Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/18/1996

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die erste Sitzung nach der Osterpause. Ich möchte Sie bitten, sich zunächst von den Plätzen zu erheben, um unserer verstorbenen Kollegin Käte Strobel zu gedenken. In der Osterpause erreichte uns die Nachricht vom Tode der langjährigen Bundestagsabgeordneten und früheren Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Käte Strobel. Sie starb am 26. März im Alter von 88 Jahren in ihrer Heimatstadt Nürnberg. Am 23. Juli 1907 wurde Käte Strobel in eine sozialdemokratisch geprägte, kinderreiche, neunköpfige Familie hineingeboren. Schon sehr früh, als 18jährige, trat sie in die SPD ein. Durch die Erfahrungen 1933 bis 1945 ist sie entscheidend geprägt worden. Da ihr Mann auch nach 1933 als Sozialdemokrat aktiv blieb, war die Familie der ganzen Härte der nationalsozialistischen Repression ausgesetzt. Während ihr Mann Gefängnis, Konzentrationslager, Strafbataillon und Kriegsgefangenschaft durchlitt, lastete auf Käte Strobel die Sorge und Verantwortung für ihre beiden Töchter. Gleich nach Kriegsende widmete sich Frau Strobel wieder aktiv der Politik, vor allem der Jugend- und Frauenarbeit. Sie gehörte zu den Politikerinnen und Politikern der ersten Stunde in der Bundesrepublik Deutschland; sie hat die demokratische Grundordnung unserer Gesellschaft entscheidend mitgeprägt. Von 1949 bis 1972 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, wo sie sich vor allem um Probleme der Landwirtschaft und des Verbraucherschutzes sowie um gesundheitspolitische Fragen kümmerte. Daneben gehörte sie von 1958 bis 1966 auch dem Europäischen Parlament an, als dessen Vizepräsidentin sie von 1962 bis 1964 amtierte. Bei der Bildung der Großen Koalition im Jahre 1966 wurde Käte Strobel ins Kabinett berufen und leitete das Gesundheitsministerium. Im folgenden ersten Kabinett Brandt wurde ihr im Oktober 1969 auch die Zuständigkeit für die Bereiche Jugend und Familie übertragen. Als Bundesministerin bleibt der Name von Käte Strobel mit einer Reform des Lebensmittelrechts und mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz verbunden. Außerdem hatte sie wesentlichen Anteil an der Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes. 1972 verzichtete Frau Strobel auf eine erneute Kandidatur zum Bundestag und auf ihr Ministeramt, blieb aber politisch aktiv, unter anderem als Mitglied im Stadtrat ihrer Heimatstadt Nürnberg, wo sie sich bis 1978 für das Wohl ihrer Mitbürger einsetzte und auch zur Ehrenbürgerin ernannt wurde. Noch 1986 wählte der Vorstand ihrer Partei sie zur Vorsitzenden des Seniorenbeirats. Im Mittelpunkt ihrer Bemühungen standen immer die selbständig und politisch handelnden Bürgerinnen und Bürger. Käte Strobel wollte die Frauen für die politische Arbeit gewinnen und ihre gesellschaftlichen Chancen verbessern. Sie hat auf diesem Weg viel erreicht. Der Deutsche Bundestag gedenkt dieser in der und für die Demokratie engagierten und bedeutenden Politikerin in Dankbarkeit und Respekt. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich auch der Opfer der Brandkatastrophe auf dem Düsseldorfer Flughafen gedenken. Bei dem tragischen Unglück, ausgelöst durch Schweißarbeiten, kamen am vergangenen Donnerstag im Flughafengebäude Düsseldorf 16 Menschen qualvoll ums Leben. Die Toten sind französischer, italienischer, britischer und deutscher Nationalität. Sie erstickten an hochgiftigen Gasen, die durch die Verbrennung von Dämmaterialien und Kabeln entstanden waren. Mehr als 60 Personen erlitten teilweise schwere Rauchvergiftungen. Niemand, der die Bilder der verzweifelt um das Leben der Verunglückten kämpfenden Notärzte und Sanitäter gesehen hat, kann sich von dem Eindruck dieses grauenvollen Brandes freimachen. Den beteiligten Rettungsmannschaften, die unter beispiellosem Einsatz die Opfer bargen und medizinisch versorgten, gilt unser aller Dank. Wir gedenken der Opfer und nehmen Anteil an dem Leid und der Trauer der von dem Unglück betroffenen Familien. Den Hinterbliebenen der Toten möchte ich im Namen des Deutschen BundesPräsidentin Dr. Rita Süssmuth tages unser tiefempfundenes Beileid aussprechen. Unser Gedenken gilt den Opfern dieser Brandkatastrophe. Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Klaus Lohmann ({0}), der am 17. März seinen 60. Geburtstag beging, und dem Kollegen Dr. Jürgen Meyer ({1}), der am 26. März ebenfalls seinen 60. Geburtstag feierte, nachträglich die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen. ({2}) Nun zur Arbeit. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt. 1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen Aufforderung in der Tageszeitung „taz" am 12. April 1996 zur Schienendemontage beim Atomkraftwerk Gundremmingen ) 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Heidi Knake-Werner, Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Beobachterstatus des Vatikans bei den Vereinten Nationen - Drucksache 13/4100 3. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Härtefallregelung für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ausländischer Ehegatten - Drucksache 13/4364 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger, Marieluise Beck ({3}), Andrea Fischer ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einrichtung eines Bundesausbildungsförderungsfonds ({5}) - Drucksache 13/4361 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Rixe, Dr. Peter Glotz, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Handlungsvorschläge zur Rettung des dualen Systems der Berufsausbildung - Drucksache 13/4371 6. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Ulla Jelpke, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagengesetzes - Drucksache 13/4359 7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerald Häfner, Gerd Poppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherstellung und Fortführung des gesellschaftlichen Aufarbeitungsprozesses durch Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung - Drucksache 13/4353 8. Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verordnung über die Vermeidung, Verringerung und Verwertung von Abfällen gebrauchter elektrischer und elektronischer Geräte ({6}) - Drucksache 13/4351 - 9. Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abfallvermeidung organisieren - Gesundheitsgefahren aus Abfallverbrennungsanlagen minimieren - Drucksache 13/4352 - 10. Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ersatz der Verpackungsverordnung durch eine Verpackungsvermeidungs- und Mehrwegverordnung - Drucksache 13/4354 - *) Wurde bereits in der 97. Sitzung am Mittwoch, dem 17. April 1996 aufgerufen 11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Zapf, Robert Antretter, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schritte zur politischen Regelung des Kurdenkonflikts - Drucksache 13/4365 12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudolf Dreßler, Rudolf Scharping, Klaus Kirchner, Wolfgang Lohmann ({7}), Horst Seehofer, Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Dieter Thomae, Wolfgang Zöller sowie weiterer Abgeordneter der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Spende, Entnahme und Übertragung von Organen - Drucksache 13/4368 Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit es bei einigen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist - abgewichen werden. Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam. Der in der 61. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Oktober 1995 überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden: Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Albert Schmidt ({8}), Gila Altmann ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stopp der Vorbereitungsmaßnahmen für den Transrapid und Planung einer ICE-Verbindung HamburgBerlin - Drucksache 13/2573 Der in der 95. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. März 1996 überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Thierse, Michael Müller ({10}), Arne Börnsen ({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Innovative Forschungs- und Technologiepolitik - Bündnis für Arbeit und Umwelt - Drucksache 13/3979 Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Die Fraktion der SPD hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung ihres Gesetzentwurfs zur Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes mit einer Debattenzeit von 45 Minuten zu erweitern. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Kollege Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion beantrage ich, den Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zur Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes auf Drucksache 13/1542 mitsamt der Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zur zweiten und dritten Lesung auf die heutige Tagesordnung des Plenums zu setzen. Unser Gesetzentwurf trägt das Datum vom 31. Mai 1995. Er ist also fast elf Monate im parlamentarischen Verfahren gewesen. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat die Beratung am 7. Februar abgeschlossen. Seitdem sind zwei volle Monate vergangen. Seit zwei Monaten weigern sich die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. konstant, der Beratung im Plenum zuzustimmen. Es ist den Regierungsfraktionen unbenommen, den Gesetzentwurf der SPD mit ihrer Mehrheit abzulehnen, meine Damen und Herren. Es entspricht aber nicht den demokratischen Gepflogenheiten in unserem Parlament, wenn die Mehrheit, aus welchen Gründen auch immer, sich anmaßt, darüber zu entRudolf Dreßler scheiden, ob über einen Gesetzentwurf der Minderheit parlamentarisch abgestimmt wird oder nicht. ({0}) Daß die Koalitionsfraktionen in der Sache eine andere Meinung vertreten als die SPD-Fraktion, ist keine Rechtfertigung für unfaire Geschäftsordnungsmanipulationen. ({1}) Die Unterschiede in der politischen Position nehmen der Minderheit nicht das Recht auf ein geordnetes parlamentarisches Verfahren. Auch entbinden sie die Mehrheit nicht von der Pflicht, zu den Anträgen der Minderheit politisch Stellung zu beziehen und vor den Betroffenen Farbe zu bekennen. ({2}) Es ist richtig, daß die Bundesregierung inzwischen zur gleichen Sache einen eigenen Gesetzentwurf beschlossen hat, der zur Zeit vom Bundesrat beraten wird. Über den jämmerlichen Inhalt dieses Kabinettsbeschlusses zu reden verbietet mir die Begrenzung, die mir in einer Geschäftsordnungsdebatte auferlegt ist. Aber die Tatsache, daß sich die Bundesregierung nach unendlich langem Zögern und Gezerre schließlich doch noch zu einem noch nicht einmal halbherzigen Beschluß aufgerafft hat, gibt der Koalition nicht das Recht, die ordnungsgemäße Beratung unseres Gesetzentwurfs zu behindern oder zu verzögern. Der Kabinettsbeschluß hat mit der Beratung unseres Gesetzentwurfs nicht das geringste zu tun. Das ergibt sich schon allein aus der Tatsache, daß der Regierungsentwurf dem Bundestag bis heute noch gar nicht zugeleitet ist und daß er erst am 20. März 1996 beschlossen wurde, also mehr als einen Monat nachdem der federführende Ausschuß die Beratung des SPD-Gesetzentwurfs bereits abgeschlossen hatte. Es ist leicht nachvollziehbar, daß die Koalition den Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion gern so lange parken möchte, bis er mit der Beratung des Regierungsentwurfs zusammengebunden werden kann. Dann würde nämlich nicht mehr so sehr auffallen, daß die Bundesregierung seit Jahren versucht, jegliche Korrektur des Rentenstrafrechts zu blockieren und zu verzögern. Nach den normalen Regeln eines demokratischen Parlamentes kann eine Regierung nicht das Recht beanspruchen, daß die Beratung von Oppositionsanträgen zeitlich so lange manipuliert wird, bis es ihr in das politische Kalkül paßt. Aus diesen Gründen fordere ich die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf, der Aufsetzung unseres Gesetzentwurfs zur Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes auf die Tagesordnung heute morgen endlich zuzustimmen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Joachim Hörster.

Joachim Hörster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000932, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbst der Kollege Dreßler wird mich mit seinen Ausführungen, was den Aufsetzungsantrag betrifft, nicht veranlassen können, den Boden der Sachlichkeit, den Sie bei mir ohnehin gewöhnt sind, zu verlassen. ({0}) Bei dem Gegenstand handelt es sich um einen sehr komplizierten Sachverhalt, der in den Fraktionen sehr unterschiedlich diskutiert wird. Wenn der Kollege Dreßler die Traute gehabt hätte, sich mit der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu befassen, dann hätte er dort nachlesen können, daß der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung am 17. Januar 1996 mehrheitlich mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen sowie bei fünf Enthaltungen der Fraktion der SPD sowie gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS empfohlen hat, den Gesetzentwurf der SPD abzulehnen. Also selbst innerhalb der SPD-Fraktion gab es bei dieser komplizierten Materie keine einheitliche Haltung, diesen Sachverhalt zu regeln, wie sich aus der Beschlußempfehlung ergibt. ({1}) Bei diesem Sachverhalt entspricht es wirklich den Anforderungen einer sachgemäßen Behandlung des Vorgangs, nun den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der am 14. Februar dieses Jahres im Kabinett verabschiedet worden ist, der am 3. Mai im Bundesrat behandelt wird und dann nach der Rückkehr aus dem Bundesrat am 23. Mai im Deutschen Bundestag behandelt werden soll, abzuwarten und in die parlamentarische Beratung einzuführen, damit im Gesamtspektrum dieser komplizierten Materie alle Positionen vernünftig beleuchtet werden können. ({2}) Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, Herr Kollege Dreßler, erwarten, daß wir im Parlament keine Schaukämpfe führen, sondern daß wir uns mit dem größtmöglichen Bemühen um Sachlichkeit um die Problemlösungen kümmern. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt. ({3}) Das, was Sie heute mit einem erkennbaren Ausgang beantragt haben, dient doch der Sache nun wirklich nicht. Weil wir wollen, daß dieses schwierige Problem einer sehr vernünftigen und sachlichen Lösung zugeführt wird, wollen wir vermeiden, daß heute eine reine Schau- und Theaterveranstaltung in dieJoachim Hörster sem Hause stattfindet. Das ist des Bundestages nicht würdig. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Kollegin Andrea Fischer, bitte.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Verlaub, Herr Kollege Hörster, es handelt sich zweifelsohne um eine außerordentlich komplizierte Materie. Allerdings ist mir neu, daß in diesem Parlament die Komplexität eines Problems ein Grund dafür ist, es nicht zu debattieren. ({0}) Das war letztlich die Aussage, mit der Sie hier gerade herangegangen sind. Gerade wenn es kompliziert ist, gerade wenn es eine Lösung braucht, sollten wir es hier im Parlament beraten. Deswegen stimmt meine Fraktion dem Antrag der SPD-Fraktion auf Aufsetzung dieses Gesetzentwurfes zu. Sie haben außerdem, Kollege Hörster, gerade angeführt, daß Uneinigkeit in der SPD-Fraktion herrsche. Ich bin auch überrascht über die Fürsorglichkeit seitens der Koalitionsfraktionen, daß Ihnen Probleme bereitet, was es innerhalb der SPD an Differenzen gibt. Auch das, Kollege Hörster, kann kein Grund sein, eine Frage nicht zu debattieren, sondern das wäre dann gegebenenfalls ein Problem, das die SPD zu lösen hätte. ({1}) Bei all dem, was Sie jetzt hier an fadenscheinigen Argumenten für die Nichtaufsetzung angeführt haben, bleibt eigentlich nur das, was Sie selbst schon zugegeben haben, nämlich daß sich der Gesetzentwurf der Bundesregierung in einem mühseligen Verfahren dahinquält und daß Sie nicht wollen, daß dies heute hier zutage tritt, wenn wir es nämlich auf der Tagesordnung hätten. Wir sind der Auffassung, daß dieses Thema lange genug debattiert wurde, daß es dringend einer Lösung bedarf und daß wir es deswegen hier endlich beraten sollten. Aus diesem Grund werden wir dafürstimmen, das heute auf die Tagesordnung zu setzen. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zur Tagesordnung der Kollege Uwe Lühr.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat, Herr Hörster, ein kompliziertes Problem, über das wir hier heute reden sollen. Aber wir haben über dieses Problem schon mehrfach in diesem Hohen Hause geredet, und es hat den Betroffenen nichts genützt. Deshalb sind wir als F.D.P.-Fraktion der Meinung, wir wollen ein Verfahren, in dem natürlich auch der Antrag der SPD beraten wird, aber dann alle Anträge gemeinsam beraten werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt im Bundesrat. Wenn meine Informationen richtig sind, soll sich heute der Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates darüber verständigen. Bis 3. Mai ist die Frist. Ich bin von der Fraktion beauftragt zu sagen: Wir sind sehr daran interessiert, hier so schnell wie möglich eine Lösung im Interesse der Betroffenen herbeizubringen, aber nicht eine zusätzliche Debatte zu führen, wo die Argumente längst ausgetauscht sind. Vielmehr sollten wir diese Debatte dann abschließend führen. Deshalb stimmt die F.D.P.-Fraktion heute der Aufsetzung nicht zu, weil es ein unnötiger Aufwand und dieses Hohen Hauses nicht würdig ist. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzte in der Geschäftsordnungsdebatte spricht Kollegin Petra Bläss.

