Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, meine
Damen und Herren, geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße Sie zur konstituierenden Sitzung des 14.
Deutschen Bundestages. Es ist parlamentarischer
Brauch, daß der Älteste in der Versammlung die Leitung
übernimmt, bis der Deutsche Bundestag sich selbst einen Präsidenten gewählt hat. So sieht es auch der § 1
Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vor.
Ich wurde am 27. Februar 1928 geboren. Ist jemand
unter Ihnen, der früher geboren wurde? - Das ist offenbar nicht der Fall.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Eröffnung der Sitzung durch den Alterspräsidenten
Meine Damen und Herren, als Alterspräsident eröffne
ich die erste Sitzung der 14. Wahlperiode. Ich begrüße
alle Gäste auf der Tribüne. Wir freuen uns, daß Sie an
unserer konstituierenden Sitzung teilnehmen. Mein Gruß
gilt auch den Botschaftern und Missionschefs zahlreicher Staaten.
Bis zur Beschlußfassung über die Geschäftsordnung,
die sich der 14. Deutsche Bundestag nach der Wahl des
Bundestagspräsidenten geben wird, verfahren wir nach
den Regeln, die für den 13. Deutschen Bundestag gegolten haben.
Nach Absprache mit den Fraktionen benenne ich als
vorläufige Schriftführer die Damen und Herren Abgeordneten Brigitte Adler, Hans-Dirk Bierling, Renate
Blank, Wolfgang Bosbach, Hildebrecht Braun, Monika
Brudlewsky, Christel Deichmann, Hubert Deittert, Dr.
Uschi Eid, Hans-Joachim Fuchtel, Frank Hofmann
({0}), Ingrid Holzhüter, Christel Humme, Brunhilde Irber, Sabine Kaspereit, Rosel Neuhäuser, Dr. Rolf
Niese, Cem Özdemir, Marlies Pretzlaff, Hans Raidel,
Erika Reinhardt, Bernd Reuter, Reinhold Robbe, Dr.
Uwe-Jens Rössel, Heinz Schemken, Regina SchmidtZadel, Bodo Seidenthal, Heinz Seiffert, Wieland Sorge,
Joachim Tappe, Lydia Westrich, Gert Willner und Benno Zierer.
Die Abgeordneten Bernd Reuter und Benno Zierer
bitte ich, neben mir Platz zu nehmen. ({1})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, verehrte Gäste, das Alter eines Menschen ist
bekanntlich nicht sein Verdienst, und dennoch entspricht
es der Tradition, das älteste Mitglied eines Parlaments
die konstituierende Sitzung leiten zu lassen. Entsprechend dieser Tradition nehme ich meine Verantwortung
wahr.
Als ich davon erfuhr, mußte ich an die letzte Alterspräsidentin des deutschen Reichstages, Clara Zetkin, denken, eine mutige und engagierte Frau, die, wie
mein Großvater Friedrich Puchta, in Chemnitz in den
Reichstag gewählt wurde, wenn auch beide für unterschiedliche Parteien.
Alterspräsidenten des Bundestages waren auch Ludwig Erhard und Konrad Adenauer, die unsere Republik entscheidend mit geprägt haben. Ich mußte an Willy
Brandt denken, der mehrere konstituierende Sitzungen
des Deutschen Bundestages geleitet hat und dem mein
Respekt galt und gilt.
Ich mußte an Stefan Heym denken, der den 13.
Deutschen Bundestag mit Würde und Souveränität eröffnet hat. Es hat mich unangenehm berührt, daß einige
Mitglieder des Bundestages ihm, einem großen deutschen antifaschistischen Schriftsteller, nicht die gebührende Achtung entgegenbrachten. Inzwischen sind wir
aber vier Jahre weiter, und ich denke, im 14. Deutschen
Bundestag würde ihm niemand mehr die Ehrerbietung
verweigern.
Kollegin Frau Professor Dr. Rita Süssmuth scheidet heute aus ihrem Amt als Präsidentin des Deutschen
Bundestages aus. Ich möchte Ihnen, verehrte Frau
Süssmuth, ganz persönlich für Ihre langjährige Arbeit
danken. Sie waren immer - soweit ich das von außen
wahrnehmen konnte - eine faire und liberal agierende
Präsidentin.
({2})
Sie haben dieses Amt auf Ihre Art geprägt. Das verdient,
wie ich meine, Anerkennung. Diese ist Ihnen vom Haus
auch schon ausgesprochen worden.
Der 14. Deutsche Bundestag ist der letzte, der in
Bonn eröffnet wird. Ich möchte den Bonnerinnen und
Bonnern für ihren Beitrag zur politischen Kultur und zur
Demokratie in den letzten Jahrzehnten danken.
({3})
Den Berlinerinnen und Berlinern möchte ich sagen:
Wir freuen uns auf Sie und hoffen, bei Ihnen willkommen zu sein.
({4})
Dieser Deutsche Bundestag trägt eine hohe Verantwortung für die Entwicklung der Bundesrepublik
Deutschland am Ausgang des 20. und zu Beginn des 21.
Jahrhunderts. Wir stehen großen Herausforderungen gegenüber. Ebenso groß sind die Erwartungen, die an die
Tätigkeit des 14. Deutschen Bundestages geknüpft
werden.
Die Weltordnung, wie sie nach 1945 im Ergebnis des
zweiten Weltkrieges entstanden ist, scheint realen politischen und ökonomischen Kräfteverhältnissen, den Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht mehr zu
entsprechen. Eine neue Weltordnung ist aber noch nicht
gefunden. Sie zu finden kann unmöglich die Aufgabe
Deutschlands oder seines Bundestages allein sein. Einen
Beitrag zu ihrer Findung werden wir aber leisten müssen. Eine Welt, in der es Kriege gibt, in der mit Massenvernichtungswaffen gedroht wird, in der Millionen von
Menschen in Hunger und Elend leben, in der täglich
Menschenrechte verletzt werden, in der die natürlichen
Lebensgrundlagen künftiger Generationen zerstört werden, ist keine gerechte Welt.
Das ausgehende Jahrhundert hat gesellschaftliche
Fortschritte, gigantische wissenschaftliche und technische Leistungen, aber auch schlimmste Kriege und Verbrechen, massenhafte Zerstörung und massenhaftes
Elend hervorgebracht. Die Ursachen sind vielfach diskutiert und zumeist erkannt worden. Ihre Bekämpfung
ist unter den gegebenen Realitäten aber nicht leichter
geworden.
All diese Fragen hängen auch immer mit der Frage
der sozialen Gerechtigkeit zusammen. Hätten wir eine
sozial gerechte Weltordnung, dann gäbe es auch keinen
oder kaum Hunger und kein Elend, dann gäbe es viel
weniger Ursachen für Kriege, für Gewalt, für die Verletzung von Menschenrechten, für ökologische Zerstörung
und für Flucht. Ich bin deshalb davon überzeugt, daß in
einer jeden Gesellschaft ebenso wie für die Menschheit
überhaupt die soziale Frage die entscheidende im nächsten Jahrhundert sein wird.
Die Chance für eine wirklich demokratische und sozial gerechte Entwicklung in Deutschland ergab sich in
diesem Jahrhundert erst mit der Zerschlagung des nationalsozialistischen Terrorregims im Jahre 1945. Für
die ungenügende demokratische Entwicklung in den 100
Jahren zuvor mag es viele Ursachen gegeben haben. Eine Ursache sehe ich darin, daß es vor 150 Jahren - nämlich 1848 - nicht gelungen ist, eine erfolgreiche und
demokratische Revolution in Deutschland durchzuführen.
Der Versuch eines demokratisch verfaßten Deutschlands, der in der Paulskirche zu Frankfurt am Main unternommen wurde, scheiterte. Der preußische König war
davon überzeugt, daß gegen Demokraten nur Soldaten
helfen. Es war sicherlich ein großer Fehler der Frauen
und Männer in der Paulskirche, daß sie den dritten
Stand, die Arbeiter und Bauern, ausgeschlossen hatten.
Wären sie mit einbezogen gewesen, hätte der preußische
König seine Schlacht gegen die Demokratie möglicherweise verloren.
Wie die Entwicklung weiter verlief, ist allen hier im
Saal bekannt. Es endete mit dem verbrecherischsten Regime in der Weltgeschichte, der Nazidiktatur. Und nicht
wir selbst haben es geschafft, uns zu befreien. Wir
mußten von außen befreit werden. All jenen, die uns
damals befreit haben, muß unser Dank und unser Respekt gelten. Unabhängig davon, wie wir die weitere
Entwicklung in diesen Ländern beurteilen, und unabhängig von dem Schicksal vieler vor, an oder nach dem
8. Mai 1945 sollte klar sein: Ohne diesen Tag hätte es
keine Chance für eine demokratische Entwicklung in
Deutschland gegeben.
Deshalb meine ich, daß wir uns noch vor Beendigung
dieses Jahrhunderts darauf verständigen sollten, den
8. Mai 1945 zum Tag der Befreiung zu erklären und ihn
jährlich entsprechend zu begehen.
({5})
Als Angehöriger einer Familie, die während der Nazidiktatur verfolgt wurde, registriere ich mit großer Sorge den wachsenden Zulauf zu rechtsextremen Parteien,
die wachsende Akzeptanz für deren verlogene Ideologie
und Politik. Bei allem Streit, Kolleginnen und Kollegen,
den wir untereinander führen werden, sollten wir einig
sein in der Bekämpfung von nationalsozialistischem
Größenwahn, von Rassismus und Antisemitismus.
({6})
Unter anderem deshalb hoffe ich sehr, daß der 14.
Deutsche Bundestag Kraft findet, für Nichtdeutsche, die
in unserer Gesellschaft leben, bessere Integrationsmöglichkeiten zu finden und Chancengleichheit herzustellen.
Nur Menschen, die gleiche Rechte haben, werden auch
als gleichwertig angesehen. Zu Recht haben die Mütter
und Väter des Grundgesetzes in Art. 1 die Würde aller
Menschen - nicht nur der Deutschen - hervorgehoben.
Geschichte wird man nicht los, auch wenn manche
sich das inzwischen sogar öffentlich wünschen. Es ist
aber gar nicht wünschenswert, weil wir in der Verantwortung stehen, aus der Geschichte Lehren zu ziehen.
Von Auschwitz waren und sind nicht nur jene betroffen,
die dort erniedrigt, gequält und ermordet wurden, sondern wir alle.
Aber auch die Geschichte nach 1945 war keinesfalls
nur erquicklich, keinesfalls nur von Wohlfahrt und Gerechtigkeit bestimmt. Infolge des zweiten Weltkrieges
wurde Deutschland besetzt, und kein Deutscher konnte
sich aussuchen, in welcher Besatzungszone er lebte. Die
Alterspräsident Fred Gebhardt
Folge der unterschiedlichen Besatzungszonen wiederum
war die Gründung von zwei deutschen Staaten, die eine
sehr unterschiedliche Entwicklung nahmen. Beide deutschen Staaten standen in Frontstellung zueinander. Der
kalte Krieg zwischen Ost und West tobte in Deutschland
besonders zugespitzt. Opfer des kalten Krieges gab es
auf beiden Seiten; sie alle müßten rehabilitiert werden.
Seit dem 3. Oktober 1990 sind wir vereinigt. Das ist
und bleibt ein großes Datum in der Geschichte unseres
Landes. Ich frage mich, wie es eigentlich kommt, daß in
den letzten Jahren so viel über die Probleme der Vereinigung und so wenig über die damit verbundenen Chancen gesprochen wurde.
