Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/14/2000

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich gerne die Botschafter der Vereinigten Staaten und Polens, die an unserer heutigen Debatte teilnehmen, sehr herzlich begrüßen. Herzlich willkommen! ({0}) Bundeskanzler Gerhard Schröder Nun erteile ich dem Beauftragten des Bundeskanzlers, Otto Graf Lambsdorff das Wort. Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundeskanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Bundeskanzler, vielen Dank für Ihre anerkennenden Worte. Sie haben mich im Juli des vergangenen Jahres beauftragt und ich habe diesen Auftrag ohne Zögern angenommen. Ich gehöre noch zu der Generation, die die Nazizeit und den Krieg mitgemacht hat. Es gibt im Leben Situationen, denen man sich stellen muss, und diese gehörte für mich dazu. Der Bundesminister der Finanzen hat mich gebeten, Ihnen diese ungewöhnliche Vorlage vorzustellen. 55 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und zum Ausklang des Jahrhunderts wird die Errichtung der Stiftung ein historischer Schritt sein, weil sie zwischen den heute noch lebenden ehemaligen Sklaven und Zwangsarbeitern und den Deutschen ein öffentliches Zeichen der Versöhnung setzen will. ({2}) Das Gesetzesvorhaben ist deshalb ungewöhnlich, weil einerseits eine deutsche öffentlich-rechtliche Stiftung errichtet werden soll, andererseits parallel die Ergebnisse intensiver internationaler Verhandlungen, vor allem zum Thema Rechtsfrieden in den USA, umgesetzt werden müssen. Herr Kollege Penner hat gestern in einem Interview befürchtet, das Parlament werde nur noch als Notar tätig sein können. Das ist - das wissen wir - ein ehrenwerter Beruf, Herr Penner. Aber ich denke, Ihre Rolle geht schon ein bisschen weiter und muss auch ein bisschen weiter gehen. Auf der anderen Seite haben Sie damit die Besonderheit dieses Vorgangs hinsichtlich der parlamentarischen Beratungen angesprochen. Das ist schon richtig. Uns allen liegt am Herzen, dass noch Lebende in den Genuss unserer Zuwendungen kommen. Etwa 1 Prozent von ihnen stirbt in jedem Monat. An den Verhandlungen haben Abgeordnete des Innenausschusses dieses Hauses mitgewirkt. Sie haben die Interessen des Deutschen Bundestages aktiv zum Ausdruck gebracht. Ich bedanke mich an dieser Stelle für diese hilfreiche Begleitung. ({3}) Am 17. Dezember 1999 - in der siebten Verhandlungsrunde - haben wir hier in Berlin eine erste Vereinbarung erzielt: Bund und deutsche Unternehmen werden je zur Hälfte die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit einem Stiftungskapital von 10 Milliarden DM ausstatten. In der elften Verhandlungsrunde am 23. März 2000 - ebenfalls hier in Berlin - haben wir uns auf die Aufteilung des Stiftungskapitals verständigt. Sie können sich vorstellen, wie schwierig dies alles war. Um so erfreulicher ist es, dass sowohl die Gesamthöhe als auch das Verteilungsergebnis von allen Gesprächsteilnehmern ausdrücklich begrüßt und akzeptiert und nicht nur - wie ich pessimistischerweise vorausgesagt hatte mit gleichmäßiger Unzufriedenheit hingenommen wurde. Der größte Teil, nämlich etwa 8,1 Milliarden DM, aufgestockt um 50 Millionen DM durch Zinsen und - möglicherweise - um 100 Millionen DM aus dem Schweizer Bankenvergleich, ist für unmittelbare humanitäre Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter bestimmt. Die Empfänger leben mehrheitlich in Ost- und Mitteleuropa, aber auch in anderen Teilen der Welt. Zu ihnen gehören auch die KZ-Arbeiter, die dem Programm „Vernichtung durch Arbeit“ unterlagen: Juden, Sinti, Roma und viele andere. Die Stiftung wird mit jeder der sieben Partnerorganisationen ein Abkommen schließen. Partnerorganisationen sind die Versöhnungsstiftungen in Warschau, Moskau, Kiew und Minsk sowie der deutsch-tschechische Zukunftsfonds in Prag, die Jewish Claims Conference in New York und schließlich - wir sind in Gesprächen darüber das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf. Darin werden die Leistungskriterien, die Auszahlungsmodi, die Kontrollen sowie die Verwaltungskosten eindeutig festgelegt. Diese Bindungen sind selbstverständlich, weil es auch um öffentliche Zuwendungen, um Mittel deutscher Steuerzahler geht. Bei den für die Partnerorganisationen festgelegten Beträgen handelt es sich um Höchstbeträge, die nicht überschritten werden können. Verbleiben Restmittel, so unterliegt deren Aufteilung wiederum der Entscheidung des Kuratoriums. Der Betrag für Vermögensschäden in Höhe von 1 Milliarde DM - aufgestockt durch 50 Millionen DM Zinsen aus den Unternehmensbeiträgen - hat mehrere Empfänger: erstens eine neu zu bildende Kommission, die über Einzelansprüche befinden wird, zweitens die Internationale Kommission für Holocaust-Versicherungsschäden für unbezahlte und auch erbenlose Versicherungen und schließlich drittens die Claims Conference für erbenlose Arisierungsforderungen. Ferner werden Mittel in Höhe von 700 Millionen DM für den Fonds „Erinnerung und Zukunft“ bereitgestellt. Damit sollen Projekte der Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme, Völkerverständigung und Jugendaustausch gefördert werden. Dieser Zukunftsfonds - der Herr Bundeskanzler hat das unterstrichen - ist von besonderer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft, für die Bundesregierung, aber zum Beispiel auch für die Regierung des Staates Israel. Mit ihm sollen Projekte gefördert werden, die an die Vergangenheit anknüpfen und über unsere deutsche und europäische Vergangenheit hinaus in die Zukunft weisen. Wer wollte angesichts der großen Konflikte im Kosovo, in Tschetschenien sowie vieler kleinerer Konflikte an den Nahtstellen Europas bestreiten, dass die Lehren aus dem letzten Jahrhundert europäischer Geschichte an die nächsten Generationen weiterzugeben sind? ({4}) Präsident Wolfgang Thierse Ein ukrainischer Zwangsarbeiter, der in Norwegen oder im Elsass gearbeitet hat, soll, falls er dies wünscht, die Gelegenheit erhalten, seine alte Arbeitsstelle zu besuchen und mit möglichst vielen Menschen dort zu sprechen. Aber schon wegen der in Amerika anhängigen Verfahren müssen auch die konkreten Bedürfnisse der Überlebenden und ihrer Erben besonders berücksichtigt werden. Schließlich sind 200 Millionen DM für Verwaltungskosten, aber auch für angemessene Zahlungen an die USAnwälte bestimmt, die unmittelbar an den Verhandlungen beteiligt waren. Es gibt keine - wie gelegentlich befürchtet - Erfolgshonorare. Meine Damen und Herren, die Stiftung hat eine historische Dimension: Wir können das Leid der ehemaligen Sklaven und Zwangsarbeiter nicht wieder gutmachen. Wer kann denn überhaupt sagen, welche Summe Geldes für einen KZ-Aufenthalt angemessen wäre? Aber wir können mit der Errichtung der Stiftung zum Ausdruck bringen, was Bundespräsident Rau am 17. Dezember 1999 sagte ich zitiere -: ... dass ihr Leid als Leid anerkannt und dass das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht genannt wird. ({5}) Meine Damen und Herren, es waren die NS-Organisationen der Reichsregierung, die so genannte „Fremdarbeiter“ für die NS-Kriegswirtschaft rekrutierten. Welche Rolle auch immer die deutsche Wirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus spielte: Bei der Zwangsarbeit handelte es sich primär um staatlich veranlasstes Unrecht. Die Zwangsarbeiter dienten als Ersatz für Arbeitnehmer, die zum Wehrdienst eingezogen worden waren. Es ist daher richtig, dass sich Wirtschaft und öffentliche Hand gemeinsam an der Finanzierung der Stiftung beteiligen. Ich halte es für eine gute Überlegung des Bundesfinanzministers, zur Finanzierung des Bundesanteils an der Stiftung auf solches Vermögen des Bundes zurückzugreifen, das schon in der Vergangenheit durch frühere Generationen erarbeitet worden ist. Es ist nicht einzusehen, dass nur die Steuerzahler der heutigen Generation diese Last schultern. ({6}) Ich weiß mich mit der Bundesregierung und sicher auch mit dem Bundestag darin einig, dass mehr als 55 Jahre nach Kriegsende die Frage der Reparationen nicht mehr neu gestellt wird. Der Bundeskanzler hat dazu das Nötige gesagt. Die Stiftung hat eine politische Dimension. Bei den Betroffenen handelt es sich zum überwiegenden Teil um Menschen aus Ost- und Mitteleuropa: aus Polen, aus Russland, aus der Ukraine, aus Weißrussland, aus der Tschechischen Republik und aus anderen Ländern, also vor allem um unsere osteuropäischen Nachbarn. Die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter ist wie fälschlicherweise oft zu lesen war - keine nur jüdische Überlebende betreffende Frage. Wir wollen mit den osteuropäischen Ländern - wie auch mit der Jewish Claims Conference - eine friedliche Zukunft gestalten und sichern. Es sollte daher auch unser politisches Interesse sein, alle Hürden aus dem Wege zu räumen und den Überlebenden eine humanitäre Geste des guten Willens und des Friedens entgegenzubringen. ({7}) Die dritte, die wirtschaftliche Dimension betrifft in erster Linie unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, unserem großen Handels- und Investitionspartner. Ich will hier nicht auf die möglichen Folgen von Sammelklagen oder Boykotts für unsere Wirtschaft eingehen, wenn wir keine Lösung gefunden hätten oder fänden. Amerikanischen Anwälten fällt auf diesem Gebiet ziemlich viel ein. Die deutsche Wirtschaft erhält auf der Grundlage der Stiftung die für ihre Aktivitäten in den USA erforderliche Rechtssicherheit. Diese Rechtssicherheit berührt unmittelbar deutsche Exporte und Investitionen in Amerika. Damit werden auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert. Sie schützt schließlich auch die durch die Sammelklagen gefährdeten deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die US-Regierung wird bei allen laufenden und künftigen Verfahren gegen deutsche Unternehmen, die sich auf die Verstrickung in NS-Unrecht beziehen, gegenüber den Gerichten mit einem so genannten Statement of Interest die Klageabweisung empfehlen. Sie wird den Gerichten schreiben, dass es dem außenpolitischen Interesse der Vereinigten Staaten widerspricht, Sachverhalte gerichtlich zu behandeln, die durch die Stiftung fair und angemessen geregelt sind. Eine hundertprozentige Rechtssicherheit wird es nicht geben; aber im amerikanischen Rechtssystem hat die Berufung der Regierung auf die Gewaltenteilung, auf ihre „executive power“, für die Richter weitgehend bindende Wirkung. Selbstverständlich erwarten wir auch von den Regierungen der beteiligten mittel- und osteuropäischen Staaten entsprechende rechtliche Zusicherungen. Meine Damen und Herren, in den sehr schwierigen Verhandlungen war mein Partner der stellvertretende amerikanische Finanzminister Stuart Eizenstat. Wir kennen und schätzen uns seit vielen Jahren. Das hat geholfen. Er ist ein Mann von hoher Kompetenz. Er hat zu dieser Lösung entscheidend und ergebnisorientiert beigetragen. Wir waren und sind uns darin einig, dass die Verteidigung der Menschenwürde unser gemeinsames Fundament der deutsch-amerikanischen Beziehungen und tragendes Motiv für die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ist. ({8}) Deshalb haben wir zu keinem Zeitpunkt der Verhandlungen die Überlebenden aus dem Blick verloren. Ich bin zuversichtlich, dass wir für die noch offenen Punkte eine Otto Graf Lambsdorff faire Lösung finden. Ich bin auch zuversichtlich, dass uns der hier anwesende Botschafter der Vereinigten Staaten, John Kornblum, wie in der Vergangenheit - wofür ich mich herzlich bedanke - dabei helfen wird. ({9}) Die deutsche Wirtschaft unternimmt eine respektable Anstrengung. Ich danke dem Vorsitzenden des Lenkungsausschusses der Stiftungsinitiative, Dr. Manfred Gentz, für seinen engagierten Einsatz. ({10}) Es ist ärgerlich, dass auch Unternehmen, die sich an der Stiftungsinitiative nicht beteiligen wollen, den von der Stiftungsinitiative erreichten Rechtsfrieden erlangen. Leider gibt es keine rechtlich durchsetzbaren Möglichkeiten, die Problematik der so genannten Trittbrettfahrer befriedigend zu beantworten. Ich will mich aber nicht nur beklagen. Ich will ausdrücklich sagen, dass ich es höchst eindrucksvoll finde, dass junge Unternehmen, die überhaupt nichts mit der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu tun haben, die erst vor wenigen Jahren gegründet worden sind, mir geschrieben haben und gefragt haben: Wohin können wir etwas zahlen? Auch wir wollen helfen. ({11}) Es gibt viele Bürger im Lande, die mir positiv geschrieben haben. Sie kennen es alle - ich habe es 26 Jahre lang erlebt -: Meistens bekommt man nur kritische Briefe. Hier überwiegt bei weitem die Zahl der positiven Briefe. Es sind handgeschriebene Briefe; mit einer Büroklammer ist ein 10-DM-Schein daran geheftet, mit der Bemerkung: Das ist mein Beitrag. - All das ist eindrucksvoll und erfreulich und sollte nicht übersehen werden. ({12}) Umso mehr appelliere ich an alle Unternehmen - die deutsche Wirtschaft besteht eben nicht nur aus 1 000, die sich jetzt beteiligen, sondern aus sehr viel mehr Unternehmen -, ihre Gesamtverantwortung anzuerkennen und sich der Stiftungsinitiative anzuschließen. ({13}) Dieser Appell gilt besonders für die - von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - reichlich zögerliche deutsche Bauindustrie. Ich habe mich für die unterstützende Begleitung durch die deutschen Medien zu bedanken. Ich bin befremdet über die finanzielle Zurückhaltung der Medienkonzerne. ({14}) Offenbar liest man in deren Vorständen die Kommentare der eigenen Zeitungen nicht. ({15}) Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich bitte Sie, die Beratungen zügig vorzunehmen und der Gesetzesvorlage mit den eventuell noch erforderlichen Korrekturen die eine oder andere Korrektur wird sicherlich noch kommen - zuzustimmen. Eine breite, überparteiliche Zustimmung wird auch von allen betroffenen Staaten als politisches Signal gesehen. Dann könnten noch in diesem Jahr die Zuwendungen an diejenigen beginnen, um deren Schicksal es hier schließlich geht. Die ehemaligen Zwangsarbeiter werden es Ihnen danken. Ich bedanke mich für Ihr Zuhören. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sehr geehrter Graf Lambsdorff, ich möchte Ihnen namens des ganzen Hauses für Ihre geleistete Arbeit sehr herzlich danken. ({0}) Nun erteile ich dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen des Deutschen Bundestags bringen heute den Entwurf des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ auf den Weg der parlamentarischen Beratung. Diese Stiftung ist ein Gemeinschaftswerk von Politik und Wirtschaft in Deutschland. Wir alle, die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch ihre Gesetzgebungsorgane, und die deutsche Wirtschaft, stellen uns damit einem außergewöhnlich schwierigen Thema und einer Aufgabe, die zu lösen uns allen eine moralische Pflicht und Verantwortung ist. Ich möchte zunächst im Namen der CDU/CSU-Fraktion dem Verhandlungsführer auf deutscher Seite, dem langjährigen Kollegen Dr. Otto Graf Lambsdorff, für seine Arbeit und für seine umsichtige und erfolgreiche Verhandlungsführung danken. ({0}) Seitdem Sie, Graf Lambsdorff, diese Aufgabe übernommen haben, wussten wir die Verhandlungen in guten Händen. ({1}) Unser Dank gilt auch unserem Kollegen Wolfgang Bosbach, der bei diesen Verhandlungen unsere Fraktion vertreten hat. ({2}) Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion ich spreche hier ganz ausdrücklich auch im Namen unseres Kollegen Michael Glos, unseres ersten stellvertretenden Vorsitzenden - betrachtet das Anliegen der zu errichtenden Stiftung als notwendig und berechtigt. Es geht darum, eine abschließende finanzielle Regelung zugunsten Otto Graf Lambsdorff derjenigen zu treffen, die als ehemalige Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus und als Opfer von anderem Unrecht Betroffene eines unmenschlichen Systems waren, dessen Machthaber jeden Respekt vor der Würde des Menschen verloren hatten. Wir alle wissen, dass die Verletzungen an Leib und Seele, die erniedrigende Behandlung und die Missachtung der Menschenwürde, die mit Zwangsarbeit, der Heranziehung von Kindern zu schwerer körperlicher Arbeit, mit Deportationen sowie der Bildung von Gettos und Konzentrationslagern verbunden waren, mit Geld nicht wieder gutgemacht werden können. Es kann uns deshalb heute auch nur um eine abschließende finanzielle Regelung, nicht aber um einen Schlussstrich unter die moralische Verantwortung gehen. ({3}) Die Errichtung der Stiftung gibt uns Gelegenheit, gerade den jungen Menschen in unserem Land zu sagen, dass zu ihrem Leben auch die Geschichte unseres Landes zählt. Die großartigen Leistungen in Wissenschaft und Technik, in Literatur und Philosophie, der wirtschaftliche Wohlstand und die umfassende soziale Sicherung gehören zu unserer Geschichte, aber eben auch die dunklen Seiten der Missachtung, Entrechtung und Entwürdigung von Menschen in der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus. Geschichte ist nicht teilbar. Keine Generation kann eine Epoche der eigenen Geschichte für beendet erklären. Es gibt eine Verantwortung aus der Geschichte, die für jede Generation fortbesteht und die nicht vergehen darf, wenn wir die Grundlagen unseres freiheitlichen Rechtsstaates, nämlich Freiheit und Würde des Menschen, auch für die Zukunft sichern und bewahren wollen. ({4}) Dieser Verantwortung hat sich die Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung im Jahre 1949 gestellt. Seit der ersten Bundesregierung unter Konrad Adenauer hat die Bundesrepublik Deutschland bis heute mehr als 100 Milliarden DM Wiedergutmachungsleistungen an rassisch, religiös oder weltanschaulich Verfolgte des NS-Regimes bereitgestellt, eine Leistung, die, wie ich finde, in der Öffentlichkeit nicht immer ausreichend wahrgenommen wird. Aber nicht zuletzt aufgrund der Spaltung Europas haben die Betroffenen in den mittelund osteuropäischen Ländern bisher zu wenig Hilfe erhalten. Dies gilt auch für diejenigen, die bis 1990 in der DDR gelebt haben. Die Machthaber der DDR haben es immer abgelehnt, auch für diesen Teil der gemeinsamen deutschen Geschichte Verantwortung zu übernehmen. ({5}) Die Regierung unter Helmut Kohl hat deshalb nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands Wiedergutmachung geleistet, vor allem mit dem Entschädigungsrentengesetz. Sie hat über die Versöhnungsstiftung bereits 1,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, die den Opfern in einigen mittel- und osteuropäischen Staaten zugute gekommen sind. Bei der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ geht es - wie es im Namen der Stiftungsinitiative zum Ausdruck kommt - um Erinnern, um Verantwortung, aber eben auch um einen wichtigen Beitrag für die Zukunft. Neben der Entschädigung soll mit der Stiftung eine dauerhafte Aufgabe begründet werden, die darin besteht, dass insbesondere Projekte der Völkerverständigung, des Jugendaustausches und der internationalen Zusammenarbeit auf humanitärem Gebiet gefördert werden. Wir begrüßen dieses Anliegen der Stiftung in besonderer Weise und hoffen, dass wir vor allem Jugendliche in Deutschland gewinnen können, an den durch die Stiftung finanzierten Projekten teilzunehmen und sich auf diese Weise der deutschen Geschichte zu stellen. ({6}) Ich will nicht verhehlen, dass es in der CDU/CSUBundestagsfraktion eine Reihe von Vorbehalten beim jetzigen Stand der Regelungen gibt, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ausgeräumt werden müssen. Es gibt bis heute erheblichen Unmut in unserer Fraktion auch deshalb, weil die Bundesregierung entgegen ihrer ursprünglichen Zusage uns an der Abfassung des Gesetzes eben nicht von Anfang an beteiligt hat, eine Form des Umgangs, Herr Bundeskanzler, die nicht in Ordnung war und nicht in Ordnung ist. ({7}) Es sind eine Reihe von Fragen offen geblieben, die die Bundesregierung in ihrer Verantwortung für das Gesetz jetzt noch klären muss. Ich stelle diese Fragen: Wie kann der Rechtsschutz vor weiteren Klagen tatsächlich sichergestellt werden? Graf Lambsdorff, Sie haben auf das deutsch-amerikanische Regierungsabkommen hingewiesen. Ich schließe mich auch Ihrer Bewertung, Herr Bundeskanzler, ausdrücklich an: Die Frage der Reparationen ist nicht gestellt. Sie ist mit dem Londoner Schuldenabkommen und letztendlich auch mit dem Zwei-plusVier-Vertrag abgeschlossen. ({8}) Weitere Fragen lauten: Wie können Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Ländern, die nicht an den Entschädigungsverhandlungen beteiligt waren, einbezogen werden? Welche international tätige und auch international vertrauenswürdige Organisation kann für die Auszahlung der Entschädigungsleistungen an die Opfer gewonnen werden? Wie können wir schließlich sicherstellen, dass die auszuzahlenden Stiftungsmittel auch tatsächlich die Betroffenen erreichen, vor allem dann, wenn sie hochbetagt und in ärmlichen Verhältnissen leben? Diese und weitere Fragen sind offen. Sie sehen, es gibt noch eine ganze Reihe klärungsbedürftiger Punkte, die einer abschließenden Regelung bedürfen. Erlauben Sie mir zum Schluss, dass ich den Unternehmen in Deutschland, die sich der Stiftungsinitiative bisher angeschlossen haben, auch von unserer Seite ein herzliches Wort des Dankes sage. ({9}) Es sind Unternehmen dabei, die Zwangsarbeiter des eigenen Unternehmens bereits entschädigt haben und trotzdem der Initiative beigetreten sind. Es sind Unternehmen dabei, die - darauf ist bereits hingewiesen worden - zum Teil erst lange nach 1949 gegründet worden sind. Darunter sind ganz junge Unternehmen mit ganz jungen Inhabern, Unternehmen modernster Technologien und neuer Branchen, die sich gleichwohl dem Anliegen der Stiftung, den Interessen unseres Landes und der historischen Verantwortung verpflichtet fühlen. Schließlich gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Städten und Gemeinden sowie eine große Zahl von Einzelpersonen, die bereits größere und kleinere Beträge zur Verfügung gestellt haben. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank. Sie alle geben ein gutes Beispiel für diejenigen, die der Initiative noch nicht beigetreten sind. So können wir gemeinsam zeigen, dass Deutschland auch nach der Wiederherstellung der Einheit unseres Landes und jetzt eben von Berlin aus unverändert in der moralischen Pflicht gegenüber denjenigen steht, die gelitten haben und denen solches Unrecht widerfahren ist. Ich habe zu Beginn gesagt: Wir stimmen dem Grundanliegen der Stiftung zu. Deshalb bringen wir den Gesetzentwurf mit ein. Ich stelle aber auch fest: Eine Reihe von wichtigen Fragen - ich habe sie genannt - ist noch nicht ausreichend geklärt ist. Die Verhandlungen, insbesondere mit den Vereinigten Staaten von Amerika, dauern in einigen wichtigen Punkten noch an; deswegen kann die gemeinsame Einbringung nicht schon jetzt unsere Zustimmung zur endgültigen Regelung bedeuten. Es geht uns darum, dass die Ziele der Stiftung tatsächlich erreicht werden. ({10}) Diese Stiftung, dieses Gesetz und die mit diesem Gesetz noch abzuschließenden Verträge müssen einen wirklichen Beitrag zu Frieden und Freiheit in Europa und darüber hinaus zur Versöhnung im 21. Jahrhundert leisten. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Bernd Reuter, SPD-Fraktion, das Wort.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal die drei im Stiftungsnamen enthaltenen Begriffe aufgreifen: „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“. Die Erinnerung an das Unrecht, das in der NS-Zeit begangen wurde, darf nicht mit denen sterben, die diese schreckliche Zeit persönlich erlebt haben. Verantwortung zu übernehmen bedeutet mehr als schöne Worte in Sonntagsreden. Es bedeutet, aktiv Beiträge zur Versöhnung zu leisten, den Dialog zu suchen und aufzuklären. ({0}) Verantwortung zu übernehmen bedeutet auch, Lehren aus der Geschichte zu ziehen und sich für die Opfer von heute einzusetzen. Unser Anliegen für die Zukunft muss sein, dass die Opfer von gestern nicht in Vergessenheit geraten und dass die uns nachfolgenden Generationen das Wissen um deren Schicksal immer wieder zum Leitfaden ihres Handelns machen. Mit der Entschädigung der NSZwangsarbeiter nehmen wir unsere historische Verantwortung ernst. Entschädigung ist eine humanitäre Geste der Entschuldigung an die Opfer und ein Zeichen an ihre Herkunftsländer und an die Welt, dass sich Deutschland für die eigene Vergangenheit verantwortlich zeigt. Die Bundesregierung hat ihr Versprechen eingelöst. Endlich liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter vor. Damit wird eine langjährige Forderung der SPD realisiert, die seit der 11. Legislaturperiode von der damaligen Mehrheit im Deutschen Bundestag blockiert wurde. Unser Hauptanliegen ist es, den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern - Schätzungen gehen von über 1 Million Menschen aus - schnellstmöglich eine Entschädigung zukommen zu lassen. ({1}) Es geht uns auch darum, für deutsche Firmen Rechtsfrieden zu erlangen; das heißt, dass eventuelle Klagen gegen deutsche Firmen nicht mehr von den Gerichten angenommen werden. Den Firmen, die sich mit der Beteiligung an der Stiftung ihrer historischen Verantwortung stellen, möchte ich ausdrücklich den Dank der SPD-Bundestagsfraktion aussprechen. ({2}) Zugleich schließe ich mich auch dem Appell von Graf Lambsdorff und des Bundeskanzlers an, dass die Firmen, die noch abseits stehen, sich jetzt auch beteiligen und endlich das tun, wozu sie moralisch verpflichtet sind. Bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens Mitte dieses Jahres sollten die von der Industrie zugesagten 5 Milliarden DM eingezahlt sein. ({3}) Die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern 55 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist überfällig. Sie betrifft hochbetagte Opfer, von denen, statistisch betrachtet, jeden Monat ein Prozent sterben. Es ist also dringend geboten, die zur Verfügung stehenden Mittel zügig und unbürokratisch an die Opfer auszuzahlen. Graf Lambsdorff hat schon darauf hingewiesen, dass es bei diesem Gesetzgebungsverfahren aussergewöhnlich ist, dass die Parlamentarier noch weniger als vielleicht sonst Gestaltungsmöglichkeiten haben. Aber wir sind gehalten, die Ergebnisse schwierigster Verhandlungen nun in ein Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Ich will ausdrücklich auch denen danken, die bei den Verhandlungen mitgewirkt haben, insbesondere auch meinen Kollegen der anderen Fraktionen dieses Hauses, und ich will hier auch meinen Kollegen Wolfgang Bosbach nennen, weil ich davon ausgehe, dass die breite Mehrheit, die heute bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfes festzustellen ist, auch auf sein Engagement zurückzuführen ist. Schönen Dank. ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass 10 Milliarden DM die im Stiftungsvolumen genannt sind, jeweils zur Hälfte vom Bund und von den deutschen Unternehmen aufzubringen sind. Ich zitiere aus einer Erklärung der an der Stiftung beteiligten Unternehmen: Die Stiftungsmittel sollen als Geste der Versöhnung am Ende dieses Jahrhunderts eingesetzt werden, um zum einen Opfern des NS-Unrechts humanitär zu helfen, zum anderen um Projekte zu fördern, die der Völkerverständigung, der sozialen Gerechtigkeit, der internationalen Zusammenarbeit auf humanitärem Gebiet und dem Jugendaustausch dienen oder die die Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Unrechtsstaaten und Gewaltherrschaft wach halten. Die Aufteilung der Mittel ist von Graf Lambsdorff schon vorgestellt worden. Ich bin darüber erfreut und bin der Meinung, dass es sich sehen lassen kann, dass 8,25 Milliarden DM unmittelbar und direkt den ehemaligen Zwangsarbeitern zugute kommen. Auch die 700 Millionen DM des Zukunftsfonds möchte ich in den Blickpunkt rücken, weil ich der Auffassung bin, dass hier - wie der Name schon sagt - für die Zukunft ein Fonds eingerichtet wird, der segensreiche Wirkungen entfalten soll, um solche Vorkommnisse, wie wir sie alle nicht mehr erleben wollen, zu vermeiden, meine Damen und Herren. ({5}) Mitte dieser Woche waren bereits 1 123 Firmen der Stiftung beigetreten und ich erwarte auch, dass sich die Bundesländer hier engagiert beteiligen und mithelfen, diesen Fonds auszugestalten. Auch wenn heute die Bundesratsbank etwas spärlich besetzt ist, gehe ich davon aus, dass die Länder trotzdem willens und bereit sind, sich hier zu engagieren. ({6}) Der Kollege Merz hat zu Recht auf die Leistungen hingewiesen, die die Bundesrepublik bereits seit 1947 erbracht hat. Es sind über 100 Milliarden DM. Man muss natürlich diese riesige astronomische Summe auch einmal ins Verhältnis zu den unsäglichen, unbeschreiblichen Folgen eines verbrecherischen Regimes setzen. ({7}) Ich will noch ganz kurz einige Anmerkungen zur Geschichte dieser Stiftung machen. Der Anstoß kam ja durch eine Klage von 21 Zwangsarbeiterinnen vor dem Landgericht Bonn im Jahr 1997 und den Sammelklagen gegen führende deutsche Unternehmen in den USA. Dann wurde am 16. Februar diese Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ins Leben gerufen. Ich will hier auch deutlich hervorheben, meine Damen und Herren, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder der Initiator und Motor dieses Prozesses war. ({8}) Auch ihm gebührt Dank für sein Engagement, denn ohne seine zupackende Art wären wir heute nicht in der Lage, hier im Deutschen Bundestag einen solchen Gesetzentwurf zu debattieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des ({9}) Es war vernünftig und klug, dass diese Verhandlungen von Anfang an durch Parlamentarier des Deutschen Bundestages begleitet wurden. Ich verstehe, Herr Kollege Merz, eigentlich Ihre Kritik nicht ganz, wenn Sie sagen, dass hier im Gesetzgebungsverfahren die CDU/CSUFraktion benachteiligt wurde. ({10}) Ich bin der Meinung, dass das, was bisher gemacht wurde, zum Beispiel die Beteiligung der Parlamentarier, bei früheren Regierungen in dieser Form nicht üblich war. ({11}) Wir haben deshalb jetzt die Möglichkeit, Ihre Probleme und Bedenken in die Beratungen einzubeziehen. Nicht zuletzt dank des großen Verhandlungsgeschicks von Otto Graf Lambsdorff sind wir nach vielen, oft zähen Gesprächsrunden nun endlich dem Ziel greifbar nahe. Ich will für die SPD-Bundestagsfraktion die Gelegenheit nutzen, dem ehemaligen Kollegen Otto Graf Lambsdorff noch einmal herzlich zu danken. Ich bin überzeugt davon, dass nur er mit der ihm eigenen Art manche Wahrheiten sagen konnte, die man einem sozialdemokratischen Verhandlungsführer vielleicht angelastet hätte. ({12}) Der nun vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet das Ergebnis dieser Verhandlungen. Ich möchte an dieser Stelle auch meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass der Bundestag bei der Lösung dieser schwierigen Problematik hier Einigkeit demonstriert. Nachdem sich nun auch die CDU/CSU-Fraktion am Mittwoch dieser Woche dazu entschlossen hat mitzuwirken und damit alle Fraktionen gemeinsam diesen Gesetzentwurf einbringen, appelliere ich an Sie, Herr Merz, und Ihre Fraktion: Helfen Sie mit, dass auch bei der Schlussabstimmung hier eine gemeinsame Entscheidung getroffen wird und wir dieses Gesetzeswerk mit breiter Mehrheit vollenden. ({13}) Ich appelliere an uns alle, die Beratungen in den Ausschüssen nun zügig voranzubringen, damit wir das Gesetzgebungsverfahren noch vor der Sommerpause abschließen können. Denn es muss unser aller Ziel sein, dass die Opfer noch in diesem Jahr Entschädigungszahlungen erhalten. Unsägliche Leiden und unsägliches Unrecht wurde von Deutschen Millionen Menschen zugefügt. Eine wirkliche Wiedergutmachung kann es nicht geben. Wie sollten Tod, Folter, Hunger und Erniedrigung je wieder gutgemacht werden können? Diese Stiftung hat nicht den Zweck, unser Gewissen endgültig freizukaufen. Sie dient dazu, das Leid der Opfer anzuerkennen. ({14}) Mit der Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ setzen wir heute nochmals ein Zeichen der Wahrnehmung unserer moralischen Verantwortung für die schrecklichen Geschehnisse während der NSZeit. Sie kann und darf jedoch nur eine von vielen Bemühungen sein, mit denen wir unsere Verantwortung für das, was gestern geschah, heute aktiv wahrnehmen. Schönen Dank. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung mit der Periode des Nationalsozialismus lässt uns, den Deutschen Bundestag, und die Bevölkerung nicht los. Trotz zahlreicher Schlussstrichversuche, trotz des Versuches in den 60er-Jahren, mit dem BEG-Schlussgesetz das Kapitel Entschädigungen für NS-Unrecht abzuschließen, beschäftigt sich der Bundestag immer wieder mit der Frage: Haben wir alles Unrecht auch wirklich als Unrecht verurteilt und erkannt? Haben wir allen Opfern des Nationalsozialismus durch Entschädigungszahlungen wenigstens geholfen? Es handelt sich um einen schmerzhaften, nicht abgeschlossenen Prozess der Erkenntnis. Versöhnung kann nur auf der Basis der Anerkenntnis von Schuld und der Übernahme der Verantwortung für diese Schuld erwachsen. Deshalb ist der heutige Tag ein wichtiger, ein historischer Tag. Der Bundestag erkennt das verbrecherische nationalsozialistische Zwangsarbeiterprogramm als Unrecht an. Wir legen heute den Grundstein für materielle Hilfe für die noch lebenden Zwangsarbeiter - für viele Opfer, die in den letzten Jahrzehnten verstorben sind, leider zu spät. Unsere Fraktion kämpft nun schon seit 15 Jahren darum, gerechte Lösungen für alle NS-Opfer zu finden, die in den letzten Jahrzehnten durch die großen Maschen des deutschen Entschädigungsrechtes gefallen sind. Die größte Gruppe dieser Opfer sind die ehemaligen Zwangsarbeiter und die NS-Opfer, die hinter dem vormals Eisernen Vorhang leben. Nun haben wir es erreicht, dass auch für diese Opfer endlich eine angemessene Lösung in Sicht ist. Der Kampf darum war lang und hart - vor allem für die Organisationen und die Opfer. Als Gegner einer finanziellen Regelung dieser Fragen hatte man jahrzehntelang nicht bloß eine zahlungsunwillige und verantwortungslos agierende Industrie, auch die früheren Bundesregierungen und die deutschen Gerichte wiesen Rechtsansprüche der Opfer und auch nur eine moralische Verantwortung Deutschlands zurück. Fast alle Klagen wurden abgewiesen. In dieser Wahlperiode hat der Bundestag die Chance, die Zwangsarbeit als das anzuerkennen, was sie war: schweres nationalsozialistisches Unrecht. Millionen von Menschen wurden deportiert, wie Tiere gehalten, in KZs und Lager gepfercht, ausgebeutet, unzureichend ernährt, geschlagen und mit einem fürchterlichen Strafsystem überzogen. Gerade bei den vom NS-Regime als „Untermenschen“ bezeichneten Juden, Sinti und Roma und den Angehörigen der slawischen Völker hat sich das NS-Regime ein grausames Konzept von Ausbeutung, Diskriminierung und nicht selten Vernichtung durch Arbeit ausgedacht. Nur wenn wir dieses Unrecht als NS-Unrecht anerkennen, geben wir diesen Menschen ihre Würde wieder. ({0}) Bundespräsident Johannes Rau sagte im letzten Jahr: Ich gedenke heute aller, die unter deutscher Herrschaft Sklavenarbeit und Zwangsarbeit leisten mussten, und bitte im Namen des deutschen Volkes um Vergebung. Ihre Leiden werden wir nicht vergessen. Mit diesem Gesetz macht sich der Deutsche Bundestag diese Auffassung zu Eigen. Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben nie akzeptiert, dass sich Deutschland so lange geweigert hat, das Unrecht der Zwangsarbeit als NS-Unrecht anzuerkennen. Wir konnten uns auch nicht damit abfinden, dass die vom NS-Regime deportierten und ausgebeuteten Menschen mit dem Hinweis auf Reparationsfragen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet wurden. Mit dem heutigen, gemeinsam von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragenen Gesetzentwurf stellen wir fest: Zwangsarbeit war NS-Unrecht, und die Opfer haben einen Anspruch auf eine materielle Genugtuung. ({1}) Erst mit Rot-Grün wurde eine Neuorientierung der Politik der Bundesregierung eingeleitet. Unsere Fraktion hat erreicht, dass in der Koalitionsvereinbarung folgender Satz aufgenommen wurde: Die neue Bundesregierung wird eine Bundesstiftung „Entschädigung für NS-Unrecht“ für die „vergessenen Opfer“ und unter Beteiligung der deutschen Industrie eine Bundesstiftung „Entschädigung für NSZwangsarbeit“ auf den Weg bringen. Wir sind nun dabei, dieses zweite, wichtigste Projekt unseres Versprechens an die NS-Opfer umzusetzen. Mit der Entschädigung der Zwangsarbeiter und Sklavenarbeiter kommen Staat und Industrie ihrer historischen Verpflichtung nach. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir festhalten, dass die deutsche Industrie - ich sehe von einigen Betrieben wie VW bewusst ab, die sich in den letzten Jahren vorbildlich verhalten haben - ohne politisch und finanziell motivierten Druck, ohne die in den USA eingereichten Sammelklagen kollektiv nicht bereit gewesen wäre, ihre moralische Verantwortung zu erkennen und danach zu handeln. Eine rechtliche Verantwortung, eine Pflicht zur Zahlung an die ehemaligen Zwangsarbeiter lehnt die Industrie ja weiterhin ab. An dieser Stelle darf ich wenigstens am Rande vermerken, dass unsere Fraktion diese Rechtsposition stets anders beurteilt hat. Festzuhalten bleibt gleichwohl: Die nun geplante Bundesstiftung erfüllt moralische, nicht im strengen Sinne rechtliche Ansprüche - aus der Sicht vieler Opfer ist das aber zumeist auch egal -, und nicht nur das: Durch die Öffnung der Stiftung über etwaige Rechtsverpflichtungen hinaus wird es gelingen, auch diejenigen Opfer zu berücksichtigen, die bei Arbeitgebern beschäftigt waren, die heute gar nicht mehr existieren. Das ist eine außerordentlich wichtige Regelung, die vielen Opfern überhaupt erst ermöglicht, eine Leistung zu erhalten. Deshalb ist die Solidaraktion der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates auch in moralischer Hinsicht sehr zu begrüßen. ({2}) Die Konzeption dieses Stiftungsgesetzes steht am Ende langer Verhandlungen und langer Auseinandersetzungen. Nicht selten drohte zwischenzeitlich ein Scheitern dieses Projektes. Ich bin froh, dass wir alle zusammen durchgehalten haben - um der Opfer willen. Unser Dank geht auch an Otto Graf Lambsdorff, der geholfen hat, viele Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. ({3}) Wenn wir uns an die Ausgangsposition von 1998 erinnern - Ausschluss der osteuropäischen Opfer, finanzielles Angebot von 1 Milliarde DM -, dann müssen wir sagen, dass wir wirklich gut vorangekommen sind. Heute ist völlig klar: Es gibt keine Diskriminierung nach Wohnsitz in Ost oder West, keine Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit. Entschädigung erfolgt allein aufgrund der Schwere des Verfolgtenschicksals. Das ist eine faire und gerechte Lösung. Ich bin zufrieden, dass wir, die viele Vorschläge und Vorentwürfe auch aus den Reihen unserer eigenen Regierung kritisiert hatten -, nun sagen können: Wir stehen hinter diesem Gesetzentwurf. Er wird im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vielleicht noch einige kleine technische Korrekturen erfahren, aber er wird der historischen Wahrheit und der historischen Schuld gerecht. Die Ergebnisse der internationalen Verhandlungen über die Mittelverteilung werden in diesen Entwurf ebenfalls noch eingearbeitet werden. Ich komme darauf später zurück. An dieser Stelle möchte ich festhalten: Der Gesetzentwurf sieht entgegen früheren Vorlagen vor, dass die Anrechnung von bereits nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhaltenen Leistungen für Gesundheitsschäden entfällt, dass die Beschränkung aufgehoben wird, wonach nur die Opfer von Zwangsarbeit, die nach Deutschland in den Grenzen von 1937 deportiert worden sind, Entschädigungen erhalten. Heute reicht es aus, dass man in einen von Deutschland besetzten Staat verschleppt wurde. Ich stelle weiterhin fest, dass das wirklichkeitsfremde Haftkriterium entfallen ist. Auch Menschen, die unter haftähnlichen Bedingungen oder unter vergleichbar schweren Bedingungen leben mussten, haben einen Leistungsanspruch. Die Opfer von Arbeitserziehungslagern werden entweder wie Konzentrationslagerhäftlinge behandelt oder sie erhalten zumindest die gleichen Leistungen wie die Industriezwangsarbeiter. Es ist uns gelungen, durch eine Kompromissformel auch die Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft einzubeziehen, wenn auch mit einem niedrigeren Betrag und durch die Partnerorganisation administriert. Wir stellen fest, dass die Deportation von Zwangsarbeitern in die deutsche Landwirtschaft ebenfalls Unrecht war. Wenn man sich die rassistischen Begleitgesetze dieser Zeit anschaut, dann ist klar, dass man sich für dieses Unrecht genauso entschuldigen und die Schuld anerkennen muss wie bei den anderen Zwangsarbeitern auch. Es ist uns gelungen, die Vertreter der Sinti und Roma in das Kuratorium zu integrieren und deutlich zu machen, dass dieses kein Schlussstrichgesetz für alle weiteren Forderungen im Zusammenhang mit dem NS-Unrecht ist. Die individuelle Verzichtserklärung der Opfer, die hier Entschädigungen bekommen, erstreckt sich nicht auf zukünftige gesetzliche Neuregelungen. Es ist uns weiterhin gelungen, in dem Prozess der Verhandlungen und in den Diskussionen über den Gesetzentwurf die Priorität eindeutig auf die Entschädigung für die Opfer zu legen. Bei aller Verantwortung für die Zukunft, die wir auch außerhalb dieses Stiftungsprojektes wahrnehmen müssen, muss klar sein: Das Geld, das hier zur Verfügung steht, steht zuallererst den Opfern des Zwangsarbeiterprogrammes zu. Trotz aller deutschen Gründlichkeit werden wir eine wenig bürokratische Regelung haben. Es ist richtig, dass wir festgestellt haben: Zum Nachweis der Zwangsarbeit sollen Einträge aus dem Archiv von Bad Arolsen ausreichen. Wir werden keine komplizierten Anerkennungsverfahren haben. Wir stellen in unseren Gesprächen mit den Opferverbänden, den internationalen und den in unserem Land tätigen, fest, dass der Gesetzentwurf nun vielfach Unterstützung findet, auch wenn im Detail Nachbesserungen gefordert werden. Wir werden fraktionsübergreifend ein Verfahren finden, wie wir im Rahmen der Ausschussberatungen weiterhin den Sachverstand dieser Verbände nutzen können, um das Gesetz wirklich in all seinen Bestimmungen und Verfahren zu optimieren. Dabei ist Gerechtigkeit die Grundlage und zügige Auszahlung an die Betroffenen das Ziel. Nach den Verhandlungen kommt die Mühe des Gesetzes, nach dem Gesetz die Mühe der Verteilung der Mittel an die Opfer. Hier bestehen nach wie vor ernst zu Volker Beck ({4}) nehmende Probleme, die wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens lösen müssen. Ich nenne hier nur drei zentrale Problembereiche. Erstens, Verhandlungen haben es manchmal an sich, dass man sich einigt, manchmal auch zulasten Dritter. Es ist die Aufgabe des Parlaments, Gerechtigkeit für alle Opfer in gleicher Lage ohne Ansehen des Wohnsitzes sicherzustellen. Wir haben mittlerweile die ernste Sorge, ob die für den „Rest der Welt“ vorgesehenen Mittel in Höhe von 800 Millionen DM aus der Industrie und dem öffentlichen Sektor für die nicht jüdischen KZ-Häftlinge und die deportierten Zwangsarbeiter wirklich ausreichen. Wir müssen verhindern, dass sich nun das von Graf Lambsdorff gelöste Problem erneut stellt, dieses Mal aber in umgekehrter Lesart. Wir können nicht zulassen, dass KZHäftlinge im Westen eine geringere Leistung als die Betroffenen im Osten erhalten. Zweitens, die Verhandlungen mit den USA über ein Abkommen zur Herstellung von Rechtssicherheit sind alles andere als in trockenen Tüchern. Wir können uns aber nicht leisten, dass es noch ein Aufsatteln bei den Vermögensansprüchen gibt, und erst recht nicht, dass wir ein Präjudiz für Reparationsansprüche schaffen. ({5}) Wenn die Stiftung solche Ansprüche befriedigen soll, wird dies zunehmend zulasten der KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter gehen. Das findet unsere Unterstützung definitiv nicht. ({6}) Die Frage der Rechtssicherheit ist der Schlussstein zu diesem Entschädigungswerk. Ich fordere die amerikanische Seite auf, hier schnell ihren Teil zu diesem Entschädigungswerk zu leisten und nicht durch komplizierte Rechtsdiskussionen den Abschluss weiter hinauszuzögern. Die deutsche Bundesregierung und die deutsche Industrie haben alles getan, was möglich ist, damit es zu einer schnellen Leistung an die Opfer kommt. Auch der Bundestag ist, denke ich, bereit, das Notwendige zu tun. Nun ist es an der amerikanischen Seite, den letzten Baustein einzubringen, damit wir noch in diesem Jahr zur Auszahlung an die Opfer kommen. Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie die Verfahren optimiert werden können, damit bei den Partnerorganisationen nicht das Problem entsteht, dass unterschiedliche Beträge ausbezahlt werden. Ein letzter Appell noch an die deutsche Industrie: Wir danken alle gemeinsam den Unternehmen, die hier Verantwortung übernommen haben. Aber das Ansehen der deutschen Industrie hängt auch daran, dass die zugesagten 5 Milliarden DM auf den Tisch kommen. Wir sind erst bei einem Betrag zwischen 2 und 3 Milliarden DM; es fehlen noch über 2 Milliarden DM. Ich fordere die Industrie auf, alles dafür zu tun, dass vor Beendigung des Gesetzgebungsverfahrens das Geld zur Verfügung steht, damit wir es umgehend an die Opfer auszahlen können. Ich glaube, es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dass es hier keine weitere Verzögerung gibt. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Prädikat „historisches Ereignis“ sollte man sparsam umgehen. Aber es ist doch zu erwarten, dass diesem Gesetzgebungsverfahren zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ einmal ein solcher Rang zugemessen werden wird. Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages bekennen sich mit einem gemeinsamen Gesetzentwurf zur geschichtlichen Verantwortung. Endlich wird es eine humanitäre Geste in Form finanzieller Zuwendungen an die vom nationalsozialistischen Deutschland geknechteten und versklavten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter geben. Zugleich wird mit einem Zukunftsfonds dazu beigetragen werden, dass sich ein solches Unrecht nie mehr wiederholen möge. Entscheidend dafür, dass dieser Gesetzentwurf hier eingebracht werden konnte, ist nach meiner Auffassung die Tatsache, dass endlich eine rein juristische Betrachtungsweise verlassen worden ist. ({0}) Der jahrzehntelange Streit um die Frage, ob es wirklich rechtlich und nicht nur moralisch begründete Ansprüche gebe, ob dafür die öffentliche Hand oder die private Wirtschaft hafte, ob schon Verjährung eingetreten sei oder nicht - all diese juristischen Streitpunkte drohten die Interessen der Opfer endgültig in den Hintergrund treten zu lassen. Diese Blockade musste überwunden werden. Der Bundeskanzler und die neue Koalition waren daher gut beraten, mit der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft den Verhandlungsprozess in Gang zu setzen. Dies ist ausdrücklich anzuerkennen. ({1}) Die Fraktionen des Deutschen Bundestages waren gut beraten, die Verhandlungen positiv zu begleiten. Dies ist bei den ausländischen Verhandlungspartnern mit großer Aufmerksamkeit registriert worden, weil dadurch zum Ausdruck gebracht worden ist, dass es nicht nur um ein Anliegen der Bundesregierung oder der Wirtschaft geht, sondern um eines des gesamten deutschen Parlamentes. Im Zuge dieser Verhandlungen gab es mit den Kolleginnen und Kollegen, die daran beteiligt waren, wie Dieter Wiefelspütz, Bernd Reuter, Wolfgang Bosbach, Volker Beck ({2}) Volker Beck und Ulla Jelpke, ein gemeinsames, kollegiales, informelles Arbeiten und Diskutieren an den jeweiligen Zwischenentwürfen. Dies hat den Entwürfen aus meiner Sicht gut getan. Das jetzige Ergebnis weist gegenüber den Ursprungsansätzen viele Verbesserungen auf. ({3}) Der Bundeskanzler schließlich war sehr gut beraten, als er Graf Lambsdorff beauftragt hat, für die deutsche Seite die schwierigen und komplizierten Verhandlungen zu führen. Graf Lambsdorff, Ihnen sind heute von den anderen Rednern schon viele Lorbeeren für Ihren großen persönlichen Einsatz geflochten worden. Dem schließt sich die F.D.P.-Fraktion selbstverständlich an. ({4}) Ich möchte noch eine persönliche Bemerkung anschließen. Wer bei den Verhandlungen dabei war, hat gespürt, dass es Graf Lambsdorff - vielleicht entgegen seinem landläufigen Image - nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch und vor allem um die Interessen der Opfer gegangen ist. ({5}) Meine Damen und Herren, niemand verkennt - dies muss auch gar nicht verschwiegen werden -, dass der in den USA durch Sammelklagen erzeugte Druck, der drohende Imageverlust für die deutsche Wirtschaft, die nicht unbegründete Furcht vor administrativen Hindernissen bei wirtschaftlicher Betätigung auf dem amerikanischen Markt unmittelbarer Anlass dafür gewesen sind, nach so langer Zeit die Frage der Zwangsarbeiterentschädigung endgültig lösen zu wollen. Es ging bei diesen Verhandlungen um Exportchancen für die deutsche Wirtschaft und damit um Arbeitsplätze im Inland. Dies zu erwähnen ist legitim. Umso mehr ist es die Aufgabe der Politik, die humanitäre Dimension des Vorgangs herauszustellen. Eine wirkliche Entschädigung für das erlittene Leid ist nicht möglich. Wenigstens gegenüber den Überlebenden mit einer kleinen humanitären Geste zum Ausdruck zu bringen, dass sich Deutschland der Schuld und der Verantwortung bewusst ist, das ist der entscheidende Aspekt dieses ungewöhnlichen Gesetzgebungsverfahrens. ({6}) Ungewöhnlich ist das Gesetzgebungsverfahren auch, weil der wesentliche Inhalt des Stiftungsgesetzes in internationalen Verhandlungen schon vorgegeben worden ist. Der Deutsche Bundestag ist gleichwohl souverän bei der endgültigen Ausgestaltung des Stiftungsgesetzes. Die am 23. März in Berlin erzielte Einigung wird aber unverändert Kerninhalt dieses Gesetzes sein. Es gibt jedoch noch Gestaltungspielraum im Detail. Es besteht auch noch Bedarf an einer gründlichen Erörterung der Einzelheiten, nach Meinung der F.D.P.-Fraktion auf der Grundlage einer Anhörung im federführenden Innenausschuss. Die gemeinsame Einbringung des Gesetzentwurfs bedeutet ja nicht, dass damit jede einzelne Bestimmung bereits unveränderlich feststünde. Ich nenne beispielhaft folgende Fragen, über die in den Ausschussberatungen noch gesprochen werden muss. Erstens. Wie kann das Volumen für die Opfer aus dem so genannten Rest der Welt - damit bezeichnet man Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den Staaten, die bei den Verhandlungen nicht unmittelbar vertreten waren, wie etwa Ungarn, Jugoslawien, Slowenien oder Slowakei - so verwertet werden, dass es keine neuen Benachteiligungen gibt? Zweitens. Es wird über die Besetzung des Kuratoriums zu sprechen sein. Man muss dabei auch die Frage stellen, ob es denn klug ist, nach der ersten Amtszeit dieses Aufsichtsgremiums, also nach vier Jahren, eine Regelung vorzusehen, die bedeuten würde, dass die Vertreter einiger Staaten, die an den Verhandlungen beteiligt waren, ausscheiden werden. Über solche Details muss man sich noch einmal Gedanken machen. Drittens. Mir erscheint auch wichtig, eine gerechte Lösung dafür zu finden, dass es eine Gleichbehandlung der Opfer beim Ersatz der Anwaltskosten gibt. Viertens. Schließlich wollen wir eine flexible Lösung bei den Abschlagszahlungen, damit so rasch wie möglich mit diesen Zahlungen begonnen werden kann. All diese Detailfragen ändern aber nichts an der Zustimmung der F.D.P.-Fraktion zu diesem Gesetzentwurf. Es ist unser Ziel, das Gesetzgebungsverfahren gründlich, aber auch so rasch wie möglich durchzuführen, damit das Stiftungsgesetz noch vor der Sommerpause abschließend beraten werden kann. Die ersten Auszahlungen an die Opfer müssen noch in diesem Jahr erfolgen. ({7}) Erst wenn das gelungen ist, wird man mit Fug und Recht von einem historischen Vorgang sprechen können. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwangsarbeit und Sklavenarbeit in der NS-Zeit, das war schlimmes, bösartiges und die Menschenwürde in jeder Hinsicht verletzendes NS-Unrecht. Die Menschen wurden gequält, sie wurden in Lager gepfercht, sie wurden geschlagen, sie waren unterernährt, sie mussten härteste Arbeit leisten und sie hatten überhaupt keine Rechte sowie keine Möglichkeiten zu irgendwelchen Interessenvertretungen. Deshalb sage ich: Ich hätte mir gewünscht, dass wir diese Debatte zunächst mit einer Entschuldigung bei diesen Menschen begonnen hätten, ({0}) mit der Übernahme der - das sage ich ausdrücklich - gemeinsamen Verantwortung und auch mit der Feststellung, dass wir es im höchsten Maße bedauern, dass ihnen so etwas Ähnliches wie Wiedergutmachung erst 55 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges zugute kommen soll. Dies ist zu spät; wir können es nicht leugnen. Es ist sehr spät; zu spät ist es natürlich nicht für diejenigen, die noch leben. Deshalb unterstützen wir den vorliegenden Gesetzentwurf. Herr Merz, Sie haben diesbezüglich etwas zur DDR gesagt. Das ist im Prinzip richtig, aber doch etwas differenzierter zu betrachten. Nach ihrer Gründung hat die DDR für immerhin 90 Milliarden Mark Reparationen an die Sowjetunion geleistet oder - besser gesagt - leisten müssen. Auch das muss man sehen. Das war in der damaligen Zeit und nach den damaligen Werten eine gewaltige Leistung. Es hat auch Entschädigungen für NS-Opfer, die in der DDR lebten - leider mit Ausnahmen; das muss man hinzufügen -, gegeben. Aber es hat nie Entschädigungen für Menschen gegeben, die nicht in der DDR lebten und die Opfer des NS-Regimes waren. Das war nicht in Ordnung. Ich kann hier nicht für alle Parteien sprechen, aber ich kann für meine Partei sprechen und stelle daher fest, dass wir das zutiefst bedauern und uns dafür entschuldigen, in der Vergangenheit diesbezüglich zu wenig getan zu haben. ({1}) Ich finde es bedauerlich, dass es gestern hier im Deutschen Bundestag keine Mehrheit dafür gab, den 8. Mai entsprechend unserem Antrag zum Tag der Befreiung zu erklären. Glauben Sie mir, die Sklavenarbeiterinnen und die Sklavenarbeiter, die Zwangsarbeiterinnen und die Zwangsarbeiter, die noch leben, die hätten das verstanden. Für sie war es ein Tag der Befreiung. ({2}) Ich halte es für sehr wichtig, dass alle Fraktionen den vorliegenden Gesetzentwurf einbringen. Ich will auch sagen, weshalb: nicht etwa deswegen, weil man mit jedem Detail übereinstimmen müsste - das tun auch wir nicht -, sondern deswegen, weil damit im Grunde genommen die gegenseitige Verpflichtung verbunden ist, die - auch in unserer Bevölkerung - bestehenden Ressentiments, die wir alle doch kennen, nicht zu nutzen und zu schüren. Diese damit verbundene Verpflichtung halte ich für sehr wichtig. ({3}) Das heißt, wie gesagt, nicht, dass wir in diesem Gesetzentwurf nicht auch Mängel sehen. Ich will das kurz erläutern - ich hoffe, dass es uns im Laufe der Beratungen gelingt, noch einige Verbesserungen zu erreichen -: Wir meinen zum Beispiel, dass Sklaven- und Zwangsarbeit auch als solche bezeichnet und nicht mit Worten wie „Geschehnisse“ und „Verstrickungen“ überdeckt werden sollten, dass man sich also nicht um eine klare Ausdrucksweise herummogeln sollte. Wir meinen, dass man auch an ehemalige Landarbeiter aus den mittel- und osteuropäischen Staaten denken sollte, die zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden und die bisher praktisch ausgenommen sind bzw. nur Almosen erhalten sollen. Wir meinen auch, dass die Forderung an die Industrie, ihre Archive für die Opfer und zur Geschichtsforschung zu öffnen, in diesem Gesetz Platz haben sollte. Wir meinen nach wie vor, dass darauf verzichtet werden muss, gegen deutsche Unternehmen, die sich an dieser Stiftung beteiligen, künftig Klagen zu erheben. Wir sehen aber überhaupt nicht ein, auch die deutschen Unternehmen, die von der Zwangsarbeit profitiert haben und nicht bereit sind, sich an dieser Stiftung zu beteiligen, freizustellen. ({4}) Wir sind dafür - hier stimmen wir mit Ihnen überein, Herr Kollege Stadler -, dass es eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Anwalts- und Prozesskosten geben muss. Die NS-Opfer, die das Ganze mit angeschoben haben, aber nicht unmittelbar an den Verhandlungen beteiligt sind, sollen die Anwaltskosten nicht erstattet bekommen; dies sehen wir nicht ein. Wir sind auch dafür, dass die Entschädigungen so schnell wie möglich ausgezahlt werden müssen und dass das Auszahlungsverfahren deshalb zu modifizieren ist. Auch die Antragsfrist sollte verlängert werden, damit später kommende NS-Opfer noch die Chance haben, einen Antrag zu stellen. Wir meinen, dass schneller entschädigt werden könnte. Vielleicht könnte hinsichtlich der vorgesehenen Entschädigungen für die so genannten sonstigen Opfer - dabei handelt es sich um Roma, Sinti und Personen aus den baltischen Staaten, aus Ungarn, Jugoslawien, der Slowakei und anderen Ländern -, um zumindest eine Teillinderung zu erreichen, ein Schwerpunkt des Projektes „Zukunftsfonds“ die Entschädigung genau dieser Personengruppen werden. So wäre eine schnellere Entschädigung möglich. Wir sind auch dafür, dass die Opfer viel stärker im Kuratorium der zu bildenden Stiftung vertreten sein müssten, als es bisher vorgesehen ist. - Dies nur, um einige Beispiele zu nennen. ({5}) Ich will noch etwas zur deutschen Wirtschaft sagen. Den Unternehmen ist oft gedankt worden; ich möchte das aber differenzieren: Bei den Unternehmen, die in der NSZeit von - allerdings staatlich angeordneter - Zwangsarbeit profitiert haben und sich jetzt an dem Fonds beteiligen, möchte ich mich nicht ausdrücklich bedanken; denn das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. ({6}) Den Unternehmen aber, die damit gar nichts zu tun hatten, die sich erst neu gegründet haben, die sich also ohne jede persönliche, auch historische Schuld unserer gemeinsamen Verantwortung für unsere Geschichte stellen, möchte ich ausdrücklich danken; denn das ist keine Selbstverständlichkeit. ({7}) Bei jenen Unternehmen, die von der Zwangsarbeit profitiert haben und bis heute nicht bereit sind, sich an diesem Fonds zu beteiligen, möchte ich es nicht bei bloßer Kritik belassen; die verurteile ich moralisch schwer. Ich möchte, dass der öffentliche Druck gegenüber diesen Unternehmen deutlich erhöht wird. ({8}) Für mich ist das gesellschaftspolitisch ein wichtiger Nachweis, der belegt, wie wichtig es ist, Herr Bundeskanzler, dass das Primat der Politik über die Wirtschaft bestehen bleibt. Hätten wir dieses Primat nicht, gäbe es auch dieses Gesetz nicht. ({9}) Lassen Sie mich noch eine tiefe Sorge ansprechen: Ich möchte die NPD nicht überbewerten. Ich hatte mir vorgenommen, sie hier nie zu erwähnen. Aber ich komme nicht um Realitäten herum. Die NPD plant in meinem Wahlkreis, in Berlin-Hellersdorf, zum 1. Mai eine Großdemo, bundesweit organisiert. Unter anderem geht es ihr darum, dieses Gesetz zu verurteilen. Sie will sozusagen die Mär aufbauen, dass die Deutschen für alles in der Welt zahlen müssen etc.; Sie kennen all das. Ich wünsche mir, dass wir als Bundestag insgesamt eine viel deutlichere Sprache dagegen finden und dass ganz klar wird, dass, wie groß die Unterschiede zwischen uns ansonsten auch sein mögen, dies etwas ist, was wir alle in Deutschland nie wieder zulassen. Das muss ganz deutlich werden. ({10}) Ich sagen Ihnen noch etwas: Die Demonstration der NPD durch das Brandenburger Tor zur Feier des Anschlusses von Österreich an das Deutsche Reich 1938, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSUBundestagsfraktion, war die eigentliche Beleidigung Österreichs aus Deutschland, nicht die Kritik des Bundeskanzlers an den Verhältnissen in Österreich im Zusammenhang mit der Wahl der Haider-Partei. Auch das müssen wir einmal ganz deutlich sagen. ({11}) Wir haben also noch Vorschläge zur Änderung dieses Gesetzes. Ich hoffe, dass wir in den Beratungen das eine oder andere davon umsetzen können. Lassen Sie mich schließen, indem ich sage: Erstens. Wenn wir gemeinsam mit anderen einen Gesetzentwurf einbringen, dann natürlich, um ihm zuzustimmen, und nicht, um uns die Zustimmung vorzubehalten. Zweitens. Ich möchte allen, die daran mitgewirkt haben, dass es zu einer Lösung gekommen ist, danken. Ganz ausdrücklich danke ich auch Otto Graf Lambsdorff, wie es andere getan haben, sowie allen aus den Fraktionen, die daran mitgewirkt haben, bei uns speziell der Abgeordneten Ulla Jelpke, aber auch den weiteren Politikern und den Verantwortlichen in der Wirtschaft, die sich wirklich aktiv darum bemüht haben, hier zu einer Lösung zu kommen. Ich will aber auch die andere Verhandlungsseite nicht vergessen, die Anwälte und die Politiker aus den anderen Ländern, die sich mit darum bemühen mussten, dass wir zu einer Lösung kommen. Hätten sie dies nicht getan, dann wären wir nicht zu einer Lösung gekommen. Lassen Sie uns also nicht der deutschen Seite allein danken, sondern lassen Sie uns bitte auch den Vertretern der anderen Seite danken, die daran mitgewirkt haben, dass wir heute so weit sind, dass man schon fast hoffen kann: Wir schaffen die Lösung im Jahre 2000 - sehr spät, aber immerhin schaffen wir sie. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über eines der wichtigsten Gesetze dieser Legislaturperiode. Ich glaube, dass dies heute ein besonderer Tag im Deutschen Bundestag ist. Das gilt sicherlich für viele auf der Regierungsbank, für viele hier im Plenum und auf den Zuhörerrängen sowie für viele Menschen, die die Debatte im Fernsehen verfolgen. Es ist wohl auch ein bewegender Tag insbesondere für viele Menschen, die weltweit verstreut sind und als ehemalige Zwangs- und Sklavenarbeiter überlebt haben. Sie sind der Grund dafür, dass wir heute zusammengekommen sind. Dieses Gesetz kommt sehr spät, aber es kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses. Das ist ein ungewöhnlicher, bemerkenswerter Vorgang, für den ich allen Fraktionen ausdrücklich danke. Viele von uns haben vor der Notwendigkeit gestanden, über ihren Schatten zu springen, und sie haben es getan: Sie sind über ihren Schatten gesprungen und haben Vorbehalte zurückgestellt, die da und dort legitimerweise durchaus geltend zu machen sind. Ich meine, dies ist eine eindrucksvolle Leistung des gesamten Hauses. Dafür bin ich außerordentlich dankbar. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wären heute nicht hier und würden nicht über dieses Gesetz reden, wenn nicht der Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Zeit, als er dieses Amt noch nicht innehatte, ganz persönlich die Initiative ergriffen hätte. Er hat bis heute mit großem persönlichen Engagement alle wichtigen Details der Verhandlungen mitverfolgt. Dies ist eine ganz besonDr. Gregor Gysi dere Leistung, die an dieser Stelle hervorzuheben ist und die, so denke ich, unser aller Respekt verdient. ({1}) Das, was heute möglich ist, war früher nicht möglich. Es ist heute nur deshalb möglich, weil der Bundeskanzler diese Sache zu seiner eigenen gemacht hat. Herzlichen Dank dafür! ({2}) Graf Lambsdorff, Sie sind heute sehr viel gelobt worden. Noch nie sind Sie so intensiv von Sozialdemokraten gelobt worden. ({3}) Jeden Punkt und jedes Komma an Dank, Graf Lambsdorff, haben Sie sich in dieser Angelegenheit verdient. ({4}) Ich persönlich habe großen Respekt davor, dass Sie diese Aufgabe geschultert haben. Es ist sicherlich eine der schwierigsten Aufgaben in Ihrem langen politischen Leben. Sie können sicher sein: Diese Leistung, Graf Lambsdorff, wird bleiben. Herzlichen Dank! Ich spreche Ihnen meinen großen Respekt vor Ihrer ganz persönlichen Leistung bei diesen schwierigen Verhandlungen aus. ({5}) Ich möchte ausdrücklich auch Herrn Dr. Gentz, den Sprecher der Wirtschaft, nennen, der diesem Projekt einen wesentlichen Teil seiner Arbeitskraft und Arbeitszeit gewidmet hat. Es ist hier zu Recht darauf hingewiesen worden, dass man über die deutsche Wirtschaft in diesem Zusammenhang nicht pauschal urteilen sollte. Es gibt Männer und Frauen, die sich sehr engagiert und sehr glaubwürdig für dieses Projekt eingesetzt haben - allen Respekt vor ihrer Leistung! -, es gibt andere, die in eine Nische getreten sind, die sich nicht angesprochen gefühlt haben. An diese Firmen, vor allem die großen Aktiengesellschaften, sollte von hier aus noch einmal das ganze Haus appellieren, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden. ({6}) Wir, das deutsche Volk, können aus unserer eigenen Geschichte nicht aussteigen. Das ganze Haus gemeinsam will diese Verantwortung tragen. Auch die deutsche Wirtschaft kann aus ihrer Geschichte nicht aussteigen. Wir bitten nachdrücklich darum, dass sie gemeinsam auch ihre Verantwortung trägt. Es ist doch kein Vorwurf gegenüber den Firmen heute oder deren Mitarbeitern, dass vor 60, 70 Jahren unrühmliche Verstrickungen vorhanden waren. Wir müssen heute unsere moralisch-ethische Verantwortung wahrnehmen. Das gilt für den Bundestag - wir wollen diese Verantwortung wahrnehmen -, das gilt aber auch für die Wirtschaft. Den Teil, der diese Verantwortung noch nicht wahrnimmt, bitte ich nachdrücklich, bei dieser wichtigen Initiative mitzumachen. Ich will darauf hinweisen, dass die Beratungen heute nicht ohne Grund begleitet werden: vom Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, Seiner Exzellenz Kornblum, und vom Botschafter der Republik Polen, Seiner Exzellenz Byrt. Herr Eizenstat hat die Verhandlungen für die amerikanische Seite geführt. Er hat sich den großen Respekt der deutschen Verhandler erworben. Ich bin ganz sicher, dass diese mehr als ein Jahr dauernden Verhandlungen die deutsch-amerikanischen Beziehungen weiter vertieft haben. Viele, die dort verhandelt haben, sind sich auch menschlich näher gekommen. Wir haben ja viele, viele Tage deswegen miteinander verbracht, in zum Teil schwierigen Gesprächen. Es ist ein ganz besonderes Verdienst der polnischen Seite, dass es ihr gelungen ist, aufseiten der Beteiligten in Mittel- und Osteuropa gemeinsame Haltungen zu erarbeiten. Ohne diesen besonderen Beitrag der polnischen Seite wären wir, glaube ich, heute nicht da, wo wir sind. Einen ganz herzlichen Dank an die polnische Regierung! Ich glaube, dass die Verhandlungen, die wir geführt haben, auch die Beziehungen zu unserem Nachbarn Polen vertiefen und stärken. ({7}) Es hat im Laufe dieser Verhandlungen immer wieder Situationen gegeben, die sehr schwierig waren. Ohne den besonderen Einsatz von Bundesfinanzminister Eichel und ohne die eine oder andere Chefentscheidung des Bundeskanzlers wären wir nicht kurz vor dem Ziel. Solche Entscheidungen waren da und dort notwendig und sind dann auch stets getroffen worden. Ich muss nicht näher darauf eingehen, wie schwierig das sein kann, wenn man ganz bestimmte haushaltspolitische Ziele hat und das Geld ohnehin knapp ist. Mit großem Respekt will ich darauf hinweisen, dass es immer wieder möglich war, die nötigen Entscheidungen zu treffen, damit die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden konnten. ({8}) Graf Lambsdorff, Ihre Arbeit ist noch nicht ganz zu Ende. Wir werden noch einige wichtige, auch völkerrechtlich schwierige Fragen zu klären haben. Aber scheitern darf das - da sind wir alle einer Meinung - nicht mehr. Wir werden Ihren Rat bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens dringend benötigen, Graf Lambsdorff. Ich bin ganz sicher, dass wir Ende Juni die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes abhalten werden. Wir, der Deutsche Bundestag, werden unserer Verantwortung gerecht werden. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über 200 000 deutsche Frauen wurden nach dem Ende des 2. Weltkrieges zur Zwangsarbeit gen Osten verschleppt, von ihnen sind über 70 000 armselig verstorben. Diese noch lebenden Zeitzeugen müssen sich gedemütigt fühlen, weil sich für ihre Leiden bislang kein Politiker, keine Regierung, geschweige denn die Presse, jemals interessiert hätten. Dies ist ein kleiner Auszug aus einem bewegenden Brief, in dem eine deutsche Mitbürgerin ausführlich schildert, unter welchen Umständen sie am Ende des Zweiten Weltkrieges zur Zwangsarbeit nach Sibirien deportiert wurde, wie grausam dort die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren und dass ihr nur äußerst glückliche Umstände die Rückkehr nach Deutschland und ein Leben in Sicherheit, Freiheit und Wohlstand ermöglichten. Viele andere, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten, sind nicht zurückgekommen. Die Absenderin fährt fort, dass sie sich von Herzen freue, dass endlich, 54 Jahre nach dem Ende der Nazibarbarei, ehemalige ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eine Entschädigung erhalten sollen. Sie persönlich erwarte keine materielle Entschädigung, aber auf eine Geste, auf ein Wort der Entschuldigung der ehemaligen Peiniger warte auch sie, aber vermutlich vergebens. Dennoch solle man nicht Leid mit anderem Leid aufrechnen und es sei richtig, dass sich unser Land zu Beginn eines neuen Jahrhunderts auch beim Thema „Entschädigung für Zwangsarbeit“ seiner besonderen historischen Verantwortung stelle. Wir alle wissen, dass man die Opfer von Verbrechen mit Geld nicht wirklich entschädigen kann. Wir alle wissen, dass das Leid, das Millionen Frauen und Männern zugefügt wurde, nicht wieder gutgemacht werden kann. ({0}) Sklaven- und Zwangsarbeit bedeutete nicht nur das Vorenthalten des gerechten Lohnes. Sie bedeutete Verschleppung, Heimatlosigkeit, Entrechtung, die brutale Missachtung der Menschenwürde. Oft war sie planvoll, darauf angelegt, die Menschen durch Arbeit zu vernichten. Für alle, die damals ihr Leben verloren haben, kommt die Entschädigung genauso zu spät wie für alle, die inzwischen gestorben sind. Umso wichtiger ist es, dass jetzt alle Überlebenden möglichst bald die … vereinbarte humanitäre Leistung bekommen. Diesen Worten des Bundespräsidenten folgend wollen wir gemeinsam auf der Basis der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, der bisherigen Verhandlungsergebnisse und des Gesetzentwurfes folgende Ziele erreichen: Die hochbetagten, oft kranken und gebrechlichen Opfer sollen rasch und so unbürokratisch wie möglich eine Entschädigung erhalten. Gleichzeitig soll aber auch den deutschen Unternehmen dauerhafter Rechtsschutz vor weiteren Klagen und damit Rechtsfrieden garantiert werden. Dies soll nicht nur in der Bundesrepublik selber gelten, sondern auch in den USA und in den übrigen Staaten, aus denen Zwangsarbeiter deportiert wurden oder in denen sie heute noch leben. Mit der Stiftungsinitiative wollen wir gleichzeitig auch den Blick nach vorn, in die Zukunft, richten. 55 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und fast 50 Jahre nach dem Beginn der ersten Wiedergutmachungsleistungen, die bereits heute ohne die neue Initiative ein Volumen von über 100 Milliarden DM erreicht haben und in deren Rahmen in den nächsten Jahren schon nach geltendem Recht noch etwa 20 Milliarden DM zu zahlen sein werden, wollen wir das Kapitel der finanziellen Entschädigung für NS-Unrecht mit diesem Fonds abschließen. Einen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unserer Geschichte - die Verbrechen der Nazityrannei und die sich daraus ergebende besondere historische Verantwortung unseres Landes, insbesondere gegenüber den noch lebenden Opfern des Naziterrors -, kann und darf es nicht geben. Von einer besonderen historischen Verantwortung kann man sich nicht lösen, nicht befreien - weder durch Worte noch durch Geld. ({1}) Aber dies kann nicht bedeuten, dass wir Jahr für Jahr neue Entschädigungsdebatten beginnen, in neue Entschädigungsverhandlungen eintreten und dadurch zwangsläufig in vielen Ländern der Welt und bei vielen Menschen Hoffnungen erwecken, die wir nicht erfüllen können. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass es in der Begründung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf heißt: Am Ende dieses Jahrhunderts wollen daher die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Unternehmen mit der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ - die bisherigen umfangreichen Widergutmachungsregelungen ergänzend - ein Zeichen ihrer moralischen Verantwortung für diese Geschehnisse setzen. Abschließend kann dies nur in finanzieller Hinsicht sein. Gerade weil wir den Blick nach vorne richten müssen, in eine gute, gemeinsame Zukunft, ist der noch zu etablierende Zukunftsfonds von überragender Bedeutung. Ausgestattet mit einem Vermögen von 700 Millionen DM muss er jetzt mit Leben erfüllt werden, mit konkreten Projekten, von denen vor allem junge Menschen profitieren sollten. Bei allem Respekt vor der Wissenschaft und den Disziplinen Forschung und Lehre: Bitte kein Fonds von Professoren für Professoren, sondern für Völkerverständigung, für die Pflege der Beziehungen zu überlebenden Opfern, für den Austausch von Schülern und Studenten und für den Kampf gegen extremistisches und rassistisches Gedankengut und gegen totalitäre Systeme aller Art. ({2}) Gerade weil der Zukunftsfonds auf Dauer angelegt ist, kann und wird er in den kommenden Jahren für ein friedliches Miteinander der Menschen von besonderer Bedeutung sein. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund dieses wichtigen Projektes ist die derzeit mangelnde Bereitschaft vieler Unternehmen, sich an der Aufbringung des Fondsvermögens zu beteiligen, milde formuliert, sehr enttäuschend. Etwa 200 000 Unternehmen aller Branchen wurden von den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft aufgefordert, der Initiative beizutreten. Wenn es stimmt, dass bislang erst knapp 1 100 Firmen dieser Aufforderung gefolgt sind, dann ist das für die deutsche Wirtschaft kein Ruhmesblatt. Dies muss für die Opfer, aber auch für diejenigen Unternehmen besonders enttäuschend sein, die durch die Gründung der Stiftungsinitiative für die gesamte deutsche Wirtschaft Verantwortung übernommen haben. Hier geht es um eine gesamtstaatliche Initiative und Verantwortung, der sich mehr als nur 0,5 Prozent der Unternehmen stellen müssen. Vornehme Zurückhaltung kann manchmal geboten sein, hier ist sie völlig fehl am Platz, insbesondere deshalb, weil der Rechtsschutz für alle Unternehmen Geltung haben soll. ({3}) Es ist unser gemeinsamer Wille, das heute beginnende Gesetzgebungsverfahren zügig zu betreiben, aber gleichzeitig müssen wir auch sehr sorgfältig arbeiten, um neue Ungerechtigkeiten und neuen Streit zu vermeiden. Stichwort: Rest der Welt. Diejenigen Opfer, die heute in Ländern leben, die an den Verhandlungen nicht beteiligt waren, dürfen nicht benachteiligt werden. Das entscheidende Kriterium muss das erlittene Leid sein, die Schwere des Schicksals. Dabei kann der Wohnort keine Rolle spielen. ({4}) Tagtäglich erhalten wir aus vielen Ländern der Erde eine Fülle von Briefen mit zum Teil völlig unterschiedlichen Forderungen an den Gesetzgeber, die er im Zuge der Beratung bitte alle berücksichtigen möge. Dies werden wir wohl nicht können. Aber wir müssen und werden alle Argumente sorgfältig prüfen und abwägen und werden Betroffene bzw. ihre Organisationen in die Beratungen einbeziehen. Insoweit, lieber Max, stimme ich dir ausdrücklich zu: Eine intensive Beratung mit denjenigen, die sich bislang überhaupt nicht beteiligen können, ist eine Voraussetzung für ein Gesetz mit höchstmöglicher Akzeptanz. ({5}) Unverständnis muss auch hervorrufen, dass derjenige, der von einem amerikanischen Anwalt vertreten wurde, deshalb eine Entschädigung in voller Höhe erhält, weil die Vergütung des amerikanischen Anwaltes aus dem Fondsvermögen bezahlt wird, während der Mandant eines deutschen Anwaltes dessen Kosten und Gebühren zu tragen hat, weil eine vergleichbare Regelung für deutsche Rechtsanwälte fehlt. Hierüber muss noch gesprochen werden. ({6}) 200 Millionen DM für Anwaltshonorare und Verwaltungskosten reichen. Von den Entschädigungsleistungen selber darf keine einzige Mark bei irgendwelchen Behörden oder Organisationen versickern. Dies sind wir nicht nur den Stiftern und dem deutschen Steuerzahler schuldig, sondern auch und vor allem den noch lebenden Opfern. ({7}) Bei aller Freude über die schon erreichten Teileinigungen dürfen wir hier und heute nicht den Eindruck erwecken, als seien schon jetzt alle Probleme gelöst. Vielleicht liegt der schwierigste Teil der Verhandlungen noch vor uns. Die Bundesregierung muss in den noch laufenden Verhandlungen sicherstellen, dass der notwendige Schutz vor weiteren Klagen und damit ein wirklich dauerhafter Rechtsfrieden erreicht wird. Die erst vor wenigen Tagen in Los Angeles gegen die Firma Hochtief und ihre beiden amerikanischen Tochterunternehmen eingereichte Klage verdeutlicht exemplarisch die Dimensionen des Problems und die Bedeutung eines wirklich umfassenden Rechtsfriedens. Dieser ist nicht nur für die deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung, sondern auch für die Bundesrepublik und unsere Beziehungen zu den Staaten der Welt. Lieber Graf Lambsdorff, Sie und Ihre Verhandlungsführung sind heute schon mehrfach und zu Recht gelobt worden. Ohne Ihr unermüdliches Engagement wären die bisherigen Einigungen wohl nicht zu erzielen gewesen. Ihnen war keine Entfernung zu weit, kein Tag zu lang, kein Problem zu kompliziert. Sie waren zur richtigen Zeit der richtige Mann am richtigen Ort. Die Opfer und unser Land haben Ihnen viel zu verdanken. Die Union dankt Ihnen ganz ausdrücklich. ({8}) Aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Arbeitsstabes - beispielhaft erwähne ich die Herren Westdickenberg, Geier und Löffler - haben Großartiges geleistet und viel mehr als nur ihre Pflicht getan. ({9}) Danken darf ich auch den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen, aber auch - das mag ungewöhnlich sein, der Grund dürfte bekannt sein - ganz herzlich den Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Fraktion, insbesondere Michael Glos und den Kolleginnen und Kollegen aus der CSU. Ich bin froh und glücklich, dass meine Fraktion diesen Gesetzentwurf mit unterschrieben hat. ({10}) Wenn wir auch bei der einen oder anderen Regelung unterschiedliche Akzente gesetzt haben und die eine oder andere Meinungsverschiedenheit in Detailfragen hatten, so darf ich mich doch bei dir, lieber Bernd Reuter, und bei den anderen Kolleginnen und Kollegen für die gute Atmosphäre und die gute Zusammenarbeit bei den Verhandlungen bedanken. Es war anstrengend, aber es hat auch Spaß gemacht und wir haben auch viel gelernt. Lieber Graf Lambsdorff, sollten Sie noch einmal in ähnlicher Mission unterwegs sein und uns brauchen: Wir fünf kommen. ({11}) Lieber Bernd, an dieser Stelle noch ein Hinweis: An den Verhandlungen waren wir beteiligt. An der Erarbeitung des Gesetzentwurfes sind wir leider nicht beteiligt worden. Deswegen unsere herzliche Bitte: Wenn wir uns verabreden, um hier etwas gemeinsam zu beraten und zu verabschieden, dann sollten wir uns auch verabreden, die Texte gemeinsam zu erarbeiten. Das hilft, eine breite Mehrheit im Parlament herzustellen. ({12}) Wenn wir in den kommenden Wochen trotz noch nicht gelöster Probleme und trotz einiger Meinungsverschiedenheiten in Detailfragen so wie in den vergangenen 14 Monaten über Fraktionsgrenzen hinweg eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten, dann werden wir die gesteckten Ziele auch erreichen. Dies wäre nicht nur für jeden noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter und jede Zwangsarbeiterin gut und wichtig, denen spät ein wenig Gerechtigkeit widerfahren soll, sondern auch für das Ansehen und die Zukunft unseres Landes. Danke fürs Zuhören. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Markus Meckel, SPD-Fraktion, das Wort.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der historischmoralischen Verantwortung der Deutschen aufgrund der Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus ist eine lange strittige Geschichte. Von dieser langen Geschichte, die wahrhaftig wichtige Ergebnisse gebracht hat - darüber ist heute schon gesprochen worden - waren wir Ostdeutschen ausgesondert. Auch darüber hat man hier schon gesprochen. Aber vor ziemlich genau 10 Jahren, am 12. April 1990, hat sich die frei gewählte Volkskammer mit einer Erklärung sehr deutlich in den gesamtdeutschen Kontext gestellt und diese nationale Verantwortung auf sich genommen. Sie hat damit etwas getan, was in meinen Augen eine ganz zentrale Dimension dieses Beginns von Demokratie in ganz Deutschland war. Da diese Erklärung relativ unbekannt ist und ziemlich selten zitiert wird, möchte ich etwas daraus zitieren: Durch Deutsche ist während der Zeit des Nationalsozialismus den Völkern der Welt unermessliches Leid zugefügt worden. Nationalismus und Rassenwahn führten zum Völkermord insbesondere an den Juden aus den europäischen Ländern, an den Völkern der Sowjetunion, am polnischen Volk, am Volk der Sinti und Roma. Diese Schuld darf niemals vergessen werden. Aus ihr wollen wir unsere Verantwortung für die Zukunft ableiten. Diese Erklärung war damals nicht nur für uns Beteiligte wichtig, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung für den folgenden Einigungsprozess. Wie überhaupt der deutsche Einigungsprozess und seine europäische und internationale Anerkennung ganz wesentlich mit der Art und Weise zu tun hatten, wie wir Deutsche uns mit unserer Vergangenheit auseinander gesetzt haben. Vor zehn Jahren wurde der Zwei-plus-Vier-Vertrag abgeschlossen. Er war kein traditioneller Friedensvertrag. Es war sehr wichtig, dass die Frage der deutschen Einheit nicht mit Fragen der Reparationszahlungen verbunden wurde und dass nicht versucht wurde, mit allen ehemaligen Kriegsgegnern ein Vertragswerk zu schließen. Es wäre außerdem etwas merkwürdig gewesen, wenn eine gewachsene Demokratie wie die alte Bundesrepublik nach 40 Jahren und - darauf muss man hinweisen - die DDR, die ihre Freiheit selbst erkämpft hatte, plötzlich so dagestanden hätten, als wäre es unmittelbar nach 1945. Dies war damals nicht möglich. Es war sinnvoll und gut, darüber im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Gespräche zu verhandeln. Gleichwohl war uns auch damals bewusst, dass es eine offene Frage der historisch-moralischen Verantwortung gibt. Dieser Verantwortung wollten wir gerecht werden. Darüber gab es im Deutschen Bundestag nach 1990 viele Diskussionen. Erste Früchte hat dieses Bewusstsein in den bilateralen Stiftungen mit Polen und - am Anfang - auch mit der Sowjetunion sowie mit anderen Ländern getragen. Aber das Ganze blieb sehr unbefriedigend, nicht nur in Bezug auf die Höhe der Summen für die Betroffenen, sondern auch deshalb, weil manche Opfergruppen aus den Regelungen völlig herausgefallen sind. Zu diesen gehörten auch viele Zwangsarbeiter. Aber unbefriedigend war auch die Situation in Deutschland, weil die deutsche Wirtschaft in keiner Weise ihre Verantwortung übernommen hat. Durch Klagen der Opfer entstand dann die Bereitschaft in der Wirtschaft, sich ihrer Verantwortung zu stellen, eine Bereitschaft, die es vorher so nicht gab. Deshalb ist an dieser Stelle dem Bundeskanzler zu danken, dass er dies aufgriff, wohlgemerkt - das ist schon erwähnt worden schon vor seiner Wahl zum Bundeskanzler, und erklärte, dass er sich, falls er gewählt würde, der Verantwortung stellen werde. Er griff damit eine Erklärung des Deutschen Bundestages auf, die von der heutigen Regierungskoalition damals eingebracht worden ist. Der in dieser Erklärung enthaltene Auftrag bezüglich der deutschen Wirtschaft fand zwar damals eine Mehrheit, wurde aber von der damaligen Bundesregierung nicht erfüllt. Wichtig ist, dass mit der heutigen Lösung in Form der Stiftung die verschiedenen Opfergruppen angemessen berücksichtigt werden. Dies gilt wahrhaftig nicht in gleichem Maße für alle. Es ist wichtig, dies auch heute deutlich auszusprechen. Man kann nicht mit allem glücklich und zufrieden sein. Die Vereinbarung stellt einen Kompromiss dar, aus dem wir das Beste machen müssen. DaWolfgang Bosbach her danke ich den mittel- und osteuropäischen Partnern, Polen, der Ukraine, Russland, Tschechien und Weißrussland, für ihre Zustimmung. Dennoch möchte ich mein Bedauern ausdrücken, dass man sich zunächst gegen die Einbeziehung der Zwangsarbeiter aus der Landwirtschaft gesträubt hat. Ich hoffe, dass es den für die Auszahlung zuständigen Partnerorganisationen durch die Öffnungsklausel gelingen wird, auch diese Gruppe, die ich für sehr wichtig halte, trotz der Beschränkungen angemessen zu berücksichtigen. Es ist viel über die 700 Millionen DM - ursprünglich war es 1 Milliarde DM - diskutiert worden, die für den Zukunftsfonds gedacht sind. Wir müssen uns darüber klar sein, dass es heute einen Generationswechsel gibt: 55 Jahre nach Kriegsende sterben die Zeitzeugen von damals, die unmittelbaren Opfer. Es ist uns wichtig, dass die Verantwortung für die Vergangenheit nicht mit ihnen stirbt, sondern dass sie in die Zukunft getragen wird, dass das Wissen um diese Zeit und die Erinnerung an diese Zeit weiterhin erhalten bleiben und dass sich auch die neue Generation in dieser Verantwortung weiß. Deshalb glaube ich: Es ist international wichtig, dass wir heute nicht nur dieses Gesetz auf den Weg bringen, sondern dass wir auch in der Bundestagssitzung zur zweiten und dritten Lesung in diesem Hause gemeinsam eine Entschließung zu unserer historischen Verantwortung verabschieden, in der die Worte des Bundespräsidenten Rau, die hier schon angesprochen worden sind, aufgenommen werden. Wir wollen damit den Opfern ihre Würde zurückgeben. Es geht darum, dass wir das Unrecht Unrecht nennen und dass wir unsere Verantwortung und Schuld ihnen gegenüber bekennen. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, von F.D.P. und PDS auf Drucksache 14/3206 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Wahlvorschlag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages - Drucksache 14/3160 Unser Dank gilt zunächst der scheidenden Wehrbeauftragten, Frau Claire Marienfeld. ({0}) Liebe Frau Marienfeld, vorgestern hatte ich bereits die Gelegenheit, bei einem Abschiedsempfang ausführlich zu Ihnen zu sprechen. Anlässlich der heutigen Wahl Ihres Amtsnachfolgers möchte ich Ihnen im Plenum des Deutschen Bundestages noch einmal für Ihr Wirken zum Wohle der Bundeswehr und ihrer Soldaten danken. Sie haben sich seit nunmehr zehn Jahren - zunächst als Mitglied des Verteidigungsausschusses und seit 1995 als Wehrbeauftragte - insbesondere für die sozialen Probleme der Soldaten und Wehrpflichtigen mit Nachdruck eingesetzt. In Ihre Amtszeit fiel eine erhebliche Aufgabenerweiterung der Bundeswehr. Sie waren in dieser Zeit sehr häufig bei der Truppe und haben Ihre dort gewonnenen Eindrücke in die Arbeit des Verteidigungsausschusses und des Bundestages insgesamt eingebracht. Für die Soldaten, die sich vertrauensvoll an Sie gewandt hatten, setzten Sie sich mit hohem persönlichen Engagement ein. Die Umsetzung berechtigter Forderungen und Anregungen haben Sie stets nicht nur eingefordert, sondern auch weiterverfolgt. Wir möchten Ihnen von hier aus auch im Namen der Soldaten noch einmal ganz herzlich für Ihre Arbeit im Deutschen Bundestag und als Wehrbeauftragte danken. ({1}) Wir kommen jetzt zur Wahl. Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS haben den Abgeordneten Dr. Willfried Penner vorgeschlagen. Ich gebe einige Hinweise zum Wahlverfahren: Zur Wahl sind die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens 335 Stimmen, erforderlich. Nach unserer Geschäftsordnung wird der Wehrbeauftragte mit verdeckten Stimmzetteln, also geheim, gewählt. Sie benötigen eine Stimmkarte mit Wahlumschlag sowie Ihren Wahlausweis. Die Stimmkarten mit Umschlag erhalten Sie hier oben links und rechts neben den Wahlkabinen. Den Wahlausweis entnehmen Sie bitte, soweit Sie das noch nicht getan haben, Ihrem Schließfach. Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie die Stimmkarte nur in einer der Wahlkabinen ankreuzen und dort in den Wahlumschlag legen. Die Schriftführer sind verpflichtet, jeden zurückzuweisen, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlkabine angekreuzt oder in den Umschlag gelegt hat. Die Wahl kann in diesem Falle jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder Enthaltung. Ungültig sind Stimmen auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der vor dem Stenographentisch aufgestellten Urnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einem der Schriftführer an der Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Ich bitte noch um Aufmerksamkeit für einen praktischen Hinweis. Um einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu gewährleisten, bitte ich Sie, sich auf folgenden Wegen zu den Wahlkabinen und von dort später zu den Wahlurnen zu begeben. - Ich sehe schon, es hat nicht viel Sinn, diesen Hinweis zu geben, ich will es trotzdem tun. Zu den Wahlkabinen nehmen Sie den Weg von der Seite her, das heißt über die Gänge zwischen Ihren Sitzreihen. Von den Wahlkabinen können Sie dann direkt hinunter zu den Wahlurnen vor dem Stenographentisch kommen. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich vermute, dass das inzwischen geschehen ist. Ich bitte, zum Empfang der Stimmkarten zu den Ausgabetischen zu gehen. Die Wahl ist eröffnet. ({2}) Vizepräsisdent Dr. Hermann Otto Solms: Haben alle Mitglieder des Hauses und auch die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Stimmkarte abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Für die Auszählung unterbreche ich die Sitzung für etwa 10 Minuten. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt: Es wurden insgesamt 545 Stimmen abgegeben, davon 543 gültige und zwei ungültige. Mit Ja haben gestimmt 424, ({0}) mit Nein haben gestimmt 77, Enthaltungen 42. Herr Abgeordneter Dr. Willfried Penner hat die erforderliche Mehrheit erhalten und ist zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gewählt. Ich darf Sie fragen, Herr Penner: Nehmen Sie die Wahl an?

