Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/18/2000

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Steuersenkungsgesetz, das wir heute hier verabschieden werden, ist der Ausdruck einer verantwortungsvollen und zukunftsweisenden Steuerpolitik. Wir sollten alle daran mitwirken, dass es am 1. Januar 2001 in Kraft treten kann; ({0}) denn die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft brauchen Klarheit über die Rahmenbedingungen für die nächsten Jahre. Sie müssen wissen, wo es langgeht. Das Steuersenkungsgesetz ist der Höhepunkt der bisherigen steuerpolitischen Reformvorhaben dieser Bundesregierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit. ({1}) - Herr Repnik, das Steuersenkungsgesetz ist ein Steuerentlastungsgesetz für alle Steuerpflichtigen, nicht nur für eine bestimmte Klientel. ({2}) - Sie machen mich ja jetzt richtig wach. - Es entlastet Private und die Wirtschaft. Das Steuersenkungsgesetz ist aber vor allem ein Gesetz für den Mittelstand. ({3}) Das Steuersenkungsgesetz wird einen wichtigen Beitrag zum Aufschwung und damit zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten. Wir werden die Arbeitslosigkeit Schritt für Schritt zurückführen. Dabei hilft uns auch dieses Steuersenkungsgesetz. ({4}) Weil es nicht nur auf die Steuern ankommt, müssen viele andere Maßnahmen wie die Qualifizierung, die Neugründung von Unternehmen und auch die Rundumerneuerung des traditionellen Mittelstandes hinzukommen. Es darf nicht nur die „new economy“, sondern es muss auch die „old economy“ in den Blick genommen werden. Die Bedingungen für Angebot und Nachfrage müssen verbessert werden. Die Vielfalt bringt es, nicht die Einfalt ideologischer Betrachtung, die sich auf den Spitzensteuersatz konzentriert. ({5}) Durch die Steuerpolitik der Koalition werden die Steuerzahler im Zeitraum von 1998 bis 2005 um rund 75 Milliarden DM entlastet. Davon entfallen auf Private rund 55 Milliarden DM und auf den Mittelstand rund 20 Milliarden DM. Die Wahrheit ist nämlich, meine Damen und Herren: Wir hatten in der Ära Kohl/Waigel eine Schieflage zwischen kleinen und mittleren Betrieben einerseits sowie größeren Unternehmen andererseits. Wir sind Präsident Wolfgang Thierse dabei, diese Schieflage zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen zu korrigieren. Das machen wir mithilfe dieses Steuersenkungsgesetzes. ({6}) Allein das heute zu verabschiedende Gesetz hat ein Entlastungsvolumen in Höhe von rund 45 Milliarden DM. Der Mittelstand profitiert davon mit rund 14 Milliarden DM. Diese Zahlen sprechen für sich und widerlegen die abwegigen Behauptungen der Opposition, wir würden eine mittelstandsfeindliche Politik machen. Richtig ist dagegen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen durch das Steuersenkungsgesetz massiv entlastet werden. ({7}) Das wäre aber nicht der Fall, wenn man - wie das die Opposition macht - seine ganze Kraft allein auf die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent konzentrieren würde. Den Spitzensteuersatz erreichen die meisten Mittelständler in Deutschland nämlich überhaupt nicht. ({8}) Der größte Teil wäre froh, wenn seine Einkünfte so hoch wären, dass er den Spitzensteuersatz zahlen müsste. Was ist das eigentlich für eine Volkspartei CDU/CSU, die die Höhe des Spitzensteuersatzes zur zentralen Frage der deutschen Innenpolitik macht? ({9}) Das zeugt von einem Realitätsverlust, denn die Realität ist eine andere: Rund zwei Drittel der deutschen Personenunternehmen zahlen keine Gewerbesteuer, das heißt, dass ihr Gewinn unter der Freibetragsgrenze in Höhe von 48 000 DM liegt. Ich frage Sie: Was nützt in diesen Fällen eine Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer? Ein noch niedrigerer Spitzensteuersatz nützt Privaten mit hohen und höchsten Einkommen, aber nicht den Unternehmen. Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie die Leute nicht hinters Licht führen. ({10}) Das Gros der Unternehmen, also die nicht gewerbesteuerpflichtigen Unternehmen, können deshalb nur durch eine Senkung im unteren Bereich der Einkommensteuer entlastet werden, und genau das tun wir schwerpunktmäßig mit dem Steuersenkungsgesetz. Das ist übrigens angesichts der Struktur, mit der wir es dort zu tun haben, für ostdeutsche Unternehmen besonders günstig. ({11}) Wir erhöhen den Grundfreibetrag bis 2005 in Stufen auf rund 15 000 bzw. 30 000 DM und senken den Eingangssteuersatz in diesem Zeitraum schrittweise auf 15 Prozent ab und - das ist besonders wichtig für die kleinen und damit die Mehrzahl der Unternehmen -: Wir ziehen die Stufe 3 des Steuerentlastungsgesetzes mit einem Gesamtentlastungsvolumen von über 27 Milliarden DM um ein Jahr auf den 1. Januar 2001 vor. ({12}) Die davon begünstigten Unternehmen können sich also schon Anfang des nächsten Jahres auf steuerliche Entlastungen freuen. Die Unternehmen, die mehr als 48 000 DM Gewinn haben und daher gewerbesteuerpflichtig sind, werden selbstverständlich auch durch die allgemeine Senkung der Einkommensteuer entlastet. Außerdem werden sie ab 2001 faktisch von der Gewerbesteuer befreit. Weil Sie so lebhaft sind, Herr Waigel: Bei Ihnen konnte man von dem, was wir heute hier beschließen, nur träumen. Das muss man doch wohl einmal deutlich feststellen. ({13}) Wer so viel steuerpolitischen Murks gemacht hat wie Sie und einen so gigantischen Schuldenberg hinterlassen hat, der sollte heute Morgen hier ganz ruhig sein. ({14}) Wir befreien diese Unternehmen also faktisch von der Gewerbesteuer. Wir erreichen das durch eine Möglichkeit zur pauschalen Verrechnung der Gewerbesteuer mit der Einkommensteuer. Die von uns gewählte Konstruktion hat den Vorteil, dass die Gewerbesteuer kein Kostenfaktor für die Betriebe mehr ist, die Gewerbesteuer aber andererseits als Hauptfinanzierungsquelle der Kommunen erhalten bleibt, und das ist wichtig. Wir wollen die Investitionsfähigkeit der Kommunen erhalten, denn das ist wichtig für Mittelstand, Handwerk und mittelständische Unternehmen. ({15}) Das ist bei den Vorschlägen der Union nicht der Fall. Ihre Vorschläge greifen in den Bestand der Gewerbesteuer ein. Das ist eine Politik, die keine Rücksicht auf die Belange unserer Städte und Gemeinden nimmt, und die machen wir nicht mit. Nicht nur den Gewerbetreibenden, auch Ärzten, Rechtsanwälten, also Freiberuflern, bieten wir schließlich an, sich wie eine Kapitalgesellschaft besteuern zu lassen. ({16}) Diese Option ist nur ein Angebot. ({17}) Das Angebot richtet sich vor allem an diejenigen, die durch eine Option ihre durchschnittliche Einkommensteuerlast senken können. Wenn die durchschnittliche Einkommensteuerbelastung höher als 38,6 Prozent liegt, dann lohnt sich rechnerisch eine Option; denn 38,6 Prozent beträgt die Durchschnittssteuerlast - Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer - von Kapitalgesellschaften. Einen durchschnittlichen Steuersatz von 38,6 Prozent erreicht ein Personenunternehmen aber erst bei einem zu versteuernden Einkommen von 200 000 DM bzw. 400 000 DM. Das heißt, 95 Prozent aller Steuerpflichtigen haben Einkünfte von unter 250 000 DM. Für diese aber ist die Gleichbehandlung mit Körperschaften, also eine Option, kein Thema. Es wäre aber verantwortungslos, wenn die Opposition mit einer Fundamentalablehnung des Optionsmodells ({18}) diejenigen 5 Prozent, die durch eine Option steuerliche Vorteile haben, brüskieren würde. Wir halten jedenfalls an diesem Modell auch im Vermittlungsverfahren fest; denn wir wollen eine Steuerreform, die alle entlastet, kleine, mittlere und große Unternehmen. ({19}) Sie sind übrigens gut beraten, das Steuersenkungsgesetz nicht abzulehnen, denn außer Ihren ideologischen Vorurteilen haben Sie gar keinen Grund dafür. ({20}) Ich habe nachgewiesen, dass der Vorwurf falsch ist, das Gesetz benachteilige den Mittelstand. Dass das Gesetz auch Großunternehmen begünstigt, werfen Sie uns ja fast schon vor, und dass wir Private mit einem Volumen von über 23 Milliarden DM entlasten und damit die im Steuerentlastungsgesetz begonnene Trendwende für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fortsetzen, kann ja auch wohl von Ihnen nicht ernsthaft kritisiert werden, meine Damen und Herren. ({21}) - Das wird von Ihnen überhaupt nicht zu bestreiten sein, Herr Thiele, obwohl Sie bekanntermaßen sehr kunstreich im Verbiegen der Wahrheit sind. ({22}) Der Oppositionsführer hat am Donnerstag letzter Woche anlässlich der Debatte zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers wieder einmal erfolglos versucht, mit Halbwahrheiten von der erfolgreichen Politik der Koalition abzulenken. Friedrich Merz hat erstens gesagt, dass in Verantwortung dieser Bundesregierung im Laufe des Jahres 1999 die Steuer- und Abgabenbelastung auf einen neuen Höchststand gestiegen ist. Richtig ist: Die Regierung Kohl ist im September 1998 abgewählt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt, also bis 1999, ist sie aber auch noch für die rechtlichen Rahmenbedingungen verantwortlich, die zu dem von Herrn Merz zitierten Höchststand der Belastung geführt haben. ({23}) Es gehört schon viel Unverfrorenheit dazu, einer Regierung, die nach 16 Jahren Opposition ({24}) erst Ende 1998 die Regierung übernommen hat, die volle Verantwortung für Abgaben- und Steuerbelastungsquoten im Jahre 1999 zuzuschieben. ({25}) - Die deutsche Einheit hat nichts damit zu tun, dass man mit Zahlen nicht manipulieren soll, wie das Herr Merz getan hat. Was hat das mit der deutschen Einheit zu tun? ({26}) Zweitens - und das ist noch gewichtiger - hat Herr Merz verschwiegen, dass ab dem Jahre 2000 sowohl die Staatsquote als auch die Steuer- und Abgabenlast wieder sinkt, und zwar stetig und nachhaltig. Alle Berechnungen und Prognosen zeigen das. Das Sinken der Staatsverschuldung und der Abgabenquote, Herr Merz, ist die Folge der von uns zu verantwortenden Politik. Dafür sind wir dann in der Tat verantwortlich. ({27}) Unsere Steuerpolitik beginnt, Früchte zu tragen. Wenn der neue stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU, Rauen, Ende April die Menschen Glauben machen wollte, die vom Finanzministerium errechneten Entlastungen für Arbeitnehmer und Mittelstand seien nur vorgegaukelt und damit falsch, so hat auch er manipuliert. Herr Rauen hat künftige Lohnsteigerungen in eine Beispielsrechnung einbezogen, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass die Steuerlast der Betroffenen entgegen den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums überhaupt nicht sinkt. Herr Rauen vergleicht aber nicht die Steuerlast auf ein gleich hohes Einkommen im Jahre 2000 und im Jahre 2005. Das allein wäre aber der Maßstab für einen seriösen Vergleich. Herr Rauen wirft uns also vor, dass ein Arbeitnehmer, der heute zum Beispiel 50 000 DM verdient und in fünf Jahren aufgrund von Lohnsteigerungen mehrere tausend DM mehr verdient, im Jahr 2005 die gleichen Steuern zahlt wie heute. Mit diesem Vorwurf können wir gut leben, Herr Rauen. ({28}) Die entscheidende Frage ist doch, was der betroffene Arbeitnehmer im Jahre 2005 ohne unsere Steuersenkung zahlen müsste. Weil Sie keine Argumente haben, greifen Sie zu solchen Tricks, um die Bevölkerung zu verunsichern. Das ist nicht nur unseriös, das zeigt Ihre ganze Hilflosigkeit. ({29}) Unseriös ist auch Ihr Gesamtkonzept, das zustande gekommen ist, weil der bayerische Professor Faltlhauser Herrn Merz, den Sauerländer - nichts gegen Sauerländer; ich schätze sie ansonsten sehr -, über den Tisch gezogen hat. ({30}) - Auch nach dem 14. Mai. Im Sauerland haben wir für unsere Verhältnisse ganz gut abgeschnitten, falls Sie sich Sorgen machen, Herr Thiele. ({31}) Die von Ihnen veranschlagten Steuerausfälle in Höhe von 50,5 Milliarden DM bis 2003 nimmt Ihnen keiner ab. ({32}) Allein der von Ihnen vorgeschlagene Einkommensteuertarif für 2003 würde nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums gegenüber dem geltenden Recht zu Steuerausfällen in der Größenordnung von 76,5 Milliarden DM führen. Das ist die ganze Wahrheit. Sie wissen, dass das nicht zu finanzieren ist. Sie arbeiten an einem steuerpolitischen Wolkenkuckucksheim. Kehren Sie mal zur Realität der harten Zahlen zurück! ({33}) Versuchen Sie nicht nur, mit der Schokoladenseite schöner Steuertarife eine Welt vorzugaukeln, in der wir nicht leben! ({34}) Ihre Vorschläge zur Gegenfinanzierung sind ebenfalls nicht seriös. Sie schimpfen über maßvolle Steigerungen bei der Mineralölsteuer, wollen den Autofahrern aber die Kilometerpauschale für die ersten 15 Entfernungskilometer ganz und darüber hinaus teilweise streichen, ({35}) wohl wissend, dass die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei der Mehrzahl der Pendler weniger als 15 Kilometer beträgt. Das ist Ihre Politik: Steuerentlastung für Spitzenverdiener, Steuererhöhung für Arbeitnehmer durch die Hintertür. Wir haben einen anderen Ansatz, den wir heute durchsetzen werden. Wir betreiben Steuerpolitik auf der Basis seriöser Berechnungen. ({36}) Daran ändert auch die heutige Steuerschätzung nichts, die nur geltendes Recht berücksichtigt. Die Steuermindereinnahmen, die durch das Steuersenkungsgesetz verursacht werden, und die Steuerausfälle, die es im Jahr 2002 durch den Familienleistungsausgleich und durch die Neuregelung der Besteuerung der Altersvorsorge - um nur einige Punkte zu nennen - noch geben wird, dürfen nicht vergessen werden. Die Einnahmen aus der Ökosteuer werden zur Senkung des Rentenbeitrags genutzt. Auch dadurch werden die Steuerzahler entlastet. Wer jetzt trotzdem aufgrund der positiven Schätzwerte wieder reflexartig - wie zum Beispiel Herr Thiele - weitere Steuersenkungen fordert, der lässt die finanzpolitischen Zusammenhänge von Haushaltsfinanzierung und Kreditaufnahme außer Acht. ({37}) Wer im Übrigen wie CDU/CSU und F.D.P. eine so gigantische Staatsverschuldung hinterlassen hat, sollte sich mit solchen Vorschlägen zurückhalten, die Mehrausgaben oder einen weiteren Einnahmeverzicht bedeuten. Er sollte schweigen, wenn er aus der Vergangenheit, so wie Sie, Herr Waigel, offenkundig nichts gelernt hat. ({38}) Wir können die Steuern auch dann nicht erhöhen, wenn die Schätzungen einmal nach unten tendieren. Deshalb ist der Vorwurf, die positiven Schätzzahlen belegten, dass wir die Steuern nicht senkten, sondern erhöhten, nichts als dummes Geschwätz. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition halten unbeirrt an einem politischen Ziel fest, nämlich auf seriöse Art und Weise Haushaltskonsolidierung und Senkung von Steuern und Abgaben gleichzeitig zu erreichen. Diese Strategie wurde im Frühjahrsgutachten hoch gelobt und zeigt zunehmend Wirkung: Die Arbeitslosenzahl sinkt stetig. Das Wirtschaftswachstum gewinnt an Dynamik. Einzig und allein eine solide Haushaltswirtschaft ermöglicht uns mittel- und langfristig massive Steuerentlastungen mit Konjunktur stimulierender Wirkung. Steuerentlastungen auf Pump haben den gegenteiligen Effekt und sind vor den nachkommenden Generationen nicht verantwortbar; denn Steuersenkungen auf Pump sind die Steuererhöhungen der Zukunft. Das ist mit uns nicht zu machen. ({39}) Das Markenzeichen dieser Koalition - das ärgert Sie; das merkt man auch heute Morgen wieder ({40}) ist eine nachhaltige Finanzpolitik der ruhigen Hand und nicht eine verantwortungslose Finanzpolitik der leichten Hand, für die Sie gestanden haben. Die Menschen wissen inzwischen, auf wen sie sich verlassen können. ({41})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Poß, es ist wahr: Wir brauchen dringend eine durchgreifende große SteuerJoachim Poß strukturreform. Darüber sind wir uns einig. Aber damit sind unsere Gemeinsamkeiten angesichts dessen, was Sie eben ausgeführt haben, auch schon weitestgehend erschöpft. ({0}) Mir ist aufgefallen, dass Sie erstaunlich lange über den Mittelstand gesprochen haben. Ich werde dies ebenfalls tun. Nur, im Gegensatz zu Ihnen verstehe ich etwas davon. ({1}) Mir ist auch aufgefallen, dass Sie praktisch überhaupt nicht über die Entlastung der Arbeitnehmer durch die geplante Steuerreform gesprochen haben. ({2}) Die größte Steuerreform aller Zeiten, wie Sie sie nennen, mit einer angeblichen Entlastung von 74,6 Milliarden DM ist in großen Teilen ein steuertechnischer Trick und der untaugliche Versuch, die Steuerzahler zu täuschen. In Ihrem Zahlenspiegel listen Sie Preise, Löhne und Gehälter von 1998 und 1999 sowie die Einkommensteuertarife auf, die in den Jahren 1999, 2001, 2003 und am Sankt-Nimmerleins-Tag 2005 in Kraft treten. Sie unterschlagen in Ihren Berechnungen, dass in diesen sieben endlosen Jahren, die Ihr Reformpaket benötigt, bis auch seine letzte Stufe in Kraft getreten ist, die Inflation gestiegen sein wird, dass Löhne und Gehälter gestiegen sein werden und dass dadurch die Grenz- und Durchschnittssteuerbelastung der Arbeitnehmer und der Unternehmer stetig gestiegen sein werden. ({3}) Herr Poß, dass Sie meine Berechnungen angezweifelt haben, zeigt mir, dass Sie immer noch nicht kapiert haben, dass es nicht einen anonymen Arbeitnehmer gibt, der in den nächsten fünf, sechs oder sieben Jahren das gleiche Gehalt erhält. Er hat Lohnsteigerungen und kommt ständig in eine höhere Progression. ({4}) - Herr Poß, die Entlastungen in Höhe von 35,2 Milliarden DM durch den Tarif 2003 und 2005 werden durch die heimlichen Steuererhöhungen, das heißt durch die kalte Progression, fast vollständig aufgefressen. Im Einkommensteuertarif 2005 wird der Spitzensteuersatz bei einem zu versteuernden Einkommen von 98 000 DM erreicht. ({5}) Ein großer Teil der deutschen Facharbeiter in der Steuerklasse I kommt in die Nähe des Spitzensteuersatzes bzw. erreicht diesen. Von 1 DM Lohnerhöhung kassieren dann der Fiskus 45 Pfennig und die Sozialversicherungskassen 21 Pfennig, sofern die Beiträge bis dahin stabil bleiben. Das heißt, von 1 DM Lohnerhöhung bleiben dem Arbeitnehmer dann noch ganze 34 Pfennig. Das ist gerade ein Viertel der Kosten, die sein Arbeitgeber aus dieser D-Mark Lohnerhöhung hat. Wer vor diesem Hintergrund glaubt, dass diese Reformschritte wachstums- und beschäftigungsfreundlich sind und dass damit die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb sowie im Kampf gegen die Schwarzarbeit bestehen kann, ist ein hoffnungsloser Träumer. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Rauen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rauen, würden Sie auch gegenüber der Öffentlichkeit bestätigen, dass das Problem der so genannten heimlichen Steuererhöhungen, das Sie hier beschrieben haben, bei einem progressiven Tarif immer gegeben ist und dass nach der Verabschiedung des Steuersenkungsgesetzes bei den von Ihnen genannten Beispielfällen den Arbeitnehmern auch bei gestiegenem Einkommen im Jahre 2005 viel mehr in der Lohntüte bleibt - auch wenn wir alle Beispielfälle durchrechnen -, sodass ihre Durchschnittssteuerbelastung und ihre Grenzsteuerbelastung im Jahre 2005 noch deutlich niedriger sind als im Jahre 2000? ({0})

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Poß, ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar. Ich bestätige Ihnen gerne, dass es die heimlichen Steuererhöhungen immer gegeben hat und dass alle Finanzminister - auch unserer Regierung bei diesen Berechnungen diese kalte Progression verschwiegen haben. ({0}) Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied, Herr Poß: Vor 1950 wurde der Spitzensteuersatz erst beim 12,5-fachen und vor zehn Jahren beim 3,5-fachen der durchschnittlichen Erwerbseinkommen erreicht. ({1}) Falls Ihre Reform umgesetzt wird, wird der Spitzensteuersatz bereits beim 1,2-fachen des durchschnittlichen Einkommens erreicht. ({2}) Der steile Progressionsverlauf trifft dann die Leute immer stärker. Das ist die Wahrheit! Wer einen solchen Tarifverlauf will, provoziert im Kern, dass die heimlichen Steuererhöhungen immer stärker zunehmen. Das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen. ({3}) Die Behauptung, die Arbeitnehmer hätten nach Ihrem Tarif mehr in der Tasche, ist wirklich blanker Unfug. Ich habe Gott sei Dank noch die Fähigkeit, eine simple Lohnabrechnung zu verstehen; diese Fähigkeit haben Sie offenbar nicht mehr. ({4}) Ich verstehe ja Ihre Unruhe. Ihre Berechnungen sind falsch und irreführend und sie werden auch durch ständiges Wiederholen nicht besser. Ich brauche für meine Ausführungen nicht die makroökonomischen Daten des Finanzministeriums. Mir reichten die Steuertabelle, die Sie dankenswerterweise den Gesetzentwürfen beigeheftet haben, und die simple Kenntnis einer Lohnabrechnung. Ich wiederhole es: Ein Facharbeiter in der Steuerklasse I, der im Jahr 2001 ein Jahreseinkommen von 70 000 DM zu versteuern hat, wird feststellen, dass sein Durchschnittssteuersatz von 23,81 Prozent nach dem Tarif 2001 auf 24,15 Prozent nach dem Tarif 2005 ansteigen wird und dass er - unterstellt, er hat in fünf Jahren nur jeweils 2,5 Prozent Lohnerhöhung - in den fünf Jahren 2 490 Mark mehr Steuern bezahlen wird, als er nach dem Tarif 2001 bezahlen müsste. ({5}) Ich will noch ein weiteres Beispiel anführen: Wenn dieser Facharbeiter verheiratet ist und seine Ehefrau 3 300 Mark verdient - das Einkommen also nach der Splitting-Tabelle besteuert wird -, steigt sein Durchschnittssteuersatz im Jahr 2005 gegenüber 2001 von 20,49 Prozent auf 20,64 Prozent und damit seine Steuerzahlung um 3 132 DM. Ich will die Beispiele aus der Steuertabelle komplettieren, Herr Eichel, damit Sie sehen, dass ich auch das anrechne, was Ihnen zugute gehalten werden kann: Nur wenn die-ser Facharbeiter Alleinverdiener mit Steuerklasse 3 ist, dann sinken sein Durchschnittssteuersatz von 14,78 auf 14,58 Prozent und seine Steuerzahlung pro Jahr um 1 200 DM. Meine Damen und Herren, bei einem Einkommensteuertarif nach unserem Gesetzentwurf hat der ledige Facharbeiter mit einem zu versteuernden Jahreslohn von 70 000 DM in den Jahren 2001 und 2002 monatlich 86 DM mehr, in den Jahren 2003 und 2004 monatlich 255 DM mehr und selbst im Jahre 2005 gegenüber Ihrem glorreichen Tarif monatlich 229 DM mehr. Um diese Nettolohnerhöhung ohne unseren Einkommensteuertarif zu erzielen, müsste dieser Facharbeiter in den Jahren 2003, 2004 und 2005 jährlich eine Lohnerhöhung von 11 bis 12 Prozent bekommen. Damit wird deutlich, welch enorme Spielräume auch die Tarifpartner durch eine endlich durchgreifende Tarifreform bekämen. ({6}) Meine Damen und Herren, wenn am Ende der Rentenkonsensgespräche feststehen wird, dass es zukünftig ohne kapitalgedeckte Eigenvorsorge nicht gehen wird, dann muss auch von hier die Frage erlaubt sein, wovon denn die Arbeitnehmer die Beiträge zur Finanzierung dieser kapitalgedeckten Eigenvorsorge bezahlen sollen. ({7}) Ich weiß, dass die Regierung diese nackten Wahrheiten einer simplen Lohnabrechnung nicht gerne hört. Aber vielleicht machen sie doch den einen oder anderen von Ihnen, der aus dem Gewerkschaftslager kommt, nachdenklich. Jedenfalls kann ich jetzt gut verstehen, dass die Bundesregierung plant, die amtlichen Steuertabellen abzuschaffen. Herr Finanzminister Eichel, Sie wollen in Wahrheit überhaupt nicht die Staatsquote senken, weil Sie offenbar nicht bereit sind, über den Einkommensteuertarif Arbeitnehmer, Unternehmer und Unternehmen zu entlasten. Es ist bezeichnend, dass im ersten vollen Jahr der Schröder-Regierung, 1999, die Staatsquote um einen vollen Prozentpunkt und die Steuer- und Abgabenquote auf die Rekordhöhe von 43,7 Prozent gestiegen sind. ({8}) Sie befinden sich jedoch in guter Tradition mit den Vorvorgängern in den 70-er Jahren, Herr Eichel. Von 1969 bis 1983 stieg die Staatsquote in Deutschland von 39 auf 51 Prozent. ({9}) Sie sind offenbar wie Ihre Vorvorgänger der Auffassung, dass im Zweifelsfall der Staat besser weiß, was für den Einzelnen gut ist, als der Einzelne selbst. Mehr Beschäftigung in Deutschland werden wir aber nur bekommen, wenn den arbeitenden Menschen mehr Geld zur eigenen Entscheidung verbleibt, wie es in der ersten Hälfte der Regierungszeit unter Helmut Kohl war, als die Staatsquote um 5 Prozent sank und von 1983 bis zur deutschen Wiedervereinigung in den alten Bundesländern 3 Millionen zusätzliche steuer- und versicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden sind. ({10}) Aber auch mit der Unternehmensteuerreform stehen Sie, Herr Eichel, in guter Tradition mit Ihrem direkten Vorgänger Lafontaine. Seine ideologisch belasteten Vorstellungen wollen Sie jetzt umsetzen. Ich sage bewusst „wollen“, weil die Union in großer Einigkeit in Bund und Ländern dies im Bundesrat nicht mitmachen wird. ({11}) Sie wollen Unternehmen entlasten, nicht aber die Unternehmer. Sie wollen Gewinne, die im Betrieb verbleiben, in der Annahme begünstigen, dass dadurch mehr Arbeitsplätze geschaffen würden. Damit maßen Sie sich genau wie Lafontaine an, selektiv zu entscheiden, was gute und schlechte Einkommen sind. Ich empfehle Ihnen, Herr Eichel, die Berechnungen der Deutschen Bundesbank über die Vermögensbildung und die daraus abgeleiteten Investitionen der deutschen Wirtschaft im Jahre 1998 nachzulesen. Ich möchte Sie jetzt mit diesen Zahlen nicht beschäftigen; sie waren gestern auch im „Handelsblatt“ nachzulesen. Ich gehe jedoch davon aus, Herr Eichel, dass Sie Ihrem ehemaligen Finanzminister und heutigem Bundesbankpräsidenten noch glauben. Die Schlussfolgerung aus diesem Bericht der Deutschen Bundesbank ist eindeutig: Wer Investitionen und damit Arbeitsplätze fördern will, darf sich mit der steuerlichen Förderung nicht auf unternehmensinterne Ersparnisse beschränken. Die Fremdfinanzierung über den Kapitalmarkt muss ebenfalls durch eine Senkung der Steuerlast auf Ersparnisse gefördert werden. Das gilt besonders für den Mittelstand, der die Arbeitsplätze schafft und leider im Vergleich zu Unternehmen, die Kapital auf dem Parkett der Börsen beschaffen können, eine sehr schwache Eigenkapitalquote hat und auf Fremdfinanzierung angewiesen ist. Sparen können die Leute aber nur, wenn ihnen von ihrem schönen Bruttolohn bzw. -gehalt und ihrem Gewinn netto nach Steuern wieder mehr in der Tasche verbleibt. ({12}) Ich halte es, mit Verlaub gesagt, für blanken Unfug und für volkswirtschaftlich äußerst bedenklich, wenn in einer Zeit, in der sich Wissen alle fünf Jahre verdoppelt und Schnelligkeit entscheidet, wer in Zukunft die Märkte beherrscht, Kapital in bestehende Strukturen eingemauert wird. ({13}) Bei der Unternehmensteuerreform berufen Sie sich auf die Zustimmung der Wirtschaftsverbände. Denjenigen, die nicht zustimmen und Beifall klatschen, wie dem Zentralverband des Deutschen Handwerks, ({14}) der mit 7 Millionen Arbeitnehmern immer noch mehr Mitarbeiter hat, als in der Industrie beschäftigt sind, haben Sie den Krieg erklärt. ({15}) Ich kann das ursprüngliche Verhalten der Verbände gut verstehen. Nachdem 1997 die große Steuerreform in einer unverantwortlichen Art und Weise aus rein machtpolitischen Gründen ({16}) von Lafontaine verhindert wurde, die Unternehmen von Ihrer Regierung in den Jahren 1999 und 2000 nur belastet wurden ({17}) und die Unternehmensteuerreform ohnehin erst ein Jahr später kommt als versprochen, sind die Verbände froh, dass überhaupt etwas passiert. Ihnen ist der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach. Ich gebe zu, dass ich als Unternehmer früher genauso gedacht habe. Nur, Herr Eichel, täuschen Sie sich nicht, der Beifall ist längst verhallt. Uns gegenüber äußern die gleichen Verbände heute drei Wünsche: Erstens. Blockiert um Gottes Willen die Reform nicht! ({18}) Zweitens. Lasst für die Kapitalgesellschaften nach Möglichkeit alles so, wie im Regierungsentwurf vorgesehen! Drittens. Setzt euch in Bezug auf die Personengesellschaften mit eurem Konzept durch! Das ist zusammengenommen zwar unpolitisch, aber verständlich pragmatisch gedacht. ({19}) Meine Damen und Herren, blockieren werden wir die Reform nicht. Wir wissen allzu sehr, wie dringend notwendig sie ist, damit die größte Wirtschaftsnation in Europa wieder zum Motor für Wachstum und Beschäftigung wird, statt Schlusslicht zu bleiben, und der außenwirtschaftlich bedingte Konjunkturaufschwung durch eine bessere Binnenkonjunktur an Fahrt gewinnt. Der schwache Außenwert des Euro verbietet es jeder verantwortungsbewussten Partei in Deutschland, Reformen zu behindern. ({20}) Auch wir wollen die Kapitalgesellschaften nicht schlechter stellen als im Regierungsentwurf. Aber eines möchte ich doch sagen: Als ich davon hörte, dass der Verkauf von Kapitalbeteiligungen völlig steuerfrei gestellt würde, habe ich das zunächst nicht glauben wollen. Die begünstigten Banken, Versicherungen und Konzerne übrigens auch nicht. Ich hätte gerne das Geschrei und in diesem Hause von Gewerkschaftsvertretern gehört, wenn wir das gemacht hätten. ({21}) Zugleich sage ich als Unternehmer auch ganz deutlich: Wenn es so gelingt, die Deutschland AG endlich aufzulösen, wenn so unüberschaubares Beteiligungsgeflecht durchschaubar wird und sich die im weltweiten Wettbewerb stehenden Konzerne auf Kernbereiche konzentrieren, indem sie Beteiligungen abstoßen, die anderswo effizienter eingesetzt werden, kann man dagegen nichts haben. Nur eines geht nicht, meine Damen und Herren: Sie können nicht beim Verkauf von Kapitalbeteiligungen die Steuerbelastung von 100 Prozent auf Null zurückfahren und gleichzeitig Personengesellschaften, die genauso umstrukturieren müssen, um Zukunft zu gewinnen, mit einem lächerlichen Freibetrag von 100 000 DM abspeisen. Da brauchen wir wirklich eine Gleichheit der Kampfmittel, um Zukunft zu gewinnen. ({22}) Ich will eines ganz klar sagen, Herr Eichel: Sie sollten sich im Nachhinein schämen, dass Sie im letzten Jahr für die Mittelständler, die ihren Betrieb aus Altersgründen verkaufen und den Erlös zur Alterssicherung brauchen, die Steuerbelastung verdoppelt, also von 50 auf 100 Prozent hochgetrieben haben. Andererseits gab es Entlastungen von 100 auf 0 Prozent. So kann es einfach nicht gehen! ({23}) Die Reform, die Sie heute mit Ihrer Mehrheit beschließen werden und die wir ablehnen, ist für Personengesellschaften, für die mittelständischen Unternehmer und für Freiberufler nicht nur untauglich, nein, sie ist vor dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unabhängig von der Herkunft des Einkommens und seiner Verwendung diskriminierend. Wer den Mittelstand in Deutschland entlasten will, muss auch den Unternehmer entlasten. Das geht nur über den Einkommensteuertarif, nicht nur hinsichtlich des Spitzensteuersatzes, sondern auch hinsichtlich des Tarifverlaufs. Die obere Proportionalzone darf erst viel später erreicht werden. Um überhaupt behaupten zu können, auch den Mittelstand entlasten zu wollen, haben Sie in Ihrem Entwurf Herr Poß spricht immer sehr beredt davon - zwei Krücken eingebaut, auf die Sie sich spätestens nach der Anhörung der Sachverständigen nicht mehr stützen können. Das Optionsmodell ist untauglich ({24}) und die teilweise Anrechnung der Gewerbeertragsteuer ist verfassungsrechtlich bedenklich und für Freiberufler ohnehin völlig unwirksam. ({25}) Ich kann Ihr Gerede, dass auch der Mittelstand entlastet würde, beim besten Willen nicht mehr hören. Er wird belastet und nicht entlastet. ({26}) Diese Feststellung bleibt wahr, auch wenn Sie ständig das Gegenteil behaupten. ({27}) - Herr von Larcher, ich weiß es wirklich besser. Dass es keinen Sinn hat, mit Ihnen darüber zu streiten, wurde mir endgültig klar, als ich vor einer Woche die Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder er ist mittlerweile anwesend - hörte. Herr Schröder, Sie haben ausgeführt, dass circa 1 650 000 Betriebe einen zu versteuernden Gewinn von unter 50 000 DM und etwa 345 000 Betriebe einen Gewinn zwischen 50 000 und 100 000 DM hätten. Sie sagten ferner, dass diese Betriebe nur durch den Grundfreibetrag und durch eine Senkung des unteren Tarifverlaufs entlastet werden könnten, weil sie nicht in die Nähe des Spitzensteuersatzes kämen. Herr Bundeskanzler, Sie mögen ja Ahnung von VW und Holzmann haben, aber vom deutschen Mittelstand haben Sie keine Ahnung. ({28}) Erstens. Ihre Zahlen, die richtig sind, stammen aus der Umsatzsteuerstatistik von 1996. ({29}) Zweitens. Der Gewinn dieser Firmen wird durch die geänderten Gewinnermittlungsvorschriften und durch die verschlechterten Abschreibungsbedingungen unter Ihrer Regierung automatisch wesentlich höher belastet, erst recht, wenn noch die neuen, unerträglich verschlechterten AfA-Tabellen gelten. ({30}) Drittens. Herr Schröder, Sie unterstellen, dass ein Selbstständiger wie ein Arbeitnehmer Jahr für Jahr etwa das gleiche Einkommen hat. Ich bin 34 Jahre als Selbstständiger tätig und war mit meinem Einkommen schon in jeder Rubrik der Umsatzsteuerstatistik vertreten: schöne hohe Gewinne, schmerzliche Verluste und Jahre, in denen es gerade so aufgegangen ist. Ich habe am Jahresanfang nie gewusst, was am Jahresende herauskommt. Ich will Ihnen eines sagen - deshalb ist das Optionsmodell so völlig untauglich -: In guten Jahren rechnet es sich; in schlechten Jahren schießt man sich damit selbst ins Knie, ({31}) ganz zu schweigen von dem Problem der Auflösung stiller Reserven und den verschlechterten Bedingungen im Erbfall. Viertens. Die Anpassung des Grundfreibetrages - Herr Poß, Sie haben das heute ebenfalls gesagt - gemäß Inflationsrate und damit Freistellung des Existenzminimums hat Verfassungsrang und gilt für jedermann. Das hat also mit einer Sonderregelung für den Mittelstand überhaupt nichts zu tun. ({32}) Fünftens. Herr Schröder, glauben Sie wirklich, dass 1,7 Millionen Mittelständler und ihre Familien mit einem Gewinn unter 50 000 DM auf Dauer die Belastung und das Risiko der Selbstständigkeit tragen können? Wenn das wirklich so wäre, dann hätten unsere Sozial-ämter noch viel mehr Kunden als heute. Meine Damen und Herren, wir brauchen endlich eine durchgreifende Steuerentlastung für Arbeitnehmer, für Unternehmer und für Unternehmen. ({33}) - Vielleicht können Sie eine Frage stellen, damit mir die Zeit nicht wegläuft. Ihr Zuruf zeigt: Sie haben beim Schwarzgeld immer noch nichts verstanden. ({34}) Sie haben nicht verstanden, dass die Gewinnerwartungen eines Unternehmens Jahr für Jahr sehr unterschiedlich sind. Dieser dümmliche Zwischenruf zeigt mir, wie wenig Sie überhaupt von dieser Materie begriffen haben. ({35}) Wir brauchen eine schnelle und massive Senkung des Einkommensteuertarifs. Diese Notwendigkeit lehnen Sie ab, Herr Eichel, mit dem Argument, dies sei nicht finanzierbar. Wir von der Union finden es auch richtig, dass Sie die enormen Sondereinnahmen in diesem Jahr zur Schuldentilgung verwenden. ({36}) Sie sollen diese Sondererlöse aus der Privatisierung der Bundesunternehmen - Sie waren damals mit Herrn Schröder dagegen -, die wahrscheinlich über 100 Milliarden DM betragen werden, ruhig zur Schuldentilgung verwenden. ({37}) Wir möchten aber nicht, dass wir dieses Geld im Jahre 2002 als Konjunkturprogramm oder als Arbeitsbewirtschaftungsmaßnahmen wiedersehen ({38}) oder dass damit konsumtive Ausgaben getätigt werden. Insofern schützen wir Sie gerne vor den Begehrlichkeiten Ihrer eigenen Partei. ({39}) Aber die laufenden Steuereinnahmen rechtfertigen, ja, sie erzwingen nahezu eine durchgreifende Einkommensteuerreform; es sei denn, Sie wollen die staatliche Bevormundung der Bürger ausweiten. Sie hatten in den Jahren 1998, 1999 und 2000 einen Aufwuchs der Steuereinnahmen von über 110 Milliarden DM. Die Steuereinnahmen sind damit wesentlich deutlicher gestiegen als das Bruttoinlandsprodukt. Ich frage mich, Herr Finanzminister, wie Finanzminister Waigel in den Jahren 1995, 1996 und 1997 überhaupt zurecht kommen konnte, ({40}) als die Steuern von 814 über 800 Milliarden DM auf 796 Milliarden DM gefallen sind, wenn Sie bei dem heutigen Aufwuchs nicht in der Lage sind, eine vernünftige Einkommensteuerreform in Gang zu setzen. ({41}) Die neueste Steuerschätzung zeigt, dass 2004 die Steuereinnahmen um weitere 200 Milliarden DM über denen des laufenden Jahres liegen werden. Es ist nicht hinzunehmen, dass Sie vor diesem Hintergrund den Unternehmen und Bürgern eine wirklich wachstums- und beschäftigungsfördernde Steuerreform vorenthalten wollen. Wir werden Ihren Gesetzentwurf ablehnen und ihm im Vermittlungsausschuss unsere bessere Alternative entgegenstellen. ({42}) Wir wollen die Reform nicht blockieren, aber wir gehen mit einer Bedingung in die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss, die unser Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz bereits letzte Woche hier formuliert hat: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die unionsgeführten Bundesländer werden der Steuerreform der Regierung nur zustimmen, wenn der bewährte, wirtschaftspolitisch richtige und ordnungspolitisch gebotene Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung aller Einkunftsarten gewahrt bleibt. ({43}) Wir werden dabei darauf achten, dass im Zuge der Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich sichergestellt wird, dass auch die schwächeren Länder nicht in eine Haushaltsnotlage geraten. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung sich ab heute darauf einstellt, dass sich die Bundestagsfraktion von CDU und CSU und die von CDU und CSU geführten Bundesländer in ihrer Kernforderung auf keinen Fall im Vermittlungsausschuss auseinander dividieren lassen. Darauf sollten Sie sich einstellen. Danke schön. ({44})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Rauen, ich möchte zu drei Punkten, die Sie in den Mittelpunkt Ihrer Ausführungen gestellt haben, kurz vorab Stellung nehmen. Erstens. Nach dem Motto: „Wer im Glashaus sitzt“: Sie haben der Frage der kalten Progression eine große Bedeutung zugemessen. Das ist richtig; das ist ein Problem, mit dem alle zu kämpfen haben. Nur, der Seriosität halber ({0}) sollten Sie doch auch sagen, dass die kalte Progression nach Ihren Petersberger Beschlüssen genauso festgeschrieben worden wäre. Bei 90 000 DM wäre der Spitzensteuersatz erreicht worden. Deshalb haben Sie an diesem Punkt jegliche Legitimation verloren. ({1}) Zweitens, Herr Kollege Rauen. Ich weiß, dass Ihnen Folgendes nicht passt. Sie haben uns vorgehalten, wir wollten bezüglich der Entwicklung der Nettoeinkommen den nackten Wahrheiten nicht ins Gesicht schauen. Die nackte Tatsache ist, dass im ersten Jahr unserer Regierung, 1999, die durchschnittlichen Nettoeinkommen der Arbeitnehmer zum ersten Mal seit acht Jahren um über 3 Prozent gestiegen sind, nachdem sie in Ihrer Regierungszeit ständig stagnierten oder sogar fielen. ({2}) Drittens, Herr Kollege Rauen. Wenn Sie uns vorhalten, dass die Erhöhung des Grundfreibetrags eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit ist, ({3}) dann kann ich nur sagen: Wem hat denn das Verfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben, den Grundfreibetrag zu erhöhen? - Ihrer Regierung! ({4}) Und was haben Sie gemacht? - Sie haben den Grundfreibetrag damals hochgesetzt und das damit finanziert, dass Sie die Einkommensteuersätze erhöht haben. Das waren Ihre Taschenspielertricks! Da sind wir sehr viel seriöser. Wir lassen uns das nicht vom Verfassungsgericht ins Stammbuch schreiben, sondern wir erhöhen die Grundfreibeträge aus eigenem Antrieb, weil das nämlich die kleinen und mittleren Einkommen sowie diejenigen der Mittelständler am besten entlastet. ({5}) Mit unserem Steuersenkungsgesetz setzen wir den eingeschlagenen Kurs der Haushaltskonsolidierung und der Steuererleichterung fort. Wir verbinden mit dieser Politik finanzielle Nachhaltigkeit und Seriosität mit sozialer Fairness und ökologischer Erneuerung. ({6}) Diese drei Dinge gehören zusammen, um die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken und unser Land zukunftsfähig zu machen. Ohne finanzielle Seriosität kann der Sozialstaat nicht dauerhaft finanziert werden; ohne soziale Fairness bleibt diese Republik in der sozialen Schieflage der alten Regierung; ohne ökologische Erneuerung sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen, und wir verspielen die Chance auf neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze. ({7}) Mit dem heutigen Steuerentlastungsgesetz gehen wir einen weiteren großen Schritt hin zu weniger Steuern, zu mehr Gerechtigkeit und mehr Beschäftigung. Bereits die ersten beiden Stufen unserer Steuerreform haben, wie ich ausgeführt habe, die Privathaushalte und den Mittelstand spürbar entlastet. Statt jedes Jahr weniger haben die Menschen seit 1999 netto endlich wieder mehr in den Taschen, Herr Rauen. Das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen. ({8}) Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Rauen: Das ist für die Menschen eine völlig neue Erfahrung. Von Ihnen waren die Menschen gewohnt, dass nach Waigels Griff in die Taschen der Bürger noch nicht einmal von den stetig steigenden Bruttolöhnen etwas übrig geblieben ist. An diesem Punkt bin ich gerne ein Träumer, weil ich nach der Statistik real nachvollziehen kann, dass die Nettoeinkommen der Bürgerinnen und Bürger im Jahre 1999 nach acht Jahren zum ersten Mal gestiegen sind. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Schlauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rauen?

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Schlauch, ich wüsste gerne, von welchem Arbeitnehmer Sie sprechen. Ich denke an einen ganz normalen Maurer, der bei mir arbeitet. Nach der Reform, die 1999 gegriffen hat, hat ein normaler Maurer netto pro Monat 4,10 DM mehr. Das reicht nicht einmal aus, um die Mehrkosten beim Sprit, von denen gerade Menschen im ländlichen Raum betroffen sind, auszugleichen. Von welcher Entlastung Sie also sprechen, ist mir unerklärlich. ({0}) Herr Schlauch, ist Ihnen eventuell entgangen, dass mittlerweile im progressiven Bereich unter der Führung der Arbeiterpartei SPD ({1}) aus dem früheren Mittelstandsbauch, der unter Stoltenberg abgeschafft wurde, ein Arbeitnehmerbauch geworden ist? ({2})

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Rauen, darauf kann ich Ihnen nur antworten: ({0}) Wir haben damit begonnen, die Steuern zu senken, Schritt für Schritt. ({1}) Das führen wir heute konsequent fort. Das haben Sie 16 Jahre lang versäumt. ({2}) Ich kann Sie nur fragen: Wo leben Sie denn? In den 16 Jahren Ihrer Regierung sind die Bruttolöhne ständig gestiegen ({3}) und bei den Menschen ist davon nichts übrig geblieben. Wir setzen an diesem Punkt an und haben die Trendwende eingeleitet. ({4}) Das steuerfreie Existenzminimum - Herr Rauen, auch das kommt Ihrem Maurer unmittelbar zugute - steigern wir auf 15 000 DM. Der Eingangssteuersatz sinkt um satte 10,9 Prozentpunkte und der Spitzensteuersatz um 8 Prozentpunkte. So entlasten wir tatsächlich alle Steuerpflichtigen, und zwar die privaten Haushalte und den Mittelstand. Beide profitieren deutlich von diesen gesenkten Steuersätzen. ({5}) Der Mittelstand profitiert zusätzlich von der Anrechnung der Gewerbesteuer. Mit der Senkung der Körperschaftsteuer auf 25 Prozent entlasten wir schließlich die großen Unternehmen in unserem Land. ({6}) Insgesamt entlasten wir um 45 Milliarden DM. Davon entfallen 23 Milliarden DM auf die privaten Haushalte, 14 Milliarden DM auf den Mittelstand und 7 Milliarden DM auf die Körperschaften. ({7}) Hauptbegünstigte sind also - allen Unkenrufen und aller Propaganda Ihrer Mittelstandskampagne zum Trotz - die Privathaushalte und der Mittelstand. Ein Drittel des gesamten Entlastungsvolumens entfällt nämlich auf den Mittelstand. Insbesondere für diese Mittelstandskomponente hat sich meine Fraktion von Anfang an stark gemacht. Die Senkung der Steuersätze und die Anrechnung der Gewerbesteuer werden die Situation von kleinen und mittleren Unternehmen spürbar verbessern. Nun sagen Sie, das ist ja Ihr Credo, trotz dieser Zahlen - Zahlen lügen bekanntlich nicht; sie sind ja nachzuvollziehen -, der Mittelstand werde benachteiligt. Weil es nicht so genau darauf ankommt, wird kurzerhand die Körperschaftsteuer mit dem Spitzensteuersatz verglichen. Dass die Körperschaftsteuer in Höhe von 25 Prozent ein fester Steuersatz und der Spitzensteuersatz in Höhe von 45 Prozent ein Grenzsteuersatz ist, diesen Unterschied, Herr Rauen, sollten Sie der Seriosität wegen machen. Diesen Unterschied kennen Sie so gut wie ich. Entscheidend für die Steuerbelastung der kleinen und mittleren Unternehmen ist aber der Durchschnitts- und nicht der Spitzensteuersatz. Auch hier wissen Sie so gut wie ich, dass ein Großteil der kleinen und mittleren Unternehmen unter dem Durchschnittssteuersatz von 25 Prozent liegen. ({8}) Während Sie sich - insbesondere die F.D.P. - in der politischen Diskussion auf den Spitzensteuersatz kaprizieren, haben wir den Grundfreibetrag erhöht und den Eingangssteuersatz gesenkt. Das sind die Maßnahmen, die dem Mittelstand helfen, und nicht eine weitere Reduzierung des Spitzensteuersatzes. ({9}) Auch die Unternehmen, Herr Rauen, deren Durchschnittssteuersatz über 25 Prozent liegt, sind noch lange nicht schlechter gestellt als die Körperschaften. Denn um genau dies zu verhindern, haben wir Grünen uns für die Anrechnungsfähigkeit der Gewerbesteuer stark gemacht. Erst ab einem Gewinn von 200 000 DM bei Ledigen bzw. ab 400 000 DM bei Verheirateten könnte die von Ihnen erdachte Situation eintreten, dass eine Personengesellschaft höher besteuert wird als eine Körperschaft. Was Sie hier als Regelfall darzustellen versuchen, betrifft theoretisch gerade einmal 5 Prozent aller Personengesellschaften. Ich sage bewusst „theoretisch“, denn auch diesen Fall haben wir berücksichtigt, indem wir die Möglichkeit der Option einräumen. ({10}) Zugegeben, die Senkung des Spitzensteuersatzes bringt natürlich die dicken Schlagzeilen. Entscheidender aber ist doch - das habe ich von Ihnen gelernt -, was hinten herauskommt. ({11}) Und bei dieser Steuerreform kommen hinten mehr Kaufkraft für die Bürgerinnen und Bürger, spürbare Entlastung für den Mittelstand und internationale Wettbewerbsfähigkeit für die Großunternehmen heraus. Das ist der Dreiklang, mit dem wir die Zukunft gewinnen und durch den wir neue Arbeitsplätze schaffen. ({12}) Nun kann man sagen - das ist Ihr gutes Recht und eigentlich auch das einzige Mittel in der Opposition -: Das alles ist nicht genug. Wir wollen noch stärkere Steuersenkungen. ({13}) Aber wenn Sie, Herr Rauen und meine Damen und Herren von der Opposition, dies sagen, dann beweisen Sie damit einen beachtlichen Mut zur Lücke, und zwar was die Erinnerung an Ihre Regierungszeit - für die CDU/CSU 16 Jahre, für die F.D.P. 29 Jahre - angeht. ({14}) In den Jahren Ihrer Regierung ist der Eingangssteuersatz erhöht und nicht gesenkt worden; bei uns sinkt er. Bei Ihnen haben die Sozialabgaben unerschwingliche Höhen erreicht; bei uns werden sie wieder zurückgeführt. Der Spitzensteuersatz, der Ihnen ja so wichtig ist, wurde in den Jahren Ihrer Regierung nicht ein einziges Mal auf unter 50 Prozent gesetzt. Die Senkung des Spitzensteuersatzes von 56 auf 53 Prozent wurde damals sozusagen als Sicherung des Standorts verkauft. Da kann ich nur lachen. ({15}) Das ist Ihre Bilanz der Steuersenkungen. Sie haben in diesem Punkt überhaupt nichts vorzuweisen. Und deshalb fehlt Ihnen jede Berechtigung, hier die Backen aufzublasen. ({16}) Wie gesagt, man kann sagen: Die Steuern müssen weiter sinken. Wer will das nicht? Auch wir wollen das. ({17}) Nur, wenn man das ernsthaft will, muss man auch sagen, wie man das seriös finanzieren will. Auf diese Frage sind Sie jede seriöse Antwort schuldig geblieben. ({18}) Was sagen denn eigentlich Ihre Landesminister zu all den Wohltaten, die Sie hier in Berlin versprechen? Die Spatzen pfeifen doch längst von den Dächern, dass das, was Sie hier an Vorschlägen für eine Steuerreform unterbreiten, den finanziellen Kollaps der Länder verursachen würde. Wer seriös rechnet, der kommt zu dem Ergebnis das ist Ergebnis der Berechnungen des Finanzministeriums in Baden-Württemberg -, dass aufgrund Ihrer Vorschläge Baden-Württemberg 7 Milliarden DM weniger im Haushalt hätte, Bayern 7,5 Milliarden DM und Hessen 4 Milliarden DM. Und da sind wir auch beim Punkt: Dadurch werden die Länderhaushalte gesprengt. Deshalb ist Ihr Vorschlag äußerst unseriös. ({19}) Wollen Sie denn wieder die Neuverschuldung erhöhen? Darin waren Sie ja Weltmeister. Das haben Sie Jahr für Jahr gemacht, und zwar bis zu einer Höhe von 1,5 Billionen DM. Wir werden das nicht machen. Wir werden den Konsolidierungskurs dieser Regierung, der erfolgreich ist und auch von allen Seiten respektiert und gelobt wird, beibehalten. Ich kann nur sagen - das ist ein Appell an die eigene Adresse -: Wir sind gut beraten, bei dieser Konsolidierung kein Jota preiszugeben. ({20}) Ich möchte ({21}) zu dem noch weitergehenden Modell der F.D.P., dem noch ehrgeizigeren Modell der F.D.P. ({22}) nicht viel sagen. ({23}) Ich denke, ein Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung“ sagt da das Richtige. Die „Süddeutsche Zeitung“ ({24}) schreibt: Dass die F.D.P.-Vorschläge in der aktuellen Diskussion keine Rolle spielen, hat einen einfachen Grund. Fromme Wünsche sind noch keine Realität. Im Ergebnis will die F.D.P. ein gigantisches Steuersenkungsprogramm auf Pump. Im Schuldenstaat Bundesrepublik wäre das ein unverantwortlicher Hokuspokus. Es ist ein in der Praxis widerlegter Unsinn, dass der Staat nur kräftig die Steuersätze senken muss und am Ende einfach mehr in den Kassen hat. ({25}) Dem ist eigentlich überhaupt nichts hinzuzufügen. ({26}) Herr Thiele, ich verstehe ja, dass die Opposition, was Steuersenkungen angeht, nach dem Motto, das dem Sport entnommen ist, „Höher, ({27}) schneller, weiter“ verfährt. ({28}) Aber die Seriosität sollte dabei nicht auf der Strecke bleiben. ({29}) Wir werden Konsolidierung und Steuersenkung parallel, Hand in Hand, durchführen, sodass die Konsolidierung nicht in Gefahr gerät und die Steuersenkungen vertretbar sind und bei den Bürgern ankommen. ({30}) Die Arbeitsmarktzahlen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, die übrigen Wirtschaftsdaten genauso. Im April hatten wir wieder weniger als 4 Millionen Arbeitslose. Der Wert ist zwar zu hoch, aber er ist der niedrigste seit Jahren. Durch das Steuersenkungsgesetz das besagen alle Prognosen und das sagen alle Institute wird diese Entwicklung weiter an Dynamik gewinnen. Nach Jahren schwarz-gelber wirtschaftlicher Dürre ({31}) stehen wir vor einer Phase - ({32}) Einer hat geschrieben: Es waren sieben magere Jahre und jetzt kommen die sieben fetten Jahre. ({33}) Ich bin nicht so euphorisch, dass auch ich eine solche Voraussage mache. Nur, dass Ihre Jahre dürr und mager waren und Ihre Politik bei den Leuten nicht angekommen ist, das hat doch nun wirklich die Bundestagswahl gezeigt. Wir haben diesen Trend umgekehrt. Ich weiß, dass es wehtut; auch Sie hätten gern den Aufschwung gehabt. Aber Sie haben ihn nicht bekommen. Wir gestalten ihn mit unserer Steuersenkung und mit unserer Haushaltskonsolidierung. ({34}) Dass Ihnen das wehtut, verstehe ich gut, weil Sie auf Ihrem ureigensten Feld Niederlage für Niederlage einstecken müssen. ({35}) Wir machen Schluss mit dem lähmenden Streit zwischen Angebots- und Nachfragepolitik. ({36}) Wir verbessern die Rahmenbedingungen für Unternehmen und stärken die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Wir werden diesen Weg konsequent weitergehen und so unser ehrgeiziges Ziel, die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken, erreichen. Danke schön. ({37})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.-Fraktion.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die „Berliner Zeitung“ titelt heute: „Unisono Kritik von Flensburg bis Garmisch“. Das ist das Urteil der Steuerberater, ({0}) die die Gesetze anzuwenden haben, die Sie hier verabschieden wollen, die keine Vereinfachung, sondern eine Verkomplizierung bringen. Von der Systematik im Steuerrecht haben Sie sich leider meilenweit entfernt. ({1}) Wir hätten eine gute Steuerreform mit einer deutlichen Steuerentlastung unserer Bürger und Betriebe mit Wirkung ab 1998 schon 1997 im Gesetzblatt haben können. Durch die parteipolitisch geprägte Blockade von Oskar Lafontaine und den Grünen hat Deutschland wertvolle Zeit bei der Gestaltung der Zukunft unseres Landes verloren. ({2}) Die Blockade ging vom Bundesrat aus. Sie ging auch von Ihnen, Herr Finanzminister aus, der Sie seinerzeit noch Ministerpräsident von Hessen waren. Deshalb tragen Sie eine Mitverantwortung dafür, dass unser Land in diesen Jahren nicht die nötigen Reformen hat durchsetzen können. ({3}) Es ist aber gut, dass Sie in Teilen dazugelernt haben das bestreiten wir auch nicht - und nach der rot-grünen Blockade den Grundgedanken einer Steuerreform aufgenommen haben. Die F.D.P. hat in dieser Frage immer getrieben. Wir haben immer erklärt, dass es in Europa und in der Welt auch einen Wettbewerb um das beste Steuersystem gibt. Die F.D.P. hat immer darauf gedrängt, dass unser Steuersystem wettbewerbsfähiger wird. Deshalb haben wir uns im Dreistufenmodell dafür eingesetzt, den Eingangssteuersatz auf 15 Prozent und den Spitzensteuersatz auf 35 Prozent zu senken. Steuern sollen nach den Vorstellungen der F.D.P. niedrig, einfach und gerecht sein. ({4}) Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, dass die Koalition in ihrem Steuermodell den Eingangssteuersatz Senkung auf 15 Prozent - von der F.D.P. übernommen hat. ({5}) Wenn Sie im letzten Sommer auf Ihren Fraktionsvorsitzenden Struck gehört hätten, dann wären wir schon heute bei einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent ({6}) und die Problematik der unterschiedlichen Besteuerung von Einkünften wäre vom Tisch. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf geht von einem falschen ideologischen Ansatz aus: ({7}) Rot-Grün behauptet - das tun der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister -, Unternehmen müssten begünstigt werden, Unternehmer nicht. Hierbei übersehen Sie, dass 85 Prozent der Betriebe in unserem Land Personengesellschaften sind und von eigenverantwortlichen Unternehmern geführt werden. ({8}) Wie Sie den eigenverantwortlichen Handwerkern, Selbstständigen und mittelständischen Unternehmern erklären wollen, dass ihre Tätigkeit steuerlich schlechter behandelt wird - und somit als schlechter zu bewerten ist - als die Tätigkeit der großen Kapitalgesellschaften, das bleibt uns ein Rätsel. Ich halte diese Argumentation für abenteuerlich. ({9}) Gleiches gilt für die Arbeitnehmer mit etwas höherem Einkommen: Dass sie einen höheren Steuersatz zu zahlen haben als Kapitalgesellschaften, werden Sie ebenfalls nicht erklären können. ({10}) Bei Ihren Vergleichen - der Kollege Rauen hat schon darauf hingewiesen - bezüglich der angeblichen Nettoentlastung unterstellen Sie, dass es bis zum Jahre 2005 zu keiner Lohn- und Gehaltssteigerung und zu keiner Inflation kommt. Das geht voll an der Wirklichkeit vorbei. Deshalb führt Ihre Reform dazu, dass der normale Facharbeiter, die Krankenschwester, die Arbeitnehmer und Leistungsträger in unserem Staat durch Ihre Reform überhaupt nicht entlastet werden. ({11}) Das werden die auch merken, und zwar schon vor der nächsten Wahl. Das wird Ihr Reden von einer Nettoentlastung Lügen strafen. Sie schaffen mit dieser Steuerreform eine zusätzliche Belastung der Leistungsträger in unserem Land. Sie reduzieren die Einkommensgrenze für das Erreichen des Spitzensteuersatzes bis zum Jahre 2005 um 20 000 DM. Wenn Sie Wachstum und Inflation berücksichtigen würden - um die heimliche Steuerprogression herauszurechnen -, dann müssten Sie die Grenze von derzeit 120 000 DM um 20 000 DM erhöhen, statt sie zu senken, also nicht, wie jetzt, 98 000 DM, sondern 140 000 DM vorsehen. ({12}) Im Wahlkampf haben Sie die neue Mitte zur Zielgruppe erklärt. Mit diesem Steuergesetz machen Sie die neue Mitte zur Zielscheibe Ihrer Politik. Das werden die Bürger merken. Dadurch werden leider nicht mehr Arbeitsplätze entstehen. Wir freuen uns über das Sinken der Arbeitslosigkeit, aber wir wünschen uns mehr Arbeitsplätze in unserem Land. Auf diesem Feld muss etwas geschehen; da geschieht zu wenig. ({13}) Dass jetzt gerade die Grünen die höheren Belastungen kritisieren - Frau Kollegin Scheel heute im „Frühstücksfernsehen“ -, ist natürlich absolut schizophren. Denn gerade unter Ihrem Vorsitz, Frau Kollegin Scheel, wurde dieses Steuergesetz im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages beschlossen ({14}) und mit Ihrer Stimme werden Sie es heute im Deutschen Bundestag beschließen. Reden Sie doch nicht davon, was man ändern kann; nehmen Sie doch Ihre Verantwortung im Finanzausschuss wahr und ändern Sie die Dinge, die Sie geändert haben wollen! ({15}) Dazu kann ich nur sagen: Ihnen und Ihrem Koalitionspartner von der SPD muss doch Ihr Spagat abenteuerlich vorkommen. Kaum beschließen Sie etwas, erklären Sie, dass Sie damit gar nichts zu tun haben und alles wieder ändern wollen. Die Grünen müssen sich schon zwischen Regierung und Opposition entscheiden; ({16}) denn als Opposition in der Regierung können Sie eine verantwortliche Politik nicht betreiben. ({17}) Ich empfinde es als unfair und als Zumutung Ihren sozialdemokratischen Koalitionsabgeordneten gegenüber, zu den vereinbarten und beschlossenen Gesetzen einfach nicht zu stehen. Sie wollen doch heute darüber abstimmen und beschließen, ({18}) dann können Sie sie doch nicht gleichzeitig kritisieren. Herr Minister Eichel, der Grundfehler Ihrer Reform besteht darin, dass Sie sich von den ideologischen Vorgaben Ihres Vorgängers Lafontaine nicht getrennt haben. Große Kapitalgesellschaften werden gegenüber kleinen und mittelständischen Betrieben und gegenüber den Arbeitnehmern bevorzugt. Unternehmen sollen gefördert werden, Unternehmer dagegen nicht. Einbehaltene Gewinne sollen begünstigt werden, ausgeschüttete dagegen nicht. Sie verletzen den marktwirtschaftlichen Grundsatz der Gewinnverwendungsfreiheit. ({19}) Gerade dieser Punkt zeigt, dass Sie immer noch der Irrlehre anhängen, dass der Staat durch das Steuerrecht wertend in Unternehmensentscheidungen eingreifen soll. Die F.D.P. ist hier grundsätzlich anderer Auffassung. Der Staat soll keine Investitionslenkung betreiben. Dazu bekennen wir uns. Ich fände es gut, wenn Sie diesen Grundsatz beherzigen würden. ({20}) Mit diesem Gesetz sollen Wachstum und Beschäftigung angeregt werden. Das kann aber nur erfolgen, wenn durch eine echte und deutliche Nettoentlastung Antriebskräfte in unserem Land für Investitionen frei werden. Deshalb lehnen wir eine Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen durch eine Veränderung der Abschreibungstabellen, wie Sie sie vorgesehen haben, ab; denn dieses wirkt wie eine Desinvestitionsteuer. Wir aber wollen, dass investiert und nicht desinvestiert wird. Wir wollen, dass Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen werden und die Wirtschaft modernisiert wird. ({21}) Deshalb fordern wir Sie an dieser Stelle noch einmal auf: Nehmen Sie von den geplanten Verschlechterungen der Abschreibungstabellen endlich Abstand! ({22}) Die Kritikpunkte der F.D.P. an diesem Gesetzentwurf bleiben leider bestehen: Erstens. Der Gesetzentwurf führt zur unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Einkunftsarten. Große Kapitalgesellschaften werden gegenüber kleinen Betrieben und Arbeitnehmern bevorzugt. Zweitens. Die rot-grünen Steuerpläne sind nicht rechtsformneutral. Kapitalgesellschaften werden weitaus stärker entlastet als Personenunternehmen. Daran ändert auch das hoch komplizierte Optionsmodell nichts, welches mit Fallstricken sondergleichen versehen ist. Sie haben zum Beispiel beschlossen, dass nach einer erfolgten Option eine Änderung für das gleiche Jahr nicht mehr erfolgen kann. Wenn sich aber die wirtschaftlichen Voraussetzungen anders darstellen, wenn Betriebsprüfungen zu anderen Ergebnissen kommen, können die Betriebe überhaupt nicht mehr zurück. Das kann nicht richtig sein. Sie bauen die Kompliziertheit des Steuerrechts aus, anstatt es zu vereinfachen. Sie überschütten die Finanzämter und die steuerberatenden Berufe mit ineffizienter Arbeit. Der Unternehmer eines Betriebes hat in unserem Land etwas anders zu tun, als sich mit den wirtschaftlich ineffizienten Überlegungen herumzuschlagen, ({23}) ob er eine Option nutzen soll oder nicht und welche Auswirkungen das haben wird. Das kann nicht die Aufgabe der Betriebsinhaber in unserem Land sein. Deshalb fordern wir als F.D.P.: Streichen Sie die Optionslösung! Sie verkompliziert, sie ist nicht brauchbar, sie muss weg. ({24}) Drittens. Durch die Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns bei Kapitalgesellschaften und optierenden Unternehmen maßen Sie sich eine volks- und betriebswirtschaftlich schädliche Beeinflussung der Gewinnverwendung durch das Steuerrecht an. Dies widerspricht sämtlichen steuerrechtlichen Grundsätzen. Viertens. Die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens - das sind zwar technische Begriffe, die jedoch für den Kleinaktionär direkte Auswirkungen haben - führt dazu, dass gerade der Kleinaktionär zusätzlich belastet wird. Wir wollen, dass es mehr Menschen in unserem Land gibt, die sich an den Werten unserer Gesellschaft beteiligen können. Wir fordern, dass neben der Rentenversicherung zusätzliche Altersvorsorge aufgebaut werden kann. Aber Sie belasten gerade die kleinen Bürger mit einem Steuersatz bis zu 40 Prozent durch das Halbeinkünfteverfahren. Wir fordern Sie auf: Kehren Sie zum Vollanrechnungsverfahren zurück. Das ist seinerzeit unter der sozialliberalen Koalition beschlossen worden. Dies führt zu einer gleichmäßigen und leistungsgerechten Besteuerung in diesem Bereich. Deshalb: Verabschieden Sie sich von dem Halbeinkünfteverfahren! ({25}) Fünftens. Statt die Gewerbesteuer zu senken und schließlich abzuschaffen, mutet die Koalition den Betroffenen eine komplizierte Verrechnung von Einkommenund Gewerbesteuer zu. Diese Verrechnung löst die Probleme aber nicht; sie schafft enorme Schwierigkeiten bei der Anwendung. Deshalb plädieren wir als F.D.P. dafür, die Gewerbesteuer komplett abzuschaffen, wenn auch nicht auf einen Schlag; das geht nicht. Man muss aber das Ziel im Auge haben, denn wenn man das Ziel im Auge hat, kann man in diesem Bereich auch etwas erreichen. ({26}) Wir leisten uns in Deutschland mit der Gewerbesteuer eine im internationalen Vergleich einzigartige Sondersteuer auf die Arbeitsplätze in unserem Land. Deshalb freuen wir uns auch darüber, dass in der letzten Legislaturperiode als erster Schritt die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wurde. Wir müssen die gesamte Gewerbesteuer abschaffen. Dann haben wir auch eine erheblich bessere Struktur im Steuerrecht. Dann werden viele Brüche entfallen und diese Sonderlast kann endlich die Arbeitsplätze in unserem Land nicht mehr belasten. ({27}) Sechstens. Am heutigen Tag wird das Ergebnis der Steuerschätzung bekannt gegeben. Schon jetzt steht aber fest, dass spätestens im Jahre 2003 die Steuereinnahmen mehr als 1 000 Milliarden DM pro Jahr betragen werden. Das ist 1 Billion DM. Das zeigt auch, dass wir in unserem Land nach wie vor nicht zu wenig Staatseinnahmen, sondern zu viele Staatsausgaben haben. Dort muss angesetzt werden. Deshalb müssen die Staatseinnahmen reduziert werden. Das ist die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben. ({28})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rössel von der PDS-Fraktion?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne. ({0})

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Thiele, Sie haben soeben in Ihrem Beitrag für die zumindest mittelfristige Abschaffung der Gewerbesteuer plädiert. Über die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen kann man streiten. Meine Frage ist: Welche Alternativen haben Sie, um die daraus resultierenden erheblichen Einnahmeausfälle für die Städte und Gemeinden in Höhe von jährlich rund 45 Milliarden DM dauerhaft zu kompensieren? Sie können doch nicht zulassen, dass die Städte und Gemeinden ihre Investitionen nicht mehr finanzieren können, dass so genannte soziale Aufgaben nicht mehr durchführbar sind und ökologische Aufgaben nicht mehr bewältigt werden können. Welche Alternativen haben Sie, die Sie in die politische Debatte einbringen können?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ein Teil der Alternativfinanzierung ist schon in der letzten Legislaturperiode beschlossen worden. Wir fordern eine aufkommensneutrale Steuerreform bei Abschaffung der Gewerbesteuer für die Kommunen. Die Kommunen sollen sich nicht schlechter stehen als bisher. Deshalb sollen die Kommunen einen eigenen Anteil an der Einkommensteuer mit Hebesatzrecht erhalten und der Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer soll erhöht werden. Sagen Sie doch nicht, dass eine Reform nicht machbar sei. Bekennen Sie sich dazu zu sagen: Die Gewerbesteuer ist ein Bruch in unserem Steuersystem. Dieser Bruch muss beseitigt werden. Ich sage Ihnen: Wenn der Wille dazu besteht, wird auch die Lösung gefunden werden. Sie wird dann sogar mit einer breiten Mehrheit in diesem Hause gefunden werden können. Es ist nur erforderlich, das Ziel im Auge zu haben. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der Herr Kollege Rössel will noch einmal nachfragen. Gestatten Sie das?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin der Auffassung, dass die Zwischenfrage ausführlich beantwortet wurde. Ich möchte in meinem Konzept fortfahren. ({0}) Zur Steuerschätzung und zu den Steuerbelastungen: In der letzten Legislaturperiode haben die Grünen eine Steuerreform vorgelegt. Die Grünen - Frau Kollegin Scheel, Herr Kollege Metzger - haben erklärt, es müsse gegen die Nettoentlastungslüge vorgegangen werden. Das heißt, die Steuerreform der Grünen sah nie eine Nettoentlastung vor. Frau Scheel, Herr Kollege Schlauch, ich muss Ihnen dazu schon gratulieren, denn die Nettoentlastung dieser Steuerreform soll 45 Milliarden DM betragen. Die Mehrbelastung aufgrund der Ökosteuer beträgt bis zum Jahre 2003 35 Milliarden DM. Jeder Bürger kann sich ausrechnen, wie hoch dann überhaupt noch die Nettoentlastung ist. Das wollten Sie erreichen und das haben Sie erreicht. ({1}) Gerade diese Zahlen zeigen, dass die Steuerlast der Bürger aufgrund der Mehrbelastung durch die Ökosteuer nicht gesenkt, sondern erhöht werden sollte. Sie wollen mehr Staatseinnahmen, Sie wollen mehr Staat, um mehr für die Verwirklichung Ihrer Ideologie ausgeben zu können. ({2}) Das lehnen wir als F.D.P. ab. Dazu haben wir eine komplett andere Auffassung. Der Bürger muss netto stärker entlastet werden, damit er diese Entlastung auch spürt. ({3}) Das ist auch der Grund, warum wir bei unserem Konzept bleiben. Das ist von den Sachverständigen gelobt worden. Dieses Steuergesetz von Ihnen muss systematisch geändert werden. Alle Einkunftsarten sind gleich zu behandeln. Der Mittelstand muss deutlich stärker entlastet werden. Die steuerliche Ungleichbehandlung von Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften wird von uns nicht hingenommen werden, auch nicht im Vermittlungsausschuss - das erkläre ich hier für die F.D.P. -, und die Steuern für Bürger und Unternehmen müssen deutlich und gleichmäßig gesenkt werden. Das Steuerrecht muss grundlegend vereinfacht werden. Deshalb kann ich Sie nur auffordern, Herr Finanzminister Eichel: Berücksichtigen Sie diese Grundsätze. Berücksichtigen Sie diese Grundsätze auch im anstehenden Vermittlungsausschussverfahren, denn eine Steuerreform um jeden Preis machen wir nicht mit. Hier müssen deutliche Verbesserungen erreicht werden. Wenn sie nicht erreicht werden, dann wird das erste Vermittlungsausschussverfahren noch nicht zum Erfolg führen. Dann werden wir hier zeigen, dass systematisch etwas verändert werden muss. So billig und so falsch und so schlecht für den Mittelstand lassen wir dieses Gesetz nicht durchgehen. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das soll ja die größte Steuerreform der Koalition und der Bundesregierung in der jetzigen Legislaturperiode werden. Das nehme ich zumindest an. Insofern ist die heutige Debatte wichtig. Ich finde erstens, dass die Voraussetzungen der Debatte dadurch falsch angelegt sind, weil man sich, bevor man über Steuersätze und ein Steuersenkungsgesetz spricht, eigentlich über die notwendigen Aufgaben eines Staates verständigen müsste, um dann wiederum sagen zu können, welche Mittel der Staat braucht und welche Mittel er nicht braucht. ({0}) Diese Verständigung hat in diesem Hause eigentlich nie stattgefunden. Wenn ich dann die Herbstdebatte nehme und sehe, dass die Nettolohnanpassung bei Renten, Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosengeld etc. ausgefallen ist, dann muss sich einfach die Befürchtung auftun, dass unter Einsparungen in diesem Zusammenhang letztlich Sozialabbau verstanden wird und das kann keine Richtung sein, die wir legitimieren. ({1}) Aber es geht ja viel weiter. Was will der Staat künftig zur gesetzlichen Rentenversicherung dazuzahlen? Wie will er mit Mitteln in die Gesundheitsreform eingreifen? Welche Aufgaben hat die Polizei, welche der öffentliche Dienst generell? Wann soll es eine Angleichung der Löhne und Gehälter Ost und West im öffentlichen Dienst geben? Alle diese Fragen müsste man eigentlich vorher stellen, damit man weiß, wie viel Geld der Staat braucht, bevor man sich dann über Steuersenkungspläne verständigen kann. Diese Fragen sind nie erörtert worden und das ist - zumindest nach unserer Auffassung - der Grundmangel der Herangehensweise. ({2}) Ich sage Ihnen zweitens, dass dieses Gesetz selbstverständlich auch Vorteile hat - das werden wir gar nicht bestreiten -, die Senkung des Eingangssteuersatzes bei der Einkommensteuer, auch die Erhöhung des Existenzminimums. Ich darf nur daran erinnern, dass gerade die jetzige Regierung in ihrer damaligen Rolle als Opposition eine viel höhere Anhebung des Existenzminimums gefordert hat, als sie jetzt realisiert wird. Jetzt setzen Sie eher auf die Entlastung von Veräußerungsgewinnen bei Aktiengesellschaften, anstatt das Geld zu nutzen, um das Existenzminimum deutlich stärker zu erhöhen. ({3}) Aber immerhin, es wird erhöht. Das findet auch unsere Unterstützung. Aber es gibt auch schwere Nachteile. Lassen Sie mich jetzt zu den Nachteilen kommen, denn schließlich müssen Sie Opposition von zwei Seiten erleben, sonst könnten Sie ja gar nicht Mitte sein und das wollen Sie ja so gerne. Deshalb sage ich Ihnen als Erstes: Wir haben im Moment weltweit in der Wirtschaft eine Art Krankheit: die Sehnsucht nach Fusionen. Der große Schrei der Konzerne, Banken und Versicherungen heißt nur noch Kaufen und Verkaufen. Man macht eigentlich gar nicht mehr so sehr mit Wirtschaft und mit Dienstleistungen Gewinn, sondern in erster Linie durch Spekulation, durch Verkäufe und Käufe. Nun könnte man ja sagen: Na und? Sollen sie doch kaufen und verkaufen. Das birgt aber mehrere Probleme. Erstes Problem: Wir erleben dadurch eine ungeheure Konzentration von Wirtschafts- und Finanzmacht, was im Grunde genommen Marktwirtschaft aushebelt. Die F.D.P. müsste aufkreischen, denn durch diese Monopolbildung gibt es natürlich keinen regulären Wettbewerb mehr. ({4}) Es gibt dadurch auch wirklich eine Machtkonzentration. ({5}) Zweites Problem: Jedes Mal ist bisher eine Fusion, sind Verkäufe dieser Art mit einem enormen Abbau von Arbeitsplätzen verbunden gewesen. Allein bei der Fusion der Deutschen und der Dresdner Bank sollten 16 000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Dennoch hat die Bundesregierung diese Fusionspläne begrüßt, anstatt sie schwer zu kritisieren, und hinterher hat der Kanzler lediglich gesagt, er habe schon besser vorbereitete Fusionen erlebt. Aber, dass 16 000 Arbeitsplätze vielleicht erhalten bleiben - das war für mich das Ausschlaggebende am Scheitern der Fusion -, fand keine positive Erwähnung. Es geht aber noch weiter. Auch Mitbestimmungsrechte werden abgebaut. Die Degussa hat zum Beispiel erlebt, dass durch die Fusion Rechte verloren gegangen sind. Arbeitnehmervertreter können bei Käufen, bei Verkäufen, bei Fusionen überhaupt nicht mehr mitbestimmen. Dies ist ein Recht, das sie früher hatten. Wenn ich all diese negativen Seiten nehme, dann frage ich mich: Weshalb muss diese Entwicklungen eine Regierung, die sie nicht verhindern kann - das weiß ich auch -, auch noch begünstigen, indem sie die Verkaufserlöse im Rahmen von Fusionen von der Steuer freistellt? Das kostet Milliarden. ({6}) Diese Freistellung von der Steuer kostet bis zum Jahre 2005 17 Milliarden DM, die an anderer Stelle fehlen. Jetzt komme ich ins Schleudern. Wir haben eine sozialdemokratisch geführte Regierung. Ich frage Sie: Wie soll ich den Bürgerinnen und Bürgern Folgendes erklären? Wenn ein Bäckermeister seine Bäckerei aus gesundheitlichen Gründen oder Altersgründen verkauft hat, dann musste er unter Kanzler Kohl nur die halbe Steuer zahlen. Die jetzige Bundesregierung unter Führung der SPD sagt: Das ist ungerecht, er muss die volle Steuer zahlen. Wenn aber die Deutsche Bank verkauft worden wäre, wäre dies unter Kanzler Kohl voll zu versteuern gewesen. Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung sagt nun, dass sie dafür keinen Pfennig Steuern sehen möchte. Das geht einfach nicht in meine Birne rein. ({7}) Was soll daran sozialdemokratisch sein? Wie soll ich das jemandem erklären? Es fällt mir schwer, dies verständlich zu machen. Ich hoffe, Herr Bundesfinanzminister, Sie werden das erklären. Ich habe gerade von 17 Milliarden DM gesprochen. Dabei habe ich mich versprochen. Die Steuerfreistellung kostet 14 Milliarden DM. Durch die Senkung der Körperschaftsteuer kommen noch 59 Milliarden DM hinzu. Aber auch das betrifft in erster Linie Banken, Versicherungen und Konzerne und nicht Personengesellschaften. Das wissen Sie. Hier hilft die Spielkasinovariante - bei der hat man ein Optionsmodell; wenn man sich aber einmal entschieden hat, kommt man nicht wieder zurück - nicht weiter. Was machen Sie aus einem Unternehmer, der in der Wirtschaft tätig sein soll? Soll er zum Steuerspieler und -spezialisten werden? Wie soll er auf Jahre entscheiden, welche Vor- und Nachteile mit den Modellen verbunden sind? Das ist abenteuerlich. Sehen wir uns doch einmal die Struktur der Personengesellschaften an. Für 5 Prozent würde sich das Ganze vielleicht lohnen, für 95 Prozent würde sich das auf gar keinen Fall lohnen. Hier bleibt eine tiefe Gerechtigkeitslücke bestehen. Letztlich kommt heraus, dass Sie durch die Senkung der Körperschaftsteuer und durch den Verzicht auf jede Steuer bei Gewinnen im Hinblick auf die Veräußerung von Kapitalanteilseigentum an Kapitalgesellschaften die Großen ganz extrem begünstigen. Es geschieht nichts Vergleichbares für kleine und mittelständische Unternehmen, nichts Vergleichbares für Selbstständige und Freiberufler und damit nichts Vergleichbares in dem Bereich, in dem tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Das ist einfach nicht akzeptabel. Das stößt auf unsere fundamentale Kritik. ({8}) Dazu sage ich auch: Es ist nicht nachvollziehbar. Wir haben Ausfälle in Höhe von 74 Milliarden DM. Ich frage Sie: Wo ist die Kompensation? Sie haben noch keinen Vorschlag gemacht, wie Sie das gegenrechnen. Sie stellen eine Rechnung mit einer großen Unbekannten auf. Welche Einsparungen sind vorgesehen? Es mag ein bisschen platt sein, aber hier mache auch ich jetzt eine „Milchjungenrechnung“, Herr Bundesfinanzminister. Wenn Sie jetzt 74 Milliarden DM verschenken können, dann können Sie nicht glaubwürdig machen, weshalb Sie im Herbst die 10 Milliarden DM für die normale Nettolohnanpassung bei Rente, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und indirekt auch bei der Sozialhilfe nicht hatten, die es bis dahin immerhin Jahr für Jahr gegeben hat, auch unter der früheren Regierung. Sie haben das ausfallen lassen. Dann hätten Sie nicht 74 Milliarden DM, sondern nur 64 Milliarden DM verschenken können und schon hätten Sie die 10 Milliarden DM für die normale Nettolohnanpassung gehabt. ({9}) Das heißt, diese Steuersenkungen haben die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger zum Teil jetzt schon bezahlt. Ich sage: Auf deren Kosten darf ein Staat nicht sparen. Das ist unsozial und nicht hinnehmbar. Wenn dies Kohl gemacht hätte, hätte ich mich in meinen ideologischen Ansichten bestätigt gefühlt und wäre damit durch das ganze Land gereist. Da Sie es gemacht haben, bringen Sie mich einfach durcheinander. Ich lasse mich nicht gerne durcheinander bringen und schon gar nicht in diese Richtung. ({10}) Auch Ihre Vorstellung zu den einbehaltenen Gewinnen überzeugt mich überhaupt nicht. Ich bin im Unterschied zur F.D.P. der Meinung, dass Steuern Steuern heißen, weil man damit steuern kann. Man kann auf bestimmte Verhaltensweisen orientieren oder man kann sie delegitimieren, je nachdem, was man politisch will. Insofern verstehe ich den Grundgedanken. Nur eines verstehe ich nicht, Herr Bundesfinanzminister: Wenn Sie einbehaltene Gewinne bei der Besteuerung besser stellen als ausgeschüttete, dann müssen Sie natürlich wissen, dass Sie damit, was Kleinaktionäre usw. betrifft, Kaufkraft einschränken. Das widerspricht eigentlich der Theorie der SPD. Warum unterscheiden Sie nicht - das ist viel entscheidender - wenigstens bei den einbehaltenen Gewinnen danach, ob sie tatsächlich investiert werden oder ob sie für Spekulationen genutzt werden? Wenn Sie hier unterscheiden würden, dann würde eine pauschale Besserstellung von einbehaltenen Gewinnen keinen Sinn machen. Jetzt fördern Sie Investitionen genauso wie Spekulationen. Das ist keine arbeitsmarktpolitische Maßnahme. Es ist maximal eine Hoffnung auf Belebung des Arbeitsmarktes, die Sie mit dieser Politik verbinden, die sich aber nicht erfüllen wird. Ihre Behauptung, dass ein Hauptgrund für den Mangel an Arbeitsplätzen in Deutschland die nicht ausreichende Eigenkapitaldecke der Unternehmen sei, stimmt nicht. Die Eigenkapitaldecke der Unternehmen in Deutschland hat sich 1998 im Vergleich zu 1991 mehr als verdoppelt. Trotzdem sind keine neuen Arbeitsplätze geschaffen worden. Ihre Behauptung trifft nur - das ist das Problem mit pauschalen Beurteilungen - auf einen Teil der Unternehmen zu. Die Unternehmen in Ostdeutschland sowie Existenzgründerinnen und Existenzgründer haben ein riesiges Problem mit der geringen Eigenkapitaldecke. Das ist wahr. Deshalb hätten Sie diese Gruppen fördern müssen. Aber mit der generellen Behauptung, die Eigenkapitaldecke deutscher Unternehmen sei zu niedrig, leugnen Sie die Tatsache, dass die großen Aktiengesellschaften bereits eine riesige Eigenkapitaldecke haben. Sie haben sich nichts Spezifisches für Existenzgründerinnen und Existenzgründer sowie für die ostdeutschen Unternehmen überlegt, deren Eigenkapitaldecke tatsächlich so niedrig ist, dass man hätte etwas verändern müssen. Deshalb können wir Ihre Vorschläge in der jetzigen Form nicht akzeptieren. ({11}) Lassen Sie mich auch noch etwas zur sozialen Frage sagen. Es ist wahr: Die Klein- und auch die Normalverdienenden werden steuerlich etwas entlastet. Sie profitieren von der Erhöhung des Existenzminimums und der Senkung des Eingangssteuersatzes auf 15 Prozent. Das unterstützen wir. Hierüber scheint es einen Konsens im Haus zu geben. Wir würden uns natürlich ein höheres Existenzminimum wünschen. Aber das sind nicht Ihre einzigen Maßnahmen. Eine weitere Maßnahme ist die Senkung des Spitzensteuersatzes. Ich habe Herrn Poß geradezu mit Leidenschaft zugehört, als er sagte - jetzt beginnt natürlich der scharfe Konflikt mit der CDU/CSU und der F.D.P. -, dass eine weitere Senkung des Spitzensteuersatzes völlig unsozial und falsch sei. Das kann ich unterstützen. Aber das gilt genauso für die von Ihnen, Herr Eichel, geplante Senkung des Spitzensteuersatzes um 8 Prozent bis zum Jahr 2005. Das ist unsozial; denn im Durchschnitt werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von bis zu 100 000 DM um etwa 1 400 DM entlastet. Aber wenn das durchschnittliche Jahreseinkommen über 100 000 DM liegt, dann beträgt die Entlastung über 4 000 DM. Das heißt - Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen -, die Spitzenverdiener werden viermal begünstigt: durch die Anhebung des Existenzminimums, durch die Senkung des Eingangssteuersatzes, durch die Abflachung des Tarifverlaufs und durch die Senkung des Spitzensteuersatzes. Natürlich werden durch die Senkung des Eingangssteuersatzes und durch die Erhöhung des Existenzminimums immer auch Besser- und Bestverdienende mit begünstigt. Auch wenn wir den Eingangssteuersatz senken und das Existenzminimum erhöhen würden, könnten wir das nicht verhindern. Das ist ganz klar. Aber durch die Senkung des Spitzensteuersatzes machen Sie aus den Besser- und Bestverdienenden doppelt und dreifach Begünstigte. Wenn das Ergebnis einer Steuerreform ist, dass jemand wie ich einen Jahresvorteil von 4 000 DM hat und der Maurer nur einen von 1 000 DM, der zum Beispiel durch die Ökosteuer wieder verringert wird, dann ist das letztlich die Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben, wenn auch etwas abgeschwächt; denn solche Spitzenverdiener wie ich sind die deutlich Begünstigteren im Vergleich zu den Normalverdienerinnen und Normalverdienern und erst recht im Vergleich zu den Geringverdienern. Das ist die unsoziale Komponente Ihres Steuersenkungsgesetzes, das wir deshalb auch nicht unterstützen können. Das möchte ich hier ganz klar formulieren. ({12}) Wenn ich mir die zukünftigen Auswirkungen der gesamten Steuerreform anschaue, dann sehe ich noch ein weiteres Problem, das bisher nur am Rande erwähnt wurde, nämlich die Steuerausfälle, die gerade die finanzschwachen Bundesländer treffen. Mecklenburg-Vorpommern wird Steuermindereinnahmen in Höhe von rund 580 Millionen DM im Jahr haben, SachsenAnhalt 660 Millionen DM und Brandenburg 500 Millionen DM. Es sind keine Alternativen in Sicht. Angesichts dieser Steuermindereinnahmen schlägt der Bundesfinanzminister diesen finanzschwachen Bundesländern vor, einmal darüber nachzudenken, ob es nicht möglich sei, im Rahmen der Länderhoheit eine Vermögensteuer zu erheben. Sie wissen doch selbst, wie viele Vermögende in diesen Bundesländern leben! Mit einer Vermögensteuer könnten diese Bundesländer gerade einmal dreieinhalb Leute besteuern. Das können Sie vergessen. Diese dreieinhalb Leute würden sofort nach Bayern umziehen, wenn eine Vermögensteuer auf Länderebene erhoben würde. ({13}) - Ich lebe ja nicht dort; ich lebe in Berlin, Herr Bundeskanzler. Ich weiß ja nicht, wo Sie Ihren Hauptwohnsitz haben. (

