Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, meine
Damen und Herren!
({0})
Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere
ich dem Kollegen Hans Georg Wagner, der am 26.
November seinen 60. Geburtstag feierte, nachträglich
sehr herzlich im Namen des Hauses.
({1})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der
Bildungsausschuß künftig Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung heißen. Sind
Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen energischen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Des weiteren ist interfraktionell vereinbart worden,
die verbundene Tagesordnung um die Ihnen in einer
Zusatzpunktliste vorliegenden Punkte zu erweitern:
ZP1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung der Bundesregierung zu der mit der beabsichtigten
Veräußerung von Metro-AG-Sparten verbundenen Gefährdung von über 34 000 Arbeitsplätzen sowie zu den
Auswirkungen auf Mietverträge und Einnahmen der
Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben
({2})
ZP2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({3})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
18. September 1998 zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und der Europäischen Zen-
tralbank über den Sitz der Europäischen Zentralbank
- Drucksache 14/70 -
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hartmut
Büttner ({4}), Günter Nooke und der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagengesetzes
({5}) - Drucksache 14/91 -
c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs
eines Vierten Gesetzes zur Änderung des StasiUnterlagen-Gesetzes ({6}) - Drucksache 14/92 -
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Lengsfeld,
Norbert Otto ({7}), Hartmut Büttner ({8}) und
der Fraktion der CDU/CSU: Überlassung der Akten der
Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für
Staatssicherheit der ehemaligen DDR durch die Regie-
rung der Vereinigten Staaten von Amerika - Drucksa-
che 14/89 -
ZP3 Wahlen zu Gremien
a) Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 14/96, 14/97, 14/98, 14/99, 14/100 -
b) Gemeinsamer Ausschuß gemäß Artikel 53a des Grund-
gesetzes
- Drucksachen 14/106, 14/107, 14/108, 14/109, 14/110 -
c) Ausschuß nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes
({9})
- Drucksache 14/117 -
d) Wahlprüfungsausschuß gemäß § 3 Abs. 2 des Wahl-
prüfungsgesetzes
- Drucksachen 14/101, 14/102, 14/103, 14/104, 14/105 -
e) Schuldenausschuß bei der Bundesschuldenverwaltung
gemäß § 6 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Errich-
tung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirt-
schaftsgebietes und § 2 der Verordnung über die Bun-
desschuldenverwaltung
- Drucksache 14/114 -
f) Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt gemäß
§ 313 Abs. 1 und 2 des Lastenausgleichsgesetzes
- Drucksache 14/118 -
g) Beirat bei der Regulierungsbehörde für Telekommuni-
kation und Post gemäß § 67 Abs. 1 des Telekommuni-
kationsgesetzes
- Drucksache 14/111 -
h) Programmbeirat beim Bundesministerium der Finan-
zen
- Drucksache 14/115 -
i) Kunstbeirat beim Bundesministerium der Finanzen
- Drucksache 14/112 -
j) Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland“
- Drucksache 14/113 -
k) Kuratorium der Stiftung „Stiftung Archiv und der
Parteien und Massenorganisationen in der DDR“
- Drucksache 14/116 ZP4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Haltung der Bundesregierung zu den angekündigten Erhöhungen von Energiesteuern, insbesondere der Mineralölsteuer, sowie der Mehrwertsteuer
ZP5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Die Zukunft der Bundeswehr vor dem Hintergrund von
Äußerungen des Staatsministers im Auswärtigen Amt,
Ludger Volmer, zur Entbehrlichkeit eines stehenden
Heeres
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll,
soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem mache ich auf geänderte bzw. nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Mitberatung des
Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beim nachfolgenden Gesetzentwurf zu streichen.
Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zur Änderung des Parteiengesetzes - Drucksache 14/41 überwiesen:
Innenausschuß ({10})
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Die in der 9. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesenen nachfolgenden Vorlagen sollen nachträglich dem
Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zum Einstieg in die ökologische Steuerreform
- Drucksache 14/40 überwiesen:
Finanzausschuß ({11})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Tourismus
Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entlastung durch Einführung einer ökologischen
und sozialen Steuerreform - Drucksache 14/66 ({12}) überwiesen:
Finanzausschuß ({13})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß
Der in der 5. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene
nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Ausschuß für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung
überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Heidemarie
Lüth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS:
Abschaffung des Flughafenverfahrens ({14})
- Drucksache 14/26 überwiesen:
Innenausschuß ({15})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Sind Sie auch damit einverstanden? - Dann verfahren
wir so.
Die Fraktion der PDS hat fristgemäß beantragt, die
heutige Tagesordnung um den Antrag zur Änderung der
Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses zu erweitern. Dieser Antrag wird heute mittag unmittelbar
vor der Wahl der Mitglieder des Vermittlungsausschusses aufgerufen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Hildebrecht Braun ({16}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zuwanderungsbegrenzungsgesetzes ({17})
- Drucksache 14/48 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({18})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion
der F.D.P. zehn Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Guido Westerwelle.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute einen Sachverhalt auf der Tagesordnung, der dieses Haus seit vielen
Jahren beschäftigt. Ich selbst gehöre dem Deutschen
Bundestag seit knapp drei Jahren an. Allein in dieser
Zeit hat es regelmäßig Debatten dazu gegeben.
Ich möchte mit dem, was ich hierzu zu sagen habe,
vor allem dazu beitragen, daß wir die Diskussion über
Migrationspolitik, Zuwanderungspolitik, über Integrationspolitik, Ausländerpolitik in Deutschland insgesamt
versachlichen.
({0})
Wir erleben mittlerweile eine Diskussion, die niemandem in diesem Hohen Hause gefallen kann. Wenn
es eine spektakuläre Abschiebung eines ausländischen
jungen Straftäters gibt, dann erleben wir in der Öffentlichkeit eine Diskussion, die rational kaum noch nachvollziehbar ist. Ich meine, wir alle sollten daran arbeiten,
daß die vielen hunderttausend Ausländer, die in
Deutschland leben und sich integrieren, durch eine solche Debatte nicht kriminalisiert werden. Die jungen
Ausländer in Deutschland sind nicht lauter Mehmets. Es
ist wichtig, daß wir immer wieder darauf hinweisen.
({1})
Aus Sicht der Freien Demokraten sollte die Zuwanderungspolitik vor allem versachlicht werden. Das ist
der Sinn des von uns vorgelegten Gesetzentwurfs. Es
geht darum, daß die Migrationspolitik in Deutschland
zwei Ziele berücksichtigen muß: erstens die kontrollierte
und gesteuerte Zuwanderung und zweitens die vernünftige Integration vor allem der hier geborenen Kinder.
({2})
Beides gehört zusammen. Es sind zwei Seiten derselben
Medaille. Deswegen ist es ein Fehler, das eine Vorhaben
gegen das andere auszuspielen.
Wir brauchen einerseits eine Modernisierung des
Staatsangehörigkeitsrechts, um die Kinder, die hier
Präsident Wolfgang Thierse
geboren werden, besser zu integrieren. Wir brauchen
andererseits eine Begrenzung, Steuerung und Kontrolle
der doch faktisch vorhandenen Zuwanderung nach
Deutschland, worüber wir in den letzten Debatten immer
wieder gesprochen haben.
({3})
Ich möchte an die Parteien SPD und Grüne appellieren. Nach dem Regierungswechsel haben Angehörige
Ihrer Parteien auf der Regierungsbank dieses Hauses
Platz genommen. Damit hat sich sozusagen Ihre Blickrichtung in diesem Hause verändert. Die gesellschaftliche Realität hat sich aber nicht verändert. Deswegen
möchte ich Ihnen sagen: Halten Sie an dem fest, was Sie
selbst in der letzten Legislaturperiode immer wieder
vertreten haben!
Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, haben einen Gesetzentwurf zur Zuwanderung eingebracht. Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, haben einen Antrag
zur Zuwanderung eingebracht. Diese beiden Vorlagen
stammen aus der letzten Legislaturperiode. Darin fordern Sie ein Zuwanderungsbegrenzungs- und Zuwanderungskontrollgesetz. Die Realitäten haben sich aber
nicht dadurch verändert, nur weil Sie jetzt auf den Sesseln der Regierungsbank sitzen.
({4})
Die heutige Diskussion ist bemerkenswert. Wir erleben, daß die Grünen in öffentlichen Diskussionen den
Bundesinnenminister als - wörtlich - Kronzeugen ausländerfeindlicher Ressentiments und Aggressionen bezichtigen.
Man sollte sich an das erinnern, was hier im letzten
Jahr diskutiert wurde. Ich zitiere aus dem Stenographischen Bericht der Parlamentssitzung vom 5. Juni 1997.
Dort heißt es:
Seit Jahrzehnten gibt es eine Zuwanderung nach
Deutschland. Der Bundesinnenminister aber argumentiert nach der Devise, daß nicht sein kann, was
nicht sein darf. Ich muß schon sagen: Es zeugt von
Realitätsverlust und ideologisch geprägtem Starrsinn, wenn man vor diesen Tatsachen die Augen
verschließt.
({5})
Das hat nicht ein Abgeordneter der heutigen Opposition gesagt, sondern Sie, Frau Kollegin SonntagWolgast. Wenn man nicht wüßte, daß Ihre Partei heute
den Innenminister stellt, dann könnte man meinen, daß
sich nichts verändert hat. Nach der oben zitierten Aussage schloß sich der Zuruf des heutigen Bundesinnenministers Schily an: „Der Staatssekretär macht das auch!“
Sie wollen von Ihrer damaligen Position nichts mehr
wissen. Wir bedauern das sehr.
Die Union hat in der letzten Koalition immer eine andere Meinung vertreten. Deswegen kann ich ihr nicht
vorwerfen, daß sie sich unserem Vorhaben nicht anschließt. Sie aber haben uns in der letzten Legislaturperiode immer wieder aufgefordert, einen Gesetzentwurf
vorzulegen, was wir aus Koalitionsgründen nicht getan
haben. Deswegen müssen Sie heute, wo Sie die Regierung stellen, den Mut zur eigenen Courage haben.
({6})
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vor
allem eine Begrenzung der Zuwanderung beabsichtigt. Frau Kollegin Beck, ich habe sehr genau nachgelesen, was Sie zu unserem Gesetzentwurf erklärt haben.
Sie haben keinen leichten Stand. Ich hoffe und wünsche
Ihnen, daß für Sie der heutige Tag kein schlechter Start
als neue Ausländerbeauftragte wird.
({7})
Ich möchte Ihnen folgendes anbieten. Sie haben sich
im Detail in mehreren Interviews mit unserem Gesetzentwurf auseinandergesetzt, was ich sehr begrüße. Sie
haben da und dort sehr konkret andere Vorstellungen.
Wir sind heute in der ersten parlamentarischen Beratung. Wir sagen Ihnen: Auch wenn Sie an Details dieses
oder jenes ändern wollen, lassen Sie uns darüber sprechen, was der vernünftigere Weg ist! Lassen Sie uns
aber nicht aus politischen Opportunitätsgründen darauf
verzichten, eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen
Maßnahmen schon in dieser Legislaturperiode anzugehen und nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag.
({8})
Wir sind als Freie Demokraten der Auffassung, daß
Deutschland mehr Kontrolle über die Zuwanderung
braucht und nicht mehr Zuwanderung.
({9})
Aber in Deutschland findet eine Zuwanderung faktisch
statt. Ob wir es wollen oder nicht: Es wird auch künftig
eine Zuwanderung nach Deutschland geben. Wir müssen
dafür sorgen - das liegt in unserem nationalen Interesse
-, daß diese Zuwanderung kontrolliert, gesteuert stattfindet und sich auch nach eigenen gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und sozialen Interessen ausrichtet.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht darum, die Tür zu
öffnen oder andererseits eine Diskussion unter der Überschrift „Das Boot ist voll“ zu führen. Es geht darum, daß
Politik mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit beginnt.
Wir wollen einerseits die Zuwanderung steuern; andererseits sieht unser Gesetzentwurf auch eine bessere Integration, eine bessere Eingliederung vor. Deswegen
schreiben wir obligatorische Sprach- und Eingliederungskurse für Zuwanderung vor, die übrigens auch zur
Voraussetzung für Einbürgerungsansprüche gemacht
werden sollen.
Was unsere humanitären Verpflichtungen angeht,
die ja schon in den Art. 16 und 6 unseres Grundgesetzes
besonders hervorgehoben und geschützt sind, ändert dieses Zuwanderungsbegrenzungsgesetz der F.D.P. überDr. Guido Westerwelle
haupt nichts; denn natürlich müssen zuvor die grundgesetzlichen Ansprüche erfüllt werden, muß zuvor der
Verfassung entsprochen werden. Wenn also durch Asyl,
Bürgerkriegsflüchtlinge oder Familiennachzug die jährlich festzusetzende Zuwanderungsquote bereits erfüllt
oder übererfüllt ist, gibt es keine Zuwanderung. Andererseits hat aber ein solches Zuwanderungsbegrenzungsgesetz tatsächlich schon jetzt eine steuernde Wirkung;
denn unser Gesetzentwurf sieht beispielsweise vor, daß
derjenige, der einen Asylantrag stellt, gleichzeitig keinen Zuwanderungsantrag stellen kann. Asyl und Zuwanderung schließen sich nach unserer Vorstellung aus.
Deswegen kann dies auch für viele, die bisher vielleicht
unberechtigterweise den Weg des Asylrechts gehen
wollen, Anlaß und Motivation sein, darauf zu verzichten, damit sie sich die Tür für eine materiell berechtigte
Zuwanderung nicht verschließen.
({11})
Das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz hat allein durch
seine Verabschiedung schon eine kontrollierende und
begrenzende Wirkung, meine sehr geehrten Damen und
Herren.
Es gibt jährliche Quoten, die von einer entsprechenden Kommission festgesetzt werden müssen. Die Teilquoten müssen angerechnet werden. Es kann sehr wohl
auch in kurzer Zeit passieren, daß uns Mangelberufe
oder beispielsweise die demographische Entwicklung
unserer Gesellschaft an einigen Stellen dazu zwingen,
bei Zuwanderungen nachzusteuern.
Das alles sind keine neuen Argumente, sondern solche, die Sie uns in der letzten Legislaturperiode als Oppositionsparteien immer wieder vorgehalten haben. Sie
haben damals der F.D.P. gesagt, obwohl wir in einer
Koalition waren, in der unser Koalitionspartner dies
nicht akzeptieren konnte: Habt Mut, geht voran, legt den
Entwurf vor. Sie haben damals Frau Kollegin SchmalzJacobsen, die diesen Gesetzentwurf aus Gründen der
Koalitionsraison nicht einbringen konnte, immer wieder
heftig dafür kritisiert. Wir haben uns damals nicht einigen können, und Sie wissen, daß der Koalitionsvertrag wie bei Ihnen heute auch - vorsah, daß man einen Gesetzentwurf dann nicht einbringen kann.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist bereits deutlich überschritten.
Danke schön. Darf
ich bitte noch einen letzten Satz sagen?
Wir waren uns damals nicht einig; deswegen kam es
nicht zur Einbringung. Sie sind sich doch angeblich
einig, jedenfalls nach Ihren Anträgen aus dem letzten
Jahr. Dann müßten Sie sich auch an unserer Initiative
beteiligen. Dazu fordern wir Sie auf, und darum bitten
wir Sie im Interesse einer rationalen Migrationspolitik in
Deutschland.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der
Kollege Michael Bürsch, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf der F.D.P., der die Regierungsfraktionen
zwingen soll, Farbe zu bekennen, wie es Herr Westerwelle kürzlich formuliert hat. Das wollen wir heute auch
gerne tun.
Für die CDU und vor allen Dingen die CSU läßt sich
das Problem der Zuwanderung offensichtlich auf einen
einfachen Nenner bringen: Deutschland ist kein Einwanderungsland, und deswegen brauchen wir auch kein
Einwanderungsgesetz, punktum. Wenn das alles so einfach wäre, Herr Marschewski!
Eines steht fest: Das Problem einer gezielten Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung eignet sich bei
genauer Betrachtung nicht zum populistischen Polarisieren. Es gibt auch kein Patentrezept zu dessen Lösung,
wie manche in den letzten Wochen gemachte Äußerung
vermuten läßt.
Was wir beim Thema Zuwanderung brauchen, ist
eine vorurteilsfreie Diskussion über unser nationales
Selbstverständnis, über unsere Zielsetzungen bei der
Integration von Ausländern und über die Ängste, die mit
dem Thema Integration und Zuwanderung noch immer
verbunden sind. Auch Bundespräsident Herzog hat vor
kurzem zu Recht eine sachliche öffentliche Diskussion
über den Zuzug von Ausländern gefordert.
Woran mir deshalb ebenso wie Herrn Westerwelle
liegt, ist ein Beitrag zur Versachlichung. Ich möchte daher auf drei Fragen eingehen.
Erstens. Was meinen wir überhaupt, wenn wir von
Zuwanderung sprechen?
Zweitens. Brauchen wir ein Gesetz, das die Zuwanderung regelt?
Drittens. Wenn ja, welche Bedingungen sollten dafür
gelten, und wann sollten wir ein solches Gesetz verabschieden?
Zur ersten Frage: Was meinen wir überhaupt, wenn
wir von Zuwanderung sprechen? Im Bereich der Zuwanderungsdiskussion herrscht, wie es der verehrte
Kollege Özdemir treffend genannt hat, eine „babylonische Sprachverwirrung: jeder, der über das Thema diskutiert, meint etwas anderes“. Deshalb scheint es mir
zunächst wichtig, uns klarzumachen, was mit einem
Zuwanderungsgesetz eigentlich gesteuert, begrenzt oder
ermöglicht werden kann.
Zur Zeit - das ist die Datenlage - kommen zwischen
300 000 und 400 000 Menschen aus anderen Ländern zu
uns mit dem Ziel eines längeren oder dauernden Aufenthaltes. Die größte Gruppe stellten bislang die Spätaussiedler. Bei ihnen ist jedoch die Zuzugssteuerung schon
seit 1993 Realität. 1998 werden es voraussichtlich noch
90 000 Spätaussiedler sein. Durch das Zuwanderungsgesetz würde sich ihr Status nicht grundlegend ändern.
Hinzu kommen jährlich noch zirka 100 000 Asylsuchende. Auch auf ihre Zahl kann und sollte ein Zuwanderungsgesetz keinen unmittelbaren Einfluß ausüben.
Ausgelöst durch den Kosovo-Konflikt kommen dieses
Jahr darüber hinaus als dritte Gruppe voraussichtlich
rund 50 000 Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns und - als
vierte Gruppe - schätzungsweise 40 000 bis 50 000
Menschen im Wege des Familiennachzugs. Hier setzen
humanitäre, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche
Verpflichtungen den Rahmen, den wir politisch nicht
grundlegend verändern wollen. Übrig bleibt dann vor
allem die Gruppe der Arbeitszuwanderer. Deren dauerhafter Zuzug macht indessen derzeit nur einen relativ
geringen Anteil an der Gesamtzuwanderung aus.
Diese Differenzierung ist, so meine ich, notwendig,
um keine falschen Erwartungen zu wecken. Denn falsch
ist vor allem die Erwartung, ein Zuwanderungsgesetz
könnte die verschiedenen bestehenden Zuzugsmöglichkeiten ersetzen und auf diese Weise die Zuwanderung
drastisch reduzieren. Selbstverständlich gibt es Grenzen
der Integrationsbereitschaft, und selbstverständlich müssen wir diese Grenzen beachten. Aber Integrationsbereitschaft ist keine feste Größe. Wir müssen für Integration werben. Wir müssen sie aktiv fördern, und wir müssen soziale Rahmenbedingungen schaffen, in denen ein
verständnisbereites Zusammenleben verschiedener Menschen aus verschiedensten Kulturen möglich ist.
({0})
Denn Integration ist kein einmaliger Vorgang. Integration ist ein dauernder Prozeß mit täglichen Bewährungsproben.
Eine unerläßliche Voraussetzung für den Erfolg dieser Bemühungen ist auch der sensible Umgang mit
Sprache und ihren Wirkungen in der politischen Auseinandersetzung. Noch wichtiger allerdings scheint mir für
den Erfolg von Integrationspolitik die solide Kenntnis
der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Auch da stimme ich
mit Herrn Westerwelle überein.
In vielen Bereichen aber operieren wir zur Zeit noch
auf sehr unsicherer Datenbasis. Wichtige Zahlen - etwa
der Umfang des Familiennachzugs oder die Zahl der in
der Bundesrepublik lebenden De-facto-Flüchtlinge können bislang nur grob geschätzt werden. Gleiches gilt
für die Zahl illegaler Zu- und Abwanderung.
Auch die Folgen der demographischen Entwicklung sind noch nicht zur Genüge ausgelotet. Ob und in
welcher Größenordnung wir zum Beispiel zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme oder zur Stärkung
des Wirtschaftsbereiches in den nächsten Jahrzehnten
womöglich auf Zuwanderung angewiesen sind, bedarf
einer sehr sorgfältigen Analyse. Der Deutsche Bundestag hat sich dieser Herausforderung gestellt und zu diesem Zweck unter anderem die Enquete-Kommission
„Demographischer Wandel“ eingerichtet. Der Schlußbericht steht noch aus. Die dort gewonnenen Erkenntnisse
sollten wir abwarten und dann darüber in Ruhe diskutieren.
Was die Zahl der Zuwanderer nach Deutschland angeht, lohnt sich im übrigen ein genauerer Blick in die
amtlichen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Seit
einigen Jahren verringert sich erkennbar die Zahl der
Menschen, die nach Deutschland zuwandern, während
gleichzeitig die Zahl derjenigen wächst, die unser Land
verlassen. 1997 haben schon 21 000 mehr Ausländer
Deutschland verlassen, als zu uns gekommen sind; im
ersten Halbjahr 1998 hat sich dieser Trend verstetigt.
Die Zahl der Asylbewerber ist seit 1992 drastisch gefallen. Das 1993 festgelegte Kontingent von 225 000 Aussiedlern, denen der Zuzug gestattet sein soll, wird dieses
Jahr voraussichtlich nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft.
Auch künftig wird es Menschen geben, die nach
Deutschland kommen, um hier, jedenfalls zeitweilig, zu
bleiben: Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge, Aussiedler, nachziehende Familienangehörige und Arbeitsmigranten. Ich meine, es sollte möglich sein, fraktionsübergreifend Einigkeit darüber zu erzielen, daß wir solche Zuwanderung grundsätzlich zulassen.
Zur zweiten Frage: Brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz? In unserem Wahlprogramm bekennen wir
Sozialdemokraten uns sowohl zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts als auch zu einer besseren gesetzlichen Steuerung der Zuwanderung. An diesen Zielsetzungen halten wir fest.
({1})
- Dies ist das Wort zum Donnerstag.
({2})
Was kann mit einer gesetzlichen Regelung der Zuwanderung erreicht werden? Ich sehe in einem Zuwanderungsgesetz vor allem eine vertrauensbildende Maßnahme.
({3})
Ein Gesetz kann für die Bevölkerung hier wie auch für
die Zuzugswilligen Transparenz und Verläßlichkeit
schaffen. Mittelfristig allerdings müssen wir ein klares
Gesamtkonzept entwickeln, das geltende Ausländerrecht
straffen und vereinfachen und uns auch auf europäischer
Ebene darüber klarwerden, wie wir zukünftig mit Zuwanderung umgehen wollen.
Alle der bislang vorgelegten Gesetzentwürfe für ein
Einwanderungsgesetz, einschließlich des Gesetzentwurfes der F.D.P., konzentrieren sich auf das Steuerungsinstrument der Quotierung. Dies darf den Blick nicht darauf verstellen, daß sich die meisten der Zuwanderungsmöglichkeiten, wie eingangs geschildert, der Quotierung
entziehen.
({4})
Die Freizügigkeit der EU-Bürger, der verfassungsrechtlich garantierte Familiennachzug sowie Asyl- und
Flüchtlingsschutz auf der Basis völkerrechtlicher und
humanitärer Verpflichtungen haben hier Vorrang, will
man nicht die Grundrechte aus Art. 6 und Art. 16a GG
weiter zugunsten eines quotierten Einwanderungsgesetzes aushöhlen. Und mit der fortschreitenden europäischen Integration rückt auch die europäische Einwanderungspolitik immer mehr in den Vordergrund.
({5})
Der Abbau der Binnengrenzen innerhalb Europas
führt dazu, daß sich die Folgen der Zuwanderung nicht
mehr auf einzelne Mitgliedsstaaten beschränken lassen.
Eine reine Abschottungspolitik ist angesichts zunehmender Flüchtlings- und Wanderbewegungen in und
nach Europa zum Scheitern verurteilt. Bei der europäischen Integrationspolitik soll Deutschland nach dem
Willen der Sozialdemokraten in Zukunft Motor und
nicht wie bislang Bremser der Entwicklung sein.
({6})
Zur dritten Frage: Welche Bedingungen sollen für ein
Zuwanderungsgesetz gelten, und wann sollen wir ein
solches Gesetz verabschieden? Herr Westerwelle, in der
nächsten Zeit wird in Deutschland die Jahrhundertreform des Staatsangehörigkeitsrechts im Mittelpunkt
der Ausländerpolitik dieser Regierung stehen. Die
Grundlinien der Reform sind abgesteckt. Für die Umsetzung im Detail ist viel Geduld, ist viel Sensibilität vonnöten. Da kommt auch viel Überzeugungsarbeit auf uns
Politiker zu.
Mit dieser gesetzten Priorität ist auch die richtige
Reihenfolge der Gesetzgebungsarbeit vorgezeichnet:
Zunächst werden wir uns mit der gebotenen Gründlichkeit mit den Fragen der Staatsangehörigkeit beschäftigen
und uns danach der Materie „Zuwanderung“ widmen.
({7})
Nicht nur in Norddeutschland gilt der Grundsatz „Gut
Ding will Weile haben“.
Für die gesetzliche Regelung von Zuwanderung und
Zuzug von Ausländern lassen sich schon jetzt ein paar
Grundsätze formulieren. Vor allem herrscht in dieser
Gesetzesmaterie zur Zeit ein enormes Normenwirrwarr,
bestehend aus Ausländergesetz, Arbeitsaufenthalteverordnung, Anwerbestoppausnahme-Verordnung, Kontingentsflüchtlingsgesetz, Kriegsfolgenbereinigungsgesetz
und Bundesvertriebenengesetz, um nur einige wenige zu
nennen. Dieses bestehende Normengestrüpp zu entwirren, Transparenz zu schaffen und ein praktikables, einem Gesamtkonzept folgendes Einwanderungsgesetz zu
schaffen braucht neben dem vorhandenen politischen
Willen auch und vor allem Zeit für sachliche Diskussion, nicht hingegen ein hektisches Recyceln von Gesetzentwürfen.
({8})
- Es ist ja verständlich, daß die F.D.P., da sie nun so
wenige Mitarbeiter hat, ihre Konzepte der vergangenen
Legislaturperiode herausholen muß. Allerdings wird
sich der Vorrat zunehmend verkleinern, und dann können wir vielleicht doch noch etwas Neues von der F.D.P.
erwarten.
({9})
In Zukunft müssen Zuwanderung und Integration
noch besser miteinander in Einklang gebracht werden.
Sowohl die gesellschaftlichen Aufnahme- und Integrationsmöglichkeiten als auch die Akzeptanz in der Bevölkerung dürfen dabei nicht aus dem Blick geraten. Verbesserte Integrationshilfen zur Eingliederung in das berufliche, kulturelle und soziale Leben müssen so ausgerichtet werden, daß zuzugsbedingte Nachteile ausgeglichen werden können. Besonderer Förderung bedürfen
junge Menschen, die nach Deutschland kommen. Die
Mittel für berufliche Qualifizierung und Sprachkurse
sollten deshalb nicht gekürzt, sondern sie sollten erhöht
werden.
({10})
Denn im Erwerb von beruflichen Fähigkeiten und von
Sprachkompetenz liegt der beste Beitrag zur Integration
von Ausländern in Deutschland.
Meine Damen und Herren, die neue rotgrüne Bundesregierung hat ihre Arbeit außerordentlich dynamisch begonnen.
({11})
- Wegen des besonderen Erfolges wiederhole ich den
Satz gerne.
({12})
Die neue rotgrüne Bundesregierung hat ihre Arbeit
überaus dynamisch begonnen.
({13})
Aber nach den ersten 30 Tagen hat sie, um mit dem berühmten deutschen Autor Sten Nadolny zu sprechen,
jetzt doch den „Reiz der Langsamkeit“ und damit auch
den Reiz der Gründlichkeit entdeckt.
({14})
Ich bin überzeugt: Mit Gelassenheit, mit Gründlichkeit
und mit Augenmaß wird es uns gelingen, die Integration
in Deutschland in den nächsten Jahren voranzubringen
und die Zuwanderung sozialverträglich zu regeln.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat nun
der Kollege Erwin Marschewski, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Werter Herr Kollege, Ihre
„dynamische Rede“ läßt nur einen Schluß zu: Schon im
Anfang ist bei Ihnen nichts als Durcheinander - dynamisches Durcheinander. Dies gilt für viele Bereiche der
Politik: für die Steuerpolitik, für die Haushaltspolitik
und jetzt auch für die Ausländerpolitik. Die Kennzeichen sind: Lösungsuntauglichkeit, Abkehr von
Wahlaussagen und Widersprüche.
Wie oft, meine Damen und Herren der SPD und der
Grünen, haben Sie bis zum heutigen Tag eigentlich ein
Zuwanderungsgesetz gefordert? Wie oft haben Sie eigentlich gesagt, das Asylrecht sei verfassungswidrig?
Wie oft wollten Sie eigentlich die Öffnung des Ausländerrechtes für mehr Zuwanderung? Wie oft haben Sie
eigentlich gesagt, Deutschland sei ein Einwanderungsland? Zehnmal, zwanzigmal oder noch öfter?
Als die SPD die Eckpunkte für ein Zuwanderungsgesetz vorstellte, haben Sie, so erinnere ich mich, ausgeführt, wir als Union begingen einen schweren Fehler,
wenn wir unsere Blockadehaltung gegen mehr Zuwanderung weiter fortsetzten. Sie haben uns ein Verkennen
der Realität vorgeworfen, bis hin zu dem absurden Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit.
Jetzt sagt Herr Schily genau das Gegenteil:
({0})
„Die Grenze der Belastbarkeit ist überschritten.“ Sicherlich, Herr Bundesinnenminister, diese Aussage ist richtig. Die Union ist im Gegensatz zur SPD seit langem
dieser Meinung. Was wäre eigentlich gewesen, meine
Damen und Herren der SPD, wenn wir die Theorie „Das
Boot ist übervoll“ so ausgesprochen hätten? Wie hätten
Sie geschrien!
({1})
Das Problem ist: Die Schlußfolgerungen, die Sie daraus ziehen, Herr Bundesinnenminister - er ist nicht anwesend; vielleicht ist er begründet verhindert, ich weiß
es nicht -, sind falsch, genauso wie die Aussagen der
Grünen, die immer noch behaupten, wir könnten auf ein
Einwanderungsgesetz nicht verzichten. Dies ist zwar,
was die Grünen anbetrifft, in sich konsequent - im Gegensatz zur SPD -, aber auch falsch, gewissermaßen
konsequent falsch. Ich bin gespannt, Herr Kollege, wer
sich in diesem Widerstreit der Koalition zwischen falsch
und konsequent falsch wird durchsetzen können.
Herr Bundesinnenminister, nicht populistische Wendemanöver in diesem sehr ernsten Gebiet, sondern eine
klare Haltung in der Ausländerpolitik, eine klare Haltung in der Zuwanderungspolitik sind geboten, keine
populistischen Äußerungen.
({2})
Unsere Position ist so klar wie eindeutig. Sie ist von
zwei Grundpositionen geprägt. Erstens. Wir wollen die
Integration der rechtmäßig bei uns lebenden Ausländer.
Integration bedeutet, daß beide Seiten aufeinander zugehen, bedeutet Toleranz für andere Lebensarten einerseits
und das Bemühen, sich einzufügen, andererseits. Es bedeutet, im Kindergarten damit anzufangen und es in der
Schule, im Sportverein und bei der Berufsförderung
fortzusetzen, es bedeutet Sprachhilfe, das Nahebringen
unserer Werte und unserer Kultur.
Zweitens gilt: Wir müssen den Zuzug aus Staaten
außerhalb der Europäischen Union begrenzen, nicht
weil wir Ausländer nicht wollten, sondern weil unseren
Integrationsmöglichkeiten bei mehr als 1 Million ausländischer Sozialhilfeempfänger Grenzen gesetzt sind.
Das ist das Problem.
({3})
Es ist richtig: Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht. Wir haben dies seit langem gesagt - im Gegensatz zur SPD und auch im Gegensatz zur F.D.P., Herr
Kollege Westerwelle, von den Grünen ganz zu schweigen.
Aber, Herr Bundesinnenminister, nicht an Ihren
Worten, sondern an Ihren Taten werden Sie gemessen.
Da bezweifle ich, daß eine rotgrüne Regierung bereit
und in der Lage ist, eine realistische Ausländerpolitik zu
betreiben. Sie wollen - das haben Sie in Ihren Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben - eine Altfallregelung. Das bedeutet doch, daß Zigtausende von Ausländern hierbleiben dürfen, obwohl sie das Asylrecht mißbraucht haben, obwohl sie abgelehnt worden sind, obwohl sie illegal eingewandert sind.
Wir sind - das wissen Sie - im Einzelfall selbstverständlich für Generosität; das ist keine Frage. Aber generelle Altfallregelungen fördern den Mißbrauch. Sie
begünstigen den, dem eine Rückkehr in die Heimat
möglich und zumutbar ist. Deswegen ist eine solche Lösung falsch.
({4})
Zu einem erheblichen Mehr an Zuwanderungen führt
auch die Einführung der generellen doppelten Staatsbürgerschaft. Dieser Doppelpaß für Millionen bedeutet
eben keinen Anreiz für Integration, sondern bedeutet vor
allem Familiennachzug in sehr großem Stil. Wie verträgt
sich das, Herr Bundesinnenminister, mit der Aussage ich wiederhole sie - „Die Grenze der Belastbarkeit ist
überschritten“, wenn Sie diese Regelungen einführen?
({5})
Zur F.D.P., Herr Kollege Westerwelle, auch Ihr Gesetzentwurf ist nicht geeignet, die aktuelle Zuwanderung
zu begrenzen. Deswegen sagen wir dazu nein. Ob Sie
das Einwanderungsgesetz oder Zuwanderungsbegrenzungsgesetz nennen, spielt keine Rolle. Ihr integrationspolitischer Ansatz, Sprach- und Eingliederungskurse vorzunehmen, ist sicherlich zu begrüßen. Aber ich
meine, Ihr Gesetz ist undurchführbar, erfolglos und
deswegen überflüssig.
({6})
Das Gesetz ist überflüssig, weil es nicht möglich ist,
eine Höchstzahl von Zuwanderern festzulegen, ohne
nationales und internationales Recht zu ändern. Das wissen Sie doch, Herr Kollege Westerwelle. Denn nach
dem derzeitigen Asylgrundrecht nach Art. 16a kann
doch niemand die Zahl derer wissen und beschränken,
die zu uns kommen. Das ist doch die erste Unsicherheit.
Die zweite Unsicherheit: Auch Artikel 116 des
Grundgesetzes erlaubt keine beliebige Begrenzung des
Ausländerzuzugs, Herr Kollege Westerwelle. Wenn Sie
diese Zahlen der Ausländer beliebig herabsetzen wollen
- das wollen ja manche -, so halte ich dies nicht für gerechtfertigt.
Ich will daran erinnern, daß gerade die Aussiedler
wegen der Verbrechen in der Nazizeit, wegen der Verbrechen dieses Regimes ein furchtbares Schicksal haben
erleiden müssen. Sie hatten am längsten unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs zu leiden, nur weil sie
Deutsche waren. Wer sich zur aktiven Menschenrechtspolitik bekennt, der muß hier eine besondere Verantwortung tragen. Wir stehen zu den Aussiedlern, meine
Damen und Herren.
({7})
Und weiter, Herr Kollege Westerwelle: Ihr Gesetz ist
erfolglos, weil Sie den Familiennachzug nicht begrenzen können, Ihr Gesetz ist erfolglos, weil Sie EG-Recht
nicht verändern können. Hier herrscht Freizügigkeit.
Niemand kann auch wissen, wie viele Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns kommen. Wir haben 300 000 aufgenommen. Das ist eine großartige menschliche Leistung;
das soll auch in Zukunft geschehen. Wäre der Bundesinnenminister hier gewesen, hätte ich ihm gesagt: Herr
Bundesinnenminister, ich hätte in meiner ersten Rede
dem Kollegen Dietmar Schlee für seine Leistung, eine
humane Rückführung durchzuführen, gedankt. Ich danke dem Kollegen Schlee für seine hervorragende Leistung an dieser Stelle ausdrücklich.
({8})
Noch etwas, Herr Kollege Westerwelle: Sie lassen die
Zahl der nicht abgeschobenen Asylbewerber völlig unberücksichtigt. Sie geht in die 100 000. Die rotgrünen
Regierungen schieben die abgelehnten Asylbewerber
nicht ab. Die Leute bleiben hier, und das bedeutet erneut
mehr Zuwanderung. So bleiben mehrere 100 000 Menschen in Deutschland.
({9})
Wenn Sie, Herr Kollege Westerwelle, eine Zuwanderungsquote festlegten, wäre diese Zuwanderungsquote
stets Null: Jetzt Null und auf Jahre Null. Deswegen ist
Ihr Gesetz unbrauchbar. Es ist reine Makulatur.
Wer den Willen hat, Zuwanderung zu beschränken,
nicht populistisch, sondern ernsthaft, nicht mit untauglichen Mitteln, nicht zaghaft, sondern wirkungsvoll, der
öffnet sich unseren Alternativen.
Dies heißt erstens eine konsequente Anwendung und
keine Erweiterung des Ausländergesetzes, keine neuen
Altfallregelungen, keine generelle doppelte Staatsbürgerschaft.
({10})
Dies heißt zweitens Aufnahme der Diskussion zur
Änderung von Artikel 6 und 16a sowie anderer Bestimmungen des Grundgesetzes. An dieser Stelle müssen
Sie ansetzen, sonst hat es, meine ich, keine Wirkung.
Dies heißt drittens auch Burden-sharing in Europa.
Das ist wahr. Das haben die Innenminister, die im Amt
waren, wirklich versucht, aber dies wird, Herr Bundesinnenminister, schwierig genug sein. Warum ist das
schwierig? Es ist schwierig, weil die Europäer sagen: Ihr
Deutsche müßt euer Recht ändern. Ihr Deutsche müßt
eure Leistungen zum Beispiel an Asylbewerber zurückschrauben. Solange wir das nicht tun, wird eine Einigung nicht möglich sein.
({11})
Meine Damen und Herren, unser Ziel bleibt:
Deutschland soll auch in Zukunft eine nach innen und
außen offene, tolerante und zugleich stabile Gesellschaft
bleiben. Das geht nur mit einer realistischen Ausländerpolitik und nicht mit unbrauchbaren Gesetzen - ich sage
es noch einmal, Herr Westerwelle - auf diesem sehr
sensiblen Gebiet. Das geht schon gar nicht mit widersprüchlichen Aussagen und populistischen Äußerungen,
wie sie der Bundesinnenminister gemacht hat.
Zum Schluß meine Empfehlung, meine Damen und
Herren von der SPD: Schlag nach bei der Union! Oder
besser noch: Schlag nach bei Manfred Kanther.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat nun
Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die F.D.P. hat heute einen Entwurf für
ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz vorgelegt. Herr
Westerwelle, ich hätte mir gewünscht, daß Sie schon bei
dem Titel noch einmal innegehalten hätten.
({0})
Denn allein schon der Begriff der Begrenzung ist eine
Botschaft, die mehr nach Abschottung als nach Integration riecht.
({1})
Das ist deswegen ausgesprochen schwierig. Wir können
in einer modernen und offenen Gesellschaft, für die Sie
eben selbst plädiert haben, Herr Marschewski - ich bin
froh, wenn Sie das so sagen -, nicht die Begrenzungsidee in den Vordergrund stellen.
({2})
Die alte Bundesregierung hat sich zeitlebens geweigert, mit der Tatsache umzugehen, daß die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Es war immer Ihr erklärtes Ziel, die Grenzen möglichst dichtzumachen. Sie
haben dies auch getan: durch Zuzugsbeschränkungen im
Ausländerrecht, durch entsprechende Regelungen in der
Visumspolitik, im Asyl- und Asylverfahrensrecht, bei
der Arbeitsaufenthalte- und der Anwerbestoppausnahme-Verordnung und auch - sehr entscheidend - im Arbeits- und Sozialrecht.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die F.D.P., die
Teil dieser Regierung gewesen ist, heute hierhin und
sagt, daß der Zuzug aus dem Ausland zur Zeit weitgehend ungesteuert stattfindet. Man fragt sich wirklich,
wie das zusammenpaßt, da Sie diese Gesetze jahrelang
mitgestaltet haben.
Das Gespenst des ungesteuerten Zuzugs ist eine
Schimäre. Richtig ist, daß noch immer ein großer, wenn
auch stark abnehmender Teil der Asylbewerber in Europa Zuflucht in Deutschland sucht. Aber richtig ist
auch, daß unsere Anerkennungsquote inzwischen so
niedrig ist wie kaum irgendwo sonst. Es stimmt auch,
daß die Bundesrepublik Deutschland eine der höchsten
Zuwanderungsquoten hat. Aber wir haben auch die
höchste Abwanderungsquote - in diesem Jahr so hoch,
daß wir im Minussaldo sind, da mehr Menschen
Deutschland verlassen als zuwandern.
({3})
Dies sind die wichtigen Zahlen, die hier endlich einmal
genannt werden müssen, wenn Sie alle die Sachlichkeit
der Debatte beschwören.
Die Regelung, die die F.D.P. nun vorgelegt hat, will
die wirtschaftlichen Eigeninteressen der Bundesrepublik
mit den humanitären Verpflichtungen und den Verpflichtungen zum Schutz der Familie verrechnen. Meine
Damen und Herren, Humanität läßt sich nicht verrechnen. Wenn wir uns in dem Grundsatz einig sind, daß es
nach wie vor Familiennachzug geben muß - wegen der
grundgesetzlichen Regelung -, daß wir den Menschen,
die hier aus guten Gründen um Zuflucht nachsuchen,
Schutz bieten wollen, dann können wir kein Gesetz akzeptieren, wie die F.D.P. es gemacht hat, die aus wirtschaftlichen Gründen die Zuwandernden gegen die
Schutzsuchenden aufrechnet. Das verträgt sich nicht mit
den Gesetzen der Humanität. Wollen Sie Asylsuchende,
Kriegsflüchtlinge, Kontingentflüchtlinge und selbst Juden aus Osteuropa - wir wissen, wie sich die Situation
dort zuspitzt - mit anderen Menschen verrechnen, die
Sie aus ökonomischen, aus Arbeitsplatzgründen hierherholen wollen? Das geht nicht. In diesem Punkt, Herr
Westerwelle, ist Ihr Gesetz vom Ansatz her nicht richtig.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
({0})
Frau Kollegin, Sie
haben als grüne Bundestagsfraktion am 15. April 1997
den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Rechte
von Einwanderinnen und Einwanderern eingebracht, in
dem Sie ausdrücklich darauf hinweisen, daß es auf der
einen Seite die humanitären Verpflichtungen gibt und
daß es auf der anderen Seite die wirtschaftlichen Interessen unseres Landes gibt. Ich frage Sie: Bringen Sie dieses Gesetz ein, oder bringen Sie es nicht ein? Wenn Sie
es jetzt nicht einbringen: Warum nicht? Wo liegt Ihre
höhere Erkenntnis? Wo liegt Ihr Wissenszuwachs in diesem einen Jahr?
Wissenszuwachs, Herr Kollege Westerwelle, entsteht im Laufe des Regierungshandelns, in der
Auseinandersetzung.
({0})
- Jawohl, in der Auseinandersetzung. Bei Ihnen hat das
stetig abgenommen; das hat man gemerkt. Deswegen
sind Sie von den Wählerinnen und Wählern ja auch auf
die Oppositionsbank gesetzt worden.
({1})
Für uns steht eine sachliche gesellschaftliche Auseinandersetzung um Zuwanderung im Zentrum, die nicht
die Idee vermittelt: Wir müssen uns möglichst abschotten. Wir wissen, daß es ein schwieriges Gebiet ist, daß
wir um die Mehrheiten in der Gesellschaft ringen müssen, weil es in diesem Bereich wirklich darum gehen
muß, möglichst viele Menschen offen zu machen, damit
sie Zuwanderung nicht als Gefahr, sondern als Gewinn
erkennen. Das werden wir zusammen mit dem Koalitionspartner machen. Das werden wir in der Auseinandersetzung in der Gesellschaft machen. In diesem Sinne
wird sich die Debatte um Zuwanderung und ihre Notwendigkeit gestalten, Herr Westerwelle.
({2})
Marieluise Beck ({3})
Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger?
Ja, bitte.
({0})
Frau Kollegin, teilen Sie die Auffassung des Bundesinnenministers, daß die Grenze der Belastbarkeit überschritten sei, und wie könnte man überhaupt eine solche
Grenze definieren und berechnen?
Grenzen sind nichts Statisches, Frau Kollegin, gerade nicht in einer Gesellschaft. Es gibt hier eine
Differenz; ich habe sie auch in der Öffentlichkeit klar
gemacht. Das ist kein Geheimnis. Insofern habe ich in
dieser Weise die Frage zu beantworten.
({0})
- Wir sind keine Einheitsregierung, Herr Schäuble. Es
gibt durchaus noch Menschen mit eigenen Köpfen in
dieser Regierung, und ich glaube, das ist gut so.
({1})
Meine Damen und Herren, wir werden mit diesem
Gesetz in die Ausschüsse gehen. Vor allen Dingen werden wir uns aber dem zuwenden, was eigentlich auf der
Tagesordnung steht, nämlich das große Reformvorhaben, das diese neue Regierung sich vorgenommen hat:
die erleichterte Einbürgerung. Den Menschen, die hier
geboren sind, die schon Inländer ohne Paß sind, geben
wir auch den Paß. Das ist die gesellschaftliche Aufgabe,
bei der ich Sie nach wie vor einlade mitzumachen. Denn
sie ist der große Integrationsschritt hin zu einer offenen
Gesellschaft, die wir jetzt brauchen und die jetzt auf der
Tagesordnung steht.
({2})
Frau Kollegin, der
Kollege Braun möchte noch eine Frage stellen.
Bitte.
