Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Struck, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollege Glos hat viel über den Begriff Weltstaatsmann geredet. Sie haben sich darüber mächtig amüsiert. Dazu möchte ich Ihnen ein paar Fakten nennen.
Es gibt in New York eine Stiftung, die diesen Preis verliehen hat, die Appeal of Conscience Foundation. Die
Stiftung ist im Jahre 1965 von Rabbi Arthur Schneier
gegründet worden. Sie setzt sich - hören Sie bitte genau
zu - für Menschenrechte und religiöse Toleranz ein. Dass
Gerhard Schröder diese Ehre zusammen mit Vorgängern
wie Juan Carlos, Hans-Dietrich Genscher, Vaclav Havel
und Romano Prodi erhalten hat, hat etwas mit dem Engagement des Bundeskanzlers für Menschenrechte und religiöse Toleranz in unserem Land und im Verhältnis zu Österreich zu tun.
({0})
Wir haben überhaupt keinen Grund, dem Bundeskanzler zu dieser Ehre nicht zu gratulieren. Wir tun das hiermit
und wir sind stolz darauf, dass ein deutscher Bundeskanzler diesen Preis erhalten hat.
({1})
Herr Kollege Glos, es ist Ihnen in einem oder in zwei
Sätzen - ich muss sagen: glücklicherweise - noch gelungen, zu einem Thema zu sprechen, das uns in den Sommermonaten mehr als vielleicht manches andere bewegt
hat. Rechtsextremistische Gewalttaten und Pöbeleien
haben in den Sommermonaten zu einer Debatte über rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen in unserer
Gesellschaft geführt.
({2})
Diese Debatte kommt spät, aber nicht zu spät. Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Intoleranz dürfen und werden wir in unserem Lande nicht dulden.
({3})
Sie verstoßen gegen die Würde des Menschen und schädigen unser Ansehen in der Welt. Sie müssen mit Nachdruck bekämpft werden. Die Bundesregierung und die
Michael Glos
Landesregierungen haben bei der Bekämpfung des
Rechtsextremismus unsere volle Unterstützung.
({4})
Wir sind bereit, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Wir werden das Verbot der NPD unterstützen, wenn
die entsprechende Prüfung zu einem positiven Ergebnis
kommt.
Ich widerspreche ausdrücklich all jenen, die, wie der
sächsische Ministerpräsident Biedenkopf, sagen: Ein Verbot der NPD bringt nichts. - Ein Verbot der NPD bringt
dann nichts, wenn man glaubt, damit den Rechtsradikalismus beseitigt zu haben. Das ist wahr. Es bringt aber sehr
viel, wenn gleichzeitig deutlich wird, dass rechtsextremistische Ideologien nicht gesellschaftsfähig sind und auf allen Ebenen, auf denen das möglich ist, geächtet werden.
({5})
Ich begrüße in diesem Zusammenhang nachdrücklich
die Bereitschaft der deutschen Wirtschaft, sich aktiv an
der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu
beteiligen. Dazu gehört dann aber auch, dass die Wirtschaft nun endlich ihren Anteil an der Stiftung für die Entschädigung der Zwangsarbeiter vollständig erbringt.
({6})
SPD und Grüne haben bereits im Juni einen umfassenden gemeinsamen Antrag gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt verabschiedet, in dem alles Notwendige steht. Er ist in diesem
Hause diskutiert worden. Er ist zwar nicht überall wirklich wahrgenommen worden - vielleicht, weil er sehr früh
kam -, aber jetzt wissen wir: Er ist nicht zu früh gekommen.
Wir werden die rechtsradikalen Tendenzen nur dann
eindämmen und in den Griff bekommen, wenn es uns
langfristig gelingt, den jungen Menschen in unserem
Land eine berufliche und soziale Zukunftsperspektive mit
sinnvollen Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Deshalb
bleibt unsere Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik von so
eminenter Bedeutung und deshalb werden wir sie fortsetzen und ausbauen.
({7})
Ich habe eigentlich erwartet, dass die CDU-Vorsitzende die Chance nutzt, um dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit endlich einmal die Alternativen der
Opposition offen zu legen. Aber Frau Merkel ist wohl
vollauf damit beschäftigt, als Platzanweiserin die zerstrittenen Granden ihrer Partei zu platzieren.
({8})
Stattdessen hat der Kollege Glos hier sein übliches Kasperletheater abgezogen. Um das noch einzufügen: Wenn
Sie, Herr Glos, von einem „Parteibuchstaat“ sprechen,
dann ist das, wie wenn man den Bock zum Gärtner macht.
Denn was die CSU von Parteibuch versteht, das wissen
wir alle in unserem Land.
({9})
Wenn Ihre Rede, Herr Kollege Glos, die groß angekündigte Herbstoffensive der Opposition gewesen sein
soll, dann sehe ich dem mit größter Gelassenheit entgegen.
({10})
Denn zur Halbzeit unserer Legislaturperiode - dass wir in
der Halbzeit unserer Legislaturperiode sind, war das einzig Richtige, was Sie in diesem Zusammenhang gesagt
haben - befindet sich unser Land auf einem breit angelegten Konsolidierungskurs: Die Arbeitslosigkeit sinkt,
die Wirtschaft läuft, die Staatsverschuldung wird abgebaut, der Reformstau in Deutschland ist aufgelöst. Der
Helmut Kohl’sche Stillstand ist vorbei und darauf sind wir
stolz.
({11})
Das Jahr 2000 ist trotz der aktuellen Ereignisse, auf die
ich noch zu sprechen komme, ein gutes Jahr für Deutschland. Wir haben mit dem Haushalt 2001 die Stellschrauben gestellt, damit das nächste Jahr ein noch besseres Jahr
für unser Land werden kann.
({12})
Dann nämlich tritt die nächste Stufe unserer Steuerreform in Kraft.
({13})
Sie, Herr Kollege Glos, rechnen immer Steuerreformen
genau so, wie Sie es haben wollen. Die letzten Stufen vergessen Sie, wenn Sie anfangen zu rechnen, was Sie ja ohnehin nicht können. Diese Steuerreform bringt die größte
Entlastung, die es jemals in der Bundesrepublik gegeben
hat. Wir haben sie vorgezogen, damit sie ihre Wirkung
möglichst schnell entfaltet, damit Kaufkraft gestärkt, Beschäftigung gefördert und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie mittelständische Betriebe entlastet werden.
Wir haben sie vorgezogen, damit es Deutschland schon im
Jahre 2001 besser geht als noch im Jahre 2000.
({14})
Interessant ist, was der Kollege Merz vor einem Jahr
- damals noch Fraktions-Vize - in der Haushaltsdebatte
an diesem Ort zu diesem Thema gesagt hat. Ich zitiere:
Wir sind sogar bereit, mit Ihnen zusammen ein
Versprechen einzuhalten, das Sie und nicht wir abgegeben haben, nämlich eine solche Steuerreform mit
einer Nettoentlastung zum 1. Januar 2000 kurzfristig
in Kraft zu setzen. Das ist möglich. Wenn es gelänge,
dann ginge ein wirklicher Ruck für mehr Wachstum,
für mehr Beschäftigung und für mehr Arbeitsplätze
durch dieses Land.
Sie haben Recht gehabt, Herr Merz, es ist ein Ruck für
mehr Arbeitsplätze und mehr Beschäftigung durch unser
Land gegangen.
({15})
Sie haben da für einen kurzen Augenblick den Durchblick
gehabt, der Ihnen dann später bei der Behandlung dieser
Reformen an allen Ecken und Enden gefehlt hat.
({16})
Dieser Durchblick hat Ihnen vor allen Dingen in dramatischer Weise gefehlt, als Sie die Länder im Bundesrat zur
Blockade anstiften wollten.
({17})
Dieser Tag im Bundesrat, dieser 14. Juli, war ohne jeden
Zweifel vorläufiger Höhepunkt des Verlustes von jedweder finanzpolitischer Glaubwürdigkeit der CDU/CSU.
({18})
Da hat sich gezeigt: Sie können nicht mit Geld umgehen
oder - noch genauer - nicht anständig mit Geld umgehen.
Auf das Thema komme ich auch noch zu sprechen.
({19})
Das haben Sie auch in den letzten Wochen bewiesen,
als Sie über die Versteigerungsmilliarden schwadroniert
haben. Ich habe mir einmal zusammenstellen lassen, wer
von Ihnen was dazu alles gesagt hat. Vollständige Verwendung zum Schuldenabbau - sagen Merz und Merkel.
Infrastrukturaufbau - CDU-Parteitagsbeschluss. Steuern
senken, Milliarden an die Bundeswehr geben, 30 Milliarden DM den Postpensionskassen, den Ländern Geld geben, Unternehmen entlasten, den Soli abschaffen, die
Infrastruktur verbessern und die Konjunktur beleben
- das hat Ihr haushaltspolitischer Sprecher alles in einer
Woche hintereinander zur Verwendung der UMTS-Erlöse
gesagt. Das zeigt doch Ihre Qualifikation, Herr Kollege.
({20})
Forschungsinvestitionen, Geld für die Länder, Geld für
die Gemeinden, mehr Verkehrsinvestitionen, Steuersenkungen, mehr Familiengeld, Mittelstandsförderung,
Schuldenabbau,
({21})
Solisenkung, Investitionshilfen - das hat die CSU gefordert. Viele Stimmen, ein heilloses Durcheinander: Bei
dem Chaos ist völlig klar, wieso Sie uns Schulden in Billionenhöhe hinterlassen haben.
({22})
- Ich hatte von Billionen gesprochen, damit das nicht
falsch verstanden wird.
Sie können nicht mit Geld umgehen. Deshalb dürfen
wir Ihnen das auch nicht anvertrauen. Wir werden auch
dafür sorgen, dass Sie nicht die Verantwortung für Geld in
unserem Land bekommen.
({23})
Solidität, soziale Gerechtigkeit sind die Markenzeichen unserer Finanz- und Steuerpolitik.
({24})
Diese Markenzeichen verbinden inzwischen alle Bevölkerungskreise mit unserer Politik. Bei allen Meinungsforschungsinstituten liegt die SPD bezüglich ihrer wirtschafts- und finanzpolitischen Kompetenz weit, weit
vor der Union. Das hat Gründe. Ich will nur drei herausgreifen.
Erstens. Jeder in unserem Land weiß inzwischen, dass
CDU/CSU und F.D.P. für die höchste Staatsverschuldung, die höchste Steuerbelastung und die höchsten Sozialbeiträge verantwortlich waren. Sie haben damit Arbeitsplätze, die Wirtschaft und die Schaffenskraft unseres
Landes sowie die Zukunft unserer Kinder leichtfertig aufs
Spiel gesetzt.
({25})
Das war die Vergangenheit. Aber Sie machen so weiter. Sie können nicht umdenken; Sie können ja auch nicht
mit Geld umgehen. In der ersten Hälfte dieser Periode haben Sie in diesem Haus Anträge gestellt, deren Finanzvolumen über 50 Milliarden DM umfasst. Für Sie typisch
ist, dass alle Anträge ohne Deckungsvorschläge waren,
frei nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, versprechen
wir jedem alles völlig ungeniert. - So kann man nicht Politik machen und wir wollen das auch nicht.
({26})
Zweites Beispiel. Sie haben die Senkung des Spitzensteuersatzes über das jetzt beschlossene Maß hinaus gefordert. Das hätte 33 Milliarden DM mehr gekostet. Länder, Gemeinden und Bund hätten entsprechend weniger
Steuereinnahmen gehabt. Dafür haben Sie keinen
Deckungsvorschlag gemacht. Es war der reine, nackte Populismus, eine unverantwortliche finanzielle Forderung,
die Sie in diesem Hause aufgestellt haben.
({27})
Sie können eben nicht mit Geld umgehen.
Dritter Punkt. Ich hatte bis eben das Vergnügen, dass
der Kollege Kohl im Plenum war. Nun ist er nicht mehr
da.
({28})
- Ist er noch da?
({29})
Herr Kollege Kohl, Ihre Fraktion hat also die Frage Ihrer Sitzreihe geklärt.
({30})
Das ist aber so ziemlich das Einzige, was Sie derzeit auf
die Reihe kriegen, meine Damen und Herren.
({31})
Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Es wäre für dieses Haus und auch für Ihre eigene Fraktion besser, Herr
Kollege Kohl, wenn Sie diesen Sitz nicht mehr beanspruchen würden, wenn Sie diesem Parlament nicht mehr angehören würden!
({32})
Ihr Verhalten und Ihre Weigerung aufzuklären, Ihre unverschämten Auftritte nach dem und vor dem Untersuchungsausschuss, Ihre Weigerung, Namen zu nennen, und
Ihre nach wie vor bestehende Uneinsichtigkeit, dass Sie
Gesetze gebrochen haben und das nicht akzeptieren wollen, hat Sie zu einer Belastung für uns alle in diesem Parlament gemacht. Sie haben in diesem Parlament keinen
Sitz mehr.
({33})
Ihre neue Partei- und Fraktionsführung hat in diesem
Zusammenhang von einer Rückkehr zur Normalität gesprochen. Zu welcher Normalität denn? Zur Normalität anonymer Millionenspenden? Zur Normalität von
Schäuble gegen Baumeister? Zur Normalität staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen die CDU rund um
die Uhr? Ich sehe noch lange keine Normalität, im Gegenteil: Die weitere Anwesenheit von Herrn Kohl verhindert sie!
({34})
Wer wie Sie glaubt, Gesetzesverstöße durch beharrliches Schweigen aussitzen zu können, sollte sich eine Sitzgelegenheit außerhalb des Parlaments suchen,
({35})
und dies umso mehr, Herr Kollege Kohl, als sich die Hinweise verdichten, dass Sie nicht nur Nutznießer, sondern
vielleicht sogar der Erfinder schwarzer Kassen waren.
({36})
Ähnliches gilt für Herrn Koch in Hessen, der sich immer mehr als gelehriger Schüler von Herrn Kohl erweist.
Es gibt nur eine saubere politische Lösung in Hessen:
Neuwahlen!
({37})
Und wenn sich die F.D.P. weiter an Herrn Koch und seine
Union klammert, statt für einen Neubeginn zu sorgen,
wird sie ebenfalls schweren Schaden nehmen. Aber das
wissen Sie, Herr Kollege Gerhardt, besser als ich.
({38})
Niemand von uns hat, als der Kollege Kohl hier im
Bundestag nur eine Zwischenfrage stellte, geahnt, was daraus werden würde, dass der Spendenskandal der CDU
solche Ausmaße annehmen könnte. Eines aber hat der
Spendenskandal inzwischen überdeutlich bestätigt: Die
CDU kann nicht anständig mit Geld umgehen.
({39})
Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zur Arbeit des
Untersuchungsausschusses sagen. Durch seine Arbeit
sind bereits zahlreiche Sachverhalte aufgedeckt oder Anstöße zur Aufdeckung gegeben worden.
({40})
Vor allem aber hat der Ausschuss durch seine Arbeit verhindert, die CDU-Skandale in Vergessenheit geraten zu
lassen. Die Rechnung der Union, die Dinge unter den Teppich zu kehren, ist nicht aufgegangen. Das ist gut so.
({41})
Allerdings wird die Beweisaufnahme des Ausschusses
massiv behindert.
({42})
Statt des verkündeten Prinzips „brutalstmögliche Aufklärung“ pflegt die CDU das Prinzip der konsequenten
Aufklärungsverweigerung. Ich nenne hier nur die Vernichtung und das Verschwinden wichtiger Akten. Es ist
ein für unser Land undenkbarer Vorgang, dass - dieser
Punkt ist unstrittig - in der Verantwortung eines Kanzlers
und eines Kanzleramtministers Akten vernichtet worden
sind. Undenkbar!
({43})
Der kollektive Gedächtnisverlust zahlreicher Zeugen aus
den Reihen der CDU - wenn sie sich überhaupt zur Aussage entschließen - ist schon eigenartig.
Neben dem Untersuchungsausschuss des Deutschen
Bundestages sind inzwischen zig Staatsanwaltschaften,
Gerichte und Behörden dabei, Licht ins Dunkel der Unionsmachenschaften zu bringen. Ich will diese Stellen einmal aufzählen, damit man weiß, was in Deutschland alles
im Zusammenhang mit der CDU-Spendenaffäre passiert:
Staatsanwaltschaften Augsburg, Wiesbaden, Bonn, Düsseldorf, Saarbrücken, Berlin, Bochum und Genf; Ermittlungsbehörde Paris; Steuerfahndung Augsburg, Düsseldorf, Darmstadt und in Rheinland-Pfalz. Außerdem
laufen wegen des Aktenschwundes und der Datenvernichtung im Kanzleramt unter Ihrer Verantwortung, Herr
Kohl, Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter.
Ich weiß nicht, wie viele Staatsanwaltschaften in den
großen Mafiaprozessen in Italien involviert waren. Aber
viel mehr können es auch nicht gewesen sein.
({44})
Ich benutze den Begriff Mafia, weil der ehemalige CDUParteivorsitzende und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende,
Wolfgang Schäuble, die Vorgänge in der Union mit Tatbeständen in der organisierten Kriminalität verglichen hat
({45})
und weil in seiner Umgebung von Mafia gesprochen
wurde. Das ist nicht meine Wortwahl, sondern die von
Herrn Schäuble.
Meine Damen und Herren, Sie haben deshalb überhaupt keinen Grund, solche Reden zu halten, wie sie Herr
Glos hier gehalten hat. Sie sollten sich schämen angesichts der Tatsache, was Ihre Partei zu verantworten hat.
({46})
Es wird Sie alles noch einholen. Wenn man sich allein vor
Augen hält, dass der ehemalige verantwortliche Mitarbeiter in der CDU-Zentrale, Herr Lüthje, unwidersprochen
erklärt hat: „Weil ich eine Falschaussage gemacht habe,
ist Herr Kohl noch im Amt“, dann wird einem klar, mit
welchen Leuten wir es hier zu tun haben. Das will ich Ihnen deutlich sagen. Sie sollten sich schämen.
({47})
Wir legen eine Halbzeitbilanz vor, die sich sehen lassen kann.
({48})
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurden so
viele Reformprojekte so schnell auf den Weg gebracht
und durchgesetzt.
({49})
Ich will nicht alle Punkte dieser Leistungsbilanz aufzählen.
({50})
Das ist gestern in der Debatte schon geschehen. Ich will
vielmehr noch etwas zu dem Thema Österreich sagen.
Herr Glos hat sich damit und mit dem Thema Euro intensiv beschäftigt. Es freut mich in diesem Zusammenhang,
dass Herr Waigel noch anwesend ist.
Ich fange mit dem Thema Euro an. Ich habe Sie sehr
aufmerksam beobachtet, Herr Kollege Waigel. Sie haben
zu keinem dieser lächerlichen Sätze Ihres Fraktionskollegen Beifall geklatscht - zu Recht.
({51})
- Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Kollege Waigel. Ich könnte
entsprechende Zitate von Ihnen bringen. Stellen Sie sich
doch einmal hier hin und erklären, dass Sie das, was Glos
gesagt hat, unterstreichen können. Sie glauben das doch
selbst nicht.
({52})
Der gegenwärtige Kurs des Euro ist überhaupt kein
Grund zur Panik.
({53})
Die Herren Stoiber und Glos sollten sich von Ihnen, Herr
Waigel, beraten lassen, bevor sie in unerträglicher Weise
eine antieuropäische Stimmung gegen den Euro machen.
Wegen billiger Effekte spielen sie mit dem Feuer.
({54})
Selbst Frau Merkel ist klüger als Sie, Herr Glos;
({55})
denn sie hat ihre Partei zu Recht davor gewarnt, sich in die
Ecke der Euro-Skeptiker stellen zu lassen. Sehr gut, sehr
richtig, Frau Merkel.
Das Wachstum in der Euro-Zone ist robust. Das Aufwertungspotenzial des Euro wird sich nach und nach erschließen. Es kommt entscheidend darauf an, dass die
Wachstumsdynamik im Euro-Raum nachhaltig und ausdauernd sein wird. Ich fordere die Opposition auf, die
Menschen in unserem Land nicht länger durch sachfremde Behauptungen zu verunsichern.
({56})
Nun zum Thema Österreich. Ich weiß, das ist Ihr Lieblingsthema, Herr Kollege Glos, weil Ihre Partei besondere
Verbindungen zur FPÖ hat. Es war richtig von der Bundesregierung, weder bei der Einführung der bilateralen
Maßnahmen noch bei deren nun erfolgter Beendigung
eine Sonderrolle spielen zu wollen. Die Bundesregierung
hat gut daran getan, auf Ihre falschen Ratschläge, meine
Damen und Herren, nicht zu hören.
({57})
Sie werden auch keinen Erfolg damit haben, die Empfehlungen der drei Weisen der EU in der Öffentlichkeit
verkürzt oder falsch darzustellen. In diesem Bericht
wird - Herr Glos, Sie haben ihn nicht gelesen; deshalb
können Sie es auch nicht wissen - in Ziffer 155 ausdrücklich auf den bisherigen Erfolg der bilateralen Maßnahmen hingewiesen und lediglich empfohlen, jetzt eine
Änderung herbeizuführen, was die zuständige französische Ratspräsidentschaft gestern Abend bekannt gegeben
hat. Auch werden Sie es nicht schaffen, von der Empfehlung der drei Weisen abzulenken, in Europa für solche
Fälle wie die der FPÖ-Regierungsbeteiligung in Österreich
({58})
ein dauerhaftes Präventions- und Überprüfungssystem
einzurichten. Wir unterstützen diesen Vorschlag und sehen im Übrigen überhaupt keinen Grund zur plötzlichen
Sorglosigkeit, was die FPÖ in Österreich betrifft.
({59})
- So ein Stuss. Halten Sie sich einmal zurück. Schade,
dass die Fernsehzuschauer und die Rundfunkhörer Ihren
Quatsch nicht hören können.
Mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ haben wir ehemaligen Zwangsarbeitern endlich
Entschädigung zugestehen können. Das ist ein Werk, das
Sie lange Jahre überhaupt nicht auf die Reihe bekommen
haben.
({60})
Ich wiederhole deshalb hier ganz ausdrücklich: Ich fordere die bundesdeutsche Wirtschaft auf, endlich ihren
vollständigen Anteil von 5 Milliarden DM zu erbringen.
({61})
Herr Kollege Glos, Sie haben am Rande über die
UMTS-Versteigerungserlöse gesprochen. Wir haben
99,4 Milliarden DM erzielt. Wir gehen damit nicht wie
Hans im Glück um. Wir machen auch keine schlechten
Tauschgeschäfte. Wir gehen damit um, wie unser Hans ist:
nämlich ganz solide.
({62})
Wir setzen das Geld zur weiteren Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ein, um den Schuldenberg abzutragen, den Sie uns hinterlassen haben. Das ist unsere Aufgabe.
({63})
Herr Kollege Glos, Sie sind ja stellvertretender Fraktionsvorsitzender, wenn ich richtig informiert bin.
({64})
Sie haben Ihren Fraktionsvorsitzenden dahin gehend korrigiert, er habe davon nicht sehr viel Ahnung.
({65})
Da haben Sie Recht. Als er nämlich davon gesprochen hat,
er wolle die gesamten Erlöse für den Schuldenabbau verwenden, da haben Sie gesagt, er müsse noch etwas hinzulernen, das sei so nicht richtig. Da haben Sie Recht.
({66})
- Ja, da hat auch Herr Merz Recht. Mich freut ja nur, dass
Herr Glos öffentlich Herrn Merz kritisiert.
({67})
Das kommt in meiner Fraktion nicht vor.
({68})
So viel zu dem Thema „selbstbewusste SPD-Fraktion“,
das Sie vorhin angesprochen haben.
({69})
Die SPD-Fraktion ist sehr selbstbewusst. Manchmal ist es
mir schon ein bisschen zu viel. Aber ich bin stolz darauf,
dass sie so selbstbewusst ist. Also vergessen Sie einmal
Ihre dummen Sprüche.
({70})
Die Zinsen, die wir einsparen, setzen wir zur Zukunftsvorsorge und für Investitionen ein. Wir nutzen sie,
um ein Stück der Infrastrukturlücke - dieses Wort
möchte ich betonen - zu schließen, die Sie uns ebenfalls
hinterlassen haben.
({71})
Wir investieren in den Verkehr, in die Schiene. Wir investieren in Bildung und Forschung und in die energetische
Sanierung von Häusern. Unser Energieverbrauch ist zu
hoch und die ökonomisch sowie ökologisch sinnvolle
Antwort auf hohe Energiepreise ist zuallererst, mit Energie effizienter umzugehen und Energie einzusparen. Das
gilt auch für Autofahrer, das will ich deutlich festhalten.
({72})
Das gilt nicht nur jetzt, sondern immer.
({73})
Wenn Sie Energieeinsparungsmaßnahmen gefördert
hätten, wäre die heutige Situation anders. Sie haben Anreize abgebaut und das rächt sich jetzt bitter. Wir müssen
das in Ordnung bringen.
({74})
Sie haben eine Infrastrukturlücke entstehen lassen, nicht
in den neuen Ländern, da war die SED verantwortlich. Es
gibt aber auch Infrastrukturprobleme in den alten Bundesländern und es wird eine sehr langwierige Aufgabe
sein, diese Lücke wieder zu schließen. Wir packen das an,
wir tun es. Wir beginnen im nächsten Jahr und werden das
in den folgenden Jahren fortsetzen.
Da wir gerade beim Stichwort Energie sind, möchte ich
Ihnen, Herr Glos, sagen: Sie haben sich in der Ihnen eigenen Art aufgebauscht, als sei die Union beim Thema
Benzinpreis der Retter der Autofahrer. Statt Ihrer Hysterie zu folgen, empfehle ich, folgende Fakten zu betrachten: Wir haben eine heftige Diskussion über die Benzinund Heizölkosten. Der Grund: Der Rohölpreis hat sich
verdreifacht.
Das ist eine Belastung für die Arbeitnehmer und die
Wirtschaft und erfordert große Anstrengungen. Wir sehen
die Härten und die großen Probleme, die das für Arbeitnehmer, vor allem für die mit einem langen Weg zur Arbeit, und für einzelne Teile der Wirtschaft mit sich bringt.
Wir übersehen auch nicht, dass die Mineralölkonzerne
sehr einheitlich agieren und gut verdienen. Ihre Aktienkurse steigen, auch darauf muss man hinweisen.
({75})
Die Experten sagen uns: Die wirtschaftliche Entwicklung ist nicht gefährdet und ein Vergleich mit den Ölpreiskrisen von 1973 und 1980, mit denen wir fertig
geworden sind, als wir regierten, kann nicht angestellt
werden. Wir müssen alles tun, damit eine solche Situation
gar nicht erst entsteht. Der wichtigste Hebel dafür ist und
bleibt die Reduzierung der Nachfrage. Übrigens: Ohne
die große Anpassungsleistung nach 1973 und 1980 stünden wir heute wesentlich schlechter da. Wir müssen auf
dem Weg der Reduzierung des Verbrauchs und der Erhöhung der Effizienz des Energieeinsatzes fortfahren. Das
werden wir mit unseren Zukunftsmaßnahmen tun.
({76})
Jetzt haben Sie die Ökosteuer entdeckt, jetzt machen
Sie sie - 6 Pfennig mehr pro Liter plus Mehrwertsteuer bei
voller Rückgabe des erzielten Steueraufkommens an Arbeitnehmer und Wirtschaft über die Senkung der Lohnnebenkosten - zum Hauptthema. Sie verschweigen aber
und wollen vertuschen, dass Sie in der Zeit der Regierung
Kohl die Mineralölsteuer um 50 Pfennig in vier Jahren erhöht haben. Damals waren Sie nicht an der Seite der Spediteure oder wessen auch immer, bei denen Sie sich jetzt
anbiedern wollen.
({77})
Jetzt schreien Sie Zeter und Mordio. Dabei hat Herr
Merz noch im November 1998, wobei ich nicht weiß, ob
er da schon Fraktionsvorsitzender war ({78})
- nein, er war es noch nicht, er war Fraktionsvize -, gesagt:
Durch die Ökosteuer sollen Steuern erzielt werden,
um auf der anderen Seite Sozialabgaben zu reduzieren. Über ein solches Konzept kann man reden.
Richtig, Herr Merz, darüber kann man nicht nur reden, das
kann man machen und das haben wir getan.
({79})
Von Frau Merkel konnte man in der „Welt am Sonntag“
vom 22. März 1998 lesen: Angela Merkel hält eine Benzinpreiserhöhung an sich für eine gute Grundidee, um im
Rahmen einer großen Steuerreform auch ökologische
Komponenten einzubauen.
({80})
Noch früher hieß es: Bundesumweltministerin Angela
Merkel ({81}) hält eine jährliche Anhebung der Mineralölsteuer von etwa 5 Pfennig für angemessen.
Erinnern Sie sich an Ihre eigenen Worte, Frau Merkel,
wenn Sie solch unanständige Kampagnen machen!
({82})
Ich finde es schon etwas verwegen, Frau Kollegin
Merkel, wenn ausgerechnet die ehemalige Umweltministerin zu dieser Kampagne aufruft. Es gibt Leute, die sich
noch ganz genau daran erinnern, dass es die gleiche Frau
Merkel war, die weinend aus dem Kabinettsaal gelaufen
ist, weil ihre Forderung nach einer Ökosteuer vom Tisch
gewischt wurde.
({83})
- Das hören Sie nicht gern; das kann ich verstehen. - Sie
schreiben in jüngster Zeit gern über das christliche Menschenbild. Heuchelei, Frau Merkel, gehört meines Wissens nicht dazu.
({84})
Gott sei Dank gibt es auch in der CDU Leute, die Ruhe
bewahren. Ich zitiere Professor Eekhoff, Exstaatssekretär
im Bundeswirtschaftsministerium, aus der „Welt“ vom
12. September:
Ich hielte es für ein völlig falsches Signal, die Steuern unter dem gegenwärtigen Vorzeichen steigender
Energiepreise zu senken. In Frankreich hat der Staat
mit seinen Zugeständnissen an die Spediteure sein
Machtmonopol aus der Hand gegeben. Das ist mit
das Schlimmste, was passieren kann. Unter dem
Druck der Straße auf die Forderungen einzugehen, ist
äußerst gefährlich, weil es sehr schnell Schule machen würde.
- Recht hat der Mann.
({85})
Sie hingegen produzieren Hysterie. Was wir in dieser Situation brauchen, sind ein klarer Kopf und ein kühler Verstand.
({86})
Meine Damen und Herren, wir betreiben eine Politik
der Zukunftsvorsorge. Wir wollen die Altersversorgung
in Zeiten demographischen Wandels auf eine neue, stabile
und verlässliche Grundlage stellen. Das ist schwer, das erfordert viel Kraft. Wir wollen dabei im Übrigen dafür sorgen, dass Zeiten der Kindererziehung für Mütter keine
Zeiten mehr sind, die Rentenkürzungen bedeuten. Darauf
legen wir Wert.
({87})
- Stimmt, das ist einen Beifall wert. - Wir wollen, dass
diese Aufgabe, deren Horizont Jahrzehnte umfasst, von
möglichst vielen Kräften mitgetragen wird: von den Gewerkschaften, aber auch von Ihnen, meine Damen und
Herren aus der Opposition. Ich meine, dass die Bedeutung
dieser Aufgabe auch Verantwortung der Opposition verlangt. Weil wir den Konsens wollen, sind wir auch da gesprächsbereit, wo Ihre Zustimmung zur Gesetzgebung
nicht erforderlich ist.
Wir wollen die Politik der Erneuerung fortsetzen. Der
Rückgang der Arbeitslosenzahl zeigt, dass wir auf dem
richtigen Wege sind. Der Reformstau in Deutschland ist
aufgelöst und wir werden die Politik der Reformen und
Innovationen fortsetzen. Deshalb setzen wir die ersparten
Zinsen für Investitionen ein und deshalb legen wir weiterhin Wert auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir
wollen die Teilhaberechte der Menschen ausbauen und
stärken. Dazu werden wir zum Beispiel das Betriebsverfassungsgesetz novellieren.
Wir werden ferner einen Vorschlag für eine stärkere
direkte politische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger
vorlegen.
({88})
Auch an dieser Stelle herrscht bei Ihnen noch ein ziemliches Durcheinander. Ich lese da: Frau Merkel lehnt Volksabstimmungen ab. Der saarländische Ministerpräsident,
Herr Müller, ist dafür. Der rechtspolitische Sprecher der
CDU/CSU-Fraktion - ich weiß im Moment nicht, wie er
heißt - ist dagegen.
({89})
Er hat dafür eine interessante Begründung. Er sagt in einer Pressemitteilung vom 5. September:
Erst wenn die Verantwortlichkeiten klar erkennbar
sind, kann das Wahlvolk richtig entscheiden. Nur so
funktioniert Demokratie. Das geht aber nicht, wenn
das Volk selbst entscheidet. Es wird sich nicht selbst
zur Verantwortung rufen.
Das ist Ihr Demokratieverständnis: Das Volk ist das
Objekt und kann keine Verantwortung übernehmen. Man
kann dem nur hinzufügen: Sie mit diesem Chor auch
nicht, meine Damen und Herren!
({90})
Sie sind als größte Oppositionsfraktion ein Totalausfall.
({91})
„Die Union ohne Plan“ schrieb kürzlich „Die Zeit“.
Moralisch sind Sie immer noch im Spendensumpf verstrickt. Inhaltlich haben Sie nirgendwo ein stringentes
Konzept. Kein Wort der Alternative habe ich heute von Ihnen gehört, Herr Glos, kein Wort dazu, was Sie denn anders machen würden.
({92})
Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bosbach?
Ich möchte gern diesen Gedanken zu Ende führen, aber danach selbstverständlich,
Herr Präsident.
Finanzpolitisch sind Sie so seriös wie Hütchenspieler.
Ihnen kann man das Land nicht anvertrauen. Was Sie produzieren, ist Hysterie. Was wir jetzt brauchen, sind ein
klarer Kopf und ein klarer Verstand.
Herzlichen Dank.
({0})
Kollege Bosbach, Sie
haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege
Dr. Struck, ich zitiere aus dem Buch des ehemaligen Bundeskanzlers und Ihres Parteifreundes, Helmut Schmidt,
mit dem Titel „Handeln für Deutschland“ aus dem Kapitel „Über die Verfassung von Staat und Gesellschaft“:
Je größer eine Massenversammlung, umso mehr
hängen ihre Beschlüsse von Augenblicksstimmungen ab. Ich habe miterlebt, wie ein ganzer Parteitag
beschlossen hat, alle Maklerberufe abzuschaffen.
Mit Recht und selbstverständlich haben sich damals
Bundeskanzler Brandt und seine Regierungskoalition nicht nach diesem Unfug gerichtet. Je mehr direkte Entscheidungen durch das ganze Volk, umso
unregierbarer das Land!
Meine Frage: Teilen Sie diese Einschätzungen von
Helmut Schmidt?
({0})
Herr Kollege Bosbach, ich
habe ja nicht vorgeschlagen, dass Parteitage befragt werden, wenn wir irgendetwas entscheiden.
({0})
Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe mit manchen
Parteitagsbeschlüssen meiner Partei auch Schwierigkeiten. Nur so viel: Ich bin dafür, dass wir mehr plebiszitäre
Elemente in unsere Verfassung einbauen, weil das Volk
mehr mitentscheiden soll als bisher.
({1})
Ich erteile das Wort zu
einer Kurzintervention der Kollegin Angela Merkel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Kollege Struck,
nach der Antwort auf die Frage meines Kollegen Bosbach,
in der die gesamte Verachtung für Ihre Partei spürbar
wurde, ({0})
- kann ich nur sagen: Sie sollten bei dieser Einstellung zu
den Menschen von Befragungen der Bevölkerung Abstand nehmen.
({1})
In diesem Sinne sage ich Ihnen auch: Das, was Sie hier
heute gesagt haben, hat wieder einmal gezeigt: Sie nehmen es mit der Wahrheit nicht nur nicht so genau, sondern
Sie sagen schlicht und ergreifend die Unwahrheit.
Jenes in Deutschland inzwischen weithin beschriebene
Ereignis im Zusammenhang mit dem Kabinett handelte
nicht von der Ökosteuer, sondern bekanntermaßen vom
Sommersmog. Damals hatte Frau Griefahn in ausführlicher Weise sämtliche Mütter und Väter in Deutschland
wegen der Gefährdung durch den Sommersmog in Hysterie versetzt.
({2})
Wir haben eine Verordnung gemacht. Diese hat genau bis
zum letzten Jahr gehalten. Herr Trittin war nicht in der
Lage, eine Nachfolgeverordnung zu beschließen. Und
heute ist es eben nicht mehr schlimm, weil Sie regieren
und weil Sie keine Volksverhetzung mehr betreiben.
({3})
Sie haben das damals mit den Kindern in einer Weise gemacht, die völlig unverantwortlich war. Das ist Punkt
eins.
({4})
Zum zweiten Punkt. Was die ökologischen Elemente
im Steuersystem anbelangt - das habe ich immer gesagt,
selbst in der Debatte, als noch Finanzminister Lafontaine
hier die einführende Rede gehalten hat -, war ich in der
Tat der Meinung, dass solche Steuern europaeinheitlich
eingeführt werden sollten. Damals habe ich mich auch
noch in seltener Übereinstimmung mit Ihrem Herrn Bundeskanzler befunden. Auch er war nämlich der Meinung:
erste Stufe national und ab dann nur noch europaeinheitlich.
Heute ist es aber so, dass Herr Eichel nach Frankreich
fährt und letztendlich abnicken muss - natürlich unter
Protest nach außen -, dass die französische Regierung die
Steuern senkt und die deutsche Regierung zum 1. Januar
2001 die Steuer erhöhen will. Wir sind dagegen, weil das
von der Europaeinheitlichkeit abweicht.
({5})
Herr Struck, da Sie so viel lesen, empfehle ich die Lektüre Ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung. Dort steht
schwarz auf weiß geschrieben: Die Ausgestaltung dieser
Reform - gemeint ist die ökologische Steuerreform sollte in Abhängigkeit von der Konjunktur - das ist im Augenblick kein Thema - und den aktuellen Energiepreisen
erfolgen.
({6})
Sie haben selbstherrlich für die gesamte Legislaturperiode festgelegt, wie die nächsten Stufen auszusehen haben.
Jetzt müssen Sie feststellen, dass sich die aktuellen Energiepreise anders entwickelt haben, als Sie es erwartet haben.
Ich erwarte, dass Sie auf diese Entwicklung Rücksicht
nehmen und deshalb die Steuern zum 1. Januar 2001 nicht
erhöhen. Das ist nur recht und billig gemäß dem, was Sie
in Ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung festgelegt haben.
({7})
Herr Struck, Sie haben die Gelegenheit zur Antwort.
Frau Kollegin Merkel,
zunächst einmal, denke ich, wäre es ganz gut für diese Debatte: Ich gebe zu, dass ich scharfe Formulierungen in Bezug auf Kohl und Ihre Fraktion gebraucht habe.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P. Siegfried Hornung ({0})
Das war aber nicht falsch. Der ehemalige Bundeskanzler
ist nach wie vor ein Gesetzesbrecher. Das wollen wir hier
doch einmal festhalten.
({1})
Frau Kollegin Merkel, ich nehme zur Kenntnis, warum
Sie weinend aus dem Kabinett gegangen sind.
({2})
Ich möchte Ihnen aber auch noch sagen: Sie haben das
Wort „Volksverhetzung“ hier im Zusammenhang mit einer Kollegin meiner Fraktion, einer ehemaligen Landesministerin, gebraucht. Hüten Sie bitte Ihre Zunge! Volksverhetzung, meine Damen und Herren, hat in diesem
Hause nicht der Vorwurf einer Fraktion gegenüber einer
anderen zu sein. Ich habe Ihnen auch nicht Volksverhetzung vorgeworfen.
({3})
Ich bleibe dabei - das werden Sie, Frau Kollegin
Merkel und andere, die sich an dieser Hysterie beteiligen,
dann auch allen draußen erklären müssen -: Was würde
denn wohl passieren, wenn wir die Ökosteuer jetzt aussetzten? Was würde da denn wohl passieren?
({4})
Glaubt in diesem Hause jemand wirklich ernsthaft, dass
dies eine dauerhafte Senkung der Mineralölpreise nach
sich ziehen würde? Wir wissen doch ganz genau, wie Mineralölkonzerne auf solche Maßnahmen reagieren. Diese
6 Pfennig würden innerhalb von einer Woche wieder
draufgeschlagen. Das, was Sie hier vortragen, ist doch
lächerlich.
({5})
Politik braucht Verlässlichkeit, Stetigkeit
({6})
und einen kühlen Kopf. Ich halte die Maßnahmen der
französischen Regierung für falsch.
({7})
Die Bundesregierung und wir als die sie tragende Fraktion
werden diesen Fehler der französischen Regierung nicht
nachmachen. Das kann ich Ihnen hier verbindlich versichern.
({8})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ganz
ernsthaft und ohne Ironie - auch der Kollege Struck hat es
ja umfassend gewürdigt -: Ich gratuliere Ihnen uneingeschränkt zu der Auszeichnung als Weltstaatsmann. Diese
Auszeichnung wird von einem Gremium verliehen. Wir
mögen hier im innerparteilichen Schlagabtausch manches
an Ihrer Politik anders sehen; das besprechen wir jetzt.
Aber: Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Nur, Herr Kollege Struck, Sie haben schon gespürt,
dass diese Auszeichnung sehr wenig in Ihre Reihen ausstrahlt.
({1})
Das möchte ich Ihnen gleich zu Beginn sagen: Ein Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag darf sich bei
aller politischen Kontroverse mit anderen niemals zu solchen persönlichen Bemerkungen hinreißen lassen, wie
Sie sie gegenüber dem früheren Bundeskanzler Kohl getan haben.
({2})
Wir alle haben - nachdem Sie jetzt Platz genommen haben, wissen Sie das - heute Morgen Souveränität und Stil
in Ihren diesbezüglichen Ausführungen schmerzhaft vermisst. Das muss zu Beginn klar festgestellt werden.
({3})
Nun komme ich zu den eigentlichen Themen. Herr
Bundeskanzler, nachdem Sie diese große Auszeichnung
bekommen haben, hoffen wir, die Bundestagsfraktion der
F.D.P., dass Ihnen mit dieser Auszeichnung im Rücken einiges leichter von der Hand geht, was in diesem Herbst
zur Entscheidung kommt. Lassen Sie mich bei einem ganz
kleinen Thema anfangen und dieses dazu in Bezug setzen:
Ein Weltstaatsmann mit Ladenschluss in Deutschland das passt so nicht zusammen.
({4})
Ändern Sie mit uns im Herbst die Gesetzeslage. Der
Hauptverband des Deutschen Einzelhandels hat seine
Meinung geändert und schlägt nun auch vor, dass die Ladeninhaber selbst entscheiden. Herr Bundeskanzler, der
Weltstaatsmann und der Fraktionsvorsitzende der F.D.P.
könnten gut zusammenfinden,
({5})
weil wir doch fragen müssen: Warum um alles in der Welt
sind die hier versammelten Abgeordneten verpflichtet
und bereit, den Inhabern von Geschäften vorzuschreiben,
wann sie öffnen und schließen dürfen? Das kann nicht
sein.
({6})
Weltstaatsmann und Österreich: Sind nun die Sanktionen richtig aufgehoben, halb aufgehoben oder zu drei
Viertel aufgehoben? Sie müssen das nachher sagen. Ich
schlage Ihnen einfach vor: Mit diesem Titel im Rücken laden Sie als Weltstaatsmann der Bundesrepublik Deutschland den benachbarten Kanzler der Republik Österreich
nach Berlin ein, um eindeutig vor aller Öffentlichkeit
klarzustellen, dass die Sanktionen aufgehoben sind.
({7})
Sie wissen es genauso gut wie ich: Die Sanktionen sind
in die Hose gegangen. Sie haben in Dänemark Befürchtungen ausgelöst, die das Referendum in eine falsche
Richtung lenken können. Sie haben in der kleinen benachbarten Schweiz Befürchtungen ausgelöst, was mit jenen geschieht, die als kleineres Land vielleicht dazukommen
möchten. Sie haben weltweit bei den kleinen Ländern den
Eindruck erweckt, die Großen wollten den Kleinen Mores
lehren.
Das ist der psychologische Eindruck, den Sie erweckt
haben, nicht die Sorge um eine Entwicklung in der Nachbarrepublik Österreich, die gefährlich werden könnte.
Nein, die Souveränität des Umgangs mit benachbarten
Staaten und mit allen Staaten der Welt gebietet es, Wahlergebnisse zu respektieren und Koalitionsvereinbarungen
zur Kenntnis zu nehmen; es sei denn, Koalitionsvereinbarungen und die eingeleitete Politik widersprächen
eklatant den Verträgen der Europäischen Union. Aber
nicht die österreichische Politik widerspricht eklatant den
Verträgen der Europäischen Union, sondern die Reaktion
der 14 Staaten widerspricht eklatant den Verträgen der Europäischen Union.
({8})
Ich kann Ihnen eine Sorge nehmen - Herr Kollege
Schlauch spricht nachher noch -: Nehmen Sie die Internetseite der österreichischen Grünen; sie denken so wie
die deutsche F.D.P. Ich habe sie ausgedruckt mitgebracht.
Auf Ihren Außenminister, der noch gestern einen Eiertanz der Sonderklasse aufgeführt hat, brauchen Sie keine
Rücksicht zu nehmen. Der Mann darf uns nicht mehr erzählen, was er mit Menschenrechten meint. Ich habe ein
Zitat von ihm. Er hat noch 1995 von einem barbarischen
Krieg und grausamen Morden einer nuklearen Supermacht gegen ein kleines Kaukasusvolk gesprochen. Als
der vorhin beschimpfte Bundeskanzler Kohl noch Verantwortung hatte, hat er unsere Regierung aufgefordert, endlich eine westliche Initiative gegen Moskau zu ergreifen.
Als der Außenminister Fischer in Moskau beim Kriegsherrn Putin war, hat er davon nichts mehr erwähnt. Deshalb gilt dies gar nicht mehr.
({9})
Wenn wir jetzt schon einiges unter dem großen Schirm
verändern, dann schlage ich Ihnen vor: Machen Sie eine
Kehrtwende bei der Ökosteuer. Als Weltstaatsmann geht
das, weil Sie galaktisch denken müssen. Sie müssen auch
die anderen sehen.
({10})
Aus der innenpolitischen Auseinandersetzung wissen
Sie doch: Die doppelte Dividende ist nicht möglich. Bekanntlich sind die Rentenversicherungsbeiträge nicht so
stark im Sinken begriffen, wie wir uns das gewünscht hätten. Der Stau auf den Autobahnen ist noch da. Die Ökosteuer drangsaliert eher die Autofahrer. Auch belastet sie
- das wissen Sie doch - diejenigen, die keine S-Bahnstation vor der Tür haben. Im Übrigen wird in diesem Winter, weil es auch die Heizölkosten betrifft, der Satz „Ihr
müsst euch warm anziehen“ eine völlig neue Bedeutung
gewinnen.
({11})
Es sind eben nicht die bösen Ölscheichs und die Mineralölkonzerne, die immer herhalten müssen. Nein, es sind
diesmal die Steuerbelastungen in der Bundesrepublik
Deutschland. Die Frage von vorhin „Wissen Sie denn genau, ob der Benzinpreis, wenn wir die Ökosteuer aussetzen, nicht weitersteigt?“ ist so nicht zu beantworten. Aber
eines wissen wir genau: Wenn Sie sie nicht aussetzen,
steigt er auf jeden Fall. Diese Sicherheit hat der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
({12})
Sie können auch schlecht den OPEC-Staaten anraten,
die Produktion zu erhöhen, um weltweit einigermaßen
Stabilität zu sichern und die großen Gesellschaften und
die hoch technologisierten Gesellschaften nicht in soziale
Instabilitäten zu stürzen. Wenn die OPEC-Staaten die Produktion dauernd steigern, um in einer globalisierten Wirtschaft einen weltweiten Beitrag zu leisten, der Weltstaatsmann in Deutschland die Ökosteuer aber dauernd erhöht,
werden das die Scheichs nicht begreifen. Sie werden Ihnen dann irgendwann sagen: Wenn Sie so handeln, dann
brauchen wir auch die Produktion nicht zu erhöhen. Also
aufpassen: Wer so einen Titel bekommt, muss Weitblick
zeigen.
({13})
Deshalb schlage ich Ihnen vor, noch in diesem Herbst eine
entsprechende Erklärung abzugeben. Ich gebe hier sogar
meine Meinung kund: Sie werden das in diesem Herbst
tun. Sie werden die Ökosteuer aussetzen. Sie werden das
nicht im Bundestag erklären; das war für Ihre Erklärungen auch nie der richtige Ort. Sie werden einen Autogipfel installieren und dann werden Sie das Ganze erklären.
Die Grünen werden es dann mitmachen, weil sie ohnehin
keine Alternative mehr haben. So wird das früher oder
später ablaufen.
({14})
Ich mache Ihnen sogar einen Vorschlag. Ich habe in
meinem Kalender noch einmal vorgreiflich
({15})
geprüft: Der Verband der deutschen Automobilindustrie
hat in absehbarer Zeit zu einem Empfang in Frankfurt eingeladen. Ich nehme daran teil. Ich schlage vor, Frau Kollegin Merkel kommt ebenfalls.
({16})
- Sie kommen auch hin? - Dann kann der Bundeskanzler
eine entsprechende Erklärung abgeben. Wir begrüßen
diese Erklärung. Ich lasse vorsorglich eine Pressemitteilung in der F.D.P.-Bundestagsfraktion anfertigen.
({17})
Ich empfehle für die F.D.P.-Fraktion eine weitere Kurskorrektur in der Gesundheitspolitik. Im Übrigen rieche
ich die Kurskorrektur schon förmlich.
({18})
Denn, Herr Bundeskanzler, Sie haben in der letzten Zeit
einige bemerkenswerte Äußerungen zu diesem Sujet geDr. Wolfgang Gerhardt
macht. Was Frau Fischer in der Gesundheitspolitik angefasst hat, ist alles unheilbar krank geworden.
({19})
Wir hatten einen schlechten Gesetzentwurf und ein
schlechtes Gesetz. Es wird budgetiert, reglementiert, kollektiv abgebucht, kollektiv zugeteilt; es ist ein Supermarkt
ohne Preisschilder, bei dem niemand mehr Anreize für ein
verantwortungsbewusstes Verhalten bekommt. Das ist
das Ergebnis der Gesundheitspolitik.
({20})
Sie geben den Versicherten, die einzahlen, eigentlich
überhaupt keine Rechte. Sie geben einer Schar von Millionen Versicherten nicht eine einzige Chance, selbst zu
entscheiden: gegen oder für etwas, mit Selbstbehalt, ohne
Selbstbehalt, mit Zuzahlung oder ohne Zuzahlung. Wer
sich in der Woche fünf Tage krankschreiben lässt, bezahlt
bei Erkältung dasselbe wie jemand, der ins Büro geht und
einen starken Tee mitnimmt, damit er seine Arbeit verrichten kann. Das ist kein gerechtes System.
({21})
Sie werden diesen Marsch in das alte Kollektiv, in die
alte Einheitsversicherung stoppen müssen. Sie müssen die
Eigenverantwortung der Menschen stärken. Sie können
soziale Kriterien einbeziehen für diejenigen, die nicht so
zahlungsfähig sind, aber Sie können nicht ein Heer von
Millionen Beitragszahlern über einen Kamm scheren.
Sie werden bei den Kassen Wettbewerbs- und Verhandlungslösungen vorschlagen müssen. Sie werden dazu
beitragen müssen, dass das Vertrauensverhältnis Arzt/Patient wieder ein echtes Vertrauensverhältnis wird und dass
nicht der Patient zum Arzt kommt und der Arzt eine Therapie untersagen muss, weil Frau Fischer reglementiert.
Am Ende werden auch die Grünen das mitmachen
müssen. Sie wissen, Herr Bundeskanzler, dass auf einem
der größten Wachstumsmärkte der Welt, der Gesundheitspolitik, in Deutschland Dilettantismus herrscht. Die Grünen werden das mitmachen, Frau Fischer wird gehen - das
sagt ihr nur niemand richtig. Es ist höchste Zeit.
({22})
Wenn Sie in diesem Herbst mit uns die Rentenreform
weiter verhandeln, müssen dazu heute einige Bemerkungen gemacht werden, weil wir ja zu Recht Ihrem Appell
gefolgt sind, in überparteiliche Gespräche einzutreten.
Eine Bemerkung darf ich auch gegenüber dem Weltstaatsmann machen: Bei der letzten Bundestagswahl haben Sie, Herr Bundeskanzler, all das, über was wir heute
am Tisch mit Ihnen verhandeln und was die Union und wir
schon damals in kleinen Schritten für angezeigt hielten,
als „soziale Schweinerei“ bezeichnet.
({23})
Das muss hier erwähnt werden dürfen, weil sich jeder, der
hier ein Mandat hat, merken muss, dass mit diesen grobschlächtigen Argumenten kein Bundestagswahlkampf
mehr geführt werden sollte, wenn man die Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, die wirtschaftliche Lage, die Lebenserwartung und den Altersaufbau kennt.
({24})
Wir verhandeln mit Ihnen. Wir erleben jetzt kein Diffamierungspotenzial mehr gegen die Freie Demokratische
Partei, weil Sie wissen und ich weiß: Wir beide können
das kleine Einmaleins nicht beiseite schieben und Adam
Riese nicht überwältigen.
Die von Ihrem Arbeitsminister vorgeschlagene Grundrichtung war richtig, den Menschen zu sagen, die gesetzliche Rente wird es allein nicht mehr bringen. Wir brauchen Aufbau privater Altersvorsorge, die Kombination
macht ein Altersvorsorgeniveau aus. Das ist richtig. Nur,
meine Fraktion hat für diese Erkenntnis von all denen, die
mir heute hier im Plenum gegenübersitzen, ohne Ende
Prügel bezogen. Das muss doch einmal gesagt werden in
der Bundesrepublik Deutschland.
({25})
Jetzt allerdings - das muss ich Ihnen vorhalten - beginnt aufgrund der Gespräche, die Sie mit dem Deutschen
Gewerkschaftsbund geführt hatten, das Ganze, sich zulasten der jungen Generation zu neigen. Der Sachverständigenrat hat für die sozialen Sicherungssysteme zwei Vokabeln genannt: Fairness und Generationengerechtigkeit.
Ihre Verhandlungsergebnisse zur Beruhigung Ihrer gewerkschaftlichen Milieus in der SPD gehen eindeutig zulasten der jungen Generation.
({26})
Wenn am Ende noch nicht einmal der zunächst angepeilte Beitragssatz von 22 Prozent für die Zeit nach 2020,
2030 gesichert werden kann, sondern wir schon jetzt lesen müssen, dass der Beitragssatz sehr wahrscheinlich die
23-Prozent-Marke übersteigen wird, und den Hinweis des
Bundesarbeitsministers hören, man könne dies in den
Griff bekommen, weil es ab 2010 noch Stellschrauben bei
der gesetzlichen Rentenversicherung gebe, dann sage ich
Ihnen, wie ich hier stehe: Niemand in der zukünftigen
jungen Generation wird bereit sein, zulasten seiner Arbeitsmarktchancen in ein System mit dieser Beitragshöhe
zu gehen; niemand wird mit dem Bewusstsein in ein System einzahlen, dass bei ihm nach 2010 noch an Stellschrauben gedreht werden kann. Jeder wird sein Geld lieber in eine private Kapitaldeckung tragen.
({27})
Deshalb sage ich Ihnen für die F.D.P.-Fraktion: Wir
werden an den Gesprächen weiter teilnehmen. Wir wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Reform ihrer sozialen Sicherungssysteme braucht. Aber ich sage Ihnen vorsorglich auch, dass wir ein Ergebnis mit einem
Beitragssatz von 22 plus 4 oder gar einen vorhersehbaren
Beitragssatz von über 22 Prozent nicht akzeptieren werden.
Wir sind es unendlich leid, immer nur Reparaturbetriebe zu
haben. Wir wollen jetzt eine funktionsfähige, generationenübergreifende Reform.
({28})
Wir haben in diesem Herbst die Abstimmung über das
Vermittlungsausschussergebnis zur Steuerreform vor
uns. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat durch kluge Verhandlungen und verantwortungsbewusstes Verhalten
auch des Kollegen Rainer Brüderle erkennen lassen, dass
wir einen Kompromiss mittragen, um überhaupt einen
ersten Schritt zu erreichen. Aber dies ist nicht unsere abschließende Vorstellung von einer Steuerreform; dies ist
lediglich ein erster Schritt. Im Übrigen warne ich davor,
Herr Kollege Struck, zu sagen, Sie erreichten damit eine
große Beschäftigungsdynamik. Wir haben noch keine
ausreichende Beschäftigungsdynamik in Deutschland;
wir haben eher einen demographischen Abgang in den
Ruhestand als eine wirkliche Vermehrung von Arbeitsplätzen.
({29})
Wir werden also dem Steuerreformgesetz zustimmen.
Wir prüfen jetzt, ob im Gesetzentwurf alle Zusagen eingehalten worden sind. Für uns war ganz entscheidend, die
gröbste Diskriminierung gegenüber dem Mittelstand zu
beseitigen: die Besteuerung bei Betriebsveräußerungen.
({30})
- Das war prima, Herr Gysi. Die Einzigen, die es nicht
rausgehandelt haben, waren die Grünen, die in der Öffentlichkeit immer so tun, als seien sie die Sachanwälte
der Kleinen. Die Grünen haben sich in dieser Frage völlig
über den Tisch ziehen lassen.
Wir haben das jetzt korrigiert. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie wissen es wie ich: Die Spanne der unterschiedlichen Besteuerung von Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften, Unternehmen und Unternehmern ist in
Deutschland immer noch groß; die Schere muss geschlossen werden. Es darf keine Diskriminierung von
Einkommen geben. Das bleibt weiter auf der Tagesordnung.
({31})
Im Übrigen ist auch eine Steuersenkung im Jahr 2005
angesichts der Dynamik, die Ihr Kollege Struck hier verkündet, zu spät. Wenn die Steuereinnahmen so aussehen,
wie Sie es selbst verkünden, sollten Sie früher mehr von
diesen Steuereinnahmen an die Bürgerinnen und Bürger
zurückgeben. Die Freie Demokratische Partei wird auf
diesem Kurs bleiben.
({32})
Herr Bundeskanzler, nach Schätzungen der Weltbank
verdanken die reichen Länder zwei Drittel ihrer Wertschöpfung dem Humankapital, also den Menschen. Damit
wissen Sie wie ich, dass eine der größten Investitionen in
der Bundesrepublik Deutschland in die Bildungs- und
Qualifikationssysteme gehen muss, weil die Herausforderung nur mit der Fähigkeit von Menschen gemeistert werden kann, die die explosive Entwicklung begreifen. Die
Konsensdemokratie, die Sie über runde Tische und viele
Gremien so meisterhaft organisieren - das ist in der Öffentlichkeit etwas Beliebtes und von Journalisten Bewundertes und überall Beschriebenes -, stößt damit an ihre
Grenze. Sie müssen das Instrument Konsensdemokratie
mit runden Tischen und großen Gipfeln mit den wirklichen Zukunftsaufgaben der Bundesrepublik Deutschland
abgleichen. Sie werden mit nur einem Modell der Konsensdemokratie nicht weiterkommen. Sie müssen auch
Fragen streitig stellen und durch Mehrheiten entscheiden.
Sie werden manche Fragen nicht einstimmig entscheiden
können.
Lassen Sie mich Ihnen eine Frage vorlegen, bei der Sie
mit dem Modell Konsensdemokratie noch eine Weile arbeiten können, bei der Sie aber ebenso wie ich wissen,
dass wir eine Entscheidung treffen müssen: 40 Prozent der
deutschen Bevölkerung werden in absehbarer Zeit 60
Jahre und älter sein. Das liegt auf der Hand. Das Datum
kennen wir. 15 Prozent werden 20 Jahre und jünger sein.
Heute liegt das viel enger beieinander, nämlich bei 23 und
24 Prozent. Die Konsequenzen solcher Daten können Sie
bei Konsensgesprächen mit den Gewerkschaften über die
Rente nicht beiseite schieben. Sie haben es aber anscheinend getan. Die Kenntnis solcher Daten können Sie bei
dem Thema Einwanderung nicht mit einer Kommission
beiseite schieben. Sie wissen wie ich: Die Green-CardRegelung ist keine ausreichende Antwort auf diese Bevölkerungsentwicklung.
({33})
Deshalb sage ich Ihnen: Ihre konsensdemokratische
Antwort der Einrichtung einer Kommission, konsensdemokratisch mit Frau Professor Süssmuth an der Spitze,
ist nicht die ausreichende Antwort auf die im Jahre 2000
tatsächlich erkennbaren Daten. Sie wissen wie ich, dass es
besser wäre, wenn wir uns sofort über eine klare gesetzliche Grundlage der Einwanderung nach Deutschland einigten, um national bestimmen zu können, wie viele und
wer zu uns kommen kann. Zu den Reihen der Union sage
ich: Machen Sie sich auf, diesen Weg mitzugehen. Es ist
besser, wir gehen diesen Weg frühzeitig, bewältigen das
Problem heute, machen eine klare gesetzliche Grundlage
und laden die besten Köpfe der Welt nach Deutschland
ein, anstatt nichts zu regeln, trotzdem eine Einwanderung
zu bekommen und mehr in das soziale Netz als in den
wirtschaftlichen Aufbau unseres Landes investieren zu
müssen. Das ist die Herausforderung, die sich uns stellt.
({34})
Wir werden aber gleichzeitig vielen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürgern sagen müssen: Eine Gesellschaft
wie die deutsche behält nicht Innovationskraft und Stabilität, wenn immer mehr und mehr in unserer Gesellschaft
glauben, dass wir das Vorhandene behalten können, ohne
eigene Kinder aufzuziehen. Das ist die andere logische
Seite der Medaille. Eine Gesellschaft, die in einen solchen
Altersaufbau läuft, verliert an Innovationskraft, weil der
Reibungsdruck und der Fragedruck der jungen Generation gegenüber der älteren nachlässt. Das muss bewältigt
werden, das ist die Aufgabe. Da hilft kein runder Tisch,
sondern nur ein klarer Kopf. Deshalb müssen wir jetzt
eine solche Regelung machen.