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

In Hannover!) - Immer noch in Hannover! Ist es dort steuerlich noch immer am günstigsten? Angesichts der eben aufgelisteten Steuerausfälle möchte ich fragen: Welche Kompensationsmaßnahmen sind für die Bundesländer vorgesehen? Wir können die Probleme doch nicht einfach verschieben. Deshalb sage ich Ihnen: Mecklenburg-Vorpommern wird Ihrer Steuerreform im Bundesrat nicht zustimmen - das ist doch klar -; denn Sie bieten keine Kompensation für die Steuerausfälle an. Das heißt im Klartext, dass die Länder noch weniger Geld haben werden, dass sie noch weniger als Wirtschaftsfaktoren auftreten können. Sie können den Kommunen noch weniger Geld geben. Die Folge ist, dass wir gerade in den neuen Bundesländern keine Wirtschaftskreisläufe zustande bekommen. Das heißt, eine positive Wirtschaftsentwicklung für den Osten geht von diesem Steuergesetz ganz bestimmt nicht aus. Ganz im Gegenteil: Die Abstände werden sich noch vergrößern. ({0}) Damit wird auch die Angleichung der Löhne und Gehälter auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Das ist nicht hinnehmbar. Trotz einiger Vorzüge des Gesetzes, die ich nicht bestreite, werden wir zu diesem Gesetzesvorhaben aus folgenden Gründen Nein sagen: Die Steuerausfälle sind nicht gegengerechnet und wurden schon bisher durch Sozialabbau bei Rentnerinnen und Rentnern, Arbeitslosen sowie Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern bezahlt und werden künftig erst recht durch Sozialabbau finanziert. Die Großen, das heißt die Banken, Versicherungen und Konzerne, werden im Vergleich zu kleinen und mittelständischen Unternehmen, Freiberuflern und Selbstständigen dauerhaft und extrem begünstigt. Letztere werden entweder in geringerem Umfang oder letztlich gar nicht entlastet bzw. müssen sogar noch draufzahlen. Die Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdiener werden im Vergleich zu Gering- und Normalverdienenden mindestens vierfach begünstigt. Das ist die Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben. Ihr Vorhaben ist eine Steuerreform, die den Osten nicht voranbringt, die Bundesländer insgesamt und vor allem die finanziell schlecht gestellten Bundesländer schwächt. Dies können wir nicht hinnehmen, weil es zugleich eine Schwächung der Kommunen bedeutet. Das alles wird uns wirtschaftlich nicht voranbringen. Wir hätten statt einer Förderung einen Widerstand gegen das internationale Spielkasino gebraucht, in dem insbesondere die Aktiengesellschaften begünstigt werden. Diese brauchen nicht Ihre Hilfe, diese kommen alleine klar und von denen hätten Sie die Versteuerung des Veräußerungsgewinns durchaus erwarten können. Ihre Hilfe dagegen brauchen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie die sozial Bedürftigen. Diese bekommen die Hilfe nach diesem Steuergesetz nicht. Das ist unser Problem damit und deshalb werden wir Nein dazu sagen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat bemerkenswert, wie diese Gesetzgebung die Fronten im Deutschen Bundestag durcheinander bringt. Ich stelle fest: Fundamentalopposition von der PDS und der F.D.P. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Gemeinsamkeit! ({0}) Ich gehe jede Wette ein, dass Herr Kollege Möllemann, der sich erfolgreich aus dem Bundestag verabschiedet hat, der Erste wäre, der diesem Gesetz zustimmten würde, wenn er in Nordrhein-Westfalen in der Regierung säße. ({1}) - Ja, so wäre das. Als Zweites sage ich zur CDU/CSU: Verehrter Herr Rauen, es ist eine spannende Veranstaltung. Anderthalb Jahre sind Sie in der Opposition und halten solche Reden. Sie waren 16 Jahre in der Regierung und ich will Ihnen einmal sagen, was Sie in den 16 Jahren gemacht haben: ({2}) Sie haben in den ganzen 16 Jahren den Spitzensteuersatz um drei Punkte gesenkt; wir dagegen senken ihn um acht Punkte in sechs Jahren. ({3}) Den Eingangssteuersatz haben Sie einmal um drei Punkte gesenkt und dann wieder um drei Punkte heraufgesetzt. Wir dagegen senken ihn um rund 11 Prozentpunkte im Laufe von sechs Jahren. ({4}) Das steuerfreie Existenzminimum haben Sie so gering gehalten, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen die Verfassungswidrigkeit bescheinigen musste. ({5}) Die Familien haben Sie so hoch besteuert, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen auch hierfür die Verfassungswidrigkeit bescheinigen musste. Wir mussten das in Ordnung bringen. ({6}) Übrigens: In den Petersberger Beschlüssen - Ihre Krokodilstränen sind toll; Herr Schlauch hat das zu Recht bemerkt - setzte der Spitzensteuersatz mit einem zugegebenermaßen niedrigeren Satz schon bei 90 000 DM ein, bei uns erst bei 98 000 DM. Wie glaubwürdig ist denn all das, was Sie erzählt haben? ({7}) Wenn es Ihnen, sehr verehrter Herr Rauen, so um das Wohl der arbeitenden Menschen geht: Was haben Sie denn mit dem Wohngeld gemacht, was haben Sie mit dem Kindergeld gemacht, ({8}) was haben Sie mit dem BAföG gemacht? Alles haben Sie gedeckelt! In keinem einzigen Fall haben Sie die Leistungen entsprechend der Inflationsrate angepasst, sodass der Kreis der Berechtigten immer kleiner geworden ist und wir, verehrter Herr Gysi, müssen das alles mit unserer Sparpolitik wieder anheben. Wir können das aber nicht in zwei oder drei Jahren in Ordnung bringen, was Sie in 16 Jahren an Sozialabbau geleistet haben. So glaubwürdig sind Sie mit Ihrer ganzen Debatte! ({9}) Von der kalten Progression, mit der Sie völlig Recht hatten und die wir von Zeit zu Zeit immer wieder korrigieren müssen, war doch in Ihrem Konzept überhaupt nicht die Rede. Das ist doch die Wahrheit. Sozialabbau auf der ganzen Front! Was den Eingangssteuersatz anbetrifft, so ist dies eine wunderbare Geschichte. Herr Merz ist zuerst mit 19 Prozent gekommen und Herr Faltlhauser musste ihn auf unsere Linie von 15 Prozent bringen. Das ist doch alles die Wahrheit, mit der wir es zu tun haben, meine Damen und Herren. ({10}) Wenn in Ihrer Regierungszeit alles so wunderbar gewesen ist, dann stellt sich doch die Frage, warum wir jetzt die höchste Staatsverschuldung in Deutschland haben, die wir nach dem Kriege je hatten. ({11}) Warum ist denn in Ihrer Zeit die höchste Arbeitslosigkeit erreicht worden, die wir jemals in Deutschland hatten? Warum müssen wir denn die Sozialsysteme in Ordnung bringen, wenn alles in Ihrer Zeit so wunderbar gewesen ist? ({12}) Warum eigentlich müssen wir Deutschland im internationalen Wettlauf um höhere Wachstumsraten wieder nach vorne bringen? Warum steht seit 1995 Deutschland an zweitletzter Stelle in der Europäischen Union, wenn Sie so prächtige Arbeit geleistet haben, meine Damen und Herren? ({13}) Wenn Sie sich wenigstens einigermaßen in der Kontinuität Ihrer Politik bewegt oder auf die Sache eingelassen hätten, müsste ich jetzt nicht so einsteigen. Aber so geht es wirklich nicht. Eine solche Regierungsbilanz nach 16 Jahren, und anderthalb Jahre später halten Sie in der Opposition solche Reden! So geht es doch nicht. ({14}) Meine Damen und Herren, zu den Spezialitäten dieser Debatte gehört auch - insoweit hat Herr Gysi übrigens Recht -, dass Sie hier immer noch viel größere Steuersenkungen fordern. Wenn Ihre Rechnungen richtig wären, Herr Rauen, warum sagte dann der saarländische Ministerpräsident in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit mir, mehr Entlastung könne das Saarland gar nicht vertragen? Sie schreiben also doch offenbar Schimären in Ihr Steuerentlastungspapier. ({15}) Warum sagt denn der hessische Finanzstaatssekretär, Hessen sei mit dieser Steuerreform an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt? Das ist doch öffentlich nachzulesen. Warum sagt mir ein Finanzminister mit Ihrem Parteibuch - den Namen werde ich jetzt nicht nennen -, sein Bundesland könne das überhaupt nicht tragen? Unserer Politik stehen Ihre Schimären gegenüber und Sie tun so, als hätten die Länder mit Ihrem Konzept keine Probleme. Aber das ist Unsinn und Sie wissen das auch ganz genau. Deswegen möchte ich jetzt zum wirklichen Sachverhalt kommen. Hier müssen wir, meine Damen und Herren, drei Dinge zur gleichen Zeit sehen. Erstens müssen wir raus aus der Schuldenfalle. ({16}) Übrigens ist das in Deutschland sehr populär. Wenn ich mir den Luxus leiste - ich leiste ihn mir des Öfteren, wenn ich abends Zeit habe -, mich in eine Kneipe zu setzen, was glauben Sie, wie oft ich von Leuten angesprochen werde, die sagen, sie seien Anhänger oder sogar Parteigänger von Ihnen? Aus Ihrem Wahlkreis, Herr Kollege Waigel, haben mich gerade vorgestern Abend am Potsdamer Platz Leute angesprochen. ({17}) Sie haben mir gesagt: So wie Sie jetzt die Politik einleiten, indem Sie wirklich aus der Schuldenfalle herausgehen, ist es endlich gut. - Das ist die Wahrheit und das wissen Sie auch. ({18}) Das ist die eine Seite der Sache. Von dieser Seite redet - das halte ich für einen schweren Fehler - allerdings Herr Kollege Gysi gar nicht. Wir können MecklenburgVorpommern nicht helfen, wenn wir es nicht schaffen, aus dieser Schuldenfalle herauszukommen. Wissen Sie denn, wo wir sind? Wir zahlen mehr Zinsen auf unsere Schulden, als wir Investitionen tätigen, und zwar seit der Regierungszeit von CDU/CSU und F.D.P. ({19}) - Regen Sie sich doch nicht so auf, Herr Repnik. Ich beschreibe einen Sachverhalt, den Sie kennen. Wir nehmen nur noch Kredite auf, um Zinsen für alte Schulden bezahlen zu können. Getilgt wird nichts. Das nennt sich solide Finanzpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Sie sollten sich schämen, dass Sie uns so etwas hinterlassen haben! ({20}) Weil man nicht von dieser Stelle aus immer nur sagen kann, man müsse mit den Steuern herunter, ohne die andere Seite zu bedenken, muss man - da hat Herr Gysi ja Recht - in der Tat einmal fragen, was zwischen den Einnahmen, die wir nicht erlangen können, und den Ausgaben, die wir nicht tätigen können, weil alles zu zusätzlicher Staatsverschuldung führt, passiert. Dazwischen geschieht folgendes: In allen Haushaltsberatungen sagen Sie, hier und da und dort würden wir zu wenig ausgeben und alles kaputtsparen. So kann doch keine vernünftige und seriöse Finanzpolitik betrieben werden, meine Damen und Herren. ({21}) Deswegen ist es überhaupt die erste Voraussetzung, wenn man einen glaubwürdigen Beitrag zu dieser Debatte leisten will, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man sich Spielräume für Steuersenkungen verschafft. Das heißt, die Ausgabenseite des Haushaltes in Ordnung zu bringen. Als ich dieses Vorhaben im vorigen Sommer angefangen habe, habe ich auf Ihrer Seite keine Leidenschaft dafür festgestellt. ({22}) Die ganze Bundesregierung arbeitet daran gemeinsam und geschlossen. Von Ihnen aber habe ich nur gehört, es gehe nicht und sei an vielen Ecken nicht zu machen. Wenn Sie sich so leidenschaftlich für die Senkung der Staatsschulden einsetzen würden, wie Sie sich hier für die Senkung der Steuern für Spitzenverdiener einsetzen, würden wir uns viel besser verstehen. ({23}) Das ist die eine Flanke. Natürlich sind wir zu Kompromissen bereit. Wer keine eigene Mehrheit hat, muss das mit dem Bundesrat aushandeln. Das ist keine Frage. ({24}) - Darauf komme ich, Herr Kollege Repnik, sofort noch einmal zurück. - Die Grenze unserer Kompromissfähigkeit hierbei steht fest: Es wird mit uns keine Steuerreform geben, die gleichzeitig dazu führt, dass sich das Tempo der Staatsverschuldung wieder erhöht. Wir müssen aus der Schuldenfalle heraus und zu ausgeglichenen Haushalten kommen. Ich richte nun an Ihre Adresse die Frage: Wollen Sie das auch? ({25}) Ich habe jetzt gerade die Steuerschätzungen vorliegen. Eine Reihe von Leuten haben bei diesen Schätzungen ja ihre finanzpolitische Reputation verloren. Wir haben nämlich inzwischen seriöse Grundlagen für Steuerschätzungen; das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Diese kommen zu dem Ergebnis, dass es keine nennenswerten Abweichungen gibt. Ich lese es Ihnen gleich vor: Im Jahr 2000 beträgt die positive Schätzabweichung für den Gesamtstaat 5,1 Milliarden DM, davon entfallen 1,8 Milliarden DM auf den Bund. Manche sagen jetzt, das könne man sofort zur Steuersenkung einsetzen. Ich weise aber auf eine Kleinigkeit hin: Wir machen in diesem Jahr 50 Milliarden DM neue Schulden. Man muss sich doch einmal vor Augen führen, was vor diesem Hintergrund für Debatten geführt werden. Als privater Schuldner könnten Sie sich eine solche Diskussion gar nicht leisten. Im Jahre 2001 betragen die Steuermehreinnahmen im Gesamtstaat 3 Milliarden DM, davon entfällt 1 Milliarde DM auf den Bund; im Jahre 2002 sind es 4,1 Milliarden DM für den Gesamtstaat und 1,1 Milliarden DM für den Bund, ({26}) im Jahre 2003 sind es 7,1 Milliarden DM für den Gesamtstaat und 2,5 Milliarden DM für den Bund. Das sind aber Abweichungen, die sich im Rahmen des Üblichen bei Schätzungen bewegen. So sieht die Wirklichkeit aus, mit der wir es zu tun haben. Nachdem wir jetzt seriöse Grundlagen haben, werden wir nicht mehr den Reinfall erleben, den wir früher bei jeder Steuerschätzung erlebt haben. Wir spielen nämlich kein Roulette, sondern hier wird seriös gearbeitet. Nichts anderes. Deshalb können Sie auf diesen Punkt nicht setzen. ({27}) Auf der einen Seite müssen wir heraus aus der Schuldenfalle. Ich möchte wissen, wie Sie das machen wollen. Auf der anderen Seite müssen wir die Steuern und Abgaben senken; aber nur dann, wenn Sie die Ausgabenseite im Griff haben - ich weiß nicht, welcher Kollege es gesagt hat, aber er hat Recht damit -, sind doch Steuer- und Abgabensenkungen überhaupt glaubwürdig. Ich glaube, Herr Kollege Poß war es, der zu Recht gesagt hat, dass wir, wenn wir jetzt Steuersenkungen auf Pump finanzieren, damit Steuererhöhungen für die Zukunft beschließen. Das wäre völlig unglaubwürdig. So können Sie doch kein Vertrauen schaffen, weder bei den Bürgern noch bei der Wirtschaft. ({28}) Nun zur Entlastung: Erstens müssen wir - Sie blenden da eine ganze Menge, übrigens auch aus Ihren eigenen Reden, bewusst aus - die gesamte Steuer- und Abgabenpolitik dieser Regierung, seit sie angetreten ist, zusammennehmen. Dann ist der Fall völlig eindeutig, denn es gibt eine massive Entlastung. Natürlich gibt es, Herr Rauen, die kalte Progression, sie führt allerdings auch zu Kostenerhöhungen für alle. Das möchte ich nur nebenbei sagen, denn auch Sie selber wissen das. Natürlich bewegt sich die Entlastung genau in der Größenordnung, wie wir sie errechnet haben. Deswegen stöhnen ja auch die Länder. Es gibt also zunächst fast 57 Milliarden DM für die privaten Haushalte. Nach und nach baut sich das nachhaltig in drei Stufen auf. Wir bekennen uns allerdings dazu, dass wir den Schwerpunkt bei den unteren Einkommen gesetzt haben. Mit dem Schwerpunkt auf den unteren Einkommen tragen wir zur Steigerung der Binnennachfrage bei, mit dem Schwerpunkt auf den unteren Einkommen geben wir den Menschen eine Chance, mehr Eigenvorsorge für die Zukunft und für die Rente zu betreiben, was nötig ist. Wir setzen den Schwerpunkt auf die unteren Einkommen, weil wir den Umstieg aus der Abhängigkeit von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe in normale Beschäftigungsverhältnisse erleichtern müssen. Kommen Sie mir im Zusammenhang mit diesem Punkt doch nicht mit Ökosteuer und Lohnnebenkosten. Sie haben beides hoch getrieben: Die Mineralölsteuer wurde von 1989 bis 1994 um 50 Pfennig und die Lohnnebenkosten wurden um 3 Prozent erhöht. Wir treiben die Mineralölsteuer nicht so hoch und senken noch die Lohnnebenkosten. Wegen Ihrer eigenen Regierungspraxis sind Sie die ungeeignetsten Kritiker in diesem Punkt. ({29}) Da Sie so am Spitzensteuersatz hängen, weise ich auf folgenden Punkt hin. Seit den 50er-Jahren haben Sie zwei Drittel der Zeit den Finanzminister gestellt. In dieser Zeit ist das Zusammenschnurren von oben und unten, das Sie an dieser Stelle richtig beschrieben haben, doch von Ihnen zu verantworten gewesen. Es gab keinen Versuch, das zu verändern; auch nicht in den Petersberger Beschlüssen. Bleiben Sie doch redlich und geben Sie dieses angesichts der Tatsache zu, dass Sie dieses Thema plötzlich zum Zentrum Ihrer Debatte machen! Das ist doch mehr das Ergebnis Ihrer als unserer Politik. Das muss einmal festgehalten werden. ({30}) Im Übrigen befinden wir uns mit unserem Vorschlag bezüglich des Spitzensteuersatzes an zweitniedrigster Stelle in der Europäischen Union. ({31}) Was den Eingangssteuersatz anbelangt, liegen wir im Mittelfeld. Dieser Punkt muss festgehalten werden. Sie müssen den Menschen erklären, wie Sie zum Beispiel die rund 30 Milliarden DM, die Sie im Rahmen Ihres Steuermodells für die Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent zusätzlich brauchen, finanzieren wollen. Ich bin da auf den Vermittlungsausschuss gespannt. Sie haben Recht, dass ich den Vermittlungsausschuss von innen kenne: Ihre Vorschläge halten Sie nur so lange aufrecht, wie sie öffentlich diskutiert werden und so lange klar ist, dass es im Vermittlungsausschuss keine Mehrheit dafür gibt. Genauso lange bestehen Ihre Vorschläge und keinen Augenblick länger. ({32}) Ich war schon auf dem Petersberg dabei. Damals haben Ihre Kollegen Finanzminister von CDU, CSU und F.D.P. gesagt: Ihr bleibt doch standhaft! - Das ist die Wahrheit. ({33}) Die Länder konnten es nicht finanzieren. Das wissen Sie ganz genau. Deswegen haben Sie die Vorschläge am Ende der Wahlperiode vorgelegt, weil Sie wussten, dass Sie diese Vorschläge am Ende der Wahlperiode nicht mehr umsetzen konnten. ({34}) Wir legen unsere Vorschläge am Anfang der Wahlperiode vor. Bei Ihnen gab es diesbezüglich ein großes Versäumnis. ({35}) Zweitens: Entlastung der Unternehmen. Sie, Herr Kollege Merz, müssen nur Ihre eigenen Reden vom Frühjahr des vorherigen Jahres nachlesen. Damals haben Sie genau das Gegenteil von dem behauptet, was jetzt Herr Rauen erzählt. Herr Rauen sagt nämlich: Ihr entlastet die Großen und die Kleinen kommen schlecht weg. - Im vorigen Frühjahr haben Sie genau das Gegenteil erzählt. ({36}) Sie haben gesagt, wir würden eine Steuerpolitik machen, um die Großen zu vertreiben. Was denn nun? Die Wahrheit ist einfach. Es ist beides richtig und beides falsch. Das heißt, die Großen sind in der Tat durch das Steuerentlastungsgesetz belastet worden. Sie werden aber entlastet durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes. Am Schluss geht es für diese Unternehmen praktisch null für null auf. Die 20 Milliarden DM Entlastung für die Unternehmen kommen ausschließlich bei den kleinen und mittleren Unternehmen an. ({37}) Übrigens ist es eine spannende Frage, welche Unternehmen Sie als kleine und mittlere Unternehmen definieren. Wir nehmen die Definition des Instituts für Mittelstandsforschung: Kleine und mittlere Unternehmen sind solche, die bis 500 Arbeitsplätze und bis 100 Millionen DM Umsatz haben. Ich kenne aber Betriebe von ganz anderer Größenordnung, die noch als Personengesellschaft geführt werden und die den von ihnen aus verständlichen, von mir aus aber nicht hinnehmbaren Versuch machen, durch Kombination die Vorteile aller Besteuerungssysteme für sich zu nutzen. An diesem Punkt mache ich allerdings nicht mit.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Eichel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ja, von mir aus gerne. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Bundesfinanzminister, ich habe nur eine ganz kurze Frage: Würden Sie einräumen, dass die Belastungen der Großen entweder zeitlich befristet oder nur einmalig sind, während die Entlastungen dauerhaft sind, sodass letztlich für die Großen eine sehr viel größere Entlastung herauskommt? Einmalige oder zeitlich befristete Belastungen kann man nicht Entlastungen gegenüberstellen, wenn die Großen über Jahre und Jahrzehnte dauerhaft entlastet werden.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Sehr verehrter Herr Kollege Gysi, Sie haben Recht und auch wieder nicht Recht. Die Entlastung gilt für alle Unternehmen. Die Abschreibungen sind nur Streckung der Steuerschuld. Sie sind ein Finanzierungsinstrument und kein Steuererlass. Insofern gilt diese Regelung für den gesamten Unternehmensbereich, also für die kleinen und mittleren genauso wie für die großen Unternehmen. Es gibt in diesem Bereich eine Entlastung. ({0}) Nun komme ich zu einer Frage, auf die ich von Ihnen eine Antwort hören möchte. Ich gehe ein auf das Thema Gleichmäßigkeit der Besteuerung der verschiedenen Einkunftsarten und Verwendungen. Wir regeln hier etwas, was seit 50 Jahren das Handwerk und den Einzelhandel massiv belastet und ärgert. Ich kenne dieses Problem, weil mein Vater Freiberufler, nämlich Architekt war. Er hätte sich nie im Leben damit einverstanden erklärt, Gewerbesteuer zu zahlen. Der Handwerksmeister hat aber immer gesagt: Wir verstehen überhaupt nicht, wieso wir Gewerbesteuer zahlen und der Anwalt und der Zahnarzt zahlen sie nicht. Wir beseitigen diesen Missstand. Jetzt erklären Sie mir einmal, warum Sie nicht zustimmen, wenn wir diesen Missstand beseitigen. Das möchte ich von Ihnen jetzt wissen. ({1}) Wir werden in jede einzelne Handwerksversammlung gehen und sagen: Genau das, was ihr seit 50 Jahren beklagt, dass ihr nämlich mehr Steuern zahlen müsst als die Freiberufler und als der normale Arbeitnehmer, weil es für euch die Sonderbelastung Gewerbesteuer gibt, beseitigen wir für euch als Kostenfaktor. Aber - das werden wir ihnen auch sagen - CDU, CSU und F.D.P., die klassischen „Mittelstandsparteien“, sind dagegen. Das werden Sie ihnen erklären müssen. Da werden Sie noch viel Zeit brauchen. ({2}) Da hilft mir der Hinweis, man müsse die Gewerbesteuer abschaffen, überhaupt nicht. Selbst wenn ich darüber nachdenke, muss ich Ihnen sagen: Die Vorschläge, die ich von Ihnen zur Einkommensteuer gehört habe, sind schlicht verfassungswidrig. Sie wissen genau, dass wir in der Verfassung die Garantie einer wirtschaftsbezogenen, mit Hebesatzrecht ausgestatteten Steuer haben. Also wird es nur funktionieren - da liegt übrigens in Wirklichkeit ein Weg über das Optionsmodell, meine Damen und Herren -, wenn wir zu einer wirtschaftsnahen Steuer kommen, bei der auch die Kommunen ein Hebesatzrecht kriegen. Ich würde das an Ihrer Stelle nicht wegwerfen. Das ist nämlich in Wirklichkeit eine richtige Schneise in die Zukunft. Da läge eine Chance. Sie werden es über die Einkommensteuer nicht machen können; das ist verfassungswidrig. Im Übrigen gibt es aus gutem Grund eine wirtschaftsbezogene Steuer der Kommunen, ({3}) weil die Kommunen nämlich Interesse am Wohlergehen der Wirtschaft vor Ort haben sollen. Ergo gab es für uns nur die Situation, entweder auf Ihre Forderung einzugehen und die Gewerbesteuer abzuschaffen - das hätte bedeutet, diese Steuerreform mindestens um vier oder fünf Jahre zu vertagen, weil man sie dann mit einer Gemeindefinanzreform verbinden muss -, oder sie jetzt zu machen und das große Problem, die besondere Belastung des Handwerks und der mittelständischen Betriebe durch die Gewerbesteuer, zu beseitigen. Genau das tun wir, und Sie werden erklären müssen, warum Sie das nicht wollen. ({4}) Damit komme ich zum Thema Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften. Dass das, was Sie erzählen, falsch ist, wissen Sie ganz genau. Ich habe es hier schon ein paar Mal erklärt, ich werde es auch in jeder Versammlung wieder sagen. Ich nehme übrigens an vielen Mittelstandsversammlungen teil. Da komme ich ganz prima klar, die können nämlich rechnen. ({5}) 38 Prozent Definitivbesteuerung als Durchschnittssatz erreicht der Mittelständler, der einzelne Unternehmer, unverheiratet, erst, wenn er einen steuerpflichtigen Gewinn von mehr als 200 000 DM ausweist, wenn er verheiratet ist, von mehr als 400 000 DM. ({6}) Ich sehe die Mittelständler jedes Mal vor mir: Die rechnen dann einen Moment und sagen, davon sind wir gar nicht betroffen. Richtig. Nur 5 Prozent der mittelständischen Personengesellschaften kommen über diesen Gewinn hinaus und sind davon betroffen. Alle anderen haben eine niedrigere tarifäre Belastung als die Körperschaften, meine Damen und Herren. Das ist die schlichte Wahrheit. ({7}) Dass übrigens dennoch die Körperschaften keine schlechte Form für die kleinen Betriebe sind, das wissen Sie auch. Es gibt nämlich eine Fülle von kleinen Unternehmen, die Körperschaften sind. Deswegen ist das, was Sie erzählen, falsch. Das Optionsmodell ist doch kein Steuersparmodell, mal rein, mal raus. Das macht übrigens auch kein Betrieb; das ist ja völliger Unsinn. ({8}) Er entscheidet sich einmal, und zwar bereits am Anfang, für eine Rechtsform. Deswegen ist die Frage nach der Option nichts anderes als die Frage nach seiner Rechtsform, von gleicher Schwierigkeit. Nur muss er sie dieses Mal gar nicht beantworten. ({9}) Er kann nämlich - das ist doch eine Stärkung der Personengesellschaften - Personengesellschaft bleiben und kann, wenn er es will, alle Vorzüge der Körperschaftsteuer in Anspruch nehmen. Das ist eine Wahlfreiheit für die Unternehmen, verehrter Herr Thiele. ({10}) Weshalb das die F.D.P. stört, verstehe ich überhaupt nicht. ({11}) Außerdem funktioniert das in Frankreich und in den Vereinigten Staaten. Es gibt eine Reihe europäischer Länder, die ihre Personengesellschaften steuerlich grundsätzlich wie Körperschaften behandeln. Ich sage Ihnen: Denken Sie noch einmal über den Punkt nach, dass hier in Wirklichkeit - und zwar rechtsformunabhängig - eine Chance für die Zukunft des Steuerrechts und für die Zukunft einer rechtsformneutralen Unternehmensbesteuerung liegt. Ich würde das an Ihrer Stelle nicht ablehnen. Eine Reihe Klügerer haben das inzwischen sehr genau begriffen. Deswegen ist das alles falsch. Die Personengesellschaften werden tarifär weniger belastet, und die 20 Milliarden DM an Einnahmeausfall kommen ja auch irgendwo her. ({12}) Nun zu einem anderen Punkt: Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Wer wie Sie für eine Abgeltungssteuer bei Kapitaleinkünften plädiert, soll doch von der Gleichförmigkeit der Besteuerung unabhängig vom Einkommen nicht mehr reden; denn die Abgeltungssteuer ist nichts anBundesminister Hans Eichel deres als eine niedrigere Besteuerung der Kapitaleinkünfte bei höheren Einkommen als die normale Besteuerung der Arbeitnehmer und ihrer Arbeitstätigkeit. ({13}) Auch das wollen wir einmal festhalten. Dann zu dem entnommenen und im Unternehmen verbleibenden Gewinn. Die Sache ist doch anders: Bis heute - das haben Sie zu vertreten - benachteiligen wir den im Unternehmen reinvestierten Gewinn. Der Ausschüttungssteuersatz bei der Körperschaftsteuer beträgt 30 Prozent, die Steuer für den einbehaltenen Gewinn 40 Prozent. Auch so kann man Unternehmen kaputtmachen! Wundern Sie sich nicht über die hohe Zahl von Insolvenzen, die wir in Deutschland haben. ({14}) Wer über die Frage nachdenkt, wie wir zu einer stabileren Unternehmensstruktur und zu weniger Insolvenzen kommen - übrigens gehen sie in unserer Zeit zurück; ({15}) darauf will ich einmal hinweisen -, kommt direkt zum Bericht der Deutschen Bundesbank vom Oktober vergangenen Jahres, der im Vergleich Deutschland/Frankreich klargemacht hat, dass - übrigens nicht nur im Osten, Herr Kollege Gysi, aber da besonders - die Unternehmen eine zu geringe Eigenkapitalausstattung haben. Es ist Unsinn, die Entnahme steuerlich zu privilegieren. Genau das haben wir aber vorgefunden. Jedes Unternehmen muss anständig investieren; sonst hat es keine Zukunft. Ein Unternehmen ist doch keine spekulative Veranstaltung, sondern hat auch eine Verantwortung. Deswegen wollen wir von Ihnen ganz genau beantwortet bekommen, wie Sie das regeln wollen. An der Stelle haben wir eine völlig klare Position. Nun komme ich zur Frage der Entlastungsvolumina. Auch hier ist die Frage an Sie ganz einfach. Wenn Sie der Meinung sind, Sie könnten noch mehr tun, und wenn Sie das ernst meinen, fordere ich Sie auf: Beziffern Sie, woher Sie das nehmen wollen! Das würde ich gerne genau wissen. Und dann bringen Sie mir mit Unterschrift der Finanzminister, die das CDU- oder das CSU-Parteibuch haben, und zwar aller, die Bestätigung, dass die zusätzlichen Einnahmeausfälle, die Sie nach Ihrem Gesetzentwurf planen, von Sachsen, Thüringen, Berlin, Bremen usw. auch finanziert werden können! All das sind Fragen, auf die Sie keine Antwort geben; das sind Schaugefechte für die Öffentlichkeit. Insofern ist es gut, dass der Vermittlungsausschuss hinter verschlossenen Türen tagt. Das erleichtert Ihnen nachher ein bisschen den Rückzug. ({16}) Eines jedenfalls ist zwingend erforderlich - das ist eine Frage der Offenheit und Ehrlichkeit einer Debatte -: Wenn Sie höhere Einnahmeausfälle akzeptieren wollen, dann möchte ich ganz gerne, dass Sie auch öffentlich sagen, woher Sie das Geld nehmen wollen, ({17}) ob Sie es durch weitere Ausgabeeinschränkungen einnehmen wollen, was ein redlicher Weg wäre, denn auch Sie sagen, dass Sie keine höheren Staatsschulden wollen. Aber Sie müssen sagen, woher Sie das Geld nehmen wollen. Ich komme gleich noch auf die Risiken zu sprechen. Das ist ja eine Gespensterdebatte, wenn man die Finanzlage einmal ernsthaft betrachtet. Deswegen wird Ihr Gesetzentwurf den Tag auch nicht überstehen. Über zusätzliche Steuereinnahmen bekommen Sie das Geld nicht; das zeigt die Steuerschätzung. Übrigens sind Sie auch mit Ihren Summenangaben völlig unredlich. Darin sind zum Teil sogar Ihre eigenen Steuererhöhungen enthalten. Wir haben Ihnen doch mit einem Punkt Mehrwertsteuererhöhung zum 1. April 1998 aus der Patsche geholfen, damit Sie nicht eingestehen mussten, dass der Rentenversicherungsbeitrag auf über 21 Prozent steigt. Auch wir wollten das nicht, weil das Gift für die deutsche Wirtschaft ist. Aber das sind doch die Steuererhöhungen, die Sie gewollt haben! Weil Sie das in Ihrer Koalition nicht über die Mineralölsteuer regeln konnten, sind Sie zu uns gekommen und haben gesagt: Unterstützt uns bei der Mehrwertsteuererhöhung. Das haben wir getan. Aber dann können Sie doch nicht behaupten, der Staat hätte dadurch mehr Geld, sondern dieses Geld haben Sie genommen, um den Rentenversicherungsbeitrag wenigstens stabil zu halten. Was ist nun dagegen einzuwenden, wenn wir das Geld aus der Ökosteuer nehmen, um den Rentenversicherungsbeitrag zu senken? Sie müssen sich wenigstens einmal mit Ihrer eigenen Praxis konfrontieren. So kurz kann Ihr Kurzzeitgedächtnis gar nicht sein! ({18}) Zu den Privatisierungserlösen. Ich denke, jeder, der einigermaßen seriös Finanzpolitik macht - da stimme ich auch mit öffentlichen Äußerungen von Finanzministern Ihrer Seite und zum Beispiel vom Kollegen Biedenkopf oder vom Kollegen Diepgen überein -, weiß, dass Privatisierungserlöse nicht für dauerhafte Ausgaben zur Verfügung stehen. Das ist doch völlig klar. Darüber brauchen wir unter seriösen Leuten hoffentlich keinen Streit anzufangen. Im Übrigen brauchen wir sie alle für die Telekom und die Post-Unterstützungskassen. Ich habe übrigens einen tollen Ratschlag von einem Professor gelesen, ganz abenteuerlich: Ich könnte jedes Jahr alleine von der Telekom 100 Milliarden DM holen. Da hat er sich wohl nicht die Aktienkurse angeschaut. Wer das machen will, treibt die Kurse in den Keller. Mit solchen Dingen muss man doch seriös umgehen. Die Debatte zu den Privatisierungserlösen verstehe ich nicht. Wir haben das Geld noch nicht und wissen auch gar nicht, wie viel wir bekommen. Aber ich habe lauter Vorschläge auf dem Tisch, nach denen es schon dreimal ausgegeben ist. So sieht dann auch die Finanzlage dieses Staates aus. Eine solche öffentliche Debatte dürfen wir alle nicht mitmachen, wenn wir ernst genommen werden wollen. ({19}) Deswegen geht an dieser Stelle nur eines - das ist der einzige seriöse Vorschlag; der Bundeskanzler hat das öffentlich betont -: Das Geld, das durch Privatisierungen zur Verfügung steht, wird zur Schuldentilgung eingesetzt. Ich weiß ja noch gar nicht, wie hoch die Erlöse sein werden. Wenn wir dann vernünftig vorgehen und die Zinsen nicht sehr steigen, dann haben wir geringere Zinsausgaben. Wir müssen dann also nicht die Ausgaben erhöhen. Vielmehr verbessern wir unsere Ausgabenstruktur. Die dann zur Verfügung stehenden Mittel können wir für die Infrastruktur einsetzen. In diesem Zusammenhang gibt es noch eine Reihe von Aufgaben, zum Beispiel den Aufbau Ost. Das ist überhaupt keine Frage. Deswegen sollten Sie sich nicht nur hier herstellen und weitere Steuersenkungen fordern. Sie sollten vielmehr Ihre sonstigen Forderungen auf den Tisch legen. Ich bin zu den Rentengesprächen eingeladen worden. Ich will bei dieser Gelegenheit zu diesem Thema nur einen Satz sagen. Es tut mir Leid: Ich wollte bei der Frage, die ich in diesem Zusammenhang zu beantworten habe, kein Missverständnis anrichten. Aus Ihren Reihen kommt doch der Vorschlag - er ist ja nicht falsch -, das Rentenproblem zusammen mit den damit in Verbindung stehenden steuerlichen Fragen zu bearbeiten. Darauf habe ich gesagt: Ich würde gerne alle Rechtsrahmenbedingungen dieses Bereiches kennen. Das ändert nichts an dem Fahrplan von Walter Riester; wir sind uns darin völlig einig. ({20}) Die andere Frage aber ist - um nichts anderes geht es -: Erledigen wir den Teil, den ich bearbeiten muss, im Blindflug und warten wir nicht ab, was das Bundesverfassungsgericht hinterher dazu sagt, oder ist es nicht vernünftiger, das so hinzubekommen, dass die Vorgaben aus Karlsruhe gleich mit eingearbeitet werden? ({21}) Meine Damen und Herren, im Moment bestehen für mich drei große Risiken. Es handelt sich um drei Urteile aus Karlsruhe. Es geht erstens um diejenigen, die von 1945 bis 1949 enteignet worden sind und die jetzt auf höhere Entschädigungszahlungen klagen. Zweitens geht es um die Einmalzahlungen im Bereich Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, denen keine Leistungen gegenüberstehen, und drittens um die Frage, wie künftig Renten und Pensionen besteuert werden. Hier gibt es also riesige Risiken. Wenn ich noch ein wenig Geld hätte - das habe ich leider nicht -, dann würde ich gerne Reserven bilden, um diese in der Zukunft bestehenden Risiken abdecken zu können. Das sollten auch Sie von einem vorsorgenden Finanzminister erwarten. Die finanzpolitischen Sprecher aller Fraktionen müssten sich eigentlich so verhalten. Man kann doch nicht finanzpolitisch von der Hand in den Mund leben. ({22}) Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss: Es gibt nur dann eine gemeinsame Linie, wenn wir auf der einen Seite aus der Schuldenfalle herauskommen und auf der anderen Seite die Steuern und Abgaben seriös senken. Wir sollten den Menschen nicht etwas vorgaukeln, was man in Wirklichkeit gar nicht durchhalten kann, und sollten bei all diesen Maßnahmen eine Politik definieren, die dieses Land wirklich nach vorne bringt und seine Ausgabenstruktur zukunftsgerichteter gestaltet. Folgende Frage macht mir große Sorgen: Fürchten Sie angesichts Ihrer einseitigen Konzentration auf weitere Steuerentlastungen - die werden übrigens die Länder nicht mitmachen, auch die von Ihnen regierten nicht nicht auch, dass uns unsere Kinder, wenn wir im Jahre 2010 - vielleicht auch ein bisschen früher - den Höhepunkt der Staatsverschuldung erreicht haben, die Dänen aber längst keine mehr haben und inzwischen auch der ehemals hoch verschuldete amerikanische Staat völlig schuldenfrei ist, fragen werden: Welche Lasten habt ihr uns da aufgebürdet und wieso haben wir so viel mehr zu tragen als die jungen Dänen oder die jungen Amerikaner? Fürchten Sie das nicht auch? ({23}) - Lieber Herr Repnik, die Frage ist, ob Sie diese Lasten in die Zukunft bzw. auf unsere Kinder verschieben, indem Sie den Menschen vorgaukeln, es entstünden keine Lasten, oder ob Sie den Menschen sagen, dass es Lasten gibt und wie sie zu finanzieren sind. ({24}) Wenn unsere Kinder für unsere Schulden Steuern zahlen müssen, wird sie dies nicht sehr lustig stimmen. Sie werden ihnen im Jahre 2010 mit diesem Argument nicht sehr glaubwürdig gegenübertreten können. Auch Sie wissen das ganz genau. Deswegen ist an dieser Stelle nicht mit der Regierung zu verhandeln. Es ist völlig klar, dass wir nicht zu höherer Staatsverschuldung zurückkehren werden, sondern den Weg aus der Staatsverschuldung konsequent weitergehen werden. Wie gesagt, ich wüsste von Ihnen gerne, ob das eine Leitplanke ist, die auch Sie akzeptieren. Dann könnte man über vieles andere leichter sprechen. Ich wüsste von Ihnen zudem gerne, ob Sie den Abbau der Ungleichbehandlung, die heute im Hinblick auf die Handwerker und den Mittelstand im Vergleich zu den Freiberuflern und Arbeitnehmern besteht - wir beseitigen diese jetzt -, ({25}) mittragen oder ob Sie diesen Abbau blockieren wollen. ({26}) Angesichts dessen, dass Sie stärkere Steuersenkungen mit höheren Einnahmeausfällen wollen, wüsste ich von Ihnen gerne, wie Sie das finanzieren wollen. Deutschland ist mit unserer Politik offenkundig auf dem richtigen Weg. ({27}) - Ich brauche doch nur ein einziges unverdächtiges Institut zu nennen, an dessen Spitze inzwischen ein Deutscher sitzt, der Ihr Parteibuch hat, nämlich Horst Köhler. ({28}) Der Internationale Währungsfonds kommt in seinem neuesten Weltwirtschaftsbericht, und zwar mit ausdrücklichem Hinweis auf die Steuer-, Abgaben- und auch Haushaltspolitik dieser Bundesregierung, zu dem Ergebnis ich mache mir dies noch gar nicht zu Eigen, weil ich ein vorsichtiger Mann bin -, dass Deutschland im Jahr 2001 von allen reichen Industrienationen die höchste Wachstumsrate haben und damit die Konjunkturlokomotive in Europa sein wird. ({29}) Sie haben ja immer beklagt, es gebe die Statistik über die Zahl der Beschäftigten nicht. Jetzt gibt es sie wieder, aber Sie machen natürlich keinen Gebrauch davon, weil Ihnen das Ergebnis nicht passt. Nach dieser Statistik ist die Arbeitslosigkeit seit Oktober vergangenen Jahres gesunken, und zwar nicht nur deshalb, weil mehr Ältere ausscheiden, als Junge nachkommen, sondern weil mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. ({30}) Seit Oktober vergangenen Jahres sind bereits 155 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden, meine Damen und Herren. ({31}) Das ist die Wirklichkeit. ({32}) Wenn Sie die Zahlen aus Ihrer Zeit noch einmal hören wollen: Die Zahl der Arbeitsplätze hat 1995 um 37 000, in 1996 um 277 000 und in 1997 um 287 000 abgenommen. Seien Sie also ganz vorsichtig mit Ihren Bemerkungen. Deutschland ist mit dieser Politik - und das wissen Sie auf dem richtigen Weg. Und warum gibt es eine so große Akzeptanz in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und bei den Gewerkschaften? Es gibt sie, weil wir mit ihnen gemeinsam - darüber sollten Sie nachdenken - daran gearbeitet haben. Der Vorsitzende der Steuerreformkommission war der Steuerexperte des Deutschen Industrie- und Handelstages, für das Handwerk hat Herr Hinterdobler daran teilgenommen. Und bevor die Brühler Reformkommission ihre Entscheidung getroffen hat, haben alle Herren bei ihren Verbänden nachgefragt, ob sie dem zustimmen dürfen. ({33}) Deswegen ziehe ich vor denen in der Wirtschaft wie auch in der Gewerkschaft den Hut, die, wenn eine Verabredung getroffen worden ist, auch dann dazu stehen, wenn sie von CDU und CSU angegriffen werden. ({34}) Ich habe wenig Verständnis für diejenigen, die mit uns Verabredungen treffen, und zwar im eigenen Interesse, und anschließend, wenn sie meinen, der Wind wehe von der anderen Seite, sagen, dass sie das alles nicht gewusst hätten. Nein, das ist kein vernünftiges Zusammenspiel. Eine Nation hat Anspruch auf eine ernsthafte Führung. ({35}) Das richtet sich nicht nur an die Politik, sondern auch an die Repräsentanten der großen gesellschaftlichen Gruppen. Der Bundeskanzler hat recht daran getan, das Bündnis für Arbeit einberufen zu haben und es, im Unterschied zu seinem Vorgänger, zu pflegen, ({36}) weil die Menschen im Lande genau diese Ernsthaftigkeit von uns erwarten und auch erwarten können. Das ist nämlich unsere Aufgabe. Ich sage Ihnen: Wir sind auf dem richtigen Wege. Wir werden im Vermittlungsverfahren Kompromisse machen. Aber Sie werden in diesem Verfahren auch bekennen müssen, was überhaupt zu finanzieren ist. Dann wird der Spuk ein Ende haben, den Menschen auf der Straße öffentlich etwas zu versprechen, von dem Sie selber schon heimlich sagen, dass das überhaupt nicht geht. Lassen Sie uns dieses Thema im Sommer abschließen - wie gesagt, mit Kompromissen; das wird sein müssen. Aber dieses Land braucht den großen Fortschritt, der in dieser Politik steckt. Wir sind auf dem richtigen Wege. Mit dieser Politik kommen wir jetzt richtig voran. ({37})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Gerda Hasselfeldt. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, im Mittelpunkt Ihrer Rede stand wieder einmal die Vergangenheitsbewältigung und dabei - wie es bei den Steuerdebatten nicht anders sein kann - das Wort Verschuldung. Wie bei all Ihren Reden haben Sie auch heute vergessen, dass in den letzten zehn Jahren etwas in unserem Land geschehen ist, nämlich die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. ({0}) Lassen Sie mich anlässlich des heutigen 18. Mai auf ein Ereignis hinweisen, das gerade von dieser Regierung so vergessen wurde, wie die Einheit von ihr überhaupt vergessen wird. Genau heute vor zehn Jahren wurde der Vertrag unterzeichnet, der zur deutschen Währungsunion führte. Unterzeichnet hat ihn unser damaliger Finanzminister Theo Waigel. ({1}) Damit wurden die wesentlichen Weichen für eine positive Entwicklung in den neuen Ländern gestellt; damit wurde die wesentliche Grundlage für eine gemeinsame wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung in unserem Vaterland gelegt. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, Helmut Kohl und Theo Waigel ganz herzlich dafür zu danken. ({2}) Wir beraten heute nicht über einen Gesetzentwurf, sondern - im Gegensatz zur letzten Legislaturperiode - über zwei Gesetzentwürfe. Im Gegensatz zur letzten Legislaturperiode hat sich die jetzige Opposition konstruktiv an diesem Beratungsprozess mit einem eigenen, ausformulierten Gesetzentwurf beteiligt. ({3}) Es wäre gut gewesen, wenn sich die Regierungskoalition dem Rat der Sachverständigen und den Vorschlägen der Oppositionsfraktionen nicht so verschlossen hätte, wie sie sich verschlossen hat. Sie haben nicht nur bei den Anhörungen die Zahl der Sachverständigen begrenzt, sondern Sie haben sogar die Anhörungen offiziell als „Aufmarsch der Lobbyisten“ bezeichnet. Konsequenterweise haben Sie in den Ausschussberatungen an Ihren Gesetzentwürfen nur Marginalien geändert. ({4}) Das, was Sie geändert haben, ist zum Teil noch schlechter als das, was Sie vorher vorgelegt haben, beispielsweise bei der Gewerbesteueranrechnung. ({5}) Ihre Regelung bedeutet eine zusätzliche Verschlechterung für die Gewerbesteuer zahlenden Betriebe. Herr Minister, es bleibt dabei: Die größte Schwachstelle in diesem Entwurf ist die Schieflage zwischen Kapitalgesellschaften auf der einen und den Personenunternehmen auf der anderen Seite. ({6}) Sie bevorzugen einseitig die Aktiengesellschaften und die GmbHs; Sie benachteiligen die Personenunternehmen und die Einzelunternehmen. Sie bevorzugen einseitig die großen und benachteiligen deutlich die kleinen und mittleren Unternehmen. ({7}) Das ist nicht nur unsere Auffassung. Darin sehen wir uns in Übereinstimmung mit einer Reihe von Verbänden, die nicht nur mittelständische Unternehmen vertreten. Nicht nur Herr Kühn und Herr Hinterdobler, die von Ihnen zitiert wurden, beten uns inständig an, ({8}) bitten uns, das Nötigste zu tun und diese Schieflage zulasten des Mittelstandes zu beseitigen. ({9}) Es ist niemand anderes als der Bundesverband der Deutschen Industrie - der wirklich nicht nur mittelständische Interessen vertritt -, der geschrieben hat - das ist wörtlich nachzulesen -: „Nachbesserungen für den Mittelstand sind dringend erforderlich“. Meine Damen und Herren, Sie ersehen daraus: Wir stehen nicht allein; unsere Kritik ist berechtigt. Ich will sie Ihnen auch begründen. Worin liegt die Schieflage? - Sie liegt in zwei Dingen. Zum einen liegt sie im Verlauf des Einkommensteuertarifs im Einkommensteuerhöchstsatz beides im Vergleich zu der Senkung bei der Körperschaftsteuer - und sie liegt zum anderen - das, Herr Minister, haben Sie überhaupt nicht angesprochen - bei der steuerlichen Behandlung von Veräußerungsgewinnen. ({10}) Es ist schon verwunderlich, dass Sie dieses Thema überhaupt nicht angesprochen haben, mit keinem Satz. Ich habe genau zugehört. Das lässt tief blicken. ({11}) Nun zum Steuersatz und Steuertarif. Wir haben in unserem Entwurf vorgesehen, dass wir beim Anrechnungsverfahren bleiben, dass wir deshalb den Körperschaftsteuersatz für die einbehaltenen Gewinne von 40 Prozent auf 30 Prozent und für die ausgeschütteten auf 25 Prozent senken. ({12}) - Das hat überhaupt nichts mit Steuervereinfachung zu tun. ({13}) Sie wissen, dass sich dies bewährt hat und überhaupt nicht - was Sie immer unterstellen - kompliziert ist. ({14}) Jetzt sagen Sie, Herr Minister, wir würden damit die einen Gewinne bevorzugen und die anderen benachteiligen. Offensichtlich haben Sie das System nicht verstanden oder es ist Ihnen falsch aufgeschrieben worden. Im Gegensatz zu Ihrem Entwurf, nach dem der Körperschaftsteuersatz definitiv bei 25 Prozent liegen soll, und nicht mehr angerechnet werden darf, wollen wir, dass für die einbehaltenen Gewinne ein Satz von 30 Prozent und für die ausgeschütteten Gewinne ein Satz von 25 Prozent gilt, wobei dieser dann auf die individuelle Einkommensteuer angerechnet werden soll. Das ist eine völlig andere Grundlage als das, was Sie vorhaben. Deshalb: Sie können nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. ({15}) Ich würde Ihnen empfehlen, sich einmal im Haus sachkundig zu machen. Ihre Beamten können Ihnen das sicher einmal erklären. Ein Satz von 25 Prozent klingt ja zunächst einmal sehr gut. Man meint, damit würden - wie Sie das gesagt haben alle entlastet, auch die kleinen GmbHs. Bei den kleinen GmbHs jedoch, wo der Geschäftsführer einen Großteil seines Gehalts dem Gewinn entnehmen muss, wird sich im Vergleich zur bisherigen Situation eine zusätzliche Belastung einstellen, eben weil das Anrechnungsverfahren nicht mehr gilt - von vornherein gilt der Steuersatz von 25 Prozent - und dann noch das Halbeinkünfteverfahren angewendet wird. Das heißt, für die kleineren GmbHs, wo der Anteil des Geschäftsführergehalts größer ist, ist das sogar von Nachteil, ganz abgesehen davon, dass durch die Bevorzugung des einbehaltenen Gewinns eine Gewinnverwendungsstrategie gefahren wird, die überhaupt nicht sachgerecht ist. Noch deutlicher zeigt sich die Benachteiligung im Vergleich zur Einkommensteuerbelastung. Nach den Vorschlägen der Regierungsfraktionen gilt ab dem Jahr 2001 ein Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent und ein Einkommensteuerhöchstsatz von 48,5 Prozent - nicht von 45 Prozent, sondern von 48,5 Prozent! ({16}) Obwohl die mittelständischen Unternehmen schon im letzten Jahr durch die Gegenfinanzierung im Zuge des Steuerentlastungsgesetzes - zum Beispiel durch Abschaffung von Abschreibungsmöglichkeiten - belastet wurden, sollen sie jetzt über die Änderung des Einkommensteuertarifs in gleicher Weise und zur gleichen Zeit, nämlich schon ab dem Jahr 2001, wie die Körperschaften belastet werden. Das ist die Ungleichbehandlung. ({17}) Wenn Sie dann noch hinzunehmen, dass Sie die Grenze, ab der der Spitzensteuersatz greifen soll, von jetzt 120 000 DM auf 98 000 DM heruntersetzen wollen - das ist ja schon mehrfach erwähnt worden -, dann wird die zusätzliche Belastung erst so richtig deutlich. Natürlich kann man die Definitivbelastung durch den Körperschaftsteuersatz nicht unmittelbar mit dem Höchststeuersatz vergleichen, dem Grenzsteuersatz von 48,5 Prozent. Aber auch die Durchschnittssteuerbelastung wird durch diesen Tarifverlauf - beginnend mit 98 000 DM bis zu einer Spitzenbelastung von 48,5 Prozent - erhöht, was dazu führt, dass viele mittelständische Unternehmen, die als Personenunternehmen organisiert sind, eine stärkere Belastung haben, als dies bei Kapitalgesellschaften der Fall ist. Diese Ungleichbehandlung machen wir nicht mit. ({18}) Nun haben Sie - auch das wurde vorhin schon angesprochen - dieses „schöne“ Optionsmodell vorgeschlagen. Allein die Tatsache, dass Sie dies vorgeschlagen haben, macht deutlich, dass Sie eine Ungleichbehandlung sehen; sonst würden Sie das gar nicht aufnehmen. ({19}) In der Sachverständigenanhörung war die Kritik dazu so verheerend, dass Sie eigentlich spätestens dann hätten sagen müssen: Davon nehmen wir Abstand, wir machen das im Wege einer Änderung des Einkommensteuertarifes. Da war die Rede von einem „bürokratischen Monster“, von der „Steuerfalle“, von „Scheingesetzgebung“ und dergleichen. Ich will noch auf einen Widerspruch hinweisen, der mir erst heute so richtig deutlich geworden ist: Herr Poß und auch Sie, Herr Minister, sprachen in Bezug auf die Ungleichbehandlung im Einkommensteuertarif davon, dass 95 Prozent der Unternehmen ein zu versteuerndes Einkommen von weniger als 200 000 DM haben und deshalb von dieser Ungleichbehandlung gar nicht betroffen seien. Daraus ist zu schließen, dass 5 Prozent über 200 000 DM liegen und für sie die Option vielleicht von Interesse wäre. Andererseits haben Sie in den Ausschussberatungen immer darauf hingewiesen, dass Sie davon ausgehen, dass 25 bis 30 Prozent der Unternehmen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. ({20}) Meine Damen und Herren, was stimmt denn nun eigentlich? An diesem Beispiel wird doch deutlich, dass Sie sich selber, uns und die Öffentlichkeit an der Nase herumführen. Das lassen wir uns nicht gefallen. ({21}) Sie wissen genau, dass mit der Optionslösung eine Fülle von Schwierigkeiten verbunden ist: dass alle Gesellschafter dafür optieren müssten, ({22}) und zwar einstimmig und unabhängig von ihrer individuellen Situation, die sich bei jedem anders darstellt, dass wir eine zusätzliche Steuerbelastung bei stillen Reserven haben, dass Sie eine deutliche zusätzliche Belastung bei der Erbschaftsteuer einführen und vor allem dass der Unternehmer und sein Berater hellseherische Qualitäten haben müssen, um zu entscheiden, ob sich die Option auf lange Sicht rentiert oder nicht. Der Kollege Rauen hat vorhin die Situation aus seinem Betrieb mit sich ständig ändernden Gewinnerwartungen und tatsächlichen Gewinnen und Verlusten dargestellt. Dies alles so vorherzusehen, dass man sagen kann, die Option ist richtig oder die Einkommensbesteuerung ist richtig, ({23}) ist völlig unmöglich. Deshalb steht diese Lösung nur auf dem Papier, es ist eine Feigenblattlösung, ein Alibi. Die Optionslösung soll verschwinden und an ihre Stelle muss eine Änderung im Einkommensteuertarif treten. ({24}) Unser Vorschlag ist, sich beim Einkommensteuertarif auf die Größenordnung zwischen 15 und 35 Prozent zu einigen, bei der Körperschaftsteuer - ich habe es vorhin angesprochen - beim Anrechnungsverfahren bei 30 Prozent und 25 Prozent zu bleiben und die Senkung der Gewerbesteuer vorzunehmen, und zwar für alle, auch für die Kapitalgesellschaften. Wir brauchen eine gleichmäßige Senkung der Gewerbesteuer und damit die Entlastung aller Gewerbesteuerzahlenden und nicht die Krücke mit der Gewerbesteueranrechnung, die Sie vorgesehen haben, die aber nur zur Komplizierung des Systems führt. ({25}) Wenn Sie das mitmachten, hätten wir eine Gleichbehandlung beim Steuersatz und -tarif und eine Gleichbehandlung aller Einkommensarten und könnten auf die komplizierten Krücken und Verrenkungen wie Gewerbesteueranrechnung und Optionslösung verzichten. Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein paar Sätze zur Steuerfreiheit bei Veräußerungsgewinnen sagen. Das ist wirklich die zweite Komponente der Ungleichbehandlung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen. Nach dem, was Sie vorgesehen haben, würde Folgendes gelten: Wenn eine Aktiengesellschaft Anteile an einer Aktiengesellschaft verkauft, ist das steuerfrei. Wenn die SPD ihre Medienbeteiligungen verkauft, ist das auch steuerfrei; das will ich hier nur am Rande erwähnen. ({26}) Wenn eine Personengesellschaft Anteile an einer Aktiengesellschaft verkauft, ist das nicht steuerfrei, sondern dann gilt die hälftige Besteuerung. Wenn ein Unternehmer zum Beispiel ein Grundstück an einen Mitunternehmer verkauft - also einen Teil des Unternehmens umstrukturiert -, ist das nun aufgrund Ihres so genannten Steuerentlastungsgesetzes voll steuerpflichtig, während es früher steuerfrei war. ({27}) Wenn ein Metzger seinen Betrieb aufgibt und ihn verkauft, ist seit dem letzten Jahr aufgrund Ihrer Gesetzgebung der volle Steuersatz zu bezahlen, während das früher zum halben Steuersatz möglich war. ({28}) Meine Damen und Herren, an diesen Beispielen wird deutlich, dass das mit Gerechtigkeit nichts zu tun hat. ({29}) Das sind vergleichbare Sachverhalte, die ungleich behandelt werden. ({30}) Ich will Ihnen einen für uns wirklich unverdächtigen Zeugen zitieren, nämlich Professor Jarass. Das ist ein Sachverständiger, der auch in der Brühler Kommission mitgearbeitet hat und von der SPD und den Grünen immer mit benannt wird. Er sagt: Der Einzelunternehmer subventioniert mit überhöhten Steuern die Steuerfreiheit der Konzerne. Wo er Recht hat, hat er Recht. Deshalb machen wir das nicht mit. ({31}) Mit der von Ihnen vorgesehenen Regelung schaffen Sie neue Steuerschlupflöcher, und zwar für die Reichen, für diejenigen, die so etwas gestalten können, die Ihre Vermögenswerte durch komplizierte Firmenbeteiligungen, durch Gründungen von GmbHs und Holdings so aufteilen können, dass erzielte Veräußerungserlöse steuerfrei sind. Die Personenunternehmer, die Inhaber kleiner und mittelständischer Unternehmen, die nicht so reich sind, können dies nicht. Eine solche Ungleichbehandlung aber geht einfach nicht. Deshalb sollten wir uns gemeinsam darum bemühen, sie zu beseitigen. ({32}) Es ist richtig, dass wir Umstrukturierungen steuerlich nicht behindern dürfen. ({33}) Aber dies darf nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern muss für alle gelten, also auch für unsere deutschen Personenunternehmen, für die Einzelunternehmer und Handwerker, deren Anteil an allen deutschen Unternehmen 85 Prozent ausmacht. ({34}) Unser Vorschlag ist deshalb, für Erlöse aus Veräußerungen von Anteilen an Kapitalgesellschaften eine Reinvestitionsrücklage in Höhe von 60 Prozent zu schaffen, die steuerfrei ist. Das bedeutet eine Gleichbehandlung der Personengesellschaften und der Kapitalgesellschaften bei Vorliegen desselben Sachverhalts. Darüber hinaus schlagen wir die Rücknahme dessen vor, was Sie im Steuerentlastungsgesetz an Belastungen, an Verschlechterungen für die Umstrukturierungsmaßnahmen beschlossen haGerda Hasselfeldt ben, nämlich insbesondere die Rücknahme der Entscheidungen zur steuerneutralen Übertragung von Wirtschaftsgütern. Es ist wesentlich, dass diese Benachteiligungen des Mittelstandes wieder aufgehoben werden. Als weiteren wichtigen Punkt schlagen wir die Rückkehr zum halben durchschnittlichen Steuersatz bei Betriebsaufgaben vor. Die von Ihnen vorgesehene Erhöhung des Freibetrages von 60 000 auf 100 000 DM ist wirklich lächerlich. ({35}) Wie ich Sie kenne, Frau Scheel, werden Sie dies sicher noch sehr loben, ({36}) aber dann sagen Sie doch auch etwas zur 300 000-DMAbschmelzungsgrenze. ({37}) Warum haben Sie diese nicht gleichmäßig erhöht? Das hängt doch damit zusammen. Die Erhöhung des Freibetrages allein bringt fast überhaupt nichts. ({38}) Nun hat sich eines wie ein roter Faden durch die Rede des Ministers gezogen: Das alles können wir nicht finanzieren. Deshalb stehe er Änderungen nicht aufgeschlossen gegenüber. Herr Minister, es kann nicht sein, dass Sie Geld für die Aktiengesellschaften und GmbHs, aber nicht für die Personenunternehmen und die Arbeitnehmer haben. Das geht nicht. ({39}) Im Übrigen gilt: Wenn Sie, Herr Minister Eichel - das hören wir in den letzten Monaten fast gebetsmühlenartig -, und der heutige Bundeskanzler Schröder vor drei Jahren wenigstens im Ansatz dazu bereit gewesen wären, wozu Sie heute zumindest dem Anschein nach bereit zu sein scheinen, hätten wir seit drei Jahren eine Steuerreform, die den Namen wirklich verdient, die zu mehr Wachstum und Beschäftigung geführt hätte. Dann hätten wir diese Probleme heute nicht. ({40}) Dann wäre wahrscheinlich auch die Entwicklung des Euro ein wenig anders. ({41}) Aber das ist Vergangenheit. Heute geht es darum, die Weichen für diese Reform zu stellen. ({42}) Sie können davon ausgehen, dass unser Ansatz eine höhere Selbstfinanzierung und einen höheren Wachstumseffekt beinhaltet. Dies schafft auch die Grundlage dafür, dass es finanzierbar ist. Das gilt abgesehen davon, dass Sie die in den vergangenen Jahren schon erzielten zusätzlichen Steuereinnahmen sowie die, die noch hinzukommen, mit einkalkulieren können. Wir brauchen keine Buchhaltermentalität, meine Damen und Herren, sondern eine volkswirtschaftliche Betrachtungsweise des Ganzen. ({43}) Wir werden heute Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir haben einen Alternativvorschlag gemacht. Auch im Bundesrat wird die Union voraussichtlich nicht zustimmen. Vor drei Jahren haben Sie eine Totalblockade gemacht. ({44}) Diese Strategie verfolgen wir so nicht. Aber für unsere Zustimmung ist unabdingbar notwendig, dass alle Einkommensarten steuerlich gleichbehandelt werden. Deshalb kann es eine Zustimmung nur geben, wenn die Benachteiligung des Mittelstandes wegfällt. ({45}) Deshalb kann es eine Zustimmung nur geben, wenn es Verbesserungen beim Einkommensteuertarif gibt und wenn eine Gleichbehandlung bei Umstrukturierungsmaßnahmen erfolgt. Meine Damen und Herren, wenn Sie dazu bereit sind, können wir uns treffen. ({46})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt Kollegin Christine Scheel, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hasselfeldt, es ist in gewisser Weise schon sehr abenteuerlich, was Sie hier vorstellen, wenn Sie sagen, wir brauchen keine Buchhaltermentalität. Heißt denn das, dass Ihnen vollkommen egal ist - davon gehen wir aus -, was Ihre Maßnahmen kosten, und dass Sie keine Ahnung davon haben, wie die Haushaltssituation ist und wie sich die Haushalte in den nächsten Jahren finanzieren sollen? ({0}) Es ist auch sehr ärgerlich, dass hier immer nur halbe Wahrheiten verkündet werden. Das kann die CDU/CSUFraktion verdammt gut. Das muss man Ihnen zugestehen. ({1}) Die andere Hälfte der Wahrheit neben Ihrem Konzept, das Sie damals vorgestellt haben, wäre die Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozentpunkte gewesen. ({2}) Aus diesem Grund haben wir damals gesagt, dass wir dieses Konzept nicht unterstützen wollen, weil wir nicht einsehen, dass die Allgemeinheit der Verbraucher und Verbraucherinnen Ihre drastische Senkung des Spitzensteuersatzes auf 39 Prozent finanzieren soll. ({3}) Zum aktuellen Gesetzentwurf der CDU/CSU muss man auch sagen, dass dieser Entwurf - vielleicht noch kombiniert mit diesem, wie Herr Schlauch schon gesagt hat, unverantwortlichen Hokuspokus der F.D.P.-Fraktion; das wird ja demnächst noch kundgetan ({4}) einen recht schönen Blick ins Wunschtraumland der Steuerpolitik vermittelt, allerdings mit der Konsequenz, dass Deutschland immer weiter, tiefer und letztendlich bodenlos in die Schuldenfalle geraten würde. Das ist genau der Punkt, an dem wir uns anscheinend unterscheiden: Wir wollen eine solide Finanz- und Haushaltspolitik gestalten, während Sie in der Steuerpolitik mit abstrusen Vorschlägen kommen, ohne die Haushaltslage zu berücksichtigen. ({5}) Es gibt eine ganz klare Aussage dieser Koalition, für die wir Hans Eichel sehr dankbar sind: Wir wollen die Nettoneuverschuldung bis zum Jahr 2006 auf Null abbauen. ({6}) Wir haben in diesem Zusammenhang dennoch ein Steuerreformkonzept mit einem Nettoentlastungsvolumen von 45 Milliarden DM vorgelegt. In diesem Kontext muss man auch mit betrachten, dass wir mit dem Steuerbereinigungsgesetz, mit dem Steuerentlastungsgesetz, das bereits beschlossen ist, und mit den Familienförderungskomponenten, die auch jetzt in der Stufe 2 noch kommen werden, über ein Gesamtnettoentlastungsvolumen von rund 73 Milliarden DM entscheiden wollen. Das ist wirklich das gigantischste Nettoentlastungsvolumen, das diese Bundesrepublik bislang gesehen hat. ({7}) Wir beschließen heute eine Steuerreform, die sozial ausgewogen ist und die alle Steuerzahler und Steuerzahlerinnen gleichermaßen begünstigt. Es wird durchgreifende Erleichterungen geben, sodass wir auch die Wachstumsimpulse, die wir dringend brauchen - Hans Eichel hat ja bereits die 155 000 neu entstandenen Arbeitsplätze genannt -, bekommen werden, sodass wir von einer weiteren Belebung des Arbeitsmarktes durch diese Reformpolitik ausgehen. Das Rheinisch-Westfälische Institut - das ist übrigens das Einzige, das hierzu eine Prognose gewagt hat - geht perspektivisch von zusätzlich 400 000 Arbeitsplätzen aus, die, verbunden mit dieser Reform, in diesem Land entstehen können. Wir haben mit dem vorgelegten Gesetz auch im Bereich des Mittelstandes eine enorme Entlastung vorgeschlagen. Da können Sie hunderttausendmal das Gegenteil sagen; es stimmt einfach nicht. Wir haben auch in den Beratungen - das wissen Sie doch sehr gut - gegenüber dem Entwurf noch einmal nachgelegt. Wir haben sehr gute Nachrichten für die Kleinanleger, eine zusätzliche Steuerentlastung von 315 Millionen DM gegenüber dem, was ursprünglich vorgesehen war. Wir haben die Vergabe von Risikokapital, auch das Engagement von Business Angels und auch die Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen am Produtivkapital kleiner Firmen jetzt attraktiver gestaltet, indem wir bis zu einer Beteiligungshöhe von 5 000 DM am Nennkapital Steuerfreiheit gewähren, und zwar unabhängig davon, wie hoch die Veräußerungsgewinne sind. Auch hier ist eine zusätzliche Entlastung gegeben. Wenn Sie, Frau Hasselfeldt, sagen, dass 100 000 DM bei der Veräußerung eines Unternehmens fast nichts sind, dann ist das nicht zu verwechseln mit dem Veräußerungserlös. An diesem Punkt sind Sie auf dem falschen Dampfer. Denn der reine Veräußerungsgewinn von 100 000 DM wird sozusagen als Altersfreibetrag in der Kombination mit bestimmten Kriterien freigestellt. Dies bringt für die Altersvorsorge des Unternehmers oder der Unternehmerin ein Gesamtvolumen von einer halben Milliarde DM bzw. 500 Millionen DM. Dies als Pipifax oder als fast nichts zu bezeichnen, liegt absolut daneben. Wir haben gerade für diesen Bereich Vorsorge getroffen. Es ist eine mittelstandsfreundliche Verbesserung, die während des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens auch von uns Bündnisgrünen erfolgreich angestoßen wurde. ({8}) Wenn man sich ernsthaft mit Ihrem Konzept, soweit es möglich ist, auseinander setzt, dann erkennt man, dass Ihr Konzept insgesamt 77 Milliarden DM kosten würde. Ich habe schon viele Gespräche mit den Finanzministern der Länder geführt. Das tun wir von grüner Seite auch. Das ist klar. Die Länderfinanzminister sind zum großen Teil vielleicht bis auf einen oder zwei - der Auffassung, dass ihre Länderhaushalte keine Nettoentlastung über die hinaus, die wir in diesem Gesetz vorgelegt haben, verkraften können. Wir sind sehr gespannt auf die Diskussionen im Vermittlungsverfahren, wenn die Zahlen auf den Tisch kommen. Hier haben einige mit Erschrecken festgestellt, welche Nettoentlastungsvolumina die weiteren Vorschläge des CDU/CSU-Modells in sich bergen. Das kann man im Moment nur als reinen Populismus bezeichnen. Ich hoffe, dass wir das nicht so ernst nehmen müssen. ({9}) Wenn wir, wie Sie auch immer wieder zu suggerieren versuchen, Kritik von dem einen oder anderen Verband bekommen, dann ist vollkommen klar, dass die versuchen, das Möglichste herauszuholen. Das ist legitim und vollkommen in Ordnung. Es ist aber überhaupt nicht mehr verständlich, wenn gesagt wird, dass im Handwerk zu wenig getan wird. 70 Prozent der Handwerksbetriebe liegen unter einem Grenzsteuersatz von 25 Prozent. Ich muss Sie im Ernst fragen: Was haben diese Handwerksbetriebe von einer weiteren drastischen Senkung des Spitzensteuersatzes? Sie haben überhaupt nichts davon. Hier zu sagen, wir täten irgendetwas, was dem Handwerk nicht zugute kommt, ist auch völlig daneben. Sehen wir uns einmal den internationalen Vergleich an. ({10}) Wir bleiben auf dem Boden und machen eine solide Finanzpolitik - bodenständig und kein Wolkenkuckucksheim, wie das einige von Ihnen vielleicht gerne hätten. Sonst wären wir angreifbar. Das sind wir nicht, und das ist gut so. ({11}) Im internationalen Vergleich haben wir mit 45 Prozent den zweitniedrigsten Spitzensteuersatz. Mit einem Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent haben wir einen der niedrigsten Steuersätze aller europäischen Länder. Auch wenn wir Japan und die USA hinzunehmen, gehören wir in den unteren Bereich. Eine solche Entlastung ist enorm. Dies ist auch für ausländische Investoren, für Firmen, die sich überlegen, hier zu investieren, für Privatanleger, die überlegen, in Deutschland mehr zu machen, ein hervorragendes Angebot. Es geht ja auch um das internationale Renommee. Wenn Sie die internationalen Zeitungen verfolgen, stellen Sie fest, dass die Finanz- und Steuerpolitik von Rot-Grün gelobt wird, vor allem in Kombination ich muss es an dieser Stelle wiederholen - mit einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Haushalt, indem wir die Nettoneuverschuldung reduzieren und trotzdem in der Lage sind, in diesem Land eine solche Steuerentlastung vorzunehmen. Ich sage immer klipp und klar: Die Vorschläge, die von Ihnen jetzt wieder gekommen sind - Sie haben es auch in Ihrem Gesetzentwurf stehen -, den Grenzsteuersatz auf 35 Prozent zu senken und erst ab 110 000 DM greifen zu lassen, bedeuten, wenn wir den Tarifverlauf betrachten, dass wir zusätzliche Steuerausfälle in einer Größenordnung von 52,6 Milliarden DM haben. Wenn dann behauptet wird, das sei eine verantwortungsvolle Haushaltsund Finanzpolitik, dann kann man als verantwortungsvolle Politikerin nur noch den Kopf schütteln. Wir machen keine Voodoo-Politik. Es wird auch nicht Roulette gespielt; denn solche Steuerausfälle, die die Folge wären, wenn Ihre finanzpolitischen Vorstellungen umgesetzt würden, ließen sich nur durch eine weitere Staatsverschuldung finanzieren. Das wissen Sie doch auch. ({12}) Die Selbstfinanzierungseffekte sind in unsere Reform ja schon eingerechnet. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Selbstfinanzierungseffekte so groß sein werden, dass sie solche Steuerausfälle kompensieren. Wer davon ausgeht, kann nicht ernsthaft von einer soliden Finanzpolitik sprechen. Deswegen lehnen wir Ihre Vorschläge ab. ({13}) Sie behaupten immer wieder, dass Körperschaften und Personenunternehmen ungleich behandelt würden. Es ist aber einfach falsch, zu behaupten, dass Körperschaften wesentlich geringer als Personenunternehmen besteuert würden. Der Körperschaftssteuersatz liegt in Deutschland bei 25 Prozent. Hinzu kommt - das ist bereits angesprochen worden - die Gewerbesteuer. Diese Art der Besteuerung - scheinbar ist dies bei Ihnen noch immer nicht angekommen; man kann es nicht oft genug wiederholen - wird von der ersten bis zur letzten D-Mark durchgehalten. Die Körperschaften unterliegen damit einer Definitivbesteuerung von 38 Prozent. Es ist vollkommen richtig, wenn gesagt wird, dass die durchschnittliche Steuerbelastung aller Einzelunternehmen und Personengesellschaften unter 38 Prozent liegt. Diese Zahl muss für einen internationalen Vergleich herangezogen werden, nicht der Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent und der obere Grenzsteuersatz von 45 Prozent. Der letztere Vergleich hinkt; denn Sie müssen die reale Belastung betrachten. Sie sollten mit Ihren Spielereien den Leuten nicht zu suggerieren versuchen, dass es hier eine Ungleichbehandlung gäbe. Das ist falsch. Unsere Vorgehensweise ist steuerpolitisch vollkommen korrekt. Wenn Sie, Herr Thiele, dafür sorgen wollen, dass die unterschiedliche Besteuerung von Einkommen beseitigt wird, dann frage ich Sie: Heißt das in der Konsequenz, dass Sie die Körperschaftsteuer abschaffen wollen? Wir haben es hier doch mit zwei verschiedenen Steuertatbeständen zu tun, die international gang und gäbe sind. Wir sorgen dafür, dass die Belastungen und die Entlastungen durch diese beiden Steuerarten das von mir vorhin beschriebene internationale Niveau haben. Wenn Sie behaupten, man müsse hier gleichziehen, dann kann ich nur sagen: Das ist Unsinn; denn man muss die reale Belastung betrachten. Man darf seine Politik nicht so populistisch gestalten, wie es die F.D.P. in der letzten Zeit getan hat. Ein weiterer Punkt ist die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne. Die Steuerfreiheit für Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften ist keine Begünstigung, Frau Hasselfeldt; vielmehr ist sie notwendig, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Wenn die stillen Reserven tatsächlich als Gewinne realisiert werden und wenn die unterbewerteten Wirtschaftsgüter Gewinne produzieren, dann werden sie im Unternehmen definitiv mit 25 Prozent und beim Anteilseigner hälftig besteuert. Das hängt mit der Systemumstellung zusammen, die Sie anscheinend noch immer nicht verstanden haben. Es gibt hier keine Besteuerungslücke. Allerdings - das muss man einschränkend sagen - müssen Missbrauchsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Das ist vollkommen klar. Darüber kann man im Vermittlungsausschuss noch reden. Das ist nicht der entscheidende Punkt. Wenn Sie aber für Personenunternehmen eine Steuerfreistellung wie bei den Körperschaften fordern, dann muss ich Ihnen sagen: Das ist nicht möglich; denn diese unterliegen nicht einer Definitivbesteuerung.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Scheel, kommen Sie bitte zum Schluss.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

