Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Es hat
sich der Kollege Uwe Küster zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die PDS hat fristgemäß eine Aktuelle Stunde verlangt. Vereinbarungsgemäß sollte sie am Freitag stattfinden, weil die anderen
beiden Termine für Aktuelle Stunden in dieser Sitzungswoche belegt sind. Da der Mittwochstermin inzwischen
frei geworden ist, gibt es keinen Grund, diesem Verlangen
der PDS nicht stattzugeben.
({0})
Ich empfehle meiner Fraktion, dem Verlangen der PDS
auf „Änderung der Tagesordnung“, sodass wir statt
Freitag heute die Aktuelle Stunde der PDS aufsetzen, zu
folgen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Bitte
schön, Herr von Klaeden.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es wurde von beiden Vorrednern richtigerweise gesagt, dass es eine interfraktionelle
Vereinbarung darüber gibt, dass die von der PDS beantragte Aktuelle Stunde nicht heute, sondern am Freitag
stattfinden soll. Mich wundert nicht, dass die Kenntnisse
des Kollegen Claus im bürgerlichen Recht nicht so weit
gediehen sind, dass er vernünftige Ausführungen zu dem
von ihm angesprochenen Themenbereich, nämlich dem
Wegfall der Geschäftsgrundlage, machen konnte.
Die Geschäftsgrundlage ist keinesfalls entfallen, da
derartige Vereinbarungen zwischen den Fraktionen auch
den Zweck haben, den einzelnen Fraktionen die Gelegenheit zu geben, sich vernünftig auf die jeweiligen Aktuellen Stunden vorzubereiten. Schon gar nicht ist es Ihnen,
Herr Kollege Claus, unmöglich geworden - wie Sie es in
Ihrem Beispiel versucht haben zu suggerieren -, am
Freitag zu dieser Aktuellen Stunde zu sprechen.
Deshalb halten wir an der interfraktionellen Vereinbarung fest und werden Ihren Antrag ablehnen.
Herr
Koppelin, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat zwar eine Vereinbarung gegeben - das ist hier schon gesagt worden -, aber diese Vereinbarung ist natürlich dann hinfällig, wenn eine Fraktion
plötzlich ihren Antrag auf eine Aktuelle Stunde, wie heute
geschehen, zurückzieht. Die Aktuelle Stunde der PDS war
für Freitag, 17 Uhr vorgesehen. Ich glaube, es kann uns
nichts hindern, dem Verlangen der PDS, die Aktuelle
Stunde auf die heutige Tagesordnung zu setzen, nachzukommen, wenn der heutige Platz frei wird.
Lieber Herr Kollege, wir brauchen dafür auch keine
Vorbereitung. Bei diesem Thema müsste man eigentlich
auch ohne lange Vorbereitungszeit im Stoff sein. Die
F.D.P. wird das Anliegen der PDS daher unterstützen.
({0})
Die Geschäftsordnungslage ist die Folgende: Eine solche Vereinbarung kann jederzeit aufgekündigt werden. Die Frage
dabei ist, ob es im Hause ein Einvernehmen darüber gibt,
dem Wunsch der PDS Rechnung zu tragen. Aus den
Äußerungen des Kollegen von Klaeden entnehme ich,
dass kein Einvernehmen besteht. In diesem Fall hat der
Präsident des Deutschen Bundestages - nicht der amtierende, sondern der gewählte - die Entscheidung zu treffen. Wir werden ihn um seine Entscheidung bitten. Inzwischen können wir mit der Sitzung fortfahren.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht über die Entwicklung
der Konvergenz in der Europäischen Union im Jahre 1999. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Dr. Barbara Hendricks.
Frau Hendricks, bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute
den vom Bundesministerium der Finanzen erstellten Bericht über die Entwicklung der Konvergenz in der Europäischen Union im Jahre 1999 gebilligt. Dies ist der
sechste Bericht, den die Bundesregierung dem Deutschen
Bundestag und dem Bundesrat entsprechend ihren Entschließungen von 1992 bei der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht vorlegt. Der Bericht wurde dem Bundestag und dem Bundesrat unverzüglich zugeleitet.
Der Bericht betrifft erstmalig ein Jahr, in dem die elf
EU-Mitgliedstaaten, die den Euro eingeführt haben, ihre
Zuständigkeit für die Geld- und Wechselkurspolitik aufgegeben haben. Dementsprechend beschränkt sich der
Bericht für das Jahr 1999 im Wesentlichen auf die Entwicklung der öffentlichen Finanzen aller Mitgliedstaaten
der EU und auf die Konvergenzentwicklung in den vier
EU-Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt
haben.
Als wichtigste Entwicklungen sind festzuhalten: In den
elf Euro-Ländern haben sich die öffentlichen Finanzen
deutlich verbessert. Diese Länder haben die in ihren Stabilitätsprogrammen für 1999 festgelegten Ziele erreicht.
Sie sind damit auf gutem Wege, entsprechend den Verpflichtungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes mittelfristig, das heißt spätestens im Jahre 2002, einen nahezu ausgeglichenen Haushalt oder sogar einen Haushaltsüberschuss zu erzielen.
Für die gesamte Euro-Zone ging das öffentliche Defizit von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in 1998 auf
1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurück. Haushaltsüberschüsse wurden von vier Ländern, nämlich Irland, Luxemburg, den Niederlanden und Finnland, erzielt.
In den großen Euro-Ländern ging die Defizitquote deutlich zurück: in Deutschland von 1,7 auf 1,1 Prozent, in
Frankreich von 2,7 auf 1,8 Prozent und in Italien von 2,8
auf 1,9 Prozent.
Diese Verbesserung der Haushaltslage ist umso bemerkenswerter, als sich das nominale Wirtschaftswachstum in
1999 gegenüber dem Vorjahr um 0,8 Prozent abgeschwächt hatte. Allerdings haben auch geringere Zinszahlungen auf die öffentlichen Schulden zur Verbesserung
der Haushaltssituation beigetragen.
Nach Berechnungen der Kommission ging die Zinsendienstquote um 0,5 Prozentpunkte des Bruttoinlandproduktes zurück, sodass der Primärsaldo nur um 0,3 Prozentpunkte angestiegen ist. Mit Recht stellt deshalb die
EU-Kommission fest: Aktive Konsolidierungsmaßnahmen dürften in 1999 nur unwesentlich zur Sanierung der
öffentlichen Finanzen beigetragen haben. Deshalb und
auch wegen der absehbaren demographischen Belastungen in den EU-Mitgliedstaaten sind weitere Konsolidierungsanstrengungen in den kommenden Jahren unverzichtbar. Dies gilt insbesondere auch in Deutschland. Hier
kommt es vor allem darauf an, die notwendigen Steuerentlastungen durch Einsparungen zu begleiten und den
immer noch sehr hohen Schuldenstand kontinuierlich abzubauen.
In den vier Ländern außerhalb der Euro-Zone hat sich
die Situation der öffentlichen Finanzen ebenfalls deutlich
verbessert. Mit Ausnahme von Griechenland, das sein
Haushaltsdefizit aber auch von 2,4 Prozent auf 1,6 Prozent in 1999 zurückführen konnte, verzeichneten die übrigen drei Länder Haushaltsüberschüsse.
Bei der Inflationsentwicklung im Euro-Raum ist die
anhaltende Preisstabilität in 1999 hervorzuheben. Im Jahresdurchschnitt betrug die Inflationsrate wie in 1998 rund
1 Prozent; jedoch war im Jahresverlauf eine deutliche Beschleunigung des Preisauftriebs festzustellen. Dieser ist
vor allem auf die Entwicklung der Ölpreise und der sonstigen Rohstoffpreise zurückzuführen, wobei diese insbesondere wegen der Abwertung des Euro in 1999 anzogen.
Ohne Berücksichtigung der schwankungsanfälligen Preise für energie- und saisonabhängige Nahrungsmittel lag
die so genannte Kerninflationsrate in 1999 bei 1 Prozent,
nach 1,4 Prozent in 1998. Sie blieb damit deutlich unter
dem von der Europäischen Zentralbank mit Preisstabilität
für vereinbar erklärten Preisanstieg von 2 Prozent.
Griechenland wird aufgrund seiner bemerkenswerten
Konvergenzerfolge in den letzten Jahren und auch in 1999
ab dem nächsten Jahr zur Euro-Zone gehören. Der griechische Finanzminister wird bereits am nächsten Treffen
der Euro-11-Gruppe, die demnächst Euro-12-Gruppe
heißen wird, am 16. Juli 2000 teilnehmen.
Dies zeigt: Die Wirtschafts- und Währungsunion als
Stabilitätsgemeinschaft hat erneut ihre Anziehungskraft
bewiesen. Möglicherweise wird die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone die laufende Diskussion in Dänemark und auch in Schweden über die Einführung des Euro
positiv beeinflussen.
Herzlichen Dank.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin. Gibt es Fragen zu dem Bericht? - Herr Kollege Hintze.
Herr Präsident! Frau Parlamentarische Staatssekretärin, wenn es gestattet ist, Herr
Präsident, habe ich als Erstes die Frage, ob Sie heute im
Kabinett dieses Thema vertreten haben.
Nein, Herr Kollege Hintze,
ich war nicht im Kabinett anwesend, sondern im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages.
Herr Präsident, die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin hat gerade beantwortet,
dass sie zwar den Bericht des Kabinetts, wie es die Geschäftsordnung des Bundestages vorsieht, hier vorgetragen hat, dass sie aber an der Kabinettssitzung nicht teilgenommen hat. Ich frage mich, wie eine Berichterstattung
aus einer Kabinettssitzung durch eine Parlamentarische
Staatssekretärin erfolgen kann, die gar nicht an der Beratung teilgenommen hat. Das möchte ich hier rügen.
(Gerd Andres, Parl. Staatssekretär: Wie war das
denn bei Ihnen? - Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist trotzdem keine
GO-Debatte!
- Nein, aber die Regierung - wir sind nicht in der Fragestunde, sondern bei der Regierungsbefragung - muss uns
in der Regierungsbefragung den zuständigen Minister
schicken. Das steht in unserer Geschäftsordnung. Diese
Vorschrift habe ich damals selbst mit entwickelt. Der
Bundestag ist noch nie so behandelt worden wie von Ihnen. Sie lassen jemanden aus dem Kabinett berichten, der
selbst nicht dabei war.
({0})
Herr
Küster, bitte! Es ist die Sache der Bundesregierung, wie
sie im Deutschen Bundestag auftritt. Wie man das bewertet, wenn so verfahren wird, obliegt den Fraktionen und
den Mitgliedern des Hauses. Aber die Bundesregierung
muss auf ihre Fragen antworten. Sie kann dabei im Bundestag so auftreten, wie sie es für angemessen hält.
({0})
Herr Präsident, darf ich
dazu eine Anmerkung machen?
Bitte
schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Präsident! Herr Kollege Hintze, ich habe sozusagen im ersten Satz meines Berichtes, den ich abgegeben habe, mitgeteilt, dass das
Bundeskabinett heute den Konvergenzbericht gebilligt
hat.
Im Übrigen habe ich Ihnen die Inhalte des Konvergenzberichtes vorgetragen. Dies kann ich, auch wenn ich
ihn nur gelesen habe und nicht an den Beratungen des Kabinetts über den Konvergenzbericht teilgenommen habe.
Herr von
Klaeden, bitte.
Herr Präsident!
Das Thema der Regierungsbefragung wird nicht vom Parlament, sondern von der Regierung bestimmt. Deswegen
gehen wir von der CDU/CSU davon aus, dass das Thema,
das von der Regierung für die Regierungsbefragung benannt wird, von einer derartigen Relevanz ist, dass es im
Kabinett auch diskutiert wird, und dass es nicht ausreicht,
den Konvergenzbericht nur zu lesen - das kann jeder andere auch - und ihn nach der Kabinettssitzung hier vorzutragen. Wir erwarten von der Regierung, dass sie für die
Regierungsbefragung Themen aussucht, die auch für die
Kabinettssitzung so viel Relevanz haben, dass sie dort wenigstens kurz diskutiert worden sind.
Sinn der Regierungsbefragung ist es, dass über die Diskussion im Kabinett berichtet wird. Wenn das nicht gemacht wird, dann brauchen wir keine Regierungsbefragung. Deswegen beantrage ich im Namen meiner Fraktion nach § 42 unserer Geschäftsordnung, das Mitglied
der Bundesregierung, das an der Kabinettssitzung teilgenommene hat, herbeizuzitieren. Ich gehe davon aus, dass
es der Bundesfinanzminister ist.
Ich erteile
nun das Wort dem Kollegen Koppelin.
Herr Präsident! Die F.D.P.
wird den Antrag der CDU/CSU unterstützen; denn es können durchaus Fragen gestellt werden, wie im Kabinett
über dieses oder jenes diskutiert worden ist. Da die Parlamentarische Staatssekretärin zum Beispiel die Diskussion im dänischen Kabinett über die Einführung des Euro
angesprochen hat, muss man danach fragen können, wie
der Stand dieser Diskussion ist. Man kann keine Antwort
auf eine solche Frage erwarten, wenn sie selber nicht an
der Kabinettssitzung teilgenommen hat. Insofern unterstützen wir den Antrag der CDU/CSU.
Bitte
schön, Herr Küster.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich halte den Antrag der
Opposition für völlig neben der Sache. Die zuständige
Parlamentarische Staatssekretärin hat zum Sachverhalt
ausreichend Auskunft gegeben.
({0})
- Ich bezweifle, ob Sie den Konvergenzbericht lesen können. - Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, den zuständigen Minister herbeizurufen. Die Parlamentarische
Staatssekretärin hat, wie gesagt, ausreichend Auskunft gegeben. Ich plädiere dafür, den Antrag der Opposition abzulehnen.
({1})
Frau
Lemke, ebenfalls zur Geschäftsordnung.
Verehrter Herr von Klaeden, wenn Sie mir Ihr wertes Gehör
leihen würden, dann könnte ich Ihnen gegenüber zum
Ausdruck bringen, dass Ihr Antrag keinen angemessenen
Umgang mit dem Instrument der Regierungsbefragung
widerspiegelt. Ich weiß nicht, ob Sie mit diesem Antrag
die eben geführte Debatte über die Tagesordnung im Plenum fortführen wollen. Ich finde das jedenfalls unangemessen. Ich bin froh, dass eine Staatssekretärin bei der
heutigen Sitzung des Finanzausschusses anwesend war
und Auskunft gegeben hat.
({0})
Ich möchte, dass die Regierung die Parlamentsausschüsse
mit entsprechenden Informationen und Auskünften versorgt. Deshalb halte ich Ihr Verhalten, das Sie gerade an
den Tag legen, für absolut unangemessen. Ich finde, dass
die heutige Tagesordnung ausreichend viele wichtige Diskussionspunkte beinhaltet und dass die heutige Tagesordnung genauso wie die morgige sehr lang ist.
Ich empfinde Ihr Bemühen, den Bundesfinanzminister
im Rahmen der Regierungsbefragung zu dem in der Rede
stehenden Thema zu befragen, als nicht besonders ernsthaft. Deswegen fordere ich Sie auf, sich einfach noch einmal zu überlegen, ob Ihr Antrag ein angemessener Umgang mit dem parlamentarischen Instrument der Regierungsbefragung ist.
Die Opposition würdigt die Regierungsbefragung und
die Fragestunde in der Regel mit sehr unterschiedlicher
Teilnahme ihrer Abgeordneten. Es gibt sehr oft die Situation, dass Fragen von Oppositionsabgeordneten eingebracht werden, die dann jedoch aus verschiedensten
Gründen gar nicht im Plenum anwesend sind, wenn ihre
Fragen beantwortet werden sollen.
Ich bitte,
zur Geschäftsordnung zu reden.
Ich
bitte deswegen darum, die Regierungsbefragung und die
Fragestunde nicht mit inszenierten Debatten über die Geschäftsordnung zu belasten.
Als letztem Redner zur Geschäftsordnung gebe ich das Wort dem
Kollegen Gehrcke von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Obwohl ich das Verhalten der
Bundesregierung, für nicht besonders klug halte, muss ich
feststellen, dass sich die Kollegin Staatssekretärin in den
Debatten immer als außerordentlich kompetente Vertrete-
rin der Positionen der Bundesregierung erwiesen hat.
Auch wenn ich es kritisiere - es ist die Entscheidung der
Bundesregierung wer sie hier vertritt. Der Antrag der
CDU/CSU kommt mir so vor, als wenn man mit Kanonen
auf Spatzen schießt. Da ich a) gegen Kanonen und b) für
Spatzen bin, bitte ich, den Antrag abzulehnen.
({0})
Wir haben
über den Antrag nach § 42 der Geschäftsordnung - Herbeirufung eines Mitgliedes der Bundesregierung - abzustimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das
Handzeichen? - Wer ist dagegen? - Entschuldigung, die
Stimmzahlen haben sich während der Abstimmung verändert; deswegen kann ich jetzt kein klares Votum erkennen. Ich wiederhole die Abstimmung. Wer für die Herbeirufung des zuständigen Regierungsmitgliedes ist, den
bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Das
war die Minderheit; die Mehrheit war für die Herbeirufung des Regierungsmitgliedes.
({0})
- Stellen Sie einen Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit?
({1})
- Die Antwort möchte ich gern von Herrn Küster hören.
Herr Präsident, ich hatte eben
den Eindruck, dass sich das Präsidium bei dieser Abstimmung in der Beurteilung der Mehrheitsverhältnisse nicht
einig war. Ich bitte, so zu verfahren, dass die Abstimmung
über den Antrag mit der entsprechenden Zählvorschrift
verbunden wird.
Damit
kommen wir zur Feststellung der Beschlussfähigkeit. Ich
bitte die Mitglieder des Hauses, den Plenarsaal zu verlassen.
Ich unterbreche die Sitzung für einige Minuten.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Sind die Türen besetzt? - Das ist der Fall. Ich bitte, mit
der Abstimmung zu beginnen.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen den Weg in den
Saal gefunden? - Dann beende ich die Abstimmung und
bitte, die Türen zu schließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das
Ergebnis der Abstimmung bekannt: Mit Ja haben gestimmt 182, mit Nein 213, eine Enthaltung.
({0})
Dann können wir mit der Befragung der Bundesregierung fortfahren. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen,
die daran nicht teilnehmen wollen, möglichst bald den
Saal zu verlassen, damit wir, so gewünscht, die Befragung
der Bundesregierung fortsetzen können.
Herr Koppelin, gilt Ihre vorhin im Rahmen der Befragung der Bundesregierung gemachte Wortmeldung
noch? - Herr Kollege Koppelin, Sie haben das Wort.
Frau Staatssekretärin, Sie
haben vorhin in Ihrem Bericht dargelegt, welche positiven
Auswirkungen es in nächster Zeit auf solche Länder, zum
Beispiel auf Dänemark, geben kann, in denen noch eine
Abstimmung über die Einführung des Euro bevorsteht.
Darf ich Sie fragen, ob man im Kabinett auch darüber gesprochen hat, dass in Dänemark in den letzten Wochen die
Zustimmung zum Euro erheblich abgenommen hat?
Nachdem sich früher in entsprechenden Umfragen
60 Prozent der Bevölkerung für den Euro ausgesprochen
hatten, befürworten jetzt nur noch 35 bis 40 Prozent die
Einführung des Euro. Der Grund dafür ist - selbst die dänische Regierung, die sozialdemokratisch geführt ist, kritisiert das - das Verhalten der größeren Staaten in der Europäischen Union, zum Beispiel das Deutschlands, gegenüber Österreich. Dieses Verhalten hat dazu geführt,
dass in Dänemark die Zustimmung zum Euro so stark gesunken ist. Wurde darüber im Kabinett gesprochen und,
wenn ja, in welcher Art und Weise wurde dieses Thema
behandelt?
Herr Kollege Koppelin,
Bundesminister Eichel hat im Kabinett den Konvergenzbericht vorgelegt. Dieser ist ohne Debatte gebilligt worden.
Im Übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, dass die
Stimmung gegenüber dem Euro natürlich davon abhängt,
welche Reformanstrengungen gerade in den großen Ländern der Europäischen Union vorgenommen werden. Es
ist jetzt an der Bundesregierung, wider die Blockade der
Union raschestmöglich die Steuerreform durchzusetzen.
({0})
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie
haben gesagt, es habe zu dieser Vorlage keine Diskussion
im Kabinett gegeben. Ich finde es schon sehr bedenklich,
wenn uns dann in der Befragung der Bundesregierung
dieses Thema angeboten wird. Vielleicht sollte einmal ein
Thema präsentiert werden, wozu es im Kabinett eine Diskussion gegeben hat.
Ich darf Sie aber noch eines fragen: Wie schätzen Sie
es ein, dass in Dänemark die Stimmung bezüglich des
Euro aufgrund des Verhaltens zum Beispiel Deutschlands
gegenüber Österreich total umschlägt? Halten Sie es angesichts dessen, dass wir es hinbekommen sollten, dass
die Bevölkerung Dänemarks der Einführung des Euro zustimmt, nicht für notwendig, dass sich das Verhalten der
großen Staaten der EU gegenüber Österreich möglichst
schnell ändert?
Wie Sie wissen, Herr Kollege Koppelin, hat die österreichische Bundesregierung
zugestimmt, drei Beobachter des Europarates in ihr Land
einzuladen. Dies wird die Voraussetzung dafür sein natürlich muss es ein positives Ergebnis geben, wovon ich
aber ausgehe -, dass die Europäische Union in ihrer Gesamtheit auf die Sanktionsmaßnahmen verzichtet.
Herr Kollege Büttner.
Frau Staatssekretärin, in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
heißt es:
Die Mitglieder des Bundestages können an die Bundesregierung Fragen von aktuellem Interesse im
Rahmen ihrer Verantwortlichkeit stellen, vorrangig
zur vorangegangenen Kabinettssitzung.
Nachdem die CDU keine Fragen von aktuellem Interesse hatte und auch keine Fragen zur Kabinettssitzung,
möchte ich an Sie eine Frage stellen.
Die Bundesregierung bereitet ihre Kabinettssitzungen
sehr sorgfältig vor. In der Regel müssen die Unterlagen,
die vorbereiteten Papiere und Absprachen in der Sitzung
nicht erst ausführlich debattiert werden. Deswegen verstehe ich auch, dass das Kabinett den Bericht ohne Aussprache verabschiedet hat.
({0})
Mich aber interessiert im Zusammenhang mit dem
Konvergenzbericht: Ist die Bundesregierung auch im Vergleich zu anderen Ländern in ihrer Einschätzung gestärkt
worden, bei ihren Konsolidierungsmaßnahmen zu bleiben? Wie wird, auch aufgrund der vorliegenden Unterlagen, von der Bundesregierung die politische Richtung bewertet - Sie hatten dies vorhin angeschnitten, ich möchte
aber nachfragen -, im Zuge der Steuerreform auf eine
Vereinheitlichung des europäischen Steuerrechts hinzuzielen?
Herr Kollege Büttner, Sie
haben selbstverständlich Recht: Die Unterlagen werden
in den Fachministerien sorgfältig vorbereitet, sodass die
Minister gut unterrichtet in die Kabinettssitzungen gehen
und sich selbstverständlich nicht immer Diskussionsbedarf ergibt, zumal man davon ausgehen kann, dass diese
Koalitionsregierung in einem guten Einvernehmen arbeitet.
({0})
Darüber hinaus möchte ich auf Ihre weitergehende
Frage antworten - ich hatte das schon bei meinen einführenden Bemerkungen angesprochen -, dass im Hinblick auf die demographische Entwicklung in Westeuropa
allgemein, so auch in der Bundesrepublik Deutschland,
weitere Konsolidierungsanstrengungen dringend erforderlich sind. Wir können die zukünftigen Generationen
nämlich nicht gleich zweimal belasten: zum einen mit den
steigenden Lasten aufgrund der immer älter werdenden
Bevölkerung und zum anderen mit den Lasten durch den
in der Vergangenheit von der alten Bundesregierung
aufgehäuften Schuldenstand.
Konsolidierungsanstrengungen sind also dringend notwendig, gerade auch für die Bundesrepublik Deutschland,
die ja in der Europäischen Union eine ökonomische
Führungsrolle übernehmen muss, und zwar allein aufgrund ihrer Größe. Ihr bleibt letztlich überhaupt keine
Wahl, ob sie nun will oder nicht. Auch wenn sie die politische Führungsrolle nicht übernehmen wollte, sondern
dies alles gemeinschaftlich geregelt wird, so bleibt die
ökonomische Führungsrolle sozusagen gegeben. Es besteht also keine andere Möglichkeit: Die Bundesrepublik
Deutschland muss endlich wieder wie früher - das ist in
den vergangenen Jahren verloren gegangen - die Funktion einer Lokomotive in der Europäischen Union übernehmen, und zwar durch reformerische Anstrengungen,
die den Aufschwung in ganz Europa festigen und stärken.
Dazu ist unbedingt die Verabschiedung der Steuerreform erforderlich, die ja leider bis jetzt aus nicht einsehbaren Gründen von der Unionsseite blockiert worden
ist. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir am Freitag
nächster Woche im Bundesrat eine Zustimmung erlangen
werden. Dies halten wir für unbedingt erforderlich, um
ein Scheitern der Reform zu verhindern.
({1})
Ich lasse
noch eine letzte Frage zu diesem Themenbereich zu. Herr
Kollege Hintze.
Frau Staatssekretärin, wir
bedauern es, dass Sie die Tatsache Ihrer Abwesenheit im
Kabinett nun durch Polemik gegen die Opposition auszugleichen versuchen. Aber wir werden den Vorgang ja noch
parlamentarisch nachbereiten.
({0})
Nun zu meiner Frage: Können Sie mir sagen, welche
Euro-Mitgliedsländer derzeit noch Mittel aus dem Kohäsionsfonds erhalten und welche Auffassung die Bundesregierung zu diesen Zahlungen vertritt?
Es erhalten zurzeit noch
die südeuropäischen Länder Mittel aus dem Kohäsionsfonds. Dies war während der deutschen Präsidentschaft
im Januar 1999 verabredet worden. Es wäre sicherlich
auch nicht sachgerecht gewesen, beispielsweise Portugal
und Spanien nicht mehr mit Kohäsionsfondsmitteln zu
versorgen, weil diese Länder in der Tat einen Nachholbedarf haben. Dies ist im Zusammenhang mit der Agenda 2000 aber als auslaufend festgelegt worden.
Die Zeit
für die Regierungsbefragung ist abgelaufen; es tut mir
Leid, Herr Kollege Hintze.
({0})
- Eine ganz kurze Nachfrage; aber dann müssen wir wirklich zum Ende kommen.
Ist Ihrer Antwort zu entnehmen, dass Irland keine Mittel mehr aus dem Kohäsionsfonds bekommt?
Das dürfen Sie meiner Antwort nicht entnehmen, weil ich „insbesondere die südeuropäischen Länder“ gesagt habe.
({0})
Gibt es
Fragen zu einem anderen Themenbereich als dem von der
Bundesregierung angesprochenen? - Herr Kollege
Koppelin.
Ich frage die Bundesregierung, ob Meldungen unter anderem im „Stern“, aber auch
von Agenturen zutreffen, dass die Bundesregierung eine
Genehmigung für den Export von Panzerfäusten nach
Saudi-Arabien erteilt hat. Falls die Bundesregierung erklären sollte, sie antworte darauf nicht, weil das eine
Frage zum Bundessicherheitsrat ist, möchte ich wissen,
ob die Bundesregierung endlich der Frage nachgeht, wie
so etwas - einschließlich Abstimmungsverhalten usw. an die Öffentlichkeit kommt. Das hatten wir ja früher
schon. Ich habe jetzt auch gelesen - für eine Aussage des
Herrn Staatsministers wäre ich dankbar -, dass man beim
letzten Mal, als solche Dinge an die Öffentlichkeit kamen,
Ermittlungen angestellt hat. Können Sie uns sagen, wann
wir mit einem Ergebnis der Ermittlungen rechnen können?
Bitte
schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Koppelin, Sie wissen, dass ich Presseberichte über Beratungen des geheim tagenden Bundessicherheitsrates hier grundsätzlich nicht kommentiere
({0})
und dass ich auch zu laufenden Ermittlungen in diesem
Zusammenhang nicht Stellung nehmen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Koppelin.
Herr Staatsminister, aufgrund Ihrer Antwort gehe ich davon aus, dass jetzt endlich
tatsächlich ermittelt wird. Ich möchte ja über die laufenden Ermittlungen nichts erfahren, hätte aber gern gewusst, wann Sie mit einem Ende der Ermittlungen rechnen.
Herr
Staatsminister.
Herr Kollege Koppelin, angesichts der Gewaltenteilung liegt es nicht in der Hand der Bundesregierung, wann
Ermittlungsverfahren zu einem Abschluss oder Ergebnis
kommen.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, gebe ich Ihnen bekannt, dass der Präsident des Deutschen Bundestages entschieden hat, dass die von der PDS
beantragte Aktuelle Stunde heute im Anschluss an die
Fragestunde aufgerufen wird.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 14/3722 Die dringlichen Fragen, Drucksache 14/3755, wurden
zurückgezogen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Fragen 1 und 2 werden schriftlich beantwortet.
Wir fahren fort mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Christa
Nickels zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Detlef Parr auf:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass die bisher sehr geringe Zahl medikamentöser Schwangerschaftsabbrüche mit Mifegyne auf eine unsachgemäße Kostenregelung
zurückzuführen ist und deshalb eine Wahlmöglichkeit zwischen
medikamentösem und instrumentellem Schwangerschaftsabbruch
in Wirklichkeit nicht besteht?
Frau Nickels, bitte schön.
Herr Präsident! Lieber Kollege Parr, die Bundesregierung hat Verständnis für die
Sorge, dass die tatsächliche Wahlmöglichkeit zwischen
medikamentösen und instrumentellen Schwangerschaftsabbrüchen durch die Vergütungsregelungen für ärztliche
Leistungen beeinflusst werden könnte. Es ist Aufgabe der
Selbstverwaltung, und zwar hier des Bewertungsausschusses, der aus Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen zusammengesetzt ist, Bewertungen von Leistungen vorzunehmen.
Es ist immer wieder festzustellen, dass diese Bewertungen aufgrund verschiedener Interessen von den Beteiligten kritisch gesehen werden. Zur Kostenregelung bei
Schwangerschaftsabbrüchen mittels Mifegyne hat sich
Pro Familia unter anderem an das Bundesministerium für
Gesundheit gewandt. Unser Haus hat hierzu den Bewertungsausschuss um Stellungnahme gebeten.
Aufgrund der unserem Haus vorliegenden Stellungnahme des Bewertungsausschusses besteht Klärungsbedarf, und zwar vor allen Dingen im Hinblick auf die
Frage, inwieweit aufgrund der beim medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch möglichen Komplikationen,
zum Beispiel Nachkürettagen, in den Einrichtungen, die
solche Schwangerschaftsabbrüche durchführen, Bau- und
Ausrüstungsinvestitionen getätigt werden müssen, die gegebenenfalls bei der Bemessung der Vergütung der Leistungen berücksichtigt werden müssen. Diese Fragen sollen in den weiteren Gesprächen mit den Beteiligten erörtert werden.
Im Übrigen wurden in einem Expertengespräch der
SPD-Bundestagesfraktion am 28. Juni, an dem auch ein
Vertreter unseres Hauses teilgenommen hat, Hinweise darauf gegeben, dass bei der Kostenregelung für medikamentöse Abbrüche Klärungsbedarf besteht. Wir beziehen
diese Punkte in die Gespräche, die stattfinden werden, ein.
Eine Zusatzfrage, Kollege Parr.
Frau Staatssekretärin, die Bundesländer sind in dieses Verfahren involviert. Ich möchte
Sie fragen, für wie wichtig Sie es erachten, dass die Bundesländer für die medikamentösen Schwangerschaftsabbrüche, deren Kosten sie nach dem Gesetz zur Hilfe für
Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen
Fällen erstatten, zu einer angemessenen und möglichst
bundesweit einheitlichen Vergütungsregelung kommen.
Herr Kollege Parr, am
28./29. Juni fand in Schwerin die Gesundheitsministerkonferenz statt. Dort hat es einen Beschluss mit dem
Stimmenverhältnis 10 Ja-Stimmen zu 5 Nein-Stimmen
bei einer Enthaltung gegeben. Die Gesundheitsministerkonferenz hat aus den Gründen, die auch Ihrer Frage zu
entnehmen sind, den Bewertungsausschuss dringend aufgefordert - ich zitiere aus dem GMK-Beschluss -,
auch unter Berücksichtigung der europäischen Erfahrungen und Berechnungsgrundlagen eine Neubewertung der ärztlichen Leistungen vorzunehmen, die
eine Kostendeckung ermöglicht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie bewerten Sie den Sachverhalt, dass im einheitlichen Bewertungsmaßstab beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch keine Bewertung der Nachbeobachtungszeit
vorgesehen ist, obwohl sich die Frau beim zweiten Arzttermin drei bis sechs Stunden in der Arztpraxis aufhält
und der Arzt in dieser Zeit ständig erreichbar sein und
eventuell auftretende Schmerzen adäquat behandeln
muss?
Ich sagte bereits in der Beantwortung Ihrer Frage, dass hier Erörterungsbedarf besteht. Wir werden diese Erörterungen vornehmen.
Frau Kollegin Lenke hat noch eine Zusatzfrage.
Welche Möglichkeit einzugreifen
sieht die Bundesregierung, wenn der Bewertungsausschuss der neuen Bewertung nicht folgt, um für eine
Gleichbehandlung zwischen chirurgischem und medikamentösem Eingriff zu sorgen, damit mehr der Wille der
Frau und des Arztes zum Tragen kommt und nicht auf der
Grundlage von Kosten und Kostenerstattungen entschieden wird?
Frau Kollegin, wenn Sie
und der Herr Präsident das gestatten, würde ich jetzt die
Frage 4 des Kollegen Parr beantworten, denn die Zusatzfrage beinhaltet im Grunde die Frage 4. Somit könnte ich
durch die Beantwortung der Frage 4 beide Fragen gleichzeitig behandeln.
Herr Präsident, darf ich das im Rahmen der Beantwortung der Frage 4 tun?
Ja.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir kommen damit zur Frage 4 des Kollegen Detlef Parr:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um eine
dem Aufwand entsprechende Bewertung des medikamentösen
Schwangerschaftsabbruchs sicherzustellen und dadurch die Anwendung einer vom Gesetzgeber zugelassenen Methode zu erleichtern?
Ich beantworte die Frage 4
des Kollegen Parr und Ihre Zusatzfrage dahin gehend,
dass es, wie ich bereits in der Beantwortung der Frage 3
ausgeführt habe, Aufgabe der Selbstverwaltung ist, die
Bewertung von medizinischen Leistungen eigenverantwortlich vorzunehmen. Wenn sich in den noch zu führenden Gesprächen, die ich hier auch schon angekündigt
habe, zeigen sollte, dass die Bewertung des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs den für die Bemessung der Vergütung geltenden Kriterien nicht entspricht,
wird unser Haus im Rahmen seiner aufsichtsrechtlichen
Befugnis diese Fragen mit den den Bewertungsausschuss
tragenden Institutionen - gegenüber dem Bewertungsausschuss haben wir keine aufsichtsrechtliche Kompetenz -,
das heißt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und
den Spitzenverbänden der Krankenkassen, erörtern.
Eine Zusatzfrage, Kollege Parr.
Ich kann also, Frau Staatssekretärin, davon ausgehen, dass wir angesichts der Zahlen, die
uns jetzt vorliegen, nämlich dass in der Bundesrepublik
im Durchschnitt 6,1 Prozent aller Abbrüche mit Mifegyne
und zum Beispiel in Frankreich 35 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche medikamentös durchgeführt werden,
daran arbeiten werden, die Wahlmöglichkeiten der Frau
fair auszuweiten, sodass sie wirklich Wahlmöglichkeiten
hat und nicht aufgrund der Kostenregelung de facto eine
Einschränkung ihrer Wahlmöglichkeiten hinnehmen
muss?
Herr Kollege Parr, über Mifegyne ist hier lange diskutiert worden. Es ist jetzt unter
besonders strikten Vertriebswegen als Medikament zugelassen. Hier gibt es einen Sondervertriebsweg. Hintergrund ist der, dass bei entsprechender Indikation durch
den Arzt bei strafrechtlich nicht sanktionierten Abbrüchen
die geeignetere Abbruchmethode für die Frau zur Verfügung stehen soll. Selbstverständlich ist es im Interesse unseres Hauses, dass wir das, was uns möglich ist, dazu leisten. Ich habe Ihnen dargelegt, wie wir im Augenblick mit
dieser Problematik umgehen.
Weitere
Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Dr. Michael Naumann zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten Jürgen Koppelin
auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung zurzeit die Gesamtkosten für die Baumaßnahme Stiftung Denkmal für die ermordeten
Juden Europas und wie schlüsseln sich die Kosten auf?
Herr Staatsminister.
Herr Abgeordneter Koppelin, die Frage nach der
haushaltsmäßigen Vorkehrung bzw. nach der Abschätzung der Kosten für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas überrascht mich insofern, als der Abgeordnete Ihrer Fraktion, Herr Otto, im Kuratorium bereits sehr
feste Vorstellungen darüber zu haben scheint, wie viel das
Denkmal kosten wird, und diese Vorstellungen auch der
Presse gegenüber - übrigens entgegen allen Vereinbarungen des Kuratoriums - zum Besten gegeben hat. Er spricht
von 50 Millionen DM und mehr.
Tatsache ist, dass eine genaue Kostenkalkulation bisher nicht vorliegt. Die wirklichen Kosten werden von der
Gestalt des vom Bundestag mit überwältigender Mehrheit
beschlossenen Ortes der Information, aber auch von der
Untersuchung des Baugrundstücks, der Statik der Stelen
und Ähnlichem abhängen.
Der Architekt Peter Eisenman wird morgen eine erste
vorläufige Kostenanalyse vorlegen. Diese wird selbstverständlich den in derlei Angelegenheiten normalen Gang
gehen. Wenn eine Unterlage Bau vorliegt, die von der hiesigen Baubehörde geprüft worden ist, werden wir schließlich im Kuratorium für den Bau des Denkmals für die ermordeten Juden Deutschlands mit einer genauen Kostenanalyse konfrontiert werden. Dann wird selbstverständlich der Bundestag, der das gesamte Vorhaben beschlossen hat, von der Stiftung mit den dann fälligen Kosten
konfrontiert werden.
Eine Zusatzfrage, Kollege Koppelin.
Herr Staatsminister, erst
einmal stelle ich fest, dass Sie meine Frage überhaupt
nicht beantwortet haben; aber wir können der Sache nun
etwas nachgehen. Wenn Sie morgen eine Kuratoriumssitzung haben und Sie eben sagten, dass der Architekt morgen die entsprechende Kostenanalyse vorlegen wird, darf
ich dann davon ausgehen, dass Sie bereits über diese Kostenanalyse durch den Architekten informiert worden sind,
oder gehen Sie morgen völlig ahnungslos in diese Sitzung, um dann zu erfahren, welche Kosten der Architekt
ausgerechnet hat? Wollen Sie behaupten, dass die Zahlen,
die mein Kollege Joachim Otto genannt hat und die Sie erwähnt haben, die auch zum Beispiel heute in der „taz“
wieder zu finden sind
({0})
- ich schätze es auch sehr und das sollten Sie vielleicht
auch tun -, auf jeden Fall und eindeutig falsch sind?
Herr Abgeordneter, diese Zahlen sind auf jeden
Fall und eindeutig nicht von mir und auch nicht von irgendeinem anderen Mitglied der Regierung,
({0})
sondern dies ist eine rein aus der Luft gegriffene Kalkulation. Diese Zahlen sind in dieser Form auch in keiner der
Kuratoriumssitzungen, an denen ich teilgenommen habe,
genannt worden.
Das heißt, die erste Kostenschätzung des Architekten
Eisenman wird womöglich morgen vorgelegt werden. Ich
kenne sie nicht; das sage ich mit aller Inbrunst. Es ist auch
nicht die Aufgabe irgendeines Mitglieds des Kuratoriums,
im Vorfeld dieser Entscheidungen, die das gesamte Kuratorium zu treffen hat, Extrainformationen einzuholen.
Hierfür gibt es eine Geschäftsführerin der Stiftung, Frau
Sibylle Quack. Wenn überhaupt, dann verfügt sie über
diese Zahlen. Ich halte es nicht für meine Aufgabe, im
Vorfeld der Diskussion über dieses bekannterweise
schwierige Thema Spezialinformationen für mich selbst
oder für die Regierung einzuholen. Es handelt sich
schließlich um ein Gremium, in dem verschiedene Interessengruppen, das heißt das Parlament, die Initiative, das
Land und auch die jüdische Gemeinde, vertreten sind. Es
ist also keine Regierungskommission, sondern ein Stiftungskuratorium.
Ihre
zweite Zusatzfrage, Kollege Koppelin.
Herr Staatsminister, erinnere ich mich richtig, dass im Vorfeld der Entscheidung
des Parlaments über dieses Mahnmal von etwa 15 Millionen DM gesprochen wurde? Wie kam man dann auf die
von Ihnen genannten Zahlen?
Sie sagen, die Zahlen würden morgen vorgelegt. Darf
ich Sie in diesem Zusammenhang fragen: Wann wird die
Entscheidung darüber getroffen? Wann werden wir also
wissen, wie viel es kostet? Wird die Entscheidung morgen
fallen? Das geht wahrscheinlich nicht; denn die Zahlen,
die morgen auf den Tisch gelegt werden, müssen erst einmal geprüft werden. Es kann demnach erst viel später entschieden werden. Das heißt, ich gehe davon aus: Morgen
findet keine Entscheidung statt.
Die Bundesregierung hat dafür in ihrem Haushalt
für das nächste Jahr, also 2001, einen Ansatz von 3 Millionen DM und eine Verpflichtungsermächtigung von
12 Millionen DM vorgesehen, und zwar in Widerspiegelung einer auf keinerlei genauen Kostenanalysen beruhenden ursprünglichen Kalkulation der vorherigen Regierung. Diese Kalkulation in Höhe von insgesamt 15 Millionen DM war gewissermaßen über den Daumen gepeilt.
Alle anderen Zahlen, ob sie tiefer oder höher liegen,
sind buchstäblich aus der Luft gegriffen. Zum Beispiel hat
niemand kalkuliert - auch der Architekt nicht - wie viel
eine der circa 2 700 Stelen kosten wird.
Morgen wird im Kuratorium die erste Kosteneinschätzung durch den Architekten vorgelegt. Das ist seine Aufgabe. Nachdem eine Unterlage Bau erstellt worden ist,
wird diese Kosteneinschätzung von der Bundesbaubehörde respektive von der Baubehörde Berlins konkretisiert werden müssen. Diese Konkretisierung wird dem
Kuratorium vorgelegt. Aber die Entscheidung über die
Gesamthöhe der Denkmalskosten obliegt selbstverständlich dem Souverän, also Ihnen.
Keine
weiteren Zusatzfragen.- Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Siegfried Scheffler zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 des Kollegen Rudolf Kraus auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Ablehnung eines Fernstraßensonderbauprogramms „Europäische Einheit“ analog zum
noch laufenden Programm „Deutsche Einheit“, wo doch gerade
das Programm „Deutsche Einheit“ einen allseits anerkannten Beitrag zum Zusammenwachsen der alten und der neuen Bundesländer geleistet hat?
Lieber Kollege Kraus, der Bundesregierung ist ein derartiges
europäisches Fernstraßensonderbauprogramm nicht bekannt. In der Entscheidung des Europäischen Parlaments
und des Rates Nr. 1692/96/EG vom 23. Juli 1996 über Gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, den so genannten TEN-Leitlinien, wird neben den Netzen anderer Verkehrsträger auch
ein transeuropäisches Straßennetz ausgewiesen. Es umfasst neben bestehenden Straßenverbindungen ausgewiesene Vorhaben von gemeinsamen Interessen, die auf
den jeweiligen Planungen in den Mitgliedstaaten beruhen.
Eine Zusatzfrage, Kollege Kraus.
Herr Staatssekretär, ich
sprach nicht von einem bestehenden Fernstraßenprogramm „Europäische Einheit“, sondern von dem Antrag
der CDU/CSU zur Einführung eines derartigen Programms und von der Unterstützung der Bundesregierung
für dieses Programm. Warum ist die Bundesregierung
nicht bereit - können Sie das bitte in wenigen Worten sagen -, der Erstellung eines solchen Programms zuzustimmen und es zu fördern?
Kollege Kraus, Sie wissen natürlich, dass die transeuropäischen Leitlinien vom 23. Juli 1996 als Orientierungsrahmen das transeuropäische Verkehrsnetz definieren, das
mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von circa 400 Milliarden Euro im Zeitraum bis 2010 ausgewiesen ist und
schrittweise realisiert werden soll. Aber der damalige Planungsstand in den Mitgliedstaaten - für Deutschland von
1992 - wurde hier als Grundlage genommen.
Ihre Regierung selbst hat diesen Planungsstand als
Grundlage für den Bundesverkehrswegeplan genommen,
der eine Laufzeit nicht etwa bis 1998, sondern bis zum
Jahre 2012 hat. Insofern wäre es der alten Bundesregierung unbenommen gewesen, dieses europäische Fernstraßensonderbauprogramm einzuleiten.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Kraus.
Heißt das, Herr Staatssekretär, Sie sind der Meinung, zurzeit der alten Regierung
wäre ein derartiges Programm ein gutes Programm gewesen; die neue braucht das nicht?
Die
neue Bundesregierung hat das so genannte TEN-Zuschussprogramm 2000 beantragt. Sie wissen natürlich,
dass bezüglich der Straßenprojekte letztendlich nur wenige Abschnitte aufgenommen wurden. Ich erinnere noch
einmal an die A 11 - Berlin bis zur Bundesgrenze
Deutschland/Polen -, an die A 3 - Aschaffenburg-Hösbach - oder an die A 8 - Zweibrücken-Besch. Weitere beantragte Maßnahmen wurden hier nicht aufgenommen.
Ich möchte Ihnen insofern Recht geben: Ich weiß, dass
die Belastung insbesondere hinsichtlich der EU-Erweiterung groß sein wird. Man denke an die A 6 oder die Europastraße von Paris bis Prag, obwohl Abgeordnete im
Haushaltsausschuss gesagt haben: Wer fährt da? Die Bundesregierung hat dahin gehend reagiert, dass bezüglich
des Anti-Stau-Programms ab 2003 insbesondere im Raum
Baden-Württemberg, wo planfestgestellte, also baureife
Abschnitte vorlagen, zusätzlich über 400 Millionen DM
bereitgestellt wurden. Damit trägt sie der Bedeutung dieser europäischen Straße Rechnung.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Kollege Hofbauer.
Herr Staatssekretär,
Sie wissen um die Bedeutung der A 6, weil über sie schon
wiederholt diskutiert wurde. Tatsache ist, dass es neben
der deutschen Wiedervereinigung - hier sind finanzielle
Mittel gebunden worden; es war richtig und notwendig auch eine Öffnung der Grenze Deutschland/Tschechien
gegeben hat. Der Verkehr ist explodiert. Wir haben hier
nicht konsequent genug reagiert. Der Verkehr wird weiter
ansteigen, wenn die Osterweiterung der EU kommt.
Warum ist man von der Bundesregierung nicht bereit,
gerade im Hinblick auf die Osterweiterung zu sagen: Wir
brauchen ein ähnliches Programm wie die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“, um mit den Ost-West-Verbindungen voranzukommen? Wir kommen ansonsten mit
dem Verkehr nicht mehr zurecht. Es ist seit der Fertigstellung der Autobahn in Tschechien auf der A 6 eine Zunahme des Verkehrs um 60 Prozent innerhalb von drei
Jahren zu verzeichnen. Dieser Druck wird bei der Osterweiterung noch wesentlich verstärkt. Warum will die
Bundesregierung nicht reagieren? Das sind Themen, die
sich erst in den letzten Jahren entwickelt haben.
Ich
kann als Abgeordneter des Deutschen Bundestages - Sie
waren in der letzten Legislaturperiode ebenfalls mit dem
Problem der A 6 befasst - an sich nur konstatieren, dass
die alte Bundesregierung hier entsprechend mehr Druck
hätte machen können.
Ich darf Ihnen sagen, dass die neue Bundesregierung
im Rahmen der planfestgestellten Abschnitte zusätzliche
Mittel bereitgestellt hat. Ich denke zum Beispiel auch an
die hoch prioritären Maßnahmen in Liste 1 des IP 1999 bis
2003. Wir wollen dieser europäischen Transversale
durchaus zustimmen. In diesem Punkt sind wir überhaupt
nicht weit auseinander. Aber Sie wissen natürlich auch,
dass für einige Abschnitte der A 6 noch keine Baureife vorliegt. Der ehemalige Bundesverkehrsminister
Wissmann hat versucht, entsprechende Mittel einzustellen. Auf dieser Grundlage werden wir die Mittel bis zum
Jahre 2004 verbauen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bedeutet dies, dass die Bundesregierung nach Abschluss der
Planfeststellung der gesamten Maßnahme bezüglich der
A 6 weitere Mittel zur Verfügung stellt?
Wir
können im Rahmen der klassischen Haushaltsfinanzierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine zusätzlichen
Mittel zusagen. Ich erinnere daran, dass Minister Klimmt
schon zusätzliche Mittel in Höhe von über 400 Millionen DM für die A 6 in Baden-Württemberg mobilisiert
hat. Wir werden uns aber bemühen - die Aussage ist nicht
anders als im vorigen Jahr -, im Laufe der nächsten zehn
Jahre entsprechend der mündlichen Vereinbarung mit der
tschechischen Regierung insbesondere östlich Pfreimd
bis zur Grenze Deutschland/Tschechien die Baumaßnahmen abzuschließen.
Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Kraus:
Ist die Bundesregierung bereit, den Bau der Autobahn A 6 zeitnah zu realisieren und soll dies wesentlich schneller geschehen,
als in den jetzigen Finanzplanungen vorgesehen, wie dies Aussagen von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen nahe legen?
Herr
Kollege Kraus, entsprechend der Bedeutung, die die
Bundesregierung der A 6 - das kam eben schon teilweise
in den Zusatzfragen zum Ausdruck - im nationalen und
im europäischen Autobahnnetz beimisst, verfolgt sie, wie
ihre Vorgängerin, ihren kontinuierlichen Ausbau. Priorität
hat dabei der Abschnitt Pfreimd-Waidhaus aufgrund der
Vereinbarung mit der tschechischen Regierung, die D 5
Prag-Pilsen-Waidhaus baldmöglichst an das deutsche
Autobahnnetz anzubinden. Hierfür wird die durchgehende Fertigstellung innerhalb der nächsten zehn Jahre
angestrebt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kraus, bitte.
Habe ich Sie insofern
richtig verstanden, als letztlich die Baureife keine Rolle
spielt?
Die
Baureife spielt selbstverständlich eine große Rolle. Sie
spielt insbesondere eine große Rolle bei den Kriterien, die
bei der Aufnahme von Projekten in das Anti-Stau-Programm und in das Investitionsprogramm für die Jahre
1999 bis 2002 zugrunde gelegt wurden. Die Baureife hat
sowohl eine rechtliche als auch eine finanzielle Bedeutung.
Die rechtliche Bedeutung ist schon damals bei
den Ausführungen des damaligen Verkehrsministers
Wissmann - Ihnen ist seine Pressemitteilung bekannt zum Ausdruck gekommen: Auch er hat sich finanziell nur
für bestimmte Abschnitte festlegen können. Im Übrigen
hat er auch davon gesprochen, dass in einem Netz eine
Entlastung der Oberpfalz durch andere Strecken erfolgen
soll. Ich nenne hier die A 6 Amberg/Ost, die B 85, die A 93
bis Pfreimd, dann die A 6 zwischen Woppenhof und
Lohma unter Einbeziehung der D 15. Neben der A 6 werden also auch Bundesstraßen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse herangezogen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Kraus.
Ich kann verstehen, dass
Sie mit allen möglichen Straßenbauprojekten herumeiern.