({35})
Die Vorgänge der letzten Monate, die rechtsradikalen
Ausschreitungen bis hin zur Ermordung ausländischer
Mitbürger, müssen uns herausfordern. Es wird nicht damit
getan sein, Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze zu schaffen. Es gibt auch Arbeitsplatzbesitzer, die im Kopf genauso schäbig über Ausländer denken wie Arbeitslose. Es
muss einen großen gesellschaftlichen Anlauf in allen
deutschen Schulen und Gemeinden geben: überall wo wir
Eltern, Familien, Kinder, Ausbilder und Meister in Betrieben treffen.
Sie mögen jetzt schon alle insgeheim verteilt haben,
wie der Ertrag und die Zinsersparnis aus den UMTSLizenzen ausgegeben werden sollen. Ich mache Ihnen den
Vorschlag, einen erneuten, gut finanzierten Anlauf zur politischen Bildung in Deutschland zu unternehmen, offen
über die erzieherische Qualität von Schulen in Deutschland zu diskutieren und uns gemeinsam mit Gewerkschaftlern, Ausbildungsbetrieben, Meistern und Familien
auf den Weg zu machen. Ein Gemeinschaftskundeunterricht in Deutschland allein bringt es anscheinend nicht
mehr. Wir müssen alle aufbrechen, um Mentalitäten zu
verändern. Das sollte uns das Geld wert sein. Wir haben
es, wir könnten es und müssen es jetzt tun. Ein Verbot der
NPD reicht nicht.
({36})
Wir brauchen in Deutschland eine wirkliche Offensive
in Spitzentechnologien. Das alte Modell der Grünen, der
Bürokratisierung von Fortschritt, ist zu Ende. Jürgen
Trittin ist die Personifizierung eines gedanklichen Auslaufmodells.
({37})
Wir müssen eine mentale Veränderung hin zu einer Spitzenentwicklung bringen und brauchen im Übrigen eine
Lockerung unserer Wachstumsbremsen beim Alter. Ich
habe neulich mit großer Freude, aber auch etwas mit Ironie, eine Bemerkung des Präsidenten des DIHT, Hans
Peter Stihl, den ich sehr schätze, gelesen, man müsse
die Lebensarbeitszeit verlängern. Ich habe gedacht: Ja
wären wir wenigstens schon bei 65. Momentan scheidet
man mit unter 60 Jahren aus dem Erwerbsleben aus. Viele
Vertreter der deutschen Wirtschaft haben noch vor wenigen Jahren in Kenntnis all der Daten, die ich hier vortrage,
geglaubt, man könne große Frühverrentungsprogramme
auflegen.
({38})
Wenn wir über eine Lockerung der Wachstumsbremsen im Alter reden, dann sollten wir nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über die Zukunft reden. Früherer Berufseintritt, bessere Schullaufbahnen und bessere
Hochschulstudiengänge wären besser für das volkswirtschaftliche Produkt der Bundesrepublik Deutschland.
({39})
Wir brauchen - um ein weiteres umstrittenes und
der Bevölkerung nicht ausreichend vermitteltes Ziel
anzusprechen - die Osterweiterung der Europäischen
Union als deutsche Zukunftsinvestition größten Ausmaßes.
({40})
Der deutsche Export in die osteuropäischen Länder ist
höher als der in die Vereinigten Staaten von Amerika. Die
osteuropäischen Länder suchen europäische Orientierung. Wenn wir sie ihnen nicht geben, dann werden wir es
in diesen Ländern mit Entwicklungen zu tun haben, die
einen Rückfall in den Nationalismus bedeuten, dessen
Trümmer wir noch überall in Europa sehen können.
({41})
Da können Sie sich, Herr Bundeskanzler, einmal austoben
und Ihre Blockadepolitik betreiben; denn in den osteuropäischen Ländern werden Sie dann Kräfte vorfinden, mit
denen verglichen die FPÖ und ihre Gedankenwelt ein
Kinderspiel sind.
Alles muss darauf hinauslaufen, die Bedenken von
Menschen ernst zu nehmen, die Risiken aufzuzählen und
Übergangsfristen zu vereinbaren. Die politische Führung
muss den Weg engagiert und couragiert gehen. Das alles
wird in der öffentlichen Debatte zu wenig beachtet.
Wenn die politische Führungsklasse der Bundesrepublik
Deutschland nur Bedenken anmeldet und nicht auch die
Chancen sieht, dann wird das für uns Stabilitätsverluste
bedeuten. Wir werden Stabilität in der Bundesrepublik
Deutschland nicht erhalten können, wenn es den Ländern
in Mittel- und Osteuropa nicht gelingt, eigene ökonomische und politische Stabilität zu gewinnen, wenn wir eine
Insel der Stabilität sind. Das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen.
({42})
Herr Bundeskanzler, Sie haben den Euro zuerst nicht
so recht gewollt, als er eingeführt wurde. Jetzt reden Sie
ihn gewaltig schön. Der schwache Euro, so haben Sie neulich erklärt, sei aufgrund der höheren Auslandsumsätze
eher ein Anlass zur Freude als zur Sorge.
({43})
Das stand auch in einem Vermerk meiner Mitarbeiter, aber
nur im ersten Teil. Wenn man ihn weiterliest, kommt man
zu der Stelle, an der meine Mitarbeiter weiter vermerkt
haben: „Fatal: Abwertungsbedingte Exportvorteile sind
nur von kurzer Dauer, wenn nicht gleichzeitig Strukturreformen greifen“.
({44})
Sie täuschen eine Wettbewerbsfähigkeit vor, die nicht aus
innerer Stärke entsteht. Ich glaube, Ihre Beamten müssen
Ihnen etwas Ähnliches aufgeschrieben haben. Sie haben
es nur nicht vorgetragen. Aber Sie müssten es vortragen.
({45})
Ich möchte noch etwas ergänzen: „Die EuroSchwäche“, so haben mir meine Mitarbeiter aufgeschrieben, „bedeutet Verengung der Verteilungsspielräume“.
Das muss doch für Sie ein besonderes Alarmzeichen sein.
„Dies erschwert nicht nur die lohnpolitischen Auseinandersetzungen, sondern nimmt auch der Finanzpolitik
Handlungsraum“, haben meine Mitarbeiter hinzugefügt.
„Die Euro-Schwäche“, so denken meine Mitarbeiter, „ist
auch Ausdruck dafür, dass das Vertrauen der internationalen Kapitalmärkte schwindet und dass der Euro-Raum
ökonomisch mit anderen Konkurrenten in der Welt nicht
mithalten kann“. Sie begründen das auch mit einem Hinweis. Fabius - komischerweise tragen alle Finanzminister, die so agieren, einen französisch klingenden Namen;
wir hatten ja auch einmal so einen - sagt der EZB ganz nebenbei, so wie früher Lafontaine der Bundesbank: Es
wäre ganz gut, wenn die EU ein Inflationsziel vorgäbe
und dem währungspolitischen Pol EZB einen wirtschaftspolitischen Pol entgegensetzen würde. Wer so etwas
äußert, der redet den Euro in den Keller. Das sollte ganz
klar festgestellt werden.
({46})
Herr Bundeskanzler, mich interessiert neben der Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland vor allem die
Frage, wie Sie Ihr Politikmodell der Konsensdemokratie
und der großen runden Tische jetzt allmählich auf die Zukunftsaufgaben ausrichten wollen. Ihre Äußerungen zum
Thema „Euro“ waren noch nie das Gelbe vom Ei. Sie
müssen in diesem Herbst eine Entscheidung treffen. Herr
Bundeskanzler, Sie sind sehr elegant als Autokanzler in
den Sommer gestartet. Aber Sie müssen, wenn Sie weiterhin so kurzfristig wie bisher denken, aufpassen, dass
Sie am Ende des Jahres nicht liegen bleiben, weil Ihnen
der Sprit ausgegangen ist.
Herzlichen Dank.
({47})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt
2001 ist wie sein Vorgänger ein echter Reformhaushalt.
Reformhaushalt heißt: Während Sie in der alten Regierungszeit von Schwarz-Gelb jährlich durchschnittlich
60 Milliarden DM Nettoneuverschuldung aufgehäuft haben, reduzieren wir die Nettoneuverschuldung im laufenden Jahr auf 49 Milliarden DM und im jetzt anstehenden Haushalt auf unter 45 Milliarden DM. Und - das ist
auch Reformhaushalt -: Mit diesem Sparkurs eröffnen wir
Gestaltungsräume, in denen wir aufbauen, in denen wir
investieren, in denen wir soziale und ökologische Reformen auf den Weg bringen. Meine Damen und Herren, wir
sparen real das erste Mal seit langem in der Geschichte
dieser Haushalte, indem wir mit den UMTS-Erlösen in
Höhe von circa 100 Milliarden DM den von Ihnen aufgetürmten Schuldenberg von 1 500 Milliarden DM auf real
1 400 Milliarden DM reduzieren.
({0})
Herr Glos, wenn Sie sagen - das sagen aber nicht nur
Sie -, Rot-Grün habe unverschämtes Glück und der Finanzminister sei der Hans im Glück, dann sage ich: Ja, wir
haben Glück. Es ist aber das Glück der Tüchtigen: der
tüchtigen rot-grünen Haushälter, der tüchtigen Fraktionen
und des tüchtigen Finanzministers Eichel,
({1})
die diesen teilweise sehr schmerzhaften Sparkurs nach jahrelanger Miss- und Schuldenwirtschaft durch SchwarzGelb eingeschlagen haben und den wir zusammen konsequent fortsetzen: zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger
und zum Wohle unseres Landes.
Sie haben unser Land über Jahre hinweg in den Reformstau geführt. Anstelle der notwendigen Veränderungen, so wie sie nahezu alle Nachbarländer schon lange
eingeleitet hatten, haben Sie das Geld unserer Kinder unbesorgt ausgegeben.
({2})
Dieses Versäumnis hat unser Land viel Zeit und Geld gekostet und uns im internationalen Ranking tief absinken
lassen. Dieses Versäumnis wird uns noch lange begleiten
und viele Anstrengungen kosten. Anstatt aber mit einer
konstruktiven Opposition dazu beizutragen, diesen Stau
aufzulösen, mit zukunftsfähigen Ideen und Konzepten mit
uns in einen Wettbewerb zu treten, hadern Sie mit sich
selbst und räsonieren über die Regierungskoalition ins
Leere.
Bei der Steuerreform, die Herr Merz - er ist gerade
nicht da ({3})
für Ihre Partei und für Ihre Fraktion grandios in den Sand
gesetzt hat, spielen Sie immer noch die beleidigte Leberwurst.
Bei der Ökosteuer geben Sie den wild gewordenen
Corridastier, der mit ein paar Banderillas im Rücken
blindlings durch die Arena bockspringt.
({4})
- Ich weiß, Sie verstehen das nicht. Es ist Ihnen zu wenig
bayerisch, Herr Glos.
({5})
Ein bissle international soll es auch hier sein.
({6})
Bei der Rentenreform, Herr Glos, schwanken Sie zwischen dem bayerischen „niemals nicht“ und der merkelschen Unentschiedenheit. Aber egal, wie Sie es anstellen,
die Koalition zieht ruhig ihre Bahnen.
({7})
Trotz aller negativen Prognosen - wir haben sie alle
noch deutlich im Ohr, Stichwort „Das schaffen die nie“ Dr. Wolfgang Gerhardt
haben wir das Sparpaket durch den Bundesrat gebracht.
Trotz unverbrüchlicher gegenseitiger Schwüre innerhalb
der CDU - „Die schwarze Front steht“ - haben wir auch
die Unternehmensteuerreform durch den Bundesrat gebracht, obwohl wir dort bekanntlich keine Mehrheit hatten.
Herr Repnik, damit haben wir Ihrem jahrelang gepflegten Argument, die rot-grüne Bundesratsmehrheit
habe die schwarz-gelbe Steuerreform blockiert, endgültig
den Zahn gezogen. Wir haben nämlich beide umfangreiche Reformprojekte ohne eigene Mehrheit durch den
Bundesrat gebracht, weil wir intelligent vorgegangen
sind,
({8})
weil wir gut verhandelt haben und weil wir nicht, wie
Schwarz-Gelb, mit dem Kopf durch die Wand wollten.
({9})
Wie war das noch, Herr Merz, Herr Schäuble und Herr
Repnik, als Sie die Häme über uns ergossen haben: Die
können es nicht? Ob Sie da heute noch so sicher sind,
möchte ich Sie gar nicht erst ernsthaft fragen.
({10})
3,3 Prozent Wachstum von Januar bis Juni dieses Jahres. Die Deutsche Bank geht von 3,3 Prozent realem
Wachstum für das ganze Jahr und von 3,6 Prozent für das
nächste Jahr aus. Das sind die höchsten Zahlen seit 1994.
({11})
Das heißt, Sie haben die ganze Legislaturperiode von
1994 bis 1998 verschenkt.
Das höchste Ziel unserer Regierung - so haben wir das
auch festgeschrieben - ist die Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Die Möglichkeit der Beschäftigung - das wissen wir alle - ist Voraussetzung für eine individuelle Lebensgestaltung, für gesellschaftliche Teilhabe und für
materielle Sicherheit. Im zweiten Quartal dieses Jahres
waren 731 000 Menschen mehr als im Jahr davor beschäftigt. Eine drei viertel Million Menschen mehr war an
der Erbringung unserer Wirtschaftsleistungen beteiligt.
Das ist eine reale Zunahme um nahezu 2 Prozent. Mit dem
JUMP-Programm haben wir die Jugendlichen erfolgreich
von der Straße geholt. Insgesamt haben wir die geringste
Arbeitslosenquote seit vier Jahren.
({12})
Wir setzen die größte Steuerreform in der Geschichte
der Bundesrepublik um. Herr Repnik, wir tun dies ohne
Sie, weil Sie und Herr Merz es vorgezogen haben, den
Kopf trotzig wie der kleine Bub in den Sand zu stecken
und die Realität nicht wahrzunehmen.
({13})
Sie wollten nicht sehen, dass die ganze Gesellschaft, dass
die Wirtschaft, dass die Bürger und dass sogar von Ihnen
regierte Länder auf diese Reform gewartet haben, dass sie
diese Reform wollten und für richtig gehalten haben. Aber
Herr Merz, der Verhandlungsführer, wollte nicht. Da war
Herr Merz plötzlich allein zu Haus. Lieber Herr Kollege,
das ist nicht Politik. Das, was Sie gemacht haben, ist geradezu Verweigerung von Politik.
({14})
Schon in Erwartung der Steuerreform sind die Investitionen im zweiten Quartal dieses Jahres um 8,2 Prozent
gestiegen. Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben ein
zusätzliches halbes Prozent an Wachstum allein durch die
Steuerreform prognostiziert. Rund eine halbe Million
zusätzlicher Arbeitsplätze wird in den nächsten Jahren
infolge der positiven Wirkungen unserer Steuerreform erwartet. Es geht um ein Entlastungsvolumen von insgesamt rund 62 Milliarden DM pro Jahr, die bei den Bürgern und den Unternehmern im Geldbeutel verbleiben
und für Investitionen zur Verfügung stehen.
({15})
- Herr Repnik, hören Sie zu. Vielleicht können Sie doch
noch etwas lernen. - Über 50 Prozent des Entlastungsvolumens fließen allein den privaten Haushalten zu. Fast
40 Prozent, Herr Gerhardt, fließen dem Mittelstand zu.
Jetzt können wir uns darüber streiten, wer mehr dafür
getan hat. Wir haben mit durchgesetzt, dass die Gewerbesteuer angerechnet worden ist. Das war ein ganz erheblicher Batzen für den Mittelstand. Wir haben auch mit
durchgesetzt, dass die Tarife gesenkt werden. Wenn Sie
zum Schluss noch ein Sahnehäubchen draufbekommen
haben,
({16})
dann gönne ich Ihnen das gerne. Nur müssen Sie dann
dazu sagen, dass die F.D.P. mit dem Herrn Brüderle aus
Rheinland-Pfalz vorneweg für die Steuerreform und mit
Bremsern wie Döring und Ihrer Frau Wagner in Hessen
gegen die Steuerreform war. So kennen wir die F.D.P.
({17})
Auch Sie, Herr Gerhardt, haben ja vorhin die Schwierigkeiten personifiziert, indem Sie an die Union appelliert
haben, sie möge sich doch bei der Frage der Einwanderung etwas bewegen. Dazu kann ich nur sagen: Wer zugleich mit dem profiliertesten Gegner dieser Einwanderungspolitik, der gegen sie im Wahlkampf eine unsägliche
Kampagne aufgezogen hat, koaliert, hat doch offensichtlich Schwierigkeiten. Dessen Inneres ist doch offensichtlich geteilt.
({18})
Herr Kollege Merz, Ihnen rate ich: Machen Sie nicht
den gleichen Fehler bei der Rentenreform. Machen Sie
dabei mit.
({19})
Die Beitragssatzstabilität hat höchste Priorität. Auch da
gebe ich Ihnen, Herr Gerhardt, gerne Recht. Unsere Politik wird dieser Priorität gerecht werden. Wir werden auch
bei Zugeständnissen an die Gewerkschaften an einer gerechten Verteilung der Lasten festhalten. Die Reform darf
nicht teurer werden, es darf keine weitere Verschiebung
der Lasten in die Zukunft und damit auf die junge und
mittlere Generation geben.
({20})
Aber - das ist der Widerspruch bei Ihnen - mit Ihrer Opposition gegen die Ökosteuer planen Sie, liebe Kollegen
von der F.D.P. und der Union, nichts anderes. Sie wollen
die Rente für die jüngere Generation teurer machen.
Gegenüber dem letzten Jahr, in dem Sie die Regierung
stellten, sind die Beitragssätze im Jahr 2000 um 1 Prozentpunkt gesunken. Das ist nur dank der Ökosteuer möglich. Im Jahre 2000 fließen 17 Milliarden DM und im
Jahre 2001 23 Milliarden DM an Einnahmen aus der Ökosteuer direkt in die Rentenversicherung. Ich habe noch
keinen Vorschlag von irgendeinem von Ihnen gehört, wie
man diese Lücke schließen sollte. Das ist unseriös.
({21})
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir verstehen etwas von Oppositionsarbeit. Wir waren lange genug in der Opposition.
Wir hätten uns aber geschämt, so unseriös Opposition zu
machen wie Sie.
({22})
Das Prinzip, Arbeit zu verbilligen und Ressourcenverbrauch zu verteuern, ist ökologisch und sozial richtig.
Dr. Schäuble hat dies schon vor Jahren erkannt. Heute ahnen ja viele von Ihnen, dass er nicht der Schlechteste war
für die Aufgabe, Sie zu führen. Es haut aber fast dem Fass
den Boden aus, wenn man liest, dass Herr Lippold, einer
aus Ihrer Ökoriege, sofern man überhaupt davon sprechen
kann, jetzt eine CO2-Steuer - das ist ja eine Steuer auch
auf das Benzin - und eine Maut für Lkw fordert. Das ist
doch der Gipfel der Heuchelei: auf der einen Seite die
Brummis gegen die Regierung hetzen, aber selber eine
LKW-Maut und eine Ökosteuer fordern. Dazu kann ich
nur sagen: Diese Arbeitsteilung, nach vorne eine platte
Kampagne führen und für ein paar Interessenverbände etwas Differenzierteres vorlegen, lassen wir Ihnen nicht
durchgehen.
({23})
Durch die Ökosteuer ist es gelungen, das Umdenken
bei den Herstellern und Verbrauchern zu verstärken bzw.
einzuleiten. Geringerer Verbrauch und die Entwicklung
alternativer Antriebstechniken sind heute und morgen das
Terrain, auf dem der Wettbewerb der Automobilhersteller
entschieden wird. Das ist gut und vernünftig so, weil dadurch CO2-Emissionen reduziert, die Umwelt geschont
und die deutschen Hersteller bei weltweit steigenden Energiepreisen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger werden. Es ist derzeit einfach ein Vergnügen, die Anzeigen
der Automobilindustrie zu lesen. Diese werben nicht
mehr mit mehr Leistung, sondern mit weniger Verbrauch.
Zum Beispiel: „TDI-Fahrer ärgern sich über die aktuellen
Benzinpreise garantiert nicht“. Offensichtlich fährt bei Ihnen überhaupt keiner TDI, denn Sie ärgern sich nur. Die
Leute aber freuen sich lieber über den geringen Verbrauch
und natürlich über weniger Tankquittungen. Das ist genau
das, was wir durch die Ökosteuer erreichen wollten.
Energie sparen und Effizienzevolution, das ist bei allen
Technologien, die Energie verbrauchen, der effektivste
Weg, die Umwelt zu entlasten. Es ist auch der effektivste
Weg, sich - Herr Gerhardt, jetzt komme ich noch einmal
zu Ihnen - aus der Abhängigkeit des OPEC-Kartells zu
entfernen,
({24})
und es ist der effektivste Weg, die Umwelt zu entlasten.
Die OPEC-Staaten haben die Industriestaaten und damit auch uns aufgefordert, die Benzinsteuern zu senken.
Da kann ich nur sagen - das hat auch Frau Merkel vorhin
in ihrer Intervention gesagt -: Es ist doch abenteuerlich,
wenn wir dieser Erpressung nachgeben, damit sie noch
mehr Kohle einsacken können. Das ist eine Politik, die
überhaupt nicht weiterführt.
({25})
Herr Merz, es sollte sich bis zu Ihnen herumgesprochen haben: Wir haben eine Klimakatastrophe, das Polareis schmilzt, das Ozonloch wird auf Jahre hinaus
größer, und zwar immer schneller. Sie können zwar täglich die zweite Stelle hinter dem Komma des Benzinpreises aufsagen, aber Sie haben kein Konzept, wie Sie mit
dieser realen Gefahr umgehen. Sie denken an diesem
Punkt nicht von 12 Uhr bis Mittag. Das ist die Haltung
von seelenlosen Technokraten, die nur Zahlen wahrnehmen und die sich weltweit häufenden Ökokatastrophen
einfach ausblenden oder schönreden.
({26})
Sie sind der Frontmann einer Fraktion, die von sich
sagt, dass ihr die Bewahrung der Schöpfung ein Anliegen
sei. Sie kommen daher, als seien 12 Pfennig Benzinpreis
wichtiger als die notwendige Umsteuerung im Ressourcenverbrauch und in der Art zu wirtschaften. Die „Welt“
- das ist ja nun eine Zeitung, die eher Ihnen nahe steht als
uns - schrieb:
Da will eine Regierung den Tanker Deutschland flott
bekommen und der Opposition ist der Sprit zu teuer.
Wohl wahr. 12 Pfennig Benzinpreis, nur dafür ist die
Ökosteuer verantwortlich, für mehr nicht. Der Rest sind
Rohölpreise und Währungskurse.
Herr Gerhardt, Sie sagen doch immer, Sie seien eine
marktwirtschaftliche Partei. Ich begreife es nicht, dass
eine marktwirtschaftliche Partei dann, wenn der Preis einer Ware hochgeht,
({27})
mit einer Subventionierung reagiert.
({28})
Das ist doch geradezu absurd! Da stellen Sie doch die
Marktwirtschaft auf den Kopf.
Herr Gerhardt, lassen Sie mich auch jemanden zitieren,
der Ihnen wahrscheinlich ebenfalls politisch näher steht
als mir, nämlich den Chef von Daimler-Chrysler, der sagt:
Wir stehen vor einem Dilemma. Die Nachfrage nach
Energie wächst allen Energiesparerfolgen zum Trotz.
Das bedeutet, dass die Ölpreise weiter steigen werden.
In der Zukunft brauchen wir Menschen also neue
Energie. Wir sollten uns dabei nicht abbringen lassen, querzudenken, Neues auszuprobieren, auch
wenn es viele Skeptiker gibt und geben wird. Und
wir sollten diese Menschheitsaufgabe „Hand in
Hand“ leisten, alle, die in der Gesellschaft Verantwortung tragen.
Sie werfen die ausgeleierten Gebetsmühlen gegen die
Ökosteuer an, übrigens jetzt bereits zum dritten Mal,
nachdem Rühe und Rüttgers damit schon gescheitert sind.
Wir probieren Neues, wir denken quer, wir übernehmen
die Verantwortung für die Zukunft.
Dazu gehört auch, dass wir übereingekommen sind,
und zwar, Herr Glos, in aller Selbstbewusstheit: die beiden Fraktionen, nicht die Regierung. Das hätte ich einmal
bei Ihnen sehen mögen, in Ihrer Zeit.
({29})
Die Fraktionen entscheiden darüber, was mit den eingesparten Zinsen in Höhe von 5 Milliarden DM geschehen
soll.
({30})
Wir werden sie gemeinsam vornehmlich in die Schienenwege, in die Straßenwege und - das ist etwas Neues - in
die Altbausanierung stecken, für die Sie entsprechende
Zuschüsse gestrichen haben. Damit schaffen wir neue
Arbeitsplätze im Handwerk und reduzieren den CO2-Ausstoß und die Heizölkosten. Diese Maßnahmen werden wir
mit einem ordentlichen Batzen Geld auf den Weg bringen.
({31})
Herr Kollege Schlauch, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Nein, ich will mit meiner Rede fortfahren.
({0})
- Herr Westerwelle, ich komme nachher zu Ihnen.
Auch hinsichtlich anderer Zukunftsinvestitionen ist
Ihre Opposition mangelhaft. Herr Gerhardt, Sie haben die
Gesundheitspolitik angesprochen. Den wichtigsten Teil
dieser Gesundheitspolitik haben Sie - das verwundert
mich nicht - ausgeblendet. Unsere Gesundheitsministerin
hat einen Dialog mit der Wissenschaft, der Wirtschaft und
der Gesellschaft zur Gentechnik organisiert. Das ist das
Zukunftsthema in der Gesundheitspolitik schlechthin.
Von Ihnen hört man zu diesem Thema überhaupt nichts.
Man hört nur: Macht hoch die Tür, die Tor’ macht weit!
Sie wollen alles zulassen, alles erlauben und fördern, auch
auf Gebieten, von denen noch niemand weiß, wohin die
Reise geht. Das finde ich grob fahrlässig und verantwortungslos.
({1})
Die Gesellschaft will diese Entwicklung nicht. Im Bereich der so genannten grünen Gentechnik hat sie sich eindeutig verhalten: Sie hat die gentechnisch manipulierten
Nahrungsmittel zu über 70 Prozent in den Regalen gelassen. Das heißt, die Bevölkerung will diese Produkte einfach nicht. Die Politik sollte sich danach richten.
Trotzdem müssen wir Folgendes beachten: Die Gesellschaft will auch kein einfaches und dumpfes Nein. Deshalb gehen die Bundesgesundheitsministerin und die
Regierungsfraktionen kompetent und differenziert an dieses Thema heran. Wir werden zu verantwortbaren Entscheidungen kommen, die von der Gesellschaft getragen
werden. Das Motto für die jetzt beginnenden Olympischen Spiele „höher, schneller, weiter“ wird als Leitlinie
für das Thema Gentechnik als Zukunftsthema Nummer
eins nicht reichen. Wir stehen vielleicht vor der größten
Revolution im industriellen Zeitalter. Herr Gerhardt, lassen Sie uns auf der Höhe der Zeit diskutieren und nicht mit
Laisser-faire-Parolen des 19. Jahrhunderts.
({2})
Neben diesem Zukunftsthema hinsichtlich der ökologischen Erneuerung werden wir - auch das ist schon angesprochen worden - die gesellschaftspolitische, die soziale Erneuerung weiter vorantreiben; dazu gehört
insbesondere das Thema Bildung, das wir im Haushalt
bezüglich der Investitionen vorrangig behandeln. Ausbildung, Studium, Weiterbildung und Qualifizierung sind die
Mittel, durch die die Menschen in die Lage versetzt werden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Heute mehr
denn je führt der Weg zur Teilhabe in der Gesellschaft
über Bildung. Ohne Bildung und ohne Qualifizierung sowie ohne Angebote zur eigenen Weiterbildung und Entwicklung lassen wir die Menschen alleine.
Zu dieser Erneuerung gehört die Dienstrechtsreform an
den Hochschulen, die wir angehen werden. Dazu gehört
weiterhin ein vom Staat gefördertes Projekt der Notebook-Universität
({3})
- sind die, die so schreien, drin oder nicht drin?
({4})
- persönlich! -, damit Studenten während des gesamten
Verlaufs des Studiums mit dem Internet arbeiten können
und sich für die zukünftigen Arbeitsplätze kompetent machen können.
Zu diesem Thema gehört auch der Vorschlag der Grünen, den wir diskutieren sollten, nämlich, das Instrument
Bildungssparen einzuführen. Das Bausparen hat seit seiner Einführung Millionen von Menschen dazu befähigt,
ihre soziale Integration zu sichern. Kein Wunder, dass das
jemand aus dem Schwabenland sagt. Die Sparer und ihre
Familien sind unabhängiger geworden. Ihre soziale Teilhabe ist durch das Bausparen und durch das entstandene
Eigentum gesichert worden. So muss es auch bei dem
heutigen und dem zukünftigen gesellschaftspolitischen
Thema Nummer eins werden: bei Bildung und Weiterbildung. Wir halten dies für einen sehr diskussionswürdigen
und sehr Erfolg versprechenden Vorschlag.
({5})
Aber auch im Bereich der Bildung warten wir gespannt
auf alternative Konzepte der Opposition. Die ist natürlich
sehr damit beschäftigt, in Wiesbaden die notwendigen
Abwehrschlachten zu führen. Die Landesgeschäftsstelle
der CDU in Hessen ist seit mindestens zwei Jahrzehnten
hochgradig in illegale Machenschaften verwickelt.
({6})
Es stellt sich nun Stück für Stück heraus, dass der selbst
ernannte brutalstmögliche Aufklärer Koch in Wirklichkeit
ein tragendes Element dieses illegalen Systems ist.
({7})
Seit Monaten präsentiert er uns nichts als manipulierte
Bücher, Vernebelungen und gezielte Desinformationen.
Der Unterschied zwischen Helmut Kohl und Roland
Koch ist folgender: Helmut Kohl weiß alles und sagt
nichts. Roland Koch weiß nichts und sagt alles, was meistens nicht stimmt.
Dazu kann ich nur sagen: Wenn Sie diese Dinge nicht
klären, werden Sie als Opposition nicht wieder auf die
Füße kommen. Sie werden aus diesem Loch nicht herauskommen.
({8})
Herr Westerwelle, jetzt komme ich zu Ihnen: Ich weiß,
dass Sie auf Bundesebene der Kämpfer dafür waren, dass
die Koalition in Hessen durch Frau Wagner beendet wird.
Sie als Generalsekretär der Bundespartei und Ihr Parteivorsitzender haben sich nicht durchgesetzt.
({9})
- Ob das falsch oder richtig ist, müssen Sie unter sich
klären. Jedenfalls haben Sie beide sich nicht durchgesetzt.
({10})
Viele Ihrer Ausführungen sind durchaus erwägenswert.
Nur, wenn Sie es dort nicht schaffen, eine Koalition zu beenden, die Ihrer Position, die Sie hier vertreten haben, diametral entgegensteht, dann sind Sie als Dialogpartner, wie
ich finde, ziemlich problematisch und schwierig. Denn
der Riss geht offensichtlich mitten durch Sie selber.
({11})
Zum Schluss komme ich noch zum Thema Rechtsradikalismus; es ist schon angesprochen worden. Bei diesem Thema stimme ich mit allem, was bisher dazu gesagt
worden ist, durchaus überein. Eines aber möchte ich anführen: Es ist sehr problematisch, wenn aus der Mitte insbesondere einer Partei immer wieder bagatellisierende
Äußerungen gemacht und fremdenfeindliche Kampagnen
losgetreten werden.
({12})
Dazu gehört die in Hessen durchgeführte Kampagne.
Dazu gehört die dümmliche Kampagne „Kinder statt
Inder“ von Herrn Rüttgers in NRW. Dazu gehört auch
die Verharmlosung rechtsradikaler Gewalttaten durch
Ministerpräsident Koch in Hessen. Dies alles passiert zu
Zeiten, in denen die ganze Republik darüber bewegt ist,
wie man Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit
wirkungsvoll begegnen kann. Spätestens nach der Äußerung von Herrn Koch zu diesem Thema zeigt sich, wes
Geistes Kind die mit illegalen Mitteln finanzierte Kampagne während des hessischen Wahlkampfes war.
Es reicht nicht aus, nach härteren Strafen und Verboten
zu rufen. Wir brauchen in unserem Land eine politische
Kultur, die von einem Klima der zwischenmenschlichen
Achtung und Toleranz geprägt ist. Die Geschehnisse in
Hessen, die durchgeführten Kampagnen und die einzelnen Äußerungen aus der Mitte der Union sind dafür mit
Sicherheit kein Vorbild. Wer Ressentiments sät, erntet keinen Frieden, sondern Sturm. Wer klammheimlich oder sogar offen Verständnis für Gesinnungen zeigt, die für andere tödlich enden können, der erntet keine Versöhnung,
sondern sät und bestärkt Hass. Es ist an der Zeit, dass die
Mitglieder der CDU darüber nachdenken und ihre Worte
sowie Taktiken sorgfältiger auswählen.
Bei der Existenz einer wahrnehmbaren radikalen
Rechten kann es nicht mehr um Integration gehen - das
stärkt sie nur -, sondern nur um deren politische BekämpRezzo Schlauch
fung. Bagatellisieren und Schönreden haben an diesem
Punkt überhaupt keinen Platz mehr.
({13})
Meine Damen und Herren, über die Außenpolitik ist
gestern diskutiert worden. Ich möchte von hier aus dem
Auswärtigen Amt für seine besonnene Haltung und für
seine besonnene Verhandlungsführung, die international
abgestimmt war, Dank sagen. Sie haben dazu geführt,
dass alle Angehörigen der Familie Wallert freigekommen
sind. Ich wünsche der Familie einen neuen Anfang in
ihrem Heimatland.
Danke schön.
({14})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Westerwelle
von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Kollege
Schlauch, da Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen
haben, erlaube ich mir, eine Kurzintervention zu machen.
Sie haben die Auffassung vertreten, eine marktwirtschaftliche Partei, wie wir Freien Demokraten es in der
Tat sind, könne sich nicht für eine Subvention aussprechen. Sie haben das bezüglich des Themas Ökosteuer
erwähnt. Sie sind genauso wie ich Jurist und haben sicher
Volkswirtschaft für Juristen im zweiten Semester absolviert. Da ging es unter anderem um die Definition der
Subvention. Diese möchte ich Ihnen noch einmal kurz
mit auf den Weg geben. Der Verzicht auf eine völlig
unnötige Steuererhöhung ist nach keiner Definition der
Welt eine Subvention. Das, was Sie hier eingeführt haben,
ist wirklich grober Unfug.
({0})
Das musste Ihnen einfach noch einmal gesagt werden.
Den Rest schenke ich Ihnen.
({1})
Es gibt
keine Erwiderung.
Ich gebe das Wort jetzt dem Fraktionsvorsitzenden der
PDS, Gregor Gysi.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen haben die
Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus die Öffentlichkeit sehr beschäftigt. Ich will dazu
nur ganz wenige Bemerkungen machen, weil wir schon
jetzt verabredet haben, in der nächsten Sitzungswoche
eine ausführliche Debatte zu diesem Thema zu führen.
Dann wird die Chance bestehen, stärker auf Ursachen, Erscheinungen und vielleicht auch Formen der Bekämpfung
einzugehen.
Der hier vom Kollegen Gerhardt unterbreitete Vorschlag einer allgemeinen Aufklärung in bildungspolitischer, auch politisch bildender Hinsicht findet meine Unterstützung und die der PDS. An einer solchen Initiative
würden wir uns immer beteiligen.
({0})
Ich will auch den Ausführungen des Kollegen
Schlauch zustimmen. Dennoch möchte ich darauf hinweisen: Was auch immer gewesen ist, jetzt müssen wir
gemeinsam dafür sorgen, dass eine Atmosphäre der Ächtung von Rassismus, Antisemitismus und daraus resultierender Gewalt in dieser Gesellschaft herrscht. Die Hemmschwelle muss einfach wieder deutlich höher werden.
({1})
Herr Glos, ich sage ganz offen: Sie meinen, Sie könnten in diesem Zusammenhang Polemik gegen Grüne und
SPD ins Feld führen; das geht aber völlig daneben. Ich
will Sie im Kampf gegen den Rechtsextremismus dabeihaben. Wenn wir aber auf dieser Ebene Parteipolemik machen, werden wir das Ziel mit Sicherheit nicht erreichen.
Ich sage Ihnen auch: Die CSU hat es gerade nötig; denn
wenn es Vorlagen gab, die auch vom Rechtsextremismus
genutzt wurden, weil mit ihnen diesbezügliche Stimmungen geschürt wurden,
({2})
dann kamen sie relativ häufig von der CSU. Das hilft uns
aber nicht weiter.
({3})
Wir müssen gemeinsam über alle Ursachen, im Westen
und im Osten, nachdenken.
({4})
- Hören Sie mir zu. Ich bin ganz offen im Gespräch, Sie
jedoch haben mit diesbezüglicher Parteipolemik angefangen.
Ich denke, neben vielen anderen Dingen, über die wir
reden müssen, müssen wir auch darüber reden, wie sich
bestimmte Dinge in unserer Strafjustiz einordnen. Es
stört mich seit langem ungemein, dass Eigentum durch die
Strafjustiz viel deutlicher geschützt wird als die Würde
und die Unversehrtheit von Menschen.
Ich will Ihnen kurz zwei Beispiele nennen: Der Vater
von Steffi Graf hat, wenn ich mich recht entsinne, etwa
viereinhalb Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung wegen
Steuerhinterziehung bekommen. Was glauben Sie, wie
viel Gewalt Sie in dieser Gesellschaft anwenden müssen,
bevor Sie eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren bekommen?
({5})
In den 90er-Jahren habe ich eine Dokumentation im
Fernsehen gesehen. Mehrere Polizisten hatten in Hamburg auf der berühmten Reeperbahn einen angetrunkenen
Obdachlosen festgenommen, ihn mitgenommen und in
der Zelle eingeschlossen. Jetzt stand er also unter ihrer
Obhut. Weil er sie aber beleidigt hat, sind sie noch einmal
in die Zelle hineingegangen und haben ihn so lange geschlagen, bis er tot war. Alle Beteiligten bekamen lediglich eine Bewährungsstrafe und blieben Polizisten.
Auch ein Obdachloser, auch ein angetrunkener Obdachloser ist ein Mensch. Auch ihm stehen die Art. 1 und 2 des
Grundgesetzes zur Seite. Hier muss sich unsere Rechtsprechung wirklich ändern.
({6})
Als Linker könnte ich natürlich sagen: Es ist typisch für
den Kapitalismus, dass Eigentum mehr als der Mensch
geschützt wird. Ich verkneife es mir aber, das zu sagen,
({7})
und sage lieber: Lassen Sie es uns gemeinsam ändern!
({8})
Zur Außenpolitik möchte ich nur ganz wenige Bemerkungen machen: Die größte Differenz zwischen uns
und der Bundesregierung - das wissen Sie, Herr Bundeskanzler, das muss ich nicht wiederholen; hier gab es eine
ganz große Auseinandersetzung - bestand über den Krieg
gegen Jugoslawien. Wir halten ihn nach wie vor für völlig falsch. Wir glauben, dass dies mittel- und langfristig
nicht nur die jugoslawische Bevölkerung, sondern auch
uns teuer zu stehen kommt. Die heutige Entwicklung in
Russland kann man überhaupt nur verstehen, wenn man
sie in Zusammenhang mit diesem Krieg setzt.
Was Herr Glos ansonsten angeboten hat - allerdings
hat er sich zu dem gerade angesprochenen Thema nicht
geäußert -, fand ich ziemlich abenteuerlich. Ich will Ihnen auch sagen, welche Sorgen ich mir mache. Wenn wir
über die Osterweiterung der EU so diskutieren, wie das
Herr Glos hier getan hat, befürchte ich, dass dies zum
Wahlkampfthema 2002 wird. Ich befürchte, dass damit
Vorbehalte geschürt und auch genutzt werden, dass wir
wieder Geister rufen, deren Beherrschung uns hinterher
kaum möglich ist. Lassen wir das bleiben! Wir brauchen
Osteuropa auch für die europäische Integration;
({9})
natürlich mit den Menschen, natürlich sozialverträglich.
Genau dafür werden wir uns einsetzen.
Sie wissen ganz genau, dass sich der Vorgänger von
Gerhard Schröder, Helmut Kohl, der dort sitzt, genauso
und kein bisschen anders für die Osterweiterung eingesetzt hätte. Das war immer seine Politik. Sie sollten jetzt
nicht in andere Zeiten zurückfallen.
({10})
Ich sage noch etwas in Bezug auf Herrn Haider. Sie sagen, der Mann sei durch die Maßnahmen des Bundeskanzlers und der anderen europäischen Staaten populär
gemacht worden. Nein, wenn überhaupt, dann ist er durch
Herrn Stoiber populär gemacht worden. Das wollen wir
hier einmal festhalten.
({11})
Zu den Sanktionen habe ich eine eher differenzierte
Meinung. Aber es wäre das Letzte, wenn sich unser Bundeskanzler auch noch bei Herrn Haider entschuldigen
würde. Dann wäre er nicht mehr meiner. Das will ich ganz
deutlich sagen. Ich glaube, das kommt nicht in Frage.
({12})
Ich möchte noch eine Bemerkung zu dem machen, was
Sie, Kollege Dr. Struck, gesagt haben! Es geht hier um den
Etat des Bundeskanzlers. Dies ist eigentlich nicht der
Rahmen für eine Debatte über die Spendenaffäre oder die
Krise in der CDU. Sie haben ein bisschen das Thema verfehlt.
({13})
- Man kann aber das eine oder andere dazu sagen. Das
geht ja in Ordnung.
Ich teile völlig Ihre Kritik daran, dass sich die Verantwortlichen der CDU so wenig um Aufklärung bemühen,
speziell auch Helmut Kohl. Ich teile auch Ihre Auffassung, dass die Situation in Hessen unerträglich ist und nur
durch Neuwahlen verbessert werden kann. Alles andere
muss die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Politik- und
Demokratiefrust immer weiter bestärken.
({14})
Eines sage ich aber ganz deutlich, auch auf die Gefahr
hin, dafür aus den eigenen Reihen kritisiert zu werden: Ich
finde es völlig falsch, wenn sich irgendein Abgeordneter
und erst recht ein Fraktionsvorsitzender hier im Bundestag hinstellt und von einem anderen Abgeordneten die
Niederlegung des Mandats fordert. Das geht wirklich
nicht.
({15})
Dabei ist es ganz egal, was man ihm vorwirft. Wir haben
ein freies Mandat.
Was die Medien machen, ist das eine. Was aus der eigenen Partei kommt und was es an Druck von den Wählerinnen und Wählern gibt, ist das andere. Das ist alles
legitim. Aber wir können uns nicht hier im Bundestag gegenseitig das Mandat streitig machen. Wenn wir einmal
anfangen, hier darüber zu diskutieren, wer drin bleiben
und wer rausgehen soll, dann negieren wir diesbezüglich
die Wahlsouveränität des Volkes. Das geht nicht und das
sollten wir bleiben lassen.
({16})
Nun zur Gesamtleistung der Bundesregierung! Eines
muss ich Ihnen bescheinigen, Herr Bundeskanzler: In diesen zwei Jahren hat die Regierung deutlich an handwerklicher Professionalität gewonnen. Ich erinnere mich
noch daran, wie hier zu Beginn der Legislaturperiode von
der Regierungskoalition Gesetze eingebracht wurden, die
nicht nur dreimal verändert, sondern glatt in ihr Gegenteil
verkehrt oder auch wieder zurückgezogen wurden und
noch einmal mit völlig anderen Varianten wiederkamen.
All das ist vorbei. Es ist eine handwerkliche Professionalität eingekehrt.
Es ist auch wahr, dass Reformstaus aufgelöst worden
sind.
({17})
- Ja, Türen sind geöffnet worden. Es ist vieles in Bewegung gebracht worden. In welche Richtung, darüber müssen wir allerdings streiten. Das ist dann ein ganz anderes
Thema. Aber Bewegung gibt es; das kann man überhaupt
nicht leugnen.
Ich finde, dass auch die Ziele der Politik klarer geworden sind. Damit hat auch eine Profilgewinnung stattgefunden. Auch das kann man nicht leugnen, wobei man
natürlich auch über das Profil streiten muss.
Wenn allerdings Herr Glos meint, dem Bundeskanzler
monarchistische Regierungsweise vorwerfen zu können:
({18})
Ja, lieber Herr Glos, aber das kann doch nun wirklich keiner sagen, der aus der CSU kommt. Das ist ein ziemlich
absurder Gedankengang.
({19})
Eines aber sage ich auch: Ich teile die Kritik von Herrn
Glos in einem Punkt, Herr Bundeskanzler. Die Verlagerung der Gesetzgebungsarbeit nach außerhalb des Bundestages, in andere Gremien ist verfassungsrechtlich
höchst bedenklich, schränkt die Möglichkeiten des Bundestages ein und macht die Wahlen in Verbänden wichtiger als die Bundestagswahl. Das ist nicht hinnehmbar. Ich
sage das ganz deutlich: Das ist nicht hinnehmbar und auch
nicht ungefährlich.
({20})
Gespräche mit den Vertretern aller gesellschaftlichen
Gruppen, um zu einem Konsens zu kommen - okay, machen Sie das! Aber verabreden Sie mit ihnen keine Gesetze, sodass Ihre eigene Koalition nur noch Ja sagen
kann, wenn sie nicht den Kompromiss als Ganzes gefährden will.
({21})
Wir sind hier kein Ratifizierungsorgan für innerstaatliche
Gesetze. Das gibt es nur bei völkerrechtlichen Verträgen.
Ansonsten sind wir Gesetzgeber und diesbezüglich wollen wir auch gefragt sein.
({22})
Nun ist das Hauptziel der Bundesregierung das Sparen, der Abbau von Neuverschuldung und überhaupt der
Abbau von Schulden. Das ist zunächst einmal ein völlig
berechtigtes Ziel. Es ist ja nicht nur ökonomisch wichtig,
es ist ja nicht nur wichtig, um den Spielraum des Staates
zu erweitern, sondern es ist auch eine höchst soziale Maßnahme
({23})
- ja, unstrittig -; denn hohe Verschuldung bedeutet immer
eine Umverteilung zugunsten der Gläubiger der Schulden
des Staates. Und das sind die Vermögenden und Reichen
unserer Gesellschaft und das müssen letztlich andere
bezahlen.
({24})
Insofern unterstützen wir diesen politischen Ansatz.
Ich bedaure dennoch, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von der ersten Stelle, die sie ursprünglich
einnehmen sollte, verdrängt wurde und die Sparpolitik an
die erste Stelle gesetzt worden ist.
({25})
Nun sage ich Ihnen noch eines: So richtig ich das finde,
kein Prinzip darf zum Selbstzweck verkommen. Denn
nicht nur mit hohen Schulden verschöben wir Probleme
auf nachfolgende Generationen. Auch wenn wir Dinge
nicht bezahlten, die heute bezahlbar sind und mit denen
wir gesellschaftliche Probleme lösen könnten, verschöben wir diese Probleme auf nachfolgende Generationen.
Deshalb muss man bei einem Prinzip immer aufpassen,
dass es nicht zum Dogma verkommt. Ich habe den Eindruck, es verkommt zum Teil zum Dogma.
({26})
Wenn man denn Neuverschuldung reduzieren will und
wenn man Schulden abbauen will, gibt es dafür immer
zwei Wege. Man kann Leistungen kürzen, also Ausgaben
reduzieren, oder man kann Einnahmen erhöhen. Man
kann auch beides tun. Sie wollen aber die Einnahmen senken und die Leistungen kürzen und dabei die Verschuldung abbauen. Dies geht dann ganz häufig zulasten der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der sozial
Schwächsten in der Gesellschaft. Das muss von einer
linken Opposition klar kritisiert werden.
({27})
Deshalb unsere Vorschläge zu den UMTS-Erlösen.
Erst einmal ist es richtig, dass sie im Prinzip zum Schuldenabbau eingesetzt werden. Wir schlagen vor, 90 Milliarden DM zur Schuldentilgung einzusetzen. Wir meinen
aber, dass drei Ausgaben unbedingt gemacht werden
müssten.
Die Bundesregierung und Sie persönlich, Herr Bundeskanzler, hatten den Rentnerinnen und Rentnern auch
für das Jahr 2000 die Nettolohnanpassung versprochen.
Sie haben sich dann bei den Rentnerinnen und Rentnern
entschuldigt und gesagt: Die Kassenlage gibt das einfach
nicht her, deshalb ist es nicht möglich und deshalb nur die
Inflationsrate. Heute ist aber den Rentnerinnen und Rentnern nicht zu erklären, dass wir, wenn 100 Milliarden DM
unerwartet in den Haushalt fließen und die nachträgliche
Revision, das heißt die Durchführung der Nettolohnanpassung rückwirkend zum 1. Juli 2000, nur 3,8 Milliarden DM kosten würde, nicht bereit sind zu sagen: Jetzt hat
sich die Situation verändert, jetzt wird das ursprüngliche
Versprechen erfüllt und die Nettolohnanpassung im
Nachhinein realisiert.
({28})
Wir sind dafür, dass wir eine kommunale Investitionspauschale für die neuen Bundesländer und für strukturschwache Regionen in den alten Bundesländern zur Verfügung stellen, um Maßnahmen im soziokulturellen
Bereich und im Bildungsbereich zu finanzieren. Das
wären 3 Milliarden DM.
Dann müssen wir unbedingt ein Problem lösen, das
sonst verheerende Folgen hätte. Wir müssen die Entschuldung der leer stehenden Wohnungen im Osten beginnen. Sonst gibt es dort eine Katastrophe. Deshalb
schlagen wir vor, 3 Milliarden DM zur Verfügung zu stellen, um diese Altschulden abzubauen. Dann blieben uns
noch 90 Milliarden DM, die wir zur Schuldentilgung einsetzen könnten.
Nun komme ich auf die Zinseinsparungen zu sprechen. Was die Verwendung dieser Mittel angeht, stimmen
wir mit der Richtung der Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion überein, hier insbesondere an Bildung und
Kultur zu denken. Da die großen Konzerne bereits gezahlt
haben und dieses Geld noch nicht zur Schuldentilgung
eingesetzt worden ist, sind inzwischen schon über
600 Millionen DM an Zinseinnahmen entstanden. Wir
müssen uns auch Gedanken machen, was wir mit diesem
Geld machen wollen. Da schlage ich Ihnen in Übereinstimmung mit dem Vorschlag von Herrn Gerhardt vor,
damit ein Sofortprogramm zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zu finanzieren.
({29})
Das wäre eine ausgewogene Lösung. Es wäre kein
Dogma, trotzdem würde das Prinzip des Abbaus der
Schulden aufrechterhalten.
Was nun die Steuerpolitik der Bundesregierung betrifft, so glaube ich, dass sie auf der Einnahmenseite nicht
stimmt. Entgegen dem Versprechen von SPD und Grünen
im Wahlkampf ist die Vermögensteuer nicht wieder eingeführt worden. Aber es ist nicht zu erklären, weshalb gerade die Vermögenden in unserer Gesellschaft so wenig
und immer weniger zur Kasse gebeten werden, während
die Belastungen für andere ständig zunehmen. Die stärkste Entlastung durch die Steuerreform trifft nun einmal die
Besserverdienenden und die Vermögenden, die großen
Konzerne, Versicherungen und Banken. Nichts Vergleichbares aber gibt es für sozial Schwache, für normal
verdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
für kleine und mittelständische Unternehmen - trotz positiver Elemente, zum Beispiel der Erhöhung des Kindergeldes, der Erhöhung des Existenzminimums und der
Senkung des Eingangssteuersatzes.
Eines muss ich hier richtig stellen, Herr Schlauch. Das
Sahnehäubchen, von dem Sie gesprochen haben, hat nicht
die F.D.P. erhandelt - das ist falsch -, auch wenn Herr
Gerhardt dies hier behauptet. Vor der Gesprächsrunde mit
der F.D.P. gab es nämlich eine Gesprächsrunde mit der
PDS aus Mecklenburg-Vorpommern. Und Herr Holter hat
durchgesetzt, dass die Handwerker und Gewerbetreibenden nicht die volle Steuer auf Verkaufserlöse zahlen müssen.
({30})
So viel Ehrlichkeit muss schon sein. Das müssen wir in
diesem Zusammenhang sagen.
({31})
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas zu der Verteilung in
unserer Gesellschaft - ich finde, Sie sollten das nicht auf
die leichte Schulter nehmen -: Seit 1980 sind die realen
Nettoeinkommen in der Bundesrepublik Deutschland
um 4,3 Prozent gestiegen und seit 1980 sind die realen
Nettogewinne der Unternehmen in der Bundesrepublik
Deutschland um 84,4 Prozent gestiegen. Daran hat sich,
lieber Herr Schlauch, auch unter Ihrer Regierung nichts
geändert.
({32})
Diese Schieflage bedarf dringend der Korrektur.
({33})
Die Steigerung der Nettogewinne bezieht sich überwiegend auf Aktiengesellschaften; viele kleine und mittelständische Unternehmen dagegen ringen um ihre Existenz. Heute gibt es eine Kundgebung der Frauen von
Handwerkern und Gewerbetreibenden, die alle in Konkurs gehen mussten und sich nun in einer verzweifelten
Situation befinden. Wir müssen uns endlich etwas einfallen lassen. Wir können nicht immer nur eingreifen, wenn
es um 2 000 Beschäftigte geht. Wir müssen auch etwas
tun, wenn zweihundertmal 10 Beschäftigte entlassen werden müssen. Es läuft schließlich auf die gleiche Zahl
hinaus und die Schicksale sind gleich viel wert.
({34})
Sie sagen immer, das Geld sei knapp und man könne
mithilfe der Steuer nichts machen. Das Geldvermögen in
der Bundesrepublik Deutschland betrug 1990 3 000 Milliarden DM, also 3 Billionen DM, 1997 5 000 Milliarden DM und 1999 6 500 Milliarden DM. Davon haben
10 000 der reichsten Haushalte 30 Prozent; das macht pro
Haushalt im Durchschnitt 195 Millionen DM aus. 10 Prozent der Haushalte haben sogar 50 Prozent des Geldvermögens, während 14 Prozent der Haushalte überhaupt
kein Geldvermögen haben. Man darf als Partei des Demokratischen Sozialismus doch wohl noch kritisieren,
dass an der Verteilung des Vermögens in dieser Gesellschaft irgendetwas nicht stimmt und die Bundesregierung
dies auch noch befördert, statt wenigstens schrittweise
umzuverteilen.
({35})
Noch, Herr Bundeskanzler, gilt Art. 14 des Grundgesetzes:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Versetzen Sie sich doch einmal in das Schicksal unserer
100 Milliardäre in der Bundesrepublik Deutschland!
({36})
Wenn die Milliardäre dies ernst nähmen - sie sind doch
alle Verfassungspatrioten -, müssten sie sich den ganzen
Tag eine Birne machen, wie sie ihre Milliarde für das Allgemeinwohl einsetzen könnten. Wollen wir ihnen nicht
helfen und sie ein bisschen von der Verantwortung entlasten, indem wir einen Teil gleich dem Allgemeinwohl zuführen? Das ist es, was wir durch eine Vermögensteuer
und ähnliche Maßnahmen erwarten.
({37})
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist zum großen
Teil auf den demographischen Faktor zurückzuführen.
Dass die Zahlen jetzt besser sind, hat also damit zu tun,
dass viel mehr Leute in Rente gehen, als Leute in den Arbeitsmarkt kommen. Es hat aber auch mit dem Exportanstieg zu tun; das ist wahr. Aber, Herr Bundeskanzler,
dieser Exportanstieg hat auch wieder mit der Schwäche
des Euro zu tun. Die Schwäche des Euro wird natürlich
auch zu einem Problem für unsere Gesellschaft, nicht nur
was die Importe, sondern auch was die Inflation und den
Spielraum des Staates betrifft. So sind wir hier ein bisschen in der Zwickmühle. Ich wünschte mir einen stabileren Euro. Aber wenn er stabiler wird, dann wird auch der
Exportboom möglicherweise wieder zurückgehen. Was
machen wir dann mit dem Problem der Arbeitslosigkeit?
Deshalb sage ich Ihnen: Wenn wir den Binnenmarkt
nicht dauerhaft strukturell stärken, dann wird der Abbau
der Arbeitslosigkeit nicht anhalten, weil man sich hier
nicht alleine auf den Exportanstieg verlassen kann. Das ist
das eigentliche Problem.
Wenn man aber den Binnenmarkt stärken will, dann
müssen wir etwas für die Kaufkraft tun. Die geringen
Steigerungen der Löhne, die Reduzierungen bei den Sozialleistungen und den Renten sind meines Erachtens der
falsche Weg, nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch.
({38})
- Herr Bundesfinanzminister, darf ich Ihnen einmal etwas
sagen? Der Bruttolohnanstieg betrug 1999 in den USA
3 Prozent, in Großbritannien beim neoliberalen Blair
5 Prozent, in Deutschland 1,8 Prozent. Wenn Sie dann
noch die Inflationsrate abziehen, bleibt nichts übrig. Das
ist die Realität. Wenn ich dann noch die Ökosteuer dazunehme, entstehen sogar Verluste. Das geht so nicht. Damit
helfen Sie uns auch wirtschaftlich nicht, weil die Nachfrage nicht steigt.
({39})
Sie wissen doch ganz genau: Bei den Reichen entsteht
doch keine Kaufkraft. Wenn Sie ihnen mehr geben, dann
spekulieren und sparen sie mehr. Nur Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer und sozial Schwächere kaufen dann
wirklich mehr. Die Kaufkraft stärkt man nur bei dieser
Gruppe und beim Durchschnitt der Gesellschaft, nie bei
den Reichen. Das ist einfach eine ökonomische Binsenweisheit.
({40})
Wenn ich dann sehe, dass die Arbeitsmarktaufwendungen im Haushalt um 11,5 Milliarden DM gekürzt werden
sollen, dass der Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit
von 7,8 Milliarden DM in diesem Jahr auf 0 DM reduziert
werden soll, dann frage ich mich: Wissen Sie, welche katastrophalen Auswirkungen dies für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in allen neuen Bundesländern und in
den strukturschwachen Regionen des Westens haben
wird?
({41})
Ich muss natürlich noch eine Bemerkung zur Ökosteuer machen. Bei der CDU/CSU und der F.D.P. habe ich
immer den Verdacht, sie wollen nicht eine andere, sondern
sie wollen gar keine Ökosteuer. Dazu will ich deutlich sagen: Das sieht die PDS anders. Wir brauchen einen Preis
für den Verbrauch von Natur. Insofern ist die Idee einer
Ökosteuer richtig. Nur: Die, die wir haben, taugt nichts
- das ist allerdings wahr -,
({42})
weil sie keine ökologische Lenkungswirkung hat, weil sie
sozial unverträglich ist und weil keine Alternativen angeboten werden.
({43})
Bevor man das Auto fast unbezahlbar macht, muss man
Bus und Bahn, den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und übrigens auch den Gütertransport so organisieren, dass sie überall regelmäßig verkehren und dass sie
sicher und bezahlbar sind. Aber mit Ihrer Ökosteuer machen Sie Bus und Bahn noch teurer. Das geht einfach zu
weit. Hinzu kommen noch die Heizölpreise. Ich sage Ihnen noch mal: Erst laufen und dann noch frieren, das ist
von den Leuten einfach zu viel verlangt. Das müssen Sie
korrigieren. Das werden Sie wahrscheinlich auch noch
korrigieren.
({44})
Herr Kollege Gysi, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich sprach von den Auswirkungen auf die Bevölkerung, Herr Kollege. Das wissen
Sie. Das müssen Sie korrigieren. Es hilft nun alles nichts,
dass auch andere ihren Anteil daran haben. Das ist doch
klar. Aber auch der Staat hat eben seinen Anteil daran. Er
muss das ihm Mögliche tun. Er soll ja nichts Unmögliches
tun.
Ich müsste jetzt noch viel zur Rentenreform sagen, zu
der ich leider nicht mehr gekommen bin. Lassen Sie mich
dazu nur bemerken: Ich glaube, dass der begonnene Ausstieg bzw. der Plan, aus der paritätischen Finanzierung
der Rente auszusteigen, ein Jahrhundertfehler der Sozialdemokratie wird. Ich bin davon überzeugt, dass spätere
Regierungen den Weg fortsetzen werden: Senkung des
Rentenniveaus und dafür die Anhebung der Beiträge zur
privaten Halbpflichtversicherung, wie ich es einmal nennen möchte. Wenn Sie diesen Weg weitergehen, werden
Sie ihn prinzipiell nie wieder kritisieren können. Machen
Sie das nicht. Es gibt andere Lösungen.
Herr Kollege Gysi, würden Sie jetzt bitte wirklich zum Schluss
kommen.
Wir könnten wirklich andere
Schritte gehen. Ich werde sie Ihnen bei anderer Gelegenheit zu erläutern versuchen. Diese Gelegenheit wird es, so
hoffe ich zumindest, noch geben, vielleicht in der nächsten Sitzungswoche.
Also, Herr Bundeskanzler, ich denke, dass Sie nach
vier Jahren Legislaturperiode sicherlich nicht sagen können, dass wir eine sozial gerechte Gesellschaft haben.
Aber ich würde mich freuen, wenn Sie nach vier Jahren
wenigstens sagen könnten - dafür bedarf es aber Korrekturen in der Politik -, dass wir eine sozial gerechtere Gesellschaft haben. Dazu gehört dann aber auch, dass unsere
ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Frieden
und in Sicherheit leben können. Anders gibt es keine soziale Gerechtigkeit.
