Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Der Kollege Nolting hat sich zu einer Frage gemeldet.
Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, haben Sie in Ihren Gesetzesentwürfen daran gedacht, den Bereich der Bundeswehr für Teilzeitarbeit zu
öffnen? Das gilt natürlich nicht für Soldaten im Einsatz.
Das habe ich mit meinen Ausführungen gemeint, Herr Kollege Nolting. Wir wollen die
berechtigten Interessen von Frauen berücksichtigen. Auf
der internationalen Frauenkonferenz unterhalten wir uns
darüber, was die Ausübung der Berufstätigkeit von Frauen
bedingt. Ich gehe davon aus, dass das in dem einen oder
anderen Fall möglich ist. Ich gehe auch davon aus, dass
das zum Beispiel bei militärischen Aufgaben in den Stäben möglich sein sollte.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Nolting.
Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass die F.D.P. es begrüßt, dass die
Regierung so weit ist, zumal das eine Forderung der
F.D.P. seit 1987 ist. Manche Dinge brauchen etwas länger.
Fortschritt, vor allem liberalen Fortschritt, kann man nicht
verhindern, allenfalls aufhalten. Würden Sie die Äußerungen der verteidigungspolitischen Sprecherin der Grünen auch so verstehen, die von einer Militarisierung der
Gesellschaft gesprochen hat, wenn sich die Bundeswehr
für Frauen öffnet?
Herr Kollege Nolting, erlauben
Sie mir bitte, festzustellen, dass zwischen den Jahren
1987 und 1998 die Koalition aus Christdemokraten und
Liberalen bestand und sich bei diesem schwierigen
Thema nicht einigen konnte. Erlauben Sie mir, ausdrücklich festzustellen, dass das Ganze ein erstaunlicher Fortschritt ist. Vorhin habe ich mit der Kollegin Frau Probst
darüber gesprochen, wie sich das Bewusstsein der Bevölkerung verändert. Vor einigen Jahren hätte ich noch mit
tiefer Überzeugung gesagt: Wir brauchen keine Frauen in
den Streitkräften und keine Frauen als Zeit- oder Berufssoldatinnen. Jeder frei gewählte Abgeordnete hat das
Recht, zu sagen, wie er diese Sache einschätzt. Sie müssen mit Frau Kollegin Beer, die Sie gemeint haben, selbst
diskutieren. Das können Sie als Obmann. Ich finde, dass
die Öffnung der Bundeswehr für Frauen keine Militarisierung der Gesellschaft bedeutet. Ich bin zu dem Urteil
gekommen, dass es sehr positiv ist, wenn Frauen mitarbeiten. Sie werden mir von unseren gemeinsamen Besuchen in Bosnien und Herzegowina bestätigen, dass die
dort eingesetzten Sanitäterinnen und Ärztinnen hervorragende Arbeit leisten, dass sie das Klima verbessern. Dort,
wo der Liberalismus fortschrittlich ist, werden wir ihm
ausdrücklich folgen.
({0})
Jetzt hat Herr Niebel
eine Frage. Bitte sehr.
Wir werden dem liberalen
Fortschritt nur dort folgen, wo er auch fortschrittlich ist.
Ich könnte noch etwas dazu sagen. Aber das wäre dann eine Anmerkung und keine
Frage. Nur so viel: Der Liberalismus ist überall fortschrittlich. Wir nehmen Ihr Angebot jedenfalls dankend
an.
Frau Staatssekretärin, ich möchte gern zu einem anderen von ihnen angesprochenen Themenbereich eine Frage
stellen. Sie haben die Einschränkung bei der Ausübung
kommunaler Mandate angesprochen. Auch Sie haben
wahrscheinlich den Bericht, der vor einigen Wochen im
„Focus“ veröffentlicht worden ist, über den Spitzenkandidaten der Freien Demokratischen Partei für die
Hamburgische Bürgerschaft gelesen. Nach diesem Bericht erschien dieser Spitzenkandidat, der aktiver Soldat
in der Bundeswehr ist, zumindest nicht ganz so frei in der
Ausübung seiner politischen Aktivität, wie man es sich
von einem Staatsbürger in Uniform wünschen würde.
Mich interessiert, ob die Änderung des Soldatengesetzes auch Konsequenzen für die Soldaten hat, die für ein
öffentliches Amt, für ein Mandat oder für ähnliche öffentliche Tätigkeiten kandidieren und ob die Rechte des
Staatsbürgers in Uniform durch die heute im Kabinett beschlossene Änderung eingeschränkt werden.
Diese Frage haben wir uns
natürlich auch gestellt, weil die Ausübung des kommunalen Mandats ein wichtiger Punkt ist. Ich muss zugeben,
dass ich den Artikel im „Focus“ nicht gelesen habe. Ich
glaube auch nicht alles, was in Zeitungen oder Zeitschriften steht. Ich spare meine Zeit für wichtigere Aufgaben.
Aber da es sich - ich denke, das kann ich verraten - um
den Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr handelt, der in Hamburg für die F.D.P. kandidiert,
({0})
und da die Hamburgische Bürgerschaft, Herr Niebel,
nicht nur ein Kommunalparlament, sondern auch ein Landesparlament ist, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen,
dass die politischen Rechte des kandidierenden Admirals
beschnitten werden können. Außerdem kennt er die rechtliche Lage gut genug. Eine Begrenzung bei der Ausübung
der politischen Rechte ist mir in diesem Fall völlig unbekannt.
Es muss aber in der Tat von Fall zu Fall abgewogen
werden, ob jemand - deswegen habe ich das vorhin erwähnt - sein Mandat im Kreistag von Hameln-Pyrmont
wahrnimmt oder ob er ein Mandat als ehrenamtlicher
stellvertretender Landrat wahrnimmt. In letzterer Funktion wird er relativ viel gefragt sein. Schon bei der Planung seines Einsatzes muss man auf die Ausübung seines
Mandats Rücksicht nehmen. Aber es sollte so sein, dass
qualifizierte Fachleute - das wird Berufssoldaten betreffen - auch für den Einsatz vorgesehen sind. Ich gehe davon aus, dass wir dies gut lösen können, und zwar gemeinsam mit den jeweiligen Abgeordneten, die sich für
die Soldaten einsetzen werden.
Herr Niebel, eine
Frage.
Frau Staatssekretärin, aber Sie
gestehen mir zu, dass meine Frage insofern nicht ganz unberechtigt war, weil die Stellung eines Kommunalpolitikers, der bereits ein Mandat hat, eigentlich deutlich stärker ist als die eines Kandidaten für ein Parlament, auf welcher Ebene auch immer, und dass zumindest die
Befürchtung nicht unberechtigt ist, dass der Dienstherr
Einfluss auf die Ausübung der Kandidatur nehmen
könnte.
Das kann ich mir überhaupt
nicht vorstellen. Es gibt von den in den Parlamenten vertretenen Parteien nur eine Partei, von der ich mir nicht
wünsche, dass für sie Berufssoldaten und Zeitsoldaten
kandidieren. Ich sage das sehr offen: Die Kandidatur eines Offiziers für die Republikaner ist zwar rechtmäßig,
aber nicht so sehr eine Zierde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei den Kandidaturen für die anderen Parteien
Einschränkungen geben könnte.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Teil der Regierungsbefragung? - Das ist
nicht der Fall. Es bleibt aber noch Zeit für die Regierungsbefragung.
Wir kommen dann zu den freien Fragen. Herr Koschyk
hat Fragen. Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, ich
habe eine Frage, die sich auf den Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes bezieht. Es hat eine öffentliche Diskussion über den Antrag der Sudetendeutschen
Landsmannschaft gegeben, auch vertriebenen Sudetendeutschen Leistungen aus dem deutsch-tschechischen
Zukunftsfonds - zumindest symbolisch - zu gewähren,
die von den Vertreibungsmaßnahmen nach 1945 besonders betroffen gewesen waren und die noch keine Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz bekommen haben. Im Vorfeld der Befassung mit dieser Frage
durch die Gremien des Fonds hat der Herr Bundesaußenminister diesen Antrag als kontraproduktiv und schädlich
für die deutschen Interessen bezeichnet.
Ich selber habe in der Fragestunde vom 10. Mai 2000
eine Frage an das Auswärtige Amt gerichtet, wie es den
Vorschlag des früheren Beraters des tschechischen Ministerpräsidenten, Herrn Doležal, bewertet, der in die gleiche
Richtung wie der Antrag der Landsmannschaften abzielt.
Darauf hat mir Herr Staatsminister Volmer geantwortet,
dass dies einen bemerkenswerten Beitrag zur andauernden tschechischen Debatte über die Vertreibung darstelle.
Warum deklariert das Auswärtige Amt einen derartigen
Vorschlag von tschechischer Seite als „bemerkenswerten
Beitrag“, während derselbe Vorschlag, wenn er von einer
deutschen Organisation gemacht wird - es geht um einen
Fonds, der auch mit deutschen Steuermitteln angefüllt
wird -, als „kontraproduktiv“ und „schädlich für die deutschen Interessen“ bezeichnet wird?
Herr Staatsminister
Dr. Volmer beantwortet diese Frage. Bitte sehr.
Herr Koschyk, ich habe den Vorschlag in der Tat als
„bemerkenswert“ bezeichnet. Ich habe aber auch darauf
hingewiesen, dass er ein Diskussionsbeitrag eines ehemaligen Regierungsberaters und kein offizieller Vorschlag einer tschechischen Instanz war.
Nach meinem Studium der Aktenlage für den heutigen
Tag haben Sie exakt die von Ihnen soeben gestellte Frage
auch für die Fragestunde schriftlich formuliert. Ich würde
Ihnen gerne die vorbereitete Antwort in der Fragestunde
mündlich geben. Falls Sie dann nicht da sein können,
möchte ich sie entsprechend schriftlich beantworten.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, damit bin ich selbstverständlich einverstanden. Ich hatte
vom Parlamentssekretariat des Bundestages die Auskunft
erhalten, dass man mit dem Hinweis auf eine am Freitag
stattfindende Bundestagsdebatte diese Frage nicht zulassen wolle. Ich bin dann auf die Möglichkeit der Befragung
der Bundesregierung hingewiesen worden. Wenn der Herr
Staatsminister bereit ist, meine nach der Geschäftsordnung in die Fragestunde ordnungsgemäß eingebrachten
Fragen zu beantworten, dann habe ich selbstverständlich
bis zur Fragestunde Geduld.
Die Fragen werden beantwortet werden.
Die Fragen sind für
zulässig erklärt und werden damit beantwortet werden.
Besteht der Wunsch nach weiteren Fragen an die Bundesregierung? - Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Auch meine Frage richtet sich an das Auswärtige
Amt. Auf dem Gipfel des Europäischen Rates, der in diesem Monat stattfindet, soll unter anderem, wie mir erst am
vergangenen Wochenende vom Europäischen Behindertenforum mitgeteilt wurde, ein Beschluss darüber gefasst
werden, wie Selbsthilfeorganisationen in der EU demnächst gefördert werden sollen bzw. wie hoch der jeweilige Eigenanteil an entsprechenden Fördermitteln sein
soll. Die Befürchtung war sehr deutlich vorhanden, dass
der Eigenanteil so weit steigen könnte, dass Selbsthilfeorganisationen häufig gar nicht mehr in der Lage sein
werden, entsprechende Fördermittel in Anspruch zu nehmen. Welche Haltung wird die Bundesregierung dort einnehmen? Auf welches Ziel werden Sie hinarbeiten? Was
kann dahin gehend geschehen, dass sich Selbsthilfe als
Faktor der Möglichkeit demokratischer Mitwirkung in
Europa weiterentwickeln wird?
Herr Staatsminister,
bitte.
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis dafür, dass
ich Ihnen nicht zu allen Tagesordnungspunkten, die auf
künftigen Konferenzen behandelt werden, aus dem Handgelenk den Sachstand darstellen kann. Die generelle Linie
der Bundesregierung besteht darin, Selbsthilfeorganisationen und Einrichtungen von Behinderten zu fördern, auf
welcher Ebene auch immer. Ich erlaube mir, Ihre Frage,
dem Protokoll entnommen, schriftlich zu beantworten.
Wenn das geschehen ist, verfügen Sie über den konkreten
Sachstand.
Damit sind Sie einverstanden? - Ja.
Wir haben noch weitere Zeit für die Regierungsbefragung. Aber es will niemand mehr Fragen stellen. Dann
können wir das Ganze abschließen. Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an einer
internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes
für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für
das Kosovo auf der Grundlage der Resolution
1244 ({0}) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen vom 10. Juni 1999
- Drucksache 14/3454 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell
wird Überweisung des Antrages der Bundesregierung auf
Drucksache 14/3454 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Nun käme Zusatzpunkt 1, die vereinbarte Debatte zur
Zukunft der Bundeswehr. Wenn ich mich umsehe, dann ist
es, glaube ich, besser, wenn wir noch einen Augenblick
warten.
Ich unterbreche die Sitzung für zehn Minuten.
({1})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung des Deutschen Bundestages wieder.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Vereinbarte Debatte
zur Zukunft der Bundeswehr
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung
sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Gernot Erler, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen vor einer Reform der Bundeswehr, die keinen Aufschub duldet. Wir stehen hierbei in einem vorgegebenen, objektiven
Zeitrahmen, weil - das ist eine unbestreitbare Tatsache in den letzten zehn Jahren notwendige Veränderungen
aufgeschoben wurden und weil die internationalen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland mit der
Bundeswehr erfüllen muss, ohne eine solche Strukturreform nicht erfüllbar sind.
({0})
Die Bundesrepublik hat wichtige Verpflichtungen innerhalb der Europäischen Union übernommen, zum Beispiel sich im Rahmen der so genannten „European headline goals“, der Verpflichtungen von Helsinki, in angemessener Form in der kurzen Zeitspanne bis zum Jahre
2003 an schnellen Einsatzkräften im Umfang von
60 000 Mann zu beteiligen. Sie hat im Rahmen der so
genannten Stand-by-Arrangements Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen übernommen. Sie hat im
Augenblick einen verantwortungsvollen Einsatz in BosHartmut Koschyk
nien und im Kosovo zu erfüllen und sie hat natürlich ständig auf die Erfüllung der vielfältigen Bündnisverpflichtungen vorbereitet zu sein.
Das alles ist mit der Bundeswehr, wie wir sie vor
16 Monaten vorgefunden haben, nicht zu erfüllen. Deswegen besteht die objektive Notwendigkeit, eine Reform
durchzuführen.
({1})
In 16 Jahren Regierungsverantwortung - das muss ich
den Kollegen auf der rechten Seite des Hauses sagen - ist es versäumt worden, die Bundeswehr zukunftssicher zu machen.
({2})
In 16 Monaten hat Verteidigungsminister Scharping die
entscheidenden Schritte zu einer zukunftsfähigen Bundeswehr vorbereitet, ja zu einem erheblichen Teil bereits
eingeleitet. Das ist der Unterschied.
Zu diesen Vorbereitungen gehört, dass seriöse Bestandsaufnahmen über die Lage der Bundeswehr nicht
nur gemacht, sondern in den letzten 16 Monaten auch fortgeschrieben worden sind. Dazu gehört, dass der Verteidigungsminister in zahlreichen Begegnungen mit den Soldaten und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr - 25 an der
Zahl - über die Notwendigkeit der Veränderungen gesprochen hat. Dazu gehört, dass er schon im Juli letzten
Jahres Vereinbarungen mit deutschen Unternehmen zur
Förderung der Zusammenarbeit und der beruflichen Qualifizierung und Beschäftigung abgeschlossen hat. Dazu
gehören der Rahmenvertrag „Innovation, Investition und
Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr“ vom Dezember
letzten Jahres und die kürzlich erfolgte Gründung der
Agentur „Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und
Betrieb“.
Natürlich gehören dazu die Berichte, die jetzt dem Reformprojekt unmittelbar zugrunde liegen. Als Erstes
nenne ich den Bericht der Kommission „Gemeinsame
Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“, die von Präsident a. D. Richard von Weizsäcker geleitet wurde und
die uns nach 13 Monaten intensiver Arbeit unter Einholung von zahlreichen, perspektivischen Stellungnahmen
am 23. Mai 2000 einen sehr wertvollen Bericht mit Analysen und Empfehlungen zugeleitet hat. Ich möchte im
Namen meiner Fraktion noch einmal sagen: Wir sind für
diese wichtige Arbeit außerordentlich dankbar, die uns in
unserer Arbeit im Bereich der Sicherheitspolitik und der
Verteidigung noch weit über die jetzt zu treffenden Entscheidungen hinaus beschäftigen wird. Wir haben diesbezüglich einen großen Dank abzustatten.
({3})
Zu diesen Grundlagen gehört auch das, was der scheidende Generalinspekteur mit seinem Papier zu den Eckwerten für die konzeptionelle und planerische Weiterentwicklung der Streitkräfte am gleichen Tag wie die
Weizsäcker-Kommission vorgelegt hat, und dazu gehört
das Eckpfeilerpapier des Bundesministers der Verteidigung unter dem Titel „Die Bundeswehr sicher ins
21. Jahrhundert“ vom 1. Juni dieses Jahres. Das sind die
Grundlagen der Arbeit, die wir jetzt zu leisten haben.
Ich finde, dass wir in diesem Hause allen Grund haben,
dem Bundesminister der Verteidigung Rudolf Scharping
für seine engagierte und professionelle Vorbereitung der
überfälligen Reform der Bundeswehr Anerkennung und
Dank zu sagen.
({4})
In 16 Monaten ist mehr Bewusstsein über die Veränderungsnotwendigkeiten in der Bundeswehr, mehr Bereitschaft zur Reform und mehr Argumentationssicherheit in
Bezug auf die Grundlagen geschaffen worden als in den
vielen Jahren davor, in denen sich diese Notwendigkeiten
schon längst abgezeichnet haben.
Ich möchte Ihnen jetzt acht wesentliche Punkte vortragen, mit denen unsere Fraktion, die SPD-Bundestagsfraktion, an dieses Werk der Strukturveränderung und der Reform der Bundeswehr herangehen will.
Zunächst einmal glauben wir, dass die Vorlage, die der
Bundesminister hier geliefert hat, das Eckpfeilerpapier,
eine fachlich überzeugende und tragfähige Grundlage ist.
Ich begrüße ganz besonders, dass auch die Fachverbände
das inzwischen so sehen und dies geäußert haben.
({5})
Das ist ein sehr guter Start für das, was vor uns steht.
({6})
Wir sind der Meinung, dass die allgemeine Wehrpflicht im Augenblick nicht zur Disposition gestellt werden kann, und zwar vor allen Dingen aus zwei Gründen wir wissen, dass nicht alle in diesem Haus das genauso sehen -: Der eine Grund ist die langjährige sicherheitspolitische Vorsorge, zu der wir verpflichtet sind und bei der
wir nicht ausschließlich von der aktuellen sicherheitspolitischen Lage ausgehen können.
Hinsichtlich des anderen Grundes möchte ich eine Argumentation aufgreifen, die uns die Weizsäcker-Kommission geliefert hat und die gerade in den Reihen meiner
Fraktion große Beachtung findet, nämlich eine friedenspolitische Argumentation für die vorläufige Beibehaltung
der Wehrpflicht in dem Sinne, dass, wer das Ziel der Krisen-Deeskalation, der Deeskalationsdominanz, also die
Möglichkeit, in einer sicherheitspolitisch herausfordernden Situation nicht krisenverschärfend, sondern krisenbeherrschend zu reagieren, ernst nimmt, die Flexibilität
braucht, die nur die Wehrpflicht gewährleistet. Das ist ein
wichtiger Grund, der uns mit bewogen hat, zu diesem Beschluss zu kommen.
Wir sind der Meinung, dass die Rahmendaten, die von
der Weizsäcker-Kommission und in dem Eckpfeilerpapier
des Bundesministers genannt worden sind, richtig sind.
Wir haben deswegen einen Vorschlag mit Bandbreiten
gemacht, der die Daten von beiden Empfehlungen
berücksichtigt. Wir haben deshalb Bandbreiten gewählt,
weil wir als Leute, die lange in diesem Geschäft sind,
wissen, dass es schon immer einen ziemlichen Unterschied zwischen dem Soll und dem Ist hinsichtlich des
Umfangs der Bundeswehr gegeben hat und dass das unvermeidlich ist.
Ausdrücklich unterstützen wir die Bemühungen des
Bundesministers der Verteidigung, die Attraktivität des
Dienstes in der Bundeswehr zu stärken und hier vor allen Dingen durch Reformmaßnahmen beim Laufbahnrecht, besonders bei der Unteroffizierslaufbahn, endlich
gegenüber anderen Bereichen nachzuziehen und diesen
Dienst attraktiver zu machen.
Ich habe schon die Partnerschaft mit Industrie und
Wirtschaft, den Rahmenvertrag und die Agentur erwähnt.
Wir unterstützen diesen Prozess. Er mobilisiert auch notwendige Mittel für die erforderliche Erweiterung des
Investitionsanteils im Bundeswehrhaushalt. Wir sind
der Meinung, dass das BMVg das Recht haben muss,
diese erwirtschafteten Rationalisierungserlöse in einem
angemessenen Umfang zu nutzen, um den investiven Teil
der Bundeswehrplanung zu verstärken.
Wir sind allerdings der Meinung - wir wissen uns darin
im Konsens mit der Bundeswehrführung und mit dem
Verteidigungsminister -, dass auch der Einzelplan 14 an
dem beschlossenen Konsolidierungsprogramm teilhaben
muss und dass man hier nicht ausscheren kann, was
einschließt, dass für die internationalen Einsätze die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen.
Diese Festlegung schließt nicht aus - das will ich hier
betonen -, dass Sonderverabredungen in der Art eines
Programmgesetzes, zum Beispiel um die laufbahnrechtlichen Ungleichheiten in der Bundeswehr auszugleichen,
möglich sind.
Wir haben in dem Beschluss unserer Fraktion auch die
Erwartung geäußert - wir sind uns da ebenfalls mit dem
Verteidigungsminister einig -, dass wir sehr sorgfältig
und nachvollziehbar mit der Frage der künftigen
Standortplanung umgehen müssen. Das Wichtigste sind
hier die Partizipation, die Beteiligung der Betroffenen, sowie die Transparenz und die Verlässlichkeit der Entscheidungen. Wir haben überhaupt kein Verständnis
dafür, wenn einige Kolleginnen und Kollegen und Parteien schon heute Unsicherheit hinsichtlich der Standortplanung schüren,
({7})
wider besseres Wissen, denn sie wissen ganz genau, dass
hier ein verlässlicher Weg eingeschlagen wird. Wir halten
das für unverantwortlich und fordern Sie auf, mit diesen
Kampagnen aufzuhören.
({8})
Unsere Anerkennung der Arbeit der Kommission unter
der Führung von Richard von Weizsäcker - damit komme
ich zum Schluss - drückt sich nicht nur in einem Dank
aus, sondern auch darin, dass wir unserer zuständigen
Arbeitsgruppe und dem Verteidigungsministerium den
Auftrag erteilt haben, die sicherheitspolitischen Vorstellungen und Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission,
die in verschiedenen Bereichen hochinteressant und produktiv sind, zu beraten und uns über die Möglichkeit der
Umsetzung dieser Empfehlungen Bericht zu erstatten.
Meine Damen und Herren, die Bundeswehrreform ist
eine so wichtige Aufgabe - die Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in der gesamten internationalen
Politik ist davon berührt und hängt von einem vernünftigen Ergebnis ab -, dass wir es für angemessen halten, zu
einem gesellschaftlichen und parteiübergreifenden - auch
in diesem Hause - Konsens zu kommen. Wir sind im Rahmen dieser wichtigen Reform zu einem Dialog mit Ihnen
bereit. Wir setzen auf Ihre Bereitschaft, zu diesem Konsens beizutragen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Bevor ich dem Kollegen Paul Breuer das Wort gebe, möchte ich, dass wir einen Augenblick innehalten: Unsere Kollegin Angelika
Beer, die nach dem Kollegen Breuer sprechen wird, ist
heute Nacht in ihrem Hausflur hinterhältig angegriffen
worden und hat sich schwere Verletzungen zugezogen.
Sie ist trotzdem - tapfer, wie wir Frauen sind - heute im
Bundestag anwesend.
Wir waren unsicher, wie wir heute mit diesem Vorfall
umgehen sollen. Es ist ein erschreckendes Ereignis. Wir
sind entsetzt, dass ein Mitglied der deutschen Volksvertretung hinterhältig angegriffen wurde. Das hat viel zu tun
mit Stimmungen, Gewaltbereitschaft, mit dem Verständnis von Demokratie und vielleicht auch mit dem Umgang
untereinander. Ich wollte das hier zur Kenntnis geben. Wir
freuen uns, dass Sie, Frau Beer, heute hier anwesend sind.
Frau Kollegin, Sie haben unsere Solidarität.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Paul Breuer.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Normalerweise sollte
heute eine Regierungserklärung abgegeben werden; das
war so angekündigt.
({0})
Angekündigt war, dass Verteidigungsminister Scharping
eine Erklärung für die Regierung zu seinem Konzept zur
Strukturreform der Bundeswehr abgibt.
Wir stellen fest: Diese Regierungserklärung findet
nicht statt. Stattdessen führen wir heute eine Debatte, die
davon geprägt sein wird, dass die Koalition insgesamt
ohne ein gemeinsames Konzept in diese Debatte hineingeht. Das erschwert diese Debatte ungemein. Sie haben
kein Konzept für die Bundeswehr!
({1})
- Herr Kollege Schlauch, es wird in dieser Debatte ja die
Gelegenheit geben, Erklärungen dafür zu hören, warum
sich die Bundestagsfraktion der Grünen zu einem Zeitpunkt, zu dem Herr Scharping sein Konzept vorgelegt hat,
in einer völlig anderen Art und Weise im Hinblick auf die
Bundeswehr und die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik positioniert. Diese Antworten müssen Sie heute in
dieser Debatte geben.
({2})
Ich will Ihnen das an zwei Punkten deutlich machen:
Wenn Herr Erler soeben Wert darauf gelegt hat - in dieser
Frage haben wir eine Gemeinsamkeit -, dass die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht im Wesentlichen
Vorsorgecharakter für Eventualitäten in der sicherheitspolitischen Entwicklung, die wir heute nicht überblicken
können, besitzt, Sie von den Grünen aber genau gegenteilig votieren, die allgemeine Wehrpflicht abschaffen
und die Bundeswehr ohne sicherheitspolitische Begründung in Hinsicht auf die Risiken auf ein Minimum reduzieren wollen - dies sind ja die Vorstellungen der Grünen -, dann stelle ich fest: Die Vorstellungen der SPD sind
mit denen der Grünen eigentlich gar nicht vereinbar. Die
Unterstützung der Koalition für das Konzept des Verteidigungsminister Scharping ist infrage gestellt.
Als nächsten Punkt möchte ich die Frage der Zeitgestaltung ansprechen. Was veranlasst diese Regierung, was
veranlasst diesen Minister eigentlich, ein Konzept in diesem Schweinsgalopp, in dieser Hektik durchpeitschen zu
wollen?
({3})
Der Minister hat der deutschen Öffentlichkeit ein ganzes
Jahr lang erzählt, sein Handeln finde vorbehaltlich der
Empfehlungen der Wehrstrukturkommission statt. Er
hat Bescheide über das Aufrechterhalten von Bundeswehrstrukturen, über einzelne Standorte unterschrieben,
in denen stand: vorbehaltlich der Empfehlungen der
Wehrstrukturkommission. Ich stelle fest, Herr Minister
Scharping, dass Sie zu keinem Zeitpunkt Interesse an dem
hatten, was die Wehrstrukturkommission sagt; denn sonst
wäre diese Zeitgestaltung gar nicht möglich gewesen.
({4})
Ich stelle ein Zweites fest: Sie haben die deutsche Öffentlichkeit weiter verunsichert, indem Sie parallel dazu
eine Planung in Ihrem Ministerium in Auftrag gegeben
haben,
({5})
eine Planung des Generalinspekteurs.
({6})
Man konnte gar nicht darauf warten, was in der Wehrstrukturkommission gesagt oder nicht gesagt wird. Ich
stelle fest: Sie haben einen Tag, nachdem der Generalinspekteur der Bundeswehr dieses Papier vorgelegt hat, in
der Öffentlichkeit in einer Nebenbemerkung deutlich gemacht, was Sie davon halten - nämlich nichts -, indem Sie
den Generalinspekteur in einer unsäglichen Art und Weise
entlassen haben.
({7})
Sie haben damit deutlich gemacht, was Sie vom militärischen Sachverstand halten. Sie sind dem deutschen Parlament und der Öffentlichkeit für Ihr Handeln eine Begründung, auch eine sicherheitspolitische Begründung schuldig.
({8})
Nun höre ich aus der SPD-Fraktion, Minister
Scharping lege Wert darauf, Kompromisse zwischen den
Empfehlungen der Kommission und den Vorstellungen
des Generalinspekteurs zu finden.
({9})
Wenn er darauf Wert gelegt hätte, dann hätte er in einer
fundierten Diskussion mit einer klaren Analyse der deutschen Sicherheitsinteressen und einer klaren Analyse
des deutschen bzw. europäischen bzw. euro-atlantischen
sicherheitspolitischen Umfeldes begründet, warum er
nicht der einen oder anderen Empfehlung der Kommission oder der einen oder anderen Empfehlung des Generalinspekteurs folgt. Er hat es ohne Begründung getan.
Diese Sicherheitsanalyse ist nicht erfolgt. Das schlägt sich
in der Diskussion in der grünen Fraktion nieder. Das, was
jetzt stattfindet, trägt zu einer unglaublichen Verunsicherung der deutschen Öffentlichkeit, der Bundeswehr, ihrer
Soldaten und deren Familien bei.
({10})
Man hat den Eindruck, man sei auf einem Basar. Sagen
Sie hier doch: Was hat die SPD-Fraktion veranlasst, in
ihrem Beschluss von gestern nicht klar die Struktureckwerte von Herrn Scharping zu unterstützen, sondern sich
Spielräume zu verschaffen? Ich bin nicht davon überzeugt, dass ein so schwerwiegender Einschnitt in die Personalsubstanz und den Umfang der Bundeswehr in der
Größenordnung - militärisch und zivil - von 100 000 gerechtfertigt ist. Wenn Sie Margen einräumen, wenn Sie
Spielräume schaffen, wie Sie es gestern getan haben - so
habe ich Ihren Beschluss verstanden -, sind Sie dazu bereit, die Größe der Bundeswehr noch stärker zu beschneiden. Eine sicherheitspolitische Begründung, Herr Kollege
Erler, haben Sie dafür in Ihrer Rede aber nicht gegeben.
({11})
Die Frage, wo die Sicherheitsrisiken für Deutschland
liegen, muss einer vertieften Betrachtung unterzogen werden.
({12})
Wo liegen die deutschen Sicherheitsrisiken beispielsweise im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls in Europa? Ich finde in diesem Konzept keine Aussage dazu. Dass innerhalb der Koalition eine solche Debatte über die Wehrpflicht ohne eine solche Begründung
geführt wird, ist dann geradezu natürlich. Wir müssen unseren Mitbürgern, insbesondere den jungen Männern in
Deutschland, klar sagen, dass wir als Rückversicherung
für das Risiko eines Rückfalls in Europa die allgemeine
Wehrpflicht auf Dauer benötigen, dass sie die Bundeswehr in der Gesellschaft verankert. Diese Diskussion, die
innerhalb dieser Koalition nicht stattfindet, muss ausgetragen werden.
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt,
dass die Seriosität des Programms von Herrn Scharping
nicht nur aus diesen Gründen infrage zu stellen ist. Sie ist
insbesondere auch deshalb infrage zu stellen - dies spielt
ja auch innerhalb der Koalition eine Rolle -, weil niemand
weiß, ob die Finanzierung gesichert ist. Wenn ich mir das
scharpingsche Konzept im Hinblick auf die Finanzierung
anschaue, stelle ich fest: Es ist keine einzige konkrete
Haushaltszahl zu finden. Dieses Konzept ist nicht bis zum
Ende durchdacht; seine Finanzierung ist nicht abgesichert.
Über diese Frage findet ja auch innerhalb der Koalition
eine Debatte statt. Wenn Herr Kollege Schlauch zum Ausdruck bringt, dass der Verteidigungsetat entsprechend
dem Rückgang beim Personalbestand der Bundeswehr
sinken müsse, dann konterkariert er genau das, was
Minister Scharping will, der sagt: Ich muss das Personal
herunterfahren, damit ich Mittel für Investitionen gewinne, um die Bundeswehr zu modernisieren. Wenn Sie
sich innerhalb der Koalition - Sie wollen zusammen den
Haushalt vorlegen - zum heutigen Zeitpunkt nicht einig
darüber sind, dass das eine geht oder das andere geht, aber
nicht beides zusammen, dann sage ich Ihnen: Diese Konzept ist nicht tragfähig, es ist nicht seriös.
({13})
Es ist nicht möglich, ständig den nationalen und internationalen Stimmen zu widersprechen.
({14})
Ich habe im Vorfeld dieser Debatte einen Hinweis von
meinem Kollegen Austermann, unserem Sprecher im
Haushaltsausschuss, bekommen.
({15})
Er hat in der Berichterstattersitzung, die heute zum Verteidigungsetat abgehalten wurde, eine interessante Feststellung seitens des Ministeriums vernommen: Auf
Seite 24 Ihres Konzeptes, Herr Minister Scharping, haben
Sie in einer Übersicht, die mit „Eckpfeiler“ überschrieben
ist, aufgeführt, dass die Zahl der Panzer um 25 Prozent zu
reduzieren ist, die Zahl der Schützenpanzer um 25 Prozent
usw.; dort steht, wo Aufwüchse zu erwarten sind und wo
neue Systeme eingeführt werden. Als der Kollege
Austermann dazu eine spezielle Frage an das Ministerium
gestellt hat - warum denn dort eine bestimmte Zahl
stehe -, hat, so ist mir berichtet worden, Frau Kollegin
Schulte, Ihre Parlamentarische Staatssekretärin, geantwortet, dass diese Seite 24 des Konzeptes zwischen Planungsstab und Führung des Ministeriums nicht abgestimmt gewesen ist.
({16})
Wenn dies, Herr Kollege Scharping, ein Eckpfeiler Ihres
Gebäudes ist, dann, so sage ich Ihnen, muss dieses Gebäude schon jetzt zu Bruch gehen. Denn das ist nicht zuverlässig.
({17})
Ich will neben den beschriebenen Risiken auf ein Risiko hinweisen, das immer verklausuliert dargestellt wird.
Herr Scharping schreibt im Rahmen dessen, was er Finanzierungskonzept nennt, dass er prüfen werde, ob dem
Deutschen Bundestag ein Programmgesetz vorgelegt
werde. Ich sage Ihnen: Wir fordern ein Programmgesetz,
das alle Maßnahmen beschreibt, das den Zeitpunkt beschreibt und das die Finanzierung beschreibt - damit das
Konzept überhaupt „tragfähig“ genannt werden kann.
Wenn Sie schreiben, Sie prüften, ob in Abstimmung mit
dem Finanzminister ein Programmgesetz vorgelegt werden solle, dann will ich Ihnen sagen: Prüfen Sie, ob Sie
dem Deutschen Bundestag, im Übrigen auch der Bundeswehr, unseren Verbündeten und der nationalen und internationalen Öffentlichkeit versichern können, dass dieses
Konzept überhaupt tragfähig ist. Legen Sie das Programmgesetz vor! Machen Sie damit das, was Sie tun,
transparent. Die Verunsicherung, die überall im Lande
existiert - Kollege Erler sprach die Standortfrage an -, ist
doch auf der Basis dieser Betrachtung völlig natürlich.
({18})
Kollege Breuer, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich komme zum Ende,
Frau Präsidentin.
({0})
Ich behaupte, dass es nicht möglich ist, das Konzept einer massiven Reduzierung unter dem Diktat des Rotstifts es basiert nicht auf einer sicherheitspolitischen Analyse ({1})
ohne massive Schließungen von Standorten in Deutschland umzusetzen, und gebe daher das Risiko der
Schließung von durchaus respektablen Standorten in der
Größenordnung von 100 bis 150 an. Das ergibt sich aus
dem Zahlenwerk, das uns vorliegt. Eine andere Betrachtung ist aus dem Erkenntnisstand und den Erfahrungen
der Vergangenheit nicht seriös.
({2})
Bis jetzt waren Sie nicht in der Lage, dieses Konzept in
all seinen Schritten transparent zu machen - in der Finanzierung ist es nicht tragfähig und es ist auch nicht konsensfähig -, und deshalb fordere ich Sie auf, das endlich
zu tun.
Ich bedanke mich.
({3})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zunächst begrüßen, dass diese Debatte heute stattfindet; denn es ist eines unserer wesentlichen Anliegen,
über die Zukunft der Bundeswehr und die dazu bestehenden Modelle zu diskutieren. Wir glauben, dass die Gesellschaft und die Bundeswehr ein Anrecht darauf haben,
dass diese Debatte nach 16 Jahren sicherheitspolitischer
Verkrustung unter Ex-Bundeskanzler Kohl hier jetzt
tatsächlich geführt wird.
({0})
Herr Breuer, Sie sind lange genug Mitglied des Deutschen Bundestags, und deshalb muss ich Ihnen sagen: Es
ist vollkommen abwegig, eine Regierungserklärung von
Verteidigungsminister Scharping zu erwarten, wenn wir
uns noch in diesem Diskussionsprozess befinden,
({1})
der der Vorbereitung einer Kabinettsentscheidung in den
nächsten Wochen dienen soll.
Das Ende des Ost-West-Konflikts liegt ein gutes
Jahrzehnt zurück, und wir stehen heute vor einer meines
Erachtens grundlegenden Entscheidung für die Bundeswehr und die Gesellschaft. Der Versuch der ehemaligen
Regierung unter Helmut Kohl - Sie, Herr Breuer, können
mit dem Kopf schütteln, solange Sie wollen, Sie haben
das sozusagen als Pfeiler, wenn auch immer als morscher,
mitgetragen -,
({2})
die Debatte über die Reform der Bundeswehr zu
blockieren, hatte zweierlei Gründe. Der erste Grund war:
Man hätte über die Auswirkungen - da sind natürlich die
wirtschaftliche Entwicklung und die Standortfrage entscheidend - diskutieren müssen. Der zweite Grund war:
Man hätte sich trauen müssen, eine gesellschaftliche Debatte zu führen, die eine außen- und sicherheitspolitische Analyse voraussetzt.
Es ist eine Tatsache, dass es Ihre Regierung nie geschafft hat, eine solche Analyse vorzunehmen. Sie hatte
nie den Mut, Reformschritte in diese Richtung zu gehen.
Diese Politik, die Sie mitverantwortet haben, hat uns dahin geführt, wo wir heute sind, nämlich zu einer Bundeswehr, die in der Sackgasse gelandet, in ihren Strukturen
veraltet ist, nicht mehr entsprechend ihren Aufgaben eingesetzt werden kann und deren Material und Ausstattung
mangelhaft sind.
({3})
- Zur Landesverteidigung reicht es. Darauf komme ich
aber gleich noch, wenn ich über die Frage der Risikoanalyse und der Notwendigkeiten sprechen werde.
Ich appelliere wirklich an die Opposition: Nehmen Sie
sich einmal eine halbe Stunde Zeit, zumindest die Kurzfassung des Berichts von Richard von Weizsäcker zu lesen. Lesen Sie wenigstens die Kurzfassung, mehr will ich
gar nicht erwarten.
({4})
- Herr Breuer offensichtlich nicht. Ich bin ja fair, ich beziehe mich auf meinen Vorredner.
Wir kommen in unserer sicherheitspolitischen Analyse
zu dem gleichen Ergebnis wie Richard von Weizsäcker.
Wir sagen: Die Bundeswehr ist überdimensioniert und unterfinanziert, und sie kann die von der Bundesregierung
eingegangenen Verpflichtungen im Rahmen der NATO
und der Europäischen Union langfristig nicht erfüllen.
Ich möchte feststellen: Das, was Richard von Weizsäcker
vorgeschlagen hat, hat nichts mit einer Interventionsarmee zu tun. Die Kommission hat dezidiert alle Aufgaben,
die wir bereits politisch übernommen haben, aufgelistet
und hat herunterdekliniert, was das für die Bundeswehr
bedeutet.
