nach zwei Jahren rot-grüner Umweltpolitik hat sich die Klimaschutzpolitik auf zwei bröcklige
Säulen reduziert: auf die so genannte Ökosteuer und den
Ausstieg aus der Kernenergie.
Den Bürgern ist inzwischen deutlich geworden - dies
zeigt auch die heutige Diskussion -, dass die Ökosteuer
nichts mit Ökologie zu tun hat. Sicher, Steuern und Abgaben sind ein Instrument der Umweltpolitik. Aber diese
müssen richtig konstruiert sein.
({10})
Die Energieeffizienz und die Schadstoffabgabe müssen
dabei berücksichtigt werden. So wie Sie die Ökosteuer
konzipiert haben, ist dies nichts anderes als eine reine Zusatzbelastung. Die Verbraucher haben Recht, wenn sie sagen, hier sei eine Schmerzgrenze erreicht worden.
({11})
Frau Lehn, Sie haben darauf hingewiesen, dass Autokonzerne heute damit werben, Autos mit einem Verbrauch
von vier Litern herzustellen. Das ist doch kein Ergebnis
Ihrer Ökosteuer.
({12})
Es gibt keinen Konzern, der neue Kraftfahrzeugkonzepte
in zwei Jahren entwickelt. Das ist vielmehr eine Entwicklung, die während unserer Regierungszeit in Gang gesetzt
worden ist.
({13})
- Da hilft auch Ihr Zuruf nichts.
Ich bin ganz sicher: Sie werden in den nächsten Wochen erkennen, dass Ihre Ökosteuer unsinnig ist. Ein
Lernprozess hat ja teilweise eingesetzt. Zum Beispiel fordert der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Herr
Clement, die Erhebung der Ökosteuer auf Heizöl auszusetzen. Zumindest ist dies intelligenter als die Forderung
des Vorsitzenden der Grünen in Schleswig-Holstein, auf
das eine oder andere zu verzichten, zum Beispiel auf den
Urlaub. Dies zeigt, wie weit Sie sich von den Bürgern entfernt haben - nach dem Motto: Tausche Urlaub gegen
Heizöl!
({14})
Sie werden nicht bei Ihrer unsinnigen Ökosteuer bleiben. Der Bundeskanzler weiß schon, warum er gestern
eine diesbezüglich von Friedrich Merz angebotene Wette
nicht angenommen hat.
({15})
Sie beschwören hier Ihre Standhaftigkeit in dieser Frage.
Man hat in Ihrer Partei in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen längst begonnen,
darüber nachzudenken, wie man von diesem Unsinn wegkommt.
Herr Bundesminister, in der mir verbleibenden Redezeit will ich noch kurz auf die geplante Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes eingehen. Sie wollen weiter
reglementieren. Sie wollen die mit Einschränkungen versehenen Biotopflächen ausweiten und die Ausgleichsregelungen für staatliche Auflagen streichen.
Was Sie erreichen wollen, zeigen Ihre Vorschläge hinsichtlich des Spreewaldes. Sie fordern die weitere Einschränkung des Fahrens auf der Spree mit Kähnen, den
Rückbau von Wegen und Straßen, damit die dortigen
Gaststätten nicht mehr erreicht werden können, und eine
weitere Reglementierung der Bepflanzungen. Sie berufen
sich in diesem Zusammenhang auf Nachhaltigkeit. Ich
weise darauf hin, dass der Begriff der Nachhaltigkeit bäuerlichem Wirtschaften entstammt.
({16})
Landwirte haben immer bäuerlich gewirtschaftet. Sie
brauchen hier nicht weiter reglementierend einzugreifen
und Auflagen, die über die gute fachliche Praxis hinausgehen, dadurch zusätzlich zu erweitern, dass Sie die Ausgleichszulage für diese Auflagen streichen.
Wie sollen denn Bauern in Deutschland - diese Frage
ist mir sehr wichtig - überleben angesichts der Politik des
Landwirtschaftsministers, die darauf abzielt, dass sich die
Bauern dem Wettbewerb stellen und Fördermittel gekürzt
werden, und angesichts dessen, dass der Umweltminister
gleichzeitig die Belastungen für die Bauern weiter erhöht? Zwischen diesen beiden Mühlsteinen Ihrer Politik
werden Bauern nicht überleben.
({17})
Die rot-grüne Regierung hat die Umweltpolitik dem
Diktat von Ideologen untergeordnet, statt Fortschritt gibt
es Rückschritt, statt globaler Zusammenarbeit nationalen
Alleingang. Von umweltpolitischer Innovation keine
Spur. Sie stellen den Sinn der Umweltpolitik und vor allen Dingen den Sinn des Umweltministeriums in Frage.
Vielen Dank.
({18})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Trittin das Wort.
Werter Herr Kollege Borchert, gelegentlich ist es hilfreich
- Sie waren so freundlich, den Spreewald anzusprechen -,
sich nicht nur aus der „Bild“-Zeitung zu informieren. Tatsache ist: Der Spreewald ist akut bedroht. Die Bedrohung
des Spreewaldes beruht darauf, dass aufgrund des Rückbaus beim Braunkohletagebau die Wasserzuführung in
den Spreewald geringer wird. Der Spreewald droht auszutrocknen.
Vor dieses Problem gestellt hat das Bundesumweltministerium gesagt: Wir müssen den Spreewald retten. Wir
wollen dafür über 22 Millionen DM aus Bundesmitteln
- Sie wissen als Haushaltspolitiker, dass der Naturschutz
eigentlich Ländersache ist - zur Verfügung stellen, um das
Wasser länger im Spreewald zu halten. Dies haben wir in
enger Abstimmung mit dem Landkreis, dem Vorsitzenden
des dortigen Zweckverbandes und dem Land Brandenburg getan.
Zur Sicherung des Spreewaldes war unter anderem
vorgesehen, ein Wehr zu bauen, das die Fließgeschwindigkeit in diesem Gewässer vermindert, sodass das Wasser länger gehalten wird. Nach Verringerung der Fließgeschwindigkeit ist es nicht mehr nötig, dort mit
Motorkraft zu fahren, weil man - wie es sich für einen ordentlichen Kahnschipper gehört - weiterhin durch Staken
die Gewässer befahren kann.
Dass nach Bau des Wehres Motorkähne - ich betone:
Motorkähne - nicht mehr fahren dürfen, ist am 24. Februar dieses Jahres mit dem Land Brandenburg und dem
Landrat Wille abgestimmt worden. Was in der „Bild“-Zeitung steht - wir wollten Kahnfahrten verbieten -, ist
„Bild“-zeitungsgemäß Blödsinn.
Es steht in dem Förderbescheid auch nicht, dass der
Rückbau von Wegen stattzufinden hat. Es versteht sich
aber schließlich von selbst, dass in einem solchen Reservat kein Neu- und Ausbau von Wegen mehr stattzufinden
hat.
Anders gesagt: Es ist nicht der Naturschutz, der den
Spreewald bedroht, sondern es sind diejenigen, die ein
wichtiges Naturschutzprojekt, mit dem diese einmalige
Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland erhalten
werden soll, durch solche fahrlässigen Äußerungen, wie
sie Herr Wille gemacht hat und Sie sie wiederholt haben,
zu gefährden drohen.
({0})
Herr Borchert, Sie
möchten antworten. - Bitte sehr.
Herr Kollege Trittin,
Sie haben soeben gesagt, dass Sie das auch dem Landrat
im Spreewald, Herrn Wille - er ist SPD-Mitglied -, erläutert haben. Ich will Ihnen auf Ihre langen Ausführungen - schon die Länge der Ausführungen zeigt, dass Sie
bei diesem Thema offensichtlich ein schlechtes Gewissen
haben ({0})
- da hilft auch das Dazwischenschreien nichts - mit einem
Zitat von Herrn Wille, SPD-Mitglied und Landrat, antworten.
({1})
- Natürlich aus der „Bild“-Zeitung. Herr Wille hat das bis
heute nicht dementiert. Er hätte das sicher getan, wenn es
nicht stimmen würde. Ich habe keine Veranlassung, nicht
aus einer Zeitung zu zitieren, solange das, was da steht,
nicht dementiert worden ist.
Nun hören Sie zu, was Herr Wille sagt. Er sagt zu den
Auflagen, die Herr Trittin fordert:
Das ist Quatsch! ... Da hat ... jemand am Schreibtisch
gesessen, der von der Sache keine Ahnung hat.
Recht hat Herr Wille.
({2})
Jetzt hat das Wort der
Kollege Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
diesen Tagen findet die Vorbereitungskonferenz der
nächsten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention in Lyon statt. Dort wird darüber entschieden, ob
es den Industriestaaten gelingt, ihre Verpflichtungen zum
Klimaschutz einzuhalten.
Wir wissen alle, dass es einen elementaren Zusammenhang zwischen Fortschritten in der internationalen
Klimapolitik auf der einen Seite und der Glaubwürdigkeit
der nationalen Klimapolitik der Unterzeichnerstaaten auf
der anderen Seite gibt.
({0})
Deswegen ist es auch ein großer Fortschritt - das muss ich
Ihnen, Frau Homburger, leider sagen -, dass das Kabinett
am 27. Juli dieses Jahres einen Zwischenbericht zum Klimaschutzprogramm verabschiedet hat.
({1})
Dieses Klimaschutzprogramm wird in den nächsten Wochen verabschiedet werden.
In dem Klimaschutzprogramm ist erstmals ein ressortübergreifender Ansatz gewählt worden. Es ist also nicht
mehr so wie früher zu Ihrer Regierungszeit, als Herr
Töpfer oder Frau Merkel auf der einen Seite im Regen gestanden haben und Wissmann, Rexrodt und Waigel auf der
anderen Seite ihnen nicht geholfen haben, sodass Sie
nichts machen konnten und damit Deutschlands Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett ruiniert war.
Das ist heute nicht mehr so. Jetzt ist jedem Sektor und
jedem Ressort ein Orientierungsziel an die Hand gegeben
worden und von den Ressorts sind Vorschläge gemacht
worden, wie diese Ziele zu erreichen sind. Ich werde Ihnen jetzt einige präsentieren und möchte Sie bitten, genau
zuzuhören.
Erstens. Gerade wurde gesagt, das Altbausanierungsprogramm gebe es gar nicht. Frau Kollegin, das ist
schlicht und einfach unzutreffend. Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf geeinigt, dass wir ein Altbausanierungsprogramm auflegen werden und dass damit etwa die
Hälfte der Einsparungen im Bereich Altbausanierungen
erreicht wird. Das ist ein ganz wichtiger Beschluss.
({2})
Über das Altbausanierungsprogramm selbst werde ich
gleich reden.
Zweitens haben wir bereits beschlossen, dass wir die
Kraft-Wärme-Kopplung in besonderer Weise fördern.
({3})
- Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas wissen
wollen. - Wir haben das bereits durch ein Fördergesetz
getan und wollen dies perspektivisch durch ein Quotengesetz ausbauen, sodass jedes Unternehmen einen bestimmten Anteil an Kraft-Wärme-Kopplung nachweisen
muss. Auch dies ist ein großer klimapolitischer Fortschritt.
({4})
Drittens. Im Verkehrsbereich - das ist zugegebenermaßen der Bereich mit der größten Dynamik - haben wir
bereits einige Beschlüsse, so zum Beispiel den über die
Schwerverkehrsabgabe, gefasst. Diese ist wettbewerbsneutral, denn sie wird auch von den Ausländern gezahlt.
Hier wird sicherlich noch einiges nachzuliefern sein, aber
summa summarum kann man sagen: Der qualitative
Sprung liegt darin, dass es eben nicht mehr wie früher ein
Hobby des Umweltministers, sondern eine Aufgabe der
Gesamtregierung ist, für die sich auch die gesamte Regierung verantwortlich fühlt.
({5})
Jetzt komme ich zu der Frage, was das volkswirtschaftlich bedeutet. Für diese Frage sollten Sie eigentlich
ein gewisses Verständnis haben. Erster Punkt: Was passiert denn, wenn wir Klimaschutz, wenn wir Energieeinsparung betreiben? Dies ist nichts anderes, als Ölimporte
durch inländischen Ingenieurverstand und durch inländische Handwerksleistungen zu ersetzen. Dies ist doch
mehr als vernünftig.
({6})
Zweiter Punkt: Wir stimulieren Innovationen auf breiter Front. Dies können Sie beispielsweise an den Werbekampagnen eben nicht nur der Automobilkonzerne, sondern auch der Heizungsanlagenbauer, der Installateure
und der Kraftwerkstechniker sehen. Hier wird mit Effizienztechnologien Reklame gemacht. Die Leute wissen,
warum sie das machen, nämlich weil sie auf den Weltmärkten der Zukunft die erste Geige spielen wollen. Und
wir helfen ihnen dabei.
Der dritte Punkt - das wird bei Ihnen immer wieder
ausgeblendet - ist: Wenn wir Klimaschutz aktiv betreiben,
bedeutet das auch eine Vermeidung von Zukunftskosten.
Denn wenn wir nichts tun - so wie Sie das empfehlen -,
passiert nichts anderes, als Kosten auf zukünftige Generationen abzuwälzen. Diese Kosten wären erheblich. Das
wäre schlicht und einfach unverantwortlich. Deswegen
werfe ich Ihnen in diesem Punkt auch Unverantwortlichkeit vor.
({7})
Ich komme zur europäischen Integration. Die Behauptung „Wenn es nur europäisch harmonisiert wäre, würden
wir mitgehen.“ halte ich für eine faule Ausrede. Die Wahrheit ist, dass wir bei den Benzinpreisen in Europa im Mittelfeld liegen. Muss man dies denn immer wiederholen?
Sie müssen doch zumindest die Fakten zur Kenntnis nehmen. Ich möchte hier einmal einfach die Benzinpreise
von gestern bekannt geben.
({8})
Wir liegen innerhalb der Europäischen Union auf Platz 9
von 15: Großbritannien 2,54 DM, Niederlande 2,37 DM,
Finnland 2,30 DM, Schweden 2,29 DM.
Selbst dann, wenn die Dieselsteuer in Frankreich gesenkt, das von der Kommission notifiziert und nicht als
Beihilfetatbestand gewertet würde - was noch keineswegs sicher ist -, läge Frankreich mit seinen Dieselpreisen noch über dem Niveau in Deutschland. Dies ist die
Realität. Nehmen Sie dies bitte zur Kenntnis.
Hinsichtlich der Harmonisierung gilt Folgendes: Sie
wissen doch alle aus Ihrer eigenen Erfahrung, dass man es
dann, wenn man wartet, bis auch der Langsamste das
Tempo des Geleitzuges erreicht, niemals schaffen wird,
hier Fortschritte zu erzielen. Deshalb ist auch das harmonisierte, das gleichgerichtete Handeln von vielen Staaten
der Europäischen Union genau der richtige Weg.
Ich komme jetzt zum zweiten Thema, ({9})
- obwohl ich viel lieber über das Naturschutzgesetz reden
würde, über die BVVG-Flächen, die jetzt gesichert sind,
über die Tatsache, dass die Deutsche Bundesstiftung Umwelt in Zukunft mehr Geld für Naturschutz ausgibt. Aber
ich muss einfach noch auf die Debatte zur ökologischen
Steuerreform eingehen, denn die Flachheit, mit der sie
von Ihrer Seite geführt wird, ist eine intellektuelle Zumutung, auch für die Bürgerinnen und Bürger.
({10})
Nehmen Sie einfach einmal die Realitäten zur Kenntnis. Vor eineinhalb Jahren, Anfang 1999, kostete das Fass
Öl 10 Dollar, heute sind es knapp 35 Dollar. Vor eineinhalb Jahren, als der Euro eingeführt wurde, lag die Relation zwischen Euro und Dollar bei 1:1,12, das heißt,
1 Euro kostete 1,12 Dollar. Heute ist das Verhältnis umgekehrt. Heute bekommen Sie für 1 Euro 0,85 Dollar. Das
sind die beiden Hauptfaktoren, für die hohen Benzinpreise. Das wissen Sie natürlich auch.
Jetzt zur ökologischen Steuerreform. Das Hauptkriterium der ökologischen Steuerreform war immer die Stetigkeit. Es war nie so, wie Sie es gemacht haben: einmal
kräftig zulangen und dann das Geld in Theo Waigels
schwarzen Löchern untergehen lassen.
({11})
Vielmehr haben wir immer gesagt, die Leute sollen sich
darauf verlassen können. Deshalb machen wir es in kleinen, aufkommensneutralen Schritten und geben ihnen das
Geld bei der Rente zurück.
({12})
Das war unsere Strategie. Diese Strategie hat sich auch
ausgezahlt; denn wenn Sie an der Regierung geblieben
wären, lägen die Rentenversicherungsbeiträge heute bei
21 Prozent und nicht bei 19,3 Prozent.
({13})
- Das ist die Wahrheit.
({14})
- Sie müssen den Leuten sagen, dass Sie, wenn Sie die
Ökosteuer abschaffen wollen, die Rentenversicherungsbeiträge um zwei Prozentpunkte erhöhen müssen. Das ist
die Wahrheit.
({15})
Der Lenkungseffekt sieht so aus, dass alle Leute, die
Geld mit Effizienztechnologien verdienen - seien es Automobilkonzerne, seien es Handwerksbauer, seien es
Kraftwerksbauer -, heute damit Reklame machen, dass
sie die Technologie der Zukunft haben, dass wir gut gewappnet sind und dass wir vom Öl unabhängiger geworden sind. Heute nämlich ist es so: Wir hängen am Öl wie
ein Junkie an der Nadel. Das kann so nicht bleiben. Ich
glaube, das ist eine ganz wichtige Strategie.
Jetzt zur CDU-Kampagne. Das ist ja wirklich eine intellektuelle Zumutung hoch drei. Das fängt mit diesem
Balken an. Die CDU behauptet, 70:30 sei das Problem:
70 Prozent Steuern, 30 Prozent reine Marktkosten. Einfach zu Ihrer Information: Als wir an die Regierung kamen, war die Relation 80:20, nämlich 80 Prozent Steuern,
20 Prozent Marktkosten.
({16})
Ich habe hier eine Auflistung über Zitate en masse aus
der Union. Das ist alles Schnee von gestern. Ich will Ihnen nur eines, weil es so wunderbar ist, von der CSU aus
dem Jahre 1996 vorlesen. Ich zitiere wörtlich:
Das jetzige Steuer- und Abgabensystem belastet einseitig den Faktor Arbeit. Sein Anteil am Gesamtaufkommen aller Steuern und Abgaben ist von 45 % im
Jahr 1970 auf 67 % im Jahr 1996 gestiegen! Im Verhältnis dazu ging der Steueranteil aus ... Ressourcenverbrauch zurück. Das Gleichgewicht von direkten
und indirekten Steuern ist nicht mehr stimmig. Die
überhöhte Belastung des Faktors Arbeit begünstigt
den Anstieg der Arbeitslosigkeit. ...
Der Umweltarbeitskreis der CSU fordert deshalb, ...
den Verbrauch von Ressourcen aufkommensneutral
stärker steuerlich zu belasten. Insbesondere fossile
Brenn- und Treibstoffe sollen sich ... über einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren hinweg um jährlich
5 % verteuern.
5 Prozent von 2 DM! Nach dem CSU-Konzept müsste
das Benzin also jährlich um 10 Pfennig teurer werden. Wo
liegt da der Unterschied zu dem, was die Regierung
macht?
({17})
- Es ist ein bisschen mehr, okay. Aber es ist grundsätzlich
nichts anderes.
Ihre erbärmliche Kampagne - das muss man einmal in
der Deutlichkeit sagen - wäre ja dann glaubwürdig, wenn
Sie Gegenvorschläge machten. Was haben Sie denn hier
im Bundestag gemacht? - Sie haben gegen die Förderung
erneuerbarer Energien gestimmt!
({18})
Sie haben gegen das 100 000-Dächer-Programm/Photovoltaik gestimmt. Sie haben gegen das Förderprogramm
„Erneuerbare Energien“ gestimmt. Sie haben gegen
Kraft-Wärme-Kopplung gestimmt. Sie haben gegen eine
steuerliche Besserstellung von hoch effizienten Kraftwerken gestimmt. Das ist die ganze Verlogenheit der Union,
die immer unerträglicher wird.
({19})
Zum Schluss Folgendes. Sie sind ja eine konservative
Partei. Sie haben sicherlich konservative Staatsphilosophen wie Burke oder andere gelesen. Was macht denn den
Konservativen aus? Ein Kriterium, das den Konservativen ausmacht, ist, dass er sich nicht bei jedem Windchen
flach auf den Boden legt, sondern auch in schwieriger Zeit
Kurs hält.
Was Sie machen, ist nichts anderes, als dem vermeintlichen Druck der Straße zu weichen, den Sie selber verstärken. Aber Ihr gebrochenes Verhältnis zum Recht haben Sie ja an anderer Stelle schon hinreichend bewiesen.
Danke Schön.
({20})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Dr. Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja sehr interessant zu hören, Herr Loske, dass
Sie sich mit konservativen Philosophen auseinander setzen.
({0})
Ein Wesenszug der konservativen Grundhaltung aber ist,
dass man seine politischen Schritte pragmatisch und nicht
ideologisch formuliert. Sie aber formulieren sie bei der
Ökosteuer ideologisch.
({1})
Herr Minister Trittin, es ist nun seit 1998 das dritte
Mal, dass Sie einen Haushaltsentwurf politisch zu verantworten haben. Zum dritten Mal erleben wir bei den Haushaltsberatungen, dass Sie im Stile von „Zusammenfassen,
Auflisten von kleineren Einzelmaßnahmen und großen
Ankündigungen“ alles in einen Topf packen. Dieser Stil
kann aber nicht verschleiern, dass Sie einen Haushalt politisch zu verantworten haben, der nichts anderes ist als
das Dokument umweltpolitischer Ratlosigkeit.
({2})
Das ist nicht erstaunlich; denn die rot-grüne Bundesregierung verfügt nicht über ein zukunftsweisendes Umweltkonzept.
Sie, Herr Minister, haben heute bei Ihrer Haushaltsrede
eine große Chance verpasst. Sie haben an keiner Stelle
langfristige und mittelfristige Visionen dargelegt. Sie haben an keiner Stelle gezeigt, wie die Umweltpolitik zur
Modernisierung des Standortes Deutschland beitragen
kann.
({3})
Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Mit diesem Stil, mit der
Klein-Klein-Politik, mit der Sie angetreten sind, werden
Sie Deutschland im Bereich der Umweltpolitik nicht modernisieren und Deutschland nicht nach vorne bringen
können.
({4})
Mit welch hehren Zielen sind Sie angetreten! Sie haben
vor kurzem lesen müssen, was Thilo Bode, der scheidende
Chef von Greenpeace International, am 31. August in der
„FAZ“ festgestellt hat: Die Bundesregierung hat kein umweltpolitisches Gesamtkonzept. Sie hat den Atomausstieg
vereinbart, jedoch keine alternative Energiepolitik. - Deshalb gibt es im Augenblick noch kein belastbares Energieprogramm aufseiten der rot-grünen Bundesregierung.
- Sie hat Ökosteuern eingeführt mit Schlupflöchern und
Inkonsistenzen. - NABU, BUND und alle anderen aus
dem Bereich der Umweltpolitik schließen sich dem an.
({5})
- Herr Schmidt, dass es Ihnen nicht so gut geht, wo Sie
doch in den letzten Jahren immer lautstark auf den Putz
gehauen haben, kann ich verstehen; denn jetzt müssen Sie
feststellen, dass Sie in der Verkehrspolitik auch nur kleine
Brötchen backen können.
({6})
Es mag ja sein, lieber Kollege Schmidt, dass die rot-grüne
Bundesregierung noch irgendwo Schwerpunkte setzt. Eines aber ist sicher: Die Umweltpolitik stellt keinen
Schwerpunkt dieser Bundesregierung dar.
({7})
Wenn Sie meinen, Sie würden mit der Atomausstiegspolitik Umweltpolitik betreiben, so müssen wir Ihnen sagen: Damit betreiben Sie Politik für Ihre Parteibasis, nicht
aber für den Standort Deutschland.
({8})
Es ist ja auch interessant, an welcher Stelle die Atomausstiegspolitik organisiert worden ist: nicht im eigentlich
zuständigen Ministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit, sondern im Kanzleramt und vielleicht noch ein
wenig im Wirtschaftsministerium. Herr Bundesminister
Trittin jedenfalls war nicht zuständig.
Wir stellen fest, dass dieses System jetzt fortgesetzt
wird. Wir sind ja dabei, den Prozess, der in Rio angestoßen worden ist, im Sinne eines Nachhaltigkeitsprozesses fortzusetzen. Wenn die Informationen stimmen, die
jetzt in der Presse kolportiert werden, dann wird auch die
Federführung für den Nachhaltigkeitsprozess nicht beim
Umweltministerium liegen, sondern beim Kanzleramt.
Alle in der Regierung wissen, warum dies notwendig
ist. Dieser Umweltminister profiliert sich nämlich in vielen Bereichen als Ankündigungsminister. Wenn es aber
darauf ankommt, seine Ankündigungen umzusetzen, kann
er sein Wort nicht halten. Einem solchen Umweltminister
vertraut noch nicht einmal mehr die rot-grüne Bundesregierung.
({9})
Schauen Sie sich doch nur einmal Ihre Abfallpolitik
an, Herr Minister. Sie taktieren nur. Sie kämpfen nicht, Sie
geben keine Richtung vor. So haben Sie großartig angekündigt, dass Sie die europarechtlichen Vorgaben in die
Kreislaufwirtschaft einbinden werden, und zwar über eine
Reihe von neuen Verwaltungsvorschriften. Dann schicken Sie Ihre Parlamentarische Staatssekretärin Frau
Probst zur Eröffnung der ENTSORGA nach Köln, wo die
Staatsekretärin verkünden muss, dass Sie von dem großen
Wurf der neuen Regelung im Abfallrecht, der Anpassung
an das Europarecht, Abstand nehmen, weil Sie im Augenblick keine Chance sehen, diese neuen Grundsätze einer
Abfallpolitik tatsächlich durchzusetzen.
Wo ist die lange angekündigte Novellierung der
Verpackungsverordnung? Immer wieder sagen Sie: Wir
müssen abwarten, bis ein Gutachten vorliegt. Dann liegt
das Gutachten vor. Daraufhin stellen Sie auf einer Pressekonferenz mehrere Denkmodelle vor, die Sie umsetzen
wollen. Aber Sie sagen nicht, wo die Reise hingeht und
wie Sie es wirklich machen wollen. Sie taktieren und Sie
haben Angst, sich festzulegen, weil Sie genau wissen:
Wenn es hart auf hart geht, dann werden Sie als Umweltminister vom Bundeskanzler zurückgepfiffen. Das ist
schon mehrfach passiert. Jetzt wollen Sie dieses Risiko
nicht mehr eingehen.
({10})
Dabei geben Sie zum Beispiel bei der Verpackungsverordnung selbst zu erkennen, dass ein System, zu dem
ich mich bekenne und das wir 1991 mit dem damaligen
Umweltminister Töpfer auf den Weg gebracht haben, ({11})
- in der Abfallpolitik große Erfolge erzielt hat. Aber Sie
müssen den Mut haben, wie wir es schon mehrfach eingefordert haben, nun zu sagen: Es haben sich nach zehn
Jahren Strukturen verändert. Jetzt kommt es auf die Kreativität des Umweltministers an, darauf, ob er in der Lage
ist, neue Entwicklungen, die nach zehn Jahren aufgetreten
sind, tatsächlich aufzugreifen und den Weg, der von
Töpfer gegangen ist, erfolgreich fortzusetzen. Aber Sie
kneifen. Sie haben kein Konzept und sind nicht in der
Lage, in dieser Frage einen modernen Weg zwischen
Ökonomie und Ökologie zu gehen.
({12})
Sie sprechen die Naturschutzpolitik an. Sie haben bis
zum heutigen Tag hier im Parlament keine Novelle des
Bundesnaturschutzgesetzes vorgelegt.
({13})
- Doch, wir haben in der letzten Legislaturperiode eine
solche Novelle noch vorgelegt.
({14})
Sie kündigen seit gut zwei Jahren eine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes an. Wir müssen sagen: Sie kündigen es an; aber in diesem Hause liegt dieser Gesetzentwurf noch nicht vor.
Ich stimme dem Kollegen Borchert zu, wenn er fragt:
Sind denn die Erfolge in der Umweltpolitik, die wir in den
letzten Jahren beim Ausgleich der verschiedenen Interessen zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Umweltschutz erzielt haben, nicht in Gefahr zum Beispiel durch
Ihre Ankündigung zur Aufhebung der bundeseinheitlichen Verpflichtung, dass Eingriffe in die Landwirtschaft
auch von der Gemeinschaft honoriert werden müssen und
nicht nur von denjenigen, die diese Belastungen zu tragen
haben? Dabei haben wir in den letzten Jahren eine ganze
Menge erreicht.
Jetzt erklären Sie bei einer Ihrer vielen Ankündigungskonferenzen: Von diesem gesellschaftlichen Konsens
wollen wir abgehen. Dabei berücksichtigen Sie gar nicht,
dass so langfristig der Naturschutz der Unterlegene ist.
Machen Sie auf diesem Weg bitte nicht so weiter, sondern
versuchen Sie, Naturschutz, Landwirtschaft und Umweltschutz zu einem Konsens zusammenzubinden! Dann hätten Sie eine politische Aufgabe hervorragend bewältigt.
Aber gehen Sie bei dieser Frage nicht weiter auf Konfrontation! Denn dann wird der Gedanke des Naturschutzgesetzes scheitern.
({15})
Nun zur Ökosteuer. Lieber Kollege Loske, eines muss
ich ganz klar und deutlich sagen: Auch jemand, der sich
zum konservativen Spektrum und zur CDU/CSU bekennt,
wird im Grundsatz gegen eine Ökosteuer nichts haben.
Ganz im Gegenteil: Er wird eine solche ökologische
Steuer fordern. Aber es kommt auf die Ausgestaltung an.
Das, was Sie gemacht haben, hat in der Tat mit einer ökologischen Steuerreform überhaupt nichts zu tun.
({16})
Damit Sie nicht wieder sagen, dies sei die typische Propaganda eines CDU-Mannes, will ich aus der gestrigen
Ausgabe von „Die Welt“ zitieren. Professor Eekhoff erklärt darin:
Die Ökosteuer setzt am Energieverbrauch an und
nicht direkt am Schadstoffausstoß, wie es eigentlich
sein sollte. Man muss näher an die Emissionen herankommen. Und selbst wenn man weiter indirekt
besteuern will, müssten stärker die spezifischen Umweltbelastungen der verschiedenen Energieträger
berücksichtigt werden. Es ist zum Beispiel völlig absurd, die Besteuerung von Kohle herauszunehmen.
Grundsätzlich ist eine Ökosteuer aber durchaus etwas Vernünftiges. Man kann sie allerdings nur erheben, wenn man sich international abstimmt. Sonst
belasten die Kosten allein die Deutschen, aber nur
rund 4 Prozent der Vorteile bleiben im Lande - der
große Rest kommt anderen Staaten zugute.
Eine solche Ökosteuer wäre sinnvoll, aber nicht die,
die Sie eingeführt haben, weil sie nicht der Umwelt und
auch nicht dem Standort Deutschland dient.
