Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich gerne die Botschafter der Vereinigten Staaten und Polens, die an unserer heutigen Debatte teilnehmen, sehr herzlich begrüßen. Herzlich willkommen!
({0})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Nun erteile ich dem Beauftragten des Bundeskanzlers,
Otto Graf Lambsdorff das Wort.
Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundeskanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Bundeskanzler, vielen Dank für
Ihre anerkennenden Worte. Sie haben mich im Juli des
vergangenen Jahres beauftragt und ich habe diesen Auftrag ohne Zögern angenommen. Ich gehöre noch zu der
Generation, die die Nazizeit und den Krieg mitgemacht
hat. Es gibt im Leben Situationen, denen man sich stellen
muss, und diese gehörte für mich dazu.
Der Bundesminister der Finanzen hat mich gebeten, Ihnen diese ungewöhnliche Vorlage vorzustellen. 55 Jahre
nach dem Zweiten Weltkrieg und zum Ausklang des Jahrhunderts wird die Errichtung der Stiftung ein historischer
Schritt sein, weil sie zwischen den heute noch lebenden
ehemaligen Sklaven und Zwangsarbeitern und den Deutschen ein öffentliches Zeichen der Versöhnung setzen will.
({2})
Das Gesetzesvorhaben ist deshalb ungewöhnlich, weil
einerseits eine deutsche öffentlich-rechtliche Stiftung errichtet werden soll, andererseits parallel die Ergebnisse intensiver internationaler Verhandlungen, vor allem zum
Thema Rechtsfrieden in den USA, umgesetzt werden
müssen. Herr Kollege Penner hat gestern in einem Interview befürchtet, das Parlament werde nur noch als Notar
tätig sein können. Das ist - das wissen wir - ein ehrenwerter Beruf, Herr Penner. Aber ich denke, Ihre Rolle geht
schon ein bisschen weiter und muss auch ein bisschen
weiter gehen. Auf der anderen Seite haben Sie damit die
Besonderheit dieses Vorgangs hinsichtlich der parlamentarischen Beratungen angesprochen. Das ist schon richtig.
Uns allen liegt am Herzen, dass noch Lebende in den
Genuss unserer Zuwendungen kommen. Etwa 1 Prozent
von ihnen stirbt in jedem Monat.
An den Verhandlungen haben Abgeordnete des Innenausschusses dieses Hauses mitgewirkt. Sie haben die Interessen des Deutschen Bundestages aktiv zum Ausdruck
gebracht. Ich bedanke mich an dieser Stelle für diese hilfreiche Begleitung.
({3})
Am 17. Dezember 1999 - in der siebten Verhandlungsrunde - haben wir hier in Berlin eine erste Vereinbarung
erzielt: Bund und deutsche Unternehmen werden je zur
Hälfte die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“ mit einem Stiftungskapital von 10 Milliarden DM ausstatten. In der elften Verhandlungsrunde am
23. März 2000 - ebenfalls hier in Berlin - haben wir uns
auf die Aufteilung des Stiftungskapitals verständigt. Sie
können sich vorstellen, wie schwierig dies alles war.
Um so erfreulicher ist es, dass sowohl die Gesamthöhe
als auch das Verteilungsergebnis von allen Gesprächsteilnehmern ausdrücklich begrüßt und akzeptiert und nicht
nur - wie ich pessimistischerweise vorausgesagt hatte mit gleichmäßiger Unzufriedenheit hingenommen wurde.
Der größte Teil, nämlich etwa 8,1 Milliarden DM, aufgestockt um 50 Millionen DM durch Zinsen und - möglicherweise - um 100 Millionen DM aus dem Schweizer
Bankenvergleich, ist für unmittelbare humanitäre Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter bestimmt. Die Empfänger leben mehrheitlich in Ost- und Mitteleuropa, aber
auch in anderen Teilen der Welt. Zu ihnen gehören auch
die KZ-Arbeiter, die dem Programm „Vernichtung durch
Arbeit“ unterlagen: Juden, Sinti, Roma und viele andere.
Die Stiftung wird mit jeder der sieben Partnerorganisationen ein Abkommen schließen. Partnerorganisationen sind die Versöhnungsstiftungen in Warschau, Moskau,
Kiew und Minsk sowie der deutsch-tschechische Zukunftsfonds in Prag, die Jewish Claims Conference in New
York und schließlich - wir sind in Gesprächen darüber das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf.
Darin werden die Leistungskriterien, die Auszahlungsmodi, die Kontrollen sowie die Verwaltungskosten eindeutig
festgelegt. Diese Bindungen sind selbstverständlich, weil
es auch um öffentliche Zuwendungen, um Mittel deutscher Steuerzahler geht.
Bei den für die Partnerorganisationen festgelegten Beträgen handelt es sich um Höchstbeträge, die nicht überschritten werden können. Verbleiben Restmittel, so unterliegt deren Aufteilung wiederum der Entscheidung des
Kuratoriums.
Der Betrag für Vermögensschäden in Höhe von 1 Milliarde DM - aufgestockt durch 50 Millionen DM Zinsen
aus den Unternehmensbeiträgen - hat mehrere Empfänger: erstens eine neu zu bildende Kommission, die über
Einzelansprüche befinden wird, zweitens die Internationale Kommission für Holocaust-Versicherungsschäden
für unbezahlte und auch erbenlose Versicherungen und
schließlich drittens die Claims Conference für erbenlose
Arisierungsforderungen.
Ferner werden Mittel in Höhe von 700 Millionen DM
für den Fonds „Erinnerung und Zukunft“ bereitgestellt.
Damit sollen Projekte der Erinnerung an die Bedrohung
durch totalitäre Systeme, Völkerverständigung und
Jugendaustausch gefördert werden. Dieser Zukunftsfonds - der Herr Bundeskanzler hat das unterstrichen - ist
von besonderer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft, für
die Bundesregierung, aber zum Beispiel auch für die Regierung des Staates Israel. Mit ihm sollen Projekte gefördert werden, die an die Vergangenheit anknüpfen und über
unsere deutsche und europäische Vergangenheit hinaus in
die Zukunft weisen. Wer wollte angesichts der großen
Konflikte im Kosovo, in Tschetschenien sowie vieler kleinerer Konflikte an den Nahtstellen Europas bestreiten,
dass die Lehren aus dem letzten Jahrhundert europäischer
Geschichte an die nächsten Generationen weiterzugeben
sind?
({4})
Präsident Wolfgang Thierse
Ein ukrainischer Zwangsarbeiter, der in Norwegen oder
im Elsass gearbeitet hat, soll, falls er dies wünscht, die Gelegenheit erhalten, seine alte Arbeitsstelle zu besuchen
und mit möglichst vielen Menschen dort zu sprechen.
Aber schon wegen der in Amerika anhängigen Verfahren müssen auch die konkreten Bedürfnisse der Überlebenden und ihrer Erben besonders berücksichtigt werden.
Schließlich sind 200 Millionen DM für Verwaltungskosten, aber auch für angemessene Zahlungen an die USAnwälte bestimmt, die unmittelbar an den Verhandlungen
beteiligt waren. Es gibt keine - wie gelegentlich befürchtet - Erfolgshonorare.
Meine Damen und Herren, die Stiftung hat eine historische Dimension: Wir können das Leid der ehemaligen
Sklaven und Zwangsarbeiter nicht wieder gutmachen. Wer
kann denn überhaupt sagen, welche Summe Geldes für einen KZ-Aufenthalt angemessen wäre? Aber wir können
mit der Errichtung der Stiftung zum Ausdruck bringen,
was Bundespräsident Rau am 17. Dezember 1999 sagte ich zitiere -:
... dass ihr Leid als Leid anerkannt und dass das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht genannt
wird.
({5})
Meine Damen und Herren, es waren die NS-Organisationen der Reichsregierung, die so genannte „Fremdarbeiter“ für die NS-Kriegswirtschaft rekrutierten. Welche Rolle auch immer die deutsche Wirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus spielte: Bei der Zwangsarbeit handelte
es sich primär um staatlich veranlasstes Unrecht. Die
Zwangsarbeiter dienten als Ersatz für Arbeitnehmer, die
zum Wehrdienst eingezogen worden waren. Es ist daher
richtig, dass sich Wirtschaft und öffentliche Hand gemeinsam an der Finanzierung der Stiftung beteiligen.
Ich halte es für eine gute Überlegung des Bundesfinanzministers, zur Finanzierung des Bundesanteils an der
Stiftung auf solches Vermögen des Bundes zurückzugreifen, das schon in der Vergangenheit durch frühere
Generationen erarbeitet worden ist. Es ist nicht einzusehen, dass nur die Steuerzahler der heutigen Generation diese Last schultern.
({6})
Ich weiß mich mit der Bundesregierung und sicher auch
mit dem Bundestag darin einig, dass mehr als 55 Jahre
nach Kriegsende die Frage der Reparationen nicht mehr
neu gestellt wird. Der Bundeskanzler hat dazu das Nötige
gesagt.
Die Stiftung hat eine politische Dimension. Bei den Betroffenen handelt es sich zum überwiegenden Teil um
Menschen aus Ost- und Mitteleuropa: aus Polen, aus Russland, aus der Ukraine, aus Weißrussland, aus der Tschechischen Republik und aus anderen Ländern, also vor allem
um unsere osteuropäischen Nachbarn.
Die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter ist wie fälschlicherweise oft zu lesen war - keine nur jüdische
Überlebende betreffende Frage. Wir wollen mit den osteuropäischen Ländern - wie auch mit der Jewish Claims
Conference - eine friedliche Zukunft gestalten und sichern. Es sollte daher auch unser politisches Interesse sein,
alle Hürden aus dem Wege zu räumen und den Überlebenden eine humanitäre Geste des guten Willens und des
Friedens entgegenzubringen.
({7})
Die dritte, die wirtschaftliche Dimension betrifft in erster Linie unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, unserem großen Handels- und Investitionspartner. Ich will
hier nicht auf die möglichen Folgen von Sammelklagen
oder Boykotts für unsere Wirtschaft eingehen, wenn wir
keine Lösung gefunden hätten oder fänden. Amerikanischen Anwälten fällt auf diesem Gebiet ziemlich viel ein.
Die deutsche Wirtschaft erhält auf der Grundlage der Stiftung die für ihre Aktivitäten in den USA erforderliche
Rechtssicherheit. Diese Rechtssicherheit berührt unmittelbar deutsche Exporte und Investitionen in Amerika. Damit werden auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.
Sie schützt schließlich auch die durch die Sammelklagen
gefährdeten deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Die US-Regierung wird bei allen laufenden und künftigen Verfahren gegen deutsche Unternehmen, die sich auf
die Verstrickung in NS-Unrecht beziehen, gegenüber den
Gerichten mit einem so genannten Statement of Interest
die Klageabweisung empfehlen. Sie wird den Gerichten
schreiben, dass es dem außenpolitischen Interesse der Vereinigten Staaten widerspricht, Sachverhalte gerichtlich zu
behandeln, die durch die Stiftung fair und angemessen geregelt sind.
Eine hundertprozentige Rechtssicherheit wird es nicht
geben; aber im amerikanischen Rechtssystem hat die Berufung der Regierung auf die Gewaltenteilung, auf ihre
„executive power“, für die Richter weitgehend bindende
Wirkung. Selbstverständlich erwarten wir auch von den
Regierungen der beteiligten mittel- und osteuropäischen
Staaten entsprechende rechtliche Zusicherungen.
Meine Damen und Herren, in den sehr schwierigen Verhandlungen war mein Partner der stellvertretende amerikanische Finanzminister Stuart Eizenstat. Wir kennen
und schätzen uns seit vielen Jahren. Das hat geholfen. Er
ist ein Mann von hoher Kompetenz. Er hat zu dieser Lösung entscheidend und ergebnisorientiert beigetragen. Wir
waren und sind uns darin einig, dass die Verteidigung der
Menschenwürde unser gemeinsames Fundament der
deutsch-amerikanischen Beziehungen und tragendes Motiv für die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ist.
({8})
Deshalb haben wir zu keinem Zeitpunkt der Verhandlungen die Überlebenden aus dem Blick verloren. Ich bin zuversichtlich, dass wir für die noch offenen Punkte eine
Otto Graf Lambsdorff
faire Lösung finden. Ich bin auch zuversichtlich, dass uns
der hier anwesende Botschafter der Vereinigten Staaten,
John Kornblum, wie in der Vergangenheit - wofür ich
mich herzlich bedanke - dabei helfen wird.
({9})
Die deutsche Wirtschaft unternimmt eine respektable
Anstrengung. Ich danke dem Vorsitzenden des Lenkungsausschusses der Stiftungsinitiative, Dr. Manfred Gentz,
für seinen engagierten Einsatz.
({10})
Es ist ärgerlich, dass auch Unternehmen, die sich an
der Stiftungsinitiative nicht beteiligen wollen, den von der
Stiftungsinitiative erreichten Rechtsfrieden erlangen. Leider gibt es keine rechtlich durchsetzbaren Möglichkeiten,
die Problematik der so genannten Trittbrettfahrer befriedigend zu beantworten.
Ich will mich aber nicht nur beklagen. Ich will ausdrücklich sagen, dass ich es höchst eindrucksvoll finde,
dass junge Unternehmen, die überhaupt nichts mit der Zeit
des Zweiten Weltkrieges zu tun haben, die erst vor wenigen Jahren gegründet worden sind, mir geschrieben haben
und gefragt haben: Wohin können wir etwas zahlen? Auch
wir wollen helfen.
({11})
Es gibt viele Bürger im Lande, die mir positiv geschrieben haben. Sie kennen es alle - ich habe es 26 Jahre lang erlebt -: Meistens bekommt man nur kritische
Briefe. Hier überwiegt bei weitem die Zahl der positiven
Briefe. Es sind handgeschriebene Briefe; mit einer Büroklammer ist ein 10-DM-Schein daran geheftet, mit der
Bemerkung: Das ist mein Beitrag. - All das ist eindrucksvoll und erfreulich und sollte nicht übersehen werden.
({12})
Umso mehr appelliere ich an alle Unternehmen - die
deutsche Wirtschaft besteht eben nicht nur aus 1 000, die
sich jetzt beteiligen, sondern aus sehr viel mehr Unternehmen -, ihre Gesamtverantwortung anzuerkennen und
sich der Stiftungsinitiative anzuschließen.
({13})
Dieser Appell gilt besonders für die - von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - reichlich zögerliche
deutsche Bauindustrie.
Ich habe mich für die unterstützende Begleitung durch
die deutschen Medien zu bedanken. Ich bin befremdet
über die finanzielle Zurückhaltung der Medienkonzerne.
({14})
Offenbar liest man in deren Vorständen die Kommentare
der eigenen Zeitungen nicht.
({15})
Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich bitte Sie,
die Beratungen zügig vorzunehmen und der Gesetzesvorlage mit den eventuell noch erforderlichen Korrekturen die eine oder andere Korrektur wird sicherlich noch kommen - zuzustimmen. Eine breite, überparteiliche Zustimmung wird auch von allen betroffenen Staaten als politisches Signal gesehen. Dann könnten noch in diesem Jahr
die Zuwendungen an diejenigen beginnen, um deren
Schicksal es hier schließlich geht. Die ehemaligen
Zwangsarbeiter werden es Ihnen danken.
Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
({16})
Sehr geehrter Graf
Lambsdorff, ich möchte Ihnen namens des ganzen Hauses
für Ihre geleistete Arbeit sehr herzlich danken.
({0})
Nun erteile ich dem Kollegen Friedrich Merz,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen des
Deutschen Bundestags bringen heute den Entwurf des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ auf den Weg der parlamentarischen
Beratung. Diese Stiftung ist ein Gemeinschaftswerk von
Politik und Wirtschaft in Deutschland. Wir alle, die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch ihre Gesetzgebungsorgane, und die deutsche Wirtschaft, stellen uns damit einem außergewöhnlich schwierigen Thema und einer
Aufgabe, die zu lösen uns allen eine moralische Pflicht
und Verantwortung ist.
Ich möchte zunächst im Namen der CDU/CSU-Fraktion dem Verhandlungsführer auf deutscher Seite, dem
langjährigen Kollegen Dr. Otto Graf Lambsdorff, für seine Arbeit und für seine umsichtige und erfolgreiche Verhandlungsführung danken.
({0})
Seitdem Sie, Graf Lambsdorff, diese Aufgabe übernommen haben, wussten wir die Verhandlungen in guten Händen.
({1})
Unser Dank gilt auch unserem Kollegen Wolfgang
Bosbach, der bei diesen Verhandlungen unsere Fraktion
vertreten hat.
({2})
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion ich spreche hier ganz ausdrücklich auch im Namen unseres Kollegen Michael Glos, unseres ersten stellvertretenden Vorsitzenden - betrachtet das Anliegen der zu errichtenden Stiftung als notwendig und berechtigt. Es geht darum, eine abschließende finanzielle Regelung zugunsten
Otto Graf Lambsdorff
derjenigen zu treffen, die als ehemalige Zwangsarbeiter in
der Zeit des Nationalsozialismus und als Opfer von anderem Unrecht Betroffene eines unmenschlichen Systems
waren, dessen Machthaber jeden Respekt vor der Würde
des Menschen verloren hatten. Wir alle wissen, dass die
Verletzungen an Leib und Seele, die erniedrigende Behandlung und die Missachtung der Menschenwürde, die
mit Zwangsarbeit, der Heranziehung von Kindern zu
schwerer körperlicher Arbeit, mit Deportationen sowie der
Bildung von Gettos und Konzentrationslagern verbunden
waren, mit Geld nicht wieder gutgemacht werden können.
Es kann uns deshalb heute auch nur um eine abschließende finanzielle Regelung, nicht aber um einen Schlussstrich
unter die moralische Verantwortung gehen.
({3})
Die Errichtung der Stiftung gibt uns Gelegenheit, gerade den jungen Menschen in unserem Land zu sagen, dass
zu ihrem Leben auch die Geschichte unseres Landes zählt.
Die großartigen Leistungen in Wissenschaft und Technik,
in Literatur und Philosophie, der wirtschaftliche Wohlstand und die umfassende soziale Sicherung gehören zu
unserer Geschichte, aber eben auch die dunklen Seiten der
Missachtung, Entrechtung und Entwürdigung von Menschen in der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus.
Geschichte ist nicht teilbar. Keine Generation kann eine
Epoche der eigenen Geschichte für beendet erklären. Es
gibt eine Verantwortung aus der Geschichte, die für jede
Generation fortbesteht und die nicht vergehen darf, wenn
wir die Grundlagen unseres freiheitlichen Rechtsstaates,
nämlich Freiheit und Würde des Menschen, auch für die
Zukunft sichern und bewahren wollen.
({4})
Dieser Verantwortung hat sich die Bundesrepublik
Deutschland seit ihrer Gründung im Jahre 1949 gestellt.
Seit der ersten Bundesregierung unter Konrad
Adenauer hat die Bundesrepublik Deutschland bis heute
mehr als 100 Milliarden DM Wiedergutmachungsleistungen an rassisch, religiös oder weltanschaulich Verfolgte des NS-Regimes bereitgestellt, eine Leistung, die,
wie ich finde, in der Öffentlichkeit nicht immer ausreichend wahrgenommen wird. Aber nicht zuletzt aufgrund
der Spaltung Europas haben die Betroffenen in den mittelund osteuropäischen Ländern bisher zu wenig Hilfe erhalten. Dies gilt auch für diejenigen, die bis 1990 in der
DDR gelebt haben. Die Machthaber der DDR haben es
immer abgelehnt, auch für diesen Teil der gemeinsamen
deutschen Geschichte Verantwortung zu übernehmen.
({5})
Die Regierung unter Helmut Kohl hat deshalb nach der
Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands
Wiedergutmachung geleistet, vor allem mit dem Entschädigungsrentengesetz. Sie hat über die Versöhnungsstiftung bereits 1,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt,
die den Opfern in einigen mittel- und osteuropäischen
Staaten zugute gekommen sind.
Bei der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ geht es - wie es im Namen der Stiftungsinitiative
zum Ausdruck kommt - um Erinnern, um Verantwortung,
aber eben auch um einen wichtigen Beitrag für die Zukunft. Neben der Entschädigung soll mit der Stiftung eine
dauerhafte Aufgabe begründet werden, die darin besteht,
dass insbesondere Projekte der Völkerverständigung, des
Jugendaustausches und der internationalen Zusammenarbeit auf humanitärem Gebiet gefördert werden. Wir begrüßen dieses Anliegen der Stiftung in besonderer Weise
und hoffen, dass wir vor allem Jugendliche in Deutschland
gewinnen können, an den durch die Stiftung finanzierten
Projekten teilzunehmen und sich auf diese Weise der deutschen Geschichte zu stellen.
({6})
Ich will nicht verhehlen, dass es in der CDU/CSUBundestagsfraktion eine Reihe von Vorbehalten beim jetzigen Stand der Regelungen gibt, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ausgeräumt werden müssen. Es
gibt bis heute erheblichen Unmut in unserer Fraktion auch
deshalb, weil die Bundesregierung entgegen ihrer ursprünglichen Zusage uns an der Abfassung des Gesetzes
eben nicht von Anfang an beteiligt hat, eine Form des Umgangs, Herr Bundeskanzler, die nicht in Ordnung war und
nicht in Ordnung ist.
({7})
Es sind eine Reihe von Fragen offen geblieben, die die
Bundesregierung in ihrer Verantwortung für das Gesetz
jetzt noch klären muss. Ich stelle diese Fragen: Wie kann
der Rechtsschutz vor weiteren Klagen tatsächlich
sichergestellt werden? Graf Lambsdorff, Sie haben auf
das deutsch-amerikanische Regierungsabkommen hingewiesen. Ich schließe mich auch Ihrer Bewertung, Herr
Bundeskanzler, ausdrücklich an: Die Frage der Reparationen ist nicht gestellt. Sie ist mit dem Londoner Schuldenabkommen und letztendlich auch mit dem Zwei-plusVier-Vertrag abgeschlossen.
({8})
Weitere Fragen lauten: Wie können Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Ländern, die nicht an den Entschädigungsverhandlungen beteiligt waren, einbezogen
werden? Welche international tätige und auch international vertrauenswürdige Organisation kann für die Auszahlung der Entschädigungsleistungen an die Opfer gewonnen werden? Wie können wir schließlich sicherstellen,
dass die auszuzahlenden Stiftungsmittel auch tatsächlich
die Betroffenen erreichen, vor allem dann, wenn sie hochbetagt und in ärmlichen Verhältnissen leben? Diese und
weitere Fragen sind offen. Sie sehen, es gibt noch eine
ganze Reihe klärungsbedürftiger Punkte, die einer abschließenden Regelung bedürfen.
Erlauben Sie mir zum Schluss, dass ich den Unternehmen in Deutschland, die sich der Stiftungsinitiative bisher
angeschlossen haben, auch von unserer Seite ein herzliches Wort des Dankes sage.
({9})
Es sind Unternehmen dabei, die Zwangsarbeiter des eigenen Unternehmens bereits entschädigt haben und trotzdem
der Initiative beigetreten sind. Es sind Unternehmen dabei,
die - darauf ist bereits hingewiesen worden - zum Teil erst
lange nach 1949 gegründet worden sind. Darunter sind
ganz junge Unternehmen mit ganz jungen Inhabern, Unternehmen modernster Technologien und neuer Branchen,
die sich gleichwohl dem Anliegen der Stiftung, den Interessen unseres Landes und der historischen Verantwortung
verpflichtet fühlen.
Schließlich gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Städten und Gemeinden sowie eine große Zahl von Einzelpersonen, die bereits größere und kleinere Beträge zur Verfügung gestellt haben. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank.
Sie alle geben ein gutes Beispiel für diejenigen, die der Initiative noch nicht beigetreten sind.
So können wir gemeinsam zeigen, dass Deutschland
auch nach der Wiederherstellung der Einheit unseres Landes und jetzt eben von Berlin aus unverändert in der moralischen Pflicht gegenüber denjenigen steht, die gelitten
haben und denen solches Unrecht widerfahren ist.
Ich habe zu Beginn gesagt: Wir stimmen dem Grundanliegen der Stiftung zu. Deshalb bringen wir den Gesetzentwurf mit ein. Ich stelle aber auch fest: Eine Reihe von
wichtigen Fragen - ich habe sie genannt - ist noch nicht
ausreichend geklärt ist. Die Verhandlungen, insbesondere
mit den Vereinigten Staaten von Amerika, dauern in einigen wichtigen Punkten noch an; deswegen kann die gemeinsame Einbringung nicht schon jetzt unsere Zustimmung zur endgültigen Regelung bedeuten. Es geht uns
darum, dass die Ziele der Stiftung tatsächlich erreicht werden.
({10})
Diese Stiftung, dieses Gesetz und die mit diesem Gesetz
noch abzuschließenden Verträge müssen einen wirklichen
Beitrag zu Frieden und Freiheit in Europa und darüber hinaus zur Versöhnung im 21. Jahrhundert leisten.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich erteile dem Kollegen Bernd Reuter, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal
die drei im Stiftungsnamen enthaltenen Begriffe aufgreifen: „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“. Die Erinnerung an das Unrecht, das in der NS-Zeit begangen wurde,
darf nicht mit denen sterben, die diese schreckliche Zeit
persönlich erlebt haben.
Verantwortung zu übernehmen bedeutet mehr als
schöne Worte in Sonntagsreden. Es bedeutet, aktiv Beiträge zur Versöhnung zu leisten, den Dialog zu suchen und
aufzuklären.
({0})
Verantwortung zu übernehmen bedeutet auch, Lehren aus
der Geschichte zu ziehen und sich für die Opfer von heute einzusetzen. Unser Anliegen für die Zukunft muss sein,
dass die Opfer von gestern nicht in Vergessenheit geraten
und dass die uns nachfolgenden Generationen das Wissen
um deren Schicksal immer wieder zum Leitfaden ihres
Handelns machen. Mit der Entschädigung der NSZwangsarbeiter nehmen wir unsere historische Verantwortung ernst. Entschädigung ist eine humanitäre Geste
der Entschuldigung an die Opfer und ein Zeichen an ihre
Herkunftsländer und an die Welt, dass sich Deutschland
für die eigene Vergangenheit verantwortlich zeigt.
Die Bundesregierung hat ihr Versprechen eingelöst.
Endlich liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter
vor. Damit wird eine langjährige Forderung der SPD
realisiert, die seit der 11. Legislaturperiode von der damaligen Mehrheit im Deutschen Bundestag blockiert wurde.
Unser Hauptanliegen ist es, den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern - Schätzungen gehen von über
1 Million Menschen aus - schnellstmöglich eine Entschädigung zukommen zu lassen.
({1})
Es geht uns auch darum, für deutsche Firmen Rechtsfrieden zu erlangen; das heißt, dass eventuelle Klagen gegen deutsche Firmen nicht mehr von den Gerichten angenommen werden. Den Firmen, die sich mit der Beteiligung
an der Stiftung ihrer historischen Verantwortung stellen,
möchte ich ausdrücklich den Dank der SPD-Bundestagsfraktion aussprechen.
({2})
Zugleich schließe ich mich auch dem Appell von Graf
Lambsdorff und des Bundeskanzlers an, dass die Firmen,
die noch abseits stehen, sich jetzt auch beteiligen und endlich das tun, wozu sie moralisch verpflichtet sind.
Bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens Mitte dieses Jahres sollten die von der Industrie zugesagten 5 Milliarden DM eingezahlt sein.
({3})
Die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern 55 Jahre
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist überfällig. Sie
betrifft hochbetagte Opfer, von denen, statistisch betrachtet, jeden Monat ein Prozent sterben. Es ist also dringend geboten, die zur Verfügung stehenden Mittel zügig
und unbürokratisch an die Opfer auszuzahlen.
Graf Lambsdorff hat schon darauf hingewiesen, dass es
bei diesem Gesetzgebungsverfahren aussergewöhnlich ist,
dass die Parlamentarier noch weniger als vielleicht sonst
Gestaltungsmöglichkeiten haben. Aber wir sind gehalten, die Ergebnisse schwierigster Verhandlungen nun in
ein Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Ich will ausdrücklich auch denen danken, die bei den Verhandlungen
mitgewirkt haben, insbesondere auch meinen Kollegen
der anderen Fraktionen dieses Hauses, und ich will hier
auch meinen Kollegen Wolfgang Bosbach nennen, weil
ich davon ausgehe, dass die breite Mehrheit, die heute bei
der Einbringung dieses Gesetzentwurfes festzustellen ist,
auch auf sein Engagement zurückzuführen ist. Schönen
Dank.
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben zur Kenntnis zu
nehmen, dass 10 Milliarden DM die im Stiftungsvolumen
genannt sind, jeweils zur Hälfte vom Bund und von den
deutschen Unternehmen aufzubringen sind. Ich zitiere aus
einer Erklärung der an der Stiftung beteiligten Unternehmen:
Die Stiftungsmittel sollen als Geste der Versöhnung
am Ende dieses Jahrhunderts eingesetzt werden, um
zum einen Opfern des NS-Unrechts humanitär zu helfen, zum anderen um Projekte zu fördern, die der
Völkerverständigung, der sozialen Gerechtigkeit, der
internationalen Zusammenarbeit auf humanitärem
Gebiet und dem Jugendaustausch dienen oder die die
Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Unrechtsstaaten und Gewaltherrschaft wach halten.
Die Aufteilung der Mittel ist von Graf Lambsdorff
schon vorgestellt worden. Ich bin darüber erfreut und bin
der Meinung, dass es sich sehen lassen kann, dass
8,25 Milliarden DM unmittelbar und direkt den ehemaligen Zwangsarbeitern zugute kommen.