Danke schön.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Gerhard Schröder, Bundeskanzler ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gysi, in einem Punkt haben
Sie Recht. Wir werden am Ende der Legislaturperiode
nicht nur sagen können: Wir haben diese Gesellschaft sozial gerechter gemacht, sondern auch: Wir haben sie ökonomisch vernünftiger organisiert.
({1})
Wir werden sagen können: Es ist uns gelungen, Modernität in unserer Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit
zu verbinden. Es ist keineswegs so, dass wir sagen können: Wir haben alles erreicht, was wir uns vorgenommen
haben, aber allemal so, dass wir sagen können: Wir haben
viel erreicht und es hat sich gelohnt, die vier Jahre gearbeitet zu haben.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesfinanzminister, auf dessen Arbeit ich stolz bin - ich benutze dieses Wort ausdrücklich -, hat einen Haushalt vorgelegt, der in diesem Sinne Solidität auf der einen Seite
und Zukunftsorientierung auf der anderen Seite miteinander verbindet. Die unter anderem in diesem Haushalt
zum Ausdruck kommende Politik ist eine geglückte Verbindung zwischen wirtschaftlicher Vernunft und politischer Veränderungswilligkeit und -bereitschaft.
({3})
Es ist noch nicht so lange her, da hatte Politik in
Deutschland international das Attribut „German disease“,
die „deutsche Krankheit“. Es war das Markenzeichen der
Vorgängerregierung.
({4})
- Meine Damen und Herren, damit werden Sie sich wohl
abfinden müssen; denn exakt dieser Begriff ist in der internationalen Publizistik verwendet worden, als Sie regiert haben, niemand anders.
({5})
Sie werden sich also damit auseinander zu setzen haben.
Es war das Attribut für Ihre Regierungszeit:
({6})
„Deutsche Krankheit“ hat es geheißen.
({7})
Dieser Begriff der „deutschen Krankheit“, der „German disease“, ist nicht nur aus der nationalen, sondern
auch aus der internationalen Öffentlichkeit verschwunden. Deutschland ist - das ist ein Erfolg dieser Regierung - wirtschaftlich und politisch wieder vorn.
({8})
- Ich werde Ihnen das gleich anhand einiger Daten erklären.
Meine Damen und Herren, dies darf niemand gefährden; denn das wäre verhängnisvoll für unser Land und für
die Menschen in unserem Land. Verantwortliche Politik
hat vielmehr den Trend, den wir Gott sei Dank haben, zu
verstärken. Also: Organisierte Verantwortungslosigkeit,
wie sie in Ihren Kampagnen zum Ausdruck kommt, darf
ihn nicht bremsen.
({9})
Ihre kurzsichtigen und kurzatmigen Kampagnen beinhalten die Gefahr, dass wirtschaftliches Wachstum und damit
Verstärkung von Beschäftigung wieder ausbleiben.
({10})
Sie werden dann dafür verantwortlich gemacht; damit
müssen Sie rechnen.
Wenn ich heute in einer großen Berliner BoulevardZeitung etwas über regelrechte Aufmarschpläne für Blockaden von Versorgungseinrichtungen lese, dann ist es ein
Ergebnis Ihrer Aufforderung zu organisierter Verantwortungslosigkeit.
({11})
Sie sollten zumindest darüber nachdenken.
({12})
Im Übrigen zeigt das nur, meine sehr verehrten Damen
und Herren von der Opposition, dass Sie das Thema benutzen, um aus der selbst verschuldeten politischen Defensive, in der Sie stecken, herauszukommen. Ich will auf
die Einzelheiten nicht eingehen. Aber klar ist, dass das der
Versuch ist. Schlimm ist, dass es Ihnen bei diesem
Versuch, aus der selbstverschuldeten Defensive herauszukommen, gleichgültig ist, wie sich wirtschaftliches
Wachstum und Beschäftigung entwickeln.
({13})
Das, meine Damen und Herren, ist die Gleichsetzung von
Parteiinteressen mit Interessen des Staates und das zeigt
eindeutig, dass Sie auf absehbare Zeit nicht in der Lage
sind, gesamtwirtschaftliche und gesamtstaatliche Verantwortung zu übernehmen.
({14})
Demgegenüber ist es an der Zeit, die Lage so zu beschreiben, wie sie wirklich ist; das ist auch Aufgabe dieser Debatte. Wir haben, meine sehr verehrten Damen und
Herren, im ersten Halbjahr dieses Jahres ein reales
Wachstum von 3,3 Prozent gehabt. Wir können damit
rechnen, dass wir, wenn bewusst herbeigeführte Störungen nicht eintreten, in diesem Jahr ein reales Wachstum
von 3 Prozent - manche halten sogar mehr für möglich erreichen werden.
({15})
Dies wird unmittelbar positive Auswirkungen auf die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben und hat es bereits jetzt. Deshalb meine Bitte an alle, die bereit sind,
Verantwortung zu übernehmen, ob sie in den Medien, in
der Wirtschaft oder in der Politik tätig sind: Lasst das gefährliche Spiel mit dieser Kampagne,
({16})
denn es könnte dazu führen, dass die Wachstumserwartungen und damit die Beschäftigungschancen, die wir
Gott sei Dank haben, zumindest gefährdet werden.
({17})
Für dieses Zündeln werden Sie die volle Verantwortung übernehmen müssen,
({18})
weil wir Sie aus der Verantwortung nicht herauslassen.
Was Sie dort betreiben, ist der Aufruf zur Nötigung, und
dies wird der Staat nicht hinnehmen, damit das völlig klar
ist.
({19})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben das trägt erheblich zum wirtschaftlichen Wachstum und
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei - ein Exportwachstum, das in diesem Jahr zweistellig sein wird. Das
freut mich und andere sollte es auch freuen; denn bedauerlicherweise sind wir immer noch sehr stark von den Exportquoten abhängig. Immer noch brauchen wir ungeachtet der sich bessernden Binnenkonjunktur den Schub aus
dem Export, wenn wir Wachstum und Aufbau von Beschäftigung politisch wirklich wollen.
({20})
In diesem Zusammenhang, Herr Gerhardt, zu Ihnen
oder, besser gesagt, zu Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich ökonomisch betätigt haben, um Ihnen
aufzuhelfen.
({21})
Ich lese Ihnen einmal etwas vor, was jemand geschrieben
hat, der sich sein ganzes Leben lang sehr erfolgreich mit
diesen Fragen beschäftigte und dazu keine Mitarbeiter
brauchte, nämlich Helmut Schmidt.
({22})
- In dieser Frage brauchte er sicherlich keine Mitarbeiter.
Helmut Schmidt schrieb in der „Zeit“ vom letzten
Donnerstag:
Sind 2,20 DM etwa eine Katastrophe für uns oder für
den Euro und Wim Duisenberg, den Präsidenten der
Europäischen Zentralbank? Waren denn 3,45 DM
eine noch größere Katastrophe für die Deutsche
Mark oder für Kohl und den damaligen Bundesbankchef Pöhl? Waren denn 1,38 DM eine Katastrophe für Clinton und den Dollar?
({23})
Dann kommt eine Mahnung, die Sie sich wenigstens
anhören sollten:
Freunde, hört auf mit dem Gejammer! Den Herren
Koch, Rüttgers und Genossen, leider auch Frau
Merkel - ({24})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
- Das steht hier. Ich zitiere Helmut Schmidt, den auch Sie
sonst doch immer ganz gern zitieren.
({25})
Ich zitiere weiter:
Freunde, hört auf mit dem Gejammer!
Ich unterstreiche das dreimal: Hört wirklich auf!
Den Herren Koch, Rüttgers und Genossen, leider
auch Frau Merkel, ist zu empfehlen, das Auf und Ab
der Kurve zu studieren, ehe sie sich das nächste Mal
als Währungssachverständige aufspielen.
({26})
Das ist ein Rat meines verehrten Vorvorgängers, den ich
Ihnen dringend anempfehle, nicht zuletzt demjenigen, der
sicher nach mir reden wird und zu dem Thema sicher auch
das eine oder andere beizutragen hat, ein Rat, den ich,
Herr Gerhardt, auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur kritischen Durchsicht anempfehle.
({27})
Ich sage es noch einmal: Wir brauchen diese Exporte,
weil sie in sinnvoller Weise die sich langsam festigende
Binnenkonjunktur ergänzen und weil alles zusammen die
Chance enthält, die wir ergreifen werden und müssen,
über das wirtschaftliche Wachstum zu einem nachhaltigen
Abbau der Arbeitslosigkeit zu kommen.
Übrigens: Hochinteressant waren natürlich die Bemerkungen von Herrn Glos, und zwar nicht nur wegen seiner
Sprachgewalt, die mir wirklich Freude macht - das muss
ich einfach mal einräumen -;
({28})
das Ganze, verehrter Michael Glos, hatte ja phasenweise
weniger den Anschein einer Parlamentsrede, als einer
Büttenrede.
({29})
Sie scheinen übersehen zu haben, dass wir noch vor dem
11. November dieses Jahres sind. Danach ist noch mehr
möglich. Sie sind gewiss noch steigerungsfähig. Aber
Spaß macht es jedenfalls, Ihnen zuzuhören.
({30})
Das will ich überhaupt nicht bestreiten.
Sie haben aber über eine angeblich galoppierende Inflation geredet. Im August lag die Inflationsrate bei
1,8 Prozent und war damit niedriger als überall in Europa.
({31})
Von einem richtigen Galopp kann man bei diesen Daten
wohl kaum reden.
({32})
Die Wahrheit ist: Wir haben in diesem Jahr ein wirtschaftliches Wachstum von 3 Prozent zu erwarten. Wir haben einen Abbau der Arbeitslosigkeit, speziell der Jugendarbeitslosigkeit - ich komme noch darauf -, und dies
bei einer Inflationsrate von unter 2 Prozent. Das sind wenn Sie es auch nicht wahrhaben wollen - brillante gesamtwirtschaftliche Daten, die Sie in Ihrer Regierungszeit
nie erreicht haben. So einfach ist das.
({33})
Es ist daher kein Wunder, dass angesichts dieser Lage
die Europäische Zentralbank - wahrhaft keine Versammlung von Sozialdemokraten - sagt: Seit 20 Jahren - ich betone: seit 20 Jahren - war die konjunkturelle Situation
in Deutschland nicht so gut wie heute. - Beschäftigen Sie
sich bitte mit den Fakten, mit den wirklichen Entwicklungslinien der Politik in Deutschland, mit dem, was uns
mittel- und langfristig helfen wird, und lassen Sie diese
kurzatmigen Kampagnen, die Ihnen vielleicht einen kurzfristigen Entsatz bei Ihren Schwierigkeiten bringen können, mittel- und langfristig fallen Sie aber nur weiter in
die politische Defensive. Mir soll es recht sein.
({34})
Worin liegen die Ursachen für diese Daten und worin
liegt der Erfolg, der in ihnen steckt? Er liegt - das kann
man nicht oft genug unterstreichen - nicht zuletzt an einer Konsolidierungspolitik, für die der Name Hans
Eichel steht.
({35})
Auf dem Weg, den er mit unser aller Unterstützung beschrieben hat, stehen wir erst am Anfang. Wir werden ihn
konsequent weiter beschreiten. Ich wiederhole sein Ziel:
im Jahre 2006 zu einem möglichst ausgeglichenen Haushalt, also zu einem Haushalt ohne Neuverschuldung zu
kommen. Das ist ein Ziel, das unserem Staat, unserer Gesellschaft sowie den Menschen in unserem Land nutzen
wird und das Hans Eichel mit aller Konsequenz und mit
der Unterstützung des gesamten Kabinetts weiter verfolgen wird.
({36})
- Und natürlich mit Unterstützung der Koalitionsfraktionen.
Warum? Wir machen damit klar, dass solide Finanzen
dem Prinzip der Nachhaltigkeit folgen und auch folgen
müssen. Nachhaltigkeit heißt hier, dass wir während unseres Lebensabschnitts nicht das aufessen, wovon unsere
Kinder und Enkelkinder auch leben wollen und müssen.
Die solide eichelsche Finanzpolitik ist nicht zuletzt ein
Gebot der Fairness gegenüber künftigen Generationen.
({37})
Deshalb machen wir mit dem Schuldenabbau Ernst.
Deshalb setzen wir entgegen lautstarken Forderungen von
der rechten Seite des Hauses die Erlöse aus der VersteigeBundeskanzler Gerhard Schröder
rung der UMTS-Lizenzen für den Abbau von Schulden
ein, nicht, weil es keine Aufgaben gäbe, Herr Gysi, die wir
auch gerne sofort anpacken und finanzieren würden,
nicht, weil wir nicht wüssten, dass einige der Forderungen, die Sie gestellt haben, durchaus nachvollziehbar sind, und nicht, weil wir diese Aufgaben nicht auch
gerne erfüllen würden - das ist doch nicht der Punkt -,
sondern deshalb, weil wir uns zwischen der Möglichkeit,
mit dem Geld aus der Versteigerung uns, der jetzt lebenden und aktiven Generation, zu helfen, und der Möglichkeit, dieses Geld im Sinne der Nachhaltigkeit für künftige
Generationen einzusetzen, entscheiden müssen und weil
wir wissen, dass wir das Geld nur einmal ausgeben können und dass wir es im Interesse unserer Kinder und Enkelkinder in den Schuldenabbau stecken müssen, wenn
wir unserer Verantwortung ihnen gegenüber gerecht werden wollen. Das ist der wirkliche Grund.
({38})
Deshalb werden schon in diesem Jahr die Schulden substanziell abgebaut, übrigens das erste Mal seit 30 Jahren.
Im nächsten Jahr wird der Schuldenstand unter dem
Maastricht-Kriterium, nämlich bei 58 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, liegen. Das ist früher als geplant der
Fall. Das ist - abgestimmt in Europa - auch vernünftig so.
Ein weiterer Punkt ist die Steuerpolitik, für die gleichfalls der Name Eichel steht, die ein wirklich ausgewogenes Verhältnis zwischen Nachfrageorientierung auf der einen Seite und Angebotsorientierung auf der anderen Seite
herstellt. Bis zum Jahre 2005 - das ist hier schon erwähnt
worden; aber man kann es gar nicht oft genug sagen werden den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen dieses Landes durch die eichelsche Steuerreform
insgesamt 95 Milliarden DM zurückgegeben.
({39})
Ein solches Steuerentlastungsprogramm hat es in der Geschichte Deutschlands noch nie gegeben. Deshalb ist es
wichtig, dass daran festgehalten wird.
Es ist auch wichtig, dass wir mit einer Steuerpolitik
Schluss gemacht haben, die in Jahresraten vonstatten
ging. Jene jährlichen Steuergesetze, die Sie gemacht haben, hatten nicht zuletzt unsoziale Wirkungen. Aber das
war nicht alles! Nein, sie haben auch die Planbarkeit des
politischen und damit auch des - soweit das möglich ist ökonomischen Prozesses sowie die Planbarkeit von Investitionen aufs Höchste gefährdet. Die Ergebnisse dieser
Politik haben Sie ja gesehen. Sie haben nicht zuletzt zu
Ihrer Abwahl geführt. Dass wir jetzt bis zum Jahr 2005
eine verlässliche und damit planbare Situation auch für
die Wirtschaftssubjekte geschaffen haben, ist der eigentliche, über den Tag hinausgehende Vorteil, der sich mit
der eichelschen Steuerreform verbindet.
({40})
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf etwas
anderes hinweisen. Niemand in diesem Hohen Hause
- das können Sie der einen wie der anderen Seite abnehmen; ich nehme es Ihnen ja auch ab - ist nicht von der
Entwicklung der Energiepreise betroffen. Es gibt niemanden, der nicht wüsste, dass durch die hohen Benzinpreise und insbesondere durch die hohen Heizölpreise gerade Menschen belastet werden, die es nun wahrlich nicht
dicke haben. Aber das kann man doch nicht durch eine
hektisch betriebene Steuerpolitik verändern. Das kann
man doch nur verändern, indem man bei einer gesamtwirtschaftlich vernünftigen Steuerpolitik bleibt und dann,
wenn es notwendig und möglich ist versucht, das Übrige
mit sozialen Korrekturen abzufangen. Das ist der einzige
vernünftige Weg, meine Damen und Herren.
Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen - das betrifft die
Nachfrageseite der Steuerpolitik -, dass wir im Jahr 2001
vor allem in den unteren Bereichen ein Entlastungsvolumen von 45 Milliarden DM an das Volk zurückgeben.
45 Milliarden DM sind doch kein Pappenstiel! Das ist
kaufkräftige Nachfrage. Das wird der Binnenkonjunktur
helfen.
Wenn ich das sage, so will ich die bedrückenden Energiepreise gar nicht bagatellisieren. Wahr ist doch auch,
dass wir in den letzten 18 Monaten eine Verdreifachung
der Rohölpreise hatten. Wenn Sie die Mehrwertsteuer mitrechnen, haben wir durch die Mineralölsteuer eine Erhöhung von 14 Pfennig politisch verursacht.
Sie wissen außerdem, dass das Geld, das dadurch hereinkommt, direkt in die Rentenkasse geht.
({41})
- Versuchen Sie doch nicht immer, den Leuten etwas anderes zu sagen. Das Geld geht direkt in die Rentenkasse
und dient der Reduzierung von Beiträgen,
({42})
die sowohl die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als
auch die Unternehmen aufzubringen haben. In diesem
Hause hat es eine ellenlange Debatte gegeben. Es hat
sich - unbestritten von allen, die sich damit beschäftigt
haben - gezeigt, dass es notwendig ist, die Lohnnebenkosten zu senken. Zu den Lohnnebenkosten, die wir im
Interesse der aktiv Schaffenden senken wollen, gehören
die Rentenbeiträge. Jetzt machen wir das, und Sie kritisieren es vordergründig. Das ist doch keine redliche Politik, meine Damen und Herren, die Sie betreiben.
({43})
Mir kommt es darauf an, dass deutlich wird, dass die
Ökosteuer, die alle bezahlen, den aktiven Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute kommt, weil dadurch
ihre Beiträge, die ihnen vom Lohn abgezogen werden, reduziert werden. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren. Dann würden Sie Ihre
Polemik schon aufgeben.
({44})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Die Reduzierung der Lohnnebenkosten verbessert im
Übrigen die ökonomische Position und damit die Wettbewerbsposition unserer Unternehmen. Es ist doch sehr
vernünftig, dass wir das angehen. Meine Damen und Herren, Ihre Kritik, die ich ja nachvollziehen kann, weil ich
den Ärger, den Sie nutzen wollen, nachvollziehen kann,
ist kurzfristig vielleicht von einem gewissen Erfolg geprägt. Mittel- und langfristig werden Sie damit aber kräftig hereinfallen. Davon bin ich überzeugt.
({45})
Im Grunde spekulieren Sie nämlich auf die wirtschaftliche Unvernunft. Sie werden sehen, dass die in Deutschland nicht so entwickelt ist, wie Sie es gerne hätten. Da
können Sie sicher sein.
Bei der Angebotsseite möchte ich noch einmal klarstellen: Wir haben die Unternehmen entlastet und werden
sie weiter entlasten. Diese Entlastung ist in Höhe von
25 Milliarden DM vor allen Dingen eine Entlastung des
Mittelstandes.
({46})
Sie wollen dem Volk eines der größten Märchen weismachen. Man glaubt es Ihnen aber nicht. Das sehen Sie an
den Kompetenzzuweisungen. Es ist eines der größten
Märchen, dass davon vor allem die großen Konzerne
profitieren. Durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage auf der einen Seite und die Einrechnung der
Gewerbeertragsteuer auf der anderen Seite haben wir insbesondere den Mittelstand entlastet. Ihre Rechnungen mit
den 25 Prozent Körperschaftsteuersatz plus - das verschweigen Sie immer - 13 oder mehr Prozent Gewerbeertragsteuer beziehen sich auf eine Definitivbesteuerung,
während es auf der anderen Seite eine Einkommensbesteuerung mit dem höchsten Grenzsteuersatz ist.
Es muss doch auch in Ihren Kopf einmal hineingehen,
dass wir mit der Abschaffung der Gewerbesteuer ein uraltes Ziel realisiert haben, dass Sie, jedenfalls gelegentlich,
durchaus vor sich hergetragen haben.
({47})
Die von uns eingeleitete Politik, die wir unbeirrt fortsetzen, hat dazu geführt, dass sich auf dem Arbeitsmarkt
endlich Bewegung zeigt.
({48})
- Ja, ich komme gleich dazu. - Wir befinden uns bereits
jetzt in einer Situation, in der wir, verglichen mit dem
Höchststand 1997, eine Arbeitslosenziffer haben, die um
800 000 bis 900 000 unter derjenigen liegt - darunter! -,
die Ihnen politisch zuzurechnen ist, soweit das überhaupt
möglich ist.
Ich habe noch die Häme im Ohr, die Sie im letzten Jahr
bei der Debatte über den Bundeshaushalt 2000 ausgiebig
ausgeschüttet haben. Ich weiß noch, wie Sie gesagt haben:
Sie wollten doch an der Reduzierung der Arbeitslosigkeit
gemessen werden.
({49})
Ja, das ist so, gar keine Frage: Wir wollen an der Reduzierung der Arbeitslosigkeit gemessen werden. Ich sage
Ihnen: Wir werden es bis zum Ende der Legislaturperiode
schaffen, unter die 3,5-Millionen-Grenze zu kommen.
Wenn uns das gelingt, dann haben wir eine Million Arbeitslose weniger, als Sie zu verantworten hatten. Ist das
etwa nichts?
({50})
Ich kann ja verstehen, dass Sie mit Ihren Kampagnen
ein bisschen dagegen arbeiten wollen. Aber ich sage noch
einmal: Verwechseln Sie nicht ständig Ihre Parteiinteressen mit den Interessen der Gesamtgesellschaft. Glauben
Sie nicht, dass wir Sie damit durchkommen lassen!
({51})
Im Übrigen ist hier - zu Recht - über die Erfolge im
Osten geredet worden. Dort haben wir, jedenfalls im gewerblichen Bereich, zum ersten Mal zweistellige Wachstumsraten. Wir haben im Osten Exportzuwächse von bis
zu 30 Prozent, zwar auf niedrigem Niveau, das gebe ich
zu, aber immerhin. Das ist doch etwas. Darüber sollte man
sich freuen, Herr Gerhardt, und diese Freude sollte man
auch zeigen.
({52})
Auch wenn es auf die Politik einer anderen Partei, einer
anderen Regierung, einer anderen Koalition zurückzuführen ist, muss man doch in der Lage sein, sich über das,
was unserem Volk nutzt, einmal schlicht zu freuen, anstatt
immer miesepetrig dazusitzen.
({53})
Wir haben im gewerblichen Bereich im Osten Wachstumszahlen, die denen im Westen überlegen sind. Gott sei
Dank ist das so; denn es ist noch viel aufzuholen, gar
keine Frage. Wir haben im Osten ein spezielles Problem:
die Situation in der Bauwirtschaft, insbesondere im Bauhauptgewerbe. Diejenigen, die sich etwas mit ökonomischen Fragen beschäftigen, wissen, dass das mit in der
Vergangenheit geschaffenen Überkapazitäten zu tun hat,
die übrigens - ich will das doch gar nicht kritisieren auch etwas mit einer im Ergebnis zweifelhaften Förderungspolitik zu tun hatten. Das steht außer Zweifel. Ich
will gar nicht sagen, dass man das alles am Anfang so genau hätte wissen können; aber wir müssen korrigieren.
({54})
Was daraus folgt, ist doch klar: Wir werden auch nach
dem Jahr 2004 Solidarität zwischen West und Ost politisch organisieren müssen.
({55})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Natürlich kann man Investitionen und Investitionshilfen
intelligenter einsetzen. Das geschieht bereits, etwa mit
dem Inno-Regio-Programm. Aber natürlich besteht auch
in der Infrastruktur gewaltiger Nachholbedarf, dem Rechnung getragen werden muss. Aus diesem Grund sage ich,
dass der Solidarpakt II auch nach 2004 fortgesetzt werden muss. Meine Bitte an Sie in diesem Fall lautet, den
ernsthaften Versuch zu unternehmen, auch Ihre Freunde
in den Landesregierungen von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die entweder unfähig oder unwillig zur
Solidarität sind, davon zu überzeugen, dass das, was wir
vorhaben, gesamtstaatlich notwendig ist. Das liegt doch
auch in Ihrer Verantwortung.
({56})
Wenn ich Ihnen das so sagen darf: Bei diesem Vorhaben,
verehrter Herr Merz, können Sie sich wirklich einmal als
Stratege erweisen. Bei dem anderen Vorhaben ist das ja,
wie wir wissen, im wahrsten Sinne des Wortes, in die
Hose gegangen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass in diesen für unser Volk so wichtigen Bereichen Fortschritt wirklich erkennbar und messbar ist. Im
Übrigen hat sich, was mich freut, auch die Stimmung in
diesen Bereichen im Osten wie im Westen geändert. Das
hat natürlich auch mit den Erfolgen zu tun, die wir für die
jungen Leute erreicht haben. Wir haben, nicht zuletzt als
Ergebnis der Beratungen im Rahmen des Bündnisses für
Arbeit, inzwischen im Westen einen so gut wie ausgeglichenen Ausbildungsmarkt: Angebot und Nachfrage sind
ausgeglichen. In einigen Ländern, denen es wirtschaftlich
besonders gut geht - darüber freue ich mich -, zum Beispiel in Bayern und Baden-Württemberg,
({57})
können wir sogar eine Entwicklung hin zu einer Angebotsverknappung verzeichnen. Das freut uns. Im Osten
haben wir dagegen nach wie vor ein Problem. Das hat
nicht unbedingt mit der Unwilligkeit der Betriebsinhaber
zu tun, auszubilden - das gibt es auch, da muss nachgearbeitet werden -, sondern vor allen Dingen damit, dass es
dort nicht genug Betriebe gibt. Im Vergleich mit den
Strukturen in den alten Ländern liegt die Anzahl der Betriebe bei nur etwa zwei Drittel. Da müssen wir ansetzen.
Da setzen wir auch an.
({58})
Bis hier ein Gleichgewicht hergestellt worden ist, kann
man nicht hergehen, wie Sie es bisweilen getan haben,
und dieses JUMP-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit diffamieren, sondern man muss es
unterstützen. Hierbei handelt es sich um sinnvoll ausgegebenes Geld.
({59})
Ich denke, dass sich die Bilanz sehen lassen kann.
Was sind die nächsten Projekte, mit denen wir es zu tun
haben? Die Notwendigkeit, Reformen und Veränderungen in unserem Land durchzuführen, besteht nämlich
nach wie vor. In einem Moment, wo sich die Ökonomie
so dramatisch schnell verändert, kann das politischsoziale System diesen Veränderungen nicht einfach standhalten wollen. Das „Weiter so!“ ist keine Perspektive für
die Entwicklung unserer Gesellschaft. Was packen wir
also im nächsten halben Jahr an? Hier wurde schon viel
über Rente geredet. Ich will jetzt keine Spezialdebatte
führen, sondern nur sagen, worum es uns politisch gehen
muss.
Es gibt im Moment von zwei Seiten Druck auf das bestehende Rentensystem. Erstens werden die Menschen
- Gott sei Dank - älter, beziehen also natürlich auch länger Rente. Zweitens besteht Druck deswegen - da liegt
unser Problem -, weil das wachsende Bruttoinlandsprodukt in Deutschland von immer weniger Vollerwerbstätigen erwirtschaftet wird. Das heißt, die Arbeitsbiografien
ändern sich. Da liegt unser Problem. Das ist der Grund,
warum wir - ich denke, da sind wir uns einig - sagen: Es
geht nicht um die Abschaffung des bewährten Umlagesystems - darum geht es überhaupt nicht -, sondern um seine
sinnvolle Ergänzung. Das heißt, wir müssen eine zweite
Säule aufbauen, um die Alterssicherung zu gewährleisten.
An dieser zweiten Säule wird gebaut, und zwar im Wege
der Kapitaldeckung.
({60})
- Ich verstehe ja, dass Sie, Herr Glos, über wirkliche Probleme kaum ernsthaft reden können bzw. nicht wollen.
Sie sollten es aber wenigstens versuchen.
({61})
Um diese Frage, den Aufbau einer zweiten Säule,
dreht sich die ganze Auseinandersetzung. Im Kern geht es
darum, die Renten für die älteren Menschen so sicher wie
möglich zu machen, sie aber für die jüngeren bezahlbar zu
halten. Um diesen Kern geht es, über die Details kann man
streiten.
({62})
Nun wissen wir, dass es Menschen gibt, die diese Säule
aus eigener Kraft nicht mit errichten können. Denen helfen wir: durch ein Zulagensystem für Geringverdienende
und ein steuerliches Präferenzmodell für diejenigen, deren Einkommen höher, aber noch unterhalb der Bemessungsgrenze liegt. Dafür mobilisieren wir bis zum Jahre
2008 19,6 Milliarden DM. Dieses Angebot habe ich
Ihnen unterbreitet, leider sind Sie darauf noch nicht eingegangen.Es ist vernünftig, wenn jemand kommt - wir
haben ja darüber geredet, Herr Seehofer - und sagt: Dann
nehmt diese 19,6 Milliarden DM und setzt sie familienorientiert ein. Aber das muss uns doch keiner sagen,
das tun wir aus eigenem Antrieb! Das ist völlig klar.
({63})
Jetzt zur Kritik an der Haltung der Gewerkschaften.
Sie müssten sich doch freuen, wenn möglichst viele Gruppen in dieser Gesellschaft bereit sind, ihre Skepsis und
Einwände zurückzustellen, um das große Ziel erreichen
Bundeskanzler Gerhard Schröder
zu helfen! Ich freue mich über die Gesprächsbereitschaft
der Gewerkschaften. Sie sollten nicht sauer darüber sein.
Konsens in diesem Sinne hilft doch, Reformen durchzusetzen, und ist eben nicht, wie Sie immer unterstellen, das
Gegenteil dessen.
({64})
- Ich komme jetzt zu Ihnen. Sie sagen, wir bräuchten
Beitragsbemessungsgrenzen, die Sie definieren wollen.
Aber die Beiträge zur Rentenversicherung sind in Ihrer
Regierungszeit explosionsartig gestiegen. Wir konnten
sie - Sie erinnern sich sicher noch - beim letzten Mal nur
unter 22 Prozent halten, weil wir miteinander die Mehrwertsteuer erhöht haben, anders war das gar nicht drin.
Jetzt liegen sie unter 20 Prozent. Wenn wir es wirklich
schaffen, sie bis 2020 da zu halten, dann sollten Sie, meine
Damen und Herren von der F.D.P., dem zustimmen.
Denn es geht doch nicht, dass Sie hergehen und sagen:
Dass die Einnahmen aus der Ökosteuer zur Entlastung der
Rentenkasse dienen, will ich nicht. Das aber würde sich
negativ auf die Einnahmeseite auswirken. Gleichzeitig sagen Sie: Der Bundeszuschuss ist viel zu hoch; das will ich
auch nicht. Darüber hinaus sagen Sie - jedenfalls habe ich
nichts anderes gehört -: Bei den Ausgaben wollen wir
nicht kürzen. Und schließlich: Die Beiträge sollen aber
stabil bleiben, möglichst sogar sinken.
Das ist doch eine Politik, die versucht, den Kreis zu
quadrieren! Aber das schaffen selbst Sie nicht, Herr
Gerhardt,
({65})
auch dann nicht, wenn Ihnen Herr Westerwelle oder gar
Ihr Kanzlerkandidat Möllemann dabei assistieren.
({66})
Das werden Sie nicht packen, was immer dann auf Sie zukommt.
({67})
Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, welche Kraftanstrengung das bedeutet, was wir vorhaben. Denn das Reformfenster ist in dieser Frage bis zum Ende der Legislaturperiode offen. Wenn wir das jetzt nicht schaffen aber wir werden es schaffen -,
({68})
dann wird es ganz schwierig mit dem Aufbau einer kapitalgedeckten Zusatzversorgung.
Noch ein Märchen muss man endlich beenden, nämlich das Märchen vom Rentenniveau, das angeblich
sinkt. Wenn wir sagen, die zukünftigen Renten werden
nicht aus einer Quelle, sondern aus zwei Quellen gespeist,
dann muss man doch bei der Ermittlung dessen, was man
Rentenniveau nennt, also was die Rentner in die Kasse bekommen, das Ergebnis beider Quellen nennen, sowohl
das Ergebnis der Umlagefinanzierung als auch das Ergebnis der neuen Säule, die wir aufbauen.
({69})
- Ich komme jetzt zu Ihnen, Herr Gysi. Wissen Sie, was
Sie im Grunde vorschlagen, wenn Sie - im Einklang mit
wem auch immer - vor einem so genannten Systembruch
warnen? Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen, dass
diese zweite Säule im Grunde aus privater Vorsorge für
die Bedürftigeren besteht, der wir politisch aufhelfen.
Aber die private Vorsorge ist noch nie paritätisch finanziert worden. Deshalb: Den Systembruch wollen im
Grunde Sie und nicht diejenigen, die Sie dessen bezichtigen. So einfach ist die Situation in diesem Bereich.
({70})
- Da könnt ihr ruhig ein bisschen mehr klatschen, das ist
nämlich richtig, was ich gesagt habe, damit das klar ist.
({71})
Das zweite große Vorhaben, das wir im nächsten halben Jahr anpacken müssen, ist, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der notwendigen Flexibilität auf dem
Arbeitsmarkt und der ebenso notwendigen Sicherheit für
die Menschen, die Arbeit haben und haben wollen, herzustellen.
({72})
Wir brauchen die Möglichkeit, in einem bestimmten Zeitraum, etwa 24 Monate, wie jetzt, auch Zeitverträge abzuschließen. Diese Möglichkeit brauchen wir aus beschäftigungspolitischen Gründen. Davor kann sich keiner
drücken. Wir werden das auch gewährleisten.
Meine Damen und Herren, man kann heute ohne weitere Gründe - das soll auch so bleiben -, hergehen und
Verträge über sechs Monate, wieder sechs Monate, wieder sechs Monate und dann weitere sechs Monate
schließen. Es kann auch so bleiben, dass man dazwischen
einen Zeitarbeitsvertrag mit einer sachlichen Begründung
schiebt. Es darf aber nicht sein, dass dann das Spielchen
mit den sechs Monaten wieder losgeht. An diesem Punkt
bitte ich Sie, einmal zu überlegen, was das für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet.
({73})
Deswegen werden wir das Gesetz so fassen, dass die Flexibilität in den 24 Monaten gewährleistet bleibt, aber der
Missbrauch in Form solcher Kettenarbeitsverträge nicht
möglich ist.
({74})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Das kann man durchaus als ausgewogenes Verhältnis zwischen der notwendigen Flexibilität auf den Arbeitsmärkten und einem Stück verdammt noch mal verdienter Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
sehen.
({75})
Über den Solidarpakt und dessen Notwendigkeit sowie
über die Rente und die Beschäftigungsförderung habe ich
schon geredet. Diese zentralen Aufgaben werden wir anzupacken haben. Bei der Rente sind Sie nach wie vor aufgefordert, mitzuarbeiten und mitzuhelfen, dass diese Entscheidung in einem gesellschaftlichen Konsens - das ist
für mich kein Schimpfwort, sollte es auch für Sie nicht
sein - getroffen werden kann.
Noch einmal zu Ihnen, Herr Gerhardt, was das Thema
Zuwanderung angeht. Ich weiß nicht, was Sie dagegen
haben, gute Fachleute ins Land zu holen. Ich weiß auch
nicht, was man dagegen haben kann zu sagen: Macht doch
einmal einen Vorschlag, wie man das, was wir hoffentlich
alle wollen, verbinden kann, auf der einen Seite eine Einwanderung, die für uns wirtschaftlich durchaus interessant sein darf, und auf der anderen Seite - etwas, was zu
uns gehört, was zur Offenheit und Toleranz, der deutschen
Gesellschaft gehört, und im Ausland auch als solches
wahrgenommen wird - das Recht für politisch Verfolgte,
nach Deutschland zu kommen.
({76})
Ich hoffe, dass Sie mithelfen werden, ein vernünftiges Zusammenspiel zu finden. Ich bin davon überzeugt, dass das
möglich sein wird.
({77})
Wenn Frau Süssmuth mit ihrer Kommission dafür
sorgt, dass diese Debatte, die ja schon Landtagswahlkämpfe entschieden und für sehr viel böses Blut gesorgt
hat, etwas sachlicher geführt werden kann, als dies in der
Vergangenheit der Fall war, dann kann man das nur begrüßen. Ich freue mich über die Bereitschaft von Frau
Süssmuth, in dieser Kommission mitzuarbeiten. Das ist
doch nur vernünftig.
({78})
Zum Rechtsradikalismus ist das Notwendige schon
gesagt worden. Ich hoffe, das Gesagte eint uns. Ich hoffe
aber auch, dass es Auswirkungen auf den Gebrauch der
Sprache bei denen hat, die man wirklich nicht in dieselbe
Ecke stellen sollte. Ich hoffe also, dass demokratische Politiker nie mehr von „durchrassten Gesellschaften“ reden.
({79})
Das hat der damalige bayerische Innenminister und heutige Ministerpräsident getan. Man muss schon sagen:
Wenn man diese Entwicklung nicht will, dann muss man
sich entsprechend verhalten. Wir und - ich nehme zur
Kenntnis - auch Sie wollen das.
Im Übrigen, Herr Glos, ich hatte nichts dagegen, dass
der bayerische Innenminister Beckstein gesagt hat: Lasst
uns ein solches Verbot prüfen! - Aber Sie haben ja über
Verfassungsschutz und über Verfassungsschutzämter geredet.
({80})
Von denen wird im Moment das vorhandene Material zusammengetragen. Sagen Sie Ihrem Kollegen Beckstein
einen schönen Gruß und richten Sie ihm aus, dass er liefern muss.
({81})
Er wird sich ja wohl nicht dem Vorwurf aussetzen wollen,
sein Verfassungsschutzamt würde nicht ganz so intensiv
arbeiten. Ich will ja nicht, dass ihm Vorwürfe von Ihnen
gemacht werden, die er gar nicht verdient.
({82})
Meine Damen und Herren, es reicht jedenfalls nicht
aus, nur Forderungen aufzustellen. Im Übrigen ist es bei
diesem Thema sehr ruhig geworden. Herr Koch hat sich
sehr skeptisch geäußert. Ich frage mich: Warum eigentlich?
({83})
Es gibt sehr unterschiedliche Motive, die man - wie auch
deren Ursprung - noch herausarbeiten muss. Ich sage
Ihnen sehr deutlich: Wenn wir nur die Spur einer Chance
haben, jene Strukturen zu zerschlagen, die den gewaltbereiten Rechtsradikalismus offen fördern oder ihn zumindest decken, dann werden wir das tun.
({84})
Wir werden dies übrigens nicht nur um unseres Ansehens
im Ausland willen - auch das -, sondern auch um unserer
eigenen Selbstachtung willen tun. Es ist doch sehr viel
wichtiger, dass wir es aus diesem Grunde tun.
({85})
Niemand von uns hier in diesem Hohen Hause macht
sich die Illusion - ich kann die skeptischen Stimmen aus
der Publizistik beruhigen; ich kann sie aufgrund ihres
ernsten Hintergrundes nachvollziehen; ich will dies gar
nicht bestreiten, auch wenn sie von Ihnen aus der Opposition kommen -, das Stellen eines Verbotsantrages oder
das ausgesprochene Verbot seien das Ende dieses Treibens. Worauf wir alle achten müssen, ist, dass das, was
Bundeskanzler Gerhard Schröder
sich in der Zivilgesellschaft, in unserer Gesellschaft gegen den Rechtsradikalismus mobilisiert, kein Ereignis des
Sommerlochs bleibt, sondern dass dies zu einem dauerhaften Widerstand gegen jede Form des Rechtsradikalismus wird.
({86})
Es ist gefragt worden, was wir in Bezug auf Europa
tun werden. Wir werden in Nizza, nachdem wir auf dem
Gipfel in Berlin die finanzielle Vorausschau bis zum Jahre
2006 in einer verdammt schwierigen Operation hinbekommen haben, das fertig stellen müssen, was man die
„leftovers“ von Amsterdam nennt, das also, was vom Gipfel in Amsterdam übrig geblieben ist. Dies sind keine
leichten Brocken; sonst wären sie ja nicht übrig geblieben.
Es sind vielmehr verdammt schwierige Brocken. Wir
müssen das hinbekommen, und zwar deshalb, weil die anstehenden Reformen, das Abarbeiten der drei Punkte
Größe der Kommission, Stimmengewichtung und die
Frage des Verhältnisses zwischen Mehrheits- und Einstimmigkeitsprinzip, institutionelle Voraussetzungen für
die anstehende Erweiterung sind. Deswegen müssen wir
diese Reformen packen.
Hinzu kommen muss nach unserer festen Überzeugung, möglichst im Rahmen des Vertrages - dafür wollen
wir kämpfen - die Möglichkeit zu schaffen, dass diejenigen, die schneller vorgehen wollen, die mehr Integration
wollen und können, dies auch dürfen, ohne dass dadurch
der Klub geschlossen wird. Das muss klar sein. Ich denke,
dass zwischen den Parteien dieses Hauses - abgesehen
vielleicht von der einen oder anderen Ausnahme - auch in
dieser Frage keine prinzipielle Auseinandersetzung nötig
sein müsste und eigentlich auch nicht sein dürfte.
Das führt mich zu folgendem Punkt: Der Vorwurf, den
ich neulich in einem Interview von Herrn Stoiber ({87})
- im „Spiegel“ gelesen habe, ich hätte in Bezug auf die
Beitrittsländer Daten genannt, ist ziemlich merkwürdig.
Wer ist es denn, der hier ständig sagt „Bis dann oder dann
müsst ihr aufnehmen!“? Das bin doch nicht ich. Ich bin
doch von Ihnen aus der F.D.P. und aus der Mitte der CDU
- nicht aus der CSU; die sind etwas vorsichtiger, was diesen Punkt angeht - kritisiert worden, weil ich nicht gesagt
habe: Zu diesem oder jenem Datum werdet ihr aufgenommen.
({88})
Denn ich habe mich daran gehalten, was die 15 in Helsinki beschlossen haben. Das ist die Marschrichtung; die
ist auch vernünftig. Sie heißt nämlich: Das Europa der 15
will bis Ende des Jahres 2002 dafür sorgen, dass es materiell und institutionell für neue Mitglieder aufnahmefähig
ist. - Das ist unsere Verantwortung. Die müssen wir in den
kommenden Jahren packen; das ist schwer genug.
Logische Folge dessen ist, was wir in Helsinki gemeinsam gesagt haben: Es ist Aufgabe der Beitrittsländer - wir
wollen ihnen dabei ökonomisch und politisch helfen -,
aufgrund der eigenen Anstrengungen selber zu entscheiden, ob sie zu diesem Zeitpunkt oder zu welchem Zeitpunkt auch immer nicht nur beitrittsbereit, sondern auch
beitrittsfähig sind. Denn Beitrittsfähigkeit heißt doch, in
der Lage zu sein, das gesamte Acquis der Europäischen
Union mit allen wirtschaftlichen Folgen zu übernehmen,
die das für diese Länder hat und haben wird. Diese Entscheidung muss in den Beitrittsländern getroffen werden.
({89})
Wenn ich sage: „Wir wollen bis zum Ende des Jahres
2002 aufnahmefähig sein“, dann meine ich das auch so.
Wenn dann die betreffenden Länder beitrittsfähig sind jedes Land wird nach seinen Verdiensten behandelt werden müssen -, kann eine Aufnahme klappen. Ansonsten
werden Konsequenzen daraus zu ziehen sein, dass ihre
Anstrengungen noch nicht ausreichen. Ich hoffe aber,
dass sie reichen.Wir sollten jetzt keine Debatte über die
Fragen „Wer“ und „Wann“ führen, sondern dies in den
Mittelpunkt vernünftiger Europapolitik stellen und vor allen Dingen in dieser Frage zusammen bleiben.
({90})
Ich glaube schon, dass es lohnen würde, eine Politik
weiterzubetreiben - das ist hier ohne Wenn und Aber festzustellen -, für die auch mein Vorgänger immer gestanden
hat, nämlich Deutschland als Anwalt der Erweiterung zu
begreifen, und zwar unserer historischen Verpflichtung
gegenüber diesen Völkern, aber auch unserer eigenen Interessen wegen. Es ist doch nicht schlimm - und die Menschen verstehen es auch -, wenn man ausspricht: Ja, wir
haben ein wirtschaftliches Interesse an diesen Märkten,
und weil wir es haben, müssen wir helfen, diese Märkte
zu entwickeln. Sie sind in erster Linie unsere Märkte, das
ist ganz klar. Das darf man auch sagen, wenn man hinzufügt, dass es neben den schnöden wirtschaftlichen Argumenten auch noch ein paar Argumente mehr für diese
Europapolitik gibt. Aber auch die wirtschaftlichen Argumente sollte man nennen dürfen. Unsere Leute, vor
allem diejenigen in den Grenzgebieten zum Osten, haben
etwas davon.
({91})
Die letzte Bemerkung, die ich machen möchte, nehme
ich vor dem Hintergrund der Diskussionen der vergangenen Zeit sehr ernst. Wir haben am 3. Oktober - in Dresden, eingeladen vom sächsischen Ministerpräsidenten zehn Jahre deutsche Einheit zu feiern.
({92})
- Wir wollen das auch. Ich habe nicht gesagt, ich gehe da
nicht hin, wenn nicht dieser oder jener redet. Das waren
doch wohl andere.
({93})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Meine Bitte ist, angesichts der internationalen Gäste
und der Bedeutung solcher Institutionen und Vorgänge
von einer Diskussion darüber, wer wann nicht kommt und
wann wer nicht redet, abzulassen.
({94})
Denn hinter dieser Art des Umgangs mit dem 3. Oktober
durch Sie - leider auch durch Sie, Frau Merkel, und andere - steht unausgesprochen die Vorstellung, das, was
sich dort vollzogen hat, könne für eine Partei monopolisiert werden. Das kann es indessen nicht.
({95})
Die zehn Jahre, um die es dabei geht, haben wir angesichts der Menschen im Osten des Landes, die vor allen
Dingen dafür gesorgt haben, dass die Wiedervereinigung
möglich geworden ist, respektvoll zu begehen.
({96})
Wenn ich das sage, hat das nichts damit zu tun, dass ich
nicht auch den persönlichen Beitrag von Menschen zu
würdigen wüsste, die in dieser Zeit an hervorragender
Stelle gearbeitet haben - erst recht nicht den Beitrag von
Hans-Dietrich Genscher, aber auch nicht den Beitrag von
Helmut Kohl.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({97})
Das Wort
hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU,
Friedrich Merz.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir
heute Gelegenheit haben, im Zuge dieser Haushaltsdebatte eine Zwischenbilanz über zwei Jahre rot-grüner
Bundesregierung zu ziehen.
Aber es gibt in diesen Tagen - Herr Bundeskanzler, Sie
haben selbst darauf hingewiesen - noch ein wichtigeres
Datum als die Halbzeit Ihrer Regierung.
Vor ziemlich genau zehn Jahren haben die Menschen
in der früheren DDR ihren atemberaubenden Weg in die
Freiheit abschließen können. Da Sie, Herr Bundeskanzler,
am Ende Ihrer Rede richtigerweise die Verdienste Ihres
Amtsvorgängers in diesem Zusammenhang genannt haben, hätten wir auch von Ihnen erwartet, dass Sie wenigstens - genauso wie der Fraktionsvorsitzende der PDS die Ausfälle Ihres Fraktionsvorsitzenden Peter Struck in
diesem Zusammenhang zurückgewiesen hätten.
({0})
Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen bei
verschiedenen Gelegenheiten an diese Ereignisse der
Jahre 1989 und 1990 erinnern. Aber ich möchte heute ich tue das aus vielen Gründen - eines schon an dieser
Stelle feststellen: Ohne die kluge und mutige Politik der
damaligen Bundesregierung könnten wir den zehnten
Jahrestag der deutschen Einheit in diesem Jahr gewiss
nicht feiern.
({1})
Herr Bundeskanzler, ich spreche dies gleich zu Beginn
meiner Rede an, weil in den letzten Tagen und Wochen
von verschiedenen Seiten Ihrer Partei, dieser Koalition,
aber insbesondere von Ihrem Generalsekretär Äußerungen gemacht worden sind, die erkennbar von dem Wunsch
getragen sind, die deutsche Geschichte neu zu schreiben,
ja sie zu verfälschen.
({2})
Der Gipfel dieser versuchten Geschichtsfälschung war
die Behauptung, die deutsche Einheit wäre vor zehn Jahren auch mit jedem anderen Kanzler in Deutschland möglich geworden.
({3})
Meine Damen und Herren, wenn Deutschland vor zehn
Jahren das Pech gehabt hätte, eine sozialdemokratisch
geführte Bundesregierung zu haben, hätte es die deutsche
Einheit nicht gegeben.
({4})
Bei allen Beteuerungen, Herr Schröder, die ich Ihnen
heute - wenigstens vordergründig - abnehme:
({5})
Es gab vor zehn Jahren keinen maßgeblichen Politiker der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der die deutsche Einheit wirklich gewollt hat, keinen!
({6})
- Die Reaktionen beider Fraktionen sprechen eine belebte
Sprache. Ich hoffe, dass dies auch die Menschen vor den
Fernsehschirmen wahrnehmen können.
({7})
Uns jedenfalls, Herr Bundeskanzler, sind die Redensarten von Gerhard Schröder von vor zehn Jahren noch
gut in Erinnerung: Man könne die DDR doch nicht an
Polen abtreten; der Ruf nach der deutschen Einheit sei reaktionär und hochgradig gefährlich. - Diese und viele
ähnliche Äußerungen lassen uns auch heute eines nicht
vergessen: Sie haben damals den Freiheitswillen der Menschen in der früheren DDR nicht verstanden, weil Sie von
Ihrer ganzen politischen Herkunft her keine Distanz zu
Bundeskanzler Gerhard Schröder
dem menschenverachtenden System des Sozialismus und
seinen früheren Machthabern hatten.
({8})
Es war und bleibt deshalb das unbestreitbare große
Verdienst der Bundesregierung unter Helmut Kohl, in einer wahrhaft grundstürzenden Zeit des Wandels in unserem Land gegen den Willen der damaligen Opposition das
Richtige getan zu haben.
({9})
Wir in der Union wissen, dass wir, seit die Vorwürfe
wegen der Verstöße gegen das Parteiengesetz öffentlich
wurden, in eine ziemlich schwierige Lage geraten sind.
Aber wir werden es trotzdem oder gerade deshalb nicht
zulassen, dass die Bundesregierung versucht, die gesamte
Politik, die CDU und CSU in diesem Land und für dieses
Land in insgesamt 36 Jahren Regierungsverantwortung
erfolgreich gestaltet haben, umzudeuten oder infrage zu
stellen.
({10})
Wir werden uns auch nicht von einem Herrn Ströbele,
der wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung
rechtskräftig vorbestraft ist - ({11})
- Das mögen Sie nicht mehr gern hören, meine Damen
und Herren. Aber wir haben in dieser Fraktion jemanden
sitzen, der seinen Beruf als Anwalt dazu missbraucht hat,
einsitzende Straftäter mit Informationen zu versorgen,
was rechtswidrig war, der deshalb vom Bundesgerichtshof mit einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt
worden ist.
({12})
Wir werden es nicht zulassen, dass dieser unsägliche
Mann uns heute Belehrungen über Moral in der Politik
und über den Rechtsstaat in Deutschland erteilt.
({13})
Herr Bundeskanzler, Sie selber haben die Branche angesprochen, auf die ich mich jetzt beziehe. Ich möchte einen Sachverhalt in Erinnerung rufen, mit dem Sie sich vor
zehn Monaten in der Bundesrepublik Deutschland eindrucksvoll und spektakulär in Szene setzen konnten, als
Sie nämlich den Versuch gemacht haben, in Frankfurt das
Unternehmen Philipp Holzmann zu retten.
({14})
Sie haben damals auf dem Balkon des Vorstandsgebäudes gestanden,
({15})
kurz vor Weihnachten, und konnten den Menschen dort
vom Balkon herab sagen, die Probleme dieses Unternehmens seien gelöst und das rettende Ufer sei erreicht.
Ich möchte heute einmal die Frage stellen: Was ist daraus eigentlich geworden? Sie haben damals in den Gesprächen - wie Teilnehmer mittlerweile berichten - den
Hinweis, dass die Subventionen, die Sie geben wollten,
möglicherweise von der EU-Kommission nicht genehmigt werden, mit einer Handbewegung vom Tisch gewischt und haben gesagt: Meine Herren, davon verstehen
Sie nichts, das lassen Sie mich mal machen.
Bis zum heutigen Tag ist die Genehmigung der EUKommission für diese Beihilfen nicht erteilt. Dort, in den
Reihen der SPD-Bundestagsfraktion, sitzt ein Kollege,
der Vorsitzender der IG BAU ist,
({16})
mit dessen Zustimmung vom Unternehmen Philipp
Holzmann bis zum heutigen Tage fortlaufend gegen bestehendes Tarifrecht verstoßen wird, weil die Zustimmung
der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zu einer Abweichung vom Tarifvertrag bis heute nicht erteilt worden ist.
Das Ergebnis für Sie ist: Sie konnten auf Ihrem Parteitag Anfang Dezember glänzen. Ihnen ist das Unternehmen Philipp Holzmann bis zum heutigen Tag völlig
gleichgültig, ist das Schicksal der Arbeitnehmer in diesem
Unternehmen völlig egal und in der Zwischenzeit haben
nicht zuletzt wegen dieser Verstöße gegen Tarifverträge in
der Bundesrepublik Deutschland 4 000 Unternehmen im
Bauhauptgewerbe Pleite gemacht.
({17})
Dabei sind über 50 000 Arbeitsplätze verloren gegangen;
aber der Herr Bundeskanzler ist bei keinem dieser Unternehmen zu sehen gewesen.
({18})
In der Rettungsaktion für dieses Unternehmen kommt
ein ganz besonderer Wesenszug der Politik der Bundesregierung und insbesondere des Bundeskanzlers zum Ausdruck, nämlich ihre Grundeinstellung zu unserer Wirtschaft und zu den Unternehmen unserer Wirtschaft. Im
Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Betrachtung des
Bundeskanzlers stehen die großen Kapital- und Konzerngesellschaften, nicht die eigentümergeführten Unternehmen des Mittelstandes.
({19})
Sie, meine Damen und Herren, haben in dieser Koalition eine ganz neue Definition von Mittelstand in der
Bundesrepublik Deutschland geschaffen. Mittelstand, das
sind die Unternehmen, die im Land Pleite gehen können,
ohne dass sich in Berlin irgendeiner dafür interessiert.
({20})
Diese Haltung, Herr Bundeskanzler, wird auch in Ihrer
Steuerpolitik deutlich. Sie bevorzugen mit Ihrer SteuerFriedrich Merz
politik unverändert - wir haben es ja hier gerade noch einmal bestätigt bekommen - die großen Unternehmen und
benachteiligen fortgesetzt den Mittelstand. Aber das ist
Ihnen, wie so vieles andere auch, ziemlich gleichgültig.
Ich will in diesem Zusammenhang ganz offen noch
einmal auf die Schlussphase der Behandlung der Steuerreform im Vermittlungsausschuss und im Bundesrat zu
sprechen kommen. Ich will zunächst feststellen: Ohne unsere harten Verhandlungen mit dieser Bundesregierung
({21})
hätte es nie die Bereitschaft gegeben, den Spitzensteuersatz im Einkommensteuergesetz auf 42 Prozent zu senken.
({22})
Dazu wären Sie aus eigener Überzeugung nie bereit gewesen. Sie haben uns ja sogar bis in die Schlussphase erklärt, mehr Geld als das, was der Bundesfinanzminister
dafür zur Verfügung stellen wollte, sei nicht vorhanden.
Plötzlich aber konnte der Bundeskanzler an einer Reihe
von Ländern vorbei 5, 6 oder noch mehr Millionen mobilisieren, um das von ihm gewünschte Ergebnis am gewünschten Tag zustande zu bringen.
({23})
Hätten Sie Ihre Bereitschaft, zusätzliche Steuereinnahmen zur Verfügung zu stellen, um eine Steuerreform bewerkstelligen zu können, schon im Vermittlungsverfahren
zu erkennen gegeben - nicht nur für einige Länder, sondern für die ganze Republik -, wäre eine bessere Steuerreform möglich gewesen.
({24})
Vor allem hätten Sie, Herr Bundeskanzler, dann nicht
mit der PDS verhandeln müssen.
({25})
Sie hätten auch nicht die von der CDU bzw. CSU geführten Länder über Ihre wahren Absichten täuschen müssen.
An allen Regeln eines geordneten Gesetzgebungsverfahrens vorbei - unter grober Verletzung des Budgetrechts
des Parlaments und durch Zusagen über den zukünftigen
Inhalt des Finanzausgleichs und das so genannte Maßstäbegesetz, die Sie gar nicht hätten geben dürfen - ({26})
- haben Sie das Vermittlungsverfahren so beendet, wie
Sie es für sich haben wollten.
({27})
- Ich spreche das an, weil ich mich mit der Frage auseinandergesetzt habe: Was ist da eigentlich geschehen?
Ihnen, Herr Bundeskanzler, ging es erkennbar nicht um
ein gutes steuerpolitisches Ergebnis. Ihnen ging es ausschließlich um eine schnelle Beendigung des Gesetzgebungsverfahrens. Der uns allen gut bekannte Verfassungsrichter Paul Kirchhof hat dies wenige Tage später in
der Zeitung bewertet und die Schlussfolgerung gezogen:
„Wenn dieses Beispiel Schule macht, ist dieser Staat reformunfähig“. Er hat Recht, meine Damen und Herren.
({28})
Da Sie aber auch auf ehemalige Verfassungsrichter gewiss nichts geben, möchte ich hier wiedergeben, was ein
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland vor vielen Jahren zum Miteinander von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat in einer Regierungserklärung zum
Ausdruck gebracht hat:
Die strikte Beachtung der Formen parlamentarischer
Demokratie ist selbstverständlich für politische Gemeinschaften, die seit gut 100 Jahren für die deutsche
Demokratie gekämpft, sie unter schweren Opfern
verteidigt und unter großen Mühen wieder aufgebaut
haben.
Es geht weiter:
Im sachlichen Gegeneinander und im nationalen
Miteinander
({29})
von Regierung und Opposition ist es unsere gemeinsame Verantwortung und Aufgabe, dieser Bundesrepublik eine gute Zukunft zu sichern. Die Bundesregierung weiß, dass sie dazu der loyalen Zusammenarbeit mit den gesetzgebenden Körperschaften
bedarf. Dafür bietet sie dem Deutschen Bundestag
und dem Bundesrat ihren guten Willen an.
Das hat Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 vor dem Deutschen Bundestag gesagt.
({30})
Herr Bundeskanzler Schröder, solche Worte kämen Ihnen
nie über die Lippen, weil Sie nicht in diesen Kategorien
denken.
({31})
Ich möchte aber nicht nur auf aktuelle Fragen in der
Steuerpolitik zu sprechen kommen, sondern auch auf Ihre
Finanz- und Wirtschaftspolitik, die Sie gerade sehr ausführlich begründet haben.
({32})
Sie haben gesagt, die Bundesregierung betreibe eine Politik, die die Abgabenbelastung in der Bundesrepublik
Deutschland Schritt für Schritt senkt, damit wieder mehr
Arbeitsplätze entstehen können.
({33})
Am 1. Januar 2001 soll eine weitere Erhöhung der
Ökosteuer um 7 Pfennig in Kraft treten - dann noch eine
am 1. Januar 2002 und noch eine am 1. Januar 2003. Die
Perspektiven Ihrer Regierung und Ihres Bundesarbeitsministers in diesem Zeitraum sind, dass der Rentenversicherungsbeitrag bestenfalls mit 19,2 Prozent stabil bleibt.
({34})
Im Ergebnis wollen Sie uns mit dem, was Sie hier machen, erklären, dass durch eine ständig steigende Steuerbelastung in Deutschland mehr Arbeitsplätze entstehen
können. Das ist der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der den Versuch unternimmt, der
Öffentlichkeit zu erklären, dass Steuererhöhungen zu
Arbeitsplätzen führen.
({35})
Wenn Sie uns das nicht glauben, dann glauben Sie dem
Bund der Steuerzahler.
({36})
Er hat vor wenigen Tagen einmal ausgerechnet, was denn
die Konsequenzen Ihrer Politik bis zum Jahr 2005 sind.
Bis zum Jahr 2005 werden bei Fortsetzung dieser Politik
Steuererhöhungen und nicht die Absenkung der
Rentenversicherungsbeiträge, die Sie auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt haben, die Folge sein. Die
Abgabenbelastung aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen wird im Jahr 2005 bei 54,8 Prozent liegen,
ganze 0,3 Prozent niedriger als im Jahre 1998.
Das zeigt doch, dass Sie von dem von Ihnen für richtig
gehaltenen Weg, die Steuer- und Abgabenlast zu senken
- Sie haben es in die Koalitionsvereinbarungen geschrieben, indem Sie dort vereinbart haben, die Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent abzusenken -, längst
abgekommen sind und jetzt nur noch versuchen, zu retten,
was zu retten ist. Aber das hat mit Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik in Deutschland nichts mehr zu tun.
({37})
Zu Recht empfinden die Menschen das, was sie in diesen Tagen an den Tankstellen erleben, als eine unverschämte Abkassiererei.
({38})
Aber wenn in diesen Tagen ein Liter bleifreies Benzin
2 DM kostet und davon 1,30 DM Steuern sind, dann können Sie doch nicht behaupten, dass das, was an den Tankstellen passiert, ausschließlich mit der Verteuerung der
Energiepreise in Deutschland zu tun hat.