({17})
Wenn ich jetzt höre, dass in Nordrhein-Westfalen
Finanzminister Steinbrück überlegt, einen Ausgleich für
sozial Schwache über die Sozialhilfe zu schaffen, dann
stelle ich natürlich fest, dass dies über die bekannte
Schiene läuft: erst Geld ausgeben und dann eine Entlastung wollen. Aber wer soll die Entlastung zahlen? - Die
Kommunen. Für die Sozialhilfe sind die Kommunen zuständig. Sie sind nicht bereit, ihnen durch Ihren Haushalt
zu helfen, obwohl Sie bis zum Jahre 2003 8 Milliarden DM
nicht in die Rentenkasse, sondern in den allgemeinen
Haushalt stecken.
({18})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Loske?
Ja, gestatte ich.
Herr Kollege Paziorek, wissen Sie, dass die Kohle bei der
Ökosteuer selbstverständlich eingeschlossen ist? Denn es
ist eine Steuer, die am Ende ansetzt. Es ist eine Stromsteuer und die Stromsteuer wird auf alle Energieträger
gleichermaßen erhoben, das heißt, die Kohle ist einbezogen. Wissen Sie das?
Zweitens. In den letzten Tagen gab es völlig krause
Vorschläge, man sollte die nächsten Stufen der Ökosteuer
für das Heizöl aussetzen. Ist Ihnen bekannt, dass es bei
den Stufen 2 bis 5 überhaupt keine Einbeziehung der
Heizstoffe gibt, das heißt, dass Öl und Gas in die Ökosteuer gar nicht einbezogen sind, ergo auch keine Forderung erhoben werden kann, man solle die nächsten Stufen
aussetzen? Wissen Sie das?
({0})
Lieber Kollege
Loske, natürlich weiß ich, dass die Ökosteuer in der Form
eine Stromsteuer ist. Sie wissen aber genauso gut - dazu
haben Sie persönlich auch schon etwas geschrieben -,
dass an anderer Stelle eine breite Steuerbefreiung der
Kohle stattfindet. Das war ja eine große Diskussion, als es
um die Frage der Gaskraftwerke ging. Da haben Sie sich
ja in diesem Hause gerade zur Steuerbefreiung der Kohle
geäußert. - So, bitte schön, damit klar ist, dass dort eine
breite Befreiung stattfindet.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich bin persönlich nicht
nur für einen ersten Schritt, für die Aussetzung der Ökosteuer der dritten Stufe. Ich bin vielmehr der Ansicht,
diese Ökosteuer muss revidiert werden. Sie muss weg, sie
muss neu gestaltet werden, damit sie wirklich eine ökologische Steuer ist.
({0})
Ganz zum Schluss noch eines zur Klimaschutzpolitik: Das DIW sagt - ich will mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung
vom Juli 2000, das hier sehr oft angesprochen wurde, zitieren -:
Erfolgreich wird er
- das heißt, der Ansatz der Bundesregierung aber nur dann sein können, wenn dazu die entsprechenden Maßnahmen nicht nur angekündigt, sondern
auch tatsächlich in Kürze umgesetzt werden. Anders
besteht wohl ohnehin keine Aussicht mehr, das für
2005 angestrebte Ziel wenigstens noch näherungsweise zu verwirklichen.
Dass Sie überhaupt eine Chance haben, 2005 das Ziel
tatsächlich zu erreichen, hängt doch damit zusammen,
dass Sie heute sagen können: Wir haben in Deutschland
gegenüber 1990 schon eine Reduktion des CO2-Ausstoßes um nahezu 16 Prozent. Das können Sie aber nur
sagen, weil wir in der Zeit von 1990 bis 1998 ein erfolgreiches Klimaschutzprogramm auf den Weg gebracht
haben, mit dem Ergebnis, dass wir heute schon eine CO2Reduktion um 16 Prozent haben. Es sind unsere Erfolge,
mit denen Sie sich heute in der Politik brüsten.
({1})
Denken Sie an Ihre
Redezeit!
Ich sage nur eines:
Herr Umweltminister Trittin, zwei Jahre sind Sie jetzt
Umweltminister. Bei einer Bilanz mitten in einer Legislaturperiode kann man sagen: Es waren zwei Jahre Lehrjahre. Wenn Umweltpolitiker ein Lehrberuf in Deutschland wäre, dann wären Sie der teuerste Lehrling. Das wäre
vielleicht für Sie im dritten Lehrjahr ganz interessant, aber
für die deutsche Umweltpolitik ist das eine schlechte Situation.
({0})
Das Wort hat nun die
Kollegin Marion Caspers-Merk, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Paziorek, Sie haben Ihren Redebeitrag damit begonnen, dass Sie gesagt
haben, als Konservativer sei man für pragmatische und
gegen ideologische Lösungen.
({0})
Ich finde es unerhört, dass Sie heute eine derartige ideologische Kampagne hier losgetreten haben.
({1})
Die CDU/CSU hat eine Kampagne losgetreten, und zwar
mithilfe der Ex-Umweltministerin, die sich früher zum
Konzept Ökosteuer bekannt hat. Sie hat heute um 11 Uhr
von Mitgliedern der Jungen Union hier in Berlin an Autofahrer einen Aufkleber mit dem schönen Spruch verteilen
lassen: „Öko“. Das „Ö“ ist durchgestrichen und es heißt:
„k.o.: Diese Steuer muss weg“. Das ist die Kampagne, die
Sie machen. Und hier bei den Fachpolitikern sagen Sie:
Ja, wir sind ja für eine Ökosteuer, aber anders.
({2})
Aber Sie bleiben die Antwort schuldig, wie sie denn
nun ausgestaltet werden soll. Sie müssen sich nun schon
einmal entscheiden: Sind Sie für oder gegen eine Ökosteuer? Wie und in welchen Schritten soll sie gestaltet
werden? Sind Sie bereit, das dann auch draußen bei der
Hetzkampagne, die Sie hier begonnen haben, so zu vertreten, wie Sie es hier im Hause vertreten?
({3})
Eigentlich ist es eine schlimme Sache, dass man über
die anderen Punkte des Haushalts gar nicht ausführlich reden kann, sondern sich überwiegend mit diesem Thema
befassen muss. Gleichwohl muss ich Sie im Zusammenhang mit der Ökosteuer daran erinnern, dass Sie während
Ihrer Regierungszeit viermal die Mineralölsteuer erhöht
haben: 1989, zweimal 1991 und dann noch einmal 1994.
({4})
Insgesamt haben Sie die Mineralölsteuer in dieser Zeit
um 55 Pfennig erhöht. Dieses Geld haben Sie aber nicht
den Menschen zurückgegeben, sondern Sie haben damit
Haushaltslöcher gestopft. Wir geben jetzt durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge die Ökosteuer voll
zurück.
({5})
Das heißt, Sie haben abkassiert. Heute aber setzen Sie sich
an die Spitze der Bewegung. Ich finde das heuchlerisch.
({6})
Sie verschweigen bei Ihrer Kampagne außerdem, dass
bei Rücknahme der Ökosteuer, wenn man ehrlich bilanziert, die Rentenbeiträge steigen müssten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Blank?
Jederzeit.
Frau Kollegin, Sie haben
gerade erwähnt, dass zu unserer Regierungszeit die Mineralölsteuer erhöht wurde. Können Sie mir sagen, für
welchen Zweck?
Es gab damals unterschiedliche Begründungen: Einmal war es für den Golfkrieg, einmal für die deutsche Einheit.
({0})
Fakt ist: Noch nie wurde die Mineralölsteuer so stark erhöht wie in Ihrer Regierungszeit.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Sie sind auch insofern unehrlich, als Sie nicht fordern,
dass teilweise das zurückgenommen wird, was Sie damals
angerichtet haben. Vielmehr fordern Sie, dass wir unsere
Politik zurücknehmen, und gleichzeitig sagen Sie den
Bürgerinnen und Bürgern nicht, woher das Geld kommen
soll. Es gibt ja nur eine Alternative: Entweder zahlen die
Menschen es an der Zapfsäule oder sie haben die Kosten
auf dem Lohnstreifen.
({2})
Wir bekennen uns voll und ganz zu unserer Verantwortung auch für künftige Generationen und erklären, dass
der Faktor Arbeit billiger und der Faktor Umwelt teurer
werden muss. Deshalb werden wir Ihrer Kampagne auch
standhalten.
Im Übrigen verschweigen Sie bei Ihrer Kampagne,
dass gerade heute die Mineralölpreise um 5 Pfennig angehoben worden sind. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass wir gestern die Ökosteuer erhöht hätten. Die
Rohölpreise sind gesunken und trotzdem steigen jetzt die
Preise an der Zapfsäule. Deswegen weiß jeder, dass die
Rücknahme der Ökosteuer nichts weiter als eine Umverteilung in die Taschen der Mineralölkonzerne oder der
OPEC wäre. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
({3})
Heute habe ich gelernt, dass dies von vielen bestritten
wird und dass manche ein anderes Konzept haben. Deshalb möchte ich Sie, Herr Kollege Paziorek, zu Ihrem
Konzept befragen.
Sie haben in Ihrer Fraktion ein Eckpunktepapier eingebracht. Ich weiß nicht, ob es schon beschlossen ist.
({4})
Dazu konnte man im „Handelsblatt“ dieser Woche folgende Überschrift lesen: „Union will EU-weite Klimasteuer und Maut für Lkws“. Jetzt frage ich mich: Wie
passt denn das zusammen? Hier machen Sie eine Kampagne gegen das, was Sie dort fordern. Entsprechend
abenteuerlich waren die Argumente des Kollegen
Lippold.
Sie fordern also wieder eine EU-weite Klimasteuer.
Dabei wissen Sie ganz genau - das war nämlich noch zu
Ihrer Regierungszeit -, dass es damals nicht gelungen ist,
im Ecofin-Rat einen einstimmigen Beschluss aller EULänder zu bekommen.
({5})
Diesen Weg einer EU-weiten Harmonisierung wollten wir
damals alle gemeinsam gehen. Sie wissen auch, dass in
der EU nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip herrscht.
({6})
Insoweit haben Sie uns eine Menge Arbeit übrig gelassen.
Das nennt sich elegant die „leftovers von Amsterdam“.
Das heißt, dass wir jetzt dafür sorgen müssen - das wollen
wir in Nizza auch tun -,
({7})
- dass das Einstimmigkeitsprinzip überwunden wird und
in Zukunft Mehrheitsentscheidungen möglich sein werden.
Aber Sie fordern die EU-weite Steuer jetzt, obwohl Sie
wissen, dass im Moment noch das Einstimmigkeitsprinzip gilt. Dies bedeutet, dass Sie de facto diese Steuer
überhaupt nicht wollen; denn an der Haltung von Spanien
oder Griechenland hat sich in den letzten beiden Jahren
nichts geändert.
Uns wäre ein europaweit harmonisiertes Vorgehen
auch lieber gewesen als unterschiedliche Systeme in
zwölf oder 13 Ländern; das ist doch gar keine Frage. Aber
damals hat der Wirtschaftsminister, an dessen Namen man
sich kaum noch erinnert - Rexrodt hieß er -,
({8})
- zugestimmt, dass, wenn es keine gemeinsame Position
der Wirtschaftsminister in Europa gibt, nationales Vorgehen in bestimmtem Umfange ausdrücklich erlaubt wurde.
Das war die Position, die damals eingenommen wurde.
Insofern wissen Sie, dass wir damals eine europaweite
Harmonisierung nicht hingekriegt haben. Wir werden sie
auch in Zukunft nicht hinbekommen, wenn wir nicht zu
einem Mehrheitsprinzip gelangen.
Ihr Kollege Lippold fordert gleichzeitig die Umwandlung der Pendlerpauschale in eine nicht nur für Pkw geltende Entfernungspauschale, das heißt in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale.
({9})
Lieber Herr Kollege, da ich diese Forderung selbst gut
kenne, weiß ich sogar, was es heißt. Er blieb allerdings die
Antwort schuldig, als er im „Handelsblatt“ gefragt wurde,
ob es bedeutete, dass die Mittel dafür erhöht würden. Er
verneinte dies und sagte, man wolle es aufkommensneutral gestalten; aber das letzte Wort sei noch nicht gesprochen.
Was heißt das denn? Stellen Sie sich doch bitte hierhin
und sagen Sie die Wahrheit. Wenn das eintritt, was Sie
hier vorschlagen, nämlich eine aufkommensneutrale Umgestaltung, bedeutet dies, dass die Berufspendler in Zukunft durch Ihre Politik weniger in der Tasche haben als
derzeit. Es ist also eine Politik gegen den ländlichen
Raum und gegen die Berufspendler.
({10})
Auch wir hätten gerne eine Umgestaltung, wissen aber,
dass wir bei der derzeitigen Situation etwas draufpacken
müssten. Nachdem Sie uns einen derart desolaten Haushalt hinterlassen haben, sehen wir dafür im Moment keine
Gestaltungsspielräume. Das ist die Wahrheit.
Sie haben in Ihrer Fraktion ein Konzept als Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker vorgelegt, gegen das Sie im
Augenblick eine öffentliche Kampagne starten. Ich finde,
das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn Sie so etwas gleichzeitig machen, leiden Sie
entweder unter Gedächtnisschwund oder blenden einen
Bereich der Wirklichkeit systematisch aus.
({11})
- Stellen Sie mir doch bitte eine Zwischenfrage; dann
habe ich vielleicht noch mehr Zeit, Ihnen ausführlich zu
antworten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Paziorek?
Ja, bitte sehr.
Frau Caspers-Merk,
wie steht es denn mit den Aussagen in Ihrer Koalitionsvereinbarung? Sie erklären dort ausdrücklich, eine Ökosteuer solle in Abhängigkeit von der allgemeinen Entwicklung der Energiepreise eingeführt werden. War das
damals nur eine Aussage zur Beruhigung einer interessierten Öffentlichkeit und rücken Sie jetzt von einer solchen Einbeziehung der Energiepreise ab? Wann kommt
der Punkt, an dem Sie sagen: Wenn der Energiepreis diese
oder jene Messlatte überschritten hat, stellt sich für uns
die Ökosteuerfrage neu?
Es ist klar, dass wir in
die Koalitionsvereinbarung zunächst ganz allgemein das
Thema Ökosteuer aufgenommen hatten, nicht aber die
einzelnen Stufen. Sie wissen, dass damals sogar über
höhere Stufen diskutiert wurde. Wir haben gesagt: Wir
machen niedrigere Stufen, dafür aber eine verlässliche
Politik, damit wir wissen, welche Beträge hereinkommen
und in welchem Umfang wir die Rentenbeiträge senken
können. Auf diese Weise bleibt das Ganze auch kalkulierbar.
Die Debatte dreht sich im Moment um jeweils 7 Pfennig. Dafür sind wir verantwortlich. Für alles andere sind
die Mineralölkonzerne und die OPEC verantwortlich.
Nennen Sie doch zunächst einmal die Verantwortlichen
beim Namen, bevor Sie eine Kampagne gegen die Ökosteuer lostreten, die Sie gleichzeitig europaweit fordern.
({0})
Nun lasse ich keine
Zwischenfrage mehr zu, weil wir sehr aus dem Zeitplan
geraten sind. Ich bitte dafür um Verständnis. - Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
({0})
Zum Thema Energiepreise gab es einen interessanten Artikel der deutschen
Ausgabe der „Financial Times“ in dieser Woche, die unverdächtig ist, sozialdemokratischen Umtrieben hold zu
sein. Dort wird zum Thema Benzinsteuer und Rohölpreise
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass
wir täten, was Sie forderten, die Instrumente des Marktes
greifen würden. Das heißt, der Verbraucher hätte unter
dem Strich keine Entlastung. Vielmehr würde jede von
uns gegebene Entlastung sofort - wie man es ja heute an
jeder Zapfsäule sieht - von den Mineralölkonzernen aufgefressen werden.
Der Kommentator endet mit der Aussage:
Nur ein Teil des verlorenen Steueraufkommens käme
den Verbrauchern zugute. Der andere Teil wäre durch
den Anstieg der Preise der Reingewinn der Ölförderländer.
Wer also eine solche Kampagne wie Sie führt, der muss
sich - erstens - den Vorwurf machen lassen, dass er verbrannte Erde für das Thema Klimaschutz hinterlässt.
({0})
Er muss sich - zweitens - auch vorwerfen lassen, dass
er ein Stück weit die Unwahrheit sagt, wenn er wie Sie
nicht erwähnt, dass er auch eine EU-weite Ökosteuer
möchte.
Er muss sich - drittens - den Vorwurf gefallen lassen,
dass er das Geschäft der OPEC und der Mineralölkonzerne betreibt.
Herzlichen Dank.
({1})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen nicht
vor.
Wir kommen jetzt zu einer Überweisung im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Ich rufe den Zusatzpunkt auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern
- Drucksache 14/3762 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern, Drucksache 14/3762, zur federführenden
Beratung an den Finanzausschuss und zur Mitberatung an
den Innenausschuss und den Rechtsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zur Beschlussfassung zu Vorlagen,
über die keine Aussprachen vorgesehen sind.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 a auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Präsidentin des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 1999 - Einzelplan 20 - Drucksachen 14/2868, 14/3974 Berichterstattung:
Abgeordnete Ewald Schurer
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 b auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2}) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur
Aufhebung der Beschlüsse 75/364/EWG,
77/454/EWG, 78/688/EWG, 78/1028/EWG,
80/156/EWG und 85/434/EWG über die Einsetzung Beratender Ausschüsse für die Ausbildung der für die allgemeine Pflege verantwortlichen Krankenschwestern/Krankenpfleger,
der Zahnärzte, der Tierärzte, der Hebammen,
der Apotheker und der Ärzte
- Drucksache 14/3050 Nr. 2.2, 14/3607 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Bertl
Norbert Hauser ({3})
Cornelia Pieper
Angela Marquardt
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 14/3607,
die Bundesregierung aufzufordern, den Vorschlag der
EU-Kommission abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.
Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort und
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Einzelplan 19.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister
Reinhard Klimmt.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Haushaltskonsolidierung ist eine allgemeine
Aufgabe, auch in meinem Ressort. Des Weiteren ist es unsere Aufgabe, die Weichen für die Zukunft zu stellen, und
zwar mit einer integrierten Politik, die Verantwortung für
Infrastruktur und Arbeitsplätze, Verantwortung für Umwelt und Klima - hier kann ich an das anschließen, was
vorher diskutiert worden ist -, Verantwortung für soziale
Gerechtigkeit - dieses Thema wurde heute auch schon
diskutiert - und selbstverständlich auch Verantwortung
für den Aufbau Ost zeigt ({0})
Als Infrastrukturministerium kümmern wir uns um
Raumordnung - den entsprechenden Bericht haben wir
vorgelegt -, um Städtebau - die Fördermittel sind etatisiert - und um das Wohnungswesen. Auch dafür gibt es
entsprechende Haushaltstitel. Wir wissen, dass die
Arbeitsplätze im Bereich des Verkehrs direkt von den Investitionen des Bundes abhängen, wenn es um den Ausbau der Infrastruktur und die Förderung der Mobilität
geht, und dass das gewünschte Wirtschaftswachstum
gleichzeitig mit Verkehrswachstum verbunden ist. Dafür
wollen und müssen wir rechtzeitig Vorsorge treffen.
({1})
In unserer Verantwortung für das Klima verfolgen wir
das Ziel der Minderung des CO2-Ausstoßes auf unterschiedlichen Wegen. Wir stärken die Bahn und den öffentlichen Personennahverkehr. Hier müssen wir uns auch
mit der EU auseinander setzen, damit die bereits von uns
erreichten Fortschritte nicht durch die Erfüllung falscher
Harmonisierungsbedürfnisse zerstört werden. Es geht darum, die Forschung voranzutreiben. Es wird an einem
Kraftstoff der Zukunft gearbeitet. Welche Auswirkungen
eine Ölknappheit haben kann, wird uns zurzeit ja deutlich
gemacht. Insofern müssen wir Alternativen finden. Daran
arbeiten wir. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel, dass
die Automobilunternehmen im Interesse der Klimaverbesserung mit uns vereinbart haben, den Flottenverbrauch der Autos zu senken. Das ist auch gelungen.
({2})
Im Baubereich fördern wir das kosten- und flächensparende Bauen. Außerdem werden wir das Modernisieren mit Unterstützung der Mehrheit noch stärker in den
Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Wir fördern die erneuerbaren Energien. Mit der Energieeinsparverordnung
werden wir Bedingungen setzen. Das, was an Ergebnissen
erzielt werden wird, wird für die Verbraucher in Mark und
Pfennig zu messen sein. Wir dürfen aber nicht nur über
Verordnungen nachdenken; unsere wichtigste und vornehmste Aufgabe ist vielmehr, das richtige Verhalten zu
unterstützen und zu fördern.
({3})
Soziale Verantwortung heißt für uns, Verkehrssicherheit sorgfältig zu beobachten, ausreichend bezahlbaren
Wohnraum zur Verfügung zu stellen, Eigentum zu fördern
und das Zusammenhalten in der sozialen Stadt zu fördern.
Ich bin wirklich stolz darauf, dass wir das Wohngeld endlich erhöhen können. Denjenigen, die das mitgetragen haben und gefördert haben, bin ich dankbar. Damit konnten
wir Mietern und Vermietern gleichermaßen einen Dienst
erweisen.
({4})
Beim Aufbau Ost werden wir an den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ weiterarbeiten, die unsere Kraft in
starkem Maße beanspruchen. Bei der Städtebauförderung
ist die Priorität ganz eindeutig: Von 600 Millionen DM
gehen allein 520 Millionen DM in die neuen Bundesländer. Wir arbeiten an Lösungen für die Probleme bei den
strukturellen Altlasten, zum Beispiel beim Wohnungsbau
und bei der Bahn. Ich kann den Menschen in Ostdeutschland sagen - der Kanzler hat es ihnen signalisiert -: Wir
werden sie in dem schwierigen Prozess, in dem sie noch
immer stehen, nicht allein lassen, sondern werden sie weiter unterstützen.
({5})
Der Haushalt sieht so, wie er jetzt vorgelegt ist, mehr
als 24 Milliarden DM für Investitionen vor. Mit der
Mehrheit dieses Hauses werden noch einige Mittel mehr
zu erwarten sein. Im Verkehrsbereich ist der hohe Investitionsanteil schon jetzt unvermindert erhalten. Darauf
möchte ich Sie aufmerksam machen, weil ich mich an die
Diskussion des vergangenen Jahres erinnern kann. Es ist
mir in Gesprächen mit dem Finanzminister gelungen, die
globale Minderausgabe abzubiegen.
({6})
- Ja, das ist uns gelungen. Maßnahmen, die wir in Maßnahmen mit hoher Priorität und solche mit Priorität geVizepräsidentin Anke Fuchs
trennt hatten, haben wir jetzt wieder zusammengeführt.
Das heißt, wir können auch die prioritären Maßnahmen
im Investitionsprogramm in Angriff nehmen. Das verfährt
nach dem Motto: Nicht immer prahlen, nicht immer
angeben, sondern daran arbeiten, dass man das schafft.
Das Motto muss sein: Mehr sein als scheinen, nicht
umgekehrt.
({7})
Es wird vermutlich noch mehr Geld da sein. Wenn es
so kommt, wie es vom Finanzminister vorgesehen ist, und
wenn es so kommt, wie es von den Koalitionsfraktionen
besprochen worden ist, dann werden wir erheblich mehr
für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung haben, als Sie
in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung, die damals unseriös war, vorgesehen hatten. Wir sind auf dem Wege, nicht
nur das zu korrigieren, was Sie falsch gemacht haben; wir
kommen sogar in einen Bereich, den Sie sich überhaupt
nicht vorstellen konnten.
({8})
Außerdem sind wir dabei, zusätzliche Mittel zu mobilisieren wie zum Beispiel das Anti-Stau-Programm, mit
dem wir nach 2003 erhebliche Maßnahmen „on top“ finanzieren können. Das ist auch unter anderem die Privatfinanzierung für Rostock und Lübeck, die schon in trockenen Tüchern ist. Und das sind auch fantasievolle
Vorfinanzierungsmodelle, die wir - nicht auf Kosten des
Bundeshaushaltes, sondern im wechselseitigen Interesse,
wie bei der A 31 in Niedersachsen - mit den Ländern abschließen.
({9})
- Danke für den Beifall! - Wir verhandeln mit BadenWürttemberg und Bayern über Stuttgart 21 und die Vollendung der Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm
und die Weiterführung nach München. Das zeigt, dass
man auch bei knappen Kassen den Mut haben muss, zusätzliche Fantasie zu entwickeln, damit wir die Lücken in
unserer Infrastruktur wirklich schließen können.
({10})
Wir werden noch in diesem Herbst den Verkehrsbericht
2000 vorlegen. Unser Ziel ist ein integriertes Verkehrssystem. Dazu gehört die Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans, dazu gehört das Flughafenkonzept, das
wir Ihnen zugeleitet haben, und dazu gehört ein Zukunftspaket für die Schiene. Jetzt muss alles auf den Tisch. In
der Vergangenheit ist, aus welchen Gründen auch immer,
zu viel, was die Probleme der Bahn angeht, zugedeckt
worden. Es muss jetzt alles auf den Tisch, damit wir eine
treffende Analyse bekommen und im Rahmen der Therapie dann die richtigen Antworten geben können.
Ich weiß, dass wir dazu Geld brauchen. Ich weiß, dass
wir in vielen Bereichen etwas tun müssen. Es ist momentan völlig egal, wer für das Netz verantwortlich ist. Wir
müssen einfach die notwendigen Investitionen in Gang
bringen, damit das Netz überhaupt in einen Zustand
kommt, von dem man sagen kann, dass die Bahn in unserem Lande eine sichere und gute Zukunft haben wird.
({11})
Dabei ist es ganz wichtig, dass wir den Güterverkehr
im Auge behalten; denn in diesem Bereich gibt es ein explosionsartiges Wachstum. Es geht nicht nur darum, was
sich bei uns im Inneren aufgrund der - Gott sei Dank
hochtourenden - Konjunktur abspielt, sondern auch darum, was aufgrund der Entwicklung in Europa an Transitverkehr auf uns zukommen wird.
Die jetzt - trotz der ungeheuer hohen Zahl an Aufträgen - aufgetretenen Probleme der Spediteure und unsere
Probleme bei der Bewältigung des Güterverkehrs zeigen,
dass wir auf diesem Gebiet einen hochgradig gestörten
Markt haben. Da liegt das eigentliche Problem, mit dem
wir uns auseinander setzen müssen. Bahn und Wasserstraße haben einen viel zu geringen Anteil am Güterverkehrsaufkommen. Wir müssen diesen Anteil stärken.
({12})
Deswegen ist es mein Ziel, dass wir es in den Jahren
bis 2015 schaffen, den Anteil der Bahn am Güterverkehrsaufkommen wenigstens zu verdoppeln.
({13})
Wir brauchen die Bahn und die Wasserstraßen einfach,
um dem wachsenden Güterverkehr Rechnung zu tragen.
Auch im Straßengüterverkehr insgesamt funktioniert
der Wettbewerb nicht mehr richtig. Deswegen möchte ich
eine Nebenbemerkung zur Ökosteuer machen, die in dieser Haushaltsdebatte einer der zentralen Punkte ist. Wir
alle wollen den Haushalt konsolidieren. Wir alle wollen
Lohnnebenkosten senken. Wir alle wollen Renten auf
möglichst hohem Niveau. Wir alle wollen die CO2-Belastung mindern. Über all diese Punkte sind wir uns einig.
Verfolgt man die Debatte über die einzelnen Haushalte
und die damit verbundenen Probleme, merkt man, dass
Forderungen gestellt werden, den Haushalt zu konsolidieren, ohne dass gleichzeitig die notwendigen Änderungen
bei den Steuern vorgenommen werden sollen. Es wird gefordert, die explodierenden Lohnnebenkosten zu senken.
Beschreitet man aber einen Weg, sie zu senken, dann ist
das plötzlich nicht richtig. Dabei war es doch auch das
Duo Merkel/Schäuble, das von sich aus gesagt hat: Es gibt
einen Zusammenhang zwischen zu hohen Lohnnebenkosten und zu niedrigen Energiekosten.
({14})
Das ist keine Erfindung von uns; vielmehr ist das etwas,
was auch von Ihrer Seite politisch vorgetragen worden ist.
({15})
Deswegen verstehe ich Ihr politisches Sperrfeuer nicht,
das Sie jetzt entfachen. Ihr Sperrfeuer dient den Konzernen und der OPEC. Gemessen am deutschen Interesse ist
es geradezu irrational, was Sie im Zusammenhang mit der
Ökosteuer politisch betreiben.
({16})
Beim Güterverkehrsgewerbe muss man wirklich etwas tun.
({17})
Auch das ist mir völlig klar. Es geht darum, einen fairen
internationalen Wettbewerb zu garantieren. Der internationale Wettbewerb ist nicht mehr fair. Deswegen werde
ich im Rahmen der EU darauf drängen, dass es wieder einen fairen Wettbewerb gibt.
({18})
Hier ist aber ein weiterer Punkt zu nennen: Es gibt auch
einen unfairen Wettbewerb in Deutschland zwischen
Großen und Kleinen; auch gegen den müssen wir vorgehen und dürfen nicht nur die Schuld bei anderen suchen.
({19})
Es gibt genug deutsche Unternehmen, die bei uns mit Firmen Kabotage fahren, die in osteuropäischen Ländern angesiedelt sind, und so bei uns Dumpingpreise anbieten
können. Das tun nicht nur ausländische Unternehmer; es
gibt auch genug Deutsche, die das tun. Auch dagegen
muss man etwas tun. Man darf darüber nicht einfach den
Mantel christlicher Nächstenliebe decken.
({20})
Meine Damen und Herren, wichtige Punkte habe ich
genannt. Wir werden beim Wohnungs- und Städtebau
mit etwa 4,5 Milliarden DM die Investitionen hoch halten,
wir werden zusätzlich die Modernisierung vor allem im
Wohnungsbestand zusätzlich fördern. Es ist gut, dass sich
das im Bewusstsein durchgesetzt hat. Das KfW-Programm und spezielle Hilfen, die wir jetzt dank kluger Politik zum Beispiel des Hans im Glück - der ja nicht nur ein
Hans im Glück ist, sondern gleichzeitig ein kluger und
tüchtiger Finanzminister, denn nur wer tüchtig ist, hat
auch Glück - finanzieren können, tragen dazu bei.
({21})
Wir werden in die Straßeninfrastruktur, in die Wasserstraßen und in die Schienenwege investieren. Mir fällt
auch noch ein Thema ein, mit dem wir uns letztes Mal
schon befasst haben: Es handelt sich um den Transrapid.
Wir stellen den Transrapid jetzt auf eine realistische
Grundlage. Er bekommt eine realistische Perspektive,
einmal bei uns im Inneren.
({22})
- Ich mache sehr viel. Ich werde zum Beispiel im Oktober unter anderem in die USA reisen, um dort mit den
Amerikanern über die Anwendung dieser Technologie zu
reden.
({23})
Bezüglich eines Einsatzes im Inland werden, wie Sie wissen, fünf Projekte von uns untersucht. Davon werden wir
wenigstens eins oder zwei umsetzen.
({24})
Selbst in diesem Bereich haben wir das, was bei Ihnen in
die falsche Richtung gelenkt worden ist, auf die richtige
Spur gebracht.