An diesem Punkt vergleichen Sie Äpfel mit Birnen. Das geht so nicht. Wir gehen davon aus, dass das Reformkonzept noch in der ersten Hälfte dieses Jahres im Rahmen des Vermittlungsverfahrens gemeinsam beschlossen wird und dass Deutschland im Jahr 2001 - das kann man mit Blick auf die internationale Entwicklung nur hoffen - eine reformierte Steuergesetzgebung haben wird, die international konkurrenzfähig sein wird, die unsere Kaufkraft stärken wird, die gut für unser Wirtschaftswachstum sein wird und die sozial ausgewogen sein wird. Dafür werden wir uns einsetzen. Ich kann nur sagen: Auch wir Grünen werden Hans Eichel in den weiteren Bemühungen zur Konsolidierung der Haushalte unterstützen. Für uns gibt es nur beides: die Senkung der Verschuldung und die Durchführung dieser Reform, die auch nach dem Vermittlungsverfahren noch finanzierbar sein muss. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Scheel, Sie haben sich auch heute wieder als Chamäleon der Steuerpolitik erwiesen. Sie kritisieren in den Medien, zum Beispiel beim Frühstücksfernsehen, Ihre eigene Steuerreform und beschließen heute gleichzeitig das Gegenteil. Sie betreiben damit ein Täuschungsmanöver in der Steuerpolitik und machen sich auch - das müssen Sie gegen sich gelten lassen - zum Steigbügelhalter von brutalen Diskriminierungen insbesondere des Mittelstandes. Sie treiben bereits mittlere Einkommen in den Spitzensteuersatz. Das ist eine Tatsache. Selbstverständlich haben die Zusammenhänge und der Vergleich zwischen der Körperschaftsbesteuerung und der Einkommensbesteuerung einen klaren Grundsatz, was ich Ihnen an folgendem Rechenmodell verdeutlichen will: Von Ledigen geführte Personenunternehmen zahlen bei einem zu versteuernden Einkommen von 200 000 DM 38,6 Prozent Einkommensteuer und bei Anrechnung der Gewerbesteuer 33,6 Prozent, wenn man einen Satz von 400 Prozent unterstellt. Des Weiteren müssen Soli und Gewerbesteuer gezahlt werden, sodass insgesamt 47 Prozent des Einkommens an Steuern abzuführen sind. Ab 2001 kommt noch die Gegenfinanzierung hinzu, die Sie natürlich vergessen haben. Gleichzeitig ist in diesem Punkt die Vorfinanzierung des Mittelstandes aus dem Steuerentlastungsgesetz zu sehen. Ich sage Ihnen deutlich: Sie unterscheiden zwischen den Kapitalgesellschaften und den Personengesellschaften - das ist eine Diskriminierung der Personengesellschaften -; sie teilen damit die Wirtschaft in Unternehmen und Unternehmer und differenzieren zwischen „guten“ und „schlechten“ Einkünften. Das ist eine Tatsache. Sie wollen den Weg von eigentümergeprägten Personengesellschaften zu anonymen Kapitalgesellschaften einschlagen. ({0}) Sie beschreiten damit einen absoluten Irrweg, nämlich zu einem „Deutschland mit beschränkter Haftung“. Es war immer die wesentliche Stärke der deutschen Wirtschaft, Unternehmer zu haben, die mit ihrem eigenen Vermögen voll und ganz für das einstehen, was sie unternehmerisch tun. Die deutsche Wirtschaft würde ärmer, wenn Eigentümerunternehmer durch Geschäftsführerunternehmer künftig immer mehr zurückgedrängt würden. Was ich Ihnen besonders vorwerfe, Frau Kollegin Scheel: Sie wollen, dass 2 Millionen Unternehmen - und das ist die Mehrheit - nicht angemessen entlastet werden. Die Steuerschätzung, die von Herrn Bundesfinanzminister Eichel vorab deutlich angekündigt wurde, prognostiziert für die Jahre 2000 bis 2003 Mehreinnahmen in Höhe von 19,1 Milliarden DM. Das müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Im Jahre 2003 wird die Steuerleistungsgrenze von 1 Billion DM in Deutschland überschritten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Michelbach, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das sind 100 Milliarden DM mehr als 1999. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Bemühen Sie sich, für Entlastung zu sorgen, und belasten Sie nicht den Mittelstand. Beseitigen Sie insbesondere die Diskriminierung des Mittelstandes! ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Scheel, bevor ich Ihnen zur Erwiderung das Wort erteile, gebe ich dem Kollegen Schwarz-Schilling das Wort zu einer weiteren Kurzintervention. Ich bitte Sie, danach auf beide Kurzinterventionen zusammen zu antworten.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie haben für sich in Anspruch genommen, dass die großen, die mittleren und die kleineren Unternehmen gleich besteuert werden. Das, was Frau Hasselfeldt über die Freibeträge und die Größenordnung gesagt hat, beChristine Scheel zeichnen Sie als vollkommen daneben und Sie sprechen von einem Vergleich von Äpfeln und Birnen. Ich glaube, Ihnen ist nicht ganz klar - entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen das sage -, wie bei uns gerade in den letzten beiden Jahren die innovativen Unternehmen überhaupt in Gang gekommen sind. Der Grund dafür ist, dass wir endlich einen Neuen Markt haben und damit die Börsengängigkeit kleiner Unternehmen möglich wird. Hier müssen die Venture-Capital-Unternehmen und -Unternehmer einen Risikoausgleich vornehmen; anderenfalls könnten sie das Kapital gar nicht zur Verfügung stellen. Bei den Unternehmensveräußerungen, die für den Zeitpunkt vorgesehen sind, zu dem die Unternehmen auf die Schiene gekommen sind - und die Venture-Capitalists wieder aussteigen -, liegt das Verhältnis bei etwa acht zu zwei: Die Venture-Capitalists erwirtschaften bei zwei Unternehmen, die hervorragend auf die Schiene gekommen sind, das Kapital, das sie bei acht anderen verlieren. Jetzt sorgen Sie dafür, dass sie bei den zwei erfolgreichen Veräußerungen voll versteuert werden, weil die 1-Prozent-Grenze bei einem Venture-Capitalist, also dem, der das Risikokapital gibt, natürlich immer überstiegen wird, wenn die Zurverfügungstellung von Kapital für das zu veräußernde Unternehmen überhaupt von Bedeutung sein soll. Insofern ist Ihnen - das sage ich hier ganz deutlich - der gesamte Mechanismus der innovativen Unternehmen, wie er in den Vereinigten Staaten angefangen und nun endlich auf die Bundesrepublik Deutschland übergegriffen hat, überhaupt nicht klar. Anderenfalls könnten Sie so nicht reden. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung auf beide Kurzinterventionen erteile ich jetzt der Kollegin Christine Scheel das Wort. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann mir vorstellen, dass Sie jetzt lieber nichts sagen würden, Herr Waigel. Aber ich möchte gerne auf die beiden Beiträge von Herrn Michelbach und Herrn SchwarzSchilling eingehen. Ich bin Herrn Michelbach in gewisser Weise dafür dankbar, dass er bestätigt hat, dass man bei einem zu versteuernden Einkommen von 200 000 DM bzw. von 400 000 DM, wenn man verheiratet ist, nur einen durchschnittlichen Steuersatz von 38 Prozent zu zahlen hat. Das ist richtig. Ich habe vorhin angesprochen, dass die Masse der Unternehmen - abgesehen von einer Hand voll Ausnahmen gilt das für fast alle Handwerksbetriebe und auch für andere Branchen - darunter liegt. Das bedeutet, dass Ihr Vorwurf, den Sie hier jetzt zum wiederholten Male vorgetragen haben - ich vermute, dass Sie jetzt eine so lange Intervention gemacht haben, weil Sie von Ihrer Fraktion keine Redezeit bekommen haben -, ({0}) einfach falsch ist und auch dadurch nicht richtig wird, dass Sie ihn erneut wiederholen. Hier geht es - ich kann es an diesem Beispiel nur noch einmal sagen - um unterschiedliche Situationen. Wir haben ein Körperschaftsteuerrecht mit einer Definitivbelastung und ein Einkommensteuerrecht. Die einkommensteuerliche Belastung ist im Ergebnis weitaus geringer. Es kommt ja darauf an, was real an Steuern gezahlt wird, nicht aber darauf, welcher Spitzensteuersatz auf dem Papier steht. Das wissen die Leute draußen alle. Es ist also ein Humbug, immer zu suggerieren, für die einen gelte ein Steuersatz von soundso viel Prozent, für die anderen aber der Spitzensteuersatz. Dann muss man auch einmal sagen, welches der Unternehmen denn den Spitzensteuersatz erreicht. Es ist eben nur eine Hand voll, weil Gewerbetreibende die Betriebsausgaben verrechnen können. Sie sind ja neben Ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter auch noch Gewerbetreibender, Herr Michelbach, und kennen das sehr gut; mich würde einmal interessieren, welche durchschnittliche Belastung Sie in Ihrem Betrieb haben. Sie ist bestimmt relativ gering. Deswegen verstehe ich auch nicht, warum Sie sich an dieser Stelle so aufregen. Zu der Steuerschätzung, die Sie ebenfalls angesprochen haben: Wir sind aufgrund der steuerrechtlichen Regelungen, die wir bereits beschlossen haben und heute verabschieden werden, endlich so weit, dass die Steuereinnahmen wieder kalkulierbar sind. ({1}) In den vergangenen 16 Jahren Ihrer Regierung gab es Steuerschätzungen, die in einem Volumen von 30 bis 40 Milliarden DM daneben gelegen haben. Das hing damit zusammen, dass man enorme Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerrecht hatte, sodass es für diejenigen, die das Steueraufkommen zu beurteilen hatten, überhaupt nicht berechenbar war, wie sich die Steuereinnahmen entwickeln würden. Dies haben wir wieder auf das Normalmaß zurückgeführt. Wir haben sehr viele Vergünstigungen abgebaut. Sie würden sie gerne wieder einführen; aber an diesem Punkt kommen Sie mit uns nicht weiter. Wir wollen eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Wir wollen niedrige Steuersätze, die finanzierbar sind. Dazu stehen wir. Entlastet werden vorwiegend die kleinen und mittleren Unternehmen. Aber auch für die Großunternehmen sind die Auswirkungen dieser Maßnahmen, wie Herr Eichel sagte, nicht bloß neutral, sondern sie bringen für Energiekonzerne und die Versicherungswirtschaft sogar ein kleines Minus aufgrund der Auflösung von Rückstellungen und vielem mehr mit sich. Damit ist, wie ich finde, eine faire Behandlung im Steuerrecht gegeben, die sich auch an dem ausrichtet, was finanzierbar ist. So kann man hier von einer Besteuerung reden, die alle mehr oder weniger gleichmäßig trifft und nicht Großkonzerne, wie es zu Ihrer Zeit der Fall war, überdurchschnittlich bevorteilt. Dagegen hatten wir ja schon damals andere Vorschläge unterbreitet. ({2}) Ganz kurz zu den Ausführungen von Herrn SchwarzSchilling: Anscheinend ist Ihnen entgangen - anders kann ich mir das nicht erklären -, dass wir gerade im Bereich von Existenzgründungen, Venture-Capital und der neuen Medien, in dem jetzt neue Berufe entstehen, ein neues Angebot eingefügt haben. Wenn man jetzt in eine neu gegründete GmbH einsteigt - diese Form wählen ja die meisten -, kann ein Nennkapital bis 5 000 DM steuerfrei sein. Damit wird ein enormes Volumen an kleinen Beteiligungen von ganz normalen Kapitalanlegern aktiviert. Wir reizen hier also einen Markt an; im Ergebnis wird das zu vielen neu geschaffenen Arbeitsplätzen führen, was letztendlich auch unserer Wirtschaft helfen wird. Die Senkung der Steuerfreiheit bei Beteiligungen von 10 auf 1 Prozent dient dazu, dem Missbrauch vorzubeugen. Fänden Sie es gut, wenn eine 10-prozentige Beteiligung eines Privatmannes an irgendeiner großen Firma, zum Beispiel an einer Reederei oder an Siemens ohne jetzt für eine Firma Werbung zu machen -, an der kein normal Sterblicher im Regelfall so hohe Beteiligungen hält, auch nach der Änderung des Verfahrens bei der Besteuerung in Form des Halbeinkünfteverfahrens noch steuerfrei wäre? Dann wäre doch Missbrauch möglich. Wenn man Missbrauch bekämpfen will, muss man diese Grenze von 10 Prozent auf 1 Prozent senken. Damit hat sich auch der Vorwurf, wir würden Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, die Missbrauch fördern, erledigt. Ich glaube, dass diese Entscheidung gut ist. Danke schön. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Debattenredner ist der Kollege Rainer Brüderle für die Fraktion der F.D.P.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Eichel, Sie hatten den Hinweis eingefügt, Herr Möllemann würde in NordrheinWestfalen diese Reform gerne mittragen. Ich darf Aussagen von zweien Ihrer sozialdemokratischen Kollegen, nämlich von Herrn Steinbrück und Herrn Schwanhold, zitieren: Herr Schwanhold sagt, er verspüre keine Neigung, das Optionsmodell zu verteidigen. Herr Steinbrück sagt, es komme für maximal 5 Prozent der Betriebe in Betracht, die nordrhein-westfälische Regierung halte es daher für entbehrlich. So viel zu Ihren eigenen Kollegen. ({0}) Sie lenken mit einer Popanzdiskussion über den Spitzensteuersatz und dadurch, dass Sie ständig Daten aus dem Handwerk heranziehen, davon ab, dass gerade das Handwerk und seine Organisation zu den schärfsten Kritikern Ihrer Steuerreform gehören. Hören Sie sich einmal an, was Herr Philipp und seine Organisation dazu sagen! ({1}) Wie die Reformpolitik in Deutschland, dem größten Industriestaat in Euroland, draußen bewertet wird, können Sie täglich an den Devisenmärkten ablesen. Der Euro sank von 1,18 auf unter 0,90 Dollar. Ich fürchte, er wird weiter sinken, weil auch diese Steuerreform an einer ordnungspolitischen Schieflage krankt. Sie ist kein Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechtes. Es wird vielmehr alles noch komplizierter. Gerade für die Kleinen läge in einer Vereinfachung eine Chance. Die komplizierten Steuerrechtsfragen können nur große Konzerne mit Abteilungen von Spezialisten und Advokaten, die auf Grauzonen spezialisiert sind, lösen. ({2}) Was Sie mit dem Mittelstand machen, ist wirtschaftspolitisch obszön. ({3}) Ihre Regelungen zu den Veräußerungsgewinnen halte ich teilweise für nachvollziehbar. Man muss natürlich auch sehen, woher Sie politisch kommen: Vor drei Jahren hat Rot-Grün die Umsetzung der Petersberger Beschlüsse im Bundesrat blockiert. Immerhin haben Sie sich von Lafontaine gelöst. Bei Ihnen ist es jetzt nicht mehr tabu, vom Selbstfinanzierungseffekt der Steuerreform zu sprechen. Angebotspolitik ist für Sie nicht mehr Teufelsvokabular. Sie sehen auch ein, dass man die Unternehmen entlasten muss. Nur machen Sie es nicht ausreichend. Es fehlt Ihnen entweder die Überzeugung oder das politische Umfeld, dies konsequent zu tun. Vielleicht spekulieren Sie auch darauf, dass Ihr Gesetzentwurf im Vermittlungsausschuss eh nicht durchgeht und dass Sie dann Verhandlungsmasse haben. Sie sollten aber gleich sagen, wohin Ihr Kurs führt; denn der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf wird so nie im Bundesgesetzblatt erscheinen. ({4}) Es geht eben nicht, die großen Banken bei Veräußerungen steuerfrei zu stellen, aber die Mittelständler nicht. Für den Mittelständler geht es um seine Alterssicherung. Der Handwerker, der früher darauf vertraut hat, nur den halben Steuersatz zu zahlen, ist der Dumme. Ich komme zum Optionsmodell: Dieses Modell ist so kompliziert und so wenig attraktiv, dass Ihre eigenen Kollegen sagen, dass es nur für vielleicht 5 Prozent der Unternehmen interessant sei. Sie wollen dieses Modell einführen, obwohl Sie in Wahrheit wissen, dass eine Differenz in der Steuerbelastung von 10 Prozentpunkten zwischen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften verfassungswidrig ist. ({5}) Das Schlimme ist: Die Erhöhung des Drucks in Richtung der Option Kapitalgesellschaft bewirkt eine Qualitätsveränderung. Es ist nämlich ein Unterschied, ob Unternehmer mit ihrem persönlichen Vermögen für ihre Entscheidungen einstehen oder ob im Fall von GmbHs und Co. KGs Steuerzahler für die Entscheidungen haften. Das ist ein schleichender Systemwandel. Lösen Sie sich von dem ideologischen Ballast von vorgestern! ({6}) Der Kardinalfehler ist die Trennung der Besteuerung von einbehaltenen und ausgeschütteten Gewinnen. Hier gibt es ebenfalls eine ideologische Altlast; ein Rest von Karl Marx aus dem Trier-Museum schimmert da durch. Damit bewirken Sie gerade das Gegenteil. Die Manager der großen Konzerne haben jetzt einen zusätzlichen Vorwand, das Geld im Unternehmen zu lassen und es nicht den Aktionären zu geben. Da Manager ihre Gehälter zunehmend auch in Form von Aktienbesitz erhalten, werden diese doppelt begünstigt. Sie sind doch der Kumpel der Superbosse und Manager und nicht der selbst haftenden Unternehmer. Das ist Ihr klassischer Kardinalfehler. ({7}) Diese unterschiedliche Behandlung führt zu skurrilen Folgen. ({8}) - Dass Sie schreien, ist verständlich; denn es trifft Sie ins Mark, dass Sie nicht mehr für die Kleinen auftreten, sondern Politik für die großen Konzerne machen. Sie werden zu der Partei der Bosse und sind nicht mehr die Partei der Kleinaktionäre, der Arbeitnehmer und des Mittelstandes. Das muss Ihnen Sorge machen. Sie sollten sich für die Schieflage Ihrer Politik schämen. ({9}) Noch haben Sie eine Chance, Ihre Politik zu korrigieren, damit Sie nicht länger Ihre Scham verstecken müssen. Skurril ist, dass das Bundesfinanzministerium selbst Steuerschlupflöcher empfiehlt. Wegen der ungleichen Behandlung empfiehlt es, private Kapitalgeber sollten eine GmbH vorschalten, die dann steuerfrei veräußern könne. Ein Steuervorschlag, bei dem eine Umgehung gleich mitgeliefert wird, ist unredlich. ({10}) Machen Sie doch klare, einfache, gerechte und verständliche Steuervorschläge! Wenn Sie unser Modell nicht übernehmen wollen, dann nehmen Sie das F.D.P.-Modell von Struck: 15, 25 und 35 Prozent. Dieses Steuermodell ist verständlich und sozial gerecht. Lösen Sie sich aus Ihrer Verklemmung! Ich verstehe, dass es schön ist, wenn man als Sozi mit den großen Bossen essen und dicke Zigarren aus Kuba rauchen kann. ({11}) Das sind doch nicht Ihre Wähler. Wir kämpfen für die Kleinen. Sie aber setzen sich zu den Großen und wollen dann sozusagen den Großen spielen. Darin liegt Ihre Schieflage begründet. Sie stehen in der falschen Ecke. ({12}) Ein Glück, dass es den Bundesrat gibt. ({13}) Ein Glück, dass der Bundesrat das korrigiert, was Sie heute vorlegen, ohne rot zu werden - da könnten Sie wirklich einmal rot werden, vor Scham -, und dass er Sie davor bewahrt, Ihre eigene Wählerschaft zu verraten. ({14}) Vielen Dank. ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Den Begriff „skurril“, Herr Kollege Brüderle, will ich gern aufgreifen. Auch mir kam manches heute merkwürdig vor. Frau Hasselfeldt und Kollegen der CDU leisten eifrig Trauerarbeit über all das, was sie nicht zustande gebracht haben, aber vielleicht zustande gebracht hätten, wenn man sie gelassen hätte. Aber der Wähler hat nun mal anders entschieden. Wir machen das jetzt. Bei Ihnen, Herr Brüderle, springt doch aus jedem Knopfloch die Befürchtung, dass wir nicht nur mit den kleinen Leuten, mit den Beziehern kleiner Einkommen, gut klarkommen, die wir erheblich entlasten, sondern dass wir auch beim Mittelstand, der massiv entlastet wird, unsere Schnitte kriegen und darüber hinaus auch mit denjenigen gut klarkommen, die Export organisieren, wovon die Wirtschaft lebt. Es ist doch Aufgabe der Regierung, mit denen gut klarzukommen, die das Geschäft hier bestimmen. Das gelingt uns ganz gut. ({0}) Solange wir - das ist doch das Wichtigste - bis 2005, also in wenigen Jahren, in mehreren Schritten eine Steuerentlastung von rund 75 Milliarden DM hinkriegen, von denen ein großer Teil bei der mittelständischen Wirtschaft landet, der größere Teil aber natürlich bei den Privathaushalten und insbesondere bei den Familien, ist die Symmetrie sehr gut gewahrt. Ich denke, damit können wir uns als rot-grüne Koalition sehr gut sehen lassen. Das wird letztendlich auch von allen goutiert, von wenigen Experten wie Philipp abgesehen, der seinen eigenen persönlichen Spitzensteuersatz im Auge hat und nicht den der Handwerker, die er zu vertreten vorgibt. ({1}) - Ich bitte Sie, Peter Rauen, die Handwerksstatistik ist völlig eindeutig. Nur ein verschwindend kleiner Bruchteil von Handwerksunternehmen kommt überhaupt jemals in die Verlegenheit, in die Nähe des Spitzensteuersatzes zu rutschen. Denen hilft Philipp mit seinen Parolen überhaupt nicht, sondern er hilft allenfalls sich selbst und seinem eigenen Ego, aber nicht der Klientel, die er vertritt. ({2}) Wenn wir es noch in dieser Legislaturperiode erreichen, dass eine Familie mit zwei Kindern erst ab 56 000 DM aufwärts die erste Mark Steuern zahlt und dann mit 15 Prozent einsteigt, ist das eine Großtat gegenüber über all dem, was wir hier vorgefunden haben. Brutto für netto wird gerade für die kleinsten Einkommen Wirklichkeit; das muss man einfach sehen. Es gibt viele Einkommen, die deutlich unterhalb dieses Betrages liegen. Der Einstieg mit 15 Prozent wird auch zur positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt beitragen. Das wird von allen, von den Wirtschaftsverbänden, von den Unternehmen, aber auch von den Wissenschaftlern, bestätigt. Er wird dazu beitragen, dass auch Erwerbsarbeit im Niedrigstlohnbereich attraktiv ist. Das ist der Sinn der Senkung des Eingangssteuersatzes auf 15 Prozent. Das tut den Leuten gut und es hilft natürlich auch der Wirtschaft. Die wirtschaftsfreundliche Besteuerung von Unternehmen in Deutschland wird nach der Reform, die trotz schon vorhandener höchster Aufwendungen des Staates für Spitzeninfrastruktur, für Bildung und Ausbildung und für soziale Sicherheit durchgeführt wird, im Vergleich zu anderen großen Industriestaaten erhebliche Wettbewerbsvorteile schaffen. Wir werden in vielen Punkten, auch was den Steuerstandort Deutschland angeht, deutlich besser sein als die viel gepriesenen Vereinigten Staaten. Das wird das Ergebnis sein. Zum Systemwechsel, der den Steuerberatern so viel Kummer macht: Ein bisschen Weiterbildung kann denen natürlich auch nicht schaden. Wenn sie sagen, das sei für sie alles zu kompliziert, sie hätten sich seit Bismarck an das gegenwärtige System gewöhnt, dann müssen sie halt mal mitdenken und mitlernen. Das ist überhaupt nicht kompliziert. ({3}) Der Systemwechsel von der bisher üblichen steuerlichen Begünstigung entnommener Gewinne hin zur steuerlichen Förderung von Gewinnen, die in der Wirtschaft weiter arbeiten, also nicht privat entnommen werden, wird die Eigenkapitalausstattung und die Eigenfinanzierungsquote in allen deutschen Unternehmen, aber insbesondere im Bereich des Mittelstandes, stärken. Geld wird wieder Realanlage suchen und nicht anonyme Finanzanlage. Das wird das Ergebnis sein. Es wird endlich auch das abgestellt, was über viele Jahre unter der schwarz-gelben Koalition begünstigt wurde, nämlich die finanzielle Ausplünderung deutscher Tochterunternehmen ausländischer Mütter, die Aktiengesellschaften auf Micky-Mouse-GmbHs heruntergefahren haben, sie darlehensfinanziert haben, um hier Kosten zu produzieren und die Gewinne an einem steuerlich günstigeren Standort zu realisieren. Es wird eine Umkehrung geben. Es wird wieder Vermögenszufluss in die deutschen Töchter ausländischer Konzerngesellschaften geben. Das wollen wir zugunsten der Wirtschaftskraft hier in Deutschland erreichen. ({4}) Entnommene Gewinne werden künftig zur Hälfte mit dem persönlichen Einkommensteuersatz des Anteilseigners belegt, in der Spitze mit 45 Prozent, also - das ist hier vielfach schon dargestellt worden - um 8 Prozentpunkte deutlich abgesenkt; „zur Hälfte“ deswegen, weil es bereits eine Unternehmensteuerbelastung von 25 Prozent gibt, die die Unternehmen bezahlt haben und die nicht mehr gegen die nachgelagerte Einkommensbesteuerung verrechnet werden kann. Es besteht kein Zweifel, dass das Vollanrechnungsverfahren mit den Steuergutschriften für die betroffenen Deutschen praktisch und häufig angenehm war, aber europatauglich oder gar globalisierungstauglich war dieses Steuersystem eindeutig nicht. Denn es gibt in vielen Ländern, die mit uns im Austausch stehen, Anteilseigner, die keine Chance haben, die hohe Körperschaftsteuervorbelastung in ihrem Heimatland gegen irgendetwas gegenzurechnen. ({5}) Wer fordert, das aufrechtzuerhalten, macht eine deutsche Wagenburgsteuerpolitik - ohne Blick auf internationale Verflechtungen, die wir als großer, internationaler Player auch weiterhin gerne wollen. Ganz wichtig im Zusammenhang mit dem Systemwechsel ist natürlich die Frage: Was heißt eigentlich Definitivbesteuerung? - Gewinn, der im Unternehmen oder in der Wirtschaft bleibt, verwandelt sich in Eigenkapital, unabhängig davon, ob er auf einem Konto liegt, ob er bei Dritten angelegt wird oder ob man damit Maschinen oder Beteiligungsunternehmen kauft. Es ist völlig egal, welche Gestalt dieser umgewandelte Gewinn annimmt. Da kann man sich doch nicht hinstellen und sagen: Wenn wir uns von diesem in Kapital umgewandelten Gewinn, zum Beispiel in Form einer Beteiligung, trennen, muss der Fiskus zuschlagen. Damit würden wir das Prinzip der Definitivbesteuerung einseitig durchbrechen. Das würde bestraft werden. Daran, wie die Märkte in dieser ganz zentralen Frage zu dem Zeitpunkt, als die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen angekündigt wurde, reagiert haben, zeigt sich: Die gesamte Reform würde wie ein Bettvorleger landen, nachdem sie wie ein Tiger gestartet ist, wenn wir darauf verzichten würden. Der Steuerstandort Deutschland würde Schaden nehmen. Wir würden an der Wall Street, in London, in Tokio ausgelacht werden, wenn wir nicht den Mut zum Sprung beweisen. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich erlaube sie. Reinhard Schultz ({0})

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schultz, Sie haben gerade wieder das Wort „Veräußerungsgewinne“ in den Mund genommen, genau wie die Kollegen vonseiten der CDU/CSU und der F.D.P., natürlich mit einem sehr negativen Beigeschmack. Ich habe die Frage an Sie: Können Sie mir sagen, wie sich die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne in den nächsten Jahren auf die Steigerung des Bruttosozialproduktes und auf den Arbeitsmarkt auswirken wird?

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lennartz, ich persönlich bin sehr sicher, dass der steuerlich nicht gebremste Austausch von Kapital und die Möglichkeit, dass sich Anlagen die jeweils beste Verwendung suchen, dazu führen werden, dass durch Veräußerungsgewinne Investitionen getätigt werden, von denen wir in der Vergangenheit nur geträumt haben. Ich darf einmal zitieren, was der Chef der Deutschen Börse gestern in der „FAZ“ dazu geäußert hat: Er wagt die Prognose, dass die Kapitalkosten von Kapitalgesellschaften um 14 Prozent sinken werden, dass wir Investitionskapital für neue Anlagen in Höhe von etwa 150 Milliarden DM frei machen und dass wir einen sehr agilen, liquideren Aktienmarkt haben werden, der Neugründungen auch im Venture-Capital-Bereich deutlich begünstigen wird. Er geht sogar davon aus, dass alleine dieser Punkt der Steuerreform zu einem Wachstum des Bruttosozialproduktes von 1 Prozent führen wird. So mutig wäre ich nicht, das zu prognostizieren; das sagt der Chef der Deutschen Börse. Aber von 0,7 Prozent Wachstum gehe auch ich aus und das wäre ein gewaltiger Beitrag, mit dem die ohnehin gute Konjunktur nachhaltig unterstützt werden könnte. - So weit die Antwort. ({0}) Die Kampagne, die Teile der Opposition gemeinsam mit Teilen der Wirtschaftspresse in den letzten Tagen losgetreten haben, dass die Steuerfreiheit von Veräußerungserlösen geradezu ein gigantisches neues Steuerschlupfloch aufreißen würde, entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Das muss man wirklich sagen. Die Herren Jarass und Lang, die ich sonst außerordentlich schätze und denen ich zugestehe, dass sie mit der Bekanntgabe ein Steuerschlupfloch entdeckt zu haben, das Werbeverbot für bestimmte Beratungsberufe sehr geschickt und sehr populär umgangen haben, haben sich meines Erachtens im „Hasselfeldt“ verloren. Frau Hasselfeldt ist ja diejenige, die immer wieder betont, man könne durch Gestaltung Vermögen maximieren und dann auch privat konsumieren. Das ist ein großer Irrtum. Wir mischen uns nicht darin ein, wie sich Unternehmen organisieren. Wir sagen nur: Wenn Geld, das heißt Gewinne oder Veräußerungserlöse, in der privaten Sphäre landet, dann wird es hälftig zum persönlichen Steuersatz besteuert. Solange dieses Geld aber in der Wirtschaft bleibt, soll es so arbeiten, wie es die Wirtschaft für richtig hält. Herr Gysi sagt, das müsse der Staat regeln. Wir haben weder bei uns in der Fraktion noch in der Regierung einen Herrn Mittag, der so etwas regelt. Das muss die Wirtschaft selber tun. Frau Hasselfeldt, ich glaube, auch Sie sehnen sich nicht nach Herrn Mittag. Wir wollen, dass die Wirtschaft im Rahmen bestimmter Spielregeln selber entscheidet, wie sie sich organisiert. Erst wenn Geld im privaten Portemonnaie landet, muss die Einkommensteuer zuschlagen - und das zu Recht. Denn sonst wäre das Prinzip, Geld, das arbeitet, besser zu behandeln, nicht mehr gerechtfertigt. Aber auch diejenigen, die Einkommensteuer zu zahlen haben, werden besser gestellt. ({1}) Ich denke, die so genannte Optionslösung, die wir den Personengesellschaften anbieten, die gut verdienen, ist gut. Ihr Vorwurf, dass die Optionslösung nur für 5 Prozent der Personengesellschaften interessant ist, ist völliger Blödsinn. Es handelt sich um ungefähr 7 Prozent, die davon Gebrauch machen könnten. Wenn man alle Unternehmen berücksichtigt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass davon nur 7 Prozent Körperschaften sind. Für diese sehen wir sogar ein eigenes Körperschaftsteuersystem vor. Ihr Argument, die Optionslösung sei nur für 5 Prozent der Personengesellschaften interessant, ist also nicht tragfähig. Es handelt sich nämlich - sei es Boehringer, seien es andere große Personengesellschaften - um außerordentlich ertragsstarke Unternehmen, die, volkswirtschaftlich gesehen, eine große Bedeutung haben und um die man sich kümmern muss; das ist gar keine Frage. Die bekommen die gleichen Chancen wie Kapitalgesellschaften, ohne gezwungen zu sein, sich in eine andere Rechtsform umzuwandeln. Ich halte das für vernünftig. Das würde auch bedeuten, dass eine als Personengesellschaft geführte Vermögensholding, wenn sie denn optiert, selbstverständlich die Möglichkeit hat, ihrer Holding Beteiligungserlöse steuerfrei zuzuführen und diese im Rahmen neuer Beteiligungen wieder anzulegen. Das gilt auch für den berühmten „business angel“, der soeben von Herrn Schwarz-Schilling zitiert worden ist, also für den berühmten Venture-Kapitalisten. Er muss, wenn er nicht sowieso schon über eine Rechtsform verfügt, lediglich optieren, ({2}) damit sichergestellt ist, dass er die Erlöse aus seinen erfolgreichen Aktionen in eine andere - hoffentlich auch erfolgreiche - Aktion investieren kann. Mehr ist das nicht. Es ist doch schlau gedacht: Wir schützen im Grunde genommen die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieser Unternehmen, schaffen aber gleichzeitig eine klare Abgrenzung zwischen der privaten Einkommenssphäre und der unternehmerischen Tätigkeit. Das ist, so denke ich, angemessen und daran halten wir fest. ({3}) Natürlich muss eine solche umfangreiche Reform auch finanziert werden. Einiges haben wir schon vorher getan: Wir haben bereits in der ersten Stufe der Steuergesetzgebung den Sumpf an Steuerschlupflöchern fast trocken gelegt. Wir sehen an den Einnahmen, dass dies wirkt. Die Finanzverwaltungen bestätigen dies. Wir haben in Bezug auf die Versicherungs- und die Energiewirtschaft Maßnahmen ergriffen, weil dort ungerechtfertigt hohe Rückstellungen angesammelt worden sind und man daher in der Lage war, ganze volkswirtschaftliche Zweige aufzukaufen. Aber es bleibt ein Selbstfinanzierungsanteil in nennenswerter Größenordnung, bei dem ein großes Risiko besteht. Wer heute fordert, die sich im Rahmen der Steuerschätzung ergebenden Mehreinnahmen auszugeben, der handelt unseriös. Wir haben bereits 30 Milliarden DM als Selbstfinanzierungseffekt - sozusagen als Wechsel auf die Zukunft - eingerechnet. Wir geben 20 Milliarden DM aus den Einnahmen aus der Ökosteuer aus, um die Renten zu stabilisieren. 50 Milliarden DM sind also bereits ausgegeben. Der Rest ist vorgesehen für das Ausgabenwachstum von nicht einmal 2 Prozent im öffentlichen Dienst des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Dadurch sind 130 Milliarden DM schlicht und einfach ausgegeben. Davon bleibt nichts übrig. Herr Thiele, Sie berichten hier also die ganze Zeit von einem Phantom. Die Wirklichkeit sieht anders aus. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Schultz, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich freue mich besonders, dass es gelungen ist, mit den kommunalen Spitzenverbänden zu dem Agreement gekommen zu sein, in der Zukunft Jahr für Jahr eine Feinjustierung vorzusehen, damit die Kommunen angesichts der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage, über die sie ihren Anteil an der Steuerreform finanzieren, nicht über den Tisch gezogen werden. Wir haben versprochen, diese Feinjustierung spätestens in vier Jahren noch einmal zu überprüfen. Denn wir wollen nicht zulasten der Gemeinden arbeiten. Sie sollen lediglich in dem Umfange, indem sie am Steueraufkommen insgesamt beteiligt sind, an der Gegenfinanzierung der Steuerreform beteiligt werden. Unterm Strich, denke ich, handelt es sich um eine sehr gelungene Sache. Wir können wirklich stolz darauf sein; denn dadurch wird Wachstum produziert, wird die Wirtschaft von unnötigen steuerpolitischen Bremsen und strukturellen Nachteilen befreit und wird es letztendlich auch zur Stabilisierung der gemeinsamen europäischen Währung kommen. Angesichts der Größe unserer Volkswirtschaft bin ich da sehr zuversichtlich. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Minister für Finanzen und Bundesangelegenheiten des Saarlands, Peter Jacoby. Peter Jacoby, Minister ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einigen Tagen war in einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen: Ab Donnerstag müssen Lösungen gesucht werden, die Aufbruchstimmung erzeugen, statt zu frustrieren. ({1}) Der Bundesfinanzminister hat jetzt mit Blick auf das Vermittlungsverfahren, in diesem Fall mit Blick auf die Finanzminister und Ministerpräsidenten der Union, die Kategorie „Nettoentlastung und Verträglichkeit mit den öffentlichen Haushalten“ als zentrales Argument in die Debatte eingeführt. Zu diesem Themenbereich will ich Folgendes sagen: Natürlich ist das ein wichtiger Punkt. Aber wenn es um eine zukunftsorientierte Steuerreform geht, ist das nur einer von mehreren Punkten und noch nicht einmal der entscheidende. Entscheidend ist vielmehr die Frage: Ist die Konzeption zukunftsorientiert, ist sie tauglich? Denn wenn sie zukunftsorientiert und tauglich ist, leisten wir einen Beitrag zugunsten von mehr Wachstum und Beschäftigung, intensivieren wir die Selbstfinanzierungseffekte und verbessern die Lage der öffentlichen Haushalte. Das ist der Zusammenhang, um den es bei dieser Debatte geht. ({2}) Deshalb wäre es - auch aus der Verantwortung der Finanzminister heraus - völlig verkürzt, dieses Thema nur in fiskalpolitisch enger Weise anzugehen. ({3}) Man muss sich diesem Thema im Gesamtzusammenhang stellen. Ich sage es noch einmal: Die entscheidende Frage ist die Frage nach der Konzeption. Mich hat schon etwas verblüfft, Herr Bundesfinanzminister, wie leichtfertig Sie über Einwendungen etwa der Deutschen Bundesbank oder von Professor Bareis, dem Initiator der Diskussion, den Sie, als Sie in der Opposition waren, als Kronzeugen bemüht haben, hinweggehen. Wir sehen uns jetzt sehr nahe bei der Position von Herrn Bareis. Das ist doch ein Hinweis darauf, wie unterschiedlich man je nach Verantwortung mit den entsprechenden Hinweisen aus der Wissenschaft und der Fachwelt umgeht. Oder wie wird mit den Hinweisen von Professor Peffekoven oder mit denen Ihres eigenen Beraters Jarass umgegangen, von dem eben ein verehrter Vorredner gesagt hat, dass er oft Recht habe, hier aber nicht? Die Fundamentaleinwendungen solcher Leute gegen die Konzeption können doch angesichts des anstehenden Vermittlungsverfahrens nicht mit dem Totschlagsargument „Nettoentlastung und Verträglichkeit mit den öffentlichen Haushalten“ beiseite gerückt werden. Das will ich klar und eindeutig sagen. ({4}) Mit Blick auf die Konzeption möchte ich Folgendes anmerken: Wenn wir kritisieren, dass das Steuerrecht bei Umsetzung der von Ihnen vorgelegten Pläne nicht einfaReinhard Schultz ({5}) cher, sondern komplizierter wird, dann ist das Kritik bezogen auf die unzureichende Konzeption. Wenn wir die unzureichende Balance zwischen der Entlastung der Kapitalgesellschaften auf der einen Seite und der Entlastung der Personengesellschaften, des Mittelstandes auf der anderen Seite beklagen, dann hat das nichts mit der Verträglichkeit mit den öffentlichen Haushalten zu tun. Wenn wir die unnötigen Systemwechsel kritisieren Stichworte: Halbeinkünfteverfahren, Optionslösung, Gewerbesteueranrechnung -, dann ist auch das ein entscheidendes konzeptionelles Gegenargument, das wir unisono vertreten. Dadurch kann - ich sage es noch einmal - mit Blick auf mehr Wachstum und Beschäftigung und damit das zukünftige Erschließen von Steuerquellen mehr bewirkt werden als durch das, was uns seitens der Bundesregierung bisher vorgelegt worden ist. ({6}) Der Bundesfinanzminister spricht von finanziellen Risiken; wir sprechen in diesem Zusammenhang von konzeptionellen, unkalkulierbaren, im Übrigen auch verfassungsrechtlichen Risiken. ({7}) Damit bin ich bei einem anderen Thema, das ich ansprechen will. Die Ministerpräsidenten und die Länderfinanzminister haben natürlich insbesondere eine regionalpolitische Verantwortung. Wenn man aus einer Gegend kommt, in der 90 Prozent der Unternehmen Personengesellschaften des Mittelstandes sind, dann ist das für mich eine nur zu natürliche Bezugsgröße. Wir stehen in den Ländern auch vor der Aufgabe, die öffentlichen Haushalte, die jeweiligen Länderhaushalte zu sanieren. Ich könnte übrigens bei Ihrer rückwärts gewandten Diskussion im Blick auf die 90er-Jahre und die Tätigkeit der Vorgängerregierung gut mitmachen. Ich könnte ebenfalls eine Diskussion zum Thema Erblast führen mit Blick auf Ihre 15 Jahre. Lassen wir das außen vor. Konzentrieren wir uns auf die Sachfragen. Wir stehen vor der Notwendigkeit, die Haushalte zu konsolidieren; wir stehen aber genauso vor der Notwendigkeit, den Strukturwandel zur Kenntnis zu nehmen und ihn zu beschleunigen. Ferner stehen wir vor der Aufgabe, unter den Gegebenheiten des Wettbewerbs der Regionen im Vergleich zu Wirtschaftsstandorten im benachbarten Ausland konkurrenzfähiger zu werden. Dass wir feststellen, dass viele Investoren mittlerweile dem Standort Deutschland, insbesondere in den Grenzregionen, den Rücken gekehrt haben ({8}) und wenige Kilometer hinter der Grenze Standorte gefunden haben, wo sie investieren, hat entscheidend etwas mit den steuerrechtlichen Rahmenbedingungen zu tun. ({9}) Die extreme Spreizung zwischen der Körperschaftsteuer einerseits und der Einkommensteuer andererseits ist hinderlich. Regelungen, die eine Benachteiligung des Mittelstandes gegenüber den großen Kapitalgesellschaften mit sich bringen, werden den von mir genannten Anliegen nicht gerecht. Die Ungleichbehandlung von einbehaltenen und ausgeschütteten Gewinnen, also die fiktive Unterscheidung zwischen Betrieben und Betriebsinhabern, ist ebenfalls der falsche Ansatz. Das hat im Übrigen Auswirkungen auf die Kapitalbeschaffung insbesondere junger Existenzgründer - sie brauchen wir als Träger des Strukturwandels -, und berührt den Kapitalmarkt. Deshalb haben wir gegen das, was vorgelegt worden ist, konzeptionelle Einwände. ({10}) Zusammenfassend möchte ich sagen: Nicht eine Politik des geringsten fiskalischen Risikos ist gefragt, sondern eine verantwortbare Politik, die sich auch in einen Gesamtzusammenhang einordnen lässt. Billiger kann auch alles andere als besser sein; es kann eben auch schlechter sein. Das sagen wir in Bezug auf die Pläne, die seitens der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition vorgelegt worden sind. Das Folgende will ich sagen, weil der Blick immer nur auf die Ministerpräsidenten und die Finanzminister der Union gerichtet wurde. Ministerpräsident Müller ist dahin gehend zitiert worden, er wolle die Auswirkungen auf den saarländischen Haushalt kalkulierbar und verantwortbar halten. Das ist wahr. Nur, was Sie nicht nennen, sind die konzeptionellen Antworten, die ebenfalls gegeben werden. Was Sie insbesondere verdrängen, sind die Äußerungen, die aus Ihren eigenen Reihen zu dem kommen, was heute zu beurteilen ist. Der Kollege Brüderle hat ja eben schon ein, zwei Stimmen genannt. Ich will daran anknüpfen. Der Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundesrates, der Kollege Steinbrück - er kommt aus NordrheinWestfalen, dem großen Bundesland, das Sie bis zum letzten Sonntag als Herzkammer der SPD bezeichnet haben -, hat dieser Tage öffentlich erklärt: Einerseits ist ... eine Steuerfreistellung der Veräußerungsgewinne bei Kapitalgesellschaften geplant. Andererseits werden Personengesellschaften seit Anfang 1999 voll besteuert, wenn sie Beteiligungen verkaufen. ({11}) Im Sinne von Mittelstandsförderung muss an dieser Ungleichbehandlung etwas geändert werden ... Vornehmlich geht es mir um die kleinen Betriebe. Exakt das ist unsere Position. Die Veränderungen hinsichtlich der Freistellungsgrenze, die Sie zwischenzeitlich nachgeschoben haben, sind nur marginal und nicht annähernd in der Lage, eine Kompensation zu bewirken. ({12}) Herr Poß, der Kollege Steinbrück sagt ganz deutlich: Klar muss sein, dass Personengesellschaften nicht schlechter gestellt werden als Kapitalgesellschaften. Der SPD-Kollege aus Rheinland-Pfalz, Gernot Mittler, Minister Peter Jacoby ({13}) Vorsitzender der Finanzministerkonferenz, sieht das in der Steuerreform vorgesehene Optionsmodell sehr kritisch. Er wurde dieser Tage im „Handelsblatt“ mit folgender Aussage zitiert: Über das Optionsmodell bin ich nicht glücklich. Das Modell ist missbrauchsanfällig, beratungsintensiv und konfliktträchtig. Also, meine Damen und Herren, ziehen wir doch im Blick auf das anstehende Vermittlungsverfahren die Konsequenzen aus diesen Einwendungen aus der Fachwelt und der Wissenschaft. Zu diesen Stimmen, auch von fachund sachlich Zuständigen aus Ihren eigenen Reihen, haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, heute leider nichts gesagt. ({14}) Ich fasse zusammen: Die Ausgangslage für eine wirkliche Steuerreform ist so gut, wie sie es schon lange nicht mehr war. ({15}) Wir machen keine Blockade, wie wir es leider in den Jahren 1997 und 1998 erlebt haben. ({16}) Wir weisen darauf hin: Die Steuereinnahmen laufen gut. Die Privatisierung von Bundesvermögen sowie die zu erwartenden Versteigerungserlöse aus den Mobilfunklizenzen schaffen weitere Spielräume, ohne dass das Ziel der Haushaltskonsolidierung, zu dem auch wir uns bekennen und das wir unterstützen, infrage gestellt werden müsste. Deshalb sind wir davon überzeugt: Wenn wir an dieser Stelle anknüpfen und einen mutigen Schritt machen, dann werden die Selbstfinanzierungselemente verstärkt und erweitert und dann werden wir in der Lage sein - etwa wenn wir die Gelder aus der Versteigerung der Mobilfunklizenzen dazu nutzen, den Fonds Deutscher Einheit abzulösen ({17}) und damit den Schuldenstand zu tilgen -, aus dem bündischen Prinzip heraus einen Beitrag zur Entlastung der Länder und Kommunen zu leisten. Wir verbreitern so Spielräume und diese Spielräume nutzen wir zugunsten einer zukunftsorientierten Steuerreform. Ich bedanke mich. ({18})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich glaube, es ist nicht die Aufgabe von Herrn Jacoby, an diesem Platz den Standort Deutschland schlecht zu reden. Es ist sinnvoller, sich darum zu kümmern, dass Deutschland in gutem Licht erscheint, ({0}) und die Dinge beim Namen zu nennen, die angesprochen werden müssen. Herr Jacoby hat beispielsweise das Wort „Spreizung“ benutzt. Nun möchte ich ganz kurz darstellen, worauf sich dieser Begriff bezieht: Er vergleicht zwar nicht unbedingt Äpfel mit Birnen, aber er vergleicht eine Gerade mit einer Kurve. Jeder lernt in der Schule, dass man eine Gerade ein konstanter Steuersatz von null bis unendlich - nicht mit einer Kurve vergleichen kann, die, wie hier, eine Progression beschreibt. ({1}) Es wäre sehr hilfreich, diese elementare Mathematik auch im Bundestag nicht zu missachten. Wir haben heute gelernt, dass die vorgelegte Reform zur Senkung der Einkommensteuer und die Reform der Unternehmensteuer zukunftsfähig und sozial orientiert sind. Wir haben gelernt, dass die Steuern für alle Menschen gesenkt werden und dass die sozialen Sicherungssysteme durch einen Abbau der Arbeitslosigkeit gestärkt werden. Wir haben gelernt, dass das geplante Steuersystem zukunftstauglich ist, ({2}) woraus indirekt folgt, dass das bisherige nicht zukunftstauglich war. Wir haben gelernt, dass alle Unternehmen etwas von dieser Steuerreform haben. Wir haben etwas aus einem alten Grundsatz gelernt, nämlich: Man darf das nicht verschenken, was einem noch gar nicht gehört. Damit wird die Reform finanziert. ({3}) Hierin besteht der entscheidende Unterschied zu allen Reformansätzen der vorherigen Regierung. Ich will das mit einigen Zitaten belegen und mit einer Formulierung von Herrn Rauen beginnen. Herr Rauen hat vorhin gesagt: In sieben endlos langen Jahren erst werden wir das Ziel, die Rückführung der Nettoneuverschuldung, erreichen. Abgesehen davon, dass sieben kleiner als sechzehn ist, ist vielleicht noch von Belang, dass wir für diese sieben Jahre einen Plan haben. Wir haben 16 lange Jahre erlebt, in denen es keinen Plan gab. ({4}) - Zur deutschen Einheit komme ich gleich noch. Frau Hasselfeldt hat nämlich gesagt, wir vergäßen immer die deutsche Einheit. ({5}) Minister Peter Jacoby ({6}) Es ist bei näherer Betrachtung nicht so, dass die wesentlichen wirtschaftlichen Parameter, die Sie hinterlassen haben, aus der deutschen Einheit resultieren. Wir müssen uns klarmachen, dass das, was Helmut Schmidt hinterlassen hat, ein Drama war. Er hat 400 Milliarden DM Staatsverschuldung hinterlassen. Das war schlimm. Aber was war bis 1989 angewachsen? Da waren es plötzlich - ohne deutsche Einheit - 1 000 Milliarden DM. Das ist aber merkwürdig. ({7}) Helmut Schmidt hat eine dramatische Situation, nämlich 1 Million Arbeitslose, hinterlassen. Was haben Sie bis 1989 - 1989 gab es noch keine Vereinigung - daraus gemacht? Über 3 Millionen Arbeitslose. ({8}) Man muss sich schon überlegen, ob man alles auf die deutsche Einheit schieben darf. ({9}) Herr Michelbach sagte, es komme zu einer brutalen Diskriminierung des Mittelstands. Dagegen frage ich, Herr Michelbach: Ist es nicht brutal, dass der Staat die Lohnsteuer und die Steuern, die der Mittelstand bezahlt, einkassiert und in Zinsen verwandelt? Das halte ich für brutale Steuerpolitik. Im Ergebnis hatte das auch einen gewissen Erfolg: Allianz, Dresdner Bank, Deutsche Bank, RWE und VIAG haben zum Beispiel von dieser Politik der Umwandlung von Lohnsteuer in Zinsen, mit denen sie wirtschaften, einen entsprechenden Erfolg, der jetzt zu korrigieren ist, erzielt. Wer ein bisschen darauf achtet, wie die Überkreuz- und die echten Beteiligungen funktionieren, weiß auch, dass es sehr wohl notwendig ist, die Veräußerungsgewinne jetzt steuerfrei zu stellen und gleichwohl, Frau Hasselfeldt, nicht zu vergessen, dass sie eine Nachversteuerung in dem Moment erfahren, in dem die stillen Reserven an natürliche oder private Personen übergehen. Insofern ist die Besteuerung sichergestellt und auch der Gerechtigkeit zwischen Großunternehmen, internationalen Strukturen und dem Mittelstand Genüge getan. Ich will noch einen Satz zur Modernität dieses Gesetzes sagen. Wir haben ein altmodisches System vorgefunden, das nicht einmal europatauglich war. Wir haben ein System vorgefunden, das darauf basierte, dass man sich nicht sonderlich um die Neuverschuldung gekümmert hat. Frau Hasselfeldt ließ sich hinreißen, zu sagen: Wir brauchen keinen Buchhalter. - Ich glaube, dass wir sehr wohl einen Buchhalter brauchen, der darauf achtet, dass die Neuverschuldung nicht exorbitant wächst und alle Steuereinnahmen als Zinsausgaben auffrisst. ({10}) Ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen, der deutlich macht, wie modern das Gesetz ist. Denn nach diesem Gesetz wird es künftig möglich sein, elektronische Rechnungen als Nachweis für den Vorsteuerabzug anzuerkennen. Das ist verbunden mit modernen Prüfungsverfahren der Finanzverwaltungen, die künftig auf die Datenverarbeitungsanlagen der Unternehmen zurückgreifen können. Damit wird die Effizienzsteigerung in den Unternehmen mit der Effizienzsteigerung der Prüfungsbehörde kombiniert. Wir glauben, dass das in einer Welt, in der wir vom Internet, von neuen Medien, von E-Commerce, von virtuellen Lagern und virtuellen Bestellvorgängen sprechen, ein sehr guter Einstieg in eine moderne Gesetzgebung ist, die zukunftstauglich ist und zeigt, in welche Richtung diese Regierung denkt und handelt. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Hansgeorg Hauser.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Binding, Sie haben völlig Recht: Neue Buchhalter braucht das Land, damit man all das bewältigen kann, was Sie mit Ihrer Steuerreform angestellt haben. ({0}) Es gibt zwar durchaus eine gute, aber natürlich auch eine schlechte Nachricht über die heutige Debatte. Die gute Nachricht lautet: Es wird eine Steuerreform geben das Steuersenkungsgesetz wird die parlamentarischen Beratungen am Ende sicherlich passieren - und es wird eine Unternehmensteuerreform geben. Aber die schlechte Nachricht lautet: ({1}) Der uns vorgelegte Gesetzentwurf hat eine so mangelhafte Qualität und wird so schwer verdaulich sein, weil alles so viel komplizierter wird, dass es mit Sicherheit zu einer Fülle von Nachbesserungen kommen wird. Aber das ist bei dieser Regierung absolut nichts Neues. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Es war für mich schon sehr befremdlich, mitzuerleben, wie wir im Finanzausschuss diskutiert haben. Im Grunde waren gar keine großen Diskussionen möglich, weil die Bereitschaft, ein wirklich gutes Gesetz zu machen, auf Ihrer Seite des Hauses einfach nicht vorhanden war. Frau Scheel, es entspricht nicht meinem Verständnis von parlamentarischen Beratungen von Gesetzen, darauf zu verweisen, dass es noch den Vermittlungsausschuss gibt und die Länder schon alles richten werden. ({3}) Das stellen auch andere, so zum Beispiel die Wirtschaftsverbände, fest, die so gelobt worden sind. Von Herrn Hundt ist heute zu lesen: Dass die Steuerreform trotz ihrer gravierenden Schwächen, trotz einer drastischen Schieflage zulasten des Mittelstandes und trotz aller sachlichen Gegenargumente ihren parlamentarischen Gang nehme und für Nachbesserungen nur noch der Lothar Binding ({4}) Vermittlungsausschuss bleibe, sei keine gute Lösung. Meine Damen und Herren, wir sollten uns selbstbewusster mit diesen Themen beschäftigen. Die CDU/CSU-Fraktion ist sich ihrer staatspolitischen und volkswirtschaftlichen Verantwortung sehr wohl bewusst und wird das Gesetz am Ende sicherlich nicht blockieren. Niemand von uns wird eine so schäbige Rolle übernehmen, wie sie der damalige Ministerpräsident des Saarlandes und mittlerweile abgehalfterte Kurzzeitfinanzminister Lafontaine gespielt hat. ({5}) Aber auch Sie, verehrter Herr Bundesfinanzminister, sind mit der unbeweglichen Haltung, die Sie damals im Bundesrat als Koordinator der SPD eingenommen haben, bestimmt kein Vorbild. ({6}) Die von der CDU/CSU vorgelegte Steuerreform wäre finanzierbar gewesen. Alle Argumente der SPD-geführten Länder waren nur vorgeschoben, um eine Steuerreform aus wahltaktischen Gesichtspunkten zu verhindern. Die sicherlich positive Nachricht lautet, dass es zu einer spürbaren Steuersatzsenkung für Kapitalgesellschaften kommt. Eine Absenkung auf 25 Prozent macht die Kapitalgesellschaften international sicherlich ein Stück weit wettbewerbsfähiger und die Anrechnung der Gewerbesteuer bei einigen Unternehmen - nicht bei allen - ist sicherlich ebenfalls eine Entlastung. Aber das sind schon alle Vorteile. Der Systemwechsel weg von der klassischen Anrechnung, die einmal als großer Erfolg gefeiert worden ist, den Sie vornehmen, bringt so viele neue Schwierigkeiten, dass ich bezweifle, ob er auf Dauer haltbar ist. Das Steuersenkungsgesetz verstößt gegen grundlegende Prinzipien der Steuersystematik. Es verletzt die Rechtsformneutralität und das Prinzip der Finanzierungsneutralität. Eine so eklatante Differenzierung bei der Besteuerung von Einkünften hat es noch nie gegeben. Die deutliche Bevorzugung der Kapitalgesellschaften ist schon mehrfach angesprochen worden. ({7}) Dies wird auch gesellschaftspolitische Folgen haben. Herr Brüderle, Sie haben dies völlig richtig dargestellt. Ich fordere Sie deshalb auf, wieder Chancengleichheit herzustellen. Wenn bei den Kapitalgesellschaften die Veräußerungsgewinne steuerfrei bleiben - dafür mag es durchaus Gründe geben -, müssen auch Personengesellschaften und Einzelunternehmer in gleicher Weise ihre Chance für Umstrukturierungsprozesse erhalten. Deshalb ist es unerlässlich, den halben Steuersatz bei der Besteuerung der bei der Veräußerung von Unternehmen und Beteiligungen erzielten Gewinne wieder einzuführen. Auch andere Umstrukturierungshilfen, die Sie abgeschafft haben, müssen wieder zur Geltung kommen. Die zweite Forderung heißt: Beseitigen Sie die Unterschiede bei den Steuersätzen zwischen Körperschaftsteuer und Einkommensteuer! Es ist einfach nicht hinzunehmen, dass eine deutliche Absenkung des Körperschaftsteuersatzes und die Beibehaltung des steil ansteigenden Progressionstarifs mit frühzeitigem Beginn der Spitzenbesteuerung zu solchen ungleichen Belastungen, die sich insbesondere beim Mittelstand auswirken, führen. Das führt zu neuen Gestaltungen und Missbräuchen. Dann stellen Sie sich wieder hin und sagen: Diese Missbräuche müssen beseitigt werden; das sind Steuertricksereien. - Es ist ja in den Kommentaren dieser Tage weitgehend angesprochen worden, welche neuen Möglichkeiten es hier gibt und wie das ausgenutzt werden wird. Die dritte Forderung heißt: Beseitigen Sie diese unsägliche Optionsmöglichkeit! ({8}) Es ist eine Missgeburt ohnegleichen, was hier gemacht wird. Wissen Sie, ich stehe mit diesen Forderungen ja nicht allein. Es sind Minister aus verschiedenen Ländern und alle möglichen anderen zitiert worden. Aber, liebe Frau Scheel, ich darf einmal Ihre Kolleginnen zitieren. Die Fraktion der Grünen hat heute im Bayerischen Landtag einen Dringlichkeitsantrag eingebracht. ({9}) - Heute. - Darin heißt es: Die Staatsregierung wird aufgefordert, im Bundesrat bei den zu erwartenden Verhandlungen im Vermittlungsausschuss folgende Kompromisslinie zu verfolgen: Erstens. Annäherung der bisher unterschiedlichen Steuerbelastung bei Veräußerungen zwischen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften. ({10}) Zweitens. Erhöhung der Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz von 45 Prozent zur Abmilderung der so genannten kalten Progression. Das, was Sie bei Herrn Rauen so kritisiert haben, steht in diesem Dringlichkeitsantrag. ({11}) Weiter heißt es hier: Drittens. Überprüfung des Optionsmodells für Personenunternehmen. Das ist genau die Methode, die Sie, Frau Scheel, ständig praktiziert haben, indem Sie etwas angekündigt haben und im Finanzausschuss dazu geschwiegen und es nicht mehr weiter verfolgt haben. ({12}) Letzten Endes: Die Entlastung kommt zu spät. Deswegen fordere ich Sie auf, im Vermittlungsausschuss bereit zu sein, die Absenkung des Tarifverlaufs nicht erst 2005, sondern schon wesentlich früher zu akzeptieren. Hansgeorg Hauser ({13}) Weil Herr Kollege Rauen wegen seiner Beispielrechnungen so kritisiert worden ist, sage ich noch dies: Der Bund der Steuerzahler hat Ihnen allen einen Brief geschrieben und an einem Beispiel Folgendes sehr deutlich gemacht: Die direkten Abzüge mit Steuern und Sozialabgaben werden bei einem ledigen Durchschnittsverdiener mit einem Jahresbruttoeinkommen im Jahr 2000 von 52 200 DM auch im Jahr 2005 noch immer bei 49 Prozent liegen. Dies sind nur 2,9 Prozentpunkte weniger als 1998. Bitte bewirken Sie eine deutliche und frühzeitige Entlastung! Das kommt der Wirtschaft, den Arbeitnehmern und den Investoren zugute. Damit könnte man wirklich eine wertvolle Stütze für die konjunkturelle Belebung schaffen. Geben Sie Ihre starre Haltung auf! Nutzen Sie, weil es nicht mehr anders geht, da Sie vorher nicht dazu bereit waren, wenigstens im Vermittlungsausschuss die gegebenen Spielräume! ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPDFraktion. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da er der letzte Redner vor der namentlichen Abstimmung ist, bitte ich Sie ausdrücklich darum, auch dem Kollegen Dr. Staffelt die entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen. ({0})

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich am Ende dieser Debatte noch einige kurze Anmerkungen zu den Realitäten in unserem Lande machen. Das, was ich hier in den letzten drei Stunden gehört habe, war ein Szenario, das mit den Tatsachen und mit dem Optimismus in unserem Lande überhaupt nichts zu tun hat. ({0}) Die Realitäten sind die: Der BDI, immerhin ein wichtiger Verband in unserem Lande, der die Industrie repräsentiert, hat gerade erklärt: Die deutsche Konjunktur ist mit Rückenwind ins neue Jahr gestartet. Der Aufschwung gewinnt zunehmend an Breite und Dynamik. Die konjunkturellen Frühindikatoren zeichnen ein überaus freundliches Bild. Die wirtschaftliche Lage als auch die Geschäftserwartungen der Unternehmen geben Anlass zu Optimismus wie schon lange nicht mehr. Meine Damen und Herren, das sind die Nachrichten, auf die Sie einmal hören sollten. ({1}) Ihr Geschwätz über Negativentwicklungen in diesem Lande wird von niemandem mehr ernst genommen. ({2}) Deshalb ist Ihr Verhältnis zur Wirtschaft in unserem Lande auch zerrüttet. ({3}) Lassen Sie mich noch eines sagen: Vorhin ist darauf verwiesen worden, dass die Steuerreform, die wir machen, nicht die Ausgeburt von Ideen aus Ministerien und Verwaltungen ist. Nein, die Vertreter der Wirtschaft haben mit am Tisch gesessen, haben die Reform wesentlich mitgeprägt. Jetzt haben wir das Ergebnis. Es ist ein gutes Ergebnis. Alle Vertreter der großen Verbände in diesem Lande haben gesagt: „Jawohl, wir könnten uns die eine oder andere Verbesserung vorstellen. Aber die Richtung ist richtig. Wir wollen diese Reform.“ Dies ist die Botschaft, über die wir heute zu reden haben. ({4}) Schauen Sie sich - das hat auch etwas mit unserer Diskussion zu tun - die Entwicklung der Haushaltslage an! Es ist darüber debattiert worden. Wir werden in aller Breite bei dem Versuch unterstützt, den Haushalt zu konsolidieren, endlich von der Verschuldung und den Zinsnotwendigkeiten, die wir haben, wegzukommen. Auch das ist eine Politik, die die Unterstützung der Mehrheit in unserem Lande hat. Daran gibt es gar keinen Zweifel. ({5}) Wenn Sie sich die Arbeitsmarktzahlen ansehen, dann können wir auch hier sagen: Ja, es gibt eine Entwicklung zum Besseren. Wir bewegen uns auf dreieinhalb Millionen Arbeitslose zu. Es werden neue Arbeitsplätze geschaffen. Im Gegensatz zu Ihren Anmerkungen haben wir sehr wohl bei den kleinen und mittleren Unternehmen in den neuen Technologien einen Boom an Existenzgründungen. Das muss doch Gründe haben. ({6}) Das Klima ist also gut. In einem Punkt kann ich Herrn Michelbach beruhigen. Ich weiß nicht, ob er anwesend ist. Es ist aber üblich, Fragen zu stellen und dann nicht mehr zuzuhören. ({7}) Ich sage Ihnen Folgendes: Ihre Unterstellung, als würde irgendwer in der Sozialdemokratischen Partei oder in der Koalition von dem persönlich haftenden Unternehmer Abstand nehmen wollen, ist durch nichts zu belegen und nicht haltbar. Wir wollen Unternehmerpersönlichkeiten in diesem Lande. Wir tun sehr viel dafür, dass sich solche Unternehmerpersönlichkeiten herausbilden können. Wir schaffen Rahmenbedingungen, die Sie nicht geschaffen haben. ({8}) Wenn wir über die Steuerreform reden, lassen Sie mich mit einem gewissen Schmunzeln einmal darauf hinweisen, wie die Diskussion neuerdings verläuft: die CDU als Rächer der Enterbten, Sie als diejenigen, die die soziale Frage entdeckt haben, die sich im Übrigen für die kleinen und mittleren Unternehmen ins Zeug werfen, als hätten Sie noch nie etwas mit großen Unternehmen in unserem Lande zu tun. - Wir brauchen uns nur einmal die Hansgeorg Hauser ({9}) veröffentlichten Spenden bei Ihnen etwas näher anzusehen, um Ihre Verbindungen zur Großindustrie und zu den Konzernen festzustellen. ({10}) Ich sage sehr sachlich: Es ist eine völlige Fehleinschätzung, zu glauben, die Großen könnten ohne die Kleinen und die Kleinen ohne die Großen in unserem Lande vernünftig existieren. Schauen Sie sich einmal die Zulieferbetriebe bei uns an! Es geht uns darum, dass sowohl die Kapitalgesellschaften als auch die Personengesellschaften von dieser Steuerreform profitieren. Ich sage Ihnen: Sprechen wir in einem Jahr wieder darüber, dann werden Sie sehen, dass es auch bei Ihnen Erkenntnisse gibt, über die Sie heute nur reden, die dann aber durch die Realitäten gedeckt sein werden. ({11}) Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte: Die Steuerreform insgesamt wird etwas für die Unternehmen bringen. Aber wir haben - dazu bekennen wir uns - auch etwas für die soziale Gerechtigkeit getan. Wir haben die kleinen Einkommen entlastet. Das gehört - das muss immer wieder gesagt werden - zum Gesamtszenario dieses großen Steuerpakets der Bundesregierung. Deshalb werden wir mit großer Überzeugung diesem Steuerpaket zustimmen. Ich bin ganz sicher, dass wir in den Verhandlungen im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss ein tragfähiges Ergebnis für unser Land erzielen werden. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3 a, und zwar zunächst über den Ent- wurf eines Steuersenkungsgesetzes der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Bun- desregierung auf den Drucksachen 14/2683, 14/3074 und 14/3366 Nr. 1 Buchstabe a. Dazu liegen zwei Änderungs- anträge der Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst ab- stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/3383? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- che 14/3384? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses ge- gen die Stimmen der PDS abgelehnt. Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab- stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim- mung. - Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und weise darauf hin, dass 34 Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion*) und ein Kollege der PDS-Fraktion**) Erklärungen zur Abstim- mung nach § 31 der Geschäftsordnung abgegeben haben. Diese Erklärungen werden zu Protokoll genommen. Ich bitte nunmehr die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab- stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, weil wir jetzt mit den Abstimmungen fortfahren. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion der PDS zum Steuersenkungs- gesetz auf Drucksache 14/3390. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hau- ses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Noch zum Tagesordnungspunkt 3 a: Der Finanzaus- schuss empfiehlt unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 14/3366 die An- nahme von zwei Entschließungen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Op- positionsparteien angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Umsetzung einer Steuer- reform für Wachstum und Beschäftigung auf Drucksa- che 14/2903. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Druck- sache 14/3366 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzuleh- nen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der CDU/CSU auf Drucksache 14/2903 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der F.D.P. und gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/ CSU zu einer Steuerreform für mehr Wachstum und Be- schäftigung auf Drucksache 14/3366. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/2688 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. ange- nommen. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P., „Unternehmensteuerre- form - Liberale Positionen gegen die Steuervorschläge der Koalition“, Drucksache 14/3366. Der Ausschuss emp- *) Anlagen 2 und 3 **) Anlage 4 fiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/2706 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS, „Besteuerung der Unternehmen nach deren Leistungsfähigkeit“, Drucksache 14/3366. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/2912 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 2001, Drucksache 14/3366. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung, den Bericht auf den Drucksachen 14/1926 und 14/2770 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir warten noch auf das Ergebnis der namentlichen Abstimmung. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir fahren in den Beratungen fort. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Steuersenkungsgesetzes der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Bundesregierung auf Drucksachen 14/2683, 14/3074 und 14/3366 bekannt: Abgegebene Stimmen 622. Mit Ja haben gestimmt 324, mit Nein haben gestimmt 298, Enthaltungen keine. Vizepräsident Rudolf Seiters Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 625 davon ja: 324 nein: 301 Ja SPD Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({2}) Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({6}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Peter Friedrich ({7}) Lilo Friedrich ({8}) Harald Friese Anke Fuchs ({9}) Arne Fuhrmann Prof. Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({10}) Angelika Graf ({11}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({12}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({13}) Walter Hoffmann ({14}) Iris Hoffmann ({15}) Frank Hofmann ({16}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Prof. Dr. Uwe Jens Volker Jung ({17}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({18}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({19}) Christa Lörcher Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({20}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Prof. Dr. Jürgen Meyer ({21}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({22}) Jutta Müller ({23}) Christian Müller ({24}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({25}) Gerhard Neumann ({26}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Prof. Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Prof. Dr. Eckhart Pick Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({27}) Birgit Roth ({28}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Horst Schild Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({29}) Ulla Schmidt ({30}) Silvia Schmidt ({31}) Dagmar Schmidt ({32}) Wilhelm Schmidt ({33}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({34}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({35}) Brigitte Schulte ({36}) ({37}) Volkmar Schultz ({38}) Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({39}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({40}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({41}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({42}) Gunter Weißgerber Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({43}) Helmut Wieczorek ({44}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({45}) Brigitte Wimmer ({46}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({47}) Waltraud Wolff ({48}) Heidemarie Wright Uta Zapf Peter Zumkley BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gila Altmann ({49}) Marieluise Beck ({50}) Volker Beck ({51}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({52}) Katrin Dagmar GöringEckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Kristin Heyne Michaele Hustedt Monika Knoche Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({53}) Irmingard Schewe-Gerigk Werner Schulz ({54}) Christian Simmert Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({55}) Margareta Wolf ({56}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz ({57}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({58}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Manfred Carstens ({59}) Peter H. Carstensen ({60}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Anke Eymer ({61}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({62}) Axel E. Fischer ({63}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({64}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({65}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({66}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({67}) Norbert Hauser ({68}) ({69}) Klaus-Jürgen Hedrich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr.-Ing. Paul Krüger Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({70}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({71}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({72}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erwin Marschewski ({73}) Dr. Martin Mayer ({74}) Wolfgang Meckelburg Friedrich Merz Meinolf Michels Bernward Müller ({75}) Elmar Müller ({76}) Bernd Neumann ({77}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({78}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Christa Reichard ({79}) Katherina Reiche Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({80}) Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({81}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({82}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({83}) Andreas Schmidt ({84}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Diethard Schütze ({85}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Matthäus Strebl Thomas Strobl ({86}) Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Gunnar Uldall Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({87}) Gerald Weiß ({88}) Heinz Wiese ({89}) Hans-Otto Wilhelm ({90}) Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({91}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Hildebrecht Braun ({92}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({93}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({94}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich Leonhard Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Sabine LeutheusserSchnarrenberger Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({95}) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk PDS Dr. Dietmar Bartsch Maritta Böttcher Eva-Maria Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Sabine Jünger Dr. Evelyn Kenzler Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Angela Marquardt Rosel Neuhäuser Christine Ostrowski Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Winfried Wolf Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete Behrendt, Wolfgang, Bühler, Klaus , ({96}) Haack, Karl-Hermann, ({97}) SPD CDU/CSU SPD Lamers, Dr. Karl A., ({98}) Siebert, Bernd, Zierer, Benno, CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU Der Gesetzentwurf ist angenommen. ({99}) Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 2000 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - Drucksache 14/2672 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({100}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({101}) aa) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1999 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Kersten Naumann und der Fraktion der PDS - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Hildebrecht Braun ({102}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Matthias Weisheit, Bernhard Brinkmann ({103}), Christel Deichmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Kersten Müller ({104}), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bb) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1998 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - Drucksachen 14/347, 14/348 ({105}), 14/1155, 14/1156, 14/1157, 14/1158, 13/9823, 13/9824 ({106}), 14/272 Nr. 100, 14/2198 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Bleser Zu dem Agrarbericht 2000 liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen und ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Karl-Heinz Funke, das Wort.

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse des Agrarberichtes 2000 sind Ihnen bekannt. Es gibt keinen Zweifel: Das Wirtschaftsjahr 1998/99, um das es dabei geht, war unter dem Strich kein Grund zum Frohlocken. Das Tief bei den Schweinepreisen hat bei den Veredelungsbetrieben ein großes Loch in die Kasse gerissen. Man darf sagen, dass wenigstens die Futterbaubetriebe, die immerhin 60 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe ausmachen, ein Plus verbuchen konnten. Deutlich wird, meine Damen und Herren - das hat sich hier einmal mehr bestätigt -: Die Einkommen werden entscheidend durch die Märkte bestimmt. Daran ändern auch Versuche nichts, von wem auch immer sie kommen mögen, der Bundesregierung eine Mitschuld an den Einkommenszahlen des letzten Wirtschaftsjahres in die Schuhe zu schieben. Ich glaube auch - das will ich dabei gerne unterstreichen -, dass man einem Phantom nachjagt, wenn man den Eindruck erweckt, dass man den Betrieben auf Dauer Einkommen und Existenz durch Preisstützung und Absatzgarantien sichern könne. Ich bin sogar der Auffassung, man darf einen solchen Eindruck nicht länger erwecken. ({0}) Viele von uns haben das ohnehin nie richtig geglaubt, vielleicht auch jene nicht, die zumindest in Wortbeiträgen hier und da diesen Eindruck zu erwecken versuchten. Wenn es auf den Märkten nicht stimmt, kann es der Staat auch bei noch so viel gutem Willen - der sei durchaus unterstellt - auf Dauer nicht richten. Größere Marktschwankungen bei Schweinen, Kartoffeln, Obst und Gemüse, um nur einmal diese Produkte zu nehmen, hat es immer gegeben und wird es auch in Zukunft geben. Die Erfahrung zeigt: Im Endergebnis werden schlechte Jahre durch gute ausgeglichen und insgesamt fahren die Landwirte damit nicht schlecht. Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen - wir sollten das in der Öffentlichkeit vielleicht öfter als in der Vergangenheit tun -, dass man zukünftig mehr als früher Instrumente wie Warenterminbörsen nutzen sollte, um sich zum Beispiel gegen Preisschwankungen abzusichern. In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass zunehmend darüber diskutiert und die Einschätzung geteilt wird, dass wir in der ganzen Absatzkette mehr Kooperation brauchen, um in der Vermarktung so schlagkräftig zu werden, dass wir über den Markt entsprechende Erlöse Vizepräsident Rudolf Seiters erzielen können. Ich will das an dieser Stelle nicht vertiefen, aber für mich ist das eine Konsequenz nicht nur aus diesem Agrarbericht, sondern im Grunde auch aus den agrarpolitischen Debatten und den Agrarberichten der letzten Jahre. Der Staat kann die regulierende Wirkung des Marktmechanismus auf Dauer nicht außer Kraft setzen und sollte es im Grunde auch nicht versuchen. Gerade bei den Schweinen haben wir in den letzten Monaten gesehen, dass die Selbstregulierungskräfte auf diesem Markt funktionieren. Hier wird, wohlgemerkt von einem niedrigen Niveau ausgehend, wieder Geld verdient. So war es im Übrigen richtig, dass wir in Brüssel konsequent geblieben sind und uns nicht auf eine Diskussion eingelassen haben, die darauf hinauslaufen sollte - das wurde von einigen Ländern durchaus gewünscht und wiederholt intensiv vorgetragen -, mit entsprechenden Instrumenten bis hin zu Produktionsquoten in diesen Markt einzugreifen. ({1}) Auch auf anderen Märkten - uns liegen gerade die jüngsten Berichte dazu vor - hat sich die Situation in den letzten Monaten stark verbessert. Anziehende Weltmarktpreise verbessern die Exportbedingungen - dazu gehört alles, was man mit „Währungsrelationen“ umschreiben kann - und helfen Lager zu räumen. ({2}) Der Rindfleischberg ist praktisch abgeräumt. Ich halte das für einen großen Erfolg, weil er uns die letzten Jahrzehnte große Schwierigkeiten und Sorgen auch hinsichtlich der Preise und damit verbundener Einkommen bereitet hat. Die erhöhten Prämien aufgrund der Agenda und stabile Erzeugerpreise bieten den Rindfleischerzeugern positive Rahmenbedingungen. Ich will auch das einmal deutlich sagen. Auch bei der Milch geht es mit den Preisen Gott sei Dank wieder bergauf. Beim Getreide wurde vor einigen Tagen erstmals seit Jahren wieder eine größere Menge Weizen zum Export ohne Erstattung zugeschlagen. Ich halte das für eine bemerkenswerte Tatsache, weil das zeigt, dass wir zunehmend in der Lage sind, über auf den Märkten erzielte Preise Einkommen zu erzielen. ({3}) - Das habe ich eben exakt gesagt, als ich das Stichwort „Währungsrelationen“ nannte, das genau diesen Punkt umfasst. Ich habe es zwar anders formuliert, aber genau das war gemeint. ({4}) - Dann verstehe ich den Zwischenruf allerdings nicht. ({5}) - Vielen Dank für die Bestätigung. Ich bin durchaus friedlich gestimmt und will keine unnötige Kontroverse aufkommen lassen. Für mich sind diese positiven Entwicklungen eine Bestätigung auch des Agenda-Kurses, der ja mehr Marktorientierung bedeutet. Damit ist für mich belegt, dass die vorhandenen Befürchtungen, aufgrund der Agenda würden die Preise förmlich ins Bodenlose fallen - ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an den einen oder anderen Beitrag -, nicht gerechtfertigt waren. Man muss sich hier Gott sei Dank eines Besseren belehren lassen. Die erfreuliche Marktentwicklung - die ersten Anzeichen liegen vor - wird auf die Einkommen der Landwirte durchschlagen. Der Deutsche Bauernverband hat seine negative Einkommensprognose für das laufende Wirtschaftsjahr schon korrigiert. Das ist gut so. Unsere im Hause aktuell durchgeführten Berechnungen deuten auf einen Einkommenszuwachs von bis zu 5 Prozent hin. Damit nicht der Vorwurf kommt, es würde etwas unterschlagen, will ich sagen, dass ein Wermutstropfen von der Wetterfront kommt, was die Getreide- und Ölsaatenbestände anbelangt. Diesen Punkt möchte ich aber nur am Rande erwähnen. Im Übrigen ist durch die Agenda auch diesbezüglich ein positiver Effekt gegeben: Ernteunabhängige Flächenprämien ermöglichen im Gegensatz zur Preisstützung auch eine gewisse Risikoabsicherung. Das gehört auch zur Wahrheit. Was der Staat zur Zukunftssicherung unserer Landwirtschaft tun kann und tun sollte - wir haben wiederholt darüber diskutiert -, ist, zumindest für annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Wir bemühen uns in diesem Bereich. Angesichts meiner begrenzten Redezeit will ich hier den Stand der Diskussion nicht im Einzelnen darstellen. Hier liegt eine dauerhafte Aufgabe, nicht erst seit heute, sondern schon seit längerem. Wir müssen außerdem gewährleisten, dass der Strukturwandel ohne Verwerfungen und soziale Härten verläuft. Wir müssen Anreize schaffen, dass auch nicht marktgängige Leistungen, die gleichwohl von der Gesellschaft erwünscht sind, erbracht werden. Ich denke hier an den Umwelt- und Naturschutz. ({6}) Auf der einen Seite arbeiten wir daran, dass die europäische wie die deutsche Landwirtschaft Chancen hat, an wachsenden Agrarmärkten mit den eben beschriebenen Tendenzen teilzuhaben. Auf der anderen Seite müssen wir das Modell des europäischen landwirtschaftlichen Betriebes, das europäische Agrarmodell, verteidigen und seine Umsetzung gewährleisten. Ich verweise in diesem Zusammenhang darauf, was wir beim so genannten Agrardiesel erreicht haben. Wir sind entschieden der Auffassung, dass das Geld bei den Bauern ankommen muss. In der Diskussion, die wir darüber führen, gibt es keine ideologische Fixierung. Es kann nicht sein, dass wir Geld bereitstellen, es aber zwischendurch sozusagen auf der Strecke bleibt und nicht bei den Höfen ankommt. Die entsprechenden Entscheidungen sind getroffen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Ja, gerne.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister Funke, Sie haben eben zwei Punkte angesprochen, bei denen ich gerne nachfragen möchte. Sie haben sich dafür ausgesprochen, die Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Landwirtschaft im europäischen Binnenmarkt zu harmonisieren. Sie haben gleichzeitig das Wort „Agrardiesel“ in den Mund genommen. Wenn ich mir einmal die Zahlen für Frankreich ansehe, dann kann ich feststellen, dass dort der Preis etwa ein Drittel des Preises in der Bundesrepublik Deutschland beträgt. Die Preise in Deutschland haben sich in diesem Bereich verdoppelt. Sie haben weiterhin gesagt, der deutsche Staat solle nicht versuchen, in die Marktentwicklung einzugreifen. Wenn ich die Situation in meinem eigenen Wahlkreis betrachte, kann ich feststellen, dass Sie die Kosten für die Betriebe darin sind Ihre Verbesserungen, die Sie eben für das kommende Jahr angekündigt haben, schon eingerechnet - um mehr als 115 Prozent erhöht haben. Das ergeben Modellrechnungen für Betriebe, die tatsächlich existieren. In diesem Zusammenhang lautet meine Frage: Wie schätzen Sie die Harmonisierung vor dem Hintergrund ein, dass Sie beim Agrardiesel eine Wettbewerbsverzerrung herbeigeführt haben? Wie wollen Sie eigentlich das, was Sie eben zum Agrardiesel gesagt haben, in die Realität umsetzen, wenn Sie als Staat geradezu eingreifen und nicht die Wettbewerbsbedingungen verbessern, sondern im Gegenteil dem deutschen Landwirt den Wettbewerb erschweren und seine Chancen verschlechtern?

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Die zweite Frage habe ich schlichtweg im ersten Teil nicht verstanden, deswegen kann ich darauf nicht antworten. Ich weiß nicht, was Sie mit der 115-prozentigen Steigerung meinten. Das können Sie mir noch einmal mitteilen, dann will ich Ihnen das gern erläutern. Zum ersten Teil: Es ist unstrittig, dass wir hier höhere Preise haben. Wir haben wiederholt darüber diskutiert insoweit ist der Neuigkeitswert dieser Intervention nicht gerade horrend -, dass wir höhere Preise zu zahlen haben und dass es unsere Wettbewerbsinitiative gibt, um Harmonisierung in Europa zu erreichen. Ich wäre froh gewesen, wenn das schon in den letzten Jahren geleistet worden wäre. Ich muss Ihnen das Argument wieder nennen: Sie haben ja zwischendurch auch die Mineralölsteuer kräftig erhöht, ohne die Dieselrückerstattung ebenfalls zu erhöhen, die nach Ihrem Duktus eigentlich hätte erhöht werden müssen, wenn Sie von gleichen Wettbewerbsbedingungen reden. Sie haben da Ihre Hausarbeiten auch nicht erledigt. Ich gebe gerne zu, dass es hier eine Wettbewerbsverzerrung gibt; das ist auch unstrittig. Wir werden weiter daran arbeiten, diese Wettbewerbsunterschiede, so gut es geht, anzugleichen. Allerdings sage ich auch hier wieder ganz entschieden: Wettbewerbsunterschiede immer auf einen Punkt zu reduzieren ist nicht sach- und fachgerecht, sondern Sie müssen dann die ganze Bandbreite der Wettbewerbsbedingungen sehen, von der Umsetzung der Agenda über das Baurecht bis hin zu Energiepreisen. Es ist bemerkenswert - ich lasse das im Moment aufarbeiten, weil ich es genauer wissen will -, was französische Bauern zu den Wettbewerbsbedingungen sagen. Im „Ernährungsdienst“ ist gerade ein schöner Artikel veröffentlicht worden, wonach die französischen Schweinehalter ihrer Regierung vorhalten, dass die Wettbewerbsbedingungen in diesem Sektor insbesondere in Deutschland und Spanien günstiger seien als in Frankreich. ({0}) Auch das ist bemerkenswert. Diese ganze Debatte über Wettbewerbsbedingungen will ich gerne tiefer ausloten; ich habe mich in früherer Eigenschaft damit auch schon beschäftigt. ({1}) - Nein, Herr Kollege Schindler, es ging dabei nicht um die Wildschweine. Da muss ich Sie enttäuschen. Es ging ausdrücklich um die Hausschweine. Ich gebe allerdings zu, dass ich die spezifischen Haltungsbedingungen für Wildschweine in Frankreich nicht kenne. ({2}) Meine Damen und Herren, ich wollte jetzt eigentlich darauf hinweisen, dass wir - durchaus nach großen Mühen - auf europäischer Ebene Gott sei Dank, einen Beschluss zur Rindfleischetikettierung durchgesetzt haben. Ich erwähne das in diesem Zusammenhang, weil es für mich auch ein Wettbewerbsvorteil für deutsche Landwirte ist, wenn wir zum 1. September eine Rindfleischetikettierung - das vorziehend, was europaweit erst später kommt - durchführen, weil man damit am Markt Vorteile erheischen kann. Die Tatsache, dass wir bei der Kennzeichnung dann eindeutig garantieren, dass das Fleisch zur Gänze - von der Zucht über die Mästung bis zur Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung - aus Deutschland kommt, führt auch zu mehr Chancen am Markt und ermöglicht es, sich im Wettbewerb gegenüber anderen konkurrierenden Mitgliedstaaten eher durchzusetzen. Für mich ist das eindeutig ein Wettbewerbsvorteil. Wir werden darum alles tun, um das so schnell wie möglich umzusetzen. Ich möchte von dieser Stelle aus an die Länder appellieren. Sie haben ja immer gefordert, dass wir eine möglichst zügige Umsetzung garantieren. Wir haben in einer, wie ich meine, Rekordzeit von elf Tagen die entsprechenden Vorbereitungen getroffen, um das Gesetzgebungsverfahren in Gang zu setzen. Ich möchte die Länder bitten, hier ebenfalls zügig zu arbeiten, damit wir bis zum Herbst alles umsetzen können. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, CDU/CSUFraktion. ({0})

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielleicht solltest du das einmal bleiben. Es wäre zumindest angebracht, dass man, bevor man hier Kommentare abgibt, erst einmal zuhört. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Funke hat einiges gesagt, nicht allzu viel. Er hat davon gesprochen, welche Auswirkungen die Schwäche des Euro hat. Er hat die positiven Effekte auf den Export von Nahrungsmitteln aus der und den Import von Nahrungsmitteln in die Euro-Zone beschrieben. Dem kann man zustimmen. Aber es gilt dann auch, zumindest langfristig über einige negative Aspekte zu diskutieren. Es würde jedoch den Rahmen dieser Debatte sprengen, wenn wir das hier aufarbeiten würden. Er hat dann vom Wettbewerb gesprochen, dem sich die deutsche Landwirtschaft zu stellen hat. Wir gehen ja, trotz der Euro-Schwäche, von einem immer stärker werdenden Wettbewerbsdruck aus. Insoweit folge ich Herrn Funke. Das hat er in den letzten Monaten immer wieder verkündet, häufig als seine Erkenntnis, obwohl ich glaube, dass viele Agrarpolitiker, auch viele Landwirte, diese Erkenntnis teilen. Aber wenn ich schon von einem zunehmenden Wettbewerbsdruck ausgehe, der sich, zumindest in der Euro-Zone, ohne Währungsverschiebungen niederschlagen wird, muss ich doch fragen: Was mache ich in der deutschen Agrarpolitik, damit die deutschen Bauern dem Wettbewerbsdruck besser standhalten können? ({0}) Das andere brauchen wir doch hier nicht zu diskutieren. Dass Preise steigen, kann man sich agrarpolitisch genauso wenig auf die Fahnen schreiben, wie man sinkende Preise Herrn Funke anlasten sollte, es sei denn, die Rahmenbedingungen hätten sich an bestimmten Stellen durch die Agenda 2000 so verschlechtert, dass es zu einem Preisdruck kommt. Ansonsten ist das nicht festzumachen, weder an der Politik von Herrn Funke noch an der Politik von früheren Landwirtschaftsministern, weder im Positiven noch im Negativen. Aber hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft entscheidet sich doch vieles in der hausgemachten Agrarpolitik und darüber gilt es zu diskutieren. ({1}) Da wird aber immer wieder abgelenkt. Wir diskutieren jetzt über Agrardiesel, über die agrarsozialen Sicherungssysteme und über andere Schwerpunkte, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit verbessern, und wir schauen, was die anderen Länder machen, die möglicherweise schlechter sind als wir, zum Beispiel Frankreich, wo sich die Rahmenbedingungen noch schlechter darstellen als in Deutschland. ({2}) Ich finde, wir sollten um die besseren und nicht um die schlechteren Rahmenbedingungen in der nationalen Politik konkurrieren. ({3}) Wenn die rot-grüne Regierung in Frankreich für die französischen Bauern zurzeit schlechtere Rahmenbedingungen schafft, dann ist das kein Vorbild für die deutsche Agrarpolitik; das dürfte es zumindest nicht sein. ({4}) Aber wenn man sich anschaut, wie hier Agrarpolitik betrieben wird, stellt man fest, dass es in der deutschen Landwirtschaft ein ungeheures Belastungsszenario gibt, das nicht mit dem in anderen volkswirtschaftlichen Bereichen zu vergleichen ist. Das ist unser Kritikpunkt und den werden wir immer wieder aufgreifen, bis Rot-Grün möglicherweise eine Kehrtwende in der Agrarpolitik vollzieht. ({5}) Da ist die Frage Agrardiesel aufzugreifen. Am Ende der Agrardiesellösung, im Jahre 2003, wird der Agrardiesel in Deutschland doppelt so teuer sein wie der Diesel, der in der Landwirtschaft in Dänemark eingesetzt wird. Die Dänen werden etwa 60 Pfennig bezahlen, wir 1,20 DM. Wir müssen aber mit den Dänen konkurrieren. Mir hat einmal jemand gesagt, in Griechenland sei der Diesel, den man in der Landwirtschaft einsetzt, noch teurer als in Deutschland. Mich interessiert gar nicht, was die Griechen bezahlen. Mich interessiert, was die Dänen, die Franzosen, die Niederländer und die Belgier bezahlen müssen, weil das unsere Hauptwettbewerber sind. Hier findet eine extreme Wettbewerbsverschlechterung statt. Wir haben früher trotz der Mineralölsteuererhöhungen, die wir vorgenommen haben, pro Liter Diesel nur etwa 60 Pfennig gezahlt. Es ist richtig, wenn Herr Thalheim immer wieder darauf verweist, wir hätten in den 16 Jahren unserer Regierung Mineralölsteuererhöhungen in Höhe von 17 Pfennig vollzogen. ({6}) Aber Sie vollziehen innerhalb von vier Jahren Mineralölsteuererhöhungen von 35 Pfennig. ({7}) Das Problem ist, dass Sie das innerhalb von vier Jahren tun. Sie finden in diesem Zusammenhang keine adäquate Lösung für den Agrardiesel. Das habe ich Ihnen hier bereits vorgehalten. Damit wird in der deutschen Landwirtschaft die Energie einseitig verteuert. ({8}) Herr Meister hat doch Recht, dass damit für die deutschen Landwirte ein Problem entsteht. Das wird durch entsprechende Preise für den Agrardiesel nicht kompensiert. Ich will jetzt nicht darüber sprechen, dass es erst um das Einfärben von Agrardiesel ging, es dann zu allen möglichen Lösungsmöglichkeiten kommen sollte und man jetzt doch wieder an ein Erstattungsverfahren denkt, das auch wir früher praktiziert haben. ({9}) Was ist daran so neu? Dass diese Dinge jetzt der Zoll abwickeln muss, dass beim Zoll eine neue Bürokratie aufgebaut wird und dass die alten Bürokratien, die sich mit dem Erstattungsverfahren vernünftig auseinander gesetzt haben, jetzt ausgeblendet werden? ({10}) Was soll das Ganze? Hierzu ist zu sagen: Anstatt neue Bürokratien entstehen zu lassen, sollten Sie den Landwirten über den Agrardiesel lieber eine höhere Gasölverbilligung zukommen lassen. Das wäre eine sinnvolle Agrarpolitik. ({11}) - Wilhelm, melde dich bitte zu einer Zwischenfrage. Dann bin ich bereit, sie zu beantworten. Ich gehe aber davon aus, dass du keine richtige Zwischenfrage zur Agrarpolitik formulieren kannst, was gar nicht gegen dich spricht. Bei den agrarsozialen Bedingungen ist von Folgendem auszugehen: Überall spricht man davon, dass die Sozialbeiträge gesenkt werden sollen. Nur bei der Landwirtschaft steigen sie. Uns wurden im letzten Jahr im Bereich der agrarsozialen Alterssicherung etwa 400 Millionen DM gestrichen. Dem Bereich der Knappschaft werden zusätzlich 390 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Das ist doch ein Widerspruch in sich. Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur! Wieso finanziert man den einen Bereich stärker öffentlich mit und wieso zieht man sich aus einem anderen Bereich zurück? Das Gleiche betrifft die Beiträge zu den Berufsgenossenschaften. Ich bin ja damit einverstanden, wenn wir auch im Ernährungsausschuss des Deutschen Bundestages - wir von der CDU/CSU haben bisher als Einzige ein schlüssiges Konzept vorgelegt ({12}) über Reformanstrengungen im Hinblick auf die Berufsgenossenschaften diskutieren. ({13}) - Wir haben ein Reformkonzept vorgelegt. Ihr wolltet euch dem sogar anschließen und habt euch dann verweigert, weil wahrscheinlich das Bundeskanzleramt gesagt hat, dass ihr nicht zustimmen dürft. Wir haben gesagt, bei den Berufsgenossenschaften sollten Konzentrationsprozesse eingeleitet werden, es dürfe aber keine bundeseinheitliche Berufsgenossenschaft geben. Wir haben gefordert, bei den Berufsgenossenschaften die Verwaltungskosten nicht mitzufinanzieren, damit wir die schon bestehenden überhöhten Verwaltungskosten durch eine Mitfinanzierung des Bundes nicht noch unterstützen. ({14}) Wir haben einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Matthias Weisheit, dieser Antrag sollte sogar gemeinsam vorgelegt werden. Ihr habt euch dann verweigert - obwohl wir zugestimmt haben -, ({15}) weil ihr damals, wie übrigens in der entsprechenden Agrarsozialdebatte nachzuweisen ist, noch für eine bundeseinheitliche Berufsgenossenschaft wart. Aber deswegen ist doch eine Politik nicht richtig, die den strukturellen Wandel, der in der Landwirtschaft größer ist als in allen anderen volkswirtschaftlichen Bereichen - in der Landwirtschaft gibt es die höchsten Rationalisierungserfolge unserer Volkswirtschaft -, nicht durch eine Mitfinanzierung der Berufsgenossenschaft abfedert. Denn sonst führte dies zu dem Ergebnis, dass auf einen in diesem Bereich Beschäftigten mehr Rentner kommen, als das in anderen volkswirtschaftlichen Bereichen der Fall ist. Deshalb halte ich jedenfalls die Mitfinanzierung für richtig. Es wird auch zu einer Steigerung der Beiträge für die Berufsgenossenschaften kommen. So wird die Landwirtschaft in Deutschland ständig zusätzlich belastet. Aber wenn man sich in den Wettbewerb begeben soll, dann darf man nicht zusätzlich Klötze an die Beine gebunden bekommen, die man als Handicap im Wettbewerb mit anderen mit sich herumschleppen muss. Die Landwirtschaft muss von diesem Handicap befreit werden. Sie muss den anderen Teilen unseres Wirtschaftsstandortes durch Entlastungen gleichgestellt werden, um sich auf den Märkten, auch auf den Weltmärkten besser positionieren zu können. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Ronsöhr?