({7})
Meines Erachtens ist es ein Fehler, über die Einheit in
Form von Kostenrechnungen zu reden.
({8})
Diese Rechnungen sind in der Regel nicht nur falsch,
sondern auch völlig überflüssig.
Ein zweiter Fehler scheint mir darin zu bestehen, daß
zu viele meinen, zur Einheit gehöre, daß die Geschichte
nach 1945 von allen gleich bewertet und beurteilt wird.
Ich glaube, eine Chance für Veränderung und Zukunft
besteht gerade darin, daß man unterschiedliche Lebenserfahrungen, unterschiedliche Wertungen und Sichten
zusammenführt.
In der DDR gab es Unrecht, Verletzung von Menschenrechten und einen Mangel an Demokratie. Das
muß aufgearbeitet werden. Aber diejenigen, die wie ich
aus der alten Bundesrepublik kommen, dürfen nicht das
trügerische Bild verbreiten, als hätten hier nur Wohlfahrt
und Gerechtigkeit das Leben bestimmt. Auch in der
DDR gab es Beachtliches, soziale und kulturelle Leistungen und interessante Formen des Zusammenlebens
von Menschen.
({9})
Wenn diejenigen, die wie ich aus der alten Bundesrepublik kommen, das nicht sehen und anerkennen, dann
werden wir in der Frage der Vereinigung mental nicht
vorankommen. Zum Teil erlebte ich Anforderungen an
die Zivilcourage der Bürgerinnen und Bürger der damaligen DDR, denen wir in der alten Bundesrepublik nicht
entsprochen haben, obwohl es in ihr doch so viel leichter
gewesen wäre, ihnen zu entsprechen.
Es ist allgemein bekannt, daß die Aufarbeitung der
Geschichte nach 1945 gerade auch in der alten Bundesrepublik widersprüchlich verlief. Ich bin mißtrauisch
gegenüber der These, daß bei der Aufarbeitung der Geschichte der DDR die Fehler von damals nicht wiederholt werden dürfen. Könnte es nicht auch so sein, daß
viele damals so inkonsequent waren, weil es fast alle
von uns betraf, während heute im Westen eine gründliche Aufarbeitung der Geschichte der DDR gefordert
wird, weil man meint, davon nicht betroffen zu sein?
Die Vielzahl von Einrichtungen und Gremien, die individuelle Schuld und individuelle Verstrickungen der
Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR feststellen sollen, scheinen mir undenkbar, wenn wir alle in der
DDR gelebt hätten und nicht nur ein Fünftel unserer Bevölkerung. Deshalb, so meine ich, kommen wir nur
weiter, wenn wir aus dem Westen mehr Zurückhaltung
üben, Arroganz und Überlegenheitsgefühle überwinden
und vor allem eines begreifen: Die Geschichte der DDR
ist nicht die Geschichte der Menschen in den neuen
Bundesländern, sondern unsere gemeinsame Geschichte
- so wie auch die Geschichte der Bundesrepublik die
Geschichte aller Menschen in der heutigen Bundesrepublik Deutschland ist.
An den 14. Bundestag werden bei der Lösung großer
sozialer Herausforderungen hohe Anforderungen gestellt. Die schlimmste Geißel, mit der wir es diesbezüglich zu tun haben, ist die Massenarbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit. Es ist an dieser
Stelle nicht meine Aufgabe, Wege zu beschreiben, wie
man die Massenarbeitslosigkeit überwindet. Aber ich
denke, daß Arbeitslosigkeit mit veränderter Politik abgebaut werden kann. Ich bin davon überzeugt, daß man
uns diesbezüglich nicht mehr an unseren Worten, sondern an unseren Taten und deren Ergebnissen messen
wird.
Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Sie soll von Menschen für Menschen gestaltet werden. Unternehmerinnen und Unternehmer haben das Recht, über Gewinne
nachzudenken und solche zu realisieren. Sie haben aber
auch eine gesellschaftliche, eine ökologische und vor
allem eine soziale Verantwortung. Zu deren gesicherter
Wahrnehmung bedarf es starker, handlungsfähiger Gewerkschaften, deren Tätigkeit benötigt wird, und das
verdient die Unterstützung des Bundestages.
In jeder Gesellschaft gibt es soziale Unterschiede.
Unterschiedliche Qualifikationen, unterschiedlicher
Fleiß, unterschiedliche Verantwortung, unterschiedliche
Begabung und unterschiedliche Leistung, all das soll
sich im Einkommen widerspiegeln. Aber ich habe den
Eindruck, daß es bei uns zum Teil maßlos geworden ist.
Wachsender Reichtum weniger steht wachsender Armut
vieler gegenüber. Ich bin den Kirchen in unserem Lande dafür dankbar, daß sie uns mahnen, diese Entwicklung zu korrigieren. Umverteilung gibt es in jeder Gesellschaft und zu jeder Zeit. Die Frage ist, von wem zu
wem umverteilt wird.
Dieser Bundestag wird sich auch daran messen lassen
müssen, ob es ihm gelingt, mehr soziale Gerechtigkeit
herzustellen und Armut zu überwinden. Jeder Staat steht
heute vor der Frage, wie er Kosten senken, wie er Einsparungen durchführen kann. Aber wir sollten uns davor
hüten, auf Kosten von Kindern, Jugendlichen, Alten und
Kranken zu sparen.
Nicht wenige von uns bewegt das Schicksal der Jugend. Viele Jugendliche sehen keine Perspektive, keine
Zukunft. Das ist auch unsere Verantwortung. Wir dürfen
der nächsten Generation nicht einen wachsenden Schuldenberg und eine zerstörte Umwelt hinterlassen. Wir
müssen schon jetzt für Perspektive und Zukunft sorgen.
Alterspräsident Fred Gebhardt
Jede Jugendliche und jeder Jugendliche muß eine Möglichkeit zur beruflichen Ausbildung erhalten. Nach Abschluß der Lehre oder des Studiums muß es auch eine
reale Chance auf Arbeit geben. Wenn wir es nicht schaffen, dies zu gewährleisten, dann werden eines Tages die
negativen Folgen, mit denen wir uns schon heute auseinandersetzen müssen, nicht mehr beherrschbar sein.
Dabei denke ich nicht nur an Kriminalität und Gewalt,
sondern auch an den wachsenden Einfluß des Rechtsextremismus.
Unsere Aufgabe sehe ich auch darin, Chancengleichheit für die Jugend zu gewährleisten. Jede und jeder muß
gleichen Zugang zu Bildung und Kultur haben. Eine Gesellschaft, die die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts meistern will, kann sich zivilisatorischen Rückschritt - das heißt Abbau von Kultur und Bildung nicht leisten.
Wer mehr Kultur will, der müßte auch an höherer
politischer Kultur interessiert sein. Ich wünschte mir,
daß wir auch diesbezüglich vorankämen und von anderen europäischen Nachbarn lernten. Den Linken möchte
ich gern sagen: Nicht die Gesellschaft ist gut, in der es
nur Linke gibt. Den Konservativen möchte ich gern sagen: Nicht die Gesellschaft ist gut, in der es nur Konservative gibt. Wir wären schon ein großes Stück weiter,
wenn sich Linke und Konservative gegenseitig als Herausforderung begreifen würden.
({10})
Gestatten Sie mir am Schluß meiner Ansprache, einen
Vorschlag zur Traditionserweiterung zu unterbreiten.
Wenn Ihnen so wie mir das Schicksal der Jugend so
wichtig ist, dann sollten wir dies auch durch symbolische Akte unterstreichen. Was spräche eigentlich dagegen, daß der 15. Deutsche Bundestag wie bisher von
seinem ältesten Mitglied eröffnet würde, zusätzlich aber
das jüngste Mitglied die Gelegenheit zu einer Ansprache
erhielte?
({11})
Hören wir uns bei der Konstituierung des nächsten Bundestages nicht nur an, was uns sein ältestes, sondern
auch, was uns sein jüngstes Mitglied zu sagen hat.
Wenn wir am Ende der 14. Legislaturperiode des
Deutschen Bundestages sagen können, daß die Arbeitslosigkeit zumindest drastisch abgenommen hat, daß unsere Gesellschaft sozial gerechter geworden ist, Geld,
Gewinne und Profite nicht der dominierende Maßstab
unseres Lebens sind, wir nicht Arme, sondern Armut
bekämpft haben, wir beim ökologischen Umbau vorangekommen sind, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit
zurückgedrängt wurden, wir nicht Flüchtlinge, sondern
Fluchtursachen bekämpft haben, Jugendliche eine Perspektive besitzen, Chancengleichheit in der Gesellschaft
zugenommen hat, wir bei der Gleichstellung der Geschlechter real vorangekommen sind und die Welt insgesamt friedlicher geworden ist, Hunger und Elend
weltweit zurückgedrängt wurden, dann - und meines
Erachtens nur dann - können wir mit unserer Arbeit zufrieden sein und erklären:Wir haben das von den Wählerinnen und Wählern in uns gesetzte Vertrauen gerechtfertigt. Ich wünsche mir - zugegeben ein wenig vermessen -, daß der Übergang von der Bonner zur Berliner
Republik von solchen politischen Veränderungen begleitet wird.
({12})
Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Wahl des Präsidenten, Verbunden mit Namensaufruf und Feststellung der Beschlußfähigkeit
Mit dieser Wahl werden der Namensaufruf der Mitglieder des Deutschen Bundestages und die Feststellung
der Beschlußfähigkeit verbunden. Ich bitte Sie um Vorschläge zur Wahl. - Herr Abgeordneter Struck, bitte.
Herr Präsident, im Namen
der SPD-Bundestagsfraktion schlage ich den Abgeordneten Wolfgang Thierse vor.
({0})
Meine Damen
und Herren, Sie haben den Vorschlag gehört. Der Abgeordnete Wolfgang Thierse ist vorgeschlagen worden.
Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Ich bitte jetzt um Ihre Aufmerksamkeit für einige
Hinweise zum Wahlverfahren. Die Wahl findet mit
verdeckten Stimmkarten - also geheim - statt. Gewählt
ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des
Bundestages erhält. Sie benötigen für die Wahl des Präsidenten Ihren weißen Wahlausweis. Dieser und weitere
Wahlausweise für die später durchzuführende Wahl der
Vizepräsidenten befinden sich in Ihren Stimmkartenfächern in der Lobby. Bitte kontrollieren Sie, ob die
Wahlausweise Ihren Namen tragen. Die für die Wahl
des Präsidenten allein gültige weiße Stimmkarte und den
amtlichen Wahlumschlag erhalten Sie nach Aufruf Ihres
Namens von den Schriftführern an den Ausgabetischen
oben links und rechts neben den Wahlkabinen.
Um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten,
bitte ich Sie um folgendes: Begeben Sie sich bei Aufruf
Ihres Namens von Ihren Plätzen aus über die seitlichen
Zugänge nach hinten zu den oben rechts und links aufgestellten Ausgabetischen. Nachdem Sie die Stimmkarte
in einer der Wahlkabinen gekennzeichnet und in den
Wahlumschlag gelegt haben, gehen Sie bitte links und
rechts am Sitzungsvorstand vorbei zu den Wahlurnen
vor dem Stenographentisch. Sie dürfen Ihre Stimmkarte
nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen ebenfalls
noch in der Wahlkabine die Stimmkarte in den Umschlag legen. Die Schriftführer sind verpflichtet, jedem,
der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlkabine
Alterspräsident Fred Gebhardt
kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zurückzuweisen. Die Stimmabgabe kann in einem solchen Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden.
Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei Ja,
Nein oder Enthaltung. Ungültig sind Stimmen auf nichtamtlichen Stimmkarten und Stimmkarten, die mehr als
ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Bevor
Sie die Stimmkarte in eine der vor dem Stenographentisch aufgestellten Wahlurnen werfen, übergeben Sie
bitte Ihren Wahlausweis einem der Schriftführer an der
Wahlurne. Die Abgabe der Wahlausweise dient als
Nachweis für die Beteiligung an dieser Wahl und ersetzt
die Eintragung in die Anwesenheitsliste, soweit Sie sich
nicht ohnehin schon eingetragen haben.
Ich bitte jetzt die eingeteilten Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Die beiden Schriftführer neben mir werden nun Ihre Namen in alphabetischer
Reihenfolge aufrufen. Ich bitte Sie, den Namensaufruf
zu verfolgen und sich rechtzeitig zur Entgegennahme
der Stimmkarte zu den Ausgabetischen neben den
Wahlkabinen zu begeben. Haben alle Schriftführer Ihre
Plätze eingenommen? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Wahl und bitte, mit dem Aufruf der
Namen zu beginnen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Namensaufruf
ist beendet.
Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimmzettel abgegeben? - Das ist der Fall.
Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen.
Während der Auszählung wird die Sitzung für 15 bis
20 Minuten unterbrochen. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.
Ich unterbreche jetzt die Sitzung für 15 bis
20 Minuten.
({1})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung
ist wieder eröffnet. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt. Es wurden 666 Stimmen abgegeben. Damit ist zugleich die Beschlußfähigkeit des
14. Deutschen Bundestages festgestellt. Von den abgegebenen Stimmen waren 666 Stimmen gültig und keine
ungültig. Mit Ja haben 512 Abgeordnete gestimmt.
({2})
109 Abgeordnete haben mit Nein gestimmt. 45 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten.
Ich stelle fest, daß der Abgeordnete Wolfgang Thierse die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Hauses
erhalten hat. Er ist damit zum Präsidenten des Deutschen
Bundestages gewählt.
({3})
Herr Kollege Thierse, ich frage Sie: Nehmen Sie die
Wahl an?
Herr Alterspräsident, ich
nehme die Wahl an.
({0})
Ich übermittle Ihnen im Namen des Hauses die besten Glückwünsche für
diese Wahl. Ich selbst wünsche Ihnen Glück und Erfolg
in der Wahrnehmung Ihrer Tätigkeit. Ich bitte Sie, Herr
Präsident, das Amt zu übernehmen.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Verehrte Gäste! Zuerst und vor allem
möchte ich mich für das Vertrauen, das Sie mit Ihrer
Wahl in mich gesetzt haben, bedanken. Dieses Vertrauen verpflichtet; ich will mir alle Mühe geben, es durch
Fairneß, durch Offenheit und durch parteipolitische
Neutralität in der Amtsführung zu rechtfertigen. Ich
bitte Sie sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, mich dabei zu unterstützen.
Sehr geehrte Frau Professor Süssmuth, Sie haben in
Ihrer langen Amtszeit als Bundestagspräsidentin Maßstäbe gesetzt. Das gilt nicht nur für die Art und Weise,
wie Sie in diesem Hohen Hause präsidiert haben - fair
und klar -, sondern auch dafür, wie Sie den Deutschen
Bundestag und seine Arbeit in der Öffentlichkeit repräsentiert haben:
({0})
werbend, konsensbildend, über den tagespolitischen
Streit hinausweisend und gleichwohl entschieden politisch. Dafür gebührt Ihnen der nachdrückliche und herzliche Dank des ganzen Hauses.
({1})
Danken möchte ich auch den Vizepräsidenten der
13. Legislaturperiode, den Kolleginnen Geiger und
Vollmer, den Kollegen Hirsch und Klose. Sie waren
gute Moderatoren unseres parlamentarischen Streits.
Herzlichen Dank!
({2})
Mein Dank gilt auch allen ausgeschiedenen Mitgliedern des Bundestages. Darunter sind nicht wenige
langjährige Kolleginnen und Kollegen, die durch ihre
Arbeit und ihre Debattenbeiträge das Gesicht unseres
Parlaments geprägt haben, die zum Ansehen des Bundestages wesentlich beigetragen haben. Ich wünsche Ihnen allen auf Ihrem weiteren beruflichen, persönlichen
und politischen Lebensweg alles Gute.
({3})
Alterspräsident Fred Gebhardt
Zuletzt möchte ich mich bei unserem Alterspräsidenten, dem Kollegen Gebhardt, herzlich dafür bedanken, daß und wie er die konstituierende Sitzung des
14. Deutschen Bundestages eröffnet hat.
({4})
Nunmehr gilt mein Gruß den 178 neuen Mitgliedern. Seien Sie herzlich willkommen unter uns! Ihre
Zahl zeigt wieder, daß Demokratie Wechsel ist, friedlicher Wechsel ist, den Sie in besonderer Weise personifizieren. Unser Parlament wird durch Sie jünger und hoffentlich auch munterer, und es wird vor allem weiblicher.
({5})
In den Bundestag sind 207 weibliche Abgeordnete eingezogen. Das sind so viele Kolleginnen wie noch nie.
Das ist gut so; seien Sie besonders herzlich begrüßt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir
eine persönliche Bemerkung: Als ich im Oktober 1990
zum erstenmal im Deutschen Bundestag - ich erinnere
mich noch genau; es war am 4. Oktober im Reichstag in
Berlin - reden konnte, habe ich davon gesprochen, was
es für mich bedeutete, über 30 Jahre lang gewissermaßen aus sehr weiter Ferne parlamentarische Debatten zu
verfolgen, welche Faszination die parlamentarische Demokratie auf mich von Kindesbeinen an ausübte. Es erfüllt mich deshalb mit großer Bewegung, heute von Ihnen zum Parlamentspräsidenten gewählt worden zu sein.
Daß ein ehemaliger Bürger der DDR dieses Amt übertragen bekommt, ist dabei wohl mehr als eine Geste. Es
ist durchaus ein historisches Datum. Das ist keine unbescheidene Behauptung, denn sie meint ja nicht mich,
sondern gilt dem eigentlichen Vorgang. Zum erstenmal
wurde ein Ostdeutscher in eines der hohen Ämter der
gemeinsamen Republik gewählt.
({6})
Acht Jahre nach der staatlichen Vereinigung ist das ein
Akt demokratischer Normalität in den noch immer nicht
ganz konflikt- und vorurteilsfreien ost-westdeutschen
Verhältnissen, ein Schritt im Prozeß, den „innere Vereinigung“ zu nennen wir uns angewöhnt haben. In diesem
Zusammenhang empfinde ich mich in einem gänzlich
uneitlen Sinne als Stellvertreter, als Repräsentant meiner
ostdeutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ich bin
weder mein Leben lang ein Widerstandskämpfer gegen
die SED-Herrschaft gewesen, noch habe ich mich jemals
mit dieser Herrschaft identifizieren können oder wollen.
Darin stehe ich vermutlich für eine große Mehrheit meiner Landsleute in den ostdeutschen Ländern. Es gab das
wirklich - das richtige Leben im falschen System! Es
bleibt weiterhin notwendig, was ich seit acht Jahren gewissermaßen als „politischer Wanderprediger“ einfordere, nämlich einen Unterschied zu machen zwischen
dem Urteil über das gescheiterte System und dem Urteil
über die Menschen, die in ihm gelebt haben, leben
mußten und die nicht alle gescheitert sind, nicht gescheitert sein dürfen!
({7})
Wenn die vielbeschworene innere Einheit wirklich gelingen soll - wir wollen sie ja alle -, dann setzt sie jene
Gleichberechtigung voraus, die erst durch die Anerkennung von Unterschieden, durch den Respekt vor andersartigen Biographien ermöglicht wird. Dieser deutschdeutsche Diskurs, der Vergangenheit und Gegenwart
einschließt, ist noch lange nicht an sein Ende gekommen. Und in ihm wird auch von Enttäuschungen die
Rede sein müssen.
Wie viele andere Ostdeutsche habe ich auf die deutsche Einheit gehofft, solange ich politisch denke. Diese
Hoffnung war aber - ganz und gar nicht nationalistisch die Hoffnung auf Freiheit und Demokratie. Ostdeutschland hat in den letzten acht Jahren einen Wandlungsprozeß durchlaufen, dessen Dramatik für die Menschen
durch die Wörter „Transformation“ oder „Umbruch“
nicht auf den Begriff gebracht werden kann. Nachdem
wir die sich plötzlich bietende Chance zu Einheit und
Freiheit entschlossen wahrgenommen haben - es waren
sehr viele daran beteiligt -, verursachen die Probleme
der Einheit - die Probleme, die wir uns immer gewünscht haben, wie Egon Bahr einmal gesagt hat -, erzeugen die Erschütterungen und Enttäuschungen des Einigungsprozesses bei nicht wenigen tiefe Zweifel an der
Demokratie selbst, an der Problemlösungsfähigkeit demokratischer Politik. Allerdings: Ich habe in den letzten
Wochen auch erlebt, wie die Erfahrung, daß der Wechsel zwischen Regierung und Opposition nicht nur theoretisch, sondern ganz konkret möglich ist, viele dieser
Zweifel verringert hat. Ich darf von dieser Stelle aus
gewiß die Vermutung äußern, daß auch die respektvolle
Art, wie die Parteien, die handelnden Personen, in dieser
Situation miteinander umgegangen sind, daß die unaufgeregte, fast unspektakuläre Weise des demokratischen
Machtwechsels beispielhaft ist für das, was altmodisch
und doch so zutreffend „Gemeinsamkeit der Demokraten“ genannt wird - ein überzeugender Ausweis entwikkelter und gefestigter demokratischer Kultur Deutschlands!
({8})
Bonn ist eben nicht Weimar geworden, und Berlin
wird es, dessen bin ich gewiß, auch nicht werden!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 20. Juni 1991
hat der Deutsche Bundestag beraten und beschlossen,
wie wir durch die Verlagerung von Bundestag und
Teilen der Bundesregierung nach Berlin zur Vollendung der Einheit Deutschlands beitragen wollen. Über
sieben Jahre sind seither vergangen. Sieben Jahre, in denen wir Vorbereitungen getroffen und um Vertrauen
geworben haben. Der Deutsche Bundestag hat seither
seine Vertragstreue und seine Aufmerksamkeit für alle
Notwendigkeiten und Folgen dieses Schrittes bewiesen.
Wir haben versucht, gerechte Lösungen für alle Menschen zu finden, die von diesem tiefgreifenden Vorgang
in Berlin, in Bonn und in anderen Regionen betroffen
sind.
Präsident Wolfgang Thierse
Im nächsten Jahr nun wird der 14. Deutsche Bundestag den großen Schritt tun und seinen Sitz in die alte
Hauptstadt und neue Bundeshauptstadt Berlin verlegen.
Ich freue mich darauf, weil das eine Konsequenz aus der
wiedergewonnenen Einheit ist. Die Verlegung des Parlamentssitzes nach Berlin, wo sich das Parlaments- und
Regierungsviertel über die ehemalige Sektorengrenze,
über die ehemalige Mauer, dieses absurde und tödliche
Monument der Teilung, hinweg wie eine Klammer
spannen wird, ist ein Teil der Verwirklichung des Wunsches von Willy Brandt: daß zusammenwächst, was zusammengehört.