Danach wurde von mir nicht gefragt. Ich habe nach dem
Weiterbau der A 6 gefragt. Mir geht es insbesondere darum: Ist diese Bundesregierung bereit und in der Lage, so
zu verfahren, wie es die alte Regierung vorgesehen hatte,
nämlich zu finanzieren, wenn Baureife besteht? Ich bitte
auch zu beachten, dass der alten Bundesregierung bedeutend mehr Mittel für die bereits baureifen Bauabschnitte
zur Verfügung standen. Sie können diese Frage ganz einfach beantworten: Ja oder nein? Wenn Sie ehrlich sind,
müssten Sie mit einem Nein antworten.
Das
weise ich erst einmal zurück. Insofern antworte ich weder
mit einem Ja noch mit einem Nein. Die alte Bundesregierung - das wissen Sie ganz genau - hat im Januar 1997 zusätzlich 100 Millionen DM für den Zeitraum von 1997 bis
2001 zur Verfügung gestellt. Dies beinhaltete natürlich,
dass Streckenabschnitte ihre Baureife erreicht hatten oder
dass ein Streckenabschnitt planfestgestellt war. Sie wissen, dass nicht nur 1998, als die neue Bundesregierung die
Verantwortung übernahm, sondern auch bis zum heutigen
Tag von Amberg/Ost bis Waidhaus einige Streckenabschnitte noch keine Baureife erlangt haben. Bei der Beantwortung der nächsten vier Fragen kommen wir darauf
konkret zurück. Insgesamt werden bis 2004 übrigens
nicht 100 Millionen DM, sondern insgesamt 280 Millionen DM ausgegeben. Die 100 Millionen DM bis 2001 Herr Wissmann wies darauf hin - sind darin enthalten.
Wir kommen dann zur Frage 8 des Kollegen Georg Girisch:
Gilt die Zusicherung, die Bundesregierung verfolge den Ausbau des Bundesautobahnennetzes insbesondere auch unter
Berücksichtigung transeuropäischer Verbindungen, noch immer
für die A 6, und würde die Bundesregierung im Falle eines raschen
Abschlusses der Planfeststellung des Autobahnabschnittes Amberg/Ost-Pfreimd der A6 bereit sein, zusätzliche Mittel - über den
vorliegenden Investitionsplan 1999 bis 2002 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hinaus - einzuplanen?
Kollege Girisch, zunächst einmal: Ja. Für die Bundesregierung zählt die A 6 unverändert zu den maßgebenden
Strecken im nationalen wie im europäischen Autobahnnetz. Entsprechend der Vereinbarung mit der tschechischen Regierung - ich komme auf meine Antwort auf die
ersten Frage zurück -, die D 5, Prag-Pilsen-Waidhaus,
möglichst bald an das deutsche Autobahnnetz anzuschließen, strebt die Bundesregierung die Fertigstellung
des Abschnitts Pfreimd ({0})-Waidhaus innerhalb der
nächsten zehn Jahre an. Dies hat Priorität vor dem
Lückenschluss Amberg/Ost-Pfreimd.
Zusatzfrage, Herr Kollege Girisch.
Herr Staatssekretär, Sie
sprechen immer von „Planfeststellung“. Wir können davon ausgehen, dass in der nächsten Woche die Planfeststellung für die gesamte Strecke vorgelegt wird. Diese
planfestgestellte Trasse erfüllt dann alle Voraussetzungen
für das Anti-Stau-Programm. Sind Sie wenigstens dann
bereit, wenn die Voraussetzungen für das Anti-Stau-Programm erfüllt sind, zusätzliche Mittel für die A 6 bereitzustellen?
Die
Bundesregierung hat dem deutschen Parlament ein AntiStau-Programm oder Engpassbeseitigungsprogramm vorgestellt, das im Anschluss an unser Investitionsprogramm
ab dem Jahre 2003 realisiert wird. Es mussten im Rahmen
des laufenden Bedarfsplans Kriterien festgelegt werden.
In das Anti-Stau-Programm sollen die Streckenabschnitte
aufgenommen werden, auf denen 65 000 Kfz innerhalb
von 24 Stunden fahren, bei denen die Planfeststellung abgeschlossen ist bzw. die Baureife vorliegt. Solche Abschnitte wurden in das Anti-Stau-Programm in einer Höhe
von 7,4 Milliarden DM - davon 50 Prozent für die
Straße - aufgenommen. Ich habe bereits festgestellt, dass
die Streckenabschnitte, bei denen die Kriterien, die die
Bundesregierung festgelegt hat, vorlagen, in das AntiStau-Programm hineinkommen. Das ist zum Beispiel in
Baden-Württemberg bei insgesamt sechs Streckenabschnitten mit 491,6 Millionen DM der Fall. Insofern können Maßnahmen - das betrifft auch andere stark belastete
Streckenabschnitte, die in der Zwischenzeit vielleicht die
Baureife erlangt haben - nicht mehr zusätzlich aufgenommen werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bei
der alten Bundesregierung war es üblich, dass Mittel zur
Verfügung gestellt wurden, wenn planfestgestellt war. Ist
die Bundesregierung bereit, den Teilabschnitt der A 6, der
wahrscheinlich in der nächsten Woche planfestgestellt
wird, im nächsten Jahr zu finanzieren?
Herr
Kollege Girisch, Sie haben im Debattenverlauf bzw. bei
der Beantwortung Ihrer Fragen gemerkt, dass ich bisher
überhaupt nicht politisch argumentiert habe. An dieser
Stelle möchte ich es aber doch tun. Vor dem Hintergrund
der Haushaltskonsolidierung steht uns nicht unendlich
viel Geld zur Verfügung. Dies liegt auch an der Erblast der
alten Bundesregierung, die 1,5 Billionen DM Schulden
hinterlassen hat. Fast jede vierte Mark muss zur Tilgung
der Zinsen ausgegeben werden. Wir haben auf hohem Niveau begrenzte Mittel im Haushalt 2001 für Fernstraßen,
für Autobahnen und für Ortsumgehungen zur Verfügung.
Aber das Bundesverkehrsministerium soll bis zu der im
Herbst turnusmäßig stattfindenden Besprechung zwischen Bund und Straßenbauverwaltung des Freistaates
Bayern für Maßnahmen, die im Übrigen in Liste 2 des
Investitionsprogramms aufgenommen worden sind, zusätzliche Mittel, die zum Beispiel durch Reduzierung der
globalen Minderausgaben freigesetzt werden sollen, mobilisieren.
Eine Zusatzfrage, Kollege Kraus.
Herr Staatssekretär, Sie
sprachen bisher von „auf hohem Niveau“. Aber Sie wissen, dass dieses so genannte hohe Niveau deutlich hinter
den Vorstellungen der alten Bundesregierung zurückbleibt. Können Sie mir vor diesem Hintergrund erklären,
warum Teilabschnitte der A 6 östlich von Amberg, die bereits jetzt baureif sind, nicht in das Anti-Stau-Programm
aufgenommen worden sind?
Das
betrifft - ich möchte mich eigentlich nicht wiederholen Streckenabschnitte östlich von Amberg - diese hatten Sie
angesprochen -, die noch nicht baureif sind.
({0})
Für die Abschnitte, die baureif sind, haben wir entsprechende Mittel bereitgestellt, sodass sie in den nächsten zehn Jahren, so wie es von der Bundesregierung im
vorigen Jahr zugesagt wurde, bis Waidhaus fertig gestellt
werden können.
Eine Zusatzfrage, Kollegin Ostrowski.
Herr Staatssekretär, erinnere ich mich im Zusammenhang mit der Frage der Finanzierung richtig, dass die alte Bundesregierung einen
Bundesverkehrswegeplan hinterlassen hat, der zu 80 Milliarden bis 90 Milliarden DM unterfinanziert war?
Ich
stimme Ihnen zu, Kollegin Ostrowski. Experten und unabhängige Sachverständige sprechen sogar von einer
Unterfinanzierung von bis zu 100 Milliarden DM. Das
Problem ist, dass nach den Planungen der alten Bundesregierung Projekte im Umfang von circa 25 Milliarden DM bis zum 31. Dezember 1998 eigentlich fertig gestellt sein sollten. Insofern besteht natürlich ein enger
Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und unterfinanziertem Bundesverkehrswegeplan. Trotz allem ist
die neue Bundesregierung bemüht, die entsprechenden
Abschnitte der A 6 bis zur tschechischen Grenze zügig die Zügigkeit ist natürlich von der Baureife und auch von
den Finanzen abhängig -, also in den nächsten zehn Jahren, fertig stellen zu lassen.
Eine Zusatzfrage, Kollege Fischer.
Herr
Staatssekretär, ich bin zuerst einmal beruhigt, dass Sie in
zehn Jahren nicht mehr an der Regierung sein werden. Insofern wird sich das Thema von alleine erledigen.
Sie haben vorhin - das möchte ich vorwegschicken dargestellt, was die Regierung alles für den Straßenbau tut.
Ich möchte festhalten, dass Sie die Bürger durch die Ökosteuer massiv abzocken, gerade auch im Straßenbaubereich, und dass Sie
({0})
- ich stelle gleich die Frage - die Mittel für den Straßenbau kontinuierlich reduzieren, seit Sie an der Regierung
sind. Ich möchte jetzt gar nicht von einem Steinbruch
sprechen. Wären Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass
die Mittel, die Sie durch die Ökosteuer, die unter anderem
auch auf Benzin erhoben wird, abkassieren, in den
Straßenbau investiert werden?
({1})
Ich
denke, Sie kennen die Koalitionsvereinbarung. Wir werden die zusätzlichen Mittel - unabhängig davon, ob sie
aus der Erhebung einer streckenbezogenen LKW-Gebühr
oder von woandersher stammen - für den Straßenbau und
für Schienenprojekte, aber auch für den Ausbau und Erhalt unserer Bundeswasserstraßen einsetzen, um den Straßenverkehr mehr auf andere Verkehrsträger zu verlagern.
Ein solcher Zusammenhang besteht.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die jetzige Bundesregierung die erste Bundesregierung ist, die
zum Beispiel ein zusätzliches EFRE-Programm für die
neuen Bundesländer aufgelegt hat, um den Ausbau der
Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern durch
Bereitstellung von zusätzlichem Kapital zu beschleunigen.
Das Wort Steinbruch wurde im Ausschuss schon einmal
verwendet. Sie sollten ruhig einmal anerkennen, dass - ich
sage das noch einmal - vor dem Hintergrund der schwierigen Haushaltskonsolidierung, die Sie uns als Erblast hinterlassen haben, die in zähen Verhandlungen zustande gekommene Reduktion der globalen Minderausgabe von
über 1 Milliarde DM auf bis zu 88 Millionen DM ein Erfolg ist. Nach wie vor werden 54 Prozent der Mittel des
größten Haushaltes für investive Ausgaben in den Bereichen Verkehr und Bau eingesetzt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dehnel.
Herr Staatssekretär,
die Kollegin Ostrowski sprach gerade von einer Unterfinanzierung des Bundesverkehrswegeplanes. Stimmen Sie
mir zu, dass der Bundesverkehrswegeplan kein Finanzplan, sondern ein Bedarfsplan war, in dem es in erster Linie um die Planung prioritärer und hochprioritärer Maßnahmen ging?
Kollege Dehnel, mehrere Verkehrsminister haben gemerkt,
dass die Bedürfnisse, die aus den Ländern angemeldet
wurden - ich sage das durchaus parteiübergreifend; es waren SPD-Bürgermeister, Landräte von CDU und CSU,
Politiker aus Baden-Württemberg, Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern -, mit großen Begehrlichkeiten verbunden waren, und es wurden Projekte angenommen. Ich
möchte nicht weiter auf die Wahlkampfzeiten eingehen.
Der damalige Verkehrsminister war gezwungen, die Laufzeit des Bundesverkehrswegeplanes vom Jahr 2005 auf
das Jahr 2012 zu verlängern.
Ich gebe Ihnen darin Recht, dass der Bundesverkehrswegeplan kein Finanzplan ist; aber wir haben einen entsprechenden Bedarfsplan.
Aufgrund der Kostensteigerungen und anderer Finanzengpässe hat es auch die alte Bundesregierung nicht geschafft, das Geld, das für die Umsetzung der Projekte notwendig gewesen wäre, zeitgleich mit dem Bedarfsplan
zur Verfügung zu stellen.
({0})
Herr
Dehnel, Sie haben kein weiteres Fragerecht.
({0})
Wir kommen jetzt zur Frage 9 des Abgeordneten Georg
Girisch:
Ist die Bundesregierung bereit, den enormen Steigerungsraten
im grenzüberschreitenden Schwerlastverkehr in der Region Oberpfalz, die bereits in den letzten Jahren teilweise zu einer Verdoppelung des Schwerverkehrsaufkommens geführt haben und die
sich durch den bevorstehenden EU-Beitritt der Tschechischen Republik fortsetzen werden, dadurch Rechnung zu tragen, dass sie
einen klaren, kürzeren Zeitkorridor für die Fertigstellung des
Lückenschlusses der A 6 zwischen Amberg/Ost und Lohma bei ihrer Finanzplanung zugrunde legt?
Kollege Girisch, der Bundesregierung ist die insbesondere
seit der 1997 erfolgten Eröffnung der Autobahn Pilsen-Waidhaus eingetretene und fortdauernde erhebliche
Zunahme des grenzüberschreitenden Schwerlastverkehrs
bekannt. Sie hatte daher zugestimmt, dass zum Schutz der
betroffenen Anlieger an der B 14 das Planungskonzept der
A 6 so geändert wird, dass auch im Abschnitt WoppenhofLohma nicht mehr der Anbau einer zweiten Fahrbahn an
die vorhandene B 14, sondern der Neubau der vierstreifigen A 6 parallel zur B 14 verfolgt wird und dass die damit
verbundenen Mehrkosten anerkannt werden.
Das wichtigste Ziel ist derzeit die Fertigstellung des
Abschnitts Pfreimd-Woppenhof im Jahr 2004 vor Inbetriebnahme der Umgehung Pilsen, mit der 2005 die D 5
Prag-Pilsen-Waidhaus komplettiert wird und wonach
eine weitere spürbare Zunahme des Verkehrs zu erwarten
ist.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Girisch, bitte.
Herr Staatssekretär, sind
Sie bereit, dafür zu sorgen, dass bei den nächsten Haushaltsberatungen die A 6 höchste Priorität haben wird?
Sie
wissen als Mitglied dieses Hohen Hauses, dass der Bedarfsplan immer von der Jährlichkeit der Haushalte abhängig ist. Ihnen als Parlamentarier bleibt es völlig unbeAxel E. Fischer ({0})
nommen, eine Initiative - im Haushaltsausschuss oder im
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen - zu
starten und entsprechende Mehrheiten zu organisieren,
um die Prioritäten dann vielleicht neu zu setzen.
Ich gestehe Ihnen zu - Sie wissen das -, dass die Bundesregierung durchaus bereit ist, bei der Überarbeitung
des Bundesverkehrswegeplanes die A 6 in den vordringlichen Bedarf zu stellen, um so ihrer politischen Bedeutung
gerecht zu werden.
Eine weitere Zusatzfrage? - Herr Girisch, bitte.
Herr Staatssekretär, ich
habe deshalb gefragt, weil der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD vor zwei Jahren versprochen hat,
dafür zu sorgen, dass der A 6 bei den Haushaltsberatungen
allererste Priorität eingeräumt wird. Ich möchte Sie daran
erinnern, damit die SPD-Fraktion bzw. das Kabinett dieses Versprechen einhalten.
Ich
hatte Ihnen ja gesagt, dass im Rahmen des Anti-Stau-Programms zusätzliches Kapital bereitgestellt wird.
Ich bitte außerdem darum, bei Diskussionen über die
A 6 nicht zwischen den Ländern Baden-Württemberg und
Bayern zu unterscheiden. Es handelt sich nämlich um ein
europäisches Verkehrsprojekt, für das die Bundesregierung schon viel getan hat. Gerade zur Vervollständigung der Lückenschlüsse in Baden-Württemberg werden
knapp 500 Millionen DM, also knapp eine halbe Milliarde DM, zusätzlich ab dem Jahre 2003 bereitgestellt.
Wir kommen dann zur Frage 10 des Abgeordneten Klaus
Hofbauer:
Bis wann rechnet die Bundesregierung mit der Fertigstellung
der A 6 von Amberg/Süd nach Waidhaus als Lückenschluss der
Autobahnverbindung zwischen Nürnberg und Pilsen?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Kollege Hofbauer, die Bundesregierung strebt entsprechend
der Vereinbarung mit der tschechischen Regierung an,
den Anschluss der tschechischen Autobahn D 5 Prag-Pilsen-Waidhaus an das deutsche Autobahnnetz baldmöglichst zu verwirklichen, indem der Abschnitt der A 6 vom
Bereich Pfreimd, also dem Kreuzungsbereich mit der
A 93, bis nach Waidhaus innerhalb der nächsten zehn
Jahre fertig gestellt wird. Dieses hat Priorität vor dem
Lückenschluss Amberg/Ost-Pfreimd.
Zusatzfrage, Kollege Hofbauer?
Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir folgende allgemeine Bemerkung: Die
Osterweiterung steht vor der Tür.
Herr Kollege Hofbauer, wir sind in der Fragestunde.
({0})
- Er hat eine Bemerkung machen wollen.
Ich frage, Herr Präsident, nach Folgen der Osterweiterung.
({0})
- Ich bin vom Herrn Präsidenten gerügt worden. Deswegen darf ich hier eine Bemerkung machen.
Herr Kollege Hofbauer, ich habe Sie nicht gerügt, ich habe nur darauf hingewiesen, dass wir uns in der Fragestunde befinden, und Sie gebeten, eine Frage zu stellen.
Danke schön, Herr
Präsident. - Herr Staatssekretär, wir stehen vor der Osterweiterung. Diese Osterweiterung - werden Sie mir zustimmen - wird uns in den nächsten Jahren ganz gewaltig
beschäftigen. Ich frage Sie, Herr Staatssekretär: Hat diese
Bundesregierung ein Konzept, um die Probleme des Verkehrs durch die Osterweiterung zu bewältigen? Ich habe
aufgrund Ihrer Ausführungen heute den Eindruck, dass
diese Bundesregierung kein Konzept hat.
Wenn ich es darf, schließe ich gleich eine zweite Frage
an: Können Sie den Baufortschritt in dem von Ihnen genannten Zeitraum von zehn Jahren etwas genauer beschreiben? Sie merken, dass wir Sie in der heutigen Debatte festnageln wollen. In welchen Teilabschnitten wird
die Fertigstellung der A 6 von Amberg bis Waidhaus in
den nächsten zehn Jahren erfolgen?
Ich
kann darüber jetzt nicht spekulieren. Es ist Ihnen ja bekannt - um mit der zweiten Frage zu beginnen -, dass aufgrund der Situation, dass bisher für einzelne Streckenabschnitte kein Baurecht vorlag, bei der Überarbeitung
des Bundesverkehrswegeplanes erst einmal entschieden
werden muss - daran sind Sie als Parlamentarier und insbesondere natürlich der entsprechende Ausschuss mitbeteiligt -, ob diese Maßnahme zum vordringlichen Bedarf
gezählt wird. Auf dieser Grundlage kann natürlich auch
über die Höhe der jährlichen Haushaltsmittel entschieden
werden. Insofern kann ich Ihnen heute keine konkrete Zusage geben.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine
Bemerkung: Es gab ja während Ihrer Regierungszeit zwischen 1996 und 1998 die Vereinbarung oder zumindest
den Vermerk des damaligen Finanzministers Waigel, dass
in Abstimmung mit Verkehrsminister Wissmann zusätzliche Einnahmen aus der zeitbezogenen Vignette für den
Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellt
werden könnten. Ich sage einmal ohne Häme: Wenn Ihnen
dieses Vorhaben damals schon so wichtig gewesen wäre,
hätten Sie seit 1996 - unabhängig von planfestgestellten
Abschnitten - zusätzliche Mittel aus der zeitbezogenen
Vignette zur Verfügung stellen können. Aber Sie wissen
natürlich, dass die Einnahmen aus dieser zeitbezogenen
Vignette zum Stopfen der damals vorhandenen Haushaltslöcher verwandt worden sind.
Zusatzfrage, Kollege Kraus.
Herr Staatssekretär, man
kann die Finanzierung natürlich nicht unabhängig von der
Baureife sehen. Das wissen Sie selber. Ich möchte Sie
deshalb zur Verdeutlichung fragen, ob ich Sie richtig verstanden habe, dass die Bundesregierung beim gegenwärtigen Planungsstand weder die Möglichkeit sieht noch beabsichtigt, zusätzliche Haushaltsmittel - in welcher Form
auch immer - für den Aus- und Endausbau der A 6 östlich
von Amberg zur Verfügung zu stellen. Habe ich Sie korrekt verstanden?
Lieber Kollege Kraus, weil Ihnen offensichtlich das Hemd
näher als die Hose ist, möchte ich Ihnen antworten: Die
Bundesregierung stellt für den Ausbau dieser Strecke auf
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, die nach
Tschechien führt, fast 1 Milliarde DM zur Verfügung.
Auch wenn Sie sagen, dass ein Beschluss in den nächsten
14 Tagen vorliegt, wissen Sie doch ganz genau, dass gegen den erwarteten Planfeststellungsbeschluss geklagt
wird. Deshalb sollten wir im Rahmen dieser Fragestunde
nicht spekulieren, wann was geschieht.
Eine Zusatzfrage, Kollegin Blank.
Herr Staatssekretär, soweit ich mich erinnere - als Berichterstatterin fällt mir
dieser Punkt noch ein -, war im Bundesverkehrswegeplan
eine Summe von über 2 Milliarden DM für den Ausbau
von Bundesautobahnen und für länderübergreifende Bundesfernstraßen vorgesehen. Sie haben gerade eine entsprechende Summe genannt. Meine Frage lautet: Sind Sie
bereit, aus diesem Topf noch mehr Gelder für den Ausbau
der A 6, die ja länderübergreifend ist, zur Verfügung zu
stellen?
Frau
Kollegin Blank, wir haben in der Bundesrepublik
Deutschland nicht nur die A 6.
({0})
Die von der Bundesregierung festgelegten Kriterien gelten auch für die anderen Länder. Das betrifft das Investitionsprogramm 1999 bis 2002 und das betrifft natürlich
auch das Anti-Stau-Programm.
Über diesen Rahmen hinaus hat Bundesminister
Klimmt versucht, jetzt noch zusätzliche Mittel zu realisieren. Daher bemühen wir uns - ich hatte eben diesen
Punkt schon vorgetragen; ich weiß nicht, ob Sie zu diesem
Zeitpunkt schon anwesend waren -, zusammen mit der
bayerischen Auftragsverwaltung - ich nenne beispielsweise die Liste 2 der prioritären Maßnahmen - die Mittel
zusätzlich bereitzustellen.
Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Klaus Hofbauer:
Ist die Bundesregierung bereit, zum beschleunigten Ausbau
dieser wichtigen europäischen Magistrale A 6 Sondermittel zur
Verfügung zu stellen?
Die
Bundesregierung ist bereit, die A 6 im Rahmen des geltenden Investitionsprogrammes 1999 bis 2002 und des
anschließenden nächsten Fünfjahresplanes so konsequent
wie möglich zu finanzieren. Sondermittel kommen allenfalls in Form von Zuschüssen der EU in Betracht.
Hier hat die Bundesregierung bereits 1996 einen Zuschuss in Höhe von 6,5 Millionen ECU erhalten. Sie wird
auch in Zukunft Zuschüsse zum Bau weiterer Abschnitte
der zum transeuropäischen Netz gehörenden A 6 Amberg/Ost-Pfreimd-Waidhaus beantragen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
nur eine Zusatzfrage. Diese Bundesregierung hat verschiedene Programme aufgelegt: Anti-Stau-Programm,
Lückenschluss-Programm. Warum ist man nicht bereit,
im Rahmen der anstehenden Osterweiterung der EU, die
uns unter anderem viele Verkehrsprobleme bringen wird,
ein Programm speziell für den Straßenbau aufzulegen?
Sie
wissen natürlich - ich hatte darauf schon im Rahmen meiner Antwort auf eine Zusatzfrage geantwortet -, dass
zusätzliche Programme eine Kofinanzierung der Bundesregierung in Höhe von 90 Prozent verlangen, um Sondermittel der Europäischen Union zu erhalten. Der Haushalt
der Bundesrepublik Deutschland ist natürlich begrenzt.
Diese Feststellung gilt, auch wenn wir zusätzliche Mittel
mobilisieren. Wir haben noch nicht die abschließenden
Ergebnisse der Pällmann-Kommission. Sicherlich werden
wir zusätzlich über andere Modelle der Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur nachdenken.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch daran erinnern, dass schon in der Vergangenheit mindestens 50 Prozent der zur Verfügung stehenden Finanzmittel für den Erhalt unseres immensen Anlagevermögens hätten zur
Verfügung gestellt werden müssen. Mit den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ in den neuen Bundesländern,
die übrigens auch Bayern betreffen, erhalten wir natürlich
auch einen Zuwachs unseres Anlagevermögens, was wiederum in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mehr Mittel zur baulichen Unterhaltung erfordert. Insofern müssen
wir uns alle gemeinsam in diesem Parlament Gedanken
machen, wie wir zusätzliches Kapital für die Finanzierung
unserer Verkehrsinfrastruktur mobilisieren.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Blank.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist bekannt, dass das Anti-Stau-Programm erst ab dem
Jahr 2003 zum Tragen kommt? Halten Sie es für möglich,
dass der Bundeskanzler bei seinem Besuch in der Oberpfalz, der demnächst stattfinden wird, eine Zusage im
Gepäck haben könnte, um den Weiterbau der A 6 schnellstens zu realisieren?
Da
ich heute mehrfach gesagt habe, dass ich nicht spekuliere,
kann ich nur sagen: Mir ist das nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Girisch.
Herr Staatssekretär,
kann man aufgrund Ihrer Äußerungen davon ausgehen,
dass die jetzige Bundesregierung bis zur Fertigstellung
der A 6 zehn Jahre braucht?
Da
ich sehr korrekt antworten muss, antworte ich: Den Autobahnabschnitt östlich des Autobahnkreuzes Pfreimd bis
Waidhaus werden wir in diesen zehn Jahren fertig stellen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kraus.
Diese Äußerung veranlasst mich zu der Frage, ob es zutrifft, dass damit gerechnet werden muss, dass bis zur Fertigstellung des Autobahnabschnitts zwischen Amberg/Ost und Pfreimd noch
mehr als zehn Jahre vergehen werden. Das ist der logische
Schluss aus Ihrer Äußerung. Ich hoffe, dass Sie darauf
konkret eingehen und nicht über Baden-Württemberg
sprechen.
Es
bleibt Ihnen unbenommen, derartige Schlussfolgerungen
zu ziehen. Ich spreche konkret über den Abschnitt östlich
von Pfreimd. Das ist korrekt. Über den Abschnitt Amberg/Ost bis Pfreimd werden wir sprechen, wenn wir Baureife haben, wenn die Diskussion über den neuen Bundesverkehrswegeplan abgeschlossen ist. Ich sagte bereits,
dass ich mich persönlich politisch dafür einsetzen werde,
dass die A 6 als vordringlicher Bedarf in den neuen Verkehrsbundeswegeplan und in den zukünftigen Bedarfsplan aufgenommen wird. Deshalb kann ich zum heutigen
Zeitpunkt dazu keine Aussage treffen.
({0})
Wir kommen jetzt zur Frage 12 des Abgeordneten Martin
Hohmann.
Warum verhindert die Bundesregierung den Baubeginn des
Autobahnabschnittes der A 66 zwischen Schlüchtern-Diestelrasen
und Flieden-Schweben als Lückenschluss zwischen Gelnhausen
und Fulda mit einem Sperrvermerk des Bundesministeriums der
Finanzen, obwohl das Bundeskabinett den Bau als hochprioritäre
Maßnahme beschlossen hat, das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen ist, Ausschreibungsunterlagen für einen Brückenbau
und eine Hangsicherung bereits erstellt und die erforderlichen
Haushaltsmittel dem Bundesland Hessen für das Jahr 2000 zugewiesen sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Das
ist eine Frage, mit deren Beantwortung Sie sicherlich zufrieden sein werden, Kollege Hohmann.
Die Bundesregierung verhindert den Baubeginn des
von Flieden-Schweben um rund 2 km nach Osten bis Neuhof-West verlängerten Abschnitts Schlüchtern-Nord bis
Neuhof-West der A 66 nicht, sondern fördert ihn, wie
seine Ausweisung im Investitionsprogramm 1999 bis
2002 zeigt. Die aus haushaltsrechtlichen Gründen noch
bestehende Sperre nach § 24 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung wird in Kürze aufgehoben. Dann steht ausgehend
von den bereits erfolgten Vorbereitungen dem Baubeginn
dieses Abschnitts der A 66 noch im Sommer 2000 nichts
mehr im Wege.
Eine Zusatzfrage, Kollege Hohmann.
Herr Staatssekretär,
dass ist eine gute Nachricht. Könnten Sie die Worte „in
Kürze“ etwas konkretisieren?
Ich
biete Ihnen gerne an, dass wir mit den Verantwortlichen,
auch am Rande des Plenums oder in unserem Haus, konkrete Schritte abstimmen.
Jedenfalls in diesem
Sommer? Habe ich das jetzt richtig verstanden?
Im
Sommer 2000, wie ich es in der Antwort auf Ihre Frage
gesagt habe.
Wir kommen nun zur Frage 13 der Kollegin Ina Lenke:
An welchen Autobahn-Raststättenanlagen sind dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}),
unter anderem durch Schriftwechsel, Fälle bekannt, in denen Anlieger von Zufahrtsstraßen über die Verkehrsbelastung klagen, die
durch die den Vorschriften der § 18 Abs. 2 und § 10 der Straßenverkehrsordnung widersprechende Nutzung von Versorgungszufahrten von Autobahnraststätten als Autobahnauf- und -abfahrten
durch ortskundige Verkehrsteilnehmer entsteht?
Die
Bundesautobahnen werden im Auftrag des Bundes von
den Ländern verwaltet. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen erhält daher nur in Einzelfällen und im Wesentlichen durch Schriftwechsel
Kenntnis von den beschriebenen Problemen. Vor diesem
Hintergrund ist neben dem Fall der Rastanlage Grundbergsee an der Bundesautobahn A 1, die in Frage 14 angesprochen wird, lediglich ein zweiter Fall bekannt. Dabei handelt es sich um die Rastanlage Hösel an der Bundesautobahn A 3.
Frau
Lenke, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie,
weil Sie meine Frage nicht beantwortet haben, noch einmal: Was unternimmt das Ministerium, um in den beiden
Fällen die Belastung der Anwohner von Zufahrtsstraßen,
welche widerrechtlich genutzt werden, um von der Autobahn ab- oder auf die Autobahn aufzufahren, zu reduzieren?
Dafür sind die Länder verantwortlich. Wir können hier
nicht Beschlüsse und Gesetze ändern. Wenn zum Beispiel
Schranken, die angeordnet wurden, beschädigt werden,
sind dafür die Länder in Abstimmung mit den Kommunen
verantwortlich.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Lenke.
Wenn die Länder aber nicht zu unserer und Ihrer Zufriedenheit die Dinge regeln und die Anwohner weiter den Lärm und das Verkehrsaufkommen ertragen müssen: Wie will der Bund dann gegenüber den
Ländern und den Kommunen einschreiten?
Ich
erspare mir, hier zu dem von Ihnen konkret angesprochenen Problem einen Brief des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Norbert Lammert zu verlesen, in
dem diese Belastung als nicht so groß eingeschätzt wird,
dass der Bund gegenüber den Ländern einschreiten
müsste.
Sie können leider keine Zusatzfrage mehr stellen, Frau Kollegin
Lenke; Sie hatten bereits zwei.
Nun kommen wir zur Frage 14 der Kollegin Lenke:
Was unternimmt das BMVBW, um die Belastung der Anwohner, beispielsweise der Raststätte Grundbergsee, zu verringern
und die widerrechtliche Nutzung einzuschränken?
Das
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen wirkt bei anstehenden Neu- und Ausbaumaßnahmen
im Bereich bewirtschafteter Rastanlagen auf die zuständigen Straßenbauverwaltungen der Länder ein, die rückwärtigen Anbindungen der Rastanlagen entsprechend den
„Vorläufigen Hinweisen zu den Richtlinien für Rastanlagen an Straßen bezüglich Autobahnrastanlagen“ in geeigneter Weise gegen unbefugte Nutzung als Zu- und Abfahrten der Autobahn zu sichern.
Da die missbräuchliche Nutzung rückwärtiger Anbindungen bewirtschafteter Rastanlagen, insbesondere durch
ortskundige Fahrer, mit dem Verkehrsanstieg an zahlreichen Rastanlagen nach den Beobachtungen zwischenzeitlich zugenommen hat, soll noch in diesem Jahr ein Untersuchungsauftrag erteilt werden, der unter anderem den
Umfang widerrechtlicher Nutzungen und deren Auswirkungen auf die Rastanlagen, besonders im Hinblick auf
die Verkehrssicherheit, aufzeigen soll. Die Ergebnisse
sind gegebenenfalls Grundlage für weiter gehende Überlegungen und Maßnahmen.
Eine Zusatzbemerkung, da vorhin die Frage im Raum
stand, in wie vielen Fällen Verstöße bekannt seien: Bei
zwei Rastanlagen sind das im Verhältnis zur Gesamtzahl
der Rastanlagen - mir ist die genaue Zahl im Moment
nicht bekannt - nur etwas über 0,0 Prozent.
Eine Zusatzfrage, Kollegin Lenke.
Auch wenn der Anteil nur gering
ist, sind uns diese Bürger wichtig. Ich möchte Sie fragen,
ob Sie die beiden Rastanlagen, bei denen Schwierigkeiten
entstanden sind - Hösel und Grundbergsee -, in diese Untersuchung aufnehmen.
Da
diese beiden Rastanlagen dem Bund bekannt sind und der
Bund die Untersuchung in Abstimmung mit den Ländern
veranlasst, werden wir sie aufnehmen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Lenke.
Werde ich von Ihnen dann unaufgefordert die Ergebnisse dieser Untersuchung erhalten?
Die
entsprechende Verwaltung wird sich, wenn das Untersuchungsergebnis vorliegt, mit Ihnen in Verbindung setzen.
({0})
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Ludger
Volmer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Leo
Dautzenberg auf:
Was hat die Bundesregierung bewogen, den Staatspräsidenten
des Iran, Mohammed Chatami, zu einem Besuch in die Bundesrepublik Deutschland einzuladen, obwohl seit Amtsantritt Chatamis
Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung von Frauen
weiter stattfinden, und ist die Einladung zum jetzigen Zeitpunkt
der Entwicklung der Menschenrechte im Iran dienlich?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Dautzenberg, der Iran ist ein entscheidender
und aktiv gestaltender Faktor der Politik im Zentrum des
Mittleren Ostens. Deutschland hat ein Eigeninteresse, mit
dem Iran in allen Bereichen konstruktiv zusammenzuarbeiten und - nach zeitweiliger Belastung der Beziehungen - auch auf der Ebene der Regierungschefs das Gespräch mit der gewählten Regierung Chatami aufzunehmen. Deutschland verfolgt dabei die gleiche Linie wie
andere EU-Mitgliedstaaten.
Die Einladung gilt dem am 23. Mai 1997 vom iranischen Volk und insbesondere von der Jugend und den
Frauen mit überwältigender Mehrheit gewählten Staatsmann, der mit einem klaren Reformprogramm, das ausdrücklich eine substanzielle Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran vorsieht, zur Wahl angetreten war. Die
Regierung Chatami hat sich auf diesem Gebiet konsequent bemüht und kann trotz zeitweiliger Rückschläge
Erfolge vorweisen. Der Ausgang der diesjährigen Parlamentswahlen zeigt, dass die iranische Bevölkerung nach
wie vor fest hinter dem jetzigen Staatspräsidenten steht.
Eine außenpolitische Stärkung des iranischen Staatspräsidenten vergrößert dessen innenpolitischen Spielraum.
Zusatzfrage, Herr Kollege Dautzenberg? - Bitte.
Herr Staatsminister,
meine Frage bezog sich darauf, was die Bundesregierung
gerade angesichts der jetzigen Menschenrechtssituation
bewogen hat, den iranischen Staatspräsidenten einzuladen. Sie selber haben betont, dass es im Iran bei der Verwirklichung der Menschenrechte Rückschläge gegeben
hat. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere
Frauen sehr stark unterdrückt werden. Warum erfolgt gerade zu diesem Zeitpunkt dieser Besuch?
Dieser Zeitpunkt ist möglich geworden, nachdem
unter anderem durch die Freilassung von Herrn Hofer einer der wichtigsten Hinderungsgründe weggefallen ist.
Wir beobachten die Politik von Herrn Chatami seit geraumer Zeit und haben gesehen, wie intensiv er sich für eine
Demokratisierung und Öffnung eingesetzt hat.
({0})
Sie haben aber völlig richtig beschrieben, dass es im
Iran auch entgegengesetzte Tendenzen gibt. Es gibt dort
teilweise sehr erbittert geführte innenpolitische Auseinandersetzungen. Wir meinen, dass es höchste Zeit ist, durch
eine Belebung der internationalen Kontakte die Kräfte im
Iran, die für eine Demokratisierung und Öffnung eintreten, zu stärken.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Dautzenberg.
Herr Staatsminister,
wären Sie bereit, den Maßstab, den Sie jetzt gegenüber
dem Iran angelegt haben, auch für näher liegende Länder,
gerade auch für solche in der Europäischen Union, anzulegen, wenn es um die Legitimation von demokratischen
Wahlen geht?
Die Frage ist, in welche Richtung sich ein Land entwickelt. Der Iran entwickelt sich zurzeit in die richtige
Richtung
({0})
und braucht unsere Unterstützung.
Ich rufe die Frage 16
des Kollegen Dautzenberg auf:
Sind die Vertreter der Bundesregierung bereit, sich bei den Gesprächen mit Präsident Mohammed Chatami für die Durchsetzung
der Menschenrechte im Iran einzusetzen und darauf hinzuwirken,
dass auch jeder Dialog zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Europäischen Union mit der Islamischen Republik Iran
von der Respektierung der grundlegenden Menschenrechte abhängig ist?
Herr Dautzenberg, sowohl die Bundesregierung als
auch die Europäische Union haben in ihren Gesprächen
mit dem Iran stets die Frage der Menschenrechte thematisiert. Dies wird auch weiterhin geschehen. Der Bundesminister des Auswärtigen hat anlässlich seines Iran-Besuches im März 2000 deutlich gemacht, dass die Bundesregierung unabhängig von allen anderen Erwägungen
menschenrechtliche Zielsetzungen verfolgt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,
aufgrund welcher Gegebenheiten und Grundlagen kommen Sie zu Ihrer Einschätzung, dass diese Gespräche im
Hinblick auf die Verwirklichung von mehr Menschenrechten erfolgbringend sind?
Unsere Botschaft beobachtet die Menschenrechtssituation im Iran sehr genau. Wir beziehen die Berichte der
internationalen Menschenrechtsorganisationen, zum Beispiel die von Amnesty International, ein. Das Auswärtige
Amt führt im Zusammenhang mit der asylrechtlichen
Bewertung der Situation im Iran sehr genaue Analysen zur Menschenrechtssituation durch. Von daher haben wir ein recht genaues Bild über die dort noch immer
herrschenden Missstände. Wir fühlen uns motiviert, mit
der iranischen Seite im Rahmen unseres politischen Dialogs sehr intensiv über die Menschenrechtslage zu reden,
und zwar wann immer ein Kontakt auf höherrangiger
Ebene stattfindet.
Die Fragen 17 und 18
des Kollegen Dr. Klaus Grehn werden schriftlich beantwortet. Dasselbe gilt für die Fragen 19 und 20 des Kollegen Wolfgang Börnsen. - Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 21 der Kollegin Heidemarie
Ehlert:
Warum werden von der Bundesregierung die dringlichen Bitten der Justizministerin und der Justizminister der neuen Länder
nach einem raschen Zusammentritt der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“ abgelehnt, obwohl
diese Bitten von der 71. Konferenz der Justizministerinnen und
-minister, die am 24. und 25. Mai 2000 stattfand, noch einmal
ohne Gegenstimmen untermauert wurden?
Frau Kollegin Ehlert, das Bundesministerium der Justiz wird die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“ wieder einberufen, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die
Prüfung der Fragen gegeben sind, denen diese Arbeitsgruppe nachgehen soll.
Zu diesen Voraussetzungen habe ich in meiner Antwort
auf die schriftliche Frage der Kollegin Voßhoff vom April
dieses Jahres Stellung genommen. Ich habe seinerzeit
Folgendes ausgeführt: Nach Auffassung der Bundesregierung setzt die Prüfung dieser Frage, nämlich ob ein eigenständiges Bauwerkvertragsrecht geschaffen werden
sollte, sinnvollerweise die Modernisierung des Leistungsstörungsrechts im Werkvertragsrecht voraus. Diese Modernisierung soll im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter
vorgenommen werden, weil diese Richtlinie auch das
Werkvertragsrecht erfasst. Da die Richtlinie bis zum Ablauf des 31. Dezember 2001 umgesetzt werden muss, wird
die Bundesregierung den Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes mit entsprechenden Vorschlägen
zur Umgestaltung auch des Gewährleistungsrechts im
Werkvertrag vorlegen.
Ich möchte die damalige Antwort um eine Bemerkung
ergänzen: Im Bundesministerium der Justiz wird derzeit
ein Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ausgearbeitet. Er soll in nächster Zeit den
Bundesressorts, den Landesjustizverwaltungen und den
Verbänden zur Stellungnahme übersandt werden.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Ehlert.
Heißt das, dass wir damit
rechnen können, dass der Entwurf nach der Sommerpause
im Plenum und in den Ausschüssen beraten wird?
Das Bundesministerium der Justiz
wird sich bemühen, den schon sehr weit entwickelten Entwurf fertig zu stellen, damit er den Ressorts und den
Verbänden zugeleitet werden kann und dann entsprechend
den Gepflogenheiten ein Kabinettsentwurf entstehen
kann.
Eine zweite Zusatzfrage.
Wird dieser Entwurf, wie
immer wieder gefordert wird, die Lösung der Problematik des Eigentumsvorbehalts bei nicht beweglichen oder
eingebauten Sachen beinhalten?
Über Einzelheiten dieses Entwurfs
vermag ich heute noch nichts zu sagen. Ich weiß, dass
diese Forderung insbesondere aus dem Kreis der Handwerker und Handwerkerinnen in den neuen Bundesländern gestellt wird. Wie Sie wissen, enthält das BGB allerdings schon seit 100 Jahren die Regelung, dass mit dem
Boden fest verbundene Sachen in das Eigentum des
Grundstückseigentümers übergehen. Ob wir uns von dieser - ich möchte fast sagen - Grundlage unseres BGB verabschieden werden, wird noch einer sehr intensiven Prüfung bedürfen.
Ich rufe Frage 22 der
Kollegin Ehlert auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die bereits jetzt als notwendig erkannten Änderungen bzw. Ergänzungen
zum vorliegenden Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen
einzubringen, und wann soll dies geschehen?
Frau Kollegin Ehlert, das Gesetz zur
Beschleunigung fälliger Zahlungen ist bekanntlich am
1. Mai dieses Jahres in Kraft getreten, gilt also erst seit
zwei Monaten. Nach so kurzer Zeit kann eigentlich niemand die Wirkungsweise eines Gesetzes verlässlich beurteilen.
Bislang sind keine Mängel zutage getreten, die eine
Änderung des Gesetzes geboten erscheinen lassen. Wir
sollten deshalb abwarten, wie sich das Gesetz bewährt,
und dann, wenn sich wirklich Änderungsbedarf ergibt,
überlegen, was zu tun ist. Vorher ist nach meiner Auffassung eine Einberufung der Arbeitsgruppe nicht zweckmäßig.
Eine Zusatzfrage.
Kann ich davon ausgehen,
dass Sie zum Jahresende in der Lage sein werden, eine
Einschätzung über die Wirkung des neuen Gesetzes vorzunehmen?
Wir werden zum Ende dieses Jahres
ermitteln können, inwieweit sich das neue Gesetz bewährt
haben wird. Erfahrungsgemäß bedarf es einer gewissen
Anlaufzeit. Da es sich hier in der Tat um ein grundlegendes Problem insbesondere in den neuen Bundesländern,
aber nicht nur dort, handelt, was die Zahlungsmoral angeht, halte ich es für notwendig, dass wir über die neuen
Möglichkeiten informieren. Die Bundesregierung wird
dies tun. Sie wissen, dass bei uns von Zeit zu Zeit eine
Broschüre mit Hinweisen für die Handwerker überarbeitet wird. Dies werden wir in absehbarer Zeit erneut tun,
um von unserer Seite über das hinaus, was vor allem von
den Kammern geleistet werden sollte, zur Information der
Betroffenen beizutragen.
Wir kommen zur
Frage 23 des Kollegen Heinz Schmitt ({0}):
Wann ist mit einer Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens, das bisher von 23 Staaten gezeichnet wurde - unter anderem von den USA, Frankreich, Schweiz, Brasilien, Uruguay seitens der Bundesrepublik Deutschland zu rechnen und wann
kann mit dem In-Kraft-Treten gerechnet werden?
Herr Kollege Schmitt, auch
Deutschland gehört bereits zu den Unterzeichnerstaaten
des Haager Adoptionsübereinkommens. Im Januar dieses
Jahres hat das Bundesministerium der Justiz die Referentenentwürfe eines Ratifikations- und eines Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vorgelegt. Die derzeit
eingehenden Stellungnahmen der Länder und der beteiligten Fachkreise spiegeln erneut die Komplexität der
Fragen wider, die sich bei der Umsetzung der Übereinkunft stellen.
In den kommenden Monaten werden die zuständigen
Ressorts die Regierungsentwürfe abstimmen, damit diese
zum Jahreswechsel den gesetzgebenden Körperschaften
zugeleitet werden können. Zu welchem Zeitpunkt die
Bundesrepublik Deutschland das Haager Übereinkommen ratifizieren kann, wird dann aber vom Verlauf der
parlamentarischen Beratungen abhängen. Über ihr InKraft-Treten bestimmt die Übereinkunft, dass zwischen
der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde und dem
Wirksamwerden des Vertrags ein Zeitraum von mindestens drei Monaten liegen muss. Mit dem In-Kraft-Treten
des Adoptionsübereinkommens für Deutschland wird daher nicht vor dem 1. Januar 2002 gerechnet werden können.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Schmitt.
Herr Staatssekretär, verfügt die Bundesregierung über Informationen, warum das
Haager Adoptionsabkommen von der Bundesrepublik
zwar unterzeichnet wurde, hier aber noch nicht Rechtskraft erlangt hat, während dies in vergleichbaren Staaten
wie den USA, der Schweiz und Frankreich bereits seit
Mitte der 90er-Jahre geschehen ist und das Übereinkommen dort einen wesentlichen Beitrag zur Erleichterung
von Auslandsadoptionen und zum besseren Verfahrensablauf leistet?
Das Haager Adoptionsübereinkommen stammt in der Tat aus dem Jahre 1993. Ich möchte es
mir aber nicht so einfach machen, zu sagen, dass die Vorgängerregierung es schon hätte umsetzen können. Angesichts der Kapazitäten in unserem Hause ist die Umsetzung ein schwieriges Unterfangen. Zum anderen ist die
Materie äußerst kompliziert. Insbesondere bedarf es einer
intensiven Abstimmung mit den Bundesländern, die daran
ebenfalls beteiligt sind.
Wenn wir alle Kräfte, auch die personellen Ressourcen, zusammennehmen, werden wir das in dem von mir
angedeuteten Zeitraum schaffen. Ich wäre dann dem Parlament dankbar, wenn es dieses Vorhaben seiner besonderen Fürsorge unterwürfe.
Eine zweite Zusatzfrage.
Besteht angesichts einer
wachsenden Zahl von kinderlosen und adoptionswilligen
Paaren die Möglichkeit, diesem Gesetzgebungsverfahren
höhere Priorität einzuräumen und es zu beschleunigen,
damit die Übereinkunft in Deutschland vor 2002 in Kraft
treten kann?
Herr Kollege Schmitt, wir werden
uns bemühen, diesen Zeitraum möglichst nicht auszuschöpfen; aber ich denke, Sie können erwarten, dass wir
den Zeitraum realistisch abschätzen. Wir werden alles
tun, um so schnell wie möglich das von allen begrüßte
Übereinkommen zu ratifizieren. Ich hoffe, dass wir in der
Lage sind, das vor dem von mir bereits angedeuteten Zeitraum zu bewerkstelligen.
Wir kommen zur
Frage 24 des Abgeordneten Heinz Schmitt:
Beabsichtigt die Bundesregierung bis zum In-Kraft-Treten des
Haager Übereinkommens über internationale Adoptionen eine
Übergangsregelung für Adoptionsverfahren über Landesgrenzen
hinweg, um mehr Rechtssicherheit für Adoptiveltern und Adoptivkinder zu erreichen, und wann ist mit einer solchen Übergangsregelung zu rechnen?
Herr Kollege Schmitt, das geltende
deutsche Recht ermöglicht bereits die Adoption von Kindern aus dem Ausland, ohne dass es dazu einer besonderen Übergangsregelung oder zwischenstaatlichen Vereinbarung bedürfte. Insbesondere wird die im Herkunftsstaat
des Kindes auf rechtsstaatlicher Basis ergangene Adoptionsentscheidung in Deutschland kraft Gesetzes anerkannt.
Soweit einzelne Vertragsstaaten des Adoptionsübereinkommens nur noch Adoptionsbewerber aus Vertragsstaaten des Adoptionsübereinkommens oder einer entsprechenden zwischenstaatlichen Übereinkunft zulassen, ist
die Bundesregierung nicht in der Lage, dieses Adoptionshindernis durch eine einseitige Übergangsregelung auszuräumen. Dazu wäre vielmehr ein Interimsabkommen
mit jedem einzelnen dieser Staaten erforderlich. Verhandlungen über derartige bilaterale Vereinbarungen würden
aber wohl kaum früher zum Abschluss kommen als das
Verfahren zur Ratifikation des Haager Übereinkommens.
Die Bundesregierung konzentriert sich deshalb auf die
Fertigstellung der Gesetzgebungsvorschläge zur Umsetzung der multilateralen Übereinkunft, die für die Adoption von Kindern aus allen Vertragsstaaten verbesserte
Rahmenbedingungen schaffen wird.
Es gibt keine Zusatzfrage.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Ursula Heinen auf:
Welche Meinung vertritt die Bundesregierung zu den beiden
Vorschlägen der Europäischen Kommission vom 7. Juni 2000 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezüglich der mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen und
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({0}) Nr. 218/92 des Rates über die Zusammenarbeit
der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung - MwSt-, kurz Internetsteuer genannt?
Herr Präsident! Frau Kollegin Heinen, die Bundesregierung begrüßt die Vorschläge der Europäischen Kommission grundsätzlich und
hofft, dass die Beratungen im Rat zu einer baldigen Verabschiedung führen. Wie die Europäische Kommission ist
auch die Bundesregierung der Auffassung, dass Wettbewerbsverzerrungen zulasten der EU-Unternehmen abgebaut und das Mehrwertsteuersystem der EU dem elektronischen Geschäftsverkehr gerecht werden müssen. Dabei
geht es nicht, wie der gelegentlich verwendete Begriff
„Internetsteuer“ suggeriert, um eine neue Steuer. Die im
elektronischen Geschäftsverkehr bewirkten Umsätze fallen bereits heute unbestritten in den Anwendungsbereich
der EU-Umsatzsteuer.
Es gilt, die derzeit geltenden Regelungen für die Ortsbestimmung der Dienstleistungen anzupassen, die eine
Besteuerung der elektronisch erbrachten Dienstleistungen
im Verbrauchsland vielfach nicht sicherstellen. Im Rahmen der Beratungen der Vorschläge wird darauf zu achten
sein, dass die Regelungen für die Unternehmen und Verwaltungen handhabbar und ausgewogen sind.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gerade schon angeschnitten, dass die Regelungen handhabbar sein sollen. Alle einschlägigen Medien
haben sich mit der Frage befasst, inwieweit die Regelungen handhabbar sind. Alle Experten sind zu dem Schluss
gekommen, dass der Vorschlag der EU-Kommission unpraktikabel ist.