Auch die 700 Millionen DM des Zukunftsfonds möchte ich in den Blickpunkt rücken, weil ich der Auffassung
bin, dass hier - wie der Name schon sagt - für die Zukunft
ein Fonds eingerichtet wird, der segensreiche Wirkungen
entfalten soll, um solche Vorkommnisse, wie wir sie alle
nicht mehr erleben wollen, zu vermeiden, meine Damen
und Herren.
({5})
Mitte dieser Woche waren bereits 1 123 Firmen der
Stiftung beigetreten und ich erwarte auch, dass sich die
Bundesländer hier engagiert beteiligen und mithelfen,
diesen Fonds auszugestalten. Auch wenn heute die Bundesratsbank etwas spärlich besetzt ist, gehe ich davon aus,
dass die Länder trotzdem willens und bereit sind, sich hier
zu engagieren.
({6})
Der Kollege Merz hat zu Recht auf die Leistungen hingewiesen, die die Bundesrepublik bereits seit 1947 erbracht hat. Es sind über 100 Milliarden DM. Man muss
natürlich diese riesige astronomische Summe auch einmal
ins Verhältnis zu den unsäglichen, unbeschreiblichen Folgen eines verbrecherischen Regimes setzen.
({7})
Ich will noch ganz kurz einige Anmerkungen zur Geschichte dieser Stiftung machen. Der Anstoß kam ja
durch eine Klage von 21 Zwangsarbeiterinnen vor dem
Landgericht Bonn im Jahr 1997 und den Sammelklagen
gegen führende deutsche Unternehmen in den USA. Dann
wurde am 16. Februar diese Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ins Leben gerufen. Ich will hier auch
deutlich hervorheben, meine Damen und Herren, dass
Bundeskanzler Gerhard Schröder der Initiator und Motor
dieses Prozesses war.
({8})
Auch ihm gebührt Dank für sein Engagement, denn ohne
seine zupackende Art wären wir heute nicht in der Lage,
hier im Deutschen Bundestag einen solchen Gesetzentwurf zu debattieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des ({9})
Es war vernünftig und klug, dass diese Verhandlungen
von Anfang an durch Parlamentarier des Deutschen Bundestages begleitet wurden. Ich verstehe, Herr Kollege
Merz, eigentlich Ihre Kritik nicht ganz, wenn Sie sagen,
dass hier im Gesetzgebungsverfahren die CDU/CSUFraktion benachteiligt wurde.
({10})
Ich bin der Meinung, dass das, was bisher gemacht wurde, zum Beispiel die Beteiligung der Parlamentarier, bei
früheren Regierungen in dieser Form nicht üblich war.
({11})
Wir haben deshalb jetzt die Möglichkeit, Ihre Probleme
und Bedenken in die Beratungen einzubeziehen.
Nicht zuletzt dank des großen Verhandlungsgeschicks
von Otto Graf Lambsdorff sind wir nach vielen, oft zähen
Gesprächsrunden nun endlich dem Ziel greifbar nahe. Ich
will für die SPD-Bundestagsfraktion die Gelegenheit nutzen, dem ehemaligen Kollegen Otto Graf Lambsdorff
noch einmal herzlich zu danken. Ich bin überzeugt davon,
dass nur er mit der ihm eigenen Art manche Wahrheiten
sagen konnte, die man einem sozialdemokratischen Verhandlungsführer vielleicht angelastet hätte.
({12})
Der nun vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet das Ergebnis dieser Verhandlungen.
Ich möchte an dieser Stelle auch meine Freude darüber
zum Ausdruck bringen, dass der Bundestag bei der Lösung
dieser schwierigen Problematik hier Einigkeit demonstriert. Nachdem sich nun auch die CDU/CSU-Fraktion am
Mittwoch dieser Woche dazu entschlossen hat mitzuwirken und damit alle Fraktionen gemeinsam diesen Gesetzentwurf einbringen, appelliere ich an Sie, Herr Merz, und
Ihre Fraktion: Helfen Sie mit, dass auch bei der Schlussabstimmung hier eine gemeinsame Entscheidung getroffen wird und wir dieses Gesetzeswerk mit breiter Mehrheit
vollenden.
({13})
Ich appelliere an uns alle, die Beratungen in den Ausschüssen nun zügig voranzubringen, damit wir das Gesetzgebungsverfahren noch vor der Sommerpause abschließen können. Denn es muss unser aller Ziel sein, dass
die Opfer noch in diesem Jahr Entschädigungszahlungen
erhalten.
Unsägliche Leiden und unsägliches Unrecht wurde von
Deutschen Millionen Menschen zugefügt. Eine wirkliche
Wiedergutmachung kann es nicht geben. Wie sollten Tod,
Folter, Hunger und Erniedrigung je wieder gutgemacht
werden können? Diese Stiftung hat nicht den Zweck, unser Gewissen endgültig freizukaufen. Sie dient dazu, das
Leid der Opfer anzuerkennen.
({14})
Mit der Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ setzen wir heute nochmals ein Zeichen der Wahrnehmung unserer moralischen Verantwortung für die schrecklichen Geschehnisse während der NSZeit. Sie kann und darf jedoch nur eine von vielen
Bemühungen sein, mit denen wir unsere Verantwortung
für das, was gestern geschah, heute aktiv wahrnehmen.
Schönen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung mit der Periode des Nationalsozialismus lässt
uns, den Deutschen Bundestag, und die Bevölkerung nicht
los. Trotz zahlreicher Schlussstrichversuche, trotz des Versuches in den 60er-Jahren, mit dem BEG-Schlussgesetz
das Kapitel Entschädigungen für NS-Unrecht abzuschließen, beschäftigt sich der Bundestag immer wieder
mit der Frage: Haben wir alles Unrecht auch wirklich als
Unrecht verurteilt und erkannt? Haben wir allen Opfern
des Nationalsozialismus durch Entschädigungszahlungen
wenigstens geholfen? Es handelt sich um einen schmerzhaften, nicht abgeschlossenen Prozess der Erkenntnis.
Versöhnung kann nur auf der Basis der Anerkenntnis
von Schuld und der Übernahme der Verantwortung für diese Schuld erwachsen. Deshalb ist der heutige Tag ein
wichtiger, ein historischer Tag. Der Bundestag erkennt das
verbrecherische nationalsozialistische Zwangsarbeiterprogramm als Unrecht an. Wir legen heute den Grundstein
für materielle Hilfe für die noch lebenden Zwangsarbeiter - für viele Opfer, die in den letzten Jahrzehnten verstorben sind, leider zu spät.
Unsere Fraktion kämpft nun schon seit 15 Jahren darum, gerechte Lösungen für alle NS-Opfer zu finden, die
in den letzten Jahrzehnten durch die großen Maschen des
deutschen Entschädigungsrechtes gefallen sind. Die größte Gruppe dieser Opfer sind die ehemaligen Zwangsarbeiter und die NS-Opfer, die hinter dem vormals Eisernen
Vorhang leben. Nun haben wir es erreicht, dass auch für
diese Opfer endlich eine angemessene Lösung in Sicht ist.
Der Kampf darum war lang und hart - vor allem für die
Organisationen und die Opfer. Als Gegner einer finanziellen Regelung dieser Fragen hatte man jahrzehntelang nicht
bloß eine zahlungsunwillige und verantwortungslos agierende Industrie, auch die früheren Bundesregierungen und
die deutschen Gerichte wiesen Rechtsansprüche der Opfer und auch nur eine moralische Verantwortung Deutschlands zurück. Fast alle Klagen wurden abgewiesen.
In dieser Wahlperiode hat der Bundestag die Chance,
die Zwangsarbeit als das anzuerkennen, was sie war:
schweres nationalsozialistisches Unrecht. Millionen von
Menschen wurden deportiert, wie Tiere gehalten, in KZs
und Lager gepfercht, ausgebeutet, unzureichend ernährt,
geschlagen und mit einem fürchterlichen Strafsystem
überzogen. Gerade bei den vom NS-Regime als „Untermenschen“ bezeichneten Juden, Sinti und Roma und den
Angehörigen der slawischen Völker hat sich das NS-Regime ein grausames Konzept von Ausbeutung, Diskriminierung und nicht selten Vernichtung durch Arbeit ausgedacht. Nur wenn wir dieses Unrecht als NS-Unrecht anerkennen, geben wir diesen Menschen ihre Würde wieder.
({0})
Bundespräsident Johannes Rau sagte im letzten Jahr:
Ich gedenke heute aller, die unter deutscher Herrschaft Sklavenarbeit und Zwangsarbeit leisten mussten, und bitte im Namen des deutschen Volkes um
Vergebung. Ihre Leiden werden wir nicht vergessen.
Mit diesem Gesetz macht sich der Deutsche Bundestag
diese Auffassung zu Eigen. Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben nie akzeptiert, dass sich Deutschland so lange
geweigert hat, das Unrecht der Zwangsarbeit als NS-Unrecht anzuerkennen. Wir konnten uns auch nicht damit abfinden, dass die vom NS-Regime deportierten und ausgebeuteten Menschen mit dem Hinweis auf Reparationsfragen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet wurden.
Mit dem heutigen, gemeinsam von allen Fraktionen des
Deutschen Bundestages getragenen Gesetzentwurf stellen
wir fest: Zwangsarbeit war NS-Unrecht, und die Opfer haben einen Anspruch auf eine materielle Genugtuung.
({1})
Erst mit Rot-Grün wurde eine Neuorientierung der Politik der Bundesregierung eingeleitet. Unsere Fraktion hat
erreicht, dass in der Koalitionsvereinbarung folgender
Satz aufgenommen wurde:
Die neue Bundesregierung wird eine Bundesstiftung
„Entschädigung für NS-Unrecht“ für die „vergessenen Opfer“ und unter Beteiligung der deutschen Industrie eine Bundesstiftung „Entschädigung für NSZwangsarbeit“ auf den Weg bringen.
Wir sind nun dabei, dieses zweite, wichtigste Projekt unseres Versprechens an die NS-Opfer umzusetzen. Mit der
Entschädigung der Zwangsarbeiter und Sklavenarbeiter
kommen Staat und Industrie ihrer historischen Verpflichtung nach. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir
festhalten, dass die deutsche Industrie - ich sehe von einigen Betrieben wie VW bewusst ab, die sich in den letzten
Jahren vorbildlich verhalten haben - ohne politisch und finanziell motivierten Druck, ohne die in den USA eingereichten Sammelklagen kollektiv nicht bereit gewesen wäre, ihre moralische Verantwortung zu erkennen und danach
zu handeln. Eine rechtliche Verantwortung, eine Pflicht
zur Zahlung an die ehemaligen Zwangsarbeiter lehnt die
Industrie ja weiterhin ab. An dieser Stelle darf ich wenigstens am Rande vermerken, dass unsere Fraktion diese
Rechtsposition stets anders beurteilt hat.
Festzuhalten bleibt gleichwohl: Die nun geplante Bundesstiftung erfüllt moralische, nicht im strengen Sinne
rechtliche Ansprüche - aus der Sicht vieler Opfer ist das
aber zumeist auch egal -, und nicht nur das: Durch die Öffnung der Stiftung über etwaige Rechtsverpflichtungen
hinaus wird es gelingen, auch diejenigen Opfer zu berücksichtigen, die bei Arbeitgebern beschäftigt waren, die heute gar nicht mehr existieren. Das ist eine außerordentlich
wichtige Regelung, die vielen Opfern überhaupt erst ermöglicht, eine Leistung zu erhalten. Deshalb ist die Solidaraktion der deutschen Wirtschaft und des deutschen
Staates auch in moralischer Hinsicht sehr zu begrüßen.
({2})
Die Konzeption dieses Stiftungsgesetzes steht am Ende langer Verhandlungen und langer Auseinandersetzungen. Nicht selten drohte zwischenzeitlich ein Scheitern dieses Projektes. Ich bin froh, dass wir alle zusammen
durchgehalten haben - um der Opfer willen. Unser Dank
geht auch an Otto Graf Lambsdorff, der geholfen hat, viele Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.
({3})
Wenn wir uns an die Ausgangsposition von 1998 erinnern - Ausschluss der osteuropäischen Opfer, finanzielles
Angebot von 1 Milliarde DM -, dann müssen wir sagen,
dass wir wirklich gut vorangekommen sind. Heute ist völlig klar: Es gibt keine Diskriminierung nach Wohnsitz in
Ost oder West, keine Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit. Entschädigung erfolgt allein aufgrund
der Schwere des Verfolgtenschicksals. Das ist eine faire
und gerechte Lösung.
Ich bin zufrieden, dass wir, die viele Vorschläge und
Vorentwürfe auch aus den Reihen unserer eigenen Regierung kritisiert hatten -, nun sagen können: Wir stehen hinter diesem Gesetzentwurf. Er wird im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens vielleicht noch einige kleine
technische Korrekturen erfahren, aber er wird der historischen Wahrheit und der historischen Schuld gerecht. Die
Ergebnisse der internationalen Verhandlungen über die
Mittelverteilung werden in diesen Entwurf ebenfalls
noch eingearbeitet werden. Ich komme darauf später
zurück.
An dieser Stelle möchte ich festhalten: Der Gesetzentwurf sieht entgegen früheren Vorlagen vor, dass die Anrechnung von bereits nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhaltenen Leistungen für Gesundheitsschäden entfällt, dass die Beschränkung aufgehoben wird, wonach
nur die Opfer von Zwangsarbeit, die nach Deutschland in
den Grenzen von 1937 deportiert worden sind, Entschädigungen erhalten. Heute reicht es aus, dass man in einen
von Deutschland besetzten Staat verschleppt wurde.
Ich stelle weiterhin fest, dass das wirklichkeitsfremde
Haftkriterium entfallen ist. Auch Menschen, die unter
haftähnlichen Bedingungen oder unter vergleichbar
schweren Bedingungen leben mussten, haben einen
Leistungsanspruch. Die Opfer von Arbeitserziehungslagern werden entweder wie Konzentrationslagerhäftlinge
behandelt oder sie erhalten zumindest die gleichen Leistungen wie die Industriezwangsarbeiter.
Es ist uns gelungen, durch eine Kompromissformel
auch die Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft einzubeziehen, wenn auch mit einem niedrigeren Betrag und
durch die Partnerorganisation administriert. Wir stellen
fest, dass die Deportation von Zwangsarbeitern in die
deutsche Landwirtschaft ebenfalls Unrecht war. Wenn
man sich die rassistischen Begleitgesetze dieser Zeit anschaut, dann ist klar, dass man sich für dieses Unrecht genauso entschuldigen und die Schuld anerkennen muss wie
bei den anderen Zwangsarbeitern auch.
Es ist uns gelungen, die Vertreter der Sinti und Roma
in das Kuratorium zu integrieren und deutlich zu machen,
dass dieses kein Schlussstrichgesetz für alle weiteren Forderungen im Zusammenhang mit dem NS-Unrecht ist. Die
individuelle Verzichtserklärung der Opfer, die hier Entschädigungen bekommen, erstreckt sich nicht auf zukünftige gesetzliche Neuregelungen.
Es ist uns weiterhin gelungen, in dem Prozess der Verhandlungen und in den Diskussionen über den Gesetzentwurf die Priorität eindeutig auf die Entschädigung für die
Opfer zu legen. Bei aller Verantwortung für die Zukunft,
die wir auch außerhalb dieses Stiftungsprojektes wahrnehmen müssen, muss klar sein: Das Geld, das hier zur
Verfügung steht, steht zuallererst den Opfern des Zwangsarbeiterprogrammes zu.
Trotz aller deutschen Gründlichkeit werden wir eine
wenig bürokratische Regelung haben. Es ist richtig, dass
wir festgestellt haben: Zum Nachweis der Zwangsarbeit
sollen Einträge aus dem Archiv von Bad Arolsen ausreichen. Wir werden keine komplizierten Anerkennungsverfahren haben.
Wir stellen in unseren Gesprächen mit den Opferverbänden, den internationalen und den in unserem Land tätigen, fest, dass der Gesetzentwurf nun vielfach Unterstützung findet, auch wenn im Detail Nachbesserungen gefordert werden. Wir werden fraktionsübergreifend ein
Verfahren finden, wie wir im Rahmen der Ausschussberatungen weiterhin den Sachverstand dieser Verbände nutzen können, um das Gesetz wirklich in all seinen Bestimmungen und Verfahren zu optimieren. Dabei ist Gerechtigkeit die Grundlage und zügige Auszahlung an die
Betroffenen das Ziel.
Nach den Verhandlungen kommt die Mühe des Gesetzes, nach dem Gesetz die Mühe der Verteilung der Mittel
an die Opfer. Hier bestehen nach wie vor ernst zu
Volker Beck ({4})
nehmende Probleme, die wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens lösen müssen. Ich nenne hier nur drei
zentrale Problembereiche.
Erstens, Verhandlungen haben es manchmal an sich,
dass man sich einigt, manchmal auch zulasten Dritter. Es
ist die Aufgabe des Parlaments, Gerechtigkeit für alle
Opfer in gleicher Lage ohne Ansehen des Wohnsitzes sicherzustellen. Wir haben mittlerweile die ernste Sorge, ob
die für den „Rest der Welt“ vorgesehenen Mittel in Höhe
von 800 Millionen DM aus der Industrie und dem öffentlichen Sektor für die nicht jüdischen KZ-Häftlinge und die
deportierten Zwangsarbeiter wirklich ausreichen. Wir
müssen verhindern, dass sich nun das von Graf Lambsdorff gelöste Problem erneut stellt, dieses Mal aber in umgekehrter Lesart. Wir können nicht zulassen, dass KZHäftlinge im Westen eine geringere Leistung als die Betroffenen im Osten erhalten.
Zweitens, die Verhandlungen mit den USA über ein
Abkommen zur Herstellung von Rechtssicherheit sind
alles andere als in trockenen Tüchern. Wir können uns aber
nicht leisten, dass es noch ein Aufsatteln bei den
Vermögensansprüchen gibt, und erst recht nicht, dass wir
ein Präjudiz für Reparationsansprüche schaffen.
({5})
Wenn die Stiftung solche Ansprüche befriedigen soll, wird
dies zunehmend zulasten der KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter gehen. Das findet unsere Unterstützung definitiv
nicht.
({6})
Die Frage der Rechtssicherheit ist der Schlussstein zu
diesem Entschädigungswerk. Ich fordere die amerikanische Seite auf, hier schnell ihren Teil zu diesem Entschädigungswerk zu leisten und nicht durch komplizierte
Rechtsdiskussionen den Abschluss weiter hinauszuzögern. Die deutsche Bundesregierung und die deutsche Industrie haben alles getan, was möglich ist, damit es zu einer schnellen Leistung an die Opfer kommt. Auch der
Bundestag ist, denke ich, bereit, das Notwendige zu tun.
Nun ist es an der amerikanischen Seite, den letzten Baustein einzubringen, damit wir noch in diesem Jahr zur Auszahlung an die Opfer kommen.
Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie die Verfahren optimiert werden können, damit bei den Partnerorganisationen nicht das Problem entsteht, dass unterschiedliche Beträge ausbezahlt werden.
Ein letzter Appell noch an die deutsche Industrie: Wir
danken alle gemeinsam den Unternehmen, die hier Verantwortung übernommen haben. Aber das Ansehen der
deutschen Industrie hängt auch daran, dass die zugesagten
5 Milliarden DM auf den Tisch kommen. Wir sind erst bei
einem Betrag zwischen 2 und 3 Milliarden DM; es fehlen
noch über 2 Milliarden DM. Ich fordere die Industrie auf,
alles dafür zu tun, dass vor Beendigung des Gesetzgebungsverfahrens das Geld zur Verfügung steht, damit
wir es umgehend an die Opfer auszahlen können. Ich glaube, es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dass es hier
keine weitere Verzögerung gibt.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Mit dem Prädikat „historisches Ereignis“ sollte man sparsam umgehen. Aber es ist
doch zu erwarten, dass diesem Gesetzgebungsverfahren
zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“ einmal ein solcher Rang zugemessen werden wird.
Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages bekennen
sich mit einem gemeinsamen Gesetzentwurf zur geschichtlichen Verantwortung. Endlich wird es eine humanitäre Geste in Form finanzieller Zuwendungen an die
vom nationalsozialistischen Deutschland geknechteten
und versklavten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
geben. Zugleich wird mit einem Zukunftsfonds dazu beigetragen werden, dass sich ein solches Unrecht nie mehr
wiederholen möge.
Entscheidend dafür, dass dieser Gesetzentwurf hier eingebracht werden konnte, ist nach meiner Auffassung die
Tatsache, dass endlich eine rein juristische Betrachtungsweise verlassen worden ist.
({0})
Der jahrzehntelange Streit um die Frage, ob es wirklich
rechtlich und nicht nur moralisch begründete Ansprüche
gebe, ob dafür die öffentliche Hand oder die private Wirtschaft hafte, ob schon Verjährung eingetreten sei oder
nicht - all diese juristischen Streitpunkte drohten die Interessen der Opfer endgültig in den Hintergrund treten zu
lassen. Diese Blockade musste überwunden werden.
Der Bundeskanzler und die neue Koalition waren daher
gut beraten, mit der Stiftungsinitiative der deutschen
Wirtschaft den Verhandlungsprozess in Gang zu setzen.
Dies ist ausdrücklich anzuerkennen.
({1})
Die Fraktionen des Deutschen Bundestages waren gut
beraten, die Verhandlungen positiv zu begleiten. Dies ist
bei den ausländischen Verhandlungspartnern mit großer
Aufmerksamkeit registriert worden, weil dadurch zum
Ausdruck gebracht worden ist, dass es nicht nur um ein
Anliegen der Bundesregierung oder der Wirtschaft geht,
sondern um eines des gesamten deutschen Parlamentes.
Im Zuge dieser Verhandlungen gab es mit den Kolleginnen und Kollegen, die daran beteiligt waren, wie
Dieter Wiefelspütz, Bernd Reuter, Wolfgang Bosbach,
Volker Beck ({2})
Volker Beck und Ulla Jelpke, ein gemeinsames, kollegiales, informelles Arbeiten und Diskutieren an den jeweiligen Zwischenentwürfen. Dies hat den Entwürfen aus meiner Sicht gut getan. Das jetzige Ergebnis weist gegenüber
den Ursprungsansätzen viele Verbesserungen auf.
({3})
Der Bundeskanzler schließlich war sehr gut beraten, als
er Graf Lambsdorff beauftragt hat, für die deutsche Seite die schwierigen und komplizierten Verhandlungen zu
führen. Graf Lambsdorff, Ihnen sind heute von den anderen Rednern schon viele Lorbeeren für Ihren großen persönlichen Einsatz geflochten worden. Dem schließt sich
die F.D.P.-Fraktion selbstverständlich an.
({4})
Ich möchte noch eine persönliche Bemerkung anschließen. Wer bei den Verhandlungen dabei war, hat gespürt, dass es Graf Lambsdorff - vielleicht entgegen seinem landläufigen Image - nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch und vor allem um die Interessen der
Opfer gegangen ist.
({5})
Meine Damen und Herren, niemand verkennt - dies
muss auch gar nicht verschwiegen werden -, dass der in
den USA durch Sammelklagen erzeugte Druck, der drohende Imageverlust für die deutsche Wirtschaft, die nicht
unbegründete Furcht vor administrativen Hindernissen bei
wirtschaftlicher Betätigung auf dem amerikanischen
Markt unmittelbarer Anlass dafür gewesen sind, nach so
langer Zeit die Frage der Zwangsarbeiterentschädigung
endgültig lösen zu wollen. Es ging bei diesen Verhandlungen um Exportchancen für die deutsche Wirtschaft und
damit um Arbeitsplätze im Inland. Dies zu erwähnen ist legitim.
Umso mehr ist es die Aufgabe der Politik, die humanitäre Dimension des Vorgangs herauszustellen. Eine
wirkliche Entschädigung für das erlittene Leid ist nicht
möglich. Wenigstens gegenüber den Überlebenden mit einer kleinen humanitären Geste zum Ausdruck zu bringen,
dass sich Deutschland der Schuld und der Verantwortung
bewusst ist, das ist der entscheidende Aspekt dieses ungewöhnlichen Gesetzgebungsverfahrens.
({6})
Ungewöhnlich ist das Gesetzgebungsverfahren auch,
weil der wesentliche Inhalt des Stiftungsgesetzes in internationalen Verhandlungen schon vorgegeben worden ist.
Der Deutsche Bundestag ist gleichwohl souverän bei der
endgültigen Ausgestaltung des Stiftungsgesetzes. Die am
23. März in Berlin erzielte Einigung wird aber unverändert
Kerninhalt dieses Gesetzes sein.
Es gibt jedoch noch Gestaltungspielraum im Detail. Es
besteht auch noch Bedarf an einer gründlichen Erörterung
der Einzelheiten, nach Meinung der F.D.P.-Fraktion auf
der Grundlage einer Anhörung im federführenden Innenausschuss. Die gemeinsame Einbringung des Gesetzentwurfs bedeutet ja nicht, dass damit jede einzelne Bestimmung bereits unveränderlich feststünde. Ich nenne
beispielhaft folgende Fragen, über die in den Ausschussberatungen noch gesprochen werden muss.
Erstens. Wie kann das Volumen für die Opfer aus dem
so genannten Rest der Welt - damit bezeichnet man
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den Staaten,
die bei den Verhandlungen nicht unmittelbar vertreten waren, wie etwa Ungarn, Jugoslawien, Slowenien oder Slowakei - so verwertet werden, dass es keine neuen Benachteiligungen gibt?
Zweitens. Es wird über die Besetzung des Kuratoriums zu sprechen sein. Man muss dabei auch die Frage
stellen, ob es denn klug ist, nach der ersten Amtszeit dieses Aufsichtsgremiums, also nach vier Jahren, eine Regelung vorzusehen, die bedeuten würde, dass die Vertreter einiger Staaten, die an den Verhandlungen beteiligt waren,
ausscheiden werden. Über solche Details muss man sich
noch einmal Gedanken machen.
Drittens. Mir erscheint auch wichtig, eine gerechte Lösung dafür zu finden, dass es eine Gleichbehandlung der
Opfer beim Ersatz der Anwaltskosten gibt.
Viertens. Schließlich wollen wir eine flexible Lösung
bei den Abschlagszahlungen, damit so rasch wie möglich
mit diesen Zahlungen begonnen werden kann.
All diese Detailfragen ändern aber nichts an der Zustimmung der F.D.P.-Fraktion zu diesem Gesetzentwurf.
Es ist unser Ziel, das Gesetzgebungsverfahren gründlich,
aber auch so rasch wie möglich durchzuführen, damit das
Stiftungsgesetz noch vor der Sommerpause abschließend
beraten werden kann. Die ersten Auszahlungen an die Opfer müssen noch in diesem Jahr erfolgen.
({7})
Erst wenn das gelungen ist, wird man mit Fug und Recht
von einem historischen Vorgang sprechen können.
({8})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwangsarbeit und Sklavenarbeit in
der NS-Zeit, das war schlimmes, bösartiges und die Menschenwürde in jeder Hinsicht verletzendes NS-Unrecht.
Die Menschen wurden gequält, sie wurden in Lager gepfercht, sie wurden geschlagen, sie waren unterernährt, sie
mussten härteste Arbeit leisten und sie hatten überhaupt
keine Rechte sowie keine Möglichkeiten zu irgendwelchen Interessenvertretungen. Deshalb sage ich: Ich hätte
mir gewünscht, dass wir diese Debatte zunächst mit einer
Entschuldigung bei diesen Menschen begonnen hätten,
({0})
mit der Übernahme der - das sage ich ausdrücklich - gemeinsamen Verantwortung und auch mit der Feststellung,
dass wir es im höchsten Maße bedauern, dass ihnen so etwas Ähnliches wie Wiedergutmachung erst 55 Jahre nach
Beendigung des Zweiten Weltkrieges zugute kommen
soll. Dies ist zu spät; wir können es nicht leugnen. Es ist
sehr spät; zu spät ist es natürlich nicht für diejenigen, die
noch leben. Deshalb unterstützen wir den vorliegenden
Gesetzentwurf.
Herr Merz, Sie haben diesbezüglich etwas zur DDR gesagt. Das ist im Prinzip richtig, aber doch etwas differenzierter zu betrachten. Nach ihrer Gründung hat die DDR
für immerhin 90 Milliarden Mark Reparationen an die
Sowjetunion geleistet oder - besser gesagt - leisten müssen. Auch das muss man sehen. Das war in der damaligen
Zeit und nach den damaligen Werten eine gewaltige Leistung. Es hat auch Entschädigungen für NS-Opfer, die in
der DDR lebten - leider mit Ausnahmen; das muss man
hinzufügen -, gegeben. Aber es hat nie Entschädigungen
für Menschen gegeben, die nicht in der DDR lebten und
die Opfer des NS-Regimes waren. Das war nicht in Ordnung. Ich kann hier nicht für alle Parteien sprechen, aber
ich kann für meine Partei sprechen und stelle daher fest,
dass wir das zutiefst bedauern und uns dafür entschuldigen, in der Vergangenheit diesbezüglich zu wenig getan zu
haben.
({1})
Ich finde es bedauerlich, dass es gestern hier im Deutschen Bundestag keine Mehrheit dafür gab, den 8. Mai
entsprechend unserem Antrag zum Tag der Befreiung zu
erklären. Glauben Sie mir, die Sklavenarbeiterinnen und
die Sklavenarbeiter, die Zwangsarbeiterinnen und die
Zwangsarbeiter, die noch leben, die hätten das verstanden.
Für sie war es ein Tag der Befreiung.
({2})
Ich halte es für sehr wichtig, dass alle Fraktionen den
vorliegenden Gesetzentwurf einbringen. Ich will auch sagen, weshalb: nicht etwa deswegen, weil man mit jedem
Detail übereinstimmen müsste - das tun auch wir nicht -,
sondern deswegen, weil damit im Grunde genommen die
gegenseitige Verpflichtung verbunden ist, die - auch in unserer Bevölkerung - bestehenden Ressentiments, die wir
alle doch kennen, nicht zu nutzen und zu schüren. Diese
damit verbundene Verpflichtung halte ich für sehr wichtig.