({9})
Mir erscheint - das wird Sie nicht wundern - Berlin als
eine Chance für das Parlament wie für die Bundesregierung. Wir können sie nutzen, indem wir uns für die pluralistische, vielfältige Kultur in dieser Stadt öffnen. Wir,
sie alle, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, sollten diese Chance, die Berlin bietet, nutzen
und das Gespräch, den Streit zwischen Kultur und Politik tatsächlich intensivieren.
Der historisch außerordentliche Vorgang, ein lebendes, arbeitendes Parlament in eine lebendige, arbeitende,
pulsierende Metropole zu verlagern und zu integrieren,
wird uns in dieser Wahlperiode vor besondere Aufgaben
stellen. Dabei wird meine Sorge und Aufmerksamkeit
besonders darauf gerichtet sein, daß allen Abgeordneten
bestmögliche Arbeitsbedingungen und Wirkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Wir brauchen ein Parlament, das vom ersten Tag an seinem neuen Sitz arbeitsfähig ist. Nur ein gut funktionierender Bundestag garantiert auch die Funktionsfähigkeit unserer parlamentarischen Demokratie. Wir können uns keinen Einbruch und
keinen Stillstand der gesetzgebenden, kontrollierenden
und informierenden Arbeit des Bundestages erlauben.
Wenn das Parlament seine Arbeit in Berlin aufnehmen wird, wird es Bonn verlassen. Hier am Rhein sagen
manche, der Bundestag werde Bonn den Rücken kehren.
Ich möchte dem widersprechen. Ich selbst habe erfahren
dürfen, welche Anstrengungen diese Stadt unternommen
hat, um den Abgeordneten gute Arbeitsbedingungen zu
sichern, und wie uns Bonn und die Bonnerinnen und
Bonner mit offenen Armen empfangen haben. Wir haben gemeinsam die Entscheidung getroffen, daß in Zukunft Teile der Regierung ihren Sitz in der Bundesstadt
Bonn behalten. Das bedeutet zwangsläufig, daß der
Deutsche Bundestag auch weiterhin mit Bonn verbunden verbleiben wird. Wir hinterlassen keine Tabula rasa,
sondern eine funktionsfähige Bundesstadt.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen die Menschen, vor allem die im Westen, Angst vor einer neuen
„Berliner Republik“ haben? Gegenwärtig wird in den
Feuilletons wieder das goldene Zeitalter am Rhein beschworen, und zwar durchaus mit elegischem Unterton.
Vielleicht liegt es an meiner ostdeutschen Unbefangenheit, daß ich in das Klagelied nicht einzustimmen vermag. Immerhin, Günter Grass warnte noch vor der Bundestagswahl:
Will man mit dieser preußisch-forschen Benennung
die „Weimarer Republik“ und deren Scheitern heraufbeschwören? Soll etwa Berlin, eine Stadt, die
mit sich selbst nicht zu Rande kommt, die hinfällige Republik sanieren?
Ich glaube nicht, daß diese Befürchtungen berechtigt
sind. Nicht Berlin, die Stadt, hat den preußischen Militarismus entstehen lassen, sondern es waren die politischen und militärischen Eliten, die ihm zum Durchbruch
verhalfen. Nicht Berlin hat das Monster des Nationalsozialismus geboren, sondern eine in anderen Teilen
Deutschlands erstarkende politisch-rassistische Bewegung hat - übrigens sehr spät - schließlich auch von der
deutschen Hauptstadt Besitz ergriffen.
Nein, nicht um die Gefahren eines preußischmilitaristischen Zentralismus wird es in Berlin gehen.
Berlin sowohl als geographischer Ort wie auch als
Schmelztiegel der deutsch-deutschen Probleme zwingt
auch uns, das Parlament, uns diesen Problemen ganz
unmittelbar zuzuwenden. Die eine - sehr gegenwärtige,
sehr notwendige - Perspektive, wie sie der Publizist
Klaus Hartung formuliert hat, heißt:
Die Frage für die „Berliner Republik“ kann nur
sein: Hat sie mehr Kraft und Möglichkeiten, die Zivilgesellschaft in Ostdeutschland durchzusetzen?
Ich hoffe sehr, daß sie diese Kraft entwickelt. Aber die
andere Perspektive ist nicht weniger wichtig: Auch die
Westdeutschen müssen sich auf das vereinte Deutschland und seine Veränderungen noch mehr einlassen.
Genauer besehen allerdings sind unsere Vereinigungsprobleme selber nur ein Teil, ein Unterkapitel
globaler Probleme und Veränderungen, die uns Deutsche immer mitbetreffen. Denn, liebe Kolleginnen und
Kollegen, der 14. Deutsche Bundestag konstituiert sich
in bewegten Zeiten. Sicher, die akute Gefahr einer Eskalation der kriegerischen Auseinandersetzungen im
Kosovo wurde vorerst gebannt. Aber wir alle wissen,
wie fragil diese neu geschaffene Situation ist, daß die
militärische Bedrohung, die Gefahr von Hunger, Seuchen und Kälte für die Hunderttausende Flüchtlinge
beileibe nicht endgültig gebannt ist.
Die noch im Amt befindliche Bundesregierung, Vertreter der noch zu wählenden neuen Regierung und das
gesamte Parlament haben mit ihren Entscheidungen und
mit der Debatte in der vorletzten Woche bewiesen, daß
verantwortliches Handeln der Deutschen in Europa
möglich ist. Ich zolle all denen meinen Respekt, die mit
diesem hohen Verantwortungsbewußtsein und gewichtigen moralischen Argumenten auf beiden Seiten dieser
Debatte gestritten haben. Das macht Mut für die Arbeit
in der bevorstehenden Legislaturperiode.
Aber nicht nur in Europa ist die Kriegsgefahr weiterhin nicht von der Tagesordnung verschwunden. Die
Welt schaut mit Bangen darauf, ob die in Washington
mühsam ausgehandelten Vereinbarungen zu einem dauerhaften Frieden zwischen den Israelis und den Palästinensern führen werden. Wir Deutschen haben ein
Präsident Wolfgang Thierse
besonderes Interesse daran, daß dieser Friedensprozeß
vorankommt und erfolgreich endet.
({11})
In Deutschland erleben wir zur Zeit selbst, wie sehr
diese eine Welt in den Zeiten der Globalisierung zusammenwächst. Nicht nur an den Börsen haben die Turbulenzen einer von Asien und Rußland ausgehenden
Währungs- und Finanzkrise auch unsere ökonomische
und soziale Lebenswirklichkeit berührt. Mehr denn je
stehen wir vor der Aufgabe, unsere politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten mit unseren europäischen
Nachbarn abzustimmen und auf diesem Wege den mit
Maastricht begonnenen Weg der europäischen Einigung
zu vollenden. Die gemeinsame europäische Währung
wird unweigerlich - ich begrüße das - unseren Alltag
verändern, jeden einzelnen bewußt „europäisieren“.
Der Übergang von einer klassischen Industriegesellschaft in eine Dienstleistungs- und Mediengesellschaft,
das unbewältigte Problem der Massenarbeitslosigkeit,
die daran geknüpften unabweisbaren Umbauerfordernisse für unsere sozialen Sicherungssysteme - all dies markiert Herausforderungen, die auch im nationalen Maßstab nach neuen, innovativen, auch unkonventionellen
Lösungen geradezu schreien. Die Antworten der Politik
sind im Zeichen weltweiter Interdependenzen sicher
nicht einfacher geworden. Aber die Menschen in unserem Lande erwarten doch mit Recht von uns, dem von
ihnen gewählten demokratischen Parlament, daß wir
uns dieser Herausforderungen ernsthaft annehmen. Die
Politik muß gerade in einer Zeit beschleunigten Wandels
und Auseinanderdriftens gesellschaftlicher Interessen ihre Gestaltungskraft beweisen. Sonst nimmt der Politikverdruß wieder zu, der wiederum Nährboden des
Rechtsextremismus ist.
Daß Menschen auf Veränderungsdruck auch mit
Ängsten, mit Abwehr, mit Ausgrenzungsversuchen reagieren, muß uns nicht wundern. Es liegt aber an der
Überzeugungskraft demokratischer Politik, ob solcherart Mechanismen unser gesellschaftliches Zusammenleben dominieren.
Bei Jürgen Habermas ist zu lesen:
Der beschleunigte Wandel moderner Gesellschaften
sprengt alle stationären Lebensformen. Kulturen
bleiben nur am Leben, wenn sie aus Kritik und Sezession die Kraft zur Selbsttransformation ziehen.
Rechtliche Garantien können sich immer nur darauf
stützen, daß jeder in seinem kulturellen Milieu die
Möglichkeit behält, diese Kraft zu regenerieren.
Und diese wiederum erwächst nicht nur aus der
Abgrenzung, sondern mindestens ebensosehr aus
dem Austausch mit Fremden und Fremdem.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, will mir als eines der notwendigen und wichtigen Motive unserer Arbeit in den nächsten vier Jahren erscheinen. „Die Einbeziehung des Anderen“, wie die Habermassche Formel
heißt, also unser Umgang mit kulturellen, ethnischen,
religiösen, sozialen und Geschlechter-Differenzen, wird
ein Ausweis dafür sein, wie modern, wie europäisch unser Deutschland ist, wie modern, wie europäisch dieses
Parlament unser Land macht: durch seine gesetzgeberischen Initiativen zum Staatsbürgerschaftsrecht, zur Integration der bei uns lebenden Bürger ausländischer Herkunft, zum Umgang mit Minderheiten, zur Reform des
Sozialstaats, zur Selbtbestimmung und Stärkung der
demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der mündigen Bürgerinnen und Bürger.
({12})
Bei allen Meinungsverschiedenheiten im einzelnen zwischen den Parteien bin ich doch überzeugt davon, daß
wir im Ziel einer solidarischen und toleranten Gesellschaft beieinander bleiben sollen und beieinander bleiben können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen gute
Nachbarschaft anstreben und fortsetzen mit den anderen europäischen Völkern auf dem Weg zum Europa der
Bürger. Die Beziehungen zwischen den Parlamenten
können einen Beitrag zu dieser guten Nachbarschaft leisten, sie vertiefen und festigen. Vor dem Hintergrund
der Tatsache, daß die Welt kleiner geworden ist, müßte
ich jetzt viele Staaten nennen, die uns wichtig sind und
die einen solchen Beitrag des Deutschen Bundestages
erwarten und begrüßen.
Statt dessen will ich einen Satz aus dem Wahlkampf auf
die internationalen Parlamentsbeziehungen ummünzen:
Lassen Sie uns nicht alles anders, aber manches noch
besser machen! Stellvertretend darf ich aus ostdeutscher
Erfahrung und eingedenk des unvergeßlichen Beitrags
unserer mittel- und osteuropäischen Nachbarländer zur
deutschen Einheit einen unserer unmittelbaren Nachbarn
nennen: Jeder auch unserer Gäste aus dem diplomatischen Korps wird es richtig verstehen, wenn ich sage,
daß am Werk der deutsch-polnischen Freundschaft weiter gearbeitet werden muß.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, daß rechtsextremistische, neonazistische Parteien bei der Bundestagswahl
keinen Erfolg hatten, war gewiß ein Anlaß zu ungeteilter
Freude bei allen im Bundestag vertretenen Parteien.