Frau Kollegin, wie beurteilen Sie das Wort der Münchener Lachund Schießgesellschaft über die Grünen? Sie sagt: Früher haben die Grünen die Kröten über die Straße getragen; jetzt schlucken sie die Kröten.
({0})
Lieber Herr Kollege, da ich keine Komödiantin bin, überlasse ich diese Kommentierung denen, die
dazu ausgebildet worden sind.
({0})
Das Wort hat nun
Kollegin Ulla Jelpke, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich finde die Vorführstunde, die die F.D.P.
sich eben geleistet hat, angesichts des ernsten Themas
ziemlich peinlich.
({0})
Denn in einem Punkt kann ich Frau Beck nur recht geben: Wir führen hier heute keine Einwanderungsdebatte.
Das besagt schon das Gesetz der F.D.P.; es heißt Zuwanderungsbegrenzungsgesetz. Schon auf der ersten
Seite dürfen wir lesen, daß es der F.D.P. auch gar nicht
um Einwanderung geht. Vielmehr will sie kein „zusätzliches Einwanderungsangebot“ machen. Wer dieses Gesetz gelesen hat, wird sehr schnell feststellen, daß es tatsächlich inhaltlich darum geht.
Seit vielen Jahren diskutieren wir in diesem Haus
über die Frage von Zuwanderung und Einwanderung.
Nun gibt es endlich eine Mehrheit in diesem Haus, und
die erste Initiative ist peinlicherweise eine Debatte über
ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz - meiner Meinung
nach eine bedrohende Bezeichnung, eine regressive Bezeichnung. Das paßt nicht zu den Umständen.
Wir von der PDS dagegen wollen, daß Zu- und Einwanderung kulturell, sozial und wirtschaftlich endlich
als gesellschaftliche Bereicherung angesehen werden.
({1})
Die F.D.P. hat in ihrem Gesetzentwurf ein Sammelsurium von Paragraphen zusammengestellt und Zu- und
Einwanderung mit teuren bürokratischen Quotensystemen zu steuern versucht. Alles und jede Gruppe wird in
Quoten sortiert. Wir haben es heute schon gehört: Viele
Gruppen kann man überhaupt nicht in Quoten einsortieren.
Es gibt nur eine Gruppe, die hier bevorzugt wird. Das
ist die Gruppe der Arbeitsimmigrantinnen und -immigranten. Hier heißt es ganz deutlich: wenn es „im
wirtschaftlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland“ ist. Dagegen sind beispielsweise diejenigen Menschen, die besonders schutzbedürftig sind, weil sie um
Leib und Leben fürchten müssen, aber trotzdem nicht
unter das geltende Asylrecht fallen - also beispielsweise
nicht unter staatlicher Verfolgung leiden -, schwer benachteiligt. Ich denke hier zum Beispiel an Frauen, die
geschlechtsspezifische Verfolgung erlitten haben. Leitsätze der Humanität und Menschenrechte sind jedenfalls
in diesem F.D.P.-Gesetzentwurf nicht vorzufinden.
Das gilt ebenso für die Asylberechtigten oder für die
Asylsuchenden. Sie wissen genausogut wie ich, daß
Asylsuchende in diesem Land ein Grundrecht haben.
Genau das, was Herr Marschewski heute hier vorgeführt
hat, habe ich befürchtet, nämlich: daß er diese Debatte
erneut anzettelt. Auch die F.D.P. ist mit ihrem Gesetzentwurf daran nicht ganz unschuldig.
Menschen, die Asyl beantragen oder das Asylrecht in
Anspruch nehmen, kann man nicht quotieren.
({2})
Der Gesetzentwurf der F.D.P. besagt, daß dann, wenn
die Quote für eine bestimmte Gruppe von Zuwanderern
höher ausfällt, als man sie sich vorgestellt hat, die Quote
für die anderen Zuwanderer verringert wird. - Sehr einfach, meine Damen und Herren. Damit sind wir bei
einem ganz wichtigen Punkt angelangt, in dem ich mit
Herrn Marschewski - das ist selten der Fall - übereinstimme: Familiennachzug darf nicht quotiert werden.
Familiennachzug ist ein Menschenrecht und ein Grundrecht. Dagegen darf nicht verstoßen werden.
({3})
Wenn man sich Ihren Gesetzentwurf anschaut, Herr
Westerwelle, dann meine ich, daß er keinen großen Beitrag dazu leistet, eine Versachlichung in die Debatte,
wie Sie sie sich wünschen, hineinzubringen.
Frau Kollegin, Herr
Westerwelle möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, gerne, Herr Kollege Westerwelle.
Frau Kollegin, ich
möchte die Frage an Sie stellen: Sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, daß ich im Rahmen meiner Begründung des Gesetzentwurfes - übrigens enthält der
Gesetzentwurf nichts anderes - ausdrücklich erklärt
habe, daß die humanitären Verpflichtungen, die zum
Beispiel in Art. 16a und Art. 6 des Grundgesetzes - das
ist der Schutz der Ehe und Familie - festgelegt sind,
selbstverständlich nicht berührt werden und daß sich
selbstverständlich an dem Schutz nach Art. 6 und
Art. 16a des Grundgesetzes durch unseren Gesetzentwurf überhaupt nichts ändert?
Herr Westerwelle, ich habe Ihren
Entwurf sehr genau gelesen. Ich weiß, daß Sie eine
Quotenberechnung wollen. Ich weiß, daß Sie die davon
betroffenen Leute berücksichtigen wollen. Aber ich finde es grundlegend falsch, Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Menschen, die hier Asyl haben, nach
Quoten zu sortieren. Sie müssen, wenn Sie über Zuwanderung reden, wirklich über diejenigen reden, die zuwandern wollen. Es gibt viele Menschen, die in diesem
Land Asyl haben und die dieses Land - wenn es die Lage erlaubt - auch wieder verlassen und nicht unbedingt
in dem Sinne zuwandern wollen, wie wir es verstehen.
Noch eine Nachfrage
des Kollegen Westerwelle.
Frau Kollegin,
kann es möglicherweise sein, daß wir hier ein Mißverständnis haben? Wir treten nicht für die Quotierung von
Asyl und Familiennachzug ein; vielmehr wird in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen, daß von der jährlich
festzusetzenden Gesamtquote für Zuwanderung - selbstverständlich vorab - die Zahl der berechtigten Asylbewerber und der Menschen, die sich auf Familiennachzug
berufen, abgezogen werden muß. Das heißt, daß das
Wort „Quote“ möglicherweise bei Ihnen zu dem Mißverständnis geführt hat, als wollten wir Art. 16a und
Art. 6 des Grundgesetzes quotieren. Das ist ausdrücklich
nicht der Fall.
Das weiß ich. Dennoch sage ich
Ihnen, Herr Westerwelle: Die Gefahr besteht - wir haben es vorhin von Herrn Marschewski gehört -, daß Sie
eine solche Debatte, wie wir sie jetzt haben, mit Ihrem
Gesetzentwurf auslösen. Trotzdem möchte ich noch
einmal sagen: Wenn beispielsweise die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber höher ist, als Sie sie
angenommen haben bzw. als die Kommission, die nach
Ihren Absichten die Quoten regelmäßig festlegen soll,
dann wird es dazu kommen, daß beispielsweise die
Quote für eine bestimmte Gruppe von Zuwanderern um
die Quote für andere Zuwanderer zusammengestrichen
wird. Das heißt, Ihre geplante Gesamtquote muß immer
erfüllt werden. Das birgt die Gefahr in sich, daß Sie die
tatsächliche Zuwanderung letztendlich gar nicht berücksichtigen bzw. in bezug auf die Familienzusammenführung sogar sagen: Dann müssen die Leute eben ein Jahr
länger warten. Das ist meiner Meinung nach unzumutbar
und inhuman.
({0})
Ebenso fällt es mir schwer, zu glauben, daß Sie allen
Ernstes Menschen, die per Verfassung in diesem Land
einen deutschen Paß haben dürfen, ebenfalls in eine
Quote packen wollen, nämlich die Spätaussiedler. Das
ist mir, ehrlich gesagt, unbegreiflich.
Alles in allem bin ich der Meinung, daß wir besser
daran täten, über wirkliche Integrationsmaßnahmen zu
sprechen - dieses Stichwort ist heute schon einmal gefallen -, ob das die Frage der Sprachförderung, der Ausbildung für ausländische Jugendliche, der Jugendsozialarbeit oder andere Fragen sind.
({1})
All dies sind sicherlich sinnvollere Schritte zur wirklichen Integration.
Die Zuwanderung ist wirklich eine problematische
Frage; ich gebe es gern zu. Auch wir haben hier kein
perfektes Konzept, aber wir werden es im Ausschuß diskutieren und mit Sicherheit auch unsere Vorschläge dort
einbringen.
Danke.
({2})
Das Wort hat Frau
Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast.
({0})
Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Zur Klarstellung möchte ich sagen, daß
sich der Bundesinnenminister heute beim informellen
Rat für Inneres und Justiz in Brüssel aufhält, unter anderem in Vorbereitung der EU-Präsidentschaft. Ich glaube,
das ist ein triftiger Grund, um heute der parlamentarischen Debatte nicht folgen zu können.
({0})
- Darf ich mit meinen Ausführungen beginnen, liebe
Kollegen und Kolleginnen?
Der bisherige Verlauf der Debatte hat mir noch einmal sehr deutlich gemacht, wie sehr wir uns alle vor
doppelzüngigen Argumentationen hüten müssen.
({1})
Deshalb will ich noch einmal sagen, worum es geht: Da
schlägt die Aufregung über einen aus dem Zusammenhang gerissenen Satz des Bundesinnenministers hohe
Wellen, auch bei der F.D.P., die gleichwohl, Herr Gerhardt, in ihrem Gesetz postwendend rigide Zuwanderungsbegrenzungen verlangt.
({2})
Da wird ein angestaubter Gesetzentwurf aus der
Schublade geholt, dem Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen, während Ihrer Koalitionszeit nie die Weihe parlamentarischer Behandlung haben zuteil werden lassen.
({3})
Jetzt, frei von den Fesseln des Regierungsbündnisses,
wagen Sie sich aus der Deckung - nicht, weil die Sache
drängte, sondern weil das Thema gerade im Gespräch
ist. Man merkt die Absicht und ist erstaunt.
({4})
Zugleich hören wir aus Ihrem Munde, Herr Gerhardt,
daß sich im Moment eine Einwanderungsquote auf
Null belaufen müßte.
({5})
Ich finde, das ist kein seriöser Beitrag zum Umgang mit
diesem so sensiblen Thema, liebe Kollegen und Kolleginnen.
({6})
Über Zuwanderungsregelungen und -gesetze wird
viel geredet und nachgedacht. Das ist auch gut so. Es
geschieht innerhalb und außerhalb von Regierung und
Parlament, und manche Ihrer Vorschläge sind uns aus
eigenen Überlegungen wohlvertraut. Herr Westerwelle,
Sie müssen sich gar nicht mit jeweils einem Papier in
der linken und in der rechten Hand hinstellen. Wir wissen selber, was wir wollen und was wir ausgearbeitet
haben.
({7})
Ich habe mit Interesse noch einmal unsere Debatte
vom 5. Juni 1997, die Sie bereits zitiert haben, nachgelesen und fand es sehr erfrischend und überzeugend, wie
wir in der damaligen Situation diskutiert haben. Ich habe
überhaupt nichts von damals zurückzunehmen.
({8})
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle, der heute besonders fleißig ist?
Ja, bitte schön.
({0})
Für die F.D.P.Opposition gilt: klein, aber fleißig. - Frau Kollegin, Sie
sagten gerade, Sie haben die Debatte selber nachgelesen.
Deswegen habe ich eine Frage: Sie haben in der Debatte
am 5. Juni 1997 wörtlich gesagt:
Wir brauchen ein Gesetz zur Steuerung der Zuwanderung und zur Förderung der Integration. Nötig ist
ein Konzept, das fair, ehrlich und beständig die
Belange der einheimischen Bevölkerung mit unserer Verpflichtung in Einklang bringt, die sozialen,
ökonomischen und politischen Aufgaben angesichts
der anhaltenden Migration zu bewältigen.
({0})
Diesen Satz unterstreiche ich doppelt und dreifach.
Werden Sie als Bundesregierung nach diesem Satz handeln und in dieser Legislaturperiode einen solchen Gesetzentwurf einbringen?
Ich wollte gerade
zu den von mir gemachten und auch heute noch als genauso aktuell empfundenen Äußerungen sagen, daß wir
dieses voll und ganz unterstützen und daß auch für die
Bundesregierung - Sie sprachen ja von einem Seitenwechsel hier im Parlament - das Thema auf der Tagesordnung bleibt.
({0})
Aber, Herr Westerwelle, wir können und sollten uns dabei Zeit lassen. - Ich fahre jetzt fort. Ich glaube, damit
ist Ihre Frage erst einmal beantwortet, so daß Sie Platz
nehmen können.
({1})
- Doch. Ich führe das jetzt aus, aber Sie müssen nicht so
lange stehenbleiben.
({2})
- Ja, weil ich es jetzt in Ruhe erklären möchte.
({3})
- Machen Sie es, wie Sie wollen, Herr Westerwelle.
({4})
- Wenn es für Ihr Stehvermögen nötig ist, machen Sie
es.
Ich möchte es Ihnen an Hand Ihres Gesetzentwurfes
erklären. Herr Westerwelle, es ist nun einmal in der augenblicklichen Situation praktisch unmöglich - aber das
wollen Sie -, Migration mit gesetzlichen Mitteln zu regeln und zu steuern, ohne dabei zusätzliche Zuwanderungswege zu öffnen. Dafür liefert nun Ihr Entwurf den
in Paragraphen gegossenen Beweis.
Sie präsentieren ein ungeheuer kompliziertes bürokratisches Gebilde mit Gesamthöchstzahlen, Teilquoten
und einem zusätzlichen Verwaltungsapparat. Lassen Sie
doch einmal selbstkritisch Revue passieren, was Sie dort
an Umständlichkeiten niedergeschrieben haben. Ich zitiere aus § 5 Ihres Gesetzentwurfes. Hören Sie bitte zu:
Eine nachträgliche Abänderung und ein gegenseitiger Ausgleich verschiedener Teilquoten innerhalb
des Jahres, für das die Gesamthöchstzahl festgesetzt worden ist, sowie die Übertragung der Zahl
der Zuwanderungsgenehmigungen auf die Teilquote des nachfolgenden Jahres ({5})
sind möglich.
Klar ist nach der Lektüre solcher Sätze nur, warum
Ihr Gesetz eine eigene Bundesbehörde erfordert. Unklar bleibt, worin die Transparenz der Regelung bestehen soll, die Sie gleich zu Beginn des Textes als politisches Ziel benennen.
Aber viel bedenklicher erscheint mir der Geist, der
das gesamte Gesetz durchzieht. Sie wollen die Zuwanderung nicht erhöhen; das ist verständlich und auch
richtig. Weil es keine Erhöhung geben kann, schichten
Sie um, und zwar mit dem Ziel, bestimmte Personengruppen in unser Land zu holen, andere aber eher zurückzuhalten bzw. ihr Herkommen zeitlich zu verzögern. Das heißt, Zuwanderung soll stärker an den Interessen der Bundesrepublik orientiert sein, etwa nach
dem Motto: Wen können wir als leistungskräftige Steuerzahler und Zahler von Sozialabgaben brauchen? Ich
meine - damit ich nicht mißverstanden werde -, selbst
diese eigennützige Grundidee ist legitim. Sie liegt sogar
in der Tradition klassischer Einwanderungsländer mit
ihren Gesetzen.
Nur: Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., macht diese Rechnung auf Kosten
nachziehender Familienangehöriger - das kam hier
schon zur Sprache -, möglicherweise schutzbedürftiger
Menschen und der Spätaussiedler auf. Die Zahl der
Spätaussiedler soll - so steht es im Gesetzentwurf kontinuierlich gesenkt werden. Der Familiennachzug
wird ebenfalls in die Aufnahmequote integriert, also
zeitlich gestreckt. Nichts anderes geht aus dem Text
hervor.
Daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, scheiden sich
nun wirklich die Geister. Für die Bundesregierung steht
fest: Die Möglichkeiten des Zugangs nach Deutschland,
für die uns das Grundgesetz und internationale Verpflichtungen zum Schutz der Flüchtlings- und Menschenrechte die Basis liefern, müssen voll gewährleistet
bleiben. Asylsuchende, nachziehende Familienangehörige und Bürgerkriegsflüchtlinge entziehen sich deshalb
jeder Aufnahmequote. Für Spätaussiedler gibt es schon
eine jährliche Höchstgrenze. Sie wird seit geraumer Zeit
deutlich unterschritten.
Ob wir nun darüber hinaus ermöglichen sollen und
können, daß Menschen aus wirtschaftlichen Gründen in
diesem Land eine Lebensperspektive finden, und das in
Quoten nennen, ist eher eine Frage der Zukunft als der
Gegenwart. Wir können und sollen uns mit der Lösung
Zeit lassen, und wir sollten sie vordringlich im Konsens
mit den Partnern in der Europäischen Union suchen.
Fürs erste, meine Damen und Herren, setzt die Bundesregierung andere Prioritäten. Absoluten Vorrang hat
ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Die Vorbereitungen für das neue Gesetz sind bereits geleistet.
Dann haben wir endlich ein Angebot zur vollen politiDr. Guido Westerwelle
schen und gesellschaftlichen Teilhabe an die lange bei
uns lebenden Zuwanderer gerichtet, und dann sind die
dringend notwendigen Weichen für eine neue Offensive
der Integration gestellt.
({6})
Die Innenminister der Länder arbeiten - das wissen
Sie - darüber hinaus an einer Altfallregelung für ehemalige Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt in
Deutschland. Außerdem wollen wir ausländischen Ehegatten und Ehegattinnen nach zwei Jahren ehelicher
Gemeinschaft das eigenständige Aufenthaltsrecht einräumen - auch dies ist eine lang erhobene Forderung -,
und wir loten die Chancen zur humanitäreren Ausgestaltung des Flughafenverfahrens im Asylrecht aus.
Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Ein reiches
Betätigungsfeld breitet sich vor uns aus. Es wäre gut,
wenn die parlamentarische Opposition dieses Hauses
diese wirklich dringlichen Reformvorhaben konstruktiv
begleitete und ihnen einen breiten Konsens ermöglichte.
({7})
Zumindest bei der F.D.P., die unsere Ansichten ja weitestgehend teilt, habe ich durchaus Hoffnung, daß das
geschieht. Denn diesen Konsens in der Migrationspolitik
haben wir dringend nötig.
Deswegen appelliere ich zum Schluß an Sie, meine
Damen und Herren, und an uns alle: Hören wir endlich
damit auf, die Debatte um Zuwanderung, um Asyl, um
Flüchtlingspolitik und um Integration zu polemisieren
und zu polarisieren!
({8})
Es nützt weder den Menschen nichtdeutscher Herkunft,
die bei uns zeitweilig Schutz suchen oder dauerhaft
bleiben wollen, noch nützt es den Deutschen, von denen
sich mancher mit der Thematik durchaus schwertut und
auch mit den Schwierigkeiten vor Ort zu kämpfen hat.
Dies ist völlig unbestritten.
Deswegen helfen uns Beschönigung und auch Dämonisierung nicht weiter, wohl aber umfassende Aufklärung sowohl über Vorteile als auch über die Probleme
mit der Migration. Ich kann uns alle nur dringend ermahnen, so zu verfahren und die Sachlichkeit, die heute
morgen so oft beschworen worden ist, dann auch zu
praktizieren.
({9})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, es ist eine kleine Irritation entstanden, für
wen Frau Kollegin Sonntag-Wolgast spricht. Da sie von
der Regierungsbank gekommen ist, müßte das eigentlich
eindeutig sein. Aber mir war nur „SPD“ gemeldet worden. Ich trage nach: Die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Cornelie Sonntag-Wolgast hat gesprochen. Nun
spricht der Kollege Jürgen Rüttgers, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Parlamentarische Staatssekretärin hat uns gerade mitgeteilt,
daß der Herr Bundesinnenminister zur Zeit in Brüssel
ist. Das mag wichtig sein. Ich will das nicht beurteilen.
Eines weiß ich allerdings auch, Frau Kollegin: Es kann
nicht sein - darüber gibt es Verabredungen -, daß wir
hier eine Debatte in der Kernzeit führen und der zuständige Minister nicht da ist.
({0})
Falls es solche Verpflichtungen im Ausland gibt, müssen Sie für eine bessere Koordination zwischen Ihrer
Regierung und Ihrer Fraktion und dafür sorgen, daß die
Debatte zu einem anderen Zeitpunkt stattfindet.
({1})
Meine Damen und Herren, das hat etwas mit dem Stil
und, wenn man so will, mit der Kultur zu tun, die wir
hier haben. Es fällt schon auf, wenn bei dieser wichtigen
Kerndebatte um 9.20 Uhr der erste Minister auftaucht.
Auch das geht nicht, und das kann so nicht bleiben.
({2})
Ich füge noch ein Drittes hinzu, damit dieses Thema
dann abgeschlossen ist. Hierbei geht es nicht nur um den
Stil, sondern es geht wirklich ums Eingemachte.
In der vorigen Woche, am 26. November um
19.15 Uhr, hat der Kanzleramtsminister in einem wesentlichen Fall, im Fall Öcalan, die Fraktionen von
CDU/CSU und F.D.P. darüber informiert, daß die Bundesregierung daran festhalte, daß das Auslieferungsersuchen nur zurückgestellt werde. Im Laufe des Vormittags
des 27. November hat der Bundeskanzler dann bekanntgegeben, man habe darauf verzichtet, ein Auslieferungsersuchen zu stellen.
({3})
Die zuständige Justizministerin mußte dann gestern
mitteilen, daß die Lösung der Verfolgung eines Terroristen jetzt darin liege, daß die Bundesrepublik Deutschland Italien auffordert, auf Grund des deutschen Haftbefehls ein Strafverfahren durchzuführen.
Damit sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es
wirklich nicht mehr akzeptabel ist, meine Damen und
Herren.
({4})
Nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Kanzleramtsminister:
Die CDU/CSU-Fraktion wird für solche Veranstaltungen angeblich vertraulicher Unterrichtungen in Zukunft
nicht mehr zur Verfügung stehen. Sie werden sich schon
etwas anderes überlegen müssen oder die Sache bereinigen müssen.
({5})
Meine Damen und Herren, der Kollege Westerwelle
hat bei seinem Bemühen, jedem und allem immer einen
Schritt voraus zu sein, eben einen klugen Satz gesagt.
({6})
Er hat nämlich in Richtung Regierung gesagt: Die Realitäten haben sich nicht verändert, seitdem Sie auf der
Regierungsbank sitzen. - Das ist wohl wahr, Herr Kollege Westerwelle, aber das Bewußtsein hat sich anscheinend verändert, wie wir gerade gemerkt haben. Die
spannende Frage ist nur, um welches Bewußtsein es
geht. Die Konkretisierung dieser Aussage ist gerade bei
der Frage der Zuwanderung ein ungeheuer wichtiger
Vorgang. Wo hat man schon jemals eine solche Konfusion gesehen, daß auf der einen Seite der Bundesinnenminister gemäß dem Motto „Das Boot ist voll“ redet
({7})
und auf der anderen Seite die Ausländerbeauftragte derselben Bundesregierung das Ganze als politisch gefährlich bezeichnet! Der Bundeskanzler wird einmal klären
müssen, wer eigentlich in diesen Fragen für seine Regierung spricht, Schily oder Beck.
({8})
Wahrscheinlich weiß der Herr Bundeskanzler selber
nicht, was er dazu sagen soll, denn er hat ja nun klar und
deutlich erklärt - das nennt man jetzt anscheinend neue
Führung -, es werde kein Einwanderungsgesetz geben.
Der Bundesinnenminister hat demgegenüber sofort geantwortet, es werde vielleicht doch ein Zuwanderungsgesetz, aber ohne eine richtige Zuwanderungsquote geben, denn diese müsse ja bei null liegen. „Konfusion“
dein Name ist Regierung: So stellt sich die Lage in der
Bundesrepublik Deutschland dar.
({9})
Auch der Kollege Bürsch hat eben einen interessanten Sachverhalt dargestellt. Er hat uns nämlich mitgeteilt, daß das, was die Bundesregierung in Sachen
Staatsangehörigkeit beabsichtige, eine vertrauensbildende Maßnahme sei.
({10})
Er hat dann weiterhin mitgeteilt, daß man wie folgt zu
verfahren beabsichtige: Zuerst werde man sich dem
Thema doppelte Staatsangehörigkeit widmen und im
Anschluß daran der Zuwanderung. Das finde ich
hochinteressant, nicht nur vom Verfahren, sondern auch
von der Denke her. Zuerst macht man das Tor auf - ich
nenne die Stichwörter Altfallregelung, doppelte Staatsangehörigkeit und Ehenachzug -, und im Anschluß daran erklärt man, man versuche, das Ganze wieder einzufangen.
Mit diesen Erklärungen wird versucht, die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland
schlicht zu täuschen.
({11})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des angesprochenen
Kollegen Bürsch?
Aber selbstverständlich.
Meine Frage bezieht
sich noch auf das, was Sie über Herrn Schily gesagt haben. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, Herr
Rüttgers, daß das, was Sie und andere aus Ihrer Fraktion
über Herrn Schily wiederholt gesagt haben, der Wahrheit nicht entspricht? Herr Schily hat weder wortwörtlich noch sinngemäß gesagt: „Das Boot ist voll.“ In dem
Interview, auf das Sie immer Bezug nehmen, findet sich
auf die Frage:
Was spricht gegen ein Zuwanderungsgesetz, mit
Hilfe dessen Zuwanderung gesteuert werden könnte?
folgende Antwort des Innenministers Schily:
Es spricht überhaupt nichts dagegen.
Im weiteren Verlauf dieses Interviews hat er gesagt:
Gleichwohl wird das Thema einer Zuwanderungssteuerung irgendwann wieder aufzunehmen sein.
Wir müssen diese Fragen im europäischen Verbund
lösen.
Ist es möglich, daß wir uns auf den Inhalt dieses Interviews verständigen und nicht immer wieder etwas zitieren, was der Öffentlichkeit weismachen soll, er hätte
davon gesprochen, daß das Boot voll sei? Für eine positive Antwort hierauf wäre ich dankbar.
({0})
Sie können, Herr
Kollege Bürsch, gleich gerne im Protokoll nachlesen,
was ich gesagt habe. Ich bleibe dabei: Die Erklärung
von Herrn Schily liegt auf einer Linie mit der Aussage,
daß das Boot voll ist. So haben das die Leute verstanden, und sie sollten es gerade auch so verstehen, weil sie
getäuscht werden sollten; in Wirklichkeit wird nämlich
etwas völlig anderes gemacht.
({0})
- Entschuldigen Sie, jetzt bin ich gerade dran. - Daß Ihnen das weh tut, ist mir völlig klar. Genau das zerreißt
Sie ja im Moment. Es handelt sich eben um keine konsistente Politik, wenn etwa der SPD-Ministerpräsident
Höppner sagt, Deutschland könne noch eine Menge Zuzug verkraften, und gleichzeitig Frau Röstel von Ihrer
Koalitionspartei sagt, das seien Stammtischparolen. Genau dadurch wird die Sache zerrissen, aber damit müssen Sie selber fertig werden.
Unsere Politik in dieser Frage ist klar: Eine vernünftige Ausländerpolitik kann nur in der Balance zwischen
Integration und Zuzugsbegrenzung gelingen. Das war
und ist unsere Position. Wir wollen alles Mögliche tun,
um die in Deutschland rechtmäßig lebenden Ausländer
in unsere Gesellschaft zu integrieren. Das heißt aber,
man muß für eine enge Zuzugsbegrenzung sein, damit
unsere Gesellschaft bereit ist, diese Menschen zu integrieren, und diese Menschen auch eine Chance haben,
sich in unsere Gesellschaft zu integrieren.
({1})
Wir brauchen deshalb keine Erweiterung des Zuzugs.
Angesichts von 7,4 Millionen Ausländern und 4 Millionen Arbeitslosen gibt es keinen Grund dafür, jetzt darüber zu debattieren, irgendeine Form von neuen Zuzugsmöglichkeiten zu schaffen. Es gibt keinen Zuwanderungsbedarf. Deshalb brauchen wir auch kein Einwanderungsgesetz, zumindest solange nicht, solange
sich weite Bereiche der faktischen Regelung entziehen.
Nehmen Sie zum Beispiel das Asylrecht. Solange nicht
klar ist, daß diejenigen, die hier herkommen und nicht
rechtmäßig hierbleiben können, das Land wieder verlassen müssen, lieber Herr Westerwelle, ist die gesamte
Quotenregelung letztlich unsinnig. Sie führt nicht zu einer konsistenten Regelung.
({2})
Deshalb lehnen wir das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz ab. Herr Westerwelle, nicht die Semantik macht
es, sondern wichtig ist, was da drinsteht.
Ich hätte noch eine Bitte. Tun Sie uns doch den
Gefallen - wenn man sich schon auf den Gedanken einläßt -, uns zu sagen, wie diese Quote aussehen soll.
Sagen Sie doch einmal eine Zahl, damit die Leute wissen, was sich hinter Ihrem Gesetz verbirgt! Wieviel sollen denn hereinkommen? Oder wollen Sie ein Gesetz
machen und im Anschluß daran sagen: In den nächsten
zehn Jahren lautet die Quote Null? - Ein solches Gesetz
kann man nun wirklich nicht machen; denn man kann
kein Gesetz machen, das an dem Tag, an dem es
beschlossen wird, schon das Verfallsdatum trägt. Das
macht keinen Sinn und ist in der Sache nicht richtig.
({3})
Was wir in Wirklichkeit brauchen, ist eine konsequente Integrationspolitik,
({4})
eine Integrationspolitik, die sich mit den Menschen beschäftigt. Dazu, meine Damen und Herren, steht in Ihrer
Regierungserklärung kein einziges Wort.
({5})
Darin steht kein Wort zu der Frage: Wie machen wir das
in den Schulklassen, in denen wir mehr als 50 Prozent
Ausländer haben? Was tun wir dagegen, daß 17 Prozent
der jungen Leute, die hier leben, keine Lehrstelle haben,
bloß weil sie aus ausländischen Familien kommen?
({6})
Was tun wir zur Verhinderung von Ghettos in unseren
Großstädten?
Sie verlieren kein Wort zu diesen Fragen. Das zeigt,
daß es Ihnen letztlich nicht um Integration, sondern um
Ideologie geht. Das macht die Debatte hier so schwierig.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf?
Aber ja.
Herr Kollege Rüttgers, wenn Sie sich hier schon so vehement der Öffentlichkeit darstellen und ein Horrorszenario entfalten, frage ich Sie: Warum haben Sie in den vergangenen Jahren
- Sie haben 16 Jahre Regierungsverantwortung getragen
- in Fragen der Integration all das, was von der damaligen Opposition kam, angesichts der Probleme, die wir
haben, mit denen wir fertig werden müssen und fertig
werden wollen, Jahr für Jahr ohne Begründung abgelehnt? Warum haben Sie das alles in Bausch und Bogen
abgelehnt? Das erklären Sie uns bitte einmal.
({0})
Das ist ganz einfach: Weil es falsch war. - So einfach ist das.
({0})
Wir haben keinen Unsinn gemacht, und wir werden
auch weiterhin keinen Unsinn machen. Wir haben den
Versuch gemacht, den Zuzug zu begrenzen. Das ist auch
gelungen. Im letzten Jahr hatten wir das erste Mal mehr
Abwanderer als Zuwanderer. Wenn das kein Erfolg ist!
Führen Sie das bitte fort.
Wer für Integration ist, muß auch - ich sage es noch
einmal - für eine strikte Zugangsbegrenzung sein. Eine
stärkere Zuwanderung würde die Integrationswilligkeit
vieler Menschen in Deutschland überfordern. Das Entscheidende ist - dies sage ich gerade deshalb, weil ich
will, daß Deutschland ein ausländerfreundliches Land
bleibt, wie es dies immer war -: Sie würde nicht zu
mehr Toleranz und mehr Ausländerfreundlichkeit, sondern zum Gegenteil dessen führen. Letztlich - darüber
sollten Sie wirklich genau nachdenken ({1})
setzen Sie den inneren Frieden in unserem Land aufs
Spiel, wenn Sie die Grundlagen des Konsenses in dieser
Frage so verlassen, wie Sie es vom Stil und vom Inhalt
her getan haben.
({2})
Deshalb fordere ich Sie auf: Denken Sie noch einmal
darüber nach. Es ist fünf Minuten vor zwölf; es geht
noch. Das ist eine Entscheidung, die nicht reversibel ist.
Was Sie da machen, ist hochgefährlich. Wir warnen Sie
in dieser Frage nachdrücklich.
({3})
Das Wort hat nun
der Bundesminister Bodo Hombach.
Meine
Damen und Herren! Herr Westerwelle hat eben den
schönen und treffenden Zuruf gemacht - ich weiß nicht,
ob er ins Protokoll aufgenommen wurde -: Opposition
macht frei. - Ich glaube, das stimmt. Das Wohlbehagen
und die Genüßlichkeit, mit der Sie sich in die neue Rolle
finden, sind spürbar. Ich gönne sie Ihnen.
({0})
Aber das entschuldigt nicht alles.
({1})
- Ich habe mich gemeldet, um zur Sache zu reden.
Die Tatsache, daß Innenminister Schily heute nicht
anwesend ist sein würde, ist dem Parlamentssekretariat
zeitig und fristgerecht mitgeteilt worden. Für Übermittlungsfehler und Koordinationsprobleme in Ihrer Fraktion bin ich nicht verantwortlich, Herr Fraktionsvorsitzender.
({2})
Sie haben eine Unterrichtung angemahnt, worauf ich
sagen muß: Man lernt nicht aus. Ich habe die Opposition
in Begleitung des Staatssekretärs im Justizministerium,
Dr. Geiger, des neuen Chefs des Bundesnachrichtendienstes in Pullach, Herrn Hanning, und in Begleitung
des neuen Leiters der Abteilung 6 des Kanzleramtes,
Herrn Uhrlau, über die tatsächlichen Zusammenhänge
der Einreise Herrn Öcalans nach Italien unterrichtet.
Weiterhin haben wir Sie sehr ausführlich über unsere
Sicht der Sicherheitslage informiert.
Wir haben Ihnen die Optionen für unser Handeln dargestellt. Die eine Option war, daß wir einen dritten Ort
suchen, um einen Prozeß durchzuführen, möglicherweise unter internationaler Kontrolle. Wir haben Ihnen gesagt, daß wir wünschen, daß Herr Öcalan einen irdischen Richter findet. Wir haben Ihnen aber auch gesagt,
warum wir nicht der Auffassung sind, daß Deutschland
der geeignetste Ort für einen solchen Prozeß ist.
Wir haben aber in keiner Weise versucht, Ihr politisches Urteil über diesen Vorgang zu beeinflussen, denn
es ist klar, daß Sie in Ihren Beurteilungen und Entscheidungen frei sind.
({3})
Wir haben das getan, was wir für unsere Pflicht hielten. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Daß Sie diesen
Vorgang für parteitaktische Polemik mißbrauchen und
daß für Sie nicht das nationale Interesse im Vordergrund
steht, ist ein ungeheuerlicher Vorgang.
({4})
Dazu kann ich nur sagen: Was Sie machen, ist Fundamentalopposition. Fundamentalopposition gehört zwar
zur Rollenfindung, aber die kann lange dauern.
({5})
Das Wort zu einer
Zwischenintervention hat der Kollege Schäuble, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Bundesminister Hombach, wir wollen die Dinge nicht
komplizierter machen, als sie sind. Aber so wie Sie handeln, geht es nicht. Sie haben mich Anfang vergangener
Woche angerufen und mich gefragt, wie die Haltung der
Opposition in dieser - zugegeben: schwierigen - Frage
sei. Ich habe Ihnen gesagt: Bevor ich Ihnen eine Antwort darauf geben kann, hätte ich gerne, daß uns die Regierung in irgendeiner Form unterrichtet. Daraufhin haben Sie angeboten, daß Sie uns vertraulich unterrichten.
Diese Unterrichtung fand am Donnerstag statt. Daß wir
in unserer Entscheidung frei sind, wie Sie eingeräumt
haben, ist nicht der entscheidende Punkt.
Das Ergebnis der vertraulichen Unterrichtung war
eindeutig; dessen habe mich bei den damals anwesenden
Kollegen Glos, Rüttgers und Kinkel - in Vertretung von
Herrn Dr. Gerhardt - versichert. Das Gespräch in meinem Büro war am Donnerstag um 19.20 Uhr zu Ende.
Unser Informationsstand war, daß uns die Bundesregierung, vertreten durch den Herrn Bundesminister Hombach, Chef des Kanzleramtes, den Staatssekretär im
Bundesjustizministerium und andere, gesagt hat, man
wolle die Entscheidung über das Auslieferungsersuchen
vorläufig offenlassen. Man wolle keine Entscheidung in
der einen oder in der anderen Richtung treffen, um die
Gespräche nicht zu erschweren, Herrn Öcalan vor einen
Gerichtshof zu bringen.
Es wurde argumentiert: Wenn wir jetzt die Auslieferung nicht beantragen, handelt es sich um ein Fait
accompli. Aber wenn wir die Auslieferung beantragen,
dann wird sich niemand bewegen - so war Ihr Argument
-, daß der Prozeß irgendwo anders stattfinden kann. Das
war der Stand der Unterrichtung.
Wir haben Ihre Position zur Kenntnis genommen und
keine Einwände dagegen erhoben. Wir haben nur gesagt,
die Bundesregierung möge darauf achten, daß niemand
den Eindruck gewinne, daß die Bundesrepublik
Deutschland durch Androhung gewalttätiger Demonstrationen erpreßbar sei. Sie haben diesen Punkt positiv
aufgenommen und gesagt, er werde beachtet.
Am Freitag sind wir dann davon überrascht worden,
daß entgegen dem, was Sie uns als Haltung der Bundesregierung dargestellt hatten, der Bundeskanzler nach
dem Gespräch mit dem italienischen Ministerpräsidenten erklärt hat - ({0})
- Oder vorher; jedenfalls war es am Freitag vormittag.
Wir werden das noch ganz genau klären; denn es knüpfen sich daran Fragen, die Sie beantworten müssen. Am
Freitag vormittag hat der Bundeskanzler erklärt, die
Bundesrepublik Deutschland werde kein Auslieferungsersuchen stellen, das sei definitiv entschieden. Dies steht
im Gegensatz zu dem, was Sie uns etwa zwölf Stunden
vorher gesagt hatten.
({1})
Daran knüpft sich erstens die Frage, was vertrauliche
Unterrichtungen dieser Art wert sind. Die zweite Frage,
die sich daran knüpft, lautet: Welche rechtlichen Erwägungen hat die Bundesregierung, vertreten durch wen
und mit welcher Mitwirkung vom Bundesjustizministerium als dem zuständigen Ressort oder von anderen
Stellen, in der Zeit zwischen Donnerstag abend und
Freitag früh angestellt? Sie werden uns ja am Donnerstag abend nicht die Unwahrheit gesagt haben; das unterstelle ich Ihnen nicht. Also muß sich zwischen Donnerstag abend und Freitag vormittag etwas verändert haben. Wir hätten gerne gewußt, was sich verändert hat
und welche rechtlichen Erwägungen zu der Aussage des
Bundeskanzlers geführt haben. Es darf nämlich nicht der
Eindruck entstehen, daß in einer so delikaten Frage der
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nach
Gutsherrenart entscheidet und einfach sagt, ein Auslieferungsantrag werde nicht gestellt. - So etwas geht nicht.
Das ist der Vorgang.
({2})
Das Wort zu einer
Reaktion hat Bundesminister Hombach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Vorgang jetzt sogar etwas Gutes abgewinnen, weil dadurch
das, was in den letzten Tagen an Polemik über diese
Unterrichtung in Agenturmeldungen nachzulesen war,
aufgeklärt wird.
Tatsache ist, daß das Wesen dieser Unterrichtung dem haben wir auch entsprochen - darin bestand, daß
Sie alle Fakten zur eigenen Urteilsbildung von den drei
Beamten erfahren, die ganz gewiß nicht die Absicht
hatten, Ihre Urteilsfindung in diese oder jene Richtung
zu beeinflussen. Vielmehr stellten sie Ihnen das volle
Wissen - das ist das Wesen der Unterrichtung - zur Verfügung, das nötig ist, um diesen komplizierten Vorgang
beurteilen zu können.
Tatsächlich habe ich in der Darstellung der Optionen
- das ist völlig richtig - mehrere Varianten entwickelt,
die im wesentlichen darauf hinausliefen, daß wir einen
Gerichtsstandort suchen, damit Öcalan nach Möglichkeit nicht in Deutschland der Prozeß gemacht wird. Ich
glaube, daß die Zusammenhänge, die wir dazu dargelegt
hatten, auch Sie überzeugt haben; aber es ist Ihre Aufgabe, dies zu beurteilen.
Dazu gehörte, daß man sich bei dem Gespräch, das
am nächsten Tag zu führen war, Gewißheit darüber
verschaffen mußte, daß die Alternative nicht etwa
„Auslieferung an Deutschland oder Freilassung“ lautet,
was ja vorher auf Grund einiger Anmerkungen der italienischen Regierung im Raume stand. Als in diesem
Zusammenhang deutlich wurde, daß die Alternative in
der Tat nicht „Auslieferung an Deutschland oder Freilassung“ ist, und als klar wurde, daß man Wege im
internationalen Rahmen oder einen dritten Gerichtsstandort sucht oder gar, wie es das italienische Justizministerium gerade prüft, die Möglichkeit in Erwägung
zieht, einen Prozeß nach italienischem Recht vor einem
italienischen Gericht in Rom durchzuführen, da war die
Frage wieder offen.
Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Es wäre absurd gewesen, wenn ich versucht hätte oder Sie von mir erwartet hätten, daß ich die Gesprächsführung des Kanzlers
für den nächsten Tag vorwegnehme. Das ist erstens
nicht möglich, und zweitens hätte es auch gar keinen
Sinn gehabt. Von daher war das, was am Donnerstag
abend abgelaufen war, in keiner Weise eine Fehlunterrichtung, sondern Sie kannten die Faktenlage und die
Optionen, die dem Kanzler zur Verfügung standen. Ich
finde, daß er den denkbar besten Weg gefunden hat, im
nationalen Interesse mit dem Thema umzugehen.
({0})
Ich habe Ihnen auch gesagt - das gehört ebenfalls zur
Wahrheit -: Wenn Deutschland in dieser komplizierten
Verhandlungssituation den Verhandlungspartnern deutlich macht, daß wir hier den Prozeß durchführen, wenn
alle Stricke reißen, hätten wir keine Verhandlungen gebraucht, weil man sich sicher sein kann, daß dann alle
Stricke gerissen wären. Von daher ist der von Ihnen
konstruierte Gegensatz zwischen dem Hinweis, daß wir
ein Interesse daran hätten, daß Öcalan auf jeden Fall
seinen irdischen Richter findet, und der Aussage, ein
Prozeß in Deutschland stelle nur die letzte Möglichkeit
dar, denklogisch falsch.
({1})
Ich glaube, Sie wissen es.
({2})
Das Wort hat nun
der Kollege Cem Özdemir, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
({0})
- Entschuldigung. Zu einer nochmaligen Reaktion hat
das Wort der Kollege Schäuble.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um
Nachsicht; aber es ist ein Grundprinzip der parlamentarischen Demokratie, daß, wenn die Regierung im Parlament das Wort gehabt hat, die Vertreter des Parlamentes, insbesondere die der Opposition, darauf antworten
können.
Herr Bundesminister Hombach, ich will nicht, daß in
eine Situation, die nicht einfach ist, etwas hineininterpretiert wird, was so nicht richtig ist. Wir sollten bei der
Wahrheit bleiben.
({0})
Sie haben diesen Begriff ja eingeführt, und deswegen
muß ich darauf eingehen.
({1})
- Es waren viele Leute dabei.
Die Aussage der Bundesregierung am Ende der Unterrichtung am letzten Donnerstag war - Sie haben uns
über die Fakten informiert, Sie haben uns sogar die
diesbezügliche Rede des italienischen Ministerpräsidenten im italienischen Parlament übergeben; wir haben
sie fotokopieren lassen; das war alles in Ordnung, darüber brauchen wir nicht im einzelnen zu sprechen -, daß
sie eine Entscheidung über das Verfolgen des Auslieferungsersuchens zu diesem Zeitpunkt weder positiv noch
negativ treffen will.
Das habe ich vorhin hier festgestellt. Sie sollten nicht
in Frage stellen, daß dies Ihre Aussage gewesen ist. Andernfalls würden wir über die Wahrheit streiten. Für diesen Fall würden wir die Teilnehmer dieses Gespräches
einzeln befragen. Sie würden feststellen: Es war so und
nicht anders.
({2})
Herr Kollege Özdemir, jetzt haben Sie das Wort.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz
auf die aktuelle Diskussion eingehen, bevor ich zum eigentlichen Anlaß unseres heutigen Zusammenseins
spreche. Ich glaube, daß wir uns alle im Hohen Hause
weitgehend darin einig sind, daß Herr Öcalan für die
Taten, die ihm vorgeworfen werden, zur Rechenschaft
gezogen werden muß. Auf die eine oder andere Weise
muß sich Herr Öcalan dafür rechtfertigen. Denn eines ist
klar: Man kann nicht die Kleinen hängen und die Großen laufen lassen. Es wurden hier zu Recht Menschen
eingesperrt, die Abweichler umgebracht, Schutzgelder
erpreßt und Anschläge auf türkische Einrichtungen ausgeübt haben.
({0})
Wir haben diese Taten gemeinsam hier im Hause verurteilt. Darum ist es klar, daß der Verantwortliche der
PKK-Organisation dadurch, daß es durch seine Einreise
nach Italien dafür eine Chance gibt, auf die eine oder
andere Weise zur Rechenschaft gezogen werden muß.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen
weiteren Punkt feststellen. Die Diskussion wäre dann
unvollständig, wenn wir parallel dazu nicht auch sagen
würden, daß die Türkei jetzt die Chance hat, ihren Teil
der Aufgaben zu erfüllen und ihren Teil zur Lösung des
Problemes beizutragen. Damit kein neuer Abdullah
Öcalan und keine neue PKK entsteht, muß die Türkei
innerhalb ihrer Grenzen das Kurdenproblem mit demokratischen Mitteln lösen.
Wir wollen der Türkei gerne dabei helfen. In diesem
Punkt besteht Diskontinuität zur vorherigen Regierung.
Wir sagen prinzipiell ja zur Mitgliedschaft der Türkei in
der Europäischen Union. Aber wir wollen eine Türkei,
die die Menschenrechte einhält. Das ist der Teil, den die
Türkei zur Lösung des Problemes beitragen kann.