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jawohl, Herr Präsident, ich nehme sie sehr gerne an. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich bitte darum, dass die Gratulationscour etwas beschleunigt abgeschlossen wird. ({0}) Herr Dr. Penner, ich möchte Ihnen auch von hier aus im eigenen Namen sowie im Namen des ganzen Hauses gratulieren. Ich wünsche Ihnen für die Führung des Amtes viel Mut, Kraft und eine gute Hand. Herzlichen Glückwunsch! ({1}) Die Vereidigung von Herrn Dr. Penner findet in der nächsten Sitzungswoche am 11. Mai 2000 statt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 f sowie die Zusatzpunkte 4 bis 6 auf: 7 a) Beratung der Beschussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Eduard Oswald, Dirk Fischer ({3}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Zukunft sichern - Verkehrsinfrastrukturin- vestitionen verstärken - Drucksachen 14/2360, 14/3199 - Berichterstattung: Abgeordnete Angelika Mertens b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Hofbauer, Dirk Fischer ({4}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU A 6 als wichtige europäische West-OstStraßenverbindung vorrangig fertigstellen - Drucksache 14/2910 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Faire Preise für die Infrastrukturbenutzung: Ein abgestuftes Konzept für einen Gemeinschaftsrahmen für Verkehrs-Infrastrukturgebühren in der EU Weißbuch - Drucksachen 14/74 Nr. 2.109, 14/1545 Berichterstattung: Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich Renate Blank Albert Schmidt ({7}) Horst Friedrich ({8}) d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Ausbau der Schienenwege 1999 - Drucksache 14/2176 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Tourismus e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Straßenbaubericht 1999 - Drucksache 14/2488 Präsident Wolfgang Thierse Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({10}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Tourismus f) Beratung für Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({11}) zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({12}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: Entwicklung und Analyse von Optionen zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger - Drucksachen 13/11447, 14/272 Nr. 144, 14/2429 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Wilhelm Danckert ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Mertens, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt ({13}), Franziska EichstädtBohlig, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anti-Stau-Programm - Drucksache 14/3179 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({14}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Beibehaltung der Reisezug-Verbindungen zwischen Polen und Berlin - Drucksache 14/3191 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau-und Wohnungswesen ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Fr iedr ich ({16}) , Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Straßenbau statt Autostau - Drucksachen 14/2582, 14/3198 Berichterstattung: Abgeordnete Angelika Mertens Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Eduard Oswald von der CDU/CSUFraktion.

