Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Bevor ich
die Aussprache eröffne, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um unserem Kollegen Ulrich Adam zu seinem heutigen 50. Geburtstag im Namen des Hauses zu gratulieren.
({0})
Ich eröffne jetzt die Aussprache. Als erster Redner hat
der Kollege Bernd Reuter von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als vor knapp 50 Jahren die
damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Luise Albertz als
erste Vorsitzende des Petitionsausschusses den ersten
mündlichen Bericht im Plenum gab, stellte sie fest:
Viele Petitionen geben einen interessanten, aber auch
für uns wichtigen Aufschluss über die öffentliche
Meinung. Darum kann die politische und auch psychologische Bedeutung des Petitionsrechts nicht genug hervorgehoben werden. Petitionen sind „gleichsam die Strohhalme, die zeigen, wie der Wind weht“,
sagte schon 1875 ein bekannter Staatsrechtler. Es ist
gewiss keine Übertreibung, wenn die Mitglieder des
Petitionsausschusses zu der Auffassung gekommen
sind, dass man aus den Eingaben oft die wirklichen
Nöte und Bedürfnisse der Bürger unserer Bundesrepublik kennen lernt.
So weit die erste Vorsitzende des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages 1952.
Ihre Ausführungen sind auch für 1999, für das Jahr des
50. Geburtstages des Petitionsausschusses, aktuell. Ich
möchte an dieser Stelle die Bürgerinnen und Bürger ermutigen und auffordern, weiterhin so zahlreich von ihrem
Grundrecht Gebrauch zu machen. Das Petitionsrecht ist
zwischen den Wahlen die einzige Möglichkeit, sich aktiv
in die politische Willensbildung einzuklinken.
({0})
- Das war vorher noch viel schlimmer, Herr Kollege
Nolting, als Sie das Sagen hatten und das Chaos angerichtet haben, das wir jetzt beseitigen müssen. Das ist das
eigentliche Problem.
({1})
Heidemarie Lüth
Kurios ist in diesem Zusammenhang auch die Bemerkung eines Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, der in
seiner Rede zum Jahresbericht 1998 des Petitionsausschusses darauf hinwies, dass Bayern nur 114 Petitionen
auf 1 Million Einwohner aufweise, Nordrhein-Westfalen
dagegen 177. Er hat daraus die Feststellung abgeleitet,
dass die politische Farbe der jeweiligen Landesregierung
Einfluss auf die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der
Bürgerinnen und Bürger im betreffenden Bundesland
habe.
({2})
- Ich bedanke mich für Ihre geistreichen Zurufe, gebe Ihnen aber zu bedenken: Dementsprechend müsste es mit
der politischen Zufriedenheit in meinem Heimatland Hessen unter der neuen Landesregierung nicht so weit her
sein, da Hessen nunmehr 179 Petitionen auf 1 Million
Einwohner aufweist, während in Nordrhein-Westfalen auf
1 Million Einwohner nur 159 Petitionen kommen.
({3})
Unverständlich ist mir auch die Bemerkung eines anderen Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, der in seiner
damaligen Rede seinen Stolz zum Ausdruck gebracht hat er kam aus Bayern -, dass Bayern die geringste Anzahl an
Petitionen aufwies. Er hat daraufhin festgestellt, dass die
bürgerfreundlichste Politik diejenige sei, die dazu beitrage, dass überhaupt keine Petitionen eingereicht würden. Dieser Auffassung möchte ich natürlich deutlich widersprechen, weil es wichtig ist, dass die Bürgerinnen und
Bürger mitwirken. Es gibt möglicherweise auch andere
Gründe, warum Menschen keine Petitionen beim Bundestag oder bei den Länderparlamenten einreichen.
Ich möchte die Bedeutung dieses Grundrechts hervorheben und das unterstreichen, was Frau Lüth, die Vorsitzende des Petitionsausschusses, bezüglich der reformerischen Ansätze vorgetragen hat, die wir alle bedenken
sollten. Im Jahre 1999 hat die Zahl der eingegangenen Petitionen deutlich zugenommen, und zwar um 6,5 Prozent.
({4})
Wir mussten insgesamt 18 176 Eingaben im Petitionsausschuss bearbeiten. Zu Ihrem „Aha“, Herr Nolting, möchte
ich sagen: Die Zunahme der Zahl der eingereichten Petitionen kann vielleicht auch damit zusammenhängen, dass
die Menschen nach dem Regierungswechsel wieder mehr
Vertrauen haben und denken, dass die neue Regierung
eher als die alte Regierung bereit ist, ihre Probleme zu lösen.
({5})
Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen, dass nur
durch die engagierte Arbeit des Ausschussdienstes das ungeheure Arbeitspensum des Petitionsausschusses bewältigt werden konnte, und zwar trotz einiger Stellenreduzierungen, die wir in diesem Bereich akzeptieren
mussten. Ich möchte in unser aller Namen den Frauen und
Männern, die diese schwierige Aufgabe bewältigen, ausdrücklich Dank für die geleistete Arbeit aussprechen.
({6})
Ich darf auch darauf hinweisen, dass die Petitionsausschussmitglieder - trotz gleichzeitiger Mitgliedschaft
in anderen Fachausschüssen - die große Arbeitsbelastung
mit Engagement, Fleiß und Zähigkeit bewältigen, ohne
dafür große politische Lorbeeren zu ernten.
Ich möchte ferner das gute, kollegiale Klima im Ausschuss hervorheben, das die zusätzliche Arbeit erleichtert.
Frau Lüth hat Recht, wenn sie sagt, dass bei dieser Arbeit
nicht die politischen Konturen verwischt würden. Jeder
weiß, dass der eine bei der PDS, der andere bei der SPD,
bei der CDU/CSU oder bei der F.D.P. ist. Das Wissen, im
Einzelfall helfen zu können, hilft uns, die Arbeit im Petitionsausschuss zu bewältigen.
Ich stelle erfreut fest, dass die neue Bundesregierung
eher als die vorherige bereit ist, die Beschlüsse des Petitionsausschusses umzusetzen. Ich muss an dieser Stelle
sehr deutlich sagen, dass ich mir eine noch bessere Kooperation zwischen der Bundesregierung und dem Petitionsausschuss vorstellen könnte. Wenn ich mir die Parlamentarischen Staatssekretärinnen und Parlamentarischen
Staatssekretäre, die jetzt auf der Regierungsbank sitzen,
ansehe, dann kann ich mit Genugtuung feststellen, dass
gerade sie mit uns kooperativ zusammenarbeiten.
({7})
Ich hätte mir aber gewünscht, dass auch diejenigen hier
sind, die uns manchmal merkwürdige Antworten geben,
wenn wir um Stellungnahmen bitten.
({8})
Sie wissen, dass wir gerade im Petitionsbereich dicke
Bretter bohren müssen. Ich will einmal die Zähigkeit unseres Ausschusses im Zusammenhang mit einer Petition
der Sprachheilpädagogen dokumentieren.
Schon in der 12. Wahlperiode, Herr Kollege Nolting ({9})
- ich will Sie nur ansprechen, damit ich Ihre geschätzte
Aufmerksamkeit gewinne -, wollten die Sprachheilpädagogen von der Umsatzsteuer befreit werden, weil sie
genauso wie die Logopäden behandelt werden wollten. In
der 13. Wahlperiode beschloss der Bundestag, die Petition
der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen. In der
Folgezeit sahen sich die beteiligten Ministerien nicht in
der Lage, dem berechtigten Anliegen der Petenten Rechnung zu tragen.
Erst in der 14. Wahlperiode führten die weiteren intensiven Bemühungen des Ausschusses dazu, dass die neue
Bundesregierung - nach fast sieben Jahren intensiver
Beratungen - dem Anliegen in vollem Umfang entsprach.
Herr Nolting, nur zur Erinnerung: Das ist zu Zeiten der
neuen Bundesregierung gewesen.
({10})
- Wer vorne sitzt - das wollen Sie doch gerne -, der muss
akzeptieren, dass er oft etwas auf die Ohren bekommt.
({11})
Wir stellen auch eine Zunahme der Anhörungen von
Regierungsvertretern fest. Das ist nicht Ausdruck von
Misstrauen; vielmehr besteht bei den Regierungsvertretern die Bereitschaft, mit uns gemeinsam daran zu arbeiten, die Probleme der Menschen einer Lösung zuzuführen. Für diese Bereitschaft will ich ausdrücklich danken. Ich erinnere daran, wie vorbildlich unser Kollege
Lothar Ibrügger den Ausschuss über gewisse Dinge informiert hat.
Ich will auch den auf der Regierungsbank sitzenden
Staatsminister Ludger Volmer loben. Was für Probleme
hatten wir mit dem Auswärtigen Amt!
({12})
- Ich sage Ihnen sogar, warum. Früher erreichten uns viele
Petitionen in Visa-Angelegenheiten. Wir mussten feststellen, dass das restriktive Verhalten mancher Auslandsvertretung darauf zurückzuführen war, dass sich der frühere
Innenminister Kanther in diese Angelegenheiten intensiv
eingemischt und um restriktive Handhabung gebeten
hatte. Dieser Zustand hat sich durch die Initiative von
Ludger Volmer wesentlich verbessert. Wir haben im Moment keine Probleme mit dem Auswärtigen Amt.
({13})
Ich will Ihnen noch ein Beispiel für eine schnelle Entscheidung vortragen. Ein Wehrpflichtiger wollte aufgrund
eines Stipendiums für die Yale-Universität in den USA für
vier Jahre vom Wehrdienst zurückgestellt werden und die
Erlaubnis für das Verlassen der Bundesrepublik erhalten.
Er hatte sich gegenüber 13 000 Konkurrenten durchgesetzt und wollte diese einmalige Chance - auch im Interesse unseres Landes - wahrnehmen. Aber sein Antrag auf
Zurückstellung vom Wehrdienst wurde von der Verwaltung abgelehnt.
Erst nach einer Petition hat sich die Parlamentarische
Staatssekretärin Brigitte Schulte eingeschaltet. Ihr gilt ein
herzliches Wort des Dankes; denn mit ihrem Engagement
konnten wir erreichen, dass der junge Mann heute in Yale
studiert und seinen Wehrdienst leistet, wenn er zurückkommt. Liebe Frau Schulte, so wünschen wir uns die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem
Petitionsausschuss.
({14})
Ich will einen Appell an die Mitglieder der Bundesregierung richten. Sehr geschätzte Staatssekretärinnen und
Staatssekretäre, ich bitte Sie dringend: Unterschreiben Sie
bitte nicht alles, was aus Ihrem Hause als Stellungnahme
an den Petitionsausschuss geht!
({15})
Verhindern Sie bitte, dass uns an Ihnen vorbei Schreiben
zugestellt werden! Meine wenigen Haare stehen manchmal zu Berge, wenn ich lese, was in so mancher Stellungnahme der Bundesregierung steht. In dieser Hinsicht
wünsche ich mir eine Verbesserung; deshalb richte ich
diese Bitte an Sie.
({16})
Geben Sie unsere Wünsche an diejenigen weiter, die heute
Morgen wichtigere Termine haben und uns hier nicht
zuhören können.
Herr Kollege Deittert, es ist keine ideologische
Großherzigkeit, wenn die Koalitionsabgeordneten - auch
bei Klarheit der Gesetzeslage - helfen wollen, Probleme
einer Lösung zuzuführen. Ich denke an die Bereiche der
Ausländergesetze und des Asylrechts. Natürlich müssen
wir darüber nachdenken, Gesetze zu ändern. Aber Sie dürfen uns auch keine Knüppel zwischen die Beine werfen,
wenn wir das machen.
({17})
Dafür, dass uns eine solche Vielzahl von Petitionen
vorliegt, danke ich den Organisationen, den Kirchen und
Einzelpersonen in unserer Republik, die sich der Menschen annehmen und ihnen helfen, eine Petition an uns zu
richten. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wie
es uns gelingen kann, in Einzelfallentscheidungen die
Probleme der Menschen zu lösen. Wir dürfen uns nicht
immer hinter die Rechtslage zurückziehen. Es ist für mich
völlig klar, dass die Rechtslage von den Ministerien
berücksichtigt werden muss. Darüber hinaus haben wir
aber auch die Aufgabe auszuloten, ob nicht geltendes
Recht im Interesse der betroffenen Menschen geändert
werden muss; denn Gesetze dürfen kein Selbstzweck sein.
({18})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
Ihnen gerne noch ein kurioses Beispiel vortragen. Uns lag
eine Petition vor, in der sich ein Mensch Hilfe suchend an
uns wandte. Er wollte, dass bestimmte naturwissenschaftliche Auffassungen geändert würden, weil er aufgrund einer Zeitaufnahme festgestellt habe, dass der Blitz
nicht einschlägt, sondern ausschlägt.
({19})
Wir konnten dieser Petition natürlich nicht weiter nachgehen, weil wir es nicht so genau prüfen konnten, wie es
sich mit dem Blitz verhält. Ernsthaft möchte ich dazu aber
sagen: Es gehört auch zu unserer Aufgabe, dass wir diese
Dinge ernst nehmen, weil das, was für uns vielleicht
lächerlich erscheint, für einen anderen Menschen ein
großes Problem darstellen kann.
Durch die Arbeit des Petitionsausschusses ist das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen gestärkt
oder wiederhergestellt worden. Der Vorwurf, die Politik
entferne sich immer mehr vom wirklichen Leben, trifft
dieses parlamentarische Gremium nicht, bilanzierte der
Ehrenvorsitzende der SPD, Dr. Hans-Jochen Vogel, in seiner Rede zum 50. Geburtstag des Petitionsausschusses im
vergangenen Jahr. Ich kann mich seiner Einschätzung nur
anschließen und bedanke mich bei Ihnen für Ihre Geduld
mit mir.
({20})
Als
nächster Redner hat der Kollege Hubert Deittert von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren
heute den Jahresbericht 1999 des Petitionsausschusses.
Dieser Ausschuss ist die Nahtstelle zwischen Bevölkerung und Parlament. Es ist die Stelle, an die sich der Bürger mit seinen Beschwerden, Bitten und Anregungen
wenden kann. Wir als Abgeordnete, so denke ich, sind gut
beraten, wenn wir diese Beschwerden und Bitten der Bürger ernst nehmen; denn so haben wir Gelegenheit, ein
großes Stück Politikverdrossenheit abzubauen bzw.
auch zu vermeiden.
({0})
Die Arbeit im Petitionsausschuss verlangt einen enormen Zeitaufwand. Es ist eine unglaubliche Fülle von Fakten und Einzelschicksalen zu bearbeiten. Für mich ist dieser Ausschuss die Stelle, an der eine schnelle Rückkoppelung zwischen politischen Entscheidungen und den
Auswirkungen dieser auf die Bürger im Lande erfolgt. Es
ist daher für mich äußerst reizvoll, dort mitzuarbeiten. Es
ist unsere Aufgabe, die Ermessensspielräume, die es im
einen oder anderen Fall sicher gibt, auszuloten und nach
einer Lösung für den Petenten zu suchen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen herzlich
für faire und vernünftige Zusammenarbeit danken. Mein
Dank gilt natürlich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes für eine gewissenhafte und
gute Zuarbeit.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Zahl
der eingegangenen Petitionen betrachten, fällt auf, dass es
im vergangenen Jahr eine Steigerung von 6,5 Prozent gab.
Lieber Kollege Reuter, ich mache das noch nicht an der
rot-grünen Regierung fest,
({1})
sondern ich werte es so, dass die Bürger nach wie vor Vertrauen zum Parlament haben.
({2})
Wenn wir uns anschauen, auf welche Ministerien sich
die Petitionen schwerpunktmäßig verteilen, fällt auf, dass
das Ministerium für Arbeit und Soziales nach wie vor mit
den meisten Petitionen konfrontiert wird. Das ist erklärlich aus den vielen Fragen, die sich im Zusammenhang
mit Rente und insbesondere mit der Rentenüberleitung in
den neuen Bundesländern ergeben.
Das Innen- und das Finanzministerium folgen bezogen
auf die Anzahl der Petitionen unmittelbar. Im Bereich des
Innenministeriums spielen natürlich Fragen des Asylund Ausländerrechts die größte Rolle.
Wenn wir den Bereich des Finanzministeriums sehen,
muss ich, denke ich, doch schon ein Stück zur rotgrünen Bundesregierung kommen. Hierbei ist nämlich
auffällig, dass sich viele Petitionen mit der neuen
630-Mark-Regelung, mit der Ökosteuer und mit den weiteren Steuergesetzen der neuen Regierung beschäftigen.
Das zeigt, dass die Menschen mit diesen Dingen Probleme haben.
Wenn ich die regionale Herkunft sehe, muss ich Sie,
lieber Kollege Reuter, wieder direkt ansprechen. Es ist eigentlich zu schön festzustellen, dass in Bayern bei dieser
Farbe der Landesregierung die zufriedensten Menschen
wohnen.
({3})
Wenn es in Thüringen eine relativ hohe Zahl von Petitionen gibt, mache ich das noch daran fest, dass zu der Zeit
Ihre Partei noch an der Landesregierung beteiligt war. Ich
denke, das wird sicherlich besser.
({4})
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben im vergangenen Jahr von unserem Recht, Regierungsvertreter
zu laden, ausgiebig Gebrauch gemacht. Ich denke, das ist
gut so. Die Regierungsvertreter - das stelle ich hier ausdrücklich fest - bemühen sich nach Kräften, das geltende
Recht zu erläutern und auch einzuhalten, während die
Fraktionen der Regierungskoalition damit ab und an Probleme haben.
({5})
Lieber Herr Reuter, ich stimme Ihnen zu, dass es Aufgabe des Ausschusses ist, Ermessensspielräume auszuloten. Wenn es aber wirklich an die Grundsätze geht, ist es
unsere Aufgabe, möglicherweise Rechtsänderungen anzuregen.
({6})
Dafür sind dann aber Sie mit Ihrer Mehrheit, die Sie möglicherweise im Parlament haben, zuständig. Haben Sie
dann aber bitte auch den Mut, für klar Schiff zu sorgen;
denn das ist ein Gebot der Ehrlichkeit.
({7})
Wir haben, meine Damen und Herren, Kontakte mit
den Petitionsausschüssen der Bundesländer gepflegt. Ich
denke, das ist gut so. Wir können uns gegenseitig ergänzen. Hierbei ist festzuhalten, dass die Petitionsausschüsse der Länder den Wunsch haben, dass wir unsere
Anliegen der Bundesseite präzise erläutern. Ich denke,
diesem Wunsch können wir nachkommen.
Für wichtig halte ich auch den Gedankenaustausch mit
Parlamentariern aus anderen Ländern. Ich halte fest, dass
wir mit Vertretern der Nationalversammlung der Republik
Aserbaidschan und mit Vertretern der Nationalversammlung von Kambodscha Gedankenaustausch gepflegt haben. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir diesen jungen Demokratien helfen, einen Weg zu finden, wie die
Nahtstelle Bürger/Parlament gestaltet werden kann.
Lassen Sie mich zwei konkrete Beispiele aus meinem
direkten Arbeitsbereich nennen. Wir haben im Verkehrsbereich nach wie vor große Probleme mit dem Verkehrslärm. Dabei ist eine Petition besonders auffällig. Sie
wehrt sich nämlich gegen die jetzige Betrachtung des Verkehrslärms bei Bündelung von Verkehrswegen. Geltendes
Recht ist - so das Verkehrsministerium, und das müssen
wir auch akzeptieren -, dass bei Veränderung von Verkehrswegen, auch bei Bündelung, der zu verändernde
Verkehrsweg einzeln zu betrachten ist; der andere bleibt
außen vor.
Wir haben eine solche Petition aus dem Raum Kirchheim/Teck-Weilheim gehabt. Wir haben sie in Kenntnis
der Rechtslage dem Bundesministerium für Verkehr, Bauund Wohnungswesen als Material überwiesen mit der
Bitte, die Sachlage noch einmal zu überdenken; denn wir
müssen uns damit abfinden, dass wir in den kommenden
Jahren nach wie vor große Probleme mit dem Verkehrslärm haben werden. Wir sind gut beraten, wenn wir eine
langfristige Perspektive entwickeln, wie wir, sicherlich in
Stufen, dieses Problem anfassen wollen.
Im Bereich Landwirtschaft, der ebenfalls in meine Zuständigkeit fällt, gibt es nach wie vor viele Petitionen aus
dem Bereich des Tierschutzes. Hier kann man Gott sei
Dank feststellen, dass es in der Vergangenheit in diesem
Bereich zu erheblichen Verbesserungen gekommen ist.
Das verdanken wir insbesondere dem ehemaligen Landwirtschaftsminister Jochen Borchert, der besonders im
Bereich der Tiertransporte für Verbesserungen gesorgt
hat.
({8})
Wir müssen allerdings festhalten, dass die Zuständigkeit der Mitgliedsländer der Europäischen Union in diesem Bereich begrenzt ist. Wir sind gut beraten, wenn wir
diese Petitionen auch dem Europäischen Parlament zuleiten; denn letztlich können wir gravierende, wirksame Änderungen nur auf der europäischen Ebene erreichen.
({9})
Deswegen haben wir diese Petitionen auch dem Europäischen Parlament zugeleitet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke für
Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Als
nächster Redner hat der Kollege Helmut Wilhelm von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Stille Wasser sind tief, sagt der Volksmund. Um „des
Volkes Stimme“ - um meine eigene ist es heute nicht so
gut bestellt -, so nannte Präsident Thierse den Petitionsausschuss bei der Jubiläumsveranstaltung im letzten Jahr,
ist es in der Regel eher still. Ohne viel Aufhebens und
ohne die sonst im Parlamentsgetriebe übliche Medienaufgeregtheit geht der Petitionsausschuss des Deutschen
Bundestags seiner wichtigen Tätigkeit nach.
Ich denke, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich sage:
Der Petitionsausschuss ist trotz seiner stillen Tätigkeit einer der wichtigsten, besten und segensreichsten Ausschüsse unseres Parlaments.
({0})
Das ist nicht als billiges Eigenlob zu verstehen. Darum
füge ich gleich hinzu: Die Stärke des Petitionsausschusses liegt gewiss nicht darin begründet, dass dort nur besonders befähigte Abgeordnete versammelt sind; das
natürlich auch. Nein, das Geheimnis des Erfolgs des Petitionsausschusses sind die Bürgerinnen und Bürger dieser
Republik.
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus - ein grundlegender Gedanke der Demokratie, der im Petitionsausschuss lebendig wird. Hier bekommen wir täglich den
ganz konkreten Auftrag der Bürgerinnen und Bürger, dieses oder jenes zu tun. Heute legen wir Rechenschaft ab,
ob wir dies gut getan haben oder nicht.
Auch im zurückliegenden Jahr war der Ausschuss wieder von Atombombe bis Zahnplombe mit allen Facetten
des täglichen Lebens befasst.
({1})
Dabei reichte sein Engagement von ganz praktischen Hilfen zur Erleichterung des Alltags, wie der Gewährung eines Hausnotrufsystems für eine alte Dame, bis zu grundsätzlichen Dingen, wie der Debatte um die Gentechnologie oder den Kosovo-Krieg.
Nun ist es ja nicht gerade selbstverständlich, dass man
sich auch noch darüber freut, wenn sich so viele Menschen über einen beschweren. Die Opposition hätte es
jetzt vielleicht gerne, dass die Petenten alle unzufrieden
mit der Bundesregierung sind.
({2})
Als bayerischer Abgeordneter komme ich jetzt natürlich
wieder auf Bayern zurück: Es freut mich ganz besonders,
dass die wenigsten Petitionen aus Bayern kommen. Auch
ich bin der Ansicht, dass die Bevölkerung dort offenbar
ganz besonders zufrieden mit der Politik der Bundesregierung ist.
({3})
- Nein, genau da würde ich widersprechen. Nur so kann
man diese Tatsache logisch begründen. Denn dass die
Bayern nicht zwischen Bundesparlament und Landesparlament unterscheiden können, kann ich mir nicht vorstellen. Da erwarte ich jetzt den Protest aller bayerischen Kolleginnen und Kollegen.
Der Petitionsausschuss ist der Ort des kritischen Dialogs mit den Bürgern. Denn hinter den 18 000 Petitionen
stehen noch 14 000 weitere Schreiben der Petenten an den
Ausschuss, über 10 000 Stellungnahmen der Bundesregierung oder Schreiben von Abgeordneten und Behörden
sowie unzählige Telefonate zwischen den Petenten, den
Abgeordneten, dem Ausschussdienst und den Behörden.
Der Ausschuss und die Petenten knüpfen so ein dichtes
Netz gegenseitiger Wechselbeziehungen. Wo sonst kann
man im Bundestag eine so direkte und intensive Zusammenarbeit von Bürger und Politik erleben?
Das macht natürlich auch viel Arbeit. Darum möchte
auch ich mich für meine Fraktion ausdrücklich und ganz
herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Petitionsausschusses bedanken.
({4})
Ihnen ist es gelungen, diesen Dialog trotz Personaleinsparungen durch Optimierung von Arbeitsabläufen und
Umorganisation zu gestalten und den riesigen Berg an Arbeit zuverlässig und kompetent zu bewältigen.
Besonders erfreulich ist, dass die Zahl der Bitten zur
Gesetzgebung gestiegen ist. In ihnen offenbart sich das
Bedürfnis nach Mitwirkung, der Wunsch nach besseren
Gesetzen. Sie zeigen, dass wir in keiner gleichgültigen
Gesellschaft leben. Die Menschen sind bereit, sich politisch zu engagieren und mit dem Parlament zusammenzuarbeiten. Man muss ihnen nur den direkten Zugang zur
Politik öffnen, so wie dies der Petitionsausschuss tut.
Die größte Zahl der Eingaben erreichte traditionell die
Ressorts der Bundesministerien für Arbeit und für Gesundheit. Mit wertvollen Anregungen und Hinweisen
nahmen dabei die Petenten regen Anteil an der Gestaltung
der großen Reformen der Bundesregierung. Auch Kritik
wird von uns nicht als unerwünschte Einmischung empfunden.
({5})
Ganz im Gegenteil! Wenn Sie sich die Beschlüsse des Petitionsausschusses ansehen, werden Sie feststellen, dass
zum Beispiel die zum Rentenrecht eingegangenen Petitionen zum Großteil unmittelbar in die Beratungen der
Bundesregierung über eine Rentenstrukturreform eingehen.
({6})
Dies ist ebenso der Fall bei Eingaben, die die Reform des
Arbeitsförderungsgesetzes betreffen.
Das ist auch der Sinn des Petitionsrechts. Das, was den
Menschen auf den Nägeln brennt, muss auf den Tisch der
Verantwortlichen. Im Ausschuss haben Mehrheit und Opposition ein gemeinsames Interesse daran, dass Beschlüsse in den Ministerien nicht einfach ad acta gelegt
werden. Wir lassen uns von der Bundesregierung berichten, ob und in welcher Weise die Petitionen in den Gesetzgebungsprozess eingeflossen sind. Sind wir mit einer
Antwort nicht einverstanden, nutzen wir die Möglichkeit
der Nachfrage und des Nachhakens. Das Petitionsrecht ermöglicht so eine intelligente Teilhabe der Bürger und eine
rationale Kontrolle der Bundesregierung durch das Parlament.
Der Dialog mit den Petenten gibt zudem die Gelegenheit, politische Grundsatzentscheidungen zu erläutern,
wenn einzelne Aspekte bei Betroffenen auf wenig Gegenliebe stoßen. So kann ich es natürlich gut verstehen, wenn
sich jemand beschwert, weil ihm durch die Steuerreform
beispielsweise die Steuerbefreiung bei Jubiläumszuwendungen gestrichen wird. Wir sagen dann aber auch gegebenenfalls klipp und klar, dass wir im Interesse des
Gemeinwohls eine andere Regelung für nicht sinnvoll
halten.
Der vorliegende Jahresbericht gibt eine Auswahl konkreter Beispiele, die aufzeigen, dass der Ausschuss gut gearbeitet hat - leider kann ich sie hier aufgrund der Kürze
der Redezeit nicht im Detail anführen -: Gesetzeslücken
konnten geschlossen werden; Schildbürgerstreiche konnten verhindert werden; Behörden wurden Beine gemacht;
Petenten wurden vor der Arbeitslosigkeit bewahrt und
Renten wurden erstritten.
Meine Damen und Herren, durch Petitionen wird unsere parlamentarische Arbeit mit Leben, mit der Lebendigkeit der Menschen, gefüllt. Vielleicht gelingt es, durch
die Arbeit im Petitionsausschuss unser Gemeinwesen ein
wenig menschlicher zu gestalten.
Ich danke.
({7})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Günther
Nolting von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es ist schon angesprochen
worden: Im Jahre 1999 sind über 18 000 Petitionen eingegangen. Dies ist eine Zunahme um 6,5 Prozent. Ich füge
Helmut Wilhelm ({0})
hinzu: In 38 Prozent der Fälle konnte den Petenten durch
Rat, Auskunft und Materialübersendung geholfen werden. In fast 11 Prozent der Fälle wurde den Anliegen der
Petenten entsprochen. Das heißt, nahezu 50 Prozent der
Eingaben konnten positiv beschieden werden.
Ich denke, dies ist ein zufrieden stellendes Ergebnis,
wenngleich ich mir, Herr Kollege Reuter, schon wünschen würde, dass die Bundesregierung den Entscheidungen des Petitionsausschusses stärker folgt, als es bisher
der Fall ist. Sie haben im vergangenen Jahr gesehen, wie
schnell Sie als Regierungspartei an die Grenzen des
Machbaren stoßen. Ich kündige Ihnen schon jetzt an, dass
ich für die nächste Debatte eine Auflistung vorbereiten
werde, die deutlich macht, von welchen Forderungen Sie
als ehemalige Oppositionspartei mittlerweile abgewichen
sind. Frau Müller, ich glaube, Sie wissen schon, welche
Themen auf dieser Liste erscheinen werden; ich nenne an
dieser Stelle nur einmal das Stichwort „Vogelsang“.
({1})
Angesichts dieser großen Anzahl von Petitionen möchten wir uns - ich will das ausdrücklich im Namen der
F.D.P.-Fraktion tun - bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes bedanken. Der dortige
große Arbeitsaufwand ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Ich möchte das an einer Zahl deutlich machen: Im Jahre 1999 hat es nahezu 62 000 Vorgänge gegeben, die allein den Postausgang betreffen. Das sind
246 Stück pro Tag. Deshalb muss der Ausschussdienst
noch einmal ausdrücklich erwähnt werden. Vor allem vor
dem Hintergrund, dass es auch in diesem Bereich Personalkürzungen gegeben hat, möchte ich ihm unsere besondere Anerkennung und unseren besonderen Respekt aussprechen.
({2})
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind stets zuvorkommend, sie arbeiten zügig und sind dabei freundlich.
Meine eigenen Mitarbeiter, die sehr guten Kontakt zu ihnen haben, bestätigen mir dies.
({3})
Hier ist, auch vom Kollegen Wilhelm, schon erwähnt
worden, dass die Zahl der Eingaben im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung im letzten Jahr wie schon im Jahr davor besonders hoch war. Herr Kollege Wilhelm, ich denke, dies
ist auch auf die verfehlte Politik von Rot-Grün zurückzuführen.
({4})
Sie haben das vorhin ganz anders dargestellt, aber ich
möchte Ihnen einige Stichworte nennen: Aussetzung der
lohnbezogenen Rentenanpassung, Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse,
({5})
Gesetz zur Korrektur in der Sozialversicherung usw. Wenn nun hier der Zwischenruf kommt, die Regelung bei
den so genannten 630-Mark-Jobs sei sehr gut, dann sehen
Sie sich einmal die Vielzahl von Petitionen an, die uns im
letzten Jahr gerade in diesem Bereich erreicht haben.
({6})
Ich denke, wir als F.D.P.-Bundestagsfraktion haben Recht
gehabt, dass wir Sie von Anfang an immer wieder auf die
Schwachstellen dieser Regelung hingewiesen haben. Sie
sollten sich - wenn Sie uns schon nicht glauben - endlich
der Kritik der Bürgerinnen und Bürger anschließen.
({7})
Ich kann Sie an dieser Stelle für die F.D.P.-Bundestagsfraktion nur noch einmal dringlich auffordern, diese unsinnige Regelung endlich zurückzunehmen.
({8})
Wir haben im letzten Jahr auch im Geschäftsbereich
des Bundesministeriums der Finanzen eine Vielzahl von
Petitionen bekommen, insbesondere Petitionen, die sich
mit der Steuerreform dieser Bundesregierung beschäftigen. Es wurde häufig Unmut über die Halbierung der
Sparerfreibeträge geäußert. Das ist eine, wie ich meine,
durchaus nachvollziehbare Kritik. Es leuchtet nämlich
niemandem ein, dass die Bundesregierung auf der einen
Seite die private Altersvorsorge fördern will, auf der anderen Seite aber die Zugewinne verschiedener Anlageformen, die einen Teil der privaten Vorsorge ausmachen,
besteuert und den Bürgern dadurch einen Teil der angestrebten privaten Altersvorsorge wieder wegnimmt. Auch
hier appelliere ich zwar nicht an Grün - das können wir,
glaube ich, vergessen -, aber an Rot, dass Sie die Kritik
der Bürger endlich ernst nehmen und die Steuern senken.
Sie müssen - das sage ich noch einmal - die Steuern senken, anstatt sie zu erhöhen und immer wieder neue Steuern zu erfinden.
Ähnlich verhält es sich mit der, wie Sie sie nennen,
ökologischen Steuerreform, auf die sich ebenfalls zahlreiche Eingaben bezogen haben. Auch hier kann zu Recht
nicht nachvollzogen werden, wie Bürger mit geringen
Einkommen, Auszubildende, Rentner oder Arbeitslose
die Mehrkosten für Energie einsparen sollen. Wer keine
Steuern zahlt oder keine Abgaben zur Rentenversicherung
leistet, der kann hier nicht sparen und muss dennoch die
neuen Steuern zahlen. Durch die Mineralölsteuererhöhung werden nicht nur Berufspendler vom Land über
alle Maßen benachteiligt; es werden vielmehr auch
Schwerstbehinderte, die keine andere Möglichkeit als das
Auto zur Fortbewegung haben, ins Abseits gedrängt und
somit zur sozialen Randgruppe degradiert. So wird über
kurz oder lang das Auto wieder zum Privileg für wenige
und ein wichtiger deutscher Industriezweig durch RotGrün kaputtregiert.
({9})
Der Bürger hat sehr schnell erkannt, dass Sie hiermit nicht
die Umwelt retten, sondern nur abkassieren wollen. Dies
ist der Weg in die falsche Richtung. Ihre vermeintliche
ökologische Steuerreform ist weder „öko“ noch „logisch“.
({10})
Auch für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung hat es wieder eine Vielzahl von Eingaben gegeben, gerade zur Angleichung der Ostbesoldung an das Westniveau. Das zeigt, dass es hier einer
schnellen abschließenden Regelung bedarf.
In der Bundeswehr ist die innere Einheit seit langem
vollzogen. Wir haben als F.D.P.-Bundestagsfraktion im
Verteidigungsausschuss einen entsprechenden Antrag
eingebracht, um dieses Ost-West-Gefälle zu beseitigen.
Wir haben hier auch eine Perspektive aufgezeigt, weil
wir wissen, dass das nicht von heute auf morgen zu
machen ist. Ich bitte auch Sie hier noch einmal, unserem
Entschließungsantrag zuzustimmen, damit dieses Problem endlich gelöst wird. Es hat mich schon enttäuscht,
dass weder CDU/CSU noch die Grünen noch SPD noch
PDS diesem Antrag zugestimmt haben. Aber Sie können
sich darauf verlassen, dass dieses Anliegen wieder auf den
Tisch kommen wird und wir Sie dann erneut bitten werden, unserem Antrag endlich zuzustimmen.
Ich nenne ein weiteres Beispiel. Es gab die Zurückstellung eines 25-jährigen Petenten aus dem Erzgebirge.
Er war als einziger Angestellter im Betrieb seines Vaters
maßgeblich an der Entwicklung eines neuen Produktprogramms für das in der Umstrukturierung befindliche
Handwerksunternehmen beteiligt. Dieselbe Arbeit hätte
von einer Ersatzkraft nur gegen ein deutlich höheres Entgelt verrichtet werden können. Die Einstellung des neuen
Produktprogramms hätte zum Verlust der bereits zugesagten öffentlichen Fördermittel geführt. Der Petitionsausschuss konnte sich erfolgreich für den Petenten einsetzen und hat erreicht, dass die zuständige Wehrbereichsverwaltung den Petenten befristet bis zum Jahresende
zurückgestellt hat.
Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Arbeit des Petitionsausschusses den Bürgern in der Praxis helfen kann.
Das Petitionsrecht des Art. 17 des Grundgesetzes ist für
den Bürger nach wie vor ein lohnendes Institut. Hier wird
Demokratie erlebt und gelebt. Ich hoffe, dass wir gemeinsam auch im nächsten Jahr für die Bürgerinnen und Bürger im Petitionsausschuss arbeiten können.
Ich möchte mich an dieser Stelle auch, wie es der Kollege Reuter getan hat, für die kollegiale Zusammenarbeit
bedanken. Hierin schließe ich ausdrücklich die Frau Vorsitzende ein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Heidemarie Ehlert von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, dass es auch
nach 50 Jahren Petitionsausschuss ausreichend Arbeit
gibt. Die Tendenz ist steigend, wie wir schon gehört haben.