({3})
Das heißt, wie gesagt, nicht, dass wir in diesem Gesetzentwurf nicht auch Mängel sehen. Ich will das kurz erläutern - ich hoffe, dass es uns im Laufe der Beratungen
gelingt, noch einige Verbesserungen zu erreichen -: Wir
meinen zum Beispiel, dass Sklaven- und Zwangsarbeit
auch als solche bezeichnet und nicht mit Worten wie „Geschehnisse“ und „Verstrickungen“ überdeckt werden sollten, dass man sich also nicht um eine klare Ausdrucksweise herummogeln sollte. Wir meinen, dass man auch an
ehemalige Landarbeiter aus den mittel- und osteuropäischen Staaten denken sollte, die zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden und die bisher praktisch ausgenommen
sind bzw. nur Almosen erhalten sollen.
Wir meinen auch, dass die Forderung an die Industrie,
ihre Archive für die Opfer und zur Geschichtsforschung
zu öffnen, in diesem Gesetz Platz haben sollte. Wir meinen nach wie vor, dass darauf verzichtet werden muss, gegen deutsche Unternehmen, die sich an dieser Stiftung beteiligen, künftig Klagen zu erheben. Wir sehen aber überhaupt nicht ein, auch die deutschen Unternehmen, die von
der Zwangsarbeit profitiert haben und nicht bereit sind,
sich an dieser Stiftung zu beteiligen, freizustellen.
({4})
Wir sind dafür - hier stimmen wir mit Ihnen überein,
Herr Kollege Stadler -, dass es eine Gleichbehandlung
hinsichtlich der Anwalts- und Prozesskosten geben
muss. Die NS-Opfer, die das Ganze mit angeschoben haben, aber nicht unmittelbar an den Verhandlungen beteiligt sind, sollen die Anwaltskosten nicht erstattet bekommen; dies sehen wir nicht ein.
Wir sind auch dafür, dass die Entschädigungen so
schnell wie möglich ausgezahlt werden müssen und dass
das Auszahlungsverfahren deshalb zu modifizieren ist.
Auch die Antragsfrist sollte verlängert werden, damit später kommende NS-Opfer noch die Chance haben, einen
Antrag zu stellen.
Wir meinen, dass schneller entschädigt werden könnte.
Vielleicht könnte hinsichtlich der vorgesehenen Entschädigungen für die so genannten sonstigen Opfer - dabei
handelt es sich um Roma, Sinti und Personen aus den baltischen Staaten, aus Ungarn, Jugoslawien, der Slowakei
und anderen Ländern -, um zumindest eine Teillinderung
zu erreichen, ein Schwerpunkt des Projektes „Zukunftsfonds“ die Entschädigung genau dieser Personengruppen
werden. So wäre eine schnellere Entschädigung möglich.
Wir sind auch dafür, dass die Opfer viel stärker im Kuratorium der zu bildenden Stiftung vertreten sein müssten, als es bisher vorgesehen ist. - Dies nur, um einige Beispiele zu nennen.
({5})
Ich will noch etwas zur deutschen Wirtschaft sagen.
Den Unternehmen ist oft gedankt worden; ich möchte das
aber differenzieren: Bei den Unternehmen, die in der NSZeit von - allerdings staatlich angeordneter - Zwangsarbeit profitiert haben und sich jetzt an dem Fonds beteiligen, möchte ich mich nicht ausdrücklich bedanken; denn
das halte ich für eine Selbstverständlichkeit.
({6})
Den Unternehmen aber, die damit gar nichts zu tun hatten,
die sich erst neu gegründet haben, die sich also ohne jede
persönliche, auch historische Schuld unserer gemeinsamen Verantwortung für unsere Geschichte stellen,
möchte ich ausdrücklich danken; denn das ist keine Selbstverständlichkeit.
({7})
Bei jenen Unternehmen, die von der Zwangsarbeit profitiert haben und bis heute nicht bereit sind, sich an diesem
Fonds zu beteiligen, möchte ich es nicht bei bloßer Kritik
belassen; die verurteile ich moralisch schwer. Ich möchte,
dass der öffentliche Druck gegenüber diesen Unternehmen
deutlich erhöht wird.
({8})
Für mich ist das gesellschaftspolitisch ein wichtiger
Nachweis, der belegt, wie wichtig es ist, Herr Bundeskanzler, dass das Primat der Politik über die Wirtschaft bestehen bleibt. Hätten wir dieses Primat nicht, gäbe es auch
dieses Gesetz nicht.
({9})
Lassen Sie mich noch eine tiefe Sorge ansprechen: Ich
möchte die NPD nicht überbewerten. Ich hatte mir vorgenommen, sie hier nie zu erwähnen. Aber ich komme nicht
um Realitäten herum. Die NPD plant in meinem Wahlkreis, in Berlin-Hellersdorf, zum 1. Mai eine Großdemo,
bundesweit organisiert. Unter anderem geht es ihr darum,
dieses Gesetz zu verurteilen. Sie will sozusagen die Mär
aufbauen, dass die Deutschen für alles in der Welt zahlen
müssen etc.; Sie kennen all das. Ich wünsche mir, dass wir
als Bundestag insgesamt eine viel deutlichere Sprache dagegen finden und dass ganz klar wird, dass, wie groß die
Unterschiede zwischen uns ansonsten auch sein mögen,
dies etwas ist, was wir alle in Deutschland nie wieder zulassen. Das muss ganz deutlich werden.
({10})
Ich sagen Ihnen noch etwas: Die Demonstration der
NPD durch das Brandenburger Tor zur Feier des Anschlusses von Österreich an das Deutsche Reich 1938, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSUBundestagsfraktion, war die eigentliche Beleidigung
Österreichs aus Deutschland, nicht die Kritik des Bundeskanzlers an den Verhältnissen in Österreich im Zusammenhang mit der Wahl der Haider-Partei. Auch das müssen wir einmal ganz deutlich sagen.
({11})
Wir haben also noch Vorschläge zur Änderung dieses
Gesetzes. Ich hoffe, dass wir in den Beratungen das eine
oder andere davon umsetzen können.
Lassen Sie mich schließen, indem ich sage: Erstens.
Wenn wir gemeinsam mit anderen einen Gesetzentwurf
einbringen, dann natürlich, um ihm zuzustimmen, und
nicht, um uns die Zustimmung vorzubehalten.
Zweitens. Ich möchte allen, die daran mitgewirkt haben, dass es zu einer Lösung gekommen ist, danken.
Ganz ausdrücklich danke ich auch Otto Graf
Lambsdorff, wie es andere getan haben, sowie allen aus
den Fraktionen, die daran mitgewirkt haben, bei uns speziell der Abgeordneten Ulla Jelpke, aber auch den weiteren Politikern und den Verantwortlichen in der Wirtschaft,
die sich wirklich aktiv darum bemüht haben, hier zu einer
Lösung zu kommen.
Ich will aber auch die andere Verhandlungsseite nicht
vergessen, die Anwälte und die Politiker aus den anderen
Ländern, die sich mit darum bemühen mussten, dass wir
zu einer Lösung kommen. Hätten sie dies nicht getan,
dann wären wir nicht zu einer Lösung gekommen. Lassen
Sie uns also nicht der deutschen Seite allein danken, sondern lassen Sie uns bitte auch den Vertretern der anderen
Seite danken, die daran mitgewirkt haben, dass wir heute
so weit sind, dass man schon fast hoffen kann: Wir schaffen die Lösung im Jahre 2000 - sehr spät, aber immerhin
schaffen wir sie.
({12})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über eines der
wichtigsten Gesetze dieser Legislaturperiode. Ich glaube,
dass dies heute ein besonderer Tag im Deutschen Bundestag ist. Das gilt sicherlich für viele auf der Regierungsbank, für viele hier im Plenum und auf den Zuhörerrängen
sowie für viele Menschen, die die Debatte im Fernsehen
verfolgen. Es ist wohl auch ein bewegender Tag insbesondere für viele Menschen, die weltweit verstreut sind
und als ehemalige Zwangs- und Sklavenarbeiter überlebt
haben. Sie sind der Grund dafür, dass wir heute zusammengekommen sind.
Dieses Gesetz kommt sehr spät, aber es kommt, liebe
Kolleginnen und Kollegen, mit der Zustimmung aller
Fraktionen dieses Hauses. Das ist ein ungewöhnlicher,
bemerkenswerter Vorgang, für den ich allen Fraktionen
ausdrücklich danke. Viele von uns haben vor der Notwendigkeit gestanden, über ihren Schatten zu springen, und sie
haben es getan: Sie sind über ihren Schatten gesprungen
und haben Vorbehalte zurückgestellt, die da und dort legitimerweise durchaus geltend zu machen sind. Ich meine,
dies ist eine eindrucksvolle Leistung des gesamten Hauses. Dafür bin ich außerordentlich dankbar.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wären heute nicht
hier und würden nicht über dieses Gesetz reden, wenn
nicht der Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer
Zeit, als er dieses Amt noch nicht innehatte, ganz persönlich die Initiative ergriffen hätte. Er hat bis heute mit
großem persönlichen Engagement alle wichtigen Details
der Verhandlungen mitverfolgt. Dies ist eine ganz besonDr. Gregor Gysi
dere Leistung, die an dieser Stelle hervorzuheben ist und
die, so denke ich, unser aller Respekt verdient.
({1})
Das, was heute möglich ist, war früher nicht möglich. Es
ist heute nur deshalb möglich, weil der Bundeskanzler
diese Sache zu seiner eigenen gemacht hat. Herzlichen
Dank dafür!
({2})
Graf Lambsdorff, Sie sind heute sehr viel gelobt worden. Noch nie sind Sie so intensiv von Sozialdemokraten
gelobt worden.
({3})
Jeden Punkt und jedes Komma an Dank, Graf
Lambsdorff, haben Sie sich in dieser Angelegenheit verdient.
({4})
Ich persönlich habe großen Respekt davor, dass Sie diese
Aufgabe geschultert haben. Es ist sicherlich eine der
schwierigsten Aufgaben in Ihrem langen politischen Leben. Sie können sicher sein: Diese Leistung, Graf
Lambsdorff, wird bleiben. Herzlichen Dank! Ich spreche
Ihnen meinen großen Respekt vor Ihrer ganz persönlichen
Leistung bei diesen schwierigen Verhandlungen aus.
({5})
Ich möchte ausdrücklich auch Herrn Dr. Gentz, den
Sprecher der Wirtschaft, nennen, der diesem Projekt einen
wesentlichen Teil seiner Arbeitskraft und Arbeitszeit gewidmet hat.
Es ist hier zu Recht darauf hingewiesen worden, dass
man über die deutsche Wirtschaft in diesem Zusammenhang nicht pauschal urteilen sollte. Es gibt Männer und
Frauen, die sich sehr engagiert und sehr glaubwürdig für
dieses Projekt eingesetzt haben - allen Respekt vor ihrer
Leistung! -, es gibt andere, die in eine Nische getreten
sind, die sich nicht angesprochen gefühlt haben. An diese
Firmen, vor allem die großen Aktiengesellschaften, sollte
von hier aus noch einmal das ganze Haus appellieren, dass
sie ihrer Verantwortung gerecht werden.
({6})
Wir, das deutsche Volk, können aus unserer eigenen Geschichte nicht aussteigen. Das ganze Haus gemeinsam will
diese Verantwortung tragen.
Auch die deutsche Wirtschaft kann aus ihrer Geschichte nicht aussteigen. Wir bitten nachdrücklich darum, dass
sie gemeinsam auch ihre Verantwortung trägt. Es ist doch
kein Vorwurf gegenüber den Firmen heute oder deren Mitarbeitern, dass vor 60, 70 Jahren unrühmliche Verstrickungen vorhanden waren. Wir müssen heute unsere
moralisch-ethische Verantwortung wahrnehmen. Das gilt
für den Bundestag - wir wollen diese Verantwortung
wahrnehmen -, das gilt aber auch für die Wirtschaft. Den
Teil, der diese Verantwortung noch nicht wahrnimmt, bitte ich nachdrücklich, bei dieser wichtigen Initiative mitzumachen.
Ich will darauf hinweisen, dass die Beratungen heute
nicht ohne Grund begleitet werden: vom Botschafter
der Vereinigten Staaten von Amerika, Seiner Exzellenz
Kornblum, und vom Botschafter der Republik Polen, Seiner Exzellenz Byrt.
Herr Eizenstat hat die Verhandlungen für die amerikanische Seite geführt. Er hat sich den großen Respekt der
deutschen Verhandler erworben. Ich bin ganz sicher, dass
diese mehr als ein Jahr dauernden Verhandlungen die
deutsch-amerikanischen Beziehungen weiter vertieft haben. Viele, die dort verhandelt haben, sind sich auch
menschlich näher gekommen. Wir haben ja viele, viele Tage deswegen miteinander verbracht, in zum Teil schwierigen Gesprächen.
Es ist ein ganz besonderes Verdienst der polnischen
Seite, dass es ihr gelungen ist, aufseiten der Beteiligten in
Mittel- und Osteuropa gemeinsame Haltungen zu erarbeiten. Ohne diesen besonderen Beitrag der polnischen Seite
wären wir, glaube ich, heute nicht da, wo wir sind. Einen
ganz herzlichen Dank an die polnische Regierung! Ich
glaube, dass die Verhandlungen, die wir geführt haben,
auch die Beziehungen zu unserem Nachbarn Polen vertiefen und stärken.
({7})
Es hat im Laufe dieser Verhandlungen immer wieder
Situationen gegeben, die sehr schwierig waren. Ohne
den besonderen Einsatz von Bundesfinanzminister
Eichel und ohne die eine oder andere Chefentscheidung
des Bundeskanzlers wären wir nicht kurz vor dem Ziel.
Solche Entscheidungen waren da und dort notwendig und
sind dann auch stets getroffen worden. Ich muss nicht
näher darauf eingehen, wie schwierig das sein kann, wenn
man ganz bestimmte haushaltspolitische Ziele hat und das
Geld ohnehin knapp ist. Mit großem Respekt will ich darauf hinweisen, dass es immer wieder möglich war, die
nötigen Entscheidungen zu treffen, damit die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden konnten.
({8})
Graf Lambsdorff, Ihre Arbeit ist noch nicht ganz zu Ende. Wir werden noch einige wichtige, auch völkerrechtlich
schwierige Fragen zu klären haben. Aber scheitern darf
das - da sind wir alle einer Meinung - nicht mehr. Wir werden Ihren Rat bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens
dringend benötigen, Graf Lambsdorff. Ich bin ganz sicher,
dass wir Ende Juni die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes abhalten werden. Wir, der Deutsche Bundestag,
werden unserer Verantwortung gerecht werden.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über 200 000 deutsche Frauen wurden nach dem Ende des 2. Weltkrieges zur Zwangsarbeit gen Osten
verschleppt, von ihnen sind über 70 000 armselig verstorben. Diese noch lebenden Zeitzeugen müssen sich
gedemütigt fühlen, weil sich für ihre Leiden bislang
kein Politiker, keine Regierung, geschweige denn die
Presse, jemals interessiert hätten.
Dies ist ein kleiner Auszug aus einem bewegenden
Brief, in dem eine deutsche Mitbürgerin ausführlich schildert, unter welchen Umständen sie am Ende des Zweiten
Weltkrieges zur Zwangsarbeit nach Sibirien deportiert
wurde, wie grausam dort die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren und dass ihr nur äußerst glückliche Umstände die Rückkehr nach Deutschland und ein Leben in
Sicherheit, Freiheit und Wohlstand ermöglichten. Viele
andere, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten, sind
nicht zurückgekommen.
Die Absenderin fährt fort, dass sie sich von Herzen
freue, dass endlich, 54 Jahre nach dem Ende der Nazibarbarei, ehemalige ausländische Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter eine Entschädigung erhalten sollen. Sie
persönlich erwarte keine materielle Entschädigung, aber
auf eine Geste, auf ein Wort der Entschuldigung der ehemaligen Peiniger warte auch sie, aber vermutlich vergebens. Dennoch solle man nicht Leid mit anderem Leid aufrechnen und es sei richtig, dass sich unser Land zu Beginn
eines neuen Jahrhunderts auch beim Thema „Entschädigung für Zwangsarbeit“ seiner besonderen historischen
Verantwortung stelle.
Wir alle wissen, dass man die Opfer von Verbrechen
mit Geld nicht wirklich entschädigen kann. Wir alle
wissen, dass das Leid, das Millionen Frauen und
Männern zugefügt wurde, nicht wieder gutgemacht
werden kann.
({0})
Sklaven- und Zwangsarbeit bedeutete nicht nur das
Vorenthalten des gerechten Lohnes. Sie bedeutete
Verschleppung, Heimatlosigkeit, Entrechtung, die
brutale Missachtung der Menschenwürde. Oft war
sie planvoll, darauf angelegt, die Menschen durch Arbeit zu vernichten. Für alle, die damals ihr Leben verloren haben, kommt die Entschädigung genauso zu
spät wie für alle, die inzwischen gestorben sind. Umso wichtiger ist es, dass jetzt alle Überlebenden möglichst bald die … vereinbarte humanitäre Leistung bekommen.
Diesen Worten des Bundespräsidenten folgend wollen
wir gemeinsam auf der Basis der Stiftungsinitiative der
deutschen Wirtschaft, der bisherigen Verhandlungsergebnisse und des Gesetzentwurfes folgende Ziele erreichen:
Die hochbetagten, oft kranken und gebrechlichen Opfer
sollen rasch und so unbürokratisch wie möglich eine Entschädigung erhalten. Gleichzeitig soll aber auch den deutschen Unternehmen dauerhafter Rechtsschutz vor weiteren Klagen und damit Rechtsfrieden garantiert werden.
Dies soll nicht nur in der Bundesrepublik selber gelten,
sondern auch in den USA und in den übrigen Staaten, aus
denen Zwangsarbeiter deportiert wurden oder in denen sie
heute noch leben.
Mit der Stiftungsinitiative wollen wir gleichzeitig auch
den Blick nach vorn, in die Zukunft, richten. 55 Jahre nach
dem Ende des Zweiten Weltkrieges und fast 50 Jahre nach
dem Beginn der ersten Wiedergutmachungsleistungen, die
bereits heute ohne die neue Initiative ein Volumen von
über 100 Milliarden DM erreicht haben und in deren Rahmen in den nächsten Jahren schon nach geltendem Recht
noch etwa 20 Milliarden DM zu zahlen sein werden, wollen wir das Kapitel der finanziellen Entschädigung für
NS-Unrecht mit diesem Fonds abschließen.
Einen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unserer Geschichte - die Verbrechen der Nazityrannei und die
sich daraus ergebende besondere historische Verantwortung unseres Landes, insbesondere gegenüber den noch
lebenden Opfern des Naziterrors -, kann und darf es nicht
geben. Von einer besonderen historischen Verantwortung
kann man sich nicht lösen, nicht befreien - weder durch
Worte noch durch Geld.
({1})
Aber dies kann nicht bedeuten, dass wir Jahr für
Jahr neue Entschädigungsdebatten beginnen, in neue
Entschädigungsverhandlungen eintreten und dadurch
zwangsläufig in vielen Ländern der Welt und bei vielen
Menschen Hoffnungen erwecken, die wir nicht erfüllen
können. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass es in der
Begründung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf heißt:
Am Ende dieses Jahrhunderts wollen daher die
Bundesrepublik Deutschland und deutsche Unternehmen mit der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ - die bisherigen umfangreichen Widergutmachungsregelungen ergänzend - ein
Zeichen ihrer moralischen Verantwortung für diese
Geschehnisse setzen. Abschließend kann dies nur in
finanzieller Hinsicht sein.
Gerade weil wir den Blick nach vorne richten müssen,
in eine gute, gemeinsame Zukunft, ist der noch zu etablierende Zukunftsfonds von überragender Bedeutung. Ausgestattet mit einem Vermögen von 700 Millionen DM
muss er jetzt mit Leben erfüllt werden, mit konkreten Projekten, von denen vor allem junge Menschen profitieren
sollten. Bei allem Respekt vor der Wissenschaft und den
Disziplinen Forschung und Lehre: Bitte kein Fonds von
Professoren für Professoren, sondern für Völkerverständigung, für die Pflege der Beziehungen zu überlebenden Opfern, für den Austausch von Schülern und Studenten und
für den Kampf gegen extremistisches und rassistisches
Gedankengut und gegen totalitäre Systeme aller Art.
({2})
Gerade weil der Zukunftsfonds auf Dauer angelegt ist,
kann und wird er in den kommenden Jahren für ein friedliches Miteinander der Menschen von besonderer Bedeutung sein.
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund dieses wichtigen
Projektes ist die derzeit mangelnde Bereitschaft vieler Unternehmen, sich an der Aufbringung des Fondsvermögens zu beteiligen, milde formuliert, sehr enttäuschend.
Etwa 200 000 Unternehmen aller Branchen wurden von
den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft aufgefordert, der Initiative beizutreten. Wenn es stimmt, dass bislang erst knapp 1 100 Firmen dieser Aufforderung gefolgt
sind, dann ist das für die deutsche Wirtschaft kein Ruhmesblatt. Dies muss für die Opfer, aber auch für diejenigen Unternehmen besonders enttäuschend sein, die durch
die Gründung der Stiftungsinitiative für die gesamte deutsche Wirtschaft Verantwortung übernommen haben.
Hier geht es um eine gesamtstaatliche Initiative und
Verantwortung, der sich mehr als nur 0,5 Prozent der Unternehmen stellen müssen. Vornehme Zurückhaltung kann
manchmal geboten sein, hier ist sie völlig fehl am Platz,
insbesondere deshalb, weil der Rechtsschutz für alle Unternehmen Geltung haben soll.
({3})
Es ist unser gemeinsamer Wille, das heute beginnende
Gesetzgebungsverfahren zügig zu betreiben, aber gleichzeitig müssen wir auch sehr sorgfältig arbeiten, um neue
Ungerechtigkeiten und neuen Streit zu vermeiden.
Stichwort: Rest der Welt. Diejenigen Opfer, die heute
in Ländern leben, die an den Verhandlungen nicht beteiligt waren, dürfen nicht benachteiligt werden. Das entscheidende Kriterium muss das erlittene Leid sein, die
Schwere des Schicksals. Dabei kann der Wohnort keine
Rolle spielen.
({4})
Tagtäglich erhalten wir aus vielen Ländern der Erde eine Fülle von Briefen mit zum Teil völlig unterschiedlichen
Forderungen an den Gesetzgeber, die er im Zuge der Beratung bitte alle berücksichtigen möge. Dies werden wir
wohl nicht können. Aber wir müssen und werden alle Argumente sorgfältig prüfen und abwägen und werden Betroffene bzw. ihre Organisationen in die Beratungen einbeziehen. Insoweit, lieber Max, stimme ich dir ausdrücklich zu: Eine intensive Beratung mit denjenigen, die sich
bislang überhaupt nicht beteiligen können, ist eine Voraussetzung für ein Gesetz mit höchstmöglicher Akzeptanz.
({5})
Unverständnis muss auch hervorrufen, dass derjenige,
der von einem amerikanischen Anwalt vertreten wurde,
deshalb eine Entschädigung in voller Höhe erhält, weil die
Vergütung des amerikanischen Anwaltes aus dem Fondsvermögen bezahlt wird, während der Mandant eines
deutschen Anwaltes dessen Kosten und Gebühren
zu tragen hat, weil eine vergleichbare Regelung für
deutsche Rechtsanwälte fehlt. Hierüber muss noch gesprochen werden.
({6})
200 Millionen DM für Anwaltshonorare und Verwaltungskosten reichen. Von den Entschädigungsleistungen
selber darf keine einzige Mark bei irgendwelchen Behörden oder Organisationen versickern. Dies sind wir nicht
nur den Stiftern und dem deutschen Steuerzahler schuldig,
sondern auch und vor allem den noch lebenden Opfern.
({7})
Bei aller Freude über die schon erreichten Teileinigungen dürfen wir hier und heute nicht den Eindruck erwecken, als seien schon jetzt alle Probleme gelöst. Vielleicht liegt der schwierigste Teil der Verhandlungen noch
vor uns.
Die Bundesregierung muss in den noch laufenden Verhandlungen sicherstellen, dass der notwendige Schutz vor
weiteren Klagen und damit ein wirklich dauerhafter
Rechtsfrieden erreicht wird. Die erst vor wenigen Tagen in
Los Angeles gegen die Firma Hochtief und ihre beiden
amerikanischen Tochterunternehmen eingereichte Klage
verdeutlicht exemplarisch die Dimensionen des Problems
und die Bedeutung eines wirklich umfassenden Rechtsfriedens. Dieser ist nicht nur für die deutsche Wirtschaft
von großer Bedeutung, sondern auch für die Bundesrepublik und unsere Beziehungen zu den Staaten der Welt.
Lieber Graf Lambsdorff, Sie und Ihre Verhandlungsführung sind heute schon mehrfach und zu Recht gelobt
worden. Ohne Ihr unermüdliches Engagement wären die
bisherigen Einigungen wohl nicht zu erzielen gewesen. Ihnen war keine Entfernung zu weit, kein Tag zu lang, kein
Problem zu kompliziert. Sie waren zur richtigen Zeit der
richtige Mann am richtigen Ort. Die Opfer und unser Land
haben Ihnen viel zu verdanken. Die Union dankt Ihnen
ganz ausdrücklich.
({8})
Aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres
Arbeitsstabes - beispielhaft erwähne ich die Herren
Westdickenberg, Geier und Löffler - haben Großartiges
geleistet und viel mehr als nur ihre Pflicht getan.
({9})
Danken darf ich auch den Kolleginnen und Kollegen
aus den anderen Fraktionen, aber auch - das mag ungewöhnlich sein, der Grund dürfte bekannt sein - ganz herzlich den Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Fraktion, insbesondere Michael Glos und den Kolleginnen und
Kollegen aus der CSU. Ich bin froh und glücklich, dass
meine Fraktion diesen Gesetzentwurf mit unterschrieben
hat.
({10})
Wenn wir auch bei der einen oder anderen Regelung unterschiedliche Akzente gesetzt haben und die eine
oder andere Meinungsverschiedenheit in Detailfragen hatten, so darf ich mich doch bei dir, lieber Bernd
Reuter, und bei den anderen Kolleginnen und Kollegen für
die gute Atmosphäre und die gute Zusammenarbeit bei den
Verhandlungen bedanken. Es war anstrengend, aber es hat
auch Spaß gemacht und wir haben auch viel gelernt. Lieber Graf Lambsdorff, sollten Sie noch einmal in ähnlicher
Mission unterwegs sein und uns brauchen: Wir fünf kommen.
({11})
Lieber Bernd, an dieser Stelle noch ein Hinweis: An den
Verhandlungen waren wir beteiligt. An der Erarbeitung
des Gesetzentwurfes sind wir leider nicht beteiligt worden.
Deswegen unsere herzliche Bitte: Wenn wir uns verabreden, um hier etwas gemeinsam zu beraten und zu verabschieden, dann sollten wir uns auch verabreden, die Texte
gemeinsam zu erarbeiten. Das hilft, eine breite Mehrheit
im Parlament herzustellen.
({12})
Wenn wir in den kommenden Wochen trotz noch nicht
gelöster Probleme und trotz einiger Meinungsverschiedenheiten in Detailfragen so wie in den vergangenen
14 Monaten über Fraktionsgrenzen hinweg eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten, dann werden wir die gesteckten Ziele auch erreichen. Dies wäre nicht nur für jeden noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter und jede
Zwangsarbeiterin gut und wichtig, denen spät ein wenig
Gerechtigkeit widerfahren soll, sondern auch für das Ansehen und die Zukunft unseres Landes.
Danke fürs Zuhören.
({13})
Als letzten Redner zu
diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen
Markus Meckel, SPD-Fraktion, das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der historischmoralischen Verantwortung der Deutschen aufgrund der
Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus ist eine
lange strittige Geschichte. Von dieser langen Geschichte,
die wahrhaftig wichtige Ergebnisse gebracht hat - darüber
ist heute schon gesprochen worden - waren wir Ostdeutschen ausgesondert. Auch darüber hat man hier schon gesprochen.
Aber vor ziemlich genau 10 Jahren, am 12. April 1990,
hat sich die frei gewählte Volkskammer mit einer Erklärung sehr deutlich in den gesamtdeutschen Kontext gestellt und diese nationale Verantwortung auf sich genommen. Sie hat damit etwas getan, was in meinen Augen eine ganz zentrale Dimension dieses Beginns von
Demokratie in ganz Deutschland war. Da diese Erklärung
relativ unbekannt ist und ziemlich selten zitiert wird,
möchte ich etwas daraus zitieren:
Durch Deutsche ist während der Zeit des Nationalsozialismus den Völkern der Welt unermessliches Leid
zugefügt worden. Nationalismus und Rassenwahn
führten zum Völkermord insbesondere an den Juden
aus den europäischen Ländern, an den Völkern der
Sowjetunion, am polnischen Volk, am Volk der Sinti
und Roma. Diese Schuld darf niemals vergessen werden. Aus ihr wollen wir unsere Verantwortung für die
Zukunft ableiten.
Diese Erklärung war damals nicht nur für uns Beteiligte wichtig, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung
für den folgenden Einigungsprozess. Wie überhaupt der
deutsche Einigungsprozess und seine europäische und
internationale Anerkennung ganz wesentlich mit der Art
und Weise zu tun hatten, wie wir Deutsche uns mit unserer Vergangenheit auseinander gesetzt haben.
