Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/12/2000

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSUFraktion.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister hat sich bemüht, einen Eindruck von der Wirklichkeit zu vermitteln, der nicht den Tatsachen entspricht. ({0}) Es begann mit der Beschreibung der Wirkungen der Politik - bei den entsprechenden Haushaltszahlen waren seine Ausführungen allerdings relativ bescheiden - und gipfelte in der Feststellung, die er - ich habe genau gezählt - viermal gemacht hat: Wir sind mit unserer Politik vorangekommen, ohne zusätzliche Schulden zu machen. - Dies war die erste mehrfach wiederholte falsche Behauptung. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, der Schnitt sei vor einem Jahr gemacht worden und ab dann sei es in die richtige Richtung gegangen. Was war eigentlich in dem Jahr davor? Sind Sie nicht schon zwei Jahre an der Regierung? Wer hat eigentlich damals die Politik gestaltet? Wenn ich Bilanz ziehe, stelle ich fest: Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass Sie in den ersten beiden Jahren 100 Milliarden DM - 49 Milliarden DM plus 51 Milliarden DM - neue Schulden gemacht haben. Um diese Schulden zu tilgen, kann man jetzt möglicherweise die Erlöse aus der UMTS-Auktion einsetzen. Aber die Tatsache bleibt, dass Sie bis jetzt nicht ohne neue Schulden ausgekommen sind. Wenn Sie immer wieder die Formulierung „raus aus der Schuldenfalle“ gebrauchen, die Ihnen offensichtlich Herr Schmidt-Deguelle aufgeschrieben hat, dann leugnen Sie natürlich gegenüber der Öffentlichkeit, dass diese Schuldenfalle in einem ganz erheblichen Maße von sozialdemokratisch regierten Ländern zu verantworten ist, die immer mit dabei gewesen sind, wenn es darum ging, draufzusatteln und Forderungen im Interesse der Länder und auch außerhalb der Länderinteressen zu erheben. ({1}) Ich will jetzt nicht meine Redezeit darauf verwenden, das geradezurücken, was Sie falsch dargestellt haben. Ich könnte über das Thema „größte Steuerreform der Geschichte“ reden. Sie haben offensichtlich die Steuerreformen der Jahre 1986, 1988 und 1990 von Gerhard Stoltenberg vergessen, die immerhin zu einem Beschäftigungszuwachs von 2 Millionen geführt haben. ({2}) Sie haben gesagt, die Antwort müsse lauten: Wachstum und Beschäftigung ankurbeln. Weshalb sind wir dann in Europa - nur Italien liegt hinter uns - Vorletzter, was das Wirtschaftswachstum betrifft? Sie haben ferner gesagt, wir hätten nicht genügend im Bereich der erneuerbaren Energien getan. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass auch nur ein einziges Kernkraftwerk in den 16 Jahren der Regierung Helmut Kohl gebaut wurde. Sie wurden alle vor dieser Zeit gebaut. Ich stelle aber fest, dass im Jahre 1998, in dem Jahr also, in dem Sie die Regierung übernommen haben, Deutschland Weltmeister im Bereich der erneuerbaren Energien, der Windenergie und der Solarzellenproduktion, war, dass dies unter der Verantwortung der damaligen Umweltministerin der CDU/CSU gestaltet worden ist und dass Sie heute bei den Gesetzen, die Sie in diesem Zusammenhang vor wenigen Monaten beschlossen haben, mit der EU Probleme haben. Dies betrifft unter anderem die Fragen, ob es Beihilfen gibt oder nicht und ob das Erneuerbare-Energien-Gesetz Bestand haben wird oder nicht. Sie haben das Thema Staatsbürgerschaftsrecht angesprochen. Es ist klar, dass Ihnen das nach Ihrer Abwahl als hessischer Ministerpräsident im Frühjahr 1999 noch in Erinnerung ist. Ob deswegen die damalige Position wiederholt werden muss, ist die Frage. Was das Fördern und Unterstützen der Familien betrifft: Ich habe gestern in der Zeitung gelesen, dass Frau Simonis, Ihre ehemalige Kollegin als Ministerpräsidentin, gesagt hat, sie lehne die Rentenreform ab, weil sie besonders Familien mit Kindern bestrafe. Ich stelle fest, dass die Ausgaben für das Erziehungsgeld im kommenden Jahr verringert werden. Sie aber sprechen von einer Steigerung, von Mehrausgaben usw. Sie sind inzwischen - das will ich gar nicht bestreiten Meister der Etikette geworden. ({3}) - Ja, Meister des Etiketts. Etikette ist die Mehrzahl von Etikett. ({4}) Die Flasche aber ist leer. Das, was auf der Flasche steht, ist nicht drinnen. Das gilt in besonderem Maße für das Sparen. Und wenn etwas anderes auf der Flasche steht, als drinnen ist, dann ist das ein Etikettenschwindel. Das ist doch ganz klar, Herr Poß. ({5}) Herr Eichel, Sie haben sich schließlich auf die Zustimmung der Menschen im Land berufen, indem Sie gesagt haben: Das verstehen auch die Menschen; sie befürworten den Kurs der Regierung. Sie haben Ihre Rede offensichtlich schon vor zwei, drei Monaten geschrieben. Denn wenn Sie sich heute auf der Straße umsehen, werden Sie feststellen: Die Menschen erwarten etwas ganz anderes als diesen Kurs. ({6}) Sie haben im Zusammenhang mit dem Rohöl von 20 Milliarden DM gesprochen. Meine Rechnung, die, so glaube ich, jeder nachvollziehen kann, ({7}) lautet: Heute kostet der Liter Sprit 60 Pfennig mehr als vor einem Jahr. Bei einem Verbrauch von 60 Milliarden Tonnen Sprit kostet das den Autofahrer 36 Milliarden DM mehr. Von den 60 Pfennig Mehrkosten haben Sie - gewissermaßen als Trittbrettfahrer der OPEC - die Mehrwertsteuer, also 9,8 Pfennig, und 12 Pfennig, die auf der ersten und zweiten Stufe der Ökosteuer beruhen, zu verantworten. 22 Pfennig von diesen 60 Pfennig Mehrkosten gehen also auf Ihre Kappe. Dabei habe ich die anderen Energieträger noch gar nicht erwähnt. ({8}) - Wenn sich der Preis erhöht, dann geht auch der Anteil der Mehrwertsteuer in die Höhe. Das müsste ein Haushälter eigentlich wissen. ({9}) Nun eine Rechnung bezüglich des Heizöls: Wer heute 3 000 Liter Heizöl bunkert, muss dafür doppelt so viel wie vor einem Jahr bezahlen. Er zahlt 1 500 DM mehr. Wenn Sie das, gemessen an der Heizölmenge, die in Deutschland voraussichtlich verbraucht wird, addieren, dann ergibt dies einen zusätzlichen Betrag von 18 Milliarden DM. In dieser Rechnung sind die Bereiche Strom und Gas noch nicht einmal berücksichtigt. Dies bedeutet doch, dass die Kaufkraft abgeschöpft wird, dass das Realeinkommen der Menschen niedriger wird. Wenn Sie dem eine Steuerentlastung von in der Tat rund 40 Milliarden DM im nächsten Jahr ({10}) gegenüberstellen, die Menschen gleichzeitig aber etwa 65 Milliarden DM mehr zahlen müssen, dann ist doch klar, dass trotz dieser großen Steuerreform bei den Bürgern nichts ankommt und für Investitionen und dafür, dass die Bevölkerung mehr Geld in der Tasche hat, nichts übrig bleibt. Dies ist eine relativ einfache Rechnung. ({11}) Nun gibt es eine Reihe von Menschen, die sich - in Einzelfällen muss man schon sagen: in ihrer Verzweiflung - dazu entschließen zu demonstrieren. ({12}) Dies sind Spediteure, Arbeitnehmer bzw. Menschen, die sagen: Das kann so nicht weitergehen; die Wirtschaftskraft meines kleinen Unternehmens - ich habe meine Preise vor einem Jahr festgelegt - leidet darunter. Vor diesem Hintergrund höre ich gestern den Bundeskanzler ziemlich arrogant sagen: Da rufen ja Menschen zur Nötigung auf. Das ist empörend, was dort geschieht. Man kann doch keinen Gesetzesbruch zulassen. Diese Äußerungen wundern mich umso mehr, da ein Teil der Kabinettsmitglieder, insbesondere die betagteren, aus einer Zeit stammen, als Demonstrieren, gewaltsames Demonstrieren und Gewalt gegen Sachen noch absolut in Mode waren. ({13}) Dass die nun heute hergehen und sagen, es sei eine Zumutung, wenn Menschen für ihr Recht auf der Straße eintreten würden, muss zumindest erstaunen. Meine Damen und Herren, wenn man die Basis dieses Haushalts ansehen will, muss man zunächst den Verlauf, den der Haushalt genommen hat, betrachten. Beim Haushalt für das Jahr 2000 liegt inzwischen kein Stein mehr auf dem anderen. Ich nenne: Dollarkurs, Zwangsarbeiter, EXPO, Postunterstützungskasse, Arbeitslosenhilfe, Steuermehreinnahmen, Wohngeld, Privatisierungserlöse und Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit. Ohne die Privatisierungserlöse aus den UMTS-Lizenzen sähe der Haushalt wesentlich anders aus, als er ursprünglich beschlossen wurde. Das bedeutet aus der Sicht der Haushälter und aus der Sicht der Opposition: Wir brauchen einen Nachtragshaushalt. Wir brauchen einen Haushalt, bei dem die Realität mit den Haushaltszahlen in Einklang steht. Ich sage das auch bezogen auf die 100 Milliarden DM aus den UMTSLizenzen. Ich möchte gern wissen, wo die im Moment sind. Sie verweigern dem Parlament die Auskunft darüber. ({14}) - Ich denke, bezüglich des Sparkurses, den Sie einleiten, wäre das zumindest volkswirtschaftlich dumm, weil Sie das Geld so lange Gewinn bringend anlegen könnten, bis Sie die Schulden, die Sie selber in den ersten zwei Jahren gemacht haben, zurückgeführt haben. Das Parlament darüber im Unklaren zu lassen, wie und wo genau die Mittel eingesetzt werden, halte ich für verfassungsrechtlich bedenklich. ({15}) Das Budgetrecht ist das oberste Recht des Parlaments. ({16}) Sie geben den Koalitionsabgeordneten ein wenig Spielmaterial an die Hand. Sie sagen: Über die 5,5 Milliarden DM an Zinserträgen könnt ihr euch unterhalten. Ich füge hinzu: Vielleicht nicht über den ganzen Betrag, denn Herr Metzger spricht nur von 4 Milliarden DM und zeigt damit, dass er eine richtige Alternative in der Koalition, in der Opposition innerhalb der Koalition, darstellt. Weiter sagen Sie: Über die 100 Milliarden DM entscheide ich. Ich verstehe, dass man, wenn man selbst nicht Abgeordneter ist, eine gewisse Distanz hat. ({17}) Es kann aber doch nicht so sein, dass das Parlament bei wesentlichen Entscheidungen über den Haushalt ausgeklammert wird. ({18}) - Doch, das ist der Bruch der Verfassung. ({19}) Herr Finanzminister, ich vergleiche nun die Realität mit den Zahlen. Ich verstehe, dass es einen irritiert, wenn man feststellt - so war es nach den letzten Haushaltsberatungen, insbesondere im Haushaltsausschuss -, dass der Haushalt hinterher genauso aussieht wie vorher. Man hat nichts machen können und versteht sich praktisch als „Fielmann-Koalition“, nach dem Motto: keinen Pfennig dazu bezahlt und nichts verändert. ({20}) Wir haben ein anderes Verständnis von der Aufgabe des Parlaments. Wir sagen: Wir wollen die Politik der negativen Rekorde beenden. Nie haben die Menschen mehr Steuern in Deutschland gezahlt als in diesem Jahr, nie ist mehr an Ausgaben getätigt worden als in diesem Jahr. Die Ausgaben - Herr Eichel, Sie haben gesagt: „Wir sparen!“ - steigen gegenüber dem Jahr 1998 um 22 Milliarden DM. Die Sparschweine auf Ihrem Schreibtisch dürften inzwischen an Magersucht dahingeschieden sein. Sie werden sich kaum noch auf den Beinen halten können, weil nicht wirklich gespart wird, jedenfalls nicht beim Konsum, sondern nur bei den Investitionen. ({21}) Sie haben einen Rekord an Privatisierungserlösen. Das ist das, was Sie früher als Verschleuderung von Tafelsilber bezeichnet haben. Das ist eine gewaltige Bugwelle aus unserer Regierungszeit; das wird jetzt in großem Stil eingesetzt. Sie haben einen Rekord bei den Energiepreisen in Deutschland und einen negativen Rekord bei den Investitionen erreicht. Die Zahlen, die Sie genannt haben - auch auf die Forschung bezogen -, sind eindeutig falsch, und zwar sowohl die absoluten als auch die relativen Zahlen. Der Bundeskanzler hat vor der Wahl - Sie, Herr Eichel, waren daran noch nicht beteiligt - versprochen, dass die Investitionsausgaben für die Forschung verdoppelt würden. ({22}) Betrachten wir die heutigen Zahlen - ich nehme dabei Forschung und Technologie zusammen und ziehe den Forschungshaushalt und den Haushalt des Wirtschaftsministers heran -: Ich stelle fest, dass im nächsten Jahr etwa 1,5 Milliarden DM weniger für Forschung und Technologie ausgegeben werden. Das ist Ihre Steigerung von Zukunftsinvestitionen. Sie setzen das auch bei den Investitionen im Bau- und Verkehrsbereich fort. Die Ausgaben betrugen im Jahr 1998 für beide zusammen 54 Milliarden DM, im kommenden Jahr werden es exakt 10 Milliarden DM weniger sein. Dann reden Sie davon, dass wir eine Steigerung der Investitionen hätten, die wir ja dringend brauchen, um zu verhindern, dass die Leute morgens mit Wut mit ihrem Auto zur Arbeit fahren, weil sie ständig im Stau stehen und wertvolle Zeit verplempern. Wir könnten uns die dringend notwendigen Investitionen im Straßenbau leisten. Aber nein, hier geben Sie weniger Geld aus. Das Geld, das Sie den Autofahrern aus der Tasche ziehen, geben Sie anderweitig aus. Investitionen werden nicht getätigt. Dies gilt in gleicher Weise für die Schiene. Sie reden davon, dass Sie die Einnahmen der Ökosteuer für die Rente verwenden müssten. Ich glaube, es ist an der Zeit, der Öffentlichkeit einmal deutlich zu machen, dass in Deutschland - Sie wissen das - das Gesamtdeckungsprinzip gilt. Das heißt, alle Einnahmen kommen in den großen Topf und aus dem großen Topf wird dann gezahlt. Die Behauptung, es gebe eine Zweckbindung in einem bestimmten Bereich, etwa eine so genannte Ökosteuer für Energie oder eine andere Steuer, die in einen anderen Bereich geht, ist eindeutig falsch. Es gibt auch keine Zweckbindung für Tilgungseinnahmen. Das ist eindeutig falsch. Insofern war die Diskussion um die Erlöse durch die UMTS-Lizenzen auch ziemlich albern. ({23}) Damit auch Sie das erfahren, will ich Ihnen sagen, wie wir „UMTS“ übersetzen - die Kollegin kennt das schon, aber ich sage es trotzdem -: unerwartete Mehreinnahmen trotz Schröder. ({24}) - Ich gebe zu, das war unvollständig. Es müsste heißen: unerwartete Mehreinnahmen trotz Schröder und Eichel. Denn Eichel war 1994 daran beteiligt, die Postreform zu verhindern. Sie haben also hier Windfall Profits in größtem Stile. ({25}) Wenn im Herbst der Börsengang der Post ansteht, geht das in genau die gleiche Richtung. Ich hoffe, Sie stehen ein bisschen beschämt an der Seite, wenn nachher die Erträge einkassiert werden - unerwartete Mehreinnahmen trotz Schröder und Eichel. Sie waren gegen jede Privatisierung. Auch haben Sie im Bundesrat gegen das Haushaltsgrundsätzegesetz gestimmt. Ich war beim Thema „Zweckbindung von Einnahmen und Ausgaben“, bei der Ökosteuer. Inzwischen sagt der Kollege Loske, ein grüner Abgeordneter und umweltpolitischer Sprecher: Sollten sich die Reformvorschläge nicht den demographischen Realitäten stellen, sehe er keine Zukunft für die Finanzierung durch die Ökosteuer. Das Ökosteueraufkommen zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge einzusetzen habe sich als problematisch erwiesen. In der Tat: Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen Einnahmen aus einer bestimmten Quelle und Ausgaben an einer anderen Stelle. Insofern beschwindeln Sie die Menschen, wenn Sie sagen, dass die nächsten Stufen - nämlich drei mal sechs, also 18 Pfennig, jeweils zum 1. Januar 2001, 2002 und 2003 -, die bereits beschlossen sind, notwendig sind. Sie greifen also noch einmal dem Autofahrer in einer Milliardengrößenordnung in die Tasche. Auch ohne diese Entscheidung kann eine vernünftige Rentenreform gemacht werden. Ich betone dies noch einmal, weil wir ganz klar sagen: Diese Ökosteuer muss weg. ({26}) Die Einnahmen, die an anderer Stelle in Rekordhöhe erzielt werden, dürften ausreichen, um die Ausgaben für die falschen Strukturen, die Sie bei der Altersversorgung, bei der Rentensicherung im Bundeshaushalt verankert haben, tätigen zu können. Ich möchte das sagen, weil Sie das Thema Energie in besonderer Weise beschäftigt. Ich habe davon gesprochen, dass Deutschland beim Wachstum an vorletzter Stelle steht. Dies hat natürlich auch Bedeutung für den Kurs des Euro und damit für die Rohölpreise. Das Rohöl kommt übrigens wohl nicht aus dem Bereich der OPEC, sondern aus der Nordsee. Das spielt aber keine Rolle. Der Preis ist der Gleiche. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu der Frage machen, die Sie mit Konsolidierungsverpflichtung und Altlasten umschrieben haben. ({27}) - Weil von Ihnen versucht wird, in größtem Maße Verwirrung zu stiften. ({28}) Wir haben 1982 350 Milliarden DM Schulden von Helmut Schmidt übernommen. Alex Möller, bereits 1971, vor der sozialdemokratischen Haushaltspolitik warnend, zurückgetreten, hat 1981 ein Buch geschrieben: „Schuld durch Schulden“. ({29}) Danach wurden in der Tat zusätzliche Schulden gemacht, im Wesentlichen bedingt durch die Wiedervereinigung. Wer dies immer wieder uns anlasten will, der muss zugeben, dass er versucht, sich von der Geschichte abzukoppeln, und die Verpflichtung aus der Wiedervereinigung nicht anerkennt. ({30}) Ich habe darauf hingewiesen, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Vergleich zum Jahr 1998 zurückgehen. Wie damit eine sinnvolle Mittelstands- und Technologiepolitik betrieben werden soll, bleibt ein Rätsel. Im Verkehrs- und Bauetat sieht das ganz genauso aus. Am dramatischsten ist die Situation in den neuen Bundesländern. Hier kürzen Sie - man muss das im Kontext des Besuchs, der Besichtigung des Bundeskanzlers der neuen Bundesländer in den letzten Wochen sehen - um 3 Milliarden DM. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle stellte vor zwei Tagen fest, dass die Wirtschaftsentwicklung in den neuen Bundesländern zum Stillstand gekommen ist. Dies alles muss doch ein Grund sein, zu überlegen, ob nicht andere Schritte als die von Ihnen im Haushaltsverfahren eingeleiteten vorgenommen werden sollten. Deswegen sagen wir: Wir fordern eine Stärkung der Investitionen. ({31}) Wir wollen mehr für Straßenbau und Schiene tun. ({32}) Wir fordern eine Stärkung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Auch hier muss man das, was Sie erklärt haben, geraderücken. Sie haben behauptet, das BAföG sei nun geändert, alles sei prima. Dabei müssen Sie feststellen, dass die große BAföG-Reform offensichtlich unter den Tisch gefallen ist. ({33}) - Die große BAföG-Reform ist unter den Tisch gefallen. Was jetzt vorgelegt wird, entspricht dem, was die Union gesagt hat, ({34}) was die Union vorgeschlagen hat, und kommt im Übrigen eine Reihe von Jahren später, als es möglich gewesen wäre. ({35}) Ich könnte das Gleiche auch auf das Thema Städtebauförderung beziehen. Ich könnte Ihnen, Herr Minister, jetzt vorhalten, was Sie als Ministerpräsident in Hessen unmittelbar vor der Bundestagswahl gesagt haben. ({36}) Dort haben Sie gesagt - 25. September 1998 -: Im Städtebau und Wohnungswesen hat sich der Bund fast vollständig aus der Finanzierung zurückgezogen. Das ist keine Politik, die Zukunft hat. ({37}) Das hat ja wohl bedeutet, dass Sie sagen, es müsste mehr Geld bereitgestellt werden. ({38}) Was tun Sie? - Bei der Städtebauförderung im Westen: mickrige Beträge! ({39}) - Wir wollen hier ganz eindeutig um eine halbe Milliarde DM erhöhen. Sie sagen weiter: Wenn ich an die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ denke, sind wir uns im Bundesrat einig, dass im Osten nicht gekürzt werden darf. Was tun Sie? - 300 Millionen DM weniger bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in den neuen Bundesländern. Herr Finanzminister, Sie sagen, in diesem Haushalt - ({40}) - Ich zitiere Sie jetzt. Sie können nachher nicht sagen: Der erzählt etwas, was nicht in Ordnung ist. ({41}) - Ja, ist ja gut! Sie sagen: In diesem Haushalt sind die Investitionen so weit heruntergefahren worden, wie das früher nie der Fall war. - Sie bezogen das auf das Jahr 1998. In diesem Jahr ist das aber der Fall. Die Investitionen gehen deutlich herunter. Deswegen sagen wir: Es muss eine Veränderung der Politik stattfinden, eine Veränderung der Politik weg vom Konsum hin zu den Investitionen. ({42}) - Die Frage will ich Ihnen ganz klar beantworten, lieber Herr Kollege. Wenn Sie in den letzten Wochen vor der Steuerreform, vor der gekauften Steuerreform, ({43}) Zeitung gelesen haben, werden Sie fast jeden Tag eine ganzseitige Anzeige des Bundesfinanzministers gesehen haben, die nicht viel Inhalt hatte, ({44}) Sie hatte einfach nur das Ziel, die eigene Politik darzustellen und für sie zu werben, ohne eine inhaltliche Aussage zu treffen. Addieren Sie die Kosten für diese Anzeigen einmal, auf das ganze Jahr bezogen. Sie stellen fest: 160 Millionen DM werden in diesem Jahr unter dieser Regierung für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben. Da kann man nur sagen: Das Geld ist zum Fenster hinausgeworfen. ({45}) Das Gleiche gilt für die Verfügungsmittel. Kein Minister unter der alten Regierung hatte so viel Geld zur privaten Verfügung wie in dieser Regierung. ({46}) Mit „zur Verfügung“ meine ich, wo er selbst entscheiden kann, für wen und was er sie verwendet. Nennen Sie das Sparen? Sie können die anderen Bereiche, angefangen bei der Öffentlichkeitsarbeit, den ganzen Haushalt durchforsten. Dann kommen Milliardenbeträge zusammen, bei denen Sie feststellen: Der Konsum wird aufgebläht und die Investitionen werden gesenkt. ({47}) Meine Damen und Herren, es muss darum gehen, jetzt die Steuern wirkungsvoll zu senken, damit die Bürger etwas von der Steuerreform haben. Es muss darum gehen, Investitionen zu stärken. Es muss darum gehen, Forschungsausgaben zu steigern. Es muss darum gehen, den Staatskonsum einzudämmen, die Nettokreditaufnahme zu verringern und vor allen Dingen die Abgaben zu senken. Sonst kriegen Sie schon bei der nächsten Wahl eine ziemlich klare Quittung wie bei den Oberbürgermeisterwahlen in den letzten Wochen in Ihrem Bundesland, Herr Finanzminister. Herzlichen Dank. ({48})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Austermann, ich glaube, dass wir mit Ihnen in den nächsten Wochen noch manche Diskussion über Käuflichkeit der Politik führen werden. ({0}) Nehmen Sie es nicht als Polemik, aber nach diesem Beitrag wurde mir und sicherlich auch anderen erst richtig deutlich, warum Herr Rühe darauf verzichtet hat, Sie als Schattenfinanzminister für Schleswig-Holstein vorzusehen. ({1}) Sie haben zuletzt Steuersenkungen gefordert. Warum haben Sie heute nicht das wiederholt, was Sie öffentlich gefordert haben: Steuersenkungen aus den UMTS-Erlösen? Sind Sie da von Herrn Merz zurückgepfiffen worden? Denn er hat doch ganz eindeutig gesagt: So, wie Herr Eichel es vorgesehen hat, ist es richtig. - Auch diese Forderung von Ihnen war nicht sehr glaubwürdig, weil nicht finanzierbar. Herr Austermann, man kann nicht die Rolle des gestrengen Haushälters annehmen, wenn man intellektuell und sachlich so unredlich argumentiert, wie Sie das heute Morgen hier gemacht haben. ({2}) Inzwischen hat es sich in unserer Republik herumgesprochen, dass wir, diese Koalition, mit dem Bundeshaushalt 2001 und dem Finanzplan des Bundes bis 2004 einen weiteren Meilenstein einer erfolgreichen Finanzpolitik setzen. Dazu kommt die endgültige Verabschiedung des Steuersenkungsgesetzes am 14. Juli. Beide Projekte zeigen: Die Finanzpolitik der Regierungskoalition ist verlässlich und verantwortungsbewusst. Die Finanzpolitik der Regierungskoalition ist mutig; denn sie beschränkt sich nicht auf kleine Korrekturen am Status quo. Die Finanzpolitik der Regierungskoalition ist gestaltend und vorausschauend. Sie löst die aktuellen Probleme, hat aber auch die Sicherung der Zukunft und die Interessen nachfolgender Generationen im Blick. ({3}) Die überwiegende Mehrheit der Deutschen sieht das inzwischen ebenso. Damit erkennt sie im Übrigen die überragende Leistung insbesondere unseres Bundesfinanzministers an, für die wir ihm herzlich danken. ({4}) Die Zukunftssicherung ist der entscheidende Punkt. Hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen der Regierungskoalition und der Opposition. Wir haben das größte Haushaltssanierungspaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland durchgesetzt, das im laufenden Jahr zu Haushaltsentlastungen von fast 30 Milliarden DM führt. In den Folgejahren steigen sie bis auf 50 Milliarden DM an. Das hat uns bei den Betroffenen viel Ärger eingebracht. Wir mussten im letzten Jahr politisch viel Blutzoll zahlen. Aber wir haben das gemacht, weil wir das für richtig gehalten haben, und es war auch richtig. ({5}) Denn der Bund muss seine finanzielle Handlungsfähigkeit bewahren. Herr Rexrodt, weil Sie dazwischengerufen haben: Sie hatten dazu nicht den Mut. Jahr für Jahr mussten Sie sogar darum bangen, ob es Ihnen überhaupt gelingt, einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen. Bei Ihnen wurde nicht gespart, sondern getäuscht und getrickst. ({6}) Sie hatten die finanzielle Handlungsfähigkeit des Bundes im höchsten Maße gefährdet. Wir werden diese finanzielle Handlungsfähigkeit wiederherstellen und erhalten. Der Unterschied zwischen uns und der CDU/CSU und auch der F.D.P. ist: Wir setzen auf die Solidarität mit unseren Kindern und Enkeln. Sie setzen des parteitaktischen Vorteils wegen auf puren Egoismus. Das ist der Unterschied zwischen uns. ({7}) In diesem Zusammenhang muss auch über die Ökosteuer geredet werden, weil auch das viel mit unserer Zukunft zu tun hat. Ist Ihre Ökosteuerkampagne das, was Sie unter Rückkehr zur sachlichen Auseinandersetzung und zur Sachpolitik verstehen? Sachliche Auseinandersetzung setzt zunächst einmal die Kenntnis von Fakten voraus: Erstens. Die Ökosteuer ist ein unverzichtbarer Faktor bei der Begrenzung und Zurückführung der Sozialabgaben. Ihr Aufkommen fließt, Herr Austermann, bis auf 200 Millionen DM vollständig in die Rentenkasse, ({8}) sodass die Bürger die Ökosteuereinnahmen über geringere Rentenbeiträge zurückerhalten. Das ist die Wahrheit. ({9}) Zweitens. Die alte Regierung Kohl/Waigel hat die Mineralölsteuer in der ersten Hälfte der 90er-Jahre um mehr als 50 Pfennig erhöht: am 1. Januar 1989 um 9 Pfennig, am 1. Januar 1991 um 3 Pfennig, am 1. Juli 1991 um 22 Pfennig - auch Frau Merkel wird sich daran noch erinnern, was sie mit zu verantworten hatte -, am 1. Januar 1994 um 16 Pfennig. Insgesamt sind das 50 Pfennig im Zeitraum von 1989 bis 1994. Dies geschah nicht, Frau Merkel, um die Sozialabgaben zu senken - die bei Ihnen gestiegen sind -, sondern nur, um Haushaltslöcher zu stopfen. Das war Ihre Politik. ({10}) Wenn das von Ihnen verschwiegen wird, dann ist das keine sachliche Auseinandersetzung, sondern schlichtweg Verlogenheit. Bei Ihnen ist nicht nur die Mineralölsteuer gestiegen, sondern auch die Sozialversicherungsbeiträge sind gestiegen. Drittens. Auf die Ökosteuer entfällt nur ein geringer Teil der Benzinpreissteigerungen dieses Jahres. Der Rest ist auf die Preispolitik der Förderländer und der Mineralölkonzerne sowie auf die Wechselkursschwankungen zurückzuführen. Es ist naiv, zu glauben, eine Reduktion der Ökosteuer würde dazu führen, dass der Benzinpreis sinkt. Viertens. Die deutschen Benzinpreise liegen im hinteren europäischen Mittelfeld. Fünftens. Das von Ihnen geforderte Aussetzen der nächsten Ökosteuerstufe hätte unweigerlich die Konsequenz, dass der Rentenversicherungsbeitrag - mit allen negativen Auswirkungen auf Arbeitnehmereinkommen und Arbeitsplätze - angehoben werden müsste. Das RWI spricht in diesem Zusammenhang von einem Verlust von jährlich 100 000 Arbeitsplätzen; das sind 500 000 Arbeitsplätze in fünf Jahren. ({11}) Wollen Sie das mit Ihrer unverantwortlichen Kampagne wirklich herbeiführen? ({12}) Wer das vermeiden will, müsste das Rentenniveau absenken oder die Nettokreditaufnahme des Bundes entsprechend anheben. Das sind Ihre Alternativen. Sagen Sie das bei Ihrer Kampagne den Menschen! Sechstens. Die Lenkungswirkung der Ökosteuer liegt weniger in der Höhe als vielmehr in der kalkulierbaren, stetigen und moderaten Anhebung über mehrere Jahre hinweg. Die Vorteile hat der Bundesfinanzminister hier vorhin geschildert. Es gibt niemanden, der diese prinzipielle Vorgehensweise, die auf höhere Energieeffizienz und sparsamen Ressourcenverbrauch abzielt, ernsthaft kritisiert. So hat die Parteivorsitzende Angela Merkel, als sie noch Bundesumweltministerin war, eine jährliche Anhebung der Mineralölsteuer von 5 Pfennig gefordert. Jetzt vertritt sie mit Vehemenz und großen Plakaten das Gegenteil. Das befreit Frau Merkel doch nicht von ihren Problemen. Solange Herr Helmut Kohl inmitten Ihrer Fraktion thront, behält Frau Merkel ihre Probleme. So einfach ist das. Davon kann sie auch nicht mit so billigen Kampagnen ablenken. ({13}) Was ist denn aus den Aufklärern Merkel und Merz geworden, vom „brutalstmöglichen Aufklärer“ Koch ganz zu schweigen? ({14}) Da die Opposition die genannten Fakten bewusst ignoriert, ist ihre Anti-Ökosteuer-Kampagne nichts anderes als Stimmungsmache. Ich glaube auch nicht, dass Sie die Wirkung erzielen werden, die Sie sich erhoffen. Jedenfalls ist dies von verantwortungsbewusster Politik zur Zukunftssicherung meilenweit entfernt. ({15}) Ihre Kampagne macht wieder einmal deutlich, dass Sie nur davon ablenken wollen, dass Sie immer noch angeschlagen und ohne eine strategische Ausrichtung Ihrer Politik sind. Der Vorgang dieser demagogischen Kampagne macht umgekehrt deutlich, warum man froh darüber sein kann - ich sage das einmal als Sozialdemokrat -, nicht einer Partei anzugehören, die sich solcher Mittel bedient. ({16}) Es gibt durchaus geistig-moralische Zusammenhänge zwischen dem gesetzeswidrigen - in meinen Augen auch verfassungswidrigen - Finanzgebaren von Kohl, Kanther und anderen und der Art und Weise, in der Sie Politik machen. ({17}) Mit Anstand, Ehrlichkeit, christlichen Werten hat das alles nichts zu tun. ({18}) Das werden wir den Leuten auch sagen. Mir kann keiner weismachen, dass man Verlogenheit auf Dauer nicht auch als Verlogenheit entlarven kann, jedenfalls werden wir uns alle Mühe geben. Das werden Sie noch zu spüren bekommen. ({19}) - Peinlich ist die Kampagne, die Sie machen. Sie wissen es im Übrigen ja besser. Wer so verantwortungslos agiert wie Sie, der muss sich wirklich härtere Töne gefallen lassen, als es bisher der Fall war. ({20}) Ihre moralische Verantwortung hört nicht bei Herrn Kohl, bei Herrn Koch und bei Herrn Kanther auf. Sie alle sind persönlich verantwortlich für die Schweinereien, die bei Ihnen passiert sind - damit das einmal ganz klar ist. Das werden wir Ihnen auch nicht durchgehen lassen. ({21}) Mit dieser Aufklärung sind wir noch lange nicht am Ende, wenn Sie nicht selbst aufklären - damit auch das deutlich ist. Nach den Konsolidierungshaushalten 1999 und 2000 hat die Bundesregierung jetzt mit dem Haushaltsentwurf 2001 den dritten Konsolidierungshaushalt in Folge vorgelegt. Weitere Konsolidierungshaushalte werden und müssen folgen. Sie müssen von Sparsamkeit und Zurückhaltung geprägt sein. Sie kennen die Ziffern. Die Nettokreditaufnahme wird auf 46,1 Milliarden DM abgesenkt. Die Fraktionen von Grünen und SPD haben deutlich gemacht: Nein, wir sind noch ehrgeiziger, wir wollen gemeinsam auf unter 45 Milliarden DM Nettokreditaufnahme kommen. - Auch was die Haushalte nach 2001 angeht, ist die SPD-Bundestagsfraktion mit Finanzminister Eichel im Bemühen einig, die Neuverschuldung des Bundes weiter abzubauen. Genauso stetig und verlässlich, wie die Bundesverschuldung abgebaut wird, senken Bundesregierung und Regierungskoalition die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger, die wie die öffentliche Verschuldung unter der Regierung Kohl/Waigel ein historisches Rekordniveau erreicht hatte. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir gehandelt. Die Bürger werden um insgesamt 93,4 Milliarden DM an Steuern entlastet, wobei die Reformen wie auch früher in mehreren Stufen und Jahren verwirklicht werden. Die von uns vorgenommenen Steuerentlastungen sind allerdings - bei aller Notwendigkeit - nur in einem finanzpolitisch vertretbaren Rahmen möglich. Sie wären undenkbar ohne unsere konsequent solide Haushaltspolitik. Diese Lektion wollten Sie nicht lernen und haben Sie bis heute nicht gelernt. Man kann Steuerentlastungen nur dann vornehmen, wenn die öffentlichen Haushalte, insbesondere die von Ländern und Gemeinden, das tatsächlich und aus Verfassungsgründen zulassen. Wer wie Sie etwas anderes fordert - Steuersenkung auf Pump -, der zielt wissentlich entweder auf Sozialabbau oder auf Steuererhöhungen in der Zukunft. Das ist die Alternative zu unserer Politik. ({22}) Wir machen seriöse und verantwortungsbewusste Finanzpolitik. Die steuerpolitischen Vorschläge von CDU/ CSU dagegen sind unverantwortlich und nicht finanzierbar; die der F.D.P. sollte man gar nicht erwähnen, weil sich die F.D.P. auf dem Sektor schon lange aus jeder ernsthaften Diskussion verabschiedet hat. ({23}) Sie haben ja jetzt wieder gefordert: Ökosteuer und KfzSteuer gänzlich streichen. - Ich habe gestern Herrn Westerwelle im Fernsehen gesehen. Ich habe immer gelauscht, wo denn die Finanzierungsvorschläge sind, aber die hören wir von Ihnen schon seit Jahren nicht mehr. ({24}) Sie wissen übrigens ganz genau, meine Damen und Herren von der Opposition, dass die Finanzierbarkeit gegeben sein muss. Deshalb sollten Sie sich nicht wundern, dass selbst CDU-geführte Bundesländer und solche, in denen die CDU an der Landesregierung beteiligt ist, Herrn Merz und Frau Merkel im Bundesrat die Gefolgschaft verweigerten. Mit ihren Käuflichkeitsvorwürfen versucht die Union krampfhaft, von ihrer Niederlage beim Thema Steuerreform abzulenken. Sie bemüht sich, die unsinnige Strategie ihres Fraktionsvorsitzenden Merz im Vermittlungsausschuss vergessen zu machen. Herr Merz wollte die Steuerreform, wie er offen gesagt hat, mithilfe des Bundesrats scheitern lassen. Nachdem dies misslungen war, redet die CDU-Opposition von der „Käuflichkeit der Länder“. Offensichtlich sind Sie davon ausgegangen, dass sich alle von der CDU regierten oder mitregierten Landesregierungen bei der Abstimmung im Bundesrat bedingungslos Ihren Parteiinteressen unterwerfen würden, ({25}) und haben von diesen Landesregierungen die Missachtung der eigenen Landesinteressen erwartet. Jetzt ziehen Sie mit der Beschimpfung dieser Landesregierungen die finanzpolitischen Zusammenhänge zwischen der Höhe der Steuersenkung und der Finanzausstattung einzelner Länder in Zweifel. Wissen Sie eigentlich nicht mehr - Herr Austermann und Herr Rexrodt müssten es wissen; sie sind schon sehr lange im Bundestag -, dass 1988 die Verabschiedung der stoltenbergschen Steuerreform im Bundesrat über Monate als unsicher galt, weil eine Mehrheit von acht Ländern der Auffassung war, ihre Landeshaushalte könnten die Einnahmeausfälle durch die Steuerreform ohne eine gleichzeitige Verbesserung der Finanzausstattung nicht verkraften? Haben Sie, meine Damen und Herren von der Union, völlig vergessen, dass im Jahre 1988 die Zustimmung der Ländermehrheit im Bundesrat zur stoltenbergschen Steuerreform nur durch die Zusage eines Strukturhilfegesetzes an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht zustande gekommen war? ({26}) Albrecht, bekanntermaßen CDU - ich sage das für die Nachgeborenen -, verhalf der Steuerreform erst zur Mehrheit, als ihm bindende Zusagen für Strukturhilfen in Höhe von 25 Milliarden DM über zehn Jahre gegeben worden waren. Das geschah unmittelbar vor der Abstimmung im Bundesrat über die Steuerreform am 8. Juli 1988. Nein, es war folgerichtig, dass der Bundesrat unserem Steuersenkungsgesetz zugestimmt hat. Er hat das auf Wunsch einiger Bundesländer unter der Bedingung getan, dass in einem Steuersenkungsergänzungsgesetz, das wir bald beraten werden, noch zwei Änderungen an dem schon verabschiedeten Steuersenkungsgesetz vorgenommen werden. Das wird geschehen. Aber auch hier ist eine klare Position der Opposition nicht erkennbar. Noch immer ist unklar, ob die CDU/CSU dem Steuersenkungsergänzungsgesetz zustimmen wird oder nicht. Warum Sie erwägen, diesem Gesetz, das zwei von Ihnen gewünschte Verbesserungen enthält, nicht zuzustimmen, ist beim besten Willen nicht zu verstehen. Diese Art von Logik ist nicht mehr nachzuvollziehen, meine Damen und Herren. ({27}) Oder wartet Herr Merz wieder einmal auf eine Weisung aus Bayern oder vielleicht sogar von Herrn Koch, wie er und seine Fraktion in dieser Frage zu verfahren haben? Unsere Finanzpolitik ist nicht nur verlässlich und verantwortungsbewusst, sondern auch mutig. Sie setzt das um, was getan werden muss. Bei dem von Ihnen übernommenen Finanzchaos - ich meine damit nicht Ihre Parteikassen - können wir Normalität leider nicht in zwei oder drei Jahren wieder herstellen. Diese Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit wird noch viele Jahre in Anspruch nehmen. Die gesellschaftlichen und finanzpolitischen Fehlentwicklungen haben Sie zu verantworten, meine Damen und Herren. ({28}) Wir packen - die Beispiele sind genannt - die Modernisierung und Umstrukturierung der Bundeswehr und die Anpassung der bewährten Alterssicherungssysteme an die uns allen bekannte demographische Entwicklung an. Wir haben mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 und all unseren anderen Maßnahmen die überfällige steuerpolitische Trendwende für Millionen von Arbeitnehmern und Familien mit Kindern angepackt. Wir setzen das alles nun in einem Ausmaß fort, wie es noch nie in der BundesreJoachim Poß publik Deutschland vorgekommen ist. Das Steuersenkungsgesetz, das wir verabschiedet haben, und das Änderungsgesetz umfassen Entlastungen in Höhe von rund 63 Milliarden DM. Dabei sind die Auswirkungen so verteilt, dass die Steuerausfälle für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden vertretbar sind. Wir haben also eine Trendwende für Familien, Arbeitnehmer und Mittelstand eingeleitet. Die privaten Haushalte werden um rund 33 Milliarden DM entlastet, der Mittelstand um gut 23 Milliarden DM. Endlich haben wir es geschafft, den Mittelstand faktisch von der Gewerbesteuer zu befreien, und sind so einer jahrzehntealten Forderung nachgekommen, meine Damen und Herren. ({29}) Das ist Mittelstandspolitik. ({30}) Sie haben gefordert und nie konkrete Lösungsansätze vorgelegt, wir aber haben das Ganze gelöst, weil wir ein Konzept hatten. Das ist der Unterschied. ({31}) Auch die großen Kapitalgesellschaften können 6,8 Milliarden DM auf ihrer Habenseite verbuchen nachdem ihnen mit dem Steuerentlastungsgesetz ungerechtfertigte Steuervorteile gestrichen worden sind! Ich sage das hier so deutlich, weil uns ausgerechnet aus den Reihen der Union manchmal vorgeworfen wird, wir machten eine sozial ungerechte Politik zugunsten der Großkonzerne. Das ist blanker Unsinn. Egal, ob es aus Ihren Reihen oder aus unseren Reihen kommt: Das ist blanker Unsinn! Richtig ist allerdings, dass wir keine Politik gegen die Wirtschaft und gegen die großen Unternehmen machen wollen. Die ökonomische Entwicklung in Deutschland ist wieder dynamischer geworden. Im Ausland wird dazu aufgefordert, wieder stärker in Deutschland zu investieren. Das, was Herr Eichel vorhin sagte, stimmt doch. Schauen Sie sich doch einmal die Quoten bei den Direktinvestitionen an. Das, was wir mit unserer Unternehmensteuerreform wollen, nämlich mehr Investitionen und mehr Beschäftigung, kann gelingen. Das heißt, auch da sind wir auf dem richtigen Weg. Die übrigen Leistungen, die zugegebenermaßen noch nicht im Bewusstsein aller Bürgerinnen und Bürger - auch nicht im Bewusstsein derjenigen, die uns 1998 gewählt haben; da haben wir noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten - angekommen sind, hat Herr Eichel hier zusammenfassend erwähnt. Ich habe die großen Schritte beim Kindergeld genannt. Weiter sind das Erziehungsgeld, das Wohngeld, die Leistungen nach dem BAföG, das Niveau der aktiven Arbeitsmarktpolitik, das wir beibehalten wollen, die Ausgaben für Forschung und Wissenschaft, der Bundesverkehrswegeplan und der Verkehrsinvestitionshaushalt, die bei Ihnen hoffnungslos unterfinanziert waren, zu nennen. Wir nutzen die Zinsausgabenersparnisse durch UMTS in der Tat zu Verbesserungen. Das ist auch richtig so. Aus all dem, was wir machen, wird deutlich: Die Finanzpolitik von Bundesregierung und Regierungskoalition ist auf Nachhaltigkeit und Zukunft ausgerichtet, weil wir wissen, dass der Bund nur durch stetige Konsolidierungsbemühungen seine finanzielle Handlungsfähigkeit sichern kann. Die vollständige Verwendung der UMTS-Erlöse zur Schuldentilgung und die Verwendung der Zinsausgabenersparnisse für Zukunftsinvestitionen zeigen auch: Sparen ist für uns kein Selbstzweck, ist aber unabdingbar notwendig, um auch morgen und übermorgen die Dinge tun zu können, die getan werden müssen. Dazu gehört natürlich auch, dass über das Jahr 2004 hinaus eine ausreichende Finanzausstattung der ostdeutschen Länder und Gemeinden gesichert bleibt. Natürlich muss und wird der bestehende Solidarpakt zugunsten Ostdeutschlands fortgesetzt werden. ({32}) Trotz aller unbestreitbaren Fortschritte muss der Aufbau Ost auch über das Jahr 2004 hinaus vom Bund und den westdeutschen Ländern solidarisch durch den bundesstaatlichen Finanzausgleich und den Solidarpakt unterstützt werden. Das heißt, die Forderungen aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zielen auf Aufkündigung dieser Solidarität. Das machen wir als Sozialdemokraten nicht mit. ({33}) Ich will das den ostdeutschen Bürgerinnen und Bürgern ganz deutlich sagen: Die Bürger in den neuen Ländern können sich darauf verlassen, dass Bundesregierung und Koalition ihre Verantwortung wahrnehmen. Ich fasse zusammen: Die Haushaltskonsolidierung wird fortgesetzt und zeitigt bereits erste Früchte. Die Versäumnisse der Kohl-Ära werden Stück für Stück abgearbeitet, um Deutschland zukunftsfähig zu machen. Steuer- und Abgabensenkungen werden auch weiterhin ein Kernpfeiler unserer Politik sein. Dies sind Maßnahmen, die insgesamt mithelfen, das auszufüllen, was wir einerseits Modernisierung und andererseits Erhaltung und Ausbau der sozialen Gerechtigkeit nennen. ({34})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Günter Rexrodt. Der Kollege Günter Rexrodt tut sich und uns das Vergnügen an, an seinem Geburtstag in die Debatte einzugreifen. Herzlichen Glückwunsch, lieber Kollege! ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Herr Präsident. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr KolJoachim Poß lege Poß, es ist an sich nicht meine Art, zu Beginn einer Rede jemanden persönlich anzusprechen. Aber ich muss Ihnen als finanzpolitischem Sprecher der größten Regierungsfraktion sagen: Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie im ersten Teil Ihrer Rede den Kollegen Austermann, dessen Aussagen Sie inhaltlich gut finden können oder nicht, persönlich diffamiert haben ({0}) und des Weiteren einen Bogen von der Spendenaffäre der Union zur persönlichen Verantwortung der hier anwesenden Mitglieder der Oppositionsfraktion geschlagen haben. Das ist unmöglich, Herr Kollege Poß. ({1}) Das ist eines finanzpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion eigentlich unwürdig. ({2}) Ich wollte an sich eine sachliche Rede halten, die ich jetzt mit dem Zugeständnis beginne, dass ich die Richtigkeit des haushaltspolitischen Kurses von Herrn Eichel hinsichtlich der Rückführung der Schulden nicht in Abrede stelle. ({3}) Die Staatsschulden sind zu hoch. Einnahmen und Ausgaben müssen wieder miteinander in Einklang gebracht werden, das heißt, die Nettoneuverschuldung muss schrittweise gesenkt und schließlich auf Null gebracht werden. Das ist gar keine Frage. So weit, so gut. ({4}) Unredlich ist allerdings, dass Sie mit dieser Politik zwei Botschaften verbinden - auch Sie, Herr Poß, haben das eben in aller Deutlichkeit getan -, nämlich erstens eine perfide und zweitens eine schlicht falsche Botschaft. Perfide und aus der Luft gegriffen sind die Aussagen, in den 90er-Jahren sei man mit den Finanzen geradezu leichtfertig umgegangen, es sei gewissermaßen ein Wesenszug der alten Koalition gewesen, Schulden zu machen und Gefälligkeiten zu verteilen, und es habe zu unserem Handwerkszeug gehört, die Zukunftschancen der jungen Generation zu verspielen. ({5}) Jeder, der sich ein Stück Fairness bewahrt hat - auch beim Herrn Bundesfinanzminister war das heute nach langer Zeit erkennbar -, wird wissen, dass der Zuwachs der Bundesschulden in der Zeit von 1990 bis 1998 in etwa dem Betrag entsprach, der in dieser Zeit in die neuen Länder geflossen ist. ({6}) Dazu gab es im Übrigen nie eine Alternative, und zwar weder zu der Notwendigkeit des Transfers noch zu der Finanzierung des Transfers. ({7}) Von Ihnen wird in diesem Zusammenhang immer wieder die Behauptung aufgetischt, die Deutschen wären zu höheren Steuern und Abgaben bereit gewesen, wenn man solche nur angemahnt hätte. Ich habe diese angebliche Willfährigkeit der Deutschen, Steuern zu zahlen, nie festgestellt. Die anhaltende Diskussion über die Ökosteuer und den Solidarzuschlag ist Beweis dessen, dass niemand höhere Steuern zahlen wollte. ({8}) Es ist unverantwortlich, so zu tun, als ob eine andere politische Konstellation den Zuwachs der Bundesschuld in den 90er-Jahren hätte vermeiden können. In sozialdemokratisch regierten Ländern konnte jedenfalls davon keine Rede sein, im Gegenteil: ({9}) Trotz der Tatsache, dass sich die Bundesländer unterproportional an der Finanzierung des Aufbau Ost beteiligt haben, ist die Verschuldung in Hessen während Ihrer Amtszeit von acht Jahren, Herr Eichel, um sage und schreibe 59 Prozent gestiegen. ({10}) Angesichts einer solchen Entwicklung kann niemand sagen, dass sich Herr Eichel als Ministerpräsident mit Ruhm bekleckert habe. ({11}) Zur zweiten Botschaft: Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als habe der Konsolidierungskurs hinsichtlich des Bundeshaushalts erst mit Ihrer Regierung begonnen. ({12}) Tatsache ist, dass der sprunghafte Anstieg der Nettoneuverschuldung schon 1994 gebremst worden ist. Vermeidbar war der Anstieg nicht. Auch Sie haben erst im Jahre 2006 eine realistische Chance, die Nettoneuverschuldung auf Null zu bringen. Das wäre dann 16 Jahre nach der Wiedervereinigung. Die Haushalte für 2000 und 2001 und auch die Haushalte für die folgenden Jahre werden durch eine günstige Konjunktur entlastet, und zwar durch 14 Milliarden DM an Steuermehreinnahmen aufgrund verstärkter wirtschaftlicher Aktivitäten und der Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Diese Entwicklung ist erfreulich. Ich wünsche uns und unserem Land, dass sie sich gleichermaßen verstetigt und verstärkt. ({13}) Es gehört zum Repertoire regierungsamtlicher Verlautbarungen, eine gute Konjunktur auf eigenes Handeln zurückzuführen ({14}) und eine schlechte Konjunktur auf weltwirtschaftliche Zusammenhänge zurückzuführen. Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass auch mir eine solche Argumentationsweise aus vergangenen Jahren nicht fremd ist. Das muss man ganz fair sagen. So wie Sie als Oppositionspartei die Regierung immer zurechtgerückt haben, müssen Sie sich heute sagen lassen: Die gute Konjunktur des Jahres 2000 ist keinesfalls das Ergebnis einer guten Politik des Jahres 1999. Es war eine Katastrophenpolitik und hat die Investoren verschreckt, meine Damen und Herren. ({15}) Die gute Konjunktur ist Bestandteil einer stabilen Entwicklung in Amerika, in Asien und auch in anderen europäischen Staaten. Ich bin wiederum fair und sage, dass Sie im letzten halben Jahr im Inneren des Landes durch eine Steuerreform Rückenwind erhalten haben, die in der Wirtschaft zumindest in der Zielrichtung begrüßt wird. ({16}) Die Konjunktur wird durch exorbitant steigende Exporte zusätzlich beflügelt. Das ist völlig in Ordnung. Erinnern Sie sich, meine Damen und Herren, dass es erst drei oder vier Jahre zurückliegt, dass Sie die Stabilisierung der Wirtschaftsentwicklung 1997/98 höhnisch damit abtaten, das sei nur der Export. Wir alle wissen, dass die neueren Exporterfolge nicht nur auf einer Wertschätzung der deutschen Produkte und Dienstleistungen zurückzuführen ist. Die deutsche Wirtschaft hat zwar technologisch und betriebswirtschaftlich enorm zugelegt. Die Exporterfolge haben aber zum großen Teil ihre Ursache in einer Schwäche des Euro. Diese Schwäche kann nur überwunden werden, indem man einen entschiedenen Reformkurs in ganz Europa einschlägt und nicht dadurch, dass der Bundeskanzler törichte Bemerkungen über den Kurs des Euro macht. ({17}) Meine Partei hat diesen Reformkurs in ihrem Programm und in der praktischen Umsetzung immer verfolgt. Wer etwas anderes sagt, ist unredlich. Geradezu komisch ist es, wie die Grünen, einst Fundamentalopposition, in staatstragenden Auftritten liberale Positionen zu übernehmen versuchen. Wir haben in allen wichtigen Bereichen, ob es Steuerpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Deregulierungspolitik, Sozialpolitik oder Gesundheitspolitik ist, in den 90er-Jahren die richtigen inhaltlichen Weichenstellungen vorgenommen. Wir haben nicht alles durchsetzen können. Vieles wurde von Ihnen blockiert. Vieles war auch im Inneren schwierig. Aber es waren die Liberalen - das sage ich mit Stolz und ohne jede Anmaßung, meine Damen und Herren -, die in den 90er-Jahren die richtigen Weichenstellungen vorgeschlagen haben und dafür eingetreten sind, dass diese Politik in Deutschland umgesetzt werden kann. Nichts anderes ist der Fall gewesen. ({18}) Meine Damen und Herren, ein entschiedener Reformkurs ist vor allem bei der Liberalisierung des Arbeitsmarktes notwendig, damit Europa als reformfähige Region anerkannt wird. Das hat Rückwirkungen auf den Euro. Von einer Liberalisierung des Arbeitsrechtes ist in Ihrer Politik nichts zu sehen. Herr Riester verschlimmbessert die in diesen Tagen bestehende Regelung und verschreckt gleichermaßen die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer. ({19}) Solange wir mit dem Arbeitsrecht nicht klarkommen, wird Europa nicht als Wachstumsregion, als attraktive Region wahrgenommen. Das hat in Wirklichkeit Auswirkungen auf den Euro. Mit einem verkrusteten Arbeitsrecht haben wir in einer Industriegesellschaft vielleicht unter Knirschen noch leben können. In einer Dienstleistungsgesellschaft können wir das nicht. ({20}) Die Haushalte der vergangenen und kommenden Jahre werden in ganz erheblichem Umfang durch Privatisierungserlöse entlastet. Zu unserer Zeit hieß das: „Die Bundesregierung verscherbelt das Tafelsilber.“ ({21}) Mit dem Regierungswechsel sind diese Stimmen auf Ihrer Seite verstummt. Tatsache ist, Herr Wagner: Der rot-grünen Koalition fließen dreistellige Milliardenbeträge aus Reformen, aus Privatisierungen, zu, die Sie über weite Strecken leidenschaftlich bekämpft haben. ({22}) Was für Widerstände hat es gegen die Liberalisierung auf den Strommärkten gegeben! Welche Zeit und welche Mühe hat es gekostet, bis Sozialdemokraten bereit waren, die Telekommunikation zu privatisieren! Wir haben durch Ihre Politik sechs Jahre verloren. ({23}) 1999 kamen 5,5 Milliarden DM aus der Privatisierung von Bundesunternehmen. 2000 werden es 3,5 Milliarden DM und 2001 8,8 Milliarden DM sein. Aber das sind im Vergleich zu den 100 Milliarden DM, die Ihnen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen zufließen, kleine Beträge. Diese Versteigerung ist nur möglich geworden, weil es vorher die Privatisierung der Telekommunikation gab. ({24}) Die haben wir - gegen Ihre Widerstände - durchgeführt. Die Menschen draußen müssen das wissen. Herr Eichel, es ist richtig, dass Einmaleinnahmen, wie die aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen, zum Abbau der Bundesschuld verwandt werden; insofern hat der Bundesfinanzminister die Unterstützung meiner Fraktion. Aber es gibt frei werdende Zinsersparnisse. Spätestens bei denen setzt die hinlänglich bekannte Verteilungsdiskussion ein. Man kann in diesem Zusammenhang sicherlich über den einen oder anderen Akzent in der Bildungs- oder Verkehrspolitik sprechen. Ich vertrete die Auffassung, dass dieses Geld am besten angelegt ist, wenn es zum größeren Teil in eine glaubwürdige Steuerentlastung des Mittelstands fließt. Die Steuerreform ist an dieser wichtigen Flanke - ich werde das noch ansprechen - zu halbherzig. Zur Privatisierungspolitik noch zwei Bemerkungen: Erstens. Eine der großen ausstehenden Reformen ist die Bahnreform. Dazu höre ich von der Bundesregierung und von der Bahn selbst, Netz und Betrieb müssten unbedingt zusammenbleiben. ({25}) Die Argumente dafür werden entweder nicht vorgetragen oder sie sind über alle Maßen dürftig. Ich bin fest davon überzeugt, dass nur Wettbewerb die Misere beim Schienenverkehr aufheben kann und dass Deutschland ein modernes Schienentransportsystem erhalten kann. ({26}) Die Trennung von Fahrweg und Betrieb ist dafür Voraussetzung, im Interesse der Kunden und der Steuerzahler. Mit der Bahn können Sie an der Börse nur etwas werden, wenn Sie diese Trennung vorgenommen haben. ({27}) Oder liefern Sie die Argumente, warum Sie das nicht tun? - Nichts ist zu hören! Meine zweite Bemerkung betrifft die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die eine große Förderbank, und die Deutsche Ausgleichsbank, die andere Förderbank. Der Bund hat Kasse gemacht, indem er die Anteile des Bundes an der Deutschen Ausgleichsbank an die KfW verkauft hat. Das Für und Wider einer solchen Zusammenlegung ist lange erörtert worden. Ich will das hier nicht wiederholen. Aber mir liegt aus mittelstandspolitischer Überzeugung - es geht um ein großes Anliegen auf diesem Gebiet - an einer Feststellung sehr viel: Beide Banken haben ihre Kernkompetenzen. Es wäre töricht und gegen den Mittelstand gerichtet, wenn man diese Kernkompetenzen auflöste. Machen Sie aus der Deutschen Ausgleichsbank eine Gründungs- und Mittelstandsbank! Verschaffen Sie ihr die notwendigen Freiheiten in der Geschäftspolitik, auch in der Personalpolitik und der Refinanzierung. Lassen Sie die KfW das machen, was sie gut kann, das sind - das ist international anerkannt - die Entwicklungshilfe und die großen, weltweiten Finanzierungen! Sie haben Kasse gemacht. Machen Sie das Richtige mit dem Geld! ({28}) Um die Einnahmeseite des Haushalts abzuschließen, möchte ich noch einige, ganz wenige Bemerkungen zur Steuerreform machen. Zunächst ist es gut, dass es eine Reform gibt, die eine Steuersenkung über den gesamten Tarif vorsieht. Das ist im Übrigen im Ursprung von einer sozialdemokratischen Grundhaltung und von sozialdemokratischem Gedankengut weit entfernt. Herr Poß, Sie selbst haben das eben zugegeben. Was zählt, ist das Ergebnis. Ich gebe zu: Sie haben beim Ergebnis Punkte gemacht. Über den Poker, den Sie mit den Ländern betrieben haben, habe ich meine eigene Meinung. Dies, meine Damen und Herren, darf aber nicht dazu benutzt werden, den Mittelstand, der im Tarif ohnehin weniger entlastet wird als angebracht und notwendig, bei der Besteuerung der Veräußerungsgewinne im Nachhinein über den Tisch zu ziehen. ({29}) Unternehmer, die ihre Betriebe in den Jahren 1999 oder 2000 veräußern, gehen leer aus. Danach gelten Einschränkungen; das bestätigt den Vorbehalt mittelständischer Unternehmen gegen diese Reform. Der Spitzensteuersatz geht spürbar erst 2005 herunter. Das ist Gift für Investitionen und Arbeitsplätze in diesem wichtigen Bereich unserer Wirtschaft. ({30}) Nicht nur der Mittelstand, sondern vor allem die kleinen Leute leiden derzeit unter den enormen Belastungen des steigenden Ölpreises. Mit dem, was von Ihnen als Ökosteuer bezeichnet wird, setzen Sie immer wieder noch eins drauf. Sie haben das von Anfang an gewollt. Sie haben das ja gesagt. Insbesondere die Grünen haben ja von einem Benzinpreis von 5 DM gesprochen. Die OPEC ist eine Einrichtung, die Ihre Politik macht. Sie wollten den hohen Benzinpreis. Nun sagt Herr Eichel: Wir brauchen über die Abschaffung oder die Senkung der Ökosteuer nicht zu sprechen, wir machen ja eine fundamentale Steuerentlastung. Herr Eichel, machen wir denn eine Steuerentlastung, um Deutschland wieder für Investoren attraktiv zu machen? Machen wir eine Steuerentlastung, damit Arbeitsplätze geschaffen werden? Oder machen wir sie, damit die Bürger das Geld, das sie auf der einen Seite bekommen, auf der anderen Seite an der Tankstelle wieder abgeben müssen? Das kann es doch wohl nicht sein. ({31}) - Wenn Sie schreien, erinnern Sie mich nur daran, dass das Geld nicht nur an der Tankstelle, sondern auch beim Heizölhändler abgeführt werden muss. Anders ist dieses nicht zu beschreiben. Meine Damen und Herren, Sie wollen den Leuten ans Portemonnaie. ({32}) Sie werden Ihr Waterloo erleben. Ich sage das mit großer Lässigkeit. Wenn Sie im Januar noch einmal 7 Pfennig draufpacken, wird Ihnen das übel bekommen. ({33}) Das geschieht Ihnen zu Recht, denn diese Politik, die auf eine Verteuerung der Energie hinausläuft, wirkt sich schädlich auf die Arbeitsplatzentwicklung in unserem Land aus. ({34}) Nun zur Ausgabenseite: Es wird gespart, sagt der Finanzminister. Konsolidieren und gestalten heißt das dann amtlich. Das haben im Übrigen alle Finanzminister gesagt. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich Folgendes: Während die Ausgaben des Bundes unter Theo Waigel schon in der Zeit von 1995 bis 1998 um rund 30 Milliarden DM gesenkt wurden, bleibt das Ausgabevolumen in den Jahren 2000 und 2001 quasi konstant, in den Jahren 2002 bis 2004 wird das Ausgabevolumen wieder kräftig ansteigen. Das sind Ihre eigenen Zahlen und Prognosen, Herr Eichel, da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Schlagen Sie Ihr Buch auf. Da steht das so drin. Der eigentliche Kraftakt in Bezug auf die Ausgaben wurde nämlich in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre - das lag näher an der Wiedervereinigung - vollzogen. Die Konsolidierung der Haushalte in den nächsten Jahren, über die wir uns alle freuen, erfolgt also nicht primär auf der Ausgabenseite, sondern vor allem durch eine günstige Entwicklung der Steuereinnahmen. Real zahlten die Bürger und Unternehmen im Jahre 1999 376 Milliarden DM an den Bund, im Jahre 2004 werden es 474 Milliarden DM sein. Das ist eine Steigerung um 16 Prozent. 22 Milliarden DM davon entfallen allein auf die unselige Ökosteuer, auf die Benzin- und die Stromsteuer. ({35}) Die Zuschüsse zur Rentenversicherung erreichen ein historisches Hoch, ohne dass es zu einer durchgreifenden Senkung der Rentenbeiträge kommt. ({36}) Sie bleiben stabil. Sie gehen damit zwar ständig hausieren, aber Sie können sie gerade einmal stabil halten, obwohl sie immer stärker steuerfinanziert werden. ({37}) Verheerend ist die Verschiebung bei konsumtiven und investiven Ausgaben. Wurden 1998 noch 12,5 Prozent des Haushalts für Inves-titionen ausgegeben, werden es 2001 nur 11,4 Prozent und 2004 nur 10,3 Prozent sein. Das ist ein historisches Tief. Die Konsumausgaben steigen permanent. Wir sind mit dieser Verschiebung, der Steigerung der Konsumausgaben und der Senkung der Investitionsausgaben, wieder so richtig in sozialdemokratischer Tradition. ({38}) Darüber können Sie nicht hinwegtäuschen. Leidtragender dieser verfehlten Politik auf der Ausgabenseite ist der Verkehrs- und Bauminister, dem allein in 2001 4,9 Milliarden DM weniger zur Verfügung stehen. Die Investitionen werden um 1,7 Milliarden DM gekürzt. Das setzt sich fort im Bildungsbereich. Die Parteien, die die Bundesregierung tragen, hatten im Wahlkampf 1998 großspurig angekündigt, die Investitionen im Bildungsbereich zu verdoppeln. Lesen Sie das nach. Tatsache ist, dass die Ausgaben für Bildung im Jahre 2001 unter denen des Jahres 1998 liegen. ({39}) Das ist ein Faktum. Schauen Sie nach! Das ist großspurige Ankündigung, das ist ein Asset, ein besonderer Wert Ihrer Politik. ({40}) In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Ein Drama besonderer Art - damit möchte ich meine Ausführungen zu den Einzelhaushalten abschließen; sie werden ja Gegenstand der Debatte in den nächsten Tagen und Wochen sein - ist die Wirtschaftsförderung. Der Rückgang der Etatansätze von 16,8 Milliarden DM in 1998 auf 10,8 in 2001 hat sicherlich etwas mit der Reduzierung der Kohlesubvention zu tun. Da haben Sie auch unsere Unterstützung. Herr Minister Müller ist nicht mehr da. Wenn er seine globale Minderausgabe auf die Kohleförderung umlegt, hat er unsere Unterstützung. Das ist okay. Was aber bei diesem geplünderten Haushalt ins Auge fällt, sind die schrumpfenden Ansätze für die Mittelstandsförderung, die zwischen 1998 und 2001 um sage und schreibe 40 Prozent gekürzt worden sind - das alles in einer Zeit, in der die notwendige Entlastung bei den Ertragsteuern ausblieb und bei der Ökosteuer, wie wir alle wissen, kräftig draufgesattelt wurde. Und dann schmälern Sie auch noch den Mittelstandsförderungsrahmen der KfW dadurch, dass der Bund abkassiert und die Refinanzierung der KfW 250 Millionen DM kostet. Dies alles muss erwähnt werden, wenn Sie sich hier hinstellen und plakativ sagen: Wir haben jetzt alles gemacht und ihr wart damals so schlimm. Was haben Sie denn in Reihe gebracht, Herr Poß? Bei der Ausgabenentwicklung haben Sie gar nichts in Reihe gebracht und wenn Sie gekürzt haben, haben Sie oft an der falschen Stelle gekürzt, ({41}) weil Sie sich nämlich an Leistungsgesetze nicht herantrauen. Das ist die alte Tradition. Ich will jetzt gar nicht vom Verteidigungsbereich sprechen. Ich will nur eines sagen: Ich verkenne nicht, dass im Haushalt an der einen oder anderen Stelle richtig gekürzt und richtig umgeschichtet worden ist. Der Finanzminister befindet sich da in der Kontinuität seiner Vorgänger. Dass die Haushalte 2001 und fortfolgende allerdings ein finanzpolitischer Knüller seien, kann niemand ernsthaft behaupten. ({42}) Im Gegenteil: Auf der Ausgabenseite macht Herr Eichel alles andere als eine gute Figur. Die Ausgaben steigen. Seine Chance liegt auf der Einnahmeseite, auf der es kräftige Zuflüsse gibt, im Grunde ein Windfall Profit aus Reformen, die wir angeleiert und die Sie bekämpft haben. ({43}) Eine langfristige Strategie - weil Sie von „Blick“ sprechen - zur Rückführung der Ausgaben gibt es in diesem Bundeshaushalt und diesem Finanzplanungszeitraum nicht. ({44})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Rexrodt, ich habe Ihnen einen Geburtstags-Zeitbonus gegeben, aber jetzt bitte ich Sie, zum Schluss zu kommen.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dafür bedanke ich mich, Herr Präsident. Ich möchte nur noch den Damen und Herren von der Opposition mitgeben: ({0}) Sie haben Glück gehabt, Herr Eichel hat - wir alle wissen das - Glück gehabt, und zwar bei den Steuern und durch Reformen, die wir angeleiert haben. Gemessen werden muss er daran, ob er in der Lage und willens ist, die Ausgaben des Bundeshaushalts zu beschränken. Da hat er seine Schularbeiten nicht gemacht und daran werden wir ihn messen. Schönen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Oswald Metzger vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn diese Woche die größte Oppositionsfraktion eine Kampagne unter dem Motto „Ökosteuer k.o.“ startet, dann muss ich sagen: Dem Kollegen Austermann und zum Teil auch dem Kollegen Rexrodt gehen die Argumente aus. Die Argumente der Opposition gehen angesichts der soliden Finanzpolitik k.o. ({0}) Das ist die Wahrheit. ({1}) Herr Kollege Rexrodt, ich fange mit Ihnen an. Mit vollen Hosen ist gut stinken. Wer als Partei 30 Jahre in der Regierung war - der Finanzminister hat daran erinnert, in den 70er-Jahren mit den Sozialdemokraten und in den 90er-Jahren mit der CDU; beides waren Phasen, in denen die Verschuldung in diesem Land in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungskraft am stärksten explodierte -, hat keinen Grund, von solider Finanzpolitik und auch davon zu reden, dass die Finanzpolitik nur durch die Wiedervereinigung bestimmt wurde. Dieses Land hat auf Kosten zukünftiger Generationen gelebt. Diesen Schuh müssen sich alle Parteien anziehen. Deshalb ist es richtig, wenn jetzt eine Idee aus der ökologischen Bewegung - nämlich die Idee der Nachhaltigkeit, die besagt, dass man auf diesem Planeten so lebt, dass unsere Kinder und Enkel Luft zum Atmen haben auf die Finanzpolitik des Staates und auf die Reform der Systeme der sozialen Sicherung übertragen wird. Dazu gehören Schlagworte wie Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik, Abbau der Staatsschulden, ausgeglichene Haushalte und Gestaltungsspielräume für die Jungen in diesem Land, die in der Zukunft die Generation bilden, die gestaltet. ({2}) Dieses Grundprinzip aus der Ökologie möchte ich jetzt herunterbrechen auf Argumente, die Sie, Kollege Rexrodt und Kollege Austermann, in die Debatte eingeführt haben. Sie sagen, es seien Windfall Profits, wenn jetzt 100 Milliarden DM aus der Frequenz-Versteigerung eingenommen werden, weil die Sozialdemokratie die Privatisierung der Telekom und der Post schließlich bekämpft habe. Das stimmt. ({3}) Aber Sie vergessen, dass diese Privatisierung den öffentlichen Haushalten auch Lasten zuschiebt, die wir alle die nächsten 45 Jahre tragen müssen. ({4}) - Kollegin Wegner, das ist richtig. - Wir müssen 820 Milliarden DM Lasten aufgrund der Pensionen an frühere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Postunternehmen zahlen. Wenn Sie diese Lasten versicherungsmathematisch korrekt auf Barwert abzinsen, dann errechnet sich eine Last von 200 Milliarden DM. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, dass diese Last spürbar ist. ({5}) - Die Lasten verteilen sich. Aber die Barwertmethode zeigt uns, dass diese Lasten in Zukunft bestehen und dass normale Steuermittel fällig sind, wenn das Eigentum des Bundes durch Privatisierungen für Pensionszahlungen sozusagen verbraucht ist. Allein zwischen 2000 und 2004 steigen die Ausgaben für die Postunterstützungskassen um etwa 2,5 Milliarden DM auf rund 11 Milliarden DM. Angesichts dieser Zahlen wäre ich an Ihrer Stelle mit der Aussage höllisch vorsichtig: Ihr habt die Privatisierung bekämpft und jetzt macht Ihr Windfall Profits. - Wir sorgen für das einzig Richtige, nämlich dass diese Sondereinnahmen in die Tilgung fließen und somit nicht vervespert werden, damit wir künftig Mittel haben, um diese Last abzufedern. So sehen die Fakten aus. Kollege Austermann, Sie erklären zum wiederholten Male - durch Wiederholung wird es aber nicht wahr -, dass die Ausgaben des Bundes zwischen 1998 und 2002 in Wirklichkeit massiv gestiegen seien. Was Sie unterschlagen, ist, dass Sie mit Ihrer Finanzpolitik Schattenhaushalte wie zum Beispiel für Postunterstützungskassen unterhalten haben. Ich war bei den entsprechenden Verhandlungen dabei. Die Postunterstützungskassen mit einem Volumen von rund 10 Milliarden DM waren bis zu unserem ersten Etat außerhalb des Bundeshaushaltes angesiedelt, was bereinigt werden musste. Sie unterschlagen ferner Kosten für Kindererziehungszeiten in Höhe von über 23 Milliarden DM, die es zu Ihrer Zeit noch nicht in Form eines Bundeszuschusses an die Rentenkasse gab. Das sind Ausgaben, die wir etatisieren mussten. Was Sie auch vergessen, ist, dass wir die Einnahmen aus der von Ihnen kritisierten Ökosteuer als Bundeszuschuss an die Rentenversicherung verwenden. Das führt dazu, dass die Beiträge anstatt bei annähernd 21 Prozent heute bei 19,3 Prozent liegen. Das ist die Wahrheit; sie tut weh. Man muss sie zur Kenntnis nehmen und kann nicht einfach nur grölen. ({6}) Genauso ist es, wenn die Ausgaben nach verschiedenen Fachbereichen bereinigt werden. Das möchte ich heute nicht tun, weil es mir mehr um die Generallinie geht. Nur wir in der Koalition haben eine Spardebatte geführt. Die Opposition war ja abgetaucht, weil Kochs Schatten verhinderte, dass sich die zwischen Merz, Merkel und Austermann bestehenden unterschiedlichen Meinungen über die Verwendung der UMTS-Erlöse öffentlich niederschlagen konnten. Eine entsprechende Diskussion gab es nur zwischen den Haushaltspolitikern der Koalition bzw. zwischen ihren beiden Fraktionen. Wir Haushaltspolitiker haben natürlich die Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass es, wenn man konsolidiert, nötig ist, zu bestimmten Forderungen Nein zu sagen. Wir sagen aber nicht nur Nein; wir wollen nicht nur sparen, sondern auch Spielräume mobilisieren, damit investiert werden kann. Ihre Hauptangriffsfläche, Kollege Austermann, und die des Kollegen Rexrodt war festzustellen, dass die Investitionen im Vergleich zu den Ausgaben des Bundes relativ gesehen sinken. ({7}) Dazu kann ich Folgendes festhalten: Nachdem wir wissen, wie hoch die UMTS-Erlöse sein werden, werden wir anlässlich der Haushaltsberatungen im zuständigen Ausschuss in den nächsten Monaten und spätestens in der Bereinigungssitzung dafür Sorge tragen, dass die Investitionsausgaben im Vergleich zum Regierungsentwurf um annähernd 4 Milliarden DM erhöht werden. Sie werden dann feststellen: Die Investitionen werden höher liegen als im laufenden Jahr. Wir werden den Haushalt in seinen Eckpunkten, also beim Ausgabevolumen, so wie im Entwurf der Regierung vorgesehen, bestehen lassen. Wir werden die Ausgaben nicht steigern. Dadurch verbessert sich also relativ gesehen die Situation bei den Investitionen. ({8}) Wir werden nur in den Bereichen Investitionen etatisieren, die im nächsten Jahr nach Menschenmöglichkeit auch tatsächlich abfließen. Es kommt also nicht zu Scheinbuchungen, sondern zu Investitionen in die Zukunftsbereiche unserer Volkswirtschaft. Die ganze Welt regt sich doch zurzeit über höhere Energiekosten auf. Natürlich muss angesichts des bestehenden Massenverkehrs das öffentliche Verkehrssystem in Deutschland attraktiver bzw. pünktlicher werden. Dass der Schwerpunkt der Koalition auf der Bahn liegt, ist absolut in Ordnung. Angesichts dessen, dass in den letzten Jahren die Zahl der Langsamfahrstrecken von 200 auf 1 000 explodiert ist und sich Fahrgäste aufregen, dass die Fahrpläne nicht eingehalten werden, ist es nötig, diese Defizite der Bahn zu beseitigen. Dafür werden wir die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen. ({9}) Sie sagten, dass, wenn man seine Heizkostenrechnung anschaut, vor allem im Altbaubestand dieser Republik die Wärmedämmung extrem zu wünschen übrig lässt. - Das ist richtig; das merken ja auch wir. - Unter der Regierung Kohl - das war 1990 - hatten Sie sich verpflichtet, bis 2005 eine Minderung des CO2-Ausstoßes um 25 Prozent zu erreichen. Kanzler Schröder hat sich verpflichtet, an diesem Ziel festzuhalten. Angesichts all dieser Punkte müssen wir für die Menschen, die mit Altbauten zu tun haben, das heißt für Vermieter, Hauseigentümer und Mieter, etwas tun, indem der Staat in diesem Bereich den Klimaschutz ernst nimmt und über entsprechende Anreize, über die Staatsbank KfW, Einsparmaßnahmen im Energiebereich finanziert. ({10}) Das ist absolut richtig, ist eine Zukunftsinvestition und verhindert, dass die Menschen, vor allem sozial schwächere Schichten, durch hohe Energiepreise stranguliert werden. Das ist ein Angebot an die Bevölkerung. Auch das sollte man zur Kenntnis nehmen. Im Bildungs- und Forschungsbereich ist es ähnlich. Natürlich werden wir die aus Zinsersparnissen entstehenden Spielräume nutzen, indem wir in diesem Bereich die Mittel erhöhen. Zu Ihrem platten Zahlenvergleich, Herr Kollege Rexrodt, den Sie in Bezug auf die Jahre 1998 und 2001 angestellt haben: Sie sollten sich den Aufwuchs im Bildungs- und Forschungsbereich auch in Relation zu den anderen Ressorts ansehen. ({11}) - Seien Sie ganz friedlich. Wir erhöhen die Mittel für den Hochschulbereich im nächsten Jahr um 200 bzw. 300 Millionen DM. Dies ist ein schlechtes Beispiel, das Sie hier angeführt haben, denn in diesem Bereich wird wirklich erhöht. Auch beim BAföG wird erhöht. Der Finanzminister hat die entsprechenden Zahlen genannt. Ich wäre sehr vorsichtig. Denn wenn wir in medias res gehen, werden Sie sofort merken, dass es zu vielen plausibel klingenden Einwänden von Ihnen Gegenargumente gibt, angesichts der Sie nicht so gut aussehen wie in einer oberflächlich geführten, polemischen Debatte. Die Grundauseinandersetzung in der Finanzpolitik in unserer Gesellschaft muss man auf ein ordnungspolitisches Fundament stellen; das wissen Sie. Wenn wir wollen, dass die - dies sage ich bewusst - durch die politischen Parteien dieser Republik seit Jahrzehnten verursachte Verschuldung auf Bundes-, Landes- und selbst auf kommunaler Ebene ein Ende hat, muss man ein Konzept verfolgen, das lautet: Rückführung der Verschuldung über die Ausgabenseite; das tun wir. Man muss zudem Steuern senken; das tun wir. Zu Ihrem Leidwesen haben wir vor der Sommerpause eine der größten Steuerreformen der Geschichte beschlossen und auch durchgesetzt, die auch den Mittelstand entlastet, Kollege Rexrodt. ({12}) Sie unterschlagen das komplett. Lassen Sie das die Steuerberater durchrechnen. Die entscheidende Entlastung ist der faktische Verzicht auf die Gewerbeertragsteuer. Das werden die Unternehmen im nächsten Jahr merken. ({13}) Es ist zwar richtig, dass der Grenzsteuersatz erst im Jahre 2005 auf 42 Prozent sinkt. Das stimmt, aber die Gewerbeertragsteuerverrechnung greift schon im nächsten Jahr, und das ist faktisch die Entlastung der mittelständischen Unternehmen. Das können Sie nachrechnen. Wir haben Steuerentlastungen durchgesetzt. Das ist ein Teil der Konsolidierungsrendite, wir führen die Schulden des Staates stetig und verlässlich zurück und lassen die Bevölkerung an der Konsolidierung partizipieren, indem wir die Steuern senken. Wir setzen darüber hinaus eine neue Konzeption im Bereich der Systeme der sozialen Sicherung um. Die Rentenreform, über die derzeit debattiert wird, hat doch über alle parteipolitischen Auseinandersetzungen hinweg einen entscheidenden konsensualen Ansatz: Wir müssen uns ein Stück weit von der reinen Umlagefinanzierung verabschieden, weil wir sonst der Alterspyramide unserer Gesellschaft nicht vernünftig begegnen können und die Kinder und Enkel zu den Verlierern des Umlagesystems machen, die, wenn sie selbst ins Alter gekommen sind, von geringen Rentenansprüchen leben müssen, während sie in ihrer aktiven Zeit hohe Steuern und Abgaben für die alte Generation bezahlen mussten. Deshalb ist der Einstieg in die private Vorsorge absolut richtig. Wenn wir diese Reform in den nächsten Monaten durchsetzen, und zwar möglichst im Konsens mit der gesamten Gesellschaft - das wurde heute schon angesprochen -, dann ist ein weiterer ordnungspolitisch wichtiger Schritt auf dem Weg zur nachhaltigen Konsolidierung der Staatsfinanzen und zur Reform der Systeme der sozialen Sicherung getan worden. Das nennt man Generationengerechtigkeit. Betrachten wir nun den Bereich der ökologischen Modernisierung der Volkswirtschaft, von dem schon die Rede war. Dazu gehört als Mosaiksteinchen die Effizienzsteigerung im Energiesektor, und das weiß jeder von uns. Ich komme jetzt zu der vordergründigen Attacke der Opposition, die von der Gesellschaft als Resonanzkörper verstärkt wird. Wenn ich in den Zeitungen lese, was manche Journalisten darüber schreiben, dann muss ich den Kopf schütteln und zweifle, ob diese Journalisten überhaupt noch wissen, was in diesem Land gespielt wird. Die Koalition hat zwölf Pfennig Ökosteuer und darauf zwei Pfennig Mehrwertsteuer erhoben. Dieses Geld floss bis auf 200 Millionen DM, die für die Förderung regenerativer Energien ausgegeben wurden, komplett in die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags. Das heißt nichts anderes, als dass der Durchschnittsarbeitnehmer mit einem Vollarbeitsplatz in der gewerblichen Wirtschaft in Deutschland, der brutto rund 5 000 DM monatlich verdient, seit dem Ende Ihrer Regierungszeit einen halben Prozentpunkt weniger Rentenversicherungsbeitrag bezahlt und damit 25 DM mehr netto im Monat hat. Das ist die Gegenrechnung. Wenn Sie, die Union oder die F.D.P., den Menschen verkaufen wollen, wir sollten die Ökosteuer aussetzen, dann müssen Sie ihnen auch sagen, dass sie dann 25 DM netto im Monat weniger in der Tasche haben werden, weil der Rentenversicherungsbeitrag auf 20,3 Prozent respektive eher auf 21 Prozent steigen wird. ({14}) - Kollege Hinsken, diese einfache Wahrheit stimmt. Sie als Selbstständiger sollten wissen, dass gerade der personalintensive Mittelstand von der Senkung der Arbeitskosten profitiert hat, weil der Arbeitgeber pro Arbeitnehmer ebenfalls einen halben Prozentpunkt weniger zahlen musste. ({15}) - Die Sozialversicherungsbeiträge sinken und sie werden weiter sinken. ({16}) Wenn Sie dem Finanzminister heute aufmerksam zugehört haben, wird Ihnen klar geworden sein, dass wir, wenn es die Konjunktursituation zulässt - aus heutiger Sicht lässt sie es zu und meine Fraktion hat dazu gestern einen Beschluss gefasst -, im Jahre 2002 bei der Arbeitslosenversicherung die Chance haben werden, den Beitragssatz zu senken und das in der Koalitionsvereinbarung angestrebte Ziel, in dieser Legislaturperiode mit den Sozialversicherungsbeiträgen unter 40 Prozent zu kommen, erreichen. Sie werden sich noch wundern. ({17}) Wir verfolgen das Ziel der Senkung von Steuern und Abgaben. Das ist ordnungspolitisch vernünftig. Ich habe versucht, die Zusammenhänge bei der Ökologisierung der Volkswirtschaft von einer anderen Seite her zu erläutern. Was mich aber am meisten ärgert, ist Folgendes: Die Unionsfraktion hat ein Rentenkonzept - Ihre Experten auf der Fachebene sind Horst Seehofer von der CSU- und Andreas Storm von der CDU-Fraktion, also Kollegen, die ich schätze -, ({18}) bei dem die Einnahmen aus der Ökosteuer quasi vereinnahmt werden. Wenn Sie diese unterschlagen würden, müssten Sie sofort eine Mehrwertsteuererhöhung um 1 bis 1,5 Prozentpunkte in die Debatte bringen. Dann sind Sie bei dem, was in Ihrer Koalitionszeit, nämlich 1998, beschlossen wurde: Mehrwertsteuererhöhung am 1. April 1998 um 1 Prozent, damit damals der Rentenversicherungsbeitrag nicht auf 21 Prozent anstieg. Da frage ich jetzt Sie hier und auch die Öffentlichkeit: Ist es Ihnen lieber, eine Mehrwertsteuer, eine Verbrauchsteuer, als Umfinanzierungsinstrument zu bezahlen oder eine Steuer, auf die ich über den Verbrauch - beim Auto über den Gasfuß, bei meiner Wohnung über entsprechendes Heizen - Einfluss nehmen kann? ({19}) Diese Alternative haben Sie. Oder wollen Sie diese unglaubwürdige Strategie mitmachen, dass man die Ökosteuer zum Sündenfall der gesamten Gesellschaft erklärt? Wenn Sie sich die solide Grundstruktur unserer Politik noch einmal ansehen - Senkung der Steuern und Abgaben als Konsolidierungsrendite aus Rückführung der Staatsverschuldung, also überwiegend auf der Ausgabenseite, und Reform der Systeme der sozialen Sicherung sowie Senkung bei der Arbeitslosenversicherung, wenn die Konjunktur es zulässt -, stellen Sie fest: Dies ist eine stringente Strategie, von der Sie immer geredet haben, die Sie aber während Ihrer letzten vier Regierungsjahre überhaupt nicht praktizieren konnten. Dies ist für mich der Punkt, an dem Sie unredlich werden. Es wird plötzlich behauptet, diese Koalition, dieser Finanzminister würde Privatisierungserlöse für den laufenden Haushalt verwenden. ({20}) Wir haben in diesem Jahr praktisch keine Privatisierungserlöse mehr in den öffentlichen Haushalt eingestellt. Im nächsten Jahr, im Jahre 2001, haben wir 8 Milliarden DM in den öffentlichen Haushalt eingestellt. Wenn Sie lesen, was in der letzten Woche in der SPD-Fraktion und bei uns Grünen beschlossen wurde, werden Sie feststellen: Steuerbedingte Mehreinnahmen werden auch dazu herangezogen, die Privatisierungseinnahmen durch reguläre Einnahmen zu ersetzen. Privatisierungserlöse - das ist erklärtes Ziel dieser Koalition - werden künftig in die Tilgung fließen. Im Herbst werden wir ein Haushaltsgesetz mit einer Regelung bekommen, in der genau diese Ermächtigung für den Finanzminister enthalten ist. Dies ist die gleiche Ermächtigungsnorm, die jetzt auch für die UMTS-Zinserlöse gilt, die dazu führt, dass wir keinen Nachtragshaushalt brauchen. Es ist absurd: Ein Nachtragshaushalt wäre ja nur für Sie, die Union, ein willkommener Anlass, um Ihre Ausgabenprogramme auszubreiten und das Geld nicht für die Schuldentilgung, sondern als Volksbeglückungsinstrument zu verwenden. Dies kann man einer unredlichen und unseriösen Opposition ja durchgehen lassen, aber einer soliden, seriösen Regierungskoalition mitnichten. ({21}) Wenn ich über das, was wir heute gehört haben, Bilanz ziehe - morgen wird die Auseinandersetzung hoffentlich qualitativ ein bisschen ansprechender, weniger polemisch und weniger aus der unteren Schublade geführt -, ({22}) stelle ich fest: Wir werden den Bundeshaushalt von den Eckpunkten her so halten, wie ihn die Bundesregierung eingebracht hat. Aber, Kollege Austermann, der Haushaltsausschuss wird diesen Etat natürlich verändern, weil das Budgetrecht das vornehmste Recht des Parlaments ist. Wir werden die Investitionen um die Spielräume erhöhen, die Zinsersparnisse auf der Aufgabenseite möglich machen. Wir werden gleichzeitig die Nettoneuverschuldung auf unter 45 Milliarden DM reduzieren. Dies ist erklärtes Ziel beider Bundestagsfraktionen der Regierungskoalition. Mit diesem Kurs können wir die öffentliche Auseinandersetzung in den nächsten Wochen gut überstehen und auch vor Bürgerinnen und Bürgern in aufgeheizter Atmosphäre bestehen, wenn Ölpreise, Heizölpreise, Benzinpreise steigen. Dies sind Segmente, in denen diese Koalitionen für die von ihr verantwortete Erhöhung eine Entlastung für die Bevölkerung nachweisen kann. ({23}) Hier werden wir bestehen. Es wird Ihnen nicht gelingen, die Performance dieser Regierung mit einer Debatte, die heute in der „Süddeutschen Zeitung“ in einem Leitkommentar als „Krampfdebatte“ bezeichnet wurde, zu unterlaufen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Vergnügen. Sie werden sehen: Ihre Fraktion, Kollege Merz, die früher einen intellektuell redlichen Fraktionsvorsitzenden hatte, der von diesem Pult aus erklärt hat, dass Energie ein knappes Gut sei, das deshalb teurer werden müsse, und Arbeit ein Überflussgut, das deshalb billiger werden müsse, wird mit dieser populistischen Kampagne auflaufen. Vielen Dank. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung hat ihren Haushaltsentwurf für das Jahr 2001 in erster Linie mit dem Konsolidierungskurs begründet. Nun muss man ja konstatieren, dass die Politik des Schuldenabbaus zum Teil Resonanz in der Bevölkerung findet. Auch die PDS hat entgegen allen Vorurteilen nichts gegen eine sparsame Haushaltspolitik und gegen den Abbau von Staatsschulden einzuwenden. Ich kann Ihnen versichern: Eine Vielzahl demokratischer Sozialistinnen und Sozialisten agiert in kommunalpolitischer und landespolitischer Verantwortung genauso. Wir unterscheiden uns jedoch in einem Punkt wesentlich. Für uns mutiert die sparsame Haushaltspolitik nicht zum alleinigen Selbstzweck von Politik. ({0}) Es kann nicht darum gehen, den Schuldenabbau um jeden Preis zu erreichen. Sicher kann man nur das ausgeben, was man hat, und nicht zweifach oder dreifach, privat und als Staat. Wenn man aber an der falschen Stelle spart, muss man es später doppelt, dreifach, vierfach draufzahlen. Auf diesem Weg befinden Sie sich. ({1}) In der Politik sollte es doch darum gehen, zu diskutieren, wie man tatsächlich effektiv wirtschaften kann, wo man einsparen kann, aber auch darüber zu diskutieren, wo die drängendsten Probleme unseres Gemeinwesens liegen und wie wir unsere Steuergroschen dort tatsächlich Mark für Mark sinnvoll einsetzen. Herr Eichels Vergleich mit dem schuldenfreien Erbe hinkt sehr. Ich möchte kein hoch verschuldetes Haus erben. Ich möchte aber auch kein Haus erben, welches marode ist. Gleichzeitig wünsche ich keine Situation, in der meine Mithausbewohner vielleicht eine so schlechte Ausbildung mit auf den Weg bekommen haben, dass sie nicht einmal mehr in der Lage sind, das Haus richtig instand zu halten. ({2}) Wenn wir uns diesen Aufgaben und Problemen heute nicht stellen, beschneiden wir die Zukunftschancen unserer Kinder und Enkel genauso. ({3}) Ist nicht hier ein grundsätzliches Umdenken erforderlich? Stimmt die enge haushaltspolitische Sicht denn noch, dass die Ausgaben für Kinderbetreuung, Jugend, Sport, Bildung einfach als konsumtive Ausgaben diskreditiert werden? ({4}) Oder sind nicht genau diese Ausgaben höchst profitable Anlagen in unsere gemeinsame Zukunft? Wenn Sie in Ihrem Haushaltsentwurf vorschlagen, zum Beispiel die Bundeszuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit zu streichen, so ist das nichts anderes als der Einstieg in den Abschied von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. ({5}) Politikerinnen und Politiker, die sich in ihrem Handeln nur noch von den so genannten objektiven Haushaltszwängen leiten lassen, machen sich tendenziell überflüssig, weil sie überhaupt keinen Gestaltungsanspruch mehr haben. ({6}) Herr Eichel, aber auch Herr Metzger hat noch einmal betont, dass diese straffe Haushaltsdisziplin alternativlos von einer nachhaltigen Entlastung aller Steuerzahler und Unternehmen begleitet werden muss. Schaut man sich aber die Inhalte dieser beiden Stränge genauer an, so wird offensichtlich, wie sozial ungerecht Sie agieren. Die Haushaltssanierung lief - Stichwort: Haushaltssanierungsgesetz - eindeutig auf Kosten von Rentnerinnen und Rentnern, auf Kosten zukünftiger Rentenansprüche von Arbeitslosen, auf Kosten von sozial schwachen Menschen. Diese Menschen sind zusätzlich betroffen von den Einsparungen, die an die anderen Ebenen der öffentlichen Hand, an die Länder, an die Kommunen, weiter gereicht werden. Die Schließung von Bibliotheken stört einen Millionär überhaupt nicht, sehr wohl aber einen Studenten, weil er sich nicht einfach jedes Buch von dem nicht vorhandenen BAföG kaufen kann. ({7}) Das heißt, hier haben wir bereits eine doppelte Belastung. Sie haben eine Steuerbelastung eingeführt, die Ökosteuer. Sie haben uns erst verkündet, es gebe als Ausgleich die Senkung der Rentenbeiträge. Nun frage ich Sie: Wo haben Rentner und Rentnerinnen den Ausgleich für die Ökosteuer? Weder durch die Senkung der Rentenbeiträge noch - wie Herr Eichel ja heute verkündet hat durch die Senkung im Einkommensteuerbereich. Hier funktioniert Ihre Argumentation doch nicht! Sie können reden, wie Sie wollen: Die Ökosteuerbelastung wird ohne jeglichen Ausgleich sozial völlig ungerecht an Millionen von Menschen in diesem Land weiter gereicht, ({8}) die keine Möglichkeiten haben, bei ihrem Energieverbrauch zu sparen oder sich vielleicht ein sparsameres Auto zu kaufen. ({9}) Wir waren deshalb von Anfang an für eine Verteuerung des Umweltverbrauchs, aber auf eine andere Art und Weise. Das wissen Sie. Wir können nicht einfach den Umweltverbrauch verteuern, ohne Alternativen anzubieten. Dazu müssen wir jetzt handeln. Herr Eichel hatte übrigens vorhin nicht Recht, als er sagte, die Regierung habe mit der Erhöhung der Rohölpreise nichts zu tun. Wenn ich nicht ganz falsch liege, haben Sie immerhin mächtig viel mit den Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer zu tun. Denn wenn der Preis steigt, steigen die Einnahmen bei der Mehrwertsteuer. Natürlich erhöht sich auch auf diesem Wege Ihr Steueraufkommen. ({10}) Sie haben keine Alternativen angeboten. Sie haben das nicht verwirklicht, was Sie noch in der letzten Legislaturperiode gefordert haben: die Umwandlung der Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale. Machen Sie das jetzt endlich und erhöhen Sie sie von 70 Pfennig auf 1 DM, sodass tatsächlich Alternativen geboten werden, aber auch Autofahrer und Autofahrerinnen eine unmittelbare Hilfe erhalten. ({11}) Ihre Arbeitsplätze hängen oftmals von diesem Verkehrsmittel ab, da andererseits auch Strecken der Bahn geschlossen werden und die Bahn oft unpünktlich und sehr teuer ist. Betrachten wir dann noch Ihre scheinbar unabweisbare Politik der Steuersenkungen. Herr Eichel hat vorhin die Fachverkäuferin locker mit 40 000 DM Bruttojahresverdienst angesetzt. Das stimmt nicht ganz; der Durchschnitt bei den Fachverkäufern ist 35 000 DM pro Jahr. Ein allein stehender Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttolohn von 20 000 DM wird im nächsten Jahr um immerhin 99 DM entlastet. 100 DM haben oder nicht haben - das sind schon fast 200 DM. ({12}) Der allein stehende Arbeitnehmer ohne Kinder mit einem Jahresbruttoeinkommen von 140 000 DM wird um 2 187 DM entlastet. Das ist doch schon ein beträchtlicher Unterschied. Zusammenfassend kann man feststellen, dass Arbeitnehmer im nächsten Jahr 10 Milliarden DM Lohnsteuer weniger abführen müssen. Das entspricht einer Steuerentlastung von 3 Prozent - gut. Bei Kapitalgesellschaften beträgt die steuerliche Entlastung allerdings 40 Prozent. Die Überschrift „Über Großverdiener ergießt sich Eichels Füllhorn“ stammt nicht von mir, sondern aus der - wie man sagt - bürgerlichen Presse. Sie haben mit Ihrem Steuergesetz einen massiven Rückzug insbesondere der Großverdiener und Großunternehmen aus der Finanzierung des Gemeinwesens verankert. Dies geht wiederum zulasten von sozial Schwächeren, die auf das öffentliche Schulsystem angewiesen sind. Dies geht aber auch zulasten von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sich nicht mit sehr viel Geld die Absolventen der Hochschulen einkaufen können oder sie vorfinanziert auf private Unis schicken können. Das ist eine sozial zutiefst ungerechte Politik. Sie können keine solide, zukunftsorientierte Haushaltspolitik machen, wenn Sie nicht sinnvoll sparen. Erst einmal müsste man gegen Verschwendungen ordentlich vorgehen. Wir müssten zum Beispiel darauf hinwirken, dass die Zahl der Betriebsprüfer massiv erhöht wird, dass Finanzämter ordentlich ausgestattet werden und nicht wie in Berlin-Charlottenburg bei der Zusammenlegung zweier Finanzämter das zweite Faxgerät gestrichen wird, sodass sie fast nicht mehr arbeitsfähig sind, dass das, was die Landesrechnungshöfe und der Bundesrechnungshof anmahnen, tatsächlich verwirklicht wird. Wir müssen uns hier auch über eine sozial gerechte Einnahmengestaltung unterhalten. Ein letztes Wort, da ich die einzige Frau bin, die in der ersten Runde spricht, und Frauen meistens mit Kindern verbunden werden: ({13}) Herr Eichel hat ja Recht, dass die schwarz-gelbe Koalition sehr wenig für Kinder getan hat. Aber das, was wir jetzt verwirklicht haben, war zum großen Teil nicht freiwillig, sondern Auflage des Bundesverfassungsgerichtes. So, wie es umgesetzt wurde, ist es wieder sozial ungerecht, weil die Großverdiener eine Steuerersparnis von 423 DM pro Monat haben und die normale Arbeitnehmerin ein erhöhtes Kindergeld von jetzt 270 DM bekommt. Das ist nicht das, was wir von der PDS uns vorstellen. Unsere Vorschläge hören Sie in der nächsten Rede. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Hans Georg Wagner von der SPD-Fraktion das Wort.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Dr. Höll, vielleicht können Sie sich in Mecklenburg-Vorpommern, wo Sie an der Regierung beteiligt sind, darum kümmern, dass dort mehr Finanzbeamte eingestellt werden; denn es ist Sache der Länder, dafür zu sorgen, dass die Steuereinnahmen fließen. Der Kollege Urbaniak wird nachher noch darauf hinweisen, wo in den Ländern durch Steuerersparnisse und durch Steuerhinterziehungsmöglichkeiten Standortvorteile gegenüber anderen Ländern erzielt werden sollen. Ich meine, dies sollte man auf die Ebene schieben, wo es hingehört. Wenn ich die Debatte jetzt etwas Revue passieren lasse, dann stelle ich fest, dass bis jetzt von der Opposition nichts Neues gekommen ist. Es ist immer das Alte, was man schon kennt und längst weiß. ({0}) Man kann sich gar nicht mehr überraschen lassen, etwa wenn der Kollege Austermann einen Nachtragshaushalt fordert. Das fordert er schon seit Monaten. Auch weiß er seit Monaten, dass das unsinnig ist; denn die Ausgaben für die Zwangsarbeiterregelung stehen als Leertitel im Haushalt. Das kann man also ausfüllen. Auch die Einnahmen sind geregelt. Dann kommt ein Punkt, Herr Kollege Austermann, zu dem ich Ihnen sagen muss: Das verstehe ich nicht ganz. Sie fordern offen - Herr Merz hat das wieder eingesammelt -, dass wir von dem Ertrag aus dem Verkauf der Handylizenzen, die wir erzielt haben, 80 Milliarden DM für die Schuldentilgung und 20 Milliarden DM für irgendwelche Investitionsmaßnahmen vorsehen sollten. ({1}) Das ist ein Aufruf zum Gesetzesbruch; denn im Gesetz steht, dass alle Einnahmen des Bundes, die über diesen Weg hereinkommen, zur Schuldentilgung verwendet werden müssen. Das gilt gemäß Koalitionsbeschluss auch für die Steuermehreinnahmen, Herr Kollege Austermann. ({2}) Wenn Sie die Koalition zum Gesetzesbruch aufrufen, dann sage ich Ihnen: Wir werden kein Gesetz brechen. Sie haben auf dem Gebiet des Gesetzesbrechens mehr Erfahrung als wir. Wir werden Ihnen da nicht folgen. ({3}) Herr Merz hat sich heute Morgen im Frühstücksfernsehen über die Ökosteuer ausgelassen. Nun hat hierbei Herr Merz einschlägige Erfahrungen. ({4}) - Herr Kollege Hinsken, Sie sind immer ein lebhafter Zwischenrufer. Ich empfehle Ihnen, vor Zwischenrufen, und zwar im Psalm 141 Vers 3. einmal zu lesen. Wissen Sie warum? Sie können es dort nachlesen. Es heißt dort: „Herr, stell eine Wache vor meinen Mund, eine Wehr vor das Tor meiner Lippen!“ Ich empfehle Ihnen wirklich, den Psalm 141 Vers 3 einmal einzuhalten. Dann werden Ihre Zwischenrufe qualifizierter sein, als sie es bisher gewesen sind. ({5}) Der Kollege Friedrich Merz hat heute Morgen gesagt, dass die Ökosteuereinnahmen nur zum geringsten Teil in die Sozialversicherung gehen würden. Das ist schlichtweg falsch. Er ist jetzt nicht da. Aber ich bedaure außerordentlich, dass Herr Merz schon wieder einmal bei einer Haushaltsberatung auf seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder auf die Einflüsterungen des Herrn Austermann hereingefallen ist. ({6}) Wenn man sich die Zahlen zur Ökosteuer genau ansieht, bemerkt man, dass im Jahre 2000 mit 17,4 Milliarden DM gerechnet wird. Für die Sozialversicherung werden 16,8 Milliarden DM ausgegeben. Für das Jahr 2001 gibt es die Prognose, dass 22,2 Milliarden DM hereinkommen. Ausgegeben werden 22,4 Milliarden DM. Das alles sind Einnahmen aus der Ökosteuer, die in die Sozialversicherung fließen. (Zuruf des Abg. Walter Hirche [F.D.P.] - Herr Hirche, es ist egal, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Das heißt also, 95 Prozent der Einnahmen aus der Ökosteuer gehen im Jahre 2000 in die Sozialversicherung, 101 Prozent im Jahre 2001 und 99 Prozent im Jahre 2002. Wie können Sie da sagen, es sei ein geringfügiger Betrag, der für die Sozialversicherung ausgegeben werde? Sagen Sie einmal Herrn Merz, er möge sich darüber besser informieren. Ich unterstelle, dass er gar keine Zeit hat, sich alles genau anzusehen. Aber er muss langsam merken, dass alles, was ihm an Haushaltszahlen eingeflüstert wird, bisher nicht gestimmt hat. Deshalb sollte er sich einmal selber um die Zahlen kümmern. Nun zur Ökosteuer selber. Auch dabei geht es rund. Da sagte Herr Merz im November 1998 - ich zitiere -: Durch die Ökosteuer sollen Steuern erzielt werden, um auf der anderen Seite Sozialabgaben zu reduzieren. Über ein solches Konzept kann man reden. Das machen wir doch. Dabei kann er mitmachen. Er kann sagen: Was die Koalition macht, ist genau richtig. Es ist wichtig, bei den Forderungen und der Preisgestaltung im Ölbereich nicht einzuknicken. Hier wird immer wieder die OPEC genannt. Wer ist denn für Deutschland der Hauptlieferant für Erdöl? Russland, England, Norwegen. Das sind keine OPEC-Staaten. ({7}) Wenn man sagt, man müsse jetzt mit der Ökosteuer heruntergehen, dann erscheint mir das makaber! Sie fordern beständig, die Subventionen - Herr Rexrodt, das geht auch an Sie - für den Steinkohlenbergbau herunterzufahren, egal ob Arbeitsplätze vernichtet werden oder nicht. Subventionsabbau muss sein. Im Zusammenhang mit der Ökosteuer und den Ölpreisgestaltungen fordern Sie jetzt Subventionen für die Erdöl produzierenden Länder und für die multinationalen Konzerne. Das ist doch falsch. Eine solche Politik machen wir nicht mit. ({8}) - Herr Rexrodt, warten Sie einmal; ich komme auf Sie noch gerne zurück. Frau Merkel, die sich ja gestern auch nicht schämte, hinsichtlich der Ökosteuer so zu argumentieren, hat noch als Ministerin am 28. Oktober 1997 gesagt - man höre bitte zu -: Bundesumweltministerin Angela Merkel ({9}) hält eine jährliche Anhebung der Mineralölsteuer von etwa fünf Pfennig für angemessen. Auf dem umweltpolitischen Forum der Thüringer CDU „Bewahrung der Schöpfung - Chancen und Grenzen der ökologischen Steuerreform“ trat die Ministerin gestern Abend für eine Besteuerung des Energieverbrauches „mit Augenmaß“ und damit eine Entlastung des Faktors Arbeit ein. ({10}) Das ist genau richtig. Ich habe ja überhaupt nichts dagegen. Nur, Frau Merkel muss dann bitte bei ihrer eigenen Politik das machen, was sie dort gesagt hat. ({11}) Das, was 1997 richtig war, kann doch nicht im Jahre 2000 plötzlich falsch und dann noch Grund und Anlass sein, eine Kampagne gegen die Koalition zu machen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wagner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich bin natürlich einverstanden. Herrn Hinsken, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort erteilt der Präsident und nicht der Redner. Herr Hinsken, bitte schön.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wagner, Sie haben vorhin aus der Bibel zitiert und einige Äußerungen von sich gegeben, die ich nicht teilen kann. Deshalb frage ich Sie, ob Sie wissen, dass in Matthäus 12,36 steht: Über jedes unnütz und falsch gesprochene Wort auf dieser Welt hast du Zeugnis abzulegen am Jüngsten Tag. ({0})