({0})
Vom Ausschuss - hierin beziehe ich ausdrücklich den
Ausschussdienst ein - wird eine umfangreiche Arbeit geleistet. Deshalb auch von uns herzlichen Dank an den
Ausschussdienst! Er leistet diese Arbeit trotz widriger
räumlicher Bedingungen. Nur sechs Mitarbeiter sind zurzeit in Berlin. Der Rest sitzt immer noch in Bonn. Trotz
alledem muss der Dienst diese Arbeit mit den umfangreichen Akten bewältigen.
({1})
Viel Zeit geht dadurch verloren, worunter unsere Petenten
zu leiden haben.
Meine Damen und Herren, in keinem anderen Ausschuss ist der Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern so groß. Von uns erhoffen sie sich die Lösung ihrer
Probleme, die meist sehr individuell sind, aber häufig
eben auch durch Lücken in der Gesetzgebung oder durch
gedankenlose Arbeit von Beamten und Angestellten überhaupt erst entstanden sind. Die Gesetzgebung ist entgegen
allen Forderungen in den vergangenen Jahren nicht einfacher und für den Einzelnen überschaubarer geworden.
Wie sonst ist zu erklären, dass es nunmehr sechs Ministerien gibt, die auf eine vierstellige Eingabenzahl verweisen
müssen?
Wer sich leibhaftig von den Problemen der Menschen
überzeugen will, sollte an das Brandenburger Tor gehen.
Dort sitzen seit Montag hungerstreikende Handwerkerinnen und Handwerker, die eine Petition zum Verbraucherinsolvenzgesetz eingebracht haben. Sie haben einen Konkurs mangels Masse verhindert, also Geld gerettet. Trotzdem bekommen sie keine Anteile. Was im Zivilrecht als
Finderlohn abgehandelt wird, gilt für diese Leute nicht.
Auch andere Probleme wie Subventionsbetrug können
Sie sich vor dem Brandenburger Tor anhören. Es ist beschämend, dass sich die Bundesregierung seit Montag
dort bei den Petenten nicht hat sehen lassen. Nur die Berichterstatterinnen und Berichterstatter haben den Kontakt aufgenommen.
({2})
Ich erwarte, dass die Bundesregierung handelt.
({3})
Auch unter der rot-grünen Bundesregierung ist das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung leider absoluter
Spitzenreiter. Ursachen hierfür sind die komplizierte Rentengesetzgebung und nach wie vor die unsauber geklärten
Rentenprobleme, die mit der deutschen Einheit zusammenhängen. Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht allein
durch die D-Mark glücklich zu machen. Sie bestehen auch
auf ihren Rechten.
Die vor 1992 in der DDR geschiedenen Frauen erhalten zum Sterben zu viel, aber zum Leben reicht das Geld
nicht aus, weil nicht beachtet wurde, dass es in der DDR
grundsätzlich andere Rentenregelungen für Frauen und
Männer gab.
Auch die für dieses und nächstes Jahr geplante Aussetzung der lohnbezogenen Rentenanpassung ist ein Kritikpunkt, vor allem von Bürgerinnen und Bürgern aus den
neuen Bundesländern. Deren Rücklagen sind in der Mehrzahl nicht so millionenschwer, dass sie davon lange zehren könnten. Aber auch für viele Rentnerinnen und Rentner aus den alten Bundesländern ist der Petitionsausschuss häufig eine letzte Hoffnung, wenn es zum
Beispiel um die Anerkennung von Kinderziehungszeiten
geht.
Meine Damen und Herren von der Koalition, der Petitionsausschuss hat eine Vielzahl von Petitionen zum Rentenrecht sowohl an die Regierung als auch an die Fraktionen überwiesen. Dass Sie uns als Partei vom Rentengipfel ausgrenzen, ist für uns schmerzhaft, aber ich bitte Sie:
Berücksichtigen Sie wenigstens die Hinweise, Bitten und
Beschwerden der Betroffenen bei Ihren Entscheidungen.
({4})
Ansonsten bleibt das BMA aufgrund unzureichender Gesetzgebung trauriger Spitzenreiter.
Die Doppelzüngigkeit deutscher Asyl- und Ausländerpolitik wird auch in Petitionen sichtbar, zu denen das
Bundesministerium des Innern Stellung nehmen muss.
Immer wieder gibt es Bitten um Überprüfung von Asylverfahren, um die Gewährung eines Bleiberechts in
Deutschland aus humanitären Gründen und um die Ausgestaltung der Altfallregelung.
Deutschland macht einerseits ausländischen Spezialisten Angebote, andererseits wandten sich viele deutsche
Arbeitgeber an den Petitionsausschuss, um für die bei ihnen beschäftigten Flüchtlinge den Verbleib in Deutschland zu erreichen.
Die Wirtschaft bemüht sich einerseits, in den Krisengebieten des Balkans tatkräftig einzusteigen, andererseits
musste sich der Ausschuss immer wieder mit Eingaben
von abgelehnten Asylbewerbern aus dem Kosovo und
Bosnien-Herzegowina und von Frauen, die einer geschlechtsspezifischen Verfolgung ausgesetzt waren und
sind, beschäftigen. Hier besteht nach wie vor Handlungsbedarf; darüber waren sich die Ausschussmitglieder im
Unterschied zur Regierung einig.
({5})
Auch im Bereich des Bundesministeriums der Finanzen gab es akuten Handlungsbedarf. Schwerpunkte
sind - sie wurden schon genannt - der Sparerfreibetrag,
die verstärkte Besteuerung von Abfindungen und Übergangsgeldern sowie die Abschaffung der Steuerbefreiung
bei Jubiläumszuwendungen, um nur einige zu nennen. Es
können eben nicht alle in die Schweiz oder nach Luxemburg auswandern, und deshalb sollte auch diesen Bürgern
geholfen werden.
Ähnliche Eingaben gab es auch zur Steuerreform, obwohl die Benzinpreise 1999 noch nicht so hoch waren,
wie sie zurzeit sind.
Frau Kollegin Ehlert, kommen Sie bitte zum Schluss.
Völlig unverständlich ist,
dass oftmals jemand den Petitionsausschuss nutzen muss,
um sein Recht zu bekommen. Es ist traurig, dass es immer
noch ein Unterschied ist, Recht zu haben und Recht zu bekommen. Dazu wollen wir den Bürgerinnen und Bürgern
verhelfen.
Danke.
({0})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Marlene Rupprecht von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich kann sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen des Petitionsausschusses! Denn
mehr sind ja nicht da.
({0})
- Gut, die anderen begrüße ich natürlich auch recht herzlich. Ich freue mich, dass Sie an unserer sehr intensiven
Arbeit teilhaben oder zumindest davon hören wollen.
Wie Vorrednerinnen und Vorredner bereits erläuterten,
haben wir jedes Jahr eine erhebliche Zahl von Petitionen
zu bearbeiten und zu bewältigen. Einem großen Teil dieser Petitionen konnte entsprochen werden: indem schnell
über Behörden Abhilfe geschaffen wurde oder indem
neue Gesetze auf den Weg gebracht wurden.
Frau Ehlert, auch beim Insolvenzrecht steht die Reform an. Damit beschäftigt sich die Bundesregierung.
Aber da die Länder daran beteiligt sind, bedarf dies der
Abstimmung. Aus diesem Grund wird es noch etwas dauern. Aber das Vorhaben ist - ich habe mich erst vor
kurzem erkundigt - beim Justizministerium in guten Händen. Man ist sich der Probleme, die da entstanden sind,
bewusst.
Ich möchte heute einige Petitionen vorstellen, bei denen wir helfen konnten und den Anliegen der Bürger
wirklich konkret gerecht wurden. Einige Petitionen beschäftigten sich mit den steuerlichen Vergünstigungen für
das ehrenamtliche Engagement. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen in einem ersten Schritt - darauf hatten
wir jahrelang gewartet, aber wir haben es gemacht die Bemessungsgrenze der so genannten Übungsleiterpauschale, bis zu der die Entgelte steuerfrei sind, von
2 400 DM um 50 Prozent auf 3 600 DM im Jahr erhöht.
({1})
Wir haben zudem den Kreis der Anspruchsberechtigten
erweitert, sodass dies heute Gruppen in Anspruch nehmen
können, die vorher nicht bedacht wurden.
Weil das Ehrenamt grundsätzlich wesentlich mehr im
Blickpunkt stehen sollte, haben die Fraktionen des Deutschen Bundestages eine Enquete-Kommission zur Untersuchung der Förderung des Ehrenamtes eingerichtet. Ich
halte das für eine ganz wichtige Aufgabe. Ich freue mich
auch schon auf die Ergebnisse und darauf, dass wir sie
konkret umsetzen können.
({2})
Bei den Eingaben betreffend den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend - das sind nicht sehr viele, nur 250 im Jahr - gab
es 80 Petitionen, die sich mit dem Zivildienst beschäftigten.
Ich möchte eine Petition vorstellen, anhand deren man
sieht, dass manchmal die Bürokratenschimmel wiehern und Gutes verhindern. Der Vater eines Zivildienstleistenden wandte sich Ende Januar 1999 an den Petitionsausschuss und schilderte, dass sein Sohn nicht am Wettbewerb „Jugend forscht“ am 25. und 26. Februar 1999 teilnehmen könne, weil er keinen Urlaub bekomme, auch
nicht im Rahmen eines Überstundenabbaus. Die Dienststelle war nicht bereit, diesem jungen Mann entgegenzukommen.
Der Ausschuss leitete diese Eingabe sofort nach Eingang zur Stellungnahme weiter an das Ministerium. Das
Ministerium hat sofort reagiert. Herzlichen Dank, Frau
Staatssekretärin, dass das so schnell ging. Am darauf folgenden Tag teilte man dem Petenten mit, dass sein Sohn
Sonderurlaub bekommen habe und an dem Wettbewerb
teilnehmen könne. Daran sieht man, wie schnell so etwas
gehen kann. Man hat im Nachhinein festgestellt - die
Dienststelle hat sich entschuldigt -, dass einfach eine
Richtlinie übersehen und deshalb kein Urlaub gewährt
wurde.
({3})
- Kann ja mal vorkommen, klar. Dafür sind wir ja da.
Von mehreren Bürgerinnen und Bürgern sind Petitionen eingegangen, weil junge Männer, die anstelle des Zivildienstes einen „Anderen Dienst im Ausland“ leisteten,
wesentlich schlechtere Bedingungen hatten, zum Beispiel
bei Heimfahrten, betreffend die Krankenkassenbeiträge
usw. Wir haben gesagt, so kann das nicht bleiben; auch sie
leisten einen Dienst als Ersatzdienst, der sich nur nicht Zivildienst nennt, sondern „Anderer Dienst im Ausland“.
Wir haben diese Petitionen zur Berücksichtigung - dem
höchsten Votum des Ausschusses - an die Bundesregierung weitergeleitet, weil wir fanden, dass hier dringender
Handlungsbedarf besteht und in den konkreten Fällen
wirklich geholfen werden sollte.
Eine weitere Petition, ebenfalls aus dem Ministerium
für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, beschäftigte
sich mit Teilzeitarbeit während des Bezuges von Erziehungsgeld. Das ist eine ganz schwierige Kiste. Man durfte
bisher während des Erziehungsurlaubes nur bis zu
19 Stunden pro Woche Teilzeit arbeiten. Bei nur einer
Stunde mehr lag keine Teilzeittätigkeit mehr vor und man
hat den Anspruch auf Erziehungsgeld verloren. Wie
knapp bei Kasse Familien oft sind, weiß jeder, der Kinder
großgezogen hat. Auch der, der etwas mehr verdient,
weiß, dass oftmals jede Mark wichtig ist.
Wir haben deshalb die Petition an das Bundesministerium zur Erwägung weitergegeben. Wir hatten aber zu
dem Zeitpunkt schon längst einen Gesetzentwurf vorbereitet, der jetzt das Parlament durchläuft. Wir haben einen
Gesetzentwurf zur Änderung des Erziehungsgeldgesetzes
eingebracht. Dieser sieht eine wirkliche Entlastung für
Familien vor. Jetzt können Vater und Mutter gleichzeitig
jeweils bis zu 30 Wochenstunden Teilzeit arbeiten. Sie haben also die Möglichkeit zu variieren. Sie können sich ergänzen. Die Väter, von denen bisher nur 1,5 Prozent Erziehungsurlaub genommen haben, haben jetzt endlich die
Chance, das Heranwachsen des Kindes zu erleben, und
die Kinder haben die Chance, auch den Vater zu erleben,
denn dieser ist ebenfalls wichtig. Ich denke, die Initiative
„Der Freitag gehört der Familie“ hat bei den Vätern etwas
Positives bewirkt.
Nachdem wir ohnehin dabei waren, das Gesetz zu ändern, haben wir auch noch andere familienpolitische Änderungen vorgenommen, auf die wir schon lange gewartet haben. Sie haben immer nur groß getönt, aber nichts
getan.
({4})
Wir haben gesagt: Okay, nun gehen wir auch an die jahrelang nicht angehobenen Bemessungsgrenzen. Diese haben wir um 10 bis 12 Prozent angehoben. Ich denke, dies
ist Familienpolitik, bei der nicht nur geredet, sondern
auch umgesetzt wird.
Wir haben aber im Rahmen der Familienpolitik - um
das hier nur nebenbei zu erwähnen - auch noch ganz andere Dinge gemacht. Als ersten Schritt haben wir das Kindergeld angehoben.
({5})
Wir haben es inzwischen von 220 DM auf 270 DM pro
Kind angehoben. Sie hätten nie daran gedacht, diesen
Schritt jemals zu tun. Wir jedoch haben die Familien konkret entlastet.
({6})
Als zweiten Schritt haben wir den Eingangssteuersatz
von 25,9 auf 21,9 Prozent gesenkt. Sie können doch nicht
sagen, dass das nichts ist; dies trifft jede Familie, und zwar
wirklich entlastend.
({7})
Weiterhin haben wir den Grundfreibetrag, den Sie jahrelang nicht angepasst haben - das Bundesverfassungsgericht musste Sie zum Handeln auffordern -, innerhalb kürzester Zeit angehoben.
({8})
Wir werden ihn auch weiterhin anheben, und zwar bis
zum Jahre 2005 von 12 000 DM auf 15 000 DM. Das müssen Sie erst einmal nachmachen.
({9})
Frau Kollegin Rupprecht, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fischer?
Ja.
Bitte
schön, Herr Fischer.
Frau
Kollegin, Sie haben ausgeführt, wie Sie Ihrer Meinung
nach die Familien entlastet haben. Würden Sie hier zur
Kenntnis nehmen, dass Sie gerade durch die Ökosteuer,
die wir jetzt mehrfach diskutiert haben, die auch im Ausschuss immer wieder Gegenstand von Petitionen ist, Familien ganz besonders belasten?
({0})
Ich erkläre Ihnen jetzt
Folgendes, Herr Fischer. Ich habe an Grundschulen und
später auch an Sonderschulen unterrichtet. Deswegen bin
ich in den Grundrechenarten sehr fit. Ich habe ausgerechnet, welche Kosten auf eine Familie mit einer Fahrleistung von 20 000 Kilometern pro Jahr zukommen. Sie
kommen wie ich aus Baden-Württemberg und müssten
daher in der Grundschule das Rechnen gelernt haben. Bei
einer Fahrleistung von 20 000 Kilometern pro Jahr und einem Verbrauch von 8 Litern auf 100 Kilometern bedeutet
das ({0})
behalten Sie die gleichzeitige Erhöhung des Kindergeldes
von 220 DM auf 270 DM immer im Hinterkopf - eine Erhöhung der Belastung im Monat von nicht mehr als
30 DM. Das kann eine Familie mit zwei Kindern locker
auffangen.
Die Grundfreibeträge sind um 1 500 DM von 12 000
auf 13 500 DM angehoben worden. Ich frage Sie nun, wer
von uns beiden nicht rechnen kann.
({1})
Ich habe noch gar nicht die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages um einen Prozentpunkt erwähnt. Auch
dies ist damit finanziert worden, während das Geld in den
früheren Jahren zum Stopfen von Steuerlöchern benutzt
wurde. Ich denke, wir sind in der Familienpolitik auf dem
richtigen Weg. Wir haben nicht lange darüber geredet,
sondern wir haben die Petitionen bearbeitet.
({2})
Man kann aber nicht immer nur Gutes tun und man
kann auch nicht immer so schnell reagieren. Ich wäre ja
blauäugig, wenn ich das behaupten würde. Bei manchen
Petitionen sagen wir im Petitionsausschuss: Warum kann
man nicht helfen? - Rund einem Drittel der Petenten können wir nicht helfen, weil darin sind wir uns alle einig die Gesetzeslage eben so ist. Da wollen wir auch nichts
ändern, Sie nicht und wir nicht. Wir wollen auch eines
nicht machen, nämlich die Gewaltenteilung in der Bundesrepublik aufheben; wir wollen keine Gerichtsurteile
aufheben, weil wir dazu nicht berufen sind. Dies werden
wir bei der Bearbeitung von Petitionen nicht tun.
Aber es gibt schon noch ein paar Dinge, die uns am
Herzen liegen und die wir angehen wollen, auch wenn das
in der Öffentlichkeit häufig von Ihrer Seite dazu benutzt
wird, um Vorurteile zu schüren. Ich will ein Beispiel nennen: Wir hatten etliche Petitionen zur Verbesserung des
Schutzes bei geschlechtsspezifischer Verfolgung. Diese
Petitionen haben uns sehr häufig massiv belastet. Wir haben deshalb das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge aufgesucht und haben diese Problematik angesprochen. Es gab vor kurzem im Ausschuss ein
Gespräch mit der Staatssekretärin und drei Einzelentscheiderinnen, die inzwischen so qualifiziert sind, dass sie
mit dieser Problematik umgehen können. Wir wünschen
uns natürlich schon, dass wir das auch gesetzlich umsetzen können. Ich hoffe, dass Sie, Herr Fischer und die übrigen Herren auf den Bänken auf der rechten Seite, diese
Problematik nachvollziehen können - ich will nur auf die
Frauen aus Afghanistan verweisen - und nicht wieder zu
populistischen Aktionen in der Öffentlichkeit nutzen.
({3})
- Es gibt keinen Grund, darüber zu lachen, weil das wirklich brutalste Misshandlungen von Menschen betrifft. Da
müssen wir helfen. Ich wünsche mir wirklich Ihre Unterstützung auf breiter Basis.
({4})
Es gab natürlich auch Petitionen, bei denen manchmal - obwohl ich sehr viel Geduld habe - meine Geduld
am Ende war und bei denen ich die Geduld des Ausschussdienstes bewundert habe und auch, mit welcher
Sachlichkeit man unsachliche Petitionen bearbeitete. Ich
habe dabei manchmal gedacht: Muss ich mich damit auseinander setzen? - Ich bedanke mich für die Geduld, die
Sie bewiesen haben, und dafür, wie Sie mit unserer
manchmal nicht so sehr großen Geduld umgegangen sind.
Ich sage herzlichen Dank. Den gleichen Dank richte ich
auch an die Kolleginnen und Kollegen - trotz der unterschiedlichen Auffassungen, die wir manchmal haben - für
die gute Zusammenarbeit. Ganz besonders möchte ich
Sie, Herr Deittert, nennen, weil Sie es immer wieder zusammen mit Herrn Reuter auf den Punkt bringen. Natürlich danke ich auch Ihnen, Frau Ausschussvorsitzende.
Herzlichen Dank.
({5})
Als nächster Redner hat der Kollege Martin Hohmann von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich erfreut feststellen, dass wir durch die Anwesenheit von
Herrn Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz und Herrn
Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Gerhardt geehrt worden
sind. Das wertet uns ein wenig auf. Wir fühlen uns ja
manchmal ein wenig als Underdogs in diesem Geschäft.
({0})
In der heutigen Debatte sprechen wir über den Jahresbericht des Petitionsausschusses. Obwohl ich als Mitglied
weit davon entfernt bin, dem eigenen Ausschuss durch
Selbstlob und Selbstüberschätzung eine besonders hohe
Bedeutung beizumessen, darf ich doch auf eines hinweisen: Üblicherweise wirkt das Parlament, der Gesetzgeber,
auf die Menschen in unserem Land ein. Gesetze sollen ermutigen, stützen, lenken, gewähren, aber auch eingrenzen
oder gar strafen. Die Bewegungsrichtung im Petitionsausschuss - daran wirkt auch der Ausschussdienst verdienstvoll mit - ist eine andere; sie ist gerade entgegengesetzt: Wir haben das Ohr am Volk; wir sind sensible
Empfangsstation; wir sind Klagemauer.
({1})
- Ja, Notruf; gut gesagt, Herr Reuter.
Einige von diesen Klagen sind als Petitionen in der
Sammelübersicht 67 enthalten. Sie befassen sich mit dem
Steuerentlastungsgesetz der rot-grünen Koalition, insbesondere mit der geplanten Abschaffung der Teilwertabschreibung. Dazu fanden Petenten klare Worte:
Das Steuerentlastungsgesetz - ein Schock, da hierdurch die Existenz meines Geschäftes betroffen ist.
Aus dem nächsten Brief wörtlich:
Ich habe Angst um Kredite bei ohnehin nicht mehr
abgeworfenen Gewinnen.
Ein weiterer Petent sagt:
Das Geld ist in die Warenlager investiert.
Ich frage Sie: Was veraltet schneller als eine Sammlung
von modischen Kleidungsstücken? Wer ist an der vorletzten Ausgabe eines BGB-Kommentars interessiert? - Das
sind die Sorgen, das sind die Schreiben der Geschäftsleute, um deren Petitionen es sich hier dreht.
({2})
- Ja, zum Teil. Ich komme darauf.
Die Petenten fühlten sich von der Streichung der Teilwertabschreibung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Einkommensteuergesetz schwer getroffen. Unter dem Eindruck massiver Proteste aus dem Mittelstand und von uns hat die
Bundesregierung dann auf die Streichung verzichtet. Damit ist die Bundesregierung den belasteten Einzelhändlern ein Stück entgegengekommen. Ich denke, das geschah auch aus Einsicht in die Notwendigkeit.
Der Pferdefuß: Die nun beibehaltene Teilwertabschreibung wurde an die Voraussetzung der dauernden Wertminderung gebunden. Die Anknüpfung an diesen unbestimmten Rechtsbegriff der dauernden Wertminderung
wirft in der Praxis eine Vielzahl von ungeklärten Auslegungsfragen auf. Sie führt zu einer Verkomplizierung des
geltenden Rechts. Der steuerpflichtige Gewinn wird abweichend von den tatsächlichen Gegebenheiten künstlich
erhöht und im Rahmen von Betriebsprüfungen führt die
Auslegung dieses Begriffes unausweichlich zu künftigen
Streitigkeiten.
Sehr geehrte Damen und Herren, es geht uns doch allen um mehr Beschäftigung, um die Schaffung neuer
Arbeitsplätze. Wie soll das gehen, wenn denen, die
Arbeitsplätze schaffen, noch Steine in das Marschgepäck
gepackt werden?
({3})
- Ja, vor allem aus einem einzigen Grund: wegen der demographischen Entwicklung. Wenn ich Kanzler gewesen
wäre, dann hätte ich genau dasselbe Versprechen abgegeben.
({4})
- Passen Sie auf: Es ist aufgrund der demographischen
Entwicklung mathematisch unausweichlich, dass sich
dieser Wert ständig verbessert, während über den anderen
Wert, über die Schaffung neuer Arbeitsplätze, nicht geredet wird. Das aber ist der entscheidende Wert.
({5})
Es gibt also Steine im Marschgepäck unserer Selbstständigen. Diese neue Auflage ist eben ein solcher Stein.
Warum muten wir das dem Einzelhandel zu, warum muten Sie das dem Einzelhandel zu? Reichen die Probleme
der Globalisierung in der Textilbranche nicht? Ist es nicht
schwer genug für die Läden in der Stadt, gegen Einkaufszentren auf der grünen Wiese, gegen Factory Outlets zu
bestehen?
({6})
Wie wird dieser Nachweis einer dauernden Wertminderung zu erbringen sein? Das erfordert noch kompliziertere Steuererklärungen - wo doch schon ein ehemaliger
Bundeskanzler, ein kluger Mann, nach eigenem Eingeständnis an der bisher schon erreichten Kompliziertheit
und Schwierigkeitsstufe der eigenen Steuererklärung
scheitert!
Im Klartext bedeutet die Neuregelung, dass die Geschäftsleute gezwungen werden, noch mehr Unterlagen
über lange Zeit aufzubewahren, denn nur so können sie
die dauernde Wertminderung nachweisen, wofür sie nach
der Neuregelung die Darlegungs- und Beweislast tragen.
Es kommt also zu noch mehr Bürokratie, zu noch mehr
Zumutungen für den Bürger, zum glatten Gegenteil dessen, was mit dem Steuerentlastungsgesetz - so der schöne
Name - gemäß Ihren Versprechungen erreicht werden
sollte.
Der Staat ist der schröpfende Dritte - egal, ob sich der
Einzelhändler nicht mehr traut, den Teilwert abzuschreiben, oder ob er sich im Zwielicht der Paragraphen verfängt und dann zur Kasse gebeten wird.
Die Hilferufe der hier besprochenen Petitionen kommen von einem Einrichtungshaus und Küchenstudio, einem Polstermöbel- und Lederspezialisten, einem Textilund drei Schuhgeschäften. Das sind genau die Arbeitgeber, die wir in unseren Städten und Gemeinden unterstützen sollten, um die vorhandenen Strukturen im Innenbereich zu erhalten. Deren Gefahrenlage wird durch die breit berichtete - Betriebsaufgabe des Lehrbetriebs unseres derzeitigen Bundeskanzler deutlich. Er und die SPD
können heute froh darüber sein, dass er rechtzeitig aus der
Privatwirtschaft in den öffentlichen Dienst gewechselt ist.
Die Petenten haben sich an eben diesen Bundeskanzler, den Bundestagspräsidenten, das Finanzministerium
oder an uns, den Petitionsausschuss, gerichtet. Ich werbe
darum - und komme damit zum Schluss -, dass wir sozusagen als Vorhut der parlamentarischen Reparaturkolonne
diese Petition als Material an das zuständige Bundesministerium der Finanzen überweisen. Diese Anliegen verdienen es, bei einer zukünftigen Gesetzesverbesserung
Berücksichtigung zu finden. Darauf haben die Petenten
einen Anspruch und darauf hofft auch der Mittelstand in
Deutschland.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Annelie Buntenbach vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine
kurze Vorbemerkung, Herr Hohmann: Ich bin über Ihr
mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten und den Durchblick der deutschen Wirtschaft und gerade des deutschen
Mittelstandes sehr verwundert. Ich glaube nicht, dass der
Mittelstand das verdient hat.
({0})
Die Arbeit im Petitionsausschuss schärft das Bewusstsein dafür, dass das, was wir hier im Bundestag beschließen und in Gesetzesform bringen, letztlich den Test
der praktischen Realitätstauglichkeit erst im alltäglichen
Leben der Menschen bestehen muss. Gesetzliche Regelungen, die möglichst vielen Menschen gerecht werden
sollen, sind naturgemäß sehr formal und abstrakt, und
zwar viel abstrakter und allgemeiner als die Wechselfälle
des Lebens. Da kann es nicht verwundern, dass auch gute
Gesetze für den Einzelnen in seiner besonderen Situation
ungerecht sein können oder als ungerecht empfunden
werden. Wir haben im Petitionsausschuss Tausende solcher Fälle vorliegen.
Hier wird unsere besondere Verantwortung ganz konkret greifbar, weil diese Eingaben helfen, Schwachstellen
zu erkennen, zu beseitigen und in Härtefällen nach unkomplizierten Lösungen zu suchen. Oft reicht schon das
Nachfragen des Petitionsausschusses bei einer Behörde,
um Abhilfe im Sinne des Petenten zu schaffen. So verlor
eine Petentin in einer tragischen persönlichen Situation
aus zunächst rein formalen Gründen ihren Anspruch auf
Kindergeld. Sie hatte nach dem Tod ihres Ehemanns
schlicht versäumt, rechtzeitig weiterhin das Kindergeld
zu beantragen. Das Finanzministerium hat sich zunächst
gesträubt, tätig zu werden. Aber nachdem der Petitionsausschuss gedrängt hatte, wurde das Bundesamt für Finanzen schließlich angewiesen, der Petentin das Kindergeld wegen sachlicher Unbilligkeit wieder auszuzahlen.
Der Jahresbericht beschreibt eine Fülle von ähnlichen
Fällen. Mindestens ebenso wichtig sind für uns aber diejenigen Petitionen, die über den Einzelfall hinaus auf
grundsätzliche Fehler und Gesetzeslücken hinweisen. So
konnte zum Beispiel mit Hilfe der Petenten eine Gesetzeslücke im Bereich der privaten Pflegeversicherung geschlossen werden. Den Anlass dazu bot der Fall einer Petentin, die ihre über 90-jährige Mutter in der häuslichen
Umgebung gepflegt hat. Als sie für einige Zeit ins Krankenhaus musste, sah sie sich gezwungen, in dieser Zeit
ihre Mutter in eine Kurzzeitpflege zu geben. Da sie ihre
Mutter aber noch nicht zwölf Monate zu Hause gepflegt
hatte, bekam sie zur Kurzzeitpflege keine Leistungen.
Hier sah der Petitionsausschuss eine Lücke im geltenden
Recht. Inzwischen hat das Gesundheitsministerium den
Ausschuss davon in Kenntnis gesetzt, dass das zum 1. August 1999 in Kraft getretene Vierte Gesetz zur Änderung
des SGB XI eine Änderung der Regelung über die Kurzzeitpflege vorsieht, durch die dem Anliegen der Petentin
Rechnung getragen wird. Durch diese Änderung konnte
gleichzeitig in vielen ähnlichen Fällen geholfen werden.
Ein hart erkämpfter Erfolg des Petitionsausschusses
sind die deutlichen Verbesserungen in der Visapolitik.
Das ist heute schon angesprochen worden. Es konnten
nicht nur in vielen Einzelfällen Fragen der Visaerteilung
und der Familienzusammenführung befriedigend geregelt
werden. Wir konnten gemeinsam mit dem Auswärtigen
Amt auch eine inhaltliche Neuausrichtung der Visapolitik
und zahlreiche Verfahrensverbesserungen erreichen.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle
nicht verschweigen, dass wir in dieser Sache auch als Regierungsfraktion harte Auseinandersetzungen mit dem
Auswärtigen Amt hatten und wir uns während des Verfahrens oft übereinander geärgert haben. Aber die gemeinsam erarbeiteten Verbesserungen für die Menschen geben
uns Recht. Darum möchte ich mich bei Staatsminister
Volmer herzlich bedanken, dass er sich dieser Auseinandersetzung gestellt hat. Es ist nicht auszuschließen, dass
wir uns auch in Zukunft schon einmal auf die Nerven
gehen; aber wenn es im Interesse der Menschen zu
Verbesserungen führt, dann sollten wir das so oft wie
möglich tun.
({1})
Zu den noch nicht zu Ende gebrachten Hausaufgaben,
die der Petitionsausschuss der Bundesregierung für den
Berichtszeitraum aufgegeben hatte, gehört - das hat die
Kollegin Rupprecht eben schon angesprochen - das
Thema der Anerkennung frauenspezifischer Asylgründe. Eine geschlechtsspezifische Verfolgung wird im
Asylverfahren nicht ausreichend berücksichtigt. Hier gibt
es auch nach der Verabschiedung der neuen Verwaltungsvorschriften durch das Kabinett noch erheblichen Handlungsbedarf. Dies hat sich nicht nur bei dem Besuch des
Petitionsausschusses beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge deutlich gezeigt, sondern
auch in den Gesprächen mit der Staatssekretärin aus dem
Bundesinnenministerium, Frau Sonntag-Wolgast. Ich bin
sicher, dass wir hier nicht locker lassen werden.
({2})
Ohnehin sind die Petitionen zum Asylrecht ein besonders schmerzender Punkt im Petitionsausschuss. Die Auseinandersetzung mit den zum Teil wirklich dramatischen
Schicksalen von Flüchtlingen, die trotzdem - in Übereinstimmung mit der jetzigen Rechtslage - abgeschoben
werden, macht deutlich, dass wir dringend wenigstens
eine Härtefallregelung brauchen.
({3})
Jenseits dieses Handlungsbedarfs, den ich betonen
möchte, ist die Praxis des Petitionsausschusses vor dem
Hintergrund der geltenden Gesetze, dass wir ausgesprochen zurückhaltend und sorgfältig bei der Bearbeitung
und Beurteilung von Asylpetitionen vorgehen. Ich habe
mir einmal die Zahlen geben lassen - und möchte insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
einmal bitten, genau zuzuhören -: Den Petitionsausschuss
des Deutschen Bundestages erreichten in der 14. Wahlperiode 716 Petitionen zum Asylrecht. Davon wurden vom
Deutschen Bundestag bisher - jetzt passen Sie auf! - nur
vier Petitionen zur Berücksichtigung und acht Petitionen
zur Erwägung an das BMI überwiesen. Von einem inflationären Gebrauch dieser Voten kann da nun wirklich
keine Rede sein. Nur in diesen Berücksichtigungs- und
Erwägungsvoten wird die Bundesregierung aufgefordert,
im Sinne der Petenten tätig zu werden. Bisher wurde lediglich eine Petition vom BMI positiv beschieden - zu
wenig, wie wir finden.
Angesichts dieser Zahlen ist der von der CDU/CSU
immer wieder an uns gerichtete Vorwurf, wir wollten das
Asylrecht unterhöhlen und am Gesetz vorbei entscheiden,
völlig absurd. Und ausgerechnet an dieser Stelle, wo es oft
um Leben und Tod geht, verlassen Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU, den sonst im Petitionsausschuss üblichen und bewährten Konsens, am konkreten menschlichen Einzelfall nach für alle Beteiligten
gangbaren Lösungen zu suchen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, ich komme zum Schluss.
Ich bitte Sie im Interesse der Betroffenen, hier Ihre
ideologischen Scheuklappen beiseite zu legen. Wenn
durch formale Regeln notwendige Hilfen in Härtefällen
unmöglich gemacht werden, müssen wir gemeinsam nach
Lösungen für die Menschen suchen. Das tun wir doch
auch sonst im Petitionsausschuss. Gerade im Asylbereich
darf das Petitionsrecht nicht ins Leere laufen. In diesem
Sinne sind wir auch im Gespräch mit dem BMI. Ich hoffe,
dass wir auch hier mit der dem Petitionsausschuss eigenen Hartnäckigkeit zu einem positiven Ergebnis kommen.
Das würde uns umso eher gelingen - hier bin ich sicher -,
wenn wir dies gemeinsam tun.
({0})
Das Wort
hat der Kollege Klaus Holetschek von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht des Petitionsausschusses für das Jahr 1999 zeigt einmal mehr, dass
dieser Ausschuss ein wichtiger Bestandteil unserer
Demokratie ist. Welche Namen hat er nicht schon bekommen: „Bürgerausschuss“, „Sprachrohr des Volkes“ oder
„Kummerkasten der Nation“! Was kann für uns Politiker
befriedigender sein, als in einem Ausschuss zu wirken, in
dem wir versuchen wollen, Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar zu helfen?
({0})
Deshalb ist es manchmal unverständlich, warum viele
Kolleginnen und Kollegen diesem Ausschuss nicht diese
Wertung entgegenbringen, die er haben sollte. Wir sollten
in den jeweiligen Fraktionen deutlich machen, dass wir
eine sehr wichtige Arbeit leisten.
Die Zahl der Petitionen ist im Jahr 1999 um 6,5 Prozent gestiegen. Nun mag man das als Ausdruck des gestiegenen Ansehens des Petitionsausschusses bei den Bürgerinnen und Bürgern werten. Ich werte das einfach als
Ausdruck der Kritik an der rot-grünen Regierungspolitik,
die in vielen Politikfeldern, wie zum Beispiel in der Gesundheitspolitik und in der Sozialpolitik, versagt hat.
({1})
Das merken die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land. Sie wenden sich deshalb verstärkt an den Petitionsausschuss.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes danken. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit, die sie leisten und die uns Abgeordneten das Leben erleichtert. Hier
wird mit Sorgfalt gearbeitet. Ein herzliches Dankeschön
und großes Kompliment an diese Mitarbeiter!
({2})
Der Petitionsausschuss ist für uns eine große Herausforderung. Er ist auch deshalb so interessant, weil man
wirklich sieht, wo den Bürgerinnen und Bürgern der
Schuh drückt. Dies zeigt sich besonders dann, wenn man
die Eingaben nach Ressorts aufschlüsselt und eine Rangliste erstellt. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung liegt mit 5 800 Eingaben an der Spitze. Das
sind 35 Prozent der Gesamtzahl der eingegangenen Petitionen. Aber das ist nicht verwunderlich. Denken Sie nur
an die Rentenkürzung und an Ihre verfehlten Regelungen,
wie zum Beispiel das 630-DM-Gesetz und das Gesetz zur
Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit. Wer eine solche
Politik macht, der darf sich über die überdimensionierte
Zahl an eingegangenen Petitionen nicht wundern.