Aber Entwarnung wäre nicht angemessen. Ich bin sicher, im Namen aller Fraktionen zu sprechen, wenn ich
an unsere Pflicht erinnere, die Gegner der Demokratie
abzuwehren und in ihre Schranken zu verweisen - immer neu.
({14})
Es gibt Gegner der Demokratie, die sich als Linke definieren, und es gibt Gegner der Demokratie auf der extrem rechten Seite des politischen Spektrums. Gegenwärtig entfaltet linker Extremismus in Deutschland
kaum gewalttätige Wirksamkeit,
({15})
wohingegen ein nennenswerter Teil vorwiegend der
männlichen Jugend in rechtsextremistisches Fahrwasser
gerät. Wir müssen uns gemeinsam mit dieser Gefährdung befassen, um sie gemeinsam zu bestehen. Es soll
hier nicht von den Aufgaben die Rede sein, die auch
Präsident Wolfgang Thierse
unter dem Gesichtspunkt des Rechtsextremismus Gegenstand zum Beispiel beschäftigungs- und bildungspolitischer Debatten sein werden. Meine Anregung ist
es, jenseits dieser Aufgaben eine Anstrengung zu unternehmen, den Grundwerten unserer Verfassung neue öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen,
({16})
diese Grundwerte lebendig zu halten, damit sich die
Bürgerinnen und Bürger bewußt bleiben, was ihnen persönlich wie gesellschaftlich verlorengeht, wenn Feinde
der Freiheit wirklich Einfluß gewinnen würden.
Es gibt angesichts dieser Probleme eine europäische
Debatte über den Zustand unserer Gesellschaften, die
sich mit den Problemen der sozialen Kohäsion beschäftigt. Das klingt in der deutschen Sprache am besten,
wenn man es mit einer Frage übersetzt: Was hält diese
Gesellschaft zusammen? Dies wird eine zentrale Frage
unserer Debatten sein müssen; denn die Antwort liegt
nicht schon auf der Hand, wenn es um eine einzelne
politische Entscheidung geht.
Der italienische Politologe Norberto Bobbio hat in
einem Essay über die Toleranz eine Wendung benutzt,
die dem Gehalt nach schon bei Hannah Arendt zu lesen
war: Es gebe nur zwei Arten, das Zusammenleben zu
organisieren, entweder durch Kompromisse oder durch
Unterdrückung. Lassen Sie uns in diesem Hause einen
Umgang miteinander pflegen, der Kompromisse ermöglicht, die die Gesellschaft zusammenhalten. Das glaubwürdige Streben nach Gerechtigkeit und das Ausmaß an
Toleranz, welches gute Nachbarschaft ermöglicht, sind
in diesem Zusammenhang unverzichtbar.
Rita Süssmuth hat in ihrer Eröffnungsrede vor vier
Jahren von der Demokratie als der einzigen Staatsform
gesprochen, „die nicht von der Arroganz des endgültigen Wissens geprägt ist“. Diese Grundüberzeugung
sollte unser aller parlamentarisches Verhalten bestimmen.
({17})
In den Reden meiner verehrten Vorgängerinnen und
Vorgänger finden sich viele Ermahnungen und Ermunterungen zu Fairneß und Toleranz, zum Zuhörenwollen
und Zuhörenkönnen, jenen elementaren Voraussetzungen dafür, daß Demokratie funktioniert. Es ist nicht
mein Eindruck, daß die Zuhörbereitschaft zunimmt, daß
die Bereitschaft sich ausbreitet, von der Meinung und
Argumentationskraft eines anderen sich sehr beeindrukken zu lassen. Läßt sich das durch Appelle ändern? Wohl nicht. Aber vielleicht paßt hier ein kleiner Satz
von Martin Walser, der mir vor vielen Jahren, also schon
zu DDR-Zeiten, hilfreich war: „In meinem Kopf hat
mehr als eine Meinung Platz.“
Von uns Politikern, von uns Parlamentariern zu verlangen, daß wir bessere Menschen sein sollten als die
anderen, ist illusionär und unziemlich. Aber daß wir in
dem, was unsere ureigene Sache ist, unweigerlich als
Vorbild wirken - positiv oder eben auch negativ -, das
ist wohl nicht zu bestreiten. Also sollten wir parlamentarisch das überzeugend vorleben, was die Demokratie ist:
energische Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden Interessen, Meinungen, Ansprüchen u n d zugleich
die Bereitschaft, die Fähigkeit zum Kompromiß, zum
Konsens. In einem der großartigen Gedichte von Friedrich Hölderlin findet sich dafür eine wunderbare poetische Formel: „Versöhnung mitten im Streit“.
Ich danke Ihnen für Ihre geduldige Aufmerksamkeit.
({18})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich
zu erheben. Wir müssen zweier verstorbener Kollegen
gedenken.
({19})
Der Deutsche Bundestag trauert um sein langjähriges
Mitglied, den ehemaligen Bundesjustizminister und
Parlamentarischen Staatssekretär Gerhard Jahn, der am
letzten Mittwoch im Alter von 71 Jahren einem schweren Leiden erlag. Gerhard Jahn, der sich seinem Studienort und Wahlkreis, Marburg, sehr zugehörig fühlte,
hatte sich bereits während seines juristischen Studiums
und danach als Anwalt für die Sozialdemokratische
Partei betätigt. Im Jahr 1957 gelangte er in den Deutschen Bundestag, wo er 1961 Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion wurde. 1967 holte ihn
der damalige Bundesaußenminister Willy Brandt als
Parlamentarischen Staatssekretär zu sich in das Auswärtige Amt. Bei der Bildung der sozialliberalen Koalition
im Jahr 1969 übernahm Gerhard Jahn das Justizministerium, das er bis 1974 leitete. Danach übernahm er zunächst den Vorsitz des Bundestagsausschusses für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, bis er
Ende 1974 wiederum Geschäftsführer seiner Fraktion
wurde und es 16 Jahre lang, bis zu seinem Ausscheiden
aus dem Deutschen Bundestag, blieb. Dem Deutschen
Bundestag hat Gerhard Jahn auch als Vorsitzender eines
Untersuchungsausschusses und als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission gedient.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag, dem er über 30 Jahre angehört hatte, betätigte
sich Gerhard Jahn als Präsident des Deutschen Mieterbundes und als Sonderberater für die Landesregierung
von Brandenburg. Bereits im Jahr 1990 hatte er die frei
gewählte Volkskammer der DDR beim Aufbau ihrer
demokratischen Strukturen beraten. Gerhard Jahn hat
sich nie in den Vordergrund der politischen Bühne gedrängt; seine Stärke war die unauffällige, aber effektive
Arbeit im Hintergrund. Ein besonderes Anliegen war
ihm die Aussöhnung mit unseren polnischen Nachbarn.
Der Deutsche Bundestag schuldet seinem langjährigen Mitglied Respekt und Anerkennung. Gerhard Jahn
hat sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient
gemacht.
Wir betrauern ebenfalls den Tod von Manfred
Schulte. Auch er war ein herausragender Parlamentarier, langjähriger Parlamentarischer Geschäftsführer und
Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Manfred
Schulte ist am 19. September 1998 im Alter von 68 Jahren von uns gegangen.
Präsident Wolfgang Thierse
Manfred Schulte wurde 1965 erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt und wurde bereits 1967 Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion. Dieses
Amt legte er 1974 aus gesundheitlichen Gründen nieder.
In seiner Amtszeit rang der Deutsche Bundestag um die
Ostverträge; das konstruktive Mißtrauensvotum gegen
Bundeskanzler Brandt scheiterte; wichtige Reformgesetze standen in der parlamentarischen Beratung. Von 1975
bis 1987 war Manfred Schulte ohne Unterbrechung Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität
und Geschäftsordnung. Die in dieser Zeit vorgenommene Überarbeitung der Geschäftsordnung, die eine Klarstellung der Minderheitenrechte bewirkte, war wesentlich sein Werk. Er selbst legte jedoch mehr Wert darauf,
daß die neue Geschäftsordnung in breitem Konsens zustande gekommen war. Das charakterisiert seine gesamte parlamentarische Tätigkeit.
Wir gedenken seiner in Trauer und Dankbarkeit. Seiner Witwe, unserer Kollegin Brigitte Schulte, drücke ich
das tiefempfundene Mitgefühl des ganzen Hauses aus.
Ich danke Ihnen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beschlußfassung über die
- Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
- Gemeinsame Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den
Ausschuß nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({20})
- Geschäftsordnung für den Gemeinsamen
Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes
- Geschäftsordnung für das Verfahren nach
Artikel 115 d des Grundgesetzes
- Richtlinien zur Überprüfung auf eine Tätigkeit oder politische Verantwortung für
das Ministerium für Staatssicherheit/Amt
für Nationale Sicherheit der ehemaligen
Deutschen Demokratischen Republik vom
13. Dezember 1991
Es liegt ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen von
SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und
PDS vor. Die Fraktion der CDU/CSU und die Fraktion
der PDS haben je einen Änderungsantrag eingebracht.
Wie mir mitgeteilt wurde, wird zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort gewünscht. - Ich gebe als erstem
dem Kollegen Hans-Peter Repnik das Wort.
Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, sehr geehrter Herr Präsident, möchte ich Ihnen - auch im Namen meiner ganzen Fraktion - herzlich zu Ihrer Wahl
zum Präsidenten des Deutschen Bundestages gratulieren. Sie haben ein breites Vertrauen erfahren. Wir wünschen Ihnen bei der Leitung der Geschicke dieses Hohen
Hauses eine glückliche Hand.
({0})
Dieses Vertrauen ist eine gute Basis für eine gedeihliche
Zusammenarbeit, die wir Ihnen ausdrücklich anbieten
wollen.
Dies wollen wir für das gesamte Präsidium. Deshalb
halten wir die in der vergangenen Legislaturperiode gefundene Neuregelung in der Geschäftsordnung für
nicht länger geeignet,
({1})
eine befriedigende und - in dem Sinn, wie es der Herr
Präsident in seiner eindrucksvollen Rede dargestellt hat
- für die Zusammensetzung des Präsidiums des Hohen
Hauses befriedende Lösung zu finden.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herrn, erstmals seit
der deutschen Einheit ist eine Partei in Fraktionsstärke
in den Deutschen Bundestag eingezogen,
({3})
die nicht zweifelsfrei auf dem Boden des Grundgesetzes
steht.
({4})
Seitdem die PDS in Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag vertreten ist, fehlt deshalb das demokratische
Grundvertrauen in alle Fraktionen, das der bisherigen
Regelung zugrunde lag.
({5})
Dies ist - ich betone das ausdrücklich - keine Wertung
der von der PDS aufgestellten Kandidatin, sondern eine
Wertung der Partei, für die sie antritt.
Wir hätten uns gewünscht, daß unter den übrigen
Fraktionen im Vorfeld ein Konsens zu erreichen gewesen wäre. Dies war leider nicht möglich. Nebenbei füge
ich hinzu, daß dieser Konsens nach meinem sicheren
Gefühl zu erreichen gewesen wäre, wenn etwa - was die
Wähler glücklicherweise verhindert haben - rechtsextremistische Parteien in Fraktionsstärke in das Haus eingezogen wären. Da es den Konsens nicht gibt, haben wir
beantragt, die zu Beginn der letzten Legislaturperiode
gefundene Regelung wieder rückgängig zu machen.
({6})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium
des Deutschen Bundestages soll das Vertrauen des gesamten Hauses widerspiegeln.