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das stimmt. Deshalb gilt ja auch für Sie das achte Gebot, in dem es heißt, du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Sie haben Recht, Herr Kollege. Das gilt auch für Sie. Ich sage noch einmal zu dieser Diskussion über die Ökosteuer: Herr Martin Hübner - das ist der Wirtschaftsfachmann der Bayerischen Hypo-Vereinsbank; Herr Hinsken, vielleicht kennen Sie ihn persönlich, ich kenne ihn nicht - sprach sich für die Beibehaltung der Ökosteuer im ZDF am vergangenen Freitag aus und sagte: Wer jetzt die Ökosteuer aussetzen will, subventioniert die multinationalen Konzerne. Recht hat der Mann. Er kommt aus Bayern. Es gibt also auch in Bayern noch vernünftige Stimmen, wie man an diesem Herrn Hübner sieht. Wenn eben Herr Rexrodt oder die Frau Kollegin Dr. Höll im Zusammenhang mit dem Heizöl die arme Oma genannt haben, die jetzt mehr Heizölkosten hat, dann muss man darauf hinweisen: Das Heizöl ist bei der Ökosteuer völlig ausgenommen, es wird nicht mit der Ökosteuer belastet. Also hier sind es allein Ihre Freunde, die multinationalen Ölkonzerne, und ist es nicht die Ökosteuer. Da muss man der Bevölkerung auch wieder sagen: Das ist etwas anderes. Ich führe die Diskussion in Bezug auf die Zinsersparnisse einmal auf die Frage zurück, was wir machen wollen. In der Tat, Herr Kollege Rexrodt, in einem Punkt gebe ich Ihnen völlig Recht: Auch mich bedrückt es, dass es die Bahn entgegen dem erklärten Willen des gesamten Bundestages - wenn ich mich recht erinnere, beim Eisenbahnneuordnungsgesetz - trotz Privatisierung nicht geschafft hat, mit anderen Anbietern auf der Schiene in Wettbewerb zu treten. Vielmehr hat die Verknüpfung des Schienennetzes mit der Bahn auch einen Nachteil. Darüber muss man reden. Ich bin der Meinung, dass die Tarifgestaltung der Deutschen Bahn im Vergleich zu den anderen Anbietern - ich sage einmal ganz vorsichtig - zu wünschen übrig lässt. ({0}) Man kann nicht durch künstliche Erhöhung der Tarife auf dem Schienennetz potenzielle Mitanbieter davon abhalten, einen Wettbewerb herzustellen. Das kann nicht sein. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir dies machen sollten. ({1}) Es ist erfreulich - der Minister hat es gesagt -, dass wir die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr um 250 000 abbauen werden, und zwar auch durch die Schaffung von 170 000 neuen Arbeitsplätzen. Frau Kollegin Dr. Höll, die beste Sozialpolitik, die wir machen, ist doch der Abbau der Arbeitslosigkeit. Nur dadurch werden die Chancen des Staates erweitert. Wenn wir die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr - der Minister hat es gesagt, um 270 000 - weiter abbauen, dann ist das genau der richtige Weg, den wir gehen müssen. Es ist die beste Sozialpolitik, die Menschen in Arbeit bringen, wie wir das mit den Jugendlichen mithilfe des JUMP-Programms gemacht haben. Das ist die richtige Politik. ({2}) Mir fällt gerade noch zur Ökosteuer ein, wo das Oktoberfest ja, Kollege Hinsken, heute Abend feierlich hier in Berlin voreröffnet und dann diese Woche in München eröffnet wird: Wenn die Bierpreise auf dem Oktoberfest steigen - sie steigen ja, das wissen Sie -, habe ich noch nicht die Forderung des bayerischen Ministerpräsidenten, Ihres Oberbefehlshabers, gehört, der gesagt hat: Man muss die Biersteuer abschaffen. Er nimmt die Erhöhung hin. ({3}) - Der Vergleich ist nicht zynisch, ({4}) sondern er entspricht absolut der Wahrheit. ({5}) Meine Damen und Herren, wenn von der Opposition gesagt worden ist, die Ausgaben für Bildung, Forschung und neue Technologien würden gekürzt, dann bitte ich herzlich darum, einmal in den Haushaltsplan hineinzugucken. Ich kann natürlich auch eine Rede zum Haushalt halten, ohne in den Plan hineinzugucken; aber dann muss ich damit rechnen, dass man mir nachweist, dass ich falsch liege. Was die Bildungsausgaben angeht, liegen Sie absolut falsch; denn wir haben im Jahre 2000 einen Anteil am Gesamthaushalt von 3,05 Prozent, in 2001 von 3,21 Prozent, in 2002 von 3,24 Prozent und im Jahre 2004 von 3,28 Prozent. Jetzt vergleichen wir einmal diese Zahlen mit dem, was Sie vorgesehen hatten, als Sie an der Regierung waren: In der mittelfristigen Finanzplanung sahen Sie einen Anteil im Jahre 2000 von 3,10 Prozent vor, im Jahre 2001 von 3,03 Prozent, also von 0,18 Prozent weniger, als es die rot-grüne Koalition vorsieht, und im Jahre 2002 - Herr Kollege Rexrodt, Sie hatten in der damaligen Bundesregierung mitgestimmt - von 2,97 Prozent, also fast 0,3 Prozent weniger als bei der jetzigen Koalition. Jetzt davon zu reden, wir würden die Ausgaben senken, ist entweder völlig falsch oder Sie haben in der Mengenlehre nicht aufgepasst bzw. das Einmaleins nicht begriffen. Wir machen jedenfalls mehr, meine Damen und Herren, als von Ihnen bisher vorgesehen war. ({6}) Dann wurde hier gesagt, man müsse die Mittel für die Städtebauförderung und für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ erhöhen. Dazu sage ich Folgendes: Wir stabilisieren im Osten die Gemeinschaftsaufgabe zur wirtschaftlichen Strukturveränderung. Aber reden Sie doch bitte einmal mit den Ihnen verbliebenen Finanzministern - zugegebenermaßen sind es nur noch wenige, aber immerhin stellen Sie noch welche - ganz offen und ehrlich darüber, wie sie über die Gemeinschaftsaufgabe denken. Sie werden Ihnen dann sagen: Lasst um Gottes Willen die Finger von der Erhöhung der Gemeinschaftsaufgabe, wir bringen ja gar nicht die Komplementärmittel auf. ({7}) Aufgrund der Steuerreform, die jetzt verabschiedet worden ist, sind auch die Haushalte der Länder eingeengt, sodass die Komplementärmittel von ihnen nur sehr schwer aufzubringen sind. ({8}) - Gut, die Bayern können vielleicht mithalten; sie haben ja jahrelang von den anderen so viel Geld abgesaugt, wie es nur möglich war. Aber alle anderen Bundesländer können diese Mittel nicht aufbringen, meine Damen und Herren. Das gilt auch für die Gemeinden. Wir haben 520 Millionen DM Städtebauförderungsmittel für die östlichen Länder im Haushalt. Das bleibt stabil wie in all den Jahren. Ihre Koalition hat die Förderungsmittel für die westlichen Länder seit 1990 von 1 Milliarde DM auf 80 Millionen DM abgesenkt. Hier wollen wir im Zuge der Verhandlungen etwas tun. Auch bei der Energieeinsparung, die Kollege Metzger schon genannt hat, wollen wir etwas tun; denn in der jetzigen Situation darf man nicht darüber nachdenken, die Ökosteuer oder irgendwelche anderen steuerlichen Regeln zu verändern. Vielmehr muss man jetzt die Energieeinsparung stärker fördern, um dadurch zu Minderausgaben zu kommen. ({9}) Ich will jetzt nicht mehr viel zum Nachtragshaushalt sagen, weil vorhin bereits deutlich gemacht worden ist, dass er nicht notwendig ist. Wir gehen jetzt in die Beratung des neuen Haushalts für 2001. Über einen Nachtragshaushalt für 2000 nachzudenken ist eigentlich überflüssig, weil alle gesetzlichen Voraussetzungen bereits geschaffen sind. Die Beratung eines Nachtragshaushalts wäre für Sie allenfalls mit der Hoffnung verbunden, wahrgenommen zu werden, nachdem das eine oder andere bei Ihnen in den letzten Monaten falsch gelaufen ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wagner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Beim Kollegen Koppelin mache ich das immer gern. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner, Sie haben die Ökosteuer angesprochen. Wir haben ja vorhin einige Zitate zum Thema Ökosteuer gehört. Was sagen Sie denn zu folgendem Zitat des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder? In einem Interview mit „dpa“ sagte er 1997 zur Ökosteuer: Die erhoffte Lenkungswirkung zum Wohl der Umwelt wird nur gering sein. Für die Bürger in Flächenstaaten wie Bayern ist ein höherer Benzinpreis aber eine empfindliche Mehrausgabe. Die SPD muss dann in Kauf nehmen, dass die Leute die Schnauze voll von uns haben. ({0})

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann gar nicht bestreiten, dass die Äußerungen von Herrn Schröder immer bedenkenswert sind. Alles, was er sagt, muss aufmerksam verfolgt werden. Das ist auch in diesem Fall ganz selbstverständlich. ({0}) Im Gegensatz dazu haben Sie ja Pech: Man kann Ihre Worte nicht nachvollziehen. Sie müssen ja immer überlegen, was gerade gesagt worden ist. Meine Damen und Herren, noch ein paar Sätze zum BAföG. Was wir hier tun, wird von Ihnen gar nicht genug gewürdigt. Ich kann ja verstehen, dass Sie als Opposition das nicht wollen. Sie haben es in den 16 Jahren, in denen Sie an der Regierung waren, geschafft, die ehemals von der sozialliberalen Koalition - auch mithilfe der F.D.P., Herr Kollege Rexrodt - erreichte hohe Quote von Studierenden, die aus einkommensschwächeren Familien kamen - was dazu führte, dass nicht nur Professorenkinder, sondern auch Arbeiterkinder die Chance hatten, Professoren zu werden und nicht mehr Arbeiter bleiben mussten -, drastisch zu senken. Jetzt sind wir auf dem Weg, das wieder zugunsten der einkommensschwachen Familien umzudrehen. Die Kinder der einkommensschwachen Familien sind ja nicht dümmer als die Kinder der Familien, die Geld haben. Deshalb muss das geändert werden und das machen wir. Wenn Sie wollen, können Sie da beim Haushalt 2001 auch mitmachen. ({1}) Vorhin ist die Quote angesprochen worden, die Art. 115 des Grundgesetzes uns vorgibt, nämlich die Forderung, dass die Nettokreditaufnahme die Investitionen nicht überschreiten darf. Das Wort Nettokreditaufnahme ist heute zu Recht schon als Ausweitung der Schulden bezeichnet worden. Wir reden darüber, als sei dies ein schöner Ausdruck, der eigentlich nichts sagt, aber jede Ausweitung der Nettokreditaufnahme bedeutet mehr Schulden. Deshalb, Herr Kollege Austermann, steigen die Schulden ja auch an. Wir senken nur die Nettokreditaufnahme auf Null im Jahre 2006 ab. Sie haben sie immer nur ansteigen lassen. Deshalb ist da ein Unterschied zwischen Ihnen und uns. Unterstellt, die Nettokreditaufnahme bliebe bei 46,1 Milliarden DM - Herr Kollege Metzger hat gesagt, die Koalition wolle unter 45 Milliarden DM gehen -, betrüge der prozentuale Unterschied zwischen den Investitionen und der Nettokreditaufnahme 25 Prozent. Das heißt, die Investitionen wären um 25 Prozent höher als die Nettokreditaufnahme. Im Jahre 2002 wären es - bei Kontinuität in der mittelfristigen Finanzplanung - 23 Prozent, im Jahre 2003 wären es bei ständiger Rückführung der Nettokreditaufnahme, also neuer Schulden, 42 Prozent und im Jahr 2004 bei einer geplanten Nettokreditaufnahme von noch 20 Milliarden DM sogar 62 Prozent. Ich erinnere an einen Haushalt der Vorgängerregierung, nämlich den Haushalt 1996, der schlichtweg verfassungswidrig war. Sie haben es damals geschafft, dass die Nettokreditaufnahme deutlich höher war als die Investitionsausgaben. Wir haben das massiv umgedreht. Ich finde, das ist eine erfolgreiche Bilanz in der Steuerpolitik, eine Politik, die auf Solidität aufgebaut ist und in die Zukunft hineinreicht. ({2}) Der Minister hat Recht gehabt: Die Schulden in Höhe von 1,4 Billionen DM, also 1 400 Milliarden DM, die nach der Tilgung mithilfe der UMTS-Erlöse übrig bleiben, sind doch Ihre Schulden. Da können Sie reden, was Sie wollen. Sie haben mit den Schulden die Kinder und Enkelkinder belastet, die diese Schulden abbauen müssen. Wir versuchen, den Kindern und Enkelkindern zu helfen, indem wir die Schulden schrittweise abbauen. Herr Kollege Austermann, Sie sollten doch nicht so tun, als wäre das alles nichts. Sie nehmen die Schulden, die Sie Deutschland eingebrockt haben, einfach nicht zur Kenntnis. Sie müssen sich daran gewöhnen: Sie waren die Schuldenmacher der Nation und Sie bleiben es auch. ({3}) Herr Kollege Rexrodt - er ist im Augenblick nicht da, aber Herr Kollege Gerhardt hat ihn ja ersetzt -, ich habe es schon gesagt: Wir werden das diskutieren. ({4}) - Bei der F.D.P. ist ein ständiger Wechsel, zumindest in der Diskussion. ({5}) Ich mache es dem Kollegen Rexrodt nicht zum Vorwurf, dass er nicht da ist. Kreditanstalt für Wiederaufbau und Deutsche Ausgleichsbank sind Themenbereiche, über die man reden muss. Ich finde, die Lösung, die die Bundesregierung einvernehmlich gefunden hat, ist in Ordnung. Deshalb sollte man in diesem Sinne fortfahren. Der Haushalt des Jahres 2001 ist eine konsequente Fortsetzung der finanziellen Solidität und Haushaltskonsolidierung dieser Koalition. Die jetzige Politik - das können Sie sehen, wie Sie wollen - hebt sich wohltuend von dem ab, was früher war. Deshalb bin ich auch sicher, dass die Bevölkerung das wahrnimmt. Auf die aktuellen Umfrageergebnisse gebe ich überhaupt nichts, denn das kann sich morgen wieder ändern. Ich weiß aber eines ganz genau: Solidität und Normalität im Haushaltsgebaren werden von der Bevölkerung anerkannt. ({6}) - Bei 1 400 Milliarden DM Schulden müssten Sie, Herr Kollege, eigentlich republikflüchtig werden, sich einen Wohnwagen kaufen und außerhalb des Landes gehen, anstatt hier immer noch die Regierung zu stellen. ({7}) Dass wir auf dem besten Wege sind, belegt nicht nur unser Optimismus und das, was die Regierung sagt. Das Weltwirtschaftsforum in Genf, WEF, hat vor kurzem eine Studie veröffentlicht, nämlich die internationale Wettbewerbsstudie 2000. Diese ist am 7. September in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht worden. Nach dieser Studie belegt der Wirtschaftsstandort Deutschland hinsichtlich seiner Attraktivität Platz drei, hinter Finnland und den USA. Damit konnte sich der „Standort D“ - so wird Deutschland in der Studie genannt innerhalb eines Jahres um drei Plätze verbessern. Innerhalb eines Jahres! Vor einem Jahr waren nicht mehr Sie, sondern wir an der Regierung. ({8}) Wir freuen uns über diese Feststellung der Studie. Deutschland belegt bezüglich des Internets Platz fünf. Wir sind überall an der Spitze oder zumindest auf dem Weg zur Spitze. Eichel hat also Recht gehabt, als er sagte: Wir sind auf dem Weg zur Spitze. Spitze sind wir beispielsweise schon in diesem Jahr bei ({9}) - nein! - im Bereich der Biotechnologie. Ihr Zwischenruf macht deutlich, dass Sie davon offenbar keine Ahnung haben. Deutschland ist in Europa der neue Spitzenreiter im Bereich der Biotechnologie, heißt es im Zweiten Biotechnologiereport, den die Stuttgarter Unternehmensberatung Ernst & Young vorgestellt hat. Das heißt also im Klartext: Wir sind auf dem richtigen Wege - dort wollen wir auch hin -, ein modernes Deutschland mit soliden Finanzen zu schaffen und dafür zu sorgen, dass Deutschland auch eine Zukunft in Europa hat. Ich möchte auf die Erdölkonzerne zurückkommen. Sie sollten nicht jeder veröffentlichten populistischen Forderung nachgehen. Wir sehen die Probleme des Kfz-Gewerbes. Auch in unseren Wahlkreisen fahren die Leute Auto. ({10}) Sie gehen nicht nur zu Fuß oder fahren nur Fahrrad. Trotzdem dürfen wir nicht einknicken, wenn die Konzerne plötzlich beginnen, Preise zu erheben, die durch nichts gerechtfertigt sind. Höhere Preise können bestenfalls durch die Feststellung gerechtfertigt werden, dass die Erdölressourcen endlich sind und dass mit diesen Ressourcen nicht so umgegangen werden kann wie bisher. Wir sollten darauf vertrauen, dass die Bundesregierung ihre Politik fortsetzt. Auch diesmal kämpft Rot-Grün leider Gottes - alleine für die Millionen und gegen die Millionäre. Sie machen es genau umgekehrt. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Peter Rauen von der CDU/CSU-Fraktion.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es gut, dass wir hier in aller Ruhe und ohne große Aufgeregtheiten über den Haushalt 2001 diskutieren, wenn ich von dem Ausfall von Herrn Poß einmal absehe. Dazu hat der Kollege Rexrodt bereits das Nötige gesagt. Herr Finanzminister Eichel, Sie haben in einer zentralen Aussage Ihrer Rede festgestellt, dass wir aus der Schuldenfalle raus müssten. Da haben Sie die Union voll und ganz auf Ihrer Seite, auch aus guter Tradition: Sie wissen selbst - Finanzpolitik steht in der Kontinuität der Regierungen -, dass es auch der damaligen CDU/CSUF.D.P.-Regierung von 1983 bis 1990 gelungen ist, die Nettoneuverschuldung in Höhe von etwa 50 Milliarden DM 1983 auf fast 14 Milliarden DM 1989 zurückzuführen. Ohne deutsche Einheit hätten wir es damals auch geschafft, die Nettoneuverschuldung auf Null zurückzuführen. Das gehört einfach zur historischen Wahrheit. Wir sollten auch nicht verschweigen, dass ein Teil unserer Schulden mit dem Sonderfall der Geschichte zu tun hat, nämlich dass wir wieder ein Land sind und in einem Land leben können. Das muss man sehr deutlich sagen. Sie haben uns auch auf Ihrer Seite, wenn Sie - zu Recht - fordern: Die Sondereinnahmen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen sollen zur Schuldentilgung verwandt werden. Sie haben uns auch auf Ihrer Seite, wenn die durch die Schuldentilgung gesparten Zinsausgaben für Investitionen genutzt werden. Auch Kollege Austermann hat nichts anderes gesagt. Diese finanzpolitische Ausrichtung findet unsere ausdrückliche Zustimmung. Sie haben von konjunkturbedingten Mehreinnahmen gesprochen. Ich fürchte, wir müssen allmählich von inflationsbedingten Mehreinnahmen sprechen, Herr Finanzminister. Sie wissen selbst so gut wie ich und alle anderen hier: Die Steuerschätzer gingen noch im Mai dieses Jahres, also vor gerade einmal vier Monaten, davon aus, dass die Inflationsrate bei 0,7 Prozent liegen würde. 0,7 Prozent, so die Schätzung vor vier Monaten! Die Inflationsrate wird wahrscheinlich am Ende dieses Jahres über 1 Prozent höher sein. Bereits die Höhe der Isteinnahmen bis zum 30. Juni 2000 macht deutlich, dass rund 9 Milliarden DM von den zu erwartenden rund 18 Milliarden DM an Steuermehreinnahmen am Ende dieses Jahres inflationsbedingte Steuermehreinnahmen sind; denn eine um 1 Prozent höhere Inflationsrate bringt den Gebietskörperschaften etwa 9 bis 10 Milliarden DM an Steuermehreinnahmen ein. Wenn ich diese Basis sehe, dann wissen Sie sehr genau, dass die Steuerschätzung vom Mai Makulatur ist. Auf der Basis des Jahres 2000, die sich ja fortsetzt, werden wir - unterstellt, die realen Wachstumsgrößen bleiben so wie bei der Steuerschätzung angenommen - im Jahr 2003/04 30 bis 40 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen gegenüber den Annahmen vom Mai dieses Jahres haben. Ich will auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, der mir viel mehr Sorgen bereitet. Es handelt sich um die Bemerkung unseres Kanzlers vor kurzem in New York, dass er die Schwäche des Euro sehr gelassen sehe. Mich erschreckt das. Gut, jeder Mensch wird durch seinen Umgang geprägt. Wenn er das aus der Sicht der exportierenden Wirtschaft sieht - als ehemaliges Mitglied im Aufsichtsrat von VW - dann mag er Recht haben. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass wir natürlich Inflation importieren. Wenn wir heute über die Ökosteuer reden, die uns beschwert, dann ist es ja wahr: Der Ökosteueranteil, die sieben Pfennig inklusive Mehrwertsteuer, ist der eine Gesichtspunkt. Wir haben aber zwei weitere Elemente: Das ist zum einen die Erhöhung der Rohölpreise, rund 7 Pfennig pro Liter bei einem Anstieg von 25 auf 32 Dollar pro Barrel, und das andere Argument bezieht sich auf die Schwäche unserer Währung: Bei einer Entwicklung des Wertes des Dollars von 1,85 auf 2,22 DM von heute zahlen wir 7 Pfennig mehr, weil Öl in Dollar fakturiert wird. Jetzt möchte ich von den makroökonomischen Zahlen wegkommen und betrachte den Zusammenhang einmal mikroökonomisch. Dann bin ich bei der Argumentation des Herrn Wagner. Er redet von den kleinen Leuten. Das mache ich auch. Wer in diesen Monaten seinen Heizöltank füllt und 4 000 Liter tankt, bezahlt 50 Pfennig pro Liter mehr als vor einem Jahr. Damit sind 2 000 DM weg, Herr Finanzminister. Die Beträge, die Sie aufgrund der Entlastung durch die Steuerreform genannt haben, hat man also bereits im August oder September 2000 ausgegeben. Der Betreffende hat davon nichts. Wenn er auch noch ein Auto benötigt, um zur Arbeit zu fahren, und eine Strecke von 20 Kilometern zurücklegen muss, dann fährt er 800 Kilometer im Monat. Bei einem Verbrauch von 10 Litern pro 100 Kilometer benötigt er 80 Liter. Für einen Liter Benzin bezahlt er 60 Pfennig mehr als im letzten Jahr. Er zahlt also rund 50 DM im Monat mehr als vor einem Jahr. Auch der Kollege Metzger, der jetzt nicht anwesend ist, kann ihm nicht erzählen, dass er bei der Rentenversicherung eine Erleichterung von 20 DM hat. Er hat einfach eine Mehrbelastung! ({0}) - Rechnen Sie bitte nach! Herr Metzger hat eben das Beispiel gebracht, dass man bei einem Bruttogehalt von 5 000 DM 1 Prozent Erleichterung bei den Rentenversicherungsbeiträgen hat. Das ist nicht ganz richtig. Es sind nur 0,8 Prozent, 0,4 Prozent beim Arbeitnehmer. Das sind bei 5 000 DM genau 20 DM. Demjenigen, der die Mehrkosten hat, weil er mit dem Auto zur Arbeit fährt, können Sie nicht erzählen, dass er eine tolle Entlastung hat. Im Kern hat er nur Mehrbelastungen. ({1}) Es wird wirklich Zeit, dass wir mit den Märchen aufhören. Ich habe mich über den Kollegen Klimmt, den ich persönlich sehr mag, weil wir seit vielen Jahren durch den Fußball verbunden sind, maßlos geärgert, als er am Sonntag bei „Christiansen“ wieder verkauft hat, dass die Ökosteuererhöhung zu einer Beitragssenkung führen wird. ({2}) Wir haben fünf Erhöhungen von je 6 Pfennig plus Mehrwertsteuer, das sind jeweils 7 Pfennig. Im Jahre 2003 werden Sie aus diesen Mineralölsteuererhöhungen 37 Milliarden DM einschließlich Mehrwertsteuer einnehmen. Wir haben bei den 630-DM-Jobs eine Umwälzung von der Steuer zu den Rentenversicherungsbeiträgen. Zum anderen haben wir eine Anpassung der Renten an die Inflationsrate, nicht an die Nettolohnentwicklung. Das sind rund 9 Milliarden DM. Hier werden also insgesamt fast 48 Milliarden DM bewegt, das heißt, den Leuten aus der Tasche gezogen, umstrukturiert oder ihnen nicht gegeben. Ausweislich der Zahlen Ihres Kollegen Riester - ich empfehle Ihnen, sie sich anzuschauen - wird der Rentenversicherungsbeitrag im Jahr 2003, am Ende der dritten Stufe, um lediglich 1,2 Prozentpunkte niedriger liegen als im Jahr 1998. 1,2 Prozentpunkte entsprechen 19 Milliarden DM. Das heißt, Sie bewegen das Zweieinhalbfache dessen, was Sie an Rentenversicherungsbeiträgen senken. ({3}) Es ist einfach notwendig, dass man dies wirklich darlegt, denn ich habe schon die Befürchtung, dass wir uns mit der importierten Inflation eine ganze Menge Probleme einhandeln, die wir noch nicht gelöst haben. Herr Finanzminister, Sie werden sich damit beschäftigen müssen, dass wir darüber reden, wie diese inflationsbedingten Mehreinnahmen bei den Steuern den Menschen viel schneller zurückgegeben werden müssen, als es bei der ganzen jetzigen Steuerreform geplant ist. Es ist gerade einmal neun Wochen her, dass Sie machtpolitisch einen Erfolg hatten. Über die Methode, wie das im Bundesrat gelaufen ist, wie mit einem Verfassungsorgan umgegangen worden ist, will ich jetzt gar nicht reden. Ich fürchte nur, die Freude von Ihnen und vom Bundeskanzler über diesen machtpolitischen Erfolg wird relativ schnell verfliegen. Manche Wirtschaftsverbände, die die Verabschiedung noch erleichtert begrüßt hatten, weil sie meinten, der Spatz in der Hand sei ihnen lieber als die Taube auf dem Dach, merken allmählich, dass das Ganze wirklich nur ein Spatz ist und dass sie die Taube noch bis 2005 im Käfig betrachten müssen; denn in Wahrheit entlasten Sie erst dann die Arbeitnehmer und die Unternehmer. Das, was wir immer gesagt haben, beginnt allmählich zur allgemeinen Einsicht zu werden: Die Steuerentlastung durch das Steuerreformgesetz ist sozial und wirtschaftspolitisch unausgewogen: Sie bevorzugt die großen Kapitalgesellschaften zulasten des Mittelstandes und der Arbeitnehmer; die einseitige Bevorzugung des thesaurierten Gewinns ist wirtschaftspolitisch verfehlt und führt zu neuen steuerrechtlichen Verwerfungen. Sie ist nicht nachhaltig, weil durch das Vorziehen der oberen Proportionalzone bereits ein immer größerer Teil von Durchschnittsverdienern den Spitzensteuersatz zahlen muss. Sie kommt zu spät, weil der größte Teil der Tarifsenkungen für die Einkommensteuerzahler erst am Sankt-Nimmerleins-Tag im Jahr 2005 kommt, und zwar bei all den anderen Belastungen, die die Menschen, wie eben geschildert, ganz elementar und ganz zeitnah belasten. ({4}) Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen, bei dem ich Gefahren für unsere Konjunktur und für unsere Unternehmenskultur sehe. Kernstück der von Ihnen durchgepeitschten Reform ist eine Neuregelung der Unternehmensbesteuerung, von der alle Sachkenner sagen - ich wiederhole mich -, dass sie eine Reform zugunsten der Kapitalgesellschaften ist. Für die Kapitalgesellschaften sinkt die Belastung des einbehaltenen Gewinns um 13 Prozentpunkte, Herr Poß. Für die Personengesellschaften sinkt die Grenzbelastung um lediglich drei Prozentpunkte. Selbst wenn man die Gewerbeertragsteueranrechnung einkalkuliert, bleibt auf lange Sicht eine große Spreizung zwischen der Durchschnittsbesteuerung der Kapitalgesellschaften und der Personengesellschaften. ({5}) - Herr Eichel, Sie haben doch gewusst, warum Sie zunächst das Optionsmodell wollten: Sie wollten die Personengesellschaften mit den Kapitalgesellschaften in etwa gleichstellen. Weil das Ganze ohnehin eine Krücke war, haben Sie den Plan fallen lassen, aber mit dem Ergebnis, dass die Personengesellschaften bis 2004 zunächst enorm mehr belastet werden. Das ist im Vermittlungsausschuss unbestritten so gesagt worden. ({6}) Ich komme zu einem anderen Punkt. Ein weiterer Geburtsfehler der Reform ist die Privilegierung des einbehaltenen Gewinns. Dafür gibt es keine sachliche, sondern nur eine politisch-ideologische Rechtfertigung, und zwar den auf Lafontaine zurückgehenden, aber vom Bundeskanzler und von Ihnen ausdrücklich übernommenen Wunsch, nur die Unternehmen, nicht aber die Unternehmer zu entlasten. Daraus ergeben sich einige Verwerfungen, über die wir sprechen müssen. In der Folge dieser Umstellung ist zum Beispiel die Mindestbeteiligung, die früher einmal bei 25 Prozent lag, auf 1 Prozent reduziert worden. Ich sage Ihnen voraus: Das ist ein Anschlag auf Neugründungen von Firmen, ein Anschlag auf die Notwendigkeit, dass sich viele neue Firmen mithilfe anderer entsprechend strukturieren. ({7}) - Moment mal: Es hat sich eine Kultur herausgebildet, die ganz gut angelaufen ist, nämlich die Kultur der Business Angels. Es handelt sich um Persönlichkeiten, die mit ihrer Erfahrung jungen Unternehmern nicht nur materiell, sondern auch ideell helfen. Ich frage mich nur, warum diese Menschen in Zukunft noch Geld dort hineinstecken sollten. Am Anfang können sie kein Geld herausholen, weil die Firmen erst einmal wachsen müssen. Sie können nur Beteiligungen bekommen, die sie aber, wenn sie über der Beteiligungsgrenze liegen, hoch versteuern müssen. Sie werden doch dann lieber gleich Aktien von großen Kapitalgesellschaften kaufen, wodurch sie unter der Grenze für wesentliche Beteiligungen, also 1 Prozent, bleiben und die Kapitalerträge nach einem Jahr steuerfrei kassieren können. Über dieses Problem müssen wir in der Tat nachdenken, weil hierdurch die Kultur, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, in hohem Grade gefährdet wird. Als Folge des Halbeinkünfteverfahrens haben Sie, meine Damen und Herren, Veräußerungsgewinne für Kapitalgesellschaften von der Körperschaftsteuer befreit. Demgegenüber wurden die Möglichkeiten zur steuerneutralen Umstrukturierung von Personengesellschaften bereits 1999 massiv beschnitten. Ich habe dazu bei der dritten Lesung gesagt, dass es richtig ist, die Veräußerungsgewinne bei Kapitalgesellschaften steuerfrei zu stellen, damit Umstrukturierungen möglich sind, Konzernteile an andere verkauft werden und Unternehmen effektiver arbeiten können, also die „Deutschland AG“ aufgelöst wird. Wenn das aber, Herr Eichel, für Kapitalgesellschaften zutrifft, dann trifft das natürlich auch für Personengesellschaften zu. Auch diese müssen in einer Zeit umstrukturieren, wo sich Wissen alle fünf Jahre verdoppelt und Schnelligkeit darüber entscheidet, wer seinen Weg gehen kann. Ich nenne Ihnen als Beispiel einen Sachverhalt, den Lafontaine kassiert hat, was Sie nicht zurücknehmen wollen. Es handelt sich um die Realteilung, die wir bei Personengesellschaften kannten. Ich will es einmal einfach ausdrücken: Wenn zwei Personengesellschafter auseinander gehen und das, was sie real im Betrieb haben, teilen wollen, konnten sie bisher die stillen Reserven mitnehmen. Diese müssen neuerdings aufgedeckt und versteuert werden. Lassen Sie sich das doch noch einmal durch den Kopf gehen, ansonsten wirkt sich das verheerend auf die notwendigen Umstrukturierungen bei Personengesellschaften aus. Ich nenne noch einen zweiten Fall, der auch mit Umstrukturierungen zu tun hat: Für Erlöse aus Anteilsveräußerungen, die wiederum zur Umstrukturierung einer Firma stattfinden, brauchen wir weiterhin die Möglichkeit, sie einer Reinvestitionsrücklage zufließen zu lassen, die zu 100 Prozent steuerfrei gestellt wird, wenn sie in die Umstrukturierung der Firma fließt. Diese Möglichkeit wurde durch die Änderung von § 6b des Einkommensteuergesetzes völlig kassiert. Das hat aus meiner Sicht ebenfalls ziemlich verheerende Folgen für die notwendigen Umstrukturierungen bei Personengesellschaften. Ich komme zu einem weiteren Punkt, den ich noch einmal sehr ausdrücklich anspreche, weil er mir als einem am Herzen liegt, der seit 34 Jahren selbstständig ist und immer darauf bedacht war, dass es den Leuten, die bei ihm arbeiten, auch gut geht. Die Entlastung für die Arbeitnehmer ist völlig unzureichend. Ich sage es hier zum wiederholten Male. Trotz der Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent verläuft der Tarif relativ steil, wodurch der Durchschnittsfacharbeiter in den Spitzensteuersatz hereinkommt und - das ist ein Faktum - im Jahre 2005 prozentual genau so viel Steuern zahlt wie im Jahre 2000. ({8}) Das hat mit dem langen Zeithorizont zu tun und damit, dass die kalte Progression - das Zusammenwirken von Inflation und Progression - diesen Mehrlohn bei den Arbeitnehmern auffrisst. Es wird auf Dauer nicht gelingen, so die Binnenkonjunktur wirklich anzuheizen und auf dem Arbeitsmarkt Entscheidendes zu erreichen. Damit wird das Reformziel, die Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung dauerhaft zu verbessern, zwangsläufig verfehlt. Wie die Erfahrungen mit durchgreifenden Steuerreformen in anderen Ländern zeigen, sind die von ihnen ausgehenden Wachstums- und Beschäftigungsimpulse dann am stärksten, wenn die Steuersenkungen von einer zurückhaltenden Lohn- und Tarifpolitik begleitet werden. Ein solcher Effekt ist aber nur von einer fühlbaren, einPeter Rauen schneidenden Senkung der Steuerlast zu erwarten, damit die Tarifpartner auch Spielräume haben und nicht 70 Prozent einer Lohnerhöhung in Form von Steuern und Abgaben wieder abgeführt werden müssen. Das ist insbesondere bei einer zeitlich lang gestreckten Reform der Fall, bei der sich der Entlastungseffekt der einen Stufe verzehrt hat, bevor die nächste Stufe erreicht ist. Zur Mehrwertsteuer möchte ich jetzt keine Ausführungen machen. - Eines in Ihrem Haushalt, Herr Eichel, gefällt mir überhaupt nicht. Überlegen Sie einmal: Obwohl die Steuereinnahmen von 1995 bis 1997 sogar nominal zurückgegangen sind - das hat auch mit den Sonderabschreibungen für Wohnungsbau, Bürobauten und dergleichen mehr im Rahmen der deutschen Einheit zu tun -, lag die Investitionsquote von 1992 bis 1997 im Schnitt bei 13,6 Prozent. Sie senken diese Investitionsquote jetzt auf 11,4 Prozent. Ich kann nur hundertprozentig den Kollegen Austermann unterstützen, der für unsere Fraktion massiv fordert, dass die Investitionen deutlich ausgeweitet werden. ({9}) Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Schade, dass der Kollege Metzger weg ist. Ich respektiere ja, wenn er sagt, man müsse mehr auf die Schiene umsteigen. Ich bin sehr dafür. Aber wir müssen eines wissen: Wenn ich 10 Prozent des Verkehrs von der Straße auf die Schiene bringen will, dann muss ich den Schienenverkehr verdoppeln. Wenn Sie sich die Zugverdichtungen anschauen, merken Sie, dass es ohne Schienenneubaustrecken nicht geht. Ich möchte dann sehen, wie bei den Grünen das Geschrei losgeht, wenn wir diese Neubaustrecken schaffen müssen. ({10}) Aber unabhängig davon haben wir überhaupt keine Alternative dazu, auch im Straßenbau massiv weiterzukommen. ({11}) Gerade in den neuen Bundesländern muss viel geschehen, aber zum Beispiel auch noch in der Eifel, wo ich herkomme. Dort sind für eine prosperierende Wirtschaft auch Straßenbauten dringend notwendig. Karl Diller weiß ganz genau, wovon ich rede. Aber Sie führen die Investitionen für den Straßenbau im Bundesverkehrswegeplan nominal zurück. Das kann einfach nicht gut gehen. Wir kassieren die Autofahrer ab und lassen sie gleichzeitig im Stau stehen. Das kann nicht aufgehen, Herr Eichel! ({12}) Ich möchte Sie noch auf eine Besonderheit aufmerksam machen, die mit den Konzessionsmodellen zu tun hat. Ich habe in Ihrem Haushaltsentwurf Rückzahlungen gesehen, die der Bund aufgrund der umgesetzten Konzessionsmodelle leistet und die im Prinzip Projekte betreffen, die bereits gebaut sind. Aber im Haushaltsentwurf stehen diese Mittel so, als würden sie gerade erst investiert. Das summiert sich bald auf 1 Milliarde DM. Herr Klimmt weiß das ganz genau. ({13}) - Nein, wir mussten damals bei der deutschen Wiedervereinigung Zeit einkaufen und haben gesagt: Es ist rechtens, dass man privates Kapital in den Bau von wichtigen Straßenverkehrsmaßnahmen steckt. Das war 1990 eine völlig richtige Entscheidung. ({14}) Aber dass jetzt die Rückzahlungen wie Investitionen behandelt werden, ist mit Blick darauf, dass ein wichtiger Konjunkturträger, die Bauwirtschaft, nach wie vor am Stock geht, nicht zu respektieren. Ich kann abschließend nur eines sagen: Herr Eichel, schaffen Sie die dritte, vierte und fünfte Stufe der Ökosteuer ab! ({15}) Ziehen Sie die Steuerentlastungsschritte bei der Einkommensteuer deutlich vor, und zwar im Einklang mit den Bundesländern. Sie können das bezahlen, weil wir durch die Inflationsrate wesentlich höhere Steuereinnahmen haben. Beseitigen Sie die Nachteile, die Personengesellschaften bei Umstrukturierungsmaßnahmen im Vergleich zu Kapitalgesellschaften nach wie vor haben. Denken Sie nicht zuletzt daran, eine Unternehmensgründungskultur nicht durch eine Mindestbeteiligungsregelung kaputtzumachen, die es nicht mehr ratsam erscheinen lässt, jungen Unternehmen sein Kapital zu geben. Schönen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Antje Hermenau vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben es jetzt relativ leicht, meine Damen und Herren von der Opposition, weil Sie doch noch einen Punkt gefunden haben, den Sie in dieser Haushaltsdebatte strittig zu stellen versuchen: Das ist die Sache mit der Ökosteuer. Aber vergessen Sie nicht, dass auch Sie in der Verantwortung sind. Der Spritpreis ist natürlich präsenter als die Summen aus der Einkommensteuererklärung. Da geht es mir genauso wie vielen Millionen anderen Menschen in diesem Land. Kein Mensch weiß wirklich ganz genau, was er eigentlich in den letzten Jahren an Steuern gezahlt hat; das hat keiner im Kopf. ({0}) Den Spritpreis kennt man; den sieht man jeden Tag an der Tankstelle. Das enthebt uns aber nicht der Verantwortung, gemeinsam darüber nachzudenken, wie gewisse Verhaltensänderungen möglich werden. Die ganze Debatte, die jetzt auch medial aufgeheizt und durch Sie unterstützt wird, fußt eigentlich nur darauf, dass alle zu bequem und zu faul sind, ihr Verhalten zu ändern und zum Beispiel spritgünstiger zu fahren. ({1}) Der ADAC hat Kurse angeboten, in denen man lernen kann, wie man Sprit sparend Auto fahren kann. Diese Kurse hat niemand besucht. Das heißt, niemand hat Lust, sein Verhalten zu ändern. Lieber wird versucht, die Regierung mit dieser Frage in die Enge zu treiben, um seine bequeme Lebensweise fortführen zu können. Ich will den Leuten ja nicht sagen, dass sie nicht bequem leben dürfen, aber so sehr auf Kosten der Natur und der Zukunft der Kinder sollte man es vielleicht nicht machen. Sie entziehen sich dieser Verantwortung! ({2}) Was ich einigermaßen amüsant finde, ist, dass das der einzige Punkt ist, bei dem Sie heute irgendetwas zu meckern haben. Ansonsten haben Sie bis jetzt während der gesamten Haushaltsdebatte noch keinen Punkt gefunden, an dem Sie irgendetwas wirklich substanziell kritisieren könnten. Das heißt: Unsere Politik ist offensichtlich sehr gut. ({3}) Ich möchte einen Punkt herausarbeiten, der mir besonders am Herzen liegt, nämlich den Aufbau Ost. Es gab hier und da einzelne verhaltene Stimmen, die meinen, wir würden in diesem Bereich unglaublich dramatische Kürzungen vornehmen. Dem kann man entgegenhalten, dass es sich prozentual nur um eine kleine Summe handelt, die in 2001 weniger als in 2000 ausgegeben wird. Aber wer dieses Minus von 3 Milliarden DM bejammert, der muss sich an seinen Taten und Worten messen lassen, wenn es um den Länderfinanzausgleich geht. Dieser Punkt sollte nämlich in die Debatte einbezogen werden. Es wird immer behauptet, dass die Finanzausstattung der ostdeutschen Länder auf 92 Prozent des durchschnittlichen Länderniveaus angehoben werde. Das ist aber nicht der Fall. Das wäre der Fall, wenn man nur die Ländersteuern berücksichtigen und die kommunalen Gelder herausrechnen würde. Die Kommunen im Osten sind aber deutlich finanzschwächer als die im Westen. Wenn die kommunalen Gelder eingerechnet werden würden, dann käme je nach Bundesland im Osten ein Niveau von 66 bis 72 Prozent zustande. Ich bin der Meinung, dass wir bei der Diskussion um die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs deutliche Fakten sprechen lassen müssen. Ich komme jetzt zu den einzigen Maßnahmen, die die Finanzkraft der ostdeutschen Länder etwas stärken, nämlich den Maßnahmen des Bundes. Der Bund stärkt ihre Finanzkraft durch die Bundesergänzungszuweisungen, insbesondere durch die Sonderbedarfsergänzungszuweisungen. Das heißt, der Bund tritt dort ein, wo die Länder gar nicht umschichten wollen. Gerade Länder wie Bayern, Baden-Württemberg, auch Hessen und NordrheinWestfalen, die jetzt am lautesten das Wort führen und am meisten herumstreiten, indem sie sagen, sie müssten zu viel Geld für die ostdeutschen Länder ausgeben, sind die Länder, die durch andere Bundesergänzungszuweisungen wieder begünstigt werden, weil sie ja als „arme Länder“ nicht die Kraft haben, die Umstellung des Länderfinanzausgleichs im Hinblick auf die Unterstützung der ostdeutschen Länder durchzuhalten. Die westdeutschen Länder bekommen also eine besondere Bundesergänzungszuweisung dafür, dass sie an den Osten Geld abgeben müssen. Es gibt also eine Kompensation. Die ostdeutschen Länder bekommen eine Bundesergänzungszuweisung, weil sie zu schwache Kommunalfinanzen haben. Zwar ist dieses System in gewisser Weise marode, aber eines wird klar: Die Länder selbst speisen nicht die Finanzkraft der ostdeutschen Länder. Es ist vielmehr der Bund, der die ostdeutschen Länder stabilisiert. Damit bin ich beim Schuldenberg und beim Gegenstand der heutigen Debatte. Der Schuldenberg, von dem hier dauernd gesprochen wird, setzt sich nicht einmal zur Hälfe aus den notwendigen Transfers in die ostdeutschen Länder zusammen. Um es einmal klar zu sagen: Man kann zwar behaupten, dass die ostdeutschen Länder daran schuld seien, dass die Bundesrepublik Deutschland so stark verschuldet ist, aber das stimmt einfach nicht. Ein großer Teil des Schuldenberges beruht auf dem Konsum der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, der vor der Einheit stattgefunden hat. Diesen Konsum können Sie uns wirklich nicht anlasten; denn die paar Westfresspakete können es nicht gewesen sein. ({4}) Ich möchte gerne darüber sprechen, was wir versuchen zu unternehmen, um die Situation der ostdeutschen Länder zu verbessern, damit ihre Steuerkraft und Finanzkraft durch ihre wirtschaftliche Stärkung gestärkt wird. Wir im Osten sollen in die Lage versetzt werden, unseren eigenen Steueranteil zu erhöhen, der jetzt nur bei ungefähr einem Drittel liegt, was natürlich nicht sehr viel ist. Es gibt zum Beispiel hinsichtlich der Bahn eine Vereinbarung mit den Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder, dass die Investitionen in die Schienenwege, die nachzuholen sind, nicht mit dem Ablauf der gesetzlichen Verpflichtung in 2003 eingestellt werden, sondern dass die gesamte vereinbarte Summe in Höhe von 33 Milliarden DM bis zum Jahre 2007 auszufinanzieren ist. Das heißt: Es wird kein Geld eingespart. Die Verausgabung der Mittel wird vielmehr zeitlich gestreckt. Neben diesen Mitteln, die alle ausgegeben werden können, stehen noch die Extramittel aus der Zinsersparnis aufgrund der Versteigerung der UMTS-Frequenzen zur Verfügung, die wir ebenfalls in die Bahn stecken können. Das sind Maßnahmen, mit denen wir sofort im nächsten Jahr beginnen können und mit denen wir im Bereich der Bahn Erfolge erzielen werden, die jeder spüren kann. Unser Problem ist doch, dass die meisten Maßnahmen viel zu lange dauern, meistens länger als eine Legislaturperiode. Die Menschen fragen dann immer: Wann geschieht etwas? Wann wird etwas gemacht? Bei der Bahn werden wir schon im nächsten Jahr spürbare Erleichterungen haben, wenn die Langsam-Fahrstrecken ausgebaut und ausgebessert werden und damit die Pünktlichkeit der Bahn deutlich gesteigert wird, was ich für einen wichtigen Punkt halte. ({5}) Das Gleiche gilt zum Beispiel für die Straße. Es gibt das Bundesprogramm Verkehrsinfrastruktur, das bis zum Jahr 2002 laufen soll. Ohne zusätzliche Gelder aus der UMTS-Versteigerung sind schon 67 Milliarden DM vorgesehen. Von diesen 67 Milliarden DM gehen 32 Milliarden DM in die fünf neuen Länder. Bei dieser anteilsmäßig hohen Summe kann keiner sagen, dass die ostdeutschen Länder damit ihren Nachholbedarf im Bereich des Straßenbaus nicht decken könnten. Das trifft genauso auf die Bereiche Bildung, Hochschulbau und Forschung zu. Auch dort liegt der Anteil der fünf neuen Länder über ihrem Bevölkerungsanteil. Man kann also nicht behaupten, dass die ostdeutschen Länder nur das bekommen, was jedem Bundesland normalerweise prozentual zustünde. Sie werden vielmehr bevorzugt - und das zu Recht. Das ist völlig korrekt und soll auch so sein. Aber auf der anderen Seite bei irgendwelchen auslaufenden Programmen von Kürzungen zu sprechen, das halte ich für einigermaßen perfide, wenn man überlegt, dass die ostdeutschen Länder im Rahmen bundesweiter Programme sehr oft einen besonderen Bonus bekommen und besonders bedacht werden. Das betrifft zum Beispiel die Bereiche Innovationen und Forschung. Lassen Sie mich noch zur Gemeinschaftsaufgabe Ost, zu den Geldern kommen, die wir benutzen, um eine ganze Reihe von Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren. Es ist richtig: Dieser Betrag wird im nächsten Jahr leicht abgesenkt. Das ist ja auch ein schwieriges Haushaltsjahr. Er wird aber bei weitem nicht in der Stärke abgesenkt, wie man es, wenn man an die allgemeine Ausgabenreduzierung denkt, prozentual gesehen in diesem Bereich tun müsste. Außerdem bestehen jede Menge Möglichkeiten, neue Projekte anzuschieben. Wenn man die Kofinanzierung der Länder und auch die EFRE-Mittel, das heißt die in diesem Zusammenhang gewährten europäischen Mittel, mit einbezieht, können bei der Gemeinschaftsaufgabe Ost bzw. bei den Infrastrukturmaßnahmen neue Verpflichtungen in Höhe von 3,5 Milliarden DM eingegangen werden. Das halte ich für ein außerordentliches Bewilligungsvolumen. Damit können wir uns sehen lassen. Dass natürlich die Anzahl der Anträge, etwas neu zu bauen, höher ist, als es die Möglichkeiten unseres Bewilligungsvolumens zulassen, ist nichts Neues und betrifft jeden Politikbereich. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Hermenau, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber sicher.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Hermenau, ich habe Ihnen zwar mit großem Interesse zugehört, möchte jetzt aber eine konkrete Frage stellen. Zu meiner großen Überraschung las ich in der „Sächsischen Zeitung“, dass Sie dem Sportbereich Mittel in Höhe von 400 Millionen DM versprochen haben. Es mag sein, dass man einer Regionalzeitung so etwas verkünden kann. Sie haben erklärt, dass dieses Programm mit einem Teil der Zinsersparnisse, die sich durch die Erlöse der Vergabe der UMTS-Lizenzen ergeben, finanziert werden soll und dass Sie dazu die Zustimmung der Koalitionsfraktionen hätten. Könnten Sie mir einmal erklären, wie das ablaufen soll, damit dies hier gleich zu Protokoll gebracht wird und wir Sie daran erinnern können?