({25})
Auch darauf bin ich stolz.
({26})
Deswegen ist es, meine Damen und Herren, vielleicht
gar nicht so verwunderlich, dass das Weltwirtschaftsforum in Genf festgestellt hat, dass sich die wirtschaftliche
Position Deutschlands gegenüber dem Jahre 1999 erheblich verbessert hat: bei der Attraktivität von Platz 6 auf
Platz 3 und bei der Wettbewerbsfähigkeit von Platz 25 auf
Platz 15. Ich freue mich, dass wir, Sie - allerdings mit unterschiedlicher Intensität, das muss ich sagen -, meine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch ich zu diesem
erfreulichen Ergebnis beitragen konnten.
Ich danke Ihnen.
({27})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Regierungsfraktionen, der Beifall, den Sie hier eben
dem Bundesminister gezollt haben, spiegelt im Grunde
genommen nur Ihr schlechtes Gewissen über die Tatsache
wider, wie schlecht Sie den Haushalt des Bundesministers
Klimmt ausgestattet haben. Insofern mussten sie das mit
dem Beifall hier wieder kompensieren.
({0})
Lieber Herr Bundesminister, hier wurde vonseiten der
Bundesregierung vieles schöngeredet oder die Schuld der
Vergangenheit gegeben.
({1})
Die Realität der Verkehrspolitik in unserem Lande haben
viele Urlauber im Sommer dieses Jahres erlebt: Ihre Ökosteuer war die Urlaubssteuer und Ihr Investitionsstau war
der Verkehrsstau. Das ist die Realität im Jahre 2000.
({2})
Sie bremsen die Mobilität in unserem Lande. Wir stellen fest, dass Sie die Investitionen in Ihrem Haushalt immer weiter zusammengestrichen haben. Die Investitionen im Verkehrshaushalt in den Jahren 1999 und 2000
hatten Sie um rund 500 Millionen DM gegenüber dem
Ansatz der unionsgeführten Regierung gekürzt, und im
vorliegenden Haushaltsentwurf für 2001 kürzen Sie um
weitere 1,4 Milliarden DM.
Wir stellen fest, dass das Investitionsprogramm im
Zeitraum 1999 bis 2002 allein beim Straßenbau Kürzungen von 5 Milliarden DM gegenüber der Mittelfristplanung der alten Bundesregierung vornimmt.
({3})
Wir stellen fest, dass der Autofahrer bereits aus den ersten beiden Stufen der Ökosteuer, 1999 und 2000, rund
10 Milliarden DM Mineralölsteuer zusätzlich in die Bundeskasse abliefert, davon aber keine einzige Mark der
Verkehrsinfrastruktur zugute kommt.
({4})
Beim Autofahrer wird abkassiert, ohne dass er eine entsprechende Gegenleistung erhält.
({5})
Wir stellen fest, dass das Lkw-Gewerbe aus der geplanten elektronischen Straßenmaut ab 2003 mehr als
4 Milliarden DM pro Jahr erbringen soll, davon aber nur
1,5 Milliarden DM für die Verkehrsinfrastruktur verwendet werden sollen und nur die Hälfte davon, rund 750 Millionen DM, in den Straßenbau fließen sollen.
Wir stellen fest, dass das mit dem viel versprechenden
Etikett „Anti-Stauprogramm“ öffentlich gemachte Vorhaben erst ab 2003 und damit also nach der Bundestagswahl
2002 realisiert werden soll.
Wir stellen fest, dass für die Maut als Finanzierungsgrundlage Ihres Anti-Stau-Programms der Zeitpunkt, die
technischen und nationalen rechtlichen Voraussetzungen,
die Vereinbarkeit mit dem EU-Abkommen sowie die Einnahmehöhe noch völlig ungesichert sind.
Wir stellen fest, dass im Anti-Stau-Programm weniger
Mittel für dringliche Straßenbaumaßnahmen eingeplant
sind, nämlich 3,7 Milliarden DM in den Jahren 2003 bis
2007, als Rot-Grün zuvor im Zeitraum 1999 bis 2002
gekürzt hat, nämlich rund 5 Milliarden DM.
Das ist die Wahrheit, das sind die Fakten.
({6})
Nehmen Sie Ihre Koalitionsvereinbarung ernst und
stärken Sie die Verkehrsinvestitionen in unserem Lande!
Sie sollten erstens den Abhängigkeiten von Mobilität
und Wirtschaftswachstum größere Aufmerksamkeit
widmen und die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen verstärken.
Sie sollten zweitens die Straße als Rückgrat des gesamten Verkehrssystems anerkennen und als Konsequenz
den ökologisch und ökonomisch ausgewogenen Neuund Ausbau des Bundesfernstraßennetzes nicht weiter
vernachlässigen.
Sie sollten drittens die Investitionsquote für den Bundesfernstraßenbau entsprechend den bisherigen und den
zu erwartenden Verkehrsleistungen des Straßengüter- und
des Straßenpersonenverkehrs erhöhen.
Sie sollten viertens die investiven Voraussetzungen für
eine weitgehend staufreie Verkehrsabwicklung schaffen. Denn der Stau auf unseren Straßen zieht jährlich
volkswirtschaftliche Verluste in zweistelliger Milliardenhöhe nach sich. Übrigens sind Ortsumgehungen Menschenschutz. Auch dies ist wichtig festzuhalten.
({7})
Wir begrüßen alles, Herr Bundesminister, was Sie für
den Verkehrsbereich zusätzlich tun wollen; denn Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind Investitionen in
die Zukunft. Aber sagen Sie bitte auch, ob die rot-grüne
Koalition den politischen Willen hat, mehr Geld für den
Straßenbau auszugeben. Das wird spannende Frage sein,
die wir hier noch zu behandeln haben.
({8})
Für uns gilt: Wir brauchen jeden unserer Verkehrsträger; jeder Verkehrsträger muss seine eigenen Stärken entfalten können. Deshalb fordern wir von Ihnen: Geben Sie
der Bahn den notwendigen Flankenschutz. Gefordert ist
neuer Schwung für die Bahn. Die Bahn muss in unserem
Verkehrssystem des 21. Jahrhunderts einen unverändert
wichtigen Platz einnehmen. Nur so werden wir die Herausforderungen der Mobilität bewältigen.
({9})
Wir werden alle Vorschläge der Bahn und der Bundesregierung, auch die heutigen, daraufhin überprüfen, ob sie
zu mehr Zufriedenheit bei den Bahnkunden führen und ob
die Sicherheit bei der Bahnbenutzung im Mittelpunkt
steht. Zufriedenheit und Sicherheit sind die Voraussetzungen für den Erfolg des Unternehmens und seiner Mitarbeiter. Wir werden alle Vorschläge daraufhin überprüfen,
ob sie dazu beitragen, insgesamt wieder mehr Verkehr auf
die Schiene zu bringen.
({10})
Wir wollen das Rad-Schiene-System wieder attraktiver
machen. Das muss unser Ziel sein. Wir sollten dieses Ziel
gemeinsam verfolgen.
({11})
Wenn Sie hier ankündigen, im Güterverkehr einen großen
Wurf zu machen, dann sage ich, dass wir mit großem Interesse verfolgen werden, ob Ihnen dies gelingt. Wir fordern Bundesregierung und Bahn auf - das ist für uns als
Union ein ganz entscheidender Punkt -, am Ziel eines
flächendeckenden Bahnangebots festzuhalten.
({12})
Die Bahnreform ist erfolgreich gewesen, indem sie zur
Steigerung der Produktivität um mehr als 100 Prozent
geführt hat und deutliche Erfolge auf der Kostenseite eingetreten sind.
({13})
Der Durchbruch auf der Marktseite ist jedoch noch nicht
gelungen.
({14})
Ziel der Verkehrspolitik muss es sein, Qualität und Leistungsfähigkeit der Schiene mit dem Ziel einer umweltgerechten Mobilität für alle Bürger zu steigern.
({15})
Mir persönlich ist klar, dass der Staat aus seiner Verantwortung für das Schienennetz auf lange Sicht nicht entlassen werden kann.
({16})
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie als
Vertreter des Eigentümers Bund konstruktive Hilfe für die
Bahn leistet. Dies bedeutet auch, dass Sie die Rahmenbedingungen und die Wettbewerbschancen der Bahn verbessern müssen, die Sie durch Ökosteuern und durch die
Gebühr für die Leistungen des Bundesgrenzschutzes erheblich verschlechtert haben. Auch dies muss auf den
Tisch.
({17})
Natürlich kann es überhaupt keine Diskussion darüber
geben, dass der Fernverkehr auf der Schiene eine Sache
des Bundes ist. Wir brauchen ein kontinuierliches Investitionsniveau, um die Schieneninfrastruktur sicherzustellen. Wir mahnen das überfällige Konzept der Bundesregierung für den kombinierten Ladungsverkehr an. Es wird
Zeit, dass wir darüber endlich ein Papier bekommen. Wir
fordern, dass die EU-weite Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahn und der europaweite Zugang zur Schieneninfrastruktur beschleunigt vorangetrieben werden. Hier ist
nicht nur die Verkehrspolitik gefordert; hier muss die
ganze Bundesregierung handeln und tätig werden.
({18})
So wie Sie die Mobilität auf der Straße bremsen und bei
der Bahn die Rahmenbedingungen verschlechtert haben,
so fehlt Ihnen bei der Binnenschifffahrt der notwendige
Schwung.
({19})
- Schub oder Schwung, je nachdem. - Die Donau ist zwischen Straubing und Vilshofen ein Engpass für die Schifffahrt, der dringend beseitigt werden muss.
({20})
Setzen Sie hier ein Zeichen, dass es Ihnen mit der Förderung der umweltfreundlichen Gütertransporte auf der
Wasserstraße Ernst ist! Auch dies ist eine wichtige Forderung.
({21})
Wir begrüßen es, dass Sie ein Flughafenkonzept vorgelegt haben. Wir sind der Meinung, dass wir im Ausschuss, aber auch im Plenum insgesamt darüber intensiv
reden müssen.
Sie sind angetreten, die Mobilität zu verbessern. Diesem Anspruch sind Sie bisher nicht gerecht geworden. Es
ist gestern und heute sehr viel über die Ökosteuer gesprochen worden. Allein in den ersten beiden Stufen dieser Ökosteuer haben Sie durch die Erhöhung der Kraftstoffpreise um rund 14 Pfennige pro Liter - einschließlich
Mehrwertsteuer - Mehreinnahmen von über 10 Milliarden DM erzielt, ohne dass eine Mark zusätzlich in den
Ausbau der Verkehrsinfrastruktur geflossen wäre. Auch
dies muss man festhalten.
({22})
Sie wissen doch auch, dass viele Mitbürgerinnen und
Mitbürger gerade im ländlichen Raum tagtäglich auf das
Auto angewiesen sind. Für sie ist die Ökosteuer eine finanziell unerträgliche Belastung. Sie ist alles andere als
sozial gerecht.
({23})
Sie wissen doch auch, dass Ihre Ökosteuer nicht zur
Umkehr im Mobilitätsverhalten geführt hat. Tatsache ist,
dass die Ökosteuer die öffentlichen Verkehrsträger belastet und infolgedessen die Tarife in vielen Bereichen erhöht
wurden, dass die Benutzerzahlen des ÖPNV - ich sage
ganz bewusst: leider - rückläufig sind und die Benzinund Strompreiserhöhungen die sozial Schwächeren treffen. Genau das müssen Sie sich vorhalten lassen: Sie treffen gerade diejenigen, die im ländlichen Raum auf das
Auto angewiesen sind. In weiten Teilen unseres Landes
ist das Auto auch Nahverkehrsmittel, weil es dazu keine
oder kaum eine Alternative gibt.
({24})
Ich sage auch - wir haben darüber schon viel im Umweltbereich diskutiert -: Nicht nur angesichts der hohen
Energiepreise, Herr Bundesminister, sondern auch aus
umweltpolitischer Verantwortung stellt sich für mich
schon die Frage: Was tut die Bundesregierung insgesamt,
um der Innovation Wasserstoff auch den notwendigen politischen Schub zu geben, um diese Energiebasis als sauberste und sicherste Energiequelle in die Breite zu bringen? Auch diese Diskussion müssen wir gemeinsam
führen.
({25})
Es freut mich sehr, dass Sie, Herr Bundesminister, gesagt haben, dass Sie die Sorgen des Güterkraftverkehrsgewerbes ernst nehmen. Ich hoffe sehr, dass dies
geschieht. Tatsache aber ist, dass mit dem Lkw mit rund
85 Prozent des Gütervolumens zwölfmal so viel wie auf
der Schiene transportiert wird. Dies beweist, dass der Lkw
nach wie vor das Rückgrat der Versorgung von Wirtschaft
und Bevölkerung ist.
({26})
80 Prozent des gesamten Lkw-Verkehrs spielen sich im
Bereich unter 100 Kilometern ab. Deshalb wird auch
zukünftig auf den Lkw nicht verzichtet werden können.
({27})
Die Beschäftigten und die mittelständischen Betriebe ({28})
- des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes befinden
sich derzeit in einer schwierigen und bedrohlichen Existenzkrise, die sich gerade in jüngster Zeit noch verschärft
hat. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie die Sorgen des
Güterkraftverkehrsgewerbes ernst und sichern Sie die
Arbeitsplätze im deutschen Transportgewerbe!
({29})
Die großen Wirtschaftsverbände haben sich gegen die
Mautpläne der Bundesregierung gestellt.
({30})
Wir bleiben bei unserer Forderung: Die streckenbezogene Lkw-Maut muss für das deutsche Gewerbe belastungsneutral sein. Ein Abkassieren ohne Gegenleistung ist
mit der CDU/CSU nicht zu machen.
({31})
Das Pällmann-Gutachten wird uns Verkehrspolitiker
sehr ausführlich beschäftigen. Wir müssen uns damit sehr
intensiv auseinander setzen. Sollten Sie diesen Bericht
möglicherweise nur als Argumentationshilfe dazu benutzen, die Höhe der Lkw-Maut festzulegen, und ihn im
Übrigen in der Schublade verschwinden lassen, werden
Sie bei den notwendigen Investitionen scheitern.
({32})
Wir benötigen ferner eine ausführliche parlamentarische Diskussion über die Fragen des alpenquerenden
Verkehrs. Auch die Klärung dieser Fragen, die nur
scheinbar weit entfernt von Berlin sind, liegt in der Verantwortung des Bundes. Dieser Verantwortung müssen
wir uns stellen. Ich fordere Sie auf, sehr intensiv darüber
zu sprechen.
({33})
Meine Damen und Herren, die Mobilität ist die große
Herausforderung dieses Jahrzehnts. Mehr Mobilität darf
aber nicht zu weniger Sicherheit führen. Deswegen lautet
unsere Forderung: Die Verkehrssicherheit muss einen
höheren Stellenwert erhalten. Wir brauchen eine umfassende Debatte über die Sicherheit aller Verkehrsträger in
unserem Lande, eine Debatte über die Verkehrssicherheit
insgesamt, wobei eines klar ist: An der Verkehrssicherheitsarbeit zu sparen bedeutet, das Signal falsch zu stellen.
({34})
Wenn die „Wirtschaftswoche“ mit Blick auf den Verkehrsminister schreibt, „der Stau im eigenen Hause ist
mindestens so dramatisch wie beim Rückreiseverkehr auf
dem Brenner“,
({35})
so wird auf die Vielzahl der offenen Fragen abgestellt, die
einer Lösung bedürfen. Wir erwarten Ihren Verkehrsbericht 2000 mit Spannung. Wir erwarten die Aufstockung
der Verkehrsinvestitionen des Bundes, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland keinen Schaden nimmt.
({36})
Wir brauchen ein leistungsfähiges Straßen-, Schienen-,
Wasserstraßen- und Luftverkehrsnetz. Wir werden Ihnen,
Herr Bundesminister, immer zur Seite stehen - denn es ist
ja unsere gemeinsame Verkehrsinfrastruktur -, wenn es
darum geht, beim Finanzminister Mittel loszueisen.
({37})
Unser Wirtschaftsstandort Deutschland braucht klare Zukunftsperspektiven. Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der rot-grünen Koalition, ist zu sagen: Zeigen Sie
beim Verkehrshaushalt mehr Mumm und sorgen Sie für
mehr Moneten!
({38})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Matthias
Berninger vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Oswald, da Sie in dem Bereich, um den es jetzt geht, nämlich den Bereich des Bau- und Verkehrsministers, nicht
unwesentliche Verantwortung getragen haben, müssen
Sie sich an einigen Punkten ein paar unangenehme Fragen
gefallen lassen. Erstaunlich in der aktuellen Diskussion
über die Ökosteuer ist die Dreistigkeit, mit der Sie versuchen, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen.
Dreistigkeit Nummer eins - weil Sie vorhin etwas zum
Thema Ökosteuer und Straßenbau gesagt haben -: Sie haben zu Zeiten von Theo Waigel 50 Pfennig bei der Mineralölsteuer aufgesattelt und nichts davon an die Leute
zurückgegeben, sondern Haushaltslöcher gestopft, und
regen sich heute über die Benzinpreise auf. Das finde ich
empörend.
({0})
- Der Kollege Waigel lacht, weil er genau weiß, dass es
so war.
Zweiter Punkt: Jetzt wird hier die Sorge formuliert,
durch die Ökosteuer und die gestiegenen Heizölpreise
könnten Haushalte mit einem geringen Einkommen bei
den Heizkosten ins Hintertreffen geraten. Der Kollege
Oswald hat die Wohngelderhöhung nicht durchgesetzt,
sondern er hat uns ein zu geringes Wohngeld hinterlassen.
Wir waren es, die diese Erhöhung durchgesetzt und damit
die Voraussetzung dafür geschaffen haben, Bezieher niedriger Einkommen zu entlasten.
({1})
Ich finde es dreist, wenn Sie jetzt Ängste schüren, obwohl
Sie untätig waren.
Ein drittes Beispiel, die Sozialhilfeempfänger. Es ist
bereits mehrfach gesagt worden, dass gerade die Sozialhilfeempfänger nicht zusätzlich belastet werden, denn die
Sozialhilfe vollzieht derartige Entwicklungen nach, etwa
wenn, wie jetzt, die Heizkosten steigen.
Ich will zunächst etwas zur Wohnungspolitik sagen,
die bisher noch nicht so stark angesprochen wurde. Die
Koalitionspartner haben sich im Zuge der Diskussion um
die Vergabe der UMTS-Milliarden ({2})
- auf ein ganz wichtiges neues Thema geeinigt, nämlich
darauf, dass wir in den Haushaltsberatungen die Voraussetzungen für ein Altbausanierungsprogramm schaffen
wollen.
({3})
Das Altbausanierungsprogramm ist gefordert worden
von den Branchenverbänden und den Gewerkschaften
- die einen besonderen Akzent im Bündnis für Arbeit gesetzt haben - und hat das Ziel, mehrere Fliegen mit einer
Klappe zu schlagen. Das oberste und wichtigste Ziel ist,
Arbeitsplätze für kleine und mittlere Handwerksbetriebe - eben nicht für die Großen - zu schaffen. Das
zweite wichtige Ziel ist, die Wohnqualität der Menschen
zu erhöhen. Neue Fenster zum Beispiel bedeuten mehr
Ruhe und wärmere Wohnungen. Neue Heizungen bedeuten einen niedrigeren Energieverbrauch. Insgesamt bedeuten sanierte Häuser eine höhere Wohnqualität. Das
dritte große Ziel - in zwei Jahren ist der zehnte Jahrestag
der Konferenz von Rio, und wir müssen uns darüber unterhalten, wie die CO2-Einsparungen gelaufen sind - ist
die Einsparung von Kohlendioxidemissionen, damit
Deutschland die Versprechungen, die es wie viele andere
Länder in Rio gemacht hat, einhalten kann. All das wollen wir mit dem Altbausanierungsprogramm erreichen.
Ein Programm, das so viele neue Arbeitsplätze schafft
und solch positive Effekte hat, bedarf der lobenden Erwähnung. Ich werde jedenfalls - ich kann das auch für
meine Fraktion sagen - in den Haushaltsberatungen alles
tun, damit wir ein vernünftiges Altbausanierungsprogramm im Haushalt unterbringen können.
({4})
Im Verkehrsbereich - der Kollege Fischer hat sich im
November des letzten Jahres dazu sehr klar geäußert - ist
der Koalition eine weitere sehr wichtige Sache gelungen,
die dem Klimaschutz dient. Auch darauf haben sich die
Koalitionsfraktionen verständigt. Schon im November
haben wir gesagt, wir bekräftigen das Ziel, dass Investitionen, die in die Straße fließen, denen in die Schiene
angeglichen werden. Sie haben sich damals hämisch darüber lustig gemacht, wir würden das ohnehin nicht schaffen. Jetzt, Herr Kollege Fischer - ich sage das, auch wenn
Sie telefonieren -, haben wir uns auf eine Angleichung der
Investitionen in Straße und Schiene geeinigt.
Diese Angleichung bedeutet nicht, dass wir keinen
Straßenbau betreiben wollen. Sie bedeutet, dass wir endlich bei der Schiene aufholen, bei der Sie eine riesige
Investitionslücke gelassen haben. Schauen Sie sich die
entsprechenden Ausgaben der letzten Jahre Ihrer Regierungspolitik an! Die Misere bei der Bahn ist nicht die Misere unserer bisherigen Bundesverkehrsminister, es ist die
Misere von Matthias Wissmann und Theo Waigel. An
diese müssten sich die Bahnkunden wenden.
({5})
Wir nehmen uns dieses Themas an und sorgen dafür, dass
die Bahnreform tatsächlich ein Erfolg wird.
Die Leute, die Sie an die Spitze der Bahn geschickt haben, haben die Bahn noch mehr in die Misere getrieben.
({6})
Diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen dagegen werden einen wichtigen Beitrag zur Bahnreform
leisten.
Wir Grüne verschließen uns nicht gegenüber Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen, auch nicht beim Straßenbau.
({7})
Mit uns kann man über viele Projekte reden, bei denen es
in der Bevölkerung Konsens gibt, zum Beispiel wenn es
bei Ortsumgehungen tatsächlich darum geht, die Orte
vom Schwerverkehr zu entlasten. Das ist für uns keine
Frage von Ideologie.
({8})
- Der im Moment noch vorhandene Stau ist immer noch
Ihr Stau, denn so schnell bauen sich Straßen nicht.
Entscheidend ist, dass man pragmatisch an die Sache
herangeht und versucht, die Menschen dort, wo es möglich ist, zu entlasten. Genauso, wie wir ein Programm aufgelegt haben, um an bestehenden Schienenwegen für
Lärmschutz zu sorgen, sind auch Ortsumgehungen sinnvoll, damit die Leute nicht vom Durchgangsverkehr belastet werden. Das ist überhaupt keine Frage.
({9})
Aber für mich ist entscheidend, dass sich unsere Verkehrspolitik nicht in dem Motto „Mehr Autos auf die
Straße!“ erschöpft, dass wir nicht unkonzeptionell nur immer neue Straßen bauen, ein großes Programm auflegen,
ein Märchenbuch wie den alten Bundesverkehrswegeplan - hoffnungslos unterfinanziert -, und Erwartungen
der Menschen wecken, ohne ein vernünftiges Verkehrskonzept zu haben. Wir wollen die Verlagerung von Gütern
von der Straße auf die Wasserstraßen und die Schiene.
Hier werden wir einen besonders wichtigen Akzent setzen.
Zu Beginn der Befassung mit dem Haushalt im Kabinett ist uns vorgeworfen worden, die Investitionen in dem
Bereich würden zurückgehen. Am Ende der Haushaltsberatungen werden Sie diesen Vorwurf nicht mehr aufrechterhalten können. Wir werden investieren, und zwar an den
Stellen, die gut für die Umwelt sind und neue Arbeitsplätze schaffen. Dies ist etwas, worauf wir dann auch sehr
stolz sein können.
Ich möchte noch etwas zu den Zahlen sagen, die Sie
hier immer vortragen. Es wird davon geredet, diese Bundesregierung kürze die Investitionen um 9 Milliarden DM. Sie wissen es besser. Der Kollege Barthel Kalb
steht hinter einer Presseerklärung mit dem Satz „9 Milliarden Kürzung im Investitionsbereich“. Herr Kollege, Sie
wissen genau, dass sich diese 9 Milliarden DM aus einer
Reihe von Dingen zusammensetzen:
({10})
Es beruht beispielsweise darauf, dass viele Investitionen
im Zusammenhang mit dem Regierungsumzug standen,
der aber nun bereits stattgefunden hat. Es liegt beispielsweise daran, dass die 5,5 Milliarden DM Bundeseisenbahnvermögen früher als Investitionen galten, heute aber
nicht mehr in den Haushalt eingestellt werden. Lassen Sie
uns vernünftig über die Zahlen reden! Am Ende des Tages
wird man nämlich feststellen, dass wir trotz Haushaltskonsolidierung im Investitionsbereich einen Schwerpunkt
setzen.
({11})
Der letzte Punkt betrifft die Ökosteuer. Herr Kollege
Oswald, die Leute, die in Urlaub gefahren sind, haben in
der Tat festgestellt, wie das mit der Ökosteuer ist: Wenn
sie zum Beispiel in Großbritannien waren, haben sie für
einen Liter Benzin 2,54 DM bezahlen müssen. Schon in
Holland kostete sie dieser 2,33 DM. Auch in Frankreich
oder Italien mussten sie mehr bezahlen. Die Behauptung,
dass wir in Deutschland die höchsten Energiekosten haben, ist einfach falsch. Wir liegen im unteren Drittel. Vor
diesem Hintergrund sollten Sie auch hier keine Panik machen.
Sie stellen sich hin und versuchen, die Leute mit Flugblättern auf Ihre Seite zu bringen. Sie erzählen, der Anteil
der Steuern am Energiepreis betrage 70 Prozent - tatsächlich sind es nur 30 Prozent -, aber verschweigen, dass zu
Ihrer Amtszeit der Anteil der Steuern am Energiepreis sogar noch höher war, die Leute also tatsächlich abgezockt
worden sind.
Herr Kollege Berninger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehnel?
Selbstverständlich erlaube ich die, wenn ich den Gedanken zu Ende geführt habe. - Sie stellen sich also hin und
versuchen, auf ein Problem zu zeigen, das tatsächlich zu
Ihrer Regierungszeit bestand: Damals waren die Menschen zwar nicht durch die Ökosteuer belastet, aber wurden durch die Mineralölsteuererhöhungen abgezockt,
während wir die Ökosteuereinnahmen - wie das der Finanzminister gestern eindrücklich deutlich gemacht hat komplett zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge
einsetzen. - Jetzt können Sie Ihre Frage stellen.
Herr Kollege
Berninger, Sie haben gerade gesagt, dass Sie zum letzten
Punkt kommen. Bisher haben Sie aber an keiner Stelle die
neuen Bundesländer erwähnt, und dies, obwohl Sie der
haushaltspolitische Sprecher der Grünen sind. So brauche
ich mich auch nicht zu wundern, wenn Ihre Partei bei uns
immer mehr im Ansehen sinkt, wenn Sie nicht mit einem
Wort die Kürzungen für den Verkehrsbereich in den neuen
Ländern erwähnt haben. Was haben Sie dazu zu sagen?
Herr Kollege Dehnel, meines Wissens gibt es in den neuen
Ländern Unmengen an Altbauten, die saniert werden
müssen. Meines Wissens gehen die Verkehrsinvestitionen - so wie im Investitionsprogramm festgelegt - nicht
nur in die alten Länder, auch wenn die Bayern dies am
liebsten so hätten, dass alles nach Bayern geht, sondern
natürlich auch in die neuen Länder.
({0})
Meines Wissens werden die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ von diesem Minister realisiert und finanziert, während Sie damals nur Versprechungen gemacht
haben, die keiner halten konnte. Meines Wissens hat diese
Bundesregierung durchaus einen Akzent auf die Förderung der neuen Länder gesetzt. Wenn ich diese hier nicht
extra erwähnt habe, dann liegt das daran, dass ich ein noch
relativ junger Abgeordneter bin, ({1})
- politisch eigentlich nur das vereinigte Deutschland
kenne und die Differenzierung zwischen alten und neuen
Ländern in der Form, wie Sie es hier andeuten wollen, für
unvernünftig halte.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der
F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
werde, natürlich aus gutem Grund, als Erstes die Ökosteuer ansprechen müssen, ({0})
- weil wir sie schon so oft gehabt haben und weil sie
natürlich in unserem Bereich, im Bereich von Verkehr,
Bau und Wohnungswesen, von ganz elementarer Bedeutung ist. Ich werde - das werden Sie feststellen - hier nicht
als Brandstifter auftreten. Ich glaube, an der einen oder
anderen Stelle muss man einfach auf Probleme hinweisen,
die wir hier gemeinsam lösen müssen.
({1})
In diesem Punkt bitte ich Sie jetzt schon, endlich zu regieren, indem Sie auf das reagieren, was sich in unserem
Land tut.
({2})
Wenn Bauern im Emsland heute die Raffinerie in Lingen blockieren, ({3})
- dann tun Sie das nicht, Frau Kollegin, weil sie nichts
Besseres zu tun haben, sondern dann tun sie das, weil die
Landwirte in Frankreich für die gleiche Menge Antriebsstoff 75 Pfennig bezahlen, während der Landwirt in
Deutschland im Moment 1,80 DM bezahlen muss.
({4})
Wenn heute eine Meldung über den Ticker geht, die sicher auch Sie bekommen haben, dass in den neuen Ländern die Zahl der Arbeitslosen im Baugewerbe auf Rekordstand ist - 114 000 Menschen; auf zwei gewerblich
Beschäftigte ein Arbeitsloser -, dann ist auch das ein Signal, das uns auffordern muss, die Weichen richtig zu
stellen.
({5})
Da hilft leider nicht, sehr geehrter Herr Minister
Klimmt, wenn Sie an irgendeiner Stelle einmal leise und
klammheimlich sagen, man könne ja die Kfz-Steuer ein
bisschen senken, sondern da hilft nur, dass Sie das machen, was Sie - wenn ich Ihre Konstitution richtig einschätze - früher als Fußballer hoffentlich gemacht haben,
nämlich mit Macht zu kämpfen um die eigene Position, zu
stürmen und endlich darauf hinzuarbeiten, dass die Ökosteuer abgeschafft oder zumindest ausgesetzt wird. Denn
sonst werden die Arbeitsplätze in den Bereichen, die wir
zu vertreten haben, in den Bereichen Verkehr, Bau und
Wohnungswesen, in einem Maß verloren gehen, dass wir
uns alle noch darüber wundern werden. Dann werden wir
vor einem ganz schweren und kalten Winter stehen.
({6})
- Doch, das glaube ich selbst, weil ich die Signale sehe,
liebe Kollegin, genauso wie Sie, wenn Sie hingucken.
Der privat finanzierte Wohnungsbau ist nahezu zum
Erliegen gekommen. Gucken Sie sich die neuen Zahlen
an! Der soziale Wohnungsbau wird gekürzt. Die Eigenheimförderung ist gekürzt, die Investitionen, generell und
speziell, sind eingedampft worden.
Herr Berninger, wenn Sie sagen, Sie werden Erlöse aus
der UMTS-Versteigerung in diesen Bereich investieren,
dann kommt mir das so vor, als drohten Sie jemandem
Prügel an und hauten ihm hinterher nur ein paar runter.