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Jahrzehnt wird ein Jahrzehnt der Mobilität. Die schnelle Raumüberwindung von Personen, Gütern und Nachrichten wird ganz entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg sein. Die arbeitsteilige und weltoffene Gesellschaft lässt ein Bedürfnis nach zusätzlicher Mobilität entstehen. ({0}) Wie ist die Realität zu Beginn dieses Jahrzehnts? Deutschlands Straßen sind zunehmend verstopft. In den letzten fünf Jahren hat die Zahl der PKWs auf deutschen Autobahnen um 13 Prozent zugenommen. Die Zahl der LKWs legte um ein Viertel zu. Diese Entwicklung sprengt sämtliche Prognosen. Der Verkehrswegeplan von 1992 ging noch davon aus, dass im Jahre 2000 im Güterverkehr 150 Milliarden bis 200 Milliarden Tonnenkilometer über die Schiene transportiert würden. Tatsächlich sind es nicht einmal halb so viele. Stattdessen war allein der Zuwachs beim Straßengüterfernverkehr in diesem Zeitraum fast so groß wie der gesamte Aufkommensbestand an Schienengüterverkehr. Auf all diese Herausforderungen und Fakten muss die Verkehrspolitik die richtigen Antworten finden. ({1}) Wer die Zukunft sichern will, muss die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen verstärken. Das, was bisher von dieser Regierung auf den Weg gebracht worden ist, ist unzureichend. ({2}) Was machen Sie? - Sie belasten den Autofahrer und bitten ihn zur Kasse. Gleichzeitig aber kürzen Sie bei den Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur. ({3}) Sie verschieben die notwendigen Maßnahmen auf das Jahr 2003 und kündigen sie jetzt erwartungsvoll an. Sie täuschen Handlungsfähigkeit vor, indem Sie Programme aufstellen und sie gleichzeitig in die nächste Legislaturperiode verschieben. Sie nehmen hin, dass der Dauerstau auf unseren Straßen zu einer Vergeudung von jährlich 33 Millionen Liter Kraftstoff führt und einen Zeitverlust von täglich 13 Millionen Stunden sowie einen volkswirtschaftlichen Schaden von 550 Millionen DM Tag für Tag verursacht. Für uns heißt aktiver Umweltschutz: weniger Stau! ({4}) Was ist zu tun? Erstens. Wir müssen in die Verkehrsinfrastruktur investieren. Denn die Qualität der Verkehrsinfrastruktur bestimmt die Qualität des Standortes Deutschland. Zweitens. Wir brauchen ein schlüssiges und umfassendes Konzept zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Bis 2003 steigt die Mineralölsteuer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms einschließlich der Mehrwertsteuer um 21 Pfennig je Liter; auf den Autofahrer kommen damit glatte 1 000 DM zusätzlich zu, die der Staat mit der Ökosteuer dem Durchschnittsfahrer aus der Tasche zieht. Heute zahlen die Autofahrer 85 Milliarden DM an Steuern, während nur 32 Milliarden DM für den Straßenbau ausgegeben werden. ({5}) - Lautstärke ist kein Argument. ({6}) Um die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere den Ausbau des Bundesfernstraßennetzes, auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, müssen Voraussetzungen geschaffen und Fragen geklärt werden. Ich darf in diesem Zusammenhang sechs Fragen stellen. Erstens. Wie hoch müssen denn die verkehrsspezifischen Abgaben des Verkehrsträgers LKW insgesamt sein, damit sie die vom LKW verursachten Wegekosten widerspiegeln? Zweitens. Wie soll denn die entfernungs- und leistungsbezogene Straßenbenutzungsgebühr für schwere LKW genau ausgestaltet werden? Lässt Ihnen denn der Finanzminister noch etwas? In diesem Zusammenhang muss geklärt werden, wie die Kompensationsmöglichkeiten für das inländische Güterkraftverkehrsgewerbe aussehen und wie die Harmonisierung im internationalen Wettbewerb weiter vorangebracht wird. Drittens. Die Bundesregierung muss ein Konzept vorlegen, wie die Verkehrssteuern und deren Aufteilung neu geordnet werden sollen, wenn mit einer Finanzierung der Verkehrswege über Gebühren Änderungen im bisherigen System notwendig werden. Viertens. Es muss die Zweckbindung eines Anteils an der Mineralölsteuer für den Bundesfernstraßenbau erfolgen. ({7}) Eine Erhöhung der Mineralölsteuer um einen Pfennig bringt über 700 Millionen DM. Fünftens. Die Investitionsquote muss entsprechend der im Bundesverkehrswegeplan zugrunde gelegten Bedarfsfortschreibung erhöht werden. Sechstens. Es ist eine verstärkte Nutzung des Einsatzes privaten Kapitals im Rahmen des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes vorzusehen. Dazu müssen auch Gespräche auf EU-Ebene geführt werden, um die Möglichkeiten auszuweiten. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Umfang rechtskräftig planfestgestellter, also baureifer Straßenbauprojekte beträgt inzwischen bundesweit über 5 Milliarden DM, für die keine Finanzierung besteht. Denken Sie dabei immer daran, dass gerade bei den notwendigen Ortsumgehungen Straßenbau Menschenschutz ist. Und denken Sie dabei auch daran, dass durch Ihre Mineralölsteuererhöhungen unsere Bürgerinnen und Bürger auf dem flachen Land um bis zu 30 Prozent stärker belastet werden als die Stadtbewohner. ({9}) Wir werden bei unserer Verkehrspolitik die große Zahl der Menschen nicht aus dem Auge verlieren, die tagtäglich auf das Auto angewiesen sind. ({10}) Wir wissen, dass der Ausbau der Verkehrswege nicht unbegrenzt möglich ist. Die Verkehrsprobleme müssen vor allem auch durch eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit, der Effizienz, der Sicherheit und der Nutzerfreundlichkeit des bestehenden Verkehrssystems gelöst werden. In der deutschen Verkehrspolitik war man sich immer einig, dass es Ziel bleiben muss, die zusätzlich entstehenden Verkehre von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Deshalb verwundert es mich schon, dass sich die Bahn gerade beim kombinierten Verkehr zurückziehen will, geplante Güterverkehrszentren nicht realisiert und somit der Verkehr auf die Straße getrieben wird. Das kann nicht die richtige Politik sein. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, dürfen so etwas nicht mitmachen. ({11}) Man kann nicht draußen verkünden, man wolle die Verkehre von der Straße auf die Schiene verlagern, und gleichzeitig erklären, man werde eine solche Politik der Bahn akzeptieren. ({12}) Wir werden alle Vorschläge der Bahn und auch der Bundesregierung sorgfältig hinterfragen. Die erste Frage lautet: Gelingt es, wieder mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen? Wir wollen eine Stärkung des Rad-Schiene-Systems. ({13}) Der Schienenverkehr muss attraktiver werden. ({14}) Zweitens: Uns geht es um die Zufriedenheit der Bahnkunden. Die Sicherheit bei der Nutzung ist unverzichtbare Voraussetzung für den Erfolg des Unternehmens und seiner Mitarbeiter. ({15}) Wir wollen eine Bedienung der Fläche. Jede Region muss an das Schienennetz angeschlossen sein. Ein Rückzug aus der Fläche würde der Bahn auf ihren Hauptmagistralen auf Dauer Verluste bringen. Denn jeder Kunde, der sich erst ins Auto setzen muss, um zur Hauptstrecke zu gelangen, verzichtet womöglich ganz auf die Nutzung der Bahn. ({16}) Wir wollen, dass die Bundesregierung ihre Eigentümerverantwortung für das Schienennetz ernst nimmt. Wir wollen, dass der Bund die Rahmenbedingungen für die Bahn verbessert und die Bahn nicht weiter belastet. Die Ökosteuer und die Gebühr für den Bundesgrenzschutz belasten die Bahn und damit die Bahnfahrer mit 650 Millionen DM jährlich. Wir wollen eine leistungsfähige Bahn und auch ein zukunftsfähiges Schienennetz. Wir wollen Wettbewerb auf der Schiene. Wenn manche Konzepte, die von der Bahn vorgelegt werden, bedeuten, dass die Bahn entscheidungsnäher beim Bürger ist, dann ist dies ganz sicher der richtige Weg. Wir wollen mehr Güter auf die Schiene bringen. Die Bahn muss flexibler, schneller und kostengünstiger werden. ({17}) Wir wollen, dass die Bahn auch beim grenzüberschreitenden Verkehr wieder leistungsfähig wird. ({18}) Dies muss wieder ein wichtiges europäisches Thema werden. Es muss von der gesamten Bundesregierung getragen und darf nicht allein dem Verkehrsminister überlassen werden. ({19}) Wir wollen, dass unsere Bahnhöfe wieder attraktiver und sicherer werden, aber nicht nur die in den Zentren, sondern auch die auf dem flachen Land. Unser politisches Ziel ist es, deutlich zu machen, dass Verkehr und Mobilität kein Selbstzweck, sondern die Grundlagen für das soziale Miteinander des Menschen, für die Erschließung der Lebensräume und für fast jede wirtschaftliche Tätigkeit sind. Also bestrafen Sie Mobilität nicht. ({20}) Wirtschaftliche und verkehrliche Entwicklung sind miteinander verknüpft. Es kann auf keinen Verkehrsträger verzichtet werden. Verkehrspolitik muss man ideologiefrei betreiben. ({21}) Denn die Verkehrspolitik entscheidet über die Zukunftsfähigkeit des Landes. Deshalb sind Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur Zukunftsinvestitionen. Das haben wir mit unseren Anträgen dokumentiert. Stimmen Sie also unseren Anträgen, die den richtigen Weg aufzeigen, zu. Ich möchte diese Debatte aber nicht schließen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ({22}) ohne dem bisherigen Parlamentarischen Staatssekretär Lothar Ibrügger, der diese Debatte hier unter uns verfolgt, sehr herzlich für seine Arbeit gedankt zu haben. ({23}) Er stand uns fachkundig mit Rat und Tat zur Seite - natürlich manchmal mit anderen politischen Zielsetzungen, aber er war immer ein liebenswürdiger Kollege. Wir hoffen, dass er dies nicht nur war, sondern auch ist und bleibt. Wir wissen dies und freuen uns auf weitere herzliche Begegnungen mit ihm hier im Parlament und auch außerhalb. Alles Gute und vielen herzlichen Dank. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun die Kollegin Heide Mattischeck von der SPDFraktion.

Heide Mattischeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001441, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich zumindest den letzten Worten des Kollegen Oswald anschließen. ({0}) - Nein. Ich kann mich nur ganz wenigen Sätzen anschließen. Aber dies werden wir als Verkehrsausschuss sicherlich auch noch an einem anderen Tag und zu einem anderen Anlass diskutieren. ({1}) Ich schätze den Kollegen Oswald als guten Vorsitzenden sehr, wie wir es alle im Ausschuss tun. Aber heute hat er etwas heftig aufgetragen. ({2}) Die wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, möchte ich für das Thema Bahn nutzen, weil es in der augenblicklichen Situation sehr wichtig ist. Ich möchte auf das, was mein Vorredner sagte, reagieren; das macht eine Debatte aus. Ich weiß, dass Sie uns sehr viel zutrauen, Herr Oswald. Aber was wir in eineinhalb Jahren heruntergewirtschaftet haben sollen! Das haben wir wirklich nicht geschafft. Wir sind nicht daran Schuld, dass die Bahnhöfe in einem solch schlechten Zustand sind, Herr Oswald. ({3}) - Wenn Sie Zurufe haben, melden Sie sich; ich werde die Fragen gerne beantworten. Wir sollten uns gemeinsam dieser Aufgabe stellen. ({4}) Wenn Sie immer wieder von den zusätzlichen Belastungen sprechen - darauf muss man eingehen -, die die rot-grüne Regierung den Autofahrern aufbürdet, ({5}) so kann ich Ihnen nicht ersparen, an die Erhöhung von 50 Pfennig zu erinnern, die Sie vorgenommen haben. Das ist in irgendwelchen Löchern, die Sie gestopft haben, verschwunden. ({6}) Mit der ökologischen Steuerreform entlasten wir die Arbeitgeber sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, entlasten bei der Rentenversicherung, weil Sie die Lohnnebenkosten in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit in eine ungeahnte Höhe getrieben haben. Sie haben uns eine hohe Schuldenlast hinterlassen. Das muss man immer wieder sagen: 1,5 Billionen DM Schulden, über 80 Milliarden DM Zins und Tilgung in jedem Jahr. Was könnten wir von diesem Geld investieren, wenn wir es nur hätten! ({7}) - Der liebe Gott hat damit überhaupt nichts zu tun. Sie haben gesagt, wir würden etwas in die nächste Legislaturperiode verschieben. Sie haben die Probleme, die Sie nicht nur in der Verkehrspolitik übrig gelassen haben, sogar auf die nächste Regierung verschoben. Damit haben Sie etwas Gutes gemacht. Wir werden diese Probleme nicht weiter verschieben, sondern wir werden alles, was in unserer Kraft steht, tun, um diese Probleme zu lösen. ({8}) Wir haben zurzeit eine breite öffentliche Diskussion über die Zukunft der Bahn. Diese Diskussion begrüßen wir. Die eine oder andere Schreckensmeldung, die jeden Tag oder zumindest jede Woche in den Zeitungen zu lesen ist, ist dabei nicht so hilfreich. Dies hat nicht immer etwas mit sachlicher Politik zu tun. Wir brauchen keine aufgeregte Diskussion über die Bahn, sondern wir brauchen eine sachliche Diskussion. Denn die Bahn hat in der Tat Probleme. Herr Mehdorn hat unmittelbar nach seinem Amtsantritt die Dinge beim Namen genannt. Wir fanden das sehr hilfreich. Dies war eine gute Ausgangsbasis für eine gemeinsame Strategie von Regierung, Mehrheitsfraktionen und Bahn. Wenn die Opposition dabei mitmachen möchte, ist sie herzlich dazu eingeladen, an der Lösung der Probleme mitzuarbeiten. Ich sage an die Adresse der Bahn und des Vorstandes aber auch: Man kann eine Firma kaputtsparen. Das ist nicht unser Ziel. Es hat hier keinen Sinn, nur über Kosteneinsparungen zu reden, sondern wir müssen die Bahn in Qualität und Quantität verbessern. Das muss vor allem unsere Strategie sein. Das entspricht - daran darf ich erinnern - den Intentionen der Bahnreform, und das entspricht der Gemeinwohlverpflichtung aus dem Grundgesetz. Deutschland ist Transitland Nummer eins in Europa. Die erwarteten Verkehrszuwächse - Kollege Oswald hat darauf hingewiesen - können nur mit einer leistungsfähigen Bahn bewältigt werden: ob es der Personennah- oder -fernverkehr oder ob es der Güterverkehr ist. Das gilt auch im Hinblick auf die anstehende Osterweiterung der Europäischen Union. Die Bahn muss sagen, wohin sie will - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Politik muss für die erforderlichen Rahmenbedingungen bei den Investitionen und den Wettbewerbsbedingungen sorgen. Wir werden das Unsere dazu tun. Wir haben entsprechende Schritte eingeleitet. Unseren Willen haben wir im Übrigen im Koalitionsvertrag zum Ausdruck gebracht. Nach sechsjähriger Erfahrung mit der Bahnreform und den daraus resultierenden Veränderungen ist es an der Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Wir haben deshalb gemeinsam mit dem Koalitionspartner eine Große Anfrage zur Bahnpolitik an die Bundesregierung gestellt. Wir werden im Juni die Antwort darauf bekommen und werden daraus unsere Schlüsse ziehen. Unausgegorene Schnellschüsse sind unseres Erachtens nicht zielführend. ({9}) Es mag objektiv zu wenig sein, was in den letzten Jahren bei der Bahn im investiven Bereich gemacht worden ist. Wir müssen - ich will auf die Zahlen jetzt nicht näher eingehen - mit den Ergebnissen der Politik der CDU/CSU und der F.D.P. leben. All das, Herr Oswald, was Sie zugunsten der Bahn vorgeschlagen haben - Harmonisierungsschritte, der Ausgleich von Nachteilen gegenüber anderen Verkehrsträgern und vor allen Dingen gegenüber den Bahnen der anderen europäischen Ländern -, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie 16 Jahre lang Zeit gehabt haben, solche Vorschläge umzusetzen. Sie haben aber nichts getan, wovon wir heute zehren könnten und worauf wir aufbauen könnten. ({10}) Sie sind aber trotzdem noch immer herzlich eingeladen, hier mitzumachen. ({11}) - Ja, sie sind im Schlafwagen gefahren. Aufgabe des Unternehmens Deutsche Bahn ist es, durch Effizienzsteigerung zu größerer Leistungsfähigkeit zu gelangen. Hierzu gehört eine optimale Organisationsform. Herr Mehdorn hat eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, mit denen wir uns anfreunden können und die wir unterstützen können, wenn es konkretere Formen annimmt. Auch wir sind der Meinung, dass nicht nur, wie es in den letzten Jahren oft zur Diskussion gestellt wurde, die großen Magistralen - Heide Mattischeck

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mattischek, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Meister?

Heide Mattischeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001441, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne, ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Meister.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Mattischeck, Sie laden uns ja dazu ein, an einem Zukunftskonzept für die Deutsche Bahn AG konstruktiv mitzuwirken. Ist das Konzept, das Sie ansprechen, das Konzept, das der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Herr Mehdorn, vorgelegt hat, oder meinen Sie ein anderes Konzept? Wenn Sie uns einladen, daran mitzuwirken, müssen wir natürlich wissen, an welchem Konzept wir mitwirken sollen.