({39})
Sie, Herr Bundeskanzler, sind der Preistreiber auf den
Energiemärkten der Bundesrepublik Deutschland.
({40})
Eine normale Arbeitnehmerfamilie spart im Jahr 2000
mit den heruntersubventionierten Sozialbeiträgen allenfalls rund 300 DM. Im selben Zeitraum zahlt ein durchschnittlicher Arbeitnehmerhaushalt in der Bundesrepublik Deutschland wegen der hohen Energiekosten
mindestens 1 000 DM mehr.
({41})
Das hat doch nun mit einer sozialverantwortlichen Politik
für Arbeitnehmer wirklich nichts mehr zu tun.
({42})
Ich muss Ihnen sagen: Wer in diesen Tagen das zweifelhafte Vergnügen hat, den Bundesumweltminister einmal bei seinen Medienauftritten zu beobachten, der fühlt
sich schon ziemlich stark an den Marie-Antoinette zugeschriebene Ausspruch erinnert: Wenn das Volk kein Brot
hat, dann soll es doch Kuchen essen. Genauso benimmt
sich Ihr Bundesumweltminister.
({43})
Ich habe schon vor einigen Wochen, lange Zeit vor den
hohen Ölpreisen, gelesen, Herr Bundeskanzler, was Ihr
Bruder dazu sagt.
({44})
Er schreibt seit einigen Monaten eine interessante
Kolumne in einer großen Boulevardzeitung in Köln.
({45})
Ihr Bruder schreibt:
Daran sollte sich Umweltminister Trittin auch mal
ein Beispiel nehmen. Alle halbe Jahre bombardiert er
uns mit furchtbaren Dingen. Erst Tempolimit, dann
sollen wir neue Heizungen bauen. Langsam flippt der
aus. Es wird Zeit, dass ich das dem Gerd mal sage.
({46})
Mein Großer ...
- damit meint er Sie, Herr Bundeskanzler der Trittin spinnt. Das sieht mein Bruder bestimmt
auch so. Ist ja wirklich nicht mehr zum Aushalten mit
diesem Öko-Minister.
Recht hat Ihr Bruder, Herr Bundeskanzler, mit dem,
was er da zum Besten gegeben hat.
({47})
Wir fordern Sie auf, Herr Bundeskanzler: Stoppen Sie
den Unfug mit der Ökosteuer und erklären Sie noch vor
Weihnachten, dass weitere Erhöhungsstufen nicht in
Kraft treten!
({48})
Herr Bundeskanzler, obwohl ich das nicht häufig tue,
möchte ich Ihnen an dieser Stelle gerne eine Wette anbieten. Ich wette, dass Sie bis zum Jahresende - der Druck
wird größer werden - die Ökosteuer wieder kassieren und
die dritte Stufe am 1. Januar 2001 nicht in Kraft tritt. Ich
biete Ihnen Folgendes an: Sagen wir, eine kleine Kiste
Cohiba gegen eine gute Kiste pfälzischen Grauburgunder.
Am Ende dieses Jahres werden Sie einen Rückzieher machen. Sie werden die dritte Stufe nicht in Kraft treten lassen, weil Sie genau gemerkt haben, dass Sie mit dem, was
dort beschlossen worden ist, richtigerweise auf großen
Widerstand bei den Menschen auf den Straßen treffen.
({49})
Wir lassen uns, Herr Bundeskanzler, von Ihnen ganz
sicher keine Vorschriften darüber machen, in welcher
Form des legitimen Protestes das organisiert wird. Diejenigen, die vor drei Jahren - ich habe das gut in Erinnerung gegen einen vernünftigen Kohlekompromiss innerhalb
der Bannmeile noch in Bonn auf die Straße gegangen
sind,
({50})
unter aktiver Beteiligung von Kolleginnen und Kollegen
aus der SPD-Bundestagsfraktion das Parlament lahm gelegt haben,
({51})
haben heute nicht das Recht, sich hierher zu stellen und
uns zu sagen, es wäre Nötigung, wenn die Menschen mit
Recht ihrem Unwillen gegen Sie Ausdruck verleihen.
({52})
Herr Struck, Sie haben das Ganze eben wieder so dargestellt, als ob das Geld, das abkassiert wird, vollständig
in die Rentenversicherung fließt. Herr Bundeskanzler, das
ist doch ein fortgesetzter Wortbruch! Die Einnahmen aus
der Ökosteuer kommen eben nicht in vollem Umfang der
Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge zugute.
({53})
Im Jahr 2003 werden es 38 Milliarden DM Ökosteuern
sein. Davon könnte man den Rentenversicherungsbeitrag
um 3 Prozentpunkte absenken. Er wird aber unverändert
bei über 19 Prozent liegen. Sie kassieren ab und ein erheblicher Teil davon fließt in den Bundeshaushalt.
({54})
Damit da kein Missverständnis entsteht: Wir haben
auch in unserer Fraktion noch in den jüngsten Tagen über
die Frage einer verantwortungsvollen Energiepolitik gesprochen.
({55})
Ich bin und bleibe persönlich der Auffassung, dass es gute
Gründe dafür gibt, den Energieverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere den Schadstoffausstoß durch Energieverbrauch, europaweit mit dem Instrument von schadstoffbezogenen Abgaben zu begrenzen. Aber, meine Damen und Herren, dann doch bitte bezogen auf Schadstoffausstoß und so, dass sich der
Energieverbrauch wirklich verändert, und nicht so, dass
Sie einen hohen Energieverbrauch benötigen, damit Sie
Ihre Steuereinnahmen erzielen können.
({56})
Im Übrigen, Herr Bundeskanzler, die Verpflichtungen,
die die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Klimaschutzes auf der großen Konferenz in Rio eingegangen ist, die von der gesamten Europäischen Union übernommen worden sind und zu denen die Bundesrepublik
Deutschland einen maßgeblichen eigenen internationalen
Beitrag leisten muss, können Sie doch nicht erfüllen,
wenn Sie in der Bundesrepublik Deutschland aus der einzigen CO2-freien Energiequelle aussteigen, nämlich aus
der friedlichen Nutzung der Kernenergie, und gleichzeitig
dafür sorgen, dass die fossilen Brennstoffe in Deutschland
immer weiter und noch stärker verbraucht werden.
({57})
Das ist weder vernünftige Steuerpolitik noch hat das etwas mit dem Arbeitsmarkt zu tun, noch entspricht sie
dem, was wir richtigerweise bezüglich des Klima- und
Umweltschutzes in der Bundesrepublik Deutschland
brauchen.
({58})
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung
glänzt im Lichte der Behauptung, in Deutschland sei der
Reformstau nun endlich aufgelöst.
({59})
Was ist denn bis zur Hälfte Ihrer Amtszeit wirklich geschehen?
({60})
Sie haben eine Steuerreform durchgebracht, die Sie schon
im Jahre 1997 besser hätten haben können und die Sie
jetzt wieder nachbessern müssen.
({61})
Ansonsten aber, Herr Bundeskanzler, wissen Sie in Ihrer Regierung doch im Wesentlichen nur, was Sie nicht
wollen. Sie wollen in dieser Legislaturperiode keine Gesundheitsreform mehr, obwohl wir genau wissen, dass die
Leistungseinschränkungen wegen Ihrer Politik der Bürokratisierung und der Budgetierung in den nächsten Wochen und Monaten weiter drastisch zunehmen werden. Sie
senken die Lohnnebenkosten nicht, wie in Ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen, auf unter 40 Prozent. Ja,
Sie kneifen sogar bei dem vergleichsweise harmlosen
Thema des Ladenschlusses, unmittelbar nachdem Sie ein
Gespräch mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund geführt
haben. Ich habe die Sorge, meine Damen und Herren, dass
da noch mehr Verabredungen getroffen worden sind, von
denen wir erst in den nächsten Wochen und Monaten erfahren werden. Sie werden gewiss nicht zum weiteren
Fortschritt in der Bundesrepublik Deutschland beitragen.
({62})
Sie kürzen die Mittel auch und insbesondere für die
Bundeswehr, Herr Bundeskanzler, obwohl wir gerade
jetzt - ich konnte mich vor einigen Tagen bei einem Besuch unserer Soldaten im Kosovo selbst davon überzeugen - angesichts der internationalen Herausforderungen
genauso wie der Notwendigkeit der Umstrukturierung
der Streitkräfte einen höheren Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr brauchten.
({63})
- Herr Eichel, wenn Sie mir das jetzt nicht abnehmen
({64})
- ich habe damit keine Probleme -, dann möchte ich vortragen, was gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ stand.
Dieser Artikel enthält ein wörtliches Zitat des Berichterstatters der grünen Fraktion zum Bundeswehrhaushalt.
Zunächst wird von der Hardthöhe berichtet:
Außer Kujat
- das ist der Generalinspekteur glaubt hier keiner, dass das Geld reicht.
Sodann lässt sich der Kollege Metzger unwidersprochen wie folgt zitieren:
„In der Gesamtschau ist nicht nachvollziehbar“, wie
das Reformkonzept von Minister Rudolf Scharping
„angesichts der rückläufigen Haushaltsansätze und
der noch zu belegenden globalen Minderausgaben
realisiert werden soll“.
Herr Bundeskanzler, ich hätte erwartet, dass Sie in einer fast einstündigen Rede von diesem Platz aus ein Wort
zur Zukunft der Bundeswehr, zu unseren Soldaten und
insbesondere zur Finanzausstattung der Bundeswehr gesagt hätten.
({65})
Ihr Wahlkampfslogan von 1998 lautete: „Wir sind bereit“. Heute muss man sich fragen, worauf Sie bei der Regierungsübernahme Ende 1998 wirklich vorbereitet gewesen sind. Am besten lässt sich Ihre in Wahrheit
zögerliche und im Wesentlichen auf Medienwirkung ausgerichtete Politik ({66})
- in der unendlichen Geschichte der Rentenreform nachzeichnen. Sie haben die Rentenreform der alten Regierung außer Kraft gesetzt, ohne dass Sie gewusst haben,
was an deren Stelle treten soll.
({67})
- Herr Schlauch, wenn Sie an dieser Stelle Zwischenrufe
machen, dann muss ich Ihnen schon sagen:
({68})
Ich habe einigermaßen Respekt davor gehabt, dass Sie vor
der Bundestagswahl und auch nach der Wahl gesagt haben, bei der Rentenreform sei der Einbau eines demographischen Faktors notwendig. Ich frage Sie: Wo setzen Sie
sich in dieser Koalition mit einem demographischen Faktor eigentlich durch?
({69})
Wir hätten eine Rentenreform längst haben müssen,
meine Damen und Herren.
({70})
Herr Kollege Gerhardt hat auf die Entwicklungstrends
im Aufbau unserer Bevölkerung und auf die Tatsache hingewiesen,
({71})
dass wir immer weniger junge Menschen und immer mehr
ältere Menschen haben. Das bedeutet für die älteren Menschen eine große Lebenschance, aber für unsere sozialen
Sicherungssysteme eine nicht minder große Herausforderung. Wir brauchen eine grundlegende Rentenreform.
Herr Bundeskanzler, wir sind unverändert dazu bereit, an
einer solchen Rentenreform in parteiübergreifendem
Konsens mitzuwirken, weil eine solche Reform, die auf
mindestens eine Generation und damit auf rund 30 Jahre
angelegt sein muss, nicht in jeder Legislaturperiode erneut Korrekturen verträgt. Wenn wir zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen sollen, müssen die fünf von uns
mehrfach genannten Punkte in dieser Reform im Kern
verwirklicht und enthalten sein.
Ich nenne sie Ihnen noch einmal:
Erstens. In die bestehenden Rentenanwartschaften und
Rentenansprüche darf nicht eingegriffen werden. Sie
müssen garantiert sein. Das müssen die älteren Menschen
verlässlich wissen.
({72})
Zweitens - dies, Herr Bundeskanzler, ist ein ganz entscheidender Punkt. Kommende Generationen dürfen mit
Beiträgen aus dem Umlageverfahren nicht dauerhaft
höher belastet werden. Wir werden die Hand nicht zu
einer Rentenreform reichen, bei der die jüngere Generation in Zukunft durch Beiträge im Umlagesystem noch
höher als gegenwärtig belastet wird. Das müssen Sie wissen, wenn Sie mit uns einen Konsens wollen.
({73})
Drittens. Wir brauchen - Sie haben das dankenswerterweise hier angesprochen - die private Altersvorsorge
als zweite Säule der Alterssicherung. Wir brauchen sie
und Sie wären in der Koalition noch nicht so weit, wenn
wir von Anfang an nicht immer wieder gesagt hätten, dass
die Versorgungslücke in der Rentenversicherung nur
durch private und betriebliche Altersversorgung geschlossen werden kann.
({74})
Ich frage Sie in diesem Zusammenhang - das ist eine ernst
gemeinte Frage -: Warum setzen Sie nicht die Arbeiten
der Vorgängerregierung fort ({75})
- in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Vorbild
der Vereinigten Staaten und vieler anderer Länder Pensionsfonds einzuführen? Sie werden private und betriebliche Vorsorge in der Bundesrepublik Deutschland nur
aufbauen können, wenn es einen wesentlichen höheren
Bestand an Pensionsfonds gibt, mit denen ein wesentlich
größerer Teil der Arbeitnehmer in Deutschland an den
Entwicklungen auf den Kapitalmärkten beteiligt werden
kann. Das erwarten wir von Ihnen, Herr Bundeskanzler.
({76})
Ich will den vierten und fünften Punkt nennen, damit
Sie vollständig wissen, was unsere Forderungen sind und
bleiben:
Viertens. Für die Alterssicherung muss die nachgelagerte Besteuerung gelten. Sie haben sich, als ich das im
Frühjahr beschrieben habe und dies veröffentlicht worden
ist, in hämischer Weise darüber lustig gemacht und die
Öffentlichkeit hinters Licht geführt. Mittlerweile - ich bedanke mich dafür - ist der Bundesfinanzminister so weit,
das anzuerkennen. Das Prinzip ist richtig: Nur mit nachgelagerter Besteuerung haben insbesondere Arbeitnehmerfamilien die notwendigen Freiräume, um aus nicht
versteuertem Einkommen zusätzliche Vorsorgebeiträge
aufwenden zu können.
Schließlich fünftens. Die Alterssicherungssysteme
müssen so ausgestaltet sein, dass Altersarmut in der Bundesrepublik Deutschland nicht entstehen kann.
({77})
Das sind unsere Forderungen. Wenn Sie darauf eingehen, kann es eine gemeinsame Rentenreform geben.
({78})
Herr Bundeskanzler, wir brauchen eine Stabilisierung
der Sozialversicherungsbeiträge, und zwar nicht nur, um
zusätzliche Belastungen der jungen Generation zu begrenzen. Wir brauchen sie auch, um endlich die Lohnzusatzkosten in den Griff zu bekommen, und wir brauchen
sie ferner, um dadurch Impulse auf dem Arbeitsmarkt
auszulösen.
Sie haben mehrfach betont, welche gute Entwicklung
auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt habe, seitdem Sie in
Deutschland die Verantwortung übernommen haben. Sie
haben dabei - sicher nicht zufällig - das Jahr 1998 gar
nicht erwähnt, denn im Jahre 1998 konnten Sie sich auf
eine relativ gute Arbeitsmarktkonjunktur stützen. In diesem Jahr hat es 320 000 neue Arbeitsplätze in Deutschland gegeben. Das war aber das letzte Jahr der alten
Regierung.
({79})
Im ersten Jahr der neuen Regierung, im Jahre 1999, ist
es auf dem Arbeitsmarkt praktisch zu einem Stillstand
gekommen. Im Jahr 2000 zeichnet sich der Arbeitsmarkt
in der Tat einmal dadurch aus, dass die Arbeitslosenzahlen zurückgehen, und zum anderen dadurch, dass die Zahl
der Beschäftigten zunimmt. Bei Licht betrachtet gibt es
aber für diese Entwicklung zwei Ursachen: Aus älteren
Arbeitslosen werden Rentner; nicht etwa aus jüngeren Arbeitslosen Beschäftigte.
({80})
Wenn sich die Beschäftigtenzahl verändert, dann im Wesentlichen deshalb, weil Sie im letzten Jahr aus den
geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gemacht
haben. Das ist die Ursache.
({81})
Ich sage Ihnen: Wenn sich die Bundesregierung entschließen sollte, für den Rest ihrer Amtszeit in geschlossener Formation in die Toskana zu reisen, würde in der
Bundesrepublik Deutschland die Arbeitslosenzahl trotzdem zurückgehen, allein aus demographischen Gründen.
Das hat mit Ihnen und Ihrer Politik nichts zu tun. Ich will
Ihnen auch nachweisen, dass dies im europäischen Kontext eine Arbeitsmarktentwicklung darstellt, mit der wir
nicht zufrieden sein können.
({82})
Hätte sich der Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik
Deutschland im Jahre 1999 genauso wie in den anderen
Ländern der Europäischen Union entwickelt, dann hätte
es in Deutschland im Jahre 1999 - bei vergleichbaren
Wachstumsraten - rund 500 000 Arbeitsplätze mehr geben müssen.
({83})
Deutschland steht hinsichtlich der Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt nach wie vor auf einem der hintersten Plätze
in der Europäischen Union.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist insbesondere in den
neuen Bundesländern besorgniserregend. Darüber haben Sie, Herr Bundeskanzler, zwar gesprochen, aber Ihre
Reise in die neuen Länder war für Sie eine Reise in ein unbekanntes Land.
({84})
Die Ablehnung der deutschen Wirtschafts- und Währungsunion und Ihre herabsetzenden Äußerungen über die
Menschen in den neuen Ländern machen jedem deutlich,
dass die fünf neuen Länder keine wirkliche Herzenssache
für Sie sind.
({85})
Es ist deshalb auch kein Zufall, dass sich diese Bundesregierung, als es beispielsweise darum ging, den Standort
für die Fertigungsstätte des großen Airbus in der Bundesrepublik Deutschland festzulegen, mit keinem Wort für
den Standort Rostock-Laage eingesetzt hat. Der Aufbau
Ost war nie wirklich Chefsache.
({86})
Statt den Betrieben, den Arbeitnehmern und den Menschen in den neuen Bundesländern notwendige Hilfen zu
gewähren, haben Sie in der vorletzten Woche eine zwei
Wochen dauernde schöne Reise gemacht: Hände schütteln, eine schöne Bootsfahrt, ein frisches Bier und immer
wieder winke, winke. So sah das Medienbild des Bundeskanzlers aus.
({87})
Dabei haben die Menschen in den neuen Bundesländern
in den letzten zehn Jahren doch wirklich Enormes geleistet. Wer heute mit offenen Augen durch Sachsen und Thüringen, aber auch durch Brandenburg, Sachsen-Anhalt
und Mecklenburg-Vorpommern geht, der müsste eigentlich feststellen: Die blühenden Landschaften sind in den
neuen Bundesländern entstanden.
({88})
Wir alle wissen aber, dass die neuen Bundesländer
noch einige Jahre die Hilfe und die Solidarität der alten
Bundesländer und auch der gesamten Bundesrepublik
Deutschland benötigen.
({89})
Aber was machen Sie? Im Haushalt 2001 werden die Mittel für die neuen Länder um rund 3 Milliarden DM
gekürzt: Straßenbau minus 200 Millionen DM, Nachholinvestitionen für die Bahn - Sie sprechen sich doch immer
so sehr für den Ausbau von Schienenwegen und des öffentlichen Personennahverkehrs aus - minus 1,5 Milliarden DM im Vergleich zu 1999. Überall, egal, ob man sich
die Mittel für die Pflegeeinrichtungen, für Forschung und
Entwicklung oder zur Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur Ost ansieht, werden die Mittel für
die neuen Länder gekürzt. Herr Bundeskanzler, noch
nicht einmal die ICE-Strecke Nürnberg-Erfurt-Berlin
konnte gerettet werden. Das ist die Bilanz von zwei Jahren Aufbau Ost der Bundesregierung unter Gerhard
Schröder.
({90})
Ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler, aus aktuellem
Anlass fragen, ob Sie wenigstens bereit sind, sich in den
kommenden Tagen und Wochen - die Entscheidungen
werden nämlich dann getroffen werden - dafür einzusetzen, dass es in den neuen Bundesländern wenigstens ein
eigenständiges Energieversorgungsunternehmen geben wird, ein Energieversorgungsunternehmen, das über
die modernsten Kohlekraftwerke verfügen kann, die es
zurzeit auf der Welt gibt. Es wäre das einzige große Unternehmen, das seinen Standort nicht im Westen, sondern
in den neuen Bundesländern hätte. Sie wissen genau,
worüber ich spreche, jedenfalls vermute ich es.
({91})
Es geht um ein Unternehmen, das möglicherweise unter
Führung eines großen amerikanischen Unternehmens aus
der Berliner Bewag, der Laubag, der Mibrag und der Veag
- vielleicht als nordostdeutsche Lösung - entstehen
könnte. Herr Bundeskanzler, wenn Sie es mit dem ernst
meinen, was Sie den Menschen in den neuen Bundesländern vor 14 Tagen versprochen haben, dann erwarten
diese Menschen zu Recht, dass Sie sich für eine solche
unternehmerische Entscheidung zugunsten der neuen
Bundesländer einsetzen und ({92})
- dass die dort vorhandenen stillen Reserven in Höhe von
rund 4 Milliarden DM nicht wieder den westdeutschen
Unternehmen zufließen, deren Zentralen in den alten
Bundesländern liegen. An dem Ergebnis kann man Ihre
Ernsthaftigkeit hinsichtlich dessen, was Sie in den neuen
Bundesländern machen, messen. Wir werden es tun.
({93})
Meine Damen und Herren, wir merken, dass der
nächste Bundestagswahlkampf näher rückt. Dies merken
wir nicht nur an der Reise in die neuen Länder, sondern
auch an Ihren Aussagen, Herr Bundeskanzler, zum Thema
der inneren Sicherheit. Ausgelöst wurde das durch eine
ganze Reihe von üblen Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Plötzlich können Sie gar nicht genug
Forderungen aufstellen, wie man Gewalttäter schärfer
bestrafen kann. Sie geben im Urlaub ein Interview im
Fernsehen und sagen: Da braucht es die Härte der Polizei,
da braucht es die Härte der Justiz. - Einige Tage später
steht in der „Berliner Zeitung“: Die - gemeint sind die
Gewalttäter - müssen wissen: Es gibt was auf den Deckel,
wenn sie nicht spuren.
({94})
Rechtsextremismus ist wahrlich nicht nur ein Thema
der neuen Länder, aber dort ereignen sich bedauerlicherweise überproportional häufig Straftaten aus diesem Bereich. Ich will Sie daran erinnern, dass das SPD-Parteimitglied Professor Richard Schröder vor gar nicht langer
Zeit gesagt hat, dass eine wesentliche Ursache für das
Erstarken von Neonazis und Skinheads in den neuen Ländern darin liegt, dass viele Menschen im Osten das Gefühl
vermittelt bekommen, sie seien die Verlierer der Einheit
und Menschen zweiter Klasse in Deutschland. Die PDS
hat an dem Gefühl, das die Menschen haben, maßgeblichen Anteil. Ich sage sogar: Es ist ihre Existenzgrundlage,
den Menschen einzureden, dass sie Menschen zweiter
Klasse und die Verlierer der Einheit sind.
({95})
Wenn Sozialdemokraten zum gleichen Zeitpunkt gemeinsame Sache mit der PDS machen, dann verwischen
sie bewusst die Grenzen zwischen den demokratischen
Parteien der Mitte und den Linksextremen. Ich sage Ihnen: Wir müssen wehrhaft stehen gegen den linken wie
den rechten Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland.
({96})
Wer den Linksradikalismus hoffähig macht, Herr Bundeskanzler, ruft die Rechten auf den Plan.
({97})
Wenn wir gemeinsam dafür etwas tun wollen - wir sind
dazu bereit -, dass politischer Extremismus in Deutschland rechts wie links keine Chance mehr hat, dann müssen wir entschlossen für Freiheit und Rechtsstaat, für
Toleranz und Ausländerfreundlichkeit eintreten.
({98})
Wir sind dazu uneingeschränkt bereit.
({99})
Wenn Sie, meine Damen und Herren, mit Ihren Zwischenrufen auf die Auseinandersetzung hinweisen, die
wir vor eineinhalb Jahren in Hessen miteinander ausgetragen haben,
({100})
dann will ich dazu zwei Bemerkungen machen. Im letzten
Jahr hat die CDU Deutschlands eine Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gemacht.
({101})
Sie reden jetzt über Volksbefragungen und kritisieren uns,
dass wir im letzten Jahr gegen eine falsche politische Entscheidung dieser Koalition das Volk befragt haben.
({102})
Aber noch schlimmer: Sie haben uns im letzten Jahr
den Vorwurf gemacht, dass wir mit dieser Unterschriftenaktion rechtsradikale Straftaten in Deutschland erst möglich machen und damit fördern.
({103})
Die Kriminalitätsrate mit rechtsextremistischem Hintergrund im Land Hessen liegt an der zweitletzten Stelle in
der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Nur noch im
Saarland gibt es weniger Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund als in Hessen. Dies zeigt, die Sorgen
und Nöte der Menschen ernst zu nehmen und sie aufzufordern, an der politischen Willensbildung teilzunehmen,
verhindert politischen Extremismus und fördert ihn nicht.
({104})
Ich komme auf die innere Sicherheit zurück. Herr Bundeskanzler, wir würden von Ihnen gerne wissen, welche
Initiativen Sie jetzt angesichts Ihrer Ankündigungen im
Sommer für richtig halten und inwieweit Sie Ihren Bundesinnenminister und die Bundesjustizministerin beauftragt haben. Wird es, wie es der Bundesinnenminister
angekündigt hat, einen verstärkten Einsatz des Bundesgrenzschutzes geben, beispielsweise an öffentlichen und
gefährdeten Orten wie Bahnhöfen, wo die Kriminalitätsschwerpunkte wirklich sind?
({105})
Gibt es ein Maßnahmenkonzept gegen die Verwahrlosung
unserer Städte? Wir könnten Ihnen dazu wieder unseren
Vorschlag anbieten, damit zu beginnen, die Graffitischmierereien zu verbieten, Herr Bundeskanzler. So kann
man damit anfangen, Kriminalität zu bekämpfen.
({106})
Sind Sie, Herr Bundeskanzler, für eine bessere Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten, so wie
das beispielsweise in der Stadt Leipzig mit großem Erfolg
praktiziert wird?
({107})
Wenn Sie das wollen, dann bringen Sie entsprechende
Gesetzentwürfe in den Bundestag ein. Wir werden uns denen nicht verschließen.
Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn für Sie wie für uns
die Bilder unerträglich sind, die zeigen, dass wenige
Meter von hier entfernt Neonazis, Skinheads in Uniformen durch das Brandenburger Tor marschieren und dort
Fahnen schwenken, die in diesem Land keiner mehr sehen
will, dann frage ich Sie: Warum legen Sie keine Vorschläge zur Erweiterung der Bannmeile und zur Verschärfung des Versammlungsrechts auf den Tisch?
Warum machen Sie es dann nicht?
({108})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie wie wir der Meinung
sind, dass, wie Sie sich ausgedrückt haben, bei allem
Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz mit Bewährungsstrafen in Deutschland nicht so freundlich umgegangen werden darf - so haben Sie es in einem Interview vor 14 Tagen gesagt -, warum lassen Sie es dann zu,
dass Ihre Bundesjustizministerin zum selben Zeitpunkt
den Vorschlag macht, die Strafaussetzung zur Bewährung
auf Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren auszudehnen? An
dieser Stelle stimmt in Ihrer Innen- und Rechtspolitik
doch nichts mehr, was die Entschlossenheit der Bekämpfung von Kriminalität in Deutschland betrifft.
({109})
Ich komme auf die relativ stabile Konjunktur zurück.
Herr Bundeskanzler, lassen wir den Streit außer Betracht,
woher es kommt und wer die Verdienste hat: Wir haben
in der Bundesrepublik Deutschland, wie in vielen anderen
Ländern, gegenwärtig eine relativ stabile Konjunktur. Das
müsste doch eigentlich die Zeit sein, wo Sie einen wirklich entscheidenden Impuls - über die Steuerpolitik hinaus - für die Modernisierung unseres Landes geben.
Ihre Halbzeitbilanz, Herr Bundeskanzler, bleibt weit hinter dem zurück, was unter den gegenwärtigen ökonomischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik
Deutschland an Modernisierung möglich wäre. Ich will
Ihnen drei Beispiele nennen.
Warum packen Sie das ganze Thema „Reform des Arbeitsmarktes in Deutschland“ nicht an? Ich vermute, Sie
kennen folgenden Fall, den ich kurz schildern will: Vor
einem Jahr wurden in einem Zweigwerk der Volkswagen
AG in Emden 1 100 Mitarbeiter, die dort in einem befristeten Arbeitsverhältnis angestellt waren, nicht weiter beschäftigt, weil die Auftragslage das nicht zuließ. VW
wollte diese 1 100 Beschäftigten nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen, sondern bot ihnen einen so genannten
Transfersozialplan - Weiterbeschäftigung in Arbeitsplätzen bei Unternehmen in der näheren Umgebung - an. Es
gab 1 200 Angebote für eine unbefristete Weiterbeschäftigung - und das bei 1 100 zu entlassenden Arbeitnehmern
bei VW. Kein einziges der angebotenen Beschäftigungsverhältnisse beinhaltete ein Entgelt, das nicht mindestens
um 500 DM über dem Arbeitslosengeld liegt.
Von den 1 100 Beschäftigten bei VW - ich mache daraus niemandem einen Vorwurf ({110})
haben sich ganze drei entschlossen, das Angebot anzunehmen. Alle anderen haben es vorgezogen, vorläufig in
die Arbeitslosigkeit zu gehen. Ich sage es noch einmal: Ich
mache keinem Beteiligten einen Vorwurf.
({111})
- Nein, keinem. - Ich mache allenfalls uns den Vorwurf,
dass wir nicht in der Lage sind, den Arbeitsmarkt so zu
organisieren, dass die Anreize zur Fortsetzung einer Beschäftigung höher als der Gang in die Arbeitslosigkeit
sind.
({112})
Warum, Herr Bundeskanzler, setzen Sie ungeprüft die
so genannte aktive Arbeitsmarktpolitik mit einem Volumen von rund 40 Milliarden DM fort, obwohl Ihnen
mehrere Angebote - auch ein ganz konkretes vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim - vorliegen, dieses Instrumentarium - das haben
nicht Sie erfunden, sondern das gibt es schon lange -, das
sich in der Zwischenzeit als in höchstem Maße ineffizient
herausgestellt hat - weil noch nicht einmal die Hälfte derer, die solche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen besucht
haben, eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt erhalten ({113})
kritisch und wissenschaftlich überprüfen zu lassen?
Warum, Herr Bundeskanzler, lehnen Sie dieses Angebot
ab? Wann denn, wenn nicht jetzt, kann eine solche Reform
unseres Arbeitsmarktes stattfinden?
({114})
Warum greifen Sie nicht unser Angebot auf, die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe
weiter voranzubringen? Nicht in der Form, wie Sie es
jetzt machen, dass ein Informationsaustausch zwischen
den Behörden stattfindet, sondern in der Form, dass die
Leistungsgesetze einander angepasst werden, sodass diejenigen, die die Arbeit verweigern, nicht nur bei der Sozialhilfe, sondern auch bei der Arbeitslosenhilfe entsprechende Kürzungen hinnehmen müssen. Warum machen
Sie das nicht? Wann denn, wenn nicht jetzt, Herr Bundeskanzler?
({115})
Ich will jetzt aus Zeitgründen nicht auf Ihre Vorschläge
zur gesetzlichen Regelung der Gleichstellung von so genannten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
eingehen. Darüber kann man sprechen. Es gibt sicherlich
den einen oder anderen Punkt, an dem man etwas verändern kann. Das eigentliche zentrale Thema der Familienpolitik in Deutschland kann diese Frage doch wohl nicht
darstellen.
({116})
Warum nehmen wir es uns nicht gemeinsam vor, in den
nächsten fünf bis zehn Jahren den Familienleistungsausgleich für Familien mit Kindern - nicht gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, sondern Familien mit Kindern - so zu verbessern, dass in der Bundesrepublik
Deutschland spätestens in zehn Jahren kein Kind mehr
von Sozialhilfe leben muss? Warum nehmen wir uns das
nicht gemeinsam vor?
({117})
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss noch
einige Sätze zur Entwicklung in der Europäischen Union
sagen. Ich freue mich darüber, dass Sie, Herr Bundeskanzler, das angesprochen haben. Ich will es kurz machen: ({118})
- Sie werden mit dem, was Sie sich im Rahmen der Regierungskonferenz zur Vorbereitung auf die Erweiterung
der Europäischen Union vorgenommen haben, zu kurz
springen.
({119})
Ich sage Ihnen das ohne jede Häme.
Wir wollen den Erfolg der Osterweiterung der Europäischen Union. Sie wissen, dass weder mit den Beschlüssen des Berliner Gipfels zur Agenda 2000 noch mit dem,
was jetzt auf der Tagesordnung der Regierungskonferenz
steht, die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union
herbeigeführt wird. Sie wissen es. Deswegen war es ein
schwerer politischer Fehler, dass Sie die Zahl der möglichen Beitrittskandidaten beim Gipfel in Helsinki kritiklos
auf 11 angehoben haben, aber gleichzeitig nicht dafür
gesorgt haben, dass die notwendigen politischen, institutionellen und finanziellen Voraussetzungen dafür in der
Europäischen Union geschaffen werden.
({120})
Diese Europäische Union steuert nicht nur auf eine Akzeptanzkrise in der Bevölkerung zu, sie steuert auf eine
tiefe politische Sinn- und Identitätskrise zu, wenn Sie jetzt
nicht unseren Vorschlag aufnehmen, in der Bundesrepublik Deutschland und in der Europäischen Union eine
Diskussion über die Kompetenzverteilung im Rahmen
der Erörterung eines Verfassungsvertrages zu beginnen,
so wie Wolfgang Schäuble es schon vor sechs Jahren vorgeschlagen hat.
({121})
Ich komme zum Schluss.
({122})
Die notwendige Modernisierung unseres Landes, fest
eingebettet in eine Konzeption der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union, lässt sich nur erfolgreich
gestalten, wenn ein politisches und ökonomisches Ordnungskonzept dahinter steckt. Sie, Herr Bundeskanzler,
haben vor Jahresfrist in einem nach Ihnen und dem Britischen Premierminister Tony Blair benannten Positionspapier, in dem viel von Anpassung und Flexibilität die Rede
war, zwischen einer Marktwirtschaft, die es geben müsse
und die es zu unterstützen gelte, und einer Marktgesellschaft, die es nicht geben dürfe, unterschieden. Sie haben
mit dieser willkürlichen Unterscheidung gezeigt, dass Sie
trotz aller Modernisierungsrhetorik das Ordnungskonzept
der sozialen Marktwirtschaft nicht wirklich verstanden
haben.
({123})
Die Väter der sozialen Marktwirtschaft weisen zu Recht
darauf hin, dass diese angeblich getrennten Lebenswelten
in Wahrheit eine harmonische Einheit darstellen müssen
und dass sie als ganz wesentliche Voraussetzung eine
wettbewerbsorientierte Ordnung haben.
Deswegen sage ich Ihnen: Was jetzt ansteht, ist eine
Generalsanierung unserer Systeme und deren Ausrichtung auf die Existenzbedingungen Deutschlands und Europas im 21. Jahrhundert. Davon dürfen Sie nicht Teile
isoliert sehen, sondern Sie müssen das Ganze im Zusammenhang sehen. Verantwortete Freiheit - dieses Leitbild legen wir einer solchen Ordnung zugrunde, die im
Zeitalter der Globalisierung einzig zukunftsweisend ist.
Eine gute Reformpolitik, Herr Bundeskanzler, muss
das Ganze im Auge haben, um wirklich zukunftsfähig zu
sein. Dazu bedarf es des Denkens in Grundsätzen und in
Grundwerten. Nur dies führt zu einer Politik, die auf den
Geist der Freiheit der Bürger setzt und Freiheit, Verantwortung und soziale Gerechtigkeit zum Ausgleich bringt.
Hierfür, meine Damen und Herren, stehen CDU und CSU.
({124})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich habe jetzt drei Meldungen zu Kurzinterventionen vorliegen. Ich erteile zunächst dem Kollegen Peter Struck, SPD, das Wort.
({0})
Herr Kollege Merz, ich gehe
jetzt nicht auf die Teile ein, in denen Sie sich inhaltlich mit
unserer Politik auseinander gesetzt haben, ({0})
- sondern ich greife eine Agenturmeldung über den ersten
Teil Ihrer Rede auf. Es ist mir, aus formalen Gründen,
leider nicht gelungen, den stenografischen Auszug dieses
Teils Ihrer Rede zu bekommen. Deshalb zitiere ich aus der
ddp-Meldung. Sie haben, offenbar unter dem großen Applaus Ihrer Fraktion, gesagt:
Vielmehr hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben,
wenn damals ein SPD-Politiker Kanzler gewesen
wäre.
({1})
Sie werden weiter zitiert:
Schließlich habe es vor zehn Jahren keinen maßgeblichen Sozialdemokraten gegeben, der die Einheit
wirklich gewollt habe.
Ich will Ihnen in aller Ruhe sagen, Herr Kollege Merz:
Ohne die Entspannungspolitik ({2})
- von Helmut Schmidt, von Willy Brandt, von HansDietrich Genscher, ohne den Einsatz des damaligen SPDFraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel und - auch das
will ich Ihnen sagen, weil es Mitglieder meiner Fraktion
sind; da müssen Sie gar nicht so hämisch lächeln, Herr
Merz; Sie sollten sich schämen für das, was Sie gesagt
haben ({3})
- ohne den Einsatz von solchen mutigen Männern wie
Markus Meckel und Stephan Hilsberg, die zu DDR-Zeiten eine sozialdemokratische Partei gegründet haben,
hätte es die Einheit auf diesem Wege nicht gegeben.
({4})
Ich füge hinzu: Ich habe hohen Respekt vor der Leistung der damaligen Bundesregierung, was die deutsche
Einheit angeht. Ich erwarte von Ihnen aber auch hohen
Respekt vor der Leistung von Sozialdemokraten, die gegen Kommunisten gekämpft haben, die ihr Leben im
Kampf gegen den Kommunismus gelassen haben, gerade
in einer Stadt wie Berlin.
({5})
Ich füge noch eines hinzu: Ich könnte ja mit gleicher
Münze zurückzahlen. Es war nämlich kein Sozialdemokrat, der Erich Honecker mit dem roten Teppich empfangen hat; es war ein christdemokratischer Bundeskanzler.
Aber das will ich nicht tun; ich wollte nur diese Tatsache
erwähnen. Wenn Sie sich aber dazu versteigen, den Stiefbruder des Bundeskanzlers als Instrument für politische
Argumentation zu benutzen, dann ist das nicht nur niveaulos, sondern auch geschmacklos und nicht weniger.
({6})
Nun erteile ich dem
Kollegen Gregor Gysi, PDS, das Wort zu einer Kurzintervention.
Zunächst eine Bemerkung zu
der Rede von Herrn Merz und dann eine Bemerkung zu
der Rede des Bundeskanzlers.
Meine erste Bemerkung: Herr Merz, Sie haben in Ihrer Rede ernsthaft behauptet, dass die PDS die Verantwortung dafür trage und davon lebe, dass sich viele Menschen in den neuen Bundesländern als Deutsche zweiter
Klasse fühlen. Darf ich Sie daran erinnern, dass in den
acht Jahren von 1990 bis 1998 nicht die PDS, sondern die
CDU/CSU in diesem Lande regiert hat? Wenn es in dieser Zeit wirklich so gewesen sein sollte, dass sich die
Menschen als Deutsche zweiter Klasse fühlten, dann geht
das auf Ihr Konto und nicht auf unser Konto.
({0})
Wenn es denn wahr wäre - was ich bestreite -, dass wir
davon lebten, dann hieße das: Wir leben von Ihrer Politik.
Darüber sollten Sie selbstkritisch nachdenken.
({1})
Sie haben sich dann zum Extremismus geäußert und
legten besonders großen Wert darauf, dass er - egal, woher er kommt und wie er motiviert ist - zu bekämpfen ist.
Dem stimme ich ausdrücklich zu. Aber Sie haben das auf
eine Art und Weise getan, dass man fast das Gefühl haben
könnte, dass es Ihnen Leid tut, dass es gegenwärtig keinen
Linksextremismus gibt, der zu irgendwelchen Gewalttaten neigt. Ich bin froh darüber, dass es ihn nicht gibt. Deshalb sage ich: Führen Sie nicht ein Thema ein, das im Augenblick nicht relevant ist!
({2})
Wenn Sie aber in diesem Zusammenhang ernsthaft versuchen, eine Gleichstellung zwischen Menschen, die andere Menschen wegen einer anderen Hautfarbe oder aus
anderen Gründen totschlagen, und der PDS herzustellen,
dann sage ich Ihnen, dass das eine Unverschämtheit ist,
die ich hier mit aller Entschiedenheit zurückweise.
({3})
Unsere Meinungen mögen Ihnen nicht gefallen. Aber extremistisch, rassistisch, antisemitisch oder gar gewalttätig
ist die PDS nicht.
Meine Kritik an der PDS ist eine ganz andere: Ich kritisiere - extremistisch ist sie wirklich nicht -, dass sie zu
wenig rebellisch ist. Sie könnte ein bisschen mehr aus der
Hüfte schießen. Ich habe also andere Kritikpunkte.
Ich sage Ihnen: Lassen Sie das bleiben! Zehn Jahre
nach der Einheit überzeugen Sie damit niemanden. Beenden Sie den Kalten Krieg! Es muss endlich auch in Ihre
Birne rein, dass er seit zehn Jahren vorbei ist, sonst kommen wir nicht weiter in den Fragen der deutschen Einheit.
({4})
Meine zweite Bemerkung: Herr Bundeskanzler, Sie
haben gesagt, ich würde einen Systembruch bei der Rente
vorschlagen, während Sie ihn verhindern wollen. Ich
finde, in diesem Punkt widersprechen Sie sich selbst. Sie
haben vorhin gesagt, man dürfe nicht von der Senkung
des Rentenniveaus sprechen, weil man beides zusammenrechnen müsse, nämlich die gesetzliche Rente, die es dann
gibt, und die Ausschüttung der privaten Rente. Das heißt
doch wohl im Klartext, dass Sie das Rentenniveau der gesetzlichen Rente senken. Der Ausgleich soll über die private Versicherung erfolgen. Das bedeutete natürlich den
Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung und damit einen Systembruch, weil nämlich der Teil, der die Senkung
des Rentenniveaus ausgleichen soll, allein von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gezahlt werden soll
und nicht mehr von den Unternehmen. Das ist das Problem.
({5})
Deswegen sage ich: Nicht ich schlage den Systembruch
vor, sondern Sie.
Ich will schon - das ist meine abschließende Bemerkung -, dass es bei den Unternehmen eine Änderung gibt.
Ich will nicht, dass die Unternehmen wie heute einfach
immer die zweite Hälfte dessen überweisen, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Beiträgen zahlen.
Ich will vielmehr, dass die Unternehmen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit - das heißt, nach ihrer Wertschöpfung und damit erstmalig flexibel - Beiträge zahlen, also
je nachdem, wie ihre wirtschaftliche Stärke ist. Das bedeutete, dass ein Unternehmen mit weniger Beschäftigten, aber hoher Wertschöpfung
Herr Kollege Gysi,
die drei Minuten sind vorüber.
- ich bin sofort fertig - mehr
herangezogen würde, jedoch arbeitsintensive Unternehmen endlich entlastet würden. Deswegen sage ich: kein
Systembruch. Wir dürfen die Unternehmen nicht aus der
Finanzierung entlassen. Wir müssen nur dafür sorgen,
dass sie gerecht nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsstärke einzahlen.
({0})
Nun erteile ich dem
Kollegen Rezzo Schlauch das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Merz, Sie legen ja immer großen Wert auf
Stil in der parlamentarischen Auseinandersetzung; das ist
gut so.
({0})
- Wann ich meine Hand aus der Tasche nehme, das
überlassen Sie mir. - Diesen Stil haben Sie in der heutigen parlamentarischen Auseinandersetzung absolut
überzogen.
({1})
Zudem haben Sie falsche Behauptungen aufgestellt, indem Sie Christian Ströbele, ein Mitglied meiner Fraktion,
im Zusammenhang mit einer Verurteilung als einen
„unsäglichen Mann“ bezeichnet haben.
({2})
Ich glaube, dass dies ein rügenswerter Ausdruck ist. Denn
man kann sich zwar unsäglich verhalten - das haben Sie
in einigen Passagen Ihrer Rede getan -; aber jemanden als
einen „unsäglichen Mann“ abzustempeln, das widerspricht allen Gepflogenheiten dieses Hauses.
({3})
Herr Kollege Merz, ferner glaube ich, dass es ein qualitativer Unterschied ist - darüber sollten Sie einmal nachdenken -, ob jemand vor 20 Jahren als Bürger - und nicht
in Ausübung eines Mandats - wegen eines strafrechtlichen Fehlverhaltens verurteilt worden ist oder ob ein
amtierender Bundeskanzler eingestandenermaßen Gesetze verletzt hat. Da besteht meiner Meinung nach ein
ganz erheblicher Unterschied. Darüber sollten Sie nachdenken.
({4})
Herr Kollege Merz,
Sie haben Gelegenheit zu antworten.
({0})
- Es ist jedem Redner unbenommen, wie er sich verhält.
Damit erteile ich dem Bundesminister der Finanzen,
Hans Eichel, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ehe ich
zu dem eigentlichen Grund meiner Wortmeldung, zu dem,
was Kollege Merz zur Ökosteuer gesagt hat, komme,
kann ich nicht umhin, Herr Kollege Merz, eine sehr persönliche Bemerkung zu machen: Was Sie hier heute zum
Thema „Sozialdemokraten und deutsche Einheit“ gesagt haben, macht es mir fast schwer, mit Ihnen zusammen am 3. Oktober dieses Jahres eine gemeinsame Feier
zu begehen.
({0})
Nachdem Sie die unsägliche Debatte, wer an der Feier am
3. Oktober teilnimmt oder nicht, begonnen hatten, habe
ich eine Rede, die ich am 3. Oktober in Hessen halten
wollte, abgesagt und mich für Dresden angemeldet. Denn
in Dresden sollten am 3. Oktober dieses Jahres alle Spektren des politischen Lebens vertreten sein.
({1})
Dass Sie gesagt haben, kein maßgeblicher sozialdemokratischer Politiker habe die Einheit gewollt, ist ein unglaublicher Vorgang.
({2})
Jetzt lassen Sie uns einmal darüber sprechen, was wirklich war: Ich weiß ganz genau, welche Debatten wir im
Vorstand der SPD unter dem Parteivorsitzenden HansJochen Vogel geführt haben.
({3})
- Jetzt hören Sie erst einmal einen Moment zu. - Ich spreche jetzt für mich und meine Generation: Wir sind in einem Deutschland aufgewachsen, das ein geteiltes Land
war, in einem Deutschland, dessen Nationalismus viel
Unglück über das eigene Land und über Europa gebracht
hat. Wir sind in dem Geist aufgewachsen, dass ein solcher
Nationalismus in Deutschland nie wieder auftreten soll
und unsere Zukunft in der europäischen Integration liegt.
In der Tat, die staatliche Einheit war für uns zunächst nicht
die wichtigste Frage. Vielmehr waren für uns bzw. für unsere Generation - das ist wahr - die Freiheit der Menschen
und die europäische Einheit das Wichtigste.
({4})
Ich erinnere mich an die Debatte der älteren Generation, an die von Willy Brandt, Klaus von Dohnanyi,
Erhard Eppler, Peter von Oertzen und Egon Bahr. Sie hatten ein anderes emotionales Verständnis, und zwar aufgrund ihrer Erfahrungen aus der Weimarer Republik und
dem Dritten Reich. Viele hatten unser Land verlassen
müssen. Für sie war es eine Sehnsucht, unser Land wieder zusammenzuführen. Unsere Debatte hatte nicht zum
Inhalt, ob wir die deutsche Einheit wollten oder nicht.
Vielmehr war die Ausgangslage der Generationen eine
andere. Es ist eine Unverschämtheit, Herr Merz, was Sie
daraus gemacht haben.
({5})
Ich weiß ganz genau, dass ich am 9. November 1989,
nachdem wir nachts gehört hatten, die Grenze sei offen,
nach Herleshausen gefahren bin. Ich habe gesehen, wie
kilometerlange Schlangen von Trabbis und Wartburgs ankamen und die Menschen sagten: Wir wollen sehen, ob es
stimmt, dass wir über die Grenze können.
Ich weiß genau, dass wir am 24. Dezember 1989 das
erste Mal als Westdeutsche ohne Visum in die DDR durften. Ich bin mit meiner Familie nach Thüringen gefahren.
Meine Großeltern kamen daher. Es ist eine Flegelei ohnegleichen, die Sie sich erlaubt haben.
({6})
Ich weiß genau, wie Egon Bahr und ich im Herbst 1989
den Grenzübergang bei Treffurt eröffnet haben.
({7})
Ich weiß genau, es wurde im Hessischen Landtag mit den
Stimmen der Opposition ein 250-Millionen-DM-Sonderprogramm beschlossen. Glauben Sie, Sie hätten damals
- wir waren in der Opposition - nur einen Satz sagen müssen, ob Sie dafür oder dagegen sind?
Hier im Deutschen Bundestag war es die SPD-Opposition, es waren die deutschen Gewerkschaften und viele
Männer aus der Wirtschaft, die gesagt haben: Verzichtet
auf die Steuersenkung, die ihr zum 1. Januar 1990 beschlossen habt, verzichtet darauf, wir brauchen das Geld
für den Aufbau, für die deutsche Einheit. Das waren die
Sozialdemokraten.
({8})
Sie hatten damals die Gelegenheit, die Opferbereitschaft des deutschen Volkes, der parlamentarischen Opposition und der Arbeitnehmer aufzurufen. Wir wussten
doch, dass die Einheit Geld kostet. Sie haben Schulden
gemacht, die wir jetzt abtragen müssen. Das war Ihre Politik.
({9})
Jetzt komme ich zum eigentlichen Grund meiner Wortmeldung: zur Mineralölsteuer. Es ist ja ein billiger Trick,
den Sie da versuchen. Ich habe es mir aufgeschrieben, Sie
sprachen von 1 000 DM Energiekostensteigerung an der
Tankstelle. Das mag so sein. Wissen Sie, was davon die
Ökosteuer ausmacht? Das wissen Sie ganz genau, das ist
Ihr Taschenspielertrick. Die Stufe, die wir in diesem Jahr
durchgeführt haben, macht 100 DM aus. Für einen vierköpfigen Haushalt sind das alles inklusive seit 1998 etwas
über 300 DM im Jahr. Das ist der Sachverhalt.
Wir haben bisher eine Steuererhöhung von 12 Pfennig
pro Liter vorgenommen. Sie haben in fünf Jahren eine Erhöhung von 50 Pfennig vorgenommen und nicht die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt.
({10})
Wir leiten die Ökosteuereinnahmen in die Rentenversicherung. Die Ökosteuereinnahmen betragen in der ersten Stufe - Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform - in 1999 8,4 Milliarden DM und schreiben sich
in den folgenden Jahren mit 12,3 Milliarden DM fort.
Nach dem Gesetz zur Fortführung der ökologischen
Steuerreform betragen die Einnahmen in 2000 5,1 Milliarden DM, das macht für dieses Jahr 17,4 Milliarden DM.
Das entspricht einem Prozentpunkt des Rentenversicherungsbeitrags, und um einen Prozentpunkt ist der Beitrag
von 20,3 auf 19,3 Prozent gesunken. Der Beitragssatz
wird auch weiter sinken.
({11})
- Das werden Sie in der Gesetzesvorlage von Herrn
Riester sehen.
({12})
- Nächstes Jahr geht es mit der Senkung weiter.
Damit es ganz deutlich wird, will ich noch einmal festhalten: Die beiden Gesetze - das Gesetz zum Einstieg in
die ökologische Steuerreform und das Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform - führen zu Einnahmen in 1999 in Höhe von 8,4 Milliarden DM, in 2000
in Höhe von 17,4 Milliarden DM und in 2001 - ich will
das nur bis dahin ausführen, um die Zahlenreihe nicht zu
verlängern; das haben Sie auch alles schriftlich - in Höhe
von gut 22 Milliarden DM. Im Korrekturgesetz wurde der
pauschale Beitrag für Kindererziehungszeiten verabschiedet. Hier haben wir die versicherungsfremden Leistungen herausgenommen. Dies macht für 1999 8,8 Milliarden DM. Von den Ökosteuereinnahmen werden der
Rentenversicherung 1999 also nicht nur 8,4 Milliarden DM, sondern ein bisschen mehr, nämlich 8,8 Milliarden DM, zugeführt.
({13})
Dies geht in den Folgejahren mit durchschnittlich 14 Milliarden DM weiter.
Nach dem Haushaltssanierungsgesetz - das ist das
Zweite, das dem gegenübersteht - erhöht sich der zusätzliche Bundeszuschuss. Dies sind in diesem Jahr 2,6 Milliarden DM, im nächsten Jahr 8,1 Milliarden DM und in
den darauf folgenden Jahren 13,3 Milliarden DM,
18,6 Milliarden DM und 19,2 Milliarden DM. Ergebnis
ist: Der Ökosteuereinnahme von 8,4 Milliarden DM in
1999 steht eine Zuweisung von 8,8 Milliarden DM gegenüber. Der Ökosteuereinnahme von 17,4 Milliarden DM in 2000 steht eine Zuweisung von 16,6 Milliarden DM gegenüber. Der Ökosteuereinnahme von
22,3 Milliarden DM in 2001 steht eine Zuweisung von
22,4 Milliarden DM gegenüber. Soweit es geht, werden
alle über die Ökosteuer erzielten Mehreinnahmen auf
Punkt und Komma der Rentenversicherung zugeführt.
({14})
Dies ist übrigens dasselbe wie das, was Sie mit unserer
Zustimmung ein Jahr vorher mit der Mehrwertsteuer gemacht haben, nur dass wir nicht hinterher kehrtgemacht
und so polemisiert haben. Sie haben nämlich das Preisniveau in Deutschland durch die Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt in die Höhe getrieben,
weil Sie verhindern wollten, dass der Rentenversicherungsbeitrag von 20,3 auf über 21 Prozent stieg. Weil Sie
damals nicht die Kraft hatten, innerhalb Ihrer Koalition
eine Lösung zu finden, haben Sie den Deutschen Bundestag und den Bundesrat, den Sie brauchten, gebeten, die
Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt zu erhöhen.
({15})
Damit sind der Rentenversicherung rund 16 Milliarden DM aus allgemeinen Steuermitteln zugeführt worden,
damit der Rentenversicherungsbeitrag nicht erhöht werden musste. Das war exakt derselbe Vorgang wie dieser
jetzt. Nur wurde er über die Mehrwertsteuer abgewickelt,
während wir dies über die Mineralölsteuer machen. Dies
ist der schlichte Sachverhalt.
Nun frage ich Sie: Was wollen Sie denn eigentlich? Ich
sage den Menschen: „Ich weiß, dass die Debatte im Moment nicht einfach ist, aber sie wird genau geführt.“ Wenn
Sie sagen, dass wir doch bitte auf die nächste Stufe der
Ökosteuer verzichten sollen, dann müssen Sie den Menschen auch sagen, dass dann der Rentenversicherungsbeitrag erhöht werden muss.
({16})
- Oder Sie müssen sagen, verehrter Herr Austermann,
dass Sie sonst auf eine höhere Staatsverschuldung ausweichen müssen. Dies ist ein Nullsummenspiel und das
wissen Sie auch.
({17})
Sie mögen glauben, im Moment getragen von einer
Woge des Volkszorns - auch von Presseorganen angestachelt - Politik machen zu können. Aber an einem Punkt
unterschätzen Sie die Menschen: Weil wir ihnen haarklein
über das, was wir mit dem Geld machen, Rechenschaft
ablegen, haben wir inzwischen das Vertrauen im Lande
gewonnen.
({18})
Die Menschen haben verstanden, dass jeder, der Geld
ausgeben oder auf Einnahmen verzichten will, sagen
muss, woher das Geld denn kommen soll. Genau diese
Frage wird Ihnen gestellt. Sie wollen die nächste Stufe der
Ökosteuer nicht. Wollen Sie stattdessen eine Beitragserhöhung oder eine Erhöhung der Staatsschulden? Eines
von beiden werden Sie machen müssen.
({19})
Ich verlange von einem demokratisch gewählten Politiker, dass er der Bevölkerung nicht immer nur die halbe
Wahrheit sagt, sondern die Vorder- und Rückseite der Medaille zeigt.
({20})
Dann erst kann man mit den Menschen ernsthaft diskutieren. Das haben Sie nicht zuwege gebracht.
({21})
Der Bundeskanzler hat auf die soziale Seite hingewiesen. Diese nehmen wir sehr ernst. Jetzt sage ich einmal,
wer betroffen ist: Im Rahmen der Sozialhilfe wird das
Ganze automatisch geregelt, weil die Heizkosten abgerechnet werden. Es handelt sich um Einmalbeträge, die
kostendeckend abgerechnet werden.
Es gibt aber andere Probleme. Gott sei Dank passt es
jetzt zusammen, auch wenn wir den Zusammenhang damals nicht gesehen haben; das ist wahr: Wir erhöhen jetzt
das Wohngeld. Dies haben Sie zehn Jahre lang nicht angefasst. Erzählen Sie mir doch nichts über Ihre soziale Politik.
({22})
Sie sagen, die Familien seien stark betroffen.
({23})
Wir haben das Kindergeld bereits zweimal und jetzt um
50 DM für das erste und zweite Kind erhöht. Die Familie
mit zwei Kindern hat allein aus diesem Sachverhalt
1 200 DM mehr in der Tasche. Sie hat aufgrund unserer
Steuerreform und der Kindergelderhöhung bereits jetzt, in
diesem Jahr - Stufe 1 und Stufe 2 der Steuerreform und
Kindergeld -, 2 200 DM mehr in der Tasche. Das ist die
Verteilwirkung der Politik dieser Bundesregierung.
Im Haushalt 2001 ist die Erhöhung des Erziehungsgeldes enthalten. Im Haushalt 2001 haben wir außerdem
- das habe ich bereits gesagt - eine Erhöhung des Wohngeldes vorgesehen.
Das alles sind übrigens Dinge, sehr verehrter Herr
Merz,
({24})
die Sie im Schnitt zehn Jahre lang nicht angepackt haben.
Ich will Ihnen das noch an einem anderen Beispiel
deutlich machen: BAföG-Empfänger. Als wir die deutsche Einheit hatten - ich rede einmal gar nicht von den
Jahren vorher -, hatten wir noch 605 000 BAföG-Empfänger. Durch Ihr Nichtstun, dadurch, dass Sie die Grenzen festgeschrieben und keine Erhöhungen vorgesehen
haben, sind die Ausgaben dramatisch geschrumpft. Das
war Ihre heimliche Sparkasse. Dadurch haben Sie ein soziales Problem, ein Bildungsproblem, angerichtet. Sie haben es fertig gebracht, in den zehn Jahren wiedervereinigtes Deutschland die Zahl der jungen Leute, die noch
BAföG-berechtigt waren, von 605 000 auf 340 000 runterzudrücken.
({25})
Das war Ihre soziale Politik. Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen.
Wir haben unseren Anteil an der Benzinpreiserhöhung;
das stimmt. Diesen Anteil habe ich Ihnen eben vorgerechnet. Uns aber das Doppelte und Dreifache oben draufzutun, mit dem diese Regierung nichts zu tun hat, und
dann, nachdem Sie 15 Jahre lang Sozialabbau betrieben
haben und wir danach trachten, das wieder aufzuholen,
noch über die Frage zu reden, ob wir eine soziale Empfindlichkeit hätten, das lasse ich Ihnen nicht durchgehen.
Diese Debatte im Land führen wir. Das Standvermögen
können Sie uns schon zutrauen.
({26})
Ich erteile das Wort
dem Abgeordneten Günter Nooke, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Herr Eichel, Ihre
persönliche Betroffenheit erkenne ich an. Sie kommt aber
15 Jahre zu spät.
({0})
Ich hätte mir schon ein bisschen gewünscht, dass auch die
SPD die Leute, die im Osten etwas dafür getan haben,
dass sich etwas in Richtung Freiheit ändert, manchmal unterstützt hätte. Selbst als Ministerpräsident in Hessen hätten Sie die Chance gehabt, beim Point Alpha, dem heißesten Punkt des Kalten Krieges, ein paar 100 000 DM locker
zu machen, um die Gedenkstätte zu erhalten, wie es
Roland Koch jetzt getan hat. Dazu aber waren Sie nicht
bereit.
({1})
Ich glaube schon, dass solches Theater hier nicht
durchgehen darf. Es geht um die Fakten. Die sind schlecht
bei Ihnen. Sie haben gestern gesagt, der Aufbau Ost werde
auf hohem Niveau fortgeführt. Wir haben insgesamt
3 Milliarden DM Kürzungen ausgerechnet.
({2})
Herr Schwanitz müsste seine Liste vorlegen; dann wären
wir weiter.
Ich wollte hier - auch für die Presse - auf ein Bild aufmerksam machen, das bei der Sommerreise des Bundeskanzlers eine große Rolle gespielt hat: Gerhard Schröder
vor blühenden Landschaften. Ich glaube, es ist eine Art
von Wahlbetrug, wenn man das, was anderen gelungen
ist, ständig leugnet und dann für die eigene Fotokulisse
nutzt.
({3})
Die Fakten sehen anders aus. Die Kluft zwischen Ost
und West geht auseinander. Seit zwei Jahren stagniert der
Aufbau Ost. Sie haben in Ihrer Regierungszeit nichts dagegen getan. Ich finde es auch nicht richtig, dass jetzt alle
gehen und diese Fakten nicht mehr hören wollen. Ich
könnte Ihnen genau zeigen, wie es mit der Zahl der Arbeitslosen aussieht, an der wir den Bundeskanzler messen
sollen.