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Koppelin, Sie haben sich leider vertan. Ich wollte sofort zum Sportstättenbau kommen. Können Sie sich noch einen Moment gedulden? ({0}) Denn ich würde gerne vorher noch auf zwei andere Punkte eingehen. Es wurde oft die Frage aufgeworfen, ob wir in der Lage sein werden, den ostdeutschen Ländern für die Stärkung des Arbeitsmarktes genügend Gelder zur Verfügung zu stellen. Dadurch, dass sich die Arbeitslosenzahlen in Deutschland insgesamt verbessert haben, ist die Bundesanstalt für Arbeit in die Lage versetzt worden, die aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen in Ostdeutschland stabil zu halten. Das halte ich für einen ganz wesentlichen Punkt. Man darf nicht vergessen, dass die Hälfte aller Gelder, die für eine aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben werden, in die fünf neuen Länder fließen, obwohl dort nur 20 Prozent der Gesamtbevölkerung wohnt. Man darf aber auch nicht vergessen, dass in Ostdeutschland der Arbeitslosenanteil doppelt so hoch ist. Insofern ist diese Maßnahme völlig gerechtfertigt. Ganz kurz möchte ich noch die Pflegeeinrichtungen ansprechen. Auch in diesem Bereich gab es Komplementärmittel der Länder. Die waren wesentlich geringer als die des Bundes. Wir haben den Stand gehalten. Es geht darum, den Standard der Pflegeeinrichtungen zu verbessern. Die Länder haben in den letzten Jahren die in diesem Zusammenhang bereitgestellten Mittel nur zu ungefähr 80 Prozent abgerufen. Diesem Abrufverhalten haben wir uns angepasst. Wir senken also nicht das gesamte Bewilligungsvolumen ab. Vielmehr verzögern wir einfach zeitAntje Hermenau lich gesehen die Auszahlungen, weil die Länder nicht mehr Mittel abgefordert haben. Die können gar nicht so schnell die entsprechenden Komplementärfinanzierungen leisten. Deswegen ist es meiner Meinung nach völlig vernünftig, dass man über vereinbarte Zeiträume hinaus sagt: Wir strecken das Programm zeitlich. Das heißt natürlich, dass im nächsten Jahr ein bisschen weniger Geld von Bundesseite zur Verfügung gestellt wird, weil die Länder gar nicht mehr abrufen bzw. kofinanzieren können. Jetzt komme ich zu den Sportstätten. Circa 20 Prozent des Bedarfs, den der Sportbund für den Osten Deutschlands festgestellt hat, ist inzwischen in Angriff genommen worden. Das, was Sie, Herr Koppelin, gerade zitiert haben, ist ein mehrjähriges Programm. Das ergibt die hohe Summe, die Sie genannt haben. Sie hätten den Artikel gründlich lesen sollen. ({1}) - Die Einstiegssumme nenne ich Ihnen, nachdem ich das konkret mit den Kollegen ausgehandelt habe. Sie wird ein zweistelliger Millionenbetrag sein und deutlich über den 15 Millionen DM liegen, die im letzten Jahr bereitgestellt worden sind. Herr Koppelin, Sie können sich darüber freuen, an dieser Sache teilzuhaben. Sie können gerne in Ostdeutschland darauf hinweisen, dass Sie durch eine anregende Zwischenfrage versucht haben, die Koalition in dieser Frage auf den richtigen Weg zu bringen. Ich bedanke mich recht herzlich. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel von der PDS-Fraktion.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Kollegin Hermenau, ich möchte Ihnen an dieser Stelle die Erwartung vieler Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland übermitteln, dass die Menschen dort keine leeren Versprechungen mehr hören wollen. Sie erwarten vielmehr einen konkreten Fahrplan der Bundesregierung dahin gehend, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland endlich zustande kommt, und sie erwarten, dass dieser Fahrplan über den Haushalt umgesetzt werden kann. Das ist eine ganz wichtige Forderung, und darauf können Sie persönlich auch hinwirken. ({0}) Ich will an dieser Stelle noch einmal den Standpunkt der PDS-Fraktion bekräftigen, wonach die junge Generation nicht nur die Zurückführung der immens hohen öffentlichen Schulden erwartet - so wichtig das ist -, sondern zugleich erwartet, dass sich die öffentliche Hand ihrer Verantwortung für andere Zukunftsaufgaben bewusst wird. Sie erwartet die Auflösung des von der Vorgängerregierung verursachten Reformstaus im Bildungsund Forschungsbereich, und sie erwartet in der Tat wirksame Schritte für den Abbau der Massenarbeitslosigkeit. Das geht in hohem Maße über Investitionen. Deshalb ist es unverantwortlich, wenn im Haushaltsentwurf der Bundesregierung die Investitionen nach wie vor zurückgeführt statt angehoben werden. Das ist ein falsches Signal. Die PDS-Fraktion - Kollegin Höll hatte das angesprochen - ist die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, welche die 100-Milliarden-DM-Erlöse aus dem Milliardenpoker ({1}) um die UMTS-Mobilfunklizenzen nicht ausschließlich für die Schuldentilgung verwenden will, ({2}) sondern etwa 90 Prozent für die Schuldentilgung, aber 10 Prozent für andere Aufgaben. Kollege Wagner, eine Zweckbindung dieser Erlöse ist im Telekommunikationsund auch im Haushaltsgesetz nicht vorgesehen; ({3}) für andere Erlöse gibt es das, hier jedoch nicht. Unser Vorschlag ist wohl begründet, weil mit diesen 100 Milliarden DM selbst die kühnsten Einnahmeerwartungen von Bundesfinanzminister Hans Eichel - er ging von etwa 25 Milliarden DM aus - übertroffen worden sind. Da zugleich die Steuereinnahmen des Bundes ergiebiger als in den Vorjahren fließen und - darauf wurde noch nicht eingegangen - Erstattungen aus EU-Haushaltsmitteln in Höhe von rund 3,5 Milliarden DM angezeigt sind, gibt es für 2001 - darüber reden wir heute - durchaus Spielraum ohne nennenswerte Abstriche am Kurs der Haushaltskonsolidierung. ({4}) Wie nun will die PDS diese Bundesaufgaben angehen? Welche Schwerpunkte und Prioritäten setzen wir für die 10 Milliarden DM, die nicht für die Tilgung der Bundesschulden eingesetzt werden sollen? Wir wollen erstens mit der Auflage einer Investitionspauschale des Bundes in Höhe von rund 3 Milliarden DM für ostdeutsche Städte, Gemeinden und Landkreise, aber ebenso für strukturschwache Regionen im Altbundesgebiet Impulse für den soziokulturellen und Bildungsbereich geben. ({5}) Das Geld soll, um es klar und deutlich auszudrücken, vom Bund direkt an die Kommunen fließen, und zwar ohne Mittel- und Zwischenebenen, ohne bürokratische Hürden und ohne Zweckbindungen. Das wäre in der Tat kommunale Selbstverwaltung pur, die von Bund und Ländern so ausgehöhlt wird. Die Milliardenspritze des Bundes könnte gezielt Beschäftigung fördern und sie käme vor allem dem angeschlagenen Bau- und Baunebengewerbe zugute. Gerade diese Branchen und ihre Beschäftigten leiden darunter, dass in diesem Jahr die kommunalen Investitionen preisbereinigt um 33 Prozent unter dem Niveau des Jahres 1992 liegen. Das ist ein unverantwortlicher Zustand. Die Kommunen fallen damit immer mehr als wichtiger Auftraggeber für das örtliche Handwerk und Gewerbe aus. Aber gerade dort werden Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen und gerade dort ist Hilfe seitens der Politik dringend notwendig. ({6}) Die Städte und Gemeinden müsse anders als es Bundesfinanzminister Eichel, der selbst viele Jahre lang Oberbürgermeister einer Großstadt in Hessen war, will, am Milliardenkuchen aus den Lizenzversteigerungen der Mobilfunkfrequenzen partizipieren. ({7}) Die Städte und Gemeinden jedoch sind es, die wegen der Steuervergünstigungen für die Mobilfunkunternehmen in den nächsten Jahren allein bei der Gewerbesteuer auf Einnahmen in Höhe von 17 Milliarden DM verzichten müssen. Kollegin Hermenau und andere Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wie sieht denn die Hilfe des Bundes in einer Situation aus, in der auf die Kommunen mit dem jüngst beschlossenen Steuersenkungsgesetz allein in 2001 Einnahmeausfälle in einem Umfang von 8,5 Milliarden DM zukommen werden? Wie sieht hier die Verantwortungswahrnehmung des Bundes aus? Dies könnten Sie, Kollegin Hermenau, nicht nur auf Bundesergänzungszuweisungen zurückführen. Eine kommunale Investitionspauschale des Bundes wäre da ein willkommenes Signal, wenn in diesem Herbst zugleich auch von der Bundesregierung ein weiteres Signal ausgehen würde, dass die längst überfällige Kommunalfinanzreform endlich in Angriff genommen wird. ({8}) Zweitens. Nach Berechnungen meiner Fraktion könnte der Versteigerungserlös in Höhe von 3,8 Milliarden DM für die Korrektur des von der rot-grünen Bundesregierung im vergangenen Jahr durchgedrückten Systembruchs bei der Anpassung der Renten sowie bei der Anpassung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe genutzt werden. Wir schlagen daher vor, dass für den Zeitraum vom 1. Juli 2000 bis zum 30. Juni 2001 die nettolohnbezogene Rentenformel rückgängig gemacht und anstelle der von Minister Riester systemwidrig verankerten Anpassung der Renten in Höhe der Inflationsrate wieder eingeführt wird. ({9}) Hierfür gäbe es einen Spielraum. Dies wäre ein Schritt, der heutigen und zukünftigen Rentnerinnen und Rentnern zugute käme. Drittens setzt sich die PDS dafür ein - und hat vor Ort recherchiert -, dass mit rund 3,2 Milliarden DM die außerordentlich angeschlagenen ostdeutschen Wohnungsunternehmen unterstützt werden. ({10}) Diese Wohnungsunternehmen drohen unter dem Druck der finanziellen Lasten, auch unter dem Druck noch vorhandener Altschulden zu zerbrechen. Eine Konkurswelle - das ist keine Übertreibung; Sie wissen, ich übertreibe nicht - wird um sich greifen, wenn hier nicht etwas getan wird. Ich sage auch offen: Der Einsatz dieser rund 3 Milliarden DM ist noch nicht die Lösung des Problems; aber er wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Für die Lösung des Problems müssen wir in diesem Hause gemeinsam mit dem Bundesrat bald ernsthafte und nachprüfbare Schritte vorlegen und sie dann auch sehr zügig umsetzen; sonst droht bei 1 Million leer stehenden Wohnungen in Ostdeutschland tatsächlich ein Kollaps. Was nun die Verwendung der Zinseinsparungen betrifft, kann man vieles von dem, was die Regierung unterbreitet hat, mittragen. Aber bisher sind in deren Vorschlägen Guthabenzinsen in einer Höhe von etwa 650 Millionen DM nicht berücksichtigt. Sie resultieren daraus, dass die Telekommunikationsunternehmen ihre Gelder in die Bundeskasse eingezahlt haben, deren Verwendung aber erst im nächsten Jahr erfolgen wird. Dadurch entstehen dem Bund - bei einer günstigen Anlage - Guthabenzinsen in einem Umfang von 650 Millionen DM. Auch über deren Verwendung muss entschieden werden. Wir schlagen vor, dass dieses Geld für ein Programm des Bundes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und zur Auseinandersetzung damit eingesetzt wird. ({11}) Dies wäre in der Tat ein Signal aus dem Berliner Reichstagsgebäude, nicht nur in die Bundesrepublik hinein, sondern auch an die Weltöffentlichkeit. Das Geld dafür ist da, die politische Notwendigkeit allemal. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Jörg-Otto Spiller von der SPD-Fraktion das Wort.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mitte der Wahlperiode ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. In der Finanzpolitik fällt diese Bilanz rundum positiv aus. ({0}) Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition tun, was sie 1998 versprochen haben. Sie tun es konsequent und erfolgreich. Die vier Grundelemente unserer Finanzpolitik sind: erstens der Ausbruch aus der Schuldenfalle. Wir machen eine entschlossene Politik zur Sanierung der Staatsfinanzen. Zweitens. Wir machen eine Steuerreform zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen. ({1}) Drittens. Wir stellen die Steuergerechtigkeit und das Prinzip wieder her, dass starke Schultern mehr zu tragen haben als schwache. Viertens. Unsere Finanzpolitik ist so ausgerichtet, dass sie zum Abbau der Arbeitslosigkeit beiträgt. Das haben wir versprochen und wir haben Wort gehalten. Noch ein paar Bemerkungen zu allen vier Punkten: ({2}) Als Helmut Kohl sein Amt als Bundeskanzler antrat, betrug die Verschuldung des Bundes 350 Milliarden DM. 16 Jahre später hinterließ die Regierung Kohl eine Schuldenlast von 1 450 Milliarden DM. ({3}) - Sie können offenbar nicht lesen. ({4}) Jetzt wird die Legende verbreitet - Herr Rexrodt hat das heute auch getan -, dieser Anstieg der Verschuldung habe nur etwas mit der deutschen Einheit zu tun. Eine reine Legende! In der ersten Halbzeit der Regierung Kohl von 1982 bis 1990 hat sich die Höhe der Bundesschulden exakt verdoppelt, von 350 auf 700 Milliarden DM. In dem gleichen Tempo sind sie weiter gestiegen. Sie haben sich von 1990 bis 1998 noch einmal verdoppelt. ({5}) Wenn Sie jetzt so tun, als sei dieser Anstieg der Verschuldung nur auf die deutsche Einheit zurückzuführen, als seien sozusagen die Ostdeutschen schuld, dann ist das eine kümmerliche Entschuldigung dafür, dass Sie nicht mit Geld umgehen konnten. ({6}) Das Problem war - daran haben wir jetzt leider alle zu knabbern -: Helmut Kohl hatte zwar ein Verhältnis zu Bimbes; aber er hatte kein Verhältnis zum Geld der Steuerzahler. ({7}) Der Konsolidierungskurs, den Hans Eichel mit Energie und mit großer Unterstützung der gesamten Koalition betreibt, ({8}) ist sehr erfolgreich. Jahr für Jahr ist die Nettokreditaufnahme gesunken. ({9}) Wir werden bis zum Haushalt 2006 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen. Erst dann, meine Herren von der CDU und - nicht zu vergessen - von der CSU, wird ein tatsächlicher Abbau der Verschuldung, die Sie hinterlassen haben, möglich sein. Sie sollten nicht so viel darüber schreien. Sie sollten froh sein, dass sich die jetzige Koalition der Probleme, die Sie hinterlassen haben, annimmt. Der zweite Punkt, ({10}) die Steuersenkung und die Steuerreform. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Konsolidierung, der Drosselung der Ausgaben und der Senkung der Steuern. Denn wir machen keine Steuerentlastung auf Pump, sondern erhöhen die Ausgaben parallel in einem nur geringen Maße, und senken die Steuern für die Bürger und Bürgerinnen stufenweise, verantwortungsbewusst. Wir haben 1999 begonnen mit einer deutlichen Entlastung der Familien mit Kindern. Es stimmt, 1999 haben die Bürgerinnen und Bürger, die keine Kinder haben, wenig von unserer Steuerentlastung gehabt. Das ist in diesem Jahr ganz anders. In diesem Jahr haben alle von dieser Steuersenkung wirklich Vorteile und im nächsten Jahr geht es weiter. Ich nehme einmal ein Beispiel: Eine Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern und einem monatlichen Bruttoeinkommen von etwa 5 000 DM hat ({11}) in diesem Jahr monatlich 200 DM mehr in der Tasche als 1998. Im nächsten Jahr wird diese Familie bei gleichem Bruttoeinkommen 250 DM mehr in der Tasche haben. ({12}) Nun sagen Sie, das sei alles gar nichts. In Ihrer Zeit hat es zwar ebenfalls einen Anstieg der Bruttoeinkommen gegeben. Aber das Schlimme war, die Leute haben immer weniger davon gehabt, weil der Unterschied zwischen brutto und netto immer größer wurde. Das hatte nichts zu tun mit sozialer Gerechtigkeit. ({13}) Sie haben noch etwas anderes gemacht. Sie haben hingenommen, dass Leute mit guten Einkommen in legaler Weise Steuerschlupflöcher nutzen konnten, um sich vor dem Finanzamt arm zu rechnen. Damit haben wir gegen den erbitterten Widerstand der Lobby, die leider auch von F.D.P. und CDU/CSU unterstützt wurde, Schluss gemacht. ({14}) Es ist heute eben nicht mehr möglich, dass man sich bei einem Spitzeneinkommen vor dem Finanzamt einfach arm rechnet. Auch das gehört zur Steuergerechtigkeit: dass aus hohen Einkommen ein fairer Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben geleistet wird. Sie haben eine totale Perversion der Marktwirtschaft betrieben. Es ist geradezu wahnwitzig, dass man Investitionsentscheidungen an Verlustzuweisungen orientierte. Investitionsentscheidungen müssen an Gewinnerwartungen orientiert werden. Wir haben die marktwirtschaftliche Grundordnung wiederhergestellt. Darauf sind wir stolz. ({15}) Ich mache ein paar Bemerkungen zur Unternehmensteuerreform. ({16}) Zunächst einmal profitieren alle selbstständigen Unternehmer genauso wie Arbeitnehmer von der Senkung der Einkommensteuertarife. Obendrein haben wir durch die Verrechnung der Gewerbesteuer mit der Einkommensteuerschuld eine faktische Freistellung der Personenunternehmen von der Gewerbesteuer, und zwar ohne dass die Finanzkraft der Gemeinden darunter leidet. ({17}) - Ja, das hören Sie nicht gern. Das kann ich mir gut vorstellen. Sie haben das nämlich nie fertig gebracht. Sie haben immer nur darüber geredet. ({18}) Es ärgert Sie jetzt, dass diese Koalition Erfolg hat. Was Sie uns vorführen, ist der schwarz-gelbe Neid, weil Sie das nicht zustande gebracht haben. ({19}) Der Mittelstand gehört zu den Hauptgewinnern unserer Steuerreform. Das sagen wir, auch wenn es Ihnen nicht gefällt, immer wieder. Das Erfreuliche ist: Wir finden damit immer mehr Zustimmung. Herr Rexrodt, meinen persönlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag! Aber alles kann man Ihnen trotzdem nicht durchgehen lassen. Sie haben vieles erzählt, was einfach nicht stimmt. ({20}) Sie sagten, der Mittelstand stehe viel schlechter da als die Kapitalgesellschaften. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass es viele mittelständische GmbHs gibt. Das wissen auch Sie, und das darf man nicht verschweigen. Auch der Mittelstand macht von der Rechtsform der Kapitalgesellschaft lebhaft Gebrauch. Wenn Sie bei den Personengesellschaften bleiben, müssen Sie sich fragen: Wann erreicht eine Personengesellschaft einen Gewinn, der zu einer steuerlichen Belastung ähnlich wie bei einer Kapitalgesellschaft führt? Sie müsste einen Durchschnittssteuersatz von insgesamt - Pi mal Daumen - 38 Prozent haben, weil nämlich eine Kapitalgesellschaft 25 Prozent Körperschaftsteuer plus im Bundesdurchschnitt etwa 13 Prozent Gewerbesteuer zahlt. Um einen solchen Satz zu erreichen, braucht ein verheirateter Handwerksmeister einen Jahresgewinn von etwa 400 000 DM. Das kommt in mittelständischen Handwerksbetrieben nicht so oft vor. Die meisten liegen deutlich darunter, das heißt, es geht ihnen steuerlich mit unserem System nicht nur deutlich besser als vorher, sondern auch deutlich besser, als wenn sie eine Kapitalgesellschaft wären. Dass, nebenbei bemerkt, die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft auch noch Einkommensteuer zahlen, sollte Ihnen bekannt sein. Herr Rexrodt und auch Herr Rauen haben gemeint, dass doch die Fachwelt ihre Meinung teilt. Das ist aber leider nicht so. Es liegt vielleicht auch daran, dass Sie zu wenig lesen. Lesen Sie doch wenigstens die Ausführungen der Bundesbank. Denn die Bundesbank ist doch nun eine anerkannte Institution. Sie schreibt in ihrem Monatsbericht vom August: Insgesamt gesehen - das schreibt sie über unsere Steuerreform dürften ... die Personengesellschaften bei der Besteuerung des laufenden Betriebsergebnisses nicht schlechter abschneiden als die Kapitalgesellschaften. Das ist ein eindeutiges Votum. Die Bundesbank ist nicht die einzige, die das so sieht. ({21}) Der Kern unserer Körperschaftsteuerreform ist die Senkung des Tarifes auf 25 Prozent, und zwar einheitlich. Wir machen keine Unterscheidung zwischen einbehaltenem und ausgeschüttetem Gewinn, sondern der Tarif beträgt einheitlich 25 Prozent. Als Sie noch regierten, betrug der Körperschaftsteuersatz für einbehaltene Gewinne in Deutschland 45 Prozent. Jetzt beträgt er 25 Prozent. Raten Sie mal, was die Unternehmen besser finden. Raten Sie auch mal, was das Ausland interessanter findet. In den letzten Jahren Ihrer Regierung galt Deutschland als ein lahmes Land, das nicht die Kraft aufbrachte, seine Probleme zu lösen. Das hat sich geändert. Es ist ein Ruck durch Deutschland gegangen. Das wird überall anerkannt. Das bringt uns Zustimmung. ({22}) Wir haben bei der Ausrichtung der Unternehmensteuerreform eine Stärkung der Investitionskraft verfolgt, insbesondere auch mit Blick auf die Wirkung für Ostdeutschland. Dort ist die Kapitalstärke überall unzureichend. Bei den wirklich ostdeutschen Unternehmen gibt es einen krassen Mangel an Eigenkapital. ({23}) - Solche Bemerkungen werden Ihnen überhaupt nicht helfen. Der Mangel an Eigenkapital, die Unfähigkeit aus eigener Kraft zu investieren, ist eine der Hauptschwächen der ostdeutschen Wirtschaft. Diese Reform der Unternehmensbesteuerung wird gerade dafür eine wesentliche Hilfe sein. Das wird uns in Deutschland insgesamt weiter voranbringen. Ich komme zu der letzten Bemerkung, zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Wir haben inzwischen eine konjunkturelle Situation, in der der Funke übergegriffen hat: vom Export, von der Auslandsnachfrage auf die inländische Nachfrage, auf die Binnenkraft der Konjunktur. Wir haben, beginnend mit den Ausrüstungsinvestitionen, eine kräftige Zunahme der Binnennachfrage, einen realen Zuwachs bei den Ausrüstungsinvestitionen gegenüber dem Vorjahr um etwa 9 Prozent. Im nächsten Jahr wird es in ähnlicher Größenordnung weitergehen. Wir haben einen deutlichen Zuwachs auch beim privaten Konsum. Das hängt nun in der Tat mit der Kaufkraftentwicklung zusammen, und zwar mit dem, was die Leute netto in der Hand haben. Ich zitiere noch einmal aus dem Monatsbericht der Bundesbank vom August. Die Bundesbank schreibt: Die Steuerreform ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung in Deutschland. Das ist eindeutig. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle schreibt noch prägnanter und eindeutiger, wie ich finde, die Stärkung der Binnenkaufkraft und der Binnenkonjunktur in Deutschland sei durch unsere Finanzpolitik stark angeregt. Die Hallenser schreiben wörtlich: Der entscheidende Schub kommt im Jahr 2001 von der dritten Stufe des Steuerentlastungsgesetzes, die in Verbindung mit der Unternehmensteuerreform vorgezogen werden soll. Die Nettoerwerbseinkommen werden vor allem infolge der Erhöhung des Grundfreibetrages und der spürbaren Senkung des Eingangssteuersatzes so stark wie lange nicht expandieren... Dann fährt das Institut in Halle fort: Im Jahr 2001 ist ... ein deutlich expansiver Impuls durch das Steuerreformpaket zu erwarten. Maßgeblich dafür ist vor allem die deutliche Entlastung bei der Lohnsteuer ... So ist es. Millionen Bürger dieses Landes, die täglich zur Arbeit gehen und von ihrer Arbeit leben, haben jetzt endlich wieder mehr Kaufkraft, die Sie ihnen über lange Zeit verweigert haben. Meine Herren, das Einzige, von dem Sie meinen, uns jetzt kritisieren zu können, das sind die Energiepreise und die Ökosteuer. ({24}) Ich empfehle Ihnen, dass Sie vielleicht lhr Programm einstampfen. 1998 sind Sie mit folgendem Passus in den Wahlkampf gegangen -

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Spiller, kommen Sie bitte zum Schluss.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. Wenn Sie mir gestatten, Herr Präsident, möchte ich mit einem Zitat aus dem Wahlprogramm der CDU für die Bundestagswahl 1998 enden: ({0}) Unser Steuer- und Abgabensystem macht gerade das besonders teuer, wovon wir gegenwärtig im Überfluss haben: Arbeit. Dagegen ist das, woran wir sparen müssen, eher zu billig zu haben: Energie- und Rohstoffeinsatz. Dieses Ungleichgewicht müssen wir wieder stärker ins Lot bringen, wenn wir unseren beiden Hauptzielen, mehr Beschäftigung und weniger Umweltbelastung, näher kommen wollen. ({1}) Es stimmt. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen Bartholomäus Kalb von der CDU/CSU-Fraktion.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was mich bei Ihnen, Herr Kollege Spiller, aber auch bei allen Rednern - es beginnt beim Bundeskanzler und dem Finanzminister - ganz gewaltig stört, ist: Wenn Sie über den Schuldenstand dieses Landes sprechen, tun Sie so, als hätte es die Wiedervereinigung in Deutschland und die damit einhergehenden finanziellen Herausforderungen nie gegeben. ({0}) Sie wollen offensichtlich mit diesem Thema immer noch nichts zu tun haben. ({1}) - Sie haben ein absolut gestörtes Verhältnis, wie Kollege Ramsauer gerade dazwischenruft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute Morgen hat es der Bundesfinanzminister wieder vorgezogen, Superlative zu gebrauchen. Er sprach von der größten Sparaktion im letzten Jahr und der größten Steuerreform in diesem Jahr. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, ist davon nicht viel übrig. Er musste ja zunächst den Lafontaine-Effekt beim Haushalt wettmachen. Wenn ich auf die Zahlen schaue, so hatten wir 1998 ein Haushaltsvolumen von 456 Milliarden DM, 1999 eines von 483 Milliarden DM und jetzt sind wir für dieses und das kommende Jahr bei einem von rund 478 Milliarden DM. Trotz des groß angekündigten Sparpakets, das Sie letztes Jahr verkündet haben, haben Sie es nicht geschafft, die von Lafontaine verursachten Erhöhungen wieder zurückzunehmen. Sie haben gerade einmal 5 Milliarden DM zusammengebracht und die haben Sie noch auf die Länder und die Gemeinden weggedrückt. Auch das müssen Sie korrekterweise zugeben. Wenn Sie sparen, sparen Sie an der falschen Stelle und zulasten Dritter, wie ich eben gesagt habe. ({2}) Wenn ich von der „falschen Stelle“ rede, komme ich zurück auf die Investitionen. Kollege Dr. Rexrodt und die Redner der Union haben bereits darauf hingewiesen: Wir haben einen historischen Tiefstand, was die Investitionsquote betrifft: 11,4 Prozent, das war noch nicht da. Meine feste Überzeugung ist, dass ein Bundeshaushalt mit einer Investitionsquote, die wesentlich unter 13 Prozent liegt, nicht vertretbar ist. Der Haushalt hat eine Schieflage. Er hat erhebliche strukturelle Schwächen. ({3}) Ich will gerne wiederholen, was Kollege Metzger hier ausgeführt hat. Er hat ja angekündigt, man wolle bei Investitionen 4 Milliarden DM drauflegen. Das wollen wir, Kollege Austermann, hier gerne festhalten. Wir werden das bei den Beratungen dann auch einfordern. Sie werden es aber trotzdem nicht schaffen, die Kürzungen, die Sie dem Verkehrsetat verpasst haben, nämlich 4,8 Milliarden DM, damit wieder aufzuheben. Wenn wir auf das Jahr 1998 zurückgehen, als Bauministerium und Verkehrsministerium noch zwei getrennte Häuser waren, dann müssen wir feststellen, dass Sie heute 9 Milliarden DM weniger für Investitionen in diesen beiden Bereichen ausgeben, als wir seinerzeit dafür eingestellt hatten. ({4}) Gleichzeitig belasten Sie gerade die Verkehrsteilnehmer in einer unverantwortlichen Art und Weise, lassen sie aber im Stau stehen, weil Sie für den Fernstraßenbau nichts tun, ebenso wenig für die dringende Modernisierung der Schienenwege. Sie lassen die Menschen im Stau stehen und nehmen ihnen gleichzeitig unverschämt viel Geld dafür ab. Das ist ungerecht. ({5}) Das ist aber auch sehr schädlich, denn es werden dadurch wertvolle volkswirtschaftliche Ressourcen vergeudet: Wer im Stau steht, kann kein Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften. ({6}) Der Herr Verkehrsminister verkündet ein Anti-StauProgramm für die Jahre nach der nächsten Bundestagswahl, das mit Geld bezahlt werden soll, das er noch nicht hat, und Instrumente ausweist, die, wie Herr Staatssekretär Diller zugeben musste, er ebenfalls noch nicht hat. So kann es nicht gehen; das ist keine seriöse Politik. Wir brauchen wieder eine deutliche Erhöhung der Investitionsquote. Herr Metzger hatte ja Recht, als er schon im Frühsommer bestätigte, dass unsere diesbezügliche Kritik sehr berechtigt ist. Investitionen sind die Voraussetzung dafür, dass der Wohlstand der Bürger erhalten und gemehrt und die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit unseres Landes sichergestellt werden kann. Investitionen sichern auch die Ertragskraft der öffentlichen Hände und des Sozialsystems in der Zukunft. Man muss auch säen, wenn man ernten will. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesfinanzminister hat heute Morgen wieder von der größten Steuerreform und von den großartigen Entlastungen gesprochen. Ich kann mich daran erinnern, wie er uns und den bayerischen Finanzminister Faltlhauser kritisiert hat, als wir eine Reform vorgelegt haben, die noch nicht einmal in der heutigen Dimension Entlastungen vorgesehen hat. Er hat sie damals von dieser Stelle aus als völlig unfinanzierbar bezeichnet. Ich frage Sie nur, Herr Bundesfinanzminister: Warum steigt denn dann die Steuerlastquote in den kommenden Jahren, wenn Ihre Steuerreform wirken sollte? Ein Großteil der nominalen Entlastung wird doch durch die Inflation und die Steuerprogression im Tarifverlauf aufgefressen. Am Ende des Jahres 2005 werden die Menschen weniger Entlastung haben, als Sie heute versprechen. ({7}) Die Steuerreform kommt zu spät; sie ist zaghaft und ungerecht, weil sie einseitig die großen Kapitalgesellschaften zulasten des Mittelstandes bevorzugt. Es blieb dem „Handelsblatt“ vorbehalten, zu schreiben - ich zitiere aus dem Gedächtnis -: Die große Kapitalgesellschaft ist derzeit der SPD liebstes Kind. Das sagt eigentlich alles aus. Die Verbesserungen, die ganz am Ende in einer Nachtund Nebelaktion noch erreicht worden sind, kamen ohnehin nur auf Druck der F.D.P. und der CDU/CSU vor der Bundesratsentscheidung zustande. Wie Sie mit dem Verfassungsorgan Parlament umgegangen sind, ist eine andere Frage. „Ein Schlag ins Gesicht des Parlaments“, titelte eine Zeitung. Auch das Karl-Bräuer-Institut weist darauf hin, wie unseriös dies alles gemacht worden ist, sowie darauf, dass am Ende des Jahres 2005 die Bürger mehr und nicht weniger Steuern zu zahlen haben werden, weil die Steuerreformschritte viel zu zaghaft sind und viel zu spät greifen werden. Auch war noch nie eine Steuerreform so angelegt, dass die letzten Schritte erst zum Ende der nächsten Legislaturperiode greifen. Aber, Herr Finanzminister, eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Sie haben in der 114. Sitzung am 6. Juli von dieser Stelle aus die Unionsvertreter im Vermittlungsausschuss als „Ölgötzen“ bezeichnet, ({8}) weil sie sich angeblich nicht bewegten. Dieser Vorwurf fällt auf Sie zurück. Sie haben sich bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Bundeskanzler die Show brauchte, nicht bewegt. ({9}) Ich habe das Protokoll dieser Sitzung hier liegen. Etwas anderes haben Sie hervorragend verstanden: Sie haben im Haushaltsplan für die Öffentlichkeitsarbeit - ich zitiere: Information der Bevölkerung über die Maßnahmen der Steuerreform - 7,5 Millionen DM eingesetzt. ({10}) Wir haben gesehen, was Sie damit zuwege gebracht haben: Sie haben schon im Mai ganzseitige Anzeigen mit Ihrem mehr oder weniger schönen Gesicht, aber mit relativ wenig Informationsgehalt geschaltet. ({11}) Die Leichtfertigkeit, mit der der Herr Bundeskanzler persönlich mit dem Thema Ökosteuer umgeht, wird deutlich, wenn man sich an seine Interviews erinnert. Ich habe das Sommerinterview und zwei weitere Interviews gesehen. In allen diesen Interviews hat er gesagt, der Aufschlag auf das Mineralöl werde nur 6 Pfennig ausmachen. Er hat dabei wohl vergessen, dass bereits die zweite Stufe in Kraft getreten ist. Jetzt hat er durch einen Ghostwriter bestätigen lassen, dass es doch schon 12 Pfennig seien. Er ist vielleicht der Meinung erlegen, die er selbst einmal verbreitet hat, 6 Pfennig seien genug. - Das ist ein unverantwortliches Abzocken des Bürgers. ({12}) Wenn jetzt der Herr Bundesfinanzminister und Herr Poß die Verantwortung für die höheren Ölpreise leugnen, kann ich nur fragen: Warum tun Sie das? Es war doch erklärtes Ziel der Grünen und der SPD, die Kosten für Energie zu verteuern. ({13}) Sie sind durch die erfolgten direkten steuerlichen Belastungen dafür verantwortlich. ({14}) Zudem sind Sie dafür verantwortlich, weil Sie für den Verlust des Wertes unserer Währung einstehen müssen ({15}) und sich als Preistreiber auf dem Markt bewegt haben. Die „Süddeutsche Zeitung“ titelt beispielsweise: „Massive Kritik an Schröders Europolitik“. Das ist nicht nur meine Meinung. Viele Fachleute teilen die Meinung, dass die Politik der Bundesregierung ganz wesentlich an dem Verfall der Währung schuld ist. ({16}) Sie betätigen sich auf den internationalen Märkten auch als Preistreiber. Bereits im vergangenen November hat der Hamburger Energieexperte Heino Elfert geschrieben, Länder wie Großbritannien und Deutschland wollten Ölprodukte wie Benzin und Diesel verteuern, sei es aus umweltpolitischen oder aus fiskalpolitischen Gründen. Da sagen sich die Öllieferländer, so schreibt er weiter: Das können wir viel besser! Diese hohen Energiepreise belasten vor allen Dingen die Menschen, die sich nicht dagegen wehren und nicht ausweichen können: Rentner, sozial Schwache, Familien mit Kindern, Menschen im ländlichen Raum, die täglich weit entfernt ihrer Arbeit nachgehen müssen, Menschen im ländlichen Raum insgesamt und nicht zuletzt auch das Transportgewerbe. Deswegen fordern wir: Schluss mit den weiteren Stufen der Ökosteuerreform! Die Stufen für die Jahre 2001, 2002 und 2003 müssen aufgehoben werden. Sonst ruinieren Sie die Zukunft unseres Landes. ({17}) - Also, Herr Kollege Wagner, ich habe Ihnen schon vorhin gesagt, wie sehr sich die Großwirtschaft mittlerweile auf die SPD verlassen kann. Sie brauchen hier keinen Zwischenruf anzubringen. Was mich eher besorgt, ist die Schwäche der Währung, für die Sie mitverantwortlich sind. ({18}) - Frau Kollegin, Sie werden doch nicht glauben, dass eine so verantwortungslose Europapolitik, wie sie von dieser Bundesregierung gemacht wird - ich erinnere an die verantwortungslose Politik gegenüber Österreich -, das Vertrauen der Menschen in Europa und damit in den Euro und das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte stärkt. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Kalb, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist doch geradezu blamabel und schädlich, den Österreichern drei Weise zu schicken und zu glauben, dadurch das Vertrauen der Menschen und das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte gewinnen zu können. Die „Passauer Neue Presse“ hat Recht, wenn sie schreibt: Eine bodenlose Blamage für die EU-14. Sie haben damit dem Europagedanken geschadet. Sie haben auch der europäischen Währung massiv geschadet, weil Sie das Vertrauen der Finanzmärkte, der Menschen, der Mitgliedsländer und der Beitrittsländer zerstört haben. Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Hans-Eberhard Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Kollege Kalb, Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Hans Eichel hat einen ganz soliden Haushaltsentwurf vorgelegt. Er hat mit Hilfe der Koalitionsfraktionen die Nettokreditaufnahme im letzten Jahr senken können und spielt im Welt- und Europakonzert eine ganz wichtige Rolle. Wir sind hoch anerkannt. Die wirtschaftlichen Kräfte entwickeln sich gut. Wir werden uns in den Haushaltsberatungen über Alternativen sachlich auseinander setzen. Wir erwarten Ihre konkreten Vorschläge. Wir sind sehr gespannt, welche weiteren Einsparungsmöglichkeiten Sie vorschlagen werden. ({0}) Da müssen Sie Farbe bekennen. Bisher haben Sie sich in dieser Beziehung sehr bedeckt gehalten. Das war nicht in Ordnung. ({1}) Ich möchte mich eigentlich mit einem ganz anderen Thema beschäftigen, obwohl hierzu noch einiges gesagt werden könnte. Anstatt den Bundeskanzler anzugreifen, der gerade eine hohe Auszeichnung in New York bekommen hat, sollten wir alle auf ihn stolz sein. Die Auszeichnung des deutschen Bundeskanzlers ist nämlich Ausdruck der Anerkennung seiner Politik. ({2}) - Nein, er vergisst die kleinen Leute nicht. Er kommt selbst aus diesem Milieu und hat seine Bindung zu diesem Milieu nicht verloren, im Gegensatz zu Ihrer Truppe, die ihre Bindungen zu diesen Leuten schon lange verloren hat. ({3}) Ich möchte mich mit einem Sachverhalt beschäftigen, der im Rahmen der Haushaltsberatungen nicht oft zur Sprache kommt, nämlich mit der Bekämpfung von Betrügereien bei der Umsatzsteuer im Rahmen des Warenund Dienstleistungsverkehrs. Die Stärke der auf diesem Gebiet an den Tag gelegten kriminellen Energie, um den Staat um berechtigte Steuereinnahmen zu bringen, ist schon sehr erstaunlich. Seit Öffnung der EU-Grenzen hat sich die Zahl der betrügerischen Manipulationen in diesem Bereich ständig erhöht. Der Trend hält an. Es ist ja eine wilde Geschichte, wenn man sieht, wie durch Scheinunternehmen und Scheinrechnungen Vorsteuermanipulationen begangen werden und die Umsatzsteuer hinterzogen wird. ({4}) Hinzu kommen noch die Kraftfahrzeugbetrugsfälle. Der Umsatzsteuerbetrug, dessen Umfang in erheblichem Maße zugenommen hat, muss - das sage ich in aller Klarheit - bekämpft werden; denn wir haben eine neue Form des Betrugs erkannt, nämlich den Karussellbetrug: Die Kriminellen organisieren sich so, dass sie Bund, Länder und Gemeinden auf die eben geschilderte Weise betrügen und ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. ({5}) Der Finanzminister von Baden-Württemberg bewertet die Steuerausfälle durch Betrügereien mit 23 Milliarden DM. Das hat er so zu Protokoll gegeben. Er fordert deshalb selbst, hier müsse mehr gegen den Missbrauch getan werden, was wir auch tun. Es muss sicherlich mehr in Personal und in dessen Ausstattung investiert werden, um den Kriminellen auf die Spur zu kommen. Dazu ist eine konzertierte Aktion des Bundes und der Länder notwendig; darüber sind wir uns einig. Die Steuerfahndung muss ausgebaut werden. Für den Bund bedeutet dies insbesondere die Überprüfung des Umsatzsteuer- und Verfahrensrechts, die Einrichtung einer zentralen Stelle auf Bundesebene zur Koordinierung der Prüfungstätigkeit der Länder, die - das muss geprüft werden - Schaffung einer Bundessteuerfahndung und die Bereitstellung und Auswertung von relevanten Informationen, um diesen Kriminellen auf die Spur zu kommen. Zur Erledigung dieser Aufgaben ist - das habe ich betont qualifiziertes Personal notwendig. Die Niederländer haben uns in der EU einiges vorgemacht. Sie haben in diesem Bereich investiert und die Karussellbetrügereien wirksam bekämpfen können. Daran können wir uns ein Beispiel nehmen. Sie haben die Einnahmen aus dieser Steuerart erheblich erhöhen können. ({6}) Nachdem der Handlungsbedarf erkannt ist, wollen wir den Bundesminister bitten, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, damit wir diesen Betrügern auf die Spur kommen. Denn wir brauchen für den Schuldenabbau mehr Einnahmen. Je schneller dies geht, umso besser. ({7}) Meine Damen und Herren, ich zitiere den Chef der Steuer-Gewerkschaft, Dieter Ondrazcek. Er kritisiert, dass sich Bayern und Baden-Württemberg mit seltenen Betriebsprüfungen einen Standortvorteil verschaffen. So seien 1998 in Baden-Württemberg auf einen Prüfer 609 Unternehmen gekommen, in Bayern 661 Unternehmen, in Nordrhein-Westfalen aber 455 Unternehmen. Wenn das ein Standortvorteil, also ein Vorteil für das Anwerben von Betrieben ist, dann ist die Solidarität unter den Ländern auf das Härteste strapaziert. Dies ist unseriös. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Urbaniak, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Urbaniak, ist Ihnen bekannt, dass - vielleicht zum Leidwesen der Betroffenen - in Bayern das Prüfpersonal verstärkt worden ist? Ist Ihnen zweitens bekannt, dass die Großbetriebe - das sind Betriebe mit einem Umsatz ab 11 Millionen DM - im Turnus alle dreieinhalb Jahre geprüft werden und das Mittelbetriebe mit einem Umsatz ab 1,1 Millionen DM auch im Turnus geprüft werden?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kalb, wenn es so sein sollte, wie Sie sagen, würde es uns freuen. Ich habe mir diese Zahlen aktuell geben lassen und gehe davon aus, dass sie stimmen. Darüber werden wir im Haushaltsausschuss weiter diskutieren und dazu die Fakten zusammentragen. Wenn ihr die Situation im Süden verbessert habt, dann habt ihr euch gebessert. Das war aber auch bitter nötig. ({0}) Wir bemühen uns, über das Schuldenmanagement, das eine neue Form bekommen wird, dafür zu sorgen, dass wir die Schulden noch effektiver abbauen können. Im Haushaltsausschuss werden wir noch über den Geschäftsbesorgungsvertrag reden, der die Arbeit dieser Institution, die unter der Kontrolle des Bundesfinanzministers steht, konkret regelt. Wir gehen davon aus, dass der Abbau des horrenden Schuldenberges von 1,5 Billionen DM, der durch die Regierung Kohl verursacht wurde, effektiver erfolgen kann. Hinzu kommt die Verringerung der Nettokreditaufnahme. Ich meine, das sind gute Aussichten, um auch das Wirtschaftswachstum in unserem Lande weiter zu beflügeln. Sieht man sich nun speziell den Haushalt des Bundesfinanzministeriums an, dann erkennt man, dass es noch zwei Punkte gibt, die man erwähnen muss: Erstens. Wir benötigen eine Reform im Bereich des Zolls, insbesondere in den östlichen Ländern. Daran wird gegenwärtig gearbeitet. Erfahrungen haben wir bei der Reform im westlichen Teil der Republik gesammelt, die wir für diese Arbeit verwerten können, sodass ich sage: All dies wird unter dem Gesichtspunkt einer ordentlichen und sauberen sozialen Flankierung geschehen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Zweitens. Beim Branntweinmonopol haben wir es noch immer mit einer Subvention von 260 Millionen DM - ein erheblicher Betrag - zu tun. An dieser Stelle wird weiter abgebaut, der Betrag wird sinken und wir werden unser Ziel, dass gerade in Kleinbetrieben und bäuerlichen Einrichtungen eine Stützung erfolgt, erreichen. Ich bitte also - das ist auch eine Aufforderung an die Länder -: Kümmert euch mit dem Bund darum, dass wir eine effektive Steuerfahndung bekommen. Ich habe hier eine Kleine Anfrage der Kollegin Hasselfeldt, die mich beim Studium doch erstaunt hat. Die Kollegin hat im Juli angefragt, wie nach Wegfall der Grenzkontrollen dem erhöhten Kontrollbedarf im Bereich des Umsatzsteuerbetruges Rechnung getragen werden soll. Die Bundesregierung hat geantwortet: 1994 wurde in der Steuerabteilung des Bundesministeriums der Finanzen ein eigenständiges Referat für die Umsatzsteuerkontrolle eingerichtet. Im Zuge der im Hinblick auf den Berlin-Umzug notwendigen Umstrukturierung der Steuerabteilung im Jahre 1998 ist - unter der alten Bundesregierung - dieses Referat aufgelöst und die Umsatzsteuerkontrolle einem bestehenden Umsatzsteuerreferat angegliedert worden. Gleichzeitig wurde die Personalausstattung für den Bereich der Umsatzsteuerkontrolle reduziert. Dazu kann man doch wohl sagen: Das ist keine gute Arbeit, die da seinerzeit geleistet wurde. Also, gehen wir jetzt gemeinsam daran - wir greifen es auf -, diesen Betrügern und Kriminellen das Handwerk zu legen, damit der Staat diejenigen Einnahmen hat, die er nach dem Gesetz haben darf, gerade auf dem Felde der Umsatzsteuer. Da müssen wir Hans Eichel unterstützen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht die Kollegin Susanne Jaffke, CDU/CSU-Fraktion.