({1})
Jetzt komme ich zur Überleitung zu meinem eigentlichen Thema. Wir würden über das Thema PKK und
Öcalan ganz anders diskutieren, wenn wir früher gehandelt und dazu beigetragen hätten, die Nichtdeutschen in
diese Gesellschaft zu integretieren, einzubinden und einzubeziehen. Wenn wir ihnen früher das Gefühl gegeben
hätten, daß das ihre Gesellschaft ist, hätten wir das verhindern oder reduzieren können, was wir alle miteinander in dieser Gesellschaft bedauern, nämlich daß sich ein
Teil der Menschen nichtdeutscher Herkunft von der Gesellschaft abgewendet hat in Richtung Nationalismus
und religiösen Fundamentalismus. Das ist eine Minderheit; aber es gibt sie.
Deshalb bin ich froh, daß diese neue Regierung handeln und das Staatsangehörigkeitsrecht reformieren
wird. Es wird dazu beitragen, daß Kinder, die in dieser
Gesellschaft aufwachsen, zukünftig mit einem inländischen Bewußtsein groß werden. Auch das ist ein Teil
Prävention, damit eine Überidentifikation mit Konflikten aus dem Herkunftsland reduziert wird. Ich glaube,
das ist eine Sache, in der Sie uns unterstützen sollten.
({2})
Ich möchte etwas zum erfreulichen Teil sagen. Ich
begrüße es, daß sich die F.D.P. in den Chor derer ein622
reiht, die sagen, daß die Zuwanderung geregelt werden
muß, daß wir sie steuern und kontrollieren müssen. Wir
sind uns darüber im Prinzip über die Parteigrenzen hinweg einig. Ich muß allerdings dazu sagen: Sie machen
es uns als Regierungsabgeordnete leicht, Ihren Antrag
abzulehnen. Sie hätten es uns schwerer machen können,
Herr Kollege Westerwelle,
({3})
indem Sie ihn etwas anders formuliert hätten. Sie haben
im Grunde Ihren alten Antrag wieder neu aufgelegt. Dazu ist schon genug gesagt worden; die Kollegen haben
darauf hingewiesen. Die Verknüpfung mit der Familienzusammenführung, aber auch die Art, wie Sie die Wiederkehroption aufgenommen haben - über die Gesamtquote -, tragen wir als Regierung und natürlich
auch als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht mit. Von
daher werden wir diesem Antrag nicht zustimmen.
Trotzdem hoffe ich, daß wir in der weiteren Debatte,
spätestens dann, wenn wir unsere Hauptaufgabe in dieser Legislaturperiode im Bereich der Integrationspolitik,
nämlich ein neues Staatsangehörigkeitsrecht zu verabschieden, hinter uns gebracht haben, auf der Grundlage
der Zahlen, die uns dann vorliegen, überlegen: Wie sieht
der weitere Bedarf aus? Wie kann Zuwanderung geregelt werden? Welche gesetzlichen Instrumente brauchen
wir für die Zuwanderung? Haben wir alle Integrationsaufgaben gelöst? - Lassen Sie uns dann den Versuch
starten, diese Fragen über die Parteigrenzen hinweg zu
regeln! Wir sind dazu bereit; das ist ein ernstgemeintes
Angebot. Aber natürlich brauchen wir dafür eine Opposition, die dieses Angebot annimmt.
Lassen Sie mich zum Schluß, weil meine Redezeit
fast abgelaufen ist, noch ein bißchen in unsere Vergangenheit zurückblicken. Ich glaube, daß wir auf dem Gebiet, auf dem wir uns gegenwärtig bewegen, schon einmal weiter waren. Ich darf auf unverdächtige Zeugen
verweisen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf?
Gerne.
Herr Kollege, Sie haben
vorhin den Fall Öcalan angesprochen und gesagt, daß
die Bundesregierung aus Angst vor Leuten, die bei uns
im Land leben, auf ein Auslieferungsersuchen verzichtet
hat. Glauben Sie wirklich, daß Sie das Problem lösen,
indem Sie den Menschen, vor denen die Bundesregierung im eigenen Land Angst hat, die deutsche Staatsbürgerschaft geben?
({0})
Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege. Ich kann sie
Ihnen ganz klar beantworten.
Erstens. Wenn die Bundesregierung vor diesem Fall
Angst hätte, dann hätte die Bundesanwaltschaft den
Haftbefehl nicht noch um wichtige Tatbestände, die im
ersten Haftbefehl nicht enthalten waren, beispielsweise
Morde, erweitert.
Zweitens. Das Staatsangehörigkeitsrecht richtet sich
natürlich nicht an Menschen, die zu schwerer Gewalt
aufgerufen oder diese begangen haben. Das Staatsangehörigkeitsrecht richtet sich an Leute, die so bislang nicht
in Erscheinung getreten sind; das ist logisch und sagt
auch das bisherige Recht aus. Die anderen werden sich
ohne Frage vor Gerichten zu verantworten haben.
Zum Fall Öcalan. Ich glaube, Sie sollten einmal die
Äußerungen Ihrer Fraktionskollegen zu Rate ziehen. Die
meisten in Ihrer Fraktion haben sich nicht sehr viel anders geäußert als die Bundesregierung und die Abgeordneten, die den Regierungsfraktionen angehören, weil wir
alle die Probleme sehen. Ich glaube nicht, daß sich dieses Thema zum Populismus eignet.
({0})
Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir das Problem lösen können, wie wir die Ursachen beseitigen
können! Wir haben ein gemeinsames Interesse daran,
daß Öcalan zur Rechenschaft gezogen wird. Lassen Sie
uns da dranbleiben! Lassen Sie uns überlegen, wie wir
es schaffen, daß wir weder in der Bundesrepublik
Deutschland ein Problem erzeugen noch andere Länder
alleine lassen! Ich glaube, daß wir eine gute Lösung finden können.
Aber jetzt endgültig zum Schluß. Die Preußen, sicherlich unverdächtig und über jeden grünen Verdacht
erhaben - damals gab es noch nicht so viele Grüne -,
waren in dieser Frage schon weiter. Der Rat der Stadt
Frankfurt an der Oder fragte 1740 bei König Friedrich in
Potsdam an, ob es einem katholischen Kaufmann erlaubt
sei, sich in der evangelischen Stadt niederzulassen.
Friedrich der Große antwortete damals - ich zitiere -:
Alle religionen seindt gleich und guth, wan nur die
leute, so sie profesiren, ehrliche leute seindt - und
wenn Türken und Heiden kähmen und wollten das
landt populiren, so wollen wir sie Mosquen und
kirchen bauen.
Genauso hält es diese Regierung. Wir wollen die Integration in dieser Gesellschaft gestalten. Wenn uns die
Preußen dabei helfen, soll es uns recht sein.
({1})
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Westerwelle.
Herr Präsident, ich
habe mich für zwei kurze Bemerkungen gemeldet.
Die erste Bemerkung betrifft den Fall Öcalan. Hier
muß eine ausgesprochen schwierige Abwägungsentscheidung getroffen werden. Für jede Regierung wäre
die Schwierigkeit dieselbe. Dies sollten Sie aber auch
kenntlich machen. Eine Scheinlösung vorzutragen, die
Strafverfolgung zu vertagen, bis ein internationaler Gerichtshof, von dem wir wissen, daß er in absehbarer Zeit
nicht mit der Arbeit beginnt, die Verantwortung für diesen Fall übernimmt, ist in der Tat eine Irreführung der
Öffentlichkeit.
Wenn Sie sagen, es sei eine Abwägungsentscheidung,
dann begründen Sie es auch so vor der deutschen Öffentlichkeit! Es ist eine Abwägungsentscheidung zwischen dem Strafverfolgungsanspruch des Staates auf der
einen Seite und der Opportunität und der Berücksichtigung der inneren Sicherheit auf der anderen Seite.
Ein Zweites. Als ich das Thema heute morgen eingebracht habe, habe ich am Anfang meiner Rede gesagt:
Mich ärgert, daß in der öffentlichen Debatte so getan
wird, als seien alle jungen Ausländer „Mehmets“. Daß
über dieser Debatte jetzt der Schatten des Falles Öcalan
schwebt, finde ich ausgesprochen bedauerlich. Das ist
nicht vernünftig. Denn in der Öffentlichkeit entsteht der
Eindruck: Staatsangehörigkeit, Einwanderung, Zuwanderungsbegrenzung, all das habe nur etwas mit Kriminalitätsbekämpfung zu tun. Es geht nicht an, daß wir die
große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft, die in
Deutschland leben, kriminalisieren, indem wir sie bei
der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes oder bei der
Zuwanderungsbegrenzung in Haftung für die „Mehmets“ und Öcalans nehmen. Das ist nicht fair und dient
auch nicht dem, was wir politisch beabsichtigen.
({0})
Deswegen finde ich es sehr bedauerlich, daß die Debatte am Schluß diese Wendung genommen hat.
({1})
Der Fall Öcalan und der Fall „Mehmet“ haben mit der
Debatte um ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht in
Deutschland nichts zu tun. Es gibt den Fall Öcalan und
den Fall „Mehmet“, aber das hat nichts damit zu tun,
daß wir nicht trotzdem eine Modernisierung unseres
Staatsangehörigkeitsrechts - zugunsten der Kinder, die
hier geboren werden - dringend brauchen.
({2})
Das Wort zu einer
weiteren Kurzintervention hat Frau Kollegin LippmannKasten, PDS-Fraktion.
Ich interveniere zu
dem, was Herr Kollege Özdemir gesagt hat.
Herr Kollege, Sie haben hier zum Fall Öcalan sehr
einseitige Ausführungen gemacht. Sie haben zu Recht
gefordert, daß sich Herr Öcalan vor einem Gericht rechtfertigen müsse. An die Türkei haben Sie lediglich appelliert, sie solle die Chance nutzen, rechtsstaatliche
Verhältnisse einzuführen. Ich finde, dies ist absolut zu
kurz gegriffen.
Die bisherige deutsche Bundesregierung hat in den
vergangenen 16 Jahren den Krieg - und das ist es -, der
in Kurdistan geführt wurde, durch massive Rüstungslieferungen, durch massive Wirtschaftshilfe unterstützt und
vorangetrieben. Heute zu fordern, daß lediglich Herr
Öcalan als Führer der PKK auf die Anklagebank gehört,
nicht aber der zweite Kriegsaggressor, die Türkei, ist zu
kurz gegriffen, Herr Özdemir. Das bitte ich Sie zu bedenken.
({0})
Das Wort zu einer
Antwort hat Kollege Özdemir.
({0})
Ich
wurde gerade zu Recht darauf hingewiesen, daß das
Thema Öcalan nicht von uns eingeführt wurde. Aber bevor ich auf die Ausführungen des Kollegen Westerwelle
eingehe, möchte ich auf die PDS-Kollegin antworten.
Ich bin jemand, der von den türkischen Nationalisten
via türkische Presse sehr heftig attackiert wird, weil ich
angeblich kurdennah sei. Wenn mich die PDS angreift,
daß ich auf der anderen Seite stehe, dann ist das, was ich
mache, glaube ich, so falsch nicht. Ich denke, wir haben
allen Grund dazu, beide Seiten gleichermaßen zu kritisieren. Ich habe das bei jeder Gelegenheit gemacht. Das
wissen Sie, wenn Sie die Presse verfolgt haben. Als ich
damals beispielsweise die Einrichtung dieses Strafgerichtshofes vorgeschlagen habe, übrigens bereits sehr
frühzeitig - ich glaube, Herr van Essen hat diese Äußerung in einer Erklärung begrüßt -, habe ich ausdrücklich
gesagt, daß Herr Öcalan zur Rechenschaft gezogen werden muß.
Aber ich habe beispielsweise auch Herrn Necdet
Menzir genannt, den ehemaligen Polizeichef von Istanbul. Ich habe Mehmet Agar genannt, den ehemaligen
Innenminister der Republik Türkei, der, wie Sie wissen,
in Mafiaverbindungen und sonstige Machenschaften
verwickelt ist, die im türkischen Parlament aufgedeckt
worden sind. Ich habe den General der Putschisten des
Jahres 1980 in der Türkei genannt, Herrn Evren. Sie alle
müßten im Grunde für ihre schrecklichen Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden.
Gerade im Fall Necdet Menzir ist erwiesen, daß er selber aktiv an Folterungen teilgenommen hat. Eines seiner
Folteropfer ist in diesem Land gestorben.
Deshalb hoffe ich, daß eine demokratische Türkei eines Tages ihre Verfassung ändern wird und die Möglichkeit schafft, daß die Menschen, die diese Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben, zur Rechenschaft gezogen werden können. Dafür werden wir uns
einsetzen. Aber ich glaube nicht, daß die Sache besser
wird, wenn man - das machen leider manche von Ihnen
in der PDS - die eine Seite der Menschenrechtsverletzungen kritisiert und bei der anderen Seite wegschaut.
({0})
Aber jetzt zu den Äußerungen von Herrn Westerwelle. Sie haben recht mit dem, was Sie gesagt haben. Es ist
tatsächlich auch eine Abwägungsentscheidung. Die Regierung hat eben auch eine innenpolitische Aufgabe.
Wir haben eine Verantwortung für diese Gesellschaft,
für alle Menschen, die in dieser Gesellschaft leben. Ich
glaube nicht, daß die Bundesregierung es sich hier sehr
einfach gemacht hat. Sie merken an unseren Äußerungen, daß uns diese Sache sehr nahegeht. Wir werden
schauen müssen, daß wir beide Interessen unter einen
Hut bringen: auf der einen Seite das Interesse, daß der
Frieden in dieser Gesellschaft nicht bedroht wird, und
auf der anderen Seite das Interesse, daß wir die Chance
ergreifen, die darin liegt, daß Öcalan in Rom ist und
damit zur Rechenschaft gezogen werden kann, wodurch
gleichzeitig - das müssen wir im gleichen Atemzug sagen - jetzt das politische Problem in der Türkei gelöst
werden kann, das nicht gelöst werden konnte, solange
Herr Öcalan dort war. Diese Chance muß jetzt ergriffen
werden.
Darum ist der Vorschlag bezüglich des Strafgerichtshofes, Herr Kollege Westerwelle, keine Ausflucht,
sondern das ist ein wichtiger Vorschlag, eine gute Idee,
weil es das ist, was wir zukünftig brauchen werden. Wir
werden solche Fälle noch öfter haben. Je früher wir anfangen, weltweit die Instrumente zu schaffen, damit
Menschenrechtsverletzer, welcher Couleur, von welcher
Richtung und in welchem Land auch immer, zur Rechenschaft gezogen werden können, um so besser ist das
für die Zukunft der Menschen, die bei uns leben.
Letzter Punkt zu dem, was Sie bezüglich „Mehmet“
oder Muhlis bzw. Öcalan gesagt haben. Ich kann mich
dem, was Sie gesagt haben, völlig anschließen. Ich habe
das Problem, daß wir die Diskussion über dieses Thema
oft mit der Brille der 60er Jahre führen. Wir betrachten
die Zuwanderung nach wie vor als vorübergehende Erscheinung. Wir sehen nur die Probleme. Wir sehen nur
die Kriminellen, das heißt, wir sehen nur die Fälle, die
gescheitert sind. Was wir nicht sehen, sind die
90 Prozent, bei denen es klappt. Was wir nicht sehen, ist
der große Teil derer, bei denen das Zusammenleben erfolgreich funktioniert. Wir sehen nicht die Studenten
und die Studentinnen, rund 10 000 allein unter den Menschen türkischer Herkunft.
Herr Kollege, Sie
müssen zum Schluß kommen.
Ich
bin am Schluß.
Wir sehen nicht die Arbeitgeber, die zum Bruttosozialprodukt beitragen und Arbeitsplätze schaffen. Vielleicht sollten wir uns einmal darüber unterhalten, was
die Zuwanderung zu dieser Gesellschaft beigetragen hat.
Die Erfolgsgeschichte der Zuwanderung nach Deutschland, das sollte einmal ein Debattenthema im Bundestag
sein.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/48 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Maritta Böttcher, Rosel Neuhäuser, Rolf Kutzmutz
und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur solidarischen Ausbildungsfinanzierung ({0})
- Drucksache 14/14 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung und Forschung ({1})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Maritta Böttcher, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Sofortprogramm, mit dem
100 000 Jugendliche in Arbeit und Ausbildung gebracht
werden sollen, nimmt konkrete Gestalt an - so weit, so
gut. Kritisiert wird es vor allem von jenen, die die
Hauptverantwortung für die verfahrene Situation tragen
und in der Vergangenheit auch nichts anderes als Notprogramme zu bieten hatten, allerdings mit wesentlich
geringeren Ausmaßen. Das neue Sofortprogramm hat
tatsächlich andere Dimensionen, wird aber, so glaube
ich, ebensowenig ausreichen.
Die Zahlen der zum Stichtag 30. September nicht
vermittelten Bewerberinnen und Bewerber sprechen eine
deutliche Sprache. 1995 waren es 25 000, 1996 38 500,
1997 47 500 und 1998 36 000, wobei - das will ich hier
gleich sagen - das kein echter Rückgang zum Vorjahr
ist, sondern die Differenz nur dadurch entstanden ist,
daß 42 000 Jugendliche in Maßnahmen geschickt wurden, wodurch sie aus der Statistik fielen. Das heißt, der
rechnerische Ausgleich von Angebot und Nachfrage ist
seit 1996 nicht mehr gegeben.
An den Kapazitätsproblemen auf dem Lehrstellenmarkt wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist die Ausbildungsquote der Betriebe von
1990 bis 1996 von 7 auf 5,5 Prozent zurückgegangen.
Bei gleicher Ausbildungskraft der Betriebe wie vor acht
Jahren könnten heute 150 000 Jugendliche mehr eine
Chance bekommen. Besonders deutlich wird das Problem im Osten. Selbst in sogenannten Leuchttürmen wie
dem VW-Werk in Mosel stehen 6 000 Beschäftigten lediglich 200 Auszubildende gegenüber. Das ist eine
Quote von 3,3 Prozent.
In strukturarmen Gebieten wie dem Dreieck zwischen
Oschatz, Torgau und Döbeln, in dem 28 000 Menschen
arbeitslos sind, gibt es kaum noch Betriebe, die ausbilden können. Den 4 618 Bewerbern standen in diesem
Jahr lediglich 1 359 betriebliche Stellen gegenüber. Das
ist ein Rückgang von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch wenn die Zahl der staatlich geförderten Stellen zunimmt, werden in dieser Region etwa 2 000 Jugendliche ohne Ausbildung bleiben.
Aus dem Kinder- und Jugendbericht des Kultusministeriums von Mecklenburg-Vorpommern geht hervor,
daß sich 20 Prozent der Jugendlichen bei der Lehrstellensuche für chancenlos halten. Die Jugendlichen haben
ein Recht darauf, daß ihre existentiellen Probleme ernst
genommen werden, daß dauerhafte Lösungen gefunden
werden, die das Übel endlich an der Wurzel packen.
Auch das neue Sofortprogramm kann hier höchstens
Übergänge schaffen.
Zu welchen Ergebnissen hat beispielsweise der Ausbildungskonsens in Nordrhein-Westfalen geführt?
Zum 30. September 1997, also im zweiten Jahr des Ausbildungskonsenses, gab es dort nur noch rund 78 Prozent
des Ausbildungsplatzangebots von 1990, dafür aber 105
Prozent Nachfrage. Die Zahl derer, die in Berufsvorbereitungsmaßnahmen gingen, waren in den letzten beiden
Jahren um das Zweieinhalbfache höher als 1990. In berufsbildende Schulen gingen im letzten Jahr 43 Prozent
mehr und in allgemeinbildenden Schulen verblieben 74
Prozent mehr als 1990. Und fast 20 Prozent mehr gingen
ohne Ausbildung in Arbeit.
Wenn man diese Fakten schlicht und einfach zur
Kenntnis nimmt, muß festgestellt werden, daß seit der
Vereinbarung des Ausbildungskonsenses keine Entschärfung, sondern eine Verschärfung des Problems eingetreten ist.
({0})
Zu keiner Zeit in den letzten 10 Jahren war das Land
Nordrhein-Westfalen weiter davon entfernt, alle Jugendlichen, die ausgebildet werden wollen, mit Ausbildungsplätzen zu versorgen.
Die entscheidende Ursache der Ausbildungskrise ist
also weder vorrangig in der demographischen Entwicklung noch in den angeblich immer bildungsunfähigeren
Jugendlichen zu suchen. Der entscheidende Punkt ist der
Rückzug der Unternehmen aus der Berufsausbildung.
({1})
Gründe dafür kann man dem IAB-Betriebspanel des
Landes Brandenburg entnehmen. Ein Mangel an geeigneten Bewerbern wird dort - entgegen landläufigen Behauptungen - nur von 5 Prozent der ausbildungsberechtigten Betriebe als Ausbildungshemmnis genannt. Und
eben auf dieses Problem reagiert der Vorschlag einer
Umlagefinanzierung. Das heißt schlicht und einfach:
Alle Betriebe, die ihrer verfassungsmäßigen Pflicht nicht
nachkommen, müssen in Zukunft diese Verpflichtung
erfüllen.
({2})
Wir wollen mit diesem Gesetz eine solidarische Gesellschaft schaffen. Wir wollen, daß die Betriebe, die
ihren Ausbildungsverpflichtungen nicht nachkommen,
in einen Fonds einzahlen und daß die, die ihre Ausbildungspflicht übererfüllen, daraus Geld bekommen.
({3})
Die Opposition war sich in der letzten Wahlperiode
hinsichtlich dieses Themas mit vielen anderen Partnerinnen und Partnern schon einmal einig. Wir halten es
für notwendig, das Thema erneut auf die Tagesordnung
zu setzen, um dem jährlichen Krisenmanagement endlich ein Ende zu machen.
({4})
Sollte das Bündnis für Arbeit tatsächlich schnell zu
verbindlichen und nachhaltigen Problemlösungen kommen, um so besser. Einen Gesetzentwurf kann man ja
auch, wenn er erledigt ist, zurückziehen. Anderenfalls
könnte eine Expertenkommission die bereits vorliegenden Vorschläge, also auch die von Bündnis 90/Die Grünen und SPD der vergangenen Wahlperiode und unseren, nämlich die Vorschläge zur Umlagefinanzierung so
weit aufbereiten, daß dann wenigstens im nächsten Jahr
Nägel mit Köpfen gemacht werden können. Ich glaube,
meine Damen und Herren, das ist unsere verfassungsmäßige Pflicht.
({5})
Das Wort hat der
Kollege Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Im Plenum des Deutschen Bundestages hat es schon immer - und seit der deutschen Einheit zunehmend - heftige Debatten über die Lehrstellensituation gegeben: zuerst besonders über die ostdeutschen Probleme und seit drei Jahren vermehrt über die
gesamtdeutschen Probleme auf diesem Sektor. Dabei
haben wir uns insbesondere des Schicksals der betroffenen Jugendlichen angenommen. Wer sich wie wir Bildung für alle und Chancengleichheit auf die Fahnen geschrieben hat, der kann gar nicht anders, als sich für jeden einzelnen zu engagieren. Der mag Lehrstellendefizite bei Ausländern, bei Mädchen oder in Ostdeutschland auch nicht als gegeben hinnehmen, sondern überlegt permanent, wie man das Lehrstellenproblem als Gesamtproblem beheben kann.
Deshalb haben wir - ich sage das bewußt; wir bekennen uns auch dazu - das Problem der Lehrstellen zu
einem Wahlkampfthema gemacht. Heute können wir uns
nicht nur darüber freuen, daß die Bürger uns dieses Engagement abgenommen haben, sondern auch darüber,
daß wir tatsächlich etwas zur Behebung und zur Linderung des Lehrstellenproblems tun können.
Erst in der letzten Woche hat die Bundesbildungsministerin gemeinsam mit ihrem Kollegen aus dem Bundesarbeitsministerium öffentlich das Programm zur
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aus der Taufe
gehoben.
({0})
- Das Ministerium ist vertreten, Herr Kollege van
Essen. - 2 Milliarden DM werden damit bewegt. Das ist
ein Betrag, der bei diesem Thema bisher noch nie zur
Debatte gestanden hat. Daß das Thema Lehrstellen und
dieser hohe Betrag heute zur Debatte stehen, zeigt, für
wie wichtig wir es halten.
({1})
Das ist ein Betrag, von dem der Vorgänger der Frau Ministerin Bulmahn, Herr Rüttgers, nur träumen konnte.
Für 10 000 Jugendliche wird ein außerbetrieblicher
Ausbildungsplatz geschaffen. 20 000 werden in ABMaßnahmen zusätzlich qualifiziert. Weitere 25 000 erhalten eine Nach- und eine Zusatzqualifikation.
Über diese Maßnahmen würden wir mit Ihnen hier
gerne diskutieren, auch über die Notwendigkeit und
Konkretisierung von Modernisierungsmaßnahmen beispielsweise in der beruflichen Bildung und über die
Schaffung von Basisqualifikationen, um den Betrieben
in ihrer Ausbildungsneigung entgegenkommen zu können. Aber das scheint ein Punkt zu sein, meine Damen
und Herren von der PDS, der Sie gar nicht interessiert.
({2})
Für uns steht der ausbildungsplatzsuchende Jugendliche im Mittelpunkt unserer Sorgen. Sie aber, meine
Damen und Herren von der PDS, kümmern sich um abstrakte Gesetzentwürfe,
({3})
offenbar - ich kann das gar nicht anders interpretieren einzig mit dem Ziel, in der öffentlichen Diskussion von
den tatsächlich zu treffenden Maßnahmen in diesem
Sektor abzulenken.
({4})
- Ich möchte Sie wirklich davor warnen, die Gefühle der
betroffenen Jugendlichen zu instrumentalisieren.
({5})
Denn wir wissen um das schreckliche Gefühl von Jugendlichen, nicht gebraucht zu werden. Da kann uns
niemand von Ihnen etwas vormachen. Ich kenne diese
Thematik. Wir können das auch entsprechenden Briefen
entnehmen. Es ist ein schreckliches Gefühl, wenn man
50 Bewerbungen schreibt und eintütet und 50mal als
Antwort bekommt, daß man leider nicht gebraucht wird.
Das kann so nicht weitergehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Böttcher?
Ja.
Herr Kollege Hilsberg, ich
möchte Ihnen eine ganz einfache Frage stellen. Sie
waren gestern im Ausschuß dabei, als die Bildungsministerin uns ihre Vorstellungen unterbreitet hat, wie sie
- natürlich mit den dazugehörigen Fraktionen - das Problem lösen will. Unter anderem hat sie sehr leidenschaftlich - wie ich Edelgard Bulmahn kenne, wofür ich
mich auch heute noch einmal bei ihr bedanken möchte;
es waren eine ganze Menge gute Ideen - und lange über
das duale System gesprochen. Auf das duale System in
der Berufsausbildung wollen und können wir in
Deutschland sehr stolz sein; da gab es auch von niemandem Widerspruch.
({0})
Nun frage ich Sie: Wieso sagen Sie jetzt „Das einzig
Richtige ist die außerbetriebliche Ausbildung“? Sie
sagen: Wir stellen Mittel für die außer- oder überbetriebliche Ausbildung ein. Sie widersprechen sich selbst. Ich
frage Sie: Meinen Sie nicht, daß unser Gesetzentwurf
genau dem Inhalt Ihres Gesetzentwurfes entspricht, den
Sie hier in der letzten Wahlperiode eingebracht haben?
Ad eins. Sie haben mich
offenbar gar nicht richtig verstanden. Ich habe von
notwendigen Modernisierungsmaßnahmen, Flexibilisierungsmaßnahmen, Basisqualifikation etc. gesprochen
und nie davon, daß außerbetriebliche Maßnahmen die
einzige Lösung seien.
Ad zwei. Zu Ihrem Gesetzentwurf komme ich gleich.
Gestatten Sie mir bitte, daß ich meine Ausführungen
fortsetze.
({0})
Ich denke auch - und das ist wichtig -, daß eine ganz
wesentliche Rolle das „Bündnis für Arbeit und Ausbildung“ spielen muß. Diesen Titel hat das Bündnis zu
Recht; denn es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Verringerung von Arbeitslosigkeit einerseits
und dem Schaffen neuer Ausbildungsplätze andererseits.
Betriebe, die mehr Mitarbeiter brauchen, benötigen
schlicht auch mehr Nachwuchs. Also schaffen die Betriebe, wenn sie sich von ihrem ökonomischen Interesse
leiten lassen, auch mehr Lehrstellen. Über diesen ZuStephan Hilsberg
sammenhang, meine Damen und Herren von der PDS,
würde ich mit Ihnen hier gerne einmal diskutieren. Aber
ich glaube, dazu sind Sie weder bereit noch in der Lage.
({1})
Die Tatsache - das kann man erfreulicherweise anmerken -, daß Sie sich mit Ihrem Gesetzentwurf auf unseren zubewegt haben, mag uns zwar ehren; ich weiß
aber auch, wie Sie das mit solchen Sachen machen. Dies
ist nicht der einzige Fall, daß Sie bei anderen Parteien
abschreiben. Die Grünen beispielsweise können ein Lied
davon singen. Passagenweise haben Sie aus dem Programm der Grünen zitiert und das in Ihre eigenen Programme hineingeschrieben,
({2})
ohne es allerdings, wie man das redlicherweise hätte tun
müssen, in Anführungszeichen zu setzen und ohne den
Urheber dahinterzuschreiben, damit man wirklich sehen
kann, wie die Partei heißt, die man an Ihrer Stelle
eigentlich hätte wählen sollen.
Die Sache ist doch offenbar: Sie wollen sich mit
einem ökologischen, modernen, linkssozialistischen
Etikett versehen, um das eigentlich postkommunistische
Wesen dieser Partei zu verbergen.
({3})
Dafür muß ich doch nicht in das Rostocker Manifest
blicken. Das alte kommunistische Denken schaut doch
überall immer wieder durch.
({4})
Es wird Sie überraschen: Wir verleugnen unseren
ehemaligen Gesetzentwurf überhaupt nicht.
({5})
- Genau das ist der Punkt: Wenn man mit Ihnen über
diese Themen diskutiert, kommt man immerfort auf
Grundsatzprobleme zu sprechen. Sie glauben doch in
Wirklichkeit überhaupt nicht, daß man im Rahmen der
sozialen Marktwirtschaft Existenzprobleme wirklich beheben kann, daß man zur Chancengleichheit beitragen
kann. Sie denken doch in Systemkategorien. Es ist doch
der Herr Holter, der gesagt hat, man müsse das System
grundsätzlich ändern. Der Herr Gysi erklärt auf Parteitagen, wieso man Systemopposition weitermachen kann,
wenn man gleichzeitig in der Regierung ist. Das ist doch
Ihre Argumentation, und das ist alte kommunistische
Ideologie. Das kann ich nicht anders sehen.
Ich sage sehr deutlich: Wir verleugnen unseren ehemaligen Gesetzentwurf nicht. Wir haben ihn auch nicht
ins Archiv versenkt; denn wir wissen um die Probleme
des dualen Systems. Wir wissen, daß eines der Probleme
die Diskrepanz zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben ist. Das nenne ich die Gerechtigkeitslücke.
Diese Diskrepanz ist übrigens in Ostdeutschland viel
stärker zu beobachten als in Westdeutschland. Sie spielen sich ja immer so gerne als die Experten für ostdeutsche Probleme auf. Dann versuchen Sie doch einmal zu
erklären, warum die Diskrepanz gerade in Ostdeutschland so groß ist. Kommen Sie mir nicht mit dem scheinbar solidarischen Denken in Ostdeutschland, wie das
Herr Reißig oder André Brie immerfort so gerne diskutieren! Sie meinen, daß die ostdeutsche Stimmungslage
eigentlich die modernere ist.
Für meine Begriffe steckt dahinter häufig nur eine
einzige Haltung. Viele Unternehmer sagen: Mir schenkt
der Staat nichts, also schenke auch ich dem Staat nichts.
- Mit dieser Haltung werden Sie in der Tat nicht weiterkommen. Die Unternehmen, die so denken, werden sich
in ihr eigenes Fleisch schneiden.
({6})
Ich betone noch einmal: Mit ideologischen Debatten und
parteipolitischen Instrumentalisierungen kommen wir
nicht weiter.
({7})
Als wir unseren Gesetzentwurf geschrieben haben,
hatten wir die Gerechtigkeitslücke des dualen Systems
im Blick. Dies kann sich in der Tat immer noch zu einen
Krebsgeschwür auswachsen. Die alte Bundesregierung
hat das nicht begriffen, und sie hat das auch nicht behandelt. Im Gegenteil, Herr Rüttgers hat sich immer hier
hingestellt und davon gesprochen, das Problem sei gelöst - als ob es völlig normal ist, daß 15 Prozent der Jugendlichen in diesem Land überhaupt keine Chance auf
eine Lehrstelle haben. Dazu gehören Mädchen, Ausländer und Benachteiligte. An dieses Problem müssen wir
in der Tat herangehen. Sie von der Opposition haben
sich dabei in der Vergangenheit in die Tasche gelogen.
Die Gerechtigkeitslücke besteht weiter. Sie ist aber
nicht das einzige Problem.
Herr Kollege,
denken Sie bitte an die Zeit!
Einen Gedanken noch. Sollte das wieder zu einem Kardinalproblem werden,
dann werden wir unseren Gesetzentwurf aus der Schublade holen. So wie wir jetzt das Bündnis für Arbeit angehen und für die Jugendlichen neue Chancen suchen
und vermitteln, genauso würden wir diesen Gesetzentwurf im Bedarfsfall so durchziehen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Lensing.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Herr
Hilsberg, nur eine Vorbemerkung: Bei Ihren Abgrenzungsbemühungen gegenüber der PDS war ich ganz auf
Ihrer Seite. Aber ich verstehe nicht, wie Sie vor diesem
Hintergrund und bei dieser Überzeugung in Mecklenburg-Vorpommern bereit sind, mit der PDS eine Koalition zu bilden.
({0})
Bevor ich jetzt zum Inhalt und zur Bewertung des
von der PDS eingebrachten Gesetzentwurfes zur solidarischen Ausbildungsfinanzierung komme, gestatten Sie
mir vor dem Hintergrund der langen Diskussionen auch
während der 13. Legislaturperiode folgende Vorbemerkungen grundsätzlicher Art zum besseren Verständnis:
These eins. In der nunmehr über 20jährigen, immer
wieder auflebenden Diskussion um eine Reform der Berufsausbildungsfinanzierung sind zahlreiche Modelle auf
ihr Für und Wider abgeklopft worden, mit der Folge,
daß bis heute nichts Probates an möglichen Veränderungen benannt werden konnte, weil die jetzige Praxis - bei
allen Mängeln - nachweislich noch immer die beste ist.
These zwei. In der von der PDS erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November
1980 zum Finanzierungsrahmen der Regierung Schmidt
wird davon ausgegangen, daß es sich hierbei um ein
Verfassungsgebot handelt. Tatsächlich sagt das Bundesinstitut für Berufsbildung, daß das Bundesverfassungsgerichtsurteil festlegt, daß de facto und auf Dauer
keine Finanzierung dieser Art vorgenommen werden
kann.
Es ist auch richtig, wenn ich alle Zahlen betrachte,
daß in Deutschland etwa zwei Drittel aller ausbildungsberechtigten Betriebe der Pflicht zur Ausbildung nachkommen. Vor dem Hintergrund dieser zwei Thesen und
einer bald 20jährigen Erfahrung kommen nur zwei Kriterien in Betracht, mit denen eine qualifizierte Lehrlingsausbildung gefördert werden kann. Das sind zum
einen das Prinzip der Freiwilligkeit und zum anderen die
aus eigenem Antrieb und aus eigener Einsicht erwachsene Bereitschaft zur Kooperation.
({1})
Doch die PDS, nach wie vor an einer planwirtschaftlich gesteuerten und überbordenden Staatsapparatspolitik orientiert,
({2})
greift heute auf ihren verstaubten, aus der alten Legislaturperiode stammenden Antrag zurück.
({3})
Weil die SPD gemeinsam mit dem DGB und anderen
interessengleichen Verbänden mit ihren Horrorprognosen zur Lehrstellensituation noch nie recht hatte, mahnt
sie auch jetzt wieder einen völlig falschen Handlungsbedarf an. So werden doch in ihrem Altentwurf und in
ihrer Altbegründung alle aktuellen Fakten geleugnet, die
sich mühelos wie folgt auflisten lassen:
Erstens. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge steigt seit 1994 deutlich an.
({4})
Zweitens. Seit gut zwei Jahren hat sich auch das Angebot an Ausbildungsplätzen stetig vergrößert.
Drittens. Die Zahl der unvermittelten Bewerber am
Stichtag 1. Oktober 1998 ist binnen Monatsfrist um
115 000 auf 35 900 zusammengeschmolzen, und dies
auf einem Niveau, das im Vergleich zum dem des Vorjahres um 25 Prozent niedriger ausfällt und das heute,
am 3. Dezember, noch deutlicher darunter liegen wird.
Die endgültigen Zahlen werden wir in der nächsten Woche als Bestätigung meiner Aussage erfahren.
({5})
Viertens. Gleichzeitig waren am 1. Oktober 1998
mehr als 23 300 bei den Arbeitsämtern gemeldete Lehrstellen offen.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nahles?
Ja, bitte.
Herr Kollege, wie erklären
Sie es sich - wenn Sie hier die ganzen Zahlenkolonnen
vorlesen -, daß die Ausbildungsquote, also die Anzahl
der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze der
Unternehmen, in den 80er Jahren bei 8,6 Prozent lag und
mittlerweile bei 5,3 Prozent liegt? Es ist ganz klar, daß
die Zahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze massiv reduziert worden ist. Wie erklären Sie sich
vor diesem Hintergrund die Tatenlosigkeit auf seiten der
CDU/CSU im Hinblick auf die Ausbildungsfrage in den
letzten Jahren?
Die letzte Bemerkung, Frau Kollegin, ist völlig wahrheitswidrig. Deshalb
dürfen Sie sie hier so auch nicht bringen.
({0})
Der Wahrheit eine Gasse, meine Damen und Herren!.
Des weiteren muß man zur Kenntnis nehmen, daß das
eine andere Frage ist als die nach der Ausbildungsfinanzierung. In Deutschland sind insgesamt - ich muß wohl
besser sagen: lediglich - 54 Prozent aller Betriebe ausbildungsberechtigt. Diese Zahl hat sich reduziert. Aber
wir haben auch eine neue Situation - wenn Sie die Gesamtzahlen betrachten und sie mit denen der 80er Jahren
vergleichen -, nämlich die des zusammengewachsenen
Deutschlands. Dazu kommt die Situation - gerade was
die ehemalige DDR angeht -, daß dort unter der unglückseligen Regierung der SED der gesamte Mittelstand ruiniert worden ist,
({1})
so daß es jetzt die allergrößte Mühe kostet, das nachwachsende Handwerk überhaupt dazu zu gewinnen auch was die finanziellen Voraussetzungen angeht -,
Ausbildungsplätze anzubieten.
({2})
Ich freue mich, daß ich, wie ich Ihrem Gesicht ansehe,
zu Ihrer Zufriedenheit habe antworten können.
Die nächste These, meine Damen und Herren: Das
Handwerk baut - gerade vor dem Hintergrund dessen,
was gefragt wurde, möchte ich es noch einmal deutlich
sagen - ein beachtliches Plus von 1,5 Prozent an Lehrstellen aus. Ich will allerdings nicht die Nöte in den neuen Bundesländern verschweigen; darüber habe ich gerade gesprochen.
Nächste These: Der DIHT ermittelte im Jahr 1998
bundesweit bei den Ausbildungsplätzen sogar einen bemerkenswerten und höchst anerkennenswerten Zuwachs
von 8,4 Prozent. Die deutsche Wirtschaft - das muß man
hier auch sagen dürfen - erreicht damit punktgenau ihre
eigenen freiwilligen Vorgaben von 25 000 zusätzlichen
Ausbildungsverträgen.
({3})
Vor diesem Hintergrund - das müßten eigentlich
auch die eifrigsten Umlagebefürworter einsehen - ist eine Bestrafung der deutschen Wirtschaft durch die Einführung einer Zwangsumlage ein außerordentliches falsches, weil in höchstem Maße kontraproduktives Signal.
({4})
Jetzt, meine Damen und Herren, kommt aus meiner
Sicht das Spannendste: Mir scheint, die von mir belegte
Faktenlage hat inzwischen erfreulicherweise selbst die
neue Bundesregierung realisiert,
({5})
fällt doch bei der Lektüre der Koalitionsvereinbarung von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf, daß im Vergleich
zu den seitenlangen Erörterungen zur Drogen- und Suchtbekämpfung sowie zur Frauen- und Umweltpolitik das
Thema „Berufsausbildung“ ausgesprochen sparsam behandelt wird. Dabei findet die Ausbildungsplatzabgabe,
die doch in der vorigen Legislaturperiode so sehr gefordert wurde, kaum noch Berücksichtigung. Herr Hilsberg
hat dies gerade mit seinen Aussagen belegt.
Ich denke, das liegt daran, daß auch SPD und Grüne
eingesehen haben, daß man aus den entsprechenden
Voten in den öffentlichen Anhörungen, aus der eindeutigen Stimmungslage in der deutschen Wirtschaft, aus
der unzweifelhaften Ablehnung aller Wirtschaftsminister aller Länder und aus der ebenso deutlichen Ablehnung des neuen Kanzlers, des Sachverständigenrates
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, vieler Wissenschaftler und sogar einiger Gewerkschaften lernen kann. Gleichwohl - ich sage es ausdrücklich - ist die Zurückhaltung der neuen Bundesregierung bei der ehemals so heißgeliebten umlagefinanzierten Berufsausbildung lobenswert und hoffentlich
zum Wohle unserer Jugendlichen von Dauer.
({6})
Die Umlagefinanzierung à la PDS hilft uns hingegen
in keiner Weise weiter. Vielmehr würde sie die angespannte Situation in den neuen Bundesländern noch in
unverantwortlicher Weise verschärfen und folgende
Probleme vorprogrammieren: einen Rückzug der Betriebe aus der Ausbildung, eine Reduzierung des Lehrstellenangebots auf den jeweiligen betrieblichen Eigenbedarf und zudem eine - das macht mir besonders Sorge schleichende Verlagerung der Berufsausbildung weg
von der echten, weil betrieblichen Ausbildung hin zur
fondsfinanzierten Ausbildung in überbetrieblichen Einrichtungen.
({7})
Ich könnte mich mit dem PDS-Antrag noch weiter
auseinandersetzen, wenn dieser Antrag nach all den unendlichen Diskussionen in der vergangenen Legislaturperiode heute einige Fragen beantwortet hätte, die beispielhaft lauten: Nach welchen Kriterien will man eine
eindeutige Bemessungsgrundlage oder eine gerechte
Höhe des Abgabensatzes finden? Wer soll die erforderlichen komplexen Angaben der Betriebe erstellen? Wer
kann sie überhaupt kontrollieren? Durch welche Maßnahmen will man die berufsstrukturelle Fehlsteuerung
abwenden? Wie will man die in solchen Berufen fehlausgebildeten Jugendlichen am Arbeitsmarkt unterbringen? Vor allen Dingen, meine Damen und Herren: Wie
will man über eine Ausbildungsfinanzierung das problematische Wahlverhalten der Jugendlichen nachträglich verändern?
({8})
Deswegen komme ich zu dem Schluß: Eine von oben
verordnete Umlage führt zu einer Bestrafung einer Vielzahl von kleinen und mittelständischen Unternehmen,
die ohnehin schon in finanziellen Schwierigkeiten stekken.
({9})
Eines möchte ich noch sagen dürfen, meine Damen
und Herren: Ich bin sehr der Auffassung, daß jedes Plädoyer, endlich der ausufernden Bürokratie zum Wohle
des Wirtschaftsstandorts Deutschland Einhalt zu gebieten, durch den vorliegenden Gesetzentwurf der PDS zur
Farce gerät. Auch der Sachverständigenrat hat sich sehr
eindeutig dagegen ausgesprochen.
Was mir aber auch besonders am Herzen liegt, ist
folgendes. Wir alle wissen, daß die Wirtschaft immer
von dem Klima abhängig ist, in dem sie sich zu entwikkeln hat. Zu den Signalen, die die neue Bundesregierung
jetzt auf weiter Flur setzt, kann ich in der Tat nur sagen,
daß das momentane rotgrüne Chaos in der Steuerpolitik,
das jegliches Fassungsvermögen der Bürgerinnen und
Bürger deutlich übersteigt, in keiner Weise ein Klima
schaffen wird, in dem man bereit ist, zusätzliche Ausbildungsplätze bereitzustellen. Das ist das eigentliche Problem.
({10})
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne, ich freue mich
immer über entsprechende Fragen.
Frau Neuhäuser.
Herr Kollege Lensing, Sie
haben unseren Gesetzentwurf sicher in einigen Teilen
mißverstanden. Dies entnehme ich Ihren letzten Worten
dazu. Ich habe eine Frage: Sie haben gesagt, unser Gesetzentwurf zur Umlagefinanzierung wäre ein Ausdruck
der Planwirtschaft. War die Umlagefinanzierung, die die
CDU-Regierung 1950 eingeführt hat, auch ein Ausdruck
der Planwirtschaft?
Ich stelle erstens fest,
daß Sie sich offensichtlich auf dem zeitlichen Niveau
von 1950, das heißt, von vor 48 Jahren, bewegen.
({0})
Zweitens. Wenn Sie diese Vorlagen von 1950 wirklich studiert haben, werden Sie festgestellt haben, daß
man sie nach sieben Monaten wieder zurückgenommen
hat, weil es sich als nicht systemgerecht und als nicht
verantwortungsvoll herausgestellt hat, so etwas von
oben zu verordnen. Den gleichen Fehler wiederholen Sie
nach 48 Jahren. Und wie ich die PDS kenne, werden Sie
sich in abermals 50 Jahren auch nicht anders verhalten.
({1})
Ich möchte meinen Beitrag mit folgenden zwei Feststellungen zusammenfassen: Allein die einzelbetriebliche und die eigenverantwortliche Finanzierung der Berufsausbildung steht mit unserem marktwirtschaftlich
ausgerichteten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in
Harmonie und Einklang. Eine gesetzlich erzwungene
Änderung dieses Grundprinzips würde hingegen zu erheblichen Störungen führen und den Bestand unseres
dualen Systems insgesamt in Frage stellen. Insofern sagen wir nicht nur aus irgendwelchen Erwägungen der
Opposition, sondern aus tiefster Überzeugung, daß die
von der PDS wiederum verfolgte Zwangsumlage genau
das falsche Signal zu einem Zeitpunkt ist, in dem Rotgrün dem deutschen Mittelstand ohnehin die größten
Probleme bereiten wird.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Lensing, Sie kuscheln sich richtig in Ihrer alten Vergangenheit ein: Es sind die alten Kampfbegriffe, es sind die
alten Gräben, es sind die alten Gewohnheiten.