Welche Anstrengungen unternehmen Sie konkret, damit dieser Vorschlag nicht zu einem bürokratischen
Monster für die Unternehmen wird und gerade die jungen
IT-Unternehmen in ihren Wachstumschancen bremst?
Der Bundesregierung ist
bewusst, dass der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates
zur Änderung der 6. EG-Richtlinie bezüglich der mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen im Wesentlichen materiellrechtliche Lösungsansätze enthält. An der Lösung der
technischen Fragen und der Fragen der Kontrolle wird gearbeitet. Hierzu bedarf es der Mitwirkung der Wirtschaft.
Diese ist in die Arbeiten auf OECD-Ebene, bei denen es
genau um diese Aspekte geht, eng eingebunden.
Ich glaube, Sie haben
meine Frage nicht ganz verstanden. Es geht hier nicht allein um die Technik, sondern auch um die Anlage des Vorschlags. Halten Sie diesen Vorschlag tatsächlich für praktikabel und für Unternehmen umsetzbar, oder wird er
dazu führen, dass die Unternehmen einen irren bürokratischen Aufwand zu bewältigen haben?
Frau Kollegin, ich hatte Ihnen schon geantwortet, dass der Vorschlag so, wie er
bisher vorliegt, das materielle Recht betrifft und dass in
den zuständigen Gremien, insbesondere denen der
OECD, unter Beteiligung der Wirtschaft um die Handhabbarkeit noch gerungen wird.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Fischer.
Frau
Staatssekretärin, gehen wir davon aus, dass dies umgesetzt wird: Welchen zusätzlichen Aufwand muss die Bundesregierung betreiben, um hier eine Kontrolle bzw.
Überprüfung durchzuführen? Wie viel wird das Ihrer
Meinung nach ungefähr kosten?
Herr Kollege Fischer, diese
Frage ist heute sicherlich nicht zu beantworten. Aber Sie
müssen davon ausgehen, dass es sich um steuerbare Vorgänge, also um Dienstleistungen handelt, die über das Internet erbracht werden und umsatzsteuerpflichtig sind. Es
wird uns bei der Ausgestaltung der Richtlinie darauf ankommen, diese möglichst handhabbar und das Ganze kostengünstig zu machen, dass die Regelung sowohl für die
Wirtschaftsunternehmen als auch für die Verbraucher und
die Verwaltung tragbar ist.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Widmann-Mauz.
Frau Staatssekretärin, in welchem Zeitraum soll die Richtlinie in der
Bundesrepublik umgesetzt werden und ab wann werden
wir dann in Deutschland mit einer Besteuerung der elektronischen Dienstleistungen zu rechnen haben?
Frau Kollegin WidmannMauz, die EU-Richtlinie liegt erst im Entwurf vor. Sie
muss erst auf europäischer Ebene verabschiedet werden.
Natürlich muss auch die Handhabbarkeit ins Auge gefasst
werden; ich hatte schon darauf hingewiesen. Erst wenn
die EU-Richtlinie vorliegt, werden wir diese in der Bundesrepublik Deutschland umsetzen können. Es ist im Moment noch nicht genau zu sagen, wann dies der Fall sein
wird.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Aribert Wolf.
Frau Staatssekretärin, teilt
die Bundesregierung die Bedenken der Experten und der
Wirtschaft, die bis jetzt zu diesem Entwurf geäußert worden sind?
Die Bundesregierung
nimmt diese Bedenken ernst und ist im weiteren Verfahren mit all ihren Kräften darum bemüht, diese Bedenken
nicht Realität werden zu lassen.
Dann kommen wir
zur Frage 26 des Kollegen Klaus Holetschek:
Hält die Bundesregierung es für sinnvoll und durchführbar,
wenn die Internetanbieter im Zusammenhang mit ihrer Veranlagung zur Umsatzsteuer zwischen Privat- und Geschäftskunden
unterscheiden müssen, und wie sollen sie dies umsetzen?
Die Bundesregierung hält
die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene
Unterscheidung für sinnvoll und durchführbar. Der Ansatz ist nicht neu. Er entspricht dem, was bereits heute für
eine Vielzahl anderer Dienstleistungen gilt. Die Differenzierung ermöglicht es, die steuerlichen Verpflichtungen
des Anbieters zu reduzieren, da der Leistungsempfänger,
soweit er Unternehmer ist, die steuerlichen Pflichten des
Leistungserbringers übernimmt. Das ist die Umkehrung
der Steuerschuldnerschaft. Zur Unterscheidung zwischen
Privat- und Geschäftskunden könnte zum Beispiel die
Umsatzsteueridentifikationsnummer - wie im Übrigen
auch von der Kommission vorgeschlagen - geeignet sein.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, die betroffene Branche fürchtet bei dieser Unterscheidung zwischen Privat- und Geschäftskunden unübersehbare Haftungsrisiken, weil oft weder das Land noch feststellbar ist, wer Privat- und wer Geschäftskunde ist.
Können Sie diese Befürchtungen ausräumen?
Wir werden im weiteren
Verfahren diese Befürchtungen sicherlich minimieren.
Aber Privatkunden haben keine Umsatzsteueridentifikationsnummer.
Dann kommen wir
zur Frage 27 des Kollegen Klaus Holetschek:
Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, den UmsatzsteuerNormalsatz auch auf elektronisch verbreitete Bücher anzuwenden?
Werden Buchinhalte auf
elektronischem Wege heruntergeladen, handelt es sich
umsatzsteuerrechtlich um Dienstleistungen. Weder nach
den derzeit geltenden Regelungen der 6. EG-Richtlinie
noch nach den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Änderungen der 6. EG-Richtlinie im Hinblick
auf die mehrwertsteuerliche Behandlung bestimmter
elektronisch erbrachter Dienstleistungen ist es möglich,
auf diese Umsätze den ermäßigten Steuersatz anzuwenden. Vielmehr findet auf alle elektronisch erbrachten
Dienstleistungen der Normalsatz Anwendung. Dies ist
aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll, da sonst die in
Aussicht genommene Regelung der elektronisch erbrachten Dienstleistungen für den leistenden Unternehmer zu
kompliziert werden würde.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bezogen auf diesen Fall den Unterschied zwischen elektronischen und gedruckten Büchern
erklären, der zu dieser differenzierten Auffassung führt?
Ja, Herr Kollege
Holetschek. Aus Sicht der Bundesregierung stellt die physische Lieferung eines Buches qualitativ etwas anderes
dar als die Möglichkeit, einen Buchinhalt auf elektronischem Wege herunterzuladen. Ungeachtet dessen rechtfertigt die Notwendigkeit, möglichst einfach zu handhabende Regelungen zu schaffen, elektronisch erbrachte
Dienstleistungen insgesamt dem Normalsatz zu unterwerfen bzw. macht dies sogar um der Praktikabilität willen erforderlich.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Ursula Heinen.
Frau Staatssekretärin,
können Sie mir vielleicht noch einmal erklären, was gerade bei Büchern besonders schützenswert bzw. förderungswürdig ist? Geht es dabei um den Inhalt der Bücher
oder geht es dabei um die äußere Form, in der Bücher präsentiert werden, sprich: dass sie auf Papier gedruckt sind?
Frau Kollegin Heinen, es
ist schon richtig, dass es eigentlich um den Inhalt von
Büchern geht. Menschen profitieren davon, den Inhalt
von Büchern zur Kenntnis zu nehmen. Ich persönlich profitiere zum Beispiel auch davon, ein schön gebundenes
Buch in Händen zu halten.
({0})
Aber dies alleine wäre noch kein Grund für eine steuerliche Unterscheidung.
Es ist zweifelsfrei so, dass das Herunterladen von
Buchinhalten zu den Dienstleistungen zu rechnen ist und
nicht den Vertrieb einer Ware darstellt, der mit einem
niedrigeren Umsatzsteuersatz begünstigt ist.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Aribert Wolf.
Frau Staatssekretärin, können Sie erläutern, warum der im gängigen Umsatzsteuerrecht für Bücher vorgesehene niedrigere Mehrwertsteuersatz im Internet plötzlich nicht mehr gelten soll?
Herr Kollege Wolf, der
niedrigere Mehrwertsteuersatz betrifft eine ganze Reihe
von Produkten, insbesondere Bücher und Zeitschriften,
Lebensmittel, aber auch - das ist vielen Leuten nicht bekannt - Tiernahrung und andere Produkte. Den meisten
Menschen ist nur bekannt, dass der niedrigere Mehrwertsteuersatz für Bücher, Zeitschriften und Lebensmittel
gilt.
Der Hintergrund für die umsatzsteuerliche Begünstigung von Büchern und Zeitschriften ist letztlich der
Schutz des Kulturgutes. Von der Bundesregierung ist sicherlich nicht beabsichtigt, daran etwas zu ändern. Der
reduzierte Mehrwertsteuersatz soll da auf Dauer erhalten
bleiben. Aber ich habe gerade schon Ihrer Kollegin gesagt: Das Herunterladen von Buchinhalten ist eine Dienstleistung und nicht das Handeln mit einem Produkt. Es
handelt sich in diesem Fall also nicht um ein begünstigtes
Produkt, sondern um die Bereitstellung einer Dienstleistung, die allgemein mit dem Normalsteuersatz belegt
wird.
Dies gilt im Übrigen auch für das Herunterladen von
Musikstücken. Soweit ich weiß, drückt sich die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik auch in unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen aus.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin Widmann-Mauz.
Frau Staatssekretärin, wie gedenkt die Bundesregierung den Schutz
des Kulturgutes, das über elektronische Medien verbreitet
wird, sicherzustellen?
Frau Kollegin, wir gehen
davon aus, dass das Herunterladen von Büchern und auch
von Musik auf Dauer nicht die einzige Möglichkeit sein
wird, um mit diesem Kulturgut zu kommunizieren.
Wir sind im Übrigen der Auffassung, dass das handelbare Produkt Buch auch in Zukunft mit dem reduzierten
Mehrwertsteuersatz belegt werden soll. Aber wir kommen
nicht um die Definition herum, dass es sich beim
elektronischen Herunterladen um eine Dienstleistung
handelt.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie die
Vertriebswege schützen und nicht das Kulturgut?
Nein, Frau Kollegin, Sie
haben mich nicht richtig verstanden; denn es handelt sich
in diesem Fall, wie ich sagte, um eine Dienstleistung und
nicht um ein handelbares Produkt. Es ist ein Unterschied,
ob man mit einem physischen Produkt handelt oder ob
man eine Dienstleistung erbringt. Es geht nicht um die
Frage „Was hat mehr Kultur zum Inhalt?“, sondern um die
Definition, ob es ein handelbares Produkt oder eine
Dienstleistung ist.
Ich rufe Frage 28 der
Kollegin Widmann-Mauz auf:
Hält die Bundesregierung die im Vorschlag der Europäischen
Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der
Richtlinie 77/388/EWG enthaltene Registrierungspflicht von
Drittlandsunternehmen für kontrollierbar?
Der Bundesregierung ist
bewusst, dass der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates
zur Änderung der 6. EG-Richtlinie bezüglich der mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen im Wesentlichen materiellrechtliche Lösungsansätze enthält. An der Lösung der
technischen Fragen und der Fragen der Kontrolle wird
weiter gearbeitet. Hierzu bedarf es - ich durfte das vorhin
schon einmal sagen - der Mitwirkung der Wirtschaft.
Diese ist in die Arbeiten auf der OECD-Ebene, bei denen
es genau um diese Aspekte geht, eng eingebunden.
Zusatzfrage.
Zunächst
stelle ich fest, Frau Staatssekretärin, dass Sie mir die gleiche Antwort gegeben haben wie einem Kollegen auf seine
Frage, deren Wortlaut jedoch anders war und die einen
deutlich anderen Sachverhalt betraf.
Deshalb beziehe ich mich auf die Frage, die ich bereits
gestellt habe, nämlich ob die Bundesregierung den Richtlinienvorschlag für die Registrierungspflicht von Drittlandsunternehmen für kontrollierbar hält, und frage weiter: Wenn diese Richtlinie umgesetzt wird, wie kann eine
solche Kontrolle dann nach Auffassung der Bundesregierung erfolgen? Denn nur mit einer solchen Abschätzung
kann die Bundesregierung zu dieser Richtlinie sachgerecht Stellung beziehen.
Frau Kollegin WidmannMauz, ich habe vorhin in der Tat eine fast wortgleiche
Antwort auf eine Zusatzfrage einer Kollegin und nicht auf
eine zunächst originär gestellte Frage gegeben. Die Zusatzfrage der Kollegin richtete sich auf die Handhabbarkeit. Ihre Frage bezieht sich auf die Kontrollierbarkeit.
Ich kann auf beide Fragen, auf die der Handhabbarkeit
und die der Kontrollierbarkeit, nur die Antwort wiederholen, die ich gerade eben habe geben müssen. Denn es ist
in Vorbereitung der 6. EG-Richtlinie noch nicht endgültig
zu den notwendigen Umsetzungsschritten gekommen.
Wir haben bisher den materiellrechtlichen Entwurf. Wir
werden aber natürlich auf der europäischen Ebene und in
der OECD mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dafür sorgen, dass wir keinen zahnlosen Tiger
beschließen, was zur Folge hätte, dass das Gesetz nur im
Gesetzblatt stünde und weder handhabbar noch kontrollierbar wäre.
Eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, erwarten Sie bei der Registrierungspflicht für
Drittlandsunternehmen, dass es bei dieser Regelung zwischen den EU-Ländern zu einem Standortwettbewerb um
den günstigsten Mehrwertsteuersatz kommen wird? Sind
Sie der Auffassung, dass es gerecht ist, dass Drittlandsunternehmen den Ort der Registrierung und damit die Höhe
des Steuersatzes frei wählen können, während Unternehmen aus Mitgliedstaaten dieses nicht können?
Das ist natürlich angesichts
der Harmonisierung, die wir auf der europäischen Ebene
im Bereich der Umsatzsteuer bisher haben - die Harmonisierung bewegt sich in einer Spanne zwischen 15
und 25 Prozent -, eine notwendige Folge der Tatsache,
dass wir keinen einheitlichen Mehrwertsteuersatz haben.
Sollte es zu der von Ihnen angenommenen Wettbewerbssituation kommen, so wird die Bundesrepublik Deutschland sicherlich für Drittlandsunternehmen interessant
sein, weil wir neben Luxemburg den niedrigsten Mehrwertsteuersatz in der gesamten Europäischen Union haben.
Die Kollegin Ursula
Heinen hat eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
insbesondere die USAbzw. die Unternehmen aus den Vereinigten Staaten protestieren gegen diese Registrierungspflicht. Haben die Bundesregierung bzw. die Europäische
Kommission ihrer Kenntnis nach bereits Gespräche mit
den Vereinigten Staaten darüber geführt? Oder wird darüber im allgemeinen Rahmen der OECD verhandelt? Konkret: Sprechen Sie mit den Vereinigten Staaten über diese
Regelung?
Die Bundesregierung hat
bisher keine Gespräche zu diesem Zweck geführt, weil es
sich bisher um einen Entwurf der Europäischen Kommission handelt. Ich bin aber sicher, dass die Europäische
Kommission darüber natürlich mit den Verantwortlichen
in den Vereinigten Staaten spricht. Der richtige Ort für die
Verhandlungen ist allerdings die OECD. Dort sind die
Vereinigten Staaten selbstverständlich Mitglied.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Dr. Martina Krogmann.
Frau Staatssekretärin, müssen zur Kontrolle der Registrierungspflicht,
die ja ein sehr kompliziertes Verfahren darstellt, bei den
Finanzbehörden zusätzliche Stellen geschaffen werden?
Ich gehe nicht davon aus,
dass es notwendig sein wird. Ich gehe davon aus, dass es
für die Bundesrepublik Deutschland zentral geschehen
würde. Dies kann natürlich nur mit Zustimmung der Länder auf den Weg gebracht werden. Es stünde zum Beispiel
das Bundesamt für Finanzen zur Verfügung.
Nun kommt zur Abwechslung mal wieder ein männlicher Kollege.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Axel E. Fischer,
({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die unterschiedliche Behandlung im Stromhandel zwischen Online- und stationärem Handel?
Herr Kollege Fischer, Ihre
Frage konnte in der zunächst vorgelegten Fassung nicht
sinnvoll beantwortet werden. Nach Rücksprache mit
Ihrem Büro wurde das Wort „Stromhandel“ durch „Handel“ ersetzt. Das konnte von der Bundestagsdruckerei leider nicht mehr korrigiert werden.
Diese jetzt so formulierte Frage beantworte ich wie
folgt: Im Online-Handel können anders als im traditionellen Handel nur Dienstleistungen erbracht werden. Dementsprechend sieht der Richtlinienvorschlag der Kommission Regelungen vor, wie sie für Dienstleistungen im traditionellen Handel bereits bestehen, zum Beispiel für
Telekommunikationsdienstleistungen. Ziel des Richtlinienentwurfs ist die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen für EU- und Drittlandsanbieter.
Im Hinblick auf den Steuersatz für so genannte virtuelle Güter - also Buchinhalte oder Musik -, die auf
elektronischem Weg heruntergeladen werden, ist es weder
nach den derzeit geltenden Regelungen der 6. EG-Richtlinie noch nach den von der Europäischen Kommission
vorgeschlagenen Änderungen der 6. EG-Richtlinie möglich, auf diese Umsätze den ermäßigten Steuersatz anzuwenden. Vielmehr findet auf alle elektronisch erbrachten
Dienstleistungen der Normalsatz Anwendung.
Dies ist aus Sicht der Bundesregierung auch sinnvoll,
da ansonsten die in Aussicht genommene Regelung der
elektronisch erbrachten Dienstleistungen für die leistenden Unternehmer zu kompliziert werden würde.
Eine Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, wie soll dies nach der Vorstellung der
Bundesregierung überprüft werden und wer soll das nach
Ihrer Ansicht tun?
Ich hatte dem Hohen Hause bereits auf andere Fragen und Zusatzfragen aus Ihren
Reihen geantwortet, dass uns bisher nur eine materiellrechtliche Regelung vorliegt und dass wir zunächst an den
Kontrollmöglichkeiten und der Handhabbarkeit, sozusagen parallel zur Umsetzung des Entwurfs der Änderung
der 6. EG-Richtlinie, sowohl auf der Ebene der Europäischen Union als auch der der OECD arbeiten werden, um
dort jeweils Einvernehmen mit den Betroffenen zu erzielen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, Sie haben vorher auf die Frage einer
Kollegin geantwortet, das Finanzministerium stehe zur
Wahrnehmung der Kontrollaufgaben zur Verfügung.
Glauben Sie, dass das Finanzministerium für diese Aufgabe das geeignete Ministerium ist? Würde sich dafür
nicht besser das Justiz- oder das Innenministerium eignen?
Herr Kollege, die Frage der
Kollegin richtete sich auf das Problem, wo die Drittlandsanmeldungen erfolgen sollten und ob dafür zusätzliche
Stellen in der Finanzverwaltung geschaffen werden müssten. Daraufhin habe ich gesagt, ich könnte mir vorstellen,
dass das Bundesamt für Finanzen eine geeignete Stelle
zur Entgegennahme der Anmeldungen sein könnte. Das
Bundesamt für Finanzen mit Sitz in Bonn ist eine Bundesoberbehörde, die nur im Einvernehmen mit den Ländern - weil nach unserer Verfassung die Länder für die
Ausführung der Steuergesetze zuständig sind - zentral
tätig werden könnte. Ich gehe aber davon aus, dass eine
zentrale Regelung des Problems im Interesse der Länder
liegen würde.
Ich rufe die Frage 30
des Kollegen Axel E. Fischer auf:
Hält die Bundesregierung die Durchsetzung einer nationalen
Umsatzbesteuerung für elektronische Dienstleistungen im Internet für durchführbar?
Die Europäische Kommission hat am 7. Juni 2000 Vorschläge für eine Richtlinie des
Rates zur Änderung der 6. EG-Richtlinie bezüglich der
mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen sowie für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({0})
Nr. 218/92 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung vorgelegt.
Aus Sicht der Bundesregierung bieten diese Vorschläge grundsätzlich einen geeigneten Ansatzpunkt, um
eine nationale Umsatzbesteuerung der im Internet bewirkten elektronischen Dienstleistungen auf der Grundlage internationaler Vereinbarungen durchzuführen.
Eine Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, ich habe nach der nationalen Umsatzbesteuerung bzw. danach gefragt, wie man dies national regeln kann, und Sie haben entsprechend geantwortet. Kann
ich Ihrer Antwort entnehmen, dass die Bundesregierung
nur im europäischen Rahmen tätig wird und keinen nationalen Alleingang machen wird?
Ja, Herr Kollege. Die Vorarbeiten der Europäischen Kommission, die auch inhaltlich durchaus die Zustimmung der Bundesregierung finden, sind so weit gediehen, dass wir selbstverständlich
zunächst an der weiteren Erarbeitung der Änderung der
6. Richtlinie teilhaben werden, um diese sodann in nationales Recht umzusetzen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Strebt die Bundesregierung eine europaweite Harmonisierung der Umsatzsteuer an? Wenn ja: Welchen Zeitraum
hält sie für notwendig, um eine europaweite Harmonisierung zu erreichen?
Herr Kollege Fischer, die
Umsatzsteuer ist in der Europäischen Union schon harmonisiert - ich sagte Ihnen das eben schon -, aber in einem Rahmen von 15 bis 25 Prozent. Dies ist die einzige
Steuer, die in der Europäischen Union tatsächlich schon
als vollständig harmonisiert gilt. Nun mag man sagen,
eine Spanne von 10 Prozentpunkten stelle keine Harmonisierung dar.
Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass es gelingen
könnte, diese Spanne durch einen fixen Punkt, zum Beispiel 20 Prozent für alle Länder, zu ersetzen. Die Bundesregierung ergreift deshalb keine Initiativen, die in dieser
Weise harmonisierte Steuer auf die europäische Agenda
zu setzen, weil nicht zu erwarten ist, dass eine solche
Regelung in der Europäischen Union mehrheitsfähig
wäre oder überhaupt angegangen würde.
Die Kollegin Ursula
Heinen hat eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben auf die vorletzte Frage des Kollegen Axel
Fischer geantwortet, dass es wenig Sinn macht, diese
Steuer nur im nationalen Bereich zu erheben. Es sollte
vielmehr europaweit geregelt werden. Darüber hinaus haben Sie auf eine Frage von mir gesagt, dass man das international regeln muss und dass es auf OECD-Ebene
gehört. Darin stimmen wir Ihnen zu.
Meine Frage lautet: Wann haben die Verhandlungen
auf OECD-Ebene begonnen? Wann werden Sie voraussichtlich abgeschlossen sein? Wird die Umsetzung der
EU-Richtlinie entsprechend angepasst oder plant man einen Alleingang in Europa?
Frau Kollegin Heinen,
zunächst einmal ist die Umsatzsteuer eine Steuer, die in
Europa bereits harmonisiert ist. Das habe ich schon gesagt. Ohne die Genehmigung der Europäischen Union
können wir keine Änderung am nationalen Umsatzsteuerrecht vornehmen. Insofern ist das, was wir in diesem Bereich tun, sinnvollerweise innerhalb der Europäischen
Union, wie es durch den Vorschlag zur Änderung der
Richtlinie geschehen ist, zu koordinieren und gleichzeitig
umzusetzen.
Ich habe wegen der Kontrollierbarkeit und Handhabbarkeit auf die OECD hingewiesen. Dies gilt insbesondere für die Verhältnisse zwischen der Europäischen
Union und Drittländern. Persönlich bin ich aber überfragt,
wenn ich sagen soll, wann die Verhandlungen begonnen
haben, schon gar bin ich überfragt, zu sagen, wann sie zu
einem Ende kommen können. Das ist in internationalen
Gremien nicht nur von der Arbeit der Bundesregierung
abhängig. Ich werde Ihnen aber den Termin nachliefern,
wann die Verhandlungen begonnen haben. Beamte des
Bundesfinanzministeriums sind von Anfang an engagiert
und sachkundig in diesen Gremien tätig.
Ich rufe die Frage 31
der Kollegin Martina Krogmann auf:
Was hält die Bundesregierung von dem in den USA praktizierten Vorgehen, elektronisch erbrachte Dienstleistungen für einen Übergangszeitraum nicht zu besteuern, um die Expansion des
IT-Sektors nicht zu gefährden?
Es besteht international
Einvernehmen darüber, dass der elektronische Geschäftsverkehr weder besser noch schlechter behandelt werden
soll als der traditionelle Handel. Mit Blick auf die Wettbewerbssituation gegenüber dem traditionellen Handel ist
es nicht möglich, elektronisch erbrachte Dienstleistungen
für eine Übergangszeit von der Umsatzsteuer zu befreien.
Dies wäre eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung
des traditionellen Handels. Die Bundesregierung hält zudem das in den USA praktizierte Vorgehen für den EURaum nicht für möglich. Die steuerlichen Verhältnisse in
der EU sind mit denen in den USA nicht vergleichbar. In
den USA sind die im elektronischen Geschäftsverkehr bewirkten Umsätze durch ein Moratorium weitestgehend
von den „sales taxes“ freigestellt. Zu beachten ist hierbei
aber, dass die „sales taxes“ auf die im elektronischen Geschäftsverkehr bewirkten Umsätze in den Vereinigten
Staaten nach dem dort geltenden Recht bisher weitestgehend nicht anwendbar sind und in den Vereinigten Staaten
erst daraufhin anwendbar gemacht werden müssten. In
der EU unterliegen sämtliche Umsätze, auch die im elektronischen Handel, bereits aufgrund der geltenden Regelungen der EU-Umsatzsteuer.
Eine Zusatzfrage.
Rechnen Sie
denn damit, dass die Richtlinie der EU keine negativen
Auswirkungen für europäische Start-ups oder kleine
Axel E. Fischer ({0})
Unternehmen haben wird, die sich gerade in Konkurrenz
mit entsprechenden Unternehmen in den Vereinigten
Staaten befinden?
Frau Kollegin, gerade die
notwendige Anmeldung von Drittlandsunternehmen in
der Europäischen Union, also zum Beispiel von amerikanischen Unternehmen, bedeutet, dass die Umsatzsteuer
auch von diesen Leistungserbringern gezahlt werden
muss bzw. von deren Kunden - je nachdem auf wen die
Besteuerungspflicht übergeht -, sodass innerhalb der Europäischen Union keine Wettbewerbsnachteile für hier
tätige europäische Unternehmen bestehen. Umgekehrt:
Solange in den Vereinigten Staaten „sales taxes“ nicht anwendbar sind, haben auch europäische Unternehmen
keine Beschränkung dort. Insofern sehe ich das Problem
nicht.
Eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, hat sich die Bundesregierung eingehend mit der
Analyse befasst, die vom amerikanischen Kongress in
Auftrag gegeben wurde? Diese empfiehlt eindringlich,
das Moratorium bis 2006 zu verlängern, um neue Arbeitsplätze, insbesondere in diesen Branchen, zu ermöglichen.
Ich habe bereits gesagt,
dass die steuerlichen Bedingungen in den Vereinigten
Staaten anders sind. Wenn ich es richtig in Erinnerung
habe, ist es so, dass in den Vereinigten Staaten Dienstleistungen nicht mit Umsatzsteuer belegt sind, sondern nur
physische Produkte. Hier gibt es schon jetzt eine völlig
andere Voraussetzung in steuerlicher Hinsicht. Trotzdem
herrscht im Prinzip, auch innerhalb der OECD - mit Zustimmung der Vereinigten Staaten -, internationale Einigkeit darüber, dass Dienstleistungen mit Umsatzsteuer zu
belegen seien. Dazu gehören auch elektronische Dienstleistungen.
Das Moratorium, das es zurzeit in den Vereinigten
Staaten gibt und von dem wir im Moment nicht genau
wissen, wie lange es dauern wird, beruht letztlich auf geltendem Recht. Wenn eine elektronische Dienstleistung erbracht wird, dann wird auf sie in den Vereinigten Staaten
keine Umsatzsteuer erhoben. Bei uns allerdings - das ist
nicht nur in Deutschland, sondern allgemein in der Europäischen Union so - sind Dienstleistungen immer mit
Umsatzsteuer zu belegen. Das ist der prinzipielle Unterschied zwischen den beiden Besteuerungssystemen.
Des Weiteren möchte ich auch darauf hinweisen, dass
es einerseits natürlich richtig ist, junge Start-ups zu fördern, und dass die Bundesregierung alles für diese Förderung tut. Andererseits halte ich es prinzipiell nicht für den
richtigen Weg, solche Start-ups über steuerliche Maßnahmen zu fördern, schon gar nicht über die Umsatzsteuer;
denn eine solche Förderung würde letztlich nicht die Unternehmen entlasten, seien es nun Start-ups oder nicht.
Vielmehr würde der Kunde entlastet, der bei einem Unternehmen eine Dienstleistung nachfragt.
Sie müssen trotz aller gewünschter Förderung neuer
und junger Unternehmen die Wettbewerbsgleichheit beachten und dürfen bestehende Unternehmen, die zum Beispiel auf traditionelle Art und Weise vergleichbare Dienstleistungen erbringen oder die eben angesprochenen Kulturgüter auf physische Art und Weise vertreiben, nicht
schlechter stellen. Wir können es nach meiner Meinung
nicht verantworten, dass unsere Städte nach einer Änderung der Besteuerung zum Beispiel frei von Buchhandlungen sind.
Ich rufe die Frage 32
der Kollegin Martina Krogmann auf:
Welche Ansatzpunkte sieht die Bundesregierung für eine
multi- bzw. bilaterale Regelung der Besteuerung des Waren- und
Dienstleistungsverkehrs im Internet?
Die Bundesregierung unterstützt die unter ihrer Mitwirkung auf internationaler
Ebene vereinbarten Grundprinzipien, nach denen eine
Umsatzbesteuerung der elektronisch erbrachten Dienstleistungen im Verbrauchsland erfolgen soll. Der von der
Europäischen Kommission am 7. Juni 2000 vorgelegte
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Rates zur
Änderung der 6. EG-Richtlinie bezüglich der mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen und der Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({0})
Nr. 218/92 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung stellen aus Sicht der Bundesregierung einen geeigneten Ansatz dar, die international bereits vereinbarten Grundsätze
in EU-Recht bzw. in nationales Recht umzusetzen.
Es tut mir sehr Leid, wenn sich meine Antworten jetzt
etwas wiederholen. Aber Ihre Fragen liegen inhaltlich
auch sehr dicht beieinander.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, erlauben Sie mir die Bemerkung, dass nach meiner Einschätzung die Fragen nicht so sehr beieinander liegen, dass Sie zu inhaltlich vergleichbaren Fragen viermal
die gleiche Antwort vortragen müssen.
({0})
Frau Kollegin, erlauben
Sie mir die Bemerkung, dass durch die Vielzahl der hinzugekommenen Zusatzfragen noch anstehende Fragen
möglicherweise schon mitbeantwortet waren.
({0})
Frau Staatssekretärin, darf ich trotzdem meine Zusatzfrage stellen?
Selbstverständlich.
Welche konkreten Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung
auf internationaler Ebene - die Antwort auf diese Frage
habe ich bis jetzt vermisst -, um beispielsweise auf
OECD-Ebene wirklich einen Gleichklang bezüglich der
Besteuerung zu erzielen? Diese Frage haben Sie bisher
nicht konkret beantwortet.
Frau Kollegin Krogmann,
es gibt auf der Ebene der OECD mehrere - ich sage das
jetzt untechnisch; ich glaube, sie heißen anders - Unterausschüsse, zum Beispiel einen Steuerausschuss, die sich
mit unterschiedlichen Themen befassen. Allein zum
Thema - ich möchte das allgemein ausdrücken E-Commerce gibt es, glaube ich, drei verschiedene Unterarbeitsgruppen. In all diesen Unterarbeitsgruppen ist
das Bundesministerium der Finanzen, zum Teil durch
Landesbeamte unterstützt, sachkundig vertreten und arbeitet an der Erstellung aller Vorschläge mit.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin Heinen.
Frau Staatssekretärin,
fasse ich Ihre Ausführungen richtig zusammen, wenn ich
feststelle, dass Sie zwar ein großes Interesse daran haben,
elektronische Dienstleistungen zu besteuern, dass sie sich
aber bis heute im Grunde noch keine Gedanken darüber
gemacht haben, wie elektronische Dienstleistungen erfasst werden sollen und ob eine solche Besteuerung für
die Unternehmen wirklich handhabbar ist bzw. ob eine
solche Steuer überhaupt Sinn macht, wenn gleichzeitig
der Ausbau des Internets und die IT-Branche gefördert
werden sollen?
Frau Kollegin, Sie fassen
mich nicht richtig zusammen.
Keine Zusatzfrage? ({0})
Dann rufe ich die Frage 33 des Kollegen Wolfgang
Dehnel auf:
Ist der Bundesregierung die existenzgefährdende Mehrbelastung der ostdeutschen Bundesunternehmen zur Sanierung der
Braunkohle- und Wismut-Bergbauschäden durch die drastisch gestiegenen Dieselkraftstoffpreise bekannt?
Herr Kollege Dehnel, die
ostdeutschen Bundesunternehmen Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, kurz
LMBV, und die Wismut GmbH sind durch die gestiegenen Dieselkraftstoffpreise in ihrer Existenz nicht bedroht;
allerdings haben die gestiegenen Kosten für Treibstoffe
bei einzelnen Auftragnehmern der bundeseigenen LMBV
im Bereich der Braunkohlesanierung zu Mehrbelastungen
gegenüber deren Angebotspreisen geführt. Hierbei handelt es sich um private Unternehmen, die sich im Rahmen
ordnungsgemäßer Ausschreibungen durch mehrjährige
Sanierungsaufträge vertraglich gebunden haben. Der
Bundesregierung ist bekannt, dass in einem Fall existenzbedrohende Mehrbelastungen geltend gemacht werden.
Das Unternehmen - nicht die Bundesregierung selbst - ist
dort im Gespräch.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade gesagt, dass dort Unternehmen betroffen seien. Sicherlich gehen auch Sie davon aus, dass
die Bundesregierung eine Aufsichts- und Fürsorgepflicht
gegenüber den bundeseigenen Unternehmen hat, die diesen Firmen Aufträge erteilen. Betroffen ist unter anderem
die BUL Sachsen GmbH, bei der 1 750 Mitarbeiter - unter anderem mit der Auftragung von Material - beschäftigt sind. Dort benötigt man enorm viel Diesel. Vor 1998
wurde er im Vertrag mit 0,80 DM angesetzt. Inzwischen
liegt sein Preis bei 1,22 DM. Damit würde jetzt ein Verlust von insgesamt 3,4 Millionen DM eintreten. Ist Ihnen
diese Sachlage bekannt? Was unternehmen Sie, um diese
1 750 Mitarbeiter zu unterstützen, damit deren Arbeitsplätze nicht den Bach runtergehen?
Herr Kollege Dehnel, derzeit finden Verhandlungen zwischen der LMBV und dem
von Ihnen genannten Unternehmen - ich selbst hätte den
Namen nicht genannt - statt. Das Ergebnis der Einzelfallprüfung ist auch hier abzuwarten. Ein Anspruch auf Nachbesserung des Vertrags besteht nicht. Eine generelle Zusage von Zugeständnissen seitens der LMBV, wie sie
übrigens auch vom Freistaat Sachsen gefordert wird, kann
deswegen nicht erfolgen. Eine Entscheidung muss sich
zunächst vielmehr ausschließlich an dem Interesse der
LMBV orientieren. Im Übrigen läge es primär in der Zuständigkeit der Wirtschaftsförderung des Landes, einem
Not leidenden Unternehmen Unterstützung zu gewähren.
Eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, auf die Antwort, das Land sei mit verantwortlich, habe
ich gewartet. Gehen Sie davon aus, dass der Freistaat
Sachsen seiner Verantwortung gerecht wird? Er hat schon
zugesagt, den Betroffenen unter die Arme zu greifen. Ist
es nicht so, dass der Bund gegenüber diesen Mitarbeitern
in der Pflicht steht, dort unterstützend einzugreifen? Sie
befinden sich seit Monaten in Verhandlungen und die Zeit
drängt, damit über 1 000 Beschäftigte bei einem Konkurs
nicht in Schwierigkeiten kommen.
Herr Kollege, Unternehmen, die auf eine Ausschreibung hin ein Angebot abgeben, haben natürlich darauf zu achten, in ihr Angebot kostendeckende Preise aufzunehmen. Obwohl weiterhin Gespräche zwischen der LMBV und dem betroffenen
Unternehmen stattfinden, ist es deshalb nicht von vornherein möglich, gestiegene Kosten durch eine nachträgliche Änderung der Vertragsgestaltung aufzufangen. Dies
würde nämlich eine Wettbewerbsverzerrung zulasten derjenigen Unternehmen bedeuten, die in ihren Angeboten
realistischere Preise eingesetzt haben.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Ulrich Klinkert.
Frau Staatssekretärin,
die Ökosteuer ist angeblich eingeführt worden, um Unternehmen und Arbeitnehmer finanziell zu entlasten. Bei
dem Braunkohlesanierungsunternehmen tritt nun das
krasse Gegenteil ein. Sehen Sie es nicht als angebracht an,
dass dann, wenn solche Unternehmen unter anderem
durch die Ökosteuer in ihrer Existenz gefährdet sind, seitens der Bundesregierung gewisse Ausgleichszahlungen
geleistet werden?
({0})
Herr Kollege Klinkert, die
Existenzgefährdung kann nicht mit der Ökosteuer, sondern nur mit den allgemein steigenden Treibstoffkosten
begründet werden.
({0})
Ich kann im Moment nicht genau sagen, welchen Charakter das in Rede stehende Unternehmen hat. Es gehört
höchstwahrscheinlich zum produzierenden Gewerbe.
({1})
- Gut, dann ist es ein Dienstleistungsunternehmen. - Es
wird aber, wenn es 1 700 Mitarbeiter hat, natürlich auch
entsprechend durch die Absenkung der Sozialversicherungskosten entlastet.
Wenn wir die Kraftstoffpreise im Monat Juni dieses
Jahres mit denen im Monat Juni des vergangenen Jahres
vergleichen, so können wir feststellen, dass sie um durchschnittlich 50 Pfennig gestiegen sind. Wie viel es genau
bei Diesel war, habe ich nicht im Kopf, sondern ich rede
jetzt einmal von den Spritkosten im Allgemeinen. In dieser Zeit wurde die Ökosteuer aber nur um 6 Pfennig angehoben.
({2})
- Nein, denn die Ökosteuer - ihre erste Stufe - wurde
schon im April des vergangenen Jahres eingeführt. Wenn
ich den Vergleich aber erst ab Juni des vergangenen Jahres anstelle, dann ist meine Feststellung richtig, dass die
Kraftstoffpreise nur mit 6 Pfennig zusätzlichen Steuern
belastet wurden. Diese sind dann in der Erhöhung der
Preise um 50 Pfennig enthalten. Von daher liegt es einfach
auf der Hand, dass die Steuererhöhung - es ist nicht zu bestreiten, das die Ökosteuer daran einen gewissen Anteil
hat -,
({3})
wenn man diese 6 Pfennig in Relation zu den 50 Pfennig
setzt, gerade einmal einen Anteil von 5,5 Prozent an den
gestiegenen Kraftstoffpreisen hat.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, teilen Sie meine Auffassung, dass die Verfahrensweise des Bundeskanzlers bei der Firma Holzmann genau
dem widerspricht, was Sie eben auf die Frage des Kollegen Dehnel ausgeführt haben?
({0})
Herr Kollege, ich hatte Ihnen gesagt, dass die LMBV weiterhin Gespräche mit
den betroffenen Unternehmen führt. Es ist ja nicht von
der Hand zu weisen, dass es möglicherweise auch zu einer nachträglichen Änderung der Angebotsbedingungen
kommt. Die Frage ist ja nicht entschieden, sondern beide
Seiten führen nach wie vor Gespräche miteinander. Dies
kann ich aber von hier aus nicht entscheiden, weil es in der
Verantwortung der LMBV liegt, diese Verhandlungen zu
führen. Der Bund hat natürlich dafür Sorge zu tragen, dass
die LMBV als Unternehmen nicht leichtfertig mit ungefähr 1 Milliarde DM an öffentlichen Zuschüssen, die es jedes Jahr bekommt, umgeht.
Ich rufe die Frage 34
des Kollegen Dehnel auf:
Wenn ja, plant die Bundesregierung gegebenenfalls Vertragsanpassungen mit den Sanierungsgesellschaften bzw. was unternimmt sie sonst, um die Wirtschaftskraft und die Arbeitsplätze
dieser Bundesunternehmen in den strukturell benachteiligten
Bergbaurevieren Ostdeutschlands zu erhalten?
Bund und Länder stellen
derzeit mehr als 1 Milliarde DM jährlich im Bereich der
Braunkohlesanierung zur Verfügung. Dadurch wird den
dortigen Sanierungsgesellschaften ein ganz erhebliches
Marktvolumen eröffnet. Die Vergangenheit hat gezeigt,
dass diese Unternehmen auch im Wettbewerb bestehen
können. Wettbewerb heißt aber auch, negative Konsequenzen von Markt- und Preisentwicklungen zu tragen.
Vertragspartner der Sanierungsgesellschaften ist die bunWolfgang Dehnel
deseigene LMBV. Sie hat als Empfänger staatlicher Zuwendungen diese sparsam und wirtschaftlich zu verwenden. Es bedarf daher in jedem Fall einer Einzelfallentscheidung, ob eine Vertragsanpassung für die LMBV die
wirtschaftlichste Alternative darstellt. Dies wird zurzeit
erörtert.
Es trifft zu, dass einzelne Unternehmen durch gestiegene Kosten für Dieselkraftstoffe erheblich belastet werden. Ein generelles Problem liegt hier aber nicht vor. Es
ist auch nicht Aufgabe der LMBV oder des Bundes,
unvorhergesehene Risiken oder kaufmännische Fehlkalkulationen abzudecken. Noch weniger ist es möglich, die
Existenz einzelner Unternehmen in diesem Bereich zu sichern. Eine Nachbesserung würde zudem diejenigen
Wettbewerber massiv benachteiligen, die bei der Kalkulation ihrer Angebote möglichen Preissteigerungen ausreichend Beachtung geschenkt haben.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben die Antwort gegeben, dass der Bund praktisch keine Möglichkeit sieht, irgendwelche zusätzlichen
Maßnahmen zu ergreifen. Gehen Sie davon aus, dass man
nicht nachbessern muss, wenn sich Maßnahmen, die auf
einem bestimmten Konzept basieren und dazu dienen sollen, Bergbauschäden zu beheben bzw. zu sanieren - was
ja letzten Endes auch der Auftrag der Bundesregierung
ist -, derartig verteuern?
Herr Kollege, ich hatte Ihnen ja schon gesagt, dass die Gespräche zwischen dem betroffenen Unternehmen, das Sie ansprechen, und der
LMBV noch im Gange sind. Selbstverständlich ist damit
auch der Abwägungsprozess verbunden, ob, wenn ein bedeutenderes Sanierungsunternehmen in Zukunft nicht
mehr tätig sein könnte, dies möglicherweise Verzögerungen im Sanierungsprozess zur Folge hätte, die dann
auch wieder Kosten verursachen könnten. Insofern ist
dies Gegenstand eines Abwägungsprozesses, den die
LMBV vollziehen muss.
Kollege Klinkert.
Frau Staatssekretärin,
ich darf bitte noch einmal auf die Ökosteuer zu sprechen
kommen. Als die Bergbausanierungsmaßnahmen in den
Jahren 1997/98 geplant waren, ging man von 80 Pfennig
für den Liter Diesel aus. Das haben Sie korrekt ausgeführt. In der Zwischenzeit gab es zweimal eine Erhöhung
um je 6 Pfennig aufgrund der Ökosteuer. Drei weitere Erhöhungen im Rahmen der Ökosteuer à 6 Pfennig sind geplant. Das heißt: Es wird zu Kosten in einer Größenordnung von Millionen DM kommen, die 1997/98 wirklich
noch nicht absehbar waren.
Können Sie sich vorstellen, dass die Bundesregierung
vor diesem Hintergrund wenigstens auf die vertragsbrüchige Kürzung der Braunkohlesanierungsmittel um je
50 Millionen DM in den Jahren 2001 und 2002 verzichtet?
Herr Kollege, ich vermag
den Zusammenhang nicht zu erkennen; denn die LMBV
ist ja nicht etwa zahlungsunfähig geworden. Zwei Jahre
lang stehen jedes Jahr immerhin noch 1 Milliarde DM zur
Verfügung. Die Tatsache, dass in zwei Jahren etwa
50 Millionen DM weniger bereitgestellt werden, hat aber
nicht dazu geführt, dass die LMBV Vertragsunternehmen
nicht bezahlt hätte. Dies kann also selbstverständlich
nicht die Ursache der Probleme von auftragnehmenden
Unternehmen in der Region sein.
Die von Ihnen angesprochene Ökosteuer ist natürlich ich habe es eben eingeräumt - zum Teil an dem Anstieg
der Kraftstoffpreise, also auch an dem Anstieg der Dieselpreise, beteiligt. Aber wie Sie wissen: nicht allein. Dass
in der Tat seit 1997 die Kraftstoffpreise erheblich gestiegen sind, beruhend nur zu einem ganz geringen Teil auf
der Ökosteuer, ist nicht von der Hand zu weisen. Deshalb
steht die LMBV mit den betroffenen Unternehmen weiterhin in Verhandlungen.
Mit Blick auf die Zeit
möchte ich nur noch die beiden nächsten Fragen aufrufen.
Ich weise aber darauf hin, dass ich nur von den beiden betreffenden Kollegen Zusatzfragen zulassen kann.
Ich rufe zunächst die Frage 35 des Kollegen Hartmut
Koschyk auf:
Welche Gespräche haben bisher zwischen der Bundesregierung und den Kirchen über Möglichkeiten der Kompensation für
die Einbußen beim Kirchensteueraufkommen durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, durch die Änderungen der
Besteuerung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse und
durch künftige Änderungen wie die Neuregelung der Unternehmensbesteuerung stattgefunden und zu welchen Ergebnissen führten diese Gespräche?
Herr Kollege Koschyk,
zwischen der Bundesregierung und den Kirchen haben im
Zusammenhang mit den genannten Gesetzesvorhaben auf
verschiedenen Ebenen Gespräche stattgefunden, in deren
Rahmen die Kirchen über den Inhalt der geplanten Steuerrechtsänderungen sowie deren Auswirkungen auf das
Kirchensteueraufkommen informiert wurden. Dabei wurden die Kirchen darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung zwar bei der Ausgestaltung der Steuerrechtsänderung im Rahmen des Möglichen versuchen wird, auf ihre
Belange Rücksicht zu nehmen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass Maßnahmen zur Kompensation der
durch die staatliche Steuergesetzgebung entstehenden
Kirchensteuerausfälle unmittelbar durch den Bund nicht
möglich sind.
Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes
liegt die Zuständigkeit für die Kirchensteuergesetzgebung
bei den Ländern. Dementsprechend wurde von der Finanzministerkonferenz eine aus Vertretern der Länder und
der Kirchen bestehende Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich
mit den Auswirkungen der staatlichen Steuergesetzgebung auf das Kirchensteueraufkommen sowie mit entsprechenden Reaktionsmöglichkeiten befasst. An den Sitzungen der Arbeitsgruppe nimmt ein Angehöriger des
BMF als Beobachter teil.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie Zahlen angeben, die zeigen, mit welchen
Ausfällen die Kirchen durch die bereits beschlossenen Steuerentscheidungen der Bundesregierung und der
Bundestagsmehrheit, aber auch mit welchen Ausfällen die
Kirchen durch Änderungen der Besteuerung im Bereich
der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse rechnen
müssen?
Herr Kollege Koschyk, die
durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 bedingten Einnahmeausfälle der Kirchen sind für das Jahr
2000 auf circa 370 Millionen DM, für das Jahr 2001 auf
circa 250 Millionen DM und für das Jahr 2002 auf circa
1 500 Millionen DM zu beziffern. Auf dem Niveau von
circa 1 500 Millionen DM verharren die Ausfälle voraussichtlich auch in den Folgejahren.
Das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse wird mit Mindereinnahmen von
jährlich circa 50 Millionen DM zu Buche schlagen.
Nach In-Kraft-Treten des Steuersenkungsgesetzes ist
allerdings mittel- und langfristig mit einem weiteren
Wachstum des Kirchensteueraufkommens zu rechnen.
Das Kirchensteueraufkommen wird im Jahre 2006 mit gut
20 Milliarden DM um 2,9 Milliarden DM höher als heute
ausfallen.
Ich darf ergänzend darauf hinweisen, dass beide Kirchen natürlich Verständnis dafür haben, dass sich eine allgemeine Senkung der Steuersätze bei der Lohn- und Einkommensteuer notwendigerweise auf die Kirchensteuer
auswirken muss. Wie Sie wissen, knüpfen die Kirchensteuergesetze der Länder daran an. Die Sätze sind mit
8 bis 9 Prozent der Lohnsteuerschuld leicht unterschiedlich.
Sie sehen an den Einnahmeausfällen, die die Kirchen
in diesem Zusammenhang zu verkraften haben, unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass nicht alle Lohn- und
Einkommensteuerzahler zugleich auch Kirchenmitglieder sind, in welchem Umfang die Bundesregierung die
Lohn- und Einkommensteuerzahler schon bisher entlastet
hat.
Eine zweite Zusatzfrage.
Habe ich Sie richtig
verstanden, Frau Staatssekretärin, dass Sie insgesamt damit rechnen, dass die Mehreinnahmen im Kirchensteuerbereich den von Ihnen im Einzelfall vorhin genannten
Mindereinnahmen gegenüberstehen werden, dass es also
einen positiven Saldo gibt?
Jedenfalls mittelfristig. Ich
hatte eben das Jahr 2006 genannt. Allerdings ist das für
das Jahr 2001 überhaupt nicht denkbar. Wir haben für das
Jahr 2001 durch das Steuersenkungsgesetz, welches im
Moment noch nicht so recht vorankommt - ich hoffe aber,
dass uns das am Freitag nächster Woche abschließend gelingen wird -, eine Nettosteuerentlastung von 44 Milliarden DM vorgesehen. Diese Entlastung wird sich nur zum
geringsten Teil bei der Körperschaftsteuer und zum allergrößten Teil bei der Lohn- und Einkommensteuer ergeben. Dies muss sich notwendigerweise nicht nur auf die
Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden auswirken,
sondern führt auch zu Einnahmeverlusten der Kirchen.
Allerdings ist in einem mittelfristigen Zeitraum - anders
wäre es auch für die öffentliche Hand nicht zu verantworten - wieder mit steigendem Kirchensteueraufkommen zu
rechnen.
Die Fragen 36 und 37
des Kollegen Hans Michelbach, die Frage 38 der Kollegin Gerda Hasselfeldt und die Frage 41 des Kollegen
Martin Hohmann werden schriftlich beantwortet.
Es bleiben die beiden Fragen des Kollegen Christian
Lange ({0}). Ich rufe zunächst die Frage 39 des Abgeordneten Christian Lange ({1}) auf:
Hat sich die seit dem 1. Januar 2000 geltende Regelung des
§ 12 a Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes ({2}), die die Weitergabe von im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen des
grenzüberschreitenden Bargeldverkehrs ({3}) gefundenen Unterlagen ({4}) an
die zuständige Steuerfahndung/Finanzämter ermöglicht, bewährt
und wie hoch beziffert die Bundesregierung in DM den durch
diese „Schwarzgeldkonten“ nacherhobenen Mehrwert an Steuereinnahmen?