Vor zehn Jahren wurde der Zwei-plus-Vier-Vertrag
abgeschlossen. Er war kein traditioneller Friedensvertrag.
Es war sehr wichtig, dass die Frage der deutschen Einheit
nicht mit Fragen der Reparationszahlungen verbunden
wurde und dass nicht versucht wurde, mit allen ehemaligen Kriegsgegnern ein Vertragswerk zu schließen. Es wäre außerdem etwas merkwürdig gewesen, wenn eine gewachsene Demokratie wie die alte Bundesrepublik nach
40 Jahren und - darauf muss man hinweisen - die DDR,
die ihre Freiheit selbst erkämpft hatte, plötzlich so dagestanden hätten, als wäre es unmittelbar nach 1945. Dies
war damals nicht möglich. Es war sinnvoll und gut, darüber im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Gespräche zu verhandeln.
Gleichwohl war uns auch damals bewusst, dass es eine
offene Frage der historisch-moralischen Verantwortung
gibt. Dieser Verantwortung wollten wir gerecht werden.
Darüber gab es im Deutschen Bundestag nach 1990 viele
Diskussionen. Erste Früchte hat dieses Bewusstsein in den
bilateralen Stiftungen mit Polen und - am Anfang - auch
mit der Sowjetunion sowie mit anderen Ländern getragen.
Aber das Ganze blieb sehr unbefriedigend, nicht nur in Bezug auf die Höhe der Summen für die Betroffenen, sondern auch deshalb, weil manche Opfergruppen aus den Regelungen völlig herausgefallen sind. Zu diesen gehörten
auch viele Zwangsarbeiter. Aber unbefriedigend war auch
die Situation in Deutschland, weil die deutsche Wirtschaft
in keiner Weise ihre Verantwortung übernommen hat.
Durch Klagen der Opfer entstand dann die Bereitschaft
in der Wirtschaft, sich ihrer Verantwortung zu stellen, eine Bereitschaft, die es vorher so nicht gab. Deshalb ist an
dieser Stelle dem Bundeskanzler zu danken, dass er dies
aufgriff, wohlgemerkt - das ist schon erwähnt worden schon vor seiner Wahl zum Bundeskanzler, und erklärte,
dass er sich, falls er gewählt würde, der Verantwortung
stellen werde. Er griff damit eine Erklärung des Deutschen Bundestages auf, die von der heutigen Regierungskoalition damals eingebracht worden ist. Der in dieser Erklärung enthaltene Auftrag bezüglich der deutschen Wirtschaft fand zwar damals eine Mehrheit, wurde aber von
der damaligen Bundesregierung nicht erfüllt.
Wichtig ist, dass mit der heutigen Lösung in Form der
Stiftung die verschiedenen Opfergruppen angemessen
berücksichtigt werden. Dies gilt wahrhaftig nicht in gleichem Maße für alle. Es ist wichtig, dies auch heute deutlich auszusprechen. Man kann nicht mit allem glücklich
und zufrieden sein. Die Vereinbarung stellt einen Kompromiss dar, aus dem wir das Beste machen müssen. DaWolfgang Bosbach
her danke ich den mittel- und osteuropäischen Partnern,
Polen, der Ukraine, Russland, Tschechien und Weißrussland, für ihre Zustimmung. Dennoch möchte ich mein Bedauern ausdrücken, dass man sich zunächst gegen die Einbeziehung der Zwangsarbeiter aus der Landwirtschaft gesträubt hat. Ich hoffe, dass es den für die Auszahlung
zuständigen Partnerorganisationen durch die Öffnungsklausel gelingen wird, auch diese Gruppe, die ich für sehr
wichtig halte, trotz der Beschränkungen angemessen zu
berücksichtigen.
Es ist viel über die 700 Millionen DM - ursprünglich
war es 1 Milliarde DM - diskutiert worden, die für den Zukunftsfonds gedacht sind. Wir müssen uns darüber klar
sein, dass es heute einen Generationswechsel gibt: 55 Jahre nach Kriegsende sterben die Zeitzeugen von damals, die
unmittelbaren Opfer. Es ist uns wichtig, dass die Verantwortung für die Vergangenheit nicht mit ihnen stirbt, sondern dass sie in die Zukunft getragen wird, dass das Wissen um diese Zeit und die Erinnerung an diese Zeit weiterhin erhalten bleiben und dass sich auch die neue
Generation in dieser Verantwortung weiß.
Deshalb glaube ich: Es ist international wichtig, dass
wir heute nicht nur dieses Gesetz auf den Weg bringen,
sondern dass wir auch in der Bundestagssitzung zur zweiten und dritten Lesung in diesem Hause gemeinsam eine
Entschließung zu unserer historischen Verantwortung verabschieden, in der die Worte des Bundespräsidenten Rau,
die hier schon angesprochen worden sind, aufgenommen
werden. Wir wollen damit den Opfern ihre Würde zurückgeben. Es geht darum, dass wir das Unrecht Unrecht nennen und dass wir unsere Verantwortung und Schuld ihnen
gegenüber bekennen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ der Fraktionen von SPD,
CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, von F.D.P. und PDS
auf Drucksache 14/3206 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Wahlvorschlag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS
Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen
Bundestages
- Drucksache 14/3160 Unser Dank gilt zunächst der scheidenden Wehrbeauftragten, Frau Claire Marienfeld.
({0})
Liebe Frau Marienfeld, vorgestern hatte ich bereits die Gelegenheit, bei einem Abschiedsempfang ausführlich zu Ihnen zu sprechen. Anlässlich der heutigen Wahl Ihres Amtsnachfolgers möchte ich Ihnen im Plenum des Deutschen
Bundestages noch einmal für Ihr Wirken zum Wohle der
Bundeswehr und ihrer Soldaten danken.
Sie haben sich seit nunmehr zehn Jahren - zunächst als
Mitglied des Verteidigungsausschusses und seit 1995 als
Wehrbeauftragte - insbesondere für die sozialen Probleme
der Soldaten und Wehrpflichtigen mit Nachdruck eingesetzt. In Ihre Amtszeit fiel eine erhebliche Aufgabenerweiterung der Bundeswehr. Sie waren in dieser Zeit
sehr häufig bei der Truppe und haben Ihre dort gewonnenen Eindrücke in die Arbeit des Verteidigungsausschusses
und des Bundestages insgesamt eingebracht.
Für die Soldaten, die sich vertrauensvoll an Sie gewandt hatten, setzten Sie sich mit hohem persönlichen Engagement ein. Die Umsetzung berechtigter Forderungen
und Anregungen haben Sie stets nicht nur eingefordert,
sondern auch weiterverfolgt. Wir möchten Ihnen von hier
aus auch im Namen der Soldaten noch einmal ganz herzlich für Ihre Arbeit im Deutschen Bundestag und als Wehrbeauftragte danken.
({1})
Wir kommen jetzt zur Wahl. Die Fraktionen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS haben den Abgeordneten Dr. Willfried Penner vorgeschlagen.
Ich gebe einige Hinweise zum Wahlverfahren: Zur
Wahl sind die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des
Bundestages, das heißt mindestens 335 Stimmen, erforderlich. Nach unserer Geschäftsordnung wird der Wehrbeauftragte mit verdeckten Stimmzetteln, also geheim,
gewählt. Sie benötigen eine Stimmkarte mit Wahlumschlag sowie Ihren Wahlausweis. Die Stimmkarten mit
Umschlag erhalten Sie hier oben links und rechts neben
den Wahlkabinen. Den Wahlausweis entnehmen Sie bitte,
soweit Sie das noch nicht getan haben, Ihrem Schließfach.
Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie die Stimmkarte nur
in einer der Wahlkabinen ankreuzen und dort in den Wahlumschlag legen. Die Schriftführer sind verpflichtet, jeden
zurückzuweisen, der seine Stimmkarte außerhalb der
Wahlkabine angekreuzt oder in den Umschlag gelegt hat.
Die Wahl kann in diesem Falle jedoch vorschriftsmäßig
wiederholt werden. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder Enthaltung. Ungültig
sind Stimmen auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie
Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder
Zusätze enthalten.
Bevor Sie die Stimmkarte in eine der vor dem Stenographentisch aufgestellten Urnen werfen, übergeben Sie
bitte Ihren Wahlausweis einem der Schriftführer an der
Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann
nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden.
Ich bitte noch um Aufmerksamkeit für einen praktischen Hinweis. Um einen reibungslosen Ablauf der Wahl
zu gewährleisten, bitte ich Sie, sich auf folgenden Wegen
zu den Wahlkabinen und von dort später zu den Wahlurnen zu begeben. - Ich sehe schon, es hat nicht viel Sinn,
diesen Hinweis zu geben, ich will es trotzdem tun. Zu den
Wahlkabinen nehmen Sie den Weg von der Seite her, das
heißt über die Gänge zwischen Ihren Sitzreihen. Von den
Wahlkabinen können Sie dann direkt hinunter zu den
Wahlurnen vor dem Stenographentisch kommen.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich vermute, dass
das inzwischen geschehen ist. Ich bitte, zum Empfang der
Stimmkarten zu den Ausgabetischen zu gehen.
Die Wahl ist eröffnet. ({2})
Vizepräsisdent Dr. Hermann Otto Solms: Haben
alle Mitglieder des Hauses und auch die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Stimmkarte abgegeben? - Das
scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Wahl und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen.
Für die Auszählung unterbreche ich die Sitzung für etwa 10 Minuten.
({3})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt: Es wurden insgesamt 545 Stimmen abgegeben, davon 543 gültige und
zwei ungültige. Mit Ja haben gestimmt 424,
({0})
mit Nein haben gestimmt 77, Enthaltungen 42. Herr Abgeordneter Dr. Willfried Penner hat die erforderliche
Mehrheit erhalten und ist zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gewählt.
Ich darf Sie fragen, Herr Penner: Nehmen Sie die Wahl
an?
Jawohl, Herr Präsident,
ich nehme sie sehr gerne an.
({0})
Ich bitte
darum, dass die Gratulationscour etwas beschleunigt abgeschlossen wird.
({0})
Herr Dr. Penner, ich möchte Ihnen auch von hier aus im
eigenen Namen sowie im Namen des ganzen Hauses gratulieren. Ich wünsche Ihnen für die Führung des Amtes
viel Mut, Kraft und eine gute Hand. Herzlichen Glückwunsch!
({1})
Die Vereidigung von Herrn Dr. Penner findet in der
nächsten Sitzungswoche am 11. Mai 2000 statt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 f sowie
die Zusatzpunkte 4 bis 6 auf:
7 a) Beratung der Beschussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({2}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Eduard Oswald, Dirk Fischer
({3}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft sichern - Verkehrsinfrastrukturin-
vestitionen verstärken
- Drucksachen 14/2360, 14/3199 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Mertens
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Hofbauer, Dirk Fischer ({4}), Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
A 6 als wichtige europäische West-OstStraßenverbindung vorrangig fertigstellen
- Drucksache 14/2910 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Faire Preise für die Infrastrukturbenutzung:
Ein abgestuftes Konzept für einen Gemeinschaftsrahmen für Verkehrs-Infrastrukturgebühren in der EU
Weißbuch
- Drucksachen 14/74 Nr. 2.109, 14/1545 Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich
Renate Blank
Albert Schmidt ({7})
Horst Friedrich ({8})
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 1999
- Drucksache 14/2176 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Straßenbaubericht 1999
- Drucksache 14/2488 Präsident Wolfgang Thierse
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
f) Beratung für Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({11}) zu dem Bericht des Ausschusses
für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({12}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Entwicklung und Analyse von Optionen
zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur
Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger
- Drucksachen 13/11447, 14/272 Nr. 144,
14/2429 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Peter Wilhelm Danckert
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Mertens, Hans-Günter Bruckmann, Dr.
Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt ({13}), Franziska EichstädtBohlig, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Anti-Stau-Programm
- Drucksache 14/3179 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({14})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Rosel
Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Beibehaltung der Reisezug-Verbindungen
zwischen Polen und Berlin
- Drucksache 14/3191 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Verkehr,
Bau-und Wohnungswesen ({15})
zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Fr iedr ich ({16}) , Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Straßenbau statt Autostau
- Drucksachen 14/2582, 14/3198 Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Mertens
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Eduard Oswald von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Unser Jahrzehnt wird ein Jahrzehnt der Mobilität. Die schnelle Raumüberwindung von
Personen, Gütern und Nachrichten wird ganz entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg sein. Die arbeitsteilige und weltoffene Gesellschaft lässt ein Bedürfnis nach
zusätzlicher Mobilität entstehen.
({0})
Wie ist die Realität zu Beginn dieses Jahrzehnts?
Deutschlands Straßen sind zunehmend verstopft. In den
letzten fünf Jahren hat die Zahl der PKWs auf deutschen
Autobahnen um 13 Prozent zugenommen. Die Zahl der
LKWs legte um ein Viertel zu. Diese Entwicklung sprengt
sämtliche Prognosen. Der Verkehrswegeplan von 1992
ging noch davon aus, dass im Jahre 2000 im Güterverkehr
150 Milliarden bis 200 Milliarden Tonnenkilometer über
die Schiene transportiert würden. Tatsächlich sind es nicht
einmal halb so viele. Stattdessen war allein der Zuwachs
beim Straßengüterfernverkehr in diesem Zeitraum fast so
groß wie der gesamte Aufkommensbestand an Schienengüterverkehr.
Auf all diese Herausforderungen und Fakten muss die
Verkehrspolitik die richtigen Antworten finden.
({1})
Wer die Zukunft sichern will, muss die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen verstärken. Das, was bisher von
dieser Regierung auf den Weg gebracht worden ist, ist unzureichend.
({2})
Was machen Sie? - Sie belasten den Autofahrer und bitten ihn zur Kasse. Gleichzeitig aber kürzen Sie bei den
Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur.
({3})
Sie verschieben die notwendigen Maßnahmen auf das Jahr
2003 und kündigen sie jetzt erwartungsvoll an. Sie täuschen Handlungsfähigkeit vor, indem Sie Programme aufstellen und sie gleichzeitig in die nächste Legislaturperiode verschieben. Sie nehmen hin, dass der Dauerstau auf
unseren Straßen zu einer Vergeudung von jährlich 33 Millionen Liter Kraftstoff führt und einen Zeitverlust von täglich 13 Millionen Stunden sowie einen volkswirtschaftlichen Schaden von 550 Millionen DM Tag für Tag verursacht. Für uns heißt aktiver Umweltschutz: weniger Stau!
({4})
Was ist zu tun? Erstens. Wir müssen in die Verkehrsinfrastruktur investieren. Denn die Qualität der Verkehrsinfrastruktur bestimmt die Qualität des Standortes Deutschland. Zweitens. Wir brauchen ein schlüssiges und
umfassendes Konzept zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Bis 2003 steigt die Mineralölsteuer
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
einschließlich der Mehrwertsteuer um 21 Pfennig je Liter;
auf den Autofahrer kommen damit glatte 1 000 DM zusätzlich zu, die der Staat mit der Ökosteuer dem Durchschnittsfahrer aus der Tasche zieht. Heute zahlen die Autofahrer 85 Milliarden DM an Steuern, während nur
32 Milliarden DM für den Straßenbau ausgegeben werden.
({5})
- Lautstärke ist kein Argument.
({6})
Um die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur,
insbesondere den Ausbau des Bundesfernstraßennetzes,
auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, müssen Voraussetzungen geschaffen und Fragen geklärt werden. Ich
darf in diesem Zusammenhang sechs Fragen stellen.
Erstens. Wie hoch müssen denn die verkehrsspezifischen Abgaben des Verkehrsträgers LKW insgesamt sein,
damit sie die vom LKW verursachten Wegekosten widerspiegeln?
Zweitens. Wie soll denn die entfernungs- und leistungsbezogene Straßenbenutzungsgebühr für schwere
LKW genau ausgestaltet werden? Lässt Ihnen denn der Finanzminister noch etwas? In diesem Zusammenhang muss
geklärt werden, wie die Kompensationsmöglichkeiten für
das inländische Güterkraftverkehrsgewerbe aussehen und
wie die Harmonisierung im internationalen Wettbewerb
weiter vorangebracht wird.
Drittens. Die Bundesregierung muss ein Konzept vorlegen, wie die Verkehrssteuern und deren Aufteilung neu
geordnet werden sollen, wenn mit einer Finanzierung der
Verkehrswege über Gebühren Änderungen im bisherigen
System notwendig werden.
Viertens. Es muss die Zweckbindung eines Anteils an
der Mineralölsteuer für den Bundesfernstraßenbau erfolgen.
({7})
Eine Erhöhung der Mineralölsteuer um einen Pfennig
bringt über 700 Millionen DM.
Fünftens. Die Investitionsquote muss entsprechend der
im Bundesverkehrswegeplan zugrunde gelegten Bedarfsfortschreibung erhöht werden.
Sechstens. Es ist eine verstärkte Nutzung des Einsatzes
privaten Kapitals im Rahmen des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes vorzusehen. Dazu müssen auch Gespräche auf EU-Ebene geführt werden, um die Möglichkeiten auszuweiten.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Umfang rechtskräftig planfestgestellter, also baureifer Straßenbauprojekte beträgt inzwischen bundesweit über 5 Milliarden
DM, für die keine Finanzierung besteht. Denken Sie dabei
immer daran, dass gerade bei den notwendigen Ortsumgehungen Straßenbau Menschenschutz ist. Und denken
Sie dabei auch daran, dass durch Ihre Mineralölsteuererhöhungen unsere Bürgerinnen und Bürger auf
dem flachen Land um bis zu 30 Prozent stärker belastet
werden als die Stadtbewohner.
({9})
Wir werden bei unserer Verkehrspolitik die große Zahl der
Menschen nicht aus dem Auge verlieren, die tagtäglich auf
das Auto angewiesen sind.
({10})
Wir wissen, dass der Ausbau der Verkehrswege nicht
unbegrenzt möglich ist. Die Verkehrsprobleme müssen
vor allem auch durch eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit, der Effizienz, der Sicherheit und der Nutzerfreundlichkeit des bestehenden Verkehrssystems gelöst
werden.
In der deutschen Verkehrspolitik war man sich immer
einig, dass es Ziel bleiben muss, die zusätzlich entstehenden Verkehre von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
Deshalb verwundert es mich schon, dass sich die Bahn gerade beim kombinierten Verkehr zurückziehen will, geplante Güterverkehrszentren nicht realisiert und somit der
Verkehr auf die Straße getrieben wird. Das kann nicht die
richtige Politik sein. Sie, meine sehr verehrten Damen und
Herren, dürfen so etwas nicht mitmachen.
({11})
Man kann nicht draußen verkünden, man wolle die Verkehre von der Straße auf die Schiene verlagern, und
gleichzeitig erklären, man werde eine solche Politik der
Bahn akzeptieren.
({12})
Wir werden alle Vorschläge der Bahn und auch der
Bundesregierung sorgfältig hinterfragen. Die erste Frage
lautet: Gelingt es, wieder mehr Verkehr auf die Schiene zu
bringen? Wir wollen eine Stärkung des Rad-Schiene-Systems.
({13})
Der Schienenverkehr muss attraktiver werden.
({14})
Zweitens: Uns geht es um die Zufriedenheit der Bahnkunden. Die Sicherheit bei der Nutzung ist unverzichtbare Voraussetzung für den Erfolg des Unternehmens und
seiner Mitarbeiter.
({15})
Wir wollen eine Bedienung der Fläche. Jede Region
muss an das Schienennetz angeschlossen sein. Ein Rückzug aus der Fläche würde der Bahn auf ihren Hauptmagistralen auf Dauer Verluste bringen. Denn jeder Kunde, der
sich erst ins Auto setzen muss, um zur Hauptstrecke zu gelangen, verzichtet womöglich ganz auf die Nutzung der
Bahn.
({16})
Wir wollen, dass die Bundesregierung ihre Eigentümerverantwortung für das Schienennetz ernst nimmt. Wir
wollen, dass der Bund die Rahmenbedingungen für die
Bahn verbessert und die Bahn nicht weiter belastet. Die
Ökosteuer und die Gebühr für den Bundesgrenzschutz belasten die Bahn und damit die Bahnfahrer mit 650 Millionen DM jährlich. Wir wollen eine leistungsfähige Bahn
und auch ein zukunftsfähiges Schienennetz. Wir wollen
Wettbewerb auf der Schiene. Wenn manche Konzepte, die
von der Bahn vorgelegt werden, bedeuten, dass die Bahn
entscheidungsnäher beim Bürger ist, dann ist dies ganz sicher der richtige Weg. Wir wollen mehr Güter auf die
Schiene bringen. Die Bahn muss flexibler, schneller und
kostengünstiger werden.
({17})
Wir wollen, dass die Bahn auch beim grenzüberschreitenden Verkehr wieder leistungsfähig wird.
({18})
Dies muss wieder ein wichtiges europäisches Thema werden. Es muss von der gesamten Bundesregierung getragen
und darf nicht allein dem Verkehrsminister überlassen
werden.
({19})
Wir wollen, dass unsere Bahnhöfe wieder attraktiver
und sicherer werden, aber nicht nur die in den Zentren,
sondern auch die auf dem flachen Land.
Unser politisches Ziel ist es, deutlich zu machen, dass
Verkehr und Mobilität kein Selbstzweck, sondern die
Grundlagen für das soziale Miteinander des Menschen, für
die Erschließung der Lebensräume und für fast jede wirtschaftliche Tätigkeit sind. Also bestrafen Sie Mobilität
nicht.
({20})
Wirtschaftliche und verkehrliche Entwicklung sind
miteinander verknüpft. Es kann auf keinen Verkehrsträger
verzichtet werden. Verkehrspolitik muss man ideologiefrei
betreiben.
({21})
Denn die Verkehrspolitik entscheidet über die Zukunftsfähigkeit des Landes. Deshalb sind Investitionen in die
Verkehrsinfrastruktur Zukunftsinvestitionen. Das haben
wir mit unseren Anträgen dokumentiert. Stimmen Sie also unseren Anträgen, die den richtigen Weg aufzeigen, zu.
Ich möchte diese Debatte aber nicht schließen, liebe
Kolleginnen und Kollegen,
({22})
ohne dem bisherigen Parlamentarischen Staatssekretär
Lothar Ibrügger, der diese Debatte hier unter uns verfolgt, sehr herzlich für seine Arbeit gedankt zu haben.
({23})
Er stand uns fachkundig mit Rat und Tat zur Seite - natürlich manchmal mit anderen politischen Zielsetzungen,
aber er war immer ein liebenswürdiger Kollege. Wir hoffen, dass er dies nicht nur war, sondern auch ist und bleibt.
Wir wissen dies und freuen uns auf weitere herzliche Begegnungen mit ihm hier im Parlament und auch außerhalb.
Alles Gute und vielen herzlichen Dank.
({24})
Das Wort
hat nun die Kollegin Heide Mattischeck von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich zumindest
den letzten Worten des Kollegen Oswald anschließen.
({0})
- Nein. Ich kann mich nur ganz wenigen Sätzen anschließen. Aber dies werden wir als Verkehrsausschuss sicherlich auch noch an einem anderen Tag und zu einem anderen Anlass diskutieren.
({1})
Ich schätze den Kollegen Oswald als guten Vorsitzenden sehr, wie wir es alle im Ausschuss tun. Aber heute hat
er etwas heftig aufgetragen.
({2})
Die wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen,
möchte ich für das Thema Bahn nutzen, weil es in der augenblicklichen Situation sehr wichtig ist. Ich möchte auf
das, was mein Vorredner sagte, reagieren; das macht eine
Debatte aus. Ich weiß, dass Sie uns sehr viel zutrauen, Herr
Oswald. Aber was wir in eineinhalb Jahren heruntergewirtschaftet haben sollen! Das haben wir wirklich nicht
geschafft. Wir sind nicht daran Schuld, dass die Bahnhöfe in einem solch schlechten Zustand sind, Herr Oswald.
({3})
- Wenn Sie Zurufe haben, melden Sie sich; ich werde die
Fragen gerne beantworten. Wir sollten uns gemeinsam
dieser Aufgabe stellen.
({4})
Wenn Sie immer wieder von den zusätzlichen Belastungen sprechen - darauf muss man eingehen -, die die
rot-grüne Regierung den Autofahrern aufbürdet,
({5})
so kann ich Ihnen nicht ersparen, an die Erhöhung von
50 Pfennig zu erinnern, die Sie vorgenommen haben. Das
ist in irgendwelchen Löchern, die Sie gestopft haben,
verschwunden.
({6})
Mit der ökologischen Steuerreform entlasten wir die
Arbeitgeber sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, entlasten bei der Rentenversicherung, weil
Sie die Lohnnebenkosten in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit in eine ungeahnte Höhe getrieben haben. Sie haben uns eine hohe Schuldenlast hinterlassen. Das muss
man immer wieder sagen: 1,5 Billionen DM Schulden,
über 80 Milliarden DM Zins und Tilgung in jedem Jahr.
Was könnten wir von diesem Geld investieren, wenn wir
es nur hätten!
({7})
- Der liebe Gott hat damit überhaupt nichts zu tun.
Sie haben gesagt, wir würden etwas in die nächste Legislaturperiode verschieben. Sie haben die Probleme, die
Sie nicht nur in der Verkehrspolitik übrig gelassen haben,
sogar auf die nächste Regierung verschoben. Damit haben
Sie etwas Gutes gemacht. Wir werden diese Probleme
nicht weiter verschieben, sondern wir werden alles, was in
unserer Kraft steht, tun, um diese Probleme zu lösen.
({8})
Wir haben zurzeit eine breite öffentliche Diskussion
über die Zukunft der Bahn. Diese Diskussion begrüßen
wir. Die eine oder andere Schreckensmeldung, die jeden
Tag oder zumindest jede Woche in den Zeitungen zu lesen
ist, ist dabei nicht so hilfreich. Dies hat nicht immer etwas
mit sachlicher Politik zu tun. Wir brauchen keine aufgeregte Diskussion über die Bahn, sondern wir brauchen eine sachliche Diskussion. Denn die Bahn hat in der Tat Probleme.
Herr Mehdorn hat unmittelbar nach seinem Amtsantritt
die Dinge beim Namen genannt. Wir fanden das sehr hilfreich. Dies war eine gute Ausgangsbasis für eine gemeinsame Strategie von Regierung, Mehrheitsfraktionen und
Bahn. Wenn die Opposition dabei mitmachen möchte, ist
sie herzlich dazu eingeladen, an der Lösung der Probleme
mitzuarbeiten.
Ich sage an die Adresse der Bahn und des Vorstandes
aber auch: Man kann eine Firma kaputtsparen. Das ist
nicht unser Ziel. Es hat hier keinen Sinn, nur über Kosteneinsparungen zu reden, sondern wir müssen die Bahn
in Qualität und Quantität verbessern. Das muss vor allem
unsere Strategie sein. Das entspricht - daran darf ich erinnern - den Intentionen der Bahnreform, und das entspricht
der Gemeinwohlverpflichtung aus dem Grundgesetz.
Deutschland ist Transitland Nummer eins in Europa.
Die erwarteten Verkehrszuwächse - Kollege Oswald hat
darauf hingewiesen - können nur mit einer leistungsfähigen Bahn bewältigt werden: ob es der Personennah- oder
-fernverkehr oder ob es der Güterverkehr ist. Das gilt auch
im Hinblick auf die anstehende Osterweiterung der Europäischen Union.
Die Bahn muss sagen, wohin sie will - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Politik muss für die erforderlichen
Rahmenbedingungen bei den Investitionen und den Wettbewerbsbedingungen sorgen. Wir werden das Unsere dazu tun. Wir haben entsprechende Schritte eingeleitet. Unseren Willen haben wir im Übrigen im Koalitionsvertrag
zum Ausdruck gebracht.
Nach sechsjähriger Erfahrung mit der Bahnreform und
den daraus resultierenden Veränderungen ist es an der Zeit,
eine erste Bilanz zu ziehen. Wir haben deshalb gemeinsam
mit dem Koalitionspartner eine Große Anfrage zur Bahnpolitik an die Bundesregierung gestellt. Wir werden im Juni die Antwort darauf bekommen und werden daraus unsere Schlüsse ziehen. Unausgegorene Schnellschüsse sind
unseres Erachtens nicht zielführend.
({9})
Es mag objektiv zu wenig sein, was in den letzten Jahren bei der Bahn im investiven Bereich gemacht worden
ist. Wir müssen - ich will auf die Zahlen jetzt nicht näher
eingehen - mit den Ergebnissen der Politik der
CDU/CSU und der F.D.P. leben. All das, Herr
Oswald, was Sie zugunsten der Bahn vorgeschlagen haben - Harmonisierungsschritte, der Ausgleich von Nachteilen gegenüber anderen Verkehrsträgern und vor allen
Dingen gegenüber den Bahnen der anderen europäischen
Ländern -, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie
16 Jahre lang Zeit gehabt haben, solche Vorschläge umzusetzen. Sie haben aber nichts getan, wovon wir heute
zehren könnten und worauf wir aufbauen könnten.
({10})
Sie sind aber trotzdem noch immer herzlich eingeladen,
hier mitzumachen.
({11})
- Ja, sie sind im Schlafwagen gefahren.
Aufgabe des Unternehmens Deutsche Bahn ist es,
durch Effizienzsteigerung zu größerer Leistungsfähigkeit
zu gelangen. Hierzu gehört eine optimale Organisationsform. Herr Mehdorn hat eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, mit denen wir uns anfreunden können und
die wir unterstützen können, wenn es konkretere Formen
annimmt. Auch wir sind der Meinung, dass nicht nur, wie
es in den letzten Jahren oft zur Diskussion gestellt wurde,
die großen Magistralen - Heide Mattischeck
Frau Kollegin Mattischek, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Meister?
Aber gerne, ja.
Herr
Meister.