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe nur noch etwa eine Minute Redezeit.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Zeit wird nicht angerechnet.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Weisheit kann ja etwas dazu sagen, wenn er spricht. Ich habe gesehen, dass er auf der Rednerliste steht. Ich bin der Auffassung, dass diese Belastungen der Landwirtschaft auch bei einer positiven Marktentwicklung Chancen nehmen. Sie muss das kompensieren können, was sie bei negativen Marktentwicklungen zu verkraften hatte. Das halte ich für entscheidend. Hinzu kommt ein Weiteres: Herr Funke, mir wurde im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf gesagt, Sie hätten sich hingestellt und gesagt, Herr Fischler habe Sie gezwungen, die Vorsteuerpauschale um 1 Prozent zu reduzieren. ({0}) Ich habe mit Herrn Fischler darüber gesprochen und halte Ihre Aussage deshalb für verkehrt. Ich will das hier richtig gestellt wissen; denn damit darf man nicht auf agrarpolitische Veranstaltungen gehen: Hätten wir die Vorsteuerpauschale bei 10 Prozent belassen, hätten wir der deutschen Landwirtschaft auch bei steigenden Preisen möglicherweise 1 Prozent mehr Umsatzvolumen gelassen. Auch das wäre entscheidend gewesen. Dann nämlich hätten sich die Gewinne nicht so reduziert, wie es im Agrarbericht der Bundesregierung aufgezeigt wird. Ich meine, mit Hilfe dieser Stellschrauben, die hausintern eingestellt werden können, muss eine Weichenstellung in Richtung einer vernünftigen Agrarpolitik stattfinden. Dies fordern wir von der CDU/CSU immer wieder ein. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Tendenzen, die sich im Agrarbericht 2000 widerspiegeln, sind ja nicht gerade gegenläufig zu den bisher verzeichneten Tendenzen. Der Strukturwandel ist die langfristige Folge der Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte. Ich muss sagen: Es schmerzt mich natürlich, wenn ich lese, dass 30 000 Betriebe ihre Hoftore geschlossen haben. Das ist keine Entwicklung, die ich begrüße; ganz im Gegenteil. Aber man muss in diesem Zusammenhang auf eines hinweisen: Der Grund für das Aufgeben vieler Betriebe liegt doch darin, dass es keine Hofnachfolger und -nachfolgerinnen gibt. Das heißt: In ihrer langfristigen Planung ist für junge Menschen der Bereich Landwirtschaft immer weniger attraktiv geworden. ({0}) - Das ist ja absolut lächerlich. Es geht doch um die Entscheidungen, die in den letzten zehn Jahren getroffen worden sind. ({1}) Das können Sie in jedem Ausbildungsbericht schwarz auf weiß nachlesen. Das hat sehr viel mit einer mangelnden Reformbereitschaft und mit einem bisher mangelnden Reformwillen in der Agrarpolitik zu tun. Es ist statt in Arbeitnehmer in Maschinen investiert worden. Es ist, statt sich auf Lohnunternehmen auszurichten, eine Übermechanisierung der Betriebe eingeleitet worden, was zu der Situation geführt hat, dass die Arbeitsbelastung immer unerträglicher wird ({2}) und junge Menschen, aber auch Frauen diese Arbeit von morgens bis abends nicht mehr machen wollen. ({3}) Es ist übrigens noch zu verzeichnen, dass die Situation im Osten Deutschlands relativ stabil ist. Das ist immerhin für viele Regionen und für viele Betriebe eine erfreuliche Entwicklung. ({4}) Im Agrarbericht ist verzeichnet - in diese Richtung ging auch die Stellungnahme des DBV -, dass es im Bereich der Absatzmärkte eine Entwicklung gibt, die außerordentlich negativ ist. Aber hier gilt das, was Minister Funke schon gesagt hat: Es ist nicht an der Politik, diese Absatzmärkte auf Dauer auszurichten. Das wird sie nicht können. Zu Recht führt der Bauernverband an, dass es in den Bereichen Schweinefleisch, Milch, Eier, Rindfleisch Einbußen gegeben hat. Aber auch bei dieser Frage möchte ich noch einmal auf die Diskussion gestern im Ausschuss verweisen. Man kann sich hier stundenlang trefflich über die Feuchtigkeitsvorschriften bei der Intervention unterhalten. Diese neuen Grenzen haben wir übrigens in den letzten Jahren nie erreicht. Aber es ist doch ein Skandal, dass zwei Drittel der Roggenernte als Interventionsbestand eingelagert wird. Das ist keine Entwicklung, die man auf Dauer fortschreiben kann. ({5}) Ich will auch noch einmal an einen Diskussionsbeitrag zum Thema Flachs und Hanf im Ausschuss erinnern. Der Vertreter der EU-Kommission hat eindeutig gesagt, notwendig sei - und das wird von der EU-Kommission eingeleitet -, eine wachsende Unabhängigkeit der Landwirtschaft von staatlichen Subventionen. Daran wird sich die Kommission orientieren, und daran wird sich die Politik ausrichten müssen. ({6}) Im Übrigen haben wir im Bereich Hanf Initiativen zur besseren Verteilung der Kontingente eingeleitet. ({7}) Ich will im Zusammenhang mit der Einkommensentwicklung zu einem anderen Punkt kommen. Auch der DBV hat die Frage der Kosten angesprochen. Es werden steigende Kosten bei den Maschinen und auch bei den Dienstleistungen angeführt. Ich möchte hier auf eines hinweisen - diese gesamte Diskussion wird zum großen Teil polemisch geführt -: Die Steigerung der Energiekosten, die hier so beklagt wird und die auf die Bundesregierung zurückgeführt wird, hat mit der Politik der Bundesregierung überhaupt nichts zu tun. ({8}) In diesem Jahr 2000 beträgt die Gasölbeihilfe 835 Millionen DM; im Jahre 2001 wird sie 375 Millionen plus 460 Millionen betragen; das macht 835 Millionen DM. Das heißt, der Rückgang, der hier zu verzeichnen ist, geht auf ein anderes Konto, nicht auf das der Bundesregierung. Ich möchte gleichzeitig erwähnen: Es hat eine Stromverbilligung gegeben, ({9}) die der Deutsche Bauernverband selbst mit etwa 350 Millionen DM beziffert hat. ({10}) Es hat weiterhin die Markteinführungsprogramme gegeben. ({11}) Es sind 200 Millionen DM für erneuerbare Energien zur Verfügung gestellt worden; es gibt 20 Millionen DM für die Förderung biogener Treib- und Schmierstoffe. Wenn hier auf die 6 Pfennig Belastung durch die Ökosteuer hingewiesen wird, muss ich sagen: Es gibt Kompensationsmöglichkeiten, die kurz- oder langfristig wirken können. Im Bereich des Agrarhaushalts gibt es bisher keine Einbußen zu verzeichnen. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Höfken, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hornung?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, im Moment nicht. - Probleme sind verschleppt und nicht gelöst worden. Das ist genau der Punkt, den diese Bundesregierung anpackt. Ich muss schon sagen, Herr Ronsöhr: Ihre Rede hat mich in Erstaunen versetzt. Sie beklagen die fehlende Reform der Sozialversicherungen. Die Missstände in diesem Bereich haben sich allerdings schon vor zehn Jahren abgezeichnet und Reformen hätten längst einsetzen müssen. ({0}) Diese Bundesregierung hat die Arbeit daran aufgenommen und bis Ende des Jahres wird sie einen entsprechenden Reformentwurf vorlegen. Das Gleiche gilt für den Bereich der Milch. Die Belastungen durch die Milchquotenkosten bei den Milcherzeugern sind dramatisch gestiegen und nichts ist getan worden. ({1}) - Nein, überhaupt nicht, das war zu Zeiten Ihrer Regierung. - Wir haben hier immerhin einen Kompromiss gefunden. Jetzt endlich gibt es eine Entlastung für die aktiven Betriebe. ({2}) Weiter zum Bereich Pflanzenschutz. Es gab riesige Probleme mit den Lückenindikationen. Das aber ist Ihnen erst jetzt aufgefallen. Es gibt dazu eine EU-Richtlinie, die mehr als sechs Jahre alt ist. Am 4. April 2000 ist der CDU/CSU aufgefallen, dass es hier Beschleunigungsbedarf gibt. Nach Ihren eigenen Worten hat die Zusammenarbeit zwischen den Behörden im Bereich des Pflanzenschutzes noch nie so gut geklappt wie heute. Es gibt effiziente, praxisgerechte Lösungen. Man bereitet sich auf die Umsetzung der Richtlinie vor. Das wurde endlich angegangen, in einer ganz anderen Stimmung als die, die vorher geherrscht hat. ({3}) Wir haben gerade die Steuerreform beschlossen. Das ist sehr gut, weil darin auch die Anliegen der Landwirtschaft zu einem großen Teil aufgenommen worden sind und weiter diskutiert werden. Dadurch wird sich die Kaufkraft erhöhen. Wir sind wild entschlossen, dafür zu werben, dass von der Kaufkrafterhöhung nicht nur Mallorca profitiert, sondern ein Teil davon den Landwirten und den Lebensmittelproduzenten zugute kommt. ({4}) Auch beim Agrardiesel ist - das ist bereits von Minister Funke erwähnt worden - eine Lösung gefunden worden, die besser ist als das, was vorher war. Nun zum Bereich Naturschutz, wo es endlose Konfliktlinien gegeben hat. Wir werden Ende des Jahres eine Novellierung des Naturschutzgesetzes zu diskutieren haben. Auch hier wird es, so denke ich, zu vernünftigen Lösungen kommen, die der Landwirtschaft eine Perspektive bieten werden ({5}) ich hoffe, mit Ihrer Unterstützung. ({6}) Schließlich noch zu den Herkunftskennzeichnungen. Seit der BSE-Krise hat die alte Bundesregierung dieses Vorhaben immer wieder herbeigeschworen, niemals wurde es umgesetzt. Endlich ist die Etikettierung da Minister Funke hat es gesagt: Wir haben sie gerade beschlossen -, und zwar so, dass der Verbraucher etwas damit anfangen kann und dass unsere Produkte vernünftig beworben werden können. Nachdem dieser Reformstau angegangen und aufgelöst worden ist - natürlich sind das Kompromisse; Ideallösungen haben auch wir nicht erreicht, aber es gibt Lösungen -, wenden wir uns den Anforderungen der Zukunft zu. Das ist in erster Linie die Vorbereitung auf 2006. Natürlich ist es in unserem Sinne - und dies ist auch die Haltung der Bundesregierung -, dass im Rahmen der Agenda 2000 für die Landwirtinnen und Landwirte Planungssicherheit besteht. Wir wissen aber alle, dass die Osterweiterung der EU, dass die WTO, dass die Finanzkapazität der Europäischen Union eine Neuorientierung unausweichlich machen. Insofern haben wir die Aufgabe, uns auf diese Zukunftsanforderungen vorzubereiten. Das heißt, es wird zu einer Neuorientierung der Agrarförderungen kommen. Die Green-Box-Maßnahmen, die jetzt in der WTO verankert worden sind, werden einen immer größeren Raum einnehmen. Übrigens glaube ich nicht, dass Agrardiesel auf Dauer dazuzählen wird. Darüber hinaus wird die Verordnung Ländlicher Raum in der EU eine größere Rolle spielen, zulasten der - wie sich das schon zurzeit abzeichnet - Abteilung Garantie. Es ist unsere Aufgabe, die Agrarpolitik auf diese Anforderungen, auf diese Wettbewerbsbedingungen auszurichten. ({7}) Dies wurde von Ihnen vernachlässigt. Sie diskutieren ewig und drei Tage über die Feuchtigkeitsgehalte von Getreide, aber nicht darüber, wie man die Agrarförderung endgültig auf eine andere Ebene stellt. ({8}) Zu den Zukunftsanforderungen zählen im Wesentlichen fünf Punkte: Lebensmitteln und Landwirtschaft muss ein neuer Stellenwert gegeben werden. Das ist eine Aufgabe, die sich nicht nur in parlamentarischen Anträgen niederschlagen darf, sondern natürlich auch in einem neuen Stellenwert. Dieses Ziel haben wir als Grüne sowohl auf unserem Parteitag - mit unserer Kampagne „Natürlich. Gesund. Genießen.“ - als auch hier im Bundestag und zusammen mit der Bundesregierung unterstützen, das heißt Wiedergewinnung des Vertrauens der Verbraucher, Lebensmittelsicherheit sowie regionale Verarbeitung und Vermarktung, Transparenz und Sicherheit bei der Anwendung und der Vermarktung von gentechnisch veränderten Produkten, also ein eindeutiger Schutz der Verbraucher. Der zweite Punkt ist die Orientierung auf Verbraucher- und Gesundheitsschutz. Weitere Antibiotika in Futtermitteln sollen ersetzt werden. Übrigens ist die offene Deklaration von Futtermitteln ein Erfolg, der gerade erst erreicht werden konnte. Minister Funke hat sich in der EU-Kommission dafür eingesetzt. Endlich ist sie da. Da Sie gerade von Frankreich gesprochen haben, möchte ich Ihnen sagen: Frankreich setzt überhaupt keine Tiermehle mehr ein, und auch wir müssen diskutieren, ob wir Tierkadavermehle oder entsprechende Risikomaterialien weiterhin in Futtermitteln einsetzen wollen. ({9}) Dazu zählt aber auch die Reduzierung von Pestizidrückständen, die im Übrigen bei der Kindernahrung gerade erreicht wurde. Dazu zählt ferner das Programm „Umwelt und Gesundheit“, das dafür Sorge tragen wird, dass dem Verbraucherschutz in Unterstützung des Weißbuchs der EU-Kommission ein deutlich höherer Stellenwert eingeräumt wird, ({10}) und natürlich auch mit der Intention, das Vertrauen in die Lebensmittel wieder herzustellen. Der dritte Punkt ist der Tierschutz. Dieser Punkt hat eine sehr hohe Priorität beim Verbraucher. Der eingeleitete Schritt zur Abschaffung der Käfighaltung in der EU wird von uns begrüßt und unterstützt. Wir werden in Deutschland eine Umsetzung erreichen, die Rücksicht auf die Anforderungen und die Spielräume des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nimmt. Dank der Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sind wir heute in der Lage - das hat die Politik leider in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft -, zu einer neuen Tierschutzpolitik im Bereich der Hennenhaltung zu kommen. Heute fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, die Entscheidung der Verbraucher auf dem Markt im Hinblick auf tierschutzgerechte Produkte, wie zum Beispiel die Kennzeichnung von Eiern von in Käfigen gehaltenen Hühnern, zu unterstützen. Wir werden weitere Anstrengungen im Bereich der Tiertransporte und des Tierschutzes unternehmen. So steht es auch im Entschließungsantrag. Der vierte Punkt ist die Orientierung auf Natur- und Umweltschutz. Hier werden die Fördertatbestände der Zukunft liegen. Dazu gibt es eine wichtige gesellschaftliche Unterstützung und wir erwarten, dass die ideologischen Schranken vonseiten der Verbände, der Nutzer und teilweise auch der Umweltschutzorganisationen niedergerissen werden ({11}) und dass es eine konstruktive zukunftsgerichtete Diskussion geben wird, die bis zum Ende dieses Jahres zielführend sein wird. ({12}) Der fünfte Punkt ist die Orientierung auf Arbeitsplätze. Das Bündnis für Arbeit im ländlichen Raum ist in Gang gekommen und soll weitergeführt werden. Darauf legen wir großen Wert. Es gibt hier eine Entwicklung, die ich für überfällig halte: Das Landwirtschaftsministerium und wir als Landwirtschaftspolitiker müssen uns als Interessensverwalter und Interessenswahrnehmer des ländlichen Raums insgesamt betrachten und dies in der Politik entsprechend umsetzen. ({13}) Dazu gehören die Förderung und Unterstützung von Qualifizierung, Bildung, Ausbildung, neue Medien und die Förderung von Wirtschaftsinitiativen im Bereich des Holzabsatzes und des ökologischen Landbaus, die arbeitsplatzorientiert sind, nachwachsende Rohstoffe, ({14}) Energiedienstleistungen, neue Dienstleistungen insgesamt und natürlich auch, wie die IG BAU in ihrer Stellungnahme schreibt, eine zunehmende Orientierung auf Arbeitnehmer. Das sind wichtige Aufgaben unserer politischen Arbeit. ({15}) Der letzte Punkt ist ein sehr wichtiger für uns: Wir haben vereinbart, uns noch stärker in den ökologischen Landbau einzubringen. Wir haben gestern ein Gespräch mit dem Handel gehabt. Zweistellige Zuwachsraten werden hier bei Bioprodukten weiterhin erwartet. ({16}) Wir haben schon viele grundlegende Schritte getan, und ich muss ganz klar sagen: Wer diesen Markt verschenkt, verschenkt die Chancen für die Landwirtschaft. ({17}) Trotz der Zuwachsraten sind wir in Deutschland immer noch das Schlusslicht im Vergleich zu Italien, Österreich, Dänemark und anderen, die massiv in diese Märkte gehen. Wir wollen im Bundestag und in den Anhörungen im Ausschuss noch stärker in diese Richtung unterstützend wirken. Erste Ergebnisse haben wir erreicht, so beispielsweise das Institut für ökologischen Landbau in Trenthorst und auch Verbraucher-Informationsbroschüren, die aufgelegt werden. Gerade den Bereich der Verbraucherinformation und des Absatzes werden wir weiterhin unterstützen. Die Reform der Gemeinschaftsaufgabe hat bereits stattgefunden. Hier sind auch die Länder aufgefordert, diese neuen Möglichkeiten zur Förderung der ökologischen Landwirtschaft, zur Förderung des Absatzes und der Verarbeitung von Ökoprodukten zu nutzen. Ich danke Ihnen. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Ulrich Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über den Agrarbericht 2000. Herr Minister, Sie haben nicht stolz Bilanz gezogen, sondern eher lustlos eine Rede vorgetragen, die große Lücken aufwies. ({0}) Herr Minister, Sie haben nichts gesagt, was als zukunftsweisende Rahmenbedingung im Bereich der WTO genommen werden könnte. Sie haben sie nicht einmal erwähnt. Sie haben auch kein Wort zur Osterweiterung gesagt. Das sind Themen, die uns in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen werden und zu denen wir gern eine Auskunft darüber erhalten hätten, wie die Bundesregierung in Zukunft ihre Politik gestalten will. ({1}) Für die F.D.P. geht es darum, Chancen für die Zukunft der Landwirtschaft zu nutzen, in Deutschland und Europa eine zukunftsfähige Landwirtschaft aufzubauen bzw. weiterzuentwickeln. Wir bekennen uns nachdrücklich zum europäischen Agrarmodell: Nachhaltigkeit, Multifunktionalität und wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Meine Damen und Herren, darin sind wir uns sicherlich einig. Aber wenn es ins Detail geht und darauf ankommt, die Rahmenbedingungen zu definieren, die notwendig sind, um überhaupt erst Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, sieht es leider Gottes nicht so besonders gut aus. Wir stellen fest: Wichtige Entscheidungen sind bereits gefallen. Die Ökosteuer ist gelaufen. Heute wurde die Unternehmensteuerreform in dritter Lesung verabschiedet. Die namentliche Abstimmung hat die Regierung gewonnen. ({2}) Die Agenda 2000 ist verabschiedet, aber es sind noch keine Auswirkungen definitiv spürbar. Es ist völlig ungeklärt, was hinsichtlich der in Zukunft in der WTO-Runde zu treffenden wichtigen Entscheidungen auf uns zukommt. Welchen Rat sollen wir unseren Landwirten geben? Wie sollen sie betriebswirtschaftlich reagieren, damit sie nicht in die falsche Richtung laufen? Dazu hätten wir uns heute eine Auskunft gewünscht. ({3}) Auch die Entscheidungen in Richtung Osterweiterung sind noch nicht getroffen. Wir befinden uns mitten in einem Entstehungsprozess. Die osteuropäischen Staaten haben große Bedenken dass sie gegebenenfalls von den Produkten aus der Europäischen Union überflutet werden könnten. Das Verhältnis ist nämlich 1:8. Es gehen achtmal mehr Waren aus der Europäischen Union in Richtung Polen und Osteuropa als umgekehrt. Es bestehen allerdings auf beiden Seiten Bedenken. Darüber muss politisch diskutiert werden und dies muss thematisiert werden. Für uns ist es nach wie vor entscheidend, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Herr Minister, selbstverständlich kann die Regierung die Einkommen nicht setzen. ({4}) Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Wenn wir von Rahmenbedingungen sprechen, sind die Steuern selbstverständlich an erster Stelle zu erwähnen. Herr Professor Köhne von der Universität Göttingen hat gesagt, durch das Steuerentlastungsgesetz entstehe eine Schieflage zuungunsten der Landwirtschaft. Hier frage ich mich: Wer setzt die Rahmenbedingungen, damit sich die Lage verbessert und wir wettbewerbsfähig bleiben, oder wer geht in die falsche Richtung? ({5}) Mit der Ökosteuer haben wir eine zusätzliche Belastung, die auch nicht durch die jetzige Agrardieselregelung ausgeglichen wird, die in ganz Europa kein anderes Land zu tragen hat. Dazu muss ich schon sagen: Die Rahmenbedingungen sind eben nicht so, dass wir sie positiv formulieren könnten und die Herausforderungen aus der allgemeinen Entwicklung entsprechend annehmen könnten. ({6}) Zum Agrardiesel. Meine Damen und Herren, wenn man gewusst hätte, dass das, was heute beschlossen worden ist, auf den Tisch kommt, dann hätte man es bei der alten Regelung belassen können. ({7}) Das Gesetz hat beide Ziele verfehlt, meine Damen und Herren. Erstens. Die Bürokratie wurde nicht abgebaut. ({8}) Es ist eher zu befürchten, dass es noch mehr Bürokratie gibt. Zweitens. Die Belastung für die Landwirtschaft durch die Mineralölsteuer wurde erhöht und nicht abgesenkt. Hier wird von Green Box gesprochen. Kollege Carstensen hat bereits bei der Rede der Kollegin Höfken darauf hingewiesen. Wenn denn die Green Box so toll ist, dann macht es doch, wo ihr es könnt. Aber ihr macht das Gegenteil, ihr belastet die Bauern auch im Bereich des Agrardiesels zusätzlich und entlastet sie nicht. ({9}) Da könnt ihr zusammenrechnen, was ihr wollt, aber ihr könnt nicht gegen Adam Riese Politik machen. Das muss man hier einfach zur Kenntnis nehmen. ({10}) Hier verläuft die Entwicklung der Rahmenbedingungen in die falsche Richtung. Meine Damen und Herren, große Sorgen habe ich, dass diese Bundesregierung nicht in der Lage sein wird, die 3. Novelle des Naturschutzgesetzes, in der das Eigentum noch seinen Stellenwert hat, tatsächlich so bestehen zu lassen, wie wir sie in der letzten Legislaturperiode verabschiedet haben, und die Länder aufzufordern, sie umzusetzen. ({11}) Wenn man hört, welche Verwässerung Umweltminister Trittin im Bereich Naturschutz vorhat, dass er einfach so einmal zwischen 50 000 und 100 000 Hektar verschenkt, dann muss jeder erkennen, welches grundsätzliche Verständnis von Eigentum dies darstellt. Wenn darüber geredet wird, dass die gute fachliche Praxis neu definiert werden muss, dann haben wir ja schon genau den Ansatz. Sie sind dabei, die Rahmenbedingungen zu verschlechtern, ({12}) denn Sie wollen natürlich das Niveau der Ausgleichsregelung absenken. Sie wollen natürlich mit dieser Neudefinition, dass es keine Entschädigungsleistung gibt. ({13}) Genau das sind die Punkte, die uns zu schaffen machen, und zwar nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch der Forstwirtschaft. Wir haben große Sorgen, dass zusätzlich zu den Herausforderungen, die die Landwirtschaft nun einmal bestehen muss, weil sie in Europa keinen isolierten Bereich darstellt, Belastungen auf sie zukommen. Sie kündigen zusätzliche Belastungen im Bereich Umweltschutz an, Sie wollen vom Vertragsnaturschutz abgehen, einer Errungenschaft, die auf der Basis der persönlichen Einsicht basiert und nicht par ordre du mufti entstanden ist. Sie meinen, dass wir staatliche Regelungen brauchen, obwohl wir heute schon über 40 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen im Vertragsnaturschutz haben. Da brauche ich doch keine zusätzliche staatliche Knute, ({14}) sondern muss das Instrument, das ich zur Verfügung habe, entsprechend einsetzen. ({15}) Ich habe große Sorgen, dass das Eigentum bei dieser Regierung in diesen Fragen unter die Räder kommt, erst recht, wenn jetzt über eine Grundsteuererhöhung und eine neue Bemessung diskutiert wird. Meine Damen und Herren, wenn ich die Gewerbesteuer absenken will und gleichzeitig die Grundsteuer anhebe, um die Absenkung der Gewerbesteuer finanzieren zu können, dann ist das ein Eingriff in das Eigentum, dann ist das eine Substanzbesteuerung. Substanzbesteuerungen waren schon allemal die falsche Richtung. ({16}) Besteuern Sie das Einkommen, besteuern Sie das Guthaben, aber besteuern Sie nicht die Substanz, denn mit der Substanz müssen die Menschen kalkulieren und von ihr müssen sie leben können. Wenn sich das derzeit Diskutierte so auswirkt, dass wir im Forstbereich zum Beispiel eine bis zu 40fache Erhöhung bei der Grundsteuer bekommen, dann ist das alles andere als eigentumsfreundlich. Das ist absolut eigentumsfeindlich. ({17}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch zwei wichtige Themen ansprechen. Zum Ersten. Versetzen Sie die deutsche und die europäische Landwirtschaft in die Lage, dass sie sich mit modernen Produktionstechniken im Wettbewerb behauptet. Blockieren Sie nicht die Gentechnik, wie Sie es beim BT-Mais gemacht haben, was völlig ungerechtfertigt war. Der Wissenschaftliche Beirat rauft sich die Haare und weiß nicht mehr, was er noch machen soll, weil von der Ministerin genau das Gegenteil dessen gesagt wurde, was ursprünglich vom Wissenschaftlichen Beirat vorgelegt worden war. ({18}) Zum Zweiten: die Osterweiterung. Reden wir mit den Menschen über die Osterweiterung nicht als eine unbeherrschbare Problematik, sondern reden wir mit den Menschen so darüber, dass sie auf beiden Seiten, auf der Seite der Kandidatenstaaten und auf der Seite der 15 Mitgliedstaaten der EU, positive Aspekte sehen können. Gestalten wir das so, Herr Minister. Das wird das Entscheidende sein. Sie sitzen im Ministerrat und haben selbstverständlich die Möglichkeit, sich dort entsprechend einzumischen. Ich bin der Meinung, dass es auf beiden Seiten große Chancen gibt. Wenn zum Schluss die Finanzierung die einzige Ausrede dafür ist, dass das eine oder andere nicht gemacht werden kann, dann möchte ich deutlich in Erinnerung bringen, dass alle Wissenschaftler, alle Volkswirtschaftler sagen, dass sich die Osterweiterung für die Volkswirtschaften der osteuropäischen Staaten, aber auch des Europas der Fünfzehn positiv auswirken kann, wenn man das Ganze richtig macht. Darum lasst es uns richtig machen. Lasst uns das Schwert, das immer wieder herausgeholt wird, einstecken und lasst uns in dieser Frage eine sachliche Diskussion führen. Herzlichen Dank. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht die Kollegin Kersten Naumann.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, die Debatten zum Agrarbericht drohen zu einem Ritual zu verkommen. ({0}) Auch für den Agrarbericht 2000 gelten die Feststellungen des Entschließungsantrages der PDS von 1999, der heute endlich mit zur Abstimmung steht. Bei all den schönen Worten zur Ökosteuer, Strukturpolitik und Agenda 2000, um die Landwirtschaft auf den Weg der Wettbewerbsfähigkeit zu bringen, muss man feststellen, dass die praktische Politik anders aussieht. Die wirtschaftliche Situation vieler Landwirte ist so miserabel wie nie zuvor. Zu den Fakten: Der langjährige Abwärtstrend der Brutto- und Nettowertschöpfung hält an. Der weitere Verfall der Agrarpreise konnte nicht gestoppt werden. Die gesetzliche Verpflichtung aus dem Landwirtschaftsgesetz wird wiederum verfehlt. Arbeitskräfte werden zunehmend freigesetzt und der Differenzierungsprozess in den Agrarstrukturen geht weiter vonstatten. In der Agrarpolitik schlägt die allgemeine Politikentwicklung der Neoliberalisierung durch. Die Schlagworte sind Flexibilität, Investitionen, Globalisierung und Osterweiterung, also Marktausweitung, Betriebsvergrößerung, Direktvermarktung und Nischenproduktion. Mit der Weltmarktorientierung verschärfen sich die Konkurrenzbedingungen. Der Preisverfall ist ein Vorzeichen für die bevorstehenden Kämpfe um Marktanteile. Die entscheidende Ursache für die negative Entwicklung und Entwertung der landwirtschaftlichen Produkte ist der Verfall der Agrarpreise. Die Erzeugerpreise sanken gegenüber 1994/95 auf 91 Prozent. Dem stehen Preiserhöhungen bei Nahrungsmitteln auf 102 Prozent und bei den Lebenshaltungskosten auf 104 Prozent gegenüber. Vergleicht man allerdings die Bruttowertschöpfung je Arbeitskrafteinheit zu festen Preisen, so zeigt sich sogar ein Anstieg der Produktivität um 45 Prozent von 1995 bis 1999. Zu diesem Problem findet sich im Agrarbericht keine klare Aussage. Das Auseinanderdriften von Agrarpreisen und Preisen anderer Erzeugnisse setzt sich gnadenlos fort. In den einzelnen bäuerlichen Haupterwerbsbetrieben verringert sich der Gewinn um 7,3 Prozent, je Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche sogar um 10,1 Prozent. Im Klartext heißt das: Die Schere geht immer weiter auseinander. Die Bauern arbeiten mehr und verdienen trotzdem weniger. Ist das die Auffassung der Bundesregierung von sozialer Gerechtigkeit? 1997 hatten die zehn größten Handelsunternehmen des Lebensmittelsektors einen Anteil am Umsatz von 83 Prozent. Die Landwirtschaft ist dieser Machtstellung gnadenlos ausgeliefert. Ich meine, sie kann ihren Anteil an der Wertschöpfung nur dann erhöhen, wenn sie mit starken Erzeugergemeinschaften der Lebensmittelindustrie entgegentritt. Die vom Landwirtschaftsgesetz immer wieder angemahnte Einkommensparität in der Landwirtschaft und in den übrigen Wirtschaftszweigen erweist sich als Fehlanzeige. So enthält zwar der vorliegende Agrarbericht Vergleichsrechnungen. Aber wie immer wird auch in diesem Jahr eine Gesamtaussage tunlichst vermieden. Eine Hochrechnung ergibt nämlich, dass allein in den Haupterwerbsbetrieben ein Gesamtvolumen von 5,5 Milliarden bis 6 Milliarden DM an vergleichbaren Einkommen fehlt. Das sind pro Arbeitskraft etwa 7 000 bis 8 000 DM. Die dramatische Talfahrt der Einkommen in den letzten Jahren und der chronische Verfall der Erzeugerpreise können nur gestoppt werden, wenn den Bauern durch ein Maßnahmenpaket zugesichert wird, dass Preisdumping nicht als Inflationsbremse benutzt wird, dass der Konzentrationsprozess in der Lebensmittelindustrie zurückgeführt wird, dass die regionalen Wirtschaftskreisläufe inklusive nachwachsender Rohstoffe und Bioenergien stärker gefördert werden und dass der Eigenversorgungsgrad stabilisiert bzw. wieder angehoben wird. ({1}) In dem Abschnitt „Bündnis für Arbeit“ des Agrarberichts wird eine wahre Spitzenleistung vollbracht: Hier wird außer allgemeinen Appellen, neue Einkommensquellen zu erschließen, lediglich der Urlaub auf dem Bauernhof angepriesen. Wenn Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dazu nicht mehr einfällt, dann wird die Geschichte nicht mehr vom Bauernleben, sondern vom Bauernsterben berichten. ({2}) Hier der Beweis: In den Jahren von 1991 bis 1999 ging die Gesamtzahl der Betriebe von 654 000 auf 464 000 zurück. Das ist ein Rückgang um 190 000 Betriebe innerhalb von 8 Jahren. Also haben im Durchschnitt jährlich über 23 000 Bauernhöfe ihre Tore geschlossen. Das hat sicherlich nicht nur etwas mit fehlenden Hofnachfolgern zu tun, Kollegin Höfken. Das Mindeste, was die Bauern aus meiner Sicht brauchen, sind sozial abgesicherte Regelungen für den ungewollten Ausstieg. Da gab es schon einmal etwas, nämlich die Landabgaberente aus dem Jahre 1969. Heute ist sie gestrichen. Eine Vorruhestandsregelung für die Landwirte ist jedoch nicht in Sicht, obwohl die Bundesregierung die einmalige Chance hätte, eine solche Vorruhestandsregelung - gemäß den Beschlüssen zur Agenda 2000 - zur Hälfte aus Brüssel finanzieren zu lassen. Doch was ist zu all den Problemen in der Landwirtschaft aus dem verantwortlichen Bundesministerium zu hören: „Unternehmertum ist auch in der Land- und Forstwirtschaft mehr denn je gefragt.“ Unternehmertum ist also die sozialdemokratische Umschreibung und Verniedlichung von Verdrängungswettbewerb, Einkommensverlusten, gnadenlosem Preisverfall, Verödung von Flächen und ganzen Dörfern. Unternehmertum ist die Strategie der rücksichtslosen Intensivierung, der Missachtung der Natur, der Zerstörung von Arbeitsplätzen und des Kampfes um Marktanteile, durch den die Existenzen anderer vernichtet werden. „Landwirtschaft hat Zukunft“, propagiert der Bundeslandwirtschaftsminister dennoch und zählt die frommen Wünsche nach Erhalt der Arbeitsplätze und der Existenzen in der Landwirtschaft auf. Gern höre ich wohl die Botschaft, Herr Funke, allein mir fehlt der Glaube. Ihr Lösungsweg heißt: Sicherung der vorhandenen Märkte und Erschließung neuer Märkte. Da wird natürlich erst einmal auf die osteuropäischen Märkte geschielt. Absatz von Überproduktion und Ausschöpfung eigener Verarbeitungskapazitäten sind das eigentliche Interesse. „Die Wirtschaftswoche“ ist da schon ein Stück weiter und zitiert Folgendes: Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. ({3}) Was meinen Sie wohl, von wem dieses Zitat stammt? Karl Marx, 1848, „Kommunistisches Manifest“. ({4}) - Ich freue mich, dass Sie das kennen. ({5}) - Da staune ich wirklich. ({6}) - Wie gesagt, es freut mich, dass Sie das kennen. Im Zentrum der Agrarpolitik stand im Berichtsjahr 1999 die Verabschiedung der Agenda 2000. Die rot-grüne Bundesregierung hat die Weichen für eine stärkere Liberalisierung gestellt, mit all den ihr innewohnenden ökologischen und sozialen Gefahren. Schon im laufenden Wirtschaftsjahr ist zu erkennen, dass Agrarstrukturen zunehmend nur auf wettbewerbsfähige Betriebe hinauslaufen und wieder über 20 000 Bauern auf der Verliererseite stehen werden. Alles in allem erwartet die PDS von einem Agrarbericht tiefgründigere und differenziertere Aussagen zu den langfristigen ökonomischen, sozialen und ökologischen Prozessen in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum. Gestatten Sie mir noch ein persönliches Wort an Minister Funke: Ihrem gereimten Gespräch mit dem Rind, das besonders in seinem letzten Vers so sehr an lafontainesche Fabeln erinnerte, möchte ich eine pessimistische und eine optimistische Strophe hinzufügen. ({7}) Die pessimistische Strophe: Der Ochs war schon immer ein Opfertier. Er ist Leid gewöhnt - von dir und mir. Jedoch ist ernsthaft zu bedauern das Los des deutschen Einzelbauern. - Nun die optimistische Strophe: Genforschern gilt es zu beweisen: Die deutsche Kuh kann Euro sch... Solang dies Wunder nicht vollbracht, hilft Brüssel uns bei Zins und Pacht. - Das nächste Mal können wir das singen. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe der Kollegin Jella Teuchner von der SPD-Fraktion das Wort.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem, was wir heute vonseiten der CDU/CSU und der F.D.P. gehört haben, könnte man beinahe den Glauben verlieren. Wir können darüber aber im Ausschuss noch einmal grundsätzlich diskutieren. Vielleicht könnten Sie, Herr Ronsöhr, uns dann Ihr Konzept zur Reform der agrarsozialen Sicherungssysteme vorlegen. Ich kenne es bis heute nicht. ({0}) - „Wir haben etwas vorgelegt“, sagen Sie. Auch dem Deutschen Bauernverband ist nicht bekannt, dass Sie etwas vorgelegt haben. Wir warten noch auf Ihre Vorschläge. Als agrarpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion ({1}) möchte ich mich auf den verbraucherpolitischen Teil des Agrarberichtes beziehen. ({2}) - Sie können sich gerne zu einer Zwischenfrage melden, wenn Sie eine stellen möchten. Aber ich denke, dass Sie nicht die Absicht haben, das zu tun. Bei dem Stichwort „Lebensmittel“ fallen Ihnen sicherlich nicht nur Vitamine und Nährstoffe, sondern auch - das ist ebenfalls heute schon angesprochen worden - die Begriffe „Dioxin“ und „BSE“ ein. Die Sicherheit von Lebensmitteln zu gewährleisten sollte eigentlich heißen, dass unsere hohen Standards zu halten und - vor allen Dingen - auszubauen sind. Das heißt aber auch, Kriminellen das Handwerk zu legen, die sich auf Kosten der Gesundheit der Menschen bereichern wollen. ({3}) - Ich unterstelle den Bauern keine kriminellen Handlungen. Das möchte ich ganz speziell betonen. ({4}) Die deutschen Landwirte produzieren hochwertige und sichere Lebensmittel. Ein Netzwerk von lebensmittelrechtlichen Vorschriften, die amtliche Lebens- und Futtermittelkontrolle der Länder und die Strategie der Minimierung von Belastungen sorgen dafür, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher einwandfreie Lebensmittel kaufen können. Dieses Netzwerk werden wir kontinuierlich verbessern, um die Qualität der Lebensmittel zu sichern und um den vorbeugenden Gesundheitsschutz zu stärken. ({5}) Die Lebensmittelsicherheit war auch im letzten Jahr trotz Dioxin- und Klärschlammskandal zu jeder Zeit gewährleistet. Die Lebensmittelüberwachung funktionierte und sorgte dafür, dass diese Skandale nicht zu Katastrophen wurden. Die Ursachen dieser Skandale liegen im Versagen Einzelner in der Produktionskette. Einzelne haben das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Sicherheit der Lebensmittel erschüttert. Dieses Vertrauen gilt es zurückzugewinnen. Wir als Verbraucher wollen uns beim Essen sicher fühlen. Dies ist unser aller berechtigtes Interesse. Das ist aber auch das berechtigte Interesse von Landwirten; denn es geht um ihre Absatzmärkte. Unser Ziel muss es daher sein, die Qualität der Lebensmittel ständig zu verbessern und gleichzeitig diese hohen Qualitäten durch effektive Lebensmittelkontrollen zu sichern. Wir müssen dabei die Lebensmittel vom Futterrohstoff bis zum Teller im Auge behalten und gleichzeitig für Transparenz sorgen. Niemand von uns kauft gerne die Katze im Sack, insbesondere wenn es um Lebensmittel geht. ({6}) - Ich weiß nicht, wie Sie Ihre Haustiere versorgen. ({7}) Die Verbraucher wollen wissen, woher ihre Lebensmittel kommen und was getan wird, um die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Wir sind hier auf einem guten Weg und haben einiges erreicht: Die Voraussetzungen für eine umfassende Rindfleischetikettierung wurden geschaffen. Für britisches Rindfleisch wurden spezielle strengere Regelungen getroffen. Die Verbraucher werden dadurch bei ihrer Kaufentscheidung berücksichtigen können, woher das Fleisch kommt, das sie kaufen. ({8}) Durch die Verabschiedung des Biosicherheitsprotokolls ist der Vorsorgegrundsatz als Leitgedanke für den Handel mit gentechnisch veränderten Organismen verankert worden. Die Novel-Food-Verordnung und die Verordnung zur Kennzeichnung von Lebensmitteln aus genetisch verändertem Soja und Mais schaffen eine europaweite Kennzeichnung. Die Sicherheit vor Antibiotikaresistenzen wurde weiter erhöht. Es wurden antibiotische und antimikrobielle Leistungsförderer in Futtermitteln verboten; weitere Ersatzstoffe für Antibiotika wurden zugelassen. Die Kontrolle der Verwendung bestimmter Tierarzneimittel wurde verschärft. Strengere Gemeinschaftsregeln bei Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Säuglingsnahrung und bei der Lebensmittelbestrahlung wurden beschlossen. Darauf wollen wir aufbauen: Wir halten an der Minimierungsstrategie und am Ziel des vorbeugenden Gesundheitsschutzes fest. Wir wollen eine Ausweitung der Kennzeichnung von Futter- und Lebensmitteln. Wir wollen die Kontrollen verbessern. Wir werden uns dafür einsetzen, dass alle europäischen Staaten ihre Aufgaben ernst nehmen. Kontrollen müssen in allen Mitgliedstaaten der Union im notwendigen Umfang durchgeführt und Gefährdungen ohne Verzögerungen weitergemeldet werden. ({9}) Wir werden uns ferner dafür einsetzen, dass sichere Lebensmittel auch im internationalen Handel Standard bleiben. Die Verantwortung von Produzenten und Handel muss in der gesamten Kette bis hin zum Verbraucher weiterentwickelt und gesichert werden. Das heißt, dass landwirtschaftliche Rohstoffe, Futtermittel und Lebensmittel einschließlich gentechnisch veränderter Produkte transparent gekennzeichnet werden müssen. Das bedeutet aber auch, dass Herkunftssicherungssysteme ausgebaut werden müssen, damit zu jedem Zeitpunkt die Qualität der Nahrungsmittel garantiert werden kann. ({10}) Lebensmittelsicherheit bedeutet aber auch ein enges Zusammenspiel in der Europäischen Union. Die Ausgestaltung der Rindfleischetikettierung wurde in Brüssel beschlossen, genauso die Kennzeichnungspflicht für Produkte aus gentechnisch verändertem Soja und die verschärften Vorschriften für Babynahrung. Das Sicherheitsniveau, das wir für die in Deutschland verkauften Lebensmittel erreicht haben, ist auch Ergebnis eines europäischen Harmonisierungsprozesses. ({11}) Wir unterstützen daher die von der Europäischen Kommission im Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit definierten Ziele: Die bestehenden Gesetze sollen zusammengeführt werden, Lücken in der Gesetzgebung sollen geschlossen werden, das Kontrollsystem muss verbessert werden und die Kompetenzen zur Lebensmittelsicherheit sollen gebündelt werden. Mit dem Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit hat die Kommission ihren Willen bekräftigt, einen höchstmöglichen Standard der Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Wir unterstützen alle Vorschläge, die zu einem weiter verbesserten gesundheitlichen Verbraucherschutz führen. ({12}) Wir setzen uns daher auch dafür ein, schrittweise ein europäisches Lebensmittelmonitoringsystem aufzubauen, das als ständiges Mess- und Beobachtungssystem für Lebensmittel dazu dienen soll, die Lebensmittelbelastungen und ihre Entwicklung zu ermitteln, Gesundheitsgefährdungen frühzeitig zu erkennen und Quellen festgestellter Belastungen aufzudecken und zu schließen. Unseren Kindern sagen wir ja oft: Was auf den Teller kommt, wird auch aufgegessen. Wir essen allerdings nur ungern, wenn etwas auf den Teller kommt, von dem wir nicht wissen, was es ist. Wir wollen die Sicherheit der Lebensmittel so weit wie möglich garantieren. Wir wollen auch, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher dessen sicher sind. Wir haben einiges erreicht und werden diesen Weg auch zukünftig weitergehen. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Helmut Heiderich für die CDU/CSU-Fraktion.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Alle, die in diesen Tagen mit offenen Augen durch Deutschland fahren oder gehen ({0}) - auch laufen oder joggen -, sind begeistert von der Schönheit unserer Landschaft. Die meisten nehmen das unbeschwert und fröhlich so hin und denken nicht weiter darüber nach, dass das gar nicht so selbstverständlich ist; denn auch dies ist ein Stück Agrarbericht. Es ist eine besondere Leistung unserer flächendeckenden bäuerlichen Landwirtschaft, die sie sozusagen nebenbei erbringt. Ich glaube, der Freizeitwert Deutschlands wäre um ein Erhebliches geringer, wenn es unsere Bauern nicht gäbe. ({1}) Auch deshalb ist es unsere Aufgabe als Politiker, uns um das Wohl und Wehe der deutschen Landwirtschaft und ihrer Zukunft zu kümmern. Deshalb geht es in der jährlichen Debatte um den Agrarbericht nicht nur um die Auslegung von Zahlenkolonnen oder um die Interpretation statistischer Größen. Es geht vielmehr darum, welche Bedeutung wir der Landwirtschaft für unsere Gesellschaft beimessen. Dazu sei noch eine weitere Leistung angemerkt, die meist ebenso selbstverständlich hingenommen wird. Die Verbraucher wenden in Deutschland inzwischen weniger als ein Siebtel ihres Einkommens für die Ernährung auf. ({2}) Dies ist eine direkte Folge der gewaltigen Produktivitätsleistung unserer Bauern. ({3}) Ehe manche aus Unkenntnis ständig von angeblicher Subventionierung reden, sollten sie erst einmal zur Kenntnis nehmen, dass davon hauptsächlich die Verbraucher in Form von preisgünstigen und trotzdem hoch qualitativen Lebensmitteln profitieren. ({4}) Die landwirtschaftlichen Betriebe sind aber unter RotGrün heftig gebeutelt worden. Im Durchschnitt - das wurde eben schon gesagt - ist ihr Gewinn um 7 Prozent zurückgegangen. 22 700 Betriebe sind Opfer der rot-grünen Politik geworden und mussten ihre Höfe aufgeben. ({5}) - Ja, meine Damen und Herren, lesen Sie es doch im Agrarbericht nach! - Die Einkommen der Verbliebenen liegen um rund 30 Prozent unter den gewerblichen Vergleichslöhnen. Am stärksten hat es die Nebenerwerbslandwirte mit 18 Prozent und die großen Betriebe mit 17 Prozent Einkommensverlust getroffen. Die schwarzen Zahlen, die wir noch in den Vorjahren hatten, hat die neue Bundesregierung schon im ersten Anlauf in kräftig rote Zahlen umgekehrt. Das hat Folgen für die Betriebe, auch für Haupterwerbsbetriebe. Die Verbindlichkeiten haben zugenommen, die Nettoinvestitionen sind zurückgegangen. Kurz und knapp heißt das: Die Landwirte waren gezwungen, von der Substanz zu leben. In diesem Zusammenhang ist auch, verehrte Frau Kollegin Höfken, die Frage zu stellen, warum so wenig junge Leute einen Hof als Nachfolger übernehmen wollen. Das liegt daran, dass Ihre Politik ihnen die Perspektiven für die Zukunft genommen hat, und nicht daran, weil sie sich vor Arbeit drücken wollen. ({6}) So weit zur Situation. Nun frage ich Sie - das habe ich weder den Minister noch andere aus Ihrer Koalition vortragen gehört -: Wie verhält es sich angesichts all dessen mit dem Versprechen der Regierungskoalition, das Sie deutlich in schriftlicher Form abgegeben haben, nämlich die Entwicklung einer wettbewerbsfähigen und umweltverträglichen Landwirtschaft voranbringen zu wollen? Meine Damen und Herren, wo sind Ihre Initiativen, wo sind Ihre Aktivitäten, mit denen Sie dem Gewinneinbruch in der Landwirtschaft und dem beschleunigten Höfesterben entgegentreten wollen? Sie stellen doch die Regierung. Bei Ihnen sind die Landwirte nicht nur vom Regen in die Traufe gekommen, sondern, wie ich meine, sie sind zwischen die Mühlsteine geraten. ({7}) - Es ist wohl richtig, Herr Kollege Dreßen, dass es auch früher schon geregnet hat, aber bei Ihnen sind sie zwischen die Mühlsteine grüner Träumereien, so wie wir sie vorhin schon in vielerlei Form beispielhaft zur Kenntnis nehmen durften, und der eiskalten Abkassiererei durch die Sozialdemokraten in verschiedenen Bereichen geraten. ({8}) Denn - das will ich Ihnen nachweisen - statt den Landwirten in einer - von allen anerkannt - schwierigen Situation zur Seite zu stehen, statt ihnen mit klaren Konzepten zumindest europäische Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren, fallen Sie ihnen zusätzlich in den Rücken. Im vorigen Jahr - ich habe im Protokoll der Debatte über die Agenda 2000 nachgelesen - haben Sie von der Koalition den Bauern empfohlen, „den Gürtel enger zu schnallen“. Jetzt ziehen Sie den Bauern den Gürtel um zwei weitere Löcher enger. Das sollen die neuen Akzente und Rahmenbedingungen sein, die Sie den Landwirten versprochen haben? ({9}) So sieht Ihre Politik in der Praxis aus. ({10}) Ich zähle Ihnen die entscheidenden Punkte gerne auf: die Kürzung der Vorsteuerpauschale, die Kürzung von Freibeträgen, die Erfindung der Ökosteuer, die massive Steuererhöhung beim Agrardiesel, die zusätzlichen Belastungen im Steuerrecht. Das alles muten Sie jetzt den Landwirten zu. Die dreisteste und, wie ich finde, ungerechteste Art des Zugriffs, die Sie sich in diesem Zusammenhang erlauben, ist der Zugriff auf die landwirtschaftlichen Sozialkassen. ({11}) Während Sie der gesetzlichen Rentenversicherung massiv neues Geld zuführen - Sie haben extra die Ökosteuer dafür erfunden -, ({12}) während Sie die Strukturprobleme der Bergleute durch einen auf 14,2 Milliarden DM erhöhten Bundeszuschuss abdecken, kassieren Sie bei der Landwirtschaft die bisherigen Strukturfördermittel in großem Umfang wieder ein. ({13}) Lassen Sie mich an einem Beispiel deutlich machen, dass die Grenze des Erträglichen erreicht ist. Während Sie auf der einen Seite die eisern angesparten Rücklagen der landwirtschaftlichen Krankenkassen abkassieren, ({14}) geniert sich Ihr Finanzminister nicht - ich habe Ihnen das Corpus Delicti in voller Größe mitgebracht -, dieses angesparte Geld zur Befriedigung seiner Profilneurose im bundesdeutschen Blätterwald auszugeben. ({15}) Das ist Ihre Art der gerechten Behandlung der Landwirtschaft. ({16}) Inzwischen sind Sie in Ihrer Argumentation - Frau Höfken ist vorhin auf alle möglichen Nebenbereiche ausgewichen, nur zum Hauptpunkt hat sie sich nicht geäußert - schon so hilflos geworden, dass Sie selbst die Erhöhung des Grundfreibetrages der Einkommensteuer, die ja wegen des Existenzminimums notwendig war und die vom Bundesverfassungsgericht gefordert wird, als Leistung für die Landwirtschaft verkaufen. Mir stellt sich angesichts dieses Vorgehens die Frage, Frau Höfken: Wann kommt der Zeitpunkt, an dem Sie auch die Erhöhung der Sozialhilferegelsätze als Leistung für die Landwirtschaft darstellen? ({17}) Es bleibt festzustellen: Unter Ihrer Verantwortung ist die früher verhalten positive Entwicklung der Landwirtschaft in den letzten Jahren deutlich ins Negative umgeschlagen. ({18}) Es besteht die große Befürchtung, Frau Kollegin Höfken, dass mit den erheblichen weiteren Belastungen, die Sie jetzt vornehmen, eine dauerhafte Talfahrt verursacht wird. Wenn das Höfesterben, das Sie mehrfach angesprochen haben, unter Ihrer Regierung so weitergeht, dann haben Sie nach vier Jahren Regierungszeit 20 Prozent der deutschen landwirtschaftlichen Existenzen vernichtet. Deshalb ist der Agrarbericht nicht zuletzt ein Signal, die ungerechten und weit überzogenen „Strafaktionen“, die Sie gegen die Landwirtschaft unternehmen, endlich zu beenden. ({19}) Sie müssen den Landwirten endlich die gleichen Chancen wie den Berufskollegen in anderen europäischen Ländern verschaffen. ({20}) Meine Damen und Herren Agrarexperten der Koalition, machen Sie endlich eine Politik für die Landwirte und lassen Sie sich nicht länger als Kassenfüller für Herrn Eichel missbrauchen! Schönen Dank. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nach dem Kollegen Helmut Heiderich spricht nun der Kollege Holger Ortel, SPD-Fraktion.

Holger Ortel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Heiderich, ein Wort zum beschleunigten Höfesterben. Sie haben 16 Jahre ganz unrühmlich sehr hoch vorgelegt. Ich habe mir die Zahlen vom Deutschen Bauernverband geben lassen. Wenn man das zurück- und umrechnet, waren es 41 Betriebe pro Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr, und das 16 Jahre lang, mit einem Gesamtminus von über 271 000 Betrieben. Wenn Sie Ihre unrühmlich hohen Zahlen für die Erwerbstätigen auch noch hören wollen: 64 Erwerbstätige pro Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr, und das 16 Jahre lang. Insgesamt haben wir 421 000 weniger erwerbstätig Beschäftigte in der Landwirtschaft. ({0}) Das Wirtschaftsjahr 1998/1999 war für viele Landwirte in Deutschland ein schwieriges Jahr. Der Minister hat es auch schon erwähnt. Der Preisverfall unter anderem auf dem Schweinemarkt ließ die Gewinne teilweise dramatisch einbrechen. Im aktuellen Wirtschaftsjahr 1999/2000 zeichnet sich für die Veredelungsbetriebe ein deutlicher Anstieg der Gewinne ab. Die Verluste aus dem Vorjahr - das muss man auch zugeben - können dadurch voraussichtlich aber nur zum Teil ausgeglichen werden. ({1}) Die Entwicklung vieler Betriebe bleibt auch im Jahr 1999/2000 nicht ganz befriedigend. Ich gebe das ja zu. Der Grund dafür liegt auch in den Versäumnissen der Vergangenheit. Die Produktions-, Vermarktungs- und Verarbeitungsstrukturen werden vielfach nicht den Anforderungen gerecht, die der Wettbewerb im Binnen- und Weltmarkt stellt. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ist und bleibt deshalb von herausragender Bedeutung. Strukturelle Defizite müssen abgebaut werden. Mit dem Beschluss zur Agenda 2000 wurde ein klares Signal in Richtung mehr Markt- und Umweltorientierung gegeben und die Förderung der ländlichen Entwicklung wurde aufgewertet. Die Agenda 2000 schafft für die kommenden Jahre verlässliche Rahmenbedingungen und somit auch Planungssicherheit für unsere Landwirte. Die neue Bundesregierung hat wieder Bewegung in die Agrarpolitik gebracht. Sie hat in ihrer EU-Ratspräsidentschaft mit den Beschlüssen der EU-Staats- und Regierungschefs vom März 1999 wesentliche Grundlagen für die zukünftige gemeinsame Agrarpolitik geschaffen. Diese Bundesregierung hat in vielen Bereichen neue Akzente gesetzt. Trotz der schwierigen Haushaltssituation wurden die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe der Agrarstruktur und des Küstenschutzes stabil gehalten. ({2}) Die Gemeinschaftsaufgabe ist das zentrale Instrument der nationalen Agrarstrukturpolitik. Die Ziele sind klar umrissen. Die Landwirtschaft und die ländlichen Räume sind zu stärken, die Landwirtschaft ist in ihrem strukturellen Wandel zu unterstützen und die Beschäftigung in den ländlichen Regionen ist zu sichern. Viele von uns nutzen, sobald es die Zeit erlaubt, jede Gelegenheit, in einer ländlichen Region Erholung vom Alltag zu finden. ({3}) Der ländliche Raum hat also einen erheblichen Freizeitund Erholungswert. ({4}) Viele leben und arbeiten jedoch auch in den ländlichen Regionen, die auch in Deutschland nach wie vor wesentlich durch die Land- und Forstwirtschaft geprägt sind. Die Agrarwirtschaft ist hier ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die wirtschaftliche Zukunft der ländlichen Räume ist daher immer noch eng mit der wirtschaftlichen Perspektive der Land- und Forstwirtschaft verknüpft. Land- und forstwirtschaftliche Betriebe tragen zur Stabilität und Attraktivität dieser Räume bei und sind damit ein wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Betriebe muss deshalb verbessert, neue Wege der betrieblichen Entwicklung müssen unterstützt werden. ({5}) Die Agrarpolitik unterstützt und sichert mit ihren Instrumenten die Rolle der Land- und Forstwirtschaft. Agrarstrukturpolitische Fördermaßnahmen sind hier von besonderer Bedeutung. Die Umsetzung der Politik für ländliche Räume erfolgt in Deutschland über eine Ergänzung der Gemeinschaftsaufgabe mit Landesprogrammen. Bei mir in Niedersachsen zum Beispiel heißt dieses Programm „Pro Land“. ({6}) Aus diesem Programm saugen die ländlichen Regionen in Niedersachsen bis zum Jahr 2006 ihren Honig. Was leistet die Gemeinschaftsaufgabe? Sie sichert die Teilhabe aller Regionen an der Agrarstrukturförderung, bündelt agrarstrukturpolitische Interessen von Bund und Ländern gegenüber der EU, konzentriert EU-, Bundes- und Landesmittel zur Verbesserung der Effizienz der öffentlichen Mittelverwendung und setzt die EU-Gemeinschaftsinitiative für Garantie und Ausrichtung um. Im Haushaltsjahr 1999 betrug der Bundesmittelansatz zur Durchführung der Maßnahmen der Gemeinschaftsaufgabe 1,7 Milliarden DM. Zusammen mit den Landesmitteln ergab das rund 2,8 Milliarden DM in 1999. ({7}) Der Haushalt 2000 sieht ebenfalls Bundesmittel in Höhe von 1,7 Milliarden DM vor. Zusammen mit den Landesmitteln ergibt sich auch in diesem Jahr wieder eine Summe von rund 2,8 Milliarden DM. Der Planungsausschuss der Gemeinschaftsaufgabe hat für den Rahmenplan 2000 bis 2003 beschlossen, in der Agrarinvestitionsförderung Neben- und Haupterwerbsbetriebe gleichzustellen. Die Förderung der benachteiligten Gebiete wird auf besonders ungünstige Standorte und Grünland konzentriert. Bei den Agrarumweltmaßnahmen werden die Schwerpunkte künftig in den Bereichen der extensiven Grünlandnutzung, der Pflege und Erhaltung einer vielfältigen Kulturlandschaft sowie der Stärkung des ökologischen Landbaus liegen. ({8}) Der gestiegenen Nachfrage der Verbraucher nach regional erzeugten Produkten wollen wir durch die Neuaufnahme der Förderung der regionalen Verarbeitung und Vermarktung Rechnung tragen. Die Gemeinschaftsaufgabe enthält eine große Palette sowohl einzelbetrieblicher als auch überbetrieblicher Maßnahmen und trägt den nachhaltigen Entwicklungserfordernissen ländlicher Räume verstärkt Rechnung. ({9}) Die einzelbetriebliche Investitionsförderung ist ein wichtiges Instrument zur Erhaltung der Wettbewerbskraft der deutschen Landwirtschaft. Laut Gemeinschaftsaufgabe sind Haupt- und Nebenerwerbslandwirte künftig sowohl in der Investitions- als auch in der Junglandwirteförderung gleichzustellen. In der Milchkuhhaltung entfallen die bisher bei Bestandsaufstockungen geltenden Obergrenzen. Der bisherige Ausschluss der Förderung von Kapazitätsaufstockungen in der Schweinehaltung wird aufgehoben. Eine weitere wichtige einzelbetriebliche Maßnahme stellt die Förderung von Gebieten dar, die aufgrund ihrer natürlichen und wirtschaftlichen Standortbedingungen benachteiligt sind. Da diese Gebiete ökonomisch betrachtet mit den günstigen Lagen Europas nicht konkurrenzfähig sind, bleibt die Verbesserung der Einkommenssituation der Landwirte eine der größten Herausforderungen, um die traditionelle Bewirtschaftung dieser Gebiete zu sichern. Deshalb soll mit der Gewährung der Ausgleichszulage erreicht werden, dass die Bewirtschaftungsstrukturen in den wirklich benachteiligten Gebieten gesichert werden. ({10}) Der Präsident hat schon die Zeit angemahnt. Darum lassen Sie mich ganz kurz zum letzten Thema kommen, zum Küstenschutz. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und ich haben in unseren benachbarten Wahlkreisen zusammen über 150 Kilometer Seedeiche. Dies unterstreicht sicherlich, dass auch das Thema Küstenschutz bei uns bzw. bei dieser Regierung in den richtigen Händen liegt. Auch in Zukunft werden sich die Menschen an der Küste auf diese Bundesregierung verlassen können. ({11}) Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht nun der Kollege Albert Deß.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ortel, Sie haben vom Strukturwandel gesprochen und haben uns Vorwürfe im Hinblick auf den Strukturwandel während der CDU/CSU-Regierung gemacht. Dazu kann ich Ihnen genaue Zahlen nennen: Im gemittelten Durchschnitt betrug der Strukturwandel in diesen 16 Jahren pro Jahr 2,41 Prozent. In den 13 Jahren, in denen Ihre Partei die Regierungsverantwortung hatte, betrug der durchschnittliche Strukturwandel 4,6 Prozent, also fast das Doppelte. Sie sollten diese Zahlen also sehr vorsichtig verwenden. ({0}) Im Übrigen war das letzte Jahr unserer Regierungszeit, in dem wir zumindest bis zum Herbst regiert haben, das Jahr 1998 also, eines der Jahre mit dem geringsten Strukturwandel der letzten Jahrzehnte. Er betrug in dem Jahr 1,7 Prozent. Deshalb kann man hier nicht davon sprechen, dass die damalige Bundesregierung die Bauern von ihren Höfen vertrieben hätte. Lieber Bundesminister Funke, Sie haben einige Punkte angesprochen, zu denen ich kurz Stellung nehmen möchte. Sie sagten - da gebe ich Ihnen Recht -, dass der Staat nicht auf Dauer die landwirtschaftlichen Einkommen sichern kann. Aber der Staat darf die deutschen Bauern auch nicht in einem Ausmaß belasten, das über die Belastung aller anderen Berufsgruppen hinausgeht. Das führt dazu, dass unsere Bauern Einkommen verlieren, wofür die jetzige Bundesregierung die Verantwortung trägt. Sie haben weiter festgestellt, wenn die Märkte nicht in Ordnung seien, könne dies der Staat nicht regeln. Sie wissen, dass ich Ihnen vorwerfe, dass bei der Agenda 2000 genau dieser Ansatz nicht genutzt worden ist, nämlich die Märkte in Europa besser zu ordnen. Aus Zeitgründen kann ich das jetzt nicht näher erklären; aber es wäre gut gewesen, wenn man in diesem Zusammenhang mehr auf eine Mengenbegrenzung als auf eine Mengenausweitung gesetzt hätte. Sie haben ferner angesprochen, dass sich die Bauern in der Absatzkette für eine stärkere Kooperation aussprechen sollten. Leider kann ich meine bayerischen Bauern davon, dass sie sich in große Kooperationen, zum Beispiel im Rahmen der Milchwirtschaft, einbringen, kaum überzeugen, wenn ich feststellen muss, dass die Bauern in Norddeutschland, wo eine riesige Milchkooperation existiert, pro Liter Milch bis zu 5 Pfennig weniger erhalten, als dies bei kleinen bayerischen Molkereien der Fall ist. Das bedeutet, dass ein 400 000-Liter-Milchviehbetrieb im Norden pro Jahr 20 000 DM weniger für seine Milch erhält als der, der an eine kleine bayerische oder rheinlandpfälzische Molkerei angeschlossen ist. Deshalb sind die Bauern hier auch so skeptisch. ({1}) Hierzu möchte ich ganz deutlich sagen - das gilt für die Wirtschaft ebenso wie für die Landwirtschaft -: Größe allein löst die Einkommensprobleme nicht. Nun zum Agrarbericht. Die Zahlen im Agrarbericht zeigen, dass dieser - abgesehen von Bayern, wo wir ein Plus von 4,1 Prozent haben, von Brandenburg, wo es zu einem Plus von 0,3 Prozent kommt, und von den Futterbaubetrieben, die ein Plus von 12,6 Prozent zu verzeichnen haben - eine Auflistung roter Zahlen ist. Beim Produktionswert kommt es zu einem Minus von 3,6 Prozent, bei der Nettowertschöpfung zu einem Minus von 7,7 Prozent, beim Einkommen der Haupterwerbsbetriebe zu einem Minus von 7,3 Prozent, bei der Nettowertschöpfung je Arbeitskraft zu einem Minus von 5,3 Prozent, bei den Veredelungsbetrieben zu einem Minus von 83,5 Prozent, in Niedersachsen zu einem Minus von 16,8 Prozent und in Nordrhein-Westfalen zu einem Minus von 29,3 Prozent. In D-Mark ausgedrückt kommt es im Wirtschaftsjahr 1998/99 im Vergleich zum Wirtschaftsjahr 1996/97 bei der Nettowertschöpfung zu einem Minus von 3,6 Milliarden DM. ({2}) Für diese Minuszahlen mache ich die rot-grüne Bundesregierung nicht allein verantwortlich. ({3}) Aber wofür ich die rot-grüne Bundesregierung verantwortlich mache, sind die Konsequenzen, die sie aus diesen Zahlen zieht. Die Antwort, die Rot-Grün auf diese Entwicklung gibt, ist verkehrt. Sie belastet nämlich die deutsche Landwirtschaft weiter und benachteiligt sie einseitig. Das ist die falsche Antwort auf die Zahlen, die der vorliegende Agrarbericht ausweist. ({4}) Mitte Januar dieses Jahres ist ein SPD-internes Papier ausgearbeitet worden. Dort ist berechnet worden, dass die deutsche Landwirtschaft durch die Auswirkungen der rotgrünen Agrarpolitik im Zieljahr 2003 mit einer Belastung von 3 Milliarden DM rechnen muss. Das sind nicht unsere Zahlen; das sind Ihre Zahlen, Herr Minister, die hier berechnet worden sind und die unsere Landwirtschaft enorm benachteiligen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Rot-Grün nicht nur ein kernenergiefreies Deutschland in 30 Jahren will, sondern, wenn diese Politik so weiter betrieben wird, noch viel früher ein bauernfreies Deutschland schafft. ({5}) - Lieber Matthias Weisheit, ich wäre da mit Kritik sehr vorsichtig. Ich habe hier eine Aussage eines bayerischen SPD-Kollegen vorliegen, der in einem Brief an den Bundesfinanzminister geschrieben hat - ich zitiere aus dem BBV-Pressedienst vom 16. März -: Die derzeitige Agrarsozialpolitik ist politisch nicht mehr vertretbar. ({6}) Etwas später schreibt er: Es kann auch nicht unseren Vorstellungen und Forderungen von sozialer Gerechtigkeit entsprechen, dass gerade die Einkommensschwächeren mit derart massiven Beitragserhöhungen belastet werden. ({7}) Weiter schreibt er, die soziale Absicherung dürfe nicht der Grund für ein weiteres rasantes Bauernsterben und für landwirtschaftliche Existenzverluste sein. - Das sind sehr deutliche Aussagen eines SPD-Kollegen. Er schließt damit, dass dies eine sehr gefährliche Entwicklung sei, und schreibt: „Wir sollten dieses Vertrauen nicht weiter aufs Spiel setzen“. ({8}) Bezüglich des letzten Satzes hat er nicht Recht, denn RotGrün hat bereits das ganze Vertrauen verspielt. Hier kann nichts mehr aufs Spiel gesetzt werden. ({9}) - Dann müsste er aber nach Bonn gehen; denn bei den Bayern hat er, da er ein SPD-Kollege ist, keine Chance, Landwirtschaftsminister zu werden. Das wird er in nächster Zeit nicht erleben. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Brief ist trotzdem unvollständig, weil dieser Kollege aus dem Bayerischen Landtag nur auf die Kürzungen im Agrarsozialbereich hinweist. Er hätte auch all die steuerlichen Maßnahmen ansprechen müssen, die sich auch auf diesen Bereich gewaltig auswirken. ({11}) Ich bin der Meinung, Rot-Grün schreibt unsere Bauern ab. Rot-Grün verlängert in den AfA-Tabellen die Abschreibungszeiten für landwirtschaftliche Maschinen und Betriebsgebäude und verkürzt die Abschreibungszeit für unsere Bauernhöfe. Das passt nicht zusammen, Herr Bundesminister. Oder doch? Aus Sicht des Finanzministers steckt durchaus System dahinter: Zuerst wird die Betriebsaufgabe erzwungen, dann wird bei der Betriebsaufgabe steuerlich abkassiert. Das genau ist das rot-grüne Agrarmodell. Ich muss fragen, Herr Bundeslandwirtschaftsminister: Wo bleibt da Ihr Aufschrei? Wir von der CDU/CSU würden Ihnen gerne Rückdeckung geben, wenn wir feststellen könnten, dass Sie für unsere Bauern kämpfen. Aber das stellen wir leider nicht fest. Das können wir nirgends heraushören und herauslesen. Es kann nicht Aufgabe eines Bundeslandwirtschaftsministers sein, draußen bei den Bauern die rot-grüne Agrarpolitik zu beschönigen. So kann man keine Agrarpolitik für die Zukunft unserer Bauern gestalten. Wir von der CDU/CSU-Fraktion werden nicht zulassen, dass die Interessen unserer Bauern von dieser rot-grünen Bundesregierung massivst vernachlässigt werden. ({12}) Außerdem, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, verstößt diese Agrarpolitik gegen Ihren eigenen Koalitionsvertrag. In einem SPD-internen Papier heißt es: Im Hinblick auf die Entwicklung ländlicher Räume würde eine Verschärfung des landwirtschaftlichen Strukturwandels im Widerspruch zu den Zielen der Koalitionsvereinbarung für den ländlichen Raum und die Umwelt stehen. Auch das ist eine ganz klare Aussage, dass die rot-grüne Agrarpolitik nicht zu verantworten ist. ({13}) Ich möchte noch eines deutlich anmerken: Wer glaubt, dass durch eine verschärfte Strukturentwicklung - das richtet sich nicht nur an Rot-Grün, es gibt ähnliche Vertreter auch in anderen Parteien - die Pro-blematik der landwirtschaftlichen Einkommens-verhältnisse gelöst werden kann, der wird sich gewaltig täuschen. Wenn dem nämlich so wäre, dann dürfte es ja in den Vereinigten Staaten von Amerika keine Probleme geben. In Europa beträgt die durchschnittliche Betriebsgröße 17,5 Hektar. Die Amerikaner haben zehnmal so viel, nämlich 175 Hektar. Trotzdem hat die amerikanische Landwirtschaft gewaltige Einkommensprobleme. Wer die Agrarstatistik von 1999 liest, der kann sehr interessante Erkenntnisse daraus gewinnen, nämlich, dass im vergangenen Jahr von den amerikanischen Großbetrieben - das sind die Betriebe mit einer durchschnittlichen Größe von 610 Hektar - 9 220 das Handtuch geworfen haben. Nach Aussage des amerikanischen Landwirtschaftsministers wurden sie meist - in Anführungszeichen - wegen Reichtum geschlossen. Die mittleren Betriebe mit 180 Hektar Durchschnittsgröße haben immerhin 3 760 Betriebsaufgaben zu verzeichnen. Zugenommen hat nur die Zahl der Kleinbetriebe mit 45 Hektar Durchschnittsgröße, nämlich um 15 690 Betriebe. Bei uns macht man eine Agrarpolitik, durch die diese Landwirtschaft, die Strukturen hat, die wir alle wünschen, kaputtgemacht wird. Es kann nicht Ziel einer deutschen Agrarpolitik sein, dass wir in Deutschland eine agrarindustrielle Produktion bekommen. Dies liegt auch nicht im Interesse der Verbraucher. Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen. Dieser Antrag zeigt auf, was in der Agrarpolitik zu tun ist, damit die Benachteiligung unserer Bäuerinnen und Bauern beendet wird und der bäuerlichen Jugend wieder eine Perspektive für die Zukunft gegeben wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Deß, kommen Sie bitte zum Schluss.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin beim letzten Satz, Herr Präsident. - Ich möchte etwas Optimistisches verbreiten; ich bin nämlich als Agrarpolitiker auch optimistisch. ({0}) Ich bin nämlich der Meinung: Es wird in Deutschland länger Bauern geben, als es diese rot-grüne Bundesregierung gibt. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich möchte noch nachtragen, dass der Redner, der vor Kollegen Deß gesprochen hat, Holger Ortel, seine erste Rede im Deutschen Bundestag gehalten hat und ich möchte ihn dazu herzlich beglückwünschen. ({0}) Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich dem Kollegen Matthias Weisheit von der SPD das Wort.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Letzter in einer solchen Runde steht man in der Regel vor einem Problem: ({0}) dass man etwas vorbereitet hat, ({1}) dass es aber in der Tat notwendig ist, auf einige Beiträge einzugehen. Ich will das jetzt anhand meines Notizzettels versuchen. Eigentlich müssten wir Agrarpolitiker den heutigen Tag der Agrardebatte rot im Kalender anstreichen: ({2}) Dass diese Debatte zu einer solchen Tageszeit geführt werden kann, das haben wir lange nicht erlebt. ({3}) Meistens waren wir um Mitternacht oder kurz vor Mitternacht an der Reihe. Das wir heute so früh dran sind, ist insofern schon ein erfreuliches Ereignis. ({4}) - Natürlich, Peter Harry, daran seid ihr schuld, dass es geregnet hat, weil es den Bauern gut tut, und die Hitze vorher haben wir zu verantworten. ({5}) Aber lassen wir jetzt diesen Blödsinn bleiben. Bei einer solch frühen Debattenzeit hätten wir natürlich auch die Chance, die vielen Menschen, die am Fernseher jetzt zuschauen, darauf aufmerksam zu machen, welche Leistungen die Landwirtschaft für sie erbringt und was sie tun könnten, um der Landwirtschaft zu helfen, damit die Initiativen, die jetzt laufen, in vernünftige Bahnen gelenkt werden können. Leider ist dem nur ein Kollege von der Opposition in einem Teil seiner Rede nachgekommen. Jella Teuchner hat sehr viel über den Verbraucherschutz geredet; das geht an die Adresse der Verbraucher und der Menschen draußen. Aber leider nur der Kollege Heiderich hat auf das hingewiesen, was ich eben angesprochen habe. Alle anderen Reden der Opposition waren wieder nur dazu angetan, Aggressionen gegen die Landwirtschaft bei der restlichen Bevölkerung zu wecken, ({6}) weil nichts anderes getan wurde, als zu jammern und zu sagen: Es geht uns schlecht; wir brauchen mehr Kohle. So kommt es rüber und das ist genau das Gegenteil dessen, was wir hier in diesem Hause machen sollten, wenn wir der Landwirtschaft nützen wollen. ({7}) Auf einen weiteren Punkt muss man eingehen. Hier wird beklagt, dass Höfe zugrunde gehen. ({8}) Ich habe kein Problem damit, dass ein Strukturwandel stattfindet. Er hat immer stattgefunden. Das darf man nicht der einen oder der anderen Regierung zuschieben. ({9}) - Moment. Strukturwandel ist notwendig. Ich behaupte sogar: In den letzten Jahren hat zu wenig Strukturwandel in Teilen dieser Republik stattgefunden. ({10}) Das wird jetzt nachgeholt. ({11}) - Natürlich! Wer will eigentlich einem Bauern mit 30 Hektar und 15 Kühen klarmachen, dass das noch eine Existenzgrundlage für ein vernünftiges Einkommen ist? Er macht das seinen Kindern bestimmt erst recht nicht klar, was für eine Existenzgrundlage das ist. In dem Moment, wo er Schluss macht, sagen die Kinder „Vater, das war’s dann, ich möchte den Hof nicht haben!“, weil sie nämlich woanders, in der Industrie oder im Gewerbe, mehr Geld verdienen können und mehr Freizeit haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Weisheit, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Straubinger?

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weisheit, führen Sie die neue Agrarpolitik der rot-grünen Bundesregierung etwa auf die Auffassung zurück, dass es in der Landwirtschaft zu wenig Strukturwandel gab?

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich stelle hier fest: Die letzten Jahre hat zu wenig Strukturwandel stattgefunden. ({0}) Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Milchquote festgezurrt war und man damit ein Geschäft machen konnte. Die Neuregelung macht mit dieser Situation aber Schluss. Damit ist klar, dass nach 2006 mit der Milchquote kein Geschäft mehr zu machen ist. Das führt dazu, dass ein großer Teil der Bauern vor dem Stichtag der neuen Regelung ihre Milchquote verkauft haben, langfristig verpachten und ihren Landwirtschaftsbetrieb früher aufgeben als vorgesehen. Das ist eine durchaus vernünftige Entwicklung. ({1}) Kommen wir zu dem, was im Zusammenhang mit dem Agrardiesel angesprochen worden ist. Führen wir uns die Tatsachen noch einmal vor Augen: Wir haben im Agrarbereich einen Haushalt übernommen, der ausgemolken war bis zum Letzten. ({2}) - Ja, natürlich, er ist in den letzten Jahren Ihrer Regierung ständig massiv zurückgefahren worden, übrigens als einziger Haushalt. ({3}) Das wissen Sie ganz genau. Hinzu kommt diese abenteuerliche Verschuldung, die uns zwingt, jede vierte Steuermark für Zinsen abzudrücken. ({4}) Jede vierte Steuermark geht für Zinsen drauf und das haben Sie zu verantworten. ({5}) - Wider- spruch bei der CDU/CSU) Dass die Haushaltskonsolidierung an erster Stelle stand, das ist doch nicht wegzudiskutieren. Deshalb musste auch die Landwirtschaft ihren Teil dazu beitragen. ({6}) - Lieber Heinrich-Wilhelm, jetzt beruhige dich wieder! Die Kürzungen im Agrarhaushalt haben dazu geführt, dass wir die Gasölverbilligung alter Form zurückführen mussten. ({7}) - Wir mussten sie zurückführen, sonst hätten wir woanders kürzen müssen. ({8}) - Natürlich, auch die Agrarpolitiker mussten ihren Anteil leisten. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. ({9}) - Ach, schwätz doch nicht so ein Blech! ({10}) Das musste also gemacht werden. Um die Belastungen nicht zu hoch werden zu lassen, musste deshalb eine Möglichkeit gefunden werden, die Landwirtschaft im Treibstoffbereich zu entlasten. ({11}) - Moment! Jetzt komme ich zu den Modellen. Es bestehen durchaus Unterschiede zu vorher: Es gibt jetzt einen festen Steuersatz für Agrardiesel - das war vorher nicht der Fall - und diese Position taucht auch nicht mehr im Agrarhaushalt auf. Auch mein Freund Oswald Metzger, den ich da hinten sitzen sehe, kann jetzt nicht mehr sagen - die Haushälter der Opposition haben das früher genauso gemacht -: An diesem Punkt möchte ich euren Haushalt abbauen. Insofern hat sich qualitativ durchaus etwas verändert. Dass wir, Uli Heinrich, uns nicht auf einen rot, grün oder wie auch immer eingefärbten Agrardiesel haben verständigen können, das bedauere ich ganz massiv - und der Minister auch. ({12}) Wir wollten ihn ja haben, aber etwas gegen den massiven Willen des Deutschen Bauernverbandes ({13}) - wir haben gestern mit denen geredet

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Weisheit, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Hornung?

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ja, gleich, wenn ich den Gedanken zu Ende gebracht habe - und gegen den massiven Willen der Mineralölindustrie durchsetzen zu wollen, führt nur zu einem blutigen Kopf. Wir tun das nicht, nur um euch einen Gefallen zu tun. Nein, das kann nicht sein. ({0}) Wir machen das jetzt, wie die es wollen, und das ist eine gute Geschichte. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Erlauben Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen Hornung?

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt, Siegfried, bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hornung, bitte schön.