Herr Kollege Lange, mit
der Änderung des § 12 a Abs. 4 Satz 3 des Finanzverwaltungsgesetzes durch Artikel 23 des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 mit Wirkung vom 1. Januar 2000 wurde auf
das Vorliegen von Anhaltspunkten für Geldwäsche als Voraussetzung für eine Datenübermittlung an andere Finanzbehörden verzichtet. Es genügt nunmehr, wenn beim
Empfänger die Kenntnis der Daten für ein Besteuerungs-,
Steuerstraf- oder Steuerordnungswidrigkeitenverfahren
von Bedeutung sein kann.
Um konkrete Aussagen darüber treffen zu können, ob
sich die neue Regelung bewährt hat, ist der Zeitraum seit
Einführung noch zu kurz. Erste Auswertungen zeigen jedoch, dass die den Finanzbehörden auf der Grundlage des
geänderten § 12 a Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes
übermittelten Beträge bedeutend gestiegen sind. So wurden im vierten Quartal 1999 vor Einführung der neuen
Regelung in 19 Fällen insgesamt 2 624 761 DM den
Finanzämtern beziehungsweise den Steuerfahndungsdienststellen übermittelt. Im ersten Quartal 2000 stieg die
Anzahl der übermittelten Fälle auf 197 mit einem übermittelten Betrag von 28 070 917 DM an.
Die Höhe der nacherhobenen Mehrsteuern mit Bezug
zur Bargeldkontrolle nach § 12 a Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes kann mangels gesonderter statistischer
Erhebungen nicht beziffert werden. Die Arbeitsergebnisse
der Steuerfahndungsdienste der Länder, die jährlich in einer Bundesstatistik zusammengefasst werden, enthalten
lediglich die Gesamtsumme der Mehrsteuern aus Strafverfahren, in denen Informationen nach §§ 10 Abs. 2,
11 Abs. 5 des Geldwäschegesetzes und § 12 a des Finanzverwaltungsgesetzes Eingang in die Ermittlungen gefunden haben. Nach dem dem Bundesministerium der Finanzen bis jetzt gemeldeten Zahlenmaterial beträgt die vorläufige Gesamtsumme für das Jahr 1999 gut 45 Millionen
DM.
War das die Beantwortung beider Fragen?
Das war die Beantwortung
der ersten Frage. Aber ich kann die Beantwortung der
zweiten Frage anschließen, wenn der Fragesteller einverstanden ist.
Einverstanden? Gut.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Christian
Lange ({0}) auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die gesetzliche Regelung
des § 12 a Abs. 4 Satz 3 FVG durch restriktive Auslegung dahin
gehend einzuschränken, dass zum Beispiel Kontrollmitteilungen
mit Übersendung entsprechender Unterlagen zwischen Zollver-
waltung und Finanzämtern erheblich eingeschränkt werden, da
sich in letzter Zeit Beschwerden über Bargeldkontrollen im Be-
reich von Drittlandsgrenzen, insbesondere durch Einsichtnahme
in persönliche Unterlagen wie Notizbücher und Kontounterlagen,
gehäuft hätten, oder wird im Vorgriff auf einen durch das Bun-
desministerium der Finanzen angekündigten Erlass bereits heute
auf Weisung restriktiv verfahren?
Bargeldkontrollen be-
rühren - wie jede Art von Kontrollen - den Persönlich-
keitsbereich des Reisenden. Die erweiterten Befugnisse
der Zollverwaltung zur Datenübermittlung personenbezo-
gener Daten an die Steuerbehörden durch die Änderung
des § 12 a Abs. 4 Satz 3 des Finanzverwaltungsgesetzes
haben in letzter Zeit zu kritischen Reaktionen von kon-
trollierten Personen geführt. Einzelne Kontrollbeamte an
der Drittlandsgrenze sind nach In-Kraft-Treten des Steu-
erbereinigungsgesetzes 1999 dazu übergegangen, steuer-
lich möglicherweise relevante Fragen selbst dann zu stel-
len, wenn der Reisende keine höheren Geldbeträge mit
sich führt. Darüber hinaus scheinen Reisende häufig den
Eindruck zu haben, es werde nach steuerlich möglicher-
weise interessanten Unterlagen - unabhängig von dem
Mitführen größerer Geldbeträge - gezielt gesucht.
Derartiges Verhalten geht über die gesetzliche Aufga-
benstellung hinaus. Eine Datenerhebung auf der Grund-
lage des § 12 a Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes ist
nur in den Fällen zulässig, in denen auch Zahlungsmittel
gefunden werden. Werden keine Zahlungsmittel im Wert
von 30 000 DM oder mehr gefunden, fehlt es an dem Be-
zugspunkt für die Erhebung personenbezogener Daten
nach § 12 a Abs. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes. Eine
Rechtsgrundlage für die Erhebung anderer, nicht auf Zah-
lungsmittel bezogener Daten enthalten die Vorschriften
über die Bargeldkontrollen nicht. § 12 a Abs. 4 Satz 3 des
Finanzverwaltungsgesetzes gibt insoweit lediglich die
Befugnis, die zulässigerweise im Rahmen einer Bargeld-
kontrolle erhobenen Daten an andere Finanzbehörden zu
übermitteln. Die Übermittlungsbefugnis nach Maßgabe
von § 30 Abs. 4 der Abgabenordnung - also einer schon
seit sehr langer Zeit bestehenden Regelung - bei so ge-
nannten Zufallsfunden im Rahmen allgemeiner Zollkon-
trollen bleibt natürlich unberührt.
Das Bundesministerium der Finanzen hat die Be-
schwerden über Bargeldkontrollen zum Anlass genom-
men, die Rechtslage gegenüber den Oberfinanzdirektio-
nen im Erlasswege klarzustellen. Eine Einschränkung der
Übermittlungsbefugnis durch eine restriktive Rechtsaus-
legung des § 12 a Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes
ist nicht sachgerecht und deshalb auch nicht beabsichtigt.
Allerdings sorgen wir in Fortbildungsveranstaltungen für
die Beamten des Grenzaufsichtsdienstes dafür, dass das
jeweils angemessene Verhalten eingeübt wird.
Es gibt keine Zusatz-
frage.
Damit sind Sie erlöst, Frau Parlamentarische Staatsse-
kretärin; Sie wurden heute sehr in Anspruch genommen.
Ich danke Ihnen.
Die noch ausstehenden Fragen aus den Geschäftsbe-
reichen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Tech-
nologie, des Bundesministeriums für Arbeit und Sozial-
ordnung und des Bundesministeriums der Verteidigung1)
werden nach der Geschäftsordnung schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen
Kritik am Bericht der Bundesregierung über
die Wirkungen der Nutzungsentgeltverordnung
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für den
Antragsteller der Kollegin Dr. Evelyn Kenzler das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Unsere Kritik beginnt schon
damit, dass die Bundesregierung ein Jahr Terminüber-
schreitung in Anspruch nahm, um einer Aufforderung des
Bundestages vom Juni 1998 nachzukommen, dem Bun-
destag bis zum 30. Juni 1999 den Bericht über die Wir-
kungen der Nutzungsentgeltverordnung vorzulegen. Nun
1) Die Antworten auf die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung lagen bei Redaktionsschluss
noch nicht vor.
wird dem Parlament ein „Bericht über die Wirkungen der
Nutzungsentgeltverordnung sowie zu notwendigen Änderungen“ zugemutet, der zu dem Ergebnis kommt, dass bei
der Anwendung der Nutzungsentgeltverordnung alles in
Ordnung sei und kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf
bestehe. Das stößt zu Recht auf einhellige Ablehnung und
Empörung bei den Betroffenen und ihren Verbänden.
Die Bundesregierung verlässt mit der Unterrichtung
Positionen, die die SPD als Opposition in der 13. Wahlperiode hochgehalten hat.
({0})
Ich erinnere an die wunderschönen Anträge der SPDFraktion zugunsten der Nutzer, die allesamt Hoffnungen
bei den Betroffenen auf eine Verbesserung ihrer Lage erweckt haben.
({1})
Ich erinnere auch an die lobenswerten Bundesratsinitiativen der sozialdemokratisch geführten Regierungen von
Brandenburg und Sachsen-Anhalt.
Jetzt lässt die Regierung jedoch in den Schlussfolgerungen des Berichts erklären, es gebe keinen zwingenden
gesetzgeberischen Änderungsbedarf bei der Nutzungsentgeltverordnung und „die Prämissen für die Forderungen
nach einer Begrenzung des Entgeltniveaus, die von einer
durch ständige Entgelterhöhungen ausgelösten hohen finanziellen Belastung der Nutzer ausgehen“ seien „nicht
zutreffend“.
Unverständlich ist, wie diese Wende zustande kam, die
vom Präsidenten des VDGN als ein „Meisterstück von
trickreichem Parlamentarismus“ bezeichnet wird.
({2})
Nun zu einzelnen Kritikpunkten bezüglich des Gutachtens. Aus 9 000 Haushalten wurden per Telefon
500 Nutzer herausgefiltert und intensiver befragt. Ich bezweifle, dass diese Fallzahl ausreichend ist, um zu solchen Schlussfolgerungen zu kommen, wie sie die Bundesregierung zieht. Die Umfrage wurde im Juni und Anfang Juli 1999 durchgeführt, also zu einer Zeit, da die
meisten Nutzer auf ihrem Grundstück saßen und nicht zu
Hause am Telefon. Das gilt vor allem für die vielen arbeitslosen Nutzer und die Rentner, die dort zum Teil gar
kein Telefon haben. Diese Personengruppe ist in dem Gutachten offenbar völlig unzureichend erfasst.
Deshalb kommt der Bericht zu dem falschen Ergebnis,
dass die Nutzer zu den „Besserverdienenden“ unter den
Ossis gehören und dass nur 38 Prozent von ihnen das
60. Lebensjahr vollendet haben - nach Angabe der Verbände sind es 70 Prozent. So erklärt sich vielleicht auch
die allen Erfahrungen widersprechende Feststellung, dass
die Haushaltseinkommen der Nutzer durch das Entgelt
sehr gering belastet werden.
Die Hochrechnung der Umfrage bei den 500 Nutzern ergibt meines Erachtens schlicht falsche Zahlen.
320 000 Nutzungsverhältnisse und 430 000 Kleingärtner
soll es danach geben. Die Verbände gehen von einer Zahl
der Nutzungsverhältnisse in der Größenordnung von ungefähr 1 Million aus, also mehr als dem Dreifachen. Das
ist eine doch sehr deutliche Divergenz. Die statistische
Ausgangsbasis dieses Gutachtens ist deshalb unzutreffend. Damit sind alle anderen Ergebnisse ebenfalls infrage zu stellen. Fachleute sagen, dass mindestens 1 000
Nutzer hätten gefragt werden müssen, um repräsentative
Ergebnisse zu erhalten. Bei länderspezifischen Angaben
hätten es entsprechend viele Nutzer sein müssen.
Ich möchte wissen, von einer wie geringen Fallzahl bei insgesamt 500 Nutzern - ein so exakt daherkommendes Entgelt der Altnutzer wie das in Thüringen in Höhe
von 94 Pfennig pro Quadratmeter abgeleitet wurde. Die
empirischen Materialien und die Erfahrungen der Verbände der Betroffenen, die weit mehr als die befragten
500 Nutzer erfassen, blieben unbeachtet, obwohl sie dem
Institut und dem BMJ zur Auswertung zur Verfügung
standen.
Die Regierung hat das Gutachten unbesehen in ihren
Bericht übernommen, ohne dass sie den Verbänden die
Gelegenheit gegeben hat, ihre Meinung zu äußern. Ich
kann der Regierung deshalb nur raten, diesen Bericht
zurückzuziehen und ein neues Gutachten ausarbeiten zu
lassen. Die Regierung wird darauf wahrscheinlich nicht
hören. Deshalb muss der Bundestag den von ihm angeforderten und an ihn gerichteten Bericht als ungenügend
zurückweisen,
({3})
die Regierung zu erneuter, besser begründeter Berichterstattung auffordern und inzwischen - entsprechend dem
Antrag unserer Fraktion - ein Moratorium im Hinblick
auf die Erhöhung der Nutzungsentgelte beschließen.
({4})
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Hans-Joachim Hacker.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau
Dr. Kenzler, gerade Ihre letzte Forderung, ein Moratorium, also eine Nutzungsentgeltbegrenzung, einzuführen,
widerspricht der Realität in den neuen Ländern. Dies wird
nicht nur in dem vorliegenden Gutachten bzw. von der
Bundesregierung so beurteilt, die ein Gutachten zitiert sie hat es nicht selber geschrieben -, sondern dies ist auch
nach Einschätzung von Verbänden so, die in der Vergangenheit natürlich gehört worden sind und nicht, wie Sie es
dargestellt haben, draußen vor der Tür gestanden haben.
Ich erinnere nur an die entsprechende Anhörung, die auf
Initiative der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, bei der das
Bundesjustizministerium und das Land Brandenburg federführend waren, im September des vorigen Jahres hier
in Berlin durchgeführt worden ist.
Frau Dr. Kenzler, in einem haben Sie Recht: Die Frage
der Nutzungsentgelte, der Schuldrechtsanpassung ist ein
hochsensibles Thema, eine Thematik, die uns jahrelang
beschäftigt hat. Sie haben richtig herausgestellt, dass sich
die SPD gerade in den letzten Jahren sehr intensiv mit dieser Thematik beschäftigt hat. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass in den neuen Ländern beim Nutzerschutz ein
hohes Niveau erreicht wurde. Im SchuldrechtsanpasDr. Evelyn Kenzler
sungsgesetz wurde für die neuen Länder ein Schutzrahmen gestaltet, der weit über das hinausgeht, was nach dem
BGB möglich gewesen wäre. Auch das gehört zur Realität.
({0})
Zur Realität gehört natürlich auch - das führt in diesem
Zusammenhang zu heftigen Emotionen -, dass die Nutzer
von Datschengrundstücken mit ihrem Nutzungsrecht
viele Jahre eigener Tätigkeit verbinden, zum Teil ihre Lebensleistungen damit verknüpfen, verbunden mit der Erinnerung, dass natürlich zu DDR-Zeiten sehr aufwendige
Bemühungen erforderlich waren, um an Baumaterialien
heranzukommen. Auch das wissen wir alle.
Diese Tatsachen sind aber nicht dazu geeignet, heute
die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland neu zu
schreiben und Rechtspositionen der Grundstückseigentümer infrage zu stellen. Das haben wir natürlich - dazu bekenne ich mich - bei der Gesetzesfassung und der Novellierung immer im Blick gehabt und das war ein Grund
dafür, dass die SPD-Bundestagsfraktion gesagt hat: Wir
müssen prüfen, was wir im Bereich des Nutzerschutzes
noch tun können.
Auch ich lese sehr aufmerksam die Zeitschrift „Das
Grundstück“ vom VDGN. Frau Dr. Kenzler, auch Sie
schreiben in dieser Zeitschrift hin und wieder Artikel.
Nicht alle Ausführungen, die Sie dort machen, sind für die
betroffenen Nutzer hilfreich, weil nur das hilft,
({1})
was weiterführt. Nicht Steine in der Hand helfen, sondern
nur Brot in der Hand.
Ich will mich hier nicht bei denjenigen einreihen, die
bei jeder in diesem Zusammenhang zu treffenden gesetzlichen Regelung sofort Art. 14 des Grundgesetzes zitieren
und sagen: Wenn wir so oder so vorgehen, dann landet das
Gesetz in Karlsruhe, weil es nicht verfassungskonform
ist. Das ist oft ein Schutzargument. Herr Funke, auch Sie
kennen das. Ich finde schon, dass es einen gewissen Spielraum gibt. Aber dieser Spielraum ist durch die Verfassung, durch den in Art. 14 des Grundgesetzes garantierten
Schutz des Eigentums, begrenzt.
Damit bin ich bei einem Punkt, mit dem wir es - abgesehen vom Inhalt des betreffenden Gutachtens - in den
nächsten Monaten zu tun haben werden. In einem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom November 1999
wird festgestellt, das Schuldrechtsanpassungsgesetz sei in
einigen Punkten korrekturbedürftig. So ist ja die Schutzregelung für die Nutzer von Garagengrundstücken zum
1. Januar 2000 aufgehoben worden, was ich persönlich
bedaure. Ich möchte daher an die Kommunen, die ja im
Wesentlichen die Eigentümer dieser Grundstücke sind,
appellieren, jetzt keine Kündigungen auszusprechen, sondern diese Nutzungsverhältnisse in einem privatrechtlichen Rahmen weiterzuführen. Mir ist nicht bekannt - weder aus meiner Stadt noch aus anderen Städten -, dass jetzt
ein Tohuwabohu ausgebrochen ist. Ganz im Gegenteil:
Hier sind Kommunalpolitiker gefragt, die verantwortungsvoll sind und sich vernünftig verhalten. Damit will
ich sagen, dass wir hier nicht alleine stehen und nach Belieben Gesetze stricken können. Wir stehen vielmehr in
der Kontinuität dessen, was wir im Schuldrechtsanpassungsgesetz geregelt haben.
In diesem Zusammenhang möchte ich das Gutachten
als eine analytische Aussage, basierend auf einer erheblichen Befragungsbreite, ausdrücklich verteidigen. Wenn
Sie sich einmal mit der Thematik der Nutzungsentgelterhöhung befassen, Frau Dr. Kenzler, dann werden Sie
feststellen, dass die Nutzungsentgeltverordnung schon
jetzt mehr als Hilfereichungen enthält. Es gibt keine Willkür bei der Nutzungsentgelterhöhung. Wir haben gegenwärtig festzustellen - zum Glück -, dass sich das, was
man als marktwirtschaftliche Elemente bezeichnet, in den
neuen Ländern einspielt. Und dies ist nicht zum Schaden
der Nutzer. Vielmehr installiert sich dort ein Grundstücksmarkt, mithilfe dessen die Nutzer die Chance haben, gegen Preistreiber, ob privat oder vonseiten der
Kommunen, besser zu bestehen. Das ist angesichts der
exorbitant hohen Entgelterhöhungen in den vergangenen
Jahren auch richtig so. Auch das gehört zur Lebensrealität: Es hat sich ein Markt herausgebildet und es finden
Marktkorrekturen statt.
Ich bleibe trotzdem dabei, dass wir prüfen müssen - die
Bund-Länder-Arbeitsgruppe wird ihre Tätigkeit in den
nächsten Monaten weiterführen -, wo noch Handlungsspielraum besteht. Auch die Problematik der Ortsüblichkeit, was vor Ort oftmals zu Streit führt, muss auf die
Möglichkeit einer Klarstellung hin überprüft werden.
Mein letzter Appell: Wir können bezüglich des Schuldrechtsanpassungsgesetzes nur das tun, was vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts Bestand hat und am Ende auch die Lebensrealität widerspiegelt. Frau Dr. Kenzler, ich lade Sie herzlich ein:
Bringen Sie Botschaften, die helfen, nicht Botschaften,
die die Köpfe der Betroffenen verwirren. Das hilft den Betroffenen überhaupt nicht.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich gebe der Abgeordneten Andrea Voßhoff für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Hacker, Sie
sind seit 1998 in der Bundesregierung. Wie lange wollen
Sie noch prüfen?
({0})
- Gut, Sie stellen die Bundesregierung, Herr Hacker.
({1})
Die Chronik des uns nun vorliegenden Berichts über
die Wirkungen der Nutzungsentgeltverordnung wirft ein
bedauerliches Licht auf die rot-grüne Bundesregierung:
({2})
Im Juli des Jahres 1998 - noch unter Führung der
CDU/CSU und F.D.P. - entschloss sich dieses Hohe Haus
dazu, von der Bundesregierung einen Bericht über die
Wirkungen der Nutzungsentgeltverordnung anzufordern.
Sowohl der erste für die Vorlage des Berichts angekündigte Termin im Juni 1999 als auch der daraufhin in Aussicht gestellte Termin im Jahr 2000 verstrich, ohne dass
Rot-Grün seiner parlamentarischen Verpflichtung nachgekommen wäre.
({3})
Nun endlich, im Juni des Jahres 2000, das heißt mit einjähriger Verspätung, sah sich die Bundesregierung in
der Lage, die angeforderten Unterlagen vorzulegen. Die
Chronik von Rot-Grün lässt mich zu Recht die Frage stellen, ob Ihnen eigentlich ernsthaft an einer Erfüllung der
vom Parlament erteilten Aufträge gelegen ist. Ich befürchte fast, dem ist nicht so.
({4})
Aber damit nicht genug. Nicht nur, dass Sie sich mit
der Vorlage dieses Berichts über Gebühr Zeit gelassen haben - nein, Sie haben es zudem nicht lassen können,
während dieser Wartezeit insbesondere den Nutzern die
großartigsten Ankündigungen hinsichtlich einer Verbesserung ihrer Situation zu unterbreiten. Dies ist, wie ich
meine, ein eklatanter Verstoß gegen das gebotene Verhalten, doch bitte zunächst die entsprechende Untersuchung
abzuwarten und nicht im Vorfeld Erwartungen zu wecken,
die dann gegebenenfalls enttäuscht werden müssen.
({5})
Dies, meine Damen und Herren, ist das zweite unrühmliche Licht, das im Zusammenhang mit der Geschichte des
Berichts über die Nutzungsentgeltverordnung auf die
Fraktionen von Rot und Grün fällt.
So ist es nun auch gekommen. Nach allem, was der Bericht gegenwärtig an Informationen zur Verfügung stellt,
ist die rot-grüne Kritik hinsichtlich der Wirkungen der unter Regierungsbeteiligung von CDU und CSU erlassenen
Regelungen unberechtigt. Das Gegenteil ist der Fall: Der
Bericht kommt so, wie er nun vorliegt, ganz überwiegend
zu dem Ergebnis, dass sich die zugrunde liegenden Gesetzesregelungen bewährt haben, dass ihnen eine hohe befriedende Wirkung zukommt und dass regelmäßig die Intentionen der Gesetzesbestimmungen bezüglich einer Angleichung der Nutzungsverhältnisse erreicht wurden.
Gleichwohl zieht die Veröffentlichung des Berichts
einschließlich der Untersuchung gegenwärtig Kritik auf
sich. Jeder Abgeordnete wird zwischenzeitlich entsprechende Schreiben erhalten haben. Das Gutachten zeichne
sich - so heißt es in einem der Schreiben, das uns erreicht
hat - durch „offensichtlich erkennbare Missachtung der
primitivsten Grundregeln statistischer Analysen, Widersprüchlichkeit und fehlende Tiefgründigkeit aus“. Zu dieser Bewertung kommt jedenfalls der Autor einer der uns
in den letzten Tagen zugesandten Kritiken. Dem Vorwurf,
dem Gutachten und dem auf ihm basierenden Bericht lägen fehlerhafte Ermittlungen zugrunde, muss natürlich
nachgegangen werden. Deshalb nehme ich die heutige
Aktuelle Stunde zum Anlass, diese Kritik an die Bundesregierung weiterzureichen.
({6})
Es kann beispielsweise nicht sein, dass der Bericht zu
einer Anzahl von insgesamt 430 000 Kleingärten kommt,
der Absender besagter Kritik - meines Wissens war das
Schreiben vom VGN - aber eine Zahl von über 780 000
in den Raum stellt. Ferner kann und darf der Vorwurf dieses Kritikers nicht lauten, der Regierung sei „das Gefühl,
was die Menschen hier im Osten bewege, verloren gegangen“.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, erledigen Sie
deshalb hier Ihre Hausaufgaben und überprüfen Sie die
Grundlagen und Ermittlungsformen des Gutachtens.
({7})
Aber bitte verspäten Sie sich nicht wieder in so ungehöriger Weise, sondern legen Sie uns die Ergebnisse dieser
kritischen Überprüfung diesmal zügig und pünktlich vor.
An die Adresse der PDS sei mir noch folgende Anmerkung erlaubt: Es gibt in diesem Lande gerichtliche Institutionen. Eine dieser gerichtlichen Institutionen ist das
Bundesverfassungsgericht mit seinem Sitz in Karlsruhe.
Ich kann Sie nur ermahnen, das, was dieses höchste Gericht für Recht erachtet, auch als solches anzuerkennen.
Wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner im November des vergangenen Jahres veröffentlichten Entscheidung zu dem Ergebnis kommt, dass die Nutzungsentgeltverordnung, was die Rechte der Nutzer betrifft, verfassungsgemäß ist, so gilt dieses Ergebnis auch für die
Damen und Herren der PDS.
Sie wissen sehr genau, dass mit diesem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts der Rahmen für weitere Änderungen zugunsten der Nutzer eher eingeschränkt denn
erweitert wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat einige Vorschriften des geltenden Rechts, die den Nutzer
begünstigen, als zu einseitige und daher die Grundstückseigentümer in verfassungsrechtlicher Weise belastende
Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14
Grundgesetz beanstandet. Hören Sie also damit auf,
meine Damen und Herren von der PDS, Forderungen zu
stellen, die rechtlich nicht erfüllbar sind.
Wir von der CDU/CSU haben immer die Auffassung
vertreten, dass zwischen Nutzern und Eigentümern eine
sozial ausgewogene und verfassungsgemäße Interessenlage geschaffen werden muss. Dies zu erreichen war Intention der von der CDU/CSU geführten Bundesregierung bei der Schaffung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes und der Nutzungsentgeltverordnung. Beides ist uns
sowohl nach dem Ergebnis des nun vorliegenden Berichts
als auch nach der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in weiten Teilbereichen gelungen. Ob
und inwieweit allerdings der vorliegende Bericht auf repräsentativen Umfragen beruht und deshalb verwertbar
ist oder nicht, werden wir im zuständigen Rechtsausschuss diskutieren und entscheiden müssen. EntsprechenAndrea Voßhoff
des habe ich bereits in der heutigen Ausschusssitzung angekündigt.
Vielen Dank.
({8})
Für Bündnis 90/Die
Grünen spricht der Abgeordnete Christian Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Voßhoff, Sie müssen sich schon entscheiden, ob
Sie dieses Gutachten zur Grundlage machen wollen oder
nicht. Zunächst sagten Sie, die Politik der alten Regierung
sei bei der Bemessung der Nutzungsentgeltverordnung
durch das Gutachten bestätigt worden, und danach erklärten Sie, Sie hielten das Gutachten für zweifelhaft und
wollten es erst einmal überprüfen.
Das Problem ist hier, dass seit Jahren immer wieder
Beschwerden von Grundstückspächtern kommen. Die
Gebäude auf diesen Grundstücken werden zumeist Datschen genannt - ein Ausdruck, der nicht aus der deutschen
Sprache kommt. Die Datschen hatten in der DDR eine
ähnliche Funktion wie in der früheren UdSSR: Das Privatleben vieler Bürgerinnen und Bürger hat sich auf Datschengrundstücken, also auf Kleingarten- oder ähnlichen
Grundstücken, abgespielt. Dies sollten wir achten. Hier
geht es nicht um ein paar Hundert oder ein paar Tausend
Menschen; davon sind mehr als eine Million Personen betroffen.
Es gab immer wieder Klagen darüber, dass diese
Datschengrundstücke nicht gehalten werden können, weil
die alten Eigentümer, die jetzt wieder Eigentümer geworden sind - es sind übrigens immer noch überwiegend
Kommunen, die die Datschen vergeben -, die Entgelte so
erhöht haben, dass die Leute die Grundstücke verlassen
und dadurch einen Teil ihres mühsam aufgebauten Privatlebens aufgeben müssen.
In dieser Situation hat man das Richtige beschlossen,
und eine Bestandsaufnahme gemacht. Die Bundesregierung hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Sie hat also
die Bestandsaufnahme nicht selber vorgenommen, sondern ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu prüfen, was
an diesen Beschwerden dran ist. Sie wollte klären, ob man
der Sache nachgehen und möglicherweise zu neuen Überlegungen kommen und Gesetze ändern muss. Das Gutachten des unabhängigen Instituts liegt uns, glaube ich,
seit Februar dieses Jahres vor.
Nun kann man sagen - das wird von den Vertretern der
Grundstücksnutzer auch vorgetragen -, dass das Gutachten nicht in Ordnung ist, dass es auf einer unzureichenden
Grundlage basiert und dass man daher die Schlussfolgerung nicht teilen kann. Solche Äußerungen sind von denjenigen verständlich, die dem Ergebnis dieses Gutachtens
letztlich ausgesetzt sind.
Das nimmt aber uns und die Bundesregierung nicht aus
der Pflicht, trotzdem ganz genau zu prüfen, ob Fehler in
den Gutachten vorhanden sind, ob die Statistiken auf einer ausreichenden Grundlage beruhen oder ob man noch
einiges gründlicher und gezielter hätte untersuchen müssen. Das werden wir auch tun, und zwar in den Ausschüssen. Wir werden das Ergebnis dem Plenum zur Kenntnis
bringen.
Schon jetzt ist aber klar - darauf hat der Kollege
Hacker bereits hingewiesen; insofern haben auch Sie
Recht -: Es gibt nicht eine Entscheidung, es gibt mehrere
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die besagen, dass das Recht des Grundstückseigentümers nicht
über die Maßen eingeschränkt werden darf. Da heißt es
zum Beispiel: Die öffentlichen Lasten müssen - anders
als es der Gesetzgeber bisher vorgesehen hatte - bei der
Bemessung der Entgelte, die die Nutzer der Grundstücke
zu zahlen haben, berücksichtigt werden. Es gibt dazu inzwischen insgesamt, wenn ich es richtig sehe, vier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die alle in
die Richtung gehen, die Rechte der Eigentümer stärker zu
betonen und die Rechte der Nutzer auf Entrichtung eines
geringen Entgelts und auf Bestandsschutz geringer zu bewerten.
Diese Abwägung müssen wir berücksichtigen; denn
das Bundesverfassungsgericht würde ein anderes, noch so
schönes Gesetz in ein, zwei Jahren wieder rückgängig machen. Damit wäre den Nutzern überhaupt nicht geholfen.
Deshalb ist es fahrlässig, den Nutzern heute zu sagen: Die
Bundesregierung und die Koalition versäumen das und
deshalb steht ihr ganz schlecht da; ihr könntet, wenn es
hier eine andere Regierung oder eine andere Mehrheit
gäbe, mit euren Entgelten viel günstiger dastehen. - Es
stellt sich die große Frage, ob das, wenn es einfach umgesetzt würde, vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde.
Deshalb sagt die rot-grüne Koalition: Wir prüfen das
Gutachten genau. Wir alle erhalten auch Beschwerdebriefe, denen wir selbstverständlich nachgehen werden.
Möglicherweise muss eine neue Entscheidung aufgrund
einer veränderten Grundlage getroffen werden.
Eines ist ganz sicher: Wir werden die Rechte der Nutzer und das legitime emotionale Festhalten an solchen
Grundstücken und dem Leben auf den Grundstücken besonders im Auge haben, und zwar gerade deshalb, weil
sehr viele Grundstücksnutzer offenbar ältere Menschen
sind. Über 70 Prozent der Grundstücksnutzer sind über
60 Jahre alt und wollen das, was sie zu DDR-Zeiten häufig sehr mühsam aufgebaut haben, jetzt noch einige Jahre
genießen. Wir wollen ihnen den Lebensabend nicht kaputtmachen, indem wir zulassen, dass sie ohne Not von
diesen Grundstücken vertrieben werden.
Wir werden das Gutachten prüfen, Überlegungen anstellen und Änderungsvorschläge vorlegen. Wir werden
dabei genau hinsehen, ob wir den Nutzern wirklich helfen
oder ob wir ihnen nur Steine statt Brot geben, indem wir
ihnen etwas geben, von dem das Bundesverfassungsgericht anschließend sagt: Das haut nicht hin; hier werden
die Rechte der Eigentümer zu gering bewertet. Davon haben sie nichts.
Hören Sie also auf mit Versprechungen! Schließen Sie
sich uns an! Lassen Sie uns das ganz genau überprüfen
und dann im Interesse dieser über 1 Million Menschen in
den neuen Bundesländern zu einer vernünftigen und gerechten Regelung kommen!
({0})
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Rainer Funke.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Bericht der Bundesregierung vom
9. Juni 2000, der in der Tat verspätet gekommen ist, kann
kein Grund für Aufgeregtheiten sein. Vielmehr zeigt dieser Bericht, dass die bisherigen Regelungen zur Nutzungsentgeltverordnung richtig gewesen sind und insbesondere zu einem vernünftigen Ausgleich zwischen Eigentümern und Nutzern geführt haben. Schon die alte
Bundesregierung hat mit der Nutzungsentgeltverordnung
eine Regelung für einen vernünftigen Ausgleich zwischen
den berechtigten Interessen von Eigentümern und Nutzern getroffen. Ich freue mich natürlich, dass dies in dem
ausführlichen Bericht der Bundesregierung anerkannt
wird.
({0})
Die Nutzungsentgeltverordnung hatte unter anderem
die Aufgabe, erst einmal einen Markt für derartige Grundstücke zu entwickeln und eine differenzierte Preisentwicklung bei den Nutzungsentgelten zu fördern. Dies ist
nach dem Bericht und auch nach unseren Erfahrungen im
Großen und Ganzen gelungen. Herr Hacker hat bereits darauf hingewiesen, dass sich gewisse Marktpreise eingependelt haben. Darüber bin ich sehr froh. Insbesondere ist
es durch die Gutachterausschüsse gelungen, mehr Markttransparenz zu erreichen. Hierfür bin ich den vielen Mitarbeitern der Gutachterausschüsse sehr dankbar.
({1})
Wo Licht ist, gibt es natürlich auch Schatten, insbesondere dort, wo wegen eines geringen Angebots an entsprechenden Grundstücken - zum Beispiel wegen der geringen Größe oder einer besonders schönen Lage - es
noch nicht möglich gewesen ist, einen Markt mit Angebot
und Nachfrage entstehen zu lassen. Hier fehlt es noch an
richtigen Marktverhältnissen. Man muss die weitere Entwicklung abwarten. Zusätzliche staatliche Regulative
würden eher schaden als nutzen.
All die Horrorszenarien, die noch bei der Verabschiedung der Nutzungsentgeltverordnung 1997 hier in diesem
Hause zum Beispiel von der jetzigen Bundesjustizministerin an die Wand gemalt worden sind, sind Gott sei Dank
nicht Realität geworden.
({2})
- Ich will Herrn Hacker gar nicht erwähnen; denn wir
wollen keine Schärfe in die Debatte bringen. Es reicht
doch, wenn ich die Justizministerin nenne.
Die Übergänge von Nutzungsverhältnissen insbesondere von der älteren auf die jüngere Generation sind - das
zeigt auch der Bericht - weitgehend konfliktfrei abgewickelt worden. Die Preiserhöhungen sind moderat, wenn
ich bedenke, dass sich die Entgelte für die vor dem 3. Oktober 1990 abgeschlossenen Nutzungsverhältnisse bei
durchschnittlich 673 DM im Jahr bewegen - das sind
1,17 DM pro Quadratmeter - und die Nutzer nur 1,6 Prozent ihres Haushaltseinkommens aufwenden müssen.
Dass die Entgelte nach der Nutzungsentgeltverordnung deutlich niedriger als die frei vereinbarten Nutzungsentgelte sind, ergibt sich aus den Marktverhältnissen. Dies ist eine ganz natürliche Entwicklung. Wir alle
haben dies damals gewollt. Es hat sich herausgestellt, dass
diese Entwicklung auch eingetreten ist. Aber auch diese
Entgelte sind mit 2,12 DM pro Quadratmeter durchaus angemessen.
Ich bin auch froh darüber, dass bei einem Wechsel von
einem Nutzer eines Grundstücks auf den anderen weder
unter den Nutzern - Altnutzern und Neunutzern - noch
zwischen Nutzern und Eigentümern wesentliche Probleme entstanden sind, insbesondere auch nicht hinsichtlich der früher einmal sehr streitigen Frage der Entschädigung bei einem Abriss von Gebäuden. Auch dort gibt es
praktisch kaum größere Auseinandersetzungen.
Lassen Sie mich deswegen sagen, dass sich die Nutzungsentgeltverordnung insgesamt bewährt hat. Dies
kommt auch im Bericht der Bundesregierung zum Ausdruck. Wenn sich im weiteren Verlauf, insbesondere bei
der Überprüfung dieses Gutachtens, herausstellen sollte,
dass zwischen Nutzern und Eigentümern Regelungsbedarf besteht, werden wir im Parlament konstruktiv an Lösungen mitwirken. Der Bericht der Bundesregierung zeigt
jedoch, dass kein wesentlicher Regelungsbedarf vorliegt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Wir kommen nun
zum ersten Redebeitrag der Kollegin Lucyga.
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine beiden Vorredner wie auch mein Kollege Hacker haben dieses Thema
sehr solide und seriös dargestellt. Ich kann allerdings
nicht verhehlen, dass ich bei der Ankündigung dieser Aktuellen Stunde den Eindruck hatte: Hier eröffnet die PDS
das Sommertheater. Das Thema dieser Aktuellen Stunde
lautet nämlich: „Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen Kritik am Bericht der Bundesregierung über die
Wirkungen der Nutzungsentgeltverordnung“. Ich hoffe,
dass solche Satzungetüme nicht stilprägend für dieses
Haus werden.
({0})
Ich möchte ungern ein Wörterbuch für schlechtes Deutsch
mit Beispielen aus dem deutschen Parlament in Händen
halten.
Aber nun will ich zur Sache selbst kommen. Was hier
so wortgewaltig, so verbal aufgebauscht daherkommt, das
stellt sich bei näherem Hinsehen als ein ganz alltäglicher
Vorgang heraus, zu dem das letzte Wort übrigens noch gar
nicht gesprochen wurde. Die öffentliche Kritik besteht
vorerst in der Stellungnahme eines Verbandes, des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer, der das tut, was jeder Lobbyist in vergleichbaren Fällen macht: die Position
seiner Klientel in eigener Sache darstellen. Das ist legitim
und gehört zum demokratischen Selbstverständnis.
Zur Demokratie gehört aber genauso, dass die Position
der übrigen Betroffenen in dieser Angelegenheit ebenfalls
zur Sprache kommt und in die Abwägung der Interessen
aller Seiten mit einbezogen wird; denn nur so kann es zu
einer ausgewogenen Regelung kommen, die weder, wie in
diesem Falle, die Grundstücksnutzer noch die Verpächter,
zu denen übrigens überwiegend Kommunen und kommunale Einrichtungen in den neuen Ländern zählen, überfordert.
Um diesen Interessenausgleich bemüht sich die Bundesregierung. Sie hat sich dabei zunächst an den Beschlüssen und Maßgaben der Justizminister der neuen
Länder orientiert. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter
der gemeinsamen Leitung des BMJ und des Justizministeriums Brandenburg hat dazu seit Mai 1999 Daten zusammengetragen und Änderungsvorschläge erarbeitet.
Um die absehbaren Wirkungen solcher auch von uns gewollten und beabsichtigten Änderungen an der Nutzungsentgeltverordnung bewerten zu können, wurden Fakten
gesammelt und aufbereitet. Dies geschah durch das nun
vorliegende Gutachten eines renommierten Forschungsinstituts.
Die SPD-Fraktion ist von jeher vehement für die Verbesserung der Rechtsstellung der Nutzer eingetreten und
hat dies in zahlreiche parlamentarische Aktivitäten umgesetzt. Dankenswerterweise haben Sie dies auch erwähnt,
Frau Kenzler. Wir haben keinen Grund, unsere Position
infrage zu stellen. Deshalb haben wir uns Anfang 1999
mit der Zielrichtung einer nutzerfreundlichen Verbesserung von Bundesrecht an ein Gesamtpaket gemacht, das
dem Thema „Nutzerschutz in den neuen Ländern“ gerecht
wird und dazu den Ausgleich zwischen konkurrierenden
Interessen von Nutzern und Eigentümern schafft, was gar
nicht so einfach ist. Es geht immerhin um Gerechtigkeit
für beide Seiten.
Ich möchte noch einmal ins Gedächtnis rufen, was
manchmal unter den Tisch fällt oder nicht so ganz wahrgenommen wird: Es geht eben nicht um einen Ost-WestKonflikt - das wird ja oft unterstellt -, sondern es geht zunehmend um den Konflikt ostdeutscher Eigentümer, insbesondere um den von Städten und Gemeinden, mit
ostdeutschen Nutzern. Das sind konkurrierende Interessen, die in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden müssen.
Daher kann die Diskussion über die Wirkung der
Nutzungsentgeltverordnung sowie über notwendige Änderungen sachgerecht nur unter Berücksichtigung der
einschlägigen tatsächlichen Verhältnisse sowie des verfassungsrechtlichen Rahmens für einen gerechten Interessenausgleich zwischen Eigentümern und Nutzern geführt werden. Genau das hat das Gutachten, das hier
Gegenstand der Debatte ist, wohl geleistet. Hier wurde
gründlich und korrekt gearbeitet.
Wenn Sie, Frau Voßhoff, anmerken, dass das Ganze so
lange gedauert hat, bin ich fast in Versuchung zu sagen:
Man musste ja auch so lange nach den Akten suchen;
({1})
aber das werde ich mir lieber verkneifen, denn es wird
dem Ernst der Sache nicht gerecht.
Alles Weitere, so beispielsweise die von den Nutzerverbänden angemeldete Kritik an der Qualität der Datensammlung, werden wir selbstverständlich ebenfalls
nochmals prüfen. Das entspricht unserem parlamentarischen Selbstverständnis.
Fortsetzung folgt.
Danke, Herr Präsident.
({2})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Dr. Michael Luther.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS stimmt
heute wieder einmal ein großes Geschrei um die Nutzungsentgeltverordnung an.
({0})
- Dafür sind Sie ja da, um das Ganze zu verstärken. Mich
hätte es auch gewundert, wenn Sie es nicht gemacht hätten; denn das liegt in Ihrer Tradition. Sie verunsichern seit
Jahren Nutzer und Grundstückseigentümer, indem Sie ihnen einfach nicht die Wahrheit erzählen.
Es ist auch nicht einfach; das will ich zugeben. Wir haben hier ein sehr schwieriges Problem vor uns liegen.
Nach Herstellung der deutschen Einheit war es dem Gesetzgeber aufgegeben, zwei unterschiedliche Rechtssysteme zusammenzuführen. Dabei war natürlich klar zu sehen, dass hier völlig gegenläufige Interessen aufeinander
stoßen, nämlich die der Grundstückseigentümer und die
der Nutzer.
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben uns damals in der Koalition mit der F.D.P. gemeinsam darum
bemüht, einen Interessenausgleich zu schaffen,
({1})
gerechte Lösungen zu suchen, den Schutz der Interessen
ganz besonders der Grundstücksnutzer zu sichern. Ich erinnere daran, dass die Wochenendgrundstücksnutzer
25 Jahre nach der deutschen Einheit noch einem besonderen Schutz unterliegen, also bis 2015. Damit wurde
schon sehr weit gehend in das Recht des Grundstückseigentümers eingegriffen. Das ist aber im Interesse des Nutzers richtig. Wir haben durch unsere Redebeiträge hier im
Deutschen Bundestag oder außerhalb des Deutschen Bundestages versucht, für die rechtliche Situation zu werben
und uns um Befriedung zu kümmern.
Die PDS hat - das habe ich schon gesagt - stets zur
Verunsicherung beigetragen. Anstatt die innere Einheit zu
fördern, hat sie das Ganze auf einen Ost-West-Konflikt
zurückgeführt, der letztendlich kein Ost-West-Konflikt
ist. Aber das sei einmal dahingestellt.
Zur SPD ist allerdings zu sagen - Herr Hacker, ich
schaue Sie an; mich hat Ihre Rede heute schon sehr verwundert -: Sie sind der PDS auf den Leim gegangen. Das
muss man deutlich sagen. Ich habe nicht vergessen, was
die SPD am 15. Mai 1997 - es war ein Donnerstag - im
Bundestag zur Nutzungsentgeltverordnung gesagt hat.
Sie wollten damals die Nutzungsrechte sozialverträglicher ausgestalten und meinten, dass die Nutzer durch das
Schuldrechtsanpassungsgesetz und durch die Nutzungsentgeltverordnung ungerecht behandelt worden sind.
({2})
Sie haben eine weitere Verbesserung der Rechtsstellung der Nutzer gegenüber den Grundstückseigentümer
angemahnt. Ich erinnere mich an Veranstaltungen, die ich
gemeinsam mit der Bundestagskollegin Frau DäublerGmelin beim VDGN hier in Berlin absolviert habe. Dort
hat sie genau diese Forderungen laut verkündet.
Ich erinnere mich auch daran, dass der Kollege Rolf
Schwanitz bei einer Veranstaltung desselben Verbandes in
Chemnitz 1998 - nicht etwa wie Sie, Herr Hacker, der Sie
heute für die Rechtsstaatlichkeit geworben haben - voll
gegen das Schuldrechtsanpassungsgesetz und die Nutzungsentgeltverordnung votiert und Versprechungen abgegeben hat.
({3})
- Ich kann bloß sagen, was Herr Schwanitz und Frau
Däubler-Gmelin auf öffentlichen Veranstaltungen außerhalb des Deutschen Bundestages gesagt haben.
({4})
Manchmal würden sich Frau Däubler-Gmelin, Herr
Hacker und Herr Schwanitz, glaube ich, wünschen, die
Rede gehalten zu haben, die ich am 15. Juli 1997 hier gehalten habe. Ich empfehle sie zur nachträglichen Lektüre.
Lesen und lernen!
({5})
Ich brauche mich nicht zu verbessern, weil ich heute das
gleiche wie damals sage.
Damals bestand ein gewisser Änderungsbedarf, der
sich auf eine IFS-Studie bezog. Nach den ersten Erfahrungen im Umgang mit der Nutzungsentgeltverordnung
haben wir diese damals entsprechend angepasst. Dabei
brauchten wir keine grundsätzlichen Prinzipien über Bord
zu werfen, wie zum Beispiel das Prinzip der Ortsüblichkeit. Wir haben allerdings Verbesserungen in den Fragen
erreicht, wie Ortsüblichkeit festgestellt werden kann, sowie dadurch, dass der Grundstückseigentümer Erhöhungsverlangen schriftlich erläutern und begründen
muss. Eine Verbesserung stellte auch dar, dass die Beweispflicht beim Grundstückseigentümer und die Auskunftspflicht bei den Gutachterausschüssen liegt.
Die heutige IFS-Studie stellt fest, dass die Verbesserungen, die nach der damaligen IFS-Studie vorgenommen
wurden, ausreichend sind und kein weiterer Änderungsbedarf besteht. Damit wird die Politik bestätigt, die die
CDU/CSU und die F.D.P. im Deutschen Bundestag in der
letzten und vorletzten Legislaturperiode gemacht haben.
Deswegen können wir die Studie insgesamt nur begrüßen.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht auf die Notwendigkeit der Rechtsstaatlichkeit der Gesetzgebung hingewiesen hat, haben Sie, meine Damen und Herren von
der SPD, jetzt aber die Schwierigkeit, dass Sie die Versprechen, die Sie den Menschen vor der Wahl gegeben haben, wieder einsammeln müssen, weil Sie sie nicht halten
können. Sie sind angehalten, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Dabei wünsche ich Ihnen
viel Spaß.
({6})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Franziska
Eichstädt-Bohlig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich dem VDGN und seinem Präsidenten Beleites ein Kompliment für die engagierte Lobbyarbeit dieses Verbandes im Interesse der ostdeutschen
Kleingärtner und Datschennutzer machen.
({0})
Ich finde, diesen Respekt soll man dem Verband durchaus
zollen.
Als Zweites möchte ich aber sehr deutlich sagen: Ich
finde es nicht sehr gut, dass die PDS wieder meint, sie
müsse einseitig ostdeutsche Regionalpolitik betreiben
und Ost gegen West ausspielen.
({1})
Ich denke, Sie sollten überlegen, inwieweit es in Ihre politische Verantwortung fällt, die Ausgewogenheit bei
Rechtsinstrumenten, denen widerstreitende Interessen zugrunde liegen, zum Politikprinzip zu machen und nicht
einfach nur in eine Richtung draufzuhauen und in der anderen Richtung Lobbyarbeit zu machen.
({2})
Ich sage das auch im Hinblick auf einige Briefe aus Westdeutschland, die wir bekommen haben, in denen eine Art
Gegenbedürfnis, West gegen Ost bzw. Ost gegen West
auszuspielen, zum Ausdruck kommt. Es wird erklärt, mit
Datschen und Kleingärten hätten sich alte Garden irgendwelche Privilegien verschafft. Ich wünsche mir, dass wir
endlich eine Politik betreiben, die dieses GegeneinanderAusspielen nicht mehr zum Gegenstand hat, und zwar in
beide Richtungen, und setze mich dafür auch ein.
Ich möchte zu dem vom BMJ vorgelegten Gutachten
noch Folgendes sagen: Ich kann nicht beurteilen, ob die
Methode richtig und angemessen ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang das Ministerium bitten, darüber entweder heute oder in Kürze Auskunft zu geben. Mir wäre
wichtig, dass die zu Recht oder zu Unrecht betriebene Legendenbildung aus der Welt geschafft wird und keine weitere Kritik mehr im Raum stehen bleibt.
Das Gutachten deutet an einigen Stellen gesetzgeberischen Handlungsbedarf an. Probleme bereitet offenbar
die Frage der Ortsüblichkeit als Bewertungskriterium für
die Höhe des Nutzungsentgelts und das Fehlen gesetzlicher Schutzvorschriften wie im Mietrecht. Von daher werden einige Punkte angemahnt. Es wird auch dargestellt,
dass es sehr viel stärkere Brüche auf dem Markt gibt und
dass Erhöhungsverlangen oft nicht erläutert werden. Insofern sollten wir nicht vorschnell urteilen, sondern zuerst
eine abschließende Bewertung vornehmen.
Die Luft ist aus dem Thema aber auch deswegen raus,
weil die Bodenpreisentwicklung anders verlaufen ist, als
wir es in der letzten Legislaturperiode - durchaus strittig
zwischen damaliger Koalition und jetziger Koalition vorausgesehen haben. Deswegen liegen die Interessen angesichts der moderaten Weiterentwicklung der Verkehrswerte nicht mehr so weit auseinander. Man kann weitgehend - vielleicht nicht in allen Punkten - mit der geltenden Nutzungsentgeltverordnung leben. Hier bitte ich das
Ministerium, das noch einmal zu prüfen.
Egal wie die Entscheidung ausfällt - entweder muss
noch nachgearbeitet werden oder man kann weitgehend
damit leben -, mir ist es wichtig - das habe ich auch bei
den Diskussionsbeiträgen so verstanden -, dass es ein
ausgewogenes Instrument wird oder sogar bleibt, wobei
auf der einen Seite die Interessen der ostdeutschen Datschennutzer und Kleingärtner vertreten und auf der anderen Seite die Interessen der Eigentümer angemessen austariert werden. Darauf hat Frau Kollegin Lucyga völlig zu
Recht hingewiesen. Es geht nicht nur um westdeutsche
Eigentümer, sondern auch um ostdeutsche. Glücklicherweise mischt sich zehn Jahre nach der Vereinigung unser
gemeinsames Land.
In diesem Sinne wird sich unsere Fraktion für die Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der Nutzungsentgeltverordnung einsetzen.
({3})
Für die Fraktion der
PDS gebe ich der Kollegin Christine Ostrowski das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Fakt eins. Die Bundesregierung war
zweifelsohne lange Zeit untätig. Sie war nach ihrer eigenen Meinung deshalb untätig, weil die empirische Basis
fehlt, um zu beurteilen, ob die Nutzungsentgeltverordnung weiterhin Bestand haben kann oder nicht. Wir merken uns einmal: empirische Basis.
({0})
Sie hat dann ein Gutachten erstellen lassen. Dieses lag
erst einmal ein wenig auf Eis. Dann ging es holterdiepolter und ganz schnell wurde ein Kabinettsbeschluss gefasst. Im Bericht können wir lesen, dass alles so bleiben
soll, wie es ist. Grundlage hierfür ist das Gutachten und
sind nicht die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes.
Fakt zwei. Wir stehen hier vor zwei völlig konträren
Auffassungen. Auf der einen Seite gibt es ein Gutachten,
das unter anderem besagt, dass die Durchschnittseinkommen der Nutzer über dem Durchschnitt liegen. Es besagt, dass das durchschnittliche Nutzungsentgelt 1,47 DM
beträgt und dass bei einer Aufgabe des Grundstückes die
finanziellen Gründe nachrangig sind. Auf der anderen
Seite gibt es die Auffassung des VDGN, der alles heftig
bestreitet und faktisch auch nachweist. Wir stehen mittendrin und fragen: Wem glauben wir nun? Man kann allen möglichen glauben. Ich habe Vertrauen zum VDGN.