Ich will gar nicht nur positiv über die WeizsäckerKommission reden. Wir haben auch Kritik geäußert, und
zwar nicht nur bezüglich der Beibehaltung der Wehrpflicht. Dazu sage ich später noch etwas. Wir glauben,
dass auch etwas anderes ganz wesentlich ist - das ist das
Anliegen meiner Fraktion, über das wir offen diskutieren
und zu dem wir uns auch positioniert haben - : Wir weigern uns, die Debatte über die Bundeswehrreform nur
hinsichtlich der Personalstärke oder der Frage „Wehrpflicht ja oder nein?“ zu führen. Wir fordern - das ist die
Konsequenz aus der Beteiligung am Krieg gegen ExJugoslawien -, dass wir, nicht nur Deutschland, sondern
alle europäischen Staaten, aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Einer dieser Fehler - und er ist gravierend -, dass man bei der zivilen Konfliktprävention und
-moderation trotz des vorhandenen breiten Spektrums an
Instrumenten mehr als nachlässig war, dass man die
Kräfte, die zu nutzen möglich gewesen wäre, nicht ausgebildet hat
({5})
und dass man zum Beispiel die Implementierung von internationalen Polizeieinheiten mehr als vernachlässigt
hat. All dies liegt so klar auf dem Tisch - und war auch
Konsens hier im Haus -, dass wir dann, wenn auch schon
unter Federführung von Ex-Kanzler Kohl eine aktive
Präventionspolitik stattgefunden hätte, möglicherweise in
der Lage gewesen wären, unter Verzicht auf nationalstaatliche Interessen in ganz Europa den Krieg im Kosovo
zu verhindern.
Deswegen sage ich noch einmal: Die Reform der Bundeswehr muss in eine Reform der Außen- und Sicherheitspolitik - und dort gerade im präventiven Bereich eingebettet werden. Wir leben in einer Industriegesellschaft, die nicht in erster Linie durch militärische Power
verteidigt werden kann. Vielmehr müssen wir Demokratien stärken und unterstützen. Wir müssen für eine wirtschaftliche Weiterentwicklung in den ärmeren Regionen
sorgen und so - nicht nur durch den Stabilitätspakt im
Balkan, sondern hoffentlich auch durch diese Konzepte Stabilität erreichen.
Für uns - dies sage ich auch als Grüne, und ich wundere mich, dass bisher noch gar kein Vorwurf vom Kollegen Breuer oder von anderen gemacht worden ist - gehört
zu den Konsequenzen aus den beiden Kriegen im Kosovo
und in Bosnien: Wir haben gelernt, dass die Bedrohungen und Konflikte in und rund um Europa neue Formen
angenommen haben. Wir haben gelernt, dass dann, wenn
nichts anderes mehr hilft, der Einsatz von Militär als letztes Mittel, als Ultima Ratio, notwendig ist,
({6})
um zu versuchen, weitere Eskalationen zu verhindern.
Aufgrund dieser Einsicht - Sie wissen, dass unsere
Partei lange darüber diskutiert hat - sagen wir: Wir wollen eine wirkliche Reform. Dann, wenn wir aufgrund eines internationalen Mandats noch einmal dazu gezwungen werden, die Bundeswehr einzusetzen, haben die Soldaten das Recht, adäquat ausgestattet zu sein, dann haben
sie das Recht auf eine breite politische Unterstützung aus
dem Parlament. Deswegen sind wir bei der Reform mit
unserem Zahlenansatz sehr viel radikaler - das CDU-Modell will ich gar nicht erwähnen, das ist „out of area“ der
Diskussion - als zum Beispiel die SPD-Fraktion mit ihren
momentanen Eckpunkten und auch als von Weizsäcker.
Wir sind der Meinung, dass zukünftig 200 000 Soldatinnen und Soldaten ausreichend sind. Dann können wir
den Konsolidierungsrahmen des Haushaltes einhalten und
den investiven Anteil erhöhen. Dann - dies ist uns besonders wichtig und ich glaube, das ist auch klar geworden werden wir die Mittel haben, um in die Kriegsverhütung
zu investieren. Dies ist allemal billiger, als sich an einem
Krieg, der leider notwendig war, zu beteiligen.
Ich will zum Bereich der Prävention ein Beispiel nennen. Uns wird immer unterstellt: Ihr redet immer nur davon, macht aber überhaupt nichts. Das Gegenteil ist der
Fall. Wir haben angefangen, im Auswärtigen Amt Menschen auszubilden, die international zur Prävention eingesetzt werden können. Wir haben erreichen können, dass
von der OSZE Beschlüsse zur schnellen Eingreiffähigkeit
im zivilen Bereich gefasst wurden. Ich glaube, dass es gut
ist, wenn die Bundeswehr der Zukunft im Rahmen einer
solchen präventiven Außenpolitik eingesetzt werden
kann, was dann auch bedeutet, dass die Unterstellungen,
eine Freiwilligen- oder Berufsarmee sei automatisch eine
Ramboarmee, nicht untermauert werden. Vielmehr sollte
im politischen Bewusstsein des Parlaments an erster
Stelle stehen: Der Primat der Politik ist unbestritten, und
die Stärkung der inneren Führung und der politischen Bildung in einer Armee gleich welcher Wehrform ist weiterhin im demokratischen Rahmen zu gewährleisten.
Die Folge aus dem, was ich eben ausgeführt habe, heißt
für Grüne - auch das war ein schmerzlicher Diskussionsprozess; das sage ich ganz ehrlich -, die Verantwortung
für radikale Reduzierung und Modernisierung zu übernehmen, friedenskompatibel und abrüstungskompatibel.
Wenn ich noch einmal auf die Kommission und dabei
besonders auf die Wehrpflicht zu sprechen komme - ich
habe es eben schon am Rande gestreift -, so bin ich aus
guten Gründen überzeugt: Diese Debatte hat verdeutlicht,
dass die Position meiner Partei und Fraktion zutreffend
ist, auch wenn jetzt gesagt wird, es gibt keine politische
Mehrheit zur Abschaffung der Wehrpflicht. Wir meinen:
Die Wehrpflicht ist ein Auslaufmodell.
({7})
Wir sehen mit Zuversicht der weiteren Entwicklung entgegen. Ich will das aber auch begründen.
Unsere Regierung hat gezeigt, dass sie handlungsfähig
ist. Wir haben mit dem heutigen Kabinettsbeschluss sichergestellt, dass Frauen gleichberechtigt in der Bundeswehr ihren Dienst tun können, ohne Diskriminierung. Wir
gehen dann eben nur einen Schritt weiter - ich denke, das
ist auch selbstverständlich -: Freiwilligkeit für Frauen
muss auch Freiwilligkeit für junge Männer bedeuten.
Wenn Sie vorhin vielleicht doch die sicherheitspolitische Analyse verfolgt haben, dann haben Sie erkannt, dass
unser Staat zum heutigen Zeitpunkt kein Recht mehr hat,
Jugendliche zu zwingen, ihren Lebensweg zu unterbrechen und im Rahmen der Wehrpflicht oder des Zivildienstes einen Dienst zu tun. Deswegen setzen wir darauf, dass
wir die freiwilligen Dienste insgesamt ausbauen. Freiwilligkeit für die Jugend bedeutet aber auch: Wir lehnen
eine allgemeine Dienstpflicht für Jugendliche ab. Das
sage ich ganz klar, weil die eine oder andere Stimme in der
letzten Zeit immer wieder kam; ich glaube, Kollege
Kossendey hatte so etwas einmal andiskutiert.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?
Nein,
heute nicht, sorry.
Eine allgemeine Dienstpflicht wird es mit uns nicht geben. Ich glaube, dass sie auch in der Gesellschaft nicht legitimierbar wäre, genauso wenig wie die weitere Aufrechterhaltung des Zwangsdienstes für junge Männer.
Das letzte Kriterium will ich hier nicht verschweigen.
Wir machen keine Bundeswehrstruktur nach Finanzlage
oder Spardiktat von Finanzminister Eichel, sondern unsere Regierung hat die Verantwortung übernommen, den
Schuldenberg abzubauen und den Zustand der Bundesfinanzen zu konsolidieren. Dazu haben wir Rahmenpunkte
beschlossen, und diese Rahmenpunkte werden wir einhalten. Das heißt auch ganz klar, dass die Bundeswehr
sich daran beteiligen muss.
Ich habe Verständnis dafür, dass das vielen schwer
fällt. Manches wird wehtun. Ich habe aber kein Verständnis dafür, dass Unionsangehörige, die 16 Jahre lang Raubbau an der Bundeswehr betrieben haben,
({0})
sich jetzt hinstellen und sagen, alles ist gut, wir brauchen
nur mehr Geld.
({1})
Ich möchte zum Schluss allen Mitgliedern der Wehrstrukturkommission und insbesondere auch Richard von
Weizsäcker dafür danken, dass sie den Auftrag der rotgrünen Regierung umgesetzt haben.
({2})
Der Auftrag war, unter Analyse der sicherheitspolitischen
Rahmenbedingungen ein Reformmodell für die Bundeswehr zu entwickeln. Das hat die Kommission geleistet.
Jetzt ist es an der Politik, zu entscheiden, wie weit sie
geht, aber ich bin der Überzeugung, dass der konsequente
Reformansatz der Wehrstrukturkommission tatsächlich
Messlatte für die nächsten Jahre sein wird und dass eine
Annäherung an das alte Modell „Schieben, Strecken,
Streichen“ à la Rühe nicht tragfähig ist, weil sie in kurzer
Zeit eine neue Reformdebatte verursachen würde.
Noch einmal: Die Kommission hat ihre Arbeit getan.
Wir haben sie ebenso wie andere Konzepte begrüßt und
zum Teil kritisiert. Ich glaube, dass viele Reformvorschläge, die dort gemacht worden sind, in die Kabinettsberatungen und in die Vorlage des Bundesministers der
Verteidigung einfließen werden. Wir werden dann entscheiden müssen, ob wir dem Interesse der Soldaten an
Planungssicherheit gerecht werden können. Sie verlangen nun endlich Planungssicherheit, weil sie gerade bei
internationalen Einsätzen gemerkt haben, dass der Reformstau der letzten Jahre zulasten der Einsatzfähigkeit,
der Kommunikation und der Möglichkeit einer multinationalen Zusammenarbeit geht.
Gleichgültig, wie die Entscheidung aussehen mag: Ich
sehe uns auf gutem Wege, von einem bornierten nationalstaatlichen Streitkräftedenken zu einer europäischen Gemeinsamkeit zu kommen, die nicht nur militärisch-sicherheitspolitisch orientiert ist, sondern die Frage der Krisen- und Kriegsverhinderung ganz in den Vordergrund
stellt.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun der
Kollege van Essen, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Seit der deutschen Wiedervereinigung haben wir uns von vielen Illusionen verabschieden
müssen. Es hat nicht den sicheren Frieden gegeben, an
den viele geglaubt haben, sondern im letzten Jahr einen
heißen Krieg mitten in Europa.
Wir brauchten bei dem Einmarsch in den Kosovo wieder schwere Panzer, obwohl alle Experten Anfang der
Neunziger Jahre die Zeit für leicht bewegliche und leicht
gepanzerte Truppen gekommen sahen.
({0})
Unsere Truppen sind immer noch auf dem Balkan, obwohl wir zu Beginn unseres Engagements glaubten, dass
das Ganze allenfalls ein Jahr dauern würde. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Zahl der Krisenreaktionskräfte hinten und vorne nicht reicht.
({1})
Die Forderungen sind deshalb klar: eine Reform der
Streitkräftestruktur für eine leistungsfähige und attraktive
Bundeswehr mit dem Ziel der Gliederung in Einsatzstreitkräfte und eine Basisorganisation sowie eine weitere
Differenzierung der Wehrpflicht und Verkürzung der
Wehrdienstdauer auf das unbedingt notwendige Maß, die
Verringerung des Personalumfangs der Bundeswehr auf
eine sicherheitspolitisch vertretbare und staatspolitisch
verantwortbare Größenordnung, die Anhebung der Finanzmittel für Zeit- und Berufssoldaten, die Höherdotierung der Einstiegsgehälter und - besonders wichtig - die
schnelle Anhebung der Ostgehälter auf Westniveau.
({2})
Weiter ist zu fordern: die Anhebung der investiven
Ausgaben im Verteidigungshaushalt auf mindestens
30 Prozent, die Steigerung der Effizienz der Bundeswehr
durch Rationalisierung und Privatisierung, wo immer
möglich, und schließlich die Öffnung aller Truppengattungen für Frauen.
Ich habe jetzt nicht aus dem Eckwertepapier des Ministers vom 1. Juni 2000 zitiert,
({3})
obwohl man dort vieles von den Forderungen, die ich gerade vorgetragen habe, findet. Ich habe vielmehr aus dem
Wahlprogramm der F.D.P. für die Bundestagswahl 1998
zitiert.
({4})
Zwei Jahre sind mittlerweile vergangen, und 20 Monate
rot-grüner Regierung liegen hinter uns. Bisher hat sich leider nichts getan. Anstatt unverzüglich an die notwendigen
Planungen - deren Notwendigkeit ich Ihnen zugestehe heranzugehen, hat die Regierung unheimlich viel Zeit dadurch verspielt, dass sie eine Kommission einberufen hat.
({5})
Die Tatsache, dass die Zeit verspielt worden ist, können Sie an einem ganz einfachen Vorgang erkennen: Die
F.D.P.-Bundestagsfraktion hat im Frühjahr letzten Jahres
ihr Positionspapier zu einer Reform der Bundeswehr vorgestellt. Dieses Papier enthält 80 Prozent dessen, was der
Herr Minister heute als sein eigenes Konzept vorstellt.
Das macht deutlich, dass nahezu alle Entscheidungen bereits Anfang des letzten Jahres hätten getroffen werden
können.
({6})
Jeder weiß auch, warum es so lange gedauert hat. Uns
war für heute zunächst eine Regierungserklärung angekündigt worden. Diese gibt es nicht, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: In dieser Frage herrscht zwischen SPD und Grünen keine Übereinstimmung.
({7})
Die Grünen sind offensichtlich der Auffassung, dass man
auch in diesem Punkt den verstaubten Forderungen der
Alt-68er folgen muss und dass das deshalb hier noch einmal präsentiert werden muss.
({8})
Dies geht immer noch nach dem Motto: Was schadet der
Bundeswehr am meisten? Das kann so nicht sein. Wir
müssen zusammenarbeiten. Es muss so sein, dass die
Bundeswehr auf die breite Zustimmung des ganzen Hauses bauen kann. Deshalb hoffe ich, dass wir zu einer Lösung kommen werden, die eine breite Mehrheit im Hause
finden wird.
({9})
Wir sind im Übrigen - das zeigt die Übereinstimmung
von 80 Prozent mit unserem Positionspapier - mit vielen
Überlegungen des Ministers einverstanden, nämlich mit
der Reduzierung der Bundeswehr bei gleichzeitiger Aufstockung der Einsatzkräfte auf 150 000 Soldaten. Das ist
überfällig, weil es sicherheitspolitisch und finanziell geboten ist. Durch die Stärkung des Generalinspekteurs und
den Aufbau eines ihm direkt unterstellten Einsatzstabes
entsteht de facto der von uns geforderte Generalstab. Der
Generalinspekteur ist sein Chef und militärischer Befehlshaber.
Uns gefällt auch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Nur so lässt sich die Entlastung der Bundeswehr
von nicht verteidigungsrelevanten Aufgaben bewerkstelligen.
Schließlich sind wir, weil wir die einzige Fraktion im
Deutschen Bundestag waren, die das seit Jahren gefordert
hat, sehr froh, dass es eine Öffnung der Bundeswehr
ohne Einschränkung für die Frauen gibt. Ich sage aber
auch deutlich: Wir bestehen darauf, dass das auf einer
verfassungsrechtlich gesicherten Grundlage geschieht.
({10})
Die Absicht der Bundesjustizministerin, das auf der
Grundlage einer Auslegung des Grundgesetzes durchzuführen, wird unseren schärfsten Widerstand finden. Die
Frauen haben es nicht verdient, dass Karlsruhe der
Bundesregierung hinterher eine Lektion erteilt.
({11})
Lassen Sie mich auch eine persönliche Bemerkung machen. Ich war in der Bundeswehr Wehrpflichtiger. Mein
Batteriechef während meiner Wehrpflichtzeit war der damalige Oberleutnant von Kirchbach. Ich hatte ihn danach
noch zweimal zum Vorgesetzten: einmal als Brigadekommandeur, einmal als Divisionskommandeur. General von
Kirchbach hat mich und viele andere Soldaten geprägt
wie kaum ein Vorgesetzter. Er war ein Beispiel in seiner
persönlichen Dienstgestaltung. Er war ein Beispiel in der
Form, wie er mit uns Soldaten umgegangen ist. Deshalb
trifft es mich persönlich, wie mit dem Generalinspekteur
in dieser Sache umgegangen worden ist.
({12})
General von Kirchbach hat sich Verdienste in den
neuen Bundesländern erworben, die wir alle kennen.
({13})
Deshalb bedaure ich es zutiefst, dass seine Funktion als
Generalinspekteur, als höchster Soldat der Bundeswehr,
in einer vorzeitigen Zurruhesetzung endet.
({14})
- Das ist genau das Gegenteil von innerer Führung, wie
der Kollege Breuer sagt.
({15})
Der Generalinspekteur ist, wie ich glaube, offensichtlich
missbraucht worden. Die Überlegungen der WeizsäckerKommission gingen in eine andere Richtung als die
Überlegungen des Ministers. Deshalb wurde der
Generalinspekteur gebeten, ein Papier zu erarbeiten - offensichtlich ohne Vorgaben, wie es von der politischen
Leitung zu erwarten ist. Das Ergebnis war, dass man ihn
hat im Regen stehen lassen. Das kann so nicht sein und ist,
wie ich finde, menschlich zutiefst unanständig.
({16})
Ich habe viele Punkte angesprochen, in denen wir mit
dem Minister übereinstimmen. Ich will aber auch die Unterschiede deutlich machen. Wir können uns mit dem von
Ihnen angedachten flexiblen Wehrdienst nicht einverstanden erklären. Sie wissen, Herr Minister, dass Ihnen
alle Kommandeure davon abgeraten haben, und zwar aus
guten Gründen. Jeder, der einmal selbst Kommandeur gewesen ist - ich bin es regelmäßig -, weiß, mit welcher
Einstellung die Soldaten kommen, die nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr wieder für kurze Zeit einberufen werden. Sie können es möglichst unbürokratisch
regeln wollen, es wird trotzdem besonders teuer werden,
Soldaten, die sechs Monate Grundwehrdienst geleistet haben, für eine kurze Zeit wieder einzuberufen.
Ich sage Ihnen auch voraus: Jeder von denen, die für
eine kurze Zeit wieder in der Bundeswehr Dienst tun sollen, wird Tausende von Gründen finden, warum er es nicht
tut. Die Wehrgerechtigkeit wird darunter leiden: Die
Dummen leisten neun Monate Wehrdienst. Andere werden nur sechs Monate Grundwehrdienst leisten und dann
versuchen, sich zu drücken. Das kann nicht das Ergebnis
einer Reform sein.
({17})
Im Übrigen, Herr Minister, müssen Sie die Frage beantworten, wie Sie eigentlich die notwendige Zahl an
Wehrpflichtigenstellen schaffen wollen. Sie gehen von
77 000 Stellen aus. Wer die Grundrechenarten beherrscht,
weiß, dass Sie bei neun Monaten Grundwehrdienst eigentlich 135 000 Stellen benötigen.
({18})
- Die Zahl der Wehrübungsplätze - der Hinweis ist richtig - ist ständig reduziert worden, sodass es erhebliche
Probleme geben wird. Hier werden Sie auf unseren entschlossenen Widerstand stoßen.
Die Bundeswehr - das sollen meine letzten Bemerkungen sein; ich habe schon vorhin dazu angesetzt - ist
ein Parlamentsheer. Die Bundeswehr lebt davon, dass ihre
Einsätze eine breite Unterstützung im Deutschen Bundestag finden. Deshalb ist die F.D.P. zu Gesprächen über die
Frage bereit, wie wir eine moderne, den Anforderungen
gerecht werdende Bundeswehr schaffen können.
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat nun der
Vorsitzende der PDS-Fraktion, Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, das Problem der heutigen Debatte besteht zum
Teil darin, dass sie zehn Jahre zu spät kommt. Das ist ein
Vorwurf, den man wirklich nicht der heutigen, sondern
der vergangenen Koalition machen muss.
({0})
Im Jahr 1990 gab es in Europa den bisher größten Umbruch: Der Warschauer Pakt brach zusammen; die Nationale Volksarmee wurde aufgelöst; die Sowjetunion brach
ein Jahr später zusammen. Das heißt, der Kalte Krieg ging
zu Ende, und viele Strukturen, die in der alten Bundesrepublik Deutschland entstanden waren, hatten natürlich
mit dem Kalten Krieg zu tun. Dies bezog sich sowohl auf
die Bundeswehr als auch auf den BND und viele andere
Einrichtungen. Ich habe mich schon damals ungeheuer
gewundert, dass diese Institutionen einfach so weitermachten, als ob sich auf der Welt nichts verändert hätte.
Damals hat die Notwendigkeit einer ernsthaften politischen Diskussion über die Fragen bestanden - ich spreche
noch gar nicht von Strukturveränderungen -: Wie sollen
die Aufgaben solcher Einrichtungen in der Zukunft aussehen? Brauchen wir sie noch oder brauchen wir sie
nicht? Wenn wir sie brauchen, wofür brauchen wir sie
dann und in welchem Umfang? Diese politische Diskussion hat im Grunde genommen nie stattgefunden. Das ist
nun wirklich ein Versäumnis der alten Bundesregierung.
Deshalb halte ich den Vorwurf, die neue Bundesregierung
habe sich viel Zeit gelassen, für unbegründet. Tatsächlich
hat sich die alte Bundesregierung nach 1990 acht Jahre
lang Zeit gelassen. Damals hätte diesbezüglich etwas geschehen können.
({1})
Was passiert nun in einer Situation, wie ich sie gerade
beschrieben habe? In einer solchen Situation beginnen die
Institutionen, sich selbst Gedanken darüber zu machen,
was aus ihnen werden könnte. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Im Plutoniums-Untersuchungsausschuss stellte sich
heraus, dass sich der BND mit kriminellem Plutoniumhandel in Russland und in anderen Ländern beschäftigt
hatte. Diese Aufgabe war ihm gar nicht von der Politik
vorgegeben worden; vielmehr hatte sich der BND diese
Aufgabe selber gesucht, nachdem die alten Aufgaben
weggefallen waren. Das heißt, wenn die Politik nicht
Vorgaben macht und bestimmt, was unter völlig veränderten politischen Bedingungen aus solchen Institutionen
werden soll, dann suchen sich die entsprechenden Einrichtungen selbst ihre Aufgaben.
({2})
Das haben wir auch bei der Bundeswehr erlebt. Ich
möchte Sie daran erinnern, dass im Jahre 1992 das erste
wirkliche Dokument bezüglich der Frage auf den Tisch
kam, was mit dieser Institution geschehen soll, und zwar
vorgelegt vom damaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, von Herrn Naumann. Nicht die Politik, sondern der
Generalinspekteur hat ein Papier erarbeitet, das dokumentiert, wie er sich künftig die Aufgaben der Bundeswehr vorstellt. Allein an diesem Vorgang wird das Versäumnis der Politik deutlich.
Ich habe das damals von Herrn Naumann vorgelegte
Papier scharf kritisiert. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, warum ich das getan habe: Der Generalinspekteur hat
gefordert, dass der Einsatz der Bundeswehr auch dann infrage kommen solle, wenn der freie Welthandel in irgendeiner Form beeinträchtigt sei. Der Kollege Breuer hat damals darauf hingewiesen, dass der freie Welthandel völkerrechtlich geschützt sei; deshalb sei dies eine völlig
legitime Forderung. Ich finde sie aberwitzig, weil es unterschiedliche Arten von Völkerrechtsverletzungen gibt.
Nicht auf jede Völkerrechtsverletzung, sondern nur auf
sehr wenige Völkerrechtsverletzungen darf mit Militär
reagiert werden. Diese Fälle sind in der Charta der Vereinten Nationen geregelt. Die Störung des freien Welthandels gehört ganz bestimmt nicht dazu. Aber solche
Ideen entstehen natürlich, wenn sich die Politik keine Gedanken über Struktur und Aufgaben einer Institution
macht.
Der damaligen Opposition - da schließe ich mich ein muss ich allerdings einen Vorwurf machen: Wir haben darauf nicht genügend gedrängt. Das müssen wir ehrlicherweise zugeben. Deshalb können wir die Verantwortung
nicht nur bei der Regierungskoalition, sondern auch bei
uns sehen. Das will ich in diesem Zusammenhang deutlich sagen.
Im Übrigen darf ich daran erinnern, wie schwer es in
der letzten Legislaturperiode war, die Frage der Traditionspflege zu klären.
({3})
Wissen Sie noch, wie Vertreter Ihrer Fraktion hier darum
gekämpft haben, dass jeder Wehrmachtsgeneral in der
Tradition der Bundeswehr erhalten bleibt? Zwar gab es in
Ihrer Fraktion unterschiedliche Auffassungen, aber geredet haben immer nur diejenigen, die für die alten Namen
waren. Es war schwer, ein bestimmtes Denken zu überwinden. Wenn die Politik das nicht leistet, dann können
wir es von den Institutionen erst recht nicht erwarten.
Lassen Sie mich etwas zur Zukunft sagen. Es kann
doch nur um die enge Anlehnung an das Grundgesetz gehen. Das Grundgesetz stellt für die Bundeswehr einen klaren Verteidigungsauftrag - Landesverteidigung und
Bündnisverteidigung - fest. Alle jetzt gemachten Vorschläge laufen mehr oder weniger darauf hinaus, zu
klären, wie die Bundeswehr international eingesetzt werden kann, auch wenn kein Fall von Landesverteidigung
und kein Fall von Bündnisverteidigung vorliegt. Ich will
deutlich sagen: Derartige Vorschläge gehen an der Verfassung vorbei.
({4})
Herr van Essen, auch in diesem Falle ist die Verfassung
nie geändert worden; es gab immer nur unterschiedliche
Interpretationen. Gegen diese Art von Denken stellen wir
uns allerdings ganz eindeutig: Eine reduzierte Bundeswehr, die wirklich die Aufgabe der Landesverteidigung
und gegebenenfalls der Bündnisverteidigung hat, bejahen
wir. Das geschieht natürlich mit dem Ziel - übrigens steht
auch das in dem F.D.P.-Programm -, irgendwann zu einer
Welt ohne Armeen und Waffen zu kommen.
({5})
Dieses Ziel behalten wir uns genauso vor, wie es die
F.D.P. in ihrem Parteiprogramm formuliert hat.
Aber auf dem Weg dahin - ich räume ein, dass das eine
weite Strecke ist - müssen wir über Schritte in diese Richtung nachdenken: Reduzierung der Streitkräfte und Abrüstung. Es geht also nicht darum, Interventionsfähigkeit
zu schaffen, sondern sich auf Verteidigungsfähigkeit zu
beschränken. Genau das ist die Zielstellung, die wir in unserem Vorschlag für eine 100 000-Personen-Armee unterbreitet haben. Dies ist übrigens nicht ohne Gespräche mit
Soldaten und Experten geschehen, die uns gesagt haben,
dass sowohl Landesverteidigung als auch Bündnisverteidigung mit einer solchen Armee zu gewährleisten wären,
wenn man nicht mehr will. Aber das haben offensichtlich
alle anderen Fraktionen in diesem Hause vor.
({6})
Lassen Sie mich noch etwas zur Frage der Wehrpflicht
sagen. Haben wir denn in dem Sinne noch eine Wehrpflicht? Nehmen Sie diesen Begriff doch einmal wörtlich.
Die Angelegenheit hängt mit der Einschätzung des
Sicherheitsrisikos zusammen. Ich behaupte, dass es im
Augenblick keine Wehrpflicht mehr, sondern eine Sicherheitsdienstpflicht ist, weil es ein irgendwie nennenswertes, absehbares, akutes Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland in verteidigungspolitischer Hinsicht nicht gibt. Das gilt trotz der Situation auf dem
Balkan.
({7})
- Mit der Vorsorge ist das immer eine schwierige Sache.
Als die Wehrpflicht eingeführt wurde und überhaupt in
der ganzen Zeit des Kalten Krieges gab es eine völlig andere Situation. Damals ließ sich die Wehrpflicht in der Bevölkerung viel leichter erklären, weil jeden Tag aufgrund
des Kalten Krieges ein „heißer Krieg“ ausbrechen konnte.
Diese Situation ist einfach nicht mehr da. Sie können
nicht mit lauter Nebenargumenten versuchen, ein Instrument aufrechtzuerhalten, das letztlich im Kalten Krieg
entstanden ist und das heute seine Berechtigung verloren
hat.
({8})
Das stärkste Argument ist es, zu sagen, dass auch eine
Berufsarmee große Risiken beinhaltet und dass es einen
ständigen Austausch mit der Gesellschaft geben muss.
Diesem Argument stehen auch wir nicht gleichgültig gegenüber. Deshalb war unser Vorschlag: Wie wäre es mit
einer Armee, die zu einem bestimmten Teil aus Berufssoldaten und zu einem größeren Teil aus Zeitsoldaten unterschiedliche Fristen bis maximal zwölf Jahre; sie
können auf freiwilliger Basis auch geringer sein - besteht? So hätte man über die Zeitsoldaten einen ständigen
Austausch mit der Gesellschaft.
Die Situation, dass bestimmte Menschen zur Bundeswehr müssen und andere nicht, besteht doch schon heute.
Es gibt eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen - es
ist keine geringe Zahl -, die immer den Kriegsdienst verDr. Gregor Gysi
weigern und Zivildienst leisten wird; insofern gibt es
schon heute diese Art von Trennung. Mit unserem Modell
könnte zumindest dem Anliegen des Austauschs mit der
Gesellschaft entsprochen werden. Auf die Wehrpflicht
kann man einfach verzichten; sie ist nicht mehr zeitgemäß.
({9})
Alle Argumente, die Sie für die Wehrpflicht zu finden versuchen, sind letztlich an den Haaren herbeigezogen.
Die Kollegin Beer hatte versprochen, etwas zur Einschätzung des Sicherheitsrisikos zu sagen. Sie hat es
nicht getan, obwohl sie es angekündigt hat. Ich dachte, etwas Neues zu lernen; aber es ist nichts gekommen. Ich
will ihr heute jedoch alles nachsehen und werde mich deshalb mit ihr wenig auseinander setzen, trotz aller politischen Differenzen, die auch bleiben werden. Ich finde
diesen Überfall einfach schrecklich und unsäglich. Hier
müssen wir deutliche Zeichen gegen Gewalt - auch nach
innen in die Gesellschaft - setzen. So etwas darf es einfach nicht geben. Das ist nicht hinnehmbar und duldbar.
({10})
Wenn wir nicht anfangen umzudenken, wenn wir uns
nicht erst einmal über die Aufgaben der Bundeswehr verständigen, werden wir zu Lösungen zumindest in der Art,
wie wir sie für angemessen hielten, nicht kommen. Die
Diskussionen werden weitergehen.
Lassen Sie mich deshalb noch zu einigen wenigen Dingen etwas sagen, die hier angesprochen worden sind,
zunächst zu der Art der Entlassung des Generalinspekteurs von Kirchbach. Auch mich ärgert das, und zwar ärgert mich das deshalb, weil man die Begründung nicht erfährt. Man kann nur spekulieren. Nun muss ich Ihnen von
der CDU/CSU und der F.D.P. allerdings sagen: Sie haben
das Gesetz verabschiedet, wonach das nicht zu begründen
ist. Jetzt können Sie sich nicht darüber beschweren, dass
dieses Gesetz auch angewandt wird. Dann müssen wir
eben die Gesetze diesbezüglich verändern. Es ist nun einmal so, dass man solche Beamten ohne Begründung entlassen kann, was ich übrigens als einen großen Nachteil
empfinde; denn ich meine, auch diese Menschen haben
einen Anspruch darauf, zu erfahren, warum sie entlassen
werden, genauso wie die Öffentlichkeit eigentlich einen
Anspruch darauf hätte. Ich finde es bedauerlich, dass das
gesetzlich anders geregelt ist.
Ich habe mich sehr gefreut, dass die Kollegin Beer hier
von der Forcierung der zivilen Konfliktprävention und
-bewältigung gesprochen hat. Sie hat auch gesagt, dass
zum Beispiel in Bezug auf den Kosovo diese Möglichkeiten nie ausgeschöpft worden sind. Da aber gibt es einen großen Widerspruch. Wenn sie denn nie ausgeschöpft
worden sind, dann war der Krieg eindeutig falsch, den wir
immer verurteilt haben, zumal er unter Verletzung des
Völkerrechts zustande kam. Dann hätte man eben die zivilen Konfliktvorbeugungs- und -bewältigungsmöglichkeiten ausnutzen müssen.
({11})
Ich kann Ihnen sagen, dass diesbezüglich die Initiativen der neuen Regierung nicht besonders glaubwürdig
sind. Die Friedensforschung erhält seit Jahren keine
Mark mehr, sondern Jahr für Jahr ist dafür im Haushalt
weniger vorgesehen. Hier hatten wir auf eine wirkliche
Korrektur gehofft. Sie findet aber nicht statt. Die Friedensinstitute, die in der heutigen Debatte so gut wie gar
keine Rolle spielten, haben hochinteressante Vorschläge
unterbreitet, zum Beispiel zur Abschaffung der Wehrpflicht und zur Reduzierung der Streitkräfte. Sie gehen
nicht so weit wie wir, was die 100 000-Personen-Armee
angeht. Ich sage extra „Personen“, nicht „Mann“ oder
„Frau“. Das wäre wieder ein eigenes Thema. In dieser
Frage sind auch wir uns - das will ich gar nicht bestreiten - nicht einig. Das müssen wir weiter diskutieren. So
etwas gibt es halt auch in der PDS.
Eine der wichtigsten Sachen, die im Eckwertepapier
nicht vorkommt, wäre es meines Erachtens, aus Gründen
der inneren Einheit endlich die Dienstbezüge in Ost und
West anzugleichen. Sie können eine unterschiedliche Bezahlung gerade in einer einheitlichen Armee eines Landes
überhaupt nicht begründen.
({12})
- Das stimmt nicht, sagt meine Kollegin gerade. Klären
Sie das miteinander. Ich war nicht im Verteidigungsausschuss. Ich kann nur eines dazu sagen: Es ist nicht hinnehmbar, dass selbst beim Einsatz im Kosovo Soldaten
unterschiedlich bezahlt werden, je nachdem, ob sie aus
den neuen oder aus den alten Bundesländern kommen.
({13})
- Moment! Sie wurden zunächst unterschiedlich bezahlt.
Das ist dann erst korrigiert worden. Man hätte gar nicht
erst auf die Idee kommen dürfen, es so zu gestalten. Das
gilt heute noch bei der Dienstausübung. Das ist nicht
hinnehmbar.
Lassen Sie uns also wirklich Friedenspolitik machen,
lassen Sie uns Abrüstungspolitik machen. Lassen Sie uns
die Bundeswehr umstrukturieren zu einer reinen Verteidigungsarmee. Die Bundeswehr wird nicht international für
alle möglichen Einsätze gebraucht. Dafür könnte man zivile Einrichtungen fördern, die das viel besser können, als
jede Armee es kann. Das muss der Weg sein. Dann kann
man sich auch gemeinsam auf Aufgaben der Bundeswehr
in wesentlich kleinerer Größe verständigen.
Ich sage Ihnen - ob Sie es wahrhaben wollen oder
nicht -: Es dauert keine zehn Jahre mehr und die Wehrpflicht ist vorüber, einfach weil sie nicht mehr zeitgemäß
ist.
({14})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Peter Zumkley, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Die Bundeswehr als Parlamentsheer sicher in die Zukunft zu führen
ist die Aufgabe, vor der wir alle stehen. Wenn ich „wir“
sage, dann meine ich wirklich das ganze Haus. Wir alle
sind jetzt aufgerufen, die notwendige Reform unserer
Streitkräfte einzuleiten. Die SPD-Bundestagsfraktion will
eine mit Sorgfalt und der gebotenen Präzision vorbereitete
Reform der Bundeswehr. Sie sollte auch im Hinblick auf
die heutige Diskussion sowie die kommenden Diskussionen und Auseinandersetzungen auf einem breiten gesellschaftlichen und parlamentarischen Konsens beruhen und
von den Betroffenen darüber hinaus weitgehend mitgetragen werden. Darum sollten wir uns auch bemühen.
({0})
Deshalb bilden die Vorschläge der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ und
die vom Bundesverteidigungsminister vorgelegten Eckwerte die Grundlage für unsere Entscheidung. Neben
dem Dank an die Kommission - mein Kollege Erler hat
darauf schon hingewiesen - gebührt auch dem Verteidigungsminister Dank für die Vorbereitung der Reform und
für die bereits erfolgte Einleitung wichtiger Weichenstellungen zur Zukunftssicherung der Bundeswehr. Sein Eckpfeilerpapier stellt eine fachlich überzeugende, tragfähige
Grundlage für die überfällige Strukturreform der Streitkräfte dar.
Lieber Kollege Breuer, Sie haben ja vorhin ein bisschen genörgelt. Fragen Sie aber doch erst einmal die
Fachverbände, was sie davon halten.
({1})
Es gibt ein positives Echo. Wir können uns auf sachlicher
Ebene sicherlich über das eine oder andere unterhalten.
Aber es verhält sich so, wie ich es sage.
({2})
Sorgen Sie bitte mit dafür, dass wir von seiten der Opposition klare, einheitliche Vorschläge bekommen. Die Signale, die wir im Moment auffangen, sind - das ist kein
Vorwurf - noch unterschiedlich.
({3})
Um es gleich zu sagen: Das gilt natürlich auch für die Koalition, aber eben auch für Sie. Deswegen antworte ich Ihnen auch darauf.
({4})
Es nutzt dann gar nichts, wenn Sie unsachlich werden.
Wir hören von Ihrer Seite zugleich Zustimmung und Ablehnung und vielerlei Signale, die dazwischenliegen.
({5})
Wir gehen davon aus, dass Sie Ihre Vorschläge vorbringen
und mit uns diskutieren.
Das Ziel der Neugestaltung der Bundeswehr muss es
sein, die Strukturen den veränderten Anforderungen der
Bündnis- und Landesverteidigung sowie der Krisenund Konfliktbewältigung anzupassen. Dies schließt,
meine Damen und Herren, auch die Fähigkeit zur Prävention ein. Deshalb sind eine Straffung der Führungsebenen, die Schaffung flexibler modularer Strukturen bei
hochmobilen, gut ausgebildeten Verbänden unter bestmöglichem persönlichem Schutz unserer Soldaten sowie
eine einsatzorientierte Ausbildung erforderlich. Ich gehe
davon aus, dass wir hier gar nicht so weit auseinander liegen. Wahrscheinlich stimmen wir darin sogar überein.
({6})
Hierzu haben die Kommission und Rudolf Scharping
übereinstimmende Vorstellungen entwickelt, die wir
uneingeschränkt mittragen.
Die Bundeswehr wird ihre Aufgaben künftig mit weniger Personal erfüllen können. Stichworte hierzu sind: veränderte sicherheitspolitische Lage, NATO-Osterweiterung und Optimierung der Bundeswehr hinsichtlich ihrer
Effizienz. Der zukünftige Personalumfang ist so bemessen, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben nach unserer
Überzeugung mit der erforderlichen Durchhalte- und Kooperationsfähigkeit gemeinsam mit den Bündnispartnern
wahrnehmen kann. Bei einer Umfangstärke von 277 000,
davon 200 000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie 77 000
Wehrpflichtigen, und zusätzlich circa 80 000 Zivilbeschäftigten ist dies nach unserer Auffassung auch zu realisieren. Sie, Herr Kollege Breuer, haben die Spielräume
angesprochen: Ihre und unsere Regierung haben immer
mit einem Spielraum gearbeitet. Ich erinnere an die Sollstärke von 340 000, während die Iststärke bei Ihnen wie
bei uns um den Wert 320 000 schwankte. Insofern gibt es
immer Spielräume. Es ist deshalb ein Zeichen von Ehrlichkeit, dass wir dieses in unserem Papier so geschrieben
haben. Wir hoffen, dass diese groben Schwankungen, wie
sie bisher und bis heute stattfinden, künftig ein wenig eingedämmt werden können.