({3})
Auf Platz 2 und 3 folgen das Innenministerium und das
Gesundheitsministerium. Ich spare mir eine Aussage über
das Gesundheitsministerium; denn in diesem Bereich stehen wir schon wieder vor der Reform der Reform. Wir
werden sehen, was uns auf den Tisch gelegt wird.
({4})
- Herr Kollege Reuter, ich wollte mich gerade bei Ihnen
für die gute fraktionsübergreifende Zusammenarbeit bedanken. Ich tue das trotz Ihres Zwischenrufes. Ich meine
das auch so; denn der Petitionsausschuss unterscheidet
sich sicherlich von anderen Ausschüssen.
({5})
Nichtsdestotrotz haben wir natürlich unterschiedliche
Grundauffassungen und Grundüberzeugungen, die auch
hier zum Ausdruck kommen. Aber der Petitionsausschuss
hilft, das Vertrauen der Bürger in die Demokratie zu stärken.
Frau Kollegin Buntenbach, lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Asylpolitik machen. Sie wissen genau,
dass der Petitionsausschuss in diesem Feld nur beschränkte Möglichkeiten hat. Wir können im Petitionsausschuss nur dann etwas tun, wenn wir gravierende und
offensichtliche Mängel in einem Verfahren feststellen.
Deswegen ist es mir unverständlich, wenn Vertreter gerade der Grünen-Fraktion selbst noch in den Fällen, in denen das zuständige Bundesamt einen Bleiberechtsantrag
abgelehnt hat, zu denen Gerichtsentscheidungen vorliegen und zu denen uns Regierungsvertreter im Ausschuss
gesagt haben: „Es gibt keine Möglichkeiten“, Bedenken
vortragen, die berücksichtigt werden sollen. Das ist ideologische Verblendung.
({6})
- Ich gestatte keine Zwischenfrage, weil ich weiß, was Sie
sagen wollen. Ich bleibe bei meiner Meinung, weil Sie
ideologisch arbeiten. Ich weiß auch, wie oft zwischen Rot
und Grün in solchen Fällen um ein einheitliches Votum
gekämpft wird. Der Petitionsausschuss ist keine Superrevisionsinstanz.
({7})
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, auch wenn es
manchmal wehtut und die Einzelfälle schwierig sind. Es
gibt nun einmal einen Rahmen, den es einzuhalten gilt.
Lassen Sie mich auf ein weiteres Thema eingehen. In
vielen Petitionen - ich verweise auf Seite 6 des Berichtes geht es um das soziale Ehrenamt. Sie konterkarieren mit
Ihrer Regelung bezüglich der 630-Mark-Jobs die Anliegen der Bürger.
({8})
Sie wollen das Ehrenamt abschaffen. Die Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“ ist nur eine
Alibiveranstaltung. Denken Sie nur an die Ökosteuer. Ich
sage - auch wenn Kollegin Rupprecht nicht mehr da ist -:
Vom Benzin allein lebt die Familie auch nicht. Die Energie wird wie vieles andere teurer, sodass Ihre Aussage
nicht richtig ist.
Denken Sie daran, wie viele Übungsleiter Kinder kostenlos zu Fußballspielen fahren. Sie müssen klar sagen,
was Sie mit dem Ehrenamt vorhaben. Beispiel freiwillige
Feuerwehr: Heute wird im Bundesrat ein Gesetzentwurf,
den Bayern eingebracht hat, beraten, dessen Ziel die Stärkung des Ehrenamtes ist. Wenn Sie es mit dem Ehrenamt
ernst meinen, dann müssen Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen.
({9})
Ich wage eine Prognose: Wir werden uns noch mit vielen Petitionen beschäftigen, in denen um die Abschaffung
der Ökosteuer gebeten wird. Das ist in der Tat eine zutiefst unsoziale Steuer. Mit der Abschaffung der Ökosteuer sollten wir diese Regierung gleich mit abschaffen.
({10})
Meine Redezeit geht zu Ende.
({11})
Aber ich habe noch so viel Zeit, Herr Kollege Schmidt,
um zum Schluss zu sagen: Es ist ein gutes Zeichen, dass
die wenigsten Petitionen aus Bayern kommen. Die
Bayerische Staatsregierung ist eine Regierung - um es
plastisch auszudrücken -, die den Leuten aufs Maul
schaut, die sich an den Bedürfnissen des Bürgers orientiert und die versucht, das, was Sie hier in Berlin an Blödsinn machen, im Freistaat Bayern durch eigene Gesetze zu
korrigieren. Wir sind dafür dankbar, dass wir mit dem
bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber einen
Mann haben, der eine bürgernahe und bürgerfreundliche
Politik vollzieht.
({12})
Daran sollten Sie sich hier orientieren und daran sollten
wir uns im Petitionsausschuss orientieren: an einer Politik für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.
Vielen Dank.
({13})
Als nächster Redner hat der Kollege Hans-Joachim Hacker von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Petitionsrecht ist eines der wichtigsten Grundrechte unserer Verfassung; eine bedeutende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern nimmt es in Anspruch. 1999 nahm die Zahl der Petitionen gegenüber dem Vorjahr - die Kolleginnen und
Kollegen haben das teilweise schon erwähnt - um
6,5 Prozent, das heißt um 1 182 Eingaben, zu.
Das sind Zahlen, die gegen die oft zitierte Politikverdrossenheit sprechen. Herr Holetschek, mit Tiraden, wie
Sie sie in Ihrer Rede losgelassen haben, werden wir diesen Weg - die Politikverdrossenheit zurückzudrängen und
das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Parlament und letztlich in die Politik zu stärken - nicht gemeinsam beschreiten können.
({0})
In den Petitionen sehe ich neben der Kritik an gesetzlichen Regelungen, an Verwaltungsvorschriften und an
Verwaltungshandeln im Einzelfall vor allem einen Vertrauensbeweis gegenüber dem Parlament. Wer wendet
sich schon mit seinem Anliegen - noch dazu in schriftlicher Form - an den Deutschen Bundestag, wenn er nicht
überzeugt ist, mit seiner Petition etwas erreichen zu können?
Dazu kommt, dass sich Menschen nicht nur mit eigenen Problemen an uns wenden, sondern auch Anregungen
zu Gesetzesänderungen im allgemeinen Interesse geben.
Damit bringen sie zum Ausdruck, dass sie bereit sind,
konstruktiv mitzudenken. Sie kümmern sich um das Gemeinwohl. Wir Parlamentarier sollten immer darauf bedacht sein, diese Position in der Gesellschaft zu stärken.
({1})
Die Befassung mit den Petitionen stellt eine wichtige
Seite unserer parlamentarischen Arbeit dar, sie trägt wesentlich dazu bei, die Arbeit von Abgeordneten, Parlament und Regierung zu verbessern. In den Petitionen spiegelt sich insofern auch wider, wie unsere parlamentarische Arbeit bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt.
In den Petitionen zeigt sich, ob wir in der gesetzgeberischen Arbeit die richtigen Lösungen gefunden haben und
ob wir es verstanden haben, die Ziele unseres Handelns
den Bürgerinnen und Bürgern - sie sind diejenigen, die
uns gewählt und uns das Mandat für unsere Arbeit gegeben haben - im Lande verständlich zu machen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass der Petitionsausschuss dieser Verantwortung auch im Jahre 1999 gerecht
geworden ist, und das über die Fraktionsgrenzen hinweg.
Für den Berichtszeitraum ist wiederum festzustellen, dass
der prozentuale Anteil der Petitionen aus den neuen Bundesländern erheblich höher als der aus den alten Ländern
ist. Ich glaube, wir alle haben eines erkannt: Die Probleme
bei der Herstellung der staatlichen Einheit unseres Landes, besser gesagt: bei der Überwindung der Teilungsfolgen, spiegeln sich auch und gerade in den Petitionen wider. Sie belegen, dass sich dieser Prozess nicht reibungslos und konfliktlos vollzieht. Ich glaube, das konnte auch
nicht geschehen.
Uns Parlamentariern kommt es darauf an, diesen Prozess realistisch einzuschätzen. Wir müssen konsequent
Abhilfe schaffen, wo es möglich ist. Es geht aber auch darum, keine Versprechungen zu machen, wenn wir nicht
helfen können. Hiermit meine ich insbesondere diejenigen Bereiche, die in den letzten 40 Jahren sehr unterschiedlich geregelt worden sind. Wir können den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland nicht versprechen,
dass wir für jede Gruppe die für sie günstigste Regelung
finden können. Das ist einfach nicht machbar. Die deutsche Einheit hat dazu geführt, dass wir ein gesamtstaatliches Rechtssystem geschaffen haben. In dieses Rechtssystem müssen wir uns alle nicht nur gedanklich, sondern
auch im praktischen Leben hineinbegeben.
Es ist auch für mich sehr ernüchternd, dass es in der
Gesellschaft Gruppen gibt, denen wir heute bestimmte
Rechte nicht mehr einräumen können. Frau Ehlert, ich
habe große Probleme damit, dass wir für die Gruppe der
in der DDR geschiedenen Frauen kaum noch etwas tun
können. Wir müssen so ehrlich sein, das den Betroffenen
zu einem bestimmten Termin mit aller Konsequenz zu sagen.
Insbesondere im Justizministerium ist im Jahr 1999 ein
Anstieg festzustellen gewesen. Dies hat seine Ursache
darin, dass Nachwirkungen der Probleme, die sich aus offenen Vermögensfragen in den neuen Bundesländern ergaben, immer noch deutlich zu erkennen sind. An den
Ausschuss wandten sich zahlreiche Petentinnen und Petenten, die sich Hilfe und Unterstützung bei Fragen zu Eigentum an Grundstücken und Gebäuden und deren Nutzungsrechten erhofften.
Herr Holetschek, Sie haben ja hier vorhin eine sehr engagierte Rede gehalten. Deshalb möchte ich an Ihre
Adresse sagen, dass diese Petitionen im Bereich der Eigentumsfragen die Folge der von Ihrer Fraktion - sekundiert von der F.D.P. ({2})
propagierten, ideologisch motivierten Regelung durch
das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ sind. Das
muss ich hier einmal ganz deutlich sagen.
({3})
Zu Ihrer Forderung, dass wir das ändern sollen, Herr
Holetschek, muss ich Ihnen sagen: Dieser Zug ist seit Jahren abgefahren. Unsere Versuche, dies 1991 und 1992 im
Rahmen des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes
zu ändern, haben Sie blockiert. Das haben wir damals kritisiert, wir sind bis in den Vermittlungsausschuss gegangen, aber die damaligen Mehrheiten sorgten für andere
Ergebnisse.
({4})
Ich will an dieser Stelle auch sagen, dass die ideologisch gefärbte Regelung „Rückgabe vor Entschädigung“
nicht das einzige Übel ist, das dazu geführt hat, dass sehr
viele Menschen immer noch Unsicherheit im Bereich der
Vermögensfragen verspüren. Eine andere Ursache liegt
darin, dass während der DDR-Zeit tausendfach rechtsstaatswidrige Vermögenseingriffe erfolgten und durch die
Politik des SED-Regimes Hunderttausende Menschen aus
ihrer Heimat vertrieben wurden. Die Gründe für das Verlassen der DDR mögen zwar unterschiedlich gewesen
sein, aber die politischen und ökonomischen Verhältnisse
in der DDR haben entscheidend dazu geführt, dass Hunderttausende Menschen ihr Land verlassen haben - mit
steigender Tendenz bis in den Herbst 1989 hinein.
Trotzdem - jetzt wende ich mich noch einmal an Sie,
Herr Holetschek - bleibe ich dabei, dass die alte Bundesregierung in diesem Bereich eine andere Politik hätte machen müssen. Die alte Bundesregierung hätte realistische
Regelungen treffen müssen, durch die die über Jahre entstandenen Lebensrealitäten aufgenommen worden wären
und damit Frieden in den neuen Ländern geschaffen worden wäre.
({5})
Weil ich nicht zu denen gehören will, die Unsicherheiten - manchmal auch absichtlich - schüren, möchte ich an
dieser Stelle auch sagen, dass mit dem Vermögensgesetz
und dessen späteren Novellierungen natürlich nicht nur
partiell, sondern in weiten Bereichen Rechtsklarheit und
Rechtsschutz geschaffen worden sind. Hier möchte ich
eine Gruppe ansprechen, die insbesondere nach 1990
massenhaft verunsichert worden ist: Das ist die Gruppe
der Häuslebauer und derjenigen, die dingliche Nutzungsrechte für Grundstücke hatten. Diese Bürgerinnen und
Bürger waren von Anfang an sicher vor jeder Form von
Restitutionsansprüchen, denn ein Restitutionsanspruch in
diesem Bereich war nicht erfolgreich durchsetzbar. Dass
trotzdem Ansprüche gestellt worden sind, ist eine ganz andere Frage. Wir müssen das immer wieder einsehen: Wir
können keinen Bürger davon abhalten, sinnlose Anträge
zu stellen, die am Ende dann auf seine eigenen Kosten gehen. Es musste aber auch noch einmal gesagt werden, dass
wir - ich nehme die SPD dabei einmal mit in die Verantwortung - bei der Gesetzgebung nach 1990 nicht nur
Chaos produziert haben. Die Kritik bleibt zwar bestehen,
dass es sich um grundsätzlich verkehrte Weichenstellungen handelte, wir haben aber in wesentlichen Bereichen
mitgeholfen, Rechtssicherheit zu schaffen.
Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch - das sage ich
jetzt einmal in Ihre Richtung, Frau Lüth -, dass bei aller
Kritik am Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“, die
von Ihrer Fraktion richtigerweise ausgesprochen wird,
nicht in Vergessenheit geraten darf, dass der erste Restitutionsfall von Ihrem Ehrenvorsitzenden produziert wurde,
wenn ich das einmal so sagen darf. Unter dem DDR-Ministerpräsidenten Modrow sind die 1972 verstaatlichten,
so genannten halbstaatlichen Betriebe zurückgegeben
worden. Ich sage nichts dagegen. Das wäre auch nach der
freien Wahl im März 1990 sicherlich so erfolgt. Man muss
aber immer auch eine Gesamtschau vornehmen. Man
kann sich nicht immer nur die Erbschen oder Sahnestückchen herauspicken. Dies war ein Präzedenzfall und
damit war eine Grundlage für die weiteren Verhandlungen
und Gespräche zwischen den beiden deutschen Regierungen im Jahre 1990 geschaffen. Dieses ist heute Geschichte. Wir müssen uns jetzt nach vorne orientieren.
Gerade heute Nachmittag wird ja in erster Lesung über
einen Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beraten, mit dem wir noch offene Fragen im Bereich des Grundstücks- und Vermögensrechts
hier auf den Tisch legen und dafür sorgen wollen, dass Defizite und auch Verfahrensprobleme in der Vermögensgesetzgebung, wie sie im Moment noch bestehen, zügig angepackt werden und für die Betroffenen endlich Rechtssicherheit geschaffen wird.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Vielen Dank, Herr
Präsident. - Ich bitte Sie gerade auch bei dieser Gesetzesnovelle, die wir heute einbringen, um konstruktive Mitarbeit.
Meine Damen und Herren, ich hatte mir noch eine
ganze Reihe von Einzelfällen aufgeschrieben, die ich gern
vorgetragen hätte. Der Präsident mahnt mich, zum Ende
zu kommen.
Ich will in einem letzten Satz, Herr Präsident, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Ausschussdienst ganz herzlich danken. Es ist schon gesagt worden:
Dort wird eine sehr engagierte und fachkundige Arbeit geleistet. Herzlichen Dank insbesondere Ihnen, Frau von
Welck. Ich schließe in den Dank auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der einzelnen Abgeordneten und der
Fraktionen für ihre engagierte Arbeit ein. Ich glaube, wir
haben im letzten Jahr eine gute Arbeit geleistet und wir
alle gemeinsam müssen das in den kommenden Jahren so
weiter machen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich
der Kollegin Katherina Reiche von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In einem Punkt möchte ich
mich meinen Vorrednern ausdrücklich anschließen. Das
ist der herzliche Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes. Ohne sie gäbe es keinen
Jahresbericht. Seit ich im Petitionsausschuss mitarbeite,
weiß ich um die akribische Arbeit und um die viele Mühe,
die sie haben, und ich weiß die Arbeit des Ausschussdienstes von Mal zu Mal mehr zu schätzen. Vielen Dank!
Sie leisten einen sehr wichtigen Beitrag zur demokratischen Kultur in diesem Land.
({0})
Die Petitionen, die uns erreichen, sind so vielfältig wie
die Probleme, die Emotionen und die Ideen der Menschen
in Deutschland. Sie reichen von Themen wie der Abschaffung der Todesstrafe in den Vereinigten Staaten bis
zum kleinsten Detail des deutschen Sozialversicherungsrechts. Deshalb ist es so schwer, alle Facetten einer einjährigen Arbeitszeit in einem Jahresbericht zu berücksichtigen, und deshalb ist es so verlockend, den generalisierenden Aspekt der Statistik zu bemühen.
Die Zahl der Petitionen hat in der Tat - das ist mehrfach angesprochen worden - wieder zugenommen. Nun
läge es nahe, dies als Kritik an der Bundesregierung zu bewerten und zu sagen: Im ersten vollständigen Jahr von
Rot-Grün haben die Bürger mehr denn je das Bedürfnis,
ihren Unmut und ihre Kritik dem Deutschen Bundestag
mitzuteilen. Ich möchte dies nicht tun, sondern mich den
Kollegen Deittert und Reuter anschließen, die sagten,
dass sie ebenso wie ich die Petitionen als Ausdruck des
Vertrauens der Menschen ins Parlament werten.
Bei anderen Aspekten der Statistik liegt der Fall allerdings anders. Der Anteil der Petitionen aus den neuen
Ländern hat noch einmal zugenommen und liegt nun mit
über 32 Prozent weit über dem Bevölkerungsanteil der
Ostdeutschen. Allein aus meiner Heimat Brandenburg hat
sich die Zahl der Petitionen seit 1998 fast verdoppelt.
Wir haben uns in der Debatte im Rahmen des letzten
Berichtes des Petitionsausschusses ausführlich mit der
Frage beschäftigt, warum der Anteil der Eingaben aus den
neuen Ländern so überproportional hoch ist. Positiv können wir aber auch jetzt noch feststellen, dass nach Jahrzehnten staatlicher Willkür und Allmacht viele Menschen
aus der ehemaligen DDR nach einem Jahrzehnt Einheit
ihr Recht wahrnehmen, Entscheidungen zu hinterfragen
und überprüfen zu lassen. Viele wollen mit Vorschlägen
aktiv Demokratie mitgestalten und suchen über uns den
Dialog zur Politik.
Auf der negativen Seite muss ich jedoch feststellen,
dass die Geduld der Menschen in den neuen Ländern mit
dem Prozess der Angleichung der Lebensverhältnisse
auf eine immer größere Probe gestellt wird und dass die
Menschen in den neuen Ländern sehr wohl unterscheiden
können, was pure Symbolik ist und was wirklich dazu
dient, die Lebensverhältnisse anzugleichen. Zur puren
Symbolik zähle ich beispielsweise Bundeskabinettssitzungen in den neuen Ländern. Hier hat sich meiner Meinung nach auch der Ausschuss zu symbolischen Gesten
verleiten lassen.
Mehrere Petitionen begehrten die sofortige Angleichung der Löhne in Ostdeutschland und sogar ein gesetzlich festgelegtes Grundgehalt bei Lohnkostenzuschüssen.
In seinem Beschluss stellte der Ausschuss ganz deutlich
dar, dass in Deutschland die Löhne durch die organisierten Tarifvertragsparteien ohne Einmischung staatlicher
Stellen ausgehandelt werden. Die Tarifautonomie wurde
zu Recht als Begründung herangezogen, um den Petenten
zu verdeutlichen, dass der Ausschuss keine rechtliche
Möglichkeit hat, staatlicherseits eine Lohnangleichung
oder gar einen gesetzlichen Mindestlohn zu vereinbaren.
Plötzlich wendet sich jedoch das Blatt und die Eingabe
wird in letzter Minute dem Bundesministerium für Arbeit
und Sozialordnung zugeleitet, um sie dort in die Arbeit
und in die Überlegungen einfließen zu lassen. Die PDS als
Expertin für unrealistische und falsche Forderungen kann
nun jubeln und der Petent gewinnt den Eindruck, dass der
Staat möglicherweise doch in die Tarifautonomie eingreifen wird.
({1})
Das ist falsch verstandener Aufbau Ost.
Ein weiterer Grund für das anhaltend große Bedürfnis
der Menschen in den neuen Ländern nach Petitionen ist
auch der lange Schatten des DDR-Unrechts, dessen Tragweite oft erst nach Jahren in die Öffentlichkeit dringt. Hier
will ich insbesondere die Verbrechen an den Sportlerinnen
und Sportlern in der ehemaligen DDR erwähnen, die
durch grausame Trainingsmethoden und Doping oft zu
Krüppeln wurden.
({2})
Auch die Bürgerinnen und Bürger, die sich um eine Verbesserung der Rehabilitierung von politischen Opfern der
SED-Diktatur bemühen, werden in den nächsten Jahren
weiter zum Mittel der Petition greifen.
Ich möchte Ihnen nun von einem Fall berichten, in dem
der Ausschuss sowohl DDR-Unrecht als auch anschließende gesamtdeutsche behördliche Unbeweglichkeit heilen konnte.
Ein Grundstückseigentümer hatte sein Grundstück zur
landwirtschaftlichen Nutzung der DDR überlassen. Die
DDR übergab es dem sowjetischen Militär, ohne jedoch
den Eigentümer darüber zu informieren. Nach der
Wiedervereinigung und dem Abzug des russischen Militärs erhielt der Petent sein Grundstück zurück, jedoch
ohne dass man ihm mitteilte, dass es mittlerweile mit
Kampfmitteln kontaminiert war. Man teilte ihm mit, dass
er innerhalb von drei Monaten Schadensersatz bei der
Oberfinanzdirektion fordern könne. Allerdings erhielt er
den Hinweis auf Kontamination nicht. Erst ein halbes Jahr
später wurde ihm mitgeteilt, dass sein Grundstück kontaminiert sei. Der Petent beantragte daraufhin Schadensersatz, der aber wegen Verfristung abgelehnt wurde. Nun
forderte die Stadt den Petenten auf, sein Grundstück auf
eigene Kosten reinigen zu lassen. Nachdem das nicht geschah, stellte sie ihm einen fünfstelligen Betrag in Rechnung. Später machte ihm die Stadt zwar das Angebot, die
Kampfmittel selbst zu räumen, aber dafür solle der Petent
der Stadt das Grundstück für den symbolischen Kaufpreis
von 1 DM verkaufen. Der Petent empfand das zu Recht
als nachträgliche Enteignung.
Der Petitionsausschuss konnte das Anliegen des Petenten unterstützen und dem Finanzministerium empfehlen,
die Frist für den Schadensersatz zu ändern. Das Finanzministerium ist unserer Empfehlung gefolgt. So konnten
wir die faktische Enteignung des Petenten verhindern.
Es sind gerade solche Fälle, die die Bedeutung und die
Wirksamkeit dieses demokratischen Instruments unter
Beweis stellen. Es sind oft Fälle, bei denen die Mitglieder
des Ausschusses über Parteigrenzen hinweg an einem
Strang ziehen.
Bemerkenswert finde ich allerdings manche Vorgänge,
bei denen Petitionsverfahren aus der letzten Legislaturperiode durch bestimmte Umstände neu beraten werden.
Folgende Konstellation ist auffällig; sie ist nicht einmalig,
sondern uns jetzt mehrfach aufgefallen. Eine Petition
wurde im Petitionsverfahren von der damaligen Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, Frau BergmannPohl, als unbegründet zurückgewiesen. Der Ausschuss
unter der damaligen Vorsitzenden Frau Nickels empfahl
dennoch die Überweisung der Eingabe an die Bundesregierung. Nach dem Regierungswechsel - Frau Nickels bekleidet jetzt selbst das Amt der Staatssekretärin - kommt
dieselbe Eingabe zu ihr auf den Tisch und sie befindet
jetzt, dass das Bundesministerium für Gesundheit nichts
tun könne.
Frau Kollegin Reiche, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich sage: Willkommen in der Realität!
Bei allem Ernst, mit dem wir an die Arbeit des Petitionsausschusses gehen - manche Eingaben geben auch
Anlass zum Schmunzeln, zum Beispiel wenn noch im
Jahr 1999 ehemalige DDR-Konten, die der Währungsumstellung hinterherhinken, umgestellt werden sollten.
Frau Kollegin Reiche, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich freue mich mit
meinen Kollegen auf das nächste Jahr und auf weitere interessante Anregungen der Bürgerinnen und Bürger.
Danke.
({0})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Sammelüber-
sicht 67 auf Drucksache 14/1328. Hierzu liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/3512 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Damit ist der Änderungsantrag mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Wir stimmen nun über die Sammelübersicht 67 auf
Drucksache 14/1328 ab. - Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese
Sammelübersicht 67 mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut
Koschyk, Christian Schmidt ({1}), Karl Lamers,
Peter Hintze und der Fraktion der CDU/CSU
Versöhnung durch Ächtung von Vertreibung
- Drucksachen 14/1311, 14/3203 Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Meckel
Christian Schmidt ({2})
Ulrich Irmer
Dr. Dietmar Bartsch
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Weiterentwicklung der deutsch-tschechischen
Beziehungen
- Drucksachen 14/1873, 14/3164 Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Meckel
Christian Schmidt ({4})
Ulrich Irmer
Dr. Dietmar Bartsch
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das
Wort die Kollegin Petra Ernstberger von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr - der Zeitplan
ist genau gewählt - werden von der CDU/CSU-Fraktion
Debatten im Parlament initiiert, die sich für die Abschaffung der Benes-Dekrete stark machen. Das tun Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ganz bewusst,
um sich als Anwälte der Vertriebenenverbände und der
Sudetendeutschen zu profilieren. Ziemlich durchsichtig!
Natürlich sind die Passagen in diesen Dekreten, die die
Vertreibung betreffen, ein Punkt, der zu Kritik Anlass
gibt. Die Dekrete, die sich auf Vertreibung, Ausbürgerung
und Enteignung von Deutschen in der ehemaligen Tschechoslowakei beziehen, sind nach wie vor völkerrechtswidrig. Dies ist gegenüber der tschechischen Regierung
stets deutlich gemacht worden. Es handelt sich um unterschiedliche Rechtsordnungen, zu denen es unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt. Akzeptieren wir doch erst
einmal diesen Sachverhalt und gehen wir dann die Fragen
offen und im Dialog mit allen - ich betone: mit wirklich
allen - Gruppen an!
Herr Koschyk, ich habe eine von Ihnen abgegebene
Presseerklärung gelesen. Dieser habe ich entnommen,
dass Sie sich für die Normalisierung der Beziehungen
zur Tschechischen Republik einsetzen wollen. Das geht
genau in die richtige Richtung. Ich entnehme ihr, dass Sie
sich von der Hardlinerposition Ihres Parteivorsitzenden
und Ministerpräsidenten Stoiber absetzen. Sie sollten einmal mit Ihrem Ministerpräsidenten einen Dialog führen,
um eine gemeinsame Linie herauszuarbeiten.
({0})
Durch ein beharrliches Aufbauen von Fronten werden
keine Partnerschaften und keine nachbarschaftlichen
Kontakte, sondern nur Ressentiments gefördert. Nun
sollte auch noch der Zukunftsfonds, ein Mittel der Versöhnung, instrumentalisiert werden. Dieser Fonds soll
doch - das besagt schon der Name - auf die Zukunft hin
orientiert sein. Fördern wir doch einfach Kontakte zwischen jungen Menschen! Fördern wir Projekte, die zum
gegenseitigen Verständnis der beiden Staaten beitragen,
und tragen wir dadurch dazu bei, dass sich die Chancen
für die junge, zukünftige Generation verbessern! Dies ist
unsere Aufgabe beim Zusammenwachsen in Europa.
Tschechien möchte ja Mitglied der Europäischen
Union werden. Dabei werden wir Tschechien ohne Einschränkungen und ohne bilaterale Vorbedingungen unterstützen. Wie sagte Kanzler Schröder in einem Gespräch
mit dem Präsidenten der Tschechischen Republik: Deutschland und Tschechien verbindet eine gute, aber gleichwohl
schwierige Nachbarschaft. - So ist es. Die Gespräche mit
unseren Partnern in Prag sind nicht immer einfach, aber so kann ich feststellen - stets konstruktiv. Sie finden inzwischen in einer sehr freundschaftlichen Atmosphäre
statt.
({1})
Ich persönlich kann sagen, dass sie mittlerweile in einem hohen Maße politische Normalität erreicht haben
und man sich nicht mehr nur ausschließlich mit den neuralgischen bilateralen Problemen befasst. Wir sind
schließlich inzwischen nicht mehr nur Nachbarn. Wir sind
Verbündete in einer gemeinsamen Verteidigungsgemeinschaft. Dies ist eine neue Situation, die für beide eine gemeinsame Aufgabe und Verpflichtung darstellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines möchte ich
klarstellen: Allen Vertriebenen, so auch den Sudetendeutschen und allen anderen Deutschen aus den Ostgebieten,
ist Unrecht geschehen. Im Nationalsozialismus hat es
unsäglich viele Opfer gegeben. Ich möchte an dieser
Stelle meinen Respekt und meine Hochachtung gegenüber all den Opfern ausdrücken, die im Kampf gegen den
Nationalsozialismus gelitten haben: den tschechischen
Opfern, den jüdischen Opfern, den sudetendeutschen Opfern, aber auch den Opfern von Gewalt und Vertreibung.
Die Erinnerung daran ist absolut notwendig und muss
fortbestehen,
({2})
um uns alle zu mahnen, die Zukunft besser und vor allem
friedvoll zu gestalten
({3})
und so etwas nie wieder geschehen zu lassen oder zu tolerieren.
Aber statt die guten nachbarschaftlichen Beziehungen
mit Tschechien zu vertiefen, trommeln zu dieser Jahreszeit leider die Landsmannschaften immer besonders
laut. Am lautesten aber haut Herr Ministerpräsident
Stoiber auf die Pauke: Immer wieder fordert er massiv die
Entschädigung der vertriebenen Sudetendeutschen.
({4})
Im Schatten der Entschädigungsforderungen für die NSZwangsarbeiter, die die nationalen Emotionen bei uns ohnehin zum Kochen bringen, unterstützen bayerische Politiker, um ein bestimmtes Klientel zu befriedigen, eine
Forderung, die die Integration in Europa gefährdet.
({5})
So fordert der Bayerische Landtag die Bundesregierung
auf, die offenen Fragen des Vermögens in einem rechtlichen Verfahren zu lösen. Dies werden wir nicht unterstützen. Es gibt keine Vermögensforderungen Deutschlands
an Tschechien.
({6})
In Bezug auf Herrn Stoiber möchte ich die „Süddeutsche
Zeitung“ zitieren:
Nicht Bundesminister Joschka Fischer, sondern vielmehr Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber beweist ... falschen Pragmatismus und außenpolitische Stümperei.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({7})
Herr Koschyk, in Ihrem Interview gegenüber polnischen Journalisten haben Sie sich von den Forderungen
von Frau Steinbach nach Entschädigungen distanziert. Sie
haben gesagt, dass diese kontraproduktiv seien. Da stimme ich Ihnen zu. Da haben Sie Recht. Ich unterstütze den
tschechischen Präsidenten Havel, wenn er sagt, juristische Schritte können nicht ändern, was geschehen ist. Allen, die noch immer nicht begriffen haben, dass heute
Versöhnung und Verständnis zählen, sage ich: Nehmen
wir uns ein Beispiel an den vielen Aktivitäten von Gruppen, an den großen und den kleinen Projekten wie der
Euregio Egrensis, dem Jugendprojekt Tandem, den
Schulpartnerschaften, dem Jugendaustausch, den kirchlichen Begegnungen, aber auch an den Aktivitäten von Sudetendeutschen, die sich von ihrer Funktionärsebene distanzieren. Dies sind Beispiele, die zeigen, wie sich das
Bewusstsein schrittweise öffnet.
Nehmen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur
Kenntnis, wie sich auch das Bewusstsein in Tschechien
Schritt für Schritt ändert. Hätten wir uns vor zehn Jahren
eigentlich vorstellen können, dass Äußerungen wie die
von Herrn Doležal oder von Professor Mezihorak, die erst
kürzlich in Olmütz laut über eine Abschaffung der entsprechenden Benes-Dekrete nachgedacht haben, möglich
gewesen wäre? Erkennen wir diese Zeichen! Helfen wir
der Tschechischen Republik bei ihrer Bemühung, in die
Staatengemeinschaft der EU aufgenommen zu werden.
Suchen wir gemeinsam nach Lösungen für offene Fragen.
({8})
Unterstützen wir einander in dem sicherlich schmerzlichen Prozess der Aufarbeitung einer Jahrtausende alten
Nachbarschaft, die von politischen Fehlern gekennzeichnet war, an deren Folgen wir noch heute leiden und die wir
noch immer offen diskutieren müssen. Denn ich möchte,
dass wir den Weg für eine gemeinsame Zukunft in Europa für unsere Kinder bereiten, die vielleicht einmal in
beiden Staaten arbeiten werden, die von- und miteinander
leben werden und die ihr Leben in beiden Ländern gemeinsam gestalten werden.
({9})
Das ist doch allemal sinnvoller als ein ständiges Beharren
auf teilweise vorgeschobenen Problemen und Rechtsstandpunkten und der Suche nach immer neuen Hemmnissen, die nur dazu dienen, das Klima zwischen diesen
beiden Staaten zu vergiften. Politisch, liebe Kolleginnen
und Kollegen, geht es jetzt um den Ausbau der Europäischen Union, geistig aber um die Wiedervereinigung Europas.
({10})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Hartmut Koschyk.
Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingebrachten Antrag unter dem Leitwort „Versöhnung durch Ächtung von Vertreibung“ fordern wir die Bundesregierung auf, auf die
Aufhebung noch fortbestehender Unrechtsdekrete in unseren östlichen Nachbarstaaten hinzuwirken. Unsere östlichen Nachbarstaaten, unter ihnen in einer ersten Staffel
Polen und Tschechien, wollen Mitglieder der Europäischen Union werden.
({0})
Ich sage sehr deutlich: Wir sind der Auffassung, dass dies
im besonderen deutschen Interesse und auch im besonderen Interesse der Heimatvertriebenen in unserem Land
liegt.
({1})
Es ist der Sinn unseres Antrages, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Koalitionsfraktionen, vor allem auf die menschenrechtlichen Aspekte noch fortgeltender Vertreibungsdekrete hinzuweisen und den Zusammenhang damit
herzustellen, dass die Europäische Union, in der Polen
und Tschechien Mitglied werden wollen, vor allem eine
Rechts- und Wertegemeinschaft ist. Im Vertrag über die
Europäische Union in der Fassung des Vertrages von
Amsterdam bestimmt Art. 6 ganz klar, dass die Europäische Union „auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“ beruht. Ich habe
immer das Beitrittsbegehren Polens, Tschechiens und der
anderen Staaten Mittel- und Osteuropas als einen Anschluss an die europäische Staatenwelt und als Rückkehr
nach Europa begriffen, aber auch als Hinwendung zu den
demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Wertevorstellungen, wie sie die Europäische Union
ebenso wie das Nordatlantische Bündnis verbinden.
Wir sollten auch würdigen, dass gerade die deutschen
Heimatvertriebenen von Anfang an in ihrer Charta von
1950, deren Verabschiedung sich in diesem Jahr zum
50. Mal jährt, die gesamteuropäische Perspektive vertreten haben, indem sie feierlich versprachen, „jedes Beginnen mit allen Kräften ({2}) unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können“.
({3})
Verehrte Kollegin Ernstberger, ich finde es gut, dass
Sie konstatieren, dass die Vertriebenen durch unzählige
praktische Maßnahmen vor Ort seit dem Fall des Eisernen
Vorhangs in ihren Heimatländern Versöhnung und Verständigung von unten befördert haben und zunehmend
eine Brückenfunktion zwischen uns und unseren östlichen Nachbarn erfüllen. Dadurch sind sie - das bestätigen
auch ranghohe Vertreter unserer polnischen und tschechischen Nachbarn - zu einer echten Lobby für unsere östlichen Nachbarn in unserem Land geworden.
Deshalb appellieren wir vor allem an die politisch Verantwortlichen in den Regierungen unserer östlichen
Nachbarstaaten, diesen Einsatz unserer heimatvertriebenen Mitbürgerinnen und Mitbürger für Verständigung und
Versöhnung anzuerkennen. Es ist an der Zeit, dass auch
offiziell ein freier und vorbehaltloser Dialog zwischen
den politisch Verantwortlichen in unseren Nachbarstaaten
und den Vertriebenen auch über die offenen, aus der Vertreibung herrührenden Fragen geführt wird. Nur durch
den direkten Dialog lassen sich für beide Seiten akzeptable Zukunftslösungen finden.
({4})
Wir verkennen nicht, dass es bei unseren östlichen
Nachbarländern sehr hoffnungsvolle Ansätze gibt, sich
auch dem schwierigsten Kapitel der eigenen Geschichte,
nämlich der Vertreibung der Deutschen, ehrlich zu stellen.