Man kann doch keinen Verband, der 300 Mitgliederverbände und 60 000 Mitglieder hat, einfach vom Tisch wischen.
({1})
Mich wundert es, dass die Bundesregierung, da sie diese
eklatanten Widersprüche kennt, nicht von selbst sagt: Lieber VDGN, lieber Herr Beleites - das ist doch Ihr Parteifreund -, kommt an unseren Tisch und lasst uns die Sache
klären. Ich habe voller Freude gehört - Herr Hacker, Herr
Ströbele -, dass Sie nachdenklicher geworden sind und
versprochen haben, dass Sie dieses Gespräch suchen. Das
halte ich für richtig.
Fakt drei. Man kann die Methode, die in dem Gutachten angewendet wurde, entweder kritisieren - das macht
der VDGN - oder bestätigen. Wie auch immer, eines steht
fest: Eine empirische Basis liefert das Gutachten nicht.
({2})
Genau das war die Begründung der Bundesregierung.
Denn die Gutachter haben nichts anderes als eine telefonische Befragung gemacht. Aus den anfangs 9 000 Menschen, die angerufen worden sind, sind letzten Endes
284 Grundstücksnutzer geworden - mehr nicht. Diese
wurden angerufen und haben eine Aussage gemacht. Es
ist keine empirische Datensammlung vonstatten gegangen.
Fakt vier. Apropos Empirik. Es gibt - das wissen Sie
auch; denn Sie haben die Briefe bekommen - von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Ermittlungen des Nutzungsentgelts. Hiervon gibt es Hunderte.
Das ist Empirik. Man kann einige Beispiele anführen: In
Berlin-Grünau liegt es bei 9,36 DM, in Dolgenbrodt liegt
es bei 7 DM; es gibt Orte, bei denen es sogar bei 5 DM
liegt. Gut: Der Teich war einen Meter tief und die Kuh ist
darin ersoffen.
Das heißt, wir wissen es nicht genau. Deshalb müssen wir
es prüfen.
({3})
Auf alle Fälle sind Zweifel daran anzumelden, ob das statistische Mittel tatsächlich bei 1,47 DM liegt.
({4})
Fakt fünf. Sie hatten im Wahlkampf tatsächlich
Großartiges versprochen. Ich habe das selber miterlebt.
Der jetzige Parlamentarische Staatssekretär Scheffler hat
in seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender
des VDGN heftige pseudorevolutionäre Leitartikel darüber geschrieben, wie die Bundesregierung bezüglich der
Frage der Nutzungsentgelte zukünftig handeln werde.
Das sei alles dahingestellt; denn mich hat vorhin einer Ihrer Zwischenrufe, Herr Hacker, stutzig gemacht. Als Kritik geäußert wurde, haben Sie gerufen: „Solide Politik!“
Nun frage ich Sie: Wo bleibt denn da die Logik? Wenn Sie
behaupten, eine solide Politik könne man nur auf einer
empirischen Basis machen - ich folge einmal Ihrer Logik;
das Gutachten ist zwar keine empirische Basis, aber wir
nehmen einmal an, dass es so wäre -, dann muss ich Sie
fragen: Was haben Sie dann im Wahlkampf gemacht?
({5})
Die Tatsache, dass Sie im Wahlkampf trotz fehlender empirischer Basis viel versprochen haben, lässt nur den logischen Schluss zu, dass Sie damals keine solide Politik gemacht haben.
({6})
- In der Aktuellen Stunde sind keine Zwischenfragen
zulässig; das bedauere ich sehr.
Zum Schluss möchte ich aus einem Brief zitieren, der
dem Herrn Bundeskanzler geschickt worden ist. Er fängt
an mit:
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Genosse
Schröder! Vor der letzten Bundestagswahl anlässlich
einer Großveranstaltung des VDGN am Soundsovielten in der Berliner Kongresshalle hatte sich Frau
Däubler-Gmelin vehement gegen eine weitere Erhöhung der Nutzungsentgelte und für die Wahrung
der Vermögensrechte der Grundstücksnutzer ausgesprochen. Vor allem aber hatte sie die Hoffnung der
ostdeutschen Grundstücksnutzer geweckt, eine SPDgeführte Regierung würde die Dinge rasch zum Besseren wenden, was sich auch im konkreten Wahlverhalten vieler ostdeutscher Grundstücksnutzer widerspiegelt.
Meine Befürchtung ist, dass Sie die Vertretung der Interessen wechseln wie Ihre Hemden:
({7})
Im Wahlkampf haben Sie Lobbyarbeit gemacht, um
Wählerstimmen zu gewinnen. Aber jetzt, nachdem Sie an
der Regierung sind, sind Sie vielleicht doch ein bisschen
mehr auf der Seite der Alteigentümer. Wenn dem so wäre,
dann würde ich das für sehr bedauerlich halten. Es hätte
mit einer soliden Politik jedenfalls nichts zu tun.
({8})
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Christine Lucyga
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Da ich in der ersten Runde nicht die
gesamte Redezeit meiner Arbeitsgruppe für meine Rede
in Anspruch nehmen konnte, setze ich nun meine angefangene Rede fort und bringe sie zu Ende.
Zuvor möchte ich Ihnen, Frau Ostrowski, sagen, dass
Sie etwas vorsichtiger sein müssen, wenn Sie Ihrem
Feindbild SPD, das Sie neuerdings haben, zu sehr die Zügel schießen lassen. Wir haben im Wahlkampf vor allen
Dingen zugesagt, die Verhältnisse zu prüfen und notfalls
die notwendigen Angleichungen vorzunehmen. Genau
das ist geschehen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir prüfen werden,
ob die Kritik der Nutzerverbände an der Qualität der Datensammlung angebracht ist. Für Datensammlungen ist es
typisch, dass die statistischen Ausrutscher nach oben und
unten herausfallen und dass sie nur einen Querschnitt darstellen. Wir werden - das entspricht unserem parlamentarischen Selbstverständnis - die Vorwürfe sehr sorgsam
prüfen. Allerdings stehen uns schon jetzt ausreichend Daten zur Verfügung, die darauf hinweisen, dass korrekte
Maßstäbe angelegt wurden, und die empirisch die Anschauung vor Ort bestätigen, dass sich die Situation seit
1992/93 eben doch verändert hat. Das lässt sich letztendlich nicht leugnen. Die Situation der Grundstücksnutzer in
den neuen Bundesländern ist nicht mehr so wie im Jahre
1992. Das Gutachten belegt, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Das nunmehr vorliegende Urteil
des Bundesverfassungsgerichts hat deutlich gemacht,
dass der verfassungsrechtliche Rahmen ausgeschöpft ist.
Die Fakten haben sich geändert.
Ich möchte noch einmal auf den vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer angeführten Antrag der Stadt
Bernau vom 11. August 1998 hinweisen, mit dem die
Stadt Bernau auf eine weitere Erhöhung der Nutzungsentgelte verzichtet, weil sie befürchtet, dass anderenfalls
der Grundstücksmarkt aus dem Gleichgewicht geraten
könnte, was negative Folgen für die gesamte Gemeinde
hätte. Es passiert also im wohlverstandenen Eigeninteresse, dass schon an dieser Stelle regulierende Mechanismen greifen.
Wir werden uns weiterhin - Frau Eichstädt-Bohlig und
auch andere haben darauf hingewiesen - mit dem Begriff
der Ortsüblichkeit auseinander zu setzen haben. Wir meinen aber, dass mit den befürchteten weiteren sprunghaften
Anstiegen beim Nutzungsentgelt nicht mehr zu rechnen
sein wird, eben weil niemand ein Interesse daran haben
kann, den Nutzer zu überfordern, den Grundstücksmarkt
aus der Balance zu bringen und - vor allen Dingen - einen einmal erreichten Konsens zu gefährden. Im Gegenteil: Das, was uns das Verfassungsgerichtsurteil vom
Herbst vergangenen Jahres aufgetragen hat, ist und bleibt
der Ausgleich der Interessen beider Seiten. Diesen Auftrag werden wir in nutzerfreundlicher Form und vor allem
immer im Konsens mit den neuen Ländern, die ganz stark
mit im Boot sitzen, auszugestalten haben.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Rainer Eppelmann von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses
Thema - es hat uns, zumindest in diesem Bereich, schon
mehrmals beschäftigt und tut das heute sicherlich nicht
zum letzten Mal - beinhaltet ein Stück Last von Teilungsgeschichte. Auch bei anderen Fragen - Rückgabe vor
Entschädigung, Lohn- und Rentenangleichung, gleiche
Lebenschancen und Lebensmöglichkeiten - ist das so. Bei
all diesen Themen erleben wir immer wieder, dass selbst
bei bestem Willen des Gesetzgebers nicht immer eine
Chance besteht, das Problem für alle gleichermaßen
zufrieden stellend zu regeln. Diese Grundsatzbemerkung
halte ich für wichtig.
Denjenigen, die die Verhältnisse in den neuen Bundesländern an dieser Stelle nicht so genau kennen, muss deutlich gesagt werden, dass in weit mehr als 90 Prozent der
Fälle der Eigentümer von Boden nicht identisch mit dem
Eigentümer dessen ist, was auf diesem Boden steht. Nach
meiner Kenntnis ist das in den alten Bundesländern erheblich anders. Damit möchte ich klar machen, dass das
ein großes Problemfeld ist.
Wie so oft im Leben konnten sich die Betroffenen leider nicht gütlich einigen; das wäre wahrscheinlich das
Gescheiteste gewesen. Nach der Entscheidung von Karlsruhe hat der Gesetzgeber daraufhin eingegriffen. Er hat
versucht zu regeln; dies hat er zumindest grundgesetzkonform getan. Die in Auftrag gegebene Expertise soll
den Eindruck vermitteln - das ist meine Befürchtung -, alles sei in Ordnung, man könne es beim Status quo belassen und die Bücher zumachen, weil Karlsruhe gesagt hat:
Das ist grundgesetzkonform. - Dies darf nicht passieren.
({0})
Beide Seiten - diejenigen, denen der Boden gehört,
und diejenigen, denen das Häuschen gehört - haben meiner Meinung nach für ihre Position verständliche Gründe.
Jeder will sein Recht und das ist eben nicht in jedem Fall
konfliktfrei zu vereinbaren. Ich hoffe, dass wenigstens
heute deutlich werden kann: Dieses Thema ist noch nicht
abgeschlossen. Es wird uns noch so lange beschäftigen,
wie der Eigentümer oder der Nutzer mit der heutigen Situation noch nicht einverstanden ist. Ich befürchte, es
wird auch weiterhin in den allermeisten Fällen nicht so
sein, dass sich beide Seiten einvernehmlich persönlich einigen können. Der Gesetzgeber wird an dieser Stelle also
weitermachen müssen.
({1})
- Ja, so ist das. Darauf bin ich sogar stolz.
Die Praxis zeigt meiner Meinung nach - dafür gibt es
eine Fülle von Beispielen; ich denke auch an Zeitungsberichte vom Juni dieses Jahres -, dass das selbstständige
Gebäudeeigentum auf fremden Grund und Boden den
gleichen dinglichen Schutz wie das Grundeigentum erhalten müsste, zumindest dann, wenn es zum Konflikt
kommt. Nach dem gegenwärtigen Rechtsstand ist der
Nutzer eines Grundstücks, der davon keinen Gebrauch
mehr machen kann, sehr viel schwächer als der Eigentümer des Bodens. In einem solchen Fall kann der Nutzer
eigentlich nur noch verlieren oder er ist auf die Gnade der
anderen angewiesen.
Ich frage auch: Wie ist es mit dem Kündigungsschutz?
Kann der so bestehen bleiben oder muss er aufgehoben
werden, damit deutlich wird, dass es nicht nur um den
Schutz und die Rechte der Nutzer geht, sondern auch um
das Recht der Eigentümer?
Eine letzte Frage möchte ich noch stellen. In diesem
Zusammenhang denke ich an Vergleichbares, das ich selber schon erlebt habe. Müsste das Nutzungsentgelt nicht
nach dem Zustand berechnet werden, in dem der Nutzer
ein Grundstück ursprünglich einmal übernommen hat? Im
Mietrecht zumindest ist es so.
({2})
Ich kann mich daran erinnern, dass wir in eine Wohnung
eingezogen sind, in der nur Kachelöfen standen.
({3})
- Nein, erst nach der deutschen Einheit bin ich in diese
Wohnung gezogen. Sie müssen mich die Geschichte erst
einmal zu Ende erzählen lassen. Sie sollten jetzt nicht dazwischenreden und den Redner stören.
Ich erzähle jetzt bloß, was ich selber - darauf lege ich
Wert - in den 90er-Jahren erlebt habe. Wir zogen also in
eine Wohnung, in der bloß Kachelöfen waren. Das war
mir angesichts von sechs Zimmern ein bisschen zu viel
Arbeit.
({4})
- Bei einer Familie mit fünf Kindern ist das ja wohl erlaubt, nicht?
({5})
- Die lassen mich meine schöne Geschichte nicht zu Ende
erzählen. Das ist einfach ärgerlich.
Wir haben also die Kachelöfen auf eigene Kosten herausreißen lassen und eine zentrale Heizungsanlage eingebaut. Solange wir in dieser Wohnung gewohnt haben - wir
würden dort heute noch wohnen, aber da wir inzwischen
weniger Kinder zu Hause haben, sind wir ausgezogen -,
wurde uns immer die Miete für eine Kachelofenwohnung
berechnet. Unser Nachmieter hat logischerweise die
Miete für eine Wohnung mit Zentralheizung bezahlen
müssen.
Dieses Beispiel verdeutlicht, was ich damit meinte,
dass sich das Nutzungsentgelt nach dem Zustand, in dem
einer das Grundstück erworben hat, richten sollte. Manche haben ja auf eigene Kosten eine Hütte darauf gesetzt
und werden jetzt noch dafür bestraft, indem sie mehr
Miete bezahlen müssen.
Ich wollte an diesem konkreten Beispiel nur deutlich
machen, dass auch innerhalb einer grundgesetzkonformen Regelung an dieser Stelle noch Handlungsbedarf
nötig und auch möglich ist.
Ich danke Ihnen.
({6})
Als nächster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Eckhart Pick das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Herr Kollege Eppelmann, das neue Mietrecht
der Bundesregierung wird alle diese Fragen lösen.
({0})
Nach dieser Abschweifung zum Thema: Mich hat in
der heutigen Diskussion einiges gewundert. Zunächst
einmal hatten wir uns heute im Rechtsausschuss verständigt, die Diskussion über den Bericht der Bundesregierung zu verschieben. Frau Dr. Kenzler, Sie waren anwesend.
({1})
- Aber eine Ihrer Kolleginnen war doch hoffentlich anwesend. - Da ist einmütig Ihrer Forderung entsprochen
worden, vorher noch eine Genese des Gutachtens und des
Berichts der Bundesregierung zu erstellen. Wir nehmen
jetzt einiges vorweg.
Bei der Diskussion wunderte mich ein Weiteres: Man
macht der Politik häufig zum Vorwurf, dass sie nur Lösungen aus dem Bauch bringt. Wir haben einmal einen anderen Weg beschritten, indem wir versucht haben,
rechtstatsächliche Grundlagen zu finden. Wir haben ein
Gutachten erstellen lassen, - auf das ich gleich noch zu
sprechen komme - und dies vorbehaltlos - nämlich als
Anhang zu unserem Bericht, der öffentlichen Diskussion
überantwortet. Jeder und jede mag daraus seine oder ihre
Schlüsse ziehen, genauso wie das die Bundesregierung
und jede Fraktion macht. So sollte man eigentlich öfter
vorgehen.
Dass das Verfahren so lange gedauert hat - Frau
Voßhoff ist jetzt leider nicht mehr da -, hängt natürlich
zum einen auch damit zusammen, dass wir das in der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe beraten haben. Im September letzten Jahres haben wir eine Anhörung durchgeführt,
bei der auch die Verbände zu Wort gekommen sind, auch
der Verband, dessen Name heute mehrfach genannt
wurde. Zum anderen haben wir ein Gutachten in Auftrag
gegeben, um die Debatte zu versachlichen. Dieses Gutachten wurde zwar von uns in Auftrag gegeben, aber die
Ergebnisse waren mit Sicherheit nicht bestellt. Deswegen
nehmen wir es ganz vorbehaltlos hin und ziehen daraus
unsere Schlüsse. Ich finde, dass das zum richtigen Umgang mit einem Gutachten gehört, an dessen Seriosität zu
zweifeln ich keinen Grund habe.
({2})
Nach meinem Eindruck beschränkt sich die Kritik bislang auf die Äußerungen von Interessenvertretungen. Die
PDS-Fraktion hat sich das heute zu Eigen gemacht. Natürlich ist es ihre Sache, sich mit dem Verband Deutscher
Grundstücksnutzer in allen Punkten und vorbehaltlos zu
solidarisieren. Aber ich denke, wir als Politikerinnen und
Politiker haben die Aufgabe, zu versuchen, möglichst viel
zur Wahrheitsfindung beizutragen und dementsprechend
Fakten zu gewinnen. Dies kann uns niemand vorwerfen.
Ich habe die Verlautbarungen dieses Verbandes mit Interesse zur Kenntnis genommen. Sie sind übrigens schon
erschienen, als der Verband den Bericht noch gar nicht
kennen konnte. Er hat also auf Verdacht und vielleicht
auch aufgrund der Erfahrung im Zusammenhang mit der
Anhörung sein Urteil gefällt. Auch darüber sollte man diskutieren.
Der Verband ist der Meinung, das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene rechtstatsächliche Gutachten, das in der Tat eine wesentliche Grundlage für den Bericht darstellt, sei sehr mangelhaft. Zumindest 80 Prozent
des Inhalts seien fehlerhaft. Natürlich handele es sich um
ein Gefälligkeitsgutachten für die Bundesregierung. Nichts davon ist wahr. Wir haben dieses Gutachten bei einem renommierten Institut in Auftrag gegeben. Ich habe
bisher noch nicht gehört, dass seine Methodik und seine
Ergebnisse angreifbar gewesen wären.
Ich glaube, dass diese Debatte den Grundstücksnutzern, denen Sie ja angeblich zur Seite stehen wollen, im
Grunde nicht viel hilft; denn diese Debatte ist geeignet,
wieder Hoffnungen zu wecken, die später nur enttäuscht
werden können. Insofern stellt das Gutachten trotz aller
unterschiedlicher Bewertung eine fundierte Grundlage für
die Beurteilung der Rechtsvorschriften zum so genannten
Datschenrecht in den neuen Ländern dar.
Mit seinen Aussagen - übrigens nicht nur zur
Nutzungsentgeltverordnung, sondern auch zum Schuldrechtsanpassungsgesetz - bietet dieses Gutachten eine
ausgesprochen gute Grundlage für weitere Überlegungen
zu möglichen Änderungen dieser Vorschriften. Auch das
ist vielleicht ein Missverständnis: Ein Gutachten ist eine
Empfehlung. Es kann eine Entscheidungsgrundlage sein.
Aber es ist nicht das Muss für entsprechende gesetzgeberische Vorhaben. Insofern sind wir frei in der Bewertung
dieses Gutachtens und hinsichtlich der Überlegung, inwieweit weitere Vorschriften zu ändern sind.
Dass wir Vorschriften zu ändern haben, haben wir gerade heute im Rechtsausschuss festgestellt, als wir die
Konsequenz aus einem der Urteile des Bundesverfassungsgerichts gezogen haben, nämlich, dass in einem bestimmten Zeitraum ein Nutzungsentgelt vorzusehen ist.
Dies ist eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, der
wir alle zu entsprechen haben.
Ganz überraschend ist die Reaktion der Interessenvertreter der Nutzer indes nicht. Das Ergebnis der Untersuchung zeigt in der Tat, dass sich die Situation der Nutzer
in vielerlei Hinsicht entspannter darstellt, als dies von
den Nutzerverbänden seit Jahren vorgetragen wird. Ich
möchte nicht in Abrede stellen, dass es in Einzelfällen anders sein kann, aber hier müssen wir die durchschnittliche
Entwicklung sehen.
Im Übrigen haben Sie bei Ihrer Kritik an der Methodik
vergessen, dass auch die Gutachterausschüsse zu Wort
gekommen sind. Insofern ist aus meiner Sicht die Breite
der Untersuchung durchaus sichergestellt.
Das Verhalten der Interessenvertreter der Nutzer ist
auch nicht widerspruchsfrei. Ich erinnere mich an die
Bund-Länder-Arbeitsgruppe und deren Anhörung im
September letzten Jahres. In dieser Anhörung ist von den
Verbänden selbst vorgetragen worden, dass relevante
Steigerungen des Nutzungsentgeltniveaus künftig nicht
sehr wahrscheinlich seien. Auch diese Feststellung gehört
zur Wahrheit. Auf eine entsprechende konkrete Frage haben sie geantwortet, dass sie mit einer Erhöhung des Nutzungsentgeltes um rund 3 Prozent rechnen. Im Übrigen
kommt das von uns vorgelegte Gutachten genau zu diesem Ergebnis. Ich frage mich daher, wieso dieses Ergebnis und die Aussage des Verbandes so diametral entgegengesetzt sein sollen.
Es ist auch nicht erstaunlich, dass die Bundesregierung
in ihrem Bericht zu dem Ergebnis kommt, dass das vorliegende Gutachten keinen gesetzgeberischen Änderungsbedarf in Bezug auf die Nutzungsentgeltverordnung
aufzeigt. Diesen Punkt möchte ich besonders hervorheben. Andere Entscheidungen, andere gesetzliche Festlegungen hat die Bundesregierung bislang auch nicht getroffen. Wir werden - ich habe schon darauf hingewiesen - die infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli letzten Jahres erforderlichen
Änderungen der Nutzungsentgeltverordnung und des
Schuldrechtsanpassungsgesetzes erarbeiten. Ich nenne
das Stichwort „Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen
Lasten“.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen den Gesetzgeber beauftragt, dem Eigentümer eines großen
Grundstücks ein Teilflächenkündigungsrecht des Nutzers
einzuräumen und eine Regelung zur angemessenen Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten des
Grundstücks zu schaffen. Bei der Umsetzung des erteilten
Gesetzgebungsauftrages, der ebenfalls im Rahmen der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorbereitet werden soll,
werden wir - ich glaube, das ist selbstverständlich - die
schützenswerten Interessen der Grundstücksnutzer zu beachten haben. Ich denke, das ist eine Aufgabe, der wir uns
alle stellen sollten.
Vielen Dank.
({3})
Als letzter
Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege
Günter Nooke von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Sehr
verehrte Damen und Herren! Herr Staatssekretär Pick, wir
stellen uns alle diesem Anliegen. Es geht in der Tat darum - darüber sind wir uns alle einig -, einen Ausgleich
zwischen Nutzern und Eigentümern zu finden. Allerdings
hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezeigt,
dass noch Handlungsbedarf besteht; jedoch - das ist das
Problem - nicht in der Richtung, wie sich das die PDS
vorstellt, bei den Nutzungsentgelten noch etwas „zu tun“
und die Nutzer besser zu stellen, sondern aus rechtlich
sicherlich einwandfreier Position heraus eher im Interesse
der Eigentümer.
({0})
Das ist das Problem, über das wir hier die ganze Zeit
freundlich gestritten, eigentlich nur gesprochen haben.
Es ist - das sollte man noch einmal festhalten - in der
Vergangenheit viel im Interesse der Nutzer geregelt worden: Kündigungsschutz für die Nutzer bis zum Jahre
2015 - 25 Jahre nach der Herstellung der deutschen Einheit -, das ist eine lange Zeit. Prinzipiell unkündbar sind
diejenigen, die am 3. Oktober 1990 mindestens 60 Jahre
alt waren. Wir wollen also nicht vergessen, dass es gar
nicht so einfach ist, überhaupt jemanden von einem
Grundstück zu verjagen.
Wenn die PDS allerdings jetzt glaubt, dass die Möglichkeiten des Anstiegs des Pachtzinses noch weiter extrem eingeschränkt werden müssten, dann sage ich: Es
trifft nicht zu, dass das ein so großes Problem ist und dass
das Niveau schon über dem der alten Länder liegt. Es gibt
natürlich Einzelfälle. Sie wissen, wo hier in Berlin solche
Grundstücke sind. Wenn Sie heute Ihren Garten in bester
Lage haben, ist natürlich auch das Grundstück nicht ganz
umsonst zu haben. Das ist nun einmal so, weil die Stadt
durch Mauer und Stacheldraht getrennt war und es eine
Wiedervereinigung gab.
Aber noch ein anderes Problem: Es muss klar sein, dass
es auf Dauer keine Lösung sein kann, relativ niedrige
Pachtzinse richtig festzuschreiben, während den Eigentümern zum Beispiel die stetig steigenden Nebenkosten allein aufgebürdet werden. Das ist vonseiten der Bundesregierung gerade noch einmal gesagt worden.
Es sollte nicht übersehen werden, dass auch die Interessen der Eigentümer in den Blick genommen werden
müssen. Mir geht es dabei nicht so sehr darum, eine rechtliche Position für die Eigentümer festzuklopfen, sondern
darum, darauf hinzuweisen, dass es aufgrund der Geschichte zu DDR-Zeiten Sonderregelungen geben musste.
Mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz hat man versucht, dem Rechnung zu tragen. Aber wenn ein Eigentümer Pachteinnahmen von zum Beispiel 900 DM hat, ihm
aber Kosten für Abwasser und Straßengebühren von
7 000 DM pro Jahr entstehen, dann ist das natürlich ein
Missverhältnis, bei dem wir sagen müssen: So geht es
nicht.
({1})
Es ist eben auch ein Problem zwischen Ostdeutschen
und nicht ein Ost-West-Problem, wie Sie uns so gern
weismachen wollen. Das Beispiel betrifft, glaube ich, im
konkreten Fall eine 80-jährige Dame, die als Eigentümerin eben auch nicht in der Lage ist, das erforderliche Geld
aufzubringen. Deshalb sollten wir schon versuchen, diesen Ausgleich hinzubekommen. Also, eine ausschließliche Deckelung des Pachtzinses kann es nicht sein. Es
kann auch nicht darum gehen, allein über die Interessen
der Pächter zu sprechen.
Lassen Sie mich, weil ich gesagt habe, es gehe um den
Ausgleich, noch einmal das andere Problem nennen. Ein
Thema, das nicht angesprochen wurde, ist, was geschieht,
wenn sich Pächter und Eigentümer lösen wollen, wenn sie
also das Pachtverhältnis beenden wollen. Soweit ich das
verstehe, gibt es auch hier offene Fragen. Beispielsweise
kann der Eigentümer sagen: Ich möchte das Grundstück
so haben, wie es war; die Datsche aus DDR-Zeiten ist
nichts wert; der Abriss kostet 30 000 DM. - Für manchen
Älteren ist es ein Problem, diesen Abriss zu bezahlen. Auf
der anderen Seite gibt es den einen oder anderen, der - aus
welchen Gründen auch immer; vielleicht weil er einen
guten Arbeitsplatz angeboten bekommt und deshalb wegzieht - das Grundstück und die Datsche nicht mehr halten
kann. Er muss die Datsche zurücklassen, obwohl er möglicherweise vor fünf Jahren mit gutem Material aus Westzeiten in die Datsche investiert hat und diese vielleicht
30 000 DM wert ist. Auch er bekommt nichts.
Wir haben also wirklich ein Problem, auch wenn man
sich gütlich einigen will. Ich glaube schon, dass es notwendig ist, dass man hier Regelungen trifft. Am besten da möchte ich unterstützen, was mein Kollege Rainer
Eppelmann gesagt hat - wäre es, die Probleme vor Ort zu
lösen.
({2})
Das ist also vielleicht nicht nur ein Thema der Bundespolitik und des Bundesgesetzgebers. Aber wenn Sie die
Freiräume schaffen, könnten wir möglicherweise den notwendigen Schritt gehen. Die Zeiten der Privilegierung
sind zwar vorbei, aber die unrechtsstaatlichen Systeme
und Regelungen der DDR wirken in unserer Zeit fort.
Manchmal wurden rechtsfreie Räume geschaffen, die einigen ganz angenehm waren. Nun müssen wir damit leben, dass diese langsam abgeschafft werden.
Mein Vorschlag wäre, hier nicht auf einer Position des
Rechtspositivismus zu verharren und nur nach Bundesverfassungsgerichtsurteilen zu schauen, um zu sehen, wie
man die Angelegenheiten regeln könnte, sondern sich zu
fragen, wie man das gütlich zwischen Nutzern und Eigentümern vor Ort lösen kann. Meine Aufforderung an die
ostdeutschen Kommunen wäre, ihren Beitrag zu leisten
und nicht alles auf die Bundesebene zu delegieren. Das
gilt dann übrigens auch für die Kommunen, in denen der
Bürgermeister oder Finanzdezernent von der PDS gestellt
wird.
Danke schön.
({3})
Die Ak-
tuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Peter Paziorek, Cajus Caesar, Marie-Luise
Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Reduzierung von Ozonvorläufersubstanzen
zur Bekämpfung des so genannten Sommersmogs
- Drucksache 14/3671 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sofortprogramm der Bundesregierung zur
Verminderung der Ozonbelastung
- Drucksache 14/3609 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich darauf
hinweisen, dass wir weit hinter dem Zeitplan zurück sind.
Ich bitte deswegen, in der folgenden Debatte von Zwischenfragen und Kurzinterventionen abzusehen, damit
nicht noch weitere Verzögerungen entstehen. Die Redner
bitte ich, sich möglichst kurz zu fassen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Das menschliche Gesundheitsrisiko durch negative
Umwelteinflüsse steigt weiter. Deshalb wird sich die
Umweltpolitik nach Angaben des Bundesumweltministers künftig stärker dem Zusammenhang zwischen Umweltschäden und Gesundheit widmen müssen.
Dieses Zitat aus der „FAZ“ vom 23. Juni 2000 unterstreicht, wie notwendig das politische Handeln im Umweltbereich ist, und wirft gleichzeitig Fragen auf: Was
wird momentan von Rot-Grün für die Reinhaltung der
Luft und für den Klimaschutz getan?
({0})
Gibt es ein neues, taugliches Konzept der Regierung zur
Bekämpfung des Sommersmogs? Eines steht fest: An die
konsequent erfolgreiche Umweltpolitik der unionsgeführten Bundesregierung ist nicht angeknüpft worden.
({1})
Die Tatsache, dass in den letzten Jahren in Deutschland
ein abnehmender Trend bei den Ozonspitzenkonzentrationen erkennbar ist, zeigt, wie erfolgreich das Konzept
der vorherigen Bundesregierung angeschlagen hat.
({2})
Von 1990 bis 1998 war ein Ausstoßrückgang bei Stickstoff um 35 Prozent und bei flüchtigen Kohlenwasserstoffen um fast 50 Prozent zu verzeichnen. Dieses positive
Ergebnis fordert auf, den einst richtig eingeschlagenen
Weg zügig und nachhaltig weiterzuverfolgen.
Deutschland hat, wie die letzten Klimaschutzkonferenzen in Bonn und Buenos Aires gezeigt haben, seine Vorreiterrolle in der internationalen Klimapolitik längst verloren.
({3})
Auch die Bekämpfung des Sommersmogs findet nicht
statt.
({4})
Vor über einem Jahr hat der Umweltminister sein erstes
Strategiepapier vorgelegt. Damit wollte er, damals noch
voller Elan und mit Ideen zu Tempolimits und Verboten,
den Sommersmog bekämpfen.
Wie sieht es denn jetzt mit der Umsetzung Ihrer Ideen
aus, Herr Trittin? Im Mai dieses Jahres kam vom Umweltministerium erneut ein abrupter Strategiewechsel.
Dabei wurden nun ganz einfach die Strategien und Anträge der Länder Bayern und Baden-Württemberg in Teilen kopiert und übernommen.
Ich stelle fest: bisher ein deutlicher Zickzackkurs des
Bundesumweltministers. Zwar war schon im Oktober
1998 in den Koalitionsverhandlungen der rot-grünen Regierung die Rede von einer Novellierung der bis Ende
1999 befristeten Sommersmogverordnung;
({5})
aber bis zum jetzigen Zeitpunkt haben Sie, Herr Trittin,
nichts Konkretes auf die Beine gestellt.
({6})
Kurz: Sie haben offenkundig ein halbes Jahr verschlafen,
({7})
und das, obwohl Sie sich vorher, also zu Oppositionszeiten, bei Umweltforderungen sehr weit aus dem Fenster
gelehnt haben.
({8})
Aber so ist es natürlich, wenn man den Kopf nur voller
Atomausstiegsszenarien hat. Dann müssen eben in den
nächsten 30 Jahren alle anderen wichtigen Bereiche der
Umweltpolitik etwas kürzer treten.
({9})
Wenn Sie jetzt Ihr so genanntes Sofortprogramm präsentieren, dann ist das nichts anderes als Aktionismus aus
einem schlechten Gewissen heraus. Es spricht nicht nur
für das Fehlen eines umweltpolitischen Gesamtkonzepts,
dass Sie die bisherige Sommersmogverordnung vor einem halben Jahr so sang- und klanglos haben auslaufen
lassen. Das, was Sie mit Ihrem jetzigen Notfallprogramm
an den Tag legen, ist auch Flickschusterei.
({10})
Das lässt weitere Fragen bezüglich Ihrer fachlichen Kompetenz aufkommen. Man könnte es auch als Desinteresse
an einer guten Umweltpolitik werten.
({11})
Es handelt sich bei diesem - wie Sie es nennen - Sofortprogramm um eine Anhäufung einzelner Maßnahmen,
die fast ausschließlich kurz- oder mittelfristig angelegt
sind. Mit einem Sofort haben die unter Punkt I in Ihrem
Programm angeführten Maßnahmen nicht viel zu tun. Ihr
populistisch ausgelegtes Papier entpuppt sich schon beim
ersten Anblick als typisch grünes Windei. Die einzelnen
Punkte entbehren aller notwendigen Details und sind im
geplanten Zeitraum nicht zu realisieren.
Was hier letztlich als „Sofortmaßnahmen“ angeführt
wird, ist für eine kritische, akute Situation im Rahmen der
Ozon- und Sommersmogbelastung nicht zu gebrauchen.
Es fehlen Maßnahmen, die eingesetzt werden können, sobald eine kritische Situation entsteht. Die von Ihnen beschlossenen Instrumente, zum Beispiel die Spreizung der
emissionsbezogenen Kraftfahrzeugsteuer, sind in ihrer
Ausrichtung zwar in Ordnung und längst überfällig.
({12})
Sie werden aber erst im Laufe der nächsten Jahre ihre Wirkung entfalten können - wenn überhaupt.
Was wir jetzt brauchen, ist ein langfristiges, an neuesten Möglichkeiten und technischen Erkenntnissen orientiertes Gesamtkonzept, das über den nationalen Tellerrand hinausreicht. Diese Feststellung wird auch im
„Umweltgutachten 2000“ bestätigt, das der Rat von
Sachverständigen für Umweltfragen erarbeitet hat. Darin
wird ausgeführt, dass es weniger darum geht, die „so genannten Ozonspitzen, also temporäre Höchstwerte, zu
kappen“, sondern vielmehr darum, den Ausstoß der so genannten Ozonvorläufersubstanzen dauerhaft zu mindern.
Diese Substanzen, vor allem Stickoxide und flüchtige
Kohlenwasserstoffe, sind die Hauptverursacher des Sommersmogs.
Das erfolgreiche Gesamtkonzept im Hinblick auf eine
internationale, nachhaltige Umweltpolitik, das wir in den
vergangenen Legislaturperioden verfolgt haben, setzen
wir auch in der Opposition fort. Mit unserem Antrag zur
Reduzierung von Ozonvorläufersubstanzen legt die
CDU/CSU-Fraktion ein detailliertes, durchdachtes Programm vor, das der komplexen Problematik gerecht wird.
In unserem Antrag wird die verpflichtende Umsetzung
der in diesem Zusammenhang bestehenden EG-Richtlinien konkret berücksichtigt. Wir können hier mit einem
rechtlich durchdachten Konzept aufwarten. Es reicht
nicht, einfach nur festzustellen, dass beispielsweise eine
emissionsbezogene Kraftfahrzeugsteuer eingeführt werden soll. Diesen Satz höre ich von den Grünen schon seit
mindestens zehn Jahren und von Herrn Trittin noch viel
länger.
({13})
Dieser Satz ist im Ansatz gut; aber bis heute ist um keinen
Deut weitergedacht worden. Sie stehen auf der Stelle!
({14})
Es geht hier doch vielmehr darum - siehe Punkt II
Nr. 1 ff. des CDU/CSU-Antrags -, genaue Vorschläge zur
Emissionsreduzierung zu machen und die Anpassung an
den technischen Stand zu fordern. Schwerpunkt der erforderlichen Maßnahmen ist die Emissionsminderung in
den Bereichen des Verkehrs, der Industrie und der lösemittelhaltigen Produkte. Zur Reduzierung der erhöhten
Ozonkonzentrationen müssen ganzjährige und großflächige Maßnahmen ergriffen werden, da sie den zeitlich
befristeten und örtlich begrenzten Maßnahmen überlegen
sind.
In diesem Fall muss ich Sie fragen, warum die bereits
im März 1999 vom EG-Rat beschlossene Begrenzung von
flüchtigen organischen Verbindungen erst beinahe zwei
Jahre später, nämlich im Januar 2001, umgesetzt werden
soll. Diese Frage stellt sich umso dringlicher, zumal die
technischen Möglichkeiten schon seit längerer Zeit erprobt und verfügbar sind. Es fehlt hier, wie man immer
wieder feststellen muss, am politischen Impuls.
In Anbetracht der ständig fortschreitenden technischen
Entwicklung fordere ich Sie auf, neue angepasste Grenzwerte für Emissionen auch auf europäischer Ebene in die
Diskussion zu bringen und deren internationale Durchsetzung zu forcieren.
({15})
Die politischen Möglichkeiten reichen dabei vom Anreiz
einer vorzeitigen Stilllegung schadstoffintensiver Personenkraftwagen über eine emissionsabhängige Besteuerung für schwere Nutzfahrzeuge bis hin zur Emissionsbegrenzung bei Kleinmotoren wie zum Beispiel Rasenmähern.
Verschiedene Fragen und Zweifel drängen sich mir bei
der Betrachtung Ihrer widersprüchlichen Umweltpolitik
auf. Es ist richtig, wenn der Umweltminister den öffentlichen Personennahverkehr, wie im Sofortprogramm
beschlossen, stärken will. Das kann zur Vermeidung des
Sommersmogs beitragen. Aber wie soll die Ökosteuer Erfolg haben, wenn durch sie gleichzeitig der öffentliche
Personennahverkehr finanziell belastet wird?
({16})
Zudem stellt sich natürlich die alte Frage, wie die rotgrüne Bundesregierung den Klimaschutz mit dem jetzt
eingeleiteten Atomausstieg vereinbaren will. Der Atomausstieg bedeutet gleichzeitig einen Anstieg der CO2Emissionen, wenn als Ersatz für Atomstrom auf fossile
Brennstoffe zurückgegriffen werden muss. Auch der Umweltsachverständigenrat bezweifelt die Erreichbarkeit der
deutschen CO2-Reduktionsziele ohne die Nutzung der
Atomkraft. Es zeigt sich immer deutlicher, dass ein geschlossenes Energiekonzept, das den Erfordernissen des
Klimaschutzes und dem bisherigen besonderen Anspruch
Deutschlands Rechnung trägt, nicht vorliegt.
Die Bundesregierung muss endlich den Weg in ein
tragbares umweltpolitisches Gesamtkonzept finden. Die
Notwendigkeit einer Sommersmogverordnung ist für den
offensichtlichen Handlungsbedarf nur ein Beispiel. Ich
fordere Sie auf, sich um ein ausgereifteres Konzept gegen
den Sommersmog zu bemühen.
In diesem Sinne biete ich Ihnen an, unserem Antrag zuzustimmen. Damit ist schließlich der Natur und auch den
Menschen am schnellsten gedient.
({17})
Als
nächster Redner hat der Kollege Rainer Brinkmann von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Wortbeitrag
der Kollegin Dött könnte man ernsthaft das Gefühl haben,
sie sei eine engagierte Umweltpolitikerin.
({0})
Sie hat zumindest versucht, diesen Eindruck zu vermitteln.
Nach einer konkreten Analyse stellt man jedoch Folgendes fest: Die Enttäuschung ist Ihnen, meine Damen
und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, doch förmlich
ins Gesicht geschrieben. Sie sind enttäuscht, weil Sie gemeinsam mit dem ADAC und den anderen üblichen Verdächtigen anderthalb Jahre darauf gewartet haben, der rotgrünen Regierung vorwerfen zu können, wieder die Folterinstrumente der Umweltpolitik auszupacken. Und
genau dies nicht eingetreten ist. Stattdessen loben Sie die
Sommersmogverordnung von Frau Merkel, die nachgewiesenermaßen überhaupt keine Wirkungen hatte. Das
war eine Placebo-Verordnung,
({1})
die nicht in einer einzigen Situation die Ozonbelastung für
die Menschen bzw. die Hintergrundbelastung durch die
Ozonvorläufersubstanzen reduziert hat.
Es war in der Tat richtig, dass wir uns noch einmal sehr
ausführlich mit den wissenschaftlichen Untersuchungen
beschäftigt und uns gefragt haben, wie wir die Ozonhintergrundbelastung reduzieren können; denn das muss
doch das Ziel sein. Darum hat die Bundesregierung nun
einen sehr umfangreichen Maßnahmenkatalog vorgelegt.
Wenn man sich hingegen Ihren Antrag ansieht, meine Damen und Herren von der CDU/CSU - das ist ganz besonders enttäuschend -, der einen halben Monat nach Bekanntwerden des Maßnahmenkataloges der Bundesregierung geschrieben worden ist, dann stellt man fest, dass Sie
abgeschrieben und dabei noch die Hälfte vergessen haben. Das ist natürlich ganz besonders peinlich und zeugt
auch von einer „besonderen“ Gründlichkeit im Bereich
der Umweltpolitik.
Ich will Ihnen aber die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreift, noch einmal im Einzelnen darlegen, obwohl Sie sie der Drucksache 14/3609 selbst hätten entnehmen können.
Selbstverständlich ist es notwendig, zu versuchen, mit
Maßnahmen zur Spreizung der Kfz-Steuer den Altbestand an Kraftfahrzeugen zu reduzieren, die noch keinen
geregelten Katalysator haben. Im Maßnahmenkatalog der
Bundesregierung ist dies enthalten. Selbstverständlich ist
es auch notwendig, dass wir für Nutzfahrzeuge und Motorkrafträder eine emissionsabhängige Kfz-Steuer einführen. Auch das steht im Maßnahmenkatalog der Bundesregierung. Ich sehe gerade eine Kollegin aus dem Verkehrsausschuss. Wir haben schon vor Monaten mit den
Interessenverbänden der Motorradfahrerinnen und -fahrer
Gespräche geführt und dies angekündigt.
Dazu gehört auch eine Abgasuntersuchung für Motorräder, die in der Vergangenheit auch nicht den Stellenwert gehabt hat, den sie verdient. Ihre Bundesregierung,
Ihre ehemalige Umweltministerin
({2})
- Frau Merkel hieß sie, glaube ich -,
({3})
hat doch gar nicht erkannt, was eigentlich getan werden
muss. Sie hat den gesamten Bereich der Kleinmotoren der Rasenmäher, Motorsägen, Kräne usw. - ignoriert. Sie
hat die Bedeutung der Lösemittel und der VOC für das
Ozon nicht erkannt und überhaupt nichts unternommen.
Hier geht der Maßnahmenkatalog der Bundesregierung
ebenfalls wesentlich weiter.
Auch sind in diesem Katalog endlich einmal langfristige Überlegungen angestellt worden, wie wir es schaffen
können, Gütertransporte von der Straße auf Wasserstraße und Schiene zu verlagern. Auch das ist ganz entscheidend, um wirklich nachhaltig die Ozonvorläufersubstanzen reduzieren zu können.
Ich verhehle nicht, dass wir, die Regierungsfraktionen,
an einer Stelle enttäuscht sind: Wir sind von der Reaktion
des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen wirklich
enttäuscht, der das Angebot der Bundesregierung abgelehnt hat, ein Ozonticket einzuführen. Dieses Ozonticket
war ein ganz wesentliches Instrument, um in Zeiten der
Ozonspitzenbelastung den Menschen zu helfen, ihre Mobilität zu erhalten, ohne mit dem eigenen PKW zur Erhöhung der Ozonkonzentration beizutragen. Dieses Angebot hat der VDV leider in den Wind geschlagen. Dazu
gibt es auch eine Presseerklärung, auf die sich jeder seinen Reim machen kann.
Wir haben das Gefühl, dass der Spitzenverband des
ÖPNV an dieser Stelle wesentlich einfallsloser, inflexibler und Subventionen erheischender ist als die ÖPNVBetriebe selbst. Zwischenzeitlich gibt es nämlich Gott sei
Dank eine Reihe von ÖPNV-Trägern - Stadtwerke, Verkehrsverbünde -, die das Angebot der Bundesregierung
angenommen haben, in Einzelverhandlungen zu treten
und eine Vereinbarung mit der Bundesregierung abzuschließen. An dieser Stelle sollten wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verkehrsministeriums recht
herzlich dafür danken, dass sie sich die Mühe machen, in
Einzelverhandlungen mit ÖPNV-Unternehmen solche
Maßnahmen zu entwickeln.
({4})
An dieser Stelle schlage ich vor, darüber hinaus einmal
zu überlegen, wie besonders attraktive Pilotmodelle ausgestaltet sein könnten. Hierfür gibt es ja bereits Vorbilder:
Schon in den frühen 80er-Jahren hat die damalige Bundesregierung unter Helmut Schmidt einen Modellversuch
für den ländlichen Raum angeregt; verantwortlich dafür
war der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium, Erhard Mahne. Dieser Modellversuch
ist im Kreis Lippe Anfang der 90er-Jahre durchgeführt
worden. Man kann ihm eine Reihe von Erfahrungen entnehmen und lernen, wie man einen attraktiven, also komfortablen und preisgünstigen ÖPNV im ländlichen Raum
anbieten kann. Den ÖPNV in Ballungsgebieten anzubieten, ist keine große Kunst; im ländlichen Raum ist es wesentlich schwieriger.
Eine weitere Anregung an die Bundesregierung: Vielleicht ließen sich im ÖPNV auch die so genannten Nullemissionsbusse, die über alternative Antriebstechniken Wasserstoff, Brennstoffzelle oder Ähnliches - verfügen,
besonders fördern. Ich glaube, auch das wäre ein zusätzlicher Beitrag zur Reduzierung der Ozonvorläufersubstanzen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch zwei Punkte nennen. Selbstverständlich ist es das Ziel der Regierungsfraktionen, langfristig eine Ozonkonzentration unter dem
Wert von 120 Mikrogramm, das heißt unter dem Wert der
WHO, zu erreichen. Das muss unser Ziel sein, weil wir
die Verantwortung für die Gesundheit der Menschen in
unserem Land übernehmen.
Dieses Ziel können wir nicht erreichen, wenn wir uns
auf kurzfristige Maßnahmen, die nur an wenigen Tagen
im Jahr Gültigkeit haben, konzentrieren. Wir können es
nur dann erreichen, wenn wir eine Reihe von langfristigen
Maßnahmen ergreifen, die eine nachhaltige Reduzierung
bedeuten.
Nichtsdestotrotz wird es aufgrund der besonderen geographischen Lage der Bundesrepublik Deutschland und
aufgrund der Hintergrundbelastungen, über die ich schon
gesprochen habe, nicht ausbleiben, dass wir immer wieder einmal im Bereich der Spitzenwerte von 180 Mikrogramm liegen.
An dieser Stelle sind zwei Maßnahmen notwendig:
Erstens ist eine breit angelegte Informationskampagne
der Bundesregierung notwendig, weil wir die Menschen
Rainer Brinkmann ({5})
rechtzeitig warnen und sie darüber aufklären müssen,
welche Möglichkeiten sie selbst haben, um die Ozonbelastung zu reduzieren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir
müssen ihnen zweitens ganz konkrete Umsteigemöglichkeiten bieten. Wenn wir diese wichtigen Punkte beachten, können wir erfolgreich sein.
Die SPD-Fraktion hat - das will ich gar nicht verhehlen - das Maßnahmenpaket der Bundesregierung begrüßt.
Wir haben es durch unsere Initiative um das Ozonticket
ergänzt und wir werden das Programm und seine Auswirkungen überprüfen. Wenn an der einen oder anderen
Stelle noch Ergänzungsbedarf besteht, werden wir diesem
durch weitere Anträge Rechnung tragen.
({6})
Unter dem Strich ist das, was die Bundesregierung an
Maßnahmen ergriffen hat, ein sehr ambitioniertes Programm. Es ist ambitionierter, als viele in diesem Haus
glauben.
({7})
Das, was Sie, Herr Paziorek, vorgeschlagen haben, geht
weit hinter das zurück, was die Bundesregierung schon an
Maßnahmen ergriffen hat. Von daher ist Ihr Antrag überflüssig.
({8})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Birgit Homburger von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Das Thema ist längst bekannt und
Minister Trittin hat im Wahlkampf darüber geredet. Darum konnten wir davon ausgehen, dass er das Thema
kennt. Im Wahlkampf hat er immer gesagt, was er tun will,
seit er aber das Amt angetreten hat, hört man von Maßnahmen und Plänen nichts mehr. Im Gegenteil: Die Frist
wurde verschlafen, die gesetzliche Regelung ist ausgelaufen und bisher ist nichts weiter passiert als eine „Unterrichtung durch die Bundesregierung“. Von wegen, Herr
Brinkmann, „es wurden Maßnahmen ergriffen“. Sie haben bisher nur Maßnahmen angekündigt, ergriffen haben
Sie noch keine.
({0})
Das zeigt sich auch daran: Die F.D.P. hatte eine Kleine
Anfrage an die Bundesregierung gestellt, in der das
Thema Ozonvorläufersubstanzen angesprochen wurde.
Da musste man eine Verlängerung der Frist beantragen,
weil man nicht in der Lage war, diese in der vorgegebenen Zeit zu beantworten. Gestern Abend - wen überrascht
es - haben wir die Antwort auf den Tisch bekommen, weil
wahrscheinlich bemerkt wurde, dass die Debatte darüber
heute geführt wird und es ziemlich schlecht ausgesehen
hätte, wenn die Antwort nicht vorgelegen hätte. Hätten
Sie aber tatsächlich ein Konzept im Kopf, wüssten Sie,
wie Sie mit diesem Problem umgehen wollen. Dann hätten Sie die Anfrage aus der Lamäng beantworten können.
Dass Sie das nicht konnten, zeigt, dass Sie überhaupt nicht
wissen, wie Sie mit der Sache umgehen wollen.
({1})
Vor einem Jahr hatten Sie großspurig angekündigt,
dass Sie die Sommersmogverordnung verschärfen wollen. Herr Brinkmann, ob Sie das jetzt als eine Sache empfinden, die sowieso nichts gebracht hätte oder nicht: Der
Minister hat sie gefordert und großspurige Erklärungen
abgegeben. Auch aufgrund europarechtlicher Vorgaben
befinden Sie sich im Übrigen schon längst in Zugzwang.
Aber jeder akute Handlungsbedarf wurde von Ihnen mal
wieder ignoriert, was jetzt mit diesem hilflosen Sofortprogramm kaschiert werden soll.
({2})
Was jetzt dem Bürger zugemutet wird, ist ein Sofortprogramm, dessen Maßnahmen erst im nächsten Jahr
greifen sollen. Offen bleibt dabei natürlich, ob es tatsächlich zu weiteren Aktivitäten kommt, denn bisher ist von
dem Angekündigten überhaupt nichts im Deutschen Bundestag beantragt worden. Ab September wird das Ozonproblem witterungsbedingt wieder ein bisschen in den
Hintergrund treten. Daran, ob sich der Herr Umweltminister Trittin dann noch an den bestehenden Handlungsbedarf erinnert, darf man gemessen an dem Interesse, das
Sie dem Thema bisher entgegengebracht haben, wohl
zweifeln.