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, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soviel Vehemenz, Energie und guten Willen, wie jetzt bekundet worden ist, hätte ich mir bei den inhaltlichen Beratungen gewünscht. Die PDS unterstützt das Begehren der SPD, heute abschließend über ihren Gesetzentwurf über eine Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes zu beraten. Noch mehr Vehemenz hätte unsere Unterstützung allerdings, wenn bei der SPD mehr Engagement zu spüren gewesen wäre, breite Zustimmung in diesem Hause für ihren Gesetzentwurf zu suchen. Vielleicht hätte sich tatsächlich eine Mehrheit aus allen Oppositionsabgeordneten mit einigen gewillten Ostabgeordneten der Koalitionsfraktionen herstellen lassen. Aber bereits die 15minütige Abstimmungsmaschinerie am 7. Februar im Ausschuß für alle hier vorliegenden Anträge und Gesetzentwürfe zeigte doch, daß es darum gar nicht ging. Nein, es sollte nur Platz gemacht werden für den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Und warum kommt eben der nicht in die Parlamentarische Beratung hier in den Bundestag? ({0}) Ursache für die momentane Verweigerung der Koalitionsfraktionen, sich hier im Bundestag überhaupt mit der Rentenüberleitung zu beschäftigen, ist die Rentenpolitik insgesamt. Es macht sich ja schlecht, seitens der Regierung eine Idee nach der anderen zum Sparen in den Rentenkassen zu entwikkeln und dann eine wie auch immer geartete Korrektur der Rentenüberleitung Ost zu beschließen, die natürlich Geld kostet. Wie oft hat Herr Minister Blüm die Opposition bezichtigt, sie würde die Rentnerinnen und Rentner verunsichern! Aber was Sie jetzt tun, ist der Gipfel. Sie schnüren ein Paket der sozialen Grausamkeiten, streuen diverse Vorschläge, dementieren sie wieder, ({1}) legen am nächsten Tag noch etwas drauf und sagen dann: Regt euch nicht auf! Wartet doch ab, bis das Paket vorliegt! ({2}) - Das ist schon sehr wohl zur Geschäftsordnung, meine Damen und Herren. - Sie treiben mit älteren Menschen auf diese Weise ein unerträgliches Spiel. ({3}) Die Meldungen der letzten Tage zeigen: Nicht einmal Grundlagen des sozialen Konsenses sind Ihnen heilig. Wie oft haben Sie, Herr Blüm, uns in den vergangenen Jahren bei Verbesserungswünschen für Rentenleistungen belehrt, ({4}) für Veränderungen im Rentenrecht würde in der Bundesrepublik immer ein großer, breiter Konsens gesucht! Nun zerpflücken Sie diesen Konsens mit jeder Kabinettsberatung. Natürlich haben Sie in Sachen Rentenüberleitung eine Begründung dafür

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Bläss, zur Geschäftsordnung!

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, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- ich spreche zur Geschäftsordnung -, daß sich das Umsetzen der ewigen Versprechen verzögert: Der Bundesrat muß nämlich erst noch befinden. Sie inszenieren ein zeitaufschiebendes Zwischenspiel. Im Mai sollen dort der Regierungsentwurf und der Entwurf des Berliner Senats sogar konkurrierend behandelt werden. Das nährt bei den Betroffenen natürlich wieder Hoffnungen, daß der Regierungsentwurf mit seinem Prinzip „Teile und herrsche!" nicht das letzte Wort sein muß. So wird zum Beispiel auch die neue Berliner CDU-Sozialsenatorin wie andere den Berliner Senatsentwurf unterstützen. Der sächsische Sozialminister hingegen kündigt nicht nur die Unterstützung, sondern gar noch eine Verschärfung des Regierungsentwurfs an. ({0}) Es zeichnet sich also jetzt schon ab, daß die Ländervertreterinnen und -vertreter sich mächtig raufen werden. Wer wird hier also der oder die lachende Dritte sein? Ich hoffe, nicht diejenigen, die gar nichts ändern wollen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Aufsetzungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/ Die Grünen und der PDS abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 j und die Zusatzpunkte 2 und 3 auf: 3. Frauenpolitische Debatte a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Waltraud Schoppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Forum der Nichtregierungsorganisationen ({1}) auf der VN-Weltfrauenkonferenz in Peking - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Christel Hanewinckel, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen vom 4. bis 15. September 1995 in Peking - zu dem Antrag der Abgeordneten Waltraud Schoppe, Rita Grießhaber, Irmingrad Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschenrechte und Demokratie für Frauen verwirklichen - Drucksachen 13/1427, 13/1441, 13/1551, 13/4042 Berichterstattung: Abgeordnete Bärbel Sothmann Hanna Wolf ({2}) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Petra Bläss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Schmidt ({3}), Dr. Edith Niehuis, Verena Wohlleben, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Frauenrechte weltweit stärken - Reform des Auswärtigen Dienstes - Drucksache 13/3151 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) -Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Waltraud Schoppe, Rita Grießhaber, Marie8656 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth luise Beck ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verwirklichung der Frauenrechte in Bosnien-Herzegowina im Rahmen des in Dayton geschlossenen Friedens - Drucksache 13/3991 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({6}) Innenausschuß Verteidigungsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Heidi Knake-Werner, Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Einrichtung einer ständigen Kommission zur Umsetzung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau - Drucksache 13/4102 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rita Grießhaber, Marieluise Beck ({8}), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsetzung von Frauenförderprogrammen - Drucksache 13/4116 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({9}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union f) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Chancengleichheit für Frauen - Konsequenzen aus der Vierten Weltfrauenkonferenz - Drucksache 13/4357 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({10}) Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Christel Hanewinckel, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nachbereitung der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 - Drucksache 13/4366 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({11}) Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Hanewinckel, Dagmar Freitag, Ilse Janz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Diskriminierung von Frauen bei der Teilnahme an Olympischen Spielen - Drucksache 13/4092 - i) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Diskriminierung von Frauen bei den Olympischen Spielen - Drucksache 13/4358 - j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({12}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Kerstin Müller ({13}), Irmingard Schewe-Gerigk, Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu der vereinbarten Debatte zur Frauenförderung in der Europäischen Union - Drucksachen 13/2769, 13/4121Berichterstattung: Abgeordnete Ortrun Schätzle Ingrid Holzhüter Irmingard Schewe-Gerigk Cornelia Schmalz-Jacobsen Heidemarie Lüth ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Heidi Knake-Werner, Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Beobachterstatus des Vatikans bei den Vereinten Nationen - Drucksache 13/4100 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({14}) Auswärtiger Ausschuß ZP3 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Härtefallregelung für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ausländischer Ehegatten - Drucksache 13/4364 Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über einen Antrag der Fraktion der SPD namentlich abstimmen werden. ({15}) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth - Das Thema ist keine Aufforderung, den Saal zu verlassen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren entsprechend. Ich eröffne die Aussprache und bitte das Plenum, Bedingungen herzustellen, die es ermöglichen, daß wir beginnen können. ({16}) - Ich bin nicht bereit, unter diesen Bedingungen anzufangen. Darf ich diejenigen, die nicht hierbleiben wollen, bitten, ihre Gespräche außerhalb des Saales fortzuführen! Das Wort hat die Bundesministerin Frau Claudia Nolte.

Claudia Nolte (Minister:in)

Politiker ID: 11001621

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß wir heute im Deutschen Bundestag erneut über Frauenpolitik diskutieren. Denn es bietet doch die Möglichkeit, aufbauend auf bisher Erreichtes darüber zu sprechen, wo unsere nächsten Schwerpunkte liegen. Nicht erst seit der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking machen wir aktive Frauenpolitik. Aber sie hat uns wertvolle Impulse gegeben. Nun kommt es darauf an, die Aktionsplattform, die wir gemeinsam mit erarbeitet und beschlossen haben, auch umzusetzen. Mit der Deklaration von Peking und der Aktionsplattform liegt erstmals ein in sich geschlossenes Konzept zur Gleichberechtigung vor, auf das sich die Frauen weltweit berufen können - was vor dem Hintergrund der Befürchtungen vor Beginn der Konferenz längst nicht zu erwarten gewesen wäre. Ohne die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an allen Ressourcen sowie an den politischen Entscheidungen können zentrale Zukunftsprobleme nicht gelöst werden. Auf der Konferenz wurde deutlich, daß die Teilhabe an Entwicklung und Macht, Armutsbekämpfung, Sicherung des Friedens und die Achtung der Menschenrechte die Themen von Frauen auf allen Kontinenten sind. Von den 1,2 Milliarden armen Menschen in der Welt sind 70 Prozent Frauen. Ihnen ist der Zugang zu Bildung, Eigentum an Boden und Kapital, zu Beschäftigung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit verwehrt, und oft ist Ursache und Folge gleichermaßen die Armut. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen. Deshalb berücksichtigen wir gerade im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit die spezifischen Belange von Frauen. Unsere Konzeption zur Förderung von Frauen in Entwicklungsländern hat sich bei allen Schwierigkeiten, die es auch heute noch gibt, bewährt. Wir werden auf der Basis der Aktionsplattform dieses Konzept in diesem Jahr fortschreiben und dafür sorgen, daß die Interessen der Frauen in einer noch stärkeren geschlechtsspezifischen Differenzierung der Programm- und Projektarbeit zum Ausdruck kommen. Ich habe in Peking ein 40-Millionen-US-Dollar-Programm zur Sozial- und Rechtsberatung angekündigt. Wir haben für das laufende Jahr bereits drei Projekte vereinbart. Meine Damen und Herren, Demokratie ist auf eine breite Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Es wird in der Deklaration der 4. Weltfrauenkonferenz ganz deutlich betont, daß nicht nur die Regierungen für die Durchsetzung der Gleichberechtigung verantwortlich sind, sondern auch alle anderen gesellschaftlichen Gruppen, Institutionen, Verbände, Tarifpartner, letztendlich jeder einzelne. Aus diesem Grunde habe ich vor einigen Wochen in Bonn die Nachbereitungskonferenz durchgeführt, zu der ich neben Vertreterinnen aus zahlreichen Frauen- und anderen Nichtregierungsorganisationen Verantwortliche aus allen Bereichen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eingeladen habe. Ich denke, diese Konferenz war ein wichtiger Baustein für den Umsetzungsprozeß hier in Deutschland. ({0}) Ich will die gute Zusammenarbeit und den konstruktiven Dialog fortführen, der sich zwischen den deutschen Nichtregierungsorganisationen und der Bundesregierung sowohl im Vorfeld in China selber als auch im Nachgang entwickelt hat. Die NGOs waren auch bei der Vorbereitung der Nachbereitungskonferenz beteiligt und haben aktiv mitgewirkt. Ich möchte von dieser Stelle aus diesen Verbänden, die auch vor Ort unendlich viel gute Arbeit leisten, ganz herzlich für ihr Engagement danken. ({1}) Mit der Nachbereitungskonferenz haben wir den Austausch darüber vorangebracht, was wir in unserem Land noch leisten müssen und welche Wege zur Umsetzung erforderlich sind. Sie hat dazu beigetragen, bereits vorhandene Vorstellungen zu bündeln und zusammenzuführen. Mein Ziel ist es, daß wir am Ende dieses Jahres die Aufstellung nationaler Strategien beendet haben. Sie werden den Handlungsrahmen für die nächsten Jahre aufzeigen, indem wir die Maßnahmen der