Sie haben massiv durchgekürzt. Wenn Sie an der einen
oder anderen Stelle wieder ein bisschen anheben, werden
Sie bei weitem nicht das notwendige Niveau erreichen
und bei weitem nicht das Niveau, das für diese Bereiche
schon einmal zur Verfügung gestellt worden ist. Das ist
nicht die Lösung der Probleme.
({7})
Wir stellen doch gemeinsam fest - das müssen wir beklagen -, dass die Bahn Anteile am Verkehrsmarkt verliert. Die Lösung dieses Problems ist aber doch nicht der
Rückweg in die Staatsbahn. Nein, das kann nicht die Lösung sein. Ich respektiere bestimmte Dinge, die Sie geleistet haben. Beim Wohngeld haben Sie uns an Ihrer
Seite. Es wäre natürlich besser gewesen, wenn die Erhöhung schon jetzt gekommen wäre. Es wäre auch besser
gewesen, wenn es nicht zulasten der Förderung des Eigenheimbaus gegangen wäre.
({8})
Sie haben uns auch an Ihrer Seite, wenn es um die „Soziale Stadt“ geht. Natürlich kennen wir uns mit den Problemen aus, die das Land in bestimmten Städten hat. Insofern sind wir für die „Soziale Stadt“. Aber es wäre
fairer, ehrlicher und klarer gewesen und ein deutliches
Zeichen, Herr Minister, wenn Sie darauf gesetzt hätten,
dass das Geld nicht aus dem sozialen Wohnungsbau umgeleitet wird.
Das ist eine Politik, die keine Klarheit aufweist. Das ist
eine Wohnungsbaupolitik, bei der man nicht weiß, wo das
Ziel ist. Das ist Durchwurschteln ohne Qualität. Dieses
Durchwurschteln ohne Qualität kostet uns Arbeitsplätze,
das kostet uns Perspektive, das kostet uns Mobilität.
({9})
Sehr geehrter Herr Minister, ich bin nun wirklich der
Letzte, der Sie irgendwie abqualifizieren will. Aber es ist
natürlich schon bedenklich, wenn eine große Zeitung Sie
als „Beifahrer“ bezeichnet. Nein, Sie dürfen nicht Beifahrer sein, sondern Sie müssen Steuermann sein bei einer Investitionspolitik, die darauf setzt, eine Verkehrsinfrastruktur zu schaffen, die unser Land insgesamt
zukunftsfähig macht. Sie werden uns nicht vorwerfen
können, dass wir für Sie in diesen Bereichen keine Akzente vorgebracht hätten. Im Ausschuss haben wir all das,
was für unseren Bereich wesentlich ist, mit parlamentarischen Initiativen begleitet. Aber Sie nehmen unsere Anregungen nicht ernst und das ist sehr bedauerlich, weil Sie
damit Zukunftschancen verspielen.
Wir stellen doch gemeinsam fest: Der Bundesverkehrswegeplan kommt nicht voran. Die Menschen warten nach wie vor darauf, dass die starren Planungen umgesetzt werden. Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt,
die A 31 sei auf den Weg gebracht. Wir sollten einmal festhalten, dass die betroffene Region - ich komme aus diesem Gebiet - ein Drittel der Gesamtinvestition aufbringt.
({10})
Wir tun dies - und damit nehmen wir Ihnen etwas ab, weil
es primär Ihre Aufgabe ist -, weil wir uns für die Menschen und die Arbeitsplätze in dieser Region verantwortlich fühlen. Gerade hier werfe ich Ihnen eklatantes Versagen vor. Sie spüren weder die Sorgen der Menschen um
ihre Arbeitsplätze noch die Sorgen der Menschen um die
Weichenstellungen für die Zukunft. Das ist fatal, weil es
hier, wie die Zeitung zu Recht feststellt, um einen Bereich
mit einem großen Ministerium geht, der einen großen
Minister braucht und große Antworten auf die Herausforderungen, die vor uns liegen.
Die Zukunftsfragen - Privatfinanzierung und nutzerbezogene Anlastung der Kosten für die Straße, strikte
Trennung von Netz und Betrieb auf der Schiene, ein zukunftsfähiges und mutiges Luftfahrtkonzept - haben Sie
bisher nicht aufgegriffen. Sie setzen die Pällmann-Kommission ein, vergessen fast alles, was sie sagt, greifen nur
einen Punkt auf, den Sie zielgerichtet einsetzen, um wieder den Autofahrer zu melken. Das kann doch nicht die
Antwort auf das sein, was uns in der Sache bewegt.
({11})
In der Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik wurschteln Sie
sich durch. Das ist angesichts der Herausforderungen, vor
denen wir stehen, schlicht und ergreifend zu wenig.
Sie haben den sozialen Wohnungsbau zu einer Restgröße verkommen lassen.
({12})
- Es ist schön, Sie zu hören, Frau Mertens. Heute Morgen
wurden Sie noch krank gemeldet. Ich freue mich, dass Sie
so munter sind.
Aber was machen Sie, Frau Mertens? Sie modifizieren
das alte, das teure, das ungerechte, das überbürokratische
Fördersystem.
({13})
Sie fördern nach wie vor diejenigen, die Wohnungen
bauen, und nicht diejenigen, die in den Wohnungen leben.
Genau das wollen wir nicht.
({14})
Wir wollen die Menschen fördern, die in den Wohnungen
leben, damit sie mit den Belastungen, die Sie ihnen auch
über die Ökosteuer zumuten, einigermaßen fertig werden.
Durch unsere konstruktive Oppositionsarbeit haben
wir Ihnen auf die Sprünge geholfen; wir können es auch
weiterhin tun. Wir haben Ihnen bereits im Bereich der
Verkehrsinfrastruktur und der Eisenbahnpolitik eine gute
Antwort gegeben. Beim sozialen Wohnungsbau wollen
wir genau das machen, was notwendig ist: Wir wollen ein
Bürgergeld, durch das der Mieter gefördert wird und nicht
der Wohnraum als solcher.
Oder nehmen Sie die CO2-Minderung im Gebäudebereich. Nichts ist hier bisher zustande gebracht worden.
({15})
- Warten Sie mal ab? Wir warten seit zwei Jahren, seit
zwei Jahren sind Sie an der Regierung, Herr Schütz.
({16})
- Nun mal langsam. Sie sind doch vor zwei Jahren angetreten, und zwar um nicht alle Dinge anders, aber doch ein
Stück besser zu machen. Warum nehmen Sie nicht den
Gedanken auf, der in anderen Ländern schon lange diskutiert wird, nämlich den des so genannten Zertifikathandels? Warum gehen Sie nicht auf die Idee der Einführung
von CO2-Schecks ein? Diese würden doch gerade den
Verbraucher belohnen, der sich dafür entscheidet, in seinem persönlichen Bereich zu sparen. Warum greifen Sie
das nicht auf? Warum setzen Sie nach wie vor auf Bürokratie, auf Verwaltung, auf Kontrolle, auf Gängelung?
Das können nicht die Antworten sein, die in der Verkehrsund Baupolitik gebraucht werden.
({17})
Sehr geehrter Herr Minister, Sie legen keine breite
Spur, sondern fahren lediglich Schmalspur. Sie drehen
kein großes Rad, Sie wurschteln sich durch.
Wir werden bei den Haushaltsberatungen darauf dringen, dass es in diesem Bereich neben der Qualität, der
sachlichen und konstruktiven Arbeit, auch so etwas wie
Visionen gibt.
({18})
Wir brauchen Haushaltsmittel zur Finanzierung von Untersuchungen und Modellprojekten zu verschiedenen Formen der Privatfinanzierung deutscher Bundesfernstraßen. Ich habe nie verstanden, warum es so viele
Menschen gibt, die Geld in Unternehmungen stecken, die
sich zum Beispiel mit der Produktion von Maschinen beschäftigen und darin auch erfolgreich sind, wir aber nicht
endlich dazu übergehen können, private Investitionen in
die Infrastruktur auf den Weg zu bringen. Privates Geld
kann in diesen Bereichen eine sehr sinnvolle Rendite erzielen und Weichen in Richtung auf mehr Arbeitsplätze
und mehr Zukunft in allen Regionen stellen.
({19})
Ihr Staatssekretär, Herr Tacke, hat mich bei einer Diskussion über diesen Sachverhalt in dieser Auffassung
hundertprozentig bestätigt.
({20})
- Warum? Ich könnte mir, so hat er wörtlich gesagt,
durchaus Folgendes vorstellen: Die Autobahn HamburgBerlin wird an einen privaten Investor vergeben. Mit den
Erlösen erhalten und sichern wir Infrastruktur in Bereichen, die aus sich selbst heraus eine solche Infrastruktur
nicht finanzieren können. Das ist eine Haltung der Fürsorge gegenüber ländlichen, strukturschwachen Räumen.
Wir werden Ihnen den Beweis der Umsetzbarkeit gerne
liefern, wenn Sie bereit sind zuzuhören.
Wir brauchen Haushaltsmittel, um im Schienenverkehr
Untersuchungen und Forschungsaufträge auf den Weg zu
bringen, die darauf zielen, die Trennung von Netz und
Betrieb abzuarbeiten. Die Trennung von Netz und Betrieb ist zwingend erforderlich. Jeder weiß das. Die Trennung von Netz und Betrieb wird Konsequenzen haben.
Wir müssen diese Konsequenzen abarbeiten, Lösungsvorstellungen entwickeln und uns dann alle gemeinsam fast im Sinne einer Bewegung, wie es sie zum Beispiel in
der Schweiz gibt - auf den Weg machen, um etwas, was
im Moment noch ein Stück visionär ist, zur realen Politik
zu machen. Wir brauchen diese Weichenstellung für eine
zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur in Deutschland.
Wir wollen eine Untersuchung zu den Auswirkungen
eines Carboscheck-Modells und werden dazu haushaltsrelevante Anträge vorlegen; denn die von Ihnen bis jetzt
angedachte Energiesparverordnung wollen wir nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in zentralen Bereichen unserer Wirtschaft und Gesellschaft hat es durch Privatisierung und Deregulierung entscheidende Schübe gegeben. Wenn wir nicht gewesen wären - ich glaube, das
kann man mit aller Bescheidenheit sagen -, wenn der
Minister Rexrodt, den Sie vorhin hier kritisiert haben,
nicht im Post- und Telekommunikationsbereich tätig gewesen wäre, dann würden Sie heute von UMTS-Erlösen
nur träumen. Das wollen wir doch hier einmal festhalten.
({21})
Sie waren doch immer dagegen, wenn in diesem Land
Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen worden sind. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diese Politik weiter
fortsetzen, dann werden Sie zu einem nachhaltigen Schaden für dieses Land. Nehmen Sie unsere Anregung auf.
Lassen Sie uns darüber in eine Diskussion eintreten. Lassen Sie uns ein großes Rad für den Bereich Verkehr, Bau
und Wohnungspolitik drehen!
Herzlichen Dank.
({22})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Winfried Wolf von
der PDS-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag als verkehrspolitisches
Ziel festgehalten, die Verkehrswegeinvestitionen seien Zitat in ein umfassendes Verkehrskonzept zu integrieren,
das die Voraussetzungen für die Verlagerung möglichst hoher Anteile des Straßen- und Luftverkehrs
auf Schiene und Wasserstraßen schafft.
Untersucht man im Einzelplan 12 die Verkehrsausgaben - darauf werden wir uns in der ersten Lesung konzentrieren -, dann ist dort von diesem Ziel nichts zu erkennen. Auch im Jahr 2001 sollen 87 Millionen DM für
die Magnetschwebebahntechnik ausgegeben werden. Die
Investitionen in die Wasserwege sind nicht nur leicht reduziert worden. Der größte Teil fließt weiterhin in das
grotesk überdimensionierte Projekt Elbe-Havel-Ausbau.
Der Güterverkehr wird so nie und nimmer auf Wasserwege verlegt werden.
Beim Verhältnis Straße zu Schiene erleben wir bei diesem Haushalt ein altes Spiel: Formal sei annähernd eine
Gleichbehandlung erreicht worden, so tönt die Koalition,
zumal man großzügigerweise 2 Milliarden DM aus den
Mobilfunkerlösen dazugeben will. Doch damit sollte
nur - pünktlich zur Messe Innotrans - Gelegenheit gegeben werden, bei den Beschäftigten, bei der Bahn und bei
den Beschäftigten der Bahnindustrie, Dampf abzulassen.
Von „Gleichbehandlung“ kann bereits dann nicht mehr
die Rede sein, wenn die Bahninvestitionen, die der Bahn
über zinslose Kredite ermöglicht werden, herausgerechnet werden und wenn der Straßenbau im Bereich des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes noch hinzuaddiert
wird. Auch dieser Haushalt läuft materiell darauf hinaus,
dass es am 31. Dezember 2001 rund 800 Kilometer mehr
Straße und rund 400 Kilometer weniger Schiene geben
wird.
Norbert Hansen, Vorsitzender der Gewerkschaft
Transnet, hat vorgestern auf der Demonstration der
Bahnbeschäftigten nochmals vorgerechnet: Seit 1950
wurden 300 000 Kilometer neue Straßen gebaut und maximal 3 000 Kilometer Schienenwege; entsprechend wurde Verkehr auf die Straße und in die Luft verlagert. SPD
und Grüne setzen diese Politik im schlechten Sinne konsequent fort.
Sehen Sie sich bitte diesen Zeitungsausschnitt, den ich
hier in Händen habe, an. Die Überschrift hier lautet: „Der
Bundesverkehrswegeplan muss in den Papierkorb“ - so
die Kollegin Elke Ferner in der „Deutschen Verkehrs-Zeitung“; ({0})
- allerdings war das Februar 1998.
Elke Ferner ist jetzt Staatssekretärin. Tatsächlich wird
der Bundesverkehrswegeplan nicht in den Papierkorb geworfen. Er besteht weiter fort, in Form eines Investitionsprogramms. Tatsächlich haben wir heute eine Situation, in der das Programm von Herrn Krause und Herrn
Wissmann weiter realisiert wird.
Ähnlich beim Koalitionspartner: Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Ali Schmidt, erklärte im Dezember 1998:
Kernaufgabe unserer neuen Verkehrspolitik ist die
Herstellung der Chancengleichheit für die Bahn.
Wo, so fragen wir die Regierung, gab es seither eine einzige ernsthafte Maßnahme, die bestehende Chancenungleichheit zulasten der Bahn zu beseitigen? Wo gab es
zum Beispiel die Initiative zur Befreiung der Bahn von
der Mineralölsteuer? Es gab sie nicht; es kam noch eine
Ökosteuer zu den real existierenden Belastungen hinzu.
({1})
Auf diese Weise kommt es nie und nimmer zu einer
Verlagerung des Verkehrs auf Schiene und Wasser. Im Gegenteil: Deren beider Anteile am Verkehrsmarkt nehmen
von Jahr zu Jahr ab. Das Perverse ist: All das wird hingenommen und soll fortgesetzt werden. Ihr Ministerium,
Herr Klimmt, geht davon aus, dass sich der Lkw-Verkehr
in den nächsten 15 Jahren verdoppeln soll, eben-so der
Flugverkehr, und der Pkw-Verkehr um 22 Prozent wachsen soll. Die Schiene dagegen soll stagnieren. All das sind
Zahlen - schwarz auf weiß festgehalten als Prognose für
den nächsten Bundesverkehrswegeplan ab dem Jahre
2002 -, die vorgestern in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht worden sind.
({2})
Sie, Kollegin Angelika Mertens, wurden dazu zitiert
mit den Worten: Man muss das hinnehmen, muss der
Wahrheit ins Auge sehen. Die CO2-Emissionen im Verkehr können nicht reduziert werden.
Werte Kolleginnen und Kollegen, Papier und Zahlen
sind geduldig. Machen wir doch einen dreifachen Praxistest der SPD/Grünen-Verkehrspolitik:
Besuch vor Ort Nummer eins im nordwürttembergischen Königsbronn. Da kappt die DB Cargo gerade den
Schienenanschluss für den gesamten Güterverkehr. Der
Bürgermeister weiß von nichts. Die Unternehmen vor Ort
protestieren; eine Firma war extra von Oberkochen nach
Königsbronn zum Schienenanschluss gezogen.
Protestieren tut auch unser geschätzter Kollege Brunnhuber von der CDU. Das ist sein Wahlkreis. Inzwischen
hat er für seinen geharnischten Protest erheblich mehr
Spielraum als zu Wissmann´schen Zeiten, das heißt, in der
Opposition kommt der Kollege Brunnhuber locker über
den Öko-Hocker.
({3})
Doch Königsbronn ist überall. Seit dem Jahr 1992
wurde im deutschen Schienennetz die Zahl der Gleisanschlüsse für Unternehmen von 13 600 auf 6 500 halbiert.
Trotzdem, Herr Klimmt, erklärten Sie vorgestern auf der
Innotrans und tönten Sie heute im Parlament, Ihr Ziel sei,
den Güterverkehr auf der Schiene zu verdoppeln. Das widerspricht den Vorgaben Ihres Ministeriums und es widerspricht der Praxis vor Ort.
Besuch vor Ort Nummer zwei in Mörfelden-Walldorf. Dort soll die neue Landebahn Nord-West des Flughafens Frankfurt/Main gebaut werden. Neuer Lärm von
oben kommt hinzu. Natürlicher Lärmschutz am Boden
kommt weg. Als „brutalstmöglicher Abholzer“ will Ministerpräsident Koch dafür 200 Hektar Wald abholzen lassen.
Der neue ICE-Airport-Bahnhof dient ganz offensichtlich nicht dazu, Flugverkehr auf die Schiene zu verlagern.
Der ICE wird immer mehr als Zubringer de luxe zum
Flugverkehr benutzt. Und: Mörfelden-Walldorf ist überall. Überall werden Großflughäfen aufgebaut und schießen Regionalflughäfen aus dem Boden.
Exakt so steht es auch im Papier von Herrn Klimmt:
Verdopplung des Flugverkehrs. Umweltpolitisch und für
die Menschen vor Ort ist dies unerträglich, doch ist es vorteilhaft für den „Shareholder Value“ von Lufthansa, Airbus und EADS.
Besuch vor Ort Nummer drei im südthüringischen
Sonnefeld. Dort hat die Bahn bereits im Jahr 1997 zwischen Probstzella und Sonneberg mehrere Trassen wegen
ihres maroden Zustands gesperrt. Das Eisenbahnbundesamt moniert, es gebe dort seither keinerlei Instandsetzungsaktivitäten. Dazu sei die Bahn jedoch nach dem
Grundgesetz verpflichtet. Auch Sonneberg ist überall.
Das beweisen die 2000 Langsamfahrstellen im Schienennetz. Hören Sie dazu die folgende Klage:
Ich hatte geglaubt, dass die Herstellung des Eisenbahnamtes als einem Aufsichtsamt dem Mangel abhelfen könnte. Ich habe mich darin vollständig
getäuscht. Das Eisenbahnamt ist ... eine bittende
Behörde geworden, die sehr viel schreibt und tut,
ohne dass jemand Folge leistet.
Das ist Originalton Reichskanzler Bismarck am
26. April 1876 im Reichstag. Seine Regierung zog daraus
die Konsequenz, die damals überwiegend privaten Eisenbahnen zu verstaatlichen. Doch hierzulande läuft es genau
umgekehrt: Es wird privatisiert und es wird ein machtloses Eisenbahn-Bundesamt als „bittende Behörde“ eingerichtet.
({4})
Diese Politik kostet eine immens große Zahl von Arbeitsplätzen bei der Bahn und in der Bahnindustrie. Als
Sie, Herr Klimmt, vorgestern auf der Kundgebung der
Kolleginnen und Kollegen von Adtranz, von DWA-Bombardier und von der Deutschen Bahn sprachen, sagten Sie,
Bahn und Bahnindustrie müssten vor allem selbst für sich
sorgen, der Staat tue schon genug. Zu Recht hat niemand
nach Ihrer Rede geklatscht, weil das schlicht unwahr ist.
Die Kollegen dort wissen, dass diese Regierung die Politik von Wissmann fortsetzt. Die Verlagerung von Verkehr
auf Schiene und Wasser ist ein Tag für Tag gebrochenes
Versprechen.
({5})
Die Kolleginnen und Kollegen dort fordern mit uns: Bürgerbahn statt Börsenwahn. Sie fordern dies für sich, für
ihre Arbeitsplätze und auch für die Umwelt.
Danke schön.
({6})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Annette Faße von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Haushalt 2001 setzen wir ein richtiges und
wichtiges Zeichen für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik. Bei Regierungsantritt im Herbst 1998 haben wir
versprochen, den Schutt der alten Regierung wegzufegen,
die Verkehrsinvestitionen wieder auf eine solide Grundlage zu stellen und im Sinne des Koalitionsvertrages eine
effiziente und umweltgerechte Verkehrspolitik zu verwirklichen. Das halten wir ein.
({0})
Darüber hinaus sorgen wir dafür, dass das infrastrukturelle Wunschdenken wieder mit den harten haushaltspolitischen Realitäten in Einklang gebracht wird. Wir machen
eines nicht, was der alten Regierung vorzuwerfen ist: Wir
versprechen nicht vieles, um dann nichts zu halten, sondern wir versprechen nur das, was wir auch halten können.
({1})
Der Anteil der Investitionen innerhalb des Verkehrsund Bauetats steigt von 52,5 auf 54,1 Prozent. Der Investitionsansatz im Verkehrsbereich konnte auf hohem Vorjahresniveau gehalten werden. Wenn Sie Vergleiche mit
Ihren Finanzplanungen anstellen, dann sage ich: Es waren
eben Planungen à la Waigel. Es waren Scheinpläne; das
wissen Sie genauso gut wie ich. Wir versuchen mühsam,
mit mehr Geld und neuen Ideen eine sichere Investitionspolitik zu betreiben. Das war damals nicht Ihr Stil. Darum
ziehen die von Ihnen genannten Zahlen heute überhaupt
nicht.
({2})
Im Jahr 2001 stehen rund 19,8 Milliarden DM für den
Verkehrsbereich zur Verfügung. Die Grundlage für die Investitionen ist unser Investitionsprogramm, das, um
auch dies hier deutlich zu sagen, den kontinuierlichen
Übergang zu einem neuen Bundesverkehrswegeplan garantiert. Das dauert zwar seine Zeit; dann werden wir aber
einen Plan haben, mit dem wir gut und sicher sowie ehrlich gegenüber den Bürgern arbeiten können.
Immer mehr der Investitionsmittel gehen in den Bestand; das gilt sowohl für die Schiene als auch für die
Straße. Fast ein Drittel der Investitionen geht heute in die
Erhaltung des Bestandes. Das müssen wir zur Kenntnis
nehmen; denn wir haben viele Schwachstellen in unseren
Verkehrsnetzen. Wir bringen hier eine neue Wertigkeit
ein.
Wir wurden von Ihnen aufgefordert, aktiv zu werden.
Herr Minister Klimmt ist aktiv geworden und ich danke
ihm für seinen Einsatz, was die globale Minderausgabe
betrifft.
({3})
Sie haben uns immer vorgeworfen, daraus werde nichts,
die Liste 2 des Investitionsprogramms sei ohnehin nicht
abgesichert. Wir aber erfüllen die Liste 2. Darüber können
wir uns alle freuen, meine Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Dieses Investitionsprogramm haben wir nicht mal eben
so aus Jux gemacht, sondern deswegen, weil wir einen
Bundesverkehrswegeplan haben, der völlig unrealistische
Zahlen aufweist.
Es sind nicht 90 Milliarden DM, sondern - wenn man genau hinsieht - 100 Milliarden DM, die uns dort fehlen. Es
ist jedoch richtig: Das alleine kann es nicht sein. Wir
bemühen uns jeden Tag, neue Gelder für Investitionen zu
bekommen. Zusätzlich war und ist das Geld, das wir in
das Anti-Stau-Programm stecken. Das ist Ihnen nicht eingefallen, das ist nur uns eingefallen. Sie können sich, Herr
Oswald, darauf verlassen, dass das im Jahre 2003 kommen wird. Das Erhebungssystem für die Lkw-Abgabe
wird rechtlich wie technisch abgesichert sein, da wir die
Einnahmen für den Verkehrsbereich brauchen.
Ich möchte an dieser Stelle auf die Pällmann-Kommission eingehen, da dies in engem Zusammenhang zum
vorher Gesagten steht. Es wäre ein Fehler, wenn wir nur
einen Punkt der Vorschläge diskutieren würden. Es wäre
falsch, sich in die Frage zu verrennen, ob wir 25, 40, 35
oder 30 Pfennig nehmen. Wir werden diese Diskussion
führen müssen; das allein kann es aber nicht sein. Diese
Kommission hat sehr weitreichende Vorschläge gemacht.
Ich sage aber ganz deutlich: Eine Kommission macht Vorschläge, aber die Politik hat zu entscheiden. Demjenigen,
der den einen oder anderen Punkt herausgreift und damit
Unruhe in die Bevölkerung bringt, wie jetzt mit der PkwMaut, muss man ganz klar sagen - ich kann das mit gutem
Gewissen tun -: Eine Pkw-Maut wird es mit dieser Bundesregierung nicht geben.
({5})
Der letzte Teil - er geht sehr häufig unter - befasst sich
mit den Wasserstraßen. Mit dieser Bundesregierung wird
es eine zusätzliche Abgabenbelastung der Binnenschifffahrt nicht geben, so wie sie vorgeschlagen wird. Das andere werden wir miteinander in der politischen Diskussion austragen.
Sie sehen, dass wir versuchen, Mittel für Investitionen
lockerzumachen, weil wir den Zusammenhang zwischen
Investitionen und Wirtschaft sehr wohl sehen, aber auch
den zwischen Investitionen und Arbeitsplätzen. Wir tragen damit zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit, zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zu einer Planungssicherheit,
die die Industrie natürlich braucht, bei. Wir wissen sehr
wohl um die schwierige Situation im Baubereich, auch im
Tiefbaubereich. Wir setzen mit den in diesem Haushalt
eingesetzten Mitteln ein wichtiges Zeichen für die Bauwirtschaft.
({6})
Man muss zur Kenntnis nehmen, dass eine Investition
in Höhe von 1 Milliarde DM den Erhalt bzw. die Schaffung von 12 000 bis 15 000 Arbeitsplätzen bedeutet. Darum meine ich: Wir sollten uns nicht gegenseitig vorwerfen, es könnte noch eine Mark mehr sein, sondern wir
müssen ganz klar sagen, dass auch die bisherigen Mittel
Arbeitsplätze für unser Land bedeuten.
Zur Schiene: Wir haben mit Investitionen von 6,9 Milliarden DM plus Eigenmitteln der Bahn ein solides Investitionspolster. Es ist richtig, dass von dieser Summe - das
war lange unser Wunsch - 100 Millionen DM für die
Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen aufgewendet werden. Diese Vorgaben haben wir eingehalten
und auch dieses Jahr das Geld zur Verfügung gestellt. Ich
denke, das sollte man nicht kleinreden.
Es ist für uns wichtig, dem Verkehrsträger DB, dem
Verkehrsträger Schiene eine sichere Zukunft zu geben. Es
ist klar, dass wir dafür Rahmenbedingungen erarbeiten
müssen. Genauso klar ist, worin der politische Auftrag besteht. Nicht alles aber ist politischer Auftrag. Die DB AG
muss ihre Hausaufgaben auch ein ganzes Stück weit selbst
lösen. Davon können wir sie nicht befreien.
({7})
Bei einer gescheiterten Bahnreform gäbe es keine Gewinner, sondern wir wären dann alle Verlierer.
Deshalb müssen wir die Situation der Bahn und die der
Schiene sehr ernst nehmen. Ich spreche nicht nur von der
DB AG, sondern von Bahn und Schiene, da wir auch darüber zu diskutieren haben, wie ein fairer Zugang Dritter
zu den Schienenwegen umgesetzt werden soll. Schiene ist
das eine, DB AG das andere. Insofern sollten wir auch
eine saubere Argumentation führen.
Ich freue mich sehr, dass im Haushalt wieder 90 Millionen DM für den kombinierten Verkehr und die Förderung von Umschlaganlagen eingestellt sind. Bisher ist es
noch so, dass wir das Geld dafür aus nicht verausgabten
Mitteln bekommen. Ich hoffe, dass wir hierfür noch eine
andere Lösung miteinander werden erarbeiten können.
Der kombinierte Verkehr dient allen Verkehrsträgern.
Dieser Haushaltstitel ist - gemessen an den Anforderungen - noch viel zu gering. Das Volumen der Anträge ist
sehr viel höher. Es ist klar und deutlich zu erkennen, dass
die Mittel abfließen. Viele Menschen in den Regionen haben bisher davon profitiert. Es ist daher wichtig - das ist
auch angemahnt worden -, dass wir das Thema KV, also
den kombinierten Verkehr, noch einmal miteinander angehen. Dieses Thema darf nicht in der Schublade verschwinden. Ohne den kombinierten Verkehr bekommen
wir das Verkehrsaufkommen nicht in den Griff.
({8})
Im nächsten Jahr fördern wir die Straße mit 8,2 Milliarden DM. Ich habe schon gesagt, dass das Gros der Mittel in den Erhalt geht. Für die Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ - das wurde moniert - sind 2,2 Milliarden DM
vorgesehen. Es ist vorrangig - das ist uns sehr wichtig -,
dass die Lücken im Straßennetz geschlossen werden. Wir
werden alles versuchen, um noch zusätzliche Mittel - darauf werde ich noch näher eingehen - für den Straßenbereich zur Verfügung zu stellen.
Ein Punkt, der auch schon von anderen Rednern angesprochen worden ist, betrifft die Verkehrssicherheit. Wir
haben dieses Jahr 22 Millionen DM eingestellt, um die
Verkehrssicherheit zu verbessern. Sie ist uns ein großes
Anliegen. Wir haben das Thema heute Morgen schon bei
den Obleuten angesprochen. Wir müssen dafür sorgen,
dass die für die Verbesserung der Verkehrssicherheit eingestellte Summe durch das Bilden von Schwerpunkten so
effizient wie möglich eingesetzt wird. Ich denke, hierüber
gibt es Konsens.
Der Etatansatz für die Bundeswasserstraßen liegt bei
1,3 Milliarden DM. Ich sage hier ganz klar und deutlich:
Die Binnenschifffahrt spielt in unseren Überlegungen
eine bedeutende Rolle. Sie können mir abnehmen, dass
wir es damit ernst meinen. Diese Summe ist nicht nur für
die Binnenwasserstraßen, sondern auch für die seewärtigen Anbindungen gedacht. Dieser Haushaltstitel enthält
also auch die Mittel für die Sicherung der Häfen Hamburg
und Bremen. Für uns sind die seewärtigen Anbindungen,
das Kanalnetz und auch das Verkehrsprojekt „Deutsche
Einheit“ Nr. 17 wichtig. Wo immer wir eine Mark lockermachen können, werden wir sie in diese drei Schwerpunkte fließen lassen.
Zur Ausbildungsförderung werden dieses Jahr 3 Millionen DM für die Binnenschifffahrt und 5 Millionen DM
für die Seeschifffahrt eingesetzt. Man kann sich auch
mehr vorstellen. Ich denke, wir werden in der weiteren
Beratung hier noch aktiv werden.