({7})
Herrn van Essen möchte ich gerne sagen, dass 77 000
Wehrpflichtige nicht 77 000 Tagen entsprechen. Denn bei
einer Dauer der Wehrpflicht von neun Monaten oder, wie
schon einmal angedacht, von sechs plus drei Monaten, ergeben sich mehr Plätze. Wir werden das durchrechnen. Es
ist ja eine berechtigte Forderung, dass Wehrgerechtigkeit
und Bedarf in Einklang zu bringen sind. Wir werden das
sorgfältig ausrechnen und dann auch darüber reden. Bitte
sagen Sie aber nicht von vornherein, es gehe nicht. Wir
sind der Auffassung, dass es geht. Darüber wird auch im
Verteidigungsausschuss und auch woanders zu reden sein.
Die Wehrpflicht - mein Kollege Erler hat darauf hingewiesen - wollen wir beibehalten. Dabei ist die Alternative einer Freiwilligenarmee sorgfältig abgewogen worden. Das Pro und Kontra der Wehrpflichtarmee und der
Freiwilligenarmee sind übrigens auch in der Öffentlichkeit sehr breit und intensiv diskutiert worden.
Wir in der SPD-Bundestagsfraktion sind der Auffassung, dass gewichtige Gründe für die Beibehaltung der
Wehrpflicht bestehen. Aber diejenigen, welche jene verteufeln, die sagen, wir wollen eine Freiwilligenarmee haben, verkennen, dass dieser Standpunkt durch breite
Schichten der Gesellschaft vertreten wird. Ich bin ein Befürworter der Wehrpflicht. Aber es gibt gute Gründe, die
man nicht einfach wegwischen kann, die für eine Freiwilligenarmee sprechen. Ich bin für Sachlichkeit in der Diskussion. Dem einen oder anderen, der dies oder jenes will,
darf man nicht unterstellen, dass er etwas Böses mit der
Bundeswehr vorhat.
({8})
Wenn wir die Wehrpflicht beibehalten, dann muss die
Zahl der Wehrpflichtigen erstens dem Bedarf der Streitkräfte entsprechen und zweitens Wehrgerechtigkeit möglich machen. Dies wird mit den Vorschlägen des Verteidigungsministers möglich sein. Die Dauer des Wehrdienstes muss aber so bemessen sein, dass eine gute Ausbildung und ein sinnvoller Einsatz unserer Wehrpflichtigen gewährleistet bleibt. Deshalb stimmt die SPD-Fraktion einer gesetzlichen Wehrpflicht von neun Monaten
Dauer und auch der Möglichkeit einer abschnittsweisen
Ableistung zu.
Eine moderne aufgabenorientierte Bundeswehr muss
wirtschaftlicher und effektiver werden, auch da gibt es
wahrscheinlich großen Konsens. Ein ganzheitliches, aufgabenbezogenes und teilzeitkraftübergreifendes Systemdenken ist dringend notwendig.
Der Rahmenvertrag „Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr“ mit führenden Unternehmen in der Industrie ist hierzu ein richtungsweisendes
Projekt. Es trägt den Forderungen nach Flexibilisierung
und Modernisierung Rechnung. Gleichzeitig muss die
Modernisierung der Ausrüstung und deren Anpassung an
das neue Aufgabenspektrum erfolgen. Hier gibt es dringenden Nachholbedarf. Es ist schwierig genug.
Unsere klare Unterstützung hat Rudolf Scharping für
seine Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des
Dienstes in der Bundeswehr, den Abbau des Verwendungsstaus für die neuen Unteroffizierslaufbahnen und
die Öffnung der Bundeswehr für Frauen in allen Verwendungen.
Die Bundeswehr wird auch nach der Reform der größte
Arbeitgeber in Deutschland bleiben. Bei Standortentscheidungen teilen wir die Absicht des Ministers, die
Truppe flächendeckend über das gesamte Bundesgebiet
verteilt zu lassen. Dies schließt Optimierungen und Prüfungen insbesondere von Kleinstandorten nicht aus. Dadurch sind ein heimatnaher Einsatz unserer Soldaten, ihre
Verankerung in der Bevölkerung und auch wirtschaftliche
Interessen der Regionen gesichert.
Wir setzen auf eine rechtzeitige Einbeziehung der Betroffenen sowie auf Transparenz und Verlässlichkeit bei
den zu treffenden Entscheidungen. Eine reformierte, umstrukturierte Bundeswehr, meine Damen und Herren auch
von der Opposition, muss solide finanziert werden. Darin
stimmen wir überein. Sie muss so mit Finanzmitteln ausgestattet werden, dass sie ihren Aufgaben nachkommen
und die notwendige Modernisierung einleiten kann.
Durch die Umstrukturierung und Reform werden zweifellos Mittel für notwendige Umschichtungen im Verteidigungshaushalt frei. Sie müssen vor allem zur Erhöhung
der Investitionen genutzt werden. Rationalisierungsgewinne zum Beispiel müssen im Einzelplan 14 bleiben.
Meine Damen und Herren, die Angehörigen der Bundeswehr, Soldaten und zivile Mitarbeiter, haben einen Anspruch auf Fürsorge. Die zu treffenden Entscheidungen
über Umfang, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte
müssen deshalb für die Betroffenen und ihre Angehörigen
transparent und planbar gestaltet werden. Die notwendigen Maßnahmen sollten unverzüglich beginnend ab 2001
sozial verträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen umgesetzt werden.
Die vom Bundesverteidigungsminister angesprochenen Maßnahmen beschreiben einen realistischen Weg zur
Lösung der derzeitigen Unzulänglichkeiten in der Bundeswehr. Nach Jahren des ständigen Umbaus bekommen
die Streitkräfte endlich langfristige Planungssicherheit
und Zeit zur Konsolidierung.
Ich danke ihnen.
({9})
Das Wort hat nun der
Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe sicherheitshalber gleich die Lektüre mitgebracht, um mich nicht dem
Vorwurf auszusetzen, ich hätte das nicht gelesen.
({0})
Ich habe es, bevor ich es mitgebracht habe, auch gelesen,
sogar einige Dinge angestrichen, die ich zitieren möchte.
({1})
Aber vorweg möchte ich mich dem Verein gegen das
Vergessen anschließen. Ich möchte einfach die letzten
zehn Jahre der Verteidigungspolitik in einigen wenigen
Stichworten Revue passieren lassen.
({2})
Die Kollegen, die schon in Bonn im Bundestag saßen,
werden sich noch gut an die - lassen Sie mich sagen Peter Zumkley
„Schlachtordnung“ erinnern, die damals bestand, als es
um Kambodscha ging, als es um Somalia ging, als es um
den AWACS-Einsatz im ersten Jugoslawienkonflikt
ging. Damals saßen auf der linken Seite Damen und Herren, die heute nicht mehr dem Bundestag angehören, Kollege Verheugen beispielsweise, der einen heftigen Streit
geführt hat und die Bundeswehr daran hindern wollte,
sich an europäischen und NATO-Aktionen zu beteiligen.
Ich erinnere an die Diskussion „Out of area“, an die
Diskussion um die Ausrüstung der Bundeswehr. Damals
gab es eine Kollegin Matthäus-Maier.
({3})
Wenn ich sie nicht als eine Dame hoch schätzen würde,
die jetzt eine wichtige Funktion in Frankfurt ausübt,
({4})
würde ich sagen: Reaktionen wie der pawlowsche Hund,
wenn das Wort vom Flugzeug fiel.
({5})
- Das waren Zeiten! - Es gab Stapel von Kürzungsanträgen, die ich auch in gebundener Form vorlegen könnte,
für die jeweiligen Verteidigungshaushalte durch die damalige Opposition.
({6})
Wie hieß der Fraktionsvorsitzende? Scharping hieß er.
Es müsste manchem, dem das Wort über die letzten
Jahre so leicht über die Lippen geht, eigentlich das Wort
im Halse stecken bleiben.
({7})
Herr Kollege Zumkley, ich wollte insofern noch zu
Ihrem Beitrag kommen, als Sie eine sachliche Diskussion
angemahnt haben. Diesem Anliegen stimme ich zu. Ich
bewege mich völlig im Rahmen der Sachlichkeit, weil ich
nur Fakten wiedergebe. Bei diesen Fakten, über die wir
sprechen, müssen wir das in der Tat noch einmal diskutieren.
Ich danke Ihnen dafür, dass Sie von dem häufigen Umbau der Bundeswehr gesprochen haben. In der Tat ist in
den letzten zehn Jahren vieles umgebaut worden.
({8})
Aus zwei sich - wenn Sie so wollen - feindlich, jedenfalls in unterschiedlichen Blöcken gegenüberstehenden
Armeen wurde die Armee der Einheit gebaut. Es wurde
eine Armee geschaffen, die in der Lage war, nach dem
Eindruck des Golfkonfliktes und der internationalen Probleme, die wir in unserer Situation hatten, an multilateralen Einsätzen teilzunehmen - eine schwierige Angelegenheit, die mit den Worten „Militarisierung der Außenpolitik“ und „Interventionsarmee“ diffamiert worden ist.
Letzteres ist übrigens genau das Wort, das heute von nahezu den gleichen Personen als Nachweis für Flexibilität
und Erneuerung gebraucht wird.
Herr Schlauch machte vorhin den Zwischenruf: „Wollen Sie die gute alte Bundeswehr oder was?“. Auf jeden
Fall will ich nicht die gute alte Bundeswehr um des Zerstörens willen zerstören, sondern ich will sie dort umstrukturieren, wo es notwendig ist.
({9})
Ich habe weiß Gott nicht das Vertrauen, dass die Grünen diese Arbeit gut leisten können.
Ich muss es noch einmal sagen: Kollege Zumkley, Sie
haben die Harmonie innerhalb der Opposition angemahnt.
Wir verstehen uns da sehr gut. Wir haben uns, glaube ich,
ziemlich klar geäußert, was die Frage der Zukunft der
Bundeswehr betrifft, in der gleichen Richtung, wie wir sie
vor mehreren Jahren, vor zwei Jahren beantwortet haben
und auch heute beantworten. Wir sind da stringent.
Ich habe heute eine Meldung von dpa bekommen, in
der es heißt:
Einen Koalitionsstreit wegen der Wehrpflicht hatte
Außenminister Joschka Fischer ausgeschlossen.
({10})
Jetzt stellt sich die Frage, wie man den Knatsch nennen soll, den SPD und Grüne wegen ihrer unterschiedlichen Vorstellungen von der künftigen Bundeswehr haben. Die gegenseitigen Vorwürfe sind
nicht von Pappe.
Daher würde ich Sie doch herzlich bitten, bevor Sie diese
Debatte hier führen, uns mit einer einheitlichen Position
dieser Regierung und der Koalition bekannt und vertraut
zu machen. Wir haben davon nichts gehört. Wir haben nur
mit Interesse festgestellt, dass es nun noch zwei weitere
Papiere gibt. Ich hatte eigentlich gedacht, das Eckpfeilerpapier des Verteidigungsministers wäre das letzte
Papier gewesen, das kommt.
Bei diesem Papier fehlt allerdings das Letzte und das
macht die Diskussion über die Eckpfeiler doch recht
schwierig. Ich gehöre zu den Menschen, die neugierig
sind und, wenn sie ein Buch lesen, erst das erste Kapitel
lesen, dann an den Schluss springen, um zu sehen, wie die
Geschichte ausgeht, und erst danach das ganze Buch lesen.
({11})
Wenn Sie das Eckpfeilerpapier lesen und auf den letzten Seiten bei Haushalt und Finanzen nach der Auflösung
suchen, nämlich nach der Finanzierung des Ganzen,
dann finden Sie dort Leere, Nirwana, nichts. Solange wir
nicht wissen, mit welcher Position Sie in diese Debatte
hineingehen, können wir über Details der Bundeswehrreform eigentlich nicht ernsthaft diskutieren. Ich will nur
daran erinnern, dass Herr Schlauch bereits diese Woche
gefordert hat, das, was man durch Reduzierung einsparen
kann, nicht dem Einzelplan 14 zuzuführen.
Lassen Sie uns die Zeit anders nutzen. Lassen Sie uns
das machen, was eigentlich in dem von vielen gelobten
Weizsäcker-Papier steht, das ich in vielen Punkten kritiChristian Schmidt ({12})
siere, vor allem in seiner Fehlgewichtung zwischen Interventionsarmee und dem, was Landes- und Bündnisverteidigung betrifft. Das Papier gibt uns aber durchaus die
Chance, uns der Grundlagen der sicherheitspolitischen
Notwendigkeit unserer Bundeswehr zu vergewissern. Wir
sollten also sozusagen eine Diskussion darüber führen,
wieso wir die Bundeswehr brauchen. Gegenwärtig wird
nur diskutiert, welche Bundeswehr man haben möchte.
Aber wichtig wäre: Wieso und wozu brauchen wir sie?
Was sind die Bedingungen? Welche neuen Entwicklungen
hat es gegeben?
Jeder, der die Entwicklungen in der Außenpolitik nur
in den letzten fünf Jahren verfolgt hat, muss doch zugeben, dass es unmöglich ist, beispielsweise Sicherheitspolitik ohne einen gewissen Risikozuschlag zu betrachten.
Man muss gerade jetzt neue Gefahren, neue Entwicklungen einbeziehen, über die wir uns erst Gedanken zu machen beginnen. Ich erinnere an das Thema NMD. Der
amerikanische Präsident war hier in Berlin und hat ein
kurzes Gespräch mit dem Bundeskanzler geführt. Wir haben vorher von keiner Position der Bundesregierung
gehört. Wir müssen jetzt gemeinsam - dazu sind wir bereit - darüber reden, was Raketenbedrohung für uns bedeutet, was das auch für das Bündnis bedeutet, wie der politische Wert eines Beitrags Deutschlands zur Verteidigungspolitik an sich ist, auch wie der quantitative Wert
einzuschätzen ist, das heißt, mit welchen Einheiten, aber
auch mit welcher Politik und mit welchen Möglichkeiten
man sich beteiligt.
Wenn man das Weizsäcker-Papier ernst nimmt, muss
man es ganz lesen. Dort heißt es in Ziffer 20, zweiter Absatz:
Sicherheitsvorsorge bedeutet deshalb auch, eine Entwicklungspolitik zu treiben, die Konflikten vorbeugt, indem sie dem Übel dort entgegenwirkt, wo es
entsteht. In diesem Sinne ist alle Entwicklungspolitik zugleich Sicherheitspolitik. Deswegen darf auf
diesem Felde der Rotstift ebensowenig Regie führen
wie auf anderen Feldern der Außen- und Sicherheitspolitik.
({13})
Wo ist eigentlich Frau Wieczorek-Zeul bei dieser Diskussion? Ich freue mich, dass Frau Staatssekretärin Eid
hier sitzt, aber ich habe nicht gehört, dass der Entwicklungshilfeetat aufgestockt wird. Ganz im Gegenteil, er ist
in den letzten Jahren zurückgefahren worden.
({14})
Ich werde mit Interesse verfolgen, wie das WeizsäckerPapier bei den Haushaltsentwürfen von Ihnen ernst genommen wird.
({15})
- Sie haben ihn viel drastischer reduziert. Lesen Sie das
einmal nach. Herr Spranger hatte noch sehr viel mehr
Geld zur Verfügung, und er musste sich nicht von Herrn
Castro eine Zigarre schenken lassen.
({16})
Zurück zur Frage der Prävention bei der Außen- und
Sicherheitspolitik. Wo ist denn der Beitrag des Außenministers zu dieser Debatte? Wo sind die Mechanismen präventiver Sicherheitspolitik? Wo sind die neuen
Ideen?
({17})
Auf welche Gefährdungen geht man ein? Wo finde ich
dazu etwas in Ihrem Konzept? Bei Weizsäcker finde ich
Vorschläge, aber in dem Eckpfeilerpapier finde ich dazu
nichts.
({18})
Wenn man von dem erweiterten Sicherheitsbegriff
ausgeht - das war doch eigentlich immer eines der Anliegen, die Sie in der Debatte vertreten haben -, wundert es
mich doch sehr, dass Sie dieses Feld unbeackert lassen
und uns damit einer Gefährdung aussetzen.
({19})
Zu meinem letzten Punkt, zum europäischen Imperativ, von dem die Weizsäcker-Kommission zu Recht
spricht. Wir brauchen in der Tat mehr europäische Integration. Die Debatte über die Zukunft der Europäischen
Union muss allerdings mit dem verknüpft werden, was
europäische Sicherheitspolitik umfasst. Dazu reichen die
„headline goals“ von Helsinki, zum Beispiel das Vorhaben einer einheitlichen europäischen Eingreiftruppe,
nicht aus.
Es gab einmal einen Außenminister Kinkel, der mit seinem Kollegen Juppé eine Initiative zur Einbeziehung mitteleuropäischer Länder gestartet hat.
({20})
Es gab einen Verteidigungsminister Rühe, der die NATOOsterweiterung angestoßen hat. Über all diese Fragen, die
die Zukunft der europäischen Integration betreffen, wird
in den gegenwärtigen Tagen leider nicht diskutiert.
Ein Vorschlag: Lassen Sie die Diskussion reifen. Lassen Sie und geben Sie Zeit zur Diskussion. Entscheiden
Sie nicht am Mittwoch im Kabinett, sondern geben Sie
dem Parlament und der Öffentlichkeit die Chance, sich
mit dem auseinander zu setzen, was jeder von uns für seinen Teil in den letzten Wochen vorgestellt und erarbeitet
hat, und entscheiden Sie dann. Was Sie jetzt tun, ist ein
Oktroi und hat mit Demokratie nichts zu tun.
Herzlichen Dank.
({21})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Peter Zumkley.
Christian Schmidt ({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Schmidt hat die Kürzungsvorschläge der SPD-Fraktion angesprochen. In der Tat, er hat
Recht: Zwischen dem Jahr 1994 und dem Jahr 1998 hat
die SPD-Bundestagsfraktion Kürzungen von 1,88 Milliarden DM vorgeschlagen. Im gleichen Zeitraum, also von
1994 bis 1998, lieber Kollege Schmidt, hat die CDU/CSU
den Verteidigungshaushalt um 5,6 Milliarden DM gekürzt. Wäre es bei den von uns vorgeschlagenen 1,88 Milliarden DM geblieben, wären wir jetzt in einer besseren
Lage.
({0})
Den Zettel, auf dem diese Zahlen stehen, habe ich immer bei mir. Darauf komme ich immer wieder zurück.
Wenn ich die Zahlen der Jahre 1991 und folgende betrachte, ist die Lage noch drastischer.
Vielen Dank.
({1})
Herr Kollege
Schmidt, wollen Sie antworten? - Bitte sehr.
Herr Kollege Zumkley, ich halte Ihnen zugute, dass Sie nicht
Matthäus-Maier heißen. Sonst wären die Zahlen noch viel
drastischer gewesen.
({0})
Sie sollten natürlich die Erhöhungsanträge in die Berechnungen einbeziehen. Sie haben keine gestellt. Sie haben faktisch weitere Kürzungen über die moderate Absenkung hinaus, die wir vorübergehend, wenn Sie die Finanzplanung betrachten, vorgesehen haben, gefordert. Sie
haben die Möglichkeit, sich bereits jetzt wieder am 32. Finanzplan zu orientieren. Wir brauchen uns überhaupt
nicht zu verstecken. Sie haben die Möglichkeit, Farbe zu
bekennen, indem Sie die Erhöhung der Mittel für den Verteidigungshaushalt auf anständige Art und Weise zusammen mit dem gesamten Parlament beschließen. Der Verteidigungsminister würde sich freuen. Wie der Finanzminister davon zu überzeugen ist, müssen Sie unter sich
ausmachen.
({1})
Nun hat das Wort der
Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung über die Reform der Bundeswehr erfordert zunächst
Klarheit über ihre konstitutiven Grundlagen. Das Grundgesetz bestimmt in seiner Präambel, dass Deutschlands
oberstes Ziel die Sicherung des Friedens ist. Wir haben die
Erfahrung gemacht, dass Frieden und Sicherheit in und
für Europa unteilbar sind. Das verlangt eine umfassende
und übrigens auch multinationale Vorsorge für eine gemeinsame Sicherheit.
Art. 24 und Art. 87 a des Grundgesetzes bestimmen,
dass Streitkräfte zur Landes- und Bündnisverteidigung
aufgestellt werden. Die veränderte sicherheitspolitische
Lage bedeutet, dass die Frontlinie zwischen Ost und West
und der große beherrschende und bedrohliche bipolare
Konflikt nicht mehr vorhanden sind. Das heißt aber auch,
dass sich die sicherheitspolitische Lage Deutschlands verändert hat und dass deswegen in Zukunft Landesverteidigung zugleich auch immer Bündnisverteidigung ist.
Das erfordert andere Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten
kann man, man muss sie aber nicht zwingend auch in der
Krisenreaktion einsetzen. Dennoch lege ich Wert darauf,
dass klar bleibt, dass die Aufstellung deutscher Streitkräfte zum Zwecke der Landes- und Bündnisverteidigung
durch unsere Verfassung legitimiert ist. Die daraus erwachsenden Fähigkeiten kann man, wie gesagt, auch im
Rahmen der Krisenreaktion einsetzen. Das haben wir zum
Teil schon getan und tun es noch. Deutschland trägt zur
gemeinsamen Sicherheit innerhalb der NATO und der Europäischen Union bei, unterstützt aber auch die Vereinten
Nationen und die OSZE.
Das Stichwort „gemeinsame Sicherheit“ ist deswegen
wichtig, weil hier einige Kollegen erwarten, man solle
noch eine sicherheitspolitische Lageanalyse - einige haben gesagt: Bedrohungsanalyse - vorlegen. Die liegt aber
doch vor, und zwar eine gemeinsame. Sie ist die Grundlage für die im April 1999 verabschiedete Strategie der
NATO; sie ist darüber hinaus die Grundlage für Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union zum Aufbau
einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wenn hier in Deutschland beispielsweise aus den Reihen der CDU/CSU eine eigene Analyse verlangt wird,
dann bitte ich Sie zu überlegen, welche Konsequenzen das
haben könnte, jedenfalls in der Wahrnehmung mancher
Partner. Das bedeutet nämlich, dass wir uns im Bereich
der sicherheitspolitischen Analyse gewissermaßen nationalstaatlich noch einmal eigene Gedanken machen, obwohl wir uns schon auf eine gemeinsame verständigt haben - einschließlich der Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, innerhalb der NATO-Strategie ebenso wie in der
europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Deshalb ging die Kommission unter Vorsitz von
Richard von Weizsäcker, gehen übrigens auch die Eckpfeiler, die ich vorgeschlagen habe und die Grundlage der
Regierungsentscheidung sein werden, von diesen gemeinsamen Festlegungen aus: von der Analyse über die
Herausbildung einer gemeinsamen Strategie bis zur Formulierung gemeinsamer Fähigkeiten im Interesse gemeinsamer Sicherheit. Alles andere führt in die Irre.
Vor diesem Hintergrund leidet die Debatte möglicherweise deswegen etwas, weil es nicht darum geht, Kompromisse zwischen unterschiedlichen Positionen zu finden, sondern eine sehr klare, für die Zukunft verlässliche
Linie zu beschreiben, längs derer sich die Streitkräfte mit
ihren Fähigkeiten und Aufgaben entwickeln können und
auf die sich die Streitkräfte mitsamt all ihrer Angehörigen
verlassen können. Das war in den letzten Jahren leider
nicht gewährleistet. Ich will dazu nachher noch etwas sagen.
Etwas spöttisch: Die Debatte ist in einem gewissen
Sinne etwas kurios. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/
Die Grünen hat mit den Vorstellungen des Verteidigungsministers an einer Stelle einen Dissens, will das aber nicht
so deutlich werden lassen.
({0})
Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat an vielen Stellen Gemeinsamkeiten mit den Vorschlägen des Verteidigungsministers, will das aber auch nicht so deutlich werden lassen.
({1})
Das merkt man auch an der Art und Weise, in der hier argumentiert wird: Man fordert eine breite Debatte ein, beschwert sich aber über die Vielzahl der Diskussionsbeiträge.
({2})
Man fordert eine Regierungserklärung ein, empfiehlt mir
aber gleichzeitig, die Entscheidung innerhalb der Regierung zu vertagen. Sagen Sie einmal: Fallen Ihnen eigentlich diese logischen Unsauberkeiten - um es höflich zu
formulieren - in Ihrer eigenen Argumentation auf?
({3})
Vor diesem Hintergrund und weil diese Sache wirklich
zu wichtig ist, als dass man sie für einen vordergründigen
Streit nutzen sollte, will ich sagen: Sicherheit kann weder
vorrangig noch allein militärisch sichergestellt werden.
Sie erfordert eine umfassende Politik. In Zusammenhang
mit der Reform der Bundeswehr allerdings konzentriert
man sich klugerweise - auch um jedes weitschweifige
Geschwafel zu vermeiden - auf das, was den Entscheidungsgegenstand umittelbar berührt, nämlich die unverzichtbare militärische Sicherheitsvorsorge im Zusammenhang mit einer umfassenden Sicherheitspolitik.
Damit werden die anderen Elemente nicht zur Seite gewischt, sondern man konzentriert sich auf das, was zu debattieren und zu entscheiden ist.
Das heißt, dass Deutschland einen substanziellen Beitrag zur Friedenssicherung im Bündnis und in der Europäischen Union leistet, dass es fähig sein muss, Krisen
frühzeitig zu erkennen, umfassend Informationen zur Verfügung zu stellen und einen Beitrag zur Krisenprävention
wie zur Rüstungskontrolle und Abrüstung zu leisten. Das
heißt, dass die Anforderungen an Multinationalität in jeder Hinsicht gewährleistet bleiben müssen. Das heißt,
dass Umfang und Zahl deutscher Streitkräfte dem politischen Gestaltungsanspruch und dem Gewicht der Bundesrepublik Deutschland im Bündnis und in der Europäischen Union gerecht werden müssen. Das heißt auch,
dass man in vielen Fragen - vom Wiederaufbau gesellschaftlicher Ordnung oder Infrastruktur in Krisengebieten
bis hin zur Aufwuchsfähigkeit - die Voraussetzungen
dafür schaffen muss, dass Deutschland einen guten und
wirksamen Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit leistet.
Dem muss die Reform der Bundeswehr, die Erneuerung
von Grund auf, Rechnung tragen.
Welcher Weg ist seither zurückgelegt worden? Ich
habe im November 1998 eine Bestandsaufnahme veranlasst, die dem Deutschen Bundestag seit Mai 1999 vorliegt. Es liegt in der Entscheidung des Deutschen Bundestages, sich darüber Gedanken zu machen und das zu
debattieren - was übrigens geschehen ist, zum Beispiel in
den Haushaltsberatungen. Ich habe Anfang 1999 drei
Leitlinien genannt, nämlich erstens die planerische und
soziale Sicherheit für die Angehörigen der Streitkräfte zu
gewährleisten, zweitens die Wirtschaftlichkeit und Effizienz in der Bundeswehr zu verbessern und drittens
Beiträge für ein zukunftsfähiges Deutschland zu leisten.
Diese liegen seit Januar 1999 vor. Seither wird die Arbeit
des Bundesministeriums der Verteidigung daran konsequent orientiert.
Ich habe im Zuge der Bestandsaufnahme und im
Zuge der Entscheidungsvorbereitung mittlerweile 25 Tagungen mit Vorgesetzten und verschiedenen anderen Angehörigen der Bundeswehr - insgesamt über 6 000 durchgeführt und mir dafür nun wirklich Zeit genommen.
Denn ich bin davon überzeugt, dass die Reform einer
so riesigen Organisation wie der Bundeswehr - das
sind 460 000 Menschen; mehr als Telekom, Volkswagen
und Siemens gemeinsam in Deutschland beschäftigen niemals gegen die Betroffenen, sondern nur mit ihnen gemacht werden kann.
({4})
Im Übrigen glaube ich, dass eine Politik der Denkverbote
oder der Führung durch Informationsvorsprung - nach
dem Motto: Wenn die Untergebenen dumm sind, kann
man sie leichter führen - einem modernen Führungs- wie
Staatsverständnis strikt widerspricht. Das jedenfalls ist
nicht mein Verständnis.
Es sind Eckwerte für die konzeptionelle und planerische Weiterentwicklung der Streitkräfte entwickelt worden und es ist der Bericht der Kommission vorgelegt
worden. Dabei wird immer der eigentümliche Versuch unternommen, Unterschiede zu konstruieren. Wer liest, was
die Weizsäcker-Kommission in der Analyse der sicherheitspolitischen Lage, zu den notwendigen Konsequenzen für die Streitkräfte, hinsichtlich ihrer Führungsorganisation, ihrer Logistik, ihrer Multinationalität, ihrer Einsetzbarkeit - und an vielen anderen Stellen - konkret
empfohlen hat, der wird es schwer haben, Unterschiede zu
den Eckwerten festzustellen, die von der Führung der
Streitkräfte und dem Generalinspekteur vorgelegt worden
sind. Die Unterschiede bestehen nur, wenn man sich
auf die traditionelle Oberflächlichkeit konzentriert und
das aus der Zahl der Soldaten und dem Ausgestalten
der Wehrpflicht herleitet. Nur dann gibt es Unterschiede, sonst eigentlich nicht - was übrigens auch einen
Rückschluss auf andere hier gestellte Fragen erlauben
könnte. Aber darauf will ich jetzt nicht eingehen.
Sie wissen alle, dass ich seit Februar 1999 mit Firmen
über Fragen der Kooperation im Bereich beruflicher
Ausbildung, Weiterbildung, Fortbildung gesprochen
habe. Die Vereinbarungen hierzu liegen seit Juli 1999 vor.
An ihr beteiligen sich zurzeit über 300 Unternehmen; bis
Ende des Jahres werden alle Industrie- und Handelskammern, alle Handwerkskammern hinzukommen. Das ist
ein völlig neuer Weg der Kooperation auf einem Gebiet,
das für die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte, für die zivilberufliche Perspektive ihrer Angehörigen und für die
Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitsplatz ganz und
gar unverzichtbar ist - und notwendig, um die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte, ihre Attraktivität und die berufliche Perspektive ihrer Angehörigen gleichermaßen zu sichern.
({5})
Ich wundere mich, dass niemand vorher darauf gekommen ist.
Wir haben einen Rahmenvertrag abgeschlossen, an
dem sich zurzeit 120 Unternehmen beteiligen. Wir werden am 20. Juni eine dritte Unterzeichnerkonferenz haben. Es werden mindestens 150 weitere Unternehmen
hinzukommen. Das ist deswegen ein so bedeutsamer reformerischer Schritt, weil es nicht alleine um Kooperation, Outsourcing, Insourcing, Privatisierung und Ähnliches geht, sondern weil hier mit einem Prinzip gebrochen
wird, nämlich dass Autarkie bedeutet, dass das Militär alles alleine, aus eigenen Fähigkeiten heraus könne.
Die Kooperation mit der Wirtschaft ist der Bruch mit
dem Autarkiegedanken und die Konzentration der Streitkräfte auf ihre militärischen Kernfähigkeiten. Alles andere sollte man kooperativ mit Unternehmen machen, unter Nutzung von deren Erfahrung, deren Kenntnissen, deren Leistungsfähigkeit. Das bekommt den Streitkräften
gut und wird sicher auch der Bundesrepublik Deutschland
gut tun. Deshalb wird die Gesellschaft für Entwicklung,
Beschaffung und Betrieb gegründet und bald im Handelsregister eingetragen.
Über all das und manches andere sind der Bundestag,
seine Ausschüsse und die Öffentlichkeit regelmäßig informiert worden. Sie sind auch darüber informiert worden, und zwar schon im September 1999, dass die
Kommission dankenswerterweise der Bitte folgen würde,
ihre Arbeit nicht erst im November 2000, wie in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen, sondern im Mai 2000
abzuschließen, um die Empfehlungen, soweit möglich
und erforderlich, bei den Entscheidungen über den Haushalt 2001 berücksichtigen zu können. Seit September
1999 ist klar, dass der Generalinspekteur seinem - im
Übrigen auch gesetzlichen - Auftrag folgen würde, planerische und konzeptionelle Eckwerte für die Weiterentwicklung der Bundeswehr vorzulegen.
Demjenigen, der vor diesem Hintergrund sagt, der
Minister müsse entweder bis zur Vorlage von Kommissionsberichten das Denken, im Zweifel auch das Entscheiden einstellen, oder sagt, er sei von der Entwicklung überrascht, weil sie so schnell komme, entgegne ich, er hat seit
September 1999 nicht sonderlich gut zugehört oder nicht
ernst genommen, was mehrfach erläutert worden ist.
Was heißt das für die Eckpfeiler? Ich möchte das
zunächst in aller Kürze ausführen, obwohl das Thema
deutlich mehr Interesse verdient hätte. Ich registriere mit
großer Aufmerksamkeit, dass in der deutschen Öffentlichkeit und leider auch in dieser Debatte von den Vertretern der Opposition das Thema „Staatsbürger in Uniform“ und „innere Führung“ praktisch keine Rolle gespielt hat, obwohl es das Herzstück eines zeitgemäßen
Verständnisses der Streitkräfte auch für die Zukunft sein
wird.
({6})
Das war in Jahrzehnten einzigartiger Garant für die gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr und es ist
auch am Beginn des 21. Jahrhunderts das Leitbild, das
überzeugend Halt, Orientierung und Wertefestigkeit bieten kann. Das braucht man gerade dann, wenn man in
Konfliktverhütung und Konfliktbewältigung engagiert
ist.
Die Bundeswehr ist eine Armee in der Demokratie und
für die Demokratie und sie wird es auch bleiben. Das
macht die Bedeutung von politischer Bildung und zeitgemäßer Traditionspflege aus, vor allen Dingen macht es
aber die Bedeutung der Grundrechte, der Anwendung
rechtsstaatlicher Prinzipien und der Werteordnung unserer Verfassung im inneren Gefüge der Streitkräfte deutlich.
Sie wissen doch alle, dass es in der multinationalen Zusammenarbeit, auch mit sehr engen Freunden und Partnern, nicht so ganz einfach ist, das, was wir in Deutschland einzigartig entwickelt haben - Offiziere mit einem
zivilen Studium, wichtiger noch der direkte Zugang zum
Parlament über den Wehrbeauftragten, ähnlich wichtig
die Vertretungsrechte und die Vertrauenspersonen für Soldaten bis hin zur Wehrbeschwerdeordnung und zum
Wehrstrafrecht usw. -, in internationalen Verbänden und
multinationalen Zusammenhängen zu behaupten und zu
verteidigen, weil auch die Streitkräfte unserer engsten
Bündnispartner diese Übersetzung einer demokratischen
Verfassung in die innere Struktur der Streitkräfte nicht
kennen, während wir daran festhalten wollen, auch wenn
der Imperativ der Europäisierung und der multinationalen
Zusammenarbeit gilt.
({7})
Es ist auch Ausdruck des Leitbildes von innerer
Führung, dass man Führung und Fürsorge nicht auseinander reißen lässt. Ich sehe mit einigem Interesse, dass jetzt
auch Kreisverbände der CSU über Standorte diskutieren
und sagen, sie kämpfen darum mit großer Kraft, obwohl
sie gar nicht in Zweifel stehen. Da wird mit Windmühlen
gekämpft.
({8})
- Ja, das werde ich Ihnen gleich erläutern, Herr Kollege
Breuer.
({9})
Das hat schon donquichottehafte Züge: Man kämpft gegen Windmühlenflügel, die man sich allerdings nur vor
seinem geistigen Auge vorstellt.
({10})
Ich bewundere Ihre Fantasie, aber darin steckt auch ein
gewisses Stück mangelnder politischer Seriosität.
({11})
Nein, es gibt ein ganz klares Prinzip, das zuverlässig
eingehalten wird: Die Kleinststandorte mit weniger als
50 Dienstposten werden auf ihre militärische Notwendigkeit überprüft. Bei allen anderen H39 Standorten wird
es oberste Priorität sein, zu prüfen, wie sie wirtschaftlicher geführt werden können, statt eine dumme Politik der
Standortauflösung zu betreiben. Sie schädigt die Verankerung der Bundeswehr in der Fläche, sie schädigt die regionale Wirtschaftskraft, sie erschwert die heimatnahe
Einberufung und manches andere, was ich mit Rücksicht
auf die Zeit jetzt nicht ausführen möchte.
Dass Führung im Verständnis des Staatsbürgers in Uniform und der inneren Führung auch Information bedeutet,
habe ich im Übrigen nicht nur durch 25 Tagungen zu zeigen versucht - diese werde ich fortsetzen -, sondern auch
dadurch - ich habe das in den letzten zwei Wochen zweimal erlebt -, dass ich mit 4 000 und mehr Kommandeuren und Dienststellenleitern unmittelbar - das ist der Segen der neuen Informationstechnik - kommuniziert und
deren Fragen beantwortet habe. Ich glaube, das ist ein
guter Weg.
Zweiter Eckpfeiler neben innerer Führung und Staatsbürger in Uniform ist das Personal. Wir haben in der Bundeswehr sehr gutes Personal. Ich bewundere die Leute,
dass sie ihre Qualitäten, ihre Leistungen, ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre Motivation trotz jahrelanger
Fehlentwicklungen insbesondere in den 90er-Jahren aufrechterhalten haben. Dies ist erstaunlich. Dem Personal
ein großes Kompliment.
({12})
Aber jetzt wollen wir doch einmal deutsch reden: Wer
hat denn jetzt damit begonnen, in den einfachen Laufbahnen die Besoldungsgruppen A 1 und A 2 abzuschaffen?
Und wer hat dies über Jahre geduldet, wohl wissend, dass
in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes die Eingangsbesoldungsgruppe mittlerweile A 5 ist? Glauben Sie
im Ernst, es könne für die Attraktivität und Leistungsfähigkeit der Streitkräfte auf Dauer so bleiben, dass jemand
in einer Mannschaftslaufbahn mit 2 600 DM im Monat
anfängt?
({13})
- Herr Kollege Breuer, was hat das damit zu tun? Sie haben in den Laufbahnen, in den Besoldungen, in den Verwendungen und Beförderungen über Jahre hinweg Missstände einreißen lassen, die für die Leute eine Belastung
und für Sie ein Armutszeugnis waren.
({14})
Ich bin sehr an Einigkeit interessiert, aber das kann
nicht dazu führen, dass man über die Realitäten nicht
mehr sprechen darf. Wir werden eine Feldwebellaufbahn
und eine neue Fachunteroffizierlaufbahn einführen, wir
werden die Berufsfördermaßnahmen laufbahnintegriert
und dienstzeitbegleitend organisieren und nicht mehr ans
Ende schieben nach dem Motto „Lasst erst einmal eine
Lücke entstehen, dann machen wir schon Berufsförderung“. Dies ist ein wesentlich attraktiveres Angebot.
Das Prinzip, das dahinter steckt, ist, dass jeder - nicht
nur der Abiturient -, der längere Zeit in der Bundeswehr
Dienst leistet, die Möglichkeit erhält, seine zivile Qualifikation zu verbessern. Der Geselle kann Meister werden.
Der ausgebildete Lehrling kann Facharbeiter oder Geselle
werden. Wer ohne eine Berufsausbildung kommt, kann
einfache zivilberufliche Qualifikationen erwerben usw.
Ich halte dies für außerordentlich wichtig, denn die neuen
Aufgaben, die neuen Herausforderungen der Streitkräfte
erfordern zunehmend mehr besonders gut ausgebildete
und gleichzeitig selbstbewusste, demokratisch gefestigte
Staatsbürger. Beides brauchen wir. Beides ist für die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte von besonderer Bedeutung.
Sie aber haben zugelassen, dass zurzeit in der Bundeswehr noch über 8 000 Leute auf Dienstposten mit einer
Bezahlung sitzen, die der Verantwortung nicht entspricht.
Sie haben zugelassen, dass wir eine völlig unausgewogene Altersstruktur mit dem Ergebnis haben, dass in den
Offizier- wie Unteroffizierlaufbahnen in den Jahrgängen
ab 1963 und älter Überhänge bestehen, die bei einem
natürlichen Prozess erst 2019, in manchen Fällen sogar
erst 2026 abgebaut sein werden. Sie haben eine ganze
Reihe von schweren Fehlentwicklungen, sogar im Personalbereich, zu verantworten. Wir werden das korrigieren,
und zwar in den Jahren 2001 und 2002, soweit es um den
Beförderungs- und Verwendungsstau geht, und ab 2002,
soweit es um die Laufbahnen geht. Im Übrigen werden
wir die Bundeswehr für Frauen öffnen und strikt nach
dem Prinzip „Befähigung, Eignung und Leistung“ vorgehen.
Nun will ich Ihnen noch etwas zu einem anderen Eckpfeiler, nämlich Ausrüstung und Material, sagen. Die
Ausrüstung bedarf einer umfassenden Modernisierung.