Frau Kollegin
Mattischeck, Sie laden uns ja dazu ein, an einem Zukunftskonzept für die Deutsche Bahn AG konstruktiv mitzuwirken. Ist das Konzept, das Sie ansprechen, das Konzept, das der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Herr
Mehdorn, vorgelegt hat, oder meinen Sie ein anderes Konzept? Wenn Sie uns einladen, daran mitzuwirken, müssen
wir natürlich wissen, an welchem Konzept wir mitwirken
sollen.
Ich habe gesagt, dass wir
uns mit dem Konzept von Herrn Mehdorn, soweit wir es
bisher in Umrissen kennen, gut anfreunden können. Da
muss aber noch Fleisch an die Knochen; darüber werden
wir noch diskutieren. In diesem Zusammenhang habe ich
auch unsere Große Anfrage genannt, die eine Reihe von
Fragen an die Bundesregierung hinsichtlich der Konkurrenzfähigkeit der Bahn gegenüber den anderen Verkehrsträgern innerhalb Deutschlands und gegenüber den anderen europäischen Eisenbahnen enthält. Wir werden die
Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage abwarten und dann darüber diskutieren, welche Konsequenzen wir daraus ziehen müssen.
Wir wissen aber heute schon einiges, was wir machen
müssen
({0})
und was Sie leider nicht gemacht haben. Faire Trassenpreise sind ein ganz wesentlicher Faktor
({1})
für die Konkurrenzfähigkeit der Deutschen Bahn hinsichtlich der europäischen Eisenbahnen und der verschiedenen Verkehrsträger in Deutschland. Sie haben viel Zeit
gehabt, dies zu regeln, aber Sie haben es nicht geregelt.
Wir packen diese schwere Aufgabe jetzt an.
Da Sie mich nach dem fragten, was wir von der Bahn
wollen, sage ich Ihnen: Wir wollen eine „Flächenbahn“,
die im Nahverkehr präsent ist und möglichst viele Regionen bedient. Selbstverständlich wird es immer Ergänzungen durch Busse geben müssen. Das gibt es heute schon
und das ist auch nicht besonders neu. Wir wollen schnelle
Hochgeschwindigkeitsverbindungen
({2})
zwischen den Zentren. Vor allen Dingen wollen wir - das
klappt überhaupt nicht; Sie haben auch das nicht in Angriff
genommen - die Verbindungen im europäischen Schienenverkehr ausbauen. Hier hat unser Verkehrsminister erste erfolgreiche Verabredungen mit Frankreich getroffen. Wir wollen optimale Verbindungen. Wir wollen
gute Taktzeiten. Wir wollen die Öffnung des Bahnnetzes
auch für Dritte; das funktioniert ebenfalls überhaupt noch
nicht. In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht vergessen, dass die Sicherheit der Bahn weiterhin an oberster
Stelle stehen muss. Schließlich geht es um den Service,
den wir von der Bahn erwarten: Sauberkeit, Pünktlichkeit,
Schnelligkeit, Zuverlässigkeit.
Wir sind auf einem guten Wege. All das, was wir und
der Verkehrsminister in diesen eineinhalb Jahren angepackt haben, ist der richtige Weg.
({3})
Wir werden ihn ganz in Ruhe und Gelassenheit weitergehen und werden uns durch aufgeregte Schnellschüsse nicht
aus der Ruhe bringen lassen. Wir werden dieses Ziel weiter verfolgen. Wir werden dabei einen guten Erfolg haben,
und zwar schneller als in 16 Jahren. Sie hatten in 16 Jahren gar keinen Erfolg.
({4})
Als nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen
Jürgen Möllemann von der F.D.P.-Fraktion
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in diesem Parlament über die Jahre hinweg schon eine Menge interessanter Sprachbilder vorgetragen bekommen. Aber das Bild
„schnelle Schnellschüsse“, die man nicht will, sondern
nur etwas langsamere, gefällt mir besonders gut. Auch der
Satz, dass die alte Regierung - das werden Sie wahrscheinlich noch in zehn Jahren erzählen; dann allerdings
in der Opposition ({0})
Ihnen nach 16 Jahren nichts hinterlassen habe, wovon Sie
noch heute zehren könnten, ist ein gelungenes Sprachbild.
Jeden Tag muss sich der Westdeutsche Rundfunk aufs
Neue überlegen - um die verkehrspolitische Lage einmal
auf das Land Nordrhein-Westfalen herunterzubrechen, wo
sie besonders interessant ist -,
({1})
ob er nur noch Staus ab 6 Kilometern melden soll, weil die
Staumeldungen sonst, wenn auch kürzere Staus berücksichtigt werden, länger dauern als die Nachrichtensendungen.
({2})
Die Autofahrer in Deutschland stehen im Jahr circa
4,4 Milliarden Stunden im Stau. Sie verbrauchen im Stau
mehr Sprit als im rollenden Verkehr, verschwenden im
Stau ihre Arbeitszeit und zahlen dafür, dass sie im Stau stehen dürfen, Jahr für Jahr - Stichwort Ökosteuer - mehr
Steuern. Wenn der ADAC und wichtige Verbände der Verkehrswirtschaft unter dem Motto „Jetzt reicht’s“
({3})
eine Kampagne gegen Abzockerei und Investitionskürzungen starten, dann müssten eigentlich quer durch alle
Fraktionen die Alarmglocken klingeln.
({4})
Angesichts dieser Kampagne reicht es nicht aus, sich
selbstherrlich über die vermeintlich einseitige Ausrichtung auf die Straße zu mokieren oder einäugig das finanzpolitische Prinzip hochzuhalten, dass es grundsätzlich keine Zweckbindung von Steuereinnahmen und deshalb auch
keinen Anspruch der Autofahrer auf Gegenleistungen
gebe.
Wir verstehen die „Jetzt reicht’s“-Kampagne als politisches Signal, Herr Kollege Klimmt; denn die Verkehrspolitik, Abteilung Straßenbau, ist unter der rot-grünen Koalition aus der Balance geraten, weil Ihr grüner Koalitionspartner das, was Sie und andere sozialdemokratische Verkehrspolitiker - ich nenne zum Beispiel Herrn
Steinbrück oder Herrn Schwanhold in Nordrhein-Westfalen - für notwendig erachten, nämlich den massiven Ausbau der Verkehrswege, damit die Autofahrer nicht dauernd
im Stau stehen, durch seine Betonpolitik diskreditiert.
Deswegen können Sie das, was Sie eigentlich für notwendig erachten, nicht umsetzen. Das ist das Dilemma für die
Autofahrer.
({5})
Der Ausbau der Verkehrswege - Sie, meine Damen
und Herren von den Grünen, können sich ruhig darüber
mokieren; aber es ist gut, wenn die Autofahrerinnen und
Autofahrer das wissen - ist zwingend notwendig, weil das
Verkehrsaufkommen auf den Straßen drastisch wachsen
wird - alle Prognosen besagen das -, allein schon deshalb,
weil unsere osteuropäischen Nachbarn durch die Integration in den europäischen Wirtschaftsraum den gleichen
Motorisierungsgrad wie wir erreichen werden und weil sie
mit ihren Autos, die sie hoffentlich in Deutschland kaufen
werden, nicht nach Sibirien, sondern in das Herz Europas
fahren werden. Das heißt, der Dauerstau wird dann ein
Dauerphänomen. Da hilft kein Ablenkungsmanöver. Es ist
nicht in Ordnung, die Autofahrer bis zum Gehtnichtmehr
abzuzocken, ihnen aber die Straßen, die sie brauchen, vorzuenthalten. Man muss nicht ADAC-Mitglied sein, um zu
dieser Erkenntnis zu gelangen.
({6})
Ich habe vor ein einigen Tagen eine Ausbildungseinrichtung des Dachdeckerhandwerks im Sauerland besucht.
({7})
- Machen Sie sich ruhig über solche Berufe lustig. - Die
Ausbildung der Dachdecker ist im Sauerland konzentriert.
Die jungen Leute aus ganz Nordrhein-Westfalen müssen,
um dorthin und von dort wieder zu ihren Arbeitsplätzen zu
kommen, mit dem Auto fahren. Wissen Sie, was Sie von
Ihnen halten, wenn sie von Ihnen mitgeteilt bekommen,
dass der Sprit Jahr für Jahr um 6 Pfennig, Stichwort „Ökologie“ - weder „öko“ noch „logisch“ -, verteuert wird und
dass Sie von diesem Geld Jahr für Jahr weniger für den
Straßenbau ausgeben wollen? Diese jungen Leute aus
Nordrhein-Westfalen haben davon ein sehr klares Bild.
({8})
Sie bestrafen damit nämlich nicht die Dienstwagenliebhaber Trittin und Höhn, die jede Kröte zu schlucken
bereit sind, um ihre Dienstwagen zu behalten. Diese Personen können gerne von 5 DM pro Liter Sprit reden. Sie
bestrafen vielmehr die kleinen Leute, die Schüler, die Studenten, die Auszubildenden, die Rentner, diejenigen, die
weite Strecken mit dem Auto fahren müssen und keine
Ausweichmöglichkeiten haben.
({9})
- Auch wenn Sie versuchen, hier mit Zwischenrufen, mit
lachhaften Bemerkungen davon abzulenken: Sie können
es nicht. Die Menschen spüren jeden Tag, dass Ihre Politik nicht in Ordnung ist.
Wie ist denn der Mechanismus? Die Menschen stehen
im Stau - trotzdem bauen Sie die Straßen nicht aus -, verbrauchen noch mehr Sprit - das ist so, wenn man im Stau
steht - und verpesten die Umwelt noch mehr als im rollenden Verkehr. Dafür dürfen sie dann vom nächsten Jahr
an noch einmal 6 Pfennig pro Liter mehr Steuern zahlen.
Das ist nicht in Ordnung!
({10})
Ich bin ganz sicher, meine Kollegen Steinbrück und
Schwanhold, aber auch Herrn Klimmt richtig verstanden
zu haben, dass sie eigentlich mehr für den Ausbau der
Straßen tun wollen; aber sie dürfen es nicht, weil die Grünen das als Beton- und Blockadepolitik diskreditieren.
({11})
- Herr Kollege, das passt Ihnen nicht. Stehen Sie doch zu
Ihrer Verweigerungspolitik! Geben Sie doch zu, dass Ihr
Vormann Trittin vor der Bundestagswahl erklärt hat - ich
nehme an, er muss ernst genommen werden -, das Ziel seien 5 DM für den Liter Sprit!
({12})
- Wollen Sie sich distanzieren? Herr Trittin hat erklärt, das
sei das Ziel.
Wir kennen die grünen Methoden, den Menschen für irgendwelche rot-grünen Projekte das Geld aus der Tasche
zu ziehen und es eben nicht denjenigen zukommen zu lassen, die es brauchen. Wir brauchen Mobilität in Deutschland.
({13})
Wir müssen die Chance eröffnen, dass sich die Menschen
zu ihren Arbeitsplätzen, zu ihren Studienplätzen und zu
ihren privaten Zielen bewegen können.
({14})
Das geschieht mit Ihrer Verkehrspolitik nicht!
({15})
Ich möchte gern zu dem zweiten Punkt kommen, der in
diesem Zusammenhang von Bedeutung ist: Es ist ganz
schön, wenn Sie hier sagen: Natürlich reicht Straßenbau
allein nicht; auch die Bahn muss besser werden. Das entspricht ganz genau unserer Meinung. Aber warum hängen
Sie dann am Monopol? Sie wissen doch ganz genau - zu
meiner Zeit als Wirtschaftsminister haben wir in diesem
Hause darüber debattiert -, wie Ihre Haltung war, als es
darum ging, das Telekommunikationsmonopol der Post zu
brechen. Damals ist hier gesagt worden: Dann bricht die
Telekommunikation zusammen; es werden Tausende von
Arbeitsplätzen abgeschafft usw. - Horrorvisionen!
Heute sehen wir: Durch den Wettbewerb auf diesem
Sektor ist das Telefonieren preiswerter geworden und
Abertausende neue Arbeitsplätze sind entstanden. Genauso muss es bei der Bahn sein:
({16})
Wir brauchen eine private Gesellschaft, die die Schienenwege und die Bahnhöfe managt und vermarktet, und wir
brauchen konkurrierende Anbieter von Transportleistungen für Personen und Güter auf diesem Schienennetz;
sonst werden wir nicht bekommen, was wir benötigen.
({17})
In der Bevölkerung verbreitet ist heute das Ärgernis:
Die Bahn ist teuer, unpünktlich und serviceunfreundlich.
Das wird sich nicht dadurch ändern, dass Herr Mehdorn
das Monopol behält und jetzt mitteilt, welche Strecken
stillgelegt werden sollen. Er kann umso unbefangener
stilllegen, je weniger Wettbewerb es gibt. Wir wollen eine
preiswerte, eine servicefreundliche Bahn, die pünktlich ist.
Die werden wir nur bekommen, wenn es Wettbewerb gibt;
deswegen müssen Sie Ihre Ideologie in diesem Punkt korrigieren.
({18})
Der dritte Punkt, den ich ansprechen will, betrifft den
Transrapid.
({19})
- Ich weiß schon, warum ich das hier anspreche. - Es ist
schön, dass der Bundesverkehrsminister noch vor einigen
Wochen erklärt hat, das sei eine hochmoderne Technologie, die wir in Deutschland brauchten. Noch schöner ist es,
dass der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen erklärt, er wolle den Transrapid in Nordrhein-Westfalen einsetzen. Es ist eher unterhaltsam, wenn die Grünen,
die in Nordrhein-Westfalen und auch hier erklärt haben,
das sei eine absolut überflüssige Technologie, die sich
nicht rechne, plötzlich, vier Wochen vor der Landtagswahl
in Nordrhein-Westfalen, erklären: Na ja, ob zehn Zentimeter oberhalb oder unterhalb des Streckennetzes,
({20})
das ist nicht so entscheidend.
Meine Damen und Herren, wir brauchen diese
hochmoderne Technologie. Bundeskanzler Gerhard
Schröder reist in der Welt umher und macht Werbung für
den Export dieses Projektes. Das finde ich verdienstvoll
und gut. Aber wissen Sie, wie die potenziellen Kunden in
diesen Ländern das sehen? - Die fragen: Herr Bundeskanzler, wo wenden Sie diese Technologie denn in Ihrem
eigenen Land an?
({21})
Als die Strecke Berlin-Hamburg in Angriff genommen
werden konnte, war es Grün-Rot, das die Durchführung
dieses Projekts mit immer neuen Blockaden erschwert hat.
({22})
Wir wollen den Transrapid. Wir halten die Erklärungen
von Herrn Clement für einen nordrhein-westfälischen Metrorapid so lange für unglaubwürdig, wie er sich nicht auf
Bundesebene dafür einsetzt, dass eine Technologie, die angeblich für NRW das Beste ist, in ganz Deutschland angewandt werden kann.
({23})
Es ist allmählich wirklich beschämend: Wir entwickeln
eine der modernste Verkehrstechnologien der Welt und
dann hindern die grünen Bürokraten Sie, die Sozialdemokraten, daran, sie anzuwenden.
({24})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, so und nicht anders
ist es: Ihr Ministerpräsident Clement sagt, in NordrheinWestfalen wollen wir die Technologie, aber die Grünen
hier hindern Sie daran. Sie kommen nicht darum herum,
sich eines Tages entscheiden zu müssen, ob Sie Ihren Worten in der Verkehrspolitik Taten folgen lassen wollen. Angesichts dieser merkwürdigen Gemengelage werden Sie
allerdings das, was notwendig ist, nicht hinbekommen,
meine Damen und Herren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({25})
Als nächster Redner hat der Kollege Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Möllemann, zu Ihrer Rede möchte ich
eigentlich nur eines sagen
({0})
- schön wär’s, aber daran glaube ich nicht -: Überschätzen Sie unseren Einfluss nicht! Ich wäre froh, wir hätten
den Einfluss, den Sie uns zutrauen.
({1})
Was Sie uns alles zutrauen, was wir verhindern und bewirken können - großartig! Also, ich fühle mich geehrt,
Herr Möllemann. Einigen wir uns auf diesen Satz.
({2})
- Ja, ich habe mich heute sehr nach Horst Friedrich gesehnt. Aber das ist ein anderes Thema.
({3})
Ich möchte für meine Fraktion einen Gedanken vorwegstellen: Das Leitbild einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik ist für uns nachhaltige Mobilität. Das bedeutet,
drei große, gleich wichtige Ziele in Einklang zu bringen:
einerseits die Mobilitätsansprüche, die - so möchte ich sogar sagen - die Mobilitätsgarantie für die Menschen und
für den Gütertransport, andererseits die Umweltschonung
und Umwelteffizienz sowie drittens den unabweisbaren
Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.
Diese drei Ziele in Übereinstimmung zu bringen ist eine
ungeheuer schwierige Aufgabe; das grenzt an die Quadratur des Kreises.
({4})
Vor diesem Hintergrund - lassen Sie mich das so deutlich und so selbstbewusst sagen - ist es der Bundesregierung in einem beispiellosen Kraftakt gelungen, die Infrastrukturinvestitionen für diese Legislaturperiode auf hohem Niveau sicherzustellen - trotz Sparpakets und trotz
ernsthafter und glaubhafter Bemühungen zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes.
({5})
Wir haben - ich muss das noch einmal in Erinnerung rufen, weil es die schlichten Tatsachen sind - im Investitionsprogramm für die vier Jahre dieser Legislaturperiode sichergestellt: 32 Milliarden DM für den weiteren
Aus- und Neubau des Straßennetzes,
({6})
3,6 Milliarden DM für den Wasserstraßenausbau,
({7})
28 Milliarden DM aus Mitteln des Bundeshaushaltes, des
Einzelplans 12, für den Schienenausbau.
({8})
Hinzu kommen 3,8 Milliarden DM privates Kapital für die
ICE-Strecke über Ingolstadt, 1,2 Milliarden DM für
S-Bahn-Programme im Rahmen des GVFG, 400 Millionen DM für das Lärmschutzprogramm Schiene - das
gab es vorher überhaupt nicht -, 3,6 Milliarden DM Eigenmittel der Deutschen Bahn AG, 800 Millionen DM
nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz und jetzt noch 1 Milliarde DM für den beschleunigten Ausbau der Hochgeschwindigkeitsverbindung Hamburg-Berlin anstelle des
unrentablen Transrapids. Das alles macht summa summarum
über 70 Milliarden DM, die in das Verkehrswegenetz
investiert werden. Das ist eine Leistung, auf die wir stolz
sein können.
({9})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine kleine
Randbemerkung machen. Heute Morgen lief eine Meldung des „Focus“ über die Ticker, dass Investitionen in
den Bestand des Netzes und Reparaturen akut gefährdet
seien. Der „Focus“ hatte einmal mit Dirk Horstkötter einen sehr fähigen Bahnjournalisten. Seit er zur Zeitschrift
„Capital“ gewechselt ist, verbreitet der „Focus“ über die
Bahn nur noch kalten Kaffee. Was in der Meldung steht,
ist spätestens seit letzter Woche überholt. Der Auftragsvergabestopp wurde beendet. Die Mittel des Bundeshaushalts - 6,8 Milliarden DM -, aber auch die Eigenmittel der
Bahn in Höhe von über 5 Milliarden DM zum Substanzerhalt des Netzes stehen uneingeschränkt zur Verfügung.
Die Meldung ist insoweit substanzlos.
Über das Investitionsprogramm hinaus, das ich eingangs angesprochen habe, ist es dem neuen Minister - das
ist ein super Einstand in sein Amt und war bestimmt nicht
einfach - gelungen, für die Jahre nach Ablauf dieser Legislaturperiode zusätzliche Investitionsmittel zu mobilisieren
({10})
- hören Sie doch einmal zu -, nämlich 7,4 Milliarden DM,
die aus dem Anti-Stau-Programm stammen und
über die Schwerverkehrsabgabe aufgebracht werden. Diese Leistung finde ich beachtlich. Das einzige, was mir an
diesem Programm nicht gefällt, ist die Überschrift, denn
der Begriff „Anti-Stau-Programm“ suggeriert dem normalen Menschen immer, es handele sich um ein reines
Straßenbauprogramm, da man mit dem Begriff „Stau“ Autos verbindet. Das ist es nun gerade nicht. Zwar kommt die
Hälfte der Mittel aus diesem Programm den Straßen zugute, indem dort Engpässe beseitigt werden, aber es werden eben auch 40 Prozent der Mittel für die Beseitigung
von Engpässen auf der Schiene und 10 Prozent für den
Ausbau der Wasserstraßen zur Verfügung gestellt. Diese
beiden Verkehrsträger sind gerade als Alternativen für den
Güterverkehr von größter Bedeutung.
({11})
Das Wesentliche an dieser Leistung ist, wie ich finde,
({12})
Folgendes: Jeder im Land, übrigens auch die Landesverkehrsminister - merken Sie es sich, Herr Möllemann, falls
Sie das einmal werden sollten -, weiß, dass mit diesem Anti-Stau-Programm eine hohe Schwerverkehrsabgabe und
LKW-Maut verbunden sind und dass er, wenn er sagt, man
dürfe keine LKW-Maut oder auch nur eine symbolische
Abgabe einführen, Investitionen gefährdet. Das ist ein sehr
beachtlicher Nebenaspekt der LKW-Maut.
Lassen Sie mich noch auf einen wesentlichen Punkt zu
sprechen kommen, der aus bündnisgrüner Sicht
substanziell ist, weil Verkehrspolitik nicht nur Infrastrukturpolitik ist, nämlich auf die Chancengleichheit. Die
Schwerverkehrsabgabe als streckenbezogene elektronisch
erhobene Benutzungsgebühr ist ein zentraler Schritt, um
endlich - verursachergerecht, weil kilometergenau, diskriminierungsfrei, weil auch ausländische Fahrzeuge bezahlen müssen, und kompatibel mit anderen europäischen
Systemen Chancengleichheit herzustellen, indem die Wegekosten Straße und Schiene im schweren Güterverkehr
gleichermaßen angelastet werden. Das ist ein zentraler
strategischer Schritt. Wenn wir sie dann auch noch in der
Höhe beschließen, wie die Fachkommission unter
Pällmann sie vorschlägt,
({13})
dann sind wir ein ganzes Stück weiter bei der Herstellung
von Chancengleichheit auf dem deutschen Verkehrsmarkt.
({14})
Zur Chancengleichheit, deren Herstellung damals von
der Regierungskommission Bundesbahn als Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg der Bahnreform bezeichnet wurde, gehört aber auch die Verstetigung und dauerhafte Zusicherung gleich hoher Investitionsmittel.
Dies ist, wie ich dargestellt habe, gelungen. Für uns beinhaltet das aber auch die Verstetigung der Mittel in der
Größenordnung jener 6,8 Milliarden DM, wie sie heute in
der mittelfristigen Finanzplanung veranschlagt sind, über
die Folgejahre hinweg, statt eines plötzlichen Abbrechens
ab 2003, wenn der formale Grund, die Sanierung des Ostnetzes, wegfällt.
({15})
Zur Chancengleichheit gehört aber auch die Frage der
Steuern- und Abgabenbelastung. Dazu möchte ich ganz
deutlich sagen, unser Vorschlag, in dieser Frage die Parameter für die Bahn zu verändern, kann und darf in keiner
Weise die Bemühungen im Unternehmen Deutsche Bahn
Aktiengesellschaft ersetzen, zwischen den Tarifpartnern
ernsthafte Schritte zur weiteren Sanierung und Verbesserung der Produktivität zu vereinbaren. Wenn dies gelingt,
ist nach unserer Auffassung sehr wohl auch der Bund gefordert, klar zu machen, dass an dem heutigen Modell,
nach dem die Bahn über die Trassenpreise direkt die Wegekosten sowie Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer in
vollem Umfang, was in Europa sonst nirgendwo der Fall
ist, zahlen muss, etwas geändert werden muss, um die
Wettbewerbsbedingungen der Schiene deutlich zu verbessern. Die Bahnen befinden sich zunehmend im europäischen Wettbewerb. Deswegen ist der Blick über die Grenzen durchaus hilfreich.
Ich möchte diese Diskussion jedoch sehr gelassen
führen, denn wir befinden uns erst am Anfang der Debatte. Ich denke, wir werden Zeit haben, uns zu verständigen.
Unsere Vorschläge beziehen sich ohnehin auf mittelfristige Wirksamkeit. Unser mittelfristiges Ziel der Bahnreform - um das deutlich zu sagen - war und ist nicht der
Börsengang. Das Ziel der Bahnreform ist, mehr Verkehr
auf die Schiene zu holen. Dabei soll und muss es bleiben.
Dazu ist aber Voraussetzung, dass ein gesundes, ein saniertes Unternehmen in die Lage versetzt wird, aus eigener Kraft auf den Kapitalmarkt zu gehen, dort Kapital aufzunehmen und die Mittel für die Refinanzierung, also Tilgung und Zinszahlungen, aus eigenen Kräften zu
verdienen, am Markt zu erwirtschaften.
({16})
Das ist der Punkt, um den es geht, nicht um den Börsengang als solchen.
Ich komme zum letzten Punkt: Die eigentliche Großbaustelle in der Infrastrukturplanung - und die Infrastruktur ist heute unser eigentliches Thema - ist der neue Bundesverkehrswegeplan. Wir müssen feststellen, dass der
alte Verkehrswegeplan nicht mehr aktuelle Daten aufweist, dass eine ökologische Neubewertung dringend erforderlich ist und dass wir vor allem eine neue Ehrlichkeit
brauchen. Man hat damals alles allen versprochen, ohne es
halten zu können. Diese Politik der leeren und haltlosen
Versprechungen werden wir nicht fortsetzen.
({17})
Deswegen geht es auch nicht an, was dieser Tage in
Bayern geschehen ist, Herr Kollege Oswald: dass die Bundesländer, wenn sie aufgefordert werden, ihre Projekte für
den neuen Verkehrswegeplan anzumelden, wieder den
ganzen Bauchladen ihrer Altplanungen abliefern und noch
zehn bis zwanzig neue Projekte draufsatteln. Das Gesamtvolumen der angemeldeten Projekte beträgt allein für
Bayern 25 Milliarden DM.
({18})
Albert Schmidt ({19})
Für wie dumm halten Sie denn die Leute? Glauben Sie
denn im Ernst, dass der Bund das finanzieren kann? Die
Hauptbauquote für Bayern liegt bei ungefähr 250 Millionen DM. Für 100 Jahre müsste man einen Plan aufstellen,
um die 25 Milliarden DM zu mobilisieren! Das ist der Verzicht auf Gestaltung durch die Bundesländer. Die wollen
uns nur den Schwarzen Peter zuschieben, dass wir auswählen müssen. Diese „Wunschzettel ans Christkind“
kann man aber nicht ernst nehmen; die muss man zurückweisen. Dann werden wir eben die Prioritäten setzen,
wenn die Bundesländer es nicht aus freien Stücken tun.
({20})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Winfried Wolf von der PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die
PDS ebenfalls in Nordrhein-Westfalen kandidiert, möchte ich mich doch - anders als der vorletzte Redner - auf
das Thema konzentrieren. Die Anträge, die heute zur Debatte stehen und die von den Parteien CDU/CSU und
F.D.P. vorgelegt wurden, weisen in die bekannte Richtung: Der Straßenverkehr soll weiter gefördert werden. In
der liberalen Lyrik heißt das: „Straßenbau statt Autostau!“
Kollege Möllemann zieht dazu als Verkehrspolitiker die
Reißleine und singt frei nach Reinhard Mey: „Hinter den
Abgaswolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“.
Unser werter Kollege Oswald, dessen Fairness als Ausschussvorsitzender ich schätze, bekennt in der „VerkehrsRundschau“ Farbe. Als dort der entsprechende
CDU/CSU-Antrag mit den Worten „Das sind die Argumente des ADAC.“ kommentiert wurde, bekannten Sie,
Herr Oswald, tapfer:
Ja und? Da bin ich seit dreißig Jahren Mitglied ...
({0})
Das Geld ist da. Das muss man jetzt für die Straße einsetzen.
Die Regierungsparteien haben ihrerseits einen Antrag
eingebracht, der das Thema mit einem „Anti-Stau-Programm“ aufgreift. „Bild“, Klimmt und vox populi wissen,
dass es dabei vor allem um Straßen geht. Für die grüne Klientel darf das Ganze dann als Programm zur Beseitigung
von Verkehrsengpässen im Allgemeinen umtituliert werden. Dabei gibt es eine Alternative, die heute ebenfalls zur
Debatte steht. Diese findet sich in einer wissenschaftlichen
Studie - nicht im PDS-Antrag - mit dem Titel „Optionen
zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung
von Straßenverkehr auf umweltfreundliche Verkehrsträger“, über die indirekt abgestimmt werden soll.
Die Beschlussempfehlung zu dem letztgenannten Bericht begrüßt diesen Bericht einerseits - dem schließen wir
als PDS uns natürlich an -, verbindet damit aber andererseits eine Entschließung, mit welcher der Bericht meines
Erachtens für eine falsche Politik instrumentalisiert wird.
Wahrscheinlich haben nur wenige diesen Bericht gelesen. Ich habe deswegen für uns kollektiv Hausaufgaben
gemacht, den Bericht studiert und mit den Anträgen konfrontiert.
({1})
- Sie, Herr Goldmann, haben diesen Bericht sicher
ebenfalls gelesen. Ich weiß es.
({2})
- Gut, dann nicht.