({7})
Daher sieht die Geschäftsordnung vor, daß die Mitglieder des Präsidiums gewählt werden müssen. Damit muß
das Haus als Ganzes entscheiden und Farbe bekennen,
von wem es repräsentiert werden will. Deshalb werden
wir - gleich, wie über unseren Änderungsantrag entschieden wird - eine eigene Kandidatin gegen die PDS
zur Wahl stellen.
({8})
Präsident Wolfgang Thierse
Dies ist nicht nur aus den genannten Gründen, sondern auch deshalb konsequent, weil nach der bestehenden Geschäftsordnung jeder Fraktion mindestens ein
Stellvertreter zusteht. Sie trägt damit der Tatsache
Rechnung, daß es Fraktionen unterschiedlicher Größe
gibt.
({9})
Sie nimmt so Bezug auf die jahrzehntelange Praxis, sich
bei der Besetzung des Präsidiums dem Stärkeverhältnis
und dem politischen Gewicht der Fraktionen im Hause
anzunähern.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil unsere
Fraktion annähernd fünfmal so groß ist wie die größte
der drei kleinen, annähernd doppelt so groß wie alle zusammen und vor allem weil die CSU, die mit der CDU
gemeinsam die Unionsfraktion bildet, nach SPD und
CDU aus den Bundestagswahlen als drittstärkste politische Kraft hervorgegangen ist, sollte sie einen Vizepräsidenten stellen; denn sonst fände sie keine Berücksichtigung.
({11})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht
zuletzt gespeist aus diesem Verständnis hat die CSU seit
1953 immer einen Vizepräsidenten oder Präsidenten des
Deutschen Bundestages gestellt.
Die Berücksichtigung aller Fraktionen im Präsidium
des Deutschen Bundestages, wie sie in § 2 Abs. 1 Satz 2
zum Ausdruck kommt, enthält kein Delegationsrecht.
Das Erfordernis der Wahl bedeutet, daß sich jeder Kandidat der kritischen Begutachtung durch das Hohe Haus
stellen und sein Vertrauen besitzen muß.
({12})
Ob dies der Fall ist oder nicht, entscheidet der demokratische Wettbewerb. Sich ihm zu stellen ist ein elementares Recht jedes Parlamentariers. Hat er dabei Erfolg,
dann ist damit entschieden.
Ich sage deshalb im Blick auf die zu erwartende Abstimmung über die Zahl der Vizepräsidenten schon jetzt,
daß ich Zweifel hege, ob eine Beschränkung der Zahl
der Vizepräsidenten durch einen Mehrheitsbeschluß zulässig ist.
({13})
Ein solcher Beschluß kann das Recht der Kandidatur
nicht beschränken. Er wird, wenn die Zahl der Vizepräsidenten auf die Zahl der Fraktionen beschränkt wird,
dem Prinzip annähernder Proportionalität nicht gerecht,
welches seit Jahren Staatspraxis war.
({14})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages müssen sich entscheiden, wer ihr Vertrauen genießt und wer nicht. Sie
haben in geheimer Abstimmung die Möglichkeit, ihr
Vertrauen einer Kollegin zu geben, die ihr Amt als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages in der vergangenen Legislaturperiode mit viel Sympathie, mit viel
Zustimmung geführt hat und die daher großen Respekt
in allen Fraktionen und Vertrauen weit über Fraktionsund Parteigrenzen hinweg genießt.
({15})
Auch deshalb bitten wir Sie um Zustimmung zur Änderung der Geschäftsordnung.
({16})
Ich erteile dem Kollegen Wilhelm Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen mich hier heute
als ganz besondes fröhlichen Menschen; denn wir Sozialdemokraten sind die stärkste Fraktion in diesem Deutschen Bundestag. Das drückt sich darin aus, daß der Präsident dieses Hauses ein Sozialdemokrat ist. Darüber
freuen wir uns außerordentlich.
({0})
Herr Präsident, ich gratuliere Ihnen ganz besonders
herzlich dazu, daß Sie nach mehr als 20 Jahren Unterbrechung heute das Amt übertragen bekommen haben,
das damals Annemarie Renger für uns eingenommen
hat. Wir hoffen, daß sich die Sprache, die Sie heute bei
Ihrer Antrittsrede gewählt haben, in der Arbeit des Parlaments wiederfinden wird. Wir danken Ihnen sehr dafür, daß Sie sich zur Verfügung gestellt haben, und bieten Ihnen ausdrücklich eine sehr enge, sehr konstruktive
und vor allen Dingen auch freundschaftliche Zusammenarbeit an.
({1})
Viele Hoffnungen begleiten Sie, Herr Präsident, in
der Wahrnehmung dieses Amtes, aber auch über das
Amt des Parlamentspräsidenten hinweg. Das gesamte
Präsidium muß sich in den Geist dieses Hauses einordnen und dazu beitragen, daß wir in dem Sinne arbeiten,
den Sie skizziert haben und den wir alle unter demokratischen Aspekten für richtig halten.
Damit komme ich zu der Sache, die wir hier in dieser
Hinsicht miteinander zu debattieren haben, nämlich zu
dem Antrag, den die CDU/CSU-Fraktion auf den Tisch
dieses Hauses gebracht hat. Ich bin da fast wieder fröhlich, wenn ich mir die Begründung von Herrn Repnik zu
diesem Antrag in Erinnerung rufe.
({2})
Aber es ist sehr viel ernster. Denn die CDU/CSU hat
mit ihrem Antrag, aber auch mit der Begründung, die sie
heute hier gibt, Gefährdungen für die gemeinsame Arbeit auf den Weg gebracht, von denen ich hoffe, daß sie
gleich nach dieser Sitzung wieder überwunden werden
können.
Der Bundestag braucht eine Geschäftsordnung, um
die grundsätzlichen Bestimmungen der Parlamentsarbeit
im Detail zu regeln. Dazu haben wir in den vergangenen
Jahren sehr oft und sehr intensiv gemeinschaftlich den
Konsens hergestellt.
Das Entscheidende ist aber, daß Sie schon vor vier
Jahren nach Ihrem Gutdünken die Geschäftsordnung
verändert haben und nun bemüht sind, das gleiche heute
hier wieder zu tun. Dies, meine Damen und Herren, machen wir nicht nur nicht mit,
({3})
sondern wir meinen aus grundsätzlichen Erwägungen
auch, daß das Beugen der Geschäftsordnung dieses Hauses nicht akzeptiert werden kann,
({4})
gewissermaßen immer nach der Position, die die Konservativen im Hause gerade haben.
({5})
Viele Kolleginnen und Kollegen hier im Hause, die
1994 dabei waren, erinnern sich noch sehr lebhaft an die
damalige Auseinandersetzung und an die Argumentationen.
({6})
Ich will Ihnen, meine Damen und Herren, und auch Ihnen, Herr Kollege Schäuble, in Erinnerung rufen, was
der Kollege Dr. Rüttgers zu Beginn der 13. Wahlperiode
ausgeführt hat. Er sagte seinerzeit:
Auch im Präsidium des Deutschen Bundestages
müssen sich die Wahlentscheidungen ... widerspiegeln.
Wie wahr!
({7})
Dies betrifft sowohl die Mehrheitsverhältnisse als
auch die Zusammensetzung nach Fraktionen. Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion befürwortet daher,
daß alle Fraktionen bei der Wahl der Vizepräsidenten berücksichtigt werden.
({8})
Ich kann heute hier nur feststellen: Recht hat er gehabt, der Kollege Dr. Rüttgers, auch wenn ich zugeben
muß: Das haben wir erst ein bißchen später richtig mitgekriegt.
({9})
Da wir bei dem ständigen Basteln an dieser Geschäftsordnung, wie Sie es wünschen, meine Damen und
Herren, nicht mitmachen werden, werden wir heute mit
der Mehrheit des Hauses beschließen, daß es nach der
vom Wähler bestimmten Zahl der Fraktionen fünf Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten geben wird, immerhin einen mehr als bisher.
Wir halten es in diesem Zusammenhang übrigens für
müßig, darüber zu debattieren, ob es gut oder weniger
gut ist, daß die PDS im Bundestag sitzt und gar Fraktionsstatus erreicht hat. Damit das aber klar ist: Die PDS
ist eine Oppositionsfraktion, und wir werden sie als solche an der Seite der CDU/CSU behandeln.
({10})
An die rechte Seite des Hauses gewandt, will ich
noch hinzufügen: Ihr Verhältnis zu den von Ihnen
„Postkommunisten“ genannten PDS-Mitgliedern müssen
Sie selbst zu klären versuchen. Ich finde allerdings - um
auch das hier auf den Tisch zu packen -, daß Sie in diesem Klärungsprozeß ziemlich widersprüchlich und unglaubwürdig vorgehen.
({11})
Sich auf der einen Seite gleich nach der Wende der
Blockparteien zu bedienen und sie einzuverleiben
({12})
- warten Sie einmal ab; da kommt noch ein bißchen -,
({13})
außerdem über Jahre hinweg Steigbügelhalter des alten
SED-Regimes mit Mandaten bis hinein in den Bundestag auszustatten, darüber hinaus auf regionaler Ebene
mit der PDS und ihren Vertretern sehr intensiv zusammenzuarbeiten und sich von ihnen in Ämter wählen zu
lassen
({14})
und schließlich in diesen Tagen, Herr Dr. Schäuble, an
ehemalige SED-Mitglieder das öffentliche Angebot zu
machen, sie könnten bei der CDU/CSU Mitglied werden, das ist schon ein krasser Gegensatz zu dem, was
Herr Repnik soeben als Argumentation für die Ablehnung dieser jetzigen gemeinsamen Geschäftsordnung
formuliert hat.
({15})
Herr Kollege
Schmidt, Sie müssen zum Ende kommen.
Wilhelm Schmidt ({0})
Ja. - Die
CDU/CSU muß sich bei all diesen Pirouetten der Argumentation schon fragen lassen, wie sie als größte Oppositionsfraktion ernst genommen werden will.
Meine Damen und Herren, ich jedenfalls schlage hier
für meine Fraktion vor, daß wir den Änderungsantrag
der CDU/CSU ablehnen, daß wir anschließend die gemeinsame Geschäftsordnung beschließen und daß wir
mit fünf Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten hier
im Hause ein Präsidium bekommen, das die gesamte
Stärke des Hauses und alle gleichermaßen berücksichtigt.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile der Kollegin Heyne das Wort.
Herr
Präsident, auch im Namen meiner Fraktion möchte ich
Ihnen sehr herzlich zu Ihrer Wahl gratulieren. Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit in diesem Hause.
Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Meine Damen und Herren, in der konstituierenden
Sitzung des 13. Bundestages gab es gleich zu Beginn
doch eine bemerkenswerte Situation, als nämlich der
Kollege Rüttgers für die CDU zur Geschäftsordnung
sprach und heftigen Beifall von den Bündnisgrünen bekam. Herr Kollege Rüttgers, die Rede, die Sie damals
gehalten haben, war sehr gut, und Sie haben sehr gute
Argumente dafür vorgebracht, daß alle Fraktionen im
Präsidium des Bundestages vertreten sein sollten. Dieser
Meinung sind wir auch heute noch, Herr Rüttgers.
({1})
In den vorangegangenen Wahlperioden waren die
kleineren Parteien abhängig vom Wohlwollen der größeren Parteien, wenn es um die Sitze im Präsidium ging.
Dieses Wohlwollen wurde mal gewährt und mal nicht.
Wir haben als Grüne da einige Erfahrungen gesammelt.