Der Berater des ehemaligen tschechischen Ministerpräsidenten Klaus, Bohumil Doležal, hat an die tschechische
Seite appelliert, gegenüber den deutschen Vertriebenen
einen Akt der Entschuldigung und des aufeinander Zugehens zu unternehmen und einen Versöhnungsfonds zur
Entschädigung der deutschen Vertriebenen einzurichten.
Ich bin sehr dankbar, dass die Bundesregierung dies
neulich in der Fragestunde gewürdigt hat, und ich kann
wirklich nicht erkennen, warum ein tschechischer Vorschlag in diese Richtung von der Bundesregierung als
wichtiger Schritt auf dem Weg zueinander gewürdigt
wird, während ein gleichgerichteter Vorschlag der sudetendeutschen Seite als kontraproduktiv, rückwärts gewandt und die Verständigung störend bezeichnet wird.
({5})
Es ist beeindruckend, dass die tschechische Studentenorganisation „Jugend für interkulturelle Verständigung“
an den Stadtrat der mährischen Stadt Brünn appelliert
hat, die ehemaligen deutschen Bewohner der Stadt für die
Vertreibung um Verzeihung zu bitten. Man muss auch
würdigen, Frau Ernstberger, dass der neue Vorsitzende der
Sudetendeutschen Landsmannschaft, Herr Posselt, an der
Karlsuniversität in Prag ebenso wie fast ein Jahr vorher
die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, unsere Kollegin Steinbach, vor Ort in den vorbehaltlosen Dialog
über offene Fragen der Vergangenheit eingetreten sind.
Aber wir können und dürfen die Augen nicht davor verschließen - das blenden Sie in Ihrem Antrag völlig aus -,
dass die diskriminierenden Unrechtsdekrete bei unseren
Nachbarländern auch von ranghohen Rechtspersönlichkeiten als nach wie vor in Kraft betrachtet werden. So
stellte zum Beispiel der tschechische Verfassungsrichter
Prochazka bis heute unwidersprochen in einem Interview
mit der Tageszeitung „Die Welt“ fest, dass diese Dekrete
„weiter gültig und Teil der tschechischen Rechtsordnung“
sind und auch von ihm bei entsprechender Rechtsbefassung angewandt werden würden.
Ich finde es nicht gut, dass Sie in Ihrem Antrag vor dieser Wirklichkeit die Augen einfach verschließen und so
tun, als sei alles in bester Ordnung. Lassen Sie mich sagen: Einen Antrag zum Thema „Weiterentwicklung der
deutsch-tschechischen Beziehungen“ vorzulegen und mit
keinem Wort auf die Verständigungsbereitschaft und die
Verständigungsbemühungen der heimatvertriebenen Sudetendeutschen, beispielsweise auch der sudetendeutschen Sozialdemokraten, der Seliger-Gemeinde, einzugehen, zeugt von mangelnder Sensibilität für dieses Thema.
({6})
Bitte bauschen Sie unseren Antrag nicht als irgendetwas auf, was der Verständigung und einem freien Dialog
im Wege steht. Im Europäischen Parlament jedenfalls
haben auch Sozialdemokraten der Beschlussempfehlung
zum Fortschrittsbericht zugestimmt, auf den sich unser
Antrag bezieht. Im Österreichischen Nationalrat haben
die Sozialdemokraten zugestimmt.
Ich möchte die in Ihrem Beitrag, Frau Kollegin
Ernstberger, erkennbare Suche nach Gemeinsamkeit gern
aufgreifen. Sie haben am Schluss Ihrer Rede gesagt: Suchen wir gemeinsam nach Lösungen, die für beide Seiten
akzeptabel und in die Zukunft gerichtet sind. - In diesem
Sinne könnten Sie eigentlich auch unserem Antrag heute
zustimmen.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Antje
Vollmer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meines
Erachtens ist der Bericht zur Lage der Nation abgeschafft
worden, aber jedes Jahr wieder haben wir einen Bericht
zur Lage der Nation, zu den Benes-Dekreten, den Vertriebenenverbänden und ihren Forderungen. Das kommt so
sicher wie der Sommer, und zwar immer vor dem Pfingsttreffen der Sudetendeutschen, so auch dieses Jahr.
Ich finde, dass es sehr sinnvoll ist, mit dem Verhältnis
der Deutschen zu den Tschechen anzufangen. Ich stelle
fest, das Verhältnis der Deutschen - der Hamburger, der
Rheinländer, der Westfalen, der Sachsen, der Berliner, der
Schwaben, der Hessen, der Mecklenburger und von wem
auch immer ({0})
zu den Tschechen ist von einer ganz besonderen Zuneigung und von einem ganz besonderen Interesse geprägt.
Das hat auch seine Gründe.
({1})
- Ich habe die Bayern bewusst ausgelassen. Ich glaube, es
gibt zweierlei Sichten. Zu denen will ich gerade kommen.
Ich will aber erst einmal sagen: Gerade junge Leute haben ein unglaubliches Interesse an dem Land, aus dem
Franz Kafka und Karl Kraus kamen. Sie haben ein unglaubliches Interesse nach Prag zu gehen und dort zu studieren.
({2})
Sie haben ein Interesse an dieser besonderen tschechischen Geschichte, die ja immer auch mit besonderen Niederlagen zu tun hatte. Man denke an Jan Hus, der brennen
musste, während Martin Luther immerhin eine ganze Reformation zustande gebracht hat. Man denke daran, dass
die Tschechen die ersten Opfer Hitlers waren. Man denke
daran, dass die Tschechen 1968 mit unglaublicher Tapferkeit den Panzern des Warschauer Paktes entgegengetreten
sind, auch diesmal wieder - wie schon 1938 - vom Westen allein gelassen.
Man denke daran, dass sie eine besondere 89-er Revolution gehabt haben, nämlich eine samtene, wo es ihnen
gelungen ist, mit dem Präsidenten Havel eine weltweit bekannte Persönlichkeit auf Dauer in der Politik zu etablieren und damit die Bedeutung dieses kleinen Landes zu unterstreichen. Es ist ihnen gelungen, ohne große dramatische Verwerfungen eine friedliche Trennung mit der
Slowakischen Republik zu erreichen. Das heißt, dieses
Land hat bei unseren Menschen eine ganz, ganz große Zuneigung. Das lassen wir uns von niemandem kaputtmachen.
({3})
Nachdem im Bundestag zu diesem Thema und zu dem
Thema der Vertriebenen in der Regel in fast feierlichem
Messeton gesprochen wird, wird dann auf dem Sudetendeutschentag die ganze Hitze auf dieses Thema gegossen - und zwar ohne dass jemand anderes dem widersprechen kann.
Die Deutsch-Tschechische Erklärung war ein Versprechen. An ihr ist sehr lange gearbeitet worden. Es war ein
Versprechen, den Tschechen den Weg nach Europa nicht
zu versperren. Dieses Versprechen - das hat Gerhard
Schröder, der Bundeskanzler, noch einmal ausdrücklich
gesagt - werden wir durch keine Frage belasten lassen,
welche Frage auch immer.
({4})
Übrigens fällt mir gerade ein - weil ich beim Thema
Tschechien bin -, dass dieser Satz, den Weg nach Europa
frei zu machen, aus tschechischer Sicht eigentlich sehr eigenartig klingt. Prag war so sehr Zentrum Europas, dass
man eine sehr westgeneigte Sicht haben muss, um zu sagen, dass es noch etwas mehr ins Zentrum rücken könnte.
({5})
Zurück zur Deutsch-Tschechischen Erklärung. Diese
ist unter schmerzlichen Prozessen verhandelt worden und
es hat lange gedauert. Man musste die Tschechen immer
trösten, weil sie überhaupt nicht begreifen konnten,
warum dieser Prozess damals so lange dauerte. Gerade
deswegen hat der Antrag der CDU/CSU, den wir hier haben, in der Tschechischen Republik tiefe Irritationen hervorgerufen - und zwar deswegen, weil darunter die Namen stehen, die auch in der Tschechischen Republik einen
guten Klang haben, nämlich Lamers, Koschyk und
Schäuble. Die Frage ist aufgetaucht: Rückt jetzt die Partei, die als Regierungspartei diese Deutsch-Tschechische
Erklärung bis zur Unterschrift von Ministerpräsident
Stoiber getragen hat, als Oppositionspartei plötzlich davon ab? Das hat tiefe Irritationen erzeugt. Ich habe mir
immer gewünscht, Herr Lamers, Herr Koschyk, Sie hätten diesen Antrag einfach zurückgezogen.
({6})
Warum diese Irritationen? Ich will das erklären. Nun
komme ich zur Politik der Bayern und zum Einfluss der
Sudetendeutschen auf die bayerische Politik. Es hat sehr
häufig damit zu tun, dass man sich immer und immer wieder fragt: Was wollen die denn eigentlich? Immer, wenn
wir einen Punkt gefunden hatten - die Deutsch-Tschechische Erklärung war nun der breiteste gemeinsame Punkt,
den man finden kann -, denkt man, jetzt müsse das Verhältnis doch endlich einmal geklärt sein. Wenn wir einen
solchen Schritt gemacht haben, heißt es aber immer wieder: Nein, wir haben noch etwas zu diskutieren. Diese
bayerische Politik und die Forderungen der Sudetendeutschen bewirken, dass die Tschechische Republik in ständiger Angst lebt. Am Anfang sagen Sie immer nur: Wir
möchten, dass ihr endlich einmal über eure Vergangenheit
diskutiert, dass ihr Euch endlich einmal entschuldigt.Das alles ist passiert. Dann ist gesagt worden: Wir möchten doch nur, dass Ihr einmal mit uns sprecht.
Präsident Havel hat Vertreter der Sudetendeutschen
empfangen. Nachdem das alles passiert ist, heißt es: Nein,
nun haben wir noch eine kleine Forderung, nämlich hinsichtlich unserer Opfer. Dann hätten wir noch eine kleine
Forderung, wir haben nämlich auch noch einige Eigentumsansprüche. Diese ständige Wolke der Bedrohung belastet dieses Verhältnis. Sie sollten endlich einmal sagen,
wann Schluss ist. Wann sagen Sie: Jetzt wissen wir, dass
das Verhältnis wirklich frei ist? Die Antwort darauf sind
Sie bis heute schuldig geblieben.
({7})
Aufgrund des zeitlichen Abstandes kann ich jetzt auch
über die Vorgeschichte der Deutsch-Tschechischen Erklärung sprechen: Bevor es überhaupt Versuche gegeben
hat, unter den Fraktionen und im Bundestag darüber zu
verhandeln, hat es ein sehr wichtiges, damals nicht öffentlich bekannt gewordenes Gespräch im Hause eines
sehr bedeutenden Gütersloher Wirtschaftsmenschen gegeben. An diesem Treffen damals haben Herr Neubauer,
der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft,
unser verehrter und mir immer noch in sehr lieber Erinnerung gebliebener Kollege Johnny Klein teilgenommen.
Auch Richard von Weizsäcker und ich waren dabei.
Ebenso waren damals wichtige Vertreter der Tschechischen
Republik anwesend: Jiri Grusa, Karl von Schwarzenberg,
der Kanzler von Präsident Havel, Fürst Lobkowitz, als
Vertreter des Außenministeriums. Es war also eine ganz
hochkarätige Gruppe. Diese haben damals gesagt: Was
wollt Ihr Sudetendeutschen? Wie können wir uns verständigen? Die Tschechen haben gesagt: Welche Debatten
können wir in unserer Gesellschaft schaffen? Ich kann Ihnen sagen: Alles, was damals in diesem - übrigens sehr
bewegenden - Gespräch besprochen worden ist, ist in der
Deutsch-Tschechischen Erklärung enthalten.
Weil wir und alle Beteiligten das wissen, darf man - so
finde ich - am Ende, wenn man alles bekommen hat, was
man damals gefordert hat, nicht sagen: Jetzt bleiben aber
noch entscheidende Fragen offen. So kommt man nie zu
einem friedlichen, wirklich offenen Zukunftsverhältnis
mit den Nachbarn.
({8})
Dieses Gefühl, dass man nie weiß, wann es genug ist,
dass Sie irgendwie maßlos sind und die Forderungen
kein Ende nehmen, zeichnet auch Ihre jetzigen Aktivitäten aus. Ich nenne hier die Forderung in Höhe von 8 Millionen DM an den Zukunftsfonds, die Sie gestellt haben.
({9})
- Sie ist in diesem Fall die Sudetendeutsche Landsmannschaft. Ich danke dafür, dass ich das präzisieren kann.
({10})
Ich weiß aber, dass es in diesem Fall eine direkte Initiative für diesen Antrag durch den Ministerpräsidenten
Stoiber gegeben hat.
({11})
Aber nicht nur das, sondern er hat seit dem Jahre 1998
in verschiedenen Gruppen der Landsmannschaft und wie ich finde, fatalerweise - auch in den Gruppen der
Ackermann-Gemeinde und der Seliger-Gemeinde, also
der Gruppen, die in der Vergangenheit für die Versöhnung
eingetreten sind, darum geworben, dass Anträge von sudetendeutschen Opfern tschechischer Gewalt organisiert
gesammelt werden. Es waren keine einzelnen Menschen,
die sich an den Zukunftsfonds gewandt haben, sondern es
war eine organisierte politische Aktion. Diese Bildung
von Kollektiven von Opfern finde ich in diesem Verhältnis nicht mehr statthaft.
Wer gegen Kollektivschuld ist - das habe ich immer
unterstützt -, der muss auch gegen Kollektivforderungen
sein.
({12})
Denn dieses Anmarschieren in Form eines Kollektivs mit
der machtpolitischen Rückendeckung eines mächtigen
Ministerpräsidenten aus Bayern ist genau das, was die
Tschechische Republik tief gehend verunsichert.
({13})
Die Tschechen denken, dass am Ende noch sämtliche Eigentumsforderungen gestellt werden. Ich bin daher sehr
froh, dass der Bundeskanzler gesagt hat: Das wird es von
dieser Regierung niemals mehr geben. Die Tschechen
können in dieser Frage völlig beruhigt sein.
({14})
Ebenso maßlos, unverständlich und nicht mehr statthaft finde ich die Begründung dieser Aktion, nämlich sich
an die öffentliche Debatte über die Zwangsarbeiterentschädigung anzuhängen. Das hätten Sie sich wirklich
überlegen sollen,
({15})
weil das nicht nur außenpolitische Irritationen nach sich
zieht, sondern auf ganz schlimme Stimmungen im Inneren zielt.
({16})
Wir wissen doch, wie schwer es ist, die Zwangsarbeiterentschädigung durchzubringen. Wir wissen, wie
schwer es ist, dafür die Zustimmung der Bevölkerung zu
bekommen.
({17})
Da wird gesagt: Es sollen nicht nur immer die anderen an
die Deutschen herantreten;
({18})
vielmehr hätten auch wir Deutschen etwas zu fordern!
Das ist innenpolitisch sehr gefährlich.
({19})
Ich möchte Ihnen diese Möglichkeit der innenpolitischen
Kampagnen von vornherein nehmen und deswegen ist es
gut, dass die Vertreter des Zukunftsfonds nicht zugestimmt haben.
({20})
Ich möchte eine dringende Bitte an die Vertriebenenverbände richten. Ich finde, dass der Begriff „Vertreibung“ nach 50 Jahren gelungener Demokratie für eine
Gruppe nicht mehr identitätsstiftend ist.
({21})
Ich finde, Sie sollten die dritte Generation endlich von
dieser Form der Identitätsbildung freigeben.
({22})
Ich wünsche mir von den Vertriebenenverbänden seit langem, dass sie ihre Hauptaufgabe darin sehen, die Kultur
ihrer Heimat hochzuhalten, dass sie zu Kulturvereinen
werden. Dann würden sie jede Unterstützung bekommen
und man würde auch Achtung vor der Kultur haben, die
sie in ihrer Vielfalt bewahren wollen. Das Thema der Vertreibung gehört in das Museum der deutschen Geschichte,
in das Museum der Zeitgeschichte; das gehört in die
Hände von Wissenschaftlern, Forschern und Museumsleuten. Da gehört es hin.
({23})
Dieses Thema sollte nicht mehr als Mittel der Identifikation und der Herausbildung der nächsten Schicht von Vertriebenenfunktionären dienen, die selber nicht mehr der
Erlebnisgeneration angehören. Es ist mir sehr wichtig,
dass Sie das endlich begreifen.
Vertreibung ist ein individuelles Schicksal und bietet
keine Gruppenidentität. So muss man es auch auffassen
und behandeln.
Wenn ich jetzt an die Erlebnisgeneration denke, mit
deren Vertretern ich sehr viele Gespräche geführt habe
und die mir sehr viel hinsichtlich ihrer Geschichte klargemacht haben, dann weiß ich, dass sie in der Praxis längst
versöhnlich und milde denken und dass sie selber nicht
wollen, dass die Kinder mit ihren in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen in die Zukunft gehen. Ich sehe aber
diesen Willen bei den Funktionären mancher Vertriebenenverbände nicht und finde, sie müssen sich ändern. Der
Platz, den sie in dieser demokratischen Republik haben,
hat etwas mit dem endlich umfangreich vorhandenen Interesse an dem Thema der Vertreibung und der Bedeutung
zu tun, die das auch für die Geschichte dieser Republik
und für die persönliche Geschichte vieler Menschen hat.
Der Platz, den sie in der Geschichte haben, werden wir in
vielen Museen finden.
Das ist auch eine Antwort an Sie, Frau Steinbach. Wir
werden Sie nicht unterstützen, wenn Sie diese gigantische
zentrale Gedächtnisstätte in Berlin haben wollen. Das
Thema gehört woandershin. Hören Sie endlich auf, einzelne Menschen mit ihrem sehr schweren individuellen
Schicksal immer wieder in das Prokrustesbett einer Gruppenidentität regelrecht zu zwingen, die das innere Klima
in dieser Republik auf Dauer vergiften kann.
Danke.
({24})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Erika Steinbach.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir können miteinander feststellen - das
ist positiv -, dass sich zwischen den Staaten östlich und
südöstlich unserer Grenzen und unserem eigenen Land in
den vergangenen Jahren, innerhalb eines Jahrzehnts, unendlich vieles zum Positiven gewandelt hat. Es gibt inzwischen auf allen Ebenen sehr viel mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes,
({0})
auch zwischen den vertriebenen Deutschen und denen,
aus deren Ländern sie vertrieben worden sind.
Ich füge ausdrücklich hinzu: Die heutigen Regierungen in Polen, in Tschechien, in Ungarn und in anderen
Ländern sind keine Regierungen, die dafür verantwortlich
sind, dass es Vertreibungen gegeben hat. Aber es gibt
schon eine Verantwortung, Dinge aus den Gesetzeswerken zu eliminieren, die Vertreibung im Grunde genommen heute noch absegnen. Darum geht es letzten Endes.
({1})
Eine Demokratie kann doch nicht leben und fruchtbar in
der Zukunft wirken, wenn in ihren Gesetzeswerken Passagen enthalten sind, die Völkerrechtswidrigkeiten begründet haben und auch bis heute noch abdecken. Wenn
es bis zum heutigen Tage in der Tschechischen Republik
ein Amnestiegesetz gibt, das ausdrücklich Täter straffrei
stellt, die Frauen und Kinder erschlagen haben, dann ist
dessen Abschaffung eine Hausaufgabe, die in einem solchen Land erledigt werden muss.
({2})
Ich habe in Gesprächen in Prag und in Warschau festgestellt, dass die junge Generation in diesen Ländern sehr
offen mit dieser Thematik umgeht.
({3})
Mir hat ein junger tschechischer Student gesagt: Ich
möchte, dass meine Kinder wissen, dass hier Deutsche gelebt haben, ich möchte, dass meine Kinder wissen, dass
wir sie vertrieben haben, und ich möchte, dass wir dann
miteinander in Frieden leben.
Ich sage auch Folgendes ganz deutlich: Obwohl die
heutige Bundesregierung damit nichts zu tun hat, so ist es
doch die Verantwortung jeder demokratisch legitimierten
Bundesregierung in Deutschland, sich auch der finsteren
Teile der NS-Diktatur anzunehmen. So wie es zwingend
zu unserer deutschen Geschichte gehört, unsere eigene
finstere Vergangenheit aufzuarbeiten, so ist es auch eine
Aufgabe in unseren östlichen Nachbarländern, sich mit
der eigenen Vergangenheit so auseinander zu setzen, dass
daraus am Ende ein Friedenspotenzial geschaffen werden
kann.
Frau Kollegin Vollmer, Sie haben die Forderungen der
Sudetendeutschen an den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds eindringlich angesprochen. Es war doch eine
Aufforderung des Außenministers Fischer, dass die sudetendeutschen Sozialwerke Anträge stellen mögen.
({4})
Wenn dieser Aufforderung nachgekommen wird, dann
kann man doch eine Landsmannschaft nicht dafür verurteilen, dass ein solcher Appell umgesetzt wird. Da verstehe ich die Welt dann doch nicht mehr.
({5})
Wir sollten miteinander sehen, dass wir natürlicherweise die positiven Elemente, die es gibt, mehr hervorheben als das, was uns trennt.
({6})
Frau Kollegin, es ist
eine Kurzintervention. Ich weiß, das Thema ist schwierig.
Ich bedanke mich.
Aber das, was uns trennt, ist bei gutem Willen miteinander zu überwinden, auch mit den Vertriebenen. Die
Vertriebenen wollen das ja auch gemeinsam mit den
Nachbarstaaten überwinden.
({0})
Zu einer Erwiderung
gebe ich Kollegin Vollmer das Wort.
Frau Kollegin Steinbach, wenn Sie an die Amnestiegesetze erinnern, die niemand gutheißen kann, erinnere
ich zum Ersten an Folgendes: Solche Amnestiegesetze
gab es auch in Italien und in Österreich. Ich sehe nicht,
dass man diesen Ländern in Bezug auf die EU-Mitgliedschaft wegen dieser Sache Schwierigkeiten machen
würde. Insofern ist die Beschränkung der Debatte auf die
Tschechen immer sehr selektiv.
Zum Zweiten zu den Benes-Dekreten. Immer wieder
wird gefordert, dass die Benes-Dekrete aufgehoben werden. Die Benes-Dekrete - das sage ich jetzt nur für das Publikum, das dies nicht weiß - sind dicke Aktenbände. Das
heißt, das ist das ganze Gesetzeswerk, mit dem die tschechische Regierung ihre Identität im Londoner Exil belegt
hat. Sonst müsste sie sagen, dass ihre staatliche Identität
unter der deutschen Besatzung besteht. Das heißt, das hat
sehr identitätsstiftende, juristische, völkerrechtliche Konsequenzen. Also geht es nur um die Aufhebung einiger
weniger Dekrete.
Ich sage das, damit das einmal klar ist und damit Sie
auch begreifen, was Sie von den Tschechen fordern; denn
niemand würde von einem anderen Land fordern, dass es
seine zeitliche, historische Kontinuität aufgeben soll.
Was diese wenigen Dekrete betrifft, so hat es von der
tschechischen Regierung - vom Präsidenten Havel, vom
Ministerpräsidenten Zeman, von allen, die Sie genannt
haben - die Äußerung gegeben, dass sie die rechtliche
Wirkung dieser Gesetze aufheben und dass sie das alles
abgrundtief bedauern. Diese Äußerungen hat es immer
wieder gegeben. Deswegen sage ich: Sie wollen keine Lösung, sondern das Thema in der Diskussion halten. Das ist
der entscheidende Punkt.
({0})
Vollkommen unstatthaft ist es, für den Antrag, den Sie
an den Zukunftsfonds gestellt haben, Minister Fischer in
Anspruch zu nehmen. Sie sollten das nicht tun. Herr
Minister Fischer ist von Herrn Ministerpräsidenten
Stoiber mehrfach in Bezug auf diese Problematik angegangen worden. Er hat Ihnen nicht die Antwort gegeben,
die Angelegenheit positiv zu befürworten, sondern er hat
gesagt, wir hätten für solche Fragen mit dem Verwaltungsrat ein zuständiges Gremium. Damit hat er diese Angelegenheit nicht positiv beurteilt. Wenn Sie Herrn Minister Fischer selber fragen, werden Sie die entsprechende
Antwort bekommen.
Die Art und Weise, wie Sie immer wieder andere Menschen für Ihre Aktionen in Anspruch nehmen, ist unmöglich. Übrigens, Frau Steinbach: Ich finde es unglaublich,
dass Sie jemanden wie György Konrad für dieses gigantische Unternehmen eines Hauses der Vertriebenen mitten
im Zentrum von Berlin - am liebsten noch im Staatsratsgebäude - in Anspruch nehmen wollen. Das sollten Sie
wirklich lassen. Kämpfen Sie für sich selber, aber nehmen
Sie nicht Menschen wie György Konrad für sich in Anspruch!
({1})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Max Stadler.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Vollmer, Sie
haben vorhin in Ihrem Redebeitrag einen rhetorischen
Kunstgriff gebraucht, den ich nicht akzeptieren kann.
Vielleicht ist er Ihnen unbewusst unterlaufen, aber dann
möchte ich ihn trotzdem richtig stellen. Sie haben die Zuneigung von Bürgerinnen und Bürgern vieler Bundesländer, die Sie beispielhaft aufgeführt haben, zur Tschechischen Republik beschrieben, haben dann unter Ausklammerung der bayerischen Bevölkerung Bayern und die
bayerische Politik kritisiert
({0})
und dabei verschwiegen, dass die Politik der Bayerischen
Staatsregierung in dieser Frage keineswegs mit Bayern
schlechthin identisch ist. Das ist gegenüber der bayerischen Bevölkerung ungerecht.
({1})
Ich will versuchen, Ihnen aus der Perspektive eines
nahe der tschechischen Grenze Wohnenden einige Erfahrungen über die Entwicklung der nachbarschaftlichen
Beziehungen zu vermitteln. Dabei bitte ich Sie zunächst,
gemeinsam mit mir etwas Fantasie zu entwickeln. Stellen
wir uns vor, es gäbe in beiden Staaten plötzlich eine kollektive Amnesie, einen Gedächtnisverlust, und die Beziehungen würden gewissermaßen mit einer Stunde null völlig neu beginnen. Müssten wir dann den Stand dieser Beziehungen bewerten, würden wir sagen: Sie sind recht gut,
wenn auch vielleicht nicht problemlos. Die Probleme, mit
denen man konfrontiert wird - wie sie mir kürzlich bei einer Veranstaltung der Jungen Europäer, der Jugendorganisation der Europa-Union, vorgetragen wurden -, sind
eher solche des Alltags und das ist ein gutes Zeichen.
Zum Beispiel bewegt die Menschen jetzt, ob es wirklich notwendig ist, dass man bei einem Kurzbesuch in der
Tschechischen Republik eine Reisekrankenversicherung
nachweisen muss, weil ansonsten hohe Gebühren nachgezahlt werden müssten. Man wird beispielsweise auch
mit Problemen unserer Bürokratie konfrontiert. So müssen für einen Schüleraustausch von sieben Monaten
tschechische Schüler, die in Passau das Gymnasium besuchen, dreimal ein Visum beantragen, weil das Visum
jeweils nur für drei Monate erteilt wird. Auf diese Weise
entsteht diesen Schülern ein unnötiger Kosten- und Zeitaufwand für den von uns so sehr gewünschten Schüleraustausch.
Aus der Wirtschaft - man erfährt dies, wenn man sich
in Prag mit Deutschen unterhält, die sich dort wirtschaftlich engagieren - gehen die Klagen eher dahin, dass die
Bürokratie zu langsam arbeite und es zu lange dauere, bis
man erforderliche Genehmigungen erhalte. Dort bekommt dann die deutsche Beamtenschaft ungeahnterweise auch einmal eine Anerkennung von Deutschen, die
sehen, dass bei uns vieles besser funktioniert, als das im
Alltag gesehen wird.
Ich will damit sagen: Die Probleme jenseits der großen
Politik sind heute erfreulicherweise eher Alltagsprobleme. Ansonsten gibt es eine vielfältige Zusammenarbeit
etwa in den Euregiones oder der Dreiländergesellschaft.
Es gibt eine gemeinsame Journalistenausbildung, wissenschaftliche Zusammenarbeit, Schüler- und Studentenaustausch, Kulturaustausch, Städtepartnerschaften usw.
Ich stelle fest: Es gibt auf der tschechischen Seite eine
Gelassenheit gegenüber Ungeschicklichkeiten, die wir
begehen, die es vor zehn Jahren noch nicht gegeben hätte.
({2})
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir sind gerade dabei, das
Stiftungsgesetz zur Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter durch die parlamentarischen
Gremien zu bringen. Dabei hat es die Bundesregierung in
ihrem Entwurf fertig gebracht, Folgendes für das Kuratorium vorzusehen: Es wird ein Kuratorium für diese Stiftung geben, das die Auszahlung der Gelder an die
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter überwacht und
den Zukunftsfonds, den es auch dort geben wird, in Gang
setzt. In diesem Kuratorium gibt es selbstverständlich
auch Vertreter der betroffenen Länder, also der USA und
Israels und unter anderem auch der Tschechischen Republik. Es ist ein Kuratorium mit insgesamt 20 Sitzen.
Die Bundesregierung hat es in beispielloser Ungeschicklichkeit geschafft, in den Absatz 2 hineinzuschreiben, dass das Kuratorium nach vier Jahren verkleinert
wird - da will man wohl ein wenig Bewirtungs- und
Reisespesen einsparen - und dass nach vier Jahren der
Vertreter der Tschechischen Republik diesem Kuratorium
nicht mehr angehören wird, sehr wohl aber der Vertreter
Polens, der Ukraine und anderer Staaten. Wie man das irgendjemandem erklären soll, ist mir verborgen geblieben.
Als Parlamentarier haben wir jetzt die Aufgabe, dies wieder auszubügeln.
Sie werden verstehen, dass das in Prag sehr wohl registriert wird. Dort fragt man sich, was das soll. Es gibt
aber nicht mehr wie früher eine große öffentliche Aufgeregtheit. Das ist der Unterschied, den ich darstellen
wollte, um zu zeigen, dass wir auf dem Weg zu einer
Normalisierung sind.
Es wäre aber selbstverständlich ahistorisch - ich
möchte dafür nicht plädieren -, wenn man die Vergangenheit völlig außer Betracht lassen würde. Die Aufgabe,
die jetzt vor allem vor uns liegt, ist die, die der deutschtschechische Zukunftsfonds zu bewältigen hat. Man muss
tausend Blumen blühen lassen. Man muss die nachbarschaftlichen Beziehungen auf ein solides Alltagsfundament stellen.
({3})
Dann hat die große Politik die Chance, auf diesem Fundament das Ihre beizutragen. Dazu gehört selbstverständlich der Beitritt der Tschechischen Republik zur EU, den
wir ohne Wenn und Aber befürworten - hier stimme ich
Ihnen zu, Frau Vollmer - und den wir nicht in multilateralen Verhandlungen an Bedingungen knüpfen dürfen, die
Sache bilateraler Verhandlungen sind.
Meine Damen und Herren, wenn sich das alles weiterentwickelt hat, wenn die Tschechische Republik Mitglied
der Europäischen Union ist, was - wie Herr Koschyk zu
Recht gesagt hat - wegen der Freizügigkeit und der
Niederlassungsfreiheit, die eines Tages kommen werden,
im Interesse der Vertriebenen ist, und wenn sich der Diskussionsprozess insbsesondere bei den jungen Leuten in
Tschechien, den die Redner der Union heute geschildert
haben, fortentwickelt, dann werden eines Tages Probleme
gelöst werden, deren Lösung uns heute noch weit entfernt
scheint.
({4})
Meine Damen und Herren, deswegen ist es die Politik
der F.D.P., diesen Prozess in der Tschechischen Republik
mit Geduld - diese Geduld erbitten wir auch von den Vertriebenen und ihren Verbänden - zu fördern. Es ist klug,
dies zu tun. Es ist unklug, diesen Prozess zu behindern.
({5})
Für die Fraktion der
PDS spricht der Kollege Dr. Heinrich Fink.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der
Fraktion der CDU/CSU unter der Überschrift „Versöhnung durch Ächtung von Vertreibung“ bedeutet für mich
einen unverständlichen Schritt hinter die Deutsch-Tschechische Erklärung zurück und erst recht zurück hinter die
Feststellung von Bundeskanzler Schröder und Ministerpräsident Zeman vom 8. März 1999.
({0})
In den Jahren von 1938 bis 1945, der deutschen Okkupation der damaligen Tschechoslowakischen Republik,
wurden permanent Vertreibung und Selektion von Bürgern des Landes durch deutsche Besatzungsbehörden unter rassistischem Verdikt wie Juden und Slawen vorgenommen. Außerdem wurden Tausende als Zwangsarbeiter nach Deutschland getrieben. Darum finde ich es eine
sehr merkwürdige und eigenwillige Geschichtsbetrachtung, wenn nun die Ächtung der Vertreibung von
Deutschen zur Voraussetzung für Versöhnung gemacht
wird.
Der Begriff Versöhnung hat nach wie vor biblischreligiöse Wurzeln und setzt Schuldanerkenntnis und
Schuldbekenntnis voraus. Da aber die Deutschen erst
nach der Befreiung von der deutschen Zwangsherrschaft
aus dem Protektorat Böhmen und Mähren vertrieben
worden sind, ist diese Vertreibung als eine bittere Folgeerscheinung unendlicher Untaten durch das deutsche faschistische Regime zu verstehen.
({1})
Die Vertreibung der Sudetendeutschen kann darum nicht
aus dem Zusammenhang gelöst werden, den ich mit den
Namen Theresienstadt und Lidice andeuten möchte. Dies
stellt die Versöhnung in den Zusammenhang der historischen Ereignisse. Die Opfer versöhnen sich mit den Tätern, die als Folge des gescheiterten deutschen Eroberungsfeldzuges nun selber zu Opfern wurden.
Wenn deutsche Vertriebene Entschädigungsansprüche
stellen, dann gehört es für mich zu den biblischen Bedingungen für Versöhnung, dass es um die Ansprüche aller
gehen muss, die an einem Versöhnungsprozess beteiligt
werden müssen, also auch um die Ansprüche der noch Lebenden, die sieben Jahre Ausplünderung ihrer Wirtschaft
und Kultur, die millionenfache Zerstörung von Lebensläufen miterleben mussten, weil die deutschen Herrenmenschen sie zu Untermenschen degradiert hatten.
Für mich ist die deutsch-tschechische Bekundung vom
8. März 1999, in der beide Regierungen feststellen, „weder heute“ noch „in Zukunft“ Vermögensfragen in diesem
Zusammenhang aufzuwerfen, ein unwahrscheinlich großzügiges Angebot der tschechischen Seite. Die im Juli
1945 erlassenen Benes-Dekrete gelten danach als erloschen. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass sich
dieses Gesetz der Benes-Regierung in erster Linie gegen
tschechische Kollaborateure gerichtet hat, die mit jahrelangem Gefängnis und Entzug ihres Vermögens bestraft
wurden.
Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass es in
Punkt 1.2 des Benes-Dekrets heißt:
Personen deutscher oder magyarischer Nationalität,
die sich aktiv am Kampfe für die Wahrung der Integrität und die Befreiung der Tschechoslowakischen
Republik beteiligt haben, wird das … Vermögen
nach Absatz 1 nicht konfisziert.
Es ist deutlich geworden, dass heute auch das Europäische Parlament die Klärung der Fragen, die im Zusammenhang mit der Vertreibung der Sudetendeutschen nach
der Befreiung des Protektorats Böhmen und Mähren von
der deutschen Okkupation entstanden sind, als wichtigen
Schritt, nahezu als Bedingung für den Beitritt der Tschechischen Republik zur EU wertet. Ich frage nun, wieso der
damalige Beitritt Deutschlands zur EU nicht von der Bedingung abhängig gemacht wurde, zuerst die ausstehenden Lohnzahlungen an die europäischen Bürger zu leisten, die während der NS-Zeit zur Zwangsarbeit nach
Deutschland verschleppt worden waren.
({2})
Im Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen heißt es, dass beide Staaten ihre Beziehungen
„nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden“. Wäre es
deshalb nicht wichtig, Gelegenheiten zu suchen, bei denen zwischen Deutschland und Tschechien ausdrücklich
Fragen der Vergangenheit behandelt werden sollten, die
unausgesprochen auf den politischen Beziehungen lasten,
weil zum Beispiel wieder aufkommende neofaschistische
Positionen alte Narben schmerzen lassen?
Weil es für die Fraktion der PDS nur um eine konstruktive Weiterentwicklung der deutsch-tschechischen
Beziehungen gehen kann, lehnen wir den CDU/CSU-Antrag ab und stimmen für den Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen.
({3})
Für die Bundesregierung spricht der Staatsminister im Auswärtigen Amt,
Dr. Christoph Zöpel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn feststellen, dass
sich die Bundesregierung nicht vorstellen kann, wer einen
Nutzen von der Annahme des Antrags der CDU/CSU haben könnte. Mir fällt kein Nutzen ein.
({0})
- Herr Hintze, allein dieser Zwischenruf zeigt, dass man
über den Charakter Ihrer Beiträge nachdenklich werden
muss.
({1})
Die Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen
ist aus vielfältigen Gründen eindeutig schwieriger als die
mit anderen Nachbarn in Osteuropa, zum Beispiel Polen.