Aktionsplattform umsetzen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen in Deutschland vor großen Aufgaben. ({2}) Allein die Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen zeigt es am deutlichsten. Gerade die Menschen in den neuen Bundesländern stehen vor großen Umstrukturierungsprozessen, von denen Frauen wieder in besonderem Maße betroffen sind. In ganz Deutschland wollen Frauen heute in aller Regel erwerbstätig sein. Sie wollen Familie und Erwerbsarbeit miteinander verbinden. Sie bekommen allerdings den Druck auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Maße zu spüren. Deshalb waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Nachbereitungskonferenz darüber einig, daß wir im Bereich der aktiBundesministerin Claudia Nolte ven Arbeitsmarktpolitik für Frauen viel unternehmen müssen, daß diesem Bereich eine große Bedeutung zukommt. Im Rahmen der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes gehört die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen für mich zum Zielkatalog. Es muß und es wird auch in Zukunft dabei bleiben, daß Frauen an Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und der beruflichen Fortbildung und Umschulung ihrem Anteil an Arbeitslosen entsprechend beteiligt werden. Die Anforderungen an eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit müssen sich auch auf Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktförderung übertragen lassen. Daher ist es mir wichtig, daß zum Beispiel bei der Kinderbetreuung und bei der zeitlichen Gestaltung von Fortbildungsmaßnahmen bessere Rahmenbedingungen erfüllt werden. ({3}) Ebenso brauchen wir - das fällt mit in dieses Gebiet - bessere Rückkehrchancen für Frauen, die auf Grund der Familienphase unterbrochen haben. Damit im Zuge der stärkeren Dezentralisierung der Arbeitsverwaltung, die ich sehr begrüße, weil sie mehr Effektivität und Synergieeffekte möglich macht, auch die Berücksichtigung der frauenspezifischen Interessen sichergestellt ist, muß die Arbeit der Frauenbeauftragten auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Zur wirklichen und nachhaltigen Verbesserung der Chancen von Frauen auf dem ersten Arbeitsmarkt brauchen wir aber mehr als nur die Instrumente der Arbeitsmarktförderung. Frauen sind heute ebenso qualifiziert wie Männer, aber wir wissen, daß gleiche Qualifikation noch längst nicht zu gleichen Karriereverläufen führt. Immerhin hat sich der Anteil - ich will nur ein Beispiel nennen - der C-4-Lehrstühle, die Frauen innehaben, von 1991 bis 1993 um 39 Prozent erhöht. Das besagt aber noch nicht allzuviel; denn der Anteil lag im Jahre 1993 bei 3,7 Prozent. Auch das zeigt, vor welchem Aufgabenfeld wir stehen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß vor allem die Tarifparteien, die für die Gestaltung des ersten Arbeitsmarktes verantwortlich sind, ihre Verantwortung für die Herbeiführung von Chancengerechtigkeit wahrnehmen. Dazu gehört vorrangig die Sicherstellung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Familienarbeit ist wertvolle Arbeit und deshalb auch in der Arbeitswelt zu respektieren. Sie ist auch nicht ausschließlich Frauen zuzurechnen. Damit Frauen Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut bringen können, müssen Männer mitziehen und selbstverständlicher Erziehungs- und Hausarbeit übernehmen. Flexible Arbeitszeiten haben hier natürlich eine besondere Bedeutung. Ich weise auf eine Reihe von wirksamen, guten Modellen hin; wir haben eine Reihe von Belegen dafür, daß sich flexible Arbeitszeit rentiert und für beide Seiten wichtig ist. Was wir nicht haben, ist eine breite Anwendung in der Praxis. Deshalb müssen wir das mehr unterstützen. Aus diesem Grund haben wir die Mobilzeitkampagne durchgeführt, aus diesem Grund werde ich in diesem Jahr zum zweitenmal den Bundeswettbewerb „Der familienfreundliche Betrieb" durchführen. Wir beraten kleine und mittelständische Unternehmen bei der Übertragung von Know how im Rahmen der Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle in ihrem Unternehmen. Hier gilt es für mich, vor allen Dingen Teilzeitarbeit in qualifizierten Positionen möglich zu machen; denn sonst wird Teilzeit nicht wirklich gesellschaftlich als vollwertige Arbeit akzeptiert. Sie darf nicht nur bei niedrig bezahlten Jobs möglich sein, sondern es muß sie auch bei qualifizierten Arbeiten geben. Für jeden muß klar sein: Teilzeitarbeitsplätze sind sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Daß zunehmend reguläre Arbeitsplätze in 590-DM-Jobs umgewandelt werden, ist Mißbrauch geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse. ({4}) Wir müssen diesen Mißbrauch gemeinsam bekämpfen. Natürlich ist hier die Politik gefragt, aber genauso stehen auch die Tarifpartner mit in der Pflicht, und sie haben eher Möglichkeiten, regelnd einzugreifen und dem entgegenzuwirken; denn es geht schließlich um eine Altersabsicherung für Frauen, die durch solche Jobs gefährdet wird. Schon seit langem ist der Bundesregierung die eigenständige Rente von Frauen ein wichtiges Anliegen. Deshalb haben wir die Anerkennung von Erziehungs- und Pflegezeiten bei der Rente durchgesetzt. Das sind wichtige Weichenstellungen. Wir haben um Verständnis zu werben, daß notwendige Verbesserungen und Weiterentwicklungen in diesem Bereich auf Grund der schwierigen Situation in unseren Haushalten nicht in dem Maß möglich sind, wie wir uns das wünschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen sind auch zunehmend diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen. Jedem dritten neugegründeten Unternehmen steht eine Frau vor. Mit einem umfangreichen Fördersystem unterstützen wir als Bundesregierung den Weg in die Selbständigkeit. Mein Ministerium will im Rahmen eines Projektes zur „Förderung der beruflichen Selbständigkeit von Frauen als Beitrag zur kommunalen Wirtschaftsentwicklung" Voraussetzungen schaffen, unter denen sich Frauen anspruchsvolle Tätigkeitsfelder in ihrem eigenen Umfeld aufbauen können. Dazu gehört, daß die kommunale Wirtschaftspolitik hierfür sensibilisiert wird und das als ihre Aufgabe empfindet. Wir haben die Aufgabe, Frauen so zu unterstützen, daß sie gut auf die Selbständigkeit vorbereitet sind. Neue Arbeitsplätze entstehen jedoch nicht nur in Betrieben und Unternehmen, auch in privaten Haushalten steckt ein großes Potential an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Es gibt Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft, daß bis zu 870 000 neue Arbeitsplätze familien- und haushaltsbezogen im Dienstleistungsbereich möglich wären. Für mich ist wichtig, daß wir dieses Potential auch nutzen. Dazu gehören Verbesserungen sowohl bei der administrativen Behandlung dieser Beschäftigungen als auch durch attraktivere steuerliche Rahmenbedingungen. Wir haben diesen Teil deshalb ja auch in das Aktionsprogramm für Investition und Beschäftigung aufgenommen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zentrum der kontroversen Verhandlungen in Peking standen die Themen Menschenrechte, sexuelle Rechte von Frauen, Bekämpfung der Armut von Frauen in Entwicklungsländern sowie Finanzfragen. Für mich stand von Anfang an die Wahrung der Menschenrechte und damit die Wahrung der Rechte der Frauen im Vordergrund. Deshalb war es mir wichtig, sie auch mit Blick auf das gastgebende Land vor dem Plenum der UN-Konferenz einzufordern. Gewaltausübung muß ein gesellschaftliches Tabu sein. Noch nie ist in einem internationalen Dokument Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung so umfassend definiert und so vehement verurteilt worden. Wir müssen allerdings dafür sorgen, daß die Existenz von Gewalt nicht tabuisiert wird. Das Problem der Gewalt gegen Frauen vor allem auch im engeren familiären Umfeld existiert in jedem Land, auch im vereinten Deutschland, und es hat auch in der damaligen DDR existiert, wo es allerdings totgeschwiegen wurde, weshalb es dort auch keine Hilfseinrichtungen gab. Wir haben deshalb mit einer Anschubfinanzierung beim Aufbau von Frauenhäusern und Frauenschutzwohnungen in den neuen Bundesländern geholfen und auch unsere Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen mit einem beachtlichen Erfolg durchgeführt, weshalb ich entschieden habe, diese Kampagne weiterzuführen. Für mich bleibt es dringend, daß wir die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellen. ({6}) Die Ehe darf kein rechtsfreier Raum sein, und wir müssen den Gang der Gesetzgebung noch vor der Sommerpause endlich abschließen. Gewalt gegen Frauen ist ein internationales Phänomen, und deshalb müssen wir es auch über die Grenzen hinweg bekämpfen. Gegen den internationalen Sextourismus sind die Möglichkeiten, die wir im nationalen Strafrecht neu geschaffen haben, auch konsequent anzuwenden. Ausländische Frauen, die in Deutschland als Zeuginnen auftreten, brauchen den dazu nötigen Schutz, und wir müssen auch beim Aufenthaltsrecht im Ausländergesetz eine sachgerechte Härtefallregelung schaffen. Wo Frauen Opfer von Gewalt werden, brauchen sie Hilfe und Unterstützung, wozu es - was bis heute noch nicht so selbstverständlich ist - der Zusammenarbeit aller im Bereich der Polizei, der Justiz, der Verwaltung, der Beratungs- und Schutzeinrichtungen bedarf. Deshalb erproben wir in Berlin ein umfassendes und für Deutschland neues Konzept der Zusammenarbeit in der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Gleichberechtigungspolitik ist Gesellschaftspolitik mit Bezügen zu allen Politikfeldern. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß sich das nicht auf Diskriminierungsverbote beschränken darf, sondern daß wir eine aktive Förderung brauchen - weshalb ja auch die Grundgesetzänderung vorgenommen wurde. Es bleibt für mich wichtig, daß wir es auch bei der Überarbeitung des bisherigen Vertragswerkes der Europäischen Union schaffen, die Förderung der Chancengleichheit als ein Ziel für die Union im EG-Vertrag zu verankern. Über die Europäische Union wollen wir erreichen, daß Frauenpolitik auch innerhalb der ECE in die unterschiedlichen Politikbereiche Eingang findet, denn Gleichberechtigungspolitik muß auf allen Ebenen stattfinden und für die Menschen erfahrbar sein. ({7}) Auch auf internationaler Ebene steht die Bundesregierung nicht allein in der Verantwortung. Diese Aufgabe richtet sich genauso an die beteiligten Verbände, Unternehmen und gesellschaftlichen Organisationen. In diesem Sommer wird alle Welt nach Atlanta schauen, wo die Olympischen Sommerspiele stattfinden. Kapitel 1 der Olympischen Charta verbietet jegliche Form der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, und dennoch schließen zahlreiche Nationale Olympische Komitees Frauen bei der Nominierung ihrer Olympiateams aus. Ich habe darüber mit dem Präsidenten unseres Nationalen Olympischen Komitees gesprochen und darauf gedrängt, daß das NOK seinen Einfluß im IOC geltend macht, damit dort - denn das ist das Gremium, das Sanktionen gegen solche Länder aussprechen kann - entsprechende Sanktionen geprüft und angewendet werden. ({8}). Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Diskussionsprozeß über Maßnahmen für die Umsetzung der Aktionsplattform hier in Deutschland hat begonnen. Ich habe diesen Prozeß unter das Motto „Gleichberechtigung, Partnerschaft, Teilhabe" gestellt. Mein Haus wird alle Vorschläge und Maßnahmen zusammentragen und auch Ansprechpartner für die Nichtregierungsorganisationen sein. Ich selbst werde in den nächsten Monaten die notwendigen Gespräche führen. Die Inhalte der Aktionsplattform und die nationalen Strategien müssen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Dazu wird eine breit angelegte Kampagne beitragen, die nicht nur informieren, sondern vor allen Dingen auch motivieren soll. Liebe Kollegen und Kolleginnen, lassen Sie mich in Abwandlung eines alten spanischen Sprichworts sagen: Schau dir an, welche Stellung die Frauen in einer Gesellschaft haben, und du kannst sehen, ob dieses Land Zukunft hat. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, habe ich folgendes mitzuteilen: Interfraktionell ist vereinbart, die Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen „Kein Gesetzesbruch bei der Umsetzung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes" - Drucksache 13/4372 zu erweitern. Der Antrag soll zusammen mit dem laufenden Tagesordnungspunkt behandelt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Als nächste spricht Kollegin Dr. Edith Niehuis.