({0})
Ich habe in dieser Debatte nicht einmal argumentativ
etwas zu befürchten, weil Sie die alten Argumente, die
Sie als solche angeführt haben, die aber keine sind, wieder aufgebrüht haben.
({1})
Sie sprechen von Freiwilligkeit und Kooperation, die
man bei der Wirtschaft bräuchte, um sich der Lehrlingsausbildung anzunehmen. Das setzt meines Wissens aber
Erkenntnis voraus. Wenn man sich dieser verweigert, ist
man zu Freiwilligkeit und Kooperation nicht fähig. Wir
werden sehen, was die Gespräche zum Bündnis für Arbeit erbringen.
Damit komme ich auf den Weg, den wir beschreiten
wollen, und darauf, warum wir ihn beschreiten wollen
und warum Ihr Antrag von der PDS ein oppositioneller
Schnellschuß ist und überhaupt nicht zur Problemlösung
beiträgt. Der Zeitplan muß es natürlich erst einmal ermöglichen, des ganzen Wirrwarrs, der in den letzten
zehn Jahren von der alten Regierung im Bereich der Berufsausbildung angerichtet worden ist, Herr zu werden.
Deswegen werden einige Sonderprogramme zunächst
einmal unberührt bleiben müssen. Man wird aber zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, um in
den nächsten Monaten Fortschritte zu erzielen.
({2})
Hierbei kommen wir auf das Klima. Es gibt nämlich
auch ein Bedürfnis nach einem guten Klima, in dem sich
eine junge Generation entwickeln kann. Es kann nicht
immer nur um das gute Klima für die Wirtschaft gehen.
({3})
Es muß auch um das gute Klima für die Menschen, die
in diesem Lande leben, gehen können. Das ist eine der
Kernfragen.
Ich erinnere mich sehr genau: Auch Sie haben zu den
Kritikern gehört und gesagt, man müsse dieses Gesetz
sofort beschließen. Ich habe damals vorgeschlagen: Lassen Sie uns noch ein letztes Mal reden, und zwar, sagen
wir, mit einem gewissen Druck zu Erkenntnisbereitschaft auch seitens der Wirtschaft.
({4})
So haben wir damals argumentiert. Diese Argumentation
halten wir jetzt durch, indem wir mit dem Sofortprogramm erste Schritte unternehmen, um die wirklich
schwierige Situation abzupolstern. Auf der anderen Seite
müssen wir uns aber, je nachdem, welche Ergebnisse
das Bündnis für Arbeit in dieser Frage erbringt, im Laufe dieser Legislaturperiode weitere Schritte natürlich
vorbehalten. Das wissen Sie ganz genau.
({5})
Insofern finde ich es schade, wenn hier weiter nur alte
Argumente angeführt werden. Herr Lensing stellt sich
hierher wie der Hohepriester einer veralteten Religion.
({6})
Er spricht davon, daß die absolute Anzahl der Ausbildungsverträge angestiegen sei. Das ist richtig. Aber die
absolute Zahl derer, die eine Ausbildung brauchen, hat
sich in derselben Zeit verdreifacht.
({7})
Wenn der Aufwuchs beim Angebot von Ausbildungsplätzen so gering, aber bei den jungen Leuten, die Ausbildungsplätze brauchen, so stark ist, dann können Sie
mir nicht erzählen, daß sich die Lage erholt hat. Das
trifft überhaupt nicht zu.
({8})
Ich komme noch einmal auf ein paar Vorschläge zurück, die wir in unserem Sofortprogramm unterbreiten.
Es wurde kritisiert, man hebe auf außerbetriebliche
Ausbildung ab, die in der Tat keine gute, sondern eine
schlechte Lösung ist, weil sie dazu führt, daß diejenigen,
die außerbetriebliche Ausbildungsmaßnahmen durchlaufen, im allgemeinen schlechtere Arbeitsmarktchancen
haben als diejenigen, die eine ordentliche Ausbildung
durchlaufen können.
Dies wird in unserem Sofortprogramm deutlich herausgehoben. Keiner strebt die Verstärkung oder Stabilisierung außerbetrieblicher Maßnahmen an. Keiner
spricht davon, aber Sie unterstellen das.
Frau Kollegin von der PDS, es wäre übrigens nützlich, Sie würden unterscheiden lernen, was überbetriebliche und was außerbetriebliche Ausbildung ist. Die
überbetriebliche Ausbildung ist notwendig, in einigen
Berufszweigen unumgänglich und eine ganz normale
Ausbildungsform des dualen Ausbildungssystems.
({9})
Die Verstetigung der außerbetrieblichen Ausbildung
hingegen wurde von der alten Regierung in den letzten
zehn Jahren als Notlösung angeboten. Das machen wir
nicht. Aber natürlich müssen wir einen Übergangszeitraum haben, um das in geordneter Art und Weise zu ändern. Ich sage Ihnen eines, Kollegen von der PDS: Ich
hätte gedacht, bis zur Weihnachtspause wäre es das Vorrecht der Koalition, eine gewisse hektische Betriebsamkeit zu entfalten. Aber Sie haben das heute getoppt.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Cornelia Pieper.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion und ich finden, daß sich das Thema der Schaffung von Ausbildungsplätzen für junge Menschen nicht dazu eignet, sich
über Ideologien zu streiten und zu versuchen, politische
Kontroversen an Hand von Ideologien auszutragen.
({0})
Ich finde, die Zukunftschancen junger Menschen sollten
uns allen am Herzen liegen. Wir werden unsere Konzepte für die Schaffung von Ausbildungsplätzen weiterhin verfolgen.
({1})
Frau Hermenau, die alte Koalition - das wissen Sie
genau - hat die außerbetriebliche Ausbildung nicht als
einzige Lösung angesehen, um Ausbildungsplätze zu
schaffen. Im Gegenteil, wir haben jungen Menschen
durch die Sonderprogramme die Chance geboten, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Ansonsten
hätten sie nämlich keinen Ausbildungsplatz gehabt.
({2})
Darüber hinaus will ich konkret auf den Gesetzentwurf der PDS eingehen. Das ist in der Debatte bislang
vernachlässigt worden. Was wollen nun die Kollegen
von der PDS? Meine Damen und Herren, sie wollen, daß
Unternehmen, Betriebe und Praxen durch Gesetz verpflichtet werden, eine Berufsausbildungsumlage in Höhe
eines an den tatsächlichen betrieblichen Nettoausbildungskosten eines Jahres orientierten Hebesatzes zu
zahlen. Das bedeutet eine Ausbildungsumlage entsprechend der Bruttowertschöpfung eines Betriebes. Dies
erinnert mich sehr stark an die Diskussion über eine
Wertschöpfungsabgabe für leistungsstarke Betriebe im
Rahmen der Steuerreformdebatte.
Meine Damen und Herren von der PDS, ich sage Ihnen: Sie haben ein gestörtes Verhältnis zu leistungsstarken und wettbewerbsfähigen Betrieben in diesem Land.
({3})
Ich frage mich, warum gerade Sie immer wieder diese
Betriebe in Frage stellen, die doch die meisten Arbeitsund Ausbildungsplätze in diesem Land schaffen. Ich
frage mich, ob Sie überhaupt wissen, wie ein Ausbildungs- oder Arbeitsplatz entsteht.
({4})
Dazu gehören nämlich unternehmerischer Mut und Risiko. Mir fällt dabei ein, daß über eine halbe Million mittelständischer Unternehmer mit geringer Eigenkapitaldecke in den neuen Bundesländern seit der Wende ein
großes Risiko eingegangen sind und in sozialer Verantwortung Ausbildungsplätze geschaffen haben. Ich denke, das sollte man gerade von Ihrer Seite aus nicht ignorieren.
({5})
Ihr Gesetzentwurf unterstellt Firmen, Freiberuflern
und dem Handwerk, daß sie grundsätzlich nicht ausbilden wollen. Aber es gibt viele Gründe, warum diese
nicht ausbilden können beziehungsweise nicht dürfen.
Das wissen auch Sie. In der Tat ist es so, wie der Kollege
von der CDU/CSU-Fraktion gesagt hat: Die Anzahl
neuer Ausbildungsverträge ist immerhin um 8,3 Prozent
gestiegen; auch in den neuen Bundesländern liegt die
Quote höher als früher. Das heißt nicht - da gebe ich Ihnen recht -, daß wir das Problem fehlender Ausbildungsplätze gelöst haben. Ich plädiere aber dafür, gemeinsam daran zu arbeiten.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Antje
Hermenau?
Nein, ich gestatte keine
Zwischenfrage, weil ich noch auf einen wesentlichen
Punkt meiner Ausführungen zu sprechen kommen
möchte.
Meine Damen und Herren, wir schaffen nicht mehr
Ausbildungsplätze, indem wir einem Gesetz zustimmen,
das letztendlich dem Motto folgt: Wer ausbildet, muß
zahlen. Das bringt keine Ausbildungsplätze, sondern
vernichtet Ausbildungsplätze.
({0})
Noch viel schlimmer ist, daß Sie die Unternehmen mit
mehr Bürokratie belasten. Kammern und Wirtschaftsverbände haben ausgerechnet, daß für dieses gesetzliche
Monstrum Bürokratiekosten in Höhe von 3 bis 6 Milliarden DM entstehen. Das können wir doch nicht wollen.
Der Gesetzentwurf der PDS ist ein ungeschickter populistischer Versuch, noch vor dem Treffen des Bündnisses für Arbeit und Ausbildung die Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen.
({1})
Davon halten wir von der F.D.P. nichts. Wir finden, ein
Ausbildungsplatz ist die beste Sozialpolitik für einen
jungen Menschen. Hier sind wir alle und insbesondere
auch die Bildungspolitiker gefordert. Wir müssen die
Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Ausbildung
schon in der Schule verbessern.
({2})
Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze für eher praktisch
begabte junge Menschen und einfache zweijährige Ausbildungsberufe; für dreijährige Ausbildungsberufe muß
verstärkt eine Stufenausbildung angeboten werden, die
bereits nach zwei Jahren die Möglichkeit zu einem berufsbefähigenden Abschluß eröffnet.
({3})
Es bedarf also modularer Ausbildungskonzepte, betriebsnaher und flexibler Ausbildungszeiten, moderner
Ausbildungsverordnungen und Berufsbilder. Darin liegt
letztendlich die Lösung des Problems.
Meine Damen und Herren von der PDS, liebe Kollegen, in Frankreich gibt es seit 25 Jahren eine Ausbildungsplatzabgabe. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt dort
bei 25 Prozent. Das zeigt, wie sehr Ihr Konzept auch bei
uns fehlschlagen würde.
({4})
Ich sage Ihnen: Die beste Ausbildungsplatzpolitik ist eine ordentliche Mittelstandspolitik und eine Politik, die
zur Senkung von Steuern und Abgaben führt.
Vielen Dank.
({5})
Frau Kollegin,
ich möchte Ihnen - auch im Namen des ganzen Hauses
- zu Ihrer ersten Rede gratulieren. Ihre Fraktion hat Ihnen ja schon Blumen geschenkt.
({0})
Zu einer Kurzintervention erhält jetzt die Kollegin
Antje Hermenau das Wort.
Da die Frau Kollegin Pieper erst seit kurzem an den Debatten über die Ausbildungsplätze im Deutschen Bundestag teilnimmt, erlaube ich mir, noch einmal auf einen
Sachverhalt, den sie dargestellt hat, einzugehen.
Frau Pieper, Sie haben behauptet, daß es gerade den
mittelständischen Unternehmen im Osten Deutschlands
große Schwierigkeiten bereiten würde - ich will nicht
mißverstanden werden, ich verteidige nicht diesen Gesetzentwurf, aber es geht um das Prinzip der Umlage -,
wenn eine solche Umlage erhoben würde. Unsere Recherchen und vor allen Dingen auch Gespräche - ich bin
selbst Mitglied einer sächsischen Mittelstandsvereinigung - haben zutage gebracht, daß es nach der Einführung einer Umlagefinanzierung zwei große Finanzströme geben wird. Der eine Finanzstrom fließt von Großunternehmen zu mittelständischen Unternehmen, die also finanziell davon profitieren.
({0})
Der zweite Finanzstrom fließt innerhalb der Branchen
aus dem Westen in den Osten. Deswegen, Frau Pieper,
empfehle ich Ihnen, daß Sie sich auch dieser Gesprächsebene einmal zuwenden, damit wir uns darüber unterhalten können und in dieser Debatte weiter vorankommen können. Ich halte es für wichtig, hier in bezug auf
den Mittelstand keine Nebelkerzen zu werfen, so wie Sie
es gerade getan haben.
({1})
Frau Kollegin,
Sie haben das Recht, zu antworten. Auch Ihnen stehen
drei Minuten zur Verfügung. Sie haben also Zeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Hermenau, ich darf Sie daran
erinnern, daß Sie in einer Regierungskoalition sind. In
der Koalitionsvereinbarung, die Sie selbst unterzeichnet
haben, steht nichts von einer Ausbildungsplatzabgabe
oder -umlage. Das ist die Auffassung des Bundeskanzlers Ihrer Regierung; das will ich hier noch einmal so
deutlich sagen.
Sie können mit uns über jede gute Maßnahme, die
dazu beiträgt, einen Ausbildungsplatz zu schaffen, diskutieren.
({0})
Die F.D.P.-Fraktion ist vehement der Auffassung - da
folgen wir dem Vorbild anderer europäischer Länder -,
daß die radikale Senkung von Steuern und Abgaben
letztlich mehr Investitionen und mehr Ausbildungs- und
Arbeitsplätze für dieses Land schaffen wird.
Darüber hinaus glaube ich nicht, daß uns allen damit
geholfen ist, daß man leistungsstarke Betriebe durch
Mehrabgaben belastet und dadurch letztendlich zusätzliche Lohnkosten und zusätzliche Bürokratiekosten verursacht. Ich habe das bereits ausgeführt. Dazu gibt es von
den Wirtschaftsverbänden und den Kammern einschlägige, überzeugende Berechnungen. Damit ist jungen
Menschen nicht geholfen. Wir wollen Ausbildungsplätze schaffen und sie nicht durch eine Umlage bzw. Abgabe vernichten.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Willi Brase.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Seit 1991 ist in den alten Ländern jeder vierte Ausbildungsplatz gestrichen worden, und zwar nicht nur in
industriellen Großbetrieben, sondern auch im Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich. Im Handwerk, das
traditionell über Bedarf ausbildet, ist die Ausbildungsneigung zurückgegangen. Heute bilden viel zu wenige
Betriebe aus. Die Schere zwischen Ausbildungsplatznachfrage und -angebot öffnet sich weiter. Die neue
Bundesregierung hat die Bekämpfung dieser Ausbildungskatastrophe zur Chefsache erklärt. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sie dabei nach allen Kräften unterstützen.
({0})
Dabei werden wir nicht aus dem Auge verlieren, daß
nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives
Problem existiert; ich nenne die Krise des dualen Systems als Stichwort. Meine Damen und Herren von der
PDS-Fraktion, das qualitative Problem ist mitnichten
allein durch eine Ausbildungsplatzumlage zu lösen. Die
Bundesregierung setzt völlig zu Recht auf ein differenziertes Maßnahmenbündel.
An erster Stelle steht dabei die Schaffung verbesserter Rahmenbedingungen für Wachstum und Strukturwandel und damit für Beschäftigung. Zum zweiten geht
es um die Reform der Ausbildungsordnungen. Ich bin
Ministerin Bulmahn dankbar für das große Gewicht, das
sie gestern im Ausschuß auf die Stichworte „neue Lernkultur“ und „Schlüsselqualifikationen“ gelegt hat.
({1})
Die lernende Gesellschaft, das lernende Unternehmen, die lernende Verwaltung, lebenslanges Lernen - all
das sind Schicksalsfragen der Zukunft unseres Landes.
Dabei ist auch die Reform der Ausbildungsordnungen
angesprochen. Ich halte die qualitative Frage für mindestens ebenso wichtig wie die quantitative.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lensing?
Ja.
Herr Kollege Brase,
wenn es so ist, wie Sie das alles darstellen,
({0})
und wenn die an sich nicht maßgebliche Meinung des
Kollegen Tauss Sie darin noch bestätigt, daß alles so
katastrophal ist, dann ist mir noch nicht klar - das wurde
es im übrigen auch nicht durch Ihren Beitrag, Frau Hermenau; aber das hatte ich erst gar nicht erwartet -, warum Sie die Ausbildungsplatzabgabe,
({1})
die Ihre Fraktion das letzte Mal hier so vehement gefordert hat, zunächst auf Eis gelegt haben; denn wenn das
alles stimmt, was Sie sagen und was Sie in der vorherigen Legislaturperiode vorgetragen haben, dann müßten
Sie jetzt mit unglaublicher Begeisterung gerade diese
Ausbildungsplatzabgabe fordern. Jetzt haben Sie die
Mehrheit - verstärkt noch durch die PDS - , um sie
durchzusetzen.
Herr Abgeordneter Lensing, ich
danke Ihnen für Ihre Frage. Ich möchte darauf verweisen, daß ich im Zuge meiner weiteren Darstellungen auf
Ihre Frage eingehen werde, indem ich verdeutliche,
warum wir bestimmte Fakten und veränderte Situationen
zur Kenntnis nehmen und uns entsprechend anders verhalten werden.
({0})
Die alte Bundesregierung hat sehr viel von Eliten gesprochen. So wichtig diese auch sind, behaupte ich: Die
Frage, ob wir die lernende Gesellschaft schaffen können, hängt ganz entscheidend davon ab, ob dieser qualitative Sprung auch im Bereich der beruflichen Bildung
erreicht werden kann.
({1})
Nicht minder entscheidend ist das Sofortprogramm
für 100 000 Jugendliche. An diesem Programm wird es
keine Abstriche und Veränderungen geben. Dafür steht
die neue Regierung im Wort.
({2})
So wichtig dabei Selbstverpflichtungen der Betriebe und
der Verwaltungen auch sind, ein von der Politik angebotener erster Schritt ist unverzichtbar. Ohne staatliche
Maßnahmen und Aktivitäten kann das Steuer nicht herumgeworfen werden. Dieses sind wir aber mit unserer
Politik den jungen Menschen schuldig.
({3})
Wir sind aber dagegen, alles auf den Staat abzuschieben. Wir setzen ganz entscheidend auf Lösungen, die
im Konsens mit den Partnern des dualen Systems der
beruflichen Bildung erreicht werden.
({4})
Hier besteht eine grundsätzliche Differenz zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der PDS. Ich widerspreche der
PDS ganz nachdrücklich, daß solche konsensualen
Strategien - ich zitiere aus dem Gesetzentwurf -, „sich
als völlig ungenügend erwiesen“ haben. In meiner Region Siegen-Wittgenstein-Olpe bin ich seit Jahren an dem
Zustandebringen solcher Lösungen aktiv beteiligt. Ich
kann - ebenfalls seit Jahren - positiven Vollzug melden. - Dies ist nicht zuletzt durch die tatkräftige Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen möglich
gewesen. Das Stichwort „Ausbildungskonsens“ sei in
diesem Zusammenhang angemerkt.({5})
So konnte im Arbeitsamtsbezirk meines Wahlkreises jetzt beantworte ich Ihre Frage, verehrter Herr Kollege Lensing - von den Akteuren des dualen Systems die
Zahl der neu eingetragenen Ausbildungsverhältnisse im
verarbeitenden Gewerbe, ohne das Handwerk, um über
15,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr durch Differenzierung, durch Gemeinsamkeit und durch Konsens erhöht
werden. Genau das ist der richtige Weg.
({6})
Es wäre eben verfehlt, den Lösungen im Konsens mit
der Wirtschaft staatliche Zwangsmaßnahmen vorauszusetzen. Insbesondere ist es politisch geradezu kontraproduktiv - um nicht zu sagen: unpolitisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS -, das Bündnis für Arbeit und Ausbildung, dem sich die neue Regierung verpflichtet fühlt, mit solchen Vorgaben zu belasten. Allerdings muß dieses Bündnis auch zum erklärten Ziel haben, gemeinsam mit Wirtschaft, öffentlicher Hand und
Gewerkschaften zu präzisen Vereinbarungen über Wege
und Mittel zur dauerhaften Schließung der Ausbildungsplatzlücke zu kommen.
({7})
Herr Kollege,
es besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage. Möchten Sie sie beantworten?
Ja, bitte schön.
Bitte.
Herr Kollege, Sie wie auch
Ihre Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen haben wiederholt auf das Bündnis für Arbeit verwiesen. Dieses
Thema ist ja nicht neu auf der Tagesordnung. Meine
Frage lautet: Worin sehen Sie den qualitativen Unterschied des Bündnisses für Arbeit? Warum verweigern
Sie den Betroffenenorganisationen, etwa den Jugendbündnissen oder den Arbeitslosenorganisationen, die
Teilnahme an diesem Bündnis?
Herr Kollege, ich sehe den qualitativen Unterschied darin, daß in einem Bündnis für
Arbeit entsprechende Maßnahmen und Aktivitäten auf
der Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens zwischen
den beteiligten Partnern beschlossen werden können.
Dieses können wir aus den Beispielen in den Niederlanden und auch in Dänemark lernen und mit auf den Weg
nehmen.
({0})
Ich glaube, daß die Jugendlichen, vor allen Dingen
durch die Arbeit und Tätigkeit der Gewerkschaften, aber
sicherlich auch durch die Arbeit der Unternehmensverbände, entsprechend in diesem Bündnis vertreten sind.
Eines muß aber klar sein: Gesetzgeberische Maßnahmen wie die Ausbildungsplatzumlage sind in letzter Instanz dann unverzichtbar, wenn Lösungen im Konsens nicht zustande kommen bzw. wenn sie nicht greifen.
({1})
Entscheidend ist also, daß wir im Bündnis für Arbeit den
richtigen Weg vorbereiten. Gelingt dies nicht, sind andere Maßnahmen zu ergreifen.
({2})
Mein Fazit: Ich bin davon überzeugt, daß uns erstens
dieses Bündel von Maßnahmen im Bündnis für Arbeit
und zweitens in dieser Stufenfolge zum Erfolg verhelfen
kann. Es wäre verfehlt, sich bei einer Konzentration auf
einen einzelnen Punkt zu verkämpfen. Dies ist der
Grund, warum wir den Entwurf der PDS ablehnen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich möchte
auch Ihnen, Herr Kollege Brase, im Namen des Hauses
zu Ihrer ersten Rede sowie dazu gratulieren, daß Sie
gleich zwei Zwischenfragen zugelassen haben. Das war
doch immerhin mutig.
({0})
Zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Kollege
Gregor Gysi das Wort.
Frau Präsidentin! Ich
möchte zunächst noch etwas zum Redebeitrag der Kollegin Pieper sagen. Sie haben erklärt, daß unser Gesetzentwurf letztlich die Wirtschaft bestrafe und die Unternehmen zusätzlich belaste und daß die Unternehmen
dies nicht vertrügen. Ich weise darauf hin, daß unser
Anliegen ein genau umgekehrtes ist: Wir haben nämlich
400 000 ausbildende Betriebe, die ständig benachteiligt
werden.
({0})
Andere hingegen, die nicht ausbilden, stellen dann die
ausgebildeten Kräfte ein. Wie erklären Sie eigentlich einem Bäckermeister, der die Kosten und die Mühe aufwendet, fünf Lehrlinge auszubilden - die sind in den alten wie in den neuen Bundesländern sehr aktiv -, daß
nachher die Großbäckereien die ausgebildeten Leute
einstellen, ohne sich je an den Ausbildungskosten beteiligt zu haben? Das ist das eigentliche Problem. Deshalb
ist unser Gesetzentwurf - entgegen Ihren Darstellungen - für die Betriebe gedacht, die ausbilden. Und diejenigen Betriebe, die nicht ausbilden, aber die ausgebildeten Leute in Anspruch nehmen, sollen sich dann
wenigstens an den Kosten beteiligen, damit die Betriebe,
die zur Ausbildung bereit sind, noch mehr als heute ausbilden können.
({1})
Das entspricht der Idee der Solidarität, und deshalb ist
das eine Maßnahme für die Wirtschaft.
Lassen Sie mich nun noch eine Bemerkung zu dem
machen, was Herr Brase und auch Frau Hermenau gesagt haben. Sie haben hier von „Schnellschuß“ gesprochen. Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie zu einem viel
früheren Zeitpunkt, also noch viel schneller, als es heute
bei uns der Fall ist - damals allerdings mit SPD und
PDS zusammen -, schon solche Gesetzentwürfe im
Bundestag eingebracht haben? Sie wissen doch, daß
auch beim Bündnis für Arbeit juristisch Verbindliches
letztlich nicht herauskommen kann. Ein solches Gesetz
aber würde sogar ein Bündnis für Arbeit beschleunigen.
Sie weichen nur dem Druck des Kanzlers, der das nicht
wollte, und sind nicht bereit, das zuzugeben. Das ist das
ganze Problem.
({2})
Ich gebe der
Kollegin Pieper die Möglichkeit zu antworten, aber
nicht allen drei angesprochenen Kollegen, weil dies zu
lange dauern würde.
Vielen Dank, Frau Präsidentin; ich mache es ganz kurz.
Herr Gysi, ich erinnere Sie daran, daß ich hier von
Fakten und Zahlen gesprochen habe, die letztlich eine
Berechnungsgrundlage auch für die Umlage sind, die
Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen. Ich bleibe also
dabei: Die Betriebe - Unternehmen, Handwerker, Freiberufler, Praxen - werden bei einer Umlage durch zusätzliche Lohnnebenkosten und höhere Bürokratieaufwendungen belastet.
Ich erinnere Sie ferner daran, daß die PDS, die auch
in Sachsen-Anhalt der SPD eine komfortable Mehrheit
verschafft, gerade dabei ist, die Zuschüsse zur beruflichen Bildung, die für die kleinen und mittelständischen
Firmen sowie für die Handwerksbetriebe wichtig sind,
damit Ausbildungsplätze geschaffen werden können, zu
kürzen und zu streichen.
({0})
Nein, es ist
keine Debatte nach der Debatte zugelassen. Deswegen
schließe ich jetzt die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/14 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander-
weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Evelyn Kenzler, Roland Claus, Sabine Jünger,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes
({0})
- Drucksache 14/65 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({1})
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Evelyn Kenzler, Roland Claus, Sabine Jünger,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Änderung der Nutzungsentgeltverordnung NutzEV
- Drucksache 14/63 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({2})
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Evelyn Kenzler.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Hunderttausende, ja
Millionen ostdeutscher Grundstücksnutzer und EigenVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
tümer von Baulichkeiten warten seit der Bundestagswahl vergeblich auf ein Zeichen der neuen Bundesregierung in Richtung Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung und zumindest auf ein Einfrieren der unverhältnismäßig gestiegenen Nutzungsentgelte. Weder Koalitionsvereinbarung noch Regierungserklärung enthielten jedoch hierzu Aussagen.
Warum besteht aus Sicht der Betroffenen unverzüglicher gesetzlicher Handlungsbedarf? Die Überführung
ostdeutscher Grundstücksverhältnisse in die bundesdeutsche Rechtsordnung hat zu einem komplizierten und
schier unüberschaubaren Gesetzeswerk im Umfang des
BGB geführt. Ungeachtet dieser Quantität ist es jedoch
bisher nicht gelungen, einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen Grundstücksnutzern und -eigentümern herbeizuführen.
Bei der Anpassung ostdeutscher Eigentumsverhältnisse wurde das Eigentum des Nutzers an Baulichkeiten,
Einrichtungen und Anpflanzungen schlechter gestellt als
das des Grundstückseigentümers. Diese offensichtlich
gesetzgeberisch gewollte Benachteiligung zur Erreichung einheitlicher Eigentumsverhältnisse an Grund und
Boden sowie Aufbauten zeigt sich erstens an einer faktisch fehlenden Entschädigung des Nutzers für Aufbauten bei Kündigung aus finanziellen Gründen, Gesundheits- oder Altersgründen, zweitens an der hälftigen
Beteiligung an Abrißkosten bei Kündigung, drittens an
einem doppelt so hohen Pachtzins für baulich genutzte
Grundstücke, obwohl die Eigentümer in aller Regel an
der Wertschöpfung des Grundstücks nicht beteiligt waren, und viertens an den seit 1993 stark gestiegenen
Pachtzinsen, die oft höher als bei vergleichbaren Grundstücken in den westlichen Bundesländern liegen.
Hunderttausende von Nutzern mußten deshalb bereits
trotz großer finanzieller Einbußen ihre Verträge kündigen. Weitere Zehntausende - wenn nicht Hunderttausende - stehen unmittelbar vor der Aufgabe. Sie befinden sich einerseits in der prekären Situation, die hohen
Entgelte auf Grund ihrer bescheidenen Einkommensverhältnisse nicht mehr aufbringen zu können. Andererseits
würde eine Kündigung keinen Entschädigungsanspruch,
statt dessen jedoch drohende Abrißkosten mit sich bringen.
Um dieser massenhaften Vertreibung ostdeutscher
Grundstücksnutzer zumindest Einhalt zu gebieten, besteht unverzüglicher Regelungsbedarf.
({0})
Der von der PDS vorgelegte Entwurf zur Änderung des
Schuldrechtsanpassungsgesetzes und der Antrag auf
Änderung der Nutzungsentgeltverordnung greifen die
wichtigsten Forderungen der ostdeutschen Nutzerverbände auf diesem Gebiet auf und bewegen sich in die
gleiche Richtung wie der SPD-Antrag zu mehr Nutzerschutz vom März 1997. Um eine wirkliche Entlastung
zu erreichen, schlagen wir deshalb vor, die Erhöhung
der Entgelte auf 1 Prozent der jährlichen Verzinsung des
Bodenwertes, jedoch auf maximal 1,60 DM pro Quadratmeter zu begrenzen.
({1})
Anderen Vorschlägen, die auf eine sozialverträgliche
Begrenzung der Entgelte gerichtet sind, stehen wir allerdings offen gegenüber.
Diese Maßnahmen können nur dann wirksam greifen,
wenn sie zugleich von Änderungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes flankiert sind, die darauf abzielen,
die vorhandene Eigentumsbenachteiligung des Grundstücksnutzers aufzuheben. Dazu gehört vorrangig eine
Gleichstellung hinsichtlich der Rechtsfolgen bei
Kündigung der Nutzer, indem diese für ihr Eigentum
entschädigt und zugleich von den hälftigen Abrißkosten
befreit werden. Hinzu kommt - vor dem Hintergrund der
erhöhten Entgelte - die Möglichkeit der Kündigung einer Teilfläche ab einer bestimmten Größe, soweit diese
abtrennbar und selbständig nutzbar ist, sowie die Befreiung vom Pachtzins für nicht nutzbare Flächen ab einer
Grundstücksgröße von 500 Quadratmetern. Mit diesen
Vorschlägen sind zugleich auch die berechtigten Interessen der Grundstückseigentümer an der Verwertung ihrer
Grundstücke angemessen berücksichtigt, ohne die ostdeutschen Nutzer jedoch weiterhin hoffnungslos zu
überfordern.
Der zugegebenermaßen schwierige Prozeß der
Rechtsanpassung in diesem Bereich darf nicht weiter in
der Weise gestaltet werden, daß das Auseinanderfallen
des Eigentums an Boden und Baulichkeiten einseitig zu
Lasten der Nutzer gelöst wird und damit eine ostdeutsche Entpachtung der betroffenen Grundstücke bis zum
Auslaufen des Kündigungsschutzes vorprogrammiert ist.
({2})
Wir stimmen mit der Einschätzung des VDGN überein, daß die langfristige Nutzung von Pachtland durch
die Eigentümer der Baulichkeiten aus sozialen, kommunikativen und ökologischen Gründen kein Auslauf-,
sondern ein gesamtdeutsches Zukunftsmodell ist, und
hoffen im Interesse der Beteiligten auf kurzfristige, nicht
von parteipolitischen Interessen diktierte Lösungen.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim Hacker.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch im neunten Jahr der deutschen Einheit ist die Diskussion um die Eigentums- und
Vermögensfragen in den neuen Ländern nicht abgeschlossen. Die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen sowie die übergeordneten Landesämter sitzen
weiterhin auf einem Berg unerledigter Vorgänge. Zunehmend werden auch die Gerichte mit entsprechenden
Vorgängen befaßt.
Die vorliegenden parlamentarischen Initiativen der
PDS-Fraktion befassen sich mit Problemen des Nutzerschutzes, bei dem auch die SPD-Bundestagsfraktion Regelungsbedarf sieht. Wir verlieren die Sache nicht aus
dem Blick. Wir sehen hier allerdings keinen typischen
Konflikt zwischen West und Ost, Frau Kenzler, wie es
von Ihnen gerne dargestellt wird. Das ist auch ein Konflikt zwischen Ost und Ost.
({0})
Entscheidend sind für uns auch nicht allein Parteitagsbeschlüsse. Uns geht es vielmehr auch in dieser Legislaturperiode darum, hier im Deutschen Bundestag Gesetze zu schaffen, die endgültig zu einer befriedigenden
Lösung führen.
({1})
Frau Kenzler, dies ist aber nur eine kleine Spitze. Sie
kritisieren die Situation, die wir vorfinden; dem schließe
ich mich an. Sie sollten aber die Ursachenforschung
nicht vergessen, die Frage, warum es in der Zeit der
deutschen Teilung zu diesen schweren Eigentumsverwerfungen gekommen ist.
({2})
Eine befriedigende Lösung der Nutzerschutzproblematik, die die gewachsenen und von den Nutzern
nicht beeinflußbaren Lebensrealitäten während der
DDR-Zeit berücksichtigt hätte, hat die alte Bundesregierung leider nicht zu Wege gebracht. Vielmehr hat sich
im Zuge der Anwendung der Bestimmungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes gezeigt, daß wegen gesetzlicher Defizite und praktischer Fragen der Gesetzesanwendung dringender Novellierungsbedarf besteht.
Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Legislaturperiode parlamentarische Initiativen und Bundesratsvorlagen beraten, ohne daß es zu einer abschließenden Entscheidung gekommen ist. Dies lag im wesentlichen darin begründet, daß es der damaligen Bundesregierung nicht gelungen war, rechtzeitig vor Ende der
Legislaturperiode mit den Ländern eine abschließende
Klärung bezüglich der Immobilienrechtsfragen herbeizuführen. Das gehört zu dem Gesamtpaket, das der
Deutsche Bundestag in dieser Legislaturperiode schnüren muß.
Wir müssen uns dem Thema „Nutzerschutz in den
neuen Ländern“ zu Beginn dieser Legislaturperiode
stellen. Dabei muß uns allen klar sein: Es ist voraussichtlich die letzte Novellierung. Daher muß die Gesetzgebung mit Sorgfalt betrieben werden; es darf keine
weitere Reparaturgesetzgebung geben.
Es geht jetzt also darum, einen Ausgleich zwischen
den offensichtlich unterschiedlichen Interessen von
Grundstückseigentümern und -nutzern zu erreichen. Wir
wollen im weitesten Sinne Gerechtigkeit für beide Seiten schaffen.
({3})
Dabei sind für uns zwei Kriterien ganz entscheidend: erstens die Anerkennung von Verfügungs- und Nutzungsrealitäten auf redlicher Grundlage, wie sie sich in den
Jahren der Teilung herausgebildet haben und mit denen
eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern in den
neuen Ländern Lebensleistungen verbindet, und zweitens der Schutz von Eigentumsrechten, den auch und gerade der Deutsche Bundestag gewährleisten muß. Wir
dürfen Eigentümer nicht auf das Bundesverfassungsgericht verweisen, wenn sie zu ihrem Recht kommen
wollen.
({4})
Wir würden allen Beteiligten Steine statt Brot geben,
wenn wir in diesem Hause Regelungen erlassen würden,
die nicht verfassungskonform sind.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau dies
ist das Spannungsfeld, in dem sich der Gesetzentwurf
und der Antrag der PDS bewegen. An dieser Stelle kann
ich nur auf einige Aspekte eingehen, die sich aus den
vorliegenden Entwürfen ergeben.
Erstens. Auch die SPD-Bundestagsfraktion sieht
Handlungsbedarf für eine Entschädigungsregelung,
wenn der Nutzer wegen der vorgenommenen Nutzungsentgelterhöhungen das Vertragsverhältnis aufgeben
muß.
Zweitens. Ebenso ist eine Regelung zur Entlastung
des Nutzers von den hälftigen Abbruchkosten bei Beendigung des Vertragsverhältnisses wegen Nutzungsentgelterhöhung zu prüfen.
Drittens. Es muß auch eine Regelung erfolgen, daß
Grundstückswertverbesserungen, die der Nutzer vorgenommen hat, bei der Nutzungsentgeltermittlung nicht
gegen ihn geltend gemacht werden können.
({6})
Viertens. Den Vorschlag der PDS-Fraktion - das gehört zu dem Gesamtbild -, den Kündigungsschutz für
Garagengrundstücke der Fristenregelung für Erholungsgrundstücke anzupassen, halte ich nicht für sachgerecht.
Denn hier bestehen erhebliche Unterschiede in der
Wertung des Rechtsschutzbedürfnisses. Das müssen wir
- darum bitte ich auch Sie - in der Gesetzgebung beachten. Wir haben diese Problematik in der Vergangenheit diskutiert und immer die Auffassung vertreten: Die
Wohnung hat einen höheren Stellenwert als ein Erholungsgrundstück, und das Garagengrundstück hat einen
geringeren Stellenwert als ein Erholungsgrundstück. Ich
bitte Sie alle, in dieser Frage offen zu sein. Ansonsten
geben wir den Leuten wieder Steine statt Brot.
({7})
Die Nutzungsentgeltverordnung hat in den zurückliegenden Jahren teilweise zu erheblichem Streit geführt.
Auffällig ist, daß sich die Streitfälle nicht über das gesamte Gebiet der neuen Länder verteilen, sondern insbesondere im Bereich mit hohen Grundstücksverkehrswerten auftreten. Nach meiner Einschätzung werden die
geltenden Regelungen, die eine Beschränkung der Erhöhung der Nutzungsentgelte auf das ortsübliche Maß vorsehen, von den Kommunalverwaltungen nicht immer
ausreichend berücksichtigt.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Anwendung der Nutzungsentgeltverordnung sowie unter
Beachtung der Prämisse, daß die Nutzungsentgeltverordnung nicht als finanzieller Hebel zur Beendigung der
Nutzungsverhältnisse erlassen wurde, ist die Bundesregierung aufgerufen, die Wirkungen der bislang geltenden Regelung einer Prüfung zu unterziehen. Die Richtung dieser Überprüfung ist durch unseren Antrag vom
1. April 1998 - Bundestagsdrucksache 13/10329 - vorgegeben.
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Nach der
heutigen Verweisung der vorliegenden Unterlagen in die
Ausschüsse besteht für das Parlament die Möglichkeit
und die Pflicht, eine abschließende Regelung des
Nutzerschutzes zu treffen. Die SPD-Bundestagsfraktion
wird sich dieser Diskussion stellen. Wir bitten die Bundesregierung, mit dem ihr zur Verfügung stehenden Potential Hilfe für eine befriedigende Lösung dieses Problems zu geben, damit wir am Beginn dieser Legislaturperiode den betroffenen Grundstücksnutzern und
-eigentümern eine Perspektive, die Rechtsbestand hat,
geben können.
Ich danke Ihnen.
({8})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Andrea Voßhoff.
Frau Präsidentin!
Meine Damen! Meine Herren! Mit den vorliegenden
Anträgen zeigt die PDS einmal mehr, daß sie immer
wieder versucht, die im Spannungsfeld der Schuldrechtsanpassung bestehende Interessenlage zwischen
Nutzern und Eigentümern einseitig und unausgewogen
zu gestalten.
({0})
Bevor ich auf die Einzelheiten der beiden Vorlagen
eingehe, möchte ich nochmals auf die geltende Rechtslage hinweisen: Sie ist bereits in hohem Maße geprägt
vom Ausgleich zwischen den Interessen des Eigentümers auf der einen Seite und dem Vertrauen des Nutzers
auf der anderen Seite.
({1})
Gerade die Nutzer hatten zu DDR-Zeiten unter schwierigsten Materialbeschaffungsverhältnissen oftmals erhebliche Investitionen in ihre Eigenbauten auf den Erholungsgrundstücken getätigt. Solche arbeits- und kostenintensiven Investitionen hätten die Nutzer erst gar
nicht in Angriff genommen, wenn sie davon ausgegangen wären, daß sie ihre Grundstücke wieder aufgeben
müssen. Aus diesem Grunde haben wir in der Zeit unserer Regierungsverantwortung im Schuldrechtsanpassungsgesetz ausdrücklich umfangreiche Schutzmechanismen zugunsten der Nutzer, und zwar nicht nur in der
Frage der Entschädigung bei einer Kündigung durch den
Grundstückseigentümer, sondern auch im Kündigungsrecht, festgelegt - ich betone: zu Recht!
({2})
So ist gegenüber den Nutzern, die zum Zeitpunkt der
Wiedervereinigung 60 Jahre alt waren, eine Kündigung
zu Lebzeiten - Sie wissen das - überhaupt nicht möglich. Auch eine Kündigung vor der Jahrtausendwende ist
generell nicht möglich. Vor dem 1. Januar 2000 kann
der Eigentümer ausnahmsweise in vorgegebenen Härtefällen kündigen. Vom 1. Januar 2005 an gelten die
Eigenbedarfsgründe, wie sie im Mietrecht zu finden
sind. Erst vom 4. Oktober 2015 an, also 25 Jahre nach
der Wiedervereinigung, gelten die allgemeinen Bestimmungen für die Kündigung.
Allein diese Punkte belegen, wie sehr bereits die
bestehende Regelung von dem Gedanken des Nutzerschutzes bei entsprechender Einschränkung der Eigentumsrechte getragen ist.
({3})
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Nein, heute noch
nicht, beim nächsten Mal.
Ich will damit nicht sagen, daß es nicht noch viele
streitbefangene Einzelfälle gäbe; das ist gar keine Frage.
Wir alle wissen, daß bereits in der vergangenen Legislaturperiode einige Problemfälle im Zusammenhang mit
dem Immobilienrechtsbereinigungsgesetz diskutiert
wurden, jedoch noch nicht abschließend geklärt werden
konnten. Wir wissen aber auch, daß die Diskussion zu
diesem Thema nur dann politisch vernünftig geführt
werden kann, wenn wir dem Grundsatz der Ausgewogenheit der bestehenden Interessen folgen und nicht, wie
es die PDS als Nachfolgerin der SED immer gerne hätte,
das Eigentum zum Spielball sozialistischen Gedankenguts machen.
Davon sind diese Anträge inhaltlich teilweise geprägt. Die PDS will die Entschädigungsregelung des
§ 12 dahin gehend verändern, daß der Eigentümer auch
dann eine Zeitwertentschädigung für das auf seinem
Grundstück belassene Bauwerk zahlen muß, wenn er
selbst oder der Nutzer vorzeitig kündigt. Natürlich kann
man in Einzelfällen hinterfragen, ob es der Gesetzeslage
entsprechend ist, wenn ein Nutzer aus Alters- oder sozialen Gründen die Nutzung vorzeitig aufgeben muß und
er in diesen Fällen nicht eine gleich hohe Entschädigung
erhält, wie er sie im Fall der Kündigung durch den
Grundstückseigentümer erhalten würde, besonders wenn
der Eigentümer vielleicht eine Kommune ist. Was ist
aber in diesen Fällen mit dem privaten Grundstückseigentümer? Ist es ausgewogen, ihm das erhöhte Entschädigungsrisiko auch in den Fällen aufzubürden, in
denen die Ursache für die vorzeitige Kündigung allein
im Risikobereich des Nutzers liegt, auch dann, wenn der
Eigentümer auf Grund anderer Planungen mit der Baulichkeit überhaupt nichts anfangen kann oder die dann
zu zahlende Zeitwertentschädigung nicht aufbringen
kann?
Weiter soll nach Ansicht der PDS der Nutzer bei
Vertragsbeendigung nicht zur Beseitigung seines rechtHans-Joachim Hacker
mäßig errichteten Bauwerks verpflichtet sein. Dies bedeutet nichts anderes, als daß der Eigentümer die gesamten Abrißkosten alleine tragen muß, da nach Ansicht
der PDS die Beteiligung des Nutzers an den Abbruchkosten aus sozialen Kosten nicht angemessen ist. Dies soll
zudem unabhängig davon sein, aus welchen Gründen
das Vertragsverhältnis endet. Hierzu sieht die geltende
Gesetzeslage im Interesse der Ausgewogenheit unter bestimmten Voraussetzungen - Sie wissen es - für beide
Vertragsparteien eine hälftige Beteiligung an den Abbruchkosten vor. Ich halte dies für ausgewogen und
sachgerecht.
Ferner schlägt die PDS zur Reduzierung des Nutzungsentgelts vor, daß der Nutzer berechtigt sein soll,
eine Kündigung des Vertrages für eine 500 Quadratmeter übersteigende Teilfläche des Grundstücks
auszusprechen, sofern diese Teilfläche für den Eigentümer durch Verkauf, Verpachtung etc. verwertbar ist. Ist
dies nicht so, so soll für eine 500 Quadratmeter übersteigende Teilfläche kein Nutzungsentgelt erhoben werden dürfen.
({0})
Die hier geforderte Möglichkeit der Teilkündigung
ist nicht uninteressant; darüber kann man mit Fug und
Recht diskutieren. Wer aber hätte dann zum Beispiel die
Vermessungskosten zu tragen? Darüber schweigt sich
die PDS aus. Die Forderung, daß für Moorland, wie Sie
es beispielhaft nennen, kein Nutzungsentgelt verlangt
werden kann, höhlt die Rechte des Eigentümers jedoch
in unangemessener Art und Weise aus. Auch der Wohnungsmieter kann ja nicht die Miete mindern, weil er
Räume faktisch nicht nutzt.
Weiterhin möchte die PDS beim Kündigungsschutz
die Garagengrundstücke den Erholungsgrundstücken
gleichgesetzt wissen. Die Begründung dafür mutet schon
etwas befremdlich an. Es schießt wohl über das Ziel
hinaus, wenn das Auto zum schützenswerten dritten Lebensmittelpunkt erklärt werden soll. Wenn ich einmal
polemisch werden darf: Solche Vorstöße hätte ich eigentlich höchstens von der Autofahrerpartei Deutschlands erwartet.