Das ist nicht nur die Konsequenz aus der NATO-Strategie
„Defense capabilities initiative“ des „European headline
goal“ und wie die technokratischen Worte alle heißen.
Nein, dies ist auch die Konsequenz aus der Tatsache,
dass Sie in den laufenden Haushaltsjahren - der Kollege
Zumkley hat dankenswerterweise die Zahlen genannt mit globalen Minderausgaben immer in den investiven
Haushalt der Streitkräfte mit dem Ergebnis eingegriffen
haben,
({15})
dass man eine zunehmend unbrauchbare, weil veraltete
und in den Betriebskosten zu teure Ausrüstung hat.
({16})
Soll ich Ihnen einmal erzählen, was da los ist? Wir haben
zum Beispiel in der Bekleidungswirtschaft der Bundeswehr Warenbestände im Wert von 1,3 Milliarden DM herumliegen.
({17})
Wir haben im Bereich der Informationstechnik in der
Bundeswehr 250 informationstechnische Inseln mit dem
absurden Zustand vorgefunden, dass die Software der
Heereslogistik mit der Software der Logistik von Luftwaffe und Marine nicht mehr voll kommunikationsfähig
war und ist.
Ich finde in den Depots der Luftwaffe Hunderte von
Türen für die Transall, die hoffentlich bald ausgemustert
werden kann, die Millionen und Abermillionen Mark gekostet haben, und wir werden sie wegen Fehldisposition
auf den Müll werfen müssen. Ich könnte die Liste dieser
Beispiele beliebig verlängern. Dann müsste ich eine halbe
Stunde im Bundestag reden und hätte sie längst noch nicht
alle aufgezählt.
Wer so etwas geduldet hat - wie immer er heißt, aus
welcher Partei er auch immer kommt, in welcher Koalition er auch immer war -, der hat ja nicht nur zu wenig in
die Streitkräfte, in ihre Ausrüstung, in ihre notwendigen
Fähigkeiten investiert, sondern er hat den Zeitpunkt für
den Beginn der Reform verschlafen.
Und jetzt kommen Sie und sagen, lassen Sie doch ein
bisschen Zeit zum Diskutieren. Ja, reden Sie einmal mit
den Angehörigen der Streitkräfte! Die wollen keine Zeit
zum Diskutieren, die wollen Entscheidungen, die ihre Zukunft und ihre Leistungsfähigkeit sichern, anstatt immer
fröhlich weiterzudiskutieren.
({18})
Sie glauben doch, wenn man einmal eine nüchterne,
realistische Bilanz zieht, nicht im Ernst, dass die Verbesserung des Zustandes der Streitkräfte auf dem Gebiete ihrer Ausrüstung und ihrer Materialausstattung noch in irgendeiner Weise Aufschub dulden würde.
({19})
Damit sage ich Ihnen etwas zum Umfang und zur Zusammensetzung der Streitkräfte. Wir werden diesen Wildwuchs mit zbV-Schülerstellen, BfD-Stellen und anderem,
der ja auch sehr eigenartig war, korrigieren.
({20})
- Ich habe das ein Jahr verschleppt?
({21})
- Mein lieber Herr Breuer,
({22})
ziehen Sie sich doch einmal einen kleinen Moment zurück
und denken Sie einmal nach, bevor Sie den Mund aufmachen!
({23})
Ich habe das ein Jahr verschleppt? - Ich habe Entscheidungsgrundlagen erarbeitet, von denen man heute sagen
kann, sie werden einige Jahre, vermutlich zehn Jahre und
länger, tragen.
({24})
Sie haben an der Bundeswehr immer nur quantitativ
herumgeschnippelt, herumgedoktert, herumreduziert.
Das Ergebnis liegt jetzt auf dem Tisch. Ich kann verstehen, dass Ihnen das zu Teilen peinlich ist. Aber ich sage
Ihnen genauso deutlich: Wenn Sie keine nüchterne Lagebeurteilung haben, dann können Sie auch keine klare
Konzeption entwickeln.
({25})
Das ist in der Zeit, in der Sie regiert haben, leider nicht nur
auf dem Gebiet der Streitkräfte deutlich geworden.
({26})
Es sind ein Präsenzumfang der Streitkräfte von
255 000 sowie 22 000 Ausbildungsplätze vorgesehen. Das
können mehr oder weniger werden; das will ich dem
Deutschen Bundestag sehr deutlich sagen. Das hängt
nämlich davon ab, wie sich die Kooperation mit der Wirtschaft auf dem Gebiet der Ausbildung, der Fortbildung
und der Weiterbildung entwickelt.
Der Umfang der militärischen Grundorganisation soll
105 000 betragen. Das ist für die Leistungsfähigkeit der
Streitkräfte von zentraler Bedeutung, auch für ihre innere
Effizienz.
Über die Personalstruktur will ich jetzt nichts sagen,
wohl aber noch etwas im Zusammenhang mit den zivilen
Beschäftigten. Wir haben dort eine Altersfluktuation, die
beachtlich ist. Wir wollen sie nutzen. In welchem Umfang
und in welcher Geschwindigkeit das geschehen wird,
wird davon abhängen, wie ein Tarifvertrag aussieht, den
ich ausdrücklich anbiete, und es wird von der Entwicklung der Kooperation mit der Wirtschaft abhängen. Je
schneller wir diesen Zielkorridor von 80 000 bis 90 000
zivilen Mitarbeitern erreichen, und zwar auf strikt sozialverträgliche Weise und strikt ohne betriebsbedingte Kündigungen, umso besser wird es für alle an der Zukunft der
Bundeswehr Interessierten sein.
Meine Damen und Herren, hier ist auch einiges über
die allgemeine Wehrpflicht gesagt worden. Ich will mich
auf die Bemerkung beschränken, dass Landesverteidigung, auch wenn sie in Zukunft Bündnisverteidigung ist,
am besten durch eine allgemeine Wehrpflicht mit sichergestellt wird. Das ist ein Teil der sicherheitspolitischen
Vorsorge, worauf die Kommission unter Vorsitz von
Richard von Weizsäcker zu Recht hingewiesen hat. Wir
werden dann zu berücksichtigen haben, dass sicherheitspolitische Vorsorge, der Rückgang der Zahl der Wehrpflichtigen pro Jahrgang und die Entwicklung des individuellen Entscheidungsverhaltens schwer planbare Kategorien sind.
Also braucht man ein System mit verlässlichen Grundlagen und einer gewissen inneren Flexibilität. Das wird
dadurch gewährleistet, dass die Möglichkeit zu einer freiwilligen Verlängerung des Wehrdienstes erhalten bleibt,
der Wehrdienst gesetzlich auf neun Monate festgelegt
wird und dieser neunmonatige Wehrdienst immer dann,
wenn der militärische Bedarf - um dies ganz klar zu sagen - es erlaubt, abschnittsweise abgeleistet wird. Dies
wird mit dem Einberufungsbescheid klargestellt werden.
Es wird nicht irgendwann die Brieftaube oder der Postbote einen Bescheid mit einer Einladung zu einer Wehrübung bringen. Es wird vielmehr im Einberufungsbescheid klarzustellen zu sein, wann und wo die den sechs
Monaten folgenden Abschnitte abzuleisten sein werden.
Diese abschnittsweise Ableistung des Wehrdienstes
kann niemandem neu sein, der das Wehrpflichtgesetz
kennt. In diesem Gesetz ist diese Möglichkeit bereits enthalten. Warum soll nur für die Berufsgruppe der Landwirte gelten, was insgesamt für die Streitkräfte und für die
jungen Männer sinnvoll sein kann? Darauf gibt es keine
logische Antwort. Deswegen werden wir die schon im
geltenden Wehrpflichtgesetz für eine bestimmte Berufsgruppe vorgesehene Möglichkeit der abschnittsweisen
Ableistung des Wehrdienstes in den Bereichen ausdehnen, in denen der militärische Bedarf und die Verwendung
in der Bundeswehr das erlauben.
Ich habe einiges zu dem Eckpfeiler der Kooperation
mit Wirtschaft und Handwerk gesagt. Ich werde das in einer Regierungserklärung darstellen, wenn die Regierung
ihre Entscheidung getroffen hat. Im Übrigen wird sie auch
noch ein Weißbuch vorlegen.
Mein letzter Hinweis dient der Kommission und den
vielen Diskussionsbeiträgen, die es darüber hinaus gibt.
Die Kommission wurde anfangs von einigen Kollegen,
die heute diskutiert haben, mit einigem Spott begleitet.
({27})
Es wurde gesagt, die Kommission setze sich aus lauter
netten Menschen zusammen, die nur leider keine Fachleute seien; es seien hoch angesehene Persönlichkeiten,
die aber mit dem Thema nicht vertraut seien. Heute stellen wir fest: Die Einsetzung dieser Kommission war genau richtig. Es ist gut für die Bundesrepublik Deutschland
und für die Entwicklung langfristiger Politik, wenn sich
Bürgerinnen und Bürger unseres Staates mit einem langfristig bedeutsamen Thema gründlich auseinander setzen.
Das haben die Mitglieder dieser Kommission getan. Allein deswegen verdienen sie Respekt und Anerkennung angesichts des Ergebnisses noch mehr.
({28})
Deswegen fließen in meine konzeptionellen Schlussfolgerungen fast alle Empfehlungen der Kommission ein.
Nicht eingeflossen ist der Vorschlag, wie man mit Standorten umgehen soll und welche Gründe es dafür gibt. In
der Frage des allgemeinen Wehrdienstes gab es eine
große Übereinstimmung über dessen Notwendigkeit, aber
einen Unterschied in der praktischen Ausgestaltung des
gemeinsam für wichtig erachteten Prinzips. Damit kann
man sehr pragmatisch und sehr vernünftig umgehen; das
gilt für die Kommission genauso wie für den zuständigen
Minister.
Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Wir haben
jetzt alle Entscheidungen gründlich vorbereitet; wir werden die Entscheidungen mit einiger Sicherheit spätestens
am 21. Juni, vielleicht schon am 14. Juni, treffen und wir
werden dem Deutschen Bundestag auf dieser Grundlage
alle notwendigen Gesetzesänderungen - übrigens einschließlich des Haushaltsentwurfes - vorlegen. Danach
beginnt ein politischer und parlamentarischer Diskussions- und Entscheidungsprozess, von dem ich hoffe, dass
er sachorientiert und so geführt wird, dass die Angehörigen der Streitkräfte über die ganz normalen parteipolitischen Auseinandersetzungen hinaus eines wissen: Die
Bundesrepublik Deutschland hatte tiefe Streitereien im
Zusammenhang mit der Westintegration. Dieses Thema
hatte das Land und manchmal auch die beteiligten Parteien sehr beschäftigt und hier und da sogar zerrissen. Wir
hatten intensive Diskussionen wegen der Ost- und Entspannungspolitik mit ähnlichen Folgen und wir hatten sie
auch Mitte der 90er-Jahre im Zusammenhang mit internationalen Einsätzen der Bundeswehr.
Vielleicht sollten wir alle als Mitglieder des Deutschen
Bundestages eines mit auf den Weg nehmen: Diese Auseinandersetzungen waren nicht nur eine leidenschaftliche
Diskussion um die Sicherheits- und Außenpolitik der
Bundesrepublik Deutschland, sie waren nicht nur eine leidenschaftliche Auseinandersetzung um Grundfragen, die
ja zu den vornehmsten Aufgaben jedes Staates gehören,
nämlich die äußere und übrigens auch die innere Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten; sie
haben vielmehr auch einen für die Bundesrepublik
Deutschland fruchtbaren und erstaunlichen Konsens über
die Grundlagen der Außen- und Sicherheitspolitik hervorgebracht. Ich hoffe sehr, dass die Entscheidungen über
die Zukunft der Bundeswehr und über die Bundeswehr
der Zukunft, über die notwendige Erneuerung von Grund
auf in diesem Geist und auch in dem Bewusstsein getroffen werden, dass gerade in solchen Zeiten, die scheinbar
sehr entspannt und sehr sicher erscheinen, die Bundeswehr, wie in der Vergangenheit auch, auf eine breite Unterstützung des Deutschen Bundestages angewiesen ist.
Dazu lade ich Sie ausdrücklich ein.
({29})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Günther Nolting.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Minister Scharping,
wenn Sie Vorwürfe in Richtung Opposition vortragen,
will ich Sie daran erinnern, dass in den zurückliegenden
Legislaturperioden aus den Reihen der SPD kein einziger
Antrag zur vermeintlichen Verbesserung der Situation der
Bundeswehr, vor allen Dingen auch kein Antrag zum
finanziellen Bereich gestellt wurde.
({0})
Ich finde, es gehört zur Redlichkeit, dies noch einmal zu
erwähnen. Sie waren zu dieser Zeit Fraktionsvorsitzender.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte aus einer Meldung vom gestrigen Tage zitieren:
In der Diskussion um die Bundeswehrreform stellt
der Fraktionschef der Grünen, Rezzo Schlauch, die
Durchsetzungsfähigkeit von Verteidigungsminister
Rudolf Scharping, SPD, in Frage. Für so eine Reform
bräuchte es einen Scharnhorst oder Gneisenau - aber
wir haben nur einen Scharping.
Herr Minister, vor dieser Aussage müssen wir Sie ausdrücklich in Schutz nehmen. Das sage ich gerade als Vertreter der F.D.P. Ich hoffe, es schadet Ihnen nicht, und ich
hoffe, es schadet auch mir nicht.
({2})
Ihre Vorstellungen gehen ja in die richtige Richtung, wobei es einige Ausnahmen gibt, die der Kollege van Essen
heute vorgetragen hat.
Als Vertreter der Opposition möchte ich mich für die
bisherige gute Zusammenarbeit bedanken. Wir nehmen
Sie natürlich beim Wort, dass diese gute Zusammenarbeit
fortgesetzt werden soll.
Aber, Herr Minister, bemerkenswert ist - auch das will
ich sagen -, dass es heute keine Regierungserklärung gegeben hat, auch wenn Sie dies in Ihrer Rede herunterspielen wollten. Das ist Ihnen nicht gelungen. Auch die
Schärfe Ihrer Rede ist ein Zeichen dafür, dass die Fraktionen von SPD und Grünen kein einheitliches Konzept
zur Sicherheitspolitik und zur Bundeswehr haben - und
das vor diesen wichtigen Reformen in diesem Bereich.
Herr Minister, sehen Sie sich einmal das eigenwillige
Reformverständnis der Grünen in Sachen Bundeswehr
an. Die Kollegin Beer hat vorhin einige Beispiele und
Zahlen genannt. Ich will einige ergänzen. Im Wahlprogramm 1998 lehnten die Grünen - ich zitiere ... die Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer
internationalen Interventionsarmee durch den Aufbau von Krisenreaktionskräften und Offensivwaffen
wie den Eurofighter ab.
Jetzt fordern die Grünen in ihrem Papier zur Bundeswehrreform eine hoch mobile und hoch technisierte Profiarmee in einer Stärke von 200 000 Soldaten.
({3})
In ihrem Wahlprogramm 1998 forderten die Grünen - ich
zitiere wieder - „mit der Abschaffung der allgemeinen
Wehrpflicht und der sofortigen Umstellung auf eine Freiwilligenarmee“ zu beginnen. Diese Forderung findet sich
zwar auch in dem Bundeswehrpapier wieder; aber mündlich entschuldigen sich die Grünen, auch bei ihrem Koalitionspartner, und der Außenminister erklärt - wir haben es
vorhin gehört -, dass diese Frage selbstverständlich auf
den Opfertisch der Regierungsbeteiligung gelegt wird.
Ich sage noch einmal: Ich begrüße ausdrücklich, dass
ein Umdenken stattgefunden hat. Ich denke aber, es ist
auch ein Zeichen grüner Unglaubwürdigkeit, dass man
das, was man vorher gefordert hat, einfach auf dem
Koalitionstisch opfert.
({4})
Im November letzten Jahres sprachen die Grünen noch
von der Militarisierung der Gesellschaft, als die F.D.P.
eine Änderung des Grundgesetzes forderte, um Frauen die
Mitarbeit in der Bundeswehr zu ermöglichen. Heute sprechen Sie von der endlich erreichten Gleichberechtigung.
Ich sage es noch einmal: Die Grünen haben in ihrem
Wahlprogramm gefordert, die Zahl der Bundeswehrsoldaten in vier Jahren auf rund 150 000 zu reduzieren und
in den folgenden Jahren weiter drastisch zu senken, zunächst mit dem Ziel der Halbierung der Truppenstärke.
Davon ist jetzt nichts mehr zu hören oder zu lesen. Die
Bündnisgrünen fordern jetzt, wie gesagt, 200 000 Soldaten, 200 000 bis an die Zähne bewaffnete Profis. Zu all
dem haben wir heute, Frau Kollegin, nichts gehört. Die
Grünen spielen sich plötzlich als Retter der Bundeswehr
auf. Dazu kann ich nur sagen: Wer solche Freunde hat,
braucht keine Feinde mehr.
Herr Minister, die Probleme, die Sie und die SPD mit
den Grünen haben, sind heute wieder erkennbar gewesen,
auch wenn Sie und die anderen Redner der SPD versucht
haben, diese Probleme zu verniedlichen.
({5})
Die offensichtliche Realisierung von rund 80 Prozent
der F.D.P.-Forderungen im Zuge der großen Reform der
Bundeswehr ist gut. Ich bin sicher, dass im Rahmen der
Feinplanung - spätestens jedoch bei der Nachsteuerung weitere Punkte unseres Positionspapiers vor allem in Sachen Wehrpflicht und Personalumfang übernommen werden. Ich stelle fest, dass die F.D.P. auch auf dem Feld der
Sicherheits- und Verteidigungspolitik ihrem Ruf als
verantwortungsvolle und bürgerfreundliche Reformpartei
gerecht geworden ist.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir haben einen
Antrag vorgelegt. Wir bedanken uns ausdrücklich bei allen Mitgliedern sowie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Regierungskommission für die geleistete
Arbeit. Ich möchte mich an dieser Stelle auch für die bisherige Arbeit des Generalinspekteurs bedanken, der
Ende des Monats seinen Posten verlässt. Ich glaube, auch
das gehört an diese Stelle.
Zum Abschluss noch einen Satz in Richtung PDS und
Grüne: Es gibt nichts Militanteres als Antimilitaristen.
Vielen Dank.
({6})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Winfried
Nachtwei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 14 Tagen
hat uns die Kommission „Gemeinsame Sicherheit und
Zukunft der Bundeswehr“ ihren Bericht an die Bundesregierung vorgelegt. Es wurde selbstverständlich nicht erwartet, dass alle diesem Bericht zustimmen werden. Aber
er ist durch die sehr große politische und intellektuelle
Unabhängigkeit, mit der er abgefasst wurde, durch seine
Klarheit und Gründlichkeit überzeugend. Dieser Bericht
ist und bleibt ein Maßstab für die weitere Diskussion und
für die Entscheidungen über die Zukunft der Bundeswehr.
Das Wohltuende an diesem Bericht ist vor allem, dass er
uns aus der bisher unheimlich banalen, parteipolitischen
Art und Weise herausholt, in der die Auseinandersetzung
um dieses Thema sehr oft geführt wurde und die gerade
beim letzten Redebeitrag wieder sehr deutlich zum Ausdruck kam.
({0})
Es ist ein gründlicher Bericht, der eine gründliche Debatte erfordert. Wir stehen auf der einen Seite unter enormem Entscheidungsdruck. Das ist klar. Wenn ich mir das
jetzige Verhalten der Opposition während dieser Diskussion anschaue, dann empfinde ich diesen Entscheidungsdruck fast noch stärker. Aber auf der anderen Seite macht
der äußerst enge Zeitplan der Bundesregierung die wünschenswerte gründliche Debatte des Kommissionsberichts sehr schwer. Das muss ich einräumen. Aber aufgrund dieses engen Zeitrahmens erübrigt sich die Diskussion und die Kenntnisnahme des Kommissionsberichts in
keiner Weise.
Wir haben festgestellt, dass in der öffentlichen Debatte
über den Kommissionsbericht die Frage des Wie im Vordergrund stand und viel zu wenig die Frage des Wofür debattiert wurde. Dazu möchte ich einige Anmerkungen
machen: Bezüglich der Risiko- und Bedrohungsanalyse
gibt es - auch wenn bereits Festlegungen zwischen
NATO, Bundesregierung und EU vorhanden sind - offenkundig noch Verständigungsbedarf; denn es gibt Dissensen bezüglich der Einschätzung der so genannten großen
existenziellen Bedrohung. Die Kommission geht davon
aus, dass es in einem mittelfristigen Zeitraum von ungefähr zehn Jahren keine große existenzielle strategische
Bedrohung der Bundesrepublik gibt. Diejenigen, die eine
andere Position vertreten, gehen davon aus, dass eine solche Bedrohung sehr unwahrscheinlich ist. Aber aus dieser
unterschiedlichen Risikoeinschätzung ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen bezüglich der Aufwuchsstärke
der Bundeswehr und der heutigen Legitimation der Wehrpflicht. Es gibt also im politischen Raum insgesamt noch
Verständigungsbedarf. Weil wir bei dieser Risikoanalyse
ganz klar der Kommission folgen, bleiben wir dabei, dass
wir die Wehrpflicht heutzutage sicherheitspolitisch nicht
mehr für legitim halten.
Die Kommission hat auch die Einordnung der Bundeswehrreform in ein umfassendes Verständnis von Sicherheitspolitik deutlich angesprochen. Es ist auffällig das ist bisher gar nicht zur Sprache gekommen -, wie genau sich die Kommission dazu äußert. Sie sagt nämlich Zitat aus Nr. 23 -:
Zuweilen kann das Militär stabilisierend, dämpfend
oder abschreckend wirken. Militärische Macht, von
außen in eine Krisenregion eingebracht, kann helfen,
die Eskalation und Ausweitung von Konflikten zu
verhindern. Militärisches Eingreifen wird jedoch nur
eine Option im Fächer der politischen Gesamtstrategie sein.
Dies ist eine völlig richtige Einordnung. Es ist zugleich
eine deutliche Absage an Interventionismus, was der
Kommission von manchen, sehr oberflächlichen Kritikern vorgeworfen wird.
Die Kommission zieht hieraus die richtigen Konsequenzen. Sie deutet an, wie man den Anspruch einer umfassenden Sicherheitspolitik umsetzen und welche Instrumente und welche Fähigkeiten man konkret verstärkt entwickeln muss. Das wird von der Kommission zwar
vielleicht nicht in der genügenden Gewichtung angesprochen, aber es wird überhaupt erwähnt. Das ist ein Hinweis
darauf, dass wir - Koalition und Parlament insgesamt - zu
kurz treten würden, wenn wir uns nur mit einer isolierten
Militärreform beschäftigen würden.
Wenn wir nur eine isolierte Militärreform betreiben
würden, dann liefen wir Gefahr, mehr Krisenreaktionsfähigkeit zu schaffen und am Ende bei militärischer Krisenreaktion öfter dabei zu sein, aber gleichzeitig keineswegs bessere Krisenbewältigung zu leisten. Deshalb
kommt es auf die unbedingte Einbettung der Militärreform in eine schnelle Stärkung aller Instrumente und
Fähigkeiten von Krisenprävention auf der einen Seite und
von Friedenskonsolidierung auf der anderen Seite an.
Der Minister hat vorhin sehr zu Recht darauf hingewiesen, dass es nötig ist, den Schwerpunkt „innere
Führung“ weiterzuentwickeln. Auch für die Kommission
war die Weiterentwicklung der so genannten blauen
Fähigkeiten von Soldaten über die militärischen Grundfähigkeiten hinaus - das geht wirklich in Richtung eines
anderen Soldatenbildes - ein ganz entscheidender
Schwerpunkt. Im Bereich der Entwicklung umfassender
Instrumente und Fähigkeiten hinsichtlich vorbeugender
Sicherheitspolitik braucht sich die Bundesregierung in
keiner Weise zu verstecken.
Vorhin wurde der Bundesregierung vorgehalten: Was
geschieht denn in den anderen Bereichen? Meine Bitte
lautet: Informieren Sie sich! Hören Sie einmal zu!
Schauen Sie sich einmal an, was die Bundesregierung das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das Auswärtige Amt - inzwischen macht!
({1})
Ich erinnere auch an die verschiedenen anderen Instrumente, um vor allem zivile Kriseneingreiffähigkeiten
nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf
EU-Ebene zu fördern. Schauen Sie sich an, was in den
letzten Wochen mit der Aufstellung der React-Einheiten
auf OSZE-Ebene usw. geschehen ist! Dies wurde wesentlich durch die Bundesregierung und wenige andere Länder angestoßen. Die Bundesregierung braucht sich in dieser Frage in keiner Weise zu verstecken; es gibt auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte.
({2})
Es besteht zwar kein vollständiger, aber breiter Konsens in den verschiedensten Überlegungen zur Zukunft
der Bundeswehr, dass der Umfang der so genannten Einsatzkräfte erheblich aufgestockt werden muss. In Richtung der PDS sage ich: Schauen Sie sich bitte das Friedensgutachten der fünf Friedensforschungsinstitute an.
({3})
Auch sie gehen davon aus, dass angesichts gegenwärtiger
Gewaltkonflikte Situationen existieren - Bosnien und
Kosovo sind ein Beispiel dafür -, in denen man zur Gewalteindämmung und Gewaltverhinderung Militär
tatsächlich braucht.
({4})
Die fünf Friedensforschungsinstitute behaupten zum
Beispiel, der Umfang der Einsatzkräfte müsse bei einer
Größenordnung von 100 000 liegen. Das liegt unter den
Vorschlägen der Bundesregierung und der Kommission;
aber es ist eine deutliche Heraufsetzung gegenüber heute.
Es ist unbestreitbar, dass wir da eine Aufstockung brauchen, um die Bundeswehr in einer sinnvollen und - das
ist keine orwellsche Sprachverdrehung - friedensfördernden Weise einzusetzen.
({5})
Zugleich sollten wir noch eines bedenken.
Herr Kollege
Nachtwei, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Gut. - Dann will ich zu dem Aspekt der politischen Eingrenzung dieser Fähigkeiten nur bemerken, dass wir uns
darüber noch Gedanken machen müssen. Aber das sind alles Fragen, deren Erörterung in den nächsten Wochen und
Monaten erfolgen muss. Sie sind selbstverständlich nicht
mit dem Kabinettsbeschluss am 14. oder 21. entschieden.
Damit haben wir uns in der nächsten Zeit zu beschäftigen.
Es ist festzustellen, dass wir gerade in den Bereichen der
Flankierung in der Koalition einen überzeugten Konsens
haben, und zwar nicht nur einen verbalen, sondern einen
tatsächlichen.
Danke.
({0})
Ich gebe das Wort
dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Friedrich
Merz.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Herr Scharping, Sie haben uns am Schluss Ihrer Rede zu einem ausführlichen
Dialog über die Zukunft der Bundeswehr und ihre
zukünftigen Aufgaben eingeladen. Ich stelle Ihnen einmal
die Frage: Was soll eigentlich eine Einladung zu einem
solchen Dialog,
({0})
wenn den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, insbesondere den Oppositionsfraktionen, von Ihnen am Montag dieser Woche kein Konzept, sondern Eckpunkte für
eine Bundeswehrreform ausgehändigt wurden und bereits
am Mittwoch der nächsten Woche die Entscheidung im
Kabinett über die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr getroffen werden soll? Was soll eigentlich eine solche Einladung? Sie machen sich unglaubwürdig. Das ist
kein seriöses Gesprächsangebot.
({1})
Mit dem, was Sie vorschlagen, und mit den Zeitabläufen, insbesondere mit der Entscheidung des Bundeskabinetts in der nächsten oder übernächsten Woche, bestätigen
Sie alle unsere Vorbehalte,
({2})
dass diese Bundesregierung nicht etwa eine sorgfältig geplante Reform der Bundeswehr auf die Tagesordnung gesetzt hat, sondern dass alle weiteren Entscheidungen über
die Zukunft der Bundeswehr ausschließlich von den vom
Bundesfinanzminister gesetzten Daten abgeleitet werden.
Das ist die eigentliche Priorität, die von dieser Bundesregierung gesetzt wird.
({3})
Sie werden den Verdacht nicht entkräften können, dass
die tief greifenden Meinungsverschiedenheiten, die in der
Koalition nicht nur über die Wehrpflicht, sondern über
eine Reihe von verteidigungspolitischen, sicherheitspolitischen und auch außenpolitischen Fragen bestehen,
diesen Zeitplan diktiert haben, dass Sie so schnell wie
möglich alle Entscheidungen durchziehen und in jedem
Falle das verhindern wollen, wozu Sie uns gerade eingeladen haben, nämlich eine wirklich sorgfältige Debatte
und eine sorgfältige Entscheidung, die es vorzubereiten
gilt.
({4})
Es ist Ihnen unbenommen, Herr Scharping, auf frühere
Jahre hinzuweisen. Aber ganz so kurz ist unser Gedächtnis nun doch nicht.
({5})
Sie sind 1998 gegen Ihren erklärten Willen in das Amt des
Bundesverteidigungsministers gekommen. Sie sind gegen Ihren Willen in dieses Amt gekommen;
({6})
Sie wollten etwas ganz anderes werden. Aber Sie haben es
angenommen, weil Sie damals vom Bundeskanzler und
vom Bundesfinanzminister die Zusage bekommen haben
({7})
- da täuschen Sie sich, Herr Schlauch -, dass im Etat des
Bundesverteidigungsministers gegenüber der damals
schon feststehenden mittelfristigen Finanzplanung
keine Kürzungen vorgenommen werden.
({8})
Sie haben sich diese Zusage vom Bundeskanzler und vom
Bundesfinanzminister öffentlich geben lassen. Zu diesen
Absprachen mit Schröder - damals hieß der Finanzminister Lafontaine - sagten Sie damals wörtlich: Mit so weit
reichenden Zusagen ist bisher noch kein Verteidigungsminister auf die Hardthöhe gegangen.
({9})
Für die Jahre von 1999 und bis 2003 - das ist ein Zeitraum
von fünf Jahren - fehlen der Bundeswehr abweichend von
den Zusagen, die Sie damals bekommen haben, genau
18,6 Milliarden DM.
({10})
Ich sage dazu: Mit einer so schallenden Ohrfeige musste
noch nie ein Verteidigungsminister in Deutschland sein
Amt beginnen.
({11})
Herr Scharping, ich will Sie, nachdem Sie jetzt Zahlen
zur Stärke der Bundeswehr genannt haben, an noch etwas
erinnern, was Sie damals öffentlich gesagt haben. Sie haben ja völlig zu Recht von Verlässlichkeit - auch für die
Soldaten und deren Familien -, Planbarkeit und Sicherheit gesprochen. Sie haben, kurz bevor Sie ins Amt gekommen sind - ganz genau am 18. Oktober 1998 -, in einem Interview auf die Frage, welche Stärke die Bundeswehr nach Ihrer Auffassung haben soll, wörtlich
geantwortet: Wir gehen von 340 000 Bundeswehrstärke
aus - damit waren gewiss nur die Soldaten gemeint und
nicht auch noch die Zivilbeschäftigten -, 340 000 auch
wegen unserer Verpflichtung im Bündnis; Verlässlichkeit
und Kontinuität in der Außenpolitik verlangen Verlässlichkeit und Kontinuität gegenüber der Bundeswehr.
({12})
340 000 - das ist gerade einmal anderthalb Jahre her. Sie
haben nun wirklich keinen Grund, der Opposition Vorwürfe zu machen, wenn wir die Verlässlichkeit, Vorhersehbarkeit und Kontinuität Ihrer Politik infrage stellen.
({13})
Meine Damen und Herren, wir haben natürlich seit
1989/90 eine veränderte außenpolitische, sicherheitspolitische und auch verteidigungspolitische Lage - weltweit,
in Europa und auch in Deutschland.
({14})
Die Tatsache, dass wir eine solche Veränderung erreichen
konnten, dass durch die Ereignisse der Jahre 1989/90 ein
hohes Maß an Frieden und Sicherheit zusätzlich für
Deutschland und Europa gewonnen werden konnte, ist
nun allerdings nicht Ihrer Verteidigungspolitik zu verdanken, sondern hängt damit zusammen, dass die von Ihnen
so vielfältig kritisierte Regierung von Helmut Kohl jederzeit zu ihren Bündnisverpflichtungen gestanden hat und
auch niemals aufgegeben hat, eine Grundlage für Frieden
und Freiheit in Europa zu schaffen, indem sie die Überwindung der Teilung Europas und die Überwindung der
deutschen Teilung jederzeit als ihr politisches Ziel betrachtet hat. Jederzeit!
({15})
Deswegen hat natürlich die Überwindung der Teilung einen maßgeblichen Beitrag zu mehr Frieden und zu mehr
Freiheit in Europa und in Deutschland geleistet.
Die außen- und sicherheitspolitische Lage hat sich
grundlegend verändert. Darauf hat die alte Bundesregierung reagiert.
({16})
Die Streitkräfte in Deutschland sind - abgesehen von der
Auflösung der Nationalen Volksarmee - drastisch reduziert worden. Volker Rühe hat völlig zu Recht immer wieder auch von dieser Stelle aus von der Friedensdividende
gesprochen, die die Bundeswehr bereits gezahlt hat.
({17})
Es ist richtig, dass durch die Überwindung der Teilung
Europas eine existenzgefährdende, militärische Bedrohung durch große Landstreitkräfte, durch überlegene, auf
Landnahme ausgerichtete Streitkräfte wie die des Warschauer Paktes sehr unwahrscheinlich geworden ist.
({18})
Aber die Bedrohung unseres Landes und des europäischen Kontinentes hat eine andere Qualität bekommen.
Es gibt auch heute Bedrohung. Diese Bedrohung ergibt
sich aus dem Zerfall von Staaten in Europa, aus der Proliferation von Waffen, atomaren Sprengköpfen, biologischen und chemischen Waffen, sowie aus der Existenz unkalkulierbarer Staatsführungen. Die Amerikaner sprechen
dabei von so genannten Schurkenstaaten. Diese besitzen
Waffen, in deren Reichweite auch die Bundesrepublik
Deutschland liegen kann.
Es gibt eine Bedrohung unseres Landes. Es gibt eine
Bedrohung des Nordatlantischen Bündnisses. Deswegen
kommt es darauf an, dass Deutschland, Europa und die
NATO auch in Zukunft Verteidigungsfähigkeit besitzen.
Die Bundesrepublik Deutschland muss einen ihrer Größe
und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechenden
Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und
zur Landesverteidigung leisten. Herr Scharping, es ist unseren Bündnispartnern nur noch schwer zu vermitteln,
dass wir, gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes, innerhalb des Bündnisses mittlerweile einen so geringen Verteidigungsbeitrag erbringen, dass nur noch der von Luxemburg und Island geringer ist.
Die Bundesrepublik Deutschland steuert gegenwärtig
und mit dem, was Sie vorhaben, nicht den Anteil bei, den
sie leisten müsste, um Bündnisverpflichtungen und die
Verpflichtungen der Landesverteidigung zu erfüllen.
Wenn Sie uns dies nicht glauben: Warum haben Sie noch
vor wenigen Wochen zu Ihrem rot-grünen Etat gesagt, die
Bundeswehr werde auf absehbare Zeit weder vollständig
bündnisfähig noch europafähig sein, wenn es bei der
derzeit gültigen Finanzplanung bleibe? Warum haben Sie
das, Herr Scharping, noch vor wenigen Wochen in einem
öffentlichen Interview gesagt? Warum weisen Sie jede
Kritik zurück, die Sie heute nicht nur von uns erfahren,
sondern auch von vielen anderen, die die Sache fachlich
beurteilen können? Warum tun Sie deren Kritik ab und
sagen, dass diese - wie Sie sich eben hier ausgedrückt
haben - von der Sache, der rot-grünen Verteidigungspolitik nichts verstünden?
({19})
Ich sage Ihnen aus unserer Sicht: Die Bundeswehr
muss in Zukunft in sechs wesentlichen Punkten ihre
Zukunftsfähigkeit beweisen. Wir brauchen eine fundierte sicherheitspolitische Analyse. Sie haben völlig zu
Recht darauf hingewiesen, dass die NATO diese Analyse
auch für unser Land mit erstellt. Auf der Grundlage dieser
sicherheitspolitischen Analyse brauchen wir eine realistische Bewertung des Risikos. Das erwarten natürlich gerade diejenigen von uns - ich werde darauf noch zu
sprechen kommen -, die der Wehrpflicht unterliegen und
in diesen Wochen und Monaten zur Wehrpflicht herangezogen werden.
Wir brauchen aber auch eine Definition der deutschen
Interessen. Meine Damen und Herren, die deutschen Interessen in der geopolitischen Mitte Europas sind andere
sicherheitspolitische Interessen als beispielsweise die der
kleinen Länder, die ich genannt habe, Island und Luxemburg.
Erstens. Wir müssen unsere Verpflichtungen innerhalb
der NATO und innerhalb der Europäischen Union auch in
Zukunft wahrnehmen können. Sie selbst haben infrage
gestellt, dass wir darauf vorbereitet sind.
Zweitens. Die Bundeswehr muss auch in Zukunft zur
Landesverteidigung fähig sein. Dies klingt wie eine bare
Selbstverständlichkeit. Aber die Pläne, die Sie mit Ihrem
Eckpunktepapier vorgestellt haben, weisen darauf hin,
dass Sie große Teile der Bundeswehr nicht mehr auf die
Landesverteidigung ausrichten, sondern auf Einsätze
außerhalb des Bündnisses.
({20})
Meine Damen und Herren, es gehört schon zu den Absurditäten rot-grüner Politik, dass diejenigen, die jeden
auch noch so kleinen Einsatz außerhalb des Bündnisgebietes in der Zeit, in der sie in der Opposition waren, bis
hin zum Bundesverfassungsgericht bekämpft haben, jetzt
die größte Interventionsarmee haben wollen, die die Bundesrepublik Deutschland jemals gehabt hat.
({21})
Drittens. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr
als Armee des größten Landes in der Mitte des europäischen Kontinentes muss in Zukunft auch als zentraleuropäische Armee ausgestaltet sein, die die Aufgabe eines
europäischen Stabilitätsankers in der Mitte des europäischen Kontinentes wahrnimmt. Dies ist für die Bundeswehr anders als beispielsweise für die britische und für
die französische Armee und dies ist auch fundamental anders als beispielsweise für die amerikanische Armee.
Deutschland hat im Rahmen der Bündnisverpflichtungen
wie kein anderes Land die Verpflichtung, durch Landstreitkräfte in der Mitte Europas die Verteidigungsfähigkeit und die Bündnisfähigkeit aufrechtzuerhalten.
Dies ist mit dem Konzept, das die Bundesregierung jetzt
in Teilen vorgestellt hat, nicht vereinbar.
Viertens. Auch wir brauchen mit der Bundeswehr in
Zukunft eine eigene Fähigkeit zur multilateralen
Krisen- und Konfliktbewältigung. Wir sind mit Ihnen so hoffe ich jedenfalls - dankbar für das, was die Soldaten
der Bundeswehr in den Krisenregionen, insbesondere denen des Balkans, bis in diese Wochen und Monate hinein
leisten, und wir werden morgen - ich hoffe gemeinsam über die Verlängerung des Mandats der Soldaten im Rahmen des so genannten KFOR-Kontingents zu entscheiden
haben. Ich sage es noch einmal, Herr Scharping: ich hoffe,
gemeinsam, und zwar auf der Basis dessen, was wir
gestern besprochen haben.
({22})
- Was das heißt, Herr Kollege, können Sie wahrscheinlich
nicht wissen, weil Sie nicht ausreichend darüber informiert sind,
({23})
dass es gegenwärtig zwischen der Bundesregierung und
der Opposition einen Konflikt um die Frage gibt, ob wir
morgen ein zeitlich befristetes Mandat beschließen oder
ob wir es mit der Bundesregierung zulassen, dass die
Frage des Bundeswehreinsatzes außerhalb des NATOGebietes in Zukunft ohne Parlamentsbeteiligung beschlossen werden kann. Das ist der entscheidende Punkt.
Wir werden darauf bestehen, auch wenn es Ihnen nicht
gefällt,
({24})
auch wenn Sie aus Gründen der Rücksichtnahme auf die
Grünen und auf die Linken in Ihren eigenen Reihen versuchen wollen, die parlamentarische Beteiligung an der
Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr Schritt
für Schritt auszuhöhlen. Mit uns werden Sie das nicht
machen können!