Heide Mattischeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001441, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe gesagt, dass wir uns mit dem Konzept von Herrn Mehdorn, soweit wir es bisher in Umrissen kennen, gut anfreunden können. Da muss aber noch Fleisch an die Knochen; darüber werden wir noch diskutieren. In diesem Zusammenhang habe ich auch unsere Große Anfrage genannt, die eine Reihe von Fragen an die Bundesregierung hinsichtlich der Konkurrenzfähigkeit der Bahn gegenüber den anderen Verkehrsträgern innerhalb Deutschlands und gegenüber den anderen europäischen Eisenbahnen enthält. Wir werden die Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage abwarten und dann darüber diskutieren, welche Konsequenzen wir daraus ziehen müssen. Wir wissen aber heute schon einiges, was wir machen müssen ({0}) und was Sie leider nicht gemacht haben. Faire Trassenpreise sind ein ganz wesentlicher Faktor ({1}) für die Konkurrenzfähigkeit der Deutschen Bahn hinsichtlich der europäischen Eisenbahnen und der verschiedenen Verkehrsträger in Deutschland. Sie haben viel Zeit gehabt, dies zu regeln, aber Sie haben es nicht geregelt. Wir packen diese schwere Aufgabe jetzt an. Da Sie mich nach dem fragten, was wir von der Bahn wollen, sage ich Ihnen: Wir wollen eine „Flächenbahn“, die im Nahverkehr präsent ist und möglichst viele Regionen bedient. Selbstverständlich wird es immer Ergänzungen durch Busse geben müssen. Das gibt es heute schon und das ist auch nicht besonders neu. Wir wollen schnelle Hochgeschwindigkeitsverbindungen ({2}) zwischen den Zentren. Vor allen Dingen wollen wir - das klappt überhaupt nicht; Sie haben auch das nicht in Angriff genommen - die Verbindungen im europäischen Schienenverkehr ausbauen. Hier hat unser Verkehrsminister erste erfolgreiche Verabredungen mit Frankreich getroffen. Wir wollen optimale Verbindungen. Wir wollen gute Taktzeiten. Wir wollen die Öffnung des Bahnnetzes auch für Dritte; das funktioniert ebenfalls überhaupt noch nicht. In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht vergessen, dass die Sicherheit der Bahn weiterhin an oberster Stelle stehen muss. Schließlich geht es um den Service, den wir von der Bahn erwarten: Sauberkeit, Pünktlichkeit, Schnelligkeit, Zuverlässigkeit. Wir sind auf einem guten Wege. All das, was wir und der Verkehrsminister in diesen eineinhalb Jahren angepackt haben, ist der richtige Weg. ({3}) Wir werden ihn ganz in Ruhe und Gelassenheit weitergehen und werden uns durch aufgeregte Schnellschüsse nicht aus der Ruhe bringen lassen. Wir werden dieses Ziel weiter verfolgen. Wir werden dabei einen guten Erfolg haben, und zwar schneller als in 16 Jahren. Sie hatten in 16 Jahren gar keinen Erfolg. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen Jürgen Möllemann von der F.D.P.-Fraktion

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in diesem Parlament über die Jahre hinweg schon eine Menge interessanter Sprachbilder vorgetragen bekommen. Aber das Bild „schnelle Schnellschüsse“, die man nicht will, sondern nur etwas langsamere, gefällt mir besonders gut. Auch der Satz, dass die alte Regierung - das werden Sie wahrscheinlich noch in zehn Jahren erzählen; dann allerdings in der Opposition ({0}) Ihnen nach 16 Jahren nichts hinterlassen habe, wovon Sie noch heute zehren könnten, ist ein gelungenes Sprachbild. Jeden Tag muss sich der Westdeutsche Rundfunk aufs Neue überlegen - um die verkehrspolitische Lage einmal auf das Land Nordrhein-Westfalen herunterzubrechen, wo sie besonders interessant ist -, ({1}) ob er nur noch Staus ab 6 Kilometern melden soll, weil die Staumeldungen sonst, wenn auch kürzere Staus berücksichtigt werden, länger dauern als die Nachrichtensendungen. ({2}) Die Autofahrer in Deutschland stehen im Jahr circa 4,4 Milliarden Stunden im Stau. Sie verbrauchen im Stau mehr Sprit als im rollenden Verkehr, verschwenden im Stau ihre Arbeitszeit und zahlen dafür, dass sie im Stau stehen dürfen, Jahr für Jahr - Stichwort Ökosteuer - mehr Steuern. Wenn der ADAC und wichtige Verbände der Verkehrswirtschaft unter dem Motto „Jetzt reicht’s“ ({3}) eine Kampagne gegen Abzockerei und Investitionskürzungen starten, dann müssten eigentlich quer durch alle Fraktionen die Alarmglocken klingeln. ({4}) Angesichts dieser Kampagne reicht es nicht aus, sich selbstherrlich über die vermeintlich einseitige Ausrichtung auf die Straße zu mokieren oder einäugig das finanzpolitische Prinzip hochzuhalten, dass es grundsätzlich keine Zweckbindung von Steuereinnahmen und deshalb auch keinen Anspruch der Autofahrer auf Gegenleistungen gebe. Wir verstehen die „Jetzt reicht’s“-Kampagne als politisches Signal, Herr Kollege Klimmt; denn die Verkehrspolitik, Abteilung Straßenbau, ist unter der rot-grünen Koalition aus der Balance geraten, weil Ihr grüner Koalitionspartner das, was Sie und andere sozialdemokratische Verkehrspolitiker - ich nenne zum Beispiel Herrn Steinbrück oder Herrn Schwanhold in Nordrhein-Westfalen - für notwendig erachten, nämlich den massiven Ausbau der Verkehrswege, damit die Autofahrer nicht dauernd im Stau stehen, durch seine Betonpolitik diskreditiert. Deswegen können Sie das, was Sie eigentlich für notwendig erachten, nicht umsetzen. Das ist das Dilemma für die Autofahrer. ({5}) Der Ausbau der Verkehrswege - Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, können sich ruhig darüber mokieren; aber es ist gut, wenn die Autofahrerinnen und Autofahrer das wissen - ist zwingend notwendig, weil das Verkehrsaufkommen auf den Straßen drastisch wachsen wird - alle Prognosen besagen das -, allein schon deshalb, weil unsere osteuropäischen Nachbarn durch die Integration in den europäischen Wirtschaftsraum den gleichen Motorisierungsgrad wie wir erreichen werden und weil sie mit ihren Autos, die sie hoffentlich in Deutschland kaufen werden, nicht nach Sibirien, sondern in das Herz Europas fahren werden. Das heißt, der Dauerstau wird dann ein Dauerphänomen. Da hilft kein Ablenkungsmanöver. Es ist nicht in Ordnung, die Autofahrer bis zum Gehtnichtmehr abzuzocken, ihnen aber die Straßen, die sie brauchen, vorzuenthalten. Man muss nicht ADAC-Mitglied sein, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. ({6}) Ich habe vor ein einigen Tagen eine Ausbildungseinrichtung des Dachdeckerhandwerks im Sauerland besucht. ({7}) - Machen Sie sich ruhig über solche Berufe lustig. - Die Ausbildung der Dachdecker ist im Sauerland konzentriert. Die jungen Leute aus ganz Nordrhein-Westfalen müssen, um dorthin und von dort wieder zu ihren Arbeitsplätzen zu kommen, mit dem Auto fahren. Wissen Sie, was Sie von Ihnen halten, wenn sie von Ihnen mitgeteilt bekommen, dass der Sprit Jahr für Jahr um 6 Pfennig, Stichwort „Ökologie“ - weder „öko“ noch „logisch“ -, verteuert wird und dass Sie von diesem Geld Jahr für Jahr weniger für den Straßenbau ausgeben wollen? Diese jungen Leute aus Nordrhein-Westfalen haben davon ein sehr klares Bild. ({8}) Sie bestrafen damit nämlich nicht die Dienstwagenliebhaber Trittin und Höhn, die jede Kröte zu schlucken bereit sind, um ihre Dienstwagen zu behalten. Diese Personen können gerne von 5 DM pro Liter Sprit reden. Sie bestrafen vielmehr die kleinen Leute, die Schüler, die Studenten, die Auszubildenden, die Rentner, diejenigen, die weite Strecken mit dem Auto fahren müssen und keine Ausweichmöglichkeiten haben. ({9}) - Auch wenn Sie versuchen, hier mit Zwischenrufen, mit lachhaften Bemerkungen davon abzulenken: Sie können es nicht. Die Menschen spüren jeden Tag, dass Ihre Politik nicht in Ordnung ist. Wie ist denn der Mechanismus? Die Menschen stehen im Stau - trotzdem bauen Sie die Straßen nicht aus -, verbrauchen noch mehr Sprit - das ist so, wenn man im Stau steht - und verpesten die Umwelt noch mehr als im rollenden Verkehr. Dafür dürfen sie dann vom nächsten Jahr an noch einmal 6 Pfennig pro Liter mehr Steuern zahlen. Das ist nicht in Ordnung! ({10}) Ich bin ganz sicher, meine Kollegen Steinbrück und Schwanhold, aber auch Herrn Klimmt richtig verstanden zu haben, dass sie eigentlich mehr für den Ausbau der Straßen tun wollen; aber sie dürfen es nicht, weil die Grünen das als Beton- und Blockadepolitik diskreditieren. ({11}) - Herr Kollege, das passt Ihnen nicht. Stehen Sie doch zu Ihrer Verweigerungspolitik! Geben Sie doch zu, dass Ihr Vormann Trittin vor der Bundestagswahl erklärt hat - ich nehme an, er muss ernst genommen werden -, das Ziel seien 5 DM für den Liter Sprit! ({12}) - Wollen Sie sich distanzieren? Herr Trittin hat erklärt, das sei das Ziel. Wir kennen die grünen Methoden, den Menschen für irgendwelche rot-grünen Projekte das Geld aus der Tasche zu ziehen und es eben nicht denjenigen zukommen zu lassen, die es brauchen. Wir brauchen Mobilität in Deutschland. ({13}) Wir müssen die Chance eröffnen, dass sich die Menschen zu ihren Arbeitsplätzen, zu ihren Studienplätzen und zu ihren privaten Zielen bewegen können. ({14}) Das geschieht mit Ihrer Verkehrspolitik nicht! ({15}) Ich möchte gern zu dem zweiten Punkt kommen, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist: Es ist ganz schön, wenn Sie hier sagen: Natürlich reicht Straßenbau allein nicht; auch die Bahn muss besser werden. Das entspricht ganz genau unserer Meinung. Aber warum hängen Sie dann am Monopol? Sie wissen doch ganz genau - zu meiner Zeit als Wirtschaftsminister haben wir in diesem Hause darüber debattiert -, wie Ihre Haltung war, als es darum ging, das Telekommunikationsmonopol der Post zu brechen. Damals ist hier gesagt worden: Dann bricht die Telekommunikation zusammen; es werden Tausende von Arbeitsplätzen abgeschafft usw. - Horrorvisionen! Heute sehen wir: Durch den Wettbewerb auf diesem Sektor ist das Telefonieren preiswerter geworden und Abertausende neue Arbeitsplätze sind entstanden. Genauso muss es bei der Bahn sein: ({16}) Wir brauchen eine private Gesellschaft, die die Schienenwege und die Bahnhöfe managt und vermarktet, und wir brauchen konkurrierende Anbieter von Transportleistungen für Personen und Güter auf diesem Schienennetz; sonst werden wir nicht bekommen, was wir benötigen. ({17}) In der Bevölkerung verbreitet ist heute das Ärgernis: Die Bahn ist teuer, unpünktlich und serviceunfreundlich. Das wird sich nicht dadurch ändern, dass Herr Mehdorn das Monopol behält und jetzt mitteilt, welche Strecken stillgelegt werden sollen. Er kann umso unbefangener stilllegen, je weniger Wettbewerb es gibt. Wir wollen eine preiswerte, eine servicefreundliche Bahn, die pünktlich ist. Die werden wir nur bekommen, wenn es Wettbewerb gibt; deswegen müssen Sie Ihre Ideologie in diesem Punkt korrigieren. ({18}) Der dritte Punkt, den ich ansprechen will, betrifft den Transrapid. ({19}) - Ich weiß schon, warum ich das hier anspreche. - Es ist schön, dass der Bundesverkehrsminister noch vor einigen Wochen erklärt hat, das sei eine hochmoderne Technologie, die wir in Deutschland brauchten. Noch schöner ist es, dass der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen erklärt, er wolle den Transrapid in Nordrhein-Westfalen einsetzen. Es ist eher unterhaltsam, wenn die Grünen, die in Nordrhein-Westfalen und auch hier erklärt haben, das sei eine absolut überflüssige Technologie, die sich nicht rechne, plötzlich, vier Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, erklären: Na ja, ob zehn Zentimeter oberhalb oder unterhalb des Streckennetzes, ({20}) das ist nicht so entscheidend. Meine Damen und Herren, wir brauchen diese hochmoderne Technologie. Bundeskanzler Gerhard Schröder reist in der Welt umher und macht Werbung für den Export dieses Projektes. Das finde ich verdienstvoll und gut. Aber wissen Sie, wie die potenziellen Kunden in diesen Ländern das sehen? - Die fragen: Herr Bundeskanzler, wo wenden Sie diese Technologie denn in Ihrem eigenen Land an? ({21}) Als die Strecke Berlin-Hamburg in Angriff genommen werden konnte, war es Grün-Rot, das die Durchführung dieses Projekts mit immer neuen Blockaden erschwert hat. ({22}) Wir wollen den Transrapid. Wir halten die Erklärungen von Herrn Clement für einen nordrhein-westfälischen Metrorapid so lange für unglaubwürdig, wie er sich nicht auf Bundesebene dafür einsetzt, dass eine Technologie, die angeblich für NRW das Beste ist, in ganz Deutschland angewandt werden kann. ({23}) Es ist allmählich wirklich beschämend: Wir entwickeln eine der modernste Verkehrstechnologien der Welt und dann hindern die grünen Bürokraten Sie, die Sozialdemokraten, daran, sie anzuwenden. ({24}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, so und nicht anders ist es: Ihr Ministerpräsident Clement sagt, in NordrheinWestfalen wollen wir die Technologie, aber die Grünen hier hindern Sie daran. Sie kommen nicht darum herum, sich eines Tages entscheiden zu müssen, ob Sie Ihren Worten in der Verkehrspolitik Taten folgen lassen wollen. Angesichts dieser merkwürdigen Gemengelage werden Sie allerdings das, was notwendig ist, nicht hinbekommen, meine Damen und Herren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Möllemann, zu Ihrer Rede möchte ich eigentlich nur eines sagen ({0}) - schön wär’s, aber daran glaube ich nicht -: Überschätzen Sie unseren Einfluss nicht! Ich wäre froh, wir hätten den Einfluss, den Sie uns zutrauen. ({1}) Was Sie uns alles zutrauen, was wir verhindern und bewirken können - großartig! Also, ich fühle mich geehrt, Herr Möllemann. Einigen wir uns auf diesen Satz. ({2}) - Ja, ich habe mich heute sehr nach Horst Friedrich gesehnt. Aber das ist ein anderes Thema. ({3}) Ich möchte für meine Fraktion einen Gedanken vorwegstellen: Das Leitbild einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik ist für uns nachhaltige Mobilität. Das bedeutet, drei große, gleich wichtige Ziele in Einklang zu bringen: einerseits die Mobilitätsansprüche, die - so möchte ich sogar sagen - die Mobilitätsgarantie für die Menschen und für den Gütertransport, andererseits die Umweltschonung und Umwelteffizienz sowie drittens den unabweisbaren Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Diese drei Ziele in Übereinstimmung zu bringen ist eine ungeheuer schwierige Aufgabe; das grenzt an die Quadratur des Kreises. ({4}) Vor diesem Hintergrund - lassen Sie mich das so deutlich und so selbstbewusst sagen - ist es der Bundesregierung in einem beispiellosen Kraftakt gelungen, die Infrastrukturinvestitionen für diese Legislaturperiode auf hohem Niveau sicherzustellen - trotz Sparpakets und trotz ernsthafter und glaubhafter Bemühungen zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes. ({5}) Wir haben - ich muss das noch einmal in Erinnerung rufen, weil es die schlichten Tatsachen sind - im Investitionsprogramm für die vier Jahre dieser Legislaturperiode sichergestellt: 32 Milliarden DM für den weiteren Aus- und Neubau des Straßennetzes, ({6}) 3,6 Milliarden DM für den Wasserstraßenausbau, ({7}) 28 Milliarden DM aus Mitteln des Bundeshaushaltes, des Einzelplans 12, für den Schienenausbau. ({8}) Hinzu kommen 3,8 Milliarden DM privates Kapital für die ICE-Strecke über Ingolstadt, 1,2 Milliarden DM für S-Bahn-Programme im Rahmen des GVFG, 400 Millionen DM für das Lärmschutzprogramm Schiene - das gab es vorher überhaupt nicht -, 3,6 Milliarden DM Eigenmittel der Deutschen Bahn AG, 800 Millionen DM nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz und jetzt noch 1 Milliarde DM für den beschleunigten Ausbau der Hochgeschwindigkeitsverbindung Hamburg-Berlin anstelle des unrentablen Transrapids. Das alles macht summa summarum über 70 Milliarden DM, die in das Verkehrswegenetz investiert werden. Das ist eine Leistung, auf die wir stolz sein können. ({9}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine kleine Randbemerkung machen. Heute Morgen lief eine Meldung des „Focus“ über die Ticker, dass Investitionen in den Bestand des Netzes und Reparaturen akut gefährdet seien. Der „Focus“ hatte einmal mit Dirk Horstkötter einen sehr fähigen Bahnjournalisten. Seit er zur Zeitschrift „Capital“ gewechselt ist, verbreitet der „Focus“ über die Bahn nur noch kalten Kaffee. Was in der Meldung steht, ist spätestens seit letzter Woche überholt. Der Auftragsvergabestopp wurde beendet. Die Mittel des Bundeshaushalts - 6,8 Milliarden DM -, aber auch die Eigenmittel der Bahn in Höhe von über 5 Milliarden DM zum Substanzerhalt des Netzes stehen uneingeschränkt zur Verfügung. Die Meldung ist insoweit substanzlos. Über das Investitionsprogramm hinaus, das ich eingangs angesprochen habe, ist es dem neuen Minister - das ist ein super Einstand in sein Amt und war bestimmt nicht einfach - gelungen, für die Jahre nach Ablauf dieser Legislaturperiode zusätzliche Investitionsmittel zu mobilisieren ({10}) - hören Sie doch einmal zu -, nämlich 7,4 Milliarden DM, die aus dem Anti-Stau-Programm stammen und über die Schwerverkehrsabgabe aufgebracht werden. Diese Leistung finde ich beachtlich. Das einzige, was mir an diesem Programm nicht gefällt, ist die Überschrift, denn der Begriff „Anti-Stau-Programm“ suggeriert dem normalen Menschen immer, es handele sich um ein reines Straßenbauprogramm, da man mit dem Begriff „Stau“ Autos verbindet. Das ist es nun gerade nicht. Zwar kommt die Hälfte der Mittel aus diesem Programm den Straßen zugute, indem dort Engpässe beseitigt werden, aber es werden eben auch 40 Prozent der Mittel für die Beseitigung von Engpässen auf der Schiene und 10 Prozent für den Ausbau der Wasserstraßen zur Verfügung gestellt. Diese beiden Verkehrsträger sind gerade als Alternativen für den Güterverkehr von größter Bedeutung. ({11}) Das Wesentliche an dieser Leistung ist, wie ich finde, ({12}) Folgendes: Jeder im Land, übrigens auch die Landesverkehrsminister - merken Sie es sich, Herr Möllemann, falls Sie das einmal werden sollten -, weiß, dass mit diesem Anti-Stau-Programm eine hohe Schwerverkehrsabgabe und LKW-Maut verbunden sind und dass er, wenn er sagt, man dürfe keine LKW-Maut oder auch nur eine symbolische Abgabe einführen, Investitionen gefährdet. Das ist ein sehr beachtlicher Nebenaspekt der LKW-Maut. Lassen Sie mich noch auf einen wesentlichen Punkt zu sprechen kommen, der aus bündnisgrüner Sicht substanziell ist, weil Verkehrspolitik nicht nur Infrastrukturpolitik ist, nämlich auf die Chancengleichheit. Die Schwerverkehrsabgabe als streckenbezogene elektronisch erhobene Benutzungsgebühr ist ein zentraler Schritt, um endlich - verursachergerecht, weil kilometergenau, diskriminierungsfrei, weil auch ausländische Fahrzeuge bezahlen müssen, und kompatibel mit anderen europäischen Systemen Chancengleichheit herzustellen, indem die Wegekosten Straße und Schiene im schweren Güterverkehr gleichermaßen angelastet werden. Das ist ein zentraler strategischer Schritt. Wenn wir sie dann auch noch in der Höhe beschließen, wie die Fachkommission unter Pällmann sie vorschlägt, ({13}) dann sind wir ein ganzes Stück weiter bei der Herstellung von Chancengleichheit auf dem deutschen Verkehrsmarkt. ({14}) Zur Chancengleichheit, deren Herstellung damals von der Regierungskommission Bundesbahn als Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg der Bahnreform bezeichnet wurde, gehört aber auch die Verstetigung und dauerhafte Zusicherung gleich hoher Investitionsmittel. Dies ist, wie ich dargestellt habe, gelungen. Für uns beinhaltet das aber auch die Verstetigung der Mittel in der Größenordnung jener 6,8 Milliarden DM, wie sie heute in der mittelfristigen Finanzplanung veranschlagt sind, über die Folgejahre hinweg, statt eines plötzlichen Abbrechens ab 2003, wenn der formale Grund, die Sanierung des Ostnetzes, wegfällt. ({15}) Zur Chancengleichheit gehört aber auch die Frage der Steuern- und Abgabenbelastung. Dazu möchte ich ganz deutlich sagen, unser Vorschlag, in dieser Frage die Parameter für die Bahn zu verändern, kann und darf in keiner Weise die Bemühungen im Unternehmen Deutsche Bahn Aktiengesellschaft ersetzen, zwischen den Tarifpartnern ernsthafte Schritte zur weiteren Sanierung und Verbesserung der Produktivität zu vereinbaren. Wenn dies gelingt, ist nach unserer Auffassung sehr wohl auch der Bund gefordert, klar zu machen, dass an dem heutigen Modell, nach dem die Bahn über die Trassenpreise direkt die Wegekosten sowie Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer in vollem Umfang, was in Europa sonst nirgendwo der Fall ist, zahlen muss, etwas geändert werden muss, um die Wettbewerbsbedingungen der Schiene deutlich zu verbessern. Die Bahnen befinden sich zunehmend im europäischen Wettbewerb. Deswegen ist der Blick über die Grenzen durchaus hilfreich. Ich möchte diese Diskussion jedoch sehr gelassen führen, denn wir befinden uns erst am Anfang der Debatte. Ich denke, wir werden Zeit haben, uns zu verständigen. Unsere Vorschläge beziehen sich ohnehin auf mittelfristige Wirksamkeit. Unser mittelfristiges Ziel der Bahnreform - um das deutlich zu sagen - war und ist nicht der Börsengang. Das Ziel der Bahnreform ist, mehr Verkehr auf die Schiene zu holen. Dabei soll und muss es bleiben. Dazu ist aber Voraussetzung, dass ein gesundes, ein saniertes Unternehmen in die Lage versetzt wird, aus eigener Kraft auf den Kapitalmarkt zu gehen, dort Kapital aufzunehmen und die Mittel für die Refinanzierung, also Tilgung und Zinszahlungen, aus eigenen Kräften zu verdienen, am Markt zu erwirtschaften. ({16}) Das ist der Punkt, um den es geht, nicht um den Börsengang als solchen. Ich komme zum letzten Punkt: Die eigentliche Großbaustelle in der Infrastrukturplanung - und die Infrastruktur ist heute unser eigentliches Thema - ist der neue Bundesverkehrswegeplan. Wir müssen feststellen, dass der alte Verkehrswegeplan nicht mehr aktuelle Daten aufweist, dass eine ökologische Neubewertung dringend erforderlich ist und dass wir vor allem eine neue Ehrlichkeit brauchen. Man hat damals alles allen versprochen, ohne es halten zu können. Diese Politik der leeren und haltlosen Versprechungen werden wir nicht fortsetzen. ({17}) Deswegen geht es auch nicht an, was dieser Tage in Bayern geschehen ist, Herr Kollege Oswald: dass die Bundesländer, wenn sie aufgefordert werden, ihre Projekte für den neuen Verkehrswegeplan anzumelden, wieder den ganzen Bauchladen ihrer Altplanungen abliefern und noch zehn bis zwanzig neue Projekte draufsatteln. Das Gesamtvolumen der angemeldeten Projekte beträgt allein für Bayern 25 Milliarden DM. ({18}) Albert Schmidt ({19}) Für wie dumm halten Sie denn die Leute? Glauben Sie denn im Ernst, dass der Bund das finanzieren kann? Die Hauptbauquote für Bayern liegt bei ungefähr 250 Millionen DM. Für 100 Jahre müsste man einen Plan aufstellen, um die 25 Milliarden DM zu mobilisieren! Das ist der Verzicht auf Gestaltung durch die Bundesländer. Die wollen uns nur den Schwarzen Peter zuschieben, dass wir auswählen müssen. Diese „Wunschzettel ans Christkind“ kann man aber nicht ernst nehmen; die muss man zurückweisen. Dann werden wir eben die Prioritäten setzen, wenn die Bundesländer es nicht aus freien Stücken tun. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Winfried Wolf von der PDS-Fraktion.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die PDS ebenfalls in Nordrhein-Westfalen kandidiert, möchte ich mich doch - anders als der vorletzte Redner - auf das Thema konzentrieren. Die Anträge, die heute zur Debatte stehen und die von den Parteien CDU/CSU und F.D.P. vorgelegt wurden, weisen in die bekannte Richtung: Der Straßenverkehr soll weiter gefördert werden. In der liberalen Lyrik heißt das: „Straßenbau statt Autostau!“ Kollege Möllemann zieht dazu als Verkehrspolitiker die Reißleine und singt frei nach Reinhard Mey: „Hinter den Abgaswolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Unser werter Kollege Oswald, dessen Fairness als Ausschussvorsitzender ich schätze, bekennt in der „VerkehrsRundschau“ Farbe. Als dort der entsprechende CDU/CSU-Antrag mit den Worten „Das sind die Argumente des ADAC.“ kommentiert wurde, bekannten Sie, Herr Oswald, tapfer: Ja und? Da bin ich seit dreißig Jahren Mitglied ... ({0}) Das Geld ist da. Das muss man jetzt für die Straße einsetzen. Die Regierungsparteien haben ihrerseits einen Antrag eingebracht, der das Thema mit einem „Anti-Stau-Programm“ aufgreift. „Bild“, Klimmt und vox populi wissen, dass es dabei vor allem um Straßen geht. Für die grüne Klientel darf das Ganze dann als Programm zur Beseitigung von Verkehrsengpässen im Allgemeinen umtituliert werden. Dabei gibt es eine Alternative, die heute ebenfalls zur Debatte steht. Diese findet sich in einer wissenschaftlichen Studie - nicht im PDS-Antrag - mit dem Titel „Optionen zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundliche Verkehrsträger“, über die indirekt abgestimmt werden soll. Die Beschlussempfehlung zu dem letztgenannten Bericht begrüßt diesen Bericht einerseits - dem schließen wir als PDS uns natürlich an -, verbindet damit aber andererseits eine Entschließung, mit welcher der Bericht meines Erachtens für eine falsche Politik instrumentalisiert wird. Wahrscheinlich haben nur wenige diesen Bericht gelesen. Ich habe deswegen für uns kollektiv Hausaufgaben gemacht, den Bericht studiert und mit den Anträgen konfrontiert. ({1}) - Sie, Herr Goldmann, haben diesen Bericht sicher ebenfalls gelesen. Ich weiß es. ({2}) - Gut, dann nicht. Ich möchte drei Aspekte herausgreifen: Erstens. Zur Bedeutung des Verkehrs für die individuelle Mobilität. Der CDU/CSU-Antrag zur Verstärkung der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen formuliert: „Mobilität ist ein Grundbedürfnis der Menschen ...“. Der Antrag betont also die erhöhte Mobilität. Sie wissen, dass ich das Thema Mobilität gerne bemühe. Ich kann heute - statt auf das große Latinum - auf die genannte Studie zurückgreifen. Dort heißt es - ich zitiere -: Die Entwicklung der Mobilitätskennziffern der letzten 40 Jahre erlaubt die folgenden Feststellungen: Die Zahl der pro Person und Tag zurückgelegten Wege hat sich kaum verändert. Ich zitiere weiter: Die Verkehrsdauer pro Person und Tag hat geringfügig zugenommen; ... sie beträgt etwa eine Stunde. Die pro Person und Tag zurückgelegte Entfernung ist jedoch deutlich gewachsen. Das heißt: Die Menschen wurden kaum mobiler. Sie verfügen nur über schnellere Verkehrsmittel, vor allem PKW. Sie fahren längere Distanzen, befriedigen damit jedoch die gleichen Mobilitätsbedürfnisse in einer ungefähr gleichen, täglich für Mobilität aufgewandten Zeit. Die Studie weist auch darauf hin, dass es zu stark veränderten Siedlungsstrukturen kam, nicht zuletzt aufgrund des Straßenbaus, und dass der größte Teil der zusätzlichen Kilometer, die wir zurücklegen, diesem geschuldet ist. Im Verkehrs-Deutsch: Vieles davon ist „erzwungener Verkehr“, ist „künstliche Mobilität“. Zweitens. Die CDU/CSU-Fraktion bezieht sich in ihrem Antrag positiv auf einen zukünftigen Nachfragezuwachs, wie er im Bundesverkehrswegeplan 1992 prognostiziert wurde. Daraus abgeleitet werden dann verstärkte Investitionen in die Straße gefordert. Die Studie stellt demgegenüber fest, dass so gut wie alle Studien zur zukünftigen Verkehrsentwicklung von interessierter Seite stammen: Sie wurden von staatlichen Institutionen, die erheblich dem Straßenbau frönen, und von Mineralölgesellschaften in Auftrag gegeben. Zudem heißt es dort, dass all diese Studien „die Dynamik der realen Prozesse regelmäßig und zum Teil erheblich unterschätzt haben“. Die Entwicklung sah so aus, dass vor allem der Straßenund der Luftverkehr schneller wuchs als prognostiziert und dass der Schienenverkehr und die Binnenschifffahrt stagnieren, anstatt - wie es zur Beruhigung prognostiziert wird - zu wachsen. Albert Schmidt ({3}) Dies gilt besonders krass für den Bundesverkehrswegeplan 1992. Wer sich heute auf dieses Zahlenwerk positiv bezieht, der ist meines Erachtens verkehrswissenschaftlich nicht mehr ernst zu nehmen. Laut Bundesverkehrswegeplan sollte der Schienengüterverkehr wesentlich wachsen, er sackte aber förmlich in sich zusammen. Der PKW- und LKW-Verkehr und vor allem der Flugverkehr aber erreichen bereits heute Werte, die sie erst im Jahre 2010 oder 2015 erreichen sollten. Das heißt: Dieser Plan ist völlig aus dem Gleis geraten. Leider nimmt die Bundesregierung diese Tatsache nur unzureichend zur Kenntnis. Drittens. Alle hier vorliegenden Anträge gehen davon aus, dass in der einen oder anderen Form eine Verlagerung von Verkehr hin zur Schiene notwendig wäre, dass dies auch zukünftig stattfinden würde, wenn Einzelmaßnahmen mit fairen Preisen für alle Verkehrsträger realisiert würden. Die Studie unterstreicht zunächst sehr überzeugend, dass der öffentliche Verkehr im Allgemeinen und die Schiene im Besonderen erheblich umweltverträglicher als Straßen- und Luftverkehr sind. Exemplarisch sei hier nur auf die „Vergleichende Zusammenstellung“ der Schadstoffemissionen der unterschiedlichen Verkehrsträger auf Seite 37 hingewiesen. Danach liegt die CO2-Belastung auf der Straße dreimal höher als im ICE-Verkehr; im Luftverkehr ist sie sogar viermal höher. Besonders zu erwähnen ist hier noch die Feststellung der Studie, dass der PKW-Kraftstoffverbrauch je 100 Kilometer nicht gesunken ist, was vor allem dem ständig stärker werdenden Motoren geschuldet sei. Ich bitte, vor allem zur Kenntnis zu nehmen, dass die Studie die Gründe für diesen „verkehrten Verkehr“ präzise anführt: Die Kostenbelastung der privaten Haushalte durch den PKW-Verkehr sank kontinuierlich - im Fall eines ausgewählten, repräsentativen Haushaltstyps „von 16 Prozent im Jahr 1965 auf inzwischen etwa 12 Prozent 1995.“ Die Studie schlussfolgert dann in deutlichem Gegensatz zu allen hier debattierten Anträgen: Die vorliegenden Rahmenbedingungen der Verkehrsentwicklung werden ohne gegensteuernde Maßnahmen zu einer weiteren erheblichen Zunahme von Verkehrsleistung führen und deren negative Auswirkungen - die die Studie in erster Linie dem PKW- und Luftverkehr zuspricht - verstärken. Sie fordert demgegenüber Maßnahmen zur Entlastung des Verkehrsnetzes, im Wesentlichen des Straßenverkehrsnetzes. Die Vorschläge der Grünen, die Albert Schmidt hier vorgetragen hat, finden natürlich unsere Zustimmung; aber sie stehen heute nicht zur Abstimmung. In der Studie finden Sie kein Wort dazu, dass mehr Straßen gebaut werden müssten. Zur Telematik, die hier im Raum hochgejubelt wird, heißt es dort wörtlich, diese ergebe bei einem Milliardenaufwand „nur geringe Verlagerungswerte von unter 2 Prozent“. Da brächte jedes kostenfreie Tempolimit wesentlich größere Verlagerungen. Kein Wort schließlich in der Studie, wonach ein AntiStau-Programm eine Verkehrsperspektive weisen würde. Dazu merkt die „Verkehrs Rundschau“ sublim an: Albert Schmidt beeilte sich, dem Verkehrsminister Klimmt seine Unterstützung - für das Anti-Stau-Programm zu versichern ... Schmidt überließ es dem ökologisch orientierten VCD, Bedenken gegen die Klimmt-Pläne vorzubringen. Und wie hat der VCD argumentiert? Er argumentierte, dass das Anti-Stau-Programm den Sinn der LKW-Abgabe völlig konterkariere. Es sei verkehrt, diese Einnahmen zu einem großen Teil wieder in Straßenbau zu investieren. Der VCD-Geschäftsführer stellte dazu fest - was auch meine Meinung zu diesem Thema ist und ebenso immer die Meinung der Grünen war -: „Wer Straßen sät, wird langfristig mehr Verkehr ernten.“ ({4}) Mit dieser Debatte ist die Verkehrswissenschaft tatsächlich in den Bundestag eingekehrt. Schade ist nur, dass SPD und Grüne meiner Ansicht nach nur einen unzureichenden Nutzen daraus ziehen wollen und dass CDU/CSU und F.D.P. versuchen, sie für eine entgegengesetzte Politik zu vereinnahmen. Sie gehen stillschweigend davon aus, dass die Studie nicht gelesen worden ist. Ich empfehle uns allen ernsthaft die Lektüre dieser Studie außerhalb des Wahlkampfgetümmels, vielleicht nach den NRWWahlen. Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Reinhold Strobl von der SPD-Fraktion.