Wenn der Bundeskanzler allerdings das Haus verlässt,
zeige ich Ihnen, meine Damen und Herren, das einmal.
Ich zeige Ihnen einmal, wie sich die Differenz zwischen
Ost und West verändert. Wir haben im Osten 17 Prozent
Arbeitslose und in Westdeutschland 7,5 Prozent. Die Prognose sieht so aus - ich habe es extra für den Bundeskanzler mitgebracht - über 10 Prozent Differenz in 2001,
das ist die Prognose. Das ist das, was uns erwartet, wenn
so weiter regiert wird, wie es diese Bundesregierung tut.
Lassen Sie mich noch kurz auf ein weiteres Problem
eingehen. Wir verlieren in den neuen Bundesländern viele
Menschen. Das liegt nicht nur an der Bundesregierung,
aber eben auch an der Politik, die von der Bundesregierung betrieben wird. Es sind die jungen Menschen, die die
neuen Bundesländer verlassen, also die Menschen, die
wir am meisten brauchen. Ich glaube, entscheidend ist,
dass hier in stärkerem Maße gegengesteuert wird. Es geht
aber nicht so, wie es sich Frau Bulmahn ausgedacht hat;
danach wird die Suche von Lehrstellen im Westen auch
noch steuerlich belohnt. Vielmehr muss dafür gesorgt
werden, dass die Arbeitsplätze zu den Menschen kommen
und dass die Menschen, wenn sie einen Ausbildungsplatz im Westen angenommen haben, eine Chance haben
zurückzukehren. Jetzt aber sieht es so aus, als würden wir
einer Vergreisung in den neuen Bundesländern auch noch
Vorschub leisten.
Um noch einen anderen Punkt zu nennen: Aus ostdeutscher Perspektive sieht auch die Ökosteuer viel schlimmer aus; im Osten ist die Wirkung viel dramatischer. Der
Finanzminister betreibt einen echten Ost-West-Transfer,
und zwar wegen der dünneren Besiedlung der neuen Bundesländer, der höheren Mobilitätsanforderung aufgrund
der geringeren Dichte von Arbeitsplätzen und der Tatsache, dass es dort mehr Arbeitslose, Rentner und Sozialhilfeempfänger gibt und damit weniger Leute, die von der
Entlastung bei den Lohnnebenkosten profitieren. Das alles bedeutet: Der Osten wird doppelt abgezockt. Auch das
ist kein Beitrag, hier zu einer Veränderung zu kommen.
({4})
Und was macht unser Staatsminister? - Er ist der einzige Verantwortliche für diesen Bereich, der hier noch anwesend ist. - Ich dachte immer, er sei im Kanzleramt für
den Aufbau Ost angestellt. Auf den Aufbau Ost bei dieser
Reise angesprochen, hat er gesagt: „Die Sanierung des
Haushalts hat Vorrang.“
Auch zu der Verwendung der Erlöse für die UMTS-Lizenzen sagte Herr Schwanitz: Für den Osten „nichts außer
der Reihe“.
Dadurch entsteht der Eindruck - vielleicht kann Herr
Metzger darauf eingehen -, dass Herr Schwanitz jetzt in
erster Linie bei Herrn Eichel als Minenhund angestellt ist.
So können wir über den Aufbau Ost nicht reden.
({5})
Als Letztes noch zu einem Punkt, der mich wirklich bewegt; deshalb möchte ich dies hier ernsthaft anmahnen.
Herr Präsident, ich habe mich über die Debatte geärgert,
die im Sommer durch Sie mit initiiert wurde. Ich finde die
Art und Weise, wie die Debatte über Rechts, die mit einem Attentat in Düsseldorf begonnen hat, von dem bis
heute nicht klar ist, ob es einen rechtsextremistischen Hintergrund hatte, geführt worden ist, nicht richtig. Denn dadurch wurden auch eine Volkspartei, die hier rechts von
Ihnen sitzt, und die Menschen in den neuen Ländern diffamiert. Selbst die eigenen Parteigenossen mussten widersprechen. Ich glaube, nicht nur ich muss mich an Regeln halten, zum Beispiel an meine Redezeit. Es ist
wichtig, dass auch Sie als Präsident dieses Hohen Hauses
sich an gewisse Regeln halten. Wenn es rechts von Ihnen
niemanden mehr gäbe, dann gäbe es auch Sie nicht mehr.
Darüber sollten Sie einmal nachdenken.
Danke schön.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manche Debatten in diesem Hause sind schon peinlich und bodenlos.
Heute haben wir einiges in dieser Richtung erlebt. Ich
fand es besonders bedauerlich, dass ausgerechnet mein
haushaltspolitischer Kollege Dietrich Austermann bei
dem emotionalen Beitrag des Finanzministers sich von
seinem Platz aus dermaßen herablassend geäußert hat.
({0})
Um meinen Zorn darüber auf eine sachliche Art loszuwerden, lese ich vor, was heute in der „Süddeutschen Zeitung“ in einem Kommentar über meinen haushaltspolitischen Kollegen von der Union über die Rede steht, die er
gestern hier gehalten hat:
Natürlich ist es das gute Recht der Union, sich an
einem Thema festzubeißen. Natürlich ist die Verlockung für CDU und CSU groß, Rot-Grün endlich erfolgreich anzugreifen. Doch bei allem Verständnis für die Nöte dieser Opposition - was deren
Hauptredner und Haushaltsexperte Dietrich
Austermann im Berliner Reichstag bot, war ein Trauerspiel.
({1})
Von alternativen Konzepten keine Spur. Stattdessen
bemühte der Christdemokrat aus Schleswig-Holstein
plumpen Populismus. Eine von vielen Peinlichkeiten: Austermann wirft Finanzminister Hans Eichel
vor, zu wenig zu sparen; und im nächsten Atemzug
fordert er zusätzliche Milliarden-Ausgaben. Wer
derart argumentiert, setzt seine Glaubwürdigkeit
aufs Spiel.
({2})
Was hier in der „Süddeutschen Zeitung“ über den
Haushaltssprecher steht, zeichnet aus meiner Sicht die gesamte Strategie, vor allem der Union, in dieser Haushaltswoche aus, auch die heutige Präsentation des Fraktionssprechers Friedrich Merz in der Replik auf den Kanzler.
Man verdrängt die finanzpolitische und wirtschaftspolitische Kompetenz dieser Regierung, die anscheinend in
unserer Gesellschaft immer mehr Leute, auch aus der
Wirtschaft, erkennen. Man bemäntelt diese Schwäche,
indem man eine Ökosteuerkampagne startet, die absolut
unglaubwürdig ist. Ich zitiere nun aus der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung“ von heute in aller Ausführlichkeit
den Leitkommentar auf der Wirtschaftsseite unter der
Überschrift „Bumerang“:
Die Haushälter der Union haben einen schweren
Stand. Die Etatpolitik der Koalition bietet mit Ausnahme der Ökosteuer derzeit keinen einzigen breitenwirksamen Angriffspunkt. Bundesfinanzminister
Hans Eichel senkt Steuern und Schulden, reduziert
die neuen Kredite und schichtet zugunsten von Investitionen um, ohne die Ausgaben zu erhöhen. Zugleich verspricht er, dafür Sorge zu tragen, dass auch
die Einnahmen aus dem Verkauf von Staatsunternehmen künftig vorrangig in den Abbau von Schulden
gesteckt würden. Dass sich die Opposition angesichts solcher Tugendhaftigkeit in den großen Linien
der Finanzpolitik dankbar dem Thema Ökosteuer
zuwendet, ist verständlich, kann sie hier die Regierung ob der betriebenen Preistreiberei vorerst mühelos vor sich hertreiben. Spätestens jedoch
- jetzt kommt es -,
wenn es bei der Rente zum Schwur kommt, wird die
Ökosteuer zum Bumerang werden. Glaubwürdig ist
die Unionskritik an der Steuer nur, wenn ihre Sozialpolitiker beizeiten vorschlagen, wie die Rentenbeiträge denn ohne die stützenden Ökosteuermilliarden stabil gehalten werden können. Einerseits einer
Rentenreform zuzustimmen, die wachsende Ökosteuereinnahmen stillschweigend voraussetzt, andererseits diese Steuer in Wahlkampagnen aufs heftigste zu attackieren verträgt sich nicht. Die Union hat
noch manche Widersprüche im Gepäck, die aufzulösen die Zeit langsam drängt.
({3})
Aus meiner Sicht ist dies genau der Grundtenor, der
Ihre Ökosteuerkampagne so unglaubwürdig werden lässt.
Sie merken doch eines: Inzwischen argumentieren die
Koalitionsabgeordneten bei dieser Steuer ob ihres
Zusammenhangs mit der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Sie werden es nicht schaffen, die Koalition
hier zu spalten oder gar Finanzminister und Kanzler vom
Weg abzubringen.
({4})
Kollege Merz hat eine Wette angeboten. Es geht um
eine Kiste Cohibas. Anscheinend ist dies das neue Niveau.
Friedrich Merz versucht es nun mit solchen Angeboten. Er
glaubt, der Kanzler würde die dritte Stufe der Ökosteuerreform aussetzen. Friedrich Merz hat anderthalb Wochen
vor der entscheidenden Bundesratssitzung in einem
Streitgespräch mit mir vor der Ludwig-Erhard-Stiftung,
frisch gefüttert durch die Entscheidung der CDU-Bundestagsfraktion, die Behauptung aufgestellt: Wir werden
den Systemwechsel in der Steuerreform zum Scheitern
bringen, weil der Bundesrat die Strategie der Unionsfraktion unterstützt.
Ich habe damals in diesem Gespräch bereits zu ihm gesagt: Sie werden es nicht schaffen, weil diese Koalition
Angebote macht und im Interesse dieser Gesellschaft daran interessiert ist, einen fairen Kompromiss zu erreichen.
Auch die Einkommensteuerspitzensatzabsenkung auf
43,5 Prozent, die dann eine Woche später als Angebot der
Koalition kam, wurde dort schon diskutiert. Er hat es bestritten. Ich habe die Wette abgelehnt.
({5})
Ähnlich wie er sich in dieser Situation verschätzt hat,
wird er sich auch hinsichtlich der Beharrlichkeit der Regierung in dieser Frage täuschen. Strategisch wäre es
absolut bescheuert, uns ohne Not in dieser Situation von
Ihnen vor die Alternative stellen zu lassen, den Rentenversicherungsbeitrag ansteigen oder Hans Eichel im
nächsten Jahr zusätzliche Schulden machen zu lassen, um
die Ausfälle der Ökosteuer für die Rentenversicherung
abzufedern. Deshalb wird hier die Koalition im ureigensten Interesse zusammenhalten, weil man das meines Erachtens gut kommunizieren kann. Die Gesellschaft ist viel
weniger aufgeregt, als die Schlagzeilen von bestimmten
Tageszeitungen in Deutschland den Eindruck vermitteln.
({6})
Es gibt ein paar Indizien, Kollege Austermann, heute in
diversen Zeitungen nachzulesen. Selbst der ADAC sagt
- zu Recht -, Autofahrer haben bei gleicher Fahrleistung
die Chance, bis zu 20 Prozent Sprit zu sparen. Der ADAC
hat in einer großen Kampagne ein Ökofahrtraining für
seine Mitglieder angeboten.
({7})
Von einer riesigen Menge Mitgliedern gab es eine
Rückmeldung, einen solchen Kurs absolvieren zu wollen.
Audi hat 60 000 Pkw-Kunden für ein Ökofahrtraining für
60 DM oder 90 DM angeschrieben. Es gab vier Rückmeldungen.
Jetzt frage ich einmal allen Ernstes: Glauben 90 Prozent der deutschen Autofahrer, sie fahren praktisch so,
dass sie Sprit sparen? Oder liegt der Preis überhaupt nicht
an der Schmerzgrenze? Verbirgt sich hinter dieser Auflehnung gegen das, was man ohnmächtig an der Zapfsäule
erfährt, vielmehr eine allgemeine Missstimmung der
Gesellschaft gegen die da oben, auf die jetzt die Union
und die F.D.P. als Trittbrettfahrer draufsteigen? Wäre es
für eine Regierung, die versucht, verantwortungsbewusst
und solide mit den öffentlichen Finanzen umzugehen,
nicht unsinnig, auf solche emotionalen Reaktionen vordergründig zu reagieren?
Ist es nicht besser, stattdessen so zu agieren, wie es
der Finanzminister tut: darauf hinzuweisen, dass wir beispielsweise beim Wohngeld, beim Erziehungsgeld, beim
BAföG etwas tun und die Steuerlast im nächsten Jahr für
Wirtschaft sowie für Verbraucherinnen und Verbraucher
um 45 Milliarden DM senken? Oder ist es unkeusch, darauf hinzuweisen, dass die Inflationsrate trotz der extremen Explosion der Heizkosten unter 2 Prozent liegt? Sie
ist niedriger als in einem erheblichen Zeitraum Ihrer Regierungszeit von 16 Jahren.
Wir schaffen es, die Staatsschulden zurückzuführen
und die Abgaben zu senken. Wenn Sie mitmachen, werden wir mit Ihrer Unterstützung noch in diesem Herbst
eine Rentenreform beschließen, die tatsächlich - nicht
wie es Friedrich Merz behauptet - einen Ausgleichsfaktor
beinhaltet. Durch die Absenkung des Niveaus in Stufen
bilden wir natürlich die demographische Entwicklung in
unserer Gesellschaft in der neuen Rentenformel ab. Das
ist keine Frage. Den Einstieg in die Kapitaldeckung wollen wir.
Friedrich Merz sollte also Konzepte der Regierung,
bevor er sie zerreißt, auch tatsächlich anschauen. Wir
rechnen immer noch damit, dass Sie nicht Stoibers Strategie folgen; denn dann können Sie Stoiber gleich zum
Kanzlerkandidaten im Jahre 2002 machen.
({8})
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Mathias Schubert, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Da die Debatte in den letzten anderthalb Stunden so geführt worden ist, will ich hier nicht darauf eingehen, was Herr Nooke gesagt hat. Es war weder
etwas Neues noch etwas besonders Kreatives. Vor allen
Dingen, Herr Kollege Nooke, sind Sie nach wie vor nicht
bereit, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen.
Ich will vor allem zwei Dinge über Herrn Merz sagen - zu ihm kann ich es nicht sagen, er ist ja nicht mehr da.
({0})
Das kann der Herr Breuer dann gerne tun.
Das Erste, was ich gerne sagen möchte, ist eine persönliche Bemerkung. Ich habe, solange ich dem Bundestag angehöre - zugegeben, ich bin noch nicht so lange im
Bundestag, erst seit 1994 -,
({1})
noch von keiner anderen Fraktion - weder vonseiten der
Regierung noch vonseiten der Opposition - eine Rede mit
einer derartigen Kulturlosigkeit, was das Kommunikationsniveau betrifft, erlebt wie die Ihres Fraktionsvorsitzenden.
({2})
- Sie können nun so lustig sein, wie Sie wollen, das müssen Sie mir schon abnehmen; denn es ist eine authentische
persönliche Äußerung.
Zweitens. Herrn Merz hat sich ja nicht bloß dahin gehend geäußert, dass es mit der SPD an der Regierung 1989
nicht die Einheit gegeben hätte. Er hat noch etwas ganz
anderes gesagt. Er hat nämlich sinngemäß gesagt, die
SPD habe keine politische Distanz zum damals herrschenden System gehabt. Wir können uns gerne über Fakten streiten. Ich weiß nicht so richtig, was politische Distanz ist, wenn die CDU/CSU 1983 über Herrn Strauß
1 Milliarde DM an die DDR vergeben hat.
({3})
- Ich gehe gleich auf dieses Papier ein.
Ich kann auch keine Distanz beim Empfang von Herrn
Honecker durch Herrn Kohl erkennen.
({4})
Was aber dieses SED-SPD-Papier betrifft, will ich Ihnen einmal Folgendes sagen - Sie können es nicht wissen,
weil Sie sich nicht mit dem Osten beschäftigt haben; das
Gleiche gilt für Herrn Merz -: Sie wissen nicht, was dort
los war, deswegen enthalten Sie sich bitte jeder Äußerung.
({5})
Dieses SED-SPD-Papier hat gemeinsam mit dem, was
Gorbatschow für eine Politik innerhalb des damaligen sozialistischen Systems versucht hat, wesentlich dazu beigetragen, die Mündigkeit und die Bereitschaft derer in der
DDR, die dieses System überwinden wollten, zu unterstützen. Ich will das jetzt nicht näher ausführen, so viel
Zeit habe ich nicht. Wir können uns gerne darüber unterhalten.
Wenn Ihr Fraktionsvorsitzender das in dieser Art und
Weise diffamiert, dann hat er erstens keine Ahnung und
zweitens muss es um ihn furchtbar schlimm bestellt sein.
({6})
Wenn Sie als Fraktion dazu klatschen und jubeln, dann
müssen Sie sich in einer furchtbar schwierigen Situation
befinden, die Sie nach innen kompensieren müssen, indem Sie nach außen klatschen.
({7})
Was die Wirkungen dieser Zusammenarbeit damals
anbetrifft, diffamieren Sie natürlich auch die Menschen
im Osten. Sie tun immer so, als hätten Sie die Einheit geschaffen. Ich war im November 1989, nach dem Mauerfall, noch im Hauptquartier der Ost-CDU. Da war noch
nichts von West-CDU zu sehen.
({8})
Was Sie gemacht haben, war nichts weiter, als die angepassten, systemkonformen Blockflöten einzusammeln.
Werfen Sie also uns nicht Systemkonformität vor.
({9})
Meine letzte Bemerkung ist ebenfalls an Herrn Merz
gerichtet, der leider immer noch nicht da ist. Neben dem
Bruder des Kanzlers, der Kolumnen schreibt, gibt es zum
Beispiel auch noch meine Mutter. Sie schreibt zwar keine
Kolumnen, ist aber der Meinung, dass die Ökosteuer
richtig ist.
({10})
- Lassen Sie das Gelächter, die Sache geht nämlich tiefer:
Ihr Fraktionsvorsitzender versuchte, einen Menschen
durch einen anderen zu diffamieren. Nun will ich zwar
nicht sagen, dass Ihr Fraktionsvorsitzender die Niveaulosigkeit besessen hat, der Sippenhaft das Wort zu reden
({11})
- das unterstelle ich ihm ausdrücklich nicht -, aber wenn
er hier so agiert, dann unterstreicht das nur Ihre verzweifelte Situation. Dasselbe gilt für die persönlichen Angriffe
gegen Herrn Eichel.
({12})
- Sie haben keine Inhalte und zumindest Herr Merz hat
sich hier in einer Art und Weise disqualifiziert, wie ich es
nicht für möglich gehalten hätte.
({13})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes liegen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Rudolf Scharping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 14 steht wie alle Einzelpläne zu Recht unter dem
strikten Primat der Stabilisierung der öffentlichen Finanzen, auch wenn sich die Bedingungen der äußeren Sicherheit unseres Landes grundlegend verändert haben.
Für die Bundesrepublik Deutschland, für ihre Partner und
Freunde in NATO und Europäischer Union bleibt es dabei, dass mit diesem Haushalt die sich daraus ergebenden
Verpflichtungen gemeinsamer Sicherheit und die darin
eingebundenen internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zuverlässig erfüllt werden.
Die Politik der Bundesregierung will eine Stärkung
des internationalen Rechts, also auch der internationalen Organisationen. Das betrifft nicht nur NATO und Europäische Union, sondern auch die Vereinten Nationen
oder die OSZE. Die grundlegenden Veränderungen bei
der Gewährleistung der äußeren Sicherheit unseres Landes und seiner Freunde und Partner allerdings erfordern
auch grundlegend veränderte Fähigkeiten der Bundeswehr. Das ist neben dem konstitutionellen Rahmen, der ja
unverändert fortgilt, das Beziehungsgeflecht, aus dem
sich die Notwendigkeit einer Erneuerung der Bundeswehr
von Grund auf ergibt.
Der Haushalt 2001 und die mittelfristige Finanzplanung tragen dem Erfordernis einer Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf Rechnung.
({0})
Ich habe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, schon
angedeutet, dass im Mittelpunkt einer modernen Politik
der Friedenssicherung das Verständnis von gemeinsamer
Sicherheit - gemeinsam mit Verbündeten und Partnern -,
die kooperative Krisenprävention und die Konfliktbewältigung stehen. Die Entscheidungen, die innerhalb der
NATO und der Europäischen Union auf den Gipfeln in
Washington, Köln und Helsinki getroffen worden sind
und die die Entwicklung vorhandener und den Erwerb
neuer Fähigkeiten insbesondere im Rahmen von Konfliktprävention und Konfliktbewältigung betrafen, bilden
die Vorgaben für die Erneuerung der Bundeswehr. Die
Umsetzung dieser Ziele, auch des europäischen Streitkräfteziels, deckt sich mit der Gipfelinitiative vom
April 1990 innerhalb der NATO. Dies alles wirkt sich innerhalb der Bundeswehr entsprechend aus.
Auch in Zukunft wird die Bundeswehr das unverzichtbare Instrument sicherheitspolitischer Rückversicherung
bleiben, fähig zur Regeneration, fähig zum Aufbruch
und - wenn erforderlich -, fähig zur Mobilmachung.
Dazu muss die Bundeswehr aber, weil Landesverteidigung in Zukunft immer auch Bündnisverteidigung sein
wird, hoch beweglich werden, überlebensfähig, logistisch
und sanitätsdienstlich versorgbar über längere Zeit und
längere Distanz. Sie muss auch zur reibungslosen Zusammenarbeit in multinationalen Einsätzen fähig sein.
Über dieses Fähigkeitsprofil verfügt die Bundeswehr
zurzeit nicht im erforderlichen Maße. Das ist durch die
Bestandsaufnahme deutlich geworden, die im Frühjahr 1999 abgeschlossen wurde und vor dem Hintergrund
der Erfahrungen im Kosovo-Konflikt im Oktober 1999
fortgeschrieben wurde. Das ist weiter in den konzeptionellen Arbeiten zur Erneuerung der Bundeswehr deutlich
geworden. Diese Grundlagen für die Erneuerung der Bundeswehr sind - ich bedanke mich im Parlament noch einmal ausdrücklich bei der Kommission unter dem Vorsitz
des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von
Weizsäcker ({1})
nicht nur systematisch erarbeitet worden, sondern auch in
einem wesentlich kürzeren Zeitraum als ursprünglich
beabsichtigt. Sie haben Entscheidungen der Regierung
vor den Sommerferien des Jahres 2000 - und somit ein
Jahr früher als geplant - ermöglicht.
Die jetzt eingeleitete Reform der Bundeswehr entspricht erstens unseren Interessen und dem Auftrag des
Grundgesetzes, dass Deutschland als gleichberechtigtes
Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt
diene, zweitens den sicherheitspolitischen Entwicklungen
und den genannten Verpflichtungen, die ich jetzt hier
nicht im Einzelnen wiederholen muss, drittens den legitimen internationalen Erwartungen an Deutschland, nämDr. Mathias Schubert
lich zur gemeinsamen Aufgabe der Friedenssicherung einen angemessenen Beitrag zu leisten, schließlich viertens
auch dem Ziel der Bundesregierung, mit Hilfe der Bundeswehr einen Beitrag für ein zukunftsfähiges und modernes Deutschland zu leisten.
Dabei setzt die Reform der Bundeswehr bei den Menschen an. Sie sind - ich zögere ein bisschen bei der Wahl
des Wortes - das größte Kapital der Bundeswehr. Wenn
man dieses Kapital erhalten und mehren will, muss die Attraktivität des Dienstes erhöht werden. Das wollen wir
auch konsequent tun.
({2})
Dem dient zunächst eine grundlegende Bildungsreform innerhalb der Bundeswehr. Sie wird vollenden, was
die Verteidigungsminister Schmidt und Leber begonnen
haben. Die akademische Ausbildung der Offiziere an den
Universitäten der Bundeswehr, die ohnehin weltweit einzigartig in Streitkräften ist, wird in Zukunft durch die
Möglichkeit einer qualifizierten Weiterentwicklung jener
zivilberuflichen Qualifikationen, die ein Mann und - in
Zukunft auch - eine Frau in die Bundeswehr mitbringt, ergänzt werden.
({3})
Hier gibt es - begonnen im Februar 1999 und zunächst
vereinbart im Juli 1999 - eine enge Zusammenarbeit mit
mittlerweile mehr als 300 Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland und bis Ende des Jahres mit vermutlich fast allen Industrie- und Handelskammern sowie
Handwerkskammern in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir werden sicherstellen, dass jeder länger dienende Soldat die Chance erhält, seine zivilberufliche Qualifikation zu verbessern. Der Soldat mit einem Gesellenbrief
soll den Meisterbrief erwerben können und der Soldat mit
einer Facharbeiterausbildung die Technikerlaufbahn einschlagen können. Auch der Soldat, der mangels Ausbildung keine zivile Qualifikation, aber wenigstens einen
Schulabschluss besitzt, soll die Möglichkeit haben, eine
einfache zivile Qualifikation zu erwerben, damit er später
in seinem beruflichen Leben und auf den Arbeitsmärkten
bessere Chancen vorfindet als zu Beginn seiner Dienstzeit
in der Bundeswehr.
Nicht nur diesem, aber auch diesem Ziel dient die Neuordnung der Unteroffizierslaufbahn. Wir werden eine
Feldwebellaufbahn und eine Fachunteroffizierslaufbahn
einrichten, um die Attraktivität des Dienstes zu erhöhen
und die Zeit zur Ausbildung optimal zu nutzen.
Gleichzeitig werden wir den so genannten strukturellen Überhang bei den Unteroffizieren und bei den Offizieren und den damit einhergehenden Verwendungsund Beförderungsstau innerhalb von zwei Jahren abbauen. Mir ist das deshalb wichtig, weil wir einen Zustand
vorgefunden haben, der für die Soldaten sowie für deren
Angehörigen und Familien auf Dauer unhaltbar geworden
war. Alleine die Tatsache, dass in der Bundeswehr über
8 000 Menschen auf Dienstposten sitzen, ohne die entsprechende Bezahlung zu bekommen - darunter sind auch
Besoldungsgruppen, die man in anderen Bereichen des
öffentlichen Dienstes zum Teil überhaupt nicht mehr
kennt, weil sie so niedrig sind -, übt schon einen negativen Einfluss auf Motivation und Leistungsfähigkeit nicht
nur der betroffenen Soldaten aus.
({4})
- Der Kollege Breuer sagt: „Zwei Jahre nichts gemacht!“
Verehrter Herr Kollege Breuer, Sie müssen zunächst einmal ein systematisches Konzept vorlegen. Von Ihnen lasse
ich mir nicht sagen, wir hätten zwei Jahre nichts gemacht,
({5})
nachdem Sie 16 Jahre fröhlich vor sich hingeschlafen haben. Von Ihnen nicht!
({6})
Wir reformieren im Übrigen nicht nur die Besoldungsund Laufbahnstrukturen. Wir werden auch dafür sorgen, dass Besoldungen nach A 1 oder A 2, die man sonst
im öffentlichen Dienst nicht mehr kennt, auch in der Bundeswehr abgeschafft werden. Etwas Ähnliches werden
wir auch im Bereich des mittleren und gehobenen Dienstes tun. Nicht zuletzt werden wir dafür sorgen, dass die
Einheitenführer nach A 12 besoldet werden.
Dass wir die Streitkräfte und damit auch alle Laufbahnen und Verwendungen für Frauen öffnen, erwähne ich
hier nur der Vollständigkeit halber.
Es ist klar, dass die geplante Reform mit Veränderungen der personellen Zusammensetzung und des Umfangs
der Bundeswehr verbunden ist. Die Stärke der Streitkräfte wird sich verändern. Die Zahl der Berufs- und
Zeitsoldaten wird steigen, während die Zahl der Wehrpflichtigen sinken wird. Die Zahl der zivilen Dienstposten
in der Bundeswehr wird auf 80 000 bis 90 000 begrenzt
werden. Um das zu erreichen, werden tarifliche und gesetzliche Begleitmaßnahmen notwendig sein; denn unverändert gilt die Zusage, dass alle diese Maßnahmen mit
verbesserten Möglichkeiten für diejenigen verbunden
sein werden, die in der Bundeswehr Dienst leisten, und
dass wir anders als jeder andere Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland - insbesondere mit Blick auf die
Zivilbeschäftigten - garantieren, dass es im Zuge personeller Anpassungen nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommen wird.
({7})
Die Bundeswehr wird in Zukunft aus Einsatzkräften
und einer militärischen Grundorganisation bestehen. Die
Zahl der Einsatzkräfte wird substanziell erhöht, nämlich
auf etwa 150 000. Das ist nahezu eine Verdreifachung.
Die Trennung zwischen Hauptverteidigungskräften und
Krisenreaktionskräften wird aufgegeben. Die Führungsorganisation wird gestrafft und an die Erfordernisse teilstreitkraftgemeinsamer und multinationaler Einsätze angepasst.
Diesem Ziel dient ein Streitkräfteunterstützungskommando, ein permanentes Einsatzführungskommando, das
auch zur Führung von EU-Operationen befähigt ist. Diesem Ziel gelten auch die genannten Maßnahmen bezüglich Laufbahn und Besoldung sowie das neue Bildungskonzept. Damit wird der Personalumfang der Bundeswehr
in Friedenszeiten bei etwa 360 000 liegen, einschließlich
der genannten 80 000 bis 90 000 Dienstposten für zivile
Mitarbeiter.
Nun reicht eine Betrachtung des personellen Teils der
Maßnahmen nicht aus. Der zweite Eckpfeiler für die Modernisierung der Bundeswehr ist die Modernisierung ihrer Ausrüstung. Wir werden in Zukunft Schlüsselfähigkeiten wie beispielsweise strategischer Transport, strategische Aufklärung, Kommunikations- und Führungsfähigkeit viel stärker als in der Vergangenheit brauchen.
Im Sinne einer persönlichen Anmerkung sage ich: Was ich
in diesem Teil der Bundeswehr vorgefunden habe, hat
mich an Verhältnisse der beginnenden Industrialisierung
oder - wenn Sie so wollen - des beginnenden Informationszeitalters erinnert:
({8})
250 informationstechnische Inseln innerhalb der Bundeswehr, logistische Systeme in Heer, Luftwaffe und Marine,
die kaum zusammen arbeitsfähig waren. Hier hat eine unglaubliche Geldverschwendung stattgefunden.
({9})
Das alles ging zulasten der Leistungsfähigkeit der Streitkräfte, übrigens auch zulasten der beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten der Angehörigen der Streitkräfte. Wenn
mir Unternehmer, deren Sachkunde und wirtschaftlicher
Erfolg gleichermaßen nicht bestritten werden kann, sagen, dass hier Kostenersparnisse von mindestens 25 bis
30 Prozent möglich wären,
({10})
wenn man weiß, dass die Bundeswehr in einem Zeitraum
von circa zehn Jahren Finanzaufwendungen von rund
12 Milliarden DM hatte, dann kann man sich ungefähr
vorstellen, was das bedeutet. Ein Viertel von knapp
12 Milliarden DM sind knapp 3 Milliarden DM, die sinnlos zum Fenster hinausgeworfen worden sind und die
nicht so investiert werden konnten, wie investiert hätte
werden müssen.
Hinzu kam eine Haushaltspolitik, die sich von der des
amtierenden - hoffentlich sehr lange amtierenden - Bundesfinanzministers Hans Eichel fundamental unterscheidet. 1999 war das erste, 2000 wird das zweite, 2001 wird
das dritte Jahr sein, in dem die Bundeswehr, wie andere
Einzelpläne auch, nicht befürchten muss, dass eine illusionäre Finanzpolitik im Zuge des Vollzugs von Haushalten wieder Mittel herausnimmt, so genannte globale
Minderausgaben. In den 90er-Jahren wurden so der
Bundeswehr - neben den Fehlinvestitionen - aus laufenden Haushalten weit über 6 Milliarden DM entzogen.
Dies ist auch verantwortlich für den schlechten Zustand
der Ausrüstung und die mangelnde Ausprägung solcher
Fähigkeiten, die moderne und leistungsfähige Streitkräfte
brauchen.
({11})
Wir werden die Initiativen im Bündnis und die wachsende europäische Integration nutzen, um Kosten zu sparen, um Synergien zu erschließen, um nationale Mittel
besser einzusetzen. Ich erinnere an die von mir verfolgte
deutsch-französische Initiative für ein europäisches Lufttransportkommando. Ich erwähne den deutsch-französischen satellitengestützten Aufklärungsverbund oder die
gemeinsame Entscheidung der europäischen Staats- und
Regierungschefs für die Beschaffung eines gemeinsamen
Transportflugzeuges. Nicht zuletzt erwähne ich die Europäische Rüstungsagentur. Das alles sind Meilensteine, die
zeigen, dass es den Europäern ernst ist, mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen und auch
wirksame Beiträge für internationale Friedenssicherung
zu leisten. Im nationalen Rahmen hat vor wenigen Wochen eine Rüstungskonferenz alle Vorhaben überprüft und
eine entsprechende Priorisierung vorgenommen. Das
werden wir jetzt noch mit der wehrtechnischen Industrie
erörtern. Wir werden dann dem Parlament die mit der
wehrtechnischen Industrie in Deutschland besprochenen
Vorschläge vorstellen.
Wir haben also eine gesicherte Grundlage für die Ausplanung des Haushaltes 2001 und für die Erarbeitung des
Bundeswehrplanes 2002. Die notwendigen Voraussetzungen für die Reform liegen also vor. Da die Opposition
gerne und viel über Geld redet - auf der Grundlage einer
ebenso illusionären wie waghalsigen Finanzplanung des
damaligen Finanzministers Waigel -, will ich hinzufügen,
dass es gemeinsam mit dem Bundesminister der Finanzen
gelungen ist, nicht nur Einvernehmen über den Haushalt
2001, sondern auch über die mittelfristige Finanzplanung
zu erzielen.
Mit diesen Entscheidungen wird der jahrelangen Unterfinanzierung der Bundeswehr ein Ende gesetzt.
({12})
Der Abwärtstrend im Investitionsbereich ist gestoppt
und die Verteidigungsausgaben werden im Jahre 2001
substanziell um 3,2 Prozent steigen. Das ist aber noch
nicht alles.
Es ist nicht nur so, dass die bisher im Einzelplan 60
ausgewiesenen Mittel von 2 Milliarden DM in den Einzelplan 14 übernommen werden und dass wir damit mehr
Planungssicherheit, mehr Beweglichkeit, übrigens auch
mehr eigene Entscheidungskompetenz erwerben. Vielmehr ist es auch so, dass wir zum ersten Mal überhaupt
zwischen dem Finanzministerium und einem Ressort - in
diesem Fall ist es das Verteidigungsressort - eine Vereinbarung getroffen haben, die zusätzliche und dauerhafte
Investitionsspielräume eröffnet.
Das bedeutet konkret Folgendes. Erstens. Effizienzgewinne aufgrund höherer Wirtschaftlichkeit aus der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft oder aus gesenkten BeBundesminister Rudolf Scharping
triebskosten verbleiben künftig zu 100 Prozent im Einzelplan 14.
({13})
Wir gehen davon aus, dass es im Jahr 2001 200 bis
300 Millionen DM sein werden.
Zweitens. Überall da, wo handelsüblich beschafft und
wirtschaftsüblich finanziert werden kann, werden wir das
tun. Auf diese Weise gewinnen wir auch neuen Finanzierungsspielraum. Wir werden also zum Beispiel durch die
Finanzierungsform des Leasings, durch Betreibermodelle
oder auch durch anderes noch einmal 200 bis 300 Millionen DM für Investitionen freischaufeln können.
({14})
Drittens. Schließlich fließen die Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung, aus dem Verkauf von Grundstücken und aus der Veräußerung von beweglichem und
unbeweglichem Vermögen nicht mehr, wie in der Vergangenheit, in den Topf des Finanzministers zurück, sondern
sie kommen dem Einzelplan 14 zu 80 Prozent zugute. Damit haben wir die Möglichkeit - das ist eine Prognose für
das Jahr 2001 -, eine Einnahme von weiteren 350 bis
400 Millionen DM - hoffentlich etwas mehr - zu erzielen
und auf diese Weise die investive Seite des Einzelplans 14
um bis zu 1 Milliarde DM zu stärken.
Wir gewinnen also zusätzlichen Freiraum. Das ist
wichtig; denn die höhere Effizienz, die deutliche Senkung
von Betriebskosten werden am Ende nur erreichbar sein,
wenn in vielen Bereichen zunächst in modernes und neues
Gerät investiert wird. So wie wir auf dem Gebiet der Ausbildung, der Fortbildung und der Weiterbildung mittlerweile sehr eng mit der unternehmerischen Wirtschaft zusammenarbeiten, so tun wir das auch im Bereich von
Betrieb, Beschaffung und Entwicklung.
Dem dient der Rahmenvertrag, den Sie kennen und
der bereits im Rahmen von 14 Pilotprojekten erprobt
wird. Dem dient die Tatsache, dass wir mittlerweile über
300 national wie international tätige, vor allen Dingen
mittelständische Unternehmen für diese Kooperation gewonnen haben. Dem dient auch die Tatsache, dass wir
sehr genau zwischen militärischen Kernfähigkeiten, die
bei der Bundeswehr verbleiben müssen, und solchen
Tätigkeiten, die in Kooperation mit der Wirtschaft durchgeführt werden, unterscheiden werden. Ich will sehr deutlich sagen: Es geht hierbei nicht um irgendeine platte Privatisierung. Es geht vielmehr darum, die jeweils beste
Lösung, das heißt diejenige Lösung, die dauerhaft, wirtschaftlich und zuverlässig ist, zu identifizieren und sie innerhalb der Bundeswehr einzuführen.
({15})
Um Ihnen einmal ganz wenige Beispiele zu nennen,
die den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses vermutlich vertrauter als den anderen Mitgliedern des Parlaments sind: Die Bundeswehr verfügt über große Flotten
und über große Transportkapazitäten. Wir werden sie gemeinsam mit der Wirtschaft nutzen, um Kapazitäten besser auslasten und gleichzeitig der Wirtschaft ein Angebot
machen zu können. Wir werden bei solchen Institutionen,
die eine einzigartige Leistungsfähigkeit in den Bereichen
Forschung und Entwicklung oder logistische Vollversorgung zur Verfügung stellen, Insourcing betreiben.
Beispielhaft nenne ich nur das entsprechende wehrwissenschaftliche Institut in Erding, das Marinearsenal in
Wilhelmshaven und andernorts. Ich erinnere auch an viele
weitere Einrichtungen, die ich jetzt mit Rücksicht auf die
Zeit leider nicht nennen kann. Erwähnt seien noch das
Flottenmanagement, das IT-Management und vieles andere, das im Rahmen der parlamentarischen Beratungen
sicherlich noch eine erhebliche Rolle spielen wird.
Eine entscheidende Rolle dabei - übrigens auch als
Vorbild für eine moderne, nicht allein kameralistisch orientierte Finanzierung - wird die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb spielen. Sie ist mittlerweile eingerichtet; ihre Geschäftsfelder sind bestimmt.
Ihre Tätigkeit soll sich ab Januar 2001 voll entfalten, denn
dann kommen die Ergebnisse dieser Tätigkeit auch in dem
beschriebenen Rahmen der Bundeswehr zugute. Wir betreten, übrigens auch im NATO-Rahmen und weltweit,
mit der Bildung dieser Gesellschaft völliges Neuland. Wir
werden allerdings den Kurs der internen Optimierung, der
Wirtschaftlichkeit und der Kooperation konsequent in der
sozialverträglichen Weise fortsetzen, wie ich es beschrieben habe.
({16})
Hierbei geht es nicht nur um die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Bundeswehr und ihrer Erneuerung von
Grund auf, hier geht es auch um ein Beispiel dafür, dass
sich der moderne Staat jene Instrumente schafft, die er als
Antwort auf neue Herausforderungen des 21. Jahrhunderts braucht, anstatt bürokratisch auf den Instrumenten
zu beharren, die im 19. Jahrhundert entstanden sind und
keine geeigneten Antworten mehr auf die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft ermöglichen.
({17})
Ich könnte Ihnen den vielen Beispielen, die ich schon
genannt habe, weitere hinzufügen. Ich möchte mich auf
die Straffung der Entwicklungs- und Beschaffungsabläufe, auf die Kooperation mit der Wirtschaft und übrigens auch zwischen dem Bundesamt für Wehrtechnik und
Beschaffung und der neu gebildeten Gesellschaft beschränken. Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung orientiert sich ja an militärischen Kernfähigkeiten.
Das wird auch so bleiben.
Meine Damen und Herren, dieser Teil der Reform der
Bundeswehr folgt der einfachen Überlegung, dass die
Ausweitung der Investitionsmöglichkeiten nicht nur für
die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Streitkräfte
entscheidend ist, sondern auch dazu beitragen kann, dass
die Betriebskosten sinken, womit ein Beispiel für moderne staatliche Tätigkeit gegeben wird. Mit 24,3 Prozent
hatten wir schon 1999 die höchste Investitionsquote im
Verteidigungshaushalt seit 1991 erreicht. Wir streben an,
die Investitionsquote kontinuierlich - in meinen Augen
dürfte es schneller gehen, aber so sind die Bedingungen weiter zu erhöhen.
Die Bundeswehr der Zukunft - lassen Sie mich das abschließend sagen - wird nicht alleine ihren Angehörigen
gute Berufschancen bieten, sondern wird auch durch moderne Ausrüstung und Ausstattung geprägt sein sowie
durch gute Managementmethoden, verantwortliches Kostenbewusstsein und ein hohes Innovationspotenzial. Vor
diesem Hintergrund verfolgen wir einen umfassenden Ansatz der Reform für die Erneuerung der Bundeswehr von
Grund auf.
Ich hoffe, dass die Opposition einer Versuchung nicht
erliegt. Das werden wir ja gleich und in den nächsten Wochen feststellen können. Im Grunde genommen müsste ja
die Opposition völlig damit einverstanden sein, dass man
wirtschaftliche und innovative Potenziale nutzt und die
Kooperation mit der Wirtschaft vorantreibt.
({18})
Das haben Sie doch immer gepredigt. Ich habe aber den
Eindruck, dass das Ziel, das Ihr früherer Generalsekretär
Biedenkopf einmal verfolgt hat, nämlich die Entbürokratisierung staatlichen Handelns, eben doch nur eine im
Kopf von Herrn Biedenkopf ernst gemeinte Idee gewesen
ist, die der CDU/CSU-Fraktion insgesamt allenfalls als
oberflächliche Tünche über den poujadistischen Populismen dient, die jetzt auch eine Rolle spielen.
({19})
Hören Sie auf damit, an den Standorten und in den Dienststellen der Bundeswehr den Menschen Ängste einzujagen!
({20})
Entwickeln Sie doch bitte mal eine Idee, die weiter
geht, als immer mehr Geld zu fordern, was in alte Strukturen zu stecken sei. Vielleicht haben Sie ja dann auch die
Kraft, das zu tun, was sowohl für die Streitkräfte als auch
für die äußere Sicherheit unseres Landes notwendig ist,
nämlich breite Unterstützung in der Bevölkerung - diese
hat die Bundeswehr - und breite Unterstützung im Parlament. Diese sollte die Opposition, namentlich die CDU/
CSU, nicht gefährden.
({21})
Ich erteile zu einer
Kurzintervention das Wort dem Kollegen Ulrich Adam,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Herr
Minister, Sie sind auf ein gravierendes Problem - das ist
leider nicht mehr nur eines der neuen Länder - nicht eingegangen; ich nenne das Stichwort: 86,5-Prozent-Soldaten. Ich muss mich schon sehr wundern, da ich auch auf
eine Anfrage an Ihre Staatssekretärin mit der ganz konkreten Frage, wie die Ministerien untereinander damit
umgehen, keine Antwort bekommen habe.
Ich frage Sie, wie es angehen kann - und das vor allen
Dingen bei dem Verdienst der Bundeswehr als Armee der
Einheit; dazu stehe ich, dafür habe ich zehn Jahre lang im
Verteidigungsausschuss gearbeitet -,
({0})
dass das Innenministerium am 13. Januar dieses Jahres einen Erlass herausgegeben hat, nach dem der Innenminister, um Engpässe beim BGS zu umgehen, nichts dagegen
hat - wörtlich heißt es, er habe keinerlei Bedenken -,
wenn diese Bewerber im Tarifgebiet West eingestellt werden und damit nach Westtarif bezahlt werden.
Wir alle kennen die Praxis und wissen, dass die Zahl
derjenigen in der Bundeswehr, die im Augenblick eine
Besoldung in Höhe von 86,5 Prozent bekommen, nicht
kleiner wird, sondern größer, und dass das nicht mehr ein
Problem nur der neuen Länder, sondern ein übergreifendes Problem ist. Ich frage Sie vor diesem Hintergrund:
Wie ist es möglich, dass das tarifführende Ministerium
- das ist das Innenministerium - in seinem Bereich keine
Bedenken hinsichtlich Ausnahmefällen hat, Sie dagegen
aber bisher gängige Bestimmungen sogar außer Kraft setzen? Wenn jemand zum Beispiel für sechs Monate versetzt war - wir alle kennen das Problem der Auslandseinsätze -, durfte er ursprünglich die 100 Prozent
behalten. Wer jedoch jetzt für sechs Monate ins Ausland
geht, wird mindestens für acht Monate versetzt, weil die
Ausbildungszeit dazukommt, und bekommt die 100 Prozent nicht. Vielmehr geht man mittlerweile sogar zu der
Praxis über, dass die Zeit der Versetzung 24 Monate betragen muss, wenn man die 100 Prozent Gehalt behalten
soll.
Ich frage Sie: Wollen Sie das anscheinend fehlende
Geld - das werden meine Kollegen in ihren Darlegungen
noch darstellen - auf dem Rücken der Soldaten einsammeln? Wollen Sie, dass wir bei der Bundeswehr grundsätzlich in Richtung 86,5 Prozent gehen?
({1})
- Entschuldigung, das ist die Wahrheit und ich möchte
gerne eine Antwort auf meine Frage haben; das gilt auch
für meine Fraktion.
Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.
Verehrter Herr Kollege, Sie sprechen ein Thema an, das
ich nicht angesprochen hatte, weil viele Themen in der
Kürze der von den Fraktionen vereinbarten Zeit gar nicht
angesprochen werden können. Das heißt aber nicht, dass
das Thema außer Betracht oder unbedeutend wäre. Ganz
im Gegenteil.
Mir persönlich wäre es durchaus recht, wenn wir innerhalb der Bundeswehr sofort eine einheitliche Besoldung einführen könnten.
({0})
Da das aber eine gesamtstaatliche Lösung sein muss,
lässt sich das nicht alleine für die Bundeswehr verwirklichen. Ich finde, wir sollten uns da gegenseitig nichts vormachen.
Auf der Ebene des Bundes würde die Einführung der
100-Prozent-Besoldung jährlich insgesamt circa 700 Millionen DM erfordern, auf der Ebene der Länder und Gemeinden über 8 Milliarden DM jährlich. Vor diesem Hintergrund will ich hier gar nicht im Einzelnen schildern,
wie Vertreter kommunaler Spitzenverbände, einzelne
Landräte oder Bürgermeister und insbesondere Ministerpräsidenten in den Gesprächen mit der Bundesregierung
händeringend darum bitten, es nur ja bei den Anpassungen aus dem Tarifvertrag und der Erhöhung auf 90 Prozent zu belassen.
({1})
Insofern sollten wir zunächst einmal mit diesem vordergründigen Spiel von Schuldzuweisungen aufhören.
Die ostdeutschen Länder und Gemeinden sind zurzeit
nicht in der Lage, die finanziellen Folgen einer schnelleren Anhebung auf 100 Prozent zu verkraften. Darunter
sind einige, die zu Ihren besonders engen Freunden
gehören, wie andere darunter sind, die zu meinen besonders engen Freunden gehören.
Meine nächste Bemerkung bezieht sich auf das, was
Sie in Bezug auf den Herrn Bundesinnenminister gesagt
haben. Sie sagten, Sie waren im Verteidigungsausschuss.
Das entschuldigt einen gewissen Informationsmangel.
Aber ich muss Ihnen sagen, dass wir diese Praxis in der
Bundeswehr schon länger haben, um zu versuchen, die
Zahl derjenigen, deren Besoldung bei 86,5 Prozent liegt,
so gering wie möglich zu halten. Insofern weise ich den
Vorwurf ausdrücklich zurück, dass die Zahl derer innerhalb der Bundeswehr wächst, die nur eine Besoldung von
86,5 Prozent beziehen. Das ist schlicht falsch. Ich gebe
Ihnen gerne alle Zahlen, die Sie benötigen. Ich bin nämlich
an einem offenen Gespräch über diese Fragen interessiert.
Die Bundeswehr hat zur deutschen Einheit Enormes
beigetragen und verdient dafür Anerkennung und Respekt. Dass es wegen der gesamtstaatlichen Bedingungen
nicht möglich ist, das zu tun, was alle, die damit zu tun haben, und auch ich für richtig halten, ist bedauerlich. Aber
ich kann sagen, dass wir durch die Tarifverhandlungen
und durch die Übertragung der Ergebnisse dieser Verhandlungen in den Gesamtbereich des öffentlichen Dienstes einen kleinen Fortschritt erreicht haben.
({2})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Paul Breuer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern hat Finanzminister Hans Eichel
den Bundeshaushalt 2001 als Haushalt der Zukunftssicherung bezeichnet.
({0})
Obwohl Verteidigung unbestritten eine der wichtigsten
Aufgaben - und zwar alleinige Aufgabe - des Bundes ist,
({1})
hat er der Bundeswehr und dem Verteidigungshaushalt
nur wenige Worte gewidmet. Das können Sie nachlesen.
Er stellte die Bundeswehr sinngemäß als eine Truppe
mit vielen Angehörigen und veraltetem Gerät dar.
({2})
Kein Wort zu den sicherheitspolitischen Herausforderungen, kein Wort von der verantwortungsvollen Rolle
Deutschlands in der NATO, kein Wort von der verantwortungsvollen Rolle Deutschlands in Europa,
({3})
kein Wort von der fehlenden Europafähigkeit der Bundeswehr heute - so wie dies der Verteidigungsminister
festgestellt hat -, kein Wort von den vertraglichen Verpflichtungen, die Deutschland gegenüber den anderen
Mitgliedern der Europäischen Union eingegangen ist,
kein Wort zu den Sorgen und Nöten der Menschen in der
Bundeswehr.
Wenn ich die Rede von Verteidigungsminister
Scharping, die er eben gehalten hat, richtig werte,
({4})
komme ich zu dem Ergebnis: Er versucht Rudis heile Welt
darzustellen, er kämpft im eigentlichen Sinn überhaupt
nicht für einen Verteidigungsetat, der mittlerweile völlig
am Boden angelangt ist.
({5})
Unsere deutschen Streitkräfte haben zusätzliche Aufgaben und sie meistern sie gut. Zur Belohnung dafür geben Sie der Bundeswehr einen ständig sinkenden Verteidigungshaushalt und wollen das Ganze der deutschen
Öffentlichkeit auch noch als Modernisierung verkaufen.
({6})
Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Anspruch und
Wirklichkeit klaffen weit auseinander.
({7})
Nach zwei Jahren Regierungszeit ist es angebracht,
eine Bilanz zu ziehen. Was ist in diesen zwei Jahren geschehen Herr Scharping?
({8})
Was haben Sie auf den Weg gebracht?
({9})
Ich stelle fest, Sie versuchen der Öffentlichkeit
({10})
in einer Art und Weise, die schon bemerkenswert ist, vorzugaukeln, Sie modernisieren die Bundeswehr.
({11})
Sie setzen für Investitionen - so sagen Sie - mehr Finanzmittel ein. Das Ergebnis ist, dass in diesen zwei Jahren nur ein einziges ernsthaftes Beschaffungsprojekt auf
den Weg gebracht worden ist.
Ich will Ihnen mit Blick auf Ihre Beschimpfung der
Vorgängerregierung eines deutlich machen.
({12})
Ich habe hier ein Interview mit dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Rudolf Scharping in der „Bild am
Sonntag“ vom 15. Dezember 1996 vorliegen.
({13})
- Mir ist klar, dass Sie sich an diese Zeit nicht erinnern
wollen. - Er wird von der „Bild am Sonntag“ gefragt:
Die SPD ist gegen den Kauf eines neuen Jagdflugzeugs und will auch sonst immer kürzen. Wie soll da
die Bundeswehr modern ausgerüstet werden?
({14})
Antwort von Scharping - hören Sie einmal zu; es ist hochinteressant -:
Die Bundesregierung muss über die Anschaffung des
„Eurofighters“ entscheiden. Dem stimmen wir nicht
zu. Es gibt Wichtigeres, zum Beispiel die Entwicklung eines neuen Transportflugzeugs,
({15})
auch um international in der modernen Technologie
konkurrenzfähig zu bleiben.
({16})
In einer Meldung der Nachrichtenagentur ddp vom
7. September 2000 war zu lesen: „Rudolf Scharping: Die
Bundeswehr braucht dringend neue Jagdflugzeuge.“ Herr
Minister Scharping, es ist unsäglich, dass Sie die Vorgängerregierung ständig dafür verantwortlich machen
wollen, was sie damals - Gott sei Dank - getan hat ({17})
was dazu geführt hat, dass Sie heute über einen solchen
Bestand verfügen können -, und dass Sie sie kritisieren. Ich werde Sie gleich an die Wirklichkeit, was den Lufttransport angeht, erinnern. - Sie haben damals ständig
versucht, der Regierung Knüppel in den Weg zu legen,
und Kürzungsvorschläge gemacht. Heute bedauern Sie,
dass nichts passiert ist.
Was ist denn mit dem Lufttransportflugzeug?
Schauen Sie sich doch einmal Ihren Verteidigungshaushalt, was das Thema Lufttransportflugzeug angeht, an. In
den Tit. 554 06 „Beschaffung des Großraumtransportflugzeuges“ wurden null Mittel eingestellt.
({18})
Herr Scharping, Sie verstehen das Wort Lufttransport
falsch. Lufttransport heißt für Sie, Luft in den Verteidigungsetat hineinzupumpen. Das ist eine Luftnummer, die
Sie hier fahren. Es ist nicht glaubwürdig, wie Sie in diesem Zusammenhang in der deutschen Verteidigungspolitik vorgehen.
({19})
Meine Damen und Herren, die Frage der Glaubwürdigkeit - Kollege Ulrich Adam hat dies soeben an einem
Beispiel verdeutlicht - ergibt sich auch aus dem, was Herr
Scharping in vollmundigen Worten in den neuen Bundesländern gegenüber den Soldaten und Mitarbeitern der
Bundeswehr verspricht. Er hat gesagt, er wolle die Situation verändern. Herr Scharping, Sie haben auch gesagt ich habe es hier schriftlich vorliegen -, dass Sie allein die
Möglichkeiten dafür nicht haben.
({20})
Aber das Beispiel, das Kollege Adam soeben gebracht
hat, zeigt, dass selbst dort die Möglichkeiten dafür nicht
geschaffen werden, wo Minister Scharping Entscheidungsgewalt besitzt.
({21})
Wenn deutsche Soldaten aus den neuen Bundesländern
heute für sechs Monate ins Ausland geschickt werden, sie
sich also eindeutig sechs Monate außerhalb der neuen
Bundesländer aufhalten - früher bedeutete das, dass ihr
Sold auf 100 Prozent angehoben wird -, dann wird ihnen
nach diesem Auslandseinsatz als Dank dafür, dass sie sich
eingesetzt haben, der Sold, den sie mehr bekommen haben - das gilt für Zeit- und Berufssoldaten -, wieder abgezogen.
({22})
Das sind die vollmündigen Sprüche des Verteidigungsministers Scharping. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Dies gilt nicht nur für diesen Bereich, sondern
auch für viele andere. Das gehört zu einer Bilanz nach
zwei Jahren; das müssen Sie ertragen.
({23})
Zu Beginn der Beratungen des Verteidigungshaushaltes befinden wir uns in einer Situation, die nach meiner Sicht einmalig ist. Der Verteidigungsausschuss des
Deutschen Bundestages - seit ich dem Deutschen BunPaul Breuer
destag angehöre, erlebe ich das zum allerersten Mal - verfügt zum Zeitpunkt des Beginns der Haushaltsdebatte
über keine einzige realistische Unterlage, die eine Beratung überhaupt erst ermöglicht.
({24})
- Herr Kollege Zumkley, Sie wissen doch ganz genau,
was ich meine. Es gibt keinerlei Erläuterung zum Verteidigungshaushalt.
({25})
Auf der anderen Seite gibt es die Ankündigung - da
könnte man Wetten abschließen -, dass eine riesige PlusMinus-Liste, mit der der Haushalt in seiner Struktur regelrecht verändert werden solle, unterwegs sei. Nur, der
Deutsche Bundestag kennt diese Liste zum jetzigen Zeitpunkt nicht. In der Vergangenheit haben Sie sich aufgeblasen und von Parlamentsarmee gesprochen. Wissen Sie,
was hier stattfindet? Die Bundeswehr wird in einer Art
und Weise geführt, die am Parlament vorbeigeht. Das
kann dieses Parlament nicht zulassen.
({26})
Dass Sie sich mittlerweile - ich habe das heute Morgen
beobachtet, als der Bundeskanzler Sie zum Beifall aufforderte, weil er ihm nicht genügte - nur noch als Kopfnicker
und beifälliges Publikum betätigen, nehme ich zur Kenntnis.
({27})
Es kann aber um des Selbstverständnisses des Parlaments
willen nicht möglich sein, dass Sie es hinnehmen, wie unsachlich und in welch nicht fundierter Art und Weise heute
im Verteidigungsministerium agiert wird.
({28})
Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
Aber gern.
Kollege
Breuer, ist Ihnen eigentlich geläufig, dass wir heute die
erste Lesung des Bundeshaushaltes haben und dass er Ihnen nach dieser Lesung überhaupt erst von der Regierung
zur Beratung überwiesen wird? Sind Sie sich auch darüber im Klaren, dass die gesamten Plus-Minus-Listen,
die Sie so vollmundig vor sich hertragen, contra legem
sind, dass Plus-Minus-Listen kein Instrument parlamentarischer Beratung sein können? Ist Ihnen klar, dass PlusMinus-Listen eigentlich das sind, was das Ministerium
noch von Ihnen erwartet?
Wir wissen aus Ihrer Regierungszeit, dass Ihre PlusMinus-Listen inhaltsreicher waren als die vom Kabinett
beschlossenen Haushalte. So etwas wollen wir nicht. Wir
wollen saubere und ordentliche Verhältnisse. Das gestehen Sie mir hoffentlich zu.
({0})
Herr Kollege Wieczorek,
ich denke, dass ich keiner Nachhilfestunde in der Frage
der Haushaltsberatungen bedarf.
({0})
Ich möchte Ihnen aber sagen: Erstens. Dieser Verteidigungsetat
({1})
ist nicht, wie man das auf den ersten Blick feststellt, ein
Etat, der steigt. Es ist ein Etat, der weiter sinkt. Der Buchungstrick ist sichtbar: 2 Milliarden DM aus dem Einzelplan 60 sind aufgesattelt worden,
({2})
um anschließend um 500 Millionen DM zu kürzen. Er
steigt nämlich nur um 1,5 Milliarden DM.
({3})
Zweitens. Ich behaupte - Sie können ja das Gegenteil
sagen, die Wirklichkeit wird zeigen, wer Recht hat -,
({4})
dass in dem von einem Sozialdemokraten geführten
Verteidigungsministerium eine riesige Plus-Minus-Liste
vorbereitet wird. Sie meinen, mich darüber aufklären zu
müssen, dass diese Plus-Minus-Liste contra legem ist.
Sagen Sie das doch Herrn Scharping und nicht mir.
({5})
Da sind Sie doch bei mir an der völlig falschen Stelle.
({6})
- Was ich gefordert habe, Frau Kollegin Wohlleben, sind
die Erläuterungen, die notwendig sind, um in eine ordentliche und ernsthafte Haushaltsberatung einzutreten. Wenn
Sie nicht nur deshalb an absolutem Gedächtnisschwund
leiden würden, weil Sie sich auf der Regierungsbank wohl
fühlen wollen, wüssten Sie, dass ein Parlament zu keinem
Zeitpunkt einen so schlecht vorbereiteten Verteidigungshaushalt beraten hat. Das muss heute festgestellt werden.
({7})
Herr Präsident, ich hoffe, dass die Antwort auf diese
Frage nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
({8})
- Nein, das wäre nicht in Ordnung.
Der Minister behauptet heute, die Opposition verunsichere die Mitarbeiter der Bundeswehr.
({9})
Ich stelle fest, dass die größten Verunsicherer bezüglich
der Lage der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter in der
Bundeswehr in der Bundesregierung sitzen, vor allem im
Verteidigungsministerium.
({10})
Ich will versuchen, Ihnen ein beredtes Beispiel dafür zu
geben. Da berichtet das „Wiesbadener Tagblatt“
({11})
am 6. Juli 2000, dass die Staatssekretärin Scharpings - da
geht es um Frau Schulte - eine von ihrem Chef persönlich
autorisierte Presseerklärung dementierte - darin wurde
auf Frau Wieczorek-Zeul Bezug genommen -, was ein
peinlicher Vorgang ist. Richtig ist offenbar, dass die künftige Organisation der Wehrverwaltung noch offen ist,
Scharping jedoch die Sicherheit der Arbeitsplätze in
Wiesbaden bekräftigt hat.
Ich habe mir die Presselandschaft dieses Sommers angesehen. Ich habe daher auch gelesen, welche narkotisierenden Reisen Herr Scharping - wohin auch immer - unternommen hat. Dazu muss ich sagen: Er geht von einem
Standort zum anderen und versichert dort, dass nichts passiert. Das hat er wohl auch Frau Wieczorek-Zeul versichert.