Bundesregierungen, vor allem die letzte, haben - vor allem mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung - Wesentliches geleistet, um auf diesem Gebiet weiterzukommen.
Es war ein hartes Stück Arbeit, das von vielen vieles verlangt hat, sowohl von Menschen in Tschechien als auch
von Menschen in Deutschland. Die Arbeit hat zu einem
Ergebnis geführt: Es sind Gremien und finanzielle Möglichkeiten - darauf komme ich gleich zurück - geschaffen
worden.
Die jetzige Bundesregierung bemüht sich mit der notwendigen Sensibilität und immer unter der Maßgabe, niemandem zu schaden, das Erreichte weiterzuentwickeln.
Das, was Bundeskanzler Schröder und Ministerpräsident
Zeman über die Fortgeltung bestimmter Dekrete und über
Vermögensansprüche gesagt haben, war eine Weiterentwicklung, die hilft und trägt. Für die kommenden Monate
und Jahre sollten wir es dabei belassen.
Das, was Sie, Frau Kollegin Vollmer, über die Reaktionen in Tschechien auf den Antrag der CDU/CSU ausgeführt haben, ist Realität. In einem sensiblen Verhältnis
ist es wichtiger, die in den Reaktionen zum Ausdruck
gebrachten Ängste aufzunehmen, die für die weitere Entwicklung schädlich sein könnten, und keine noch so klugen und nach dem Maßstab des Völkerrechts nicht von
vornherein falschen Überlegungen in aktuelle Bundestagsresolutionen zu gießen. Da liegt das Problem.
({2})
Ich bin mir nicht sicher, ob bei der Abfassung eines solchen Antrags immer über die Wirkungen auf Deutsch
sprechende Menschen in Tschechien nachgedacht wurde.
Es ist offen, zu welcher Nation diese Menschen gehören,
wenn sie etwa in Brünn leben. Gerade wenn die Gefühle
und das Denken von deutschen Staatsangehörigen, die
ehemals in Tschechien gelebt haben, berücksichtigt werden - was erlaubt ist, Frau Kollegin Steinbach; darauf lege
ich als in Gleiwitz geborener Deutscher Wert -, muss man
darüber nachdenken, was das für deutschsprachige Menschen bedeutet, die noch heute in Tschechien wohnen.
Unsere Bewertung lautet: Sie hätten länger nachdenken sollen, bevor Sie einen solchen Antrag einbringen. Sie
wissen, dass er in Tschechien keine Wirkung erzielen
wird; stattdessen hat er dort Ängste und Schwierigkeiten
ausgelöst. Es ist kein guter Beitrag.
Das alles geschieht - daran sollten Sie sich erinnern nach den Wellen, die ein entsprechender Antrag in der
letzten Legislaturperiode in Polen ausgelöst hat. Mit welchem Engagement musste die hochverehrte Präsidentin
der letzten Legislaturperiode, Frau Professor Süssmuth,
in Polen die Ängste und die Gefühle besänftigen, die ein
solcher Antrag ausgelöst hatte. Hierin liegt das Problem.
Die Bundesregierung ist dafür dankbar, dass SPD und
Bündnis 90/Die Grünen ihren Antrag, der der parlamentarisch notwendigen Bewertung der tschechisch-deutschen Versöhnung entspricht, gestellt haben und dass er
angesichts der Mehrheitsverhältnisse mutmaßlich verabschiedet wird.
Wir sind in jeder Beziehung bemüht, das weiterzuentwickeln, was die vorige Bundesregierung mit der
Deutsch-Tschechischen Erklärung erreicht hat. Ich will
das würdigen. Sie hat unter schwierigen Bedingungen viel
erreicht. Herr Kollege Hintze, Sie nicken jetzt. Ich halte
das für eine angemessene Reaktion in diesem sensiblen
Bereich. Für manche Zwischenrufe gilt das nicht.
Wir entwickeln das Erreichte weiter. Wir verfolgen das
Ziel, das Verhältnis zwischen Tschechien und Deutschland auf eine breitere Basis zu stellen. Das ist besser, als
den Fokus sehr stark auf das Verhältnis von Tschechen
und ehemals in Tschechien lebenden Menschen, die heute
überwiegend in Bayern leben und sich Sudetendeutsche
nennen, zu lenken.
Ich bin ausgesprochen dankbar dafür, dass ich mit dem
Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft,
mit Herrn Landtagspräsidenten Böhm, in angemessener
Form darüber sprechen konnte, die Gremien der
deutsch-tschechischen Zusammenarbeit etwas zu „vernorddeutschen“. Auch das Verhältnis Westdeutschlands
zu Tschechien ist wichtig. Ich denke jetzt nicht an die Unterscheidung zwischen „Ossis“ und „Wessis“, sondern an
die Heimat von Karl Lamers.
({3})
- Herr Stadler, Sie haben ein Recht, dass ich auf diesen
Zwischenruf eingehe. Jede Regierung handelt nach dem
Gesichtspunkt, wie die Repräsentanz der hier besonders
berührten Bevölkerung berücksichtigt werden kann. Die
jetzige handelt dabei aber ebenso wie die vorherige
gemäß den Mehrheiten in diesem Haus.
({4})
Soweit Parteien vertreten sind, wurden erstmals alle Parteien berücksichtigt. Die Rolle der CSU als eigene Partei
wurde dabei von uns gewürdigt. Das zeugt von unserem
Respekt vor Bayern, Herr Kollege Schmidt.
Mir war wichtig, an dieser Stelle meinen Respekt vor
Herrn Landtagspräsidenten Böhm auszudrücken, mit dem
man das besprechen konnte.
Wir werden das sensibel weiterentwickeln und hoffen,
dass wir in dem schwierigen Verhältnis Akzente setzen
können, um offener über die noch auf beiden Seiten mit
hoher Emotionalität belasteten Themen reden zu können.
Das ist viel schwieriger, als ich es mir vorgestellt hatte,
nachdem mir zum ersten Mal die Aufgabe zukam, das Gesprächsforum zu leiten. Manche Klischees machen das
kompliziert. Wir werden unsere Bemühungen in ganz sensibler Weise fortsetzen.
Jetzt komme ich, da aus meiner Sicht die Debatte zu
keinen Ergebnissen führt, wenn man nicht über konkretes
Handeln spricht, auf den Antrag an den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, gegebenenfalls auch in Härtefällen Hilfen an Sudetendeutsche zu leisten, zu sprechen. In der Tat ist dieser Gedanke nicht neu. Er ist in diesem Gremium besprochen worden, auch schon zu der
Zeit, als mein Vorgänger, der heutige EU-Kommissar
Verheugen, seitens der Bundesregierung hierfür verantwortlich war. Ich stelle ausdrücklich fest: Über dieses Anliegen Sudetendeutscher zu sprechen ist ohne jeden Zweifel kein leeres Gerede. Man darf in einer Demokratie über
alles reden, was nicht gegen die Verfassung verstößt.
Es ist auch richtig, dass Herr Ministerpräsident Stoiber
Herrn Bundesminister Fischer diesbezüglich geschrieben
hat. Es ist richtig, dass Herr Bundesminister Fischer Herrn
Ministerpräsidenten Stoiber geantwortet hat. Er hat geantwortet:
Ich rege daher an, dass, wie in allen anderen Fällen
auch, zunächst einmal ein Projektvorschlag beim
Fonds vorgelegt wird, der das von Ihnen angeregte
Sozialwerk hinsichtlich Kriterien, Kreis der Betroffenen, Umfang konkretisiert. Ich bin sicher, dass der
Fonds auf dieser Grundlage und im Rahmen seiner
Möglichkeiten eine verantwortliche Entscheidung
im gemeinsamen Interesse beider Länder treffen
wird, falls er es für notwendig erachtet, auch im Kontakt mit den Regierungen.
Die Mitglieder des Fonds haben es für notwendig erachtet, diesen Kontakt mit den Regierungen aufzunehmen. Im Kontakt mit den Mitgliedern des Fonds ist die
Bundesregierung, die sich dabei wieder eng mit der tschechischen Regierung abgestimmt hat, zu der Auffassung
gelangt, dass sie diesen konkreten Antrag nicht für nützlich hält. Ohne irgendjemanden in Anspruch zu nehmen:
Ich habe mich auch mit Repräsentanten unseres politischen Systems außerhalb der Bundesregierung beraten,
die mir darin zugestimmt haben, dass dieser Antrag nicht
nützlich ist. Das haben wir dem Verwaltungsrat des Fonds
gegenüber zum Ausdruck gebracht und den Fonds gebeten, diesen Antrag nicht zu behandeln und ihm nicht zuzustimmen. Der Fonds ist dieser Bitte der beteiligten Regierungen nachgekommen. Ich möchte an dieser Stelle
ausdrücklich Herrn Gabert danken, mit dem ich darüber
diskutiert habe und der sich dieser Linie entsprechend
verhalten hat. Das ist jetzt der Stand.
Das weitere Vorgehen der Bundesregierung - ich wiederhole an dieser Stelle, was bekannt ist - wird so aussehen, dass sie mit Repräsentanten sudetendeutscher Verbände hierüber sprechen wird.
({5})
Ich wiederhole, dass ich - das habe ich Herrn Ministerpräsidenten Stoiber, als ich ihn in einem anderen Zusammenhang traf, gesagt - auch mit der Bayerischen Staatsregierung darüber sprechen werde.
Wir haben einen Maßstab, den ich hier expliziert habe:
Wir können über einen solchen Antrag nur sprechen,
wenn dessen öffentliche und verfahrensmäßige Behandlung nicht zu Irritationen im tschechisch-deutschen Verhältnis führt.
({6})
Dazu ist es sinnvoll, verschiedene Stimmen aufzunehmen, die es in Tschechien dazu gibt. Dazu ist es sinnvoll,
sich mit der tschechischen Regierung eng abzustimmen.
Ich bin Herrn Botschafter Cerny dankbar dafür, dass er
mir gesagt hat, die tschechische Regierung sei dazu bereit.
Das ist die Position, die wir heute haben. Wir werden
sie jetzt umsetzen.
Jeder - das will ich an dieser Stelle sagen -, der über
das Verhältnis Deutschlands zu Tschechien spricht, wo
auch immer, hier in diesem Hause, auf Verbandstagen, auf
Parteitagen, auf für die Parteien relevanten Kundgebungen - es ist immer legitim, dass man Kundgebungen
durchführt, die dazu beitragen, dass man Stimmen gewinnt; davon lebt die Demokratie, das soll man nicht verächtlich machen -, sollte auf dieses sensible Verhältnis
Rücksicht nehmen; denn je lauter man spricht, umso weniger wird von dem erreicht, was man will. Das weiß man
auch. Das ist meine herzliche Bitte. Das gilt auch für den
Verbandstag der Sudetendeutschen.
Eine letzte Bemerkung: Wir brauchen ein neues Verhältnis zur Identität von Menschen und auch zur Identität
der Vorfahren dieser Menschen.
Ich mache eine persönliche Schlussbemerkung: Ich
habe erwähnt, dass ich in Gleiwitz geboren bin. Aus Gründen, die ich nicht mehr kenne, weil ich damals sehr jung
war, haben meine Eltern den Eindruck gehabt, mit Vertriebenenverbänden zusammenzuwirken sei sinnlos und
bringe nichts. Ich fand das sehr gescheit, ich habe das selber nie gemacht, habe auch vieles nicht begriffen, was
diese Verbände tun. Zu meinem politischen Weg gehört,
dass ich unter den kritischen Augen Herbert Wehners für
die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestritten habe.
Aber dass ich damit zu meiner Identität und der meiner
Familie zähle, dass es die Stadt Gleiwitz gibt, die der Stadt
Herne verdammt ähnlich sieht, wenn man hindurchgeht
({7})
- Frau Kollegin, Sie stammen auch aus dieser schönen
Stadt -, das alles bleibt eine Tatsache und das lässt sich
nicht wegdiskutieren.
Die Lösung ist mir seit dem Geschichtsunterricht bekannt und sie beginnt, sich zu erfüllen. Wir hatten einen
offenkundig weitsichtigen Deutschlehrer, der 1956, also
vor Gründung der EU, von einem deutsch-polnischen
Kondominium sprach. 1956! Die EU ist die Verwirklichung dieser Idee.
({8})
Ich glaube, für all das, was wir hier diskutieren - deshalb hat auch die Entschließung des Europäischen Parlaments eine ganz andere Funktion, als wenn dies der
Deutsche Bundestag täte -, ist es notwendig, dass Deutsche und Tschechen und Polen und Österreicher und
Ungarn und Slowenen und Slowaken - es ist jetzt fast
vollzählig, aber auch die anderen sind mit gemeint - ihr
Verhältnis zueinander unter einem gemeinsamen Rechtssystem regeln, an dem sie mitwirken.
Ich kann mir vorstellen, dass Entschließungen des Europäischen Parlaments, bei deren Diskussion tschechische Abgeordnete mitwirken konnten, vielleicht zu Ergebnissen kommen, die in einer historischen Bewertung
des Völkerrechts dem nahe kommen, was heute hier von
Ihnen formuliert wird. Aber es ist etwas völlig anderes, ob
das heute in einer vom Effekt her nutzlosen Weise der
Deutsche Bundestag formuliert oder ein europäisches
Parlament unter Mitwirkung tschechischer Abgeordneter.
Das sind die Chancen, die Europa bietet.
Für mich ist die europäische Gesamtintegration, die
Einbeziehung Polens, Tschechiens, der Slowakei und anderer Länder, der einzige Weg aus all dem Unheil, das im
Osten Europas etwa seit den Kriegen, die Friedrich der
Große und Maria Theresia geführt haben, entstand, das
über die Teilung Polens weiterging und dann zu vielerlei
Unrecht führte. Keines kann durch das andere aufgewogen und keines durch das andere relativiert werden. Das
geht nicht. Vielleicht ist das deutsche, systematisch an Juden begangene Unrecht das einzige, das unvergleichlich
unerträglich ist. Aber alles andere kann nicht aufgewogen
und nicht relativiert werden.
Die europäische Gesamtintegration ist der einzige
Weg, dieses Unheil zu überwinden. Bis dahin sollte man
sich zurückhalten, vorsichtig sein, leise reden, Fehler vermeiden, sensibel bleiben. Das ist meine Bitte.
Herzlichen Dank.
({9})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, das ist eine schwierige Materie und der amtierende Präsident greift auch nicht gern ein, wenn Regierungsvertreter sprechen. Aber es erleichtert natürlich die
parlamentarischen Abläufe, wenn die angemeldeten Redezeiten einigermaßen eingehalten werden und nicht die
doppelte oder dreifache Redezeit in Anspruch genommen
wird. Das ergibt auch immer ein Problem für die betroffene Fraktion. Ich wollte nach den gestern gemachten Erfahrungen - jeder weiß, worum es geht - darauf noch einmal hingewiesen haben.
Nun gebe ich das Wort der Kollegin Katherina Reiche
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In dieser Debatte beschäftigen
wir uns mit dem immer engeren Zusammenwachsen zwischen Deutschland und unseren osteuropäischen Nachbarn. Lassen Sie mich zu Beginn eines ganz deutlich unterstreichen: Die CDU/CSU war, ist und bleibt ein verlässlicher Partner unserer Nachbarn Polen und Tschechien
auf ihrem Weg in die Europäische Union.
({0})
Es gibt für uns kein Junktim zwischen historischen Fragen und dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen
Staaten, den wir voll und ganz unterstützen.
Die Erweiterung der Europäischen Union ist eine
historische, wirtschaftliche, politische und kulturelle Notwendigkeit. Die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten ist zudem moralische Verpflichtung; denn
ohne den Mut der Menschen in Polen, Ungarn und Tschechien wäre der Eiserne Vorhang des Kommunismus nicht
gefallen. Ebenso wie die Menschen in den neuen Ländern
trugen sie dazu bei, dass Freiheit und Demokratie in Osteuropa Einzug hielten.
Polen und Tschechien gehören so selbstverständlich
wie jedes der heutigen Mitglieder der EU zu einem vereinten Europa. Dass es bei Vereinigungsprozessen auch
Umwege und Sackgassen gibt, damit haben wir Deutschen in den letzten Jahren viele Erfahrungen gemacht.
Als Abgeordnete aus Brandenburg bin ich seit nunmehr
zehn Jahren Zeugin eines Einigungsprozesses, der Wiedervereinigung Deutschlands. Es gibt Stimmen, die sagen, die Wiedervereinigung Deutschlands sei nicht vergleichbar mit der Osterweiterung der Europäischen
Union. Diesen Stimmen widerspreche ich mit aller Deutlichkeit. Die Integration unserer osteuropäischen Nachbarn verstehe ich als die Wiedervereinigung Europas, das
ein Europa der Menschenwürde, der Freiheit und des
Rechts sein wird. Alle postkommunistischen Reformländer haben ihre Transformation an der freiheitlichen Verfassung und an einer aktiven Bürgergesellschaft orientiert. Mit Mut und Entschlossenheit setzen sich die Menschen in Osteuropa dafür ein, dass unser Kontinent von
Frieden, Demokratie und Prosperität geprägt ist. Dafür
schulden wir diesen Ländern Dank.
Die Wiedervereinigung Deutschlands und Europas
sind also vergleichbare Prozesse und die Menschen in
Ostdeutschland sind in beiden Fällen geographisch und
historisch unmittelbar betroffen. Mein Kollege Günter
Nooke hat an anderer Stelle betont, dass die Ostdeutschen
deshalb mit ihren speziellen Erfahrungen mit einer kommunistischen Diktatur und einer friedlichen Revolution
ein wichtiger Ratgeber für die europäische Integration
sein können. Es sind diese Erfahrungen, die im Wesentlichen in den vorliegenden Antrag eingeflossen sind.
Die wichtigste dieser Erfahrungen war und ist für mich
die Bedeutung, sich der eigenen Geschichte mit all ihren
Facetten offen und ehrlich zu stellen. Wenn durch politische Diktaturen getrennte Menschen nach langer Zeit
wieder zusammenfinden sollen, kann es keinen Platz für
Tabus und weiße Flecken in der Geschichtswahrnehmung
geben. Vielmehr müssen wir lernen, uns mit bis dato tabuisierten Themen auseinander zu setzen.
Die Ostdeutschen mussten zum Beispiel lernen, dass
die Verbrechen des Nationalsozialismus auch Teil ihrer
Geschichte sind und dass ihnen daraus eine historische
Verantwortung erwächst. Der Mythos des DDR-Antifaschismus hatte jahrzehntelang propagiert, die Aufarbeitung und die Übernahme von Verantwortung für die
schrecklichen Folgen des Nationalsozialismus seien eine
rein westdeutsche Angelegenheit und somit sei auch nur
von Westdeutschen die politische Verantwortung für diese
Zeit zu übernehmen. Wir Ostdeutschen lernen, dass auch
wir uns der Verantwortung aus der Geschichte stellen
müssen. Das ist nicht leicht, aber notwendig.
Auch die geschichtliche Aufarbeitung der zweiten Diktatur auf deutschem Boden im letzten Jahrhundert stellt
ganz Deutschland vor große Herausforderungen. Ich setze
mich für eine tiefe und in der Öffentlichkeit geführte
Diskussion über die Zeit der SED-Diktatur ein. Denn nur,
wenn sie glaubwürdig geführt wird, trägt sie zur inneren
Einheit bei.
Damit sich Ost- und Westdeutsche, aber auch Ostdeutsche untereinander wieder ohne Misstrauen begegnen
können, gehört die Aufklärung über die Verbrechen der
SED-Diktatur in jeden historischen Lehrplan.
({1})
Joachim Gauck hat kürzlich noch einmal den Grundsatz
betont, dass der Anspruch der Opfer auf Aufklärung Vorrang vor den Persönlichkeitsrechten der Täter habe. Aufklärung und das Beim-Namen-Nennen von Verbrechen
bedeuten den Opfern mehr als die Bestrafung der Täter.
Dieser Ansatz des offenen und selbstkritischen Umgangs mit der eigenen Geschichte ist es, den wir mit unserem Antrag fördern wollen. Die millionenfache Vertreibung und das unbeschreibbare Leid der Deutschen aus
Osteuropa sind Teil der polnischen und tschechischen
Geschichte. Die Vertreibung war in Ostdeutschland vor
1989 ein Tabu. Das darf sie nicht wieder werden - wissen
wir heute doch, dass auch Millionen Polen ihre Heimat im
Osten Polens verloren haben. Wir alle, Polen und Tschechen ebenso wie Deutsche und deutsche Vertriebene, dürfen nicht vergessen. Nur dann können wir uns wirklich
verstehen und das müssen wir auch wollen. Dazu müssen
alle Beteiligten aufeinander zugehen.
({2})
Wenn es einzelne unakzeptable Äußerungen die Aufarbeitung der Geschichte der Vertreibung betreffend gibt,
sollten diese Äußerungen von den Vertriebenenverbänden
öffentlich überdacht und klargestellt werden. Das trägt zur
Glaubwürdigkeit des Anliegens der Verbände bei. Polen
und Tschechen sollten positive Initiativen von Vertriebenenorganisationen anerkennen.
Ich möchte es nicht versäumen anzusprechen, dass hier
meiner Meinung nach zwischen der Republik Polen und
der Tschechischen Republik zu unterscheiden ist. Die
deutsche Minderheit in Polen ist anerkannt. Sie ist sowohl
politisch als auch gesellschaftlich integriert. Auch die
Vertreibung von Deutschen aus Polen wurde immer wieder mit tiefem Bedauern von hochrangigen polnischen
Persönlichkeiten thematisiert - so von der polnischen
Bischofskonferenz 1952 und 1995 vom damaligen polnischen Außenminister Bartoszewski. Im Gegensatz dazu
lastet das Festhalten der tschechischen Regierung an den
Benes-Dekreten schwer auf den Beziehungen zu Deutschland.
Das Aufeinanderzugehen gilt vor allem für die junge
Generation, die das Europa dieses Jahrhunderts gestalten
wird. Es bedarf geeigneter Foren, um sich diesem Kampf
gemeinsam zu widmen und das Aufeinanderzugehen im
historischen Zusammenhang im Bewusstsein der jungen
Generation in Deutschland sowie in Polen und Tschechien
zu verankern. Dazu können die Vertriebenen durch die
Vermittlung ihrer Erfahrungen einen wertvollen Beitrag
leisten. Denn das Thema der Vertreibung ist in seiner
ganzen europäischen Dimension auch in Deutschland
längst nicht überall bekannt. Der Verlust der Heimat von
Millionen Polen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
ist bei vielen Deutschen ein ebenso unbekanntes Faktum
wie bei vielen Polen die Tatsache, dass die Vertreibung
der Deutschen weit vor der Potsdamer Konferenz im August 1945 begann.
Was können geeignete Foren bzw. Orte der Diskussion sowie des Zusammenkommens sein? Zum Beispiel
könnte das Deutsch-Polnische Jugendwerk bei seinen
Fahrten und Seminaren durchaus auf das Thema der
Vertreibung eingehen. Mit der zusammen mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der polnischen Zeitung
„Rzeczpospolita“ gestarteten Initiative des Institutes
IZOP, die sich zum Ziel gesetzt hat, junge Polen und junge
Deutsche zusammenzubringen, könnte auch hier ein Beitrag geleistet werden. An der Viadrina, am Center for Advanced Central European Studies, ist eine Studie mit dem
Titel „Im Jahrhundert der Flüchtlinge - Umsiedlung und
Vertreibung im Gedächtnis der europäischen Völker“
durchgeführt worden. Auch die Ergebnisse dieser Studie
sollten in die breite Öffentlichkeit getragen werden.
Meine Damen und Herren, als Ostdeutsche habe ich
gelernt, zwischen der inneren und der äußeren Einheit
zu differenzieren. Die deutsche Einheit ist äußerlich
längst geglückt und im Inneren nach vielen - auch
schmerzlichen - Erfahrungen auf einem guten Weg. Die
äußere Einheit Europas, insbesondere die Integration unserer osteuropäischen Nachbarn, ist für uns alle eine aktuelle Aufgabe. Das Zusammenwachsen Europas nach innen wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Es gilt, noch eine
Vielzahl gegenseitiger Ängste abzubauen. So besteht in
Deutschland eine diffuse Angst vor einer möglichen
Schwemme von billigen Arbeitskräften. Die Polen hingegen befürchten einen Ausverkauf von Land und Gut durch
Deutsche.
Die Zukunft - davon bin ich überzeugt - wird diese
Ängste abbauen. Die Zukunft können wir jedoch nur gestalten, wenn wir miteinander sprechen, und zwar über
Erfolge, Ängste und auch über das Unrecht der Vertreibung. Solange aber historische Tabus bestehen bleiben,
wird das Misstrauen von Generation zu Generation weitergegeben. Die Generation, die die kommunistische Diktatur friedlich besiegte, hat die einmalige Chance, dieses
Misstrauen durch Offenheit und Selbstkritik zu überwinden. Meine Erfahrungen mit jungen Menschen in Polen
und Deutschland geben mir dafür sehr viel Zuversicht.
Der Staat, so Joachim Gauck kürzlich, muss der Versöhnung dienen, aber er kann sie nicht machen. Das bleibt
den Menschen in Polen, Tschechien und Deutschland
überlassen. Dazu soll unser Antrag einen Beitrag leisten.
({3})
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Gert Weisskirchen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gern
eine Bemerkung zu dem Begriff machen, den drei Kolleginnen und Kollegen - die eine indirekt, die beiden anderen direkt - gebraucht haben, und zwar zu dem Begriff der
Identität. Ich sage das als Westdeutscher; ich bin nicht in
Osteuropa oder in Mittelosteuropa geboren.
Ich finde, dass Konrad György an diesem Punkt völlig
Recht hat. Er hat gesagt: Wenn ich den Begriff „Identität“
höre, dann erschrecke ich. - Warum sagt er das? Weil der
Begriff der Identität so eng an nationale Perzeptionen, an
Bilder, die mit Staaten zusammenhängen, gebunden wird.
Zu viel psychische Aufgeladenheit durch die schwierige
individuelle Geschichte, die hinter uns liegt, könnte die
Folge sein.
Ich meine, wir sollten mit diesem Begriff vorsichtig
sein und darüber nachdenken, liebe Frau Steinbach - sie
ist jetzt nicht mehr da -, ob wir im Zusammenhang mit
Identität nicht auch über Vaclav Havel reden sollten, der
an der Universität in Regensburg gesagt hat: Ich verurteile
die Vertreibung. - Diese Aussage ist sehr klar, sehr präzise, sehr deutlich. Sie erinnert daran, dass es Trauerarbeit
gibt, die selbst in Angriff genommen und selbst bewältigt
werden muss.
Ich finde, dass es wichtig ist - da stimme ich Staatsminister Zöpel völlig zu -, an dem Ziel festzuhalten, das die
Vorgängerregierung gesetzt hat. Lieber Kollege Lamers,
ich fand die Deutsch-Tschechische Erklärung damals
wirklich ermutigend, mit der Sie Vertrauen zwischen
Menschen und zwischen Staaten geschaffen haben. Das
ist das Wichtigste, um das es geht. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich bitte darum, dass wir an diesem wichtigsten
Ziel festhalten.
({0})
Wenn man Vertrauen schaffen will, dann darf man
nicht rückwärts gewandt an utopischen Verankerungen
festhalten, Frau Steinbach, was manche Vertriebenenverbände manchmal tun - Sie gestatten diese Kritik -, sondern man muss nach vorne gerichtet die Realität so gestalten, dass Vertrauen zwischen Menschen, zwischen
Gruppen und zwischen Staaten möglich wird. Die wichtigste Aufgabe, die wir als Politiker zu erfüllen haben, ist,
Vertrauen zu schaffen, damit das, was in der Vergangenheit geschehen ist - es war schrecklich genug -, nie wieder geschehen kann. Deswegen bitte ich darum, dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen und den
Antrag der CDU/CSU abzulehnen. Meine Fraktion wird
das jedenfalls tun.
Ich bin von Petr Uhl ermutigt worden, einem guten alten Freund, den ich seit 1983 kenne. Er hat gesagt: Neben
der Schaffung von Vertrauen kommt es darauf an, Modelle der Versöhnung zu entwickeln, dafür zu sorgen,
dass Menschen miteinander reden, dass sie zum Beispiel
dem wunderbaren Gedanken von Bohumil Doležal zustimmen, der sich dafür ausspricht, in der Tschechischen
Republik bürgerschaftlich, gesellschaftlich einen Versöhnungsfonds einzurichten. Warum sollten nicht auch wir
Deutschen uns als Individuen daran beteiligen und dafür
sorgen, dass über einen solchen Fonds auch Härtefälle
von Sudetendeutschen mitfinanziert werden können? Solche Modelle der Versöhnung sind wichtig. Sie öffnen den
Blick für die gemeinsame europäische Zukunft.
({1})
Ich gebe dem Kollegen Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister, ich bitte
Sie, sich wirklich zu überlegen, ob Sie den Antrag einer
Fraktion dieses Hauses noch einmal in derart oberlehrerhafter Manier zurückweisen. Ich finde, das ist nicht angemessen.
Ich glaube, dass die Diskussion, die wir hier aufgrund
unseres Antrages geführt haben - denn Ihrer war eine Reaktion auf unseren Antrag -, zeigt, wie gut es ist, dass wir
diese Initiative ergriffen haben. Auch das, was Sie nachher gesagt haben, bestätigt dieses mein Urteil über die
Nützlichkeit dieser Debatte. Sie haben - ganz anders als
Frau Vollmer - den Vorgang der Entschädigungsforderungen nicht für Vermögensfälle, sondern für soziale Härtefälle der sudetendeutschen Landsmannschaft und die
Geschichte der Entstehung dieser Forderung geschildert.
Ich füge meinerseits freimütig hinzu: Es wäre vielleicht
nützlicher gewesen, über den Inhalt dieser Forderung,
dieses Antrags, vorher miteinander zu reden. Aber es ist
doch ganz klar, Frau Vollmer, dass der Außenminister Herr Zöpel hat das Gott sei Dank im Wortlaut vorgelesen - den Sudetendeutschen gesagt hat, der Fonds sei das
richtige Instrument. Er hatte dabei nicht eine Abweisung,
sondern eine Befassung und potenziell sogar eine positive
Befassung im Sinne.
({0})
So habe ich das verstanden, was Sie hinzugefügt haben,
Herr Zöpel.
Das ist deswegen so ungewöhnlich wichtig, weil die
Erfüllung einer solchen Forderung eine zeichenhafte,
symbolische Wiedergutmachung wäre, auf die es eigentlich ankommt. Dem, was Sie gesagt haben, Herr
Zöpel, entnehme ich die Zuversicht, dass es auch mit Unterstützung der Bundesregierung noch gelingen kann, dies
ins Werk zu setzen. Gelänge es, könnte das - ich sage es
mit Vorsicht - so etwas wie ein psychologischer Durchbruch sein.
Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich, in diesem Sinne
zu wirken; denn es geht nicht um das Materielle, sondern - ich sage nicht: um das Psychologische - um das
Seelische.
({1})
Es geht, wie Sie alle wissen, um das verletzte Rechtsgefühl. Das haben auch Sie, Frau Ernstberger, sinngemäß
gesagt. Frau Kollegin Steinbach hat nicht nur heute hier,
sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten - beispielsweise auch in Polen - in diesem Sinne gesprochen.
Wenn das unsere gemeinsame Auffassung ist, dann hätten
wir aus dieser Debatte großen Nutzen gezogen.
Herr Kollege
Lamers, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Vollmer?
Ja, bitte.
Frau Kollegin
Vollmer.
Herr Kollege Lamers, ich möchte nachfragen, ob Sie
wirklich glauben, dass es als symbolische Geste notwendig sei, 4 000 DM an Menschen zu geben, die sicherlich
ein schweres Schicksal hatten, die dann aber 50 Jahre lang
in einer gelungenen Demokratie mit all ihren Freiheiten
und sozialen Rechten und Sicherheiten leben konnten?
Meinen Sie wirklich, dass Sie deren Wünsche auf eine
materielle Forderung von 4 000 DM reduzieren können
und dass das der Stein der Weisen ist, mit dem wir Ruhe
finden?
Gert Weisskirchen ({0})
Ich wiederhole, was ich
gesagt habe: Wenn es um symbolische, zeichenhafte Wiedergutmachung geht, spielt die Höhe des Betrags keine
Rolle. Wenn die Betroffenen selber das für angemessen
halten, dann meinen sie ja ganz offensichtlich, dass der
Betrag angemessen, hoch genug sei. Natürlich ist es keine
eigentliche Wiedergutmachung; in der Frage der Vertreibung kann es auch gar keine Wiedergutmachung im Sinne
einer Wiederherstellung des früheren Zustandes geben.
Jedermann weiß, dass dies völlig ausgeschlossen ist. Eben
deswegen kommt es auf das Symbolische an.
Frau Kollegin Vollmer, lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit sagen, dass ich seinerzeit Ihr Engagement und
Bemühen, Ihr Verhältnis und das Ihrer Partei zu den Vertriebenen auf eine bessere Grundlage zu stellen, sehr geschätzt und unterstützt habe. Aber heute habe ich den Eindruck, dass Sie das eigentlich nur taten, um die Vertriebenen gewissermaßen ruhig zu stellen, und nicht, um ihrem
Anliegen wirklich zu entsprechen.
Damit komme ich zu der Geschichte der DeutschTschechischen Erklärung. Sie wissen, dass ich darin
sehr involviert war. Deswegen wissen Sie auch genauso
wie ich, dass es auf beiden Seiten große Vorbehalte gab,
weil man auf beiden Seiten die Befürchtung hatte, es
könnten Erwartungen geweckt werden, die nicht erfüllt
werden können. Das ist leider bislang der Fall. Aber das
Entscheidende an der Deutsch-Tschechischen Erklärung
ist die Einrichtung des Gesprächsforums und des Zukunftsfonds. Diese müssen wir umsetzen, und in diesem
Prozess befinden wir uns.
Ich möchte jetzt einen letzten Gedanken, an dem mir
sehr liegt, aufgreifen und damit an das anknüpfen, was
Frau Kollegin Reiche hier - wie ich finde, sehr überzeugend - vorgetragen hat. Im Maastrichter Vertrag steht,
dass die Völker Europas zu einer immer enger zusammenwachsenden Union der Völker werden sollen. Genau
das ist der Punkt, und deswegen ist ganz klar: Die Vorbedingung darf nicht lauten, bestimmte Dinge müssen in
Tschechien und Polen bereinigt werden, damit diese Länder Mitglied in der Europäischen Union werden können.
Aber für das Zusammenwachsen der Völker ist es
natürlich erforderlich, dass man beispielsweise eine gesetzliche Regelung, in der von „gerechter Vergeltung“ die
Rede ist - das ist das so genannte, berühmte Amnestiegesetz -, eliminiert. Ich darf daran erinnern, dass niemand
anders als der aus Ihren Reihen stammende ehemalige
Kollege Verheugen den Tschechen den, wie ich finde,
guten Rat gegeben hat, so etwas zu eliminieren, weil es in
der Tat mit den Rechts- und Wertvorstellungen der Europäischen Union nicht übereinstimmt.
({0})
Es geht letzten Endes um die Bestätigung eines alten
Grundsatzes: Wer mit sich selbst nicht im Reinen ist,
kommt auch mit seinen Nachbarn nicht zurecht. Mit sich
selbst im Reinen ist nicht, wer mit seiner Geschichte nicht
im Reinen ist. Derjenige kommt auch mit seinen Nachbarn nicht zurecht. Deswegen wünsche ich mir im Interesse der Tschechen - noch mehr als im Interesse der Polen -, dass sie mit ihrer eigenen Geschichte ins Reine
kommen. Dann sind die Voraussetzungen dafür, dass sie
auch mit uns in der Europäischen Union zu einer immer
enger werdenden Union der Völker zusammenwachsen,
sehr gut.
Vielen Dank.
({1})
Zu einer Kurzintervention
({0})
gebe ich dem Kollegen Dr. Helmut Lippelt das Wort.
Verehrte Kollegen, ich habe mich durch den Beitrag von
Herrn Lamers veranlasst gesehen, noch einmal eine
grundsätzliche Denkfigur, die unseren Missverständnissen zugrunde liegt, anzusprechen. Herr Lamers, Sie haben
soeben von der Notwendigkeit der Hilfe, die wir geben
müssen, gesprochen, damit die Tschechen mit ihrer Geschichte in Einklang kommen. Ich glaube, das Problem
liegt darin, dass auch wir mit unserer Geschichte in Einklang kommen müssen.
({0})
Ich habe gestern nicht umsonst einen fatalen Zungenschlag bei Frau Steinbach öffentlich kritisiert, ich habe
ihn auch zitiert. Ich finde ihn nun in der Überschrift Ihres
Antrags wieder, und das ist auch der Hintergrund, warum
wir mit Ihren Anträgen nicht klarkommen.