Reinhold Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003431, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU beklagt hartnäckig die angeblich unzureichende Finanzierung beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. ({0}) Sachdienliche Kritik ist dabei mit zunehmendem Abstand zum Ende Ihrer Regierungszeit immer stärker einer nicht fundierten und bisweilen leider billigen Polemik gewichen. ({1}) Durchgängig fehlen seriöse Vorschläge. Das kommt nicht von ungefähr, sondern weil auch in den Reihen der früherenRegierungsfraktionenbekannt ist,dasserstensder in 16 Jahren Kohl-Regierung ruinierte Staatshaushalt nicht mehr hergibt und dass zweitens der Bundesgesetzgeber Prioritäten für den Aufbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern gesetzt hat. Drittens scheint der Unionsfraktion der Blick für die regionale Ausgewogenheit der Finanzierung im Bereich des Bundesfernstraßenbaus abhanden gekommen zu sein. Bayern erhält unter allen alten Bundesländern - das sage ich als Bayer - die meisten Investitionsmittel. ({2}) Der entscheidende Punkt ist, dass die Bundesregierung trotz der desolaten Haushaltslage, die von CDU/CSU und F.D.P. zu verantworten ist, alle begonnenen Bauprojekte weiterführt oder, anders gesagt, keine Investitionsruinen hinterlässt. ({3}) Am Beispiel der Autobahn A 6, die ebenfalls Gegenstand dieser Debatte ist, möchte ich Ihrer Polemik ein wenig auf den Zahn fühlen. Die A 6 gehört zu den großen West-Ost-Verbindungen in der alten Bundesrepublik, die nach Öffnung der Grenzen nach Osteuropa einen erheblichen Verkehrszuwachs zu bewältigen haben, insbesondere was den Güterfernverkehr betrifft. Nur einer Minderheit der Bürger unseres Landes, nämlich den Betroffenen in der Oberpfalz, ist jedoch bewusst, dass diese inzwischen zur europäischen Magistrale erklärte Verbindung bis heute ein Torso geblieben ist. Zwischen dem oberpfälzischen Amberg und dem fertigen Grenzabschnitt Lohma-Waidhaus klafft eine 55 Kilometer lange Lücke, mit dem Ergebnis, dass der paneuropäische Transitverkehr sich vorwiegend über die Bundesstraße 14 wälzt, mit teilweise schlimmen Folgen für die Anwohner. Dieser Zustand ist seit Anfang der 90er-Jahre bekannt und die seitdem eingetretene Zunahme des Transitverkehrs war absehbar. Die damalige Bundesregierung hat diese Entwicklung schlichtweg verschlafen. ({4}) Wir erwarten, dass jetzt endlich der Planfeststellungsbeschluss für das Teilstück Amberg-Pfreimd herbeigeführt wird. Es ist einfach unredlich, für Teilstücke Gelder zu fordern, die der Bund mangels Baureife noch gar nicht in seinen Haushalt einstellen darf. ({5}) Die Dringlichkeit des Lückenschlusses auf der A 6 ist seit Jahren bekannt; der Tschechischen Republik wurde die Fertigstellung sogar vertraglich zugesichert. Aber bis zum Abtritt der Kohl-Regierung wurde gerade einer von fünf Bauabschnitten realisiert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Strobl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Friedrich?

Reinhold Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003431, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch wenn es die erste Rede ist, bitte schön, gerne.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Strobl, ich bitte um Entschuldigung, weil es Ihre erste Rede ist. Mir ist es aber damals genauso gegangen - seinerzeit zufälligerweise von der SPD. ({0}) Das gleicht sich wieder aus. Sie sind - wenn ich das richtig weiß - für den Kollegen Verheugen in den Deutschen Bundestag nachgerückt. Sie verbreiten hier große Forderungen zur A 6. Herr Kollege Strobl, ist Ihnen bewusst, ({1}) dass die SPD den Bundesverkehrswegeplan 1992, in den die A 6 aufgenommen worden ist, abgelehnt hat? ({2})

Reinhold Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003431, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine damalige Fraktion wird sicherlich gewusst haben, warum sie das abgelehnt hat. ({0}) Meine Damen und Herren, ich möchte fortfahren. Ich habe heute schon so viel gehört. Ich habe mir heute die Rede von Herrn Möllemann angehört, der wieder davon gesprochen hat, wie stark die Bürger belastet werden. Dagegen muss man ehrlichkeitshalber - vielleicht sollte das auch einmal von Ihrer Seite eingestanden werden - sagen, dass die Bürger durch die Erhöhung des Kindergeldes usw. bis zum Zehnfachen entlastet werden. ({1}) Ich möchte jetzt fortfahren. ({2}) Der Bund darf sich nämlich freuen. In dieser Woche - das wurde vorhin schon einmal gesagt - hat Bayern seine Wunschliste für die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes angemeldet: 14 Schienen- und 360 Fernstraßenprojekte mit einer Gesamtsumme von 25 Milliarden DM. Hätte Theo Waigel eine verantwortliche Haushaltsführung betrieben, könnten wir wahrscheinlich alle Finanzierungssorgen begraben. Allein mit der Zinslast des Bundes im Zeitraum von drei Tagen wäre die Fertigstellung der A 6 vollständig zu bezahlen. ({3}) In diesem Zusammenhang darf ich Sie an die Aussagen des früheren Bundesfinanzministers im oberpfälzischen Vilseck erinnern, der dort einem staunenden Publikum das war vor etwa sechs Jahren - erklärte, für den Weiterbau der A 6 sei das Geld vorhanden. Bei unseren Nachfragen war das Geld dann nicht mehr auffindbar. ({4}) Ich darf zusammenfassen. Mit viel Polemik und wenig sachdienlich strickt die Unionsfraktion an einer Legende. Dass der Bundesverkehrswegeplan mit rund 90 Milliarden DM unterfinanziert ist, hat sie erfolgreich verdrängt. Dass sie die A6 bis 1998 nur im Schneckentempo vorwärts gebracht hat, geriet ebenfalls in Vergessenheit. Dass die neue Bundesregierung volle Planungssicherheit garantiert, will sie nicht zur Kenntnis nehmen. Während die alte Regierung in 16 Jahren nur Spatenstiche und Versprechungen gemacht hat, ({5}) werden wir für eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur sorgen. ({6}) Schaufensteranträge seitens der CDU/CSU helfen uns hier aber nicht weiter. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Strobl, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Königshofen von der CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass der Verkehrsminister, Herr Klimmt, nicht mehr bei uns sein kann. ({0}) - Er kommt wieder. - Ich wollte ihm gerade sagen, dass wir vor den Trümmern rot-grüner Verkehrspolitik stehen. ({1}) Dabei fing das ja eigentlich sehr gut an. Nicht groß genug konnte der Zuständigkeitsbereich des neuen Ministeriums sein. Bau und Verkehr wurden zusammengelegt. Der fixe Franz - so nennt man Herrn Müntefering ja im bedächtigen Westfalen ({2}) wurde neuer Superminister und Herr des größten Investitionsetats Europas. Nun hätten Sie einlösen können, was Sie vor der Wahl versprochen haben: Sie wollten ja nicht alles anders, aber vieles besser machen. ({3}) Dann war das aber plötzlich vorbei. Die Wahlgeschenke mussten wieder eingesammelt werden. ({4}) Herr Schröder war mit seiner rot-grünen Truppe in der Wirklichkeit angekommen. Jetzt war Sparen angesagt. Natürlich, Sparen ist notwendig. Aber Sie sparen an der falschen Stelle. Sie sparen an der Infrastruktur und damit an den Zukunftsinvestitionen. ({5}) So kürzen Sie im Investitionsprogramm 1999-2002 im Vergleich zu den Planungen der vorherigen Bundesregierung rund 5 Milliarden DM bei den Mitteln für den Straßenbau. Wir wissen, Herr Klimmt hat dieses Investitionsprogramm von seinem Vorgänger geerbt. Er hat aber rein gar nichts getan, um dem Infrastrukturausbau eine neue Priorität zu geben. Dafür gibt es keine Entschuldigung. ({6}) Allein in Nordrhein-Westfalen führt das rot-grüne Investitionsprogramm zu Einschnitten in Höhe von 1,2 Milliarden DM. ({7}) Das hat auch die SPD in Nordrhein-Westfalen gemerkt. Der damalige Verkehrsminister des Landes NordrheinWestfalen, Herr Steinbrück, hat daraufhin im Oktober des letzten Jahres Herrn Klimmt einen Brief geschrieben. ({8}) Zunächst einmal gratuliert er Herrn Klimmt artig zu seiner Amtsübernahme und dann gesteht er, dass er seine „Gratulation mit einem ernsten Thema befrachten muss“, weil er auf die „fatale Weichenstellung“ der rot-grünen Verkehrspolitik hinweisen muss. Dann wird Herr Steinbrück ganz konkret und zeigt an Beispielen die Folgen auf: keine Realisierung wichtiger Teilabschnitte des sechsstreifigen Ausbaus des Ruhrgebietsdreiecks, Zurückstellung des Ausbaus der A 2 zwischen Kamener Kreuz bis Oelde, keine Realisierung des Ausbaus der A 4 zwischen Autobahnkreuz Köln-West und Kerpen, kein Ausbau des Kölner Rings, Zurückstellung wichtiger Ortsumgehungen - ich zitiere immer aus dem Brief von Herrn Steinbrück - und keine Umsetzung der Fernstraßenkonzeption „Mittleres Ruhrgebiet“. Bei dieser Konzeption hatten wir uns ja besondere Mühe gegeben: Unter der Federführung unseres damaligen Staatssekretärs im Verkehrsministerium, Norbert Lammert, hatten sich ja der Bund, das Land und die betroffenen Städte nach vielen schwierigen Verhandlungen geeinigt. Das alles ist nun Makulatur. Ich verstehe, dass nach diesem Brief bei Ihnen alle Alarmglocken läuteten. ({9}) Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen immer fest vor Augen wurden Sie plötzlich kreativ und präsentierten das Anti-Stau-Programm. ({10}) Herrn Klimmt, eines muss man der SPD und Ihren Helfern lassen: Sie erfinden positive Begriffe und beschäftigen die Fantasie der Menschen. Darin sind Sie in der Tat Weltmeister. ({11}) Dieses Programm, mit dem 37 bundesweit dringliche Straßenbaumaßnahmen mit 3,7 Milliarden DM finanziert werden sollen, krankt aber an zwei Geburtsfehlern: Zum einen soll Geld ausgegeben werden, das der Bund noch lange nicht hat. ({12}) So soll das Programm aus der streckenbezogenen Autobahngebühr für LKWs finanziert werden. Diese LKWMaut ist aber noch lange nicht beschlossen und daher sowohl in der Höhe als auch vom Zeitrahmen her äußerst fraglich, ({13}) abgesehen davon, dass die Ausschreibung für das dazu notwendige elektronische Erhebungssystem erst vor kurzem erfolgt ist. Dessen Einführung wird übrigens rund 600 Millionen DM kosten, also so viel, wie pro Jahr in dieses Programm fließen soll. ({14}) Herr Minister, da müssen wir doch fragen: Wie hoch soll diese Maut sein? Wollen Sie sich an den Empfehlungen der so genannten Pällmann-Kommission orientieren? ({15}) Um aus der LKW-Maut Gesamteinnahmen in Höhe von rund 4 Milliarden DM zu erzielen, von denen dann aber jährlich lediglich eine Dreiviertelmilliarde DM in das Anti-Stau-Programm fließen soll, müssten Sie die jetzige Belastung der LKWs verfünffachen. Laut Pällmann-Kommission müssten Sie als Maut durchschnittlich 25 Pfennig je Fahrzeugkilometer erheben, was die durchschnittlichen spezifischen Transportkosten auf den Bundesautobahnen um rund 10 Prozent erhöhen würde. ({16}) Dazu kommen - da haben Sie Recht - noch Kosten aufgrund der Erhebung der Mehrwertsteuer. Das alles müssen Sie natürlich erst einmal politisch durchsetzen, im Parlament beschließen und mit den europäischen Nachbarn vertraglich absichern. Vorher, Herr Minister Klimmt, ist all das, was Sie versprechen, nur politische Wechselreiterei. ({17}) Zum anderen ist ja ein Großteil der in diesem Programm enthaltenen Projekte noch lange nicht baureif. Nordrhein-Westfalen soll mit 16 von 37 Maßnahmen den Löwenanteil erhalten. Von diesen 16 ist aber erst bei zwei Projekten die Planung abgeschlossen, während bei 11 Projekten die Planung gerade erst begonnen hat. ({18}) Auch Sie, Herr Minister Klimmt, wissen, wie lange sich Planungen bei Autobahnen und Bundesstraßen hinziehen können. ({19}) So jedenfalls beseitigen Sie keine Engpässe und so lösen Sie auch keinen einzigen Stau auf. Abgesehen davon muss man einmal feststellen, dass das Anti-Stau-Programm mit den vielen Projekten in Nordrhein-Westfahlen eine schallende Ohrfeige für den amtierenden Ministerpräsidenten Clement ist, der lange Zeit Verkehrsminister in diesem Land war und daher auch für den übergroßen Nachholbedarf verantwortlich ist. Er ist der Hauptschuldige für das tagtägliche Chaos auf den nordrhein-westfälischen Straßen. ({20}) - Herr Schmidt, Sie sind nicht an allem schuld. Seit kurzem gibt es ein neues Highlight rot-grüner Verkehrspolitik, den so genannten Metrorapid. Jahrelang haben die Grünen gegen die Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin gekämpft. Nachdem sich alle ökologischen Einwände als gegenstandslos erwiesen hatten, ist es Ihnen und Ihren Hilfstruppen in der SPD letztlich doch noch gelungen, das Projekt an den Kosten scheitern zu lassen. Der Anstieg der Kosten für den Fahrweg von 6,1 Milliarden DM auf rund 8 Milliarden DM gab Ihnen den Vorwand, das Bauvorhaben kaputtzumachen. Sicherlich spielt bei dieser unglaublichen Fehlentscheidung der neue Bahn-Chef Mehdorn eine unrühmliche Rolle. Aber wir wollen uns nicht mit Herrn Mehdorn aufhalten. Die wahren Schuldigen sitzen hier, auf der Regierungsbank und in den Reihen von SPD und Grünen. ({21}) Um den katastrophalen Eindruck, den dieses Beispiel rot-grüner Regierungskunst hinterließ, abzumildern - wir haben ja am 14. Mai die Wahl in Nordrhein-Westfalen -, präsentieren nun die Herren Klimmt und Clement eine neue Version: Metrorapid in Nordrhein-Westfalen. So neu ist die Idee aber nicht. Sie geisterte bereits vor über zehn Jahren durch die Gazetten. Damals sollte die Strecke von Essen nach Bonn führen. Nur, gebaut wurde der Transrapid auch damals nicht; es scheiterte an der Finanzierung. Jetzt soll es der Metrorapid sein, wieder an Rhein und Ruhr, allerdings zusätzlich mit einer bergischen Achse über Düsseldorf, Wuppertal und Dortmund. Die Beratergruppe „Magnetschwebebahn NordrheinWestfalen“, vom Verkehrsministerium in Nordrhein-Westfalen einberufen, schlägt 11 Stationen mit Abständen zwischen acht und 40 Kilometern vor, insgesamt gut 210 Kilometer - und zwar als Regionalverkehrssystem, neben einem bereits ausgebauten und gut funktionierenden Eisenbahnnetz, neben ICE und S-Bahn. Die Beratergruppe sagt auch, was das kosten soll: 15,6 Milliarden DM. ({22}) 8 Milliarden DM für die Strecke Hamburg-Berlin waren zu viel; das war nicht finanzierbar. 15,6 Milliarden DM für den Metrorapid in Nordrhein-Westfalen aber lassen Klimmt und Clement keinen Moment zögern und zaudern. Nur Herr Steinbrück - auf diesen Mann müssen Sie aufpassen, Herr Klimmt - gießt wieder ein wenig Wasser in den Wein. So sagte er am Ersten dieses Monats in der „Westfälischen Rundschau“: „Das Land wird nicht Mitfinanzierer des Projekts“. Ganz hellhörig muss man werden, wenn Frau Ministerin Höhn - grüne Bannerträgerin in Nordrhein-Westfalen - ihre Zustimmung signalisiert. ({23}) Da wird schlagartig klar, um was es geht: Es handelt sich um einen plumpen Täuschungsversuch der Wähler in Nordrhein-Westfalen. ({24}) Herr Minister Klimmt, Ihre Verkehrspolitik wird den tatsächlichen Problemen, die wir tagtäglich auf den Straßen beobachten, nicht gerecht. Wir hören es halbstündlich in den Verkehrsnachrichten; aber es ändert sich nichts. Das ist keine solide und sauber finanzierte Verkehrspolitik, sondern - entschuldigen Sie, wenn ich das so deutlich sage - politische Hochstapelei. ({25}) Und damit, meine Damen und Herren, werden Sie scheitern. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Königshofen, die Art, wie Sie gerade Wahlkampf gemacht haben ({0}) - das bezieht sich auch auf den Kollegen Möllemann -, war so wunderbar unter Niveau, ({1}) dass ich mir, wenn das in NRW genauso läuft, um RotGrün in Nordrhein-Westfalen überhaupt keine Sorgen mache. ({2}) Wenn Sie meinen, Herr Clement hätte für den Straßenbau in Nordrhein-Westfalen nicht genügend Geld auf den Tisch gelegt, dann kann ich nur sagen: Angesichts der Steuerpolitik und der Staatsverschuldungspolitik, die Sie, Schwarz-Gelb, in den letzten Jahren betrieben haben, können Sie nicht verlangen, dass Clement den dicken Sack neben seinem Arbeitsplatz stehen hat und ständig Geld verteilt. Das ist eine Politikvorstellung, die wirklich unter allem Niveau ist. Ich muss deutlich sagen: Sie ist auch unter dem Niveau, auf dem wir in unserem Ausschuss auch mit Ihren beiden Fraktionen üblicherweise über verkehrspolitische Fragen diskutieren. ({3}) - Kommen Sie einmal in unseren Ausschuss; dann merken Sie, dass wir da wirklich schon ein bisschen weiter sind, Herr Ramsauer. Lassen Sie mich lieber zur Sache kommen; denn ich glaube, wir sind nicht hier, um so primitiv Wahlkampf zu machen. Ich möchte konkret auf den Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung zur Telematik und zur Verlagerung von Straßenverkehr - es geht um eine Verlagerung von Straßenverkehr und nicht um eine ständige Ausweitung - auf umweltfreundliche Verkehrsträger eingehen. Ich muss sagen: Es ist interessant, dass Ihre Koalition seinerzeit einen so guten Bericht auf den Weg gebracht hat, dass sie aber offenbar nicht in der Lage war, nach solchen Kriterien zu handeln. Insofern fände ich es schon gut, wenn Sie zuhören würden, damit Sie erfahren, was zu Ihrer Zeit in Bezug auf eine moderne, integrierte Verkehrspolitik gefordert worden ist. Als erstes ist ganz klar gesagt worden, Telematik dürfe nicht nur der Verflüssigung von Individualverkehr und von Güterverkehr auf der Straße dienen, sondern sie müsse in den Städten und Siedlungsräumen gezielt zur Verlagerung des Verkehrs auf den öffentlichen Nahverkehr einerseits und auf die Schiene andererseits genutzt und entsprechend organisiert werden. Das sollten Sie sich durchaus merken; denn dieses simple Beispiel macht deutlich, dass es falsch ist, zu meinen, man könne mit Verkehrsverflüssigung die Probleme lösen. Sie wissen ganz genau, dass man damit nur für weitere Staus sorgt, im Hinblick auf die wir wirklich Entlastung brauchen. Daher ist die erste Aussage in dem Bericht, den Sie haben machen lassen, richtig. Man darf von der Telematik keine verkehrstechnischen Wunder erwarten. Im Gegenteil, sie muss integriert werden und mit anderen verkehrspolitischen Zielen und Maßnahmen, wie Rot-Grün sie eingeleitet hat und durchführt, nämlich Maßnahmen im ordnungsrechtlichen und im finanziellen Bereich, kombiniert werden. Hören Sie gut zu! Sie haben hier wieder dauernd gegen die Ökosteuer geredet. Herr Möllemann hat die Leier rauf und runter gespielt. Wir können es schon fast nicht mehr hören. ({4}) In dem Bericht, den Sie haben machen lassen, steht sehr genau drin, dass die Ökosteuer, das heißt die Verteuerung der Mineralölsteuer und die Verteuerung des Autoverkehrs, ein wichtiges Instrument ist, um in unseren Städten wirklich ein Stück Verkehrsberuhigung, die wir dringend nötig haben, zu erreichen. ({5}) Das Gutachten sagt des Weiteren - das haben Sie nicht geschafft -, dass wir dringend eine LKW-Maut brauchen, um die Straßen endlich vom LKW-Verkehr zu entlasten. Kurzum: Sie haben davon geredet. Wir haben gehandelt. Daher sollten Sie sich klarmachen, dass es wirklich nichts bringt, große Sprüche zu klopfen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dirk Fischer?