({25})
Meine Damen und Herren, die Erfahrungen aus dem
Einsatz der Bundeswehr insbesondere im Rahmen des
KFOR-Mandats zeigen, dass die Bundeswehr schon heute
eine Reihe von strukturellen Schwächen aufweist, insbesondere in den Bereichen ihrer Aufklärungsfähigkeit,
der Führungsfähigkeit, der Mobilität und in vielen anderen Fragen bis hin zur elektronischen Kampfführung,
wobei die Bundeswehr gegenüber anderen Streitkräften,
die mitbeteiligt sind, technologische Rückstände aufweist. Die Bundeswehr muss auch im Rahmen solcher
Einsätze die Möglichkeit bekommen, mit zusätzlichen Investitionen in Zukunft auf Einsätze außerhalb des NATOGebietes besser vorbereitet zu sein.
Fünftens. Dies alles - Landesverteidigung, Bündnisverpflichtungen und internationale Verpflichtungen erfordert nach unserer Auffassung, meine Damen und
Herren, eine Personalstärke der Bundeswehr, die nicht
unter 300 000 liegen darf. Sie, Herr Scharping, formulieren die Personalstärke der Bundeswehr ausschließlich nach dem, was Ihnen der Bundesfinanzminister an Mitteln zur Verfügung stellt.
({26})
Die Personalstärke der Bundeswehr darf nicht nach den
kurzfristig verfügbaren Haushaltstiteln, sondern muss
nach den sicherheitspolitischen Erfordernissen der Landesverteidigung, der NATO-Verpflichtungen und der
Bündnisverpflichtungen ausgestaltet werden.
({27})
Sechster und letzter Punkt, meine Damen und Herren:
Wir sind aus vielen Gründen davon überzeugt, dass die
Bundeswehr auch in Zukunft maßgeblich auf der
Wehrpflicht aufbauen muss. Sie, Herr Scharping, haben
zu Recht angemahnt, dass über innere Führung, Soldat in
Uniform und die feste Verankerung der Bundeswehr
in unserer Gesellschaft gesprochen wird. Ich teile ausdrücklich das, was Sie dazu gesagt haben. Aber wenn Sie
glaubwürdig bleiben wollen, dann muss die Wehrpflicht
mit Wehrgerechtigkeit verbunden sein und das heißt,
es müssen große Teile der Jahrgänge, die für die
Wehrpflicht zur Verfügung stehen, auch eingezogen werden können. Und das ist mit einer Zahl von weniger als
100 000 Wehrpflichtigen vermutlich nicht realistisch.
({28})
Deswegen muss die Wehrpflicht in einem Umfang von
rund 100 000 Wehrpflichtigen beibehalten werden können.
Dies ist mehr als nur eine militärpolitische Frage. Dies
ist mehr als nur eine sicherheitspolitische Frage. Dies ist
eine zutiefst gesellschaftspolitische Frage, gerade für die
Bundesrepublik Deutschland. Wir sind das einzige Land
im Bündnis, das aufgrund seiner Geschichte nicht auf eine
über lange Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte ungebrochene Militärtradition zurückgreifen kann. Gerade
weil wir nicht auf eine ungebrochene militärische Tradition zurückgreifen können, brauchen wir nach meiner festen Überzeugung - das ist die feste Überzeugung der
allermeisten Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - auf Dauer die Verankerung der Bundeswehr in der
Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland durch die
Aufrechterhaltung der Wehrpflicht.
Die Bundeswehr wird in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nur dann auf Dauer Zustimmung und Akzeptanz finden, wenn sich auch die Zeitsoldaten und die Berufssoldaten der Bundeswehr, so wie es
heute der Fall ist, zum größten Teil aus Wehrpflichtigen
rekrutieren. Damit geht die Qualität der Bundeswehr und ihre gesellschaftliche Akzeptanz als Ganzes - weit
über die Zahl der von uns als notwendig erachteten
100 000 Wehrpflichtigen hinaus.
({29})
Wenn Sie, Herr Scharping, bereit sind, auf dieser Basis
eine breit angelegte Debatte über die Bundeswehr, die
Landesverteidigung, die Bündnisverpflichtungen und die
internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik
Deutschland zu führen, und wenn Sie bereit sind, erst am
Ende einer solchen Diskussion die Entscheidungen im
Kabinett über die Haushaltstitel zu treffen, dann werden
Sie uns an Ihrer Seite finden,
({30})
wenn es um die großen, langfristig tragfähigen politischen
Entscheidungen - ich sage ausdrücklich: nicht nur in der
Bundeswehr und in der Sicherheitspolitik, sondern auch
in der Außenpolitik und in der Europapolitik - geht.
Ich hätte es sehr begrüßt, wenn an dieser Debatte heute
Nachmittag - wenn ich es richtig sehe, ist das die einzige
Gelegenheit, vor der Entscheidung des Bundeskabinetts,
die die Grundlage für alles Weitere legt, eine solche Debatte zu führen; das ist auch der Grund, warum ich mich
zu Wort gemeldet habe - auch der Außenminister der
Bundesrepublik Deutschland teilgenommen hätte.
({31})
- Entschuldigung, der Kollege Rühe ist bis vor wenigen
Minuten hier im Plenum gewesen, was Ihrer Aufmerksamkeit wohl entgangen ist. Er hat, weil er einen Termin
mit einem Besucher hat, der bereits längere Zeit auf ihn
gewartet hat, darum gebeten, das Plenum verlassen zu
dürfen.
({32})
- Entschuldigung, es ist nicht der Oppositionspolitiker
Volker Rühe für die Außen- und Sicherheitspolitik der
Bundesrepublik Deutschland verantwortlich, sondern es
sind der Außenminister und der Verteidigungsminister.
({33})
Ich stelle fest - das will ich auf Ihren Zwischenruf noch
sagen -, dass wir einen Außenminister haben, der sich
mittlerweile mehr Zeit nimmt, um den Wannsee zu
joggen, als im Deutschen Bundestag zu sitzen.
({34})
Diese Antwort bleibe ich Ihnen nicht schuldig.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir Gelegenheit haben,
eine ausführliche Debatte über die Zukunft der Bundeswehr zu führen. Bei allen Meinungsverschiedenheiten
und Auseinandersetzungen, die in diesem Parlament notwendig sind, insbesondere deshalb, weil diese Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland der Bundeswehr die notwendige Ausstattung vorenthält, sollen
die Soldaten der Bundeswehr, ihre Angehörigen, ihre
Familien wissen: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
wird - jenseits aller berechtigen Kritik - auch in Zukunft
hinter der Bundeswehr und hinter ihrem Auftrag stehen,
den wir ihr politisch gegeben haben: Wahrnehmung der
Landesverteidigung und Einhaltung der Bündnisverpflichtungen.
Vielen Dank.
({35})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Dr. Ludger Volmer das
Wort.
Herr Merz, Sie haben sich zum Schluss Ihrer Rede nicht
einer kleinen rhetorischen Sottise enthalten können, mit
der Sie Ihre ansonsten stinklangweilige Rede meinten
würzen zu müssen.
({0})
Dies war eine Rede, die als einzigen Gehalt weitere Finanzforderungen hatte, wobei Sie keinen Vorschlag
gemacht haben, wie diese erfüllt werden könnten. Um
Ihrem Vortrag eine gewisse Würze zu geben, meinten Sie
den Außenminister angreifen und ihm vorwerfen zu
müssen, er gehe just in dem Moment joggen, in dem Sie
den Bundestag langweilen.
Herr Merz, Sie wissen genau, wo sich der Bundesaußenminister im Moment aufhält: Der Bundesaußenminister ist vorhin nach Krakau gereist, um dort an den
Gesprächen des so genannten Weimarer Dreiecks
teilzunehmen.
({1})
Herr Merz, ich möchte Sie daran erinnern, dass das
„Weimarer Dreieck“ eine Idee war ({2})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
ich finde es interessant, dass Sie sich von mir erklären
lassen müssen, was das „Weimarer Dreieck“ ist.
({3})
Denn die Schaffung des „Weimarer Dreiecks“ gehört zu
den Erfolgen, zu denen wir Ihrem ehemaligen Parteivorsitzenden Helmut Kohl gratulieren.
({4})
Zu den historischen Erfolgen von Helmut Kohl gehört,
dass er im Rahmen des „Weimarer Dreiecks“ Beratungen
initiiert hat: zwischen Deutschland, unserem großen westlichen Nachbarn Frankreich und einem unserer großen,
bedeutsamen östlichen Nachbarn, Polen.
Es ist selbstverständlich, dass der Bundesaußenminister zu einem lange anberaumten Termin im Rahmen des
„Weimarer Dreiecks“ reist. Es ist umso selbstverständlicher, dass er dies in einer Situation tut, in der in
Polen innenpolitische Friktionen zu beobachten sind und
in der es bedeutsam ist, dass wir und die polnische Seite
betonen, dass innenpolitische Veränderungen in Polen
unser bilaterales Verhältnis und das trilaterale Verhältnis
zu Frankreich nicht berühren, sondern dass uns diese
Dinge ein Ansporn sind, weiterhin an einer guten Nachbarschaft und einer Vertiefung der Beziehungen zu arbeiten.
Wenn der Bundesaußenminister dies tut, dann leistet er
damit ein bedeutsames Stück an Konflikt- und Krisenprävention.
({5})
Denn dieser Besuch ist in eine Osteuropa- und Europapolitik einzuordnen, mit der versucht wird, auf die Transformationsstaaten Osteuropas stabilisierenden Einfluss zu
nehmen. Ich finde es tragisch, dass das einem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU so deutlich gesagt werden
muss.
({6})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell ist die Überweisung des Entschließungsantrages der F.D.P.-Fraktion auf Drucksache
14/3511 federführend an den Verteidigungsausschuss und
mitberatend an den Auswärtigen Ausschuss, den Haushaltsausschuss und den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend vereinbart worden. Das Haus ist damit
einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/3490 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte
Schulte zur Verfügung.
Die Frage 43 des Kollegen Benno Zierer wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Georg Girisch
auf:
Wie weit sind die Planungen der Bundesregierung fortgeschritten, Bundeswehrkassen zusammenzulegen und Fusionen
mit anderen Bundeskassen herbeizuführen, und besteht hierdurch
nicht die Gefahr, dass Arbeitsplätze außerhalb von Ballungszentren abgebaut werden?
Die Antwort heute, Herr
Girisch, bezieht sich auf eine Planung, die auf die alte
Bundesregierung zurückzuführen ist. Seit 1997 wird mit
ausgewählten militärischen und Verwaltungsdienststellen
erprobt, ob das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen-Verfahren des Bundes nicht nur im Ministerium
selbst, sondern auch im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung erfolgreich angewandt
werden könnte. Das würde eine Konzentration bedeuten.
Im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen wurde dieser Pilotversuch 1998 um weitere
Dienststellen mit bundeswehrspezifischen Geschäftsvorfällen ausgeweitet. Der Versuch läuft in diesem Jahr aus.
Ein Bericht dazu liegt vor.
Seit dem 2. Mai 2000 sind die Bundeswehrkasse Kiel
und die Bundeskasse Kiel - das eine ist Verteidigungsministerium, das andere Finanzministerium - im
Rahmen eines Modellversuchs zusammengelegt. Der
Modellversuch ist zunächst auf ein Jahr begrenzt. Die
Beschäftigten der Bundeswehrkasse Kiel sind zur Oberfinanzdirektion Hamburg - also in den Bereich des Finanzministeriums - abgeordnet und nehmen dort die Aufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. Bei einem erfolgreichen Abschluss des Modellversuchs können sie auf
freiwilliger Basis auch in die Bundesfinanzverwaltung
versetzt werden.
Zwischen den beiden Ministerien, dem Bundesverteidigungsministerium und dem Bundesministerium der Finanzen, besteht Einvernehmen, dass der Modellversuch
in Kiel die abschließende Bewertung des laufenden
Pilotversuchs für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen nicht präjudizieren soll. Die Bundeswehrkassen in Bayern sind von dem Modellversuch also nicht
berührt.
Sofern die Bundeswehrkassen mit den Bundeskassen
zusammengelegt werden - was als Ergebnis herauskommen kann -, sind beträchtliche Personaleinsparungen zu
erwarten. Zu diesem Zeitpunkt können konkrete Aussagen über den künftigen Bestand der Bundeswehrkassen
oder auch der anderen Kassen, also der des Finanzministers, aber noch nicht getroffen werden. Das gilt gegenwärtig auch für den Freistaat Bayern.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 45 des Kollegen Erich G. Fritz
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Bericht des Hamburger
Magazins „Stern“ vom 25. Mai 2000, wonach das Exportgeschäft
von Fuchs-Spürpanzern in die Vereinigten Arabischen Emirate
beinahe perfekt ist?
Herr Kollege Fritz, der
Bundesregierung liegt eine Voranfrage der deutschen Industrie über die Lieferung von ABC-Spürpanzern Fuchs
in die Vereinigten Arabischen Emirate vor, die jedoch
noch nicht beschieden wurde. Ausfuhrgenehmigungen für
den hier in Rede stehenden Fuchs-Spürpanzer in die Vereinigten Arabischen Emirate sind bislang noch nicht
beantragt worden. Es gibt nur die Voranfrage.
Weitere Auskünfte kann die Bundesregierung aus
Gründen des Geheimschutzes gemäß § 30 des Verwaltungsverfahrensgesetzes in Verbindung mit § 203 des
Strafgesetzbuches nicht erteilen.
Eine Zusatzfrage.
Ich glaube, dass die Frage
des Geheimschutzes überhaupt nicht bezweifelt wird,
dass aber die Frage des Zeitpunkts der Entscheidung
diesem Geheimschutz sicher nicht unterliegt. Trifft es zu,
dass die Absegnung - wie es in der Presse zu lesen war des Fuchs-Geschäfts im Bundessicherheitsrat in aller
Kürze nur noch eine Formalität ist und dass auch Bündnis 90/Grüne dem zustimmen, dass allerdings diese
Entscheidung nicht vor dem Parteitag der Grünen getroffen wird - aus Rücksicht auf den kleineren Koalitionspartner?
Lieber Herr Kollege Fritz,
ich kann Sie ja verstehen; aber als Mitglied der Bundesregierung werde ich mich hüten, spekulative Beiträge
in der Presse ernst zu nehmen. Es trifft zu, was ich Ihnen
bereits gesagt habe: Es liegt eine Voranfrage vor; es ist
aber keine Vorentscheidung getroffen worden. Wir werden uns entsprechend dem Lauf der Dinge verhalten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
teilen Sie dem Deutschen Bundestag dadurch mit, dass
kein Zeitpunkt für die Entscheidung des Bundessicherheitsrats festgelegt ist?
Ich habe Ihnen gesagt, was
ich Ihnen im Moment sagen kann. Weiteres werde ich Ihnen auch deshalb nicht sagen, weil ich Ihre Fragen nicht
beantworten kann.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Heidi Lippmann.
Frau Staatssekretärin
Schulte, können Sie die Zahl spezifizieren oder fällt auch
das unter die Geheimhaltung? Es hatte ja bereits einmal
eine positiv beschiedene Voranfrage über die Lieferung
von, glaube ich, 24 Spürpanzern vom Typ Fuchs in die
Vereinigten Arabischen Emirate gegeben. Die Zahlen, die
zuletzt im Gespräch waren, lagen um die 60 herum. Betrifft die jetzt erfolgte Voranfrage eine Lieferung, die die
Zahl 50 oder 60 übersteigt?
Frau Kollegin, das kann ich
Ihnen selbstverständlich beantworten. Es gab eine Voranfrage vom 17. August 1998 auf die Lieferung von
29 „Füchsen“ an die Vereinigten Arabischen Emirate.
Diese Anfrage wurde im Januar 1999 positiv beschieden.
Eine weitere Voranfrage auf eine Erhöhung dieser Stückzahl um zusätzlich 35 „Füchse“ vom Oktober 1999 liegt
der Bundesregierung vor. Hinsichtlich letzterer Anfrage
ist aber noch keine Entscheidung gefällt worden.
Sie wissen ja - auch damit verletze ich keine
Geheimnisse -: Neben dem Auswärtigen Amt werden das
Bundesministerium für Wirtschaft und das Bundesministerium für Verteidigung beteiligt. Wir sind nur ein Teil in
dieser Angelegenheit, nicht der handelnde Teil.
Ich rufe die Frage 46
des Abgeordneten Werner Siemann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den möglichen Erwerb von
49 Prozent an der Firma Krauss-Maffei Wegmann durch den
amerikanischen Konzern General Dynamics ({0}) sowie die
Übernahme der spanischen Staatsfirma Santa Barbara durch GD
({1}) im Hinblick auf den Know-howTransfer ({2}) und die vereinbarte europäische
Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie?
Lieber Herr Kollege
Siemann, zum Verkauf der spanischen Staatsfirma Santa
Barbara Blindados an General Dynamics kann ich Ihnen
nur sagen, dass die Bundesregierung an einer europäischen Lösung interessiert ist. Dies hat der Bundeskanzler
gegenüber dem spanischen Ministerpräsidenten deutlich
zum Ausdruck gebracht. Falls sich die spanische
Regierung jedoch für den Verkauf ihrer staatlichen
Heeresrüstungsindustrie an die amerikanische Firma
General Dynamics entscheiden sollte, könnte das natürlich Rückwirkungen auf die europäische industrielle Rüstungszusammenarbeit haben. Der Schutz des Know-how
wird dann durch ein Technologieschutzabkommen zwischen den industriellen Partnern zu regeln sein.
Was die Übernahme der Firma Krauss-Maffei Wegmann durch die US-Firma General Dynamics betrifft, so
liegen offizielle Erklärungen der beteiligten Unternehmen
dazu nicht vor. Die Bundesregierung sieht - wie auch in
vorangegangenen Fällen - keinen Anlass, zu Presseberichten Stellung zu nehmen.
Wir sind damit am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Dirk Niebel auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass Arbeitsverbote
gegen die Menschenwürde verstoßen, und wenn ja, wo kann dagegen gerichtlich vorgegangen werden?
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Ulrike Mascher zur Verfügung.
Herr Kollege,
in der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Arbeitsverbote. Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleistet allen Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und
Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung
kann durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt
werden. Soweit dieses Grundrecht ausschließlich Deutschen zusteht, genießen Ausländer nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über das
Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach
Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ausreichende Rechte und Freiheiten.
Die Frage, auf welchem Gerichtsweg in den vorgenannten Fällen vorgegangen werden kann, hängt von dem
jeweiligen Regelungsbereich ab. Gegen Entscheidungen
der Arbeitsverwaltung steht der Weg zu den Sozialgerichten offen.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Dirk Niebel.
Frau Staatssekretärin, Sie haben
richtigerweise darauf hingewiesen, dass es keine Arbeitsverbote für Deutsche gibt. Nun weiß nicht nur die
Bundesregierung - insbesondere auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung -, sondern auch das
eine oder andere Sozialgericht im Land, dass es doch
generelle Arbeitsverbote gibt, und zwar Arbeitsverbote
für Personengruppen. Insbesondere möchte ich hier die
Asylbewerber, die nach dem Mai 1997 in die Bundesrepublik eingereist sind, nennen. Diese sind - noch nach
einem Erlass der alten Bundesregierung, den die F.D.P.
mit ihrer damaligen Ausländerbeauftragten, Frau
Schmalz-Jacobsen, schon immer als rechtswidrig erachtet
hat - generell vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, ohne
dass eine Arbeitsmarktprüfung stattfindet. Diverse
Sozialgerichte haben diese Rechtswidrigkeit bereits
festgestellt. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung hat in diesem Hause mehrfach darauf hingewiesen, dass sie diesen Erlass als rechtswidrig erachtet.
Wie wird die Bundesregierung mit dem Umstand umgehen, dass die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung einen Erlass, der ohne Beteiligung des Deutschen
Bundestages geändert werden könnte, als rechtswidrig erachtet und dieser Erlass immer noch in Kraft ist?
Zum Ersten, Herr
Niebel: Die Urteile, die Sie angesprochen haben, beruhen
vor allen Dingen darauf, dass die Gerichte in erstinstanzlichen Urteilen der Meinung waren, dass die Rechtsgrundlage für den Erlass der Weisung nicht bestanden hat.
Hierzu hat die Bundesregierung eine andere Rechtsauffassung.
Zum Zweiten ist es so - das ist Ihnen sicherlich nicht
unbekannt -, dass sich die Regierung und die Koalitionsfraktionen im Moment mit der Frage beschäftigen, wie
wir in geeigneter Form die Arbeitsmöglichkeiten, insbesondere für Asylbewerber, regeln können, ohne dass wir
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit nachhaltigen Verwerfungen zu rechnen haben.
Eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, in der
105. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 18. Mai
dieses Jahres hat in der Debatte über die europäische
Grundrechtscharta für die SPD-Bundestagsfraktion der
Abge-ordnete Dr. Jürgen Meyer ({0}) im Rahmen der
Diskussion über ein Recht auf Arbeit gesagt, dass es sich
hierbei um „Respektieren, Schützen und Fördern“ handele. Er führte weiter aus - ich zitiere -:
Respektieren heißt, es darf keine Arbeitsverbote geben. Das hat zum Beispiel der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung zum Waffendienst von
Frauen in der Bundeswehr anerkannt. Dort ging es
nicht nur - aber selbstverständlich auch - um Gleichstellung, sondern auch um die Ablehnung pauschaler
Arbeitsverbote.
Muss ich diese Auffassung dahin gehend interpretieren, dass die Aufhebung des Arbeitsverbots für nach Mai
1997 eingereiste Asylbewerber aufgrund des Starrsinns
der Bundesregierung nur durch den Europäischen Gerichtshof erfolgen kann?
Nein, ich habe Ihnen gerade gesagt, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen im Moment prüfen, in welcher Weise
wir die Beschäftigung von geduldeten Ausländern und
Asylbewerbern regeln können, ohne dass sich nachteilige
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben. Sie kennen
die öffentliche Diskussion. Wir sprechen über Wartezeitenregelungen. Generell werden wir in absehbarer Zeit zu
einem positiven Ergebnis kommen.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Heidi Lippmann.
Frau Staatssekretärin, gibt es
bereits eine zeitliche Perspektive für die Entscheidung - soweit ich mich erinnern kann, wurden sowohl
von der SPD als auch von den Grünen vor der Regierungsübernahme dazu Aussagen gemacht -, das Arbeitsverbot für Asylbewerber aufzuheben?
Frau Kollegin, Sie
kennen die schwierige Arbeitsmarktsituation, insbesondere in den neuen Bundesländern. Ich gehe davon aus,
dass Sie Verständnis dafür haben, dass wir sehr sorgfältig
prüfen, in welcher Form wir dieses Arbeitskräftepotenzial
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zulassen, um zu verhindern, dass Verwerfungen und nachteilige Entwicklungen, auch was die Akzeptanz der ausländischen Arbeitnehmer betrifft, eintreten.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Die Fragen werden von Staatsminister Dr. Ludger
Volmer beantwortet.
Die Fragen 2 und 3 des Abgeordneten Joachim Günther
({0}) werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Carsten
Hübner auf:
Aus welchem Haushaltstitel sollen die für die Unterstützung
afrikanischer Armeen in den Bereichen Konfliktverhütung und
Friedenssicherung in Aussicht gestellten 57 Millionen DM finanziert werden und wird das Bundesministerium der Verteidigung an
der Finanzierung beteiligt werden?
Herr Kollege Hübner, das Ausstattungshilfe-Programm der Bundesregierung für Streitkräfte von Empfängerländern in der Dritten Welt, für das das Auswärtige
Amt die politische Verantwortung und das BMVg die
Durchführungsverantwortung haben, war bisher im Haushalt des Auswärtigen Amts im Titel 686 23 eingestellt.
Aufgrund der Sparmaßnahmen waren dafür im Haushalt
2000 nur noch 5 Millionen DM vorgesehen.
Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat zur Gewährleistung der Fortsetzung der laufenden Projekte in
seiner Sitzung am 11. November 1999 10 Millionen DM
in den Einzelplan 60 eingestellt und die Bundesregierung
gleichzeitig aufgefordert, „rechtzeitig für den Zeitraum ab
2001 ein neues Ausstattungshilfe-Programm für Streitkräfte von Entwicklungsländern vorzulegen“. Dieses Programm ist sachlich abgestimmt worden und wird dem
Haushaltsausschuss zur Billigung vorgelegt werden, der
auch über die Finanzierung zu entscheiden haben wird.
Ich rufe die Frage 5
des Kollegen Hübner auf:
Wie soll die angekündigte Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Verteidigung bei den geplanten Projekten aussehen und welche konkreten Aufgaben sollen von Angehörigen der
Bundeswehr vor Ort übernommen werden?
Ich antworte wie folgt: Wie bisher bei der Ausstattungshilfe für ausländische Streitkräfte wird das Auswärtige Amt die politische Federführung haben und das
BMVg die Durchführungsverantwortung tragen. Das
BMVg wird die mit den Partnerländern zu vereinbarenden Projekte durch Beratergruppen und Materialausstattung unterstützen. Dabei sind wie bisher die Ausstattung
mit Waffen und Munition oder die Lieferung von Geräten
und Anlagen zu deren Herstellung ausdrücklich ausgeschlossen.
Eine Zusatzfrage? Nein.
Dann kommen wir zur Frage 6 der Kollegin Heidi
Lippmann:
Welche Staaten sollen von der durch die Bundesregierung geplanten Unterstützung afrikanischer Armeen in den Bereichen
Konfliktverhütung und Friedenssicherung profitieren und nach
welchen Kriterien soll die Auswahl der Staaten erfolgen?
Frau Lippmann, die Bundesregierung beabsichtigt,
im Rahmen des Ausstattungshilfekonzepts für die Jahre
2001 bis 2003 circa 10 Staaten bzw. internationalen Organisationen die Fortsetzung bzw. die Neuaufnahme von
Projekten vorzuschlagen. Mit Rücksicht darauf, dass das
Konzept noch nicht von den zuständigen Ausschüssen des
Bundestages gebilligt worden ist und noch keine Gespräche mit den Regierungen der Partnerstaaten geführt
worden sind, hält es die Bundesregierung für verfrüht, die
Länder im Einzelnen zu benennen.
Die Auswahl der Staaten richtet sich im Rahmen der erforderlichen Prioritätensetzung nach den Erfolgsaussichten der künftigen Zusammenarbeit mit der Zielsetzung
der Kapazitätsverstärkung zur Konfliktverhütung und
Friedenssicherung der Partnerstreitkräfte sowie deren
Rolle bei der Stabilisierung und Demokratisierung der jeweiligen Staaten.
Wir kommen zur
Frage 7 der Kollegin Lippmann.
Welche Bereiche, Maßnahmen und Kooperationspartner plant
die Bundesregierung bei den geförderten afrikanischen Streitkräften zu unterstützen und anhand welcher Kriterien sollen diesbezügliche Entscheidungen getroffen werden?
Die Bundesregierung beabsichtigt insbesondere die
Unterstützung von regionalen Einrichtungen zur Friedenssicherung sowie des Sanitätswesens, soweit dies zur
Versorgung der Zivilbevölkerung unentbehrlich ist, des
Transportwesens, soweit es der Friedenssicherung und
Katastrophenhilfe dient, und der Berufsausbildung, soweit die Partnerstreitkräfte einen unverzichtbaren Beitrag
zur Entwicklung und Stabilisierung ihrer Länder leisten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist im
Rahmen der zukünftigen Zusammenarbeit in diesem Bereich geplant, die Tätigkeiten, die bisher von Kräften des
BMVg wahrgenommen werden, aus dem militärischen
Bereich auszugliedern und auf bestehende, zum Beispiel
auf die GTZ und das THW, oder auf neu zu schaffende
nicht militärische Strukturen zu übertragen?
Frau Lippmann, solche Aufgabenübertragungen
existieren ja. Diese werden politisch entschieden und
durchgeführt vom Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit. In dessen Etat ist auch der Hauptteil der
finanziellen Mittel, die für solche Formen der Kooperation zur Verfügung stehen, enthalten. Das Auswärtige Amt
hat traditionell Mittel für die Zusammenarbeit mit ausländischen Streitkräften zur Verfügung gehabt. Dieser Zusammenarbeit haben wir eine neue politische Zielrichtung
gegeben. Während diese Mittel bisher relativ disparat eingesetzt wurden, haben wir versucht, uns auf die Frage zu
konzentrieren, inwieweit existierende Streitkräfte dafür
gewonnen werden können, im Rahmen regionaler Sicherheitsverbünde Konfliktprävention zu betreiben, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent. Wenn ausländische
Streitkräfte etwa im Bereich Peace keeping und Konfliktverhütung trainiert werden sollen, also hinsichtlich der
Bewältigung von Aufgaben, die von Streitkräften und
nicht sowieso von Zivilorganisationen wahrgenommen
werden, hat sich unseres Erachtens die Zusammenarbeit
mit Ausbildern und Personal der Bundeswehr bewährt.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Hübner.
Herr Kollege Volmer, ich
habe nur eine Frage: Nach welchen Kriterien wurde bisher über die konkreten Maßnahmen entschieden, wenn
noch nicht letztendlich festgelegt worden ist, welchen
Ländern und welchen in den Ländern jeweils vorzufindenden Strukturen - von mir aus auch Armeestrukturen - Unterstützung gegeben werden soll? Wie sind Sie zu
der Nenngröße von 57 Millionen DM für die Restrukturierung dieses Fonds, wie Sie das genannt haben, gekommen?
Meiner Meinung nach wird zunächst die Projektierung
abgeschlossen und dann wird überprüft, wie viel Geld
man dafür braucht, gerade bei der gegenwärtigen Haushaltslage, und nicht umgekehrt, indem man sagt: Wir nehmen einfach einmal 57 Millionen DM und schauen dann,
was wir damit machen.
Herr Kollege, der Prozess lief ein bisschen anders.
Das Auswärtige Amt war gezwungen, im Rahmen der allgemeinen Sparmaßnahmen auch dieses Programm drastisch zu kürzen.
Der Haushaltsausschuss besaß die Weisheit zu sagen,
dem würden dann leider manche Projekte zum Opfer fallen, die an sich positiv zu bewerten seien. Deshalb hat der
Haushaltsausschuss für diese Projektarbeit, nachdem wir
den Plafonds gekürzt hatten, wieder einen Zuschlag gegeben. Wenn wir diese zur Verfügung gestellten Gelder
zusammenrechnen, kommen wir auf die 57 Millionen DM. Dafür haben wir Projektvorschläge vorbereitet.
Die Liste mit Projektvorschlägen wird in Kürze den beteiligten Ausschüssen, nämlich dem Haushaltsausschuss
und dem Auswärtigen Ausschuss, zugeleitet werden.
Allerdings hat das AA nicht die alleinige Entscheidungsbefugnis darüber, sondern der Haushaltsausschuss,
der die Gelder bereitstellt, hat da ein gewichtiges Wort
mitzureden. Deshalb kann ich nicht sagen, dass dies die
definitiv endgültige Liste ist.
Wir kommen zur
Frage 8 des Kollegen Hartmut Koschyk:
Aus welchen Gründen hat der Bundesminister des Auswärtigen den Antrag der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die noch
lebenden sudetendeutschen Opfer der Vertreibung aus dem
deutsch-tschechischen Zukunftsfonds zu entschädigen, als „kontraproduktiv“ und „schädlich für die deutschen Interessen“ beurteilt - vergleiche „Berliner Zeitung“ vom 22. Mai 2000 - und wie
begründet die Bundesregierung ihre diesbezügliche Auffassung
vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass aus dem
deutsch-tschechischen Zukunftsfonds auch Zahlungen an tschechische Opfer des Nationalsozialismus erfolgen?
Herr Koschyk, Leistungen an Opfer nationalsozialistischer Gewalt sind explizit in der Deutsch-Tschechischen Erklärung und in der Satzung des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds vorgesehen. Anders geartete Leistungskategorien sind von diesen grundlegenden Dokumenten nicht abgedeckt.
Der erwähnte Projektantrag der Sudetendeutschen
Landsmannschaft ist der zukunftsgerichteten Weiterentwicklung unseres Verhältnisses zur Tschechischen Republik abträglich. Wir haben kein Interesse an einer Spirale
neuer Forderungen und Gegenforderungen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,
wie kann denn ein Antrag, der sich einfach bemüht, eine
vom deutsch-tschechischen Verhältnis auf deutscher Seite
besonders hart betroffene Bevölkerungsgruppe in symbolische Leistungen eines auch mit deutschen Steuergeldern ausgestatteten Fonds einzubeziehen, für die Zukunftsentwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen abträglich sein, wenn auf tschechischer Seite, zum
Beispiel vom ehemaligen Regierungsberater Herr
Doležal, eine solche Forderung, ein solcher Vorschlag,
auch mit positiver Resonanz in den tschechischen Medien, den Sie - wie Sie ja selbst in der Fragestunde vom
10. Mai sagten - als wichtigen Beitrag für Verständigung
und Versöhnung bezeichnet haben, öffentlich erhoben
wird?
Herr Koschyk, die Leistungen, die der Fonds umsetzen kann, sind in den Fondsbestimmungen abschließend beschrieben. Wenn nun darüber hinausgehende Forderungen erhoben werden, so muss man auf der
einen Seite deren außenpolitische Wirkung sehen. Wenn
Sie auf der anderen Seite darauf hinweisen, dass innerhalb
der Tschechischen Republik Diskussionen begonnen worden sind, die - so entnehme ich Ihren Worten - Ihnen nicht
ganz unsympathisch sind, dann würde ich aus Sicht der
Bundesregierung den Rat geben, solche Diskussionen
sich einfach entwickeln zu lassen und nicht durch hier formulierte Ansprüche überzustrapazieren.
Eine zweite Zusatzfrage.
Hat denn die Bundesregierung irgendwann in dieser Diskussion die Bereitschaft erkennen lassen und auch durch ihre Vertreter im
Rahmen des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds eine
Diskussion dahin gehend mit der tschechischen Seite geführt, mit der tschechischen Seite überhaupt in ein Gespräch zu kommen, den Auftrag des Fonds so zu verändern, dass es zumindest zu einer Art von symbolischen
Leistungen für vertriebene Sudetendeutsche kommt?
Herr Koschyk, wir reden intensiv mit der tschechischen Regierung und nehmen sehr wohl wahr, dass dort
eine gewisse Bereitschaft besteht, in diesem Sinne zumindest symbolisch etwas zu unternehmen. Ich weiß,
dass anlässlich des Besuchs von Vaclav Havel informell
über solche Möglichkeiten zumindest geredet wurde.
Man muss aber genauso deutlich sehen: Wenn die Landsmannschaft mit solchen drastischen Forderungen öffentlich auftritt, wird dieser Diskussionsstrang, wie er sich in
der Tschechischen Republik entwickelt hat, eher abgekappt, als dass er sich weiter entwickeln kann.
Ich rufe die Frage 9
des Abgeordneten Koschyk auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich gegenüber der Tschechischen Republik für eine Rückübertragung oder Entschädigung des
nach dem Zweiten Weltkrieg konfiszierten Eigentums der in der
seinerzeitigen Tschechoslowakei verbliebenen Deutschen einzusetzen, und falls nein, wie begründet die Bundesregierung ihre
Haltung?
Herr Koschyk, der Bundesregierung ist bekannt,
dass sich die tschechische Restitutionsgesetzgebung mit
den Stichjahren 1948 und 1989 nur auf kommunistische
Enteignungen bezieht. Davon ausgenommen ist die Restitution jüdischen Eigentums. Auch das Schicksal der in
der Tschechischen Republik verbliebenen Deutschen ist
der Bundesregierung bekannt. Die Bundesregierung betrachtet die entschädigungslose Enteignung der Betroffenen nach dem Krieg als völkerrechtswidrig.
Zwischen den beiden Regierungen gilt jedoch die in
der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1997 niedergelegte Verabredung, in der es in Ziffer IV heißt, dass
„jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und
respektiert, dass die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, dass sie ihre
Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.“
Zusatzfrage? Bitte.
Herr Staatsminister,
wir haben ja mehrere deutsch-tschechische Vereinbarungen. In einigen hat sich die tschechische Seite zu angemessenen Schutzbestimmungen für Minderheiten wie die
tschechischen Staatsbürger deutscher Nationalität und
deutscher Abstammung verpflichtet. Insofern hat die
deutsche Bundesregierung durch den deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrag eine gewisse Berufungsgrundlage gegenüber der tschechischen Seite. Wenn ganz
offensichtlich auch nach der Feststellung des Bürgerrechtsbeauftragten der tschechischen Regierung, Uhl,
eine demonstrative Nichteinbeziehung tschechischer Bürger deutscher Nationalität und deutscher Abstammung in
tschechische innerstaatliche Restitutionsmaßnahmen vorliegt, ist es dann nicht geboten, dass die Bundesregierung
auf der Grundlage des deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrages und auf der Grundlage eines durch den
Nachbarschaftsvertrag - wenn ich das einmal so sagen
darf - zum Ausdruck kommenden Diskriminierungsverbotes für tschechische Staatsbürger deutscher Nationalität
in dieser Frage gegenüber der tschechischen Regierung
aktiv wird?
Herr Koschyk, wir sind froh, dass wir nach
langjährigen, sehr schwierigen Diskussionen mit der
tschechischen Seite diese gemeinsame Erklärung erarbeitet haben. Es handelt sich um eine Erklärung, die eine gute
Grundlage für eine freundliche und freundschaftliche Zusammenarbeit in der Zukunft ist. Wenn sich die Beziehungen in diesem freundschaftlichen Sinn weiterentwickeln, wird man sicherlich über das eine oder das andere reden können. Ich halte aber nichts davon, sich auf
Standpunkte zu stellen und auf Grundlagen zu berufen,
durch die der freundschaftliche Dialog wieder auf einen
Stand der subtilen juristischen Konfrontation, wie wir ihn
vor der Verabschiedung der gemeinsamen Erklärung hatten, zurückgeworfen würde.
Eine zweite Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatsminister,
ich muss noch einmal fragen: Die Deutsch-Tschechische
Erklärung ist, bei allem Respekt, eine politische Willensbekundung beider Regierungen. Wir haben einen völkerrechtlich verbindlichen Nachbarschaftsvertrag mit einer
Vereinbarung über Minderheitenschutz und damit auch
ein Diskriminierungsverbot im Hinblick auf tschechische
Staatsbürger deutscher Nationalität. Gebietet dieser Vertrag nicht, dass bei offensichtlicher Diskriminierung, die
auch der Bürgerrechtsbeauftragte der tschechischen Regierung im Hinblick auf den von mir geschilderten Sachverhalt feststellt, die deutsche Bundesregierung partnerschaftlich auf die tschechische Seite zugeht und das von
mir angesprochene Problem gegenüber der tschechischen
Seite zur Sprache bringt?
Wenn signifikante Probleme auftauchen, nimmt die
Bundesregierung diese sehr wohl wahr und findet den geeigneten Weg, das anzusprechen, ohne dass damit das
bilaterale politische Klima gestört wird.
Wir sind damit am
Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich danke Ihnen, Herr
Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Dirk Niebel auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, dass einem
IT-Spezialisten aus einem Land außerhalb der Europäischen
Union, der sich aufgrund der so genannten Green-Card-Initiative
in Deutschland beworben hat, eine einfache Einreise zum Zwecke
eines Bewerbungsgesprächs möglich ist?
Herr Kollege Niebel, ich kann
Ihre Frage relativ kurz beantworten: Für Einreisen zum
Zwecke eines Bewerbungsgespräches wird ein Besuchsund Geschäftsvisum erteilt.
({0})
- So sind wir: kurz, knapp und bündig.
Hin und wieder darf
man sich auch einmal selber loben.
Ja, Herr Präsident, das ist nicht
schlecht.
({0})
Die Frage 11 des
Kollegen Dietrich Austermann wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 12.
({0})
- Der Kollege Kolbe ist im Haushaltsausschuss und damit
nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Gerhard
Jüttemann auf:
Welche Berufe und Berufsgruppen sind bisher von der Praxis
aufgrund des Schreibens des Bundesministeriums des Innern, Geschäftszeichen D II 2-220 000/44 a vom 13. Januar 2000, wonach
Personal, das für eine Tätigkeit im Tarifgebiet Ost gewonnen werden soll, zunächst im Tarifgebiet West eingestellt und dann in das
Tarifgebiet Ost versetzt werden soll, schwerpunktmäßig betroffen?
Die Frage 13 bezieht sich auf das
gleiche Thema wie die Frage des Kollegen Kolbe.