({1})
Bei ihrem zweiten Änderungsantrag zur Nutzungsentgeltverordnung geht es der PDS um die weitere
Deckelung der Nutzungsentgelte für Erholungsgrundstücke. Der Versuch, völlig unsachgemäße Vorschläge zur Begrenzung der Nutzungsentgelte für Erholungsgrundstücke zu machen, ist nicht der erste. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat die PDS gefordert, die Erhöhung der Nutzungsentgelte ab dem
1. Januar 1997 nur noch in dem Maße zuzulassen, in
dem die Ostrenten angepaßt werden. Die Vorschläge
der PDS sind auch in diesem Punkte immer sehr griffig
und haben den Charme der sicheren Akzeptanz bei allen Nutzern. Aber ich frage Sie auch hier: Ist dies ausgewogen und interessengerecht im Spannungsfeld zwischen Eigentümer und Nutzer? Sie wissen auch, daß es
bereits im vergangenen Jahr eine Änderung der Entgeltverordnung gegeben hat, die mittlerweile auch im
positiven Sinne gegriffen hat, und daß - zumindest
nach meiner Information - darüber hinaus der
13. Deutsche Bundestag die Entschließung verabschiedet hat, bis zum 3. Juni 1999 einen Bericht über die
Wirkungen der Nutzungsentgeltverordnung sowie zu
den notwendigen Änderungen vorzulegen. Dieser Bericht, der auf die Problemfälle, die heute angesprochen
wurden, hinweisen bzw. die Thematik aufzeigen wird,
sollte abgewartet werden, auch im Interesse der Nutzer,
um die Wirkungen der bisherigen Verordnung genauer
einschätzen zu können. Nur eine solche Vorgehensweise ist - ich betone es noch einmal - auch im Interesse
der Nutzer vernünftig und sachgerecht.
Abschließend kann ich nur das Resümee ziehen, daß
diese Anträge erneut ein Beleg dafür sind, daß die PDS
Schein- und Schaufensteranträge einer ausgewogenen
Lösung der Probleme im Interesse von Nutzern und Eigentümern vorzieht. Anträge wie diese helfen deshalb
weder den Betroffenen, noch bringen sie die Diskussion
weiter. - Herzlichen Dank.
({2})
Frau Kollegin
Voßhoff, ich möchte Ihnen zu Ihrer ersten Rede gratulieren und auch dazu, daß Sie sich so bemerkenswert kurz
gefaßt und Ihre Redezeit nicht ausgeschöpft haben.
({0})
Als nächstes hat der Abgeordnete Hans-Christian
Ströbele das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Damen und Herren dort oben! Wir
haben uns mit zwei Anträgen der PDS zu befassen, die
so charmante Bezeichnungen wie „Nutzungsentgeltverordnung“ und „Schuldrechtsanpassungsgesetz“ haben.
({0})
- Nein, das werfe ich Ihnen auch gar nicht vor. - Diese
regen zugegebenermaßen die Phantasie nicht an. Man
fragt sich: Warum befaßt sich der Deutsche Bundestag
mit solchen Themen? Wer wie ich als Rechtsanwalt erlebt hat, wie eine Familie von ihrem Pachtgrundstück
mit ihrem Ferienhaus, in dem sie Jahrzehnte gelebt und
viel erlebt hat, heraus muß und dann auch noch die
Hälfte der Abrißkosten zahlen muß, der sieht das anders.
Und wer weiß, daß das kein Einzelschicksal war, wie es
immer mal wieder vorkommt, sondern daß es Hunderttausende in den neuen Bundesländern betroffen hat und
in Zukunft weiter betreffen wird, der versteht ein bißchen, warum diese Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern der Auffassung sind, daß sie in dieser
Republik nicht angekommen sind und daß es nicht ihre
Rechtsordnung ist, die sie veranlaßt, vom Grundstück
herunterzugehen.
Frau Kollegin, es ist ja richtig, daß es Kündigungsschutzvorschriften gibt. Nur gelten die Kündigungsschutzvorschriften dann nicht, wenn der Pachtzins nicht
mehr bezahlt werden kann. Sie nützen dann überhaupt
nichts, wenn der Pachtzins so erhöht werden kann, daß
die einzelne Bürgerin oder der einzelne Bürger, die Familie ihn nicht mehr aufbringen kann.
Deshalb haben sich die Bündnisgrünen immer bemüht, in diesem Bereich Schutzregelungen einzubauen.
Wir sind der Auffassung, daß sich das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“, das im Einigungsvertrag eine erhebliche Rolle gespielt hat, auch in diesem Bereich
sehr negativ ausgewirkt hat.
({1})
Wir wollen deshalb auch in dieser Legislaturperiode reparieren und korrigieren, soweit es irgend geht und
rechtlich möglich ist.
In unser Wahlprogramm für diesen Bundestag hatten
wir hineingeschrieben: Der Pachtzins für Erholungsgrundstücke muß für die Bevölkerung bezahlbar bleiben.
Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Zu diesem
Versprechen stehen wir. Deshalb nehmen wir die beiden
Initiativen der PDS auch ernst. Wir werden sie ernsthaft
diskutieren, und wir werden sicherlich zu Regelungen
kommen können und kommen müssen, und zwar recht
bald.
({2})
Aber es ist nicht ganz so einfach, wie die PDS es vorschlägt. Auch andere - das ist nicht Ihre Schuld - haben
in der Zwischenzeit Rechtspositionen gefunden und erworben. Über diese kann man schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht einfach hinweggehen.
So ist es richtig, daß, wenn zu DDR-Zeiten der
Grundstückseigentümer ein solches Grundstück wegen
Eigenbedarfs gekündigt hat, er auf Verlangen des Nutzers verpflichtet war, dessen Baulichkeiten abzukaufen.
Im Vertrauen auf diese Entschädigungsregelung haben
die Nutzer zum Teil erhebliche bauliche Investitionen
getätigt.
Aber ist es immer gerecht und billig, den Eigentümer
auch heute entschädigungspflichtig zu machen, auch
dann, wenn der Nutzer bzw. der Pächter von sich aus
kündigt, und auch dann, wenn der Nutzer kündigt, obwohl er die Pacht bezahlen kann? Wir wissen, es gibt ja
auch in den neuen Bundesländern Leute, die Geld verdienen, und zwar so viel, daß sie vernünftige Pachtraten
bezahlen können. Ist es auch dann vernünftig, zu sagen:
der Nutzer muß kündigen können, und der Nutzer darf
auch dadurch Geld verdienen, daß er hohe Entschädigungen bekommt? Es gibt heute Nutzer in den neuen
Bundesländern, die ohne weiteres einen hohen Pachtzins
bezahlen können, und es gibt Neueigentümer, die Probleme haben, Entschädigungszahlungen von 10 000 DM
oder 20 000 DM zu leisten. All das ist zu berücksichtigen.
Wir wollen einen gerechten Interessenausgleich, der
heute sicher schwieriger ist als vor fünf oder acht Jahren. Das Kriterium, das wir einführen wollen, umfaßt
sowohl die Zumutbarkeit der Pachterhöhung als auch
die Zumutbarkeit der Entschädigung für den, der sie
zahlen muß. Es darf nicht bei der generellen Regelung
bleiben, daß der Nutzer die Hälfte der Abbruchkosten
zahlen muß, wenn er selbst kündigt. Das sind zum Teil
Beträge von über 10 000 DM. Es darf nicht sein, daß der
Schutz der Nutzer ins Leere läuft, daß sie finanzielle
Schwierigkeiten bekommen und dann auch noch die
Abbruchkosten zahlen müssen, jedenfalls zur Hälfte.
Die Kosten für das Ferienhaus müssen bezahlbar bleiben.
Der Vorschlag zur Einführung einer Teilkündigung
für Grundstücke zur Senkung der Pacht ist im Grundsatz
vernünftig. Aber ist er immer richtig? Ist es verfassungsrechtlich haltbar, daß der Nutzer den Teilungsanspruch,
den er dann geltend macht, durchsetzen kann und für das
Restgrundstück überhaupt keine Nutzungsentschädigung
zahlen soll, auch wenn er sie zahlen kann, auch wenn er
gut verdient? Herr Kollege Gysi, Sie haben darauf hingewiesen. Solche Fragen müssen noch geklärt werden;
sonst wird es ungerecht, und die Nutzer, die wir schützen wollen, erhalten nur neue, unsichere Rechtslagen.
({3})
Wir wollen unser Wahlversprechen einlösen. Für
viele Menschen in der DDR war die Datscha ein ganz
wesentlicher Teil der eigenen, freien Lebensgestaltung.
Das soll in der Bundesrepublik auch so bleiben. Eine
Regelung ist dem Gebot der Gerechtigkeit zu unterwerfen. Wir wollen, daß auch die Bürgerinnen und Bürger
in den Ostbundesländern in dieser Republik ankommen
können, daß sie sich hier akzeptiert fühlen und daß ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Deshalb wollen wir die
Beratungen zügig gestalten und möglichst bald eine gerechte Lösung - übrigens nicht nur in diesem Bereich finden und hier im Bundestag verabschieden.
Danke.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Gesetzentwurf und der Antrag
der PDS-Fraktion gehen in dieselbe Richtung: Bei Nutzungsverträgen zwischen Eigentümern und Nutzungsberechtigten sind ausschließlich die Interessen der Nutzer
zu berücksichtigen. Diese einseitige Betrachtungsweise
ist der Rechtsordnung der Bundesrepublik völlig fremd.
({0})
Wir haben bisher stets versucht, einen vernünftigen
wirtschaftlichen und rechtlichen Interessenausgleich
zwischen Eigentümern und Nutzungsberechtigten vorzunehmen.
({1})
Dies ist mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz und der
Nutzungsentgeltverordnung geschehen. Sicherlich sind
damit nicht alle zufrieden, aber es sind auch schwierige
Verhältnisse. Trotzdem haben wir damals, glaube ich,
vernünftige Regelungen gefunden.
Ich will dabei nicht verschweigen, daß man mit der
langjährigen Bindung der Alteigentümer an die Nutzungsverträge schon an die äußerste Grenze des für die
Eigentümer Zumutbaren gegangen ist. Die Nutzungsentgeltverordnung sieht, wie ich meine, eine moderate
Erhöhung vor. Betrachtet man die inzwischen auch in
den neuen Bundesländern gestiegenen Einkommen,
kann man sagen, daß die vorgesehene Nutzungsentgeltanpassung durchaus angemessen ist. Ich muß dem
Kollegen Ströbele allerdings zugestehen, daß es in Einzelfällen sicherlich zu Härten kommen kann.
Die Erschwernisse bei der Kündigung solcher Nutzungsverhältnisse führen oftmals sogar dazu, daß
Eigentümer, die häufig selber dringend auf die Nutzung
ihres eigenen Grundstücks angewiesen sind, zum Beispiel im hohen Alter, praktisch enteignet werden bzw.
bleiben.
Herr Kollege
Funke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Ströbele?
Natürlich.
Herr Kollege, geben Sie mir recht, daß man,
wenn es nicht zehn, hundert oder tausend, sondern Hunderttausende von Fällen sind, in denen Menschen, die
auf den Grundstücken leben, die Pacht nicht mehr bezahlen können, nicht mehr von Einzelfällen reden kann,
sondern daß dann eine gesetzliche Regelung zwingend
notwendig ist?
Wenn es 100 000 Fälle und
mehr wären, dann würde das sicherlich nach einer gesetzlichen Regelung schreien. Aber auch dann muß natürlich ein Interessenausgleich vorgenommen werden.
Ich habe Ihnen Beispiele dafür genannt, daß die Alteigentümer auf die Grundstücke angewiesen sind.
Das ist im übrigen nicht nur ein Problem West-Ost
- darauf hat Kollege Hacker zu Recht hingewiesen -,
sondern das ist durchaus auch ein Problem von Eigentümern aus dem Osten gegenüber den Nutzungsberechtigten. Das sollte man nicht verkennen.
Das zeigt, daß man zur Lösung der Probleme des
Schuldrechtsanpassungsgesetzes nicht auf einem Auge
blind sein darf und nicht einseitig die Interessen der
Nutzer vertreten darf, wie das die PDS tut, aber wie
auch Sie, Herr Ströbele, es im ersten Teil Ihrer Rede
getan haben.
Wir sollten uns also bemühen, einen echten und
möglichst gerechten Interessenausgleich vorzunehmen.
Hierzu sind wir als Liberale in der Beratung im Rechtsausschuß selbstverständlich gerne bereit. Der Rechtsfrieden in den neuen Bundesländern muß natürlich gewahrt werden.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart
Pick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur
Novellierung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes und
der Beschlußantrag zur Nutzungsentgeltverordnung betreffen, wie wir eben schon gehört haben, einen Regelungsbereich, der sich inzwischen zu einem Dauerbrenner der Gesetzgebung und auch der Judikative entwickelt hat und der dadurch wahrlich nicht an Übersichtlichkeit gewonnen hat.
Es geht um die umfangreiche Materie des Rechts zur
Überleitung der Eigentums- und Nutzungsverhältnisse in
bezug auf Grundstücke und Gebäude in den neuen Bundesländern. Jede Änderung dieser schwierigen Materie
des Überleitungsrechts muß sich mit einem Grundsatz
auseinandersetzen: Überleitungsregelungen müssen
Bestand haben, solange und soweit sie erforderlich sind.
Das heißt aber auch, daß wir Änderungen und Ergänzungen dieses ohnehin äußerst komplizierten Normbestandes mit großer Sorgfalt auf ihr Erfordernis hin prüfen müssen.
Herr Hacker hat mit Recht gesagt: Es ist unsere Aufgabe, eine befriedigende Regelung zu erreichen. Ich sage: Auch eine befriedende Regelung in diesem Bereich
ist von großer Bedeutung.
Wie Sie wissen, hat sich auch die SPD in der Vergangenheit für Teiländerungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes und der Nutzungsentgeltverordnung eingesetzt. Die Arbeiten an etwaigen gesetzgeberischen
Korrekturen und Ergänzungen müssen vom Streben
nach tragfähigen und abschließenden Regelungen geprägt sein. Ich bin deswegen der Auffassung, daß auch
die heute hier vorliegenden Änderungsvorschläge zunächst noch gründlich auf ihre Wirkungen hin überprüft
werden müssen.
Gerade das Recht zur Überleitung der vertraglichen
Nutzungsrechte an Grundstücken in das System des bürgerlichen Rechts birgt eine Menge Zündstoff, so daß wir
es keinesfalls riskieren sollten, den ansatzweise gefundenen Interessenausgleich zwischen den Grundstückseigentümern und den Nutzern einseitig aufzuheben. Das
wird eine sehr schwierige Abwägungsentscheidung sein;
aber die Bundesregierung wird sich dieser Aufgabe
stellen.
Bei der Betrachtung dieses Gesetzentwurfs muß man
allerdings eindeutig auf die Gefahr hinweisen, die eine
einseitige Sicht bringen würde. Ich will das an einigen
Beispielen deutlich machen, die schon von den Vorrednerinnen und Vorrednern genannt worden sind: Die PDS
fordert, den bestehenden Kündigungsschutz für die Nutzung von Grundstücken als Garagenstandort zu erweitern. Damit erhielte die Garagennutzung - das ist schon
gesagt worden - einen sozialen Stellenwert, der dieser
Nutzungsart nicht angemessen ist. Schon heute ist es
schwierig zu vermitteln, daß Garagen, zum Teil im Innenstadtbereich liegend, bis zum Jahr 2003 dringend erforderliche Investitionen in den neuen Ländern verhindern können. Wir müssen uns vor Augen halten, daß der
Schutz der Garagennutzung in Teilbereichen gegenwärtig schon stärker ist als der Kündigungsschutz im
Bereich des Wohnungsmietrechts. Auf diese Ungleichgewichtigkeit muß man hinweisen.
Gefordert wird auch, etwaigen finanziellen Belastungen der Nutzer von Freizeitgrundstücken mit der Möglichkeit einer Teilflächenkündigung zu begegnen. Es ist
problematisch, vom grünen Tisch aus das für das deutsche Recht völlig untypische einseitige Teilkündigungsrecht bei gleichzeitigem Fehlen eines Ausgleichs für den
Eigentümer einzuführen. Deswegen lassen Sie uns bitte
prüfen, ob der typische Zuschnitt der Grundstücke und
die Eigenheiten der Bebauung möglicherweise eine vernünftige Teilung zulassen, ohne zwischen den Beteiligten zusätzlichen Konfliktstoff entstehen zu lassen.
Was die Nutzungsentgeltverordnung betrifft, muß
man wissen, daß die Forderung nach einer Deckelung
der Höhe des Nutzungsentgelts für Erholungsgrundstükke nur mit einer besonderen Begründung durchsetzbar
wäre. Grundsätzlich kann in unserem Wirtschaftssystem
nur ausnahmsweise regulierend in die private Entgeltgestaltung eingegriffen werden. Allerdings sage ich hier
für die Bundesregierung auch: Wir werden sorgfältig
prüfen, ob es möglich ist, einen Interessenausgleich, der
soziale, ökologische und auch andere Belange beinhaltet, einzuführen. Herr Hacker hat mit Recht auf die unterschiedliche Praxis in den neuen Ländern hingewiesen.
Auch hier wird zu überlegen sein, wie man diese unterschiedliche Praxis einander annähert. Offensichtlich gibt
es in einzelnen Bereichen durchaus eine gute Regelung
und eine gute Lösung, in anderen Bereichen aber offensichtlich eine ausgesprochen problematische.
Das Bundesministerium der Justiz - auch das ist, so
glaube ich, von Frau Voßhoff genannt worden - hat
noch einen Auftrag zu erfüllen, nämlich den Auftrag des
letzten Bundestages, einen Bericht über die Wirkungen
der Nutzungsentgeltverordnung vorzulegen. Wir werden
diesen Bericht gründlich vorbereiten und die in diesem
Zusammenhang festgestellten Erfahrungen auch für etwaige Reformen im Bereich des Schuldrechtsanpassungsgesetzes verwenden. In diesem Rahmen werden
wir auch die heute in den PDS-Anträgen angesprochene
Problematik einbeziehen.
Vielen Dank.
({0})
Danke schön.
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/65 und 14/63 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a und 9b sowie
die Zusatzpunkte 2a bis 2c auf:
a) Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes ({0})
- Drucksache 14/18 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Zuständigkeiten nach dem Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz
- Drucksache 14/33 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({1})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({2})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 18. September 1998
zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen
Zentralbank über den Sitz der Europäischen Zentralbank
- Drucksache 14/70 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({3})
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Hartmut Büttner ({4}), Günter Nooke
und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagengesetzes ({5})
- Drucksache 14/91 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({6})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes
zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ({7})
- Drucksache 14/92 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({8})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie einverstanden? - Dann sind diese
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2d auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera
Lengsfeld, Norbert Otto ({9}), Hartmut
Büttner ({10}) und der Fraktion der
CDU/CSU
Überlassung der Akten der Hauptverwaltung
Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR durch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
- Drucksache 14/89 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Innenausschuß
({11})
Auswärtiger Ausschuß
Interfraktionell wird die Überweisung an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen wünschen die Fe-
derführung beim Innenausschuß. Die Fraktion der
CDU/CSU wünscht die Federführung beim Ausschuß
für Angelegenheiten der neuen Länder.
Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion der CDU/CSU abstimmen. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenprobe! - Ent-
haltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt worden. Die PDS
hat sich enthalten.
Wer stimmt nun für den Überweisungsvorschlag der
Koalitionsfraktionen, die Federführung solle beim In-
nenausschuß liegen? - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Dieser Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden; die PDS
hat sich enthalten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 1 zu Petitionen
- Drucksache 14/58 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 2 zu Petitionen
- Drucksache 14/59 -
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 3 zu Petitionen
- Drucksache 14/60 -
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 4 zu Petitionen
- Drucksache 14/61 -
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 5 zu Petitionen
- Drucksache 14/62 -
Zunächst Sammelübersicht 1 auf Drucksache 14/58:
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Sammelübersicht 1 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen mit Ausnahme der PDS, die sich enthalten
hat, angenommen.
Sammelübersicht 2 auf Drucksache 14/59: Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Sammelübersicht 2 ist mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.
Sammelübersicht 3 auf Drucksache 14/60: Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Sammelübersicht 3 ist mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.
Sammelübersicht 4 auf Drucksache 14/61: Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Sammelübersicht 4 ist mit den Stimmen aller Fraktionen
mit Ausnahme der PDS, die dagegen gestimmt hat, an-
genommen.
Sammelübersicht 5 auf Drucksache 14/62: Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltun-
gen? - Sammelübersicht 5 ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stim-
men von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 3 auf:
Wahlen zu Gremien
a) Wahl der Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 14/96, 14/97, 14/98, 14/99,
14/100 Kann ich davon ausgehen, daß wir über die fünf
Wahlvorschläge der Fraktionen der SPD, CDU/CSU,
des Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der PDS
auf den Drucksachen 14/96 bis 14/100 gemeinsam abstimmen können? - Bitte, Herr Claus.
Frau Präsidentin! Ich möchte
daran erinnern, daß der Präsident heute morgen bei der
Eröffnung der Sitzung an dieser Stelle einen Geschäftsordnungsantrag der Fraktion der PDS bereits angekündigt hatte. Den würde ich gerne namens unserer Fraktion
jetzt begründen.
Ich bin darauf
hingewiesen worden, daß dieser Geschäftsordnungsantrag später kommt, direkt vor der Wahl der Mitglieder
des Vermittlungsausschusses.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Damit können wir uns einverstanden erklären, Frau Präsidentin.
Gut. Es gibt ja
verschiedene Gremien und verschiedene Wahlvorgänge.
Dann stimmen wir jetzt über die fünf Wahlvorschläge
gemeinsam ab.
({0})
- Noch ein Einwand. Ja, bitte.
Frau Präsidentin, kann
ich davon ausgehen, daß wir über die Einzelvorschläge
auch einzeln abstimmen?
({0})
Es geht jetzt
um die Wahl der Schriftführer. Über die wollten wir
gemeinsam abstimmen. Dann kommen die anderen
Gremien. Darüber wird jeweils einzeln abgestimmt.
({0})
Wer stimmt den Vorschlägen für die Wahl der
Schriftführerinnen und Schriftführer zu? - Wer stimmt
dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Ich gratuliere den gewählten Kolleginnen und Kollegen im Namen des ganzen Hauses und
wünsche eine gute Zusammenarbeit.
({1})
Nun rufe ich den Zusatzpunkt 3b auf:
Bestimmung der vom Deutschen Bundestag zu
entsendenden Mitglieder des Gemeinsamen
Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grundgesetzes
- Drucksachen 14/106, 14/107, 14/108, 14/109,
14/110 Zur Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53 a des Grundgesetzes und deren
Stellvertreter liegen getrennte Wahlvorschläge der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die
Grünen, der F.D.P. und der PDS vor. Wir stimmen hierüber getrennt ab.
Wir stimmen zunächst über den Wahlvorschlag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 14/106 ab. Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses
angenommen worden.
Wir stimmen nun über den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/107 ab. Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Auch dieser Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 14/108. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch
dieser Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/109.
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Auch dieser Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen worden.
Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/110. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Wahlvorschlag
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen,
PDS und F.D.P. gegen etliche Stimmen aus der
CDU/CSU sowie bei etlichen Enthaltungen von
CDU/CSU angenommen worden.
({2})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abgeordneten
können frei wählen. - Damit sind die Mitglieder des
Gemeinsamen Ausschusses und deren Stellvertreter gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes bestimmt.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 3c:
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({3})
- Drucksache 14/117 Die Fraktion der PDS hat gemäß § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung fristgemäß beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags zur Änderung
der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses - Drucksache 14/119 - zu erweitern. Wird
zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Das ist der Fall. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Selbstverständlich haben
wir uns zunächst um eine interfraktionelle Übereinkunft
zu diesem Geschäftsordnungsantrag bemüht, um ihn
damit eigentlich überflüssig zu machen. Unser Begehren
ist eine Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung
des Bundestages und des Bundesrates für den Vermittlungsausschuß. Da - wie Sie inzwischen sehen - ein
solches Einvernehmen nicht zustande kam, wollen wir
Sie mit diesem Antrag vertraut machen.
Worum geht es? Der Bundestag soll zulassen, daß
über die Frage entschieden wird, ob alle Bundestagsfraktionen einen Sitz im Vermittlungsausschuß haben
sollen, und zwar bevor dessen Mitglieder gewählt sind.
Ich denke, das macht Sinn. Mein Antrag lautet also
nicht: Die PDS muß in den Vermittlungsausschuß hinein, obwohl ich schon finde, daß dafür vieles spricht.
Wir ersuchen Sie lediglich um Klarstellung.
Daß wir eine ganze Reihe guter Gründe, die Beteiligung aller Fraktionen im Vermittlungsausschuß zu befürworten, haben, geht aus dem vorliegenden Antrag
hervor. Auch in der Debatte, die in diesem Hause im
Februar 1995 zu dem gleichen Problem, über zähe Verfahren und den Zuschnitt des Vermittlungsausschusses,
geführt worden ist, haben sich beispielsweise die Kollegen Struck und Schulz sehr ausdrücklich für das Ansinnen ausgesprochen, das ich jetzt hier vertrete. Wir wollen es eben nur wissen.
Wir finden, daß trotz bemerkenswerten Akzeptanzgewinns für unsere Fraktion in diesem Hause keine
Pflicht besteht, PDS-Anträgen zuzustimmen. Ich gebe
zu, daß ich selbst davor auch einige Furcht hätte. In der
Sache können Sie immer noch ja oder nein sagen. Ein
bißchen Oppositionsgemeinsinn - um uns in der Frage
zu unterstützen - hätte ich von der CDU/CSU schon erwartet. Das ist auch ausgeblieben, obwohl Zweckallianzen auch dann denkbar sind, wenn man sich nicht so
sehr mag.
Nun sind mir auch Undankbarkeitsvorwürfe aus den
Koalitionsfraktionen zu Ohren gekommen. Ich will
schon sagen, daß die Akzeptanz, die wir erfahren, im
Vergleich zur 13. Wahlperiode äußerst bemerkenswert
ist und daß wir auch gewissermaßen dankbar sind. Aber
nun stellen Sie sich einmal im Ernst vor, jede PDS-Rede
würde damit beginnen, sich dreimal gegen Rotgrün zu
verneigen, also: Lobet den Gerhard, lobet den Joseph, . . .
({0})
Ich kann mir nicht vorstellen, meine Damen und Herren,
daß Sie sich das von unserer Fraktion so dringend wünschen und daß Sie dies nun erwarten.
Sollten Sie uns trotz all dieser Einwände mit Wohlwollensentzug drohen, hoffen wir, daß dieser nicht ewig
bzw. allzulange andauert und auch nicht für weitere hier
anstehende Wahlen vorgesehen ist. In diesem Sinne bitte
ich Sie um Zustimmung zu unserem Geschäftsordnungsantrag, also einem Tagesordnungspunkt zur Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses zuzustimmen.
Vielen Dank.
({1})
Der Abgeordnete Wilhelm Schmidt spricht ebenfalls zur Geschäftsordnung. Ich habe gehört, er spricht auch für alle anderen Fraktionen. Ist das richtig? - Okay.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich bin froh, daß der Kollege Claus von
der PDS nicht von Liebesentzug, sondern nur vom Entzug des Wohlwollens gesprochen hat, den wir angedroht
hätten.
({0})
Aber, Herr Claus, ich will vorweg den Ball aufnehmen,
den Sie hier ins Spiel gebracht haben, indem ich sage:
Wir haben auf allen Wegen, die wir bisher im Rahmen
der Konstituierung des Hauses beschritten haben, den
Status der PDS-Fraktion als solchen ganz bewußt respektiert. Aber es gibt eben auch Grenzen, und diese haben wir in den interfraktionellen Gesprächen aufgezeigt.
Eine solche Grenze gibt es hinsichtlich des Vermittlungsausschusses. Ob wir im weiteren Verlauf der Debatten und Besprechungen, die wir haben werden, vielleicht noch Wege finden, diese an der einen oder anderen Stelle aufzulösen und Ihnen entgegenzukommen,
kann ich nicht sagen und nicht entscheiden. Aber ich
will andeuten, daß wir in dieser Hinsicht auf jeden Fall
noch Gespräche führen werden.
Zum anderen will ich ganz deutlich sagen: Der Vermittlungsausschuß, um den es hier geht, ist ein Gremium, das man nicht ständig der neuen Entwicklung einer
Wahlperiode des Hauses preisgeben kann. Man muß
vielmehr die Kontinuität wahren. Daher können eben
nicht alle kleinen Fraktionen im Hause berücksichtigt
werden.
Dies ist also keine Ablehnung zu Lasten der PDS,
zum erstenmal im Hause, sondern es ist immer so gewesen, daß kleine Fraktionen Sitze dieser Art nicht innegehabt haben. Dies ist - das will ich ausdrücklich vermerken - verfassungsgerecht und auch rechtens insgesamt.
Von daher sind wir der Auffassung, daß der Vermittlungsausschuß in seiner Zusammensetzung nicht
verändert werden sollte, daß wir das Gesetz und auch
die Geschäftsordnung nicht ändern sollten, um Ihnen an
dieser Stelle entgegenzukommen. Denn dies hätte eine
ganz wichtige Implikation. Sie kennen sie auch, haben
sie nur nicht ausreichend benannt. Die Folge wäre, daß
die Koalitionsfraktionen ihre Mehrheit verlören. Dies
können wir nicht zugestehen, und das wollen wir auch
nicht.
({1})
Von daher ist Ihr Antrag aus unserer Sicht eindeutig abzulehnen.
Das, was ich zuerst gesagt habe, gilt auch für die übrigen Fraktionen dieses Hauses. Deswegen bitte ich, diesen Antrag abzulehnen.
Vielen Dank.
({2})
Es gibt also
keine weiteren Wortmeldungen zur Geschäftsordnung,
und wir können gleich zur Abstimmung kommen.
Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion
der PDS? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses
mit Ausnahme der PDS, die dafür gestimmt hat, abgelehnt worden.
Zu Zusatzpunkt 3c liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. auf DruckRoland Claus
sache 14/117 vor. Wer stimmt für diesen gemeinsamen
Wahlvorschlag? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen worden, wobei sich die PDS enthalten hat. Damit sind die Mitglieder und deren Stellvertreter im Vermittlungsausschuß gewählt. Herzlichen
Glückwunsch!
Zusatzpunkt 3 d:
Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes
- Drucksachen 14/101, 14/102, 14/103, 14/104,
14/105 Hierzu liegen getrennte Wahlvorschläge der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die
Grünen, der F.D.P. und der PDS vor. Wir stimmen zunächst über den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 14/101 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Wir stimmen nun über den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/102 ab. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Auch dieser Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/103. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden.
Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/104. Wer stimmt dafür? Stimmt jemand dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Auch dieser Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen
worden.
Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/105. Es geht dabei um die Wahl
eines beratenden Mitglieds des Wahlprüfungsausschusses. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen, PDS und F.D.P. bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen aus der Fraktion
der CDU/CSU angenommen worden.
Zusatztagesordnungspunkt 3 e:
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Schuldenausschusses bei
der Bundesschuldenverwaltung gemäß § 6
Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Errichtung
einer Schuldenverwaltung des Vereinigten
Wirtschaftsgebietes und § 2 der Verordnung
über die Bundesschuldenverwaltung
- Drucksache 14/114 Dazu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und CDU/CSU auf Drucksache 14/114
vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gibt es
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden.
Zusatzpunkt 3 f:
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu bestimmenden Mitglieder des Kontrollausschusses
beim Bundesausgleichsamt gemäß § 313 Abs. 1
und 2 des Lastenausgleichsgesetzes
- Drucksache 14/118 Dazu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU auf Drucksache
14/118 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Wahlvorschlag ist ebenfalls einstimmig angenommen worden.
Zusatzpunkt 3 g:
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Beirats bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und
Post gemäß § 67 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes
- Drucksache 14/111 Dazu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und
F.D.P. auf Drucksache 14/111 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Der Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen.
Zusatztagesordnungspunkt 3 h:
Wahl der vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Programmbeirats beim
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksache 14/115 Es liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und CDU/CSU auf Drucksache 14/115 vor.
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der gemeinsame Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden.
Zusatztagesordnungspunkt 3 i:
Wahl der vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunstbeirats beim Bundesministerium der Finanzen
- Drucksache 14/112 Wir stimmen über den gemeinsamen Wahlvorschlag
der Fraktionen der SPD und CDU/CSU auf Drucksache
14/112 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist einstimmig
angenommen worden.
Zusatztagesordnungspunkt 3 j:
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“
- Drucksache 14/113 Es liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
F.D.P. auf Drucksache 14/113 vor. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag
ist einstimmig angenommen worden.
Zusatztagesordnungspunkt 3 k:
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen in der DDR“
- Drucksache 14/116 Hierzu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der
Fraktionen der SPD und CDU/CSU auf Drucksache
14/116 vor. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden.
Wir sind damit am Ende dieser Wahlen. Ich danke
Ihnen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zu den angekündigten Erhöhungen von Energiesteuern,
insbesondere der Mineralölsteuer, sowie der
Mehrwertsteuer
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.
Ich glaube, jetzt können wir es einmal versuchen.
Bitte, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die neue rotgrüne Bundesregierung ihre
Koalitionsvereinbarung der Öffentlichkeit vorgestellt
hat, nachdem erste Gesetze in den Deutschen Bundestag
eingebracht wurden und noch in dieser Woche vom
Deutschen Bundestag verabschiedet werden sollen,
könnte man eigentlich erwarten, daß diesen Gesetzen
auch tatsächlich eine einheitliche Konzeption, die von
beiden Koalitionsparteien getragen wird, zugrunde liegt.
Dies ist aber leider nicht der Fall.
Noch am letzten Wochenende hat die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frau Müller, erklärt, das Autofahren müsse in Deutschland teurer werden. Die Mineralölsteuer müsse weiter erhöht werden. Der grüne Umweltminister erklärt, das Fliegen solle teurer werden.
Flugbenzin müsse zukünftig besteuert werden.
Am Wochenende hat zunächst Ministerpräsident
Clement erklärt, die allgemeinen Verbrauchsteuern seien
zu niedrig. Der Verbraucher müsse in unserem Land
stärker belastet werden. Die Mehrwertsteuer müsse erhöht werden.
Da eine Mehrwertsteuererhöhung im Bundestagswahlkampf von Gerhard Schröder einhellig ausgeschlossen worden ist, hat er sich nun mit Ministerpräsident
Clement beim Italiener zum Abendessen getroffen. Was
passiert nun nach diesem Gespräch? Warum sagt der
Bundeskanzler nichts? Warum schweigt Ministerpräsident Clement nach dem Gespräch, obwohl er selbst die
Debatte um die Mehrwertsteuererhöhung eröffnet hat?
Es spricht nur der Regierungssprecher. Was ist es für
eine Aussage, wenn der Regierungssprecher erklärt:
„Die Meinungsverschiedenheiten über eine Erhöhung
der Mehrwertsteuer sind ausgeräumt.“? Das klingt gut.
Aber wie sind sie denn ausgeräumt? Da fährt der Regierungssprecher fort:
Diese Mehrwertsteuererhöhung ist zur Zeit aus
konjunkturellen Gründen kein Thema.
Ich wiederhole:
Diese Mehrwertsteuererhöhung ist zur Zeit . . . kein
Thema.
Hierzu schreibt die „FAZ“:
Auf ihrer verzweifelten Suche nach Finanziers für
die neuen rot-grünen Wohltaten bei Kindergeld und
Rente sind die sozialdemokratischen Politiker originellerweise bei den Familien angekommen. Sie
sollen für die Geschenke jetzt selber zahlen, zwar
nicht gleich zu Weihnachten, aber schon bald danach - und natürlich nicht direkt, sondern auf dem
Umweg über eine höhere Mehrwertsteuer.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, was
Sie hier betreiben, ist die Vorbereitung eines gigantischen Steuererhöhungsprogramms in unserem Land.
({0})
Darauf lassen alle von Politikern aus Ihren Reihen zu
verantwortenden Äußerungen schließen.
Die neue rotgrüne Regierung betreibt fast eine Telefonhäuschenpolitik. Im Telefonhäuschen muß man erst
zahlen und dann wählen. Diese Regierung mußte man
zuerst wählen, und jetzt, nach dem Wahltag, darf gezahlt
werden.
({1})
Die Bürger in unserem Lande erwarten, daß bei den
Ausgaben des Staates gespart wird. Die Belastungsgrenze der Bürger, der Arbeitsplätze und der Wirtschaft ist
nicht nur erreicht, sondern sie ist überschritten. Das
Wort „sparen“ kommt Ihnen überhaupt nicht über die
Lippen, das Wort „Steuererhöhungen“ sehr wohl und
permanent.
Wenn der Pressesprecher nach dem Gespräch des
Bundeskanzlers mit Ministerpräsident Clement erklärt,
daß auf eine allgemeine Absenkung der Steuersätze, wie
es in dem Gesetz vorgesehen ist, verzichtet werden soll,
dann müssen bei der Wirtschaft auf Grund dieser Erklärung des Regierungssprechers die Alarmglocken klingeln. Das einzige, was Sie versprochen haben, ist eine
marginale Senkung der Steuersätze. Wenn die dann
nicht einmal stattfinden soll, weil das als Gegenfinanzierungsmaßnahme für irgend etwas anderes benötigt wird,
dann wird hier der nächste Betrug an der Wirtschaft und
an den Wählern in unserem Lande vorbereitet.
({2})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Eine Bundesregierung muß Kompetenz in Wirtschafts- und Finanzfragen haben.
({3})
Das ist in den Augen der Bundesbürger das wichtigste
Kapital einer Bundesregierung. Deshalb ist der Umgang
mit dem Steuerzahler so wichtig: Gewinnt der Steuerzahler nämlich den Eindruck, daß ständig eine neue Abgabenlawine auf ihn zurollt, dann verspielen die politisch Verantwortlichen schnell jeglichen Kredit. SPD
und Grüne sind auf dem besten Wege den Vertrauensvorschuß, den ihnen die Wähler gegeben haben, in Windeseile zu verspielen. Dies geschieht leichtfertig, weil
kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue unausgereifte Idee die Runde macht.
({4})
Ob Steuer auf Flugbenzin, Ökosteuer, höhere Mineralölsteuer oder eine Anhebung der Mehrwertsteuer: Die
rotgrüne Koalition läßt keine Gelegenheit aus, alle Bürger und die gesamte Wirtschaft in unserem Lande zu
verunsichern. Rotgrünes Chaos herrscht in der Finanzpolitik.
({5})
Ich sage Ihnen: So wird in unserem Lande kein Vertrauen geschaffen; so wird Vertrauen verspielt. Wer aber
das Vertrauen in die Zukunft unseres Landes verspielt,
der verspielt die Chance auf Wachstum und auf Schaffung neuer Arbeitsplätze.
({6})
Das Wort für
die Bundesregierung hat jetzt die Parlamentarische
Staatssekretärin Barbara Hendricks.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Thiele, ich glaube, ich
kann fast wörtlich zitieren, was Sie eben gesagt haben:
Gewinnt der Steuerzahler den Eindruck, daß ständig
neue Steuererhöhungen auf ihn zurollen, dann verspielt
die Politik schnell jeglichen Kredit. - Die Aussage ist
richtig. Was ist Ihr Handeln, wodurch die Politik jeden
Kredit verspielt? Sie verbreiten die Unwahrheit, damit
Menschen einen falschen Eindruck gewinnen.
({0})
Ohne Ihre vorherigen Ausführungen würde keine weitere Verunsicherung um sich greifen. Sie sind für diese
Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger verantwortlich,
({1})
wenn Sie hier wider besseres Wissen erklären, die Bundesregierung plane Steuererhöhungen. Dies ist nicht der
Fall.
({2})
Mit dieser Debatte will die Opposition offenbar von
ihren inhaltlichen Defiziten in der Steuerpolitik ablenken.
({3})
Für Aufregung in diesem Bereich fehlt es aber an jeder
sachlichen Grundlage. In einer Zeit sich abschwächender Konjunktur wollen wir keinesfalls den gleichen
Fehler wie Japan machen. Dieses Land ist über eine
Mehrwertsteuererhöhung in eine Rezession gestolpert.
Wir haben es in Deutschland vor allem mit einer
nachlassenden Exportnachfrage infolge der Krisen in
Asien, Lateinamerika und Rußland zu tun. Gleichzeitig
hat die vorige Bundesregierung, für deren Maßnahmen
Sie die Verantwortung weiterhin zu tragen haben, die
Binnennachfrage sträflich vernachlässigt und verkümmern lassen.
({4})
Jetzt eine Mehrwertsteuererhöhung obendrauf zu setzen
- so wie es die alte Vorgängerregierung wollte; sie hatte
entsprechende Ankündigungen in diffusen Fußnoten
ihres Steuerreformkonzeptes versteckt - wäre pures Gift
für unsere Konjunktur.
({5})
Unsere Steuerreform, mit der wir Bürger und Unternehmen, besonders den Mittelstand, entlasten, braucht
keine Mehrwertsteuererhöhung. Wir kommen ohne
Mehrwertsteuererhöhung und ohne Erhöhungen aus, die
in Fußnoten versteckt angekündigt werden.
({6})
- Ich bin jederzeit bereit, dies den Mitgliedern des nordrhein-westfälischen Landtages zu sagen.
({7})
Allerdings erlaubt mir meine Position nicht, dies im
nordrhein-westfälischen Landtag selbst zu tun.
Wir kommen ohne Mehrwertsteuererhöhung aus und
verstecken sie auch nicht in Fußnoten. Wir haben eine
ausreichende und solide Finanzierung durch die Maßnahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.
Wir haben eine angemessene Nettoentlastung von rund
15 Milliarden DM,
({8})
die auch mit der schwierigen Haushaltslage von Bund,
Ländern und Gemeinden im Einklang steht und die mit
allen sozialdemokratischen Landesfinanzministern in
der vergangenen Woche und wieder heute morgen verabredet worden ist.
Im übrigen wird durch unsere anstehende dreistufige
Steuerreform der unternehmerische Mittelstand bereits
jetzt nachhaltig entlastet.
({9})
- Hören Sie bitte zu! Man kann natürlich immer leichter
Unwahrheiten verbreiten, wenn man nicht klüger werden will.
({10})
Netto beträgt die Entlastung allein für den Mittelstand
rund 3,5 Milliarden DM. Von der Entlastung durch die
Tarifsenkung und die Erhöhung des Kindergeldes kommen allein 14,5 Milliarden DM beim Mittelstand an.
Gleichzeitig wird der Mittelstand von mehr als zwei
Dritteln des Volumens der Gegenfinanzierung durch
die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage überhaupt
nicht berührt.
({11})
Belastet wird nur dort, wo die vorherige Regierung die
Steuervergünstigungen hat wuchern lassen. Dies trifft
insbesondere die Großunternehmen, einzelne Branchen
und Bezieher hoher Einkommen.
Fazit ist: Der Mittelstand erhält bereits eine angemessene Entlastung durch unsere Steuerreform. Eine weitere
Entlastung, finanziert über eine Umsatzsteuererhöhung,
ist deshalb nicht notwendig. Im übrigen wäre angesichts
der sich abschwächenden Konjunktur eine Überwälzungsmöglichkeit eventuell auch gar nicht gegeben.
Dann wäre eine Belastung des Mittelstandes die Folge,
und das wäre geradezu kontraproduktiv.
({12})
- Ja, darum tun wir es auch nicht; das ist ganz einfach.
Sie behaupten zwar, daß wir es tun wollten, aber wir tun
es nicht. Nehmen Sie das doch einfach zur Kenntnis.
({13})
Die Erhöhung der Energiesteuern, wie wir sie jetzt im
Entwurf eines Gesetzes zum Einstieg in die ökologische
Steuerreform vorgesehen haben, ist Element eines viel
weiter greifenden Konzeptes und darf nicht isoliert gesehen werden. Wir wollen nämlich den Faktor Arbeit
verbilligen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Dabei
ist eine Senkung der Sozialabgabenbelastung vordringlich. Mit der gleichzeitigen Erhöhung der Energiesteuern
verteuern wir den Energieverbrauch und verfolgen damit
zugleich umweltpolitische Ziele.
({14})
Unser Konzept ist sozialverträglich und ökonomisch
vernünftig. Es schafft Arbeitsplätze, beschleunigt den
Strukturwandel und fördert die Umwelt.
({15})
Darüber hinaus ist unser Konzept aufkommensneutral.
Es stellt also keine Steuererhöhung dar, auch wenn Sie
das immer wieder behaupten.
({16})
In der Tat: Es gibt eine gewollte Umschichtung der Abgabenbelastung: eine Entlastung bei den dringend benötigten Arbeitsplätzen
({17})
und eine Mehrbelastung beim Verbrauch von endlichen
Energieressourcen.
Dieses Ziel fand sich im übrigen auch in der Koalitionsvereinbarung der alten, abgewählten Bundesregierung. Es wurde aber nie eingelöst; denn die erdrückende
Belastung des Faktors Arbeit wurde von der früheren
Bundesregierung nicht ernst genommen. Die Folge ist
heute eine hohe Arbeitslosigkeit, an der wir schwer zu
tragen haben.
({18})
Wir dagegen werden jetzt zügig unser in den Koalitionsvereinbarungen dargelegtes Vorhaben konsequent
und allen Widerständen zum Trotz durchsetzen und fangen gleich nächstes Jahr damit an: zum Wohle der Arbeitnehmer und der Unternehmen gleichermaßen. Wir
werden auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des nächsten Jahres
mit Nachdruck auf die weitere Harmonisierung der
Energiebesteuerung in Europa hinwirken.
({19})
Die Zielsetzung dabei ist, europaweit gleiche Wettbewerbsverhältnisse bei der Energiebesteuerung zu erreichen und gleichzeitig die umweltpolitischen Ziele verwirklichen zu können.
Dabei steht fest: Wir geben das zusätzliche Steueraufkommen aus der Energiesteuererhöhung wieder an
die Bürger und Bürgerinnen und an die Unternehmen
zurück. Das heißt - ich sage es noch einmal -, wir machen eine aufkommensneutrale Umschichtung, die sich
für unsere Arbeitsplätze und für unsere Umwelt lohnen
wird.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Heinz Seiffert.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Staatssekretärin Hendricks, haben Sie Probleme mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit? Lesen Sie keine Zeitungen?
({0})
Haben Sie nicht davon Kenntnis erhalten, daß gestern
abend beim Herrn Bundeskanzler eine Versammlung
stattfand? Warum mußte sie sein, wenn bei Ihnen alles
paletti ist und in geordneten Bahnen abläuft, wie Sie es
hier darstellen wollen?