Susanne Jaffke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001008, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Urbaniak, Sie haben so schön gesagt, der Herr Bundeskanzler sei ausgezeichnet worden. Das ist zugegebenermaßen von einer Institution geschehen, die ich nicht kenne; ({0}) aber ich gehe einmal davon aus, dass er diese Auszeichnung bestimmt bekommen hat, weil er vorher 14 Tage Sonderurlaub in den neuen Bundesländern gemacht hat. Die Reise war für ihn sicherlich sehr angenehm, weil er sich von den Problembereichen in den neuen Bundesländern fern gehalten hat. Wenn irgendjemand mit einem Plakat aufgetaucht ist, dann hat er dieses glanzvoll ignoriert. Von den Menschen, die angeblich überall Schlange gestanden haben, war nichts zu sehen. Als er des Nachts kurz nach 23 Uhr in meiner Heimatstadt Anklam ankam, waren weder der Bürgermeister noch der stellvertretende Bürgermeister anwesend. Der Bürgermeister ist zugegebenermaßen CDU-Mitglied, der stellvertretende Bürgermeister ist bei der SPD; wir gehen da vernünftig miteinander um. Diese Personen waren zur Durchreise des Herrn Bundeskanzlers nicht einmal offiziell geladen, was einen tiefen Einblick auf die Art und Weise des Umgangs sowohl mit anderen als auch mit den eigenen Genossen gewährt. ({1}) Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch ein paar Bemerkungen dazu, wie die Bundesregierung zum Aufbau Ost steht. Die vielen Schulden werden ja nun hinlänglich strapaziert. Wenn ich mich dann schon sozusagen einer Gesamtschuld unterwerfen soll, dann stehe ich auch unter einer Gesamtschuld für die deutsche Einheit. Auf die Straße gegangen sind die Leute in den neuen Bundesländern, in Leipzig, in Dresden und auch in Rostock. ({2}) Diese Schuld - dazu steht die ehemalige CDU/CSUF.D.P.-Koalition - haben wir mit aller Kraft abzutragen und zu ordnen versucht, um daraus für unser deutsches Vaterland etwas Gutes zu entwickeln. Wenn man heute in den Haushalt schaut, sieht man, dass für den Aufbau Ost nicht mehr viel Sympathie da ist. Die Mittel für die GA „Regionale Wirtschaftsförderung“ werden um fast 300 Millionen DM abgesenkt, ({3}) der Etatansatz für den Straßenbau ({4}) wird um 207 Millionen DM abgesenkt ({5}) und die Gelder für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben speziell in den neuen Ländern werden um 30 Millionen DM gekürzt. Abgesehen davon gibt es im Haushaltsentwurf auch noch die globalen Minderausgaben; sie stehen ja immer ganz am Ende des jeweiligen Einzelplanes. Diese globalen Minderausgaben - das wissen wir sehr genau - können nur bei den freiwilligen Leistungen erwirtschaftet werden. Sie werden wie in den Jahren 1999 und 2000 jetzt mit Sicherheit wieder den Mittelstand und die Investitionen in den neuen Bundesländern treffen. Noch ein Wort zur Ökosteuer. Diese Ökosteuer wurde ja schon reichlich strapaziert. Aber warum gehen Sie eigentlich nicht auf die besonderen Bedingungen der neuen Bundesländer ein? Sie ignorieren damit schlicht und ergreifend die anders gelagerte Struktur in den neuen Bundesländern. Der seit zehn Jahren andauernde strukturelle Wandel in der Wirtschaft hat heute noch nicht für solch eine Festigkeit gesorgt, dass eine derartig hohe Steuerbelastung aufgefangen werden könnte. Am ehesten - das können Sie mir glauben - lässt sich das bei landwirtschaftlichen Unternehmen und bei den Unternehmen, die im Bereich Güterfernverkehr tätig sind, ablesen. In den landwirtschaftlichen Unternehmen ist eine Entlastung durch die angebliche Senkung von Lohnnebenkosten wegen der geringen Anzahl von Fremdbeschäftigten nicht zu erkennen. Aber die Kosten für Diesel und Strom schlagen in der Landwirtschaft voll durch. ({6}) Die Probleme aufgrund der Kosten, die sich in diesem Jahr durch die außergewöhnliche Vorsommertrockenheit, die erschwerten Erntebedingungen aufgrund des starken Regens und die Aufwendungen für Trocknung ergaben, werden im nächsten Jahr ein Sterben von Landwirtschaftsbetrieben in einer gewaltigen Größenordnung verursachen, wenn da nicht gegengesteuert wird. Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, auch bitten: Denken Sie irgendwann noch einmal an die Einwohner in den Flächenländern. Gerade die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, die in diesem sehr dünn besiedelten Bundesland als Berufspendler lange Wege zur Arbeit zurücklegen müssen, können überhaupt nicht erkennen, dass irgendwelche Senkungen von Lohnnebenkosten in kleinem Umfang - das ist schon häufig beschrieben worden - die Belastung durch die Ökosteuer abfangen könnten. Die höheren Heizkosten schlagen ebenso zu Buche. Im Übrigen werden sich auch die sozialen Dienstleistungen in den Flächenländern massiv verteuern bzw. haben sich schon verteuert. „Essen auf Rädern“ und Pflegedienste rechnen bei den Kassen heute schon höhere Kosten ab. Eine Gesundheitsreform lässt aber weiterhin auf sich warten. Wenn Sie mich fragen, inwieweit die kommunalen Haushalte betroffen sind, kann ich Ihnen darauf nur antworten: Die Schülerbeförderungskosten im ländlichen Raum sind um einen zweistelligen Prozentsatz gestiegen. Ich habe mir gestern noch die Zahlen zu den Kostensteigerungen in der Bundesfinanzverwaltung geben lassen. Die Kostensteigerungen für die Bundesbehörden und die nachgeordneten Einrichtungen bei den Heizkosten, den Benzin- und Dieselkosten betragen in diesem Jahr 26 Prozent. Das sind die Mehrkosten, die im Einzelplan 08 allein durch die Ökosteuer entstehen. ({7}) - Diese Zahlen kann ich Ihnen gerne geben. Ich gehe davon aus, dass die Beamten des Bundesfinanzministeriums überhaupt keinen Anlass haben, irgendwelche falschen Zahlen zu veröffentlichen. Da der Kollege Urbaniak auch so blumenreich angesprochen hat, dass es in der Bundesfinanzverwaltung eine Strukturveränderung geben soll, gestatten Sie mir noch ein paar wenige Bemerkungen zur Zollstrukturreform. Es ist natürlich nicht so, dass sich die Zollstruktur in den neuen Bundesländern in den nächsten Jahren verändern wird - ich sage Ihnen ganz ehrlich: Gott sei Dank -; denn die Annahmen, die immer gemacht wurden, dass spätestens im Jahr 2002 die Grenzen zu Osteuropa fallen, haben sich als falsch erwiesen. Das überarbeitete Konzept der Arbeitsgruppe „Strukturreform“ sieht vor, dass die Strukturen bis zu einer vollen Mitgliedschaft der Staaten Ostund Mitteleuropas - gerade Polens - erhalten bleiben. Aber man zerschlägt die Strukturen im Altbundesgebiet, wovon ich mich unlängst bei einem Besuch in Baden-Württemberg überzeugen konnte. In Horb, das im Schwarzwald, in Baden-Württemberg, liegt - wo es sehr viele mittelständische Firmen gibt, die auf den Zoll als Dienstleister angewiesen sind und die zu ihrem Zollamt ein sehr gutes Verhältnis haben -, habe ich erfahren, dass die Zollämter flächendeckend gestrichen werden. Im Ministerium gibt es eine Faustformel: Rund 40 Kilometer hin und zurück, also circa 80 Kilometer, sollte der Radius des Einzugsbereiches betragen, für den die Zöllner tätig sind. Dazu kommt noch, dass von den Zöllnern verlangt wird, dass sie ihren Dienst mit dem privaten PKW leisten. Wer kann einem Zollbediensteten zumuten, seinen Dienst mit dem privaten PKW zu verrichten? Abgesehen davon verfügen die Zöllner im gesamten Hauptzollamtsbereich über nur einen einzigen Laptop, was schon ein Unding an sich ist. ({8}) Die Fallzahlen, die zugrunde gelegt werden, sprechen diesen Überlegungen insgesamt Hohn, weil auch durch die neuen Handelsströme, die sich durch E-Commerce ergeben, die Dienstleistung des Zolls vor Ort mehr gefragt wird. Sie werden uns immer auf Ihrer Seite haben, wenn Sie eine Zollstrukturreform durchführen, die Sinn macht. Sie würde dann Sinn machen, wenn es eine so genannte Abschichtung von Aufgaben nach unten gäbe, sodass der Zoll in schlagkräftigen kleinen Einheiten flächendeckend vor Ort ist und seine Funktion als Dienstleister für die Wirtschaft wirklich wahrnehmen kann. ({9}) Darum lassen Sie uns im Haushaltsausschuss kämpfen! Leider ist die Zeit hier immer knapp bemessen. Ich hätte gern noch etwas zu den so genannten Versprechungen, die der Herr Bundeskanzler zur Steuerreform gemacht hat, gesagt. Dazu kann ich nur wiederholen: Vollmundige Ankündigungen, gerade für das Land Mecklenburg-Vorpommern, wie der Ausbau einer Bahntrasse von Berlin nach Rostock, hat es gegeben. Das ist im Haushalt bisher nicht aufgetaucht. ({10}) Das gilt auch für das Gaskraftwerk am Standort Greifswald/Lubmin. Dort soll es angeblich Bundesbürgschaften geben. Aber die Antwort von Staatssekretär Otto Ebnet, SPD, Chef der Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern, auf die Anfrage meines Kollegen Dietrich Austermann lautete: Über diese Bürgschaften wurde überhaupt nicht verhandelt. Ich frage: Was stimmt eigentlich? In diesem Sinne kann ich Ihnen nur eines sagen, liebe Kollegen von der Regierungskoalition: Lassen Sie sich von Ihrer Regierung nicht vorführen, sondern seien Sie endlich einmal kreativ, auch in den Verhandlungen. Nehmen Sie das Angebot zur Veränderung dieses Haushaltes an! Dann können wir uns vielleicht irgendwann über gute Erfolge für Deutschland unterhalten. Herzlichen Dank. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Einzelplan 05, Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn dieser heutigen Debatte an einen historischen Tag erinnern, der für das Schicksal Deutschlands von entscheidender Bedeutung war. Es handelt sich um den Jahrestag des Zwei-plus-Vier-Vertrages, jenes Vertrages, der die völkerrechtliche und staatsrechtliche Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands geschaffen hat. Es war vor allen Dingen das persönliche Verdienst von Hans-Dietrich Genscher, damals Bundesaußenminister, diesen für die Wiedervereinigung Deutschlands wichtigen Vertrag mit den Garantiemächten zustande zu bringen. ({0}) Ich meine, dass wir an dieser Stelle nicht nur dieses Ereignisses gedenken, sondern ihm auch ganz persönlich danken sollten. ({1}) Darüber hinaus möchte ich aber daran erinnern, dass die Voraussetzung für den Zwei-plus-Vier-Vertrag der Vertrag mit Polen war. Diesen Punkt dürfen wir nicht vergessen. Damit knüpfe ich an die aktuelle Debatte an. Damals gab es nicht die Überlegung, dass über den deutsch-polnischen Grenzvertrag eine Volksabstimmung stattfinden sollte. Das war gut so. Die Anerkennung der deutschen Ostgrenze und der polnischen Westgrenze war die Voraussetzung für den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag war schließlich die Voraussetzung für die Wiedervereinigung in Freiheit. So war die Reihenfolge. An diesem Tag möchte ich besonders an die Debatten über die schwierigen Fragen der vor uns liegenden politischen Integration Europas erinnern. Ich komme nachher noch auf diesen Punkt zu sprechen. Wir befinden uns jetzt zur Halbzeit der Legislaturperiode, was einen Rückblick und auch einen Ausblick notwendig macht. Unser Etat stand wie alle anderen Einzeletats unter dem Zwang knapper Kassen. Eine Trendwende einzuleiten war notwendig. Die neue Koalition hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Sanierung des Staatshaushaltes als einen zentralen Beitrag zur Gesundung der deutschen Volkswirtschaft herbeizuführen. Für diese Trendwende gab es viele innenpolitische Gründe. An erster Stelle stand die hohe Arbeitslosigkeit, die nicht länger hingenommen werden konnte. Aber auch aus europa- und außenpolitischer Sicht war und ist es zwingend notwendig, dass wir die volle ökonomische Handlungsfähigkeit wiedergewinnen, damit wir unsere Verantwortung im Konzert mit unseren wichtigsten Bündnispartnern wahrnehmen können. ({2}) Obwohl ich als Ressortchef den Kopf für die Einsparungen hinzuhalten habe, sage ich, dass man in Zukunft abwägen muss, ob nicht bei weiteren Einsparungen das Vertrauen, das über Jahrzehnte gewachsen ist, gefährdet wird. Da die Opposition, nachdem sie 16 Jahre die Verantwortung für diese Entwicklung hatte, schon nach zwei Jahren Erholungspause - eine sehr kurze Erholungspause, die zweifellos noch länger andauern wird, Herr Kollege Lamers - anscheinend an Gedächtnisschwund leidet, kann ich Ihnen nur sagen: Sie hätten die Voraussetzungen für Veränderungen in den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung - das ist kein billiges Ablenken auf die 16 Jahre Ihrer Regierungszeit -, spätestens nach der deutschen Einheit schaffen müssen, sodass wir die Einschnitte in den vergangenen zwei Jahren nicht mehr gebraucht hätten. Die Trendwende wäre früher möglich und nötig gewesen, Kollege Lamers. Das wissen Sie so gut wie ich. ({3}) - Zur Volksabstimmung komme ich nachher noch. Wenn sich CDU und CSU in diesem Punkt mittlerweile auf eine gemeinsame Position geeinigt haben, freut mich das. Ich höre dazu höchst unterschiedliche Stimmen. ({4}) Ich höre sehr verantwortungsvolle Positionen von der CDU und die üblichen populistischen Verlautbarungen von der CSU. Wie wir ja wissen, sind sie nicht so ernst gemeint. Beim Euro haben wir es ja gesehen. ({5}) Da Sie die Volksabstimmung angesprochen haben: Glauben Sie denn allen Ernstes, dass die Frage der Osterweiterung Gegenstand einer Volksabstimmung werden kann? Ich bin nun als Mitglied meiner Fraktion weiß Gott kein Gegner von Volksabstimmungen. Aber es muss sich um abstimmungsfähige Fragen handeln. ({6}) Über den Zwei-plus-Vier-Vertrag und auch über den deutsch-polnischen Vertrag konnte nicht abgestimmt werden. Wohl aber kann über weitere Souveränitätsübertragungen in Richtung der Vollendung der europäischen Integration abgestimmt werden. Darüber nachzudenken, in diesem Bereich einen Konsens herzustellen, weil dies eine Verfassungsänderung notwendig macht, halte ich für richtig. ({7}) Wenn es dafür eine verfassungsändernde Mehrheit gibt, bedarf dies der sorgfältigen Diskussion und Prüfung. Was wir als Altmitglied der Europäischen Union aber auf keinen Fall machen dürfen, ist, im Rahmen einer Volksabstimmung zu entscheiden, ob unsere Nachbarländer Polen oder Tschechien beitreten können. ({8}) Denn wenn diese Volksabstimmung Sinn machen soll, dann müssten wir unseren Bürgerinnen und Bürger sagen: Eigentlich habt ihr über gar nichts abzustimmen. Wenn wir mit Nein stimmen würden, müssten wir die erfolgreiche deutsche Außenpolitik der letzten fünf Jahrzehnte, also auch die CDU/CSU-geführter Regierungen, ad acta legen. ({9}) In diesem Punkt wird eine Volksabstimmung nicht gehen. Sie ist bei diesem Anlass das falsche Instrument. Das ist mein Argument dagegen. Das weiß Herr Stoiber sehr genau. Herr Lamers hat dies sehr klar artikuliert. ({10}) - Günter Verheugen war bei mir Staatsminister. Ich schätze ihn überaus; denn Günter Verheugen macht eine kompetente Politik. Gerade bei den Beitrittsstaaten findet er große Zustimmung. Günter Verheugen hat ohne Wenn und Aber gesagt: Das war ein Fehler; ich bin hier missverstanden worden. ({11}) Ich finde es richtig, dass ein Politiker, wenn er einen Fehler macht, dies zugibt. Denn dies stellt Vertrauen wieder her. Ich würde mir wünschen, dass Sie von der CDU/CSU Ihre Fehler genauso offen eingestehen. Wenn das so wäre, wären wir wesentlich weiter. ({12}) Möge Günter Verheugen mit seiner Ehrlichkeit über Herrn Koch kommen und uns allen wäre sehr gedient! ({13}) - Dass hier ausgerechnet ein langjähriges Mitglied des CDU-Landesvorstandes Hessen von Verkommenheit spricht, erstaunt mich, mit Verlaub, sehr, Frau Kollegin. ({14}) Ich kann mir das bei Ihnen nicht verkneifen. Wir beide sind Hessen, also Landsleute. Angesichts dessen kann ich Ihnen nur sagen: Dieser Zuruf von Ihnen schlägt dem Fass nun wirklich den Boden aus. ({15}) Meine Damen und Herren, wir stehen in Europa mit der Erweiterung vor der größten Herausforderung, die die Geschichte uns gestellt hat. Ich habe den Zwei-plus-VierVertrag erwähnt. Die deutsche Einheit war das Ergebnis des Endes der europäischen Teilung. Die jetzige Bundesregierung hat sich ebenso wie die Vorgängerregierung immer dafür eingesetzt, dass die Europäische Union nicht an der ehemaligen Blockgrenze, nicht am ehemaligen Eisernen Vorhang aufhört und dass die europäische Einigungsidee gesamteuropäisch ist. Wenn unsere östlichen Nachbarn Mitglied der Europäischen Union werden wollen, dann dürfen wir ihnen dies nicht verweigern, und zwar nicht nur aus historisch-moralischen Gründen, sondern auch aus deutschem Interesse heraus. Unser Handel mit den neuen ost- und mitteleuropäischen Demokratien übersteigt heute mittlerweile das Handelsvolumen, das wir als Europäische Union in Bezug auf die USA und Kanada haben. 40 Prozent davon entfallen auf die Bundesrepublik Deutschland. Das führt zu Arbeitsplätzen und Perspektiven für die Menschen hier, vor allen Dingen für die Menschen in den neuen Bundesländern. Aus historischen und moralischen Gründen, aber auch aus aktuell-politischem Interesse heraus halten wir die Osterweiterung der Europäischen Union für unverzichtbar. ({16}) Nur, es geht hier nicht um abstrakte Versprechungen, sondern ganz konkret um die Umsetzung des Beschlusses von Helsinki, darum, in den entsprechenden Verhandlungen Nägel mit Köpfen zu machen: Rechtsgebiete müssen übernommen werden; Strukturen müssen angepasst werden; eine gegenseitige Wettbewerbsfähigkeit muss aufgebaut werden. - Diesen Prozess hat Günter Verheugen vorangebracht. Hierbei hat er unser volles Vertrauen. Er wird die gute Arbeit, die er meines Erachtens bisher geleistet hat, genauso gut fortführen. ({17}) Der entscheidende Punkt hierbei ist die Solidität, die Art, wie diese Arbeit gemacht wird. Dafür ist die Kommission, dafür sind aber auch die Mitgliedstaaten Garanten. Denn wir wollen einen Erfolg. Dort, wo es Ängste gibt, müssen diese Ängste aufgegriffen, dort, wo Aufklärung notwendig ist, muss Aufklärung betrieben werden. Die Bundesregierung ist entschlossen, dies zu tun, weil wir das Volk mitnehmen wollen. Wir müssen sehen: Der Einwanderungsdruck von der Iberischen Halbinsel ist 1986 nach dem Beitritt geringer geworden. Wir müssen den Menschen doch sagen: Bezüglich des Arbeitsmarktes müssen wir keine Angst vor Polen, Tschechien und Ungarn, die in die Europäische Union eintreten, haben. Es wird die notwendigen Übergangsfristen und Überprüfungsklauseln geben. Wenn festgestellt wird, dass diese Übergangsfristen nicht mehr notwendig sind, weil die Anpassung erfolgreich abgeschlossen wurde, kann der Prozess abgekürzt werden wenn nicht, dann nicht. Das alles sind Erfahrungen, die bereits bei der Süderweiterung gemacht wurden. Wir müssen aber gleichzeitig auch sagen, dass die Süderweiterung eines der großen politisch und ökonomisch erfolgreichen Projekte, auch was die Arbeitsplätze betrifft, war. Diesen Erfolg wollen wir bei der Osterweiterung wiederholen. ({18}) Es besteht ein enger Zusammenhang mit der Vertiefung. Diese Debatte wurde Gott sei Dank im Vorfeld von Nizza geführt. Ich stimme all denen zu - zumindest unter den Pro-Europäern gibt es in allen Fraktionen einen hohen Konsens -, die sagen: Wir werden neben den drei entscheidenden Punkten - Zusammensetzung und Größe der Kommission, Stimmgewichtung und Mehrheitsentscheidung - die Frage der verstärkten Zusammenarbeit als vierten Punkt dazunehmen, wir werden die Frage der Annahme des Entwurfs für eine Europäische GrundrechteCharta aufgreifen. Sie wird der erste Teil einer europäischen Verfassung sein. Ich habe bei einem Kommentator, der das sehr herabgewürdigt hat, gelesen, es würde sich dabei nur um gedrucktes Papier handeln. Ich halte das für eine völlig falsche Einschätzung. Das ist der Beginn einer europäischen Verfassung, was die Grundrechte betrifft. Sie regelt noch nicht die institutionellen Fragen. Deswegen stimme ich all denen zu, die fordern, dass in die Verhandlungen von Nizza die ersten Bestandteile einer europäischen Verfassungsdebatte einfließen müssen und diese europäische Verfassungsdebatte nach Nizza in Richtung eines umfassenden europäischen Verfassungsvertrags fortgeführt werden muss. Denn ich bin der festen Überzeugung - das ist mein Eindruck aus der Diskussion mit den Menschen -, dass ein Gutteil des vorhandenen Eurofrusts von der Nicht-mehr-Nachvollziehbarkeit, der Intransparenz der Kompromissstrukturen der Staatengemeinschaft herrührt, die in Brüssel im bestehenden institutionellen Gefüge die Beschlüsse ausarbeitet. Das heißt, wir müssen im Rahmen einer Verfassungsdebatte und eines Verfassungsvertrags klären, was wo entschieden wird. Diese Frage ist eine Frage der Souveränitäts- und Machtverteilung zwischen Nationalstaaten, zwischen den Ebenen der Länder, der Kommunen und der europäischen Ebene. Dies muss so entschieden werden, dass die Menschen nicht nur nachvollziehen können, was in Berlin geschieht - das ist manchmal schwierig genug -, sondern auch, was in Brüssel geschieht. Das wird der entscheidende Punkt sein. Ich habe allen Kollegen beim letzten informellen Treffen gesagt: Wenn wir diesen Schritt jetzt nicht gehen, wenn wir nicht mehr Transparenz und Demokratie schaffen, dann sehe ich keine denkbare demokratische Mehrheit im Deutschen Bundestag - egal, wie die Zusammensetzung der Bundesregierung nach der kommenden Bundestagswahl sein wird -, die nach 2006 bereit wäre, zusätzliche Belastungen mehrheitsfähig zu machen. Sie wird es schlicht und einfach deshalb nicht tun, weil es dafür kein Verständnis beim deutschen Volk mehr geben wird. Auch aus diesem innenpolitischen Grund wird es ganz entscheidend sein, dass wir die Erweiterung als historische Herausforderung begreifen. Wir dürfen keine Kulanzentscheidung treffen. Es darf aber auch keine Verzögerungen, keine vorgeschobenen Gründe scheinbar objektiver Natur geben, weil einem ein Mitgliedsland nicht passt. Wir müssen die Vertiefung vorantreiben. Das ist die wichtigste Herausforderung, vor der die deutsche Außenpolitik in den kommenden Jahren steht. ({19}) Das ist eine Herausforderung, an der man auch klarmachen kann, was die Außenpolitik in unserem Land tatsächlich in den vergangenen zwei Jahren geprägt hat: Das ist der Wandel in der Kontinuität. Das gilt auch für den Balkan. Natürlich waren all diese Elemente schon unter der Vorgängerregierung angelegt: etwa die Aufstellung des Kontingents zu wesentlichen Teilen, oft kontrovers diskutiert und dann von Teilen der Opposition mitgetragen. Wir stehen heute vor schwierigen Entscheidungen. Wir hoffen - obwohl wir wissen, dass Milosevic alles tun wird, um die freie Willensäußerung des serbischen Volkes, wenn es denn dazu kommt und eine Mehrheit für ihn nicht in Sicht ist, zu verfälschen -, dass alles getan wird, damit die demokratische Opposition einen Erfolg hat, und wir hoffen vor allen Dingen, dass die Diktatur von Milosevic in Belgrad keine Zukunft hat, sondern auch in Belgrad Demokratie einziehen wird. Das ist der ganz entscheidende Punkt. ({20}) Die Entwicklung in Montenegro steht damit in engem Zusammenhang. Wir müssen alles tun, um die demokratische Regierung von Präsident Djukanovic vor allen Dingen ökonomisch zu stabilisieren. Der Versuch von Milosevic geht dahin, den Rückhalt im montenegrinischen Volk für den gewählten Präsidenten und seine Regierung zu unterminieren, indem die Wirtschaft, indem die sozialen Verhältnisse entsprechend negativ beeinflusst werden. Hier können wir unseren Beitrag leisten, hier müssen wir unseren Beitrag leisten. Ich denke, das ist unter Präventivgesichtspunkten von ganz entscheidender Bedeutung. Aber auch im Kosovo wird es darum gehen, einen langen Atem zu haben. Ich höre immer die Frage nach der Exit-Strategie. Jüngst habe ich ein hochinteressantes Buch über die amerikanische Nachkriegsgeschichte gelesen. Kollege Lamers, die erste Debatte im Kongress über die Exit-Strategie in Bezug auf Europa fand 1946 statt. Da ging es los: dieselben Argumente, dieselben Sätze, dieselben Worte. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir müssen gemeinsam mit unseren Partnern die Dickschädeligkeit, den langen Atem, aber auch die Entschlossenheit haben, diese Region, die Teil Europas ist, an Europa heranzuführen und dann, wenn sie es will, langfristig in Europa hineinzuführen. Oder diese Region wird aus dem Teufelskreis von Gewalt und einem aggressiven mörderischen Nationalismus nicht herauskommen. ({21}) Hier möchte ich allen Beteiligten, der Bundeswehr, den eingesetzten Polizeibeamten, den Zivilbeamten, den Nichtregierungsorganisationen, meinen nachdrücklichen Dank aussprechen. Ich hoffe, dass der Deutsche Bundestag an seiner vollen Unterstützung für die Fortführung dieser einst gemeinsam beschlossenen Politik festhält. ({22}) Meine Damen und Herren, es gibt eine ganze Reihe von Themen, die ich angesichts der abgelaufenen Redezeit nicht mehr ansprechen kann. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur einige erwähnen. Es wäre wichtig, noch über die Erneuerung des transatlantischen Verhältnisses zu sprechen, wobei wir dies im Lichte der Wahlentscheidung vermutlich profunder tun können. Aber wir müssen es tun. Das ist eine der ganz zentralen Herausforderungen. Die Frage der Zukunft Russlands ist eine zweite, uns sehr bedrängende Frage. Voraussetzung wird sein, dass es gelingt, dort dem Rechtsstaat zum Durchbruch zu verhelfen. Das ist das A und O auch für die ökonomische Stabilisierung. Weitere Fragen betreffen die neuen Konfliktregionen in Zentralasien, den neuen Krisengürtel, der mit dem nuklearen Rüstungswettlauf auf dem indischen Subkontinent bis nach Südasien reicht, ferner die Chancen für die Europäische Union im Nahen Osten und im Mittelmeerraum sowie unsere Rolle in den Vereinten Nationen. Ich nenne auch noch Afrika, diesen scheinbaren Kontinent der Hoffnungslosigkeit, bei dem wir allerdings die Hoffnung nicht aufgeben dürfen, weil er direkter Nachbar ist und wir auch dort eine tief empfundene humanitäre Verpflichtung haben. Wir müssen vor allen Dingen die Chancen, die es dort gibt, sehen und fördern. All das sind Punkte, die noch diskutiert werden müssten. Ich möchte jedoch einen letzten Punkt ansprechen. Das ist die jetzt getroffene Entscheidung der 14 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu Österreich. Was hat man dazu in den letzten Tagen nicht alles an triumphierenden Äußerungen - die Forderung, man möge sich entschuldigen, und Ähnliches - gehört! Da kann ich nur fragen: Für was denn? ({23}) - Entschuldigung, einen Teufel werde ich tun. ({24}) Ich sage Ihnen: Sie müssen den Bericht der Drei Weisen einmal lesen. ({25}) Ich hatte nie Zweifel daran. Für mich war das überhaupt keine Frage. Ich zweifle nicht am Rechtsstaatlichkeitscharakter der Republik Österreich. ({26}) - Was, ach was? Das war nie die Frage. Die Frage war, warum die FPÖ von der ÖVP in die Regierung geholt wurde. Die Frage ist die nach dem Charakter der FPÖ. ({27}) - Lesen Sie einmal das Gutachten der Drei Weisen, das FPÖ-Kapitel, durch. Wenn Sie das lesen, wird Ihnen jedes Triumphgeheule ersterben. ({28}) Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Die Bundesregierung unterstützt gemeinsam mit den anderen Partnern voll das Vorgehen der französischen Präsidentschaft. Wir werden hier umgehend die Konsequenzen aus dem Gutachten ziehen. Das Gutachten ist entsprechend umzusetzen. Dazu brauchen wir überhaupt nicht die schönen Lippenbekenntnisse über Verteidigung der Demokratie oder gar über die Vollendung der politischen Integration Europas in den Mund zu nehmen. Wir müssen festhalten, dass eine Partei, die ganz offensichtlich Fremdenfeindlichkeit zum Bestandteil ihres Programms - zumindest in Wahlkämpfen - erklärt und die ein dubioses Verhältnis zur nationalsozialistischen Vergangenheit hat, in einem vereinten Europa als Regierungspartei nicht selbstverständlich sein darf. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. ({29}) Deswegen, meine Damen und Herren, gibt es an diesem Punkt nichts zu entschuldigen, sondern es gibt jeden Grund, genau hinzuschauen, wie es die Drei Weisen vorgeschlagen haben. Das werden wir auch in Zukunft tun. Ich bedanke mich. ({30})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Karl Lamers.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Lautstärke, mit der der Minister die Blamage, die er mit verschuldet hat, hier umzudrehen versucht, den Vorgang als gerechtfertigt hinzustellen versucht, kann natürlich beim allerbesten Willen nicht verdecken, dass Sie, Herr Minister, nicht nur den bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch der europäischen Sache schweren Schaden zugeführt haben. ({0}) Das ist ja nun wirklich nicht nur unser Urteil. In der „Neuen Zürcher Zeitung“ von Montag ist die Rede von der politischen Sprengkraft, von der Fragwürdigkeit des Vorgehens, von der groben Missachtung der Verpflichtungen gegenüber einem Mitgliedstaat unter bewusster Umgehung der Institutionen und einschlägiger Bestimmungen des Unionsvertrages; rechtlich mehr als fragwürdig, in jeder Beziehung unsäglich. Sie sollten wirklich versuchen, alles in Ihren Kräften Stehende zu tun - auch im Interesse der eigenen Regierung - um die Sanktionen jetzt ohne weiteres Hakenschlagen oder Nachkarten und ohne Bedingungen einzustellen. ({1}) Wir reden heute über den Haushalt. Wenn der Haushalt der Ausdruck der Prioritäten ist, die sich ein Land setzt, dann setzt diese Regierung die Prioritäten falsch. Denn der Entwurf des Bundeshaushalts spiegelt nicht die langfristigen, die wirklich nationalen Interessen unseres Landes wider. Diese nämlich hängen immer mehr - das wissen wir doch alle - von Wohl und Wehe all unserer Nachbarn im engeren wie im weiteren Sinne ab. Die Bedeutung der Außenpolitik für Sicherheit und Wohlergehen der Völker hat in dieser einen, immer enger zusammenwachsenden Welt generell zugenommen. Für Deutschland, wie wir alle völlig übereinstimmend sagen, gilt das doch in ganz besonderer Weise. Es geht heute um Sicherheit im umfassenden Sinne und damit in der Tat um existenzielle Fragen, um existenzielle Abhängigkeiten. Das Bewusstsein von der Globalität, von der einen Welt, von der wechselseitigen existenziellen Abhängigkeit ist in allen westlichen Gesellschaften nicht gut entwickelt, in der deutschen ganz besonders wenig. Das mache ich Ihnen natürlich nicht zum Vorwurf, Herr Minister. Ich mache Ihnen aber zum Vorwurf, dass Sie, indem Sie überhaupt nicht gekämpft haben, es den Leuten noch weiter erschweren, zu erkennen, wie abhängig wir eigentlich sind. Wie sollen die Bürger denn ein Gefühl für diese Abhängigkeit entwickeln, wenn Sie zwar heute sagen: „So geht es nicht weiter“ - wie auch auf der Botschafterkonferenz -, das aber zum ersten Mal tun? Das kann man beim allerbesten Willen doch nicht „kämpfen“ nennen. Indem Sie die Vorgängerregierung beschimpfen, wollen Sie nur davon ablenken, dass Sie nicht gekämpft haben, Herr Minister. Sie sind doch angetreten mit dem Vorsatz, nicht alles anders, sondern alles besser zu machen. Sie machen es nicht besser, sondern Sie machen es schlechter. ({2}) Das ist nichts als die Wahrheit. Sie haben gesagt: Deutschland wird öfters gefordert sein. - Ja, natürlich. Deutschland wird in globalem Umfang gefordert sein. Die Folgen der von Ihnen angekündigten strategischen Überprüfung unserer nationalen Interessen werden mit Sicherheit mehr Geld kosten. Der Außenminister wird aber im nächsten Jahr real weniger Geld zur Verfügung haben als im letzten Jahr. Wenn Sie das als einen Ausweis Ihrer Stellung in der Regierung ansehen, dann habe ich dieser Aussage nichts hinzuzufügen. ({3}) Herr Minister, wenn Sie nicht kämpfen, vielleicht weil Sie zu verlieren drohen, dann können Sie nicht erwarten, dass Sie die Unterstützung der Öffentlichkeit, in diesem Falle auch die Unterstützung der Opposition, bekommen. Sie brauchen aber die Unterstützung aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte. Sie gehen nicht mit gutem Vorbild voran. Dennoch schlage ich Ihnen vor, einmal zu überlegen, ob nicht Parlament und Regierung gemeinsam eine Gruppe von sachverständigen und engagierten Frauen und Männern einsetzen sollten, die so konkret wie möglich abzuschätzen sucht, welche Mittel für die Außenpolitik adäquat wären und den gestiegenen Anforderungen, von denen wir alle übereinstimmend reden, einigermaßen entsprächen. Ich weiß, der Umgang der Regierung mit Kommissions ergebnissen - Stichwort: Von-Weizsäcker-Kommission ist nicht gerade ermutigend. Denn ohne eine Debatte über das Ergebnis einer Kommission ist ihre Einsetzung sinnlos und nichts als eine Alibiübung. So verstehe ich das Ganze nicht. Ich mache das ernsthafte Angebot, dass wir einmal überlegen: Welche Mittel müssen in Zukunft für die Außenpolitik zur Verfügung gestellt werden, wenn sie wirklich den Interessen unseres Landes gerecht werden soll? Das gilt natürlich auch für die von Ihnen zu Recht geplante Reform des auswärtigen Dienstes. Wir werden dieses Projekt konstruktiv begleiten, wenn Sie es wollen. Aber auch hier wird es Geldes bedürfen. Die Bilanz der bisherigen Regierungspolitik auf dem auswärtigen Feld ist jedenfalls nicht sonderlich glänzend. Mir ist unklar, welche Stellung der Außenminister in dieser Regierung hat. Zuweilen entsteht der Eindruck, Sie, Herr Fischer, seien zuständig für Moral und Vision und der Bundeskanzler für die Politik. Vielleicht entspricht diese Aufgabenteilung der Art, mit der allein sich diese Koalition zusammenhalten lässt. Dabei frage ich mich allerdings, wie lange es Ihre Fraktion noch mitmacht, wenn Sie sich beispielsweise - ein sehr typischer Fall - im Bundessicherheitsrat in der Frage der Rüstungsexporte überstimmen lassen. Ihre Fraktion muss sich fragen, ob Sie sich nicht gerne überstimmen lassen. ({4}) Die Entscheidung zur Lieferung der Munitionsfabrik in die Türkei müsste auch den Weg zur Lieferung des Leopard-2-Panzers ebnen, wenn sich die Türkei für dessen Kauf entschiede. Das wäre doch eigentlich ganz logisch. Deshalb wird in der Koalition dieser Streit geführt. Die SPD scheint sich nun aber die Zusage zur Munitionsfabrik mit der Absage der Leopard-Panzerlieferung erkaufen zu wollen. Die Inkonsequenz und die Doppelzüngigkeit der deutschen Türkeipolitik können nicht klarer zum Ausdruck gebracht werden. ({5}) Herr Fischer, wenn man der Türkei als NATO-Partner nicht einmal eine Munitionsfabrik liefern möchte, obwohl sie damit eine NATO-Vorgabe erfüllen möchte, dann stellt sich natürlich die Frage, ob sie überhaupt NATO-würdig ist. Wenn sie aber nicht NATO-würdig ist, dann ist sie doch erst recht nicht EU-würdig. Das passt doch beim allerbesten Willen vorne und hinten nicht zusammen. ({6}) Meine Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion der Grünen, im Übrigen haben diejenigen, die, um die Munitionsfabrik zu verhindern, darauf hingewiesen haben, dass Gewehre im Hinblick auf den Kurdenkonflikt gefährlicher seien als Panzer, ein besonders gutes Argument für die Lieferung der Panzer gebracht. Das war ganz gewiss nicht Ihre Absicht. ({7}) Aber das alles zeigt doch, dass Sie sich hier hoffnungslos verheddert haben, und gibt Aufschluss über die Stellung des grünen Außenministers in dieser Bundesregierung. Im Übrigen wird die Sache noch absurder, wenn man sich vor Augen führt, dass die Türkei, auch wenn sie sich für das französische oder das amerikanische Produkt entscheidet, ein im Kern deutsches Produkt bekommt; denn das, was einen Panzer ausmacht - Mobilität und Feuerkraft -, ist in beiden Fällen deutsche Technik. Schlimmer als das Hickhack bei dieser Angelegenheit kann es gar nicht sein, die in ihrer Bedeutung von mir nicht überschätzt wird, die aber doch einiges über den Zustand der Regierung beim Thema Türkei aussagt. Im Übrigen ist das Thema der Waffenlieferung in die Türkei ein letztes Fingerhakeln in Sachen Menschenrechte. Dieses Thema hätte ich vielleicht mit dem Mantel des Schweigens gnädig zugedeckt, wenn nicht der Bundeskanzler die Chuzpe, um nicht zu sagen die Dreistigkeit besessen hätte, auf der erwähnten Botschafterkonferenz wörtlich zu behaupten: „Das Engagement für die Menschenrechte steht auf der Prioritätenliste dieser Regierung weit oben.“ Sie, Herr Fischer, waren so klug, das Thema Menschenrechte in Ihrer Rede bei derselben Gelegenheit gewissermaßen nur kursorisch zu erwähnen, wohl wissend, dass die Behauptung Schröders nun wirklich durch gar nichts zu belegen ist und dies eine offene Wunde in Ihrer Fraktion ist. Wo konnte man denn, um nur zwei Beispiele zu nennen - Tschetschenien und China -, etwas von der behaupteten Priorität der Menschenrechte spüren? Nichts konnte man spüren. Auch Sie haben in der Opposition und zu Beginn Ihrer Amtszeit behauptet, dass sich die gesamte Außenpolitik an den Menschenrechten orientieren müsse. Heute reduziert sich dieses Streben auf die erwähnten grotesken Klimmzüge in der Frage der Waffenlieferung in die Türkei. Ich war - das will ich gerne einmal heute sagen ebenso gespannt wie skeptisch, ob es Ihnen gelingen würde, der deutschen Außenpolitik einen stärkeren menschenrechtlichen Stempel aufzudrücken. Sie kennen mich gut genug, um mir zu glauben, wenn ich sage: Ich hätte keine Probleme gehabt, dies auch öffentlich anzuerkennen, wenn Ihnen dieses Kunststück gelungen wäre. In Ihrer Oppositionszeit haben Sie uns, die damalige Regierungskoalition, in einer Art und Weise angegriffen, von der ich heute gerne gestehe, dass sie mir oft wehgetan hat, und zwar nicht, weil jeder sachliche Anlass Ihrer Kritik gefehlt hätte, sondern weil Sie den Eindruck erweckt haben, als fehle es uns nicht nur an gutem Willen, sondern als hätten wir kein Herz im Leibe, als würden wir nicht unter dem Dilemma von Menschenrechten und den realen Möglichkeiten der Politik leiden. ({8}) Heute, Herr Minister, habe ich den Eindruck, dass Sie nicht einmal unter diesem Dilemma leiden. Jedenfalls habe ich es noch nie gespürt. Nicht nur ich frage mich, welche Folgen es für die Identität und die Zukunft der Grünen hat, nachdem sie während des Kosovokrieges vom Pazifismus und mit dem Pseudoatomausstieg von dem Kern- und Symbolthema ihrer Umweltpolitik Abschied genommen haben. Herr Schröder steht bereit, sie zu beerben. Darin sieht er auch einen wesentlichen Zweck der Koalition mit Ihrer Partei. Allerdings wird er mit Sicherheit auch noch erleben, welche Folgen seine Politik für den linken Flügel seiner eigenen Partei haben wird. ({9}) Das Thema Europa wird heute noch näher vom Kollegen Hintze behandelt werden. Ich will mich nur auf einen Aspekt beschränken. Sie, Herr Minister, haben in Ihrer Rede vor der Botschafterkonferenz davon gesprochen, dass Sie hofften, im Jahre 2005 die ersten Beitrittsländer in der Europäischen Union begrüßen zu können. Der Bundeskanzler hat bei derselben Gelegenheit an dem Zieldatum 2003 festgehalten. ({10}) - Nein, davon war nicht die Rede, Herr Kollege Erler. Auch hier wäre ganz gewiss eine bessere Koordinierung wünschenswert gewesen. Nun weiß ich, dass Ihre Sicht der Dinge, Herr Minister, wahrscheinlich die realistischere ist. Ich weiß sehr wohl, dass hinter verschlossenen Türen allenthalben auch in Brüssel über dieses von Ihnen genannte Datum gesprochen wird. Es ist sowohl die Folge unzureichender Reformfähigkeit der Beitrittsländer als auch unzulänglicher Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union - nicht nur, was die institutionelle Reform angeht, sondern auch die finanziellen Voraussetzungen, von denen wir von Anfang an gesagt haben: Sie sind durch die Agenda 2000 nicht geschaffen worden. Das wird ja jetzt indirekt von Ihnen und direkt von Brüsseler Kommissaren bestätigt. Wenn diese Perspektive aber richtig ist, dann wissen wir alle, welche Gefahren damit verbunden sind: ein Nachlassen der Reformbereitschaft, tiefe Enttäuschungen bei unseren Nachbarn. Deswegen bitte ich, wirklich einmal zu überlegen - ein Gedanke, den Kollege Scharping und ich schon zu Beginn der 90er-Jahre zum Ausdruck gebracht haben -, ob es angesichts dieser Tatsachen, die ja letzten Endes im wirtschaftlichen Bereich liegen, nicht angemessen ist, eine Art politische Mitgliedschaft der Beitrittsländer ins Auge zu fassen, sie dort zu beteiligen, wo man sie beteiligen kann und wo wir sie, beispielsweise bei der Innen- und Justiz- sowie bei der Migrationspolitik, dringend brauchen. Wir brauchen sie aber ebenfalls bei der Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Verteidigung, sicher auch bei der Diskussion um einen Verfassungsvertrag, von dem auch Sie eben gesprochen haben. Dieses große Projekt, das wir unverändert als ganz entscheidend für die innere Balance der Europäischen Union und für die Stabilität auf unserem ganzen Kontinent ansehen, darf nicht gefährdet werden durch eine tiefe Enttäuschung. Im Übrigen würde ein solches Vorgehen, wie ich es angedeutet habe, auch ermöglichen, zwischen den Beitrittsterminen zu differenzieren, ohne bei anderen den Eindruck der Diskriminierung hervorzurufen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Lamers, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß das, Frau Präsidentin. - Mir lag daran, Ihnen auch diesen Gedanken mit besonderem Nachdruck ans Herz zu legen. Ich glaube insofern sind wir ja einer Meinung -, dass dies in der Tat eine der Schicksalsfragen für die Europäische Union und natürlich vor allen Dingen für unser Land ist. Wenn Sie eine solche Politik mit mehr - ich möchte nicht sagen: Engagement - Realitätssinn verfolgen, dann, Herr Minister, haben Sie unsere Unterstützung, aber nicht, wenn Sie aus koalitions- und parteiinternen Gründen einen solchen Hickhack veranstalten wie bei den Themen, die ich eben erwähnt habe. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der nächste Redner ist der Kollege Gernot Erler für die SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung präsentiert sich bei dieser Haushaltsdebatte mit einer positiven Leistungsbilanz zur Halbzeit. Zu der hat auch die deutsche Außenpolitik, haben auch die Aktivitäten der Bundesregierung in der internationalen Politik beigetragen. Die Basis dafür ist die gute Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Parlament, sind die koordinierten Aktivitäten von Regierung und Regierungsfraktionen, aber auch die im Kern derzeit nicht gefährdete Haltung eines Grundkonsenses zwischen allen Fraktionen in diesem Raum. Herr Kollege Lamers, an diesem Eindruck haben Sie durch Ihre - entschuldigen Sie - etwas lustlos vorgetragene Kritik in kleiner Münze nichts ändern können. Der Grundkonsens wird nicht beschädigt, wenn Sie etwas zu Österreich sagen, ein bisschen zu etwas mehr Geld, wobei Sie wieder nicht sagen, woher es kommen soll, und dann noch das Thema Rüstungsexporte antippen. Lokomotive dieses Erfolges ist der Außenminister selbst. Das kann er nur durch die tüchtige Arbeit von vielen tausend Mitarbeitern, im Hause wie auch im Ausland. Ich finde, dafür muss man auch einmal Dank und Anerkennung in dieser Debatte aussprechen. ({0}) Der Lohn ist - auch das scheint Ihnen entgangen zu sein, Herr Kollege Lamers - eine sehr breite, eine erstaunlich breite Zustimmung der Bevölkerung für die Außenpolitik und für den Außenminister. Im Gegensatz zu Ihnen stelle ich für die SPD-Bundestagsfraktion fest, dass die rot-grüne Regierung die richtigen Prioritäten setzt. Es ist richtig, jetzt das Hauptaugenmerk - das haben wir gerade wieder gehört - auf den Erfolg bei den strukturellen Reformen und beim Vertrag von Nizza zu legen, zugleich die Osterweiterung sorgfältig vorzubereiten und Frankreich bei seiner wahrscheinlich historischen Aufgabe im Rahmen der gegenwärtigen Präsidentschaft zu unterstützen. Herr Außenminister, wir freuen uns, dass Sie jetzt - dabei werden wir Sie unterstützen - mit guten Argumenten für die Osterweiterung noch mehr in die Öffentlichkeit gehen wollen. ({1}) Es ist unverzichtbar, bei den Bemühungen um eine Stabilisierung in Südosteuropa keinen Moment nachzulassen, neue Perspektiven auch im Sinne der europäischen Integration dieser Länder für diese Region zu schaffen und dafür die Möglichkeiten des von Deutschland angestoßenen Stabilitätspaktes voll zu nutzen. Es ist vernünftig - das ist eine weitere Priorität -, die Instrumente präventiver Politik zu erweitern und sie zum Beispiel intensiv in jener konfliktreichen Zone anzuwenden, die vom Nahen Osten über den Kaukasus bis hin zum Kaspischen Meer reicht. Hier geht es um die nächsten Bewährungsproben einer vorausschauenden Friedenspolitik. Deshalb wollen wir, dass Barak und Arafat zu einer Friedenslösung kommen. Deshalb wollen wir nicht nur, dass im Kaukasus die Kampfhandlungen auslaufen, sondern auch, dass dort Konzepte einer politischen Stabilität für die ganze Region Raum greifen. ({2}) Deshalb wollen wir, dass soziale, wirtschaftliche und politische Dämme gegen eine Ausbreitung des gewaltbereiten islamischen Fundamentalismus in Zentralasien und in der kaspischen Region errichtet werden. Es ist gut, dass der Bundeskanzler in New York die deutsche Unterstützung für eine handlungsfähige Weltorganisation zum Ausdruck gebracht hat. Der deutsche Beitrag zur Stärkung der Vereinten Nationen ist aus der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion noch ein bisschen wichtiger als der Titel „Weltstaatsmann“, den der Bundeskanzler mitgebracht hat und zu dem wir ihm gleichwohl herzlich gratulieren. ({3}) Es ist notwendig, dass wir die Arbeit der Weltorganisation durch Beiträge zu einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung erleichtern. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Bundeskanzler eine deutsche Beteiligung an Kofi Annans Initiative angekündigt hat, die Zahl der Menschen, die am stärksten in Armut leben, weltweit bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Das ist die vernünftige Fortsetzung der Kölner Entschuldungsinitiative, die eine Erweiterung auf dem G8-Gipfel in Okinawa erfahren hat. Aus aktuellem Anlass füge ich, besonders an die rechte Seite des Hauses gerichtet, hinzu: Es kann nicht angehen, dass wir die Explosion der Rohölpreise auf dem Weltmarkt nur durch die Brille des deutschen Verbrauchers an der Zapfsäule betrachten, anstatt uns auch um die Existenzgefährdung von Millionen von Menschen zu kümmern, die ein Dauerhochpreis für Brennstoffe auslöst. ({4}) - Hier handeln Sie schon wieder mit kleiner Münze. ({5}) Schließlich nenne ich den letzten Punkt der Prioritäten: Inzwischen ist unbestritten, dass die Entscheidung über das Holocaust-Denkmal, unsere Beschlüsse zum Zwangsarbeiterabkommen und die Art, wie sich die Deutschen mit dem Rechtsradikalismus im eigenen Land auseinander setzen, eine internationale und kaum zu überschätzende Wirkung und Bedeutung haben. Aber besonders im Hinblick auf den Kampf gegen den Rechtsradikalismus wäre es fatal, diese Aufgabe auf eine Standortfrage zu reduzieren. Gerhard Schröder hat bei seiner Rede vor den deutschen Botschafterinnen und Botschaftern am 4. September, die eben schon zitiert wurde, hierzu eine gute Position formuliert, die ich zitieren möchte: Ausländerfeindlichkeit und neonazistische Gewalt werden wir in Deutschland nicht dulden. Hierzu verpflichten uns nicht nur historische Gründe. Es geht auch nicht allein um den Ruf unseres Landes im Ausland, um Investoren aus dem Ausland oder dringend benötigte Spitzenkräfte für Wirtschaft und Wissenschaft. Nein, es geht um ein elementares Prinzip unserer Demokratie. Wir dürfen nicht an den Grundwerten unserer Gesellschaft rütteln lassen. Wenn Grundrechte wie Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit nicht für alle Bürger, also auch für die ausländischen Mitbürger, gleichermaßen gelten, dann ist unsere Werteordnung in ihrem Keim gefährdet. ({6}) Das ist eine hervorragende Position, die ich von unserer Seite ausdrücklich unterstütze. Meine Damen und Herren, Deutschland ist heute ein verlässlicher und anerkannter Partner in der internationalen Politik. Für die Bürger der Hauptstadt wurde das zuletzt sichtbar in den großen Staatsbesuchen von Clinton, Blair, Chirac, Putin, Zhu Rongji, Khatami und vielen anderen. Manchmal kann Ansehen und Einfluss des Heimatlandes auch für einen einzelnen Bürger Bedeutung bekommen. Wir freuen uns, dass die Bemühungen der Bundesregierung um die Freilassung der Familie Wallert zum Schluss von Erfolg gekrönt wurden. Wir danken allen daran Beteiligten und auch der Republik Libyen für ihre Unterstützung. Ich finde, dass ebenfalls die Familie Wallert selbst, die unter größter Belastung ein Höchstmaß an Übersicht und Selbstkontrolle bewahrt hat, hier Dank und Anerkennung verdient. ({7}) Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesregierung in allen Hauptaufgaben der internationalen Politik, setzt selbst aber auch eigene Schwerpunkte. In dieser Haushaltsdebatte haben wir die drei wichtigsten zu nennen: Besondere Prioritäten haben für uns die erfolgreiche Umsetzung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, die parlamentarische Begleitung der Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, der so genannten GASP, und eine eigene Initiative zur öffentlichen Information und Argumentation in Sachen Osterweiterung der EU. Einzelheiten hierzu wird nachher mein Kollege Günter Gloser vortragen. Der Stabilitätspakt ist und bleibt der große Test für die Fähigkeit Europas zu einer langfristigen, auf Inklusion und Kooperation abzielenden präventiven Friedenspolitik. Der EU-Sonderbeauftragte Bodo Hombach leistet - das ist längst europaweit anerkannt - mit einem erstaunlich kleinen Team eine erstaunlich umfangreiche und wirksame Arbeit. ({8}) Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt und begleitet diese Arbeit durch eine spezielle Arbeitseinheit. Wir haben den Anstoß dazu gegeben, in das vielgliedrige Gebäude des Stabilitätspakts auch ein parlamentarisches Stockwerk einzuziehen, unter anderem durch die Organisation und Durchführung von zwei Parlamentarierkonferenzen: die erste im Oktober letzten Jahres in Berlin und die zweite im Juni dieses Jahres in Dubrovnik. Wir freuen uns, dass unser Staffelstab inzwischen auch von anderer Seite aufgenommen wurde. Gerade heute und morgen findet in Zagreb ein Gipfel aller Parlamentspräsidenten der Stabilitätspaktstaaten statt, an dem unter anderem Vizepräsidentin Antje Vollmer und die Kollegin Uta Zapf teilnehmen. Wir erwarten von diesem Gipfel weitere Anstöße für die notwendige parlamentarische Dimension des Stabilitätspakts. Im Zuge der Haushaltsdebatte möchte ich in Sachen Stabilitätspakt eine sehr klare Erwartung zum Ausdruck bringen: Die Bundesrepublik hat mit der Ankündigung Eindruck gemacht, 1,2 Milliarden DM in vier Jahren zur Verfügung zu stellen, und dieser wichtige Beitrag darf auf keinen Fall in Frage gestellt werden, ({9}) und zwar weder durch eine Reduzierung der 1,2 Milliarden DM noch durch eine zu weit greifende Streckung noch durch eine Verwendung für andere Projekte als für die des Stabilitätspaktes. ({10}) Ich kündige an, dass meine Fraktion hier sehr energische Initiativen ergreifen wird, um diese drei Punkte sicherzustellen und damit jeden Zweifel an dem für uns wichtigen Punkt, Erfolg des Stabilitätspakts, im Keim zu ersticken. Bei dem zweiten wichtigen Schwerpunkt, GASP, geht es meiner Fraktion ebenfalls um die Rolle des Parlaments bei einer solchen fundamentalen Weiterentwicklung Europas. Unerwartet schnell hat sich im letzten Jahr der Hohe Repräsentant Javier Solana eine eigene Stellung aufgebaut; zudem existieren inzwischen in der Umsetzung der Beschlüsse von Helsinki ein ganzes Bündel von neuen Institutionen der GASP, und zwar sowohl militärische als auch nicht militärische. Wir haben Gespräche mit allen unseren Schwesterparteien und mit Herrn Solana in Brüssel geführt und dabei festgestellt: Es wird noch ein langer Weg sein, bis die verschiedenen Kulturen bei der Aufgabe von Souveränitätsrechten zusammenkommen werden. Uns ist hierbei besonders wichtig, dass nicht militärische Initiativen und Institutionen nicht zurückbleiben. Dies bedeutet die Verstärkung der präventiven Fähigkeiten im Rahmen der GASP. Unsere Fraktion wird hierzu im Herbst einen ausführlichen Bericht vorlegen. Es gibt einen Schwerpunkt bei dem Aufbau präventiver Fähigkeiten und der muss sich auch in Haushaltsentscheidungen niederschlagen. ({11}) Nach meiner Meinung verträgt sich eine Kürzung um 20 Millionen DM in diesem Bereich nicht mit der angesprochenen Prioritätensetzung. Auch hier werden wir uns kräftig einsetzen, um eine Korrektur zu erreichen. ({12}) Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der Kollege Gloser etwas zu dem dritten Schwerpunkt, nämlich zu der EU-Erweiterung, vortragen wird. Deshalb kann ich mir meine Ausführungen hierzu sparen. Ich möchte nur so viel sagen: Mit einem Teil seiner Initiative - diesen akzeptieren wir alle in der SPD - hat Günter Verheugen offene Türen eingerannt, nämlich als er die politischen Eliten aufgefordert hat, aktiver auch mit den berechtigten, nachvollziehbaren und beantwortbaren Sorgen der Bürger umzugehen. Wir haben schon vor seinem Appell unsere Entscheidung getroffen und eine Art Gesamtkonzept zu diesem Bereich vorbereitet. Mein Fazit ist: Es bekommt diesem Land gut, wenn der nationale und internationale Grundkonsens gewahrt bleibt. Herr Kollege Lamers, ich möchte betonen: Ich habe Ihren Ausführungen nicht entnehmen können, dass die CDU/CSU diesen Pfad verlassen möchte. Wir sind bereit, den Grundkonsens in den wichtigen Fragen aufrechtzuerhalten und auszubauen und zugleich für eine breite Zustimmung der Öffentlichkeit und der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes hierfür zu sorgen. Wir können im Augenblick über das Ausmaß des Grundkonsenses hinsichtlich der Außenpolitik dieser Regierung froh sein. Dass dies deutliche eigene Schwerpunkt- und Akzentsetzungen der größeren Regierungspartei nicht ausschließt, habe ich versucht darzulegen. Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer für die F.D.P.-Fraktion.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Dank an Bundesminister Fischer beginnen. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, dass heute vor zehn Jahren ein überaus wichtiger Vertrag zustande gekommen ist. Ich weiß es zu schätzen, dass Sie die Rolle vieler gewürdigt haben, die daran beteiligt waren, insbesondere die von Hans-Dietrich Genscher und von Markus Meckel. Es war angemessen, dass Sie das hier getan haben. ({0}) Ich hätte mir gewünscht - das sage ich, damit das Ganze nicht zu freundlich wird -, Sie hätten auf die Frage, die Ihnen mehrfach aus dem Saal entgegengeschallt ist, konkret geantwortet: Was macht er denn jetzt? Hebt er nun die Sanktionen gegen Österreich auf oder nicht? Ihr Kollege, der dänische Außenminister Niels Helveg Petersen, hat klar gesagt: Heute, innerhalb weniger Stunden, werden die Sanktionen aufgehoben. Punkt, aus! Eine solche Antwort haben wir heute auch vom deutschen Außenminister erwartet. ({1}) Die Aufhebung der Sanktionen gegen Österreich ist für den dänischen Außenminister natürlich außerordentlich wichtig; denn in Dänemark steht das Referendum über den Euro an. Ich fürchte, dort ist schon ein großer Schaden entstanden. „Jyllands-Posten“, eine der großen dänischen Zeitungen, schreibt in der heutigen Ausgabe: Der Schaden für die Jaseite - also für diejenigen, die den Beitritt Dänemarks zur Euro-Zone befürworten ist geschehen. Ein eklatantes Fiasko, das auf Monate die dänische EU-Debatte vergiftet hat, war diese Entscheidung gegen Österreich. Wenn der Bundeshaushalt das in Zahlen gegossene Regierungsprogramm einer Bundesregierung ist, wie es die Finanzwissenschaft auszudrücken pflegt, dann ist der Entwurf des Einzelplans 05, nämlich der für das Auswärtige Amt, eine Bankrotterklärung für die deutsche Außenpolitik. Er entbehrt jeglicher Prioritätensetzung und lässt keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den veränderten und gestiegenen Herausforderungen an die Rolle Deutschlands in der Welt erkennen. Damit steht er - das ist wichtig - in krassem Kontrast zur Rhetorik des Außenministers anlässlich der Botschafterkonferenz und der des Bundeskanzlers bzw. - wie hieß das noch? - des „World Statesman“ anlässlich der Tagung der Vereinten Nationen letzte Woche in New York. Deshalb ist der Einzelplan 05 eine tiefe Enttäuschung für die Angehörigen des auswärtigen Dienstes im In- und Ausland. Sie erwarten von einer Botschafterkonferenz mehr als von einem erweiterten Jahrgangstreffen. Sie erwarten nicht nur inhaltliche Perspektiven. In dieser Hinsicht sind sie ja schon zur Genüge enttäuscht worden. Sie erwarten vielmehr auch Perspektiven für ihren Dienst, und zwar nicht nur für die Ziele und für den Instrumentenkasten deutscher Außenpolitik, sondern auch für die Mittel, mit denen die Diplomatie der Politik helfen soll, ihre Ziele zu erreichen. Der deutsche auswärtige Dienst habe hinsichtlich der Kürzungsmöglichkeiten das Ende der Fahnenstange erreicht, so Joseph Fischer letzte Woche. Das habe ich schon vor Jahren gehört. ({2}) Aber noch nie habe ich so wenige Anstrengungen erkennen können, daraus die Konsequenzen zu ziehen, wie bei diesem Minister. ({3}) Um es auf eine kurze Formel zu bringen: Minister Fischer kämpft nicht für den Stellenwert deutscher und internationaler Politik und er kämpft nicht für sein Haus. Er kämpft nicht für dessen Fähigkeit, den gewachsenen Herausforderungen mit den Mitteln einer Diplomatie gerecht zu werden, die auf diese Herausforderungen auch vorbereitet sein muss. Er gefällt sich darin, mit sorgenzerfurchter Stirn den globalgalaktischen Diskurs zu führen und die zusätzlichen Herausforderungen zu beschreiben. ({4}) Gleichzeitig gefällt er sich darin, die Platte vom solidarischen Beitrag des Auswärtigen Amtes zur Haushaltskonsolidierung aufzulegen. Das passt nicht zusammen. ({5}) Wir brauchen - hier nehme ich die Anregung des Kollegen Lamers gerne auf - in Deutschland eine Debatte über unsere Rolle in der Welt, über internationale Politik, über internationale Wirtschaftsbeziehungen, über kulturellen Austausch, über alle Dimensionen von Globalisierung und darüber, was uns das eigentlich Wert ist. Deswegen wäre in Anlehnung an die britische Royal Commission eine Gruppe, die sich darüber grundsätzlich mit langfristiger Perspektive Gedanken macht, eine gute Idee. ({6}) Alle reden von Globalisierung, nur die deutsche Politik wird immer provinzieller. Wer, wenn nicht der Außenminister, müsste dagegen eigentlich Sturm laufen? Aber weit gefehlt: Mit Ausnahme seiner als Privatmann gehaltenen Europarede sind von Minister Fischer keine konzeptionellen Überlegungen zu zentralen Fragen der Außenpolitik zu hören gewesen. Diese Rede bestach eher durch die Tatsache, dass sie gehalten wurde, als durch ihren Inhalt im Detail. Der deutsche auswärtige Dienst ist heute kleiner als der der alten Bundesrepublik vor der Wende. Allein im Rechts- und Konsularbereich haben sich die Aufgaben vervielfacht. Das hat jetzt auch der Minister begriffen. In einem Brief vom 1. September schreibt der Bundesminister an die Berichterstatter für den Haushalt des Auswärtigen Amtes, wie sehr es im Visumsbereich brummt, und bittet, man möge doch dafür sorgen, dass die Rechts- und Konsularabteilungen der Auslandsvertretungen von den zu erwartenden pauschalen Stellenkürzungen ausgenommen werden. So viel Chuzpe ist schon stark. Genau diesen Antrag hat die F.D.P. für den Haushalt 1999 und den Haushalt 2000 gestellt, sogar als Gesetzesantrag eingebracht. Er ist jedes Mal von Ihnen abgelehnt worden. Wenn Sie diesmal mitmachen wollen, sind Sie herzlich eingeladen. Sie können sicher sein, dass dieser Antrag von uns wieder gestellt wird. Kämpfen Sie also endlich für Ihren Haushalt! Kämpfen Sie für den Auswärtigen Dienst, nicht mit uns, sondern bitte mit dem Finanzminister. ({7}) Die Schwachstellen dieser Regierung sind nicht nur in den haushaltstechnischen Punkten zu sehen, sondern auch bei den Inhalten. Bei dem Thema Menschenrechte sind die Grünen als Tiger gestartet. Inzwischen ist ihr Außenminister als Bettvorleger gelandet. Der Stellenwert der humanitären Hilfe im Regierungsentwurf ist erbärmlich. Das, was zum Thema OSZE und zum Stabilitätspakt angemerkt worden ist, wird von mir unterstützt. Auch hier gibt es erhebliche Schwachstellen im Haushalt. Wir werden bei den Beratungen darauf zurückkommen. ({8}) Der angekündigte Aufschwung in der auswärtigen Kulturpolitik findet nicht statt. Im Gegenteil. Um nur ein Beispiel zu nennen, über das viel zu wenig gesprochen wird: Viele deutsche Auslandsschulen sind, obwohl sie von überragender Bedeutung sind, akut von Schließung bedroht. ({9}) Die Führungsrolle Deutschlands bei der für uns und unserer wirtschaftlichen, politischen und insbesondere sicherheitspolitischen Interessen so wichtigen Osterweiterung der EU wird zunehmend weniger erkennbar. Deutsche Initiativen zur Überwindung der Blockade in der Regierungskonferenz zur institutionellen Reform der EU sind nicht in Sicht. Man könnte das noch lange fortsetzen, zum Beispiel im Hinblick auf die Außenwirtschaftspolitik. Hier reihen sich der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesaußenminister in dieselbe Phalanx ein. Sie tun beide nichts dafür. Ich finde es schon erstaunlich, Herr Bundesaußenminister, dass Sie bei den vielen Gelegenheiten, die es in den letzten Monaten gegeben hätte, nicht ein einziges Mal einen der Gäste auf der EXPO empfangen haben. ({10}) Vollends wirr, meine Damen und Herren, wird es aber bei der Balkanpolitik und der Rüstungsexportpolitik. In der Balkanpolitik haben Sie wahrscheinlich einen Preis dafür zahlen müssen, dass Sie am Anfang Ihrer Amtszeit bei einer nuklearstrategischen Frage schief gelegen haben, und hinterher nicht mehr aufmucken konnten, wenn andere Fehler gemacht haben. Das ist zum Beispiel bei der bedenklichen Entscheidung über die Zielauswahl der Fall gewesen mit dem Ergebnis unnötiger Zwangssolidarisierung des serbischen Volkes mit seinem Diktator. Früher hätten Sie, Herr Fischer, gesagt: Der deutsche Außenminister organisiert die Abdankung der Politik gegenüber dem Militär. Vollends wirr wird es in der Rüstungsexportpolitik. Da wird erst in einem großen Kraftakt einem NATO-Mitglied der Kandidatenstatus für die EU verschafft, einer politischen Union, die sich auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte festgelegt hat. Als Nächstes wird diesem NATO-Partner ein Spitzenprodukt deutscher Rüstungstechnologie zum Ausprobieren geliefert. Jetzt, wo sie das Ding ganz gerne hätten, und zwar gleich 1 000 Stück, wird das mit dem Hinweis auf die Menschenrechtssituation abgelehnt. Das geschieht, obwohl die militärische Stärkung der Südostflanke der NATO ein von der Bundesregierung abgesegnetes Ziel des Bündnisses ist, bei dem die Leoparden helfen könnten. Um noch eines draufzusetzen, wird die Lieferung einer Munitionsfabrik an die Türkei genehmigt. Zum Beispiel sind Gewehrkugeln in den kurdischen Bergschluchten menschenrechtspolitisch offenbar weniger brisant als Panzer. Diese Logik schmerzt. ({11}) Die gleiche Story könnte ich Ihnen über die Lieferung einer MOX-Anlage nach Russland erzählen. Auch hierbei sind die Widersprüche evident. Ich denke, man muss Verständnis für die Frage haben, die in der vergangenen Woche in der Zeitschrift „Die Woche“ gestellt worden ist, ob nämlich „der Eindruck eines radikalen Wandels nicht bloß ein oberflächlicher Befund ist. Ob Fischers Programm nicht schon immer das war, als was es heute kenntlich wird: Fischer. Ein Machtmensch, der sich beim Drang nach oben wechselnden Milieus anpasst, Abhängige und Bewunderer um sich schart und allein das tut, was ihm nützt.“ Zum Schluss möchte ich ein Wort zum Thema Österreich sagen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hoyer, ich bitte Sie, sich kurz zu fassen.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich, Frau Präsidentin. - Wir haben Ihnen einen Antrag vorgelegt, in dem wir das fordern, was die dänische Regierung sinnvollerweise sofort angekündigt hat. Die Bundesregierung sollte das Gleiche tun und sie sollte sich nicht scheuen zuzugeben, einen fatalen Fehler begangen zu haben. Ich glaube, es ist auch ein Zeichen von Souveränität, wenn man sich zu Fehlern bekennen kann und alles tut, um gegenüber dem österreichischen Volk einen solchen Fehler auszuräumen. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die PDSFraktion hat der Kollege Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Regel wird in der Außenpolitik über das Eigentliche, über das, worum es geht, immer eine weihevolle Soße ausgegossen. Dabei gibt es für das Eigentliche einen Begriff, der zwar nicht schön, aber klar ist: Interessen. Über Interessen will ich reden und über Interessen will ich streiten. Das deutsche Interesse umschreibt die Bundesregierung lieber als „europäische Werte“, „Menschenrechte“ oder „Bündnisverpflichtungen“. Mit diesen Argumenten hat sie sich am NATO-Krieg gegen Jugoslawien beteiligt, mit diesen Argumenten verficht sie die neue NATO-Strategie, die weltweite Interventionen selbst ohne UNOMandat erlaubt, und so werden auch Rüstungsexporte begründet. Ich habe mich oft gefragt, ob die Regierung nicht merkt, welch hässliches Bild sie so von Deutschland zeichnet: Krieg, Interventionsbereitschaft und Rüstungsexporte. Dafür erwartet sie noch einen Platz im Weltsicherheitsrat der UNO - absurd! Das sind aus meiner Sicht keine taktischen Differenzen oder Stilfragen, sondern grundsätzliche Gegensätze. Deswegen sage ich für meine Fraktion, dass ich mich in den beschworenen außenpolitischen Grundkonsens, den der Kollege Erler für alle Fraktionen dieses Hauses formuliert hat, nicht eingliedere und nicht eingliedern lasse. ({0}) Wir haben grundsätzliche Differenzen, die man so nicht überbrücken kann. ({1}) In der Koalitionsvereinbarung hieß es noch: „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik.“ Jetzt, zwei Jahre später, müsste es heißen: „Deutsche Außenpolitik sind die Interessen der deutschen Wirtschaft.“ Auf diese Linie hat Bundeskanzler Schröder beim Botschaftertreffen die Reform des diplomatischen Dienstes gebracht. Eine Reform ist sicher nötig, nur nicht so. Die Wirtschaft, so der Kanzler, habe den Anspruch auf „Geleitschutz durch die Politik“. Danach ist die Politik für die Wirtschaft Wegbereiter und Gefolgsmann zugleich. Umgekehrt wäre es richtig, das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft zu betonen. Die Diplomaten sollen sich, so Gerhard Schröder, „stärker als bisher für die Interessen der deutschen Wirtschaft einsetzen.“ Warum nicht für die Interessen der Künstler, der Kirchen, der Wissenschaftler, der Frauen, für die Interessen von Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen? ({2}) Warum sollen sich Diplomaten besonders für eine singuläre Gruppe einsetzen? Das Schlimme ist: Das ist die Grundphilosophie dieser Regierung - sich einsetzen für die Interessen der Wirtschaft. ({3}) Der Kanzler meint es so, wie er es ausgeführt hat. Der Außenminister meint das auch, wenn er die Botschaften auffordert, sich nach den Methoden der Wirtschaft umzubauen. Sie sollen Dienstleistungsunternehmen werden und PR-Arbeit machen. PR-Arbeit statt Goethe-Institute - das kommt dabei heraus, wenn man deutsche Interessen mit Wirtschaftsinteressen gleichsetzt. Das ist weder neu noch rot-grüne Politik; es ist im Grunde die gleiche Philosophie, die der berüchtigte Hermann Josef Abs verfolgte, als er sagte: „Was gut ist für die Deutsche Bank, ist gut für Deutschland“. Das mag für Rot-Grün inzwischen stimmen, für uns demokratische Sozialisten jedoch nicht. ({4}) Wir streiten dafür, dass in der deutschen Außenpolitik nicht nur die Interessen einer Gruppe eine Rolle spielen, sondern die aller. Mit den vielen, davon sind wir überzeugt, kommt man eher zu fairem Welthandel, friedlicher Konfliktlösung, partnerschaftlicher Kooperation und dazu, dass deutsche Außenpolitik tatsächlich Friedenspolitik wird. Die Bundesregierung hingegen bietet der Wirtschaft außenpolitischen Geleitschutz. Das wird beim Rüstungsexport auf den Begriff gebracht. Die nationalen Richtlinien zum Rüstungsexport hat die Regierung zwar verschärft, sie unterläuft sie aber gleichzeitig, indem sie den grenzüberschreitenden Interessen der Wirtschaft folgt. Sie engagiert sich für europäische Rüstungsabkommen, Rüstungsplanung und ein europäisches Rüstungskontor. Es geht um internationale Marktdominanz auch im Waffengeschäft. „Rüstungsexport ist gut“, Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, betitelte Ihre Wehrexpertin, Kollegin Wohlleben, knapp und präzise ihren Gastkommentar in der „Welt“ vom 7. September. ({5}) „Rüstungsexport ist gut“ - da kann man direkt Mitleid bekommen, wie sich die Rüstungslobby früher abmühen musste. Jetzt sagt man pauschal: Rüstungsexport ist gut. Rüstungsexport ist immer noch das Geschäft mit Krieg und Tod. Für uns reicht die NATO-Mitgliedschaft der Türkei eben nicht aus, um eine Munitionsfabrik zu exportieren. Menschenrechtsverletzungen begründeten für den Außenminister den Krieg gegen Jugoslawien. Menschenrechtsverletzungen in der Türkei gegen Kurdinnen und Kurden wiegen wohl zu leicht, um den Waffenexport zu stoppen. ({6}) Nicht die Orientierung an Menschenrechten werfen wir der Bundesregierung vor, sondern wir werfen ihr vor, dass sie damit opportunistisch umgeht. ({7}) Zusammengefasst heißt das, die Außenpolitik der Bundesregierung bewegt sich in dem Dreieck: Deutsche Wirtschaftsinteressen haben Vorrang - die Führungsrolle der USA wird nicht infrage gestellt - Alternativen zur NATO sind ein Tabu. Was ist an einer solchen Außenpolitik eigentlich noch rot? Was ist an einer solchen Außenpolitik eigentlich noch grün?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Gehrcke, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Im auswärtigen Haushalt - mein letzter Gedanke - werden zu wenig Mittel eingesetzt, die Frieden stiftenden Ansprüchen entsprechen könnten. Ebenso unbefriedigend sind die Mittel zur Förderung internationaler Organisationen, die Haushaltstitel für Konsulararbeit oder Gelder für Konfliktvorbeugung. Einer Außenpolitik, die auf einem solchen Grundkonsens, wie ich ihn beschrieben habe, beruht, verweigern wir demokratische Sozialistinnen und Sozialisten unsere Zustimmung. Ich danke sehr. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der gegenwärtige Präsident der Generalversammlung der Vereinten Nationen, Theo-Ben Gurirab, Außenministers Namibias, ({0}) hat an uns eine völlig berechtigte Frage gestellt. Gerichtet an die industrialisierte Welt fragte er: „Können wir ihnen vertrauen?“ Er meint damit diejenigen, die politische Verantwortung tragen. „Globalisierung“, sagt er, „wird von einigen als eine Kraft des sozialen Wandels gesehen, die die Kluft zwischen den Reichen und den Armen schließen hilft, zwischen dem industrialisierten Norden und dem sich entwickelnden Süden.“ Zugleich sagt er - ich finde, er hat Recht -: ({1}) „Aber Globalisierung wird auch gesehen als eine zerstörerische Kraft.“ Machen wir uns nichts vor: Aus dem Blickwinkel derer, die als Dritte Welt bezeichnet werden, ergibt sich diese Zwiespältigkeit der Globalisierung. Die stürmische Debatte über die Globalisierung hat schließlich die einzig wirkliche globale Institution der Welt, die es gibt, nämlich die Vereinten Nationen, jetzt auch erreicht. Was in Seattle geschehen ist, wird vielleicht demnächst auch in Prag geschehen, nämlich dass sich der Protest gegenüber den möglichen Folgeerscheinungen der Globalisierung jetzt endlich auch innerhalb der UNO in harten Debatten äußert, die, wie ich finde, dem Thema und den Problemen angemessen sind. Der Administrator des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen hat auf eine bedeutsame Trendverschiebung in dieser Debatte aufmerksam gemacht, die in den sich entwickelnden Ländern zu erkennen ist: Eine unabhängiger handelnde Weltwirtschaft wird nicht mehr rundweg abgelehnt. Nicht vergessen, lieber Kollege Gehrcke: Das sagen die Vertreter der Dritten Welt selbst. Sie wollen in die Weltwirtschaft einbezogen sein, sie wollen in der Weltwirtschaft anerkannt sein. Jetzt kommt es darauf an, dass wir mithelfen, die globalen Rahmenbedingungen so zu setzen, dass alle in der Tat Zugang zur Weltwirtschaft haben. Es soll nicht so sein, wie Sie es hier insinuiert haben, nämlich dass der Kapitalismus weltweit gesiegt hätte, sondern alle Menschen dieser Erde müssen über ihre Marktteilnahme die Chance haben, sich an den Reichtümern dieser Erde zu beteiligen. Das ist entscheidend. Ich finde es sehr wichtig, dass Bundeskanzler Schröder in der VN-Debatte genau auf diesen Punkt aufmerksam gemacht hat und dass der Außenminister und die Entwicklungsministerin ihn dabei unterstützt haben. Ich glaube, dass das deutlich macht, dass die Position der Bundesregierung in diesem Punkte sehr klar ist: Sie will mithelfen, dass die Länder der Dritten Welt aus der Verschuldungsfalle, in die sie hineingeführt worden sind, auch wieder herauskommen. Das ist einer der wichtigsten Bestandteile einer vernünftigen progressiven Politik. ({2}) Inklusion also, die Einbeziehung der Menschen der Dritten Welt, wird gefordert, damit alle ihre Fähigkeiten einbringen können und sich mit anderen Marktteilnehmern messen können. Kofi Annan hat diesen Grundgedanken ebenfalls aufgenommen. Gegen die Globalisierung zu argumentieren, sagt er, sei vergleichbar damit, gegen die Gesetze der Schwerkraft zu argumentieren. - Aber - das muss man hinzufügen - das darf nicht bedeuten, dass sie als Naturgesetz akzeptiert wird. ({3}) Im Gegenteil - das sagt Kofi Annan -: Wir müssen die Globalisierung zu einer Lokomotive machen, die Menschen aus der Not herauszieht, und nicht zu einer Macht, die sie niederdrückt. Das ist die Aufgabe, vor der die internationale Staatengemeinschaft steht. Der Millennium-Gipfel der Vereinten Nationen hat genau darauf aufmerksam gemacht. Ich bin stolz darauf, dass die Bundesregierung an diesem Punkte klargemacht hat: Sie stellt sich eindeutig auf die Seite derer, die an diesem fairen Wettbewerb der Nationen und der Fähigkeiten der Menschen teilnehmen wollen. Dieser entscheidende Punkt ist auf dem Millennium-Gipfel der Vereinten Nationen deutlich geworden. Mehr als 1 Milliarde Menschen müssen mit einem Einkommen von 1 Dollar pro Tag leben; ebenfalls 1 Milliarde Menschen, die zumeist zu der Gruppe gehören, die ich eben genannt habe, haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die Staats- und Regierungschefs haben sich bei dem Millennium-Gipfel verpflichtet, diese Zahlen bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Ist das etwa kein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit auf der Erde? ({4}) Ist das kein Beitrag, der deutlich macht, dass die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit den anderen Staatschefs das Problem dieser Erde sehr wohl erkannt haben? Bis 2015 soll auch für alle Kinder eine volle Primarschulbildung geschaffen werden. Außerdem haben sich die Regierungschefs darauf geeinigt und verpflichtet, bis zu diesem Jahr die Ausbreitung von Aids endlich zu stoppen. An dieser Agenda für die nächsten 15 Jahre müssen wir gemeinsam arbeiten, damit diese 1 Milliarde Menschen auf der Erde die Chance und eine Perspektive für wirkliches Überleben haben. ({5}) Dieser Millennium-Gipfel zeigt auch, dass sich die Vereinten Nationen wieder stärker auf ihre globale Verantwortung konzentrieren: Forum zu sein, Arena der Debatten, um Verständigung zu suchen, Wege aus den Gefahren zu finden, in die die Menschen sich gegenseitig bringen. Globale Verantwortung übernehmen heißt aber auch, die innere Reform der Staatengemeinschaft vorantreiben, um institutionell leisten zu können, was programmatisch versprochen wird. Dazu gehört auch die überfällige Reform des Sicherheitsrates. Der Bundeskanzler hat dies in New York klar ausgedrückt. Wir danken ihm dafür. Ich füge hinzu: Ich finde es angemessen, dass der Sicherheitsrat in einer fairen Weise reformiert wird. Wenn sich alle Länder der Erde an Entscheidungen beteiligen können, dann darf die Bundesrepublik Deutschland nicht beiseite stehen. ({6}) Es ist gut zu wissen, dass der Bundeskanzler, der Außenminister und die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit dabei deutlich gemacht haben: Die Bundesrepublik Deutschland wird ihren Beitrag zur weltweiten sozialen Gerechtigkeit leisten und dafür eintreten, dass aus der Welt, wie sie ist, ein besserer Platz zum Leben für alle Menschen dieser Erde werden kann. Denn - so haben Gerhard Schröder, Tony Blair, Wim Kok und Göran Persson in ihrem Manifest geschrieben -: Wir können den Wandel nicht aufhalten, aber wir können ihn so gestalten, dass er nicht nur wenigen nutzt, sondern vielen. Was könnte man dem hinzufügen? Der Millennium-Gipfel war zu Beginn eines neuen Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung ein Moment des Innehaltens. Trotz aller seiner inneren Konflikte kann der Westen bilanzieren: Der materielle Reichtum der industrialisierten Nationalstaaten ist in ungeahnte Höhen gestiegen. Die Systemkonkurrenz ist mit dem Ende der organisierten Verantwortungslosigkeit der kommunistischen Diktatur beseitigt worden. Die meisten der neu entstandenen Transformationsländer haben sich entschieden, sich in den modernisierenden Sog der Europäischen Union zu begeben. Was die Dritte Welt genannt wurde, gruppiert sich neu, wird vielgestaltig, sucht eigene Wege, Tradition und Moderne miteinander zu verbinden, wie Thabo Mbeki mit seiner „afrikanischen Renaissance“. Sollte einst der Westen - über diesen Punkt sollten wir einmal gemeinsam diskutieren - seine Errungenschaften selbst gefährden, dann, weil er die Warnzeichen übersehen hat. Eines der Warnzeichen, das leicht übersehen werden kann, ist der Unilateralismus. Die neokonservative Revolution in den USA dominiert das Mehrheitsverhalten der Legislative in den USA. In der Tat: Im Augenblick ist kein ernsthafter Herausforderer der USA zu erkennen nirgendwo. Dies darf aber nicht dazu führen, dass sich die USA von ihrer multilateralen Verantwortung verabschieden. Ich finde es gut, dass der amerikanische Präsident Bill Clinton gegen Ende seiner Präsidentschaft deutlich gemacht hat: Für die USAmacht es künftig nur Sinn, mit den anderen Staaten kooperativ zusammenzuarbeiten, wenn die USA diesen wesentlichen Grundzug akzeptieren, der auch schon für die Politik bezüglich Deutschland bestand. Multilateralität ist ein Gut, auf das niemand verzichten darf. Selbst - wie wir heute in der „Süddeutschen Zeitung“ sehr ausführlich nachlesen konnten - wenn die USA heute die letzte übrig gebliebene Großmacht der Erde sind, dann zeigt sich ihre Kooperationsfähigkeit in ihrer Bereitschaft, auf unilaterale Schritte zu verzichten. Deswegen begrüßen wir es, dass das National-Missile-Defense-Projekt wenigstens zeitweilig beiseite gelegt worden ist. Ich wünsche mir sehr, dass der neue amerikanische Präsident und der neue amerikanische Kongress eben an jener multilateralen Tradition der USA festhalten und sie gemeinsam mit uns, mit Europa und mit allen anderen Staaten dieser Erde weiterentwickeln. ({7}) Die Aufrüstungstendenzen sind bisher nicht abgeklungen. Im Gegenteil: Wenn wir nach Asien blicken - ob es der Konflikt zwischen Indien und Pakistan oder andere Konflikte sind -, dann erkennen wir sehr wohl selbstzerstörerische Kräfte. Die europäische Erfahrung der letzten 25 Jahre zeigt klar - wir sollten aber nicht so tun, als ob wir besser seien oder alles besser wüssten als andere -: Kooperativ zu sein ist immer besser als Konfrontation. Wir müssen versuchen zu erreichen, dass die Staaten den anderen Staaten gute Nachbarn sind. Es kommt entscheidend darauf an, das Neue zuerst zu denken und dann das Neue zu tun. Das ist das große Erbe von Willy Brandt. Ich bin stolz darauf, dass die Bundesregierung mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem Außenminister Joschka Fischer die deutschen Interessen in dieser Tradition international wahrt und durchsetzt. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Peter Hintze, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tatsache, dass sich in diesem Moment auf Einladung des Bundestagspräsidenten ein riesiger Pulk von Journalisten im Innenhof des Reichstags um den Erdtrog von Herrn Haacke versammelt, könnte davon ablenken, dass es hier im Plenarsaal um die eigentlich wichtigen Dinge geht: um die entscheidenden Zukunftsfragen Europas und um entscheidende Diskussionen des Deutschen Bundestages. Ich denke, wir, die wir hier im Plenarsaal zusammengekommen sind, sollten uns diesen Fragen widmen. ({0}) Denn Europa steht zurzeit an einem Scheidepunkt. Sowohl die interne EU-Reform als auch die Erweiterung haben eine kritische Phase erreicht. Es ist wichtig, dass wir uns darüber austauschen. ({1}) Die CDU/CSU-Fraktion will den Erfolg der beiden europäischen Projekte. Wir wollen eine Reform, die die EU handlungsfähiger, demokratischer und bürgernäher macht, und wir wollen, dass die Erweiterungsverhandlungen einen großen Sprung nach vorne machen. EU-Kommissar Günter Verheugen hat die Bundesregierung mit seinem Vorschlag einer Volksabstimmung zur Osterweiterung in erhebliche Unruhe versetzt. - Der Außenminister hat in diesem Zusammenhang Mao Tsetung zitiert; ich weiß nicht, ob das im Plenum richtig angekommen ist. ({2}) - Herr Fischer, Sie haben Ihren Mao nicht richtig gelesen. Hier geht es jetzt um Europa. ({3}) Jedenfalls hat Herr Verheugen mit seiner Intervention den Finger auf eine offene Wunde gelegt. Die Bundesregierung verhält sich in der Frage der Osterweiterung der Europäischen Union ausgesprochen zurückhaltend. ({4}) Sie begibt sich in einen ressortinternen Clinch zwischen dem Außenminister und dem Finanzminister, der vor einigen Tagen erklärt hat, eigentlich sei er zuständig und nicht der Außenminister. Kollege Lamers hat dies schon angesprochen. ({5}) Es wurde zudem darauf hingewiesen, dass die Gefahr besteht, dass die Überwindung der europäischen Teilung auf die lange Bank geschoben wird. Die Kandidatenländer fragen sich, ob sie überhaupt noch erwünscht sind. Hinzu kommt, dass die deutsche Öffentlichkeit durch die überzogene Ausweitung des Kreises potenzieller Kandidaten irritiert und alarmiert wurde. Herr Außenminister, ich will dazu etwas aus Sicht des Parlaments sagen: Die Bundesregierung betreibt in der Frage der Erweiterung eine Geheimdiplomatie, die der Sache nicht gut tut. Weder die Öffentlichkeit noch der Deutsche Bundestag - auch nicht dessen Ausschüsse - erfahren ausreichend über den Stand der Verhandlungen. Wir haben hier im Parlament bisher kein vollständiges Verhandlungsergebnis vorgelegt bekommen. Die Erweiterung wird nur dann ein Erfolg, wenn wir diese Fragen mit der Öffentlichkeit diskutieren und die kritischen Punkte ansprechen und wenn daraus keine Geheimveranstaltung der Bundesregierung gemacht wird. ({6}) Die großen politischen und ökonomischen Chancen der Osterweiterung der EU und der Gewinn an Stabilität für alle Beteiligten dürfen nicht verspielt werden. Ich sage hier für die CDU/CSU-Fraktion klipp und klar Ja zur Osterweiterung. Dies ist eine politische, ökonomische und moralische Aufgabe für uns. ({7}) Wir müssen die Osterweiterung gründlich vorbereiten. Wir haben in diesem Zusammenhang eine Große Anfrage eingebracht. Wir müssen darüber öffentlich diskutieren. Auch dazu soll unsere Anfrage eine Grundlage sein. Denn es muss mit den Menschen im Lande eine breite öffentliche Diskussion über die Ängste und Sorgen, aber auch über die großen Chancen im Rahmen des Erweiterungsprozesses eingeleitet werden. ({8}) Ein demokratischer Rückschritt wäre allerdings die Aufnahme von Volksabstimmungen in unser Grundgesetz. Ich finde es positiv, dass sich der Bundesaußenminister mittlerweile von seinen ehemaligen Radikalpositionen entfernt hat. Es haben sich ja einige aufgeregt, dass er heute anders spricht als früher. Ich bin sehr beruhigt; das muss ich Ihnen sagen. Denn wenn er so handeln würde, wie er früher gesprochen hat, müssten wir sagen: Gute Nacht, Deutschland! Dies wäre schrecklich. Er hat gesagt, dass man über Grundsatzfragen, darüber, ob Polen aufgenommen werden soll oder nicht, keine Volksabstimmung durchführen kann. Er hat ja nicht völlig Unrecht. Nur, zu unterscheiden, bei welchen Fragen eine VolksabstimWolfgang Gehrcke mung möglich ist und bei welchen nicht, ist sehr unerquicklich. Ich sage eines klipp und klar: Für mich bedeutet die Diskussion, die jetzt von der linken Seite des Hauses - in Wiedererweckung eines alten Politzombies - angestoßen worden ist, einen demokratischen Rückschritt. Warum? Was ist das Hauptargument für die repräsentative Demokratie? ({9}) Die Welt wird zunehmend komplizierter und komplexer, und alle politischen Entscheidungen sind im Zusammenhang zu verstehen: Wofür gibt man das Geld aus? Welche Bündnisstrategien geht man ein? Welche Entscheidungen trifft man? Nur die repräsentative Demokratie hat die Stärke, die Komplexität der Entscheidungen entsprechend aufzunehmen. Damit sind wir sehr weit gekommen; das sollten wir nicht aufs Spiel setzen. ({10}) Der Bericht der Drei Weisen zur innenpolitischen Situation in Österreich kaschiert nur mühsam den großen Fehler der übrigen EU-Staaten, Österreich mit erhobenem Finger auszugrenzen. Durch die Sanktionen gegen Österreich wurde nämlich die Gefahr erhöht, die zu bekämpfen sie vorgaben, und das europaweit. Das ist ein schwerwiegender Fehler, den sich auch unsere deutsche Bundesregierung zurechnen lassen muss. ({11}) Im Übrigen: Das, was die Weisen ermittelt haben, spricht für ihre Weisheit und wäre den beteiligten Regierungen schon durch oberflächliche Zeitungslektüre deutlich geworden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Hintze, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gernot Erler?

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ja.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hintze, Sie haben soeben den Bericht der Drei Weisen angesprochen. Haben Sie die Ziffer 115 dieses Berichtes zur Kenntnis genommen? Dort heißt es: Die Maßnahmen der XIV Mitgliedstaaten der EU haben nicht nur in Österreich, sondern auch in den anderen Mitgliedstaaten das Bewusstsein für die gemeinsamen europäischen Werte gestärkt. Es kann kein Zweifel bestehen, dass im Falle Österreichs die von den XIV Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen die Anstrengungen der österreichischen Regierung verstärkt haben. Der Absatz schließt: Sie haben auch die Zivilgesellschaft motiviert, diese Werte zu verteidigen. ({0}) Würden Sie zugeben, dass das eigentlich ein Beleg dafür ist, dass die 14 Staaten richtig gehandelt haben, jedenfalls nach dem Bericht der Drei Weisen? Das ist das Gegenteil von dem, was Sie hier behaupten.