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Die Weltfrauenkonferenz in Peking ist über ein halbes Jahr vorbei, und erst jetzt haben wir die Gelegenheit, im Bundestag darüber zu debattieren. Ich denke: reichlich spät. ({0}) Die Vierte Weltfrauenkonferenz wurde in den ersten Kommentaren als erfolgreich gewertet, und das auch zu Recht. Es ist zu begrüßen, daß es erstmalig gelungen ist, zum Beispiel das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau in einem internationalen Dokument festzuschreiben. Es ist zu begrüßen, daß Gewalt gegen Frauen zu einem Schwerpunktthema gemacht und als Menschenrechtsverletzung eingestuft wurde, und es ist zu begrüßen, daß Versuche, die Anerkennung der Frauenrechte als Menschenrechte einzuschränken, erfolgreich abgewehrt werden konnten. ({1}) Dies und vieles mehr in der umfangreichen Aktionsplattform ist hilfreich, begrüßenswert und schreit nach nationaler Umsetzung. Allerdings ist die Aussage, die Vierte Weltfrauenkonferenz war ein Erfolg, auch zu hinterfragen. Wir würden dann bereits als Erfolg werten, daß schon einmal Beschlossenes nicht ernsthaft in Frage gestellt werden konnte. Wir würden dann bereits als Erfolg werten, daß es gelungen ist, ein weltweites Zurück für Frauen zu verhindern. Kollegen und Kolleginnen, um es deutlich zu sagen: Eine solche politische Bescheidenheit haben die Frauen der Welt nicht verdient. ({2}) Weil es aber auf der Vierten Weltfrauenkonferenz massive Versuche gab, eine neue Bescheidenheit und Unterwürfigkeit von Frauen wieder einzufordern, muß uns eines aus Peking in Erinnerung bleiben: Wir Frauen haben erneut gelernt, daß wir uns nie auf einmal errungenen Rechten ausruhen dürfen, sondern daß wir diese Rechte immer wieder neu einklagen müssen. Darum hat die Vierte Weltfrauenkonferenz ganz eindrucksvoll gezeigt, daß wir in jedem Fall auch eine Fünfte Weltfrauenkonferenz brauchen. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich in diesem Sinne bei den Vereinten Nationen einzusetzen. ({3}) In Peking wurde eine Aktionsplattform mit 361 Punkten verabschiedet. Die Regierungen dieser Welt haben eine Verpflichtungserklärung abgegeben. Deutschland und Europa haben zugestimmt. Das heißt, Frauen können die Bundesregierung, aber auch Europa beim Wort nehmen und die Umsetzung der einzelnen Beschlüsse einfordern. Allerdings hat sich in der Bundesrepublik, Weltfrauenkonferenz hin, Weltfrauenkonferenz her, bei der Politik seither nichts verändert. Was das bedeutet, hat die Bundesregierung uns gleich ein paar Wochen nach der Weltfrauenkonferenz vorgeführt. Die Tinte unter der Pekinger Aktionsplattform war noch nicht trocken, da legte sie in Brüssel als einziges Land ihren Widerspruch gegen das Vierte Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Frauen und Männern ein. ({4}) Schneller und deutlicher konnte man gegenüber der Weltfrauenkonferenz nicht wortbrüchig werden. ({5}) Wenn die Bundesregierung meint - was sie behauptet -, die nationale und nicht die EU-Ebene sei hier gefordert, dann frage ich: Wo bleiben die nationalen Programme? Weit und breit ist keine Initiative zu. sehen. ({6}) Statt dessen betonte Ministerin Nolte auf der nationalen Nachbereitungskonferenz im März dieses Jahres noch einmal die Wichtigkeit, die Förderung der Chancengleichheit als Ziel für die Union im EG-Vertrag zu verankern. Die Ministerin muß aber zugeben, daß die Bundesregierung bis heute kein Konzept hat, dieses Ziel zu erreichen. Immer nur Worthülsen! Das, denke ich, haben Frauen satt. ({7}) Schon ein paar Monate nach Peking haben wir also Grund genug, Sie an die Erklärung von Peking zu erinnern, in der steht: Wir verabschieden hiermit die nachstehende Aktionsplattform und verpflichten uns als Regierungen zu ihrer Umsetzung. Sie als Regierung sind rechenschaftspflichtig und niemand sonst. ({8}) Sie müssen sich dieser Verantwortung nur stellen. Fachleuten war immer klar, daß die Weltfrauenkonferenz - so war es seitens der UN auch gewollt - als kompakter Prozeß gesehen werden muß, von der Vorbereitung bis zur Nachbereitung. Doch von solch einem erfolgversprechenden kompakten Prozeß ist in Deutschland keine Rede. Die Bundesregierung hat alle Strukturen, die in der Vorbereitungsphase ihre Arbeit geleistet haben, nach der Weltfrauenkonferenz zerschlagen. Es gibt keine Geschäftsstelle mehr, es gibt kein nationales Komitee mehr, und es gibt keine der zwölf inhaltlich arbeitenden Gruppen mehr. Die Bundesregierung beschränkt sich darauf - wie auch Sie, Frau Nolte, in Ihrer Rede -, mit dem mahnenden Finger auf alle anderen zu zeigen - auf Länder, auf Arbeitgeber, auf Gewerkschaften, auf die ganze Gesellschaft -, um die Umsetzung der Aktionsplattform von Peking einzufordern, vermeidet es aber, eine verbindliche Zusage zu machen. Das können wir aber erwarten. ({9}) Frau Nolte, Sie haben auch die nationale Nachbereitungskonferenz erwähnt. Das war doch nur eine Eintagsfliege. Heute bestehen die Fragen, die es auch vor der Konferenz gab, fort. Niemandem ist klar, was die Bundesregierung selber aus der Aktionsplattform für Frauen gesetzgeberisch umsetzen will. Niemandem ist klar, wie die nationale Umsetzungsstrategie mit termingebundenen Zielen und Richtwerten bis Ende dieses Jahres aussehen soll. Ich denke, es wird Zeit, daß Sie nicht nur an andere appellieren, sondern daß Sie selber Maßnahmen und Vorschläge einbringen und dann auch umsetzen. ({10}) In der Aktionsplattform heißt es: Die Umsetzung der Aktionsplattform ist in erster Linie eine Aufgabe der Regierungen. Engagement auf höchster Ebene ist dafür unabdingbar. Was im Moment von Ihrem Engagement für Frauen zu halten ist, zeigt anschaulich Ihr politischer Umgang mit dem Thema „Gewalt gegen Frauen". Unbestritten war das Thema „Gewalt gegen Frauen" eines der Hauptthemen auf der Vierten Weltfrauenkonferenz. Auch die Situation in Deutschland ist bedenklich. Eine vom Bundesfrauenministerium in Auftrag gegebene Untersuchung hat ergeben, daß jede siebte Frau zwischen 20 und 59 Jahren seit ihrer Kindheit mindestens einmal vergewaltigt oder sexuell genötigt worden ist. Etwa drei Viertel der Gewaltakte sind im sozialen Nahbereich angesiedelt. Etwa 350 000 Frauen sind zwischen 1987 und 1991 von ihrem Ehemann vergewaltigt worden. Das sind Gewaltopfer, die von unserem Strafrecht nicht geschützt werden, sondern unser Strafrecht schützt die Gewalttäter. Seit Jahren legt die SPD-Bundestagsfraktion Anträge vor, die Vergewaltigung in der Ehe wie jede andere Vergewaltigung unter Strafe zu stellen. Doch CDU/CSU und F.D.P. lehnen bis heute eine angemessene strafrechtliche Regelung ab. Ihr Verhalten, meine Damen und Herren von der Koalition, macht mir deutlich, daß unser Strafrecht in den Paragraphen zur sexuellen Gewalt einen systematischen und für Frauen verhängnisvollen Fehler hat. Vergewaltigung ist nicht, wie unser Strafrecht suggeriert, eine abartige Form des Sexualaktes, sondern ist schlicht und einfach ein Gewaltakt. ({11}) Darum müssen wir nicht nur die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellen, sondern müssen auch darüber nachdenken, wie wir Vergewaltigung im Strafrecht neu definieren können. Auch in einem zweiten Fall begünstigt unser Recht, daß Frauen den Gewalttaten ihres Ehemannes schutzlos ausgesetzt sind. Das gilt für ausländische Ehefrauen, denen wir auch in solchen Härtefällen kein eigenständiges Aufenthaltsrecht zugestehen. Wir erwarten vielmehr immer eine bestimmte Dauer der Ehe. Wissen Sie, was wir diesen Frauen im Moment sagen? Blaugeschlagene Augen wirst du in Deutschland hinnehmen müssen, ein paar Jahre noch, bis die Frist abgelaufen ist. Willst du das in deiner Ehe nicht hinnehmen, dann weisen wir dich einfach aus. - Eine skandalöse Menschenrechtsverletzung ist das. ({12}) Weil dies so ist, weil den betroffenen Frauen schnellstens geholfen werden muß und weil sich Politik nicht nur auf folgenlose Worthülsen beschränken darf, stellt die SPD-Bundestagsfraktion heute einen entsprechenden Antrag zur Änderung des § 19 des Ausländergesetzes zur Abstimmung. Ich weiß, daß viele Frauen in der CDU-Fraktion - von Frau Süssmuth bis hin zu Frau Nolte - und in der F.D.P.-Fraktion mit uns einer Meinung sind. Darum appelliere ich an Sie: Denken Sie an die mißhandelten Frauen, geben wir ihnen heute gemeinsam das Menschenrecht, das ihnen auch in Deutschland zusteht! Lassen Sie sich bei dieser Entscheidung von Ihrem Gewissen als Abgeordnete leiten! ({13}) Frieden, Demokratie und Entwicklung sind ohne die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen nicht mögDr. Edith Niehuis lich. Das ist der Geist, der von der Aktionsplattform ausgeht. Darum formuliert die Aktionsplattform - ich zitiere -: Die Machtgleichstellung der Frau und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sind Grundvoraussetzungen für die Herbeiführung politischer, sozialer, wirtschaftlicher, kultureller und ökologischer Sicherheit unter allen Völkern. Viele wissen, daß der Fortbestand dieser Welt an dem überdurchschnittlichen Arbeitseinsatz der Frauen hängt, an ihren Erfahrungen, an ihrem Wissen. Zugleich werden Frauen an der Entfaltung ihrer Möglichkeiten durch von Menschen, oder besser: von herrschenden Männern gemachte diskriminierende Rahmenbedingungen gehindert. Zu Recht ist darum das Wort „empowerment" zu einem Schlüsselwort nicht nur der Vierten Weltfrauenkonferenz geworden. „Empowerment" kann man vielleicht als den Auftrag umschreiben: Räumt die von Männern gemachten, Frauen behindernden und diskriminierenden Rahmenbedingungen und Strukturen weg, damit auch Frauen ihre Möglichkeiten, ihre Autorität, ihre Macht, ihre Menschenrechte entfalten können. ({14}) Dieses Wegräumen, sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, ist nicht ein Auftrag an irgend jemanden, sondern zuallererst der Auftrag an die herrschende Politik. ({15}) Wir stehen vor einer Situation, in der Frauen die Erinnerung an die Weltfrauenkonferenz ganz dringend brauchen werden. Viele von ihnen erleben schon seit Jahren die zunehmende soziale Kälte in der Republik: die Alleinerziehende, die mangels Alternativen auf Sozialhilfe angewiesen ist; die Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten, die für ihre Arbeit durchschnittlich nur zwei Drittel des Lohnes eines Mannes bekommen; die über 65jährigen Frauen, von denen viel zu viele von der Rente nicht leben können; die Millionen Frauen, für die diese Gesellschaft nur noch sogenannte geringfügige Beschäftigungsverhältnisse anbietet, wodurch eine neue Altersarmut der Frauen vorprogrammiert wird; die Millionen arbeitslosen Frauen, die gar nicht die Chance bekommen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Diese Frauen erleben seit langem, daß sich bei uns die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet und daß insbesondere Frauen und Kinder immer mehr Opfer bringen müssen. Meine Damen und Herren von der Koalition, in einer Zeit, in der Frauen, ob erwerbstätig oder nicht, spätestens im Rentenalter merken, daß an ihnen als Mütter alles hängengeblieben ist, nur keine gute Rente, wollen Sie als CDU/CSU und F.D.P. gerade bei den Frauen sparen und das Rentenalter für diese sofort hochsetzen. Deutlicher kann man die Geringschätzung der Lebensleistung von Frauen nicht zum Ausdruck bringen. ({16}) Sie als Bundesregierung sind auf dem besten Wege, die Rahmenbedingungen für Frauen, ob alt oder jung, nicht zu verbessern, sondern weiterhin zu verschlechtern. Mutterschaft, Elternschaft und die Rolle der Frau bei der Fortpflanzung dürfen weder als Grund für Diskriminierung dienen noch die volle Teilhabe der Frauen in der Gesellschaft einschränken. Um diesen Satz aus der Aktionsplattform umzusetzen, brauchen Frauen eine helfende Politik - auch bei uns. Frau Nolte, natürlich sind außer dem Staat noch viele andere gefordert, mitzumachen: Institutionen aller Art, Tarifparteien und jeder einzelne Mensch, insbesondere die Männer. Glauben Sie aber wirklich, irgend jemand nimmt Ihre Appelle zum Mitmachen ernst, wenn Sie als Bundesregierung nicht als Vorbild voranschreiten und zum Nachmachen motivieren? ({17}) Wir brauchen das Engagement auf höchster Ebene und kein Blockieren. Wenn dies nicht kommt, dann werden viele, die wir für das Mitmachen so dringend brauchen, das tun, was Ihnen eine Sprecherin der Nichtregierungsorganisationen auf der nationalen Nachbereitungskonferenz gesagt hat. Sie hat gesagt: Selbstorganisierte Frauengruppen an der Basis möchten jedoch nicht als frauen- und sozialpolitische Feuerwehr eingesetzt werden, wo der Staat sich aus seiner sozialen Verantwortung verabschiedet. Verbände vor Ort, die Sie gelobt haben, sind nicht diejenigen, die für Sie die Arbeit machen. Dies kann viel besser hier in Bonn gemacht werden; vor Ort kann es viel schwieriger aufgefangen werden. Damit es nicht soweit kommt, daß sich alle, nicht nur die Bundesregierung, verweigern, die Aktionsplattform der Weltfrauenkonferenz umzusetzen, erwarten wir von Ihnen einen nationalen Aktionsplan - und den hätte ich schon heute erwartet -, dessen Umsetzung wir im Parlament jährlich überprüfen können. ({18}) Wenn Sie meinen, die Frauenfrage auch einfach irgendwo hinschieben zu können: Nein, das können Sie nicht. Die Vierte Weltfrauenkonferenz erwartet, daß es den Frauen im Jahre 2000 erheblich besser gehen soll. Also fangen Sie an! ({19})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Kollegin Rita Grießhaber.