Siegfried Hornung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000961, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weisheit, dem Herrn Minister ist es vorhin nicht gelungen, darzulegen, wie die Verbilligung und Verbesserung beim Gasöl stattfinden soll. Jetzt erklären Sie wiederum, dass es Verbesserungen geben soll. Ich will einmal die alte Art, die teilweise Erstattung von Steuern, beiseite lassen und es auf den neuen Terminus bringen. Damals betrug die Belastung mit Steuern 27 Pfennig pro Liter Diesel. Nun geht sie über Stufen auf 57 Pfennig Steuerbelastung pro Liter. Wer kann mir erklären, dass 57 Pfennig Steuern besser sind als 27? ({0}) Das hätte ich gern gewusst.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hornung, ich habe die Geschichte vorhin von Anfang an aufgedröselt. Wir haben die Gasölbeihilfe gekürzt. Für einen großen Teil der Betriebe wären mit dem Deckel bei der Gasölbeihilfe bei 3 000 DM nicht einmal mehr 10 Pfennig herausgekommen. ({0}) Diesen Punkt haben wir verändert. Durch den Agrardiesel werden alle Betriebe gleichbehandelt und die wachstumswilligen und größeren Betriebe erhalten ihre Verbilligung. ({1}) Der Kollege Ronsöhr hat behauptet, wir hätten Ihre Anregungen zur Reform der agrarsozialen Sicherung leichtfertig vom Tisch gewischt. Ich habe den Antrag gesehen, er beinhaltet vier Forderungen. Die sind längst in Arbeit. Wir haben dazu aufgefordert - ich habe mich bei der Kollegin Wolf, die das Thema fachlich für uns bearbeitet, danach erkundigt; sie steht in Kontakt mit dem Kollegen Hornung -, diese Geschichte weiter zu betreiben. Ich komme jetzt auf den Agrardiesel und die 375 Millionen DM zurück, die wir für die Gasölverbilligung in den Haushalt eingestellt haben. In dem Moment, in dem wir den Agrardiesel bekommen, wird der Betrag frei und kann gezielt in die agrarsoziale Sicherung und in die Gemeinschaftsaufgabe gesteckt werden. Hier gibt es einen echten Zugewinn. ({2}) Eines muss aber klar sein: Bei dieser Reform der agrarsozialen Sicherung kann es nicht angehen, dass alles so bleibt, wie es ist, und nur mehr staatliche Knete gezahlt wird. Ich will es noch einmal verdeutlichen: Wir bezahlen für die Unfallversicherung 500 Millionen DM. Es kann nicht sein, dass man immer mehr obendrauf packt und nichts an der Struktur ändert. Ich bin sehr gern bereit, darüber zu reden, dass wir die so genannte alte Last an Unfallrenten - Stichtag: heute oder dann, wenn das Gesetz in Kraft tritt - aus Staatsmitteln übernehmen - die Zahl ist berechenbar -, aber alles, was neu hinzukommt, muss sich ohne jeglichen Zuschuss seitens der öffentlichen Hand selber tragen. Darüber könnten wir uns durchaus verständigen, weil damit der Zuschuss auf längere Sicht gesehen - zunächst würde er steigen - abnimmt. Über ein solches Modell können wir gern im Ausschuss reden. Das ist ein hochinteressanter und zukunftsorientierter Vorschlag zur Zusammenarbeit, den ich Ihnen hier unterbreite. Jetzt ist meine Redezeit bereits so weit abgelaufen, dass ich zu dem Kollegen Heinrich außer einem nicht mehr viel sagen kann: ({3}) Hinsichtlich der Osterweiterung und der WTO hat er all das bestätigt, was wir hier machen und was der Minister gesagt hat. ({4}) - Natürlich hat er bzw. sein Staatssekretär etwas dazu gesagt. ({5}) - Ja, hier und jetzt hat er nichts dazu gesagt, aber in der Öffentlichkeit, und man kann - das wissen Sie selber und das erlebe auch ich gerade - nicht alle Themen in so kurzer Zeit abhandeln.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Weisheit, kommen Sie bitte zum Schluss.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Bundesregierung ist auf einem guten Weg. Das zeigt der Agrarbericht. Wir werden diesen Weg unbeirrt weitergehen. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Albert Deß das Wort.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Matthias Weisheit hat einmal wieder das Märchen erzählt, dass die Kürzungen im Agrarhaushalt deshalb notwendig seien, weil wir einen Haushalt hinterlassen hätten, der diese Kürzungen erfordere. Nun möchte ich die entsprechenden Zahlen einmal vortragen. Sie müssen in der Öffentlichkeit einmal genannt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es Ihnen nicht passt: Der Ausgabenanteil des Bundeshaushaltes am Bruttoinlandsprodukt betrug 1970, als Sie damals kurz an der Regierung waren, 13 Prozent. Er stieg bis Ende des Jahres 1982 auf 15,4 Prozent, ohne dass eine Wiedervereinigung zu verkraften war. 1989 lag er wieder bei 13 Prozent. 1993 stieg er durch die Wiedervereinigung bedingt auf 14,5 Prozent. Theo Waigel hat seinen Haushalt mit einem Anteil von 12 Prozent am Bruttoinlandsprodukt abgegeben. Das Gleiche gilt für die Staatsquote: 1970 betrug die Staatsquote in unserem Land 39,1 Prozent, am Ende Ihrer Regierungszeit damals 50,1 Prozent. 1989 waren wir bei 45,8 Prozent, 1993 bei 50,6 Prozent und wir haben den Haushalt mit einer Staatsquote in Höhe von 48 Prozent übergeben. Ihr habt es im ersten Jahr eurer Regierungszeit geschafft, dass die Staatsquote bereits wieder auf 49 Prozent gestiegen ist. ({0}) Deshalb sind diese Vorwürfe unbegründet. Ich möchte auch noch etwas zu den Leistungen der Landwirtschaft anmerken. Mir ist es aufgrund der begrenzten Redezeit nicht möglich gewesen, dies vorhin in meiner Rede zu erwähnen: ({1}) Die deutsche Landwirtschaft hat mit den größten Beitrag zur Wohlstandssteigerung in unserem Land geleistet. ({2}) 1960 musste - ich kürze das jetzt ab - ein Industriearbeiter für sechs verschiedene Agrarprodukte - immer pro Kilo gerechnet - 8,31 Stunden arbeiten, damit er diese kaufen konnte. 1980 waren es noch 3,27 Stunden und 1999 musste er weniger als zwei Stunden für das arbeiten, wofür er früher acht Stunden arbeiten musste. ({3}) Das heißt, die deutsche Landwirtschaft hat mit den größten Beitrag zur Wohlstandssteigerung in unserem Land geleistet. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Deß, Sie wissen, dass die Kurzintervention nicht der Verlängerung der Redezeit dient, ({0}) sondern dass Sie auf die Argumente des Vorredners eingehen sollen. ({1}) Herr Kollege Weisheit, Sie haben jetzt die Chance, zu erwidern.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Deß, zu den Prozentzahlen, die Sie als Beweis für den hervorragenden Haushalt des Kollegen Waigel vorgetragen haben, sage ich bloß noch einmal eines: Es ist richtig, dass sich die Schulden auf 1,5 Billionen DM beliefen - die Zahl steht und dass jede vierte Steuermark für Zinszahlungen abgedrückt werden muss. ({0}) Das sind Tatsachen. Daran, dass es Konsolidierungsbedarf gab, gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Zu Ihrer zweiten Ausführung: Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie angesprochen haben, was die deutschen Bauern leisten. Der Kollege Heiderich ist auch schon darauf eingegangen. Ich halte es allerdings für fatal, dass wir hier sagen, wie toll es ist, dass die deutschen Bauern dafür sorgen, dass die Verbraucher weniger bezahlen müssen. Umgekehrt muss es sein. Es besteht das Problem, dass der deutsche Verbraucher eigentlich nur noch Ramschpreise für Ware von sehr guter Qualität bezahlt, die mit dem Wert des Produktes im Sinne des Wortes „preiswert“ überhaupt nichts zu tun haben. Wenn wir endlich wieder dahin kämen, dass der Verbraucher anständige Preise für Lebensmittel bezahlt, dann wäre manche Debatte über irgendwelche Subventionen völlig überflüssig und man könnte sich anderen Dingen zuwenden. Man soll also hier nicht herausheben, wie gut es ist, dass die Bauern den Mallorca-Urlaub durch ihre niedrigen Preise finanzieren, sondern eher darauf drängen, dass dieser Trend umgekehrt wird, weil das, was bisher läuft, falsch ist. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen und Überweisungen, zunächst zum Tagesordnungspunkt 4 a. Interfraktionell wird Überweisung des Agrarberichts 2000 auf Drucksache 14/2672 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschließungsanträge auf Drucksachen 14/3391 und 14/3380 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Nun zum Tagesordnungspunkt 4 b. Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Agrarbericht 1999 der Bundesregierung, Drucksache 14/2198. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung, den Agrarbericht 1999 auf Drucksachen 14/347 und 14/348 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu vier Entschließungsanträgen zum Agrarbericht 1999 auf Drucksache 14/2198 ab. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zum Agrarbericht 1999 auf Drucksache 14/1155 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion der CDU/CSU und Enthaltungen der Fraktionen der F.D.P. und der PDS angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 3 seiner Beschlussempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS zum Agrarbericht 1999 auf Drucksache 14/1156 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 4 seiner Beschlussempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. zum Agrarbericht 1999 auf Drucksache 14/1157 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der F.D.P. und einiger CDU/CSU-Abgeordneter bei Enthaltung der übrigen Abgeordneten der CDU/CSU angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 5 seiner Beschlussempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Agrarbericht 1999 auf Drucksache 14/1158 unverändert anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Agrarbericht 1998 der Bundesregierung, auf Drucksache 14/2198. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 6 seiner Beschlussempfehlung, den Agrarbericht 1998 auf Drucksachen 13/9823 und 13/9824 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen jetzt zu einer Reihe von Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Bevor ich diesen Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich bekannt geben, dass die Fraktion der CDU/CSU mitgeteilt hat, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms dass sie auf die Durchführung der von ihr beantragten Aktuellen Stunde zu dem Thema „Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen von Bundesfinanzminister Eichel, die Rentenreform zu verschieben“ verzichtet; sie sollte heute im Anschluss an die Ohne-Debatte-Punkte aufgerufen werden. Ich weise vorab darauf hin, damit Sie sich darauf einstellen können. Wenn wir das etwas früher erfahren hätten - erlauben Sie mir den Hinweis -, hätte man eine Aktuelle Stunde zu einem anderen Thema ansetzen können. ({0}) - Möglicherweise hätte es ein solches Verlangen gegeben, dem man dann hätte entsprechen können. Übrigens, auch Sie von der SPD hätten dann natürlich eine Aktuelle Stunde beantragen können. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 h und 6 sowie die Zusatzpunkte 1 a bis 1 d auf: 20 Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG - Drucksache 14/3274 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 14. Dezember 1998 zur Änderung des am 3. Dezember 1980 in Bonn unterzeich- neten Abkommens zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbe- steuerung auf dem Gebiet der Nachlass-, Erb- schaft- und Schenkungsteuern - Drucksache 14/3248 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes ({2}) - Drucksache 14/2995 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen d) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfegergesetzes und anderer schornsteinfegerrechtlicher Vorschriften - Drucksache 14/3333 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung e) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes - Drucksache 14/3369 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union f) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung produkthaftungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 14/3371 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({5}) Ausschuss für. Wirtschaft und Technologie Ausschuss für. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Ruth Fuchs, Petra Bläss, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS Verbot der Werbung für den Tabakkonsum - Drucksache 14/3318 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union h) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: Monitoring „Xenotransplantation“ - Drucksache 14/3144 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({8}) Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, Wolfgang Bosbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege und des Jugendgerichtsgesetzes - Drucksache 14/2992 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({9}) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Joachim Stüncker, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck ({10}), Christian Ströbele, Irmingard Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Schewe-Gerigk, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlänge- rung der Besetzungsreduktion bei Strafkam- mern - Drucksache 14/3370 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes ({11}) - Drucksache 14/3267 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({12}) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich, HansMichael Goldmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes - Drucksache 14/3209 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({13}) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Für eine China-Resolution der VNMenschenrechtskommission - Drucksache 14/2915 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({14}) Auswärtiger Ausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/3369 - Tagesordnungspunkt 20 e - soll zusätzlich an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 21 a bis 21 m und 13 sowie zum Zusatzpunkt 2. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 21 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vierten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds ({15}) - Drucksache 14/3075 ({16}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({17}) - Drucksache 14/3346 - Berichterstattung: Abgeordnete Jörg-Otto Spiller Leo Dautzenberg Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksa- che 14/3346, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der PDS angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 21 b: b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Dezember 1996 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zum Schengener Durchführungsübereinkommen und zu dem Übereinkommen vom 18. Mai 1999 über die Assoziierung der Republik Island und des Königreichs Norwegen - Drucksache 14/3247 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({18}) - Drucksache 14/3389 Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Peter Kemper Dr.Hans-Peter Uhl Cem Özdemir Dr. Max Stadler Ulla Jelpke Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/3389, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen. ({19}) Tagesordnungspunkt 21 c - Änderung des Futtermit- telgesetzes - wird zurückgestellt. Tagesordnungspunkte 21 d und 21 e: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms d) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({20}) zu dem Überprüfungsverfahren des Abgeordneten Dr. Klaus Grehn gemäß § 44 b Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes ({21}) ({22}) - Drucksache 14/3145 - e) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({23}) zu dem Überprüfungsverfahren nach § 44 b des Abgeordnetengesetzes ({24}) ({25}) - Drucksache 14/3228 Kann ich davon ausgehen, dass Sie die Berichte des Ausschusses zur Kenntnis genommen haben? - Das ist der Fall. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 21 f bis 21 m, zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 21 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26}) Sammelübersicht 153 zu Petitionen - Drucksache 14/3301 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 153 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 21 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27}) Sammelübersicht 154 zu Petitionen - Drucksache 14/3302 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -Sammelübersicht 154 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 21 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28}) Sammelübersicht 155 zu Petitionen - Drucksache 14/3303 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 155 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Tagesordnungspunkt 21 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29}) Sammelübersicht 156 zu Petitionen - Drucksache 14/3304 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 156 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 21 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30}) Sammelübersicht 157 zu Petitionen - Drucksache 14/3305 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 157 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 21 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31}) Sammelübersicht 158 zu Petitionen - Drucksache 14/3306 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 158 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. angenommen. Tagesordnungspunkt 21 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({32}) Sammelübersicht 159 zu Petitionen - Drucksache 14/3307 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 159 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 21 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33}) Sammelübersicht 160 zu Petitionen - Drucksache 14/3308 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 160 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 9. September 1998 zur Änderung des Europäischen Übereinkommens Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms vom 5. Mai 1989 über das grenzüberschreitende Fernsehen - Drucksache 14/2681 ({34}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({35}) - Drucksache 14/3362 Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Werner Bertl Bernd Neumann ({36}) Hans-Joachim Otto ({37}) Angela Marquardt Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt auf Drucksache 14/3362, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der F.D.P.Fraktion in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Zusatzpunkt 2: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({38}) zu der Ver- ordnung der Bundesregierung Verordnung über die Entsorgung polychlorier- ter Biphenyle, polychlorierter Terphenyle sowie halogenierter Monomethyldiphenylmethane und zur Änderung chemikalienrechtlicher Vor- schriften - Drucksachen 14/3286, 14/3345 Nr. 2.1, 14/3395 - Berichterstattung: Abgeordnete Marion Caspers-Merk Franz Obermeier Winfried Hermann Birgit Homburger Eva-Maria Bulling-Schröter Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Druck- sache 14/3286 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei Gegenstimmen der PDS angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c) auf: 5a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Charta der Grundrechte der Europäischen Union - Drucksache 14/3387 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({39}) Petitionsausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Hintze, Peter Altmaier, Dr. Ralf Brauksiepe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Die Rechte der Bürger stärken - Für eine bürgernahe Charta der Grundrechte der Europäischen Union - Drucksache 14/3368 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({40}) Petitionsausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Ausschuss für Kultur und Medien c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Werner Hoyer, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Verbindlichkeit der Europäischen Grundrechte-Charta und Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention - Drucksache 14/3322 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({41}) Petitionsausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen Professor Dr. Jürgen Meyer von der SPD-Fraktion.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die GrundrechteCharta der EU ist eines der spannendsten europapolitischen Themen, mit denen wir uns zurzeit beschäftigen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich bin davon überzeugt, dass die Grundrechte-Charta mindestens dieselbe Bedeutung erlangen kann wie die Währungsunion und die Osterweiterung. Warum ist dies so? Das hängt mit den beiden Zielen, die wir mit der Grundrechte-Charta verfolgen, zusammen. Das erste Ziel ist, deutlich zu machen, dass die Europäische Union nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist. Wenn künftig Europäer gefragt werden: „Was macht euch denn aus, was unterscheidet euch von Bürgerinnen und Bürgern auf anderen Kontinenten?“, dann - so hoffe ich - werden sie als Antwort nicht nur die Brieftasche zücken und sagen: Wir haben den Euro. ({0}) Ich hoffe, dass sie dann auch ein kleines Büchlein vorzeigen und sagen: Wir haben die Grundrechte-Charta; das ist unsere Werteordnung. ({1}) Das ist nicht nur eine theoretische Vorstellung; vielmehr hat dies auch eine große praktische Bedeutung. Nach der Verkündung der Europäischen Grundrechte-Charta im Dezember in Nizza wird sich der Europäische Gerichtshof in Luxemburg bei der Interpretation von Begriffen wie „Demokratie“ und „Rechtsstaat“ nach deren Konkretisierung durch die Grundrechte-Charta richten. Bei der Entscheidung über die Osterweiterung der Europäischen Union, bei der es darum geht, Länder in die Union aufzunehmen, die Demokratien und Rechtsstaaten sind, wird die Grundrechte-Charta wiederum eine große Rolle spielen. Dabei geht es nicht etwa nur darum festzustellen, ob in dem betreffenden Kandidatenland - Sie wissen, wovon ich spreche - die Todesstrafe abgeschafft ist, das heißt: nicht mehr verhängt und vollstreckt werden darf, oder ob Minderheiten respektiert werden. Es könnte auch um die Frage gehen, ob - wie es das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe formuliert hat - ein Lebenselement der Demokratie, nämlich die Pressefreiheit, in dem Kandidatenland gilt. Sie sehen: Das ist eine außerordentlich praktische Fragestellung. Das zweite Ziel, das wir mit der Grundrechte-Charta verfolgen, ist ebenso praktisch wie handfest. Es geht darum, die wachsende Macht der EU-Organe in Brüssel einer Kontrolle zu unterwerfen, die es bisher nicht in ausreichendem Maße gibt. Bekanntlich haben wir zur Konkretisierung der Begriffe „Demokratie“ und „Rechtsstaat“ eine reiche Rechtsprechung, zum Beispiel des Europäischen Gerichtshofs. Aber wer kennt eigentlich diese Rechtssprechung? Ich behaupte, dass es nur wenige Juristen gibt, die die vorzüglichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs kennen. Es geht also neben der Identität der Europäer als vorrangiges Ziel auch um so etwas wie Transparenz; es geht darum, dass die Menschen in Europa ihre Rechte kennen und durchsetzen können. ({2}) Die praktische Bedeutung dieses Sachverhalts will ich wiederum mit einem Beispiel belegen, wobei ich Sie, Herr Kollege Müller, weil Sie mich so freundlich ansprechen, einbeziehe: Ich unterstelle, dass Sie einen Freund haben, dessen Freundin sich gelegentlich mit einem Drogenhändler trifft. ({3}) Schon befinden Sie sich im Umfeld eines Drogenhändlers mit der Folge, dass Ihre Personalien im Computer von Europol gespeichert werden. Das, Herr Kollege Müller, ist natürlich hoch bedenklich. Ich vertraue darauf, dass Sie Ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das durch die Charta garantiert werden wird, geltend machen und sagen: Ich bin nicht damit einverstanden, dass ich, der Abgeordnete Müller, im Computer von Europol gespeichert bin. Zurzeit können Sie gegen eine solche Erfassung nur mit einem Beschwerdeverfahren vorgehen; Sie können sich aber nicht an den Europäischen Gerichtshof wenden. Das müssen wir ändern, da sind Sie doch sicher derselben Meinung. ({4}) Ich will ein zweites Beispiel nennen: Ein Journalist, der in den nordischen Ländern die Finanzierung eines großen Straßenbauvorhabens recherchiert, kann dort zurzeit zur Straßenbaubehörde gehen und Akteneinsicht verlangen. Künftig wird ihm vielleicht gesagt werden: Das machen wir in unserem Staat nicht mehr; vielmehr wird dies maßgeblich in Brüssel bearbeitet. Dann geht der Journalist zu dem zuständigen Kommissar oder seinem Sachbearbeiter und bittet um Akteneinsicht. Daraufhin wird ihm gesagt: Ein Informationsrecht oder gar ein Recht auf Akteneinsicht, und dann auch noch für Journalisten, kennen wir hier bei der EU nicht. ({5}) Ich bin der Auffassung, dass wir das ändern müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Übertragung von Kompetenzen von der nationalstaatlichen Ebene auf die EUEbene nicht dazu führen kann, dass die Menschen in Europa weniger Rechte haben als bisher. ({6}) Als drittes Beispiel nenne ich eine Entscheidung des Europäischen Patentamtes, die vielleicht versehentlich ergangen ist und besagt, das Klonen von Menschen mit einem bestimmten Patent schützen zu wollen. Dagegen gibt Dr. Jürgen Meyer ({7}) es zurzeit ein Einspruchs- und Beschwerdeverfahren. Man kann sich bei nationalstaatlichen Gerichten, also zum Beispiel dem Bundespatentgericht, dagegen wehren. Aber dies wirkt eben nur innerhalb des betreffenden Staates. Ich bin der Auffassung, dass dies auf EU-Ebene mit Wirkung für alle 15 Länder möglich sein muss. Also brauchen wir zum Beispiel ein neues Grundrecht, das das Klonen von Menschen verbietet und auch die Nutzung menschlicher Gene für gewerbliche Zwecke untersagt. Dies muss beim Europäischen Gerichtshof durchgesetzt werden können. Wir brauchen daher mehr Rechtsschutz. ({8}) Nun habe ich Ihnen ein paar Beispiele dafür genannt, wie sich die Grundrechte-Charta praktisch auswirken könnte. Ich möchte noch einen Grund nennen, warum diese Charta ein Erfolg werden muss. Wir haben einen Konvent, der sich am 17. Dezember vergangenen Jahres konstituiert hat und dessen Vorsitz an diesem Tag Roman Herzog als Beauftragter der Bundesregierung übernommen hat. Ich möchte hier gern feststellen, dass Roman Herzog seine Aufgabe hervorragend und mit Einfühlungsvermögen, Sachverstand und Kompetenz erfüllt. Wichtig ist aber, dass dieses Gremium zu drei Vierteln aus Parlamentariern besteht. Jedes Mitgliedsland entsendet zwei Parlamentarier. Für die Bundesrepublik Deutschland sind dies - ich nehme an, er wird sich nachher noch zu Wort melden - der Europaminister von Thüringen, Herr Gnauck, und ich als Delegierter des Deutschen Bundestages. Dabei arbeite ich, was ich hier auch gerne vermerken will, mit dem Kollegen Altmaier gut zusammen. ({9}) Bei je zwei Parlamentariern pro Mitgliedstaat sind also 30 nationale Parlamentarier im Konvent vertreten. Dazu kommen 16 Europaparlamentarier. Zusammen sind dies 46 von 62 Mitgliedern des Konvents. Weitere 15 Mitglieder sind Delegierte der Regierungen der Mitgliedstaaten. Ferner wird die Kommission durch den Kommissar Vitorino im Konvent vertreten. Demnach sind drei Viertel der Mitglieder des Konvents Parlamentarier. Bei diesem ganz wichtigen Experiment geht es darum, endlich eine europapolitische Weichenstellung nicht von Regierungen oder, ohne dass das verächtlich gemeint wäre, von Bürokraten durchführen zu lassen, sondern von Abgeordneten mit einer demokratischen Legitimation. Ich bin der Auffassung, dass dieses Experiment gelingen muss, damit Europapolitik künftig demokratischer wird. Damit es ein Erfolg werden kann, muss dieses Gremium eine beispielhafte Funktion entfalten, die auch Nachahmung findet. ({10}) Dabei haben wir natürlich ein Mandat zu beachten, das uns vom Europäischen Rat in Köln erteilt worden ist. Dieses Mandat fordert, dass wir unserer Arbeit die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die dazu ergangene Rechtsprechung zugrunde legen, Bürgerrechte in die Charta einarbeiten und unter anderem die Sozialcharta berücksichtigen. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir die gemeinsame Verfassungsentwicklung der Mitgliedstaaten in unserer Arbeit berücksichtigen. Das bedeutet, dass jeder Vorschlag für die Grundrechte-Charta, der nur aus der Sicht des nationalen Rechts erfolgt, also etwa mit dem Tunnelblick, wie er teilweise in Deutschland geschieht, nicht überzeugen kann. Wir müssen - das ist eine anspruchsvolle Aufgabe - Verfassungsrechtsvergleiche versuchen und dabei nicht nur dieVerfassungs-, die Grundrechtslage in den 15 Mitgliedsländern, sondern auch die Verfassungen der fünf neuen Bundesländer berücksichtigen. Darüber hinaus müssen wir auch - sonst wäre die Anhörung der Kandidatenländer eine Farce - die zum Teil hervorragenden neuen Verfassungen der Kandidatenländer berücksichtigen. ({11}) Ich weise etwa auf die sehr gute und überzeugende Verfassung von Polen hin. Diese Aufgabe stellt sich jetzt. Deshalb bin ich froh, hier und heute eine Art Werkstattbericht geben zu können. Wer hätte eigentlich gedacht, dass sich diese Angelegenheit in den letzten Wochen und Monaten dieses Jahres so zügig entwickeln würde? Als ich vor fünf Jahren als Abgeordneter das Thema Grundrechte-Charta zur Sprache brachte, sprach ich von einer Vision für Europa. Einige mögen gedacht haben, dass das wohl eher eine Träumerei sei. Jetzt reden wir über von uns abgegebene Werkstattberichte. Ich bin der Auffassung, dass der politische Durchbruch zur EU-Grundrechte-Charta unter der deutschen Präsidentschaft in Köln durch die rot-grüne Bundesregierung erzielt worden ist. Ich denke, auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition sollten so fair sein und die Größe haben anzuerkennen, dass dieses insbesondere ein Verdienst der Justizministerin Frau Dr. Däubler-Gmelin ist, die den Kölner Gipfel engagiert vorbereitet hat, und von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der diesen Erfolg in Köln ermöglicht hat. Das sollten Sie alle anerkennen. ({12}) Es ist ein Erfolg der rot-grünen Bundesregierung. Die Grundrechte-Charta wird aus drei großen Abschnitten bestehen. Der erste Abschnitt, der die klassischen Grundrechte enthält, ist nach der ersten Lesung in der vorletzten Woche mit Formulierungsvorschlägen des Präsidiums des Konvents zu 29 Artikeln abgeschlossen worden. Ich werde dazu - hoffentlich auch mit Ihrer Unterstützung - eine Reihe von Änderungsvorschlägen einbringen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir alle der Meinung sind, dass zum Beispiel die Kunstfreiheit und die Freiheit von Forschung und Lehre in die GrundrechteCharta gehören. ({13}) Dr. Jürgen Meyer ({14}) Ich könnte mir vorstellen, dass Sie es als selbstverständlich empfinden, dass die Gleichstellung von Frauen nicht nur durch eine Diskriminierungsklausel verankert wird, sondern durch ein Gleichstellungsgebot verankert werden muss. Über diesen Punkt hat sich der Konvent nach meinem Eindruck schon geeinigt. ({15}) Ich bin froh darüber, dass entsprechend einem Vorschlag, den ich schon vor fünf Jahren in einem Diskussionsentwurf unterbreitet habe, die Garantie der Unverletzlichkeit der Menschenwürde an die Spitze dieser klassischen Grundrechte gestellt werden wird. ({16}) Ich will jetzt über den zweiten Abschnitt, die Bürgerrechte, bei denen es zum Beispiel um das Wahlrecht geht, aus Zeitgründen nichts sagen, sondern mich in der verbleibendenZeitdemstrittigenKapiteldersozialenGrundrechte zuwenden. Hier geht es nach meiner Überzeugung um das europäische Modell, das heißt, wir müssen deutlich machen, dass sich die Europäische Union im Grundrechtsbereich nicht nur auf Abwehrrechte beschränkt, sondern entsprechend der Verfassungsentwicklung im 20. Jahrhundert in Deutschland auch Teilhaberechte vorsieht. Gegen diese sozialen Grundrechte wird häufig eingewandt, speziell von sozialdemokratischer Seite werde versucht, so etwas wie ein Recht auf Arbeit durchzusetzen, was so viel wie ein individuell einklagbares Recht auf einen Arbeitsplatz bedeute. Das ist abwegig. Das Recht auf Arbeit, das zum Beispiel in den Verfassungen der neuen Bundesländer und auch in den Verfassungen etlicher Mitgliedstaaten der EU garantiert ist, hat einen anderen, viel handfesteren und konkreteren Inhalt. Beim Recht auf Arbeit geht es um Respektieren, Schützen und Fördern. Respektieren heißt, es darf keine Arbeitsverbote geben. Das hat zum Beispiel der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung zum Waffendienst von Frauen in der Bundeswehr anerkannt. Dort ging es nicht nur - aber selbstverständlich auch - um Gleichstellung, sondern auch um die Ablehnung pauschaler Arbeitsverbote. Schützen bedeutet - das ist das europäische Modell -, es darf in der Europäischen Union keine willkürlichen und sozial unverträglichen Kündigungen geben; das beinhaltet also genau das Gegenteil dessen, was das amerikanische Modell „hire and fire“ in diesem Bereich vorsieht. Es geht also um den Schutz von Arbeitsplätzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Professor Meyer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie haben gerade gesagt, es dürfe keine Arbeitsverbote geben. Ich unterstütze Sie darin. Wie erklären Sie aber, dass im März dieses Jahres der Antrag der F.D.P.-Bundestagsfraktion auf Abschaffung der Arbeitserlaubnispflicht unter anderem auch von Ihrer Koalition abgelehnt worden ist? Wie erklären Sie die Tatsache, dass der so genannte Clever-Erlass, der Asylbewerbern, die seit dem Mai 1997 eingereist sind, die Arbeitserlaubnis und damit die Aufnahme einer Arbeit grundsätzlich verwehrt, immer noch nicht abgeschafft worden ist, obwohl bereits viele Landessozialgerichte diesen als rechtwidrig erachtet haben?

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will Ihnen auf diese Frage ganz freimütig antworten. Ich habe in Erinnerung, dass Ihr Entwurf auch wegen gewisser handwerklicher Mängel abgelehnt worden ist. Um es mir nicht zu einfach zu machen, will ich gleich hinzufügen: Das Recht auf Arbeit ist gemäß meinen Vorstellungen ein Menschenrecht. Deshalb muss man Arbeitsverbote ausschließen. Ich persönlich bin daher der Auffassung, dass wir über die Frage von Arbeitsverboten für Asylbewerber sehr kritisch diskutieren und eventuell neu entscheiden müssen. Das ist meine klare Antwort. ({0}) Zum Recht auf Arbeit gehört schließlich die Förderung der privaten oder öffentlichen Arbeitsvermittlung. Es geht also um ganz handfeste Rechte. Ich stelle mir vor, dass im Rahmen der Gewährung von sozialen Grundrechten auch das Recht auf Bildung garantiert werden muss. Es wird manchmal eingewandt, es gebe hierfür keine EU-Kompetenz. Richtig ist, dass durch die Charta keine einzige neue Kompetenz begründet werden darf. Wenn man aber in den Amsterdamer Vertrag hineinschaut, dann findet man die Art. 149 und 150 des EGVertrages. Dort ist eine Teilkompetenz der EU hinsichtlich des Rechts auf Bildung festgeschrieben. Es gibt bereits entsprechende Programme, etwa das Programm „Socrates“. Zu behaupten, ein Recht auf Bildung könne nicht geschaffen werden, weil es im Bereich Bildung keine Kompetenz der EU gebe, ist nicht richtig. ({1}) - Herr Kollege Müller, über die Frage der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips können wir gerne an anderer Stelle reden. Dieses Thema wurde schon in vielen Ausschusssitzungen erörtert. ({2}) Ich will zum Schluss noch meine Vorstellungen vortragen, wie man den offenen Konflikt bezüglich der sozialen Grundrechte lösen kann. Dazu gibt es drei Lösungsmöglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist zu sagen, der Dr. Jürgen Meyer ({3}) Artikel, der die Menschenwürde garantiert, reicht eigentlich aus. Daraus haben der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht seit 1949 soziale Grundrechte abgeleitet. Vielleicht kann man noch Selbstverständlichkeiten wie etwa das in der Sozialcharta enthaltene Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Information und Anhörung, sofern es um Arbeitsbedingungen oder um geplante Massenentlassungen geht, hinzufügen. Diese Möglichkeit wird aber erstens dem Auftrag des Europäischen Rates nicht gerecht. Zweitens wird dadurch die Entwicklung sozialer Grundrechte auf die nächsten 50 Jahre verschoben, weil sie dem Europäischen Gerichtshof überantwortet werden würde. Drittens wäre das ein Zufallsverfahren; denn der Europäische Gerichtshof kann nur entscheiden, wenn ihm etwas vorgelegt wird. Er kann außerdem nur fallbezogen entscheiden und keine Grundrechte-Charta entwickeln. Die zweite Lösungsmöglichkeit ist - das ist das andere Extrem -, alle überhaupt vorstellbaren sozialen Grundrechte in die Charta aufzunehmen, aber keines rechtsverbindlich auszugestalten. Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung mehrfach erklärt hat: Wir wollen nur Grundrechte aufnehmen, das heißt: einklagbare Rechte, ({4}) sonst endet das ganze Unternehmen in einer großen Enttäuschung wie bei der Weimarer Reichsverfassung. Sie beinhaltete auch einen umfangreichen Grundrechtekatalog, aber kein einklagbares Grundrecht. Mein Lösungsvorschlag, den ich auch im Konvent eingebracht habe, lautet, ein drittes Modell, ein Dreisäulenmodell, durchzusetzen. Die erste Säule ist die Anerkennung - der können auch Sie sich nicht verschließen - nicht nur des Grundwertes, sondern auch des Rechtsgrundsatzes der Solidarität. Dieser Rechtsgrundsatz wird in die Präambel oder an einer anderen geeigneten Stelle aufgenommen. Daraus lassen sich alle sozialen Grundrechte ableiten. Die zweite Säule sollen soziale Grundrechte sein, von denen ich einige nannte, auf die man sich nach meinem Eindruck durchaus verständigen kann. Dazu gehört zum Beispiel auch der Anspruch auf Zugang zu sozialen Dienstleistungen, wie von etlichen Sozialverbänden gefordert. Die dritte Säule soll eine dynamische sein. Dabei soll vonderTatsacheausgegangenwerden,dass sozialeGrundrechte sich in einem ständigen Prozess der Weiterentwicklung befinden. Ich nenne etwa die Sozialcharta, die ratifiziert ist. Aber die revidierte Sozialcharta ist leider noch nicht ratifiziert. Ich fordere die Bundesregierung auf, das Verfahren einzuleiten, um die revidierte Sozialcharta zu ratifizieren. Der Konvent kann die Entwicklung künftiger sozialer Grundrechte nicht abblocken; es sollte vielmehr ein Artikel in die Grundrechte-Charta etwa mit folgendem Inhalt eingefügt werden: Die sozialen Grundrechte, die durch Konventionen anerkannt sind, denen sich die Mitgliedsländer angeschlossen haben, werden bei der Interpretation und Durchsetzung der einzelnen Artikel der Charta beachtet. Ich hoffe sehr, mit diesem Vorschlag dazu beitragen zu können, das Haupthindernis für einen Erfolg der Arbeit gerade im Bereich sozialer Grundrechte zu beseitigen. Ich bitte um Unterstützung und ich bitte Sie alle, die öffentliche Diskussion so positiv und so engagiert mit den Delegierten des Konvents zu führen, dass wir am Ende sagen können: Dieses ist eine Grundrechtscharta und sie ist das europäische Modell. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Peter Altmaier von der CDU/CSU-Fraktion.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Erarbeitung der Grundrechtscharta ist in der Tat ein wichtiger, ein großer, ja auch ein historischer Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration. ({0}) Sie kann zu dem grundlegenden Dokument der Europäischen Union werden, das mehr über die Zusammengehörigkeit, die Identität und das Selbstverständnis der Europäer aussagt als alle bisherigen Verträge und Protokollnotizen zusammen. Sie kann aber auch, falls sie scheitert, weil sie überladen wird mit unrealistischen Forderungen, mit ideologisch motivierten Vorschlägen, falls sie missbraucht wird für innerstaatliche Debatten und Streitigkeiten, zum weithin sichtbaren Dokument unserer Unfähigkeit werden, in Europa Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und das Viele, das uns in Europa gemeinsam ist, vor das Wenige zu stellen, das uns in Europa trennt. Meine Damen und Herren, ich möchte deshalb zu Beginn der Debatte sagen: Das Projekt dieser Grundrechtscharta ist ein gemeinsames Projekt aller demokratischen Fraktionen in diesem Haus. Es ist kein rot-grünes Projekt in erster Linie, es ist auch kein exklusives Projekt der CDU/CSU. Wir haben uns seit vielen Jahren gemeinsam für dieses Projekt eingesetzt und wir haben die gemeinsame Verantwortung, dieses Projekt durch unsere Arbeit in diesem Haus und im Konvent in Brüssel auch zum Erfolg zu führen. ({1}) Meine Damen und Herren, die Europäische Union steht am Beginn des neuen Jahrhunderts vor tief greifenden inneren Reformen. Die Regierungskonferenz und der Vertrag von Nizza mit der Herstellung der Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union, die Erweiterung der Europäischen Union in den nächsten Jahren auf bis zu 30 Mitgliedstaaten mit Folgen für die Struktur der Europäischen Union, die kein Mensch abschätzen kann - all das macht deutlich, dass die Europäische Union am Beginn Dr. Jürgen Meyer ({2}) einer gänzlich neuen Phase ihrer Entwicklung steht. Deshalb ist die mit Abstand wichtigste Funktion dieser Charta, dass sie rechtzeitig vor Beginn dieses Prozesses, von dem niemand weiß, wohin er uns führen wird, deutlich macht, dass die Europäische Union viel mehr ist als nur ein großer Binnenmarkt mit freiem Waren-, Güterund Dienstleistungsverkehr, ({3}) dass sie in erster Linie und vor allem eine Wertegemeinschaft ist und dass es diese Wertegemeinschaft ist, die uns in Europa und weltweit unterscheidbar und erkennbar macht. ({4}) Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit, das sind nicht irgendwelche, sondern die entscheidenden Grundsätze, das Fundament, auf dem die Europäische Union beruht. Dieses Fundament ist über Jahrhunderte gewachsen. Herr Kollege Meyer, Sie sind ja Staatsrechtler. Sie wissen, dass die Ursprünge weit zurückreichen. Die griechische Polis, wo man erkannt hat, dass gemeinsame Angelegenheiten gemeinsam geregelt werden müssen, die englische Magna Charta von 1215, wo man erkannt hat, dass staatliche Macht immer auch der Begrenzung bedarf, die Französische Revolution und ihre großen Prinzipien der Gleichheit, der Freiheit und der Solidarität, die Paulskirchen-Versammlung von 1848, das deutsche Grundgesetz von 1949, die friedliche Revolution in Osteuropa - das alles zeigt, dass wir in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Tradition im Hinblick auf Menschenrechte, Demokratie und Grundfreiheiten haben, die unglaublich reich und verschiedenartig ist und die sich so in keinem anderen Teil der Welt findet. ({5}) Zu diesem gemeinsamen Erbe gehören dann auch die schrecklichen Erfahrungen mit totalitären Ideologien, mit dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus, beides Ideologien, die in Europa entstanden sind, die in Europa aber auch wieder überwunden worden sind. Ich meine, man kann mit Fug und Recht davon sprechen, dass sich als Ergebnis dieser jahrhundertelangen Erfahrungen ein europäisches Menschenbild entwickelt hat, das auf der christlichen Anthropologie und der Tradition der Aufklärung fußt und das die entscheidenden Wurzeln unseres modernen Grund- und Menschenrechtsverständnisses darstellt. Wenn die Erweiterung der EU, der Beitritt neuer Staaten mit all der begrüßenswerten Unterschiedlichkeit und Verschiedenartigkeit, die er zur Folge hat, nicht zur Beliebigkeit führen soll, wenn an die Stelle innerer Überzeugung kein reiner Positivismus treten soll, dann müssen wir den Mut haben, uns zu diesem europäischen Menschenbild in der Grundrechtscharta an entscheidender und zentraler Stelle zu bekennen. Lieber Herr Kollege Meyer, wir arbeiten im Grundrechtskonvent in Brüssel sehr gut zusammen. Bitte helfen Sie mit, dass wir es in Brüssel schaffen, dieses Bekenntnis zum europäischen Menschenbild in der Grundrechtscharta deutlich und klar zu verankern. ({6}) Es ist in der Tat so, dass gerade in der jetzigen Zeit, in der die Unteilbarkeit und die Universalität der Menschenrechte weltweit zunehmend anerkannt, aber leider Gottes nicht weltweit durchgesetzt werden, von dieser Charta eine Signalwirkung für Demokratie- und Menschenrechtsbewegungen in der ganzen Welt ausgehen kann. Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir in der Grundrechtscharta an prominenter Stelle auch das Verbot der Todesstrafe, der Folter und der erniedrigenden Behandlung zum Ausdruck bringen, selbst wenn die Gefahr, dass die Europäische Union dagegen verstößt, eher als gering einzuschätzen ist. Aber wir gäben damit ein Zeichen, das weit über die Europäische Union hinauswirkt. Die Charta hat allerdings - das ist ein ganz wichtiger Punkt - nicht nur einen hohen Symbolgehalt, nicht nur eine hohe grundsätzliche Bedeutung; sie wird auch ganz konkret etwas im Verhältnis der europäischen Bürger zur Europäischen Union und ihrer Politik ändern. Der erste und wichtigste Punkt ist, dass die Charta die Akzeptanz und die Legitimation des Handelns der Europäischen Union erhöhen kann, ja sogar erhöhen muss. Wir haben doch das Problem, dass sich viele Bürger, denen man schnell und voreilig Euro-Skeptizismus oder antieuropäische Haltung vorwirft, dem, was aus Brüssel kommt, egal ob es berechtigt oder unberechtigt, gut oder schlecht ist, zum Teil hilf- und schutzlos ausgeliefert fühlen. Die europäischen Bürger haben weder die Möglichkeit, auf die Politik des Europäischen Rates einzuwirken, noch haben sie die Möglichkeit, auf die Politik der Europäischen Kommission einzuwirken. Auch die Wahl zum Europäischen Parlament ändert wenig an europäischer Agrarpolitik oder europäischer Verkehrspolitik. ({7}) Deshalb müssen wir deutlich machen, dass gerade in einer Zeit, in der die Europäische Union immer stärker Handlungskompetenzen in Anspruch nimmt, in der die Zahl der Verordnungen und Richtlinien zunimmt, die Organe der Europäischen Union - Kommission, Parlament, Ministerrat - die Umsetzung von Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen an den gleichen strengen Maßstäben messen müssen, wie dies nach den Maßstäben des Grundgesetzes für das Handeln der nationalen Institutionen seit jeher geschieht. Nun wird man einwenden können, dass wir seit vielen Jahren im Rahmen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und durch Art. 6 des EU-Vertrages einen europäischen Grund- und Menschenrechtsschutz haben. Nach meiner Kenntnis aber ist es so - die frühere Justizministerin wird dies bestätigen können -, dass bis heute keine einzige europäische Verordnung und keine einzige europäische Richtlinie wegen eines Verstoßes gegen Grund- oder Menschenrechte aufgehoben worden sind. In der gleichen Zeit gab es in Karlsruhe Dutzende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, durch die Maßnahmen des deutschen Gesetzgebers aufgehoben worden sind. Ebenso verhält es sich in Frankreich und den anderen Mitgliedstaaten. Ich glaube allerdings nicht, dass die europäischen Organe unfehlbar sind. Ich glaube, dass bislang in der Europäischen Union die Dimension des Grund- und Menschenrechtsschutzes zu kurz gekommen und unterschätzt worden ist. ({8}) Deshalb müssen wir die Europäische Union in diesem Bereich vom Kopf auf die Füße stellen. Dazu kann die Europäische Grundrechte-Charta einen wichtigen Beitrag leisten. ({9}) Das ist im Übrigen nicht antieuropäisch und nicht euroskeptisch, sondern der demokratische Normalfall. Die Erarbeitung einer europäischen Grundrechtscharta ist das erste große europäische Projekt, das nicht einfach nur in Form einer Einbahnstraße zu einer neuen Kompetenzerweiterung der Europäischen Union führt - das tut es gerade nicht -, sondern dazu, dass die vorhandenen Kompetenzen effektiver kontrolliert und begrenzt werden können. Auch dies ist im Fortgang der europäischen Integration ein ganz wichtiges Ereignis. Wir müssen deutlich machen, dass die Ausübung europäischer Gewalt auch auf der anonymen Brüsseler Ebene kontrollierbar und beherrschbar ist. Deshalb ist die Grundrechtscharta der erste Schritt zu einer weiterführenden Diskussion über eine grundsätzliche Kompetenzabgrenzung in der Europäischen Union im Rahmen der Frage: Was wollen wir in Zukunft auf der Ebene der Mitgliedstaaten und was wollen wir auf der Ebene der Europäischen Union regeln? Das wird nicht in dieser Charta entschieden. Aber von ihr geht der Anstoß aus, dieses Thema im Rahmen der Regierungskonferenz anzugehen und dann hoffentlich auch entsprechende Fortschritte zu erreichen. Meine Damen und Herren, entscheidend für das Zustandekommen der Charta ist allerdings nicht nur die gute Absicht der Beteiligten, sondern auch ihr Inhalt. Ich stimme Herrn Meyer zu, dass es ganz entscheidend darauf ankommt, dass wir die Achtung und den Schutz der Menschenwürde, die für unser christlich geprägtes Grund- und Menschenrechtsverständnis zentral ist, an prominenter Stelle in der Grundrechtscharta verankern. ({10}) und dass wir zu den neuen Technologien im Bereich des Klonens bzw. der Bio- und Gentechnologie eine Aussage treffen. Erlauben Sie mir an diesem Punkt folgende Bemerkung: Vor der letzten Bundestagswahl waren wir schon einmal so weit, dass wir fast dem europäischen Biomedizinübereinkommen beigetreten wären. Ich habe dazu von der neuen Koalition noch keine Aussagen gehört, wie sie mit diesem Projekt umgehen will. Wenn man den Entwicklungen in diesen Bereichen eine entsprechende Bedeutung beimisst, dann muss man sich der Diskussion stellen, wie sie im Rahmen des Europarates seit vielen Jahren stattfindet, und muss in diesem Haus eine Entscheidung über einen Beitritt zu dieser Konvention herbeiführen. ({11}) Ich halte es für wichtig, dass wir die klassischen Freiheits- und Verfahrensrechte als Rechte der europäischen Bürger, die im Sinne der Abwehr und der Kontrolle des hoheitlichen Handelns der Europäischen Union zu verstehen sind, in den Mittelpunkt der Charta stellen. Ich glaube, dass die klassischen Grundrechte gerade in der heutigen Zeit, in der es fast nur noch auf Effizienz und Schnelligkeit ankommt, vor einer Renaissance stehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Altmaier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von der PDS-Fraktion?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege, Sie haben gerade sehr vehement dafür plädiert, dass die Bundesrepublik die Bioethik-Konvention ratifizieren soll. Diese ist ja zur Täuschung der Öffentlichkeit in „Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin“ umbenannt worden. Wollen Sie allen Ernstes, dass wir die Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen erlauben, oder sind Sie nicht auch der Meinung, dass die in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Gesetze geeignet sind, davor zu schützen, und dass eine Verabschiedung von Gesetzen, die wir noch benötigen, um einen größeren Schutz zu organisieren, auch ohne den Beitritt zu dieser Konvention im nationalstaatlichen Rahmen möglich ist?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich war in der letzten Wahlperiode Berichterstatter meiner Fraktion zu diesem Thema. Ich kann Ihnen sagen, dass ein Beitritt zur Europäischen Bioethik-Konvention keine einzige weitergehende gesetzliche Bestimmung in Deutschland außer Kraft setzen wird. ({0}) Aber ich weiß natürlich, dass es in diesem Hohen Haus unterschiedliche Auffassungen über die Wünschbarkeit eines Beitritts zu dieser Konvention gibt. Wir hatten in der letzten Wahlperiode auch vereinbart, dass es in dieser Frage keinen Fraktionszwang geben wird. Niemand soll gegen seinen Willen gezwungen werden, eine andere Auffassung zu vertreten. Nur glaube ich, dass wir diese Entscheidung hier einmal treffen müssen und dass wir sie nicht auf die lange Bank schieben dürfen, während überall in Europa und in der Welt die technischen Entwicklungen in diesem Bereich weitergehen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir uns im Zusammenhang mit der Grundrechtscharta auch einem Problem stellen müssen, das bislang erstaunlich wenig diskutiert worden ist: dem Problem der Vertreibung und des Schutzes von Minderheiten in Europa. Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Vertreibungen und der Nichtachtung von Minderheitenrechten, und zwar nicht nur im Zweiten Weltkrieg, sondern bis hinein in die jüngste Zeit. Denken Sie zum Beispiel an die Ereignisse auf dem Balkan, im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina. Die Grundrechtscharta wäre deshalb meiner Meinung nach unglaubwürdig, wenn sie sich mit allen möglichen Grundrechten beschäftigte - von Bildung über Mutterschutz bis hin zu anderen Fragen -, das zentrale Problem der Vertreibung und des Minderheitenschutzes aber außen vor ließe. Mein Eindruck ist, dass es in Brüssel Unterstützung für diesen Standpunkt gibt. Ich möchte Sie, Herr Kollege Meyer, bitten, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass eine entsprechende Vorschrift, für die es in Texten der Vereinten Nationen Vorbilder gibt, in die Grundrechtscharta aufgenommen wird. Wir müssen uns auch der Frage stellen, wie wir das Asylrecht auf europäischer Ebene regeln können. Wenn wir ehrlich sind, werden wir das nationale deutsche Asylrecht nicht in dieser Form in die Grundrechtscharta aufnehmen können. Wir werden aber in einem europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts unter strikter Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention eine Institutsgarantie zustande bringen können. Es gehört zur Ehrlichkeit, dies auch unseren innerstaatlichen Gesprächspartnern zu sagen; denn zu der Fähigkeit und der Bereitschaft, eine solche Grundrechtscharta zu formulieren, gehören auch die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Kompromiss. Lassen Sie mich zu den sozialen Grundrechten noch einige Sätze anführen. Niemand in diesem Haus ist dagegen, das soziale Modell, das in Europa entwickelt worden ist, auf das wir in Deutschland und auf das auch unsere Nachbarstaaten stolz sind, in der Grundrechtscharta festzuschreiben. Was wir jedoch nicht wollen, ist, dass durch die Aufnahme eines großen Bauchladens an sozialen Grundrechten Erwartungen geweckt werden, die entweder nicht zu erfüllen sind, weil wir den Menschen mit allgemeinen Programmsätzen Steine statt Brot geben, oder die dazu führen, dass auf dem Umweg über die Grundrechtscharta in einem Bereich, in dem die Europäische Union bislang keine Zuständigkeiten hat, neue Handlungspflichten der Mitgliedstaaten begründet werden. ({2}) Ich glaube, wir sollten den Menschen ehrlich sagen: Diese Europäische Union ist eine sozial verantwortliche Union. Aber die Grundentscheidungen über die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherheit werden auf der Ebene der Mitgliedstaaten getroffen. Sie sind doch noch nicht einmal auf der Ebene der Bundesrepublik imstande, die anstehende Rentenerhöhung so vorzunehmen, wie es gesetzlich über viele Jahre vorgesehen war. Wir sollten daher nicht der Versuchung erliegen, auf europäischer Ebene große Erwartungen zu erwecken, die wir nicht erfüllen können. ({3}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Die europäische Grundrechtscharta muss nicht nur den hohen Erwartungen an ihren Inhalt gerecht werden. Wir müssen auch versuchen, sie so klar, einfach und überzeugend zu formulieren, dass sie von den Bürgern gelesen und verstanden werden kann. Ich glaube, dies ist genauso wichtig wie die Verbürgung der einzelnen Grundrechte. Die europäische Integration schreitet immer mehr voran. Sie wird für die Bürger immer wichtiger. Gleichzeitig ist sie immer schwieriger zu verstehen. Auch für die Lehrer in den Schulen wird es schwieriger, sie zu erklären. Ich habe aus meiner Schulzeit eine Stelle im deutschen Grundgesetz behalten: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Wenn wir es schaffen würden, in der Europäischen Grundrechte-Charta einen einzigen solchen Satz zu verankern, der in Zukunft von Nord bis Süd und von West bis Ost unsere gemeinsame Identität in Europa zum Ausdruck bringt, dann hätten wir unseren Auftrag bei der Erarbeitung dieser Grundrechtscharta erfüllt. Allein deswegen lohnt es sich, an diesem Ziel mitzuarbeiten. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Claudia Roth von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa braucht dringend einen verfassungsgebenden Prozess, weil es im wahrsten Sinne des Wortes in schlechter Verfassung ist. Eine Grundrechtscharta als Teil dieses Prozesses kann Mittel sein, mit dem man Europa das geben kann, was es kaum hat: das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Bürgernähe erreicht man nur, wenn die Menschen wissen, warum sie dieses Europa überhaupt wollen sollen, wenn Europa nicht mehr nur Konsumenten und Produzenten kennt, sondern Bürgerinnen und Bürger mit Rechten und Pflichten, wenn Europa endlich ein bürgerrechtliches Fundament bekommt und die Menschen so etwas wie eine europäische Demokratiedividende erleben. Die Grundrechtscharta ist ein zentrales Projekt der notwendigen Demokratisierung und Politisierung Europas. Bei der Gründung der Gemeinschaft standen politische und wirtschaftliche Ziele nebeneinander; heute ist das wirtschaftliche Europa, die Wirtschafts- und Währungsunion, der Goliath und das politische Europa steht als kleiner David daneben. Eine Grundrechtscharta kann endlich wieder ein Gleichgewicht schaffen. Sie kann im besten Sinne identitätsstiftend sein, was der Euro nicht schafft - da gebe ich Herrn Meyer Recht - und auch der freie Verkehr von Kapital, Waren und Dienstleistungen nie und nimmer schaffen wird. Voraussetzung für den Erfolg sind aber europaweite Diskussionsprozesse. Ich begrüße ausdrücklich die große Repräsentanz von Parlamentariern und Parlamentarierinnen im Konvent und ich begrüße den Versuch des Konvents, dazu beizutragen, dass auch die Zivilgesellschaft zu Wort kommt, dass Nichtregierungsorganisationen in diese Debatte einbezogen und mit beteiligt werden. Denn das ist eine Voraussetzung für das Entstehen einer europäischen Öffentlichkeit. Eine Charta, die der Kern der Rechtsstaatlichkeit in Europa sein soll, kann nicht von oben verordnet werden. Sie muss von unten mit entstehen. Damit nähern wir uns langsam dem, was Demokratie auch in Europa, was europäische Demokratie auszeichnet: Partizipation, was bislang ein Fremdwort in der Europäischen Union ist. Ich würde mir aber sehr wünschen, dass in diesen europäischen Aneignungsprozess sehr viel mehr als bisher auch die Beitrittsländer einbezogen werden; denn es ist ihre und unsere gemeinsame Zukunft, die gebaut wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es richtig ist, dass man nur einigen kann, was schon eine innere Einheit besitzt, dann wirft das die Frage auf, was die Einheit Europas eigentlich ist. Wir sind nicht ein Volk; wir haben nicht dieselbe ethnische Herkunft. Wir sprechen nicht dieselbe Sprache. Wir haben nicht eine einzige Kultur und wir haben auch nicht nur das christliche Wertebewusstsein. Unsere Geschichte ist vom Krieg gegeneinander gezeichnet. Aufgrund unscharfer Grenzen können wir Europa noch nicht einmal als geographische Einheit klar erkennen. Was also verbindet uns? Was ermöglicht es uns zusammenzuleben? Die Antwort mag banal erscheinen: Es ist der größte Reichtum, den wir gemeinsam haben: Demokratie und Menschenrechte. Das macht die Einheit Europas aus. Was immer Fragwürdiges von diesem Kontinent ausgegangen ist: Demokratie und Menschenrechte sind eine Botschaft dieses Kontinents, die unbestreitbar globale Gültigkeit hat. Nach dem 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Schrecken und der ultimativen Verbrechen, ist der moralische Imperativ dieses Kontinents: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich zitiere: Machten wir heute eine Bilanz unseres geistigen Besitzes auf, so würde sich herausstellen, dass das meiste davon nicht unserem jeweiligen Vaterland, sondern dem gemeinsamen europäischen Fundus entstammt. Vier Fünftel unserer inneren Habe sind europäisches Gemeingut. Diese Erkenntnis des Philosophen Ortega y Gasset hat Roman Herzog in einer Rede vor dem Europäischen Parlament 1995 vorgetragen. Jetzt müssen Roman Herzogs Elan, auch seine Erfahrung und bayerische Beharrlichkeit dazu beitragen, dass aus der GrundrechteCharta etwas anderes wird als ein neuer Stoß Papier auf dem Berg von Resolutionen und feierlichen Erklärungen, die es in Europa schon gibt. Unsere Kollegen Herr Meyer und Herr Altmaier, denen ich für ihr Engagement ausdrücklich danke, sowie natürlich die Bundesregierung werden mithelfen müssen, damit aus dem gemeinsamen rechtlichen Fundus Europas ein rechtliches Fundament wird. Denn europäische Demokratie ergibt sich eben nicht automatisch aus der Addition von 15 Demokratien; sie funktioniert nicht nach Adam Riese. Sie funktioniert nur dann, wenn man den Menschen Rechte gibt. Es genügt eben nicht, dass alle Mitgliedsländer der Europäischen Union der Menschenrechtskonvention beigetreten sind - die Europäische Union aber nicht. Es kann nicht länger normal sein, dass EU-Recht nationales Recht bricht, ohne dass die Union selber eine klare und umfassende Grundrechtsordnung besitzt. Es muss beunruhigen, wenn im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, im Bereich der Biowissenschaften - die unser Leben und unseren Begriff vom Menschen mehr verändern werden als alle Revolutionen zuvor - neue Grundrechtskonflikte aufbrechen, ohne dass Europa darauf mit einem Grundrechtskonsens eine Antwort findet. Schon heute werden technische, werden moralische Grenzen überschritten, die bislang als stabil galten. Wir brauchen einen europäischen menschenrechtlichen Schutzstandard; denn nicht alles, was möglich ist, darf möglich sein. Es kann uns nicht gleichgültig lassen, dass in hochsensiblen Bereichen der Europäischen Union - wie in der dritten Säule, der Polizei- und Justizkooperation, oder in der zweiten Säule, der Außen- und Sicherheitspolitik - die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle und damit die Garantie des Grundrechtsschutzes faktisch ausgehöhlt sind. Die Europäische Union ist so lange unvollständig, wie zwar die Herrschaft des Rechts und die Macht der Institutionen wachsen, nicht aber im selben Ausmaße die Abwehr- und Freiheitsrechte und der Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger. Und: Es dürfen keine Rechte versprochen werden, ohne dass sie für die Bürgerinnen und Bürger Recht werden. Rechtsverbindlichkeit und der Zugang zu den Gerichtshöfen sind mit Grund- und Menschenrechten untrennbar verbunden. Gleiches gilt für die Unteilbarkeit der Grundrechte. Alle Politikbereiche, alle Institutionen und Organe der Europäischen Union müssen dieser Grundrechtscharta unterliegen; sonst bliebe sie Makulatur und Proklamation. Die Grundrechtscharta wird ihren Namen nur dann mit Recht tragen, wenn ihre Bestimmungen, anders etwa als die der Weimarer Reichsverfassung, gerichtlich einklagbar sind für alle, die in der Europäischen Union leben also keine neuen Mauern, keine Hierarchisierung von Menschen in Bürger erster, zweiter oder dritter Klasse. Der Konvent hat schon einige wegweisende Formulierungsvorschläge erarbeitet. Einzelne Aspekte wurden jedoch noch gar nicht oder nur unbefriedigend bearbeitet. Wir sehen deshalb Nachbesserungsbedarf und drängen auf substanzielle Ergebnisse. Wir wollen, dass neue Grundrechte kodifiziert werden, und zwar im Bereich der Umwelt, der Biowissenschaften, des Datenschutzes, des informationellen Selbstbestimmungsrechtes. Die Vielfalt von Lebensgemeinschaften, von Lebensformen gilt es Claudia Roth ({0}) ebenso zu schützen wie das Recht derjenigen, die den Kriegsdienst verweigern möchten. Wir möchten die Beteiligungsrechte der Menschen ausbauen und erweitern. So brauchen wir einen umfassenden und effektiven Schutz vor Diskriminierung, also auch Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Alters, einer Behinderung oder der sexuellen Identität. Menschenrechte sind unteilbar, das heißt, die wirtschaftlichen, die sozialen, die kulturellen Rechte sind zu verankern unter Beachtung des Schutzes der Menschenwürde, des Persönlichkeitsrechts sowie der körperlichen und geistigen Integrität sowie des Rechts auf Gleichheit aller Menschen. Wir wollen keine fruchtlosen Debatten darüber führen, wie Kollege Meyer gesagt hat, ob zum Beispiel das Recht auf Arbeit justiziabel ist. Ziel muss es aber sein, ein Höchstmaß an individuellem Rechtsschutz zu erreichen. Über das bloße Diskriminierungsverbot hinaus sollte die Gleichstellung und aktive Förderung von Frauen und der Schutz der kulturellen Rechte von Minderheiten eine Grundlage in der Charta finden. Der Rechtsschutz muss gestärkt werden. Ich glaube, dass gerade wir Deutsche einen besonderen Beitrag leisten können, wenn es um das Grundrecht auf Asyl geht. ({1}) Sorgen wir also dafür, dass künftig in Europa der Genfer Flüchtlingskonvention uneingeschränkte und allumfassende Gültigkeit zuteil wird, wie es der EU-Rat in Tampere letzten Oktober beschlossen hat. Das ist nicht nur für Flüchtlinge von existenzieller Bedeutung, sondern auch ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Charta und unseres Verständnisses eines effektiven Grundrechtsschutzes. Individuell einklagbare Schutzrechte sind tragende Säulen unserer Demokratie. Grundrechte sind kein Gnadenakt des Staates und gerade das Asylrecht ist Teil unserer historischen Verantwortung. Es darf und kann also nicht über Europa ausgehöhlt oder verringert werden, sondern es sollte unser bester Exportbeitrag für die Debatte über die Europäische Grundrechte-Charta sein. ({2}) Deswegen ist für die Debatte über eine europäische Grundrechte-Charta eine Renaissance der nationalen Grundrechte Voraussetzung. Denn solange nationale Grundrechte immer wieder zur Disposition gestellt und zur Aushöhlung vorgeschlagen werden - so wie leider gestern in einer Pressekonferenz von Herrn Stoiber das Grundrecht auf Asyl wieder zur Disposition gestellt wurde -, so lange wird man auch in Europa nur hohle Grundrechte bekommen. ({3}) Europa braucht also eine Demokratieoffensive. Die Demokratie in Europa ist keine Vision, sondern eine Voraussetzung für die Zukunft dieses Kontinents. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig und alle haben es bisher konstatiert: Die Europäische Union befindet sich in einer ganz entscheidenden Entwicklungsphase. Die Reform der Institutionen der Europäischen Union - sprich: die Notwendigkeit, Erfolg bei der Regierungskonferenz zu haben und nicht nur über das zu reden, was die Regierung jetzt beabsichtigt -, die Osterweiterung und der Ausbau der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie gemeinsame Zusammenarbeit von Polizei und Justiz werden die Europäische Union immer stärker zu einer politischen Union mit mehr Staatlichkeit machen. Eine europäische Grundrechte-Charta, die die europäischen Organe bindet, die die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung europäischer Entscheidungen verpflichtet, die die Rechte der Bürgerinnen und Bürger stärkt und die die Beitrittskandidaten in diesen Wertekonsens einbezieht, gehörte nach Auffassung der F.D.P. schon immer zu ihrer europäischen Vision. ({0}) Denn diese gab es schon früher, es gab sie schon 1981 mit der Genscher-Colombo-Initiative, als erstmalig eine europäische politische Union skizziert wurde, die dann in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion und in den Vertrag von Amsterdam einmündete. Dies alles war Teil eines lang angelegten Entwicklungsprozesses, der natürlich von Finalität bestimmt ist. Denn die Liberalen wollen kein Europa, das sich Schritt für Schritt, abhängig von Zufälligkeiten integriert, ohne zu sehen, was am Ende steht. Gerade die Finalität des europäischen Integrationsprozesses hat die Liberalen motiviert, immer mitentscheidender Faktor und Initiator dieser europäischen Politik zu sein. ({1}) Deshalb brauchen wir uns hier überhaupt nicht über die Notwendigkeit einer europäischen Grundrechte-Charta auseinander zu setzen. Dafür gibt es politische Gründe, so zum Beispiel, die europäischen Wertevorstellungen einmal nachlesbar zu formulieren. Es soll eben nicht so sein, dass Verweisungen auf Traditionen der Verfassungen in den Mitgliedstaaten oder auf die Europäische Menschenrechtskonvention dem Bürger ein vollkommen undurchsichtiges Bild dessen geben, was denn Wertekonsens ist. Wir wollen, dass sich das aus der Europäischen Grundrechte-Charta nachvollziehbar, begeisternd, klar und damit auch einprägsam und für jeden Bürger akzeptabel ergibt. ({2}) Deshalb reicht uns die - sicherlich verdienstvolle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht, die die Defizite, die durch das Fehlen einer verbindlichen Charta bestehen, natürlich nur kasuistisch ausgefüllt hat. Claudia Roth ({3}) Dies ist hervorragend, aber dies kann eine formulierte Grundrechte-Charta natürlich nicht ersetzen. Die Rechtsprechung füllt auch nicht den quasi grundrechtsfreien Raum bei der dritten Säule, bei der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, bei der Schaffung neuer europäischer Institutionen und Organe mit immer mehr Kompetenzen, mit operativen Befugnissen. Beim Handeln dieser Organe gilt eben nicht das verbindlich, was allgemeiner Konsens ist. Wir wollen die Befugnisse dieser Organe ausdehnen. Wir wollen OLAF, die Betrugsbekämpfungseinheit, immer selbstständiger machen. Auch Europol wird sich weiterentwickeln. Dies können wir nicht losgelöst von der Achtung der Rechte des Bürgers zum Schutz seiner Persönlichkeit, gerade auch hinsichtlich des Datenschutzes, und nicht ohne Kontrolle staatlichen, also europäischen Handelns machen. ({4}) Für die F.D.P. ist die Grundrechte-Charta ein entscheidendes Element für einen europäischen Verfassungsgebungsprozess. Ich glaube, man muss dies hier deutlich aussprechen: Es nützt nichts, dies zu einem Tabu nach dem Motto zu machen: Jetzt unterhalten wir uns in schönen Worten, denen alle zustimmen, über eine Grundrechte-Charta. Dann schreiben wir diese in einem Papier nieder, dann gibt es eine feierliche Proklamation, und dann ist dieser Prozess vielleicht erst einmal ins Stocken geraten. Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben die Bürgerinnen und Bürger in Europa nichts. Dann hätten wir keine Verbindlichkeit dieser Grundrechte-Charta. ({5}) Auch die Auslegung des Europäischen Gerichtshofes, die Sie, Herr Meyer, skizziert haben, wird nicht durch eine Grundrechte-Charta mit Goldrand, die in der Schublade liegt, beeinflusst. Weil Art. 6 des Vertrages von Amsterdam die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unmittelbar zur Geltung bringt, sondern nur sagt, man solle sie achten, werden Rechte des Bürgers und der Bürgerin nur in schwacher Form gewahrt. Die Auslegung hängt zudem von Zufälligkeiten des Verfahrens ab. Deshalb müssen wir hier klar sagen: Wir wollen jetzt diese Grundrechte-Charta. Wir wollen, dass sie einen anspruchsvollen Inhalt hat. Ich glaube, dass am ehesten zu diesen Punkten eine Verständigung in diesem Hause herbeigeführt werden kann. Dies gilt wahrscheinlich auch für die anderen Mitgliedstaaten, die sehr viel zurückhaltender und mit sehr viel mehr Vorbehalten als wir hier in Deutschland an dieses Projekt herangehen. Entscheidend wird es erst, wenn sich die Bundesregierung auf dem Europäischen Rat in Nizza dafür einsetzen muss, diese Charta nicht nur als einen hervorragenden Entwurf des Konvents, mit dessen Erstellung gerade auch der Präsident des Konvents, Roman Herzog, gute Arbeit geleistet hat, zu sehen, sondern zu sagen: Dies soll nun Gegenstand eines verbindlichen Papiers zur Änderung der Europäischen Verträge werden. Wir wollen, dass die Europäische Grundrechte-Charta in diesen Verträgen an vorderster, an prominentester Stelle verankert wird. ({6}) Dann ist sie verbindlich, dann haben wir das, was wir alle hier wollen und was wir beschwören, ({7}) was aber nicht eintritt, wenn wir nicht wirklich diesen Prozess einfordern. Deshalb denke ich, es ist zu wenig, zu sagen, die Bundesregierung muss die Arbeit des Konvents unterstützen. Ich gehe davon aus, dass das ohnehin passiert. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Es steht zudem in der Koalitionsvereinbarung. Entscheidend ist vielmehr, dass die Bundesregierung der Vision von Joschka Fischer zur Realität verhilft und gerade bei dem ersten Fall, in dem das möglich ist, das auch tatsächlich tut. Der erste Fall tritt dann ein, wenn der Entwurf der Charta vorliegt und auf der Ratstagung von Nizza über das weitere Prozedere beraten wird. Joschka Fischer und damit auch die Bundesregierung davon gehe ich aufgrund dessen, was ich jetzt lesen konnte, aus - haben das Tabu gebrochen, das bisher im Konvent doch wohl galt: Die Grundrechte-Charta ist das Eine, aber auf keinen Fall wollen wir eine Verfassung in Europa; dieser ganze Prozess ist etwas anderes. Das ist jetzt aufgekündigt worden. Jetzt sagt die Bundesregierung ehrlich, worum es geht. Jetzt kommt die entscheidende, schwierige und langfristige Überzeugungsarbeit gegenüber den Mitgliedstaaten. Da wissen wir, dass eben ein europäischer Verfassungsprozess und das, was dann am Ende stehen kann, zum Teil sehr misstrauisch beobachtet wird. Ich bin der Meinung, da muss man auch Klartext reden. Da muss man klar sagen, was man unter einem Leitbild „Föderation“ Europa versteht. Ein Gegensatz zu einem von Minister Fischer so genannten „synthetischen Konstrukt eines Bundesstaates“ besteht ja in dieser Form nicht, sondern es geht darum, wie ein bundesstaatlich föderales System innerlich ausgestaltet wird, wie die Kompetenzverteilungen aussehen, wie man die einzelnen Organe stärkt, wie das Europäische Parlament nicht nur von den nationalen Parlamenten abgeleitete Rechte bekommt. Alles das ist jetzt hier in Deutschland durch die Bundesregierung in die Debatte eingebracht worden. Bei allem, was wir hier richtig an Inhalten der GrundrechteCharta nennen, muss dies deutlich betont werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Professor Meyer?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Professor Meyer, bitte.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie wissen, dass wir gemeinsam für die Verbindlichkeit der Grundrechte-Charta eintreten, wie ich das ausgeführt habe. Meine Frage zielt auf Ihre Ausführungen zur Verfassung. Einmal abgesehen davon, dass in der gegenwärtigen Situation die Forderung nach einer Verfassung erhebliche Widerstände auch gegen die Grundrechte-Charta auslösen könnte, was möglicherweise eine eher taktische Überlegung ist, möchte ich Sie fragen: Macht nicht die Grundrechte-Charta auch dann Sinn und ist sie nicht auch dann erforderlich, wenn es jedenfalls vorerst nicht zu einer vollständigen europäischen Verfassung käme? Meinen Sie nicht - das ist meine zweite Frage -, dass die Forderung einer Verfassung mit vollständigem Kompetenzkatalog, wie sie zum Beispiel mit anderer Zielrichtung als bei Ihnen, was ich unterstelle, von Herrn Stoiber gefordert wird, zurzeit nicht hilfreich ist, weil erstens der Konvent sich mit der Frage eines Kompetenzkataloges, wie Kollege Altmaier richtig ausgeführt hat, nicht befasst ({0}) und weil wir zweitens, nachdem der Amsterdamer Vertrag gerade ein Jahr in Kraft ist, erst Erfahrungen mit dem Subsidiaritätsprinzip sammeln sollten und erst nach etlichen Jahren der Konkretisierung dieses Prinzips auch eine überzeugende Verfassung mit Kompetenzkatalog schreiben können?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Meyer, ich bin wie Sie der Auffassung, dass die Grundrechte-Charta ein unverzichtbarer Bestandteil einer künftigen europäischen Verfassung ist und dass man dann, wenn man sich jetzt für die Verbindlichkeit einsetzt, damit ganz klar auch für diese Finalität der Entwicklung, nämlich einen europäischen Verfassungstext eintritt. Der Konvent hat nicht den Auftrag, sich mit einer europäischen Verfassung in toto zu beschäftigen. Der Außenminister hat aber die Finalität jetzt zu seinem Thema gemacht, ({0}) weil er damit wohl die besondere Verpflichtung der Bundesregierung und ihre Verantwortung für die anstehenden Entscheidungen deutlich machen wollte. Das ist jetzt die Messlatte, die angelegt wird. Das werden wir bei der Bewertung der Ergebnisse der Räte auch tun. ({1}) Dies ist also nicht wegzudenken. Wir können nicht mehr sagen, dass es diesen Verfassungsprozess nicht mehr gibt. Der Konvent wird mit Sicherheit - so sehe ich die bisherigen Arbeiten - ein recht gutes Papier zur GrundrechteCharta erstellen. Wenn es so wird, wie die noch nicht beschlossenen Unterlagen aussehen, geht es in die richtige Richtung. Entscheidend ist dann die Frage - darin stimmen wir auch überein, Herr Meyer - der Implementierung, nämlich der Umsetzung, und damit die Verbindlichkeit. Wenn wir Erwartungen wecken und zu Recht sagen, die Bürgerinnen und Bürger sollten sich mit diesem Europa, das ihnen mehr als Bürokratie und fern ihrer Heimat begegnet, identifizieren können, dann müssen wir die Charta verbindlich machen. Nichts anderes ist möglich; wir würden sonst eine gegenteilige Wirkung hervorrufen. Deswegen finde ich es gut, dass das Tabu eines Zusammenhangs zwischen Grundrechte-Charta und einem Verfassungsgebungsprozess aufgelockert worden ist. Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Inhalten sagen. Es ist vieles erwähnt worden. Dass die Europäische Menschenrechtskonvention - also die klassischen Freiheitsrechte - Ausgangspunkt ist, muss ich nicht erwähnen. Ich möchte aber noch zwei Punkte nennen. Erstens. Wir Liberale möchten, dass das Recht auf Asyl als Grundrecht in der Europäischen GrundrechteCharta steht. ({2}) Man sollte zunächst einmal Forderungen und Vorstellungen formulieren und nicht mit kleiner Münze an die Fragen herangehen, die strittig sind. Das wissen wir aus langjährigen Erfahrungen. Zweitens. Einem Diskriminierungsverbot kommt eine große Bedeutung zu. Es darf nicht - das habe ich den Worten von Herrn Meyer entnommen - kleingeredet werden. Natürlich bin ich für Gleichberechtigung und für die Standards, die wir entwickelt haben. Das Diskriminierungsverbot, wie ich es mir vorstelle, geht sehr viel weiter. Der diskriminierungsfreie und eben nicht willkürlich verbaute Zugang gerade zu sozialen Leistungen und Sicherungssystemen ist das, was nach dem Vorbild von Professor Simitis, der die Arbeitsgruppe Grundrechte geleitet hat, erarbeitet worden ist. Er hat dies vorgeschlagen, weil wir sonst in einen Bereich kommen, in dem Ziele formuliert werden, die sich vielleicht wie subjektive Rechte lesen lassen, aber tatsächlich nicht einklagbar und damit nicht durchsetzbar sind. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir auf keinen Fall. Wir wollen keine schön lesbaren Texte, aus denen sich auf den ersten Blick vielleicht Rechte ableiten, die aber nichts sind als mehr oder weniger Aufgabenkataloge für bestimmte Organe. Mit dem Diskriminierungsverbot mag dann etwas Einklagbares formuliert sein, was sich aus den Texten aber nicht unmittelbar ergibt. ({3}) Soziale Grundrechte sind eben nur Grundrechte, wenn sie einklagbar sind. Auch hier müssen wir ehrlich sein, sonst sind es keine sozialen Grundrechte, sondern soziale Vorstellungen, Leitbilder, Rechte. Deshalb bin ich für eine klare Trennung, auch für eine Formulierung vielleicht in einer Präambel einer Grundrechte-Charta. Ich bin aber nicht für eine Verankerung in einer GrundrechteCharta, die Verbindlichkeitsrang hat, dem Bürger aber nicht das gibt, was er glaubt daraus ableiten zu können. Mein letztes Wort - ich habe meine Redezeit schon überschritten -: Tun wir nicht so, als könnten wir noch viele Monate über die Charta reden. Bis Ende Juni soll weitestgehend ein Text im Konvent erarbeitet sein. Wir haben in der ersten Stunde dieser Debatte den Eindruck erweckt, als würden wir einen monatelang dauernden Prozess einleiten. Er hat schon begonnen und ist, was die Formulierung angeht, schon fast am Ende. Es ist ein Problem, ob darüber letztendlich im Konvent eine Einigung erzielt werden kann. Daher ist es umso wichtiger, möglichst klar und auf den Kern, auf die Menschenwürde bezogen, eine gemeinsame Resolution zu erarbeiten, die die Chance hat, in die Arbeit des Konventes einzufließen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Uwe Hiksch von der PDS-Fraktion das Wort.