Das „Maritime Bündnis für Beschäftigung, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ zugunsten der deutschen Seeschifffahrt, der wirtschaftlichen Entwicklung
der Küstenländer und auch - nicht zu vergessen - der Binnenländer sowie zur Sicherung der Arbeitsplätze ist ausdrücklich zu begrüßen. Ich meine, dass die Konferenz in
Emden ein gutes Zeichen für die Küste war. Wir müssen
darauf achten, dass die Prüfungsaufträge, die dort erteilt
worden sind, auch umgesetzt werden.
Die GVFG-Mittel sind nicht gekürzt worden. Das war
für unsere Kommunen und den Nahverkehr ein wichtiger
Punkt.
Lassen Sie mich noch einige Worte zu den UMTS-Mitteln sagen, die wir in der Höhe nicht erwartet haben. Es ist
doch schön, einmal Geld zu haben und darüber zu diskutieren, wie wir es verteilen sollen.
({9})
Frau Kollegin, das ist der richtige Moment, Sie daran zu erinnern,
dass Sie zum Schluss kommen müssen.
Ja, das mache ich auch gleich.
Weil der Punkt so schön ist, habe ich ihn mir für zuletzt
aufgehoben.
Auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie groß der Anteil für Verkehr und Bau nun sein wird, muss ich doch feststellen, dass ich das alles ganz spannend finde. Wir werden unsere Schwerpunkte setzen. Das ist vollkommen
klar. Aber wir werden nicht - das sage ich deutlich - einfach zu all den netten Kollegen, die hier sitzen, sagen: Jawohl, das ist deine Straße; jawohl, das ist deine Ortsumgehung; jawohl, das ist deine Bahnstrecke.
({0})
Die Diskussion und das Meinungsbild sind im Moment ja
so schön bunt. Aber es ist auch schön, nachher entscheiden zu können, was wir mit dem Geld wirklich tun.
Unsere Fraktionen haben beschlossen, dass die
Schwerpunkte im Bereich der Verkehrsinfrastruktur bei
Schiene, Straße und Kombiverkehr, bei Investitionen in
Forschung und Bildung, bei der Altbausanierung, bei der
Energieeinsparung und beim Städtebau liegen. Wunderbar! In diese Richtung werden wir marschieren. Ich freue
mich auf interessante Ausschussberatungen. Ich bin heute
sehr zukunftsfroh für die Verkehrspolitik in diesem Land.
({1})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Michael Meister von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit
Antritt der Regierung Schröder befindet sich der Wohnungsbau in Deutschland auf einem permanenten Sinkflug.
({0})
Die Baupolitik der rot-grünen Bundesregierung ist eine
Aneinanderreihung gebrochener Wahlversprechen. Der
Baubereich ist nicht mehr als ein haushaltspolitischer
Steinbruch, der völlig konzeptionslos und ohne Rücksicht
auf mittelfristige Folgewirkungen einseitigen Sparbeschlüssen ausgesetzt ist.
({1})
Die Quittung für diese verfehlte Baupolitik, Herr
Schmidt, erhält die Bundesregierung früher, als manche
Prognose erwarten ließ.
({2})
Die Halbjahreszahlen der Baugenehmigungen im Mietwohnungsbau sind für das erste Halbjahr dieses Jahres um
über 20 Prozent zurückgegangen. Setzt sich dieser Trend
fort, dann könnten die Genehmigungszahlen einschließlich der bei Eigentumswohnungen dieses Jahr in Westdeutschland unter die Marke von 100 000 fallen. Das ist
ein „Erfolg“, ein Ergebnis Ihrer Steuerrechtsänderung.
Erstmals ist auch der Ein- und Zweifamilienhausbau
von diesem Abwärtstrend erfasst: Im ersten Halbjahr
2000 sind für diesen Bereich 7 Prozent weniger Baugenehmigungen erteilt worden als im Vorjahr. Das ist das Ergebnis Ihrer Manipulationen am Eigenheimzulagengesetz.
Der Rückgang der Zahl der Baugenehmigungen ist für
uns ein Signal für verringerte Fertigstellungszahlen. Die
Baunachfrage bricht auf breiter Front zusammen. Wie
am Rückgang der Genehmigungen zu sehen, werden in
Deutschland im ersten Halbjahr 2000 30 000 Wohnungen
weniger gebaut; das sind 12 Prozent weniger in den alten
Bundesländern und 24 Prozent weniger in den neuen Bundesländern. Auch der Einfamilienhausbau - bis jetzt Motor der Baukonjunktur - wurde von Ihnen abgewürgt. Sie
haben vollkommen Recht, Frau Faße: Diese Politik kostet Arbeitsplätze.
({3})
Mit der Wohnungsbaupolitik dieser rot-grünen Bundesregierung sinkt die Neubaurate sogar unter die Rate
zur Bestandssicherung. Herr Bundesminister Klimmt, ({4})
- Sie sollten diese Entwicklung endlich zur Kenntnis
nehmen, Ihrer Verantwortung Rechnung tragen und das
Ruder herumreißen. Zu dieser gefährlichen Entwicklung,
die unmittelbare Auswirkungen auf die Baukonjunktur
und auf den Arbeitsmarkt im Baubereich nach sich ziehen
wird, haben zahlreiche baupolitische Fehlentscheidungen
der vergangenen zwei Jahre geführt. Ich darf Ihr Sündenregister aufzählen: Sünde eins: Abschaffung des Vorkostenabzugs; Sünde zwei: gravierende Verschlechterungen
der steuerlichen Rahmenbedingungen für den Mietwohnungsbau; Sünde drei: Ausweitung der Spekulationsfrist
von zwei auf zehn Jahre; Sünde vier: Aufhebung der
Möglichkeit, den Erhaltungsaufwand auf bis zu fünf Jahre
zu verteilen; Sünde fünf: Das Ansparen wurde verschlechtert, indem die steuerlichen Rahmenbedingungen
schlechter gestaltet wurden; Sünde sechs: Sie kündigen
eine Erhöhung der Erbschaftsteuer an; Sünde sieben: Im
neuen Mietrecht wollen Sie die Kappungsgrenzen senken
und tragen damit dazu bei, dass weniger in Mietwohnungen investiert wird. Das ist Politik gegen den Wohnungsbau, die auch im Bundeshaushalt 2001 konsequent fortgesetzt wird.
({5})
Auch im Haushalt 2001 heißt die Leitlinie Ihres Regierungshandelns: Es werden Investitionen zugunsten
konsumtiver Ausgaben gekürzt. Die in Ihrer Finanzplanung für das Jahr 2004 geplanten Ausgaben in Höhe von
45,3 Milliarden DM liegen um fast 10 Milliarden DM
niedriger als im Jahr 1998, als Theo Waigel letztmals Verantwortung trug. Der Anteil des Verkehrs- und Bauhaushalts als des größten Investitionshaushalts im Bundeshaushalt sinkt im Jahr 2004 auf 9 Prozent; im Jahre
1998 lag er bei 12 Prozent. Das sind vom Anteil her
25 Prozent weniger. Da können Sie doch nicht sagen, es
werde weitergeführt und es würden Investitionen gestärkt. Das genaue Gegenteil von dem, was Sie hier vortragen, ist der Fall.
({6})
Frau Mertens, für den Baubereich weist Ihre mittelfristige Finanzplanung - ich nehme an, Sie haben sie gelesen - aus, dass für die Unterstützung des Wohnungs- und
Städtebauwesens die Ausgaben bis zum Jahr 2004 auf
2,6 Milliarden DM zurückgeführt werden; 1998 standen
an der Stelle noch 4,8 Milliarden DM. Das ist eine Kürzung um nahezu 50 Prozent.
Angesichts der eingangs genannten Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau brauchen wir dringender denn
je eine finanzpolitische Neuausrichtung, die beim Konsum spart und stattdessen auf Investitionen setzt. Die
CDU/CSU-Fraktion wird dies auch in den Beratungen des
Haushalts zum Ausdruck bringen. Wir werden vorschlagen, die Investitionssumme im Bau- und Verkehrssektor
zu erhöhen. Dafür werden wir seriöse Gegenfinanzierungsvorschläge unterbreiten.
({7})
Die Finanzplanung bis 2004 spiegelt die Demontage
des sozialen Wohnungsbaus wider. Die Finanzhilfen des
Bundes werden im Vergleichszeitraum von 4,2 Milliarden DM auf gerade einmal 1,9 Milliarden DM zurückgeführt. Für den sozialen Wohnungsbau markiert der
Haushaltsentwurf 2001 einen weiteren Tiefpunkt gebrochener Wahlversprechungen der SPD. 1997 haben Ihre
Wohnungsbaupolitiker im Fachausschuss unseren vorgesehenen Verpflichtungsrahmen von 1,347 Milliarden DM
als „Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus“ tituliert.
({8})
Was ist unter rot-grüner Verantwortung passiert? Im
Jahre 1999 haben Sie 1,1 Milliarden DM vorgesehen. Das
ist weniger als 1,347 Milliarden DM. Sie haben 1999 den
sozialen Wohnungsbau abgeschafft. Für das Jahr 2000
waren 600 Millionen DM vorgesehen. Das ist ebenfalls
weniger als 1,347 Milliarden DM. Sie haben den sozialen
Wohnungsbau auch im zweiten Jahr abgeschafft. Für das
Jahr 2001 sind 450 Millionen DM vorgesehen. Das ist
wieder weniger als 1,347 Milliarden DM. Damit haben
Sie den sozialen Wohnungsbau im dritten Jahr in Folge
abgeschafft. Wo bleibt der Aufschrei der Baupolitiker,
dass durch die von Ihrer Mehrheit getragene Bundesregierung der soziale Wohnungsbau in Deutschland abgeschafft wird?
({9})
Ich beziehe mich auf Ihre eigenen Anträge aus dem Fachausschuss. Frau Mertens, Sie sind der Totengräber des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland.
({10})
Hier stellt sich nun in aller Schärfe nicht nur die Frage
nach Ihrer politischen Glaubwürdigkeit, sondern auch die
nach Ihrem Gewicht als Bau- und Verkehrspolitiker in der
Koalition insgesamt. Ihre Sachkompetenz, die wir im
Ausschuss wahrnehmen, kommt Ihrem Durchsetzungsvermögen in der konkreten Politik leider nicht gleich.
({11})
Die Ansätze für den sozialen Wohnungsbau stellen
verschärft die Frage nach einem Verstoß gegen die
Vorschriften des Wohnungsbaugesetzes. Dort ist die
Zweckbindung für die Rückflussmittel aus dem sozialen
Wohnungsbau vorgesehen. Für das Jahr 2001 stellt sich
die zweckgebundene Verwendung der Einnahmen und
Ausgaben im sozialen Wohnungsbau so dar, dass Sie über
72 000 DM an Rückflussmitteln mehr haben, als Sie ausgeben. Das heißt, Sie machen beim sozialen Wohnungsbau im Bundeshaushalt Gewinn.
Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben wird
sich im Finanzplanungszeitraum weiter öffnen. Die Ausgaben sinken bei Ihnen auf 1 Milliarde DM. Die Rückflüsse bleiben auf dem Niveau von 1,8 Milliarden DM
pro Jahr. Der Bundeskanzler, Herr Schröder, hat noch in
der „Mieter-Zeitung“ im letzten Quartal 1998 erklärt,
die SPD wolle den sozialen Wohnungsbau wieder zum
schlagkräftigsten Instrument der Wohnungspolitik machen. In Wahrheit ist die Entwicklung im sozialen Wohnungsbau ein Schlag ins Gesicht der Bedürftigen in unserer Gesellschaft, ein eindeutiger Offenbarungseid in der
Wohnungspolitik, der die Ärmsten in unserer Gesellschaft
trifft.
({12})
Der „Genosse der Bosse“ ist kein Genosse der Sozialmieter in diesem Land. Die baupolitischen Ziele haben in
dieser Koalition keine einflussreichen Fürsprecher.
({13})
Dies ist insofern - auch wenn es Ihnen nicht gefällt, Herr
Schmidt ({14})
- nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie die Spitzen
dieses Hauses politisch besetzt worden sind. Wenn man
deren Vita ansieht, dann kann man sich erklären, warum
das so läuft.
Dennoch muss man von Bauminister Klimmt verlangen, dass er sich der Eingriffe des Bundesfinanzministers
in sein Ressort erwehrt. Zum Beispiel bricht die Regierungskoalition ebenfalls bei der Städtebauförderung
ihre Wahlversprechungen, ({15})
- wenn die Mittel nicht aufgestockt werden, wie es unsere
Fraktion beantragen wird. Wir treten für eine Aufstockung
der Städtebaumittel ein.
({16})
- Frau Mertens, es sieht so aus, dass in der Kanzlervilla
die sozialen Fragen des Landes ein bisschen aus dem
Blickfeld geraten.
({17})
Ich weise Sie einmal auf die Obdachlosigkeit hin. Wir
haben uns in der Vergangenheit gemeinsam darauf verständigt, in jedem Jahr 50 Millionen DM für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit in diesem Land zur Verfügung
zu stellen. Was tun Sie? Sie heben die Zweckbindung auf.
Die Ärmsten der Armen werden bei Ihnen zu Opfern des
Streichkonzerts.
({18})
Was hätten Sie gerufen, wenn wir dies getan hätten?
Wo ist Ihre Antwort auf die Strukturveränderungen in
den neuen Bundesländern? Es gibt riesige Strukturveränderungen, die durch die Wandlung des Arbeitsmarkts
ausgelöst werden und jetzt auch auf die Wohnungsmärkte
durchschlagen. Ich habe in der Haushaltsrede von Herrn
Klimmt dazu kein Wort gehört. Die Schaffung von preisgünstigem und vor allem ausreichendem Wohnraum, insbesondere für diese Problemgruppen, ist eine zentrale
Aufgabe der Baupolitik. Dieser Aufgabe wird die Bundesregierung nicht gerecht. Offensichtlich befindet sich
die Bundesregierung angesichts der Wohnungsbaupolitik
der Union und der Kollegen von der F.D.P. nach wie vor
in einer entspannten Lage. Man hat sich deshalb in eine
Art von Dornröschenschlaf begeben. Da kann man dem
Herrn Klimmt nur sagen: Wachen Sie auf, Herr Klimmt!
Erwachen Sie aus diesem Dornröschenschlaf! Das wird
Sie früher einholen, als Sie glauben.
({19})
Was wir heute an Investitionen im Wohnungsbau versäumen, werden wir morgen mit sehr viel mehr finanziellem Aufwand reparieren müssen. Morgen werden die
Mieterhaushalte in Deutschland diese Zeche zahlen.
({20})
- Frau Mertens, die Mieterhaushalte in Deutschland werden für die Fehlentscheidungen zahlen, die Sie in der Politik treffen, wenn Wohnungsverknappung zu steigenden
Mieten führt.
({21})
Die Haushalte sind heute bereits, wenn wir an die
zweite Miete denken, von der Politik der Bundesregierung stark negativ betroffen, weil sie aufgrund der Ökosteuer und aufgrund des vom Kanzler heruntergeredeten
Euro mit erheblichen Mehrkosten bei der Energie rechnen müssen. Nachdem sich das Heizöl um nahezu
50 Pfennig pro Liter verteuert hat, ({22})
- müssen sie heute, wenn sie ihren Tank mit 4 000 Liter
füllen, 2 000 DM mehr bezahlen. Welcher Normalverdiener in Deutschland soll 2 000 DM mehr finanzieren?
({23})
2 000 DM ist bedeutend mehr, als ein Durchschnittsverdiener an Steuervergünstigungen, die Sie immer so preisen, zurückerhält.
({24})
Sie ziehen den Leuten aus der einen Tasche mehr heraus,
als Sie ihnen in die andere hineinstecken. Das sind die
Fakten.
({25})
Herr Kollege Meister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?
Gerne, Herr Präsident. Bitte sehr.
Herr
Schmidt, bitte schön.
({0})
Herr Kollege Meister, Sie haben gerade die
Verteuerung beim Heizöl angesprochen. Sie haben gesagt, das Heizöl sei 50 Pfennig teurer geworden.
({0})
- Gut, mehr noch. - Wie hoch ist Ihrer Schätzung nach der
Anteil der Ökosteuer an dieser Verteuerung, also der Teil,
der durch uns verursacht worden ist?
Lieber Kollege
Schmidt, ich habe eben die zwei Faktoren erwähnt, die
dazu beigetragen haben.
({0})
Der eine Faktor war, dass unser Bundeskanzler den Euro
herunterredet und damit maßgeblich dazu beiträgt, den
Einkauf des Heizöls teurer zu machen.
({1})
Den zweiten Faktor habe ich mit dem Stichwort Ökosteuer umschrieben.
({2})
Die Antwort, die der Landesvorsitzende der Grünen,
Swane, den Bürgern in Norddeutschland gegeben hat, als
er ihnen erklärte, wie sie diesem Problem gerecht werden
können, ({3})
- gipfelte in dem Vorschlag: Fahren Sie dieses Jahr nicht
in Urlaub, dann ist das Problem gelöst. So lautete die Antwort der Grünen in Deutschland.
({4})
Das war die Antwort eines der Ihren; meine Antwort haben Sie gehört. Sie sollten vielleicht einmal in Ihrer eigenen Partei klären, wie man damit umgeht. Ich habe jetzt
einmal die Antwort eines norddeutschen Landesvorsitzenden wiedergegeben.
({5})
Sie haben vorhin von Ihrem Kollegen Berninger ein
Lob über das Wohngeld gehört. Meine Damen und Herren, Sie können das Wohngeld gar nicht so schnell erhöhen, wie Sie den Bürgern in diesem Land das Geld über
die Ökosteuer wieder aus der Tasche ziehen.
({6})
Mit Ihrer Vorlage zum Wohngeld wollten Sie ein Geschäft
machen. Sie haben versucht, von den Kommunen und den
Ländern 2,5 Milliarden DM zu bekommen, wollten den
Bürgern aber nur 1,5 Milliarden DM zukommen lassen.
Das wäre ein Geschäft zulasten von Kommunen und Ländern gewesen. Ohne den Widerstand von CDU und CSU
im Bundesrat wäre Ihnen dieser Coup sogar noch gelungen. Sie hätten sich nach außen sozial gezeigt und insgeheim Ihre Taschen gefüllt.
({7})
Wenn wir an dieser Stelle nun nicht den Bundesbauminister fragen würden, sondern den Bundesumweltminister, Herr Kollege Schmidt, dann würde er uns mit Sicherheit in Bezug auf das Heizöl den Ratschlag geben, wir
sollten Energie sparen.
({8})
Da muss man sich natürlich auch die Frage stellen, warum
es unser Bundesbauminister nicht geschafft hat - es ist
mittlerweile Halbzeit dieser Legislaturperiode -, endlich
eine Energieeinsparverordnung auf den Weg zu bringen. Sie sollte ursprünglich zum 1. Januar 2000 in Kraft
treten.
({9})
Wo ist die Energieeinsparverordnung, Herr Klimmt? Wo
sind die Anreize zum Energiesparen? Ich weise darauf
hin, dass am 31. Dezember 2000 die Ökozulage im Rahmen des Eigenheimzulagengesetzes ausläuft. Sie kündigen neue Förderprogramme an, tatsächlich laufen aber die
bisherigen Förderprogramme der alten Bundesregierung
aus, ohne dass Sie bisher einen Ersatz dafür anbieten. Wir
fordern Sie auf: Verlängern Sie zumindest die bisherigen
Förderprogramme und machen Sie nicht nur Ankündigungen. Legen Sie neue Förderprogramme auf, damit Energiesparen in Deutschland im Baubereich möglich wird.
({10})
Meine Damen und Herren, eine zukunftsorientierte,
konzeptionelle Baupolitik würde sich darum bemühen,
den Neubau von Mietwohnungen zu verstetigen, die Rahmenbedingungen für den Eigenheimbau zu verbessern
und zu verdeutlichen, dass Wohneigentum eine besonders
wichtige und attraktive Form der Altersvorsorge ist. Statt
diese Punkte anzupacken, denkt diese Koalition darüber
nach, nicht die Altersvorsorge im privaten Bereich zu stärken, sondern die Erbschaftsteuer zu erhöhen, um das Gegenteil einzuleiten, nämlich das Eigentum an Wohnimmobilie zu schwächen und zu verteuern. Das ist eine Politik,
die in die falsche Richtung läuft. Wir werden uns gegen
diese Politik wehren.
({11})
Wir wollen eine Stärkung des Wohneigentums als Teil der
Altersvorsorge.
Eine zukunftsgewandte Baupolitik würde schnellstmöglich dafür sorgen, dass das soziale Wohnungsbaurecht modernen Anforderungen gerecht wird und dass
im Miet- und Steuerrecht keine neuen Barrieren für Investitionen geschaffen werden. Eine zukunftsgewandte
Baupolitik würde über den notwendigen Beitrag des
Baubereichs nicht nur Sonntagsreden halten, sondern im
Rahmen der Energieeinsparverordnung ordnungspolitische Signale setzen und die steuerpolitischen Förderinstrumente schaffen, um sowohl im Neubau als auch im
Bestand das vorhandene Einsparungspotenzial auszuschöpfen.
Diese Probleme müssen wir gemeinsam anpacken und
lösen. Wir haben eine Unionsfraktion, die an Ihrer Seite
ist, wenn Sie die Investitionen in diesen Sektoren stärken
wollen. Wir sind bereit, an dieser Stelle mit Ihnen zu
kämpfen. Wir sind aber nicht bereit, weiter Ihren Kurs in
Richtung Konsum und gegen Investitionen mitzutragen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Albert Schmidt von Bündnis 90/Die
Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in den letzten Tagen hier eine Haushaltsdebatte, die im Wesentlichen eine Ökosteuerdebatte
war. Ich setze Ihr Einverständnis voraus, wenn ich jetzt
nicht noch einmal alle Pro- und Kontraargumente aufzähle, die in dieser Debatte schon hundertmal aufgeführt
worden sind.
({0})
Ich möchte nur eine einzige Bemerkung machen, und
zwar an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU. Ich habe großes Verständnis dafür, dass
sich jemand darüber ärgert, wenn er für etwas mehr, sogar
sehr viel mehr, bezahlen muss als noch vor einem Jahr, in
diesem Fall für Benzin. Aber ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, wenn ausgerechnet diejenigen, die bei den
Benzinpreisen jahrelang abgezockt haben, sich jetzt in
höchst scheinheiliger Weise zum Retter der Entrechteten
aufspielen.
({1})
Niemand anders als der CSU-Finanzminister Theo
Waigel hat Anfang der 90er-Jahre die Mineralölsteuer in
mehreren Schritten um 50 Pfennig erhöht, und zwar nicht,
um die Sozialbeiträge zu senken - die wurden zusätzlich
um 10 Prozentpunkte erhöht -, und auch nicht, um Schulden abzubauen; das Schuldengebirge wurde weiter aufgetürmt. Das war Ihre Politik! Nachdem gerade Sie hier jeden Rest von Glaubwürdigkeit verspielt haben, sollten Sie
sich in Zukunft zu dieser Frage wesentlich bescheidener
äußern.
({2})
Es gibt aber auch eine ganz andere Kritik an der Ökosteuer, nämlich von der anderen Seite des Hauses, auf die
ich einmal zu sprechen kommen möchte, weil diese Seite
nämlich meistens zu kurz oder gar nicht zu Wort kommt.
({3})
Bei dem Kollegen Winfried Wolf ist angeklungen - auch
bei vielen Natur- und Umweltschutzverbänden war die
Rede davon -: Was wollt ihr denn mit diesem bisschen
Ökosteuer? Die Erhöhung um 6 Pfennig wird doch keinen
Lenkungseffekt entfalten. Kollege Wolf hat gefragt: Wo
ist denn die Verlagerung von der Straße auf die Schiene?
Wo sind die Signale für eine solche Verkehrspolitik?
Dazu möchte ich Ihnen nur die aktuellsten Verkehrsdaten zur Kenntnis geben.
Herr Kollege Schmidt, Frau Blank hat sich schon länger zu einer
Zwischenfrage gemeldet.
Ja, aber das ist jetzt wieder zu dem alten
Thema. Ich würde jetzt gerne bei der anderen Seite des
Hauses verweilen, weil sie immer zu kurz kommt.
Genehmigen Sie die Zwischenfrage?
In diesem Fall nein.
({0})
Die Daten im deutschen Verkehrsmarkt sehen in der
ersten Hälfte des Geschäftsjahres 2000 wie folgt aus: Wir
haben im Schienengüterverkehr erstmals seit Ewigkeiten
einen Zuwachs von 10,2 Prozent. Das hat es seit Jahren
nicht mehr gegeben. Auch beim Personenverkehr haben
wir auf der Schiene eine zusätzliche Nachfrage, und zwar
sowohl im Personenfern- als auch im Personennahverkehr.
Ich will nun nicht sagen, das sei schon die große Verkehrswende, Kollege Wolf. Aber das sind nach meinem
sicheren Gefühl die ersten Anzeichen einer vorsichtigen
Trendwende. Das hat natürlich auch damit zu tun, Kollege
Wolf, dass vom ersten Tag an im öffentlichen Verkehr, und
zwar von der Buslinie bis zum ICE, nur der halbe Ökosteuersatz aufgelegt wurde, was einen relativen Preisvorteil für den öffentlichen Verkehr gegenüber dem Individualverkehr gebracht hat.
({1})
Das war so gewollt und das wird auch so bleiben.
({2})
- Jetzt gestatte ich eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Wolf, bitte.
Herr Kollege Ali Schmidt,
ist Ihnen bekannt, dass die Quellen, die Sie gerade aus
dem letzten halben Jahr zitieren, eine Methode angewandt
haben, über die wir uns unter Herrn Wissmann vier Jahre
lang geärgert haben, nämlich dass zu den allgemeinen
Daten, die einen längerfristigen Trend in die negative
Richtung auswiesen, kurzfristige Daten dazugenommen
wurden, die angeblich in eine andere Richtung zeigten?
Zweite Frage. Trifft das Zitat von Frau Angelika
Mertens aus der „Süddeutschen Zeitung“ zu, das ich in
meiner Rede erwähnt habe, wonach dem Ministerium
ganz klare Trenddaten anderer Art vorliegen, auf deren
Basis der neue Verkehrswegeplan 2002 ausgearbeitet
werden soll, der kein Wachstum bei der Schiene, aber extremes Wachstum beim Luftverkehr und beim Lkw-Verkehr vorsieht? Im Rahmen dieses Verkehrswegeplanes
wurde sogar ein Ökomodell diskutiert - das kam sicherlich von Ihnen -, das aber laut einem Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“ von vor zwei Tagen wieder verworfen
worden sein soll.
Herr Kollege Wolf, ich bin sehr dankbar für
diese Zwischenfrage; denn sie gibt mir Gelegenheit, auf
diesen etwas schrägen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ einzugehen.
Zu der ersten Frage. Mir ist sehr wohl bekannt, dass
man kurzfristige Daten nicht überbewerten darf. Deswegen habe ich auch vorsichtig von einem ersten Anzeichen
einer Trendwende gesprochen. Wir müssen die Entwicklung nicht nur weiter beobachten, sondern auch unterstützen. Durch welche Maßnahmen dies geschehen soll,
werde ich im Laufe meiner Rede noch ausführen.
Zu der zweiten Frage. Der von Ihnen angesprochene
Trend, dass es erhebliche Steigerungen im Straßengüterverkehr bis hin zu einer Verdoppelung und dass es nur
maßvolle Steigerungen im Schienengüterverkehr gebe,
der in der „Süddeutschen Zeitung“ reportiert wurde, ist
quasi ein Fortschreibungstrend nach einem Szenario, das
eben keine wesentlichen Veränderungen an den verkehrspolitischen Rahmenbedingungen vorgesehen hat. Deswegen ist dieses so genannte Trendszenario nicht das, was
wir zur Grundlage für den neuen Bundesverkehrswegeplan nehmen wollen und werden. Wir werden stattdessen
das so genannte Integrationsszenario zugrunde legen, das
von ganz anderen Voraussetzungen ausgeht.
Der Kollege Klaus Ott von der „Süddeutschen Zeitung“ hatte also nur die halbe Information, da die Information darüber, was wir nicht zugrunde legen werden,
falsch war. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich jetzt die
Chance hatte, diesen Punkt klarzustellen.
Was aber auch gesagt werden muss: Die Preissignale
über die Ökosteuer allein werden nicht ausreichen. Zu
Kurskorrekturen in der Verkehrspolitik gehört - damit
komme ich auf den Verkehrshaushalt zu sprechen - auch
die Setzung richtiger Investitionsschwerpunkte. Deshalb
bin ich sehr froh, dass niemand anderes als der Minister
selbst öffentlich das Zukunftspaket Schiene angekündigt hat. Dieses beinhaltet, dass zusätzliche Investitionen
zur Modernisierung der Bahn in der Größenordnung von
rund 2 Milliarden DM - nicht als Einmaleffekt, sondern
als verstetigte Zusatzaufwendungen aus den UMTS-Erlösen - aufgewendet werden sollen.
({0})
Das heißt im Klartext: Als ich 1994 Mitglied dieses
Hauses wurde, lag der Bahnetat bei 10 Milliarden DM.
1998, als wir den Laden übernommen hatten, hatten Sie
ihn auf 6,7 Milliarden DM zusammengestrichen. Sie haben wie die Weltmeister gekürzt. Wir satteln wieder drauf
und gleichen aus. Das ist bitter notwendig. Das Bahnnetz
muss saniert und modernisiert werden. Wichtige Strecken
müssen schneller und attraktiver ausgebaut werden.
Ich möchte Ihnen nur vier Projekte nennen, die von
größter strategischer Bedeutung gerade für den Güterverkehr sind. Beschleunigt wird das Projekt Berlin-Frankfurt/Oder - jetzt hören Sie gut zu; irgendjemand hat
vorhin nach Ostdeutschland gefragt - Richtung Polen.
Dies ist von größter Bedeutung für die EU-Osterweiterung im Hinblick auf den Güterverkehr als auch auf
den Personenverkehr. Dazu gehört weiterhin die Strecke
Paris-Saarbrücken-Mannheim-Frankfurt. Dies ist nicht
der Fall, weil der Minister in Saarbrücken zu Hause ist,
sondern weil dies die strategisch wichtige Verbindung in
Richtung Westen nach Frankreich ist. Die dritte wichtige
Strecke ist die Oberrheinstrecke Richtung Basel, weil die
Schweizer für viel Geld Alpentunnel bauen und wir bis
2006/2007 mit der Zulaufstrecke fertig sein müssen. Die
vierte wichtige Strecke ist die Strecke München-Mühldorf-Freilassing in Bayern, also die strategische Achse
nach Südosteuropa in Richtung Österreich. All das wird
beschleunigt möglich sein. Diese zusätzlichen Aufwendungen sind einer zukunftsfähigen Schiene geschuldet.
Ich habe schon fast Mitleid mit der Opposition. Wenn
Sie einmal so einen Batzen für irgendein Projekt bekommen hätten, dann hätten Sie sich wahrscheinlich die Finger bis zum Hintern abgeleckt.
({1})
Wir sind sehr froh und dankbar für diese Mittel. Aber
ich sage Ihnen auch: Wir als Grüne sind in dieser Frage
unersättlich; wir wollen sogar noch mehr.
({2})
Kollege Oswald hat die Bedeutung des kombinierten
Verkehrs angesprochen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu.