Ich möchte drei Aspekte herausgreifen:
Erstens. Zur Bedeutung des Verkehrs für die individuelle Mobilität. Der CDU/CSU-Antrag zur Verstärkung
der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen formuliert: „Mobilität ist ein Grundbedürfnis der Menschen ...“. Der Antrag
betont also die erhöhte Mobilität. Sie wissen, dass ich das
Thema Mobilität gerne bemühe. Ich kann heute - statt auf
das große Latinum - auf die genannte Studie zurückgreifen. Dort heißt es - ich zitiere -:
Die Entwicklung der Mobilitätskennziffern der letzten 40 Jahre erlaubt die folgenden Feststellungen: Die
Zahl der pro Person und Tag zurückgelegten Wege hat
sich kaum verändert.
Ich zitiere weiter:
Die Verkehrsdauer pro Person und Tag hat geringfügig zugenommen; ... sie beträgt etwa eine Stunde. Die
pro Person und Tag zurückgelegte Entfernung ist jedoch deutlich gewachsen.
Das heißt: Die Menschen wurden kaum mobiler. Sie
verfügen nur über schnellere Verkehrsmittel, vor allem
PKW. Sie fahren längere Distanzen, befriedigen damit jedoch die gleichen Mobilitätsbedürfnisse in einer ungefähr
gleichen, täglich für Mobilität aufgewandten Zeit.
Die Studie weist auch darauf hin, dass es zu stark veränderten Siedlungsstrukturen kam, nicht zuletzt aufgrund
des Straßenbaus, und dass der größte Teil der zusätzlichen
Kilometer, die wir zurücklegen, diesem geschuldet ist. Im
Verkehrs-Deutsch: Vieles davon ist „erzwungener Verkehr“, ist „künstliche Mobilität“.
Zweitens. Die CDU/CSU-Fraktion bezieht sich in
ihrem Antrag positiv auf einen zukünftigen Nachfragezuwachs, wie er im Bundesverkehrswegeplan 1992 prognostiziert wurde. Daraus abgeleitet werden dann verstärkte Investitionen in die Straße gefordert. Die Studie
stellt demgegenüber fest, dass so gut wie alle Studien zur
zukünftigen Verkehrsentwicklung von interessierter Seite
stammen: Sie wurden von staatlichen Institutionen, die erheblich dem Straßenbau frönen, und von Mineralölgesellschaften in Auftrag gegeben. Zudem heißt es dort, dass all
diese Studien „die Dynamik der realen Prozesse regelmäßig und zum Teil erheblich unterschätzt haben“.
Die Entwicklung sah so aus, dass vor allem der Straßenund der Luftverkehr schneller wuchs als prognostiziert
und dass der Schienenverkehr und die Binnenschifffahrt
stagnieren, anstatt - wie es zur Beruhigung prognostiziert
wird - zu wachsen.
Albert Schmidt ({3})
Dies gilt besonders krass für den Bundesverkehrswegeplan 1992. Wer sich heute auf dieses Zahlenwerk positiv bezieht, der ist meines Erachtens verkehrswissenschaftlich nicht mehr ernst zu nehmen. Laut Bundesverkehrswegeplan sollte der Schienengüterverkehr wesentlich wachsen, er sackte aber förmlich in sich zusammen. Der PKW- und LKW-Verkehr und vor allem der
Flugverkehr aber erreichen bereits heute Werte, die sie erst
im Jahre 2010 oder 2015 erreichen sollten. Das heißt: Dieser Plan ist völlig aus dem Gleis geraten. Leider nimmt die
Bundesregierung diese Tatsache nur unzureichend zur
Kenntnis.
Drittens. Alle hier vorliegenden Anträge gehen davon
aus, dass in der einen oder anderen Form eine Verlagerung von Verkehr hin zur Schiene notwendig wäre, dass
dies auch zukünftig stattfinden würde, wenn Einzelmaßnahmen mit fairen Preisen für alle Verkehrsträger realisiert
würden. Die Studie unterstreicht zunächst sehr überzeugend, dass der öffentliche Verkehr im Allgemeinen und die
Schiene im Besonderen erheblich umweltverträglicher als
Straßen- und Luftverkehr sind. Exemplarisch sei hier nur
auf die „Vergleichende Zusammenstellung“ der Schadstoffemissionen der unterschiedlichen Verkehrsträger auf
Seite 37 hingewiesen. Danach liegt die CO2-Belastung auf
der Straße dreimal höher als im ICE-Verkehr; im Luftverkehr ist sie sogar viermal höher.
Besonders zu erwähnen ist hier noch die Feststellung der Studie, dass der PKW-Kraftstoffverbrauch je
100 Kilometer nicht gesunken ist, was vor allem dem ständig stärker werdenden Motoren geschuldet sei. Ich bitte,
vor allem zur Kenntnis zu nehmen, dass die Studie die
Gründe für diesen „verkehrten Verkehr“ präzise anführt:
Die Kostenbelastung der privaten Haushalte durch den
PKW-Verkehr sank kontinuierlich - im Fall eines ausgewählten, repräsentativen Haushaltstyps „von 16 Prozent
im Jahr 1965 auf inzwischen etwa 12 Prozent 1995.“
Die Studie schlussfolgert dann in deutlichem Gegensatz
zu allen hier debattierten Anträgen:
Die vorliegenden Rahmenbedingungen der Verkehrsentwicklung werden ohne gegensteuernde Maßnahmen zu einer weiteren erheblichen Zunahme von
Verkehrsleistung führen und deren negative Auswirkungen
- die die Studie in erster Linie dem PKW- und Luftverkehr
zuspricht - verstärken.
Sie fordert demgegenüber Maßnahmen zur Entlastung
des Verkehrsnetzes, im Wesentlichen des Straßenverkehrsnetzes. Die Vorschläge der Grünen, die Albert
Schmidt hier vorgetragen hat, finden natürlich unsere
Zustimmung; aber sie stehen heute nicht zur Abstimmung.
In der Studie finden Sie kein Wort dazu, dass mehr
Straßen gebaut werden müssten.
Zur Telematik, die hier im Raum hochgejubelt wird,
heißt es dort wörtlich, diese ergebe bei einem Milliardenaufwand „nur geringe Verlagerungswerte von unter 2 Prozent“. Da brächte jedes kostenfreie Tempolimit wesentlich größere Verlagerungen.
Kein Wort schließlich in der Studie, wonach ein AntiStau-Programm eine Verkehrsperspektive weisen würde.
Dazu merkt die „Verkehrs Rundschau“ sublim an:
Albert Schmidt beeilte sich, dem Verkehrsminister
Klimmt seine Unterstützung
- für das Anti-Stau-Programm
zu versichern ... Schmidt überließ es dem ökologisch
orientierten VCD, Bedenken gegen die Klimmt-Pläne vorzubringen.
Und wie hat der VCD argumentiert? Er argumentierte,
dass das Anti-Stau-Programm den Sinn der LKW-Abgabe
völlig konterkariere. Es sei verkehrt, diese Einnahmen zu
einem großen Teil wieder in Straßenbau zu investieren.
Der VCD-Geschäftsführer stellte dazu fest - was auch
meine Meinung zu diesem Thema ist und ebenso immer
die Meinung der Grünen war -: „Wer Straßen sät, wird
langfristig mehr Verkehr ernten.“
({4})
Mit dieser Debatte ist die Verkehrswissenschaft tatsächlich in den Bundestag eingekehrt. Schade ist nur, dass
SPD und Grüne meiner Ansicht nach nur einen unzureichenden Nutzen daraus ziehen wollen und dass CDU/CSU
und F.D.P. versuchen, sie für eine entgegengesetzte Politik zu vereinnahmen. Sie gehen stillschweigend davon
aus, dass die Studie nicht gelesen worden ist. Ich empfehle uns allen ernsthaft die Lektüre dieser Studie außerhalb
des Wahlkampfgetümmels, vielleicht nach den NRWWahlen.
Danke schön.
({5})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Reinhold Strobl von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU beklagt hartnäckig die
angeblich unzureichende Finanzierung beim Ausbau der
Verkehrsinfrastruktur.
({0})
Sachdienliche Kritik ist dabei mit zunehmendem Abstand
zum Ende Ihrer Regierungszeit immer stärker einer nicht
fundierten und bisweilen leider billigen Polemik gewichen.
({1})
Durchgängig fehlen seriöse Vorschläge. Das kommt
nicht von ungefähr, sondern weil auch in den Reihen der
früherenRegierungsfraktionenbekannt ist,dasserstensder
in 16 Jahren Kohl-Regierung ruinierte Staatshaushalt nicht
mehr hergibt und dass zweitens der Bundesgesetzgeber
Prioritäten für den Aufbau der Infrastruktur in den neuen
Bundesländern gesetzt hat.
Drittens scheint der Unionsfraktion der Blick für die regionale Ausgewogenheit der Finanzierung im Bereich des
Bundesfernstraßenbaus abhanden gekommen zu sein.
Bayern erhält unter allen alten Bundesländern - das sage
ich als Bayer - die meisten Investitionsmittel.
({2})
Der entscheidende Punkt ist, dass die Bundesregierung
trotz der desolaten Haushaltslage, die von CDU/CSU und
F.D.P. zu verantworten ist, alle begonnenen Bauprojekte
weiterführt oder, anders gesagt, keine Investitionsruinen
hinterlässt.
({3})
Am Beispiel der Autobahn A 6, die ebenfalls Gegenstand dieser Debatte ist, möchte ich Ihrer Polemik ein wenig auf den Zahn fühlen. Die A 6 gehört zu den großen
West-Ost-Verbindungen in der alten Bundesrepublik, die
nach Öffnung der Grenzen nach Osteuropa einen erheblichen Verkehrszuwachs zu bewältigen haben, insbesondere was den Güterfernverkehr betrifft. Nur einer Minderheit
der Bürger unseres Landes, nämlich den Betroffenen in der
Oberpfalz, ist jedoch bewusst, dass diese inzwischen zur
europäischen Magistrale erklärte Verbindung bis heute ein
Torso geblieben ist. Zwischen dem oberpfälzischen Amberg und dem fertigen Grenzabschnitt Lohma-Waidhaus
klafft eine 55 Kilometer lange Lücke, mit dem Ergebnis,
dass der paneuropäische Transitverkehr sich vorwiegend
über die Bundesstraße 14 wälzt, mit teilweise schlimmen
Folgen für die Anwohner.
Dieser Zustand ist seit Anfang der 90er-Jahre bekannt
und die seitdem eingetretene Zunahme des Transitverkehrs war absehbar. Die damalige Bundesregierung hat
diese Entwicklung schlichtweg verschlafen.
({4})
Wir erwarten, dass jetzt endlich der Planfeststellungsbeschluss für das Teilstück Amberg-Pfreimd herbeigeführt
wird. Es ist einfach unredlich, für Teilstücke Gelder zu fordern, die der Bund mangels Baureife noch gar nicht in seinen Haushalt einstellen darf.
({5})
Die Dringlichkeit des Lückenschlusses auf der A 6 ist
seit Jahren bekannt; der Tschechischen Republik wurde
die Fertigstellung sogar vertraglich zugesichert. Aber bis
zum Abtritt der Kohl-Regierung wurde gerade einer von
fünf Bauabschnitten realisiert.
Herr Kollege Strobl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Friedrich?
Auch wenn es die erste Rede
ist, bitte schön, gerne.
Herr Kollege
Strobl, ich bitte um Entschuldigung, weil es Ihre erste Rede ist. Mir ist es aber damals genauso gegangen - seinerzeit zufälligerweise von der SPD.
({0})
Das gleicht sich wieder aus.
Sie sind - wenn ich das richtig weiß - für den Kollegen
Verheugen in den Deutschen Bundestag nachgerückt. Sie
verbreiten hier große Forderungen zur A 6. Herr Kollege
Strobl, ist Ihnen bewusst,
({1})
dass die SPD den Bundesverkehrswegeplan 1992, in den
die A 6 aufgenommen worden ist, abgelehnt hat?
({2})
Meine damalige Fraktion
wird sicherlich gewusst haben, warum sie das abgelehnt
hat.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte fortfahren. Ich
habe heute schon so viel gehört. Ich habe mir heute die Rede von Herrn Möllemann angehört, der wieder davon gesprochen hat, wie stark die Bürger belastet werden. Dagegen muss man ehrlichkeitshalber - vielleicht sollte das
auch einmal von Ihrer Seite eingestanden werden - sagen,
dass die Bürger durch die Erhöhung des Kindergeldes usw.
bis zum Zehnfachen entlastet werden.
({1})
Ich möchte jetzt fortfahren.
({2})
Der Bund darf sich nämlich freuen. In dieser Woche - das
wurde vorhin schon einmal gesagt - hat Bayern seine
Wunschliste für die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes angemeldet: 14 Schienen- und 360 Fernstraßenprojekte mit einer Gesamtsumme von 25 Milliarden DM.
Hätte Theo Waigel eine verantwortliche Haushaltsführung betrieben, könnten wir wahrscheinlich alle Finanzierungssorgen begraben. Allein mit der Zinslast des
Bundes im Zeitraum von drei Tagen wäre die Fertigstellung der A 6 vollständig zu bezahlen.
({3})
In diesem Zusammenhang darf ich Sie an die Aussagen
des früheren Bundesfinanzministers im oberpfälzischen
Vilseck erinnern, der dort einem staunenden Publikum das war vor etwa sechs Jahren - erklärte, für den Weiterbau der A 6 sei das Geld vorhanden. Bei unseren Nachfragen war das Geld dann nicht mehr auffindbar.
({4})
Ich darf zusammenfassen. Mit viel Polemik und wenig
sachdienlich strickt die Unionsfraktion an einer Legende.
Dass der Bundesverkehrswegeplan mit rund 90 Milliarden DM unterfinanziert ist, hat sie erfolgreich verdrängt.
Dass sie die A6 bis 1998 nur im Schneckentempo vorwärts
gebracht hat, geriet ebenfalls in Vergessenheit. Dass die
neue Bundesregierung volle Planungssicherheit garantiert,
will sie nicht zur Kenntnis nehmen. Während die alte Regierung in 16 Jahren nur Spatenstiche und Versprechungen
gemacht hat,
({5})
werden wir für eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur sorgen.
({6})
Schaufensteranträge seitens der CDU/CSU helfen uns hier
aber nicht weiter.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({7})
Herr Kollege Strobl, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Königshofen
von der CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass der Verkehrsminister, Herr Klimmt, nicht mehr bei uns sein kann.
({0})
- Er kommt wieder. - Ich wollte ihm gerade sagen, dass
wir vor den Trümmern rot-grüner Verkehrspolitik stehen.
({1})
Dabei fing das ja eigentlich sehr gut an. Nicht groß genug
konnte der Zuständigkeitsbereich des neuen Ministeriums
sein. Bau und Verkehr wurden zusammengelegt. Der fixe
Franz - so nennt man Herrn Müntefering ja im bedächtigen Westfalen ({2})
wurde neuer Superminister und Herr des größten Investitionsetats Europas. Nun hätten Sie einlösen können, was
Sie vor der Wahl versprochen haben: Sie wollten ja nicht
alles anders, aber vieles besser machen.
({3})
Dann war das aber plötzlich vorbei. Die Wahlgeschenke
mussten wieder eingesammelt werden.
({4})
Herr Schröder war mit seiner rot-grünen Truppe in der
Wirklichkeit angekommen. Jetzt war Sparen angesagt.
Natürlich, Sparen ist notwendig. Aber Sie sparen an der
falschen Stelle. Sie sparen an der Infrastruktur und damit
an den Zukunftsinvestitionen.
({5})
So kürzen Sie im Investitionsprogramm 1999-2002 im
Vergleich zu den Planungen der vorherigen Bundesregierung rund 5 Milliarden DM bei den Mitteln für den
Straßenbau. Wir wissen, Herr Klimmt hat dieses Investitionsprogramm von seinem Vorgänger geerbt. Er hat
aber rein gar nichts getan, um dem Infrastrukturausbau eine neue Priorität zu geben. Dafür gibt es keine Entschuldigung.
({6})
Allein in Nordrhein-Westfalen führt das rot-grüne Investitionsprogramm zu Einschnitten in Höhe von 1,2 Milliarden DM.
({7})
Das hat auch die SPD in Nordrhein-Westfalen gemerkt.
Der damalige Verkehrsminister des Landes NordrheinWestfalen, Herr Steinbrück, hat daraufhin im Oktober des
letzten Jahres Herrn Klimmt einen Brief geschrieben.
({8})
Zunächst einmal gratuliert er Herrn Klimmt artig zu seiner Amtsübernahme und dann gesteht er, dass er seine
„Gratulation mit einem ernsten Thema befrachten muss“,
weil er auf die „fatale Weichenstellung“ der rot-grünen
Verkehrspolitik hinweisen muss.
Dann wird Herr Steinbrück ganz konkret und zeigt an
Beispielen die Folgen auf: keine Realisierung wichtiger
Teilabschnitte des sechsstreifigen Ausbaus des Ruhrgebietsdreiecks, Zurückstellung des Ausbaus der A 2 zwischen Kamener Kreuz bis Oelde, keine Realisierung des
Ausbaus der A 4 zwischen Autobahnkreuz Köln-West und
Kerpen, kein Ausbau des Kölner Rings, Zurückstellung
wichtiger Ortsumgehungen - ich zitiere immer aus dem
Brief von Herrn Steinbrück - und keine Umsetzung der
Fernstraßenkonzeption „Mittleres Ruhrgebiet“. Bei dieser
Konzeption hatten wir uns ja besondere Mühe gegeben:
Unter der Federführung unseres damaligen Staatssekretärs
im Verkehrsministerium, Norbert Lammert, hatten sich ja
der Bund, das Land und die betroffenen Städte nach vielen schwierigen Verhandlungen geeinigt. Das alles ist nun
Makulatur.
Ich verstehe, dass nach diesem Brief bei Ihnen alle
Alarmglocken läuteten.
({9})
Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen immer fest vor
Augen wurden Sie plötzlich kreativ und präsentierten das
Anti-Stau-Programm.
({10})
Herrn Klimmt, eines muss man der SPD und Ihren Helfern
lassen: Sie erfinden positive Begriffe und beschäftigen die
Fantasie der Menschen. Darin sind Sie in der Tat Weltmeister.
({11})
Dieses Programm, mit dem 37 bundesweit dringliche
Straßenbaumaßnahmen mit 3,7 Milliarden DM finanziert
werden sollen, krankt aber an zwei Geburtsfehlern: Zum
einen soll Geld ausgegeben werden, das der Bund noch
lange nicht hat.
({12})
So soll das Programm aus der streckenbezogenen Autobahngebühr für LKWs finanziert werden. Diese LKWMaut ist aber noch lange nicht beschlossen und daher sowohl in der Höhe als auch vom Zeitrahmen her äußerst
fraglich,
({13})
abgesehen davon, dass die Ausschreibung für das dazu
notwendige elektronische Erhebungssystem erst vor kurzem erfolgt ist. Dessen Einführung wird übrigens rund
600 Millionen DM kosten, also so viel, wie pro Jahr in dieses Programm fließen soll.
({14})
Herr Minister, da müssen wir doch fragen: Wie hoch
soll diese Maut sein? Wollen Sie sich an den Empfehlungen der so genannten Pällmann-Kommission orientieren?
({15})
Um aus der LKW-Maut Gesamteinnahmen in Höhe von
rund 4 Milliarden DM zu erzielen, von denen dann aber
jährlich lediglich eine Dreiviertelmilliarde DM in das Anti-Stau-Programm fließen soll, müssten Sie die jetzige Belastung der LKWs verfünffachen. Laut Pällmann-Kommission müssten Sie als Maut durchschnittlich 25 Pfennig
je Fahrzeugkilometer erheben, was die durchschnittlichen
spezifischen Transportkosten auf den Bundesautobahnen
um rund 10 Prozent erhöhen würde.
({16})
Dazu kommen - da haben Sie Recht - noch Kosten aufgrund der Erhebung der Mehrwertsteuer.
Das alles müssen Sie natürlich erst einmal politisch
durchsetzen, im Parlament beschließen und mit den europäischen Nachbarn vertraglich absichern. Vorher, Herr
Minister Klimmt, ist all das, was Sie versprechen, nur
politische Wechselreiterei.
({17})
Zum anderen ist ja ein Großteil der in diesem Programm enthaltenen Projekte noch lange nicht baureif.
Nordrhein-Westfalen soll mit 16 von 37 Maßnahmen
den Löwenanteil erhalten. Von diesen 16 ist aber erst bei
zwei Projekten die Planung abgeschlossen, während bei
11 Projekten die Planung gerade erst begonnen hat.
({18})
Auch Sie, Herr Minister Klimmt, wissen, wie lange sich
Planungen bei Autobahnen und Bundesstraßen hinziehen
können.
({19})
So jedenfalls beseitigen Sie keine Engpässe und so lösen
Sie auch keinen einzigen Stau auf.
Abgesehen davon muss man einmal feststellen, dass
das Anti-Stau-Programm mit den vielen Projekten in
Nordrhein-Westfahlen eine schallende Ohrfeige für den
amtierenden Ministerpräsidenten Clement ist, der lange
Zeit Verkehrsminister in diesem Land war und daher auch
für den übergroßen Nachholbedarf verantwortlich ist. Er
ist der Hauptschuldige für das tagtägliche Chaos auf den
nordrhein-westfälischen Straßen.
({20})
- Herr Schmidt, Sie sind nicht an allem schuld.
Seit kurzem gibt es ein neues Highlight rot-grüner Verkehrspolitik, den so genannten Metrorapid. Jahrelang haben die Grünen gegen die Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin gekämpft. Nachdem sich alle ökologischen
Einwände als gegenstandslos erwiesen hatten, ist es Ihnen
und Ihren Hilfstruppen in der SPD letztlich doch noch gelungen, das Projekt an den Kosten scheitern zu lassen. Der
Anstieg der Kosten für den Fahrweg von 6,1 Milliarden
DM auf rund 8 Milliarden DM gab Ihnen den Vorwand,
das Bauvorhaben kaputtzumachen.
Sicherlich spielt bei dieser unglaublichen Fehlentscheidung der neue Bahn-Chef Mehdorn eine unrühmliche
Rolle. Aber wir wollen uns nicht mit Herrn Mehdorn aufhalten. Die wahren Schuldigen sitzen hier, auf der Regierungsbank und in den Reihen von SPD und Grünen.
({21})
Um den katastrophalen Eindruck, den dieses Beispiel
rot-grüner Regierungskunst hinterließ, abzumildern - wir
haben ja am 14. Mai die Wahl in Nordrhein-Westfalen -,
präsentieren nun die Herren Klimmt und Clement eine
neue Version: Metrorapid in Nordrhein-Westfalen. So neu
ist die Idee aber nicht. Sie geisterte bereits vor über zehn
Jahren durch die Gazetten. Damals sollte die Strecke von
Essen nach Bonn führen. Nur, gebaut wurde der Transrapid auch damals nicht; es scheiterte an der Finanzierung.
Jetzt soll es der Metrorapid sein, wieder an Rhein und
Ruhr, allerdings zusätzlich mit einer bergischen Achse
über Düsseldorf, Wuppertal und Dortmund.
Die Beratergruppe „Magnetschwebebahn NordrheinWestfalen“, vom Verkehrsministerium in Nordrhein-Westfalen einberufen, schlägt 11 Stationen mit Abständen zwischen acht und 40 Kilometern vor, insgesamt gut 210 Kilometer - und zwar als Regionalverkehrssystem, neben
einem bereits ausgebauten und gut funktionierenden Eisenbahnnetz, neben ICE und S-Bahn. Die Beratergruppe
sagt auch, was das kosten soll: 15,6 Milliarden DM.
({22})
8 Milliarden DM für die Strecke Hamburg-Berlin
waren zu viel; das war nicht finanzierbar. 15,6 Milliarden DM für den Metrorapid in Nordrhein-Westfalen
aber lassen Klimmt und Clement keinen Moment zögern
und zaudern. Nur Herr Steinbrück - auf diesen Mann müssen Sie aufpassen, Herr Klimmt - gießt wieder ein wenig
Wasser in den Wein. So sagte er am Ersten dieses Monats
in der „Westfälischen Rundschau“: „Das Land wird nicht
Mitfinanzierer des Projekts“.
Ganz hellhörig muss man werden, wenn Frau Ministerin Höhn - grüne Bannerträgerin in Nordrhein-Westfalen - ihre Zustimmung signalisiert.
({23})
Da wird schlagartig klar, um was es geht: Es handelt sich
um einen plumpen Täuschungsversuch der Wähler in
Nordrhein-Westfalen.
({24})
Herr Minister Klimmt, Ihre Verkehrspolitik wird den
tatsächlichen Problemen, die wir tagtäglich auf den
Straßen beobachten, nicht gerecht. Wir hören es halbstündlich in den Verkehrsnachrichten; aber es ändert sich
nichts. Das ist keine solide und sauber finanzierte Verkehrspolitik, sondern - entschuldigen Sie, wenn ich das so
deutlich sage - politische Hochstapelei.
({25})
Und damit, meine Damen und Herren, werden Sie
scheitern.
({26})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig
von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Königshofen, die Art, wie Sie gerade
Wahlkampf gemacht haben
({0})
- das bezieht sich auch auf den Kollegen Möllemann -,
war so wunderbar unter Niveau,
({1})
dass ich mir, wenn das in NRW genauso läuft, um RotGrün in Nordrhein-Westfalen überhaupt keine Sorgen mache.
({2})
Wenn Sie meinen, Herr Clement hätte für den Straßenbau in Nordrhein-Westfalen nicht genügend Geld auf den
Tisch gelegt, dann kann ich nur sagen: Angesichts der
Steuerpolitik und der Staatsverschuldungspolitik, die Sie,
Schwarz-Gelb, in den letzten Jahren betrieben haben, können Sie nicht verlangen, dass Clement den dicken Sack
neben seinem Arbeitsplatz stehen hat und ständig Geld
verteilt. Das ist eine Politikvorstellung, die wirklich unter
allem Niveau ist. Ich muss deutlich sagen: Sie ist auch unter dem Niveau, auf dem wir in unserem Ausschuss auch
mit Ihren beiden Fraktionen üblicherweise über verkehrspolitische Fragen diskutieren.
({3})
- Kommen Sie einmal in unseren Ausschuss; dann merken
Sie, dass wir da wirklich schon ein bisschen weiter sind,
Herr Ramsauer.
Lassen Sie mich lieber zur Sache kommen; denn ich
glaube, wir sind nicht hier, um so primitiv Wahlkampf zu
machen. Ich möchte konkret auf den Bericht des Büros für
Technikfolgenabschätzung zur Telematik und zur Verlagerung von Straßenverkehr - es geht um eine Verlagerung
von Straßenverkehr und nicht um eine ständige Ausweitung - auf umweltfreundliche Verkehrsträger eingehen.
Ich muss sagen: Es ist interessant, dass Ihre Koalition
seinerzeit einen so guten Bericht auf den Weg gebracht hat,
dass sie aber offenbar nicht in der Lage war, nach solchen
Kriterien zu handeln. Insofern fände ich es schon gut,
wenn Sie zuhören würden, damit Sie erfahren, was zu
Ihrer Zeit in Bezug auf eine moderne, integrierte Verkehrspolitik gefordert worden ist.
Als erstes ist ganz klar gesagt worden, Telematik dürfe
nicht nur der Verflüssigung von Individualverkehr und
von Güterverkehr auf der Straße dienen, sondern sie müsse in den Städten und Siedlungsräumen gezielt zur Verlagerung des Verkehrs auf den öffentlichen Nahverkehr einerseits und auf die Schiene andererseits genutzt und entsprechend organisiert werden. Das sollten Sie sich
durchaus merken; denn dieses simple Beispiel macht deutlich, dass es falsch ist, zu meinen, man könne mit Verkehrsverflüssigung die Probleme lösen. Sie wissen ganz
genau, dass man damit nur für weitere Staus sorgt, im Hinblick auf die wir wirklich Entlastung brauchen.
Daher ist die erste Aussage in dem Bericht, den Sie haben machen lassen, richtig. Man darf von der Telematik
keine verkehrstechnischen Wunder erwarten. Im Gegenteil, sie muss integriert werden und mit anderen verkehrspolitischen Zielen und Maßnahmen, wie Rot-Grün sie eingeleitet hat und durchführt, nämlich Maßnahmen im ordnungsrechtlichen und im finanziellen Bereich, kombiniert
werden.
Hören Sie gut zu! Sie haben hier wieder dauernd gegen
die Ökosteuer geredet. Herr Möllemann hat die Leier rauf
und runter gespielt. Wir können es schon fast nicht mehr
hören.
({4})
In dem Bericht, den Sie haben machen lassen, steht sehr
genau drin, dass die Ökosteuer, das heißt die Verteuerung
der Mineralölsteuer und die Verteuerung des Autoverkehrs, ein wichtiges Instrument ist, um in unseren Städten
wirklich ein Stück Verkehrsberuhigung, die wir dringend
nötig haben, zu erreichen.
({5})
Das Gutachten sagt des Weiteren - das haben Sie nicht
geschafft -, dass wir dringend eine LKW-Maut brauchen,
um die Straßen endlich vom LKW-Verkehr zu entlasten.
Kurzum: Sie haben davon geredet. Wir haben gehandelt.
Daher sollten Sie sich klarmachen, dass es wirklich nichts
bringt, große Sprüche zu klopfen.
({6})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dirk
Fischer?
Nein, danke. Den Kollegen Fischer werden
wir gleich noch ausführlich hören. Herr Kollege, wir diskutieren es im Ausschuss. Ich glaube, wir sollten besser
zusehen, dass wir den Tagesordnungspunkt bald zu Ende
bringen.
({0})
- Ach nein. Wenn Sie meinen, dass ich vor Herrn
Fischer Angst habe, dann täuschen Sie sich ein bisschen.