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein wichtiger Schritt - vielleicht sogar der wichtigste Schritt -, den die Europäische Union gerade geht und der mit der Erarbeitung einer Europäischen Grundrechte-Charta begonnen wurde. Es ist vielleicht deshalb der wichtigste Schritt, weil wir alle wissen, dass es in der Europäischen Union auf der einen Seite Demokratiedefizite gibt und auf der anderen Seite eine Lücke im Grundrechteschutz feststellbar ist. Die Europäische Grundrechte-Charta gibt uns die Chance, diese Lücke zu schließen. Deshalb freut es die PDS-Fraktion auch, dass fast alle Parteien, die im Hause vertreten sind, dieser Grundrechte-Charta positiv gegenüberstehen. ({0}) Ich sage „fast alle Parteien“, weil ich in der „Welt“ vom 16. Mai dieses Jahres lesen musste, dass die bayerische CSU Front gegen die europäische Verfassung macht. Herr Müller - ich möchte Sie direkt ansprechen -, es gibt uns sehr zu denken, dass jetzt der rechte Teil der Union, nämlich die bayerische CSU, zu einem historischen Projekt, das die europäischen Völker zusammenführt, wieder Nein sagt, so wie schon in den 70er-Jahren, als die damalige Opposition aus CDU/CSU - vereint mit Hoxhas Albanien - gegen den KSZE-Prozess gekämpft hat. ({1}) Ich möchte speziell auf zwei Aussagen eingehen, die Sie, Herr Müller, gegenüber der „Welt“ gemacht haben. Sie haben zum einen die Frage gestellt: „Wo ist denn … der Bedarf, Grundrechte neu zu formulieren?“ In Ihren Reden haben Sie sonst richtigerweise darauf hingewiesen, dass die Verlagerung von immer mehr nationalstaatlichen Kompetenzen auf die Europäischen Union, beispielsweise im Bereich der Polizei, der Justiz sowie der Wirtschafts- und Sozialpolitik, nicht demokratisch legitimiert ist. Ausgerechnet jetzt, wo wir gemeinsam - außer der CSU - eine demokratische Legitimierung der Verlagerung von Kompetenzen des Nationalstaats auf die europäische Ebene durchsetzen wollen, sprechen Sie sich gegen die Legitimation solcher Rechte aus. Ein weiteres Beispiel. Sie sagen deutlich, dass es nicht Ihre Absicht sei - das steht übrigens im Gegensatz zu dem Antrag, den Ihre Fraktion vorgelegt hat -, die Charta in die Europäischen Verträge einzubeziehen. Ich stelle fest: Der rechte Teil des Hauses - das zeigt sich seit langem in den Diskussionen über Europa - entfernt sich leider immer mehr von dem, worüber einmal Konsens im Hause bestand, nämlich dass wir die europäische Idee und den europäischen Gedanken weiterentwickeln wollen. Einige Anmerkungen zu den entscheidenden Gründen, warum die PDS die Grundrechte-Charta unterstützt und wie sie die Grundrechte-Charta entwickeln möchte. Wir sollten gemeinsam dafür eintreten, dass in der Europäischen Grundrechte-Charta einklagbare Normen nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, sondern für alle in der Europäischen Union lebenden Menschen festgeschrieben werden sollten, ({2}) weil wir der Überzeugung sind, dass Grundrechte sowohl im sozialen als auch im individuellen Bereich für alle in der EU lebenden Menschen gelten müssten und alle in der EU lebenden Menschen auch das Recht haben müssten, diese Grundrechte einzuklagen. Nach unsere Meinung ist deshalb der rechtsverbindliche Charakter einer Europäischen Grundrechte-Charta eine Grundvoraussetzung dafür, dass das Legitimationsdefizit in der Europäischen Union, das von immer mehr Menschen festgestellt wird, überwunden werden kann. ({3}) Weil wir eine rechtsverbindliche Charta wollen, setzen wir uns dafür ein, dass mittelfristig entweder eine eigene Kammer für Grundrechtefragen am Europäischen Gerichtshof oder sogar ein Unionsgericht für Grundrechtefragen eingerichtet wird, vor dem jeder in der Europäischen Union lebende Mensch oder auch jeder Mensch, der außerhalb der Europäischen Union lebt und der seine Grundrechte nicht von der Europäischen Union vertreten fühlt, direkt klagen kann und die europäischen Rechte einfordern kann. ({4}) Wir treten des Weiteren dafür ein, dass ausdrücklich auch für Nichtregierungsorganisationen ein Beteiligungsund Klagerecht geschaffen werden sollte. Wir treten dafür ein, dass auch auf europäischer Ebene ein Verbandsklagerecht, dessen Einführung in der Bundesrepublik wir immer gefordert haben, geschaffen wird. ({5}) Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, wollen wir in den nächsten Jahren auch dafür kämpfen, dass die Grundrechte-Charta in die Verträge der Europäischen Union integriert wird. Wir glauben, dass es gerade darum gehen muss, dass es in einem mittelfristigen Prozess - darin stimme ich Ihnen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ausdrücklich zu - gelingen muss, die Grundrechte-Charta in einen Verfassungsrang zu heben und die europäischen Mindestrechte, die natürlich von Nationalstaaten noch überboten werden können, festzulegen. Die PDS tritt ausdrücklich dafür ein, dass sich die Unteilbarkeit der Grund- und Menschenrechte auch im Wesen und im Wortlaut dieser Europäischen GrundrechteCharta und mittelfristig auch in einer europäischen Verfassung wiederfindet. Wir sind der Überzeugung, dass Freiheits-, Bürger- und Gleichheitsrechte auf der einen Seite von wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechten auf der anderen Seite nie mehr getrennt werden dürfen und immer gemeinsam gesehen werden müssen, und zwar rechtsverbindlich. ({6}) Wir treten für die Gleichheit der individuellen bürgerlichen Rechte auf der einen Seite, aber auch für die Gleichheit der kollektiven Rechte auf der anderen Seite ein. Wir wollen, dass in die Europäische GrundrechteCharta ein Recht zur Vereinigung in Gewerkschaften und ausdrücklich auch das Streikrecht festgeschrieben werden. Das muss durchgesetzt werden. Wir sehen die Chance, dass im Rahmen der Diskussion über die Europäische Grundrechte-Charta die Debatte über Menschenrechte und über Grundrechte einen neuen, einen innovativen Charakter bekommen kann. Dieser neue und innovative Charakter könnte gerade darin bestehen, dass man, anders als Sie, Frau LeutheusserSchnarrenberger, ausgeführt haben, endlich auch darüber diskutiert - das ist im Rahmen der Menschenrechtsdiskussion ein altes Thema -, einklagbare soziale Menschenrechte und einklagbare soziale Grundrechte festzuschreiben. Für uns von der PDS heißt das, dass wir ausdrücklich dafür eintreten, dass das Recht auf existenzsichernde Arbeit festgeschrieben werden muss, ({7}) dass das Recht auf bezahlbaren Wohnraum, das Recht auf eine existenzsichernde Grundversorgung - das fordern beispielsweise alle Wohlfahrtsverbände der Bundesrepublik, auch der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband und das Recht auf „Daseinsfürsorge“, so stand es in der Stellungnahme der Wohlfahrtsverbände, als einklagbare Rechte in der europäischen Verfassung bzw. in dieser Europäischen Grundrechte-Charta festgeschrieben werden sollten. Innovation sollte unserer Meinung nach bedeuten, dass auf der einen Seite soziale Grundrechte festgeschrieben werden, dass aber auf der anderen Seite auch gesehen wird, dass die neuen Grundrechtsbedrohungen deutlich in der Verfassung von Europa, in der Grundrechte-Charta, ausgewiesen werden. Das heißt für uns, dass wir den Herausforderungen der Informations- und Biotechnologien, beispielsweise durch ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, und den Herausforderungen, die sich beispielsweise durch unsere Ablehnung der BioethikKonvention ergeben, gerecht werden. Es war die PDS, die beim Europäischen Patentamt Einspruch dagegen eingelegt hat, dass menschliche Gene in Zukunft geklont werden können. Wir treten dafür ein, dass diese Forderungen in einer europäischen Verfassung, in dieser Europäischen Grundrechte-Charta, wiedergefunden werden können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluss. Wir sehen die Aufgabe, dass diese Europäische Grundrechte-Charta breit getragen wird. Für uns bedeutet das, dass die Menschen Europas auch über eine europäische Verfassung, über die europäischen Menschen- und Grundrechte abstimmen können müssen. Deshalb wird die PDS dafür eintreten, dass in einem europäischen Referendum über eine europäische Verfassung, deren Einhaltung von allen Menschen eingefordert werden kann, entschieden wird. Diese Verfassung sollte fortschrittlich sein und soziale und bürgerliche Grundrechte zusammenführen. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Rechner hat der Staatsminister Christoph Zöpel das Wort.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es mag sein, dass der Auftrag des Europäischen Rats von Köln, einen Konvent zu berufen, der über die Europäische Grundrechte-Charta beraten und Vorschläge entwickeln soll, eine deutliche Richtungsänderung des Wegs zur europäischen Einigung dargestellt hat, und zwar vor allem unter dem Gesichtspunkt des Abbaus des Demokratiedefizits im europäischen Gemeinwesen. Seit dem Vertrag von Maastricht hat die Europäische Union eine solche Fülle von Aufgaben übertragen bekommen, dass die Verfahrensregeln und auch das materielle Recht der Europäischen Union den eigenen europäischen Anforderungen an Demokratie meines Erachtens nicht mehr voll gerecht werden. ({0}) Dem ist Abhilfe zu schaffen. Die Arbeit, die begonnen wurde, ist ein Schritt dahin. Dies gilt, so meine ich, unter drei Aspekten von Demokratie: erstens unter dem Aspekt der durch Werte fundierten Verfahren. Erstmals führt weder eine Vorlage der Europäischen Kommission noch ein Kompromissergebnis der Beratungen der europäischen Diplomatie dazu, dass ein Fortschritt auf dem Wege zur europäischen Einigung erarbeitet werden soll. Vielmehr soll ein Konvent dies tun, dem zu drei Viertel gewählte Abgeordnete des Europäischen Parlaments und der Parlamente der Mitgliedstaaten angehören. Das ist als Erstes festzuhalten und das ist von den Regierungen gewollt; denn Regierungen sind und bleiben - das macht demokratische Regierungen aus - den Parlamenten verpflichtet. Oft merken Sie es ja auch im Alltag. ({1}) Es ist eine Entscheidung der Regierungen, diesen Schritt zu gehen. Zweitens ist es ein Versuch des Abbaus von Defiziten an Demokratie in materieller Hinsicht. Hier muss nach den für mich anregenden und bedeutsamen Beiträgen der Sprecher der Fraktionen nicht mehr wiederholt werden, worum es materiell geht. Es ist selbstredend, dass Europa eine verfassungsrechtliche Verpflichtung auf seine Werte braucht, die nach Auffassung der Bundesregierung, bezogen auf ein demokratisches Gemeinwesen, am besten in der Philosophie von Immanuel Kant niedergelegt sind. Das Spektrum dessen, was hier dargelegt wurde, zeigt den Tiefgang und die Breite des Denkens, das in dem und für den Konvent geleistet wird. In dem Konvent haben dies vor allem die Beiträge von Ihnen, Herr Professor Meyer, und von Ihnen, Herr Altmaier, in hervorragender Weise aufgezeigt. ({2}) Der Aspekt, ob es auch soziale und wirtschaftliche Rechte gibt, ist durch Auftrag des Europäischen Rats in Köln in den Konvent eingeführt worden. Zu diesem Auftrag gehört es, hierüber zu beraten. Alle diejenigen, denen es darum geht, tatsächlich einen europäischen Grundrechtekatalog zu haben, seien darum gebeten. Die Diskussion des deutschen Verfassungs- und Staatsrechts über die Unterschiede von Grundrechten, die - zum Beispiel zu politischen Staatszielen - justiziabel sind, ist ausgeprägt genug, um diese Erfahrungen auch in einen europäischen Grundrechtskatalog aufzunehmen, ohne überflüssige und in Deutschland ausgestandene Diskussionen darüber wiederzubeleben, dass man bestimmte soziale und wirtschaftliche Rechte tatsächlich nicht vor Gerichten einklagen kann. Zumindest lassen sie sich als konstitutive politische Ziele eines europäischen Gemeinwesens der Zukunft festhalten. Drittens besteht die Notwendigkeit, dieses Demokratiedefizit in Richtung auf klarere demokratische Kontrollen sowie auf den klaren Anspruch des Bürgers abzubauen, gegen Fehlentscheidungen im Rahmen des politischen Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsprozesses der Europäischen Union vorgehen zu können. An dieser Stelle mache ich eine Bemerkung, die ich abgewogen habe: Ich glaube, der Zustand der Europäischen Union und die Fülle der von ihr übernommenen Aufgaben sind so, dass es nicht antieuropäisch ist, die Frage zu stellen, ob eine bestimmte Regelung auf europäischer Ebene fehl am Platze ist. ({3}) In den Jahren nach Schuman und Monnet war noch unstreitig richtig, zu überlegen, welche Politikfelder zusätzlich in das Gemeinschaftsrecht integriert werden könnten. Dies ist angesichts der Fülle der Zuständigkeiten der Europäischen Union, wie im Vertrag von Maastricht festgelegt, nicht mehr notwendig. Es ist sinnvoll, wenn sich Bürger, Kommunen, Regionen, Länder mit Staatsqualität, wie es sie in Deutschland gibt, und Mitgliedstaaten vor Gericht, gestützt auf Verfassungs- und Grundrechtsbestimmungen, vergewissern können, ob sie oder die Europäische Union Recht haben. Bei allem Respekt vor dem Europäischen Gerichtshof möchte ich darauf hinweisen, dass es sein könnte, dass er in seiner Rechtsprechung, also wenn er Güterabwägungen vornimmt, vielleicht noch zu sehr der Anfangsphilosophie der Europäischen Union verhaftet ist. Insoweit halte ich die Aufstellung eines solchen Kataloges für notwendig. Nachdem ich das so formuliert habe, bin ich in der Tat dabei, aufzuzeigen, dass die Diskussion um eine europäische Verfassung bereits begonnen hat. Auch hier sollten wir keine Begriffsklaubereien begehen. Schon jetzt enthält das europäische Vertragsrecht unstreitig Sätze, die nach dem deutschen verfassungspolitischen Verständnis in das Verfassungsrecht eingeordnet und als Verfassungsrechte definiert werden können. Das jetzt deutlicher zu machen ist notwendig. In den nächsten Jahren sind Schritte notwendig - das möchte ich an dieser Stelle sagen -, um die Kompetenzen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten klar und bestimmt abzugrenzen. ({4}) Es muss auch über den Rahmen bestimmter Prinzipien der Europäischen Union nachgedacht werden. Auch Wettbewerb ist kein isoliertes Ziel, sondern - das haben wir in Deutschland gelernt - bedarf eines Rahmens. Der rheinische Kapitalismus - ich gebrauche wieder einmal dieses Wort - hat es uns gelehrt. ({5}) Mir ist auch wichtig, an dieser Stelle sehr deutlich festzuhalten, dass alle, die in den Zeitungen etwas anderes lesen, etwas Falsches lesen. Es ist gemeinsames Ziel der Bundesregierung und der Länder, in Zukunft zu einer Kompetenzabgrenzung und zu einer klaren Definition eines europäischen Wettbewerbsrechts, das dem europäischen Verständnis von Sozialstaat angemessen ist, zu kommen. Alles andere ist falsch. Kompetenzabgrenzungen und Definitionen, wann soziale und ökonomische Aspekte im Wettbewerb berücksichtigt werden müssen, sind kein Problem allein der Länder, sondern ein Problem der deutschen Föderation. Ich sage für das Ministerium, in dem ich arbeiten darf: Nach der Verfassungsinterpretation des Außenministeriums ist es seine selbstverständliche Aufgabe, den föderalen Staat Deutschland mit all seinen föderalen Elementen zu vertreten. Damit bin ich bei den nächsten Schritten, die jetzt kommen können. Es ist gefragt worden, was zu tun ist. Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Vorsitzende, Bundespräsident a. D. Herzog, dessen Arbeit hinsichtlich der Effizienz fast alle Erwartungen übertrifft, auf dem Gipfel im Juni in Feira dem Europäischen Rat berichten wird und dass damit der Entscheidungsprozess eingeleitet werden kann, wie der Europäische Rat in Nizza die Ergebnisse des Konvents berücksichtigt. Es spricht aus deutscher Sicht nichts dagegen - in jedem Gespräch mit anderen Regierungen betonen wir das auch -, die Ergebnisse des Konvents in die Verträge aufzunehmen. ({6}) Es ist aber zu prüfen, in welcher Weise. Wir haben ein einziges, sehr pragmatisches Kriterium für das, was in die Verträge aufgenommen werden kann: Durch die Ratifizierung der notwendigen Vertragsänderungen darf die Osterweiterung nicht gefährdet werden. Es spricht deshalb einiges dafür, darüber nachzudenken, ob die Ratifizierung der Ergebnisse des Konvents, falls man sich in Nizza dazu durchringt, sie zu übernehmen, nicht aufgeteilt werden kann: und zwar in eine sofortige Ratifizierung des Teils, der die Osterweiterung nicht behindert, und eine eventuelle spätere Ratifizierung - diese Idee ist jetzt noch nicht abgesprochen, hat mich aber in Diskussionen überzeugt - einer europäischen Verfassung durch ein Referendum, das mit den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament verbunden werden könnte. ({7}) Der nächste Schritt hin zu einer europäischen Demokratie ist die Beteiligung des Parlaments in einer Weise, wie sie vorher noch nie erfolgt ist. Aber auch der Schritt, in bestimmten und dafür geeigneten Fragen das Instrument des Referendums auf europäischer Ebene einzuführen, ist damit angesprochen und sozusagen auf der europäischen Agenda angekommen. Lassen Sie uns auch einen Dank an die Bundesregierung richten - ich danke insbesondere dem Justizministerium und dem Auswärtigen Amt -, die dafür vor Ende 1998 ebenso wie danach mit die Initiative übernommen hat. Es ist sinnvoll festzustellen, dass oft gute Menschen unterwegs sind und mit welcher List die Vernunft siegt. Wir halten fest, dass Sie daran beteiligt waren, dass wir so weit gekommen sind. Mein Dank gilt schließlich allen, die daran jetzt aktiv mitarbeiten. Ich habe durch meinen Beitrag versucht, die Fragen an die Bundesregierung, die in den Anträgen enthalten sind, zu beantworten. Es bleibt übrig, noch die Relation zu der Menschenrechtskonvention des Europarats herzustellen und auch dieser beizutreten. Die europäische Civitas - vor allem Konservative haben wenig gegen den Gebrauch einer anderen als der Muttersprache, wenn es sich bei der anderen Sprache um Latein handelt - hat einen Stand erreicht, der es ihren Mitgliedern ermöglicht, einer Konvention, nämlich der Europäischen Menschenrechtskonvention, beizutreten, die sich die Beachtung der Menschenrechte durch Staaten zur Aufgabe gemacht hat. Es ist kein Gegensatz, einen eigenen Grundrechtskatalog zu haben, aber auch der Konvention des Europarates beizutreten. Die Vorschläge, die dazu der Konvent macht - soweit wir informiert sind, debattiert er darüber -, dürften für die Haltung der Bundesregierung, aber auch für die Haltung der Regierungen anderer Mitgliedstaaten wesentlich sein. Diese Debatte spiegelt einen erfreulichen Prozess wider. Lassen Sie mich parteiübergreifend sagen: Eine Politik, wie wir sie seit der „politeia“ kennen - das ist eine weitere Sprache, gegen die zu benutzen Konservative nichts haben -, macht Sinn, zeigt Erfolge und ist nicht von der Beliebigkeit, wie manchmal von voreiligen Feuilletonisten beschrieben wird. Allen, die sich beteiligt haben, herzlichen Dank. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bevor ich nun dem Kollegen Dr. Gerd Müller von der CDU/CSU-Fraktion das Wort erteilte, möchte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf hinweisen, dass derjenige, der bis jetzt präsidiert hat, hinsichtlich der Redezeit sehr großzügig gewesen ist. Ich wäre auch gerne großzügig. Aber da wir noch einen längeren Abend vor uns haben, wäre ich sehr dankbar, wenn Sie sich alle an die Redezeit halten würden. Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Dr. Gerd Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, auch ich baue natürlich auf Ihre Großzügigkeit. ({0}) Ich glaube, es war richtig, dass hinsichtlich der Redezeit großzügig verfahren wurde; denn vor der Debatte haben mich einige Kolleginnen und Kollegen, aber auch Besucher gefragt, über was wir heute im Zusammenhang mit dem Thema Grundrechtscharta diskutieren. Wir sind mitten in einer europäischen Verfassungsdebatte. Dieses Projekt - der frühere Bundeskanzler hätte gesagt: je nachdem, was hinten herauskommt - wird das Zusammenleben von 500 Millionen Bürgern in Europa in wenigen Jahren in allen Bereichen zentral bestimmen. Ich freue mich, dass die Wichtigkeit dieses Themas zwischenzeitlich deutlich wird und dass wir es nicht zu später Stunde, sondern jetzt debattieren. Derzeit laufen in Europa drei Großprojekte parallel. Erstens der Prozess der Erweiterung von 15 auf 27 Mitgliedstaaten. Dieser Prozess geht nach Vorstellung der Bundesregierung noch weiter und umfasst auch die Türkei und darüber hinaus andere Staaten. Zweitens die Frage der inneren Reform. Wie stellen wir überhaupt die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union sicher, die schon jetzt nicht gegeben ist? Drittens die Erarbeitung der Europäischen Grundrechtscharta. Alle drei Prozesse stehen im Zusammenhang. Die Grundrechtscharta könnte dazu ein wichtiger Baustein sein. Ich schließe mich der Meinung der Vorredner an, insbesondere der Meinung von Peter Altmaier, der sagte: Ein gemeinsames Wertefundament für die Europäische Union zu schaffen, das wäre eigentlich das Wesentliche. ({1}) Das ist der Kern für die CDU/CSU. Für uns war die Europäische Union stets eine Wertegemeinschaft, die auf der Grundlage unseres gemeinschaftlichen christlichen, abendländischen Kulturerbes gründet. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheits-, Abwehr- und Kontrollrechte und die Würde des Menschen sind Grundwerte europäischer Kultur- und Staatstradition, die es zu bewahren und fortzuschreiben gilt. Ich unterstreiche nachdrücklich: Die Europäische Union braucht eine innere Solidarität, einen Zusammenhalt auf Basis dieser Grundwerte und nicht auf der Basis von Exportzahlen, von Aktienkursen und von Mega- und Multifusionen. Dadurch wird noch lange keine europäische Solidarität in der Europäischen Union begründet. Die Grundrechtscharta könnte hier Wesentliches leisten. Deshalb bin ich ein Stück weit enttäuscht, dass es bei der Debatte um die Grundrechtscharta wiederum in erster Linie um die Festschreibung materieller Leistungsrechte gehen soll. Ich habe heute Nachmittag nur die Aufzählung von Rechten vernommen, die wir den europäischen Bürgern von Portugal bis Anatolien einräumen wollen. ({2}) Insbesondere Kollege Hiksch von den Kommunisten hat sich hervorgetan. ({3}) Es geht natürlich auch um Pflichten. Ich möchte beim derzeitigen Stand der Diskussion eine Reihe von grundlegenden Fragen für meine Fraktion einführen. Erstens. Gelingt bei der Formulierung, wie Sie, Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, dies auch angedeutet haben, eine Beschränkung auf die klassischen Grundrechte, wie sie sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem Grundgesetz und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben, oder wird am Ende dieses Prozesses - wir sind ja mitten im Prozess - durch die Aufnahme einklagbarer sozialer Leistungen von Portugal bis Anatolien, wie Sie, Herr Professor Meyer, immer betonen, eine wesentliche Ausdehnung der EU-Kompetenzen festgeschrieben? Das ist einer der Kernpunkte, über die wir miteinander diskutieren müssen. Der jetzt vorliegende Entwurf und die Diskussionsbeiträge im Konvent - Herr Professor Meyer, Sie sind Vertreter Deutschlands im Konvent; wir schauen uns diese Beiträge natürlich an - sowie Ihre Rede und die Reden der SPD-Fraktion lassen den Schluss zu, dass die Bundesregierung nicht eine Beschränkung auf klassische Grundrechte anstrebt, sondern vielmehr genau diesen Katalog einklagbarer sozialer Leistungsrechte begründen will. Ich will nicht ins Detail gehen, das lässt die Redezeit nicht zu. Sie haben selber einige Beispiele genannt Recht auf Bildung, Recht auf Arbeit, Recht auf Wohnung, Verbandsklagerecht, Kunstfreiheit -, für was Europa alles stehen soll, welche Rechte dem Bürger gewährleistet werden sollen. Es kommt auch auf eine zweite Kernfrage in diesem Prozess an: Wird der Text einer europäischen Grundrechtscharta im Zuge einer Proklamation der Regierungschefs verkündet - auch dies hätte bereits rechtliche Auswirkungen - oder als Vorschlag zur Regierungskonferenz in die Verträge aufgenommen? Dies ist noch offen, ist aber für die Rechtsverbindlichkeit natürlich maßgeblich. Nach derzeitigem Stand streben die Bundesregierung und die Mehrheit im Konvent an, über die Grundrechtscharta auch die Mitgliedstaaten beim Vollzug des Unionsrechts rechtlich zu binden. Dies ist ein ganz zentraler Punkt, ob es um die Umsetzung der FFH-Richtlinie, der Milchgarantiemengenregelung oder der Wasserrichtlinie geht. Praktisch jeder Bürger könnte mit dieser Begründung seinen Grundrechteschutz europaweit über eine Klage beim Europäischen Gerichtshof einklagen. Dies hätte flächendeckend natürlich enorme Auswirkungen, nämlich eine unglaubliche Aufwertung des Europäischen Gerichtshofes. Dem Bundesverfassungsgericht könnte in nicht allzu naher Zukunft dann ein Schattendasein - es wäre dann einem Landesverfassungsgericht vergleichbar - drohen und das Grundgesetz könnte die Bedeutung von Länderverfassungen erhalten. ({4}) Wir müssen darüber reden, ob wir in der Finalität dies wollen. Herr Professor Herzog hat gesagt: Die Verfassungswirklichkeit steht am Ende. Das Grundgesetz umfasste 1949 20 Seiten. Heute, im Jahr 2000, nach über 50 Jahren, hat das Bundesverfassungsgericht mit 20 000 Seiten Rechtsprechung Verfassungswirklichkeit in Deutschland gesetzt. Mir stellt sich nun - drittens - die Frage, ob der Europäische Gerichtshof durch die angestrebte Grundrechtscharta und die rechtliche Bindewirkung für die Mitgliedstaaten quasi in die Rolle eines europäischen Verfassungsgerichtshofes hineinwächst. Ich sage: Die Grundrechtscharta kann und darf in diesem Sinne keine europäische Verfassung sein. Europa ist kein Staat. Ich möchte - viertens - die Frage stellen: Wäre eine solch weitgehende Entwicklung überhaupt mit den Festlegungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts im Zuge des Maastricht-Urteils zur Rolle der Nation und zum Erhalt des Kernes der Staatlichkeit sowie zur Bedeutung der nationalen Parlamente für die Legitimation europäischer Rechtsetzung und mit unserem Grundgesetz noch vereinbar? Natürlich muss die Frage geklärt werden, auch von den Verfassungsrichtern, wie weit wir hier in der Finalität der Abgabe von Rechten, von Möglichkeiten der Nation, der Eigenstaatlichkeit überhaupt gehen können. Weil ich der Meinung bin, dass dieser Prozess nicht aus dem Ruder laufen darf, möchte ich zusammenfassend drei Bedingungen für die abschließende Ratifizierung nennen: Erstens. Wir erwarten eine Beschränkung auf die klassischen Grundrechte. Zweitens. Wir wollen keine Festschreibung einklagbarer sozialer Leistungsrechte, wie sie sich jetzt abzeichnet. Drittens. Wir wollen keine Kompetenzausweitung, sondern erwarten Kompetenzbeschränkungen. ({5}) An diesen drei grundlegenden Feststellungen werden wir das Ergebnis des Grundrechtskonventes messen, wenn die Verträge über den Ratifizierungsprozess in das nationale Parlament zurückkommen. Mein Kernsatz an dieser Stelle ist: Von diesen drei Bedingungen machen wir unsere Zustimmung im Ratifizierungsprozess abhängig. Wir werden den vorliegenden Entwurf an diesen drei Punkten messen und unsere endgültige Entscheidung daran festmachen. ({6}) Ich stimme Herrn Zöpel zu, wenn er sagt, dass sich die EU heute zunehmend als Exekutivdemokratie darstellt, ohne genügende Transparenz, mit mangelnder Gewaltenteilung und ungenügender parlamentarischer Mitwirkung, insbesondere der nationalen Parlamente. Ich halte dies mit Blick auf die derzeitige Praxis der Rechtssetzung der Europäischen Union bereits heute für verfassungswidrig. Ich freue mich, dass auch der deutsche Außenminister dies erkannt hat. Denn wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung für die Europäische Union. Wir können diese Dinge nicht nur von oben herab intellektuell zimmern und auf den Weg bringen. Die Europäische Union befindet sich in einer Akzeptanzkrise. Wir müssen als nationales Parlament unseren Beitrag dazu leisten, das zu ändern. Diese Idee, diesen Gedanken, diese Zusammenarbeit mit Ihnen greifen wir an dieser Stelle sehr gerne auf. Herzlichen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile nun dem Kollegen Christian Sterzing, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Christian Sterzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002810, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir gerade hier erlebt haben, ist die souveräne Ignoranz dessen, was sich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat, ({0}) sowohl integrationspolitisch als auch hier in der Bundesrepublik, als auch hinsichtlich dessen, was den Menschenrechtsbegriff in den letzten Jahrzehnten geprägt hat. Wenn Ihre Worte hier ernst genommen werden sollen, erwarte ich in Bälde eine ganze Reihe von Verfassungsänderungsanträgen aus Ihrer Fraktion, die all das aus dem Grundgesetz beseitigen, was über die klassischen Grundrechte hinausgeht. Denn zumindest bislang sind wir uns darüber einig gewesen, dass dieses Grundgesetz von 1949 mehr enthält - zu Recht - als das, was man im Allgemeinen unter dem klassischen Grundrechtsbegriff versteht. ({1}) Wir sollten sehen, was sich in den letzten Jahrzehnten an tief greifenden Veränderungen getan hat, welchen Integrationsprozess es gegeben hat, von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Europäischen Gemeinschaften bis zur Europäischen Union. Wir stehen seit Maastricht nicht mehr vor der Frage, ob wir eine politische Union wollen, sondern wir stehen vor den vielfältigen Fragen: Wie soll sie gestaltet werden? Wie weit soll die Binnenmarktintegration fortentwickelt werden? Welche Regelungen braucht dieser Raum der Freiheit, des Rechts und der Sicherheit? Welche Gestalt soll diese Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik haben? Also: Welchen Grad an Vertiefung wollen wir und welche Kompetenzen soll die Europäische Union haben? Auf all diese Fragen gibt die Grundrechte-Charta keine Antwort. Sie kann es nicht, sie soll es nicht. Dennoch ist sie notwendig. Denn die immer tiefer gehende Integration erfordert eine Flankierung dieser Regelungsdichte durch einen effektiven Grundrechtsschutz. Wenn wir über den weiteren Bau am Haus Europa sprechen, dann ist es höchste Zeit, dass wir für dieses Haus ein tragfähiges, ein menschen- und bürgerrechtliches Fundament bauen, das der Gesamtarchitektur dieses europäischen Hauses auf Dauer Stabilität verleiht. Gerade die wachsenden Kompetenzen der EU sind es, die einen Grundrechtsschutz notwendig machen. Es ist deutlich darauf hinzuweisen: Grundrechte bedeuten eine Beschränkung von Kompetenzen und von Kompetenzausübung. ({2}) Insofern habe ich wenig Verständnis für die mit der Europäischen Grundrechte-Charta verbundene Angst, dass es zu einer unregelbaren Ausweitung der Kompetenzen der EU kommen kann. Nein, Kompetenzen und Grundrechtsschutz gehören zusammen. Das sind die zwei Seiten einer Medaille. Insofern ist nicht eine Kompetenzerweiterung das Problem, sondern eine Kompetenzbegrenzung und die Kontrolle der Kompetenzen. Hier soll und muss die Europäische Grundrechte-Charta ihren Beitrag leisten. Meine Damen und Herren, die Erarbeitung einer Grundrechtscharta geht auf eine Initiative der Bundesregierung zurück. Es ist Grund zur Freude, dass diese Initiative aufgegriffen worden ist. Der Konvent arbeitet seit Dezember letzten Jahres mit hoher Intensität und unter großem Zeitdruck. Wir sollten unseren Vertretern in diesem Konvent, insbesondere dem Kollegen Meyer und dem Kollegen Altmaier, für ihre engagierte Mitarbeit Dank sagen, die ihnen von vielen Mitgliedern des Konventes nachgesagt wird. ({3}) Lassen Sie mich drei Bemerkungen zum Konvent machen, die mir wichtig erscheinen: Der Konvent - dies ist der erste Aspekt - sollte ein Vorbild für die Fortentwicklung des Integrationsprozesses sein. Mit seiner mehrheitlichen Zusammensetzung aus Parlamentariern des Europäischen Parlamentes und der nationalen Parlamente verkörpert er sozusagen eine Alternative zu dem herkömmlichen intransparenten Prozess der Regierungskonferenzen, in denen die europäische Integration bislang weiterentwickelt worden ist. Die Unzufriedenheit mit der Methode der Regierungskonferenzen ist ja weit verbreitet. In Rahmen dieses Konventes ist sehr viel mehr Transparenz gewährleistet. Die parlamentarische Zusammensetzung und auch die ergebnisorientierte Arbeitsweise sollten im Rahmen dessen, was in Europa passiert, Schule machen. Die zweite Bemerkung: Wir sollten uns die Arbeitsweise des Konventes sehr genau anschauen. Hier wird nicht nur in vorbildlicher Weise transparent gearbeitet. Vielmehr sind auch zivilgesellschaftliche Kräfte, also Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen, in die Arbeit des Konventes eingebunden. Das trägt ganz wesentlich zur Entwicklung einer transnationalen Demokratie in Europa bei. Auch dies sollte Schule machen. Die dritte Bemerkung ist allerdings eine kritische: Unzureichend ist die Beteiligung der Beitrittsländer an diesem Arbeitsprozess. Die Regierungen der Beitrittsländer werden einmal angehört. Aber die Zivilgesellschaften der Beitrittsländer haben keinerlei Chance, Stellung zu nehmen. Ich glaube, dass wir hier die Chance vertan haben, durch eine gemeinsame Auseinandersetzung über das Wertefundament der EU der in diesen Ländern wachsenden Skepsis gegenüber dem Beitrittsprozess entgegenzuwirken und an einer gemeinsamen europäischen Identität zu arbeiten. Das hätte ein Signal sein können. Diese Chance ist leider verspielt worden. Insofern können wir mit der zuletzt genannten Einschränkung feststellen, dass dieser Konvent mit seiner parlamentarischen und gesellschaftlichen Partizipation einen wesentlichen Fortschritt darstellt. Wir alle sollten dafür sorgen, dass dies keine Eintagsfliege bleibt. ({4}) Was sollen die Ziele einer Grundrechte-Charta sein? Man kann dies in drei Stichworten zusammenfassen: Stärkung der Legitimation, Förderung der europäischen Identität und Vertiefung der Integration. Zunächst zur Stärkung der Legitimation. Wir reden immer wieder über das Demokratie-, aber eben auch über das Legitimationsdefizit innerhalb der EU. Ich glaube, es ist allen deutlich geworden, wie wichtig es ist, den Fortschritten in der Entwicklung der Integration mit der Stärkung der Legitimation ein Fundament zu geben. Der Grundrechtsschutz, der bislang in der EU existiert, ist lückenhaft, er gilt nicht bei allen drei Säulen gleichermaßen. Die Unionsbürger und -bürgerinnen haben ein Recht darauf, zu wissen, welche Rechte ihnen gegenüber der Union und ihren Organen zustehen. Sie haben ein Recht darauf, dass die EU ihnen zusichert, dass sie diese Rechte auch durchsetzen können. Insofern muss klar sein: Zur Stärkung der Legitimation der EU brauchen wir die Rechtsverbindlichkeit dieser Grundrechts-Charta. Zum zweiten Ziel, zur Förderung der europäischen Identität. Es ist nicht zu übersehen, dass Europamüdigkeit und Europaverdrossenheit mehr und mehr um sich greifen. Ich glaube, es ist wichtig, die Erarbeitung der Grundrechte-Charta dafür zu nutzen, sich der gemeinsamen Traditionen in Europa zu versichern und über die täglichen Auseinandersetzungen hinaus - über Rindfleischetikettierungen, Altölverordnungen und Fettbestandteile in der Schokolade - Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Wenn es dem Konvent gelingt, eine breite gesellschaftliche Debatte zu initiieren, dann könnte die Erarbeitung der Grundrechte-Charta gerade auch im Hinblick auf die bevorstehenden EU-Beitritte ein wichtiger Beitrag zur Stärkung dieser europäischen Identität werden. Drittens zur Vertiefung der Integration. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Bei der Grundrechte-Charta gilt es - das wurde schon angesprochen -, zwei Aspekte zu berücksichtigen: Sie ist Teil des verfassungsgebenden Prozesses in Europa. Wir müssen aber auch sehen, dass wir über sehr unterschiedliche menschen- und grundrechtliche Traditionen in Europa verfügen. Ziel muss es sein, diese zusammenzufügen. Darüber eine produktive Auseinandersetzung im Konvent und in einer transnationalen, europäischen Öffentlichkeit zu führen ist eine ganz wesentliche Aufgabe. Es muss uns gelingen, diese produktive Zusammenarbeit so zu gestalten, dass mehr als ein Minimalkonsens dabei herauskommt. ({5}) Wenn es uns gelingt, dass die Grundrechte-Charta die Vielfalt Europas widerspiegelt, wenn die spezifischen nationalen Grundrechtstraditionen berücksichtigt werden, dann ist uns, so glaube ich, ein gutes Stück Arbeit auf dem Weg der Integration gelungen und dann kann die Grundrechte-Charta die Hoffnungen erfüllen, die wir mit ihr verbinden. Ich glaube, wir alle sind bereit - das ist heute deutlich geworden -, dazu einen Beitrag zu leisten. Vielen Dank. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Stübgen, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Stübgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte am Schluss dieser sehr wichtigen und, wie in der grundlegenden Zielsetzung der Grundrechte-Charta zum Ausdruck kommt, breit getragenen Debatte - von Details abgesehen - auf den entscheidenden Ansatz für eine Grundrechte-Charta der Europäischen Union zurückkommen. In der Tat besteht hier gegenwärtig ein Defizit - allerdings weist die Europäische Union, ehrlich gesagt, zurzeit andere, größere Defizite auf -: Da, wo die Europäische Union einen staatlichen bzw. bundesstaatlichen Charakter hat, das heißt, wo sie staatliche Gewalt ausübt, brauchen die Bürger der Union transparente und handhabbare Rechte gegenüber der EU. ({0}) Das ist der Beginn einer Verfassungsdebatte - Herr Zöpel, da stimme ich Ihnen zu -, die mit einer Verfassung oder einem Verfassungsvertrag enden wird. Das können wir jetzt noch nicht genau festlegen. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt genau dieses Anliegen der Europäischen Union. Es geht in erster Linie um die Begrenzung staatlicher Gewalt gegenüber den Bürgern der Union. Wir begrüßen auch die Zusammensetzung und Arbeitsweise des Grundrechtskonventes. Möglicherweise wird - nur dann, wenn die Arbeit von Erfolg gekrönt sein wird - die Zusammensetzung des Grundrechtskonvents exemplarisch für künftige grundlegende Reformen in der Europäischen Union sein. Dabei stellt sich nach wie vor das Problem, dass im Wesentlichen Regierungen oder Beamte verhandeln und die Mitgliedstaaten irgendwann ratifizieren können. Dann sind sie eher geneigt, zuzustimmen, statt einen wichtigen Ratifizierungsprozess anzuhalten, weil der eine oder andere Teil nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden ist. Ich möchte einige Bemerkungen zu Gefahren machen, die ich in der Debatte um die Grundrechte-Charta zurzeit sehe. Ich sehe, dass in dem Maße, wie die effektive Arbeit an der Regierungskonferenz zur institutionellen Reform nicht vorankommt, europäische Regierungen - diesen Vorwurf richte ich nicht unbedingt an die Bundesregierung - mehr Interesse an der Diskussion um die Grundrechte-Charta zeigen, und zwar mit einer Zielrichtung, die ich für gefährlich halte: Es ist nämlich durchaus möglich das ist ein großes Problem, von dem wir zurzeit herausgefordert werden -, dass bei einem nicht für ausreichend gehaltenen Ergebnis der Regierungskonferenz Ende dieses Jahres in Nizza die Regierungschefs - wir kennen alle das Ritual von Gipfeln; wir wissen, wie sie stattfinden; das ist unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung der Teilnehmer - geneigt sein werden, einen großzügigen und weiten Grundrechtskatalog feierlich zu deklarieren, der den Eindruck vermitteln soll, dass sie wieder sehr erfolgreich gewesen sind, der aber letztlich keine direkten Konsequenzen für die Bürger der Europäischen Union haben wird. Ein Problem wiegt besonders schwer: Wenn die europäische Öffentlichkeit wieder einmal den Eindruck gewinnt, dass die Regierungen formulieren, welche Rechte die Bürger ihnen gegenüber haben, dann ist das auf jeden Fall nicht vertrauensbildend. Die Grundrechte-Charta kann nur erfolgreich sein, wenn die Bürger der Europäischen Union sie als Teil ihrer Identität annehmen. Das heißt, dass die Beteiligung der Parlamentarier an der Arbeit an dieser Grundrechte-Charta von ganz entscheidender Bedeutung ist. ({1}) Gerade aufgrund der Gefahren, die ich eben beschrieben habe, halte ich es für sehr wichtig, das der Deutsche Bundestag heute über die Arbeit an der GrundrechteCharta debattiert. Ich denke, dass sich in den nächsten Wochen entscheiden wird, ob dieses Projekt gelingt oder ob es zu einer Showveranstaltung der Regierungen der Mitgliedstaaten verkommt, möglicherweise - das habe ich schon erwähnt - auch noch als Ersatz für die fehlende substanzielle Reform im institutionellen Bereich auf dem Gipfel in Nizza Ende dieses Jahres. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen bei der Grundrechtsdebatte - darüber sind wir uns im gesamten Haus im Wesentlichen einig - keinen Wettlauf um die schönste und modernste Charta, die vielleicht wirkungslos sein wird, sondern wir wollen einen Wettlauf um die effizienteste und wirkungsvollste Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die dann Bestandteil der Europäischen Verträge werden muss. Ich möchte noch kurz auf drei Schwerpunkte zurückkommen, die für uns besonders wichtig sind. Die Grundrechte-Charta soll kurz und knapp formuliert werden; sie soll so formuliert werden, dass sie als verbindlicher Text in die EU-Verträge aufgenommen werden kann - und zwar so, wie der Grundrechtskonvent sie verabschiedet hat -, sodass die darin enthaltenen Rechte für den Bürger einklagbar und durchsetzbar sind. ({2}) Wir werden bei dem weiteren Verfahren betreffend die Grundrechte-Charta sehr deutlich darauf achten, dass nicht - wer an derAnhörung mit den NGOs teilgenommen hat, hat das ja deutlich hören können - mit der Grundrechte-Charta sozusagen durch die Hintertür neue Rechte für die Europäische Union auch gegenüber den Mitgliedstaaten eingeführt werden. Wenn es eine Kompetenzausweitung geben soll - sie wird es geben; daran werden wir uns konstruktiv beteiligen -, dann muss die Debatte darüber mit offenem Visier geführt werden und es darf keine Kompetenzausweitung durch die Hintertür, durch eine Grundrechte-Charta, geben. Ferner ist mir besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Grundrechte-Charta, wenn sie, als Bestandteil der Europäischen Verträge, Erfolg haben soll, ein wichtiger, aber nur der erste Baustein für die weitere Arbeit an einem europäischen Verfassungsvertrag ist. Der nächste Baustein, der entscheidend ist, ist der, dass die Europäische Union spätestens nach Konstituierung dieser Grundrechtscharta mit der Arbeit an der Konstituierung eines Kompetenzkataloges der Europäischen Union beginnen muss, der einerseits die Rechte der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedstaaten darstellt, aber auch andersherum die Rechte der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union klar definiert. Deshalb schlage ich folgende Verfahrensweise vor, die zum Teil - das weiß ich aus den Ausschussberatungen auch von der Bundesregierung unterstützt wird: Auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Nizza Ende dieses Jahres sollte neben der Beschlussfassung zu einer substanziellen institutionellen Reform und neben der Beschlussfassung zu der Grundrechtscharta ein Rahmenbeschluss über einen zu schaffenden Kompetenzkatalog gefasst werden und damit gleichzeitig der Auftrag an die Europäische Union verbunden werden, diesen Kompetenzkatalog detailliert zu erarbeiten. Bei der Arbeit an diesem Kompetenzkatalog sollten sich die europäischen Organe an dem Vorschlag der so genannten drei Weisen für die institutionelle Reform orientieren, nämlich der Zweiteilung der Verträge in einen grundsätzlichen - sagen wir einmal: verfassungsähnlichen - Teil und einen flexibleren Teil der üblichen vertraglichen Bestimmungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Obleute des Europaausschusses haben sich bei ihrer letzten Sitzung die Aufgabe gestellt, zu versuchen, die drei Anträge, die heute zur Abstimmung vorliegen, nach der Überweisung an den federführenden Ausschuss zu einem Antrag zusammenzuführen. Ich halte dieses Projekt für erfolgversprechend; denn wenn man die drei Anträge liest, merkt man sehr genau, dass es in den grundsätzlichen Linien große Übereinstimmung gibt. Es besteht sicherlich die Möglichkeit, dass man in den Details zu tragbaren Kompromissen kommt. Das heißt, wir von der CDU/CSU unterstützen nachhaltig das Ziel, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Erstens hat das den Vorteil, dass unsere Mitglieder im Grundrechtskonvent ein klares Votum des Deutschen Bundestages mit breiter, verfassungsgebender Mehrheit abgeben können. Zweitens ist das wichtig als Signal für unsere europäischen Partner: damit sie erkennen, dass ein bedeutendes Mitgliedsland der Europäischen Union, die Bundesrepublik Deutschland, in seinem Parlament in großer Einmütigkeit einen Grundsatzbeschluss zur Ausformulierung dieser Grundrechtscharta gefasst hat. ({3}) Ich hoffe, dass wir in der Sache vorankommen und dass die Grundrechtscharta ein Erfolg der Europäischen Union wird und die Integration und Identität der Europäischen Union vorantreibt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Als Letztem in dieser Debatte erteile ich das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Professor Eckhart Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, dass wir heute insgesamt eine ausgesprochen inhaltsreiche und gute Debatte geführt haben. Die Bundesregierung bedankt sich natürlich für das Lob, das in der Debatte gelegentlich durchschien. Ich möchte dieses Lob aber zurückgeben und zunächst einmal dem Kollegen Jürgen Meyer sehr herzlich danken, dass er diese Debatte heute so eindrucksvoll bestritten hat. Aus meiner persönlichen Erfahrung darf ich sagen: Als Jürgen Meyer vor fünf Jahren mit der Idee kam, eine Charta der Grundrechte - er nannte sie schon damals so auf europäischer Ebene ins Leben zu rufen, ist ihm viel Staunen, Ungläubigkeit und Skepsis entgegengebracht worden. Ich denke, es ist ein großer Erfolg, dass diese Initiative heute eine derartige Dimension und Intensität nicht nur in diesem Hause, sondern insgesamt in Europa gefunden hat. ({0}) Der Dank gilt nicht minder Frau LeutheusserSchnarrenberger und Herrn Altmaier, ({1}) die ich jetzt vor anderen hervorheben will, weil ich weiß, dass sie diese Fragen mit besonderem Engagement verfolgen. Wir wollen - das ist die Absicht der Bundesregierung - mit dieser Charta die Union den Bürgern und die Bürger der Union näher bringen. Der Konvent arbeitet intensiv an Texten, die nach unserer Auffassung eine gute Grundlage für den angestrebten Entwurf darstellen. Auch das ist aus deutscher Sicht ein Erfolg. Nun gibt es - das ist schon angesprochen worden - in dem Konvent unterschiedliche Strömungen. Deswegen haben wir keineswegs die Garantie für den Erfolg des Projekts in Händen. Da dieser Konvent ein neuartiges Gremium ist - aus europäischen Parlamentariern, aus nationalen Abgeordneten und aus Regierungsbeauftragten zusammengesetzt -, muss man die Ergebnisse abwarten, denn es liegen bisher noch keine Erfahrungen mit der Arbeitsweise entsprechender Gremien vor. Insofern steht die Bewährungsprobe noch aus. Die Verhandlungen im Konvent sind vielstimmig und die Unterschiede verlaufen weder eindeutig entlang der Parteigrenzen noch entlang der verschiedenen Gruppen von Teilnehmern. Am stärksten lassen sich die Unterschiede immer noch nach den Staatsgrenzen feststellen. Es gibt eine gewisse Skepsis bei den Kollegen aus Großbritannien; umgekehrt ist deutlich, dass gerade Frankreich, insbesondere bei den sozialen Grundrechten, eine ehrgeizige Charta wünscht. Zwischen den Vorstellungen der Beteiligten, und insbesondere der nationalen Regierungen, muss schließlich ein Kompromiss gefunden werden, damit wir in diesem Punkt in Nizza einen Erfolg in Händen halten. Ich denke, oberstes Ziel ist, dass eine echte Charta zustande kommt. Das bedeutet, dass der Integrationsschritt über das Richterrecht und die Generalklausel hinaus zu einer Umschreibung der einzelnen Grundrechte gelingt. Schon das Grundgesetz fordert, dass die Europäische Union einen dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Alles andere würde hinter dem erreichten Stand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zurückbleiben. Allerdings gibt es auch bei den klassischen Freiheitsund Abwehrrechten, über die in der Sache europaweit Konsens besteht, im Konvent noch Divergenzen in der Formulierung, und man muss sicher noch über die Verbesserung der Möglichkeit der Anrufung des Europäischen Gerichtshofs in Grundrechtsangelegenheiten nachdenken. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz wichtig ist eine Formulierung, die erlaubt, die Grundrechtscharta unverändert in die Verträge aufzunehmen, und - auch das ist heute schon allgemein betont worden - entscheidend für die Vollendung der Rechtsstaatlichkeit ist die Festschreibung als einklagbare, rechtlich verbindliche Gewährleistungen. Schließlich kommt es darauf an, möglichst eine optimale Fassung der einzelnen Grundrechte und der gesamten Charta auszuhandeln. Ich denke, dass bei den klassischen Freiheits- und Abwehrrechten die Ausformulierung der einzelnen Gewährleistungen vor dem Hintergrund des sachlichen Grundkonsenses eine spezifisch juristische Aufgabe ist. Meine Damen und Herren, ich stehe nicht an und versuche auch nicht, eine Zusammenfassung der heutigen Diskussion vorzunehmen. Ich denke, sie kann uns insgesamt optimistisch stimmen. Die Bundesregierung und auch das Bundesministerium der Justiz sagen zu, die Vertreter Deutschlands in diesem Konvent wie bisher soweit wie möglich und soweit es gewünscht wird zu unterstützen; denn wir alle müssen ein großes Interesse daran haben, dass dieses Projekt, das von Deutschland ausgegangen ist, schließlich zu einem europäischen Projekt wird und zu einem europäischen Ergebnis führt. Vielen Dank. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/3368 und 14/3322 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 14/3387 soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf der Drucksache 14/3368 überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Das Präsidium schließt sich dem Wunsch des Kollegen Stübgen an, möglichst ein gemeinsames Votum des Deutschen Bundestages in dieser wichtigen Frage zu erreichen. In diesem Sinne wünsche ich denjenigen, die daran arbeiten, viel Erfolg. ({0}) Ich rufe jetzt den vorhin zurückgestellten Tagesordnungspunkt 21 c auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Futtermittelgesetzes - Drucksache 14/2636 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) - Drucksache 14/3348 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Bleser Zunächst erteile ich dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Peter Bleser, das Wort.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 14/2636 -, dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Futtermittelgesetzes, möchte ich folgende Erläuterung abgeben: Der Beschluss des Ausschusses, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 14/2636 unverändert anzunehmen, bedeutet, dass die Änderungen, die sich aus der Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates unter Anlage 3 der Bundestagsdrucksache 14/2636 ergeben, einzubeziehen sind. Danke schön. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt wissen wir alle, worum es geht. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 14/3348 die Annahme des Gesetzentwurfes. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf mit den soeben vom Berichterstatter vorgetragenen Änderungen zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Beim Futtermittel sind wir uns alle einig und der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Johannes Singhammer, Max Straubinger, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Kurzfristige Beschäftigungen im Rahmen des 630-DM-Gesetzes entlasten - Drucksache 14/2990 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Jahr nach der Neuregelung der 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse lautet die Schadensbilanz wie folgt: 600 000 geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind effektiv verloren gegangen. ({0}) Das entspricht der Einwohnerzahl von Dortmund. ({1}) Der bürokratische Aufwand übertrifft die schlimmsten Vorhersagen. Viele mittelständische Unternehmen geraten in Existenznot und die Schattenwirtschaft blüht. ({2}) Deshalb muss dieses 630-DM-Gesetz weg! Es muss korrigiert werden. Es ist von Grund auf falsch. ({3}) Die Auswirkungen: ({4}) Arbeitnehmer und Arbeitgeber flüchten vor zu viel Bürokratie und neuem Abkassieren. Eine wachsende Mehrheit von Menschen in Deutschland, ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, lehnt den Gesetzespfusch der 630-DM-Regelung ab. ({5}) Der Einzige, der noch dafür ist und die rosarote Brille aufsetzt, ist der Arbeitsminister. Der spricht von planvollen Erfolgen, die allerdings außer ihm niemand erkennen kann. ({6}) - Warten Sie nur, ich erkläre es Ihnen. Erstens. Die vor kurzem veröffentlichte KienbaumStudie schätzt, dass nur rund 100 000 neue sozialversicherungspflichtige Stellen entstanden sind. Der gleichzeitige Kahlschlag - betroffen sind 700 000 geringfügig Beschäftigte - kann damit jedoch nicht annähernd ausgeglichen werden. Zweitens. Zu Recht machen sich die geringfügig Beschäftigten über angeblich verbesserte Möglichkeiten der Alterssicherung keinerlei Illusionen. Das ergibt sich auch daraus, dass nur 2,5 Prozent der geringfügig Beschäftigten von der Möglichkeit einer freiwilligen Aufstockung der Rentenversicherungsbeiträge Gebrauch machen. Dies ist auch verständlich, denn nachdem diese rotgrüne Bundesregierung die 18 Millionen Rentnerinnen und Rentner in den zurückliegenden Monaten ständig getäuscht hat, hat keiner mehr Vertrauen. ({7}) Es ist vor allem auch deshalb verständlich, ({8}) - Das hören Sie nicht gerne, Herr Dreßen. ({9}) - Herr Dreßen, soll ich Ihnen noch einmal vorlesen, was der Bundeskanzler auf dem politischen Aschermittwoch in Vilshofen im Jahr 1999 gesagt hat? ({10}) - Sie können es schon noch einmal von mir hören. Ich hatte mir gedacht, diesmal erspare ich es Ihnen; aber wenn Sie mich provozieren, sage ich es Ihnen noch einmal. Er hat damals gesagt: Wir bleiben bei der nettolohnangepassten Rente. Hundert Tage später, in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung, sagte er: Das war ein Irrtum, wir müssen leider von der nettolohnangepassten Rente Abstand nehmen. In der Sendung von Frau Christiansen im Oktober 1999 sagte er: Ich muss mich bei den Rentnern entschuldigen. Sie können noch mehr davon hören. Wenn das keine lupenreine Täuschung ist, wenn das nicht ein gebrochenes Wahlversprechen ist, dann weiß ich nicht, was das sonst sein soll. ({11}) Herr Dreßen, rufen Sie also nicht so oft dazwischen. Es ist aber auch verständlich, dass sich so wenige daran beteiligen, weil nämlich selbst bei einer Ausschöpfung der möglichen Rentenanwartschaft gemäß der 630DM-Regelung der tatsächliche Anstieg der Rente, wenn sonst nichts anderes hinzukommt, 6,79 DM im Monat ausmacht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dafür kann sich ein Rentner gerade einmal zwei Käsebrötchen im Monat leisten. Bei diesem Betrag kann von einer Alterssicherung nicht im Ansatz die Rede sein. Vizepräsidentin Anke Fuchs Die ständig wachsenden Schwierigkeiten in der Rentenversicherung bekommen Sie damit natürlich auch nicht in den Griff, sondern dafür müssen Sie endlich ein geschlossenes Rentenkonzept vorlegen. Statt des Herumdokterns brauchen Sie eine Konzeption. ({12}) Drittens. Die neuen zusätzlichen Beitragseinnahmen für die Sozialversicherungen sind natürlich mit Steuerausfällen teuer erkauft. Die neu eingeführte Freistellung für geringfügig Beschäftigte verringert das Steueraufkommen, auch wenn Sie das nicht hören wollen. Viertens. Die Neuregelung dieser 630-DM-Jobs entpuppt sich letztlich als wahrer Treibsatz für die Schattenwirtschaft. Das haben Sie erreicht. ({13}) Der Schwarzarbeitsexperte Friedrich Schneider hat vor kurzem auf einem Kongress, an dem auch Ihr Bundeskanzler teilgenommen hat, vorgerechnet, dass sich allein durch die Neuregelung das Umsatzvolumen von illegaler Arbeit an Sozialkassen und Fiskus vorbei auf 12 Milliarden DM erhöht hat. ({14}) Wenn ich nur davon ausgehe, dass davon etwa 2 Milliarden DM in die Sozialkassen fließen könnten oder fließen würden, dann meine ich, mit diesen 2 Milliarden DM könnte man viel Gutes tun, beispielsweise im Bereich der Pflegeversicherung für die Demenzkranken; da könnten wir es wieder ausgeben. ({15}) Fünftens. In vielen Branchen steigen der Leistungsdruck und die Arbeitsbelastung der fest angestellten Mitarbeiter. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels erklärt, dass ihm kein einziger Fall bekannt sei, in dem ein ehemaliger 630-DM-Beschäftigter in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen wurde. Vielmehr sei es so, dass die Festangestellten jetzt die Arbeit der Aushilfen mit erledigen müssten. Statt mehr Beschäftigungsverhältnisse bedeutet dies für die Betroffenen mehr Hetze, mehr Druck und mehr Leistungsverdichtung. Die bürokratischen Regelungen entmutigen viele Arbeitgeber und lassen sie ein neues geringfügiges Beschäftigungsverhältnis gar nicht mehr ausprobieren. Die Ausgestaltung der Verwaltungsvorschriften für diese Neuregelung ist in der Tat verdächtig für den Nobelpreis für verdiente Bürokraten. Verheerend wirkt sich diese nicht zu Ende gedachte Regelung für eine Reihe mittelständischer Unternehmen und ihre Mitarbeiter aus. Ich darf nur ein markantes Beispiel herausgreifen. Man könnte viele andere Branchen ähnlich exakt beschreiben. Ich nehme das Beispiel der Anzeigenblätter. Anzeigenblätter - das wissen Sie - werden vielfach einmal in der Woche ausgetragen. Ein festes, dauerndes Arbeitsverhältnis in der üblichen Weise ist deshalb nicht möglich. In diesem Bereich findet kein Missbrauch statt, eine andere Art der Beschäftigung ist schlichtweg ausgeschlossen. Viele Anzeigenzusteller verdienen sich ein Zubrot. Sie arbeiten nicht nur in einem Jahr bis zu 50 Tage, sondern sie arbeiten mehrere Jahre lang bis zu 50 Tage im Jahr. Bei den Verdiensten von 50 DM bis 630 DM, die in diesem Bereich gezahlt werden, ist es völlig ausgeschlossen, dass ein solcher Zeitungszusteller von seinem Nebenverdienst auch noch die Sozialversicherungsbeiträge zahlt. Dies geschieht durch die Betriebe. Die Betriebe haben dadurch eine Belastung von jährlich 65 Millionen DM. Dem steht ein gigantischer Verwaltungsapparat gegenüber. Jedem Beschäftigten muss im Lohnzahlungszeitraum, das heißt monatlich, eine Bestätigung über weitere Einkünfte und eine entsprechende Negativerklärung abverlangt werden. Diese Negativerklärung muss archiviert und aufgehoben werden, eine Steuerkarte muss vorgelegt werden und die entsprechenden Beträge müssen abgeführt werden. Der oft geringe Verdienst - nehmen wir einen mittleren Verdienst von 200 bis 300 DM - steht daher in keinem Verhältnis zum bürokratischen Aufwand. Ganz schlimm wird es dann, wenn zum Beispiel ein Schüler, der etwa 50 DM im Monat bekommt, weil er etwas austrägt, vergisst, dem Verlag mitzuteilen, dass er eine Lehre begonnen hat oder eine andere Krankenkasse gewählt hat. Wenn dies nach drei Monaten auffällt - dies tritt in vielen Fällen auf -, muss der Verlag Folgendes erledigen - ich kann es Ihnen nicht ersparen -: Erstens. Er muss die Abrechnung mit dem Zusteller rückwirkend korrigieren. Zweitens. Er muss rückwirkend eine Meldung an die alte und die neue Krankenkasse senden. Drittens. Er muss Korrekturen der Beitragsnachweise der alten und der neuen Krankenkasse einholen. Viertens. Er muss die Beitragszahlungen korrigieren. Und Fünftens. Er muss die interne Verbuchung korrigieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei Sozialversicherungsausgaben in Höhe von maximal 12,50 DM um das Beispiel fortzuführen - und bei einem Entgelt von 50 DM fällt oft ein höherer Betrag von Verwaltungskosten an, als der Auszahlungsbetrag selbst ausmacht. Ein größeres Maß an Unproduktivität als in diesem Beispiel ist schlichtweg nicht mehr vorstellbar. ({16}) Das ist der Grund, warum wir eine neue Regelung für diesen speziellen Bereich verlangen - abgesehen davon, dass wir ohnehin für eine grundsätzliche Neuregelung sind -, das heißt ({17}) eine Neuregelung der 50-Tage-Regelung. Wenn jemand 50 Tage in einem Jahr arbeitet, dann kann er diese Tätigkeit nicht ohne weiteres im nächsten Jahr fortsetzen. Diese Regelung soll zumindest in diesem einen Punkt geändert werden. Das Korsett der 50-Tage-Regelung soll erweitert werden auf mehrere Jahre. Den Verlagen haben Sie - einige von ihnen sitzen hier - in Gesprächen durchaus signalisiert, dass dieses Problem nicht erfunden ist, sondern von Ihnen als real und drückend empfunden wird. Leider sind den Ankündigungen vonseiten der Regierung keinerlei Taten gefolgt, sodass viele in dieser Branche, aber auch in anderen Branchen dies als politischen Wortbruch neuerer Art empfinden müssen. ({18}) Ein weiteres Beispiel ist der Gastronomiebereich. Aus Zeitgründen erspare ich Ihnen das. Meine Bitte an Sie ist: Nachdem Sie das Gesetz zur Scheinselbstständigkeit nach neun Monaten korrigiert haben - es zumindest versucht haben -, machen Sie einen zweiten schlimmen Fehler, den Sie im letzten Jahr mit dem 630-DM-Gesetz begonnen haben. Korrigieren Sie das Gesetz zumindest so, wie wir es Ihnen jetzt vorgeschlagen haben. ({19})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Leyla Onur von der SPD-Fraktion das Wort.

Leyla Onur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002747, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Singhammer, Sie sind sich auch wirklich für nichts zu schade. Ich kenne Sie ja aus dem Ausschuss. Aber das, was Sie heute abgeliefert haben, ({0}) spottet jeder Beschreibung. ({1}) Aber damit sind Sie nicht alleine; denn die gesamte CDU/CSU hat seit der letzten Aussprache zu den 630Mark-Arbeitsverhältnissen nichts, aber auch gar nichts dazugelernt. Deshalb versuchen Sie mit Ihrem heutigen Antrag zu den 630-Mark-Beschäftigungsverhältnissen, dieses Thema wieder - man kann nur noch sagen - hochzuziehen. ({2}) Haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, noch immer nicht begriffen, dass getretener Quark zwar breit, aber ganz sicherlich nicht stark wird? Vielleicht versuchen Sie das endlich einmal zu verstehen. Nach Art der berühmten tibetanischen Gebetsmühle behaupten Sie wieder und immer wieder, das Gesetz zur Neuregelung der 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse habe negative Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Diese Behauptung war, ist und bleibt falsch, auch wenn Sie uns etwas anderes weismachen wollen. Tatsache ist, dass unser Gesetz eine Erfolgsstory ist. ({3}) Die neuesten Zahlen des Bundesarbeitsministeriums sprechen für sich. Inzwischen sind 4 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte registriert. Es gehen noch immer Nachmeldungen der Arbeitgeber ein, die sich auf den April 1999 beziehen, also auf den Zeitpunkt, an dem das Gesetz in Kraft getreten ist. ({4}) Vielleicht erinnern Sie sich noch - falls Sie sich erinnern wollen; das ist natürlich die Voraussetzung -, dass 1998 von 5,5 Millionen geringfügig Beschäftigten die Rede war, ({5}) einschließlich der Zahl der geringfügig Nebenbeschäftigten. Die Tatsache, dass heute 4 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte sozialversichert sind - es ist klar, dass die Zahl der geringfügig Nebenbeschäftigten statistisch gar nicht mehr separat erfasst werden kann -, übertrifft unsere Erwartungen bei weitem. ({6}) Wiederum bestätigt sich, dass die Neuregelung der 630Mark-Arbeitsverhältnisse notwendig und richtig war. ({7}) Mit Genugtuung stellen wir fest, dass die Einnahmen der Renten- und Krankenversicherung stetig gestiegen sind. Das ist ein willkommener Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten. Dazu einige Zahlen und Fakten: 1999 betrugen die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung aus den Beiträgen der ausschließlich geringfügig Beschäftigten insgesamt 1,85 Milliarden DM. Für das Jahr 2000 werden 2,85 Milliarden DM erwartet. Rund 140 000 geringfügig Beschäftigte nutzten die Möglichkeit, die Pauschalbeiträge auf den vollen Beitragssatz aufzustocken, um damit ihre Alterssicherung zu verbessern. Das ist ein Anfang. Ich bin ganz sicher, die Frauen und auch die Männer werden zunehmend diese Chance ergreifen. ({8}) Die positive Bilanz setzt sich auch bei der Krankenversicherung fort. 1999 flossen 1,6 Milliarden DM in die Kassen der Krankenversicherungen. Für 2000 wird - vorsichtig geschätzt - mit Einnahmen in Höhe von 2,4 Milliarden DM gerechnet. Wohlgemerkt, dieser Geldsegen für die Sozialversicherung bedeutet keine zusätzliche Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ehrliche Arbeitgeber werden auch nicht belastet; denn die Pauschalsteuer ist weggefallen. Zwar verzichten Bund und Länder mit der Neuregelung der 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse auf erhebliche Steuereinnahmen, aber ganz bewusst zugunsten der Sozialkassen. Noch einmal für die Langsamdenker in diesem Hohen Hause: ({9}) Mit unserem Gesetz zur Neuregelung der 630-Mark-Jobs haben wir das eingehalten, was wir vor der Wahl versprochen haben. ({10}) Auf dem Arbeitsmarkt herrschen wieder mehr Ordnung und Gerechtigkeit. Die Grundlagen der Sozialversicherung sind nachhaltig gestärkt worden. Das, was mich an Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, allerdings besonders wundert, ist das dünne Eis, auf das Sie sich begeben haben. Sie erwähnen die Ergebnisse der Studie, die von den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen zu den Folgen des 630-Mark-Gesetzes 1999 in Auftrag gegeben wurde. Das von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen mitgeteilte Resultat der Studie wertet das 630Mark-Gesetz als Erfolg. ({11}) Zusammengefasst die Ergebnisse: Die Aufsplitterung normaler Beschäftigungsverhältnisse wurde gestoppt. Vormals geringfügige Arbeitsverhältnisse wurden sogar vermehrt in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt: in Niedersachsen 13 000, in Sachsen 4 000, in Nordrhein-Westfalen sogar 24 000. Das 630-Mark-Gesetz bringt der Renten- und Krankenversicherung höhere Einnahmen - die Zahlen habe ich genannt - und neue Kontrollmöglichkeiten. Missbrauch und Schwarzarbeit werden verringert. ({12}) Die Neuregelung der 630-Mark-Jobs hat nicht zu dem von vielen befürchteten verstärkten Abwandern in die Schwarzarbeit geführt; ({13}) vielmehr zeigen die Ergebnisse der Studie - Sie sollten sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen -, dass die so genannte Meldelücke kleiner geworden ist und sich fast nur noch auf die Privathaushalte konzentriert. ({14}) Das Fazit dieser Untersuchung lautet für die niedersächsische und die nordrhein-westfälische Landesregierung - ich zitiere -: „Eine Korrektur des Gesetzes erscheint vor dem Hintergrund der dargestellten Ergebnisse nicht erforderlich.“ ({15}) So viel zum Thema „Dichtung und Wahrheit im CDU/ CSU-Antrag, erster Teil“. Zum Thema „Dichtung und Wahrheit, zweiter Teil“ ist erst einmal festzustellen, dass unsere Neuregelung vom 24. März 1999 an den Bestimmungen zur 50-Tage-Regelung gar nichts geändert hat. ({16})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg?

Leyla Onur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002747, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sind in der Zeit schon so weit fortgeschritten und wir haben das Thema so oft durchgekaut, dass wir die Redezeit nicht unnötig verschwenden sollten. ({0}) Hören Sie lieber zu, dann begreifen vielleicht auch Sie es endlich einmal! ({1}) Die 50-Tage-Regelung steht - ich wiederhole es auch für Sie - im Sozialgesetzbuch und nicht im 630-Mark-Gesetz. Durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts im Jahre 1995 wurden der kurzfristigen Beschäftigung sehr enge Grenzen gesetzt: Sobald der Ansatz von regelmäßiger Beschäftigung vorlag, entstand Sozialversicherungspflicht. Das ist in der Tat so. Um jedoch dem besonderen Bedarf in der Gastronomie und bei der Zustellung von Wochenblättern entgegenzukommen, ist die alte Regelung im Sozialgesetzbuch neu interpretiert worden, und zwar so, dass sich die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger darauf geeinigt haben, die 50-Tage-Regelung im Einvernehmen mit dem Bundesarbeitsministerium flexibler zu handhaben. Somit haben wir bereits drei Monate, bevor Ihr Antrag überhaupt auf den Markt gekommen ist, gehandelt und Fakten geschaffen. ({2}) Was hat sich bei der Interpretation dieser alten Regelung im Sozialgesetzbuch geändert? Bisher galt: Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn die Beschäftigung innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder 50 Tage begrenzt ist. Für diese kurzfristige Beschäftigung bestand Sozialversicherungsfreiheit unabhängig von der Einkommenshöhe. Wichtig war, dass die Tätigkeit nur gelegentlich, also nicht regelmäßig, und nicht berufsmäßig ausgeübt wurde. Seit Januar 2000 gilt, dass eine kurzfristige Beschäftigung auch dann vorliegt, wenn ein Arbeitsvertrag mit einer Laufzeit von höchstens einem Jahr abgeschlossen wird. Bedingung ist, dass für diesen Einjahreszeitraum nicht mehr als 50 Arbeitstage vereinbart werden. Soll im Anschluss ein neuer Arbeitsvertrag geschaffen werden, so muss ein Abstand von zwei Monaten eingehalten werden. Der Kernpunkt ist also: Die Arbeitstage können über das ganze Jahr verteilt werden, auch regelmäßig. Wenn wir uns das anhand eines Beispiels in der Praxis ansehen, erkennen wir die Auswirkungen: Eine Büroangestellte möchte sich am Wochenende etwas dazuverdienen. Sie bekommt eine Tätigkeit in einem Hotel angeboten, wo sie einmal wöchentlich am Samstag oder Sonntag arbeiten kann. Der Vertrag ist natürlich auf ein Jahr begrenzt; sie arbeitet also maximal 50 Arbeitstage. So bleibt dieser Nebenjob versicherungsfrei. Das ist im Sinne der Aushilfe und ganz sicherlich auch im Sinne des Hotelbesitzers. Einzige Bedingung: Will die Aushilfe länger als ein Jahr, also über den vertraglich festgesetzten Zeitraum hinaus arbeiten, muss sie allerdings eine zweimonatige Pause einlegen. ({3}) Diese neue Interpretation der alten 50-Tage-Regelung ist praxisnah und kommt sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ({4}) als auch zum Beispiel den Verteileragenturen oder den Unternehmen im Hotel- und Gaststättengewerbe entgegen. Was Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSUFraktion, darüber hinaus fordern, ist schlicht absurd. Sie wollen, dass Personen zum Beispiel einmal wöchentlich kurzfristig länger als ein Jahr für denselben Arbeitgeber tätig sein können, ohne dass Beiträge zur Sozialversicherung fällig werden. Man muss sich allein diese Formulierung einmal auf der Zunge zergehen lassen: „kurzfristig länger als ein Jahr“. Ich frage Sie, ob Sie wirklich jedes Gefühl für Zeit und Raum verloren haben. ({5}) Eigentlich müsste auch Ihnen klar sein: Alles, was über ein Jahr hinausgeht, ist beim besten Willen keine kurzfristige Beschäftigung mehr, sondern eine auf Dauer angelegte Beschäftigung bzw. Nebentätigkeit. ({6}) Meine Damen und Herren, ich halte noch einmal fest - für die Antragsteller von CDU/CSU sozusagen zum Mitschreiben -: ({7}) Erstens. Die Neuregelung der 630-Mark-Jobs hat sich eingespielt und ist ein voller Erfolg. ({8}) Zweitens. Auch die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sehen auf Grund der Ergebnisse der bereits erwähnten Studie keinen Änderungsbedarf. ({9}) Drittens. Die Regelungen zur kurzfristigen Beschäftigung wurden neu interpretiert und sind jetzt flexibel und praxisnah anwendbar. ({10}) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und auch von der F.D.P., ich erwarte von Ihnen nicht, dass Sie unser Erfolgsgesetz loben. ({11}) Aber lassen Sie doch endlich das gebetsmühlenartige Mäkeln an sinnvollen Neuerungen. ({12}) Mein guter Rat, ebenso persönlich wie herzlich gemeint, lautet: Ziehen Sie diesen peinlichen Antrag zurück und überlegen Sie sich etwas Besseres! ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich dem Kollegen Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Offenkundig haben Sie, Frau Kollegin Onur, niemals Zeitungen ausgetragen. ({0}) Sonst hätten Sie nämlich nicht so geredet, wie Sie es getan haben. ({1}) Ich habe das schon einmal gemacht. ({2}) Auch das ist eine Tätigkeit, die kurzfristig sein kann, wenn man sie über einen längeren Zeitraum als ein Jahr ausübt. Dieses Gesetz zur Neuregelung der 630-MarkBeschäftigungsverhältnisse ist ein absoluter Flop und dieser Flop kann von Ihnen auch in noch so vielen Debatten hier nicht schöngeredet werden. ({3}) Von den 5,5 Millionen geringfügig Beschäftigten, von denen Sie zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens ausgegangen sind, sind gerade einmal sage und schreibe rund 100 000 zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten geworden. ({4}) Allerdings hat diese Neuregelung natürlich auch einen für Sie positiven Effekt gehabt: eine Veränderung der Arbeitslosenstatistik. Im letzten April ist die Zahl der Arbeitslosen aufgrund Ihrer Neuregelung um 0,4 Prozent gesunken, weil die 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig geworden sind. 4 Milliarden DM Mehreinnahmen bei den sozialen Sicherungssystemen aufgrund dieser Neuregelung veranlassen Sie zum Jubeln, statt dass Sie strukturelle Veränderungen bei den sozialen Sicherungssystemen vornehmen, die zukunfts- und tragfähig sind. ({5}) Von den verbliebenen 3,5 Millionen Beschäftigungsverhältnissen auf 630-Mark-Basis haben sage und schreibe nur 2,5 Prozent die Option auf das Rentenmodell genutzt, weil es auch gar keinen Sinn macht. Man muss nämlich 150 Jahre lang auf 630-Mark-Basis arbeiten, um eine Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus zu bekommen. ({6}) Ich frage mich übrigens angesichts einer Ausgangszahl von 5,5 Millionen geringfügig Beschäftigten und den verbliebenen 3,5 Millionen, was denn aus den anderen 2 Millionen geworden ist, die Ihrer Meinung nach offensichtlich nicht in der Schattenwirtschaft arbeiten. Sie müssten einmal mit den Verbänden reden. Sie hätten heute Morgen zum parlamentarischen Gespräch mit dem Hotel- und Gaststättenverband gehen sollen. Sie hätten dann gehört, was aus den Menschen in diesen Beschäftigungsverhältnissen geworden ist. Sie arbeiten jetzt in aller Regel schwarz. ({7}) Sie hätten in den letzten Tagen, wenn Sie statt murkshafte Politik zu veranstalten in den Biergarten gegangen wären, ausreichend Gelegenheit gehabt, festzustellen, was für konkrete Auswirkungen Ihr Gesetz hat. Es gibt kaum noch Bedienungen, es lohnt sich nicht mehr, einer 630-Mark-Beschäftigung mit Steuerklasse V nachzugehen, da man 109,66 DM Lohnsteuer zahlen muss. Man findet keine Kräfte mehr, die diese Tätigkeit ausüben. ({8}) Auch die 50-Tage-Regelung ist nicht sonderlich hilfreich. Was ist nämlich mit einem Arbeitgeber, wenn der Beschäftigte versehentlich vergisst, mitzuteilen, dass er nebenher noch eine andere Beschäftigung auf Basis dieser 50-Tage-Regelung hat? Plötzlich gibt es ein riesengroßes Problem; das wird auf die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber abgewälzt. Statt etwas flexibler zu sein und sich Gedanken darüber zu machen, ob man vielleicht die Saisonbeschäftigung verlängert, und im Rahmen der EXPO statt für drei Monate für sechs Monate Saisonkräfte zuzulassen, sind Sie absolut starr und steif in Ihrem ideologischen Denken. Ihnen ist es lieber, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihre Aushilfskräfte zwischendrin noch einmal neu einarbeiten müssen und die gesamte Belegschaft gewechselt werden muss. So kann die Wirtschaft in diesem Land nicht dauerhaft wachsen. ({9}) Dessen ungeachtet, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, muss ich Ihnen wirklich in Ihr Stammbuch schreiben, dass Ihr Antrag halbseidener Murks ist. Er ist nicht ganz so schlimm wie das Gesetz, das die Regierung vorgelegt hat; aber dieses Gesetz ist derartig schlecht, dass man nicht hier und da Reparaturen vornehmen kann. Man kann es nur verschrotten. Deswegen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sie sind nämlich nicht konsequent. Durch Ihren Antrag beweisen Sie wieder - in der 13. Legislaturperiode haben Sie das ja auch schon versucht -, dass auch Sie im Grunde genommen für eine solche Regelung wie die der Regierungskoalition sind. Einzig die F.D.P. als Partei der sozialen Verantwortung ({10}) hat dafür gesorgt, dass auch die Menschen in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen ihren Lebensunterhalt wenigstens teilweise mit Lohn aus eigener Arbeit bestreiten können. ({11}) Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ist nicht zielführend, Ihre Politik ist nicht zielführend. Ziehen Sie die blau-gelbe Karte, dann können wir eine Politik machen, die dieses Land voranbringt. Vielen Dank. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort die Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verabschiedung des 630-Mark-Gesetzes - darüber brauchen wir hier nicht zu streiten - war sicherlich keine populäre Entscheidung gewesen. Wir sind aber nicht hier, um Spaß zu haben oder populistische Entscheidungen zu treffen, sondern wir sind hier, um Entscheidungen zu treffen, die den Menschen weiterhelfen und - das unterstreiche ich die für mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Lande sorgen. ({0}) Wenn wir die soziale Gerechtigkeit als Maßstab anlegen, dann müssen wir feststellen, dass die neue 630Mark-Regelung eine Erfolgsgeschichte ist. Als etwas anderes kann man sie gar nicht bezeichnen. ({1}) Im ersten Quartal 1999 hatten wir 6,5 Millionen geringfügig Beschäftigte. Damit war der Höhepunkt der Entwicklung im Bereich der 630-DM-Jobs erreicht. Heute haben wir wieder das Niveau von 1997 erreicht, nämlich 5,8 Millionen. Aus den Personengruppen, die darauf angewiesen sind, arbeiten kaum weniger als in der Zeit vor der Neuregelung geringfügig. Diese Zahlen, die sich jetzt verstetigen und die wir wohl dauerhaft haben werden, bewegen sich jetzt übrigens auf einem Niveau, von dem Sie früher, als Sie noch an der Regierung waren, immer behauptet haben, dass es alarmierend hoch sei. Sie sollten das nicht vergessen, nur weil Sie jetzt nicht mehr regieren. Auch einer Opposition steht eine Mindestportion an Seriosität gut zu Gesicht. ({2}) Wir haben mit der Neuregelung erreicht, dass die geringfügige Beschäftigung nicht weiter ansteigt, dass reguläre Beschäftigungsverhältnisse in diesem Land geschaffen wurden und dass reguläre Jobs nicht mehr in mehrere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse aufgesplittet werden. Den Raubbau an den Sozialkassen - die Kosten wurden auf die regulär Beschäftigten, auf die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, verteilt - haben wir mit diesem Gesetz gestoppt. ({3}) Wir haben heute Mehreinnahmen von rund 2,85 Milliarden DM pro Jahr in den Sozialkassen. ({4}) Das konnten wir allein mit der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse erreichen. Zugleich haben wir erreicht, dass die Branchen, die auf geringfügig Beschäftige angewiesen sind, ihre notwendige Flexibilität erhalten konnten, was jetzt von Ihnen so vehement gefordert wird. ({5}) Zur bürokratischen Abwicklung, die Sie so sehr kritisieren: Ausgerechnet die Studie, die Sie zitiert haben, besagt, dass es zwar zu Beginn, also in der Übergangsphase, Probleme gab, die jetzt aber gelöst sind. Die Verhältnisse haben sich normalisiert und verstetigt. ({6}) Die meisten Probleme, die Sie hier angesprochen haben, gehören längst der Vergangenheit an und spielen heute in der Debatte überhaupt keine Rolle mehr. ({7}) Wir haben 110 000 reguläre Arbeitsplätze geschaffen. ({8}) Das wollen Sie uns vorwerfen? Ich verstehe das nicht. Diese Erfolgsbilanz wird in der Fachwelt von niemandem in Zweifel gezogen. Dass man es prinzipiell besser machen könnte - einfacher, unbürokratischer und übersichtlicher -, das kann man immer sagen. Wir sind für Vorschläge offen. Aber Ihre Vorschläge sind weit davon entfernt. Ihre Forderungen berühren überhaupt nicht die 630Mark-Regelung, sondern sie beziehen sich auf einen ganz anderen Bereich. Hinsichtlich der kurzfristigen Beschäftigung hat das Frau Onur schon ausgeführt. Auch über die Handhabbarkeit dieser Regelung haben wir uns schon unterhalten. Es gibt eine Vereinbarung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom November 1999, die eine Erleichterung gebracht hat. Die von Ihnen genannten Probleme - Sie haben die Personengruppen Wochenblattzusteller und Tutoren an den Universitäten angesprochen - haben wir überhaupt nicht mehr. Jetzt stellt sich die Frage: Warum gibt es diesen Unionsantrag überhaupt? Wenn er nicht überflüssig ist - ich glaube, dass er es ist -, ({9}) kann er eigentlich nur einen Zweck haben: Sie versuchen durch die Hintertür ein Einfallstor für die Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung zu schaffen. Das aber wäre weder im Sinn der Beschäftigten noch im Sinn der Sozialversicherungen. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten, diesen Antrag zu bewerten: Entweder ist er einfach nur stümperhaft oder Sie wollen unbedingt, dass wir einen Rückschritt zu den alten Missständen machen. Deshalb ist Ihr Antrag für uns, sowohl für die Grünen als auch für die Koalition insgesamt, inakzeptabel und unsinnig. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 630-Mark-Jobs - die 25. Auflage und immer noch die alten Hüte von Ihrer Seite. ({0}) Herr Niebel, Brötchen und Zeitungen kommen immer noch pünktlich zum Morgenkaffee. Auch auf ein ordentlich gezapftes Bier muss niemand verzichten. An Taxifahrerinnen und Taxifahrern besteht überhaupt kein Mangel. Es scheint also ein Stück Normalität trotz monatelanger Panikmache, mit der Sie uns vonseiten der CDU/CSU und F.D.P. belästigt haben, eingekehrt zu sein. ({1}) - Die Panikmache fand ich schon belästigend. Es gab also keinen Verlust dieser lieb gewordenen Dienstleistungen, nachdem die Neuregelung der 630Mark-Jobs beschlossen wurde, die uns übrigens - das will ich hier sagen - nie weit genug gegangen ist. Inzwischen zeigen sich aber - das erkennen wir natürlich an - durchaus positive Ergebnisse. Anders, als Sie es behaupten, wird von der ISG-Studie, die Sie hier zitiert haben, bestätigt: Die Ausweitung der Minijobs konnte gestoppt werden. In vielen Bereichen sind stattdessen sogar normale sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden. Das ist doch ein Ergebnis, das wir wirklich nur begrüßen können. ({2}) Auch von Massenkündigungen von 630-Mark-Jobs kann nicht die Rede sein, höchstens bei den Nebentätigkeiten, und - das erscheint mir ganz wichtig - die Erwartungen hinsichtlich der zusätzlichen Beitragseinnahmen für die Sozialversicherung sind - das ist hier schon gesagt worden - in der Tat übertroffen worden. Im „Handelsblatt“ konnte man am 27. März nachlesen, dass die Sozialkassen Mehreinnahmen von 4,7 Milliarden DM erwarten. Das ist natürlich ein kräftiger Brocken, um die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren. Es zeigt aber auch, wie die Unternehmer seit Jahren durch versicherungsfreie Beschäftigung zur Ausplünderung der Sozialkassen beigetragen haben. ({3}) Jetzt sind Gott sei Dank diese Möglichkeiten weitgehend verschlossen, mit einer Ausnahme, und hier wollen Sie den Hebel wieder ansetzen: die kurzfristige Beschäftigung. Sie soll bekanntermaßen versicherungsfrei bleiben, wenn die Tätigkeit nicht länger als ein Jahr dauert. Ich sage Ihnen: Seit der Neuregelung der 630-Mark-Jobs versuchen Arbeitgeber, insbesondere im Handel und in Gaststätten, aber auch in den Zeitungsverlagen, genau diese Regelung zu nutzen, um die Sozialversicherungspflicht nun doch noch zu unterlaufen. Und nun will die CDU ihnen dabei auch noch helfen. Herzlichen Glückwunsch! ({4}) - Das finde ich ein niedliches Kompliment. Ihr Antrag, auch 50-Tage-Jobs, die regelmäßig länger als ein Jahr dauern, versicherungsfrei zu machen, öffnet solchen Bestrebungen Tür und Tor und das genau wollen wir nicht. ({5}) Ich will ein Beispiel nennen: Im Zustellbereich arbeiten nach Angaben der IG Medien bis zu 200 000 Aushilfen nur 50 Tage im Jahr, aber dies schon seit Jahrzehnten. Ihr Vorstoß bedeutet für diese Menschen, nun auch den letzten Rest an minimaler sozialer Sicherung zu verlieren. Das ist doch einfach unsozial. Diese Entwicklung wollen wir nicht. Sie würde die positiven Ansätze, die wir bei den sozialversicherungspflichtigen Minijobs durchaus sehen, stoppen und die ohnehin mehr als dürftigen Schutzrechte geringfügiger Beschäftigung erneut aushebeln. Das ist für uns einfach nicht zu akzeptieren. Deshalb treten wir dafür ein, dass diese Korrektur auf jeden Fall nicht durchkommt. Vielen Dank. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell ist Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/2990 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung der Rentenauszahlung im Vormonat ({0}) - Drucksache 14/3159 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) - Drucksache 14/3330 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Lotz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Erika Lotz, SPD-Fraktion.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir verabschieden heute ein Gesetz, mit dem wir sicherstellen, dass die Renten bereits im Vormonat ausgezahlt werden. „Laufende Geldleistungen werden zum letzten Bankarbeitstag des Monats ausgezahlt, der dem Monat vorausgeht, in dem sie fällig werden.“ So lautet in Zukunft der Gesetzestext. Bisher mussten sie am Ersten des Fälligkeitsmonats auf dem Konto sein. ({0}) Anfang Februar ist deutlich geworden, dass etwas geändert werden muss. Heute, Mitte Mai, setzen wir die Gesetzesänderung in Kraft. Nur vier Wochen hat es von der ersten bis zur letzten Lesung gedauert. Dafür, dass das so schnell gegangen ist, möchte ich dem Bundesarbeitsministerium und der Bundesregierung insgesamt ausdrücklich danken. ({1}) Die schnelle Reaktion war nötig. Viele Rentnerinnen und Rentner waren im Februar überrascht, weil ihre Rente am Monatsende nicht auf dem Konto war, und haben sich natürlich über die spätere Auszahlung beschwert, obwohl dieses Vorgehen damals dem gültigen Gesetz entsprach und es aus der Sicht der Rentenversicherungsträger auch gute Gründe dafür gab. Aber ebenso gute Gründe haben jetzt zu der Gesetzesänderung geführt. Wir wollen, dass alle Rentnerinnen und Rentner gleich behandelt werden. Wir wollen aber außerdem, dass sich alle Rentnerinnen und Rentner darauf verlassen können, dass sie ihr Geld in Zukunft genauso früh bekommen wie bisher. ({2}) Wir haben also gesetzlich geregelt, dass die Zahlungsfrist entsprechend vorverlegt wird, weil das Geld auf den vielen Rentnerkonten auch bisher am Ende des Vormonats eingegangen ist. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Renten werden nach wie vor im Voraus bezahlt, sind also am Monatsende auf dem Konto. Ich will jetzt nicht die Abläufe der Bankgeschäfte erklären. Wir haben das bei der ersten Lesung hier im Parlament gemacht. Ich möchte nur ganz kurz zusammenfassen, worum es eigentlich geht. Renten nach dem Sozialgesetzbuch VI und VII - das sind die Altersrenten und die Unfallrenten - werden in Zukunft spätestens bis zum letzten Bankgeschäftstag des Vormonats ausgezahlt, weil das in den letzten Jahren in der Praxis in vielen Fällen schon so gehandhabt worden ist und die Rentner deshalb Miete, Strom und Gas entsprechend früh vom Konto abbuchen lassen. Die Rentenversicherungsträger haben sich von der Praxis, zum spätestmöglichen Zeitpunkt auszuzahlen, Einsparungen von rund 16 Millionen DM erhofft. Das hört sich nach viel Geld an, macht aber letzten Endes nicht einmal 0,04 Promille ihrer Jahresausgaben aus. Wir sind der Ansicht, dass dieses Geld im Vertrauen der Rentner in die Rentenversicherung gut angelegt ist. Deshalb erhalten wir den Zustand, den sie gewohnt sind, und machen ihn zum Gesetz. ({3}) Darin, dass wir das Vertrauen der Rentnerinnen und Rentner erhalten müssen, sind wir uns hier im Hause alle einig. Genauso hoffe ich, dass wir uns jetzt, nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen, auch über die Rentenreform weiter einig werden. Die Voraussetzungen dafür, dass wir uns in den nächsten Monaten darauf beschränken können, sachlich zusammenzuarbeiten, sind schließlich so gut wie lange nicht mehr, denn bis zur nächsten Wahl dauert es noch so lange, dass sich der Wahlkampf jetzt nicht lohnt. ({4}) Wegen des Vertrauens der Menschen in das Alterssicherungssystem wollen wir als Koalition - wir haben einige Punkte schon hier im Hause diskutiert - dort auch die bedarfsabhängige soziale Mindestsicherung einführen. Das hat viel mit den derzeitigen Rentnerinnen und Rentnern zu tun. Die Verschiebung der Rentenbuchungen hat mir wieder einmal deutlich gemacht, dass es in unserem Land noch immer Menschen gibt, die sich auch im Alter Sorgen machen müssen. 1998 bezogen rund 180 000 Menschen in Deutschland im Alter von über 65 Jahren Hilfe zum Lebensunterhalt, und das neben ihrer Rente. Das sind nicht Menschen, die in Einrichtungen leben; dort ist die Zahl der Sozialhilfebezieher höher. Von diesen rund 180 000 Menschen beziehen 50 000 bereits länger als fünf Jahre Hilfe zum Lebensunterhalt. 70 Prozent dieser Personen sind, wie Sie sicherlich ahnen, Frauen. Wir alle wissen, dass es aber auch Rentnerinnen gibt, die ihren Rechtsanspruch auf Sozialhilfe nicht erheben, weil sie sich schämen, weil sie einen, wie ich denke, falschen Stolz haben oder weil sie ihr Verhältnis zu ihren Kindern nicht gefährden oder belasten wollen, da sie fürchten, dass ihre Kinder bei Bezug von Sozialhilfe im Rückgriff herangezogen werden. Man kann nicht zu dem Schluss kommen, sie seien doch selbst schuld, wenn sie darauf verzichten. Ich denke, dass sich dieser Gedanke verbietet. Ich habe sogar ein gewisses Verständnis. Da ist eine Mutter - oder ein Elternpaar -, die den Kindern etwas vererben kann, ein Haus, Grundbesitz oder anderes, während die andere Mutter, weil sie immer wenig verdient hat, weil sie zum Beispiel Teilzeit gearbeitet oder Erziehungspausen gemacht hat, bis zum Lebensende auf Sozialhilfe bzw. die Kinder angewiesen ist. Das wollen wir so verändern, dass diese Rentnerinnen und Rentner - natürlich nach einer Bedürftigkeitsprüfung - einen Zuschlag zu ihrer Rente erhalten, ohne dass es einen Rückgriff auf ihre Kinder gibt. ({5}) Das Problem der Altersarmut wird, so befürchte ich, nicht verschwinden. In den nächsten Jahren werden Erwerbstätige oder Arbeitslose in Rente gehen, die in ihrem Erwerbsleben erhebliche Lücken haben. Auch für Ostdeutschland wird dies kein kleines Problem sein, wenn bedacht wird, dass dort viele Tarifeinkommen niedriger sind als die in Westdeutschland. Wir alle wissen, dass in ganz vielen Fällen noch nicht einmal Tariflöhne gezahlt werden. Von daher wird für die Alterssicherung dieser Menschen ein Problem entstehen. Dem wollen wir schon jetzt beizeiten vorbeugen. ({6}) Wir denken aber auch an die Menschen, die von Geburt an erwerbsunfähig sind oder sehr früh in ihrem Leben erwerbsunfähig geworden sind. Sie sollen ebenso in die aus Steuermitteln zu finanzierende bedarfsabhängige Mindestsicherung einbezogen werden. Sie haben oft noch keinen Rechtsanspruch auf Rente und ihre Eltern werden durch den im Rahmen der Sozialhilfe festgelegten Rückgriff belastet. Natürlich soll im Rahmen der sozialen Mindestsicherung und vor der Gewährung eines Rentenzuschlages das Vermögen des jeweils Betroffenen - bis auf bestimmte Beträge - aufgezehrt sein. Es muss gesichert sein - wir wollen das jedenfalls -, dass Kinder, die schon mit ihren Steuerzahlungen die Sozialhilfe finanzieren, nicht noch einmal den Sozialhilfebedarf der Eltern finanzieren. Die Rentenversicherung verfügt über eine Reihe weiterer Instrumente, Lücken zu überbrücken und bestehende Probleme zu lösen. Lassen Sie uns das Vorhaben der Rentenreform zügig angehen. So schnell wie bei dem Gesetz zur Sicherstellung der Rentenauszahlung im Vormonat wird es natürlich nicht gehen. Im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung haben alle Fraktionen dem heute vorliegenden Gesetzentwurf zugestimmt. Diese Zusammenarbeit könnte ja Richtschnur auch für die nächsten Monate sein. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Heinz Schemken, CDU/CSU-Fraktion.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich richtig, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für die Rentner Sicherheit geschaffen wird. Es geht um den im täglichen Geschäftsleben wichtigen letzten Bankgeschäftstag vor dem Monatsersten. Ich bedauere ausdrücklich - das sage ich auch vor dem Hintergrund dessen, was Sie, Frau Lotz, zuletzt zur verschämten Armut, wie ich das beschrieben wissen möchte, gesagt haben -, dass es dazu kommt, dass die Versicherungsanstalten ihre Versicherten nicht als Kunden sehen und sie nicht kundenfreundlich bedienen. Es ist bedauerlich, dass wir dieses Vertrauen mit einem Gesetz wieder herstellen müssen. ({0}) Wir tun dies. Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen. Man wollte über diese Zahlungsstreckung - ich nenne sie einmal so; im Geschäftsleben ist das so üblich - einige 100 Millionen DM einsparen und den Rentnern vorenthalten. Der Rentner hat jetzt wieder die Sicherheit, seine Rente pünktlich zum Monatsende, also vor einem Feiertag oder einem Wochenende am Monatsende zu erhalten. Denn es ist ja üblich, dass Kassen am Ende eines Monats auf Ist und Soll gestellt werden. Man weiß ja, dass Geld, das man am Ende einer Woche einzahlt, erst montags gutgeschrieben wird, während Geld, das man in Anspruch nimmt, bzw. Überweisungen schon freitags vom Konto abgezogen werden. Das ist eine alte Übung. Das führt bei einem Rentner, der seine Geldgeschäfte aufgrund der Sicherheit der bargeldlosen Verkehrswege in Form von Daueraufträgen erledigt, zu Problemen und letztlich auch zu entsprechenden Zinsbelastungen. Diesen Aspekt berücksichtigen wir; wir stimmen der neuen Regelung also zu. Damit wird die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, was die Wertstellung der Sollund Istbeträge auf den Konten angeht, gesetzlich verankert. Ich darf feststellen - nehmen Sie uns das bitte nicht übel -, dass wir jetzt endlich ein Licht im Tunnel sehen. Nach anderthalb Jahren haben wir nun den ersten substanziellen Gesetzentwurf zur Sozialgesetzgebung vorliegen. Das ist eine tolle Leistung. ({1}) Ich sage es Ihnen ausdrücklich: Bisher war da nicht sehr viel zu holen. Das aber ist eine Headline, die hoffen lässt. Vielleicht kommen wir uns auf dem gemeinsamen Weg denn wir stimmen diesem Gesetz zu - ein Stück näher. Jetzt haben wir den Termin und die Zahlungsweise geregelt. Wie aber ist es mit der Rente? Ist das schon geregelt? ({2}) Einen genauen Zeitplan gibt es nicht; zumindest wird er immer wieder in Frage gestellt. Der Rentner weiß nicht, ob der Generationenvertrag trägt. Frau Lotz, was Sie eben dazu gesagt haben, ist ganz wichtig. Sie haben einen bestimmten Personenkreis angesprochen und gefragt, wie es mit dem Generationenvertrag weitergehen soll. Diese Frage muss in diesem Zusammenhang erlaubt sein. Für den Rentner ist nämlich nicht nur der Weg wichtig, also das Konto und die Beschreibung des Geldverkehrs, sondern auch, wie viel auf dem Konto ist. Ich will einmal die bisherigen Stationen nennen. Station 1: Im Dezember 1998 gab es das Renten-Korrekturgesetz, die Aussetzung der blümschen Rentenreform. Station 2: Dann kam die Ökosteuer mit einer Belastung der Rentner; denn von der Beitragsentlastung hat der Rentner nichts. Station 3: Es wurde angekündigt, die nettolohnbezogene Rente werde bleiben - ein hehrer Spruch -; allerdings folgten die Ernüchterung und der schmerzhafte Einschnitt auf dem Fuß; denn die Rentenerhöhung lediglich um die Inflationsrate war fällig. Station 4: Bei der Inflationsrate geht es nicht um die Preissteigerungsrate in dem Jahr, in dem der Rentner von seiner Rente leben muss, im Jahr 2000, sondern um die des Jahres 1999. Da betrug die Inflationsrate 0,6 Prozent. Mittlerweile liegt sie aber bei 1,6 Prozent. Dem Rentner wird also nichts geschenkt, ihm wird eher etwas genommen. Station 5 - jetzt kommt der große Hammer und da müssen wir aufpassen -: Wenn wir gemeinsam eine Rentenreform machen, dann dürfen wir nicht den Finanzminister dazunehmen; da haben wir unsere Erfahrungen. Der große Zampano hat ja schon gesagt, dass er die Rentenreform sozusagen mit dem Bundesverfassungsgericht auf den Nimmerleinstag vertagen und ihm anheim stellen will, wie das mit der Rente und zukünftig mit dem Generationenvertrag aussieht. Ich warne vor solchen Entwicklungen. ({3}) Hier sollte das Parlament Herr des Geschehens bleiben und endlich einmal zu Potte kommen. ({4}) Wir werden uns dieser Gesetzgebung nicht verschließen. Wir werden uns auch den zukünftigen Beratungen nicht verschließen. Frau Lotz, abschließend möchte ich sagen, dass wir uns dem Personenkreis werden zuwenden müssen, den Sie hier genannt haben, ob es um die Witwe oder um die kleine Rente oder um die verschämte Armut geht. Das ist ein grundsätzliches Anliegen. Wir müssen sicherlich auch für diejenigen, die aus Gründen einer Behinderung frühzeitig in Rente gehen müssen, eine Regelung finden. ({5}) Wir werden aber bei der Leistungsbezogenheit bleiben müssen. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schemken, wir wissen mit Hilfe des neuen Gesetzes zwar, wann die Leute ihre Rente bekommen, aber haben Sie als Sozialexperte auch Kenntnis davon, wie viel Rente die Leute nach den Plänen der Bundesregierung bekommen werden und wonach sich das berechnet?

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Es liegt mir hierzu, wenn ich das als bescheidener Sozialexperte offenbaren darf, bisher nichts Konkretes vor. ({0}) - Frau Schmidt, mir liegt nichts Konkretes vor. Ich weiß, dass Sie in der Fraktion auch ab und zu über soziale Anliegen sprechen. Soweit mir bekannt ist, haben aber auch Sie nicht den entscheidenden Durchbruch geschafft. Ich will Ihnen das sagen, wenn Sie schon dazwischenrufen. ({1}) Herr Laumann, ich hoffe auf Ihre Mithilfe. Ich weiß sehr wohl, dass Sie dabei sind. Ich hoffe, dass wir miteinander den Generationenvertrag so sichern werden, dass die Rentner wissen, was auf sie zukommt, dass die Kinder wissen, was sie in Zukunft für die vorangegangenen Generationen zu tragen haben, dass der Beitragszahler weiß, was er zu zahlen hat, dass darüber hinaus das bewährte System, das von der sozialen Marktwirtschaft und einer sozialen Rechtsstaatlichkeit geprägt ist - ob es das Bundessozialhilfegesetz oder die Rentengesetzgebung ist -, ein System, das uns in Deutschland von anderen Staaten in Europa abhebt, auch für die Zukunft beispielhaft sein möge, dass wir mit den Alten so umgehen, wie sich das in einer humanen Gesellschaft gehört, und dass wir damit zugleich das erreichen, was Ihnen am Herzen liegt. So habe ich Ihre Frage verstanden. Schönen Dank. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, ich habe sogar Ihre Redezeit gestoppt. Aber dieses freundliche Angebot haben Sie nicht angenommen. Vielen Dank. Jetzt kommt die Kollegin Katrin Göring-Eckhardt, Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Schemken, ich finde auch, dass das, was Sie vorgetragen haben, nämlich das Problem mit dem Rentenauszahlungstermin, ein eher kleineres Problem ist, das wir zu lösen haben. Ich glaube aber, manchen Leuten war es ziemlich ernst, als sie das Gefühl hatten, der Termin, zu dem sie ihre Rente bekommen, würde jetzt zur Disposition stehen. Herr Schemken, möglicherweise sollten Sie sich in Ihrer Fraktion auch einmal darüber unterhalten, wie wichtig es für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU ist, dass wir im Rahmen der Rentenkonsensgespräche auch mit dem Finanzminister sprechen. Ich kann nur sagen: Wir sind dafür, dass wir den Finanzminister einbeziehen, ({0}) weil wir über die Frage der privaten Vorsorge und über die Frage der nachgelagerten Besteuerung mit dem Finanzminister gemeinsam reden müssen. Der Meinung waren auch die Kolleginnen und Kollegen aus Ihren Reihen. Ich denke, wir sollten dabei bleiben. ({1}) Wir sollten auch bei unserem Zeitplan bleiben. Ich bin mir ganz sicher, dass wir zwar eine konstruktive, sachliche und gründliche Diskussion brauchen, dass wir aber in diesem Jahr den Rentnerinnen und Rentnern auf der einen Seite und den Jungen auf der anderen Seite ganz dezidiert sagen müssen, wo es mit ihren Beiträgen und ihrer Altersversorgung hingehen soll. Aus diesem Grunde glaube ich, dass wir bei dem Zeitplan bleiben sollten. Das haben wir uns auch gemeinsam vorgenommen. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg, das auch zu schaffen. Mit dem, was wir heute hier ja glücklicherweise gemeinsam beschließen, werden wir einen Schritt in Richtung auf Verlässlichkeit tun. Es mag einem ja wie ein Symbol vorkommen: Es geht eigentlich nur um einen Termin; ich habe schon gesagt, dass es manchen damit natürlich sehr ernst war. Wenn wir das heute gemeinsam beschließen, könnte eintreten, was Erika Lotz vorhin schon gesagt hat, dass das nämlich auch ein Zeichen dafür ist, dass wir auch andere Dinge gemeinsam regeln können. Es geht darum, das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung zu stärken. Wir wollen verhindern, dass es eine Verunsicherung gibt, so wie das in Bezug auf den Termin Anfang Februar dieses Jahres geschah und wie das nicht zuletzt auch durch die Debatten, die hier in diesem Haus geführt worden sind, und durch die Verunsicherungskampagnen - ich glaube, man kann es nicht anders nennen - in der Vergangenheit geschehen ist. Ich glaube, dass Tricksereien mit Argumenten und in Bezug auf Auszahlungstermine keine ehrlichen Angebote sind. Wir brauchen eine ehrliche und mutige Reform, gerade im Sinne der Jüngeren, die stabile Beiträge erwarten und die natürlich auch erwarten, dass sie aus dem Rentensystem eine eigene Altersversorgung erhalten können. Zu einer mutigen Reform gehört auch, dass wir sie armutsfest gestalten. Erika Lotz hat hierzu einiges gesagt und ich persönlich glaube, dass wir keine wirkliche Reform schaffen werden - auch gemeinsam nicht -, wenn wir nicht sehr deutlich sagen, wie wir die Rente im unteren Bereich absichern wollen, wie wir mit denen umgehen wollen, die es nicht schaffen, sich durch Erwerbsarbeit eine eigene Alterssicherung aufzubauen, wie wir beispielsweise mit den vielen in Ostdeutschland umgehen wollen, die in den letzten Jahren wirklich nicht erwerbstätig sein konnten, die nichts haben, was sie einsetzen können, die kein Vermögen und kein Wohneigentum haben und die natürlich in einer großen Unsicherheit darüber sind, was aus ihnen denn im Alter werden wird. Mit einer Rentenreform, die nicht deutlich macht, dass wir eine Absicherung treffen und somit eine Armut für alte Menschen verhindern, werden wir kein Vertrauen gewinnen, sondern nur weitere Verunsicherung schaffen. Deshalb plädiere ich ganz im Sinne meiner Kollegin dafür, diese Armutsabsicherung definitiv zu schaffen. Wir müssen ein System für den Ausbau der privaten und übrigens auch der betrieblichen Altersvorsorge einführen, damit die Menschen auch im Alter ihren Lebensstandard sichern können. Das werden wir nicht allein durch die gesetzliche Rentenversicherung schaffen. Wir bekommen nur dadurch Verlässlichkeit, dass wir den Menschen sagen, wann sie wie viel Rente bekommen werden. Die Frage des Wann klären wir mit diesem Gesetz, die Frage des Wie viel werden wir hoffentlich gemeinsam und in aller Einmütigkeit in diesem Jahr klären können. Das ist, wie ich finde, ein guter Weg. Wir sollten auf diesem Weg weitermachen. Vielen Dank. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben gesagt, Frau Lotz, die Rentner sollten nicht verunsichert werden. Aber die Rentner sind längst verunsichert. ({0}) Das ist auch kein Wunder. Die Tatsache, dass die Rente erst einen Tag später als bisher üblich ausgezahlt werden sollte, war im Grunde genommen nur das letzte Steinchen, das in dem Gesamtmosaik der Verunsicherung fehlte. Die Verunsicherung begann damit, ({1}) dass der Demographiefaktor der alten Regierung aufgehoben wurde. Die Rentner ahnten sehr bald, dass das nur ein scheinbarer Vorteil war, da sie sehr genau wissen, dass zumindest etwas Ähnliches spätestens Anfang des nächsten Jahres wieder eingeführt werden muss. Auf die Abschaffung des Demographiefaktors folgte die Anpassung der Renten in Höhe der Inflationsrate. Schon das führte zu Aufregungen, weil die Anpassung somit niedriger war als die von den Rentnern erwartete Erhöhung. Hinzu kam die zusätzliche Enttäuschung, dass der Anpassungsbetrag noch um ein Prozent unter der aktuellen Inflationsrate liegt. ({2}) Dies kann man erklären, aber: Erklären Sie das einmal den Rentnern, die mit einer höheren Anpassung gerechnet haben. Hinzu kam schließlich noch die Ökosteuer. Wenn jemand sagt, dass bei diesem Bündel von negativen Entscheidungen die Rentner noch nicht verunsichert seien, hat er die Wirklichkeit in unserer Gesellschaft nicht begriffen. ({3}) Deswegen ist es gut gemeint - das war auch der Grund, dass ich für die F.D.P.-Fraktion angekündigt habe, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen -, per Gesetz festzulegen, die Renten am letzten Tag eines jeden Monats für den folgenden Monat auszuzahlen. Nun möchte ich aber gerne vom Arbeitsministerium wissen - ich vermute oder hoffe, dass der Parlamentarische Staatssekretär dazu noch reden wird -, ob es die Details der Durchführung dieses Gesetzes auch mit den Banken geklärt hat. ({4}) Der Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung und dem Arbeitsministerium liegt ebenso wie uns ein Brief des Zentralen Kreditausschusses des Bundesvorstandes der deutschen Banken vor. In diesem Brief wird zwar nicht gesagt, dass die beabsichtigte gesetzliche Regelung nicht möglich sei; es wird aber auf die Gefahr hingewiesen, dass die Gefahr besteht, dass die Rentenzahlungen den Empfängern zukünftig erst zu einem späteren Zeitpunkt als bisher üblich zur Verfügung stehen. In diesem Punkt hätte ich schon gerne Aufklärung vom Arbeitsministerium darüber, wie es sich zu diesem Thema stellt und ob es die Notwendigkeit sieht, wenigstens mit den Banken zu sprechen, um diese Frage zu klären und damit eine zusätzliche Verunsicherung der Rentner zu verhindern. ({5}) Da die Kolleginnen und Kollegen auch auf die laufende Rentendebatte abgehoben haben, die zweifellos sehr wichtig ist, möchte ich dazu abschließend zwei Bemerkungen machen. Frau Göring-Eckardt, das angestrebte Gespräch mit dem Finanzminister war nicht gerade die Idee der Koalition. Sie haben ebenso wie ich dabeigesessen und es war klar, dass F.D.P. und CDU/CSU darauf bestanden haben, mit dem Finanzminister zu reden, weil ohne eine ausreichende Förderung eine private Vorsorge von den Menschen nicht angenommen würde und deswegen dann in der Tat Versorgungslücken im Alter entstehen würden. ({6}) Der zweite Punkt: Die Armutsfestigkeit der zukünftigen Alterssicherung wird doch in erster Linie über eine private Vorsorge für alle hergestellt und nicht über die Ideen, die Sie in Form einer sozialen Grundsicherung ausgebreitet haben. ({7}) Bemerkenswert, Frau Lotz, finde ich - ich glaube, das ist eine Basis, auf der wir weiter diskutieren können -, dass Sie die Organisationsfrage für das Auffangen der Altersarmut, das heißt des gleichzeitigen Bezugs von Sozialhilfe, noch offen gelassen haben. Wir haben heute ausführlich darüber gesprochen und unterschiedliche Möglichkeiten im Rahmen der Sozialhilfe erörtert. Ich glaube, dass dies ein vernünftiger Weg ist, über den wir im Interesse der alten Menschen, im Interesse einer sich hoffentlich bald wieder aufbauenden Verlässlichkeit und im Interesse einer hoffentlich vorübergehenden Verunsicherung der Rentner gemeinsam und in Ruhe weiter diskutieren können. Danke schön. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die PDSFraktion hat die Kollegin Monika Balt.