Deswegen werden wir auch die für den kombinierten Verkehr vorgesehenen Haushaltsmittel verstärken. Überall
dort, wo DB Cargo es meint nicht zu schaffen, müssen
verstärkt Förderungen für dritte, für nicht staatliche Eisenbahnunternehmungen ins Auge gefasst werden.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, der von
großer Bedeutung ist - dies ist eine alte Forderung der
Grünen -, zu niedrigeren Trassenpreisen auf der Schiene.
Wir werden ab 1. Januar 2001 - das ist beschlossene Sache - bei der Bahn ein einstufiges Trassenpreissystem
einführen, ein System, bei dem nicht staatliche Eisenbahnunternehmen - sei es die BASF-Chemie-Bahn oder
wer auch immer - dann, wenn sie das Schienennetz nutzen, keine höheren Preise mehr als die DB Cargo zahlen
müssen. Bisher erschienen durch die Selbstrabattierung
von DB Cargo vergünstigte Preise nur für die DB Cargo
möglich. Künftig wird es zu einer Verbilligung um rund
30 Prozent im privaten Güterverkehr kommen. Das wird
den Laden zum Brummen bringen. Das ist eine mindestens ebenso wichtige strategische Entscheidung wie die
Lkw-Maut, die ab 2003 greifen wird.
({3})
Meine Damen und Herren, das Schönste an diesem
Verkehrshaushalt ist das, was noch nicht im Haushalt
steht, was sich aber bereits abzeichnet und was demnächst, wie ich hoffe, also zur dritten Lesung, im Haushalt
stehen wird, nämlich das Zukunftspaket Schiene, die Verstärkung der Mittel für den kombinierten Verkehr. Damit
werden die richtigen Weichen für eine Zukunft gestellt, in
der die Verkehrspolitik in der Mischung aus Markt- und
Preissignalen sowie Investitionen zu dem von uns gewünschten Ergebnis führen wird.
Ich danke Ihnen.
({4})
Zu einer
Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Renate
Blank von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege Schmidt,
mir ist natürlich klar, warum Sie meine Zwischenfrage
nicht zulassen wollten, nachdem Sie das Thema Ökosteuer angesprochen hatten. Ich halte Ihnen zugute - denn
die Partei Bündnis 90/Die Grünen war in den Jahren von
1990 bis 1994 nicht im Bundestag vertreten -, dass Sie
nicht wissen können, wofür wir die Erhöhung der Mineralölsteuer um insgesamt 50 Pfennig verwendet haben ich möchte Ihnen das sagen, damit wir endlich einmal von
der Legende, die in diesem Zusammenhang besteht, wegkommen -: Die sich aus der Erhöhung um 20 Pfennig
ergebenden Einnahmen wurden für die Bahnreform verwendet, der Rest für die deutsche Einheit und den Golfkrieg. Für diese drei Dinge wurden damals in Übereinstimmung mit der Opposition die sich aus der Erhöhung
um insgesamt 50 Pfennig ergebenden Einnahmen verwendet. Das sollten Sie sich endlich einmal merken und
nicht immer wieder die Mär anführen, dass diese Mittel
für irgendetwas verwendet wurden. Vielleicht dienen
diese Worte der Klarstellung.
Herr
Schmidt, wollen Sie erwidern? - Bitte.
Herr Präsident, ich mache es auch ganz kurz.
Frau Kollegin Blank, ich nehme das gerne zur Kenntnis,
wenngleich ich nicht zum ersten Mal höre, dass ein wesentlicher Teil der damaligen Mineralölsteuererhöhung
für die Kriegskasse verwendet wurde. Das haben wir nicht
getan.
Ich bitte Sie, endlich ebenso zur Kenntnis zu nehmen,
dass das, was wir durch die Ökosteuer draufgesattelt
haben, 1 : 1, Mark für Mark, Pfennig für Pfennig zur Senkung und Stabilisierung der Rentenbeiträge eingesetzt
wird.
({0})
Wenn auch Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen,
dann werde ich bei künftigen Reden zu diesem Thema jedes Mal die Kriegskasse erwähnen.
({1})
Als letztem Redner zu diesem Geschäftsbereich gebe ich das
Wort dem Kollegen Dieter Maaß von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich überrasche sicher niemanden,
wenn ich sage: Wir Sozialdemokraten unterstützen Finanzminister Eichel in seinem Bemühen, die Verschuldung des Bundes in Höhe von 1 500 Milliarden DM abzubauen. Für diese Verschuldung tragen Sie, meine Damen
und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P., die Verantwortung.
({0})
Wir unterstützen auch die Steuerreform der Bundesregierung. Sie wird die Bürgerinnen und Bürger um 45 Milliarden DM entlasten. Dies, meine Damen und Herren von
der Opposition, sollten Sie beachten, wenn Sie den vorliegenden Haushaltsentwurf für das Jahr 2001 bewerten.
Wir setzen in Zeiten, in denen die Politik sparen muss,
klare politische Akzente. Diese möchte ich am Einzelplan 12 für den Bereich Bau- und Wohnungswesen darstellen. Zunächst einmal möchte ich die Aufmerksamkeit
des Hauses auf das Wohngeld lenken. 1,4 Milliarden DM
werden dafür mehr ausgegeben. Davon trägt der Bund die
Hälfte. Der Finanzminister rechnet bereits für 2001 mit
500 Millionen DM. Das ist in Zahlen dargestellt das Ergebnis unserer Wohngeldnovelle. Diese Reform bewirkt
deutliche Leistungsverbesserungen, vor allem zugunsten
der Tabellenwohngeldempfänger.
In den alten Bundesländern erhalten Wohngeldempfänger zukünftig im Durchschnitt 83 DM. Das sind über
50 Prozent mehr Wohngeld als bisher. Große Familien
profitieren mit durchschnittlichen Verbesserungen von
120 DM sogar noch deutlicher. Außerdem beseitigen wir
eine soziale Schieflage, weil durch unsere Reform
420 000 Haushalte zusätzlich wohngeldberechtigt werden. Diese Wohngeldreform, die dringend geboten war,
ist im Reformstau der Regierung Kohl stecken geblieben.
({1})
Albert Schmidt ({2})
Wir bleiben auch bei der Förderung des sozialen Wohnungsbaus, wenn auch nicht mehr in der Größenordnung
der vergangenen Jahre. Bei aller Kritik der Opposition
sage ich: Es gibt eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt, auch im unteren Preissegment, allerdings nicht in
manchen Ballungszentren und auch nicht in sozialen
Brennpunkten. Deshalb ist eine zeitgemäße gesetzliche
Verbesserung des sozialen Wohnungsbaus dringend erforderlich.
Es geht heute nicht mehr darum, ständig neue Wohnungen zu bauen, sondern wir müssen jetzt unsere Aufmerksamkeit und die knappen finanziellen Mittel auf Regionen und Stadteile konzentrieren, in denen sich soziale
Probleme durch die Entmischung der Bevölkerung verschärfen.
Der Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen „Den sozialen Wohnungsbau erhalten und reformieren“ wird den neuen Herausforderungen gerecht
und definiert die richtigen politischen Ziele.
({3})
Die Bundesregierung wird bald einen Gesetzentwurf
zur Reform des sozialen Wohnungsbaus vorlegen.
CDU/CSU und F.D.P. haben das viele Jahre lang ohne Erfolg versucht. Wir lösen auch hier den Reformstau auf.
Wir Sozialdemokraten wissen: Soziale Verantwortung
braucht konkrete politische Instrumente. Deshalb haben
wir, meine Damen und Herren von der F.D.P., dafür gesorgt, auf der Bundesebene weiterhin wohnungspolitisch
handlungsfähig zu bleiben. Das ist in Zeiten einer strengen Haushaltskonsolidierung eine Leistung, die sich sehen lassen kann.
({4})
- Im Übrigen, Herr Dr. Kansy, stehen in 2001 für den sozialen Wohnungsbau noch 1,6 Milliarden DM zur Verfügung.
Sie wissen, meine Damen und Herren, dass der uns
vorliegende Haushaltsentwurf der Bundesregierung in
den parlamentarischen Beratungen verändert, ich sage:
verbessert wird. So hat meine Fraktion bereits beschlossen, die Konsolidierung des Haushalts mit Zukunftsinvestitionen zu vereinen.
Zu den Schwerpunkten dieses Grundsatzbeschlusses
gehört die Aussage, die zusätzlichen Zinsersparnisse im
Zusammenhang mit der Versteigerung der UMTS-Lizenzen auch für die Altbausanierung, zur Energieeinsparung
und im Städtebau einzusetzen. Wir Baupolitiker werden
das gern aufnehmen und Vorschläge dazu machen.
Einer dieser Vorschläge wird die Städtebaufördermittel betreffen. Dafür sind jetzt 600 Millionen DM ausgewiesen, 520 Millionen DM für Ostdeutschland und
80 Millionen DM für die alten Bundesländer. Der Anteil
für die alten Bundesländer müsste unserer Meinung nach
deutlich aufgestockt werden.
({5})
Die gesamte Städtebauförderung wird Investitionen von
5 bis 6 Milliarden DM nach sich ziehen. Damit schaffen
wir Arbeitsplätze in Deutschland.
({6})
Wir werden einen weiteren wichtigen Vorschlag für die
Verknüpfung von sozialer Wohnraumversorgung mit
städtebaulichen Aspekten machen, ein Programm, das wir
mit der Überschrift „Soziale Stadt“ versehen haben. Hier
möchten wir die 100 Millionen DM gerne weiter aufwachsen lassen.
({7})
Auch diese Mittel ziehen erheblich größere Investitionen
nach sich: im Baubereich, wenn sie mit Städtebaufördermitteln verzahnt werden, und im sozialen Bereich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Haushaltslektüre empfehle ich, das KfW-Wohnraummodernisierungsprogramm Ost genau zu studieren. Mit 79 Milliarden DM Darlehen hat das Programm in den letzten Jahren
dazu beigetragen, dass rund 3,6 Millionen Wohnungen instand gesetzt und rund 107 000 neue Wohnungen erstellt
worden sind. Wegen des hohen Modernisierungsbedarfs
insbesondere bei Altbauten starteten der Bund und die
neuen Länder im Februar dieses Jahres ein gemeinsam finanziertes Nachfolgeprogramm. Darüber hinaus setzen
SPD und Grüne entsprechend ihrer Koalitionsvereinbarung einen besonderen Schwerpunkt bei der Förderung
von Energiesparinvestitionen durch das CO2-Minderungsprogramm.
({8})
Damit leistet diese Bundesregierung einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und zur Entspannung der Arbeitsmarktsituation in der Bauwirtschaft. Das entsprechende
KfW-Programm wurde mehrmals aufgestockt und umfasst zurzeit ein Darlehensvolumen von 11,8 Milliarden DM. Hier möchten wir mit Mitteln aus der UMTSZinsersparnis noch einiges verbessern, indem wir ein
zusätzliches Energie- und CO2-Einsparpotenzial im Gebäudebestand erschließen.
({9})
Wir veranlassen damit umfassende Sanierungsmaßnahmen an Gebäudehüllen und Heizungstechnik und schaffen Arbeitsplätze im Handwerk und in der mittelständischen Bauwirtschaft. Jede Milliarde Förderkredit in
diesen Maßnahmen sichert rund 12 500 Arbeitsplätze für
ein Jahr.
Ich möchte ein weiteres Beispiel nennen, das zum einen den Wohnungsbau begünstigt, zum anderen Wohneigentum für unsere Bürgerinnen und Bürger fördert. Gemeint sind die Wohnungsbauprämien, für die wir
1 Milliarde DM im Einzelplan 12 eingestellt haben. Sie
wissen, meine Damen und Herren: Das WohnungsbauPrämiengesetz ist ein wichtiger Bestandteil des staatlichen Wohneigentums. Auch dieser Haushaltstitel zeigt
Dieter Maaß ({10})
die klare Linie unserer Politik. Obwohl die Sparschrauben
in diesem Haushalt fest angezogen sind, helfen wir breiten Bevölkerungsschichten beim Erwerb von Wohneigentum.
({11})
Seit der Einheit Deutschlands und nach dem Beschluss, die Regierung und das Parlament von Bonn nach
Berlin zu verlegen, ist die Höhe der Ausgaben von Interesse. Bereits 1994 ist der Kostenrahmen für die Verlagerung des Parlamentssitzes und von Regierungsfunktionen von Bonn nach Berlin in Höhe von
20 Milliarden DM festgesetzt worden. Dieser Kostenrahmen wird eingehalten. Auch die Stadt Bonn bekommt als
Ausgleich für den Umzug der Regierung und des Bundestages nach Berlin ihre zugesagten Finanzhilfen. In
2001 sind das 350 Millionen DM.
Zum Ende meiner Ausführungen ein Fazit, das in
Zusammenhang mit meinen Eingangsbemerkungen steht:
Von den 10,4 Milliarden DM im Einzelplan 12 für Wohnungswesen und Städtebau, einschließlich Hochbau und
Förderungsmaßnahmen, fließen etwa 4,5 Milliarden DM
direkt in Investitionen. Wir beginnen in den nächsten Ausschusssitzungen mit den intensiven Beratungen. Ich freue
mich auf kritische und sachliche Beiträge meiner Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Opposition.
({12})
Weitere
Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen liegen
nicht vor.
Deshalb kommen wir zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten, Einzelplan 10. Als erster Redner hat das
Wort der Bundesminister Karl-Heinz Funke.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Natürlich sind auch wir damit will ich beginnen - von der Diskussion der letzten
Tage in Sachen Dieselbesteuerung, Verhalten der Mineralölkonzerne und der Diskussion um die Ökosteuer betroffen. Wir haben dazu auch einiges zur Kenntnis nehmen und lesen können. Vorgestern ist mir vom
Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes eine entsprechende Resolution überreicht worden.
Um es vorweg zu sagen: Ich verstehe sehr wohl die
Sorgen, die im Bereich der Landwirtschaft wie auch in anderen Bereichen mit den steigenden Preisen verbunden
sind. Keiner ist froh darüber, wenn wir Kostenanstiege in
dieser Größenordnung zu verzeichnen haben.
Eines allerdings habe ich überhaupt nicht verstanden,
nämlich dass es hier und da aus der Opposition heraus und
von einigen Vertretern des Berufsstandes die Forderung
gab, man solle die Ökosteuer zum 1. Januar für die Landwirtschaft aussetzen oder verschieben. Die Wortwahl war
unterschiedlich. Ich war sehr überrascht - das ist mir
heute Nachmittag wieder so ergangen -, dass man einige
daran erinnern musste, dass aufgrund der Tatsache, dass
wir den Steuersatz für den so genannten Agrardiesel auf
57 Pfennig festschreiben werden, ein Aussetzen der Ökosteuer für die Landwirtschaft am 1. Januar überhaupt
nichts brächte.
({0})
Das hat sich offensichtlich noch nicht genügend herumgesprochen, obwohl lange diskutiert.
Ich will gleichwohl sagen, dass wir - ich allemal - die
Wettbewerbsverzerrung, die es in der Europäischen
Union auch und gerade auf dem Energiesektor gibt,
außerordentlich bedauern.
({1})
Das hat mit Binnenmarkt im Grunde wenig zu tun. Ich
will am Rande nur Folgendes sagen: Als der Binnenmarkt
am 1. Januar 1993 geschaffen wurde, hat es viele gegeben,
die gesagt haben, man könne diesen Binnenmarkt eigentlich erst dann schaffen - analog zur Zollunion im Deutschen Reich des 19. Jahrhunderts etwa -, wenn man auch
in der Steuer- und Abgabenpolitik vorher annähernd vergleichbare Wettbewerbsbedingungen herbeigeführt habe.
Man hätte auf diese Kritiker doch etwas mehr hören sollen.
Darum sage ich: Wer das damals so gemacht hat, sollte
heute nicht so auf den Putz hauen. Dazu gibt es nun wirklich keine Gründe.
({2})
Im Übrigen erinnere ich mich überhaupt nicht daran - ich
habe noch einmal nachgefragt -, dass es bei denen, die
sich heute aus der Opposition heraus beschweren, früher
etwa Bemühungen gegeben hätte, annähernd gleiche
Wettbewerbsbedingungen auf europäischer Ebene zu erreichen. Das hat in der Diskussion schlichtweg überhaupt
gar keine Rolle gespielt.
({3})
Sich heute hinzustellen und diese Wettbewerbsverzerrung für eine vehemente Kritik an der Bundesregierung zu
benutzen, ist überhaupt nicht berechtigt. Das muss ich
einmal so deutlich sagen.
({4})
Sie als Opposition haben überhaupt keinen Grund, das zu
tun.
Um noch ein paar Argumente nachzuschieben, will ich
Folgendes sagen: Wie gesagt, wir haben den Steuersatz
für Agrardiesel auf 57 Pfennig festgeschrieben. Gott sei
Dank, kann man da im Nachhinein nur sagen. Ich bedanke
mich da bei den Koalitionsfraktionen. Wenn wir die Ökosteuer aussetzten, wäre zum Beispiel die Frage zu beantDieter Maaß ({5})
worten - ich will das Thema Rentenversicherung nicht
ansprechen, weil uns das nicht so sehr berührt, wenn auch
sehr wohl andere; es ist auch schon ausreichend diskutiert
worden -, wie unsere Programme mit klaren Vorteilen für
die Landwirtschaft, die wir auch aus der Ökosteuer finanzieren, was etwa erneuerbare Energien anbelangt - unter
anderem Biomasse mit 70 Millionen DM -, zu finanzieren wären. Diese Antwort müsste man dann auch bekommen. Darüber lese ich überhaupt nichts.
({6})
Das ist ein Programm, das in der Landwirtschaft unisono,
unstrittig auch von der Opposition gelobt wird. Aber alles
das wird unterschlagen; darüber wird nicht geredet.
Ich habe im Übrigen Berechnungen gelesen, auch in
Pressemitteilungen der Opposition. Wenn man Ökonomie
studiert hat, hat man sich leider Gottes - ich habe es gar
nicht gern gemacht - in praktischer und theoretischer Art
mit Statistiken zu beschäftigen. Dann weiß man auch, wie
Statistiken und Daten aufbereitet werden. Ich verstehe,
dass Sie, um das rein von den Zahlen her zu belegen, das
Ausgangsjahr 1998/99 und nicht den Zeitraum von 1989
bis 1994 nehmen.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Sie die
Mineralölsteuer damals um über 50 Pfennig erhöht haben. Wären Sie in der Argumentation von 1989 bis heute
konsequent, hätten Sie damals die Rückerstattung für Diesel an die Landwirtschaft entsprechend erhöhen müssen.
Hätten Sie das getan, wäre Ihre Argumentation heute
nachvollziehbar. Denn Sie haben damals dadurch, dass
Sie die Mineralölsteuer erhöht haben, den Rückerstattungsbetrag aber gleich ließen, den Subventionswert für
die Landwirtschaft, ökonomisch formuliert, zurückgefahren.
({7})
Das kann man vertreten, aus welchen Gründen auch immer. Aber sich heute hier hinzustellen und so zu tun, als
hätten Sie damit überhaupt nichts zu tun, das geht nicht.
Das müssen wir eindeutig zurückweisen.
({8})
Damit wir uns da richtig verstehen: Wir sind für vergleichbare Wettbewerbsbedingungen. Es gibt keinen
Grund, über die steigenden Energiekosten froh zu sein.
Das ist völlig klar. Weil ich das Wort „Katastrophe“ und
das Wort „Krise“ lese - man liest das heute oft; ich verwende diese Worte auch in anderen Zusammenhängen
nicht so gerne -, will ich daran erinnern, dass die Ausgaben für Treibstoffe, Schmierstoffe usw. pro Hektar
landwirtschaftlicher Nutzfläche von 1998/99 - um Ihre
Ausgangsposition zu nehmen - bis heute von 125 DM um
44 DM gestiegen sind und der Anteil von Treibstoffen,
Schmierstoffen usw. an den Gesamtkosten eines Betriebes, im Schnitt gerechnet - ich weiß, das ist von Betriebszweig zu Betriebszweig unterschiedlich; damit mir
das gar nicht entgegengehalten wird -, bei 3 bis 5 Prozent
liegt. Die Verteuerung der Energie ist bedauerlich, aber
von „Katastrophe“ und „Krise“ zu reden, halte ich für
nicht in Ordnung. Das geht an der Sache vorbei.
({9})
Meine Damen und Herren, es ist völlig klar, wie hier
die Sachlage ist. Ich will ein paar Positionen herausnehmen.
Ich bin dankbar, dass wir wieder einen Betrag von gut
50 Millionen DM für nachwachsende Rohstoffe im
Haushalt haben. Ich bedanke mich dafür ausdrücklich. Ich
halte das auch für notwendig, gerade vor dem Hintergrund
dessen, was ich eben gesagt habe und was wir diskutieren.
Das „Marktanreizprogramm erneuerbare Energien“ und
das „Förderprogramm zur Markteinführung biogener
Treib- und Schmierstoffe“ sind sinnvolle Programme.
Was alternative Energien anbelangt, haben wir mit dem
Gesetz über erneuerbare Energien verlässliche und für die
Landwirtschaft wirtschaftlich bessere Grundlagen geschaffen. Das kommt dem ländlichen Raum und der
Landwirtschaft, die sich in dieser Form ein zweites Standbein schaffen kann, zugute. Ich bin dafür außerordentlich
dankbar. Das ist der richtige Weg.
Bei der ganzen Diskussion über Energie vermisse ich
Überlegungen - ich will mir darüber Gedanken machen -,
wie wir Biotreibstoff aus Raps wettbewerbsfähiger machen können, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
({10})
Das nützt der Landwirtschaft insgesamt und macht uns
ein Stück unabhängiger vom Weltmarkt. Das muss unser
Ziel sein.
({11})
Weil das in der gegenwärtigen Diskussion untergeht,
will ich einflechten: Die Abhängigkeit vom Weltmarkt,
die wir im Energiesektor erleben, sollten wir nicht bei der
Versorgung mit Nahrungsmitteln nachmachen. Das sage
ich im Hinblick auf die WTO und die damit verbundenen
Verhandlungen.
({12})
Was wir hier sehen, ist ein Lehrstück.
Ich verweise ausdrücklich auf den Titel „Nachwachsende Rohstoffe“. Ich meine, wir verfolgen da ein gutes
Konzept angesichts dessen, was wir erleben und was mittel- und langfristig für uns wichtig und entscheidend sein
muss.
Meine Damen und Herren, ich will, weil das in der
Diskussion zu Recht immer wieder eine Rolle spielt, in
diesem Zusammenhang darauf hinweisen, wie es mit der
sozialen Sicherung in der Landwirtschaft aussieht. Immer wieder wird pauschal behauptet, wir würden die Mittel zurückführen. Natürlich kann man das an dem einen
oder anderen Punkt kritisieren. Aber insgesamt steigt der
Agraretat, was die soziale Sicherung anbelangt - im Übrigen zu Recht. Ich brauche nur das Stichwort „alte Last“
anzusprechen. Ich will nur darauf hinweisen, damit nicht
der Eindruck entsteht, die Beträge seien Jahr für Jahr geringer. Das ist nicht richtig. Vielmehr bringt der Strukturwandel in der Landwirtschaft - das, was mit „alte Last“
umschrieben wird - Verpflichtungen mit sich, denen wir
aufgrund früherer Beschlüsse des Deutschen Bundestages
gerecht werden müssen und denen wir damit nachkommen.
Ich bin sehr froh darüber, dass wir die 375 Millionen DM im Haushalt behalten haben. Sie wissen, dass
ich eher dafür bin, etwas in der Gemeinschaftsaufgabe zu
tun. Darüber wird man aber in den Ausschüssen reden.
Ich habe vernommen, dass die bayerische Staatskanzlei die Gemeinschaftsaufgabe infrage gestellt hat. Es ist
schon bemerkenswert, was aus südlichen Gefilden
manchmal so kommt. Ich bin gespannt, was hier dazu gesagt wird, ob wir in der Tat die Gemeinschaftsaufgabe abschaffen sollten. Wir brauchen sie unter anderem für das,
was wir im Rahmen der so heftig gescholtenen Agenda als
zweite Säule der Agrarpolitik bezeichnen, um Entwicklungsmöglichkeiten des ländlichen Raumes einschließlich Landwirtschaft, Tourismus und Handwerk zu gestalten. Wir brauchen diese Gemeinschaftsaufgabe dringend.
Darum ist das, was aus der Staatskanzlei kommt, hoffentlich eine Einzelmeinung und nichts anderes.
Im Übrigen freue ich mich auch ein bisschen darüber.
So etwas macht mir Spaß. Ich habe hier eine Pressemitteilung - ich sprach gerade von Bayern -, in der es um die
zweite Säule der Agenda und die Mittel, die wir dafür
bekommen, geht. Die Überschrift lautet: Miller sichert
3,3 Milliarden DM EU-Gelder für Bayern.
({13})
Auch ich musste darüber lachen. Darüber kann ich nicht
einmal schimpfen. Die Bayern würden wahrscheinlich sagen: Das ist eben ein Hund - positiv gemeint.
({14})
Nein, das ist natürlich das Geld, das wir im Rahmen der
zweiten Säule der Agenda bekommen, nämlich 17 Milliarden DM von 2000 bis 2006. Das ist ein Betrag, mit dem
in dieser Größenordnung niemand gerechnet hat. Das haben wir seitens des Bundes auf die Länder verteilt. Das
sind 3,3 Milliarden DM für Bayern.
({15})
Einige fragen schon, warum Bayern so viel bekommt. Das
hängt unter anderem mit der Struktur der Landwirtschaft
dort zusammen. Aber Miller wird zusammen mit 3,3 Milliarden DM in der Überschrift genannt. Schön ist dann
das, was im ersten Satz formuliert wird:
Mit Genugtuung hat Landwirtschaftsminister Josef
Miller
- ich mag ihn sehr, wir verstehen uns persönlich gut, deswegen trage ich das in dieser Art vor die Genehmigung der bayerischen Programmplanung für die Entwicklung des ländlichen Raumes
durch die EU-Kommission in Brüssel zur Kenntnis
genommen.
Ich zitiere weiterhin:
Damit haben sich unsere harten und zähen Verhandlungen gelohnt.
({16})
Das bringt Freude.
An sich sagt man mir ein gutes Gedächtnis nach. Ich
erinnere mich, dass ich mit Kommissar Fischler allein zusammengesessen habe, um die Beträge auszuhandeln. Ich
habe mich im Büro des Kommissars noch mal vergewissert, ob außer mir noch jemand dabei war. Nein, es war
außer mir niemand dabei.
({17})
Aber ich gratuliere zu dieser Pressemitteilung. Der Kollege Deß freut sich über die gelungene Pressemitteilung
gar nicht. Das verstehe ich überhaupt nicht.
Um unter anderem die Entwicklungsprogramme zu bedienen, brauchen wir die Gemeinschaftsaufgabe. Darum
sage ich: Das, was da aus der bayerischen Staatskanzlei
kommt, ist zurückzuweisen und nicht richtig.
Ich will - die Uhr läuft unerbittlich weiter - noch ein
paar Worte zu den Märkten sagen. Ich bin wie sicherlich
wir alle froh darüber, dass wir auch aufgrund der Beschlüsse in der Agenda - sie ist aber nicht ausschließlich
dafür verantwortlich, das will ich nicht sagen - und
ebenso deswegen, weil das Verhältnis zwischen Euro
und Dollar so ist, wie es ist, Chancen haben, in einer
Größenordnung zu exportieren, wie es bisher nicht der
Fall gewesen ist. Auch freue ich mich nicht nur darüber,
dass wir nicht nur das Lager, was Rindfleisch anbelangt,
leer haben - dies als Folge der Agenda-Beschlüsse und
des Einsatzes von Exporterstattungen -, sondern auch darüber, dass die Märkte anziehen und wir an den Märkten
- Gott sei Dank! - wieder Preisverhältnisse haben, die für
die Landwirtschaft positiv sind.
Aus landwirtschaftlicher Sicht kann ich mich angesichts des jetzigen Verhältnisses von Euro und Dollar
- ich sage ausdrücklich: des jetzigen Verhältnisses - überhaupt nicht beklagen. Die Landwirtschaft profitiert davon. Auch das müssen wir einmal festhalten.
({18})
In Ergänzung dessen, was der Bundeskanzler gestern
von Helmut Schmidt zitiert hat, möchte ich Folgendes anführen: Während meiner Lehre - das war von 1960 bis ungefähr 1963 - musste ich bei dem damaligen Stand der
Währung noch für einen Dollar mit 4,20 DM und nicht
mit 4 DM rechnen. Ich erinnere mich sehr genau: Das
englische Pfund lag bei gut 12 DM. Das waren die Preise.
Deswegen haben wir da auch keinen Grund zum Jammern. Ich sage das ausdrücklich, weil ich mich an diese
Dinge erinnere. Also, wir profitieren davon, und das ist
gut so.
Ich hoffe sehr, Herr Kollege Deß - deswegen unsere
gemeinsamen Bemühungen in Brasilien -, dass wir aufgrund dessen, dass wir jetzt zusätzlich Märkte erobern
können, imstande sind, diese Märkte dauerhaft zu sichern,
um dann diese Märkte, wenn die Relationen wieder anders werden, für uns zu haben und dorthin exportieren zu
können, um so am Binnenmarkt in Europa wieder bessere
Preise zu erzielen. Das Wort „Markt“ kommt mir in diesem Zusammenhang viel zu selten über die Lippen der
Kritiker der Agrarpolitik.
Ich frage mich manchmal, wo eigentlich diese Kritiker
in den Parteien bleiben, die sich sonst als die Parteien der
Marktwirtschaft begreifen. Wenn es um diese Dinge geht,
haben Sie verdammt wenig Zutrauen zum Markt - ich allerdings sehr viel. Deswegen beurteile ich das genauso
optimistisch, wie die Stimmung in der Landwirtschaft optimistisch ist - jetzt sage ich nicht: wegen der Bundesregierung, wie Sie das zu Ihrer Zeit wahrscheinlich formuliert hätten. Nein, da spielen verschiedene Dinge eine
Rolle, aber auch, glaube ich, der Umstand, dass wir Klartext reden. Wir sagen, wohin das führt. Wir machen nicht
jedem Hoffnung, sondern entwickeln dabei auch sehr
klare betriebswirtschaftliche, ökonomische Konzepte.
Jedenfalls freue ich mich sehr darüber, dass heute
50 Prozent der Landwirte - mehr als je zuvor - ihre Lage
als positiv umschreiben, insbesondere auch was die Beurteilung „gut“ oder „sehr gut“ angeht, sind es jetzt 16 Prozent - das sind auch mehr als in den Jahren zuvor. Das ist
ein gutes Zeichen.
Wir wollen durch eine sehr klar orientierte Agrarpolitik dazu beitragen, dass diese Stimmung anhält. Wir lassen uns nicht von Diskussionen, die zwischendurch sehr
vordergründig geführt werden, irremachen.
Ich bedanke mich.
({19})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Josef Hollerith
von der CDU/CSU-Fraktion.
Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Herr Präsident! Die Menschen im
Lande erwarten auf drängende Frage klare Antworten.
Dies gilt in besonderer Weise für die deutsche Landwirtschaft, die sich - zumindest was die alten Bundesländer
angeht -, in der wohl schwersten Strukturveränderung, in
der wohl schwersten Strukturkrise der Nachkriegszeit befindet.