Tatsächlich handelt es sich also um eine Mogelpackung. In der „Unterrichtung durch die Bundesregierung“ werden Maßnahmen aufgelistet, die seit zehn Jahren alte Bekannte sind. Jedenfalls enthält dieses so
genannte Sofortprogramm zur Minderung von Spitzenbelastungen überhaupt nichts. In den alten Regelungen
waren klare Maßnahmen vorgesehen, die der Herr Minister bislang verschärfen wollte: Wieder einmal großspurige
Ankündigungen und nichts dahinter. Erneut präsentiert
sich also die Bundesregierung ohne ein wirksames und
tragfähiges Konzept.
Die Kerosinabgabe, die jetzt gefordert wird, ist längst
Inhalt eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.
({3})
Herr Trittin, Sie haben bisher nichts unternommen, um
auf europäischer Ebene konkrete Fortschritte zu erzielen.
Dies gilt im Übrigen für alles, was Sie unter Punkt II Ihrer Unterrichtung aufgeschrieben haben. Zu jedem Punkt
wie zum Beispiel zur „Initiative zur EU-weiten Einführung des Kat zur Entstickung ...“, zur „Initiative zur
EU-weiten ...“ muss man fragen, Herr Minister: Warum
haben Sie das eigentlich nicht schon gemacht? Das ist die
eigentliche Frage, die Sie beantworten müssen.
Weiterhin führen Sie steuerliche Anreize zur umweltschonenden Erneuerung des Fahrzeugbestandes oder
eine ökologische Spreizung der Kfz-Steuer auf. Herr
Brinkmann, tun Sie nicht so, als ob man hier wirklich etwas Neues eingebracht hätte. Das sind alles alte Hüte. Das
geltende Kraftfahrzeugsteuergesetz sieht bereits weitere
Stufen, sieht eine Spreizung vor. Das haben wir doch
Rainer Brinkmann ({4})
schon eingeführt. Das ist nichts Neues.
({5})
Im Übrigen haben Sie erst vor wenigen Monaten die
Euro-III- und Euro-IV-Norm hinsichtlich der technischen Fragen ins Gesetz übernommen. Hier frage ich
mich wirklich: Warum haben Sie zu diesem Zeitpunkt die
Chance nicht ergriffen und daran entsprechende Bedingungen geknüpft, um gleichzeitig etwas für die Senkung
der Ozonbelastung zu tun? Diese Chance haben Sie überhaupt nicht genutzt. Dies gilt auch für die Spreizung der
Steuer für schwere Nutzfahrzeuge unter Einbeziehung der
Stufen Euro III, IV und V. Die F.D.P. hatte vor kurzem hier
im Deutschen Bundestag beantragt, die Kfz-Steuer für
Fahrzeuge nach der Euro-III- und Euro-IV-Norm zu senken, um Anreize für schadstoffärmere Technik zu schaffen. Dies haben Sie abgelehnt.
({6})
Jetzt fordern Sie genau dies in Ihrem so genannten Sofortprogramm. Dazu kann ich nur sagen: Wir sind auf die
Gesetzesvorlage gespannt.
Auch die Verbesserung der Saugrüssel an Tankstellen
ist wirkungslos. Auch das, was Sie zum ÖPNV aufgeschrieben haben, grenzt an Lächerlichkeit, Herr Minister.
Wenn ich hier lese:
... stärkere Nutzung moderner Informations- und
Kommunikationstechnologien ({7}), ...
muss ich sagen: Dies gibt es längst bei der DB und den
Verkehrsverbünden. Wenn Sie den Leuten weismachen
wollen, dass dadurch das Ozonproblem gelöst wird, sind
Sie wirklich fehl am Platze.
({8})
Abschließend möchte ich nur feststellen: Die F.D.P. hat
mehrfach mitgeteilt, was sie für notwendig hält. Der
Schlüssel zur dauerhaften Lösung des Problems der
Ozonbelastungen liegt in der Senkung der Grundlast der
Ozonvorläufersubstanzen. Wir fordern von Ihnen weiterhin ein klares Konzept zur Verringerung dieser Ozonvorläufersubstanzen, denn für die Behebung des Problems
des bodennahen Ozons, Herr Minister, brauchen wir ein
schlüssiges Gesamtkonzept statt zahnlosem Aktionismus.
Danke.
({9})
Als
nächster Redner hat der Bundesminister Jürgen Trittin das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über diese Fragen diskutieren, ist es vielleicht angemessen, sich einmal daran
zu erinnern, was Bestandteil der bisherigen gesetzlichen
Regelung zum Ozon gewesen ist. Da, wo „Fahrverbot“
draufstand, war nämlich in Wahrheit „Freie Fahrt für alle“
gemeint. Wenn es dazu noch eines Beweises bedurft hätte,
dann ist er 1998 mit dem so genannten Ozonalarm erbracht worden. Damals ging es nach dem Motto: Stellt
euch vor, es herrscht Fahrverbot, und alle fahren einfach
weiter. - Die Ausnahmen von den Regeln, die von Ihnen
zu verantworten waren, waren nämlich so großzügig, dass
man sich schon ziemlich doof anstellen musste, um nicht
fahren zu dürfen. Und die Voraussetzungen waren
schlicht und ergreifend so gestrickt, dass es faktisch zu
keinem Ozonalarm und den damit auszulösenden Maßnahmen kommen konnte.
Wenn Sie sich die Voraussetzungen in Erinnerung rufen: Sie brauchten drei Messstationen, die mehr als 50 Kilometer, aber weniger als 250 Kilometer auseinander lagen. Bei manchen Bundesländern musste man noch ein
anderes Bundesland einbeziehen. Niemand konnte das
kontrollieren.
Meine Damen und Herren, bei Ihren Ozonregelungen
handelt es sich um nichts anderes als um symbolische
Maßnahmen.
({0})
Diese Regeln waren so symbolisch, dass sie auch in diesem Sommer nicht an einem einzigen Tag Ozonalarm hätten auslösen können. Es ist ein Witz der Geschichte, dass
Sie für diese Verhohnepipelung der Bevölkerung heute,
da die Regeln nicht mehr gelten, Lob ausgerechnet von
Greenpeace bekommen. Wir werden uns diesem postfuneralen Lob für eine bloß symbolische Regelung nicht anschließen.
({1})
Wir haben die alte Sommersmogregelung mit Absicht
auslaufen lassen, unter anderem weil alle Länder, von
Bayern bis Schleswig-Holstein, ob Schwarz, ob Rot, ob
Grün, gesagt haben: Diese Verordnung wollen wir nicht
mehr; sie lässt sich nicht praktizieren. Wir befinden uns
mit dieser Position in Übereinstimmung mit dem Rat von
Sachverständigen für Umweltfragen - Sie, liebe Frau
Döpp, haben ihn vorhin schon zitiert -, der ausdrücklich
gesagt hat: Die Sofortmaßnahmen halten wir für ungeeignet und überwiegend wirkungslos. Stattdessen müssen
Stickoxid- und Kohlenwasserstoffemissionen dauerhaft
verringert werden. Solche Maßnahmen müssen auch über
Europa hinweg ergriffen werden.
Diesem Gebot kommen wir mit dem Sofortprogramm
zur Verminderung der Ozonbelastung nach.
({2})
Wir haben wirksame und dauerhafte Senkungen der Vorläufersubstanzen im Auge. Es sind 17 Einzelmaßnahmen. Sie erfassen präzise jene Bereiche, in denen die
Ozon bildenden Substanzen heute noch in großen Mengen entstehen, insbesondere im Bereich des Verkehrs und
im Bereich der Lösemittelverwendung.
Dazu gehört auch eine stärkere Spreizung der KfzSteuer. Wir haben ein konkretes Ziel: Wir wollen im
nächsten Jahr die Hälfte der 6 Millionen alten Stinker aus
dem Verkehr ziehen. Diese hoch emittierenden PKWs
emittieren allein 50 Prozent der VOC-Emissionen aller
PKWs in Deutschland. Wir könnten mit den erzielten Mehreinnahmen umweltgerechtes Verhalten belohnen und
künftig beispielsweise Besitzern eines Dreiliterautos - ich
greife jetzt einfach einmal eine Zahl - zu den 1 000 DM,
die sie schon heute erhalten, eine Vergünstigung von weiteren 750 DM zahlen.
({3})
Selbstverständlich brauchen wir eine gespreizte Besteuerung bei Motorrädern. Durch eine solche Spreizung
kann sich umweltgerechtes Verhalten lohnen. Aufgrund
der dortigen Tarife ist es, wenn man eine entsprechende
Staffelung einführt, selbstverständlich möglich, beispielsweise denjenigen, die ein Motorrad mit Katalysator anschaffen oder einen Katalysator an ihrem Motorrad
nachrüsten, wie es auch prominente Motorradfahrer und
-fahrerinnen getan haben, eine Vergünstigung von
500 DM für vier Jahre zu gewähren.
Sie haben sich ein paar Beispiele ausgesucht, liebe
Frau Homburger. Ich nenne Ihnen eines, zu dem Sie vielleicht konkret Stellung nehmen sollten. Wir wollen eine
streckenbezogene Autobahngebühr. Wir haben innerhalb der EU unter deutscher, also meiner Präsidentschaft,
bei den schweren LKWs den DeNOx-Katalysator durchgesetzt, und wir wollen für die LKW eine streckenbezogene und auch emissionsabhängige Autobahngebühr.
Wenn Sie hier erzählen, das sei alles nichts, dann nehmen Sie doch einmal konkret zu der Frage Stellung: Ist die
F.D.P. für diese Autobahngebühr? Oder wollen Sie uns
hier nur Untätigkeit vorwerfen?
({4})
Ich muss sagen, das ist Umweltpolitik ohne Biss, gnädige
Frau.
Das Gleiche gilt für die Lösemittelrichtlinie. Ich freue
mich schon auf die vielen Schreiben, die aus Ihrer Klientel kommen werden - in Hamburg haben Sie ja einmal als
die Malerpartei gegolten -, wenn wir darangehen, beispielsweise den Anteil von Lösemitteln in Lacken und
Ähnlichem europaweit zu begrenzen. Das ist nunmehr im Wesentlichen auf deutsches Drängen hin - von der
Kommission zugesagt worden.
Meine Damen und Herren, sicherlich ist es richtig, dass
bei der Ozonkonzentration nicht alles durch nationale
Maßnahmen erreicht werden kann. Ein Drittel der Immissionen in diesem Bereich entstehen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Das macht manche Maßnahmen natürlich nur sehr beschränkt wirkungsvoll.
Aber mit diesem Ansatz wird es bis zum Jahre 2005
nach einer ersten groben Abschätzung zu einer zusätzlichen Reduzierung der Vorläufersubstanzen - Stickoxide
und flüchtige organische Verbindungen - von insgesamt
weiteren 150 Kilotonnen kommen. Wir erzielen also eine
nochmalige Reduzierung um 30 Prozent.
Wenn wir heute an 40 Tagen im Jahr über dem Wert
von 120 Mikrogramm liegen und wenn die EU sagt, im
Jahre 2010 sollen es nur noch 20 Tage sein, dann sage ich
Ihnen: Mit diesem Programm werden wir diesen angestrebten Wert der EU etliche Jahre früher erreichen.
({5})
Unser Programm zielt darauf, dass der Alarmwert von
180 Mikrogramm - Ihre Aktion begann ja erst bei 240 Mikrogramm - im Jahre 2005 nicht mehr überschritten wird.
Aber was ist bis dahin? Ich finde es nicht richtig, wenn
bei solchen Wetterlagen in erster Linie die Botschaft vermittelt wird: Kinder sollen nicht draußen spielen und
Sportler sollen sich draußen möglichst nicht viel bewegen. Ich finde, an solchen Tagen muss man eine klare andere Botschaft geben: Leute, nutzt den öffentlichen Nahverkehr, verzichtet auf euer Auto!
({6})
Das ist der Grund, warum die Koalition gesagt hat: Wir
wollen ein Ozonticket, wir wollen unter dem Motto: Kinder zahlen gar nichts, Erwachsene die Hälfte, einen Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr fördern.
({7})
Wir haben für die betroffenen Verkehrsbetriebe an dieser
Stelle sogar eine finanzielle Erstattung vorgesehen.
({8})
Nun kommen wir zu einem ganz komischen Phänomen: Wir erleben, dass man Verbänden Geld anbietet und
sie es nicht haben wollen, und das noch nicht einmal mit
den intelligentesten Argumenten. Da wird gesagt, wenn
wir ein paar Tage im Jahr Gelegenheitsfahrer billiger fahren lassen, dann ist das eine Benachteiligung von Besitzern von Dauerkarten, die dann einen nicht mehr ganz so
großen Preisvorteil haben. Ich kann das ehrlich gesagt
nicht nachvollziehen.
Begreifen diese Verbände nicht, dass aus gelegentlichen Ozonticketbenutzern schnell Dauerkunden werden
können, wenn sich das Angebot als attraktiv erweist?
({9})
Ich behaupte, mit dieser Haltung des Verbandes verschläft
der öffentliche Nahverkehr eine einmalige Werbechance.
({10})
Ich sage mit aller Deutlichkeit: Wir bieten unabhängig
von der Haltung der Verbände noch einmal an, mit uns
diesen Versuch zu wagen. Sie sehen daran, meine Damen
und Herren: Wir setzen hier nicht wie Sie auf Symbolik,
auf Simulieren, sondern auf Handeln.
({11})
Als nächste Rednerin hat Kollegin Eva Bulling-Schröter von der PDSFraktion das Wort.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
Recht haben Grüne und SPD in der vergangenen Wahlperiode die Sommersmogverordnung der Regierung Kohl
als völlig wirkungslos bezeichnet. Kollege Brinkmann hat
sie jetzt gerade als Placeboverordnung betitelt. Die Vorwarn- und Fahrverbotswerte waren zu hoch. Zahlreiche
Ausnahmeregelungen durchlöcherten die Verordnung, die
Ende letzten Jahres auslief.
Es hätte also die Chance bestanden, nun endlich eine
wirksame, weil scharfe Verordnung zu erlassen und
gleichzeitig ein Paket zu schnüren, welches mittel- bis
langfristig die Ursachen dieses Smogs bekämpft. Die
Verordnung fiel aber völlig unter den Tisch; das Paket ist
trotz begrüßenswerter Ansätze nur mangelhaft geschnürt.
Nunmehr versucht Herr Trittin - wir haben es gerade
gehört -, eine weitere Niederlage des Umweltministeriums gegen das Verkehrsressort als Fortschritt zu verkaufen: Nicht die Merkelsche Verordnung sei schlecht gewesen, sondern Sommersmogverordnungen seien überhaupt
Unsinn! Deshalb gebe es in diesem Jahr gar keine. Im
Übrigen zweifelt er auch Greenpeace-Studien an.
Es ist vergessen, dass die Grünen damals - wie die
PDS - Fahrverbote und Geschwindigkeitsbegrenzungen
ab 180 Mikrogramm statt 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und eine Streichung der meisten Ausnahmeregelungen verlangten. Es ist auch vergessen, dass damals
mit der akuten Gesundheitsgefährdung der Bürgerinnen
und Bürger argumentiert wurde. Es ist ebenso vergessen,
dass selbst der grüne MdB Winfried Hermann - leider ist
er nicht da - hinsichtlich des Erlasses von entsprechenden
Grenzwerten vor zwei Monaten aktiv wurde, nachdem
klar war, die Bundesregierung würde die Neufassung der
Sommersmogverordnung schlichtweg verpennen.
Für dieses Jahr sollen nun also so messerscharfe Instrumente wie Selbstverpflichtungen der Industrie und
Appelle an die lieben Autofahrerinnen und Autofahrer,
doch das geliebte Stück mal stehen zu lassen, sowie die
Bitte an die Verkehrsbetriebe, vielleicht ein Ozonticket
einzuführen, eine Sommersmogverordnung ersetzen. Und
selbst diese Spaßnummern kommen zu spät, denn die alten Grenzwerte wurden in diesem Frühjahr schon mehrfach überschritten.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Dass die vom
Kabinett längerfristig angelegten Maßnahmen zur Senkung der Ozonvorläufersubstanzen beschlossen wurden,
ist grundsätzlich begrüßenswert. Doch sie ersetzen keinesfalls Regelungen zum akuten Sommersmog. Brandschutz ersetzt im Ernstfall weder Feueralarm noch Löschzug. Dies gilt im Übrigen auch für die kommenden Jahre.
Außerdem sind im Maßnahmepaket der Bundesregierung mit dem irreführenden Namen „Sofortmaßnahmen“
die seit langem von Umweltverbänden - und einstmals
auch von den Grünen - geforderten generellen Tempolimits nicht enthalten. Da wird anscheinend herumgemogelt. Der deutsche Sonderweg in Fragen Geschwindigkeit
soll auch von Rot-Grün behütet und gepflegt werden. Dafür streitet man sich im Kabinett ersatzweise leidenschaftlich über die Emissionen von Rasenmähern. Das
Ganze scheint mir allerdings für eine nachhaltige Umwelt- und Verkehrspolitik nicht wirklich überzeugend.
Jetzt zum Sofortprogramm: Da fehlt etwas! Ich
würde in Nr. 8 bei der Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs nicht nur die Fahrplanauskünfte per Internet - meistens schaut man nicht ins Internet, wenn man
mit dem Bus fahren will -, sondern zum Beispiel auch
bessere Taktzeiten aufnehmen. Das wäre ein wirklicher
Effekt.
({0})
In Nr. 9 des Sofortprogramms, Förderung des Gütertransports mit Schiff und Bahn, würde ich den Verzicht auf
Streckenstilllegungen aufnehmen. Das wäre ein gutes Sofortprogramm, denn hier wäre wirklich etwas zu tun, und
das hätte Effekt.
Danke.
({1})
Als
nächster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär
Kurt Bodewig das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vorgelegte
Programm zur Verminderung der Belastung durch
Sommersmog enthält ein Paket von 17 dauerhaften Maßnahmen, die zu einer deutlichen und - sehr viel wichtiger - nachhaltigen Reduzierung der Ozonvorläufersubstanzen führen werden. Damit ist klar, dass wir konkret
handeln und das Problem an der Wurzel anpacken.
Ich möchte gerne darauf hinweisen, was wir vorgefunden haben: Unter der Regierung Kohl mit seiner Umweltministerin Merkel gab es eine Rechtsvorschrift, die man
mehr als Schein statt Sein bezeichnen konnte. Das Ozongesetz enthielt Geschwindigkeitsbegrenzungen und Fahrverbote. Allerdings enthielt das Ozongesetz mehr Ausnahmen als Regelungen. Wegen der vielen Ausnahmetatbestände war bei dem einzigen verhängten
Fahrverbot im Jahre 1998 keine Wirkung festzustellen.
Frau Dött, ich denke, dass der Begriff „Placeboregelung“
wirklich zu Recht zutrifft.
({0})
- Doch, wir haben einiges. Bleiben Sie mal dran!
Damit machen wir jetzt Schluss. In dem Maßnahmeprogramm wollen wir wirksam und dauerhaft zur Verminderung beitragen. Ich unterstütze ausdrücklich die
Ausführungen des Bundesumweltministers, sage aber
auch, dass der Verkehrsbereich seine Beiträge dazu leisten muss. Dies machen wir im Kontext mit unserer Politik. Denn wir vertreten das Leitbild einer dauerhaften Politik. Dauerhafte Mobilität muss aber ökologisch sein. Wir
müssen alles unternehmen, wofür wir ein Bündel verkehrspolitischer Maßnahmen anbieten.
Wir fordern eine weitere Spreizung der Kfz-Steuer für
Fahrzeuge ohne geregelten Katalysator.
({1})
- Doch, wir machen es.
({2})
- Frau Homburger, gemach, gemach! - Es ist das Ziel, den
Bestand der Altfahrzeuge bis zum Jahr 2002 zu halbieren. Das sind 6,5 Millionen Fahrzeuge. Das ist ein
wirksames und ehrgeiziges Ziel.
({3})
- Gemach, gemach Herr Friedrich! Das werden wir Zug
um Zug tun. Sie wissen das doch.
Die Spreizung der Steuern für schwere Nutzfahrzeuge
ist bereits angesprochen worden. Wir wollen die Einführung einer emissionsbezogenen Kfz-Steuer für
leichte Nutzfahrzeuge. Außerdem wollen wir die Abgasuntersuchung und eine emissionsbezogene Kfz-Steuer
für Motorräder einführen. Ich denke, dass der Sommersmog etwas mit der Nutzung von Motorrädern im Sommer zu tun hat. Gleichzeitig sind wir für eine Verminderung der VOC-Emissionen beim Betanken von Kfz.
Weiterhin sind wir - dieses Projekt wird wesentliche
Auswirkungen haben - für die Einführung einer
streckenbezogenen Autobahngebühr für schwere LKW
mit emissionsabhängiger Komponente;
({4})
Ich bestätige noch einmal: Wir werden zudem in der
EU unsere Forderung nach einer Kerosinsteuer nach wie
vor massiv vertreten. Dies muss europäisch geregelt sein.
Das Gleiche gilt auch für die Initiativen für emissionsbezogene Landegebühren.
Wir sollten eines noch deutlich machen: Mit der steuerlichen Förderung von schwefelarmen und schwefelfreien Kraftstoffen nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle
in Europa ein und leistet einen weiteren Beitrag zur Senkung der Schadstoffemissionen. Das sollten wir nicht vergessen. Dies vertreten wir ganz wirksam.
Der Bundesumweltminister hat bereits angesprochen,
dass der Einsatz von erdgasbetriebenen Fahrzeugen
eine große Chance bietet. Bei den Nahverkehrsbetrieben
wird dieses Angebot angenommen.
Ich denke, Frau Homburger, wenn Sie alles lesen, was
in dem Programm steht, werden Sie Ihre Vorwürfe überdenken.
({5})
- Ihre Ausführungen haben deutlich gemacht, dass Sie das
Programm nicht gelesen haben. Das ist der eigentliche
Punkt.
({6})
Der ÖPNV wird hier eine Schlüsselrolle spielen. Täglich werden 26 Millionen Fahrgäste mit Bussen und Bahnen befördert. Das entspricht rund 18,5 Millionen eingesparten PKW-Fahrten. Daran wird sehr deutlich, Frau
Bulling-Schröter, dass wir den ÖPNV ernst nehmen. Das
können Sie auch daran sehen, dass wir ihn mit jährlich
15 Milliarden DM fördern. Wir entlassen aber nicht die
Verkehrsunternehmen aus ihrer Verantwortung, die sinnvollsten Takte und das beste Engagement vor Ort zu zeigen. Aber eine Unterstützung des Bundes mit 15 Milliarden DM ist meiner Meinung nach ein deutliches Zeichen.
({7})
Ich komme noch einmal auf das Ozonticket zu sprechen. Das ist doch ärgerlich. Wenn die Idee, bei Ozon Erwachsene zur Hälfte und Kinder zum Nulltarif zu transportieren, von den Nahverkehrsunternehmen nicht aufgenommen wird, dann wird daran eine besondere Form der
Kurzsichtigkeit deutlich. Man könnte das als Chance für
Imagewerbung des ÖPNV betrachten. Das hätte betriebswirtschaftliche Auswirkungen, weil sich die Anzahl möglicher Kunden erhöhen würde. Wenn die Forderung nach
mehr Geld die einzige Reaktion von Verbandsvertretern
ist, zeigt dies, wie borniert und kurzsichtig eine solche
Vorgehensweise ist. Ich sage Ihnen: Die Basis ist weiter
als die Funktionäre und ihre Verbände.
({8})
Wir haben einige gute Signale erhalten, dass über ein
Ozonticket im Modellversuch gesprochen wird. Dies ist
in Berlin und Osnabrück der Fall. Straßburg beispielsweise zeigt, dass eine konkrete Umsetzung des Ozontickets auf die spezifischen Verhältnisse vor Ort machbar
ist.
Ich frage mich, warum das bei uns nicht machbar ist.
Warum sind bundesdeutsche Nahverkehrsunternehmen
nicht in der Lage, intelligente, kreative Lösungen zu suchen, die das Ziel haben, Menschen dazu zu bewegen, den
Wagen stehen zu lassen und eine ökologisch sinnvolle
Transportart, nämlich den ÖPNV, zu nutzen?
({9})
Ich finde das borniert.
Ich glaube, dass die Debatte fortgesetzt wird und dass
die Nahverkehrsunternehmen die Chance, die wir mit der
Diskussion über das Ozonticket eröffnen, nutzen werden.
Sie brauchen etwas Nachhilfe und ein bisschen Druck von
den Menschen, die den ÖPNV vor Ort nutzen wollen.
Zusammenfassend möchte ich feststellen: Die Bundesregierung nimmt ihre Verpflichtungen ernst. Wir handeln
wirksam, kosteneffizient und setzen vor allem auf nachhaltige Wirkungen. Statt auf eine Placebopolitik setzen
wir auf eine Änderung mit langfristiger Wirkung. Das ist
ein gutes Programm, das man mit Freude und Stolz vertreten kann.
Vielen Dank.
({10})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort
der Kollege Georg Girisch von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Das Sofortprogramm
der Bundesregierung zur Verminderung der Ozonbelastung trägt seinen Namen zu Unrecht.
({0})
Es ist - wenn Sie so wollen - kein Sofortprogramm. Es
werden Maßnahmen in die Wege geleitet, die eigentlich
nur auf lange Sicht wirken können. Es ist zu begrüßen,
dass von Schnellschüssen wie zum Beispiel vom Fahrverbot - Gott sei Dank - nicht mehr die Rede ist; denn von
zeitlich beschränkten Maßnahmen kann keine Wirkung
ausgehen, wie es das Umweltgutachten 2000 des Rates
von Sachverständigen für Umweltfragen belegt. Dies hat
inzwischen - Gott sei Dank - auch der Bundesumweltminister erkannt.
In der Sache wird eine Spreizung der Kraftfahrzeugsteuer geplant, deren Höhe von der Abgasbelastung, die
durch das jeweilige Fahrzeug verursacht wird, abhängig sein soll. Damit wird zumindest der Wortlaut der
Bundesratsinitiative von Bayern und Baden-Württemberg
zum Verkehrsbereich vom 12. Mai übernommen. Zur Erinnerung: Die Verminderung der erhöhten Konzentration
von bodennahem Ozon wird darin als notwendig angesehen. Vorgeschlagen wurden neben einer Verstärkung steuerlicher Anreize auch eine Verschärfung der Abgasvorschriften und deren strenge Überwachung. Auf europäischer Ebene käme dann der Vorsprung der deutschen
Automobiltechnik noch besser zum Tragen. Eine Verschärfung der betreffenden Richtlinien ist in Arbeit. Aber
wie sich diese Änderung der Kfz-Steuer und die Umsetzung der EU-Lösungsmittelrichtlinie zum 1. Januar
2000 noch auf diesen Sommer auswirken sollen, bleibt für
mich ein Rätsel.
({1})
Es ist festzuhalten, dass der Ausstoß der Vorläufersubstanzen des Ozons seit mehreren Jahren rückläufig ist:
Von 1990 bis 1997 - ich beziehe mich auf die Zahlen des
Bundesumweltamtes - ging unter einer unionsgeführten
Bundesregierung der Ausstoß von insgesamt rund
5,9 Millionen auf 3,6 Millionen Tonnen zurück. Dazu hat
besonders der Rückgang des Ausstoßes im Straßenverkehr von insgesamt rund 2,7 Millionen auf 1,3 Millionen
Tonnen beigetragen. Das ist eine Halbierung.
({2})
Um die EU-weit vorgesehene Senkung der Ozonbelastung der Bevölkerung auf ein Drittel des jetzigen
Stands bis 2010 zu erreichen, schlägt die CDU/CSUFraktion eine einkommensneutrale Spreizung der KfzSteuer vor.
({3})
Dadurch und durch weitere Anreize sollen vor allen Dingen die alten Dreckschleudern stillgelegt werden. Anders
ausgedrückt: Schadstoffarme Kraftfahrzeuge sollen noch
mehr als bisher begünstigt werden. In diese Regelung sollen auch, soweit dies möglich ist, Zweiräder und leichte
Nutzfahrzeuge, also LKWs unter 3,5 Tonnen, einbezogen
werden.
Herr Kollege Girisch, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Matschie zu?
Herr Präsident, Sie haben selbst gesagt, dass die Redner keine Zwischenfragen
mehr zulassen sollten.
({0})
Gut, ich
bedanke mich.
Ja, das hat er doch gesagt - oder?
Die Überführung der bislang ausschließlich gewichtsabhängigen Besteuerung der Nutzfahrzeuge unter
3,5 Tonnen in eine emissionsabhängige Kfz-Steuer wäre
ein weiterer richtiger Schritt.
In der Unterrichtung der Bundesregierung vermisse ich
eine Aussage zu den Großfeuerungsanlagen und zu den
sonstigen großen Abgasproduzenten in der Industrie.
Hierzu weise ich ausdrücklich auf Punkt II.2 unseres Antrages hin. Immerhin tragen diese Anlagen bei der
Wärme- und Stromgewinnung mit weiteren 6 000 Tonnen
zu den Vorläufersubstanzen bei. Wir jedenfalls haben dies
nicht übersehen. Wir fordern in unserer Drucksache die
Bundesregierung daher auf, den Stand der Technik für
Großanlagen bei der Umsetzung der IVU-Richtlinie der
EU neu festzulegen.
Ich möchte noch auf die so genannten mobilen Geräte
und Maschinen, also Kräne, Bagger und land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen, hinweisen. Sie werden
zurzeit anders als „normale“ Nutzfahrzeuge vergleichbarer Größe behandelt. Da die Technik zur Abgasverminderung zur Verfügung steht, sollte man deren Einsatz fördern. Hierzu müsste die Bundesregierung auf europäischer Ebene tätig werden.
Ein weiteres Problem - das ist richtig erkannt worden stellt die Verwendung von Lösungsmitteln, zum Beispiel
in Lacken, dar. Sie trug 1997 mit 1 Million Tonnen zu den
Vorläufersubstanzen des Ozons bei. Teil der Gegenmaßnahmen muss es sein, die Anteile an Lösungsmitteln
bei den einzelnen Produkten kenntlich zu machen und
diese Anteile dann durch technischen Fortschritt zu verringern. Dies wird ebenfalls im Antrag der CDU/CSUFraktion deutlich, der mit Blick auf die ferne Zukunft formuliert ist.
Wir brauchen also auch auf diesem Gebiet kein so genanntes Sofortprogramm, sondern eine auf lange Frist angelegte Strategie, wie sie zum Beispiel im Antrag des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat angeregt wurde.
Dabei muss auf eine rasche Umrüstung der betroffenen
Industrien, also insbesondere der chemischen Industrie,
hingewirkt werden.
Wenn sich die Bundesregierung jetzt beim Thema
Ozon Gedanken über die Förderung des kombinierten
Güterverkehrs machen will, dann kann ich nur fragen:
Ist Ihnen der vor Monaten eingebrachte Antrag der
CDU/CSU-Fraktion zur Bahnreform entgangen? Oder
haben Sie dies aus anderen Gründen nicht bemerkt?
({0})
Mit der von Ihnen gelieferten halbherzigen Formulierung
bekommen Sie den kombinierten Güterverkehr nicht aus
der Krise.
({1})
- Das werde ich Ihnen zum Schluss noch sagen.
({2})
Es ist trotz aller Unterschiede gut, dass die Bundesregierung mit den zunächst von Bayern und Baden-Württemberg genannten, von der CDU/CSU-Fraktion unterstützten Zielen bei der Abgasverminderung übereinstimmt. Wie man sehen kann, stellen Schutz der
Gesundheit und technische Fortschritte keinen Widerspruch dar.
Ich möchte noch auf die besondere Bedeutung eines
festen Eintretens für die deutschen Positionen im Rahmen
der Europäischen Union hinweisen, um Wettbewerbsverzerrungen durch niedrige Standards in anderen Mitgliedstaaten zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, nachdem große Teile Ihrer
Vorlage vom Antrag der CDU/CSU-Fraktion und von den
Anträgen Bayerns und Baden-Württembergs abgeschrieben wurden, bitte ich um Zustimmung.
({3})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksache 14/3671 und 14/3609 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({0}), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr
- Drucksache 14/3188 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P.-Fraktion fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Horst Friedrich von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Ihnen vorliegende Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr kommt zu einem idealen Zeitpunkt: Zum einen
können wir unmittelbar vor Beginn der Reisewelle über
das Thema „Verspätungen in der Luft durch nicht ausreichende Luftsicherungskapazitäten“ in diesem Hause diskutieren. Zum anderen geschieht es zeitgleich zum Bemühen der Verkehrspolitiker in den Parlamenten Europas,
neben der Kommission und neben den Regierungen auf
Parlamentsebene eine Lösung des Problems zu finden,
dass mehr als 60 Prozent aller Verspätungen im Luftraum
von sechs Flugsicherungszentralen in Europa ausgehen;
dies muss in Zukunft anders werden.
Weiterhin muss in Europa darüber diskutiert werden,
dass es keinen Sinn macht, Luftraumbeschränkungen
durch Trennung von militärischem und zivilem Luftverkehr vorzunehmen. Das gilt insbesondere für die
Schweiz, die, weil sie von Feinden umzingelt ist,
({0})
auf der einen Seite 50 Prozent ihres kompletten Luftraumes aus Gründen des militärischen Vorrangs sperrt, auf
der anderen Seite aber erstaunt ist, wenn es auf den Anflugsrouten zum einzigen großen Flughafen, nämlich
Zürich-Kloten, die über Deutschland führen, zu Engpässen kommt.
({1})
Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Annahme,
dass nach Vorausberechnungen der Luftverkehr wahrscheinlich jährlich um 5 bis 6 Prozent zunehmen wird, haben wir vier wesentliche Punkte in unseren Antrag, der
Ihnen heute vorliegt, aufgenommen. Zum einen geht es
um die Schaffung eines europaweit gültigen Rahmens für
leistungsorientierte und nach Wettbewerbsgrundsätzen
arbeitende Flugsicherungsdienste. Diese sollten, wenn
es nach uns geht, vorzugsweise privatwirtschaftlich geführte Organisationsformen aufweisen, deren Effizienz
die deutsche Flugsicherung seit 1992 in Deutschland hinlänglich beweist.
({2})
Das Zweite - das ist mindestens genauso wichtig - ist
die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Luftraummanagements neben der militärischen und der zivilen Flugsicherung. Durch eine solche Planung könnte
sichergestellt werden, dass keine Vorranggebiete mehr
aus übergeordneten Gründen gesperrt werden und keine
künstlichen Barrieren für einen welt- bzw. europaweit
wichtigen Verkehr aufgestellt werden.
Weiterhin sind wir, weil das in nationalem Interesse
liegt, sehr daran interessiert, dass auf die von allen Verkehrsministern einvernehmlich festgestellte Situation,
dass in Deutschland in absehbarer Zeit vier zusätzliche
Start- und Landebahnen notwendig sind,
({3})
um das Angebot an Flugverkehr umzusetzen, sinnvollerweise auch zeitgerecht reagiert wird. Es liegt ja dankenswerterweise seit Juni dieses Jahres ein Flughafenkonzept der Bundesregierung vor. Darin wird zwar nicht
dezidiert auf diese vier Bahnen eingegangen - logischerweise finanziert ja auch nicht der Bund diese Bahnen -,
aber ein in sich schlüssiges Gesamtverkehrsangebot, das
Sie immer für die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes fordern, muss natürlich auch diese Überlegungen implementieren, zumindest dann, wenn es um die Anbindung der Flughäfen geht. Es ist ja mittlerweile auch
eine unstrittige Tatsache - das steht sogar im Konzept der
Bundesregierung -, dass die Schadstoffbelastung durch
die Flugzeuge 3 Prozent der Gesamtschadstoffbelastung
im Umfeld eines Großflughafens ausmacht. Der Rest ergibt sich aus dem übrigen Verkehr, vorzugsweise aus dem
auf der Straße abgewickelten Zubringerverkehr.
Gleichzeitig halten wir an unserer Bitte fest, die Flughafenkapazitäten in Deutschland durch ein in sich schlüssiges, dezentrales Flughafensystem - das hat die F.D.P.
bereits in der letzten Wahlperiode beantragt - so zu managen - auch hier sind unsere Forderungen mit den Vorschlägen des Hauses deckungsgleich -, dass die Nachfrage nach Luftverkehr, die in Deutschland besteht, auch
in Deutschland befriedigt werden kann.
Welche Bedeutung funktionierender Luftverkehr für
die Exportnation Deutschland hat, mögen Sie daraus ersehen, dass der wertmäßige Anteil der Luftfracht, die
Deutschland verlässt, 15 Prozent der Gesamtfracht ausmacht, während der mengenmäßige Anteil der Luftfracht
nur 0,4 Prozent an der gesamten Fracht ausmacht.
Ich freue mich auf eine sehr intensive Beratung in den
Ausschüssen. Ich gehe davon aus, dass sich die Parlamentsfraktionen von Rot und Grün über das Flughafenkonzept der Bundesregierung einig sind. Ich glaube, dann
haben wir die ideale Kombination aus unserem Antrag
und dem, was Sie vorgelegt haben.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Reinhard Weis von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer hätte das gedacht! Wir debattieren heute über ein zweites Anti-StauProgramm.
({0})
Aber diesmal hat die F.D.P. die Autorenschaft. Uns zeigt
dieser Vorgang immerhin, dass unsere Idee mit dem AntiStau-Programm für Straße und Schiene offensichtlich so
gut war, dass man diese Idee aufgreifen und nachahmen
kann.
({1})
Über die Urheberschaft will ich aber keinen Streit beginnen; denn das Thema „Verspätungen im Luftverkehr“,
das die F.D.P. in ihrem Antrag aufgreift, ist leider seit Jahren aktuell. Die Verspätungen sind nicht nur für Fluggäste und Luftfrachtspediteure ärgerlich, sondern auch für
die Luftverkehrsgesellschaften. Experten der Luftfahrtbranche beziffern nämlich die jährlichen Verluste aufgrund der Verspätungen auf 20 Milliarden DM. Diese
Summe ist kein Pappenstiel.
Nun wissen wir aus Diskussionen untereinander, aus
Diskussionen mit Luftverkehrsunternehmen und der
Deutschen Flugsicherung, dass sowohl über die Ursachen
dieser ärgerlichen Situation als auch über die Lösungsansätze kaum Diskrepanzen zwischen den Fraktionen bestehen. Die Rede von Herrn Friedrich hat dies im Wesentlichen deutlich gemacht.
Ich will die drei wesentlichen Ursachen nennen: Da ist
zum Ersten die nicht optimierte Luftraumplanung und
Luftraumnutzung in Europa. Das bezieht die Frage der
militärischen und zivilen Nutzung ein. Da gibt es zum
Zweiten einen eklatanten Fluglotsenmangel. Nach Schätzungen fehlen circa 1 600 Fluglotsen in Europa. Dieses
Problem muss allerdings jeweils in nationaler Zuständigkeit gelöst werden. Es gibt zum Dritten uneinheitliche technische Flugsicherungssysteme und zu geringe,
den Fluglotsen in seiner Tätigkeit unterstützende Systemfunktionalität.
Da wir in der Einschätzung der Situation so nahe beieinander sind, verwundert uns als SPD-Fraktion allerdings der isolierte Vorstoß der F.D.P. schon etwas. Das
erste Verwundern ergibt sich aus der Tatsache, dass es in
der Vergangenheit bei der Organisationsprivatisierung der
Deutschen Flugsicherung die äußerst positive Erfahrung
gab, dass der Deutsche Bundestag mit allen Fraktionen
auch gegen den Widerstand innerhalb des Fachministeriums eine deutsche Erfolgsstory mit der Privatisierung der
Horst Friedrich ({2})
Flugsicherung und Zusammenfassung der militärischen
und zivilen Luftraumüberwachung auf den Weg brachte.
An solche Erfahrungen der koordinierten Arbeit sollte gerade bei dem sensiblen Problem der Schaffung eines einheitlichen europäischen Flugraumes angeknüpft werden.
({3})
Wenn wir in überschaubar kurzen Zeiträumen hier Erfolge erzielen wollen, dann wird jeder von uns mit seinen
jeweiligen europäischen Partnern der Schwesterparteien
Überzeugungsarbeit leisten müssen.
Das zweite Verwundern ist damit verbunden, dass die
F.D.P. - wie ich meine: wider besseres Wissen - in ihrem
Antrag der Bundesregierung Kompetenzen zumisst, die
ihr in der EU im Verhältnis zu souveränen Nationalstaaten gar nicht zustehen. Außerdem wird das Thema fälschlicherweise mit Problemkreisen in ursächliche Zusammenhänge gebracht, die gar nicht gegeben sind. Darauf
möchte ich im Folgenden eingehen.
Zuvor möchte ich aber ganz klar sagen, dass meine
Fraktion ebenfalls Handlungsbedarf sieht, für ein abgestimmtes europäisches Vorgehen einzutreten, auch wenn
ausweislich der Statistiken von Eurocontrol gegenüber
Mai 1999 im Mai 2000 infolge koordinierter, kurzfristiger
nationaler Maßnahmen die Pünktlichkeit im europäischen Flugverkehr erhöht wurde. So stieg trotz einer Verkehrssteigerungsrate von 6,3 Prozent der Anteil der
pünktlich abgewickelten Flüge von 82,4 auf 87,9 Prozent.
Hochgerechnet auf alle Flüge bedeutet dies fast eine Halbierung der Verspätung pro Flugzeug. Aber wir wissen,
dass sich der Flugverkehr bis 2015 mindestens verdoppeln wird. Die Luftsicherungskapazitäten müssen dieser
Prognose angepasst werden.
({4})
Nun zu den Bestandteilen des F.D.P.-Antrages. Ein Aktionsplan für Europa kann nicht von der Bundesregierung durchgeführt werden. Dazu bedarf es der Abstimmung und Entwicklung auf europäischer Ebene. Sie, Herr
Friedrich, wissen doch durch die Berichterstattung in unserem Ausschuss, dass die Bundesregierung in der Zeit ihrer Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr genau dies
angestoßen hat.
({5})
Kommissarin de Palacio hat nach der Tagung des Verkehrsministerrates im Juni des vergangenen Jahres eine
hochrangige zivil-militärische Arbeitsgruppe eingesetzt.
Da deren Abschlussbericht erst im Oktober vorgelegt werden wird, werden sowohl wir als Mitglieder des Verkehrsausschusses als auch die Bundesregierung diesen
Zeitpunkt abwarten müssen, um konkrete Konsequenzen
besprechen zu können. Ich gehe davon aus, dass wir dies
dann gemeinsam machen, und wir können dabei an gute
Erfahrungen anknüpfen.
Wir können aber auch schon vor diesem Termin durch
Gespräche zum Beispiel mit Parlamentariern der EUStaaten oder des Europäischen Parlaments diesen Prozess
vorbereiten. Einen Kontakt von Mitgliedern des Verkehrsausschusses gab es dazu auch schon. Da sind die jeweiligen grünen, liberalen, christlichen bzw. konservativen, sozialdemokratischen, sozialistischen und in Frankreich sogar die kommunistischen Partnerparteien von Parteien unseres Parlamentes in den unterschiedlichsten
Parlaments- oder Regierungspositionen, und diese Kontaktebenen müssen wir nutzen. Das ist nicht Aufgabe der
Bundesregierung. Wir haben hier eine Verpflichtung. Herr
Friedrich sprach auch davon, dass wir sie wahrnehmen
wollen.
In Richtung F.D.P. sage ich deshalb: Fordern und verurteilen Sie nicht nur, sondern machen Sie bei diesem
Thema mit! Nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung werden wir dieses Thema packen.
Ein zweiter Forderungskomplex des Antrages ist die
Verknüpfung mit dem dezentralen deutschen Flughafenkonzept. Sie wissen genau, liebe Kolleginnen und Kollegen der F.D.P., dass hier gar keine Bundeskompetenz vorliegt. Für uns auf der Bundesebene gibt es allenfalls eine
mittelbare Verknüpfung dieser Themenbereiche. Für Planung und Genehmigung von Flugplätzen sind die Bundesländer zuständig.
Ich gehe davon aus, dass darüber Konsens besteht, dass
in der heutigen Zeit Bau und Betriebsführung der Flugplätze eigentlich nicht mehr Sache der öffentlichen Hand
sind, sondern mindestens privatrechtlich geführten Gesellschaften obliegen.
Die Bundesländer haben die Bundesregierung beauftragt, federführend das genannte gesamtdeutsche Flughafenkonzept zu erstellen. Es liegt in einem Entwurf vor, der
mit den auftraggebenden Ländern, den Fachverbänden
und der Luftfahrtindustrie beraten wurde. Nicht ohne Kritik, wie wir wissen, aber die Einwände werden ja bei der
Erarbeitung der Endfassung noch berücksichtigt. Ich
hoffe, dass uns als Ausschuss im Herbst ein akzeptables
Konzept vorliegen wird.
Die Beseitigung der Engpässe am Boden ist leider
nicht Bundesaufgabe. „Leider“ sage ich, weil wir als Bundestag aus gesamtstaatlicher Verantwortung möglicherweise anders zum Beispiel mit der Entscheidung über die
Entwicklung der Berliner Flughäfen umgegangen wären.
Leider wurde aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang
eben nicht ernsthaft darüber diskutiert, welche Potenziale
für den Luftverkehr und damit auch für die wirtschaftliche Entwicklung in Nordostdeutschland zu binden wären,
wenn wir im Raum Berlin einen entwicklungsfähigen
Standort mit möglichem 24-Stunden-Betrieb entwickeln
würden. Aus meiner Sicht ist kein einziger der jetzigen
Berliner Flughäfen dafür geeignet. Und an welchem anderen Standort sind Entwicklungs- und Ausbaureserven
für einen internationalen Großflughafen gegeben?
Mit dieser persönlichen Bemerkung habe ich den Bezug zum Antrag etwas verloren - ich gebe das zu -, aber
dieses Beispiel soll zeigen, dass die Kritik im Zusammenhang mit dem dezentralen Flughafenkonzept jedenfalls in die falsche Richtung geht.
Bleibt der dritte Komplex, die Anmahnung der Privatisierung bundeseigener Anteile an Flughäfen. Wir glauben nicht, dass es Privatisierung um der Privatisierung
willen geben sollte. Sie wissen, dass es ganz konkrete PriReinhard Weis ({6})
vatisierungspläne für die Berliner Flughäfen gab und gibt,
und diese sind nicht an der Haltung der Bundesregierung
gescheitert. Beim Flughafen Hamburg steht die Privatisierung der Bundesanteile bevor.
Ich denke, es ist gerechtfertigt, in konkreten Einzelfällen aus übergeordneten verkehrspolitischen Überlegungen abzuwägen, ob der Bund nicht als Mitgesellschafter
direkten Einfluss auf einer Ebene behalten sollte, die sonst
seiner Entscheidung entzogen ist. Zum anderen kann man
wohl auch abwägen, ob mit dem Verkauf von Bundesanteilen Einmalerlöse erzielt werden sollen oder ob man mit
dem beschriebenen Mitspracherecht auch Anteil an den
Gewinnausschüttungen erhält bzw. behält.
Alles in allem ist die Frage der Privatisierung von Flughafenanteilen nicht relevant für die Beseitigung der Engpässe in der Luft. Und nur hier haben wir als Bundespolitiker direkte Verantwortung und Zuständigkeit.
({7})
Wir werden als Plenum diesen Antrag zur Beratung in
die Ausschüsse überweisen. Ich möchte die F.D.P. bitten,
nicht, wie bei der Organisationsprivatisierung der Deutschen Flugsicherung, einen Einzelweg zu beschreiten.
Wir sollten uns gemeinsam auf einen Katalog von Maßnahmen verständigen, die uns dem Ziel eines einheitlichen europäischen Luftraumes möglichst schnell näher
bringen.
({8})
Außerdem gibt es Handlungsbedarf für die Deutsche
Flugsicherung und in ihrem Sinne, um ihr eine eigenständige Rolle im internationalen Raum zu ermöglichen. Dieser Aspekt fehlt im F.D.P.-Antrag ganz.
Also nehmen wir den Vorstoß der F.D.P. - bei aller Kritik, die ich geäußert habe - als Anstoß, das zu tun, was wir
zur Erreichung eines einheitlichen europäischen Luftraumes tun können.
Danke.
({9})
Als
nächster Redner hat der Kollege Norbert Königshofen
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr hatten
wir bei rund 30,3 Prozent der Flüge im innereuropäischen
Gebiet Verspätungen, das heißt, fast ein Drittel aller
Flugzeuge starteten laut Atkins-Bericht mindestens
15 Minuten später als zur im Flugplan angegebenen Startzeit. 1991 waren es nur 12,7 Prozent.
Die Jets der Lufthansa zum Beispiel zogen allein im
Juli 1999 rund 3 000 Stunden Warteschleifen und warteten über 3 600 Stunden auf ihre Startfreigabe. Der volkswirtschaftliche Schaden für Fluggäste, Frachtverlader
und die übrigen am Luftverkehr Beteiligten bewegte sich
in zweistelliger Milliardenhöhe - das ist vorhin schon gesagt worden -; allein der Schaden für die Fluggesellschaften betrug im letzten Jahr rund 8 Milliarden DM.
Darüber hinaus führten die Warteschleifen zu massiven
Mehrbelastungen für die Umwelt. So verursachten sie
zum Beispiel 320 000 Tonnen Kohlendioxid zusätzlich.
Wenn nichts geschieht, werden die Verspätungen und
die damit verbundenen Schäden weiter zunehmen; denn
die Nachfrage im Luftverkehr steigt weiter. Das wachsende Mobilitätsbedürfnis und der zunehmende Wohlstand machen das Reisen mit dem Flugzeug erstrebenswert und für viele erschwinglich. Die Globalisierung tut
ein Übriges.
Eurocontrol schätzt das durchschnittliche Wachstum
der Flugbewegungen in Europa auf jährlich 4 bis 5 Prozent; weltweit wird sich die Nachfrage nach Transportleistungen im Luftverkehr in den nächsten zehn Jahren
voraussichtlich verdoppeln.
Nun könnte man, wie viele Grüne, sagen, Luftverkehr
sei Teufelswerk, und alles tun, um ihn einzuschränken.
Aber der Luftverkehr wird immer mehr zu einer Schlüsselindustrie, auch bei uns in Deutschland. Schon heute
arbeiten rund 250 000 Menschen direkt im Luftverkehr,
weitere 500 000 Arbeitsplätze hängen indirekt vom Luftverkehr ab und noch einmal 100 000 Arbeitsplätze kommen in den nächsten zehn Jahren hinzu. Allein die im
Frankfurter Flughafen tätigen Unternehmen erzielen eine
jährliche Bruttowertschöpfung von 5 Milliarden DM.
Umso mehr sind wir, ist vor allem die Regierung - die
nicht an ihrem Platz, sondern irgendwo im Parlament
ist - gefordert, gegen den Dauerstau im europäischen
Luftverkehr etwas zu unternehmen. Hier herrscht großer
und aktueller Handlungsbedarf. Ich gehe einmal davon
aus, dass Minister Klimmt in dieser Angelegenheit unterwegs ist; denn ich sehe ihn leider nicht auf der Regierungsbank.
({0})
- Aber sein Staatssekretär, ja. Für den Luftverkehr ist auch
der Staatssekretär ausreichend.
Wo liegen nun die Ursachen für die Verspätungen?
Eine Ursache liegt sicher in den beschränkten Kapazitäten unserer Flughäfen. Deswegen begrüßen wir die Vereinbarung zwischen Deutscher Bahn AG und Deutscher
Lufthansa AG vom 13. Juli 1998, die eine verstärkte Einbindung von Flughäfen in das Streckennetz der Bahn und
damit eine Vernetzung zum Ziel hat. Dadurch können
viele Kurzstreckenflüge überflüssig und Kapazitäten frei
werden.