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es schädigt nicht die Qualität eines Berichtes, wenn nach 114 richtigen Sätzen einmal ein falscher kommt, Herr Kollege Erler. ({0}) Ich will noch einen ernsten Punkt hinzufügen. Der Bundesaußenminister hat immer argumentiert, dass gerade wir Deutsche, obwohl Österreich unser Nachbar ist und wir wissen, wie zuverlässig er ist, gar nichts anderes hätten machen können als die anderen. Ich muss sagen, ich empfinde es als besonders peinlich, dass wir als ein Land, das in seinen Bundesländern zum Teil mit üblen rechtsradikalen Ausschreitungen zu kämpfen hat, diese Zeigefingerkoalition gegen Österreich angeführt haben. Ich finde das peinlich. ({1}) Ich hoffe, dass die Bundesregierung jetzt den Schaden rasch wieder gutmacht. Dabei ist eines beachtlich: Uns wurde im Parlament immer vorgetragen, es handele sich nicht um eine Maßnahme der EU - das stimmt ja auch, dafür gibt es keine Rechtsgrundlage -, sondern um bilaterale Maßnahmen der 14 anderen EU-Mitglieder. Was sagte die Regierungssprecherin gestern aber auf die Frage, ob Deutschland nun die Sanktionen einstellen wird? Sie antwortete, das werde die französische Präsidentschaft entscheiden. Meine Damen und Herren, was ist das für eine Logik? Entweder ist es eine Sache der EU, dann ist das eine klare Vertragsverletzung, oder es ist unsere Sache, dann dürfen wir nicht auf die französische Präsidentschaft verweisen. In dieser Frage wird ziemlich schräg gespielt. ({2}) Alle Kraft muss jetzt der Weiterentwicklung in der Europäischen Union gelten. Wir haben interessante Gedanken vom Herrn Außenminister in seiner Eigenschaft als Joseph Fischer an der Humboldt-Universität gehört. Ich fand den Vortrag - ich will das hier noch einmal sagen durchaus interessant. Er hat eine Diskussion in Europa angestoßen und an dieser Diskussion beteiligen wir uns. Ich freue mich, dass er jetzt ganz ungebrochen von einem Verfassungsvertrag spricht. Das ist eine Idee, die Wolfgang Schäuble und Karl Lamers in Deutschland gegen nicht geringe Widerstände in die politische Diskussion gebracht haben. Aber, lieber Herr Bundesaußenminister, bis jetzt wächst in mir die Befürchtung, dass diese Rede ein rein rhetorisches Ereignis blieb. Ich habe nichts gegen gute Reden, aber für die praktische Politik ist es schade, wenn einer guten Rede nicht gute Taten folgen. Die Regierungskonferenz tritt auf der Stelle. In den zentralen Fragen der Weiterentwicklung Europas - denken wir beispielsweise an die Mehrheitsentscheidung - ist die Konferenz ein halbes Jahr lang über kreative Vorschläge nicht hinausgekommen. Auch die Beitrittsverhandlungen kommen nicht so recht voran. Was wir heute in dieser Debatte beklagen, ist, dass diese Bundesregierung - da ist sie seit vielen Jahren und Jahrzehnten übrigens die erste - als europäischer Motor ausfällt. ({3}) Für uns sind die Prioritäten in der laufenden Regierungskonferenz klar: Wir wollen Mehrheitsabstimmungen im Rat als Regel. Wir wollen die Stärkung der Demokratie durch eine Stärkung des Europäischen Parlamentes und durch die bessere Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen in den Institutionen der EU. Ich nenne hier nur die Stichworte „größere Proportionität im Europäischen Parlament“ und „Einführung der doppelten Mehrheit bei Abstimmungen im Rat“. Wir wollen mehr Flexibilität vor allen Dingen in der Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspolitik und eine präzisere Aufgabenverteilung zwischen europäischer und nationaler Ebene. Schließlich wollen wir keine „leftovers“ der „leftovers“ von Amsterdam. Diese müssen jetzt geregelt werden. Aber wir wissen heute, dass es natürlich „leftovers“ von Nizza geben wird. Sie haben erfreulicherweise schon gesagt, dass Sie sich dazu bekennen: Kompetenzabgrenzung, Grundrechte-Charta, Weiterentwicklung und Vereinfachung der Verträge und die Reform des Rates. Nun komme ich zu einem Punkt, den ich langfristig für sehr entscheidend halte. Wenn wir uns fragen, welche Institution in Brüssel am stärksten für Intransparenz, geringe demokratische Legitimation und große Bürokratie verantwortlich ist, dann ist das der Rat. Der Ministerrat ist so, wie er sich im Laufe der Jahre entwickelt hat, eine Fehlkonstruktion, die es zu korrigieren gilt. ({4}) Ich will die kritischen Punkte nennen: Erstens. Der Rat ist Legislative, Exekutive und Kontrolleur der Exekutive zugleich. Das bedeutet eine massive Verletzung der Gewaltenteilung; parlamentarische Beteiligung und öffentliche Kontrolle sind nicht gesichert. Deswegen müssen wir das reformieren. Der Rat sollte sich zur zweiten Kammer der Legislativen entwickeln. Die Aufgaben der Exekutive müssen bei der Kommission zusammengefasst werden. Zweitens. Die innere Struktur des Ministerrates ist streng nach Fachressorts aufgesplittert. Das führt zu unsinnigen Entscheidungen. Da macht der Rat der Landwirtschaftsminister einen großen Beschluss zur Förderung des Tabakanbaus in Europa, und der Rat der Gesundheitsminister stellt EU-Mittel zur Verfügung, um die Menschen vom Tabakrauchen abzubringen. ({5}) Diese Unsinnigkeit ist nur ein kleines Beispiel. Das muss aufgehoben werden. Das geht nur, wenn die ursprüngliche Idee des Allgemeinen Rates aktiviert wird, wenn er in einer festen Zusammensetzung von Europaministern tagt, die ihrer Regierung tatsächlich verantwortlich sind, und wenn der Rat seine parlamentarischen Funktionen wahrnimmt und seine exekutiven Funktionen abgibt. Drittens. Die Arbeitsweise des Rates ist überbürokratisiert. Es gibt über 300 Ratsgruppen auf Beamtenebene und mehrere Hundert Gruppen auf Kommissionsebene. Die Folge ist null Transparenz und eine zweifelhafte Legitimation. Wer gibt politische Vorgaben? Wer übernimmt politische Verantwortung? Der Rat muss politischer und parlamentarischer arbeiten. Das ist eine mittel- und langfristige Aufgabe, aber das müssen wir bei der Reform der Institution angehen. Lassen Sie mich nun ein Thema ansprechen, das die Menschen in Deutschland massiv beschäftigt und bei dem der in New York jüngst hochdekorierte Bundeskanzler, der Sachen ja auch richtig macht, einen groben Fehler gemacht hat. Es geht um die Frage des Außenwertes des Euro und der - wenn man dieses Wort überhaupt verwenden kann - politischen Begleitung durch die Bundesregierung und durch den Herrn Bundeskanzler. Wir alle wissen, dass die D-Mark auch in früheren Zeiten gegenüber dem US-Dollar eine Schwankungsbreite hatte. Wir wissen, dass die Kaufkraft der Währung im Inland von solchen Schwankungen des Außenwertes zunächst einmal nicht betroffen ist. Dennoch dürfen wir die negativen Folgen eines nach außen dauerhaft schwachen und eines vor allen Dingen immer schwächer werdenden Euros - die Bewegung geht ja nach unten - nicht unterschätzen. Hohe Preise für Importe werden sich früher oder später auch in der Inflationsrate bemerkbar machen. Wer vor dem Winter Heizöl einkauft oder heute seinen Wagen voll tankt, der zahlt einen guten Teil des hohen Preises: einmal wegen der Ökosteuer - das ist jetzt aber nicht Thema - und zum Zweiten wegen des schwachen Euro. In einer solchen Situation muss sich die Bundesregierung bei ihren Äußerungen wirklich zurückhalten. Sie darf auf keinen Fall die falschen Signale setzen. Wenn der deutsche Bundeskanzler - wie vor wenigen Tagen im Fernsehen weltweit übertragen - verkündet, es sei eigentlich eine gute Sache, dass der Euro schwach wird, dann muss man sich nicht wundern, wenn die internationalen Devisenmärkte darauf reagieren und den Euro purzeln lassen. Das halte ich für einen schwerwiegenden Fehler des deutschen Bundeskanzlers. ({6}) Jetzt versucht Herr Eichel, den politischen Weichspülgang, den Herr Schröder eingelegt hat, wieder auszuschalten. Es ist eine Frage, wer von beiden gewinnt. Der Schaden für uns, für Deutschland, für die Bürger, ist schon eingetreten. Kollege Hoyer hat auf das Referendum in Dänemark hingewiesen. Da geht es um die Frage, ob die Dänen der Einführung des Euro zustimmen. Es wäre fatal, wenn diese Entscheidung negativ ausfiele. Natürlich kann der deutsche Bundeskanzler mit seinen Ausführungen den Euro jetzt nicht wieder ganz schnell hoch treiben. Das wäre ja eine wunderbare Sache. Er hat ihn aber mit seinen Redereien heruntergeholt. Das finde ich sehr negativ. ({7}) Vor diesem Hintergrund kann ich gut verstehen, dass der Präsident der EZB, Herr Duisenberg, der letzten Konferenz der EU-Finanzminister fern geblieben ist. Da hat es eine große Aufregung der Finanzminister gegeben. Er hat damit das klare Signal gesetzt, dass die Europäische Zentralbank - so wie in den Verträgen verankert - ihre Unabhängigkeit verteidigt und sich nicht an den Zügel der Finanzminister oder der Kanzler legen lässt. Das ist eine gute Sache. Er hat damit ein Zeichen der Unabhängigkeit gesetzt. ({8}) Zum Schluss noch einen Gedanken: Einen Beschluss haben die Finanzminister im Ecofin-Rat gefasst, den ich nicht verstehe und über dessen Korrektur noch einmal diskutiert werden muss. Es geht um die Frage, wann die Bürgerinnen und Bürger im Land das Euro-Bargeld bekommen. Meiner Meinung nach ist es ein Fehler, sich zu weigern, den Menschen vor dem 1. Januar 2002 den Umtausch zu ermöglichen. Es würde die Umtauschprozedur erheblich entkrampfen, wenn wir nicht alles auf den 1. bzw. 2. Januar 2002 konzentrieren - das ganze Bankensystem droht dann zusammenzubrechen -, sondern wenn wir den Menschen Gelegenheit geben, den Euro schon vor 2002, im Dezember 2001, in die Hand zu bekommen. Hier sollten die Finanzminister noch einmal nachdenken. Das ganze Umtauschverfahren, der Einsatz der neuen Geldscheine würden erleichtert, wenn die Finanzminister sagen: Jawohl, wir machen es möglich, dass das Geld bereits im Dezember 2001 umgetauscht wird. Europa ist nicht nur eine Sache von Mark und Pfennig und von Euro und Cent. Gerade mit dem Geld muss man aber behutsam umgehen, wenn man die Europabereitschaft der Menschen im Lande stärken will. Dazu fordere ich die Bundesregierung auf. Schönen Dank. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat nunmehr für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Kollege Dr. Helmut Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoyer, vielleicht befriedigt es ja den ehernen Zensor - wie Sie hier vor uns standen -, wenn ich Ihnen mitteile, dass der Außenminister am 20. September auf der EXPO am Nationalitätentag der baltischen Länder teilnimmt, dass er dort die baltischen Außenminister empfängt, dass er am 18. Oktober - das ist dann mehr für Ihre Nachbarfraktion - sogar den Außenstaatssekretär des Vatikans auf der EXPO empfängt. ({0}) Es ist ja schön, dass Sie den Kalender unseres Außenministers so genau studieren. Sie sollten dann allerdings bei der Wiedergabe nichts weglassen. ({1}) Lassen Sie mich - bei allem Streit - damit beginnen, dass wir natürlich alle darin übereinstimmen, dass wir uns zusammen mit der Göttinger Bevölkerung sehr darüber freuen, wenn sich die Familie Wallert heute in ihrer Heimatstadt wieder vereinigt. ({2}) Vielen ist dafür zu danken, auch dem libyschen Vermittler, der immer wieder den Weg und die Kontakte zu den Entführern fand, aber in diesem Zusammenhang insbesondere auch und für uns natürlich den Beamten und der leitenden Ebene des Auswärtigen Amtes. Denn wer die lange und zermürbende Geschichte dieser Geiselhaft verfolgte, der weiß, dass an manchen Punkten Entscheidungen sehr schnell hätten zu Katastrophen führen können. Dass solche Klippen umschifft wurden, ist auch der Besonnenheit der beteiligten Diplomaten zu verdanken. ({3}) Und nun zum Streit. Sie wären natürlich eine ganz schlechte Opposition, wenn Sie nicht in den Wunden der Koalition herumbohren würden. Natürlich - das liegt ja auf der Hand - mussten Sie über die Widersprüche in der Rüstungsexportpolitik sprechen. ({4}) Nur, die Fronten sind doch ganz klar: Haben wir vonseiten der CDU - von der CSU muss ich gar nicht sprechen oder zumindest von den Liberalen jemals eine Unterstützung unserer Standpunkte gefunden? Nie, hingegen von einem großen Teil der SPD sehr wohl. Deshalb bleiben wir bei unseren Grundsätzen. Darüber müssen wir nun wirklich diskutieren. Wir bleiben erstens dabei, dass Rüstung kein beliebiges Wirtschaftsgut ist, sondern ein sehr spezielles Gut, dessen Export häufig in Form von Kriegen und Bürgerkriegen in den Empfängerländern auf uns zurückschlägt. Zwei Drittel der Rüstungsexporte - sie steigen im Moment global wieder - gehen auch heute noch in Länder der Dritten Welt. ({5}) Bekennen Sie sich zu dem Spruch Ihrer Partei und Ihres Altbundeskanzlers: „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen!“ Arbeiten Sie mit uns zusammen an einer klaren Restriktion des Rüstungsexports! Dann können wir über diesen Punkt wieder reden. ({6}) Zweiter Punkt. Es ist doch ganz klar, dass bei Rüstungsproduktion das ökonomische Gesetz der Preisverbilligung durch große Serien nicht gelten kann, dass bei restriktiver Rüstungsexportpolitik Rüstung auch teurer sein kann, als sie bei ungehindertem Export wäre. Drittens. Wir haben in der Koalition Rüstungsexportrichtlinien vereinbaren können, über deren Einhaltung wir immer wachen werden. Dann haben wir eben die Konflikte, an denen Sie sich weiden. Aber das Problem ist für uns ein noch größeres als das Abschalten der Atomkraftwerke. Auch das müssen Sie sehen. Wenn Sie an der Jahrhundertarbeit der globalen Reduzierung und letztlich des Verbots von Rüstungsexporten mitarbeiten, dann sollten Sie hier nicht so eine alberne Tanzerei machen. Vor allem aber sollten Sie bei meinem vierten Punkt helfen. Wir brauchen hier im Parlament mehr Transparenz auf diesem Gebiet. ({7}) Mein letzter Punkt. Wir werden uns von den Rüstungsexportfans in Ihren Reihen nie das Stöckchen hinhalten lassen, wann die Frage einer Koalitionskrise oder gar eines Koalitionsbruchs ansteht. Das bestimmen immer noch wir. Einmal stand sie an, und wir sind sehr froh, dass wir dieses Problem gelöst haben. ({8}) Sie sagen jetzt, Gewehre seien doch noch gefährlicher als Panzer. Ja, aber nicht jede Frage wird gleich eine Koalitionsfrage. Das wissen Sie ganz genau. Lieber Herr Lamers, jetzt komme ich auf ein anderes Ihrer Lieblingsthemen. Jetzt komme ich auf Österreich. Ich höre immer von Sanktionen. Ich habe auch gehört, es sei ausgegrenzt worden. Aber was ist denn verabredet worden? Von den Regierungen der beteiligten Mitgliedsländer ist ein Verhaltenskodex verabredet worden, nicht Sanktionen im normalen Sinne dieses Wortes. Wer den Bericht der Drei Weisen liest - ich habe den Eindruck, Sie haben ihn überhaupt nicht gelesen -, ({9}) der findet hinreichend Anlass zu sagen: Dieser Krach war nötig. Wenn erstmalig eine klar fremdenfeindliche Partei in eine Koalitionsregierung eintritt, dann bedarf das allerdings einer Reaktion. ({10}) In Ergänzung des Kollegen Erler lese auch ich etwas vor. Was fordern die Drei Weisen? Wir fordern die Entwicklung eines „Präventiv- und Überwachungsverfahrens ... innerhalb der EU“, um auf Entwicklungen innerhalb von EU-Mitgliedstaaten angemessen reagieren zu können. - Hier wird gesagt: Natürlich muss auf solche Sachen reagiert werden. Wir stellen jetzt fest, dass bei diesem ersten Mal eine Exit-Strategie fehlte. ({11}) Deshalb ist der Bericht der Drei Weisen ein sehr nützliches Instrument. Die beteiligten Regierungen, denke ich, haben einen sehr nützlichen Konflikt geführt. ({12}) - Wer geht denn hier rein? Noch eine Bemerkung zum Thema Volksabstimmung. Herr Hintze, Sie waren mit Ihren Worten gar nicht so weit von mir entfernt. Aber so allgemein geht es nicht. Deshalb noch einmal: Volksabstimmungen - das vertreten wir - sind in Fragen des „national destiny“, in Fragen des Schicksals der Nation abzuhalten. Volksabstimmungen über andere Länder, über Nachbarn sind reine Arroganz. Das war der Fehler dieser Äußerung. Ihn hat Herr Verheugen selber eingesehen. Er hat die berühmte Äußerung gemacht, dass ihm jedes Jahr einmal ein Flop passiert. Gut, damit ist dieses Thema erledigt. Jetzt kommen wir zu den Verhandlungen über den Haushalt. Dabei sage ich in Richtung von Herrn Hoyer und Herrn Lamers: Ich habe mir einmal die Aufstellung geben lassen. Es geht um den Anteil des Einzelplans 05 am Gesamthaushalt. Ich kann Ihnen sagen, dass der Anteil seit 1980 von damals 0,93, glaube ich, auf etwa 0,7 Prozent gesunken ist. Herr Hoyer, Sie waren doch damals selber in der Exekutive. Ich bilde mir ein, ich hätte im Ausschuss immer angeboten, dass wir die Interessen des Auswärtigen Amtes gemeinsam vertreten. Diese billigen Sachen habe ich mir nicht geleistet. Was ist passiert? Nach 16 Jahren, in der Ihre Fraktionen ihre Regierung nie verteidigt haben, wenn der Haushalt des Einzelplans 05 als Sparbüchse benutzt wurde, kommen Sie jetzt und verlangen in dem ersten Jahr, in dem eine Konsolidierungspolitik dringend nötig ist und gemacht werden muss und bei der der Vizekanzler weiß, dass er solidarisch mitmachen muss, er solle seinen Bereich nicht im Stich lassen. Nein, der richtige Kampf beginnt erst jetzt. Ich bedanke mich für Herrn Lamers und Herrn Hoyers Anmerkung, dass wir da zusammenarbeiten können. Okay, das Angebot habe ich umgekehrt auch immer gemacht. Jetzt werden wir das Auswärtige Amt stärken. Damit Sie sehen, dass wir das durchaus anders sehen können, dass wir auch als Regierungspartei durchaus etwas zu bemängeln haben, hatte ich mir einige Sachen notiert, die Herr Erler vorweggenommen hat. Ich sage noch einmal: Es ist natürlich eine sehr fiskalische und von Außenpolitikern überhaupt nicht zu billigende Sache, wenn im Zusammenhang mit der generellen Zusage zum Stabilitätspakt jetzt wieder etwas in die Länge gezogen wird und auch ein bisschen fehlt. Das können wir uns nicht bieten lassen. Darin sind wir uns, glaube ich, völlig einig. ({13}) Ich sage noch eines: Die Kosten des Stabilitätspakts, für vier Jahre finanziert durch eine Finanzierungszusage, sind geringer, als die EXPO in einem halben Jahr im Moment an Defiziten produziert. Das ist sehr viel weniger. Wir hätten ganz nebenbei für den Stabilitätspakt noch mehr Geld übrig, wenn wir das hätten. Beim zweiten Punkt ist es genau dasselbe. Es ist natürlich völliger Unsinn, wenn das Finanzministerium, nachdem wir die Mittel für Frieden schaffende Konfliktbewältigung durch ein parlamentarisches Verfahren um 20 Millionen DM aufgestockt haben, jetzt kommt und sagt: Wir gehen von unserem Entwurf für 2000 aus und erklären die damalige Aufstockung zu einer einmaligen Sache. Nein, das war nicht einmalig. Hier wird eines der wichtigsten Instrumente zukünftiger Außenpolitik aufgebaut. Deshalb erwarte ich dringend vom Finanzministerium, dass diese Mittel verstetigt werden und wir beim nächsten Mal nicht wieder ein parlamentarisches Verfahren anwenden müssen, sondern dass es vom Finanzministerium selbst kommt. Die Klingel hat geläutet. Herr Präsident, Sie haben Recht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Sie haben zu dem üblichen Mittel gegriffen und das rote Licht durch Ihr Manuskript verdeckt. Deswegen die Klingel. ({0})

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bedanke mich, Herr Präsident. Ich möchte gern noch den Hinweis machen, dass in 14 Tagen eine für uns unglaublich wichtige Wahl stattfindet, bei der es sich um das Schicksal einer Nation handelt und bei der wir den Demokraten Jugoslawiens sagen müssen, dass natürlich im Falle, dass sie sich durchsetzen - worauf wir alle hoffen - die Sanktionen aufgehoben werden und der Dialogprozess sofort wieder beginnt. Dies alles noch einmal zu sagen halte ich für wichtig. Ansonsten bekommen wir ganz schwierige Verhältnisse, zum Beispiel in Montenegro. Folglich wird der Finanzminister auch die nötigen Mittel für das eine wie für das andere finden müssen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe für die F.D.P.-Fraktion dem Kollegen Professor Dr. Helmut Haussmann das Wort.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der zweite Teil der Debatte gehört der Europapolitik. In meiner knappen Redezeit will ich sagen: Für einen überzeugten Europäer ist die Halbzeitbilanz dieser Regierung leider sehr enttäuschend. Ich mache es an drei Punkten deutlich. Erstens. Über Österreich hinaus leidet das traditionell gute Verhältnis Deutschlands zu den kleinen Staaten, das von uns immer gepflegt wurde. Die baltischen Staaten, die Volksabstimmung in Dänemark zeigen: Die Sanktionen gegen Österreich haben in kleinen Ländern zu der Erkenntnis geführt, dass sich ein großes Land mit einer besonderen Verantwortung für Österreich nicht nur hinter Frankreich, sondern auch hinter Parteipolitik der Sozialisten und der Grünen in Europa versteckt hat und damit einen Weg gegangen ist, der uns viel Zeit gekostet hat, der zu durchschnittlichen Ergebnissen der portugiesischen Präsidentschaft beigetragen hat und der weiter Zeit kosten wird. Herr Außenminister, Sie stehen heute vor dem Parlament. Sie müssen vor dem Parlament heute noch erklären, ob Sie eine Aufhebung der Sanktionen aus Sicht der Bundesregierung für richtig halten. Das wollen wir vor Ihrem Abflug wissen. ({0}) Zweitens. Das Vertrauen in Deutschland als Anwalt Osteuropas ist inzwischen leider gestört. Gerade am heutigen Tag ist dies äußerst bedauerlich. Schon die Agenda 2000 in Berlin hat in den Finanzierungsfragen für Kenner klar gezeigt, dass die Aufnahme Polens im Bereich Agrar nicht finanziert ist ({1}) und der verbindliche Fahrplan nach wie vor nicht vorliegt. Es geht nicht, Herr Außenminister, um den detaillierten Beitrittstermin von Polen, Ungarn oder anderen Staaten, aber es geht um eine Entscheidung der Bundesregierung, um einen Fahrplan, unter welchen Bedingungen osteuropäische Staaten in Europa willkommen sind. Ich kann Sie nur darin unterstützen: Am Ende dieses Jahres, in Nizza, muss dieser Fahrplan klar sein. ({2}) Er muss ehrlich sein, aber er muss klar sein; denn er sorgt sonst in den Staaten für empfindliche Rückschritte. Die F.D.P.-Fraktion hat während ihrer dreitägigen Klausur in Dresden Vertreter aus Ungarn eingeladen. Es ist ganz deutlich geworden: In Ungarn wird erwartet, dass die Bundesregierung dazu beiträgt, dass dann, wenn bestimmte Voraussetzungen da sind, auch Beitrittsfähigkeit eintritt. Drittens. Die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler gefährden das wichtigste europäische Projekt, nämlich die gemeinsame Währung. Man sollte sich keiner Illusion hingeben. Es ist schwierig genug, die Menschen in Deutschland für die Osterweiterung zu gewinnen. Wenn aber die Bundesregierung ihren Beitrag durch strukturelle Reformen, durch ein Bekenntnis zum starken Euro nicht leistet, wenn der Euro vor Eintritt als realer Währung - uns trennen davon weniger als fünfhundert Tage -, nicht stärker wird, wird die Skepsis gegenüber weiteren Integrationsschritten in Europa zunehmen. Ich kann als Ökonom nur sagen: Das Gerede, ein billiger Euro ist gut für unsere Exporte, ist sehr kurzsichtig. ({3}) Eine Weichwährung gefährdet auf Dauer unsere Wirtschaftsfähigkeit, weil sie suggeriert, wir hätten unsere Hausaufgaben gemacht. Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika bei einer Währungsveränderung von 20 Prozent schon jetzt so wettbewerbsfähig sind, muss man sich die Frage stellen, ob Deutschland in der Tat wettbewerbsfähig ist. Deshalb kann ich den Außenminister und auch den Finanzminister nur dazu auffordern, das Ihre dazu beizutragen, dass der Euro stärker wird. Wir haben sonst keine Leitwährung. ({4}) Die Entwicklungsländer warten auf eine zweite Leitwährung. Sie warten auf eine Alternative zum Dollar. Aber in der jetzigen Verfassung ist der Euro dazu zu schwach. ({5}) Ein Schlüssel liegt in der deutschen Innenpolitik. Beschleunigen Sie die Steuerreform. Setzen Sie die Ökosteuer aus. Killen Sie nicht die Autokonjunktur. ({6}) Dann tragen Sie das Ihre dazu bei, dass der Euro und damit ein wichtiges Symbolprojekt für mehr europäische Einigkeit wahr wird. Danke schön. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht der Kollege Uwe Hiksch.

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte, die unser EU-Kollege Günter Verheugen über die Frage losgetreten hat, wie es gelingen kann, die Bürgerinnen und Bürger an dem schwierigen Prozess der Veränderung der Europäischen Union zu beteiligen, ist ein wichtiger Beitrag dazu, endlich hier im Hohen Haus und auch bei der Bundesregierung zu erkennen, dass wir die Bürger bei ihren Sorgen und Nöten angesichts der Veränderungen in der Europäischen Union abholen müssen. Wir müssen darüber reden, wie die Menschen in den Prozess der europäischen Integration einbezogen werden können und wie man ihre Sorgen über Arbeitslosigkeit und Sozialabbau ernst nehmen kann. Wir müssen darüber diskutieren, dass eine der vordringlichsten Aufgaben der Regierungskonferenz auch darin besteht, endlich zu einer Demokratisierung der Europäischen Union zu kommen. ({0}) Ein Europa, das sich nicht demokratisiert - hier hat Oskar Lafontaine in seinen jüngsten Äußerungen absolut Recht gehabt -, das es nicht schafft, einfache, für die Menschen verständliche Entscheidungsprozesse zu organisieren, und das wegen des heute vorhandenen Vetorechts von einzelnen Staaten blockiert werden kann - weshalb es Mehrheitsentscheidungen als Regelprinzip braucht -, wird ein Europa sein, bei dem die Menschen nicht mitmachen wollen. Das Interessante an der Kritik an Günter Verheugen war vor allen Dingen, dass die Mehrheit der Kritiker nur darauf hingewiesen hat, dass der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten nicht möglich sei, wenn Volksentscheide kämen. Was heißt denn das? Die Menschen sind noch nicht von der europäischen Idee überzeugt. Daran müssen wir arbeiten. Deshalb macht die PDS-Bundestagsfraktion immer wieder deutlich, dass im Mittelpunkt der europäischen Politik die zentralen Fragen stehen müssen: Wie kann über die Europäische Union Arbeitslosigkeit bekämpft werden und wie kann - diese Frage stellen wir national, regional und auch auf europäischer Ebene - ein öffentlicher Beschäftigungssektor aufgebaut werden, der den Staat wieder ernst nimmt und dafür sorgt, dass sich die Politik endlich darum kümmert, dass jeder Mensch ein Recht auf Arbeit hat? ({1}) Zum Zweiten geht es darum, dass die Menschen als Ehrenamtliche - sei es in den Wohlfahrtsverbänden, sei es in Initiativen - eine Antwort auf den Versuch der EUKommission wollen, die Ökonomisierung der sozialen Dienstleistungen durchzusetzen. Wir müssen darüber diskutieren, dass die Privatisierung des öffentlichen Personennahverkehrs sowie von Wasser und Abwasser kein Ziel europäischer Politik werden darf und dass Altenheime und all das, was in der Bundesrepublik aus der Geschichte unseres Landes heraus entstanden ist, nämlich ein starker, von Wohlfahrtsverbänden getragener sozialer Bereich, nicht einfach dem Wettbewerb unterworfen werden dürfen. Auch wenn die PDS-Bundestagsfraktion Wettbewerb als richtig und wichtig ansieht, werden Privatisierungsorgien, wie sie zum Teil von der Bundesregierung betrieben und zum Teil von der EU-Kommission angedacht werden, und der Versuch, unser bewährtes System der Wohlfahrtsverbände zu zerschlagen, eindeutig auf unseren Widerstand treffen. Wir verteidigen die sozialen Dienstleistungen und treten deshalb für einen starken öffentlichen Sektor ein. ({2}) Als Drittes wird die PDS-Bundestagsfraktion dafür kämpfen, dass Europa so verstanden wird, wie es einmal gegründet wurde: als Zivilmacht und nicht als Militärmacht. ({3}) Wer sich anschaut, wie zwischenzeitlich leider auch bei Bündnis 90/Die Grünen und SPD über die Militarisierung Europas diskutiert wird, gewinnt den Eindruck, dass das, was uns Willy Brandt einmal vorgegeben hatte, die Betonung des Primats des Politischen in der Außenpolitik, von der Regierungskoalition vergessen wurde und dass nur noch der Primat der Stärke und der Waffen gesehen wird. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, wenn Sie den Kommentar lesen, den Ihre verteidigungspolitische Sprecherin Verena Wohlleben geschrieben hat, dann müssten Sie sich eigentlich schämen, dass im Namen der Sozialdemokratie so etwas geschrieben wurde. Verena Wohlleben schreibt, heute gelte wie eh und je die Feststellung von Vegetius aus dem 4. Jahrhundert vor Christus: „Wenn du den Frieden haben willst, sei kriegsbereit.“ Was für Worte! In diese Worte passt natürlich, dass die rot-grüne Bundesregierung mittlerweile Rüstungsexporte in die Türkei - seien es Panzer, sei es eine Waffenfabrik - als normal empfindet. Meine lieben Grünen, auch Sie, Herr Außenminister Fischer: Wenn Sie noch einigermaßen wüssten, was Sie vor wenigen Jahren hier im Hause gesagt haben, dass nämlich Rüstungsexporte an die Türkei ein Skandal seien, müssten Sie sich für die heutige Politik schämen. Wir treten dafür ein, dass die Europäische Union und die Politik der Bundesrepublik Menschenrechte ernst nehmen muss. Es muss gelingen, die GrundrechtsCharta rechtsverbindlich zu verankern. Vor allen Dingen muss es darum gehen, dass in der Bundesrepublik nicht die Wirtschaftsinteressen an erster Stelle stehen und die Fragen der Menschenrechte, der zivilen Verteidigungspolitik sowie die Forderung, dass nicht das Militär, sondern die Außenpolitik zu gelten hat, endlich wieder in den Mittelpunkt kommen. In diesem Sinne wollen wir Europa als zivile Gegenmacht gegen Militarismus und gegen jede Form von international ungezügelten Kapital- und Finanzströmen. Die PDS kämpft für ein Europa der Menschen und nicht - wie leider zwischenzeitlich die rotgrüne Bundesregierung - für ein Europa, das nur noch die Ökonomie kennt. Danke schön. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Staatsminister im Auswärtigen Amt Dr. Christoph Zöpel. ({0})

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Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Wochen und auch diese Debatte sind von der notwendigen Forderung nach mehr europäischer Öffentlichkeit bestimmt. Ich stimme dem zu. An den kritischen Anmerkungen, dass sie an vielen Punkten in Europa fehlt, ist viel dran. Sie fehlt auch im Ministerrat. Noch stärker fehlt sie zwischen den Ländern; am stärksten fehlt sie zwischen den Ländern, die bereits in der EU sind, und denen, die in die EU kommen wollen. Bevor man darüber nachdenkt, wie man weiterkommt und was bereits passiert ist, ist es wichtig, sich zu verdeutlichen, welche Kommunikation, welche Öffentlichkeit und mit welchem Ziel dies notwendig ist. Die Debatte über mehr europäische Öffentlichkeit macht nur dann einen Sinn und gibt nur dann eine richtige Orientierung, wenn sie in eine durch Wahlen erfolgende Legitimation europäischer Politik, in die parlamentarische Wahl und parlamentarische Kontrolle einer europäischen Exekutive mündet. ({0}) Wenn das in den nächsten zehn Jahren nicht gelingt, nützt es auch nichts, zu fordern, wir müssten mehr diskutieren. Ich betrachte das als ziemlich zukunftsgerichtete Grundorientierung. Ich sehe an einzelnen Punkten der Debatte Fortschritte, und manches mag Sie jetzt vielleicht überraschen. Unter Umständen ist die gegenwärtige Debatte über den Euro - über seinen zu niedrigen oder zu hohen Wert, je nach Blickrichtung, denn jeder Ökonom wird zugeben, dass es verschiedene Aspekte gibt - die erste wirkliche europaweite Debatte über ein konkretes europäisches Problem. Dann ist sie ein Fortschritt. Sie wird die Forderung nach sich ziehen - darüber kann es gar keinen Zweifel geben -, zu fragen: Welches sind die geeigneten Institutionen und welche geeigneten Kontrollmöglichkeiten gibt es, um den Euro zu stärken und stabiler zu machen? Es ist immer schwierig, sich dazu zu äußern. Herr Kollege Hintze und Herr Kollege Haussmann, nehmen Sie es mir nicht übel: Wenn die Märkte, auf denen der Euro gehandelt wird, Sie sehr ernst nähmen, was würde nach dem, was Sie hier gesagt haben, wohl passieren? ({1}) Ein weiterer Punkt ist die Debatte über die österreichische Innenpolitik. Ich denke, sie war nützlich für Europa. Sie hat europäische Werte herausgearbeitet. Ich glaube, sie wird die Umsetzung des europäischen Grundrechtskatalogs erleichtern, dessen Erarbeitung ein großes Verdienst ist. ({2}) Sie war eine notwendige Debatte. Sie war vielleicht ein wenig ein Anachronismus, weil es hier insofern bereits um europäische Innenpolitik geht, als man nicht will, dass in Europa an Regierungen Parteien beteiligt sind, die fremdenfeindlich sind. ({3}) Aber ein letztes Mal: Wegen des Zustandes der europäischen Institutionen musste das mit diplomatischen Mitteln gemacht werden. Diplomatie und Öffentlichkeit schließen sich doch vielfach aus. Das ist ein Problem der Debatte.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Zöpel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer?

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Selbstverständlich, immer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister Zöpel, Herr Haussmann hat eben den Außenminister aufgefordert, zu erklären, wie es die Bundesregierung jetzt mit den Sanktionen gegen Österreich hält. Nachdem mit Ihrer Person wiederum ein Vertreter der Bundesregierung am Rednerpult steht, möchte ich Ihnen die Frage stellen: Was gedenkt die Bundesregierung jetzt, nach dem Bericht der Weisen, mit den Sanktionen gegen Österreich zu tun? Wollen Sie sie aufheben, ja oder nein, und, wenn ja, wann?

Not found (Gast)

Kollege Irmer, ich kann Ihnen nach Rücksprache mit dem Bundeskanzler die Antwort geben, die auch notwendig ist: Wir wollen es der französischen Präsidentschaft überlassen - natürlich nach Konsultationen mit allen Mitgliedstaaten einschließlich Deutschlands -, die Entscheidung bekannt zu geben. Alles andere als der engste Schulterschluss zwischen Frankreich und Deutschland in dieser Frage wäre ein fataler Fehler der deutschen Politik. ({0}) Die Debatte, die durch einen solchen Fehler ausgelöst würde, würden Sie nutzen, um eben diesen Fehler zu geißeln. Das wissen wir von Anfang an. So bleibe ich bei meiner Antwort: Wir überlassen es - nach Konsultationen - der französischen Präsidentschaft, die Entscheidung der 14 EU-Mitgliedstaaten bekannt zu geben. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?

Not found (Gast)

Ich möchte eigentlich gerne weiterreden. Ich bin jetzt sehr konkret auf die Europapolitik eingegangen. Herr Kollege Hintze, eines nehme ich Ihnen persönlich übel, nämlich die Bemerkung, die Bundesregierung habe Sie über die Osterweiterung in den Ausschüssen nicht zulänglich informiert. Ich kenne keine einzige Frage aus den letzten 12 Monaten, die ich Ihnen nicht so ausführlich beantwortet habe, dass sich manche schon gewundert haben, wieso ich so ausführlich war. Das ist die Realität. ({0}) Jetzt möchte ich auf das Konkrete, was in der Europapolitik seit Ende 1998 durchgesetzt und fortgesetzt wird, eingehen. ({1}) - Ich muss mir nicht den Vorwurf machen lassen, dem Parlament zu knapp berichtet zu haben. Ich habe eher zu ausführlich über das berichtet, was ich in einer transparenten Demokratie für notwendig gehalten habe. Ich bin leidenschaftlich für Transparenz im Parlament und sogar im Ministerrat der EU. ({2}) Wir haben in Helsinki und während der portugiesischen Präsidentschaft Fortschritte gemacht. Wir stehen jetzt unter der französischen Präsidentschaft vor der Notwendigkeit, die Voraussetzungen für die Osterweiterung zu schaffen. Unsere Linie ist, mit all unserem Tun Frankreich zum Erfolg zu verhelfen. Das ist das Klügste und Notwendigste, was auch Sie immer gefordert haben. Das werden wir in der effizientesten Form auch tun. Ich bin sicher, es wird einen Vertrag geben, mit dem sich das schaffen lässt. Der Vertrag wird in einigen Punkten weiterweisen. Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, etwa 2004 sei ein geeigneter Zeitpunkt, über eine europäische Grundordnung zu sprechen, die mehr Öffentlichkeit, mehr Demokratie und auch Kompetenzabgrenzungen bringt. Dann können wir mit der Osterweiterung weitermachen. Das Wichtigste der Osterweiterung für Deutschland ist für mich in der bisherigen deutschen Debatte zu kurz gekommen: Die Osterweiterung ist aus deutscher Sicht nicht allein ein Vorgang der Ausdehnung der Marktwirtschaft nach Osteuropa und der Übernahme des Acquis. Die Osterweiterung - wer etwas anderes behauptet, macht einen Fehler - ist auch die historische Aufgabe der Aussöhnung Deutschlands mit Polen und Tschechien. ({3}) Es ist jetzt die Stunde gekommen, der Aussöhnung Deutschlands mit Frankreich, um die wir weiterhin ringen - meine eben gemachten praktischen Hinweise waren ein Zeichen dafür -, diese Aussöhnung folgen zu lassen. Wer etwas anderes behauptet, der wird die Chance, die in der Osterweiterung liegt, nicht nutzen. Konkrete Fortschritte sind bereits deutlich geworden: In der Helsinkigruppe ist ein Großteil der Kapitel und in der Luxemburggruppe sind alle Kapitel mit den Staaten eröffnet worden. Die ersten sind abgeschlossen. Aber ein Kapitel öffnen und abschließen heißt: Im Augenblick geht es um die Übernahme des Acquis. Eine realistische Einschätzung ist - jeder, der sich damit beschäftigt, wird das so sehen -, dass die Gespräche über den Acquis und seine Übernahme mit den entsprechenden Ländern etwa zu dem Zeitpunkt abgeschlossen sein werden, wenn Nizza von den 15 EU-Staaten ratifiziert wird. Dann wird nur noch über wenige zentrale Punkte zu diskutieren sein, nämlich zum Beispiel über die Fragen der Übergangsbestimmungen und der Finanzierung. Ich glaube, dass es Sinn macht, wenn über die Übergangsbestimmungen, die für die, die schon Mitglied in der EU sind, und für die, die noch hineinkommen wollen, von Bedeutung sind, sensibel gesprochen wird. Für mich stehen die Übergangsbestimmungen in einem sehr engen Zusammenhang mit der Idee der Versöhnung. Versöhnung ist auch Gewöhnung. Gewöhnung bedeutet in einzelnen Fällen auch Übergangsbestimmungen; sei es wegen der Befürchtungen der Polen beim Erwerb von Grundstücken, sei es - zum Glück abnehmend, weil immer bewusster wird, dass die Zahl der Menschen und auch die Zahl der Erwerbskräfte in Deutschland abnimmt - bei der Frage der Zuwanderung von Arbeitskräften. Das mag dann nach 2002 geschehen. Dann wird sich auch die Frage der Finanzierung noch einmal stellen. Die Agenda 2000 ist doch klug gemacht: In der Mitte ihrer Laufzeit ist eine Revisionsklausel vorgesehen. Sie liegt genau an dem Punkt, wo die harten Verhandlungen über diese Themen beginnen. Die Revisionsklausel hat man vorgesehen, um neu nachdenken zu können. Das verbindet sich dann mit der Debatte um die Agrarpolitik, die man fair führen muss. Dass die polnische Agrarwirtschaft noch nicht den Entwicklungsstand der deutschen Agrarwirtschaft erreicht hat, wissen die Polen so gut wie wir. Aber dass insgesamt die Agrarwirtschaft der Welt im Interesse vieler ein wenig geändert werden muss, weiß jeder, der schon einmal das Stichwort Agrarverhandlungen im Rahmen der WTO gehört hat. Auch dies wird etwa nach 2002/03 zusammenlaufen. Dann werden wir ratifizieren müssen, und dann zeigt sich etwa in der Mitte dieses Jahrzehnts - der Außenminister hat mutig, wenn ich das so sagen darf, 2005 genannt -, ob es die meisten der ersten acht osteuropäischen Staaten und sicherlich mit Sonderüberlegungen Zypern und Malta - das will ich hier nicht vertiefen, das weiß jeder - geschafft haben. Das ist dann eine Erweiterung um 70 Millionen Menschen. Das ist ein historischer Schritt. Ich glaube, es ist nichts verzögert, es geht voran. Ich erlebe bei den Hunderten von Gesprächen, die ich mit verschiedensten Gesprächspartnern führe, immer mehr Zustimmung dazu, dass dieser Prozess recht objektiv beschrieben werden kann. Es kann in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts dazu kommen, dass es auch den Rumänen und Bulgaren gelingt hinzuzustoßen. Es wäre wunderbar - eine Hoffnung im Hinblick auf die Wahlen in den nächsten Tagen, die Herr Kollege Lippelt genannt hat, steht damit im Zusammenhang -, wenn im Laufe dieses Jahrzehnts auch mit den restlichen Europäern nordwestlich von Athen bzw. westlich der Grenze der ehemaligen Sowjetunion gesprochen werden kann. Ich sehe hier klare und deutliche Perspektiven und schließe mit dem, womit ich begonnen habe: Das bedarf einer gesamteuropäischen Kommunikation. Wer über Polen oder Tschechien kommuniziert, sollte sich immer überlegen: Wie hören die das? Das ist meine Sorge. ({4}) Ich war vorhin mit einer Polin, die ich besonders schätze, mit der polnischen Botschafterin in Wien, zusammen. ({5}) - Eben. Sie ist im selben Krankenhaus geboren wie ich, so etwas verbindet. ({6}) - Zehn Jahre später! Sie hat mir erzählt, Sie habe den Gedanken, zunächst in Österreich - weil sie dort eben Botschafterin ist - einen österreichisch-polnischen Journalistenpreis auszusetzen. Ich halte das für einen hervorragenden Gedanken. Wir sollten auch darüber sprechen, wie wir es honorieren können, wenn so sensibel wie möglich über die Menschen geschrieben wird, mit denen wir uns versöhnen müssen. Das ist für mich die große Herausforderung europäischer Kommunikation, die sich uns stellt und an der wir alle mitwirken müssen. Wir müssen bei jedem Reden über die Staaten, die beitreten wollen, fragen: Wie wirkt das bei ihnen? Dann kann man mit ihnen auch viel offener reden. Dann leisten wir etwas in diesem Jahrzehnt. Ich glaube, wir haben dabei Fortschritte gemacht. Die Weise, in der Sie mir zugehört haben, hat mich beeindruckt. Ich habe das Gefühl, Sie sind mit mir in dieser Notwendigkeit einer Meinung. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Kollege Peter Hintze.

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Zöpel, Sie haben eben eine Ausführung, die ich hier im Bundestag gemacht habe, angegriffen und bestritten. Der intellektuellen Redlichkeit wegen will ich doch einmal kurz den Sachverhalt darstellen. Wir fühlen uns von Ihnen persönlich auf die von uns im Ausschuss gestellten Fragen zu den von uns angesprochenen Komplexen immer fair, gut und zügig unterrichtet. Ich habe hier einen anderen Komplex angesprochen, möglicherweise war er Ihnen nicht präsent - ich werde es mir jetzt auch verkneifen, auf die amtsinternen Auseinandersetzungen einzugehen, wer für was zuständig ist -: Es gibt im Zusammenhang mit der Osterweiterung mittlerweile mehrere Hundert Verhandlungsdokumente in den einzelnen Kapiteln über die einzelnen Länder, die die Bundesregierung freundlicherweise im Rahmen der guten Zusammenarbeit den Bundesländern zur Verfügung stellt. Ich habe hier angesprochen, dass es auch das gute Recht des Deutschen Bundestages wäre, wenn der Fachausschuss, wenn wir als Opposition die Gelegenheit hätten, alle diese Dokumente zu bekommen, um nicht schlechter als die Bundesländer gestellt zu werden. Das ist ein parlamentarisches Anliegen, das ich aus dem allgemeinen parteipolitischen Streit heraushalten wollte. Das wollte ich hier ansprechen. Ich bitte darum, in diesem Punkt keinen falschen Widerspruch aufkommen zu lassen. Schönen Dank. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zur Erwiderung der Kollege Zöpel.