({12})
Frau Schulte hat danach gesagt, dass das, was Frau
Wieczorek-Zeul gesagt habe, nicht stimme und dass es
keine Sicherheit gebe.
Bei einem Besuch von Herrn Scharping in Freyung ist
mir eine Aussage aufgefallen. Dort hat er gesagt, es passiere nichts, und wer jedem alles verspreche, der belüge
alle.
({13})
Herr Scharping, das ist richtig. Mit Ihrer Art und Weise,
durchs Land zu gehen, die wirklichen Probleme nicht darzustellen, überall beruhigend die Hand aufzulegen und zu
sagen, es passiere nichts, verunsichern Sie und niemand
anders die Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr.
({14})
Er verunsichert sie auch mit anderen Dingen. Wenn
Herr Scharping in seiner Rede zum Haushalt behauptet, er
könne im Laufe des Jahres 2001 durch Veräußerungen
Einnahmen in einer Größenordnung von 1 Milliarde DM
erzielen - in Wahrheit muss ein noch höherer Betrag erzielt werden, da seine Einnahmen, wie er eben gesagt hat,
nur 80 Prozent dessen betragen -, gleichzeitig aber von
Standort zu Standort zieht und sagt, es passiere nichts,
gleichzeitig behauptet, zur Veräußerung identifiziert seien
Liegenschaften im Wert von 350 Millionen DM, möchte
ich fragen: Wie will er etwas veräußern, wenn er gleichzeitig alles behalten will? Dass dieses Verhalten auf jeden,
der in der Bundeswehr seinen Dienst tut, verunsichernd
wirkt, ist doch logisch. Dabei stelle ich eines fest: Sie
nicken zu all dem unkritisch und stellen gar nicht fest, in
welche Widersprüche Sie sich verstricken.
Zu diesen Veräußerungen sage ich Ihnen noch etwas:
Es soll auch Gerät veräußert werden, das die Bundeswehr
nicht mehr benötigt. Ich sage Ihnen voraus - und dafür
braucht man kein Prophet zu sein -, dass an diesem Gerät
entweder diejenigen, die das Geld, es zu bezahlen, nicht
besitzen, so zum Beispiel die neuen NATO-Partner, oder
diejenigen Interesse bekunden werden, die Sie auf der Basis der Rüstungsexportbestimmungen, die Sie zusammen
mit Ihrem grünen Koalitionspartner verschärft haben,
nicht beliefern werden.
Ich sehe, was mit den ausgemusterten Alphajets passiert. In die müssen wir Geld investieren, damit sie überhaupt irgendjemand in der Welt kauft. Das, was hier an
Veräußerungsgewinnen erzielt werden soll - dafür wird
eine neue Gesellschaft, eine Agentur gegründet -, ist nach
meiner Meinung in großen Bereichen nicht mehr als eine
Luftnummer.
Eines steht allerdings fest: Die Gehälter derer, die diese
Agentur führen werden, sind bereits vereinbart: Einkommen pro Jahr in Höhe von 400 000 DM, 3 500 DM am Tag.
Aber eine Wehrsolderhöhung für Wehrpflichtige um
1 DM pro Tag, die von Ihnen im Bundestagswahlkampf
1998 versprochen wurde, haben Sie bisher nicht hinbekommen.
Herr Kollege Breuer,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Rudolf Scharping?
Gerne, mit ausgesprochenem Vergnügen.
Herr Kollege Breuer, da
Sie auch die Veräußerung von Liegenschaften im Wert
von 350 Millionen DM angesprochen haben: Ist Ihnen bekannt, wie viele dieser Liegenschaften in der Zeit vor dem
Regierungswechsel als veräußerungsfähig identifiziert
worden sind? Ist Ihnen auch bekannt, dass die bisherige
Art der Verwertung durch sich zum Teil über Jahre schleppende Verfahren, auch im Blick auf die Interessen der
Bundeswehr, ausgesprochen problematisch ist, und halten
Sie es für ein schlagendes Argument gegen die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit von Standorten, wenn man die
Veräußerung jener auf einen Verkehrswert in Höhe von
rund 350 Millionen DM geschätzten Liegenschaften, die
im Wesentlichen in den Jahren Ihrer Regierungstätigkeit
identifiziert worden sind, jetzt in diese Überprüfung einbezieht, so wie Sie das gemacht haben? - Ich hoffe, meine
Frage war nicht zu kompliziert.
({0})
Herr Kollege Scharping,
ich bedanke mich ausdrücklich für diese Frage. Ich gestehe Ihnen eines zu: In der Vergangenheit hat es in dieser
Hinsicht schleppende Vorgänge gegeben.
({0})
Aber ich frage Sie einmal zurück, da Sie ja so optimistisch sind: Ist Ihnen bekannt, dass das Gutachten der Unternehmensberatung KPMG zur Frage der Veräußerung
von Liegenschaften im Haushaltsjahr 2001, das gegenüber dem von Ihnen geführten Hause abgegeben worden
ist, Ihnen einen maximalen Veräußerungserlös in Höhe
von 250 Millionen DM einräumt, Sie aber gleichzeitig
von Veräußerungserlösen in einer Größenordnung von
mehr als 1 Milliarde DM ausgehen müssen, da Sie ja nur
80 Prozent davon bekommen?
Ich denke, Sie sollten sich mit der gesamten Realität in
Ihrem Haus etwas intensiver beschäftigen.
Herr Kollege Breuer,
es gibt eine zweite Frage des Abgeordneten Rudolf
Scharping.
Aber gerne.
({0})
Herr Kollege Breuer,
könnten Sie zur Kenntnis nehmen, dass in den Planungen
des Bundesministeriums der Verteidigung von „bis zu
1 Milliarde DM“ verstärkter Investitionsmittel gesprochen wird und dass ich in der Einbringung diese bis
zu 1 Milliarde DM aufgeschlüsselt habe auf Effizienzgewinne durch veränderte Finanzierungsformen, auf sinkende Betriebskosten und auf Einnahmen aus Vermietung
und Verpachtung beziehungsweise Veräußerungserlösen,
und könnten Sie deshalb für Ihre künftige Argumentation
so freundlich sein, nicht von 1 Milliarde DM Veräußerungserlösen zu sprechen, die auch wir für unrealistisch
halten? Deswegen sprechen wir von bis zu 1 Milliarde
DM, die sich aus den drei genannten Quellen speist.
({0})
Herr Kollege Scharping,
ich beschäftige mich mit der Fragestellung, wie realistisch
Ihr Haushalt ist.
Ihr Finanzminister, der für Sie nicht der Hans im Glück
ist, sondern der Blanke Hans, hat Ihnen in diesem Jahr das wissen Sie selbst - böse zugesetzt.
({0})
Wenn Sie die Milliarde auf dem Weg erzielen, den Sie
eben dargestellt haben,
({1})
dann bin ich froh, wenn sie erzielt wird.
Was ich Ihnen ganz persönlich vorwerfe, ist, dass Sie
in der Öffentlichkeit versuchen, den Eindruck zu erwecken, der Verteidigungshaushalt sei gesund, und in
Wirklichkeit ist er ganz fürchterlich krank. Darum geht es.
Lenken Sie bitte nicht von dieser Frage ab.
({2})
Was ich Ihnen darüber hinaus vorwerfe, ist, dass Sie
versuchen, dafür die Vorgängerregierung in Anspruch zu
nehmen, und davon ablenken wollen, dass Sie sich im
Bundeskabinett nicht durchsetzen können.
Sie haben uns hier im letzten Jahr die Platte vorgeführt:
Wenn alle sparen müssen, müssen wir auch sparen. Haben
Sie eigentlich nicht bemerkt, dass Herr Klimmt, dass Frau
Bulmahn
({3})
ihre Haushalte mittlerweile erhöht haben und Sie, obwohl
Sie mehr Bedarf für die Bundeswehr haben, die sich in
Auslandseinsätzen, bei Zukunftsaufgaben befindet, weniger bekommen?
Sie sind doch derjenige, der von Kabinettschef
Schröder in einer Art und Weise degradiert wird, die unsäglich ist, die die deutsche Öffentlichkeit zur Kenntnis
nimmt. Leider ist es so, dass die Bundeswehr darunter leidet.
Herr Kollege Breuer,
Sie müssten jetzt aber wirklich zum Schluss kommen.
({0})
Sehr gerne! - Ich habe
mich bei der Vorbereitung der Debatte wirklich gefragt,
ob ich Ihnen hier einen ausgefüllten Lottoschein übergeben sollte. Die Gewinnchancen bei einem ausgefüllten
Lottoschein sind größer als die Erwartung, dass das, was
Sie mit der Bundeswehr vorhaben, mit diesem Haushalt
gelingt. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Die nächste Rednerin
in dieser Debatte ist die Kollegin Angelika Beer für die
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
jetzt echt total verunsichert, Kollege Breuer.
({0})
Sie haben hier beeindruckend Zeitungsausschnitte präsentiert, und haben zu zitieren versucht.
({1})
Ich glaube, Sie haben vergessen, die Presse von mindestens zwei Wochen auszuwerten. Deswegen muss ich das
Haus jetzt vielleicht langweilen,
({2})
aber ich möchte einmal ganz kurz daran erinnern, dass
nicht nur Presseartikel erschienen sind, sondern auch Debatten stattgefunden haben. Herr Kollege Breuer, am
14. Juni im Jahr 2000 hat das Kabinett die Reform der
Bundeswehr im Rahmen der Finanzplanung beschlossen.
Ich dachte, dass Sie im Hinblick auf eine bevorstehende
Reform zumindest einmal ansatzweise einen Reformgedanken
({3})
und eigene Vorstellungen präsentieren würden. Ich habe
mir Mühe gegeben, aber ich habe nichts gehört.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist uns doch
klar, dass wir einen tief greifenden und lang dauernden
Prozess der Reform und der Modernisierung der Bundeswehr eingeleitet haben. Wir werden diese Reform
sparsam und effizient umsetzen, da sich die Bundeswehr
ohne Wenn und Aber solidarisch am Konsolidierungskurs
der Regierung beteiligt. Aber das wird natürlich kein
leichter Weg; das will ich hier klar sagen. Ich bitte deswegen gerade alle betroffenen Soldaten als Staatsbürger
in Uniform, diese Reform zu unterstützen.
Ich bitte die Soldaten um noch eines: Lassen Sie sich
nicht durch Unkenrufe seitens der Kollegen von der
CDU/CSU verunsichern, die zu jedem Standort gehen
und fragen, ob dieser nun geschlossen wird oder nicht!
({4})
Herr Breuer, Sie haben eben bewiesen, dass Sie
- konzeptionslos und ahnungslos - wirklich der Letzte
sind, der das Recht hätte, im Moment die Frage nach den
Stand-orten zu stellen. Die Standortbestimmung erfolgt
am Ende. Die Standortbestimmung wird die Sicherheit
und die Zukunft der Bundeswehr gewährleisten. Die Soldaten werden wissen, dass nach zum Teil schmerzhaften
Einschnitten, die es geben muss, eine Sicherheit der
Struktur der Bundeswehr gegeben ist, die Sie 16 Jahre
lang blockiert und in den Boden gefahren haben.
({5})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir werden sehr
sachlich darüber diskutieren müssen - auch wir Grünen -,
was die Bundeswehr braucht, vor allem aber darüber, was
sie nicht braucht. Es ist richtig, dass Altlasten vorhanden
sind. Die Diskussion muss aber etwas niveauvoller geführt werden, Herr Breuer. Sie muss nämlich auch unter
Berücksichtigung des europäischen Rahmens erfolgen.
Gerade die Tatsache, dass wir zukünftig enger mit den
europäischen Partnern zusammenarbeiten, bietet doch
die Chance, künftig arbeitsteilig Rüstungsgüter zu beschaffen, arbeitsteilig die Armee zu modernisieren. Eine
günstige sicherheitspolitische Lage für die Bundesrepublik Deutschland mit entsprechenden finanziellen Anforderungen zu verbinden ist so etwas wie eine moderne
Sicherheitspolitik. Das ist unsere Regierungspolitik, ob es
Ihnen passt oder nicht.
Ich hoffe trotzdem, dass sich die Opposition irgendwann konstruktiv an diesem spannenden Prozess beteiligen wird. Gerade Sie nämlich, die immer nur nach mehr
Geld schreien, haben sich der konstruktiven Reformdiskussion, die hier im Parlament geführt worden ist, verweigert. Das ist eben mehr als deutlich geworden.
({6})
Auch ich möchte mich ganz kurz, aber herzlich bei der
Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft
der Bundeswehr“ unter Leitung von Altbundespräsident
Dr. Richard von Weizsäcker bedanken. Das Ergebnis der
Arbeit dieser Kommission - auch das ist an Ihnen vorbeigegangen, Herr Breuer - ist ein fundiertes und perspektivisch angelegtes Konzept. Dies wird Messlatte sein für
die Umsetzung der Reform, die unsere Regierung beschlossen hat.
Am Ende dieses Jahrzehnts - das ist allen klar - werden wir eine völlig andere Bundeswehr haben: eine moderne, eine kleine. Dann muss sie ihre Aufgaben, die
schwieriger werden, besser erfüllen können als heute. Sie
muss bündnis- und europafähig sein. Ich fände es schade,
wenn sich die CDU/CSU aus diesem Dialog ausklinkte,
wie es gerade durch die Rede ihres verteidigungspolitischen Sprechers deutlich geworden ist.
Ich will darauf hinweisen, dass es nicht nur eine Frage
des Militärhaushaltes ist, nicht nur eine Frage der Technologie und der Struktur. Wir haben einen gesellschaftlichen Modernisierungsprozess angeschoben. Wir haben
durch die Ausweitung aller Laufbahnen auf Frauen
eine gesellschaftliche Modernisierung vorgenommen. Es
handelt sich hier um einen Prozess, um etwas, was sich
bewegt. Man kann hier nicht einfach etwas abhaken.
({7})
Es liegt in unserem besonderen Interesse - da möchte
ich gerne den Wehrbeauftragten, aber natürlich ebenso
Verteidigungsminister Scharping ansprechen -, die Probleme gemeinsam anzugehen, gemeinsam dafür Sorge zu
tragen, dass es nicht zu Ungleichbehandlung, Diskriminierung oder gar zu sexuellen Übergriffen kommt, wie wir
es aus anderen Armeen kennen. Wir wollen den Frauen
rechtzeitig Sicherheit geben.
Ich gebe zu, dass wir im Rahmen der gesellschaftlichen
Modernisierung die Freiwilligkeit gerne mehr in den Vordergrund gestellt hätten. Wir sind noch nicht so weit, konkret die Frage nach der Abschaffung der Wehrpflicht
diskutieren zu können. Aber eines will ich Ihnen ganz klar
sagen - ich bin schon gespannt auf Ihre folgende Rede,
Herr Nolting -:
({8})
Wenn ich an Ihren bevorstehenden F.D.P.-Parteitag denke
und Ihren schiefen Weg, bei dem Sie sagen, wir wollen
nicht die Abschaffung, sondern die Aussetzung - jeder
weiß, eine Aussetzung bedeutet die Abschaffung der
Wehrpflicht -, dann stelle ich fest, dass Sie mit Ihrer Position mit dem Rücken an der Wand stehen und ebenfalls
versuchen, diese gesellschaftliche Debatte zu blockieren.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss.
Frau Kollegin Beer,
bevor Sie zum Schluss kommen, bitte ich um Ihre Einwilligung für eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel.
Ja,
aber natürlich.
Es ist natürlich ein Fehler - das
weiß ich -, aber die Frage muss man trotzdem stellen, lieber Kollege Koppelin.
Liebe Frau Beer, darf ich erstens Ihre Anmerkung zu
dem bevorstehenden Sonderparteitag der F.D.P., der sich
mit der Frage der zukünftigen Wehrform der Bundeswehr auseinander setzen wird, so werten, dass Sie diese
Diskussion grundsätzlich als nicht notwendig erachten?
Zweitens. Wenn das so wäre, wie hätte sich dann Ihre
persönliche Meinung zur Wehrform der Bundeswehr in
der Zeit, seit die Grünen der Regierung angehören, verändert?
Drittens. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass bei einer Aussetzung der Wehrpflicht die Wehrerfassung, die
Musterung und Ähnliches weiter bestehen und nur von
der Einberufung Abstand genommen wird, denn die
Wehrpflicht besteht mit der Dauer von null Monaten fort?
Lieber, Kollege Niebel, erstens: Ich halte die Diskussion
nicht für überflüssig. Jede Partei sollte diese Diskussion
offen führen. Ich bedaure nur, dass sie bei Ihnen sehr spät
kommt. Wir hätten diese Diskussion lieber während des
Prozesses der Reformentwicklungen thematisiert, damit
die Ergebnisse der Diskussion noch hätten einfließen können.
Das Zweite ist: Ich hätte mir von einer liberalen Partei
gewünscht,
({0})
dass ein klarer Weg beschritten wird und nicht über die
Formulierung „Aussetzung der Wehrpflicht“ tatsächlich
aber die Abschaffung der Wehrpflicht gemeint ist. Ich
hätte mir gewünscht, dass sich die Jungen Liberalen entgegen diesem Taktieren von Herrn Gerhardt - ihm geht es
im Moment nur um die Festigung seiner parteiinternen
Stellung - dort hätten durchsetzen können.
Das Dritte: Ich würde es begrüßen und fände es positiv, wenn der verteidigungspolitische Sprecher der F.D.P.
eine Position der Gesamtpartei hier vertreten würde.
Ich bin davon überzeugt: Wenn ein Land wie Deutschland nach einer durchaus heftigen Diskussion zu dem Ergebnis kommen sollte - nicht weil die F.D.P. es beschließt, sondern weil es einfach gesellschaftspolitisch
angesagt ist -, auf das Prinzip Freiwilligkeit zu setzen,
dann wird ein Land wie Deutschland nie wieder entscheiden, die Wehrpflicht einzuführen.
Ich glaube, dass die Lektüre des Berichtes der Wehrstrukturkommission hierzu gute Argumente liefert. Wenn
ein Land wie Deutschland - wirtschaftlich eine Industriemacht - aufgrund einer Konfliktsituation, die möglicherweise vorhanden ist, beschließt, wieder zu mobilisieren, die Wehrpflicht wieder einzuführen, dann könnten
politisch schwierige Prozesse, die vielleicht noch nichtmilitärisch zu lösen sind, diese Lösung verstellen. Das
möchte ich auf keinen Fall.
({1})
Wir bleiben also dabei und sind sicher: Die Wehrpflicht
wird fallen. Wir werden uns weiter für die Freiwilligkeit
und ein Ausstiegskonzept aus Zivil- und Wehrpflicht einsetzen. Ich hoffe, dass Sie den Mut haben, sich dann
irgendwann als Partei klar auszudrücken und zu sagen:
Der Zwangsdienst muss weg.
Frau Kollegin Beer,
der Kollege Niebel will eine weitere Zwischenfrage stellen, ebenso der Kollege Koppelin. Ich würde aber beide
Seiten bitten, sich kurz zu fassen. Natürlich lasse ich aber
beide Fragen zu.
Okay.
Liebe Kollegin Beer, nur der
guten Klarheit wegen und damit wir nicht aneinander vorbeireden: Sie stimmen mir doch sicher zu, dass eine Abschaffung der Wehrpflicht eine Grundgesetzänderung
erfordern würde, eine Aussetzung der Wehrpflicht hingegen einfachgesetzlich zu regeln ist? Allein das dürfte doch
schon als Unterschied erkennbar werden.
Nein,
ich stimme Ihnen nicht zu, weil die grundgesetzliche
Regelung, die Wehrpflicht einzuführen, im Wortlaut eine
Kann-Regelung und kein Zwang ist. Deswegen kann man
die Wehrpflicht auch ohne Grundgesetzänderung abschaffen.
Kollege Koppelin,
bitte Ihre Frage.
Kollegin Beer, da Sie der
F.D.P. quasi ein paar Vorhaltungen wegen des langen
Weges der Diskussion gemacht haben, was ich zurückweise, darf ich Sie dann einmal fragen - wir beide kennen
uns aus dem gemeinsamen Wahlkreis -, nachdem Sie
früher für die totale Abschaffung der Bundeswehr geweAngelika Beer
sen sind, wie Sie zu Ihrer heutigen Auffassung gekommen
sind?
Herr
Kollege Koppelin, es ist eine Urforderung der Grünen,
und zwar die erste, alle Zwangsdienste in Deutschland abzuschaffen. Das war ein Ergebnis einer Diskussion in der
Partei und hatte nicht in erster Linie mit Militär zu tun.
Vielmehr ist es ein Grundverständnis unseres demokratischen Staates, zu dem Zwangsdienste einfach nicht
mehr passen.
Das andere ist: Meine Partei hat diese Forderung, die
Sie eben zitiert haben, seit zwölf Jahren nicht mehr im
Parteiprogramm. Falls Sie tatsächlich den Weg der Grünen verfolgt haben sollten: Wir setzen uns hier für die
Interessen der Bundeswehr ein.
({0})
Es gehört zu diesem Interesse der Bundeswehr, dass
wir hier nicht nur über Militärpolitik diskutieren, sondern
die Reformen der Bundeswehr im Rahmen einer präventiven Außen- und Sicherheitspolitik positionieren.
Die Europäische Union und auch die OSZE haben positive Anreize aufgenommen, die aus unserer Regierung
gekommen sind. Wir haben die präventiven Elemente gestärkt. Wir wollen sie weiter stärken. Wir wollen auch die
Finanzen dafür aufstocken. Denn unser Ziel ist es nicht,
die Bundeswehr abzuschaffen, Herr Koppelin,
({1})
aber die Prävention so zu stärken, dass die Bundeswehr
möglichst wenig eingesetzt werden muss.
Für den Fall, dass es dann doch so sein sollte wie im
Kosovo - auch dieses Wort sollte in einer solchen Debatte
fallen ebenso wie der Dank an die Soldaten für das, was
sie dort in der Friedenskonsolidierung leisten -: Das Ziel
ist mehrdimensional, das heißt, Prävention stärken, Konflikte verhindern bzw. Konflikte, wenn sie dann da sind,
mit einer Bundeswehr, die unser Vertrauen hat und dementsprechend ausgerüstet ist, und mit Mandat der Vereinten Nationen lösen.
({2})
- Nein, mit Mandat, und im Zweifel, wenn es sein muss,
hat die Bundeswehr das Recht, dafür ausgestattet zu sein.
Frau Kollegin Beer,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Da
hilft uns nicht das Schreien nach mehr Geld und das Verweigern von Reformen, sondern man muss beides zusammenführen. Genau das hat der Minister vorhin vorgestellt.
({0})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Günther Nolting.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Beer, ich schließe mich der Frage des
Kollegen Koppelin an. Ich frage mich, ob Sie heute eigentlich als staatstragende Behüterin der Bundeswehr
auftreten können, wenn ich an Ihre Forderungen der letzten Jahre - es ging bis hin zur Auflösung der Bundeswehr - erinnern darf. Das steht heute noch in Ihrem gültigen Programm.
({0})
Sie mahnen hier die konstruktive Mitarbeit der Opposition an. Der werden wir uns als Opposition nicht verschließen - nicht, weil Sie uns dazu auffordern, sondern
weil wir darin auch unseren Auftrag sehen. Aber ich frage
Sie: Wo waren Sie eigentlich in den letzten Jahren, als Sie
in der Opposition waren, mit Ihren konstruktiven Vorschlägen?
({1})
Ich will ein Beispiel nennen, das Sie hier gerade erwähnt haben, nämlich die Öffnung der Bundeswehr für
Frauen - eine Forderung, die die F.D.P. seit 1987 stellt.
Sie haben uns in den letzten Jahren immer vorgeworfen,
wir wollten mit dieser Forderung und mit ihrem Umsetzen eine Militarisierung der Gesellschaft erreichen. Heute
dient dies der Gleichberechtigung.
Ich könnte viele, viele andere Beispiele nennen, Frau
Kollegin Beer, wo Sie Ihre Einstellung von heute auf morgen einfach über Bord geworfen haben.
({2})
- Ich möchte den Ausdruck „Wendehals“ jetzt nicht
übernehmen, aber ich glaube, er könnte zutreffen.
Ich frage mich, wo Sie eigentlich Ihre Glaubwürdigkeit
in den letzten zwei Jahren hernehmen, wenn Sie alle grünen Prinzipien, die Sie einmal vertreten haben - die ich
nicht für richtig halte; das will ich auch gleich sagen -,
einfach an der Garderobe abgeben.
({3})
Herr Minister, Sie haben die Konsolidierung des Haushaltes angesprochen. Ich sage Ihnen dazu - und zwar für
die F.D.P.-Fraktion -: Ich darf den Verteidigungshaushalt
nicht einfach mit den anderen Haushalten vergleichen;
denn in der Sicherheitspolitik geht es um die höchsten
Werte, die es zu verteidigen gibt, nämlich um Frieden
und Freiheit. Das kostet nun einmal Geld. Dafür müssen
wir auch Geld zur Verfügung stellen.
Die Bundeswehr bedarf eines verlässlichen, dem
Postulat der Stetigkeit genügenden, aufgabengerechten Haushaltsrahmens für den gesamten Zeitraum
der Neuausrichtung. Dieser Rahmen dürfte sich in
der Größenordnung der derzeitigen Verteidigungsausgaben bewegen. Für den Übergang werden zusätzliche Mittel gebraucht - Anschubfinanzierung.
Nur so kann die Reform erfolgreich angegangen
werden.
Meine Damen und Herren, dies ist ein Zitat aus dem
Bericht der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und
Zukunft der Bundeswehr“ unter Leitung des Altbundespräsidenten von Weizsäcker, einer Kommission, Herr
Minister Scharping, die auf Ihre Initiative von der Bundesregierung eingesetzt wurde, um eine zukunftsfähige
Struktur für die Bundeswehr zu erarbeiten.
({4})
Die gerade von mir zitierte Aussage ist richtig, wie
große Teile des Berichts richtig sind. Nur sind der Verteidigungsminister und die Bundesregierung - auch wenn
Minister Scharping sich heute bei den Mitgliedern der
Kommission bedankt hat - den Vorstellungen dieser
Kommission in den entscheidenden Punkten nicht
gefolgt.
Das ist fatal, das ist unverantwortlich. Die Folgen
werden tief greifend sein, und Sie, Herr Minister
Scharping, tragen allein die Verantwortung dafür.
({5})
Sie werden weder Ihrer sicherheitspolitischen Verantwortung gerecht noch kommen Sie Ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr nach.
Meine Damen und Herren, vor dreieinhalb Jahren
richtete die SPD-Fraktion unter Führung des heutigen
Verteidigungsministers eine Große Anfrage an die Bundesregierung zum Thema „Lage und Zustand der Bundeswehr“. In dem einführenden Teil wurde festgestellt,
dass Deutschland Streitkräfte benötige, die personell und
materiell effektiv strukturiert, gut ausgebildet und modern
ausgerüstet sind.
({6})
- Diese Feststellung, Herr Kollege Zumkley, ist zweifellos richtig. Sie gilt für die F.D.P. unverändert; das betone
ich hier ausdrücklich.
Aber die sich daraus ergebenden Konsequenzen waren
offensichtlich. Gefordert werden mussten erstens eine
Streitkräftereform für eine leistungsfähige und attraktive
Bundeswehr mit dem Ziel der Gliederung in Einsatzstreitkräfte und Basisorganisation sowie einer weiteren
Differenzierung der Wehrpflicht und Verkürzung ihrer
Mindestdauer auf das unbedingt notwendige Maß, zweitens eine Verringerung des Personalumfangs auf eine
sicherheitspolitisch vertretbare und staatspolitisch verantwortbare Größenordnung, drittens eine Anhebung der
Finanzmittel für Zeit- und Berufssoldaten, eine Höherdotierung der Einstiegsgehälter und eine schnelle Anhebung
der Ostgehälter auf Westniveau, viertens eine Anhebung
der investiven Ausgaben im Verteidigungshaushalt auf
mindestens 30 Prozent und fünftens eine Steigerung der
Effizienz der Bundeswehr durch Rationalisierung und
Privatisierung wo immer möglich.
({7})
Das, Herr Kollege Zumkley, steht nicht in dem Eckpfeilerpapier des Verteidigungsministers, sondern ich
habe aus dem Wahlprogramm der F.D.P. von 1998 zitiert. Zwei Jahre sind seitdem vergangen, zwei Jahre rotgrüner Regierung, und in Sachen Bundeswehr sind wir
leider noch keinen einzigen Schritt weiter.
({8})
Herr Minister, Sie haben zuerst die Kommission unter
Führung unseres Altbundespräsidenten von Weizsäcker
eingesetzt. Als Sie erkannten, dass von dort die von Ihnen
gewünschten Ergebnisse nicht zu erwarten waren, beauftragten Sie den Generalinspekteur von Kirchbach mit der
Erstellung des so genannten Eckwertepapiers. Sie machten dabei Vorgaben und erwarteten die Begründung. Sie
benötigten offensichtlich eine krasse Gegenposition zum
zu erwartenden Bericht der Kommission, um dann binnen
weniger Tage ein eigenes Papier aus dem Hut zu zaubern,
das Sie Ihren Planungschef ebenfalls parallel schreiben
ließen. Taktisch mag das aus Ihrer Sicht klug gewesen
sein. Ich verkenne auch nicht die Probleme, die Sie mit
Ihrem grünen Koalitionspartner haben. Aber es handelte
sich um eine unverantwortliche Vergeudung von Ressourcen und Zeit.
({9})
Meine Damen und Herren, es handelte sich - auch das
muss offen angesprochen werden - ferner um eine Missachtung von soldatischer Loyalität und menschlicher Gefühle.
({10})
Der Generalinspekteur wurde vorsätzlich geopfert, um
die Grünen in die Schranken weisen zu können und um
eine breite Diskussion über den Bericht der WeizsäckerKommission und über die Eckdaten der neuen Bundeswehrstruktur schon im Keim zu ersticken. Ich halte diese
Vorgehensweise für höchst unredlich, Herr Minister.
({11})
So geht man nicht mit Soldaten um, auch dann nicht,
wenn sie an der Nahtstelle zur Politik eingesetzt sind.
Auch dazu hätte ich heute gern etwas von Ihnen gehört.
So geht man im Übrigen auch nicht mit den Mitgliedern
der so genannten Weizsäcker-Kommission um.
Zurück zu Ihrem Haushalt, zurück zu Ihren vermeintlichen Reformvorstellungen und deren Realisierungschancen: Statt einer Verstetigung des Verteidigungshaushalts bei wenigstens 47 Milliarden DM - ohne die
beschönigenden 2 Milliarden DM aus dem Einzelplan 60
für Auslandseinsätze - präsentieren Sie uns einen Finanzplafond von jetzt 45,3 Milliarden DM, Tendenz weiter
abnehmend. Auch das, Herr Minister, ist die Wahrheit.
Von Ihren Vorbehalten gegenüber den künftigen Haushalten - wie das noch im letzten Jahr zum Ausdruck
kam - war heute keine Rede mehr. Durch die Übernahme
der Gelder aus dem Einzelplan 60, die Sie heute ausdrücklich angesprochen haben, werden die Risiken größer
werden, nämlich dann, wenn zum Beispiel im Nahen
Osten neue Einsätze geführt werden müssen. Auch dazu
hat es von Ihnen - das wissen Sie - heute leider keine Aussage gegeben.
Ich frage Sie auch: Was ist aus den großen Ankündigungen des letzten Jahres geworden? Was ist aus dem öffentlichen Versprechen des Kanzlers geworden, von
Kürzungen im Verteidigungshaushalt abzusehen? Von
alledem ist nichts mehr übrig! 18,6 Milliarden DM an
Kürzungen bis zum Jahr 2003 - das ist, Herr Minister, die
Wahrheit und auch darauf hätten Sie heute eingehen müssen. Angeblich soll es dann aber eine Festschreibung geben. Ich sage dazu: Wer es glaubt!
Die niederschmetternde Obergrenze des Verteidigungshaushaltes beträgt dann 43,7 Milliarden DM. Das
sind die Realitäten, Herr Minister. Sie schmecken mir
nicht.
({12})
Ich könnte Ihnen sogar abnehmen, dass sie Ihnen ebenfalls nicht schmecken. Man konnte dies bei Ihrer Rede
heute förmlich spüren. Aber was tun Sie dagegen?
- Nichts!
({13})
Man sieht und hört Sie nicht angreifen, Sie verteidigen
nicht und selbst hinhaltend kämpfend sucht man Sie vergebens. Herr Minister, Sie ziehen vor dem Finanzminister
den Kopf ein. Sie sind ganz offensichtlich auf der Flucht,
und zwar auf der Flucht vor Realitäten und auf der Flucht
vor einem Glaubwürdigkeitsverlust.
Ich glaube, Sie können auch nicht mehr anders.
({14})
Keine Ihrer heutigen Versprechungen werden Sie bei diesem Haushaltsvolumen einhalten können. Sie haben uns
heute nicht erklären können: Mit welchem Geld wollen
Sie die Bundeswehrausrüstung modernisieren? Mit welchem Geld wollen Sie den Beförderungsstau auflösen?
Womit wollen Sie die höhere Einstiegsbesoldung finanzieren, die Sie heute angekündigt haben? Wann können
Sie eine Wehrsolderhöhung bezahlen, die Sie früher alljährlich angemahnt haben? Auch dazu haben wir heute
nichts gehört.
Ich frage Sie auch wie der Kollege Adam: Warum haben wir im Osten unseres Landes immer noch eine geringere Besoldung als im Westen? Wir werden in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses, wenn wir in
die Haushaltsplanberatungen gehen, einen entsprechenden Antrag stellen, der eine Stufenlösung - die aber realistisch sein muss - beinhaltet.
Herr Minister, wenn Sie ehrlich zu sich selbst und uns
sind, glauben doch wohl auch Sie nicht ernsthaft daran,
dass das neue Transportflugzeug, das Sie heute auch angesprochen haben, aus einem anderen als dem Einzelplan 14 bezahlt werden wird. Wo haben Sie die Finanzplanung für dieses so wichtige Projekt?
({15})
Dazu haben wir heute nichts gehört.
Herr Minister, Sie sprechen hier von bis zu 1 Milliarde DM - Sie haben es ja immer wieder betont: „bis
zu“! -, die Sie Ihrem Haushalt aus eigenerwirtschafteten
Mitteln, also doch wohl, darüber sind wir uns sicher einig,
vornehmlich aus Liegenschaftsverkäufen, zuführen dürfen. Ich vertraue hier auf Fachleute und diese Fachleute
halten offensichtlich einen Betrag von maximal 300 Millionen DM für realistisch.
Sie haben hier die Einsparungen bei den Betriebsausgaben angesprochen. Sie wissen: Auch hier bleiben nur einige wenige Millionen DM. Die Einnahmeseite Ihres
Haushaltes, Herr Minister Scharping, ist unseriös.
Sie haben die Kooperationen mit der Wirtschaft angesprochen. Als F.D.P. begrüßen wir das. Warum aber
stellen Sie sich beim BWB hin und erklären vor den Mitarbeitern, es würden keine Arbeitsplätze gestrichen, wenn
Sie gleichzeitig Rahmenverträge mit der Wirtschaft
schließen? Somit muss es ja wohl Ungleichgewichte geben. Entweder Sie betreiben gegenüber der Wirtschaft
Symbolpolitik - das wäre schlimm - oder Sie haben den
Mitarbeitern des BWB nicht die Wahrheit gesagt. Nehmen Sie Abschied von Wunschträumen, Herr Minister,
und handeln Sie realitätsbezogen!
({16})
Bauen Sie die neue Streitkräftestruktur auf ein sicheres
Fundament. Die Angehörigen der Bundeswehr haben es
verdient, und zwar nicht erst durch ihren vorbildlichen
Einsatz auf dem Balkan, wofür ich mich ausdrücklich bedanke.
({17})
Der Verteidigungshaushalt ist zu niedrig. Deutschland
rangiert mit den zukünftigen Verteidigungsausgaben auf
einem Abstiegsplatz in der NATO-Tabelle.
({18})
Das ist nicht nur blamabel, Herr Kollege Zumkley, das ist
auch undankbar gegenüber unseren Freunden, die klaglos
über mehr als vier Jahrzehnte unsere Sicherheit mit hohem Aufwand garantiert haben. Welch eine Doppelzüngigkeit!
({19})
In Berlin bringt die Bundesregierung den niedrigsten
Haushalt für Verteidigung ein, obwohl sich vor wenigen
Tagen in New York der Herr Bundeskanzler vor die Vereinten Nationen gestellt und davon gesprochen hat, dass
Deutschland jetzt in der Lage sei, auch außenpolitisch
mehr Verantwortung zu übernehmen. Wie denn, Herr
Minister? Etwa mit der Erhöhung der Zahl der Krisenreaktionskräfte um 10 000 Soldaten oder etwa mit der Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei - aber keine
Lieferung der von der Türkei gewünschten Panzer - oder
etwa mit der Pendeldiplomatie des Auswärtigen Amtes
nach Tripolis, wo sich gestern der grüne Staatsminister
und sein Chef die Klinke in die Hand gaben? - Das ist bei
aller Farbverwandtschaft nicht die außenpolitische Verantwortung, die ich mir für die F.D.P. wünsche, die die
Welt von uns erwartet und die unsere Mitbürgerinnen und
Mitbürger verdient haben.
({20})
Sie, Herr Minister, fordern bis heute die Stärkung der
internationalen Organisationen. Wenn man das will,
dann muss man sich einbringen, vor allen Dingen auch
mit den entsprechenden Finanzmitteln einbringen können. Aber das können Sie nicht. Verantwortungsübernahme besteht nicht aus Worthülsen, Schönrederei oder
Symbolpolitik. Sie ist auch nicht zum Nulltarif zu bekommen. Verantwortungsübernahme erfordert handfeste
Investitionen. Wir werden im Verteidigungsausschuss den
Etat noch weiter behandeln. Die F.D.P. wird entsprechende Anträge stellen.
({21})
Zum Abschluss möchte ich herausstellen: Die Bundeswehrreform ist überfällig. Wir müssen einen wirklichen
Neuanfang wagen, Herr Minister. Halbherzige Umstrukturierungen, wie Sie sie vorhaben, lösen kein Problem.
Die F.D.P. hat bereits im März letzten Jahres ein Konzept
vorgelegt, in dem Auftrag und Mittel kompatibel sind.
Dies ist allerdings nur durch Reduzierung des Personalumfangs, durch eine umfassende Umstrukturierung
und bei einem Haushaltsansatz von 47 Milliarden DM
möglich.
({22})
Herr Minister, nur so kann die Bundeswehr auftragsgerecht organisiert, ausgerüstet und ausgebildet werden.
Nur so ist die Bundeswehr zukunftsfähig. Das ist Ihre Verantwortung, Herr Minister. Kommen Sie ihr nach!
Vielen Dank.
({23})
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Heidi Lippmann.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mit der Einsetzung der WeizsäckerKommission bestand die Chance, eine grundlegende
Reform der Bundeswehr zu vollziehen. Aber mit den nahezu zeitgleich vom Verteidigungsminister präsentierten
Eckwerten wurde die längst überfällige gesellschaftliche
Debatte nicht nur über die Zukunft der Bundeswehr, sondern vor allem auch über ihren künftigen Auftrag verhindert. Das, was Sie, Herr Scharping, kurz danach dem
Kabinett vorlegten, ist insofern keine Zäsur in der Bundeswehrplanung, als Sie krampfhaft an der Wehrpflicht
festhalten und die Personalstärke der Streitkräfte möglichst hoch halten wollen.
Die Zäsur besteht aber darin, dass die Bundeswehr jetzt
auf voller Breite zu einer Interventionsarmee umgebaut
werden soll. Das beginnt mit der Aufhebung der Trennung
von Hauptverteidigungskräften und Krisenreaktionskräften und dem Aufbau von 150 000 so genannten Einsatzkräften. Das setzt sich fort in den neuen Führungsstrukturen der Streitkräfte, zum Beispiel durch Bildung von neuen
Einsatzführungskommandos für künftige Auslandseinsätze. Das beinhaltet weit reichende Umrüstungen und
Hochtechnologisierung durch Kommunikations- und
Führungsmittel zur optimalen Steuerung der Einsätze, Satellitenaufklärung und Verbesserung der Abstands- und
Präzisionsfähigkeit.
Und das endet bei Neubeschaffungen, zum Beispiel
von Kampfhubschraubern, dem immer teurer werdenden
Wahnsinnsprojekt Eurofighter und von neuen Transportflugzeugen zur Verbesserung der strategischen Verlegefähigkeit. Das heißt im Klartext nichts anderes, als dass
die neue Interventionsarmee künftig schnellstmöglich in
die neuen Krisengebiete transportiert werden sollen, nach
dem Motto: höher, schneller, weiter, schlagkräftiger und
letztendlich - vielleicht - auch tödlicher.
Das, was Ihre „Allparteienkoalition minus PDS“, wie
es das Ministerium immer so schön formuliert, als umfassende Modernisierung der Streitkräfte bezeichnet, bedeutet nichts anderes als den umfassenden Ausbau der
Kriegsführungs- und Interventionsfähigkeit der Bundeswehr. Es ist Augenwischerei, wenn die Landes- und
Bündnisverteidigung weiterhin als Kern des Auftrags bezeichnet wird, denn die Planungen sind darauf ausgerichtet, künftig mindestens zwei Kriegseinsätze parallel bewältigen zu können. Damit meine ich nicht Einsätze wie
KFOR und SFOR, sondern neue Einsätze wie zum Beispiel im Nahen Osten oder rund ums Kaspische Meer, wo
ein Kampf um Öl geführt wird.
Natürlich steht die Bundeswehr dabei künftig nicht allein. Sie wird durch die EU mit ihrer neuen Militärunion
unterstützt, die ihre Streitkräfte auf bis zu 200 000 Soldaten ausbauen will. Auch die NATO hat mit ihrem neuen
strategischen Konzept ihren neuen Daseinszweck festgeschrieben: Kriseninterventionismus mit - wie man kürzlich lesen konnte - bis zu 450 000 Einsatzkräften.
Frau Kollegin
Lippmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hildebrecht Braun?
Nein, später.
Den Vereinten Nationen als völkerrechtlich einzigem
Garanten für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit werden in diesem Rahmen nur noch bestimmte
untergeordnete Dienstleistungsaufgaben zugestanden.
Den ordnungspolitischen Rahmen setzt die NATO, wenn
es sein muss, auch völkerrechtswidrig oder - wie Frau
Beer gerade so schön gesagt hat - „nach Möglichkeit“.
Statt dagegen Widerstand zu leisten, trägt die Bundesregierung ganz aktiv zu dieser Entwicklung bei.
Die neuen Wege, die das Verteidigungsministerium dabei beschreiten will, sind ebenso undurchsichtig wie die
neuen Begriffe, zum Beispiel Outsourcing oder - wie der
Minister gerade gesagt hat - Insourcing. Zwar hat Minister Scharping von der Weizsäcker-Kommission den
Begriff der qualitativen Umrüstung übernommen, doch
zugleich hält er an Überkapazitäten der Bundeswehr fest.
Wie das unter dem Vorzeichen so genannter Sparhaushalte zusammengehen soll, ist das Geheimnis des Ministers und seines neuen Generalinspekteurs mit ihrer - laut
„Süddeutsche Zeitung“ - „rätselhaften Arithmetik“. Nicht
nur unter diesen Aspekten ist der Einzelplanentwurf unsolide und unseriös.
Mit der Übertragung bestimmter Dienstleistungsaufgaben auf die Wirtschaft, Rationalisierungen bei den Personal- und Betriebsausgaben und Gewinnen durch die
Veräußerung von bundeswehreigenem Vermögen sollen
Mittel frei gemacht werden für die geplante umfassende
Modernisierung der Ausrüstung der Truppe, quasi als
- Herr Breuer sprach es mehrfach an - Nullsummenspiel.
Doch selbst das würde bedeuten, dass der Verteidigungshaushalt auf beachtlicher Höhe bliebe.
Gerade bei einem so entscheidenden Beschaffungsprojekt wie dem Großraumtransportflugzeug Leertitel in den
Haushaltsentwurf zu schreiben, zeigt nicht nur die Unseriosität der Finanzierung des neuen strategischen Großraumflugzeuges, sondern ist schlichtweg gesagt - Frau
Präsidentin, Sie mögen mir diesen nicht parlamentarischen Ausdruck verzeihen - eine Verarschung derjenigen,
die an diesem Haushalt arbeiten, die sich wie ein roter Faden durch den Haushalt zieht.
({0})
Finanzplanerische Vorgaben für den nächsten Bundeswehrplan will Generalinspekteur Kujat zu einem späteren
Zeitpunkt einfügen. Ich frage Sie, Herr Minister: Soll die
Öffentlichkeit erst langsam an den Gedanken gewöhnt
werden, dass der Rüstungshaushalt wieder nach oben gehen wird, oder hoffen Sie, auf der Hardthöhe auf Öl zu
stoßen?
Zu befürchten steht auch, dass die in anderen NATOLändern zu konstatierende Trendwende auch bei uns Platz
greift. Nach einer Dekade vor allem volkswirtschaftlich
begründeter Rüstungsminderung scheint der Aufschwung
bei den Rüstungsausgaben, in der Rüstungsproduktion
und auch bei den Rüstungsexporten wieder da zu sein.
Dass diese Entwicklung von Rot-Grün exekutiert wird,
sollte nach dem Angriffskrieg, in den Sie die Bundesrepublik geführt haben, niemanden erstaunen. Aber als wie
gut Rüstungsexporte nun auch von der SPD eingeschätzt
werden, verblüfft doch etwas, verehrte Frau Kollegin
Wohlleben. Dass Sie bei Ihrer Philosophie für das
21. Jahrhundert allerdings auf Vergetius aus dem 4. Jahrhundert vor Christus zurückgreifen müssen - „Wenn du
den Frieden haben willst, sei kriegsbereit“ -, legt den
Schluss nahe, dass Sie zur Praxis des Römischen Reiches
zurückkehren wollen. Frau Kollegin, das, was eh und je
galt, hat auch eh und je zu Kriegen, zu Gewalt und zu Zerstörung geführt, im vorigen Jahrhundert zu zwei furchtbaren Weltkriegen.
Wir wünschen uns, dass Sie zu Ihrem Berliner Programm aus dem Jahre 1989 zurückkehren - das ja wohl
noch gültig ist -, in dem es heißt:
Das Ziel von Friedenspolitik ist es, Streitkräfte überflüssig zu machen.
Oder auch:
Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und
Rüstungsgütern zu verhindern.
Die Rückkehr zu diesem Programm, in welchem dem tödlichen und törichten Bellizismus eine strikte Absage erteilt wird, ist auch in Regierungsverantwortung allemal
erstrebenswerter als der Rückfall in vorchristliche Zeiten.
Auch den Grünen empfehle ich einen Blick in ihr noch
gültiges Programm, statt Rüstungsexporte aus Rücksicht
auf amerikanische Interessen nicht weiter ausweiten zu
wollen, wie wir es heute in der Replik von Frau Kollegin
Beer auf Frau Wohlleben in der „Financial Times
Deutschland“ nachlesen konnten.
({1})
Ich bin schon jetzt gespannt, wie die Grünen und auch
Sie, Frau Beer, reagieren werden, wenn nicht nur die Munitionsfabrik in der Türkei installiert wird, sondern auch
die entsprechende Voranfrage nach Lieferung von
500 000 Maschinengewehren positiv beschieden wird.
Ich bin gespannt, ob Sie auch dann bereit sind, sich wieder im Nachhinein, wenn die Entscheidung längst gefallen ist, mit vollmundigen Wendungen gegen die Lieferung
der Hardware zu Wort zu melden.
({2})
Dass die PDS diese Rückwärtswendung nicht mitmacht,
brauche ich ebenso wenig zu betonen wie die Ablehnung
des vorliegenden Haushaltsentwurfs durch meine Fraktion.
Wir halten daran fest, dass es gerade die Aufgabe der
Bundesrepublik wäre, sich weltweit für Abrüstung und zivile Konfliktlösungen einzusetzen, für die Stärkung der
OSZE und der Vereinten Nationen, für eine friedliche Europäische Union ohne eigene Streitkräfte und, langfristig
gesehen, für den Abbau und für die Auflösung der Streitkräfte weltweit, also auch in der Bundesrepublik Deutschland.
Ein erster Schritt hierzu könnte die tatsächliche Reduzierung der Bundeswehr sein und nicht der Umbau zu einer Angriffsarmee. Nicht nur dem internationalen Frieden, sondern auch dem sozialen Frieden in diesem Lande
wäre durch eine strikte Reduzierung der Rüstungsausgaben gedient; denn die frei werdenden Mittel in Milliardenhöhe könnten dann für die Schaffung von Arbeitsplätzen, für soziale Aufgaben, für Bildung und auch zur
Sicherung der Renten genutzt werden. Dafür werden wir
streiten und nicht für die Erhöhung der Krisen- und
Kriegsfähigkeit, wie Sie sie hier die ganze Zeit exekutieren.
Danke.
({3})
Frau Kollegin
Lippmann, auch wenn Sie selbst darauf hingewiesen haben, muss ich meiner Pflicht nachkommen und Ihnen sagen, dass Sie ein Wort benutzt haben, das dem Stil des Hohen Hauses nicht entspricht. Vielleicht hilft das nächste
Mal ein Blick ins Synonymwörterbuch ein Stückchen
weiter.
({0})
Allerdings haben Sie die Redezeit unterschritten und das
ist bei einer Debatte in diesem Hause sehr selten.
Nächster Redner ist der Kollege Peter Zumkley, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Eckwerte
für die konzeptionelle und planerische Neuausrichtung
der Bundeswehr vor der Sommerpause verabschiedet.
Damit wurden unseres Erachtens wichtige Weichenstellungen vorgenommen, um die Bundeswehr zukunftsfähig
zu gestalten.
Mit dem Haushaltsentwurf 2001 wird für die Bundeswehr nun ein erster Schritt hin zu einer sicheren finanziellen Grundlage für die Durchführung der Reformen geschaffen, die weit über das Jahr 2001 hinaus umgesetzt
werden.
({0})
Die Bundeswehr wird damit ihre veränderten Aufgaben
erfüllen können. Die Vorschläge der Bundesregierung zur
Finanzierung der Bundeswehr sind solide und fundiert.
({1})
- Der Opposition ist es erlaubt, eine andere Auffassung zu
haben. Das sage ich ausdrücklich.
({2})
Aber Sie müssen auch unsere Auffassung und vor allen
Dingen die Realität zur Kenntnis nehmen, Herr Kollege
Breuer, lieber Paul.
({3})
Die notwendige Konsolidierung des Gesamthaushaltes
wird fortgesetzt. Hierzu leistet auch der Verteidigungsetat
weiterhin seinen Beitrag. Durch die von manch einem
nicht erwartete Ressortvereinbarung zwischen dem Finanzministerium und dem Verteidigungsministerium erhält der Verteidigungsminister, der am Zustandekommen
dieser Vereinbarung einen großen Anteil hat, beachtliche
zusätzliche Finanzspielräume innerhalb des vorgegebenen Budgets, um auch die Strukturänderung angehen zu
können. Sein Vorgänger wäre froh gewesen, wenn er das
bei seinem Finanzminister durchbekommen hätte.
({4})
Einsparungen, die durch Senkung der Betriebskosten
und Straffung bzw. Neugestaltung der Finanzierungsformen erzielt werden,
({5})
verbleiben im Verteidigungsetat. Gleiches gilt für einen
hohen Anteil der Erlöse aus dem Verkauf oder der Vermietung von Liegenschaften sowie aus der Veräußerung
von überzähligem Wehrmaterial.
({6})
- Werden wir auch.
Mit diesen Entscheidungen kann die Bundeswehr im
Jahr 2001 bis zu 1 Milliarde DM und im Jahr 2002 bis zu
1,2 Milliarden DM zusätzliche Mehreinnahmen erzielen, vorausgesetzt, Herr Kollege Nolting, da stimme ich
mit Ihnen überein, dass diese Erlöse auch realisiert werden können. Wir wissen, dass das schwierig ist.
({7})
- Es ist schwierig, aber, obwohl es nicht leicht ist
- wir wissen das -, muss man zumindest energisch daran
arbeiten. Wenn ich mich im Lande umschaue, dann sehe
ich, auch in meiner Heimatstadt Hamburg, sehr wohl gute
Möglichkeiten, in diesem Sinne voranzukommen, ohne
dass die Bundeswehr deshalb beeinträchtigt wird.
({8})
Wir begrüßen, dass die für den Balkaneinsatz vorgesehenen Mittel in Höhe von 2 Milliarden DM ab 2001
jährlich im Einzelplan 14 ausgewiesen werden. Durch den
so verstärkten Planfond wird eine solide Basis geschaffen,
um mit den Reformen beginnen zu können und die Bundeswehr qualitativ Zug um Zug zu verbessern. Die bis zu
47,8 Milliarden DM in 2001 machen, verbunden mit der
Ressortvereinbarung, eine intelligente Finanzierung der
Bundeswehr möglich. Diese wurde im Übrigen auch vom
NATO-Generalsekretär Robertson bei der internationalen
sicherheitspolitischen Tagung Anfang des Jahres in München für alle Verteidigungshaushalte der NATO angeregt.
Kürzungen während des Haushaltsjahres, wie sie von der
CDU/CSU während ihrer Regierungszeit häufig praktiziert wurden, wird es mit uns nicht geben: besser eine
knappe, aber ausreichende Festlegung der Mittel zu Beginn des Jahres als Kürzungen während des Haushaltsjahres, um die Löcher - damals hießen sie die waigelschen
Löcher - im Haushalt zu stopfen. Die Bundeswehr
braucht verlässliche Planungen und finanzielle Sicherheit.
({9})
Mit diesem Haushaltsentwurf setzen wir ebenfalls unsere Bemühungen um soziale Verbesserungen für die
Menschen, die in der Bundeswehr dienen und arbeiten,
kontinuierlich fort. So sind zum Beispiel
({10})
- warten Sie es ab! - weitere Verbesserungen bei den
Planstellen und bessere Beförderungsmöglichkeiten vorgesehen.
({11})
Unser Ziel bleibt es, den jahrelangen Beförderungsstau,
der sich wegen Ihrer Untätigkeit aufgestaut hat, in den
nächsten Jahren spürbar abzubauen. Auch die berufliche
Fort- und Weiterbildung werden wir ausbauen und so den
Dienst in den Streitkräften attraktiver gestalten.
({12})
Unter dem Verteidigungsminister Helmut Schmidt sind
die Bundeswehruniversitäten geschaffen und somit den
Offizieren eine breitere Bildung und ein akademischer
Abschluss ermöglicht worden. Dies hat die Qualität unserer Offiziere nachhaltig verbessert.
Unter dem jetzigen Verteidigungsminister werden die
längst fälligen neuen Laufbahnen Fach-Unteroffizier und
-Feldwebel eingeführt.
({13})
Diese Laufbahnen sind mit der Facharbeiter- bzw. Meisterebene vergleichbar. Beide Laufbahnen eröffnen den
Mannschaften und Unteroffizieren den raschen Einstieg
in einen anspruchsvollen militärischen, aber auch zivilberuflichen Werdegang.
Auch bei den Investitionen, meine Damen und Herren, wird es keinen Stillstand geben. Wichtige Rüstungsvorhaben werden fortgesetzt bzw. neu definiert.
({14})
Die zusätzlich erwirtschafteten Mittel, Herr Kollege
Rossmanith, aus interner Optimierung und Veräußerung
von Liegenschaften und Wehrmaterial sollten für zusätzliche Investitionen genutzt werden. Damit wird der Weg
zur Konsolidierung der Ausrüstung der Bundeswehr fortgesetzt. Nationale und internationale Verträge werden
eingehalten. Da helfen auch nicht die Schreckensnachrichten, die Sie immer vor irgendwelchen Vorhaben verbreiten.
Die Reduzierung der Stärke der Bundeswehr ist in
der Bevölkerung weitgehend unstrittig und angesichts der
veränderten verteidigungspolitischen Lage auch vernünftig. Die hierzu notwendigen Maßnahmen werden sozialverträglich, ohne betriebsbedingte Kündigung und für die
Betroffenen transparent und planbar gestaltet, wie es der
Minister heute hier auch ausgeführt hat. Wir unterstützen
das.
({15})
Die zu treffenden Standortentscheidungen wird meine
Fraktion mit äußerster Sorgfalt begleiten. In erster Linie
geht es um die Optimierung der Standorte und nicht um
deren Schließung.
({16})
Strukturelle Gegebenheiten und die gesellschaftliche Einbindung der Soldaten und ihrer Familien werden wir besonders gewichten.
({17})
In dem Zusammenhang: Unterlassen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die konsequenten
Verunsicherungskampagnen in den Standorten! Das wird
auf Sie zurückfallen.
({18})
Wir beobachten das seit geraumer Zeit; es fällt auf Sie
zurück. Bleiben Sie sachbezogen. Das ist auch für unsere
Soldaten besser.
({19})
- Ich brauche nur an gewisse Flugblattaktionen, gerade in
Bayern, zu erinnern. Da haben Sie ein Beispiel und es gibt
auch noch mehr.
({20})
Gefragt sind jetzt ideenreiche neue Aktivitäten, die die
alten, ausgetretenen Pfade verlassen. Ich bin sicher, dass
es hoch motivierte Kräfte in und außerhalb der Bundeswehr gibt, die für diese neuen Wege aufgeschlossen sind
und mithelfen, die Bundeswehr zukunftsfähig zu gestalten. Wir werden das jedenfalls parlamentarisch positiv begleiten.
({21})
Es spricht jetzt der
Kollege Dietrich Austermann für die Fraktion der
CDU/CSU.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Nach der bereits länger andauernden Debatte ist es, glaube ich, wichtig, dass man
einmal zusammenfasst, über welche Zahlen wir eigentlich
reden, insbesondere nach dem Beitrag des Kollegen
Zumkley.
Ausgangspunkt sollte der Haushalt des Jahres 1998
sein - damit man weiß, worauf sich höhere oder niedrigere Zahlen beziehen. Der Verteidigungshaushalt 1998
hatte ein Ist von 47 Milliarden DM. In dem jetzt vorliegenden Haushalt wird diese Zahl - ohne den Zuschlag für
das Kosovo, eine zusätzliche Aufgabe; sonst bräuchte
man dafür kein zusätzliches Geld - auf 44,8 Milliarden DM gesenkt. Das ist ein Faktum. Mit diesen 44,8 Milliarden DM - das sind ja deutlich weniger als 47 Milliarden DM - wird der Verteidigungsminister nicht alles, was
er verspricht, durchsetzen können.
Dass er davon selbst überzeugt ist, ergab die Diskussion über das Haushaltssanierungsgesetz, die wir Verteidigungspolitiker und Haushaltspolitiker vor etwa einem
Jahr gemeinsam geführt haben. Damals sprach der Minister von dem Haushalt für dieses Jahr, der seinerzeit noch
günstiger aussah, als einem Nothaushalt, als einem Übergangshaushalt, der praktisch das Ende der Fahnenstange
markiere. Das heißt, der jetzt vorgelegte Haushalt für
2001 enthält weniger, als der Verteidigungsminister es vor
einem Jahr für die Bundeswehr für erforderlich gehalten
hat.
Die Aufgaben sind in der Tat nicht weniger geworden.
Wenn man das addiert, was großmundig angekündigt
worden ist - es werde eine Planstellenverbesserung vorgenommen, der Beförderungsstau werde beseitigt, zusätzliche Beschaffungen würden getätigt -, dann kommt
man zu einem noch größeren Fehlbetrag als dem, den wir
jetzt tatsächlich haben.
Der Kollege Wieczorek hat sich in seiner Frage an den
Kollegen Breuer vorhin erkundigt, wie er das eigentlich
alles wissen könne, die Regierung habe den Haushalt
doch noch gar nicht überwiesen. - Sie als alter Kollege
und ehemaliger Haushaltsausschussvorsitzender sollten
wissen, dass es in der Regel so ist, dass das Kabinett den
Haushaltsentwurf beschließt, ihn dem Parlament zuleitet,
das die erste Lesung durchführt, nachdem es ihn sich angeschaut hat, und dass das Parlament ihn dann an den
Haushaltsausschuss bzw. die anderen Ausschüsse überweist.
Nun haben wir uns angeschaut, was wir überwiesen bekommen haben und jetzt weiterüberweisen. Wenn ich mir
den Haushaltsentwurf anschaue und das mit dem vergleiche, was ich hier und da aus dem Finanzministerium und
dem Verteidigungsministerium höre, stelle ich fest: Es ist
kein Stein mehr auf dem anderen. Finanzministerium und
Verteidigungsministerium sind zurzeit in Verhandlungen,
um den Haushalt völlig umzustricken, weil er so, wie er
vorgelegt worden ist, nicht realisiert werden kann.
({0})
- Das Finanzministerium, Frau Kollegin. - Das Finanzministerium hat sich sogar ausdrücklich dagegen gewandt, dass die Vorschläge, die aus dem Verteidigungsministerium kommen, von zu hohen Personalausgaben
ausgehen. Das heißt, es soll noch mehr Personal abgebaut
werden. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern,
dass Sie entgegen angekündigter Pläne im nächsten Jahr
10 000 Wehrpflichtige mehr nicht einziehen wollen, als es
bisher geplant war, um dadurch Geld zu sparen.
({1})
Die Frage, wie das mit der Wehrgerechtigkeit zu vereinbaren ist, ist noch nicht beantwortet worden.
Dieser Haushalt ist so, wie er vorgelegt worden ist,
nicht beratungsfähig. Zu diesem Schluss kommt man insbesondere dann, wenn man erkennt, dass Sie von dem gesellschaftlichen Konsens bezüglich einer landes- und
bündnisverteidigungsfähigen Armee weg und hin zu einer
isolierten Interventionsarmee wollen.
({2})
- Schauen Sie sich doch die Begründung bezüglich der
Beschaffungsfrage an! Schauen Sie sich doch an, was Sie
bei der Rüstungsklausur erreichen wollten! Nachdem der
Haushalt aufgestellt war, gab es im August eine Rüstungsklausur,
({3})
um zu sehen: Wie kommen wir mit dem vorhandenen
Geld unter dem Strich aus? Was war das Ergebnis dieser
Priorisierung, also der Einordnung der Rüstungsprojekte?