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frauenrechte sind Menschenrechte. Das war eines der Hauptthemen auf der Weltfrauenkonferenz, und die Frauen haben weltweit die Menschenrechtsfrage aus ihrer Sicht neu aufgeworfen. Sie haben das in China getan, und sie haben damit China selbst zum Thema gemacht. Leider, Frau Nolte, findet Ihr mutiges Eintreten für die Menschenrechte in China keine Entsprechung in der China-Politik der Bundesregierung. ({0}) Diese beeindruckt noch nicht einmal der UN-Bericht über die Folter in China. Wo vermeintlich riesige Märkte winken, verstummt die Kritik an der massiven Verletzung der Menschenrechte. ({1}) Die Aktionsplattform von Peking bekräftigt, daß Frauenrechte ein integraler Bestandteil der universellen Menschenrechte sind. Die Bundesregierung hat diese Aktionsplattform mit unterzeichnet und trägt Verantwortung für ihre Umsetzung. Es ist auch kein Zufall, wenn in einer Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen, wo Konflikte eskalieren, in der Plattform gefordert wird, daß Frauen an allen Formen, auf allen Ebenen an Friedensaktivitäten beteiligt werden müssen. Das gilt auch für die schwierige Wiederaufbauarbeit im ehemaligen Jugoslawien. Frauen haben dort als Kritikerinnen des Krieges eine besonders aktive Rolle gespielt. Sie müssen am dortigen Friedensprozeß angemessen beteiligt und dazu motiviert werden, Ämter und Mandate zu übernehmen. Frauen haben als Teil der Zivilbevölkerung viel Leid in diesem Krieg getragen. Sie wurden vertrieben, vergewaltigt und in Zwangsbordelle entführt. Vergewaltigungen, meine Damen und Herren, waren immer Bestandteil bewaffneter Konflikte, und gleichzeitig waren und sind sie das am wenigsten geächtete Kriegsverbrechen. Die ersten Anklagen des Chefanklägers des UN-Kriegsverbrechertribunals lassen hoffen, daß der Verfolgung dieser Verbrechen jetzt mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Hier muß sich in den Köpfen viel bewegen. Polizisten und Soldaten, die in Konfliktgebiete entsandt werden, wissen oft nicht, wie sie Opfern von Vergewaltigung oder traumatisierten Personen begegnen sollen. Wir wollen, daß die deutschen Truppen, die sich gegenwärtig im ehemaligen Jugoslawien befinden, ein ihrer Aufgabe angemessenes Gender-Training erhalten. ({2}) Die Beschlüsse von Peking müssen auf nationaler Ebene zügigst umgesetzt werden. Frauen haben in diesem Land das Schneckentempo bei der politischen Vertretung ihrer Interessen gründlich satt. ({3}) Um diesen Prozeß in -Gang zu bringen, wäre die nationale Nachbereitungskonferenz der richtige Ort gewesen. Aber von dort ging doch alles andere als eine Aufbruchstimmung aus. Ihr Konzept, Frau Nolte, Verantwortungsträger aus Politik, Forschung, Medien und Wirtschaft zu dieser Konferenz einzuladen, war richtig. Nur wurden Sie dabei doch im Stich gelassen. Der Medienvertreter, WDR-Intendant Pleitgen, sagte ebenso ab wie der Chef des Arbeitgeberverbandes Murmann oder die stellvertretende DGB-Vorsitzende Engelen-Kefer. Ganz ohne Verantwortung tragende Prominenz mußten wir allerdings nicht auskommen. Immerhin kam der Vertreter der Deutschen Forschungsgemeinschaft Frühwald. Was hätten wir nicht gerne alles von ihm erfahren! Die Deutsche Forschungsgemeinschaft als größte Einrichtung staatlicher Forschungsförderung hat nur wenige weibliche Mitglieder in den Ausschüssen, die über verschiedene Förderprogramme beschließen. 5,4 Prozent der bewilligten Anträge in den Naturwissenschaften und ganze 1,8 Prozent in den Ingenieurwissenschaften betrafen in den letzten vier Jahren Frauen. Kein Wunder, daß Herr Frühwald es angesichts dieser Zahlen vorzog, über Geschlechtsrollentausch-Phantasien in der Frauenliteratur der 70er Jahre zu referieren, statt sich der politischen Realität der 90er Jahre zu stellen. Frau Nolte, nicht nur von ihm hätten wir an diesem Tag gerne mehr und Konkreteres gehört. Ich verstehe, daß Sie angesichts der gigantischen Haushaltslöcher Ihres Kabinettskollegen Waigel nicht mit Stellenversprechungen aufwarten konnten, aber auch die Fragen der Nichtregierungsorganisationen ließen Sie ins Leere laufen. Von Ihnen kam keine Geste, nicht die kleinste. Wo ist Ihr nationales Umsetzungskonzept? Auf allen UN-Konferenzen der letzten Jahre wurde gefordert, die Nichtregierungsorganisationen einzubeziehen. Einbeziehen heißt aber nicht, ihr Fachwissen in Anspruch zu nehmen, ihnen mit warmen Worten zu danken und es dabei zu belassen. Das vierte Europäische Förderprogramm wurde auf Grund Ihrer Initiative, also der Initiative der Regierung, um die Hälfte gekürzt. Sie haben sich dabei auf das Subsidiaritätsprinzip berufen, das heißt: Für Dinge, die wir auf nationaler Ebene selbst erledigen können, brauchen wir keine EU-Kompetenz. - Dann zeigen Sie doch, daß Sie Ihren Ansprüchen an das Subsidiaritätsprinzip gerecht werden! Stellen Sie die gekürzten Mittel für die nationale Ebene zur Verfügung und betreiben Sie Frauenförderpolitik so, daß europäische Programme wirklich unnötig werden! ({4}) Statt dessen betreiben Sie hier eine frauenpolitische Politik, die uns zum europäischen Schlußlicht werRita Grießhaber den läßt. Das belegen die Zahlen leider eindrucksvoll. Die politischen Entscheidungen, die Sie hier treffen, sind überwiegend in Männerrunden getroffene Entscheidungen. Die Aktionsplattform von Peking aber fordert die Beteiligung von Frauen als Maßstab für alle Ebenen. Das ist ein Erfolg für die Frauen weltweit. Nur wir hier haben bei der nationalen Umsetzung Stillstand bis Rückschritt: Stillstand beim eigenständigen Aufenthaltsrecht für ausländische Ehefrauen, die trotz Mißhandlung und Gewalt nicht hierbleiben dürfen - wo sind Ihre Anträge, um hier heute darüber abzustimmen, daß dies geändert wird? -, ({5}) Rückschritt beim Vorhaben der bayerischen Landesregierung, die bei der Umsetzung des Abtreibungsrechts die Inquisition wiederaufleben lassen will. Das ist eine Ohrfeige in das Gesicht aller Frauen in diesem Land und ein eklatanter Verstoß gegen die bundesdeutsche Regelung. Das werden wir nicht hinnehmen. ({6}) Das Schöne an einer Rede innerhalb der Kernzeit des Parlaments ist, daß etwas mehr Entscheidungsträger im Plenum sitzen als normalerweise bei Frauendebatten. ({7}) Wir wissen, Papier wie die Aktionsplattform von Peking ist geduldig. Deswegen mein Appell an Sie alle: Lassen Sie endlich und schnell Taten folgen. Worte haben wir genug gewechselt. Vielen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern berichtete im Unterausschuß Menschenrechte und humanitäre Hilfe ein Kollege über eine Reise in ein afrikanisches Land. Es wird mir sicherlich unvergeßlich bleiben, mit welcher Begeisterung er davon sprach, dort gesehen zu haben, wie Frauen das Überleben der Familien in der überwiegenden Zeit des Jahres garantierten, daß sie die besseren Kreditnehmer seien und daß sie die Aufgabe der Krisenbewältigung hätten. Ich wünsche mir, daß noch viele Kollegen in dieser Welt herumreisen, um wirklich wahrzunehmen, wie die Stellung und die Aufgaben von Frauen in der Welt aussehen: viel Verantwortung für das Überleben der Familie; die entscheidende Verantwortung in der Krise; aber wenig Macht, ihre eigene Position durchzusetzen. Das aber ist das Ziel - das muß das Ziel sein - der Umsetzung all dessen, was im Rahmen der Vereinten Nationen für Frauen in den verschiedenen Dokumenten niedergelegt worden ist. Die Plattform der Frauenkonferenz in Peking, das Ergebnis der Bevölkerungskonferenz in Kairo, das Ergebnis der Menschenrechtskonferenz in Wien - all dieses, liebe Kolleginnen und Kollegen, muß dazu führen, Strategien für geteilte Verantwortung zwischen Männern und Frauen und geteilte Macht zwischen Männern und Frauen zu entwickeln. ({0}) Hier sollte eigentlich die Debatte heute ansetzen: weniger an der Vergangenheitsbewältigung - da ist sicherlich nicht alles ideal gelaufen -, sondern daran, welche Strategien und welche Instrumente wir zur Umsetzung der vielen guten Forderungen haben, die in diesen Dokumenten nicht nur für die Frauen in den industrialisierten Ländern, sondern auch für die Frauen weltweit aufgestellt worden sind. Frau Nolte, ich begrüße es nachdrücklich, daß Sie eine Nachbereitungskonferenz einberufen haben und daß auch eine im wesentlichen gut gelungene - im wesentlichen; kleine Einschränkungen gibt es immer - erste Diskussionsrunde stattgefunden hat. Aber ich wünsche mir natürlich, daß für eine offene Diskussion all dessen, was in Deutschland notwendig ist, auch Vorschläge vom Frauenministerium kommen, die dann diskutiert werden können. Politik muß auch eine Leitfunktion haben, was die Strategien zur Umsetzung einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in der Gesellschaft, in der Politik und in der Wirtschaft anbetrifft. Innenpolitisch hat die Frauenpolitik gerade in den letzten Jahren eine neue Richtung bekommen. Die nächste Frauengeneration geht mit sehr viel mehr Selbstbewußtsein, als das etwa vor einer Generation bemerkbar war, in die Auseinandersetzung um Verantwortung und Macht. Die jungen Frauen wissen, daß sie Leistung bringen, sie wissen, daß sie in vielen Fällen bessere Abschlüsse als die Männer haben und daß sie deswegen besser prädestiniert sind, auch Verantwortung und die damit verbundene Macht zu übernehmen. Sie lassen sich deshalb nicht bevormunden, sondern sie nehmen ihre freie Entscheidung wahr: Diese kann ausschließlich für die Familie ausfallen, diese kann ausschließlich für den Beruf ausfallen, aber in den meisten Fällen findet eine Verknüpfung von Familie und Beruf statt. Deswegen bleibt nach wie vor die Umsetzung folgender Forderung wichtig: Garantie des Kindergartenplatzes für alle Kinder ab dem dritten Lebensjahr - eine Forderung, deren Umsetzung durch die Tatsache, daß Länder und Gemeinden zu lange geglaubt haben, sie könnten sie immer wieder wegdrücken und wegschieben, nicht schnell genug vorangekommen ist, die aber jetzt in der beschlossenen Form verwirklicht werden muß. Was zu beobachten ist, ist eine Verbürokratisierung der Frauenförderpolitik. ({1}) Arbeitsgemeinschaften von Gleichberechtigungsstellen auf Länder- und Bundesebene, die Abstimmung von Frauenförderplänen, die möglicherweise gesetzliche Normierung von Frauenförderplänen - all dieses muß doch zu den Fragen verleiten, was wir sinnvollerweise in bezug auf Frauenförderung tun und welche staatlichen Institutionen wir sinnvollerweise errichten können, an die sich Frauen wenden können, wenn sie sich in ihren Rechten eingeschränkt fühlen. Aber mit Sicherheit liegt die Lösung nicht in dieser Art von Verbürokratisierung der professionellen Frauenpolitik, die nach meiner Erfahrung in vielen Fällen an dem Bewußtsein und den Bedürfnissen gerade junger Frauen völlig vorbeigeht. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Rita Grießhaber?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Schwaetzer, glauben Sie nicht auch, daß wir diese verbürokratisierte Frauenpolitik, wie Sie es nennen, gar nicht bräuchten, wenn die Frauen andere Teilhabechancen hätten und einfach die Stellen bekämen, wie das in anderen Ländern der Fall ist, in denen sie - nehmen Sie Frankreich oder die südeuropäischen Länder - einen größeren Teil der Beschäftigten in der Wirtschaft und in der Politik stellen? Es gibt dort einen höheren Frauenanteil. Wenn die Frauen selbstverständlich „drin" sind, dann braucht man auch keine bürokratischen Mittel, um zu versuchen, sie hineinzubekommen. Können Sie da zustimmen?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, dem kann ich natürlich nicht zustimmen, weil ich sehe, daß die Verbürokratisierung den Frauen nicht dient. Ich will ja genau wie Sie, daß da endlich viel mehr Frauen als heute zum Zuge kommen. Nur, die Instrumente, so wie sie jetzt eingeführt sind und sich „eingebürgert" haben, tragen nach meiner Beobachtung nun gerade nicht mehr dazu bei. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam im Ausschuß überlegen, wie man das vielleicht verbessern kann. Ein ganz wichtiger Punkt in bezug auf bessere Chancen für Frauen auch auf dem Arbeitsmarkt ist natürlich die Überprüfung des Arbeitsrechts. Ich weiß, daß wir uns hier immer auf einem sehr schmalen Grat bewegen: Was ist notwendiger Schutz für Frauen, auch in ihrer Funktion und bei ihrem Auftrag als Erzieherinnen? Wo dient er nur dazu, Frauen von wirklich interessanten Positionen fernzuhalten? Die Mechanismen und Methoden, die dabei angewendet werden, sind durch Gesetze überhaupt nicht mehr zu kontrollieren. Deswegen lassen Sie uns, meine Kolleginnen und Kollegen, auch bei der jetzt notwendigen Überprüfung des Arbeitsrechts im Zusammenhang mit der Diskussion über den schlanken Staat tabufrei diskutieren und auch Entscheidungen treffen, die im Interesse der Frauen bessere Einstellungsmöglichkeiten garantieren. ({0}) - Bei der SPD heißt das: Alles so beibehalten wie bisher und sich nicht um diejenigen kümmern, die draußen stehen. ({1}) Sie kümmern sich doch immer nur um die, die „drin" sind - die wollen Sie maximal schützen -, aber nicht um die, die draußen stehen. ({2}) Lassen Sie uns weiter darüber streiten, wie wir bessere Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt schaffen. Ich appelliere nachdrücklich an Herrn Waigel und die Bundesregierung, den Haushalt als Arbeitsplatz für Männer und Frauen nicht durch unrealistische Zahlen kaputtzurechnen. ({3}) Das, was da an Steuerausfällen im Finanzministerium berechnet wird, kann doch nur dem einen Ziel dienen: alles so zu belassen, wie es bisher war, weil es für die Finanzpolitiker so bequem gewesen ist. Damit können wir uns nicht einverstanden erklären. ({4}) In einem Punkt wird meiner Meinung nach in weiten Bereichen an dem, was in Deutschland Realität ist, vorbeidiskutiert - und das betrifft die 590-DM-Arbeitsplätze. Für sehr viele Frauen ist dies eine gewünschte und in vielen Fällen auch notwendige Art des Zuverdienstes. Wer diese Arbeitsplätze zusätzlich mit Abgaben belastet, wird dafür sorgen, daß sie verschwinden. ({5}) Das kann nicht im Interesse der Frauen sein. - Daß es da auch Fehlentwicklungen gibt, wird überhaupt nicht bestritten. - Unterhalten Sie sich doch mal mit denjenigen, die sich aus ganz unterschiedlichen Gründen weigern, einen voll sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz anzunehmen, darüber, was sie von Ihren Plänen halten, die 590-DM-Arbeit kaputtzumachen! ({6}) Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren: Gewalt gegen Frauen. Frauen leiden ganz besonders unter Gewalt. Frauen sind mit ihren Kindern die ganz besonders Betroffenen im Krieg. Deswegen müssen wir einen Schutz vor Vergewaltigung aufbauen. Ich wünsche mir, daß sich die Koalition in dieser Woche endlich zusammenreißt, damit wir in der nächsten Woche das Gesetz zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe verabschieden können. Es hat lange genug in den Archiven und Schubladen geschlummert. Dieses Gesetz muß endlich verabschiedet werden. ({7}) Ich bitte die Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß Frauen, die in Kriegsverbrecherprozessen in Den Haag aussagen, einen kompletten Zeuginnenschutz haben - nicht nur für die Zeit, in der sie aussagen, sondern auch für die Zeit danach, was derzeit nicht gewährleistet ist. ({8}) Ich bitte die Bundesregierung außerdem, dafür zu sorgen, daß das Prinzip „Frauenrechte sind Menschenrechte" wirklich durchgesetzt wird. Das ist längst nicht ausgestanden. Ich sehe in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder auch die Tendenz, manchen islamischen Staaten nachzugeben, die sich darauf berufen, religiöse Traditionen zu haben, die aber zu nichts anderem dienen, als Frauen ihre Menschenrechte vorzuenthalten. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit!