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Ich habe inzwischen auf jede entsprechende Bitte im Ausschuss reagiert, indem ich festgestellt habe: Sie bekommen diese Unterlagen. Das sage ich auch hier, immer - aber nur zur Absicherung - mit dem Hinweis: Es gibt manchmal - aber viel seltener, als man glaubt - eine verfassungsrechtliche Restriktion. Wenn es die nicht gibt - ich sehe sie nicht -, dann bekommen Sie, wie von mir jedes Mal zugesagt, jedes von Ihnen gewünschte PaStaatsminister Dr. Christoph Zöpel pier im Rahmen der Osterweiterung. Dies habe ich hiermit erneut zugesagt. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun gebe ich dem Kollegen Dr. - - , dem Kollegen Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0}) - Man kommt bei den Doctores und bei den Professoren schon ein bisschen durcheinander. Da gibt es auch Honorarprofessoren und andere. Also, der Kollege Schmidt hat das Wort.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Ohne die Gepflogenheit zu missachten, den präsidierenden Kollegen in irgendeiner Weise in die Debatte einzubeziehen, stellt sich natürlich auch die Frage, in welcher Funktion der Kollege vor mir in der Tat gesprochen hat und ob Sie die Dauer seines Beitrags nicht eigentlich auf die Redezeit der SPD-Fraktion anrechnen müssten. Ich darf sagen: Ich habe die Art und Weise sehr geschätzt, wie Staatsminister Zöpel in einem Bereich, für den er, wenn ich recht weiß, nicht mehr zuständig ist, geantwortet hat. Manchmal lassen Äußerungen - auch diejenigen, die Kollege Hintze angesprochen hat - von anderer Seite der Bundesregierung Schärfe, Deutlichkeit und Klarheit vermissen. Es gibt in der Tat eine ganze Reihe von Fragen, die wir angesprochen haben, von den Fragen der beabsichtigten Übergangsregelungen bis hin zu manchen anderen Dingen, über die dieses Parlament, das als Verfassungsorgan in der repräsentativen Demokratie ausgehandelten Verträgen mit einer entsprechenden Mehrheit zuzustimmen hat, gerne rechtzeitig informiert würde. Das ist ein Stück Bürgernähe und Demokratieverständnis, das notwendig ist. Es hat ganz und gar nichts mit dem zu tun, was Herr Kollege Zöpel angesprochen hat. Ich will einen Punkt aufgreifen, den er genannt hat. Er hat den Schwerpunkt auf die Osterweiterung und gerade auf unsere Nachbarländer gelegt. Es ist in der Tat eine ganz entscheidende Frage, wie die Wirkung unserer Position auf Polen, auf die Tschechische Republik und auf Ungarn gesehen wird; allerdings - ich gestatte mir, das dazuzusagen - gilt es auch zu berücksichtigen, wie die Wirkung der Fragestellungen auf unsere eigenen Bürger ist. Der Kollege Verheugen hat schon vor Monaten Fragestellungen aufgeworfen, beispielsweise die der Konsequenz der Freizügigkeit, die mich vermuten lassen, dass seine Äußerung nicht ein rechter Ausrutscher war, sondern eigentlich in der Konsequenz seines Denkens liegt. Ich bin sehr dafür, dass wir keine Unklarheit aufkommen lassen und dass wir die Osterweiterung der Europäischen Union als eine politische Jahrhundertaufgabe ansehen, an der wir alle arbeiten. ({0}) Ich bin aber auch sehr dafür, dass wir unser Volk, die Bürger, die uns gewählt haben, unsere Mitbürger, in die Politik so ernsthaft einbeziehen, dass wir uns auch der Mühe unterziehen, zu argumentieren, wie notwendig die Integration Polens, Tschechiens und Ungarns ist. Es mag dann natürlich das eine oder andere Thema geben, über das vertieft gesprochen werden muss und bei dem es Diskrepanzen gibt, die aus dem Weg geräumt werden müssen. Die Agenda 2000 wurde bereits angesprochen. Den Bürgern bei uns ist nicht klar, wie die Finanzierung der Erweiterung der Europäischen Union vonstatten geht. Sie sehen nur, dass die Beträge, über die in Berlin damals verhandelt worden ist, nicht ausreichen. Ich will gar nicht allein von der polnischen Landwirtschaft reden. Wir haben eine ganze Reihe von Defiziten. 68 Milliarden DM für die Beitrittsländer ist zu wenig. Die Frage ist: Wie löst sich das Problem der Defizite? Der luxemburgische Ministerpräsident Juncker hat ja nun vor einiger Zeit nicht gerade freundliche Sätze über den Europäischen Rat gesagt, als er über die Art und Weise gesprochen hat, wie die Verhandlungen ablaufen und wie intensiv bzw. weniger intensiv Vorlagen gelesen werden. Es lohnt sich schon, die Agenda 2000 noch einmal zu lesen. Ich befürchte, dass sie auch damals einige nicht ganz gelesen haben. Der Bundeskanzler hat in einer Situation, in der er von Europa noch recht wenig Ahnung hatte - noch weniger, als er gegenwärtig hat -, seine Zustimmung zu Entscheidungen gegeben, bei denen eine deutsch-französische Kooperation nötig gewesen wäre. Ich will nur noch einmal das Thema Kofinanzierung ansprechen. Diese ist kein Heilmittel, aber notwendig. Wo ich schon bei den deutsch-französischen Beziehungen bin, möchte ich noch ein Vorgehen ansprechen, das nicht unwidersprochen bleiben kann. In Bezug auf das Vorgehen gegen Österreich wird das Argument gebracht, es sei dringend erforderlich, dem deutsch-französischen Verhältnis in dieser Frage die Priorität einzuräumen. Jawohl, es ist richtig, dass das deutsch-französische Verhältnis in allen Bereichen ein Schlüsselverhältnis für das Gedeihen der europäischen Integration ist. Das kann aber nicht heißen, dass in solchen Fragen wie in denen der Behandlung von Mitgliedstaaten der Europäischen Union einer französischen Einlassung - wenn es denn so war mit gewisser deutscher Unterstützung der Weg gebahnt wird, Deutschland jetzt aber nicht bereit ist, die Initiative zu ergreifen - diese muss ja nicht coram publico stattfinden - und zu sagen: Meine lieben französischen Freunde, ich glaube, wir müssen hier einen Ausweg finden. Der Ausweg, der jetzt in Form einer Brücke, die der Bericht der Drei Weisen baut, geboten wird, wäre da. Unter Ziffer 115 findet sich sogar etwas, durch das sich diejenigen bestätigt fühlen können, die immer noch meinen, die Sanktionen hätten irgendetwas Positives bewirkt, und was man aufnehmen könnte. ({1}) Ich wiederhole das, was Kollege Haussmann gesagt hat: Ich fordere den Außenminister auf, sich hier und jetzt, bevor er zur Generalversammlung der Vereinten Nationen nach New York entschwindet, hinzustellen und zu sagen, ob er wie sein dänischer Kollege und entsprechend der gestrigen Ankündigung von Herrn Moskovici bereit wäre, die Sanktionen aufzuheben. ({2}) Ich möchte da schon noch einmal auf die Feinheiten Ihrer Argumentation eingehen. Es geht nicht, zu sagen, das sei keine Angelegenheit der portugiesischen Präsidentschaft; deren Briefpapier sei nur versehentlich verwendet worden; es handle sich hierbei vielmehr um Einzelentscheidungen der 14 Staaten. Ich kann mich gut daran erinnern, wie wir in der Fragestunde hier standen und wie unsere mündlichen Fragen von Herrn Staatsminister Volmer in einer sehr herablassenden Art und Weise beantwortet und korrigiert wurden. ({3}) Es ist nun so, dass jeder für sich entscheiden kann, denn es betraf nur die bilateralen Beziehungen. Herr Fischer, seien Sie mutig, nehmen Sie die bilateralen Beziehungen zu Österreich wieder auf, entschuldigen Sie sich anständig und sagen Sie: „Ich habe Blödsinn gemacht; ich will versuchen, das nicht mehr zu tun.“ Dann passt die Sache. ({4}) - Nein, so einfach ist es nicht. Ich möchte Ihnen ganz ernsthaft sagen: Gehen Sie einmal nach Österreich und sprechen Sie mit Ihren Genossen. Fragen Sie sie - vielleicht in zwei bis drei Jahren, wenn sie ihre Wahlniederlage verdaut haben -, ob Sie ihrem Lande etwas Gutes getan haben. Ich habe es vorhin in allem Ernst als Zwischenruf eingebracht. Wenn bei den anstehenden Kommunalwahlen in Belgien jetzt der Stimmenanteil des Vlaams Blok in Antwerpen oder sonst wo möglicherweise noch zunimmt - davor besteht ja Furcht -, dann muss man das auch an der Fragestellung messen, ob denn solche Sanktionen etwas nützen oder nicht. Wenn Herr Haider jetzt öffentlich triumphiert, dann ist das eine Konsequenz Ihrer Schnapsideepolitik mit diesen komischen Sanktionen. ({5}) Eigentlich wollte ich ja mit einem Lob anfangen. Das Lob bezog sich auf die Botschafterkonferenz, die Sie, Herr Außenminister, durchgeführt haben, und auf die Reden, die dort bezüglich der Perspektiven des auswärtigen Dienstes gehalten worden sind. Ich finde, das passt durchaus da hinein. Ich möchte Sie nämlich darin bestärken, dass Sie den auswärtigen Dienst bei der notwendigen Reform mit einer entsprechenden parlamentarischen Begleitung, die wir anbieten, unterstützen. Lassen Sie sich vom Finanzminister nicht die Butter vom Brot nehmen. ({6}) Er geht ja inzwischen nicht nur so weit, dass er Ihnen Stellen streicht - ab und zu gibt Ihnen der Haushaltsausschuss ein paar Stellen, die Sie gar nicht wollten; vielleicht versuchen Sie das auch in diesem Jahr -, sondern sogar noch weiter. Wenn der Finanzminister sagt, die EU-Länder bräuchten untereinander keine diplomatischen Vertretungen mehr, dann sollten im diplomatischen Dienst und auch bei unserer Außenpolitik alle Alarmglocken läuten. Die Vertretungen sind nicht nur ein Teil europäischer Innenpolitik, sondern auch ein Teil der Darstellung der Bundesrepublik Deutschland nach außen. Wenn es in Österreich keine Botschaft mehr gegeben hätte, dann hätten Sie niemanden mehr gehabt, der nach Ihrer Version überhaupt noch mit Österreich hätte reden dürfen. Seien Sie also dankbar, dass wir in Österreich eine Botschaft mit sehr verdienten Mitarbeitern haben, die anständig und gut gearbeitet haben. ({7}) Wir stimmen in Bezug auf die Reform des auswärtigen Dienstes auch zu, dass dieser zahlenmäßig nicht reduziert werden darf - ich will das noch einmal ansprechen - und dass wir dabei eine Art Generalrevision durchführen müssen, nicht weil das Gesetz über den auswärtigen Dienst aus dem Jahre 1990 nicht mehr gut wäre, sondern weil sich die politischen und technischen Realitäten geändert haben. Wenn es aber stimmt - da ist die Zahl wohl einigermaßen zutreffend -, dass zahlenmäßig gerade einmal die Hälfte der Diplomaten, die Frankreich oder Großbritannien in seinem Dienst hat, die gleiche Arbeit für das größere Deutschland leisten muss, dann zeigt das erstens die Arbeitsbelastung unserer Diplomaten und zweitens die Notwendigkeit, diese Arbeit neu zu definieren und in eine neue Politik mit einzubeziehen. Ich befürchte, allein mit der klassischen Vorstellung vom Diplomaten wird bei keinem Finanzminister die Geneigtheit bestehen, mehr Geld locker zu machen. Das heißt, die Motivation muss gestärkt werden, die Aufgaben müssen neu definiert werden. Die Motivation leidet allerdings dann, wenn beim internen Stellenkegel und vor allen Dingen bei den politischen „guidelines“, bei den Richtlinien, Schwierigkeiten bestehen. Auf diese muss man noch einmal zu sprechen kommen. Da geht es beispielsweise um die Frage: Wie wird eigentlich mit Russland umgegangen? Wie wird mit dem transatlantischen Verhältnis umgegangen? Wo ist da die Orientierung? In Ihrer Rede finde ich sehr wenig zu dieser Frage; Sie haben es zum Schluss kurz angesprochen. Ich finde auch keine Beschäftigung mit den Schwierigkeiten, die insbesondere in Russland auftreten, nachdem Herr Putin in gewissen Bereichen seines politischen Verhaltens einen Weg eingeschlagen hat, der mit Demokratie nichts mehr zu tun hat. Hier muss etwas passieren. Hier muss auch im auswärtigen Dienst - nicht nur auf Christian Schmidt ({8}) Botschafterkonferenzen - klar werden, dass wir eine Regierung brauchen, die in diesen Fragen eine klare Zielstellung hat. Unsere Regierung hat sie nicht und das ist bedauerlich. Etwas Versöhnliches zum Schluss - wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen -: Offensichtlich neigt der Weltstaatsmann Schröder dazu, sich zum Dollar zu äußern. Erst hilft er mit, den Euro nach unten zu reden, und nun versucht er anscheinend, auch den Dollar nach unten zu reden. Wie könnte es sonst sein, dass im Haushaltsentwurf für den Beitrag an die Vereinten Nationen von 308 Millionen US-Dollar ein Wechselkurs von 1,88 DM zugrunde gelegt wird? ({9}) Nach dem heutigen Wechselkurs wären das rund 700 Millionen DM. Das Haushaltsrisiko von rund 120 Millionen DM versucht der Bundeskanzler offensichtlich persönlich mit flotten, lockeren Sprüchen zu lösen, indem er die Wirtschaft nach unten redet. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Günter Gloser für die SPD-Fraktion.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man so manche Zwischentöne in der heutigen Debatte ein bisschen beiseite schiebt, dann glaube ich, feststellen zu können, dass es in wichtigen Fragen der Außen- und Europapolitik einen Grundkonsens gibt. Ich erwähne ausdrücklich, Herr Kollege Hintze, dass Sie vorhin gesagt haben - ich denke, Ihre Aussage hat nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen Bestand -, die CDU/CSUBundestagsfraktion wolle den Erfolg beider Projekte, also den Erfolg bei der Regierungskonferenz in Nizza und den Erfolg im Rahmen der EU-Erweiterung. Das ist ein gutes Zeichen. Im Deutschen Bundestag - auch als Sie damals regiert haben - gab es in Grundfragen immer schon einen Konsens. Es ist vorhin schon gesagt worden - und ich komme darauf zurück -: In der Mitte der Legislaturperiode ist es Zeit, eine Art Zwischenbilanz zu ziehen. Ich darf in diesem Zusammenhang ein paar kritische Anmerkungen zu den Vorwürfen machen, die die jetzige Opposition uns damals gemacht hat: Wir würden Deutschlands Interessen schaden; wir seien kein verlässlicher Partner; wir hätten die deutsch-französischen Beziehungen gestört. Ich muss dazu sagen: Sie haben sich eine Scheinwelt aufgebaut. Sie haben Ihre Meinung in der Zwischenzeit an bestimmten Stellen auch schon korrigieren müssen. Die deutsch-französischen Beziehungen funktionieren gut. Sie sind der Motor der europäischen Einigung. ({0}) Ich halte es für einen Wert an sich, dass unter der Regierung Schröder/Fischer der Weg der europäischen Integration kontinuierlich weitergegangen wird. Wir sind ein berechenbarer Partner geblieben und bleiben es auch in der Zukunft. Wir haben sehr viele wichtige Entscheidungen getroffen - ich erinnere nur an die ersten sechs Monate unserer Ratspräsidentschaft -, beispielsweise Entscheidungen hinsichtlich des Kosovo. Ohne die Friedensinitiativen der Bundesregierung wäre dieser Konflikt nicht zu der Zeit der deutschen Präsidentschaft beendet worden. Ich erwähne ferner die Agenda 2000. Ohne das Verhandlungsgeschick der Bundesregierung wäre in Berlin dieser zukunftsweisende Kompromiss - ja, es war ein Kompromiss - nicht möglich gewesen. Erst dieser Kompromiss im Rahmen der Agenda 2000, Herr Kollege Schmidt, hat die Möglichkeit geschaffen, auch über die EU-Erweiterung Beschlüsse zu fassen. Diesen Punkt sollte man einmal festhalten. Staatsminister Zöpel hat vorhin gesagt, dass man ausdrücklich eine Revisionsklausel aufgenommen hat, um Veränderungen aufgrund der aktuellen Diskussion einbeziehen zu können. Auch die Ausarbeitung einer Grundrechte-Charta wurde von Ihnen lange bekämpft. Jetzt gibt es darüber einen Konsens. Weil es für die europäische Idee wichtig ist, ein identitätsstiftendes Projekt zu haben, reden wir nicht nur über ein bürgernahes Europa, sondern wir wollen mit dieser Charta ein bürgernahes Europa schaffen. Ein weiterer Punkt ist die europäische Beschäftigungspolitik. Auch dafür wurden in Köln unter der deutschen Ratspräsidentschaft wesentliche Akzente gesetzt und von den Portugiesen weiterentwickelt. Zur Halbzeit und nach Ende der ersten für diese Regierung sicherlich nicht einfachen Jahre kann man sagen, dass es sich um wichtige Meilensteine auf dem Weg zur europäischen Integration handelte. Ich komme nun auf das Thema Osterweiterung zu sprechen. Ich bin sehr erfreut darüber, dass entsprechende Signale von der Opposition kommen. Die SPD-Bundestagsfraktion wackelte an dieser Stelle zu keinem Zeitpunkt. Im Gegenteil: Wir haben vor wenigen Wochen in der Bundestagsfraktion deutlich gemacht, dass wir dieses Projekt unterstützen. Wir wissen nämlich, dass es neben den Risiken vor allem Chancen birgt. Wir nehmen diese Risiken ernst. Ich glaube aber, dass wir uns in diesem Punkt nicht von allen, aber doch von einigen Kollegen der CDU/CSU unterscheiden, indem wir diese Risiken offen ansprechen. Wir wollen die Bürger aber nicht noch mehr verängstigen. Wir sind nämlich der Auffassung, dass bestimmte Risiken durch Entscheidungen der Kommunen, der Länder und des Bundes und irgendwann - Sie erwähnen ja immer das Subsidiaritätsprinzip - durch Unterstützung der Europäischen Union politisch beherrschbar sind. ({1}) Angesichts der aktuellen Diskussion, die durch das Interview ausgelöst wurde, sage ich ganz deutlich: Nehmen wir die Ängste und die Befürchtungen ernst! Sprechen wir mit den Menschen, aber bestärken wir sie nicht in ihren Ängsten! Liebe Kollegen aus Bayern, Ihr Ministerpräsident hat leider bei den Menschen Ängste geschürt, Christian Schmidt ({2}) anstatt aufklärerisch zu wirken. Wir von der SPD-Fraktion informieren, aber desinformieren nicht. ({3}) In diesem Punkt gibt es Unterschiede bei Ihnen. Merkel sagt dieses, Merz sagt jenes und Stoiber sagt etwas anderes. Es wäre ganz wichtig, dass Sie wenigstens in diesem Punkt einen gemeinsamen Weg finden. ({4}) Ein weiterer Punkt - dies möchte ich mit Hinweis auf unsere Regierung sehr deutlich feststellen -: Ohne Zweifel muss es zwischen Außenministern Treffen geben. Wichtig ist aber auch das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit den Landräten und den Bürgermeistern vor Ort in den grenznahen Regionen. Herr Dr. Müller, ich kann Sie beruhigen: Es gibt viele Bürgermeister - leider gibt es in Bayern immer noch zu viele Ihrer Couleur; in Mecklenburg-Vorpommern habe ich ganz andere Bürgermeister kennen gelernt -, die klar sagen: Wir sind für die EU-Erweiterung. Über das Ob gibt es überhaupt keinen Dissens, nur über das Wie. Damit müssen wir uns hier im Parlament, aber auch in den Landtagen und in den Kommunen befassen. ({5}) In Mecklenburg-Vorpommern fragt man sich zum Beispiel, warum man mit den Grenzübergängen nach Polen nicht in die Gänge kommt, warum eine Verbesserung der dortigen Situation so lange dauert. Da muss einmal nachgehakt werden. Ein anderer Bürgermeister einer Stadt an der Grenze äußerte: Wenn die Grenzen geöffnet werden, dann fließt der dadurch entstehende Verkehr durch meine Stadt. Das kann ich den Bürgern nicht zumuten. - Da ist die Frage an uns gerichtet, was man, wenn es sich zum Beispiel um eine Bundesstraße handelt, tun kann. Oftmals sind es sehr banale Dinge, die in den nächsten Monaten im Rahmen der Vorbereitung der EU-Erweiterung zu lösen sind, damit zum Beispiel, wenn sich der Verkehr durch die Stadt schlängelt und es Staus gibt, nicht gesagt wird: Die EU-Beitrittsländer sind die Schuldigen. Wir wollten eigentlich keine EU-Erweiterung; für uns wird nichts getan. - Ich denke, wir alle sind gefordert: Sie in den Ländern, in denen Sie Verantwortung tragen, und wir in den Ländern, in denen wir die Verantwortung tragen, und hier auf Bundesebene. ({6}) CDU-Kommunalpolitiker aus Mecklenburg-Vorpommern haben mir gesagt - ich habe mich darüber sehr gefreut -, dass es bei ihnen mittlerweile Handwerker gibt, die die polnische Sprache erlernen. An diesem Beispiel wird klar, dass sie nicht nur sagen: „Die Polen kommen zu uns nach Mecklenburg-Vorpommern“, sondern dass sie den europäischen Markt auch anders begreifen, indem sie sagen: „Wir können unsere Leistungen auch in Polen anbieten. Dazu müssen wir aber die Sprache beherrschen. Wir können ja nicht jedes Mal einen Dolmetscher mitnehmen.“ Ich denke, dass es viele Initiativen in diesem Sinne gibt. Dies ist ein sehr gutes Beispiel. Es gibt noch viele andere, die anzusprechen den zeitlichen Rahmen sprengen würde. In diesem Bereich besteht Handlungsbedarf. Wir können die bestehenden Risiken beherrschen. Das sollten wir den Menschen sagen. Insofern teile ich Günter Verheugens Einschätzung, dass wir noch mehr Informationen weitergeben müssen. Haushälter und andere möchte ich darauf hinweisen, dass wir keine teuren Hochglanzbroschüren brauchen. Die erreichen nämlich viele Menschen nicht. Wir brauchen andere Medien, um entsprechende Informationen zu den Menschen zu transportieren. Ich möchte Günter Verheugen für eine Äußerung ausdrücklich danken, nachdem er so viel Schelte und Prügel bekommen hat. Er hat zu Beginn des entsprechenden Interviews gesagt: Die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten ist ein historischer Glücksfall. - Recht hat er. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Weil dies ein historischer Glücksfall ist, brauchen wir darüber auch keine Volksabstimmung. Das Gefährliche an der entstandenen Diskussion ist, dass bei den Menschen durch bestimmte Äußerungen Erwartungen geweckt worden sind. Der Vergleich mit der Einführung des Euro hinkt. Es ist vorhin in der Diskussion schon angesprochen worden: Dann, wenn wir unsere Souveränität abgeben, sollten wir abstimmen, aber nicht in anderen Fällen. Wenn die Polen im Rahmen ihres Beitritts eine Volksbefragung durchführen, dann ist das logisch. Denn sie werden Souveränitätsrechte auf die Ebene der Europäischen Union übertragen. Herr Kollege Hintze, ich hoffe, dass der jetzt bestehende Konsens nicht nur im Jahre 2000/2001 anhält, sondern dass er auch noch im Wahljahr 2002 besteht. An anderer Stelle ist es schon gesagt worden: Es wäre fatal, die EU-Erweiterung zu einem Wahlkampfthema zu machen. Dies wäre kein gutes Zeichen auch an unsere Nachbarn. Das heißt nicht, dass man in bestimmten Punkte nicht kritisch miteinander umgehen sollte. Das bringt das Rollenverständnis von Regierung und Opposition mit sich. Aber eine platte Auseinandersetzung über dieses Thema hielte ich für gefährlich. Auch ich sage noch einmal - ich weiß nicht, wer dies vorhin angesprochen hat -: Es ist wichtig, sich in die Köpfe unserer Nachbarn zu versetzen. Dort gibt es Regierungen, die ihren Bürgerinnen und Bürgern wahnsinnige Opfer im Rahmen dieses Prozesses abverlangen müssen. Auch dort gibt es Wahlen. Es ist nicht nur bei uns so, dass manches so oder so entschieden wird, weil Wahlen anstehen. Auch in Polen, in Tschechien und in Ungarn wird gewählt. Das ist bei bestimmten Prozessen, die wir zu bewerkstelligen haben, zu berücksichtigen. ({7}) Nicht Frust auf Europa ist angesagt, sondern Lust auf Europa. Machen wir alle mit! Vielen Dank. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes liegen nicht vor. Wir kommen deshalb nunmehr zum Einzelplan 17, Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ich gebe zunächst das Wort der Frau Bundesministerin Dr. Christine Bergmann.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist in der heutigen Beratung schon deutlich sichtbar geworden, dass die Bundesregierung mit dem Haushalt 2001 den Prozess der wirtschaftlichen, aber auch der sozialen Erneuerung unseres Landes ganz konsequent fortsetzt. Wir packen die notwendigen gesellschaftlichen Modernisierungen an. Dafür steht auch der Einzelplan 17, und zwar mit all seinen Bereichen. Lassen Sie mich mit der Familienpolitik beginnen. Familie ist bei jungen Leuten glücklicherweise nicht out. Das zeigen uns viele Studien, und ich hoffe, dass wir das auch um uns herum erleben. Wir wissen aber auch, dass junge Leute beides wollen, sie wollen Erwerbsarbeit und Familie miteinander vereinbaren. Deswegen ist es unsere vorrangige familienpolitische Aufgabe, die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern; denn wir wollen den jungen Leuten die Möglichkeit eröffnen, so zu leben, wie sie das selber möchten. Wir wollen ihnen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. ({0}) Ich habe mich aber manchmal über das erschrocken, was in den letzten Wochen aus der familienpolitischen Ecke der Opposition kam. Das war schon ein Stück weit ein Griff in die Mottenkiste, das muss ich hier einmal so deutlich sagen. ({1}) An vielen Punkten klang auch wieder der Wunsch durch: Am schönsten wäre es eben doch, wenn man die Frauen wieder im Heim und am Herd hätte. ({2}) Das wird mit uns nicht zu machen sein. Die Gleichsetzung von Familien- und Bevölkerungspolitik - das war in den letzten Wochen durchaus zu vernehmen - machen wir nicht mit. Wer diese propagiert, zeigt, dass er noch nicht ganz im 21. Jahrhundert angekommen ist. Schauen Sie sich doch einmal an, was in anderen Ländern, zum Beispiel in den nordeuropäischen Ländern oder auch in Frankreich los ist. Dort gibt es eine hohe Erwerbsquote von Frauen, dort sind gute Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gegeben. Dort können junge Menschen ihren Kinderwunsch relativ gut umsetzen, und sie tun das auch. Wir versuchen, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit junge Leute das auch bei uns tun können. Deswegen geht es in der Familienpolitik auch darum, tradierte Rollenbilder aus den Köpfen zu bekommen. Hier haben Sie uns eine ganze Menge hinterlassen, die wir kräftig abarbeiten. ({3}) Sie wissen - darüber haben wir schon mehrfach diskutiert -, dass am 1. Januar 2001 das neue Erziehungsgeldgesetz in Kraft tritt. ({4}) Ich denke, wir haben damit sehr deutlich gemacht, wo wir die Rahmenbedingungen verbessern. Wir räumen mit tradierten Rollenbildern auf und geben Vätern und Müttern die Möglichkeit, sich zur gleichen Zeit um die Kindererziehung zu kümmern. Wir werden das Elternzeit nennen. Darauf konnten wir uns ja gemeinsam verständigen. Wir verbessern auch die finanzielle Situation. Es werden immerhin 300 Millionen DM zusätzlich in den Erziehungsgeldetat fließen. Es werden wieder mehr Eltern Erziehungsgeld bekommen. Das hat es seit 14 Jahren nicht mehr gegeben, da ging die Kurve nämlich nach unten. Dieser Betrag - der Finanzminister hat es Ihnen heute schon vorgerechnet - kommt zu den Dingen, die wir bereits getan haben, wie zum Beispiel die Kindergelderhöhung um 50 Mark, die steuerlichen Entlastungen und die Verbesserungen beim Wohngeld. Ich denke, das kann sich sehen lassen. Wir machen mit der Flexibilisierung der Elternzeit deutlich, dass wir einen Modernisierungsprozess vorantreiben; denn wir wollen ermöglichen, dass junge Väter mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen können. ({5}) Sie sagen, dass sie das möchten. Nun erhalten sie das Recht auf Teilzeitarbeit. Sie dürfen bis zu 30 Wochenstunden während der Elternzeit arbeiten. Ich hoffe, dass viele junge Väter davon auch Gebrauch machen werden. Wir brauchen jetzt mutige Väter im Land, und wir alle können dazu beitragen, dass die Väter ermuntert werden. Wir werden dieses Gesetz, wenn es Anfang nächsten Jahres in Kraft tritt, mit einer Väter-Kampagne begleiten. Dadurch wollen wir versuchen, an die Rollenbilder heranzugehen und deutlich zu machen, dass für uns auch Väter, die sich um die Erziehungsarbeit kümmern, „ganze Männer“ sind. Wir werden außerdem natürlich auch mit den Unternehmen zusammenarbeiten. Darüber hinaus wird es einige andere Projekte geben. Es gibt auch schon einige gute Beispiele. An ihnen wird deutlich, dass diese Entwicklung gut für die Unternehmen ist. Ich freue mich, wenn ich einen Personalchef treffe, der sagt, - davon gibt es nicht sehr viele - er wolle auch in der Führungsetage Männer haben, die sich nachweislich um die soziale Kompetenz bemüht haben, die also reduziert gearbeitet, vom Erziehungsurlaub Gebrauch gemacht haben und sich wirklich um Familie und Eltern kümmern. Das werden wir weiter unterstützen. ({6}) In der Politik dieser Bundesregierung für mehr Chancengleichheit von Frauen und Männern geht es auch um gesellschaftliche Modernisierung. Wir haben hier schon ausführlich über das Programm „Frau und Beruf“, unser gleichstellungspolitisches Regierungsprogramm, diskutiert. Davon sind bereits viele Punkte umgesetzt. Ich will nur einige nennen: Wir fördern Existenzgründungen von Frauen - das läuft im Übrigen gut -, wir bereiten sie im Rahmen des Projektes „Change/Chance“ auf die Betriebsnachfolge in mittelständischen Betrieben vor. Außerdem kümmern wir uns in der Initiative „D 21“ zusammen mit den führenden Computerfirmen in unserem Land darum, dass Frauen ihre Berufschancen in diesem wichtigen und zukunftsträchtigen Bereich besser ergreifen können und dass darum geworben wird, dass Mädchen auch Ausbildungsplätze in diesem Bereich annehmen. Ich denke, das ist genau der richtige Weg. Wir sind uns aber doch vielleicht darüber einig, dass das nicht reicht; wir können nicht nur auf solche Angebote und auf Freiwilligkeit setzen. Deswegen habe ich vorige Woche Eckpunkte für ein Gleichstellungsgesetz vorgelegt. Unser Ziel ist es, in diesem kommenden Gesetz alle Unternehmen zu verpflichten, Maßnahmen zur Gleichstellung zu ergreifen. Es ist aber auch klar, dass unternehmerische Freiheit und Tarifautonomie Vorrang vor staatlichen Interventionen haben. Wir wollen die Eigenverantwortung der Betriebe erhalten, sodass zum Beispiel jeder Betrieb diejenige Betriebsvereinbarung abschließen kann, die gerade notwendig ist. Deswegen soll dieses Gesetz zwei wesentliche Strukturelemente enthalten: In der ersten Stufe soll die Verpflichtung festgeschrieben sein, zu solchen Vereinbarungen zu kommen. Dazu werden zurzeit noch Kataloge entwickelt, in denen steht, welche Punkte wir uns vorstellen können. Daran können noch viele Unternehmen mitwirken. Es gibt also für die Unternehmen bei dem, was sie tun, viel Freiheit. Klar ist aber: Alle müssen etwas tun. Wir können nicht nur auf Freiwilligkeit setzen. Das haben wir schon bitter gespürt. ({7}) In der zweiten Stufe heißt es deswegen: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Wer sich nicht engagiert hat, für den legen wir fest, was zu tun ist. Es müssen dann zum Beispiel Mindestanforderungen erfüllt werden. Ich denke, das ist eine vernünftige Struktur: Wir schreiben den Betrieben nur vor, dass sie hinsichtlich der Gleichstellung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf etwas tun müssen. Wie sie das aber machen, das ist ihre Sache. Das ist - das will ich nochmals sagen - wirklich wichtig für den notwendigen Modernisierungsprozess in der Wirtschaft. Wenn Sie sich einmal die positiven Beispiele ansehen - ich nenne Ihnen gerne einige Beispielunternehmen, bei denen Sie sich informieren können; wir haben dazu gerade eine Broschüre erstellt - und sich anhören, was Unternehmen sagen, die diesen Weg gegangen sind, dann stellen sie fest, dass alle sagen, dass das nicht Kosten verursacht, sondern spart. Die Unternehmen profitieren davon. Sie haben diese kreativen Frauen an den entsprechenden Stellen eingesetzt. Sie kümmern sich um familienfreundliche Arbeitszeiten und anderes mehr. Ich denke, das müsste eigentlich für alle zu vertreten sein. Wir werden, nachdem wir mit den entsprechenden Experten weitergearbeitet haben, sicher noch über einen Gesetzentwurf zu diskutieren haben; wir haben für diese Eckpunkte vieles aufgegriffen, was wir in einem langen Dialogprozess gemeinsam mit Gewerkschaften, mit der Wirtschaft, mit Unternehmen und mit der Wissenschaft erarbeitet haben. Darauf freue ich mich schon. Eines vorneweg: Ich habe vonseiten der CDU/CSU unterschiedliche Äußerungen gehört. Von Ihnen, Frau Böhmer, habe ich gehört, dass Ihnen dies nicht genug ist. Da habe ich richtig gejubelt und gesagt: Na prima! ({8}) Ich denke, Sie werden jetzt etwas vorlegen, das noch über das hinaus geht, was ich vorgeschlagen habe. Wir können darüber reden, ob wir noch mehr verlangen wollen. Ich bin durchaus dazu bereit. Ich habe auch andere Meinungen dazu gehört. Das kann ja noch ganz spannend werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir an die letzten Wochen zurückdenken, stellen wir fest, dass uns ein Thema sehr bewegt hat - das ist ein sehr bitteres -, und zwar die rechtsextremen, die fremdenfeindlichen Gewaltexzesse in unserem Land. Diese Morde, diese Terrorakte, auch die Ausrufungen von so genannten national befreiten Zonen durch Banden sind etwas, was wir sehr ernst nehmen müssen. Dies ist eine Kampfansage an unser demokratisches Gemeinwesen, eine Kampfansage, die wir sehr entschieden beantworten müssen. Einzelne Maßnahmen allein sind dazu nicht ausreichend. Wir müssen wissen, dass wir uns auf einen langen Prozess einrichten müssen. Natürlich geht es darum, dass der Staat handelt, wirklich unnachgiebige Sanktionen erlässt. Aber wir brauchen das Engagement aller Kräfte, die sich vor Ort gegen Ausländerfeindlichkeit einsetzen und engagieren - es können gar nicht genug sein -: Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Unternehmer, Unternehmerinnen, Gewerkschafter, Gewerkschafterinnen. Es war wichtig, dass wir diese Politik, über die wir hier schon mehrfach diskutiert haben, zum Schwerpunkt gemacht haben, dass wir gefragt haben: Wie schaffen wir es, dass alle Jugendlichen in diesem Land eine Chance haben? ({9}) Dafür machen wir das Sofortprogramm. Deshalb kümmern wir uns ja so um Ausbildungsplätze. Das muss natürlich konsequent fortgeführt werden. Natürlich brauchen wir eine präventive Jugendarbeit auf allen Ebenen, die uns hierbei unterstützt. ({10}) Wir müssen die Gegenkräfte, die es ja wirklich gibt, stärken. Das heißt, wir müssen das alltägliche demokratische Engagement, auch die Netzwerke für Demokratie, unterstützen. Dabei sind mir besonders die Projekte wichtig, in denen sich junge Leute, Jugendliche zum Ziel gesetzt haben, sich mit anderen Jugendlichen auseinander zu setzen, die ausländerfeindliche Einstellungen haben. Sie haben vielleicht schon das eine oder andere über das Projekt gelesen, das es in Sachsen gibt - ich habe es mir vor Monaten angesehen -, „Für Demokratie Courage zeigen“, wo junge Leute Schulprojekttage durchführen, sich mit Gleichaltrigen auseinander setzen, sich wirklich in diese Thematik hineinbegeben. Ich denke, dass dieses direkte Gespräch sehr wirksam sein kann. Solche Ansätze zu unterstützen, das verfolgen wir mit der Initiative „Arbeit und Qualifizierung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“, für die die Bundesregierung für die nächsten drei Jahre 75 Millionen DM aus dem Europäischen Sozialfonds bereitstellt. Wir wollen hiermit nicht wieder irgendein neues Programm auflegen, bei dem nach drei Jahren gefragt wird: Was machen wir denn nun wieder? Wer finanziert das weiter? Wir wollen die Initiativen, die es vor Ort gibt, unterstützen. Ich denke, dass das enorm wichtig ist. ({11}) Wir sehen in diesen Debatten natürlich auch, dass die Erziehung zur Akzeptanz, zur Toleranz, zur Weltoffenheit etwas ist, für das man gar nicht genug tun kann. Deswegen will ich hier noch einmal sagen, in welchem Umfang wir nach wie vor den internationalen Jugendaustausch fördern: Es gehen immerhin - Sie kennen den Haushalt ja - 60 Millionen DM in den internationalen Jugendaustausch, in die Jugendwerke, in die Begegnungen. Wir alle sind uns wohl darin einig, dass wir das ausbauen müssen. Wir haben den Etat im Haushalt des nächsten Jahres schon ein bisschen ausgebaut. Wir wollen nicht nur das Bewährte fortführen, sondern zusätzlich mit der Einrichtung des Koordinierungsbüros für den deutschisraelischen Jugendaustausch mit Sitz in Wittenberg in Sachsen-Anhalt einen wichtigen Schwerpunkt dieser Arbeit setzen. Ich will einmal die Zahlen nennen. Im letzten Jahr waren es 340 000 junge Menschen, die an einem solchen Austauschprogramm teilgenommen haben. Das ist gut und wichtig. Das darf aber nicht dazu führen, dass Länder und Kommunen ihre Förderung zurückfahren, weil wir unser Niveau halten. ({12}) Meine Damen und Herren, Gewalt hat viele Facetten. Aber wir können die Gewalt in der Gesellschaft nur zurückdrängen, wenn wir damit schon bei den Kindern anfangen. ({13}) Eine moderne Kinder- und Familienpolitik muss deutlich machen, dass Gewalt kein akzeptiertes Mittel der Erziehung ist. ({14}) Es muss in unserer Gesellschaft selbstverständlich werden - das ist mir wirklich bitterernst -, dass Kinder ohne Gewalt erzogen werden. Wir haben vor der Sommerpause in diesem Haus das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung verabschiedet. Nur reicht ein Gesetz nicht aus, um den notwendigen Bewusstseinswandel zu erzielen. Das wissen wir auch. Deswegen werden wir nächste Woche mit einer Kampagne zur gewaltfreien Erziehung beginnen, die Eltern Unterstützung geben will. Wir wollen Eltern auch gegenüber der Gesellschaft helfen. Es erziehen ja nicht nur die Eltern. Andere erziehen mit, und andere sorgen mit dafür, dass Eltern gelegentlich ausrasten, indem sie sich nicht gerade solidarisch mit Eltern, die einmal ein Problem mit ihrem Kind haben - die sind auch nicht immer nur friedlich und freundlich, süß und nett, wie wir wissen -, verhalten. Wir werden die Kampagne unter dem Motto „Mehr Respekt vor Kindern“ durchführen. Es geht uns wirklich um eine Veränderung des Bewusstseins. Wir werden nicht nur eine Kampagne mit Plakaten und Material durchführen. Wir wollen viele Einzelprojekte und Vor-Ort-Aktionen im ganzen Land unterstützen und Eltern in Erziehungsfragen helfen. Ich bitte alle in diesem Haus, sich daran zu beteiligen. Ich denke, es lohnt sich. ({15}) Es lohnt sich, den Weg zu gehen und es zu versuchen. Wir wissen, dass wir das Problem nicht von heute auf morgen lösen können. Aber wenn wir Gewalt in der Gesellschaft abbauen wollen, dann müssen wir bei den Kindern anfangen. Meine Damen und Herren, auch in der Seniorenpolitik stehen wir in den nächsten Wochen und Monaten vor wichtigen Entscheidungen. Wir haben in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause ebenfalls das Gesetz über die Berufe in der Altenpflege verabschiedet, das eine bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung vorsieht. Das ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Qualität in der Pflege, zur Aufwertung des Berufsbildes, zur Weiterentwicklung der Pflegeberufe. Nun wissen wir, dass am 29. September der Bundesrat darüber entscheiden muss. Wir haben fast alle Vorschläge, die aus den Ländern kamen, umgesetzt. Aber wir haben das Problem, dass von der bayerischen Seite versucht wird, dieses Gesetz zu Fall zu bringen, obwohl - das muss man einmal deutlich sagen - die Bayern selbst, die zurzeit eine zweijährige schulische Ausbildung haben, sehen, dass das so eigentlich nicht geht. Das müssen wir ändern. Wir brauchen wenigstens drei Jahre. Warum dann nicht gleich dieses bundeseinheitliche Gesetz? Müssen Sie denn in einem solchen Punkt, wenn es um Pflegequalität und Sicherheit für ältere Leute geht, einen parteipolitischen Streit führen? Ich glaube, das kann man vor den Menschen, die Pflege brauchen, nicht vertreten. ({16}) Als zweiten Punkt haben wir - das wissen Sie - die Novelle des Heimgesetzes auf der Tagesordnung. ({17}) Wir haben in den letzten Monaten viel mit Verbänden über das Altenpflegegesetz beraten. Schon seit zehn Jahren geht es um das Thema der bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung. Das kenne ich schon aus der Landespolitik. Sie wollten es eigentlich auch immer, Ihre Regierung hat es nur irgendwie nicht hingekriegt. Jetzt haben wir das auf dem Tisch. Nun lasst es uns endlich machen. Ich denke, es ist einfach wichtig. ({18}) - Jetzt sind wir beim Heimgesetz, ja. Das wird nächsten Monat im Kabinett sein. Da haben wir eine ganze Menge zu leisten. ({19}) Ich denke, das ist klar. Wir haben sehr viele Abstimmungsprozesse durchgeführt; das wird vernünftig. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Sätze zum Zivildienst sagen. Ich denke, dass die Situation jetzt klar ist. Die Bundesregierung hat gesagt, die Wehrpflicht bleibt. Damit bleibt auch der Zivildienst. Die Erfahrungen, die wir im Sommer mit der verkürzten Zivildienstdauer gemacht haben, haben gezeigt, dass die Kassandrarufe, die prophylaktisch aus allen Ecken und Enden kamen, unberechtigt waren. Es gibt immer wieder das eine oder andere Problem. Aber diese Probleme, zum Beispiel bei der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung, haben wir - ich sage das ganz klar, weil mir das ernst ist - schon seit Jahren. Schon seit Jahren erklären sich immer weniger Zivildienstleistende bereit - das beruht ja auf Freiwilligkeit -, in diesem Bereich zu arbeiten. Wir haben alle Freiheiten gelassen. Die Steuerung hat gut funktioniert, was aus den Zahlen ersichtlich ist, die ich auf dem Tisch habe. Ich denke, wir werden auch das, was jetzt auf dem Tisch liegt, hinbekommen. Auch die Verbände sehen das so. Sie wissen, dass bei einer Verkürzung des Zivildienstes auf zehn Monate - darüber freut sich niemand, jeder hätte seine Zivis gerne länger - die Arbeit im Prinzip weitergehen kann. Es bedarf natürlich einer organisatorischen Umstellung. Deswegen haben wir die Arbeitsgruppe zur Zukunft des Zivildienstes eingerichtet. Sie wird noch diese Woche ihre Empfehlung vorlegen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Ja, ich bin am Schluss. Ich möchte Ihnen noch das Internationale Jahr der Freiwilligen ans Herz legen. Wir haben in diesem Bereich noch viel Potenzial, das wir nicht genutzt haben. Das können wir im nächsten Jahr gemeinsam unterstützen. Wir stehen für eine Politik, die den Menschen in unserem Land gleiche Chancen eröffnet. Wir stehen für eine Politik, die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass die Menschen ihr Leben nach ihren Vorstellungen gestalten können. Wir stehen für eine Politik, die Bürgerinnen und Bürger aktiv beteiligt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesem Land endlich wieder fördert. Das sind die Richtlinien unserer Politik. Danke schön. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Dr. Ilja Seifert das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Vielen Dank, Herr Präsident. Da mir die Frau Ministerin leider keine Zwischenfrage gestattet hat, möchte ich zumindest anmerken dürfen, dass es im Zivildienst wirklich nicht so eiapopeia läuft. Frau Ministerin, ich hätte schon erwartet, dass Sie wenigstens ein Wort dazu sagen, dass in einer großen Stadt in Bayern, in Würzburg, der individuelle Schwerbehindertenbetreuungsdienst in diesem Jahr eingestellt wurde, weil beim Zivildienst so gekürzt wurde, dass der Betreuungsdienst nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Dort sind behinderte Menschen richtiggehend liegen geblieben. Ich finde, das kann nicht akzeptiert werden - in keiner Stadt, auch nicht in Bayern. Ich will noch etwas hinzufügen. Sie haben gesagt: Da sich die Regierung entschieden hat, den Wehrdienst beizubehalten, wird demzufolge auch der Zivildienst bleiben. Das ist möglicherweise momentan richtig. Dennoch, finde ich, sollte eine Regierung für den Fall vorbereitet sein - diese Diskussion ist ja bedauerlicherweise nicht abgeschlossen -, dass der Zivildienst eines Tages nicht mehr zur Verfügung steht, weil die Wehrpflicht doch - aus welchen Gründen auch immer - abgeschafft wird. Dann sollten Alternativen bereits funktionieren. Es gibt einiges, was man nicht abschaffen kann, ohne bereits etwas Neues zu haben. In dem Falle, wenn es um Betreuung von Menschen geht, müssen zuerst funktionierende Alternativen geschaffen werden. Ich weiß, dass der Zivildienst keinen sozialen Sicherstellungsauftrag hat. Jeder aber weiß, dass momentan Zivildienstleistende Aufgaben mit hoher Verantwortung übernehmen, für die sie nicht ausgebildet sind und die sie eigentlich nicht machen dürften. Ich finde, dazu hätten Sie etwas sagen sollen. Wir sind hier in einer Haushaltsdebatte. Ich hätte gerne gehört, mit wie viel Geld Sie das unterstützen wollen. Danke schön.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zur Beantwortung Frau Bundesministerin Dr. Bergmann.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Entschuldigung, aber ich habe nicht mitbekommen, dass Sie vorhin eine Zwischenfrage stellen wollten. Ich antworte natürlich gerne auf Ihre Frage, das hätte ich auch vorhin gemacht. Zum Thema Steuerung. Wir haben den Verbänden und den Beschäftigungsstellen wirklich freie Hand gelassen. Es gab Kontingente, die vorgegeben waren. Aber wir haben hier sogar noch ausgetauscht und gesagt: Wenn es irgendwo zu Problemen kommt, dann verteilen wir um. Wir hatten eine Extraregelung für den Bereich der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung und für den Bereich der mobilen Dienste. Das gilt ebenso für den Kinderbereich. Wir haben, so gut es irgend ging, abgesichert, dass auch dort, wo es keine Kontingente mehr gab, jeder Zivi, der kam, eingestellt werden konnte. Warum und weshalb das in Würzburg nicht geklappt hat, weiß ich nicht; da muss ich einmal nachfragen. Man muss sich aber auch die Beschäftigungsstellen vor Ort ansehen und sich fragen: Haben sie jetzt vor lauter Angst anders reagiert? Ich habe bisher von solchen Fällen nichts gehört. Wir sind wirklich jeder Beschwerde, die aus diesem Bereich gekommen ist, sofort nachgegangen und haben uns darum gekümmert, dass genau dies nicht eintritt. Wir werden im Jahresdurchschnitt 2000 immerhin 124 000 Zivildienstleistende haben. Und es gibt immer ein paar Bereiche, wo man sagen kann: Wenn dort einmal im Moment keiner ist, dann ist das nicht so schlimm. Aber diesen Bereich haben wir vorrangig abgedeckt. Ich muss auch noch einmal sagen, dass diese Arbeit auf Freiwilligkeit beruht. Das Hauptproblem ist: Wie bekommen wir genügend junge Leute, die freiwillig in diesem Bereich arbeiten? Wir werden in den nächsten Tagen die Empfehlung der Arbeitsgruppe vorstellen. Dabei werde ich noch etwas zu dem Thema sagen: Wie können wir Freiwilligendienste ausbauen? Wie können wir in bestimmten kritischen Bereichen das eine oder andere mit entsprechend qualifizierten Freiwilligen abfangen? Das Thema fällt nicht unter den Tisch. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr der Kollegin Dr. Maria Böhmer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen nicht nur mutige Männer in diesem Land, wir brauchen vor allen Dingen eine mutige Familienministerin. ({0}) Bei dieser Bilanz, die Sie versucht haben anzureißen, Frau Ministerin Bergmann, hilft Schönreden nichts. Die Bilanz ist dürftig, wenn man sich anschaut, was in den letzten zwei Jahren geschehen ist. ({1}) Sie häufen Minuspunkt auf Minuspunkt: beim Erziehungsgeld zu kurz gesprungen, beim Kindergeld nur das Nötigste, die Eigenheimförderung haben Sie als Erstes gekürzt, den Unterhaltsvorschuss haben Sie auf die Kommunen verlagert und die älteren Menschen sind im Wartestand, was das Heimgesetz betrifft. Ich darf gar nicht an unseren Antrag denken, den wir im Pflegebereich zu den Demenzkranken gestellt haben. Jugendschutz im Medienbereich scheint für Sie ein Fremdwort zu sein, der Zivildienst ist zur Spardose degeneriert. Bei der Alterssicherung der Frauen - das muss ich Ihnen sagen - haben Sie bisher auf der ganzen Linie versagt. ({2}) Bezüglich des Programms „Frau und Beruf“, das immer wieder angesprochen wird, hat die Steigerung ganze 14 Pfennige pro erwerbstätige Frau betragen. Damit wollen Sie Frauen nach vorne bringen? Im Bereich der Frauenpolitik gibt es statt eines Gesetzes, das wir jetzt debattieren könnten, wirklich nur kümmerliche Eckpunkte, wie wir in der letzten Woche erfahren haben. Ich muss Ihnen sagen: Unter diesen Umständen darf es nicht wundern, dass die „Wirtschaftswoche“ am 17. August festgestellt hat, dass Sie, Frau Ministerin Bergmann - es tut mir Leid -, ein Ausfall auf der ganzen Linie seien. Vier zentrale Politikfelder haben Sie vor sich. In vier zentralen Politikfeldern haben Sie so gut wie nichts bewirkt. Ich nenne als Erstes - das tue ich bewusst - den Familienbereich. Sie haben im Koalitionsvertrag gesagt: Wir wollen Deutschland wieder zu einem kinder- und familienfreundlichen Land machen. Das sind schöne Worte, das sind gute Worte. Aber wie sieht die Realität aus? Die Situation der Familien in Deutschland ist äußerst unbefriedigend. In der „FAZ“ war am 8. September zu lesen: fast jedes fünfte Kind arm. Kinder kosten Geld - gar keine Frage. ({3}) Aber Kinder dürfen nicht zum Armutsrisiko werden. Je mehr Kinder, umso mehr kommt eine normal verdienende Familie an die Grenze der Sozialhilfebedürftigkeit. Das ist sozial ungerecht; denn Kinder sind unsere Zukunft. ({4}) Wie war das noch einmal mit dem Kindergeld, dessen Erhöhung Sie ja immer wieder in den Blick rücken und auf das Sie auch heute wieder rekurrieren? Jedes Kind ist gleich viel wert, das habe ich von der SPD immer wieder gehört. Wenn ich mir aber vor Augen führe, dass eine Familie mit vier Kindern bei der Kindergelderhöhung im Schnitt nur mit der Hälfte der Erhöhung wegkommt - sie erhält umgerechnet pro Kopf statt 30 DM nur 15 DM -, dann muss ich sagen: Der Weg, den Sie hier beschreiten, ist nicht der Weg in eine familienfreundliche Gesellschaft. Familienförderung ist ein Stiefkind dieser Bundesregierung, trotz aller Worte, die Sie finden, trotz aller finanziellen Mittel, die Sie aufbringen. Hier muss ich Ihnen sagen: Die hochgelobten Kindergelderhöhungen werden von steigenden Kindergartenbeiträgen und von den Ausgaben für Strom, Benzin und Heizöl aufgefressen. ({5}) Das, was sich hier darstellt, ist ein dickes Minusgeschäft für Familien. Es ist typisch SPD: In die eine Tasche geben Sie etwas, aus der anderen Tasche nehmen Sie etwas. ({6}) Man muss doch Politik als eine Gesamtheit sehen, man kann den Blick doch nicht nur auf eine Tat richten. Nehmen Sie die Ökosteuer. Sie betrifft alle, aber betrifft die Familien ganz besonders. Die Familien müssen mit dem Auto zur Arbeit fahren, die Kinder müssen zur Schule gebracht werden, gerade im ländlichen Bereich, und auf die Heizkosten kann doch niemand verzichten. Oder wollen Sie die Familien im Winter im Kalten sitzen lassen? Das bedeutet in jedem Monat 130 DM mehr für das Tanken und 33 DM mehr für das Heizen. ({7}) Das heißt, dass den Familien unter dem Strich weniger bleibt, als sie vorher gehabt haben. Das ist Etikettenschwindel. ({8}) Die Ökosteuer mutiert hier zur K.-O.-Steuer für Familien. Sie verschließen - das habe ich in allen Debatten heute und in den letzten Tagen gemerkt - einfach die Augen vor dieser Entwicklung. Wir sagen es Ihnen hier noch einmal ganz klar: Satteln Sie bei der Ökosteuer Anfang des nächsten Jahres nicht erneut drauf, stoppen Sie diese Entwicklung und schaffen Sie die Ökosteuer ab! ({9}) Politik für Familien ist auch mehr als Finanzpolitik. Wir müssen die gesellschaftlichen Veränderungen in den Blick nehmen. Da sind wir nicht auseinander, wenn es darum geht, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Menschen wieder auf Kinder freuen, Ja zu Kindern sagen und sich nicht zurückgehalten fühlen. Aber dazu müssen bestimmte Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft verändert werden. Auch muss in der Arbeitswelt etwas geschehen. Nur, sehr geehrte Frau Ministerin Bergmann, mit den von Ihnen vorgelegten Eckpunkten für ein Gleichstellungsgesetz, mit denen erreicht werden soll, dass Frauen in der Arbeitswelt vorankommen, werden Sie - mit Verlaub - nicht viel ausrichten. Vor allen Dingen sind keine neuen Ideen dabei. Ich habe einmal in mein Regal gegriffen - das würde den anderen Kolleginnen hier auch nicht schwer fallen und jetzt eine Broschüre aus dem Jahre 1987 in der Hand: „Leitfaden zur Frauenförderung in Betrieben“. Wenn ich die dünnen Eckpunkte, die Sie vorgestellt haben, mit dem vergleiche, was 1987 von der ersten Frauenministerin Deutschlands gesagt worden ist, dann sehe ich keine Weiterentwicklung. Das ist Stagnation bei den Ideen. Wir brauchen gerade bei der Vereinbarung von Familie und Beruf neue Ideen. Wir brauchen ein druckvolles Eintreten für Verbesserungen. Jetzt möchte ich Ihnen einmal sagen, wo es solche neuen Ideen gibt. Nicht bei der SPD; aber schauen Sie ins Saarland: Im Saarland werden jetzt die Weichen für die Finanzierung im Kindergartenbereich neu gestellt. Der saarländische Ministerpräsident Müller geht einen mutigen Weg. ({10}) Die Kindergartenplätze sollen kostenlos sein. Das halte ich für richtig. Werben Sie dafür, damit wir gemeinsam in Deutschland Verbesserungen erreichen können. ({11}) Wir brauchen eine qualitative Weiterentwicklung, eine Modernisierung der Familienpolitik. Sie haben über mehr Kindergeld und über die Änderungen beim Erziehungsgeld gesprochen. Aber das alles ist nicht der große Wurf; denn Familien müssen heute immer noch auf verschiedene Leistungen rekurrieren, müssen zu verschiedenen Ämtern gehen und sind mit verschiedenen Einkommensgrenzen konfrontiert. Wir treten dafür ein, ein Familiengeld zu schaffen, das es Eltern leichter macht, Kinder zu erziehen, und das Ja zum Kind erleichtert. Wir werden dafür kämpfen und uns in der nächsten Zeit mit Ihnen darüber auseinander setzen, wie eine zukunftsweisende Familienförderung auszusehen hat. Was das Familienbild angeht, so bin ich in letzter Zeit sehr nachdenklich geworden; denn Sie sind dabei, das Grundrecht in Art. 6 des Grundgesetzes, „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“, auszuhebeln. Sie wollen für die gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eine „Ehe light“ schaffen. Wir sind dafür, Diskriminierungen abzubauen. Dort, wo es notwendig ist, dass Hilfe geleistet wird, sind wir für konkrete Hilfe. Aber wir werden es nicht mitmachen, dass jeglicher Unterschied zur klassischen Ehe von Ihnen ausgehebelt wird. ({12}) Die „Ehe light“ geht auf Kosten aller anderen. Bedenken Sie: Der Kuchen, den Sie zu verteilen haben, wird nicht größer werden. ({13}) Wenn mehr an diesem Tisch sitzen - das planen Sie mit Ihren Vorschlägen zur „Ehe light“ -, dann werden die Stücke kleiner. Das geht zulasten der kinderreichen Familien und der Alleinerziehenden und das ist kein Weg in eine familienfreundliche Gesellschaft. ({14}) Jetzt will ich einen weiteren Punkt ansprechen, der mir seit längerer Zeit - gerade wenn ich mir Ihre Äußerungen bzw. Nichtäußerungen vor Augen führe, Frau Ministerin Bergmann - sehr viel Sorgen macht: Es ist das Thema Frauen und Rente. Ich habe die Pressemeldungen verfolgt. Ich habe Sie, Frau Ministerin, vermisst, als es darum ging, sich in dieses Themenfeld einzubringen und Forderungen für Frauen zu erheben. Sie haben in New York davon gesprochen, wir bräuchten ein „gender mainstreaming“, das heißt, die Integration der Anliegen von Frauen in allen Politikbereichen. Nur: Wo erheben Sie Ihre Stimme, wenn es darum geht, für Frauen in der Rentenreform etwas zu erreichen? Es ist die Mehrzahl der Rentner, um die es geht. Es geht um die Zukunft von 11 Millionen Rentnerinnen in Deutschland. Hier erkenne ich nichts, was von Ihnen an Gedanken eingebracht worden ist. ({15}) Das einzige, was ich aus Ihrem Hause registriert habe, war ein harscher Protest, als die Frauenverbände einen offenen Brief an Bundeskanzler Schröder schrieben und darin erklärten, die Frauen stünden in Gefahr, eindeutige Verliererinnen dieser Rentenreform zu werden, wenn die Pläne von Rot-Grün Realität würden. Daraufhin hat Ihre Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Niehuis, von einer unglaubwürdigen Allianz und von unglaubwürdigen Luftblasen gesprochen. So kann man in diesem Land nicht mit Frauen umgehen. Sie haben die Frauen vor der Wahl benutzt, um die Rentenforderungen, die Sie aufgestellt haben und die Sie heute als Fehler bitter bereuen, im Lande zu verbreiten. Wenn Ihnen aber die Botschaften nicht passen, greifen Sie zu Beschimpfungen; das geht nicht. Wir müssen zurückkehren zu einer Politik, die dazu führt, dass gerade in der Rentenversicherung Nachteile für Frauen abgebaut werden und vor allen Dingen keine neuen Nachteile entstehen. ({16}) Ich hoffe sehr darauf, dass in dem Gesetzentwurf, den wir erwarten, diese Bedingungen erfüllt sind und Sie Ihre Stimme mit erheben. Ich will als letzten Punkt eines ansprechen: Sie haben sich zur Jugendpolitik, zu Gewalt und zum Rechtsradikalismus geäußert. Aber ich habe von Ihnen nichts zu einem Bereich gehört, der in diesem Zusammenhang eigentlich in Ihrem Blickfeld liegen sollte: Es ist der Jugendschutz im Medienbereich. Frau Ministerin, das ist eine Kompetenz, die in Ihren Händen liegt. Gewalt im Fernsehen, Gewalt im Internet, Pornographie im Internet und die Entwicklung im digitalisierten Fernsehen, das alles muss uns eigentlich alle umtreiben. Seit einem Jahr liegt der Bericht zum IuKDG, zum Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz, vor. In diesem ist ausgeführt, dass die Bestimmungen zum Jugendschutz im Medienbereich nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprechen. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus dieser Aussage? Wo sind Ihre Vorschläge? Ich habe bisher nichts erfahren. Die Länder - so ist mir zu Ohren gekommen - wollen jetzt den Jugendschutz im Medienbereich auf ihre Seite ziehen. Das heißt: Eine Kernkompetenz aus Ihrem Haus steht zur Disposition. Ich kann Ihnen nur sagen: Wehren Sie sich! Im Zeitalter der Globalisierung und im Zeitalter von Internet kann es doch nicht sein, dass eine Kernkompetenz im Bereich des Jugendmedienschutzes von der nationalen Ebene völlig auf die regionale Ebene, auf die Länderebene verlagert wird. ({17}) Wir brauchen klare, einheitliche Regelungen im Bereich des Jugendmedienschutzes. Wir brauchen bessere Einrichtungen in diesem Bereich. Wir müssen diesen Dschungel durchforsten. Das gilt es zu tun, hier erwarte ich Vorschläge aus Ihrem Haus und nicht nur von Länderseite. Denn es gilt, schnell zu handeln, damit wir der Gewalt auf diesem Feld Einhalt gebieten können. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Böhmer, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch Ihnen, Frau Ministerin, läuft die Zeit davon. Politik für junge Menschen, für Ältere, für Frauen und für Familien muss man richtig machen! Rot-Grün kann das nicht. Das kann nur die Union. Deshalb werden wir mit Ihnen weiterhin heftig über die Zukunft der Familien in Deutschland streiten. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während der Vorbereitung meiner Haushaltsrede stand ich ein wenig in der Versuchung, es dem Altbundeskanzler Kohl gleichzutun, als er seine Neujahrsrede gehalten hat, und die Rede aus dem letzten Jahr noch einmal vorzutragen; denn: Das Meiste ist gleich geblieben, sieht man einmal davon ab, dass die Ausgaben diesmal nur um 2 Prozent reduziert werden. Aber bei einem 10-Milliarden-DM-Haushalt, bei dem fast 7 Milliarden DM allein durch das Erziehungsgeld gebunden sind, ist auch nicht mehr viel zu holen. Die Kürzungen sind dennoch schmerzlich. ({0}) Aber angesichts Ihrer Hinterlassenschaft von 1,5 Billionen DM an Schulden, die wir bei unserer RegierungsDr. Maria Böhmer übernahme vorgefunden haben, kommt man an Einsparungen nicht vorbei, ({1}) es sei denn, man spart auf Kosten der nächsten Generation. Dies wollen wir nicht. Die Einsparungen waren durch die Verkürzung des Zivildienstes und durch eine geringere Inanspruchnahme des Erziehungsgeldes aufgrund der gesunkenen Geburtenrate möglich. Frau Böhmer, ist es nicht so, dass Ihre Kolleginnen von der CDU/CSU-Fraktion immer wieder verbreiten, wir würden das Erziehungsgeld kürzen? Das wird nicht gekürzt. Wir haben 300 Millionen DM mehr eingestellt. Aber weil weniger Kinder geboren werden, wird auch weniger in Anspruch genommen. So weit zu den Mitteln des Einzelplans 17. Sie sagen: Im Haushalt tut sich nicht viel. Wenn Sie nur den Haushalt betrachten, könnte ich Ihnen vielleicht zustimmen. Aber es ist nicht der Haushalt allein. Ich möchte jetzt an drei Beispielen aus den Bereichen Familien-, Frauen- und Seniorenpolitik, die konträr zu Ihrer Vorlage, Frau Kollegin, stehen, deutlich machen, welchen Wandel die neue Bundesregierung eingeleitet oder sogar schon umgesetzt hat. Beispiel Familienpolitik: Die gesunkene Geburtenrate und ihre Auswirkung auf die sozialen Sicherungssysteme waren im Sommer Thema zahlreicher Veröffentlichungen. Besonders hat sich dabei der bayerische Ministerpräsident Stoiber hervorgetan, in dem er eine aktive Bevölkerungspolitik gefordert hat. ({2}) Wie er die Frauen ködern möchte, mehr Kinder zu gebären, hat Herr Stoiber - vielleicht Gott sei Dank - nicht gesagt. Verehrter Herr Stoiber, ich hatte gedacht, diese Zeiten seien eigentlich vorbei. Wir lehnen eine aktive Bevölkerungspolitik ab. ({3}) Wir müssen allerdings die Paare unterstützen, die zwar einen Kinderwunsch haben, diesen aber aus vielfältigen Gründen nicht realisieren. Von diesen Paaren gibt es eine Menge, wie Befragungen zeigen. Das ist das Ergebnis Ihrer konservativen Familienpolitik, die stets auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wurde. Es ist doch kein Wunder, dass schon heute jede dritte Frau auf Dauer kinderlos bleibt. Das ist die Begründung dafür. Das ist in meinen Augen eine stille Revolution der Frauen, die deutlich macht, dass sie nicht mehr bereit sind, die alleinige Verantwortung für die Kinder zu übernehmen. ({4}) Der Arbeitsmarkt ist weit davon entfernt - auch darin stimmen wir überein -, mit flexiblen Arbeitszeiten auf die Bedürfnisse von Eltern zu reagieren. Die meisten Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen sind so gestaltet, dass die Mütter mittags mit fertig gekochtem Essen zur Verfügung stehen müssen. Und die Väter? In den meisten Fällen haben sie noch immer die Zuschauerrolle in der Familie inne. Auch das werden wir ändern. Frau Böhmer, wenn Sie vorhin gesagt haben, die Ministerin sei ein Ausfall in der Familienpolitik, ({5}) dann muss ich Ihnen sagen, dass ich das, was Sie gesagt haben, für einen Ausfall halte. ({6}) Gerade in der Familienpolitik hat die Bundesregierung entscheidende Weichenstellungen vorgenommen, angefangen mit dem Elternzeitgesetz, das für drei Jahre den Rechtsanspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit vorsieht, und mit dem neuen Gesetz, mit dem jetzt die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit auch im Zusammenhang mit anderen Bedürfnissen generell festgeschrieben wird. Auch finanziell - im Rahmen der Einkommensteuer sind die Familien besser gestellt worden. Deshalb führe ich folgendes Beispiel noch einmal an, Frau Böhmer: Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 60 000 DM, das eine Fahrleistung von 15 000 Kilometern im Jahr und einen normalen Verbrauch an Gas und Strom hat, spart trotz aller Belastungen noch immer 2 000 DM. Deswegen können Sie hier nicht behaupten: Die Ökosteuer sei schuld. Sie sollten intellektuell etwas redlicher sein. ({7}) Zweimalige Erhöhung des Kindergeldes und auch Erhöhung des Erziehungsgeldes - auch das sind ziemliche Leistungen. Dass das Familienpolitikerinnen immer noch nicht genug ist, ist doch klar. Wir setzen das aber Schritt für Schritt um. Wir sind auf dem Weg, auch 2002 wieder etwas finanziell für die Familien zu tun. Eine Kindergelderhöhung wäre meiner Ansicht nach die gerechteste Lösung, weil dann kleine und mittlere Einkommen eine tatsächliche Förderung bekommen. Auch bei Antworten zum demographischen Abwärtstrend steht das Thema Migration auf der Tagesordnung. Im Jahre 2050 werden selbst bei einer eingerechneten Zuwanderung von 200 000 Menschen pro Jahr in Deutschland 10 Millionen Menschen weniger leben. Auch aus diesem Grunde begrüße ich als Grüne ausdrücklich die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung, die ja sehr weitgehend ist und nach der Kinder bis zum 21. Lebensjahr zu ihren Eltern nach Deutschland nachziehen können. ({8}) Eine weitere notwendige Maßnahme zur Sicherung der sozialen Sicherungssysteme wäre die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit. Auch hier haben Sie uns mit einer Frauenerwerbstätigkeit von unter 40 Prozent eine Hinterlassenschaft vermacht, bei der wir eine ganze Menge nachholen müssen. ({9}) Damit bin ich beim zweiten Thema, der Gleichstellungspolitik in der Privatwirtschaft. Noch nie hatten wir eine so gut ausgebildete Frauengeneration - Frau Lenke, Sie werden mir da zustimmen. 55 Prozent haben die Hochschulreife; der Anteil der Studentinnen ist 52 Prozent. Frauen haben durchschnittlich die besseren Noten. Diese Zahlen finden keine Entsprechung in der Berufswelt. Frauen verdienen immer noch fast ein Drittel weniger als Männer. Sie haben 1999 laut Eurostat 3,7 Prozent der Führungspositionen inne. In den Hundert größten Aktiengesellschaften hat es bis vor kurzem eine Vorstandsfrau gegeben. Diese gibt es nun auch nicht mehr. Im europäischen Vergleich liegen wir sowohl bei der Erwerbsquote als auch bei den Verdienstchancen und bei der Kinderbetreuung im unteren Drittel. Bei den Führungspositionen bilden wir mit Italien das Schlusslicht. Das sind keine Indikatoren für einen modernen Wirtschaftsstandort. ({10}) Ich finde, wir können es uns nicht länger leisten, in Europa das Schlusslicht bei der betrieblichen Gleichstellung zu sein. Beim Thema Europa denkt man natürlich sofort immer an den sinkenden Euro. Es gibt eine Menge Erklärungen, woran es liegt, dass er sinkt. Ich möchte noch eine hinzufügen: Vielleicht liegt ja die Euro-Schwäche daran, dass bei uns so wenige Frauen in Entscheidungspositionen sind, ({11}) während in den Vereinigten Staaten fast jede zweite Topposition mit einer Frau besetzt ist. Diese Erklärung wäre ja mal eine Überlegung wert. ({12}) Es gibt schon jetzt eine Reihe von Unternehmen - das sind nicht nur Großbetriebe -, die erkannt haben, dass Chancengerechtigkeit letztendlich auch den Unternehmen zugute kommt. Um diesen positiven Prozess zu beschleunigen, brauchen wir ein Gesetz, das die Unternehmen zur Gleichstellung verpflichtet. Das ist, Kollegin Lenke, keine Politik mit der Brechstange, ({13}) sondern das, was die Ministerin vorgeschlagen hat, würde ich als ein Werkzeug zur Feinjustierung bezeichnen. Es geht sehr genau auf die Dinge ein, die zu regeln sind. Ihnen geht das alles viel zu weit. Den CDU-Kolleginnen Süssmuth und Böhmer geht das viel zu langsam und ist zu wenig verbindlich. Wir scheinen also auf dem richtigen Wege zu sein. ({14}) Wir hätten bei diesem schwierigen Projekt natürlich gerne noch die eine oder andere unterstützende Stimme aus der Opposition und der Koalition. Zum Schluss komme ich zu einem traurigen Kapitel, der Seniorenpolitik. Seit Jahren berichten die Medien über Missstände in Heimen. Untersuchungen belegen, dass 30 Prozent der Pflegeheimbewohner an qualvollen Schmerzen durch offene Wunden leiden, die durch Pflegefehler entstanden sind. Fachleute gehen davon aus, dass eine häufige Todesursache von Heimbewohnern das Austrocknen aufgrund mangelnder Flüssigkeitszufuhr ist. Festschnallen mit Gurten und Ruhigstellen mit Psychopharmaka sind an der Tagesordnung. So wird der Lebensabend zur Hölle. Diese Vorfälle sind nicht neu. Trotzdem wurde bisher nicht gehandelt. Auch hier wird die Politik endlich reagieren. ({15}) Eine Änderung des Heimgesetzes, die auch unangemeldete Kontrollbesuche ausdrücklich vorsieht, und auch eine bessere Ausbildung des Fachpersonals werden sicherlich eine Verbesserung bringen. Das können aber nur erste wichtige Maßnahmen sein, die meines Erachtens auch noch nicht ausreichen werden. Wir werden das Gespräch mit bereits bestehenden Initiativen und Fachleuten suchen, damit diese Menschenrechtsverletzungen an alten Menschen ein Ende finden. Ich glaube, dieser kleine Exkurs in die drei Fachbereiche hat deutlich gemacht, wie wichtig und umfassend die Arbeit unseres Ausschusses ist, ohne dass sich das im Haushalt in Mark und Pfennig widerspiegelt. Lassen Sie uns um die besten Lösungen streiten. Ich denke, wir tun gut daran, unsere Konzepte vorzustellen und durchzusetzen, damit sich in dieser Republik endlich etwas bewegt. Vielen Dank. ({16})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Mein Kollege Schriftführer sagte mir, dass die Regelung hinsichtlich der Redezeit locker gehandhabt würde. Ich will eigentlich, dass die Redezeit eingehalten wird. Das sage ich jetzt. Eben habe ich das ein bisschen laufen lassen. Nun erteile ich der Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der rot-grünen Frauen- und Familienpolitik ist mehr Schein als Sein und mehr Zwang als Motivation. Das ist typisch sozialdemokratisch und typisch grün. Wir Liberale haben eben andere Vorstellungen von Frauen- und Familienpolitik. Wir sind nämlich nicht für Gesetze, die persönliches und wirtschaftliches Handeln einschränken; vielmehr wollen wir politische Rahmenbedingungen, die wir nicht mit Androhung und Zwang erreichen wollen. ({0}) Sie haben gesehen: Wir haben auf der Grundlage des Bundesverfassungsgerichtsurteils politische Alternativen zur Elternzeit, zur Erziehungszeit und zur FamilienfördeIrmingard Schewe-Gerigk rung vorgelegt. Wir sind in Bezug auf die Möglichkeiten der Beschäftigung von Frauen wirklich weitergegangen als Sie. Unsere Vorstellungen zielen mehr auf die individuelle Ausgestaltung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und natürlich auf die Unterstützung von Männern in der Familienphase. Unsere Konzepte liegen auf dem Tisch. Sie haben sicherlich andere gehabt und Sie sind von Ihren überzeugt. Wir werden die zwei Jahre einmal abwarten und schauen, ob sich auf der Grundlage Ihrer neuen Konzepte wirklich etwas bewegt hat. Ich habe daran meine Zweifel. Ich möchte kurz zu § 19a des Ausländergesetzes kommen. Wir im Deutschen Bundestag arbeiten über Fraktionsgrenzen hinweg sehr konstruktiv zusammen. Wir konnten Sie überzeugen, dass diejenigen Frauen, die für den Lebensunterhalt nachweislich nicht aufkommen können, einen Sozialhilfeanspruch haben. Diesbezügliche Maßnahmen waren in Ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf nicht enthalten. Ich finde eigentlich ganz gut, dass Ihnen die F.D.P. in diesem Punkt weiterhelfen konnte. ({1}) Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie haben eine Halbzeitbilanz vorzulegen. Man fragt sich manchmal, welche Vorstellungen Sie zu Beginn der Regierungszeit hatten und was Sie in der Politik haben durchsetzen können. Ich erinnere mich sehr gern an das, was Sie nicht durchsetzen konnten. Zum Beispiel haben Sie in dieser Regierung bis heute das Ehegattensplitting nicht abschaffen können - eine Forderung, die man von Ihnen immer hören konnte. Außerdem wollten Sie eine Gleichstellung mit der Ehe. Volker Beck ist heute nicht da. Er hat in den Veranstaltungen, bei denen ich war, immer gesagt: Wir wollen die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften der Ehe gleichstellen. Sie haben in dem Entwurf, den Sie zusammen mit der SPD vorgelegt haben, einiges zurückgenommen. ({2}) - Wir haben einen anderen Entwurf, der verfassungsfest ist, Herr Simmert, während Ihr Entwurf vor dem Verfassungsgericht überhaupt nicht standhält. Von daher werden Sie noch viele Änderungen vornehmen, noch vieles bei dem Gesetz zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zurücknehmen. Herr Simmert, ich bleibe bei Ihnen. Ich habe in alten Protokollen nachgelesen. Im Februar 1999 haben Sie für die Koalitionsfraktionen und die von ihr getragene Regierung die zeitliche Gleichstellung des Zivildienstes mit dem Wehrdienst gefordert. Wir haben da so viele Änderungen gehabt. Wieso ist Ihnen das eigentlich nicht gelungen? ({3}) Das ist überhaupt kein Problem. Herr Simmert, wo ist eigentlich Ihre Erfolgsmeldung? Ich meine, diese wenigen Beispiele zeigen, dass Sie in dieser Regierung ganz kleine Brötchen backen müssen. ({4}) Ich will aber auch noch auf die SPD zu sprechen kommen. Schröder hat im Wahlkampf am 17. April 1998 - ich kann mich sehr genau daran erinnern; es ist auch im Fernsehen gezeigt worden - versprochen, dass er eine Steuerpolitik zur Entlastung von Familien mit Kindern gestalten will. Jeder weiß das. Aber Fakt ist doch, dass die indirekten Steuern durch steigende Energiepreise - das ist jetzt wirklich nicht wegzudiskutieren; die hohen Heizölund Benzinpreise sind nicht nur von Ihnen zu verantworten - ({5}) - Ja, dafür können Sie nichts; aber auch als Sie in der Opposition waren, haben Sie nicht gefragt, welche Preise steigen und welche nicht. Jetzt müssen Sie sich sagen lassen, dass eine Entlastung der Familien faktisch nicht vorhanden ist. ({6}) Machen Sie eine bessere Politik - Herr Fischer ist ja nicht mehr da -, vielleicht wäre es etwas anders gekommen, wenn er sich da ein wenig mehr eingesetzt hätte. Meine Damen und Herren, ich möchte nur aus dem „Focus“ dieser Woche zitieren - das haben Sie sicher auch mit Interesse gelesen -: Wie so oft leiden besonders die Familien unter steigenden Preisen. Die zusätzlichen Belastungen zwingen die Familien zu schmerzhaften Einsparungen. Das ist Fakt. Ich möchte noch ganz kurz auf einen weiteren Meilenstein Ihrer Regierungspolitik eingehen, nämlich auf das Gleichberechtigungsgesetz für die Wirtschaft. Sie wollen ja die Vergabe von Aufträgen an Frauenförderung binden. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass das sehr bürokratisch werden wird und dass der Schuss für die Frauen nach hinten losgehen wird, Frau Wolf. ({7}) Sie werden es sehen. Die Wirtschaft erhält von Ihnen Auflagen über Auflagen: ({8}) Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit während der Erziehungszeiten, 630-Mark-Gesetz, Gleichstellungsgesetz und das Neueste - das habe ich gestern im Radio gehört -: Sie wollen einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit auch bei Betrieben mit zwei bis drei Mitarbeitern einführen. Da sagen Sie mir einmal, wie ein Betrieb überhaupt überleben kann. ({9}) Mir ist es ein wirkliches Bedürfnis, mich jetzt noch dem Zivildienst zu widmen. ({10}) Im Einzelplan 17 werden für nächstes Jahr 2 Milliarden DM veranschlagt. Im letzten Haushalt hat es ja ausschließlich massive Kürzungen gegeben. Darunter haben die Zivildienstleistenden bis heute zu leiden. ({11}) - Ja, sicher. Sie haben einen geringeren Rentenanspruch. Das wissen Sie doch, Herr Simmert, erzählen Sie doch nichts. Weiterhin müssen die Einrichtungen mehr Entlassungsgeld bezahlen und ihr Anteil bei den Tagegeldern liegt höher. ({12}) Sie haben die Zivildienstzeit während Ihrer Regierungszeit gekürzt. Gemäß dem Scharping-Konzept werden Sie ihn bis 2002 von 13 auf 10 Monate kürzen, um nicht falsch verstanden zu werden. ({13}) - Ab 1. Januar 2002 wollen Herr Scharping und Sie eine neunmonatige Wehrpflicht einführen, dann wären wir bei 10 Monaten. Das bedeutet, dass es in anderthalb Jahren drei Monate weniger sind. Ich will nicht falsch verstanden werden: Ich halte es für sehr positiv, dass wir junge Leute zu kürzeren Zwangsdiensten, Wehr- oder Zivildienst, verpflichten. Die jungen Männer können dann eher eine berufliche Ausbildung machen. Die Schwierigkeit, die ich jedoch mit der Regierungspolitik habe, ist, dass Sie immer kürzen, kürzen und kürzen, aber kein Konzept für den Zivildienst vorlegen. Das haben Sie bis heute nicht geschafft. ({14}) Ich habe wirklich den Eindruck, Frau Ministerin - ich begründe das jetzt auch noch -, dass das für Sie keine Herzensangelegenheit und deshalb auch keine Chefinnensache ist. Durchgesickert ist ja nun in der letzten Woche, dass die Arbeitsgruppe zur Zukunft des Zivildienstes, die in Ihrem Ministerium hinter verschlossenen Türen tagt, einen freiwilligen Zwangsdienst ausgebrütet haben soll. Man kann sich also als Wehrpflichtiger oder Zivildienstleistender zwei Monate länger, als der Zivildienst dauert, verpflichten. Dann braucht man weder den Wehrdienst noch den Zivildienst zu leisten. Sie wollen also jetzt, weil Sie Schwierigkeiten mit den Einrichtungen haben, einen freiwilligen Zwangsdienst, der zwei Monate länger als der Zivildienst - das muss man sich einmal vorstellen, das wären drei Monate länger als die Wehrpflicht - dauert, einrichten. Ich halte das für happig. Für mich ist der Vorschlag völlig unseriös. Vielleicht fragen Sie einmal nach. Ich bekomme keine Antwort, denn diese Arbeitsgruppe tagt hinter verschlossenen Türen. Die Ministerin hat ja angekündigt, dass es in der nächsten Woche eine entsprechende Vorlage geben wird. Ich bin sehr gespannt, ob sich dieser Vorschlag in dieser Vorlage wiederfindet.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt denken Sie aber an Ihre Redezeit.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich achte jetzt darauf.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nein, sie ist schon seit über einer Minute abgelaufen.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Über eine Minute? Dann will ich nur zum Schluss Frau Bergmann noch ein Lob aussprechen. Gemäß dem Haushaltsentwurf wollen Sie Mittel zur Stärkung des Ehrenamtes einsetzen. Da stimmen wir Ihnen uneingeschränkt zu. Ich hoffe, dass es nicht nur Gutachten geben wird, sondern auch vor Ort von den Vereinen und Verbänden praktische Arbeit durchgeführt werden kann. Dabei sind wir Ihnen gerne behilflich. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion, das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Jahre nach der Bundestagswahl ist es an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Auch in der Frauenpolitik fällt diese ernüchternd aus. Der Regierungswechsel zu Rot-Grün war zu Recht mit der Hoffnung auf einen Paradigmenwechsel in der Gleichstellungspolitik verbunden. Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass exemplarisch aufzeigen, warum die Enttäuschung über Ihre halbherzige Politik - übrigens nicht nur bei uns so groß ist. Frau Ministerin Bergmann, die Koalition hat vor zwei Jahren ein effektives Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft versprochen. Die Praxis hat gezeigt, dass in puncto Chancengleichheit in der Privatwirtschaft auf freiwilliger Basis so gut wie nichts passiert und dass jahrelange Appelle an die Wirtschaft, an die Unternehmer, an das Management nichts bewegt haben. Nun ist von einem effektiven Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft so gut wie keine Rede mehr. Nun wollen Sie doch wieder auf Appelle setzen. Natürlich gibt es die Unternehmen, bei denen Appelle fruchten, die mit gutem Beispiel vorangehen, die zudem wissen, dass sich die Gleichbehandlung der Geschlechter auch rechnet. Aber sie sind in der Minderzahl. Sie selber haben vergangene Woche gesagt, dass sich von über 2 Millionen Betrieben gerade einmal knapp 100 um Prädikate für Chancengleichheit bemühen. Frau Ministerin, ich habe mich an den Dialogforen Ihres Ministeriums zum Thema Chancengleichheit in der Wirtschaft beteiligt. Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass Chancengleichheit für Männer und Frauen tatsächlich ein Erfolgsfaktor für die Wirtschaft sein kann. Aber intensiver Dialog ersetzt keine Handlungen, auch und vor allem nicht die des Gesetzgebers. ({0}) Wenn Sie sagen, unternehmerische Freiheit und Tarifautonomie haben Vorrang vor staatlichen Interventionen, dann bringen Sie etwas durcheinander. Unternehmerische Freiheit darf keinen Vorrang haben, wenn sie zur Diskriminierung eines ganzen Geschlechts genutzt wird. ({1}) Die Tarifautonomie wird durch das Grundgesetz geschützt. Im Übrigen hat niemand gefordert, hier von staatlicher Seite zu intervenieren. Die Gleichstellung der Frauen aber ist ein Verfassungsauftrag. Ihn durchzusetzen ist Aufgabe der Politik. Davor kann sich die Koalition nicht drücken. Aber genau das tun Sie, wenn Sie nun, wie vergangene Woche angekündigt, die Verantwortung auf die Tarif- und Betriebspartner abschieben. Es mag ja gut klingen - wie Sie eben noch einmal ausgeführt haben - dass sich dann jeder das aussuchen kann, was er braucht. Aber das hilft den Frauen herzlich wenig. Warum meinen Sie, dass Gewerkschaften und Betriebsräte gerade jetzt das durchsetzen können, was ihnen jahrelang nicht gelungen ist? Da hilft es auch nichts, dass Sie für einen späteren Zeitpunkt gesetzlichen Zwang ankündigen. Nein, es bleibt dabei: Wir brauchen klare und verbindliche gesetzliche Vorgaben. Dazu gehören nun einmal effektive Quotierungsregelungen. ({2}) Wir brauchen Gleichstellungsbeauftragte in den Betrieben, die entsprechende Rechte haben, die Gleichstellung durchzusetzen. ({3}) - Das reicht eben nicht. Aber zur notwendigen Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes sage ich gleich noch etwas. Wenn das Gesetz nicht zum zahnlosen Papiertiger werden soll, denn brauchen wir auch Sanktionen, vor allem ein Verbandsklagerecht. ({4}) Zudem müssen wir die Vergabe öffentlicher Aufträge daran knüpfen, dass die Unternehmen Frauen fördern. Einige Bundesländer haben bereits solche Regelungen. Sie beweisen, dass die Welt nicht untergeht und auch der Standort nicht verloren ist, wenn Betriebe Anreize haben, nicht zu diskriminieren. Wir müssen auch das individuelle Diskriminierungsverbot nach § 611 a des Bürgerlichen Gesetzbuches neu fassen. Denn es ist für Frauen heute noch immer äußerst schwer, sich gegen persönliche Diskriminierung zur Wehr zu setzen. Das geltende Gesetz ist in der Praxis kaum wirksam, weil der Tatbestand „Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“ nicht eindeutig definiert ist, weil die Beweislast zu groß ist und die Sanktionen äußerst gering sind. Damit noch nicht genug. Wir müssen auch das Beschäftigtenschutzgesetz überarbeiten. Denn der Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist nach wie vor nicht ausreichend. Noch immer behandeln Betriebe, Verwaltungen und Ausbildungsstätten sexuelle Belästigung als Kavaliersdelikt. Wir brauchen eine klare Definition der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und effektive Beschwerdemöglichkeiten. Außerdem brauchen wir Schadenersatzansprüche für die betroffenen Frauen. Bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes schließlich müssen wir die Betriebsräte und seine Gremien quotieren und ihre Kompetenzen im Bereich der Frauenförderung ausweiten. Nur so können wir wirklich sicherstellen, dass die Betriebsräte die Interessen von Frauen angemessen vertreten. Sie sehen also: Wir haben einen enormen Regelungsbedarf. ({5}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn es auch meines Erachtens sehr spät ist: Endlich ist unsere Gesellschaft angesichts des Ausmaßes rassistisch motivierter Gewaltübergriffe aufgewacht. Wir Politikerinnen und Politiker sind jetzt gefordert, unseren Worten Taten folgen zu lassen. Die PDS fordert, in den Haushalt im Rahmen des Kinder- und Jugendplanes einen neuen Titel zur Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus und Rassismus einzustellen. Wir halten es für absolut dringlich, nicht nur zu Zivilcourage gegen den Rechtsextremismus aufzurufen, wir müssen dafür auch öffentliche Gelder bereitstellen. Vielerorts sind es Jugendliche, die sich mit sehr viel Mut gegen Rassismus und Gewalt zur Wehr setzen und die eine unverzichtbare dialogorientierte Arbeit leisten. Sie brauchen unsere Unterstützung. Frau Ministerin, wir alle, vor allem die Jugendlichen, nehmen Sie beim Wort. Sie haben eben sehr klare Worte gesprochen - ich finde das gut -, dass wir die Gegenkräfte stärken müssen. ({6}) Aber - jetzt kommt mein „Aber“ - der Haushaltsentwurf, also die in Zahlen gegossene Politik, lässt davon leider herzlich wenig erkennen. Entgegen verschiedenen Äußerungen aus dem Ministerium gibt es zumindest im Moment - ich hoffe, das ändert sich noch im Laufe der Haushaltsberatungen - keine zusätzlichen Mittel, kein Aktionsprogramm, noch nicht einmal die quasi angekündigte Intensivierung, also die Aufstockung der Mittel für politische Bildung. In diesem Sommer sind viele Menschen hierzulande wach geworden und haben das Ausmaß von Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in diesem Land erkannt. Es ist Aufgabe der Politik, also von uns allen, alles Erdenkliche zu leisten, damit wirksam und nachhaltig dagegen angegangen werden kann. Wir alle sind hier gefordert. Ich danke Ihnen. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich danke der Frau Kollegin Bläss dafür, dass sie 50 Sekunden ihrer Redezeit eingespart hat. ({0}) - Ich bitte, diese Bemerkung nicht zu ernst zu nehmen. Nun spricht die Kollegin Hildegard Wester, SPD-Fraktion.

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem dritten Haushalt seit dem Regierungswechsel im Jahre 1998 wird der Konsolidierungskurs der rot-grünen Bundesregierung fortgesetzt. Trotz Sparhaushalt ist es gelungen, die Prioritäten richtig zu setzen. Der von dieser Koalition eingeleitete Abbau der Staatsverschuldung liegt auch im Interesse der Kinder und Jugendlichen sowie der Familien und Senioren; ({0}) denn nur mit einem ausgeglichenen Haushalt kann man auf Dauer Zukunftsinvestitionen leisten. Wo wären Zukunftsinvestitionen sinnvoller und wichtiger als in dem Bereich, den wir gemeinsam hier vertreten? So ist es für junge Menschen, aber auch für unsere Sozialsysteme von zentraler Bedeutung, dass die Arbeitslosenzahlen endlich sinken, was im Augenblick der Fall ist. Das ist ein Erfolg rot-grüner Wirtschafts- und Finanzpolitik und gezielter Arbeitsmarktförderungspolitik. ({1}) Zu den Schwerpunkten des rot-grünen Zukunftsprogramms gehört ganz eindeutig auch die Besserstellung von Familien. In der Familienpolitik haben wir unser Wort, das wir vor der Wahl gegeben haben, eingelöst. Wir hatten nämlich versprochen, Frau Böhmer, die wirtschaftliche und soziale Lage der Familien spürbar zu verbessern. ({2}) Das ist uns zu einem großen Teil gelungen. Ich werde Ihnen gleich die Daten und Zahlen nennen. In diesem Zusammenhang können wir ganz besonders stolz darauf sein, dass wir eine Bundesministerin haben, die trotz des schweren Standes, den unser Ressort im Kabinett häufig hat, durchgehalten und gekämpft hat. ({3}) In diesem Sinne war die Wahl, die auf Frau Bergmann als Ministerin fiel, nicht ein Ausfall, sondern ein sehr guter Einfall. ({4}) Bei den Familien in Deutschland und vermutlich auch bei Ihnen ist es fast schon in Vergessenheit geraten, dass bereits zum 1. Januar 1999, also nachdem wir drei Monate an der Regierung waren, das Kindergeld von 220 DM um 30 DM auf 250 DM angehoben wurde. Seit Anfang dieses Jahres haben wir das Kindergeld erneut um weitere 20 DM erhöht und einen Kinderbetreuungsfreibetrag von rund 3 000 DM eingeführt. Alleinerziehende können diesen Beitrag übrigens allein in Anspruch nehmen. Die Kindergelderhöhung um 20 DM kommt auch Familien mit besonders niedrigem Einkommen zugute, da sie nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird. ({5}) Seit Übernahme der Regierung wurde das Kindergeld somit um 22,7 Prozent erhöht. Diese und weitere Erhöhungen bei anderen familienbezogenen Leistungen, zum Beispiel um 500 Millionen DM beim BAföG, um 475 Millionen DM beim Wohngeld und um 300 Millionen DM jährlich beim Erziehungsgeld, sind in der Bundesrepublik Deutschland ohne Beispiel. ({6}) Diese Ausgaben für den Familienleistungsausgleich werden 2001 erstmals das Niveau von 60 Milliarden DM überschreiten. 1998 waren wir bei einem Niveau von 49,9 Milliarden DM. Für die zweite Stufe der Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils zum Familienleistungsausgleich ab 2002 werden wir aber noch deutlich drauflegen müssen. Auch das werden wir gemeinsam mit Regierung und Fraktionen - hoffentlich auch mit Ihrer Mithilfe - schultern. Wir werden dabei darauf achten, dass verheiratete und unverheiratete Eltern, Alleinerziehende oder in Partnerschaft Erziehende befriedigende Antworten auf ihre Situation erhalten. Denn so wie wir bei der ersten Stufe der Umsetzung der Karlsruher Vorgaben darauf geachtet haben, dass mehr als 90 Prozent der Alleinerziehenden mit der Neuregelung besser fahren als vorher, werden wir auch bei der zweiten Stufe darauf achten, dass Nachteile, die entstehen könnten, kompensiert werden. Familien profitieren aber nicht nur von unserer Familienlastenausgleichspolitik, sondern auch von der allgemeinen Steuerpolitik, deren nächste Stufe im Jahre 2001 wirksam werden wird. Die entsprechenden Zahlen sind zwar soeben schon genannt worden; ich möchte sie aber wiederholen, weil es hier offensichtlich verschiedene Grundlagen gibt - vielleicht prägen sie sich besser ein, wenn man sie immer wieder nennt -: Eine Familie mit einem durchschnittlichen Einkommen von 60 000 DM und zwei Kindern wird im Jahre 2005 ({7}) - bis dahin findet ja ein allmählicher Anstieg statt; schon jetzt kommt es zu einer Entlastung von knapp 2 000 DM nur noch rund 2 400 DM Steuern zahlen. Das sind 45 Prozent weniger als im Jahre 1998. Diese Familien beziehen bereits jetzt pro Jahr ein Kindergeld von 1 200 DM mehr, ({8}) sodass diese Familien dann, wenn wir die letzte Stufe unserer Einkommensteuerpolitik umsetzen, mehr als 4 000 DM pro Jahr zusätzlich im Portemonnaie haben werden. ({9}) Natürlich kommt jetzt bestimmt wieder der Einwurf „Ökosteuer“. Darauf möchte ich kurz eingehen: Ich weiß nicht, woher Sie die Zahlen nehmen, nach denen eine Familie allein aufgrund der Ökosteuer - das kam jedenfalls bei mir so an - pro Monat 130 DM mehr für Sprit ausgibt. ({10}) Etwas anderes als die Ökosteuer haben wir hier nicht zu vertreten. Wir machen Politik und sind nicht in der Wirtschaft. Wir werden nicht dabei nachlassen, im Sinne der Umwelt und im Sinne der Entlastung der Arbeit eine vernünftige Steuerpolitik voranzutreiben und fortzuführen. ({11}) Wir werden uns nicht daran beteiligen, zu verschleiern, wo die Verursacher der Erhöhungen der Energiekosten sind. Sie befinden sich jedenfalls nicht in der Politik. Die Politik wird sich an diesem Punkt nicht erpressen lassen. ({12}) Mit der Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes haben wir weitere Meilensteine gesetzt. ({13}) Das wurde soeben schon einmal festgestellt; ich muss es wiederholen. Wir haben eine Reform auf den Weg gebracht, die überfällig war. 14 Jahre lang hat das Gesetz Geltung gehabt, das Sie seinerzeit eingebracht haben und das nicht dazu angetan war, dass Männer und Frauen Beruf und Familie miteinander vereinbaren können. Jetzt gibt es zudem für immerhin 75 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben einen Rechtsanspruch auf Teilzeit. Das ist eine zukunftsweisende Politik. Denn die Menschen wollen Beruf und Familie miteinander vereinbaren. Dies gilt nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Wir wollen gleichzeitig eine gezielte Frauenförderungspolitik betreiben. Wir sind auf dem besten Wege. Frau Bläss, es geht nicht nur darum, zu appellieren. Vielmehr wird dabei ein verbindliches Gesetz herauskommen. Es wird verbindlich sein, dass Frauenförderung ein Ziel der Politik ist, das eingehalten werden muss. Nur - das müsste durchaus in Ihrem Sinne sein, Frau Lenke -, die Wahl der Mittel, die der einzelne Betrieb vornimmt, sollte nach den Gegebenheiten des Betriebes so flexibel wie möglich sein. Wenn dort aber nichts passiert, werden Sanktionen eintreten. ({14}) Genau das sind die Ziele und Absichten der Bundesregierung und der Ministerin Bergmann. Die Fraktion unterstützt diesen Weg und dieses Ziel intensiv. Ich sagte soeben, wir wollen Männern und Frauen ermöglichen, Erziehung und Beruf miteinander zu vereinbaren. Damit machen wir auf der einen Seite deutlich, dass Erziehung eine gesellschaftliche und nicht nur eine Aufgabe der Familien ist; denn die Betriebe und die Gesellschaft werden in die Pflicht genommen. Wir machen aber auf der anderen Seite auch deutlich, dass wir erkennen, dass es nicht nur der finanzielle Rahmen ist, der Familien eventuell dazu bringen könnte, ihren Kinderwunsch zu realisieren. Die übrigen Bedingungen sind viel wichtiger als die Frage, ob es 10 DM oder 20 DM mehr an Kindergeld geben wird. Das heißt aber natürlich nicht, dass ich nicht um jede 10 DM mehr an Kindergeld kämpfen werde. Das ist kein Widerspruch, sondern eine Ergänzung. ({15}) Bedeutsam für den Haushalt im Bereich des Erziehungsgeldes - wir wollen das neue Gesetz Elternzeitgesetz nennen - ist die Erhöhung der Einkommensgrenzen. Wir überlegen uns natürlich intensiv - wir wären keine guten Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker, wenn wir das nicht täten, und ich lade Sie recht herzlich ein, mitzumachen -, wie wir gegebenenfalls noch Spielräume für weitere Verbesserungen in diesem Bereich erreichen können. Es ist hier bereits häufig angesprochen worden, aber ich muss es noch einmal bekräftigen, dass das Elternzeitgesetz allein nicht in vollem Umfang die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen oder erleichtern kann. Es müssen durch die Kommunen und Länder Betreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersgruppen bereitgestellt werden. Hier muss kräftig investiert werden. Ich denke, wir täten dabei gut daran, der Ministerin bei ihren Verhandlungen, die sie zurzeit mit den Ländern führt, den Rücken zu stärken, damit hier weitere Anstrengungen unternommen werden. Das alles muss natürlich finanzierbar sein.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In den Vorstellungen der Bundesregierung wurde ausgeführt, dass die Bundesregierung die Länder und Kommunen finanziell unterstützt. Machen Sie das in dieser Legislaturperiode, um mehr BetreuungsPetra Bläss einrichtungen für Kinder aller Altersgruppen vorzuhalten?