Ich möchte deshalb noch einmal auf folgenden Punkt
zurückkommen: Wenn in einer absolut begründeten Darstellung der Leiden der Deutschen in Ostdeutschland,
die zum Teil geflüchtet, zum Teil vertrieben und zum Teil
unter brutalen Umständen ausgesiedelt worden sind,
diese mit Deportationen in KZs gleichgestellt werden,
die deutsche Verbrecher - das ist in dem Artikel von Frau
Steinbach namentlich belegt - vorgenommen haben - ich
möchte auf diese Gleichstellung mit den Deportationen
hinweisen; denn das ist der Punkt -, wenn nicht gesehen
wird, dass die Aussiedlung, die die Tschechen betrieben
haben, mit dem Wissen der Potsdamer Konferenz geschah, wenn also nicht gesehen wird, dass hier ein Zusammenhang zwischen deutscher Kriegsverschuldung
und einem Ende, das auch viele sehr unschuldig getroffen
hat, besteht, dass hier ein tiefer, historischer Bruch besteht
und eine historische Grenze gezogen werden muss, dann
werden Sie immer wieder mit solchen Anträgen kommen.
({1})
Lassen Sie mich noch eines dazu sagen: Weshalb ist
unser Verhältnis zu Polen so gut? - Es ist so gut, weil Sie
das Verhältnis regeln mussten; denn damit hing die Wiedervereinigung zusammen. Warum ist das Verhältnis zu
den Tschechen so schlecht? - Es ist so schlecht, weil die
Regelung dieses Verhältnisses nicht in den gleichen
historischen Kontext gestellt worden ist. Wären die
Tschechen als Nachbarn in Vier-plus-Zwei einbezogen
worden, würden Sie heute nichts mehr sagen, würde es
solche Anträge nicht mehr geben.
({2})
Aber Sie haben das geschichtliche Bewusstsein nicht.
Deshalb empört es mich so sehr. Sie sprechen von einem
symbolischen Durchbruch. Was wird durchbrochen? Etwas, was wir selbst verschuldet haben. Das können wir
nicht zulassen.
({3})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu Tagesordnungs-
punkt 19 a, betreffend den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Versöhnung durch Ächtung
von Vertreibung“, Drucksache 14/3203. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1311 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
CDU/CSU angenommen.
Tagesordnungspunkt 19 b: Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Weiterentwick-
lung der deutsch-tschechischen Beziehungen, Drucksa-
che 14/3164. Der Ausschuss empfiehlt, dem Antrag auf
Drucksache 14/1873 zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit der gleichen Stimmen-
mehrheit wie beim Tagesordnungspunkt 19 a angenom-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes ({0})
- Drucksache 14/2983 ({1})
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des AltschuldenhilfeGesetzes ({2})
- Drucksache 14/3267 ({3})
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich
({4}), Hans-Michael Goldmann, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Altschuldenhilfe-Gesetzes ({5})
- Drucksache 14/3209 ({6})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({7})
- Drucksachen 14/3520, 14/3564 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christine Lucyga
Norbert Otto ({8})
Dr. Karlheinz Guttmacher
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9})
zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Dr. Christa Luft, Gerhard Jüttemann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes - Absenkung der Privatisierungspflicht und Aufhebung der Erlösabführung zum 1. Januar 2000
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar
Kansy, Dirk Fischer ({10}), Norbert Otto ({11}), weitere Abgebordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes
zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Margitta Böttcher, Heidemarie Ehlert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Programm zur nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung und zum Erhalt von Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaften
in strukturschwachen Regionen der neuen Länder
zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Heidemarie Ehlert, Gerhard
Jüttemann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufhebung der Privatisierungspflicht im Altschuldenhilfe-Gesetz und der Sanktionen bei
Nichterfüllung
- Drucksachen 14/1123, 14/1954, 14/2632,
14/2804, 14/3520, 14/3564 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christine Lucyga
Norbert Otto ({12})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Zu einer Vorlage liegen mehrere Änderungsanträge
vor. Über zwei Änderungsanträge werden wir im Anschluss an die Aussprache namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort
dem Parlamentarischen Staatsekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Achim
Großmann.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ende des Jahres
2000 werden circa 90 Prozent der Wohnungsunternehmen, die die Altschuldenhilfe in Anspruch genommen haben, von den Auflagen und Bindungen des Altschuldenhilfe-Gesetzes befreit sein. Wir schaffen damit für fast alle
Wohnungsunternehmen der neuen Bundesländer Planungs- und Rechtssicherheit. Wir ermöglichen ihnen,
wieder Investitionen zu tätigen. Wir helfen den Mieterinnen und Mietern, in dem wir den Boden dafür bereiten,
dass wir wieder handlungs- und leistungsfähige Wohnungsunternehmen haben, die Heimat bieten und gleichzeitig moderne Dienstleistungen erbringen.
({0})
Wir haben zusammen mit der alten Bundesregierung
das Altschuldenhilfe-Gesetz im Rahmen des Solidarpaktes 1 auf den Weg gebracht. Wir haben damals schon darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz Auflagen und Vorschriften enthält, die die Wohnungsunternehmen wohl
nicht werden erfüllen können. Es waren unerfüllbare Auflagen.
Die alte Bundesregierung hat sich - bis auf eine winzige Novelle zum Altschuldenhilfe-Gesetz außerstande
gesehen, diese unerfüllbaren Auflagen rechtzeitig auszuräumen. Wir haben deshalb nach der Regierungsübernahme in die Koalitionsvereinbarung geschrieben, dass
wir die Fehler aus diesem Altschuldenhilfe-Gesetz bereinigen werden.
Wir haben gehandelt. Ich darf Ihnen die Zahlen nennen. Ende 1998, als wir die Regierung übernommen haben, hatten von den 2 079 Wohnungsunternehmen ganze
26 den Schlussbescheid oder einen genehmigten Antrag
auf Nicht-Vertreten-Müssen. Gerade einmal etwas mehr
als 1 Prozent der Wohnungsunternehmen waren aus dem
Altschuldenhilfe-Gesetz entlassen. Alle anderen waren in
der Bindung, die Auflagen zu erfüllen, und konnten nicht
handeln. Sie mussten Drohverlustrückstellungen hinnehmen und waren gezwungen, ihre Investitionstätigkeit einzuschränken.
Inzwischen, nach dem Stand von heute, haben etwa
1 300 von diesen 2 079, das heißt über 65 Prozent der
Wohnungsunternehmen den Schlussbescheid oder einen
positiven Bescheid ihres Antrages auf Nicht-VertretenMüssen der Auflagen aus dem Altschuldenhilfe-Gesetz.
Ich denke, das ist ein großartiger Erfolg.
({1})
Mit der Novelle, die wir heute vorlegen, werden wir
den Schlusspunkt für die Privatisierungspflicht nach
dem Altschuldenhilfe-Gesetz um vier Jahre auf den
31. Dezember 1999 vorziehen. Wir werden damit die
Möglichkeit für weitere rund 600 Wohnungsunternehmen
schaffen, bis zum Ende des Jahres aus den zwingenden
Bedingungen des Altschuldenhilfe-Gesetzes herauszukommen.
Es werden nur noch etwa 200 Wohnungsunternehmen
übrig bleiben, bei denen die KfW eine Prüfung vornehmen wird. Diese Prüfung wird sehr einfach und sehr pragmatisch sein. Wir haben sie im Lenkungsausschuss vorbereitet. Wir haben sie mit dem Gesamtverband der Wohnungswirtschaft, also mit den Betroffenen, besprochen.
Sie wird aus einem Fragebogen bestehen. Die KfW wird
nur aus Plausibilitätsgründen auf das eine oder andere
Wohnungsunternehmen zugehen, um zu prüfen, ob die
Privatisierungs- oder Modernisierungsauflagen wirklich
schuldlos nicht erfüllt worden sind. Das bedeutet, dass wir
Ende des Jahres 2000 die Spreu vom Weizen getrennt haben werden.
Es werden einige Wohnungsunternehmen übrig bleiben, die sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht
privatisiert haben. Für diese haben wir im Gesetz eine
Freikaufregelung geschaffen. Das heißt, diese können
sich von den Auflagen des Altschuldenhilfe-Gesetzes
freikaufen, indem sie einen Ablösebetrag an den Erblastentilgungsfonds entrichten.
Ferner bleiben die schwarzen Schafe übrig, die es leider ebenfalls gibt, die bisher leider überhaupt nichts getan
haben und sozusagen in eine Strafrunde müssen. Sie haben dann die Chance, die Auflagen noch bis zum Jahre
2003 zu erfüllen oder nachzuweisen, dass sie die Auflagen nicht erfüllen können. Ich denke, das ist der richtige
Weg, um bis zum Ende des Jahres 2000 die Privatisierungspflicht nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz wirklich
zu einem Schluss zu führen, sodass die meisten Unternehmen dann wieder handlungsfähig sind.
({2})
Wir haben damit - ich habe es schon angedeutet Wohnungsunternehmen, die wieder handlungsfähig sind,
die sich finanziell entfalten können, die ihre Drohverlustrückstellungen auflösen und investieren können. Damit haben wir auch einen Großteil der Restitutionsprobleme im Griff.
Ich will Ihnen dazu einige Zahlen nennen, die vom Gesamtverband der Wohnungswirtschaft stammen. Wir haben etwa 700 000 Wohnungen, die mit Restitutionsbegehren behaftet waren. Davon sind bis zum Dezember 1998 ungefähr 116 000 negativ restituiert worden.
Davon wiederum sind 20 Prozent von den Unternehmern
weiterverkauft worden. Teilweise sind restitutionsbehaftete Bestände wieder an diese zurückgefallen und konnten
mit Ertrag weiterverkauft werden.
Von den 700 000 sind jetzt noch ungefähr 150 000
Wohnungen übrig, das heißt noch rund 20 Prozent. Diese
20 Prozent werden die Wohnungsunternehmen nicht mehr
belasten, weil wir in die Novelle zum AltschuldenhilfeGesetz, die wir heute vorgelegt haben, hineingeschrieben
haben, dass das, was nach dem 1. Januar 2000 an die
kommunalen Wohnungsunternehmen zurückfällt, nicht
mehr dazu führt, dass sie zusätzlich Geld an den Erblastentilgungsfonds zahlen müssen. Das bedeutet: Wir räumen die letzten 20 Prozent der Wohnungen, die sehr problembehaftet sind, einfach mit einem Schlussstrich ab.
({3})
Über die Ermächtigungsverordnung, die es uns erlaubt, eine Härtefallregelung zu treffen - sie ist im Fachausschuss noch in die Novelle eingearbeitet worden -,
schaffen wir es auch, die bereits restituierten, aber leer
stehenden Wohnungen aus der Problemzone herauszubringen, weil wir - ich will das kurz vorlesen - eine Möglichkeit schaffen werden, den Wohnungsunternehmen, die
wirklich existenziell gefährdet sind, zu helfen.
In der Begründung zu § 6 a, den wir noch eingefügt haben, heißt es:
Da hierbei auch die durch so genannte negative Restitution den Unternehmen bis Ende 1999 zufließende Wohnfläche einbezogen ist, soweit sie abgerissen wird, enthält die Regelung damit zugleich
eine treffsichere Härtefallkomponente für von der
Restitutionsproblematik besonders betroffene Unternehmen.
Das bedeutet, dass wir auch für die Fälle der negativen
Restitution, anders, als vielfach behauptet wird, eine ganz
treffsichere Lösung gefunden haben, um den Unternehmen zu helfen, die besonders von Leerständen innerhalb
ihres Restitutionswohnungsbestandes betroffen sind.
({4})
Alternativen zu dem, was wir vorgelegt haben, sind einerseits Anträge der PDS. Dazu kann ich nur sagen: Die
PDS hat uns in den letzten Monaten einen ganzen Bauchladen mit unterschiedlichsten Anträgen serviert, die teilweise überhaupt nicht zusammenpassen.
({5})
Ich verweise nur auf die Regierungsaktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern, wo der Bauminister von der PDS
gestellt wird. Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern unterstützt aber unsere Vorgehensweise. Deshalb sollte auch die Bundestagsfraktion der PDS endlich
einmal in der Realität ankommen.
({6})
Als zweite Alternative haben wir einen Antrag der
CDU/CSU, mit dem alle Wohnungsunternehmen entlastet
werden sollen, auch diejenigen, die nicht existenziell gefährdet sind. Das bedeutet, hier soll ein Milliardenprogramm aufgelegt werden,
({7})
das die Länder gar nicht kofinanzieren können und das
auch der Bund nicht finanzieren kann. Wir sind nicht dazu
da, den Wohnungsunternehmen zu helfen, die wirtschaftlich gesund sind; vielmehr sind wir dazu da, uns darüber
Gedanken zu machen, wie wir denjenigen helfen können,
die vor einer Existenzkrise stehen. Deshalb brauchen wir
kein milliardenschweres Paket, bei dem immer nur draufgesattelt wird. Das ist der Gipfel des Populismus und hier
überholt die CDU inzwischen die PDS.
({8})
Wir haben die Leerstandskommission eingerichtet.
Sie wird sich mit den weiteren Problemen der leer stehenden Wohnungen in den neuen Bundesländern beschäftigen. Wir sind gewiss, dass wir zusammen mit dieser Kommission und parallel zu ihr die betreffende
Rechtsverordnung entwickeln werden, die wir mit dem
Parlament besprechen werden.
Wir haben darüber hinaus dort, wo es städtebaulich
nötig ist, auch außerhalb des Bereichs von Wohnungsunternehmen, denen es nicht gut geht, die Möglichkeit geschaffen, mit einem Programm zur städtebaulichen Weiterentwicklung großer Neubaugebiete im Rahmen der
Städtebauförderung den Abriss und den Rückbau von
Wohnungen über die Drittelfinanzierung zu bezuschussen. Das heißt, wir haben weit über die Härtefallregelung
hinaus beim Städtebau Vorsorge dafür getroffen, dass die
Wohnungsgesellschaften entlastet und die Stadtviertel in
den neuen Bundesländern in Ordnung gebracht werden.
({9})
Die Verbände der Wohnungswirtschaft in den neuen
Bundesländern feiern in diesen Tagen landauf, landab ihr
zehnjähriges Bestehen. Ich denke, das ist Anlass, den vielen Geschäftsführern, Aufsichtsräten, den vielen Mieterinnen und Mietern, die mitgeholfen haben, Dank für die
in diesen zehn Jahren geleistete Arbeit zu sagen.
({10})
Die Regierung hält ihr Versprechen. Nur wenige Wohnungsunternehmen bleiben nach dieser Novelle zum Altschuldenhilfe-Gesetz in einer Warteschleife. Das sind diejenigen, die bis jetzt nichts gemacht haben. Alle anderen
werden mit ihrer Vergangenheit abschließen; sie werden
frei am Markt arbeiten können.
Wir haben die negative Restitution im Griff. Die Wohnungsunternehmen werden nicht mehr belastet. Wir haben eine Härtefallregelung für die wirklich betroffenen
Unternehmen. Heute ist ein guter Tag für die ostdeutsche
Wohnungswirtschaft. Diese Tatsache kann von niemandem zerredet werden.
Vielen Dank.
({11})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Dr. Dietmar Kansy.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Staatssekretär Großmann, Ihre Rechnereien werde ich nachher widerlegen. Aber wenn Sie hier
Bilanz ziehen und meinen, heute sei ein wunderbarer Tag
für die ostdeutsche Wohnungswirtschaft, sage ich: Das
diskutieren Sie von morgen an einmal mit den Betroffenen in den neuen Bundesländern.
({0})
- Wenn es laut wird, weiß man immer: Man hat getroffen.
Das Altschuldenhilfe-Gesetz hat seit seinem In-KraftTreten viel Positives in den neuen Ländern bewirkt. Weil
das so ist, dürfen wir den Blick nicht davor verschließen,
dass sich die Rahmenbedingungen in den letzten zwei,
drei Jahren wesentlich verändert, nämlich verschlechtert
haben. Es ist schon angesprochen worden, dass in einigen
Regionen ein dramatischer Bevölkerungsrückgang von
deutlich über 10 Prozent zu verzeichnen war und Leerstandsquoten von bis zu 20 Prozent bei den Wohnungsunternehmen keine Seltenheit sind.
Hinzu kommt die von Staatssekretär Großmann angesprochene Negativrestitution - ein Begriff, den es bis vor
kurzem in der deutschen Sprache überhaupt nicht gab. Er
wird auch nicht verstanden. Viele Alteigentümer, die bisher mit den Wohnungsunternehmen oder staatlichen Stellen darum gestritten haben, dass sie ihre Wohnungen
zurückbekommen, verzichten plötzlich auf diese zwischenzeitlich heruntergewirtschafteten Wohnungen,
({1})
die noch mit hohen Altschulden belastet sind. Die Bewirtschaftung und selbst der Abriss dieser Wohnungen
sind von manchen Unternehmen in dieser Situation selbst
bei größter Anstrengung eben nicht mehr zu leisten. Kurzum: Die Situation hat sich dramatisch verändert. Es hat
überhaupt keinen Sinn, die alten Schlachten über das Altschuldenhilfe-Gesetz neu zu schlagen.
Die Anhörung im Deutschen Bundestag und auch viele
Veranstaltungen draußen im Land haben gezeigt: Wir
müssen sofort handeln, und zwar so, Herr Staatssekretär
Grossmann, dass dadurch nicht eine Ermächtigungsmöglichkeit gegeben wird, die keinen bindet, weder die Regierung noch die Bundesländer. Wir müssen vielmehr hier
und heute mit einer gesetzlichen Regelung Klarheit schaffen, wie es in den neuen Ländern weitergehen soll.
({2})
Meine Damen und Herren, unstrittig ist der Endzeitpunkt, unstrittig ist die Freikaufsmöglichkeit. Ich erspare
es mir, das noch einmal vorzutragen.
Aber die eindeutigen Ergebnisse der Anhörungen lassen nach unserer Meinung keine andere Lösung zu, als
heute einen gesetzlichen Entlastungschritt zu beschließen,
und zwar nicht für jedermann, Herr Grossmann, und nicht
mit milliardenschweren Geschenken - da werden sich sicherlich einige, die das vielleicht vor dem Fernseher verfolgen, die Augen reiben -, sondern für solche Wohnungsunternehmen, die hohen Leerständen bei extrem
schlechter wirtschaftlicher Situation mit Rückbau begegnen müssen und die heute beim besten Willen dazu nicht
in der Lage sind.
Mit dem von Ihnen gemachten Vorschlag einer Verordnungsermächtigung geben Sie wenigstens zu, dass
über den Gesetzentwurf der Regierung hinaus Handlungsbedarf besteht; denn sonst hätten wir gar nicht diese
kräftigen Auseinandersetzungen. Dass Sie diese Verordnung erlassen, liegt ja nicht an besserer Erkenntnis, sondern am Druck der Menschen draußen im Lande und auch
an dem Druck der CDU/CSU-Fraktion und anderer Fraktionen hier im Deutschen Bundestag.
({3})
Natürlich lässt sich mit einer sofortigen gesetzlichen
Härtefallregelung das Thema Leerstand nicht bewältigen.
Aber eine sofortige gesetzliche Regelung gibt eben im
Gegensatz zu dem, was diese Koalition vorhat, ab sofort
Rechtssicherheit in bezug auf Umfang und Zeitpunkt der
zu erwartenden Hilfen und Entlastungen. Das ist der wesentliche Unterschied zu Ihrer Verordnungsermächtigung.
Denn machen wir uns doch nichts vor: Eine Bundeshauptstadt ist doch keine geschlossene Veranstaltung. Wir
wissen quer über alle Wohnungsbaupolitiker, wie der Finanzminister über unser Vorhaben denkt.
({4})
Die Verordnungsermächtigung kann sich schnell als
Luftnummer erweisen, wenn wir als Parlamentarier die
Angelegenheit aus der Hand geben und sie ausschließlich
in die Hände des Finanzministers legen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Begründung, die finanziellen Möglichkeiten ließen das nicht zu - Herr Grossmann
hat ja gerade wieder von seinen angeblichen Milliarden gesprochen -, trifft nicht zu. In der Anhörung hat Ihr Parteifreund Steinert, Präsident des Gesamtverbandes der deutschen Wohnungswirtschaft, anhand von Unterlagen nachgewiesen, dass durch diese Negativrestitution, die ja gar
nicht vorgesehen war und die jetzt plötzlich zu einem Massenphänomen geworden ist, rund 1,3 Milliarden DM
Mehreinnahmen in die Taschen des Bundes gekommen
sind, die die Unternehmen im Gegensatz zu den Privaten,
die das nicht hätten bezahlen müssen, jetzt aufbringen müssen. Diese Unternehmen sind eben vielfach kommunale
Unternehmen.
Unser Antrag hat ein Gesamtvolumen von 600 Millionen DM. Wie Sie wissen, haben wir zusammen mit Landesregierungen gerechnet. Das heißt, der Finanzminister
würde immer noch Kasse machen. Wenn Sie behaupten,
da gehe nichts, entspricht das nicht den finanziellen Möglichkeiten und Gegebenheiten, die wir haben.
({6})
Deswegen, sind unsere vier Anträge, die Ihnen vorliegen über einen davon soll in namentlicher Abstimmung entschieden werden -, gestellt worden.
Meine Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern, die Sie - wie wir - viel durch die Lande
gereist sind, Hilfe versprochen und Artikel geschrieben
haben,
({7})
nachher können Sie beweisen, ob Sie das, was Sie
draußen gesagt haben, ernst meinen oder nicht. Deswegen
werden wir über den entscheidenden Antrag der Härtefallregelung eine namentliche Abstimmung in diesem
Parlament haben.
Erstens fordern wir die Entlastung von den Altschulden
für Wohnungsunternehmen, bei denen der Leerstand bei
mindestens 15 Prozent liegt, also nicht für alle, und die ein
Unternehmenskonzept vorlegen, aus dem die beabsichtigten Abriss-, Modernisierungs- und Wohnumfeldmaßnahmen ersichtlich sind.
Eine weitere Voraussetzung für die Gewährung der
Entlastung, die Sie, Herr Grossmann, verschwiegen haben, ist, dass sich das jeweilige Land an der Bewältigung
der sonstigen leerstandsbedingten Lasten angemessen beteiligt.
Zweitens fordern wir ein Vorziehen des Zeitpunktes,
nach dem bestandskräftige Restitutionsentscheidungen
keine Auswirkungen mehr auf die Teilentlastung gemäß
Altschuldenhilfe-Gesetz haben sollen, von 1999 auf
1998, weil die Anhörung gezeigt hat, dass spürbare Entlastungen nur auf dieser Basis zu erreichen sind.
Drittens. Hinsichtlich der Begrenzung des Ablösebetrages bei der vorgesehenen Freikaufsregelung auf 100
DM pro Quadratmeter hat sich in der Anhörung gezeigt,
dass dies notwendig ist, weil sich die von der Regierung
vorgesehenen 200 DM wirtschaftlich nicht realisieren lassen.
Viertens. Bei einem Bestand von mehr als 100 Wohnungen soll eine gesetzliche Bagatellgrenze eingeführt
werden, was zur Reduzierung des Prüfungsaufwandes
führen wird.
Herr Kollege Kansy,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schubert?
Herr Präsident,
ich habe noch 17 Sekunden bis zum Ende meiner Redezeit. Wer jetzt noch fragen will, will nur stören.
Ich möchte angesichts eines derart umfangreichen Protokolls über die Anhörung, in der von vielen Städten von
Leipzig bis Görlitz und von vielen Städten in SachsenAnhalt berichtet wurde, an Sie appellieren: Stimmen Sie
der gesetzlichen Regelung zu, die die CDU/CSU-Fraktion
Ihnen vorschlägt!
({0})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Franziska
Eichstädt-Bohlig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Kansy, die Krokodilstränen,
die Sie hier vergießen, sind angesichts der Mitverantwortung, die Sie für die Zustände in der Wohnungswirtschaft
sowie für die städtebauliche und bauliche Situation im
Osten tragen, wirklich scheinheilig. Es tut mir Leid, aber
ich finde kein anderes Wort.
({0})
Sie sollten ganz leise Dankeschön dafür sagen, dass wir
die Probleme endlich aus dem Weg räumen, die Sie ganz
wesentlich mitzuverantworten haben und mitgeschaffen
haben.
Ich habe es lange Zeit vorsichtig formuliert, aber jetzt
will ich deutlich sagen: Das Altschuldenhilfe-Gesetz war
von Anfang an ein sehr problematisches Instrument. Es
war seinerzeit so, dass Ihre Koalition durch die Privatisierung der Schulden Zinslasten darauf angehäuft hat, die
sich in kürzester Zeit um weitere 40 bis 50 Prozent gesteigert haben.
({1})
Es ist nie geklärt worden, ob die Wohnungsunternehmen
wirklich für die Schulden verantwortlich waren und sie
deshalb abbezahlen mussten. Sie haben sie durch das Gesetz genötigt, die Schulden anzuerkennen und dies schriftlich niederzulegen, damit dann das Altschuldenhilfe-Gesetz greifen konnte.
Last but not least: Sie haben durch das Fördergebietsgesetz eine große Konkurrenz für den Wohnungsbestand
durch massenhafte Überangebote im Neubaubereich
geschaffen.
({2})
Durch die Vorgabe „Rückgabe vor Entschädigung“ haben
Sie dafür gesorgt, dass sehr viele Altbauten ohne Eigentümer waren und lange niemand vorhanden war, der
sich um sie kümmern konnte, wodurch sehr viele Altbauten heruntergewirtschaftet wurden und wir nunmehr das
Problem der Negativrestitutionen haben. Von daher bitte
ich Sie, an dieser Stelle etwas leiser zu sein und eine ernsthafte Analyse der letzten zehn Jahre vorzunehmen.
({3})
- Dazu gehört auch, dass man eine klare Analyse der Vergangenheit vorlegt.
Ich finde es großartig, dass wir es geschafft haben, die
Reform des Altschuldenhilfe-Gesetzes voranzutreiben,
und dass unter dieser Regierung - Schritt für Schritt; auch
mit der Arbeit des Lenkungsausschusses - die meisten
Wohnungsgesellschaften nun wissen, dass der Schlussbescheid auf Ende 1999 vorgezogen wird. Sie bekommen
damit neue Klarheit in Bezug auf ihre Rechtssituation und
Investitionsspielräume sowie Bilanzsicherheit. Das ist ein
wirklich enormer Fortschritt. In diesem Zusammenhang
möchte ich mich besonders bei Herrn Staatssekretär
Großmann bedanken, der so engagiert auf dieses Ziel hingearbeitet hat.
({4})
Ich will die anderen Bausteine des Gesetzes nicht erwähnen, weil dies Herr Staatssekretär Großmann bereits
getan hat. Alle Fraktionen einschließlich Ihre sind sich
darin einig, dass sowohl die Freikaufsregelung als auch
die Tatsache, dass ab 31. Dezember 1999 die Negativrestitution nicht mehr auf die Teilentlastung gerechnet werden muss, sehr gute und wichtige Schritte sind.
Ich möchte auch etwas zum Problem Leerstand sagen.
Niemand negiert und ignoriert inzwischen das Problem
des Leerstandes. Wir haben ganz wesentlich daran mitgearbeitet und uns engagiert, dass das Thema anerkannt
wird. Um das Problem des Leerstandes müssen sich alle
Beteiligten kümmern: die Wohnungswirtschaft, die betroffenen Banken, die ihre Gelder in die Wohnungswirtschaft gesteckt haben, die Kommunen, die große städtebauliche Probleme haben, die Länder und auch der Bund
im Bereich der Altschulden. Ihre Fraktion hat sich lange
Zeit nicht darum gekümmert, obwohl es absehbar war.
Wir haben uns in großem Maße engagiert. Ich möchte den
Kolleginnen und Kollegen und dem Bauminsterium ganz
herzlich dafür danken, dass Sie die Verordnungsermächtigung in das Gesetz hineingenommen haben. Wir haben
uns dafür parlamentarisch engagiert.
({5})
Alle, die daran mitgewirkt haben, wissen, dass dies kein
„easy going“ war. Es war ein schwerer Weg. Wir alle wissen, dass uns das Thema Leerstand noch lange beschäftigen wird.
Wir haben auch die Bedingungen, unter denen Wohnungsgesellschaften eine Entlastung von den Altschulden
im Fall eines Leerstandes bekommen sollen, sehr genau
und präzise benannt. Es sollen Zuschüsse zur Tilgung
von Altschulden gewährt werden, wenn die Unternehmen durch dauerhaften Leerstand in ihrer wirtschaftlichen
Existenz gefährdet sind. Die Höhe des Zuschusses soll
sich daran orientieren, dass Wohnflächen wirklich vom
Markt genommen werden. Voraussetzung dafür ist - das
finde ich sehr richtig und wichtig -, dass für die Sanierung
der Unternehmen und der betroffenen Siedlungen sowie
für deren Umbau ein tragfähiges Gesamtkonzept erarbeitet wird, das glaubwürdig dargelegt wird. Das alles sind
sehr wichtige Kriterien, an denen die Kommunen und die
Wohnungswirtschaft aktiv arbeiten müssen.
Auch die Forderung, dass sich die Länder mindestens
zur Hälfte an den Kosten für die Gesamtmaßnahme beteiligen, halten wir für gerechtfertigt und angemessen. Es
wird auch von den Ländern anerkannt. Denn alle wissen,
dass das ein gemeinsames Problem ist.
Ich halte es für sehr wichtig, dass insbesondere die
Kommunen jetzt aktiv werden, dass sie auf den Einwohnerschwund, der ein großes Problem ist, planerisch und
städtebaulich schnell reagieren, indem sie bei der Investitionsplanung harte Prioritäten setzen. Ich möchte es
ganz deutlich sagen und habe es schon einmal gesagt: Ich
möchte nicht, dass wir die Modernisierung und Instandsetzung von Projekten fördern, die vielleicht morgen unter dem Damoklesschwert des Abrisses stehen. Deswegen
ist es sehr wichtig, dass die Kommunen hart und klar planen.
Daher bin ich der Meinung: Der Bund hat ein Zeichen
gesetzt. Er ist bereit, seinen Teil zu schultern und mitzutragen. Jetzt geht der Ball wieder auf die andere Seite des
Netzes. Er geht in Richtung Kommunen, in Richtung Länder, in Richtung Wohnungswirtschaft. Dort muss jetzt gearbeitet werden, damit das Problem Schritt für Schritt
gelöst werden kann. Insofern bin ich sehr stolz auf das,
was wir heute erreicht haben.
({6})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Karlheinz Guttmacher.
Herr Präsident!
Meine sehr gerehrten Damen und Herren! Ich bin schon
sehr erstaunt, Frau Eichstädt-Bohlig, dass Sie sich jetzt
noch einmal auf das Altschuldenhilfe-Gesetz beziehen,
dass wir 1993 eingebracht haben. Ich glaube, dass genau
dieses Altschuldenhilfe-Gesetz den Wohnungsunternehmen in den neuen Bundesländern 28 Milliarden DM Entlastung gebracht hat. Sie haben darüber hinaus die Möglichkeit, noch Zinshilfen in Höhe von 5 Milliarden DM in
Anspruch zu nehmen.
({0})
Das verstehe ich überhaupt nicht.
({1})
Ich bin allen Fraktionen dankbar, dass wir dieses Altschuldenhilfe-Gesetz 1993 auf den Weg gebracht haben.
({2})
Wenn wir die Privatisierungspflicht mit 15 Prozent an
die Bedingungen des Altschuldenhilfe-Gesetzes gebunden hätten, so können wir heute erfreulich feststellen, dass
über zwei Drittel dieser Privatisierungen durch die Wohnungsunternehmen erfolgt sind. Der Laufzeit des Gesetzes und der Privatisierungsauflagen steht, so meinen wir,
kein akzeptabeles Verhältnis gegenüber, die Privatisierungen weiter durchführen lassen sollten.
Ein großer Teil der Wohnungsunternehmen in den
neuen Bundesländern hat erhebliche strukturelle Probleme. Im Zuge der Anhörung haben wir alle es uns sicherlich nicht leicht gemacht; ich danke meiner Fraktion
in besonderem Maße, weil sie in Vorbereitung der Formulierung eines neuen Entwurfs zur Änderung des
Altschuldenhilfe-Gesetzes in die neuen Bundesländer gereist ist, um sich die Probleme der Wohnungsunternehmen
vor Ort anzusehen. Dabei sind vier Punkte angesprochen
worden, Herr Staatssekretär Großmann. Lassen Sie mich
die folgenden nennen.
Erstens. Der Endtermin für die Pflicht zur Privatisierung soll auf das Jahr 1999 vorgezogen werden. So
steht es auch in Ihrem Gesetzentwurf. Sie haben aber vorhin behauptet, dass die Zahl der Wohnungsunternehmen,
die ihrer Privatisierungspflicht noch nicht nachgekommen sind, sehr gering sei; das würde eine Überprüfung ergeben. Deshalb ist die F.D.P. der Meinung, dass das Jahr
2003 nicht als Endtermin auch für die Restanten der Wohnungsunternehmen, die noch privatisieren müssen, vorgesehen werden sollte. Wir sind der Meinung, dass die verpflichtende Regelung zur Privatisierung am 31. Dezember 2000 auslaufen sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt haben
alle Wohnungsunternehmen die Gelegenheit, sich entweder freizukaufen oder zu privatisieren.
({3})
Das zweite große Problem, dessen Lösung eigentlich
das Kernstück des Gesetzentwurfes der Regierung und
der sie tragenden Koalitionsfraktionen sein sollte - die
F.D.P. hat zwar einen entsprechenden Antrag eingebracht,
der aber bedauerlicherweise im Fachausschuss abgelehnt
wurde -, ist der strukturelle Leerstand. Das ist zurzeit
das Kardinalproblem der Wohnungsgesellschaften. Wenn
wir dieses Problem nicht durch das Zweite Altschuldenhilfe-Änderungsgesetz lösen, dann haben wir für die
Wohnungsunternehmen überhaupt nichts erreicht.
({4})
Die von Ihnen in § 6 a vorgesehene Rechtsverordnungsermächtigung bedeutet nichts anderes, als dass die
Lösung der eigentlichen Probleme verschoben wird. Deshalb können wir Ihrem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen.
({5})
Die Bundesregierung wird lediglich ermächtigt, die Wohnungsunternehmen in den neuen Bundesländern irgendeines Tages von ihrem Leerstand zu entlasten. In der Begründung heißt es dazu, dass zunächst das Ergebnis der
Expertenkommission abgewartet werden soll. Aber die
Wohnungsunternehmen, Herr Staatssekretär Großmann,
müssen jetzt und heute von ihrem strukturellen Leerstand
entlastet werden.
({6})
Deswegen wird die F.D.P.-Bundestagsfraktion heute einen Änderungsantrag zum Regierungsentwurf einbringen, der in § 4 a eine grundsätzliche Entlastung der Wohnungsunternehmen mit einem strukturellen Leerstand von
mehr als 5 Prozent vorsieht.
({7})
Dabei wird der strukturelle Leerstand, der sich durch Negativrestitutionen, also durch nicht zu vermittelnden
Wohnraum, ergibt, mit berücksichtigt. Voraussetzung für
die Gewährung der Entlastung von den Rechtsverbindlichkeiten ist, dass das Wohnungsunternehmen über ein
Konzept verfügt, in dem die Instandsetzungs-, Modernisierungs-, Wohnumfeld-, Rückbau- und Abrissmaßnahmen enthalten sind.
Da der Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des
Altschuldenhilfe-Gesetzes in der bisherigen Fassung
nicht zur sofortigen Beseitigung der Altschulden der
Wohnungsunternehmen führen wird, können wir dem
Gesetzentwurf nur dann zustimmen, wenn Sie vorher dem
von der F.D.P. eingebrachten weiter gehenden Antrag zustimmen.
Danke.
({8})
Für die Fraktion der
PDS gebe ich das Wort der Kollegin Christine
Ostrowski.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! 1 Million Wohnungen im Osten stehen leer. In manchen Städten sind es bis zu 40 Prozent;
selbst in Großstädten liegt die Leerstandsquote bei
17 Prozent. Der Osten hat zu wenige Menschen für zu
viele Wohnungen. Die Lage verbessert sich nicht, sondern
verschlimmert sich. Der Bevölkerungsrückgang ist
dramatisch; die Anzahl der natürlichen Abgänge übersteigt die der Geburten. In Kürze wird der Osten noch
weniger Menschen für noch mehr Wohnungen haben.
Jede einzelne leer stehende Wohnung verursacht Kosten. Ein Wohnungsunternehmen braucht ungefähr die
Einnahmen von vier vermieteten Wohnungen, um die
Kosten einer leeren Wohnung zu kompensieren. Ein Teil
dieser Kosten sind Altschulden. Ihre Streichung löst das
Problem der Deformation des ostdeutschen Wohnungsmarkts nicht; aber sie würde den Wohnungsunternehmen
die Lage erleichtern. Aber Sie sind zu diesen Erleichterungen nicht bereit.
Viele restitutionsbehaftete Wohnungen, von denen
man angenommen hatte, dass sie an die Alteigentümer
zurückgehen, sind - die Masse 1997 und 1998 - wieder
an die Wohnungsunternehmen zurückgefallen. Diese
Wohnungen verursachen ebenfalls hohe Kosten. Ihre
Nichtanrechnung würde die Lage der Unternehmen erleichtern. Sie sind auch zu diesen Erleichterungen nicht
bereit.
In der Anhörung haben alle Experten der Wohnungswirtschaft - alle! - die Streichung der Altschulden auf
leer stehende Wohnungen und das Vorziehen des Stichtages für die ehemals restitutionsbehafteten Wohnungen gefordert. Sie sind ebenfalls nicht bereit, auf diese Experten
zu hören. Ich frage mich, was Sie eigentlich auszeichnet,
den Rat der Experten zu missachten.