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich höre sofort auf, Frau Präsidentin. Andere islamische Staaten agieren anders. Deswegen geht es in unserem „Olympiaantrag", in dem wir fordern, die Staaten von Olympischen Spielen auszuschließen, die Frauen nicht zulassen, nicht darum, diesen Ländern unsere Traditionen aufzuzwingen, sondern es geht darum, daß diese Länder ihre Frauen nicht diskriminieren. Es lohnt sich, sich dafür einzusetzen. Ich bin davon überzeugt, daß die Bundesregierung

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin!

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- wie sie das in der Vergangenheit getan hat - auf der Menschenrechtskonferenz in Genf auch das Thema der Frauenrechte weiterhin zu ihrem Thema machen wird. Ich bitte sie nachdrücklich darum. Wir brauchen das. Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sieben Monate nach Abschluß der Vierten Weltfrauenkonferenz müßte es an der Zeit sein, die unverbindlichen Bekenntnisse zu beenden und dem nationalen Nachfolgeprozeß endlich konkrete Gestalt zu geben. „Die Hauptverantwortung für die Umsetzung der strategischen Ziele der Aktionsplattform liegt bei den Regierungen", heißt es mehrfach in dem 361 Paragraphen umfassenden Abschlußdokument. Zu Recht hat die Bundesfrauenministerin auf der nationalen Nachbereitungskonferenz im März festgestellt, daß verbindliche Zusagen und wirksame Selbstverpflichtungen den Erfolg von Peking bestimmen werden. Es sind vor allem Frauen aus dem Süden, die auf schwerwiegende Defizite der Verhandlungsergebnisse hingewiesen haben. Die Kritik an Strukturanpassung und Marktwirtschaft wurde unter den Teppich gekehrt, um den Status quo der internationalen Wirtschaftsordnung zu retten. Es findet sich kein Hinweis auf die Strukturen der Geschlechterbeziehungen, die die unbezahlte Hausarbeit von Frauen ausbeuten und gleichzeitig den Zugang von Frauen zu bezahlter Beschäftigung außerhalb des Haushaltes einschränken. Es gab keine Bereitschaft, anzuerkennen, daß das gegenwärtige globale Modell wirtschaftlichen Wachstums keine günstige Voraussetzung für die Beseitigung von Armut, für die Schaffung produktiver Beschäftigung oder für die Förderung sozialer Integration darstellt. Das wirtschaftliche und politische „empowerment" von Frauen bezieht sich nur auf kleinere Verbesserungen ihres Status innerhalb der Parameter einer in sich hierarchischen Struktur. Theorie und Praxis, das heißt Wortlaut der Pekinger Aktionsplattform und das Wirksamwerden politischer Entscheidungen im Alltag von Frauen, müssen aber nicht automatisch auseinanderklaffen. Beispiel eins: § 178 fordert ... Erlaß und Durchsetzung von Gesetzen und Erarbeitung von Arbeitsplatzpolitiken gegen geschlechtsbedingte Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und die Beseitigung der systemimmanenten Diskriminierung der Frauen im Erwerbsleben. Ein erster daraus abzuleitender wirksamer gesetzgeberischer Schritt wäre die Aufhebung von frauendiskriminierenden Vorschriften im Arbeitsförderungsgesetz. Ich nenne nur: Beitragspflicht für alle Beschäftigungsverhältnisse, Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung und Pflege sowie Abschaffung von Verfügbarkeitsregelung und Bedürftigkeitsprüfung. Die geschlechtsspezifische Spaltung des Arbeitsmarktes kann allerdings nur überwunden werden, wenn es erstens zu einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung kommt - denn nur auf diesem Wege kann es zu einer gerechteren Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern kommen - und wenn zweitens Arbeitsmarktpolitik endlich mit Wirtschafts- und Strukturpolitik verknüpft wird. ({0}) Beispiel zwei: § 179 fordert die Sicherstellung, ... daß Teilzeit-, Aushilfs-, Saison- und Heimarbeiter in den Genuß eines angemessenen arbeitsPetra Bläss rechtlichen Schutzes und entsprechender Sozialversicherungsleistungen gelangen. Ich weiß, Sie werden jetzt sofort ihre Dienstmädchenoffensive anführen. Es wäre aber ein fatales Signal, wenn die von der Bundesregierung vorgesehene verbesserte Möglichkeit zur Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten tatsächlich die einzige beschäftigungspolitische Initiative bleibt; denn damit würde nicht nur die geschlechtsspezifische Rollenzuweisung, sondern auch die weitere Spaltung dieser Gesellschaft in Arm und Reich zementiert. ({1}) Beispiel drei: § 232 fordert die ... Überprüfung und gegebenenfalls Änderung von Strafgesetzen und -verfahren im Hinblick auf die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, um sicherzustellen, daß sie Frauen wirksamen Schutz vor Verbrechen garantieren ..., unabhängig von der Beziehung zwischen Täter und Opfer. Das nenne ich eine konkrete Handlungsanweisung zur überfälligen Änderung der §§ 177 bis 179 des Sexualstrafrechts. Um das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zu schützen, muß die Vergewaltigung in der Ehe endlich der außerehelichen strafrechtlich gleichgestellt werden. Der Worte sind hier schon genug gewechselt. ({2}) Einige Anmerkungen zu dem PDS-Antrag „Einrichtung einer ständigen Kommission zur Umsetzung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" : Der Verweis auf dieses Übereinkommen als völkerrechtlich verbindliches Dokument zieht sich wie ein roter Faden durch die 162 Seiten der Pekinger Aktionsplattform. Es wird betont, daß es nach wie vor Defizite bei der Umsetzung der durch dieses Übereinkommen garantierten Rechte in innerstaatliches Recht gibt. Die Unterzeichnerstaaten werden aufgefordert, innerstaatliche Rechtsvorschriften, Politiken, Praktiken und Verfahren zu überprüfen, um sicherzustellen, daß sie ihren diesbezüglichen internationalen Verpflichtungen auf dem Gebiet der Menschenrechte Genüge tun. Solange die von den internationalen Menschenrechtsübereinkünften festgeschriebenen Menschenrechte der Frau im innerstaatlichen Recht wie auch in der innerstaatlichen Praxis nicht voll anerkannt und wirksam geschützt, angewandt, umgesetzt und durchgesetzt werden . . ., werden diese Rechte nur auf dem Papier bestehen. Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern aus dem - halten Sie sich fest - § 218 der Pekinger Aktionsplattform. Mit dieser Ziffer muß also nicht automatisch Frauenfeindlichkeit verbunden sein. In unserem Antrag fordern wir zunächst die Bundesregierung auf, ihrer mit der Ratifizierung des Übereinkommens eingegangenen Verpflichtung nachzukommen und den Vereinten Nationen regelmäßig über seine nationale Umsetzung Bericht zu erstatten. Veranlaßt dazu hat uns die diesbezügliche Praxis der letzten Jahre; denn die Berichterstattung der Bundesrepublik erfolgte weder termingerecht noch für die Öffentlichkeit transparent. Kernstück unserer Initiative aber ist die Einrichtung einer ständigen Kommission zur Umsetzung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau. Nach wie vor werden auch in der Bundesrepublik Frauen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens diskriminiert. Eine grundlegende Trendwende ist hier nicht in Sicht. Im Gegenteil: Seit 1990 sind insbesondere Ostfrauen in erschreckendem Maße mit struktureller Anpassung und Marginalisierung konfrontiert worden. Ich verweise nur auf so einen fundamentalen Bereich wie den der existenzsichernden Erwerbsarbeit oder auf den Verlust des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper, Stichwort: unendliche Geschichte des § 218, der die bayerische Landesregierung nunmehr ein weiteres trauriges Kapitel hinzugefügt hat. Die PDS unterstützt deshalb selbstverständlich den Antrag der Grünen, das Gesetzesvorhaben Bayerns zu mißbilligen. ({3}) Die gegenwärtigen, von der Bundesregierung forcierte Politik des Sozialabbaus und der Deregulierung zementiert die geschlechtsspezifischen Hierarchien dieser Gesellschaft wie die Spaltung des Arbeitsmarktes oder die fehlende eigenständige Existenzsicherung der Frau. Ob Arbeitslosenhilfereform, Asylbewerberleistungsgesetz, Novelle des Bundessozialhilfegesetzes oder 50-Punkte-Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze - sämtliche massiven Einschnitte in das System sozialer Sicherung stehen in unüberbrückbarem Gegensatz zu dem in der Pekinger Aktionsplattform formulierten Anliegen, ... alle Hindernisse zu beseitigen, die der aktiven Teilhabe der Frau an allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens entgegenstehen. Würde sich die Bundesregierung in ihrer praktischen Politik allein schon an § 240 der Aktionsplattform halten - alle Ministerien sind zu beauftragen, ihre Politik und Programme aus geschlechtsbezogener Perspektive und im Lichte der Aktionsplattform zu überprüfen -, müßten sämtliche Sparnovellen und -beschlüsse der letzten Zeit sofort zurückgenommen werden. Wir sind der Ansicht, daß die bisherigen Instrumentarien der Bundesregierung weder ausgereicht haben, aus den vorhandenen analytischen Grundlagen Strategien für die Bewältigung des Problems der Frauendiskriminierung abzuleiten, noch dazu, Strukturen und Mechanismen zu verändern. Deshalb erachten wir es als notwendig, daß beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine ständige Kommission zur Überprüfung des Standes der nationalen Umsetzung des Übereinkommens einberufen wird, deren Aufgabe sein soll, die Einhaltung der durch die Bundesrepublik eingegangenen Verpflichtungen zu überwachen und den zu erstelPetra Bläss lenden Bericht zu erarbeiten. Damit ein solches Gremium keine Alibiinstitution wird, müssen seine Rechte und Pflichten in einem Gesetzentwurf fixiert werden, der Mindeststandards enthalten soll, die den erforderlichen Rahmen für seine Arbeit schaffen. Nicht zuletzt die im Kapitel „Institutionelle Vorkehrungen" festgeschriebenen Handlungsanweisungen für die nationale Ebene bestätigen uns in diesem Anliegen. Einige Worte noch zum PDS-Antrag „Beobachterstatus des Vatikans bei den Vereinten Nationen": Wir haben hier übrigens eine alte Forderung von NGOs aus allen Erdteilen aufgenommen. Es gab und gibt eine internationale Kampagne, eine Petition, in der die UNO aufgerufen wird, den Status des Vatikans zu überdenken. Wir fordern in unserem Antrag die Bundesregierung auf, in der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution einzubringen, mit der die auf dem Beobachterstatus beruhenden Mitwirkungsrechte des Heiligen Stuhls innerhalb der Vereinten Nationen künftig auf die ihn direkt betreffenden Angelegenheiten zurückgeführt werden. Wir fordern, daß bei allen internationalen Aktivitäten der Vereinten Nationen, die sich explizit mit dem Geschlechterverhältnis befassen, dem Heiligen Stuhl auf Grund der durch ihn praktizierten Geschlechterapartheid solche Mitwirkungsrechte entzogen werden. ({4}) Gestatten Sie mir abschließend noch kurz ein Wort zur Zusammenarbeit mit den NGOs im Follow-upProzeß. Die Koalitionsparteien fordern begrüßenswerterweise in ihrem Antrag, „alle gesellschaftlichen Gruppen, die in der Aktionsplattform angesprochen werden, "

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, die Zeit ist weit überschritten.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- „in den Prozeß der Ausarbeitung nationaler Strategien oder Aktionspläne einzubinden". Lassen Sie mich mit einem Zitat des NRO-Frauenforums, eines entwicklungspolitischen Frauennetzwerkes, enden: Wünscht die Regierung ernsthaft einen Dialog mit zivilgesellschaftlichen Kräften, dann muß der Umgang zwischen Ministerien und NRO selbstverständlicher werden.... Voraussetzung dafür sind Transparenz und Informationsarbeit seitens der Regierung, regelmäßige Treffen und eine Verbesserung der strukturellen und finanziellen Arbeitsbedingungen einiger NRO. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir von Gleichstellung sprechen, meinen wir nicht, die Frau gleiche dem Manne. Wir finden sie von gleichem Wert. Diese Worte wurden nicht für die Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking verfaßt, sondern bereits im Jahre 1900 von einer französischen Frauenrechtlerin. Nach einer Reihe von Weltgipfeln und -konferenzen - Rio, Kairo, Kopenhagen - war Peking für die Frauen aus der ganzen Welt die wichtigste Konferenz. Peking war ein Erfolg. Es ist gelungen, die Weltöffentlichkeit auf die Belange der Frauen aufmerksam zu machen, und es ist in einzelnen Punkten gelungen, über das, was in früheren Frauenkonferenzen erreicht wurde, hinauszugehen. Es reicht jedoch nicht aus, daß diese Konferenz in die Geschichte eingeht. Für uns kommt es darauf an, was wir in Deutschland aus den Ergebnissen machen. Der Antrag, den wir heute einbringen, enthält dazu für uns wichtige Forderungen und Feststellungen. Der Druck der Frauen auf die Politik wächst. Gemeinsam ist es uns Frauen gelungen, das Grundgesetz in Art. 3 zu ergänzen und so den Gleichberechtigungsgrundsatz der Verfassung deutlicher zu akzentuieren. Auch scheinbare Rückschläge auf Grund von Gerichtsurteilen werden daran nichts ändern. ({0}) Laut Verfassung genießen Frauen die gleichen Rechte wie Männer. Wie aber sieht die Lebenswirklichkeit von Frauen aus? Frauen sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Die beruflichen Chancen von Frauen sind trotz guter Bildungsabschlüsse weitaus schlechter als die der Männer. In Führungsetagen sind Frauen eindeutig in der Minderheit. Wir müssen die Kluft zwischen Verfassung und gesellschaftlicher Wirklichkeit überwinden. Frauenpolitik ist Politik für gleiche Lebenschancen von Frauen und Männern, das heißt für gleiche Arbeitsmarktchancen, für gleiche Aufstiegsmöglichkeiten, für gleichen Einfluß in Politik und Gesellschaft und für Aufgabenteilung in der Familie. Mit über 4 Millionen Arbeitslosen stehen wir in Deutschland vor großen Herausforderungen. Unsere Anstrengungen werden in den nächsten Wochen darauf gerichtet sein, einen Anreiz für neue Investitionen und für neue Arbeitsplätze zu schaffen. ({1}) In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ist es besonders wichtig, die Ausgangschancen von Frauen zu verbessern. Diesem Ziel diente die 1992 beschlossene Änderung des § 2 Nr. 5 des Arbeitsförderungsgesetzes. Die Regelung „Frauen sollen entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen gefördert werden" hat sich bewährt und muß beibehalten werden. Die Eckpunkte zur Reform des AFG liegen vor. Dabei setzen wir uns dafür ein, daß die Frauenförderung als eigenständiges Recht verankert wird. Verbesserungen für Berufsrückkehrerinnen sind sowohl bei den Eingliederungszuschüssen als auch beim Leistungsbezug vorgesehen. Der Wandel in der Wirtschaftsstruktur hat enorme Folgen für den Arbeitskräftebedarf. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten hat Frauenpolitik die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Frauen nicht aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden, sondern neue Chancen nutzen können. Diese werden zum Beispiel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" geboten, wo insbesondere solche Investitionen gefördert werden, die Arbeits- und Ausbildungsplätze für Frauen und Jugendliche schaffen. Neue Arbeitsplätze sind in Zukunft vor allem im Dienstleistungsbereich zu erwarten. Denken wir nur an den großen Bereich der Telekommunikation. Hier eröffnen sich völlig neue Chancen. Frauen müssen den Mut haben, das gesamte Spektrum der Berufe zu nutzen. In Privathaushalten können viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden. Voraussetzung dafür sind steuerliche Begünstigungen ({2}) und administrative Erleichterungen. Wir werden das Konzept dazu in den nächsten Wochen vorlegen. Meine Damen und Herren, die Politik hat schon viel für die Verbesserung der Erwerbstätigkeit von Frauen getan. Chancengleichheit werden wir jedoch erst dann erreichen, wenn die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur von den Frauen, sondern auch von den Männern akzeptiert und mitgetragen werden. Wir werden unsere Ziele konsequent weiterverfolgen. Das gilt auch in Zeiten schwieriger Haushaltslage. Für neue Wege brauchen wir verstärkt die Unterstützung der Wirtschaft und der Tarifpartner. Ich begrüße sehr, daß in den letzten Jahren zunehmend mehr Unternehmen Eltern die Möglichkeit eröffnen, zusätzlich zum gesetzlichen Elternurlaub einen weiteren Urlaub mit Beschäftigungsgarantie in Anspruch zu nehmen. Fortschrittliche Unternehmen sorgen dafür, daß während des Elternurlaubs der Betriebskontakt zum Beispiel durch Urlaubsvertretungen und durch berufliche Weiterbildung aufrechterhalten wird. Das ist der richtige Weg, der sich sowohl für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch für die Unternehmen lohnt, da qualifizierte Arbeitskräfte jederzeit wieder einsatzfähig sind. ({3}) Nicht zuletzt um Qualifikationsverluste durch Arbeitsunterbrechungen zu vermeiden, streben immer mehr Frauen Teilzeitarbeit an. Dadurch kann vorhandene Arbeit besser verteilt und gleichzeitig die Zahl der Arbeitskräfte erhöht werden. Mehr als zwei Drittel der Stellen sind nach einer Untersuchung teilzeitfähig, ohne daß Unternehmen wirtschaftliche Nachteile hätten. Gegenwärtig ist die Nachfrage nach Teilzeitplätzen jedoch wesentlich größer als das Angebot. Bestehende Hemmnisse müssen abgebaut werden. Deswegen ist die Teilzeitoffensive der Bundesregierung von so großer Bedeutung. Es geht um qualifizierte Mobilzeitarbeitsplätze für Frauen und Männer. ({4}) Beruflicher Aufstieg und Weiterbildung müssen für Mobilzeitkräfte genauso selbstverständlich sein wie für Vollzeitkräfte. Ich stelle klar heraus: Unter Teilzeitarbeitsplätzen verstehe ich sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. 590-DM-Jobs fallen nicht darunter. Auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse werden wir in Zukunft zwar nicht ganz verzichten können; der Mißbrauch muß aber entschieden bekämpft werden. Betriebliche Personalpolitik muß den Frauen gleiche Karrierechancen eröffnen wie Männern. Zwar sind Frauen auf der Führungsebene im Vormarsch; doch muß man sie im Topmanagement immer noch mit der Lupe suchen. Nicht einmal 1 Prozent Frauen sind dort zu finden. Im Mittelmanagement sind es gerade 5 Prozent. Das berufliche Fortkommen von Frauen ist immer noch von Vorurteilen geprägt. Deswegen brauchen wir Gleichberechtigungsgesetze und Frauenförderprogramme. ({5}) Nach allen Vorhersagen benötigt die Wirtschaft in Zukunft ein quantitativ größeres und qualitativ anderes Potential an Führungskräften. Zunehmend gewünschte Eigenschaften wie Kreativität, Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität und Orientierung an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommen den Frauen entgegen. Mit dem Bundesgremienbesetzungsgesetz werden wir die Frauenrepräsentanz in Gremien des Bundes erhöhen. Aber in diesem Zusammenhang muß selbstverständlich auch gefragt werden: Wie steht es denn mit der Beteiligung von Frauen, wenn wichtige Führungsgremien der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der Handwerkskammern und der Banken zusammentreten? Wie viele Frauen sind denn an der Ausarbeitung von Tarifverträgen beteiligt, wenn es um die Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Mobilzeit geht? Meine Damen und Herren, Frauenpolitik ist Politik für Chancengleichheit, die von Frauen und Männern gestaltet werden muß. Sie kommt allen zugute: Frauen, Männern und Kindern. Das Schlüsselwort in der Frauenpolitik heißt Partnerschaft. Partnerschaft heißt gegenseitige Anerkennung und gegenseitigen Respekt, heißt Teilung von Verantwortung, heißt Aufgabenteilung in der Familie, in der Wirtschaft und in der Politik. Meine Damen und Herren, es gibt noch viel zu tun. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, bitte ich die Damen und Herren Geschäftsführer zu mir, da wir hier oben den Eindruck haben, daß es mit der Präsenz im Saal etwas schlecht steht. Ich bitte Sie, zu mir zu kommen. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel Hanewinckel.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Nur jeder zweite Mensch auf dieser Welt ist eine Frau. Aber trotzdem sind die Frauen verdächtig, mit ihren Leistungen in das Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. ({0}) - Das stimmt wirklich; Sie können gerne nachrechnen. Frauen leisten nämlich weltweit die meiste Arbeit, und zwar 65 Prozent. Frauen werden weltweit am schlechtesten bezahlt. Frauen sind die billigsten Arbeitskräfte; denn sie haben nur ein Zehntel des weltweiten Einkommens. Frauen sind am großzügigsten; denn sie überlassen den Männern 99 Prozent des Eigentums dieser Welt. Frauen sind die treuesten Kirchgängerinnen; aber in manchen Kirchen sind sie als Priesterinnen mit null Prozent vertreten. Ich denke, das sind alles Punkte, die es wirklich wert wären, in das Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen zu werden. Mit nur etwas Phantasie und Realitätskenntnis fallen Ihnen sicherlich noch andere rekordverdächtige Beispiele ein. Sieben Monate sind seit der Weltfrauenkonferenz in Peking vergangen, und nun endlich findet die Debatte im Deutschen Bundestag statt. Die Gründe für die unendliche Verschiebung sind nicht einleuchtend, und manche Frau wird sich fragen, was denn der Ministerin an der Konferenz der Vereinten Nationen liegt, wenn so viel Zeit vergehen muß, um eine nationale Nachbereitungskonferenz und eine Debatte im Deutschen Bundestag durchzuführen. ({1}) Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede anläßlich der Nachbereitungskonferenz zur Weltfrauenkonferenz vor fünf Wochen angekündigt, Ende dieses Jahres würden Sie die nationalen Strategien bekanntgeben, wie die auf der Konferenz aufgestellten Forderungen umgesetzt werden sollen. Warum denn erst so spät? Bis dahin sind schon 15 Monate seit Peking vergangen; Zeit ist verstrichen. Ich frage mich natürlich: Gibt es denn nichts anderes Konkretes als die auf fünf Jahre verteilten 40 Millionen Dollar des Programms für Sozial- und Rechtsberatung in der Dritten Welt? Haben Sie nichts anderes Konkretes als die Ankündigung Ihrer Kampagne „Gleichberechtigung, Teilhabe und Partnerschaft" ? Diese Kampagne halte ich allerdings für rausgeschmissenes Geld, das an anderer Stelle wirksamer verwendet werden kann. Denn Frauen wissen auch so, daß sie benachteiligt werden. Die Statistiken bestätigen dieses auch den Männern, die es wissen wollen. Glauben Sie wirklich, Frau Nolte, daß sich Männer und Manager, denen der Gleichberechtigungsgedanke fremd ist, von einem Faltblatt auf Hochglanzpapier beeinflussen lassen? Nein, was wir brauchen, sind wirklich konkrete Maßnahmen zur Beseitigung nationaler und internationaler Mißstände in Sachen Gleichberechtigung. ({2}) Im Vorfeld der Weltfrauenkonferenz hat die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, festgestellt, daß in keinem Land dieser Erde Frauen gleichberechtigt sind, auch nicht in den Ländern, die Gleichberechtigung in Verfassungen oder in Gesetzen festgeschrieben haben. Frauen haben also weltweit die gleichen strukturellen Probleme. Ihnen gehört nicht mehr als das, was Mao den Chinesinnen schon versprach, nämlich die Hälfte des Himmels. Die Hälfte der Chancen, der Rechte, der Macht und des Wohlstands auf Erden gehört ihnen immer noch nicht. Was genauso folgenreich ist: Frauen haben nicht die Möglichkeit, ihre spezifischen Erfahrungen, ihre Sichtweisen und Problemlösungsvarianten einzubringen; denn auf den entsprechenden Entscheidungsebenen sind sie nicht vertreten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Bericht der Regierung zur Weltfrauenkonferenz ist der Artikel 31 des Einigungsvertrages erwähnt. Dieser Artikel 31 verpflichtet die Bundesregierung - ich zitiere -, „die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weiterzuentwickeln" und „die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten". Wenn ich mir auf diesen Text hin die Realität vor allen Dingen im Osten Deutschlands angucke, dann kann ich nur sagen: Liebe Bundesregierung, vor allem liebe Frau Ministerin, da haben Sie noch unsäglich viel zu tun. Es geht nicht an, obwohl Sie in der Pflicht sind, immer wieder nur festzustellen und mitzuteilen, daß die Politik - sprich: die Bundesregierung - ja schon genügend getan habe. Frau Ministerin, Sie führen immer wieder Ihr Gleichberechtigungsgesetz an. Dies reicht aber hinten und vorne nicht aus. Die Situation der Frauen und Kinder im Osten Deutschlands macht das mehr als deutlich. ({3}) Der Bericht der Bundesregierung zeichnet sich durch etwas anderes aus, und zwar durch ihren Unwillen, eine wirklich realistische Bilanz der Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland zu ziehen. Vor zwei Tagen erst, Frau Ministerin, haben Sie eine Studie zum Stand der Gleichberechtigung in Deutschland vorgestellt. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, daß sich die Mehrheit der Deutschen mehr Gleichberechtigung wünscht. Das ist zum einen erfreulich, weil auch ein großer Teil der Männer diese Auffassung vertritt. Das ist zum anderen aber auch alarmierend; denn wenn sich die Menschen mehr Gleichberechtigung wünschen, dann heißt das doch nur, daß der erreichte Stand der gesellschaftlichen Entwicklung absolut unbefriedigend ist. Sie sagen, die Politik habe bereits wichtige Schritte getan, und sind dann wieder beim Gleichberechtigungsgesetz. Sie wissen genauso gut wie ich, daß nur ein wirkliches Gleichstellungsgesetz, das in allen ökonomischen und politischen Bereichen, in allen Arbeitsbereichen Gültigkeit hat, die Position von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft verändern kann. ({4}) Sie nehmen diese Studie als erfreulichen Beweis dafür, daß sich die beiden unterschiedlich entwickelten Gesellschaften in Ost und West aufeinander zubewegt hätten und angeglichen seien. Ich kann Ihre Freude darüber nicht teilen, im Gegenteil, ich finde das zynisch. Wie kann man sich denn darüber freuen, daß nun die Unzufriedenheit über den Stand der Gleichberechtigung auch im Osten so hoch ist wie im Westen? Das heißt doch nicht nur, daß sich die Frauen in Ostdeutschland ihrer Benachteiligungen bewußt geworden sind und daß sie gemerkt haben, daß diese Benachteiligungen nicht aus eigener Unfähigkeit entstanden, sondern es bedeutet auch, daß diese Benachteiligungen strukturelle und gesellschaftliche Ursachen haben. Diese strukturellen Ursachen können Sie weder durch Umfragen noch durch Appelle beseitigen. Wenn in Ost und West nahezu alle Befragten die Auffassung vertreten, daß auch verheiratete Frauen wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen sollen, dann schaffen Sie endlich die Voraussetzungen dafür! ({5}) Statt dessen aber ist die Bundesregierung dabei, ein Sparpaket zu schnüren, das wieder einmal vor allem Frauen betrifft. Ich nenne hier nur zwei Punkte: Sie wollen einen späteren Renteneintritt von Frauen. Das