Die Einführung eines Grundmandats für alle Fraktionen schafft Transparenz bei der Besetzung des Präsidiums. Dies ist ganz sicher ein Fortschritt für unsere Demokratie. Es freut uns natürlich ganz besonders, daß
sich unser Koalitionspartner inzwischen dieser Meinung
angeschlossen hat.
({2})
Wenn Sie, Herr Repnik, heute nun auch einen Platz
im Präsidium für Ihre Schwesterpartei CSU fordern,
dann kann ich nur feststellen: Auf dem Tisch des Hauses
liegt noch kein Antrag, Ihre Fraktion in zwei einzelne
Fraktionen aufzuteilen. Dies wäre aber dafür notwendig.
({3})
Schauen wir doch kurz in das CSU-regierte Land
Bayern. Dort hat sich der Landtag gerade neu konstituiert. In diesem Landtag haben die Grünen keinen Sitz im
Präsidium erhalten.
({4})
Dort wird es wieder zwischen den großen Fraktionen
„ausgedealt“. Wenn nun hier im Bundestag ausgerechnet
für die CSU eine Sonderregelung gefordert wird, ist das
schon ein ziemlich starkes Stück.
({5})
Am 27. September dieses Jahres wurden fünf Fraktionen in dieses Haus gewählt. Die PDS hat die FünfProzent-Hürde übersprungen; damit ist sie Fraktion im
Bundestag. Das mag einem gefallen oder auch nicht; die
Wählerinnen und Wähler haben es so entschieden.
({6})
Eine Änderung der Geschäftsordnung, denke ich, ist
nicht der geeignete Weg, darauf zu antworten. Es ist eine Tatsache, daß sich immer noch ein erheblicher Anteil
der Wählerinnen und Wähler in den neuen Ländern
durch die übrigen Parteien dieses Hauses nicht genügend
vertreten fühlt. Das kann aber doch nur ein Ansporn für
verstärkte Anstrengungen hin zur inneren Einheit dieser
Bundesrepublik sein, und das kann doch kein Ansporn
zum Abbau demokratischer Rechte im Bundestag sein.
({7})
Herr Repnik, wenn Sie einen Unterschied zwischen
den Fraktionen im allgemeinen und der Fraktion der
PDS machen, ist das von seiten der Union um so unglaubwürdiger, als Sie, Herr Schäuble, gerade vor kurzem ehemaligen Mitgliedern der SED die Mitarbeit in
der Union angeboten haben. Ich denke, die Werbung um
die ehemaligen SEDler einerseits und die Ausgrenzung
der PDS hier im Bundestag andererseits ist doppelzüngig und undemokratisch.
({8})
Ich finde es bedauerlich, daß wir zu Beginn des
14. Bundestages heute eine solche unnötige Geschäftsordnungsdebatte führen müssen, wie wir sie auch schon
zu Beginn des 13. Bundestages geführt haben. Bei der
Gestaltung der Geschäftsordnung sollten wir uns bewußt
sein, daß die Mehrheit im Bundestag - und damit das
Recht zur Regierungsbildung - von den Wählern nur für
eine bestimmte Zeit festgelegt wird. Wir sollten die
Geschäftsordnung so gestalten, daß sie auch bei veränderten Mehrheiten Bestand hat.
({9})
Das Grundmandat für jede Fraktion im Präsidium des
Deutschen Bundestages sorgt für Transparenz und für
Repräsentanz des Wählerwillens. An diesem Grundmandat sollten wir festhalten.
({10})
Herr Kollege van
Essen, bitte.
Herr Präsident! Auch für
die Fraktion der Freien Demokraten darf ich Ihnen zu
Ihrer Wahl sehr herzlich gratulieren. Gerade nach Ihrer
besonders beeindruckenden Einführungsrede freuen wir
uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten
erleben im Augenblick etwas, was wir in anderen Politikfeldern häufiger erleben: Die Sozialdemokraten merken sehr viel später als wir, daß etwas vernünftig ist.
({1})
Wir waren nämlich schon vor vier Jahren der Auffassung, daß es Sinn macht, daß sich der Wählerwille auch
im Präsidium des Deutschen Bundestages widerspiegelt.
Wir bleiben bei dieser Auffassung;
({2})
denn es gehört zu den guten Traditionen, daß die Frage
der Besetzung des Präsidiums nicht mit Mehrheit entschieden wird, sondern daß auch die Opposition dabei
berücksichtigt wird.
Wir halten es auch politisch für unklug, hierbei jetzt
eine Änderung vorzunehmen. Die PDS lebt doch gerade
davon, sich als verfolgt, als benachteiligt darzustellen.
Wir sollten ihr genau diesen Gefallen nicht tun.
({3})
Wir sind auch deshalb der Auffassung, daß wir keine
Änderung vornehmen sollten, weil ja jedem Einzelnen
die Freiheit der Entscheidung bleibt - trotz dieser
Grundmandatsklausel. Man kann der Auffassung sein,
daß die PDS im Präsidium des Deutschen Bundestages
vertreten sein soll. Man kann aber auch der Auffassung
sein, daß die CSU mit ihrer großen Zahl von Abgeordneten und mit der Kollegin Geiger, die ihre Aufgabe als
Vizepräsidentin in der letzten Legislaturperiode hervorragend ausgeübt hat, weiter im Präsidium des Deutschen
Bundestags vertreten sein soll. Diese Freiheit hat man.
Wir als Liberale werden uns diese Freiheit auch nicht
nehmen lassen.
({4})
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur Zahl der
Stellvertreter machen. Es ist gut, wenn wir die Zahl der
Stellvertreter begrenzen, wie es die Fraktion der SPD
beantragt hat. Wir haben bereits vor vier Jahren einem
ähnlichen Antrag, eine Begrenzung vorzunehmen, zugestimmt. Auch hier werden wir bei unserer Auffassung
bleiben.
Es zeigt sich immer wieder: Es macht Sinn, vernünftig zu entscheiden. Wir Liberalen werden das weiterhin
tun.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus.
Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Herr Präsident, auch namens unserer Fraktion: Alles Gute für Ihr Amt!
({0})
Auf die parlamentarische Pirouette des Kollegen
Repnik werde ich an anderer Stelle zu sprechen kommen. Ich muß es nur etwas behutsamer tun als meine
Vorrednerinnen und Vorredner - wegen der mehr oder
weniger notwendigen gedeihlichen Zusammenarbeit in
der Opposition.
({1})
Wir haben uns für eine bedachte und kreative Bewahrung der respektablen Geschäftsordnung ausgesprochen.
Das heißt aber auch, sich zu überlegen, wo sie bedacht
und kreativ verändert werden kann. Die PDS ist bekanntlich Miteinbringerin des Antrages. Wir wollen Ihnen trotzdem - ich mache das in aller Kürze - drei Änderungen vorschlagen.
Erstens. Zur Feststellung der Tagesordnung im § 20:
Wir möchten gern, daß auch kleine Fraktionen zur Tageszeit ihre Themen vorstellen können. Wir haben hier
im Hause gegenwärtig zwei große und drei kleine Fraktionen - wenn ich die Gedanken von Herrn Repnik weiterdenke, fürchte ich fast, vier kleine Fraktionen annehmen zu müssen. Die zwei großen Fraktionen sollten sich
eigentlich dieser Mehrheit der kleinen Fraktionen ein
bißchen beugen und uns Möglichkeiten einräumen, unsere Tagesordnungspunkte nicht erst ganz spät am
Abend vorstellen zu können. Wir meinen, dieser Vorschlag ist ein echter Minderheitenschutz.
Ein zweiter Vorschlag zur zusammenhängenden Redezeit einzelner Rednerinnen und Redner: Wir meinen,
es müssen nicht 45 Minuten sein; 30 Minuten Redezeit
reichen. Das belebt die Debatte. Wenn Sie einmal ehrlich sind: Eine Mehrheit in allen Fraktionen - spätestens
ab der zweiten Reihe in diesem Hause - sollte mit diesem Vorschlag sympathisieren. Wir meinen: Das ist ein
Vorschlag zum parlamentarischen Selbstschutz.
Drittens treten wir - das ist Ihnen nicht neu - für die
Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen ein. Das ist in der
Tat eine Abwägungsentscheidung, wo es ein Für und
Wider gibt. Wir haben uns schließlich so entschieden,
weil alle Verweigerung von Öffentlichkeit der Sache
und letztendlich auch dem Parlament schadet.
Die PDS ist mit der Überweisung dieser Anträge an
den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung einverstanden.
Nun zum Ansinnen der CDU/CSU-Fraktion, das eingeführte Vizepräsidenten- bzw. Vizepräsidentinnenmandat wieder abzuschaffen. Hier, glaube ich, hat Kollege Repnik in der Tat einen Amtsantritt mit doppelter
Schraube rückwärts vollführt. Das muß man ja noch sagen, um die Lücke zwischen den Andeutungen, die hier
gemacht wurden, zu schließen: Was hat sich die
CDU/CSU vor vier Jahren die Hände gerieben, als sie
diesen GO-Paragraphen erfunden hat, um der SPD auf
besonders subtile Art eins auszuwischen.
({2})
Nun reibt sie sich entsetzt die Augen und sagt, mit der
PDS geht das nicht mehr. Dabei müssen wir Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Wir
sind doch auch 1994 schon gewissermaßen als Wachstumsfaktor, als verstärkte Gruppe in dieses Parlament
gekommen. Es war doch abzusehen, was hier auf Sie
zukommt.
({3})
Hier läßt sich in der Tat nur das alte Sprichwort zitieren:
Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
({4})
Jetzt, wo Sie merken, daß Sie in der Grube stecken, erfinden Sie natürlich, Kollege Repnik, die Formel und rufen hier im Hause aus: Kommt alle mit hinein in die
Grube. Das werden wir nicht machen.
Meine Damen und Herren, die Geschäftsgrundlage
für den parlamentarischen Umgang miteinander darf
nicht zum Spielball aktueller Parteiinteressen werden. Es
liegt auf der Hand, daß dieses Ansinnen der CDU/CSUFraktion abgelehnt gehört. Wir plädieren für die Annahme der Geschäftsordnung.
Vielen Dank.
({5})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/2 ab. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Fraktionen der SPD,
der Grünen, der F.D.P. und der PDS abgelehnt.
({0})
Der Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/3 soll an den Ausschuß für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den interfraktionellen Antrag zur Weitergeltung von Geschäftsordnungen auf Drucksache 14/1. Die Fraktion der
CDU/CSU verlangt getrennte Abstimmung zu § 2
Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen
Bundestages; das ist die Grundmandatsklausel für das
Präsidium. Die Fraktion der PDS verlangt getrennte Abstimmung über die Weitergeltung der Richtlinien zur
Überprüfung auf eine Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit / Amt
für nationale Sicherheit der ehemaligen DDR.
Wir stimmen deshalb zunächst über die Weitergeltung des § 2 Abs. 1 Satz 2, also über die Grundmandatsklausel der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, ab. Ich bitte diejenigen, die der Weitergeltung der
genannten Vorschrift zuzustimmen wünschen, um das
Handzeichen.
({1})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Die genannte Vorschrift ist damit mit den Stimmen der
Fraktionen der SPD, der Grünen, der F.D.P. und der
PDS gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU
übernommen.
Wir stimmen jetzt über die Weitergeltung der übrigen
Vorschriften der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ab. Ich bitte diejenigen, die der Weitergeltung
zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ist damit mit den
Stimmen des ganzen Hauses übernommen.