({1})
Sie geben mit Ihrer Steuerpolitik vor, daß Sie
Wachstum und Beschäftigung fördern wollen, daß Sie
die Investitionskraft der Unternehmen stärken wollen,
daß Sie Arbeitnehmer und Familien spürbar entlasten
wollen und daß es mehr Steuergerechtigkeit geben wird.
({2})
- Ja, klatschen Sie nur. Sie machen zur Zeit alles falsch.
({3})
Mit solch vollmundigen Versprechungen sind Sie in
den Wahlkampf gezogen. Sie haben damit viele hinters
Licht geführt,
({4})
und Sie haben viele aus der Neuen Mitte dazu bewogen,
Sie zu wählen.
Nun zeigen Sie, die Regierung und die Koalition, seit
vier Wochen, wie Sie Ihre Versprechen wirklich gemeint haben. Sie legen den Entwurf eines sogenannten
Steuerentlastungsgesetzes vor, mit dem Sie die Unternehmen und insbesondere den Mittelstand bis 2002 mit
Steuern in Höhe von fast 35 Milliarden DM mehr belasten wollen.
({5})
Gerade bei denjenigen, die Sie auffordern zu investieren,
kassieren Sie am schlimmsten ab.
Den Familien mit Kindern versprechen Sie eine Erhöhung des Kindergeldes, ohne konkret darzulegen, wie
Sie dies finanzieren wollen.
({6})
Aber genau diesen Familien sagen Sie bereits jetzt, daß
sie damit zu rechnen haben, daß die Mineralölsteuer
erhöht wird und daß sie Steuern auf Gas, Strom und
Heizöl zahlen müssen. Das Ganze tarnen Sie dann als
ökologische Steuerreform.
Namhafte Genossen schlagen auch vor, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Das verstehen Sie wohl unter
Steuerharmonisierung in Europa. Sie meinen, da hätten
wir im europäischen Vergleich noch ein bißchen Luft,
und diese Luft müsse man natürlich nutzen. Anderen ist
schon lange das steuerfreie Flugbenzin ein Dorn im
Auge.
({7})
Also wird hierauf eine Steuer verlangt. Auch diese
könnte man ja als ökologisch wertvoll verkaufen.
Die Steuerfachleute der SPD im Sportausschuß planen offenbar eine Sondersteuer für Sportmillionäre und
natürlich auch für ehemalige Spitzensportler, die ihr
Einkommen ja ohnehin längst in Österreich, in der
Schweiz oder in Monaco versteuern. Die werden zittern!
Schaun mer mal.
Meine Damen und Herren von der Regierung und der
Koalition, jeden Tag treiben Sie buchstäblich eine neue
Steuersau durch das Dorf.
({8})
Es gibt täglich neue Zahlen und Ideen. Keiner weiß
noch, was gilt. Wie es beliebt und wie man es hören
will, so stellen Sie Ihre Vorhaben dar. Dem Bauernverband kündigt Ihr Sprecher an, daß es ja wohl nie so
schlimm kommt, wie es im Gesetzentwurf steht. Ich frage mich nur: Warum formuliert man das dann so? Hinsichtlich der von Ihnen gewollten Abschaffung der
Teilwertabschreibungen scheinen Sie langsam zu erkennen, was Sie damit anrichten würden. Ihre ganzen Vorschläge sind nicht durchdacht. Wenn Sie so weitermachen, dann wird „nachbessern“ das Unwort des Jahres
1998.
({9})
Ich würde nicht so weit gehen und Sie, die ganze
SPD-Fraktion, als Chaostruppe bezeichnen. Aber einen
klaren nachvollziehbaren Kurs haben Sie in den letzten
Wochen nun wahrhaftig nicht gefahren.
({10})
Sie haben mit dieser Chaospolitik die Menschen und die
Wirtschaft verunsichert. Niemand glaubt mehr ernsthaft,
durch Ihre Reform und die Kindergelderhöhung netto
wirklich entlastet zu werden. Man tut gut daran. Jeder
spürt doch, daß Sie umverteilen wollen, weil Sie zum
Sparen nicht in der Lage sind. Was Sie mit der linken
Hand geben, kassieren Sie mit der rechten wieder ab.
({11})
Das nennen Sie dann ökologische Steuerreform, Zwang
zur Harmonisierung, Steuervereinfachung, und welche
Schlagworte Sie auch immer vorbringen.
Sie haben den Unternehmen, dem Handwerk und dem
gesamten Mittelstand mit diesen Steuergesetzentwürfen
eindeutige Signale gegeben: Sie wollen wieder die Belastbarkeit der Wirtschaft testen. Damit verhindern Sie
die Fortsetzung unseres Aufschwungs.
({12})
Damit machen Sie Arbeitsplätze am Standort Deutschland kaputt.
Sie haben vor der Wahl versprochen: „Wir sind bereit“. Wir merken jetzt, daß Sie bereit und zu allem fähig, aber nicht in der Lage sind, eine gescheite Politik zu
machen. Sammeln Sie Ihre als Steuerreform getarnten
Abkassiermodelle wieder ein! Gehen Sie in den nächsten vier Wochen in sich, und legen Sie dann ein vernünftiges Steuerkonzept etwa so, wie es Ihr Kollege
Clement vorgeschlagen hat, vor.
({13})
Sie können auch die von uns beschlossene und von Ihnen blockierte Steuerreform wieder einbringen.
({14})
Wir verzichten auf das Urheberrecht. Jedenfalls wäre
alles andere besser als der Kuddelmuddel, den Sie angerichtet haben. Kommen Sie über Weihnachten endlich
zur Besinnung!
({15})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Kristin
Heyne vom Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß
sich mit der Wahl doch einiges hier im Haus verändert
hat. Zum Beispiel war es in der letzten Legislatur häufig
ziemlich mühsam, eine Debatte über die Ökosteuer auf
die Tagesordnung zu bekommen, und in der Regel fand
sie dann zu später Stunde statt. Jetzt aber haben wir
praktisch jede Sitzungswoche die Gelegenheit, über die
Ökosteuer zu reden, und das zu prominenter Zeit. Herzlichen Dank also an die F.D.P.!
({0})
Aber, Herr Thiele, es hat sich heute wieder einmal
gezeigt, daß für Sie Ökosteuer und Benzinsteuer eigentlich ein und dasselbe ist.
({1})
Das greift natürlich viel zu kurz; denn die Benzinsteuer
ist nur ein kleiner Teil davon.
({2})
Wenn Sie sich den ersten Schritt unserer ökologischsozialen Steuerreform angucken, dann werden Sie die
Erfahrung machen, daß man auch mit einer äußerst
bescheidenen Anhebung des Benzinpreises eine sehr
respektable Ökosteuer auf die Beine stellen kann.
({3})
Wir haben vor der Wahl angekündigt, daß wir in dieser Legislatur eine Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent anstreben; dies ist zu
100 Prozent in unserem Koalitionsvertrag umgesetzt
worden. Ich bin sicher, daß wir dieses Ziel erreichen.
({4})
Für die Festlegung der Tarife in der zweiten Stufe der
Ökosteuerreform haben wir sehr bewußt die Zeit nach
unserer EU-Ratspräsidentschaft gewählt. Wir werden
versuchen, in dieser Zeit gemeinsam einen wesentlichen
Schritt bei der Energiesteuer zu tun. Danach werden wir
sehen, wie der nächste Schritt, der Schritt auf nationaler
Ebene, auszusehen hat. Natürlich werden wir dabei auch
auf die Preisentwicklung achten;
({5})
denn zum Beispiel muß man davon ausgehen, daß die
Preise beim Mineralöl noch weiter sinken, und sinkende
Preise geben keinen Anreiz, das Dreiliterauto zu kaufen,
welches doch gerade unser Exportschlager werden soll.
Dafür aber muß es auch im Inland erfolgreich sein.
({6})
In der vergangenen Woche wurde wieder einmal die
Begehrlichkeit nach höherer Mehrwertsteuer laut; das ist
bekanntlich auch schon in der Zeit vor der Bundestagswahl geschehen. Ich glaube, ich muß heute nicht noch
einmal darüber reden, was eine Mehrwertsteuererhöhung für den Handel und das Handwerk und damit für
die Arbeitsplätze in diesem Bereich bedeuten würde.
Die Kritik der Opposition gerade an diesem Punkt aber
zeugt doch von einem ultrakurzen Gedächtnis;
({7})
denn hätten wir Ihre große Einkommensteuerreform so
durchgeführt, wie sie auf dem Tisch gelegen hat - jeder
kennt sie ganz genau -, hätten wir eine so riesige Finanzierungslücke, daß wir mit einer satten Mehrwertsteuererhöhung rechnen müßten. Das ist so sicher wie das
Amen in der Kirche.
({8})
Mit dieser Erhöhung hätten Sie dann Ihre sogenannte
Nettoentlastung - die Absenkung der Steuerverpflichtung - für Besserverdienende und Gutverdienende bezahlt. Gezahlt aber hätten in besonderem Maße MenHeinz Seiffert
schen mit niedrigem Einkommen und gerade Familien
mit Kindern; denn bei Windeln, Kleidung und Spielzeug
läßt sich nur schwer sparen.
({9})
Darum - das will ich hier ganz klar sagen - kommt eine
Erhöhung der Mehrwertsteuer für uns nicht in Frage,
schon gar nicht als Gegenfinanzierung für eine Einkommensteuerreform.
({10})
Wir haben im europäischen und im internationalen
Vergleich keinen ungewöhnlich hohen Anteil am Steueraufkommen aus direkten Steuern; da liegen wir im normalen Mittel. Wir nehmen aber inzwischen bei den Sozialversicherungsabgaben eine traurige Spitzenposition
ein. Hier gilt es, endlich Entlastung zu schaffen.
({11})
Wir werden bei den Sozialversicherungsbeiträgen
und damit bei den Kosten der Arbeit Entlastung schaffen. Zur Gegenfinanzierung wollen wir aber nicht allgemeine Verbrauchsteuern einsetzen, sondern den Verbrauch besteuern, der sich verringern muß. Und das ist
der Umwelt-, das ist der Energieverbrauch.
({12})
Die Ökosteuer ist die Steuer, bei der das Ausweichen
explizit erwünscht ist. Dies ist zum Beispiel möglich
durch das Abschalten der Stand-by-Funktionen im
Haushalt, beim Fernsehen und beim CD-Player, oder indem man das Auto mal stehen läßt oder es sich - das ist
noch besser - mit ein paar Leuten teilt. Das geht ganz
gut; ich praktiziere dies inzwischen seit vielen Jahren.
Wer sich so verhält, kann nach der ökologisch-sozialen
Steuerreform sogar als Gewinner herausgehen.
Mit dem Einstieg in die ökologisch-soziale Steuerreform korrigieren wir eine gefährliche Fehlentwicklung
im bundesdeutschen Steuersystem. Wir machen Arbeit
billiger und Umweltverbrauch teurer.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Anmerkung
zu Ihrem Gedächtnis machen, Herr Thiele. Ich beziehe
mich auf das Flugbenzin. Ich kann mir nicht vorstellen,
daß Sie völlig vergessen haben, daß es vor nicht einmal
einem Jahr in diesem Hause einen fraktionsübergreifenden Antrag gab, der die Bundesregierung aufgefordert
hat, in den internationalen Gremien dafür zu sorgen, daß
die Steuer auf Flugbenzin endlich erhoben werden darf.
({13})
Heute zahlt der Pendler Steuer; sogar die Bahn zahlt für
die Dieselloks Steuer. Nur der Flug wird nicht besteuert.
Dies ist nicht sozial und nicht ökologisch, sondern einfach Unfug.
({14})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Heidemarie Ehlert
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, daß man in den letzten Tagen mit
ansehen konnte, wie einige SPD-Ministerpräsidenten der
eigenen Bundesregierung in den Rücken fallen. Um aus
dem langen Schatten des ehemaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau herauszutreten, muß sein Nachfolger,
Herr Clement, plötzlich die beabsichtigte Kindergelderhöhung und die mangelnde Entlastung für die Wirtschaft
im Steuerentlastungsgesetz der Regierung kritisieren.
Es entbehrt aber vor allem deshalb nicht einer gewissen Komik, weil die innerparteilichen Rangeleien der
führenden SPD-Gremien durchaus Tradition haben. Ich
darf an die Diskussion zum Jahressteuergesetz 1996 erinnern: Die SPD-Bundestagsfraktion unter der Leitung
des Kollegen Scharping forderte bereits damals die Erhöhung des Kindergeldes auf 250 DM für 1996.
({0})
Obwohl diese Forderung bereits 1994 Inhalt des Wahlprogramms war, meldeten sich auf einmal verschiedene
SPD-Ministerpräsidenten und -präsidentinnen zu Wort
und meinten, diese Forderung sei nicht finanzierbar.
Insbesondere Frau Simonis aus Schleswig-Holstein und
Herr Schröder aus Niedersachsen drohten deshalb, die
Forderung der eigenen Bundestagsfraktion im Bundesrat
nicht zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: So schnell kann
einen die Geschichte einholen. Jetzt, wo der Herr Bundeskanzler offensichtlich die Quellen zur Finanzierung
der Kindergelderhöhung entdeckt hat, sieht ein neuer
Ministerpräsident, diesmal aus Nordrhein-Westfalen, die
Chance zur eigenen Profilierung. Dieses Spektakel würde wie eine Realsatire wirken, wenn sich dahinter nicht
die Gefahr eines weiteren Sozialraubs verbergen würde.
Denn im Kern zielt diese Debatte in den Reihen von
SPD und Bündnisgrünen auf eine erneute Entlastung
von ertragsstarken Unternehmen und hohen Einkommen
ab.
Die dadurch entstehenden Haushaltslöcher sollen
durch eine weitere Anhebung der Mineralölsteuer und
der Mehrwertsteuer gestopft werden. Arbeitslose und
Studierende, Sozialhilfeberechtigte, Rentnerinnen und
Rentner sollen im Resultat steigende Unternehmensgewinne bezahlen, Beschäftigte ihre Entlastungen aus
eigener Tasche finanzieren. Das geschieht - ganz
nebenbei - vor dem Hintergrund, daß sich die rotgrüne
Regierung mit dem Argument von Finanzierungsengpässen nicht einmal dazu durchringen konnte, zum
1. Januar 1999 den Grundfreibetrag und das Kindergeld
auf eine verfassungskonforme Höhe anzupassen.
Was dem Parlament und den Bürgerinnen und Bürgern hier geboten wird, ist ein altes Spiel nicht ganz
neuer Akteure. Bereits zum 1. April dieses Jahres wurde
durch die alte Regierung, also von CDU/CSU und
F.D.P., die Mehrwertsteuer erhöht, mit dem Argument,
die Rentenbeiträge stabil zu halten. Dem stimmte die
SPD-Fraktion geschlossen zu. Die PDS lehnte dies - wie
bisher jede Mehrwertsteuererhöhung - ab.
Nun sollen, um die Rentenbeiträge und Unternehmensteuern zu senken, eine Energiesteuer eingeführt
und die Mineralöl- und Mehrwertsteuer erhöht werden.
Bei der Erhöhung der Mineralölsteuer wird dabei nicht
einmal mehr der Anschein einer ökologischen Reform
gewahrt, weil sie am falschen Ende ansetzt, nämlich
beim Verbraucher und nicht bei der Erzeugung. Einziges
Resultat wird sein, daß man gerade den Beschäftigten,
denen man bisher eine immer höhere Mobilität abverlangte und immer längere Arbeitswege zumutete, höhere
Kosten auferlegt, ohne ihnen überhaupt die Chance zur
verstärkten Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zu
geben.
Diese Erhöhung der Verbrauchsteuern ist aber nicht
nur sozial ungerecht, meine Damen und Herren von der
Koalition, sondern Sie begeben sich damit auch in eigene Widersprüche. Einerseits möchten Sie, nach Lesart
des Finanzministers, die Kaufkraft der Bürgerinnen und
Bürger stärken, um die Wirtschaft anzukurbeln, andererseits produzieren Sie wie am Fließband neue Ideen zur
Erhöhung von indirekten Steuern und belasten damit die
Konsumenten,
({1})
somit gerade die Menschen, von denen Sie vorgeben,
daß sie entlastet und steuerlich bessergestellt werden
sollen.
({2})
Meine Damen und Herren von der Regierung und der
Koalition, es ist langsam an der Zeit, daß Sie sich über
die Zielrichtung Ihrer Steuerpolitik einig werden. Es
reicht nicht, daß Frau Dr. Hendricks eine Steuererhöhung verneint, wenn es gleichzeitig im Nebensatz heißt,
daß wir der Angleichung in Europa unterliegen. Was
heißt denn das? Wir kommen nicht raus aus Europa.
({3})
In der Presse wird es schon angekündigt. Sie sagen laut:
Wir wollen keine Steuererhöhung. Aber kommen wir
raus aus Europa? Das ist die Frage.
Danke.
({4})
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, das war die erste Rede der
Kollegin Ehlert in diesem Hohen Hause. Ich beglückwünsche sie dazu.
({0})
Als nächste Rednerin hat Frau Professor Monika
Ganseforth von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Vielleicht gleich einmal eines zur Richtigstellung: Was in der EU beschlossen
wird, ist, jedenfalls in diesem Bereich, auf Einstimmigkeit angewiesen, das heißt, die Bundesrepublik hat natürlich ein Wörtchen mitzureden. Insofern haben wir da
schon Einfluß.
Einen zweiten Punkt möchte ich aufgreifen; Herr
Thiele hat ihn hier angesprochen. Ich finde, er hatte
recht, als er gesagt hat, die Belastungsgrenze, was Steuern anbelangt, sei in Deutschland erreicht oder sogar
überschritten. Aber wem haben wir das zu verdanken?
Was hat dazu geführt, daß die Belastungsgrenze erreicht
ist? Sie können sich doch nicht hier hinstellen und so
tun, als wären Sie für die heutigen Zustände nicht verantwortlich.
({0})
Weil wir diese Erblast vorfinden, bringen wir ein
Steuerentlastungsgesetz ein, das diesem Mißstand entgegenwirken soll und das versucht, herbeizuführen, was
dringend nötig ist, nämlich daß die unteren Einkommen
und der Mittelstand entlastet werden.
Ich möchte aber diese Aktuelle Stunde, mit der Sie
mir dazu Gelegenheit geben, nutzen, über die ökologische Steuer- und Abgabenreform zu sprechen und Ihnen
das Konzept, das Sie anscheinend nicht verstanden haben, noch einmal zu erklären.
({1})
Ich erinnere daran, daß wir vor etwa einem Jahr hier debattiert haben, als es darum ging, daß die Rentenversicherungsbeiträge und die Lohnnebenkosten durch Ihre
Politik noch einmal erhöht werden sollten. Die Gefahr
bestand, aber sie ist dann durch die Erhöhung der
Mehrwertsteuer zum 1. April gebannt worden. Haben
Sie denn das alles vergessen, was unter Ihrer Regierung
passiert ist?
({2})
Wir sprechen heute darüber, wie wir die Lohnnebenkosten senken und daß die Rentenversicherungsbeiträge
um 0,8 Prozentpunkte gesenkt werden sollen. Eine Absenkung in dieser Höhe hat es seit langer, langer Zeit
nicht gegeben.
({3})
Sie wird nicht etwa durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer finanziert, sondern wir schaffen den Einstieg in
die ökologische Steuer- und Abgabenreform.
({4})
Die ökologische Steuerreform wird seit sehr langer
Zeit diskutiert. Es gibt Vorschläge und Modellrechnungen, zum Beispiel 1988 von dem Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg und 1990 durch den BUND. Die
SPD ist mit dem Programm „Fortschritt 90“ in den
Wahlkampf 1990 gezogen.
({5})
- Herr Schäuble, wenn Sie jetzt dazwischensprechen,
muß ich Ihnen sagen: Auch Sie haben vor einem halben
Jahr das Konzept entdeckt und hier propagiert. Aber es
nützt nichts, nur darüber zu reden und es zu propagieren,
sondern man muß es auch machen, und das tun wir jetzt.
({6})
Ich möchte gerade der F.D.P. sagen: Wir nutzen endlich marktwirtschaftliche Instrumente für den Umweltschutz.
({7})
Sie haben in Ihrer Regierungszeit Umweltschutz überwiegend durch das Ordnungsrecht, durch Grenzwerte,
durch Verbote und Gebote, vorangetrieben und vergessen, daß es ein sehr wirksames Instrument gibt, nämlich
die Marktwirtschaft.
({8})
Vielleicht ist Ihnen das entgangen, und vielleicht sind
Sie deswegen so aggressiv: Wir werden in moderaten
Schritten die Entwicklung anstoßen, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch den Unternehmen Anreize gibt, sich freiwillig in die richtige Richtung
zu bewegen, den Energieverbrauch zu senken und Energiespartechniken anzuwenden.
({9})
Es wird in den Köpfen und in der Realität zu einer
Änderung kommen, indem man nicht nur mit Verboten
und Geboten sowie Grenzwerten arbeitet, sondern dies
auch über Preise und über marktwirtschaftliche Instrumente zu erreichen versucht. Über die Ausgestaltung
kann man im einzelnen reden, und das sollen wir auch.
Wir werden unsere Vorschläge zur ersten Stufe in einer
Anhörung zur Diskussion stellen und dann umsetzen.
Ich will, da Sie die Mineralölsteuererhöhung ansprechen, aber auch noch sagen: Sie haben in Ihrer Zeit das
Instrument Mineralölsteuererhöhung extensiv genutzt.
Vor zehn Jahren lag die Mineralölsteuer auf Benzin bei
48 Pfennig; sie ist in den letzten zehn Jahren um über 50
Prozent gestiegen.
({10})
Dies gilt für unverbleites Benzin, und beim verbleiten ist
sie noch deutlicher gestiegen und auch beim Dieselkraftstoff.
({11})
Dies geschah aber ohne jede ökologische Komponente,
sondern dies diente nur dem Stopfen von Haushaltslöchern zur Verbesserung der Einnahmesituation.
(Beifall bei der SPD - Friedrich Merz [CDU/
CSU]: Was machen Sie denn jetzt?
Wir legen die ökologische Steuer- und Abgabenreform
vor,
({12})
die einerseits mit der immer weiteren Belastung der Arbeits- und Lohnnebenkosten Schluß macht und auf der
anderen Seite marktwirtschaftliche Anreizinstrumente
zum Schutz der Umwelt beinhaltet.
Wir sind mit diesem Konzept in den Wahlkampf gezogen, und wir haben dafür eine Mehrheit bekommen.
Unsere Wählerinnen und Wähler - nicht Ihre, sondern
unsere - erwarten,
({13})
daß wir das umsetzen. Und wir tun das.
Schönen Dank.
({14})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Hansgeorg
Hauser von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Unter den zahlreichen in- und ausländischen
Kommentaren über den katastrophalen Fehlstart der rotgrünen Bundesregierung war auch die „Süddeutsche
Zeitung“ vertreten. Sie meinte, die Regierung Schröder
übe noch.
({0})
Sie empfahl der Regierung, möglichst nicht schon im
Training die gesamte Bundesrepublik umkrempeln zu
wollen.
Eines dieser Trainingsfelder ist die Wirtschaft. Hier
dürfen nun einige Ideologen - dazu haben wir gerade
ein schönes Beispiel gehört - austesten, wie belastbar
unsere Wirtschaft ist. Aber - das läßt sich an Hand der
Reaktionen der Betroffenen und der eingegangenen
Stellungnahmen bereits jetzt sagen - dieser vorgelegte
Gesetzentwurf zum Einstieg in die ökologische Steuerreform erweist sich als grandioser Rohrkrepierer.
({1})
An dem Gesetzentwurf stimmt nur, daß er von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen eingebracht worden ist und
die Drucksache 14/40 hat. Ansonsten ist der Reformentwurf weder ökologisch sinnvoll noch sozial gerecht
und schon überhaupt nicht beschäftigungsfördernd. Im
Gegenteil. Diese angedachte Steuerreform ist systemwidersprüchlich, haushaltsschädlich und lädt gerade zur
Umgehung ein. Durch die Verwendung von schwammigen Begriffen oder auch faktisch nicht abgrenzbaren
Tatbeständen entsteht zudem noch eine ungeheure Verunsicherung insbesondere in der Wirtschaft.
Die Unternehmen haben zur Zeit keine Kalkulationsgrundlage für künftige Preise, sofern sie Kostensteigerungen überhaupt weitergeben können. Dabei wird es
nicht so sein wie beispielsweise bei der Bahn. Wenn
diese 280 Millionen Mark mehr tragen muß, dann wird
sich das halt auf die Preise niederschlagen. Das zahlen
dann Ihre kleinen Leute, die Sie alle entlasten wollen.
Diese breite Irritation der Öffentlichkeit hat natürlich
auch gewaltige Spuren bei Ihren eigenen Leuten hinterlassen. Es kommt der Druck aus dem eigenen Klientel.
Herr Schlauch verkündet etwa, daß mit den 6 Pfennig
Mineralölsteuererhöhung das Ende der Fahnenstange
noch lange nicht erreicht ist. Frau Müller sagt: Das
nächste Mal muß das jeweils um 10 Pfennig erhöht werden. Dazu kann ich nur sagen: Warum gehen Sie nicht
zu Ihrem ursprünglichen Beschluß zurück: 5 Mark? Sagen Sie doch, was Sie wollen! Das wäre wesentlich ehrlicher; die Wahlen sind doch vorbei. Insofern könnten
Sie dies wieder aus den Schubladen hervorziehen.
({2})
Aber auch die anderen bekommen Druck beispielsweise aus der Wirtschaft. Einige Ihrer Vertreter rennen
zu den Verbänden und erzählen: Wir machen doch überall Nachbesserungen, und wir werden das und das ändern. Herr Schwanhold zum Beispiel macht seinen eigenen Verbänden Versprechungen, die er nicht halten
kann, weil Sie das Geld brauchen. Deswegen ist jetzt die
Mehrwertsteuer ins Spiel gekommen. Ich sage Ihnen
voraus, daß Sie beides machen werden: Sie erhöhen die
Energiepreise, belasten die Verbraucher, und Sie erhöhen auch die Mehrwertsteuer. Das können wir alles abwarten. Lafontaine hat den Vorschlag von Clement hierzu zwar abgelehnt, hat aber auch gesagt: Es ist ein wertvoller Diskussionsbeitrag. - Wir werden sehen, wie sich
das auswirkt.
Daß es eine ganze Menge Umgehungsmöglichkeiten
gibt, ist schon sehr deutlich dargestellt worden. Es wird
zu Verlagerungen ins Ausland kommen. Man wird energieintensive Bereiche zusammenlegen usw. usf. Die
Rahmenbedingungen für die Wirtschaft werden damit
aber mit Sicherheit nicht besser. Das hat ein Wissenschaftler aus Regensburg, Markus Dendl, vor kurzem in
einem sehr lesenswerten Aufsatz in der „FAZ“ vom
28. November 1998 dargestellt. Er schrieb, daß die
Vermehrung von Arbeitsplätzen eine rotgrüne Mär bleiben wird. Ich kann Ihnen diesen Artikel gerne zur Verfügung stellen. Der nationale Alleingang wird für die
Wirtschaft mit Sicherheit ein riesiges Problem werden.
Wir werden nicht mehr, sondern weniger Arbeitsplätze
haben.
Daß das alles natürlich auch auf den Haushalt durchschlägt, werden Sie sehr schnell erkennen. Denn eines
ist sicher: Ab 1999 kostet Sie die Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge 13,9 Milliarden DM. Woher Sie
das Geld nehmen - bei der löchrigen Vorstellung von
dem, was Sie machen wollen -, wird Ihre Sache sein.
({3})
Wir werden sehr schnell sehen, daß die notwendigen
Nachbesserungen noch mehr Löcher reißen werden und
Sie Probleme mit dem Haushalt bekommen.
Den eingangs erwähnten Rat der „Süddeutschen Zeitung“, weiterzuüben, sollten Sie wirklich ernsthaft befolgen. Gehen Sie zurück in ein ordentliches Trainingslager, und arbeiten Sie etwas Vernünftiges aus!
({4})
Am besten aber werfen Sie Ihren Gesetzentwurf dorthin,
wo er hingehört, nämlich in den Papierkorb.
({5})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Reinhard
Loske vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich vorgestern erfuhr, daß die F.D.P. eine Aktuelle
Stunde zur ökologischen Steuerreform, zu Energiesteuern, zur Mineralölsteuer, beantragt hat, habe ich
erwartet, daß jetzt endlich einmal konstruktive Vorschläge kommen. Ich habe mich nämlich an die Zwischenfrage von Herrn Thiele bei der Einbringung des
Gesetzentwurfs erinnert. Er hat mich gefragt, warum wir
seinerzeit nicht den Vorschlag der F.D.P. unterstützt
hätten, einen dritten Mehrwertsteuersatz, und zwar auf
Energie, also eine Energiemehrwertsteuer, einzuführen.
({0})
Das hatte ich als Gegenstand Ihrer Aktuellen Stunde erwartet.
({1})
Aber noch nicht einmal dazu hat es gereicht. Es ist reine
Polemik geworden.
({2})
Was wir hier jetzt machen sollten, ist, unseren Vorschlag mit Ihrem Vorschlag zu vergleichen. Ihr alter
Vorschlag war, einen dritten Mehrwertsteuersatz einHansgeorg Hauser ({3})
zuführen, und zwar auf Energie. Darauf würde ich gerne
eingehen; darauf habe ich mich vorbereitet.
({4})
Punkt eins. Man muß sich schon wundern, daß ein so
alter Hut immer wieder ausgepackt wird. Es ist auch im
Grunde genommen von niemandem aufgegriffen worden, außer am Montag vom BDI-Chef Henkel, der natürlich gesagt hat, das sei ein guter Vorschlag. Aber die
Realität ist doch eine ganz andere. Wir müssen zur
Kenntnis nehmen, daß der Zug in Europa in eine andere
Richtung fährt; das ist wirklich sehr wichtig. Es gibt in
Europa kein anderes Land, das den Weg eines dritten
Mehrwertsteuersatzes, eines Steuersatzes auf Energie,
geht. Der Zug fährt in eine andere Richtung - Stichwort
Dänemark, Stichwort Holland, Stichwort Vereinigtes
Königreich -: Die machen es so wie wir in Deutschland.
Wir sind aber gegen einen deutschen Sonderweg bei der
Steuer und für eine europäische Lösung.
({5})
Zweiter Punkt. Auch bei der Kommisison wird die
Sache anders gesehen; Herr Thiele, das wissen Sie ganz
genau. Niemand will dort etwas über einen solchen
Mehrwertsteuersatz hören. Sie haben es auch Herrn
Monti nur zwischen Tür und Angel angeboten. Der hat
diesen Vorschlag im Prinzip abgelehnt. Das heißt also:
Auch hier geht der Trend in eine andere Richtung. Der
Unterschied zu früher ist: Während Sie damals in Brüssel mit drei Stimmen gesprochen haben - Frau Merkel
dafür, Herr Rexrodt dagegen und Herr Waigel nach dem
Motto: Leg dich quer, dann bist du wer -, reden wir dort
nur mit einer Stimme. Wir hoffen, so ein bißchen
weiterzukommen.
({6})
Dritter Punkt. Der Hauptunterschied zu Ihren alten
Vorstellungen ist folgender: Wir wollen eine Dynamik;
wir wollen einen schrittweisen Prozeß weg von der
steuerlichen Belastung des Faktors Arbeit hin zur
steuerlichen Belastung des Faktors Ressourcen. Das,
was Sie mit dem dritten Mehrwertsteuersatz auf Energie
vorgeschlagen haben, wäre nichts anderes als ein Strohfeuer und hätte überhaupt keinen Effekt über die Zeitachse.
Vierter und letzter Punkt. Ein solcher Vorschlag wäre
auch sozial völlig unausgewogen. Die höheren Energiepreise würden ausschließlich von den Verbraucherinnen
und Verbrauchern gezahlt; denn die Wirtschaft - das
wissen Sie genau - könnte das im Rahmen des Vorsteuerabzugs von der Umsatzsteuer wieder abziehen.
Daß Sie von der F.D.P. keine Probleme damit haben, im
wesentlichen die kleinen Leute über den Löffel zu
balbieren, ist mir ebenfalls klar.
({7})
Wir wollen das nicht.
({8})
Diese vier Punkte haben vielleicht klargemacht, daß
der dritte Mehrwertsteuersatz nicht die Alternative sein
kann. Vielmehr geht es darum, eine Linie zu verfolgen,
wie wir sie mit dem ersten Schritt vorzugeben versuchen.
Sie haben eine Aktuelle Stunde zur ökologischen
Steuerreform beantragt.
({9})
Aber Ihre Vorstellungen sind weder aktuell, noch sind
sie es wert, daß man darüber eine ganze Stunde redet.
Das ist doch das Problem.
({10})
Ich will die mir verbleibende Minute dazu nutzen, ein
paar Zahlen zurechtzurücken. Es ist hier heute schon
zweimal die geschätzte „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zitiert worden; das ist auch ein gutes Blatt, keine
Frage. Heute steht in der „Süddeutschen Zeitung“ ein
Artikel mit der Überschrift: „Öl ist jetzt in Wirklichkeit
zu billig“. Darin werden quasi die Fakten klargerückt.
Heute kostet das Faß Öl nur noch 10 Dollar. Anfang
der achtziger Jahre kostete es 36 Dollar, bei einem wesentlich höheren Dollarkurs. Das heißt, ein Liter Mineralöl kostet 13 Pfennig. Dabei haben wir eine ganz klare
Tendenz nach unten; die Preise sind im freien Fall. Das
führt natürlich im Ergebnis dazu, daß überhaupt keine
Anreize zu Einsparungen gegeben werden.
Wir haben im Strombereich eine ähnliche Tendenz das wollen wir auch -: Durch mehr Wettbewerb fallen
die Preise. Das heißt aber, es entstehen keine Anreize.
Wenn wir es durch eine ökologische Steuerreform nicht
schaffen, diese Kosten wieder zu erhöhen, werden sich
im Ergebnis Investitionen in Energiesparhäuser, in effiziente Maschinen, in Solartechnologie als Fehlinvestitionen erweisen. Das wollen wir nicht.
({11})
Meine Redezeit ist um, meine Damen und Herren. Ich
glaube, es ist klargeworden, daß Ihnen auf der rechten
Seite heute nicht an einer Debatte über die vernünftige
Gestaltung der ökologischen Steuerreform gelegen ist.
Vielmehr wollten Sie wieder einmal die Gelegenheit zu
einem Rundumschlag nutzen. Der ist Ihnen mißlungen.
Danke schön.
({12})
Als
nächste Rednerin hat Frau Professor Gisela Frick von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich glaube, gerade an dieser Stelle ist es
notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen, was eigentlich heute auf der Tagesordnung des Plenums steht.
({0})
Wir haben eine Aktuelle Stunde beantragt, und der
Anlaß für die Aktuelle Stunde - das hat der Kollege
Thiele zur Begründung schon bei der Einleitung gesagt - waren die Äußerungen von Mitgliedern der Regierungskoalition insbesondere am Wochenende, wobei
eine Erhöhung der Mineralölsteuer, eine Flugbenzinbesteuerung und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorgeschlagen wurde. Das waren auch nicht irgendwelche
Hinterbänkler der Koalitionsfraktionen, sondern es waren doch recht prominente Mitglieder. Insofern ist es,
glaube ich, mehr als berechtigt, daß wir die Regierung
nun fragen, wie sie eigentlich dazu steht.
({1})
Das ist das Thema dieser heutigen Stunde.
({2})
Und dazu hat die Staatssekretärin nicht abschließend
und befriedigend Stellung genommen.
({3})
Im Wahlkampf ist insbesondere die SPD, sind aber
auch die Grünen als Alternative angeboten worden, nach
dem Motto: „Wir sind bereit.“ Der Kollege Seiffert hat
das eben schon erwähnt. Interessanterweise wurde nicht
gesagt, wozu Sie bereit sind.
({4})
Das war insofern ganz gut, als Sie dadurch keine falschen Versprechungen gemacht haben. Nach der Wahl
müssen wir natürlich fragen: Wozu waren Sie denn bereit? Insbesondere war Herr Schröder bereit, Kanzler zu
werden, und dann hörte seine Bereitschaft schon auf.
({5})
Dazu paßt natürlich auch die nette Anekdote: „Ich
will da rein!“ Das war sein Ziel, und er ist auch hereingekommen. Nun ist er hochzufrieden. Aber man hört
und sieht von ihm nichts mehr in der ganzen Diskussion.
Das ist das Erstaunliche. Herr Schröder hat einmal gesagt: Wenn ich Kanzler bin, dann werde ich die Richtlinienkompetenz wahrnehmen, die mir nach der Verfassung zusteht. - In diesem Zusammenhang aber hören
wir nichts von ihm. Er taucht ab. Er geht allenfalls mit
Clement essen, wie wir gehört haben. Ich nenne das jetzt
- ich möchte mich auf die jeweilige Küche nicht festlegen; ob es nun der Italiener war oder ein anderer - die
neue Dinner-Connection, egal in welchem Restaurant sie
sich trifft.
({6})
- Ich habe überhaupt nichts gegen gutes Essen. Aber ich
habe sehr viel übrig für gute Politik.
({7})
Das sind zwei verschiedene Sachen. Deshalb sollte man
die Politik nicht vor der Öffentlichkeit geheimhalten und
nicht über sie bei solchen geheimen Treffs zum Essen
mauscheln; vielmehr sollte man klare Stellung dazu beziehen, was Sache ist.
({8})
Zum Inhaltlichen braucht man gar nicht so viel zu sagen. Dazu ist von den Vorrednern schon sehr viel gesagt
worden. Zum ersten Punkt. Die Erhöhung der Mineralölsteuer. - Frau Müller kommt passend „just in time“
herein.
({9})
Die Erhöhung ist ein Punkt, über den wir schon häufig gesprochen haben. Zunächst stellt sich die Frage, wie
sinnvoll es ökologisch ist, wenn es im nationalen Alleingang gemacht wird. - Es ist überhaupt nicht sinnvoll. Wie wirkt es ökonomisch? - Es wird Arbeitsplätze
vernichten. Das ist die ganz überwiegende Meinung der
Vertreter der betroffenen Wirtschaftszweige und auch
der Sachverständigen.
Wir haben gesagt: Wir wollen Steuern senken; wir
wollen sie transparenter, einfacher und gerechter machen. Allen drei Zielen dient eine Mineralölsteuererhöhung gerade nicht. Steuern werden damit erhöht - möglichst noch höher, als es in der Koalitionsvereinbarung
vereinbart wurde -; sie werden noch komplizierter und
undurchsichtiger, und sie werden dadurch noch viel ungerechter - darauf haben wir schon öfter hingewiesen -,
weil eine Erhöhung der Mineralölsteuer natürlich auch
die Leute trifft, die von einer Senkung der Lohnnebenkosten überhaupt nichts haben, nämlich die Rentner, die
Sozialhilfeempfänger, unter denen sich bekanntermaßen
sehr viele Alleinerziehende und Frauen befinden, sowie
Studenten und andere, die keine Sozialabgaben leisten.
Sie sind von einer Senkung der Lohnnebenkosten überhaupt nicht betroffen. Das bedeutet, daß die Reform sozial ungerecht ist.
Die Entscheidung, ob die von Ihnen geplante Energiesteuer überhaupt verfassungsgemäß ist, steht durch
die Ausnahme der energieintensiven Betriebe zwischen
denen die Grenze sehr willkürlich festgelegt wird, seit
längerem in Frage. Verfassungsrechtlich sind wir mehr
als skeptisch.
Bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer gilt das gleiche. Hier verschanzt man sich hinter irgendwelchen Europaargumenten. Es ist doch allgemein bekannt, daß das
nicht zieht: In Europa gibt es einen Korridor zwischen
15 und 25 Prozent. Es liegt in der Kompetenz jedes Nationalstaates, für sein Gebiet die Mehrwertsteuer im
Rahmen dieses Korridors entsprechend festzusetzen.
Das ist bei uns mit 16 Prozent geschehen. Natürlich befinden wir uns damit noch weit unter der höchstmög658
lichen Marke von 25 Prozent. Aber das ist letztendlich
nicht das Europaargument.
Ich muß zum Schluß kommen. Ich möchte Ihnen
noch eines sagen ({10})
- ich finde es auch bedauerlich; ich hätte noch viel zu
sagen -: Wir von der F.D.P. haben Ihr „Wir sind bereit“
etwas ironisch aufgenommen und zum Motto für unsere
Oppositionsrolle gemacht. Wir sind für die Oppositionsrolle bereit. Wir bitten Sie an diesem Tag ganz herzlich:
Lassen Sie uns bitte die Oppositionsrolle, und übernehmen Sie sie nicht selber;
({11})
denn wir möchten Opposition machen. Im Moment
stellen wir fest, daß Sie sich offensichtlich von der Oppositionsrolle noch nicht so weit entfernt haben. Sie machen Opposition in den eigenen Reihen. Ich kann nicht
sagen, daß Sie sie gut machen. Jedenfalls möchten wir
sie alleine machen. Deshalb lassen Sie uns bitte auch
unsere Rolle.
Danke schön.
({12})
Als
nächster Redner hat der Kollege Lothar Binding von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Sehr verehrte Damen und Herren! Sie werden verzeihen,
daß ich mein Wirklichkeitsbild nicht an dem orientiere,
was ich allmorgendlich in der Zeitung lese.
({0})
Sie werden sicherlich verstehen, wenn ich das Thema
der Aktuellen Stunde einmal etwas näher betrachte;
denn hier geht es gar nicht um die seriöse Hinterfragung
eines Steuerkonzeptes, vielmehr geht es um die Kombination bestimmter Begriffe wie „angekündigte Erhöhungen“, um so die Begriffe „Zukunft“ und „Unsicherheit“
mit dem Begriff der Erhöhung zu verknüpfen. Es geht
dreimal um den Begriff der Steuern, herausgelöst natürlich um ein Gesamtkonzept, und es geht darum, den Begriff „angekündigte Erhöhung“ mit dem Begriff „Mehrwertsteuer“ zu verknüpfen. In der Mathematik ist dies
ein beliebter Trick, denn man kann über die Elemente
der leeren Menge beliebig lange nichts Falsches sagen.
Insofern ist das ein sehr geschickt gewählter Tagesordnungspunkt.
({1})
Das Ziel dieses Tagesordnungspunktes ist offensichtlich, eine ganzheitliche Betrachtung unserer Politik zu
verhindern und davon abzulenken, daß wir uns mit der
Dualität von Angebots- und Nachfragepolitik und der
Schaffung von Arbeitsplätzen auf innovativen Feldern
für die zukünftige Steuerpolitik einen sehr seriösen politischen Hintergrund geschaffen haben, von den ökologischen Effekten ganz zu schweigen.
({2})
Ich denke, daß man zu dieser Erkenntnis schnell
kommen kann, wenn man statt des allmorgendlichen
Blicks in die Zeitungen auf die Zahlen und Fakten zurückgeht.
({3})
Es läßt sich sicher schnell zeigen, daß seit Ihrem Amtsantritt vor 16 Jahren die Steuer- und Abgabenpolitik für
eine Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer genutzt wurde. Das halte ich für ein
absolutes Drama, denn obwohl die Steuereinnahmen in
den letzten Jahren insgesamt sehr stark zurückgegangen
sind und die Steuerquote mit 21,8 Prozent einen historischen Tiefstand erreicht hat, stieg die Steuer- und Abgabenbelastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
von 39 Prozent im Jahre 1982 auf 45,5 Prozent heute.
({4})
Bekanntlich hat aber weder das eine noch das andere
zu einer Entschuldung des Staates geführt. Ich hatte im
Wahlkampf immer dramatische Probleme, den Menschen zu erklären, wieviel eigentlich 1,4 Billionen darstellen - eine Zahl, die wir uns kaum vorstellen können.
Eine Zins-Steuer-Belastung von 25 Prozent war dann
schon leichter zu erklären.
Diese Entwicklung wurde aber durch Ihre unzähligen
Steuererhöhungen nicht einmal gestoppt. Die Umsatzsteuersätze wurden 1983 erhöht, später die Kfz-Steuer,
die Versicherungsteuer und die Mineralölsteuer um 50
Pfennig - dagegen nehmen sich unsere Überlegungen
geradezu lächerlich aus -,
({5})
dann gab es die Einführung einer Zinsabschlagsteuer,
eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer usw.
({6})
- In diesem Sinne ist der Zusammenhang leicht herzustellen. Ich war davon ausgegangen, daß Sie Ihre
Steuerkonzeption in ein Gesamtkonzept eingebettet
haben, aber das Ergebnis Ihrer Politik zeigt, daß das
mißlungen ist.
({7})
Deshalb ist es besser, sich die Ergebnisse einer vergangenen Politik anzusehen, als über die Zukunft mit
Ankündigungsfloskeln Befürchtungen zu verstreuen.
Der Tagesordnungspunkt - das sage ich als Neuling leuchtet mir auch deshalb besonders leicht ein, weil ich
beobachtet habe, wie im Finanzausschuß gearbeitet
wird. Ich habe dort gesehen, daß man mit Geschäftsordnungsdebatten, mit Tricks, die jenseits jeglicher sachlichen Überlegungen liegen, den Versuch macht, am
Wohl der Bürgerinnen und Bürger vorbeizuarbeiten, und
noch nicht einmal den Versuch macht, selbst einen konstruktiven Vorschlag einzubringen.
({8})
Ich halte das für eine der schlimmsten Erfahrungen,
die ich als Neuling in einem Ausschuß machen mußte.
Herr Thiele, ich kann es Ihnen nicht ersparen, zu sagen,
daß Sie mir dort ein sehr, sehr bedenkliches Beispiel geliefert haben.
({9})
Ich möchte an Sie appellieren, zu einer zielführenden
Arbeit zurückzufinden und im Wettstreit über verschiedene Ideen bezüglich unserer Gesellschaft zu arbeiten.
Ich denke, daß Sie uns dabei als konstruktiven Bündnispartner finden werden.
({10})
Das war
die erste Rede des Kollegen Lothar Binding in diesem
Hause. Ich beglückwünsche Sie.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Peter Rauen von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Staatssekretärin, sehr geehrte Frau Kollegin Hendricks, Sie haben
sich heute hier hingestellt und behauptet, daß die kleinen
und mittleren Unternehmen mit der Steuerreform entlastet würden. Dies ist in Wahrheit das Gegenteil dessen,
was im Gesetzentwurf steht.
({0})
Wenn Sie mir das nicht glauben, lesen Sie zumindest
nach, was Herr Clement in seinem Brief dazu geschrieben hat.