Lassen Sie mich noch auf einen wichtigen Punkt eingehen. Bei der Diskussion über die Verkehrsproblematik
werden die Städte, die dazugehören, und die Siedlungsräume zu wenig berücksichtigt. Der Bericht gibt sehr
wichtige und gute Empfehlungen zur Integration von Verkehrspolitik und Städtebau. Er fordert nicht nur, dass
wir als Leitbild der Verkehrspolitik verkehrstechnische
Aspekte sehen, sondern verlangt, dass wir endlich auch die
Verbesserung der Umweltqualität und der städtischen Lebensqualität ernst nehmen und integrieren. Das bedeutet
weniger Autoverkehr in den Städten und nicht ständig
mehr. Ich halte diesen Aspekt nicht nur aus Umweltschutzgesichtspunkten, für deren Berücksichtigung wir
Grüne eintreten, für wichtig, sondern auch um der anhaltenden Stadtflucht, die in hohem Maße mit den unerträglichen Verkehrsbelastungen in unseren Städten, mit der zunehmenden Lärmbelastung, mit den Unfallgefahren zusammenhängen, Einhalt zu gebieten und neue Strategien
zu entwickeln.
Insofern fordert dieser Bericht - das sollten wir ernst
nehmen und dazu in dieser Legislaturperiode Initiativen
ergreifen - auch Mut zu einer Bauleitplanung, die auf den
ÖPNV ausgerichtet ist, Mut zum Carsharing und Mut zu
städtischen Mobilitätskonzepten, die integriert entwickelt
werden und nicht konkurrierend, wie Sie das bisher immer
getan haben.
({1})
Dieser Bericht, der unter Schwarz-Gelb verfasst worden ist, ist wunderbar - aber Rot-Grün handelt: Wir haben
die Ökosteuer eingeführt, vor der Sie nach wie vor solche
Panik haben, dass Sie ständig schreien, das sei das Böse
schlechthin. Wir werden darüber hinaus die Schwerverkehrsabgabe zur Diskussion stellen und sie einführen.
Wir werden ein Konzept zur Stärkung des öffentlichen
Nahverkehrs vorlegen. Unsere Fraktion hat hierzu bereits
wichtige Eckpunkte beschlossen.
({2})
- Herr Fischer, und wenn Sie es noch so charmant machen:
Ich lasse Ihre Zwischenfrage jetzt nicht zu. Sie können
gleich alles in Ihrer Rede vortragen, was Sie zu sagen haben.
Ich komme zum Schluss. Sie hatten die Chance zur Reform. Schwarz-Gelb hat gute Berichte schreiben lassen,
Rot-Grün handelt für einen nachhaltigen stadt- und umweltverträglichen Verkehr. Wenn Sie dem zustimmen, sind
wir uns wieder einig. Aber dann sollten Sie Ihre jetzigen
Diskussionsbeiträge überdenken und Verkehrspolitik einmal zukunftsorientiert denken - und nicht einfach nur
stauorientiert.
Danke schön.
({3})
Franzika Eichstädt-Bohlig
Als nächster Redner hat das Wort der Bundesminister
Reinhard Klimmt.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich bedanke mich dafür, dass zumindest eines in
allen Reden klar war: welche Bedeutung die Infrastruktur
für unsere Gesellschaft hat, nicht nur für das ökonomische
Vorankommen, sondern selbstverständlich auch hinsichtlich der sozialen und ökologischen Begleiterscheinungen,
die für uns, wenn wir politisch verantwortlich handeln
wollen, ebenso große Bedeutung haben müssen wie die
Sorge um das Ökonomische.
Von den Investitionen, die wir im Verkehrssektor tätigen, hängt zunächst einmal eine ganze Menge von Arbeitsplätzen direkt ab, nämlich in der Bauwirtschaft. Der
eine sagt, es seien 15 000, der andere, es seien 12 000. Wie
viel es letztendlich auch immer sind: Die Tatsache, dass
die Zahl von allen in dieser Größenordnung geschätzt
wird, macht deutlich, welch enorme Bedeutung die Infrastrukturpolitik hat, wenn es darum geht, die uns immer
noch plagende Arbeitslosigkeit konsequent zu bekämpfen.
({0})
Denn neben der direkten Wirkung, die erzielt wird, gibt es
selbstverständlich eine indirekte Wirkung. In welcher
Weise sich Menschen von A nach B bewegen, wie Güter
von A nach B bewegt werden, interessiert jeden, der wirtschaftlich tätig ist. Insofern sollten wir den hohen Standard, den wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern
zweifellos haben, erhalten und vorantreiben.
({1})
Der Kollege Möllemann hat sicher vollkommen Recht:
Die EU-Erweiterung bringt uns den Vorteil, dass sich ein
weiterer Bereich erschließt, der uns dann ökonomisch - als
Kunde - zur Verfügung steht. Allerdings bedeutet dies
auch, dass diese Länder stärker als Konkurrenten auf den
Weltmärkten auftauchen und dazu beitragen, dass wir als
Transitland - wir liegen nun einmal in der Mitte Europas weiteren Verkehr bekommen, der sich, so hoffe ich, nicht
nur auf der Straße, sondern vor allem auf der Schiene vollziehen wird.
Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir darauf achten,
dass wir bei den Bundesländern, aber vor allem auch dort,
wo wir als Bund zuständig sind, die entsprechenden Haushaltsmittel zur Verfügung stellen, um den notwendigen
Ausbau zu gewährleisten.
({2})
Darüber darf jedoch der ökologische Ansatz nicht vergessen werden. Wir haben uns alle gemeinsam verpflichtet - das war noch zu Ihrer Zeit -, die CO2-Minderung in
Angriff zu nehmen. Dies betrifft neben vielen anderen Bereichen selbstverständlich auch den Verkehr. Insofern darf
zum Beispiel die Telematik nicht nur als ein Instrument für
schnelleres Vorankommen gesehen werden, sondern muss
auch einen Beitrag dazu leisten, dass durch vernünftige
Verkehrsflüsse die Schadstoffausstöße gemindert werden.
Auch das ist ein wichtiger Punkt unserer Verkehrspolitik.
({3})
Es ist völlig richtig, wenn wir auch um einen sozialen
Ansatz kämpfen und fragen: Ist das erschwinglich? Was
bedeutet das für die Menschen, die Auto fahren wollen, die
Bahn fahren wollen? Zu welchen Konditionen, zu welchen
Preisen ist das realisierbar? Ihre Klagen, die Belastung für
die Autofahrer sei zu hoch, die Sie momentan erheben, ist
in mancherlei Hinsicht natürlich heuchlerisch.
({4})
Gerade was die Fernpendler angeht möchte ich Ihnen
vorhalten, dass Sie vorschlagen, die Kilometerpauschale
auf 50 Pfennig pro Kilometer zu senken und erst ab dem
15. Kilometer zu zahlen. Das ist eine Beeinträchtigung gerade für die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die von ihrem Wohnsitz zu ihrer Arbeitsstätte pendeln
müssen. Denen greifen Sie mit Ihrem Vorschlag in die Tasche.
({5})
Der Verdacht ist nicht unangemessen, wenn ich sage,
dass Sie auf diese Art und Weise noch einmal den Spitzensteuersatz für hohe Einkommen senken wollen. Das
wird bedeuten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dadurch zusätzliche Einkommenseinbußen haben.
Dies gilt zum Beispiel für eine Krankenschwester in einem
Krankenhaus, die ein geringeres Einkommen hat, damit
der Chefarzt noch ein wenig mehr als bis dato ohnehin
schon verdienen kann.
({6})
Zweitens muss ich im Zusammenhang mit der Ökosteuer noch sagen, dass wir von unserer Seite aus auf diese Art und Weise keine zusätzlichen Belastungen schaffen.
({7})
Vielmehr geben wir das Geld an die Unternehmen weiter, an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurück,
indem so die Lohnnebenkosten dauerhaft gesenkt werden
und die Beiträge zur Rentenversicherung weiterhin unter
20 Prozent bleiben. Das ist eine ganz andere Motivation
als die, die Sie gehabt haben, als Sie mehr als 50 Pfennig
draufgepackt haben, nur um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen.
({8})
Daher ist auch die jetzt noch einmal - Herr Oswald, es
tut mir Leid, das sagen zu müssen - von Ihnen erhobene
Forderung nach einer Zweckbindung bei der Mineralölsteuer insofern heuchlerisch, als Sie diese Forderung in der
Vergangenheit nie erfüllt haben. Sie hätten es machen können.
({9})
Sie haben immer wieder die entsprechende Grundlage im
Haushalt aufgehoben.
({10})
Das heißt, wir haben in dieser Frage die gleichen Verfahrensweisen wie Sie. Insofern dürfen Sie darüber nicht
jammern. Sie haben es in der Vergangenheit selber so praktiziert.
({11})
Wenn ich schon bei dem Stichwort „Haushaltslöcher“
bin, wegen deren Stopfung in der Vergangenheit von Ihnen entsprechende Mineralölsteuererhöhungen vorgenommen worden sind, sage ich Ihnen auch: Dadurch ist
natürlich der Finanzrahmen für uns ruiniert worden. Die
Haushaltskonsolidierung ist nun einmal unvermeidlich.
Mein Kampf - hierbei hoffe ich auf die Unterstützung des
ganzen Hauses - geht in die Richtung, möglichst viele
Mittel zur Verfügung zu haben, um den notwendigen Infrastrukturausbau wirklich gewährleisten zu können.
({12})
Dazu muss man sich etwas anderes - auch über die
Zweckbindung hinaus, Herr Kollege Oswald - einfallen
lassen. Ich bedanke mich übrigens für die Komplimente,
die wir für das Anti-Stau-Programm bekommen haben.
({13})
Dies haben wir bewusst so geplant, dass auf diese Art und
Weise zusätzlich - heute sagt man offensichtlich on top zu dem, was ohnehin für die Infrastruktur, für die Bahn, für
die Wasserstraßen und die Autobahnen, geplant war, Mittel zur Verfügung gestellt werden, dass es also keine Verrechnung gibt, um notwendige Entscheidungen auch wirklich in praktische Verbesserungen der Infrastruktur umsetzen zu können.
({14})
Sie haben gesagt: Die LKW-Gebühr kommt ab 2003.
Das ist richtig. Wir versuchen, eine ehrliche Politik zu machen. Ich hätte sie gern früher. Wenn wir sie aufgrund der
technischen Vorläufe, die gewährleistet sein müssen,
schon ab dem Jahre 2002 bekommen, ist es umso besser.
Dagegen wäre nichts einzuwenden.
Wir von unserer Seite wollen - das halte ich für durchaus legitim und machbar - die entsprechenden Voraussetzungen bis zum Jahre 2003 getroffen haben, damit dann
die entfernungsbezogene LKW-Gebühr erhoben werden
kann.
Herr Bundesminister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Fischer?
Ja, auch wenn ich weiß, dass das
nicht aus einem echten Informationsbedürfnis heraus, sondern in dem Bemühen geschieht, noch einmal eine Hinterhältigkeit los zu werden.
({0})
Trotzdem bin ich gern bereit, das zu ertragen. Sie haben
das Wort, Herr Kollege.
Herr Minister,
es ist immer problematisch, das Vorurteil zu haben, bevor
man die Frage gehört hat.
Ich lasse mich gerne überraschen.
In diesem Fall
geht Ihre Spekulation sehr daneben.
({0})
Ich möchte Sie bezogen auf den Antrag Ihrer Fraktion Sie sind Teil der Fraktion -, den sie in diese Debatte eingebracht hat, fragen.
({1})
- Er ist Mitglied der SPD-Fraktion, das wird ja wohl nicht
bestritten.
({2})
- Entschuldigung, ich habe mich in Ihrem Fall geirrt.
Ihre Fraktion hat zu dieser Debatte einen Antrag eingebracht, mit dem über das Ihnen zur Verfügung stehende Finanzvolumen Verwirrung gestiftet wurde. Dort steht:
... das Aufkommen aus der Maut - soweit es über die
Einnahmen aus der jetzigen zeitbezogenen LKWVignette hinausgeht - bekanntermaßen etwa 800 Millionen DM ist gezielt für das Anti-Stau-Programm und zum Ausbau und zur weiteren Verbesserung des integrierten
Verkehrssystems zu verwenden.
Ich war bisher dahin gehend informiert - das ist mir unklar, das möchte ich fragen -, dass in der mittelfristigen Finanzplanung und nach einer Vorlage des Finanzministeriums, das heute vertreten ist, abgesprochen mit
Ihnen, das Doppelte dieses Betrages, also 1,5 Milliarden DM, nicht dem Zweck Straßenbau oder Infrastruktur,
sondern dem allgemeinen Finanzhaushalt zugeführt werden soll. Wie beurteilen Sie, dass die SPD-Fraktion und
die Fraktion der Grünen heute einen Antrag vorlegen, nach
dem der Deutsche Bundestag entscheiden soll, dass gegen
MifriFi und gegen die Absprache der Häuser künftig nur
ein Betrag von 800 Millionen DM in den allgemeinen
Finanzhaushalt eingestellt werden darf?
Sehr geehrter Herr Fischer, ich
glaube, dass der Antrag so zu verstehen ist, dass die Mittel, die vom Finanzminister beansprucht werden - das sind
erst 750 Millionen DM, dann 800 Millionen DM und in
der mittelfristigen Finanzplanung eine Verdoppelung auf
die Größenordnung von 1,5 Milliarden DM -, vorausgesetzt werden. Die MifriFi ist jedem bekannt. Es geht
darum, dass damals festgelegt wurde - übrigens eine Hinterlassenschaft Ihrer Regierungszeit -, dass die jetzigen
durch die Vignette erzielten Einnahmen für die Bahnreform verwendet werden sollen. Das ist damals von Ihnen
so beschlossen worden. Das ist von Hans Eichel entsprechend weitergeführt worden. Deswegen vereinnahmt er
das. In der mittelfristigen Finanzplanung, die wir im letzten Haushalt beraten haben, stand, dass im Jahre 2002 die
entsprechende Verdoppelung erfolgen soll. Dieses werden
wir verkraften können. Das, was für das Anti-Stau-Programm vorgesehen ist - das sind 7,4 Milliarden DM bezogen auf fünf Jahre: 3,7 Milliarden DM für die Fernstraßen und 3,7 Milliarden DM für Schienen und Wasserstraßen -, lässt sich sehr wohl in einem Spielraum, ohne
sich auf die von Pällmann genannte Zahl festlegen zu müssen, finanzieren. Insofern sehe ich keinen Widerspruch zu
dem, was wir festgelegt haben.
({0})
Wir haben für die fünf Jahre 7,4 Milliarden DM vorgesehen. Davon gehen 3,7 Milliarden DM in die Fernstraßen
und 3,7 Milliarden DM, mit einem Schwerpunkt auf der
Schiene, in Schiene und Wasserstraße. Ich will noch einmal deutlich sagen, weil sich mancher darüber mokiert,
dass die Schiene bedacht wird, wenn über ein Anti-StauProgramm gesprochen wird. Jede Tonne, die auf der Wasserstraße oder auf der Schiene transportiert wird und nicht
mehr auf unseren Autobahnen, ist selbstverständlich ein
Beitrag zum Anti-Stau-Programm für unsere Fernstraßen.
({1})
Zur Frage, in welcher Größenordnung die Gebühr erhoben werden soll, kann ich sagen, dass von der Pällmann-Kommission vorgeschlagen wurde, dass 30 Pfennig berechtigt sind. Es werden 5 Pfennig aus dem Mineralölsteueraufkommen abgezogen. Somit landet die
Kommission bei 25 Pfennig. Ich halte diese Zahl für plausibel. Es ist aber nicht die endgültige Festlegung. Darüber
werden wir auch mit den betroffenen Unternehmen reden
müssen. Dabei darf man nicht vergessen: Sie trifft jeden,
egal wer bei uns fährt - ob es die eigenen Unternehmen,
ob es die Holländer sind. Jeder muss für den gefahrenen
Kilometer dasselbe bezahlen. Deswegen ist dies wettbewerbsneutral und es ist wichtig, dass wir das von unserer
Seite aus so anlegen.
({2})
Wir wollen in dieser Frage die Rahmenbedingungen in
der EU weiter harmonisieren. Wir müssen darüber reden,
in welcher Form und an welcher Stelle Kompensationen
notwendig sein könnten.
Ein Hinweis sei mir im Zusammenhang mit der
Vignette erlaubt. Sie kennen die Diskussion. Die EU hat
gesagt, Steuersenkungen mit einer solchen Verknüpfung
würden von ihr nicht genehmigt. Das ist ein Punkt, auf den
man hinweisen muss.
Man muss - zweitens - erwähnen: Wo setzt man an,
falls man in irgendeiner Weise kompensieren will? Wenn
es die Kfz-Steuer betrifft, so glaube ich, dass wir uns darauf schnell verständigen könnten.
Aber ich glaube nicht, dass die Länder, gleich welcher
Couleur, hierbei mitmachen würden.
Meine Damen und Herren, als Nächstes wurde von Ihnen die verstärkte Nutzung privaten Kapitals gefordert.
Auch das halte ich für richtig und notwendig. Wir haben
im entsprechenden gesetzlichen Rahmen einige Projekte
entwickelt und zwei konkret auf den Weg gebracht, für die
die Verträge abgeschlossen worden sind. Wir werden das
weiterverfolgen.
Wir wollen aber nicht das Modell der Vorfinanzierung, das in der Vergangenheit praktiziert wurde. Zwar hat
auch das Land, aus dem ich komme, davon profitiert. Trotzdem müssen wir gemeinsam zu dem Ergebnis kommen,
dass dieses Modell wegen der hohen Kapitalkosten - diese Art der Vorfinanzierung beschneidet unsere Investitionsmöglichkeiten um 500 Millionen DM - unökonomisch
und unvernünftig ist. Es wird daher von unserer Seite nicht
weitergeführt.
({3})
Davon ausgenommen sind selbstverständlich die geltenden Verträge.
Gleichwohl muss weiterhin - auch regierungsintern über Vorfinanzierungsmodelle geredet werden. Hier gibt
es unterschiedliche Interessen. Wir haben jetzt ein Projekt,
die A 31 in Niedersachsen, zu für den Bund wirklich vertretbaren Bedingungen auf den Weg gebracht. Ich bin
der Auffassung, dass wir auch in anderen Bereichen so etwas tun sollten, soweit es für uns keine zusätzlichen Kosten mit sich bringt und zukünftige Bewegungsspielräume
in den Haushalten erhalten bleiben; auch das darf man
nicht aus dem Auge verlieren. Insofern muss auch die
Dirk Fischer ({4})
Vorfinanzierung der Länder gedeckelt werden; dieses Instrument darf nicht uferlos eingesetzt werden.
Herr Oswald, Sie haben im Zusammenhang mit der
Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes dann noch
die Tatsache genannt, dass Projekte mit Kosten von 5 Milliarden DM planfestgestellt sind. Dazu muss man allerdings sagen, dass die Hälfte auf das Konto eines einzigen
Landes geht. Es kann nicht sein, dass man sagt, weil die
Projekte planfestgestellt seien, müssten sie nun auch finanziert und umgesetzt werden. Es wäre völlig außerhalb
jeder Symmetrie, dass derjenige, der seine ganze Kraft und
sehr viel Geld in solche Vorplanungen steckt, die Maßnahmen bezahlt bekommt, während alle anderen Länder in
die Röhre gucken.
({5})
Würden alle in gleicher Weise vorgehen, hätten wir am Ende Projekte mit Kosten in Höhe von 20 oder 30 Milliarden DM, die planfestgestellt wären, aber in einem Jahr
oder in zwei Jahren überhaupt nicht umgesetzt werden
könnten. Insoweit ist dieser Weg nicht zu empfehlen und
ich bedauere es, dass für die Planungen so viel Geld aufgewandt worden ist, dessen Wirkung sich als äußerst zweifelhaft darstellt.
({6})
Als wichtige Aufgabe steht für uns demnächst selbstverständlich die Bahnreform an. Es gibt ein hohes finanzielles Engagement des Bundes für die Bahn. Wir wollen
die Wirtschaftlichkeit der Bahn; das bedeutet Produktivitätssteigerung. Das müssen in erster Linie die Bahn und
die Gewerkschaften miteinander abklären. Im Hinblick
auf die Rahmenbedingungen sind wir natürlich bereit, alles zu tun, um ihnen zu helfen. Aber die eigentliche Verantwortlichkeit ist durch die Bahnreform ja bewusst in die
Hände des Vorstandes gelegt worden.
Eines müssen die für die Bahn Verantwortlichen allerdings wissen: Wir wollen keine „Schrumpfbahn“. Wir
wollen mehr Verkehr auf der Bahn sowohl in den Regionen als auch auf den Fernstrecken und den europäischen
Strecken. Wenn es darum geht, mit mehr Flexibilität und
mehr mittelständischen Strukturen in der Region bessere
Verkehrsangebote zu erzielen, so findet das zumindest unsere Zustimmung. Wir sind bereit, das entsprechend zu unterstützen.
({7})
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Transrapid sagen. Ich bedanke mich, Herr Königshofen, dass Sie
gesagt haben, der Metro-Rapid sei ein Highlight. Er soll
es erst einmal werden; wir sind mittlerweile in der Prüfung. Im Übrigen wissen wir, dass vier Länder Interesse
am Transrapid haben: Bayern, Hessen zusammen mit
Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Anträge werden noch auf ihre Plausibilität zu prüfen sein. Aber sicherlich ist die Plausibiliät für die Strecke,
die in Nordrhein-Westfalen vorgesehen ist, auf den ersten
Blick durchaus erkennbar. Mittlerweile habe ich nach Gesprächen mit den Niederländern und den Amerikanern ich setze diese Gespräche fort - die Erfahrung gemacht,
dass dort ein Interesse vor allem an kürzeren Strecken besteht. Das gilt sogar für die Strecke Amsterdam-Groningen in den Niederlanden, auf der acht Haltepunkte vorgesehen sind. Dadurch soll auch der regionale Verkehr aufgenommen werden. Wir wollen abwarten, wie wir das bei
uns realisieren können. Aber eines möchte ich auch noch
sagen: Wir erwarten von der Industrie, dass sie sich, wenn
sie Vertrauen in das Projekt hat, an der Finanzierung beteiligt und nicht sagt: Das alles soll vom Bund bezahlt werden.
({8})
Mir geht es um einen möglichst hohen Finanzrahmen
für die Infrastruktur, die natürlich sozial und ökologisch
verantwortlich flankiert und legitimiert sein muss. Wir
wollen die Bahnreform vollenden, damit wir mehr Verkehr
auf die Schiene bekommen und damit wir zumindest in der
Zukunft die Bahn wieder am Wachstum beteiligen, von
dem sie schon abgehängt war. Das sind Ziele, die wir weiterhin energisch und mit Fantasie angehen werden.
({9})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Klaus
Hofbauer.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir
die Bewertung, dass die Verkehrspolitik der letzten zehn
Jahre von den Verkehrs-Projekten „Deutsche Einheit“
geprägt war. Dies war notwendig und politisch gewollt. Es
steht außer Zweifel, dass wir dies auch uneingeschränkt
unterstützen. Die Verkehrs-Projekte „Deutsche Einheit“
werden auch in Zukunft oberste Priorität haben.
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es nicht nur die
deutsche Einheit, sondern auch eine Grenzöffnung zwischen Deutschland und Tschechien gegeben hat.
Herr Kollege
Hofbauer, ich muss Sie darauf hinweisen, dass das Mittel
der Kurzintervention dazu dient, direkt und sehr konkret
auf den Vorredner zu antworten.
({0})
Ich bin gehalten, Sie darauf hinzuweisen. Sie müssen
sich sehr konkret auf den Vorredner beziehen und auch an
die Zeitvorgabe halten.
Herr Präsident, ich
möchte gerade angesichts der jetzigen Situation den Herrn
Bundesminister ansprechen und ihn auf ein Problem hinweisen.
Durch die Öffnung der Grenze zwischen Deutschland
und Tschechien hat sich der Verkehr geradezu explosionsartig entwickelt. Deswegen hat die CDU/CSU-Fraktion
den Antrag gestellt, die Verkehrsverbindung A 6 und B 85
den Verkehrs-Projekten „Deutsche Einheit“ gleichzustellen. Nachdem der Herrr Minister darauf nicht eingegangen
ist, möchte ich ihn ganz konkret fragen, ob er unseren Antrag unterstützen kann und wird. Wir sind der Meinung,
dass diese Verbindung in die Liste der Verkehrs-Projekte
„Deutsche Einheit“ aufgenommen werden muss, weil sie
von europäischer Bedeutung ist.
({0})
Herr Minister, nur noch eine Feststellung: Sie haben
dem Freistaat Bayern unter anderem vorgeworfen, dass es
zu viele planfestgestellte Maßnahmen habe. Ich halte den
Vorwurf zu vieler planfestgestellter Maßnahmen für unfair; denn Bayern hat nur seine Hausaufgaben erledigt und
spielt deswegen eine gewisse Vorreiterrolle.
({1})
Wir haben unseren Antrag nicht zum Schein gestellt;
vielmehr ist es eine wichtige Aufgabe, das zentrale Projekt
A 6 und B 85 voranzutreiben.
({2})
Zur Erwiderung gebe
ich das Wort dem Bundesverkehrsminister.
Ich möchte einen Punkt klarstellen:
Ich habe nicht Bayern, sondern Baden-Württemberg gemeint, als ich von einem Land sprach, das 2,5 Milliarden DM für Vorplanungen ausgegeben hat.
Zu dem Projekt A 6: Selbstverständlich gibt es eine
ganze Reihe wichtiger und bedeutender Verkehrsprojekte,
die wir gerne realisiert sehen würden. Ich habe überhaupt
nichts gegen die Sinnfälligkeit des Lückenschlusses, der
notwendig ist, um die Achse in Mitteleuropa, also, insbesondere nach Prag, herzustellen.
Es muss allerdings auch gesagt werden, dass Bayern zu
den Bundesländern gehört, die mit Mitteln für die Durchführung der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ am allerstärksten bedacht worden sind. Man kann an diesem
Punkt nicht noch draufsatteln. Die A 6 gehört in den normalen Vollzug des Programms und wir werden uns
bemühen, sie so schnell wie möglich zu realisieren.
({0})
Nun gebe ich dem
Kollegen Dirk Fischer für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen eine hochwertige Verkehrsinfrastruktur. Je höher die
Qualität, desto attraktiver und konkurrenzfähiger wird der
Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein gut funktionierendes Verkehrssystem ist das Schwungrad einer positiven
Wirtschaftsentwicklung.
Wir wollen Ihnen, meine Damen und Herren von der
Koalition, mit unserem Antrag pro Verkehrsinvestitionen
klarmachen: Ohne Mobilität kein Wirtschaftswachstum.
Ihre Politik des Zusammenstreichens der Investitionsansätze schadet Land und Leuten.
({0})
Heute sind einige Wortspiele gekommen. Ich sage deutlich: Diese Regierung ist das größte Stauprogramm; ihre
Abwahl ist das größte Anti-Stau-Programm. Das ist die
Wirklichkeit.
({1})
Die von Minister Klimmt eingesetzte Pällmann- Kommission muss Sie doch in Wahrheit wachrütteln. Sie hat
sich zusammengesetzt und festgestellt: Erstens. Verkehrsinfrastruktur ist Schlüsselfaktor unserer Volkswirtschaft.
Zweitens. Die derzeitige Form der Finanzierung im Bereich der Bundesverkehrswege ist ungeeignet, die notwendigen Maßnahmen zeitgerecht umzusetzen. Drittens.
Bei der Aufstellung Ihres Investitionsprogramms 1999 bis
2002 - hören Sie gut zu - wird die Zunahme der Defizite
in der qualifizierten Substanzerhaltung und beim bedarfsund umweltgerechten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur
in Kauf genommen.
Das ist doch wirklich eine schallende Ohrfeige durch
die von Ihnen selbst einberufene Kommission.
({2})
Die Kommission hat Recht: Das Programm taugt
nichts, der Name ist bewusst irreführend und es steht finanziell auf schwachen Beinen.
({3})
In Wahrheit ist dieses Programm ein Investitionskürzungsprogramm. Investitionsmittel für den Straßenbau
für den Zeitraum von 1999 bis 2002 sind in Höhe von
18 Milliarden DM vorgesehen. Damit sind die Straßenbauinvestitionen gegenüber dem Ansatz der alten Bundesregierung um rund 5 Milliarden DM gekürzt worden.
({4})
Das Vorhaben ist in Wahrheit ein Investitionstäuschungsprogramm, da der Vollzug des Programms gar
nicht bis 2002, sondern bis 2012 läuft; insoweit ist der Name von vornherein - das wissen Sie genau - falsch gewählt worden. Der größere Teil der Straßenbaumaßnahmen in Höhe von 22 Milliarden DM - 4 Milliarden DM
mehr als ursprünglich geplant - ist erst nach dem für Sie
besonders wichtigen Jahr 2003 vorgesehen. Bei Schiene
und Binnenwasserstraße vollzieht sich das Programm zu
drei Vierteln erst ab 2003. Ich komme auf das für Sie
großartige Jahr 2003 - das stellt man immer wieder fest gleich zurück.
Dieses Programm ist in Wahrheit ein Investitionsopferprogramm. Es sieht eine globale Minderausgabe für die
Jahre 2001 und 2002 in Höhe von 2,6 Milliarden DM vor
und geht damit ebenfalls ganz zulasten der Infrastruktur.
Das heißt, es kommen weitere Kürzungen der Projekte.
Es ist in Wahrheit ein Investitionsrücknahmeprogramm, da die vorgesehene globale Minderausgabe
für das Jahr 2003 in Höhe von noch einmal 2,4 Milliarden DM wiederum fast vollständig zulasten der Infrastrukturinvestitionen gehen wird. Die Folge wird ein totaler Investitionskahlschlag sein.