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, danke. Den Kollegen Fischer werden wir gleich noch ausführlich hören. Herr Kollege, wir diskutieren es im Ausschuss. Ich glaube, wir sollten besser zusehen, dass wir den Tagesordnungspunkt bald zu Ende bringen. ({0}) - Ach nein. Wenn Sie meinen, dass ich vor Herrn Fischer Angst habe, dann täuschen Sie sich ein bisschen. Lassen Sie mich noch auf einen wichtigen Punkt eingehen. Bei der Diskussion über die Verkehrsproblematik werden die Städte, die dazugehören, und die Siedlungsräume zu wenig berücksichtigt. Der Bericht gibt sehr wichtige und gute Empfehlungen zur Integration von Verkehrspolitik und Städtebau. Er fordert nicht nur, dass wir als Leitbild der Verkehrspolitik verkehrstechnische Aspekte sehen, sondern verlangt, dass wir endlich auch die Verbesserung der Umweltqualität und der städtischen Lebensqualität ernst nehmen und integrieren. Das bedeutet weniger Autoverkehr in den Städten und nicht ständig mehr. Ich halte diesen Aspekt nicht nur aus Umweltschutzgesichtspunkten, für deren Berücksichtigung wir Grüne eintreten, für wichtig, sondern auch um der anhaltenden Stadtflucht, die in hohem Maße mit den unerträglichen Verkehrsbelastungen in unseren Städten, mit der zunehmenden Lärmbelastung, mit den Unfallgefahren zusammenhängen, Einhalt zu gebieten und neue Strategien zu entwickeln. Insofern fordert dieser Bericht - das sollten wir ernst nehmen und dazu in dieser Legislaturperiode Initiativen ergreifen - auch Mut zu einer Bauleitplanung, die auf den ÖPNV ausgerichtet ist, Mut zum Carsharing und Mut zu städtischen Mobilitätskonzepten, die integriert entwickelt werden und nicht konkurrierend, wie Sie das bisher immer getan haben. ({1}) Dieser Bericht, der unter Schwarz-Gelb verfasst worden ist, ist wunderbar - aber Rot-Grün handelt: Wir haben die Ökosteuer eingeführt, vor der Sie nach wie vor solche Panik haben, dass Sie ständig schreien, das sei das Böse schlechthin. Wir werden darüber hinaus die Schwerverkehrsabgabe zur Diskussion stellen und sie einführen. Wir werden ein Konzept zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs vorlegen. Unsere Fraktion hat hierzu bereits wichtige Eckpunkte beschlossen. ({2}) - Herr Fischer, und wenn Sie es noch so charmant machen: Ich lasse Ihre Zwischenfrage jetzt nicht zu. Sie können gleich alles in Ihrer Rede vortragen, was Sie zu sagen haben. Ich komme zum Schluss. Sie hatten die Chance zur Reform. Schwarz-Gelb hat gute Berichte schreiben lassen, Rot-Grün handelt für einen nachhaltigen stadt- und umweltverträglichen Verkehr. Wenn Sie dem zustimmen, sind wir uns wieder einig. Aber dann sollten Sie Ihre jetzigen Diskussionsbeiträge überdenken und Verkehrspolitik einmal zukunftsorientiert denken - und nicht einfach nur stauorientiert. Danke schön. ({3}) Franzika Eichstädt-Bohlig

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Bundesminister Reinhard Klimmt.

Reinhard Klimmt (Minister:in)

Politiker ID: 11005297

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich dafür, dass zumindest eines in allen Reden klar war: welche Bedeutung die Infrastruktur für unsere Gesellschaft hat, nicht nur für das ökonomische Vorankommen, sondern selbstverständlich auch hinsichtlich der sozialen und ökologischen Begleiterscheinungen, die für uns, wenn wir politisch verantwortlich handeln wollen, ebenso große Bedeutung haben müssen wie die Sorge um das Ökonomische. Von den Investitionen, die wir im Verkehrssektor tätigen, hängt zunächst einmal eine ganze Menge von Arbeitsplätzen direkt ab, nämlich in der Bauwirtschaft. Der eine sagt, es seien 15 000, der andere, es seien 12 000. Wie viel es letztendlich auch immer sind: Die Tatsache, dass die Zahl von allen in dieser Größenordnung geschätzt wird, macht deutlich, welch enorme Bedeutung die Infrastrukturpolitik hat, wenn es darum geht, die uns immer noch plagende Arbeitslosigkeit konsequent zu bekämpfen. ({0}) Denn neben der direkten Wirkung, die erzielt wird, gibt es selbstverständlich eine indirekte Wirkung. In welcher Weise sich Menschen von A nach B bewegen, wie Güter von A nach B bewegt werden, interessiert jeden, der wirtschaftlich tätig ist. Insofern sollten wir den hohen Standard, den wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern zweifellos haben, erhalten und vorantreiben. ({1}) Der Kollege Möllemann hat sicher vollkommen Recht: Die EU-Erweiterung bringt uns den Vorteil, dass sich ein weiterer Bereich erschließt, der uns dann ökonomisch - als Kunde - zur Verfügung steht. Allerdings bedeutet dies auch, dass diese Länder stärker als Konkurrenten auf den Weltmärkten auftauchen und dazu beitragen, dass wir als Transitland - wir liegen nun einmal in der Mitte Europas weiteren Verkehr bekommen, der sich, so hoffe ich, nicht nur auf der Straße, sondern vor allem auf der Schiene vollziehen wird. Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir darauf achten, dass wir bei den Bundesländern, aber vor allem auch dort, wo wir als Bund zuständig sind, die entsprechenden Haushaltsmittel zur Verfügung stellen, um den notwendigen Ausbau zu gewährleisten. ({2}) Darüber darf jedoch der ökologische Ansatz nicht vergessen werden. Wir haben uns alle gemeinsam verpflichtet - das war noch zu Ihrer Zeit -, die CO2-Minderung in Angriff zu nehmen. Dies betrifft neben vielen anderen Bereichen selbstverständlich auch den Verkehr. Insofern darf zum Beispiel die Telematik nicht nur als ein Instrument für schnelleres Vorankommen gesehen werden, sondern muss auch einen Beitrag dazu leisten, dass durch vernünftige Verkehrsflüsse die Schadstoffausstöße gemindert werden. Auch das ist ein wichtiger Punkt unserer Verkehrspolitik. ({3}) Es ist völlig richtig, wenn wir auch um einen sozialen Ansatz kämpfen und fragen: Ist das erschwinglich? Was bedeutet das für die Menschen, die Auto fahren wollen, die Bahn fahren wollen? Zu welchen Konditionen, zu welchen Preisen ist das realisierbar? Ihre Klagen, die Belastung für die Autofahrer sei zu hoch, die Sie momentan erheben, ist in mancherlei Hinsicht natürlich heuchlerisch. ({4}) Gerade was die Fernpendler angeht möchte ich Ihnen vorhalten, dass Sie vorschlagen, die Kilometerpauschale auf 50 Pfennig pro Kilometer zu senken und erst ab dem 15. Kilometer zu zahlen. Das ist eine Beeinträchtigung gerade für die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von ihrem Wohnsitz zu ihrer Arbeitsstätte pendeln müssen. Denen greifen Sie mit Ihrem Vorschlag in die Tasche. ({5}) Der Verdacht ist nicht unangemessen, wenn ich sage, dass Sie auf diese Art und Weise noch einmal den Spitzensteuersatz für hohe Einkommen senken wollen. Das wird bedeuten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dadurch zusätzliche Einkommenseinbußen haben. Dies gilt zum Beispiel für eine Krankenschwester in einem Krankenhaus, die ein geringeres Einkommen hat, damit der Chefarzt noch ein wenig mehr als bis dato ohnehin schon verdienen kann. ({6}) Zweitens muss ich im Zusammenhang mit der Ökosteuer noch sagen, dass wir von unserer Seite aus auf diese Art und Weise keine zusätzlichen Belastungen schaffen. ({7}) Vielmehr geben wir das Geld an die Unternehmen weiter, an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurück, indem so die Lohnnebenkosten dauerhaft gesenkt werden und die Beiträge zur Rentenversicherung weiterhin unter 20 Prozent bleiben. Das ist eine ganz andere Motivation als die, die Sie gehabt haben, als Sie mehr als 50 Pfennig draufgepackt haben, nur um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen. ({8}) Daher ist auch die jetzt noch einmal - Herr Oswald, es tut mir Leid, das sagen zu müssen - von Ihnen erhobene Forderung nach einer Zweckbindung bei der Mineralölsteuer insofern heuchlerisch, als Sie diese Forderung in der Vergangenheit nie erfüllt haben. Sie hätten es machen können. ({9}) Sie haben immer wieder die entsprechende Grundlage im Haushalt aufgehoben. ({10}) Das heißt, wir haben in dieser Frage die gleichen Verfahrensweisen wie Sie. Insofern dürfen Sie darüber nicht jammern. Sie haben es in der Vergangenheit selber so praktiziert. ({11}) Wenn ich schon bei dem Stichwort „Haushaltslöcher“ bin, wegen deren Stopfung in der Vergangenheit von Ihnen entsprechende Mineralölsteuererhöhungen vorgenommen worden sind, sage ich Ihnen auch: Dadurch ist natürlich der Finanzrahmen für uns ruiniert worden. Die Haushaltskonsolidierung ist nun einmal unvermeidlich. Mein Kampf - hierbei hoffe ich auf die Unterstützung des ganzen Hauses - geht in die Richtung, möglichst viele Mittel zur Verfügung zu haben, um den notwendigen Infrastrukturausbau wirklich gewährleisten zu können. ({12}) Dazu muss man sich etwas anderes - auch über die Zweckbindung hinaus, Herr Kollege Oswald - einfallen lassen. Ich bedanke mich übrigens für die Komplimente, die wir für das Anti-Stau-Programm bekommen haben. ({13}) Dies haben wir bewusst so geplant, dass auf diese Art und Weise zusätzlich - heute sagt man offensichtlich on top zu dem, was ohnehin für die Infrastruktur, für die Bahn, für die Wasserstraßen und die Autobahnen, geplant war, Mittel zur Verfügung gestellt werden, dass es also keine Verrechnung gibt, um notwendige Entscheidungen auch wirklich in praktische Verbesserungen der Infrastruktur umsetzen zu können. ({14}) Sie haben gesagt: Die LKW-Gebühr kommt ab 2003. Das ist richtig. Wir versuchen, eine ehrliche Politik zu machen. Ich hätte sie gern früher. Wenn wir sie aufgrund der technischen Vorläufe, die gewährleistet sein müssen, schon ab dem Jahre 2002 bekommen, ist es umso besser. Dagegen wäre nichts einzuwenden. Wir von unserer Seite wollen - das halte ich für durchaus legitim und machbar - die entsprechenden Voraussetzungen bis zum Jahre 2003 getroffen haben, damit dann die entfernungsbezogene LKW-Gebühr erhoben werden kann.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fischer?

Reinhard Klimmt (Minister:in)

Politiker ID: 11005297

Ja, auch wenn ich weiß, dass das nicht aus einem echten Informationsbedürfnis heraus, sondern in dem Bemühen geschieht, noch einmal eine Hinterhältigkeit los zu werden. ({0}) Trotzdem bin ich gern bereit, das zu ertragen. Sie haben das Wort, Herr Kollege.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, es ist immer problematisch, das Vorurteil zu haben, bevor man die Frage gehört hat.

Reinhard Klimmt (Minister:in)

Politiker ID: 11005297

Ich lasse mich gerne überraschen.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In diesem Fall geht Ihre Spekulation sehr daneben. ({0}) Ich möchte Sie bezogen auf den Antrag Ihrer Fraktion Sie sind Teil der Fraktion -, den sie in diese Debatte eingebracht hat, fragen. ({1}) - Er ist Mitglied der SPD-Fraktion, das wird ja wohl nicht bestritten. ({2}) - Entschuldigung, ich habe mich in Ihrem Fall geirrt. Ihre Fraktion hat zu dieser Debatte einen Antrag eingebracht, mit dem über das Ihnen zur Verfügung stehende Finanzvolumen Verwirrung gestiftet wurde. Dort steht: ... das Aufkommen aus der Maut - soweit es über die Einnahmen aus der jetzigen zeitbezogenen LKWVignette hinausgeht - bekanntermaßen etwa 800 Millionen DM ist gezielt für das Anti-Stau-Programm und zum Ausbau und zur weiteren Verbesserung des integrierten Verkehrssystems zu verwenden. Ich war bisher dahin gehend informiert - das ist mir unklar, das möchte ich fragen -, dass in der mittelfristigen Finanzplanung und nach einer Vorlage des Finanzministeriums, das heute vertreten ist, abgesprochen mit Ihnen, das Doppelte dieses Betrages, also 1,5 Milliarden DM, nicht dem Zweck Straßenbau oder Infrastruktur, sondern dem allgemeinen Finanzhaushalt zugeführt werden soll. Wie beurteilen Sie, dass die SPD-Fraktion und die Fraktion der Grünen heute einen Antrag vorlegen, nach dem der Deutsche Bundestag entscheiden soll, dass gegen MifriFi und gegen die Absprache der Häuser künftig nur ein Betrag von 800 Millionen DM in den allgemeinen Finanzhaushalt eingestellt werden darf?

Reinhard Klimmt (Minister:in)

Politiker ID: 11005297

Sehr geehrter Herr Fischer, ich glaube, dass der Antrag so zu verstehen ist, dass die Mittel, die vom Finanzminister beansprucht werden - das sind erst 750 Millionen DM, dann 800 Millionen DM und in der mittelfristigen Finanzplanung eine Verdoppelung auf die Größenordnung von 1,5 Milliarden DM -, vorausgesetzt werden. Die MifriFi ist jedem bekannt. Es geht darum, dass damals festgelegt wurde - übrigens eine Hinterlassenschaft Ihrer Regierungszeit -, dass die jetzigen durch die Vignette erzielten Einnahmen für die Bahnreform verwendet werden sollen. Das ist damals von Ihnen so beschlossen worden. Das ist von Hans Eichel entsprechend weitergeführt worden. Deswegen vereinnahmt er das. In der mittelfristigen Finanzplanung, die wir im letzten Haushalt beraten haben, stand, dass im Jahre 2002 die entsprechende Verdoppelung erfolgen soll. Dieses werden wir verkraften können. Das, was für das Anti-Stau-Programm vorgesehen ist - das sind 7,4 Milliarden DM bezogen auf fünf Jahre: 3,7 Milliarden DM für die Fernstraßen und 3,7 Milliarden DM für Schienen und Wasserstraßen -, lässt sich sehr wohl in einem Spielraum, ohne sich auf die von Pällmann genannte Zahl festlegen zu müssen, finanzieren. Insofern sehe ich keinen Widerspruch zu dem, was wir festgelegt haben. ({0}) Wir haben für die fünf Jahre 7,4 Milliarden DM vorgesehen. Davon gehen 3,7 Milliarden DM in die Fernstraßen und 3,7 Milliarden DM, mit einem Schwerpunkt auf der Schiene, in Schiene und Wasserstraße. Ich will noch einmal deutlich sagen, weil sich mancher darüber mokiert, dass die Schiene bedacht wird, wenn über ein Anti-StauProgramm gesprochen wird. Jede Tonne, die auf der Wasserstraße oder auf der Schiene transportiert wird und nicht mehr auf unseren Autobahnen, ist selbstverständlich ein Beitrag zum Anti-Stau-Programm für unsere Fernstraßen. ({1}) Zur Frage, in welcher Größenordnung die Gebühr erhoben werden soll, kann ich sagen, dass von der Pällmann-Kommission vorgeschlagen wurde, dass 30 Pfennig berechtigt sind. Es werden 5 Pfennig aus dem Mineralölsteueraufkommen abgezogen. Somit landet die Kommission bei 25 Pfennig. Ich halte diese Zahl für plausibel. Es ist aber nicht die endgültige Festlegung. Darüber werden wir auch mit den betroffenen Unternehmen reden müssen. Dabei darf man nicht vergessen: Sie trifft jeden, egal wer bei uns fährt - ob es die eigenen Unternehmen, ob es die Holländer sind. Jeder muss für den gefahrenen Kilometer dasselbe bezahlen. Deswegen ist dies wettbewerbsneutral und es ist wichtig, dass wir das von unserer Seite aus so anlegen. ({2}) Wir wollen in dieser Frage die Rahmenbedingungen in der EU weiter harmonisieren. Wir müssen darüber reden, in welcher Form und an welcher Stelle Kompensationen notwendig sein könnten. Ein Hinweis sei mir im Zusammenhang mit der Vignette erlaubt. Sie kennen die Diskussion. Die EU hat gesagt, Steuersenkungen mit einer solchen Verknüpfung würden von ihr nicht genehmigt. Das ist ein Punkt, auf den man hinweisen muss. Man muss - zweitens - erwähnen: Wo setzt man an, falls man in irgendeiner Weise kompensieren will? Wenn es die Kfz-Steuer betrifft, so glaube ich, dass wir uns darauf schnell verständigen könnten. Aber ich glaube nicht, dass die Länder, gleich welcher Couleur, hierbei mitmachen würden. Meine Damen und Herren, als Nächstes wurde von Ihnen die verstärkte Nutzung privaten Kapitals gefordert. Auch das halte ich für richtig und notwendig. Wir haben im entsprechenden gesetzlichen Rahmen einige Projekte entwickelt und zwei konkret auf den Weg gebracht, für die die Verträge abgeschlossen worden sind. Wir werden das weiterverfolgen. Wir wollen aber nicht das Modell der Vorfinanzierung, das in der Vergangenheit praktiziert wurde. Zwar hat auch das Land, aus dem ich komme, davon profitiert. Trotzdem müssen wir gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, dass dieses Modell wegen der hohen Kapitalkosten - diese Art der Vorfinanzierung beschneidet unsere Investitionsmöglichkeiten um 500 Millionen DM - unökonomisch und unvernünftig ist. Es wird daher von unserer Seite nicht weitergeführt. ({3}) Davon ausgenommen sind selbstverständlich die geltenden Verträge. Gleichwohl muss weiterhin - auch regierungsintern über Vorfinanzierungsmodelle geredet werden. Hier gibt es unterschiedliche Interessen. Wir haben jetzt ein Projekt, die A 31 in Niedersachsen, zu für den Bund wirklich vertretbaren Bedingungen auf den Weg gebracht. Ich bin der Auffassung, dass wir auch in anderen Bereichen so etwas tun sollten, soweit es für uns keine zusätzlichen Kosten mit sich bringt und zukünftige Bewegungsspielräume in den Haushalten erhalten bleiben; auch das darf man nicht aus dem Auge verlieren. Insofern muss auch die Dirk Fischer ({4}) Vorfinanzierung der Länder gedeckelt werden; dieses Instrument darf nicht uferlos eingesetzt werden. Herr Oswald, Sie haben im Zusammenhang mit der Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes dann noch die Tatsache genannt, dass Projekte mit Kosten von 5 Milliarden DM planfestgestellt sind. Dazu muss man allerdings sagen, dass die Hälfte auf das Konto eines einzigen Landes geht. Es kann nicht sein, dass man sagt, weil die Projekte planfestgestellt seien, müssten sie nun auch finanziert und umgesetzt werden. Es wäre völlig außerhalb jeder Symmetrie, dass derjenige, der seine ganze Kraft und sehr viel Geld in solche Vorplanungen steckt, die Maßnahmen bezahlt bekommt, während alle anderen Länder in die Röhre gucken. ({5}) Würden alle in gleicher Weise vorgehen, hätten wir am Ende Projekte mit Kosten in Höhe von 20 oder 30 Milliarden DM, die planfestgestellt wären, aber in einem Jahr oder in zwei Jahren überhaupt nicht umgesetzt werden könnten. Insoweit ist dieser Weg nicht zu empfehlen und ich bedauere es, dass für die Planungen so viel Geld aufgewandt worden ist, dessen Wirkung sich als äußerst zweifelhaft darstellt. ({6}) Als wichtige Aufgabe steht für uns demnächst selbstverständlich die Bahnreform an. Es gibt ein hohes finanzielles Engagement des Bundes für die Bahn. Wir wollen die Wirtschaftlichkeit der Bahn; das bedeutet Produktivitätssteigerung. Das müssen in erster Linie die Bahn und die Gewerkschaften miteinander abklären. Im Hinblick auf die Rahmenbedingungen sind wir natürlich bereit, alles zu tun, um ihnen zu helfen. Aber die eigentliche Verantwortlichkeit ist durch die Bahnreform ja bewusst in die Hände des Vorstandes gelegt worden. Eines müssen die für die Bahn Verantwortlichen allerdings wissen: Wir wollen keine „Schrumpfbahn“. Wir wollen mehr Verkehr auf der Bahn sowohl in den Regionen als auch auf den Fernstrecken und den europäischen Strecken. Wenn es darum geht, mit mehr Flexibilität und mehr mittelständischen Strukturen in der Region bessere Verkehrsangebote zu erzielen, so findet das zumindest unsere Zustimmung. Wir sind bereit, das entsprechend zu unterstützen. ({7}) Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Transrapid sagen. Ich bedanke mich, Herr Königshofen, dass Sie gesagt haben, der Metro-Rapid sei ein Highlight. Er soll es erst einmal werden; wir sind mittlerweile in der Prüfung. Im Übrigen wissen wir, dass vier Länder Interesse am Transrapid haben: Bayern, Hessen zusammen mit Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Anträge werden noch auf ihre Plausibilität zu prüfen sein. Aber sicherlich ist die Plausibiliät für die Strecke, die in Nordrhein-Westfalen vorgesehen ist, auf den ersten Blick durchaus erkennbar. Mittlerweile habe ich nach Gesprächen mit den Niederländern und den Amerikanern ich setze diese Gespräche fort - die Erfahrung gemacht, dass dort ein Interesse vor allem an kürzeren Strecken besteht. Das gilt sogar für die Strecke Amsterdam-Groningen in den Niederlanden, auf der acht Haltepunkte vorgesehen sind. Dadurch soll auch der regionale Verkehr aufgenommen werden. Wir wollen abwarten, wie wir das bei uns realisieren können. Aber eines möchte ich auch noch sagen: Wir erwarten von der Industrie, dass sie sich, wenn sie Vertrauen in das Projekt hat, an der Finanzierung beteiligt und nicht sagt: Das alles soll vom Bund bezahlt werden. ({8}) Mir geht es um einen möglichst hohen Finanzrahmen für die Infrastruktur, die natürlich sozial und ökologisch verantwortlich flankiert und legitimiert sein muss. Wir wollen die Bahnreform vollenden, damit wir mehr Verkehr auf die Schiene bekommen und damit wir zumindest in der Zukunft die Bahn wieder am Wachstum beteiligen, von dem sie schon abgehängt war. Das sind Ziele, die wir weiterhin energisch und mit Fantasie angehen werden. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Klaus Hofbauer.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir die Bewertung, dass die Verkehrspolitik der letzten zehn Jahre von den Verkehrs-Projekten „Deutsche Einheit“ geprägt war. Dies war notwendig und politisch gewollt. Es steht außer Zweifel, dass wir dies auch uneingeschränkt unterstützen. Die Verkehrs-Projekte „Deutsche Einheit“ werden auch in Zukunft oberste Priorität haben. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es nicht nur die deutsche Einheit, sondern auch eine Grenzöffnung zwischen Deutschland und Tschechien gegeben hat.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Hofbauer, ich muss Sie darauf hinweisen, dass das Mittel der Kurzintervention dazu dient, direkt und sehr konkret auf den Vorredner zu antworten. ({0}) Ich bin gehalten, Sie darauf hinzuweisen. Sie müssen sich sehr konkret auf den Vorredner beziehen und auch an die Zeitvorgabe halten.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich möchte gerade angesichts der jetzigen Situation den Herrn Bundesminister ansprechen und ihn auf ein Problem hinweisen. Durch die Öffnung der Grenze zwischen Deutschland und Tschechien hat sich der Verkehr geradezu explosionsartig entwickelt. Deswegen hat die CDU/CSU-Fraktion den Antrag gestellt, die Verkehrsverbindung A 6 und B 85 den Verkehrs-Projekten „Deutsche Einheit“ gleichzustellen. Nachdem der Herrr Minister darauf nicht eingegangen ist, möchte ich ihn ganz konkret fragen, ob er unseren Antrag unterstützen kann und wird. Wir sind der Meinung, dass diese Verbindung in die Liste der Verkehrs-Projekte „Deutsche Einheit“ aufgenommen werden muss, weil sie von europäischer Bedeutung ist. ({0}) Herr Minister, nur noch eine Feststellung: Sie haben dem Freistaat Bayern unter anderem vorgeworfen, dass es zu viele planfestgestellte Maßnahmen habe. Ich halte den Vorwurf zu vieler planfestgestellter Maßnahmen für unfair; denn Bayern hat nur seine Hausaufgaben erledigt und spielt deswegen eine gewisse Vorreiterrolle. ({1}) Wir haben unseren Antrag nicht zum Schein gestellt; vielmehr ist es eine wichtige Aufgabe, das zentrale Projekt A 6 und B 85 voranzutreiben. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zur Erwiderung gebe ich das Wort dem Bundesverkehrsminister.

Reinhard Klimmt (Minister:in)