Monika Balt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003030, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich ist es nun auch in diesem Hause angekommen: Pünktlichkeit bei der Rentenzahlung ist wohl das Mindeste, was die Rentnerinnen und Rentner erwarten dürfen. Schließlich haben sie ja auch ihr Leben lang pünktlich Rentenversicherungsbeiträge gezahlt. ({0}) Die PDS kann diesem vernünftigen Gesetzentwurf nur zustimmen, weil damit die bisher übliche Praxis bei der Rentenauszahlung gesetzlich geregelt wird. Es war ja wohl ein schlechter Scherz, dass Rentnerinnen und Rentner ihre Rente erst zu Beginn eines laufenden Monats erhielten, während gleichzeitig zum Ersten eines jeden Monats verbindliche Zahlungsverpflichtungen wie Mieten, Betriebskosten und andere Kosten bezahlt werden mussten. Das heißt, es gab jedes Mal ein Minus auf den Rentenkonten. Zinsgewinne auf Kosten älterer Menschen lehnen wir strikt ab. ({1}) Was sich hier im Februar dieses Jahres abgespielt hat, ist nicht nur Vertrauensschwund, sondern Vertrauensmissbrauch. Übrigens: An die Adresse der Verursacher und Verantwortlichen sage ich, so etwas ist schwer wieder gutzumachen. Meiner Meinung nach ist die Rente Ausdruck der erbrachten Lebensleistung. ({2}) Rentnerinnen und Rentner haben einen Anspruch auf ihre Renten und deren pünktliche Auszahlung. Die Rente ist doch kein staatlicher Gnadenakt und die Auszahlung kann doch nicht nach dem Motto „Kommt sie heute nicht, kommt sie eben morgen“ erfolgen. Ich glaube schon - da gebe ich meinen Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen Recht -, dass das vorliegende Gesetz das Vertrauen der Rentnerinnen und Rentner in den Eingang ihrer Rentenzahlungen zum letzten Bankgeschäftstag vor dem Monatsersten wieder herstellen wird. Es ist auch höchste Zeit. ({3}) Aber die nächsten Schwierigkeiten scheinen schon vorprogrammiert zu sein. In seiner Stellungnahme vom 8. Mai weist der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken auf rechtliche und technische Probleme bei der Umsetzung dieses Gesetzes hin. Ich kann ja nachvollziehen, dass trotz modernster elektronischer Technik die Banken für die Überweisungsvorgänge bis zum endbegünstigten Institut bestimmte Laufzeiten brauchen. Wir sind auch dafür, dass die Bestimmungen des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank, wonach Zahlungen erst nach Eingang des Gegenwertes, also erst bei Vorliegen der Deckung, weitergeleitet bzw. gutgeschrieben werden dürfen, eingehalten werden. Aber das alles kann und darf nicht zu der Konsequenz führen ich zitiere -, dass die Einführung derartiger gesetzlicher Regelungen möglicherweise den - in jedem Fall unerwünschten - Effekt haben könnte, dass die Rentenauszahlungen den Empfängern zukünftig erst zu einem späteren Zeitpunkt als bisher üblich zur Verfügung stehen. Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf - alle Fraktionen hier im Bundestag signalisieren Zustimmung wird die Auszahlung der Renten zum letzten Bankarbeitstag des Vormonats regeln. Wenn wir glaubwürdig sein wollen, müssen sich Rentnerinnen und Rentner von nun an darauf verlassen können. Deshalb fordere ich Sie, Herr Minister Riester - auch wenn Sie heute nicht da sind -, auf: Setzen Sie sich mit den Rentenversicherungsträgern, der Deutschen Post AG und den Banken an einen Tisch. Finden Sie Durchführungsbestimmungen und Regelungen, die den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen Rechnung tragen. Sie hätten eine große Chance, das Vertrauen von 17 Millionen Rentnerinnen und Rentnern wiederzugewinnen und ihnen eine große Sorge zu nehmen. Wenn Sie dann noch die Nettolohnanpassung wieder einführen, wäre das ein zweiter guter Schritt. Vielen Dank. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherstellung der Rentenauszahlung im Vormonat, Drucksache 14/3159. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/3330, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Abschaffung der Arznei- und Heilmittelbudgets - Drucksache 14/3299 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Dr. Dieter Thomae für die F.D.P.-Fraktion.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstens. Das Arzneiund Heilmittelbudget gefährdet die medizinische Versorgung der deutschen Bevölkerung. ({0}) Sie, meine Damen und Herren Patienten, merken heute, dass Sie auch medizinisch unbedingt notwendige Arzneimittel nicht mehr bekommen, dass der Arzt sie nicht verschreibt, weil er durch die Budgetierung dazu gezwungen ist. Dies kann nicht Sinn und Folge einer Gesundheitsreform sein. ({1}) Die Problematik sehen Sie insbesondere am Ende des Quartals und am Ende des Jahres. Dann wird der Arzt immer wieder das Gespräch mit Ihnen suchen und mitteilen, dass er nicht mehr in der Lage ist, die entsprechenden Arzneimittel zu verschreiben. Das Schlimme an der Budgetierung ist, dass dann, wenn das Budget ausgeschöpft ist, der sozial Schwache getroffen wird. Er muss dann die Kosten zu 100 Prozent tragen, ist dazu aber ökonomisch nicht in der Lage. Dies ist völlig unsozial. ({2}) Zweitens sage ich Ihnen: Es ist nicht nur die Budgetierung bei den Arzneimitteln, die uns große Sorge bereitet, sondern auch die Budgetierung bei Massage, Krankengymnastik, Logopädie und Ergotherapie. Auch diese Leistungen können nicht mehr erbracht werden. Dazu möchte ich ein Beispiel nennen: Schlaganfallpatienten werden heute sehr intensiv im Krankenhaus behandelt. Aber danach ist das Budget erschöpft, sodass die anschließend benötigte logopädische Behandlung nicht mehr durchgeführt werden kann. Eine solche Gesundheitspolitik können doch wohl auch SPD und Grüne nicht wollen. ({3}) - Doch, das sind die Fakten. Erkundigen Sie sich an der Basis. Drittens. Es ist völliger Wahnsinn, das Arznei- und Heilmittelbudget so zu organisieren, dass es zu einer Kollektivhaftung der Ärzte kommt. ({4}) Der Radiologe wird genauso in die Haftung genommen wie der Hausarzt. Meine Damen und Herren, Sie sollten nicht die Fehler machen, die in der Vergangenheit schon einmal gemacht worden sind. Eigentlich sollten Sie daraus lernen. Eine Kollektivhaftung ist in meinen Augen verfassungsrechtlich nicht haltbar. ({5}) Daher freue ich mich, dass es bald Prozesse geben wird, in denen geprüft wird, ob dies verfassungsrechtlich ist oder nicht. Ich sehe hier große Probleme. Viertens. Die Politik ist zu feige, genau zu sagen, welche medizinischen Leistungen im Rahmen des gesetzlichen Systems erbracht werden sollen. Sie machen den Arzt zum Mangelverwalter und delegieren die Verantwortung auf die Ärzte. Das ist untragbar. Wann haben Sie endlich den Mut, Ausgrenzungen über das Leistungspaket vorzunehmen? Sie versprechen alles und halten nichts! ({6}) Fünftens. All diese Maßnahmen führen zur Rationierung, also zum Qualitätsverlust der medizinischen Versorgung in Deutschland. Dafür gibt es in nennenswertem Umfang entsprechende Beispiele. Das ist doch völlig schizophren. Wie kann der niedergelassene Arzt, wenn sein Arzneimittelbudget erschöpft ist, aus dieser Falle heraus kommen? Sehr häufig wird der Patient dann ins Krankenhaus überwiesen, was erheblich teurer ist. ({7}) - Ich könnte Ihnen an einer Menge von Beispielen aus der Praxis aufzeigen, dass es so ist. Wir haben diese Regelung 1997 klugerweise abgeschafft - schauen Sie ins Gesetz hinein -, weil wir negative Erfahrungen damit gemacht haben. Meine Damen und Herren, diese negativen Erfahrungen sollten Sie veranlassen, einen anderen Weg zu gehen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, unseren Vorschlag von 1997/98 aufzugreifen und zu versuchen, die Problematik mit Richtgrößen besser in den Griff zu bekommen. ({8}) Dies ist gerechter, weil es keine Kollektivhaftung mehr gibt, sondern der Einzelne mit in die Verantwortung einbezogen wird. Aber dafür sind Sie anscheinend einfach noch nicht reif. Gehen Sie Ihren Weg weiter, das Arzneimittel- und Heilmittelbudget beizubehalten, dann werden Sie recht bald merken, dass die Patienten dies nicht mehr mitmachen. Ich werde ihnen überall erklären, dass das der falsche Weg ist. ({9}) Sie behaupten, wir hätten gern auf sektorale Budgets verzichtet, wenn das Globalbudget gekommen wäre; der Bundesrat hätte dies abgelehnt. ({10}) Auch das ist eine Lüge Ihrerseits, vor allen Dingen der Grünen. Sie haben bei Ihrem Konzept 2000 zwar ein Globalbudget gewollt, aber dennoch gleichzeitig in vielen Bereichen sektorale Budgets eingeführt, auch im Arzneimittel- und Heilmittelbereich. Ich kann Ihnen nur raten: Gehen Sie von dieser Konzeption ab! Es ist von großem Nachteil für die Patienten, weil gerade die chronisch Kranken nicht mehr die Arzneimittel bekommen, die sie dringend benötigen. Ich glaube, dies kann Rot-Grün auf Dauer nicht verantworten. Von daher empfehle ich Ihnen: Organisieren Sie den Arzneimittel- und Heilmittelbereich neu, so wie es der Patient in der Bundesrepublik Deutschland verdient hat! ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Kollege Klaus Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihr Antrag, verehrter Herr Kollege Dr. Thomae, ist ein reiner F.D.P.-Lobbyistenantrag. „Marketing mit dem Rezeptblock“ sollte Ihr Antrag ehrlicherweise lauten. ({0}) Sie zeichnen das Bild einer Unterversorgung. Das ist in Anbetracht von 42 Milliarden DM Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Arznei- und Heilmittel im vergangenen Jahr - hinzu kommen noch einmal 4,5 Milliarden DM an Selbstbeteiligung - geradezu lächerlich. ({1}) Sie unterstellen den Ärzten, die ihre Patienten erfolgreich versorgen, sie würden diesen absichtlich die benötigte Therapie vorenthalten. ({2}) Das ist nun nicht mehr zum Lachen. Was würde Ihr Antrag denn für die Patienten bedeuten? - Mit Ihrem Entschließungsantrag anlässlich der Verabschiedung der Gesundheitsreform 2000 - daran möchte ich erinnern - , mit der Forderung nach Kostenerstattung anstelle des Sachleistungssystems, mit der Forderung nach weiterer Selbstbeteiligung und Selbstbehalte lassen Sie doch die Katze aus dem Sack und machen deutlich, worum es Ihnen in Wirklichkeit geht. Der Patient zahlt bei Ihnen die Zeche; das haben Ihre Gesetze in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. ({3}) Das unterscheidet uns von Ihnen. Bei uns steht der Patient im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik. Er hat einen Rechtsanspruch auf die medizinisch notwendige, qualitätsgesicherte Vollversorgung. ({4}) Sie stellen in Ihrem Antrag die Behauptung auf, dass die Budgets die Versorgung der Patientinnen und Patienten gefährdeten und dass diese statt mit innovativen mit veralteten, aber gleichwohl teuren Arzneimitteln versorgt und damit unterversorgt würden. Das ist Ihre Behauptung. ({5}) Herr Kollege Dr. Thomae, Sie sollten sich hier seriöser Argumente bedienen. Ich will mich damit auseinander setzen. Sie wissen doch, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den geringsten Arzneimittelausgaben deshalb mit ihrem Budget zurechtkommen - das dürfen Sie doch nicht verschweigen -, weil diese eine rationelle Arzneimitteltherapie betreiben. ({6}) Die Analyse des Arzneiverordnungsverhaltens der letzten beiden Jahre zeigt, dass nicht die Verordnung innovativer Medikamente, sondern die Verordnung teurer Schrittinnovationen den überwiegenden Kostenanstieg verursachte. Hinzu kommen nicht indizierte Verordnungen von Medikamenten und das Nichtverwenden preisgünstiger Alternativen, beispielsweise der Generika. Das zeigt die Analyse. Ich will an dieser Stelle deutlich feststellen, dass die Hälfte der Kassenärztlichen Vereinigungen ihr Budget nicht ausgeschöpft hat; dass sollten Sie nicht vergessen. ({7}) Sie sollten sich das einmal genau anschauen und nicht so tun, als ob die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht mit ihrem Budget zurechtkommen. Gerade in den preisgünstigen Kassenärztlichen Vereinigungen fällt auf - ich setze mich mit dem, was Sie sagen, auseinander -, dass besonders intensiv wirkende und wichtige Medikamente wie Aids-Therapeutika, Antibiotika und Chemotherapeutika gegen Krebs keineswegs in geringem Maße angewendet werden, sondern einen überproportional hohen Ausgabenanteil ausmachen. Die Beobachtung, dass es gerade die Bundesländer mit geringen Arzneimittelausgaben sind, die auch mit geringen Gesamtausgaben für Krankenhäuser auskommen, widerspricht der Behauptung, Patienten würden zur Vermeidung der Verschreibung teurer Arzneimittel in Krankenhäuser abgeschoben. Schauen Sie sich die Arzneimittelstatistik an, schauen Sie sich die Krankenhausstatistik an. Ich will Sie daran erinnern, dass es schon vor Bestehen des Arzneimittelbudgets die individuellen Prüfungen für Ärzte gab. Sie haben nicht verhindert, dass bis 1992 die Arzneimittelausgaben jährlich in einer Größenordnung von bis zu 9 Prozent gestiegen sind. Das können Sie nicht wegdiskutieren. Sie wollen nun diesen Druck von den Kassenärztlichen Vereinigungen nehmen. Diese üben dann keinen Druck in Richtung eines verantwortlichen Umgangs mit Arzneimitteln - und damit mit Beitragsgeldern - mehr aus. Sie hätten auch keinen Anlass mehr, Prüfverfahren von sich aus zu intensivieren. Der einzelne Arzt steht allein vor seiner Richtgröße und kommt möglicherweise erst recht auf den Gedanken, im Zweifelsfall teure Patienten auf eine andere Versorgungsebene abzuschieben. Ein Richtgrößenkonzept für Arzneimittel kann vom einzelnen Arzt relativ leicht durch willkürliche Fallzahlvermehrung umgangen werden. Ärzte, die mit Arzneimittelverordnungen Marketing betreiben - das können Sie nicht leugnen; das hat auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, Herr Dr. Bausch, deutlich gemacht -, würden begünstigt, während Ärzte, die verantwortlich mit Arzneimitteln umgehen, Patienten verlieren würden. Lassen Sie mich feststellen: Sie arbeiten mit den Ängsten der Patienten. Sie unterschlagen, dass das Gesetz ausdrücklich vorsieht, dass die Budgets Altersstruktur, Preisentwicklung und Innovation zu berücksichtigen haben. Wenn durch medikamentöse Behandlung Einsparungen in der stationären Versorgung erzielt werden, können die Arzneimittelbudgets in diesem Umfang sogar über den Grundlohnsummenanstieg steigen. Richtgrößen sieht das Gesetz bereits vor. Der einzelne Arzt kann darüber hinaus Praxisbesonderheiten geltend machen. Das Arzneimittelbudget führt nicht dazu, dass rationiert werden muss; vielmehr hat der Patient einen Anspruch auf die notwendigen Arznei- und Heilmittel. Wenn der Arzt bei nachgewiesener wirtschaftlicher Verordnung seine Richtgröße überschreitet, wird er nicht in Regress genommen. Ohnehin das will ich deutlich sagen - ist der Regress der letzte Schritt. Im ersten Schritt sollen die Selbstverwaltungspartner die Ärzte, die ihre Richtgrößen wegen unwirtschaftlicher Verordnung überschreiten, frühzeitig im Jahr informieren und sie beraten. Nur wer sich beratungsresistent verhält und weiter unwirtschaftlich verordnet, wird individuell in Regress genommen. Eine Überschreitung des Arznei- und Heilmittelbudgets führt nicht automatisch zum kollektiven Regress. ({8}) Vielmehr haben die Selbstverwaltungspartner zwei Jahre die Möglichkeit, eine Überschreitung durch bessere Steuerung auszugleichen. All dies steht in dem Gesetz, das seit 1. Januar dieses Jahres gilt. Herr Kollege Dr. Thomae, Sie sollten das nicht unterschlagen. Das alles negieren Sie. Wir werden dies im Ausschuss ausführlich diskutieren. Ich bin überzeugt, dass Sie dort schlechte Karten haben werden. Vielen Dank. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Wolf Bauer.

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Lieber Herr Kirschner, ich möchte eines richtig stellen - wir haben uns schon einmal darüber unterhalten -: Wenn Sie Statistiken der einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen nehmen - solche gibt es -, dann werden Sie feststellen, dass es eine bestimmte Anzahl von besonders häufigen Erkrankungen in den einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen gibt. Nehmen Sie zum Beispiel die Diabetiker-Statistik: Wenn die Anzahl der Diabetiker in einer Kassenärztlichen Vereinigung höher ist als in einer anderen, dann sind auch die Arzneimittelausgaben automatisch dort höher. Das ist etwas ganz Logisches. Das muss man doch berücksichtigen. Man darf das nicht so pauschal darstellen, wie Sie es tun. ({0}) Auch Sie kennen sicherlich die Umfrage der Universität Bremen. Laut dieser Erhebung fühlen sich 27,4 Prozent der Versicherten nicht so versorgt, wie es eigentlich sein müsste. ({1}) Als Erklärung steht in der Antwort der Bundesregierung letztendlich nichts anderes, als dass eine nicht ausreichende medizinische Versorgung ein Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten sei. So einfach kann man sich das nicht machen. Man muss schon etwas seriöser an die Sache herangehen. Ich möchte es gleich vorwegnehmen: Dem Antrag der F.D.P.-Fraktion auf Abschaffung des Arznei- und Heilmittelbudgets stimmen wir zu. ({2}) Das heißt allerdings nicht, dass wir bereit sind, Stück für Stück an der Reparatur des so genannten Gesundheitsreformgesetzes 2000 mitzuwirken. ({3}) Wir haben sowohl im Gesundheitsausschuss als auch im Plenum immer wieder darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz nicht dazu geeignet ist, unser Gesundheitssystem zu reformieren. Trotzdem haben SPD und Grüne das Gesetz durch den Bundestag gepeitscht und alle Änderungsanträge und Warnungen der Opposition abgeschmettert bzw. ignoriert. ({4}) Schließlich waren es auch die Koalitionsparteien, die davon überzeugt waren, dass sie nicht alles anders, aber vieles besser machen. Was ist bei diesem „Bessermachen“ das ist die viel interessantere Frage - herausgekommen? Es ist etwas dabei herausgekommen, nämlich die Einsicht, dass Ihre Reform reformiert werden muss. ({5}) Das SPD-interne Diskussionspapier von Frau SchaichWalch hat gezeigt, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann und dass Sie in eine Sackgasse geraten sind. ({6}) Es ist noch etwas anderes dabei herausgekommen, nämlich die späte - aber nicht zu späte - Einsicht, dass man die Zusammenarbeit mit der Opposition suchen muss. Wir sind zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit. Wir sind allerdings nicht bereit, uns in die Mitverantwortung zwingen zu lassen, nachdem der Karren im Dreck steckt. ({7}) Also, Frau Ministerin: Legen Sie ein überzeugendes Gesamtkonzept vor. Es muss allerdings wirklich ein Gesamtkonzept sein und darf nicht nur aus Restanten eines bereits gescheiterten Gesetzes bestehen. Das bedeutet natürlich auch, dass Sie von der Budgetierung Abstand nehmen müssen. ({8}) Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition - ({9}) - Ich meine natürlich: von der Koalition; der Versprecher lässt sich noch korrigieren; wir waren so lang in einer Regierungskoalition, dass ein solcher Versprecher schon einmal vorkommen kann. Also, wenn Sie der Opposition nicht glauben, dass die Budgetierung nicht hilfreich ist, dann glauben Sie doch wenigstens den Experten, die während einer Anhörung im September des vergangenen Jahres zu diesem Thema fast einmütig das Gleiche gesagt haben. So erklärte zum Beispiel der SPD-Staatssekretär Professor Dr. Azzola: Die Preisgabe des Ziels der Gewährleistung der Finanzierung aller medizinisch notwendigen und zweckmäßigen Leistungen stellt einen gesetzgeberischen Rückschritt und keine Reform dar. ({10}) - Für die SPD-Abgeordneten? Nein, die haben das verstanden. ({11}) Ich weiß ja, dass Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, im Wahlkampf zum Beispiel versprochen haben, die Zuzahlungen zu Arzneimitteln marginal zurückzuführen. Ich finde es unfair, dass Sie den Versicherten - das haben Sie damals nicht gesagt - das Geld, das diese bei den Zuzahlungen sparen, auf der anderen Seite heimlich, still und leise wieder dadurch aus der Tasche ziehen, ({12}) dass Sie die medizinische Versorgung rationieren und nicht mehr allen das zur Verfügung stellen, was sie brauchen. Das finde ich sozial ungerecht und unfair den Versicherten gegenüber. ({13}) Wir waren auch nicht stolz auf die Höhe der Zuzahlungen während unserer Regierungszeit. Aber eines muss ich sagen: Immerhin haben wir die Höhe der Zuzahlungen durch die Sozialklausel und die Überforderungsklausel sozial verträglich gestaltet. Ich erinnere daran: 24 Millionen Versicherte mussten überhaupt keine Zuzahlungen leisten. ({14}) - Einverstanden, aber das spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Ausschlaggebend ist doch, dass 24 Millionen Versicherte keine Zuzahlungen leisten mussten. Jetzt ist es so weit, dass ein Teil der Leistungen für die Kinder zu 100 Prozent selbst gezahlt werden muss. Ich möchte Sie auch noch auf etwas anderes hinweisen, was mir auch sehr wichtig erscheint. Sie können zwar unsere Vorschläge kritisieren und meinen, alles besser machen zu können als wir. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, wir hatten bis zum Zeitpunkt des Regierungswechsels dafür gesorgt, dass ein Defizit von 6 Milliarden DM abgebaut worden ist und dass die GKVen in den Jahren 1997 und 1998 einen Überschuss in Höhe von jeweils 1,1 Milliarden DM hatten. ({15}) - Die durchschnittlichen GKV-Beitragssätze waren stabil; Lohnnebenkostenerhöhungen konnten gestoppt werden. ({16})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Bauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kirschner? - Bitte, Herr Kollege Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Bauer, ist Ihnen eigentlich nicht geläufig, dass in Ihrer Regierungszeit der Beitragssatz von 12 Prozent auf 13,5 Prozent gestiegen ist und dass die Zuzahlungen auf insgesamt mehr als 20 Milliarden DM angewachsen sind? Wollen Sie das negieren? ({0})

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Zuzahlungen haben Sie lediglich um ein Minimum zurückgeführt. Und was den Beitragssatz angeht: Ich sprach von den Beitragssatzerhöhungen in den letzten Jahren. Für diese Zeit gilt genau das, was ich Ihnen eben geschildert habe. ({0}) Während des Regierungswechsels - ich sage es noch einmal - war genügend Zeit vorhanden, um gemeinsam über eine solide und zukunftsorientierte Reform des Gesundheitswesens zu diskutieren. Sie aber haben unüberlegten Aktionismus an den Tag gelegt. ({1}) Als Zeugin nenne ich die Bundesgesundheitsministerin, die ich nicht aus der Kritik nehmen will, wenn ich zitiere, dass sie Ihnen damals Folgendes nahe gelegt hat: Aber zuerst beschließen und sich danach öffentlich über das zu beklagen, was man beschlossen hat, ist weder überzeugend, noch hat es politisches Format. ({2}) Jeder in diesem Haus müsste einsehen, dass eine Budgetierung die demographische Entwicklung nicht berücksichtigt. ({3}) Jeder müsste einsehen, dass eine Budgetierung nur wenig Platz für Innovationen in der Medizin bietet. Jeder müsste einsehen, dass die Budgetierung dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch nicht gerecht wird, nach dem jedem Versicherten notwendige Leistungen zugesichert werden. ({4}) Von dem Wachstumsmarkt Bundesrepublik Deutschland und seinen Standortfaktoren, die eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen, will ich hier gar nicht sprechen. ({5}) Wenn wir eine wirkliche Reform wollen, Herr Kirschner, dann müssen wir die Eigenverantwortung stärken. ({6}) Wenn man die Eigenverantwortung stärken will, dann darf man eben nicht das tun, was Sie getan haben, nämlich die Wahlmöglichkeiten der Versicherten in Bezug auf Kostenerstattung, Selbstbehalte, Nichtinanspruchnahme von Leistungen und damit auch in Bezug auf Beitragsrückerstattung radikal einschränken. Wenn Sie die Eigenverantwortung stärken wollen, dann müssen Sie Transparenz in das System hineinbringen. Sie müssen dem Patienten sagen, was seine Behandlung kostet. Wenn Sie die Eigenverantwortung stärken wollen, dann müssen Sie natürlich auch die Absicherung von Bagatellerkrankungen, von medizinisch nicht notwendigen Leistungen in die Einzelverantwortung legen mit allen damit zusammenhängenden Problemen. Wer eine Vollkaskoversicherung wählt, der muss entsprechend mehr als derjenige bezahlen, der nur Kernleistungen in Anspruch nimmt. Das geben wir gerne zu. ({7}) - Es gibt bereits Definitionen. Wir können gemeinsam versuchen, das vernünftig zu definieren. Wenn das gelingt, dann kommen wir weiter. ({8}) Ich will nur noch eines sagen, was mir wichtig erscheint: Wir müssen endlich auch einmal die GKVen nach versicherungsfremden Leistungen durchforsten und aus ihnen das herausnehmen, was nicht hineingehört. ({9}) - Nein, wir hatten dazu keine Zeit. ({10}) - Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Ich muss mich beeilen; sonst läuft mir die Zeit davon. Ich würde Ihnen gern mein Beispiel, den Schwangerschaftsabbruch, näher erläutern: Wenn das Haus mehrheitlich beschließt - daran war ich nicht beteiligt -, den Schwangerschaftsabbruch über die medizinische Indikation hinaus auch bei Vorliegen anderer Indikationen zu legitimieren, dann muss die Gesellschaft und nicht die GKV die Kosten dafür übernehmen, dann ist die Solidargemeinschaft gefragt. Wir alle, die das politisch wollen, sind gefragt und die Angelegenheit muss anders finanziert werden. Aber ich will nicht nur kritisieren; vielmehr möchte ich auch die notwendigen Steuerungsinstrumente - Kollege Dr. Thomae hat schon einige genannt - nennen. Ich erwähne schlagwortartig: bedarfsgerechte Richtgrößen, Regelleistungsvolumina, Fallpauschalen. Das sind Instrumente, die wir weiterentwickeln können und die weiterentwickelt werden müssen. Wir haben also genug Ansatzpunkte; es gilt, sie in vernünftiger Art und Weise umzusetzen. Es muss uns einfach gelingen, von Budgetierungen und damit von Rationierungen wegzukommen. Das muss unser Ziel sein. ({11}) Ich hätte jetzt gern noch ein Wort dazu gesagt, dass es auch nicht sein darf, dass Sie die Rationierungen durch irgendwelche Hintertürchen umzusetzen versuchen. Mir scheint das manchmal mit der Positivliste so zu sein. Aber mit Sicherheit war es bei der 10. AmG-Novelle so. Da versuchten Sie ja auch, still und heimlich eine ganze Reihe von Arzneimitteln vom Markt zu nehmen. ({12}) Auch diese stehen letztendlich den Patienten nicht mehr zur Verfügung. Auch das ist eine Rationierung. ({13}) Das hat, wenn auch indirekt, Auswirkungen auf die GKV. Sie werden in diesem Haus immer wieder unsere Kritik hören, wenn Sie solche Versuche unternehmen. Wir werden das nicht zulassen, weil wir Verantwortung für die GKV und deren Patienten und Versicherten tragen. ({14}) Hier greife ich zum ersten Mal das auf, was Sie gesagt haben, und unterstütze Sie: Wenn wir eine Reform machen, muss der Patient im Mittelpunkt stehen. Nur, Herr Kirschner, dann stellen Sie doch mit Ihren Mitstreitern den Patienten endlich einmal in den Mittelpunkt, anstatt ihn permanent zu bevormunden und ihm zu sagen, was er an Leistungen braucht. Lassen Sie doch den Versicherten ein bisschen darüber mitbestimmen. Fragen Sie ihn doch endlich einmal, was er in die gesetzliche Krankenversicherung einzubringen bereit ist. ({15}) Aber ich komme noch einmal ganz kurz auf die 10. Novelle zum Arzneimittelgesetzes. Da wird von einem Königsweg gesprochen. Das hört sich natürlich wunderbar an. Ich hoffe nur, dass Sie nicht noch mehr solcher „Königswege“ auf Lager haben. ({16}) - Holzwege klingt in diesem Zusammenhang besser als Königsweg. Wir werden konstruktiv mitarbeiten und alles tun, damit den Versicherten der GKV nicht das widerfährt, was Sie ihnen antun wollen. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Bundesministerin für Gesundheit, Andrea Fischer. ({0})

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Bauer wird mir sicherlich gleich noch Ort und Anlass des Zitats, das er gerade von mir gebracht hat, nachreichen, wie es hier parlamentarischer Brauch ist. Wenn man all Ihre Rhetorik wegnimmt, dann bleibt das ist schon ganz interessant -, dass Sie sagen, es solle alles gemacht werden, was die Leute wollen, und man werde sehen, dass sie dafür auch irgendwie privat bezahlen würden. ({0}) - Nein. Das Interessante ist doch - hier waren die Ausführungen zur 10. AmG-Novelle gerade sehr hilfreich -, dass Sie damit den Eindruck erwecken, dass alles, was wir machen wollen, um Arzneimittelverschreibungen rational zu machen, dort Überflüssiges zu vermeiden und die Qualität zu sichern, falsch sei. Aber die Negativliste ist nichts Überflüssiges. Die Positivliste will die Medikamente nach Qualität vergleichen. Mit der 10. AmG-Novelle sollen Medikamente qualitätsgesichert werden, die seit Jahrzehnten ungeprüft auf dem Markt sind. ({1}) Das ist eine Frage des Verbraucherschutzes. Sie lehnen all dies aber ab. Es ist Ihnen irgendwie immer nicht recht. In diesem Zusammenhang müssten Sie sagen, dass es für den Gesundheitsschutz in diesem Lande notwendig ist, 40 000 Medikamente zu haben, während alle anderen Länder um uns herum mit einem Bruchteil davon auskommen, ohne dass dort davon die Rede wäre, die Menschen seien deswegen weniger gesund als bei uns. Hier sind Sie einfach inkonsequent. Mit dem Vorschlag, dass es irgendwelche Richtgrößen geben müsse, geben Sie ja zumindest zu, dass offensichtlich ein Bedarf an Steuerung des Arzneimittelmarktes besteht. Hier sind Sie argumentativ ganz schwach auf der Brust. ({2}) Sie lehnen jedes Instrument, das wir diskutieren und umsetzen, um gute Arzneimittelverschreibungen zu unterstützen, ab. Sie sagen aber auch nicht, dass dann, wenn man es so macht, wie Sie es sich jetzt vorstellen, Sie entweder den Markt teilen und sehr viele private Zuzahlungen einführen müssen oder alle Beiträge der Versicherten steigen müssen. Dieser Weg steht uns meines Erachtens aber nicht mehr offen, weil die Menschen in diesem Lande schon genug belastet sind. ({3}) Da Sie also Richtgrößen vorschlagen, geben Sie zumindest zu, dass man im Arzneimittelmarkt irgendetwas steuern muss oder dass er wenigstens nicht problemlos funktioniert. ({4}) - Ja, das, was Sie gesagt haben. Jetzt reden wir noch einmal über Richtgrößen. Wenn Sie sich einmal das Gesetz, das Sie so heftig kritisieren, anschauen - das würde ja vielleicht helfen -, dann werden Sie feststellen, dass die Richtgrößen auch in unserem Gesetz zur Arzneimittelbudgetsteuerung enthalten sind. ({5}) Individualregress geht nämlich erst einmal vor Kollektivregress. Auf diese Weise finden die Wirtschaftlichkeitsüberprüfungen statt. ({6}) Das heißt, es geht darum, dass die Ärzte herangezogen werden sollen, die eine unwirtschaftliche Verordnungsweise nicht widerlegen können.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Aribert Wolf?

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Nein. - Wir haben dieses Instrument geschaffen und haben, damit es schneller greift, den Schwellenwert, bei dem eine Überprüfung einsetzt, herabgesetzt. Übrigens haben ja wir die unbegrenzte Kollektivhaftung abgeschafft, die noch in Ihrem Gesetzentwurf stand, und die Haftung auf 5 Prozent der Budgetsumme reduziert. Wir haben auch - das war in Ihrer Budgetierungspolitik jahrelang nicht vorgesehen - ausdrücklich gesagt, medizinische Innovationen müssen bei der Festlegung des Budgets berücksichtigt werden. ({0}) Außerdem soll - davon war hier eben schon die Rede auch ein Ausgleich über Jahre hinweg möglich werden. Übrigens: Wenn die Richtgrößen, für die auch Sie eintreten, nicht angemessen festgesetzt werden, liegt das an der Selbstverwaltung und nicht am Bundesgesundheitsministerium. Auch das sollte man in diesem Zusammenhang einmal sagen. Die Ablösung von Budgets durch Richtgrößen haben Sie ja schon einmal vorgeschlagen und in ihr GKV-Neuordnungsgesetz hineingeschrieben. ({1}) Das Interessante ist ja, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen, obwohl Sie sich heute zu deren Sprachrohr machen und sagen, sie würden das kritisieren und darunter leiden, von Ihrem Angebot kaum Gebrauch gemacht haben. Es hat ja fast keine Kassenärztliche Vereinigung gegeben, die von diesem Instrument Gebrauch gemacht hat. ({2}) Ich glaube, dass das ein ganz interessanter Punkt ist: Es gibt offenbar doch einen Unterschied zwischen den Forderungen, die auf politischer Ebene von der Ärzteschaft erhoben werden, und den Dingen, die aus der Perspektive des einzelnen Arztes nötig sind. In einem einzigen Punkt gebe ich Ihnen Recht: Die mangelnde Datentransparenz stellt ein Problem dar. Die Datengrundlage für die Budgetsteuerung ist nicht gut genug. In unserem Gesetz war aber all das drin; Sie haben das über den Bundesrat verhindert. Es war dort ein Abschnitt über Datentransparenz enthalten, der uns wesentlich weitergeholfen hätte. Eine verbesserte Datengrundlage wäre im Übrigen die mindeste Voraussetzung dafür, wenn Sie die Arzneimittelbudgets ausschließlich über Richtgrößen steuern wollten. Dann müssten nämlich noch wesentlich mehr Anforderungen an die Qualität der Daten gestellt werden, weil dann der einzelne Arzt hätte haften müssen. Ich glaube, dass es ein Irrweg ist, zu denken, dass das Steuerungsproblem ausschließlich über die Richtgrößen gelöst werden könnte ({3}) und so eine Art individuelles Arztbudget eingeführt wird. An der Tatsache, dass jetzt schon sehr viele Missverständnisse vorhanden sind, die sehr häufig zu Ärger führen, können Sie sehen, dass das Problem auf diese Weise nicht zu lösen ist. ({4}) Ich finde, Sie sind am Zuge. ({5}) Eingangs habe ich eben gesagt: Allen unseren Bemühungen zur Qualitätssicherung, die dazu dienen, um in diesem außerordentlich unübersichtlichen Arzneimittelmarkt in Deutschland die Qualität zu erhöhen und eine wirtschaftlichere Verordnungsweise für die einzelnen Ärztinnen und Ärzte zu erleichtern, verweigern Sie sich. Sie brauchen deshalb hier nicht Krokodilstränen zu vergießen und so zu tun, als seien Sie die Stimme der einzelnen Ärzte. ({6}) Sie tun die ganze Zeit so, als hätten wir es bei der Arzneimittelverordnung mit einer Art Naturgesetz zu tun und als ob wir diejenigen seien, die sich fälschlicherweise diesem Naturgesetz in den Weg stellen. Das ist falsch. Das wissen auch Sie ganz genau. Dass die Kassenärztlichen Vereinigungen verantwortlich in die Aufgabe einbezogen werden, hauptsächlich für eine wirtschaftliche Verordnungspraxis zu sorgen, ist doch Ausdruck des Sicherstellungsauftrages. Ich habe bislang noch nicht gehört, dass sie den abschaffen wollen. Das will heißen, dass die KasBundesministerin Andrea Fischer senärztlichen Vereinigungen eine gemeinsame Verantwortung sowohl bezüglich der positiven Auswirkungen als auch der schwierigen Auswirkungen des Sicherstellungsauftrages tragen. Das kann man sich nicht aussuchen. Dass sie diese aber höchst unterschiedlich wahrnehmen, haben wir eben schon gehört und das zeigen auch die Zahlen. ({7}) Wenn man den Schutz, den der Sicherstellungsauftrag bietet, haben will, dann muss man auch die Aufgaben erledigen, die damit untrennbar verbunden sind. Mit Ihrem Antrag können Sie vielleicht kurzfristig populistisch ein paar Punkte machen, aber für die Gesundheitspolitik bringt er keinen Erkenntnisfortschritt. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die PDSFraktion hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Thomae, ich habe einen Fakt in Ihrem Antrag nicht gefunden und Sie haben ihn auch nicht in Ihrer Rede benannt. Ich glaube aber, dass Sie wissen, dass es bei der Arzneimittelversorgung natürlich Rationalisierungsreserven gibt und dass das komplexe Ursachen hat. Es sind unserer Meinung nach nach wie vor zu viele und vor allem auch zu viele ungeprüfte Medikamente auf dem Markt. Auch der Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf das ärztliche Verordnungsverhalten führt zusammen mit vergleichsweise hohen Arzneimittelpreisen zu überhöhten Kosten beim Medikamentenverbrauch. Nachdem die Vorgängerkoalition auf diese Entwicklung bestenfalls halbherzig reagiert hat, griff die jetzige Regierung zu einer strikten Verschärfung der Budgetierung. Damit hat sie das Problem aber nur einseitig auf den Rücken der Ärzte verlagert; denn der jetzt wirkende Einspardruck, meine Damen und Herren von der Koalition, senkt eben nicht nur fragwürdige Leistungen, sondern das ist das Schlimme - auch den medizinisch notwendigen Mitteleinsatz. ({0}) Ob Sie es nun wahrhaben wollen oder nicht, meine Damen und Herren von der Koalition: Es ist leider Realität. Die Patienten erleben zunehmend, dass erforderliche Medikamente nicht mehr verschrieben werden. Die Wahrheit ist auch: Die Verlierer sind vor allen Dingen die sozial Schwächeren und jene, die sich nicht wehren können. ({1}) Auf solche Weise werden soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit in der gesundheitlichen Versorgung infrage gestellt. Hinzu kommt, dass es in der Arzneimittelversorgung aber auch - ich betone, Herr Kirschner: aber auch - große Felder gibt, in denen Nachholbedarf herrscht. Ich denke dabei an Bluthochdruck- und Diabeteskranke ({2}) oder an die bestehenden Defizite in der medikamentösen Behandlung bei multipler Sklerose oder bei Demenzkrankheit. Den Vorschlag der F.D.P., fachgruppenspezifische Richtgrößen einzuführen, bei denen auch Praxisbesonderheiten berücksichtigt werden, möchte ich gar nicht infrage stellen. ({3}) Um die Probleme zu lösen, ist er aber nicht ausreichend. Unseres Erachtens setzt eine Aufhebung des Budgets ein ganzes Bündel von Maßnahmen im Sinne einer überzeugenden Arzneimittelpolitik voraus. ({4}) Dazu gehört unter anderem die Herstellung von mehr Transparenz - das ist heute schon gesagt worden -, nicht zuletzt mithilfe einer Positivliste. Sie lehnen sie ab; wir möchten sie gerne. Für wichtig halten wir die Verbesserung der ärztlichen Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Arzneimitteltherapie sowie mehr herstellerunabhängige fachliche Information und Fortbildung der Ärzte. Auch sollten die Selbstmedikation begrenzt und Laienwerbung für Arzneimittel eingestellt werden. Ich weiß wirklich nicht, was Sie unter mehr Einbeziehung der Patienten verstehen. Woher soll ich wissen, welche Medizin im Falle einer Krankheit für mich die richtige und die einzig wahre ist? Ich glaube, so geht es vielen Menschen. ({5}) Der Umgang mit dem besonderen Gut Arzneimittel darf nicht primär an Umsatz- und Gewinnmaximierung, sondern muss in erster Linie am medizinisch Erforderlichen orientiert sein. Wenn das erreicht ist, erübrigt sich eine Budgetierung. Dann entfällt nämlich die Notwendigkeit staatlicher, bürokratischer Eingriffe. Nur wenn das erfüllt ist, können wir uns der Forderung nach Abschaffung des Arznei- und Heilmittelbudgets anschließen. Unter den jetzigen Bedingungen ist Ihr Antrag für uns nicht zustimmungsfähig. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion.

Gudrun Schaich-Walch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001939, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie sich intensiv mit diesem Thema auseinander setzen, dann wissen Sie, dass im Bereich der Arzneimittelversorgung wie auch in anderen Bereichen unseres Gesundheitssystems Fehlversorgung, Unterversorgung und Überversorgung zu finden sind. Mit diesem Problem geht die Ärzteschaft in der Bundesrepublik sehr unterschiedlich um. ({0}) Der größte Teil unserer KVs in der Bundesrepublik Deutschland ist bereit, auch die ökonomische Verantwortung für die Ausgaben im Gesundheitsbereich zu übernehmen. Es gibt einen kleinen Teil, der dazu nicht bereit ist. Ein großer Teil der Ärzte tut es bereits. Wir können feststellen, dass Ihre Behauptung, Innovatives würde nicht verordnet, nicht zutreffend ist. Wir können nämlich klar erkennen, dass die Zahl der Verordnungen abgenommen hat. Dafür ist aber die Wertigkeit der Verordnungen - also betreffend das Preisgefüge und damit das Innovative - in vielen Bereichen auf ein vernünftiges Maß gestiegen. ({1}) - Das können Sie am Beispiel der KVs in Hessen und in Südbaden erkennen. ({2}) Wir haben es - leider Gottes - noch nicht in allen Bereichen geschafft. Solange wir nicht in all diesen Bereichen einen verantwortungsbewussten Umgang der Ärzteschaft gegenüber dem medizinisch Notwendigen, aber auch die ökonomische Verantwortung gegenüber den versicherten Patientinnen und Patienten haben, können wir Arznei- und Heilmittelbudgets - davon bin ich überzeugt - nicht abschaffen. ({3}) Mit Ihrem Vorschlag der Richtgröße treffen Sie nur einen Punkt: ({4}) Bei der Richtgröße tun Sie etwas für die Menge, Sie tun aber überhaupt nichts für die Qualität. ({5}) Dagegen haben wir im Koordinationsausschuss mit den Leitlinien sehr wohl beides im Blick. Sie können nicht einfach nur auf die Menge gehen, dann noch auf die 10. Novelle zum Arzneimittelgesetz zurückgreifen und sagen: Die Verbraucher müssen alles haben, was sie wollen, wir können nichts vom Markt nehmen. Natürlich muss man im Sinne des Verbraucherschutzes das vom Markt nehmen, was nicht nach europäischem Qualitätsstandard zugelassen ist. Dazu hatten Sie 20 Jahre Zeit. ({6}) Wir dagegen haben das umgesetzt und das ist, denke ich, eine Verbesserung für die Verbraucher. ({7}) Wenn Sie sich so vor den Verbraucher stellen und dessen Schutz einklagen, dann frage ich mich: Wie konnten Sie von der F.D.P. eigentlich vorige Woche beantragen, das, was wir für die Verbraucherberatung eingestellt haben, wieder abzuschaffen und aus dem Budget herauszunehmen? ({8}) Wenn Sie die Verbraucherberatung wieder abschaffen, dann frage ich mich, wie Sie zu den Patienten kommen wollen, die letztendlich irgendwann mit beurteilen können, was für sie sinnvoll und notwendig ist und wann sie Einsatz brauchen. Das ist mir wirklich schleierhaft. ({9}) Jetzt zu etwas, von dem ich glaube, dass es Richtgrößen begleiten muss, nämlich zur Qualität. ({10}) Wir brauchen entweder eine Fortschreibung der Negativliste - da wären Sie gefordert mitzumachen -, oder wir brauchen die Positivliste. Zudem brauchen wir zur Aufrechterhaltung einer vernünftigen Gesundheitsversorgung Qualitätszirkel. Nur dann werden wir die durchaus knappen Mittel in der GKV sinnvoll und vernünftig einsetzen können. Sie wollen aber nicht eine Steuerung der Menge plus mehr Qualität, Sie schlagen in Ihrem Gesetzentwurf einzig und allein mehr Geld für das System vor. ({11}) Sie sagen nicht einmal, von wem dieses Geld kommen soll - bestenfalls im Wege von Zuzahlungen. Ich bitte Sie ganz ernsthaft, sich die Untersuchung von Professor Lauterbach anzuschauen, der sich mit den Zuzahlungen beschäftigt hat. Dabei ist nämlich eines sehr deutlich herausgekommen: Zuzahlungen sind nicht sinnvoll zum Zweck der Verbrauchssteuerung und im Bereich der chronisch Kranken, ({12}) Eine Gruppe, die sowieso schon gesundheitlich gekniffen ist, würde mit Zuzahlungen noch einmal gekniffen. Diese Gruppe haben wir jetzt entlastet. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Schaich-Walch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bauer? Nein.

Gudrun Schaich-Walch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001939, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der zweite Gesichtspunkt ist dann: Wer leistet Zuzahlungen und bei wem haben die Zuzahlungen dazu geführt, dass die medizinische Leistung nicht mehr so in Anspruch genommen worden ist, wie das vorher der Fall war? Bei dieser Untersuchung stellt sich eines ganz deutlich heraus: Es hat steuernde Wirkung nur bei den Menschen mit den niedrigsten Einkommen in der Bundesrepublik. Es kann aber doch nicht Zielsetzung sein, dass ich denjenigen, die schon wenig Einkommen haben, ({0}) die sozial schlecht gestellt sind und damit zum großen Teil auch schlechten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, noch Zuzahlungen aufbrumme. Das kann es nicht sein. ({1}) Deshalb müssen wir zunächst einmal zusehen, die Überversorgung, Unterversorgung und Fehlversorgung abzubauen und die Reserven im System auszunutzen. Dann kommt vielleicht irgendwann der Zeitpunkt, wo wir darüber reden müssen, ob das Geld, das wir dann haben, ausreicht. Aber solange wir von den Versicherten die Gelder abkassieren, müssen sie von uns auch die Garantie bekommen, dass wir genau prüfen, was damit passiert. Wir müssen fragen: Ist die Qualität in Ordnung? Ist die Menge in Ordnung? Wir dürfen uns nicht ausschließlich an der Interessenlage und der Einkommenssituation derer ausrichten, die im Gesundheitsbereich arbeiten. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/3299 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatzpunkt 4 auf 9. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen: Überprüfung der Beschlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz - Peking + 5 - Drucksache 14/3386 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Humme, Hildegard Wester, Hanna Wolf ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Irmingard ScheweGerigk, Christian Simmert, Kerstin Müller ({1}), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen: Nationale Umsetzung der Beschlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz - Drucksache 14/3385 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das Wort für die SPD-Fraktion der Kollegin Christel Hanewinckel.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Fünf Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 sollten nach dem Willen der Regierungen, die die Aktionsplattform unterzeichnet haben, die nationalen Aktionspläne umgesetzt sein. Wenn ich heute, 14 Tage vor der UN-Sondergeneralversammlung, Bilanz ziehe, stelle ich fest, dass von diesen fünf Jahren drei Jahre vertan worden sind - durch Untätigkeit und Passivität der damaligen Frauenministerin bzw. Regierung. ({0}) Unverbindliche Aussagen über unverbindliche Vorhaben prägten die nationale Nachbereitungskonferenz im März 1996. Für Kreativität und Ideen, für Problemanzeigen, aber auch Problemlösungen wurden die Nichtregierungsorganisationen als zuständig erklärt. Aber auch die Vorstellungen der Nichtregierungsorganisationen verwandelten sich in den Händen der Frauenministerin zu Absichtserklärungen. Immer wieder forderten die Opposition und die Nichtregierungsorganisationen, dass der Erfolg der Aktionsplattform nachdrücklich durch das Engagement der Regierungen, internationalen Organisationen und Institutionen auf allen Ebenen gewährleistet wird. Eine Frauenpolitik, die diese Bezeichnung verdient, haben wir erst seit Herbst 1998. Die Frauen in Deutschland haben bei der Bundestagswahl deutlich gemacht, dass sie eine Politik wünschen und fordern, die Macht, Verantwortung und Chancen zwischen Männern und Frauen teilt. Die rot-grüne Regierung hat sich in allen Politikfeldern darangemacht, Stück für Stück zu entrümpeln und sich der Diskriminierung von Frauen entgegenzustellen. ({1}) Der Weg ist noch weit und vieles ist noch zu tun und zu verändern. Gleichstellungspolitik ist vor allem auf dem Arbeitsmarkt vonnöten. Noch immer bilden die Frauen die Spitze bei den Arbeitslosenzahlen und der Besetzung von Teilzeitarbeitsplätzen, noch immer werden Frauen ausgegrenzt, weil sie potenzielle Mütter sind, und noch immer haben Mädchen erhebliche Probleme bei der Suche nach Ausbildungsplätzen. Das Programm „Frau und Beruf“ stellt die Weichen in eine andere Richtung und stößt in den Köpfen der Menschen, vor allem der männlichen Menschen, Veränderungen an. Ein verändertes Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst und auch für die Privatwirtschaft sind auf diesem Wege unverzichtbar und markante Punkte. ({2}) Die gesellschaftliche Realität bekommt in Deutschland nach und nach ein anderes Gesicht. Unser Antrag enthält die Auflistung all der Punkte, die in den vergangenen 18 Monaten umgesetzt worden sind, und der Punkte, die noch umgesetzt werden müssen. Ich hoffe sehr, dass das ganze Haus diesem Antrag zustimmen wird. Neben den konkreten Erfolgen der hauptamtlichen Politikerinnen und Politiker - denn es sind ja schließlich Regierungskonferenzen - möchte ich hervorheben, wie wichtig die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen in allen Bereichen ist. Ohne das Engagement, den Druck und die Arbeit der Frauen in den Nichtregierungsorganisationen würden jede Regierung und jedes Parlament ziemlich alleine dastehen. ({3}) Ich danke den Frauen in den Organisationen in Deutschland, vor allen Dingen im Deutschen Frauenrat mit seiner Vielzahl von Frauenverbänden, aber auch in den vielen anderen Verbänden, Vereinen und Initiativen. Sie sind es, die sich mit ihrer Zeit, ihren Ideen, ihren Erfahrungen, ihrer Solidarität und oft auch mit ihrem Geld für die Weiterentwicklung der Gleichstellung in diesem Land, in Europa und in der Welt einsetzen. Wer die Erklärung von Peking gelesen und sich durch die Beschlüsse der Aktionsplattform gearbeitet hat, die dort vor fünf Jahren mühsam erarbeitet wurden, fragt sich vielleicht: Lohnt sich denn der Aufwand von solchen Weltkonferenzen? Die Weltfrauenkonferenzen sind Veranstaltungen von einer Woche. Die Ausgangspositionen der Teilnehmerstaaten sind oft völlig unterschiedlich und die Ergebnisse reichen den Frauen häufig nicht aus. Trotzdem sind ihre Wirkungen enorm. Sie schlagen sich nieder in Beschlüssen von Regierungen und haben Auswirkungen auf Regionen und bis hin zu den Kommunen. Vor allen Dingen haben sie Einfluss auf die nationale und internationale Rechtsprechung. Sie ermutigen die einzelnen Frauen und die Frauenverbände weltweit - das ist für mich der wichtigste Punkt -, sich für ihre Rechte einzusetzen. Die Frauen und auch einzelne Männer wissen sehr gut, dass dies ein wirklich langwieriger und sehr mühsamer Prozess ist. Weltkonferenzen bieten Raum für den Austausch von Erfahrungen und Lösungen zwischen Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern, die sonst keine Möglichkeit dazu haben. Ich hoffe sehr, dass die Nachfolgekonferenz in New York auch in Deutschland deutliche Auswirkungen haben wird. Ein Erfolg wäre es, wenn alle Landesregierungen in Deutschland begreifen würden, dass ohne Frauen kein Staat zu machen ist. Leider ist das noch außergewöhnlich. Deshalb ist das Vorgehen von Sachsen-Anhalt, wo es qua Kabinettsbeschluss - er ist gerade erst getroffen worden ständige Aufgabe aller Ministerinnen und Minister ist, das Ziel der Gleichstellung in allen Ministerien umzusetzen, mutig. ({4}) Ich hoffe sehr, dass die innerhalb des nächsten Jahres vorgesehene Überprüfung der Umsetzung dieses Zieles deutlich macht, dass sich Ministerinnen und Minister nicht nur daran messen lassen müssen, sondern dass die Frauen lautstark Ergebnisse einfordern. Wenn dies alle Frauen und vor allen Dingen die Männer begriffen haben, dann muss Gender-Mainstreaming auch in Deutschland kein Fremdwort mehr sein. Vielen Dank. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Teilnahme an der Weltfrauenkonferenz in Peking war für mich ein großes Erlebnis. In einer konzentrierten und konstruktiven Atmosphäre wurden mit Zuversicht und dem Willen voranzukommen Fortschritte bei der Gewährung von Frauenrechten und der Durchsetzung von Fraueninteressen erreicht. Drei Ziele standen für die damalige deutsche Delegation unter Führung von Bundesfrauenministerin Nolte im Vordergrund: Erstens. Das zentrale deutsche Anliegen, die Sicherung der Menschenrechte für alle Frauen, konnte festgeschrieben werden. Zweitens. Gewalt gegen Frauen wurde umfassend benannt und gebrandmarkt. Drittens. Die Forderung der sexuellen Selbstbestimmung der Frau konnte verankert werden. Meine Damen und Herren, das waren Forderungen, die gemeinsam, über die Fraktionsgrenzen hinweg, getragen wurden. Es ging und geht darum, Frauen zu fördern, Chancengleichheit zu erreichen und das Gender-Mainstreaming in der Politik zu verankern. Vieles wurde getan. Aber es muss noch mehr getan werden, um voranzukommen. So ist es mir unbegreiflich, dass die rot-grüne Koalition mit ihren frauenpolitischen Anträgen offensichtlich nicht den Wunsch nach gemeinsamer konstruktiver Arbeit mit der Opposition verbindet. ({0}) Trotz diverser Bemühungen war es nicht möglich, vor Dienstag dieser Woche Ihre Anträge zur Verfügung geChristel Hanewinckel stellt zu bekommen. Das ist für mich keine Zusammenarbeit. Sie wollen wohl nicht zusammenarbeiten. Statt zu polemisieren, Frau Hanewinckel, wäre es angemessen gewesen, gemeinsam mit uns nach einer Lösung zu suchen. Ihre Forderungen sind nämlich konsensfähig. Aber wenn Sie mit vielen Worten versuchen, die wenigen konkreten Aktivitäten der neuen Bundesregierung zu kaschieren, können wir dem natürlich nicht zustimmen. Ich greife heute beispielhaft einen zentralen Punkt heraus, der auch in den Forderungen Ihres frauenpolitischen Antrags zur Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen in New York enthalten ist: die Vereinbarkeit von Erziehung und Erwerbsarbeit für Mütter und Väter. Die CDU/CSU räumt, wie Sie wissen, diesem Ziel seit vielen Jahren einen großen Stellenwert ein. Im Gegensatz zur rot-grünen Koalition verstehen wir aber unter Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht eine staatlich verordnete Minimierung der Erziehungszeiten und eine Maximierung der Erwerbstätigkeit. Wir haben in unserer Regierungszeit eine Frauenpolitik für alle Frauen gemacht. Ihr Zielsetzung geht sowohl an den Wünschen der Mehrheit der deutschen Frauen als auch an den Bedürfnissen vieler Kinder vorbei. ({1}) Eine echte Wahlfreiheit für Mütter und Väter muss das Ziel sein. Dazu gehört aber sowohl die gleichzeitige Vereinbarkeit von Familie und Beruf als auch die Möglichkeit, sich in bestimmten Phasen ganz der Kindererziehung widmen zu können. Die bisherigen Aktivitäten der Bundesregierung für Frauen fördern einseitig die Erwerbstätigkeit von Frauen. Um nicht missverstanden zu werden: Wir unterstützen jede sinnvolle Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen im Beruf und der Erwerbsmöglichkeit gerade von Müttern. Dazu gehört die Flexibilisierung von Arbeitsplätzen. Eltern sollten wählen können, wann sie wo wie lange arbeiten. Dann ist eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf am ehesten möglich. Diese Rahmenbedingungen aber müssen Teil einer echten Familien- und Frauenpolitik sein. Die von der Regierung immer wieder angepriesenen Programme, allen voran das Programm „Frau und Beruf“, sind einseitig auf die Erwerbstätigkeit von Frauen ausgerichtet. Selbst die geplante Änderung des Erziehungsgeldgesetzes ist davon geprägt. Ich fordere Sie auf, bei der Neuformulierung dieses Gesetzes dafür zu sorgen, dass nicht die Mehrheit der deutschen Frauen bei Ihren Maßnahmen außen vor gelassen wird. ({2}) Viele Frauen - hoffentlich auch zunehmend Männer wollen sich in den ersten Lebensjahren der Kinder ganz der Erziehung widmen; ({3}) ob nur einige Monate oder mehrere Jahre, ist allein Entscheidung der Eltern. Auch für diese Familienphase muss die Frauen- und Familienministerin sinnvolle Rahmenbedingungen schaffen. Mit dem Erziehungsgeldgesetz hatten Sie die Chance dazu. Doch die Anhebung der Einkommensgrenzen wird nach Ihren Planungen sehr bescheiden sein. Ganz besonders deutlich wird die Einseitigkeit der Frauenpolitik der Bundesregierung bei der geplanten Budgetregelung. Wenn Eltern, derzeit zu 98,5 Prozent Mütter, das Erziehungsgeld nicht zwei Jahre, sondern nur ein Jahr in Anspruch nehmen, erhalten sie dafür einen beträchtlichen Bonus. Das Erziehungsgeld wird dann von 600 auf 900 DM erhöht. Damit wird ein deutlicher Anreiz geschaffen, die elterliche Betreuung und Erziehung des Kindes auf das erste Lebensjahr zu beschränken. Das ist einseitige Berufsförderungspolitik. ({4}) Auch die Anhörung zur geplanten Änderung des Erziehungsgeldgesetzes am Montag hat deutlich gemacht, dass alle Experten, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, den Entwurf in vielen Punkten sehr kritisch beurteilen. Neben der inhaltlichen Kritik sind, wie so oft bei den Gesetzentwürfen dieser Bundesregierung, auch handwerkliche Mängel aufgezeigt worden. Gerade die Budgetregelung ist nach den Ausführungen der Experten nahezu undurchführbar. Auch der mangelnde Anreiz für Väter, Erziehungsurlaub zu nehmen, muss kritisiert werden, zumal die derzeitige Regelung nicht mehr den EU-Vorgaben entspricht, die einen eigenständigen Anspruch auf Erziehungsurlaub für Väter von drei Monaten vorschreiben. ({5}) Wir fordern eine Verlängerung des gesamten Anspruchs auf Erziehungsurlaub um mindestens drei Monate für die Eltern, die beide einen Teil des Erziehungsurlaubs in Anspruch nehmen. Dies wäre ein klares Signal für Väter, ({6}) mehr Erziehungsverantwortung zu übernehmen, und damit auch ein wesentlicher Beitrag zur Frauenpolitik. Denn das Engagement der Väter in der Erziehung zu stärken heißt immer auch, den Müttern mehr berufliche Freiräume zu eröffnen. Gleichzeitig würde dem EURecht entsprochen. Meine Damen und Herren, noch einige Worte zu den vorliegenden frauenpolitischen Forderungen. In einem Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, „die erfolgreiche Gleichstellungspolitik seit Übernahme der Regierungsverantwortung ... fortzusetzen“. Die CDU/CSU fordert vielmehr, dass die Regierung den vielen Worten ihrer Programme und Pläne und den zahlreichen „Wir werden prüfen“, „Es soll“ und „Es muss“ endlich Taten folgen lässt. ({7}) Die Forderung, das „Gender Mainstreaming“ durchgehend zur Grundlage des Regierungshandelns zu machen, ist sicherlich notwendig. Wir als CDU/CSU-Fraktion werden aber darauf achten, dass dabei Frauen mit der Vielfalt ihrer Lebensentwürfe ernst genommen werden. ({8}) Auch wir sind dafür, dass sich Deutschland in New York - ich zitiere aus dem Antrag - „für weitere Maßnahmen zur Umsetzung der Aktionsplattform“ einsetzt und die Beschlüsse der vierten Weltfrauenkonferenz bekräftigt und weiterentwickelt. Aber wir werden hier vor Ort darauf achten, dass in der nationalen Umsetzung keine einseitige Frauenpolitik betrieben wird, die einer großen Zahl von Frauen in Deutschland nicht gerecht wird. ({9}) Frau Hanewinckel, am Beginn Ihrer Rede haben Sie auf Ihre großen Leistungen hingewiesen. Ich bin gespannt, wann Ihren Worten endlich Taten folgen werden. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Worten müssen Taten folgen; die Kollegin Eichhorn hat es gerade gesagt. Das ist auch meine Meinung; das ist auch die Konsequenz aus der Pekinger Weltfrauenkonferenz. Denn heute, nach fast fünf Jahren, hat sich die Lebenssituation von Frauen in den 189 Unterzeichnerstaaten nicht wesentlich geändert oder verbessert. Ich gehe zunächst auf die Situation von Frauen weltweit ein und beziehe mich dabei auf eine Bilanz der Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Barbara Lochbieler. Ich zitiere: Trotz aller Versprechungen und Deklarationen, die vor fünf Jahren bei der 4. Internationalen Frauenkonferenz in Peking verabschiedet wurden, haben die Regierungen sehr wenig getan, um die Rechte der Frauen umzusetzen und um sie vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, denen sie einzig aufgrund ihres Geschlechtes ausgesetzt sind. Der mangelhafte Schutz der Rechte der Frauen spiegelt den fehlenden politischen Willen vieler Regierungen wider, substanzielle Veränderungen im Leben der Frauen herbeizuführen. Im Namen von kulturellen oder religiösen Interessen ignorieren viele Regierungen die Verpflichtungen, die sie auf der internationalen Bühne eingegangen sind. Es gibt also einen enormen Unterschied zwischen der weltweiten Rhetorik der Regierungen und der tatsächlichen Umsetzung der Rechte von Frauen. Zahlen sind da immer sehr anschaulich; deshalb möchte ich folgendes Bild zeichnen: Weltweit sterben täglich mehr Frauen und Mädchen an geschlechtsspezifischen Übergriffen als an allen anderen Formen von Menschenrechtsverletzungen. Fünf Jahre nach Peking werden mehr Frauen und Kinder gehandelt als je zuvor. Täglich werden 6 000 Mädchen und Frauen Opfer von Genitalverstümmelungen; weltweit sind es 130 Millionen Frauen. Frauen werden außerdem zu Tode geprügelt, lebendig verbrannt, gesteinigt, sexuell missbraucht. In Pakistan beispielsweise werden jährlich Hunderte von Frauen wegen der Verletzung der Familienehre getötet. In Sierra Leone und im Sudan werden Tausende Mädchen und Frauen sexuell versklavt und verschleppt. In Bangladesch - wir haben das in den letzten Monaten verstärkt mit ansehen müssen - werden immer mehr Frauen Opfer von Säureattentaten, ausgeführt von zurückgewiesenen Männern. In Indien werden circa 5 000 Frauen Opfer von Mitgiftmorden. Etwa 1 Million Mädchen in Südostasien kommen ums Leben, weil sie medizinisch schlechter versorgt und schlechter ernährt werden als Jungen. In Kriegs- und Krisenregionen sind Frauen besonders gefährdet. Sie stellen 80 Prozent aller Flüchtlinge weltweit. Sind sie auf der Flucht, sind sie in viel höherem Maße ungeschützt. Sie sind sexuellem Missbrauch von Soldaten, Behördenvertretern und anderen Männern schutzlos ausgeliefert. Frauenrechte sind Menschenrechte, hieß es auf der Konferenz von Peking. Sie werden weltweit immer noch mit Füßen getreten; sie werden im Namen von Religion, Tradition oder Kultur im öffentlichem oder im privaten Bereich ihrer elementaren Menschenrechte beraubt. Hierfür tragen Regierungen die Hauptverantwortung. Aber auch wir sind verantwortlich. Denn wir leben in einer Welt und darum müssen wir positive Ansätze von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen in diesen Ländern auch finanziell unterstützen. Ein wichtiges Instrument ist dabei, dass im Entwicklungszusammenhang die Gleichstellung der Geschlechter ein eigenständiger Grundsatz ist. Das hat zur Folge, dass die finanziellen Mittel das Empowerment und die gesellschaftliche Stellung der Frauen stärken. Die zunehmende Armut in vielen Ländern und der mangelnde Zugang der Frauen zu sozialen Diensten, Bildung und Ausbildung müssen zu Beginn des 21. Jahrhunderts endlich ein Ende haben. ({0}) Frauen brauchen weltweit einen gerechten Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen. Auch darum ist bei Entschuldungsinitiativen ein geschlechtsspezifischer Zugang notwendig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges Ziel der Weltfrauenkonferenz 1995 war die weltweite Ratifizierung eines Zusatzprotokolls zur Frauenkonvention bis zum Jahre 2000. Nur wenn dieses Zusatzprotokoll von zehn Staaten ratifiziert wird, kann es auch in Kraft treten. Dies ist bis heute leider noch nicht geschehen. Seit elf Jahren gibt es bereits das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Diese Vereinbarung wurde vor elf Jahren von 163 Staaten ratifiziert. Es fehlte jedoch bislang die Möglichkeit, dass Betroffene ihren Diskriminierungsfall von dem zuständigen UN-Ausschuss überprüfen lassen können. Ansonsten könnte der Ausschuss dem entsprechenden Vertragsstaat Maßnahmen auferlegen, das Opfer entsprechend zu schützen. Um diese Möglichkeit zu gewährleisten, wurde im Oktober 1999 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Zusatzprotokoll verabschiedet. Ich bin froh, dass Deutschland zu den ersten zehn Staaten gehört, die dieses Zusatzprotokoll unterzeichnet haben. ({1}) Ich hoffe, dass wir auch zu den Ersten gehören werden, die dieses Protokoll ratifizieren, damit es dann weltweit in Kraft treten kann. Zur Situation der Frauen in Deutschland nenne ich die Bereiche, die auch vom UN-Ausschuss als besonders kritisch angesehen wurden: die Situation der Frauen in Ostdeutschland, die Bedingungen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die Situation der ausländischen Frauen in Deutschland und Gewalt gegen Frauen. Seit der Unterzeichnung der Pekinger Plattform hat sich zwar einiges, aber bei weitem nicht genug verändert. Die Frauendiskriminierung in Deutschland wurde in den 16 Jahren der Kohl-Regierung nicht wesentlich abgebaut. Das zu erledigen ist dringlichste Aufgabe der rotgrünen Regierungspolitik. ({2}) - Ja, wir sind schon dabei. Sie werden es gleich hören. Die rechtliche Gleichstellung ist bei uns relativ weit fortgeschritten. Das hat aber nicht zu einer faktischen Gleichstellung geführt. Wie ist es sonst zu erklären, dass die Arbeitslosenquote von Frauen in den neuen Bundesländern bei 21 Prozent liegt? Wie ist es zu erklären, dass Frauen nur durchschnittlich 77 Prozent des Einkommens von Männern verdienen? Aber nicht nur die Erwerbslosigkeit ist ein Problem. Auf dem Arbeitsmarkt herrschen vielfältige Formen der Benachteiligung vor. Die rot-grüne Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, die Fehler der Vorgängerregierung zu korrigieren und neue Wege einzuschlagen. Noch in diesem Jahr - Frau Eichhorn, jetzt komme ich zu den angekündigten Punkten - wird es ein Gleichberechtigungsgesetz für den öffentlichen Dienst geben, das mehr als ein Papiertiger ist. Durch dieses Gesetz werden Frauen ihre Erwerbs- und Karriereansprüche besser durchsetzen können. Dieses Gesetz wird Mädchen zukünftig auch die Hälfte der Ausbildungsplätze garantieren. Neben der Ausbildung wird es bei Einstellung und Beförderung zu Quotenregelungen kommen. Aber auch die Privatwirtschaft muss ihrer Verantwortung nachkommen und wir werden sie dabei mit einem Gesetz unterstützen, aber auch entsprechende Anreize geben. Dies geschieht zum Beispiel durch die Koppelung von öffentlichen Aufträgen an frauenfördernde Maßnahmen. Wir werden auch dem europarechtlichen Grundsatz „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ Rechnung tragen. Auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurden Frauen von der alten Regierung bis heute allein gelassen. ({3}) Bei der Zuweisung der Rollen der Geschlechter schultern Sie den Frauen immer noch den Löwenanteil an der Hausund Familienarbeit auf, während sie in der Erwerbsarbeit außen vor bleiben. Noch immer ist es so, dass von 400 000 Frauen, die in den Erziehungsurlaub gehen, nur die Hälfte wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Das muss sich ändern. Ich wundere mich, dass Sie, Frau Eichhorn, kritisieren, was hier alles fehle. Wo sind Ihre Anträge zum Erziehungsurlaub und wo sind Ihre Anträge zur Pekinger Weltfrauenkonferenz? ({4}) Hier wird die Neuregelung des Erziehungsurlaubsgesetzes entscheidende Veränderungen bringen. Wir werden auch die Rolle der Väter stärken. Väter werden stärker in die Verantwortung genommen werden können, weil sie Regelungen vorfinden, die ihren Lebensbedürfnissen entgegenkommen. Ein weiterer Missstand ist die Situation von ausländischen Frauen in Deutschland, die wir Bündnisgrünen schon seit langem bemängeln. Wir haben - Sie fragen nach der Umsetzung - in einem ersten Schritt die Änderung des § 19 des Ausländergesetzes vorgenommen. Hier sind maßgebliche Rechte ausländischer Ehefrauen gestärkt worden. ({5}) - Ja, Sie wundern sich, wie viel wir schon umgesetzt haben. Auch der Schutz von Frauen und Kindern vor häuslicher Gewalt wird noch in diesem Jahr verbessert. ({6}) Nicht mehr die geprügelte Ehefrau und ihre Kinder müssen das Haus verlassen, sondern der gewalttätige Mann. Das ist ein deutliches Signal an die Täter. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Eine Revolution hat begonnen!“, das war der Eröffnungsausruf auf der Weltfrauenkonferenz 1995. Nach fünf Jahren müssen wir feststellen: Die Revolution ist eine Schnecke. Die Umsetzungsdefizite sind groß und in manchen Bereichen geht es nicht mehr darum, zu einer Weiterentwicklung zu kommen, sondern die erzielten Fortschritte zu verteidigen. Darum habe ich mich sehr gefreut, im UN-Protokoll des Frauenrechtsausschusses zu lesen, dass die Bundesregierung für ihre Anstrengungen zur Herstellung der Chancengleichheit von Frauen gelobt wurde. ({8}) Dass Ihre Teilnahme, Frau Staatssekretärin Niehuis, und Ihr Vortrag in New York über die jetzige Frauenpolitik vom UN-Ausschuss so stark gewürdigt wurden, sollte uns allen ein Ansporn sein, weiter für die Rechte der Frauen einzutreten. Ich danke Ihnen sehr herzlich dafür. ({9}) Dennoch können wir uns nicht damit zufrieden geben. Auch in unserem Land gibt es noch genug zu tun. Wir haben zwar nach der letzten Bundestagswahl die Richtung gewechselt, sind aber erst am Anfang eines Weges, an dessen Ende Selbstbestimmung, Gewaltfreiheit und Demokratie zwischen den Geschlechtern sein wird. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ina Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wäre es doch schön, wenn wir ein Mindestmaß an Gemeinsamkeiten hätten. All das - so muss ich sagen - haben Sie mit diesem Tagesordnungspunkt weggewischt. ({0}) Ich bin erst seit dieser Legislaturperiode im Parlament. Wenn ich aber sehe, was es in der Vergangenheit bei der Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz von Peking an Gemeinsamkeiten gegeben hat, während hier nur deutlich sichtbare Nichtgemeinsamkeiten vorhanden sind, dann fällt mir einfach auf, dass wir nicht mehr gemeinsam für die Frauen kämpfen, sondern jeder parteipolitisch auf seinem Platz. ({1}) Das bedauere ich außerordentlich. Ich habe gedacht, es würde auch anders gehen. ({2}) Ein Mindestmaß an Gemeinsamkeiten hätten wir sehr wohl finden können. Ich bin wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt. Wahrscheinlich war ich auf einer gemeinsamen Frauenwolke, aber hier fällt man durch. ({3}) - Frau Hanewickel, Ihre ersten Worte haben mich schon sehr entsetzt. Ich habe sie noch sehr genau im Ohr. ({4}) Meine Damen und Herren, die Bundestagsfraktion der F.D.P. begrüßt, dass fünf Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking die Sondergeneralversammlung „Frauen 2000“ der Vereinten Nationen in New York stattfindet. Wir brauchen eine Überprüfung der Beschlüsse der Pekinger Konferenz, und zwar national und international. Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden für das 21. Jahrhundert sind Themen, mit denen wir Liberale uns identifizieren. Hier im Parlament - ich möchte, dass das nach all Ihren Beschimpfungen ganz deutlich wird - haben wir Alternativen zum Erziehungsgeld, zur Erziehungszeit, zur Familienförderung im Frauenrecht vorgelegt, und es war auch die F.D.P., die es mit der Änderung des § 19 des Ausländergesetzes durchgesetzt hat, dass ausländische Frauen, die in Deutschland geschieden werden, einen Sozialhilfeanspruch haben. Das haben Sie vergessen. ({5}) Es wäre klug und sehr fair gewesen, Frau Schewe-Gerigk, wenn Sie dazu noch ein Wort gesagt hätten. Dass Sie es nicht getan haben, zeigt unsere Nichtgemeinsamkeiten. Meine Damen und Herren, die F.D.P. hat in der alten Regierung auch Gesetze initiiert. Ich denke dabei nur an die Problematik von Vergewaltigung in der Ehe. Hierzu hat es gemeinsame überparteiliche Abstimmungen gegeben. 1992, drei Jahre vor der Weltfrauenkonferenz in Peking, wurde von der alten Bundesregierung ein nationales Vorbereitungskomitee installiert. Dies habe ich alles nachgelesen. In zwölf Arbeitsgruppen haben intensive Vorbereitungsarbeiten stattgefunden. Damals, meine Damen und Herren und liebe Kolleginnen von SPD und Grünen, waren Bundestagsabgeordnete aus allen Fraktionen an diesem Prozess beteiligt. ({6}) - Nein, das ist nicht wahr. Heute legen Sie am Montag zwei Anträge für die Donnerstagssitzung vor, die Sie nicht im Ausschuss beraten lassen, und hier haben wir eine Stunde für die Beratung des Themas „Weltfrauenkonferenz“. ({7}) Sie wissen, Frau Hanewinckel, dass dieses Vorgehen jenseits einer wirklich intensiven Diskussion ist. Vielleicht hätten wir uns auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt, aber das haben Sie nicht gewollt, sonst wären Sie anders verfahren. ({8}) Ich meine, dass die Bundesregierung es auch versäumt hat, uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier umfassend zu informieren. Ein konstruktiver Meinungsaustausch in sechzig Minuten bringt es nicht, Frau Ministerin Bergmann. Dieses Thema hätte im Parlament etwas Besseres verdient. ({9}) Ich frage Sie: Wo ist Ihre Strategie? - Da lachen Sie, aber von Ihnen habe ich nichts gehört. Zu der Veranstaltung am 12. April, die in meinen Augen total chaotisch war, sind wir nicht eingeladen worden. Aber das war eigentlich auch alles, was hier in Bezug auf die Sondergeneralversammlung in New York passiert ist. Die Regierung sollte - dies kommt wahrscheinlich gar nicht mehr an, denn bei ihr geht es auf der einen Seite hinein und auf der anderen Seite wieder heraus - bei der Konferenz in New York auf Appelle im Schlussdokument weitgehend verzichten und den Schwerpunkt auf Durchsetzungsstrategien legen. Die Bundesregierung hat im letzten Jahr den Fragebogen zur nationalen Umsetzung der Aktionsplattform beantwortet. Die Antworten zeigen, dass die alte und die neue Bundesregierung Anstrengungen unternommen haben, die teilweise erfolgreich waren. Ich habe die Antworten von vorn bis hinten gelesen. Sie mussten immer schreiben: „Diese Bundesregierung hat zwischen 1995 und 1998 das und das gemacht.“ Ich finde es schofelig, wenn Sie darauf nicht eingehen und auch uns keine Möglichkeit dazu geben. ({10}) Beide Regierungen haben Anstrengungen unternommen, aber fast auf jeder dritten Seite steht, dass diese unzureichend sind. Wir wissen, dass sie unzureichend sind. Auch die Anstrengungen der alten Regierung waren unzureichend. Wie weit Sie mit ihrem Gleichberechtigungsgesetz für die Wirtschaft kommen, werden Sie noch sehen. Ich glaube, dies wird ein abgespeckter Tiger. Sie werden als Bettvorleger landen. Dann wird die Situation noch viel schlimmer und wird die Arbeitsplätze von Frauen in der Wirtschaft eher ungünstiger gestalten. Meine Damen und Herren, teilweise kann ich den Antworten der Bundesregierung zustimmen, aber teilweise sind die Antworten der von Ihnen getragenen Regierung sehr weit her geholt und sehr abenteuerlich. Ein Beispiel: In dem Kapitel „Frauen und Armut“ schreiben Sie in Ihrer Antwort von dem Erfolg der Neuregelung der 630Mark-Arbeitsverhältnisse. ({11}) Wir wissen das alles, aber die Bürgerinnen und Bürger wissen nicht, worin dieser Erfolg liegt. Ich sage Ihnen nur eines: Immer weniger Frauen arbeiten in ordentlichen 630-Mark-Arbeitsverhältnissen, immer mehr arbeiten schwarz. Ich habe das selber am eigenen Leib mitbekommen. Es ist eine Katastrophe. Dies gilt insbesondere für Hilfen in privaten Haushalten. Ich möchte noch einmal auf die Versammlung zurückkommen. Es ist außergewöhnlich, dass diese Fraktionsanträge heute diskutiert werden. Dieses Thema hätte intensiver beraten werden können. Es hätte mir wirklich Freude gemacht, wenn wir dies in nicht öffentlicher Ausschusssitzung beraten hätten. In den Anträgen sind viele Unklarheiten enthalten. Es ergeben sich viele Fragen. Nicht aufgrund dieser Debatte, sondern aus drei anderen Gründen werden wir Ihren Anträgen nicht zustimmen: Erstens gibt es keine gründliche Beratung. Zweitens haben wir aufgrund der Zeit keine Möglichkeit, etwas zu ändern oder uns zu einigen. Drittens gibt es bei dieser Diskussion eine parteipolitische Lobhudelei, nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich. Deshalb wird die F.D.P. nicht zustimmen. Aber wir werden natürlich alles daransetzen, dass wir mit der Frauenpolitik national und international weiterkommen. Sie wissen ganz genau, dass Ihre Anträge nichts nützen, denn wir Parlamentarierinnen haben auf der Sondergeneralversammlung nur einen Beobachterstatus. Die Regierung ist diejenige, die handeln muss. Ich komme jetzt zum Schluss, Frau Präsidentin. Die F.D.P. wird die Sondergeneralversammlung Peking + 5 in New York aufmerksam und konstruktiv verfolgen und begleiten. Wir werden sehen, mit welchen Ergebnissen die Bundesregierung aus New York zurückkehrt. Die Diskussion wird weitergehen. Die F.D.P. ist dabei. Mit liberalen, freiheitlichen Ideen werden wir trotz der krassen parteipolitischen Töne, die ich heute gehört habe, konstruktiv an diesem Thema weiterarbeiten. Ich bedanke mich, dass Sie mir zugehört haben. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt Kollegin Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf dem Frauentreffen der 103. IPUTagung vor zwei Wochen in Amman waren sich die Parlamentarierinnen aus der ganzen Welt einig: Der „Peking + 5“-Prozess bietet die Möglichkeit für notwendige Aktionen. Zweifellos ist es jetzt unser Hauptziel, für die Sondergeneralversammlung ein aktionsorientiertes Abschlussdokument zustande zu bekommen. Substanzielle Analysen der gegenwärtigen Situation gibt es inzwischen genug. Es steht außer Frage, dass wir ein aktualisiertes, handlungsorientiertes Dokument brauchen, das Bezug nimmt auf die großen Herausforderungen durch den Prozess der ökonomischen Globalisierung. Ich nenne Migrationsprozesse - ich verweise nur auf die weitere weltweite Feminisierung der Armut, die Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen - und die daraus resultierenden Migrationsströme. Ich konnte mir vor kurzem in New York auf der PrepCom einen Eindruck über den Diskussionsprozess im Vorfeld dieser Sondergeneralversammlung verschaffen. Es ist klar: Es gibt eine Wiederauflage der unheiligen Allianz des Vatikan mit fundamentalistischen Staaten. Es gibt auch die Gefahr, dass aggressive fundamentalistische Nichtregierungsorganisationen mehr Einfluss bekommen, als das noch vor fünf Jahren der Fall war. Die mühevollen Verhandlungsrunden der Prep-Com haben gezeigt, dass es einfach kein Zurück hinter die Beschlüsse von Peking, von Kairo und von Wien geben darf. Im Übrigen hat sich hier die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Union sehr engagiert, dass vor allem in den Punkten Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen und reproduktive Gesundheit tatsächlich erst einmal der Status quo erhalten bleibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Dreh- und Angelpunkt ist zweifellos die Umsetzung eines solchen Dokuments, wie des in zwei Wochen in New York zu verabschiedenden. ({0}) Die NGO-Aktivistin Christa Wichterich, vielen hier im Saal sicherlich bekannt, hat zu Recht festgestellt: Der Revolution der Worte folgte keine der Taten. Leider stimmt die Analyse - sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene. Deshalb besteht meines Erachtens der größte Handlungsbedarf bei effektiven Umsetzungsmethoden und wirkungsvollen Überprüfungsmechanismen für das Beschlossene. Wie wir es auch drehen und wenden - an einer verstärkten Bezugnahme auf das einzige völkerrechtlich verbindliche Dokument, nämlich das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, CEDAW genannt, werden wir nicht vorbeikommen. Die Anregung der UN-Mitarbeiterin Yakin Ertürk auf dem Ammaner Parlamentarierinnentreffen, CEDAW als eine Art „Bill of Rights“ in der politischen Praxis zu nutzen, findet meine Unterstützung. Doch wir alle als nationale Parlamentarierinnen und Parlamentarier wissen sehr gut, wie schwer es ist, sich im Alltag auf internationale Regelungen und Beschlussfassungen zu beziehen und sich zum Beispiel auf dem Rechtsweg auf die entsprechenden internationalen Dokumente zu berufen. Ich habe aber durchaus die Hoffnung, dass sich hier nach der Ratifizierung des CEDAW-Zusatzprotokolls neue Möglichkeiten eröffnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in der Bundesrepublik ist die Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz längst nicht ausreichend umgesetzt worden. Der Schattenbericht der Nichtregierungsorganisationen, übrigens von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben, spricht da eine sehr deutliche Sprache. ({1}) Im Regierungsbericht zur Umsetzung der Aktionsplattform werden die strukturellen Diskriminierungen von Frauen bei weitem nicht genügend berücksichtigt. Ebenso, wie das schon bei dem CEDAW-Bericht war - da gab es die Rüge vonseiten der UN bereits zum Jahresanfang - ,wird die Lage von Migrantinnen und die Situation von Frauen in Ostdeutschland in dem Regierungsbericht weitgehend ausgeblendet. Da wundert es einen schon ein bisschen, wenn sich die Regierungsfraktionen heute in ihrem Antrag doch mehr oder weniger - ich sage es so krass - auf eine Selbstbeweihräucherung beschränken. Ja, die Bundesregierung hat das Aktionsprogramm „Frau und Beruf“ vorgelegt. Das erschöpft sich meines Erachtens aber bisher in Ankündigungen. Sie bemängeln, dass Frauen in höheren und hohen Positionen im öffentlichen Dienst unterrepräsentiert sind. Bei 1,3 Prozent weiblichen Abteilungsleiterinnen in den obersten Bundesbehörden und 5 Prozent C-4-Professorinnen muss man sagen: Sie sind dramatisch unterrepräsentiert. Hier wirken tatsächlich Machtstrukturen, die nach wie vor Frauen strukturell und systematisch ausgrenzen und diskriminieren. Wo bleibt das angekündigte Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst? Hier gibt es zum Glück endlich einen Fahrplan. Ich frage aber vor allem nach dem Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Wir alle wissen, dass die gegenwärtig laufenden Dialogforen sehr wichtig und nützlich sind, Frau Ministerin. Wir wissen aber auch, wie wichtig konkrete Handlungen sind. Ich warne davor, zu hoffen, dass die Unternehmen in nennenswerter Menge freiwillig Frauenförderung betreiben. Das scheint mir ein bisschen naiv zu sein und kann möglicherweise - ich sage es mit Absicht so vorsichtig - ein Indiz dafür sein, dass es die Regierung mit der Gleichstellung doch nicht so ernst meint. Hier wird Ihnen auch der heraufbeschworene Paradigmenwechsel nicht helfen, demzufolge die Chancengleichheit der Geschlechter ein Leistungs- und Wettbewerbsfaktor sei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauenrechte sind Menschenrechte. Das war die zentrale Botschaft von Peking. Ich möchte abschließend noch an den Punkt der Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylund Aufenthaltsgrund erinnern. Heute ist die Meldung durch die Ticker gegangen, dass die Verwaltungsvorschriften hierzuzu geändert werden. Das ist ein wichtiger Schritt. Ich sage aber in aller Deutlichkeit: Dieser Schritt wird nicht ausreichen, um zum Beispiel zu verhindern, dass traumatisierte und vergewaltigte Frauen aus einzelnen Bundesländern abgeschoben werden. Wir müssen hier den Worten Taten folgen lassen, diese unsägliche Asyldebatte endlich abbrechen und verfolgten Frauen einen wirksamen Schutz und Aufnahme geben. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin Christine Bergmann.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erinnern wir uns: Es war die 4. Weltfrauenkonferenz, die 1995 die Gleichstellung von Frauen und Männern international wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt hat. Mit der Aktionsplattform von Peking liegt erstmals in der Geschichte ein politisches Gesamtkonzept der Vereinten Nationen zur Gleichstellung der Geschlechter, zum Abbau von Diskriminierung und zum Schutz der Menschenrechte von Frauen vor. Wir sind uns darüber einig: Bei all dem Streit, den es gibt, gehen von Peking entscheidende Impulse zur Gleichstellungspolitik aus. Ich denke, dass das, was uns beschäftigt, wichtig ist. Wir fragen uns: Wie ist es nun weitergegangen? Wenn wir uns in New York treffen und bilanzieren, was umgesetzt worden ist, dann betrifft dies die nationale, aber auch die internationale Umsetzung. Wir wissen: Kein Land der Welt ist schon so gut, dass es dieses Thema nicht mehr auf der Tagesordnung hätte. Es gibt unterschiedliche Probleme bei den Frauen. Aber überall ist die Gleichstellung nach wie vor nicht verwirklicht. Mit der Aktionsplattform von Peking wurden strategisch neue Weichen gestellt. So ist zum Beispiel die Einführung des Gender-Mainstreaming-Prinzips in der Politik als durchgängiges Prinzip in Peking vereinbart worden. Wir müssen einmal sehen, was davon umgesetzt worden ist und ob die Forderungen eines interfraktionellen Antrages zu Peking umgesetzt wurden. Wir müssen feststellen, dass das erst in den letzten eineinhalb Jahren der Fall war. ({0}) Wir haben das Gender-Mainstreaming-Prinzip in das Programm „Frau und Beruf“ aufgenommen. Wir werden es in die Geschäftsordnung der Bundesregierung aufnehmen. Wenn die interministerielle Arbeitsgruppe anfängt zu arbeiten, geht es auch darum, Kriterien festzulegen, dieses Prinzip in den einzelnen Ressorts, in den Verwaltungen so zu verankern, dass man nicht im Nachhinein fragen muss, ob alles richtig gelaufen ist. Ich komme zum Programm „Frau und Beruf“. Frau Eichhorn, Sie haben es wahrscheinlich nicht gewollt, aber Sie haben mir ein richtig dickes Lob ausgesprochen. Sie haben nämlich gesagt, wir kümmerten uns um die Erwerbsarbeit der Frauen. - Ja, das tue ich. Das ist meine Aufgabe. Es ist ganz wichtig, dass wir uns darum kümmern. ({1}) - Ich werde gerade wieder von Frau Eichhorn gelobt oder gescholten, je nach dem, wie man das einschätzt. Wir kennen doch die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Wir wissen, wie Frauen bezahlt werden: Frauen erzielen im Durchschnitt nur 77 Prozent im Vergleich zu den Einkommen der Männer in den alten Bundesländern. In den neuen Bundesländern sieht es besser aus. Dort erreichen Frauen aufgrund der Berufswahl im Durchschnitt - noch - fast 90 Prozent im Vergleich zu den Einkommen der Männer. Natürlich ist es notwendig, sich um das, was Frauen wollen, zu kümmern. ({2}) Nicht nur junge Frauen wollen ihren Anteil an der Erwerbsarbeit. Frauen wollen nicht nur als Hinzuverdiener erwerbstätig sein; vielmehr wollen sie einen ordentlichen Anteil am Erwerbsleben haben und ordentliche Karrieren machen, und zwar in Berufen, die auch Spaß machen. Es ist meine Aufgabe als Frauenministerin, dafür sorgen, dass dies auch möglich ist. ({3}) Wir haben das Programm „Frau und Beruf“ auf den Weg gebracht, weil wir wissen, dass Gleichstellungspolitik in der Arbeitswelt ansetzen muss. Unter dem Namen „Frau und Beruf“ verstehe ich vorrangig, Veränderungen in der Erwerbsarbeit und in der Arbeitswelt durchzusetzen. ({4}) Das ist meine Vorstellung. ({5}) Ich möchte auf den Vorwurf, wir hätten das Programm „Frau und Beruf“ noch nicht ausreichend umgesetzt, ein paar Punkte erwidern: Das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst - das ist von Frau Hanewinckel schon angesprochen worden - befindet sich zurzeit, wie Sie sicherlich vernommen haben, in der Ressortabstimmung. Wir werden mit diesem Gesetz ganz entscheidende Verbesserungen erreichen. Die Zahlen, die genannt worden sind, belegen, wie schlimm es noch um die Gleichstellung im öffentlichen Dienst bestellt ist. Dort sieht es auch nicht viel besser aus als in der Privatwirtschaft. Auch das muss man ansprechen. Wir wollen, dass Frauen bei gleicher Qualifikation bei Ausbildung, Einstellung und Beförderung bevorzugt werden, allerdings unter Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit. Das ist die Vorgabe des Europäischen Gerichtshofes. Ich denke, wir werden weiter vorankommen. Es wird verbindliche Gleichstellungspläne geben. Die Förderung der Gleichstellung wird als ausdrückliche Aufgabe für alle Dienstkräfte mit Leitungsfunktionen verankert. Es gehört auch zum Gender-Mainstreaming, dass sich nicht irgendeiner um die Gleichstellung kümmert; vielmehr ist die Durchsetzung der Gleichstellung auch eine Führungsaufgabe. Weiterhin werden die Gleichstellungsbeauftragten mehr Kompetenzen erhalten. Sie haben ein weiteres wesentliches Thema des Programms „Frau und Beruf“ angesprochen, nämlich die Durchsetzung der Chancengleichheit von Frauen in der Privatwirtschaft. Frau Bläss hat darauf hingewiesen, dass wir mit dem begonnenen Dialog bereits ein gutes Stück Weg zurückgelegt haben. Ich möchte nur ein Missverständnis ausräumen: Wir setzen nicht auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Es wäre schön, wenn wir das tun könnten. Aber angesichts der wenigen Unternehmen, die bisher freiwillig etwas für die Chancengleichheit der Frauen getan haben, ist mir dieses Prinzip als Perspektive zu mau. ({6}) Ich denke, wir bereiten den Boden mit dem begonnenen Dialog gut vor. Es geht zum Beispiel um die Themen öffentliche Auftragsvergabe und die Vertretung der Interessen von Frauen. Es liegen eine ganze Menge guter, brauchbarer Vorschläge darüber auf dem Tisch, welchen Weg wir ab dem Herbst einschlagen sollen und mit welchen rechtlichen Regelungen wir unser Ziel erreichen können. Ich möchte im Rahmen der Diskussion über das Programm „Frau und Beruf“ noch einen weiteren Punkt ansprechen, nämlich die Informationsgesellschaft. Wir befinden uns nicht auf dem Weg in die Informationsgesellschaft; vielmehr sind wir schon mitten in ihr. ({7}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben nicht nur diese gesamte Entwicklung, sondern auch die Tatsache verschlafen, dass die Informationsgesellschaft Frauen neue Arbeitsmärkte bietet. ({8}) Angesichts des Mangels an Fachkräften, der im IT-Bereich herrscht, würden die Unternehmen auch Frauen nehmen, wenn sie gut qualifiziert wären. Aber diese gibt es nicht. Wir sind gut beraten, das, was wir uns im Aktionsprogramm der Bundesregierung „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ vorgenommen haben, auch umzusetzen, nämlich den Anteil der Frauen in den IT-Ausbildungsberufen und auch in den IT-Studiengängen in den nächsten fünf Jahren auf 40 Prozent zu erhöhen. Momentan liegt der Anteil zwischen 13 und 14 Prozent. Hier müssen wir eine Menge tun. Im Rahmen der D-21-Initiative sind eine Menge praktischer Vorschläge auf den Tisch gelegt worden, um diesen Anteil zu erhöhen. Im Rahmen dieser Initiative haben sich die beteiligten Unternehmen verpflichtet, noch in diesem Jahr zusätzliche Arbeitsplätze für junge Frauen im IT-Bereich bereitzustellen. Wir sind auch dabei, Multiplikatoren, also junge Fachfrauen, die Mädchen werben und ihnen den Wert der Sache klar machen, in die Schulen zu schicken; denn die Ausbildungsplätze allein reichen nicht aus. Wir haben dieses Problem so schnell es irgend ging aufgegriffen. Ich kann nicht hinnehmen, dass es hier einen wunderbaren Arbeitsmarkt mit sicheren Arbeitsplätzen gibt, auf dem die Frauen nur marginal vorkommen. Ich kann Sie nur um Unterstützung bitten. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Ja, Frau Lenke, bitte.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, vielleicht kommen wir auch hier in einen kleinen Dialog. Ihre Redezeit wird in zwei Minuten beendet sein. Ich hatte von Ihnen eigentlich erwartet, dass Sie etwas über die Strategie, die Sie auf dieser Konferenz verfolgen, sagen. ({0}) Sie haben von all dem gesprochen, was Sie gemacht haben, und Sie haben Ihre Programme genannt. Welche Erfolgsstrategie haben Sie für diesen Kongress? Ich frage das Sie, denn Sie sind die Vertreterin der Regierung, die Erfolg erzielen muss. Darüber würde ich in den letzten zwei Minuten gerne noch etwas hören. ({1})

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Frau Lenke, ich werde auch dazu noch etwas sagen. Haben Sie noch ein kleines bisschen Geduld. Es geht auch darum, eine Bilanz dessen zu ziehen, was wir getan haben; denn Sie werfen uns permanent vor, wir hätten nichts getan. ({0}) Ich komme noch einmal auf das Gesetz über das Erziehungsgeld zu sprechen. Meine liebe Frau Eichhorn, wenn Sie erklären, wir schrieben irgendjemandem irgendetwas vor, dann muss ich Ihnen sagen, dass Sie einfach noch einmal in das Gesetz hineinschauen müssen. Wir erweitern die Wahlmöglichkeiten für Familien. ({1}) Die Familien können entscheiden, ob ein Elternteil oder beide Erziehungsurlaub nehmen oder ob die Eltern das alte Erziehungsmodell bevorzugen. Es gibt mehrere Optionen. Unser Versuch, mit den 30-Stunden-Teilzeitarbeitsplätzen die Väter anzusprechen, ist ganz vernünftig. Ich bekomme von jungen Vätern vielfach ein positives Echo. Wir wollen doch einmal sehen, ob wir nicht die Verhaltensstarre überwinden. Ihr Umgang mit der Budgetierung ist nun wirklich albern und schlimm. Eine Budgetierung ist nur ein Angebot. Es gibt schon jetzt viele junge Eltern, die nur ein Jahr Erziehungsurlaub nehmen, vor allen Dingen, wenn die Kinderbetreuung geregelt ist. Diese Eltern haben im Moment das Geld, das ihnen zusteht, verloren. ({2}) - Ich komme gleich auf New York zu sprechen. Es ist angesprochen worden, was wir - dazu gehören viele aus unserem Umfeld - dazu beigetragen haben, dass das CEDAW-Zusatzprotokoll nach zehn Jahren zustande kam. Wir sind dabei, die Ratifizierung einzuleiten. Was können wir in New York erreichen? Frau Bläss hat es schon angesprochen: Vor uns liegt ein schwieriger Prozess. Auf der Konferenz wird bilanziert. ({3}) Seit Wochen und Monaten gibt es Abstimmungen. Es gab die ECE-Konferenz. Darüber haben wir Sie im April auf einer Veranstaltung informiert. ({4}) Es gab die Brüsseler Konferenz, auf der sich die europäischen Länder verständigt haben. ({5}) - Hören Sie doch einmal einen Moment zu und seien Sie nicht so aufgeregt! Was stört Sie denn eigentlich daran, wenn hier jemand Erfolge verkündet? Offensichtlich haben Sie das nicht so gerne. Mein Dank gilt auch den NGOs, die kräftig beteiligt sind. Es gibt viele Bestrebungen, hinter die Pekinger Plattform zurückzufallen, zum Beispiel beim Thema „Frau und Gesundheit“. Es besteht die Gefahr, dass das Erreichte einkassiert wird. Wir arbeiten seit Wochen und Monaten daran, dass die Beschlüsse der Pekinger Plattform aufrechterhalten und weiterhin umgesetzt werden. Wir wollen weitere Strategien zur Umsetzung vereinbaren. Wir verlangen von den Ländern über die Umsetzung entsprechende Berichte. Das können wir in New York leisten. Wenn wir das geschafft haben, dann sind wir ein gutes Stück weiter. An dieser Arbeit sind viele beteiligt. Zu einem Teil können Sie das miterleben; Sie sind ja in New York dabei. Die Europäische Union - es ist schon gesagt worden: Sie ist ein Stück weit Motor - muss dafür sorgen, dass die Pekinger Beschlüsse aufrechterhalten bleiben. An den Umsetzungsstrategien muss weiterhin gearbeitet werden und nichts darf zurückgenommen werden; denn wir brauchen am Beginn des 21. Jahrhunderts einen kräftigen Impuls für die Gleichstellungspolitik, damit die Prophezeiung von Matthias Horx, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Frauen wird, ziemlich bald wahr wird. Bei der Gleichstellung der Geschlechter geht es um Demokratie. Eine Demokratie ist in einem schlechten Zustand, wenn sie das nicht zu ihrem Thema macht. Danke schön. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt die Kollegin Erika Reinhardt für die CDU/CSU-Fraktion.