Deshalb fordern die Länder, die Geltungsdauer
rechtskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse von 10 auf
15 Jahre zu verlängern, damit die Planungsaufwendungen
nicht im Mülleimer landen. Das ist eine Not- und Rettungsmaßnahme für rechtskräftige Planfeststellungsbeschlüsse.
({5})
Herr Minister, dem Bundesland Baden-Württemberg hier
den Vorwurf zu machen, es habe mit Zustimmung zur und
Freigabe der Planung gemäß Bundesverkehrswegeplan
und Bundesfernstraßenausbauänderungsgesetz punktgenau und zeitgleich den Ausbau vorangetrieben, ist wirklich
ein tolles Stück.
({6})
Nur, das Problem von Baden-Württemberg ist, dass es auf
die Fortsetzung guter Politik gehofft hat und dann Steine
statt Brot bekommen hat. Das ist die traurige Wahrheit.
({7})
Das Drama ist aber noch nicht zu Ende: Auch bei der
Ankündigung seines so genannten Anti-Stau-Programms hat Minister Klimmt nach dem Motto „Programme statt Taten“ gehandelt. An sich ist ein Anti-StauProgramm eine gute Sache.
({8})
Besonders ist in diesem Zusammenhang zu begrüßen, dass
die Grünen endlich ihre Liebe zum Straßenbau entdeckt
haben.
({9})
Aber ein Programm als reiner Propagandatrick für die
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ohne solide Finanzierung und seriöse Sachbasis wird sich bald als eine geplatzte Seifenblase entlarven.
({10})
Über Ihre Verfünffachung der LKW-Straßenbenutzungsgebühr haben Sie noch mit keinem anderen europäischen Land gesprochen und verhandelt. Mir sagen
die Holländer doch heute schon: Ihr braucht doch nicht zu
glauben, dass wir euch, die wir das alles mitbezahlen sollen - oder die Italiener, die Franzosen oder die Spanier -,
eine Gebührenverfünffachung bei einem Folgeabkommen
zum Vignetten-Abkommen erlauben werden. Natürlich
wird erst über das Geld geredet und dann wird das Abkommen gemacht, nicht umgekehrt.
Das heißt also, Sie haben überhaupt kein grünes Licht
auf europäischer Ebene, aber Sie tun hier so, als läge das
Geld in der Kasse. Das ist der Skandal der Täuschung der
deutschen Öffentlichkeit.
({11})
Meine Damen und Herren, außerdem ist das Programm
in Wahrheit ein Investitionsverzögerungsprogramm. Finanzmittel, die im Investitionsprogramm gestrichen wurden, werden plötzlich ab 2003 wieder eingesetzt - natürlich in einem sehr viel geringeren Umfang.
Es ist unverantwortlich. Die Finanzierung wird in völlig überzogener Weise dem gewerblichen Straßengüterverkehr aufgebürdet, der schon Jahr für Jahr durch die
Ökosteuer im europäischen Wettbewerb zurückgeworfen
wird. So macht man Unternehmen und Arbeitsplätze kaputt.
({12}))
Rund 20 000 Arbeitsplätze in den Führerhäusern deutscher LKWs sind durch Ihre Politik massiv bedroht.
({13})
Die Verfünffachung der Erlöse aus der heutigen LKWVignette bedeutet 4 Milliarden DM pro Jahr anstatt
800 Millionen DM wie im Moment. Herr Minister
Klimmt, Sie können diesen Antrag der SPD doch nicht
schönreden, wenn es hier heißt
({14})
„Einnahmen aus der jetzigen zeitbezogenen LKW-Vignette“. Das sind 800 Millionen DM und wenn Sie das bis
2003 fortrechnen, sind das im Jahr 2003 immer noch keine 1,5 Milliarden DM. Der Antrag ist in dem Punkt ganz
klar und kontrovers zur MifriF und zur Politik der Regierung. Ich erwarte, dass die SPD-Kollegen in diesem Bereich im Ausschuss und dann bei der Abstimmung im Plenum zu ihrem Antrag stehen,
({15})
damit wir mehr haben, einen Spielraum von weiteren
700 Millionen DM, um die Gebühr geringer ausfallen zu
lassen oder aber für Investitionen mehr Geld zur Verfügung zu haben. Das macht Sinn. Also stehen Sie doch bitte zu Ihrem Antrag.
({16})
Meine Damen und Herren, von den 1,5 Milliarden DM,
die von den 4 Milliarden DM übrig bleiben sollen, sollen
ganze 750 Millionen DM für den Bundesfernstraßenbau
ausgegeben werden. Der Betrag ist geringer als das, was
heute durch die Vignette hereinkommt. Das ist keine
Verbesserung der Investitionssituation, im Gegenteil.
Anti-Stau-Programm vor allem als Wahlkampftäuschung für NRW, wo rot-grüne StraßenbauverweigeDirk Fischer ({17})
rungspolitik täglich besonders viel Stau produziert. Wir
haben doch die Lage, dass die Radiosender in NordrheinWestfalen wegen der hohen Zahl nur noch Staus von über
5 km Länge melden. Sie müssten Sondersendungen von
mehreren Stunden machen, um alle kürzeren Staus überhaupt noch über den Sender bringen zu können. Das ist die
Lage in Nordrhein-Westfalen.
({18})
Es ist bezeichnend, dass von den insgesamt 37 Straßenbaumaßnahmen des Anti-Stau-Programms 16 in NRW liegen. 1,2 Milliarden DM sollen investiert werden.
({19})
Das ist exakt der Betrag, den Sie in Nordrhein-Westfalen im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 gekürzt haben. Das heißt, wir nehmen es weg, dann geben wir es wieder hin. So können Sie jedes Jahr Programme machen.
Verschiebebahnhof und die Leute haben nicht mehr.
Jetzt begreife ich zum ersten Mal richtig,
({20})
was Sie als Koalition mit dem Begriff „null Fortschritt“
meinen. Ich habe heute verstanden, was „null Fortschritt“
ist. Das ist das, was Sie hier machen. Wachen Sie endlich
auf, hören Sie auf, mit undurchdachten Programmen unverantwortliche Investitionskürzungen zu verschleiern!
({21})
Frau Mattischeck, da zählen nicht mehr Ausreden, sondern
nur noch Ergebnisse.
Was wir brauchen, ist eine klare Akzeptanz der Bedeutung von Straßenbauinvestitionen; denn gut 85 Prozent des
Personen- und Güterverkehrs in Deutschland werden auf
der Straße abgewickelt. Da können wir keine ideologischen Antipositionen und Grabenkriege gebrauchen, sondern es muss gehandelt, es muss investiert werden. Deswegen brauchen wir jetzt die Zweckbindung eines Anteils
der Mineralölsteuer.
({22})
Deshalb brauchen wir verstärkten Einsatz privaten Kapitals.
({23})
Minister Müller hat ja Recht - ich stimme ihm darin zu -,
nur hat er nicht gewusst, dass Müntefering und Klimmt
überhaupt noch nichts dafür getan haben, das enge europäische Recht aufzubohren, von dem die nationale Gesetzgebung doch abhängt.
({24})
Ich habe den Minister aufgefordert, das zu tun. Sie haben
das nicht geleistet.
({25})
Natürlich brauchen wir die streckenbezogene LKWMaut, wir brauchen aber auch ein Konzept der Bundesregierung zur Neuordnung der Verkehrsabgaben und zu ihrer Aufteilung. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf.
Wir brauchen eine ergebnisorientierte Verkehrspolitik und
kein Erklärungswirrwarr. Sie müssen die Finanzmittel im
Verkehrsbereich dem tatsächlichen Bedarf anpassen und
nicht alles durch einen ganz simplen Trick auf 2003 verschieben.
({26})
Das ist doch durchsichtig: Entscheidungen werden auf die
Zeit nach der Bundestagswahl 2002 verschoben, damit die Erfüllung Ihrer Versprechen durch den
deutschen Wähler nicht demokratisch kontrolliert werden
kann. Das ist doch Ihr billiger Trick.
({27})
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir jetzt endlich handeln müssen.
Zum Transrapid möchte ich eigentlich gar nichts sagen.
({28})
Herr Kollege
Fischer, Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. Ich
muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Abschließend
möchte ich, Herr Präsident, nur darauf hinweisen, dass
Schröder im Bundestagswahlkampf 1998
({0})
der Belegschaft von Thyssen-Henschel in Kassel bezüglich der Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin wörtlich erklärt hat: Wir werden diesen Zug bauen; da wird uns nichts
aufhalten. Seid beruhigt um eure Arbeitsplätze! - Auch
hier gilt wieder, wie so oft bei Schröder,
({1})
das gebrochene Wort.
Wir brauchen Worte, an die man sich hält. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
({2})
Kehren Sie um, damit in Deutschland in die Zukunft investiert werden kann.
({3})
Nun gebe ich das
Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Hans-Günter
Bruckmann.
Dirk Fischer ({0})
Meine Damen und
Herren! Herr Präsident! Ich werde nicht so laut wie Herr
Fischer sprechen.
({0})
Eines ist klar: Wir wollen ein Verkehrssystem - darüber sind sich viele Menschen in diesem Raum einig -,
das die Mobilität aller Menschen flächendeckend und auch
umweltverträglich gewährleistet. Dabei wollen wir die
Balance zwischen Ökonomie auf der einen Seite und
Ökologie auf der anderen Seite einhalten. Darin unterscheiden wir uns, Herr Fischer - vielleicht könnten Sie einen Moment zuhören, statt zu telefonieren -, sehr deutlich
von Ihnen.
({1})
Wir wissen, dass Investitionen in eine leistungsfähige
Infrastruktur von zentraler Bedeutung für unsere Wettbewerbsfähigkeit sind und dass sie in ein umfassendes und
nachhaltiges Verkehrskonzept eingebunden sein müssen.
({2})
Wir wissen auch, dass es in der Debatte am 27. Januar dieses Jahres ebenso wie heute hinsichtlich der Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastrukturen zwei wesentliche
Übereinstimmungen in der Problembeschreibung gab und
gibt. Wir waren und sind uns in diesem Hohen Hause darüber einig, dass Deutschland erstens zu einem der wichtigsten Transitländer und zur Drehscheibe in der Mitte
Europas geworden ist und dass zweitens alle früheren Verkehrsprognosen auf deutscher oder europäischer Ebene
zu reiner Makulatur geworden sind. Das ist, Herr Oswald,
keine ideologische Feststellung, sondern das sind Fakten.
Darüber hinaus haben wir festzustellen, dass die Regierung Kohl den Schwerpunkt auf die Förderung des
Straßenverkehrs gelegt hatte. Sie tat dies vermutlich in
der Hoffnung, dass die Straße allein in der Lage wäre, den
anfallenden Verkehr zu meistern.
({3})
Heute wissen wir, meine Damen und Herren, dass diese Hoffnung getrogen hat.
({4})
Das ist nicht nur der alten Regierung anzulasten, sondern
dem liegt auch ein Prozess bei der arbeitsteiligen Organisation von Wirtschaft an sich zugrunde. Die Unternehmenslogistiker haben nämlich über das Just-in-time-Prinzip im Grunde die Lagerhaltung kostenmäßig optimiert,
sie von den Unternehmen auf die Verkehrsträger,
hauptsächlich auf die Straße, abgewälzt und auf diese Art
und Weise sich selbst entlastet.
Durch die nicht ausreichende parallele Förderung der
Schiene stehen jetzt nur begrenzte Kapazitäten zur Verfügung - und das noch nicht einmal zu wirtschaftlich tragfähigen Konditionen. Der kombinierte Verkehr und das
Binnenschiff haben nicht den hohen Stellenwert in der
Verkehrspolitik, um neben dem Verkehrsträger Straße
gleichermaßen wettbewerbsfähig zu sein. Das ist etwas,
was Sie, meine Damen und Herren auf der Seite der alten
Regierung, zu vertreten haben.
({5})
Die Stagnation der Marktanteile beim Verkehrsaufkommen dieser Verkehrsträger zeigt das eindeutig.
Der Bundesverkehrswegeplan mit den vielen
wissmannschen Spatenstichprojekten
({6})
war mit über 90 Milliarden DM - das wissen Sie - chronisch unterfinanziert.
({7})
Es ist fast eine Heuchelei, wenn Sie sich hier und heute
hinstellen und uns sagen, dass wir mit dem, was wir auf
die Reise bringen, nicht auf dem richtigen Weg seien.
({8})
- Entschuldigung, wenn Sie bitte zuhören würden! Ich habe Ihnen auch zugehört. Die heutige Opposition kann sich
nicht daran erinnern. Auch Herr Möllemann kann sich
nicht daran erinnern.
({9})
Die Konsequenz lag auf der Hand: Der Bundesverkehrswegeplan wird überarbeitet.
Bei der Lösung der Probleme und beim Einsatz von geeigneten Instrumenten wird der Unterschied zwischen alter und neuer Bundesregierung deutlich.
({10})
Die neue Bundesregierung und die sie tragende Koalition
verfahren nicht nach dem Motto: Planung ersetzt den Irrtum durch den Zufall. - Das machen wir nicht.
({11})
Dass die Regierung Schröder nichts dem Zufall überlässt
({12})
und seriös und realitätsnah arbeitet, wird mit dem Investitionsprogramm in der Zeitperspektive 1999 bis 2002
und dem Anti-Stau-Programm deutlich. Wenn man sich
einmal überlegt, dass wir eine ganze Menge an Mitteln auf
den Weg gegeben haben
({13})
und in der Zeitprognose bis 2007 über 70 Milliarden DM
in die Verkehrsinfrastruktur investieren, dann erkennt
man, dass das der richtige Weg ist.
({14})
Was ich besonders gut finde, ist, dass das Anti-StauProgramm nicht mit den normalen Haushaltsmitteln auf
den Weg gebracht wird. Das bedeutet für diejenigen, die
Planungen machen und etwas auf den Weg bringen wollen - das sind die Länder, das ist auch der Bund -, ein
Stückchen Planungssicherheit. Das ist ein nicht zu unterschätzender Wert.
({15})
Wenn wir zum Gebot von Ehrlichkeit und Wahrheit
zurückkommen und dazu Kriterien wählen wollen, dann
sage ich: Die Vorteile liegen auf der Hand. Denn durch die
strenge Anwendung der Auswahlkriterien für die verschiedenen Verkehrsträger, Herr Fischer, werden die Finanzmittel dahin geleitet, wo der größte verkehrs- und
volkswirtschaftliche Nutzen ist. Investitionen werden dort
getätigt, wo die gravierendsten Engpässe zu beseitigen
sind.
({16})
Bei den Bundesautobahnen, lieber Norbert
Königshofen, geht es um die Vierstreifigkeit und dann,
wenn das Verkehrsaufkommen über 65 000 Bewegungen
pro Tag hinausgeht, wenn wir in einem Streckenbereich einen hohen LKW-Anteil haben und wenn entsprechende
Ausbauvarianten nicht vorhanden sind, um den Ausbau.
Wenn es um die Bundesschienenwege geht, dann geht
es um die eingeschränkte Geschwindigkeit aufgrund maroder Bausubstanz und auch um die Frage, wo wir so genannte Flaschenhälse haben, die abgebaut werden müssen.
Bei den Bundeswasserstraßen ist es so, dass die Auswahlkriterien dahin gehen, dass wir Strecken mit Sperrungen wegen schlechter Bausubstanz und Sicherheitsmängeln berücksichtigen müssen.
Die Heranziehung der künftigen entfernungsabhängigen LKW-Abgabe ist ein richtiger Schritt. Auf diese Art
und Weise schaffen wir es, dieses Anti-Stau-Programm solide zu finanzieren. Herr Möllemann, mit Abzocken hat
das überhaupt nichts zu tun.
({17})
Wir fordern deshalb die Bundesregierung mit unserem
Antrag auf, die bisherige LKW-Vignette in eine entfernungsabhängige Maut umzuwandeln. Die PällmannKommission hat einen Vorschlag für die Höhe der Maut
gemacht. Darüber kann man diskutieren. Diese Maut soll
sowohl für die inländischen als auch für die ausländischen
Fahrzeuge gelten. Dass man sich mit der EU darüber zu
verständigen hat, welches der richtige Weg zu fairen Preisen ist, steht außer Frage.
Durch die Einführung der Auswahlkriterien wird die
Bedarfsorientierung gerechter, ohne dass Ungerechtigkeiten im Ländervergleich entstehen. Gestatten Sie mir, für
Nordrhein-Westfalen zu sagen: Mit dem Mittelansatz von
25 Prozent für Maßnahmen hinsichtlich unterschiedlicher
Verkehrsträger ist erstmals der richtige Ansatz für Problemlagen in den Ballungsräumen gefunden worden. Dadurch werden auch die speziellen Belange der großen Länder berücksichtigt. Das ist ein Erfolg; denn in diesem
Punkt arbeiten Bund und Land Hand in Hand.
({18})
Das ist ein Akzent in die richtige Richtung. Dies trifft
besonders auf die großen Ballungsräume Köln, Niederrhein, Ruhrgebiet und Münsterland zu. Herr Möllemann,
Sie sind sicher sehr glücklich darüber, dass auch das
Münsterland einbezogen ist. Die Belange Baden-Württembergs und Bayerns werden dabei genauso berücksichtigt. Wir richten uns nämlich nach festgelegten Kriterien,
die unbestechlich in der Sache sind.
Was uns weiter positiv stimmt, ist, dass Mobilität und
Verkehr im Forschungsprogramm der Bundesregierung
gut positioniert sind. Darüber hat heute noch keiner geredet. Ich möchte Sie aber an diesen Punkt gern erinnern.
Denn am 15. März wurde das neue Forschungsprogramm „Mobilität und Verkehr“ vom Kabinett verabschiedet.
({19})
Die Bundesregierung misst also dem Verkehrssektor große
Bedeutung bei der Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Bewältigung der ökologischen Probleme zu. Dieses Programm soll die Nachhaltigkeit unserer Mobilität sichern, die Leistungsfähigkeit verdeutlichen
und nutzerfreundlich sein. Damit haben wir ein Zeichen
gesetzt, dass wir international wettbewerbsfähig sind.
Für dieses Programm müssen natürlich auch Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Wir werden in den
nächsten vier Jahren 500 Millionen DM dafür ausgeben.
Ich denke, das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Denn:
Nur wer sich bewegt, kann etwas bewegen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({20})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 17 a: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Zukunft sichern - Verkehrsinfrastrukturinvestitionen verstärken“ auf Drucksache 14/3199. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2360 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung zu einem
abgestuften Konzept für Verkehrs-Infrastrukturgebühren
in der EU auf Drucksache 14/1545. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der in der Beschlussempfehlung genannten EU-Vorlage eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der PDS
angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 f: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft,
Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
zu dem Thema „Entwicklung und Analyse von Optionen
zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung
von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger“ auf Drucksache 14/2429. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 2 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Zusatzpunkt 6: Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der
Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Straßenbau statt Autostau“,
({0})
Drucksache 14/3198. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2582 abzulehnen.
({1})
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS
gegen die Stimmen der F.D.P. bei Stimmenthaltung der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Wir kommen zu den Überweisungen, zunächst zu Tagesordnungspunkt 17 d und 17 e. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/2176
und 14/2488 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 17 b: Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/2910 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
den Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder, den
Ausschuss für Tourismus, den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Zusatzpunkt 4: Die Vorlage auf Drucksache 14/3179
soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und zur Mitberatung
an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an
den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. - Keine anderweitigen
Vorschläge. Die Überweisung ist so beschlossen.
Zusatzpunkt 5: Es wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/3191 an den Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen zu überweisen. - Auch darüber besteht Übereinstimmung. Die Überweisung ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Seehofer, Birgit Schnieber-Jastram, Rainer
Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Für eine gerechte Rentenanpassung
- Drucksache 14/2991 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({2})
Haushaltsausschuss
Es ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu geben.*)
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2991 zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Einverständnis liegt vor. Die Überweisung ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen, Rainer
Funke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Durchführung eines Strafverfahrens wegen
Verletzung einer besonderen Geheimhaltungspflicht nach § 353 b StGB
- Drucksache 14/2210 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Vizepräsident Rudolf Seiters
*) Anlage 5
Auch hier ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu ge-
ben.*)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/2110 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung - abweichend von der Tagesordnung - beim Innenausschuss liegen soll. - Auch damit ist das Haus einverstanden. Die Überweisung ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Evelyn Kenzler, Petra Bläss, Roland Claus,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die politischen Parteien
- Drucksache 14/2719 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen,
CDU/CSU und F.D.P. haben vereinbart, dass die Reden ih-
rer Sprecher zu Protokoll gegeben werden. **)
Ich gebe für den Antragsteller dem Kollegen Gregor
Gysi das Wort.
({6})
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Erstens hätte ich meine Rede schon deshalb
nicht zu Protokoll geben können, weil ich gar kein Manuskript habe.
({0})
Da ich in der Regel frei spreche, ist mir diese Möglichkeit
nicht gegeben.
Zweitens fände ich das aber auch falsch. Ich will das
begründen: Noch vor wenigen Wochen haben alle Parteien ganz heiß diskutiert, wie nötig es ist, in Auswertung des
Spendenskandals der CDU eine Änderung des Parteiengesetzes vorzunehmen, um zu klareren Regelungen
zu kommen. Heute scheint das durch die anderen Parteien
schon wieder von der Tagesordnung abgesetzt zu sein.
({1})
Bei den Grünen hat sogar ein Landesverband einen großen
Antrag beschlossen, aber nichts wird in den Bundestag
eingebracht. Das ist die Realität. Der einzige Entwurf, den
es - zumindest bisher - zur Änderung des Parteiengesetzes gibt, stammt von der PDS-Bundestagsfraktion.
({2})
Wir sind gerne bereit, in den Ausschüssen über die eine oder andere Frage zu diskutieren. Es ist ein Entwurf und
man kann daran etwas verändern. Aber Sie können sich
doch nicht hier hinstellen und ernsthaft gegenüber der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln, als ob am Parteiengesetz nichts zu ändern wäre und die Dinge so weiterlaufen könnten, wie es bisher der Fall war.
({3})
- Wenn Sie die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses - der ja ein ganz anderes Thema hat und sich auf das
geltende Recht stützen muss - abwarten wollen, heißt das,
Sie wollen die Änderung des Parteiengesetzes auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.
({4})
Sie wissen doch selber, dass dieser Untersuchungsausschuss die gesamte Legislaturperiode benötigt.
({5})
Sie wissen darüber hinaus, dass die Änderung eines Gesetzes gerade in Finanzfragen eines Vorlaufs bedarf. Sie
können Buchhalter nicht innerhalb einer Woche zu verändertem Verhalten zwingen. Da braucht es einen Vorlauf.
Deshalb sage ich Ihnen: Nur wenn wir in Kürze ein Änderungsgesetz verabschieden, können wir ab Beginn des
neuen Jahres auch diesbezüglich über neue Regelungen
verfügen, die dann auch angewandt werden.
({6})
Lassen Sie mich deshalb ein paar Dinge zu den wichtigsten, nach unserer Auffassung erforderlichen Änderungen sagen. Der erste Punkt bezieht sich darauf, dass bisher die Rechenschaftslegung gegenüber dem Präsidenten
sehr allgemein ist. Wir wollen das konkreter gefasst haben.
Wir wollen dort auch mehr Kontrollmechanismen haben.
Wir wollen auch sicherstellen, dass das Parlament anders
als bisher in diese Rechenschaftslegung einbezogen wird.
Das heißt mehr Transparenz, auch mehr parlamentarische Kontrolle.
Wir wollen zweitens natürlich die Bedingungen verändern. Sehen Sie, wir haben gegenwärtig eine Situation, in
der ständig über Großspenden diskutiert wird. Jetzt frage
ich Sie: Was macht denn eigentlich den Charakter einer
Volkspartei aus? Dass man Abendessen gibt und danach
dafür sorgt, dass Spenden von 100 000 DM oder 1 Million DM durch bestimmte Unternehmen fließen? Oder würde den Charakter einer Volkspartei nicht in erster Linie
ausmachen, dass man millionenfach kleine Spenden organisiert? Ich sage immer: Lieber tausendmal 100 DM sammeln als einmal 100 000 DM. Damit bringt man Volksverbundenheit zum Ausdruck.
({7})
Vizepräsident Rudolf Seiters
*) Anlage 6
**) Anlage 7 Der Redebeitrag des Abgeordneten Harald Friese ({8})
erscheint als Anlage zum Protokoll der 101. Sitzung
Deshalb wollen wir die zulässige Höhe von Spenden pro
Jahr auf 30 000 DM beschränken. Das scheint uns eine
wichtige Regelung zu sein, um zu einem anderen Charakter zu kommen.
Drittens wollen wir gern auch den Kreis der Spender
verändern. Sehen Sie: Die Verdächtigungen, die jetzt aufkommen, haben doch genau mit diesen Regelungen im
Parteiengesetz zu tun. Ich will niemandem etwas unterstellen. Wenn jemand eine Spende in Höhe von 1 Million DM von einem Unternehmen bekommt, unterstelle
ich ihm doch nicht, dass er deshalb seine Politik wirklich
danach ausrichtet. Aber dass dieser Verdacht im Raum
steht, ist doch klar.
({9})
Wir alle kennen einfache marktwirtschaftliche Regelungen. Eine lautet: Keiner gibt 100 000 DM, wenn er
nicht etwas erwartet, und keiner nimmt 100 000 DM, wenn
er nicht auch etwas dafür gibt.
({10})
- Dann ändern Sie es doch! Ändern Sie es doch! Wir schlagen doch die Änderung vor.
({11})
Das geht doch auch zu unserem Nachteil. Das müsste Sie
doch gerade zusätzlich animieren.
({12})
Ich sage Ihnen: Deshalb ist die Beschränkung auf
30 000 DM im Jahr ebenso richtig wie unsere Forderung,
juristische Personen als Spender auszuschließen.
DieFinanzbeziehungenderParteienmüssenzweiAdressaten haben, zum einen die Bürgerinnen und Bürger und genau nicht die Unternehmen, Konzerne und Banken und zum anderen den Staat. Lieber - auch wenn das nicht
populär ist - wäre ich damit einverstanden, die staatliche
Finanzierung zu erhöhen, als weiterhin zuzulassen, dass
die Parteien von der Wirtschaft abhängig sind. Das ist die
gegenwärtige Situation. Dabei darf man es nicht belassen.
Ob Sie es wollen oder nicht, es wirkt sich auch auf die Politik der Parteien aus. Genau deshalb wollen wir es ändern.
({13})
Die nächste Bemerkung: Wir wollen ja auch eine Änderung zum Vorteil der Parteien. Bisher ist es nämlich so,
dass die Parteien bei der Deklarierung von Spenden ab einer bestimmten Höhe Name und Adresse angeben müssen.
Die praktischen Erfahrungen zeigen: Das mit der Adresse
ist wahnsinnig schwierig. Oft spenden Leute durch Überweisung einfach auf das Konto der Partei, und die Banken
geben die Adresse nicht bekannt. Man weiß dann zwar, wo
derjenige wohnt, man weiß auch, wie er heißt, aber die genaue Adresse ist nicht bekannt. Das führt sofort zur Abführungspflicht. Deshalb haben wir vorgeschlagen, statt
der Adresse den Wohnort zu nehmen, was diese Dinge wesentlich erleichtern würde.
Was uns noch besonders wichtig ist, sind Fragen, die
auch mit diesem Skandal zusammenhängen. Wozu - so
habe ich mich immer gefragt - brauchen Parteien Auslandskonten?
({14})
Es konnte mir kein einziger Grund genannt werden, wozu
das erforderlich ist
({15})
im Sinne der Erfüllung des Auftrages der Parteien aus dem
Grundgesetz. Das einzige, was mir gesagt worden ist, ist,
dass im Ausland oft die Zinsen günstiger sind. Nur, meine
Damen und Herren, mit so einer Begründung machen wir
uns doch lächerlich. Wir sind mitverantwortlich für die
Zinspolitik in diesem Land.
({16})
Und dann weichen die Parteien mit ihren Konten ins Ausland aus, weil es dort bessere Zinsbedingungen gibt.
({17})
- Also sind Sie für Auslandskonten? Verstehe ich das richtig?
({18})
- Das sollte Sie nicht stutzig machen. Das sollte Sie geradezu begeistern! Aber dass Sie als alter Kalter Krieger
nicht in der Lage sind, nach 10 Jahren irgendetwas dazuzulernen, Herr Küster,
({19})
das haben wir hier inzwischen alle mitbekommen. Deshalb sage ich Ihnen: Wir müssen Auslandskonten verbieten.
Eine weitere Regelung ist dringend erforderlich, wenn
wir denn Glaubwürdigkeit erlangen wollen: In jedem Gesetz, mit dem wir etwas verbieten, legen wir für diejenigen, die diese Verbote verletzen, Sanktionen fest, nur im
Parteiengesetz nicht! Da haften die Parteien kollektiv nur
im Rahmen ihrer Finanzen; aber es gibt keine persönliche
Verantwortlichkeit. Das kennen wir nicht im Bilanzrecht
und bei keinem anderen Recht, nur beim Parteiengesetz.
Deshalb schlagen wir vor, künftig für diejenigen, die
persönlich für die Verletzung dieses Gesetzes verantwortlich sind, Strafbestimmungen vorzusehen. Wenn wir das
nicht tun, erzielen wir keine neue Glaubwürdigkeit in der
Öffentlichkeit, und die, so meine ich, brauchen alle Parteien in diesem Hause. Wenn Sie sich in diesen Fragen
nicht bewegen, dann dürfen Sie sich beim nächsten
Skandal nicht darüber wundern, dass die Glaubwürdigkeit
der Parteien noch weiter und tiefer sinkt.
({20})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/2719 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen sind
damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen,
den Mitgliedern und Mitarbeitern der Bundesregierung,
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses und
unseren Gästen auf den Tribünen ein schönes und friedvolles Osterfest.
({0})
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Mai 2000, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.