({0})
Die PDS ist von ihrer Maximalforderung nach Aufhebung des Altschuldenhilfe-Gesetzes von Antrag zu Antrag, Schritt für Schritt, was die realen Forderungen angeht, nach unten gegangen. Sie waren sich nicht zu
schade, alle Anträge abzulehnen, selbst jene, die der Lenkungsausschuss mittlerweile übernommen hat und für die
Sie sich jetzt selbst feiern.
({1})
Herr Staatssekretär, Sie klagen über die Kosten, die
dem Bund entstehen würden. Dass Sie diese Kosten den
finanzschwachen Kommunen und Unternehmen zumuten, ist Ihnen egal. Sie kuschen vor Ihrem Finanzminister.
Herr Eichel ist ein cleverer Mann; aber er hat es auch vergleichsweise leicht: Der Bund kann immer auf Kommunen und auf Länder abwälzen, ein Wohnungsunternehmen
kann es nicht.
({2})
Ich würde gern wissen, ob Herr Eichel in einer Stadt wie
Hoyerswerda mit 25 Prozent Bevölkerungsrückgang, mit
fast 30 Prozent Wohnungsleerstand und mit 25 Prozent
Arbeitslosigkeit in der Lage wäre, ein Wohnungsunternehmen mit Verlusten in Millionenhöhe zu sanieren,
wenn ihm keiner hilft.
({3})
Ein Wort an die CDU. Sie müssen sich jetzt nicht als
Retter der ostdeutschen Wohnungswirtschaft und auch
nicht als Retter von irgendjemandem sonst feiern. Sie haben durch Ihre Politik die Deformation des ostdeutschen
Wohnungsmarkts verschuldet.
({4})
Zurück zu Rot-Grün. Die von Ihnen heute vorgenommene Gesetzesänderung ist der Situation der ostdeutschen
Wohnungswirtschaft noch nicht einmal annähernd angemessen.
({5})
Erste Wohnungsunternehmen sind bereits in Konkurs gegangen. Wenn Sie den Gesetzentwurf so verabschieden
und unsere Änderungsanträge ablehnen, die im Übrigen
fast im Wortlaut mit den Änderungsanträgen der
CDU/CSU übereinstimmen,
({6})
dann kann ich Ihr Handeln nur als verantwortungslos bezeichnen.
({7})
Ich gebe dem Minister für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Jürgen Heyer, das Wort.
Dr. Jürgen Heyer, Minister ({0}): Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
darf mich herzlich dafür bedanken, dass ich als Vertreter
eines ostdeutschen Bundeslandes zu dieser so wichtigen
Frage sprechen darf, und zwar zum ersten Mal hier in
Berlin.
({1})
Ich möchte der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen ganz herzlich für die Einbringung dieser für die
ostdeutschen Länder so wichtigen Novelle danken.
({2})
Ganz herzlich danken möchte ich auch meinem Kollegen Klimmt und insbesondere dem Parlamentarischen
Staatssekretär Achim Großmann, der sich ganz außerordentlich gut in Ostdeutschland auskennt, der unsere Probleme seit Jahren außerordentlich gut kennt und die ostdeutschen Länder unterstützt, für ihre Bemühungen, die
von Erfolg gekrönt sein sollen.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir - mit einigen von Ihnen arbeite ich ja schon länger zusammen - wissen, was früher alles möglich war, und wissen
auch, was früher nicht möglich war. Nachdem die neue
Regierung die Verantwortung im Bund übernommen
hatte, hat sich auch schon im Lenkungsausschuss einiges
getan. Das heißt, es sind eine Vielzahl von wichtigen
Regelungen auf den Weg gebracht worden, die der Wohnungswirtschaft definitiv geholfen haben.
({4})
Wir haben dann aber auch sehr schnell gemerkt, dass
nicht alle Probleme auf dem Verwaltungsweg gelöst werden konnten. Deshalb war es richtig, dass die Bundesregierung eine Novelle zum Altschuldenhilfe-Gesetz eingebracht hat, obwohl wir alle wissen, dass viele Probleme
noch nicht geklärt bzw. noch nicht einmal erkannt worden
sind. Aber auch die Länder wollten diese Novelle, weil es
uns nur so möglich war, einen Schlussstrich zu ziehen und
einen Stichtag für die Privatisierungsauflage festzulegen,
und weil nur so eine bessere Lösung für die negative Restitution zu erzielen war.
Es war auch richtig, dass die Bundesregierung zur
Klärung der noch offenen Fragen eine Leerstandskommission unter Leitung des früheren Oberbürgermeisters
von Leipzig, Herrn Lehmann-Grube, eingesetzt hat. Die
Arbeit dieser Kommission nehmen die Länder so wichtig,
dass sie noch vor der Sommerpause oder kurz danach eine
Sonderkonferenz der Bauminister einberufen werden, auf
der sich alle Länder aus Ost und West mit dieser schwierigen Lage auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt beschäftigen und mit dem Leiter der Kommission reden
wollen. Der Vorstoß einiger Bundesländer, die Vorschläge
dieser Kommission vorwegzunehmen, indem sie einen
§ 4 a über den Bundesrat einbringen wollten, war deshalb
falsch. Er musste scheitern und ist auch von Sachsen-Anhalt nicht unterstützt worden.
({5})
Meine Damen und Herren, das Vorgehen der Bundesregierung ist richtig - das sage ich auch Ihnen, Herr Kansy -,
nicht die Ergebnisse dieser Kommission durch eine gesetzliche Regelung in diesem Gesetz vorwegzunehmen,
sondern eine Verordnungsermächtigung einzufügen, die
es ermöglicht, zu einem späteren Zeitpunkt die Vorschläge der Kommission aufzunehmen, und die den Ländern Gelegenheit gibt, sich auf die notwendige Mitwirkung auch haushaltsmäßig einzustellen.
({6})
- Natürlich müssen wir uns darauf einstellen.
Ich bitte darum, Herr Staatssekretär Großmann, auch in
diesem Bereich einfache und praktikable Regelungen vorzusehen, und gehe davon aus, dass die Länderbeteiligung
auch mit den bisherigen Instrumenten auskommen wird,
also mit der Wohnungsbauförderung und der eventuellen
Bereitstellung von IfG-Mitteln. Auf diesem Wege sollten
wir unseren Beitrag erbringen können. Ich darf mir dazu
den Hinweis erlauben, dass es durch ein weiteres Absenken der Wohnungsbauförderung für die Länder schwieriger wird, ihren Beitrag zu leisten.
Meine Damen und Herren, wir müssen jetzt zunächst
abwarten, welche Vorschläge uns die Kommission unterbreitet. Wir wissen aber auch, dass das Leerstandsproblem in den ostdeutschen Bundesländern ganz außerordentlich komplex ist. Wir haben es mit strukturellem, aber
nicht nur mit strukturellem Leerstand zu tun. Dieser Leerstand entsteht dadurch, dass unsere Großunternehmen
und Kombinate weggebrochen sind und dass die Menschen, die dort gearbeitet haben, nicht mehr dort wohnen
und weggezogen sind, weil sie ihre Arbeitsplätze verloren
haben.
({7})
Lassen Sie es mich am Beispiel Stendal verdeutlichen:
Am Tag der Vereinigung hat es dort 1 000 leer stehende
Wohnungen gegeben, heute sind es 3 000.
Es geht auch nicht nur um den Leerstand im so genannten Plattenbereich. Der Leerstand in Sachsen-Anhalt
beträgt nach jüngsten Schätzungen 186 000 Wohnungen.
Der Leerstand in der Platte beträgt 40 000 Wohnungen.
Der Gesamtleerstand liegt bei 14,2 Prozent und der Leerstand in der Platte bei 10,6 Prozent. Wir haben es also im
Wesentlichen mit Altbauten, Vorkriegsbauten und dergleichen zu tun. Wir rechnen damit, dass wir in SachsenAnhalt kurz- und mittelfristig über 100 000 Wohnungen
vom Markt nehmen müssen.
Ich will ein Wort zu den Befürchtungen sagen, die aufgetreten sind, dass wir mit Steuermitteln Wohnungen saniert hätten und nun mit weiteren Steuermitteln diese
Wohnungen abreißen würden. Wir werden dafür sorgen,
dass das nicht passiert. So sind von den etwa 370 000 Plattenbauten in Sachsen-Anhalt 120 000 unsaniert. Theoretisch genommen ist das die Summe der Bauten, die vom
Markt genommen werden wird.
Meine Damen und Herren, das zeigt uns, dass nur ein
Teil der Probleme über das Altschuldenhilfe-Gesetz gelöst werden kann. Wir werden in Sachsen-Anhalt regionale Konzepte erstellen und die Erarbeitung dieser Konzepte mit Fördermitteln unterstützen. Ich bitte ganz herzlich darum, dass sich auch die Kreditwirtschaft, die
durchaus mit im Boot sitzt, daran beteiligen möge. Zum
Teil hat sie das in einigen Regionen schon getan. Die Verantwortlichen, die hier genannt werden müssen, sind also
nicht nur Bund, Länder und Gemeinden, sondern es handelt sich natürlich auch um die Unternehmen und um die
Banken. Diese gesetzlichen Regelungen dürfen nicht
dazu führen, dass aus schlechten Krediten ohne Zutun der
Kreditinstitute gute Kredite gemacht werden.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Staatssekretär Großmann hat gesagt: Dies war ein guter Tag für
die Wohnungswirtschaft in Sachsen-Anhalt. Ich möchte
noch mehr sagen: Dies ist nicht nur ein guter Tag für die
Wohnungswirtschaft in ganz Ostdeutschland, sondern
auch für die Mieterinnen und Mieter, die weiter darauf
hoffen können, dass die Unternehmen die Liquidität haben, die sie brauchen, um die Wohnungen weiter instand
zu setzen.
({9})
- Dies, Herr Kansy, ist ein guter Tag für die Bauwirtschaft
in unseren Ländern und für die vielen Menschen, die dort
arbeiten.
({10})
Und deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist
dies ein guter Tag für ganz Ostdeutschland.
Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie so viel Geduld
mit mir hatten.
({11})
Als letzter Redner in
dieser Debatte spricht der Kollege Norbert Otto ({0}).
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dies
ist ein guter Tag, weil heute die Sonne scheint, weil wir
Minister Dr. Jürgen Heyer ({0})
demnächst in die Pfingstferien fahren, aber nicht deshalb,
weil wir heute diese Novelle auf dem Tisch haben. Sie erfüllt die Erwartungen nämlich nicht.
({1})
Sie war groß angekündigt, so nach dem Motto: Was
lange währt, wird gut. Hier ist nichts gut, aber lange hat es
gedauert!
({2})
Der große Wurf, den Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung
angekündigt haben, ist maximal zu einem kleinen Stupser
geworden. Sie haben die Wohnungsunternehmen enttäuscht, Sie haben ihnen ihre Existenzängste nicht genommen.
({3})
In zahlreichen persönlichen Gesprächen mit Vertretern
von Wohnungsunternehmen, aber auch mit Verbandsvertretern wurde deutlich, dass wesentlich mehr erwartet
worden war. Die Betreffenden haben uns auch in der Anhörung - wer etwas Gegenteiliges behauptet, sagt die Unwahrheit - gesagt: Das Ding kommt zu spät, es ist zu kurz
gesprungen, es wird uns nicht wesentlich weiterhelfen.
({4})
Natürlich war Handlungsbedarf gegeben, und wenn
Sie uns heute den Vorwurf machen, wir hätten das damals,
1993, nicht erkannt, frage ich: Haben Sie es erkannt? Haben Sie damals schon von hohen Leerständen gesprochen? Haben Sie von Negativrestitution gesprochen?
Nicht ein Einziger von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({5})
Ein weiterer Punkt, den wir vorgeschlagen haben, war
die Härtefallregelung für diejenigen Wohnungsunternehmen, die dauerhaft Leerstände haben, die einen nicht
unerheblichen Teil ihres Wohnungsbestandes ausmachen,
sodass sie unverschuldet in ihrer Existenz bedroht sind.
Dazu ein Zahlenbeispiel: Hat ein Wohnungsunternehmen eine Leerstandsquote von 15 Prozent zu verzeichnen - das ist in Problemgebieten keine Seltenheit -, dann
müssen die Erlöse von 60 Prozent des Bestandes herangezogen werden, um die Leerstandskosten zu bewältigen.
Das heißt, dem Unternehmen bleiben noch 25 Prozent
Einnahmen. Damit lässt sich nichts Gescheites mehr machen, weder Instandsetzungen noch Renovierungen, noch
kann ein Beitrag zur Verbesserung des Umfeldes geleistet
werden.
Das sind nicht unsere Zahlen, nicht unsere Erfindungen, sondern das sind die Zahlen, die uns und auch Ihnen
in der Anhörung vorgetragen worden sind.
Aus unerfindlichen Gründen will die Regierungskoalition einer gesetzlich verbrieften Härtefallklausel im Altschuldenhilfe-Gesetz nicht zustimmen, obwohl gerade
diese Regelung das einzige wirksame, dauerhafte und durchgreifende Instrument zur Entlastung der am schlimmsten
betroffenen Unternehmen gewesen wäre.
({6})
Stattdessen bringen Sie in letzter Minute einen Änderungsvorschlag ein, der im Altschuldenhilfe-Gesetz eine
Rechtsverordnungsermächtigung fixieren soll, von der
Sie noch nicht einmal wissen, wie diese aussehen soll.
Ihre sagenhafte Expertenkommission, die nun den gesamten Prozess noch einmal prüft, soll hier Empfehlungen geben. Tatsächlich wollen Sie das Parlament umgehen; tatsächlich wissen Sie nicht, wie es weitergehen
soll. Wahrscheinlich hat Ihnen Ihr Finanzminister einen
Strich durch die Rechnung gemacht, sodass hier nicht
mehr viel laufen wird.
Allerdings - das will ich an dieser Stelle nicht verschweigen - gibt es einige Punkte in Ihrer Gesetzesnovelle, die unsere Zustimmung finden können.
({7})
Dies sind vor allen Dingen die Punkte, die unter entscheidender Mitwirkung unserer Fraktion in den Entwurf aufgenommen worden sind.
({8})
Sie dienen der bereits von der Vorgängerregierung eingeleiteten und weiter dringend notwendigen Entlastung der
Wohnungsunternehmen.
Aus meiner Sicht und auch aus der Sicht meiner Fraktion reichen diese wenigen Highlights jedoch nicht aus,
({9})
um dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen unsere
Zustimmung zu geben. So haben wir zum Beispiel eine
weitere Vorziehung des Stichtages für bestandskräftige
Restitutionen gewünscht. Auch hat sich in der Anhörung
des Ausschusses der vorgesehene Ablösebetrag im Zusammenhang mit der Freikaufsregelung in Höhe von
200 DM pro Quadratmeter als völlig illusorisch erwiesen;
100 DM waren die oberste Grenze.
Die Wohnungsunternehmen sind trotz dieser Kalamität
bemüht, Lösungen im Interesse ihrer Mieter zu finden.
Lassen Sie mich zum Schluss ein Beispiel aus der Praxis
in meiner Region anführen. In meiner Heimatstadt Erfurt
haben sich die großen Wohnungsunternehmen mit der
Stadt, dem Land und einem Planungsbüro zusammengetan, um ein Gesamtkonzept zu entwickeln, wie Wohnungsleerstand abgebaut, soziale Spannungen beseitigt
und das Wohnumfeld verbessert werden können. Miteinander statt gegeneinander, alle Unternehmen im Kontext, das ist hier die Devise. Aber die Voraussetzung ist:
Es muss für den Abriss von Wohnungen und für die hohen
Leerstände eine Entlastung geben. Es kann nicht sein,
dass 150 DM pro Quadratmeter an Altschuldenhilfe gezahlt und zusätzlich die Kosten für Abriss und Wohnumfeldverbesserung getragen werden. Das ist einfach nicht
Norbert Otto ({10})
zu leisten. Hier ist der Bund gefordert. Das hätten wir
heute hier schon entscheiden können.
({11})
Mit den von meiner Fraktion eingebrachten Anträgen
zur Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes helfen
wir nicht nur den existenzbedrohten Unternehmen, sondern auch den Kommunen und letztlich den unmittelbar
betroffenen Mietern in diesen Wohnungen. Deshalb bitte
ich um Ihre Unterstützung, um Ihre Zustimmung zu unseren Anträgen.
Vielen Dank.
({12})
Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Iris Gleicke das Wort.
Herr Kollege Otto, wir beide sind
1990 in den Deutschen Bundestag gekommen. Ich weiß,
dass der eine oder andere Kollege aus Ostdeutschland in
den acht Jahren, in denen ich hier im Bundestag war und
in denen Sie zusammen mit der F.D.P. regiert haben, versucht hat, ostdeutsche Interessen durchzusetzen. Sie
haben sich damals bei dem heute zu entscheidenden
Thema nicht durchgesetzt. Unsere Fraktion hat sich an
dieser Stelle durchgesetzt. Zusammen mit der neuen Bundesregierung haben wir einen guten Gesetzentwurf
vorgelegt. Ihre Kritik ist keine kritische Würdigung eines
Gesetzesentwurfes, sondern nur noch Miesmacherei. Es
bleibt dabei: Heute ist ein guter Tag für die Wohnungswirtschaft.
({0})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen im Zusammen-
hang mit Tagesordnungspunkt 20 a. Wir stimmen über
die Gesetzentwürfe der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Bundesregierung
zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes, Drucksa-
chen 14/2983, 14/3267 und 14/3520, ab.
Dazu liegt von der Kollegin Christine Ostrowski eine
Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsord-
nung vor, die zu Protokoll genommen wird.*)
Wir haben es mit sechs Änderungsanträgen zu tun,
über die wir zuerst abstimmen, und zwar zunächst über
die beiden Änderungsanträge, zu denen namentliche Ab-
stimmung verlangt ist. Ich mache darauf aufmerksam:
Beide Abstimmungen werden unmittelbar nacheinander
durchgeführt werden.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/3542. Die Fraktion der CDU/CSU ver-
langt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze ein-
zunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben.*)
Wir setzen die Abstimmungen mit einer weiteren namentlichen Abstimmung fort, und zwar über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache
14/3545. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. - Haben alle
Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte abgegeben? Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch eine
Reihe von weiteren Abstimmungen durchzuführen. Ich
bitte Sie daher, Platz zu nehmen. Ich darf die Parlamentarischen Geschäftsführer bitten, darauf zu achten, dass im
Hause eine vernünftige Beratungsgrundlage gegeben ist.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen über die vier
weiteren Änderungsanträge zu Tagesordnungspunkt 20 a.
Zunächst zum Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/3541. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/3543. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt.
({0})
- Das ist in Ordnung.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/3544. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/3549. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
der PDS abgelehnt.
Norbert Otto ({1})
*) Anlage 2 *) Seite 10320
Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich im Einvernehmen mit den
Fraktionen die Sitzung.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({2})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der beiden namentlichen
Abstimmungen bekannt, und zwar zunächst das Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/3542 zum Gesetzentwurf zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes auf
den Drucksachen 14/2983, 14/3267 und 14/3520.
Abgegebene Stimmen: 496. Mit Ja haben gestimmt:
218. Mit Nein haben gestimmt: 278. Enthaltungen: keine.
Der Änderungsantrag ist somit abgelehnt.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 495
ja: 218
nein: 277
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Peter Bleser
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({0})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({1})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({3})
({4})
Dr. Gerhard Friedrich
({5})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({7})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({8})
Norbert Hauser ({9})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({10})
Dr. Manfred Lischewski
({11})
Dr. Michael Luther
Dr. Martin Mayer
({12})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Bernward Müller ({13})
Bernd Neumann ({14})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({15})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({18})
Andreas Schmidt ({19})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Diethard Schütze ({20})
Clemens Schwalbe
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({21})
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Heinz Wiese ({24})
Werner Wittlich
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Rainer Brüderle
Horst Friedrich ({25})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Gudrun Kopp
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
PDS
Monika Balt
Maritta Böttcher
Eva-Maria Bulling-Schröter
Roland Claus
Vizepräsident Rudolf Seiters
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Nein
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({26})
Volker Beck ({27})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({28})
Katrin Dagmar GöringEckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({29})
Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({30})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({31})
Werner Schulz ({32})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({33})
Margareta Wolf ({34})
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({35})
Klaus Barthel ({36})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({37})
Bernhard Brinkmann
({38})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({39})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Peter Friedrich ({40})
Lilo Friedrich ({41})
Harald Friese
Anke Fuchs ({42})
Arne Fuhrmann
Prof. Monika Ganseforth
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({43})
Angelika Graf ({44})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({45})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({46})
Walter Hoffmann
({47})
Iris Hoffmann ({48})
Frank Hofmann ({49})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Prof. Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({50})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({51})
Detlev von Larcher
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({52})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({53})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Prof. Dr. Jürgen Meyer
({54})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({55})
Jutta Müller ({56})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({57})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Prof. Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Prof. Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({58})
Birgit Roth ({59})
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Horst Schild
Horst Schmidbauer
({60})
Ulla Schmidt ({61})
Silvia Schmidt ({62})
Dagmar Schmidt ({63})
Wilhelm Schmidt ({64})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({65})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({66})
Brigitte Schulte ({67})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({68})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ich gebe Ihnen nun das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/3545 bekannt.
Abgegebene Stimmen: 494. Mit Ja haben gestimmt:
55. Mit Nein haben gestimmt: 279. Enthaltungen: 160.
Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({69})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Ute Vogt ({70})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({71})
Matthias Weisheit
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({72})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({73})
Brigitte Wimmer ({74})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({75})
Heidemarie Wright
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 493
ja: 55
nein: 278
enthalten: 160
Ja
CDU/CSU
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
F.D.P.
Ina Albowitz
Rainer Brüderle
Horst Friedrich ({76})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Gudrun Kopp
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
PDS
Monika Balt
Maritta Böttcher
Eva-Maria Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Nein
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({77})
Klaus Barthel ({78})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({79})
Bernhard Brinkmann
({80})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({81})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Peter Friedrich ({82})
Lilo Friedrich ({83})
Harald Friese
Anke Fuchs ({84})
Arne Fuhrmann
Prof. Monika Ganseforth
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({85})
Angelika Graf ({86})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({87})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({88})
Walter Hoffmann
({89})
Iris Hoffmann ({90})
Frank Hofmann ({91})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Prof. Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({92})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({93})
Detlev von Larcher
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({94})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({95})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Prof. Dr. Jürgen Meyer
({96})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({97})
Jutta Müller ({98})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({99})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Prof. Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Prof. Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({100})
Birgit Roth ({101})
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Horst Schild
Horst Schmidbauer
({102})
Ulla Schmidt ({103})
Silvia Schmidt ({104})
Dagmar Schmidt ({105})
Wilhelm Schmidt ({106})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({107})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({108})
Brigitte Schulte ({109})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({110})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({111})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Ute Vogt ({112})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({113})
Matthias Weisheit
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({114})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({115})
Brigitte Wimmer ({116})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({117})
Heidemarie Wright
CDU/CSU
Georg Girisch
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({118})
Volker Beck ({119})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({120})
Katrin Dagmar GöringEckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({121})
Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({122})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({123})
Werner Schulz ({124})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({125})
Margareta Wolf ({126})
Enthalten
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Peter Bleser
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({127})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({128})
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({129})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({130})
({131})
Dr. Gerhard Friedrich
({132})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({133})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({134})
Gottfried Haschke
({135})
Norbert Hauser ({136})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Vizepräsident Rudolf Seiters
Wir sind immer noch bei Tagesordnungspunkt 20 a und
kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Bundesregierung zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes in der Ausschussfassung. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleicher Stimmenmehrheit wie in der zweiten Beratung angenommen.
({137})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der F.D.P. zur Änderung des
Altschuldenhilfe-Gesetzes auf Drucksache 14/3209. Der
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/3520 unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der F.D.P. auf Drucksache 14/3209 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
F.D.P. bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.
Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem
Antrag der Fraktion der PDS zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes auf Drucksache 14/3520. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung,
den Antrag auf Drucksache 14/1123 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zur Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes auf Drucksache 14/3520. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/1954 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag
der Fraktion der PDS zu einem Programm zur nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung und zum Erhalt von
Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaften in strukturschwachen Regionen der neuen Länder auf
Drucksache 14/3520. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 5
seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/2632 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
PDS angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Fraktion
der PDS zur Aufhebung der Privatisierungspflicht im Altschuldenhilfe-Gesetz und der Sanktionen bei Nichterfüllung, Drucksache 14/3520. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 14/2804 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Vizepräsident Rudolf Seiters
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({138})
Dr. Manfred Lischewski
({139})
Dr. Michael Luther
Dr. Martin Mayer
({140})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Bernward Müller ({141})
Bernd Neumann ({142})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({143})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({144})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({145})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({146})
Andreas Schmidt ({147})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Diethard Schütze ({148})
Clemens Schwalbe
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({149})
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({150})
Gerald Weiß ({151})
Heinz Wiese ({152})
Werner Wittlich
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zöller
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen ({153})
- Drucksachen 14/2958, 14/3282 -
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({154})
- Drucksache 14/3538 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({155}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/3539 Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Manfred Kolbe
Matthias Berninger
Jürgen Koppelin
Dr. Christa Luft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich muss dazu
das Einverständnis des Hauses einholen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Christa Nickels.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur durch eine gemeinsame
Kraftanstrengung von Bund und Ländern ist es endlich
gelungen, die gesetzliche Grundlage für eine bessere Entschädigung der Frauen zu schaffen, die im Rahmen einer
Anti-D-Immunprophylaxe mit Hepatitis C infiziert worden sind.
Schon mehr als 20 Jahre liegt dieser größte Arzneimittelskandal in der ehemaligen DDR zurück, bei dem über
2 300 Personen mit Hepatitis C infiziert wurden. Deshalb
freue ich mich sehr, dass es nun endlich gelungen ist, eine
bessere Entschädigung für diese Frauen zu erreichen. Es
war äußerst schwierig, diesen Kompromiss zu finden,
weil sehr unterschiedliche Interessen, Gesichtspunkte und
rechtssystematische Aspekte unter einen Hut gebracht
werden mussten.
Ich weiß, dass das Leid der betroffenen Frauen sicher
nicht durch eine Verbesserung der materiellen Situation
aufgewogen werden kann.
({0})
Aber trotzdem ist eine materielle Absicherung ein
wichtiger Schritt, mit dem endlich anerkannt wird, dass
die Frauen Opfer einer Straftat wurden.
({1})
Ich möchte ausdrücklich allen, die an dieser Lösung,
die wir heute beraten können, beteiligt waren, im Interesse der betroffenen Frauen danken, und zwar allen beteiligten Bundesländern, auch den hier im Bundestag vertretenen Fraktionen, die engagiert beraten und uns unterstützt haben.
({2})
Die Bundesregierung hatte bei ihrem Amtsantritt versprochen, die materielle Situation der Opfer zu verbessern. Sie hat dieses Versprechen gehalten, indem sie dies
unmittelbar nach der Regierungsübernahme angegangen
ist. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Betroffenen
werden nun eine monatliche Rentenzahlung zwischen
500 und 2 000 DM erhalten, die nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit gestaffelt ist. Die Beträge
werden jährlich dynamisiert. Die Rentenhöhe ist eine
deutliche Verbesserung zum Status quo, bei dem die
Grundrente lediglich zwischen 191 und 996 DM liegt.
Darüber hinaus ist eine Einmalzahlung vorgesehen,
die zusätzlich den Geschädigten mit einer Minderung der
Erwerbsfähigkeit zwischen 10 und 20 Prozent zugute
kommt. Diese zusätzliche Leistung trägt sowohl dem humanitären Gesichtspunkt als auch dem Schmerzensgeldgedanken Rechnung.
({3})
Die Finanzierung der Renten erfolgt hälftig durch Bund
und Länder, wobei der Bund die Einmalzahlung alleine
trägt.
Die Beratungen in Bundesrat und Bundestag haben vor
allem zu Präzisierungen im Gesetz geführt. Eine materielle Verbesserung wird der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen mit sich bringen. Er sieht vor, dass die
Krankenbehandlung auch in Zukunft nach dem Bundesversorgungsgesetz erfolgen soll, so, wie es die betroffenen Frauen gefordert haben.
Viele Betroffene hatten sich weitere Verbesserungen
gewünscht. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Ich persönlich und viele andere Kolleginnen und Kollegen haben
sich an dem einen oder anderen Punkt für andere Regelungen eingesetzt. Das war aber nicht umsetzbar, weil
sonst die ausgewogene Balance dieses sehr komplexen
Systems von Hilfe und Finanzierung erneut ins Wanken
geraten wäre. Der mühsam hergestellte Konsens zwischen den verschiedenen beteiligten Akteuren wäre dann
mit Sicherheit wieder zerbrochen. Für die Betroffenen
hätte das bedeutet, dass diese unendliche Geschichte
mit ungewissem Ausgang womöglich auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben worden wäre und der bisherige unbefriedigende Rechtszustand weiter fortbestanden hätte.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Als Beispiel dafür, dass von dem, was sich die Frauen
und andere gewünscht hätten, viel diskutiert und besprochen worden ist, sei die Anrechnung der Sozialleistungen bei den Renten genannt. Dieses Anliegen, das sehr
umfangreich geprüft und ausreichend vorgebracht worden ist, ist aus Sicht der Betroffenen natürlich durchaus
nachvollziehbar. Die Beteiligten und alle, die sich auf diesem Gebiet schon länger engagiert haben, wissen, dass
sich damit eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe befasst hat,
an der sich alle Bundesländer beteiligt haben. Verschiedene Beteiligte mussten mit einbezogen werden, denn
ohne diese Einbeziehung wäre der Gesetzentwurf so nicht
zustande gekommen.
Es war so, dass eine Nichtanrechnung eine Privilegierung gegenüber anderen Rentenempfängern wie zum Beispiel Contergan-Geschädigten oder aber den SED-Opfern
bedeutet hätte und deshalb nicht umzusetzen war. Immerhin haben wird dann aber gemeinsam erreicht, dass die
Rentenzahlungen nur zur Hälfte auf Sozialleistungen angerechnet werden. Alle an den Verhandlungen Beteiligten
wissen, wie schwer es war, zu einer von allen getragenen
Lösung zu kommen.
Dieser schwierige Prozess hat aber dann dazu geführt,
dass die heute vorgelegten Verbesserungen für die Frauen
von einem breiten Konsens getragen werden. Im Gesundheitsausschuss haben alle Fraktionen dem nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf zugestimmt. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch hier im Plenum zu einer eindeutigen,
von der breiten Mehrheit getragenen Beschlussfassung
kommen werden.
({4})
Ich möchte noch einmal allen Beteiligten, auch hier im
Haus, für die zügigen Beratungen danken, denn nur dadurch - Herr Lohmann, das war auch ein Punkt, den wir
besprochen haben - wird es möglich, dass der Bundesrat
das Gesetz noch vor der Sommerpause abschließend beraten kann. Wir wollen alle, dass die Leistungen rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres fließen können. Dies
war sehr wichtig. Dafür möchte ich allen und ausdrücklich auch Ihnen und Ihrer Fraktion danken.
({5})
- Ja, auch den Obleuten.
Ich bin mir sicher, dass die Länder ebenso zügig die
Umsetzung des Gesetzes einleiten werden, sodass die betroffenen Frauen dann bald von den Regelungen profitieren können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat nun der
Kollege Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für
die freundlichen Worte, die Sie uns für die zügige Beratung ausgesprochen haben. Aber diese Freundlichkeit,
Frau Staatssekretärin, wird mich nicht dazu veranlassen,
die Kritik, die wir an dieser Lösung und diesem Gesetzeswerk vorzubringen haben, nicht vorzutragen.
Prinzipiell begrüßen wir es, dass nach der von der
unionsgeführten Bundesregierung geleisteten Vorarbeit
durch immer wieder neue Anstöße nun eine Lösung zustande gekommen ist, die dazu führt, dass es endlich finanzielle Hilfen für Hepatitis-C-infizierte Frauen in der
ehemaligen DDR geben soll. In der Vergangenheit haben
wir feststellen müssen, dass die Bundesländer und hier
insbesondere die A-Länder, also die SPD-geführten Länder, sehr zurückhaltend - vorsichtig ausgedrückt - reagiert haben, wenn es um diese Fragen und insbesondere
um die Beteiligung an den Kosten ging.
Ich will und kann nicht verschweigen, dass dieser
Kompromiss deutlich hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben ist, auch hinter den Erwartungen der Betroffenen. Die Unzulänglichkeit des vorgelegten Gesetzentwurfes wird insbesondere in folgenden Punkten gesehen: Das Erste ist die Beschränkung der vom Bund für die
Einmalzahlung vorgesehenen 15 Millionen DM auf erwerbsunfähige Frauen. Das Zweite sind die in der Höhe
unzureichenden monatlichen Rentenleistungen und das
Dritte ist die eben schon von Ihnen genannte hälftige Anrechnung der monatlichen Rentenleistungen auf Sozialleistungen.
Im Übrigen verstehe ich Ihre Logik nicht so ganz. Einerseits verweisen Sie darauf, dass auch bei den Contergan-Geschädigten eine Anrechnung stattfinde. Andererseits sagen Sie dann im nächsten Satz: Aber es ist uns wenigstens gelungen, hier nur eine hälftige Anrechnung
Platz greifen zu lassen. Eigentlich hätten Sie sagen müssen: Wir wollen ab sofort auch bei den Contergan-Geschädigten nur noch eine hälftige und keine volle Anrechnung mehr. Ihre Logik erschließt sich mir nicht ganz.
Im Ausschuss am Mittwoch dieser Woche lagen Änderungsanträge zur Höhe der monatlichen Rentenleistungen
und zu der Anrechnung der Entschädigung auf Sozialleistungen vor. Diese sind aber mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Dies muss
die Betroffenen besonders schmerzen. Sie müssen sich das sage ich mit aller Deutlichkeit - von Rot-Grün verschaukelt vorkommen. Denn der Kollege Horst
Schmidbauer - er ist wenigstens heute da, am Mittwoch
hat er es nicht mehr für nötig gehalten, noch zu kommen
- hat im Herbst 1996 zu diesem Thema „Anti-D-Immunprophylaxe“ eine Große Anfrage gestartet. In einer Debatte im November 1999 zitierte er aus der so genannten
Geheimen Verschlusssache der Staatssicherheit:
Die folgerichtige Anerkennung der Hepatitiserkrankungen als Impfschaden in Verbindung mit der staatlichen Haftung macht hohe finanzielle Anforderungen für die Geschädigten erforderlich.
Er kommentierte dann dieses Zitat:
Man kann nur sagen: wie Recht die Mitarbeiter des
Ministeriums für Staatssicherheit hatten.
Selbst in der Pressemitteilung vom 10. Mai dieses Jahres haben Sie, Herr Schmidbauer, anlässlich der Anhörung zu diesem Gesetz wie folgt Stellung genommen:
Für eine sozial akzeptable Lösung ist es notwendig,
die bewilligten finanziellen Ressourcen schon für
dieses Jahr auszuschöpfen. Dafür müssen die im Gesetzentwurf vorgesehenen monatlichen Entschädigungszahlungen aufgestockt werden.
Sie, Herr Kollege Schmidbauer, und Ihre Kolleginnen
und Kollegen von der Regierungskoalition haben die Betroffenen an der Nase herumgeführt. Sie haben hohe Erwartungen geweckt; Sie haben die betroffenen Frauen und
Mütter seit Jahren mit leeren Versprechungen getäuscht.
Das kann ich nachweisen: Noch am 14. September 1998, also mitten im Bundestagswahlkampf, haben
Sie gesagt:
Da bleibt den Opfern nur die berechtigte Hoffnung,
dass eine SPD-geführte Regierung mit dem menschenunwürdigen Schauspiel
- das wir angeblich geboten hätten ein Ende macht. Gerhard Schröder und seine Regierung werden die Opfer nicht im Regen stehen lassen.
({0})
Sie haben, als Sie bei der Einbringung sprachen - Sie
werden heute anscheinend nicht mehr sprechen -, diesen
Entwurf in den höchsten Tönen gelobt. Ich will Ihnen die
Zitate im Einzelnen ersparen. Sie haben sich bei allen,
auch bei der Ministerin, für die Aktivitäten bedankt. Inzwischen scheinen Sie sich eines anderen besonnen zu haben.
Wenn ich derart starke Worte gebrauche - was, wie Sie
wissen, nicht unbedingt meine Art ist -, dann will ich Ihnen auch einige Zitate bringen und sagen, warum ich das
tue. Herr Schmidbauer und einige andere haben im Auftrag ihrer Fraktion bei den verschiedensten Gelegenheiten
unsere Vertreter, vor allen Dingen den damaligen Bundesminister Seehofer, aber auch Herrn Zöller und mich, in
geradezu übler Weise verleumdet. Ich zitiere beispielsweise aus der Rede von Herrn Schmidbauer vom
29. Juni 1995. Als es um die HIV-Frage ging, erhob er den
Vorwurf, es werde auf Billiglösungen spekuliert. Und
weiter hieß es:
Dies ist beschämend. Das Spiel mit der Zeit ist ein
Spiel mit dem Tod. Denn Woche für Woche sterben
Opfer dieses Skandals.