Der im Mai dieses Jahres vorgelegte Agrarbericht offenbart den Kahlschlag der Bundesregierung bei der
Landwirtschaft. Die Ökosteuer, die Kürzung der Gasölrückvergütung, die Neuregelung der 630-Mark-Jobs,
({0})
die Kürzung der Mittel für den Agrarsozialbereich gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung von Jochen
Borchert verschlechtern die schwierige Gewinnsituation
in unserer heimischen Landwirtschaft weiter und beschleunigen den schmerzhaften Strukturwandel.
({1})
Der Gewinn der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe ist im Wirtschaftsjahr 1998/99 gegenüber dem
Vorjahr um 7,3 Prozent auf 53 457 DM je Unternehmen
gesunken.
({2})
Auch das Unternehmensergebnis je Familienarbeitskraft
lag mit 37 600 DM deutlich unter dem Vorjahresniveau
von 39 600 DM minus 5 Prozent. 9,7 Prozent der Betriebe
schreiben rote Zahlen - das sind nahezu doppelt so viele
wie vor Jahresfrist. Die Mehrzahl der Betriebe lebt von
der Substanz. Nicht einmal mehr ein Drittel der Betriebe
- genau: 28 Prozent - erbringt heute noch die positive Eigenkapitalbildung, die notwendig ist, um über Investitionen nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
({3})
Allein von 1998 bis 1999 haben 22 700 Betriebe bzw.
5 Prozent aller Betriebe über zwei Hektar ihre Hoftore für
immer geschlossen. In den Jahren der Regierungszeit von
CDU/CSU und F.D.P. lag die Hofaufgabequote bei
2,5 Prozent jährlich. Das ist ein dramatischer beschleunigter Strukturwandel, mitverursacht durch die rot-grüne
Politik.
({4})
Anstatt bäuerliche Betriebe nachhaltig zu fördern und
zu stützen, schwächt Rot-Grün die heimischen Betriebe.
({5})
Allein die Ökosteuer führt zu einseitigen Belastungen für
die Landwirtschaft in Höhe von rund 900 Millionen DM,
die nicht mehr zurückkommen, weil die bäuerlichen Betriebe bei uns eben nicht Fremdarbeiter beschäftigen und
aus strukturellen Gründen auch nicht mit reduzierten
Steuersätzen bedient werden, wie sie für das produzierende Gewerbe gelten.
({6})
Des Weiteren stellen wir fest, dass sich innerhalb eines
Jahres die Dieselkosten pro Hektar Getreidebewirtschaftung von rund 100 DM auf 200 DM verdoppelt haben.
Sicherlich ist die Preisexplosion auch vom knappen Angebot und der erhöhten Nachfrage verursacht worden.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nur
eine Ursache. Die zweite Ursache ist die rot-grüne Politik
der Ökosteuer und der Mineralölsteuererhöhung für die
Landwirtschaft.
({7})
- Ich trage Ihnen jetzt die wahrhaftigen Zahlen vor: Betrug 1998 die Nettosteuerlast nach Rückerstattung der
Gasölbeihilfe für den Bauern pro Liter Diesel 21 Pfennige, stieg diese Last im Jahr 2000 auf 44 Pfennige. Im
Jahr 2001 wird sie auf 57 Pfennige pro Liter steigen. Das
sind objektive Zahlen, die von Rot-Grün politisch zu verantworten sind.
({8})
Die dritte Ursache für steigende Dieselpreise ist
schließlich der politisch bedingte schwache Euro. Auch
das hat diese Regierung von Rot-Grün zu verantworten.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies alles
passiert vor dem Hintergrund einer Wettbewerbssituation,
die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Nachbarländer
Holland, Frankreich und Österreich nur 12 Pfennige Mineralölsteuer pro Liter Diesel von den Bauern nehmen.
Die Dänen nehmen von ihrer Landwirtschaft überhaupt
keine Mineralölsteuer.
({10})
Diese Energiepreissituation schlägt nicht nur bei Diesel, Heizöl und Gas belastend auf die Landwirtschaft
durch, sondern auch bei den auf Erdöl basierenden Düngemitteln wie Stickstoffdünger, die jetzt schon um bis
zu 20 Prozent teurer geworden sind.
({11})
Persönlich freue ich mich - das sage ich ausdrücklich
an die Adresse des Ministeriums -, dass meiner Idee gefolgt wurde und in dem Programm „Biogene Treibstoffe“
mit Veröffentlichungsdatum vom 7. September auch ein
Pilotprojekt zur Bezuschussung der Umrüstung von
100 Traktoren enthalten ist, damit diese Traktoren mit naturbelassenem Rapsöl fahren können. Das könnte eine
Initialzündung dafür sein, dass die Landwirtschaft wieder
wie in der Vergangenheit der Produzent ihrer eigenen
Energie wird und auf Stilllegungsflächen mit Gen-Mais
die Energiebasis für Traktoren sicherstellt. Voraussetzung
bleibt allerdings, dass die Industrie auch klug genug ist,
die entsprechenden Technologien dem Markt rechtzeitig
zur Verfügung zu stellen.
({12})
Die Neuregelung der 630-Mark-Jobs erschwert es den
Landwirten, flexibel zu reagieren und die saisonal bedingten Schwankungen der Arbeitsbelastung wirtschaftlich aufzufangen.
Zusätzliche Belastungen bedeuten die Kürzungen der
Mittel im Agrarsozialbereich. Es geht in der jetzigen
mittelfristigen Finanzplanung um ein Minus von 705 Millionen DM gegenüber der ursprünglichen mittelfristigen
Finanzplanung von Jochen Borchert.
Schließlich ein Wort zur Diskussion um eine Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes: abenteuerliche
Vorstellungen, ein Anschlag auf das Eigentum.
({13})
Es wird nämlich beabsichtigt, 5 Prozent der Flächen in
eine ökologische Zwangsstilllegung zum Ausgleich von
Bauflächen in den Gemeinden zu geben. Das ist blanke
Enteignung landwirtschaftlicher Grundstücke.
({14})
Wir fordern, dass Rot-Grün die einseitige Belastung
der deutschen Landwirtschaft beendet und damit die
Wettbewerbsbedingungen im europäischen Vergleich verbessert. Wir fordern, dass die Mehrbelastung durch die
Ökosteuer den Bauern voll zurückgegeben wird.
({15})
Wir fordern eine Rücknahme der Kürzungen im
Agrarsozialbereich, die zum Beispiel bei der Unfallversicherung zu einer Verdoppelung der Beitragslast bei mittleren und kleineren Betrieben geführt haben. Wir fordern
bei der Gemeinschaftsaufgabe eine Aufstockung der
Mittel.
({16})
Ein Wort zu Bayern: Der Minister hat richtig bemerkt,
dass die Tatsache, dass Bayern 31 Prozent bekommt, auch
mit der Struktur zusammenhängt. Es hängt aber auch
damit zusammen, dass Bayern kofinanziert und die Landwirtschaft in der bayerischen Politik, in der Politik der
CSU, den richtigen Stellenwert hat.
({17})
Wenn über die Neuverteilung der Aufgaben und damit
über die Beendigung der Gemeinschaftsfinanzierung im
gesamten Verhältnis zwischen Bund und Ländern diskutiert wird, müssen alle Ausgaben auf den Prüfstand, vom
Hochschulbau bis hin zur Agrarstruktur, aber eben vor
dem Hintergrund einer Neuverteilung der Finanzströme
zwischen dem Bund und den Ländern. So ist die Diskussion zu verstehen.
({18})
Wir fordern, dass bei der anstehenden Osterweiterung
die dafür notwendige Finanzierung nicht zusätzlich den
Agrarhaushalt belasten wird. Wir werden die entsprechenden Anträge bei den bevorstehenden Beratungen im
Ausschuss stellen. Sie von Rot-Grün haben die Gelegenheit, unseren Anträgen zuzustimmen, um damit die Bedingungen für die Landwirtschaft in Deutschland zu verbessern.
({19})
Herzlichen Dank.
({20})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Steffi Lemke von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
setzen mit dem Haushalt 2001 den Mix aus Sparen und
Zukunftsinvestitionen fort.
({0})
Der Agrarhaushalt 2000 hat ebenso wie seine Vorgänger das größte Volumen im Agrarsozialbereich. Die Ausgaben des Bundes für die Agrarsozialpolitik steigen im
Haushaltsjahr 2000 an und werden auch in den darauffolgenden Jahren weiter steigen.
Im Jahre 2004 wird der Bund für Alterssicherung und
Krankenversicherung fast 1 Milliarde DM mehr ausgeben
als heute. Auch wenn das natürlich keine höhere Leistung
für den Einzelnen bedeutet und für die Betroffenen im
vergangenen Jahr im Zuge der Haushaltssanierung bittere
Kürzungen erfolgt sind, bleibt die Sozialpolitik eine der
Hauptaufgaben im Agrarhaushalt.
({1})
Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD
werden darüber hinaus die Organisationsreform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vorantreiben, damit
eine moderne Struktur entsteht, die das Sozialversicherungssystem langfristig tragen kann.
({2})
Danach werden noch weitere Veränderungen in der Ausgestaltung, insbesondere bei der Unfallversicherung, zu
diskutieren sein. Dabei müssen aber in der zukünftigen
Diskussion stärker die Qualität der Leistungen für die Versicherten und auch die Unfallprävention im Vordergrund
stehen.
Die zweite Säule im Agrarhaushalt, die Gemeinschaftsaufgabe, ist von den Koalitionsfraktionen und der
Bundesregierung auf hohem Niveau fortgesetzt worden.
Die CDU/CSU-F.D.P.-Regierung hatte die Mittel für
diese Gemeinschaftsaufgabe in den vergangenen Jahren
heruntergekürzt. Wir werden sie mit mindestens 1,7 Milliarden DM in den nächsten Jahren im Haushalt fortführen. Bündnis 90/Die Grünen haben sich auch dafür
eingesetzt - das wurde auch erreicht -, dass die Gemeinschaftsaufgabe eine neue zukunftsträchtige Ausrichtung
erfährt.
({3})
Wir haben durchgesetzt, dass eine integrierte Förderung der ländlichen Räume in der Zukunft möglich ist und
dass die Förderung der Regionalvermarktung neu in die
Gemeinschaftsaufgabe aufgenommen werden konnte.
({4})
Wir haben auch für eine bessere ökologische Ausrichtung
gesorgt.
In einem Punkt haben wir uns in den Verhandlungen
mit den Ländern nicht durchsetzen können: die weitere
Ausrichtung auf den Erhalt der genetischen Ressourcen. Das ist eine Aufgabe, die aus meiner Sicht bisher
noch nicht ausreichend wahrgenommen wird. Hier werden weitere Gespräche nötig sein, um auch dafür im
Agrarhaushalt entsprechende Mittel zur Verfügung stellen
zu können.
({5})
Im Haushalt 2001 setzen wir mit dem Bündnis für Arbeit im ländlichen Raum neue Schwerpunkte. Wir haben
erreichen können, dass auch hier eine Entwicklung für
Arbeitsplätze, für Weiterbildung, für Qualifikation und
Regionalentwicklung, beispielsweise Holzvermarktung
oder Gebäudeumnutzung, erfolgen kann. Ich denke, dass
es hier viele gute Beispiele gibt, die dazu beitragen, dass
neue Arbeitsplätze im ländlichen Raum entstehen können.
Ich plädiere dafür, dass wir auch während der Haushaltsberatungen darüber nachdenken, ob diese Richtung nicht
noch weiter verstärkt werden sollte.
({6})
Am erfolgreichsten waren Bündnis 90/Die Grünen und
SPD aus meiner Sicht bei der Förderung der erneuerbaren Energien. Hier ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen beschlossen worden, das insbesondere der Landwirtschaft zugute kommen wird. Den erneuerbaren Energien
gehört die Zukunft. Dafür haben wir den Weg mit dem
Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien, mit der
Förderung der erneuerbaren Energien durch Mittel aus
dem Wirtschaftshaushalt und mit der Förderung von biogenen Treib- und Schmierstoffen durch Mittel aus dem
Agrarhaushalt freigemacht. Die ersten Traktoren werden
bald mit diesen Mitteln fahren. Ich möchte auch noch das
100 000-Dächer-Programm erwähnen.
({7})
Landwirte können in Zukunft als Energieproduzenten
für sich selber neue Einkommensquellen in großem Maßstab erschließen. Viele Betriebe tun das inzwischen auch
schon ohne großes Aufheben. Biogasanlagen boomen. Es
wird weiter kräftig in die Windkraft investiert. Viele
Landwirte haben diese zukunftsfähige Ausrichtung für
sich als Chance erkannt und werden sie intensiv nutzen.
Wir haben die nachwachsenden Rohstoffe um den Bereich der Rest- und Abfallstoffe erweitert. Ich halte das
für sehr wichtig, weil ich nicht glaube, dass nachwachsende Rohstoffe wie Holz und Pflanzen, die nur zu
Nutzzwecken angebaut werden, ausreichend genutzt werden können. Ich denke, dass wir den Bereich „Abfallstoffe
und Reststoffe“ noch viel stärker ausbauen können, um
unsere Stoffströme effektiver zu nutzen.
({8})
Wir sollten infolge der Biomassenverordnung darauf
drängen, dass ungiftige Holzmittelanstriche entwickelt
werden können und dass Holz beispielsweise nach seiner
Verwendung im Baubereich unkompliziert einer energetischen Verwertung zugeführt werden kann.
({9})
Wir haben in den letzten Wochen über Trockenschäden, die insbesondere in den neuen Bundesländern durch
die schlechte Witterung hervorgerufen wurden, diskutiert.
Ich denke, dass sich diese Schäden genauso wenig wie die
Schäden, die ein Orkan in der Weihnachtszeit in BadenWürttemberg angerichtet hat, für eine polemische Diskussion eignen, nach dem Motto: Wer hilft wem besser?
Wer sagt als Erster irgendwelche Finanzmittel zu? Ich plädiere dafür, das so umzusetzen, wie es die Bundesregierung begonnen hat, Gespräche mit den Ländern zu führen
und eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die genau ermitteln
soll, welche Schäden in welchen Regionen aufgetreten
sind, weil es hier regional große Unterschiede gibt. Wir
sollten dann gemeinsam mit den Ländern beraten, wie
Einzelbetriebe auch vom Bund unterstützt werden können.
Für viele in der CDU/CSU und für viele Bürgerinnen
und Bürger war die Ökosteuer das beherrschende Medienthema in der vergangenen Woche. Ich glaube, dass
die Art und Weise, wie im Moment in der Landwirtschaft
über dieses Thema diskutiert wird, nicht besonders ehrlich ist. Wir haben beschlossen, den Agrardiesel auch weiterhin zu verbilligen. Die Landwirtschaft wird also weiterhin vom Staat unterstützt. Auch im Haushalt 2000 sind
Mittel eingestellt, um die durch die hohen Kraftstoffpreise
von 1999 belasteten Landwirte zu entlasten. Wir werden
für weitere Entlastungen sorgen, indem wir einen festen
Steuersatz von 57 Pfennig einführen. Die Ökosteuererhöhung am 1. Januar nächsten Jahres wird also in der
Landwirtschaft überhaupt nicht zum Tragen kommen.
({10})
Ich finde deshalb, dass der Bauernverband und auch die
Bauern selber gut beraten sind, wenn sie mit kühlem Kopf
darüber nachdenken, ob sie eventuell der Versuchung erliegen sollen, sich von der CDU/CSU für eine politische
Kampagne instrumentalisieren zu lassen.
({11})
Wir haben darüber hinaus den in der Landwirtschaft
eingesetzten Biodiesel von der Ökosteuer befreit.
({12})
Herr Hollerith, ich habe mich gewundert, dass Sie die
Ergebnisse der Studie, die Sie in Weihenstephan in Auftrag gegeben haben, heute nicht vorgetragen haben. Ich
möchte deshalb aus der Zeitungsberichterstattung über
die von Kollegen Hollerith in Auftrag gegebene Studie,
die ich begrüße, zitieren, dass der Einsatz von Biodiesel
schon im nächsten Jahr zu Kostenvorteilen führen würde,
wenn die Ökosteuerreform planmäßig umgesetzt, die
Gasölbeihilfe abgeschafft und kein steuerlich verbilligter
Agrardiesel eingeführt würde.
({13})
Herr Hollerith, mit dem festen Steuersatz bei Agrardiesel, den die Bundesregierung einführen wird, werden
Biodiesel und Rapsöl kostenmäßig immerhin gleichauf
liegen. Wollen Sie das nun oder wollen Sie das nicht? Ich
glaube, Sie müssen sich da entscheiden.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hollerith?
Bitte
schön, Herr Hollerith.
Frau Kollegin, Sie haben einen Pressebericht zitiert. Haben Sie auch den Volltext dieser Studie, der im Internet eingestellt ist, gelesen?
Dort hätten Sie lesen können, dass sich unter den bestehenden Bedingungen nur bei Großbetrieben - über
500 Hektar - der Einsatz von naturbelassenem Rapsöl als
Treibstoff für Motoren von Traktoren rechnen wird.
Herr
Hollerith, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar, weil Sie
mir damit Gelegenheit geben, auf den Gesamtkomplex
der Wettbewerbsverzerrung einzugehen. Da die „Bauern Zeitung“, deren Agrarberichterstattung ich bisher immer als seriös empfunden habe, leider nicht auf Ihre Internetseite hingewiesen hat, habe ich es versäumt, die
Studie im Volltext zu lesen.
({0})
- Das werde ich natürlich tun, Herr Heinrich, weil es mich
interessiert, was der Kollege Hollerith noch alles herausgefunden hat.
({1})
Herr Hollerith, wenn es beispielsweise zwischen
großen und kleinen Betrieben Wettbewerbsverzerrungen
gibt, dann bin ich dafür, dass wir Mittel und Wege finden,
diese zu beseitigen. Ich will nicht, dass die Vorteile durch
Biodiesel, die die Landwirtschaft hat, nur einer bestimmten Betriebsart zugute kommt. Das ist nicht unser Ziel.
Wir wollen, dass das auch in Bayern eingesetzt werden
kann.
({2})
Die von der CDU/CSU immer wieder beklagten Wettbewerbsverzerrungen auf EU-Ebene sind, so denke ich,
tatsächlich ein Problem. Darauf haben wir schon seit Jahren hingewiesen und haben uns dafür eingesetzt, dass sie
beseitigt werden. Auf unser Betreiben hat das MinisteSteffi Lemke
rium wenigstens einen Erlass herausgegeben, um an der
deutsch-niederländischen Grenze das Problem der „Heizöltanktouristen“ in den Griff zu bekommen.
({3})
Ich denke, dass das eine Maßnahme ist, die der Landwirtschaft helfen wird.
Ich plädiere dafür, dass wir auf EU-Ebene einen neuen
Vorstoß unternehmen, um diese Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen.
({4})
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert die Bundesregierung ausdrücklich dazu auf. Wenn die Diskussion
auf europäischer Ebene in den letzten Wochen und Monaten nicht den Durchbruch zu einer solchen
Harmonisierung bringt, dann haben wir, denke ich, eine
Chance verspielt.
({5})
Ich fordere die CDU/CSU noch einmal auf, bei der
Diskussion um Wettbewerbsverzerrungen ein bisschen
ehrlicher zu sein. Das haben wir schon zwei- oder dreimal
angemerkt; offensichtlich haben Sie das nicht verstehen
wollen. Es gibt Wettbewerbsverzerrungen zum Beispiel
auch im Bereich der Sozialversicherungen oder Nachbau.
Das ist eine Diskussion, mit der Sie sich in den nächsten
Tagen, glaube ich, intensiver beschäftigen werden.
Zum Schluss möchte ich auf folgenden Punkt hinweisen. Auch ich habe - wie der Minister - eine Pressemitteilung mitgebracht. Wir stehen ja unter Beschuss, weil
die Steuerreform die Landwirtschaft belastet. Dieses
Thema sollte man etwas differenzierter betrachten. Herr
Heinrich, ich habe diesen Pressebericht damals gelesen
und wollte Sie - Sie haben ja vorhin mit dem Fraktionsvorsitzenden zusammengesessen - darauf aufmerksam
machen, dass die F.D.P. nach ihren eigenen Aussagen im
Vermittlungsausschuss der Steuerreform mit ihrer offensichtlichen Schieflage - gemeint waren die Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, wo die
F.D.P. mitregiert - nicht zustimmen wollte.
Frau Kollegin,
Ihre Redezeit.
Das
war zwei Tage, bevor die F.D.P. umgefallen ist wie die
Hühner von der Stange. Wir lachen über diese Kehrtwende innerhalb von 48 Stunden. Schauen Sie sich die
Steuerreform einmal etwas dezidierter an. Dann werden
Sie erkennen, dass sie für die Landwirtschaft auch viele
Vorteile bringt.
Danke.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Kollege Heinrich.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor wenigen
Tagen eine Halbzeitbilanz des Ministers gehört. Heute hat
der Minister eine Rede gehalten, mit der er seinen Haushalt begründet und eingebracht hat. Beide Beiträge waren
glanzlos.
({0})
Ich muss Ihnen ausdrücklich ein Lob dafür erteilen,
dass Sie die ganz wenigen Pluspunkte dieses Haushalts
herausgearbeitet haben; denn im Durchschnitt besteht
dieser Haushalt fast ausschließlich aus Streichungen und
Belastungen gegenüber der Landwirtschaft, die Sie zu
vertreten haben. Wenn Sie hier sagen, die Stimmung
draußen im Land sei gut, dann muss ich dem entgegnen:
Gehen Sie einmal raus, reden Sie mit den Bauern und
glauben Sie nicht so viel den Umfragen, die Sie zitiert haben.
({1})
Herr Minister Funke, Sie sagten, die Aussetzung der
Ökosteuer bringe nichts. Die Abschaffung der Ökosteuer
ist das Einzige, was etwas bringt.
({2})
Das von Ihnen genannte Beispiel trifft natürlich nur für
den Bereich des Agrardiesels zu.
({3})
Im gärtnerischen Bereich haben wir es mit ganz anderen
Zahlen zu tun. Wenn Sie ausschließlich die Energiekosten eines holländischen und eines deutschen Betriebs im
Unterglasgartenbau vergleichen, dann werden Sie feststellen, dass es für den deutschen Betrieb gegenüber
dem holländischen einen Wettbewerbsnachteil von
170 000 DM gibt.
({4})
Dennoch sagen Sie, die Abschaffung der Ökosteuer
bringe nichts. Sie kennen Ihre eigenen Gesetze nicht;
sonst wüssten Sie genau, dass die Energiekosten solch negative Auswirkungen im Gartenbaubereich haben.
({5})
Das ist unverantwortlich.
({6})
Gute Betriebe werden in Schwierigkeiten gebracht und
viele Betriebe haben schon aufgegeben, weil sie diese
Wettbewerbsbelastungen nicht mehr durchhalten können.
Jeder, der rechnen kann, muss das einsehen.
({7})
Wir reden in den Haushaltsberatungen fast nur über die
Ökosteuer - das gilt auch für mich -, weil dieses Thema
von großer Bedeutung ist. Derzeit beschäftigt es auch die
Landwirtschaft.
({8})
Wir bekommen angeblich über den Agrardiesel 700 Millionen DM, während die Landwirtschaft gleichzeitig
durch die Ökosteuer mit über 900 Millionen DM belastet
wird.
({9})
Gleichzeitig verschweigt man, dass man im Agrardieselbereich die Steuern erhöht hat. Kollege Hollerith hat vorhin darauf hingewiesen: 21 Pfennig Steuern 1998,
27 Pfennig 1999, 44 Pfennig 2000 und 57 Pfennig 2001,
die der Landwirt zu zahlen hat. Sie können Ihre Luftbuchungen machen, solange Sie wollen, Sie können Ihre
Rechnungen gestalten, wie Sie wollen: Es ist eine zusätzliche Belastung für die Landwirtschaft und eine Wettbewerbsverzerrung, die diese Betriebe nicht mehr aushalten.
({10})
Ich komme aus Baden-Württemberg und bin, direkt am
Rhein, Anrainer des Elsass. Wie sehen die Zahlen bei den
Kollegen in Frankreich aus? Im Elsass zahlt man nicht
57 Pfennig, sondern 11 Pfennig Steuern für den Diesel in
der Landwirtschaft. Jeder, der weiß, dass über 100 Liter
Diesel pro Hektar eingesetzt werden müssen, kann ermessen, was das für eine zusätzliche Belastung ist.
({11})
Hier zu sagen: „Die Stimmung ist gut und das, was wir gemacht haben, ist noch besser“, das ist blanker Zynismus
({12})
gegenüber den Betroffenen aus Gartenbau, Land- und
Forstwirtschaft und all denjenigen, die unter der Belastung einer Steuererhöhung von 21 Pfennig auf 57 Pfennig - das ist mehr als das Doppelte und mehr, als durch
die Ökosteuer draufgeschlagen wird - leiden.
({13})
Die Verteuerung geht in einer Zangenwirkung vor sich:
mehr als doppelt so viel Steuern für den Diesel, mehr
Steuern für das Heizöl und mehr Steuern für den Treibstoff, der nicht durch die Maschinen geht, sondern zum
Heizen der Anlagen der Gärtnereien dient.
Es ist wirklich toll: Eine Steuerreform wird verabschiedet, deren erste Entlastung 2006 eintritt. Bis dahin
bringt sie ausschließlich eine Belastung. Toll ist auch, wie
man hier eine entsprechende Bilanz gesundbeten will und
an den Bedürfnissen einer auf Eigentum begründeten
Land- und Forstwirtschaft vorbeigeht.
Was Sie mit der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes in Aussicht genommen haben, ist schleichende Enteignung.
({14})
Was Sie im Vermögensrechtsänderungsgesetz mit den
Alteigentümern gemacht haben, ist ebenfalls schleichende Enteignung.
({15})
Einen berechtigten Anspruch haben Sie gestrichen bzw.
nicht fortgelten lassen und eine Gleichstellung mit den
LPG-Nachfolgebetrieben und den Neueinrichtern vorgenommen.
Meine Damen und Herren, das zeigt sehr deutlich, dass
diese Bundesregierung - ich wiederhole: Ich bin ausgesprochen offen gegenüber den Verbesserungen, die Sie
bringen, und erkenne sie auch an - bei 90 Prozent ihrer
Handlungen die Landwirtschaft belastet und nicht entlastet, zusätzlich den Strukturwandel beschleunigt und
außerdem noch Arbeitsplätze gefährdet hat. Wer so eine
Bilanz vorlegt, der darf sich nicht wundern, dass die Opposition hier so klare Worte findet.
({16})
Nicht nur die Opposition redet so. Gehen Sie einmal hinaus und fragen Sie die Betroffenen. Wir dürfen hier reden, aber fragen Sie einmal diejenigen, die sich hier nicht
hinstellen dürfen, aber davon betroffen sind und deren Betriebe durch das Handeln dieser Bundesregierung in richtige Existenznot gebracht werden.
({17})
Ich kann hier nicht viel Gutes erkennen. Der Haushalt
ist so schlecht wie die Bilanz: kein Spielraum für politische Akzente, über 70 Prozent werden aufgrund des verstärkten Strukturwandels, den nicht die Landwirtschaft zu
verantworten hat, sondern zusätzlich noch ertragen muss,
in den Bereich Soziales fließen müssen. Im Agrarhaushalt
wird über diese 70 Prozent hinaus noch zusätzliches Geld
benötigt, sodass mehr als 8,4 Milliarden DM auf Soziales
entfallen und dann nur noch weniger als 3 Milliarden DM,
also der Rest von den 11 Milliarden DM, für andere Maßnahmen zur Verfügung stehen.
({18})
Ich möchte mit den Worten schließen: Ich hoffe, dass
man endlich begreift, dass man insbesondere auf dem
Energiesektor mit der Land- und Forstwirtschaft, aber vor
allen Dingen mit dem Gartenbau so nicht weiter verfahren kann.
Herzlichen Dank.
({19})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Eines der Kernprobleme des vorliegenden Agrarhaushaltsentwurfs ist für mich: Wird mit
diesem Haushalt die Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung im ländlichen Raum tatsächlich angeregt?
Angesichts der gravierenden Probleme, wie zum Beispiel
Arbeitslosigkeit, Strukturschwäche, geringe Wirtschaftsdynamik und damit verbundene Entleerung von Dörfern,
muss es doch vorrangig um die Chancen der Landbewohner in der Gegenwart und in der Zukunft gehen.
Fakt ist, dass das von der PDS wiederholt kritisierte
Konzept der herrschenden Politik, die Landwirtschaft
durch beschleunigte Liberalisierung international konkurrenzfähig zu machen, den Zwang zur Rationalisierung
und Modernisierung der Agrarbetriebe weiter verstärkt.
({0})
Jede Mark an Investitionen und damit auch jede
Mark, die aus der Gemeinschaftsaufgabe für die einzelbetriebliche Investitionsförderung verausgabt wird, kostet Arbeitsplätze. Das Brandenburger Ministerium hat
zum Beispiel im Juni für das Land eine Konzeption zur
Entwicklung der tierischen Erzeugung im Zeitraum 2000
bis 2006 vorgestellt. Danach wird bis zum Jahre 2006 mit
Investitionen in Höhe von 1,2 Milliarden DM und einem
weiteren Abbau der Vollarbeitsplätze um 27 Prozent gerechnet. Somit kostet die zur Sicherung der Konkurrenzfähigkeit erforderliche Vernichtung von Arbeitsplätzen
417 000 DM je wegrationalisierten Arbeitsplatz.
Weil das so ist, muss die Lösung der Probleme vorwiegend außerhalb der Landwirtschaft durch die Entwicklung von Handwerk, Gewerbe, Dienstleistungen und
Tourismus erfolgen. Jede Mark Investition in die Landwirtschaft sollte in angemessenem Maße Investitionen
und die Unterstützung von agrarpolitischen Maßnahmen
im ländlichen Raum nach sich ziehen.
({1})
Fakt ist aber, dass diese weder konkret greifbar sind
noch über Modellvorhaben, Dorferneuerung etc., in der
Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur“ auch nur annähernd abgedeckt werden können. Nach meiner Überzeugung muss die Verzahnung der beiden großen Gemeinschaftsaufgaben „Agrarstruktur“ und „Regionale
Wirtschaftsförderung“ auf die Tagesordnung.
Das im ländlichen Raum angesiedelte bzw. anzusiedelnde unternehmerische Potenzial muss ressortübergreifend gefördert werden. Auch dazu muss der Bund seinen
Beitrag leisten.
Bei den ostdeutschen Bedingungen, unter denen sich
kaum Investoren auf das flache Land und erst recht keine
in entlegene und strukturschwache ländliche Regionen
verirren, gilt es, zuallererst an vorhandene lokale Potenziale anzuknüpfen. Gerade Agrarunternehmen in Form
juristischer Personen bieten mit ihrem Management und
Potenzial an Boden, Gebäuden, Maschinen und Arbeitskräften günstige Voraussetzungen zur Entwicklung außerlandwirtschaftlicher Einkommens- und Beschäftigungspotenziale.
Dazu gehören die derzeitige Förderkulisse, aber auch
die rechtlichen Rahmenbedingungen, vom Baurecht bis
zum Steuerrecht, auf den Prüfstand. In den neuen Ländern
wurde zwar viel für die Dorferneuerung getan. Trotzdem
ist der Nachholebedarf noch immer groß. Nicht unwichtig war und ist der damit verbundene Beschäftigungseffekt. Denn Dorferneuerung bedeutet Aufträge für das regionale und lokale Handwerk und Baugewerbe. Deshalb
möchte ich mit Blick auf den Haushalt 2002 anregen, die
dann freien 375 Millionen DM Gasölbeihilfe in die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur“ einzuspeisen.