Ich habe noch Kanzler Schröder im Ohr, der mit seiner Regierungserklärung erreichen wollte, daß die Menschen in Deutschland bei dem Wort „Reformen“ nicht
mehr erschrecken und zusammenzucken. Er hat nach
einem Monat sein Ziel erreicht: Die Notare in Deutschland müssen bis Sylvester Nachtschichten einlegen, und
die Leute bekommen kaum mehr Termine, weil alle
noch retten wollen, was zu retten ist. Die Banken in
Luxemburg können in diesen Tagen den Ansturm deutscher Sparer, die ihnen ihr Geld in Milliardenhöhe
anvertrauen, nur mit Mühe bewältigen.
Die vorgelegten Entwürfe zu Steuer- und Sozialreformen sind ein einziges Verwirrspiel. Eine wirtschafts-,
finanz- und sozialpolitische Linie ist nicht erkennbar.
Die sogenannte ökologische Steuerreform erweist sich
immer mehr als eine Lachnummer.
({1})
Alles zusammengenommen ist sie für die Leistungsträger in unserer Gesellschaft, für Facharbeiter, Angestellte
und Unternehmer eine einzige Steuererhöhungsorgie.
({2})
Aus dem Regierungslager wird von einigen bei der
Wirtschaft der Eindruck erweckt, als sei ein einheitlicher
Steuersatz von höchstens 35 Prozent auf Unternehmenseinkünfte bereits Gegenstand des vorgelegten Gesetzentwurfes und der aktuellen Beratung. Dies ist aber
überhaupt nicht der Fall. Da dies aber gemäß Ihrer Versprechungen noch aussteht und einige von Ihnen wissen,
daß dies mit Ihrer Philosophie zu den Reformen nicht zu
finanzieren ist, schlagen Sie konsequenterweise weitere
Erhöhungen bei der Mineralölsteuer und der Mehrwertsteuer vor.
Eure Reformen haben im Denkansatz einen entscheidenden Fehler:
({3})
Ihr wollt nicht beim Staat sparen, ihr wollt nicht bei den
sozialen Sicherungssystemen sparen, ihr wollt die
Staatsquote nicht senken; im Gegenteil: Ihr werdet die
Staatsquote erhöhen und damit Wachstum und Beschäftigung abwürgen.
({4})
Der von Herrn Clement geschriebene Brief - Herr
Clement sieht dies ja offenbar ähnlich -, kann mich dabei überhaupt nicht beruhigen. Herr Clement wird sich
mit seinen steuerpolitischen Vorschlägen genauso wenig
durchsetzen, wie Stollmann Wirtschaftsminister geworden ist.
Ihr werft der alten Regierung vor, Finanzlöcher hinterlassen zu haben, ohne es beweisen zu können. Ihr seid
es doch, die ständig neue Finanzlöcher aufreißen, um
Wahlversprechen einlösen zu können:
({5})
4,2 Milliarden DM durch die Zurücknahme der Rentenreform, 14,2 Milliarden DM zur Übernahme der Beiträge von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung, 4,5 Milliarden DM bei den 620-Mark-Jobs. Das
Wort „Verschiebebahnhof“ ist für diese Operationen
viel zu milde. Das sind teilweise Taschenspielertricks.
Lothar Binding ({6})
Und hören Sie endlich auf, davon zu reden, daß Sie
durch die ökologische Steuerreform die Lohnzusatzkosten senken wollen, wie das heute morgen durch die
Kollegin Ganseforth und Herrn Loske geschehen ist.
Wenn überhaupt, senken Sie damit die Sozialversicherungsbeiträge um 0,8 Prozent. Die dadurch mögliche
Senkung der Lohnzusatzkosten verhindern Sie gleichzeitig, indem Sie das Lohnfortzahlungsgesetz zurücknehmen, wodurch wieder ein erhöhter Anspruch auf bezahlte Nicht-Arbeit entsteht. Damit wird die eine Wirkung sofort wieder konterkariert.
Wer mit der Sprache und den Begriffen so fahrlässig
umgeht wie Sie, will entweder die Leute täuschen, oder
er weiß nicht, wie sich die Lohnzusatzkosten zusammensetzen.
({7})
- Herr Poß, Sie wissen es mit Sicherheit nicht. Das beweisen Ihre Zwischenrufe.
({8})
Ihre ökologische Steuerreform ist ein Geldbeschaffungsprogramm und sonst nichts.
({9})
Ich habe 32 Jahre meines Lebens für zirka 100 Mitarbeiter geradegestanden und versucht, für diese Arbeit zu
finden. Ich hoffe, dies auch in Zukunft noch tun zu können. Wenn Sie aber mit Ihren Reformen nicht stramm
umkehren, werden Sie eines mit Sicherheit nicht erreichen, nämlich mehr Beschäftigung für Deutsche in
Deutschland.
({10})
Als
nächster Redner hat der Kollege Jörg-Otto Spiller von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Anders als im Steuerreformgesetz der von den Bürgerinnen und Bürgern dieses
Landes abgewählten Regierung gibt es im rotgrünen
Steuerentlastungsgesetz keine Fußnoten, die eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ankündigen.
({0})
Und anders als bei den unseriösen Steuerreformplänen
der alten Regierung
({1})
- der zu Recht abgewählten Regierung ({2})
erwächst aus dem Steuerentlastungsgesetz der rotgrünen
Koalition auch keinerlei Notwendigkeit zur Erhöhung
der Mehrwertsteuer.
Die Steuerreformpläne der alten Regierung waren
eine Mogelpackung. 45 Milliarden DM Steuermindereinnahmen im Jahr waren da vorgesehen, und da gab es
eine Fußnote, in der ganz verschämt mitgeteilt wurde,
daß diese Lücke durch die Umschichtung von direkten
zu indirekten Steuern etwas vermindert werden solle.
({3})
Gemeint war die Mehrwertsteuer.
Dann hat die gute Frau Nolte dieses in einem Anflug
von Wahrhaftigkeit ausgesprochen, und da sind alle über
sie hergefallen. Selbst der damalige Bundeskanzler, der
sie sonst immer mit viel Sympathie begleitet hat, wollte
diese Wahrhaftigkeit nicht mehr akzeptieren.
Herr Rauen, Sie haben vorhin vom Sparen gesprochen.
({4})
Gestern haben Sie im Ausschuß einen bemerkenswerten
Satz gesagt. Sie haben nämlich gesagt: Sparsamer Umgang mit der Wahrheit ist noch keine Lüge. - Das ist die
Sparsamkeit, auf die Sie sich verstehen!
({5})
Ich nehme an, Herr Kollege Thiele, der Kollege Rauen hat auch an Sie gedacht, als er sagte, sparsamer Umgang mit der Wahrheit sei noch keine Lüge.
({6})
Denn das, was Sie uns heute erzählt haben, hat wenig
mit dem tatsächlichen Verhalten der F.D.P. in den zurückliegenden 16 Jahren zu tun gehabt.
({7})
16 Jahre lang ist die F.D.P. unter der Maske der Steuersenkungspartei durch das Land gegangen.
({8})
In dieser Zeit hat sie ein volles Dutzend Steuererhöhungen mitbeschlossen. Sie haben gesagt, Sie seien eine
Steuersenkungspartei, aber in Wirklichkeit haben Sie
den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes schamlos in
die Tasche gegriffen.
({9})
Ich gebe allerdings zu, Herr Kollege Thiele: Sie hatten
eine kleine Klientel. Für die haben Sie gesorgt. Da gab
es auch schon einmal eine Entlastung.
({10})
Aber die Masse der Bürgerinnen und Bürger hat das
nachher nicht mehr schön gefunden. Deswegen ist diese
Koalition auch abgewählt worden.
({11})
Die Kluft zwischen Reden und Handeln war bei Ihnen
einfach zu groß.
Die SPD tut, was sie vor der Wahl gesagt hat.
({12})
Sie hält Wort. Wir haben vor der Bundestagswahl versprochen, daß die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung schon zu Beginn des Jahres 1999 den Einstieg
in die Steuerreform vornehmen wird und daß sie insbesondere die Familien schon 1999 spürbar entlasten wird.
({13})
- Das ist kein Märchen! Rund 1 200 DM wird eine
durchschnittliche Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern
im kommenden Jahr mehr in der Tasche haben, also
100 DM mehr im Monat.
({14})
- Sie können ja sagen, das sei nicht viel, weil Sie nicht
mehr wissen, was es für eine durchschnittliche Familie
bedeutet, 100 DM mehr oder 100 DM weniger im Monat zur Verfügung zu haben.
({15})
Wir werden in den folgenden Stufen auch nahezu alle
anderen Bürger dieses Landes steuerlich entlasten. Allerdings sagen wir auch: Dabei konzentrieren wir uns
auf die mittleren und unteren Einkommen, und es wird
auch ein paar Leute in Deutschland geben, die künftig
mehr Steuern zahlen müssen als bisher, nämlich diejenigen, die alle Schlupflöcher haben ausnutzen können, die
Sie geschaffen haben.
Zur Mehrwertsteuer sage ich nur ganz kurz: Eine
Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, die tatsächlich
kommt, auch wenn sie sich in einem bescheidenen oder
überschaubaren Rahmen hält, ist mehr wert als noch so
schöne Versprechungen von Ihrer Seite, die Sie nicht
einhalten konnten.
({16})
Als
nächster Redner hat der Kollege Hansjürgen Doss von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Erlauben Sie mir,
meine lieben Kollegen von der rotgrünen Koalition, daß
ich einmal Ihre Vorstellungskraft bemühe. Schauen wir
einmal, inwieweit Sie in die realistische Welt der Mittelständler eintauchen können. Schauen wir einmal, ob Sie
in der Lage sind, zu begreifen, was 3,4 Millionen Selbständige angesichts des Steuerwirrwarrs, das ihnen im
Augenblick geboten wird, empfinden. Ihnen stellt sich
die Frage, ob sie investieren sollen und wie sie ihre Zukunft gestalten sollen.
({0})
Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären ein mittelständischer Unternehmer, müßten investieren, Arbeitsplätze
schaffen und Ihr Tun verantworten. Stellen Sie sich
einmal vor, Sie wären ein Bäckermeister und wollten investieren. Sie werden feststellen, eine Ermäßigung auf
die Energiesteuererhöhung gibt es erst ab einer willkürlich gezogenen Grenze von 50 000 Kilowattstunden pro
Jahr. Der Bäckermeister liegt im Zweifel darunter, zahlt
also die volle Steuererhöhung. Die Brotfabrik liegt im
Zweifel über dieser Grenze. Sie zahlt nur den ermäßigten Satz der Steuererhöhungen. Was macht der Bäckermeister? - Er behält seinen alten Ofen und heizt seine
Backstube zusätzlich, damit er über die 50 000 Kilowattstunden kommt.
({1})
Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären ein mittelständischer Spediteur. Der Fahrer bekommt 56 000 DM
Bruttolohn; den Beitrag zur Rentenversicherung will
Rotgrün um 0,8 Prozentpunkte senken, davon entfallen
0,4 Prozentpunkte Einsparungen auf den Arbeitgeber,
also 224 DM im Jahr. Bei 100 000 Kilometern Fahrleistung des LKWs erhöht sich die Mineralölsteuerbelastung um 2 100 DM. Die Steuererhöhungen liegen also
um den Wert zehn höher als die Einsparungen beim
Rentenbeitrag.
Ich frage Sie: Würden Sie unter diesen Umständen
investieren und dafür haften, wie dies ein Bäckermeister
oder Spediteur machen müßte?
Die rotgrüne Steuerpolitik ist zweifelsfrei chaotisch.
Das dürfte unstrittig sein. Klar ist, daß der Mittelstand
höhere Steuern zahlen muß.
({2})
Dabei kennen wir nur die erste Stufe, meine Damen,
meine Herren. Zwei weitere sollen folgen. Was die bringen, weiß kein Mensch. Zirka 30 Prozent der Unternehmer in Bayern haben laut IHK deswegen ihre Investitionen zurückgestellt. Es ist doch ganz klar, daß derjenige,
der investiert und Verantwortung trägt, wissen muß, auf
was er sich einläßt. Bei Ihnen weiß er das nicht.
Stellen Sie sich vor, Sie wären im Gemeinderat.
Städte, Gemeinden und Kreise betreiben Schulen,
Schwimmbäder, Fuhrparks usw. Die Energiekosten
werden dort durch die rotgrüne Ökosteuer um
10 Prozent steigen. Von den Entlastungen profitieren sie
demgegenüber außer von einem geringfügigen Anstieg
des Anteils der Länder an der Mehrwertsteuer nicht.
Unterm Strich vermindert das die Investitionskraft der
Kommunen. Das heißt: weniger Aufträge, weniger Arbeit, weniger Arbeitsplätze.
Ihre Ökosteuerpläne führen in die Irre. Sie führen zu
Inflation, weil die höheren Kosten, wo es geht, an die
Verbraucher weitergegeben werden. Sie vermindern die
Kaufkraft der privaten Haushalte, die heute schon mehr
als 1 000 DM pro Kopf und Jahr für Energieabgaben
zahlen. Sie verkomplizieren das Steuerrecht noch mehr;
schon Helmut Schmidt konnte seine Stromrechnung
nicht mehr lesen, wie Sie sich vielleicht erinnern. Dem
nächst brauchen alle Handwerksmeister einen DiplomEnergiesteuervermeidungsingenieur oder zumindest einen
Diplom-Energiesteuersonderberater, weil sie selbst gar
nicht mehr durchschauen.
({3})
Das rotgrüne Energiesteuerprogramm - „Konzept“
wäre zuviel gesagt - ist schizophren, da es den hohen
Verbrauch begünstigt. Ihre Pläne sind ungerecht: Sie
schonen die Industrie und belasten den Mittelstand. Die
Grenzwerte in Ihren Plänen - Steuerbefreiung ab
6,4 Prozent Energiekostenanteil - sind willkürlich gesetzt; sie laden zu Manipulationen und Umgehungsstrategien ein.
Neben der Energiesteuer hat Bundeskanzler Schröder
als Weihnachtsmann für den Mittelstand, seine Neue
Mitte, einen ganzen Sack voller Präsente: neue Stromsteuern, höhere Steuern auf Benzin, höhere Steuern auf
Heizöl, höhere Steuern auf Gas, höhere Mehrwertsteuer
ja oder nein - wir befürchten ja -, Verlustrücktrag ab
2001 gestrichen, Ansparabschreibung gestrichen, Teilwertabschreibung gestrichen, Rentenreform zurückgenommen, Gesundheitsreform zurückgenommen, Arbeitsmarktreformen zurückgenommen.
({4})
Jeder Schritt für sich genommen ist schlimm. In der
Summe ist es für den Mittelstand ruinös.
Die Quintessenz, meine Damen, meine Herren: Sie
sollten das, was Sie uns hier vorgelegt haben, zurückziehen. Es geht hier nicht allein um Parteipolitik, sondern es geht um die Existenz von 3,4 Millionen Selbständigen in Deutschland. Was Sie hier betreiben, ist
unverantwortlich.
({5})
Als
letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat das Wort der
Kollege Detlev von Larcher, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ehrlich gesagt, es
hätte mich gewundert, wenn wir diese Aktuelle Stunde
in dieser Woche nicht bekommen hätten.
({0})
Wahrscheinlich hätten wir das auch so gemacht. Dennoch ist das, was Sie hier vorführen, nur Theaterdonner.
({1})
Da empfiehlt uns Herr Hauser, wir sollten in ein
Trainingslager gehen. Wissen Sie, Herr Hauser, die
Wählerinnen und Wähler haben Sie gerade in ein Trainingslager geschickt, weil Sie die Regierungskunst, von
der bei Ihnen ohnehin nur ein bißchen vorhanden war,
total verloren haben. Seien Sie also vorsichtig mit Ihren
Empfehlungen!
({2})
Frau Frick spricht uns auf unseren Wahlslogan „Wir
sind bereit“ an. Der hat Ihnen doch so gut gefallen, daß
er mich jetzt von F.D.P.-Plakaten anlacht. Ich bleibe also dabei: Das Ganze ist nur Theaterdonner.
({3})
Wir senken, wie im Wahlkampf versprochen, die
Steuern vor allem für Normalverdiener und für die unteren Einkommensgruppen,
({4})
und zwar ohne Mehrwertsteuererhöhung; das werden
Sie sehen. Wir senken, wie vorher im Wahlkampf versprochen, die Sozialversicherungsbeiträge.
({5})
Daß wir das tun, ärgert Sie.
({6})
Wir senken, wie versprochen, die Körperschaftsteuer.
Darüber hinaus werden wir hier eine rechtsformunabhängige Unternehmensteuer von 35 Prozent beschließen.
Das wird Sie genauso ärgern.
({7})
Ich höre von Ihnen immer das Wort Steuererhöhungen. Wissen Sie, wenn die Steuererhöher par excellence
über Steuererhöhungen reden, dann kriegt das schon lächerliche Züge. Ich will jetzt einmal - meine Kollegen
haben schon darauf verwiesen - auf die Zeit vor der
deutschen Einheit zurückkommen, weil Sie immer darauf aufmerksam machen, daß wir die deutsche Einheit
hatten.
1983 haben Sie die Umsatzsteuer von 13 auf 14 Prozent erhöht. Das hat der Staatskasse 8 Milliarden DM
gebracht. Sie haben 1989 die Kraftfahrzeugsteuer für
Diesel-PKW um 8,40 DM pro 100 Kubikzentimeter erhöht. Das hat den öffentlichen Kassen eine halbe Milliarde DM gebracht. Sie haben 1989 die Versicherungsteuer von 5 auf 7 Prozent erhöht. Das brachte 1,2 Milliarden DM mehr. Sie haben 1989 die Steuer für bleifreies
Benzin um 9 Pfennig auf 57 Pfennig je Liter erhöht. Das
hat eine Milliarde DM gebracht. Sie haben diese Steuer
ab 1. Januar 1991 um weitere 3 Pfennig je Liter auf 60
Pfennig erhöht. Das waren 0,7 Milliarden DM. Die
Steuererhöhung für verbleites Benzin im Jahre 1989
brachte 2,3 Milliarden DM und die im Jahre 1991 0,2
Milliarden DM.
({8})
Sie haben 1989 die Steuern für leichtes und schweres
Heizöl erhöht. Das brachte 1,6 Milliarden DM. Die
Steuererhöhung für Erdgas und Flüssiggas brachte ebenfalls Mehreinnahmen in Höhe von 1,6 Milliarden DM.
Sie haben ab 1. Mai 1989 die Tabaksteuer um durchHansjürgen Doss
schnittlich sechs vom Hundert erhöht. Dies brachte
0,5 Milliarden DM.
Soll ich jetzt fortfahren und Ihnen die weiteren 14
Steuererhöhungen vorlesen, die Sie in Ihrer Regierungszeit nach 1990 vorgenommen haben?
({9})
Sie sollten sich wirklich schämen, uns Steuererhöhungen
vorzuwerfen.
({10})
Sie haben die Steuern drastisch erhöht.
({11})
Es ist schon gesagt worden: Sie haben dafür gesorgt,
daß der Durchschnittsverdiener und die Leistungsträger
dieser Gesellschaft an der Obergrenze der Steuer- und
Abgabenbelastung angekommen sind. Das ist Ihr Werk.
Wir werden das ändern.
({12})
Darüber ärgern Sie sich, Herr Hauser und Herr Thiele.
Im übrigen habe ich ernsthaft darüber nachgedacht,
ob man nicht einmal eine Aktuelle Stunde zum Thema
„Haltung der Bundesregierung zur Wahrhaftigkeitsliebe
des Herrn Thiele“ durchführen sollte.
({13})
Wenn man ihn im Radio und im Fernsehen reden hört,
dann weiß man: Auch wenn er im persönlichen Umgang
nett ist, so dienen seine Auslassungen im Rahmen öffentlicher Auftritte doch der Verbreitung von Unwahrhaftigkeiten und der Verwirrung. Das ist Ihre Strategie
und Taktik auch im Finanzausschuß und im Parlament.
Sie versuchen, mit formalen Tricks Sand ins Getriebe zu
streuen; Sie betreiben eine Obstruktionspolitik,
({14})
weil Sie unser ehrgeiziges Ziel, schon zum 1. Januar den
ersten Schritt der Steuerentlastung zu erreichen, nicht
unterstützen, sondern zerstören wollen.
({15})
Wir werden die Steuerreform trotzdem durchführen,
Herr Thiele, Herr Hauser und meine lieben Kollegen aus
dem Finanzausschuß, auch wenn Sie sich auf den Kopf
stellen und mit den Beinen wackeln.
({16})
Damit
ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes
- Drucksache 14/41 ({0})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 14/122 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Enders
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/123 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Gunter Weißgerber
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Peter Enders von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gegenstand der heutigen
Erörterung ist eine Änderung des § 18 Abs. 2 des Parteiengesetzes, wodurch sich die Zuschüsse des Bundes von
230 auf 245 Millionen DM pro Jahr erhöhen sollen.
Ausgangspunkt unserer Überlegung ist, daß unsere
repräsentative Demokratie nicht ohne die Tätigkeit von
Parteien funktionieren kann. Dies ist im Grundgesetz
entsprechend verankert. In Art. 21 heißt es:
Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.
Ich behaupte, daß zum Nachweis des Funktionierens
einer Demokratie ein Regierungswechsel gehört, der auf
das Votum der Wählerinnen und Wähler zurückzuführen
ist. Insoweit haben wir im Jahre 1998 auf Bundesebene
erlebt, daß die Demokratie bei uns in Deutschland hervorragend funktioniert. Dieser Wechsel wäre ohne die
Mitwirkung von solide finanzierten Parteien undenkbar
gewesen. Die eigenen Einnahmen der Parteien haben
noch nie ausgereicht. Die Parteienfinanzierung hat also
eine lange Geschichte, zu der eine Fülle von Urteilen
und mehrfache Gesetzesänderungen gehören.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird gemeinsam von
SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und der
F.D.P. eingebracht. Dies zeigt, daß zwischen konkurrierenden demokratischen Parteien das derzeitige Finanzierungsprinzip unbestritten ist. Es geht also um Beträge,
die von den Parteien selbst nicht vollständig aufgebracht
werden können. Neben den eigentlichen Einnahmen in
Form von Beiträgen und Spenden muß es die Teilfinanzierung durch den Staat geben.
Die staatlichen Mittel werden in Abhängigkeit von
eingenommenen Beiträgen, Spenden und erzielten
Wählerstimmen gewährt. Dadurch ist sichergestellt, daß
Parteien mit guten Wahlergebnissen - und damit mit einer guten Verwurzelung in der Bevölkerung - bessergestellt werden als diejenigen, die losgelöst von den Vorstellungen der Bevölkerung agieren. Aus dieser Forderung folgt selbstverständlich auch, daß es Untergrenzen
gibt, damit nicht jeder Versuch einer Miniparteiengründung bezuschußt werden muß.
Mit der jetzigen Regelung sind frühere Mängel in der
Parteienfinanzierung einigermaßen beseitigt. Eine ausschließliche Finanzierung aus Spenden - ich erinnere
mich noch an die Zeiten, in denen Beträge von über
100 000 DM im Rahmen von Sonderausgaben absetzbar
waren - oder eine ausschließliche Wahlkampfkostenerstattung früherer Tage berücksichtigt nicht die Tatsache,
daß Parteien auch in der Zeit zwischen den Wahlen
wichtige Aufgaben zu erfüllen haben.
Bei der heute anstehenden Erhöhung der staatlichen
Unterstützung von Parteien entscheiden wir letztlich in
eigener Sache. Da bei solchen Themen häufig das korrigierende Element gegenläufiger politischer Interessen
fehlt, erwartet die Öffentlichkeit gerade hier mit Recht
eine korrekte Begründung. Um nicht in den Ruch der
Selbstbedienung zu kommen, ist es sinnvoll, sich objektiven Sachverstandes zu bedienen. Die bereits erwähnte
unabhängige Kommission beim Bundespräsidenten hat
1993 die absolute Obergrenze bei 230 Millionen DM
gezogen, die dann auch mit der Möglichkeit der jährlichen preisbedingten Anpassung ins Parteiengesetz übernommen wurde. Damit ist eine Ausweitung ins Uferlose
unterbunden. Das ist auch gut so; denn ein Verstoß dagegen führte zu einem schlimmen Prestigeverlust, der
dem Auftrag des Grundgesetzes völlig zuwiderliefe.
Die absolute Obergrenze bedeutet, daß die im Gesetz
stehenden maximalen Bezuschussungsmöglichkeiten für
Beiträge, Spenden und Wählerstimmen noch niemals
voll ausgenutzt werden konnten. Dort ist bekanntlich ein
Zuschuß von maximal 0,50 DM je 1 DM an Beiträgen
und Spenden sowie von 1 DM pro Wählerstimme genannt, wobei die ersten 5 Millionen Wählerstimmen mit
1,30 DM bezuschußt werden können. Da die Addition
der so ermittelten Beträge aller Parteien über die absolute Obergrenze hinausgeht, kürzt man mittels einer
schlichten Dreisatzrechnung die Beträge so, daß man
mit der absoluten Obergrenze auskommt.
Entscheidend für diese Obergrenze war, daß die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Parteien gesichert ist. Wie sehr einem Auswuchern der Kosten Einhalt geboten worden ist, zeigt sich auch darin, daß das
Bundesverfassungsgericht die Tätigkeitsfelder von Parteien analysiert hat und dabei besonders deren Kernaufgaben hervorhebt. Dazu gehören vor allen Dingen die
Aufrechterhaltung der innerparteilichen Strukturen, die
politische Zielformulierung und die entsprechende öffentliche Darstellung.
Wie gesagt, Gegenstand der heutigen Aussprache ist
die Erhöhung der Teilfinanzierung von 230 auf
245 Millionen DM. Dieser Betrag ist nicht aus der Luft
gegriffen. Die bereits erwähnte Kommission hat vor vier
Jahren den Betrag auf 230 Millionen DM festgelegt und
dann entsprechend weitergerechnet. Hier muß ich der
Kommission ein großes Kompliment machen: Um aus
der unsäglichen Diskussion im Zusammenhang mit der
Warenkorbmethode herauszukommen, hat sie einen
parteienspezifischen Warenkorb ermittelt. Daraus folgt das steht auch in der Drucksache, die heute Beratungsgrundlage ist -, daß maximal sogar eine Erhöhung auf
285 Millionen DM möglich gewesen wäre.
Die Öffentlichkeit erwartet mit Recht, daß nicht nur
formal dem Grundsatz der Sparsamkeit gehuldigt wird
und die von Wirtschaftsprüfern geprüften Rechenschaftsberichte veröffentlicht werden, sondern daß auch alle
Möglichkeiten der Kostenbegrenzung ausgeschöpft werden. Die Beschränkung auf 245 Millionen DM statt der
möglichen 285 Millionen DM hat damit zu tun, daß trotz
der gestiegenen Kommunikationsanforderungen an die
Parteigeschäftsstellen Kosteneinsparungen weitestgehend
verwirklicht worden sind. Ich weiß, daß in vielen Parteien
- auch bei uns - Geschäftsstellen zusammengelegt wurden.
Man hat da also schon alles Menschenmögliche getan.
Als Betriebswirt schiele ich selbstverständlich auf
Kosteneinsparungsmethoden in der Wirtschaft. Nur muß
ich sagen, daß im Bereich der Parteien zum Beispiel
dem Outsourcing enge Grenzen gesetzt sind. Auch weiß
ich, daß Methoden wie Budgetierungen, Ausschreibungen und vieles andere, was auch im öffentlichen Bereich
gilt, in den Parteien praktiziert wird. Nur so ist es möglich gewesen, daß wir als Gesetzgeber seit 1994 darauf
verzichtet haben, die absolute Obergrenze gemäß den
Preissteigerungen anzuheben.
Nun hört man in diesem Zusammenhang, daß vermehrt auf ehrenamtliche Mitstreiter zurückgegriffen
werden sollte. Dem halte ich entgegen, daß ohne ehrenamtliche Mitarbeiter die Parteien schon heute ganz
schlecht dastünden. An dieser Stelle sei es mir gestattet,
ein großes Dankeschön an die ehrenamtlichen Mitarbeiter in allen Parteien zu richten. Ich weiß aus den Tagen des Wahlkampfes, daß ein gutes Miteinander von
hauptamtlichen Mitarbeitern und Ehrenamtlern die absolute Voraussetzung für politischen Erfolg darstellt.
Noch ein Satz zu den Entwicklungen der letzten Jahre: Wir wissen alle, daß die Bürger heute mehr denn je
von den Parteibüros Dienstleistungen erwarten. So erwartet man zum Beispiel, daß E-Mail-Botschaften kurzfristig beantwortet werden. Dafür wie auch für das Einrichten von Internetseiten stehen nicht überall ehrenamtliche Mitarbeiter zur Verfügung.
Wie ich vorhin ausführte, sind die Rationalisierungsreserven der Parteien weitestgehend ausgeschöpft.
Damit wir uns nicht jedes Jahr von neuem über dieses
Thema unterhalten müssen, regen wir, die SPD, an, in
einer späteren Phase einmal darüber nachzudenken, ob
wir möglicherweise eine Indexierung analog zu § 12
Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes vornehmen sollten.
({0})
Da ist dies ja bereits möglich.
Im Vorfeld der heutigen Plenardebatte hörte ich, daß
der Zeitpunkt der Beratung und Beschlußfassung des
vorliegenden Gesetzentwurfes sehr kritisch gesehen
wird. Zur Klarstellung sei gesagt, daß in § 19 Abs. 2 des
Parteiengesetzes ausgesagt ist, daß der Präsident des
Bundestages jährlich zum 1. Dezember die Höhe der
staatlichen Mittel festsetzt, wobei die Bundestagswahlergebnisse bis zum 31. Oktober des laufenden Jahres zu
berücksichtigen sind. Insoweit ist ein solcher Termin im
November oder Dezember durchaus sinnvoll.
Ich glaube, ich habe auch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar dargelegt, daß die Erhöhung der staatlichen
Teilfinanzierung von Parteien sowohl dem Grunde nach
als auch in der Höhe und vom Zeitpunkt her gerechtfertigt ist.
Schönen Dank.
({1})
Als
nächster Redner hat der Kollege Professor Dr. Rupert
Scholz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema,
über das wir heute sprechen, ist nicht für Populismus
und Unsachlichkeit geeignet. Dies ist ein Thema, das
Verantwortlichkeit, Sachlichkeit und auch Rücksicht auf
eine sensible Öffentlichkeit verlangt und das vor allem
auf dem Boden unserer Verfassung zu diskutieren ist.
Deshalb will ich mich vor allem mit den verfassungsrechtlichen Aspekten befassen.
Wie jedermann weiß, kommt den politischen Parteien
im System unserer parteienstaatlichen Demokratie nach
Art. 21 des Grundgesetzes eine zentrale Rolle zu. Die
moderne Demokratie der pluralistischen Gesellschaft ist
ohne die politischen Parteien, deren Beteiligung und
Engagement im politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß nicht mehr denkbar. Auf ebendieser
grundlegenden Verfassungsentscheidung, dieser grundlegenden Einsicht beruht unser System - ein System, das
uns die erste stabile Demokratie unserer Geschichte beschert hat. Das heißt, über diesen Grundstatus der politischen Parteien, verfassungsrechtlich festgeschrieben,
besteht kein Streit. Die demokratischen Parteien haben
diesen Auftrag, dieses Mandat in den letzten Jahrzehnten angenommen und erfüllt.
Dies ist der Grundbefund unserer Verfassung, von
dem wir auszugehen haben und den das Bundesverfassungsgericht in seiner ständigen Rechtsprechung, die
auch heute bei dem vorliegenden Thema maßgebend ist,
immer wieder kritisch begleitet, aber in den konkreten
Konturen gesichert und geschärft hat.
All dies ist immer wieder in die Parteiengesetzgebung
eingeflossen, ist von diesem Hohen Hause immer wieder
verfassungspolitisch und damit auch verfassungsrechtlich relevant umgesetzt worden, selbst wenn - das darf
man an dieser Stelle auch anmerken - jene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch manche
Volte geschlagen hat, und zwar gerade in den Fragen der
Parteienfinanzierung, die es dem Hohen Hause mitunter
schwermachte, das in der gesetzgeberischen Umsetzung
der Öffentlichkeit zu vermitteln. Denn Änderungen der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nimmt
die Öffentlichkeit nicht wahr; aber Änderungen der Gesetzgebung gerade bei einem Thema dieser Art werden
kritisch und häufig auch unsachlich kommentiert.
All dies ist ein entscheidender Aspekt auch im Zusammenhang mit der Parteienfinanzierung, mit der wir
uns heute hier zu befassen haben. Hier ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer wieder
richtunggebend gewesen, obwohl sie jene von mir soeben etwas salopp als Volte bezeichneten Ausschläge
immer wieder mit sich gebracht hat. Dennoch kann man
heute davon ausgehen - ich glaube, mit Recht -: Auch
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat
sich inzwischen durch seine grundlegende Entscheidung
vom 9. April 1992 auf eine feste und in sich stringente
Linie eingependelt. Diese Entscheidung ist es, die uns
heute hier den Weg weist.
Die Grundprinzipien, die mit dieser Entscheidung
vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben sind, sind:
Erstens. Die politischen Parteien sind in der Tat keine
Staats- oder Verfassungsorgane, die als solche etwa Anspruch auf komplette Staatsfinanzierung besäßen. Nein,
die Parteien sind freie gesellschaftliche Vereinigungen,
die sich grundsätzlich selbst zu finanzieren haben, die
weder als Staatsorgan vom Staat vereinnahmt werden
dürfen noch sich ihrerseits umgekehrt in gleichsam osmotischer Verflechtung mit dem Staat und seinen Finanzen komplett aus der Staatskasse finanzieren dürfen.
Zweitens. Die Parteien nehmen als wesentliche Träger der politischen Meinungs- und Willensbildung an
der Organisation und Kreation unseres demokratischen
Gemeinwesens maßgebend teil. Sie übernehmen in diesem Zusammenhang in entscheidender Weise öffentliche Aufgaben und korrespondierend dazu öffentliche
Verantwortung - Finanzierungsverantwortung eingeschlossen -, auch von seiten der öffentlichen Hand.
Dies ist vom Bundesverfassungsgericht bekanntlich
zunächst für die Wahlkampfkostenerstattung bestätigt
worden. In der Entscheidung vom April 1992 hat das
Gericht dann in Weiterentwicklung dessen gesagt - ich
zitiere dies -:
Der Staat ist verfassungsrechtlich nicht gehindert,
den Parteien Mittel für die Finanzierung der allgemein ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden
Tätigkeit zu gewähren. Der Grundsatz der Staatsfreiheit erlaubt jedoch nur eine Teilfinanzierung der
allgemeinen Tätigkeit der politischen Parteien aus
staatlichen Mitteln.
Das ist die Ratio. Das ist die Grundlage, auf der wir hier
zu entscheiden haben.
Vorrangig also ist die Finanzierung der Parteien aus
sich selbst heraus: durch Mitgliederbeiträge und Spenden. Ich teile das, was Herr Enders eben angesprochen
hat. Ich glaube, wir alle haben Grund, den vielen Parteimitgliedern, auch den vielen ehrenamtlich Tätigen
und den vielen, die sich durch Spenden für ihre politische Partei oder die Partei engagieren, mit der sie sympathisieren, zu danken. Das ist ein unverzichtbares Stück
einer funktionierenden Demokratie. Andererseits aber
wissen wir, daß dies nicht reicht, und zwar nicht nur finanziell; denn das ist keine rein fiskalische Frage, sondern eine Frage, die mit den - ich zitiere wiederum das
Bundesverfassungsgericht - öffentlichen Aufgaben, der
öffentlichen Verantwortung zusammenhängt, die die
Parteien für unser Gemeinwesen insgesamt wahrzunehmen haben.
So gilt eindeutig der Satz: Die Selbstfinanzierung der
Parteien hat Vorrang vor der Staatsfinanzierung. Das ist
selbstverständlich, das ist natürlich. Einen Teil aber muß
auch die öffentliche Hand tragen. Sie hat hier eine ergänzende - ich betone dieses Wort ausdrücklich Funktion.
Über die konkrete Bemessung dieser staatlichen Ergänzungsförderung, der Teilfinanzierung, muß der Gesetzgeber entscheiden, und zwar politisch verantwortlich
und - ich nehme dieses Wort ganz bewußt noch einmal
in den Mund - sensibel. Das Bundesverfassungsgericht
aber hat uns die Richtschnur gegeben. Und entlang dieser Richtschnur bewegen wir uns auf einem sicheren
und, so denke ich, verantwortlichen Boden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung im Jahr 1992 die absolute Obergrenze der öffentlichen Mittel mit einem Gesamtbetrag von
230 Millionen DM beziffert. Auf der anderen Seite aber
hat es gesagt, daß dieser Betrag nicht statisch ist, sondern indexiert werden muß, und dies nach Möglichkeit
unter Einschaltung unabhängigen Sachverstands geschehen kann, ich sage: zu geschehen hat. Ebendies hat
bekanntlich zur Einberufung der Sachverständigenkommission durch den Bundespräsidenten geführt.
Diese hat uns inzwischen auf der Grundlage des entsprechenden Warenkorbs und der Preisentwicklung klare Vorgaben gemacht. So heißt es, daß die absolute
Obergrenze, wie jene Sachverständigenkommission ausführt, „seit 1991 faktisch unverändert geblieben ist“, daß
sie sich inzwischen aber auf einen Betrag von
285 Millionen DM zubewegen könnte. Dies wäre legal
und auch legitim.
Die Obergrenze bei einem Betrag von 245 Millionen
DM festzulegen, wie es in der zu beratenden Gesetzesnovelle vorgesehen ist, ist angemessen, vernünftig und ich will es durchaus so formulieren - im Rahmen des
Maßes an nötiger, korrekter politischer Bescheidenheit.
Die Parteien haben Grund, bescheiden zu sein - gerade
in schwierigen finanziellen Zeiten, die unser Land erlebt. Sie haben sich aber auch - da brauchen sie sich
nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil - zu ihrer öffentlichen Verantwortung zu bekennen. Sie haben diese
nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen. Und
sie haben auf dieser Grundlage auch das Recht, jene
Teilfinanzierung einzufordern, wie sie das Bundesverfassungsgericht vorgezeichnet hat, und dies gesetzgeberisch umzusetzen.
In diesem Sinne ersuche auch ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz. Dieses Gesetz liegt im Rahmen
dessen, was nicht nur verfassungsmäßig, sondern auch,
wie ich meine, verfassungspolitisch geboten ist.
Vielen Dank.
({0})
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, Handys im Plenarsaal nicht zu nutzen bzw. vor Betreten abzuschalten.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Cem Özdemir,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Da das Handy offensichtlich in unseren Reihen geklingelt hat, nehme ich
diese Kritik gerne an. Ich muß allerdings dazusagen:
Das Handy war nicht von uns. Das Problem, daß das
Handy so lange geklingelt hat, war, daß zwei technisch
unbegabte junge Männer in der ersten Reihe gesessen
haben und nicht wußten, wie man das Handy ausschaltet.
({0})
Aber ich verspreche hiermit: Wir werden uns in dieses
Thema einarbeiten und zukünftig dafür sorgen, daß das
nicht wieder passiert.
Aber jetzt zum eigentlichen Thema. Eine grundsätzliche Bemerkung vorweg: Egal wann und egal unter welcher Regierungskonstellation wir das Thema Parteienfinanzierung diskutieren, dieses Thema wird in der öffentlichen Diskussion nicht gerade positiv besetzt sein.
Im Gegenteil, der Vorwurf der Selbstbereicherung wird
erhoben - manchmal vorschnell; in diesem Fall, so
glaube ich, mit Sicherheit vorschnell. Allerdings war es
in der Vergangenheit manchmal sicherlich auch so, daß
wir Anlaß zu Mißtrauen gegenüber den Parteien geboten
haben. Wir sind gut beraten, wenn wir mit dem Thema
sensibel umgehen. Ich glaube, die Debatte heute zeigt,
daß diese Diskussion sehr sensibel geführt wird, daß wir
die Sorgen und Ängste, die in der Bevölkerung da sind und zum Teil auch geschürt werden -, ernst nehmen und
versuchen wollen, die Bürger im Diskurs mit ihnen von
der Notwendigkeit dieser Erhöhung zu überzeugen.
Es gibt auch ein strukturelles Problem. Das strukturelle Problem liegt darin, daß wir quasi in eigener Sache
entscheiden sollen. Das führt natürlich immer zu Mißtrauen in der Bevölkerung, weil man sich von einer gewissen Befangenheit nicht ganz freimachen kann, wenn
wir in eigener Sache über die Finanzierung der Parteien
entscheiden sollen.
Man muß allerdings eines klarmachen: Irgendwelche
informellen Zirkel sind mit Sicherheit nicht dazu geeignet, diese Entscheidung zu treffen. Von daher ist es
richtig, daß wir als Parlament selber entscheiden. Wir
sagen der Öffentlichkeit ganz klar: Unser Arbeitgeber ist
der Steuerzahler, ist die Steuerzahlerin. Wir stehen zur
Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. Deshalb
heute die öffentliche Debatte: Wir wollen Transparenz,
wir wollen, daß das Für und Wider dieser Entscheidung
debattiert wird. Hier ist der Ort, wo die Entscheidung
getroffen werden muß.
Meine Fraktion hat sich - das wissen Sie - in der
Vergangenheit immer für mehr Transparenz in der
Frage der Parteienfinanzierung eingesetzt. Manchmal
mußten wir dazu bis vor das Bundesverfassungsgericht
gehen. So wurden auf Grund unserer Klage die steuerabzugsfähigen Spenden von Unternehmen drastisch zurückgefahren, die jahrelang für eine unseres Erachtens
nicht gerade unproblematische Form der Parteienfinanzierung gesorgt haben.
Ein Stück mehr Transparenz hat sicherlich auch das
neue Parteiengesetz geschaffen, das seither vorsieht,
daß sowohl die Bilanz als auch Einnahmen und Ausgaben sowie Spenden in Höhe von mehr als 20 000 DM
veröffentlicht werden müssen und so für jeden zugänglich sind. Jeder Bürger kann also selber entscheiden,
inwiefern die Parteien mit dem Geld sachverständig,
sinnvoll umgehen oder nicht. Der Bürger selber kann
sich davon ein Bild verschaffen, was sie mit dem Geld
machen.
Demokratie braucht allerdings funktionsfähige Parteien - darin sind wir uns, so glaube ich, im gesamten
Haus einig -, die nicht abhängig sind von Zahlungen
oder Spenden großer Unternehmen und Interessenverbände. Zur Funktionsfähigkeit gehört auch, daß die
finanzielle Ausstattung mit der Preissteigerung Schritt
hält.
Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei der Kommission unabhängiger Sachverständiger
zu Fragen der Parteienfinanzierung bedanken, die eine
Vorlage gemacht hat, die von uns allen mitgetragen
wird. Schon im letzten Jahr hat sie eine maßvolle Erhöhung der im Parteiengesetz verankerten absoluten Obergrenze vorgeschlagen, so daß wir diese jetzt von 230 auf
245 Millionen DM anheben können. Ich halte diese Anhebung sowohl für sinn- als auch für maßvoll, auch
wenn ich weiß, daß dies in Kreisen der Öffentlichkeit als
„anmaßend“ kritisiert wird, so die „Frankfurter Rundschau“ von heute. Ich weiß, daß auch das Kindergeld
nur maßvoll erhöht wird und wir daran gemessen werden. Aber Demokratie kostet etwas, sie hat ihren Preis.
Wir müssen die Funktionsfähigkeit der Parteien gewährleisten. Ob die Parteien sparsam gewirtschaftet haben - wie hier verschiedentlich anklang -, wird, wie gesagt, der Bürger entscheiden müssen.
Ich freue mich darüber, daß wir diese Entscheidung
hier im Einvernehmen treffen. Ich bedauere es, daß die
PDS dem nicht zustimmt. Allerdings hat sich die PDS
im Innenausschuß der Stimme enthalten. Auch dies ist
ein wichtiges Signal, das man anerkennen sollte.
Vielen Dank.
({1})
Das
Wort hat als nächster Redner der Kollege Hans-Joachim
Otto von der F.D.P.-Fraktion.
Meine
Damen und Herren! Wir sind uns dessen bewußt, daß
uns für die heutige Debatte kein Bambi verliehen wird
und daß keine Woge der Begeisterung aus der Bevölkerung über uns schwappt. Wir werden auch nicht alle
zum Ehrenmitglied im Bund der Steuerzahler ernannt
werden. Wir sind uns, wie die Vorredner sehr deutlich
gemacht haben, bewußt, daß es in weiten Teilen der Bevölkerung eine große Skepsis gegenüber dieser Änderung gibt, und zum Teil gibt es auch offene Ablehnung.
Sicherlich wird uns nicht nur die „Frankfurter Rundschau“, sondern werden uns auch einige Boulevardzeitungen mit Kritik und Häme überschütten. Aber ich will
nicht anstehen, für meine Fraktion die Notwendigkeit,
die Verantwortbarkeit und das Maß dieser Änderung
kurz zu begründen.
Parteien sind - Herr Professor Scholz hat darauf hingewiesen - kein Selbstbedienungsladen von profilsüchtigen Egomanen, sondern ein unverzichtbares Element
jeder demokratischen Willensbildung, übrigens nicht nur
in Deutschland, sondern in allen Demokratien der Welt.
Die Beschlußfassung heute geschieht strikt nach den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und der Sachverständigenkommission. Über Unklarheiten, die das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts geschaffen hat, ist
zu Lasten der Parteien entschieden worden.
Meine Rede ist eine typische Fensterrede; sie wendet
sich nicht an die Parlamentarier hier, sondern an die
Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande.
({0})
- Ach, das Fernsehen wird gerade darauf warten, diese
Debatte auf allen Kanälen live zu übertragen.
({1})
Parteien sind Dienstleister für den Bürger. Tag für Tag
werden in der ganzen Republik in Hunderten von Diskussions- und Informationsveranstaltungen Wünsche
von Bürgern erfüllt. Tag für Tag werden Zigtausende
Anfragen von Bürgern beantwortet. Allein bei der kleinen F.D.P. gibt es Woche für Woche über 300 000 Zugriffe auf den Internet-Server.
({2})
- Nein, mit steigender Tendenz, Herr Kollege. - Alle
Parteien haben den Auftrag - und erfüllen ihn gelegentlich sogar ganz gut -, Schulung und Selektion von politischem Nachwuchs und von Mandatsträgern zu betreiben. Vergessen wir auch nicht: Die Parteien sind für
Zigtausende Menschen Arbeitgeber.