Im Protokoll folgt dann eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lohmann:
Herr Kollege Schmidbauer, ich möchte Sie in allem
Ernst fragen, ob Sie das, was Sie gesagt haben, aufrechterhalten wollen. Ich könnte verstehen, dass Sie
und viele andere - das habe ich schon vorhin gesagt über den Umfang des Ganzen und auch über Teile
des Inhaltes enttäuscht sind. Aber die Unterstellung,
dass wir, das Ministerium und die Koalition, ein
schändliches Spiel mit dem Leben trieben, weil wir
darauf spekulierten, dass bis zum In-Kraft-Treten
weitere Opfer gestorben sind, ist so ungeheuerlich,
dass ich Sie bitten möchte, das noch einmal zu überdenken.
Darauf antwortet Herr Schmidbauer: „Ich darf wiederholen: Es wird auf diese Billiglösungen spekuliert.“ Auf
meine Frage, ob er den Vorwurf aufrecht halte, kam die
Antwort: „So ist es.“
Meine Damen und Herren, ich bitte deswegen um Verständnis dafür, dass mir das heute noch hochkommt, was
Sie uns seinerzeit vorgehalten haben. Das ist ja nicht das
einzige Mal in diesem Zusammenhang; ich könnte noch
mehrere Zitate bringen.
Nachdem Sie zunächst alles begrüßt hatten, sind Sie
gestern hingegangen und haben sich mit den Betroffenen
solidarisiert, die einem ja wirklich Leid tun können, und
folgende Meldung verbreiten lassen: Die Fraktionsmitglieder Horst Schmidbauer und Richard Schuhmann - er
sitzt ja neben Ihnen - haben sich gegen diesen Entwurf gewehrt. Weiter heißt es: „Der Entwurf sei eine makabere
und skandalöse Lösung.“ - So kann man doch nicht mit
Menschen umgehen,
({1})
mit Sicherheit nicht mit Politikern, unabhängig von ihrer
Parteizugehörigkeit.
Rot-Grün hatte es in der Hand, für die angekündigten
Versprechen zu streiten und bei den Ländern zu kämpfen.
Sie, meine Herren, haben das mit den Möglichkeiten, die
Sie hatten, sicherlich getan, aber Rot-Grün insgesamt, vor
allen Dingen die größere Regierungsfraktion, die SPD,
offensichtlich nicht, im Gegenteil. Bei den für die monatlichen Rentenleistungen zur Verfügung stehenden Mitteln
in Höhe von 6,1 Millionen DM sind Sie sogar hinter dem
Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz zurückgeblieben. 10 Millionen DM waren vorgesehen. Zu Recht
schreibt der Ministerin jetzt eine der betroffenen Frauen:
Wo bleiben die restlichen 3,9 Millionen DM, die für
die Entschädigung der Opfer bewilligt wurden?
Weiter die schreibt die Frau:
Hand aufs Herz, Frau Gesundheitsministerin, wird
hier auf Kosten der Opfer gespart?
Die Ministerin selbst hat in ihrer Pressemitteilung
vom 11. November 1999 der Öffentlichkeit mitgeteilt,
dass dank der zusätzlichen Bereitstellung von 15 Millionen DM für Einmalzahlungen, die dem Schmerzensgeldgedanken Rechnung tragen, jetzt höhere monatliche
Rentenleistungen möglich sind.
Die Betroffene hatte natürlich gehofft - vielleicht geben Sie das an die Frau Ministerin weiter, Frau Staatssekretärin -, dass man die Ministerien beim Wort nehmen
könnte. Sie rechnet in einem an alle Ausschussmitglieder
verteilten Brief - deswegen darf ich das zitieren - vor,
Wolfgang Lohmann ({2})
dass sie gegenwärtig bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 Prozent 900 DM Krankengeld im Monat
plus 258 DM an Versorgungsleistungen erhält.
Nach dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf erhält sie
statt der monatlichen 258 DM zwar 800 DM an Rente,
doch 400 DM davon gehen an das Sozialamt, weil ja die
Hälfte der Rente, wie eben gesagt, angerechnet wird. Damit erhält sie nach der neuen Regelung lediglich 142 DM
mehr als bisher schon.
Sie selbst sagt:
Frau Fischer, das ist keine angemessene Hilfe, das ist
ein Witz.
In diesem speziellen Fall möchte ich da auch nicht widersprechen.
Meine Damen und Herren, ich kann die Empörung verstehen. Es war Herr Seehofer, der Gralshüter der Rechte
der Betroffenen, der ihnen Hilfe versprochen hat. Ich kann
verstehen, dass sie nun enttäuscht sind.
Ich halte die Niederlegung der Berichterstattung, die
Herr Kollege Schmidbauer gestern angekündigt hat, für
unangemessen. Was heißt schon Niederlegung der Berichterstattung? Wenn Sie, Herr Schmidbauer, Ihre Glaubwürdigkeit wiedergewinnen wollten - das muss ja eigentlich Ihr Interesse als Mensch sein -, dann sollten Sie das
Mandat niederlegen. Dann würde man sagen: Das ist Haltung.
({3})
Wenn man von den eigenen Mitgliedern so enttäuscht
wird, wie Sie es, wie ich hoffe, sind, weil Sie das Ganze
ernst gemeint haben, dann hätte ich mindestens erwartet,
Herr Schmidbauer, dass Sie am Mittwoch in den Ausschuss gekommen wären und wenigstens dort für Ihre Interessen und Ihre Vorstellungen gekämpft hätten. Das ist
nicht geschehen. Meine Damen und Herren, ich möchte
Ihnen allen empfehlen - wir haben uns dazu auch entschlossen -, sich mit diesem Kompromiss zu versöhnen.
Die Zeit ist schon weit fortgeschritten; das ist mit Recht
gesagt worden. Manchmal ist es besser, den Spatzen in der
Hand zu haben als die Taube auf dem Dach. Deswegen
wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Zustimmung letztendlich nicht
verweigern.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätte Ihnen die gewünschten Verbesserungen bei der Rente und den Verzicht auf die hälftige Anrechnung der Entschädigung auf
die Sozialleistungen gegönnt, meine Damen und Herren
aus den Kreisen der Betroffenen, aber offenbar war die
rot-grüne Bundesregierung entgegen ihren vollmundigen
Ankündigungen nicht in der Lage, mit den Ländern in diesem Sinne einen Konsens zu finden. Das tut uns Leid. Wir
haben es aber nicht ändern können.
Ich bedanke mich.
({4})
Ich erteile nun Kollegin Gudrun Schaich-Walch von der SPD-Fraktion das
Wort.
Sehr verehrte
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Lohmann, Sie haben auch mit Ihrer Wortgewalt, Ihren Angriffen gegen Einzelne nicht darüber hinwegtäuschen
können, dass Ihnen zu Ihrer Regierungszeit ein Kompromiss mit den Ländern nicht gelungen ist,
({0})
dass die Frauen acht Jahre lang ohne etwas dastanden und
dass Ihr Finanzminister zu keiner Zeit bereit gewesen ist,
15 Millionen DM für Einmalzahlungen zur Verfügung zu
stellen.
({1})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Aribert Wolf? Nein, sie gestattet keine Zwischenfrage.
({0})
Sie können fortfahren.
Der zweite Punkt ist
der, dass Sie auch vorgestern in der Ausschusssitzung
große Bedenken angemeldet haben, ob dieses Gesetz, so
wie es jetzt vorliegt, im Bundesrat überhaupt eine Zustimmung findet.
Die Bedenken, die Sie hatten, waren vor einiger Zeit
sehr berechtigt, weil im Bundesrat Anträge aus den Ländern Sachsen und Thüringen vorlagen, den Gesetzentwurf, den Kompromiss, abzulehnen, und es wurde die
hundertprozentige Anrechnung der Sozialhilfe gefordert.
Die Antragsteller sind keine SPD-geführten Länder.
Dieses Problem hatten Sie damals; wir hatten dieses
Problem auch. Wir haben dieses Problem gelöst. Wir hätten Ihnen daraus keinen Vorwurf gemacht, wenn Sie nicht
in dieser Art und Weise jetzt darüber diskutiert hätten.
({0})
Frau Staatssekretärin hat es schon gesagt, und ich sage
es auch für uns: Wir hätten für die Frauen gern mehr erreicht, aber wir mussten auch im Auge behalten, dass das
leider kein einmaliger Fall ist, sondern dass wir ähnlich
gelagerte Fälle haben. Wir sind bei diesen ähnlich gelagerten Fällen, wie zum Beispiel bei Fragen von Gesundheitsschädigungen im Zusammenhang mit dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, zu ganz anderen Lösungen gekommen. - Warum sind wir zu diesen Ergebnissen
gekommen? Wir sind dazu gekommen, weil wir klar sagen müssen: Wir haben immer wieder einen Kompromiss
gefunden und müssen weiter Kompromisse finden, die
sich in der Zustimmungsfähigkeit des Bundesrates und
der Finanzkraft sowohl der alten als auch der neuen Länder niederschlagen.
Wolfgang Lohmann ({1})
Ich möchte klar darauf hinweisen, was letztendlich bewegt worden ist: Bei einer Erwerbstätigkeitsminderung
von 30 Prozent gibt es jetzt eine Grundrente nach dem
Bundesversorgungsgesetz von monatlich 500 DM statt
vorher 191 DM, bei einer 50-prozentigen Erwerbsminderung gibt es statt 349 DM 1 100 DM und bei einer
100-prozentigen Minderung gibt es statt 996 DM 2 000 DM.
({2})
- Ich möchte Sie einmal fragen, wie Sie das mit der Sozialhilfe in Ihren Ländern regeln, wenn Sie die Nachrangigkeit der Sozialhilfe beseitigen. Ich warte auf den Antrag von Ihrer Seite. Sie wissen genau, dass das im Bundesrat nicht tragfähig ist. Sie wissen auch: Wenn wir
diesen Kompromiss nicht bekommen - ich will Ihnen
nicht unterstellen, dass das Ihre Zielsetzung ist - ({3})
- Ja, ich bin auch sehr vorsichtig. - Wenn wir dieses Gesetz deshalb nicht verabschieden können, weil wir es nicht
rechzeitig durch den Bundesrat bringen, werden die
Frauen rückwirkend nichts bekommen und die Einmalzahlung kann in diesem Jahr nicht ausgeschüttet werden.
Die Einmalzahlung bedeutet für viele Frauen in dieser Republik, dass sie einen erheblichen Betrag von bis zu
30 000 DM bekommen. Diese Möglichkeit ist verspielt,
wenn wir das Gesetz nicht durch den Bundesrat bringen.
Die Frauen stünden dann wieder mit leeren Händen da.
Warum stehen sie mit leeren Händen da? - Weil die Politik nicht in der Lage war, kompromissfähig zu sein. Sie
war es acht Jahre lang nicht, ist es aber jetzt und darüber
sollten wir froh sein, auch wenn das, was wir erreichen
wollten, nicht vollständig erreicht worden ist.
({4})
Sie wissen doch alle aus Ihren Erfahrungen im Vermittlungsausschuss mit dem Bundesrat: Wenn Sie einen
Kompromiss suchen, decken sich die Ergebnisse am Ende
der Kompromissfindung nicht immer mit den Vorstellungen, die Sie anfangs hatten. Ich bin aber nicht bereit, das
Erreichte kleinzureden. Wir haben letztlich auch erreicht,
dass Halbwaisen statt einer Rente in Höhe von monatlich
169 DM demnächst 600 DM bekommen werden. Wir haben in den Verhandlungen auch eine Verbesserung der
Krankenbehandlung durchgesetzt. Wenn Sie jetzt hier
behaupten, es sei alles so furchtbar und schlimm, und
trotzdem dem Ganzen zustimmen, bin ich der Überzeugung, dass Sie am Ende der Meinung sind, man sollte den
Kompromiss als Erfolg werten. Er ist nicht das, was wir
uns alle gewünscht hatten, er ist aber eine echte Verbesserung für die Frauen.
({5})
Ich gebe jetzt der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Nickels nach
§ 43 der Geschäftsordnung das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe um das Wort gebeten, um hier drei Dinge klarzustellen.
Es ist so gewesen, dass sich der frühere Gesundheitsminister Seehofer sehr für diese Regelung eingesetzt hat.
Er hat es bis zum September 1998 aber nicht geschafft,
den Anteil von 5 Millionen DM, den die damalige Bundesregierung schultern wollte - heute schultert der Bund
mehr -, bei seinem Finanzministerkollegen zu etatisieren.
Das ist aktenkundig: Er hat sich sehr bemüht, hat es aber
nicht von Herrn Waigel etatisiert erhalten.
Frau Ministerin Fischer jedoch hat die Summe sofort
etatisiert - wir hatten bei Amtsantritt einige Konfusionen - vorgefunden. Daraufhin haben alle Bundesländer in
der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Frau Ministerin Fischer
gebeten, den Gesetzentwurf selbst vorzulegen; Thüringen
hat seine Initiative später zurückgezogen. Ich habe der
Ministerin damals persönlich davon abgeraten, weil es für
sie ein hohes Risiko darstellte. Es handelte sich um einen
großen Interessenkonflikt und wir mussten Angst haben,
dass die Initiative scheitert und die Ministerin das Scheitern hätte verantworten müssen. Die Länder - das waren
nicht nur SPD-geführte Länder - haben die Ministerin darum gebeten, weil sie sich erhofft haben, dass hier ein
Schwung für die Finanzminister der Länder käme, endlich
das Geld zu etatisieren. Das hat die Ministerin getan, weil
es ihr wichtig war, dass die Frauen endlich Rechtssicherheit und eine Verbesserung bekommen.
Ich möchte Sie wirklich bitten - auch Sie, Herr
Lohmann, wenn Sie Verletzungen aus früheren Debatten
haben -: Es geht jetzt nicht um uns Politiker und um unsere Verletzungen. Es geht um das, was wir in intensiven
Verhandlungen erreicht haben. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat unter anderem die Vermeidung der Anrechnung auf die Sozialhilfe kategorisch abgelehnt, Herr
Wolf. Ich habe jetzt aber keine Lust, Noten zu verteilen.
Wir sind alle einmal über unseren Schatten gesprungen,
damit die Frauen endlich diese Verbesserungen bekommen und das unwürdige Spiel zu deren Lasten aufhört.
Ich bitte Sie, das in dieser Debatte zu berücksichtigen,
weil wir uns sonst alle schämen müssten.
({0})
Ich mache die Fraktion der CDU/CSU darauf aufmerksam, dass sie die Möglichkeit zur Erwiderung hat.
({0})
- Nein. Ich bedanke mich bei Ihnen.
Jetzt hat der Kollege Detlef Parr von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Aus dieser Debatte wird eines klar: Sie, RotGrün, haben im Bundesrat auch in dieser menschlich
anrührenden Frage eine Blockadepolitik betrieben. Das
ist keine Frage.
({0})
Es war ein Teil Ihrer Strategie des Bundestagswahlkampfes - zulasten der Schwachen, denen gegenüber Sie vorgeben, ihr Anwalt zu sein. Das können wir Ihnen heute
nicht durchgehen lassen.
({1})
Ich bedaure, dass die Diskussion in dieser Weise geführt wird, weil ich davon ausgegangen bin, dass wir eine
einvernehmliche Diskussion führen, auch wenn Herr
Schmidbauer dazu beigetragen hat, dass einige Missklänge entstanden sind.
1994 bin ich Mitglied des Untersuchungsausschusses
zu den aidsverseuchten Blutkonserven gewesen. Wir haben darüber beraten, wie wir den Betroffenen helfen
können. Wir haben große Schwierigkeiten gehabt, uns
zu bestimmten Entschädigungsleistungen durchzuringen.
Auch ich habe damals große Sorgen und Bedenken gehabt
und mich gefragt, wie lange wir brauchen, um zu entsprechenden Beschlüssen und Entscheidungen zu kommen. Bei dieser Frage ist es aus vielerlei Gründen ähnlich
gewesen. Dazu ist genug gesagt worden. Ich brauche darauf nicht mehr einzugehen.
Wir haben im Zuge der Verhandlungen zum Einigungsvertrag beschlossen, diese Fälle, über die wir heute
reden - die Betroffenen erhielten bis zu diesem Zeitpunkt
Leistungen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten -, nach dem Bundes-Seuchengesetz einzustufen und mit dem Bundesversorgungsgesetz in Einklang zu bringen. Dies konnte allerdings
durch eine Fehleinschätzung der Schäden nicht in einem
ausreichenden Umfang geschehen. Wir haben versucht,
die im Zuge der Wiedervereinigung entstandene Lücke zu
schließen. Wir sind heute dabei, diesen Entscheidungsprozess zu Ende zu bringen. Gott sei Dank!
Mittlerweile sind sich alle Beteiligten einig: Es muss
etwas geschehen. Es kommt jetzt darauf an, den Frauen
und ihren Angehörigen schnell zu helfen. Dies ist mit Unterstützung der Länder, die den vorgelegten Gesetzentwurf mit den am Mittwoch im Gesundheitsausschuss beschlossenen Änderungen mittragen, und nach einem
schwierigen Entscheidungsprozess, wie wir alle wissen,
geschehen.
Die Staffelung der monatlichen Rentenzahlungen
gemäß der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist aus unserer Sicht, Herr Schmidbauer, sachgerecht. Die monatlichen Renten werden zwischen 500 DM bei 30-prozentiger Erwerbsminderung und 2 000 DM bei einer
Erwerbsminderung von 70 Prozent und mehr liegen.
Hinzu kommen die Einmalzahlungen, die zwischen
7 000 DM - Erwerbsminderung 10 bis 20 Prozent - und
30 000 DM - Erwerbsminderung 60 Prozent und mehr liegen.
Wir hatten uns gefreut, dass wir nun eine von einem
breiten Konsens getragene Lösung gefunden hatten. Ich
war gestern wie vom Schlag gerührt, als ich eine Tickermeldung in die Hand bekam, in der es hieß, dass Kollege
Schmidbauer in letzter Minute ausschert und sich zum
Hüter einer Moral aufschwingt, die man nur doppelbödig
nennen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Der liebe Kollege Schmidbauer blieb dazu noch der abschließenden Beratung im Gesundheitsausschuss fern und
verzichtete darauf, um eine Mehrheit für seine höheren
Ansprüche zu kämpfen - eine Haltung, die ich nicht verstehen kann. Seine Konsequenz - Zitat -:
Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, der SPD-Bundestagsabgeordnete Horst Schmidbauer, gab nach
der Entscheidung seiner Fraktion demonstrativ die
Berichterstattung für das Gesetz im Bundestag ab,
weil er die Verschlechterungen für die Opfer nicht
mit seinem Gewissen vereinbaren könne.
Meine Damen und Herren, es ist zu billig zu erklären,
die partei- und fraktionsübergreifend mit den Ländern erarbeitete Lösung nicht mit dem Gewissen vereinbaren zu können. Sie wissen genau, Herr Kollege
Schmidbauer, dass höhere Forderungen zu diesem Zeitpunkt ein Scheitern des Gesetzentwurfes im Bundesrat
zur Folge hätten. Ich wehre mich dagegen, dass Sie die
Kolleginnen und Kollegen unseres Ausschusses, die vor
dem genannten Hintergrund dem Gesetzentwurf teilweise
mit Bauchschmerzen zugestimmt haben, quasi als gewissenlose Gesellen darstellen. Das ist nicht fair, meine Damen und Herren.
({3})
Noch eine Anmerkung zu den Anträgen, die die PDS
im Gesundheitsausschuss eingebracht hat. Sie sind zwar
gut gemeint und inhaltlich in Ordnung, aber vor dem Hintergrund einer schnellstmöglichen Lösung nicht akzeptabel. Es ist absehbar, dass die Länder einer weiteren Aufstockung der Entschädigungssummen und dem vollständigen Verzicht auf Anrechnung dieser Zahlungen auf die
Sozialhilfe nicht zustimmen werden. Insofern lehnt die
F.D.P. diese Änderungsanträge ab.
Es kommt jetzt darauf an, den Frauen und ihren Angehörigen schnell zu helfen. Deshalb stimmen wir einem
Kompromiss zu, der nicht alle Wünsche bis ins Letzte erfüllt, der aber unverschuldete Leiden angemessen lindern
hilft.
({4})
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist so, dass die betroffenen Frauen zu
DDR-Zeiten Opfer einer Straftat geworden sind. Diese
Tatsache steht fest. Ich möchte sie auch nicht kleinreden.
Aber auf der anderen Seite muss man einräumen: Dass
wir heute über das Anti-D-Hilfegesetz reden müssen, ist
eine der Folgen des Einigungsvertrages; denn in den Verhandlungen über diesen Vertrag wurde ein Fehler gemacht
({0})
- richtig, der Verursacher; ich möchte hier richtig verstanden werden; ich habe zugegeben, dass es eine Straftat
gewesen ist -, weil die durch Anti-D-Immunprophylaxe
verursachten Gesundheitsschäden rechtlich als Impfschäden und nicht als Arzneimittelschäden anerkannt wurden.
Wenn die Gesundheitsschäden als Impfschäden anerkannt
worden wären, dann müssten wir heute über dieses Gesetz
nicht reden.
({1})
Man muss feststellen, dass die rechtliche Anerkennung
der Gesundheitsschäden als Impfschäden der Situation
der Frauen und ihren Entschädigungsansprüchen, auf deren Durchsetzung sie ein Recht haben, nicht gerecht wird.
Ich muss auch darauf hinweisen - deshalb tut mir das jetzige Parteigeplänkel weh -: Alle Fraktionen waren sich
damals darüber einig, dass zur Unterstützung der betroffenen Frauen ein eigenes Gesetz gemacht werden muss.
Nun kann man kritisch fragen: Wo liegen die Ursachen?
Aber selbst dann, wenn wir diese Frage beantworten
könnten, wären keine höheren Entschädigungszahlungen
möglich. Die alte Regierung konnte diese Frage nicht bis
zum Herbst 1998 abschließend prüfen. Nun hat die neue
Regierung - ja, Frau Nickels, Frau Fischer hat das in die
Hand genommen - dies vorwärts gebracht und hat für
Verbesserungen gesorgt. Das muss man anerkennen.
Trotzdem muss ich noch einige kritische Anmerkungen
machen.
Bereits per Beschluss des Haushaltsausschusses des
Deutschen Bundestages vom Herbst 1999 wurde eine
Summe in Höhe von 15 Millionen DM für Rentenzahlungen bereitgestellt. Deswegen bleibt es den betroffenen
Frauen und auch mir unverständlich, dass in dem jetzt
vorgelegten Gesetzentwurf diese finanziellen Möglichkeiten zurückgeschraubt werden und nur noch von
10 Millionen DM die Rede ist. Bund und Länder wollen
nur noch 6,3 Millionen DM zur Verfügung stellen. Das
kann ich nicht verstehen. Wie ist das möglich? Die Begründung für das Zurückschrauben der finanziellen Möglichkeiten, die eben in einer Rede gegeben wurde, kann
nicht stimmen; denn das Geld stand schon zur Verfügung.
Nach der ersten Lesung und der Anhörung hat die Koalition angekündigt, dass noch Änderungsanträge eingebracht würden. Die Regierungsfraktionen haben einen
Änderungsantrag gebracht, der aus unserer Sicht für die
Frauen ein echter Fortschritt ist: Der Anspruch der Frauen
auf umfassende Heil- und Krankenbehandlung wurde
nach dem Bundesversorgungsgesetz anerkannt. Das ist
ein echter Fortschritt!
Die von uns eingebrachten Änderungsanträge zielten
auf die Beseitigung weiterer Defizite ab. Es ging vor allen Dingen darum, dass die monatliche Rente in den unteren Bereichen erhöht wird - so war es früher auch geplant, als Sie noch selber in der Opposition waren -, weil
eine solche Erhöhung für die Frauen wirklich notwendig
wäre. Wir empfinden es als unsozial, dass die Rentenzahlungen hälftig auf die Sozialhilfeleistungen angerechnet
werden können. Ich war überrascht - das muss ich zugeben -, dass die CDU/CSU bereit war, unseren Anträgen
zuzustimmen. Dass Sie von der F.D.P. ihnen nicht zugestimmt haben, ist Ihre Sache.
({2})
Herr Schmidbauer, es bestand wirklich die Chance, in
dem Ausschuss eine Mehrheit für unsere Anträge zu finden. Ich halte es für unverantwortlich, wie Sie mit der
Hoffnung der betroffenen Frauen spielen. Warum haben
Sie nicht selber solche Anträge eingebracht? Wir haben
unsere Anträge fast wortwörtlich von Ihnen übernommen.
Trotzdem hatten Sie nicht den Mut, ihnen zuzustimmen.
Das wäre die einzige Möglichkeit gewesen, diese Anträge
einzubringen.
({3})
Frau Kollegin, achten
Sie auf die Redezeit, bitte.
Wie gesagt, wir haben es versucht. Wir haben festgestellt, dass es auch bei den Ländern keine Bereitschaft gibt. Nur um die von den Frauen
benötigte Entschädigung nicht immer weiter hinauszuschieben, haben wir zugestimmt. Ich bitte die Frauen,
dafür Verständnis zu haben. Es gibt keine Chance, etwas
anderes zu machen. Das muss man mit Bedauern hinnehmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile nun dem
Staatsminister Rolf Schwanitz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will zum
Schluss dieser Debatte für eine breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf werben. Ich verbinde das ausdrücklich mit einem aufrichtigen Dank an die Gesundheitsministerin für das, was - auch in der Auseinandersetzung mit
den Ländern - an Koordination geleistet worden ist. In
diesen Dank schließe ich den Amtsvorgänger ausdrücklich ein.
An dieser Stelle möchte ich meinen Dank und meinen
Respekt auch gegenüber allen Kolleginnen und Kollegen dazu gehören Herr Schmidbauer und Herr Schuhmann ausdrücklich zum Ausdruck bringen - man kann das nicht
an einer Fraktion festmachen, weil es fraktionsübergreifend war -, die während der schweren Monate und Jahre
zuvor im Gespräch mit den Betroffenen gewesen sind und
die gespürt haben, welche seelischen Verletzungen insbesondere dabei entstanden sind, dass der Ausspruch „Wer
schnell hilft, hilft viel“, den wir oft auf den Lippen haben,
gerade bei dieser Betroffenengruppe nicht in Erfüllung
gegangen ist.
({0})
Eine Billiglösung ist das wahrlich nicht. Bei der Rentenregelung ist man bis an die Grenze dessen gegangen,
was mit den Ländern einvernehmlich zu leisten war. Frau
Kollegin Fuchs, ich will den von Ihnen angesprochenen
Punkt erläutern: Die 15 Millionen DM, die der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages im letzten
Jahr in den Haushalt eingestellt hat, sind natürlich nicht
verschwunden, sondern etatisiert; sie stehen - noch in diesem Jahr - zur Finanzierung der Einmalleistungen zur
Verfügung.
Die qualitative Verbesserung dieses Gesetzentwurfs
besteht auch darin, dass neben den Rentenansprüchen die
schnelle Gewährung von Entschädigungsregelungen, von
Einmalleistungen in diesem Jahr auf den Weg gebracht
werden soll. Das ist eine substanzielle Verbesserung, mit
der man versucht, einiges wieder gutzumachen, was in
den Jahren zuvor leider versäumt worden ist. Ich bitte
auch diejenigen, die jetzt sagen: „Das ist zu wenig“, sich
der Zustimmung nicht zu verweigern. Für das Signal, das
von der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs ausgeht,
ist das Abstimmungsverhalten jedes Einzelnen in diesem
Haus wichtig.
Wir müssen gegenüber anderen Betroffenengruppen
eine Balance wahren. Vorhin ist das Thema SED-Opfer
angesprochen worden. Auch sie haben durch staatliches
Unrecht, durch Repression in den Haftanstalten - ohne einen Vergleich ziehen zu wollen, erlaube ich mir zu sagen:
noch viel direkter - Gesundheitsschäden erlitten. Ich
möchte nicht, dass wir eine der Betroffenengruppen in die
Zwangslage bringen müssen, in einen Wettbewerb über
den Nachweis darüber, wer größere Schäden erlitten hat
und infolgedessen bessere Leistungen zu erwarten hat,
einzutreten. Das haben die Betroffenengruppen nicht verdient. Meine herzliche Bitte an alle: Stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu; er hat einen breiten Konsens verdient.
Schönen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Anti-DHilfegesetzes, Drucksachen 14/2958 und 14/3538. Zur
Abstimmung liegen eine Erklärung von fünf Mitgliedern
der SPD-Bundestagsfraktion und eine andere Erklärung
von 34 Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion vor. Die
Erklärungen werden als Anlage zum Plenarbericht der
110. Sitzung abgedruckt. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Gegenstimmen ist der Gesetzentwurf
angenommen.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
dagegen ist, möge sich erheben. - Stimmenthaltungen? Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften
- Drucksachen 14/2959, 14/3433 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 14/3418 Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Susanne Tiemann
Volker Beck ({2})
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Mir ist gesagt worden, dass die Debattenbeiträge
der Kollegen Dirk Manzewski, Birgit Roth, Dr. Susanne
Tiemann, Werner Schulz, Rolf Kutzmutz und des Parla-
mentarischen Staatssekretärs Dr. Eckhart Pick zu Proto-
koll gegeben wurden.*) Sind Sie damit einverstanden? Ich sehe, dass das so ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzesentwurf zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften auf Drucksachen 14/2959 und 14/3418.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung
der F.D.P.-Fraktion ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf angenommen worden.
Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, die gerade
den Saal verlassen, darauf hinweisen, dass es noch ein
paar Abstimmungen gibt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert
Geis, Roland Pofalla, Wolfgang Bosbach, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der gesetzlichen Maßnahmen gegenüber Kinder- und Jugenddelinquenz
- Drucksache 14/3189 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es wurde vereinbart, zu diesem Punkt die Redebeiträge
der Abgeordneten Erika Simm, Anni Brandt-Elsweier,
Norbert Geis, Volker Beck, Jörg van Essen und Sabine
Jünger zu Protokoll zu geben.1)
*) Anlage 3
1) Anlage 4
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/3189 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Ulrike Flach, Hildebrecht Braun ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Eigentumsrechte nicht durch falsche Naturschutzpolitik aushöhlen
- Drucksache 14/1113 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Auch zu diesem Punkt wurden die Beiträge der Kolle-
gen Karsten Schönfeld, Christel Deichmann, Cajus
Caesar, Sylvia Voß, Ulrich Heinrich und Eva Bulling-
Schröter zu Protokoll gegeben.2) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/1113 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Uwe-Jens Rössel, Dr. Winfried Wolf, Dr. Dietmar
Bartsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes ({6})
- Drucksache 14/3332 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7})
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Die Reden der Abgeordneten Wieland Sorge, Norbert
Otto, Albert Schmidt und Horst Friedrich sollen zu Proto-
koll gegeben werden.3) Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Der PDS-Vertreter wünscht das Wort.
Herr Kollege Dr. Rössel, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Städten und
Gemeinden flattern extrem hohe Rechnungen für Umund Ausbaukosten an Kreuzungspunkten von Eisenbahnstrecken mit kommunalen Straßen ins Haus. So muss jeweils bis zu knapp 1 Million DM berappt werden, wenn
an einem Bahnübergang Schranken und Lichtsignaleinrichtungen der ehemaligen Deutschen Reichsbahn an den
bundesdeutschen Standard angeglichen werden sollen.
Von der Gemeinde Schönhausen in Sachsen-Anhalt werden sogar sage und schreibe 17 Millionen DM für den Bau
von zwei Brücken über die Ausbaustrecke Hannover-Stendal-Berlin verlangt - und das bei einem Gemeindehaushalt von 1 Million DM. Das ist unvorstellbar
und unverantwortlich zugleich.
({0})
Betroffene Städte und Gemeinden müssen für Kosten
in Höhe von insgesamt 500 Millionen DM zum Bau von
Eisenbahnbrücken und von Kreuzungsmaßnahmen zwischen Straße und Schiene, die sie nicht zu verantworten
haben, aufkommen. Die Ursache für diese Situation liegt
darin, dass der Bundesgesetzgeber es 1998 bei der letzten
Novellierung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes versäumt
hat, dies zu korrigieren. Es wäre aber möglich gewesen.
Es geht, wie gesagt, um Kosten in einem Umfang von insgesamt 500 Millionen DM, für die heute Städte und Gemeinden insbesondere in Ostdeutschland zur Kasse gebeten werden. Dafür gibt es keine sachliche Begründung.
Deshalb die heutige Gesetzesinitiative der PDS-Fraktion auf Drucksache 14/3332, die diesen Zustand beseitigen und die Kommunen dauerhaft von dieser Belastung
befreien will.
Eine Gegenfinanzierung haben wir selbstverständlich
auch vorgesehen. Sie besteht darin, dass erstens frei werdende Mittel aus der Magnetschwebebahn Berlin-Hamburg für diese Aufgabe genutzt werden und dass zweitens
speziell Brückenbauwerke auf regionalen Strecken künftig aus einem Fonds finanziert werden, der aus einer ab
2003 zu erhebenden Schwerlastabgabe gespeist wird.
({1})
Das sind also klare, realistische Vorschläge für die Finanzierung. Wir haben keine Luftnummer vorgelegt. Wir
wollen nämlich, dass die Befreiung der Kommunen von
diesen Belastungen dauerhaft erfolgt, zumal es keinen Beweis dafür gibt, dass die Kommunen diese Belastungen
tatsächlich zu tragen haben. Nur zwei Argumente möchte
ich heute nennen.
Erstens. Zweifellos entsprach das straßenseitige Erscheinungsbild von DDR-Bahnübergängen nicht dem
bundesdeutschen Standard. Eine Anpassung an die Bestimmungen der bestehenden Eisenbahnordnung ist daher
geboten. Sachlich nicht zu rechtfertigen ist jedoch, dass
auf Ostkommunen mit dem Verweis auf das besagte Eisenbahnkreuzungsgesetz ein Drittel dieser Kosten zukommen sollen. Dafür allerdings gibt es keine sachliche
Begründung.
Zweitens. Deutsche Reichsbahn wie auch Deutsche
Bundesbahn hatten - das ist gutachterlich bestätigt und
nachgewiesen - pflichtwidrig und über Jahre hinweg notwendige Unterhaltungsmaßnahmen an Straßenbrücken
unterlassen. Im Jahr 1998 wurden die Kommunen im Altbundesgebiet von diesen Kosten befreit, nicht aber die
Kommunen in den neuen Bundesländern - Ungleichbehandlung also auch hier ohne jedwede sachliche Begründung. Das ist schnellstens zu korrigieren.
({2})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
2) Anlage 5
3) Anlage 6
Der Bundesgesetzgeber hält nämlich an der irrigen
Rechtsauffassung fest, wonach die Verantwortung für
diese Sanierungsmaßnahmen 1953 - man höre und
staune: 1953 - in der DDR durch eine Verwaltungsvereinbarung geregelt worden sei. 1953, vor 47 Jahren also,
hat das die DDR-Regierung geregelt, was heute noch gelten soll. Das kann ja wohl nicht wahr sein.
Dabei war, um auf die Verhältnisse in der DDR zurückzukommen, die Übergabe der Baulast von der Bahn auf
die Kommunen nichts weiter als eine Veränderung auf
dem Papier. Sie wissen, in der DDR waren die Kommunen so genannte unterste Staatsorgane, was sehr kritikwürdig ist - das will ich überhaupt nicht ignorieren -, und
ebenso wie die Bahn Teil des Staates. Die Kommunen besaßen in der DDR keine Finanzhoheit und konnten folglich überhaupt nichts am Zustand von Brücken ändern,
haben dafür also auch nach bundesdeutschem Recht keine
Verantwortung zu tragen.
Fazit: Der Änderungsbedarf beim Eisenbahnkreuzungsgesetz ist groß. Die Fehlentwicklungen sind erheblich.
Mit den enormen Belastungen, die ich angesprochen habe
und die im Antrag sachlich nachgewiesen sind, werden
die kommunalen Finanzspielräume zumeist weit überschritten. Verschiedentlich stehen sogar langwierige
Rechtsauseinandersetzungen an. Die rot-grüne Bundesregierung aber sieht keinen Handlungsbedarf. Deshalb setzt
sich die PDS mit ihrer Gesetzesnovelle für die Befreiung
der Kommunen von diesen Kosten ein. Sie gibt dafür im
Gesetzesantrag auch eine stichhaltige Begründung.
Im Interesse der betroffenen Städten und Gemeinden
bitte ich Sie dringlich, diese Initiative ohne jedwede
ideologische Vorbehalte zu unterstützen.
Vielen Dank und schöne Pfingsten.
({3})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/3332 an die in der Tagesordnung aufgeführte Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred
Hartenbach, Hermann Bachmaier, Bernhard
Brinkmann ({0}), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Volker Beck ({1}), Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller ({2}), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Rechts an Grundstücken in den neuen Ländern
({3})
- Drucksache 14/3508 -
Es ist vereinbart, die Redebeiträge der Abgeordneten
Hans-Joachim Hacker, Andrea Voßhoff, Hans-Christian
Ströbele, Dr. Evelyn Kenzler und Dr. Eckhard Pick zu
Protokoll zu geben.*)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/3508 an die in der Tagesordung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist so. Damit ist die Überweisung beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 28. Juni 2000, 13.00 Uhr.
Ich wünsche Ihnen allen erbauliche, fröhliche Pfingsttage.
Die Sitzung ist geschlossen.