Alle 41 Projekte sind gleichermaßen wichtig, aber alle
nicht bezahlbar.
({4})
Ich gehe noch über das hinaus, was hier schon zum
Großflugzeug gesagt worden ist. Für die Kosten von rund
9,5 Milliarden DM gibt es keinen Etatansatz. Das soll solide Haushaltspolitik sein? Ergänzend füge ich die Anschaffung der Korvetten hinzu.
({5})
- Es ist klar, dass wir die Anschaffung noch nicht beschlossen haben. Aber, Herr Kollege Zumkley, Sie wissen, dass wir in den Jahren ab 1995 einen steigenden Verteidigungsetat hatten. Dies wurde damit begründet, dass
bestimmte Großbeschaffungen getätigt werden müssten.
({6})
Für die Korvetten gibt es aber keinen einzigen Ansatz im
Haushalt.
({7})
Ich könnte auch die Satellitenaufklärung erwähnen.
Der Minister hat ja davon gesprochen, welche Projekte interessant sind. Er hat Tagungen angeführt, auf denen man
sich über bestimmte Projekte verständigt hat. Er hat in
Farnborough schon die Beschaffung von 73 Flugzeugen
unterzeichnet. Bloß die Finanzierungsgrundlage dafür
fehlt ihm. Er hat die Mittel für diese Beschaffungen nicht.
({8})
Diese Priorisierungskonferenz im August unter Leitung
von Herrn Kujat - ich hätte ihn heute gerne hier gesehen;
aber es ist ja wohl kein Inspekteur anwesend ({9})
- nein, ich sehe keinen Inspekteur hier ({10})
sollte ja das Ziel erreichen, dazu beizutragen, dass man
die Beschaffungsvorhaben und die Finanzmittel in Einklang bringt. Eine ordentliche Ressortabstimmung ist
aber nicht erfolgt. Scharping konnte sich mit Eichel erst
so spät einigen, dass die Erstellung eines ordentlichen Regierungsentwurfs und eine Beschlussfassung im Kabinett
nicht mehr möglich waren.
Es steht deshalb zu erwarten, dass wir in den nächsten
Wochen - wir mussten den Berichterstattertermin zur Beratung ja verschieben - eine umfangreiche Plus-MinusListe bekommen, um überhaupt eine parlamentarische
Beratung durchführen zu können. Es ist bezeichnend,
dass die Grundlagen für die Finanzausstattung wesentlicher Teile der Ausrüstung der Bundeswehr, die auf der
Rüstungsklausur geschaffen werden sollten, bis heute
- Monate nach der Beschlussfassung durch das Kabinett nicht da sind. Eine seriöse Materialplanung des Generalinspekteurs als unverzichtbare Grundlage einer mittelfristigen Finanzplanung der notwendigen Investitionen
liegt bis heute nicht vor.
Was es in der Tat allerdings gibt, sind Zwischenentscheidungen. Wir sehen hier und da Entscheidungen in
Bezug auf die eine oder andere Kaserne. Nicht wir zündeln, sondern einzelne Vertreter von der Hardthöhe. Der
zuständige General der Heeresflieger erzählte auf einer
Konferenz den anwesenden Kommandeuren, welche
Standorte erhalten bleiben. Er sagt aber nicht, welche
nicht erhalten bleiben.
({11})
Ich frage ganz konkret - ich habe letztes Jahr eine entsprechende Frage gestellt, die dann falsch beantwortet
wurde; deswegen scheue ich mich ein bisschen, die Frage
erneut zu stellen -: Was wird aus dem einzigen Heeresfliegerstandort in Schleswig-Holstein?
({12})
Es gibt eine Aussage des zuständigen Generals, welche
Kasernen geschlossen werden sollen. Wir bekommen
aber dauernd neue Listen. Ich habe eine Liste vorliegen,
nach der 35 Schiffe innerhalb der nächsten drei Jahre
außer Dienst gestellt werden sollen. Davon sind etwa
1 000 Soldaten betroffen. Was ist eigentlich mit der Nachfolgeaufgabe für diese Marinesoldaten, die bisher eine
wichtige Aufgabe wahrgenommen haben?
Es gibt also keine konkrete Haushaltsvorlage, auf deren Grundlage man berechtigterweise Entscheidungen
treffen könnte. Der Haushalt, den Sie uns vorlegen, ist ein
Nothaushalt. Sie können nicht gleichzeitig zwei Probleme
lösen, also erstens das Problem verringerter Ausgaben
in einem chronisch unterveranschlagten Haushalt durch
Einsparung im Betrieb und zweitens das Problem zusätzlicher Beschaffungen.
Lassen Sie mich etwas zum Thema Privatisierungserlöse sagen. Herr Zumkley hat ja versucht, den Eindruck
zu erwecken, als könnte man über die Privatisierung in einer bestimmten Größenordnung zusätzliches Kapital
gewinnen.
({13})
Dazu will ich folgende Berechnung vortragen: Die
Privatisierungserlöse sind von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Sie sind deshalb zurückgegangen, weil praktisch
kein verfügbares Material der NVA mehr vorhanden ist.
Angesetzt ist im Haushalt - über den Zufluss hinaus ein Betrag in der Größenordnung von etwa 450 Millionen DM. Das ist weniger als im letzten Jahr. Hinzu
sollen jetzt Privatisierungen in der Größenordnung von
1,2 Milliarden DM kommen. Da es im letzten Jahr
nicht gelungen ist, Privatisierungen in dem geplanten
Umfang zu realisieren - wie gesagt, 500 Millionen DM
konnten nicht mehr erzielt werden -, addiere ich zu dieser Summe die neu vorgesehenen Erlöse in Höhe von
1,2 Milliarden DM.
Sie wollen also Privatisierungen in Höhe von 1,7 Milliarden DM realisieren? Wo denn? Man hört allerdings,
dass an der einen oder anderen Stelle Beamte beauftragt
werden, noch einmal nachzusehen, welche Grundstücke
man verscherbeln kann. Die Bundeswehr besaß 1990
9 000 Grundstücke. Jetzt hat sie noch 4 000. Das Problem
ist, dass die meisten dieser Grundstücke heute besetzt
sind. Dort befinden sich Kasernen, Wehrbereichs- und
Standortverwaltungen sowie Kreiswehrersatzämter.
({14})
Vielleicht wollen Sie die Grundstücke ja auch in verfassungswidriger Weise verkaufen. Auch dafür gibt es gewisse Indizien, zum Beispiel seitens der Landesregierung
von Schleswig-Holstein. Man verkauft zum Beispiel das
Gebäude der Wehrbereichsverwaltung in Düsseldorf und
mietet es dann wieder zurück, und zwar so lange, bis ein
neues Gebäude zur Verfügung steht. Das haben die
Schleswig-Holsteiner versucht. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt, das sei eine unerlaubte Kreditaufnahme. Ich warne vor diesem Weg.
Wie wollen Sie denn sonst an die geplanten Grundstückserlöse herankommen? Die genannten 1,7 Milliarden DM sind mit einem riesigen Fragezeichen versehen.
Wenn Sie diese Erlöse nicht erzielen, bricht in Ihrem Etat
der gesamte Teil, der die Beschaffungen betrifft, zusammen. In diesem Punkt sollten Sie den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern eine klare Auskunft geben. Denn das
Einzige, was noch bleibt, ist, im Personalbereich kräftige
Einschnitte vorzunehmen. Die Zusammenarbeit mit der
Wirtschaft existiert doch bloß auf dem Papier. Da hat man
große Verträge gemacht und alle, IHK usw., haben unterzeichnet. Was ist denn daraus bisher geworden? - Null!
Ich nenne zum Beispiel die Wehrtechnischen Betriebe
Schleswig-Holstein, weil ich deren Situation am ehesten beurteilen kann. Es ist festzustellen, dass die Depotinstandsetzer auf dem Zahnfleisch gehen und pausenlos
Personal entlassen.
({15})
Die Systeminstandsetzungszentren der Bundeswehr hingegen haben kräftig zu tun, die Depotinstandsetzer aber
nicht. Die wehrtechnischen Unternehmen warten auf neue
Aufträge. Sie, Herr Minister, klopfen sich auf die Schulter wegen der Korvette, wegen Etrus und wegen des
Großflugzeugs. Aber die Aufträge können doch nicht erteilt werden, wenn kein Geld vorhanden ist. Eine bessere
Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, was den Haushalt betrifft, findet nicht einmal auf dem Papier statt, allenfalls in
den Köpfen derjenigen, die den Menschen, den Soldaten
und den wehrtechnischen Betrieben etwas vorgaukeln
wollen.
({16})
Es ist völlig abwegig, anzunehmen, dass sich dadurch,
dass man eine neue Behörde schafft - denn nichts anderes
ist die GEBB -, die bestehenden Probleme von alleine lösen. Für die Dame, die an der Spitze dieser Behörde steht,
und deren sechsstelliges Gehalt habe ich ja Verständnis.
Aber Sie können doch nicht annehmen, dass Sie dadurch
die VOB oder andere Bestimmungen außer Kraft setzen
können. Diese zusätzliche Behörde ist genauso überflüssig wie die weiteren Truppenteile, die geschaffen werden
sollen. Dies alles bedeutet mehr Bürokratie.
({17})
Deswegen sind wir für eine behutsame Weiterführung der von uns eingeleiteten Modernisierung, Herr
Zumkley.
({18})
Sie sollten sich einmal erinnern, wie damals unter Beteiligung des Parlaments vorgegangen worden ist: Zu Beginn gab es eine umfangreiche Liste des Ministeriums
über Standorte, die möglicherweise geschlossen werden
sollen. Im Parlament gab es eine intensive Diskussion und
hinterher die Entscheidung des Ministers.
({19})
- Selbstverständlich auch unter Einbeziehung der Länder.
Denn einige Länder sind aufgrund hoher Standortzahlen
besonders betroffen.
Wie läuft es diesmal? Diesmal gibt es Listen, die keiner kennt und die keiner gesehen haben will. Es gibt
Gerüchte sowie hier und da eine Entscheidung. Aber es
gibt in keinem Falle Gewissheit für die Beteiligten und
keine klaren Aussagen, was die Zukunft der jeweiligen
Standorte bzw. der jeweiligen Einheit betrifft.
({20})
Ich habe das, bezogen auf die Heeresflieger bzw. auf
Schleswig-Holstein, ziemlich eindeutig dargelegt.
Wir haben also im Bereich der Bundeswehr erstens sinkende Finanzplanzahlen. Wir haben zweitens sinkende
Beschaffungsmittel. Drittens sind Modernisierungsmittel
nicht vorhanden. Der Minister selber hat noch vor einiger
Zeit in Bezug auf die Beschaffungsmaßnahmen der
nächsten Jahre von einer Lücke von 15 Milliarden DM gesprochen. Die so genannte Reform ist nicht finanziert.
Haushalt und Konzepte stimmen trotz pausenloser Besprechungen, Papiere und Privatisierungstreffen und dergleichen nicht überein. Die Zusammenarbeit mit der
Wirtschaft läuft schlechter, sie wird scheitern. Die
Personalplanung und die Konzepte stimmen ebenfalls
nicht überein. Ein Beispiel dafür sind noch einmal 10 000
Wehrpflichtige weniger im nächsten Jahr. Der Export
wird eingeschränkt, sodass die Unternehmen auch daraus
keinen Honig für die weitere Entwicklung werden saugen
können. Im Jahre 1999 sah das noch ein wenig anders aus.
Deswegen sagen wir: Ohne zusätzliche Mittel kommt
die Bundeswehr nicht zurecht. Wir haben Vorschläge dazu
vorbereitet und werden in den Haushaltsberatungen dafür
sorgen, dass die Bundeswehr zumindest das Niveau des
Jahres 1998 wieder erreichen wird. Das heißt, wir brauchen 47 Milliarden DM; denn ohne dieses Geld können
Sie eine Reform, die zunächst einmal mehr kostet, nicht
bewältigen.
Wir werden sehen, welche Position Sie bei den Standorten haben; wir werden sehen, wie Sie sich bei den Entscheidungen über die Anträge, die wir vorlegen, um die
Bundeswehr in ein sicheres Fahrwasser zu bringen, verhalten werden.
Herzlichen Dank.
({21})
Es spricht jetzt der
Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten
Sie zunächst eine Vormerkung. Es ist inzwischen zu einem Ritual der Opposition geworden, den Grünen bei
verteidigungspolitischen Debatten Positionen von vor
vier Jahren vorzuhalten.
({0})
Sie verkennen dabei zweierlei. Sie verkennen erstens,
dass wir als Partei und Fraktion gerade im Zusammenhang mit den Kriegen auf dem Balkan schmerzhafte Erfahrungs- und Lernprozesse durchgemacht haben. Ich
weiß nicht, was daran verwerflich ist. Im Gegenteil: Solche Erfahrungsprozesse durchzumachen und darüber
auch mit vollem Risiko in der Öffentlichkeit zu diskutieren, ist für die Politik in der Demokratie ehrenwert.
({1})
Sie verkennen zweitens völlig und haben es offensichtlich auch nicht zur Kenntnis genommen, dass die
Bundesdelegiertenversammlung der Grünen in Münster
vor einigen Monaten eine klare Neubestimmung der grünen Partei zur Bundeswehr in der Friedens- und Sicherheitspolitik vorgenommen hat.
Ich komme jetzt zur Sache. Vor kaum vier Monaten
legte die Wehrstrukturkommission unter Richard von
Weizsäcker ihren Bericht vor, der wegen seiner Gründlichkeit allseits gelobt wurde. Ich habe allerdings den Eindruck, dass wir zu sehr beim Lob des Berichts stehen bleiben und ihn in der realen Diskussion viel zu wenig
berücksichtigen. Es bleibt aber dabei, was damals gesagt
wurde: dass dieser Bericht weiterhin eine Messlatte für
eine gründliche Bundeswehrreform ist.
({2})
Vor drei Monaten beschloss das Bundeskabinett die
vom Verteidigungsminister vorgelegten Eckpfeiler für
eine gründliche Bundeswehrreform. Dieser Kabinettsbeschluss über die Eckpfeiler gilt nun.
In den letzten Monaten war die Exekutive beim Anschieben der Bundeswehrreform eindeutig bestimmend.
In den nächsten Wochen und Monaten kommt es ganz entscheidend darauf an, dass auch das Parlament seinen soliden Beitrag zur Bundeswehrreform leistet und diese
Chance nicht durch bestimmte Arten von Debatten, wie
sie heute zum Teil wieder geführt wurden, kaputt macht.
({3})
Die Einhaltung der mittelfristigen Finanzplanung auch
durch den Einzelplan 14 ist unumgänglich. Alles andere
würde eine Bresche in das Konsolidierungsprogramm
schlagen und es praktisch zum Einsturz bringen. Aber,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich erinnere mich noch sehr deutlich: Ich hatte in der vergangenen Legislaturperiode als neuer Parlamentarier tatsächlich die Erwartung, Konservative würden vernünftig und
solide mit Geld umgehen und könnten solide planen. Es
war für mich eine völlig neue Erkenntnis, welche Halbwertzeiten, welche Verfallsdaten bei den von Ihnen
aufgestellten Bundeswehrplänen bestanden.
({4})
Die Kritik, die Sie an der Bundeswehrplanung der neuen
Regierung vorbringen, ist reichlich überzogen und aufgeblasen. Die angegebenen Daten spiegeln wider, dass die
Planung für die Bundeswehrreform äußerst ehrgeizig ist.
Aus unserer und - so glaube ich - auch aus der Sicht aller
ist nur zu wünschen, dass dabei die Gründlichkeit nicht zu
kurz kommt.
Wir begrüßen ausdrücklich die Zusammenführung vieler bisher bei den Teilstreitkräften angesiedelter Aufgaben
bei der neuen Streitkräftebasis. Damit können eine erhebliche Effektivitätssteigerung und Rationalisierungseffekte erzielt werden. Wir begrüßen die Neuordnung der
Laufbahngruppen und die geplanten Attraktivitätssteigerungen. Sie sind notwendig, um eine qualitativ gute Rekrutierung der Bundeswehr zu gewährleisten. Diese ist
wirklich unverzichtbar.
Das Bundeskabinett beschloss im Juni dieses Jahres,
an der Wehrpflicht festzuhalten. Der Beschluss der Bundesregierung steht damit und gilt zumindest für diese
Legislaturperiode.
({5})
- So ist das immer. Nichtsdestoweniger bleibt dieses
Thema natürlich auf der Tagesordnung der öffentlichen
Diskussion. Die Verkürzung des Wehrdienstes von zehn
auf neun Monate, die Flexibilisierung des Wehrdienstes
und schließlich auch die Tatsache, dass nicht alle verfügbaren Wehrpflichtigen eingezogen werden können,
({6})
laufen de facto auf eine gewisse Schrumpfung der Wehrpflicht hinaus. Wir müssen jedoch sehr darauf aufpassen,
dass es bei dieser Neugestaltung der Wehrpflicht nicht zu
neuen Wehr- und Dienstungerechtigkeiten oder Ungleichbehandlungen zwischen den Betroffenen kommt.
({7})
Die F.D.P. - Sie haben gerade dazwischengerufen; daher komme ich direkt auf die F.D.P. zu sprechen - wird am
kommenden Wochenende das Thema „Wehrpflicht“ behandeln.
({8})
Wir verfolgen - dies kann ich offen sagen - Ihre Diskussion natürlich mit großem Interesse. Allerdings drängt
sich bei uns der Eindruck auf, dass es den Betreibern dieser Diskussion, insbesondere Herrn Möllemann,
({9})
vor allem darum geht, ihr parteipolitisches Image zu
schärfen und diese Diskussion für den innerparteilichen
Machtkampf zu nutzen. Für Sie, Kollege Nolting und
Kollege van Essen, wird sich wahrscheinlich in der nächsten Woche die Frage stellen, inwieweit Sie in verteidigungspolitischen Fragen für Ihre Fraktion und für Ihre
Partei noch glaubwürdig sprechen können.
({10})
In grundlegenden Fragen - das ist hier bisher noch fast
gar nicht angesprochen worden - besteht weitgehend
Konsens. Die PDS steht eindeutig dagegen; aber im Übrigen besteht Konsens hinsichtlich der Forderung, die Zahl
der Einsatzkräfte deutlich zu erhöhen. Auch - das wird die
PDS möglicherweise überraschen - die Friedensforschungsinstitute sagen in ihrem Friedensgutachten: Wir
brauchen eine erhebliche Steigerung der Zahl der Einsatzkräfte. Mit der besagten Ausnahme besteht auch Konsens darüber, dass daraus eine entsprechende Modernisierung vor allem der militärischen Fähigkeiten Führung,
Aufklärung, Transport usw. resultiert. Dies ergibt sich
zwingend aus den Anforderungen des Dauereinsatzes in
Bosnien und im Kosovo. Die PDS schleicht um diese
Konsequenz ständig und notorisch herum. Dieser Herausforderung stellt sie sich nicht. Dies resultiert ferner aus
den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik,
einschließlich der in Kap. VII der Charta der Vereinten
Nationen. Auch dies wird von der PDS gerne vergessen.
Wir sollten uns dabei nichts vormachen. Mit dieser
strukturellen und ausrüstungsmäßigen Modernisierung
schaffen wir zugleich eine umfassende militärische
Interventionsfähigkeit. Im Unterschied zu manchen
NATO-Partnern fühlen sich die Fraktionen dieses Hauses,
die Bundesregierung und auch die militärische Führung
- so habe ich das in der Vergangenheit bis heute erlebt einer Politik der militärischen Zurückhaltung eindeutig
verpflichtet.
({11})
Aber wer kann garantieren, was mit der modernisierten
Bundeswehr, mit der objektiv interventionsfähigen Bundeswehr
({12})
in zehn Jahren usw. von anderen politisch Maßgebenden
gemacht wird? Das ist ein Problem, bei dem wir nicht
wegsehen dürfen.
({13})
- Kollege Rossmanith, Sie haben es, glaube ich, noch
nicht verstanden.
Deshalb kommt es ganz entscheidend darauf an, dass
wir in Politik und Gesellschaft eine Diskussion und Verständigung über bestimmte Schlüsselfragen erreichen.
Erstens - auch das ist heute nur kurz angedeutet worden, gestern in der Debatte zum Einzelplan 05 schon etwas mehr -: Welche Rolle will und soll das gewachsene
Deutschland in der internationalen Politik spielen? Da
gibt es oft eine erhebliche Diskrepanz zwischen äußeren
Erwartungen und der Binnenwahrnehmung bei uns.
Zweitens. An welche Werte und Interessen soll bzw.
muss ein auswärtiger Einsatz der Bundeswehr im Rahmen
der Krisenbewältigung gebunden werden? Da gibt es
bisher in der Diskussion noch sehr viel Unklarheit etwa
über die sehr unscharfen Begriffe der humanitären Intervention oder der Verteidigung von vitalen Interessen. Da
gibt es sehr viel Unklarheit und sehr viel Klärungsbedarf,
und zwar nicht nur in den kleinen sicherheitspolitischen
Zirkeln. Da kann man sich vielleicht noch relativ schnell
einigen - oder auch nicht. Es gibt sehr unterschiedliche
Tendenzen. Ich sagte ja: Hier geht es um eine breite Verständigung, die in der Politik und in der Gesellschaft zustande gebracht weren muss.
Eine dritte Schlüsselfrage: Was kann denn Militär zur
Krisenbewältigung konkret beitragen? Wir sehen es an
der positiven Antwort jetzt im Kosovo, in Bosnien usw.
({14})
Der Kosovo-Luftkrieg aber hat uns zugleich gezeigt, dass
es erhebliche Fragen gibt. Wer von Ihnen in der Sommerpause die BBC-Dokumentation zum Kosovo-Luftkrieg
gesehen hat, dem haben sich noch sehr viel mehr Fragen
gestellt. Auch dies müssen wir noch genauer diskutieren,
um zu einer breiteren Verständigung zu kommen.
Minister Scharping bekräftigte vorhin in seiner Rede
die Einbettung der Bundeswehrreform in ein Konzept gemeinsamer Sicherheit und er betonte den Vorrang des
präventiven Einsatzes in der Sicherheitspolitik. Die Koalition wird in den nächsten Wochen und Monaten unter
Beweis stellen, dass das für uns eben kein Anspruch in
Sonntagsreden ist, sondern dass wir das in die Tat umsetzen wollen.
({15})
Nächster Redner für
die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Kurt Rossmanith.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Scharping hat ja heute wieder in gesetzten Worten eine Reform angekündigt oder dargestellt, von der wir,
wenn wir das Dokument betrachten, über das wir heute
diskutieren, nämlich den Haushaltsentwurf 2001 für den
Bundesminister der Verteidigung, den Einzelplan 14, feststellen müssen, dass es sich in der Tat nur um ein riesengroßes Experiment mit einer Vielzahl von Unbekannten
und auch mit einigen äußerst kühnen Annahmen handelt.
Die von Ihnen, Herr Bundesminister Scharping, verordnete Methode „Hungerkur und Vertrauen auf Selbstheilung“ ist nämlich angesichts des Ziels, moderne und leistungsfähige Streitkräfte aufzubauen, von vornherein zum
Scheitern verurteilt. Das hat diese Debatte deutlich gemacht; insbesondere die Redebeiträge der Vertreter der
Koalitionsfraktionen haben dies aufgezeigt.
Ich glaube, dass ohne die Bereitschaft zu einer massiven Anfangsinvestition die im Grunde guten Schlagworte „Interne Optimierung“ und „Rationalisierung“ einen sehr zynischen Beigeschmack erhalten. Auch wir von
der CDU/CSU waren immer der Ansicht, dass durch Rationalisierung und betriebsinterne Maßnahmen, durch
sinnvolle Privatisierung und auch entsprechende Zusammenarbeit mit der Wirtschaft durchaus signifikante Einsparpotenziale zu gewinnen sind. Dies haben wir durch
die Einführung der Kosten-Leistungs-Verantwortung und
des Market-Testing-Verfahrens in der Bundeswehr auch
unter Beweis gestellt. Wir unterstützen Sie, wenn Sie dies
entsprechend weiterentwickeln. Aber - ich betone es noch
einmal - ohne Anfangsinvestition ähnelt dieses Unternehmen eher einem schlecht eingeschenkten Hefeweizen:
viel Schaum, aber nur sehr wenig gegen den Durst.
Wie wenig bleibt, zeigt allein der Blick auf einige
Großvorhaben in der Verteidigungstechnik wie den Eurofighter oder den NH 90, die aus heutiger Sicht bereits
den überwiegenden Teil der für Beschaffung vorgesehenen Mittel binden. Für die sicherlich unbestritten notwendige Anschaffung des Nachfolgemodells des Transportflugzeuges Transall bleibt keine müde Mark. Da aber sind
Sie ehrlich; denn dies haben Sie im Haushalt 2001 festgeschrieben. Dafür ist nämlich keine einzige Mark, noch
nicht einmal ein Pfennig angesetzt.
({0})
Wenn dies aber so ist, können Sie hier nicht sagen: Wir
stehen dazu, wir wollen diese Großvorhaben in Zukunft
der Bundeswehr zuführen.
({1})
Aber wir brauchen gar nicht über Planungen zu reden.
Auch für die Dinge, für die die Rechnung bereits auf dem
Tisch liegt, wie die absehbaren finanziellen Auswirkungen der Einkommensverbesserungen für Arbeitnehmer der Bundeswehr, ist im Haushalt keine ausreichende
Finanzvorsorge getroffen worden. Auch hier wird die
Bundeswehr auf die neue Scharping-Diät - vielleicht
sollte man besser sagen: Eichel-Diät - gesetzt.
Man muss es einmal sagen: Eichel ist „Hans im
Glück“; denn - das hat der Kollege Glos heute Morgen
schon dargestellt - diese Regierung fährt nun das ein, was
wir gesät haben. Er erweist sich aber nicht als „Hans im
Glück“, sondern als „Geizhans“, insbesondere wenn es
um den Bereich der Verteidigung geht.
({2})
Die Haushaltsrisiken sind enorm, lieber Kollege
Zumkley; ich will gar nicht näher darauf eingehen. Aber
da Ihr haushaltspolitischer Sprecher anwesend ist
({3})
- ja, ich respektiere das, lieber Kollege Wagner -, möchte
ich sagen: Es ist ein einmaliger Vorgang - ich bin jetzt immerhin 20 Jahre Mitglied des Parlaments und damit auch
Mitglied des Haushalts- und des Verteidigungsausschusses -, dass wir für den Einzelplan 14 einen Haushalt ohne
entsprechende Erläuterungen vorgelegt bekommen. Die
konnten wir sonst in der Regel schon abholen, bevor wir
den Haushaltsentwurf gedruckt in Händen hatten. Dadurch war eine vernünftige Arbeit möglich; denn so
konnte man vorbereitet in die erste Lesung des Haushalts
gehen und bei den Beratungen im Haushalts- und
Verteidigungsausschuss entsprechend agieren. Das ist
noch nicht einmal vorgelegt worden.
Ich würde die Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen schon bitten, dass Sie sich nicht nur als
Zustimmungsorgan sehen, sondern dass Sie die Aufgabe
mit wahrnehmen, die auch Sie haben - das ist nicht nur
die Opposition -, nämlich dass Sie die Regierung kontrollieren und, wo erforderlich, auch korrigieren. Gerade
beim Einzelplan 14 ist das bitter notwendig.
({4})
Sie haben Besoldungsstrukturverbesserungen angekündigt. Ich frage mich nur: Womit? Es gibt bis zu
60 000 zivile Mitarbeiter, mehrere zehntausend Soldaten,
auf die das zutrifft. Dazu kommt die notwendige Bereinigung der Überalterung im Personalbestand unserer Soldaten. Dafür stellen Sie keine Mittel bereit und treffen
keine Vorsorge. Sie sehen dafür im Einzelplan 14 nichts
vor.
Wenn die enormen Kosten, die solche Maßnahmen
zweifellos mit sich bringen, von Ihnen nicht ernst genommen werden und wenn die Mittel dafür noch aus dem Einzelplan selber erwirtschaftet werden sollen, dann bedeutet dies, dass das Geld an anderer Stelle, wo Sie ebenfalls
nichts haben, radikal eingespart werden muss.
Ich würde dieses System gerne einmal näher kennen
lernen; denn es ist interessant, wie man mit nichts alles beschafft und sogar noch einige Einsparungen vornimmt.
Das ist natürlich eine Rechnung, bei der ich sagen muss,
dass dafür die Grundrechenarten mit Sicherheit nicht ausreichen. Adam Riese würde sich im Grabe herumdrehen,
wenn er diese Rechenkünste präsentiert bekommen
würde.
Also ist Scharping auch ein Zauberkünstler. Vielleicht
sind noch einige andere Dinge in dem Paket mit enthalten.
Ich glaube, dass ich mich nicht sehr ungebührlich ausdrücke, wenn ich von Mogelpackungen spreche.
Ich komme zu den Erlösen aus dem Verkauf von Infrastruktur- und Rüstungsmaterial. Lieber Kollege
Zumkley, wem wollen Sie denn noch etwas verkaufen,
selbst für den Fall, dass wir noch etwas hätten?
({5})
- Das ist richtig. Aber wir reden jetzt über den Haushalt.
Überzeugen ist die eine Sache, aber Verkaufen eine andere. Sie haben davon gesprochen, dass Sie Unmengen
von Geld durch den Verkauf von Material, das die Bundeswehr nicht mehr benötigt, bekommen und dass Sie
auch noch Grundstücke in großer Anzahl zur Verfügung
haben.
({6})
Ich hoffe, dass die Grünen ihren Lernprozess, lieber
Kollege Nachtwei, fortsetzen werden, was den Export
und die Angleichung unserer Bestimmungen an europäische Verfahren anbetrifft. Denn im Moment ist es so:
Bundesminister Scharping kann gewillt sein, etwas zu
verkaufen. Aber der grüne Koalitionspartner lässt sofort
die Sicherheitssperre hochschnellen,
({7})
sodass Minister Scharping gestoppt wird. Das ist doch die
Realität. Wir können nicht so tun, als wenn es das nicht
gäbe.
Also, lieber Kollege Nachtwei, für die Grünen ist ein
weiterer Lernprozess angesagt. Wir geben Ihnen gerne
Argumentationshilfen mit, damit Sie dies in Ihren Parteigremien entsprechend umsetzen können. Wir freuen uns
schon. Darüber steht schon etwas in der Bibel. Nein, ich
sage das jetzt nicht. Es ist heute schon so viel aus der Bibel zitiert worden, etwa dass ein Sünder, der umkehrt, besser als 1 000 Gerechte ist. Sie kennen das.
({8})
Sie, lieber Kollege Nachtwei, und Ihre Fraktion werden also diesen Erkenntnisweg weiter beschreiten. Das ist
natürlich auch für die Exporte ganz wichtig.
Nicht nur Munition, sondern auch Gerät benötigt ein
bestimmter NATO-Partner, der über ein halbes Jahrhundert hinweg gemeinsam mit uns und für uns für Sicherheit
und Freiheit in Europa, insbesondere auch in Zentraleuropa und in der Bundesrepublik Deutschland, gesorgt und
seinen Beitrag dazu geleistet hat, dass die Teilung Europas und insbesondere unseres deutschen Vaterlandes
überwunden werden konnte. Diesen jetzt als zweit- oder
drittrangig hinzustellen, das ist der Bundesrepublik
Deutschland und der Bundesregierung nicht würdig.
({9})
Man muss das Ganze auch unter dem Gesichtspunkt
sehen - damit komme ich zum Schluss meiner Ausführungen -, dass alle Ablenkungsmanöver, die gefahren
wurden und gefahren werden - ich spreche nicht nur die
Türkei an, sondern alle unsere Partner -, natürlich eine
sehr enttäuschende Tatsache verdeutlichen: dass Deutschland seine Verteidigungsaufwendungen jetzt und in den
kommenden Jahren drastisch kürzt, obwohl gegenüber
den NATO-Partnern und gegenüber der Europäischen
Union wohlklingende und vollmundige Versprechungen
gemacht wurden.
Herr Kollege
Rossmanith, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich habe das bereits angekündigt, Frau Präsidentin.
({0})
Die Ankündigung allein reicht nicht.
Herr Bundesminister Scharping, mit diesem Haushalt gehen Sie auf
Crashkurs in Bezug auf die Bundeswehr und die sicherheitspolitische Zuverlässigkeit Deutschlands. Wir werden
das in den Ausschussberatungen so nicht hinnehmen, sondern wir werden Sie mit Anträgen konfrontieren.
Ich darf noch einmal meine eingangs geäußerte Bitte
wiederholen: Kontrollieren auch Sie von den Koalitionsfraktionen die Regierung.
({0})
Korrigieren Sie sie dort, wo im Entwurf der Regierung ein
falsches Haushaltswerk vorgelegt wird. Das gilt insbesondere für den Einzelplan 14.
({1})
Der letzte Redner dieser Debatte ist der Kollege Manfred Opel für die SPDFraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über die Bundeswehr. Die Bundeswehr ist
der größte Personalkörper des Bundes, weit über 100 000
Menschen gehen durch die Bundeswehr jedes Jahr hindurch. Das heißt, wir haben eine besondere Verantwortung für einen großen Teil unseres Volkes, für einen Teil
- darin unterscheidet sich die Mehrheit von uns von einem
kleinen Teil unseres Hauses -, der Frieden schaffen will
in einer unfriedlichen Welt.
Ich möchte als Erstes Ihnen, Frau Lippmann, sagen:
Wenn Sie UN-Gewalt einfordern, fordern Sie auch militärische UN-Gewalt ein. Dann müssen Sie die Fragen
beantworten: Wie wollen Sie UN-Streitkräfte ausrüsten?
Wer soll sie kommandieren? Wie können wir Einfluss
nehmen? Wie möchten Sie das tun? Diese Fragen haben
Sie alle nicht beantwortet. Deswegen ist das, was Sie hier
so friedliebend sagen, ein Trugbild, das Sie den Menschen
vorgaukeln und das in Wirklichkeit nicht besteht.
({0})
Unsere Armee ist eine Friedensarmee. Das gilt für alle
Partner - auch die Russen in Jugoslawien. Dieses bringt
mich zu der großen Aufgabe, die wir heute haben. Drei
Komponenten sind zu nennen. Die eine ist, dass wir einen
neuen Auftrag haben. Die Bundeswehr ist in erster Linie
eine Bündnisarmee geworden. Die Landesverteidigung
ist heute Teil dieser Bündnisverteidigung. Wir sind kein
Frontstaat mehr. Wir haben das Glück, dass wir, indem
wir die Partner an der Peripherie unterstützen, den Frieden unseres Landes sichern, ohne Kampfzone zu sein.
Hierfür müssen wir dankbar sein. Deswegen müssen wir
die Bundeswehr umstrukturieren.
Das Zweite ist, dass wir einen Konsolidierungsbeitrag leisten müssen. Heute ist in der Debatte viel darüber
gesagt worden. Ich und der Minister sicherlich mehr als
jeder andere würden es sehr gern sehen, wenn wir diesen
Konsolidierungsbeitrag nicht leisten müssten. Aber die
politischen Prioritäten zwingen uns alle dazu und unsere
Bundeswehr versteht das.
Letztlich - da schließt sich der Kreis -: Unsere Bundeswehr muss mit bis zu 10 000 Soldatinnen und Soldaten im Kosovo zum Frieden beitragen. Das ist eine Zahl,
die wir nie für möglich gehalten haben. Vorgesehen waren von der Vorgängerregierung gerade einmal 3 600 Soldaten. Es ist eine gewaltige Aufgabe, vor der wir stehen.
Wir müssen Sie gemeinsam lösen, und zwar gleichzeitig
mit anderen.
Dieser neue Auftrag, der die neue Struktur erzwingt,
wird im Moment geistig durchdrungen - schneller als
gedacht. Ich erinnere daran, dass wir den Kommissionsbericht Ende dieses Jahres erwartet haben. Es ist der
Weizsäcker-Kommission zu danken, dass sie dieses schon
vor der Sommerpause gemacht hat. Das ist eine riesige
Leistung. Ich möchte aber an eines erinnern, Herr Kollege
Breuer: Wir haben dieses auf der Basis einer umfassenden, zweiteiligen Bestandsaufnahme des Generalinspekteurs gemacht. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie dieser Bestandsaufnahme widersprochen hätten.
({1})
- Doch, Sie haben sie in zwei Teilen vom Minister bekommen; er hat sie jedem zur Verfügung gestellt.
({2})
Sie ist auf Anforderung auch in Zehntausenden von
Exemplaren vom Verteidigungsminister verschickt worden. Das heißt, unsere Bevölkerung und die Bundeswehr
konnten an dieser Bestandsaufnahme Anteil nehmen.
Alles, was wir heute diskutieren, ist logischer Ausfluss
dieser Bestandsaufnahme. Es ist nichts, was der Minister
in internen Klausuren mal eben so gemacht hätte, sondern
die Fakten zwingen dazu.
Ich möchte den Chefredakteur der Zeitschrift des Bundeswehr-Verbandes zitieren:
...der Zug „Zukunft Bundeswehr“ hat mit atemberaubendem Tempo Fahrt aufgenommen.
Natürlich ist es bei einem solchen Tempo schwierig, jedes
Detail umfassend und genau durchzuplanen; da muss
nachgesteuert werden. Aber wir haben keine andere
Chance, da die Zeit abgelaufen ist. Ich erinnere daran,
Herr Breuer, dass gerade wir Sozialdemokraten die Vorgängerregierung mehrfach gebeten haben, eine Wehrstrukturkommission einzurichten. Sie haben es immer
abgelehnt. Deswegen ist es ehrlich und redlich, dem
Minister dafür zu danken, dass er sehr schnell gehandelt
hat.
({3})
- Herr Breuer, das wissen Sie ganz genau.
({4})
- Sie haben Recht, Herr Nolting, wir haben von einer parlamentarischen Kommission gesprochen. Das war unser
Ansatz; das ist unbestritten.
({5})
Aber wir haben den Minister darin unterstützt, dass er Militär und Politik, auch das Parlament zunächst draußen
hielt, um den Streit draußen zu halten. Dieser Ansatz war
für uns tragfähig. Es hat sich erwiesen, dass dies ein solider Ansatz war. Deswegen unterstützen wir ihn.
Diese riesige Aufgabe der Bundeswehr ist natürlich
sehr schwierig zu erfüllen. Herr Kollege Rossmanith, der
Minister wollte uns die Erläuterungen Ende Juli zur Verfügung stellen. Es ging nicht, weil wir genau zu diesem
Thema eine Klausur machen mussten und der neue Generalinspekteur diese Klausur vorbereiten musste. Wo haben
Sie denn je einen Minister gesehen, der das getan hätte?
Ich erinnere mich an den letzten Bundeswehrplan, den es
vor etlichen Jahren gab. Als wir ihn im Verteidigungsausschuss bekamen, war er bereits Makulatur. Das haben Sie
sogar selbst zugegeben. Deswegen ist es richtig, dass der
Minister so handelt, wie er es tut. Er muss von uns dasselbe fordern, was er von sich selbst fordert, nämlich in
atemberaubendem Tempo durch diese Beratungen zu gehen. Da müssen wir eben konzentriert arbeiten.
Sie haben kritisiert, dass die Mittel für das wirklich
wichtige mittlere Transportflugzeug der Zukunft nicht
im Haushalt stünden.
({6})
- Es ist mit einer Leerzeile im Haushalt.
({7})
- Verehrter Herr Breuer, vielleicht verstehen Sie nicht so
viel vom Haushaltsrecht. Das Problem ist nämlich, dass
Sie gar nichts in den Haushalt aufnehmen dürfen, wenn
Sie kein konsolidiertes Industrieangebot haben. Da ein
solches Angebot nicht vorliegt, können Sie keine Zahlen
in den Haushalt schreiben, selbst wenn Sie wollten.
({8})
Außerdem ist dies für den Haushalt 2001 völlig irrelevant. Das erste Geld wird dafür ab 2004 ausgegeben. Der
Minister hat noch drei Jahre Zeit, das in den Haushalt einzustellen. Das wird er tun. Aber die Leerzeile hat er jetzt
schon eingebracht, um vorsorglich zum Ausdruck zu bringen, dass er dieses Flugzeug will. Wir werden diese Anschaffung auch bewerkstelligen.
Ein Weiteres kommt hinzu - ich will nur daran erinnern -: Gucken Sie einmal in die alten Haushalte, dann
werden Sie in ihnen eine Leerzeile für „EFA“, den Eurofighter, finden. Wenn wir solche Behauptungen aufstellen, sollten wir also bitte ehrlich bleiben.
Zum Haushalt möchte ich nur noch eine einzige Aussage machen, weil hier sehr nebulös vom Kollegen
Austermann zitiert wurde.
({9})
- Er hat es versucht, ist aber leider gescheitert.
Wir haben nach dem, was uns die Bundesregierung
vorgelegt hat, im Einzelplan 14 Einnahmen in Höhe von
etwa 450 Millionen DM. In diesen Einnahmen ist kein
einziger Pfennig für das enthalten, was der Minister als
seine Perspektive dargelegt hat. Herr Kollege Zumkley
hat klar gesagt, dass das zusätzlich ist. Bitte bleiben Sie
also bei den Tatsachen. Die Bundeswehr ist solide finanziert und wird es auch in Zukunft bleiben.
({10})
Ich will nicht so sehr zurückschauen, sondern möchte
nach vorne schauen. Der Minister hat schon darauf hingewiesen, dass etwa 6 Milliarden DM durch Haushaltsmaßnahmen reduziert wurden. Wenn man in Haushalte
guckt, tut man gut daran, Ist und Soll zu vergleichen. Ich
erinnere nochmals daran, dass allein in den 90er-Jahren
der Unterschied zwischen dem reduzierten Soll und dem
Ist, also den tatsächlichen Ausgaben, etwa 1,5 Milliarden DM betrug. Sie haben 1,5 Milliarden DM von dem
Geld, das Ihnen der Bund bzw. dieses Parlament zur Verfügung gestellt hat, gar nicht ausgegeben. Ganz anders der
Herr Minister: Im letzten Jahr hat er das Geld bis auf den
letzten Pfennig ausgegeben und tatsächlich dafür gesorgt,
dass die Bundeswehr das bekam, was sie brauchte.
Verehrter Herr Kollege Breuer, wenn Sie einen Moment aufmerksam sind: Sie sagten, Sie würden dazu beitragen, dass vor Ort nicht verunsichert werde. Ich will Ihnen vorhalten, was in der „Schleswig-Holsteinischen
Landeszeitung“ über Ihre Aussage auf einer Veranstaltung
in Schleswig stand:
Paul Breuer machte deutlich, dass man vor dem Hintergrund leerer Kassen und eines geänderten sicherheitspolitischen Umfeldes reagieren müsse. Er
warnte aber davor, den Fall des „Eisernen Vorhangs“
mit einer Reduzierung des Bedrohungspotenzials
gleichzusetzen.
Sehr bemerkenswert! Dann geht es weiter:
Deshalb laute die CDU-Forderung: 300 000 Berufsbzw. Zeitsoldaten und 100 000 Wehrpflichtige.
({11})
- Das steht aber hier. Sie haben nie widersprochen! Das
würde pro Jahr 10 bis 12 Milliarden DM an Mehrausgaben bedeuten, wenn Sie das hochrechnen. Das kann doch
nicht wirklich Ihre Meinung sein.
({12})
Wir haben ein Programm und das werden wir an den
Standorten auch durchziehen. Ich appelliere an Sie, mitzumachen. Wenn wir diesen schwierigen Personalumbau, insbesondere bei den zivilen Mitarbeitern, die den
Aufbau der Bundeswehr mitgetragen haben, gemeinsam
weiterführen wollen, müssen wir sowohl tarifliche wie
gesetzliche Regelungen schaffen. Diese werden in der
heutigen Finanzsituation möglicherweise draußen nicht
verstanden werden können. Dennoch müssen wir es tun,
da es billiger, zweckdienlicher und besser ist. Ich appelliere an das ganze Haus mitzutragen, dass die Bundeswehr
modern wird. Wir haben heute schon erhebliche Überhänge, die abgebaut werden müssen. Wir brauchen solche
Regelungen, die es uns ermöglichen, schneller eine wirklich bessere Bundeswehr hinzubekommen.
Wir müssen vor Ort Verständnis wecken. Es ist unglaublich, was teilweise geschieht: Dem Minister werden
von betroffenen Bürgermeistern Briefe geschrieben, die
Bundeswehr solle vor Ort bleiben.
Herr Kollege, würden
Sie bitte zum Schluss kommen.
Hinter vorgehaltener Hand wird
das Grundstück, auf welchem die Kaserne gebaut ist, zivilen Investoren angeboten. Ich appelliere an die Bürgermeister und Gemeinderäte: Wenn Sie die Bundeswehr haben wollen, sagen Sie das offen und ehrlich; sagen Sie es
aber auch ehrlich, wenn Sie Grundstücke veräußern wollen, damit der Herr Minister so reagieren kann, dass wir
bei der Ehrlichkeit bleiben können.
Vielen Dank.
({0})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Verteidigung liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, das heißt zum Einzelplan 23.
Zur Einführung in den Einzelplan 23 erteile ich der
Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit die Debatte
schnell anlaufen kann, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die den Raum verlassen wollen, dies recht schnell
zu tun, damit wir in der Debatte fortfahren können und die
Ministerin die entsprechende Aufmerksamkeit bekommt.
Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen ist der
Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen mit einer
Schlusserklärung von 150 Staats- und Regierungschefs zu
Ende gegangen, in der diese ihre Verpflichtungen für das
neue Jahrhundert verankert haben.
Ich möchte an dieser Stelle dem UN-Generalsekretär
Kofi Annan herzlich für das danken, was an Vorbereitung
geleistet worden ist. Auf dieser Konferenz ist deutlich geworden, dass die Vereinten Nationen für die gleichberechtigte Gestaltung der Welt mit Blick auf die Entwicklungsländer eine hohe Bedeutung haben. Ein herzliches
Dankeschön an ihn, dass er diese Arbeit geleistet hat.
({0})
Auf dieser Konferenz haben sich mehr als 150 Staatsund Regierungschefs auf die wichtigsten entwicklungspolitischen Zielsetzungen festgelegt: Sie wollen dazu beitragen, die seit 1996 gefassten Beschlüsse der internationalen Gremien umzusetzen, nämlich den Anteil der
Weltbevölkerung, der täglich mit weniger als 1 US-Dollar
auskommen muss, bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Das
betrifft 1,2 Milliarden Menschen.
Ich erinnere daran: Noch immer lebt jeder fünfte
Mensch in extremer Armut. 800 Millionen Menschen leiden an Unterernährung. Weltweit sterben jedes Jahr mehr
Menschen an verschmutztem Trinkwasser, als eine Stadt
wie Berlin Einwohnerinnen und Einwohner hat. Diese
Zahlen muss man sich immer wieder vor Augen halten.
Zu den Zielen - ich greife jetzt nur diese zwei heraus gehören: Alle Kinder dieser Welt sollen bis zum 14. Lebensjahr in die Schule gehen können. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen: Bundeskanzler Schröder hat
am Rande des Millenniumsgipfels zwei Zusatzprotokolle
zur UN-Kinderkonvention unterzeichnet. Das ist ein
wichtiger Fortschritt für die Kinder dieser Welt, die nicht
mehr als Kindersoldaten missbraucht werden dürfen und
denen die internationale Gemeinschaft mit dieser Konvention entsprechenden Schutz zusagt.
({1})
Wichtiger aber ist die Frage: Wie geht es weiter? Jedes
Land und alle internationalen Institutionen sollten aus
meiner Sicht bis zum Jahre 2015 einen Aktionsplan zur
Umsetzung der genannten Ziele vorlegen. Dieser muss
auch Richtschnur für die Konferenzen im nächsten Jahr
sein.
Aus aktuellen Gründen möchte ich mich an dieser
Stelle - wir haben heute immer wieder die erhöhten Erdölpreise diskutiert - an die OPEC-Staaten wenden. Der
Erdölpreis hat sich seit 1998 verdreifacht. Damit verfügen
die OPEC-Staaten heute über tägliche Einnahmen von
900 Millionen US-Dollar. Ich fordere deshalb die OPECStaaten auf, sich im Sinne der Beschlüsse des Millenniumsgipfels finanziell für die Bekämpfung der Armut in
den Entwicklungsländern zu engagieren, sodass ein Teil
ihres zusätzlichen Einkommens den ärmsten Erdöl importierenden Entwicklungsländern zugute kommt.
({2})
Manche Entwicklungsländer - das hatte ich bereits in
der Afrikadebatte ausgeführt; ich werde das auch auf der
kommenden Weltbankkonferenz in Prag zum Thema machen - sind in eine teuflische Klemme geraten. Sie sind
einerseits mit sinkenden eigenen Rohstofferlösen und
andererseits mit steigenden Erdölpreisen konfrontiert.
Das heißt für manche Entwicklungsländer, dass sie etwa
ein Drittel ihrer gesamten Devisen verlieren. Das muss
Konsequenzen haben. Zwei dieser Konsequenzen habe
ich eben angesprochen. Ich werde mich in diesem Sinne
engagieren.
Ich möchte des Weiteren den vielen Tausenden von
Menschen in unserem Land danken, die sich zum Teil seit
Jahrzehnten für die „Eine Welt“ engagieren; denn sie zeigen uns seit Jahren, dass das friedliche Zusammenleben
von Menschen, Völkern und Kulturen für unser gemeinsames Überleben notwendig ist. Ihre Arbeit wirkt präventiv. Sie ist wie eine dauerhafte Lichterkette gegen Rassismus und Ausländerhass und für die Würde aller
Menschen. Ich danke den kirchlichen und allen anderen
Initiativen. Sie leisten eine wichtige Arbeit, die Auswirkungen haben muss.
({3})
Wir haben das beachtliche Förderniveau des laufenden Jahres von 600 Millionen DM für Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen beibehalten können. Aber ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ich mehr
Finanzmittel zur Verfügung hätte, dann würde ich sie
gerne in diesen Bereich investieren, weil die Arbeit so
wichtig ist, auch für das Bewusstsein der Menschen in unserem eigenen Land.
In den vergangenen zwei Jahren haben wir wichtige
entwicklungspolitische Reforminitiativen umgesetzt. Ich
erinnere nur noch einmal stichwortartig daran: die Entschuldungsinitiative mit dem Ziel, den ärmsten Entwicklungsländern 140 Millionen DM Schulden zu erlassen;
die Neuausrichtung der Politik von IWF und Weltbank auf
Armutsbekämpfung und Beteiligung der Zivilgesellschaft; das in Cotonou unterzeichnete neue Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und den AKP-Ländern.
Wir haben die Menschenrechtsdimension in unserer
Arbeit gestärkt. Wir beteiligen uns an der Einrichtung,
Trägerschaft und Finanzierung des deutschen Menschenrechtsinstituts. Wir haben die Friedensentwicklung und
Krisenprävention in den Vordergrund gestellt. Im Rahmen
des zivilen Friedensdienstes sind bereits 45 Vorhaben bewilligt worden. Die Zahl der eingesetzten Friedensfachkräfte wird in kurzer Zeit auf 70 bis 80 steigen. Das ist
eine hervorragende Leistung im Sinne von Krisenverhinderung und Konfliktverhinderung vor Ort.
({4})
Wir haben die Qualität, die Signifikanz und die Nachhaltigkeit der deutschen Entwicklungspolitik durch Konzentration auf 70 Kooperationsländer erhöht.
Ich stelle also fest: Die wichtigsten Reformvorhaben
unserer Koalitionsvereinbarung sind umgesetzt. Die umfassende Trendumkehr in der Finanzausstattung unseres
Haushaltes, die wir uns selbst zum Ziel gemacht haben, ist
noch nicht umgesetzt. Auch das sage ich deutlich. Zu dramatisch war die Finanzlage, die die alte Bundesregierung
uns hinterlassen hat. Aber wir arbeiten im Sinne der Ausweitung dieser Finanzmittel. Denn Zukunftsaufgaben
brauchen mehr Mittel, auch die Entwicklungszusammenarbeit.
({5})
Ich hoffe, Sie unterstützen das alle.
Im Regierungsentwurf wächst der Plafond unseres
Haushalts gegenüber dem Vorjahr um 1,7 Prozent.
({6})
Die Gründe sind: Erstens erhalten wir zusätzliche Mittel
für den deutschen Beitrag zur Entschuldigungsinitiative,
für den Treuhandfonds. Zweitens werden die Mittel für
den Stabilitätspakt Südosteuropa und Mittel aus dem so
genannten Transform-Programm aus dem Einzelplan 60
in unseren Entwicklungshaushalt überführt. Das haben
Sie vonseiten der Opposition doch immer gefordert. Jetzt
ist es durchgesetzt. Dann loben Sie es doch endlich einmal, statt andauernd herumzumäkeln.
({7})
Welche Herausforderungen stehen vor uns? Alle Partner zusammen wollen dazu beitragen, bis zum Jahr 2015
die Armut in der Welt zu halbieren.
({8})
52 Prozent unserer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit sind nach den Kriterien der OECD armutsorientiert.
Wir wollen dies aber ausweiten.
In ihrem gestern veröffentlichten Weltentwicklungsbericht hat die Weltbank nicht nur die Rolle des Wirtschaftswachstums betont. Wirtschaftswachstum ist
wichtig, aber es reicht nicht aus. Vielmehr gilt es zu erreichen, dass dieses Wachstum der armen Bevölkerung zugute kommt. Der „trickle down“-Effekt wird es allein
nicht bringen. Das wissen wir nach all den Jahren.
({9})
Die Weltbank hat einen neuen, umfassenden Armutsbegriff. Zur Armutsbekämpfung zählt sie die Stärkung
der politischen Mitwirkungschancen der Menschen in den
Entwicklungsländern, was man mit dem etwas schwierigen Begriff „empowerment“ bezeichnet. Dazu haben wir
mit Lomé und der Entschuldungsinitiative beigetragen;
das tun wir mit unserer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit.
Ferner zählt sie die Ausweitung der wirtschaftlichen
Möglichkeiten dazu. Was tun wir dafür? Wir unterstützen
die Mikrofinanzierung in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere für die Beschäftigung von
Frauen. Wir nutzen - das ist das Neue - die internationalen Organisationen - Weltbank, IWF, WTO - im Sinne
von Reformen auf der Makroebene. Was in früheren Jahren gelaufen ist, hat die Armut häufig verschärft. Deshalb
ist eine Umorientierung notwendig. In diesem Sinne engagieren wir uns in der Weltbank, im IWF und auch innerhalb der WTO.
({10})
Zuletzt nennt die Weltbank ausreichende Sicherungssysteme für die Armen. Auch das ist ein wichtiger Teil der
Armutsbekämpfung. Dazu verweise ich auf die Änderung
der Strukturanpassungsprogramme, die wir bei IWF und
Weltbank erreicht haben.
Bei der Armutsbekämpfung können wir auf der Entschuldungsinitiative aufbauen. Denn es liegen bereits für
viele Länder von den Ländern selbst bestimmte Armutsbekämpfungskonzepte vor. Die wenigsten wissen, dass
für die 70 ärmsten Entwicklungsländer, nicht nur für die,
die von der HIPC-Initiative profitieren können, diese Armutskonzepte entsprechend verpflichtend sind.
Ich formuliere an dieser Stelle folgenden Appell - das
wird ein weiterer Punkt der Beratungen bei der Weltbank
in 14 Tagen in Prag sein -: In den Schwellenländern leben 400 Millionen arme Menschen, das heißt ein Drittel
aller Armen weltweit. Auch die Schwellenländer selbst
müssen dafür Sorge tragen, dass die Armut bekämpft wird
und die Ärmsten unter ihren Bewohnern erreicht werden.
Das ist ein weiteres Element.
({11})
Wir werden Ende dieses Jahres einen eigenen Aktionsplan vorlegen, der zur Erreichung der Ziele bis zum
Jahr 2015 alle Ressorts, auch die bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, entsprechend einbezieht. Wir werden ihn mit den NGOs und mit der Wirtschaft diskutieren. Ich bin der festen Überzeugung: Wir
brauchen solche verbindlichen Aktionspläne von allen
Beteiligten, damit das Ziel, im Jahr 2015 das Ausmaß der
Armut halbiert zu haben, tatsächlich erreicht werden
kann.
Was die weiteren Aufgaben angeht, werden wir auch in
Zukunft den Schwerpunkt auf die Unterstützung und auf
die Hilfe für Afrika setzen.
({12})
Vor allen Dingen bei der Armutsbekämpfung werden wir
diejenigen Länder unterstützen, die verantwortliche Regierungsführung gezielt praktizieren. Wir sind dabei, auf
dem Gebiet der Aidsbekämpfung eine Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft aufzubauen. Ich habe mit der
Firma Boehringer vereinbart, dass sie ihre Produkte zur
Bekämpfung der Übertragung von Aids von der Mutter
auf das Kind in Entwicklungsländern kostenlos abgibt.
Wir werden gemeinsam mit der Firma Boehringer eine
Strategie entwickeln, wie wir dazu beitragen können, dass
diese Produkte im Sinne der Menschen in Afrika eingesetzt werden können.
({13})
Es handelt sich um ein wichtiges Zeichen dafür, wie wir
praktisch tätig sind.
Ich komme zur Umsetzung des Stabilitätspakts Südosteuropa. Insgesamt sind ermutigende Entwicklungen
in der Region festzustellen, abgesehen von der Situation
in Jugoslawien. Es gibt vielfältige Kooperationsbeziehungen. Es gibt vielfältige, von den Ländern in der Region gemeinsam vorgelegte Projekte. Wir finanzieren im
Infrastruktursektor. Wir nehmen länderübergreifende Projekte wie den Stromverbund zwischen Albanien und Montenegro in die Konzepte mit auf. Wir finanzieren Versöhnungskonzepte, die die Gesamtheit der Länder umfassen.
Die Umsetzung des Stabilitätspakts und die Friedenszusammenarbeit in Südosteuropa sind ein ganz wichtiger
Bereich.
({14})
Ich komme zu den - von mir angesprochenen - vor uns
liegenden Aufgaben im Zusammenhang mit der Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft. Was wir
geleistet haben, ist, dass mindestens die Hälfte der 2 Milliarden DM, die wir in diesem Bereich vorsehen, von Unternehmen finanziert werden. Wir arbeiten mit über
200 Unternehmen in diesem Sinn zusammen. Das heißt,
wir haben mit den verschiedenen Förderinstrumenten
etwa 1 Milliarde DM privates Kapital mobilisiert. Ich
möchte an dieser Stelle den Firmen danken, aber auch der
DEG, der KfW und der GTZ, die sich in diese Arbeit mit
einbringen.
({15})
Es ist wichtig, dass wir mehr Geld haben; aber es ist auch
wichtig, dass wir das Geld klug und intelligent zum Vorteil der Entwicklungsländer einsetzen.
Für alle diese Aufgaben - das sage ich auch mit Hinweis auf die Voraussetzungen, die für ein Regierungsmitglied gelten - können und dürfen wir den Personalbestand unseres Hauses nicht weiter reduzieren. Personalreduzierungen einerseits und ein Aufgabenzuwachs,
den ich Ihnen geschildert habe, andererseits belasten die
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unseres Hauses und der
so genannten Vorfeldorganisationen. Ich möchte an dieser
Stelle auch sagen: Ohne den wirklich engagierten und unermüdlichen Einsatz dieser Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wären die entwicklungspolitischen Erfolge, die ich
hier genannt habe, nicht möglich gewesen. Das sollten wir
gemeinsam anerkennen und auch unterstützen.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die internationale
Verantwortung fängt vor der eigenen Haustür an. Setzen
wir also gemeinsam ein klares Signal gegen Rassismus
und Intoleranz und tragen wir dazu bei, dass die früheren
Zeiten überwunden werden, als Entwicklungszusammenarbeit ein Nischendasein fristete.
({17})
Tragen wir vielmehr dazu bei, dass die Entwicklungspolitik den Rang einnimmt, der ihr zusteht und den sie zunehmend national, europäisch und international gewinnt.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
({18})
Für die CDU/CSUFraktion gebe ich nunmehr das Wort dem Kollegen
Michael von Schmude.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, die Zeit der
Schönfärberei sollte endlich vorbei sein.
({0})
Der BMZ-Etat entwickelt sich im Jahr 2001 erneut negativ. Der zahlenmäßige Zuwachs um 121 Millionen DM
führt optisch zu einem Anstieg auf 7,2 Milliarden DM.
Wer in diesem Zusammenhang aber von einem erfreulichen Ergebnis spricht, täuscht bewusst die Öffentlichkeit.
Fachleute im BMZ haben selbst festgestellt, dass in Wahrheit eine Kürzung in Höhe von 149 Millionen DM gleich
2,1 Prozent vorliegt. Tatsache ist nämlich, dass die
Mittel für den Stabilitätspakt Südosteuropa im Einzelplan
60 gestreckt werden. So werden aus 300 Millionen DM,
die in der Vergangenheit im Wesentlichen schon von
Ihrem Hause bewirtschaftet wurden, nur noch 200 Millionen DM. Auch wir begrüßen die sachliche Zuordnung zu
Ihrem Einzelplan, nur bedeutet das nicht, dass Sie zusätzliche Mittel erhalten, sondern Sie müssen im Gegenteil
dem Außenministerium von diesen 200 Millionen DM
erst einmal noch 100 Millionen DM abgeben.
Beim Transform-Programm sieht es ähnlich aus. Die
Bundesregierung kürzt die Mittel von 110 Millionen DM
auf 90 Millionen DM, belässt davon 30 Millionen DM im
Einzelplan 60, setzt 50 Millionen DM auf Ihr Haus um,
während 10 Millionen DM auf dem Weg verdunstet sind.