Umso unverständlicher ist vor diesem Hintergrund
aber, dass das Transrapidprojekt für die Strecke zwischen
Hamburg und Berlin eingestellt wurde. Diese Verbindung
zwischen den beiden größten deutschen Städten hätte sicherlich viele Kurzstreckenflüge ersetzt.
({1})
Reinhard Weis ({2})
Meine Damen und Herren, wenn man dann im „Handelsblatt“ liest, dass Herr Klimmt gesagt hat, die Transrapidtechnologie schreie förmlich danach, endlich in der
Praxis eingesetzt zu werden - dies soll nun in China geschehen -, dann fragt man sich natürlich, warum das nicht
in Deutschland passiert.
({3})
Die Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn können
jedoch das Kapazitätsproblem auf Deutschlands Flughäfen nur mildern und nicht lösen. Nach Untersuchungen
der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in
Aachen brauchen wir drei bis vier weitere Start- und
Landebahnen, um die rund 700 000 zusätzlichen Flüge
abzufertigen, die im Jahr 2010 erwartet werden. Daher
muss in Frankfurt eine dritte Landebahn gebaut werden.
Auch der Bau des Flughafens Berlin Brandenburg International verträgt keine Verzögerung.
({4})
Dass in Düsseldorf eine Startbahn nicht vollständig genutzt wird, ist einer der Schildbürgerstreiche deutscher
Politik, worüber man sich in Amsterdam, wo bis 2003 die
fünfte Startbahn gebaut wird, sicherlich nur lustig machen
kann.
Wir brauchen dringend ein Luftverkehrskonzept des
Bundes und der Länder. Ob der jetzt vorliegende Entwurf
ein tragfähiges Konzept darstellt, bleibt abzuwarten.
Die ersten Stellungnahmen aus der Wirtschaft sind allerdings - Herr Weis, Sie haben es angesprochen - außerordentlich kritisch.
Die Hauptursache für den Stau am europäischen Himmel sind die unzureichenden Leistungen im Flugsicherungsbereich. Nach wie vor orientiert sich die Flugsicherung an den Landesgrenzen, wird der Luftraum für militärische Zwecke gesperrt, gibt es keine optimierte
Luftraumplanung und Luftraumnutzung in Europa und
sind die technischen Flugsicherungssysteme uneinheitlich und ihre Funktionalität zu gering. Darüber hinaus
herrscht, wie schon gesagt, Fluglotsenmangel. So konnten
17 der 68 Kontrollzentralen in Europa die erforderliche
Kapazitätserhöhung nicht erbringen und rund 90 Prozent
der flugsicherungsbedingten Verspätungen sind auf Engpässe in etwa 25 Prozent des europäischen Luftraumes
zurückzuführen.
Hier muss dringend etwas geschehen. Die CDU/CSUFraktion unterstützt das „Sechs-Punkte-Programm der
Luftverkehrspartner im Deutschen Verkehrsforum“,
das einen einheitlichen europäischen Luftraum zum Ziel
hat. Wichtige Teile dieses Programms finden wir auch im
Bericht von Sir Robert Atkins, der am 26. Mai 2000 von
der Europäischen Union veröffentlicht wurde und den
sich der Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und
Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments zu Eigen
gemacht hat.
So unterstützen wir erstens die Forderung, die Regulierungsfunktion von Eurocontrol zu stärken. Zweitens
sollten Regulierungsfunktion und Betreiberfunktion getrennt werden. Drittens brauchen wir eine gemeinsame
europäische Luftraumplanung. Viertens muss eine gemeinsame europäische Kapazitätenplanung aufgestellt
werden. Fünftens benötigen wir in Europa leistungsorientierte und wettbewerbsfähige Flugsicherungsdienste. Sechstens und letztens muss es leistungsbezogene Gebührensysteme geben.
Wir bedauern, dass die Europäische Kommission auf
der Tagung des EU-Rates am 26. Juni 2000 in Luxemburg
in ihrem Zwischenbericht über die Arbeit der von ihr einberufenen hochrangigen zivil-militärischen Expertengruppe feststellt, dass eine Privatisierung der Flugsicherungsdienste nicht notwendig sei.
({5})
Die CDU/CSU-Fraktion ist demgegenüber der Auffassung, dass gerade hierin ein wichtiger Schlüssel zur Verbesserung der Flugsicherungsdienste liegt. Wir fordern
daher Minister Klimmt auf, sich nicht auf diese angebliche Konsenslinie der Kommission einzulassen.
Hier muss gegengehalten werden. Wir halten es für
richtig, dass die Regierungen der europäischen Staaten
ihre Flugsicherungsdienste privatrechtlich organisieren.
({6})
Unsere Erfahrungen zeigen doch, dass dadurch die Leistungsfähigkeit und die Reaktionsfähigkeit der Flugsicherungsdienste erheblich erhöht werden.
Wir freuen uns, dass die DFS, die Deutsche Flugsicherung, vom Internationalen Verband der Fluggesellschaften zur besten Flugsicherungsorganisation der Welt gewählt worden ist und den „Eagle Award“ verliehen bekommen hat. Wir sind stolz darauf und gratulieren
herzlich.
({7})
Das ist natürlich ein Ergebnis der von uns betriebenen
Privatisierung. Es hat sich gezeigt, dass sie richtig und
zukunftsweisend war.
({8})
Unsere Nachbarn, insbesondere unsere französischen
Partner, wollen wir freundschaftlich darauf hinweisen,
dass die feste Einbindung einer Flugsicherungsorganisation in staatliche Strukturen schnelle Anpassungen an die
Erfordernisse des Luftverkehrsmarktes erschwert. Auch
hier ist der Minister gefordert, im Gespräch mit den sozialistischen Freunden in Frankreich zu einer Lösung zu
kommen.
({9})
- Ja, den Verkehrsminister stellen die Kommunisten. Aber
es war die Wahl Ihrer Freunde, die Kommunisten zum
Partner zu nehmen.
Meine Damen und Herren, der Antrag der F.D.P.
spricht viele Punkte an, die auch wir von der CDU/CSUNorbert Königshofen
Fraktion für eine Verbesserung des Luftverkehrs für wichtig halten. Deswegen werden wir ihn in den Ausschussberatungen positiv begleiten.
({10})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Albert Schmidt
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin dankbar, dass der Antrag der F.D.P.
die Gelegenheit gibt, hier im Bundestag und in den Ausschüssen einmal das Thema Luftverkehr, insbesondere
die Kapazitätenausnutzung und -entwicklung inklusive
Flugsicherung zu behandeln. Allerdings leuchtet mir die
Ausgangsthese in der Begründung des F.D.P.-Antrags
nicht ein. Dort heißt es, der Luftverkehrsstandort
Deutschland verliere massiv an Bedeutung, weil die
Flughäfen rings um Deutschland überproportional wüchsen, wogegen die deutschen Flughäfen - so ist die Begründung - nur moderat wüchsen bzw. sogar stagnierten.
Ich will Ihnen einfach einmal die schlichten Fakten
entgegenhalten, verehrter Herr Kollege Friedrich. Das
Fluggastaufkommen hat sich entsprechend der Statistik
der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen
von 1997 - damals gab es einen Zuwachs von 6,5 Prozent - bis 1999 nochmals verstärkt: 1999 hatten wir einen
Zuwachs von 7,6 Prozent, bei der Luftfracht sogar um
8,2 Prozent. Die Fluggastzahlen werden, ausgehend von
133 Millionen im Jahre 1999, nach diesen Prognosen bis
zum Jahr 2010 auf 204 Millionen Passagiere anwachsen.
Angesichts solcher Zahlen von Stagnation oder von einem
nur moderaten Wachstum zu reden ist einfach barer Unsinn. Herr Kollege Friedrich von der F.D.P., ich muss Sie
fragen: Welches Wachstum hätten Sie denn gern, wie viel
Prozent wollen Sie denn noch oben draufsatteln?
({0})
Oder will sich die F.D.P. jetzt als Partei der Flieger und
Fallschirmspringer definieren und kann gar nicht mehr
genug davon bekommen?
Vor allem vermisse ich in Ihrem Antrag eines: die Thematisierung, dass jedes Verkehrswachstum, auch dieses,
eine Kehrseite hat. Die Kehrseite ist die Umweltproblematik. Natürlich ist das Klimaproblem im Luftverkehr
nicht hauptsächlich in der CO2-Emission begründet, sondern in der sehr langen Verweildauer von bestimmten
Schadstoffen in sensiblen atmosphärischen Schichten.
Natürlich haben wir ein Problem durch startende und landende Flugzeuge in Ballungsräumen im Zusammenhang
mit der Bildung von Ozon. Natürlich gibt es ein massives
Problem im Flughafenbereich selbst: dort, wo die Menschen wohnen, und zwar durch Lärm. Dies muss ganz
nüchtern und auch ganz ehrlich thematisiert werden.
Da kann ich dem Kollegen Dirk Fischer - jetzt ist er
leider nicht mehr da - Kritik nicht ersparen. Er hat gestern
im „Handelsblatt“ in einer Kommentierung des ersten
Entwurfes eines Flughafenkonzeptes der Bundesregierung gesagt - ich zitiere -:
Alle ideologischen Ladenhüter, wie etwa die
Kerosinbesteuerung oder Emissionsabgaben und
deutlich verschärfte Grenzwerte für die Schutzzone
gegen Fluglärm, sind in diesem Konzept vollständig
enthalten.
Wenn jemand das Bedürfnis von Menschen im Umkreis
von Flughäfen nach Nachtruhe als „ideologische Ladenhüter“ abqualifiziert, dann verabschiedet er sich aus jeder
ernsthaften Diskussion.
({1})
Denn darin besteht doch die Aufgabe: einen fairen Ausgleich zwischen den Ansprüchen der wirtschaftlichen
Entwicklung und der Bewältigung eines unbestreitbaren
Wachstums einerseits sowie dem legitimen Interesse an
Gesundheit, an ungestörter Nachtruhe und an Schutz der
Anrainerinnen und Anrainer vor übertriebenem Lärm andererseits herzustellen. Dabei sind Modelle wie das Moderationsmodell in Frankfurt zielführend, die eine intensivere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern realisieren, anstatt zu polarisieren. Die Bundesregierung ist
längst tätig geworden, während der F.D.P.-Antrag einen
anderen Eindruck zu erwecken versucht.
Hier besteht die Aufgabe erstens darin, dafür zu sorgen,
dass Kapazitäten möglichst effizient und optimal genutzt
werden. Das bedeutet zweitens eine Optimierung auch der
Flugsicherung. Hier im Saal sitzt jemand, der in der Vergangenheit für dieses Thema zuständig war und noch
heute zuständig ist, der Kollege Lothar Ibrügger; er weiß,
wovon ich spreche. Natürlich besteht bei der Flugsicherung Handlungsbedarf. In diesem Punkt sind wir uns übrigens völlig einig. Das bedeutet aber drittens, dass wir
auch die Kooperation zwischen den Standorten verstärken
müssen. Eine gnadenlose Konkurrenz der Standorte untereinander ist doch nicht zielführend. Ein Luftfahrtkonzept muss doch im Grunde nicht nur national, sondern europäisch ausgerichtet sein, mindestens aber unter Einbeziehung der Benelux-Staaten und von Flughäfen wie zum
Beispiel Zürich.
({2})
Viertens ist zielführend, die Belastungen zu minimieren und zugleich die Leistungen zu optimieren. Diesen
Ansatz verfolgt die Bundesregierung mit dem ersten Entwurf eines Flughafenkonzeptes.
Wir sind uns also in dem Bedürfnis einig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., dass die europäische
Zusammenarbeit und die Effizienz in Sachen Flugsicherung sehr verstärkt werden muss. Ich bin ziemlich fassungslos, welche Kirchturmspolitik manchmal noch herrscht; das gilt gerade für Frankreich. Aber wir müssen auch
dafür sorgen, dass nicht der Flughafenausbau um seiner
selbst willen betrieben wird, sondern dass die Standorte so
zusammenarbeiten, dass mit den vorhandenen Ressourcen optimal gearbeitet wird, die Belastungen für die Menschen aber gleichzeitig verringert werden.
Ich danke Ihnen.
({3})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich dem
Kollegen Dr. Winfried Wolf von der PDS-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Weis hat schon angedeutet, dass nicht allein der Satz „Jedem Tierchen sein Pläsierchen“, sondern auch die Parole
„Jeder Partei ihr Staubeseitigungsprogramm“ gilt. Der
SPD-Verkehrsminister hat uns ein Antistraßenstauprogramm vorgestellt, das ab 2002 mit dem Geld, das dann
vielleicht eingenommen wird, umgesetzt werden soll.
({0})
Die Grünen erblickten in dieser Steilvorlage für den
ADAC zum Erstaunen der Fachwelt sogar Maßnahmen
gegen Schienenverkehrsstaus.
({1})
Der CDU-Kanzler erkannte einen Aktenstau, den er am
Ende seiner Amtszeit „gigabytemäßig“ beseitigen ließ.
Nun stellt die F.D.P. fest, dass über den Wolken die Freiheit nicht mehr grenzenlos, sondern voller Flugverkehrsstaus sei.
Dabei sind Gut und Böse für die F.D.P. schnell ausgemacht: Gut ist die „Liberalisierung“, da sie den Verkehrsträger Luftfahrt „leistungsfähiger“ mache. Böse dagegen
sind die nationalen Strukturen der Luftsicherung und
natürlich die fehlenden Pisten in Europa. Damit wird
gleich die Lösung nahe gelegt: Wir brauchen zunächst
„vier zusätzliche Start- und Landebahnen“ und sodann einen europaweit gültigen Rahmen für leistungsorientierte,
möglichst privatwirtschaftlich organisierte Flugsicherungsdienste. Dazu gab es Beifall von der F.D.P.
Schließlich darf ein bisschen grüner Lack nicht fehlen.
Luftverkehrsstaus bedeuten laut F.D.P. „eine zusätzliche
Belastung der Atmosphäre durch den erhöhten Treibstoffverbrauch“. Im Übrigen gehe es um die „Substitution des
Kurz- und Mittelstreckenflugverkehrs durch ein ... Hochgeschwindigkeitsnetz“. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich sehe darin einen Luftikus-Antrag.
({2})
- Nein, Herr Friedrich.
Ich halte drei Dinge fest: Erstens. Der Luftverkehr ist,
wie Sie wissen, die umweltschädlichste aller Verkehrsund Transportformen. Er trägt mehr zum Treibhauseffekt
bei als der Straßenverkehr.
Zweitens. Dennoch lassen die alte und die so genannte
neue Verkehrspolitik ausgerechnet diese Verkehrsart am
schnellsten wachsen. In den letzten zwölf Jahren gab es
eine Verdopplung; in den nächsten 15 Jahren soll es
nochmals zu einer Verdopplung kommen. Herr Kollege
Weis, es geht nicht nur um eine Verdopplung des Flugverkehrs, sondern auch um eine Verdopplung der Schadstoffemissionen.
Drittens. Es wächst auch der Binnenflugverkehr. In
der Gesamtbilanz wurde nichts von der Luft auf die
Schiene verlagert. Die nackten Zahlen lauten, dass die
zurückgelegten Personenkilometer in der Binnenluftfahrt
in den letzten fünf Jahren um 47 Prozent gesteigert wurden. Der Binnengüterverkehr in der Luft hat sich sogar
verdoppelt. Bei der absurdesten Transportform, dem Binnengüterverkehr, lag das Wachstum sogar über dem des
Auslandsflugverkehrs.
Der F.D.P.-Antrag plädiert faktisch für ein „Weiter so“.
Er enthält kein Wort zur realen Verkehrsentwicklung, kein
Wort zur Klimabelastung. Es ist keine Rede von einer
Marktordnung, die zum Beispiel durch das Fehlen einer
Kerosinbesteuerung den Luftverkehr begünstigt. Nicht
einmal die drei Zeichen CO2 tauchen auf.
Summa summarum: Hier wird für die Fortsetzung,
wenn nicht für eine Steigerung einer absolut verantwortungslosen Verkehrspolitik plädiert. Hier wird ein spezifisches Sankt-Florians-Prinzip verkündet und hinsichtlich
der Natur, des Klimas und der späteren Generationen zur
Anwendung gebracht. Es lautet: Oh, heiliger Sankt
Florian, schütz „Miles & more“, heiz das Klima an. Diese
liberale Verkehrswelt ist eine verkehrte Verkehrswelt. Wir
sagen dazu Nein und werden weiterhin Nein sagen.
({3})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 14/3188 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 sowie Zusatzpunkt 1
auf:
5. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien
- Drucksache 14/3766 ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten
Hübner, Fred Gebhardt, Wolfgang GehrckeReymann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Albert Schmidt ({0})
Eine nachhaltige demokratische und soziale
Entwicklung in Kolumbien unterstützen
- Drucksache 14/3782 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Lothar Mark von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Kolumbien ist ein Land, das
dreimal so groß ist wie die Bundesrepublik. Ich sage das,
damit wir verstehen, von welchen Dimensionen wir reden. Kolumbien wurde 1810 unabhängig. 1819 wurde die
Republik Groß-Kolumbien gegründet und bereits zehn
Jahre später trennte sich Venezuela ab und wurde selbstständig. Ein Jahr später trennte sich Ecuador ab und 1903
Panama. Ich erwähne das, damit wir etwas von der Historie wissen.
1948 bis 1958 war in Kolumbien Bürgerkrieg und es
herrschte überwiegend ein Militärregime. Die erste offene
Präsidentenwahl erfolgte 1974 und der derzeitige Präsident Pastrana trat sein Amt 1998 an.
Mit einer siebenköpfigen Parlamentariererdelegation weilte ich vom 25. März bis zum 3. April in Kolumbien und Ecuador und habe dabei wie die Kolleginnen und
Kollegen, die mich begleitet haben, sehr interessante Eindrücke gewonnen.
Wir haben Gespräche mit dem Präsidenten selbst, dem
Außenminister, dem Umweltminister, den Präsidenten
des Abgeordnetenhauses und des Senats, den Gewerkschaften, mit Vertretern der katholischen Bischofskonferenz, mit der Friedensverhandlungsdelegation und mit
NGOs, insbesondere mit den Stiftungen, geführt. Es war
also ein sehr breites Spektrum.
Ich möchte jetzt einiges zur wirtschaftlichen Lage in
Kolumbien sagen. Kolumbien ist ein marktwirtschaftlich
geprägtes Land, das sehr stark liberalisiert ist. Trotzdem
hat dieses Land in den Jahren 1998 und 1999 eine Rezession durchgemacht und ein um 5 Prozent niedrigeres
Bruttosozialprodukt gehabt als vorher. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20 Prozent, die Zinssätze lagen im Jahr
1998 zum Teil bei 34 Prozent und die Importe sackten um
40 Prozent ab. Damit wird die wirtschaftliche Situation
deutlich.
Man kann sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland
ein wichtiger Partner Kolumbiens ist, und zwar sowohl
beim Import als auch beim Export. In erster Linie sind allerdings die USA und Venezuela Kolumbiens Partner. Wir
liegen beim Wirtschaftsvergleich an dritter Stelle.
Das Land gehört zu den armen Ländern, obwohl es unwahrscheinlich reich an Ressourcen ist. Es gibt große
Kohle- und Erdölvorkommen und Nickel- und Goldabbau.
Die innenpolitische Lage in Kolumbien ist sehr
schlimm und nur schwer zu beschreiben. Es gibt die soziale Frage in diesem Land, es gibt eine Zwei-KlassenGesellschaft. Eine kleine Oberschicht bestimmt alles dort.
Die Binnenkriege, die es seit fast 40 Jahren gibt, und die
ökonomische Entwicklung tragen mit dazu bei, dass die
Armut immer größer wird und der Reichtum der Wohlhabenden immer weiter zunimmt.
Die indianische oder indigene Bevölkerung lebt in diesem Land am Rande der Gesellschaft, ohne aber stärker
unterdrückt zu sein als die anderen benachteiligten Ethnien.
Die Kernprobleme der Innenpolitik in Kolumbien sind
also neben der ungleichen Verteilung insbesondere der gewalttätige innere Konflikt, verursacht durch die Guerilla,
die paramilitärischen Kräfte, die im Laufe der Zeit entstanden sind und massiv in das Geschehen eingreifen, die
Drogenmafia und - insgesamt gesehen - die allgemeine
Kriminalität. Dazu gehört aber auch, dass häufig keine
Strafen verhängt werden und dass die Menschenrechtsverletzer nicht intensiv genug oder gar nicht verfolgt werden.
Präsident Pastrana ist angetreten, Frieden nach Kolumbien zu bringen. Er hat mit den Guerillaorganisationen, mit der FARC und der ELN, Kontakt aufgenommen
und verhandelt. Er ist sogar so weit gegangen, dass er eine
demilitarisierte Zone von der Größe der Schweiz geschaffen hat, damit die Verhandlungen mit der FARC dort
stattfinden können. Die Bevölkerung Kolumbiens ist mit
der derzeitigen Situation nicht einverstanden. Sie will,
dass der Friedensprozess beschleunigt und dass es ein ehrlicher Friedensprozess wird.
An der Tagesordnung sind Zusammenstöße zwischen
Guerillagruppen sowie zwischen Guerillagruppen und der
Bevölkerung. Die Bevölkerung hat dies zum Anlass genommen, um in einer Massendemonstration im Oktober 1999 zu zeigen, dass der Wunsch nach Frieden groß
und man mit den Entwicklungen nicht einverstanden ist.
Pro Jahr gibt es aufgrund der inneren Auseinandersetzungen in Kolumbien circa 3 000 Tote und 1 500 Entführungen. Es wurden über 400 Massaker gezählt. Insgesamt sind fast 2 Millionen in diesem Land vertrieben und
auf der Flucht. Während unseres Besuches gab es ein
Massaker, bei dem 36 Menschen ums Leben kamen: In
Bogota ist eine Autobombe explodiert. Wir haben dort
selbst erfahren und gespürt: Man kann die Stadt nicht verlassen, weil sonst das Leben gefährdet ist.
Die Guerillaorganisationen beherrschen große Teile
des Landes. Die FARC beherrscht ein Gebiet, das doppelt
so groß ist wie Israel. Sie führt ein autoritäres Regime
nach dem Prinzip: Wir sind das Gesetz. Das heißt, sonst
gibt es keine Grundlage dafür. Die Guerilla ist in circa der
Hälfte der Kommunen ansässig. Die FARC hat fast
30 000 Mann unter Waffen, die ELN circa 6 000 und die
sonstigen Guerillagruppen circa 1 000.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Problematisch wird die gesamte Situation dadurch,
dass es die Paramilitärs noch gibt, die aber nicht gegen
die Guerillas, sondern gegen angenommene Sympathisanten, gegen Informanten und Unterstützer in der Zivilgesellschaft, kämpfen. Die Paramilitärs begehen nach
verschiedenen Aussagen 75 Prozent der Menschenrechtsverletzungen.
Die politische Situation und die Strukturprobleme im
Land zeigen, dass die Justiz nicht funktioniert, dass die
Kammern nicht funktionieren und dass die von Pastrana
eingeschlagenen Reformen nicht umgesetzt werden, weil
sie nicht verabschiedet werden können.
Das Drogenproblem ist das Hauptproblem. Ich will
nicht im Einzelnen auf Kokain und all diese Rauschgifte
eingehen, sondern nur darauf hinweisen, dass die damit
erzielten Einnahmen die Grundlage für die Finanzausstattung der Guerilla und der Paramilitärs bilden und man
deswegen nicht isoliert von einem Drogen- oder einem
Guerillaproblem sprechen kann, sondern dass diese Dinge
zusammengehören. Hier wird ganz deutlich, dass nicht allein der Anbau der Drogen in Kolumbien, sondern auch
die Nachfrage durch die Konsumenten Bestandteil des
Problems sind. Denn wenn keine Abnehmer da sind, dann
wird es auch keinen Anbau geben.
Die Menschenrechte werden in Kolumbien immer wieder auf das Tiefste verletzt. Ich habe die Massenvertreibungen angesprochen. Ich habe darauf hingewiesen, dass
die Gerichte nicht in der Lage sind, Verfolgungsmaßnahmen durchzuführen, und fast keine Urteile fällen. Die so
genannte Aufklärungs- und Aburteilungsrate beträgt in
Kolumbien 3 Prozent. Damit wird deutlich, was in diesem
Land passiert.
In diesem Zusammenhang möchte ich ein Anliegen
von Anke Hartnagel vorbringen. Sie will deutlich machen, worin das Kernproblem in diesem Bereich liegt,
dass nämlich der kolumbianische Kongress keine Gesetze
verabschiedet, die gegen das Verschwindenlassen, den
Genozid, gewaltsame Vertreibung und Folter Stellung
nehmen und sie unmöglich machen. All diese Gesetze
hängen noch im kolumbianischen Senat und Kongress.
({0})
Die Europäer sind aufgerufen, sich an dem Prozess
„Plan Colombia“ zu beteiligen. Es gibt hier sehr viele Probleme. Der erste Plan wurde in der Zwischenzeit revidiert,
weil er sehr allgemein gehalten war und weil in ihm militärische Aktionen klar dominierten. Die Europäer haben
sehr früh signalisiert, dass sie damit nicht einverstanden
sind. Der Druck aus Europa und Kanada hat zugenommen, soziale Aspekte in den Vordergrund zu stellen,
für Dezentralisierung, Demokratisierung, gerechte Landverteilung usw. zu sorgen.
Die Forderung der Europäer - somit auch der Bundesrepublik - lautet, Zivilgesellschaften und NGOs stärker
einzubinden.
({1})
Präsident Pastrana hat in der Zwischenzeit in Zeitungsinterviews erklärt, dass er seine Auffassung ändern und die
Zivilgesellschaften stärker integrieren wird. Aber das ist
meiner Überzeugung und der der SPD-Fraktion nach
nicht genügend; denn das Militär dominiert noch immer
und die sozialen Aspekte werden nicht genug berücksichtigt. Insbesondere die Vereinigten Staaten sollten aufgefordert werden, mehr zur sozialen Befriedung in Kolumbien beizutragen. Militärisch sind diese Probleme
nicht lösbar. Dafür gibt es viele Beispiele in der gesamten
Welt.
Es kann auch nicht sein, dass ein Plan ausgehandelt
wird, der festlegt, wie groß die Anteile der Europäer sind
und welche Teile sie zu übernehmen haben.
Die Substitution des Drogenanbaus muss eine dominierende Stellung einnehmen. Es muss sichergestellt werden, dass Bauern Gewinne erzielen und nicht erneut von
der Guerilla oder von den Paramilitärs unter Druck gesetzt werden.
Pastrana hat in der Zwischenzeit eine Auflistung der
vorgesehenen Projekte verschickt. Meine Redezeit erlaubt mir nicht, jetzt auf diese Projekte einzugehen. Ich
möchte aber sagen: Wenn diese Projekte umgesetzt werden, befinden wir uns auf dem richtigen Weg. Es sind insgesamt etwa 90 Projekte vorgesehen.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass es sehr viele
Einrichtungen gibt, die nach wie vor ganz klar gegen die
Konzeption des „Plan Colombia“ sind: die katholische
Bischofskonferenz in Kolumbien, die Missionszentrale
der Franziskaner, Amnesty International. Wir, Anke
Hartnagel, Karin Kortmann und ich, hatten kürzlich Besuch von kolumbianischen Bischöfen, die ebenfalls sehr
deutlich die Ablehnung dieses Konzepts signalisiert haben.
Wir müssen solche Forderungen stellen, die es ermöglichen, dass der Plan doch noch umgesetzt werden kann.
Insbesondere die sozialen Aspekte müssen in den Vordergrund gestellt werden. Ohne den militärischen Standpunkt zu übernehmen, muss die Gesellschaft in die Lage
versetzt werden, mit diesem „Plan Colombia“ umzugehen.
Herr Kollege Mark,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ein Satz zum PDS-Antrag: Ich
denke, wir müssen trotz der vielen Probleme im Zusammenhang mit dem „Plan Colombia“ irgendwo beginnen,
Kolumbien zu befrieden. Ich zitiere Mao Tse-tung: Die
längste Strecke fängt mit dem ersten Schritt an. Wir
bemühen uns, diesen zu tun, und sind bereit, auch auf
Amerika einzuwirken, sodass die militärische Komponente stärker reduziert wird.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort für die Fraktion der CDU/CSU hat der Kollege Klaus-Jürgen
Hedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Kolumbien kann es nicht alleine schaffen. Die Aufgabe, der wir uns heute als Nation und als Teil der internationalen Gemeinschaft gegenübersehen, stellt
vielleicht die größte Herausforderung in unserer Geschichte dar. Wir sind dem Schicksal jedoch nicht
hilflos ausgeliefert. Im Gegenteil. Wir sehen unserer
Zukunft optimistisch entgegen; denn wir kennen unsere Fähigkeiten, unsere Entschlossenheit und den
großen Reichtum unseres Landes. Darüber hinaus
schöpfen wir Kraft aus der Unterstützung vieler anderer Länder dieser Welt, die unseren Kampf als Nation verstehen und schätzen.
Dies sind die einleitenden Worte eines Artikels des kolumbianischen Präsidenten mit der Überschrift „Alles,
was wir wollen, ist eine zweite Chance auf dieser Erde“.
Das ist auch der Hintergrund des „Plans Colombia“. Mit
diesem Plan soll versucht werden, noch einmal die Probleme des Landes in ihrer Komplexität anzugehen und zu
bewältigen. Ich begrüße es auch, dass der Antrag der Koalition und der F.D.P. in diese Richtung zielt. Einige Anmerkungen zu diesem Antrag mache ich noch zum
Schluss.
In der Tat ist es richtig, dass Kolumbien gegenwärtig
wohl eine der schwierigsten Phasen seiner Geschichte
durchläuft. Während das Land über Jahrzehnte von Jahr
zu Jahr zum Teil erhebliche wirtschaftliche Zuwachsraten
zu verzeichnen hatte, sind jetzt zum ersten Mal Rezessionserscheinungen deutlich erkennbar. Ich befürchte, dass
dieses Faktum weitestgehend auf die Verschärfung der
Bürgerkriegssituation im Lande zurückzuführen ist. Die
Investitionsneigung sowohl des Auslandes als auch des
Inlandes geht zurück.
Pastrana hat in der Zeit, als er zwar gewählter Präsident, aber noch nicht im Amt war, versucht, mit den Guerillaorganisationen ins Gespräch zu kommen. Darauf hat
Kollege Mark schon hingewiesen. Wir müssen heute allerdings feststellen, dass dieses nicht zu einer Beendigung
des Terrors - und zwar auf allen Seiten - geführt hat. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen bescheinigen zwar der kolumbianischen Regierung, dass es ihr gelungen ist, die Menschenrechtsverletzungen der Armee zu reduzieren. Aber auch die sind im
internationalen Kontext gesehen immer noch zu hoch.
Es ist wohl tatsächlich zutreffend, dass ein Großteil dieser Menschenrechtsverletzungen auf die paramilitärischen
Organisationen zurückzuführen ist, die im wahrsten Sinne
des Wortes einen Staat im Staate bilden und weitestgehend
auch zur Absicherung der Verdienste der Drogenmafia genutzt werden.
Ich möchte trotzdem darauf hinweisen, dass wir den
Antrag tendenziell für richtig halten. Deswegen werden
wir uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Ich bitte
um Nachsicht, wenn ich die Kollegen der F.D.P. in diesem
Zusammenhang nicht immer erwähne. Die Initiative zu
diesem Antrag ging ja von der rot-grünen Koalition aus.
Ich mache allerdings darauf aufmerksam, dass wir uns
schon vor mehreren Wochen bezüglich dieser Problematik mit einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung gewandt haben. Sie hat diese ja auch inzwischen, wie ich
glaube, zufrieden stellend und umfangreich beantwortet.
Der Koalitionsantrag hat bei ein oder zwei Punkten
doch noch erhebliche Schwächen. Es ist bedauerlich, dass
Sie zum Beispiel die schwierige Problematik der Indigenas weitestgehend ausgeblendet haben. Für die innenpolitische Situation im Lande spielt diese Problematik eine
große Rolle. Man muss sich noch einmal ins Gedächtnis
rufen, dass 28 Prozent des Landes per Gesetz - die Wirklichkeit sieht immer anders aus - der indigenen Bevölkerung zugewiesen worden ist. Wenn man weiß, dass ein
Großteil der Großprojekte wie zum Beispiel Staudammoder Erdölprojekte in Regionen, die den Indigenas zugewiesen sind, durchgeführt wird bzw. durchgeführt werden
soll, kann man über diese Problematik nicht hinweggehen. Ich hätte es daher begrüßt, wenn der Koalitionsantrag
diese Problematik berücksichtigt hätte.
Ich glaube, dass Sie mit Ihrem Antrag zu wenig auf die
Rolle der USA eingehen. Sie haben in Ihrer Rede auf diesen Punkt hingewiesen. Man kann sich durchaus darüber
unterhalten, ob nicht der „Plan Colombia“ die militärische Komponente überbetont. Man muss aber durchaus
feststellen: Ohne eine militärische Bekämpfung der Drogenkriminalität wird es in Kolumbien mittelfristig keine
zufrieden stellende Lösung geben. Vor diesem Hintergrund hätte die Problematik der Einbindung der USA und
der Abstimmung der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten bei der Bewältigung der Probleme in diesem Lande Berücksichtigung finden müssen.
Ich will aber auch nicht verhehlen, dass der Antrag der
eigentlichen Bedeutung der bilateralen Zusammenarbeit so gut wie keine Aufmerksamkeit schenkt. Ich darf
Sie darauf hinweisen, dass wir in drei Schwerpunktsektoren tätig sind: Schutz der Menschenrechte und Förderung
von Friedensbemühungen, Modernisierung der öffentlichen Verwaltung und des Rechtssystems sowie Umweltund Ressourcenschutz.
Ich glaube, dass sich diese drei Sektoren, die auch im
zuständigen Fachausschuss nicht strittig sind, gut in den
„Plan Colombia“ einfügen. Man muss aber darauf hinweisen, dass in Ihrem Antrag auf die Wirklichkeit der politischen Entscheidungen der Bundesregierung nicht immer Bezug genommen wird. Die Mittel für Kolumbien
werden zurückgefahren und Kolumbien ist in der bilateralen Hilfe auf ein so genanntes einfaches Partnerland
zurückgestuft worden. Ich glaube nicht, dass dies der Bedeutung Ihres Antrags gerecht wird.
Ich würde - wenn Sie mir diesen Hinweis gestatten den Koalitionsfraktionen raten, mit der Bundesregierung
noch einmal darüber zu reden, wie man generell mit der
entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Kolumbien
umgehen will. Ich glaube, dieses Land hat eine gewisse
Schlüsselfunktion in Lateinamerika. Wir müssen aufpassen, dass wir dort nicht Entwicklungen provozieren, die vielleicht nach der Regierungszeit von Pastrana autokratische oder populistische Tendenzen heraufbeschwören. Das Nachbarland Venezuela und auch Herr
Fujimori in Peru bieten kein gutes Beispiel. Wir müssen
im Rahmen unserer bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit mit Kolumbien daran interessiert sein, dort
einen Prozess zu stützen, der nicht die Demokratie und die
demokratischen Strukturen dieses Landes endgültig aushebelt.
In diesem Zusammenhang würde ich uns gemeinsam Herr Kollege Volmer ist ja hier - empfehlen, auch im Rahmen der Europäischen Union darauf hinzuwirken, in der
Zusammenarbeit mit lateinamerikanischen Ländern wie
mit Kolumbien die Kohärenz von Politikbereichen zu unterstreichen. Dies ist notwendig, wenn wir es mit der Substitution des Drogenanbaus ernst meinen. Ich komme mir
etwas komisch vor, immer auf dieser Bananengeschichte
herumreiten zu müssen, muss aber betonen: Die Abstimmungsprozesse innerhalb der Europäischen Union müssen verändert werden. Es passt nicht zueinander, auf der
einen Seite dafür zu plädieren und die notwendigen
Schritte einzuleiten, damit die Bauern zum Anbau Drogen
substituierender Produkte angehalten werden, und es ihnen auf der anderen Seite durch Entscheidungen dieser
Europäischen Union weitestgehend unmöglich zu machen, entsprechende Produkte auf dem europäischen
Markt zu verkaufen. Hier sollte auch das deutsche Parlament die entsprechende Unterstützung leisten.
({0})
Wenn ich eine abschließende Bewertung vornehmen
soll, würde ich sagen: Kolumbien befindet sich in der Tat
in einer sehr schwierigen Phase. Wer Pastrana kennt,
weiß, dass er nicht zuletzt auf deutsche Unterstützung
rechnet. Insofern hat er es verdient, dass gerade wir Deutschen - und alle Europäer - alle Bemühungen unterstützen, den Friedensprozess im Lande voranzutreiben.
Insbesondere sollten wir Deutsche im Rahmen unserer
EZ darauf achten, dass nicht nur die militärische Komponente, sondern die sozialen, die ökologischen und die entwicklungspolitischen Aspekte eine ausreichende Berücksichtigung finden. Vor diesem Hintergrund finde ich es
gut, dass wir aufgrund des vorliegenden Antrages die
Möglichkeit haben, uns einmal mit der Problematik in
Kolumbien auseinander zu setzen.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Herr Hedrich, ich darf mich ausdrücklich auf
Ihre Rede beziehen und freue mich, dass Sie in einigen
Punkten Anregungen gegeben haben, wie man die Problematik noch umfassender beleuchten kann. Ich stimme
Ihren Anmerkungen zu dem Problem der indigenen Bevölkerung und der ihnen zugewiesenen Gebiete zu.
Der Antrag, den wir formuliert haben, bezieht sich auf
den jetzt anstehenden Entscheidungsprozess der Geberländer. Er hat sich darauf konzentriert und ist darauf reduziert, was seine Aussage aber nicht schmälert. Ich wünsche der Bevölkerung von Kolumbien auch, dass es endlich zu einem Friedensprozess kommt. Wir haben
bewusst gesagt: Wir wollen den Friedensprozess unterstützen. Dies beinhaltet, dass wir ein großes Fragezeichen
dahinter setzen, ob der „Plan Colombia“ das geeignete
und umfassende Instrument ist, diesen Frieden herbeizuführen und diesen Bürgerkrieg zu entschärfen.
({0})
Ich bezweifle das sehr, weil vor Ort unverkennbar ist,
wie verwoben der Krieg gegen die Drogen und den illegalen Anbau mit den politischen Interessen des Machterhalts, der Verweigerung der sozialen Gerechtigkeit und
der Verteilungsgerechtigkeit ist. Dies ist ein Problem in
diesem Land, das über Jahrzehnte die Gewalt in den Alltag der Familien und der Menschen hineinträgt. Es ist ein
furchtbares Schicksal für die Menschen, nicht in einer
Friedenskultur leben zu können. Ich bin auch der Auffassung, dass die Tatsache, dass der illegale Drogenanbau
dort mit militärischen und nicht mit polizeilichen und in
diesem Sinne rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Mitteln bekämpft wird, ursächlich für die hochkomplizierte
Nichtauflösbarkeit des Problems ist.
Ich bin der Meinung, dass wir uns als Konsumländer
nicht von den innenpolitischen Problemen der Herstellerländer dieser illegalen Drogen frei machen können. Wir
müssen uns mit dem Zusammenhang zwischen dem Konsum und der Illegalität dieser Drogen in Europa und weltweit und dem völkerrechtlichen und nahezu dogmatischen Ansatz des Krieges gegen die Drogen befassen. Wir
müssen unsere Anstrengungen, auch finanziell, darauf
konzentrieren, dass die Friedenszonen dort erweitert werden, dass eine Substitution stattfindet und Subventionen
für die so angebauten alternativen, nachhaltigen Produkte
gewährt werden, die die Bevölkerung in die Lage versetzen, mehr und mehr politische Probleme von ökonomischen und mit den Drogen zusammenhängenden Problemen zu trennen, damit sie mehr Klarheit über die Kräfteverhältnisse bei den politischen,gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
Problemen bekommen.
Der Anspruch, der mit dem „Plan Colombia“ formuliert wird, ist in seiner Dimension kaum zu übertreffen.
Denn es soll sozialer Friede, wirtschaftliche Verteilungsgerechtigkeit und eine endgültige Beendigung des Drogenanbaus erreicht werden. Das ist ein zu anspruchsvolles Ziel. Ich wünsche mir sehr, dass wir auch selber die
Folgen des illegalen Drogenanbaus reflektieren und all
unsere Mittel darauf verwenden, die Substitution im Anbau zu fördern und dafür auch Subventionen zu gewähren.
Das ist der Beitrag, den wir als Europäerinnen und Europäer guten Gewissens leisten können.
Danke.
({1})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Dr. Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie soll man eigentlich diesem komplexen und dramatischen Thema in dreieinhalb
Minuten gerecht werden, wenn einem das Herz voll ist
und wenn man aus eigener Anschauung ahnt, dass die
Quadratur des Kreises, verglichen mit der Lösung der
Probleme Kolumbiens, ein Kinderspiel ist. Deswegen beschränke ich mich in meiner Rede auf wenige Punkte.
Erstens. Natürlich muss alles getan werden, um das
Leiden des kolumbianischen Volkes zumindest zu lindern,
wenn nicht sogar zu beenden. Jeder Versuch, aus dem
Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt herauszukommen, verdient eine ernsthafte Prüfung. Das gilt auch für
den vorgelegten Plan.
Zweitens. Kritiklos zujubeln kann man dem „Plan Colombia“ ganz gewiss nicht; denn seine Geburtsfehler sind
zu evident. Präsident Pastrana wäre gut beraten gewesen,
die europäischen Partner früher in seine Überlegungen
einzubeziehen. Es bleibt abzuwarten, ob die amerikanische Hilfe im erwarteten und erwünschten Maße
kommt. Wenn sie kommt, werden die Amerikaner insbesondere bei der Drogenbekämpfung Instrumente durchsetzen, deren Einsatz die Europäer nicht unterstützen können, insbesondere wenn es um massive Sprühaktionen im
Putumayo-Gebiet geht.
({0})
Andererseits muss man sich die Frage stellen, ob die
Europäer einschließlich der Bundesregierung hier geschlafen haben. Ich kann ja verstehen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland nicht in die erste Reihe drängen
will und deshalb auf Europa setzt. Aber dann hätte man
die Europäische Union auch frühzeitig mobilisieren müssen, um auf den „Plan Colombia“ Einfluss zu nehmen,
den man schließlich weitgehend mitfinanzieren soll. Für
die GASP ist der „Plan Colombia“ kein Ruhmesblatt.
Drittens. Dass die Europäer und auch die Deutschen
gefordert sind, mitzuwirken, wenn erstmals für eine junge
kolumbianische Generation die Aussicht geschaffen werden soll, ein Leben ohne Gewalt und Terror zu verbringen, erscheint mir unabweisbar. Übrigens haben auch die
Deutschen, die in Kolumbien leben, einen Anspruch darauf, ohne Angst vor ständiger Gewalt und Terror leben zu
können. Meine Sympathie gilt den Deutschen, die dort leben, sei es als Angehörige des Auswärtigen Amtes, sei es
als Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens, sei es als
Angehörige der NGOs oder anderer Organisationen, die
sich bemühen, dort einen Beitrag zu leisten. Diese Menschen sind in höchstem Maße gefährdet und bedürfen unserer Solidarität. Wir sollten sie ihnen deutlich zeigen.
({1})
Wir sind als Länder, in denen Drogen in enormem Ausmaß konsumiert werden und aus denen die „precursor
products“ stammen - es gibt auch noch andere Gründe -,
gefordert, unseren Beitrag für Kolumbien zu leisten.
Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, Präsident
Pastrana im Grundsatz zu unterstützen und ihm flankierende Hilfe zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung anzubieten. Anstatt die
Entwicklungszusammenarbeit mit Kolumbien zurückzufahren, sollte die Bundesregierung ihrer Rhetorik Taten
folgen lassen und Kolumbien in seinem schweren Kampf
unterstützen.
({2})
Es ist geradezu grotesk, dass für den stalinistischen Dinosaurier Castro trotz Haushaltsnotstands noch 12 Millionen DM flottgemacht werden, während die Unterstützung für Kolumbien auf Sparflamme gefahren wird.
({3})
Viertens. Präsident Pastrana würde an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn er uns von der Abwegigkeit des Verdachts überzeugen könnte, dass Paramilitärs, angeheuerte
Killer und auch Angehörige einiger Armeebrigaden
kollaborieren, um Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Polizisten und andere systematisch unter Druck zu
setzen oder sogar umzubringen.
Fünftens. Wer die „eradicación“, also die brutale nordamerikanische Methode der Drogenzerstörung, nicht
will, muss sagen, welche anderen Maßnahmen er für zielführend hält. Zwar hat die Förderung von Alternativkulturen prioritäre Bedeutung, aber Fakt ist, dass der Kokaanbau natürlich höhere Erträge bringt. Wir müssen sicherstellen, dass die Produktion nicht nur räumlich
verlagert wird und dass es nicht zu entsprechenden Mitnahmeeffekten kommt. Unter diesem Gesichtspunkt wird
auch die repressive Seite der Drogenbekämpfung unverzichtbar bleiben. Hier sollte die Bundesregierung nicht
einseitig werden. Es ist nach meiner Auffassung unvertretbar, dass die Bundesregierung ihre Hilfe für die Ausbildung und Ausstattung der Polizei immer weiter reduziert. Das wird sich rächen.
Es gibt in Kolumbien sehr ernsthafte Bemühungen, effiziente Kräfte der inneren Sicherheit, die sich Recht und
Gesetz verpflichtet fühlen, zu stärken. Das wird noch ein
langer Weg sein; aber er muss unterstützt werden. Denn
wenn es im Rahmen der Wiederherstellung der vollen
Staatlichkeit Kolumbiens nicht gelingt, Fragen der Aufwertung, der Ausbildung und der Ausstattung der jeweils
zuständigen Polizeibehörden einzubeziehen, dann werden sehr viel gut gemeinte Ansätze in einem Wolkenkuckucksheim entwicklungspolitischer und drogenpolitischer Naivität hängen bleiben. Das wird zwar dem „feel
good factor“ vieler Menschen in Europa gut tun, aber
nicht den Menschen in Kolumbien.
Herzlichen Dank.
({4})
Es spricht jetzt der
Kollege Carsten Hübner, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es gleich vorneweg sagen: Wir werden dem Antrag der Regierungskoalition und
der F.D.P. nicht zustimmen; wir werden uns enthalten. Der
Antrag ist aber deutlich besser geworden als die Vorlage,
die zunächst einmal interfraktionell die Runde gemacht
hat. Gleichzeitig will ich sagen, dass wir es bedauern, in
die Beratungen nicht einbezogen worden zu sein, zumal
die CDU/CSU, die ansonsten immer darauf besteht, dass
wir nicht dabei sind, in dem Fall ebenfalls nicht dabei war.
Trotz der Kürze der noch zur Verfügung stehenden Zeit
hätte es zumindest den Versuch eines gemeinsamen Antrags geben können.
Ich will aber auch deutlich machen, warum wir nicht
zustimmen, sondern uns enthalten werden. Ich werde auf
die grundsätzlichen Differenzen hinweisen.
Eine Differenz betrifft eine Formulierung des Feststellungsteils Ihres Antrags. Ich denke, sie geht an der Realität vorbei. Nachdem „Guerilla“ und „Drogenhändler“
erwähnt worden sind, steht dort:
Auch staatlichen Sicherheitsorganen werden Menschenrechtsverletzungen zugeschrieben.
Das spiegelt weder in der Reihenfolge noch in der Dimension die reale gegenwärtige Situation in Kolumbien
wider. In einer Erklärung der Missionszentrale der Franziskaner wird die Situation ganz anders bewertet - paramilitärische Aktivitäten und die Aktivitäten des Militärs
werden zusammengerechnet -: 78 Prozent der Gewaltakte
in Kolumbien seien vom Staat zu verantworten, 22 Prozent entfielen auf die Guerilla und andere Akteure.
Ich will nur darauf hinweisen: Im Antrag der Regierungskoalition und der F.D.P. ist eine Gewichtung vorgenommen worden, die die Realität aus meiner Sicht nicht
widerspiegelt. Ich erkenne in dieser Gewichtung den Versuch, den kolumbianischen Staat und die kolumbianische
Regierung aus ihrer Verantwortung zu entlassen und sie
als quasi neutralen Akteur in diesem Konflikt zu installieren. Das ist der Situation dort nicht angemessen.
({0})
Aus dieser Sichtweise resultiert die Formulierung unter Punkt 8 des Feststellungsteils Ihres Antrags:
Es ist zu begrüßen, dass die kolumbianische Regierung mit dem „Plan Colombia“ eine umfassende Lösung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Probleme Kolumbiens anstrebt.
Das spiegelt den Plan als solchen kaum wider. Damit ist
zwar eine Relativierung vorgenommen; aber es ist eben
nur eine Relativierung und keine entgegenlautende Klassifizierung. Auch in dieser Hinsicht sind die NGOs ganz
anderer Meinung. Die EKD, das Diakonische Werk und
alle anderen charakterisieren diesen Plan als einen
Kriegsplan, bei dem man einzelne positive Aspekte und
das, was abzulehnen ist - repressive Maßnahmen, das Setzen auf Militär -, nicht auseinander halten kann.
Ich finde es ganz beeindruckend, dass die USA in
Ihrem Antrag kein einziges Mal erwähnt worden sind,
obwohl alle wissen, dass der „Plan Colombia“ in einer
direkten Kooperation zwischen den USA und Kolumbien
entstanden ist. Im Wesentlichen ist darin das zu einem Paket geschnürt worden, was die amerikanischen Vorstellungen zur zukünftigen Politik in Kolumbien ausmacht:
militärisches Agieren zur Lösung der Drogenprobleme
und zur Bekämpfung der Guerilla bzw. der sozialen Bewegungen, die dort aktiv sind. Das muss man einfach auf
den Punkt bringen.
Bereits in diesem Plan ist festgeschrieben worden - ich
kann mir das Lächeln der amerikanischen Verhandlungsdelegation lebhaft vorstellen -: Für die soziale Abfederung dieser repressiven Maßnahmen sollen dann wieder
die Europäer herhalten. Auf die Spitze getrieben heißt das:
Wir vertreiben mit unseren Versuchen zur militärischen
Lösung von Drogenproblemen - mit Besprühungen, mit
Militäraktionen und mit Hubschraubereinsätzen - die
Bevölkerung und die Europäer können dann dafür sorgen,
dass sie sich an einem neuen Ort möglichst wieder heimisch fühlen.
Eine solche Politik lehnt meine Fraktion ab; deswegen
haben wir trotz der Kürze der Zeit einen eigenständigen
Antrag eingebracht. Wir haben gesagt: Die europäische
Politik in Kolumbien muss eine selbstständige sein; sie
muss denjenigen Eckwerten verpflichtet sein, von denen
wir immer sprechen, wenn es um Nachhaltigkeit, Ökologie und soziale Fragen geht. Stimmen Sie unserem Antrag
zu!
({1})
Es geht darum, als Alternative zum „Plan Colombia“ ein
selbsttragendes Konzept sozialer Sicherung und eine demokratische Reform in Kolumbien umzusetzen. Das wird
mit diesem Plan nicht passieren. Wir sollten die europäische Politik nicht zu einem Feigenblatt in dieser Frage
machen lassen.
Danke.
({2})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Staatsminister im Auswärtigen Amt,
Dr. Ludger Volmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung verfolgt den von Staatspräsident
Pastrana vor zwei Jahren begonnenen Friedensprozess
mit großer Sympathie. Sie begrüßt es, dass die kolumbianische Regierung inzwischen mit beiden Guerillaorganisationen, der FARC und der ELN, Gespräche über einen
möglichen Frieden führt. Die Bundesregierung fordert zudem, dass die Paramilitärs entschieden bekämpft werden.
Das Klima der Gewalt in Kolumbien ist eng mit dem
Anbau und dem Handel mit illegalen Drogen verbunden.
Hier tragen die Produzentenländer, aber auch die Konsumentenländer, also wir selber, eine gemeinsame Verantwortung. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen,
den auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der
EU, Lateinamerikas und der Karibik vor einem Jahr beschlossenen Drogenaktionsplan zügig umzusetzen. Frieden in Kolumbien wird nur möglich werden, wenn der
Drogenhandel wirksam bekämpft wird.