Herr Kollege Jüttemann, wie Sie wissen, führt die
Bundesregierung zurzeit eine Abfrage bei den Ressorts
durch, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach
dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern
vom 13. Januar 2000 eingestellt wurden. Das Ergebnis
wird in der Antwort auf die von Ihnen und der Fraktion
der PDS gestellte Kleine Anfrage mitgeteilt. Darüber,
welche Berufe und welche Berufsgruppen aufgrund des
genannten Rundschreibens bisher bei den Einstellungen
vertreten sind, liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Ich will das aber durch eine aktuelle Mitteilung ergänzen - Stand: 14.30 Uhr. Die Ressortabfrage
hat ergeben, dass 13 von 22 obersten Bundesbehörden die
Einstellung von bisher zwei Mitarbeitern gemeldet haben.
Zusatzfrage des Kollegen Jüttemann.
Wie verhält sich die
ÖTV zu diesem Schreiben? Gibt es hier Übereinstimmung oder haben Sie Schwierigkeiten?
Ich glaube, dass das Schreiben
von Ihnen und einigen wenigen anderen völlig überinterpretiert wird. Das zeigt die Abfrage ganz deutlich: Es sind
zwei Mitarbeiter. Es ist eine besondere Situation. Die Zahl
macht deutlich, um welch ein „großes“ Problem es sich
dabei handelt.
Frage 14 des Kollegen Jüttemann:
Wie begründet und bewertet die Bundesregierung die Einstellungspraxis nach diesem Schreiben?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Jüttemann, zunächst
weist die Bundesregierung die Behauptung, Bundesminister Schily billige die Umgehung gültiger Tarifverträge,
als irreführend und falsch zurück. Um es klarzustellen:
Das Rundschreiben vom 13. Januar 2000 betrifft nur Mitarbeiter aus dem Landes- oder Kommunaldienst mit
Westvergütung, die in den Bundesdienst für eine Tätigkeit
im Tarifgebiet Ost übernommen werden. Das Rundschreiben vom 13. Januar 2000 ist - das ist ganz
wichtig - eine übertarifliche Maßnahme, da nicht erwartet werden kann, dass ein Beschäftigter in den Bundesdienst wechselt und wegen des Arbeitgeberwechsels Einkommensverluste in Kauf nimmt. In einem solchen Fall
ist die Zusage, das bisherige Einkommensniveau werde
beibehalten, durchaus üblich und angemessen. Die Einstellung im Westen ist in diesen Fällen auch wegen der unterschiedlichen Höhe der Umlage der Zusatzversorgung
erforderlich. Der gewählte Weg verhindert, dass sich
diese Beschäftigten insoweit erheblich besser stellen als
die vergleichbaren Mitarbeiter im Westen.
Die Bundesregierung wird auch in Zukunft nach dieser
Praxis verfahren, da eine Mobilität der Beschäftigten nur
erreicht werden kann, wenn zumutbare Bedingungen geschaffen werden. Andernfalls würde jegliche Bereitschaft
zur Mobilität unterbunden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
heißt das, dass es keine Bewerber aus dem Osten für diese
Positionen gibt? Wie begründen Sie dann das Festhalten
an dem Schreiben des Bundesministeriums des Innern?
Unsere Kritik, die wir geübt haben, war doch wohl berechtigt. Die Praxis, Bewerber, die für eine Tätigkeit im
Tarifgebiet Ost gewonnen werden sollen, zunächst im Tarifgebiet West einzustellen und dann in das Tarifgebiet Ost
zu versetzen, ist eine Umgehung des Tarifs.
Nein, Herr Kollege Jüttemann,
das ist keine Umgehung des Tarifs. Sie machen einen
Denkfehler.
({0})
- Herr Schauerte, das ist Ihre Interpretation und Ihre Bemerkung, nicht meine.
Dabei handelt es sich nicht um Bewerberinnen und Bewerber, die in den öffentlichen Dienst hineinwollen; vielmehr handelt es sich in diesen Fällen um Personen, die bereits im öffentlichen Dienst - entweder bei einer Kommunalverwaltung oder einer Landesverwaltung im
Westen unserer Republik - beschäftigt gewesen sind. Das
ist der wesentliche Unterschied.
Ich sage noch einmal: Die Anzahl der Betroffenen, die
wir bisher ermittelt haben - das ist allerdings nur ein Zwischenergebnis -, macht deutlich, dass es sich um ein
Thema von relativ geringer Bedeutung handelt.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Bevor ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen aufrufe, möchte ich darauf hinweisen,
dass aufgrund der zeitlichen Verschiebung und der Tagung einiger Ausschüsse eine ganze Reihe von Kollegen
ihre Fragen zurückgezogen oder um schriftliche Beantwortung gebeten haben. Jetzt liegen nur noch zehn Fragen
zur Beantwortung vor. Das hat zur Folge, dass die Aktuelle Stunde zum Thema „Haltung der Bundesregierung zu
den steigenden Mineralölpreisen und der Forderung nach
Verzicht bzw. Aussetzung der Ökosteuer“, beantragt von
der F.D.P., früher als ursprünglich erwartet aufgerufen
werden kann. Ich gehe davon aus, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, die Sitzung des Bundestages
nicht zu unterbrechen, sodass im Anschluss an die Fragestunde die Aktuelle Stunde aufgerufen werden kann.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Barthle auf:
Welche Überlegungen gibt es innerhalb der Bundesregierung,
die Bundesfinanzverwaltung neu zu organisieren, und welche
Auswirkungen sind speziell für die Hauptzoll- und Zollämter zu
erwarten?
Herr Kollege Barthle, das Bundesministerium der Finanzen beteiligt sich mit seinem Geschäftsbereich an der Konsolidierung des Bundeshaushaltes im
Finanzplanungszeitraum bis 2003 mit Haushaltseinsparungen in einer Größenordnung von 3 000 Millionen DM. Davon beziehen sich allein 700 Millionen DM
auf die Struktur der Bundesfinanzverwaltung. Dieses Ziel
ist nur mit erheblichen substanziellen Eingriffen und einer
Neubestimmung des künftigen Gesamtaufgabenbestandes erreichbar.
({0})
Das Bundesministerium der Finanzen hat zur Realisierung seines Konsolidierungsbeitrages und im Hinblick
auf sich abzeichnende Aufgabenveränderungen - ich
denke insbesondere an die Osterweiterung der EU, die zur
Folge hat, dass die bisherigen Außengrenzen der EU zu
Polen und Tschechien dann Binnengrenzen sind - zum
1. Februar 2000 das Projekt „Strukturentwicklung Bundesfinanzverwaltung“ eingerichtet. Dieses Projekt umfasst auch eine weit reichende Reorganisation der Ortsebene der Zollverwaltung mit einer bundesweiten Straffung der Hauptzollämter und Zollämter. Aber welche
strukturellen Veränderungen in diesem Bereich im Einzelnen erforderlich sein werden, bleibt noch abzuwarten.
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, in
dem Eckpunktepapier zur Entwicklung der Struktur der
Bundesfinanzverwaltung ist zu lesen, dass die Zahl der
Zollämter von derzeit 332 auf 190 reduziert werden soll.
Liegt diesen Zahlen eine konkrete Standortplanung mit
Standortvorschlägen zugrunde, und wenn ja, ist es möglich, in die Planungsunterlagen Einsicht zu nehmen?
Herr Kollege, das würde ich selber auch
gerne tun; denn auch in meinem Wahlkreis gibt es ein
Hauptzollamt und etliche kleinere Zollämter. Auch mich
beschäftigt die Frage: Wird mein Hauptzollamt die geplanten Veränderungen überstehen oder wird es von den
Einsparungsmaßnahmen betroffen sein? Welche Zollämter wird es möglicherweise treffen? Auch ich kann den
möglicherweise in meinem Wahlkreis Betroffenen keine
Antwort auf diese Fragen geben, weil die Fachkundigen
gerade jetzt darüber nachdenken, wie das Eckpunktepapier mit den Zielgrößen - die Zahlen, die Sie genannt haben, sind Zielgrößen - umgesetzt werden kann. Die Fachkundigen werden uns Vorschläge machen, die wir in den
nächsten Monaten erwarten. Wir werden sie dann auf der
politischen Leitungsebene besprechen und wir werden sehen, ob sie richtig oder korrekturbedürftig sind. Anschließend werden wir das deutsche Parlament darüber unterrichten, so wie wir die ganze Zeit mit den Fachausschüssen des Deutschen Bundestages, mit dem Haushaltsausschuss und mit dem Finanzausschuss, in sehr engem
Kontakt über diese Fragen waren.
Möchten
Sie eine weitere Zusatzfrage stellen? - Das ist nicht der
Fall.
Dann kommen wir zu Frage 16 des Abgeordneten
Barthle:
Gibt es bereits einen Zeitplan, und, wenn ja, wann sollen die
zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages informiert werden?
Herr Kollege, erste konkrete Vorstellungen
des Bundesfinanzministeriums zu Strukturveränderungen
unter Einbeziehung von Standortaspekten auch auf der
Ebene der Hauptzollämter und Zollämter werden nach der
derzeitigen Planung der Projektleitung im Sommer vorliegen. Entscheidungen über Strukturveränderungen, insbesondere auch zu Standorten von Dienststellen der Bundesfinanzverwaltung, werden zum Jahresende 2000 zu
treffen sein.
Inzwischen liegen als erster Schritt auf dem Wege zur
Neustrukturierung Eckpunkte der angestrebten Strukturanpassung vor, über die die Vorsitzenden des Haushaltsund Finanzausschusses des Deutschen Bundestages
unterrichtet worden sind. Gerade zur Stunde tagt der
Haushaltsausschuss und berät unter Tagesordnungspunkt 4 über diese Konzeption.
Wenn Sie das Eckpunktepapier noch nicht haben, dann
will ich es Ihnen gerne überreichen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Barthle? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur Frage 17 des Abgeordneten
Helmut Heiderich:
In welchen einzelnen Medien ({0})
hat die Bundesregierung ihre Werbekampagne mit dem Kopf des
Bundesministers der Finanzen und dem Slogan „Nur wer eisern
spart, ...“ an welchen Tagen veröffentlicht?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Herr Kollege, die Anzeige mit dem Kopf
des Bundesfinanzministers und dem Slogan „Nur wer eisern spart, kann sich auch was leisten“ erschien an folgenden Tagen in folgenden Medien: am 15. Mai 2000 in
„Spiegel“, „Focus“ und „Bild“, am 18. Mai 2000 in
„Stern“, „Capital“, „Financial Times Deutschland“ und
„Handelsblatt“, am 19. Mai 2000 im „Unternehmer Magazin“, am 21. Mai 2000 in „Bild am Sonntag“ und am
25. Mai 2000 in der Zeitschrift „Impulse“.
({0})
Herr Kollege Heiderich, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
sicherlich kann mir die Bundesregierung auch erklären,
warum sie in so vielen Zeitungen mit einem solchen Aufwand diese Werbung geschaltet hat.
Diese Werbung ist Teil einer Werbekonzeption, mit der wir die Öffentlichkeit mit unserem Vorhaben,
nämlich der größten Steuersenkung, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat,
({0})
vertraut machen. Ich darf Ihnen sagen, dass die Hinweise
in den Anzeigen auf weitere Informationsquellen, beispielsweise das Internet oder Broschüren, sehr intensiv
genutzt werden.
Herr Staatssekretär,
sind Sie der Auffassung, dass diese Werbung mit einem
Kopf und einer Plattitüde, die im unteren Teil der Anzeige
steht, tatsächlich den von Ihnen betriebenen Aufwand
rechtfertigt?
Herr Kollege, das ist keine Plattitüde, sondern eine bittere Notwendigkeit, die wir vollziehen müssen, weil wir von der Vorgängerregierung eine fürchterliche Erblast übernommen haben. In Ihrer Regierungszeit
ist die Verschuldung des Bundes vervierfacht worden,
({0})
mit dem Ergebnis, dass wir im letzten und in diesem Jahr
rund 80 000 Millionen DM nur für Zinsen ausgeben mussten - das waren rund 23 Prozent all unserer Steuereinnahmen -, ohne damit eine einzige Mark an Schulden zu tilgen.
Das Bundesverfassungsgericht hat einmal im Falle von
Saarland und Bremen festgestellt, dass sich ein Land, das
rund ein Viertel seiner Steuereinnahmen nur für das
Zahlen von Zinsen ausgeben muss, in einer - so wörtlich extremen Haushaltsnotlage befindet. Aus dieser von Ihnen übernommenen „extremen Haushaltsnotlage“ hilft
nur der Weg des eisernen Sparens heraus. Das machen
dieser Minister, dieses Ministerium und diese Bundesregierung.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Schauerte.
Herr Staatssekretär
Diller, wenn man eine Anzeige an das allgemeine Publikum richtet, dann hat sie ihren tieferen Sinn darin, das Publikum zu einer Aktion aufzufordern bzw. anzureizen.
Deswegen könnte ich mir zum Beispiel vorstellen, dass
man eine solche Anzeige an Abgeordnete richtet, dass sie
nicht mehr Gesetze beschließen, an Beamte, dass sie vorsichtig mit dem Geld umgehen. Aber was soll die geneigte
Leserschaft mit dem Spruch anfangen „Nur wer eisern
spart, kann sich was leisten“? Haben Sie den Eindruck,
dass die Leserschaft deswegen jetzt spart oder sparen
sollte? Oder was war mit dieser Anzeige beabsichtigt?
({0})
Herr Kollege, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass nicht nur der von Ihnen zitierte Satz in
der Anzeige steht, sondern auch der folgende Text:
Sparsamkeit ist nicht nur eine alte Tugend. Sie ist
auch das Merkmal eines modernen, handlungsfähigen Staates. Deshalb haben wir einen konsequenten
Sparkurs eingeschlagen. Halten wir Kurs, dann können wir bereits im Jahre 2006 einen Haushalt vorlegen, der keine neuen Schulden braucht. Mit den finanziellen Spielräumen, die durch unsere Sparpolitik
entstanden sind, können wir uns schon jetzt etwas
leisten: die größte Steuersenkung in der Geschichte
Deutschlands. Sie entlastet private Haushalte und
Unternehmen bis 2005 um rund 75 000 Millionen
DM. Dadurch stärken wir die Kaufkraft der Arbeitnehmer und die Investitionskraft der Unternehmer.
Das hilft, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Weitere Informationen
- Herr Kollege zur Steuerreform 2000 erhalten Sie beim Bundesfinanzministerium, Postfach ..., oder im Internet unter www.bundesfinanzministerium.de.
({0})
Ich darf Ihnen mitteilen, dass von dieser Informationsmöglichkeit anschließend 80 000 Mitbürgerinnen und
Mitbürger Gebrauch gemacht haben. Wir haben 80 000
Informationsbroschüren verschickt. Wir haben festgestellt, dass auf die Internetseiten des Bundesfinanzministeriums 90 000-mal zugegriffen worden ist und entsprechende Informationen heruntergeladen wurden.
({1})
Weitere
Zusatzfrage des Kollegen Fromme.
Herr Staatssekretär, Sie haben den Erfolg der Anzeige eben mit der
Zahl der Zugriffe und der Nachfragen nach der Broschüre
begründet. Können Sie mir sagen, wie sich die Zugriffe
und die Nachfragen vor dem 15. Mai und nach dem
15. Mai entwickelt haben?
Da bin ich - das muss ich bekennen - jetzt
überfragt. Ich bin aber gern bereit, bei unserer Informationsabteilung nachzufragen, ob dort Erkenntnisse darüber
vorliegen, und werde sie Ihnen gerne mitteilen.
({0})
Herr Kollege Fromme, Sie haben nur das Recht, eine Nachfrage zu
stellen.
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Wittlich.
({0})
Herr Staatssekretär, ist
Ihnen eventuell bekannt, zu welchen Umsatzeinbrüchen
bei deutschen Verlagen diese Anzeige geführt hat? Der
Bürger ist nämlich der Einzige gewesen, der gespart hat,
indem er die Zeitungen nicht mehr gekauft hat.
({0})
Herr Präsident, ich glaube, diese Frage
muss ich nicht beantworten.
Das liegt
in Ihrem Ermessen. Ich habe den Inhalt der Fragen und
der Antworten nicht zu beurteilen. Das ist nicht meine
Aufgabe.
Wir kommen damit zur Frage 18 des Kollegen Helmut
Heiderich:
Welche Kosten sind aus diesen Veröffentlichungen in welchen
Medien im Einzelnen und in der Summe entstanden?
Die Kosten für die einzelnen Anzeigen bewegen sich zwischen 6 334 DM und 404 280 DM. Die Gesamtkosten der genannten Veröffentlichungen betrugen
947 725 DM.
({0})
Nachfrage, Herr Kollege Heiderich, bitte schön.
Herr Staatssekretär,
darf ich Sie einmal um Ihr Urteil bitten? Ich bin Mitglied
des Agrarausschusses. Dort hat Ihr Finanzminister die eisern angesparten Reserven der landwirtschaftlichen
Alterskassen einkassiert und, wie man jetzt hört, von diesem Geld für 1 Million DM Werbung mit seinem Kopf in
der Öffentlichkeit gemacht.
Sind Sie sicher, dass der Spruch vom eisernen Sparen
vor diesem Hintergrund wirklich noch berechtigt ist?
({0})
Herr Kollege, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass mir die zuständigen Leute meines
Hauses mitgeteilt haben, dass für jede abgerufene Information, wenn man den Betrag auf jeden einzelnen Nutzer
umlegt, Kosten von 20 Pfennig pro Kopf entstanden sind
und sich von daher eine sehr gute Kosten-Nutzen-Relation errechnet. Erste Bemerkung.
({0})
Zweite Bemerkung: Wir geben im Prinzip nicht mehr
Geld für Information aus, als die Vorgängerregierung zur
Information über ihre Steuerreformpläne vorgesehen
hatte. Wenn ich mich richtig erinnere, waren unter Herrn
Waigel dafür insgesamt 7 Millionen DM im Etat vorgesehen. Das ist auch unser Ansatz in diesem Jahr.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Heiderich? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär,
sind Sie mit mir der Auffassung, dass eine solche WerParl. Staatssekretär Karl Diller
bung, die in dieser Weise die Persönlichkeit in den Vordergrund stellt und die Information bescheiden in einer
Ecke verbirgt,
({0})
die Zulässigkeitsgrenze der Öffentlichkeitsarbeit überschreitet?
({1})
Ihre Frage kann ich mit Nein beantworten.
Die Zulässigkeitsgrenze ist nicht überschritten. Im Übrigen freue ich mich darüber, feststellen zu dürfen, dass
Bundesfinanzminister Hans Eichel faktisch zum Synonym für eisernes Sparen und eine gute Finanzpolitik geworden ist.
({0})
Zusatzfrage vom Kollegen Fromme.
Herr Staatssekretär, wie kommen Sie zu dem Urteil, dass der Mitteleinsatz, der ja nicht gering war, erfolgreich war, wenn Sie
gar nicht wissen, ob die Zahl der Broschürenanforderungen und die Zahl der Internet-Zugriffe durch die Anzeige
gestiegen ist oder nicht?
Herr Kollege, ich habe Ihnen gesagt, dass
diese Anzeige Teil einer Anzeigenkampagne ist,
({0})
die wir seit der Vorstellung der Steuerreformkonzeption
im Februar 2000 fahren.
({1})
Die Fragen 19 bis einschließlich 26 sollen schriftlich beantwortet
werden.
Damit kommen wir zur Frage 27 des Abgeordneten
Günter Baumann:
Stellt das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und der Reform
der Unternehmensbesteuerung ({0}), das eine
Veränderung des § 147 Abs. 6 der Abgabenordnung vorsieht und
wodurch der Fiskus zukünftig bei Betriebsprüfungen unbegrenzten Zugriff auf die EDV der Unternehmer erhält, einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verankerten Datenschutz dar?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Herr Kollege Baumann, Bedenken in Bezug auf einen Verstoß der gesetzlichen Neuregelung gegen den verfassungsrechtlich verankerten Datenschutz
sind nicht begründet. Einen unbegrenzten Zugriff auf die
EDV der Unternehmen wird es nicht geben. Begrenzungen ergeben sich bereits aus der bestehenden Prüfungsanordnung, die den zeitlichen und den sachlichen
Prüfungsumfang, das heißt die Prüfungsjahre und die
Steuerarten festlegt.
Zur Frage des Datenschutzes im Steuerrecht gibt es im
Übrigen eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach hat der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Ausgestaltung des Steuergeheimnisses hinreichende Sicherheitsvorkehrungen gegen eine missbräuchliche Verwendung von Daten getroffen und auch
die besondere Gefährdung von Daten unter den Bedingungen der automatisierten Datenverarbeitung bereits
hinreichend berücksichtigt.
Zusatzfrage, Kollege Baumann? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär,
Sie bestätigen, dass es für die Finanzverwaltungen zu gewissen Zeiten und zu gewissen Zwecken Zugriffsmöglichkeiten auf die EDV der Betriebe gibt. Ich möchte Sie
fragen: Wer haftet, wenn bei diesen Aktionen Datenverluste oder Schäden im betrieblichen Ablauf der Firmen
eintreten?
Herr Kollege, ich habe gerade in Vorbereitung meiner Antwort auf Ihre Frage gelesen, dass dem
Vorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft eine
ähnliche Frage gestellt wurde. Dabei hat er darauf hingewiesen, dass die Prüfbeamten lediglich lesend auf die Daten zugreifen können.
Sie schließen also
vollkommen aus, dass hier Schäden im Ablauf entstehen
können?
Ich bin kein Experte in dieser Frage, aber
ich gehe davon aus, dass dem so ist, will aber gerne Ihre
spezielle Frage noch einmal durch das Haus prüfen lassen
und Ihnen eine Antwort zukommen lassen.
Bitte
schön, zweite Zusatzfrage.
Ich möchte Sie fragen: Wie wird ausgeschlossen, dass der Zugriff durch die
Finanzverwaltung auf nicht steuerrelevante Programme
erfolgen kann? In der Datenverarbeitung eines Betriebes
gibt es ja viele Programme. Es muss möglich sein, dass
die Finanzverwaltung nur auf das eine spezielle Programm zugreift und nicht auch auf andere.
Herr Kollege, ich denke, durch das, was ich
Ihnen eingangs dargelegt habe, ist hinreichend rechtlich
klar, auf welche Daten die Finanzbeamten Zugriff haben.
Ich darf im Übrigen darauf hinweisen, dass wiederum
nach Auffassung des Vorsitzenden der Steuer-Gewerkschaft - Sie erlauben, dass ich es zum zweiten Mal zitiere praktisch jetzt nichts anderes vollzogen wird als das, was
draußen in den Betrieben schon zu 80 Prozent der Fall ist.
Für die Betriebe bedeutet dies eine kürzere Prüfungszeit
und für die Prüfbeamten bedeutet es ein effektiveres Arbeiten.
Damit
kommen wir zur Frage 28 des Abgeordneten Gerhard
Wann gedenkt die Bundesregierung, die neuen AfA-Tabellen
zu veröffentlichen?
Herr Kollege Schüßler, die aufgrund des
Urteils des Bundesfinanzhofs vom 19. November 1997
erforderliche Überarbeitung der AfA-Tabelle für allgemein verwendbare Anlagegüter und der weiteren 100
branchenspezifischen AfA-Tabellen ist in vollem Gange.
Sie geschieht dadurch, dass anlässlich aktueller Betriebsprüfungen die Nutzungsdauer von Wirtschaftsgütern des
Anlagevermögens in den Unternehmen festgehalten wird.
Das so zusammengetragene Zahlenmaterial soll sodann zumindest für die AfA-Tabelle allgemein verwendbarer Anlagegüter im Spätsommer dieses Jahres den Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet werden mit dem
Ziel, diese Tabelle zum 1. Januar 2001 in Kraft zu setzen.
Je nach Arbeitsfortschritt können dann auch die branchenspezifischen AfA-Tabellen entweder gleichzeitig mit
der AfA-Tabelle für allgemein verwendbare Anlagegüter
oder schrittweise zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden.
Zusatzfrage, Kollege Schüßler.
Herr Staatssekretär, es
sind ja mehrfach Termine zur Vorlage der neuen AfA-Tabellen genannt worden, auch durch den Bundesfinanzminister persönlich. Zwei Tage später wurde das durch die
Staatssekretärin Frau Hendricks widerrufen. Es sind immer wieder verschiedene Termine genannt worden. Es hat
sich nicht zuletzt bei der Anhörung zur Unternehmensteuerreform herausgestellt, wie stark sich die Verunsicherung bei den Betroffenen auf geplante Investitionen
auswirkt. Kann man davon ausgehen, dass die von Ihnen
genannten Termine jetzt verbindlich sind? Werden die
AfA-Tabellen dann vollständig sein?
Ich hoffe, dass ich Ihnen verbindliche Termine genannt habe. Ich will mich persönlich darum
bemühen und dafür sorgen, dass sie eingehalten werden.
Danke
schön. Die Fragen 29 bis 38 im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Finanzen sollen schriftlich
beantwortet werden. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär, für Ihre Mühe.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Frage
39 wurde zurückgezogen. Die Fragen 40 bis 42 zu diesem
Geschäftsbereich sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Siegfried Scheffler zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 47 des Abgeordneten Wolfgang
Dehnel:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Finanzmittel zum Bau
des S-Bahn-Projektes Leipzig-Halle rechtzeitig, in ausreichendem Maße und wie vereinbart bereitzustellen, um die geplante
Fertigstellung im Jahr 2003 nicht zu gefährden?
Das
Vorhaben S-Bahn Halle-Leipzig ist im Jahre 1997 in das
GVFG-Bundesprogramm aufgenommen worden. Bereits
im Programmzeitraum 1997 bis 2001 wurden dafür vom
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Bundesfinanzhilfen von über 135 Millionen DM eingeplant. Dies entspricht einem Bauvolumen von rund
255 Millionen DM.
Die Baumaßnahmen wurden im Herbst 1997 begonnen. Im Laufe des Jahres 1998 haben jedoch die Länder
Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie die Deutsche Bahn
AG die Grundlagen der ursprünglichen Planung dieser SBahn so verändert, dass eine Überarbeitung der Infrastrukturplanung zwingend notwendig wurde.
Um Fehlinvestitionen auszuschließen, sah sich das
BMVBW Anfang 1999 gezwungen, die GVFG-Förderung bis zur Vorlage eines überarbeiteten Finanzierungsantrages der DB AG auszusetzen. Ein solcher Antrag ist
jetzt dem Eisenbahn-Bundesamt zur Prüfung übergeben
worden. Sofern die Förderungsvoraussetzungen gegeben
sind, stehen im Zeitraum 1999 bis 2003 für die S-Bahn
Halle({0})-Leipzig aus dem GVFG-Bundesprogramm Finanzhilfen in Höhe von rund 138 Millionen DM bereit.
Damit kann ein Bauvolumen von rund 260 Millionen DM
realisiert werden.
Zuständig für die Planung und den Ablauf der Baumaßnahmen ist die Deutsche Bahn AG als Baulastträger.
Insofern kann zu den konkreten Terminen der Inbetriebnahme oder der Fertigstellung von hier aus nichts gesagt
werden.
Zusatzfrage, Kollege Dehnel.
Herr Staatssekretär,
Sie haben zwar gerade davon gesprochen, dass sich das
Ministerium nicht in der Lage sehe, einen Termin zu nennen, aber gehen Sie davon aus, dass im Jahre 2001 zumindest mit dem Baubeginn gerechnet werden kann?
Lieber Kollege Dehnel, wir spekulieren hier nicht. Ich habe
Ihnen auch die Gründe genannt, warum es nicht zu einer
konkreten Terminzusage seitens unseres Hauses kommen
kann. Gleichwohl ist sich das Ministerium für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen natürlich der Bedeutung von
leistungsfähigen Eisenbahnverbindungen gerade im Korridor Leipzig-Halle an der Saale bewusst. Es hat sich in
der Vergangenheit mehrfach um die Klärung der anstehenden Fragen bemüht und tut dies auch jetzt. Es muss jedoch auch sichergestellt werden, dass die künftige Schieneninfrastruktur in ihrer Bemessung den voraussehbaren
Bedingungen angepasst wird. Ich gehe davon aus, dass
das Eisenbahn-Bundesamt jetzt kurzfristig bzw. schnellstens prüft.
Weitere
Zusatzfragen? - Kollege Dehnel, bitte.
Ich hätte gern gewusst, ob das Bundesministerium mit der Deutschen
Bahn in Verbindung steht. Die Leipziger Mitarbeiter der
Bauplanung haben den schwarzen Peter für die vorgesehene Verschiebung des Baubeginns nämlich der Bahn zugeschoben. Welche Einflussmöglichkeiten sieht die Bundesregierung, um die Bauplanung zu beschleunigen?
Kollege Dehnel, ich kenne natürlich auch die Presseberichte
der „Leipziger Volkszeitung“, denen zufolge der geplante
Baustart für die S-Bahn Leipzig-Halle quasi ins Wasser
fallen soll. Ich möchte das Dementi der Deutschen Bahn
AG nicht wiederholen. Aber wir beide als Abgeordnete
des Deutschen Bundestages und ich auch als Parlamentarischer Staatssekretär im zuständigen Ministerium müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Bau- und Finanzierungsvertrag zwischen der Deutschen Bahn AG, dem
Land Sachsen und dem Land Sachsen-Anhalt abgeschlossen wird, sodass wir als Ministerium keinen Einfluss haben.
Vielen
Dank. Wir kommen zur Frage 48 des Abgeordneten
Michelbach. Er ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie
in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 49, 50 und 51 sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen damit zur Frage 52 des Abgeordneten
Wittlich:
Wann stehen für den Abschnitt der Hüttentalstraße ({0}) von
Siegen-Dreisbach bis zum Mudersbacher Kreisel ausreichend Finanzmittel für den vorbereitenden Grunderwerb zur Verfügung?
Kollege Wittlich, da für den Bau der B 62 im Bereich Siegen
bis Landesgrenze noch kein Baurecht vorliegt und somit
eine Realisierung bis zum Jahre 2002 nicht ansteht,
konnte diese Maßnahme im Investitionsprogramm 1999
bis 2002 der Bundesregierung nicht berücksichtigt werden.
Eine weitere Anmerkung dazu: Sie sprechen in Ihrer
Frage über den Abschnitt von Siegen-Dreisbach bis zum
Mudersbacher Kreisel. Diese Bezeichnung ist, wie wir
nach Rücksprache mit dem Land und der zuständigen Verwaltung wissen, unüblich. Da der Kollege Breuer nicht
anwesend ist, gehe ich davon aus, dass Sie die Abschnitte
4 bis 6, also von Siegen-Weidenau bis Siegen-West und
über Siegen bis zur Landesgrenze, meinen.
Eine
Zusatzfrage, Kollege Wittlich.
Herr Staatssekretär,
das war eine mit der Frage von Herrn Breuer im Zusammenhang stehende Frage.
Eine ergänzende Frage dazu: Können Sie definitiv sagen, wann die Maßnahmen für den Weiterbau der B 62 in
den Vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans wieder aufgenommen werden?
Ihnen ist ja bekannt, dass das Planfeststellungsverfahren für
die neue Linienführung zwar im Frühjahr 1999 eingeleitet wurde, aber der Planfeststellungsbeschluss erst im
Jahre 2002 erwartet wird. Die Maßnahme hinsichtlich
dieser Bundesfernstraße kann erst im Rahmen der Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes und der Fortschreibung des Bedarfsplanes bewertet werden.
Frage 53
soll aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Frage 54. Das ist im Übrigen
die letzte Frage, die zur Beantwortung ansteht. Das sage
ich im Hinblick darauf, dass anschließend die Aktuelle
Stunde stattfinden soll.
Ich rufe die Frage 54 des Kollegen Wolfgang Börnsen
auf:
Was beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund
zu unternehmen, dass nach Schätzungen der Versicherungen die
durch Inlineskater verursachten Schäden auf über 100 Millionen
DM beziffert werden können, um persönliche und materielle
Schäden der rund 12 Millionen Nutzer von Inlineskates in
Deutschland zu reduzieren?
Lieber Herr Kollege Börnsen, eine Anfrage beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat
ergeben, dass ein durch Inlineskater verursachter Schadensumfang von über 100 Millionen DM nicht bestätigt
werden kann. Es fragt sich auch, ob der Selbstverletzung
bei der Ausübung einer Sportart stets mit Vorschriften
entgegengewirkt werden soll.
Gleichwohl verkennt die Bundesregierung nicht, dass
die geltenden Regeln des Verhaltensrechts - Inlineskates
sind nach § 24 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung „Besondere Fortbewegungsmittel“; ihre Nutzung im öffentlichen Verkehrsraum unterliegt den Regeln für den Fußgängerverkehr - von den Skatern weithin missachtet werden,
mit der Folge von Konflikten mit anderen Verkehrsteilnehmern. Ob daraus Folgerungen im Sinne einer rechtlichen Neuordnung zu ziehen sind, wird derzeit von der
Bundesanstalt für Straßenwesen im Rahmen eines Forschungsvorhabens „Nutzung von Inlineskates im Straßenverkehr“ untersucht. Das Ergebnis sollte nach Auffassung
auch der Landesverkehrsminister abgewartet werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Börnsen? - Bitte schön.
Herr
Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass
die Problematik der Inlineskater - die im Augenblick etwa
12 Millionen Personen in Deutschland umfassen und deren Zahl um 1,5 Millionen pro Jahr steigt -, nämlich ob
ein Inlineskater auf den Fußweg oder, bei Geschwindigkeiten bis zu 50 Stundenkilometer, auf die Straße gehört,
möglichst umgehend gelöst werden muss? Ein Großteil
der Unfälle - es geht ja nicht um die Summe von 100 Millionen DM, der Schaden an Personen und Sachen beträgt
zwischen 90 und 110 Millionen DM jährlich - ist doch
abzuwenden, wenn man Klarheit hat, wo der Skater eigentlich hingehört.
Kollege Börnsen, ich gebe Ihnen insofern Recht. Die Bundesregierung hat gehandelt, und zwar nicht erst in diesem
Jahr. Nachdem die Konferenz der Verkehrsminister der
Länder im April 1999 beschlossen hatte, von Neuregelungen in der Straßenverkehrsordnung mit dem Ziel der
möglichst konfliktfreien Verkehrsteilnahme von Inlineskatern abzusehen, bis hinreichend gesicherte Erkenntnisse über einen möglichen Regelungsbedarf vorliegen,
hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen die Bundesanstalt für Straßenwesen, die
BASt, mit der Durchführung eines Forschungsvorhabens
zum Inlineskaten im Straßenverkehr beauftragt. Die BASt
hat nach Durchführung und entsprechender Auswertung
des erforderlichen Ausschreibungsverfahrens den Forschungsauftrag vergeben. Für das Forschungsvorhaben
stellt die Bundesregierung Mittel in Höhe von
200 000 DM über eine Laufzeit von zwei Jahren, nämlich
von September 1999 bis August 2001, bereit.
Nach nochmaliger Rückfrage bei der Bundesanstalt für
Straßenwesen ist zurzeit die Vorerhebung abgeschlossen.
Die Fragebogenaktion wird in den nächsten Wochen anlaufen. Es sind in erster Linie Großstädte einbezogen. Ich
nenne Bremen, Hamburg, Köln, Dresden, Münster und
München. Aber erst mit gesicherten Erkenntnissen können wir eine entsprechende Entscheidung treffen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, ich weiß um Ihren persönlichen engagierten Einsatz. Das alles ist sehr redlich und hilfreich. Nur,
haben Sie nicht den Eindruck, dass wir uns ein wenig um
die Entscheidung herummogeln, wenn wir jetzt erst einmal die BAST beauftragen, einen Forschungsauftrag zu
formulieren, diesen Forschungsauftrag dann weiterreichen usw.? Es besteht eine so große Vielzahl an Konfliktfällen, dass es der Bundesregierung - auch unter Zuhilfenahme der Erfahrungen der anderen europäischen
Staaten - doch eigentlich leicht fallen sollte, noch in diesem Jahr zu einer Entscheidung zu kommen, zumal - darauf will ich hier auch hinweisen - nach Aussage von Experten etwa 7 Millionen Skater keine richtige Bremstechnik beherrschen, dort also ein Gefahrenpotenzial besteht.
Man muss doch zumindest versuchen, für beide Seiten,
also sowohl für die Skater als auch für die anderen Verkehrsteilnehmer, eine Regelung zu finden, die zu weniger
Konflikten und Problemen führt. Ist in dieser Hinsicht
nicht Handlungsbedarf gegeben?
Ich
stimme der Feststellung von Handlungsbedarf durchaus
zu. Die Bundesregierung hat schon im vorigen Jahr entsprechend reagiert und einen Forschungsauftrag vergeben. Aber vor politischen und rechtlichen Entscheidungen - diese können vom Bundestag, von den Ländern, in
diesem Fall mit der Verkehrsministerkonferenz, oder von
der Bundesregierung getroffen werden - müssen Untersuchungen stattfinden, und die können nicht in einigen
Monaten abgeschlossen werden. Bislang existiert nur eine
Untersuchung, eine Diplomarbeit, die sich auf Fußgängerbereiche bzw. Radwege bezieht.
Ich will Ihnen einmal nennen, welchen Umfang die geplanten Untersuchungen haben: Es wird zum Beispiel untersucht, zu welchem Zweck Inlineskater die Inlineskates
nutzen, wie die Altersverteilung der Nutzer aussieht, wie
das Unfallgeschehen ist, wie groß der Flächenbedarf bei
unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist, wie die Gefährdung und Beeinträchtigung von anderen Verkehrsteilnehmern zu beurteilen ist und welche Verkehrsanlagen Inlineskater benutzen. Wenn Sie einmal zu Fuß durch die
Berliner Mitte gehen und Inlineskater beobachten, dann
sehen Sie, dass sie im Vergleich zu Radfahrern einen
größeren Raum benötigen, dass sie praktisch eine Autospur einnehmen. Es wird auch untersucht, welche Geschwindigkeiten in welchen Situationen gefahren werden.
Bei diesen Untersuchungen müssen die unterschiedlichsten Verkehrsteilnehmer befragt werden, also nicht nur die
Inlineskater selber, sondern auch die Kraftfahrer, die
Fußgänger und die Radfahrer. Insofern muss hier eine
komplexe Untersuchung als Grundlage für politische Entscheidungen dienen.
Die Fragen 55 und 56 sollen schriftlich beantwortet werden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am
Ende der Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zu den steigenden Mineralölpreisen und der Forderung nach
Verzicht auf die bzw. Aussetzung der Ökosteuer
Als erster Redner hat der Kollege Rainer Brüderle von
der F.D.P. das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wut in der Bevölkerung ist groß.
Die Folgen der hohen Benzinpreise und der Ökosteuer
werden immer bedrohlicher. Die Absatzzahlen der
Automobilindustrie brechen ein. Damit werden Tausende
von Arbeitsplätzen gefährdet. Der Anteil der Steuerbelastung am Benzinpreis von 70 Prozent zeigt, dass hier eine
Zwangsbeglückung erfolgt. Es wird so viel Geld abgenommen, dass man den Scheichs nicht klarmachen kann,
dass sie Maß halten sollten. Das kann bei einer Steuerbelastung von 70 Prozent des Benzinpreises kein Schlauch
den Scheichs klarmachen. Weil die Wut in der Bevölkerung groß ist, versuchen Sie abzulenken und den
schwarzen Peter einseitig den Mineralölkonzernen und
den Rohölproduzenten zuzuschieben.
({0})
Sie haben mit der Ökosteuer den berühmten Effekt,
dass das Fass überläuft, erreicht. Die Bevölkerung fühlt
sich abkassiert und abgezockt. Entsprechend ist die Reaktion der Bevölkerung. Es ist verständlich, dass sich die
Menschen wehren, wenn sie so einseitig in diesem Umfang abgezockt werden.
({1})
Die autofeindliche Haltung der Grünen ist hier ganz augenscheinlich in Politik umgesetzt worden. Sie verdecken
mit dem Modewort „Ökologie“ dieses Abkassieren. Dies
ist eine zusätzliche Steuerlast. Mit den Einnahmen sollen
die Löcher im Haushalt und bei der Rente gestopft werden. Der Bund der Steuerzahler hat heute eine Berechnung bekannt gemacht, nach der nur 70 Prozent dieser Zusatzlast in die Rente gehen; der Rest wird für den Haushalt verwendet.
({2})
Dann stülpen Sie diesem Zwangsinstrument Ökosteuer
auch noch das Etikett „sozial gerecht“ über.
({3})
Dabei wissen Sie genau, dass durch die Ökosteuer gerade die nicht wohlhabenden Teile der Bevölkerung, nämlich Rentner, Arbeitslose, Studenten und Auszubildende,
einseitig belastet werden.
({4})
Deren Thema sind nicht die Lohnnebenkosten. Es entsteht
hierdurch eine Schieflage.