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Lenke, Sie wissen, dass die Bundesregierung die Kommunen und Länder bei dieser Aufgabe nicht unmittelbar unterstützen kann. Es gibt daher Gespräche, um auszuloten, auf welchen Wegen man Anreize schaffen kann. Das wird sicherlich nicht durch eine direkte finanzielle Unterstützung möglich sein. Meine Damen und Herren, es ist weiterhin erfreulich, zu beobachten, dass der zur Verfügung stehende Ansatz beim Unterhaltsvorschussgesetz mit 555 Millionen DM ausreichend ist. Wir haben durch die Veränderung des Finanzierungsschlüssels, der zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, erreichen können, dass auf der einen Seite der Bund entlastet und auf der anderen Seite die Möglichkeit gegeben wurde, sich durch stärkere Rückholaktivitäten von Kosten zu entlasten. Wir sehen, dass es eine erfreuliche Entwicklung gibt; denn es sind zum Teil Steigerungen im Rückholfluss von 4 bis 5 Prozent zu vermerken, und das in relativ kurzer Zeit. Ich finde die Bemühungen ausgesprochen notwendig, denn sie zeigen einerseits, dass mehr herausgeholt werden kann, sie zeigen andererseits aber auch, dass es viel zu lange versäumt worden ist, von denjenigen Unterhaltsleistungen einzufordern, von denen sie gezahlt werden müssen, nämlich von den Unterhaltspflichtigen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit. - Ja, ich denke an meine Redezeit. Dadurch, dass ich meine Redezeit überschritten habe, kann ich den wichtigen Bereich der Seniorenpolitik nun leider nicht mehr ansprechen; das Wesentliche haben die Ministerin und Frau Schewe-Gerigk aber schon gesagt. Sie haben mich mit Ihren Einlassungen zur Familienpolitik dazu verleitet, hier etwas ausführlicher zu werden. Ich kann Ihnen jetzt nur anbieten: Bringen Sie Ihre Kritik in die Haushaltsberatungen ein. Versuchen Sie mit uns das zu machen, was zu machen ist; denn dass wir alle so viel wie möglich für die Familien wollen, das ist, so denke ich, selbstverständlich. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, die 14. Legislaturperiode hat Halbzeit und die Bilanz für Ihr Haus fällt bislang kläglich aus. ({0}) Es kommt nicht von ungefähr, dass Sie in der Bekanntheitsskala der Bevölkerung am unteren Ende rangieren und das, obwohl Sie Fachbereiche vertreten, die nahezu jede Bürgerin und jeden Bürger persönlich betreffen. Die von Ihnen auf den Weg gebrachten Initiativen sind nur von mäßiger Innovationskraft und werden öffentlich entsprechend wenig wahrgenommen. Ihre Durchsetzungsfähigkeit am Kabinettstisch wird nicht ohne Grund selbst aus Ihrer eigenen Fraktion bemängelt. ({1}) In einem Artikel der „Berliner Zeitung“ vom 2. März dieses Jahres beklagt Ihre Fraktionskollegin Ulla Schmidt, dass Sie ohne Not den Begehrlichkeiten Eichels nachgegeben haben. Ich kann Ihre Kollegin nur unterstützen, wenn sie fordert - ich zitiere -: „Da muss man schon mal Nein sagen!“. Frau Ministerin, setzen Sie sich auch einmal durch! Wir unterstützen Sie gerne, wenn es um die Anliegen von Familien, Senioren und Jugendlichen geht. ({2}) So sind viele Ihrer Ankündigungen und Versprechen ebenso wie zahlreiche Forderungen, die in der letzten Legislaturperiode von der Oppositionsbank aus lautstark erhoben wurden, dahingeschmolzen. Gesetzentwürfe werden verschoben und verschoben; Versprechungen werden Stück für Stück von allen Seiten zurechtgestutzt. Das Erziehungsgeld hat diverse Entwürfe durchlaufen, die immer geringere Leistungen und Verbesserungen für die Familien beinhaltet haben. Nach eineinhalb Jahren lag dann endlich der Regierungsentwurf vor, der nur noch geringfügige Mittelerhöhungen vorsah. Dafür, dass dies eine zentrale Maßnahme der Regierung sein sollte, nimmt sich das sehr spärlich aus. Besonders erstaunlich ist aber, dass der Haushaltsansatz 2001 um - man höre - 200 Millionen DM unter den Ansatz von 2000 sinkt. Da kann dann auch jeder Laie sehen, dass Sie selbst nicht damit rechnen, dass Ihr neues Gesetz gravierende Verbesserungen bringt. Natürlich sinken - das räume ich ein - mit rückläufigen Geburtenzahlen die Ausgaben. Aber dann hätten Sie diese Mittel zum Beispiel für die Anhebung der Freibeträge beim Erziehungsgeld verwenden können. Oder prognostizieren Sie sinkende Ausgaben, weil Sie aufgrund der Budgetregelung noch mit deutlichen Einsparungen für den Bundeshaushalt rechnen? Denn diese Budgetregelung verführt junge Familien dazu, auf einen Teil ihres Erziehungsgeldanspruchs zu verzichten. Viel besser sieht es für die Familien auch beim Kindergeld nicht aus. Der von der rot-grünen Regierung zähneknirschend erhöhte Kinderfreibetrag ist nur die unabwendbare Minimalantwort auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts und kommt nur circa 10 Prozent der Bevölkerung zugute. ({3}) Aber die große Mehrheit der Familien kann eben nicht die 3 000 DM an Kinderfreibetrag in Anspruch nehmen, sondern bekommt die 30 DM mehr Kindergeld im Monat und das nur für das erste und zweite Kind. Das Bundesverfassungsgericht fordert ein familienpolitisches Gesamtkonzept. Bis jetzt ist das, was Sie vorgelegt haben, nur Stückwerk. Mit den jetzt für 2002 angekündigten 30 DM mehr an Kindergeld - rechtzeitig zur nächsten Wahl ({4}) werden Sie die Ungerechtigkeiten gegenüber Familien nicht beseitigen - schon gar nicht, wenn Sie entgegen aller Vernunft an der familienfeindlichen Ökosteuer festhalten. ({5}) Als Sie noch in der Opposition waren, haben Sie immer von Gerechtigkeit für Familien gesprochen. Jetzt sind Sie an der Regierung; jetzt haben Sie die Möglichkeit, Ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Da der Finanzminister wesentlich mehr Geld in der Tasche hat als ursprünglich erhofft, könnten Sie tatsächlich Familienpolitik machen. Machen Sie diese! Legen Sie ein Gesamtkonzept vor! Kleckern Sie nicht! Auch für die Seniorinnen und Senioren gehen die Dinge nur langsam voran. Das Heimgesetz liegt nach zwei Jahren Regierungszeit noch nicht vor, ({6}) obwohl es von Anfang an zugesagt war. Aber es gibt ständig grundlegend geänderte Entwürfe. Das ist immerhin mehr als das von langer Hand versprochene AmbulanteDienste-Gesetz. Denn dort gibt es noch gar nichts. Sie betonen zwar immer die Notwendigkeit, dass die Qualität in der Pflege sobald wie möglich gesichert werden muss, aber von Ihnen ist dazu bisher noch nichts vorgelegt worden. Lange, lange warten wir auch schon auf Ihr vielfach angekündigtes Gleichstellungsgesetz. Aber auch die Vorstellung am letzten Freitag enthielt wieder nur eine Ankündigung. So kann man seine Pressemitteilungen und Reden natürlich auch füllen. ({7}) Aber Politik muss konkret sein und darf nicht nur aus Ankündigungen bestehen. ({8}) Denn noch sind die Eckpunkte des Gleichstellungsgesetzes nur erahnbar. Mehr als die Grundidee konnten Sie auch dieses Mal wieder nicht bieten. Diese spärlichen Aussagen lassen darauf schließen, dass dann tatsächlich verwirklichte Aussagen nur minimal sein werden. Wir werden sehen, ob die immer noch bestehenden eklatanten Benachteiligungen für Frauen im Erwerbsleben im Ergebnis wirksam abgebaut werden. ({9}) Gleiche Chancen und gerechte Entlohnung für Frauen im Beruf sind ein Anliegen, das fraktionsübergreifend große Unterstützung findet. Trotzdem ist das für Frauen nur eine Seite des Lebens. Die andere ist die Familie. ({10}) Wenn man Ihre bisherigen Gesetze und Vorhaben betrachtet, Frau Ministerin, dann stellt man fest, dass Sie in erster Linie immer an die Berufstätigkeit denken und dass die Familie nur zweite Priorität hat. ({11}) Wir wollen, dass Sie beides gleich behandeln, Frau Ministerin. Vor einigen Wochen hat das Kabinett im Hinblick auf die Diskussion um den Rechtsextremismus eine Initiative für Jugendliche beschlossen. Auf Nachfrage konnten wir in Erfahrung bringen, dass es sich dabei um arbeitspolitische Maßnahmen handelt. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber mir fehlt das Engagement der Jugendministerin. Denn es gab bereits unter Frau Nolte Projekte gegen Aggression und Gewalt. Im Haushalt des Jugendministeriums, den wir heute einbringen, ist keine zusätzliche Mark für dieses Thema vorgesehen. Wir fordern jugendpolitische Maßnahmen zur Gewaltprävention und zur Gewaltbekämpfung, zur Bekämpfung von Radikalismus jedweder Art, nicht nur von rechts, sondern auch von links. ({12}) Frau Ministerin, großen Schaden haben Sie durch die Sparmaßnahmen im Zivildienstbereich angerichtet. Entgegen allen vollmundigen Versprechungen und Ihren heutigen Behauptungen sind auch im Pflegebereich deutliche Verschlechterungen erfolgt. Die Betreuung von chronisch Kranken und von Behinderten hat durch die Verkürzung des Zivildienstes auf elf Monate deutliche Einschränkungen erfahren. Übergänge zwischen den Zivildienstleistenden sind für die Verbände kaum lückenlos organisierbar, sodass es zu entsprechenden Sommerengpässen kam und auch in Zukunft wieder kommen wird. Die Verbände beklagen einhellig große Planungsprobleme und Verschlechterungen insbesondere bei den so genannten Diensten am Menschen. ({13}) Im Juli war aufgrund der Kürzungen nur noch etwa die Hälfte der Zivildienstplätze besetzt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband - dieses Schreiben haben Sie sicherlich auch bekommen - hat soeben hilferufend mitgeteilt, dass er im Juli nur 40 Prozent der Stellen besetzen konnte. Damit lässt sich keine kontinuierliche Hilfe für die behinderten oder chronisch kranken Menschen planen. So überlegen einzelne Verbände jetzt bereits, ob sie den Einsatz von Zivildienstleistenden in Zukunft nicht ganz streichen. ({14}) Die geplante Verkürzung des Ersatzdienstes auf zehn Monate verschärft die Situation zusätzlich und entspricht weder der Wehrgerechtigkeit noch dem sinnvollen Einsatz von Zivildienstleistenden. Dass dann gerade im wichtigsten - im pflegerischen - Bereich Zivildienstleistende kaum noch angemessen eingearbeitet werden können, wurde offensichtlich auch in Ihrem Haus entdeckt. Nun sollen deshalb nach Plänen des Ministeriums Freiwillige die Lücke füllen, wie letzte Woche bekannt wurde; Frau Lenke hat es angeführt. Das heißt, Zivildienstleistende sollen ihren Dienst um zwei Monate verlängern. Glauben Sie denn wirklich, dass ohne irgendwelche Anreize die weniger attraktiven Einsatzstellen auf diese Weise besetzt werden können? Wenn ich Ihr Vorgehen im Zivildienstbereich in den letzten Monaten verfolge, werde ich den Verdacht nicht los, dass Sie den Zivildienst eigentlich abschaffen wollen. Die CDU/CSU ist für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Dazu gehört untrennbar - schon im Hinblick auf die Wehrgerechtigkeit - der Zivildienst. Dass der Zivildienst gerade im Pflegebereich unverzichtbare, wertvolle Dienste leistet, hat die aktuelle Diskussion eindrucksvoll bestätigt. Von der Oppositionsbank aus haben Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, gerade im Bereich des Einzelplans 17 immer die tollsten Dinge gefordert. Die heutige Regierungsrealität hält Ihren früheren Forderungen nicht im Entferntesten stand. Im Haushalt 2001 finden sich gewaltige Mittelsteigerungen für Geschäftsbedarf und Kommunikation. Aber für Mehrausgaben zugunsten von Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben Sie kein Geld. Ich bin gespannt, wie Sie das bei den Beratungen rechtfertigen werden. ({15})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Denken Sie an die Redezeit, bitte.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein letzter Satz: Frau Ministerin, ich fordere Sie auf, nicht vor dem Finanzminister zurückzuweichen, sondern um die Anliegen Ihres Hauses zu kämpfen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Simmert, Bündnis 90/Die Grünen.

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genauso vielfältig wie die junge Generation ist der hier vorliegende Haushaltsentwurf des Familienministeriums. Der Kampf gegen Jugenderwerbslosigkeit, das Eröffnen von neuen Chancen für junge Frauen und Männer, die Bekämpfung des Rechtsextremismus - er ist im Übrigen nicht ausschließlich ein Jugendproblem - und die Neuordnung des Zivildienstes: Die rotgrüne Koalition stellt sich mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf des BMFSFJ den anstehenden Herausforderungen. Gerade die Bekämpfung des Rechtsextremismus und die damit verbundene Stärkung der Zivilgesellschaft kann natürlich nicht ausschließlich mit Haushaltstiteln gestaltet werden. Dazu bedarf es mehr. Die Bundesregierung hat jedoch - Frau Eichhorn, vielleicht nehmen Sie das einmal zur Kenntnis - zusätzlich 75 Millionen DM aus Mitteln des Europäischen Strukturfonds bereitgestellt. ({0}) Es werden weitere Maßnahmen ergriffen, die Sie auch im Haushalt finden. Die Bundesregierung ist nämlich nicht - wie vielleicht manches Mal die alte Regierung - auf dem rechten Auge blind. ({1}) Bündnis 90/Die Grünen treten seit langem für ernsthafte, konzeptionelle Anstrengungen in diesem Bereich ein. Strohfeuer oder blinden Aktionismus können wir uns an dieser Stelle nicht mehr leisten. Dies betrifft auch die Jugendarbeit. Bund und Länder müssen ihr Engagement verstärken. Wir brauchen einen Bewusstseinsbildungsprozess nicht nur bei jungen Menschen, der Zivilcourage, aber auch das Wissen um die deutsche Vergangenheit in den Mittelpunkt stellt. Schule und Jugendarbeit kommen hierbei in Ost und West eine besondere Bedeutung zu. Wir müssen in diesem Punkt die Vernetzung unterschiedlicher Akteure, die Vernetzung unterschiedlicher Menschen fördern: kein Nebeneinander, sondern ein stärkeres Miteinander für Toleranz und gegen Rassismus. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rechtsextremismus darf nicht noch stärker zur Jugendkultur werden. Ich teile die Aufforderung des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, dass gerade in puncto Jugendarbeit stärkere Anstrengungen nötig sind. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, gleichzeitig aber auch eine dauernde Herausforderung an die Politik. Ein Baustein zur Vernetzung unterschiedlicher Akteure vor Ort ist das Programm „Entwicklung und Chancen“ von Ministerin Bergmann. Diesen innovativen Weg neuer Projekte gilt es weiter zu gehen. Das machen wir. ({3}) Auch die Bekämpfung der Jugenderwerbslosigkeit geht 2001 mit dem Sofortprogramm JUMP in eine neue Runde. Das Programm ist weiterhin wichtig. Gerade in den neuen Bundesländern gilt es jedoch draufzusatteln. Notprogramme werden allerdings in keinem Fall das immer noch vorhandene strukturelle Defizit an Ausbildungsplätzen ausbügeln können. Dies gilt besonders für junge Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie benachteiligte Jugendliche. Hier ist nach wie vor die Wirtschaft gefragt. Nur dann, wenn junge Frauen und Männer einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz im ersten Markt finden, können wir von einer wirklichen beruflichen Perspektive für junge Menschen sprechen. Perspektiven eröffnen heißt aber auch, im nationalen, europäischen und internationalen Kontext zu denken. Gerade für junge Menschen ist es besonders wichtig, andere kulturelle Zusammenhänge zu erfahren und zu verstehen. Dies gilt auch für soziale oder ökologische Dimensionen. Bündnis 90/Die Grünen setzen sich deshalb für einen Ausbau der Freiwilligendienste ein. Einen kleinen Schritt haben wir bereits im vorliegenden Haushalt gemacht. Das anstehende UN-Jahr der Freiwilligen ist für uns Anlass genug, die rechtlichen Rahmenbedingungen von Freiwilligen zu verbessern. Dazu bedarf es neben einer verstärkten finanziellen Förderung auch eines Freiwilligendienstentsendegesetzes, das die rot-grüne Koalition auf den Weg bringen wird. Ein wichtiger Baustein wurde bereits mit den Kooperationsbüros - das hat Frau Ministerin gerade angesprochen - für den deutsch-israelischen Jugendaustausch gelegt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Seifert?

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Lieber Herr Kollege Simmert, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie jetzt - im Gegensatz zur Situation von vor zwei oder drei Monaten für den Ausbau von Freiwilligendiensten anstelle des Zivildienstes oder ähnlicher Dienste sind? Wollen Sie darauf verzichten, daraus feste Arbeitsplätze zu machen? Wie darf ich Ihre jetzige Bemerkung verstehen? Wenn ich mich recht entsinne, hatten Sie als Person und auch die Grünen insgesamt die Dienstkategorie bisher eher abgelehnt. Es würde mich schon interessieren und es wäre auch nicht unwichtig, ob Sie sagen: Wir wollen richtige Arbeitsplätze mit gut bezahlten und gut ausgebildeten Arbeitnehmern, die eine Perspektive haben, oder Dienste, die irgendwelche Löcher stopfen sollen.

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Seifert, wenn Sie mit der Frage etwas gewartet hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass ich zu der Passage Zivildienst später komme. Hier geht es mir jetzt um internationalen Freiwilligendienst. Die Antwort auf Ihre Frage werde ich Ihnen gleich geben. Ist das in Ordnung? - Gut. Ich will mit dem Bereich Freiwilligendienst und Jugendaustausch fortfahren, weil beide Punkte, wie ich finde, ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus sind. Nicht nur mit Israel, sondern auch mit unserem Nachbarn Polen müssen wir gerade vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit den Dialog der Generationen untereinander verstärken. ({0}) Ob der Freiwilligendienst in der Gedenkstätte Auschwitz, die freiwillige Arbeit in israelischen Pflegeheimen mit Schoah-Überlebenden oder ein trinationaler Jugendaustausch, dies alles ist mehr als Erinnerungskultur. Dies alles ist ein aktiver Beitrag für einen nachhaltigen Bewusstseinsbildungsprozess, für Toleranz und für die Stärkung einer pluralen Zivilgesellschaft und damit Grundstein jeder lebendigen Demokratie. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Kollege Seifert - liebe Frau Lenke, bitte hören Sie zu - ich komme jetzt zu dem im Einzelplan 17 größten Bereich, den des Zivildienstes. Die rot-grüne Bundesregierung hat im Gegensatz zur schwarz-gelben die Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienst nahezu hergestellt. ({2}) - Jetzt hören Sie gut zu, was wir alles getan haben. Vielleicht waren Sie bei den verschiedenen Gelegenheiten nicht dabei. - Gleiche Besoldung und die einseitige Verkürzung des Zivildienstes auf elf Monate machen deutlich, dass Rot-Grün die Gleichbehandlung der Dienste wichtig ist, wichtiger zumindest als Ihnen früher, während Ihrer Regierungsbeteiligung. ({3}) - Frau Lenke, hören Sie mir zu. Gleichzeitig konnten wir dabei auch noch sparen. Die alte Bundesregierung hat weder das eine noch das andere auf die Beine gestellt, was wir in den ersten zwei Jahren erreicht haben. ({4}) - Annähernd, annähernd. Natürlich ist es ein schwieriger Weg gewesen, die Gleichbehandlung der Dienste und die Kernbereiche des Zivildienstes ausgewogen zu steuern; das bestreite ich nicht. Aber das, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, uns noch vor wenigen Monaten und auch heute wieder, Frau Eichhorn, zum Vorwurf gemacht haben, ist in keiner Weise eingetreten, zumindest größtenteils nicht. Was war da von Ihnen nicht alles zu hören und zu lesen über Engpässe in den Pflegediensten, ({5}) über gravierende Ausfälle im sozialen Bereich; nie und nimmer würde man die Verkürzung der Zivildienstzeiten verkraften. Kollege Seifert, ein Punkt ist richtig: Es scheint einige Problemfälle zu geben. Frau Ministerin hat gesagt: Man muss sich das anschauen. Das werde auch ich tun. Aber hier davon zu reden, Frau Eichhorn, dass die Verbände Sturm laufen würden, das ist falsch. DPWV vor einigen Wochen: Die Delle werden wir verkraften, sie ist nicht so groß, wie befürchtet. AWO: keine gravierenden Ausfälle in Bereichen, wo wir dies gedacht haben. Also, kein Chaos. Die Verbände konnten sich in einem angemessenen Zeitraum auf die Veränderungen einstellen und den Einsatz von Zivildienstleistenden selbst steuern. Das von Ihnen beklagte Horrorszenario blieb nun wirklich aus. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich stehen wir gerade beim Zivildienst durch die anstehende Wehrstrukturreform vor neuen Herausforderungen. Kollege Seifert, jetzt komme ich zu dem von Ihnen angesprochenen Punkt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Obwohl Sie eigentlich keine Redezeit mehr haben.

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin gleich am Ende. Ich wollte auf die Frage innerhalb meiner Rede noch eingehen. ({0}) - Dass Sie mir nicht zuhören wollen, ist mir klar, aber im Ausschuss werden Sie sich noch mit uns beschäftigen müssen. Also, die Position von Bündnis 90/Die Grünen ist bekannt und bleibt - konzeptionell untermauert - weiterhin die, dass wir eine Konversion des Zivildienstes wollen. Im Übrigen finde ich es gut, dass Sie uns nachfolgen wollen und die Wehrpflicht abschaffen möchten. ({1}) - Aussetzen, ach, so weit gehen Sie nicht. Na ja, wir werden sehen. Der Zivildienst wird jedoch nicht von heute auf morgen abzuschaffen sein. Auch das haben wir immer deutlich gesagt. Die vom BMFSFJ eingesetzte Kommission wird in den nächsten Tagen ihre Ergebnisse dazu vorstellen, wie der Umbau gestaltet werden kann. Der grüne Faden in diesem anstehenden Diskussionsprozess für meine Fraktion ist dabei klar: Unser Grundgedanke bleibt weiterhin der der Gleichbehandlung. Wir wollen auch hier konzeptionell den attraktiven freiwilligen Dienst ausbauen. Wir wollen über den Bereich der Arbeitsplatzschaffung und über Beschäftigungspotenziale reden und diskutieren. Das werden wir machen. Wir bleiben bei dem Beschluss, den wir im Mai gefällt haben. Ich glaube allerdings, dass der Dialog und das, was wir mit den Verbänden zusammen auf den Weg gebracht haben - das steht für diese Kommission -, der richtige Weg ist. Den werden wir zusammen gehen. Ich plädiere in diesem Zusammenhang für eine weniger hektische und eher konzeptionelle politische Diskussion, Frau Lenke, nach Vorlage der Kommissionsergebnisse, und nicht vorher.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun müssen Sie bitte zum Schluss kommen.

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und danke Ihnen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat Kollege Klaus Haupt, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diesen Sommer sind wir nur allzu deutlich daran erinnert worden, welch bedeutsame Aufgabe die Jugendpolitik darstellt. Ich glaube, für uns alle ist es erschreckend, wie die Hemmschwelle für Gewalt bei verblendeten Jugendlichen zwischen Bier und Hakenkreuz so weit gesunken ist, dass der Zynismus der Worte umschlägt in Drangsalierung, ja sogar Mord. Die beschämenden rechtsextremistischen Straftaten der vergangenen Monate zeigen den Ungeist der Gedankenlosigkeit, der Fremdenangst, der Menschenverachtung als Quelle der Intoleranz. ({0}) Sie zeigen aber auch deutlich die Defizite unserer Gesellschaft bei der Erziehung zur Demokratie. ({1}) Der Kampf der rechten Szene um die Vorherrschaft auf der Straße und vor allem in den Köpfen unserer Jugend ist eine Kriegserklärung an unsere Demokratie, eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung an alle Demokraten, an Schulen, Kirchen, Gewerkschaften und nicht zuletzt auch an die Politik. ({2}) Auch und gerade das Jugendministerium ist gefordert, gegen diesen braunen Spuk vorzugehen und praktisch geistige Vorsorge zum Schutz unserer Jugend zu leisten. Das muss sich aber auch im Haushalt widerspiegeln. Wie schon einige meiner Vorrednerinnen kritisierten, liegt leider ein Haushaltsentwurf von der Bundesministerin vor, in dem die Maßnahmen der Jugendpolitik nicht unerheblich, nämlich um 6 Millionen DM, gekürzt werden. Wir Liberalen glauben, dass alle demokratischen Kräfte gemeinsam offensiv für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft werben sollten. Die F.D.P. schlägt daher eine Initiative „Erziehung zur Demokratie“ vor. ({3}) Wir fordern ein Sonderprogramm zur Förderung der kommunalen Jugendarbeit, insbesondere für politische Bildung, soziales Engagement und kulturelle Arbeit nichtstaatlicher Organisationen mit einer Mindestausstattung von 300 Millionen DM, von denen 250 MilliChristian Simmert onen DM vom Bund kommen sollen. Wir fordern ein Bund-Länder-Programm zur Verbesserung der politischen Bildungsarbeit. Allein die Versorgung mit Posten für Genossen bei der Bundeszentrale für politische Bildung ist noch kein Konzept. ({4}) Wir fordern eine Verbesserung des internationalen Jugendaustauschs besonders dahin gehend, dass von deutscher Seite Jugendliche aus allen, wirklich allen Landesteilen teilnehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine offensive Erziehung zur Demokratie darf nicht an kleinlichen Kostenargumenten scheitern. Sie muss uns allen etwas wert sein. Wir Liberalen werden entsprechende Anträge in die Haushaltsdebatte einbringen und hoffen hier auf parteiübergreifenden Konsens, auf eine Koalition der Vernunft zur Stärkung unserer Demokratie. ({5}) Beim Jugendaustausch erfüllt uns mit Besorgnis, dass dem Austausch mit Polen noch bei weitem nicht die gleiche Beachtung wie dem mit Frankreich zuteil wird. Natürlich hängt die Situation des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes unmittelbar mit der Haushaltslage in Polen zusammen. ({6}) Doch die diesbezügliche Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion lässt leider allzu wenige kreative Lösungsansätze erkennen. Der deutschpolnische Jugendaustausch braucht mehr Unterstützung als bisher. Mit einem Weiterwursteln nach bisherigen Prinzipien ist es nicht getan. Hier muss ein Paradigmenwechsel her. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Liberalen freuen uns darüber, dass immerhin die Mittel im Rahmen des Kinder- und Jugendplanes um 2 Millionen DM für den deutsch-israelischen Jugendaustausch aufgestockt werden. ({8}) Doch im Hinblick auf die Jugendkriminalität in den neuen Ländern und die rechtsextremen Umtriebe scheint eine Erhöhung der Aktionsprogramme als vordringlich. Leider erfolgt hier aber nur eine Verstetigung des Vorjahresansatzes in Höhe von 6,1 Millionen DM. Eine Schwerpunktbildung mit entsprechender Mittelerhöhung wäre aus Sicht der F.D.P. zu begrüßen. Liebe Kollegen, wenn es um die Chancen und Perspektiven unserer Kinder und Jugendlichen geht, ist die Politik mehr denn je gefordert. Lassen Sie uns gemeinsam dieser Verantwortung gerecht werden! Danke. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Christel Hanewinckel, SPD-Fraktion, das Wort.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Politik für Jugend verdient Ihren Namen, wenn sie der jungen Generation zum Beispiel durch Schuldenabbau Zukunft eröffnet, wenn sie die jungen Leute mit ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten zum Beispiel durch Ausbildung in die Gesellschaft aufnimmt, sodass sie dann als junge Erwachsene, die eine Familie gründen, Anerkennung und Sicherheit in unserem Land finden. Jugendpolitik ist nicht an ein Ressort gebunden und das ist gut so. Übergreifende Ansätze sind sowohl inhaltlich als auch finanziell nötig. Deshalb gibt es jugendpolitische Ansätze, Programme und Gelder im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, im Bildungsministerium, im Arbeitsministerium und im Innenministerium. Wichtig für junge Frauen und Männer sind vor allen Dingen Ausbildungs- und Arbeitsplätze, damit sie ihren Platz in der Gesellschaft finden können und nicht am Rande leben müssen. Die Ausbildungssituation der letzten Jahre war ausgesprochen schlecht. Unser JUMP-Programm hat das auffangen können. 2 Milliarden DM an sinnvollen Investitionen in die Zukunft unseres Landes und in die Zukunft der jungen Frauen und Männer haben jetzt bereits über 200 000 Jugendlichen eine neue Chance gegeben. Dieses Programm muss und wird weitergehen. ({0}) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Veränderung und die Verbesserung der Strukturen für Kinder und Jugendliche vor Ort. Wir haben dieses Programm „Entwicklung und Chancen für junge Menschen in sozialen Brennpunkten“ genannt. Im Kinder- und Jugendplan des Bundes sind dafür - wie im letzten Jahr - erneut 15 Millionen DM bereitgestellt worden. Damit kann vor Ort gezielt gearbeitet werden. Jetzt muss ich leider von meiner so schön vorbereiteten Rede abweichen und mich auf die Vorwürfe der CDU einlassen. Liebe Kollegin Eichhorn, wenn ich höre, dass Sie Programme gegen Rechtsextremismus bzw. gegen Rechtsextreme fordern, erinnere ich Sie an Ihr damaliges tolles Programm mit dem Namen AGAG. Nach diesem Programm wurde Geld immer dorthin geschickt, wo es gerade gekracht und geknallt hat. So sagten sich junge Leute: Offensichtlich muss man sich in diesem Land eine Glatze scheren und irgendetwas kaputtschlagen, um endlich Geld an die Basis zu bekommen. So kann es doch nicht gehen. ({1}) Sie haben sich zwar das AGAG-Programm einfallen lassen, haben aber versäumt, Geld in die Strukturen der Jugendarbeit in den östlichen Bundesländern zu investieren. ({2}) - Ja, es gab Programme, aber die liefen nur von hier bis da und dann war Schluss. Wer auffällig wurde, bekam etwas - genau so darf es nicht weitergehen. Es muss so sein, dass die Programme intensiviert werden und stabil bleiben. Die Jugendlichen vor Ort und diejenigen, die in der Jugendarbeit tätig sind, müssen sich darauf verlassen können. Acht Jahre dieser schlimmen Zeit, in der der Rechtsextremismus bzw. die Gewalt weiter gewachsen ist, haben Sie zu verantworten - wenn wir schon von Verantwortung sprechen. ({3}) Wenn wir uns unseren Haushalt ansehen, stellen wir fest, dass 16 Millionen DM für internationale Jugendarbeit ausgegeben werden. Internationale Jugendarbeit hat nicht nur völkerverbindende, sondern auch Frieden schaffende Wirkung. Die Erfahrungen von jungen Leuten über Grenzen hinweg spielen eine große Rolle für die Erhaltung von Demokratie sowie Weltoffenheit und sind wichtig für die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Aus diesem Grund haben wir zwar kein neues Werk, aber einen neuen Jugendaustausch mit Israel - neben die bestehenden Werke mit Frankreich, Polen und Tschechien, die intensiviert und stabilisiert worden sind - gestellt. In Zukunft werden wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie Jugendaustausch und Jugendbegegnung zwischen Deutschland und den osteuropäischen sowie südosteuropäischen Ländern aussehen können. Dafür werden wir Geld bereitstellen müssen. ({4}) Das Jahr 2001 wird das Jahr des Ehrenamtes bzw. das Jahr der Freiwilligen sein. Bürgerinnen und Bürger engagieren sich für eine gerechte und lebenswerte Gesellschaft. Freiwilligenengagement und die Unterstützung durch den Staat gehören zusammen. Deshalb haben wir den entsprechenden Haushaltstitel seit 1999 von damals 952 000 DM auf 4 Millionen DM für das Jahr 2001 aufgestockt. In diesem Titel wird deutlich, dass Bürgernähe, Demokratie und Verantwortung eben auch entsprechende Flankierungen brauchen und dass die Rahmenbedingungen für das ehrenamtliche Engagement deutlich verbessert werden müssen. Zum Bereich der Freiwilligendienste hat der Kollege Simmert bereits einiges gesagt. Natürlich werden wir sie nicht nur weiterhin unterstützen, sondern auch prüfen, wo sie auszubauen sind. Jugendliche selbst - das finde ich sehr wichtig - empfinden eine starke Förderung ihrer Selbstständigkeit, sozialen Kompetenz und Toleranz durch ihre Arbeit im freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahr. Andere, zum Beispiel bei den Jugendfeuerwehren, stellen fest, dass der Einsatz für andere nicht nur Mühe, sondern auch Spaß macht und sie dort ein Erlebnis von Gemeinschaft haben. Ich denke, auch das ist sehr wichtig für heranwachsende junge Leute hinsichtlich ihres späteren Engagements als Erwachsene in der Zivilgesellschaft. Fazit: Wir haben die Kinder- und Jugendpolitik nicht nur verstetigt - die Titelansätze sind geblieben -, sondern wir haben finanziell noch zugelegt und dieses Niveau werden wir auch in der Zukunft halten. Sie, Herr Kollege Haupt, haben nicht die Frage der Jugendarbeit angesprochen, Sie haben sich vielmehr auf den Titel bezogen, in dem es um jugendliche Aussiedler und um jugendliche Ausländer geht, die entsprechende Sprachkurse brauchen. Hierfür sind 6 Millionen DM weniger eingestellt. ({5}) - Ja, das ist eine Maßnahme für Integration. Es ist darauf hingewiesen worden, dass die Zahl der jugendlichen Aussiedler sehr stark zurückgegangen ist. Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatung prüfen, ob der Ansatz so angemessen ist oder ob bei ihm nicht noch etwas draufgesattelt werden muss. Im Bereich der Frauenpolitik kann man sehr deutlich zeigen, dass eine innovative und den Wünschen der Frauen entsprechende Politik auch mit begrenzten Mitteln möglich ist. ({6}) 40 Millionen DM, die für Projekte, Initiativen und Maßnahmen im Bereich der Frauenpolitik bereitgestellt werden, sind zwar ein wichtiger Aspekt, aber genauso wichtig ist die Frage: Wie gehe ich mit dem Geld um? Nicht nur Gelder, sondern auch solche Ressourcen wie Kreativität, Mut und eben auch „gender mainstreaming“ sind wichtig, um neue Wege zu beschreiten. Die Ausgaben sind im Haushalt 2001 stabil geblieben. Wenn Sie sie mit den Zahlen des Haushalts von 1998 vergleichen, dann werden Sie feststellen, dass es bestimmte Titel in Ihrem Haushalt überhaupt nicht gegeben hat. Uns ist wichtig, dass wir eine Politik für die Frauen machen und dass das gemacht wird, was sie für sich als wichtig empfinden. Das Allensbach-Institut-ich erwähne es nur, damit Sie nicht denken, dass das ein uns nahe stehendes Institut entdeckt hat - hat mittels einer Umfrage herausgefunden, dass das Thema Gleichstellung in der Bevölkerung einen sehr hohen Stellenwert hat. Zwei Drittel der befragten Männer und Frauen sagen ganz klar: Hier besteht auf allen Ebenen Handlungsbedarf, also nicht nur beim Staat, sondern auch in der Privatwirtschaft. Für die Frauen ist die Gleichstellung das Wichtigste. Sie wollen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn, eine gleich gute Altersversorgung und die gleichen Aufstiegschancen im Beruf wie die Männer bekommen. An zweiter Stelle steht für die Frauen die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Die Studie zeigt also, dass das Ministerium und die Koalition bundespolitisch die richtigen Schwerpunkte in der Frauenpolitik gesetzt haben. Ich nenne das Programm „Frau und Beruf“ und den Aktionsplan der Bundesregierung „Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“. Frauenförderung bedeutet nicht, Defizite bei Frauen wettzumachen, die sie gar nicht haben; Frauenförderung bedeutet vielmehr, Frauen endlich die gleichen Chancen wie Männern zu geben. Wir werden den Begriff „Gleichstellung“ langsam, aber sicher ins Bewusstsein aller bringen. Davon können Sie ausgehen. Es gilt aber auch, neue Wege zu beschreiten. Dazu gehört - an erster Stelle - unbedingt das Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Liebe Frau Kollegin Bläss, das neue Gleichstellungsgesetz wird für die Unternehmen verpflichtend sein. Aber die Tarifpartner haben die Möglichkeit, Regelungen miteinander zu gestalten. Tun sie das nicht in dem vorgegebenen Rahmen, können sie sicher sein, dass der gesetzliche Zwang auf dem Fuß folgt. Es wäre also günstig, sich etwas genauer mit den Vorgaben bzw. den Eckpunkten zu beschäftigen. ({7}) „Gender mainstreaming“ ist nach dem Willen der rotgrünen Bundesregierung als Querschnittsaufgabe als durchgängiges Leitprinzip in den Ministerien verankert worden. Das ist gut und richtig so. Es wurde allerhöchste Zeit, dass das geschehen ist. ({8}) Als Querschnittsaufgabe vieler Ministerien und Fachbereiche sehe ich auch die Jugendpolitik. In den Haushalten für Bildung und Forschung sowie für Arbeit und Sozialordnung sind entsprechende Summen veranschlagt worden. Für Frauen und Jugendliche ist zwar wichtig, wie groß der jeweils für sie vorgesehene Titel ist. Aber ihre Wünsche und Hoffnungen finden die größte Wertschätzung in einer ressortübergreifenden Politik, die damit automatisch zur Sachpolitik wird. Ich muss zum Schluss noch einen Punkt ansprechen. Frau Böhmer, Sie haben das eingebrachte Gesetz für eingetragene Partnerschaften gleichgeschlechtlicher Paare angesprochen. Ich bin immer wieder überrascht, wieso eigentlich bei denen, die in einer Ehe leben, oder auch bei denen, die zwar nicht in einer Ehe leben, aber meinen, man könne der Ehe etwas wegnehmen, plötzlich Ängste entstehen, wenn wir gleichgeschlechtlichen Paaren, die verantwortlich miteinander leben wollen, die Chance eröffnen, das auch öffentlich zu tun. Ihnen wird doch an keiner Stelle etwas weggenommen, ({9}) im Gegenteil: Wir sorgen lediglich dafür - eigentlich müsste noch viel mehr passieren -, dass an dieser Stelle endlich die Diskriminierung von Erwachsenen, die sich verantwortlich füreinander fühlen, beendet wird. ({10}) Da wird es wirklich allerhöchste Zeit, dass etwas passiert. Aus meiner Sicht ist das ein Punkt, der kommen muss, weil er nämlich verfassungskonform ist ({11}) bzw. weil Art. 3 des Grundgesetzes diese Regelung geradezu einfordert. Vielen Dank. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Als letzter Redner in dieser Debatte hat das Wort der Kollege Manfred Kolbe, CDU/CSU-Fraktion.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Großes hatte sich die rot-grüne Regierungskoalition in der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 gerade im Politikbereich Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgenommen. Umso kläglicher fällt heute die Zwischenbilanz aus. ({0}) Meine Vorrednerinnen haben schon aus der „Berliner Zeitung“ und aus der „Wirtschaftswoche“ zitiert. Normalerweise hat man es dann als dritter Redner schwer, noch ein Zitat zu finden. ({1}) Ich kann aus dem „Stern“ von vor zwei Wochen zitieren. ({2}) Der sicherlich nicht CDU-nahe „Stern“ hat Halbzeitzeugnisse verteilt. Ich darf einmal aus dem „Halbzeitzeugnis“ für die Familienministerin zitieren: Die Familienministerin traut sich nichts zu; kann sich nicht gegen den Kanzler durchzusetzen ... ({3}) Magere Reform des Erziehungsurlaubs, gemessen an dem, was die SPD wollte. Erziehungsgeld wurde nicht erhöht. Bei den Frauenverbänden ist sie unten durch. Als Ministerin für Senioren, Jugend und Familie ein Totalausfall. Gesamturteil: „Mangelhaft“. Ich bedauere das. Das ist übrigens ein Urteil, das ansonsten nur noch von der Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer erreicht wird, ({4}) die ich in meiner weiteren Funktion als Berichterstatter für Gesundheit hier ganz herzlich begrüße: Frau Fischer, hallo! Persönlich tut mir das Leid, Frau Bergmann, weil ich Sie nicht unsympathisch finde. ({5}) Politisch ist dem aber leider nichts hinzuzufügen. Die Familienpolitik der rot-grünen Regierungskoalition ist mangelhaft. Ihre Rede, Frau Bergmann, war genauso lustlos wie die Familienpolitik einfallslos war. ({6}) Der Beifall, der aus Ihren Reihen kam, war genauso dürftig wie die in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbare Familienpolitik. ({7}) Da wir in einer Haushaltsdebatte sind, komme ich zum Haushalt. ({8}) Von diesem Haushalt war bisher auch kaum die Rede. ({9}) Warum war von diesem Bundeshaushalt bisher kaum die Rede? Weil auch dort die Ergebnisse mager sind. ({10}) Ich ziehe eine Bilanz Ihrer zweijährigen haushaltspolitischen Tätigkeit, Frau Bergmann: Im Bundeshaushalt 1999 wurden die Ausgaben für die Förderprogramme von 771 Millionen DM auf 751 Millionen DM reduziert, während gleichzeitig der Gesamthaushalt um 25 Milliarden DM anstieg. Unter Lafontaine wurde einzig die Familienpolitik reduziert. Im Bundeshaushalt 2000 wurde Ihr Haushalt gerupft: minus 7,4 Prozent, während der Gesamthaushalt nur um 1,4 Prozent zurückging. Im Haushalt 2001, zu dem der Regierungsentwurf vorliegt, geht Ihr Haushalt wieder um 245 Millionen DM zurück - minus 2,23 Prozent -, während der Gesamthaushalt im Übrigen stabil bleibt. In allen drei Jahren, die Sie zu verantworten haben, Frau Bergmann, ist Ihr Haushalt also unterproportional bedacht worden. Welches politische Fazit bleibt uns da nur zu ziehen? - Die Familienpolitik hat unter dieser rotgrünen Regierungskoalition den Stellenwert verloren, den sie bei uns hatte. ({11}) Seit Ihrem Amtsantritt, Frau Bergmann, ist Ihr Etat um 1 Milliarde DM zurückgegangen, während gleichzeitig der Gesamthaushalt um 22 Milliarden DM angestiegen ist. Trotz des angeblichen Sparkommissars Eichel hat der Bundeshaushalt 2001, den Sie jetzt vorlegen, ein Volumen von 22 Milliarden DM mehr als der letzte Waigel-Haushalt. So stark spart Herr Eichel also gar nicht. Man kann das der deutschen Öffentlichkeit gar nicht oft genug sagen. Aber bei der Familienpolitik wird gespart. Deren Etat geht in der Tat zurück. ({12}) - Herr Küster, das sind die Zahlen. ({13}) - Diese Zahlen können Sie auch durch Ihr Geschrei nicht widerlegen, Herr Küster. Besonders das Erziehungsgeld wird von Ihnen gerupft. Dort liegt der stärkste Rückgang in diesem Haushalt: minus 200 Millionen DM. Es sinkt von 7,1 Milliarden DM auf 6,9 Milliarden DM - trotz der Novellierung des Bundeserziehungsgeldgesetzes, Frau Ministerin, die angeblich zu den Kernstücken Ihrer sozialdemokratischen Familienpolitik gehört. ({14}) Frau Bergmann, es ist ein familienpolitisches Trauerspiel: Sie propagieren lautstark angebliche Verbesserungen beim Erziehungsgeld und gleichzeitig lesen wir, dass im Haushalt 200 Millionen DM weniger für die Familien vorgesehen sind. Das sind die Tatsachen. ({15}) Wer den Gesetzentwurf genau gelesen hat, konnte bereits dort unter dem Punkt Kosten finden - Frau Bergmann, Sie mussten es eigentlich wissen -: Die Leistungsverbesserungen führen zu Mehrausgaben, die größtenteils kompensiert werden, unter anderem durch Einsparungen auf Grund der erhöhten Minderungsquote für das Erziehungsgeld bei Einkommen oberhalb der Einkommensgrenze sowie durch die Entwicklung der Einkommen im Verhältnis zur nicht dynamisierten Einkommensgrenze. Das stand schon damals im Gesetzentwurf, der angeblich wesentliche Verbesserungen für Familien bringt, unter dem Punkt Kosten. ({16}) Dort stand, dass durch die Erhöhung der Minderungsquote und durch die Nichtdynamisierung der Einkommensgrenzen, wie sie die Union gefordert hatte, keine Mehrkosten, also keine Mehrleistungen für die Familie, entstehen. Sie haben, gelinde gesagt, die Öffentlichkeit etwas hinters Licht geführt. Sie wussten, dass es zu Leistungseinschränkungen und nicht zu Mehrleistungen für die Familien kommen wird. Trotzdem haben Sie Ihr Reformwerk gepriesen. ({17}) - Frau Wester, lesen Sie doch den Bundeshaushalt: minus 200 Millionen DM für die Familien beim Erziehungsgeld. ({18}) Das ist doch eine Tatsache. Wir würden uns freuen, wenn es anders wäre; aber es ist leider so. Auch in anderen Bereichen - das meiste ist von meinen Vorrednern schon gesagt worden ({19}) haben Sie wenig vollbracht bzw. Sie, Frau Bergmann, haben sich gar nicht geäußert. Das muss man Ihnen als Familienministerin vielleicht am meisten vorwerfen. Man kann Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie sich nicht immer durchgesetzt haben - das ist nicht immer einfach; das wissen wir -, aber man kann Ihnen vorhalten, dass Sie sich nicht geäußert haben. Sie haben zum Beispiel zur Steuerpolitik nichts gesagt. Ich jedenfalls habe nichts gehört. Frau Wester hat von Steuererleichterungen für die Familien im Jahre 2005 fabuliert. ({20}) Frau Wester, machen Sie das einmal auf einer Versammlung. Die Menschen lachen Sie aus, weil sie merken, was sie heute weniger in der Tasche haben. ({21}) Wer heute tankt, der zahlt für Ihre Entlastung, die er vielleicht im Jahre 2005 einmal zu spüren bekommt, schon jetzt. Das ist es, was die Familien trifft. Wenn demnächst Heizöl bestellt wird, dann werde ich den Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis erzählen: Die Frau Wester verspricht Ihnen aber Steuererleichterungen im Jahre 2005. Die Leute werden Sie auslachen und werden auch ihren Unmut äußern. So können Sie das doch nicht machen! ({22}) Frau Bergmann, Sie haben dazu nichts gesagt. Ich meine schon, dass Sie als Bundesfamilienministerin gefordert sind, zu dieser Steuerpolitik, die die Familien besonders belastet, Stellung zu beziehen. Frau Bergmann, Sie haben sich auch nicht zur Rente geäußert. Jedenfalls habe ich es nicht gehört. Geäußert hat sich aber die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, die bekanntlich nicht in meiner Partei ist. Frau Simonis hat am Wochenende erklärt, die Absenkung des Standardrentenniveaus auf circa 61 Prozent wirke sich insbesondere für Frauen verheerend aus, da sie, bedingt durch die Kindererziehungszeiten, nicht die hierfür geforderten 45 Beitragsjahre erreichen können. Der drohenden Altersarmut von Frauen könne, so Frau Simonis, nur durch eine klare familienpolitische Komponente entgegengewirkt werden. ({23}) Frau Simonis gehört nicht meiner Partei an, Frau Bergmann. Auch dazu müssen Sie sich einmal äußern. Zum Schluss kommen wir zu Ihrem ehemaligen Lieblingsthema, von dem wir heute ebenfalls nichts mehr gehört haben. Genauer gesagt hören wir seit dem 23. Mai 1999 von dem Thema „Frauen in Führungspositionen“ nichts mehr. ({24}) Frau Schewe-Gerigk, Sie haben den niedrigen Anteil von Frauen in Führungspositionen beklagt. Da gebe ich Ihnen teilweise Recht. Nur, was tun Sie denn in Ihrem ureigenen Bereich, über den Sie bestimmen? ({25}) Nehmen wir die drei höchsten Staatsämter, die Sie während der Regierungszeit Ihrer rot-grünen Koalition wieder besetzt haben. ({26}) Zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten haben wir keine Frau in einem der höchsten drei Staatsämter. Das ist Ihre frauenpolitische Leistung. ({27})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir dagegen kehren gelegentlich auch vor der eigenen Türe und haben eine Parteivorsitzende. Wir gehen also mit gutem Beispiel voran. Folgen Sie uns! ({0}) Lassen Sie mich noch einen letzten Satz sagen: Wir brauchen in Deutschland wieder eine Familienpolitik; wir brauchen wieder eine Politik für die Jugend; wir brauchen wieder eine Politik für die Senioren; wir brauchen wieder eine Politik für Frauen. Die CDU/CSU wird dafür sorgen. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15. Die Familienpolitiker dürfen gerne bei der Gesundheitspolitik hier bleiben. Nun beginnen wir mit der Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin für Gesundheit, Frau Andrea Fischer. Bitte sehr.

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt wenige Einzelpläne des Bundeshaushalts, in denen der Haushaltsplan selber nur so eingeschränkt die Ressortpolitik wiedergibt wie in diesem Fall. Deswegen werde auch ich mich heute hauptsächlich zu den Fragen der Gesundheitspolitik äußern, die uns alle umtreiben. Gestatten Sie mir aber vorher noch ein paar Worte zum Einzelplan des BMG. Dass der Etat in diesem Jahr niedriger liegt als im letzten, ist zum einen einigen Sondertatbeständen geschuldet wie zum Beispiel einem rückläufigen Bedarf an Mitteln für den Umzug des BfArM nach Bonn. Zum anderen ist das natürlich auch Ausdruck der Disziplin des gesamten Bundeskabinetts und damit auch des Bundesministeriums für Gesundheit, das sich ebenfalls nicht der Aufgabe verweigert, im eigenen Haus sorgsam zur Haushaltskonsolidierung beizutragen. ({0}) Ich möchte zwei Aspekte besonders positiv hervorheben: Die Ansätze für die Anti-Aids-Kampagne, die Drogenaufklärung und die allgemeine Aufklärung sind gehalten worden. Wir lösen damit eine Zusage gegenüber dem Parlament aus dem letzten Jahr ein. ({1}) Ich freue mich darüber hinaus, dass es mit der Etatisierung des Sonderprogramms „Umwelt und Gesundheit“ endlich gelungen ist, erste Schritte in diesem bislang sträflich vernachlässigten Bereich zu unternehmen. ({2}) Aufgrund einschlägiger Erfahrungen gehe ich davon aus, dass die Beratungen im Haushaltsausschuss auch diesmal so konstruktiv wie gewohnt verlaufen werden. Damit möchte ich mich der Gesundheitspolitik im Allgemeinen zuwenden, ({3}) der, wie ich höre, die Opposition in Zukunft besondere Aufmerksamkeit widmen will. Das ist sicherlich auch für Sie lohnenswert, weil wir da ja immerhin eine bemerkenswerte Entwicklung vorweisen können, ({4}) die manchen Unkenruf der vergangenen zwei Jahre als gegenstandslos erscheinen lässt. Die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung entwickeln sich im Jahre 2000 positiv; das Defizit geht zurück, sodass für das gesamte Jahr 2000 mit einem ausgeglichenen Finanzergebnis gerechnet werden kann. ({5}) Gleichzeitig sind die Beitragssätze stabil, verglichen mit dem Stand bei Regierungsübernahme sogar leicht rückläufig. Das ist ein erfreuliches Ergebnis aus der Sicht von Bürgerinnen und Bürgern, deren Belastung mit Sozialversicherungsbeiträgen längst die Schmerzgrenze erreicht hatte. ({6}) Dieses Ergebnis war nur durch Anstrengungen, aber natürlich auch über Konflikte zu erreichen gewesen. Das ist vollkommen klar. Weil das politische Gedächtnis ja manchmal nur ziemlich kurz zurückreicht, würde ich doch gerne daran erinnern, dass seit Mitte der 90er-Jahre nicht nur die Beiträge zur Krankenversicherung, sondern auch die Zuzahlungen ständig gestiegen waren. Nach meiner Erinnerung war das nicht minder konfliktträchtig. Wir haben mit der Gesetzgebung im vergangenen Jahr eine ganze Reihe von Veränderungen eingeleitet, von denen die meisten zurzeit der Selbstverwaltung überantwortet sind, die sie umsetzt. Es ist sicher davon auszugehen, dass sich das nicht nur auf die künftige Entwicklung der Ausgaben, sondern auch auf die Qualität positiv auswirken wird. Ich möchte stellvertretend anführen, dass es inzwischen eine Grundsatzeinigung zwischen den Parteien der Selbstverwaltung zur Frage eines neuen Krankenhausfinanzierungssystems gegeben hat und dass außerdem die Vereinbarungen der Selbstverwaltung im Bereich der integrierten Versorgung vorankommen - bei allen Schwierigkeiten, die es da noch gibt. Wir wollen erreichen, dass es auch zu einer Stärkung der hausärztlichen Versorgung kommt. Es gibt trotzdem Risiken für die Beitragsentwicklung und es gibt natürlich eine vielstimmige Kritik, auf die ich gleich noch näher eingehen werde. Wir haben von der alten Bundesregierung nicht nur Schulden in der gesetzlichen Krankenversicherung geerbt, insbesondere in den neuen Bundesländern, ({7}) die bis heute große Solidaritätsanstrengungen der Bürgerinnen und Bürger im Westen verlangen. ({8}) Wir haben von der alten Bundesregierung in diesem Sommer - Auslöser waren zwei einschlägige Urteile des Bundesverfassungsgerichtes - außerdem zwei Kuckuckseier ins Nest gelegt bekommen, die uns noch schwer zu schaffen machen werden. Das Verfassungsgericht hat in diesem Sommer bestätigt, dass die Regelung zur Berücksichtigung von Einmalzahlungen beim Krankengeld verfassungswidrig war. Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat, um auf dieses Gerichtsurteil zu reagieren, sieht eine verfassungskonforme Regelung für die Zukunft vor. Für die laufenden Fälle und ebenfalls rückwirkend für die noch nicht bestandskräftigen Fälle wird es Rückzahlungen geben. Damit entsprechen wir sämtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. ({9}) Die Kritik hat sich in den letzten Wochen daran entzündet, dass das Krankengeld nicht rückwirkend bei denen erhöht werden soll, deren Ansprüche schon bestandskräftig sind, unter anderem weil sie keinen Widerspruch eingelegt haben. Das stimmt; eine ganze Reihe von Akteuren haben ({10}) versprochen, dass dies geschehen sollte. Ich kann auch verstehen, warum solche vollmundigen Zusagen nicht eingelöst werden. Trotzdem bleiben diejenigen, die das jetzt vollmundig fordern, die Antwort auf die Frage schuldig, auf wessen Kosten das geschehen soll. Nach Schätzungen der Krankenkassen geht es dabei um einen bis zu 4 Milliarden DM höheren Betrag gegenüber den gut 1 Milliarde DM, die unser Gesetzentwurf bislang bereits an Mehrbelastungen für die gesetzliche Krankenversicherung vorsieht. In dieser Größenordnung - das ist meine feste Überzeugung, zumal wenn man bedenkt, dass auch noch ein zweites Verfassungsgerichtsurteil auf seine Umsetzung wartet - kann die gesetzliche Krankenversicherung diese Ausgaben nicht ohne Beitragssatzerhöhungen verkraften. Es wäre dann von Ihnen noch zu erklären, woher das Geld kommen soll. Es kann auch nicht im Interesse der Versicherten sein, dass man ihnen erst in die eine Tasche mehr gibt und ihnen hinterher aus einer anderen Tasche mehr nimmt, und es kann ebenso nicht sein, dass - noch schlimmer - das Geld für die Versorgung von Kranken fehlen würde. Wer hier vollmundig anderes fordert - noch dazu, wenn er damals gegen den Rat der Juristen das verfassungswidrige Gesetz zu verantworten hatte -, der ruft keck „Haltet den Dieb!“ und ist doch selbst vor Jahr und Tag mit der Kasse durchgebrannt. ({11}) Weil auch absehbar ist, was die im Haushaltsentwurf enthaltene Absenkung der Bemessungsgrundlage für die Beiträge von Arbeitslosenhilfebeziehern zur Folge hat, möchte ich Sie daran erinnern - das hat meiner Zielrichtung entsprochen -, dass die alte Bundesregierung 1995 dieses Prinzip der Beitragsentrichtung in allen anderen Zweigen der Sozialversicherung selber eingeführt hat. Im Übrigen wäre diese Erhöhung ohne weiteres zu verkraften gewesen, wenn jetzt nicht noch die Hypotheken der alten Regierung dazukämen. Ich gehe davon aus, dass diese neueren Entwicklungen vom Parlament in den Haushaltsberatungen berücksichtigt werden. Dann möchte ich noch zu einer weiteren Kritik kommen, die immer gerne von denen geäußert wird, die stabile Beitragssätze nur dann für wichtig halten, wenn sie selber in der Regierung sind. Das ist das wohlfeile Lied, es sei zu wenig Geld im System und wir würden mit der Begrenzung der Ausgaben die medizinische Versorgung behindern. ({12}) Interessanterweise kommt diese Kritik immer aus derselben Ecke wie die Klage darüber, dass wir mit Qualitätssicherung, Leitlinien, Positivliste und anderem die Kunst des Heilens zu stark einschränken würden. Was denn nun? Mehr Geld und gleichzeitig keine Orientierung an allgemein gültigen Standards der Medizin, also noch mehr Überflüssiges auf der einen Seite und noch mehr Unterversorgung bei bestimmten Krankheiten auf der anderen Seite? Nehmen wir dafür ein Beispiel aus der letzten Zeit. Der Diabetiker-Bund hat in der vergangenen Woche beklagt, dass es an den Budgets liege, wenn wir in Deutschland eine beklagenswert schlechte Behandlung von Diabetikern haben. ({13}) Das sehe ich genauso. ({14}) Er rechnet vor, dass die Behandlung eines gut eingestellten Diabetikers rund 1 700 DM im Jahr, die Behandlung eines aufgrund seiner Diabetes zusätzlich schwer Erkrankten - weil er zum Beispiel schlecht behandelt wurde - aber bis zu 80 000 DM koste. Ich kann einfach nicht erkennen, warum das Budget daran schuld sein soll. ({15}) Es ist ja offenkundig die gute Behandlung, die die kostengünstigere ist. Hier scheint mir viel eher ein Fall für Leitlinien vorzuliegen, die dann in die Praxis überführt werden müssen. ({16}) Diese Maßnahme streben wir zum Beispiel durch die Einführung des Koordinierungsausschusses an, die wir im Gesetz vorgesehen haben und wofür die Selbstverwaltung zuständig ist. Die Koalition wird sich sicherlich weiterhin mit der Frage beschäftigen, ob die Budgets in der jetzigen Form handhabbarer gemacht werden müssen. Aber was nicht angehen kann, ist, dass der Ruf nach mehr Geld die Ausweichlosung für all diejenigen wird, die sich den Qualitätsmängeln der gesundheitlichen Versorgung nicht stellen wollen. ({17}) Zur Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, dass all das zusätzliche Geld, das immer wieder gefordert wird, nur von Patienten und/oder Versicherten kommen kann. Das müssen sowohl diejenigen, die höhere Honorare fordern, als auch diejenigen, die sich diese Forderungen zu Eigen machen, offen und ehrlich sagen. Die Bundesregierung wird mit einer Reihe von Vorhaben die drängenden Fragen in der gesetzlichen Krankenversicherung anpacken. Ganz oben auf unserer Liste steht die Wettbewerbsordnung. Mit Verlaub: Die Wettbewerbsordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung ist vor vielen Jahren eingeführt worden. Es war nicht absehbar, dass es trotz Risikostrukturausgleich offensichtBundesministerin Andrea Fischer lich noch Möglichkeiten einer lohnenden Risikoselektion gibt. Maßnahmen gegen diese Wettbewerbsverzerrung müssen wir jetzt anpacken. ({18}) Zu einer unserer wichtigen Aufgaben gehört auch das so genannte Transparenzgesetz, mit dem wir die Blackbox Gesundheitswesen erleuchten wollen. ({19}) Die jüngst aufgedeckten Betrugsfälle machen offenkundig deutlich, dass es eine gewisse Dringlichkeit auf diesem Gebiet gibt. Aber von diesen akuten Fällen abgesehen ist schon lange bekannt, dass wir zu wenig wissen, was wir im Gesundheitswesen genau tun. Mehr Datentransparenz könnte sicher dazu beitragen, die alte Streitfrage, wie viel Geld man für welche Leistungen braucht, besser beantworten zu können. ({20}) Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir legen keinesfalls die Hände in den Schoß, nur weil wir gesagt haben, es werde keine so genannte große Gesundheitsreform geben. Es gibt keinen gordischen Knoten, den man durchschlagen könnte. Das Problem liegt in vielen kleinen Knoten, die aufgeknüpft werden müssen. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Versuchung für die Opposition groß ist, sich populistisch auf dem Themenfeld Gesundheit zu tummeln. Aber würden Sie offen und ehrlich sein, dann wäre Ihnen vergleichbare Kritik wie die, die Sie uns entgegenbringen, ebenfalls gewiss. Nur weil Sie nicht wissen, wie es mit Ihnen weitergehen soll, haben Sie noch längst nicht das Recht, die Kranken und die Versicherten zu verunsichern. ({21})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Lohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zunächst nicht von dem letzten Satz. Ich möchte zuerst die Gelegenheit nutzen, Frau Schaich-Walch zu ihrem Wahlsieg gestern in der Fraktion herzlich zu gratulieren. ({0}) Vielleicht kann man damit den Wunsch verbinden, dass nach dem Abgang von Herrn Dreßler und nach der Niederlage von Herrn Schreiner nun die Gedanken etwas mehr auf modernere Ideen in der Gesundheitspolitik im Rahmen einer sich verändernden Welt gerichtet werden. Ich bin mir aber nicht sicher. Eigentlich hatte ich erwartet, dass Sie heute reden würden. Da das aber nicht der Fall ist, bin ich etwas vorsichtig und warte ab, bis Sie das nächste Mal hier reden werden. ({1}) Frau Ministerin, ich habe das Gefühl, dass Sie - von wem auch immer - ernsthaft getroffen worden sind; denn das Ende Ihrer Rede ging über das hinaus, was eigentlich angemessen gewesen wäre. Es geht ja nun wirklich um Patienten, um Versicherte. Diese sollen jedoch nicht verunsichert werden. Vielmehr soll hier einmal realistisch dargestellt werden, wie sich die Lage seit dem Antritt der jetzigen Bundesregierung verändert hat. Im Juli hatte sich der Bundeskanzler als „Erfolgskanzler“ in die parlamentarische Sommerpause verabschiedet. In diesem Zusammenhang ist noch eine umfangreiche Erfolgsbilanz aufgestellt worden. Interessant ist aber, dass er die Gesundheitspolitik ausgespart hat. Offensichtlich genügt sie seinen Erfolgsansprüchen nicht. Die „Rheinische Post“ fragt sogar: „ Macht Schröder Gesundheitspolitik nun zur Chefsache?“ Ich zitiere einmal weiter: Wie aus dem Arbeitskreis Gesundheit der SPDBundestagsfraktion zu hören ist, zeigt sich der Regierungschef zunehmend unzufrieden mit der Amtsführung der grünen Ressortchefin Andrea Fischer. ({2}) Nicht nur der Kanzler - hast du meine Rede schon gelesen? - ist mit diesen Leistungen unzufrieden, Frau Ministerin, auch die Bürgerinnen und Bürger. Sie beurteilen - ich komme auf das Zitat des Kollegen Kolbe aus dem „Stern“ zurück; ich mache es aber kürzer - Ihre Politik überwiegend mit „weniger gut“ oder „schlecht“, und das - Sie wollen ja auch etwas zu Ihrem Haushalt hören trotz Steigerung Ihres für die Werbung vorgesehenen Etats um 300 Prozent. Insofern scheint dieses Geld nicht gut angelegt zu sein. Die Bürger jedenfalls haben Ihre Politik nicht positiv aufgenommen. Überwiegend weniger gut bzw. schlecht ist auch die Stimmung im deutschen Gesundheitswesen. Frau Ministerin, Sie sind offensichtlich weder in der Lage, Ihr Ressort und die nachgeordneten Behörden zu führen, noch in der Lage, die in der Gesundheitspolitik dringend zu lösenden Probleme wirklich anzupacken. So streitet Ihr Haus über Monate mit dem Bundesversicherungsamt über die Einschätzung der Finanzlage der Pflegeversicherung. ({3}) Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ist nach Angaben der Industrie nach seinem Umzug von Berlin nach Bonn personell so ausgedünnt, dass an eine beschleunigte Zulassung von Medikamenten nicht mehr zu denken und die Gefahr einer Verlagerung von Zulassungen ins Ausland offenbar gegeben ist. Das Institut nehmen Sie das in Bonn, wo Sie mit Sicherheit die Verantwortung tragen - hat im Rahmen der FinanzplaBundesministerin Andrea Fischer nung Mittel für „geringe Umbaukosten“ in Höhe von 650 000 DM und weitere für die Anschaffung von Geräten benötigte Gelder in derselben Höhe überhaupt nicht eingestellt. Das ist aber nicht alles. Insgesamt sind jetzt außerplanmäßige Ausgaben in Höhe von 32 Millionen DM zusätzlich zu finanzieren. Mit der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit, die die Bundesregierung in allen gentechnikrechtlichen Sicherheitsfragen beraten soll, hat man sich total überworfen und die Stelle des Abteilungsleiters für Verbraucherschutz und Veterinärmedizin ist seit Monaten verwaist. ({4}) Insofern müssen Sie sich Kritik gefallen lassen. Aber die Führung des Hauses ist es nicht allein. Sie haben nach unserer Auffassung auch Probleme, die aus falschen gesundheitspolitischen Entscheidungen erwachsenden Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Mit dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz und der GKV-Gesundheitsreform 2000 sollten, so wird jetzt deutlich, 1999 und bis in das Jahr 2000 hinein im Grunde genommen nur Wähler geködert werden. Kleinere Leistungsverbesserungen wie beispielsweise die Übernahme der Kosten für die Soziotherapie sollten das Bild vermitteln, es sei genügend Geld in der gesetzlichen Krankenversicherung vorhanden, man müsse nur die Wirtschaftlichkeitsreserven ausschöpfen und dann ließen sich Leistungsverbesserungen vornehmen. Um dies zu bewerkstelligen, werden die alten Rezepte von Budgetierung und Reglementierung unbeirrt fortgesetzt. Aber, meine Damen und Herren, die Menschen merken inzwischen, dass mit sektoralen Budgets die in der Gesundheitspolitik bestehenden Probleme eben nicht zu lösen sind. Kranke und schwerstkranke Patienten machen tagtäglich die Erfahrung, dass ihnen medizinisch notwendige Behandlungen vorenthalten werden. Ihre Sorgen werden immer drängender. Zuckerkranke beklagen, dass ihnen die zur Blutzuckerkontrolle notwendigen Blutzuckerteststreifen vorenthalten werden. Krebskranke weisen darauf hin, dass in der Heilmittelversorgung dringend notwendige Therapien wie Lymphdrainage oder Krankengymnastik nicht mehr verordnet werden. Patienten, die aus Krankenhäusern entlassen werden und der ambulanten Nachbehandlung bedürfen, wird unter Hinweis auf Regressandrohung und Budget das Medikament, auf das sie in der Klinik eingestellt wurden, verweigert. Wenn wir darauf hinweisen, dann ist das keine Verunsicherung, sondern die Darstellung und das Aussprechen von Tatsachen, so wie sie heute vorzufinden sind. ({5}) Auch die Ärzte, denen unter Regressandrohung die Einhaltung der Budgets aufoktroyiert wird, empfinden es als unerträglich, auf eine medizinische Behandlung verzichten zu müssen, die sie im Rahmen ihrer Verantwortung im Einzelfall für angezeigt halten. Immer weniger Patienten - resümiere ich - kommen in den Genuss von Arzneimittelinnovationen, für die nur wenig oder gar kein Geld da ist. Dessen ungeachtet hält die rot-grüne Bundesregierung verbissen an ihrer Budgetierungspolitik fest, bisher jedenfalls. Es darf trotzdem schon jetzt die Frage gestellt werden: Wie lange noch? Der finanzielle Crash ist bislang nur wegen der Mehreinnahmen aus den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen vermieden worden. Ist dieser Effekt erst einmal verpufft, wird die im Ausgabewachstum liegende Dynamik, die unvermeidlich ist, wieder stärker zum Tragen kommen. Es wird sich erneut die Frage stellen, welche Steuerungsinstrumente dann zur Verfügung stehen oder gestellt werden sollen. Vielleicht kommt diese Frage auch schon viel früher auf die Bundesregierung zu; denn die Ministerin hat den Herren Eichel und Riester erlaubt, ungeniert in das Portemonnaie der Krankenkassen zu greifen. Ebenso wie schon 1999 bei der sozialen Pflegeversicherung wird jetzt bei der gesetzlichen Krankenversicherung eine Kürzung der Beiträge für Arbeitslosenhilfebezieher in Kauf genommen. Etwa 1,2 bis 1,5 Milliarden DM werden dadurch in den Kassen fehlen. Sie, Frau Ministerin, haben zwar im Rahmen der Pressekonferenz zu den Halbjahresergebnissen vor wenigen Tagen versprochen, die Senkung in den Haushaltsberatungen noch einmal zu überdenken, aber ich habe erhebliche Zweifel an Ihrem Kampfesmut - um zu vermeiden zu sagen: an der Ehrlichkeit Ihrer Aussage. Warum? Weil Sie schon anlässlich der Ressortgespräche zum Haushalt 2000/2001 angekündigt hatten, sich vehement gegen die Kürzung zur Wehr zu setzen. Auch Frau Schaich-Walch erklärte im Juni in der „Süddeutschen Zeitung“: Sollte Riester Erfolg haben -wörtlich -, ist absolut klar, dass die Kassen die Beiträge im kommenden Jahr erhöhen. Deshalb wolle auch sie sich gegen die Kürzung der Beiträge aussprechen. Offensichtlich haben die beiden Damen in ihrem Protest sehr vorsichtig agiert, denn die Herren - in diesem Fall Riester und Eichel - haben sich beim Kanzler durchgesetzt, und das, obwohl sie sich doch eigentlich als die Gralshüter der Beitragssatzstabilität in den Vordergrund spielen wollten und uns, wenn wir sagen, dass es so nicht weitergeht, vorhalten, wir wollten Beitragserhöhungen in Kauf nehmen. Nun drohen der gesetzlichen Krankenversicherung - Sie haben das gerade gesagt - als Folge der Urteile des Verfassungsgerichts zu den Beiträgen der freiwilligen Rentner und den Einmalzahlungen weitere Belastungen. Ich sage: Auf diese wäre die gesetzliche Krankenversicherung vorbereitet, hätte Rot-Grün ihr nicht seit Regierungsantritt laufend die Finanzmittel entzogen. Der Einnahmeausfall durch Reduzierung der Zuzahlungen beläuft sich auf rund 1 Milliarde DM, das Aussetzen der Krankenhaussonderregelung - sie wird immer als Notopfer bezeichnet - führt zu Einnahmeausfällen in Höhe von rund 700 Millionen DM, die Ausweitung von Leistungen, zum Beispiel der Soziotherapie, führt zu Mehrausgaben in Höhe von rund 1 Milliarde DM und die Ausnahmeregelung bei den Krankenhäusern führt zu Mehrausgaben in Höhe von rund 2 Milliarden DM. Wolfgang Lohmann ({6}) Zusammen mit der Kürzung der Renten in 2000 und 2001 und der Kürzung der Beiträge für Arbeitslose - ich habe das gerade angedeutet - spricht man von einer Belastung der Kassen - man kann das nachrechnen - von 5,3 Milliarden DM in diesem Jahr und von 7,5 Milliarden DM im Jahr 2001. Die immer wieder zur Entlastung zitierten Mehreinnahmen von 2 Milliarden DM bis - wie Sie in Ihrer Presseveröffentlichung schreiben - möglicherweise 3 Milliarden DM durch das Abkassieren bei geringfügig Beschäftigten reichen mit Sicherheit nicht aus, um Beitragssatzerhöhungen zu vermeiden. Auch der wirtschaftliche Aufschwung wird bei immer weniger Beitragszahlern nicht ausreichen, die Einnahmeausfälle zu kompensieren. Frau Ministerin, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, glauben Sie wirklich ernsthaft, dass die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung mit immer weniger Beitragzahlern und rigiden Budgets zu stabilisieren sind, ohne die medizinische Versorgung der Bevölkerung weiter zu verschlechtern? Erste Zweifel an Ihrer eigenen Sicht haben Sie offenbar schon, Frau Ministerin. Denn während Sie anlässlich der Pressekonferenz, die ich bereits zitierte, noch erklärten, in dieser Legislaturperiode keine Reform mehr auf den Weg bringen zu wollen, sagten Sie auf einer Podiumsdiskussion der Bertelsmann-Stiftung - ich habe es selbst gehört Es ist eine falsche Vorstellung, dass es mit einer Gesundheitsreform getan ist. Wären Sie anlässlich der Gespräche zur GKV-Gesundheitsreform 2000 auf unsere Angebote eingegangen, dann hätten Sie jetzt keine Torsoreform und müssten nicht über eine wirklich grundlegende Reform der GKV nachdenken. Offensichtlich finden Sie und die Koalitionäre immer mehr Geschmack an unseren Alternativen. Diesen Schluss ziehe ich, nachdem ich aus Ihrem Munde lobende Worte über das System der Krankenversicherung in der Schweiz anlässlich der Podiumsdiskussion bei der Bertelsmann-Stiftung gehört habe. Der Schweiz ist wegen ihrer marktwirtschaftlichen Anreizsysteme der CarlBertelsmann-Preis verliehen worden. In der Jury saß übrigens auch Herr Dreßler. Ich weiß nicht, wie Sie sich gefühlt haben: Sie saßen als Weltkind in der Mitten zwischen diesen beiden Ministerinnen aus der Schweiz und aus den Niederlanden, die sehr gelobt wurden, während ich Lobesworte für Ihre Politik nicht gehört habe. ({7}) - Sie sind für ihre Reformbemühungen, für ihre zukunftweisenden Reformen gelobt worden und haben dafür einen Preis bekommen. Es ist eine einmalige Sache gewesen, dass dort drei Ministerinnen saßen, von denen die eine immer wieder den Kopf einziehen musste, wenn es um das Lob für eine moderne, zukunftsgewandte Politik ging. Und dann ist da noch der Bundeskanzler, der sich in einem Beitrag für die „Frankfurter Hefte“ für die Selbstbeteiligung der Versicherten ausgesprochen hat: „Unverzichtbar“, sagte er. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stelle ich fest, dass die Bundesregierung nicht weiß, was sie in der Gesundheitspolitik wirklich will. Die Fragen lauten also: Wollen Sie die grundlegenden Probleme der GKV ernsthaft angehen? Kommt das Festbetragsneuordnungsgesetz? Wie steht es um eine Reform des Organisationsrechts und des Risikostrukturausgleichs? Was passiert in der Pflegeversicherung? Bisher hört man nur von einem Referentenentwurf zur Qualitätssicherung, der aber bei den Betroffenen wegen Überreglementierung auf erhebliche Kritik stößt. Die angekündigte Verbesserung der Situation Demenzkranker lässt weiter auf sich warten. Bei der häuslichen Krankenpflege haben Sie es zu verantworten, dass Schwerstkranke keine hinreichenden pflegerischen Leistungen mehr erhalten. ({8}) Ihre eigene Klientel war bei einem Pflegefachgespräch - so nannte sich das - so aufgebracht, dass sie Sie, Frau Fischer, wiederum so aufgebracht hat, dass die „Süddeutsche Zeitung“ titelte: „Bundesministerin fällt aus der Rolle“. Frau Ministerin, fallen Sie nicht aus der Rolle. Packen Sie die notwendige und zukunftsweisende Reform in der GKV zum Nutzen der Kranken, der Versicherten und - das ist mir wichtig - um der Glaubwürdigkeit unserer gesetzlichen Krankenversicherung an; denn diese muss erhalten bleiben. Auf die Weise, wie Sie das zurzeit machen, ist Gefahr im Verzuge. Schönen Dank. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Eckhart Lewering von der SPD-Fraktion das Wort.