Die kolumbianische Regierung hat mit ihrem „Plan
Colombia“ einen umfassenden und integralen Entwicklungsplan für Kolumbien vorgelegt. Präsident Pastrana
hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von Montag dessen Zielsetzung folgendermaßen beschrieben:
Kampf gegen den Rauschgifthandel, Schaffung eines modernen Justizsystems, Verbesserung der Achtung der
Menschenrechte sowie Verwirklichung von Sozialprogrammen und damit Schaffung von Frieden. Die Bundesregierung unterstützt alle diese Ziele nachdrücklich. Die
politische Bedeutung dieses Planes ist auf einer Konferenz in London am 19. Juni mit den EU-Staaten, den USA,
Kanada und Japan ausführlich diskutiert worden. Am
6. und 7. Juli, also morgen und übermorgen, wird auf
Einladung der Interamerikanischen Entwicklungsbank
ein weiteres Treffen zu diesem Plan in Madrid stattfinden.
Die Bundesregierung will sich in enger Absprache von
Auswärtigem Amt und BMZ gemeinsam mit den europäischen Partnern der kritischen Lage in Kolumbien stellen
und zu Konfliktprävention und -bewältigung beitragen.
Der „Plan Colombia“ wirft für uns in Deutschland und für
viele unserer europäischen Partner allerdings noch einige
Fragen auf, die in partnerschaftlicher Diskussion mit Kolumbien gelöst werden müssen.
Die Strategie der Drogenbekämpfung in Kolumbien
setzt auf massive Sprühaktionen mit Herbiziden und möglicherweise auch biologischen Bekämpfungsmitteln aus
der Luft. Die Bundesregierung hält solche Maßnahmen
für schädlich und unwirksam zugleich.
({0})
Dabei werden Anbauflächen auch für alternative Produkte
unbrauchbar gemacht. Die dort lebende Bevölkerung vermehrt entweder die große Zahl der Binnenflüchtlinge
oder sie zieht immer tiefer in die tropischen Wälder und
legt dort neue Anbauflächen an. Es ist im Übrigen gerade
die ohnehin in ihrer Existenz gefährdete indigene Bevölkerung dieser Region, die dabei erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird.
({1})
Dies habe ich übrigens bei meinem Besuch im letzten Jahr
Staatspräsident Pastrana genauso deutlich mitgeteilt.
Die Bundesregierung ist überhaupt davon überzeugt,
dass militärische Gewalt kein geeignetes Mittel zur
Bekämpfung des Drogenanbaus ist. Auf polizeiliche Repression kann zwar nicht verzichtet werden - das stellt
auch der Entschließungsantrag klar -, dabei müssen aber
die Regeln des Rechtsstaates und die Menschenrechte
strikt beachtet werden.
({2})
Es darf nicht der Eindruck entstehen, als ginge es nur darum, die repressive Komponente des „Plan Colombia“
durch zivile Maßnahmen zu ergänzen. Dafür darf sich die
Bundesregierung nicht vereinnahmen lassen.
({3})
Wir werden vielmehr darauf achten, dass die notwendige
Unterstützung des Friedensprozesses und die flankierenden Maßnahmen dazu auf der Grundlage einer eigenständigen deutschen und europäischen Konzeption erfolgen,
die schon heute unsere Zusammenarbeit mit Kolumbien
bestimmt. Wichtig ist auch, dass die sehr lebendige und
dynamische kolumbianische Zivilgesellschaft an der Formulierung und Durchführung der Projekte stärker beteiligt wird.
({4})
Die Europäische Union, meine Damen und Herren damit komme ich zum Schluss -, führt sowohl mit der
Andengemeinschaft als auch mit der Rio-Gruppe regelmäßig einen Dialog auf hoher Ebene. Dabei werden wir
uns dafür einsetzen, dass die Frage des Friedens in Kolumbien verstärkt auf die Tagesordnung dieser Dialoge
gesetzt wird.
Was unsere bilaterale Entwicklungszusammenarbeit angeht, Herr Hoyer und Herr Hedrich, ist Ihnen bezüglich der Rahmenplanung ein Irrtum unterlaufen: Für
das Jahr 2001 hat die Bundesregierung nämlich geplant,
die Mittel für Kolumbien um 50 Prozent zu erhöhen, also
um 10 Millionen DM zusätzlich zu den schon jetzt
bereitgestellten 20 Millionen DM. Ich hoffe, dass wir damit unseren und den europäischen Beitrag zur Drogensubstitutionspolitik, zum alternativen Anbau, zur Gemeinde- und zur Demokratieentwicklung finanzieren
können.
Der vorgelegte Antrag von Bündnis 90/Die Grünen,
SPD und F.D.P. bietet dafür eine gute Grundlage.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. zur Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien. Die Fraktion
der PDS hat beantragt, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und zur Mitberatung an den
Auswärtigen Ausschuss und den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu überweisen. Die
Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und
der F.D.P. verlangen hingegen sofortige Abstimmung.
Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über den
Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte also diejenigen, die
dem Überweisungsvorschlag der Fraktion der PDS zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus den Reihen der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Antrag in der Sache ab. Wer
stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/3766? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei
Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion und der PDS-Fraktion angenommen.
Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion der PDS mit
dem Titel „Eine nachhaltige demokratische und soziale
Entwicklung in Kolumbien unterstützen“. Die Fraktion der
PDS hat beantragt, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung und zur Mitberatung an den Auswärtigen
Ausschuss und den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu überweisen. Die Fraktionen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. verlangen hingegen sofortige Abstimmung.
Wir stimmen zunächst wieder über den Überweisungsvorschlag ab. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Fraktion der PDS zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Antrag in der Sache ab. Wer
stimmt für den Antrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/3782? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei
einigen Enthaltungen aus der SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Sabine Jünger, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Soziale Arbeit stärken - Alternativen zum
Zivildienst entwickeln
- Drucksache 14/3563 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort
zunächst dem Kollegen Dr. Ilja Seifert, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße auch die wenigen
Gäste auf der Besuchertribüne ganz herzlich zu dieser
späten Zeit.
Zivildienstleistende verrichten eine unheimlich wichtige, eine unheimlich gute und eine sehr humane Arbeit.
Dennoch ist der Zivildienst ein Zwangsdienst. Er gehört
also abgeschafft, aber nicht auf die kalte Art, wie es die
Bundesregierung im vergangenen Jahr mit ihren durch
das Haushaltssanierungsgesetz erzwungenen Einsparzielen angefangen hat. Dieses Gesetz führt im Sommer dieses Jahres dazu, dass eine große Lücke von Zivildienstleistenden genau in den Bereichen entsteht, in denen sie
zurzeit nicht ersetzbar sind; die Zivildienstleistenden
werden missbraucht.
Der Zivildienst hat eindeutig keinen sozialen Sicherstellungsauftrag. Die Zivis stützen aber ganz massiv die
soziale Infrastruktur in diesem Lande. Zum Teil gilt dies
auch für Fragen der Kultur und des Umweltschutzes. Das
will ich überhaupt nicht unter den Tisch kehren. Ich rede
jetzt aber insbesondere über die sozialen Aspekte.
Was Not tut, ist, den Zivildienst in dauerhafte
Arbeitsplätze zu konvertieren,
({0})
und zwar in Arbeitsplätze, die nach Tarif bezahlt werden
und bei denen diejenigen, die die Arbeit leisten, davon
ausgehen können, dass ihre wichtige und der Gesellschaft
dienende Arbeit auch in jeder Hinsicht anerkannt wird.
Ich meine damit sowohl das Geld als auch das Prestige,
das damit verbunden ist.
Die PDS-Fraktion hat einen Antrag eingebracht, der
vor allem zwei Dinge beinhaltet: Erstens geht es darum,
kurzfristig Maßnahmen zu ergreifen, damit die Lücke, die
jetzt durch Ihr Haushaltssanierungsgesetz entstanden ist,
wenigstens so geschlossen wird, dass keine Engpässe bei
den Menschen entstehen, die zurzeit unbedingt auf die
Hilfe der Zivis angewiesen sind. Das sind schwerbehinderte Menschen, insbesondere schwerbehinderte Kinder,
das sind aber natürlich auch Menschen in Altenheimen
und dergleichen. Dort sind Zivis zurzeit nicht zu ersetzen,
weil es momentan keine anderen Möglichkeiten gibt.
({1})
- Völlig richtig, aber, wie gesagt, jetzt werden die Kürzungen massiv wirksam.
Damit eine Möglichkeit besteht, das überhaupt zu erfassen, schlagen wir vor, eine Ombudsstelle einzurichten,
bei der sich von Kürzungen Betroffene, ihre Angehörigen,
die Einsatzstellen für die Zivis und natürlich auch die
Selbsthilfeorganisationen melden können, damit die Probleme rasch und unkonventionell gelöst werden.
Das ist der erste, kurzfristig wichtige Teil unseres Antrags. Ich finde, das sollte geschehen. Die bereits eingetretenen Engpässe dürfen sich nicht zuungunsten der betroffenen Menschen, die Hilfe brauchen, auswirken.
({2})
Zweitens - das ist der mittel- und langfristig wichtige
Teil unseres Antrages - müssen wir das Auslaufmodell Zivildienst jetzt konvertieren, und zwar so, dass in keiner
Phase der Konversion, an keinem einzigen Tag, zu keiner
Vizepräsidentin Petra Bläss
Stunde eine Lücke entsteht. Es gibt nämlich Menschen,
die auf die Assistenz der Zivis angewiesen sind und nicht
einmal eine Stunde ohne eine begleitende Assistenz sein
können. Wer, bitte schön, möchte das verantworten?
Deswegen, meine Damen und Herren von den Grünen:
Die Forderung, anstelle des Zivildienstes 90 000 Arbeitsplätze zu schaffen, unterstütze ich ja gern; aber wir
brauchen erst die Arbeitsplätze und dann kann man den
Zivildienst abschaffen, nicht erst den Zivildienst abschaffen und dann sehen, ob wir die Arbeitsplätze bekommen.
({3})
Wir sehen in diesem Bereich eine hervorragende Möglichkeit, auf Dauer Arbeitsplätze von großer Wichtigkeit,
demzufolge auch von hohem sozialem Prestige zu schaffen, die sich aber - das räumen wir gern ein - betriebswirtschaftlich nicht rechnen werden. Das sind Arbeitsplätze, die von Selbsthilfegruppen gestaltet werden. Das
sind Arbeitsplätze, die von anderen kleinen Hilfsorganisationen ausgestaltet werden können. Diese Arbeitsplätze
können sich zwar betriebswirtschaftlich nicht rechnen,
aber volkswirtschaftlich und vor allem humanitär gesehen
bringen sie einen gewaltigen Gewinn für die ganze
Menschheit. Das, finde ich, sollten wir nicht unterschätzen.
({4})
Unter diesem Aspekt ist es ein Gebot volkswirtschaftlicher und humanitärer Vernunft, solche Arbeitsplätze dauerhaft und sicher auszugestalten. Das kann durch regelmäßige Zuschüsse geschehen. Wir nennen das „öffentlich
geförderter, dauerhafter Beschäftigungssektor“.
Bitte, meine Damen und Herren, geben Sie den Menschen eine Chance, das auszuprobieren. Geben Sie den
Menschen eine Chance, Arbeitsplätze in Bereichen zu finden, in denen sie sich auf Dauer gut fühlen können! Auf
diesem Wege müssen die Selbsthilfegruppen, die Institutionen, die diese Arbeitsplätze bereithalten, natürlich
ebenfalls institutionell gefördert werden; denn ohne feste
Arbeitsplätze geht so etwas nicht.
Ich bitte Sie, wenn Sie unseren Antrag in den Ausschüssen prüfen und darüber diskutieren: Lassen Sie uns
zu einer Lösung kommen, die langfristig nützt, und lassen
Sie uns die Lücke, die jetzt durch die Regierung gerissen
worden ist, schnell schließen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dieter Dzewas.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider kommt der PDS-Antrag zu
den Alternativen zum Zivildienst reichlich spät; denn die
Bundesregierung hat bereits gehandelt. Zum einen hat
sich seit der Vorlage des Berichts der Wehrstrukturkommission im Mai gezeigt, dass es in diesem Hause eine
breite Mehrheit für die Beibehaltung der Wehrpflicht und
damit für den Fortbestand des Zivildienstes gibt. Das
heißt, dass die Konversion, jedenfalls in dem Umfang,
wie im Antrag gefordert, zurzeit und auch auf absehbare
Zeit nicht auf der Tagesordnung steht. Zum anderen können wir am Ende der Sommerpause mit dem Bericht der
speziell eingerichteten Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“ rechnen. Ich erwarte mir von dieser Arbeitsgruppe selbstverständlich Anregungen für die
zukünftige Ausgestaltung dieses Dienstes.
Der Zivildienst - da möchte ich Herrn Dr. Seifert unbedingt zustimmen - hat keinerlei Sicherstellungsauftrag für soziale Dienstleistungen. Er ist untrennbar mit
der Wehrpflicht verknüpft. Er sollte und kann nicht die
Aufgabe übernehmen, ein umfassendes Netz sozialer Sicherheit zu bieten. Denn es handelt sich um junge Männer, die einen gesetzlich geforderten Dienst, nicht aber einen hoch qualifizierten Dienst an behinderten, alten und
kranken Menschen zu leisten haben. Ihnen die Last der
Verantwortung für die Sicherung des Systems sozialer
Dienstleistungen aufzubürden widerspräche aus meiner
Sicht nicht nur dem Geist des Zivildienstes als Ersatzdienst, sondern würde auch die Zivildienstleistenden selber hoffnungslos überfordern.
({0})
Immer wieder werden - wie auch zurzeit - Beschwerden laut, dass gerade bei der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung Zivildienstleistende fehlen. Das ist
jedoch keine Folge von Kürzungen von Dienstzeiten oder
Stellen, sondern wir haben seit vielen Jahren, insbesondere seit 1995, die Entwicklung, dass die Zahl der Freiwilligen in diesem Bereich zurückgeht.
Herr Kollege Dzewas,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Seifert?
Wenn ich diesen Gedankengang erst zu Ende führen darf, dann gerne.
Es gab im Jahre 1995 noch 5 300 Zivildienstleistende
im Bereich der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung; zu Beginn dieses Jahres waren es lediglich noch
3 859. Das hat überhaupt nichts mit Kürzungen von
Dienstzeiten oder Stellen zu tun, sondern hängt lediglich
mit der Tatsache zusammen, dass viele junge Männer diesen schweren und verantwortungsvollen Dienst heute
nicht mehr in dem erforderlichen Umfang zu leisten bereit sind.
Bitte schön, Herr Dr. Seifert.
Ich hatte mich zu Ihrem vorhergehenden Gedanken zu Wort gemeldet, Herr Kollege,
aber lassen Sie mich zu dem, was Sie eben ausgeführt haben, einen Satz sagen. Der Zivildienst im Bereich der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung ist in den letzten Jahren unattraktiver gemacht worden. Er wird
schlechter bezahlt als noch vor einiger Zeit und es gibt
weniger Zuschüsse. Auch das muss man hier erwähnen.
Aber meine Frage ist eine andere. Sie sprachen vorhin
im Konjunktiv davon, dass der soziale Sicherstellungsauftrag diesen Menschen nicht zugemutet werden sollte.
Wollen Sie zumindest einräumen, dass diese jungen Männer in der Praxis fast die Einzigen sind, die diesen Sicherstellungsauftrag noch erfüllen? Wollen Sie nicht einräumen, dass der Konjunktiv hier nicht angebracht ist?
Herr Dr. Seifert, bei allem Verständnis für die Situation: Sie können doch nicht behaupten, dass in diesen Institutionen nicht verantwortliche
hauptbeschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre
Aufgaben im Rahmen der gesetzlichen Leistungen wahrnehmen. Unstreitig ist sicher auch, dass es darüber hinaus
in diesen Institutionen noch ehrenamtliche Mitarbeiter
gibt. Insofern würde ich es keinesfalls so sehen, dass den
Zivildienstleistenden da ein Monopol zugemutet werden
muss.
Ich möchte Ihnen versichern, dass wir über die Konsolidierungsnotwendigkeiten in den Haushalten 2000 und
2001 keineswegs glücklich sind. Aber auch das Familienministerium war gezwungen, zur Haushaltssanierung
beizutragen.
Da gerade die Kolleginnen und Kollegen der ehemaligen Regierungsfraktionen mit ihrer Kritik an den Maßnahmen nie hinter dem Berg halten, möchte ich kurz noch
einmal auf die Gründe für diese Konsolidierung hinweisen.
({0})
Warum waren wir denn zu diesen Einsparungen gezwungen? - Sie sind die Folge Ihrer langjährig verfehlten
Haushaltspolitik mit falscher Prioritätensetzung und skrupelloser Schuldenaufnahme auf Kosten der nachfolgenden Generationen.
({1})
Nur wenn wir uns als Staat in die Lage versetzen, zukünftig schuldenfrei zu agieren, können wir überhaupt wieder
Sozialstaatsgarantien übernehmen.
({2})
Die Konsolidierungsmaßnahmen, die den Wegfall von
Zivildienststellen zur Folge hatten, sind, Herr Dr. Seifert,
genau in dem Bereich anzusetzen, in dem in der Vergangenheit gegen die Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes verstoßen wurde. An dieser Stelle ist es zumutbar, den Zivildienst zu ersetzen.
Die vorgenommenen Kürzungen haben aus meiner
Sicht nicht zu irgendwelchen eklatanten Unterversorgungssituationen geführt. Denn es gibt in der Arbeitsmarktpolitik durchaus bewährte Instrumente. Lassen Sie
mich ein Beispiel nennen: 1990 wurde in Bremen die so
genannte „Assistenzgenossenschaft Bremen“ mit dem
Ziel geschaffen, Zivildienstplätze in reguläre Arbeitsplätze umzuwandeln. Dieses Ziel ist erreicht worden. Die
Mitglieder dieser Genossenschaft können entscheiden,
wie viele Stunden und wann sie Hilfe bekommen. Sie
können sich bewusst für eine männliche oder weibliche
Pflegeperson entscheiden und - ganz nach Wahl - bestimmte Leistungen in Anspruch nehmen.
Im Laufe von zehn Jahren hat diese Genossenschaft
den ehemals erheblichen Anteil an Zivildienstleistenden
auf nur noch vier reduziert. Im Übrigen beschäftigen die
60 Genossenschaftsmitglieder heute 250 Assistentinnen
und Assistenten in Teilzeit- und Vollzeitarbeit. So konnten
in Bremen zahlreiche Arbeitslose wieder in ein reguläres
Arbeitsverhältnis gelangen. Gleichzeitig wurden die Sozialversicherungen durch neue Beitragszahler entlastet.
Neben ehemaligen Arbeitslosen finden hier auch Studentinnen und Studenten sowie ältere Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz. Im Vergleich zum Zivildienst verfügt dieses Modell über den Vorteil, dass die
meisten Pflegekräfte länger mit den Personen, die sie zu
pflegen haben, zu tun haben. Das liegt in der Natur der Sache. Außerdem können die Assistenznehmer - ganz nach
ihren Vorstellungen - entweder auf jüngere oder auf ältere
Betreuer zurückgreifen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen allein an
diesem Beispiel, dass viele Diskussionen über die Kürzungen beim Zivildienst an der eigentlichen Problematik
vorbeigehen. Das Modell von Bremen zeigt, dass man die
Anforderungen an die Konversion von Zivildienstplätzen
mit einer durchdachten Herangehensweise und der Schaffung regulärer Arbeitsplätze bereits heute im Sinne vieler
lösen könnte. Ein ganzes Spektrum an Vorteilen wird hier
sichtbar: die wesentlich größere Selbstbestimmung der
Assistenznehmer, die Einbindung der Assistenten in eine
demokratisch strukturierte Genossenschaft mit einer für
die Belegschaft wichtigen Interessenvertretung durch
Betriebsratsarbeit und nicht zuletzt der enorm positive Arbeitsmarkteffekt, der entsprechende Auswirkungen auf
die sozialen Sicherungssysteme hat.
Das Potenzial für die Schaffung vieler neuer hauptamtlicher Stellen in diesem Bereich ist durchaus vorhanden. Gerade Langzeitarbeitslose oder geringer Qualifizierte bekommen durch die vorhandenen Instrumente im
Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik Chancen, wieder
in Beschäftigung zu kommen. Die Mittel für diese aktive
Arbeitsmarktpolitik werden wir im Bundeshaushalt des
kommenden Jahres stabil halten. Wir werden mit der Fortsetzung des Programms JUMP die Jugendarbeitslosigkeit
weiter bekämpfen. Wir sollten das Programm JUMP
verstärkt dazu nutzen, jungen Menschen die im sozialen
Bereich bestehenden Perspektiven auf Beschäftigung aufzuzeigen.
Zu diesen Arbeitsmarktmöglichkeiten kommen darüber hinaus die im Rahmen des Bündnisses für Arbeit
vereinbarten Modellvorhaben. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Stichworte „Saar-Modell“ und „Mainzer Modell“. Mit diesen Modellen soll versucht werden, geringer Qualifizierten und Langzeitarbeitslosen die
Chance zu geben, wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden.
Vor dem Hintergrund all dessen, was ich vorgetragen
habe, werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der PDS, verstehen, dass ich und damit auch die SPDDr. Ilja Seifert
Bundestagsfraktion zurzeit keinerlei sachliche Notwendigkeit für weitere zusätzliche Leistungen des Bundes
({3})
sehen und deshalb wird die SPD-Fraktion Ihren Antrag
nicht unterstützen.
Schönen Dank.
({4})
Es spricht jetzt für die
Fraktion der CDU/CSU der Kollege Thomas Dörflinger.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass
wir heute, vier Tage nachdem das Haushaltssanierungsgesetz in Kraft gesetzt wurde und die Kürzungen, von denen soeben die Rede war, ihre Wirkung entfalten, diese
Debatte führen. Die aktuelle Diskussion über die Zukunft
des Zivildienstes zeigt in erster Linie eines, nämlich breite
Verunsicherung bei den Verbänden, den freien Trägern an
der Basis und bei den jungen Männern, die sich fragen, ob
sie Wehrpflicht oder Zivildienst leisten sollen. Die Verantwortung für diese Verunsicherung - das kann ich Ihnen
nicht ersparen - trägt die Bundesregierung.
({0})
Es ist schon angesprochen worden: Nachdem durch
das so genannte Haushaltssanierungsgesetz beim Zivildienst Kürzungen in Kraft gesetzt wurden und noch bevor
sich durch die Reform der Bundeswehr möglicherweise
erneut Handlungsbedarf ergibt, wurde nun eine Arbeitsgruppe eingesetzt mit dem Auftrag, sich mit der Zukunft
des Zivildienstes zu befassen.
Wolfgang Schäuble pflegt zu sagen: Der Regierung
fehlt die Substanz.
({1})
Das zeigt sich auch in dieser Frage. Erst wird gehandelt,
dann wird gedacht und dann wird eine Kommission oder
Arbeitsgruppe beauftragt, die durch die Regierung geschaffenen Probleme zu lösen. Das ist schon eine reife
Leistung. Normalerweise verfährt man genau andersherum: Man holt sich externen Sachverstand, sucht gemeinsam nach Lösungen und erarbeitet dann einen Vorschlag, den man in die Beratung gibt.
({2})
Breite Verunsicherung scheint es aber nicht nur bei den
Betroffenen, sondern auch innerhalb der Koalition zu geben. Vor wenigen Wochen erklärte der geschätzte Kollege
Christian Simmert als Zivildienstberichterstatter vom
Bündnis 90/Die Grünen, seine Fraktion wolle die Wehrpflicht abschaffen - und damit logischerweise auch den
Zivildienst. Dieter Dzewas, mein Vorredner und Kollege
bei den Sozialdemokraten, möchte jedoch, wie er auf einer Veranstaltung beim Diakonischen Werk hier in Berlin,
an der wir beide teilgenommen haben, sagte, an der Wehrpflicht festhalten. Und jeder - so scheint es wenigstens spricht für die Mehrheit seiner Fraktion. Das gibt noch
eine sehr spannende Debatte. Sie können sich darauf verlassen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diese
Auseinandersetzung mit größtem Interesse verfolgen
wird.
({3})
- Ich bin ja noch nicht am Ende, Herr Kollege.
({4})
Im September soll die erwähnte Arbeitsgruppe des
Ministeriums ihre Empfehlungen vorlegen, wie uns der
Bundesbeauftragte für den Zivildienst und auch die Ministerin heute Morgen im Ausschuss haben wissen lassen.
Das heißt also, die Regierungsfraktionen haben noch rund
zwei Monate Zeit, ihre Positionen zu klären. Ich wünsche
ihnen, dass schlussendlich eine Position pro Wehrdienst
und damit auch pro Zivildienst gefunden wird; denn sonst
hätte die erwähnte Arbeitsgruppe ihre Arbeit umsonst gemacht. Aber das soll ja anderen Kommissionen und Arbeitsgruppen dieser Regierung auch schon so gegangen
sein.
({5})
Eines ist allerdings schon heute klar: Ab dem nächsten
Jahr steht uns, bedingt durch die Bundeswehrreform, eine
weitere Verkürzung des Zivildienstes - dann auf zehn
Monate - ins Haus. Wenn aber der Deutsche Caritasverband am vergangenen Freitag verlauten ließ: „Die Menschen, die am dringendsten darauf angewiesen sind, werden versorgt“, dann heißt das nicht nur, dass es vermutlich
nicht so schlimm gekommen ist, wie ursprünglich befürchtet, sondern auch, dass diejenigen, die nicht ganz so
dringend auf die Hilfe angewiesen sind, möglicherweise
mit Folgen zu rechnen haben, die sie dann am eigenen
Leib spüren können. Hinzu kommt - wir haben heute
Morgen im Ausschuss darüber diskutiert -: Die Verfügbarkeit des einzelnen Zivildienstleistenden für die Zivildienststelle und auch für den zu Betreuenden wird immer
kürzer; denn die Einarbeitungszeit bleibt gleich, egal wie
lange der Zivildienst dauert. Auch die mögliche Weiterbildung und der Aufenthalt in der Zivildienstschule bleiben in ihrer Dauer gleich, egal wie lange der Zivildienst
dauert. Angesichts der Tatsache, dass der Zivildienstleistende natürlich einen Bezug zu der Person, die er betreut,
haben sollte, fragt man sich schon, wann der Punkt erreicht ist, an dem der Zivildienst keinen Sinn mehr macht.
Der uns vorliegende Antrag der PDS, über den wir
heute beraten, zeigt - das sei konzediert - wenigstens in
der Bestandsaufnahme der aktuellen Situation im Zivildienst durchaus einzelne Ansätze, die den Tatsachen
entsprechen. Das gilt etwa für die beschriebenen Folgen
der Kürzungen im Zuge des Haushaltssanierungsgesetzes
und für den erhöhten Kostendruck bei den Dienststellen.
Was allerdings im Forderungskatalog folgt, ist eine recht
willkürliche Aneinanderreihung von Postulaten, die mir
nicht nur recht wenig durchdacht, sondern durchaus auch
ideologisch vorbelastet erscheint.
({6})
Lassen Sie mich exemplarisch zwei Punkte nennen.
Erstens. Ich zitiere aus dem Antrag:
Als grundlegende Komponente der Alternativen zum
Zivildienst ist der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor zu entwickeln und auszubauen.
Seit Jahren debattieren wir in diesem Hohen Hause über
die Notwendigkeit der Senkung der Staatsquote. Wir sind
uns in der Forderung weitgehend einig; in der Durchsetzung hat die eine oder andere Bundesregierung bislang
durchaus unterschiedliche Ergebnisse erzielt. Ausgerechnet die Partei, deren Vorgängerin 40 Jahre den Staatsmonopolkapitalismus predigte und zum Erfolg zu führen versuchte, legt uns heute einen solchen Antrag unter dem
Stichwort ÖBS - öffentlicher Beschäftigungssektor vor. Daher ist klar - Sie haben das auch selbst ausgeführt -: Die prognostizierten 70 000 bis 100 000 Arbeitsplätze, die durch den Wegfall von Wehr- und Zivildienst
entstehen sollen, müsste der Staat schaffen.
({7})
- Ein bisschen? Ein bisschen viel! Ich stelle fest: Sie haben aus 40 Jahren DDR reichlich wenig gelernt.
({8})
Eine funktionierende Volkswirtschaft, meine Damen
und Herren, entsteht nicht dadurch, dass möglichst viele
Leute beim Staat beschäftigt sind, sondern dadurch, dass
möglichst wenige beim Staat beschäftigt sind.
Ein zweites Beispiel. Sie schreiben in Ihrem Antrag:
Einige der Arbeiten, die zum Beispiel in der individuellen Schwerbehindertenbetreuung heute von Zivildienstleistenden erbracht werden, könnten auch
von Freiwilligendiensten als Assistenzleistungen angeboten werden.
Nun kennen Sie vielleicht die Meinung von Joachim
Hagelskamp vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, der vor wenigen Tagen in einem Interview mit
„AP“ gesagt hat:
Freiwilligkeit und Planungssicherheit sind ein Widerspruch in sich.
Dem ist eigentlich gar nichts hinzuzufügen.
({9})
Wie wollen Sie denn eine notwendige Versorgung durch
Freiwillige im Hinblick auf Planungssicherheit gewährleisten? Wir können gerne darüber diskutieren, wie wir
die Freiwilligendienste in Deutschland ausbauen und
möglicherweise rechtlich auf eine neue, bessere Grundlage stellen.
({10})
Wir haben dazu intensive Gespräche in der Arbeitsgruppe
der Fraktion geführt und werden das nach der Sommerpause fortsetzen. Sehr gespannt sind wir darauf, wann die
Bundesregierung ihre Verpflichtung aus dem Koalitionsvertrag in dieser Frage umsetzt und uns mit konkreten
Vorschlägen überrascht. Aber, wir sollten uns nicht selbst
Sand in die Augen streuen und uns einbilden, die Lücke,
die durch den möglichen Wegfall des Zivildienstes entsteht - darauf zielen Sie ja letztlich ab -, durch den weiteren Auf- und Ausbau von Freiwilligendiensten kompensieren zu können.
({11})
- Genau darauf wollte ich hinaus, Herr Kollege Seifert:
Wer soll professionelle, hauptberufliche Beschäftigte, die
der Staat zu finanzieren hat, bezahlen?
Wir sollten keine Gespensterdiskussion führen. Es geht
darum, den Zivildienst zukunftsfähig zu machen. Ich bin
sehr gespannt, wann die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen hierzu ein schlüssiges Konzept vorlegen werden. Es geht nicht darum, den Zivildienst und die
Wehrpflicht so elegant wie möglich abzuschaffen. Letztlich wollen Sie das und deshalb werden wir Ihren Antrag
auch nicht mittragen.
({12})
Ich stelle fest: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist
die einzige politische Kraft in diesem Hause, die in Zukunft ohne Wenn und Aber an Wehrpflicht und zivilem Ersatzdienst festhält, wie das Grundgesetz es vorsieht.
({13})
Dabei ist uns durchaus klar - das sei konzediert -, dass wir
durch die sich verändernden und schon veränderten Rahmenbedingungen in der Sicherheitspolitik in beiden Feldern Handlungsbedarf haben.
({14})
Aber, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, bei sensiblen Themen sollte man auch mit der notwendigen Sensibilität zu Werke gehen.
Lassen Sie uns beispielsweise darüber diskutieren, ob
der Zivildienst Zug um Zug besser als heute auf den sozialen Kernbereich konzentriert werden kann. Aber bitte
schön Zug um Zug und nicht unter dem Diktat des Finanzministeriums!
({15})
Sieben von zehn Zivis arbeiten im engeren sozialen Bereich. Genau da sollten die Sparmaßnahmen eben nicht
ansetzen.
({16})
Oder lassen Sie uns darüber nachdenken, ob wir die Situation von Zivildienstleistenden dadurch verbessern,
dass wir die Aus- und Weiterbildung der VertrauensThomas Dörflinger
leute bei den Zivis ähnlich wie bei den Wehrpflichtigen
regeln, insbesondere was den Sonderurlaub angeht. Wir
haben als Unionsfraktion im Ausschuss diesen Vorschlag
unterbreitet, als wir die Änderung des Zivildienstvertrauensmann-Gesetzes beraten haben. Jetzt warten wir auch in
dieser Frage sehr gespannt auf Ihre Vorschläge.
Meine Damen und Herren, Zivildienstleistende erfüllen eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe, die
deutlich über die direkten Aufgaben innerhalb ihrer
Dienstzeit und im Rahmen ihrer Dienstpflicht hinausgehen. Dem sollten wir auch beim Setzen der politischen
Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Daher, Frau
Staatssekretärin, Frau Ministerin: Die Federführung liegt
bei Ihnen, nicht beim Bundesfinanzminister, schon gar
nicht bei der Opposition. Wir laden Sie herzlich ein, Ihre
Arbeit zu tun.
Schönen Dank.
({17})
Nächster Redner ist
der Kollege Christian Simmert, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dörflinger, ich hätte von Ihnen etwas Konzeptionelles erwartet.
({0})
Ich bin das ja von den Ausschusssitzungen gewohnt. Ich
möchte von Ihnen endlich einmal hören, was Sie konzeptionell zu bieten haben. Die Frage nach dem Umbau der
sozialen Sicherungssysteme spielt in dieser Diskussion
eine Rolle. Auch die Frage nach sozialer Sicherung und
Sicherheit spielt eine Rolle.
Dass Zivildienstleistende seit vergangenem Samstag
eine kürzere Dienstzeit haben, begrüße ich, und zwar
nicht aufgrund des finanziellen Aspekts, sondern weil es
um eine Gleichbehandlung der Dienste geht.
({1})
In Ihrer Regierungszeit sind die Dienste ungleich behandelt worden. In unserer Regierungszeit haben wir erstens
die Besoldung für Zivildienstleistende mit der Besoldung
der Wehrpflichtigen gleichgestellt und zweitens die
Dienstzeit verkürzt. Ich finde, wir haben einen guten
Schritt für die Zivildienstleistenden getan, der zugleich das ist richtig - Einspareffekte mit sich bringt. Wichtig
aber ist das Signal und ich glaube, dass es draußen verstanden wird.
Ich komme nun auf die Ausfälle im sozialen Bereich
zu sprechen. Herr Dörflinger, Sie haben vorhin die AWO
zitiert. Ich beziehe mich auf den Caritasverband und den
DPWV, die am Freitag gesagt haben: Es gibt keine
wesentlichen, keine dramatischen Ausfälle im sozialen
Bereich. Ich glaube, hier sollten wir genauer hinsehen.
Die Verbände arbeiten nicht nur in der Arbeitsgruppe unter Führung des BMFSFJ; sie sind im Bereich des Zivildienstes auch an der Steuerung - sie bezieht sich auf die
Leistungsbeteiligungen und das Streichen von Zivildienstplätzen - beteiligt. Ich bin nicht der Auffassung,
dass wir Zivildienstleistende als Hausmeister in Dienststellen brauchen. Ich bin der Meinung, dass wir Zivildienstleistende noch im sozialen Bereich brauchen.
({2})
Die Betonung liegt auf „noch“. Ich bin in der Tat mit
meiner Fraktion der Auffassung, dass der Zivildienst und
die Wehrpflicht ein Auslaufmodell sind.
An die PDS gerichtet sage ich: Wir haben nie gesagt, dass
wir ein Auslaufen von heute auf morgen wollen. Wir wollen es konzeptionell, wir wollen eine Umwandlung mit
Perspektive, was Arbeitsplätze und Freiwilligendienste
angeht. Ich glaube, dass wir eine viel stärkere Förderung
der Freiwilligendienste in der Bundesrepublik - auch internationaler Art - brauchen.
({3})
- Wir brauchen sie nicht als Ersatz, sondern als freiwilliges Engagement im sozialen Bereich.
Wenn wir das mit einer intelligenten Arbeitsmarktpolitik kombinieren, können wir hier einen Umbau erreichen,
der sich wirklich Umbau nennen kann und der letztlich
den Zivildienst und die Wehrpflicht überflüssig macht.
Richtig ist, dass man damit beginnen muss. Meine Fraktion hat deshalb beschlossen, die Sache konzeptionell anzugehen. Das werden wir auch in die Bundesregierung
tragen.
Es braucht aber Zeit, eine solche Diskussion vernünftig zu führen, also ohne Ängste und Hysterie zu schüren.
Es bringt uns wenig, wenn wir die Angst heraufbeschwören, dass es im sozialen Bereich zu exorbitanten
Ausfällen kommt, noch bringt es etwas, strukturkonservativ an dem Bestehenden festzuhalten. Wir brauchen
Innovationen im Bereich der Freiwilligendienste und der
Arbeitsplätze in einem vernünftigen Mix. Dazu kann man
bereits vorhandene Haushaltsmittel verwenden. Die Auswirkungen, über die wir heute diskutieren und die Anlass
des Antrags der PDS sind, muss man davon trennen, denn
sie sind nicht so, wie sie seit Samstag teilweise heraufbeschworen werden.
Wenn wir darüber in den nächsten Sitzungswochen im
Ausschuss diskutieren, werden wir Vorschläge der Bundesregierung und der Arbeitsgruppe, an der die Träger und
verschiedene Ministerien beteiligt sind, auf dem Tisch haben, über die wir diskutieren müssen und werden. Ich
glaube, dass dann auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefragt ist, endlich zu sagen, wie sie sich diesen Bereich konzeptionell vorstellt, statt darauf zu warten, bis
die Bundesregierung ihre Vorstellungen mitteilt.
({4})
Ich finde, das ist eine etwas schlappe Opposition. Das sind
wir aber teilweise gewohnt; deshalb muss man dies nicht
mehr groß hinzufügen.
({5})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Es sind tolle Steilvorlagen, die mir die anderen Fraktionen bieten. Ich habe aber leider nur drei Minuten Redezeit. Von daher sollten wir das im Ausschuss besprechen.
Herr Dr. Seifert, Sie haben hier meines Erachtens auch
in der Sache in scheinheiliger Form gesprochen; denn Sie
haben nicht den Ausdruck „öffentlicher Beschäftigungssektor“ benutzt. Sie haben dies verbrämt und gesagt: Dort
könnte ein bisschen zugezahlt werden. Es ist ganz deutlich, dass Sie einen öffentlichen Beschäftigungssektor
wollen, der im Grunde gar nicht zu ordentlichen Arbeitsplätzen führt.
({0})
Dies ist eine ideologische Festlegung. Sie haben uns hier
Lösungen von vor 1990 vorgeschlagen. Herr Dörflinger
hat dies beschrieben; deshalb kann ich es mir ersparen,
dies zu wiederholen.
({1})
Es geht hier um eine grundlegende Komponente der Alternative zum Zivildienst und das ist der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor. Das hätten Sie hier genauer
sagen können, aber das haben Sie nicht gemacht. Sie haben dies verschwiegen.
({2})
Ich möchte noch etwas zur Bundesregierung sagen, das
ich auch schon im Ausschuss gesagt habe: Sie arbeiten
hinter verschlossenen Türen. Ist das eine demokratische
Auseinandersetzung? Statt offener Türen und der Auseinandersetzung mit dem Parlament gibt es eine Arbeitsgruppe. Im Ausschuss höre ich: Nein, Sie kriegen keine
Ergebnisse. Wir werden das zuerst im September der Ministerin vorlegen. - Sollen wir erst einmal drei Monate
warten, während Sie hinter verschlossenen Türen irgendetwas machen, ohne dass wir wissen, was herauskommt
und wie die Ergebnisse zustande kommen?
({3})
Herr Simmert, ich hätte Sie als grünen Koalitionspartner
ganz anders eingeschätzt. Ich hätte erwartet, dass Sie der
Ministerin eine ganz andere Vorgehensweise vorschlagen.
Sie sollten diese Geheimakte Zivildienst an die Öffentlichkeit bringen und diese nicht drei Monate lang hinter
verschlossenen Türen halten.
({4})
Meine Damen und Herren, vor zwei Tagen hat unsere
Fraktion eine Expertenanhörung zum Zivildienst gemacht. Dort ist gesagt worden, dass vieles von dem, was
hier gesagt worden ist, in die falsche Richtung geht.
Herr Dzewas, Sie müssen noch einmal darüber nachdenken, ob Sie die Jugendlichen, die am JUMP-Programm teilnehmen, wirklich auf die Leute loslassen wollen, die eine qualitativ gute Pflege, eine Pflege mit viel
Motivation brauchen.
({5})
Ich halte das für völlig verkehrt.
Es wurde auch das freiwillige soziale Jahr erwähnt.
Ich glaube, das waren Sie, Herr Simmert. Sie wollen also
den preiswerten Zivildienst in das halb so preiswerte freiwillige soziale Jahr umwandeln.
({6})
Sie müssen sich einmal mit den Experten auseinander setzen. Die werden Ihnen sagen, dass das freiwillige soziale
Jahr entwertet wird, wenn Sie dies durchsetzen.
({7})
Herr Simmert, Sie tun gerade so, als wäre die Verkürzung auf unter ein Jahr alles andere als schlecht. Haben
Sie hier eigentlich einmal von der Unterjährigkeit, von
dem Leerlauf gesprochen, den die jungen Leute haben,
wenn sie die zwei Semester nicht voll Zivildienst leisten?
({8})
Dazu sagen Sie überhaupt nichts. Ich muss schon sagen:
Die Grünen und die Jugend sind ziemlich weit auseinander. Ich bin sehr gespannt, was Sie für Vorschläge machen.
({9})
- Das brauchen Sie auch nicht. Ich kenne aber die Sorgen;
ich kann ja für Sie mitdenken.
({10})
Meine Damen und Herren, wir fordern - das hat auch
die Expertenanhörung ergeben -, erst einmal eine Bestandsaufnahme zu machen: Welche Arbeiten werden
wirklich von Zivildienstleistenden erledigt? Keiner weiß
das.
({11})
Es gibt keine empirischen Untersuchungen. Es ist auch so,
dass ein Zivildienstleistender manchmal ganz andere Aufgaben wahrnimmt als die, die in seinem oder in dem Antrag der Beschäftigungsstelle stehen. Daher enthalten die
Akten keine zuverlässigen Angaben dazu. Wir müssen
also zunächst feststellen, was die einzelnen Gruppen von
Zivildienstleistenden machen. Danach müssen wir maßgeschneiderte Lösungen für die alten und schwachen
Leute in unserer Gesellschaft finden. Ich finde, dies sollten wir ernsthaft tun.
Ich kann Ihrer Koalition nur raten, nicht nur eine Expertenanhörung hinter verschlossenen Türen durchzuführen, sondern auch einmal Leute von außen zu holen,
Leute, die nichts mit dem Thema zu tun haben und diesen
Zivildienst auf den Prüfstand stellen.
Es geht nicht nur um die Abschaffung des Zivildienstes
und den Ersatz durch ordentliche Arbeitsplätze, sondern
um eine nachhaltige Neubestimmung von sozialen Arbeiten in unserer Gesellschaft. Wir müssen uns fragen: Wie
wollen wir die bezahlen? Wie viel wollen wir ausgeben?
Wer soll die machen? Das heißt, wir sollten die Chance eines zurückgehenden Zivildienstes nutzen, um über soziale Dienstleistungen in unserer Gesellschaft nachzudenken. Dazu gehören ordentliche Arbeitsplätze; dazu gehören vielleicht noch die nächsten fünf oder zehn Jahre
Zivildienstleistende, auch länger dienende Zivildienstleistende. Wir sollten überlegen, welche Möglichkeiten wir
haben, das freiwillige soziale Jahr anders auszugestalten.
Frau Kollegin Lenke,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Wir haben eine Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“, die sich damit beschäftigen kann. Wir haben eine
Enquete-Kommission „Bürgerliches Engagement“ und
wir haben auch noch die Parlamentarier und Parlamentarierinnen. Ich denke, wir sollten gemeinsam daran arbeiten; denn dieses Thema eignet sich nicht zur parteipolitischen Auseinandersetzung.
({0})
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird es jedenfalls nicht
der Regierung überlassen, Konzepte zu erarbeiten. Wir
werden selber die Verantwortung wahrnehmen und an
guten Lösungen für die Schwachen in unserer Gesellschaft mitarbeiten; denn die fordern unsere Solidarität ein
und die wollen wir ihnen allen geben.
({1})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Parlamentarische Staatssekretärin
im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Dr. Edith Niehuis.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
habe den Eindruck, dieser PDS-Antrag wurde geschrieben, als die PDS noch hoffte, dass die Wehrpflicht abgeschafft würde. Dies ist aber nicht der Fall.
({0})
Insofern geht vieles von dem, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben, vollkommen ins Leere.
Dennoch glaube ich, dass die Diskussion in den letzten
Monaten darüber, ob die Wehrpflicht abgeschafft wird
oder nicht, zumindest eines bewirkt hat: Die Wertschätzung für den Zivildienst ist enorm gestiegen. Diese
Diskussion hat meines Erachtens schon Erstaunliches bewirkt: Auch die Parteien, in deren Reihen Zivildienstleistende lange Zeit als Drückeberger bezeichnet wurden,
sind jetzt voll des Lobes für den Zivildienst.
({1})
Das sollten wir alle begrüßen; denn die Zivildienstleistenden verdienen Dank.
Allerdings - um auf den Kern dieses Antrags zu kommen - muss man in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, dass CDU/CSU und F.D.P., als sie die Regierung
stellten, immer darauf bestanden haben, dass der Zivildienst erheblich länger dauert als der Wehrdienst. Durch
diese übermäßige Dauer haben Sie den Zivildienstleistenden faktisch immer Geringschätzung entgegengebracht.
({2})
Wir sind angetreten, Herr Seifert, um für Gleichbehandlung und Belastungsgerechtigkeit zwischen Zivildienstleistenden und Wehrdienstleistenden zu sorgen. Das
ist der Grund, warum wir die Zivildienstdauer um zwei
Monate verkürzt haben. Nicht nur das - Herr Simmert hat
es schon gesagt -: Wir haben auch endlich den Wehrsold
angepasst. Damit haben wir im Grunde die Hausaufgaben
gemacht, die unsere Vorgängerregierung längst hätte machen müssen.
({3})
Der PDS-Antrag geht meines Erachtens von einem
ganz falschen Ansatz aus. Sie kritisieren die Verkürzung
der Zivildienstdauer und sagen, damit würden die sozialen Dienstleistungen ausgehöhlt. Diese Behauptung ist
aus zwei Gründen falsch.
Erstens. Auch wenn Sie sagen, der Zivildienst habe
keinen Sicherstellungsauftrag, beweisen Sie mit Ihrem
Antrag, dass Sie meinen, der Zivildienst habe einen Sicherstellungsauftrag.
({4})
- Nein, Herr Seifert, der Zivildienst ist nicht dazu da,
staatliche Pflichtaufgaben zu erfüllen. Vielmehr werden
Zivildienstleistende bewusst zusätzlich im sozialen Bereich eingesetzt.
Man kann auch nicht das quantitative Niveau von 1999
als Maßstab nehmen, wie Sie es in Ihrem Antrag empfehlen. Warum ist es so wichtig, dass der Zivildienst keinen
Sicherstellungsauftrag für den sozialen Bereich haben
darf? Weil die Zahl der Zivildienstleistenden nicht konstant und verlässlich ist.
({5})
- Das ist eine andere Geschichte. Nun lassen Sie mich
doch einmal ausreden! Ich setze mich im Moment mit
dem Gedankengang des PDS-Antrags auseinander.
1991 gab es 79 091 Zivildienstleistende, 1999 waren es
138 364 Zivildienstleistende. Diesen großen Unterschied - ohne jede Gesetzesänderung - muss man sich immer klarmachen. Dann weiß man, dass Zivildienst nie und
nimmer dafür da sein darf, den Personalbedarf im sozialen Bereich zu sichern, weil man nicht mit konstanten
Zahlen rechnen kann.
({6})
Nun haben wir am 1. Juli 2000 die grundgesetzlich
notwendige Verkürzung in Kraft gesetzt. Der von einigen
befürchtete Engpass im Sommer aufgrund der Kontingentierung, der Verkürzung des Zivildienstes und der Entlassungen von Zivildienstleistenden zum 30. Juni ist ausgeblieben. Die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, mit denen wir verabredet haben, dass sie für ihren
Bereich die Einberufungen steuern, haben durch diese
selbstverwaltete Steuerung dafür gesorgt, dass jetzt im
Juli 97 855 Zivildienstleistende im Dienst sind; im September wird die Zahl wieder auf 111 000 ansteigen.
Wir wissen alle, dass im sozialen Bereich in etwa
90 000 Zivildienstleistende tätig sind, im Juli sind es
über 97 000. Das heißt, die Wohlfahrtsverbände haben die
schwierige Aufgabe, den Veränderungen im Bereich des
Zivildienstes Rechnung zu tragen, erfolgreich gelöst. Das
ist auch der Grund, warum die Wohlfahrtsverbände im
Einvernehmen mit dem Ministerium sagen, dass sie diese
selbstverwaltete Steuerung über den September 2000 hinaus weiterführen wollen. Auf diese Art und Weise können sie Zivildienst in ihren Organisationen einplanen.
({7})
Wenn gesellschaftliche Gruppen von sich aus diese Frage
steuern möchten, sollten wir - und mit uns insbesondere
die F.D.P. - diese Aufgabe um Gottes willen den gesellschaftlichen Gruppen überlassen und uns als Staat nicht
einmischen.
({8})
Sie haben hier die ganze Zeit von der Zukunft des Zivildienstes geredet. Ich glaube, es ist Ihnen nicht entgangen, dass das Bundeskabinett zur Bundeswehrreform
mittlerweile einen Beschluss gefasst hat, der den Fortbestand der Wehrpflicht beinhaltet.
Nun gibt es - darauf haben Sie zu Recht hingewiesen seit Mai im Ministerium die Arbeitsgruppe „Zukunft des
Zivildienstes“.
({9})
Dieser Arbeitsgruppe gehören 17 Vertreterinnen und Vertreter von Verbänden und Organisationen an, die Zivildienst durchführen oder ihn im Beirat ständig begleiten.
Ich glaube, dass diese Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“ mittlerweile eine leichte Aufgabenveränderung erfahren hat. Wir hatten diese Gruppe zunächst damit beauftragt, mit allen Eventualitäten - wie einer erheblichen Verkürzung oder der Aussetzung der
Wehrpflicht - zu rechnen. Jetzt nimmt diese Arbeitsgruppe die Chance wahr, darüber nachzudenken, wie man
den Zivildienst optimal, sinnvoller und effektiver, gestalten kann.
Dazu, Frau Lenke, gehört mit Sicherheit auch das, was
Sie gesagt haben. Es lohnt sich schon, sich die Einsatzfelder des Zivildienstes genauer anzusehen. Dieses tun die
Wohlfahrtsverbände mittlerweile, auch aufgrund der Diskussionen über den Zivildienst, die in diesem Jahr stattgefunden haben.
({10})
- Warum dürfen sie das nicht?
Frau Kollegin, ich
gehe davon aus, dass Sie im Einvernehmen mit den Kolleginnen und Kollegen kein Interesse daran haben, die
Debatte noch weiter zu verlängern. Deshalb bitte ich Sie,
zum Schluss zu kommen.
({0})
Die unterhalten sich alle so
nett mit mir, sodass ich gerne darauf antworten möchte.
Es ist ein spannendes Thema. Es geht in der Tat um die
Frage: Was sind die klassischen Tätigkeitsfelder des Zivildienstes, welche Felder kann man viel besser durch
freiwilliges Engagement ersetzen - denn auch dieses hat
eine demokratische Qualität in unserer Gesellschaft - und
welche Tätigkeitsfelder kann man viel besser mit vollwertigen, tariflich abgesicherten Arbeitsplätzen besetzen?
Das ist eine spannende Diskussion. Die sollte nicht allein
der Staat führen. Vielmehr sollte man sie mit denen
führen, die überwiegend Zivildienstleistende einsetzen.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3563 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestags auf
morgen, Donnerstag, den 6. Juli 2000, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.