Politiker ID: 11005297

Ich möchte einen Punkt klarstellen: Ich habe nicht Bayern, sondern Baden-Württemberg gemeint, als ich von einem Land sprach, das 2,5 Milliarden DM für Vorplanungen ausgegeben hat. Zu dem Projekt A 6: Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe wichtiger und bedeutender Verkehrsprojekte, die wir gerne realisiert sehen würden. Ich habe überhaupt nichts gegen die Sinnfälligkeit des Lückenschlusses, der notwendig ist, um die Achse in Mitteleuropa, also, insbesondere nach Prag, herzustellen. Es muss allerdings auch gesagt werden, dass Bayern zu den Bundesländern gehört, die mit Mitteln für die Durchführung der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ am allerstärksten bedacht worden sind. Man kann an diesem Punkt nicht noch draufsatteln. Die A 6 gehört in den normalen Vollzug des Programms und wir werden uns bemühen, sie so schnell wie möglich zu realisieren. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun gebe ich dem Kollegen Dirk Fischer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen eine hochwertige Verkehrsinfrastruktur. Je höher die Qualität, desto attraktiver und konkurrenzfähiger wird der Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein gut funktionierendes Verkehrssystem ist das Schwungrad einer positiven Wirtschaftsentwicklung. Wir wollen Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, mit unserem Antrag pro Verkehrsinvestitionen klarmachen: Ohne Mobilität kein Wirtschaftswachstum. Ihre Politik des Zusammenstreichens der Investitionsansätze schadet Land und Leuten. ({0}) Heute sind einige Wortspiele gekommen. Ich sage deutlich: Diese Regierung ist das größte Stauprogramm; ihre Abwahl ist das größte Anti-Stau-Programm. Das ist die Wirklichkeit. ({1}) Die von Minister Klimmt eingesetzte Pällmann- Kommission muss Sie doch in Wahrheit wachrütteln. Sie hat sich zusammengesetzt und festgestellt: Erstens. Verkehrsinfrastruktur ist Schlüsselfaktor unserer Volkswirtschaft. Zweitens. Die derzeitige Form der Finanzierung im Bereich der Bundesverkehrswege ist ungeeignet, die notwendigen Maßnahmen zeitgerecht umzusetzen. Drittens. Bei der Aufstellung Ihres Investitionsprogramms 1999 bis 2002 - hören Sie gut zu - wird die Zunahme der Defizite in der qualifizierten Substanzerhaltung und beim bedarfsund umweltgerechten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Kauf genommen. Das ist doch wirklich eine schallende Ohrfeige durch die von Ihnen selbst einberufene Kommission. ({2}) Die Kommission hat Recht: Das Programm taugt nichts, der Name ist bewusst irreführend und es steht finanziell auf schwachen Beinen. ({3}) In Wahrheit ist dieses Programm ein Investitionskürzungsprogramm. Investitionsmittel für den Straßenbau für den Zeitraum von 1999 bis 2002 sind in Höhe von 18 Milliarden DM vorgesehen. Damit sind die Straßenbauinvestitionen gegenüber dem Ansatz der alten Bundesregierung um rund 5 Milliarden DM gekürzt worden. ({4}) Das Vorhaben ist in Wahrheit ein Investitionstäuschungsprogramm, da der Vollzug des Programms gar nicht bis 2002, sondern bis 2012 läuft; insoweit ist der Name von vornherein - das wissen Sie genau - falsch gewählt worden. Der größere Teil der Straßenbaumaßnahmen in Höhe von 22 Milliarden DM - 4 Milliarden DM mehr als ursprünglich geplant - ist erst nach dem für Sie besonders wichtigen Jahr 2003 vorgesehen. Bei Schiene und Binnenwasserstraße vollzieht sich das Programm zu drei Vierteln erst ab 2003. Ich komme auf das für Sie großartige Jahr 2003 - das stellt man immer wieder fest gleich zurück. Dieses Programm ist in Wahrheit ein Investitionsopferprogramm. Es sieht eine globale Minderausgabe für die Jahre 2001 und 2002 in Höhe von 2,6 Milliarden DM vor und geht damit ebenfalls ganz zulasten der Infrastruktur. Das heißt, es kommen weitere Kürzungen der Projekte. Es ist in Wahrheit ein Investitionsrücknahmeprogramm, da die vorgesehene globale Minderausgabe für das Jahr 2003 in Höhe von noch einmal 2,4 Milliarden DM wiederum fast vollständig zulasten der Infrastrukturinvestitionen gehen wird. Die Folge wird ein totaler Investitionskahlschlag sein. Deshalb fordern die Länder, die Geltungsdauer rechtskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse von 10 auf 15 Jahre zu verlängern, damit die Planungsaufwendungen nicht im Mülleimer landen. Das ist eine Not- und Rettungsmaßnahme für rechtskräftige Planfeststellungsbeschlüsse. ({5}) Herr Minister, dem Bundesland Baden-Württemberg hier den Vorwurf zu machen, es habe mit Zustimmung zur und Freigabe der Planung gemäß Bundesverkehrswegeplan und Bundesfernstraßenausbauänderungsgesetz punktgenau und zeitgleich den Ausbau vorangetrieben, ist wirklich ein tolles Stück. ({6}) Nur, das Problem von Baden-Württemberg ist, dass es auf die Fortsetzung guter Politik gehofft hat und dann Steine statt Brot bekommen hat. Das ist die traurige Wahrheit. ({7}) Das Drama ist aber noch nicht zu Ende: Auch bei der Ankündigung seines so genannten Anti-Stau-Programms hat Minister Klimmt nach dem Motto „Programme statt Taten“ gehandelt. An sich ist ein Anti-StauProgramm eine gute Sache. ({8}) Besonders ist in diesem Zusammenhang zu begrüßen, dass die Grünen endlich ihre Liebe zum Straßenbau entdeckt haben. ({9}) Aber ein Programm als reiner Propagandatrick für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ohne solide Finanzierung und seriöse Sachbasis wird sich bald als eine geplatzte Seifenblase entlarven. ({10}) Über Ihre Verfünffachung der LKW-Straßenbenutzungsgebühr haben Sie noch mit keinem anderen europäischen Land gesprochen und verhandelt. Mir sagen die Holländer doch heute schon: Ihr braucht doch nicht zu glauben, dass wir euch, die wir das alles mitbezahlen sollen - oder die Italiener, die Franzosen oder die Spanier -, eine Gebührenverfünffachung bei einem Folgeabkommen zum Vignetten-Abkommen erlauben werden. Natürlich wird erst über das Geld geredet und dann wird das Abkommen gemacht, nicht umgekehrt. Das heißt also, Sie haben überhaupt kein grünes Licht auf europäischer Ebene, aber Sie tun hier so, als läge das Geld in der Kasse. Das ist der Skandal der Täuschung der deutschen Öffentlichkeit. ({11}) Meine Damen und Herren, außerdem ist das Programm in Wahrheit ein Investitionsverzögerungsprogramm. Finanzmittel, die im Investitionsprogramm gestrichen wurden, werden plötzlich ab 2003 wieder eingesetzt - natürlich in einem sehr viel geringeren Umfang. Es ist unverantwortlich. Die Finanzierung wird in völlig überzogener Weise dem gewerblichen Straßengüterverkehr aufgebürdet, der schon Jahr für Jahr durch die Ökosteuer im europäischen Wettbewerb zurückgeworfen wird. So macht man Unternehmen und Arbeitsplätze kaputt. ({12})) Rund 20 000 Arbeitsplätze in den Führerhäusern deutscher LKWs sind durch Ihre Politik massiv bedroht. ({13}) Die Verfünffachung der Erlöse aus der heutigen LKWVignette bedeutet 4 Milliarden DM pro Jahr anstatt 800 Millionen DM wie im Moment. Herr Minister Klimmt, Sie können diesen Antrag der SPD doch nicht schönreden, wenn es hier heißt ({14}) „Einnahmen aus der jetzigen zeitbezogenen LKW-Vignette“. Das sind 800 Millionen DM und wenn Sie das bis 2003 fortrechnen, sind das im Jahr 2003 immer noch keine 1,5 Milliarden DM. Der Antrag ist in dem Punkt ganz klar und kontrovers zur MifriF und zur Politik der Regierung. Ich erwarte, dass die SPD-Kollegen in diesem Bereich im Ausschuss und dann bei der Abstimmung im Plenum zu ihrem Antrag stehen, ({15}) damit wir mehr haben, einen Spielraum von weiteren 700 Millionen DM, um die Gebühr geringer ausfallen zu lassen oder aber für Investitionen mehr Geld zur Verfügung zu haben. Das macht Sinn. Also stehen Sie doch bitte zu Ihrem Antrag. ({16}) Meine Damen und Herren, von den 1,5 Milliarden DM, die von den 4 Milliarden DM übrig bleiben sollen, sollen ganze 750 Millionen DM für den Bundesfernstraßenbau ausgegeben werden. Der Betrag ist geringer als das, was heute durch die Vignette hereinkommt. Das ist keine Verbesserung der Investitionssituation, im Gegenteil. Anti-Stau-Programm vor allem als Wahlkampftäuschung für NRW, wo rot-grüne StraßenbauverweigeDirk Fischer ({17}) rungspolitik täglich besonders viel Stau produziert. Wir haben doch die Lage, dass die Radiosender in NordrheinWestfalen wegen der hohen Zahl nur noch Staus von über 5 km Länge melden. Sie müssten Sondersendungen von mehreren Stunden machen, um alle kürzeren Staus überhaupt noch über den Sender bringen zu können. Das ist die Lage in Nordrhein-Westfalen. ({18}) Es ist bezeichnend, dass von den insgesamt 37 Straßenbaumaßnahmen des Anti-Stau-Programms 16 in NRW liegen. 1,2 Milliarden DM sollen investiert werden. ({19}) Das ist exakt der Betrag, den Sie in Nordrhein-Westfalen im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 gekürzt haben. Das heißt, wir nehmen es weg, dann geben wir es wieder hin. So können Sie jedes Jahr Programme machen. Verschiebebahnhof und die Leute haben nicht mehr. Jetzt begreife ich zum ersten Mal richtig, ({20}) was Sie als Koalition mit dem Begriff „null Fortschritt“ meinen. Ich habe heute verstanden, was „null Fortschritt“ ist. Das ist das, was Sie hier machen. Wachen Sie endlich auf, hören Sie auf, mit undurchdachten Programmen unverantwortliche Investitionskürzungen zu verschleiern! ({21}) Frau Mattischeck, da zählen nicht mehr Ausreden, sondern nur noch Ergebnisse. Was wir brauchen, ist eine klare Akzeptanz der Bedeutung von Straßenbauinvestitionen; denn gut 85 Prozent des Personen- und Güterverkehrs in Deutschland werden auf der Straße abgewickelt. Da können wir keine ideologischen Antipositionen und Grabenkriege gebrauchen, sondern es muss gehandelt, es muss investiert werden. Deswegen brauchen wir jetzt die Zweckbindung eines Anteils der Mineralölsteuer. ({22}) Deshalb brauchen wir verstärkten Einsatz privaten Kapitals. ({23}) Minister Müller hat ja Recht - ich stimme ihm darin zu -, nur hat er nicht gewusst, dass Müntefering und Klimmt überhaupt noch nichts dafür getan haben, das enge europäische Recht aufzubohren, von dem die nationale Gesetzgebung doch abhängt. ({24}) Ich habe den Minister aufgefordert, das zu tun. Sie haben das nicht geleistet. ({25}) Natürlich brauchen wir die streckenbezogene LKWMaut, wir brauchen aber auch ein Konzept der Bundesregierung zur Neuordnung der Verkehrsabgaben und zu ihrer Aufteilung. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf. Wir brauchen eine ergebnisorientierte Verkehrspolitik und kein Erklärungswirrwarr. Sie müssen die Finanzmittel im Verkehrsbereich dem tatsächlichen Bedarf anpassen und nicht alles durch einen ganz simplen Trick auf 2003 verschieben. ({26}) Das ist doch durchsichtig: Entscheidungen werden auf die Zeit nach der Bundestagswahl 2002 verschoben, damit die Erfüllung Ihrer Versprechen durch den deutschen Wähler nicht demokratisch kontrolliert werden kann. Das ist doch Ihr billiger Trick. ({27}) Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir jetzt endlich handeln müssen. Zum Transrapid möchte ich eigentlich gar nichts sagen. ({28})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Fischer, Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. Ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Abschließend möchte ich, Herr Präsident, nur darauf hinweisen, dass Schröder im Bundestagswahlkampf 1998 ({0}) der Belegschaft von Thyssen-Henschel in Kassel bezüglich der Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin wörtlich erklärt hat: Wir werden diesen Zug bauen; da wird uns nichts aufhalten. Seid beruhigt um eure Arbeitsplätze! - Auch hier gilt wieder, wie so oft bei Schröder, ({1}) das gebrochene Wort. Wir brauchen Worte, an die man sich hält. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu! ({2}) Kehren Sie um, damit in Deutschland in die Zukunft investiert werden kann. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun gebe ich das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Hans-Günter Bruckmann. Dirk Fischer ({0})

Hans Günter Bruckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003058, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Ich werde nicht so laut wie Herr Fischer sprechen. ({0}) Eines ist klar: Wir wollen ein Verkehrssystem - darüber sind sich viele Menschen in diesem Raum einig -, das die Mobilität aller Menschen flächendeckend und auch umweltverträglich gewährleistet. Dabei wollen wir die Balance zwischen Ökonomie auf der einen Seite und Ökologie auf der anderen Seite einhalten. Darin unterscheiden wir uns, Herr Fischer - vielleicht könnten Sie einen Moment zuhören, statt zu telefonieren -, sehr deutlich von Ihnen. ({1}) Wir wissen, dass Investitionen in eine leistungsfähige Infrastruktur von zentraler Bedeutung für unsere Wettbewerbsfähigkeit sind und dass sie in ein umfassendes und nachhaltiges Verkehrskonzept eingebunden sein müssen. ({2}) Wir wissen auch, dass es in der Debatte am 27. Januar dieses Jahres ebenso wie heute hinsichtlich der Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastrukturen zwei wesentliche Übereinstimmungen in der Problembeschreibung gab und gibt. Wir waren und sind uns in diesem Hohen Hause darüber einig, dass Deutschland erstens zu einem der wichtigsten Transitländer und zur Drehscheibe in der Mitte Europas geworden ist und dass zweitens alle früheren Verkehrsprognosen auf deutscher oder europäischer Ebene zu reiner Makulatur geworden sind. Das ist, Herr Oswald, keine ideologische Feststellung, sondern das sind Fakten. Darüber hinaus haben wir festzustellen, dass die Regierung Kohl den Schwerpunkt auf die Förderung des Straßenverkehrs gelegt hatte. Sie tat dies vermutlich in der Hoffnung, dass die Straße allein in der Lage wäre, den anfallenden Verkehr zu meistern. ({3}) Heute wissen wir, meine Damen und Herren, dass diese Hoffnung getrogen hat. ({4}) Das ist nicht nur der alten Regierung anzulasten, sondern dem liegt auch ein Prozess bei der arbeitsteiligen Organisation von Wirtschaft an sich zugrunde. Die Unternehmenslogistiker haben nämlich über das Just-in-time-Prinzip im Grunde die Lagerhaltung kostenmäßig optimiert, sie von den Unternehmen auf die Verkehrsträger, hauptsächlich auf die Straße, abgewälzt und auf diese Art und Weise sich selbst entlastet. Durch die nicht ausreichende parallele Förderung der Schiene stehen jetzt nur begrenzte Kapazitäten zur Verfügung - und das noch nicht einmal zu wirtschaftlich tragfähigen Konditionen. Der kombinierte Verkehr und das Binnenschiff haben nicht den hohen Stellenwert in der Verkehrspolitik, um neben dem Verkehrsträger Straße gleichermaßen wettbewerbsfähig zu sein. Das ist etwas, was Sie, meine Damen und Herren auf der Seite der alten Regierung, zu vertreten haben. ({5}) Die Stagnation der Marktanteile beim Verkehrsaufkommen dieser Verkehrsträger zeigt das eindeutig. Der Bundesverkehrswegeplan mit den vielen wissmannschen Spatenstichprojekten ({6}) war mit über 90 Milliarden DM - das wissen Sie - chronisch unterfinanziert. ({7}) Es ist fast eine Heuchelei, wenn Sie sich hier und heute hinstellen und uns sagen, dass wir mit dem, was wir auf die Reise bringen, nicht auf dem richtigen Weg seien. ({8}) - Entschuldigung, wenn Sie bitte zuhören würden! Ich habe Ihnen auch zugehört. Die heutige Opposition kann sich nicht daran erinnern. Auch Herr Möllemann kann sich nicht daran erinnern. ({9}) Die Konsequenz lag auf der Hand: Der Bundesverkehrswegeplan wird überarbeitet. Bei der Lösung der Probleme und beim Einsatz von geeigneten Instrumenten wird der Unterschied zwischen alter und neuer Bundesregierung deutlich. ({10}) Die neue Bundesregierung und die sie tragende Koalition verfahren nicht nach dem Motto: Planung ersetzt den Irrtum durch den Zufall. - Das machen wir nicht. ({11}) Dass die Regierung Schröder nichts dem Zufall überlässt ({12}) und seriös und realitätsnah arbeitet, wird mit dem Investitionsprogramm in der Zeitperspektive 1999 bis 2002 und dem Anti-Stau-Programm deutlich. Wenn man sich einmal überlegt, dass wir eine ganze Menge an Mitteln auf den Weg gegeben haben ({13}) und in der Zeitprognose bis 2007 über 70 Milliarden DM in die Verkehrsinfrastruktur investieren, dann erkennt man, dass das der richtige Weg ist. ({14}) Was ich besonders gut finde, ist, dass das Anti-StauProgramm nicht mit den normalen Haushaltsmitteln auf den Weg gebracht wird. Das bedeutet für diejenigen, die Planungen machen und etwas auf den Weg bringen wollen - das sind die Länder, das ist auch der Bund -, ein Stückchen Planungssicherheit. Das ist ein nicht zu unterschätzender Wert. ({15}) Wenn wir zum Gebot von Ehrlichkeit und Wahrheit zurückkommen und dazu Kriterien wählen wollen, dann sage ich: Die Vorteile liegen auf der Hand. Denn durch die strenge Anwendung der Auswahlkriterien für die verschiedenen Verkehrsträger, Herr Fischer, werden die Finanzmittel dahin geleitet, wo der größte verkehrs- und volkswirtschaftliche Nutzen ist. Investitionen werden dort getätigt, wo die gravierendsten Engpässe zu beseitigen sind. ({16}) Bei den Bundesautobahnen, lieber Norbert Königshofen, geht es um die Vierstreifigkeit und dann, wenn das Verkehrsaufkommen über 65 000 Bewegungen pro Tag hinausgeht, wenn wir in einem Streckenbereich einen hohen LKW-Anteil haben und wenn entsprechende Ausbauvarianten nicht vorhanden sind, um den Ausbau. Wenn es um die Bundesschienenwege geht, dann geht es um die eingeschränkte Geschwindigkeit aufgrund maroder Bausubstanz und auch um die Frage, wo wir so genannte Flaschenhälse haben, die abgebaut werden müssen. Bei den Bundeswasserstraßen ist es so, dass die Auswahlkriterien dahin gehen, dass wir Strecken mit Sperrungen wegen schlechter Bausubstanz und Sicherheitsmängeln berücksichtigen müssen. Die Heranziehung der künftigen entfernungsabhängigen LKW-Abgabe ist ein richtiger Schritt. Auf diese Art und Weise schaffen wir es, dieses Anti-Stau-Programm solide zu finanzieren. Herr Möllemann, mit Abzocken hat das überhaupt nichts zu tun. ({17}) Wir fordern deshalb die Bundesregierung mit unserem Antrag auf, die bisherige LKW-Vignette in eine entfernungsabhängige Maut umzuwandeln. Die PällmannKommission hat einen Vorschlag für die Höhe der Maut gemacht. Darüber kann man diskutieren. Diese Maut soll sowohl für die inländischen als auch für die ausländischen Fahrzeuge gelten. Dass man sich mit der EU darüber zu verständigen hat, welches der richtige Weg zu fairen Preisen ist, steht außer Frage. Durch die Einführung der Auswahlkriterien wird die Bedarfsorientierung gerechter, ohne dass Ungerechtigkeiten im Ländervergleich entstehen. Gestatten Sie mir, für Nordrhein-Westfalen zu sagen: Mit dem Mittelansatz von 25 Prozent für Maßnahmen hinsichtlich unterschiedlicher Verkehrsträger ist erstmals der richtige Ansatz für Problemlagen in den Ballungsräumen gefunden worden. Dadurch werden auch die speziellen Belange der großen Länder berücksichtigt. Das ist ein Erfolg; denn in diesem Punkt arbeiten Bund und Land Hand in Hand. ({18}) Das ist ein Akzent in die richtige Richtung. Dies trifft besonders auf die großen Ballungsräume Köln, Niederrhein, Ruhrgebiet und Münsterland zu. Herr Möllemann, Sie sind sicher sehr glücklich darüber, dass auch das Münsterland einbezogen ist. Die Belange Baden-Württembergs und Bayerns werden dabei genauso berücksichtigt. Wir richten uns nämlich nach festgelegten Kriterien, die unbestechlich in der Sache sind. Was uns weiter positiv stimmt, ist, dass Mobilität und Verkehr im Forschungsprogramm der Bundesregierung gut positioniert sind. Darüber hat heute noch keiner geredet. Ich möchte Sie aber an diesen Punkt gern erinnern. Denn am 15. März wurde das neue Forschungsprogramm „Mobilität und Verkehr“ vom Kabinett verabschiedet. ({19}) Die Bundesregierung misst also dem Verkehrssektor große Bedeutung bei der Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Bewältigung der ökologischen Probleme zu. Dieses Programm soll die Nachhaltigkeit unserer Mobilität sichern, die Leistungsfähigkeit verdeutlichen und nutzerfreundlich sein. Damit haben wir ein Zeichen gesetzt, dass wir international wettbewerbsfähig sind. Für dieses Programm müssen natürlich auch Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Wir werden in den nächsten vier Jahren 500 Millionen DM dafür ausgeben. Ich denke, das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Denn: Nur wer sich bewegt, kann etwas bewegen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({20})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 17 a: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Zukunft sichern - Verkehrsinfrastrukturinvestitionen verstärken“ auf Drucksache 14/3199. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2360 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Tagesordnungspunkt 17 c: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung zu einem abgestuften Konzept für Verkehrs-Infrastrukturgebühren in der EU auf Drucksache 14/1545. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der in der Beschlussempfehlung genannten EU-Vorlage eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 17 f: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Thema „Entwicklung und Analyse von Optionen zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger“ auf Drucksache 14/2429. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Zusatzpunkt 6: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Straßenbau statt Autostau“, ({0}) Drucksache 14/3198. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2582 abzulehnen. ({1}) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der F.D.P. bei Stimmenthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Wir kommen zu den Überweisungen, zunächst zu Tagesordnungspunkt 17 d und 17 e. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/2176 und 14/2488 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 17 b: Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/2910 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder, den Ausschuss für Tourismus, den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Zusatzpunkt 4: Die Vorlage auf Drucksache 14/3179 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. - Keine anderweitigen Vorschläge. Die Überweisung ist so beschlossen. Zusatzpunkt 5: Es wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/3191 an den Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen zu überweisen. - Auch darüber besteht Übereinstimmung. Die Überweisung ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Seehofer, Birgit Schnieber-Jastram, Rainer Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Für eine gerechte Rentenanpassung - Drucksache 14/2991 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Haushaltsausschuss Es ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu geben.*) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/2991 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Einverständnis liegt vor. Die Überweisung ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen, Rainer Funke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Durchführung eines Strafverfahrens wegen Verletzung einer besonderen Geheimhaltungspflicht nach § 353 b StGB - Drucksache 14/2210 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Vizepräsident Rudolf Seiters *) Anlage 5 Auch hier ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu ge- ben.*) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/2110 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung - abweichend von der Tagesordnung - beim Innenausschuss liegen soll. - Auch damit ist das Haus einverstanden. Die Überweisung ist so beschlossen. Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 22 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Petra Bläss, Roland Claus, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die politischen Parteien - Drucksache 14/2719 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({4}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5}) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und F.D.P. haben vereinbart, dass die Reden ih- rer Sprecher zu Protokoll gegeben werden. **) Ich gebe für den Antragsteller dem Kollegen Gregor Gysi das Wort. ({6})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens hätte ich meine Rede schon deshalb nicht zu Protokoll geben können, weil ich gar kein Manuskript habe. ({0}) Da ich in der Regel frei spreche, ist mir diese Möglichkeit nicht gegeben. Zweitens fände ich das aber auch falsch. Ich will das begründen: Noch vor wenigen Wochen haben alle Parteien ganz heiß diskutiert, wie nötig es ist, in Auswertung des Spendenskandals der CDU eine Änderung des Parteiengesetzes vorzunehmen, um zu klareren Regelungen zu kommen. Heute scheint das durch die anderen Parteien schon wieder von der Tagesordnung abgesetzt zu sein. ({1}) Bei den Grünen hat sogar ein Landesverband einen großen Antrag beschlossen, aber nichts wird in den Bundestag eingebracht. Das ist die Realität. Der einzige Entwurf, den es - zumindest bisher - zur Änderung des Parteiengesetzes gibt, stammt von der PDS-Bundestagsfraktion. ({2}) Wir sind gerne bereit, in den Ausschüssen über die eine oder andere Frage zu diskutieren. Es ist ein Entwurf und man kann daran etwas verändern. Aber Sie können sich doch nicht hier hinstellen und ernsthaft gegenüber der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln, als ob am Parteiengesetz nichts zu ändern wäre und die Dinge so weiterlaufen könnten, wie es bisher der Fall war. ({3}) - Wenn Sie die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses - der ja ein ganz anderes Thema hat und sich auf das geltende Recht stützen muss - abwarten wollen, heißt das, Sie wollen die Änderung des Parteiengesetzes auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. ({4}) Sie wissen doch selber, dass dieser Untersuchungsausschuss die gesamte Legislaturperiode benötigt. ({5}) Sie wissen darüber hinaus, dass die Änderung eines Gesetzes gerade in Finanzfragen eines Vorlaufs bedarf. Sie können Buchhalter nicht innerhalb einer Woche zu verändertem Verhalten zwingen. Da braucht es einen Vorlauf. Deshalb sage ich Ihnen: Nur wenn wir in Kürze ein Änderungsgesetz verabschieden, können wir ab Beginn des neuen Jahres auch diesbezüglich über neue Regelungen verfügen, die dann auch angewandt werden. ({6}) Lassen Sie mich deshalb ein paar Dinge zu den wichtigsten, nach unserer Auffassung erforderlichen Änderungen sagen. Der erste Punkt bezieht sich darauf, dass bisher die Rechenschaftslegung gegenüber dem Präsidenten sehr allgemein ist. Wir wollen das konkreter gefasst haben. Wir wollen dort auch mehr Kontrollmechanismen haben. Wir wollen auch sicherstellen, dass das Parlament anders als bisher in diese Rechenschaftslegung einbezogen wird. Das heißt mehr Transparenz, auch mehr parlamentarische Kontrolle. Wir wollen zweitens natürlich die Bedingungen verändern. Sehen Sie, wir haben gegenwärtig eine Situation, in der ständig über Großspenden diskutiert wird. Jetzt frage ich Sie: Was macht denn eigentlich den Charakter einer Volkspartei aus? Dass man Abendessen gibt und danach dafür sorgt, dass Spenden von 100 000 DM oder 1 Million DM durch bestimmte Unternehmen fließen? Oder würde den Charakter einer Volkspartei nicht in erster Linie ausmachen, dass man millionenfach kleine Spenden organisiert? Ich sage immer: Lieber tausendmal 100 DM sammeln als einmal 100 000 DM. Damit bringt man Volksverbundenheit zum Ausdruck. ({7}) Vizepräsident Rudolf Seiters *) Anlage 6 **) Anlage 7 Der Redebeitrag des Abgeordneten Harald Friese ({8}) erscheint als Anlage zum Protokoll der 101. Sitzung Deshalb wollen wir die zulässige Höhe von Spenden pro Jahr auf 30 000 DM beschränken. Das scheint uns eine wichtige Regelung zu sein, um zu einem anderen Charakter zu kommen. Drittens wollen wir gern auch den Kreis der Spender verändern. Sehen Sie: Die Verdächtigungen, die jetzt aufkommen, haben doch genau mit diesen Regelungen im Parteiengesetz zu tun. Ich will niemandem etwas unterstellen. Wenn jemand eine Spende in Höhe von 1 Million DM von einem Unternehmen bekommt, unterstelle ich ihm doch nicht, dass er deshalb seine Politik wirklich danach ausrichtet. Aber dass dieser Verdacht im Raum steht, ist doch klar. ({9}) Wir alle kennen einfache marktwirtschaftliche Regelungen. Eine lautet: Keiner gibt 100 000 DM, wenn er nicht etwas erwartet, und keiner nimmt 100 000 DM, wenn er nicht auch etwas dafür gibt. ({10}) - Dann ändern Sie es doch! Ändern Sie es doch! Wir schlagen doch die Änderung vor. ({11}) Das geht doch auch zu unserem Nachteil. Das müsste Sie doch gerade zusätzlich animieren. ({12}) Ich sage Ihnen: Deshalb ist die Beschränkung auf 30 000 DM im Jahr ebenso richtig wie unsere Forderung, juristische Personen als Spender auszuschließen. DieFinanzbeziehungenderParteienmüssenzweiAdressaten haben, zum einen die Bürgerinnen und Bürger und genau nicht die Unternehmen, Konzerne und Banken und zum anderen den Staat. Lieber - auch wenn das nicht populär ist - wäre ich damit einverstanden, die staatliche Finanzierung zu erhöhen, als weiterhin zuzulassen, dass die Parteien von der Wirtschaft abhängig sind. Das ist die gegenwärtige Situation. Dabei darf man es nicht belassen. Ob Sie es wollen oder nicht, es wirkt sich auch auf die Politik der Parteien aus. Genau deshalb wollen wir es ändern. ({13}) Die nächste Bemerkung: Wir wollen ja auch eine Änderung zum Vorteil der Parteien. Bisher ist es nämlich so, dass die Parteien bei der Deklarierung von Spenden ab einer bestimmten Höhe Name und Adresse angeben müssen. Die praktischen Erfahrungen zeigen: Das mit der Adresse ist wahnsinnig schwierig. Oft spenden Leute durch Überweisung einfach auf das Konto der Partei, und die Banken geben die Adresse nicht bekannt. Man weiß dann zwar, wo derjenige wohnt, man weiß auch, wie er heißt, aber die genaue Adresse ist nicht bekannt. Das führt sofort zur Abführungspflicht. Deshalb haben wir vorgeschlagen, statt der Adresse den Wohnort zu nehmen, was diese Dinge wesentlich erleichtern würde. Was uns noch besonders wichtig ist, sind Fragen, die auch mit diesem Skandal zusammenhängen. Wozu - so habe ich mich immer gefragt - brauchen Parteien Auslandskonten? ({14}) Es konnte mir kein einziger Grund genannt werden, wozu das erforderlich ist ({15}) im Sinne der Erfüllung des Auftrages der Parteien aus dem Grundgesetz. Das einzige, was mir gesagt worden ist, ist, dass im Ausland oft die Zinsen günstiger sind. Nur, meine Damen und Herren, mit so einer Begründung machen wir uns doch lächerlich. Wir sind mitverantwortlich für die Zinspolitik in diesem Land. ({16}) Und dann weichen die Parteien mit ihren Konten ins Ausland aus, weil es dort bessere Zinsbedingungen gibt. ({17}) - Also sind Sie für Auslandskonten? Verstehe ich das richtig? ({18}) - Das sollte Sie nicht stutzig machen. Das sollte Sie geradezu begeistern! Aber dass Sie als alter Kalter Krieger nicht in der Lage sind, nach 10 Jahren irgendetwas dazuzulernen, Herr Küster, ({19}) das haben wir hier inzwischen alle mitbekommen. Deshalb sage ich Ihnen: Wir müssen Auslandskonten verbieten. Eine weitere Regelung ist dringend erforderlich, wenn wir denn Glaubwürdigkeit erlangen wollen: In jedem Gesetz, mit dem wir etwas verbieten, legen wir für diejenigen, die diese Verbote verletzen, Sanktionen fest, nur im Parteiengesetz nicht! Da haften die Parteien kollektiv nur im Rahmen ihrer Finanzen; aber es gibt keine persönliche Verantwortlichkeit. Das kennen wir nicht im Bilanzrecht und bei keinem anderen Recht, nur beim Parteiengesetz. Deshalb schlagen wir vor, künftig für diejenigen, die persönlich für die Verletzung dieses Gesetzes verantwortlich sind, Strafbestimmungen vorzusehen. Wenn wir das nicht tun, erzielen wir keine neue Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit, und die, so meine ich, brauchen alle Parteien in diesem Hause. Wenn Sie sich in diesen Fragen nicht bewegen, dann dürfen Sie sich beim nächsten Skandal nicht darüber wundern, dass die Glaubwürdigkeit der Parteien noch weiter und tiefer sinkt. ({20})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/2719 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen sind damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen, den Mitgliedern und Mitarbeitern der Bundesregierung, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses und unseren Gästen auf den Tribünen ein schönes und friedvolles Osterfest. ({0}) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Mai 2000, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.