Erika Reinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden sind die eng miteinander verzahnten Ziele, die die frauenpolitische Richtung weltweit bestimmen. Wenige Wochen vor der Peking +5-Konferenz in New York müssen wir uns aber schon die Frage stellen, was wir eigentlich erreicht haben. Liebe Frau Ministerin, wenn ich Sie jetzt gehört habe, dann muss ich sagen: Bisher gab es viel heiße Luft, aber keine konkreten Aussagen. ({0}) Hält man sich - ich spreche hier jetzt in erster Linie für die Frauen in der Entwicklungspolitik - die Entwicklungspolitik der rot-grünen Regierung vor Augen, dann mutet es schon geradezu zynisch an, dass die Fraktion der SPD 1996 in einem Antrag der damaligen Kohl-Regierung vorwarf: Angesichts der dürftigen 0,32 Prozent des Bruttosozialproduktes anstelle der von der UN geforderten 0,7 Prozent für die Entwicklungszusammenarbeit und angesichts der Benachteiligung, die Frauen in der Dritten Welt erfahren, sind die von der Bundesregierung angekündigten, allerdings auf vier Jahre begrenzten Mehrausgaben zugunsten von Frauen zwar überfällig, aber vollkommen unzureichend. Nun muss ich Sie natürlich schon fragen, liebe Frau Ministerin, wie sich eigentlich das, was damals als „vollkommen unzureichend“ bezeichnet wurde, zu Ihren heutigen Ausgaben verhält. Sie haben in all den Bereichen, die die Frauen betreffen, gekürzt. ({1}) Sie haben bei den Stiftungen gekürzt. Sie haben bei den Ernährungsprogrammen gekürzt. Sie haben im Gesundheitsbereich gekürzt. Sie haben überall dort gekürzt, wo in erster Linie Frauen in der Entwicklungspolitik betroffen sind. ({2}) Das heißt, Sie haben sich mit Ihrer Politik davon entfernt, der Rolle der Frau in der deutschen Entwicklungspolitik wieder den Stellenwert zu geben, den sie unter der Regierung Kohl hatte. ({3}) - Sie brauchen gar nicht zu lachen. Lieber Kollege Schuster, der Etat des Entwicklungsministeriums wurde um 8,7 Prozent gekürzt. Das hat es unter unserer Regierung nie gegeben. ({4}) Diese Einsparungen betreffen in erster Linie die Belange der Frauen. Im „Spiegel“ stand ein herrlicher Satz: Wer das Leben der Menschen in Afrika verbessern will, muss etwas für die Frauen tun: ihnen Einkommen und Landbesitz verschaffen, sie besser ausbilden und medizinisch versorgen, die Zahl ihrer Kinder vermindern. Genau das sind die Punkte. Davon sind wir jetzt natürlich bei der Peking +5Konferenz weit entfernt. In Ihrem Antrag sagen Sie, aufgrund der Schuldenregelung würden Mittel frei, die der Armutsbekämpfung, sozialen Diensten, der Bildung und Ausbildung sowie der Gesundheitsförderung zugute kommen sollen. Das alles sind Bereiche, in denen Sie ganz drastisch gekürzt haben. Aber Sie, liebe Frau Ministerin, müssen sich schon sagen lassen, dass die Entschuldungsinitiative, die wir natürlich begrüßen, in dieser Frage zu kurz greift; denn ihre Auswirkungen werden erst mittelfristig zu spüren sein. Die Frauen in den Entwicklungsländern brauchen aber heute und nicht erst morgen unsere Solidarität. ({5}) Nach wie vor sind zwei Drittel der Ärmsten der Armen Frauen. Auf ihnen lasten daher die Folgen der Mittelkürzungen besonders. In Anbetracht dieser Mittelkürzungen muss man sich schon fragen, ob Rot-Grün entwicklungspolitisch unter Vergesslichkeit leidet, ({6}) wenn es um die in Peking bekundete Handlungsbereitschaft geht. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass der wirtschaftliche Strukturwandel im Zeichen der Globalisierung besonders die Frauenrechte in der Dritten Welt bedroht. Fünf Jahre nach Peking werden mehr Frauen und Kinder als je zuvor gehandelt. Meine Damen und Herren, in dem Fragebogen der UN zur Umsetzung der Pekinger Beschlüsse - das ist schon angesprochen worden - hat die Bundesregierung nichts anderes zustande gebracht, als Aussagen ohne Beispiele aneinander zu reihen. Der Bundesregierung ist es nicht gelungen festzustellen, ob sich die Lebenswirklichkeit der Frauen tatsächlich verändert hat. Auch im „Spiegel“ vom 15. Mai dieses Jahres - der war jetzt einmal ganz gut ({7}) stand ein passender Satz: Die Frauen in den Entwicklungsländern sind die bessere Hälfte der Dritten Welt. - Dem kann ich eigentlich nur zustimmen. ({8}) Es ist auch interessant, dass ausgerechnet die den Grünen - Sie sollen ja schließlich auch Ihre Freude haben nahe stehende Heinrich-Böll-Stiftung in einer Studie ein vernichtendes Urteil über den frauenpolitischen Ansatz der aktuellen Entwicklungspolitik fällt. Ich glaube, dass Sie einmal darüber nachdenken sollten. Rot und Grün haben zusammen noch niemals Lila ergeben. Das ist eine Tatsache. Mit schönen Worten allein, meine Damen und Herren, ist es nicht getan. Wir müssen und wollen Taten sehen. Die 5. Weltfrauenkonferenz ist für uns alle eine Hoffnung und eine Chance zugleich. Es besteht die Hoffnung, die weiterführenden Forderungen durchzusetzen und Frauenförderung noch effektiver zu machen, sowie die Chance, die fortbestehende Diskriminierung von Frauen in das öffentliche Rampenlicht zu rücken und weitere Maßnahmen zu fordern. Wir brauchen die Stärkung der Frauen in den Entwicklungsländern. Dazu sind solche Konferenzen wie jetzt in New York sicherlich hilfreich. Es darf aber nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Wir müssen auch handeln. An dem vorliegenden Antrag der SPD muss ich schon kritisieren, dass Sie dort nur schreiben: „darauf hinzuwirken“, „zu unterstützen“, „zu berücksichtigen“, „anzuerkennen“, wieder „darauf hinzuwirken“, „beizutragen“. Das sind Floskeln, die zeigen, dass dieser Antrag mit der heißen Nadel gestrickt wurde. Das ist ein Antrag, der keine Substanz hat. Deshalb - Sie werden mir das nicht übel nehmen - können wir diesem Antrag nicht zustimmen, denn er ist inhaltlich wirklich ungenügend. ({9}) Ich hoffe, dass wir im Interesse der Frauen auf der Konferenz vielleicht doch noch gemeinsam etwas bewegen können. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort jetzt der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es morgen zum Thema Entwicklungspolitik eine ausführliche Debatte gibt. Außerdem bitte ich die Kolleginnen, die in diesem Bereich tätig sind, bei den Fakten zu bleiben. Die Wahrheit ist - ich sage Ihnen das einfach noch einmal; ich habe es schon öfter getan; vielleicht behalten Sie es doch einmal -: ({0}) Die Vorgängerregierung hat den Einzelplan 23 in den Jahren von 1991 bis 1998 um 5 Prozent gekürzt, während im gleichen Zeitraum das Volumen des Bundeshaushalts um insgesamt 14 Prozent gestiegen ist. Das heißt, es ist ersichtlich, dass zu Ihrer Regierungszeit dieser Haushalt als Steinbruch benutzt worden ist. ({1}) Was jetzt stattfindet, ist zwar auch schmerzlich - da mache ich mir gar nichts vor -, ist aber nötig zur Konsolidierung. Ich wäre froh, wenn ein Teil von den 82 Milliarden DM, die Sie uns an zwangsweisen Zinszahlungen sozusagen aufgebürdet haben, ({2}) für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stünde. ({3}) Wir tragen durch Reduzierung der Schulden dazu bei, dass wir künftig wieder mehr Spielraum haben. Vielleicht wäre es auch wichtig, wenn Sie sich einmal umhören, wie die Entschuldungsinitiative in den Partnerländern bewertet wird. Auf der Konferenz in Dakar, die sich mit Frauen- und Mädchenbildung beschäftigt hat, haben wir nur Lob bekommen. Bis jetzt sind durch die Entschuldungsinitiative 14 Milliarden US-Dollar frei geworden, die für die Grundbildung von Mädchen und Frauen eingesetzt werden. So trägt sie mit dazu bei, dass dem Ziel der Gleichberechtigung Rechnung getragen wird. Eine solche umfassende Entschuldungsinitiative haben Sie während Ihrer Regierungszeit verhindert. Wir tragen dazu bei, dass im globalen Maßstab die Möglichkeit der Förderung von Mädchen und Frauen geschaffen wird. ({4}) Ich will weiterhin darauf hinweisen, dass es zum Beispiel eine Zusage der alten Bundesregierung gegeben hat, 40 Millionen US-Dollar für Beratung und Lobbyarbeit von Frauen in den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. ({5}) - Ja, die entsprechenden Zusagen setzen wir um. ({6}) - Das ist doch in Ordnung. Ich bin im Gegensatz zu manch anderen der Meinung, dass es eine Verbindlichkeit für Zusagen im Bereich der außenpolitischen Beziehungen gibt. Das Hin- und Herschwanken, das Sie in diesen Diskussionen zeigen, finde ich gerade angesichts der Partnerländer, mit denen wir es zu tun haben, lächerlich. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage zum Schluss: Was wir uns vorgenommen haben, das setzen wir um. ({0}) - Hören Sie einmal mit dem Lachen auf! - Dazu gehören zum Beispiel Maßnahmen gegen die Genitalverstümmelung. Wir tragen mit unseren Finanzmitteln dazu bei, dass denjenigen das Handwerk gelegt wird, die diese Praktiken gegenüber den Frauen in den Entwicklungsländern noch anwenden. ({1}) Sie können uns für unsere Arbeit in diesem Bereich ruhig loben. Machen Sie unsere Arbeit nicht wider besseres Wissen schlecht! ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Frau Kollegin Reinhardt, bitte.

Erika Reinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Ministerin, der Unterschied zwischen Ihrem und unserem Haushalt liegt darin, dass wir nicht gekürzt haben. Vereinigungsbedingt gab es nur weniger Ausgaben. ({0}) - Wir haben nicht den Haushalt gekürzt. - Sie aber haben den Haushalt um 8,7 Prozent gekürzt. Das ging in erster Linie zulasten der Frauen. An dieser Tatsache führt kein Weg vorbei. Das ist der erste Punkt. ({1}) Der zweite Punkt. Das Gleichstellungskonzept von Peking hat die alte Regierung umgesetzt; das waren nicht Sie. ({2}) Die alte Regierung hat die 40 Millionen US-Dollar beschlossen und nicht Sie. ({3}) Sie haben in allen Bereichen gekürzt. Da helfen auch die schönen Reden Ihrerseits überhaupt nichts. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Brigitte Adler, SPD-Fraktion.

Brigitte Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frauen in aller Welt hatten große Erwartungen und viel Hoffnungen in die Konferenz von Peking 1995 gesetzt. Die Erklärungen und die Aktionsplattform hatten 12 kritische Hauptprobleme genannt, so unter anderem: Frauen und Armut, Bildung und Ausbildung von Frauen, Frauen und Gesundheit, Gewalt gegen Frauen, Frauen und bewaffnete Konflikte, Menschenrechte und Frauen sowie Mädchen, Frauen und Umwelt. Die in Peking gefassten Beschlüsse sollen nun auf der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen vom 5. bis 9. Juni dahin gehend überprüft werden, inwieweit sie von den Nationalstaaten umgesetzt worden sind. Alle Regierungen werden sich fragen lassen müssen, ob und inwieweit sie die mitgefassten und unterschriebenen Dokumente in die Tat umgesetzt haben. Die nationalen Belange werden dort vorgetragen, aber auch die Belange der Entwicklungsländer werden einen breiten Raum - wie bereits in Peking - einnehmen. In New York geht es nicht um Neuverhandlungen alter Zusagen. Es geht ausschließlich um die Bilanz des Erreichten. Einige Staaten im Norden und im Süden können Erfolge vorweisen. Andere haben noch einiges aufzuholen und aufzuarbeiten. Problempunkte, wie zum Beispiel Fragen des Schwangerschaftsabbruchs und der Familienplanung, über die in Peking strittig abgestimmt wurde, werden in New York nicht neu verhandelt werden. Es geht allenfalls um den Zeitraum, bis wann diese Streitpunkte politisch in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Frauen in aller Welt werden langsam ungeduldig. Vier große VN-Konferenzen hat es bislang zum Thema Frauen gegeben, mit vielfältiger Fortsetzung. Was ist jeweils als Ergebnis erreicht worden? 1945 haben sich die Vereinten Nationen in einer Grundsatzerklärung zur Gleichberechtigung von Mann und Frau geäußert. Wie lange müssen Frauen in den verschiedenen Kontinenten und Kulturen noch darauf warten? Frauenrechte sind Menschenrechte. Warum gelingt es nicht, das in so vielen VN-Resolutionen beschworene Grundrecht in politisches Handeln umzusetzen? Wie steht es mit dem Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung? Warum muss noch immer Gewalt gegen Frauen und Mädchen geächtet werden? Was ist mit der Forderung, für Frauen den freien und ungehinderten Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen und deren Kontrolle zu gewährleisten? In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit hat die Gleichstellung der Geschlechter als eigenständiger Grundsatz in allen Entwicklungsvorhaben Eingang gefunden. Damit soll erreicht werden, dass Mädchen und Frauen gleichberechtigt Einfluss auf die Gestaltung von Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit nehmen und Nutzen daraus ziehen können. ({0}) Die Kollegin Reinhardt hat die Finanzsituation angesprochen. Die Antwort der Ministerin zeigt, dass es manches Mal nicht unbedingt auf das Geld ankommt, ({1}) sondern dass wir hier zügig und grundsätzlich den Frauen helfen. Deshalb haben die beiden Koalitionsfraktionen zu dieser Sondergeneralversammlung zwei Anträge vorgelegt und unsere Position bekräftigt. Wir bitten, diesen Anträgen zuzustimmen, da sie für die Konferenz fünf Jahre nach Peking die deutsche Auffassung zur nationalen und internationalen Politik für Frauen deutlich machen. Dennoch bleibt die grundsätzliche Frage: Warum konnte trotz vieler Deklarationen und Konventionen immer noch nicht das Ziel, „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ erreicht werden? Haben wir als Frauen uns in der Vergangenheit zu sehr auf die papiernen Erklärungen verlassen? Haben wir kulturelle, religiöse und politische Interessen nicht ernst genug genommen, die all diesen Wünschen und all dem Gebotenen entgegenstanden? Die Forderung nach Schulbildung zum Beispiel wird von allen begrüßt. Nur, was ist, wenn eine deutsche Nichtregierungsorganisation voll Engagement in Nord-Pakistan eine Schule für Mädchen baut und dann bei der Einweihung feststellen muss, dass die Väter ihren Töchtern untersagt haben, dorthin zu gehen, weil der Imam es verboten hat? Gut Gemeintes verkehrt sich ins Gegenteil. Konflikte bleiben nicht aus. Wie aber geht man damit um? Frauen in einem afrikanischen Dorf verbessern durch Eigeninitiative ihre wirtschaftliche Lage. Das eingenommene Geld beansprucht aber der Ehemann. Welche Lösung bietet sich an? Erstens: Das Geld wird abgegeben und das Engagement schläft ein. Oder zweitens: Die Frauen stehen den anstehenden Konflikt in der Familie durch. In dem Dorf fordern die Frauen eine Schule für alle Kinder. Der nächste Konflikt ist bereits vorprogrammiert. Veränderungen können, müssen aber nicht immer zu Konflikten führen, wenn sich Gewohntes verändert und Neues entwickelt. Für Frauen, die dann ihre soziale Sicherheit bedroht sehen, ist dies eine mutige und oft schwierige Entscheidung. Haben wir in politischen Sphären geschwebt und hehre Ziele formuliert, die nicht realistisch waren aufgrund wirtschaftlicher und politischer Interessen? Sind wir in Frauenprojekte in kleinen Dörfern ausgewichen, weil in den Städten der Widerstand zu groß war? Haben wir die Nachhaltigkeit unseres Tuns und Wollens in schönen Leitlinien versteckt? Mischen wir uns ein! Helfen wir in einem Netzwerk, um die Wortführer in Politik und Wirtschaft - von Wortführerinnen kann ja in den meisten Fällen nicht gesprochen werden - nicht aus der Verantwortung zu lassen. Die Schuldenkrise und die Aushebelung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen in der Globalisierung können uns nicht kalt lassen. Wir sind es, die darunter leiden. Frauen des Nordens wie des Südens sind aufgerufen, sich auf ihre eigenen Kräfte und ihr eigenes Können zu besinnen. Natürlich sind Bildung, Ausbildung, Gesundheitsfürsorge, Abkehr von Gewalt, Teilhabe am Reichtum wirtschaftlicher Ressourcen weiterhin Aufgaben der Zusammenarbeit. Denn immer noch sind 70 Prozent der 1,3 Milliarden Armen der Welt Frauen. Die Aids-Infektionsrate bei Frauen und heranwachsenden Mädchen steigt und stellt bei weltweit insgesamt 33 Millionen HIV-Infizierten und täglich weiteren 16 000 Neuinfektionen gewaltige Anforderungen an die Gesundheitsfürsorge. 80 Prozent der Flüchtlinge vor Kriegen und Katastrophen sind Frauen und Kinder. Etwa 78 Prozent der Mädchen in Entwicklungsländern gehen zur Schule; dennoch sind immer noch 60 Prozent aller Analphabeten Frauen. Nicht einmal ein Drittel der von Frauen geleisteten Arbeit wird bezahlt. Dabei leisten Frauen weltweit mehr als die Hälfte aller Arbeitsstunden. Im informellen Sektor stellen sie 60 bis 80 Prozent der Beschäftigten. Diese Arbeit ist rechtlich und sozial nicht gesichert, was Frauen in der Doppelfunktion in Familie und Beruf besonders hart trifft. Es gibt häufig keinen Kündigungsschutz, keine Zusicherung sozialer Mindeststandards, und gewerkschaftliche Organisation wird häufig behindert. Jedes Jahr sterben weltweit mehr als eine halbe Million Frauen an den Folgen fehlender oder mangelnder medizinischer Betreuung bei der Geburt. Frauen und Mädchen sind sexuellem Missbrauch und physischer Misshandlung ausgesetzt. Dies muss, ja dies kann anders werden. Unser nationaler Bericht, den die zuständige Bundesministerin, Frau Bergmann, vorgetragen hat, gibt uns Frauen in Deutschland ein positives Zeichen. Oft aber fehlt der politische Wille in Ländern des Südens. So sei auf ein Versprechen der damals für die Peking-Konferenz zuständigen Ministerin aufmerksam gemacht. 40 Millionen US-Dollar für rechts- und sozialpolitische Beratung für fünf Jahre sind inzwischen ausgegeben worden. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und seine Ministerin werden demnächst das Ergebnis vorstellen. Die Konferenz von New York wird Bilanz ziehen. Wo Defizite sind, wo das Wollen politisch Verantwortlicher nicht vorankommt, wird man mit Nachdruck auf die gemachten Zusagen pochen müssen. Frauen lassen sich nicht länger hinhalten. Frauen mischen sich ein. Diese Welt hat es verdient, dass sie ihre Begabungen und ihr Können mit einbringen, nicht nur in einem Kral in Afrika, sondern auch auf den Chefsesseln der wichtigen, von Männern geschaffenen Institutionen wie der Weltbank und des IWF. Vielleicht geht es dann ein bisschen gerechter zu. Männer und Frauen sind gleichberechtigt - das ist das Credo von New York und das muss das Credo sein und bleiben. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Annette Widmann-Mauz für die Fraktion der CDU/CSU.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Bergmann, ich stelle mir gerade vor, was in diesem Hause bei der Opposition los gewesen wäre, wenn die Rede, die Sie vorhin hier gehalten haben, unsere damalige Frauenministerin Claudia Nolte gehalten hätte. ({0}) Eine peinliche Aufführung! ({1}) Die Bundesregierung ist auf die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen, die in gut zwei Wochen stattfindet, fast nicht vorbereitet. Die Äußerungen der Regierungsvertreterinnen in dieser Debatte waren das beste Beispiel dafür. ({2}) Bis heute jedenfalls ist das Parlament so gut wie nicht informiert worden. Die zuständigen Ausschüsse konnten sich inhaltlich praktisch nicht mit der Konferenz befassen. Allenfalls wurde die Weltfrauenkonferenz in fünf Minuten unter dem TOP „Verschiedenes“ erwähnt. Es ist weiterhin unklar, wer die Teilnehmerinnen der Regierungsdelegation sind, es ist weiterhin unklar, welche NGOs auf deutscher Seite teilnehmen werden, ({3}) es ist weiterhin unklar, welche Journalistinnen zum Beispiel mitgenommen werden, und es ist, auch nach Ihrer Rede, Frau Ministerin Bergmann, völlig unklar, was die Bundesregierung in New York eigentlich will. ({4}) Zur Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz in Peking vor fünf Jahren wurde eine Kommission eingesetzt, die sage und schreibe zwei Jahre im Vorfeld gearbeitet hat, und zwar zusammen mit dem Parlament, mit den Oppositionsparteien, mit den NGOs, mit den Journalistinnen, den Kirchen, den Menschenrechtsgruppen usw. Ich wiederhole: zwei volle Jahre! Die Rede, die Ministerin Claudia Nolte damals in Peking hielt, und ihr ganzes Verhandlungskonzept wurden im Vorfeld im Deutschen Bundestag bis aufs Komma debattiert. Und was machen Sie? Ganze zwei Wochen vor der Weltkonferenz schmeißen Sie dem Parlament eine schlampige Beschlussempfehlung hin. Das ist eine Missachtung des Parlaments, ({5}) nicht nur des Parlaments, sondern auch der NGOs und der Frauen in unserem Land. So stellen wir uns eine seriöse Vorbereitung nicht vor. ({6}) Hier ist die große Chance, eine breit angelegte gesellschaftliche Frauendebatte zu führen, vertan worden. Denn Sie wollen diese Debatte im Grunde genommen nicht. Im Alltag von Arbeit und Familie geht es den Frauen unter Rot-Grün keinen Deut besser als vorher. ({7}) Frau Hanewinckel, zu diesem Ergebnis komme nicht nur ich, sondern auch der Zusammenschluss der frauen- und entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen zum Beispiel die Welthungerhilfe, der Journalistinnenbund bzw. Terre des Femmes. Diese Organisationen legten nämlich - das wurde schon angesprochen - Anfang dieses Jahres, finanziert von der HeinrichBöll-Stiftung, einen Bericht vor. Dieser ist ein kritischer Kommentar der Antworten der Bundesregierung auf den UN-Fragebogen. Rot-Grün sieht die Lage der Frauen in Deutschland undifferenziert positiv. Sie sieht sie nicht lila, sondern leider rosarot. Sie rühmen Projekte und Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben. Denn seit eineinhalb Jahren kommt aus Ihrem Hause außer Ankündigungen nichts Substanzielles. ({8}) Wenn es je einen, wie Sie sonst immer betonen, Paradigmenwechsel gegeben haben sollte, dann nur den, der aus Ihrer Tatenlosigkeit besteht. ({9}) In der Wirtschaft jedenfalls lässt sich eine positive Entwicklung nicht mehr feststellen. In den technischen und in den naturwissenschaftlichen Berufen sowie im ITBereich haben Frauen zwar gute Perspektiven, aber keine echten Chancen. Bei den jungen Frauen sinken die Erwerbsquoten. In den neuen Bundesländern ist die Erwerbstätigkeit von Frauen von 90 auf 55 Prozent zurückgegangen. Dieses Gefälle wird von der Bundesregierung gegenüber der UN mit keinem Wort erwähnt. Zwar scheut die Bundesregierung das Stichwort „neue Armut“ nicht. Aber angesichts der wachsenden Zahl von benachteiligten Frauen lapidar zu sagen - ich zitiere -: „Eine Beseitigung von ... Benachteiligungen, von denen Frauen betroffen sind, verläuft auch in Deutschland nicht immer reibungslos“, ist entweder hilflos oder zynisch. ({10}) Es sind zunehmend mehr Kinder und ihre Mütter, die relativ mittellos leben müssen. Fast 30 Prozent aller allein erziehenden Frauen sind auf Sozialhilfe angewiesen. Diese Probleme werden in der Antwort der Bundesregierung völlig ausgeklammert, ebenso das Thema Frauen im Alter. Viele Frauen haben kaum eigene Rentenansprüche ansammeln können. Rund 2 Millionen Frauen sind ausschließlich auf eine Witwenrente angewiesen und die ist in der Regel entsprechend niedrig. Insgesamt erweckt die positive Selbstdarstellung der Bundesregierung den Eindruck, als würden die in Peking beschlossenen Strategien zur Überwindung der Benachteiligung von Frauen überwiegend als Problem der anderen Länder betrachtet. Dies kam mir auch bei den zuvor gehaltenen Reden so vor. So aber geht es nicht! ({11}) Frau Ministerin, Sie haben die „Dialogforen zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“ angeführt, die gegenwärtig durchgeführt werden und die von den Arbeitgeberverbänden als dialogfreie Zone bezeichnet werden. Dies sind reine Alibiveranstaltungen; sie zeigen keine Substanz. ({12}) In den Kanzlerrunden des Bündnisses für Arbeit wurden die Frauen und ihre Belange von Anfang an außen vor gelassen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Widmann-Mauz, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Schluss. - Wo sind denn heute Abend Ihre Kollegen? Von Gender Mainstreaming, liebe Frau Bergmann, sollten Sie an dieser Stelle nicht sprechen, ganz zu schweigen von den Plänen Walter Riesters zu einer Rentenreform. Eine nachhaltige Politik in den Schwerpunktbereichen wie zum Beispiel der Rente, aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen setzt voraus

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Widmann-Mauz, ich muss Sie noch einmal erinnern: Sie sind weit über Ihre Redezeit.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ich bin beim letzten Satz -, dass wir die Probleme klar beim Namen nennen und dass wir uns darin einig sind, die politischen Herausforderungen nicht zulasten der Frauen zu lösen, und zwar weder in Deutschland noch sonst wo auf der Welt. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zu der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zur Überprüfung der Beschlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz auf Drucksache 14/3386. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Zusatzpunkt 4. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zu der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zur nationalen Umsetzung der Beschlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz auf Drucksache 14/3385. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({0}), Rudolf Seiters, Dirk Fischer ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Ausbau und Modernisierung der TransrapidVersuchsanlage Emsland und Fortsetzung der Planfeststellungsverfahren für die Magnetschwebebahn-Referenzstrecke Hamburg-Berlin - Drucksache 14/3183 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für die Fraktion der CDU/CSU dem Kollegen Wolfgang Börnsen das Wort.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kollegen! In wenigen Tagen eröffnet die EXPO 2000 in Hannover ihre Tore. ({0}) Dort präsentieren wir uns als modernes Zukunftsland. Die Transrapid-Versuchsanlage im Emsland gehört dazu. In dieser faszinierenden Verkehrstechnologie liegt Deutschland an der Spitze der Entwicklung - noch. Experten schätzen den Abstand zum härtesten Konkurrenten aus Japan auf gerade einmal 20 Monate. Dort wird jetzt der Schwerpunkt auf die Anwendung der Technik gelegt, die Vorführzeit ist beendet. ({1}) Bei uns ist nicht nur die Referenzstrecke gestrichen. Nein, bei uns ist sogar die Phase der technischen Demonstration in Gefahr, gekippt zu werden. Die Versuchsanlage im Emsland ist mittelfristig nur noch für den Abriss vorgesehen. Es gibt kein Bekenntnis der Bundesregierung zur Zukunft der Demonstrationsstrecke, keine Aussage für die Gewährleistung eines Transrapid-Technologie-Sicherungsprogrammes, auch keine tatsächliche Perspektive für eine Referenzstrecke. ({2}) Das Einzige, was die Bundesregierung in der Verkehrstechnologiepolitik geschaffen hat, ist ein Scherbenhaufen. ({3}) Es wird eine Politik der potemkinschen Dörfer praktiziert: Während der EXPO-Monate, wenn Hunderttausende Besucher aus dem In- und Ausland einen Abstecher zur Emsland-Teststrecke unternehmen, soll der Eindruck bleiben, dass der Transrapid in Deutschland Zukunft hat. Die Fassade ist glänzend, doch dahinter verbirgt sich der Trümmerhaufen einer Transrapid-Politik. ({4}) In Bonn wurde noch versprochen: Wir bauen die Magnetschwebebahn. In Berlin hieß es bis zum Februar, der Bundeskanzler stehe mit seinem Wort für dieses Zukunftsprojekt. In China hat er sogar Vorverträge unterschrieben. Doch dann kam das Aus. Die Anwendungsstrecke Hamburg-Berlin wurde nach sechs Jahren Planung ausgesetzt und mit 350 Millionen DM Vorlaufkosten in den Sand gesetzt - eine fatale Entscheidung. ({5}) Die neuen Haushaltsmittel beim Bundesfinanzministerium für die Versuchsanlage im Emsland wurden unter dem Stichwort „zu erfüllende Rückbauverpflichtungen“ eingestellt. Die Versuchsanlage ist der einzige funktionierende Nachweis, die einzige Anschauungsmöglichkeit für Interessenten aus aller Welt, ein einzigartiges Forschungsprojekt. Dies soll jetzt leichtfertig zu Fall gebracht werden. Das ist unvertretbar. ({6}) Schon beginnt die Abwanderung erster Know-howTräger. Schon beginnt der Patentbesitzer nach eigenen Aussagen mit Verkaufsgesprächen mit dem Ausland. Schon kommen landauf, landab zunehmend Zweifel auf, ob die derzeit stattfindende Untersuchung der fünf Alternativstrecken nicht nur eine Alibimaßnahme ist. Eines jedoch ist sicher: Gleichgültig, um welche Strecke es geht, ob um eine Strecke in NRW, in Frankfurt oder Berlin, bei dem deutschen Planungsrecht und unserem Protestpotenzial ist eine Umsetzung in zehn Jahren völlig unrealistisch. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es zu einer gefährlichen Entwicklungslücke für die Transrapid-Technologie kommen. ({7}) Da man eine Technik nicht einfrieren kann, wäre der Ausbau der Emslandbahn ein kurzfristiger Ausweg. Besser eine kleine Lösung als keine Lösung! Auch die Sandkastenspiele im Wahlkampf in NRW mit einem 12,4 Milliarden DM teuren Metrorapid ändern gar nichts an dieser Einschätzung. Bemerkenswert ist die Haltung der Grünen zum RheinRuhr-Transrapid: Als sich die F.D.P. erfreulicherweise eindeutig dazu bekannte, wurde die Magnetbahn plötzlich auch für die Bündnisgrünen repräsentabel. Flugs veröffentlichte man sogar Vorstellungen über einen Metroring. ({8}) So viel Flexibilität erweckt die Hoffnung, dass der Zug für die Paradereferenzstrecke Hamburg-Berlin doch noch nicht abgefahren ist: Keine Verbindung in Deutschland ist als Verkaufspräsentation besser geeignet als die zwischen den beiden größten Metropolen Deutschlands. Über 90 Prozent der Strecke wurden bereits planfestgestellt. Mit dem Bau hätte im Herbst begonnen werden können. Der Preis betrug 6,1 Milliarden DM und nicht wie in NRW 12,4 Milliarden DM. Die Signale stehen also noch immer auf Grün. Zwei Konsortien privater Investoren aus der Schweiz und aus den USA haben ernsthaftes Interesse am Bau dieser Strecke. Für sie ist die Strecke Hamburg-Berlin das Herzstück für ein europäisch ausgerichtetes Transrapid-Netz: nach Westen mit Groningen und Amsterdam, nach Osten mit Warschau und Prag, nach Norden mit Kopenhagen und Malmö. ({9}) Auch Bahnchef Mehdorn hat sich jüngst bei einem Podiumsgespräch in der Hansestadt positiv zu einer privaten Baulösung geäußert, wenn die Bahn den Betrieb übernimmt. Voraussetzung für diese Lösung ist, dass die Bundesregierung diese Strecke in ihre Alternativen wieder einbezieht, die auf Eis gelegten Fördermittel bereithält und bei den Betreibermodellen offen für andere Lösungen bleibt. Was jetzt notwendig ist, ist eine Allianz aller Verantwortlichen für die Zukunft der Transrapid-Technologie bei uns in Deutschland. ({10}) Wolfgang Börnsen ({11}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist dazu bereit. Nicht nur die Vorgänge in NRW haben gezeigt, dass eine Revitalisierung des Projektes realistisch ist. Schleswig-Holstein erwägt die Rücknahme seines Einspruches; Hamburg ist offensiv; Berlin, Hessen und Brandenburg sind bei ihrem Ja geblieben. Würde man dieser Linie folgen, dann wären 2,35 Milliarden DM an Steuergeldern und 470 Millionen DM an Geldern der Industrie - insgesamt also 2,82 Milliarden DM, die in den vergangenen 30 Jahren für die Magnetschwebetechnik eingesetzt wurden verantwortlich verwendet. Noch gilt das Bedarfsgesetz. Noch sind alle Pläne vorhanden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Börnsen, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Noch gibt es Ankaufinteressenten von China bis in die USA. Es gilt also, keine zehn Jahre zu warten, sondern die Chancen jetzt zu nutzen. Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Kurt Bodewig.

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen Abgeordnete! Der Antrag der Union hat auch etwas Gutes: Er bietet Anlass, dem Parlament und auch der Öffentlichkeit den Sachstand zu präsentieren. Das will ich nun gerne tun, zumal der Minister am 20. Januar den damaligen Sachstand dargestellt hat. So bleiben wir hier auf dem Laufenden. Das finde ich gut. Ich freue mich über die engagierte Rede des Kollegen Börnsen; ich fand seinen Vortrag ausgezeichnet. Herr Kollege Börnsen, ich will Ihnen die Scherben systematisch zusammensetzen. Sie alle kennen das Ergebnis des Spitzengesprächs zwischen Vertretern von Bund, Bahn und Industrie am 5. Februar in Frankfurt. Es war wichtig, eine gemeinsame Entscheidung über die Strecke Hamburg-Berlin zu treffen. Die Partner Bund, Deutsche Bahn AG und Industriekonsortium haben gemeinsam festgestellt - dieses „gemeinsam“ sollte Ihnen bewusst werden -, dass der Bau der Strecke für den Transrapid zwischen Berlin und Hamburg nicht realisiert wird. Sie sind zu dem gemeinsamen Beschluss gekommen, dass weder auf der Basis des Eckpunktepapiers eine Realisierung möglich ist noch auf der Grundlage der danach erfolgten Prüfung alternativer Szenarien. Ich erinnere an dieser Stelle an den Vorschlag des Herrn Kollegen Müntefering, der öffentlich breit diskutiert worden ist und mit Sicherheit auch hier Beachtung fand. Das Ergebnis von Frankfurt war die zwingende Folge der Überprüfung der wesentlichen Projektdaten, und zwar anhand des Eckpunktepapiers vom April 1997, das Ihnen bekannt ist. Die Planfeststellungsverfahren wurden daraufhin - ich denke das ist folgerichtig - vom EisenbahnBundesamt - ich möchte das gerne herausstellen - auf Antrag der Deutschen Bahn AG als Trägerin des Projekts eingestellt. Nach der Lektüre Ihres Antrages würde ich Ihnen gerne sagen: Eine nicht mehr weiter verfolgte Planung, werte Kollegen von der Union, kann nicht Gegenstand eines öffentlich-rechtlichen Verfahrens sein. ({0}) - Das will ich auch gar nicht; unterschiedliche Auffassungen gehören zu einer parlamentarischen Debatte. ({1}) - Ich stimme zu, Herr Fischer, Sie sind der Kontrast. ({2}) Die von einem Planfeststellungsverfahren Betroffenen haben ein Recht auf klare Verhältnisse. Wer zum Beispiel Grundstücke in das Planfeststellungsverfahren eingebracht hat, muss auch wissen, wie es weitergeht. Es muss eine Rückübertragung erfolgen. Trotz der Entscheidung, die Magnetschnellbahn in der Verbindung Berlin-Hamburg nicht zu realisieren, besteht Einigkeit darüber, dass die Magnetschwebebahntechnologie für den Industriestandort Deutschland von so herausragender Bedeutung ist, dass sie auch in Deutschland zur Anwendung kommen sollte. Ich will das später noch näher beschreiben. Am 5. Februar wurde vom Bund, der Deutschen Bahn AG und dem am Projekt „Magnetschnellbahn Berlin-Hamburg“ beteiligten Industriekonsortium eine entsprechende Grundsatzvereinbarung unterzeichnet, die die Zukunftstechnik Magnetschwebebahn durch ein Programm sichern soll. Das Programm enthält im Wesentlichen drei Elemente: erstens den Bau einer alternativen Anwendungsstrecke in Deutschland - wir haben dabei eine Reihe von Reaktionen erhalten -, zweitens den Ausbau der Transrapid-Versuchsanlage Emsland - ich denke, der von Ihnen vorgeschlagene zweistufige Ausbau der Transrapid-Versuchsanlage Emsland macht deutlich, dass wir hier ein Planfeststellungsverfahren von mindestens zwei Jahren benötigen; Sie sind insofern in Ihrer eigenen Argumentation etwas inkonsequent - und drittens die Weiterentwicklung der Magnetschwebebahntechnik. Dies ist sowohl in Form der bisherigen Fernverkehrskonzeption als auch hinsichtlich der Nutzung als schnelles Regionalverkehrssystem spannend. Beides ist wichtig. ({3}) Wir haben hier zusätzliche Optionen. Das ist positiv. Wolfgang Börnsen ({4}) Ich würde Ihnen gerne die Strategie des Bundes anhand der erwähnten drei Punkte kurz vorstellen: erstens Bau einer Anwendungsstrecke. Die Auswahl und die Untersuchung geeigneter Alternativstrecken erfolgen gemäß der mit den Ministerpräsidenten der Länder abgestimmten Verfahren. Diese haben sich sehr rege an der Diskussion beteiligt. Gemeldet wurden fünf Projektvorschläge. Das Land Bayern schlägt die Flughafenverbindung MünchenHauptbahnhof-Flughafen-München vor, Berlin und Brandenburg die Verbindung zwischen dem Lehrter Bahnhof und dem geplanten Flughafen Berlin Brandenburg International, Hessen und Rheinland-Pfalz die Verbindung zwischen den Flughäfen Frankfurt/Main und Hahn/Hunsrück, die Länder Niedersachsen, Bremen und Hamburg regen die Fortführung dieser Strecke über Leer und Groningen nach Amsterdam an und Nordrhein-Westfalen schlägt schließlich den Metrorapid in den unterschiedlichen Achsen - Ruhrachse, Rheinachse und Bergische Achse - vor. Was Sie daraus erkennen können, ist, dass das Projekt Transrapid nicht der Vergangenheit angehört, sondern hier eine Vielzahl von Vorschlägen auf dem Tisch liegt. Das ist auch im Sinne Ihres eigenen Beitrages positiv und das sollten Sie würdigen. Die Arbeiten werden von einem Projektbeirat begleitet, an dem wiederum - das ist wichtig - alle beteiligt sind: das Bundesministerium, das Eisenbahn-Bundesamt, die verschiedenen Bundesländer sowie die DB AG. Wir können nur gemeinsam ein zukunftsfähiges Konzept entwickeln. Eine Entscheidung soll nach einer Vorstudie über eine vertieft zu untersuchende Strecke spätestens Anfang 2002 abschließend gefunden werden. Ich komme zum zweiten Punkt, zur Transrapid-Versuchsanlage Emsland. ({5}) - Haben wir noch mehr Angebote? Ich nehme das alles gerne auf. Mit fünf Vorschlägen sind wir hier gut im Rennen. ({6}) - An den Finanzierungsvorschlägen erfreue ich mich auch immer. Die Frage war doch immer: Was geschieht mit dieser Transrapid-Versuchsanlage? Das von Ihnen vorgetragene Horrorszenario stimmt so nicht, da auch in der Grundsatzvereinbarung ausdrücklich festgehalten ist, dass wir dieses Projekt weiterführen, und zwar zunächst bis Ende Oktober 2000. Damit ist auch die Durchführung des dezentralen EXPO-Projekts sichergestellt, Herr Kollege Börnsen. Ich halte das auch hinsichtlich unseres Erscheinungsbildes gegenüber der Welt für wichtig. Minister Klimmt hat sich diesbezüglich mit dem Bundesminister der Finanzen, den wir heute wieder einmal als sehr sparsamen und konsolidierungsorientierten Minister kennen gelernt haben, darauf verständigt, dass sich der Bund mit 50 Prozent beteiligt. Ich denke, das ist etwas, was Sie würdigen sollten. ({7}) Wir werden den Weiterbetrieb der Transrapid-Versuchsanlage in den nächsten Jahren fortsetzen. Aber dazu gehört natürlich die Beantwortung der Frage: Wie wird das finanziert, und zwar von allen Beteiligten? Es kann nicht eine Angelegenheit allein des Bundes sein, sondern alle, die ein Interesse haben, sollten sich zusammensetzen. Eines will ich ausdrücklich sagen: Wir wollen die weitere Nutzung auch davon abhängig machen, ob die erforderlichen Leistungen zur Weiterentwicklung vorhanden sind. Dabei sollten wir prüfen, welche Aufgaben auf einen beschleunigt bereitzustellenden ersten Abschnitt einer Referenzstrecke - also dort, wo er später eingesetzt wird verlagert werden können. Ich halte es für ein sinnvolles Vorgehen, dass wir dies einbeziehen. Hinzu kommt, dass wir bei der im Oktober 2000 vorgesehenen ersten Auswahl mehrerer Anwendungsstrecken noch einmal den verkehrlichen und technologischen Anforderungen gerecht werden und diese in die vertiefte Machbarkeitsstudie einbeziehen. Das heißt, auch die Versuchsanlage trägt zu der Entscheidung bei, welche Referenzstrecke wir auswählen werden. Dann können wir einen Teil der Versuchsanlage kostengünstig und sinnvoll einbeziehen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Staatssekretär, ich glaube, ich sollte Sie darauf hinweisen, dass Sie sich schon in der Redezeit Ihres Kollegen befinden. Ich weiß, dass ich die Regierung nicht unterbrechen darf, aber ich wollte in aller Höflichkeit darauf hinweisen.

Kurt Bodewig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003051

Frau Präsidentin, ich nehme diesen Hinweis gern auf. Gestatten Sie mir, noch einen letzten Punkt anzusprechen. Ich bitte den Kollegen, Nachsicht zu üben, wenn das etwas in seine Redezeit hineinreichen sollte. Ich will noch einmal deutlich machen: Die weitere Entwicklung der Magnetschwebebahntechnik verfolgen wir als Bund intensiv. Dies erfordert neben einer wirklich gründlichen Bestandsaufnahme Verhandlungen zur Schaffung der haushaltsrechtlichen Voraussetzungen. Ich weiß nicht, ob Haushälter im Saal sind; sie hören das nicht so gerne, aber wir müssen das vorher klären. Dieses Vorgehen soll auch im Interesse aller an der Zukunftssicherung der Magnetschwebebahntechnik Beteiligten eine qualitativ hochwertige und rechtlich einwandfreie Basis der weiteren Aktivitäten ermöglichen. Darüber hinaus wird derzeit in Kooperation mit den beteiligten Systemfirmen die Konzeption eines kurzfristig umzusetzenden Arbeitsprogramms für die Weiterführung - Stichwort Kassel - entwickelt. Das heißt, wir wollen das Know-how, das in Deutschland besteht, für die Magnetschwebebahntechnik sichern und deren Realisierung als Schnellbahnsystem im öffentlichen Verkehr gewährleisten. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen, Kollege Börnsen, und allen Antragstellern sagen: Das Aus für den Transrapid auf der Stecke Hamburg-Berlin bedeutet kein Aus für den Transrapid. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Michael Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon einige Male über die Anwendungsstrecke des Transrapid und über den Transrapid ganz generell geredet. Ich will es jetzt mit aller Vorsicht sagen: Ich habe den Eindruck, dass Sie, Herr Staatssekretär, die Gesamtproblematik nicht ganz erfasst haben. ({0}) Ich will das wirklich mit aller Vorsicht sagen: Ich weiß nicht, mit welchem Gesichtsausdruck Sie sonst sprechen, aber wenn Sie einmal nach Lathen fahren, werden Sie feststellen, dass dort mittlerweile mehr als ein Dutzend hoch qualifizierter Ingenieure ausgestiegen sind, weil sie der Politik der Bundesregierung nicht mehr vertrauen und weil sie wissen, dass auch die Wirtschaft der Politik der Bundesregierung nicht mehr vertraut. Denn die Wirtschaft sagt: Wir haben 280 Millionen DM hineingesteckt. Die Firmen vor Ort, die sich mit mittelständischen Betrieben zusammengetan haben, um ein besonders kostengünstiges Angebot für die Erstellung der Strecke zu machen, wissen gar nicht mehr, ob sie sich in eine solche Technologie begeben sollten, weil man überhaupt nicht weiß, ob demnächst nicht wieder ganz kurz vor dem Erfolg eine politische Entscheidung gefällt wird, die - wie jetzt - der DB AG in die Schuhe geschoben wird. Es ist aber eine politische Entscheidung, eine Entscheidung der Regierung, wie sie mit einer Zukunftstechnologie umgeht. ({1}) In der Situation, in der sich die Bahn befindet, ist es für die Bahn schwierig gewesen, sich für die Strecke Hamburg-Berlin zu entscheiden. Aber es wäre an Ihnen gewesen, helfend einzugreifen, um - kurz vor dem Erfolg - den Bau der Anwendungsstrecke auf den Weg zu bringen. Das wäre ein Signal in Richtung dieser Zukunftstechnologie gewesen. ({2}) Herr Staatssekretär, vor Ort werden keine Horrorszenarien entwickelt, sondern das Verhalten der Menschen ist von einer sehr tiefen Sorge um die Zukunft dieser Technologie und ganz konkret um ihren Arbeitsplatz geprägt. Dazu, dass Sie vorhin in Bezug auf den Kollegen Börnsen gesagt haben, wir hätten Scherben produziert, kann ich nur sagen: Scherbenverursacher in dieser Frage waren eindeutig die Bundesregierung ({3}) und auch Herr Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen, der alle Anstrengungen unternommen hat, den Transrapid zu beerdigen. ({4}) Frau Mertens, auch Sie haben dabei tüchtig mitgeholfen. ({5}) Sie haben sich in dieser Frage von den Grünen durch die Arena ziehen lassen. ({6}) - Na klar! Als den Grünen in NRW auf einmal das Wasser bis zum Halse stand, waren sie plötzlich bereit, die Anwendungsstrecke in NRW zu akzeptieren. Sie haben vorher vonseiten der Sozialdemokraten keinerlei Anstrengung in Richtung einer Anwendung der Transrapid-Technologie unternommen. ({7}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun seien Sie einmal ganz ruhig. Lassen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen, was der Herr Staatssekretär vorher gesagt hat: ({8}) Die Anwendung in Lahten ist bis Oktober dieses Jahres gesichert. ({9}) - Vorerst. - Jeder, der planerisch überhaupt nur ein bisschen weiterdenkt, weiß, dass in fünf, sechs oder acht Jahren eventuell wieder eine Entscheidung für eine neue Anwendungsstrecke getroffen werden muss. ({10}) Können Sie mir einmal sagen, welche Aussagen der Staatssekretär dazu gemacht hat, wie die Zeitspanne von jetzt bis in acht Jahren überbrückt werden soll? ({11}) Können Sie mir anhand irgendeiner Aussage deutlich machen, wo Sie Weichen für das gestellt haben, was Sie zum Schluss behaupten: Die Anwendungsstrecke HamburgBerlin wird nicht kommen, aber es wird eine andere Anwendungsstrecke in Deutschland geben? Können Sie mir ein einziges Argument nennen, mit dem Sie dies hier vorParl. Staatssekretär Kurt Bodewig hin untermauert haben? Ich habe aus den Ausführungen, die hier gemacht worden sind, den sehr nachhaltigen Eindruck gewonnen: Sie wollen jetzt die EXPO-Präsentationsphase irgendwie überstehen und danach werden Sie einen Schlussstrich ziehen. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, denken auch Sie bitte an die Redezeit.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. Frau Mertens, wenn wir beide genau das Gegenteil von dem erleben, was ich eben behauptet habe, bin ich sehr gern bereit, Sie nach Lathen einzuladen. ({0}) Dort gibt es ein schönes Lokal, den „Pingelanton“. Vorher fahren wir dann Transrapid und hinterher sage ich: Ich habe mich geirrt. Aber, liebe Frau Mertens, Sie müssen einfach zugeben: Im Moment wollen Sie den Transrapid nicht. ({1}) Sie tun nichts für den Transrapid. Sie stellen keine Weichen. Sie gefährden diese Zukunftstechnologie in Deutschland. Das ist eigentlich ein Kapitalverbrechen an der Zukunftstechnologie in Deutschland. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Albert Schmidt. ({0})

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlich willkommen zu unserer monatlichen Transrapid-Debatte. ({0}) Ich freue mich, dass Sie eine gute Tradition der Grünen fortsetzen, nämlich durch immer neue Anträge dafür zu sorgen, dass das Thema ja nicht in Vergessenheit gerät. ({1}) Der vorliegende Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat zwei Bestandteile. Zum einen geht es um die Aufforderung, das Planfeststellungsverfahren erfolgreich abzuschließen. Zum anderen geht es um die Aufforderung, für die Versuchsstrecke im Emsland zu sorgen. Zu dem ersten Teil ist Folgendes zu sagen: Es war die Deutsche Bahn AG, die sich bekanntermaßen für einen raschen Ausbau der Schienenverbindung zwischen Hamburg und Berlin entschieden hat und die der Auffassung war und ist, dass das dort eingesetzte Investitionsvolumen schneller und kostengünstiger zu dem Effekt, nämlich einer erheblichen Fahrtzeitverkürzung in der Größenordnung von eineinhalb Stunden, führen würde. ({2}) Das hat uns als Grüne sehr gefreut, weil damit die Bahn das gesagt hat, was wir schon einige Jahre vorher immer gesagt hatten. Diese Freude will ich gar nicht verheimlichen. ({3}) Eines muss an dieser Stelle jedoch hinzugefügt werden: Wir werden diesen Ausbau der Schienenverbindung vorantreiben, und zwar mit zusätzlichen Finanzmitteln, die on top auf den Schienenbauetat draufgesetzt werden. ({4}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich verstehe Ihre Aufregung gar nicht. Sie scheinen immer noch die Vorstellung zu haben, der Verkehrsminister sei so eine Art Staatskommissar, der dem Bundesunternehmen vorschreibt und verordnet, was es zu tun und wie es seine unternehmerischen Schwerpunkte zu setzen hat. Das ist eine merkwürdige, sozialistische Vorstellung, Herr Goldmann, und hat mit Marktwirtschaft und einer privaten Aktiengesellschaft überhaupt nichts zu tun. ({5}) Deswegen bin ich sehr froh, dass wir dieses Modell der Weisung des Bundesministers für die Bahn, für das Bundesunternehmen nicht haben. ({6}) Das Planfeststellungsverfahren ist, wie Sie wissen, am 28. Februar 2000 auf Antrag des Antragstellers, der Deutschen Bahn AG, eingestellt worden. ({7}) Insoweit ist Ihr Antrag in diesem Punkt überholt. ({8}) - In diesem Punkt ist der Antrag überholt, Herr Fischer; das müssen Sie doch zugeben. Wir können doch hier im Bundestag nicht beschließen, was Unternehmen, zum Beispiel Daimler-Chrysler oder VW Wolfsburg oder die Deutsche Bahn AG oder wer auch immer, morgen an Investitionsentscheidungen beantragen. Das wäre ja geradezu absurd. ({9}) - Herr Kollege, Marktwirtschaft funktioniert anders. ({10}) Aber zur Versuchsstrecke: Die Projektbeteiligten haben in ihrer Grundsatzvereinbarung vom Frühjahr dieses Jahres auch festgehalten, dass die Zukunftstechnik Magnetschwebebahntechnik mit folgenden Elementen weiterbetrieben werden soll. ({11}) - Das haben sie nicht entschieden. Jetzt hören Sie doch erst einmal, was die Projektbeteiligten, die Verantwortlichen entschieden haben. Sie haben gesagt: Erstens. Eine Anwendungsstrecke wird in Deutschland gesucht. Zweitens. Die Versuchsanlage Transrapid Emsland wird weiter gesichert und weiterbetrieben. ({12}) Drittens. Die Technik soll sowohl in Richtung auf ein Fernverkehrssystem als auch als mögliches Nahverkehrsoder Regionalverkehrssystem weiter erforscht werden. Dagegen habe ich doch nichts. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem, was unsere Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen gesagt haben, kann ich nur zustimmen. Ich war bei der Pressekonferenz dabei. Wir können uns doch nicht im Ernst darüber streiten, ob das Fahrzeug 10 Millimeter über der Schiene oder auf der Schiene fährt. Das kann doch nicht unser Thema sein. Das Thema muss sein, welchen Zweck wir mit einer bestimmten Technik verfolgen. Die zweite Frage richtet sich darauf, ob und zu welchen Kosten diese Technik den Zweck erfüllt. Das ist die entscheidende Frage. Sie machen aber aus dieser Frage eine gleichsam religiöse Frage, eine konfessionelle Frage. Ich sage Ihnen: Ob man diese oder jene Technik einsetzt, ist keine Frage der Konfession, sondern eine Frage rationaler und wirtschaftlicher Überlegungen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, ich bitte um Verständnis, dass ich angesichts der bisherigen Debatten, die wir hier hatten, nicht alle Argumente verbrauchen will, die wir in einem Monat bei der nächsten Debatte wieder vortragen müssen. ({0})) Ich komme zum Abschluss. Der Schienenverkehr und auch die Bahn brauchen alles Mögliche. Sie brauchen einen technologischen Innovationsschub, sie brauchen Planungs- und Investitionssicherheit und sie brauchen Investitionen auf hohem Niveau, aber Sie brauchen keine Glaubenskriege und Schlachten aus der Vergangenheit, die jeden Monat neu aufgewärmt werden. ({1}) Überlassen Sie die Überlegungen den an diesem Projekt Beteiligten. Ich sage eines ganz zum Schluss auch noch. Diese Technologie wird keine Zukunft haben, wenn nicht auch die Industrie bereit ist, ihren Anteil am Risiko zu übernehmen. Das war das eigentliche Problem. ({2}) Diese mangelnde Risikobereitschaft sollten wir nicht dem Steuerzahler zumuten. Wenn die Industrie von den Erfolgschancen dieses technischen Konzeptes überzeugt ist, dann soll die Industrie auch ein Stück Risiko schultern und nicht bei jeder Gelegenheit nach dem Bund und nach dem Steuerzahler rufen. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried Wolf.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube auch, dass die erneute Debatte um den Transrapid einige gespenstische Züge hat. ({0}) Wenn die CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Börnsen und andere, die Bundesregierung jetzt beschuldigen, mit der Entscheidung gegen den Bau der Strecke Hamburg-Berlin den Zukunftsweg zu verlassen, dann ist dagegen zu sagen: Die CDU/CSU hatte 16 Jahre Zeit, diesen Zukunftsweg zu realisieren. ({1}) Wenn Sie es nicht tat, Kollege Goldmann, dann lag das natürlich auch am Widerstand vor Ort. Es lag aber auch an Widerständen und Widersprüchen, die es bei dieser Technologie gibt. Es lag auch daran, dass die finanziellen Risiken immer größer wurden. Es lag daran, dass verschiedene wichtige Aspekte zur Erprobung der Technik noch nicht einmal im praktischen Versuch geklärt waren, womit wir mitten im Emsland, in Lathen, wären. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt jetzt vor, die Transrapid-Versuchsanlage im Emsland zu modernisieren. Das wird präzisiert. Es soll ein zweigleisiger Ausbau der Versuchsanlage und der Bau eines Transrapid-Bahnhofs erfolgen. Beides sei erforderlich, so die CDU, um - Zitat Albert Schmidt ({2}) ... so praxisgerecht wie möglich sowohl den Gegenverkehr als auch den Halt des Transrapids zu demonstrieren. Hier könnte das Deutsch noch nachgebessert werden. Gemeint ist nicht der Gegenverkehr, sondern der Begegnungsverkehr. Ein Transrapid-Bahnhof dient auch weniger der Demonstration des Halts der Magnetbahn - den gab es ja oft auch auf freier Strecke. Er könnte aber dazu dienen, die Fahrgast- oder Behindertenfreundlichkeit oder die Integrationsmöglichkeit dieses Verkehrsmittels in städtischen Zentren oder auch das Gegenteil zu demonstrieren. Aber gerade diese neuen Präzisierungen muten seltsam an. Eines der Argumente gegen den sofortigen Bau der Strecke Hamburg-Berlin lautete, bei dieser Technik sei der Begegnungsverkehr noch nirgendwo in der Praxis getestet worden. Dagegen argumentierten damals Sie von der CDU/CSU und der F.D.P., Herr Krause und Herr Wissmann, die Tests per Simulationscomputer seien absolut ausreichend. Verkehrsinitiativen, zum Beispiel hier in Berlin, haben damals dargelegt, dass ein TransrapidBahnhof schwerlich kompatibel mit einem Bahnhof des traditionellen Rad-Schiene-Systems gestaltet werden könnte, schon gar nicht im Bereich des zentralen Lehrter Bahnhofs. Auch damals wurden die Argumente weggefegt. Alles sei durch Simulation getestet. Im Grunde will die CDU jetzt in der Opposition das nachholen, was sie als Regierungspartei 16 Jahre lang versäumt hat, nämlich den praktischen Beweis für die Tauglichkeit und die Sinnhaftigkeit dieses Verkehrsmittels zu liefern. Allerdings bleibt auch hier die Frage: Weshalb sollen den bisherigen 2,5 Milliarden DM Transrapid-Subventionen weitere Hunderte Millionen Mark hinzugefügt werden? Wenn es sich tatsächlich um eine Technik der Zukunft handelt, dann könnte die Transrapid-Industrie doch wenigstens jetzt die Mittel zur Modernisierung aufbringen. Der Antrag ist also auch in diesem praktischen Teilen abzulehnen, aber vor allem auch deshalb, weil mit ihm auch die Option für einen Bau der Strecke Hamburg-Berlin offen gehalten werden soll. Das muss in jedem Fall abgelehnt werden, wobei anzufügen ist: Indem sich SPD und Grüne bisher weigerten, das Magnetschwebebahnbedarfsgesetz aufzuheben, lassen auch sie eine Hintertür offen. Damit riskiert die Bundesregierung - zur Freude, glaube ich, der CDU/ CSU und F.D.P. -, dass das Transrapid-Konsortium später mit massiven Schadenersatzforderungen nachkarten wird. Danke schön. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Hermann Kues.

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Bodewig, ich habe Ihren Ausführungen sehr genau zugehört, weil ich herausbekommen wollte, ob Sie wirklich für den Transrapid sind und was Sie für die Realisierung einer tatsächlichen Anwendungsstrecke tun wollen. ({0}) Das habe ich aber leider nicht heraushören können. Das bedaure ich. ({1}) Ich finde, wer regiert, muss nicht durch Reden beweisen, was er will, sondern er muss es durch ganz konkretes Handeln und Tun beweisen. ({2}) Das vermisse ich bei Ihnen. ({3}) Die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit der Magnetschwebetechnik umgeht, ist ein Trauerspiel: technologiepolitisch, verkehrspolitisch und industriepolitisch. Wir laufen Gefahr, einerseits der Welt auf der EXPO in Kürze die Einmaligkeit unserer Verkehrsinnovation vorzuführen, andererseits im eigenen Lande immer neue Hürden für die Anwendung aufzubauen. Wenn wir nicht aufpassen - das zeigen die heutige Debatte und die Einlassung des Regierungsvertreters wie auch des Vertreters der grünen Regierungsfraktion -, geben wir uns der Lächerlichkeit preis; ({4}) denn den Anmerkungen von Herrn Schmidt war - entgegen den Aussagen von anderen Grünen - sehr klar zu entnehmen, dass er die gesamte Technologie infrage stellt. Das heißt, Sie haben innerhalb der Regierung nicht eindeutig geklärt, ob Sie für die Technik oder ob Sie gegen die Technik sind. ({5}) Deswegen sind Ihre Aussagen zu den Referenzstrecken auch wenig glaubwürdig. Ich bin von einem fest überzeugt: Wenn die Bundesregierung und die Deutsche Bahn AG nicht umgehend Flagge zeigen und Farbe bekennen, was sie eigentlich wollen, dann sind nicht nur die Exportchancen einer viel gelobten Hochtechnologie im Eimer, nein, dann vergeben wir auch die ausgezeichnete Möglichkeit zur Sicherung und zur Schaffung zahlreicher hochinteressanter Arbeitsplätze in Deutschland, insbesondere in Niedersachsen und natürlich auch im Emsland. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gestatte diese Zwischenfrage. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Kues, können Sie mir nach den Ausführungen, die wir heute Abend vom Kollegen Schmidt gehört haben, erklären, wie die Tatsache verstanden werden muss, dass der Hamburger Senat, der von den gleichen Parteien gebildet wird wie die Bundesregierung, vor zwei oder drei Tagen auf eine Anfrage in der Hamburger Bürgerschaft einleitend geantwortet hat: „Der Hamburger Senat hält unverändert die Transrapid-Anwendungsstrecke Hamburg-Berlin für die beste Lösung.“? Können Sie Zweifel insbesondere an der Glaubwürdigkeit der Fraktion der Grünen angesichts der Tatsache verstehen, dass diese Antwort mit Billigung der Senatsmitglieder der Grünen gegeben worden ist, zu denen immerhin die vom Herrn Kollegen Schmidt so hochverehrte ehemalige Bundessprecherin der Grünen, Frau Sager, als zweite Bürgermeisterin gehört? ({0})

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Fischer, ich bin Ihnen für Ihre Zwischenfrage sehr dankbar. ({0}) Auch ich habe gehört, dass der Hamburger Senat, getragen von SPD und Grünen, die Anwendungsstrecke Hamburg-Berlin nach wie vor für die beste hält. Die Einlassungen des Kollegen Schmidt und - ich sage das vorsichtig; ich könnte es härter formulieren - das Herumgeeiere des Herrn Staatssekretärs in Verbindung mit den Aussagen der Grünen während des Landtagswahlkampfes in Nordrhein-Westfalen -, ({1}) als sie meinten, dass ihnen die Felle endgültig wegschwimmen würden - sind ein Beweis für die Widersprüchlichkeit der Koalition und dafür, dass sie aufgrund fehlender Überzeugungen gar nicht in der Lage ist, klar Flagge zu zeigen. Deswegen bedanke ich mich für Ihre Zwischenfrage, die mir Gelegenheit gegeben hat, dies hier klarstellen zu können. ({2}) Ich möchte deutlich sagen: Für jemanden, der regiert, genügt es nicht, durch Reden seine Glaubwürdigkeit zu beweisen. Nein, wer regiert, der muss durch konkrete Taten dokumentieren, was er möchte. Das vermissen wir bei Ihnen. ({3}) Ich glaube, dass die Unternehmen allein - das sage ich auch im Hinblick auf das, was der Kollege von der PDS vorhin angemerkt hat - mit den hohen Vorlauf- und Einführungskosten für die Magnetschwebetechnik einfach überfordert wären. ({4}) Deswegen ist ein klares politisches Signal notwendig, um zu zeigen, dass man diese Technik und ihre Anwendung auch will. Dieses politische Signal lassen Sie einfach vermissen. ({5}) Wir fordern deshalb - um das ganz klar zu sagen -, dass die Transrapid-Versuchsanlage Emsland - ich fordere das auch besonders als emsländischer Abgeordneter - als Referenz- und Demonstrationsstrecke umgehend modernisiert und ausgebaut wird, damit für die attraktive und exportträchtige Magnetschwebebahntechnik weiterhin geworben werden kann. Das Schaufenster „Transrapid Emsland“ muss unbedingt erhalten werden. ({6}) Das muss umso mehr gelten, als eine Alternativstrecke zu Hamburg-Berlin realistischerweise nicht ohne weiteres in Sicht ist. Deswegen ist umgehend zu klären, wie in Lathen durch den Ausbau zu einer zweigleisigen Streckenführung und durch den Bau eines Bahnhofs so praxisgerecht wie möglich sowohl der Gegenverkehr als auch der Halt des Transrapid demonstriert werden können. Ein weiterer Punkt. Der Planungsbestand der Referenzstrecke Hamburg-Berlin, den man immerhin für 350 Millionen DM geschaffen hat - nicht mit unerheblichen Mitteln des Steuerzahlers; darauf darf man auch verweisen; die Zahlen sind schon genannt worden -, muss nutzbar gemacht werden. ({7}) Bei der Gelegenheit sei auch vermerkt, dass sich alle uns mitgeteilten Überlegungen zur Nachrüstung der ICE-Ersatzstrecke als heiße Luft und als nicht realistisch erwiesen haben. Drittens. Die Öffentlichkeit ist unverzüglich über die verkehrspolitische Gesamtkonzeption unter Einbindung des Transrapid ausführlich und erschöpfend zu unterrichten. Bei den Gerüchten, die es gibt, wäre es auch interessant, zu erfahren, ob und in welcher Größenordnung für den Haushalt 2001 Mittel für den Transrapid eingeplant sind und wofür sie eingesetzt werden. Herr Staatssekretär, dazu hätten Sie aus Ihrer Kenntnis ein wenig sagen können. Das hätte uns mehr überzeugt. So konnten Sie uns leider nicht überzeugen. Was Sie geboten haben, war ein Herumgeeiere. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass Sie damit die Menschen nicht nur im Emsland, sondern auch in Deutschland insgesamt auf den Arm nehmen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt erhält der Kollege Weis für drei Minuten das Wort.

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich das erste Mal den Antrag der CDU/CSU-Fraktion las, habe ich mich wirklich gefragt, wie man als Antragsteller einen so geringen Realitätsbezug haben kann. Wie kann man alle Diskussionen zwischen den Hauptakteuren beim Transrapid-Projekt Hamburg-Berlin so ausblenden, wie Sie es gemacht haben? Aber ich musste nicht lange überlegen - auch die Debatte heute Abend hat es ganz deutlich gezeigt -: Sinn Ihres Antrages ist einzig, Ihr Vorurteil von der angeblichen Technikfeindlichkeit der rot-grünen Koalition zu pflegen. Es gibt keinen sachlichen Hintergrund. ({0}) Wie soll man eigentlich der Öffentlichkeit erklären, dass zwei Parteien wie die CDU und die CSU, die gern für sich in Anspruch nehmen, die berechtigten Interessen und Argumente der Wirtschaft bei ihren politischen Entscheidungen aufzugreifen, jetzt so tun, als hätten deren Überlegungen überhaupt keine Rolle gespielt, als wäre die Haltung der Bundesregierung, die von finanzpolitischer Verantwortung geprägt ist, der alleinige Grund für das Ende des Projektes Hamburg-Berlin? Warum gestehen Sie nur dem Industriekonsortium zu, keine weiteren finanziellen Verantwortungen übernehmen zu müssen? Warum blenden Sie aus, dass die Bahn als Betreiber keine Chance sah, den Betrieb des Transrapid auf dieser Strecke wirtschaftlich zu gestalten? Wenn Sie dies mit den internen Problemen der Bahn AG zu begründen versuchen, dann frage ich Sie: Warum nehmen Sie nicht wahr, dass es weit und breit keinen anderen Interessenten gab, der bereit war, das Betriebsrisiko zu übernehmen? ({1}) Dies war so, weil niemand die Chance sah, den Transrapid zwischen Hamburg und Berlin mit Gewinn fahren zu lassen. Glauben Sie nicht, dass es für die Vermarktung eines neuen Transportsystems - sei es auch so faszinierend, so innovativ und mit so vielen Systemvorteilen wie der Transrapid versehen; das stelle ich überhaupt nicht infrage - die schlechteste Vermarktungsstrategie ist, dieses System der Welt als defizitäres Unternehmen zu präsentieren? ({2}) Vielleicht ist dies sogar die späte Erkenntnis der Hersteller und der Grund für deren Absage gewesen. Entweder gibt es eine besser Alternative für die Erstanwendung oder das Produkt Transrapid hat durch Ihr verbissenes Festhalten an der Strecke Hamburg-Berlin in Deutschland gar keine ehrliche Chance erhalten. Zu Ihrem Antrag. Er ist von mehr als einem Widerspruch gekennzeichnet; auch wenn ich nur einen benenne: Es passt doch wohl nicht zusammen, dass Sie seit Jahren bis heute - den Bau der Anwendungsstrecke Berlin-Hamburg verlangt haben und nie infrage gestellt haben, dass die Strecke natürlich zweigleisig sein muss, während Sie erst heute fordern, die Tests und Demonstrationen zur Begegnung von Zügen auf der Versuchsanlage zu ermöglichen. Mit dieser Begründung stehen Sie ziemlich allein. Die Testanlage an sich und ihre Ertüchtigung zu Demonstrationszwecken hat keinen Sinn. Die Weiterführung und die Ertüchtigung der Versuchsanlage muss meines Erachtens nur unter dem Gesichtspunkt diskutiert werden, dass es ein alternatives Erstanwendungsprojekt gibt, das neue Anforderungen stellt. In diesem Falle sollte man erst überlegen, ob man es nicht den Japanern nachmachen kann, die ihre Versuchsanlage als Bestandteil einer späteren Anwendungsstrecke gebaut haben. ({3}) In dieser Weise hat auch der Staatssekretär diskutiert. Zum Abschluss möchte ich etwas zu den Forderungen sagen, das Planfeststellungsverfahren für den Transrapid Hamburg-Berlin weiterzuführen und abzuschließen. Diese Forderung geht ebenfalls weit an der Realität vorbei. Da der Transrapid dort nicht gebaut werden wird, kann es Ihnen eigentlich nur um die Sicherung der Trasse zwischen Hamburg und Berlin gehen. Was aber ist ein Planfeststellungsverfahren für ein Transrapidsystem wert, wenn es dann für eine konventionelle Eisenbahnverbindung genutzt werden soll? ({4}) Sie können doch mit dem Planfeststellungsbeschluss für eine Ortsumgehung auch keinen Flughafen bauen. ({5}) Haben Sie die Aussagen der Bahn AG und die Haushaltssituation des Bundes aus Ihren Überlegungen ausgeblendet, wonach eine Neutrassierung zwischen Hamburg und Berlin aus Kostengründen nicht infrage kommt ({6}) und die Trassen über Uelzen und Stendal bzw. Wittenberge mit weniger Mitteln so hergerichtet werden können, dass man 90 Minuten Fahrzeit erreichen könnte? Sie merken an der Aufzählung der vielen Fragen, die ich Ihnen gestellt habe, ({7}) dass wir Ihren Antrag für sehr unüberlegt halten. Wir werden ihn dann natürlich bei der abschließenden Debatte, die wahrscheinlich auf uns zukommen wird, ablehnen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/3183 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Kersten Naumann, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS Vererblichkeit von Bodenreformeigentum - Drucksachen 14/1063, 14/2405 Berichterstattung: Abgeordnete Christel Deichmann Dr. Michael Luther Werner Schulz ({1}) Jürgen Türk Ich frage Sie, ob Sie einverstanden sind, dass die Abgeordneten Fornahl, Luther, Lemke und Funke ihre Reden zu Protokoll geben. - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich jetzt die Debatte und gebe der Abgeordneten Kersten Naumann das Wort.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zehn Jahre nach der deutschen Einheit bewegt das hochsensible Thema der Vererblichkeit von Bodenreformeigentum noch immer die Gemüter wie nahezu kein anderes. Es setzt voraus, dass man die gesellschaftliche und rechtliche Situation in der früheren DDR genau kennt und beachtet, dass ein Transformationsprozess von DDR-Recht in bundesdeutsches Recht vorgenommen wurde. Schließlich sind hohe ideologische Schranken zu überwinden, die bei Eigentumsfragen besonders stabil sind. Eigenartigerweise und natürlich zu meiner großen Freude haben bei diesem Punkt PDS und F.D.P. die gleiche Rechtsauffassung. Ich zitiere den Abgeordneten Jürgen Türk aus der ersten Lesung: Bodenreformland ist vererbbar und darum haben die Erben ein Anrecht auf das Land. Alles andere wäre auch Unsinn. Der Gesetzgeber ist deshalb gefordert, das Einführungsgesetz des BGB in der Form zu ändern, dass die Erben von Bodenreformland auch zu ihrem Recht kommen. ({0}) Dass die F.D.P. in den Ausschussberatungen dann doch gegen den PDS-Antrag gestimmt hat, wundert mich sehr, ({1}) zumal Kollege Türk in seinem damaligen Redebeitrag zum Urteil des Bundesgerichtshofs folgendermaßen argumentierte: Die Begründung des BGH dafür ist so diffus, dass ich mir gerade als juristischer Laie erspare, diese zu bewerten. Richtig so, Kollege Türk! Zwischenzeitlich hat das Landgericht Leipzig im Namen des Volkes Recht gesprochen und Ihre Auffassung bestätigt. Es hat die Klage des Freistaates Sachsen auf Herausgabe eines vor dem 6. März 1990 ererbten Bodenreformstückes abgewiesen. In seinem Urteil vom 16. November 1999 heißt es - ich zitiere jetzt die Kernaussagen -: Mit dem Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 wurden diese Verfügungsbeschränkungen durch den Gesetzgeber der DDR jedoch aufgehoben. Mit Inkrafttreten des Gesetzes vom 6. März 1990 ... am 16. März 1990 haben die Beklagten daher infolge der Aufhebung der Verfügungsbeschränkungen aus der Besitzwechselverordnung Volleigentum erworben. ... Dieses Volleigentum gelangte am 3. Oktober 1990 unter den Schutz von Art. 14 Grundgesetz. Das Gericht charakterisiert die Anwendung des Art. 233 EGBGB als eine „entschädigungslose Enteignung, die nicht durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist“ und schließt sich deshalb der Ansicht des Bundesgerichtshofes nicht an. Das Landgericht Leipzig hat damit eine juristische Begründung des PDS-Antrages geliefert. Mit weiteren juristischen Entscheidungen ist zu rechnen. Wir hoffen, dass sich auch dabei die Leipziger Rechtsauffassung durchsetzt. Nun noch eine politische Begründung. Als Begründung für Art. 233 EGBGB wird immer angeführt, dass die DDR-Behörden die Besitzwechselverordnung schlampig umgesetzt hätten und deshalb eine Nachzeichnungspflicht bestehe. Die Besitzwechselverordnung ist zu DDR-Zeiten fünfmal geändert worden. Offensichtlich wurde sie nicht mehr angewendet, weil die Bedingungen für ihre Anwendung nicht mehr bestanden. Zum Beispiel konnte die Forderung, in der Landwirtschaft tätig zu sein, bei dem erheblichen Rückgang der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft der DDR und der Ausgliederung landwirtschaftliReinhard Weis cher Tätigkeiten in die Dienstleistungsbereiche gar nicht mehr aufrechterhalten werden. Die rückwirkende Entscheidung der Volkskammer war deshalb auch aus sachlichen Gründen völlig berechtigt. ({2}) In der politischen Auseinandersetzung mit der PDS wird immer wieder die Forderung erhoben, sie müsse erst einmal in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit ankommen. Wenn wir uns auf den Weg machen, das sicher nicht sehr einfache Rechtssystem der Bundesrepublik zu verstehen, dann sollten Sie uns wenigstens dabei unterstützen. ({3}) Lassen Sie Recht sein, was Recht ist, und überspringen Sie die ideologischen Hürden! Erkennen Sie an, dass im Falle des Erbes von Bodenreformflächen die PDS-Auffassung rechtlich korrekt ist! Stimmen Sie gegen die Beschlussempfehlung des Ausschusses und bringen Sie einen Gesetzesantrag ein, der den Art. 233 novelliert! ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktion der PDS zur Vererblichkeit von Bodenreformeigentum. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1063 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ({0}) gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Monika Balt, Petra Bläss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Gleichstellung der von Strukturkrisen betroffenen Bergleute in Ost und West - Drucksache 14/2385 Wieder möchte ich Sie fragen, ob wir die Reden der Abgeordneten Labsch, Klinkert, Schulz und Hirche zu Protokoll nehmen können? - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und rufe als einzigen Redner den Abgeordneten Gerhard Jüttemann auf.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Problem, das wir heute debattieren, lässt sich im Kern auf die einfache Frage reduzieren, warum Bergleute Ost gegenüber Bergleuten West in der Bundesrepublik Deutschland in sozialpolitischer Hinsicht massiv benachteiligt werden. 1996 habe ich zu diesem Thema schon einmal hier gesprochen. So viel war klar, dass ich von der alten Regierung, den schwarzen Brüdern hier drüben, wenig und schon gar keine Hilfe erwarten konnte, weil man ja vorher schon zugelassen hatte, dass unsere Arbeitsplätze vernichtet wurden, um wenigstens den Kalibergbau im Westen zu sichern. ({0}) Schon 1996 bestand Anlass zu Befürchtungen, da damals das Renten-Überleitungsgesetz auslief. Bis dahin waren ostdeutsche Bergleute den Bergleuten in den alten Bundesländern sozialpolitisch gleichgestellt. Worum geht es eigentlich im Kern? ({1}) 1971 hat man in der alten Bundesrepublik erkannt, dass eine Strukturkrise im Steinkohlenbergbau bevorstehen würde. Man hat sozialpolitisch verträgliche Regelungen erlassen, indem ein Anpassungsgeld gewährt wurde. Im Kern beinhaltete diese Regelung, dass Bergleute über 50 Jahre, die länger als 25 Jahre unter Tage gearbeitet hatten, ein Anrecht darauf hatten, zu Hause zu bleiben, und mit 55 Jahren die Knappschaftsausgleichsleistung bekamen. Damit war ihnen zwar nicht geholfen, da sie gerne gearbeitet hätten. Aber es wurde wenigstens eine sozialverträgliche Lösung gefunden, die mit der Strukturkrise begründet wurde. ({2}) - Bitte schön. Unsere Bergleute würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie hören würden, welche Abfindungen jene bekommen haben. Jetzt kommen wir zu dem Problem: Im Zuge der Wiedervereinigung ist der ostdeutsche Bergbau, zumindest im Untertagebereich, völlig weggebrochen. Haben wir nicht eine ähnliche Strukturkrise gehabt? Die Bundesregierung hatte zumindest am Anfang noch dafür gesorgt, dass diese Krise durch sozialverträgliche Regelungen aufgefangen wurde. Es gab das Renten-Überleitungsgesetz, Altersübergangsregelungen und Vorruhestandsregelungen. Das Renten-Überleitungsgesetz ist aber 1996 ausgelaufen. Sie waren da an der Regierung und wussten, dass man etwas für diese Bergleute tun musste; aber Sie haben nichts getan. ({3}) - Es geht etwa um 300 Bergleute. ({4}) Ich selbst habe 17 Jahre unter Tage gearbeitet. In meinem Bergwerk in Bischofferode gibt es noch 70 betroffene Bergleute. Es ist schlimm genug, dass sie ihren eigenen Arbeitsplatz abbauen und ihre Arbeit aufgeben müssen, obwohl sie noch lange hätten arbeiten können. Das Schicksal und Ihre Entscheidungen haben dazu beigetragen, dass ihnen jede Perspektive genommen wurde. Ich sage Ihnen eins: Sie haben nicht die Chance, mit 55 Jahren noch in einem anderen Bergwerk beschäftigt zu werden. Das heißt für die meisten: In einem Alter von 52, 53 Jahren will man sie mit der Rente für Bergleute in den Ruhestand schicken. Wissen Sie eigentlich, wie viel sie dann bekommen? Ich habe die Bescheide von Bergleuten gesehen, die 27 Jahre und länger unter Tage gearbeitet haben. Der Rentenbescheid für Bergleute - der Betrag beläuft sich immerhin auf 40 Prozent der späteren Altersrente - enthält eine Summe von 740 DM. Von 740 DM kann kein Mensch leben. Die Chancen für einen Bergmann, der über 25 Jahre unter Tage gearbeitet hat, eine neue Anstellung zu finden, sind gleich null. Auf der anderen Seite haben Sie die Anpassungsgeldregelungen für den bundesdeutschen Bergbau immer wieder sozialverträglich verlängert. Ich finde das gut und richtig. Aber ich kann keinem Bergmann bei mir zu Hause erklären, warum im Steinkohlebergbau, der ja subventioniert wird, heute noch im Rahmen einer sozialverträglichen Regelung Betriebsrenten gezahlt werden. Unsere Bergmänner dagegen sollen jetzt vorzeitig ihren Arbeitsplatz verlassen und mit einer Summe von 740 DM nach Hause gehen. Das kann doch nicht wahr sein! Da ist Handlungsbedarf angesagt. ({5}) Wir haben festgestellt, dass es sich um etwa 300 Betroffene handelt. Ich muss eines deutlich sagen: Ich habe zu Beginn des Jahres 1998 Hoffnung in die neue Regierung gesetzt. Ich hatte mit einigen Abgeordneten gewisse Absprachen getroffen. ({6}) Ich habe ihnen gesagt: Ich will mir die Lorbeeren nicht unbedingt an den Hut heften. Tut selber etwas und schafft eine Regelung, damit etwas geschieht! Nun sind fast zwei Jahre um; die neue Regierung hat aber nichts getan. Sie erweckt auch nicht den Anschein, als würde sie etwas tun. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Solange ich noch Betriebsrat bin - ich hoffe, ich bin es in diesem Bergwerk noch lange -, werden wir energisch Widerstand leisten. ({7}) Diesen Kollegen wird nicht gekündigt - und wenn ich im Ruhrgebiet auf die Straße gehen muss, um dieses Thema vorzutragen. Ich glaube nicht, dass dies in Ihrem Interesse ist. Helfen Sie den 300 Bergleuten! Schaffen Sie eine Lösung, damit sie mit 55 Jahren wenigstens die Knappschaftsausgleichsleistungen bekommen können! Sie haben nämlich ihre Beiträge gezahlt und einen Anspruch darauf. Denken Sie darüber nach! Dies war erst die erste Lesung. Sie haben noch Zeit. Ich danke vielmals. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/2385 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion der PDS wünscht Federführung beim Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Fraktion der PDS zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag der PDS ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mehrheitlich gegen Stimmen aus der PDS bei einigen Enthaltungen angenommen worden. Damit ist die Überweisung, wie von den Koalitionsfraktionen gewünscht, mit Federführung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie beschlossen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. Mai, 9 Uhr, ein. Ich wünsche einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.