({2})
Zum Problem der Dieselpreise war bereits viel zu
hören. Ich möchte dennoch als PDS-Position anmerken:
Wer A sagt, muss auch B sagen. Die Funktionsfähigkeit
des gemeinsamen EU-Binnenmarktes schließt nun einmal
die - übrigens von der Bundesregierung selbst beschworene - Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen ein.
Insoweit besteht für Agrardiesel im Interesse der deutschen Bauern Handlungsbedarf im laufenden Gesetzgebungsverfahren. Versprechungen sind von meinen Vorrednern der Regierungskoalition ja soeben hier gemacht
worden.
({3})
Herr Minister Funke, die Landwirte aus den von der
diesjährigen Dürre besonders stark betroffenen Regionen
erwarten, dass die Bundesregierung nicht länger nur ihr
Mitgefühl bekundet und das Finden von Modalitäten
ankündigt, wie Staatssekretär Thalheim am Mittwoch vor
den ostdeutschen Agrarministern verlauten ließ, sondern
endlich definitiv sagt, ob und wie sie helfen wird. Immerhin liegen jetzt, nachdem die Getreideernte gelaufen ist,
hinreichend genaue Daten über die materiellen und finanziellen Einbußen der am schlimmsten betroffenen Agrarbetriebe vor. Ihre Anzahl ist nicht überwältigend groß. Insofern ist die Situation nur bedingt mit der von 1992
vergleichbar. Aber in Südbrandenburg sowie in einigen
Gebieten Sachsen-Anhalts und Mecklenburg-Vorpommerns ist die Situation teilweise katastrophaler als damals. Hieraus folgt, dass zumindest diese drei Länder allein überfordert sind.
Deshalb erwartet die PDS-Fraktion, dass der Bund mit
einsteigt, dass ein Bund-Länder-Nothilfefonds installiert
oder eine vergleichbare Lösung initiiert wird.
({4})
Zugleich hoffen wir, dass die begonnene Diskussion um
den schrittweisen Aufbau einer MehrschadenversicheUlrich Heinrich
rung, ähnlich wie in Spanien und den USA, nicht im
Sande verläuft.
Sie können sich darauf verlassen, dass die PDS-Fraktion im Laufe der Haushaltsberatungen die Diskussion
weiterer Fragen, von der Erhöhung der Mittel für nachwachsende Rohstoffe bis hin zur Einführung einer
Betriebsabgaberente, unterstützen bzw. selbst initiieren
wird.
Danke.
({5})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Bleser.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Minister Funke, in der Beurteilung Ihrer bisherigen Amtszeit kommen die Menschen zu
einem verheerenden Ergebnis.
({0})
50 Prozent der Bundesbürger, so der „Stern“, sind der
Meinung, dass Sie abgelöst werden sollten.
({1})
Der „Stern“ schreibt weiter - ich zitiere, Frau Präsidentin -:
Er kann die Notwendigkeit des Landwirtschaftsministeriums nicht beweisen.
Vernichtender kann man eine Amtsführung nicht beurteilen.
({2})
Eigentlich könnte das einen als Oppositionspolitiker ja
erfreuen. Aber wenn man, wie ich, mit ansehen muss, wie
diese Politik in den bäuerlichen Familien wirkt, dann ist
man schon erschüttert und besorgt über das bevorstehende
Schicksal vieler bäuerlicher Existenzen.
({3})
Die rote Liste Ihrer Grausamkeiten, Herr Minister, ist
mittlerweile lang.
Herr Kollege
Bleser, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte noch einen
Satz sagen, Frau Präsidentin. Wenn Sie es nicht bald
schaffen, diese Politik zu ändern, dann stehen die Bauern
noch vor Ihnen auf der roten Liste der bedrohten Berufe.
Jetzt können Sie Ihre Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Bleser, würden Sie mir in der Annahme Recht geben, dass die Leute,
die dies im „Stern“ geschrieben haben, die Landwirtschaft
letztendlich nicht haben wollen? Das sind nämlich Leute,
die über jede Mark Subvention motzen und die dauernd
Subventionen erfinden, die es im Prinzip gar nicht gibt.
Dies gegen den Landwirtschaftsminister ins Feld zu
führen halte ich nicht für gut. Würden Sie mir also in der
Einschätzung Recht geben, dass diejenigen, die das
schreiben, an der Landwirtschaft null Komma null Interesse haben?
Herr Kollege Weisheit, ich
gebe Ihnen nicht Recht, und zwar deswegen nicht, weil
dieser Minister es nicht schafft, die Bedeutung der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit zu vermitteln. Könnte er
dies, wären die Umfrageergebnisse diesbezüglich anders.
Verehrter Herr Minister, ({0})
- die Menschen sind enttäuscht, weil Sie es nicht geschafft haben - wie in den übrigen Bereichen der Sozialversicherung -, für die landwirtschaftliche Sozialversicherung entsprechende Zuschüsse zu requirieren. Sie
haben zu verantworten, dass insbesondere in den unteren
Einkommensgruppen die Beiträge um bis zu 110 Prozent
gestiegen sind. Sie haben es zu verantworten, dass die Zuschüsse für die agrarsozialen Systeme um 719 Millionen DM gekürzt worden sind.
Auf der anderen Seite wird von dieser Bundesregierung - das will ich ja gar nicht kritisieren - der Zuschuss
in die Rentenkasse von 100 Milliarden DM im Jahre 1998
auf 137 Milliarden DM im Jahre 2001 erhöht. Auch an
diesen Zahlen erkennen wir den Stellenwert, den die
Landwirtschaft in dieser Bundesregierung hat, und auch,
welchen Stellenwert Ihr Ministerium in der Bundesregierung hat.
Die CDU/CSU fordert, zumindest die nicht mehr tragbare Belastung durch die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften abzumildern. Der überdurchschnittlich
hohe Anteil älterer Menschen in den landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaften führt zu enormen Beitragsbelastungen. Wir fordern deshalb, dass Sie die Kosten für diese
so genannten Altenlasten in Höhe von 850 Millionen DM
übernehmen. Dann könnte es zu einem Neuanfang mit erträglichen Beiträgen kommen.
Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 wurden die
Landwirte mit insgesamt 1,5 Milliarden DM belastet. Davon sind allein 400 Millionen DM durch eine willkürliche
Absenkung der Vorsteuerpauschale verursacht. Das war
schon damals ungerecht. Aber mittlerweile sind die Kosten, die die Bauern zu tragen haben, noch weiter gestiegen. Deshalb fordern wir eine Anhebung der Vorsteuerpauschale um 1 Prozent.
({1})
Wenn Sie jetzt sagen, die Bauern sollen die Vorsteuer einzeln verrechnen - also optieren -, dann ist das mehr als
zynisch. Sie wollen den Bauern weiteren Bürokratismus
aufbürden,
({2})
und dies in Anbetracht der ohnehin schon hohen Belastungen, die durch die Rindfleischetikettierung auf die Betriebe zukommen.
({3})
Herr Minister, den Gipfel für die Belastung der deutschen Landwirtschaft - es ist schon mehrfach angesprochen worden, dass die Belastung größer ist als für die
übrige Bevölkerung - stellt die Ökosteuer dar. Sie führt
zu Mehraufwendungen von über 1 Milliarde DM. Auf unseren Druck hin haben Sie es immerhin geschafft, die
Landwirtschaft zum produzierenden Gewerbe zu rechnen, allerdings verkannt, dass durch den Sockelbetrag von
1 000 DM pro Betrieb die Entlastung bei nur etwa 10 000
von einer halben Million Betrieben ankommt. Schon aus
Gleichheitsgründen wäre eine vollständige Befreiung von
der Ökosteuer gerechtfertigt.
Was aber macht diese Bundesregierung? Sie macht genau das Gegenteil. Mit der Senkung der Gasölverbilligung auf 30 Pfennige pro Liter und maximal 3 000 DM
pro Jahr sinkt das Einkommen der bäuerlichen Familien
nochmals. Sie steigern die Steuerbelastung für Diesel in
der Landwirtschaft von 21 Pfennigen 1998 auf 57 Pfennige am Ende der Ökosteuererhöhung. Dann behaupten
Sie noch, das sei eine Entlastung. Bei Gelegenheit sollten
Sie mir diese Logik einmal erklären.
Zu den steuerbedingten Preissteigerungen bei Treibstoff und Heizöl kommt die Preistreiberei der Erdölförderländer. Dagegen sind wir relativ machtlos; das will ich
gerne eingestehen. Aber die Tatsache, dass die jetzige Regierung den Euro ganz bewusst absaufen lässt, ({4})
- dessen Wert schon um fast 30 Prozent geringer ist als zu
Zeiten seiner Einführung, führt zu weiteren hausgemachten Erhöhungen der Energiekosten. Die Betriebe können
die Dimensionen dieser Einkommenseinbrüche nicht
mehr verkraften.
Ich will Ihnen dies an einem Beispiel verdeutlichen:
Nehmen wir einen Betrieb von 150 Hektar Fläche, der pro
Jahr etwa 20 000 Liter Diesel verbraucht. Bei Mehrkosten
von 70 Pfennig im Vergleich zu den Dieselpreisen Ende
1998, Anfang 1999 führt dies zu höheren Ausgaben von
14 000 DM. Sie haben zudem die Gasölverbilligung auf
3 000 DM reduziert. Früher, unter unserer Regierung,
hätte der Betreffende 8 000 DM erhalten. Also fehlen ihm
weitere 5 000 DM. Es entstehen also bereits jetzt höhere
Kosten von 19 000 DM. Verbraucht dieser Betrieb dann
noch 8 000 Liter Heizöl - Gartenbaubetriebe verbrauchen
wesentlich mehr -, dann hat er weitere Kosten von 5000 DM.
Das heißt unterm Strich, dieser landwirtschaftliche Betrieb hat pro Jahr höhere Kosten von 24 000 DM, dem
keine Mehreinnahmen gegenüberstehen.
({5})
Wir fordern deshalb von Ihnen - darin sind wir uns mit
dem Bauernverband einig - eine Absenkung der Dieselbesteuerung auf Heizölniveau - das sind dann 11 bzw.
12 Pfennig -, wie das bei unseren europäischen Kollegen
schon seit Jahren der Fall ist.
Herr Minister, es tut mir Leid, dass ich in der Kürze der
Zeit nicht auf alle Ihre Fehltaten hinweisen kann. Es ist
schon schlimm genug, dass man hier überhaupt nicht über
die Perspektiven der Agrarpolitik sprechen kann.
Ich komme deshalb zum Schluss zum Anfang meiner
Rede zurück: Die rot-grüne Koalition ist zu einem unkalkulierbaren Risiko für die deutsche Landwirtschaft geworden. Die deutschen Bauern hätten wahrlich eine bessere Regierung verdient.
({6})
Zu einer Kurzintervention erhält jetzt die Kollegin Höfken das Wort.
Ich
möchte noch etwas richtig stellen. Als der Minister vorhin
sagte, die Stimmung sei gut, meinte er natürlich nicht die
aktuellen Auseinandersetzungen über die Energiepreise,
sondern ganz andere Entwicklungen.
Erstens. Die Erzeugerpreise sind zum Teil sehr gut.
({0})
Es gibt in einigen Bereichen Überkompensationen. Der
Weltmarktpreis für Zucker beispielsweise hat sich verdoppelt. Entsprechend gibt es auf diesem Gebiet - auch
wenn das Gejammer über die Agenda 2000 groß ist durchaus eine Verbesserung.
Zweitens. Die Landwirtschaft profitiert bei etwa
60 Prozent ihres Einkommens von Transferleistungen.
Die Energiekosten machen gerade einmal etwa 3 Prozent
aus. Ich denke, das ist durchaus in Relation zu stellen zu
dem, was hier in diesem Zusammenhang immer erwähnt
wird.
Drittens. Der Strom ist erheblich billiger geworden.
({1})
Es wurden Erzeugergemeinschaften gebildet. Ich bitte,
das gegenzurechnen. Darüber hinaus zählt der Gartenbau
zum produzierenden Gewerbe und hat, wie Herr Bleser
richtig gesagt hat, bis zu einer Schwelle von 1 000 DM
Ökosteuer auf seinen Energieverbrauch zu zahlen. Über
diesen Betrag hinaus muss er keine Ökosteuer zahlen.
Auch wenn wir etwas tun wollen, um die Energiekosten zu senken - das ist mein letzter Punkt -, ist festzustellen: Es gibt in der Landwirtschaft und im Gartenbau viel
mehr als in anderen Wirtschaftsbereichen die Möglichkeit, Biodiesel, Biogas, Biomasse, Pflanzenöle und sonstige erneuerbare Energien wie zum Beispiel Sonne über
Solaranlagen, zu nutzen. Nicht nur eine Energiekostensenkung, sondern auch eine Einkommenserzielung ist
hier in hohem Maße möglich. Das wollen wir verstärkt
fördern. Ich denke, da bestehen Chancen.
In der „Süddeutschen Zeitung“ war die Berechnung zu
lesen, dass der Erdölpreis auf 90 Pfennig steigt. Dazu
kann man nur sagen: Genau das ist die richtige Politik, um
für die Zukunft gewappnet zu sein und sich von der
Abhängigkeit vom Erdöl und von dessen unheilvollen
Emissionen zu lösen.
({2})
Frau Kollegin Höfken, ich
weiß nicht, woher Sie die Zahlen haben. Fragen Sie erstens einmal die Getreidebauern, die in diesem Jahr aufgrund der veränderten Interventionskriterien geringere
Feuchtigkeitsgehalte beim Getreide einhalten mussten
bzw. mit hohen Energiekosten dafür sorgen mussten,
dass das Getreide diesen Feuchtigkeitsgehalt überhaupt
erreichte, ob sie Mehrerlöse erzielt haben oder Mindererlöse hinnehmen mussten. Sie werden sehr schnell feststellen, dass Ihre Aussage definitiv falsch ist.
Zweitens. Ich habe nicht verstanden, wie Sie auf den
Energiekostenanteil in Höhe von 3 Prozent bei den bäuerlichen Betrieben gekommen sind. Ich habe Ihnen doch
gerade die Zahlen genannt. 24 000 DM Mehrkosten sind
wesentlich mehr als 3 Prozent. Auch diese Zahl ist definitiv falsch.
Das Dritte ist der Hinweis darauf, dass die Strompreise gesunken sind. Zunächst einmal sage ich: Wir haben die Liberalisierung auf dem Strommarkt eingeführt.
({0})
Aber auch hier haben Sie die Ökosteuer draufgeschlagen
und es wird nicht mehr lange dauern, bis auch diese Vorteile von Ihnen wegbesteuert werden.
({1})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Waltraud Wolff.
Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will es
mir ersparen, auf die Polemik der Opposition einzugehen,
({0})
und nur sagen, dass ich es äußerst bedauerlich finde, dass
Sie bei den einführenden Worten von Bundesminister
Funke nicht aufgepasst haben. Da hätten Sie Klartext
hören können. Ich glaube, das wäre richtig gewesen.
({1})
Ich möchte noch einige Worte zum Kollegen Bleser sagen. Sie haben mir einmal erzählt: Ein Bauernkind bekommt nach der Geburt als erstes einen Stein auf die Brust
gelegt, damit es ordentlich stöhnen lernt. Heute habe ich
gedacht, Sie hätten Ihren Stein mit hergebracht, Herr
Bleser.
({2})
Ich komme jetzt zum Haushalt 2001, weil auch meine
Redezeit nicht unbegrenzt ist. Für mich wird mit der Einbringung des Haushalts 2001 wieder ein Teil des Koalitionsvertrags eingelöst. Schauen Sie sich den Koalitionsvertrag an. Da steht auf Seite 1 ganz weit oben:
Sanierung der Staatsfinanzen. Auch das muss an dieser
Stelle noch einmal deutlich gesagt werden; denn die Menschen im Land haben das verstanden.
Auch die Landwirtschaft konnte von einem Beitrag zur
Finanzierung der Entlastung des Bundeshaushalts nicht
ausgenommen werden. Das ist schmerzlich, aber jeder
Haushalt musste Einsparungen erbringen. Trotzdem ist es
uns gelungen, überproportionale Belastungen der Landwirtschaft zu verhindern.
({3})
Zwar stellen Vertreter des Berufsstands das in der Öffentlichkeit immer wieder gern ein bisschen anders dar, aber
es muss dennoch eindeutig festgestellt werden, dass die
700 Millionen DM, die wir zur Verbilligung des Agrardiesels einsetzen, einen großen Teil der Belastungen in
der Landwirtschaft ausgleichen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele haben sich
schon zu den Einnahmen aus der Versteigerung der
UMTS-Lizenzen geäußert. Auch ich hätte ganz tolle
Ideen, wie wir dieses Geld verbraten könnten, aber mit einer Last von 1,5 Billionen DM Staatsschulden, die wir
übernommen haben, konnten wir das natürlich nicht.
({5})
Es nützt also überhaupt nichts, hier Wünsche und Fantasien zu äußern; denn Realismus ist gefragt.
Innerhalb des Bundeshaushalts hat der Einzelplan 10
- Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - ein Volumen
von fast 11 Milliarden DM. Davon ist der Löwenanteil
von etwa 7,6 Milliarden DM für die landwirtschaftliche
Sozialpolitik. Auch dazu ist schon vieles gesagt worden.
Der zweite ausgesprochen wichtige Posten ist der Bundesanteil zur Finanzierung der GAK. Wir werden das Niveau des Bundeszuschusses beibehalten, um auch künftig
die EU-Mittel in vollem Umfang nutzen zu können.
Inhaltlich unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich die Aussagen des Bundesministers; denn die
Entwicklung der ländlichen Räume ist für uns ein ganz
elementares Anliegen.
Nach der Verabschiedung des Agrardieselgesetzes
zum 1. Januar 2001 wird die Summe von 375 Millionen DM für die Gasölverbilligung letztmalig eingestellt.
Dann verbleiben sie komplett im Agrarhaushalt und wir
können damit den Bundeszuschuss zur GAK stabil halten,
im Jahre 2002 sogar anheben.
Mit der Festschreibung des ermäßigten Steuersatzes
auf 57 Pfennig je Liter Diesel - dazu haben wir jetzt auch
schon mehrere gehört -, der ausschließlich der Landwirtschaft eingeräumt wird, werden die Landwirte praktisch von der Ökosteuer ausgenommen. Die Opposition,
die sich hier hinstellt und unter Verweis auf die hohen
Dieselpreise weitergehende Maßnahmen fordert - das ist
für mich ganz eindeutig -, muss erst einmal darlegen, wie
sie das finanzieren will.
({6})
Außerdem müssen Sie sich fragen lassen, was die frühere
Bundesregierung denn getan hat, um die großen Unterschiede bei den Dieselbezugskosten für die Landwirte in
der EU auszugleichen.
({7})
In all den Jahren Ihrer Regierungszeit haben Sie, meine
Damen und Herren von der Opposition, hier nämlich
nichts erreicht. Sie haben die Fragen nicht einmal öffentlich gestellt. Wir aber diskutieren über jeden einzelnen
Pfennig.
({8})
Wichtige politische Ziele wie die Förderung biogener
Treib- und Schmierstoffe wurden erst von unserer Regierung aufgegriffen. Der Etat für diese Maßnahmen wird im
nächsten Jahr auf 20 Millionen DM erhöht. Für die Förderung nachwachsender Rohstoffe - eine wichtige Investition in die Zukunft - sind konstant 51 Millionen DM bis
2004 eingeplant. Wir haben mit dem Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien eine wirksame Förderung
der energetischen Nutzung von Biomasse geschaffen und das trotz Sparhaushalt.
Bei nachwachsenden Rohstoffen fällt mir natürlich sofort die EU-Marktordnung für Faserflachs und Hanf ein.
Dabei haben wir in einem Paradestück bewiesen, dass
sich gemeinsames Handeln lohnt. Länder, Bund und unsere EU-Abgeordneten haben sich konsequent für eine
kompromissfähige Lösung in Bezug auf Deutschland eingesetzt.
({9})
- Erst nachdem ich Sie im Ausschuss darauf hingewiesen
habe. Vorher hat kein Mensch darüber Bescheid gewusst.
Keiner hat davon geredet.
({10})
Dank Minister Funke haben wir das dann auch durchgesetzt.
Zur Einbringung des Haushaltes kann man hier nur die
Eckdaten benennen. Aber ich kann natürlich nicht von
diesem Pult weggehen, ohne noch einmal auf die agrarsoziale Sicherung einzugehen. Unser wichtigstes Anliegen ist es, ein eigenständiges Sicherungssystem in der
Landwirtschaft zu erhalten. Sie alle und auch die betroffenen Versicherten wissen, dass die stets steigenden Aufwendungen des Bundes für die landwirtschaftliche Sozialversicherung weder wirtschaftlich noch dem
Steuerzahler gegenüber vertretbar sind. Deshalb werden
wir noch in diesem Jahr den Gesetzentwurf zur Neuorganisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in
den Bundestag einbringen.
({11})
Gleichzeitig wissen wir natürlich auch um die großen
Probleme in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Hier haben sich der Berufsstand und auch die Versicherer eine zeitgleiche Bearbeitung erhofft; sie haben
das auch ganz deutlich gemacht. Aber an dieser Stelle will
ich noch einmal mit Nachdruck sagen, dass beides nicht
miteinander verquickt werden kann. Wir nehmen jetzt
zwar die verschiedenen Modelle auf und beschäftigen uns
inhaltlich damit, aber man muss natürlich klipp und klar
sagen: Das A und O ist die Neuorganisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Diese muss zuerst umgesetzt werden; nicht eher kann die Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung gelingen.
({12})
Vom Reformstau der alten Bundesregierung ist in diesen Tagen schon mehrfach die Rede gewesen. Beide eben
genannten Reformen gehören auch in diese lange Reihe.
({13})
- Herr Deß, Sie wissen das ganz genau. Wir werden die
Reformen umsetzen, aber sorgfältig und nacheinander.
({14})
Zum Schluss möchte ich noch auf einen kleineren
Haushaltstitel eingehen, der mir persönlich aber sehr
wichtig gewesen ist und über den ich auch sehr froh bin:
Dies ist die Billigkeitsregelung für Kartoffelexporte
nach Rumänien. Sie werden sich vielleicht wundern,
aber auch das ist eine Sache, die die alte Regierung längst
hätte abarbeiten müssen.
({15})
Es geht um getätigte Kartoffellieferungen aus der ehemaligen DDR nach Rumänien. Bis heute warten die Landwirtschaftsbetriebe auf ihre Bezahlung, und das nur, weil
in Ihrem Verrechnungssystem die Genehmigungen nicht
erteilt wurden. Hier reparieren wir mit 1,7 Millionen DM
und zehn Jahren Verspätung eine Regelung, die echte Härten zur Folge hatte. Damit erfüllen wir ein Versprechen
gegenüber den betroffenen Betrieben. Das Kapitel „Kartoffelexporte nach Rumänien“ kann endlich abgeschlossen werden.
Waltraud Wolff ({16})
Meine Damen und Herren, heute findet die erste Lesung des Haushaltes statt. Nun beginnt auch die eigentliche Arbeit. Ich fordere Sie alle dazu auf, konstruktiv im
Sinne der Landwirtschaft mitzuarbeiten.
Danke.
({17})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Schindler, nach meiner
Liste der letzte Redner in dieser Debatte.
Guten Abend, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute wird der Haushalt für das Jahr
2001 eingebracht. Herr Minister Funke, wenn man die
letzten zwei Jahre - es ist Halbzeit dieser Legislaturperiode - und nun diesen Haushalt betrachtet, ist eigentlich
festzustellen, dass der deutschen Landwirtschaft kein Signal zur Zukunftssicherung gegeben wird. Die Veränderungen in Höhe von 5 Milliarden DM durch politische Beschlüsse von der Agenda bis zur Steuerbelastung, die
natürlich Sie zu verantworten haben, sind zum Schaden
der deutschen Landwirtschaft. Dies sind keine guten Zwischenbilanzergebnisse, eigentlich ist es eine Bankrotterklärung.
({0})
Sie, die Regierung, stellen dar, die augenblickliche Situation draußen auf den Straßen schlage in Stimmung um.
Wenn man dies staatspolitisch sieht, könnte es eine sehr
gefährliche Entwicklung geben.
({1})
Sie haben hier heute behauptet, die Stimmung in der
deutschen Landwirtschaft sei ausgesprochen positiv.
Also, Herr Minister, dann fahren Sie nach Rostock, dann
fahren Sie nach Heilbronn, dann fahren Sie nach
München.
({2})
Dort herrschte in den letzten 24 Stunden nicht der organisierte Zorn. Es waren die Bauern, die ihre Verbände
drängten: Ihr müsst Autobahnen blockieren.
Wie schwer ist es, diesen Zorn über diese hohen Treibstoffpreise zurückzuhalten! Die betreffen neben den
Landwirten auch die übrige Republik: die Spediteure, die
Mieter, die in einem halben Jahr Gasölrechnungen zu bezahlen haben, den normalen Autofahrer. Sie sind durch
leichtfertiges Runterreden des Euro gegenüber dem
Dollar betroffen. Es ist noch keine acht bis zehn Tage her,
als der Bundeskanzler etwas locker über die Wertbeziehung zwischen Euro und Dollar gesprochen hat. Es
kommt hinzu, dass der innereuropäische Diesel- und Benzinpreis enorm angestiegen ist.
Jetzt ziehe ich einen Vergleich innerhalb der Europäischen Union. Wir haben mit dem Euro eine Verrechnungseinheit. 1998/99 lag der Dieselölpreis für die Landwirtschaft bei 1,10 DM. Wir bekamen eine Verbilligung
um 42 Pfennig, weil wir unseren Diesel auf den Äckern
und nicht auf den Straßen verbrennen. Heute kostet der
Liter Diesel 1,80 DM. Wenn ich den Sockelbetrag in Höhe
von 3 000 DM umlege, entspricht das einer Verbilligung
von derzeit durchschnittlich 30 Pfennig. Dabei bin ich
noch großzügig. So komme ich auf circa 1,40 DM. Die
Franzosen liegen im Vergleich 80 Pfennig billiger, wenn
wir die von ihnen errungene Verbilligung der Treibstoffkosten von 16 Pfennig auf 11 Pfennig, und dies rückwirkend zum 1. Januar 2000, in die Rechnung einbeziehen.
Was derzeit, in diesen Stunden, in diesen Tagen, in der
Landwirtschaft an Stimmung herrscht, wie sich der Zorn
draußen auflädt! Wir reden hier nicht als Opposition. Das
ist keine verantwortungslose Hetze, wie das auch gestern
hier im Plenum zum Teil gesagt wurde. Sie gehen nicht
fair mit diesen Menschen um.
Es ist der Zorn aller Mitbürgerinnen, aller Bürger darüber, hier unnötig Preispolitik betrieben wird und - jetzt
kommt der große Hammer - auch der Diesel in Höhe von
12 Pfennig mit der Ökosteuer belastet wird.
Wir kriegen vielleicht eine Gasölverbilligung hin
- wir müssen warten, wie die Regierungsvorlage aussieht -, mit der der Anstieg durch die Ökosteuer ausgeglichen wird. Die alte Gasölverbilligung ist zweckentfremdet, weggezogen worden. Ich erinnere noch einmal daran:
Von der alten Regierung wurde uns dies immer wieder erhalten, weil wir unseren Diesel auf den Feldern verbrennen.
Was aufgrund der Belastungen durch Ökosteuer und
Heizölkosten derzeit beim deutschen Gartenbau, gerade
an der Rheinschiene, im Westen, an der Grenze zu
Holland abläuft, das spricht Bände. Belastungen in Höhe
von 80 bis 120 DM pro Hektar landwirtschaftlicher
Fläche und Jahr führen zu einer Wettbewerbsverzerrung
und zu keiner guten Stimmung.
Der Haushalt gibt keine Antwort auf die Fragen der
Agrarstrukturreform. In den nächsten Wochen soll in
diesem Haus über die Sozialversicherungsträger diskutiert und beschlossen werden. Herr Minister Funke, wo
bleibt der Ansatz zur Übernahme der „alten Last“, damit
man wirklich reformieren kann, wie es in der mittelfristigen Finanzplanung zum Jahre 2004 vorgesehen ist? Man
kann unmöglich eine Fusion der Träger aus RheinlandPfalz, Hessen und dem Saarland beschließen, wenn sie
mit Beitragssteigerungen verbunden ist. Das können wir
beim besten Willen nicht akzeptieren. Hier muss haushaltspolitisch eine Antwort auf den massiven Strukturwandel und das infolge Ihrer Politik erfolgte rasante
Höfesterben gegeben werden, damit nicht Lasten unwahrscheinlichen Ausmaßes auf die noch in der Produktion stehenden Betriebe abgewälzt werden müssen. Derzeit muss ein bäuerlicher Betrieb Mehrkosten für Dieselöl
von 5 000 bis 25 000 DM - Sie hören richtig - und Berufsgenossenschaftsbeiträge von 7 000 bis 18 000 DM finanzieren, was einen erheblichen Anteil an der „alten
Last“ enthält, obwohl sich viele Kinder aus bäuerlichen
Waltraud Wolff ({3})
Familien, was eine politische Notwendigkeit war, als qualifizierte Arbeitskräfte in die übrige Gesellschaft eingebracht haben. Hier mahne ich einen höheren Haushaltsansatz an, um die Sozialversicherungsreform auf den Weg
bringen zu können. Die Mittel aus der Ökosteuer wurden
in die Rentenversicherung eingebracht, nicht aber in die
landwirtschaftlichen Alterskassen.
Dass jeder Betrieb automatisch mit 1 000 DM Ökosteuer dabei ist, obwohl die Lohnnebenkosten in der
Landwirtschaft nicht gesenkt wurden, ist auch ein Ergebnis Ihrer Beschlüsse. Ich weiß nicht, wie die Landwirtschaft, aber auch die Spediteure und die übrige Wirtschaft
den Strukturwandel durchhalten sollen. Hier ist die Politik wirklich gefragt. Bundeskanzler Schröder hat gestern
an dieser Stelle verkündet, über Maßnahmen in dem einen
oder anderen Bereich nachdenken zu wollen, und damit
Hoffnungen geweckt. Er muss schnell eine Antwort auf
die Frage geben, wie wir entlastet werden.
Die Ökosteuer auf der einen Seite und die Entlastung
für uns Bauern auf der anderen Seite sind in diesen Tagen
ein Generalthema; da hat der Kollege Heinrich absolut
Recht. Wie halten wir es mit dem Zorn nicht nur bei der
normalen Bevölkerung, sondern auch bei uns Bauern?
Wir tragen hier eine hohe politische Verantwortung. Die
Bundesregierung muss sich dieser Verantwortung mittelund langfristig stellen. Herr Minister Funke, Herr Staatssekretär Thalheim, liebe Kollegen von der Regierungskoalition, wir sind gerne bereit, konstruktiv mitzuarbeiten.
Aber dieser Haushaltsansatz ist bei weitem nicht genug.
Es stehen uns schlimme Zeiten bevor.
Vielen Dank.
({4})
Danke schön.
Weitere Wortmeldungen für die heutige Sitzung liegen
nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 15. September 2000, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen und den
Besuchern auf den Tribünen einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.