Ich möchte besonders darauf hinweisen - die Vorredner haben es schon angeschnitten -: Es handelt sich
nicht um eine staatliche Vollfinanzierung, sondern nur
um eine Teilfinanzierung. In der Praxis werden über
70 Prozent aller Mittel von den Mitgliedern der Parteien
aufgebracht. Wir dürfen die Ehrenamtlichkeit nicht
überfordern. Deswegen denke ich, daß diese Erhöhung
geboten und maßvoll ist. Sie beinhaltet nur den Inflationsausgleich. Sie enthält keinen Zuschlag dafür, daß
durch das geänderte Kommunikationsverhalten der Bürger wesentlich höhere Anforderungen an die Parteien
gestellt werden, und sie enthält übrigens auch keinen
Aufschlag für den Umzug nach Berlin.
245 Millionen DM, das klingt sehr viel. Es sind allerdings nur - darauf möchte ich Sie hinweisen - 3 DM pro
Bürger pro Jahr, das heißt, es handelt sich um eine halbe
Schachtel Zigaretten oder ein Glas Bier am Stammtisch.
Ich frage Sie, ich frage die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes: Ist die Demokratie uns das nicht wert? Ich
plädiere deshalb dafür, daß wir uns trotz der Schwierigkeiten bei diesem Thema nicht verstecken. Demokratie
braucht Parteien. Die Parteien sind sich bewußt, daß sie
mit dem Geld der Steuerzahler maßvoll und vernünftig
umzugehen haben. Aber sie brauchen Unterstützung.
Deswegen unterstützen wir diesen Änderungsantrag. Er
ist maßvoll, er ist geboten, und er ist notwendig.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({3})
Als
letzte Rednerin hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir sind der Meinung, daß die
Änderung des Parteiengesetzes ein äußerst sensibles
Thema ist und sich deshalb nicht zur parteipolitischen
Profilierung, gleich welcher Partei, eignet.
In der Öffentlichkeit kann sehr schnell - und dies ist
zum Teil schon geschehen - der Eindruck entstehen, daß
die Parteien den Bundestag als Selbstbedienungsladen
betrachten und sich selbst nur ihre finanziellen Zuwendungen erhöhen. Ich denke, es ist ganz wichtig zu betonen, daß dem nicht so ist; vielmehr folgt der Gesetzentwurf dem Vorschlag der vom Bundespräsidenten einberufenen unabhängigen Kommission.
Trotz allem ist es aber notwendig, über bestimmte
Fragen nachzudenken und zu analysieren, warum dieser
Eindruck entstehen kann, ob es nicht doch noch an der
Transparenz auch der Parteienfinanzierung mangelt. Das
fängt beim Datum der Behandlung des Themas an: Wir
verabschieden das Gesetz erst jetzt - nach den Neuwahlen. Es wird der im Parteiengesetz vorgesehene
Passus in § 19 Abs. 2 nicht eingehalten, wonach jeweils
zum 1. Dezember eines Jahres eine Neuregelung erfolgt.
Daraus ergibt sich, daß Geld nicht mehr dieses Jahr fließen wird, sondern erst im nächsten Jahr.
Begründet wird die Notwendigkeit einer Anhebung
der Obergrenze der finanziellen Zuwendungen mit der
Funktionsfähigkeit der Parteien. Berechnet wird dies und das teilen wir - nach dem Preissteigerungsindex für
den Warenkorb, der für die Arbeit der Parteien äußerst
wichtig ist. Aber wir müssen uns natürlich alle fragen
lassen, warum wir genau diesen Index bei der Bestimmung und jährlichen Anpassung von Sozialleistungen
nicht auch anwenden. Wann gab es die letzte Wohngelderhöhung? Wann wurden die Sozialhilferegelsätze
angepaßt? Auch hier stellt sich die Frage der Funktionsfähigkeit, und zwar in noch viel höherem Maße, denn es
geht um die individuelle Lebensführung. Aus diesem
Grunde ist diese Fragestellung erlaubt und notwendig.
Ich möchte einen letzten Punkt hinzufügen: Wir werden uns in der heutigen Abstimmung enthalten, weil wir
trotz allem der Meinung sind, daß es gut gewesen wäre,
vielleicht noch ein Jahr mit der Erhöhung auszusetzen.
Wir denken auch, daß man über bestimmte Strukturen
weiter diskutieren müßte. Aber die Regelung, die getroffen wird, ist zumindest eine gesetzliche Regelung. Sie
ist trotz allem relativ transparent, und bei den angesetzten Maßstäben sind alle Parteien gleichberechtigt.
Eine solche Regelung und Transparenz wäre bei der
Finanzierung der parteinahen Stiftungen allerdings auch
angebracht. Sie ist längst überfällig. Hier haben alle
Parteien, die diesen Gesetzentwurf eingebracht haben,
über viele Jahre viel höhere Summen ihren Stiftungen
zugeteilt. Die PDS und auch andere wurden von dieser
Verteilung ohne gesetzliche Handhabe ausgeschlossen.
Frau
Kollegin Höll, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte
schön.
Frau Kollegin Höll, Sie haben
sich gerade auf die Sozialhilfe bezogen und beklagt, daß
diese nicht an die Preissteigerungsrate angepaßt wird. Ist
Ihnen bekannt, daß es sehr wohl große Anstrengungen
im Bereich der Sozialhilfe zum Beispiel bei der Kleiderbeihilfe, bei den Heizungskosten, bei den Weihnachtsbeihilfen gibt, diese jährlich anzupassen und so auch auf
Preissteigerungen zu reagieren?
({0})
Frau Kollegin, ich habe
darauf hingewiesen, daß die Anpassung insgesamt notwendig ist. Ich muß darauf verweisen, daß wir gerade
bei der Anpassung des Preisindex bzw. bei der Bestimmung des Warenkorbes auch bei der Sozialhilfe in den
letzten 15 Jahren, wenn ich es richtig sehe, doch grundlegende Änderungen in der Bundesrepublik hatten. Die
Frage bezieht sich schon auf alles, so auch auf das
Wohngeld. Wir haben eben in der Sozialhilfe bei der
Berechnung bestimmter Dinge Pauschalsätze, und der
von mir erwähnte Maßstab ist nicht gleichmäßig in allen
Bundesländern - die Zuständigkeit ist ja auch zum Teil
verschieden - angewandt worden. Ich habe hier gesagt,
es geht darum, das durchgängig und stringent für uns
zum Maßstab unseres politischen Wirkens zu machen Hans-Joachim Otto ({0})
und dies dann auch in allen Bereichen von sozialen Leistungen.
Frau
Kollegin Höll, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ja. - Herr Präsident, ich
habe begründet, warum wir uns dem Gesetzentwurf der
anderen Fraktionen nicht anschließen können.
({0})
Wir werden aber auch nicht dagegen stimmen, weil die
Grundlage der Beschlußfassung, der Vorschlag der unabhängigen Kommission, die richtige Grundlage einer
gesetzlichen Regelung ist. Deshalb enthalten wir uns. Ich danke Ihnen.
({1})
Ich
schließe die Aussprache zu diesem Punkt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den
Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen
und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gesetzes über die politischen Parteien, Drucksachen
14/41 und 14/122. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit bei Enthaltung der PDSFraktion in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit Zustimmung der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes
zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze
({0})
- Drucksache 14/49 ({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 14/120 Berichterstattung:
Abg. Alfred Hartenbach
Abg. Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt,
wie ich sehe, keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster
Redner der Parlamentarische Staatssekretär Professor
Dr. Eckhart Pick.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die letzten Hindernisse aus dem Weg geräumt, um
ein erfolgreiches Inkrafttreten der Insolvenzordnung
zum 1. Januar 1999 zu ermöglichen.
Ich möchte an dieser Stelle dem Rechtsausschuß dafür danken, daß er bereit war, diese Beratungen in der
Kürze der Zeit und unter erheblichem Druck durchzuführen. Ich weiß, daß das eine gewisse Zumutung war.
Deswegen geht mein besonders herzlicher Dank an die
Fraktionen und die Mitglieder des Rechtsausschusses.
Damit wird endlich eine Reform wirksam, die nach
jahrzehntelanger Vorbereitung bereits 1994 verabschiedet wurde. Diese außergewöhnlich lange Vorlaufzeit
macht die Insolvenzordnung zu einem Unikat in der
deutschen Nachkriegsgeschichte. Als Trost läßt sich nur
sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Ich darf mir
die Bemerkung erlauben: Selbst das Bürgerliche Gesetzbuch hatte nicht eine so lange Vorlaufzeit wie die
Insolvenzordnung. Die Gründe dafür kennen Sie.
Angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation ist es für diese Gesetzesänderung allerdings auch
höchste Zeit. Ebenso wie die Vorjahre brachte auch das
Jahr 1997 einen Höchststand an Insolvenzen. Bei insgesamt 33 398 Insolvenzen mußten 27 485 Unternehmen
und Freiberufler insolvenzbedingt aus dem Markt ausscheiden. Bereits jetzt läßt sich absehen, daß die entsprechenden Zahlen für das Jahr 1998 noch höher liegen
dürften.
Die Insolvenzen reißen tiefe Löcher in das Wirtschaftsgefüge und vernichten massiv Arbeitsplätze. Es
ist in Fachkreisen unstreitig, daß die alte Konkursordnung und die Vergleichsordnung ihre Aufgaben nicht
mehr erfüllen. Um es ganz deutlich zu sagen: Das geltende Insolvenzrecht ist weitgehend funktionslos geworden. Dies können wir uns im Interesse der Sanierung
notleidender Unternehmen und angesichts der erschrekkend hohen Zahl von Arbeitslosen nicht leisten.
Das geltende Konkurs- und Vergleichsrecht ist im übrigen eher sanierungshemmend als sanierungsfördernd.
({0})
Die hohen Voraussetzungen für die Eröffnung des Konkursverfahrens und die Massearmut der Insolvenzen
führen dazu, daß drei Viertel aller Konkursanträge seit
Jahren mangels Masse abgewiesen werden. In den wenigen eröffneten Konkursverfahren gehen die ungesicherten und die nicht bevorrechtigten Gläubiger darüber
hinaus häufig leer aus. Daß die gesicherten Gläubiger
das Sicherungsgut jederzeit abziehen und damit das Betriebsvermögen auseinanderreißen können, führt überdies in sehr vielen Fällen zu einer Zerschlagung auch
solcher Unternehmen, die noch sanierungsfähig wären.
Dies alles machte eine umfassende Reform des Insolvenzrechts zwingend notwendig. Damit werden das
Recht in den alten Bundesländern und das in den neuen
Bundesländern, die bisher unterschiedlich sind, zusammengeführt.
Ich möchte noch ganz besonders auf die zentrale sozialpolitische Errungenschaft der Insolvenzordnung
hinweisen: die Restschuldbefreiung. Unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten ist es dringend geboten, daß
unsere Rechtsordnung demjenigen, der wirtschaftlich
gescheitert ist, Chancen für einen Neuanfang bietet.
Das in der geltenden Konkursordnung niedergelegte
unbegrenzte Nachforderungsrecht ist einerseits sozial
unausgewogen, weil es ohnehin nur bei natürlichen Personen wirksam wird; es lähmt andererseits wirtschaftliche Aktivitäten, weil es den Betroffenen in einer quasi
lebenslangen Schuldverstrickung gefangen hält. Der
wirtschaftliche Neubeginn eines einmal gescheiterten
Unternehmers oder Verbrauchers wird dadurch häufig
unmöglich gemacht.
Ich möchte im Hinblick darauf, daß sich nach unserer
Beobachtung die Phalanx der Bedenkenträger gegen die
neue Insolvenzordnung zu Worte gemeldet hat, ohne abzuwarten, wie das neue Gesetz funktioniert und praktikabel ist, noch einmal auf die überschuldeten Verbraucher und ihre Problematik hinweisen. Lassen Sie mich
betonen, daß ihnen durch das Restschuldbefreiungsverfahren nun erstmals eine realistische Chance eröffnet
wird, in einem überschaubaren Zeitraum wieder ein Leben frei von drückenden Schuldenlasten führen zu können. Das ist nicht nur sozialpolitisch dringend geboten,
sondern auch wirtschaftspolitisch sinnvoll, da hierdurch
potentiellen Existenzgründern Mut zum Aufbruch in die
Selbständigkeit gemacht wird.
Ich darf darauf hinweisen, daß bereits seit Juli dieses
Jahres Verbraucher eine außergerichtliche Schuldenbereinigung in Gang setzen können. Schuldner, die bereits
zum 1. Januar 1998 zahlungsunfähig waren, können in
der Übergangszeit die nur fünfjährige Entschuldungsphase in Anspruch nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf, auf den ich erkennbar nicht
besonders eingegangen bin, weil er eher technische Regelungen enthält, werden auch die äußeren formellen
Voraussetzungen für einen gelungenen Start der Insolvenzordnung geschaffen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das
Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung eines Gesetzes zur Änderung des
Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer
Gesetze - wie es genau heißt - wird der Schlußstrich
unter eine jahrelange Vorarbeit im Ministerium der
Justiz, im Bundestag und seinen Ausschüssen, insbesondere dem Rechtsausschuß, gesetzt, nachdem wir die Insolvenzordnung einschließlich eines Einführungsgesetzes bereits im Herbst 1994 verabschiedet haben.
Vier Jahre lang hatten die Länder und auch die Gerichte nun Zeit, sich auf diese neue Insolvenzordnung
vorzubereiten, wenn sie am 1. Januar 1999 in Kraft tritt.
In diesen vier Jahren hat es nicht an Versuchen gefehlt Herr Staatssekretär Pick hat darauf hingewiesen -, Sand
und Salz ins Getriebe zu streuen, um das Inkrafttreten zu
verschieben. Mal waren es finanzielle Gründe, mal personelle Gründe, mal die Länder, mal die Verbände oder
interessierte Berufszweige, und alle hatten eine Reihe
von Nachbesserungsvorschlägen und -wünschen - ohne
zunächst einmal abzuwarten, wie das Gesetz funktioniert.
Die Insolvenzordnung soll alte Zöpfe abschneiden
und neue Möglichkeiten eröffnen, Betriebe weiterzuführen, statt sie zu zerschlagen, und dem privaten Schuldner
ermöglichen, nach einer Wohlverhaltenszeit frei von
aufgelaufenen Verbindlichkeiten neu zu beginnen, ohne
die Umwege über Ehefrau, Kinder oder Scheinfirmen
nehmen zu müssen.
Eines haben wir bei den Beratungen der Insolvenzordnung vor vier Jahren nicht erreicht - erst recht
jetzt nicht mehr bei den Ergänzungen, nachdem die Regierung gewechselt hat -, nämlich die Aufnahme einer
Bestimmung, daß § 613 a Abs. 4 BGB bei der Fortführung einer Firma nach der Insolvenz nicht anzuwenden
ist. Dieser Arbeitsplatzvernichtungsparagraph war in der
Vergangenheit und wird auch in Zukunft für die Zerschlagung von Betrieben, um keine Arbeitnehmer übernehmen zu müssen, und damit für die Vernichtung von
Arbeitsplätzen verantwortlich sein, anstatt daß man versucht, mindestens einen Teil der Arbeitsplätze durch
Fortführung zu retten.
Lieber Kollege Pick, von den 33 000 Konkursen hätte
man wahrscheinlich 20 Prozent, um die 6 000, vermeiden können, wenn man diesen § 613 a Abs. 4 entschärft
hätte. Ich hoffe, daß wir durch die Insolvenzordnung ein
klein wenig an Entschärfung hineingebracht haben. Aber
es gibt da keine Systematik. Ich glaube auch nicht an die
Einsicht der jetzigen Mehrheit in die Notwendigkeit,
diesen Paragraphen abzuschaffen. Nachdem Sie sogar
die Änderungen im Kündigungsschutzgesetz, die sehr
sinnvoll waren, im Schweinsgalopp wieder aufheben,
glaube ich nicht, daß Sie in diesem Bereich etwas Gutes
tun.
Wir werden der Änderung des Einführungsgesetzes
zustimmen, das vernünftigerweise einige klarstellende
Ergänzungen enthält, obwohl wir die gesetzliche Institutionalisierung von Laien im Gerichtssaal im Rahmen
des Insolvenzrechts ablehnen. Wir hätten gerne gehabt,
daß nur die früher im Rechtsberatungsgesetz vorgesehenen Vertreter vor Gericht hätten auftreten können, weil
wir eine unübersehbare Flut von nicht unbedingt geeigneten Personen befürchten. Ich kann mich hier nur dem
Urteil der Bundesrechtsanwaltskammer anschließen, die
wörtlich zu dieser von SPD und Grünen durchgesetzten
Änderung sagt:
Sie ist unsystematisch, unprofessionell, kostenträchtig und überflüssig und widerspricht damit
dem allgemein anerkannten Ziel eines „schlanken
Staates“
und eines gerechten Staates, wie ich hinzufügen möchte.
Wir haben deswegen im Rechtsausschuß diese Erweiterungen im Änderungsgesetz abgelehnt. Aber wir
sind in den Abstimmungen unterlegen. Daran müssen
wir uns jetzt leider ab und zu gewöhnen. Wir haben
dennoch dem Gesetz im ganzen mehrheitlich zugestimmt. Dies haben wir auch deswegen getan, weil die
Insolvenzordnung ein Regierungsentwurf der christlichdemokratisch-liberalen Koalition war, der in zähen Verhandlungen auch mit der damaligen Opposition als Gesetz zustande kam.
Inzwischen sitzt zumindest einer der Väter der Insolvenzrechtsreform, Herr Staatssekretär a. D. Funke, auf
den harten Oppositionsbänken und der Hauptberichterstatter der Sozialdemokraten, Herr Professor Pick, auf
den weichen Regierungsbänken.
({0})
Man kann auch sagen: Wir hatten mit der früheren
Koalition leichte Liquiditätsprobleme bei den Wählerstimmen. Aber, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wir haben uns bereits gefangen - Sie
lachen ja mit Recht -, während Sie wie auf einem Hühnerhof arbeiten, auf dem alles durcheinandergackert und
niemand weiß, welcher Hahn, Schröder oder Lafontaine,
der Haushahn ist.
Wir haben uns bereits in der Oppositionsrolle geübt,
damit wir nicht, wie im Insolvenzrecht vorgesehen, fünf
oder sieben Jahre Wohlverhalten zeigen müssen, sondern bereits nach vier Jahren den Betrieb hier im Hause
wieder übernehmen können.
({1})
- Die „Liquidität“ macht Freude. - Wir werden nicht
wegen einiger „Schönheitsfehler“, Herr Beck, das rechtzeitige Inkrafttreten des Gesetzes durch Geschäftsordnungstricks verhindern oder notwendige Änderungen
verzögern, weil wir der Meinung sind, daß es ein gutes
Gesetz ist. Die Anwender sollen das Gesetz so nutzen,
daß die Verfahren zügiger als bisher durchgeführt werden, daß die Intention des Gesetzes beachtet wird, nämlich möglichst wenig Masse zu entwerten und zu zerschlagen, und daß der Schuldner möglichst so gestellt
wird, daß er wirtschaftlich weiterarbeiten kann, und sei
es unter Kontrolle.
Wir wollen auch, daß die bisherige 30jährige Frist,
die einen Schuldner - auch bei Unterbrechung der
Zinszahlungen - lebenslang in die Knie zwingen konnte,
bei ernsthaft Gutwilligen ein Ende hat. Wir warnen aber
auch gleichzeitig die Schuldner, die glauben, sie könnten
nun ohne jede Rücksicht auf Risiko wirtschaften, weil
sie nach fünf bzw. sieben Jahren wieder frei seien, und
die deshalb glauben, neue und unverantwortliche Risiken eingehen zu können.
Mit den Ergänzungsänderungen haben wir einer Reihe von Vorschlägen Rechnung getragen, aber insbesondere auch - das hat der Herr Staatssekretär gesagt notwendige Gesetzeskongruenzen hergestellt. Ich sage
in diesem Zusammenhang einen besonderen Dank an die
Mitarbeiter des Ministeriums, die diese Marathonarbeit
geleistet haben, insbesondere an Herrn Lanfermann, der
von Anfang an dabei war.
({2})
Ein Schmunzeln konnte ich mir im Rechtsausschuß
nicht verkneifen, als wir feststellten, daß das seinerzeit
geänderte Kabelpfandgesetz - das ich bis dahin auch
nicht kannte - 1994 aufgehoben wurde, wahrscheinlich
weil man beim Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung
erstmalig wieder auf es aufmerksam wurde und gesagt
hat: Wir brauchen es gar nicht. Wir haben es gestern aus
dem Gesetz herausgenommen.
Zum Schluß möchte ich nochmals auf die wesentliche
Neuerung hinweisen, daß die Restschuldbefreiung vielen Menschen, die sich mit Schuld oder auch ohne
Schuld finanziell übernommen oder verspekuliert haben,
die Möglichkeit gibt, in ein geordnetes Privat- oder Geschäftsleben zurückzukehren. Dies hängt beim Geschäftsmann naturgemäß nicht nur vom Wohlverhalten
ab, sondern auch von dem Bemühen, den finanziellen
Schaden wiedergutzumachen. Insoweit haben die Gläubiger zu Recht ein Wort mitzureden.
Anders, und zwar deutlich vereinfacht, ist dies beim
sogenannten privaten Schuldenbereinigungsverfahren,
wenn der Schuldner eine natürliche Person ist, die keine
oder nur geringe selbständige wirtschaftliche Tätigkeit
ausübt. Hier kann im wesentlichen mit einem Schuldenbereinigungsplan unter Zustimmung eines Teils der
Gläubiger oder Ersetzung dieser Zustimmung eine Entschuldung vorgenommen werden. Ist eine gütliche Regelung mit dem Gläubiger nicht zu erzielen, sorgt ein
vereinfachtes Insolvenzverfahren für eine gerichtliche
Klärung. Hier ist der Schuldner also nicht auf Gedeih
und Verderb den Gläubigern ausgeliefert.
Ich hoffe, daß diese Restschuldbefreiungsmöglichkeit
zu positiven Ergebnissen führt. Meine Damen und Herren, wenn Mißbrauch stattfindet, sind wir hier im Hause
sicher wieder einig, daß wir Änderungen oder Ergänzungen anbringen müssen. Aber zunächst wünschen wir
diesem Gesetz viel Erfolg ab 1. Januar 1999.
Danke schön.
({3})
Als
nächster Redner hat der Kollege Alfred Hartenbach von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Eine erste Vorbemerkung:
Wenn ich mich so umschaue, hoffe ich nur, daß uns
nicht irgend jemand der Geheimbündelei bezichtigt,
wenn wir dieses Gesetz verabschieden.
({0})
Meine zweite Vorbemerkung: Lieber Freiherr von
Stetten, ich denke, Sie werden die sieben Wohlverhaltensjahre und das achte Sabbatjahr auf jeden Fall mitmachen müssen. Das klappt auch nur, wenn Sie sich in
dieser Zeit wirklich wohlverhalten. Ansonsten glaube
ich nicht, daß die Wähler Ihnen die Restschuldbefreiung
gewähren werden. Dies sei vorausgeschickt.
({1})
Meine Damen und Herren, dies ist ganz offensichtlich
das letzte sogenannte Omnibusgesetz, das in diesem Jahr
noch die Ziellinie überfährt und den Endbahnhof erreicht. Für diejenigen, die nicht wissen, was ein Omnibusgesetz ist: Das ist ein Gesetzentwurf, auf den alle
Ministerien möglichst noch etwas draufpacken möchten.
So war es auch hier. Neben dem ursprünglich vorgesehenen Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung und der
Änderung der Insolvenzordnung mußten - teilweise
auch, weil die alte Bundesregierung ihre Hausaufgaben
nicht gemacht hatte ({2})
das Zwangsvollstreckungsrecht, die Abgabenordnung
und die Gewerbeordnung noch aufgenommen werden.
Dann war der Bus zu und fuhr los. Dann kam die PDS
und wollte auch noch etwas in diesen Omnibus hineinbringen.
({3})
Aber ich darf Ihnen sagen: Der Omnibus ist voll. Nichts
geht mehr!
({4})
- Ich komme noch näher darauf zurück, Herr Kutzmutz.
Es waren überwiegend redaktionelle Änderungen, die
sich im Laufe der Zeit ergeben hatten. Aber es war auch
einiges Wichtige dabei, was wir machen müssen und
machen mußten. Ich möchte einmal etwas hervorheben,
worüber nicht weiter geredet wurde: Im Insolvenzrecht
kann eine Postsperre, eine Briefsperre angeordnet werden. Dies ist ein ziemlich heftiger Eingriff in die persönlichen Rechte der Schuldner. Da ist es gut, daß nun
die Insolvenzordnung die Änderung vorsieht, daß dies
nur von dem Insolvenzgericht angeordnet werden kann.
Das Insolvenzgericht ist übrigens das Amtsgericht. Damit komme ich zum nächsten Punkt.
({5})
Wir hatten sinnvollerweise und richtigerweise im Gesetzentwurf der alten Regierung, der ja übernommen
wurde, festgeschrieben, daß die von den Ländern benannten Stellen zumindest als rechtsberatende Stellen
auftreten dürfen, ohne mit dem Rechtsberatungsgesetz in
Konflikt zu kommen. Dies war gut und richtig. Aber wir
sind der Meinung, daß diese Stellen dann durchaus auch
im gerichtlichen Verfahren auftreten dürfen, weil zum
einen in aller Regel der Schuldner und insbesondere der
private Insolvenzschuldner zu ihnen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat und andererseits ein Auftreten vor
den Amtsgerichten heute auch ohne Anwalt möglich ist.
({6})
Ich glaube auch kaum, daß wir den Anwälten irgendwelche Pfründe wegnehmen.
({7})
- Ruhig Blut, ganz ruhig.
Diese Stellen, lieber Herr Geis, werden so gut ausgebildet sein
({8})
und so kostengünstig arbeiten, daß es keiner weiteren
Aufpfropfung bedarf. Ich bin einigermaßen überzeugt,
daß sie mit Anwälten zusammenarbeiten werden. Das ist
auch der Grund dafür, warum wir sagen, daß wir die
beiden PDS-Änderungsanträge nicht brauchen. Der eine
Antrag ist überflüssig. Hinsichtlich des anderen Antrages geht es, so glaube ich, nicht an, daß wir als Deutscher Bundestag die Gemeinden für Kosten geradestehen lassen, über die wir hier entscheiden, die wir aber
nicht zahlen. Ich gehöre zu denen, die sagen: Wer die
Musik bestellt, soll sie auch bezahlen. Deswegen werden
wir so etwas hier nicht machen.
({9})
Die Frage wird sich über die Prozeßkostenhilfe regeln,
die auch hier Anwendung finden wird.
Nun sehe ich, daß mir nur noch eine Minute verbleibt. All das, was ich eigentlich noch sagen wollte,
kann ich nun nicht mehr sagen. Ich möchte nur noch eines feststellen: Mit dieser Reform und mit der notwendigen Überleitungsvorschrift für das Zwangsvollstrekkungsrecht - das waren die Hausaufgaben der Regierung - wird klargestellt, daß die Verfahren zur Abnahme
der eidesstattlichen Versicherung, die bis zum 31. Dezember 1998 anlaufen, nach wie vor von den Rechtspflegern bearbeitet werden - es ist nicht so, daß der
Rechtspfleger, wie ein solcher im Badischen meinte, das
bis zum 1. Januar liegenlassen kann -, und die neuen
Verfahren, die ab dem 1. Januar 1999, von den Gerichtsvollziehern durchgeführt werden. Dies ist eine
gute Sache.
Das neue Zwangsvollstreckungsrecht und die neue
Insolvenzordnung stellen einen Einstieg in eine moderne, in eine bürgernahe und vor allem in eine bürokratieärmere Justiz dar.
Ich darf an dieser Stelle - damit komme ich zum Ende, Herr Präsident; Sie brauchen mich also nicht auf
meine Redezeit hinzuweisen - den Vätern des vorliegenden Entwurfs
Der Präsident,
der jetzt eine Frau geworden ist.
- denen, die auf der Regierungsbank sitzen, und denen, die auf der Oppositionsbank sitzen - sehr herzlich danken. Ich habe mich als
Stiefvater etwas hineingedrängt und hoffe, daß wir dieses neue Kind Insolvenzordnung künftig mit viel Verstand und großer Kollegialität begleiten werden.
Ich möchte mich bei den Ländern bedanken, die ihre
Rolle angenommen und mit dazu beigetragen haben, daß
wir hier jetzt die richtigen Vorschriften gefunden haben.
Mein Dank gilt dem BMJ, mein Dank gilt Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, und mein Dank gilt Ihnen,
hohes Präsidium, daß Sie hinsichtlich der Überziehung
meiner Redezeit so viel Geduld hatten.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank.
So wird man selten gelobt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Staatssekretär Pick und Herr
von Stetten haben schon zur Insolvenzordnung, die
heute nicht zur Debatte steht, ausführlich gesprochen, so
daß ich hierauf nicht eingehen möchte.
Ich möchte auf das heute zur Debatte stehende Gesetz, nämlich auf das Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung, eingehen. Dieses Gesetz ist noch von der
alten Bundesregierung eingebracht worden, natürlich in
Abstimmung mit der damaligen Opposition, weil wir
verhindern wollten, daß die Länder, die uns bei der Insolvenzordnung immer nur Schwierigkeiten gemacht
haben,
({0})
noch in letzter Minute das Inkrafttreten der Insolvenzordnung weiter hinausschieben. Das war der wahre
Grund. Wir haben auf diese Weise die Länder in kollegialer Zusammenarbeit gut ausgebremst. Dafür bin ich
Ihnen allen sehr dankbar.
({1})
Das Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung, das so
eingebracht worden ist, ist in letzter Minute von den
Ländern über die Koalitionsfraktionen maßgeblich verändert worden. Man sollte das nicht kleinreden, denn
hier werden den Schuldnerberatungsstellen forensische Rechte eingeräumt, die sie bislang nicht haben und
nach unserem Rechtsberatungs- und Steuerberatungsgesetz auch nicht haben sollten. Das ist für mich eine zentrale Frage - nicht um den Anwälten oder den Steuerberatern höhere Verdienste zu ermöglichen. In der Tat, die
Rechtsanwälte werden sicher von den Schuldnerberatungsstellen gefragt werden. Aber: Hier geht es um eine
zentrale Frage, die auch die Bundesjustizministerin interessieren wird, denn sie möchte mit der Justizreform
die Eingangsgerichte stärken. Das führt zu einem verstärkten Anwaltszwang. Hier wird nun das erste Mal,
gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode, dieser notwendige Anwaltszwang konterkariert - im übrigen nicht
zum Besseren für die Schuldnerberatungsstellen, denn
das ist eine sehr teure Einrichtung. Dies führt natürlich
dazu, daß die Verwaltung aufgebläht wird. Da kann man
nur sagen: Der schlanke Staat läßt grüßen.
Meine Damen und Herren, für uns ist das eine so
zentrale Frage, daß wir diesem Einführungsgesetz zur
Insolvenzordnung nicht zustimmen können. Denn das
Rechtsberatungsgesetz, das Steuerberatungsgesetz dienen ja nicht dem Schutz der Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte und der Steuerberaterinnen und Steuerberater, damit sie möglichst viel verdienen, sondern dienen
dem Schutz der Rechtsuchenden. Die Schuldnerberatungsstellen haben von forensischer Tätigkeit überhaupt
keine Ahnung. Das sollte auch so bleiben. Deshalb sollten wir die Schuldnerberatungsstellen auch nicht dazu
„verdonnern“, vor Gericht zu erscheinen.
({2})
Weil dies eine wichtige Frage für unsere Rechtsordnung und für unseren Rechtsstaat ist, werden wir dem
Einführungsgesetz in dieser Form nicht zustimmen. Ich
will auch ganz offen sagen: So wie in letzter Minute von
den Koalitionsfraktionen am Gesetzentwurf noch zahlreiche Änderungen vorgenommen worden sind, ist das
schon nicht mehr lege artis.
({3})
So sollten wir in Zukunft im Rechtsausschuß nicht mehr
miteinander umgehen.
Unsere Insolvenzordnung ist mir sehr wichtig. Mit ihr
ist für unsere Wirtschaftsordnung, aber auch für unsere
Gesellschaftsordnung ein wichtiges Regulativ geschaffen worden.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, wie schnell die Sensibilität für Tischvorlagen
wächst, wenn man auf der Oppositionsbank sitzt.
({0})
Angesichts der Marginalien, um die es sich hierbei gehandelt hat, muß ich sagen: In meiner Oppositionszeit
habe ich von Ihnen ganz anderes erlebt.
({1})
Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Sicherung
des ordnungsgemäßen Inkrafttretens der neuen Insolvenzordnung. Im wesentlichen werden Rechtsangleichungen vorgenommen, die bei der Verabschiedung des
Gesetzes noch nicht erkennbar waren. Die Vorarbeit hat
bereits die alte Regierung geleistet. Dafür danken wir.
Neu sind insbesondere einige Nachbesserungen, die die
neue Regierungskoalition - auch auf Wunsch der Länder
- vorgenommen hat. Hierzu zählt etwa die Einräumung
der Befugnis von Schuldnerberatungsstellen, auch vor
Gericht auftreten zu dürfen - hier wird niemand „verdonnert“, sondern die Beratungsstellen wollen es selbst
so -, was von mir ausdrücklich begrüßt wird.
Meine Damen und Herren, die neue Insolvenzordnung ermöglicht unter anderem das Privatinsolvenzverfahren. Überschuldete Privatpersonen können eine Befreiung von ihren Restschulden erlangen und so dem
„lebenslangen Schuldenturm“ entfliehen. Als Gegenleistung hierfür muß der Schuldner während einer siebenjährigen „Wohlverhaltensperiode“ den pfändbaren Teil
seines Vermögens an einen Treuhänder abtreten, der den
Erlös an die Gläubiger verteilt. Eine derartige Chance
für einen Neustart ist ein riesiger gesellschaftlicher und
sozialer Gewinn.
Überschuldung ist für Menschen nicht nur eine erhebliche psychische Belastung, sie verhindert auch die
Wiedereingliederung in das Erwerbsleben und zementiert den Bezug von Sozialleistungen. Denn wer keine
Chance hat, jemals wieder mehr als das nach der ZPO
unpfändbare Einkommen zu erwirtschaften, ist wenig
motiviert, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen.
Aber auch für erwerbsunfähige Sozialleistungsempfänger, die überhaupt nicht mehr arbeiten können, ist
die Überschuldung eine unerträgliche Belastung. Auch
sie sehen sich regelmäßigen Pfändungen, Mahnbriefen,
Gerichtsvollzieherbesuchen und Hausbesuchen von Inkassobüros ausgesetzt. Die Perspektive, diesem Druck
und dem wirtschaftlichen Existenzminimum zu entfliehen, fehlt bislang. Neben der materiellen Armut und den
persönlichen Schicksalsschlägen sind sie dauerhaft den
Folgen der Überschuldung ausgesetzt, die wegen der
Scham gegenüber Nachbarn und Verwandten oder auch
Kollegen am Arbeitsplatz oft auch in sozialer Isolation
und gesellschaftlicher Ausgrenzung bestehen. In dieser
Situation befinden sich die Betroffenen oft schon seit
Jahren.
Bisher war es Gläubigern möglich, ihre Forderungen
30 Jahre - unter Umständen sogar noch darüber hinaus geltend zu machen. Für die davon betroffenen Menschen
wollen wir eine Verbesserung erreichen; darin sind wir
uns einig. - Ob wir unter diese gesetzliche Regelung allerdings die Schuldverhältnisse der Oppositionsparteien
fallen lassen oder bei diesen Rechtssubjekten nicht lieber an der alten Regelung festhalten sollten, darüber
werden wir uns sicher noch öfters in diesem Hause unterhalten. - Angesichts zunehmender Verbraucherüberschuldung hat sich dieser Zustand aus sozialen und
volkswirtschaftlichen Gründen als nicht haltbar erwiesen.
Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition
tritt darüber hinaus für eine Änderung des Rechtsberatungsgesetzes ein, durch die es den Schuldnerberatungsstellen ermöglicht wird, auch vor Gericht aufzutreten. Hiermit verbinden wir die Hoffnung auf effizientere Verfahren. Die Schuldnerberatungsstellen sind
auf Grund ihrer vorausgehenden außergerichtlichen Tätigkeit bereits umfassend über die Streitpunkte informiert. Anders als neu hinzugezogene Anwälte müssen
sie sich anläßlich eines Gerichtsverfahrens nicht in eine
komplett neue Materie einarbeiten. Dies führt nach unserer Auffassung auch zur Kostenersparnis.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
behaupten, nur Anwälte hätten die Kompetenz für die
gerichtliche Vertretung. Sie unterstellen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schuldnerberatungsstellen
seien dem nicht gewachsen. Sollte dies tatsächlich auf
Grund einer außerordentlich schwierigen Rechtslage der
Fall sein, bleibt den Parteien immer noch die Möglichkeit, einen Anwalt ihres Vertrauens einzuschalten. Das
werden sie dann auch im eigenen Interesse tun. Es ist
aber auch damit zu rechnen, daß die Schuldnerberatungsstellen schon von sich aus Juristinnen und Juristen
einstellen oder mit Anwälten Generalverträge abschließen, um diesem Problem zu begegnen und in der Lage
zu sein, auch komplexe Rechtsprobleme entsprechend
zu würdigen.
Meine Damen und Herren, die Änderungsanträge der
PDS werden wir ablehnen. Die Kollegen der PDSFraktion hatten gestern im Ausschuß Gelegenheit, ihre
Bedenken vorzutragen. Aber sie haben sich nicht an der
Debatte beteiligt, sondern sich durchgehend der Stimme
enthalten. Sie haben uns ihre Änderungsvorschläge nicht
zur Kenntnis gebracht. Meines Erachtens sind sie unnötig, da sie in der Sache keine substantiellen Verbesserungen bringen. Wenn es Ihnen nicht um Show-Anträge,
sondern um die Sache gegangen wäre, hätten Sie im
Ausschuß mit uns darüber reden können. Sie wissen, wir
sind eine konstruktiv und sachlich arbeitende Koalition
und für Anregungen der Opposition immer offen.
({2})
Wir hätten, wenn Sie uns in der Sache überzeugt hätten,
sicherlich einen Weg gefunden, um Ihr Anliegen aufzunehmen.
({3})
So agieren Sie rein populistisch. Deshalb werden wir Ihre Anträge ablehnen.
({4})
Volker Beck ({5})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform hat gestern vermeldet, daß bis zum
Ende des Jahres 34 200 Schuldner den Gang zum Konkurs- bzw. Gesamtvollstreckungsrichter antreten werden. Es steht also wieder ein Pleitenrekord ins Haus.
Um den Belehrungen derer vorzubeugen, die uns gestern einen kurzen Lehrgang in Marktwirtschaft erteilen
wollten, will ich eindeutig sagen: Natürlich ist auch mir
inzwischen klargeworden, daß es, wenn eine betriebswirtschaftliche Konzeption nicht aufgeht und das Produkt, das ich anbiete, nicht stimmt, auch zu Konkursen
kommt. Ich gebe aber Herrn von Stetten recht: Natürlich
hätte mancher dieser Konkurse - und die daraus entstehende Arbeitslosigkeit - vermieden werden können,
wenn die nötige Klarstellung beim Insolvenzrecht schon
vorher erfolgt wäre. Ein neues Insolvenzrecht bietet
durchaus gewisse Chancen, daß diese Prozesse mit weniger Arbeitsplatzverlusten als bisher enden. Vor allem
kann es den Mut zur Selbständigkeit, der allerorten gefordert wird, befördern helfen, weil im Falle des Scheiterns nicht länger die Existenz vernichtet wird.
Wer - wie manche Medien - den neuen Verbraucherkurs feiert, der verdrängt oder übersieht, daß dieses neue
Recht noch auf längere Zeit hinaus nicht funktionieren
wird. Hier gehen unsere Meinungen auseinander. Sie,
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, feiern die Zeit
seit 1994 bis heute sozusagen als einen grandiosen Entwicklungsweg. Ich sage: Hier ist ein Großteil der Zeit
verschlafen worden. Wir befinden uns im Rückstand,
weil diese Dinge natürlich erst in Gang gesetzt werden
müssen.
({0})
Die jetzige Situation grenzt nach meiner Auffassung
durchaus an Rechtsverkürzung für Betroffene.
Schließlich setzt das Stellen eines Insolvenzantrags nach
neuem Recht voraus, daß im vorhergehenden halben
Jahr ein ergebnisloser Einigungsversuch mit den Gläubigern stattgefunden hat. Erst mit dem jetzt behandelten
Entwurf erfolgte aber die letzte Klarstellung über die
Stellen, die die dazu erforderliche Bescheinigung ausstellen dürfen. Diese Stellen müßten aber schon seit Anfang Juli 1998 genehmigt und arbeitsfähig sein, damit
das neue Recht tatsächlich ab 1. Januar 1999 greifen
kann. Die Verantwortung dafür - das habe ich gemerkt liegt auch bei der alten Regierung. Es ist klar: Da Sie
1994 im Amt waren, dürfen Sie das jetzt nicht allein der
neuen Regierung vorwerfen. Aber es gibt auch schon
Dinge, die die neue Regierung betreffen.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Funke?
Ich gestatte das gern. Ich
habe nur ein Problem: Mir wurde vorhin signalisiert, daß
meine Redezeit verlängert worden ist. Auf der Anzeige
hier aber erscheint jetzt schon eine Null.
Ich gebe Ihnen
zwei Minuten mehr, und die Zwischenfrage rechne ich
Ihnen nicht an. Wir sind am Ende manchmal großzügig.
Bitte schön.
Herr Kollege Kutzmutz, ist
Ihnen bekannt, daß wir die Insolvenzordnung 1994 in
diesen Räumen beschlossen haben, daß aber die Länder, insbesondere im Vermittlungsausschuß, darauf gedrängt haben, daß diese Insolvenzordnung erst am 1. Januar 1999 in Kraft tritt, wir also, sowohl was den Bundestag als auch was die Bundesregierung angeht, insoweit gar nicht Herr des Verfahrens gewesen sind?
Das ist mir bekannt.
({0})
Ich möchte Ihre Frage gern beantworten. Es ist mir
bekannt, daß das 1994 beschlossen worden ist. Ich sage
ausdrücklich, daß es wegen der Kompliziertheit des Verfahrens sicherlich richtig gewesen ist, einen so langen
Übergangszeitraum zu wählen. Mir ist aber auch bekannt, daß 1997 einige Bundesländer - darunter das
Saarland, Bayern und einige andere - gefordert haben,
das Inkrafttreten des Gesetzes um weitere drei Jahre zu
verschieben.
({1})
- Ich beantworte jetzt die Frage des Kollegen. Sie können auch gerne fragen.
({2})
Also, das ist mir bekannt. Ich habe gesagt, daß mir
das wegen der Kompliziertheit auch eingeleuchtet hat.
Aber es ist in der Zwischenzeit wenig geschehen. Ich
komme auf die Länder zurück, die hier angesprochen
worden sind.
Es ist nicht nur so, daß sie im Bundesrat versucht haben, den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu verschieben,
sondern sie haben auch sehr spät beschlossen. Brandenburg zum Beispiel hat erst am 12. November 1998 die
Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz beschlossen. Wenn jetzt der Herr Parlamentarische Staatssekretär kommt und sagt, daß schon ab Juli Anträge gestellt werden konnten, dann frage ich einmal: Wo denn?
Wo hätten sie denn gestellt werden können? Erst jetzt ist
geklärt, daß diese Stellen eingerichtet werden. Es ist also
nicht so, daß sie schon eingerichtet sind. Daher greift
das ab 1. Januar 1999 nicht. Mit diesem Problem muß
man sich auseinandersetzen.
Wegen der begrenzten Redezeit lasse ich jetzt einige
Dinge weg. Ich will nur sagen: Wir haben zwei Änderungsanträge eingebracht. Herr Kollege Beck, ich gebe
Ihnen recht, daß diese verspätet vorgelegt worden sind.
Allerdings ist mir völlig gleichgültig, warum die Koalition sie ablehnen wird. Sie brauchen keine Pirouetten zu
drehen. Sie hätten sie auch abgelehnt, wenn wir sie gestern diskutiert hätten. So ehrlich sollten wir miteinander
umgehen.
({3})
- Nein, ich kenne das Verfahren.
Die Reform ist eine Reform zugunsten der Gläubiger
mit Chancen für Schuldner. Damit sie aber überhaupt
funktionieren kann, müssen unseres Erachtens die beiden von uns vorgeschlagenen Veränderungen aufgenommen werden.
Herr Hartenbach, Sie haben gesagt: Wer die Musik
bestellt, der soll sie auch bezahlen. - Da stimme ich Ihnen zu. Das Problem ist nur: Bei der Lösung, die jetzt
gefunden worden ist, kann es passieren, daß überhaupt
keine Musik bestellt wird, daß also gar nicht bezahlt
werden muß, weil es einfach nicht greift. Die Grundfinanzierung eines ausreichenden Netzes von Insolvenzberatung muß gesichert werden.
Bestimmt haben Sie wie ich voller Freude die 16
Seiten Antragstext gelesen. Ich kann mir vorstellen, daß
es ein reines Vergnügen sein wird, zu jemandem zu gehen und mit ihm zusammen den Antrag auszufüllen,
damit er zu seinem Recht kommt. Ich glaube, das muß
einfacher gemacht werden.
Darüber hinaus muß klargestellt werden, daß für Insolvenzverfahren Prozeßkostenhilfe beantragt und gewährt werden kann. Selbst einfache Verfahren dürften
nach ersten Schätzungen mindestens 3 000 DM kosten.
In der „FAZ“ vom 19. November war zu lesen, daß
Richter sich natürlich darauf einstellen. Sie können die
Prozeßkostenhilfe gewähren, sie müssen es aber nicht.
Ohne zumindest die Chance zur Ratenzahlung zu haben,
dürften die wenigsten Betroffenen überhaupt darüber
nachdenken, die neue Möglichkeit zu nutzen. Für mich
wäre es absurd, wenn Zahlungsunfähige mangels Geldes
ihre Zahlungsunfähigkeit erst gar nicht eingestehen dürfen.
Ich sage einmal: Diese beiden Anträge sind keine
Schikanen der linken Opposition, sondern allein Schritte
zur Herstellung der tatsächlichen Funktionsfähigkeit des
neuen Rechts. Ich sage Ihnen auch: Ich bin sicher, daß
wir uns heute mit diesem Gesetz nicht zum letzten Mal
beschäftigt haben.
Danke schön.
({4})
Danke schön.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze. Das sind die Drucksachen 14/49 und 14/120.
Dazu liegen, wie eben diskutiert, zwei Änderungsanträge
der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/121 und 14/124
vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/121? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die
Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/124? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Auch dieser Änderungsantrag ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen
die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und CDU/CSU gegen die Stimmen der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen worden.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. Dezember 1998,
9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.