Immer mehr Sozialdemokraten werden aufgeschreckt
und rufen nach einer höheren Kilometergeldpauschale
und nach Benzingutscheinen für Geringverdienende. Das
ist die Reaktion auf diese Fehlentwicklung. Der selbst ernannte „Autokanzler“ Schröder schickt seinen Nachfolger in Niedersachsen, Gabriel, vor, der eine Erhöhung der
Kilometergeldpauschale fordert. Ganz schön subtil, wie
der Bundeskanzler hier vorgeht. Es ist nichts anderes als
eine Distanzierung von der Ökosteuer, wenn die Sozialdemokraten nach einer höheren Kilometergeldpauschale
und nach Benzingutscheinen für Geringverdiener rufen.
({5})
Offensichtlich haben Sozialpolitiker, Wirtschaftspolitiker
und Umweltpolitiker in der SPD erkannt: Die Ökosteuer
ist eine Fehlentscheidung gewesen.
({6})
Wenn selbst der Umweltexperte Ernst Ulrich von
Weizsäcker für eine Aussetzung der Ökosteuer plädiert,
({7})
müsste auch der letzte Genosse kapieren, dass man hier etwas Falsches gemacht hat, was man revidieren muss.
({8})
Lediglich die Grünen mit ihren ideologischen Scheuklappen halten unverändert an der Ökosteuer fest. Herr
Schlauch versucht, wie die grüne Hauspostille, die „taz“,
schreibt, Gummi zu geben. Plötzlich entdeckt er, dass das
Auto nicht der Volksfeind Nummer eins ist, sondern ein
vernünftiges Instrument für Mobilität. Herr Kuhn, der
Möchtegern-Vorsitzende, sagt, dass der Rückzug von der
Ökosteuer dummes Zeug ist. Hier wird die Verblendung
deutlich. Die Grünen treten auf die Innovationsbremse.
Weil die Bürger immer mehr Geld für Benzin ausgeben
müssen, können sie kein neues Auto kaufen, das die Umwelt weniger belastet, das weniger Emissionen ausstößt.
Deswegen gehen die Umsatzzahlen auch zurück.
({9})
Die Fahrzeugflotte wird nicht moderner. Vielmehr werden die alten Schleudern länger gefahren, weil man
diesen Fehlweg hier eingeschlagen hat. Sie als Sozialdemokraten sollten Ihre Verpflichtung Ihren Wählern
gegenüber endlich ernst nehmen und sich aus der babylonischen Gefangenschaft grüner Ideologie befreien.
({10})
Der Kanzler sollte sein Versprechen, das er vor der Wahl
gegeben hat, den Benzinpreis um maximal 6 Pfennig zu
erhöhen, erfüllen und nicht diese ideologische Ökosteuer
mittragen.
Schaffen Sie die Ökosteuer ab! Setzen Sie auf eine
Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Übernehmen Sie das
F.D.P.-Konzept, die Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer
umzulegen, damit ökologisch wirklich etwas erreicht
wird. Die Umwelt, die geschröpften Arbeitnehmer und
die Wirtschaft werden es Ihnen danken. Haben Sie die
Kraft, eine Fehlentscheidung zu korrigieren. Nehmen Sie
nicht so viele Arbeitnehmer und sozial Schwache in Geiselhaft grüner Ideologie.
({11})
Das Wort
hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich Herrn Brüderle eben
zuhörte, war ich erstaunt und fasziniert: Denn in so kurzer Zeit so viel Falsches so polemisch vorzutragen, das ist
schon ein Kunststück.
({0})
Das schafft man eigentlich sonst nur bei der Veranstaltung, die wir gelegentlich gemeinsam besuchen, nämlich
bei der Mainzer Karnevalssitzung.
({1})
Sie haben mir als Wirtschaftsminister meines Bundeslandes, in dem Sie auch für den Weinbau zuständig waren
und die Weinköniginnen in unserem Lande geküsst haben,
viel besser gefallen als hier.
Zur Sache: Die Forderung der Opposition nach Aussetzung oder gar Abschaffung
({2})
der weiteren Stufen der ökologischen Steuerreform aufgrund der derzeit hohen Mineralölpreise ist kurzsichtig,
widersprüchlich und reiner Populismus.
({3})
Zunächst ist festzustellen, dass die Benzinpreiserhöhungen seit In-Kraft-Treten der ökologischen Steuerreform
im April 1999 nur zu einem geringen Teil auf die Erhöhung der Mineralölsteuer zurückzuführen sind.
({4})
Insgesamt hat sich der Benzinpreis in den zurückliegenden Monaten - je nachdem, was und wo man tankt - um
circa 50 bis 60 Pfennig pro Liter erhöht. Die Erhöhung der
Mineralölsteuer in diesem Zeitraum beträgt jedoch nur
12 Pfennig; rechnet man die Mehrwertsteuer noch hinzu,
sind es insgesamt 14 Pfennig.
({5})
Daraus wird ersichtlich, dass für den Benzinpreisanstieg
nicht die maßvolle Steuererhöhung dieser Bundesregierung verantwortlich ist,
({6})
sondern der Preis im Wesentlichen von der Entwicklung
auf den internationalen Rohölmärkten und vom Dollarkurs bestimmt wird.
({7})
Die Forderung der Opposition ist nichts anderes als
steuerpolitischer Aktionismus. Unsere Steuer- und Haushaltspolitik, Herr Kollege Brüderle, wird sich nicht kurzfristig von der aktuellen Marktlage bestimmen lassen,
sondern sie wird auch künftig verlässlich und berechenbar bleiben.
({8}))
Ein Verzicht auf die Ökosteuer würde bei Ihnen im Übrigen natürlich noch die fällige Antwort auf die Frage auslösen müssen: Was machen wir denn dann mit der Rentenkasse? Darauf schweigen die Herren.
({9})
In dem Moment, wo die Ökosteuer nicht mehr zur Finanzierung der Rentenversicherung beiträgt, haben Sie sofort
die Frage zu beantworten: Wie verhindern Sie eine Beitragssatzsteigerung in der Rente?
({10})
Eine mit den Benzinpreisen schwankende Mineralölsteuer würde im Übrigen letztlich einer Einladung an die
Mineralölindustrie gleichkommen, zulasten des Fiskus an
der Preisschraube zu drehen. Eine derartige Steuerpolitik
wäre völlig unberechenbar und damit unverantwortlich
und ist mit uns nicht zu machen.
({11})
Aus der Zeit der Regierungsverantwortung der F.D.P. Sie selbst waren da nicht im Deutschen Bundestag und
auch nicht in der Regierung - gab es ganz gewiss keine
langfristige Perspektive hinsichtlich der Energiebesteuerung. Uns ist kein Fall bekannt, dass eine Erhöhung der
Mineralölsteuer in Ihrer Regierungsverantwortung in
Bonn unter dem Eindruck von Preiserhöhungen je
zurückgenommen worden ist. Sie selbst, Herr Brüderle,
verantworten vielmehr mit der F.D.P. und der CDU/CSU
Mineralölsteuererhöhungen von 50 Pfennig pro Liter allein zwischen 1989 und 1994.
({12})
Das waren die größten Preiserhöhungen, die es je gegeben
hat.
({13})
Die ökologische Steuerreform hingegen dient nicht
dazu, kurzfristig Haushaltslöcher zu stopfen. Herr
Brüderle, ich würde Sie - weil ich Sie ansonsten weiterhin schätzen möchte - bitten,
({14})
zumindest Ihre Falschaussage in diesem Punkt zurückzunehmen. Der ökologischen Steuerreform liegen folgende
langfristigen Ziele zugrunde: Durch Verteuerung - und
zwar maßvolle Verteuerung - der Energie soll ein Anreiz
zum sparsameren Umgang mit Energieressourcen und damit zum Schutz der Umwelt erreicht werden. Das dadurch
erzielte steuerliche Mehraufkommen wird unabhängig
von der in Arbeit befindlichen umfassenden Reform der
Rentenversicherung zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet, um so den Faktor Arbeit zu verbilligen und durch die Senkung der Lohnnebenkosten
neue Arbeitsplätze zu schaffen.
({15})
Beide Ziele sind nur zu erreichen, wenn die ökologische
Steuerreform wie geplant fortgesetzt wird. Die Einnahmen aus der Ökosteuer sind unverzichtbar, um die Rentenversicherungsbeiträge weiterhin niedrig zu halten und
weiter zu senken.
CDU und CSU hatten in früheren Jahren bereits erkannt, dass durch das Steuer- und Abgabensystem die Arbeit zu teuer sei, aber Energie und Rohstoffe, an denen gespart werden müsse, zu billig zu haben seien. Im Oktober
1997 hielt Frau Merkel - damals in ihrer Eigenschaft als
Umweltministerin der Regierung Kohl - auf dem umweltpolitischen Forum der Thüringer CDU die Forderung
einer jährlichen Anhebung der Mineralölsteuer um etwa
5 Pfennig für angemessen.
({16})
Im November 1998 äußerte sich der heutige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Kollege Merz - vielleicht ist er deswegen auch nicht da, weil ihm das Thema
peinlich ist -,
({17})
im „Morgenmagazin“ wie folgt - ich zitiere ihn -:
Durch die Ökosteuern sollen Steuereinnahmen erzielt werden, um auf der anderen Seite Sozialabgaben zu reduzieren. Über ein solches Konzept kann
man reden ...
So Herr Merz damals.
({18})
Merkwürdig, dass er von diesen Aussagen heute nichts
mehr wissen will.
({19})
Durch die Besteuerung des Energieverbrauchs und die
Senkung der Rentenversicherungsbeiträge wird der Rationalisierungsdruck vom Faktor Arbeit weggenommen
und auf den Faktor Umwelt- und Ressourcenverbrauch
verlagert. Dies ist ein marktwirtschaftliches Instrument
moderner Umwelt- und damit auch Technologie- und Industriepolitik, das unseren Strukturwandel fördern und
neue Arbeitsplätze schaffen soll. Mit der Verzahnung von
Umwelt- und Wirtschaftspolitik stellt sich die Bundesregierung dieser Verantwortung für die künftigen Generationen.
Die stetige, maßvolle Ausrichtung der Ökosteuerreform gibt den Unternehmen die erforderliche Gelegenheit
und Zeit, neue energiesparende Verfahren zu entwickeln,
Techniken zu erforschen und Innovationen für energiesparende Investitionen zu tätigen. Die deutsche Wirtschaft wird auf nachhaltige Produkte und nachhaltige Produktionsverfahren umorientiert. Damit kann sie sich für
die Zukunft wappnen, in der mit weit größeren Ressourcenknappheiten umgegangen werden muss.
Wir werden diesen Weg fortsetzen; denn er hilft unserem Land, das modernste in der Welt zu werden.
({20})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Norbert Barthle
von der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute in diesem Hause nicht zum ersten Mal über
die so genannte Ökosteuer;
({0})
Herr Staatssekretär Diller, wenn Sie diesen Unfug nicht
bald dorthin befördern, wo er hingehört, nämlich auf den
zwar noch jungen, aber schon üppig blühenden Friedhof
der unsinnigen rot-grünen Steuergesetze, wird es auch
nicht das letzte Mal sein.
({1})
Die Menschen in unserem Land sind wütend über die
unaufhaltsam steigenden Benzinpreise.
({2})
Jetzt versucht der Herr Bundeskanzler, diesen Zorn auf
die Mineralölunternehmen umzulenken.
({3})
Zugegeben: Das ist raffiniert, aber es wird nicht funktionieren;
({4})
denn 70 Prozent des Benzinpreises sind Steuern und
durch die weiteren Stufen der Ökosteuer wird dieser Anteil noch erhöht. Das können Sie nicht leugnen.
({5})
Sehr durchsichtig ist auch der Versuch des Bundeskanzlers, das Bundeskartellamt für sein Ablenkungsmanöver zu missbrauchen. Dieses Amt hat die Konzerne
aber wegen Preisdumping und nicht wegen Preistreiberei
abgemahnt.
({6})
Der einzige zuverlässige und genau berechenbare
Preistreiber bei diesem Thema ist die rot-grüne Bundesregierung.
({7})
Aus seiner selbst gestellten Falle - 6 Pfennig: Ende der
Fahnenstange - kommt der Herr Bundeskanzler so nicht
mehr heraus, es sei denn, er hat eine ausfahrbare Fahnenstange.
({8})
Bis zum Jahre 2003 werden wir noch drei Mal 6 Pfennig
Steuererhöhung plus Mehrwertsteuer erleben, noch mindestens drei Mal wird der berechtigte Zorn der Bürger
über die rot-grüne Bundesregierung hereinbrechen, weil
sie schamlos abkassiert werden.
({9})
Erst dann, sagt der SPD-Generalsekretär, Herr Müntefering,
könne die Ökosteuer zur Debatte stehen. Herr Müntefering,
das überzeugt nicht. Im Gegenteil: Schlechte Gesetze
kann man jederzeit abschaffen. Wir helfen Ihnen sogar dabei, versprochen.
({10})
Denn die Leidtragenden dieser Augen-zu-und-durch-Politik sind allein die Bürger und Unternehmen am Standort
Deutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ökosteuer ist und
bleibt unlogisch und unsozial.
({11})
Sie wollten damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen,
hieß es.
({12})
Großspurig sprachen Sie von der doppelten Dividende:
Tue Gutes für die Umwelt und schaffe neue Arbeitsplätze.
({13})
Davon ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Die
Entlastung der Unternehmen durch die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags wird durch die Mehrkosten
längst wieder aufgefressen. Durch diese Steuer entsteht
kein einziger neuer Arbeitsplatz. Das wissen Sie genau.
Ein Fuhrunternehmer aus meinem Wahlkreis hat mir gesagt, dass er allein durch die Ökosteuer Mehrkosten in
Höhe von 30 000 DM pro Monat hat.
({14})
Der Mann überlegt sich, ob er Mitarbeiter entlassen muss.
({15})
Was ist mit dem ökologischen Lenkungseffekt? Wie
denn? Wo denn? Die Besteuerung setzt eben nicht am
Schadstoffgehalt an, sondern lässt willkürlich Ausnahmen gerade im energieintensiven Bereich zu. Dies führt
zu ebenso willkürlichen überdurchschnittlichen Belastungen einiger Wirtschaftszweige und natürlich auch der privaten Verbraucher.
({16})
Haben Sie denn den Strom aus erneuerbaren Energiequellen freigestellt? Haben Sie die Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs begünstigt? - Fehlanzeige.
({17})
Das ökologische Mäntelchen passt hinten und vorne
nicht, es ist blanke Augenwischerei, nein: Abzockerei.
({18})
Die Ökosteuer ist unlogisch und unsozial. Alle werden
zur Kasse gebeten, um die Rentenkasse zu sanieren. Aber
was ist mit den Rentnern? Was ist mit den Arbeitslosen?
Was ist mit den Studenten und vor allem den Familien?
Sie profitieren nur minimal von der Senkung dieser Nebenkosten.
({19})
Die Rechnung, die Sie aufmachen, ist deshalb eine
Milchmädchenrechnung. Jede Erhöhung des Benzinpreises trifft zuerst und am härtesten den kleinen Mann, die
Familien, die Rentner, die sozial Schwachen.
({20})
Gerade die Bezieher niedriger Einkommen haben nicht
die Möglichkeit, ihre Aufwendungen steuerlich geltend
zu machen.
({21})
Die Menschen in den strukturschwachen Gebieten in
Deutschland brauchen als Pendler dringend das Auto.
Aber was hört man dazu von den SPD-Ministerpräsidenten?
({22})
Zur Beruhigung der Pendler soll die Kilometerpauschale
erhöht werden. Ich halte das - mit Verlaub - für steuerpolitischen Schwachsinn, für geradezu grotesk.
({23})
Erst die Steuern zu erhöhen und dann die Subventionen zu
verteilen ist vielleicht sozialdemokratische Umverteilungspolitik, aber das ist alles andere als logisch.
Bekämpfen Sie nicht die Symptome, sondern kurieren Sie
die Ursachen und schaffen Sie die Ökosteuer ab. Dann
wird ein Schuh daraus.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum
Schluss und nenne das Kind beim Namen: Ihre Ökosteuer
ist nichts anderes als eine Benzinpreiserhöhungssteuer. Es
wäre nur gerecht, wenn Sie wenigstens einen Teil dessen,
was Sie abkassieren, an die Autofahrer zurückgeben würden. Geben Sie von den durch die getätigten Erhöhungen
bereits erzielten Einnahmen wenigstens 5 Pfennig pro Liter Benzin für den Ausbau von Autobahnen und Bundesfernstraßen aus, dann wäre uns allen geholfen. Herr Bundeskanzler Schröder lässt sich als Autokanzler feiern. Der
Kollege Rezzo Schlauch
Herr Kollege Barthle, Ihre Redezeit ist beendet. Kommen Sie zum
Schluss.
- muss sich als BenzinSchlauch bezeichnen lassen. Der eine hat einen Ruf zu
verteidigen, beim anderen ist er schon ruiniert. Also handeln Sie entsprechend und schaffen Sie die Ökosteuer ab!
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Reinhard Loske vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit
Montag treffen sich in Bonn 2000 Klimaexperten aus 150
Ländern zur Vorbereitung der nächsten Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention. Diese Klimaexperten treffen sich aus gutem Grund, denn die Klimaveränderungen nehmen dramatische Ausmaße an, wie uns
die Wissenschaft vorrechnet.
Seit 100 Jahren werden Temperaturen gemessen. Die
sieben heißesten Jahre in diesem Zeitraum liegen in den
90er-Jahren. Jedes Jahr haben wir einen Zuwachs an Rekordtemperaturen. Die Wissenschaft weist uns immer
deutlicher darauf hin, dass wir zu viele fossile Energieträger verbrennen. Wenn wir so weitermachen, lassen wir
diesen Planeten als Wüste zurück.
({0})
Daraus resultiert klimapolitischer Handlungsbedarf.
({1})
Diese Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die
CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005 um 25 Prozent zu
senken. Dieses Ziel stammt - das wissen Sie vielleicht noch aus der Zeit der alten Regierung. Als das Klimaschutzprogramm 1995 von Frau Merkel vorgelegt wurde,
hieß es wörtlich:
Alle vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen gehen davon aus, dass das ({2})-Ziel
mit den bereits bisher verabschiedeten ... Instrumenten nicht erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Einführung einer CO2-/Energiesteuer
ein notwendiges Element der nationalen Klimaschutzpolitik.
Das war die Zeit des klimapolitischen Konsenses in
Deutschland. Man kann nur sagen: Es ist eine Schande,
dass eine Partei wie die CDU, die sich auch als wertkonservativ bezeichnet, die Ziele des Klimaschutzes so dem
blanken Populismus opfert.
({3})
Meine Damen und Herren von der Union, Sie haben
sich von der Sachorientierung wegbewegt, hin zur blanken Polemik, und Sie haben sich wegbewegt von der Zukunftsvorsorge, hin zur blanken Diktatur des Hier und
Jetzt. Das ist Ihre Politik; die machen wir nicht mit.
({4})
Warum brauchen wir eine ökologische Steuerreform?
Man muss es vielleicht noch einmal ganz kurz sagen, weil
Sie es offenbar nie kapieren. Auf der einen Seite müssen
sich die externen Effekte, die Waldschäden, die Klimaschäden und die Gesundheitsschäden, im Preis spiegeln.
({5})
Auf der anderen Seite muss man immer wieder darauf
hinweisen, dass fossile Energieträger ein knappes, ein
endliches Gut sind. Mit dem, was wir machen, verprassen
wir innerhalb weniger Jahrzehnte das, was die Natur in
Jahrmillionen angelegt hat.
({6})
Wenn das eine Politik sein soll, die mit Zukunftsvorsorge
zusammengehen soll, dann kann ich nur sagen: Gute
Nacht, Deutschland, wir haben die konservative Partei,
die wir verdient haben.
({7})
Die Industriegesellschaft hängt am Öl wie der Junkie
an der Nadel. Das ist ein Problem; das wissen wir alle.
Weil das so ist, müssen wir schnell von dieser Abhängigkeit wegkommen. Alles, was Anreize zur Energieeinsparung gibt, ist sinnvoll. Die aufkommensneutrale ökologische Steuerreform ist eine solche Maßnahme.
({8})
Wenn Sie einmal ganz kurz innehalten und nur Ihren
volkswirtschaftlichen Sachverstand walten lassen, dann
ist doch das, was wir jetzt machen, der ökologische Strukturwandel, nichts anderes als die Substitution von Ölimporten durch inländischen Ingenieursverstand, durch inländische Handwerksleistung und durch inländische Industrieproduktion. Das ist doch nur gut für den Standort
Deutschland und nicht schlecht. Ich bitte Sie!
({9})
Das erkennt im Übrigen zunehmend auch die Automobilindustrie. Es ist mir wirklich ein Genuss, die dpa-Meldung von heute jetzt hier vorlesen zu dürfen, die unter folgender Überschrift steht:
Autohersteller befürchten trotz Ökosteuer keine
Produktionskrise.
Jetzt zitiere ich wörtlich erstens die Sprecherin von
DaimlerChrysler. Sie sagt:
Wir forcieren die Arbeiten zur Optimierung des Verbrauchs.
({10})
Ich zitiere zweitens den BMW-Sprecher, der Folgendes sagt:
Der Kunde hat angesichts der steigenden Benzinpreise die Möglichkeit, sich für sparsame Pkws zu
entscheiden, und er tut es auch.
({11})
Das ist das zweite Zitat.
Als Dritter wird der VW-Sprecher zitiert. Dort heißt es:
Positiv auf den Absatz wirke sich ferner aus, dass
Volkswagen drei Modelle mit einem ausgesprochen
niedrigen Kraftstoffverbrauch in seinem Programm
hat.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine
Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]
Das ist eine Pressemeldung, die heute über die Ticker
geht. Mercedes, BMW und Volkswagen haben offenbar
wesentlich weniger Probleme mit diesem Ansatz, ganz im
Gegenteil: Sie nutzen ihn zur Entwicklung von strategischen Geschäftsoptionen. Nur Sie kapieren das nicht. Das
ist Ihr Problem.
({12})
Zum Schluss möchte ich doch noch einmal auf etwas
verweisen. Ich meine, dass bei den Spaßliberalen in dieser Richtung nichts zu erwarten ist, ist klar.
({13})
Aber wie sehr ist denn Ihr Staatsverständnis auf den
Hund gekommen, meine Damen und Herren von der konservativen Partei,
({14})
wenn der Staat sich davon abhängig machen soll, wie die
Preispolitik bestimmter Konzerne ist? Wollen wir denn
demnächst die Finanzbeamten am Fuße der Preistafeln
postieren, damit sie schnell durchfunken, ob wir die Steuern herauf- oder heruntersetzen sollen? Was für ein Staatsverständnis ist das?
({15})
Das ist doch unglaublich naiv.
Ich will Ihnen zum Schluss auch nicht ersparen - ich
bin sofort fertig, drei Sekunden noch -, Wirtschaftsforscher vom Rheinisch-Westfälischen Institut aus Essen,
aus meinem Land, zu zitieren. Es ist nicht besonders bekannt für seine Regierungsfreundlichkeit; es ist ein gutes,
neutrales Institut. Ich zitiere wörtlich, Tickermeldung von
heute:
Ein Verzicht auf eine weitere Anhebung der Ökosteuer könnte in den kommenden fünf Jahren fast
eine halbe Million Arbeitsplätze in Deutschland kosten.
Kapieren Sie das bitte endlich!
Danke schön.
({16})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Loske, wir haben leider auch eine
rot-grüne Regierung bekommen, die wir nicht verdient
haben, denn Sie haben eine grottenschlechte Ökosteuer
gemacht. Das ist das Problem.
({0})
Dass jetzt die F.D.P. diese Situation ausnutzt und nicht
nur die schlechte Qualität der Ökosteuer kritisiert, sondern versucht, den Grundgedanken einer ökologischen
Besteuerung zu verunglimpfen, das ist von ihrer Position
aus nachvollziehbar.
({1})
Das Tragische ist aber, dass Sie so schlecht gearbeitet haben.
({2})
Ihre Ökosteuer ist ein Etikettenschwindel. Das stimmt
leider. Sie ist weder ökologisch noch sozial.
({3})
Sie ist ökologisch schlecht. Das haben wir von Anfang an
kritisiert. Diese Ökosteuer ist schlecht, weil sie die Art
und Weise der Energieerzeugung nicht angemessen
berücksichtigt. Bei der Produktion werden die energieintensiven Bereiche nicht in adäquater Weise herangezogen.
Sie nutzen die Ökosteuer nicht zum ökologischen Umbau
der Gesellschaft, sondern nur zur Schließung von Haushaltslücken.
({4})
Da Ihre Ökosteuer nicht ökologisch ist, ist sie unsozial.
Sie nutzen die durch die Ökosteuer erzielten Mehreinnahmen - im vergangenen Jahr etwa 8 Milliarden DM, in diesem Jahr rechnen wir mit 12 Milliarden DM - nicht zum
Umbau der Gesellschaft. Die Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes sind zu Recht wütend, da sie keine Möglichkeit haben, auf andere Beförderungsmittel umzusteigen.
Ich nenne als Beispiel Annaberg-Buchholz in Sachsen:
In diesem Jahr werden in Sachsen 120 Streckenkilometer
der Bahn stillgelegt. Annaberg-Buchholz, eine Stadt mit
30 000 Einwohnern, wird in diesem Jahr die erste Stadt in
Sachsen sein, die keine Schienenanbindung mehr hat.
Manche Arbeitslose werden das Glück haben, vom Arbeitsamt in Annaberg-Buchholz eine neue Arbeitsstelle
vermittelt zu bekommen. Arbeitslosen, denen das nicht
gelingt, haben - drei Stunden Wegezeit ist ja zumutbar, da
auch die rot-grüne Regierung von den Arbeitslosen Mobilität verlangt - keine andere Chance, als auf den Bus
oder auf den privaten Pkw auszuweichen. Das macht
natürlich Bürgerinnen und Bürger wütend.
({5})
Der ÖPNV rechnet allein bis zum Jahre 2003 aufgrund
der Ökosteuer mit Mehrausgaben von über 400 Millionen DM. Dafür muss ein Ausgleich geschaffen werden.
({6})
Das wäre eine ökologische Lenkungswirkung, die tatsächlich funktionieren würde. Soziale Gerechtigkeit ist
die Grundvoraussetzung dafür, dass die Bevölkerung den
ökologischen Umbau der Gesellschaft, der absolut notwendig ist, auch tatsächlich mitmacht. Das ist die Zielstellung, die Sie durch Ihre schlechte Arbeit leider diskreditiert haben.
Es ist natürlich klar und wurde vorhin schon gesagt die F.D.P. hat es etwas spät erkannt, wir haben es von Anfang an kritisiert -, dass Sie natürlich mit der Ökosteuer
viele Menschen belasten, ohne sie gleichzeitig zu entlasten. Arbeitslose, Rentner und Rentnerinnen sowie Familien mit Kindern haben eine Verbrauchsteuererhöhung
hinzunehmen, ohne eine Gegenfinanzierung zu erhalten.
Nicht nur, dass Rentnerinnen und Rentner von der Senkung der Rentenbeiträge nicht profitieren können: Sie haben sie durch die Abkopplung von der Nettolohnentwicklung in diesem Jahr doppelt bestraft.
({7})
Das ist die Realität, der Sie sich stellen müssen.
Der Gipfel des Ganzen sind natürlich jetzt die Vorschläge zur Kilometerpauschale. Wir sind vielleicht die
einzigen, die noch ab und zu in den Koalitionsvertrag
gucken. Man könnte das ja auch von Ihren Ministerpräsidenten erwarten. In den Vorschlägen ist immerhin noch
die Rede von einer verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale. Nun frage ich mich: Warum ist das noch
nicht durchgesetzt? Warum fassen Sie das nicht an? Die
Forderung, jetzt nur die Kilometerpauschale zu erhöhen,
ist natürlich Blödsinn. Es bedeutete eine weitere Stärkung
für das Auto und würde sich nur auf Steuerzahler und
Steuerzahlerinnen auswirken. Auch viele Arbeitslose
haben ein Auto und würden wiederum keinen Ausgleich
erhalten.
Dieser Weg kann nicht richtig sein. Es ist notwendig,
eine ökologische Steuerreform anzugehen, die diesen Namen verdient. Dazu fordern wir eine Steuer auf fossile
Primärenergieträger. Wir fordern weiterhin, die Einnahmen aus einer ökologischen Steuerreform für den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, für Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr und
für die Entwicklung effizienter Verfahren zur Energieerzeugung zu verwenden. Setzen Sie die jetzige ökologische Steuerreform aus und fangen Sie endlich mit einer
richtigen und sachgerechten Ökosteuer an! Als Sofortmaßnahme böte sich an, den ÖPNV von der Ökosteuer zu
befreien.
({8})
Das wäre ein richtiger Weg und ein klares Zeichen dafür
gewesen, dass Sie wenigstens gewillt sind, eine Alternative zu bieten, statt nur Ihrem Kanzler als Kanzler aller
Autokonzerne zu folgen.
Ich bedanke mich.
({9})
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Grotthaus von
der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Das wollte ich Ihnen,
Herr Schauerte, gerade empfehlen. Hoffentlich kommt
der Heilige Geist über Sie, damit er ein bisschen Verstand
hereinbringt.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben heute bei dieser Fragestunde erlebt, wo
sich demnächst die Koalitionen anzusiedeln scheinen:
Die PDS, die CDU und die F.D.P. scheinen auf einer Linie zu liegen. Die F.D.P. orientiert sich langsam um.
({1})
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Richten Sie sich ein bisschen nach der PDS, sodass Sie dann einen neuen Koalitionspartner bekommen. Das deutet sich in Ihren Beiträgen
an.
({2})
Ich will Ihnen eines in aller Deutlichkeit sagen: Ihre
Stimmungsmache gegen die Ökosteuer ist populistisch
und infam. Ich will das aufgreifen, was der Kollege
Brüderle gesagt hat; denn Sie - er sitzt da hinten - haben
die Ursache für die hohen Kraftstoffpreise nicht genannt.
Wenn man damit offen umgeht, muss man die Ökosteuer
bei der Erhöhung der Preise einbeziehen. Richtig wäre es
gewesen, wenn der Kollege Brüderle auch die niedrige
Förderquote der OPEC-Länder, den gestiegenen Dollarkurs und die undurchsichtige Preispolitik der großen Ölkonzerne genannt hätte.
({3})
So sind Sie, Herr Kollege Brüderle, zu kurz gesprungen. Sie sind populistisch deswegen - das zeigen Ihre
Beiträge deutlich -, weil Sie die Meinungshoheit über den
Stammtischen erobern wollen. Uns wäre es lieb gewesen,
wenn Sie sinnvolle Vorschläge gemacht hätten, wie die
Zielsetzung der Ökosteuer mit anderen Mitteln erreichbar
gewesen wäre. Das ist aber nicht der Sinn dieser Aktuellen Stunde.
({4})
Der Sinn dieser Aktuellen Stunde ist, die Meinungshoheit
über den Stammtischen zu erreichen. Ich finde es geradezu einen Witz, wenn der Vertreter der Partei, die sich in
den zurückliegenden Jahren immer als Mittelstandspartei
bezeichnet hat, als Vertreter der kleinen Leute auftritt,
wenn sie deutlich machen will, dass sie das Geld der kleinen Leute vertritt und - das gilt auch für die CDU - die
Steuergesetzgebung 1999 bis 2002 und nachfolgend abgelehnt hat.
Lassen Sie mich eines in aller Deutlichkeit sagen: Die
Ökosteuer erhöht die Belastung für eine vierköpfige Familie mit einem Einkommen von 5 000 DM um rund
7 DM im Monat. Das können Sie nachrechnen.
({5})
- Rechnen Sie das einmal nach. Ich will mit Ihnen nicht
das kleine Einmaleins anfangen. Ich glaube, dass Sie das
in der Grundschule gelernt haben.
({6})
Wenn Sie dagegen die Senkung der Steuersätze, etwa des
Eingangssteuersatzes, und die Erhöhung des Kindergeldes sehen, dann kommen Sie auf Mehreinnahmen für eine
vierköpfige Familie von rund 90 DM im Monat. Auch das
verschweigen Sie hier. Daher kann ich Ihnen nur in aller
Deutlichkeit sagen: Sie sollten mit den Zahlen ehrlicher
umgehen.
({7})
Ich will es wiederholen, damit Sie es verstehen: Was
war 1997, als Ihre jetzige Parteivorsitzende und damalige
Bundesumweltministerin forderte:
Die Benzinsteuer soll jährlich um 5 Pfennig steigen.
Ist das etwas anderes als die Ökosteuer? Wie war es 1998?
Ich zitiere noch einmal Herrn Merz, den der Staatssekretär Diller gerade zitiert hat:
Durch die Ökosteuer sollen Steuereinnahmen erzielt
werden, um auf der anderen Seite Sozialabgaben zu
reduzieren. Über ein solches Konzept kann man reden.
({8})
- Ich zitiere gerade Ihren Kollegen Merz. Wenn Sie sagen,
dass sei wahrheitsunfähig, dann muss ich Ihnen sagen: Ich
zitiere Ihren Kollegen Merz. Ich gehe davon aus, dass er
die Wahrheit gesagt hat.
({9})
Ihre Vorstellungen waren zum damaligen Zeitpunkt
richtig. Sie näherten sich unseren Vorstellungen an. Wir
haben Ihre Vorstellungen aufgegriffen.
({10})
Nachdem wir sie aufgegriffen und eingeführt haben, ist
Ihr Geschrei groß. Meine Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, ich frage mich: Was ist falsch daran, wenn
mit den erwirtschafteten Mehreinnahmen die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt wurden und damit die Arbeitskosten verbilligt wurden? Was ist daran falsch, wenn
wir gemeinsam mit acht Ländern in der Europäischen
Union eine Ökosteuer eingeführt haben? Was soll daran
falsch sein, wenn die Verbraucher in Wirtschaft und im
privaten Bereich langfristig wissen, was auf sie zukommt,
und damit eine Planungssicherheit haben? Ich will Ihnen
in aller Deutlichkeit sagen: Die Kollegen Schäuble und
Repnik formulierten in ihrem Konzept 2000: Die klare
politische Zielsetzung einer stetigen Verteuerung des Umweltverbrauches gibt Investoren die notwendige Orientierung für langfristige Projekte.
({11})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum
Schluss. - Nichts anderes bewirkt die Ökosteuer. Ich sage
Ihnen mit aller Deutlichkeit: Die Ökosteuer bleibt. Sie erfüllt den Zweck, Arbeit und Umwelt gleichrangig zu bewerten. Eine Umkehr dieses Ansatzes würde bedeuten,
dass man nur die Preise erhöhen müsste, um den Druck
auf die Regierung zu erhöhen und den Staat dazu zu bringen, dass er auf die Vorstellungen der Industrie oder der
Opposition eingeht.
({0})
Ob das sinnvoll ist, bezweifle ich. Dadurch kann keine
nachhaltige und auch keine vernünftige Politik gemacht
werden. Wir werden von der Ökosteuer nicht abrücken,
({1})
auch wenn Sie noch so laut schreien. Ich habe Ihnen schon
einmal gesagt: Schreien überzeugt nicht.
({2})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Birgit
Homburger von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Dramatisch gestiegene Mineralölpreise führen im Augenblick zu entrüsteten Protesten der
Bürgerinnen und Bürger, und das zu Recht. Die so genannte Ökosteuer ist ein reines Abkassiermodell ohne
durchgreifende Lenkungswirkung im ökologischen Sinn.
({0})
Herr Kollege Loske, ich möchte Ihnen an dieser Stelle
ganz klar sagen: Wir stehen zu dem Ziel der Minderung
der CO2-Emissionen um 25 Prozent.
({1})
Wir haben ein eigenes Konzept vorgelegt. Wenn Sie zu
unserer Forderung, das Ökosteuerkonzept, das Sie beschlossen haben und das eigentlich gar kein Ökosteuerkonzept ist, zurückzunehmen, sagen, diese sei Populismus, dann kann ich nur fragen: Was anderes sind eigentlich die Forderungen aus Ihren Reihen nach Anhebung der
Kilometerpauschale und nach Benzingutscheinen? Diese
Forderungen sind doch nichts anderes als der Versuch,
den Zorn der Leute zu besänftigen, und nichts anderes als
Populismus. Insofern würde ich an Ihrer Stelle ruhig sein.
({2})
Wenn Sie uns vorwerfen, wir würden die Leute verschrecken, dann kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie das
Ziel des Klimaschutzes erreichen wollen - das gilt für andere umweltpolitische Ziele genauso -, dann müssen Sie
die Menschen auf diesem Weg mitnehmen. Sie werden
die Menschen nicht mitnehmen, wenn Sie sie abzocken
und auf eine ohnehin schon zu hohe Steuerlast noch draufsatteln. Sie werden das Gegenteil von dem erreichen, was
Sie beabsichtigen. Genau das erleben Sie im Moment.
({3})
Deswegen fordert die F.D.P. in ihrem Antrag, den sie
gestern im Deutschen Bundestag eingebracht hat, die
Bundesregierung auf, die Ökosteuer abzuschaffen und
eine wirkliche ökologische Steuerreform vorzulegen.
Dazu gehören auch die Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer und die Umlegung dieser Steuer auf die Mineralölsteuer sowie die Umwandlung der Kilometerpauschale in
eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale.
({4})
Ich kann vor allen Dingen Sie von den Grünen nur auffordern: Stimmen Sie unserem Antrag endlich zu. In ihm
wird die Umsetzung dessen gefordert, was seit vielen Jahren in Ihrem Parteiprogramm steht. Ich finde es bezeichnend, dass Sie ihn vor kurzem an anderer Stelle abgelehnt
haben.
({5})
Ich finde das, was zum Thema Ökosteuer und zu deren
Verwendung hier gesagt wurde, bemerkenswert. Die
Ökosteuer ist doch nichts anderes als ein Lückenbüßer,
Herr Diller, für Ihre Einfallslosigkeit bezüglich der
Rentenpolitik.
({6})
Sie haben heute im Plenum in entwaffnender Offenheit
und dankenswerterweise gefragt: Was machen wir eigentlich mit den Rentenversicherungsbeiträgen, wenn wir die
Ökosteuer abschaffen? - Ich kann Ihnen darauf nur antworten: Machen Sie eine klare Rentenreform! Wollen Sie
der jungen Generation eigentlich noch länger weismachen, dass der demographische Faktor kein Problem sei?
({7})
Sie müssen eine echte Reform durchführen. Jetzt verschieben Sie nur das Geld von einer Tasche in die andere.
Das macht die Sache nicht besser, sondern viel schlechter.
({8})
Die so genannte Ökosteuer ist auch in sich widersprüchlich, und zwar an allen Ecken und Enden. Die
Kohle - Sie alle wissen, sie hat eine schlechte CO2-Bilanz ist von der Besteuerung ausgenommen. Die regenerativen
Energien werden dagegen besteuert. Den ÖPNV, den Sie
laut Ihrer Koalitionsvereinbarung steuerlich entlasten
bzw. fördern wollten - Sie fordern auch jetzt ständig, dass
mehr Verkehr auf den ÖPNV umgelenkt werden soll -,
haben Sie in die Besteuerung einbezogen und dadurch
verteuert. Die Verkehrsunternehmen haben schon jetzt
Preiserhöhungen angekündigt.
Vor diesem Hintergrund sind die Pendler, die auf ihr
Fahrzeug angewiesen sind, und die Bevölkerung im ländlichen Raum die Leidtragenden Ihrer Politik.
({9})
Diese Personen haben im Übrigen - das müssen Sie sich
sagen lassen - auch keinerlei adäquate Entlastung. Nicht
nur Rentner, Studierende und Arbeitslose - diese Gruppen
wurden hier schon genannt -, sondern auch Landwirte
und Freiberufler, die auf ihr Auto oft angewiesen sind und
viel fahren, haben bei den Rentenversicherungsbeiträgen
keinerlei Entlastung. Die so genannte Ökosteuer ist daher
unsozial und ungerecht.
({10})
Ich möchte zum Schluss nur noch eines sagen - das
müssen Sie sich anhören, so lange Sie hier solche verkorksten Dinge einbringen -:
({11})
Die so genannte Ökosteuer ist in jeder Hinsicht - im Hinblick auf Arbeitsplätze, aus ökologischer, aber auch aus
sozialer Sicht - ein verlogenes Konzept; deswegen ziehen
Sie es bitte zurück!
({12})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Christine Scheel von Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Irgendwie
müssen wir 16 Jahre lang etwas verpasst haben.