Eckhart Lewering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 15 für das Bundesministerium für Gesundheit sieht für das kommende Haushaltsjahr Ausgaben von rund 1,75 Milliarden DM vor. Im laufenden Jahr sind im Einzelplan 15 rund 1,84 Milliarden DM veranschlagt. Die Ausgaben weisen im Vergleich zum Vorjahr eine kontinuierliche Entwicklung auf. Der Ausgabenrückgang um rund 85 Millionen DM beruht im Wesentlichen auf besonderen Umständen des laufenden Jahres, die im kommenden Haushaltsjahr in dieser Höhe nicht mehr ausgabenwirksam sind. Zu den Ausgaben im Einzelnen: Für gesundheitspolitisch relevante Maßnahmen sind circa 127 Millionen DM veranschlagt. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Modellprogramme zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger, Maßnahmen gegen Drogen- und Suchtmittelmissbrauch, Vorhaben zur medizinischen Qualitätssicherung und Maßnahmen zur Krebsbekämpfung. Zudem finanziert das Gesundheitsministerium Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung der Bevölkerung, insbesondere im Bereich der Drogen- und Aidsprävention. Wolfgang Lohmann ({0}) Die Modellprogramme werden auch in diesem Jahr weiter zurückgeführt. Das frühere hohe Ausgabenniveau entsprach dem Nachholbedarf in den Jahren nach der deutschen Einigung. Die meisten Vorhaben sind mittlerweile in die Regelversorgung übernommen worden. Die Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung werden in vergleichbarem Umfang fortgeführt. Sowohl bei der Aidsaufklärung als auch für die Informationen gegen Drogenmissbrauch und für die allgemeine gesundheitliche Aufklärung stehen weiterhin entsprechende Mittel zur Verfügung. Die Erfolge der Präventionsmaßnahmen vergangener Jahre dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Wissen über gesundheitsgefährdendes Verhalten permanent erneuert werden muss. Vielerorts ist eine Verdrängung der Aidsproblematik zu beobachten. Hierzu tragen auch die Erfolge und leider auch die vermeintlichen Erfolge bei der Entwicklung neuer Medikamente bei. International sind hohe Steigerungsraten bei der Zahl der Aidsinfektionen zu beobachten: Weltweit haben sich im vergangenen Jahr mehr als 5 Millionen Menschen allein mit Aids infiziert. Im Zeitalter der offenen Grenzen und der internationalen Zusammenarbeit kann man darüber nicht einfach hinwegsehen. Aids ist eine weltweite Bedrohung und erfordert unser weltweites Engagement, nicht zuletzt zu unserem eigenen Nutzen. ({1}) Moderne Konzepte gegen den Drogenmissbrauch erfordern ein ideologiefreies Herangehen an die Problematik, wie es auf kommunaler Ebene, wo man mit den Problemen unmittelbar konfrontiert wird, zum Glück schon vielfach über alle Parteigrenzen hinweg möglich ist. Ich denke hier an Frankfurt und auch an Hannover. Der Anstieg der Drogenkriminalität und der Opfer illegaler Drogen fordern weiterhin ein hohes Engagement auch auf der Bundesebene. Einen neuen Ausgabeposten stellt das Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ dar. 1 Million DM sind für das Programm im kommenden Jahr im Einzelplan 15 vorgesehen. Darüber hinaus erfolgt eine gleich hohe Finanzierung durch das Bundesumweltministerium. Im Finanzplanungszeitraum für die nächsten Jahre steigt der Betrag auf 2,5 Millionen DM an. Mit dem Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ werden neue Wege beschritten. Zum einen eröffnet die systematische und ganzheitliche Herangehensweise die Möglichkeit, Wechselwirkungen und Summationseffekte im erforderlichen Rahmen zu berücksichtigen, zum anderen wird das Prinzip der Vorsorge als primäres Grundprinzip von Umwelt- und Gesundheitspolitik betont. Grundlagen dieses Programms sind erstens die Sammlung und Bewertung aller fachlichen Informationen sowie die Schaffung fundierter fachlicher Grundlagen für umweltbedingte Krankheiten, zweitens die Überprüfung und Verbesserung bestehender Verfahren der Risikobewertung und Standardsetzung, drittens die Verbesserung von Diagnose und Therapie in der Umweltmedizin und viertens die Umsetzung vorbeugender Maßnahmen in der Umwelt- und Gesundheitspolitik. Unter den in Deutschland bestehenden Umweltbedingungen haben vor allem chronische Erkrankungen Bedeutung. Das Programm trägt dazu bei, fehlerhafte Diagnosen und die damit übliche Odyssee der Patienten durch verschiedene Arztpraxen - mit entsprechenden Kostenfolgen auch für das System der gesetzlichen Krankenversicherungen - abbauen zu helfen. Dem Schutz der Gesundheit durch Erhalt der Umwelt oder durch Wiederherstellung gesundheitsfördernder Umweltbedingungen gebührt Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Dem tragen wir Rechnung. ({2}) Wir haben vor der Wahl versprochen, den Schutz der Menschen vor Gesundheitsgefahren zu einem Leitgedanken der Gesundheitspolitik zu machen. Auch in diesem Punkt halten wir Wort. Überhaupt kann man sagen, dass man, wenn man eine Zwischenbilanz der Arbeit der rot-grünen Koalition zieht, konstatieren muss, dass wir bereits nach der Hälfte der Legislaturperiode einen großen Teil unserer gesundheitspolitischen Ziele erreicht haben. ({3}) Wir haben Leistungsbeschränkungen und Zuzahlungspflichten, die die Vorgängerregierung verhängt hatte, abgebaut oder vermindert und moderne Konzepte der Gesundheitsförderung und -vorsorge wieder eingeführt. Wir haben die Rolle des Hausarztes neu definiert und Möglichkeiten für moderne, integrierte Versorgungsformen auf den Weg gebracht. ({4}) Die Rehabilitation ist gestärkt worden. Die rot-grüne Koalition setzt Akzente für eine Gesundheitspolitik, die zum Ziel hat, vermeidbare Kosten schon in ihrer Entstehung zu bekämpfen. Aus diesem Grund haben wir mit der Gesundheitsreform 2000 Prävention wieder zu einem zentralen Bestandteil der Gesundheitspolitik gemacht. Der Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege“ wird in Zukunft konsequent umgesetzt werden. ({5}) - Ja, das machen wir auch so.- Das ist eine Politik, die die Interessen der betroffenen Menschen und die Vermeidung unnötiger Kosten miteinander zu vereinbaren vermag. ({6}) Selbsthilfegruppen und Patientenrechten haben wir die Bedeutung zugemessen, die Ihnen gebührt. Der Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge ist gestoppt und die solidarische Krankenversicherung gestärkt. Anstelle der vorhergesagten Defizite gab es im vergangenen Jahr sogar Überschüsse. Wir sind unserem Ziel, ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem zu schaffen, das seine Leistungen für alle Versicherten in gleicher Weise bereitstellt, ({7}) bereits ein gutes Stück näher gekommen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert, PDSFraktion?

Eckhart Lewering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Seifert.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, bitte sehr.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Lieber Herr Kollege, Sie sprachen gerade davon, dass Sie die Selbsthilfeförderung so sehr unterstützt hätten. Ich anerkenne sehr die Leistung des BMG, das die Selbsthilfe fördert. Aber was tun Sie dafür, dass die gesetzlichen Krankenkassen endlich ihrer Verpflichtung nachkommen - es gibt ja jetzt das Gesetz -, Selbsthilfe zu fördern? Jeder weiß doch, dass sie das nicht oder nur so restriktiv tun, dass bei den Betroffenen kaum etwas ankommt. Wir brauchen die Hilfe dringend.

Eckhart Lewering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Seifert, wie Sie wissen, haben wir in dem Gesetz im Jahre 2000 festgelegt, dass die Krankenkassen die Pflicht haben, etwas für die Selbsthilfegruppen zu tun, ({0}) und das werden sie sicher auch tun. ({1}) Ein weiteres Beispiel für diese Politik ist ein neu in den Haushalt aufgenommener Posten. Es handelt sich hierbei um 3,3 Millionen DM für den Bundesanteil an laufenden Rentenzahlungen zur Entschädigung von Hepatitis-COpfern der ehemaligen DDR. Ich erinnere hier nochmals daran, dass die alte Koalition diese Aufgabe lange vor sich her geschoben hatte und erst die neue Bundesregierung dieses Problem erfolgreich angepackt hat. Die Finanzhilfen zur Förderung von Investitionen in Pflegeeinrichtungen in den neuen Ländern betragen 867 Millionen DM und stellen damit den größten Einzelposten im Gesundheitshaushalt dar. 83 Millionen DM sind für internationale Aufgaben des Gesundheitswesens vorgesehen. Der hierin enthaltene WHO-Beitrag ist in US-Dollar zu zahlen und muss wegen der Kursentwicklung nachträglich angepasst werden. Mit 53 Millionen DM werden wissenschaftliche Forschungsinstitutionen finanziert, die der Bund gemeinsam mit den Ländern fördert. Die Personalausgaben bilden mit 314 Millionen DM den zweitgrößten Ausgabenblock. Ein großer Teil der Stellen wird durch Einnahmen finanziert, insbesondere im Bereich der Arzneimittelzulassung. Der Einzelplan 15 enthält Investitionen im Umfang von circa 1 Milliarde DM. Ich schenke mir jetzt die einzelnen Zahlen dazu. Ich komme zum Schluss zu den im Einzelplan 15 vorgesehenen Einnahmen. Sie belaufen sich auf circa 92 Millionen DM. Die Einnahmen aus Zulassungsaufgaben der Institute dienen zur Deckung der Personal- und Sachausgaben. Mögliche Steigerungen der Gesamteinnahmen wurden im vergangenen Jahr zu hoch angesetzt. Aus diesem Grunde wurden die erwarteten Einnahmen für dieses Jahr angepasst. Mit dem Haushaltsentwurf 2001 schreitet die Bundesregierung weiter fort auf ihrem erfolgreichen Weg der Haushaltskonsolidierung. Sie schafft damit die finanzielle Grundlage für ein funktionierendes Gemeinwesen und für den Erhalt unseres Gesundheitswesens. Ich danke Ihnen. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Dr. Dieter Thomae, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die rot-grüne Gesundheitspolitik ist in der Tat gescheitert. Auch die Bürger draußen merken dies. ({0}) Erstens wollen wir klar feststellen, dass wir beim Regierungswechsel einen Überschuss und kein Defizit übergeben haben. ({1}) Zweitens. Durch die Maßnahmen seit der Regierungsübernahme sind Summen ins Spiel gekommen. Diese kann man nur einhalten, indem eine strenge Budgetierung realisiert wird. Das bedeutet, dass letztlich Leistungskürzungen erfolgen. Diese strenge Budgetierung merken die Bürger ganz genau. Ist es sehr sinnvoll, wenn wir heute erleben, dass eine Frau, die eine Brustamputation durchmachen musste, noch zweimal Lymphdrainage bekommt? Das ist ein Faktum. Es ist ein Faktum, dass Patienten ins Krankenhaus überwiesen werden, die eigentlich Krankengymnastik bekommen sollten. Aber der Arzt sagt, das Budget ist erschöpft, und überweist diesen Patienten für 14 Tage ins Krankenhaus. Er bekommt im Krankenhaus zweimal am Tag Physiotherapie. ({2}) Meine Damen und Herren, das kostet hohe Summen und ist unverantwortlich. ({3}) - Das sind Fakten! Es geht weiter. Die Krankenkassen sagen heute eindeutig: Häusliche Pflege wird nicht mehr verschrieben; der Patient wird ins Krankenhaus überwiesen. ({4}) - Ich weiß, das alles passt Ihnen nicht. ({5}) Weitere Beispiele aus der Praxis: das Arzneimittel- und Heilmittelbudget, bei dem der Patient massiv betroffen wird und gerade der chronisch Kranke darunter leidet. Sie sagen, Sie machen eine Politik für den Patienten? Nein, diese Patienten werden in den Bereichen Diabetes, Parkinson, Krebs und in anderen Bereichen massiv berührt. ({6}) Ich bin erstaunt, dass die Fragen und die bisherigen Ergebnisse der Rheuma-Liga nicht diskutiert werden. Schade, dass die Rheuma-Liga nicht zur Anhörung am 27. September eingeladen wird. Dort könnten Fakten genannt werden, die sehr interessant sind, weil die Betreuung auch dieses Patientenkreises massiv betroffen wird. Ich könnte Ihnen noch weitere Beispiele aufzählen, bei denen Sie durch Gesetzesänderungen finanzielle Mittel entziehen und dadurch eben sehr stark Patienten treffen. Aber nicht nur das, ich würde Ihnen auch empfehlen, mit Ärzten in den neuen Bundesländern intensiv zu reden. Gerade die Allgemeinärzte in den neuen Bundesländern, aber auch die Fachärzte werden in der Honorierung massiv getroffen. Sie wissen selber: Nicht nur die Ärzte, sondern auch Physiotherapeuten und Psychologen ringen gerade in den neuen Bundesländern um ihre Existenz. Gehen Sie hin und schauen Sie, wie die durchschnittlichen Jahreseinkommen von diesen Bürgern sind. Sie werden feststellen, dass zu diesen Beträgen kaum noch gearbeitet werden kann und eine Freiberuflichkeit nicht mehr gesichert ist. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Mit Ihrer Politik zerstören Sie dieses System. Sie zerstören die Freiberuflichkeit in diesem System. ({7}) Es ist wahrscheinlich Ihre Absicht, diese Freiberuflichkeit zu zerstören und damit Ihre Planwirtschaft noch stärker zu realisieren. ({8}) Wenn Sie das nicht wollen, dann ändern Sie doch Ihr Gesetz. Dann sprechen Sie doch mit den Ärzten. Dann gehen Sie doch in die neuen Bundesländer und sprechen bei Veranstaltungen mit den Ärzten. Nein, Sie sagen bei Veranstaltungen ab. Die KV Sachsen organisiert eine große Veranstaltung - keiner von der SPD kommt. Das sind unfaire Methoden. Bekennen Sie sich dazu! Von den Grünen rede ich erst gar nicht. Sie kommen generell nicht. ({9}) Über einen weiteren wichtigen Punkt wird bisher viel zu wenig diskutiert. Wir alle wissen: Dieses Gesundheitssystem wird nach dem 30. September ganz neu und anders betrachtet werden. Das sage ich Ihnen heute voraus. Nach dem 30. September wird über Beitragssatzsteigerungen diskutiert werden, weil Sie es über die Budgetierung nicht mehr im Griff haben. Die Bürger machen es nicht mehr mit, dass Leistungskürzungen fast bis auf die Haut gehen, sogar bis ins Rückenmark, weil sie die Leistungen nicht mehr bekommen. Ein zweiter wichtiger Punkt: Frau Ministerin, Sie kündigen immer Sachen an, egal ob es nun im Pflegebereich oder im Gesundheitsbereich ist, doch es bleibt bei den Ankündigungen. Wir haben im Pflegebereich schon unsere Probleme. Wir sind im Defizit. Sie behaupten, wir kommen nächstes Jahr aus dem Defizit heraus. Aber Sie müssen gerade auch im Pflegebereich erkennen, wohin der Trend geht. Es geht sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich hin zu den Sachleistungen. Die Geldleistungen werden reduziert. Dafür gibt es sicherlich viele Argumente: Kleinfamilie, Überforderung der Familie. Diese Kosten steigen nennenswert an. Dies ist bisher von Ihnen so gut wie gar nicht berücksichtigt worden. Wenn Sie glauben, Sie könnten ein Gesetz nur für Demenzkranke, vielmehr für die zu pflegenden Demenzkranken machen, dann werden Sie nicht erfolgreich sein. Es gibt genau ähnliche Krankheitsbilder, bei denen Familienmitglieder diese Patienten pflegen und draußen vor der Tür stehen. Dann haben Sie die Klagen am Hals. Eines haben wir bisher nicht berücksichtigt. Wir haben bisher die Leistungen in diesem System nicht fortgeschrieben. Auch das wird ein großes Thema werden. Ist das überhaupt haltbar? ({10}) - Ja, ich weiß. Aber da Sie nun in diesem Pflegebereich die große Verantwortung tragen, muss man Sie schon daran erinnern, dass Sie Versprechungen einhalten müssen, die Sie vor den Wahlen verkündet haben. Wir werden genau diese Themen nutzen. Meine Damen und Herren, ich spreche hier noch ein Thema an: Diese Woche hat ja beim Bundeskriminalamt eine größere Zusammenkunft im Gesundheitssektor stattgefunden. Ich sage dazu ganz deutlich: Ich bin wirklich für Strafverfolgung für diejenigen, die hier nicht sauber abrechnen. Aber ich sage Ihnen auch: Eine Hetzjagd in diesem Bereich auf den Weg zu bringen, um von den tatsächlichen Problemen abzulenken, dies werden wir nicht mitmachen. Das sage ich Ihnen heute voraus. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn heute in erster Lesung über den Einzelplan 15 debattiert wird, muss erneut festgehalten werden: Die Absenkung der Kassenbeiträge für die Arbeitslosenhilfeempfänger zugunsten des Bundeshaushaltes war und bleibt ein schwerer Fehler. ({0}) Auch wenn Sie das anders sehen, Frau Ministerin Fischer: Die damit verbundene Mittelkürzung ist angesichts der finanziellen Belastungen, die auf die gesetzliche Krankenversicherung noch zukommen, und angesichts der realen Situation im Gesundheitswesen nicht zu verantworten. Wo Sie Ihre Zufriedenheit hernehmen, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Denn die Grundprobleme des Bereiches sind da, sie sind nach wie vor ungelöst, und überall wachsen neue Spannungen und daraus resultierende Proteste. In den Krankenhäusern verschlechtern sich die vielerorts schon heute unhaltbaren Arbeitsbedingungen weiter. Ende dieses Monats wollen die Ärzte in Sachsen und Sachsen-Anhalt mit einer Aktionswoche auf erneute Honorareinbußen aufmerksam machen. Die Brisanz der Situation in den neuen Bundesländern erwächst auch daraus, dass den Ärzten in der eigenen Niederlassung - wie damals allen Menschen in den neuen Bundesländern - blühende Landschaften versprochen wurden, sie aber heute eine ganz andere Wirklichkeit erleben. Nun weiß ich, dass ich Sie für dieses Versprechen nicht verantwortlich machen kann, aber Sie haben jetzt die Verantwortung. Ich möchte deshalb an die Bundesregierung appellieren, den hier bestehenden dringenden Handlungsbedarf keinesfalls zu unterschätzen. ({1}) Viele AOKen und Ersatzkassen geraten immer mehr in Schwierigkeiten; dies vor allem, weil der finanzielle Ausgleich zwischen den Kassen nicht richtig funktioniert und Betriebskrankenkassen mit Dumping-Beiträgen junge und gesunde Mitglieder abwerben. Dabei geht es letztendlich nicht um die Existenz einer Einzelkasse, sondern es geht um die Leistungsfähigkeit des Systems der solidarischen Krankenversicherung. ({2}) Meine Damen und Herren, es ist ein beschämender Zustand, dass die Menschen in einem der wohlhabendsten Länder der Welt inzwischen Woche für Woche durch neue Horrormeldungen aus dem Gesundheitsbereich erschreckt werden. Das ist unverantwortlich angesichts der Tatsache, dass alle Probleme im Gesundheitswesen von den Menschen mit hoher Sensibilität verfolgt werden. Wenn die Gesundheitsministerin vor diesem Hintergrund stolz verkündet, dass die Krankenkassen in diesem Jahr voraussichtlich ohne Defizite abschließen werden, und dies als den entscheidenden Erfolg der jüngsten Gesundheitsreform wertet, dann kann es nicht verwundern, wenn viele Menschen das geradezu als Hohn empfinden. - Mehr sage ich nicht; das lasse ich weg. ({3}) Wir meinen, die entscheidende Frage im Gesundheitswesen ist heute nicht, ob der allgemeine Beitragssatz in der GKV 13,60 oder 13,57 Prozent beträgt. Die Hauptgefahr besteht darin, dass die Versicherten ebenso wie die Mitarbeiter in den Einrichtungen das elementare Vertrauen in die GKV verlieren. Schlimmer noch, die Akzeptanz des Solidarsystems in der Bevölkerung kann irreversiblen Schaden nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenigstens darin sollte Übereinstimmung bestehen: Durch Privatisierung und Deregulierung können weder die bestehenden Versorgungs- noch die Finanzprobleme des Gesundheitswesens gelöst werden. ({4}) Das gilt für ein Zusammenstreichen des Leistungskatalogs im Gefolge von Basis- und Wahlleistungen ebenso wie für einen ökonomischen Verdrängungswettbewerb. Wer das Solidarsystem zerstört, zerstört die entscheidende Grundlage unseres Gesundheitswesens und einen zentralen Eckpfeiler des Sozialstaates. ({5}) Ich denke aber, noch hat die Regierung das Heft des Handelns in der Hand. Wenn sie die solidarische Krankenversicherung bewahren will - davon gehen wir nach wie vor aus -, dann muss sie jetzt alles tun, um das Vertrauen der Menschen in das System zu stärken, statt zuzulassen, dass es zunehmend zerredet und Schritt für Schritt ausgehöhlt wird. Auf diese Weise kann auch die notwendige Zeit gewonnen werden, um eine wirkliche Reform des Gesundheitswesens endlich einmal sorgfältig vorzubereiten. Erforderlich sind tatsächlich neue Strukturen und eine Konsolidierung der Finanzgrundlagen, die strikt am Solidarprinzip orientiert bleibt. Notwendig ist auch, zügig die Verfassungsgerichtsurteile zu den Krankengeldzahlungen und zu den Beiträgen der freiwillig versicherten Rentner umzusetzen. Im Interesse von Glaubwürdigkeit und Vertrauensstärkung kann es dabei nur um Lösungen gehen, in deren Ergebnis alle - ich betone: alle - betroffenen Langzeitkranken Rückzahlungen erhalten und die freiwillig versicherten Rentner den pflichtversicherten gleichgestellt werden. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich dem Kollegen Dr. Martin Pfaff, SPD-Fraktion, das Wort.

Prof. Dr. Martin Pfaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Traditionsgemäß bietet die Haushaltswoche, vor allem die in der Mitte einer Legislaturperiode, Anlass zum Rückblick, aber auch zum Ausblick. Sie ist auf ganz besondere Weise eine Nagelprobe für die Regierung selbst - es geht um die Frage, ob sie klare Vorstellungen über die Ziele und die notwendigen Maßnahmen in der laufenden Legislaturperiode und darüber hinaus hat -, aber natürlich auch eine Nagelprobe für die Opposition: Wird sie alles in Bausch und Bogen verdammen, auch Maßnahmen, die sie in der Vergangenheit selber durchgeführt hat oder im Konsens mit durchgeführt hat, wird sie Populismus pur in den Vordergrund stellen, weil dies der Opposition leichter fällt, oder wird sie dort Verantwortung mit tragen, wo es erforderlich ist? Ich muss ganz offen sagen, die Bemerkungen, die ich heute gehört habe, stimmen mich nicht gerade optimistisch. ({0}) Herr Kollege Lohmann, Sie sagen hier, eine moderne Gesundheitspolitik sei gefordert. Besteht eine moderne Gesundheitspolitik darin, dass man ({1}) Gesundheitsrisiken privatisiert, dass man die Zuzahlungen erhöht, dass man den Leistungskatalog mindert und die Risiken den Menschen aufbürdet, ({2}) die zum Teil nicht in der Lage sind, sie zu tragen? Diese Vorschläge haben einen langen grauen Bart. Das ist nicht modern, auch wenn man es wieder auf neues Briefpapier kopiert; das muss ich hier in aller Deutlichkeit sagen. ({3}) Zweitens sprechen Sie das Problem der Zulassung von Arzneimitteln an. Es besteht ja in der Tat. Aber hier muss doch die bescheidene Frage erlaubt sein, was Sie denn in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit getan haben, um diesen Stau bei den Zulassungen zu beseitigen? Angemahnt wurde es von uns und von den europäischen Institutionen schon lange. Wer im Glashaus sitzt, sollte sicher nicht mit Steinen werfen. ({4}) Sie haben die sektoralen Budgets kritisiert. Wir wissen, sie haben auch negative Effekte. Aber dann frage ich Sie: Warum haben Sie denn das Globalbudget verhindert, das eine intelligentere Form gewesen wäre ({5}) und mehr Flexibilität zwischen den Sektoren erlaubt hätte? Auch hier erfordert die Glaubwürdigkeit einiges. In einem Punkt haben Sie ja nicht Unrecht: Die Kürzung der Beiträge der Arbeitslosen zur gesetzlichen Krankenversicherung stellt einen Verschiebebahnhof dar. Ich sage das in aller Deutlichkeit. Nun muss aber zum einen auch daran erinnert werden, dass die Haushaltskonsolidierung, die Sparbemühungen eine logische Konsequenz der Finanzsituation sind, die wir bei der Übernahme der Regierungsverantwortung vorfanden. ({6}) Ohne diese Situation würde Walter Riester nicht seinen Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts leisten müssen. Zum anderen darf ich, da Sie ja besondere Experten für Verschiebebahnhöfe sind, daran erinnern, was eigentlich in Ihrer Regierungszeit geschehen ist. Erstes Beispiel: die Senkung des Rentenbeitrags von 18,7 Prozent auf 17,7 Prozent, später auf 17,5 Prozent bei gleichzeitiger Erhöhung des Beitrags der Bundesanstalt für Arbeit. Das war eine Zweckentfremdung des Reservepolsters der Rentenversicherung. Zweites Beispiel - wohlgemerkt, ich komme zur GKV -: Absenkung von Reha-Leistungen in der Rentenversicherung, Anstieg ambulanter Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das haben Sie gemacht. Drittes Beispiel: Ausgliederung der medizinischen Rehabilitation als Regelleistung der GKV. Das war Ihre Absicht und das bedeutet eine weitere Belastung der gesetzlichen Pflegeversicherung. Durch das so genannte 2. GKV-Neuordnungsgesetz wollten Sie darüber hinaus die häusliche Krankenpflege und die ambulante Rehabilitation von einer gesetzlichen Anspruchsleistung auf eine satzungsgemäße Mehrleistung umsatteln. Das hätte eine Mehrbelastung der gesetzlichen Pflegeversicherung bedeutet. In den fünf Jahren zwischen 1992 und 1997 haben Sie der gesetzlichen Krankenversicherung 17 Milliarden DM entzogen, und zwar durch die Senkung der Bemessungsgrundlage für die Krankenversicherungsbeiträge aus Entgeltersatzleistungen von 100 Prozent auf 80 Prozent - 4,5 Milliarden DM pro Jahr -, durch die Anhebung der Bemessungsgrundlage vom Nettoentgelt bei den Rentenversicherungsbeiträgen - 1 Milliarde DM pro Jahr -, durch die Senkung der den Krankenkassen zustehenden Beitragseinzugsvergütungen - einen Bruchteil einer Milliarde DM - und durch die Senkung der Entgeltfortzahlung. Ich könnte die Liste fortsetzen. ({7}) Sie haben dem System 17 Milliarden DM entzogen. Ich sage noch einmal: Wer im Glashaus sitzt, sollte wirklich nicht mit Steinen werfen. ({8}) Im Übrigen: Zu dem, was Bundeskanzler Schröder über die Stärkung der Eigenverantwortung gesagt hat, stehen wir. ({9}) Mit Eigenverantwortung meinen wir aber nicht eine Erhöhung der Zuzahlung. Wir meinen die Verantwortung der Menschen für ihre Lebensführung, für das Lebensumfeld, vor allem aber für die Lebensführung: das ist Eigenverantwortung. ({10}) Es ist klar, dass das Ernährungs-, Bewegungs- und Arbeitsverhalten einen wesentlichen Einfluss auf die Zivilisationskrankheiten hat. Mit diesem Konzept der Eigenverantwortung können wir uns anfreunden, nicht aber mit einer Anhebung der Zuzahlungen. Geschätzter, lieber Dieter Thomae: Die rot-grüne Gesundheitspolitik hat sicher dieses vernichtende Urteil nicht verdient. Das ist ganz klar. ({11}) Der Überschuss, den ihr uns am Ende der Periode überlassen habt - es gab einen rechnerischen Überschuss -, war das Produkt einer enormen Anhebung der Zuzahlungen. Die Anhebung der Zuzahlungen zur Entlastung des Budgets ist die Kunst der Primitiven. Das kann jeder machen ({12}) Die andere Frage ist, wie sich Budgets auswirken. Ich finde es sehr eigenartig, mit welcher Begeisterung noch unter dem früheren Bundesgesundheitsminister Seehofer Budgets eingeführt wurden. Das war damals in Ordnung, jetzt aber soll es auf einmal Teufelswerkzeug sein. Ich frage Sie zum Arzneimittelbudget: Bedeutet Ihre Kritik an diesem Budget, dass alle Ärztinnen und Ärzte, die mit ihrem Budget zurechtkommen, ihren Patientinnen und Patienten die notwendige Versorgung verweigern? Bedeutet das, dass nur der geringere Anteil, der nicht zurechtkommt, die Norm ist, obwohl alle anderen offensichtlich damit zurechtkommen? Wenn wir die Spielregeln kennen, wissen wir auch, dass in begründeten Fällen auch Erklärungen für Überschreitungen angebracht werden können. Was die Freiberuflichkeit der Ärzte angeht: Wir wissen alle, dass die Ärzte einen sozial gebundenen Beruf haben. Sie werden aus Zwangsbeiträgen der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Im Übrigen: Auch dieses Gebot der sozialen Gebundenheit der freien Berufe verpflichtet doch nicht die Sozialversicherungen, oder den Gesetzgeber, Überkapazitäten, die zu enormen Ausgabensteigerungen führen, zu finanzieren. Wollen Sie denn wirklich, dass die Versicherten mit ihren Zwangsbeiträgen Kapazitäten finanzieren, die nicht erforderlich sind und über den Bedarf hinausgehen? ({13}) Das kann ja wohl nicht der Sinn der sozialen Krankenversicherung sein. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wir wollen keine Hetzjagd auf Ärzte. Ich finde, das wäre nicht richtig. Aber diejenigen, die das Gesetz brechen, müssen mit aller Konsequenz des Gesetzes rechnen, so wie es in anderen Bereichen ebenso der Fall ist. So viel nur als erste Replik. Ich sagte ja schon, dass eine solche Haushaltswoche auch Anlass zum Rückblick insgesamt geben kann. ({15}) Nachdem der Kollege Eckhart Lewering schon einiges gesagt hat, kann ich nur wiederholen: Wir haben nach Beginn unserer Regierungsverantwortung das unselige Krankenhausnotopfer gestrichen. Das wissen die Menschen draußen. Wir haben die Zuzahlungen bei Arzneimitteln reduziert. Auch das ist angekommen. ({16}) Leider konnten wir es wegen der Finanzlage nicht so weit reduzieren, wie wir es gerne getan hätten. ({17}) Wir haben die Zuzahlungen für chronisch Kranke nach dem ersten Jahr gestrichen. Das ist doch eine sozialpolitische Leistung, die eigentlich auch von Ihnen Anerkennung verdienen würde. Wir haben bei den Psychotherapeuten die Zuzahlungen gestrichen, wir haben die Dynamisierung der Zuzahlungen ebenfalls gestrichen, und den unseligen Koppelungsmechanismus, den man Ihnen, verehrter Herr Kollege Seehofer - ich erinnere an den berühmt-berüchtigten Spaziergang im Altmühltal -, zuschreibt, dass nämlich bei einem Steigen der Beiträge die Versicherten zu höheren Zuzahlungen genötigt werden, also sozusagen als Hebel gegenüber den Kassen benutzt werden, haben wir Gott sei Dank auch gestrichen. Darauf sind wir auch ein wenig stolz. Ich glaube, die Menschen werden das auch zu würdigen wissen. ({18}) Wir haben den Zahnersatz, den Sie für nach 1978 Geborene privatisiert haben, als Sachleistung wieder eingeführt. Wir haben die unseligen PKV-Elemente, die in der privaten Krankenversicherung durchaus richtig am Platz sind, wieder aus der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen. Ich fasse zusammen: Diese Bundesregierung hat - gemessen an ihren Ankündigungen aus dem Wahlkampf - auch in der Gesundheitspolitik Wort gehalten. ({19}) Nehmen wir einmal das GKV-Strukturreformgesetz als Beispiel. Ich stelle mit aller Ernsthaftigkeit fest: Angesicht der Kritik an unserem System - die WHO hat uns wieder einen Spiegel vorgehalten, auch wenn er etwas verzerrt war - sind wir uns doch darüber einig, dass es einige Defizite in unserem System gibt, zum Beispiel die mangelnde Verzahnung. Die Antwort auf dieses Problem sind Maßnahmen in Richtung integrierter Versorgung. Ein weiteres Problem sind falsche Anreize im Vergütungssystem. Die Antwort sind beispielsweise durchgehend leistungsbezogene Vergütungen und Fallpauschalen im Krankenhaus, die Stärkung der Prävention, die Sie geschwächt haben, Steigerung der Transparenz, Qualitätssicherung, über die schon viel gesprochen wurde, sowie Stärkung der Patientenrechte und der Rolle der Hausärzte. Wir können auch darauf stolz sein, dass wir die unselige Sozialmauer, die im Gesundheitswesen durch die Mitte Deutschlands ging, endlich zum Abriss freigegeben haben. Die Einführung eines gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs war ein wichtiger Punkt. ({20}) Zur finanziellen Lage der gesetzlichen Krankenversicherung hat die Frau Bundesministerin einiges gesagt. Ich sage es ganz deutlich: Hier gibt es Licht und Schatten. Es gibt Licht, weil die Finanzsituation der gesetzlichen Krankenkassen am Ende des Jahres wie im vergangenen Jahr wahrscheinlich wieder ausgeglichen sein wird. Es gibt auch etwas Licht, weil jetzt die Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung in der gesetzlichen Krankenkasse berücksichtigt werden. Hier lagen Sie, meine liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, deutlich daneben. Wenn der Umfang der geringfügigen Beschäftigung wirklich so drastisch zurückgegangen wäre, wie Sie prognostiziert hatten, dann würden die Einnahmen in diesem Jahr nicht bei 2 Milliarden DM und im nächsten Jahr sogar über 2 Milliarden DM liegen. Sie wären dann deutlich geringer ausgefallen. Hieran zeigt sich wiederum, dass unser Schritt richtig war. Die Beitragssätze in Ost und West haben sich bis auf drei Zehntel Beitragssatzpunkte - wohlgemerkt: im Durchschnitt - angenähert. Sie werden für einige Zeit stabil sein. Es gibt aber auch Schatten. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts bedeuten, dass die Ausgaben um 3 Milliarden bis 6,5 Milliarden DM steigen werden. Die Einmalzahlungen beim Krankengeld und die Angleichung der Krankenkassenbeiträge für freiwillig versicherte Rentner bedeuten für die Krankenkassen Mindereinnahmen in Höhe von ungefähr 500 Millionen DM. Wir wissen, dass dies finanzielle Risiken in sich birgt. Auch der Verschiebebahnhof, der durch die Sparzwänge notwendig wurde, ist eine weitere Belastung. Dazu habe ich schon einiges gesagt. Dennoch meinen wir, dass die Finanzlage kurzfristig überschaubar ist, auch wenn mittelfristig erhebliche Risiken bestehen und sich große Gewitterwolken zusammenbrauen. Darauf werde ich noch eingehen. In den Prognosen wird davon ausgegangen, dass die gesetzliche Pflegeversicherung zwar übergangsweise Defizite aufweisen wird, dass aber in relativ wenigen Jahren die Budgets wieder ausgeglichen werden können bzw. in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts sogar Überschüsse entstehen werden, sobald die Situation der Demenzkranken verbessert ist, was unabdingbar ist. Niemals wird die gesetzlich erforderliche Mindestreserve unterschritten. Das muss man auch einmal deutlich sagen. Ich weiß, das kann uns angesichts des Bedarfs, der nicht gedeckt ist, nicht voll befriedigen. Aber auch hier gibt es einige Missverständnisse. Das große Problem sehen wir nicht in der Entwicklung der Durchschnittsbeiträge, sondern in der Entwicklung der Beitragssätze nach Kassenarten, und zwar besonders in der neuesten Entwicklung nach 1999. Wir haben gemeinsam in Lahnstein den Risikostrukturausgleich beschlossen. Wir haben auch gemeinsam die Ausweitung der Wahlfreiheit beschlossen. Wir haben uns auch gemeinsam gefreut - ich hoffe, jedenfalls die meisten von uns -, dass die intendierten Wirkungen auch erzielt wurden. Aber vor allem seit 1999 ist ein ganz besonderes Problem entstanden. Das betrifft auch schon das Jahr 1998, aber besonders danach hat sich das Problem bis zum heutigen September vergrößert. Deshalb hat der heutige Termin auch eine gewisse symbolische Bedeutung. Es ist ganz offensichtlich, dass hier ein erhebliches Problem auf uns zukommt. Schon im Jahr 1999 haben rund eine Million Menschen die Krankenkasse gewechselt, wahrscheinlich sind es in diesem Jahr noch etwas mehr. Dass sie die Kassen wechseln wollen oder können, ist aber nicht das Problem. Das war als Instrument des Wettbewerbs sogar intendiert. ({21}) Das Problem besteht darin, dass es überwiegend 25bis 40-Jährige sind, die ihre Kasse wechseln. Wenn man sich die Auswertung einer großen Kassenart anschaut, dann zeigt sich, dass von den Abgewanderten weniger als 1 Prozent in den letzten drei Jahren überhaupt einen Krankenhausaufenthalt hatte. Das heißt, die Wechsler sind jung, allein stehend, Gutverdiener und vor allem gesund; das betrifft also vor allem eine bestimmte Altersgruppe. Das heißt im Klartext: Den großen Kassen, den AOKen und den Ersatzkassen werden Ressourcen entzogen, die dem gesamten System fehlen. ({22}) Diejenigen, die breitere Schultern haben, entziehen sich der Solidarpflicht. Das ist doch nicht etwas, das nur eine Hälfte des Hauses interessieren kann. Ich sagte es schon: Wir haben das gemeinsam beschlossen. Im Wesentlichen geht es um circa 15 Betriebskrankenkassen, die den Löwenanteil dieser Wechsler aufnehmen. Diese haben in der Regel kein Servicenetz, kein Dienstleistungsangebot in der Fläche. Sie sind in der Regel nicht gleichermaßen für alle, sondern hauptsächlich für die Jungen und Gesunden zu erreichen, die zum Beispiel im Internet surfen und die günstigeren Beitragssätze finden können. Das kann ja keine Lösung für alle sein. Es kann nicht der Zweck dieses Wettbewerbs sein, dass sich die „guten Risiken“ der Solidarpflicht entziehen; nicht nur, weil die Ressourcen entzogen werden, sondern weil dies in der Tendenz dazu führen muss, dass es zwei Arten von Kassen geben wird: Kassen mit geringen Beitragssätzen für Junge und Gesunde und Kassen für Alte, Kranke, Familien mit Kindern und Menschen mit besonderen gesundheitlichen Risiken oder mit geringeren EinkomDr. Martin Pfaff men. Ich frage: Wie lange kann eine solche Entwicklung andauern, bis es wirklich zum Crash kommt? Hierfür tragen wir alle zusammen eine besondere Verantwortung. Wir haben es zusammen beschlossen. Ich meine, wir können nicht nur zusehen, wie die Entsolidarisierung in dieser Legislaturperiode ein Ausmaß erreicht, das erhebliche Konsequenzen nach sich zieht. Kurzfristig müssen wir also der Risikoselektion im Kassenwettbewerb etwas entgegensetzen, ohne aber die Konstruktion dieses Mechanismus grundsätzlich in Frage zu stellen. Wir müssen darüber hinaus mehr Transparenz schaffen. ({23}) [CDU/ CSU]: Machen Sie einen Vorschlag!) Wir müssen das Krankenhausfinanzierungsgesetz und die Bundespflegesatzverordnung an die Situation nach dem Jahre 2003 anpassen. Wir müssen den Fremdkassenausgleich regeln. Mittelfristig - das sage ich in gebotener Kürze - müssen wir Rationalisierungsreserven dort mobilisieren, wo sie zu mobilisieren sind. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Wenn das nicht ausreicht, dann kommt sicherlich die Diskussion, ob nicht die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage über neue Einkommensarten oder die Anhebung der Beitragsbemessungsund/oder Versicherungspflichtgrenze aufs Tapet muss. Wenn wir schon über Verbreiterung und Erhöhung der Einkommensgrenzen für diejenigen, die ihren Solidarbeitrag leisten sollen, reden, dann müssen wir auch über den Arbeitgeberbeitrag reden; ({24}) denn auch dort gibt es Ungerechtigkeiten zwischen denen, die vielen Menschen Brot und Arbeit geben, und den anderen, die eben mehr Maschinen einsetzen. ({25}) Diese Diskussion muss erlaubt sein. Sie muss aber in dieser Legislaturperiode beginnen und wird dann hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode Früchte tragen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit!

Prof. Dr. Martin Pfaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. Die Dinge, die Sie anbieten - Pflicht- und Wahlleistungen, Reduzierung des Risikostrukturausgleichs, Abschaffung der Budgets - sind keine Alternative für uns. Wir halten folgende drei Folgerungen fest: Erstens: Auch in Zukunft muss gelten, gleiche Gesundheitschancen für alle - unabhängig vom Einkommen - zu gewährleisten. Zweitens: Mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit muss auch in Zukunft unser Ziel sein. Drittens und letztens: Solidarisch organisierte und vor allem finanzierte Gesundheitssysteme sind sowohl kosteneffektiver als auch verteilungsgerechter. Wir müssen ja wirklich bekloppt sein, wenn wir diesen Weg verlassen wollen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort der Kollege Aribert Wolf, CDU/CSU-Fraktion.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach zwei Jahren rot-grüner Regierungspolitik lautet die nüchterne Diagnose in der Gesundheitspolitik: Das deutsche Gesundheitswesen ist krank. Ärzte fürchten um ihr Einkommen und verschreiben Patienten wichtige Arzneimittel nicht mehr. Zu leiden haben insbesondere die chronisch Kranken. Weil das Geld nicht reicht, müssen zum Beispiel Rheumapatienten um die dringend notwendige Krankengymnastik betteln. Immer mehr Menschen sind von der Gesundheitspolitik dieser rot-grünen Bundesregierung bitter enttäuscht. ({0}) Frau Fischer, Sie haben ganze Arbeit geleistet. Sie haben sich zu einem echten Negativposten der Regierung Schröder ausgewachsen. Mit Ihrer rückwärts ausgerichteten Gesundheitspolitik brechen Sie bei Umfragen alle Minusrekorde. Während man in der Rentenpolitik neue Wege geht und aus der Überalterung unserer Gesellschaft endlich Konsequenzen ziehen will, leugnen Sie noch immer die auch für die Krankenversicherung bestehenden Herausforderungen. Sie jagen lieber mit Rezepten von vorgestern vermeintlichen Wirtschaftlichkeitsreserven nach; aber vor den wirklichen Problemen drücken Sie sich. Zu dem, was die Bürger davon halten, darf ich aus einem offenen Brief der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew - Morbus Bechterew, das ist Rheuma an der Wirbelsäule; genau die davon betroffenen chronisch Kranken sind die Opfer Ihrer Politik - vom 2. August dieses Jahres zitieren: Selbst bei der für Morbus-Bechterew-Patienten notwendigen Verordnung der kostengünstigen und sehr effektiven Morbus-Bechterew-Gymnastik in Gruppen stellen unsere Mitpatienten und wir in der Verordnungspraxis eine wachsend starke Beschränkung fest. ... Wir sehen ein, dass durch die Mittelbegrenzung nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Damit aber einen spürbar schlimmeren Verlauf von chronischen Krankheiten hinzunehmen, ist unsozial und unmenschlich. Diese Sätze sprechen für sich. ({1}) Ich sage ganz ehrlich: Mich berührt das. Aber noch mehr berührt mich - ich dachte, dass das eigentlich auch Sozialdemokraten auf die Palme treiben müsste -, dass die Situation für die Menschen draußen nur dann besser ist, wenn man privat versichert oder Sozialhilfeempfänger ist; denn für deren Behandlung unterliegen die Doctores nicht Ihren strengen Spargesetzen. Wo bleibt denn da die soziale Gerechtigkeit? Die viel beschworene Mehrklassenmedizin ist doch längst Wirklichkeit in den bundesdeutschen Wartezimmern. Das ist die traurige Wirklichkeit sozialdemokratischer Politik.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kirschner?

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wolf, in dem Papier für eine sozial gerechte Gesundheitsreform, dessen Mitunterzeichner Sie zusammen mit den Kollegen Zöller und Seehofer sind, reden Sie von Wahlleistungen und führen Beispiele an, wonach letzten Endes, so heißt es da, ein Kernbeitragssatz von zwölf Beitragssatzpunkten erzielt werden könnte. Nach dem heutigen Stand wäre das eine Senkung um 1,6 Beitragssatzpunkte. Das macht rund 29 Milliarden DM aus. Zusammengerechnet ist das mehr, als die gesamten Hilfsmittel - Fahrtkosten, Kuren, Heilmittel und häusliche Krankenpflege - ausmachen. Können Sie den Patientinnen und Patienten erklären, was Sie ihnen alles wegstreichen wollen, um den Beitragssatz zu erreichen, der in Ihrem Papier für eine sozial gerechte Gesundheitsreform steht?

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kirschner, Ihre Frage zeigt eigentlich, wie fantasielos die Regierungsparteien an die Gesundheitspolitik herangehen. Wir denken schlicht und ergreifend nicht daran, ganze Leistungsfelder auszugrenzen. ({0}) - Habe ich jetzt das Wort oder wollen Sie weiterreden? Darauf können wir uns gerne verständigen; wir müssen nur wissen, wie. ({1}) Wir wollen nicht ganze Leistungsfelder ausgrenzen. Wir wollen beispielsweise ermöglichen, dass Menschen entscheiden können, ob sie, zum Beispiel in den betreffenden Bereichen, eine Selbstbeteiligung wählen. Das ist ein überlegenswertes Modell. ({2}) Wir können ferner darüber nachdenken, ob wir querbeet, über alle Leistungsbereiche hinweg, vom Krankenhaus über ambulante Leistungen bis hin zur Krankengymnastik etc., einfach zulassen, dass der Einzelne entscheiden kann, ob er die entsprechenden Leistungen selbst finanziert oder ob er sich dagegen versichern will. Das bedeutet für diejenigen, die jetzt betroffen sind, keinerlei Mehrbelastung, sondern mehr Freiheiten, da der Bürger selbst entscheidet, welche Leistungen er für nötig und welche er für unnötig hält. ({3}) Bei Ihrer Politik ist es so, dass einem der Arzt heute, wenn man in eine Arztpraxis geht, sagt: Guter Mann bzw. gute Frau, ich kann Ihnen das nicht mehr verordnen, denn mein Budget ist erschöpft. Da helfen weder Härtefallregelungen noch eigene Entscheidungen der Bürger. Vielmehr werden diese Entscheidungen von anderen getroffen. Deswegen ist das Ansehen, das Ihre Gesundheitspolitik in der Öffentlichkeit genießt, auch so niedrig. ({4}) Mich beunruhigt, dass mit dieser rot-grünen Gesundheitspolitik ein dramatischer Ansehensverlust der gesetzlichen Krankenversicherung einhergeht. Vor der Wahl haben uns die rot-grünen Regierungsparteien noch vollmundig mehr soziale Gerechtigkeit versprochen. Doch dieses rot-grüne Wahlversprechen ist wie eine Seifenblase zerplatzt. Das Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen ({5}) wertete im April 2000 die Antworten von 4 000 repräsentativen Versicherten der Gmünder Ersatzkasse aus. Von den Befragten waren im vierten Quartal 1999 58 Prozent in Behandlung. 27 Prozent dieser Menschen wurde die Verschreibung bisher verordneter Arznei- oder Heilmittel verweigert bzw. auf das Jahr 2000 verschoben. Bei 68 Prozent der Ablehnungen von Verordnungen gaben die Ärzte als Begründung an, sie müssten wegen der Budgetierung die Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen. In 24 Prozent der Fälle gaben die Versicherten, denen Medikamente verweigert wurden, an, sie hätten spürbare gesundheitliche Nachteile gehabt. Meine Damen und Herren, eine Ministerin, die sich angesichts solcher Probleme noch ihrer Erfolge rühmen will, taugt allenfalls für eine Comedyserie im Fernsehen, nicht aber für das Bundeskabinett. Ihre rot-grüne Politik beschädigt nicht nur das Vertrauen in unser Gesundheitswesen, sie demotiviert auch die Leistungserbringer und schadet den Patienten. Auch die Ärzte sind zu Recht sauer. Denn Erfolg lohnt sich nicht für sie. Wenn die Arzneimittelausgaben insgesamt überschritten werden, wird der Sparsame genauso bestraft wie der Vielverordner. Ist das etwa gerecht? Der Präsident der Bundesärztekammer kritisiert die Zustände in den deutschen Krankenhäusern. Mit dem Kostendruck steigt auch die Arbeitsbelastung des Klinikpersonals. Immer mehr Patienten werden von übermüdeten Medizinern behandelt. Dass das Risiko für Leib und Leben, das davon ausgeht, und die Gefahr, durch Behandlungsfehler Schäden zu erleiden, steigen, kann sich ja jeder ausmalen. Dieses Risiko gehen Sie bewusst ein, ganz zu schweigen von der Menschlichkeit, die in den Krankenhäusern immer öfter auf der Strecke bleibt. Für die grüne Gesundheitsministerin ist dies alles kein Problem. Statt für Patienten - das haben wir ja auch heute wieder gehört - interessiert sie sich vorwiegend für Zahlen. Das ist beschämend. Aber auch bei den Zahlen steht es nicht zum Besten. 2,5 Milliarden DM beträgt das aktuelle Defizit der Kassen.Ab nächstem Jahr fehlen den Krankenversicherungen dank rot-grüner Verschiebebahnhöfe weitere 1,2 Milliarden DM. Denn der Staat zahlt dann für seine Arbeitslosen einfach weniger Beiträge. Dies ist ein Finanzloch, das der kleine Mann, das Otto Normalverbraucher mit seinen Beiträgen wieder auszugleichen hat. Keines der grundlegenden Finanzierungsprobleme ist gelöst. Ich erinnere nur daran, was Sie von Rot-Grün der Krankenversicherung mutwillig an Einnahmen entzogen oder an zusätzlichen Zahlungsverpflichtungen aufgebürdet haben: Durch die Reduzierung der Zuzahlungen ergibt sich ein Einnahmeausfall von 1 Milliarde DM jährlich, durch das Aussetzen des Krankenhausnotopfers ein Einnahmeausfall von 700 Millionen DM jährlich. Durch die Ausweitung von Leistungen, zum Beispiel in Form von Soziotherapie und Selbsthilfegruppen, entstehen Mehrausgaben von 1 Milliarde DM jährlich, durch die Ausnahmeregelung vom Budget bei den Krankenhäusern Mehrausgaben von 2 Milliarden DM jährlich und durch die Kürzung bei Renten in den Jahren 2000 bzw. 2001 Mindereinnahmen von 600 Millionen DM bzw. 1,4 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, wenn wir das zusammenrechnen, ergibt sich allein für das Jahr 2000 eine Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherungen in Höhe von 5,3 Milliarden DM und für das Jahr 2001 von 7,5 Milliarden DM. Wir werden nächstes Jahr sehen, Frau Fischer, wer Recht hat. Mitte nächsten Jahres - das prognostiziere ich Ihnen - werden die Beiträge saftig steigen. Dann werden Sie sinkende Behandlungsqualität und höhere Kosten verantworten müssen. Das sind die traurigen Brandzeichen, die Sie dem deutschen Gesundheitswesen aufdrücken. Aber auch ein anderes Feld haben Sie ganz toll beackert. Das Gutachten zum RSA, das noch Horst Seehofer in Auftrag gegeben hat, kassieren Sie erst ein, um es dann mit einer einjährigen Verzögerung ({6}) doch wieder auf den Weg zu bringen. Auch das ist ein trauriger Meilenstein Ihrer rückwärts gewandten Politik. Damit ist wertvolle Zeit verstrichen, um eine fundierte Grundlage für die Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherungen auf den Weg zu bringen. Aber es kommt noch pikanter. Die Ministerin sagt öffentlich, sie sei für einen Ausschluss von kinderlosen Ehepaaren aus der beitragsfreien Mitversicherung, um dann, ein paar Wochen später, mit dem Entwurf des Lebenspartnerschaftsgesetzes neue Personengruppen in die beitragsfreie Mitversicherung aufzunehmen. Statt Ehepaaren sollen bei Frau Fischer also künftig nur noch schwule und lesbische Partner beitragsfrei in der Krankenkasse mitversichert sein. ({7}) Die Bundesregierung hat offensichtlich auch in dieser Frage keine vernünftige Linie. ({8}) - Ja, das ist neben der Kappe; das finde ich auch. Aber warum machen Sie es dann? ({9}) Auch in den anderen Bereichen hat man sich im BMG wenig hervorgetan. In der Pflegeversicherung fehlen 400 Millionen DM. Mit der Genehmigung der Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege verschlechtern Sie die häusliche Versorgung von Pflegebedürftigen; auch da Pfusch ohne Ende. Weil Sie gerne hören, was wir möchten, möchte ich Ihnen in kurzen Zügen unser Konzept vortragen. Wir wollen nicht Ihre alten Trampelpfade weiter auslatschen, sondern wir wollen mutig neue Konzepte angehen und neue Ideen in die Tat umsetzen. ({10}) Wir meinen, der Versicherte muss stärker in den Blickpunkt rücken. Er braucht mehr Rechte, mehr Transparenz und mehr Wahlmöglichkeiten. Warum eigentlich soll ein gesetzlich Versicherter nicht wissen dürfen, was seine Behandlung beim Arzt gekostet hat? Warum soll er nicht erfahren, welcher Arzt gute Behandlungsqualität und welcher schlechte abliefert? Wir wollen, dass die Bürger aus verschiedenen Versorgungsangeboten das für sie passende auswählen können. Die Menschen sollen die Wahlmöglichkeiten haben; nicht Politiker sollen für sie entscheiden, was richtig und was falsch ist. Wir wollen einen solidarischen Kernbereich, der sicherstellt, dass keiner in jungen Jahren, in denen er wenige Leistungen braucht, zu viele Leistungen abwählt. Zum Schutz der Kranken muss die gesetzliche Krankenversicherung auch die Risikopatienten versichern und diejenigen aufnehmen, die schon heute Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen. Für die Leistungserbringer wollen wir mehr Wettbewerb und vor allem für die Selbstverwaltung mehr Gestaltungsspielräume und weniger Budgetierung. Unser Gesundheitswesen braucht diese neuen Ideen und diesen neuen Mut und nicht die rot-grünen Pannen bei der Gesetzgebung zur Gesundheitsreform, Auftritte im Zirkus Roncalli oder das Fabulieren über Patientenrechte, Selbsthilfegruppen und ärztliche Ethik. All dies soll eigentlich nur verdecken, dass die grüne Ministerin mit ihren Rezepten am Ende ist. Offensichtlich hat sie nicht mehr die politische Kraft, die brennenden Probleme gesetzgeberisch zu lösen. Eigentlich müsste jetzt der Kanzler selbst rasch die Notoperation einleiten. Denn Gesundheit ist ein hohes Gut und kein Versuchskaninchen für eine überforderte Ministerin. Ich bedanke mich. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem Redebeitrag - man weiß schon vorher, wer zu dem Thema spricht - bin ich mir nicht sicher: Soll man froh sein über diesen Beitrag oder eher fragen, ob es für diese Themen nicht einen Qualifizierteren hätte geben können? ({0}) Als Sie angefangen haben, habe ich einen Moment gestutzt und mich gefragt: Möchte der Kollege Aribert Wolf jetzt tatsächlich eine Renaissance des Wahl- und Regelleistungsprinzips, das insbesondere für chronisch Kranke eine Leistungsausgrenzung bedeutet? ({1}) Möchte er genau das, weshalb die Vorgängerregierung abgewählt worden ist, wieder einführen? ({2}) Dann würde ich sagen: Machen Sie weiter so in der Debatte, dann haben wir gar nichts zu befürchten. ({3}) Natürlich ist die Haushaltsdebatte immer der Zeitpunkt, zu dem man Bilanz zieht, nach vorne schaut - völlig richtig - und sich - gerade beim Gesundheitshaushalt - am wenigsten mit Zahlen des Haushalts selber aufhält. Aber es ist sicherlich richtig, dass die Leistung, die wir gleich zu Beginn erbracht haben - das Prinzip der Sachleistung unter der Bedingung der Beitragssatzstabilität, die ebenfalls erreicht worden ist, wieder zur vollen Gültigkeit zu bringen -, eine politische Leistung ist, die auch Sie nicht schmälern können und die die Bevölkerung sehr wohl zu honorieren weiß. ({4}) Wir wissen - ich gestatte mir zu sagen: auch Sie wissen -, dass sektorale Budgets nicht das sind, was sich zukunftsorientierte Gesundheitspolitikerinnen vorstellen. Wir alle wissen, dass die Diskussion unter den Leistungsträgern und Leistungserbringern darüber sehr weit vorangeschritten ist, wie man Behandlungsleitlinien und Orientierung in die Versorgung hineinbringen kann und wie Qualität und Transparenz in den Honorierungssystemen abgebildet werden können. Ein Schritt in diese Richtung sind die weltweit nirgendwo sonst in dieser Umfänglichkeit vollzogenen Fallpauschalen im Krankenhaus. Sie wissen das. Aber die Bevölkerung kann es in dieser Klarheit nicht wissen, weil die Sachlage kompliziert ist. Aber Ihnen als verantwortlichen Politikerinnen und Politikern ist bekannt, dass die Kassenärztliche Vereinigung als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Verantwortung, aber auch die Pflicht hat, ihr Honorierungssystem der Zukunftsorientierung anzupassen. ({5}) Die Politik kann nur sehr schlecht dort hineinregieren. Augenblicklich werden Gespräche über Honorierungssysteme geführt. Ich kann nicht dem Argument folgen, dass das Mindestdurchschnittseinkommen vor Steuern für niedergelassene Ärzte bei 250 000 DM liegen muss und sie zugleich Leistungseinschränkungen in der Größenordnung von 25 Prozent durchführen wollen. Das kann ich nicht gutheißen. ({6}) Herr Dr. Thomae, Sie wissen um die Tatsache, dass die gesamtdeutsche Grundlohnsummenanbindung und die Transfers vom Westen in den Osten Leistungen sind, die Sie während Ihrer Regierungszeit nicht erbracht haben. Die niedergelassenen Ärzte in den alten Bundesländern erbringen solidarische Leistungen an ihre Kollegen in den neuen Bundesländern. Um die Zeit der Wende und danach waren dort noch ein sehr profundes Wissen und eine fachlich sehr hohe Kompetenz vorhanden hinsichtlich einer integrierten Versorgung. Diese Kompetenz und die entsprechende Struktur hat ihnen die alte Bundesregierung genommen, als sie darauf gesetzt hat, dass alle in die Zwangsniederlassung kommen. ({7}) Es war strukturell ein eklatanter Fehler, den wir direkt nach der Vereinigung auf das Heftigste kritisiert haben. ({8}) Jetzt liegt die Zukunft in der integrierten Versorgung. Wenn vorhin in den Debattenbeiträgen die Beispiele Schweiz und Niederlande genannt worden sind, dann frage ich: Wofür sind diese Länder gelobt worden? Sie sind dafür gelobt worden, dass sie entsprechende Behandlungsleitlinien haben, sich an Qualitätssicherung und Qualitätsstandards orientieren und eine integrierte Versorgung durchführen. ({9}) Wer versucht nun, dies auf den Weg zu bringen? Das ist ein Bestandteil des Gesundheitsstrukturgesetzes. ({10}) Sie können sagen, dass in der jetzigen Form eine Gefahr darin besteht, dass es interessengeleitet zu Einkaufsmodellen kommen könnte, die niemand von uns will. Lassen Sie uns über solche Fragen sprechen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf? - Bitte sehr, Herr Kollege.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Frage, Frau Knoche: Stimmen Sie mir zu, dass zum Beispiel die Schweiz ein System von Kern- und Wahlleistungen hat und deshalb so erfolgreich arbeitet? Das ist genau das Konzept, das die Union vorschlägt.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich weiß, dass das Schweizer System in seiner gesamten Struktur ein anderes ist als unseres. Das weiß ich sehr wohl. Ich weiß aber auch, dass unser System nur dann stabil und eine Grundvoraussetzung für solche Innovationen ist, wenn das solidarische Sachleistungsprinzip bestehen bleibt. ({0}) Nur darüber kann man sicherstellen, dass ein für mich bürgerrechtlich sehr hohes Ziel gehalten werden kann, nämlich dass alle Versicherten an dem medizinischen Fortschritt partizipieren können, ohne zusätzlich selbst in die eigene Tasche greifen zu müssen. Das halte ich für eine außerordentlich wertvolle Grundvoraussetzung, die wir haben. Wir haben, wie Sie wissen, in der gesetzlichen Krankenversicherung keinerlei steuerliche Anteile. Alle Vorschläge, die die Bevölkerung in der Tat irritieren - Veränderung der Bemessungsgrundlage, Wahl- und Regelleistungen usw. -, sind unverantwortlich, weil sie einen wichtigen Aspekt außen vor lassen -, ich bin sehr dankbar, Herr Dr. Pfaff, dass Sie dies angesprochen haben -: Zum Solidarprinzip und zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft gehört es, dass die Unternehmen den gleichen Anteil an der Sicherstellung der Finanzierungsgrundlagen des Sozialsystems leisten. ({1}) In diesem Zusammenhang gibt es viele Ideen und Vorschläge, die vor der Entscheidung, ob man die Pflichtversicherungsgrenze anhebt oder nicht, berücksichtigt werden müssen. Eine wichtige Botschaft ist in den letzten zwei Jahren gesendet worden und wird für den Rest der Legislatur und für künftige Wahlversprechen gelten: Unter Rot-Grün wird es in der gesetzlichen Krankenversicherung nie wieder ein Antasten der paritätischen Finanzierung geben, ({2}) weil wir das als Zukunftsgarantie und als sichere Basis für die Weiterentwicklung all dessen, wovon ich gesprochen habe, brauchen. Ich will eines hinzufügen: Es steht Ihnen zu, die Regierung nicht zu loben. Aber wichtig finde ich doch, dass die neuen Leistungen im Bereich der Soziotherapie mehrfach nur fiskalisch-kritisch betrachtet worden sind. Welcher Zuwachs an Antidiskriminierung und Gleichstellung von psychisch Kranken ist mit diesem Leistungsanspruch vollzogen worden! ({3}) Wie viel Antidiskriminierung und Gleichstellung von drogenkranken Menschen ist im Rahmen der Heroinsubstitution vollzogen worden! ({4}) Wie viel Zustimmung aus der Bevölkerung haben wir dafür, dass wir die durch die neuen Biotechnologien entstandenen medizin-ethischen Fragen auf der festen Basis der Grundwerte dieser Gesellschaft aufgeworfen haben, uns deren Beantwortung annehmen und darüber gesundheitspolitisch verantwortungsvollst diskutieren! Dies ist eine sehr wichtige Debatte. ({5}) - Frau Schwaetzer, ich will Ihnen dazu Folgendes antworten: Wenn wir das Sachleistungsprinzip, das für mich ein Ausdruck von Kultur, des Sozialen ist, ({6}) nicht hätten, dann hätten wir bei allen ethischen Fragen, die mit den versprochenen Veränderungen zu tun haben, sofort das Problem der Verteilungsgerechtigkeit. Das wissen alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Nichts ist wichtiger - auch auf diesem medizin-ethischen Gebiet - als der Punkt, dass wir in der GKV ein solidarisches, stabiles Finanzierungssystem bewahren, verteidigen und weiterentwickeln. Das soll an dieser Stelle eine sehr wichtige Botschaft an die Bevölkerung sein. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Ulf Fink das Wort.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die rot-grüne Gesundheitspolitik sieht so schlecht aus und muss scheitern, weil Sie einen grundlegenden Zusammenhang missachten. Dieser grundlegende Zusammenhang lautet: Es gibt in der Welt kein Gesundheitswesen, das mit begrenzten Mitteln unbegrenzte Leistungen versprechen kann. ({0}) Sie können die Einkommen der im Gesundheitsbereich Beschäftigten senken, Sie können Kapazitäten verringern usw. Sie kommen aber immer wieder an den Punkt, dass Sie sich vor die Frage gestellt sehen, ob Sie mit begrenzten Mitteln wirklich unbegrenzte Leistungen versprechen können. Sie tun es. Die Budgetierung ist nichts anderes, als dass Sie den Eindruck erwecken, auf der einen Seite blieben die Beitragssätze stabil und auf der anderen Seite könne alles, aber auch alles - selbst das Kleinste - finanziert werden. Das geht aber nicht. Die Konsequenzen haben die Ärzteschaft, die Physiotherapeuten und viele andere zu tragen. Das wurde bereits dargelegt; die Kollegen Thomae und Wolf haben entsprechende Beispiele genannt. Ist es denn wirklich in Ordnung, wenn heute wichtige Leistungen nicht mehr gewährt werden und sich die Betreffenden dagegen nicht wehren können? ({1}) Ist es wirklich sozialer, wenn bestimmte Leistungen, ohne dass der Betreffende das vorher erkennen kann, später nicht gewährt werden? Wäre es nicht viel sozialer, wenn Sie den Leuten vorher genau sagten, was geht und was nicht geht? ({2}) Wäre es nicht viel sozialer, wenn Sie ihnen sagten: „Ihr müsst vielleicht ein paar Mark dazuzahlen, dafür bekommt ihr das aber auch“? Bei der Selbstbeteiligung, wie wir sie eingeführt haben, gibt es ausdrücklich Härtefälle, es gibt die Überforderungsklausel. Die sozial Schwachen werden so geschützt. In Ihrem System der Budgetierung aber gehen die Ärmsten am schlechtesten aus, denn die Reichen können sich die Zuzahlung leisten. ({3}) Langer Rede kurzer Sinn: Die Budgetierung - das sage ich in vollem Bewusstsein - ist eine besonders infame Art und Weise, die Schwachen in unserer Gesellschaft von den wichtigen Leistungen auszuschließen. ({4}) Ich sehe das besonders im Osten. Im Osten Deutschlands ist die Morbidität, also die Krankheitshäufigkeit, größer als in Westdeutschland. Man sieht das bei den Hypertonien, bei den Stoffwechselerkrankungen und an der Zahl der Herzinfarkte. Die Zahl all dieser Erkrankungen ist deutlich höher als im Westen. Nun müsste man eigentlich meinen, dass - gemessen an dieser Tatsache - der Ressourceneinsatz in Ostdeutschland höher ist als im Westen. ({5}) Die Wahrheit ist aber genau umgekehrt: Für die ambulante Versorgung pro Versicherten in Ostdeutschland wird nicht mehr Geld als im Westen eingesetzt, sondern 22 Prozent weniger. Das bedeutet: Ein Arzt im Osten Deutschlands muss fünfzehnmal mehr tun als ein Arzt im Westen, bekommt dafür aber 13 Prozent weniger Honorar als ein Arzt im Westen. Das schreiben Sie mit Ihrer Budgetierung in alle Ewigkeit fort. Das kann doch nicht richtig sein. Das ist einfach falsch. ({6}) Kollege Pfaff hat gesagt, Bundeskanzler Gerhard Schröder habe in der „Neuen Gesellschaft Frankfurter Hefte“ davon gesprochen, dass es Selbstbeteiligungen im Gesundheitswesen geben müsste. Damit habe er aber nicht so etwas Böses wie Zuzahlungen gemeint, sondern eher Leibesübungen und Ähnliches. Lieber Professor Pfaff, das hat er nicht gemeint. Ich habe nämlich vorliegen, was er gesagt hat. Er sagt ausdrücklich: Ein Gesundheitswesen ohne finanzielle Selbstbeteiligung der Versicherten ist nicht mehr vorstellbar. Das hat er ganz offensichtlich gemeint. Es ist aber auch merkwürdig. Auf der einen Seite sagen alle zu Recht: Mehr Eigenvorsorge im Alter muss sein. Sie sagen, es sei eine wunderbare Errungenschaft, die Sie dem deutschen Volke präsentieren. Beim Gesundheitswesen aber sagen Sie: Nein, hier nicht, hier ist es des Teufels, grausam und furchtbar. - Irgendetwas ist hier nicht ganz stimmig. Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Liebe Frau Bundesgesundheitsministerin, wir haben über die Zukunft des Gesundheitswesens viele Debatten geführt. Sie haben dabei im Frühsommer dieses Jahres einen Vorschlag gemacht und gesagt, dass eine Finanzierung, die nur am Erwerbseinkommen anknüpfe, falsch sei. Stattdessen müsse man - das sei gerechter - auch die sonstigen Einkünfte heranziehen. Sie haben dafür eine gute Begründung gegeben. Nun hatten Sie verhältnismäßig schnell Gelegenheit, diesen Grundsatz in die Praxis umzusetzen, und zwar aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Es gibt nämlich schon einige in der Krankenversicherung, die nicht nur von ihrem Erwerbseinkommen, sondern auch von ihren sonstigen Einkünften Beiträge zahlen. Das sind die freiwillig versicherten Rentner. Auf die pflichtversicherten Rentner trifft das nicht zu. Man hätte meinen können, dass Sie in Verfolgung Ihrer guten Überlegungen vom Frühsommer gesagt hätten: Jetzt wollen wir die anderen wie die freiwillig versicherten Rentner behandeln. Die Wahrheit aber ist: Sie sind ins Bundeskanzleramt gegangen und haben gesagt, alle sollten nur noch von ihrem Erwerbseinkommen Beiträge bezahlen, andere Einkünfte würden nicht mehr herangezogen. Ob das eine nach vorne weisende Politik ist, kann ich nicht sagen. Ich komme damit offen gestanden auch schwer zurecht; von Verschiebebahnhöfen ist vorhin ja schon gesprochen worden. So etwas habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen: Bei Bezug der Arbeitslosenhilfe sind zunächst die Beiträge an die Rentenversicherung, die Pflegeversicherung und die Krankenversicherung auf der Grundlage von 80 Prozent des früheren Bruttoentgelts gezahlt worden. Dann ist der Anteil reduziert worden. Die Rentenversicherung bekommt das nicht mehr, die Pflegeversicherung bekommt das nicht mehr. Dadurch fehlen der Pflegeversicherung über 400 Millionen DM. Die Beiträge an die Krankenversicherung aber wurden nach wie vor auf Grundlage von 80 Prozent des früheren Bruttoentgelts gezahlt. Man hätte denken können, dass dies hier wie bei der Renten- und bei der Pflegeversicherung gemacht wird - ich finde das falsch; es wäre aber logisch gewesen -, aber nein, es soll ein Mittelweg gefunden werden. Da frage ich mich: Was ist das für eine Logik? ({7}) Zum Thema Pflegeversicherung. Es wird von der Bundesregierung und von der Regierungskoalition dargetan, dass es wegen der Überalterung der Gesellschaft dramatische Probleme bei der Alterssicherung gebe, die gelöst werden müssen. Bei der Pflegeversicherung, die durch die Überalterung der Bevölkerung mindestens ebenso betroffen ist, weil mit dem Alter die Pflegebedürftigkeit steigt - das ist jedem bekannt -, brauche man aber keine Beitragsatzsteigerung; auch Professor Pfaff hat das heute gesagt. Ich frage: Kommt es bald zu Beitragsüberschüssen? Wie soll das gehen? So etwas kann doch niemand glauben. ({8}) Seit 1992 - 1996 ist die Pflegeversicherung eingeführt worden; die Berechnungsbasis ist aber 1992 - gab es keine Anpassungen bei den Leistungen der Pflegever sicherung. Das bedeutet, dass die Menschen der Pflegestufe 3 scharenweise in die Sozialhilfe fallen. Das wollten wir doch gerade verhindern. Deswegen müssen Sie die Leistungen anpassen. Zu den Demenzkranken. Ich habe gehört, dass dafür 500 Millionen DM veranschlagt waren. Nach eigenen Schätzungen sollen es aber im nächsten Jahr nur 200 Millionen DM und im darauffolgenden nur 300 Millionen DM sein. Dazu möchte ich nur sagen: Eine nach vorne gerichtete Gesundheits- und Pflegepolitik müsste wirklich anders aussehen als die Politik, die Sie betreiben. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Dr. Ilja Seifert von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch die wenigen außerparlamentarischen Zuhörinnen und Zuhörer begrüße ich ganz herzlich. Wenn ich die heutige Debatte Revue passieren lasse, so habe ich den Eindruck, dass es sich hier um ein Ministerium der GKV handelt; von der Pflegeversicherung wurde nur marginal geredet. Ich denke aber, dass auch die Behandlung dieses Themas eine wichtige Aufgabe Ihres Ressorts ist. Dementsprechend hätte dieses Thema seinen gebührenden Platz finden müssen. Das war leider nicht der Fall. Ich werde das mit meiner dreiminütigen Rede sicherlich nicht umreißen können. Aber vielleicht können wir zumindest daran erinnern, dass auch dieses Thema wichtig ist. Ich will hier ja auch nicht das ganze Pflegeversicherungsgesetz in Bausch und Bogen kritisieren, sondern einfach sagen: Wenn Sie, Frau Ministerin, sich schon darauf eingelassen haben, zu sagen, Sie wollten das System der Pflegeversicherung nicht mehr ändern - ich bin der Meinung, es wäre immer noch möglich und auch nötig -, dann muss man auch einmal sagen, was in diesem Rahmen überhaupt möglich ist. Jetzt wird immerzu davon geredet, demenzkranke Menschen über die Pflegeversicherung wenigstens ein bisschen abzusichern, genau genommen ihre Angehörigen. Wie aber wollen Sie das machen, Frau Ministerin, wenn Sie nicht einmal ansatzweise den rein somatischen Pflegebegriff kritisieren? Demente Menschen brauchen doch nicht somatische Hilfe, sie brauchen einfach jemanden, der da ist. Das ist ein Zeitfaktor, nichts sonst. Die Pflegerichtlinien zwingen beispielsweise zu Folgendem: Die Abrechnung für die Begleitung außer Haus darf zwei- bis dreimal im Monat vorgenommen werden, und zwar nur für ganz bestimmte Dinge, nämlich für so genannte Verrichtungen, bei denen der Betreffende bzw. die Betreffende unbedingt persönlich anwesend sein muss: für Arztbesuche und Bankgeschäfte. Wie aber wollen Sie dementen Menschen und ihren Angehörigen über die Pflegeversicherung helfen, wenn sie zwei- bis dreimal pro Monat eine Stunde außer Haus dürfen? Allen Ernstes: Das ist nicht lächerlich, das ist traurig. Dies muss man einmal sagen. Ich möchte in der knappen Zeit gern noch etwas zu der Pflegesituation in Heimen sagen. Jeder weiß, dass ich die nicht besonders mag, dass ich vielmehr dafür wäre, die ambulante Pflege wesentlich auszuweiten, indem tatsächlich Zeitbudgets bezahlt werden. Aber es gibt Menschen, die in Pflegeheimen leben. Ich will Ihnen jetzt einmal sagen, wie frei die Träger da in ihren Verhandlungen sind. In einer mittleren Stadt in Sachsen, Bischofswerda, zahlt ein Pflegeheim für die Reparatur einer Automatiktür 60 DM pro Stunde an den Handwerker. Für den Kundendienst in der Küchentechnik zum Beispiel in eben diesem Pflegeheim zahlt man 114 DM pro Stunde an den Elektriker. Die Pflegestunde wird mit 48 DM bezahlt - wohlgemerkt, bei 50 Prozent Fachkräften und 50 Prozent Hilfskräften. Wie soll, bitte schön, eine menschenwürdige, ganzheitliche Pflege - assistierende Begleitung, unterstützende Betreuung - stattfinden, wenn nicht die personale Anwesenheit von Menschen gestärkt wird? Das trifft natürlich für die GKV genauso zu. Wenn von Überforderungen in Krankenhäusern die Rede ist, ist das genau das Gleiche. Es müssen mehr Menschen in das System, nicht nur mehr Geld. Das ist das Problem. ({0}) -Über Geld dann auch die Menschen, einverstanden. Aber es kann nicht sein, dass eine Pflegestunde das Heim 48 DM kostet, dasselbe Heim aber für den Türautomatikservice 60 DM und für den Küchentechnikservice 114 DM zahlen muss. Ich kann Ihnen auch noch die Preise für die Services einer Aufzug- oder einer Computerfirma nennen: Sie liegen alle oberhalb dessen, was im Rahmen der Pflegeversicherung bezahlt wird. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren. Ich bitte Sie: Machen Sie eine Pflegeabsicherung, die die Menschen und die personale, das heißt: zeitliche Zuwendung in den Mittelpunkt stellt und nicht irgendwelche Verrichtungen mit einem rein somatischen Begriff. Dann werden wir vorankommen und dann können wir vielleicht sogar innerhalb des Pflegeversicherungssystems eine vernünftige Verbesserung erreichen, wenn Sie schon nicht das System ändern wollen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir alle gut nach Hause kommen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das waren dann auch, wie es sich gehört, fünf Minuten. Ich danke dem Kollegen für seinen Beitrag. Weitere Wortmeldungen für die heutige Sitzung liegen nicht vor. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Mittwoch, den 13. September 2000, 9 Uhr. Ich wünsche allen noch einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.