Wir stimmen jetzt über die Weitergeltung der Richtlinien zur Überprüfung auf eine Tätigkeit oder politische
Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit
bzw. für das Amt für nationale Sicherheit der ehemaligen DDR ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Die Übernahme der genannten Richtlinien ist mit den Stimmen der Fraktionen
der SPD, der CDU/CSU, der Grünen und der F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktion der PDS bei zwei Stimmenthaltungen aus der Fraktion der PDS
({2})
beschlossen.
Wir stimmen jetzt über die Weitergeltung der weiteren im interfraktionellen Antrag auf Drucksache 14/1
genannten Geschäftsordnungen ab. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist
damit einstimmig angenommen.
Die Fraktion der PDS hat mitgeteilt, sie wolle die
Rechtsnachfolge der Gruppe der PDS der
13. Wahlperiode antreten. Sind Sie damit einverstanden?
- Das ist offenbar der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Festlegung der Zahl der Stellvertreter des
Präsidenten
Hierzu liegt ein Antrag der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90 /Die Grünen vor. Nach diesem Antrag sollen
fünf Stellvertreter gewählt werden. Wer stimmt für den
Antrag auf Drucksache 14/4? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS
gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU angenommen. Damit ist die Zahl der Stellvertreter des Präsidenten auf fünf festgelegt.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Wahl der Stellvertreter des Präsidenten
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Wahl der
Stellvertreter getrennt und mit verdeckten Stimmkarten
- das heißt geheim - durchzuführen. Wie wir soeben beschlossen haben, sind fünf Stellvertreter zu wählen. Die
Wahlen sollen entsprechend der Reihenfolge der Fraktionen nach ihrem Stärkeverhältnis durchgeführt werden. Sind Sie mit diesem Verfahren und mit dieser Abfolge einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch.
Dann verfahren wir so.
Ich gebe jetzt noch einmal - das muß sein - einige
Hinweise zum Ablauf der Wahl. Für die einzelnen
Wahlgänge benötigen Sie die verschiedenfarbigen
Wahlausweise, die Sie - soweit noch nicht geschehen den Stimmkartenfächern in der Lobby entnehmen können. Die jeweiligen Stimmkarten zu den einzelnen
Wahlgängen werden von den Schriftführern an den
Ausgabetischen neben den Wahlkabinen ausgegeben.
Sie haben jeweils die gleiche Farbe wie die Wahlausweise. Sie dürfen Ihre Stimmkarte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die Stimmkarte ebenfalls noch
in der Wahlkabine in den Umschlag legen. Stimmkarten,
die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Bevor Sie die Stimmkarte in die
Wahlurne werfen, müssen Sie dem Schriftführer an der
Wahlurne Ihren Wahlausweis übergeben.
Wir kommen jetzt zur ersten Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten. Die Fraktion der SPD schlägt die
Abgeordnete Anke Fuchs ({3}) vor.
({4})
Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der
Fall.
Vor den Wahlkabinen erhalten Sie für diese Wahl eine blaue Stimmkarte und den amtlichen Wahlumschlag.
Außerdem benötigen Sie Ihren blauen Wahlausweis. Ich
bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die
Wahl.
Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimmkarten abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen.
Ich unterbreche die Sitzung für zehn bis fünfzehn
Minuten.
({5})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das Ergebnis der ersten Wahl eines Vizepräsidenten bekannt. Abgegebene Stimmen 665. Alle
Stimmen sind gültig. Mit Ja haben gestimmt 486,
({0})
mit Nein haben gestimmt 148, Enthaltungen 31. Damit
hat Frau Anke Fuchs ({1}) die erforderliche Mehrheit
erhalten und ist zur Stellvertreterin des Präsidenten gewählt.
Ich frage Sie, Frau Kollegin Fuchs: Nehmen Sie die
Wahl an?
Herr Präsident, ich nehme die Wahl an.
({0})
Ich übermittle Ihnen
die Glückwünsche des Hauses. Auch ich selbst wünsche
Ihnen alles Gute. Auf gute Zusammenarbeit!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren fort mit
der Wahl eines weiteren Stellvertreters des Präsidenten.
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt hierfür den Abgeordneten Rudolf Seiters vor.
({1})
Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der
Fall.
Für diese Wahl benötigen Sie Ihre gelben Wahlausweise. Die gelben Stimmkarten erhalten Sie vor den
Wahlkabinen. Das Wahlverfahren ist das gleiche wie
vorhin.
Ich bitte die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen, und eröffne die Wahl.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarten
abgegeben? - Auch die Schriftführer? ({2})
Präsident Wolfgang Thierse
Jetzt haben alle ihre Stimmkarten abgegeben. Damit
schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Die Sitzung ist für zirka 10 bis 15 Minuten unterbrochen.
({3})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das Ergebnis der Wahl eines weiteren Vizepräsidenten bekannt. Abgegebene Stimmen 663, gültige
Stimmen 662. Mit Ja haben gestimmt 445,
({0})
mit Nein haben gestimmt 142, Enthaltungen 75, ungültige Stimmen 1.
Herr Rudolf Seiters hat die erforderliche Mehrheit erhalten und ist zum Stellvertreter des Präsidenten gewählt.
Ich frage Sie, Herr Kollege Seiters, nehmen Sie die
Wahl an?
Ich nehme die Wahl
an.
Ich übermittle Ihnen
die Glückwünsche des Hauses und wünsche Ihnen persönlich alles Gute.
({0})
Wir fahren in der Wahl eines weiteren Stellvertreters
des Präsidenten fort. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt hierfür die Abgeordnete Dr. Antje Vollmer
vor. Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist offenbar nicht der Fall. Für diese Wahl benötigen Sie Ihren Wahlausweis in der Farbe Orange. Die orangefarbene Stimmkarte erhalten Sie vor der Wahlkabine. Das
Wahlverfahren ist das gleiche wie vorhin. Ich bitte die
Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen, und eröffne die
Wahl.
Muß noch jemand seine Stimmkarte abgeben? Nein. Damit ist dieser Wahlgang geschlossen. Ich unterbreche die Sitzung für 10 bis 15 Minuten und bitte die
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
({1})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das Ergebnis der Wahl einer weiteren Vizepräsidentin bekannt. Abgegebene Stimmen 662. Gültige
Stimmen 659. Ungültige Stimmen 3. Mit Ja haben gestimmt 421, mit Nein 191, Enthaltungen 47.
({0})
Frau Dr. Antje Vollmer hat die erforderliche Mehrheit erhalten und ist zur Stellvertreterin des Präsidenten
gewählt worden. Ich frage Sie, Frau Vollmer: Nehmen
Sie die Wahl an?
Herr Präsident, ich nehme die Wahl an. Vielen Dank.
Ich übermittle Ihnen
die Glückwünsche des Hauses und gratuliere selbst ganz
herzlich.
({0})
Wir fahren fort mit der Wahl eines weiteren Stellvertreters des Präsidenten. Die Fraktion der F.D.P. schlägt
hierfür den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms vor.
Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist offenbar
nicht der Fall.
Für diese Wahl benötigen Sie Ihren Wahlausweis in
der Farbe Rosa. Die rosa Stimmkarte erhalten Sie wieder
vor den Wahlkabinen. Das Wahlverfahren ist das gleiche wie vorhin.
Ich bitte jetzt die Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen, und eröffne die Wahl.
Sind alle Stimmen abgegeben? - Jetzt sind, glaube
ich, alle Stimmen abgegeben. Damit schließe ich diesen
Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich unterbreche die Sitzung für 10 bis 15 Minuten.
({1})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich teile Ihnen das Ergebnis der Wahl eines weiteren
Vizepräsidenten mit. Abgegebene Stimmen 664; gültige
Stimmen 664.
({0})
Mit Ja haben gestimmt 423, mit Nein 150, Enthaltungen
91.
({1})
Herr Dr. Hermann Otto Solms hat damit die erforderliche Mehrheit erhalten und ist zum Stellvertreter des
Präsidenten gewählt.
Ich frage Sie, Herr Kollege Solms: Nehmen Sie die
Wahl an?
Ich nehme die
Wahl an.
Ich übermittle Ihnen
die Glückwünsche des Hauses und wünsche alles Gute.
Präsident Wolfgang Thierse
Wir fahren fort mit der Wahl eines weiteren Stellvertreters des Präsidenten.
Für diesen Wahlgang schlägt die Fraktion der PDS
die Abgeordnete Petra Bläss, die Fraktion der
CDU/CSU die Abgeordnete Michaela Geiger vor. Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist offenbar
nicht der Fall.
Für diese Wahl benötigen Sie Ihren grünen
Wahlausweis. Die grüne Stimmkarte erhalten Sie wiederum vor den Wahlkabinen. Ich weise besonders darauf
hin, daß Sie nur einen Namen ankreuzen dürfen. Wer
sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung
auf der Stimmkarte. Im übrigen ist das Wahlverfahren
das gleiche wie vorhin. Bevor ich die Wahl eröffne, will
ich Sie darauf hinweisen, daß es sich um eine streitige
Wahl handelt und daß es sinnvoll und notwendig ist, daß
Sie anwesend bleiben, bis das Ergebnis dieser Wahl verkündet wird. Ich bitte herzlich darum.
Die Schriftführer nehmen bitte die vorgesehenen
Plätze ein.
Ich eröffne hiermit die Wahl.
Liebe Kolleginnen und Kollegen in der linken
Schlange, rechts ist es bereits ganz leer. Da geht es mit
der Stimmabgabe viel schneller.
({0})
Jetzt sind alle Stimmkarten abgegeben. Damit ist dieser Wahlgang abgeschlossen.
Ich unterbreche die Sitzung für 10 bis 15 Minuten
und weise Sie noch einmal darauf hin, daß Ihre Anwesenheit je nach Ausgang dieses Wahlganges weiterhin
erforderlich sein könnte. Bleiben Sie also bitte hier!
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich teile Ihnen das Ergebnis der Wahl eines weiteren
Vizepräsidenten mit. Abgegebene Stimmen 663; gültige
Stimmen 659. Es entfielen auf Frau Petra Bläss 355
Stimmen, auf Frau Michaela Geiger 285 Stimmen. Enthaltungen 19, ungültige Stimmen 4.
({2})
Frau Petra Bläss hat die erforderliche Mehrheit erhalten
und ist zur Stellvertreterin des Präsidenten gewählt.
Ich frage Sie, Frau Kollegin Bläss: Nehmen Sie die
Wahl an?
Ja, Herr Präsident, ich nehme
die Wahl an.
Ich übermittle Ihnen
die Glückwünsche des Hauses und gratuliere Ihnen
herzlich.
({0})
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir
die beschlossene Anzahl von fünf Stellvertreterinnen
und Stellvertretern des Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. Das Wahlverfahren ist abgeschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Nur noch ein paar Sätze: Interfraktionell ist vereinbart, daß morgen und an den Sitzungstagen, an denen
der neugewählte Bundeskanzler die Regierungserklärung abgibt und die Aussprache hierüber geführt wird,
keine Aktuelle Stunde, keine Fragestunde und keine Befragung der Bundesregierung stattfinden sollen. Sind Sie
damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages zur Wahl des Bundeskanzlers ein auf morgen,
Dienstag, den 27. Oktober 1998, 11 Uhr.
Bevor ich die Sitzung schließe, teile ich noch mit, daß
jetzt nach Ende der Sitzung im Rahmen eines kleinen
Empfangs in der Lobby Gelegenheit zum Gespräch mit
den neugewählten Mitgliedern des Präsidiums besteht.
Die Sitzung ist geschlossen.