({0})
Nachdem Sie erzählt haben, wie viel Gutes Sie für die Arbeitnehmer und für die Bevölkerung getan haben, frage
ich mich, wie die Steuer- und Abgabenlast 16 Jahre lang
so steigen und so unerträglich hoch werden konnte, dass
wir jetzt mühsam versuchen, sie zu senken.
({1})
Diese Regierung hat mit all dem, was bislang von ihr beschlossen worden ist, 75 Milliarden DM an Nettoentlastung
auf den Weg gebracht. Das ist ziemlich viel. Unter Leitung von Rot-Grün sind in der Bundesrepublik Deutschland erstmals nicht nur die Bruttolöhne, sondern auch die
Nettolöhne gestiegen, weil es - unter anderem durch die
Ökosteuer - gelungen ist, die Lohnnebenkosten zu senken.
({2})
Wenn Sie mit Ihrer Stammtischmentalität behaupten,
wir zockten die Arbeitnehmer ab, nach dem Motto „die armen Pendler“, dann sage ich Ihnen jetzt einmal - das ist
auch für die Öffentlichkeit sehr interessant -, was die
CDU/CSU in ihrem Gesetzentwurf vorsieht. Sie sehen
vor, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die an
230 Tagen im Jahr - das ist der Schnitt - mit ihrem Auto
zur Arbeit fahren - weil es aufgrund des fehlenden
Ausbaus öffentlicher Verkehrsmittel anders nicht möglich
ist ({3})
und keine weiteren Werbungskosten geltend machen, bis
15 Kilometer, in Zukunft 500 DM weniger Werbungskostenpauschale bekommen. Wenn der Arbeitnehmer oder
die Arbeitnehmerin 20 Kilometer zur Arbeit fahren muss,
dann liegt die steuerliche Mehrbelastung nach Ihren Vorstellungen bei einer Größenordnung von 661 DM, bei
30 Kilometern bei 776 DM. Geht man weiter nach oben,
dann summiert sich das auf eine Größenordnung, zu der
ich sagen muss: Man muss verdammt viel Auto fahren man muss fast den ganzen Tag nichts anderes tun -, um
das zurückzubekommen, was Sie diesen Menschen in
Wirklichkeit an anderer Stelle wegnehmen wollen.
({4})
Ich bezeichne es als Verlogenheit in der Politik, wenn
in aktuellen Konzepten von CDU und CSU Vorschläge
gemacht werden, in denen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor allen Dingen durch die Senkung der
Werbungskostenpauschale zusätzlich belastet werden.
({5})
Sie wollen die Werbungskostenpauschale von 2 000 DM
auf 1 500 DM absenken. Außerdem behaupten Sie, die
Umwidmung in die Entfernungspauschale sei etwas Sinnvolles, weil alle Verkehrsmittel, auch der Gang zu Fuß,
gleich behandelt werden. Ich möchte einmal denjenigen
sehen, der mehr als 15 Kilometer Weg zur Arbeit hat und
diese Strecke zu Fuß erledigt. Irgendwie ist das doch
wirklich eine Verarschung der Bevölkerung.
({6})
Aus Ihren Wahlprogrammen und Ihren Aussagen auf
Umwelttagungen, soweit Sie daran teilnehmen - das gilt
für die F.D.P. genauso wie für die CDU/CSU -, kann man
immer wieder entnehmen, wie wichtig und wie notwendig es ist, Ressourcen zu schonen, Ressourcen zu verteuern, dass die Arbeit im Verhältnis noch immer zu hoch besteuert ist usw.
Genau das, was Sie in Ihren Programmen jahrelang gefordert, aber was Sie nie getan haben, obwohl Sie immer
suggeriert haben, dass Sie hier etwas tun wollen, hat diese
Regierung auf den Weg gebracht, und zwar international
vernünftig, im Konsens auch mit vielen anderen europäischen Ländern. Wir sind stolz darauf, dass wir diesen
Weg gegangen sind.
({7})
Vor allem aus Bayern wird ziemlich viel geplärrt - Herr
Stoiber kann das besonders gut; Herr Protzner, der nach
mir sprechen wird, kommt auch aus Bayern; wir beide
kommen, wie wir wissen, aus Franken -: Steuern runter!
Herr Diller hat völlig richtig gesagt: Konsequenterweise
müssten Sie bei jeder Senkung eine Steueranhebung verlangen. So etwas ist aber eine chaotische Fall-zu-Fall-Fiskalpolitik, die für eine Regierung, die verantwortlich handelt, nicht geeignet ist.
({8})
Das ist Ihnen zuzutrauen. Das hätten Sie, wenn Sie gekonnt hätten, mit Sicherheit getan. Das haben wir ja jetzt
auszubaden. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir den
Schuldenberg abbauen, den Sie uns hinterlassen haben.
({9})
Auch das Klagelied, der Staat betreibe hier Abzockerei,
taugt nur als Stammtischkracher; denn es ist doch logisch,
dass der Staat die Steuern einnimmt. Die Mineralölsteuer
ist eine Steuer genau wie jede andere Steuer auch. Es liegt
doch einfach in der Logik einer Steuer, dass der Staat sie
einnimmt. Deswegen kann man an diesem Punkt nicht
von Abzockerei sprechen.
Frau Kollegin Scheel, kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Letzter Satz. Wir machen eine ehrliche, berechenbare und
verantwortliche Politik,
({0})
die sowohl für die Ökonomie als auch für die Ökologie
zukunftsweisend ist. Sie werden uns in ein paar Jahren
dankend auf die Schulter klopfen, dass wir es durchgehalten haben,
({1})
obwohl Sie mit Ihrer Schreierei versuchen, eine Stimmung dafür zu erzeugen, dass dies ein Unsinn sei.
({2})
Frau Kollegin Scheel, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie
einen Begriff gebraucht haben, der nicht zum parlamentarischen Sprachgebrauch gehört. Ich will ihn aber auch
nicht wiederholen.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Dr. Bernd Protzner von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Kolleginnen und Kollegen! Es ist ganz einfach so: Die
rot-grüne Koalition hat Pech gehabt: Als sie die Ökosteuer
einführte, meinte sie, es würde niemand merken. Es halfen ihr damals auch die Märkte und die Marktentwicklung
in 1999 bis Anfang 2000. Die Erdölpreise waren niedrig;
sie stagnierten. Die Explorationskosten wurden bei den
Konzernen zurückgefahren. Man erschloss keine neuen
Gebiete.
Allerdings - das kommt davon, wenn man Märkte ignoriert und nicht an die Zukunft denkt - steigen die Marktpreise mittlerweile. Das Ölfass ist bei den Bürgerinnen und
Bürgern übergelaufen.
Frau Scheel, ich bewundere Sie,
({0})
wie Sie bei Ihren Auftritten hier immer die Johanna der
Steuersenkungen spielen, in Wirklichkeit aber das Gegenteil tun.
({1})
Rechnen wir doch ganz einfach einmal. Damit gehe ich
auch auf das ein, was Herr Diller vorhin in der Fragestunde gesagt hat, nämlich dass es sich um die größte
Steuersenkung aller Zeiten handele. Ja, bei den direkten
Steuern tun Sie etwas.
({2})
Bei den direkten Steuern haben Sie ganz marginal - für
drei oder vier Jahre - etwas auf den Weg gebracht. 2005 so hat der Kollege Rauen vorgerechnet - zahlt der
Baufacharbeiter nach Ihren Plänen schon wieder mehr als
im Jahre 2001.
({3})
Halten Sie die Leute nicht für so dumm. Sie wissen mittlerweile auch, dass es nicht nur direkte Steuern, Lohnund Einkommensteuer, gibt, sondern dass es genauso indirekte Steuern gibt. Diese erhöhen Sie eben drastisch.
Eine vierköpfige Familie mit einem durchschnittlichen
Einkommen zahlt in dieser Republik mittlerweile gut
6 500 DM indirekte Steuern im Jahr. Das können Sie ausrechnen. Das sind fast 550 DM im Monat. Ihre Ökosteuer
ist dabei ein wesentlicher Punkt. Die Ökosteuer hat die
Leute verärgert.
({4})
Da hilft eben nur eines, nämlich die Ökosteuer zurückzuführen.
({5})
Ich glaube ja nicht, dass Sie ernsthaft den Ausstieg aus
der Automobilwirtschaft versuchen wollen, nachdem Ihnen der Ausstieg aus anderen Wirtschaftsbereichen schon
nicht gelingt. Es tut mir, meine Damen und Herren, als
CSU-Abgeordneten schon gut, wenn ich von SPD-Landratsseite mit Bittbrief angegangen werde, ich möge doch
Abhilfe bei der Ökosteuer schaffen, die die SPD eingeführt hat.
({6})
- Frau Kastner, fragen Sie doch einmal Ihren Parteikollegen, den Landrat Marr aus Kronach, und bitten Sie ihn
doch einmal um den Brief. Bearbeiten Sie doch einmal die
Anliegen, die er für seine Pendler im Frankenwald, für
seine mittelständischen Transportunternehmer, für die Taxifahrer und die Busunternehmen, die er mir aufgelistet
hat, vorträgt.
({7})
Es gibt nur einen Weg, der in die richtige Richtung
führt und zukunftsfähig ist: Schaffen wir die Ökosteuer
wieder ab!
({8})
Meine Damen und Herren, Auto fahren darf nicht nur
etwas für Porsche-Fahrer sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die neue Parole Ihres Bundeskanzlers Gerhard
Schröder lautet: freie Fahrt für Porsche-Fahrer. Er kommt
ja immerhin noch aus Niedersachsen. Wir, die Union, jedenfalls treten nach wie vor für die freie Fahrt von Volkswagen-Fahrern ein.
({9})
Wir verstehen es nämlich noch, an die kleinen Leute zu
denken und ihre Interessen wahrzunehmen.
({10})
Da unterscheiden wir uns von Ihnen, meine Damen und
Herren.
Weil Sie schon so viele von uns zitiert haben, erlaube
ich mir, auch eine Aussage von mir aus dem Jahre 1988
zu zitieren. Wie viele andere Kollegen habe ich im Zusammenhang mit der Ökosteuer von Abzockerei gesprochen. Daran halte ich auch fest. Es ist keine ökologische
Steuer: Sie tun weder etwas für die Umwelt noch ist sie
logisch.
({11})
Es handelt sich um eine ideologische Steuer. Ideologien
sollten wir eigentlich im 20. Jahrhundert gelassen haben
und nicht ins 21. Jahrhundert mitschleppen. Deshalb rufe
ich Ihnen noch einmal zu: Geben Sie sich einen Ruck und
zeigen Sie Mut, indem Sie die Ökosteuer abschaffen!
({12})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Detlev von Larcher von der SPDFraktion.
Nach anderthalb Jahren
hat die Opposition noch nicht ihre Rolle gefunden. Sie
macht wirr durcheinander zu den verschiedensten Themen irre Vorschläge. Dass das wahr ist, was ich sage, dass
Sie Ihre Rolle nicht gefunden haben,
({0})
sehen Sie daran, dass Sie nun schon zum zweiten oder
dritten Mal, wie ich glaube, verlorene Schlachten schlagen. Die Argumente gegen die Ökosteuer haben wir doch
schon x-mal gehört, als wir sie einführten.
({1})
Es fällt Ihnen nichts Neues ein. Sie schlagen verlorene
Schlachten.
16 Jahre lang haben Sie eine grandiose Umverteilung
von unten nach oben vorgenommen und den Arbeitnehmern und den Geringverdienern eine riesige Mehrbelastung aufgebürdet.
({2})
Sie wollen den Arbeitnehmerpauschbetrag in Ihrem Steuerkonzept von 2 000 auf 1 500 DM senken. Sie wollten
({3})
die Sonn- und Feiertagszuschläge streichen. Sie wollen
die Nachtzuschläge streichen und die Arbeitnehmer ganz
stark belasten. Alles wollen Sie ihnen wegnehmen.
Die F.D.P. hat in ihrem Dreistufenmodell zur Einkommensteuer vorgesehen, die Kilometerpauschale abzuschaffen. Heute höre ich jetzt etwas von Entfernungspauschalen. Was wollen Sie denn nun eigentlich?
({4})
In Ihrem Dreistufenmodell sehen Sie jedenfalls vor, die
Kilometerpauschale abzuschaffen. Die CDU/CSU fordert
eine Entfernungspauschale von 50 Pfennig, die aber erst
dann greift, wenn man weiter als 15 Kilometer fährt. Für
die ersten 15 Kilometer bekommt man gar nichts. Wie
viele Pendler bekommen denn dann gar nichts? Wahrscheinlich 60 oder 70 Prozent.
({5})
- 80, danke.
({6})
80 Prozent der Pendler bekommen nichts. Sie stellen sich
hier aber hin und singen das Hohelied der armen Pendler.
Das ist wirklich unglaubwürdig und verlogen, was Sie
hier anstellen.
({7})
Es ist wirklich unverantwortlich und unwahrhaftig, was
Sie machen.
({8})
Meine Kolleginnen und Kollegen haben ja schon in
Form von Zitaten auf verschiedene Äußerungen von Ihnen hingewiesen, zum Beispiel auf die Forderung von
Wolfgang Schäuble, Energie müsse langsam immer teurer
werden
({9})
und die Kosten für die Arbeitnehmer müssten langsam
immer mehr abnehmen. Wo ist das denn geblieben?
Schon als er das geäußert hat, wollten Sie es eigentlich
nicht mehr wahrhaben. Die Aussage von Herrn Merz,
über unser Konzept könne man reden, ist mit Recht zitiert
worden. Heute ist das, weil man populistisch sein will, alles vergessen.
Herr Schäuble:
Allerdings muss ein nationaler Alleingang im Umweltschutz nicht zwingend schädlich sein. So haben
die hohen deutschen Anforderungen dazu beigetragen, dass deutsche Unternehmen im Bereich der Umweltschutztechnologie weltweit an der Spitze liegen.
Eine schonende Preissteigerung für den Naturverbrauch ist auch im nationalen Alleingang vorstellbar.
Alles weg, weil die hohen Benzinpreise die Leute ärgern.
({10})
- Sie ärgern die Leute, natürlich!
Dann machen Sie ihnen noch etwas vor. Das Grandioseste war wirklich Herr Merz am Sonntagabend zwischen
19.10 Uhr und 19.30 Uhr.
({11})
- Der war wirklich grandios-. Er hat gesagt: Die armen
Ölkonzerne wollen doch nur ihren Anteil an der Ökosteuererhöhung haben, deswegen werden die Preise
höher. Herr Protzner, Sie sind bis jetzt der Einzige, der gesagt hat, Grund für die hohen Preise sind die ölfördernden
Länder und der Dollarkurs.
({12})
Und Sie wollen die Leute glauben machen, die Erhöhung
kommt von der Ökosteuer.
({13})
- Herr Schauerte, Sie können so lange schreien, wie Sie
wollen. Erklären Sie mir einmal, warum das Kerosin im
gleichen Verhältnis teurer wird. Darauf gibt es überhaupt
keine Steuer. Die ein Drittel Steuern, die Sie schreien, sind
doch Ihre Steuern. Das sind doch Ihre 50 Pfennig aus den
letzten Legislaturperioden.
({14})
Sie wollten doch damit die Löcher stopfen.
({15})
Worüber man reden könnte und worüber wir auch noch
reden werden, ist, ob das Aufkommen der Ökosteuer nicht
irgendwann einmal ein bisschen umgesteuert werden
muss.
({16})
- Das haben wir immer schon gesagt. - Das ist ein richtiger Gedanke. Aber, ich mache Sie auf Folgendes aufmerksam: Wir verwenden das Geld, 200 Millionen DM,
auch zur gezielten Förderung von erneuerbaren Energien.
Wir haben das 100.000-Dächer-Programm gemacht und
das Gesetz für die erneuerbaren Energien verabschiedet.
Die Solarenergie boomt inzwischen; denken Sie an die
Photovoltaikanlagen. Wir müssen nachlegen, weil die
Nachfrage so groß geworden ist.
Sie wollen den Leuten vormachen, dass diese Ausgaben nur Kosten sind. In Wirklichkeit sind es Investitionen
in die Zukunft. Wenn wir diesen Weg weiter beschreiten,
wenn wir Energie einsparen, dann schaffen wir ein modernes Deutschland mit modernen Innovationen und
Hunderttausende von Arbeitsplätzen.
({17})
Sie sind Populisten. Sie versuchen sich auf eine Welle zu
setzen. Wir halten an unserem bewährten Konzept fest.
({18})
Wir lassen uns unsere Steuerpolitik nicht vom Markt diktieren.
({19})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Michael
Meister von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor gut einem
Jahr haben Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
argumentiert, die Ölpreise fallen, deshalb macht es niemandem etwas aus, wenn wir eine Steuer erhöhen.
({0})
Heute steigen die Preise. Deshalb müssten Sie logischerweise die Steuer senken. Wo ist Ihre Antwort auf diese
Frage, wo bleibt Ihre eigene Argumentation, die Sie vor
zwölf Monaten hier vorgetragen haben?
({1})
Heute wissen wir, dass Sie mit der zweiten Stufe der
Ökosteuer eine Initialzündung für die Steigerung der Benzinpreise gesetzt haben.
({2})
Sie speist sich zwar aus unterschiedlichen Quellen, aber
knapp 1,40 DM von jedem Liter Benzin fließen an den
Fiskus. Deshalb muss der Deutsche Bundestag auch
über diesen Anteil von rund 70 Prozent diskutieren.
Die Regierung Schröder hat die so genannte Ökosteuer
von Beginn an als reinen Etikettenschwindel eingeführt.
Sie dient weder der Ökologie noch hat sie eine innere Logik. Sie war von vornherein als reines Abkassiermodell
definiert.
({3})
Das zentrale Problem, wenn Sie den Zusammenhang
mit dem Klimaschutz herstellen, ist, dass Sie keinerlei
geschlossenes Energiekonzept für den Standort Deutschland haben. Deshalb ist diese Ökosteuer ohne Fundament.
Sie ist auf Sand gebaut. Sie wird einstürzen.
({4})
Wenn Sie sich das anschauen, werden Sie bald die Absurditäten feststellen. Schauen Sie sich den ÖPNV und die
Bahn an. Sie fordern ständig den Umstieg auf den ÖPNV.
Sie fordern den Umstieg auf die Bahn. Sie besteuern beide
über die Ökosteuer. Dies ist in sich absolut widersinnig.
Sie nehmen dem Ganzen die Attraktivität. Ab heute wird
darüber diskutiert, ob auch dort die Preise angehoben werden müssen.
Es gibt bei dieser Steuer außer dem Bundesfinanzminister keinen Gewinner, sondern nur Verlierer.
({5})
Verlierer sind die Rentner, Verlierer sind die Familien,
Verlierer sind die jungen Leute. Sie verabschieden sich
mit dieser Steuer von der jungen Generation.
({6})
Verlierer sind die Berufspendler,
({7})
Verlierer ist die Landwirtschaft, Verlierer sind die Nutzer
des ÖPNV, Verlierer ist das deutsche Verkehrsgewerbe,
Verlierer sind die Arbeitnehmer.
Meine Damen und Herren, diese Steuer ist unsozial; sie
ist geprägt von eisiger sozialer Kälte und Sie beginnen damit eine konsequente Politik gegen die Menschen in
Deutschland.
({8})
Ich glaube, die Verkehrsteilnehmer, die Mobilität
benötigen, hätten noch Verständnis, wenn ein Teil der Einnahmen oder die Einnahmen insgesamt tatsächlich in Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen investiert würden, wenn
der unterfinanzierte Teil Bahninvestitionen, Binnenwasserstraßen, Straßen damit bedient würde und somit neue
Investitionen getätigt würden. Was machen Sie stattdessen? Kein Pfennig wird dort ausgegeben. Die Mittel werden weiter gekürzt. Durchgangsstraßen werden nicht gebaut. Kein Pfennig fließt in die Infrastruktur. Die Menschen sind enttäuscht, dass ihnen das Geld abgenommen
wird und kein Pfennig an dieser Stelle zurückfließt.
({9})
Es stellt sich auch die Frage: Wo ist eigentlich der
Mann mit der Richtlinienkompetenz, der mit dieser Steuer
lediglich versucht hat, seine falschen Rentenversprechen
zu kaschieren?
({10})
Er zeigt sich medienscheu. Vom Herrn Bundeskanzler
hört man an dieser Stelle keinerlei öffentlichen Auftritt,
den er ansonsten so toll beherrscht.
({11})
Seit dem Wochenende wissen wir: Der Herr Bundeskanzler versteht unter modernem Regieren, dass man bei
unangenehmen Diskussionen abtaucht, schweigt und sich
nicht zeigt.
({12})
Herr Bundeskanzler, treten Sie endlich vor die deutsche Öffentlichkeit und legen Sie Ihre persönliche Haltung, Ihre Richtlinienkompetenz, die Sie haben, klar! Zeigen Sie, ob Sie persönlich dafür stehen oder ob Sie persönlich an dieser Stelle eine andere Auffassung vertreten!
({13})
Nehmen wir den Hinweis auf das Bundeskartellamt.
Das ist der einzige Hinweis, den der Bundeskanzler gegeben hat. Das Bundeskartellamt sei dem Bundeskanzler
gnädig; denn wenn es eingreifen würde, würde das dazu
führen, dass die Benzindumpingpreise der großen Gesellschaften nach oben korrigiert würden. Also wenn der Herr
Bundeskanzler Recht bekäme, würden die Benzinpreise
noch weiter steigen. Soll das etwa eine Politik für die
Menschen in Deutschland sein? Ist das der Ausweg, den
er präsentieren will?
Und dann, meine Damen und Herren, wie gehen Sie eigentlich mit Ihren eigenen Ministerpräsidenten um? Von
Herrn Müller haben wir gelesen, dass das Leute seien, die
ein „Gequatsche“ vollführten. Herr Beck, Herr Gabriel
sind Personen, die wir Ministerpräsidenten nennen. Sie
bezeichnen sie als Leute, die ein „Gequatsche“ vollführen.
({14})
Ich würde diese Warnlampen in den eigenen Reihen
endlich ernst nehmen und versuchen, eine Änderung der
Politik herbeizuführen. Wie ich weiß, sind Sie, Herr Kollege Müller, auch in der IG BAU. Auch Ihr Gewerkschaftsvorsitzender Wiesehügel hat mit Blick auf die Arbeitnehmer in seiner Gewerkschaft sehr deutlich gesagt,
was er davon hält und was hier zu tun ist. Warum nehmen
Sie das eigentlich nicht ernst und tun endlich etwas für die
Arbeitnehmer in Deutschland?
({15})
Ein letztes Wort zum Thema Arbeitsplätze: Durch Erhöhung der Staatsquote werden niemals Arbeitsplätze geschaffen. Sie erhöhen mit dieser Steuer die Staatsquote
und bekämpfen deshalb Arbeitsplätze in Deutschland.
({16})
Viel sinnvoller als die Einführung der Steuer wäre es,
dass Sie endlich einsehen, welchen schlimmen politischen Fehler Sie gemacht haben, dass Sie die Konsequenzen daraus ziehen und dass Sie dieses unsinnige Gesetz auf den Müllhaufen der deutschen Geschichte werfen.
Danke schön.
({17})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Iris Gleicke von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ein paar Sachen sind in diesem Hause unstrittig,
denke ich, und vielleicht können wir ein bisschen zur
Sachlichkeit zurückkehren.
Die Verkehrspolitik hat entscheidenden Einfluss auf
die Lebensqualität der Menschen und ihre Mobilität,
auf die Belastungen von Natur und Umwelt, auf die
Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.
Wir wollen die umweltverträglichen Verkehrsmittel
Bahn, Schifffahrt und öffentlicher Personennahverkehr ausbauen und stärker als bisher am wachsenden
Verkehrsaufkommen beteiligen;
({0})
zugleich wollen wir die Umweltverträglichkeit des
Individualverkehrs fördern.
({1})
Wir streben im Verkehrsbereich ökologisch ehrliche
Preise an. Jedes Verkehrsmittel muss so weit wie
möglich die Kosten seiner Verkehrswege, aber auch
die Kosten der von ihm verursachten Umweltbelastungen tragen.
({2})
Wir wollen die Anreize und Vorgaben für die Verminderung des Energieverbrauches und der Emissionen stufenweise verschärfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ich Ihnen gerade
vorgelesen habe, stammt aus dem verkehrspolitischen
Teil des 1996 beschlossenen Grundsatzprogramms der
CDU.
({3})
Eine Zeit lang konnte man glauben, dass die damalige
Regierungspartei CDU ihre eigenen verkehrspolitischen
Grundsätze ernst nehmen würde. 1997 hat die damalige
Umweltministerin Angela Merkel erklärt, sie halte eine
jährliche Anhebung der Mineralölsteuer um etwa 5 Pfennig für angemessen.
({4})
- Pro Jahr, natürlich. - Damals sagte Frau Merkel, sie trete
für eine Besteuerung des Energieverbrauchs mit Augenmaß und damit für eine Entlastung des Faktors Arbeit ein.
Noch vor zwei Jahren, im Wahlkampfgetümmel, hat sie
die Ökosteuer als eine gute Grundidee bezeichnet und
noch vor einem Jahr an dieser Stelle im Parlament beklagt, dass der ökologische Lenkungseffekt nicht deutlich
sei.
({5})
Es ist offenbar eine Sache, sich als Umweltministerin
in Sonntagsreden über die Bewahrung der Schöpfung auszulassen, und eine ganz andere Sache, sich als Parteivorsitzende an einer ausgesprochen miesen Stimmungsmache zu beteiligen, weil es einem gerade in den Kram passt.
Wo Frau Merkel noch zurückrudert und treuherzig auf
dem Verzicht der weiteren Stufen der Ökosteuer besteht,
ist ihr der Fraktionsvorsitzende Merz auf dem Weg ins
Niemandsland schon längst eine Bootslänge voraus. Er
sagt nämlich, die Ökosteuer gehöre abgeschafft.
({6})
Damit hat er dann endgültig das Niveau der „Ich-gebGas-ich-will-Spaß“-Fraktion von der F.D.P. erreicht.
({7})
Das ist übrigens die Partei, die derzeit mithilfe irgendwelcher Sponsoren an den Tankstellen Geld verteilt.
Derselbe Herr Merz jedenfalls, der sich noch im November 1998 konstruktiv gab und meinte, man könne über
die Ökosteuer und die Senkung von Sozialabgaben reden,
will jetzt nicht mehr reden. Jetzt sagen er und Frau
Merkel, der Gedanke, man könne mithilfe einer höheren
Energieverbrauchsteuer die Rente sanieren, sei immer
falsch gewesen. Die Parteivorsitzende und der Fraktionsvorsitzende haben gemeinsam den verkehrs- und umweltpolitischen Rückwärtsgang eingelegt und drücken nun
auf die Tube, dass es nur so brummt.
({8})
Das ist Politik frei nach dem Motto: Was schert mich
mein Geschwätz von gestern? So reden und handeln die
Spitzenrepräsentanten einer angeblich erneuerten CDU.
Das, meine Damen und Herren, die Sie da hinterherhecheln, ist Ihr Verständnis von Glaubwürdigkeit. Es tut mir
Leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber das ist einfach unredlich.
({9})
Warum sagen Sie den Menschen eigentlich nicht, woher die wirklichen Kostensteigerungen kommen? Warum
sagen Sie den Leuten draußen nicht, dass wir im europäischen Vergleich mit den Benzinpreisen trotz allem immer
noch nicht an der Spitze liegen?
({10})
Ich habe viel Verständnis dafür, dass sich Autofahrerinnen und Autofahrer an den Tankstellen über gestiegene
Preise ärgern. Wofür ich kein Verständnis habe, ist die
Demagogie von Union und F.D.P. In Wahrheit geht es Ihnen überhaupt nicht um die Pendler und um die Autofahrer in den ländlichen Gebieten. In Wahrheit geht es Ihnen
einfach darum, dass Sie endlich einmal wieder ein Thema
gefunden haben; denn sonst fällt Ihnen nichts ein.
({11})
Herr Brüderle, wenn gerade Sie, der Sie in den letzten
Jahren an der Regierung beteiligt waren, die uns die
1 500 Milliarden DM Schulden gebracht hat, von Haushaltslöchern sprechen,
({12})
dann ist das Politik nach dem Motto: Haltet den Dieb, er
hat mein Messer im Rücken! Ich kann das nicht mehr ertragen.
Verkehrspolitik ist auch Umweltpolitik und umgekehrt. Wir wollen niemandem die Mobilität vermiesen
und auch niemandem das Autofahren vermiesen.
({13})
Durch unsere Entlastungen haben wir gerade bei Familien
dafür gesorgt, dass die Mobilität bezahlbar wird.
Noch etwas.
({14})
Frau Homburger, die nicht mehr da ist, Herr Protzner, der
noch da ist, und auch Herr Dr. Meister:
({15})
Wenn Sie sich hier hinstellen und allen Ernstes behaupten,
der ÖPNV sei genauso belastet, dann sagen Sie, um es
freundlich auszudrücken, die Unwahrheit; ich will das
hässliche Wort der Lüge hier vermeiden.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Der ÖPNV zahlt den halben Satz
und die Bahn hat so billig wie nie ihren Strom eingekauft.
Wenn wir über die Arbeitsplätze reden, die bei einer
Abschaffung der Ökosteuer verloren gehen würden, bitte
ich Sie einmal um etwas Nachdenklichkeit.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich diese Debatte hier
verfolgt habe, habe ich den Eindruck, dass die Vertreter
der Regierungskoalition nichts, aber auch gar nichts aus
den zurückliegenden Monaten gelernt haben.
({0})
Die ökologische Steuerreform war von Anfang an eine
Mogelpackung. Jetzt sind Sie enttäuscht, weil die Menschen dies im Zusammenhang mit den Mineralölpreisen
spüren. Aber es kommt noch dicker: Die Menschen
spüren es auch dann, wenn sie ihre Mietnebenkostenabrechnungen erhalten.
({1})
Mit einem möchte ich aufräumen: Glauben Sie denn
wirklich, dass die Ölförderländer nicht merken, dass die
rot-grüne Bundesregierung in der Mineralölsteuer einen
Goldesel in Form einer systematischen Steigerung der Besteuerung sieht?
({2})
Glauben Sie das wirklich? Wenn Sie das glauben, dann
sind Sie auf der falschen Ebene.
Das Ganze verkauft die Bundesregierung unter dem
Deckmantel Öko. Damit möchte ich mich nun ein bisschen befassen. In der entsprechenden Gesetzesbegründung geht es schon los: Da heißt es, man wolle den
Energieverbrauch verteuern und den Faktor Arbeit entlasten. Das ist die Grundphilosophie. Von Öko kein Wort!
Der finanzpolitische Grundwiderspruch zwischen dauerhafter Einnahmeerzielung und ökologischer Lenkungswirkung besteht darin, dass Einnahmeverluste vermieden
werden müssen. Sonst entsteht auf der Rentenversicherungsseite ein Finanzierungsloch. Das ist doch völlig klar.
Erfolge aus der ökologische Lenkungswirkung müssen
Sie also vermeiden, weil Sie sonst bei der Rentenversicherung ein Defizit haben.
({3})
Ich sage Ihnen: Die Ökosteuer, so wie Sie sie angelegt
haben, schadet sogar der Umweltpolitik. Ich möchte Ihnen das anhand einiger Beispiele verdeutlichen. Die Politik kann nämlich Umweltschäden nur wirksam vermeiden, wenn gleiche Umweltschäden auch gleich behandelt
werden. Unterschiedliche Zusatzbelastungen beziehe ich
im Folgenden auf die emittierte Tonne von CO2. Danach
wird nach Ihrer ersten Stufe der Ökosteuerreform die
Kohle mit 0 DM je Tonne CO2-Ausstoß belastet, Heizöl
mit 13 DM, Erdgas mit 16 DM, Diesel mit 21 DM, Benzin mit 24 DM und Strom mit 36 DM.
Wenn ich das Ganze jetzt auf das Jahr 2003 projiziere,
auf das Jahr, in dem Ihre Segnungen voll durchgeschlagen
haben, sieht das Bild bei einer Gesamtsteuerbelastung folgendermaßen aus: Die Kohle liegt wieder bei 0 DM je
Tonne CO2-Ausstoß, schweres Heizöl bei 11 DM, leichtes Heizöl bei 46 DM, Erdgas bei 34 DM, Diesel bei
347 DM, Benzin bei 549 DM und Strom bei 71 DM.
({4})
- Sie sollten in das Sachverständigengutachten des Umweltrates hineinschauen. Dort wird Ihnen dies attestiert neben ein paar Bemerkungen, die die Ökosteuer so deklarieren, dass sie schnellstmöglich und grundlegend verändert werden müsste.
Die Unterschiede, die Sie durch die unterschiedliche
Belastung je Tonne CO2-Ausstoß herbeiführen, sind
ökologisch unter gar keinen Umständen vertretbar. Es gibt
sogar eine negative Klimawirkung. Angesichts dessen,
dass wir heute Vormittag über Klimawirkungen gesprochen haben, ist festzustellen: Die rotgrüne Bundesregierung wird mit dieser Politik das CO2-Ziel von Kioto sicher
nicht erreichen.
Die Ökosteuer garantiert keine Ausrichtung an den
Umweltwirkungen der Primärenergieträger. Zum Beispiel
aus Öl und Gas produzierter Strom wird - abgesehen von
ein paar Ausnahmen - zusätzlich belastet, während
Kohle, die eine wesentlich höhere Emissionswirkung hat,
keine zusätzliche Besteuerung erfährt. Kohle zur Wärmeerzeugung ist die emissionsintensivste Alternative;
aber sie ist nicht mit einer Steuer gesegnet. Das ist Ihre Politik in Richtung Ökologie.
Durch einen nationalen Alleingang dieser Bundesregierung wurden die Chancen für eine verbesserte EUweite Abstimmung der Umweltschutzauflagen deutlich
verschlechtert. Die Bundesregierung konnte in der Zeit
ihrer Ratspräsidentschaft auf diesem Sektor nichts bewegen.
({5})
Das ist eine Politik, über die sich unsere Bürger zu Recht
ärgern. Wenn Sie Verbindung zu denjenigen haben, die
durch diese Ökosteuer geschädigt werden, dann verstehen
Sie sicher auch, was geäußert wird.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich möchte zum
Schluss kommen und Ihnen mit auf den Weg geben: Mit
der Politik, die Sie hier betreiben, nämlich mit den Segnungen wirtschaftspolitischer Natur nach Loske - je mehr
Steuern, desto mehr Arbeitsplätze, was heißen würde: je
höher die Staatsquote, desto mehr Arbeitsplätze -, geben
Sie sich der Lächerlichkeit preis. Sie betreiben eine Politik gegen die Menschen in Deutschland.
({0})
Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege
Michael Müller von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist schon möglich, dass man zur Frage einer ökologischen Steuerreform
unterschiedliche Meinungen vertritt. Die, die jetzt auf
einmal völlig anders reden als früher, müssen sich allerdings auch Ihre eigenen Programme vorhalten lassen.
({0})
Das ist absolut legitim. Der Tatbestand ist, dass alle früheren Regierungsfraktionen in ihren Parteiprogrammen
stets eine ökologische Steuerreform vertreten haben.
Eine andere Meinung gestehe ich Ihnen durchaus zu;
({1})
schlimm ist nur, dass Sie ein zentrales Zukunftsthema zur
populistischen Schlammschlacht machen. Genau das geht
aber nicht.
({2})
Da müssen wir massiv fragen: Was ist das für eine
CDU/CSU? Es ist eine schreckliche Abwärtsbewegung
zu sehen: von der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft über die Inder-Kampagne bis zur ÖkosteuerKampagne. Wo ist eigentlich noch Ihre inhaltliche Substanz?
({3})
Diese Frage muss man Ihnen stellen.
Es geht hier doch nicht um eine Kleinigkeit. Es geht
hier um die zentrale Frage: Wie können die Menschen in
der Zukunft leben? Was tun wir zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen?
({4})
Es ist völlig richtig: Die ökologische Steuerreform allein
kann dieses Ziel nicht erreichen. Aber genauso richtig ist
es: Ohne ökologische Steuerreform geht es nicht. Das ist
doch der eigentliche Punkt.
({5})
Deshalb kommen Sie an dieser Frage nicht vorbei.
({6})
Es ist wirklich interessant, was Sie hier sagen. Ich rate
Ihnen, die Beschlüsse dieses Hauses zu lesen. Auch in
Ihren früheren Koalitionsvereinbarungen haben Sie alle
noch von der Energiesteuer geredet. Sie müssen einmal
nachlesen, was Sie damals beschlossen haben. Tun Sie
doch jetzt nicht so, als sei das alles nicht wahr. Gott sei
Dank gibt es Archive und Menschen, die etwas behalten.
Aber wir bleiben bei dem zentralen Punkt. Sie kommen
an dem Tatbestand einfach nicht vorbei, dass es nicht geht,
sonntags über den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu reden und werktags das Gegenteil zu tun. Das geht
nicht. Das lassen wir nicht zu.
({7})
Die Ökosteuer ist nicht Willkür. Sie ist eine zentrale
Zukunftsfrage. Über die Ausgestaltung können wir in jedem einzelnen Punkt reden.
({8})
Fairerweise muss man dann natürlich auch die rechtlichen
Rahmenbedingungen nennen. Natürlich hätten wir die regenerativen Energien gerne von der Ökosteuer befreit,
wenn es europarechtlich gegangen wäre. Was reden Sie
denn? Natürlich wären wir gerne bereit gewesen, eine
Primärenergiesteuer zu erheben. Aber wie wollen Sie das
bei den heutigen offenen Märkten noch machen? Nun reden Sie doch nicht einfach ins Blaue, sondern bleiben Sie
bitte bei den realen Bedingungen, unter denen wir arbeiten.
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben vor einigen Jahren eine massive Diskussion darüber gehabt, dass die
deutsche Wettbewerbsfähigkeit durch die hohen Lohnnebenkosten gefährdet ist. Jetzt senken wir die Lohnnebenkosten über die Ökosteuer und es ist auch nicht recht. Ich
muss Ihnen eines sagen: Wer von Nachhaltigkeit und vom
Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen redet, der muss
wissen, dass es das nicht zum Nulltarif gibt. Verantwortliche Politik zeichnet sich dadurch aus, glaubwürdig zu
Positionen zu stehen. Wer sich hier wie die Fahne im
Wind verhält, ist auch bei den Bürgern nicht glaubwürdig.
Man muss auch in schwierigen Situationen zu seinen Aussagen stehen können.
({10})
- Herr Protzner, warum sagen Sie denn beispielsweise
nicht, dass auch die CSU für eine Kerosinabgabe ist?
Warum sagen Sie das hier eigentlich nicht? Warum stellen
Sie sich hier so hin, als ob Sie der Supermann wären?
({11})
- Warum sagen Sie denn beispielsweise nicht, Frau
Homburger, dass in Ihrem Programm die Ökosteuer
stand? Warum sagen Sie nicht, dass sogar Herr Rexrodt in
der Vergangenheit für einen nationalen Alleingang war?
Warum sagen Sie das denn nicht? Ich weiß ganz genau,
warum Sie es nicht sagen: weil Sie nämlich inhaltlich so
ausgedünnt sind, dass Sie nur noch über Stimmungen Politik machen können. Genau das ist der Kern, um den es
hier geht. Das machen wir nicht mit.
({12})
Das Schlimme an der Diskussion ist aber etwas anderes: Durch die Verengung der Diskussion auf die Ökosteuer werden die eigentlichen Probleme, die wir auf den
Energiemärkten haben, nicht mehr gesehen. Das ist das
eigentliche Problem. Was ist denn der Kern der Ökosteuer? Die Ökosteuer soll höhere Effizienz, Energieeinsparungen, höhere Wirkungsgrade und Ähnliches fördern.
Dies wird zur zentralen Aufgabe der nächsten Jahre. Wir
dürfen nicht übersehen: Die OPEC-Länder haben den
Preishebel auf den Ölmärkten wieder in der Hand.
({13})
- Den haben sie schon länger in der Hand. Reden Sie doch
nicht so einen horrenden Unsinn! Das ist unverantwortlicher Mist.
({14})
Wir müssen doch sehen, dass in vielen Bereichen möglicherweise eine ähnlich gefährliche Entwicklung wie in
den 70er-Jahren auf uns zukommt. Hier ist eine verantwortliche Politik gefragt, die frühzeitig reagiert und nicht
erst alles hinnimmt. Deshalb werden wir den Kurs der
ökologischen Modernisierung gehen; denn das gebietet
die ökonomische wie ökologische Vernunft.
({15})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 8. Juni 2000, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.