Der bereinigte Regierungsentwurf liegt um 149 Millionen DM niedriger als der laufende Plafond 2000 und um
rund 1 Milliarde DM unter dem Ansatz im letzten, von der
CDU-geführten Regierung aufgestellten Bundeshaushalt
von 1998. Das ist die traurige Wahrheit, insbesondere angesichts rot-grüner Wahlversprechen, die Entwicklungshilfe massiv aufzustocken.
Wie sieht denn nun eigentlich der innere Wert des
Haushalts aus? Ich sagte schon: 100 Millionen DM gehen
an das Auswärtige Amt, 150 Millionen DM an zweckgebundenen Mitteln für Transform und Südosteuropa muss
jetzt Ihr Haus finanzieren, zusätzlich entfallen 20 Millionen DM auf die Schuldeninitiative. Damit verbleiben Ihnen ganze 6,954 Milliarden DM, wobei man von einem
Dollarkurs von 1,8828 DM ausgegangen ist. Das bedeutet, weitere 60 bis 70 Millionen DM müssen aufgrund des
Kursverfalls aufgebracht werden. Hinzu kommen die
Währungsbelastungen bei DSE, DED, CDG und allen
übrigen Zuwendungsempfängern. Lesen Sie einmal die
Briefe! Das heißt, die Euroschwäche mindert den realen
Wert des geschrumpften Entwicklungshilfehaushaltes
noch einmal ganz erheblich.
Ihr Haus stellt in einer Vorlage vom 7. September dieses Jahres an die Haushälter selbst fest, dass der Plafond
für die entwicklungspolitischen Kernaufgaben abgesunken ist - man höre - und deshalb Kürzungen bei verschiedenen Positionen vorgenommen werden müssen.
Dabei steckt der Haushalt voller Widersprüche: Die
Ausgaben für die Dienstreisen steigen, die Bezüge der
Ministerin und der Parlamentarischen Staatssekretärin
steigen, der Verfügungsfonds steigt an, die Unterhaltungskosten für die neuen Dienstwagen steigen an. Für den
Wasserkopf ist also reichlich Geld vorhanden, bei den
entwicklungspolitischen Titeln aber tut sich ein humanitäres Defizit auf.
Um den an Magersucht leidenden Entwicklungshilfeetat nun als einen Schritt nach vorn zu verkaufen, will
die Regierung die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit erneut kräftig anheben. Wir werden uns also darauf einstellen können, zusätzliche Propagandabroschüren zu erhalten. Nur, die Betroffenen haben längst erkannt, dass große
Sprüche keinen Ersatz für fehlende Finanzmittel darstellen.
({1})
Der Ansatz „Öffentlichkeitsarbeit“ kann deshalb drastisch
gekürzt werden. Das Geld wäre bei vielen anderen Titeln
in Ihrem Hause besser aufgehoben.
Das Gleiche gilt für die 70 000 DM mehr zur Betreuung von Delegationen und internationalen Besuchern.
Vielleicht ist dieser Aufwuchs ja durch Besucher aus
Kuba oder anderen neuen Partnerländern bedingt.
({2})
In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die
Frage, was eigentlich mit dem Bau des abhörsicheren
Raumes für 181 000 DM bezweckt wird. Was wollen Sie,
Frau Ministerin - Sie reden ja immer von Transparenz und
Offenheit -, eigentlich verbergen? Wollen Sie sich dort
mit Fidel Castro treffen?
({3})
Wollen Sie dort Ihre umstrittenen Personalentscheidungen erörtern? Oder wollen Sie dort Dinge aus dem Bundessicherheitsrat besprechen, die wir sowieso alle immer
in der Zeitung lesen können?
Was soll eigentlich die Aufstockung Ihrer Sachverständigen- und Beraterkosten? Wollen Sie damit Abstimmungsniederlagen im Bundessicherheitsrat vermeiden? Diese Frage muss einmal gestellt werden. Sie sollten
eigentlich wissen, dass jeder Pfennig in Ihrem Haus für
andere, wichtige Dinge gebraucht wird.
Sie kürzen unter anderem bei der beruflichen Aus- und
Fortbildung von Angehörigen der Entwicklungsländer
9,5 Millionen DM. Sie kürzen bei der Förderung der Entwicklungsländer durch Zuschüsse an integrierte und rückkehrende Fachkräfte 12 Millionen DM. Sie kürzen die
Förderung von Ernährungssicherungsprogrammen um
3 Millionen DM. Die Förderung entwicklungswichtiger
Beiträge der deutschen Wirtschaft braucht dringend
10 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen zusätzlich - nichts davon in Ihrem Haushalt.
({4})
Außerdem streichen Sie den Stiftungen - entgegen
Ihren Worten - 30 Millionen DM bei den MOE-Mitteln.
Das hat der Finanzminister gemacht, aber Sie haften dafür
als Regierung mit. Außerdem brauchen die Stiftungen zusätzliche Verpflichtungsermächtigungen; da geht es um
weitere 30 Millionen DM.
Bei der Mittelbewirtschaftung für MOE sollten wir gemeinsam versuchen, die 100 Millionen DM für das Auswärtige Amt auf vier Jahre zu strecken, wie auch die anderen MOE-Mittel auf vier Jahre gestreckt werden. Dann
haben wir Luft für das Haus und auch für die politischen
Stiftungen.
Die wichtige Vorbereitung und Ausbildung von Fachkräften für eine Tätigkeit auf dem Gebiet der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit soll um 2,5 Millionen DM gekürzt werden. Diese Haushaltsstelle muss
dringend wieder angehoben werden, unter anderem damit
Diskussionen darüber überflüssig werden, weshalb unqualifizierte Bewerber von dieser Regierung in internationale Spitzenpositionen geschickt werden.
Die Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe betrug 1999 noch 180 Millionen DM. Sie haben sie in 2000
drastisch abgesenkt und in 2001 geht es weiter bergab,
nämlich noch einmal um 3,5 Millionen DM auf 140 Millionen DM. Dies wird der Situation in der Dritten Welt
nicht gerecht. Die Kürzung bei der Ernährungssicherung
und der niedrige Ansatz für die internationale Agrarforschung lassen ein humanitäres Defizit erkennen.
({5})
Die FZ wird durch Vorhaben aus dem Stabilitätspakt,
durch Rechtsverpflichtungen und Verpflichtungsermächtigungen stark eingeengt. Deswegen sollte man die Verbundfinanzierung als flankierendes Instrument ausbauen.
Auch die Arbeit der Kirchen muss wieder nach vorn gebracht werden. Das Niveau des Jahres 2000 zu unterbieten halten wir nicht für angemessen.
Völlig überrascht wurden die Haushälter durch Ihre
Mitteilung, dass die Sanierung des künftigen BMZDienstgebäudes im alten Kanzleramt in Bonn jetzt nicht
14,6 Millionen DM, sondern 79,6 Millionen DM kosten
soll. Diese Merkwürdigkeit ist noch eingehend zu prüfen,
ebenfalls, wer die politische Verantwortung dafür zu tragen hat.
({6})
Zusammenfassend muss festgestellt werden: Der Gesamthaushalt des Bundes bleibt nahezu unverändert. Das
BMZ hat sich vom Bundesfinanzminister damit abspeisen
lassen, dass der Einzelplan 23 im Kernbereich um
149 Millionen DM reduziert wird. Für die zusätzlichen
Aufgaben haben Sie Geld bekommen, aber nicht in dem
Maße, in dem diese Aufgaben zu finanzieren sind.
Die mittelfristige Finanzplanung, Frau Ministerin,
sieht ab 2002 ein Wachstum des Bundeshaushalts vor,
aber mit der Entwicklungshilfe geht es weiter bergab - als
wolle man das BMZ wegrationalisieren. Das ist ein
Armutszeugnis für diese Regierung. Mit derartigen Einschnitten verliert unsere Entwicklungspolitik Glaubwürdigkeit und Wirkung.
({7})
Ich gebe das Wort der
Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Entwicklungszusammenarbeit ist und
bleibt ein Schwerpunkt der rot-grünen Politik. Das zeigt
sich an der Entschuldungsinitiative, an der Einführung
des zivilen Friedensdienstes und an den wichtigen Weichen, die auf dem Milleniumsgipfel letzte Woche - Frau
Ministerin hat dies eben schon angesprochen - für die
Halbierung der Armut bis 2015 gestellt wurden.
Die Mittel für den Einzelplan 23 steigen im Haushalt 2001 auf 7,2 Milliarden DM. Dadurch steigt der Anteil dieses Einzelplans am Gesamthaushalt auf 1,51 Prozent. Das ist gut so. Aber es muss gesagt werden, dass
diese Steigerung dadurch erreicht wird, dass Mittel, die
bisher im Einzelplan 60 vor allem für den Stabilitätspakt
Südosteuropa eingestellt waren, auf den BMZ-Haushalt
übergehen. Allerdings werden die Mittel für die Kernaufgaben der EZ, wie in der mittelfristigen Finanzplanung
des Finanzministers vorgesehen, für 2001 sinken. In diesem Punkt müssen wir nachbessern.
Der Versuch, die Zinslasten, die uns 16 Jahre Kohl hinterlassen haben,
({0})
schrittweise zu reduzieren, ist ein notwendiges und ambitiöses Programm. Gleichzeitig hinterlässt es in dem sowieso schon kleinen Etat des BMZ gravierende Spuren.
Wir laufen damit Gefahr, einen Bereich zu vernachlässigen, der mit der nachhaltigen Lösung von zentralen globalen Problemen betraut ist. Eine solche Kurzsichtigkeit
dürfen wir uns insbesondere in Zeiten der Globalisierung
nicht erlauben.
({1})
Wir empören uns zu Hause über Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Aufklärung und mehr Toleranz tun
Not; Solidarität ist gefragt. Auf der anderen Seite aber
müssen wir für die Bevölkerungen der Entwicklungsländer auch Lebensbedingungen schaffen - dazu bedarf es
unserer Unterstützung -, die ihnen den Verbleib im eigenen Land erlauben. Es sind ökologische Katastrophen,
Kriege, Bürgerkriege und wirtschaftliche Not, die Menschen zu Migranten und Flüchtlingen machen und in
Richtung Norden treiben. Hier gilt es, präventiv tätig zu
werden und vor allem den Dialog über Menschenrechte
und zivile Konfliktlösungen vorausschauend voranzubringen.
({2})
Gleichzeitig müssen wir die Reintegration von ausländischen Fachkräften in ihren Herkunftsländern weiter unterstützen und durch begleitende Aus- und Fortbildungsmaßnahmen ausreichend flankieren. Die diesbezüglichen
Programme müssen ausgebaut werden.
Ich komme zu einem anderen Punkt. Die globalen Umweltprobleme bereiten uns große Sorgen. Ohne breit
gefächerte Maßnahmen zum Klimaschutz, die zum
Beispiel einen konsequenten Schutz der tropischen Regenwälder und anderer natürlicher Ressourcen in den Entwicklungsländern beinhalten, können wir hier kaum noch
etwas ausrichten. Ich komme gleich noch ausführlicher
darauf zu sprechen.
Wir sind stolz darauf, eine Exportnation zu sein. Eine
bedeutende Anschubkraft für das derzeitige wirtschaftliche Wachstum beziehen wir aus dem Export. Die deutschen Exporte in die Entwicklungsländer waren 1999 mit
114 Milliarden DM nicht unerheblich. Deutsche Direktinvestitionen in diesen Ländern betragen immerhin
100 Milliarden DM. Die Erschließung von neuen Märkten stellt sich schwierig dar. Das Ganze ist ein komplexer
Prozess.
Die Entwicklungszusammenarbeit ist, wie wir in einer
Studie des Ifo-Instituts nachlesen konnten, am Anwachsen der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen wesentlich
beteiligt. Von jeder in die EZ investierten Mark haben sich
in der Vergangenheit 2,79 DM als Ertrag für die deutsche
Volkswirtschaft niedergeschlagen. Grundlegend dafür
sind natürlich politische Beziehungen, die durch einen
langfristigen EZ-Politikdialog eröffnet wurden und die zu
einem langsamen Aufbau von gegenseitigem Vertrauen
führten. Diese Beziehungen müssen in der Zukunft abgesichert werden.
Die Gefühlsregungen Empörung, Sorge und Stolz
zeigen, dass uns die in der EZ angesprochenen Probleme
unter die Haut gehen. Deshalb ist Geld, das in die Entwicklungszusammenarbeit investiert wird, weder rausgeschmissenes Geld, noch handelt es sich um einen selbstlosen humanitären Akt.
({3})
Es ist vielmehr eine gute Zukunftsinvestition für Deutschland.
Als Exportweltmeister müssen wir entsprechend globale Verantwortung hinsichtlich der globalen Probleme
übernehmen. Der Kanzler hat dies erkannt. Auf dem Milleniumsgipfel letzte Woche in New York wurde mit seiner
Unterstützung, wie die Ministerin schon erwähnt hat, ein
ehrgeiziges Ziel ins Auge gefasst, nämlich die Armut bis
2015 zu halbieren. Deutschland wird daran mit einem speziellen Aktionsplan teilnehmen. Das ist sehr zu begrüßen
und das wird sich zukünftig sicher auch im Einzelplan 23
niederschlagen.
({4})
Lassen Sie mich am Beispiel der internationalen Umweltpolitik erläutern, welchen zentralen Beitrag die EZ
zur Lösung globaler Probleme leisten kann. Welch bessere Zukunftsinvestition als Klimaschutz ist denn für
zukünftige Generationen vorstellbar!
({5})
Die 1999 von der Bundesregierung ins Leben gerufene
Initiative „Zukunftssicherung durch Klimaschutz“ muss
gestärkt werden. Das bedeutet, eine Verbindung zwischen
den nationalen und den internationalen umweltpolitischen
Zielen und Umsetzungsschritten herzustellen.
Dazu müssen wir folgende Maßnahmen ergreifen: die
Förderung erneuerbarer Energien, insbesondere die Förderung von Solarenergie, Windkraft und Photovoltaik, in
den Entwicklungsländern zur Elektrifizierung ländlicher
Regionen, die Unterstützung bei einer rationellen Energieverwendung zur Minderung von CO2-Emissionen, und
zwar unter anderem durch die Nach- und Umrüstung bestehender Kraftwerke, und die Förderung von zukunftsfähiger Mobilität in Entwicklungs- und Schwellenländern
- und nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland - unter anderem durch die Unterstützung umweltfreundlicher
Massenverkehrsmittel und die Minderung von Schadstoffemissionen in urbanen Ballungsgebieten.
Darüber hinaus müssen wir die Anstrengungen zur
Rettung des Tropenwaldes intensivieren. Dies kann zum
Beispiel über eine Ausweitung des schon sehr erfolgreichen internationalen Pilotprogramms zur Bewahrung der
tropischen Regenwälder in Brasilien geschehen. In diesem Falle müsste eine länderübergreifende Ausdehnung
auf den gesamten Amazonasraum einschließlich aller
Nachbarländer angestrebt werden. Darüber hinaus rege
ich an, diese regionale Ausweitung des Tropenwaldprogramms durch eine Ausweitung auf Südostasien zu ergänzen,
({6})
wo bereits wichtige Programme des Tropenwald- und
Ressourcenschutzes vonseiten der Bundesregierung laufend unterstützt werden, wo aber bisher der Gesamtansatz
des PPG-7-Programms nicht realisiert wird. Denn die dortige dramatisch ansteigende Ressourcenvernichtung kann
auf andere Art und Weise nicht abgewendet werden.
({7})
Die Kapazitäten der Entwicklungsländer in den Bereichen Klimaschutz, Umweltmonitoring und Erhalt der
biologischen Vielfalt gilt es zu verbessern, um die Fähigkeiten der Entwicklungsländer sowohl auf der Ebene der
internationalen Verhandlungen über Umwelt- und Entwicklungsfragen als auch bei der Umsetzung der Ergebnisse dieser Verhandlungen zu stärken. Dazu ist eine
Vielzahl von Maßnahmen notwendig. Die rot-grüne Bundesregierung hat bereits eine Initiative zur Unterstützung
bei der Umsetzung des Cartagena-Protokolls zum Erhalt
der biologischen Vielfalt angekündigt.
Auch bei der Umsetzung des Kioto-Protokolls sowie
weiterer internationaler klima- und umweltrelevanter Vereinbarungen ist eine Unterstützung der Entwicklungsländer beim Aufbau der dafür erforderlichen Kapazitäten
notwendig. Hier müssen politische Prioritäten gesetzt und
mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Das Zukunftsprogramm Klimaschutz ist ein Beispiel dafür, wie unsere
Kinder und wir durch die Stärkung internationaler Umwelt- und Entwicklungspolitik vor größerem Schaden bewahrt werden können.
({8})
Deswegen werden wir uns in den Haushaltsberatungen
dafür einsetzen, im Etat die Mittel für die internationale
Umwelt- und Entwicklungspolitik zu erhöhen. Das zentrale Planungsinstrument der EZ, die Verpflichtungsermächtigungen, gilt es ebenfalls zu erhöhen. Es kann
nicht angehen, dass der Abfluss der Barmittel aufgrund
eingeschränkter VEs in Zukunft nicht mehr gewährleistet
ist.
Folgende qualitative Anstrengungen hat die jetzige
Regierung unternommen: eine verstärkte Ausrichtung der
EZ auf zivile Krisenprävention, Übernahme einer Katalysatorfunktion bei den Entschuldungsbemühungen und ministeriumsinterne Prioritätensetzungen in regionaler und
inhaltlicher Hinsicht. All dies war dringend notwendig.
Die alte Regierung hat diese Herausforderungen nicht angenommen.
Institutionelle Reformen, eine stärkere deutsche Präsenz beim internationalen „agenda setting“, eine verbesserte Arbeitsteilung zwischen NROs und Vorfeldorganisationen, all diese Themen gilt es anzugehen, um die EZ
mit mehr Durchschlagskraft auszustatten. Manche dieser
Veränderungen - das sollten wir nicht vergessen - haben
einen qualitativen Charakter und kosten kein zusätzliches
Geld. Andere Aufgaben aber können ohne zusätzliche
Mittel nicht angegangen werden.
Heute stehen wir ein Jahr vor der UN-Weltkonferenz
zur Entwicklungsfinanzierung. Diese Konferenz findet
vor dem Hintergrund sinkender Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit statt. Weit entfernt vom noch in
Kopenhagen angestrebten 0,7-Prozent-Ziel liegt die Official Development Aid der OECD-Mitglieder heute bei
0,24 Prozent des Sozialprodukts. Das gilt für alle OECDMitglieder. Zwischen 1994 und 1998 fiel der für öffentliche EZ zur Verfügung gestellte Betrag von 59,6 Milliarden Dollar auf 49,7 Milliarden Dollar.
Wir können es uns nicht leisten, nur von den Entwicklungsländern Good Governance und Eigenanstrengungen
zu fordern, wenn wir auf der anderen Seite nicht auch
konkrete Hilfsangebote machen. Dafür brauchen wir
Geld, und zwar sowohl um kurzfristig Signale zu setzen
als auch um mittelfristig in der EZ handlungsfähig zu bleiben. Das ist leider noch nicht allen klar geworden.
Wir leben nicht auf einer Insel. Zukunftsinvestitionen
sind heute mehr denn je grenzüberschreitende Investitionen, und Entwicklungspolitik ist Weltinnenpolitik.
Ich danke Ihnen.
({9})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht nun der Kollege Joachim Günther.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der letzten Haushaltsdebatte im November vergangenen Jahres habe ich
mit den Worten geendet: Der Haushalt 2000 ist kein
Zukunftsprogramm 2000, er ist eine glatte Rolle rückwärts und fügt dem Ansehen Deutschlands in den Entwicklungsländern schweren Schaden zu.
({0})
Ich habe mir den Entwurf des Einzelplans 23 für 2001
angesehen und ich habe den Eindruck, dass auch die Ministerin zu zweifeln beginnt. Hier steht nur: Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2001 ist geprägt durch den
festen Willen der Bundesregierung, an den Zielen ihres
Zukunftsprogramms 2000 festzuhalten. - Dabei bleibt die
Grundfrage, wie man bei einer Senkung der Mittel im Einzelplan 23 auf einen Anteil am Bundeshaushalt von
1,39 Prozent bis 2004 noch von einem Zukunftsprogramm sprechen kann.
({1})
Nein, Frau Ministerin, der Wille allein reicht nicht, wir
müssen endlich Taten sehen.
Auch der anscheinend einmalige Anstieg des Etats ist
nichts als Effekthascherei, aber immerhin brachte er am
21. Juni die tolle Pressemeldung hervor: Erhöhung des
Entwicklungsetats um 1,7 Prozent auf 7,224 Milliarden DM.
Warum das Effekthascherei ist, will ich erläutern: Im
Einzelplan 23 sind die Mittel für den Stabilitätspakt Südosteuropa und das Transformprogramm zur Förderung
von Demokratie und Marktwirtschaft in Mittel-, Ost- und
Südosteuropa enthalten. Diese hat das BMZ auch im laufenden Haushaltsjahr schon bewirtschaftet. Bis jetzt waren sie im Einzelplan 60 verbucht - das wurde bereits gesagt -, und es handelt sich für 2001 um rund
250 Millionen DM.
Über diese Viertelmilliarde hätte das Entwicklungsministerium auch dann verfügen können, wenn sie nicht in
den Einzelplan 23 eingestellt worden wäre. Wenn man
diesen Betrag abzieht, dann beträgt der bereinigte
Haushaltsansatz eindeutig 6,97 Milliarden DM. Das ist
ein weiterer Rückgang - man muss das deutlich sagen,
weil das vorhin in Ihrer Rede wieder einmal falsch dargestellt wurde - von 2,1 Prozent des BMZ-Etats.
Ich bitte Sie, Frau Ministerin, unterlassen Sie diese
Vermischungen und die Augenwischerei, als würde der
Etat ständig steigen.
({2})
Auch die mit viel Pomp inszenierte deutsche Beteiligung an der HIPC-Entschuldungsinitative für die ärmsten Entwicklungsländer entpuppt sich als Augenwischerei. Von mehrstelligen Milliardenbeträgen ist da die Rede,
sodass der Eindruck entstehen könnte, Deutschland ließe
sich an entwicklungspolitischer Großzügigkeit von niemandem übertreffen. Tatsächlich aber werden gerade einmal 100 Millionen DM in den HIPC-Treuhandfonds in
fünf Jahresraten zu 20 Millionen DM in den Haushalt eingestellt. Im Fernsehen, Frau Ministerin, kann man Sie in
diesem Zusammenhang immer über Milliardenbeträge
sprechen hören. Das ist einfach nicht die Realität.
Immerhin kommt das BMZ in seiner eigenen Analyse
des Plafonds für 2001 zu dem ernüchternden Ergebnis,
dass sich mit diesem Haushalt der Spielraum für die entwicklungspolitischen Kernaufgaben weiter verringert.
Für eine Bundesregierung, die in ihrem Regierungsprogramm erklärt hat, das Engagement für die Dritte Welt
habe oberste Priorität, ist das eine schwache Leistung. Ich
würde sagen, sie leistet damit den Offenbarungseid. Es offenbart den eklatanten Widerspruch zwischen dem moralischen Anspruch auf der einen und der Bereitschaft zum
Handeln auf der anderen Seite. Noch nie war Deutschland
so weit von dem von den Vereinten Nationen festgelegten
0,7-Prozent-Ziel entfernt, wie es gegenwärtig unter der
rot-grünen Regierung der Fall ist.
Aber auch in entwicklungsnahen Bereichen wie der
humanitären Hilfe wird der Unterschied zwischen Sonntagsreden und Handeln deutlich. Wenn das UNO-Flüchtlingswerk bekannt gibt, dass es seine Nahrungsmittelhilfe
für afrikanische Flüchtlinge drastisch reduzieren muss, so
hat das sicherlich nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die
deutschen Beiträge um circa 10 Prozent gekürzt wurden.
Ähnliches gilt für das Kinderhilfswerk UNICEF und andere wichtige humanitäre Organisationen.
Unsere Fraktion fordert daher, dass diese schlimme
Entwicklung in diesem Bereich revidiert und der Haushaltsansatz für diese Organisationen mindestens auf das
Niveau von 1999 zurückgeführt wird.
({3})
Dass Sparzwänge auch heilsame Aspekte haben können, zeigt die weise Erkenntnis der Ministerin, dass mit
ständig rückläufigen Mitteln der Anspruch auf eine Entwicklungspolitik als weltweit umfassende Strukturpolitik
nicht mehr aufrechterhalten werden kann.
Mehr Kohärenz, mehr Arbeitsteilung und Schwerpunktsetzung nicht nur in der nationalen, sondern vor allem in der multilateralen Entwicklungspolitik sind Forderungen, die wir bereits seit vielen Jahren erheben. Es ist
bedauerlich, dass sich hier im Endeffekt erst im Rahmen
der Haushaltskonsolidierung etwas getan hat.
Lassen Sie mich schließlich noch ein paar Worte zur
Einnahmeseite sagen. Für die 2001 zu erwartenden Einnahmen, die nicht aus Zinsen und Tilgungen stammen,
wird der bescheidene Betrag von 130 Millionen DM angesetzt. Auch dies bedeutet im Endeffekt einen Rückgang
um rund 15 Prozent. Hier müssen wir fragen: Warum eigentlich so bescheiden? Denn auch Sie als rot-grüne Koalition haben sich inzwischen dazu durchgerungen,
marktwirtschaftliche Elemente in die Entwicklungsarbeit
zu integrieren und Entwicklungspartnerschaften mit
der Wirtschaft zu suchen. Wäre dies kein Anlass, stärker
als bisher das zur Verfügung stehende technische Knowhow der vielen kompetenten deutschen Trägerorganisationen marktgerecht zu nutzen, darüber die Einnahmeseite über den gegenwärtigen Stand von lächerlichen
0,2 Prozent hinaus zu erhöhen und so einen Teil der Streichungen zu vermeiden, die den guten Ruf der deutschen
Entwicklungspolitik gegenwärtig weltweit beschädigen?
Sicher gibt es noch zu vielen Punkten des Haushalts etwas zu sagen. Aber, Frau Ministerin, noch ein Satz zum
Schluss: Es wäre schade, wenn zusätzlich zu diesem
Haushalt auch noch die in letzter Zeit in Ihrem Haus getroffenen Personalentscheidungen dazu beitragen würden, dass der gute Ruf der Entwicklungspolitik unseres
Landes geschädigt wird. Kommen Sie hier auf einen normalen Weg zurück. Ich glaube, dazu wird mein Kollege
Hedrich noch einiges darlegen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der
Kollege Carsten Hübner für die Fraktion der PDS.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist bereits angesprochen worden, ich stelle es
dennoch meiner Rede voran: Wir reden über einen Haushalt, der eigentlich 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts
ausmachen sollte. Dies beruht auf einer internationalen
Vereinbarung. Dieser Bezugsrahmen ist die Grundlage für
unsere Haushaltsdiskussion. Ich denke, die Einhaltung
dieser Vereinbarung sollte gerade für eine rot-grüne Bundesregierung Grundlage des Haushalts sein. Dann wäre
der Betrag das Dreifache dessen, worüber wir heute reden.
Frau Ministerin, der Haushalt 2001 ist - gelinde gesagt ein Trauerspiel. Sie wissen, dass ich viele Ihrer Ansätze in
den letzten zwei Jahren unterstützt und mitgetragen habe.
Sie wissen, dass ich vor allem eines geschätzt habe, nämlich Ihren offenen Umgang mit der Problematik, Ihrem
Haushalt die entsprechende Rolle im Gesamtgefüge bundesdeutscher Politik zu verschaffen. Umso enttäuschter
bin ich gewesen, als ich im Juni Ihre Presseerklärung gelesen habe, deren Überschrift lautete:
Entwicklungsetat steigt im Jahr 2001.
Joachim Günther ({0})
Zu dem Zeitpunkt, zu dem das herausgegangen ist,
wussten Sie, dass der eigentliche Entwicklungshilfeetat,
über den wir reden, sinkt. Das halte ich für keine lautere
Methode im Umgang - sowohl mit Zahlen als auch mit
der Öffentlichkeit.
({1})
Der Haushalt sinkt um 148 Millionen DM. Nur die Umbuchung von 270 Millionen DM sorgt für das verkündete
Plus von 1,7 Prozent ({2})
Mittel, die im Übrigen aber auch schon vorher dem BMZ
zur Verfügung standen. Der reale Etat - so würde ich ihn
bezeichnen - beziffert sich damit auf 6,954 Milliarden DM.
({3})
Damit wird ein Trend fortgesetzt, lieber Kollege von
Schmude, der schon unter der Vorgängerregierung angefangen hat. Das muss man hier auch sagen. In den letzten
10 Jahren ist der Etat nach Soll von 8,110 Milliarden DM
1991 auf 7,224 beziehungsweise 6,954 Milliarden DM für
das nächste Jahr gesunken.
({4})
Der Anteil am Bruttosozialprodukt hat sich in dieser
Zeit auf jetzt 0,23 Prozent nahezu halbiert. Der Anteil am
Haushalt ist in diesen 10 Jahren von 1,98 auf 1,51 Prozent
gesunken. In den letzten zwei Jahren ist der Etat de facto
um rund 10 Prozent gesunken. Das muss man hier einfach
einmal so sagen.
Was dazu im Koalitionsvertrag steht, liebe Kolleginnen und Kollegen, spottet an diesem Punkt jeder Beschreibung. Das muss man einfach mal so deutlich sagen.
Was die Mittel für private Träger anbetrifft, ist hier
auch schon einiges gesagt worden. Auch da haben wir
eine ganz unbefriedigende Ausgangssituation zu verzeichnen gehabt. Ich denke, alle Kollegen im Entwicklungshilfeausschuss sind da mit mir einer Meinung. Ich
wundere mich, warum in derselben Presseerklärung von
Juni steht, Sie stabilisierten auf hohem Niveau. Das ist
kein hohes Niveau gewesen. Ich weiß das aus den Haushaltsberatungen der letzten Jahre. Das ist ein ganz niedriges Niveau. Das ist die Schmerzgrenze gewesen. Ich weiß
nicht, warum wir an diesem Punkt Augenwischerei betreiben müssen.
({5})
Was die UNO anbetrifft, muss ich nur ganz kurz sagen:
Wichtig ist die internationale Entwicklungspolitik. Wichtig sind die internationalen Strukturmaßnahmen. Ich finde
es umso bedauerlicher, dass nicht mehr erkennbar ist, wie
im Einzelnen die jeweiligen internationalen Programme,
die UNO-Programme, gefördert werden. Dadurch, dass
wir jetzt einen Gesamthaushalt haben, ist das sehr unübersichtlich geworden. Es gibt Zahlen dazu. Überprüfen
lassen sie sich jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt
relativ schlecht.
Im Koalitionsvertrag steht - wir sind ja bei so etwas
wie einer Art Halbzeitbilanz -: Reform und Stärkung der
UNO-Entwicklungsprogramme. Das jedenfalls, kann
man konstatieren, hat bisher so nicht stattgefunden.
Noch etwas aus der Koalitionsvereinbarung: der
Schuldenerlass. Aus unserer Sicht ungenügend, aus Ihrer
Sicht einer der Glanzpunkte Ihrer bisherigen Arbeit. Wenn
das so ist, dann finde ich das bedauerlich. Man hätte mehr
erreichen können. Man hätte mehr erreichen müssen.
Aber gut, das ist ein Punkt, bei dem ich sage: Ein erster
Schritt ist getan.
Ich frage mich aber: Was ist mit der speziellen verstärkten Förderung von Frauen? Frauen sind international nicht nur ein wichtiger Träger der Entwicklungspolitik, sondern sie sind - wenn Sie mich fragen - fast der
wichtigste Träger.
({6})
Trotzdem erkennen wir keine neuen Ansätze, keine neuen
Titel in diesem Haushalt, der dem Rechnung tragen
würde.
({7})
Was ist mit den Hermes-Reformen? Ich frage Sie: Wo
ist die Umgestaltung nach sozialen, ökologischen und entwicklungsverträglichen Kriterien?
Ich frage mich das bei Ilisu. Wir werden in den nächsten Wochen erleben, dass Ilisu - wenn auch konditioniert - hier in diesem Haus beraten und beschlossen werden wird. Das ist eine ganz krasse Fehlentscheidung
genau nach diesen Kriterien. Das wissen alle, die sich mit
der Thematik befassen.
({8})
Genauso frage ich mich: Wie konnte es passieren, dass
es nach dem Chatami-Besuch, der in allen Fraktionen
umstritten war, keinen Tag dauerte, bis verkündet wurde,
dass für den Iran - so, wie er jetzt ist, da die Wirtschaft im
Wesentlichen von den Mullahs kontrolliert wird, von den
reaktionären Kräften, nicht etwa von den Reformern plötzlich 1 Milliarde DM Hermes-Kredite für die Expansion der Wirtschaftsbeziehungen bewilligt werden? Wo
bleiben da die Kriterien, die Sie formuliert haben?
Zu Waffenlieferungen brauche ich nichts hinzuzufügen.
({9})
- Ich komme zum Schluss. - Das ist gestern und auch
noch heute ausargumentiert worden.
Bei Lomé sind ähnliche Defizite zu verzeichnen. Hier
laufen die Prozesse aus meiner Sicht in eine ganz falschen
Richtung.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund all
dieser Defizite, die nach der Hälfte der Legislaturperiode
auf den Tisch kommen, sage ich: Diese Haushaltsberatungen werden spannend. Ich sage auch: Wir werden
nicht darauf verzichten, den außerparlamentarischen
Bereich in diese Verhandlungen einzubeziehen. Hier
muss an verschiedenen Ecken und Enden Druck gemacht
werden.
({10})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Detlef Dzembritzki für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wahr und überhaupt nicht zu bestreiten, Kollege Hedrich, dass die Steigerung des Haushaltsansatzes um 1,7 Prozent darauf
zurückzuführen ist, dass dem Einzelplan 23 Mittel des
Haushaltsansatzes für den Einzelplan 60 zugeführt worden sind. Das ist nicht, Herr von Schmude, Schönfärberei
({0})
oder, Herr Günther, Effekthascherei; das ist vielmehr die
Realisierung von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit.
({1})
Die Überführung der Mittel des Stabilitätspakts Südosteuropa und das Transformprogramm wollten wir alle;
dies unterstreicht die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklungskompetenz des Ministeriums.
({2})
Ich darf in diesem Zusammenhang sagen, dass es der
Bundesregierung und natürlich auch der Ministerin gelungen ist, sich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit die gebührende politische Anerkennung zu
verschaffen. Die Entwicklungspolitik erfährt in den Industrienationen, zum Beispiel durch die G 7 repräsentiert,
eine weitaus stärke Einbindung, mehr als je zuvor.
({3})
Im Interesse der gemeinsamen Arbeit sollten wir uns über
diesen Erfolg freuen und ihn der Regierung nicht neiden,
wie es hier einige Redner der Opposition getan haben.
Der Weltwährungsfonds, die Weltbank, der Europäische Entwicklungsfonds und die Europäische Kommission selbst haben wesentliche Strukturveränderungen
erfahren.
Herr Kollege
Dzembritzki, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiß?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Dzembritzki, nachdem Sie den Erfolg so sehr herausgestellt haben, möchte ich Sie zu Ihrer Eingangsbemerkung über den Haushalt etwas fragen: Ist es aus Ihrer Sicht ein Erfolg des BMZ, wenn der Kernetat erneut,
wie es im Haushaltsvermerk des Ministeriums zu lesen
ist, um 2,1 Prozent gesenkt wird und im Rahmen einer
Umorganisation des Haushaltes Mittel vom Einzelplan 60 in den Einzelplan 23 überführt werden und dies
damit einhergeht, dass Frau Wieczorek-Zeul in 2000
noch 184,3 Millionen DM aus dem Stabilitätspakt Südosteuropa zu bewirtschaften hat und dieser Betrag künftig, im Jahr 2001, auf 100 Millionen DM sinkt? Sind zwei
Minuszahlen ein Erfolg für den Haushalt 2001?
Herr Kollege Weiß, ich
empfinde es schon als Erfolg, dass wir unter den Bedingungen, die Sie uns hinterlassen haben,
({0})
eine Politik betreiben können, die die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen des Einzelplans 23 in den Bereichen, wo
notwendigerweise etwas geschehen muss, tatsächlich effektiv vorzugehen.
({1})
Gerade im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt und
der HIPC-Initiative haben wir Entwicklungspolitiker
immer deutlich gemacht, dass die Mittel in das Ressort
„Wirtschaftliche Zusammenarbeit“ gehören. Wir haben
immer gesagt, dass die 100 Millionen DM für die HIPCInitiative nicht aus dem bestehenden Plafond genommen
werden können, sondern zusätzlich aufgebracht werden
müssen. Und darin sehe ich einen Erfolg der Ministerin
und auch der Bundesregierung und der Koalition.
({2})
- Herr Weiß, nun provozieren Sie mich doch nicht und
bleiben Sie bitte stehen. Sie wissen, dass dies sonst von
meiner Redezeit abgeht.
({3})
Bei Ihnen, meine Damen und Herren, heißt es immer:
Mehr Geld ist mehr Politik. Diese Art und Weise der Argumentation muss hier ein Stückchen in Frage gestellt
werden. Die Entschuldung etwa, angelegt als internationale Strukturpolitik, hat für die Zielländer in der Regel
eine höhere Bedeutung und bringt eine größere Veränderung als mancher Titel im Haushalt des Einzelplans 23.
({4})
Deswegen werden wir diesen Weg weitergehen und deswegen wird die Entschuldung an eine Politik gekoppelt
sein, die die Einhaltung der Menschenrechte und die Prinzipien guter Regierungsführung berücksichtigt. Wir werden immer wieder signalisieren: Wer nicht bereit ist, die
Menschenrechte einzuhalten und eine gute Regierungsführung zu pflegen, kann nicht davon ausgehen, an der
Entschuldung beteiligt zu werden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung legt
diese Prinzipien auch ihren eigenen Maßstäben des Handelns zugrunde. Dies können Sie zum Beispiel an der verbesserten rechtlichen Grundlage zur Bekämpfung der
Korruption und, entgegen dem, was mein Kollege Vorredner eben gesagt hat, an unseren neuen Richtlinien für
den Waffenexport feststellen.
Die Einführung dieser Regeln - es wurde hart um sie
gerungen - dokumentiert, dass diese Bundesregierung bereit ist, notfalls auch in schwierigen Situationen den Kurs
neu zu bestimmen und sich nach den Prinzipien auszurichten, deren Einhaltung sie von anderen einfordert.
Das haben Sie, meine Damen und Herren, in Ihrer Regierungszeit vermissen lassen. Mich verwundert das weniger, weil man immer wieder daran erinnert wird, welche
Rolle das Geld für Sie in der Erhaltung Ihrer eigenen
Macht gehabt hat und dass Sie diese Diskussion um
Transparenz damals eben nicht führen wollten.
({5})
Im Bereich der bilateralen Zusammenarbeit zeigt uns
insbesondere die EXPO die herausragende Leistung der
Bundesrepublik. Die EXPO ist ein großartiges Unternehmen der Aufklärung über die Probleme und Chancen unserer einen Welt. Selten konnte man sich so komprimiert
über Entwicklungsländer informieren. Sie spielen auf dieser Ausstellung eine ganz besondere Rolle. Wer die EXPO
besucht, wird feststellen, dass die dargestellten Projekte,
die von den Ländern stolz und zu Recht als Zeichen der
Hoffnung präsentiert werden, insbesondere solche sind,
die von der Bundesregierung Förderung und partnerschaftliche Zusammenarbeit erfahren.
Ich finde es gut, Kollege Hedrich, dass Sie sich zu Ihrer Zeit gerade auch für diese Möglichkeiten auf der
EXPO eingesetzt haben, und mache Ihnen deswegen ein
deutliches Kompliment.
({6})
Auf die Projektebene hinunterdividiert, ist es eine
Stärkung der Zivilgesellschaft, die von dieser Bundesregierung als ganz klares Zeichen gesetzt wird und die
sich auch in den Einzelansätzen der entsprechenden Titel
widerspiegelt. Die Zivilgesellschaft ist gleichzeitig das
Stichwort für etwas anderes, was wir mit wirtschaftlicher
Zusammenarbeit herbeiführen wollen, nämlich eine Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung unseres eigenen
Landes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Recht wurden
Rechtsextremismus und ausländerfeindliche Übergriffe
von den Medien und auch während dieser Haushaltsdebatte thematisiert. Mörderbanden gefährden in Deutschland lebende Ausländer und damit die Grundlagen zivilisierten Zusammenlebens.
({7})
Es ist ein Albtraum, dass afrikanische oder andere ausländische Freunde zu Besuch in unserem Land die Betroffenen sein könnten. Das Thema muss auch weiterhin
im Blickfeld der Öffentlichkeit bleiben. Aber wir müssen
dafür sorgen, dass die Nachrichten besser werden.
Entwicklungszusammenarbeit ist auch konkrete politische Bildung und Erfahrung.
({8})
Ich habe es schon einmal in diesem Haus gesagt: Kein
deutscher Jugendlicher, der mit jungen Menschen in einem anderen Land zusammengelebt und gearbeitet hat,
der trotz aller Armut Gastfreundschaft erlebt hat, wird je
einem anderen Menschen die Menschenwürde oder das
Menschenrecht absprechen.
({9})
Wir sollten vor demselben Hintergrund darüber nachdenken, wie wir Entwicklungszusammenarbeit gerade in
den neuen Bundesländern stärken können, wo sie aufgrund der politischen Realitäten nicht die Chance hatte,
sich so zu entwickeln, wie es in Westdeutschland der Fall
war.
({10})
In der ehemaligen DDR waren es kleine Oppositionsgruppen und besonders die Kirchen, die jenseits sozialistischer Jubelpropaganda das Verständnis, das Mitgefühl
und, soweit sie sich dort realisieren ließ, die tätige Mithilfe für Menschen außerhalb des eigenen Kulturkreises
wach gehalten haben. Den oft noch bis heute engagierten
Menschen möchte ich an dieser Stelle auch im Namen
meiner Fraktion Dank aussprechen.
({11})
Zum Thema Entsendeorganisationen und Stiftungen.
Ich denke, gerade zum Thema Stiftungen, das hier angesprochen worden ist, sollte man noch mal in der Detaildiskussion zum Haushalt überlegen, wie man hier Hilfestellungen organisieren kann. Entsendeorganisationen
und Stiftungen leisten wichtige Arbeit, aber erlauben Sie
mir, dass ich besonders die Kirchen erwähne, die mit ihren
Kampagnen von „Misereor“ und „Brot für die Welt“ nicht
nur viel Geld einsammeln und staatliche Zuwendungen
vermehren, sondern vor allen Dingen ein Bewusstsein
dafür bilden, dass Entwicklungspolitik auch Umsetzung
von Menschenwürde und Toleranz bedeutet. Das ist gerade auch für ein zivilisiertes Zusammenleben hier in unserer Gesellschaft von großer Bedeutung.
Dasselbe gilt für die Arbeit von VENRO und vielen anderen Nichtregierungsorganisationen. Sie sind das Salz
in der Suppe. Sie sind unverzichtbare Mitstreiter für Menschenwürde und sozialen Fortschritt in der Welt. Sie sind
unsere stärksten Verbündeten im Kampf gegen Rassismus
und Intoleranz, auch bei uns zu Hause.
({12})
Herr Kollege Dzembritzki, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Günther?
Bitte.
Herr Kollege,
Sie haben eben über die Bedeutung der Stiftungen und
der kirchlichen Organisationen gesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass aufgrund der Kürzungen im Transformprogramm zum Beispiel die Stiftungen in Mittel- und Osteuropa über 50 Prozent Einbußen innerhalb eines Jahres
haben und wir uns im Wesentlichen aus den Demokratiegebieten zurückziehen müssen?
Herr Kollege, ich habe
eben in meinem Beitrag gesagt, dass wir uns in den Haushaltsberatungen noch einmal diese besondere Situation
anschauen müssen, die ja auch damit zusammenhängt,
dass das Programm gestreckt worden ist. Sie müssen unterscheiden, dass die Kernarbeit der Stiftungen in der gleichen Weise fortgesetzt werden kann wie im Jahre 2000.
Es geht hier in besonderer Weise um diese Projektarbeit,
die Sie offensichtlich im Kopf haben und die ich ebenfalls
als sehr wichtig ansehe. Aber ich glaube, dass die Grundsatzdebatte heute hier im Haus diese Detailarbeit nicht
möglich macht. Sie haben von meiner Seite aus die Zusage, dass wir da noch einmal weitere Diskussionen
führen werden.
({0})
Meine Damen und Herren, den Nichtregierungsorganisationen gilt unser Dank und auch unsere Unterstützung.
Ich freue mich, dass dieser Etat trotz der Konsolidierung
nicht gekürzt wird. Er sollte vielmehr gerade in der politischen Bildung Verstärkung erfahren.
({1})
Trotz aller Erfolge, die wir zu verzeichnen haben, stehen wir weltweit vor großen Herausforderungen. Die
Bekämpfung von Aids, die Verstärkung der Armutsbekämpfung, die Förderung von regenerativen Energien,
die Ausstattung mit neuen Informationstechnologien in
den Entwicklungsländern: Das sind Aufgaben, die bewältigt werden müssen und wo auch zusätzliche Ressourcen
erarbeitet werden müssen. Die SPD-Fraktion wird sich
hier für positive Perspektiven einsetzen.
Tony Blair, Göran Persson, Wim Kok und Gerhard
Schröder haben am Rande des Millenium-Gipfels in New
York zu den nationalen und internationalen Aufgaben ein
Manifest vorgelegt. Die Regierungschefs fordern einen
neuen internationalen Sozialpakt und sprechen von Werten, die unserer Politik zugrunde liegen müssen - Werte
einer offenen, niemanden ausgrenzenden Gesellschaft,
die ebenso auf Verantwortung, auf Pflichten und auf
Rechten beruht. Das gilt weltweit und es gilt für jede Gesellschaft einzeln.
Meine Damen und Herren, all das kann zusammengefasst werden mit der Aussage: Es gibt keine Zukunft für
die reichen Länder, wenn es keine Hoffnung und Verbesserung für die armen Länder gibt.
({2})
Wir sind uns der Verpflichtung bewusst, für diese Werte
nach außen und im Innern einzustehen. Wir werden dieser Verpflichtung nachkommen.
Die Wiederherstellung ordentlicher Finanzen im eigenen Hause - ich hoffe, jetzt kommen auch Ihre Zwischenrufe: Wie wahr, wie wahr! - gehört zu den Prinzipien von „good governance“. Das ist eine Voraussetzung,
um auch künftig helfen zu können.
Zur Halbzeit dieser Legislaturperiode zeigt sich, dass
die Entwicklungspolitik trotz Haushaltskonsolidierung
eine deutliche Aufwertung erfahren hat. Für diese erfolgreiche Politik sage ich der Ministerin und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein herzliches Dankeschön.
({3})
Ich freue mich auf die nächsten zwei Jahre, wo wir das alles noch steigern werden.
Vielen Dank.
({4})
Sie wissen ja noch
gar nicht, ob ich Sie aufrufe.
({0})
Ich gebe jetzt dem
Kollegen Klaus-Jürgen Hedrich für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident,
ich darf mich für Ihre Großzügigkeit hier ganz herzlich
bedanken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ein
persönliches Wort: Lieber Kollege Dzembritzki, lieber
Detlef, ich darf mich natürlich für das Lob bedanken.
Wenn du das schon korrekt ausdrückst, dann ist das auch
in Ordnung. Herzlichen Dank dafür.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Berücksichtigung zweckgebundener Erhöhungen bleibt der Einzelplan 23 allerdings gegenüber der Finanzplanung unverändert und sinkt gegenüber dem Vorjahr 2000 um rund
149 Millionen DM: ein Minus von 2,1 Prozent.
({0})
„Der Finanzierungsspielraum für die entwicklungspolitischen Kernaufgaben wird zusätzlich durch wechselkursbedingte Mehrbedarfe verringert.“ Die Quelle für dieses
Zitat ist nicht ein CDU/CSU-Positionspapier, sondern die
aktuelle BMZ-Mitteilung zum Einzelplan 23. Verantwortlich unterschrieben hat der beamtete Staatssekretär, Herr
Stather. Diese Aussage ist schonungslos korrekt. Ihr gebührt dementsprechend Anerkennung. Demgegenüber
steht die Aussage: „Entwicklungsetat steigt im Jahr
2001.“ Dieses Zitat stammt von der Bundesministerin;
diese Aussage ist falsch. Einigen Sie sich bitte in der Leitung des Hauses, was richtig und was falsch ist.
({1})
Zumindest hat der Staatssekretär Recht. Es ist ungewöhnlich, wenn er der eigenen Ministerin widersprechen muss.
Daran wird übrigens deutlich, dass hier auch mit Haushaltstricks darauf hingearbeitet wird, den Eindruck zu erwecken, als steige der Etat tatsächlich. Ich wiederhole die
Zahlen, die in der Zwischenfrage des Kollegen Weiß noch
einmal deutlich geworden sind: Bisher standen für den
Stabilitätspakt 300 Millionen DM zur Verfügung. Das
wird jetzt auf 200 Millionen DM abgesenkt. Die Last
dafür trägt ausschließlich das BMZ; denn es hat in Zukunft 84 Millionen DM weniger. 100 Millionen DM bleiben beim Auswärtigen Amt. Diese Vereinbarung ist für
den Aufgabenbereich, für den das BMZ verantwortlich
zeichnet, überhaupt nicht angemessen.
({2})
Deshalb kann man einfach nur feststellen: Der Gesamtetat sinkt, die Mittel für den Stabilitätspakt sinken. Dies
sind die Fakten. Man kann sich durchaus darüber unterhalten, ob der Stabilitätspakt nicht überfinanziert war.
Aber dann soll man die Dinge beim Namen nennen und
nicht den Eindruck erwecken, als würden dort Haushaltsmittel erhöht.
({3})
Frau Ministerin, in diesem Zusammenhang hätte ich
gern einmal von Ihnen ein deutliches Wort zum Verhältnis zum Auswärtigen Amt gehört. Glauben Sie allen
Ernstes, dass der von mir sehr geschätzte beamtete
Staatssekretär Pleuger die Integration des BMZ ins Auswärtige Amt ohne die Rückendeckung seines Ministers
fordert? Ich würde Ihnen also empfehlen, sich in der Bundesregierung Klarheit darüber zu verschaffen, welche
Aufgabenteilung es in Zukunft geben wird. Es ist eine
Verunsicherung unserer Partner hier in Deutschland, in
den internationalen Organisationen und in den Entwicklungsländern, wenn keine Klarheit darüber besteht, dass
das BMZ auch für die Zukunft als ein eigenständiger Politikbereich angesehen wird.
({4})
- Ich habe bei der letzte Debatte ja die durchaus einmal
angedachten Überlegungen angesprochen, ob nicht das
Auswärtige Amt in das BMZ integriert werden sollte.
({5})
- Unter der Voraussetzung, lieber Hans Georg Wagner,
dass ich ab 2002 wieder Verantwortung trage, wäre ich
durchaus mit diesem Vorschlag einverstanden.
Eine weitere Bemerkung zur HIPC-Initiative: Sehr
verehrte Frau Ministerin, Sie haben auf der Weltbankkonferenz des letzten Jahres in Washington ausdrücklich zum
Ausdruck gebracht, dass Sie eine Vereinbarung mit dem
Finanzminister getroffen hätten, die Mittel für die HIPCInitiative würden nicht aus dem Einzelplan 23, sondern
plafondsteigernd zur Verfügung gestellt. Das Gegenteil ist
der Fall. Ich kann nur feststellen: Der BMZ-Haushalt
muss die Entschuldung für die Entwicklungsländer tragen, nicht der Bundeshaushalt insgesamt. Wenn Sie dies
von Anfang an erklärt hätten, hätte man sagen können, na
gut, das kann man nicht ändern. Aber Sie haben damals
groß angekündigt, dass das extra bezahlt und nicht zulasten des BMZ-Haushalts gehen werde. Die Fakten sind wie
in vielen anderen Bereichen andere.
Sie haben übrigens auch keine Vorsorge im Hinblick
auf die Dollarparität getroffen. Nun gebe ich Ihnen hier
insofern Recht, als wir das Spielchen seit Jahrhunderten
kennen.
({6})
- Ihr Haushälter habt es gerade nötig, auch noch mit
dem Kopf zu nicken. Das Spielchen ist immer das gleiche:
Ist der Dollarkurs günstig und die Ministerien, die mit
Dollarparitäten arbeiten müssen, erzielen Überschüsse,
kassiert es der Finanzminister ein. Ist die Dollarparität
ungünstig, müssen es die Ministerien erwirtschaften. Ich
halte das für eine unseriöse Vorgehensweise.
({7})
Das war bei Waigel und bei Lafontaine so und das ist bei
Eichel so. Trotzdem mein Appell an die Haushälter: Sie
können es letzten Endes entscheiden, eine solche Vorgehensweise des Finanzministeriums nicht mitzumachen.
({8})
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der mir am
Herzen liegt. Ich zitiere:
Mittlerweile ist die positive Grundstimmung im Ministerium einer deutlichen Ernüchterung gewichen.
Ein ständig wachsender Aufgabenkatalog bei gleichzeitigem Personalabbau, mangelnder Transparenz
von Informationsflüssen und häufigen Entscheidungen im kleinen Kreis ohne die Einbindung des im
Hause vorhandenen Sachverstandes beeinträchtigen
die Motivation der Belegschaft.
Das ist ein Zitat aus einem Schreiben der Gewerkschaftsvertreter an die Leitung des Hauses.
Hier wird die gesamte Problematik deutlich: ein abgrundtiefes Misstrauen, insbesondere der Ministerin, gegenüber den Mitarbeitern des BMZ. Dies spiegelt sich
auch in einer Fülle von Personalentscheidungen wider.
Der Personalrat hat darauf hingewiesen, er behalte sich
die Einberufung einer außerordentlichen Personalversammlung vor, wenn die Ministerin nichts korrigiere.
Dies ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des
BMZ. Man kann nur sagen: Die Ministerin sorgt für ein
absolutes Chaos im Ministerium und schadet damit dem
Ansehen der Entwicklungspolitik zu Hause und auch
weltweit.
({9})
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die Mitarbeiter über
mehrere Gehaltsstufen hinweg ad hoc befördern. Das ist
ein unüblicher Vorgang, zumindest im BMZ im Laufe der
vergangenen 20 bis 25 Jahre. Ich gehöre auch nicht zu
denjenigen - das ist nicht mein Vorschlag -, die einen verdienten Mitarbeiter Ihrer Partei von außerhalb des Hauses
vorbei an qualifizierten Mitarbeitern dieses Hauses für
eine der wichtigsten Positionen, die das BMZ zu vergeben
hat, nämlich für den Exekutivdirektor bei der Weltbank,
vorsehen.
({10})
Man kann den Namen ruhig nennen. Der Mann heißt
Deutscher und ist persönlich sehr sympathisch.
Der Punkt ist: Wir haben hoch qualifizierte Mitarbeiter
im BMZ, zum Beispiel den Unterabteilungsleiter - diejenigen, die sich mit der Materie beschäftigen, kennen ihn -,
Herrn Hinrichs, einen ausgewiesenen Experten für die
Fragen von Entwicklungsbanken, besonders der Weltbank. Er ist - in Klammern - Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und hätte es verdient, für
diese Position vorgesehen zu werden. Es ist nicht in Ordnung, dass aus Kleinkariertheit Leute an den qualifizierten Mitarbeitern des BMZ vorbei in solche wichtigen Positionen berufen werden. Das schadet der Motivation und
dem Ansehen unserer Politik.
({11})
- Das gehört sehr wohl ins Plenum. Ich kann mir vorstellen, was Sie für ein Theater aus einem solchen Vorgang
gemacht hätten, wenn sich so etwas unter einer CDU/
CSU-geführten Bundesregierung im BMZ ereignet hätte.
Da hätte ich Sie einmal sehen wollen.
({12})
Eine letzte Bemerkung: Bei allen Gegensätzen gibt es
aber auch manchmal Anlässe, bei denen wir innehalten
sollten und uns darüber Rechenschaft ablegen sollten, ob
alles das, worüber wir uns streiten, so wahnsinnig wichtig
ist und im Interesse der Menschen in Deutschland, insbesondere der Menschen in unseren Partnerländern liegt.
Der Herr Kollege Dzembritzki hat bereits darauf hingewiesen.
Wir sollten am Schluss unserer Debatte darauf hinweisen, dass die Leitung unseres Hauses heute nicht vollständig auf der Regierungsbank vertreten ist. Sie werden
festgestellt haben, dass die Kollegin Uschi Eid fehlt. Sie
ist erkrankt. Ich glaube, es ist angemessen, wenn wir ihr
von dieser Stelle aus alles Gute wünschen. Wir hoffen,
dass sie möglichst wieder in diesem Plenum sitzen wird.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich gebe das Wort der
Kollegin Wieczorek-Zeul zu einer Kurzintervention.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf ein paar angesprochene Punkte eingehen, und zwar zunächst auf die, wie
ich meine, völlig unverständliche Trennung in angebliche
Kernaufgaben von Entwicklungszusammenarbeit und
neue Aufgaben. Wer ein Verständnis davon hat, welche
Gestaltungsnotwendigkeiten sich ergeben, wird es nicht
trennen, sondern wird es gerade integriert sehen. Tatsache
ist, dass der größte Teil der südosteuropäischen Länder
Entwicklungsländer sind und wir infolgedessen unsere
Arbeit dort konzentrieren.
Zweiter Punkt. Ich habe die gesamte Debatte verfolgt
und wiederhole: Man kann der Bundesregierung nicht einerseits sagen, sie spare nicht genug, und ihr andererseits
jeden konkreten Fall, in dem gespart werden muss, vorwerfen. Wir müssen die Finanzmisere ausbaden - das ist
der Sachverhalt -, die Sie uns hinterlassen haben. Das ist
die lautere Wahrheit.
({0})
Dritter Punkt. Zur Frage der HIPC-Mittel möchte ich
Folgendes sagen - das geht an den Kollegen Günther genauso wie an den Kollegen Hedrich -: Wir finanzieren insgesamt bilaterale Mittel in Höhe von 10 Milliarden DM,
die nicht zurückfließen - ich bitte, das nicht einfach kleinzureden -, und leisten einen Beitrag zur entsprechenden
Treuhandinitiative der Weltbank in Höhe von 150 Millionen DM. Diese Mittel müssen in den Haushalten zusätzlich ausgewiesen werden.
Vierter Punkt. Ich möchte ausdrücklich feststellen,
dass die Arbeit der Stiftungen im Rahmen des Stabilitätspaktes durch die Streckung der Mittel auf fünf Jahre nicht
behindert werden wird. Ich sage ausdrücklich zu, dass wir
die Arbeit der Stiftungen weiter unterstützen und mit ihnen zusammen die entsprechenden Fragen klären werden.
Der letzte Punkt betrifft das, was Herr Hedrich angesprochen hat. Herr Hedrich, es hat immer ein hohes Maß
an Peinlichkeit, wenn sich jemand, der über Jahre hinweg
die Möglichkeit hatte, etwas zu gestalten, hier zu Personaldiskussionen äußert.
({1})
Es wäre in Ordnung gewesen, wenn Sie dafür gesorgt hätten, dass wenigstens eine Frau eine Funktion auf Abteilungsleiterebene unseres Ministeriums ausgeübt hätte.
Als ich das Ministerium übernahm, war die Situation so,
dass sich unter 13 Funktionsträgern - Abteilungsleiter
und Unterabteilungsleiter - nur eine einzige Frau befand.
({2})
Nach meiner Meinung muss ein Ministerium, das sich
das „empowerment“ von Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit weltweit zur Aufgabe gemacht hat, auch
Frauen im eigenen Hause in Führungspositionen bringen.
({3})
Deshalb bekommt nun eine Frau eine Abteilungsleiterstelle. Ich bitte derartige Unterstellungen, wie sie vorhin
gemacht wurden, zu unterlassen. Hätten Sie im eigenen
Hause etwas für die Frauenförderung getan, dann müssten wir jetzt nicht über solche Fragen diskutieren.
({4})
Zu einer Erwiderung
erteile ich das Wort dem Kollegen Hedrich.
Herr Präsident!
Sehr geehrte Frau Ministerin! Den letzten Punkt habe ich
gar nicht angesprochen. Ich habe lediglich kritisiert, dass
Sie Leute von außen geholt haben, die die entsprechende
Qualifikation, die sie für die Funktion haben sollten, nicht
haben, und an Dutzenden von qualifizierten Mitarbeitern
vorbei befördert haben. Ich frage in diesem Zusammenhang sehr deutlich: Wie können wir unsere Partnerländer,
mit denen wir im Dialog sind, auffordern: „Hört mit der
Postenschacherei und der Klüngelwirtschaft auf!“, wenn
wir das Gleiche in unserem eigenen Ministerium praktizieren?
({0})
- Das ist der Sachverhalt. Es muss Sie ja wahnsinnig irritieren, wenn Sie sich darüber so aufregen.
Der zweite Punkt. Sie haben definitiv Unrecht, Frau
Ministerin, wenn Sie auf die Stiftungen und die Kirchen
verweisen. Die jetzt im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Mittel für den Stabilitätspakt
in Südosteuropa ermöglichen den Stiftungen, den Kirchen
und den Nichtregierungsorganisationen nicht die Fortsetzung angefangener Projekte im nächsten und übernächsten Jahr.
Wir verlassen uns hier - wahrscheinlich wissen Sie
das, aber Sie müssen es hier bestreiten; das gehört zum
Geschäft - auf die Zusage - die fand ich sehr wohltuend des haushaltspolitischen Experten Ihrer Fraktion, Herrn
Dzembritzki, die er im zuständigen Fachausschuss gegeben hat, nämlich dass wir diese Frage noch einmal sorgfältig unter die Lupe nehmen werden. Nach dem, was er
angedeutet hat, werden wir entgegen Ihrer Aussage, die
Sie hier gemacht haben, eine Lösung finden, die den Stiftungen, den Kirchen und den Nichtregierungsorganisationen helfen wird.
({1})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. September 2000,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.