würde Hunderttausende von Frauen betreffen, die sich auf Gesetze in diesem Lande verlassen haben. Das wird es mit der SPD hier in diesem Hause nicht geben. ({6}) Ich bitte Sie, Frau Süssmuth - als Vorsitzende der Frauenunion haben Sie sich dazu deutlich geäußert -, in diesem Hause eine deutliche Erklärung dazu abzugeben, daß es nicht bei einer Absichtserklärung bleibt, das zu verhindern, sondern daß Sie in diesem Hause auch tatsächlich so handeln. Denn die Ministerin ist uns diese Aussage schuldig geblieben. ({7}) Ein zweiter Punkt, den es mit uns nicht geben wird, der aber für dieses Sparpaket vorgesehen ist und der wiederum vor allen Dingen Frauen betrifft, ist die Kürzung des gerade erst verabschiedeten Kindergeldes für 1997. An dieser Stelle kann ich nur sagen: Wenn es nur Verhandlungsmasse sein sollte, dann ist dieses Spielen mit dem Vertrauen der Bevölkerung wirklich unzulässig und ein Zündeln an der Demokratie in diesem Lande. ({8}) Frauen und ihre Kinder sind von Arbeitslosigkeit und Armut am meisten betroffen, und nun fällt Ihnen wieder nichts anderes ein, als just bei diesen Gruppen den Rotstift anzusetzen. Und die Frauenministerin stellt fest: Die Politik hat in Sachen Gleichberechtigung bereits wichtige Schritte getan. Im vereinten Deutschland liegt noch vieles im argen. Aber statt die Realitäten und die Schwierigkeiten des Umbruchs, die ja vorhanden sind, aufzutun und Folgerungen zu ziehen, reden Sie, Frau Ministerin, schön. Wir haben daneben eine Verpflichtung, das, was wir hier in Deutschland erfahren und gelernt haben, auch in grenzüberschreitende Diskussionen und Gespräche einzubringen, so daß unsere Erfahrungen mit der Gleichberechtigung zwischen Ost und West in Deutschland auch wichtig sein können für die Umsetzung von Gleichberechtigung zwischen Deutschland und Osteuropa - um nur eine Blickrichtung zu nennen. Natürlich ist es in Ordnung, darüber zu diskutieren, welche osteuropäischen Länder der NATO beitreten könnten. Aber wenn es um die Gleichberechtigung geht, fällt Ihnen nichts weiter ein, als vorrangig dafür zu sorgen, daß die Prostitution an den Grenzen entsprechend verfolgt wird. Aus welchem Grund Frauen sich und damit auch ihre Familien prostituieren, bleibt Ihnen offenbar verborgen. Es gäbe noch viele Bereiche, die ich hier ansprechen müßte; das werden meine Kolleginnen hier noch tun. So müssen wir beispielsweise mit Sicherheit in diesem Lande weiterhin über die Gerechtigkeit gegenüber Frauen diskutieren, die aus anderen Ländern hierher nach Deutschland kommen. Ich möchte mit einem Satz noch auf unseren Antrag zu sprechen kommen, über den heute ebenfalls abgestimmt werden wird. Wir sind mit der Regierungskoalition einer Meinung, wenn es darum geht, daß Frauen im Sport weltweit nicht diskriminiert werden dürfen, sondern daß auch hier gleiche Teilhabe gewährleistet sein muß. ({9}) Frauen haben in Deutschland und weltweit ihre Pflichten übererfüllt. Ihre Rechte dürfen nicht länger hinterherhinken. Dafür ist die Bundesregierung mit verantwortlich. Vielen Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mehr als ein halbes Jahr nach der Weltfrauenkonferenz in Peking führen wir heute diese Debatte, eigentlich viel zu spät; einige haben es schon gesagt. Dabei müßte es vor allen Dingen um die Perspektiven für die Frauen in diesem Land gehen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie können wir über Perspektiven reden, wenn wir uns immer wieder mit alten, längst erledigten Kamellen beschäftigen müssen? Ich muß hier leider auf eine alte Kamelle eingehen; es ist nämlich wirklich ein Skandal sondergleichen. Jetzt will die Bayerische Landesregierung ein eigenes Abtreibungsrecht schaffen. Frau Eichhorn, ich finde es sehr bedauerlich, daß Sie das hier nicht angesprochen haben. Frauen sollen nach dem Gesetzentwurf des bayerischen Kabinetts, der gestern im Kabinett verabschiedet wurde, im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht beim Beratungsgespräch verpflichtet werden, ihre Gründe für einen Abbruch darzulegen. Die Beratungsbescheinigung kann ihnen sogar verweigert werden. Meine Damen und Herren, das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Gesetz, das wir in diesem Haus verabschiedet haben. ({0}) Es ist eine völlig unverträgliche, neue Bevormundung der Frauen. Schon in den Beratungen um die Reform des § 218 ist es vor allem den Damen und Herren aus Bayern darum gegangen, den Lebensschutz in den Vordergrund zu stellen; ich bin bei den Beratungen dabeigewesen. Immer wieder wurde den Frauen damit das Mißtrauen ausgesprochen, selbst entscheiden zu können, ob sie Kinder haben wollen oder nicht. Wir wissen doch alle: Es war der Druck aus Bayern, und es war der Druck der Lebensschützer, der jahrelang eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts verhindert hat. Dieser Druck führte schließlich dazu, daß das Beratungsziel im Strafgesetzbuch vor allen Dingen den Lebensschutz im Auge hat. Wir, meine Fraktion und ich, haben vor allen Dingen wegen dieser Lebensschutzgeschichte dem sogenannten Jahrhundertkompromiß nicht zugestimmt. Wie ein Damoklesschwert hat eine mögliche Klage aus Bayern die ganze Zeit über diesen Beratungen gehangen; das wissen auch Sie, sehr geehrte Damen von der SPD. Jetzt gibt es zwar keine Klage; dafür schafft Bayern aber ein eigenes Landesabtreibungsrecht. Das können wir nicht zulassen. ({1}) Das ist nicht nur rechtswidrig; das ist auch ein Rückfall ins frauenpolitische Mittelalter. Zudem ist es eine Verhöhnung dieses Hohen Hauses und all derer, die sich um eine Reform bemüht haben. Das können wir nicht zulassen. Ich finde es bedauerlich, daß wir heute keine namentliche Abstimmung zu diesem Antrag machen können. Ich hoffe allerdings, meine Damen und Herren von der Koalition, daß Sie unseren Antrag inhaltlich voll unterstützen werden. ({2}) Meine Damen und Herren von der Koalition und der SPD, Peking war wichtig. Aber während wir hier heute über die Konsequenzen der Weltfrauenkonferenz diskutieren, gehen die eigentlichen gesellschaftlichen Debatten an den Frauen vorbei. Frau Nolte, Sie haben in Peking das Jahr 1996 zum Jahr der Gleichberechtigung ausgerufen. Heute war davon leider nicht mehr die Rede. Ich frage vor allem: Wo sind beim „Bündnis für Arbeit" die Frauen? Wie steht es hier mit der Gleichberechtigung? Warum fehlen in der Kanzlerrunde die Frauen? Frau Ministerin, da spielt die Musik. Jetzt ist diese Runde ein Bündnis der alten Männer. Aber ich meine, die Fraueninteressen müßten gerade in dieser Runde vertreten werden. ({3}) Auch hier in Deutschland sind Frauen von einer Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt noch weit entfernt, und zwar egal, ob es um den Berufseinstieg, um berufliche Aufstiegschancen oder um eine eigenständige Alterssicherung geht; Frauen sind überall benachteiligt. Dabei verdanken die westdeutschen Frauen eine Zunahme von Arbeitsplätzen vor allem einem Mehr an Teilzeitarbeit und ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen. Im Osten haben heute sogar weniger Frauen als vor der Vereinigung eine Beschäftigung. Frau Nolte, wenn 1996 das Jahr der Gleichberechtigung werden soll, dann müssen wir diese Nachteile endlich beseitigen. ({4}) Wir müssen Arbeit zugunsten der Frauen umverteilen und Arbeitszeitverkürzungen auf allen Ebenen und in allen Bereichen umsetzen. Das wird neue Arbeitsplätze schaffen. Wir brauchen veränderte Arbeitsstrukturen; wir müssen Erwerbsarbeit und Haus- und Betreuungsarbeiten im Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter neu organisieren. Frauen müssen einen besseren Zugang zur Erwerbsarbeit bekommen, und Männer sollen sich mehr um Kinder kümmern. Meine Fraktion hat dazu schon zahlreiche Vorschläge gemacht. Wir haben einen Antrag in den Kerstin Müller ({5}) Deutschen Bundestag eingebracht, der für Beschäftigte mit Kindern einen Anspruch auf Freistellung in Form eines Zeitkontos festschreibt. Wir fordern schon seit langem umfassende Freistellungsansprüche für die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen, aber auch zur beruflichen und allgemeinpolitischen Bildung. Auch das - dazu gibt es Untersuchungen - wird neue Arbeitsplätze schaffen. In Peking und auch heute wieder haben Sie, Frau Ministerin Nolte, eine positive Bilanz der Situation deutscher Frauen gezogen. Ich teile hier Ihre Einschätzung nicht. Trotz der Deklaration von Peking ist der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" längst noch nicht verwirklicht. Immer noch stehen Frauen am unteren Ende der Lohnskala. Sie verdienen bei gleicher Arbeit durchschnittlich rund ein Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für die BRD, eines der wohlhabendsten Länder der Erde. Frau Nolte, Sie haben heute und auf der nationalen Nachbereitungskonferenz im März angekündigt, dem Mißbrauch von 590-DM-Jobs entgegenzutreten. Ich fordere Sie auf: Handeln Sie doch endlich! Machen Sie die geringfügige Beschäftigung sozialversicherungspflichtig, und schieben Sie das nicht immer wieder auf die Tarifpartner! ({6}) Aber zur Zeit führen wir genau die umgekehrte Diskussion. Es geht doch nicht mehr darum, diejenigen, die heute schon aus den sozialen Sicherungssystemen herausfallen, vor Armut zu schützen. Nein, die Frage lautet - und damit werden wir uns in den nächsten Wochen leider zu beschäftigen haben -, wer in Zukunft noch ausgegrenzt werden soll. Wir werden in den nächsten Wochen die Debatte über das Sparpaket der Bundesregierung führen, und dieses wird vor allen Dingen zu Lasten der Frauen gehen. Das wird meine Fraktion nicht zulassen. ({7}) Zum Beispiel schlägt Herr Blüm in der Rentendebatte vor, das Rentenzugangsalter für Frauen von 60 auf 63 Jahre heraufzusetzen. Wer später in den Ruhestand geht, zahlt länger Beiträge und bezieht kürzere Zeit eine Rente. Ich finde, das ist ein ziemlich absurder Vorschlag. Auf der einen Seite diskutieren wir über Teilrente und Frühverrentung, und bei den Frauen denken wir an eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Das ist doch absurd; das bringt uns doch keinen Schritt vorwärts. ({8}) Ich denke, es ist klar, hier soll auf Kosten der Frauen und zu Lasten der jüngeren Generation gespart werden. Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen: Ich glaube, wer heute - egal, wie die Haushaltslage ist - eine Politik gegen die Frauen macht, der macht eine Politik von gestern. Ich bin davon überzeugt, daß er damit nicht ankommen wird. Danke schön. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Es ist ja schön, daß die Bevölkerung nach einer Repräsentativumfrage - trotz gewisser Vorbehalte gegen Umfragen auf Grund jüngster Erfahrungen - die Gleichberechtigung wirklich als ein wesentliches Thema ansieht und daß wir deshalb heute Gott sei Dank in der Kernzeit debattieren und nicht abends um 20, um 21 oder um 22 Uhr, wobei dann häufig noch darum gebeten wurde, die Ausführungen zu Protokoll zu geben. ({0}) Ich möchte hier einiges deutlich sagen; denn ich bin der Meinung, daß in manchen Bereichen, in denen wir Fortschritte erreicht hatten, der Trend auf Rückschritt steht. Ich möchte an das anknüpfen, was Sie, Frau Müller, ausgeführt haben, nämlich an die Überlegungen, die die Bayerische Staatsregierung bei der Schwangerenberatung anstellt und die heute der Presse zu entnehmen sind. Wir haben in der letzten Legislaturperiode um einen komplizierten Kompromiß in einer sehr, sehr schwierigen Gewissensfrage gerungen, und wir haben uns hier nach langem Ringen auf die verpflichtende Beratung verständigt. Gerade die Formulierung in dem Bundesgesetz, es werde erwartet, daß die schwangere Frau die Gründe mitteilt, um deretwillen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt, war Ergebnis dieses Ringens um einen wichtigen Kompromiß unter Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte, einerseits des Schutzes des ungeborenen Lebens und andererseits genauso der Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit der Frau; denn sie hat ja die Verantwortung zu tragen, und sie trifft diese Entscheidung nicht leichtfertig und setzt sich nicht leichtfertig über wirklich gute Gründe hinweg. Sie ist vielmehr in einer schwierigen Drucksituation.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie dazu eine Zwischenfrage der Kollegin Grießhaber?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es für uns alle in der frauenpolitischen Debatte außerordentlich wichtig ist, daß Frauenministerin Nolte, die dabei war, als hier über den § 218 verhandelt wurde, zu dieser Angelegenheit in Bayern Stellung bezieht? ({0})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich glaube, es ist heute nicht Gegenstand der Debatte, daß sich eine Bundesministerin oder ein Bundesminister zu Handlungen einer Landesregierung äußert. ({0}) Hier ist der richtige Ort, daß Parlamentarier und Parlamentarierinnen, gerade auch, wenn sie aus Bayern kommen, ihre Meinung deutlich kundtun. Deshalb mache ich das. ({1}) Deshalb werden ich und auch die F.D.P.-Bundestagsfraktion Ihren Antrag nicht unterstützen, einer Landesregierung eine Mißbilligung auszusprechen. Sonst könnten wir das jede Sitzungswoche tun. Es wird immer ein Verhalten einer Landesregierung geben, von dem wir sagen könnten, es gefiele uns nicht. ({2}) - Da ist, ohne daß ich auf die Sache eingehe, nicht das Verhalten mißbilligt worden. Vielmehr hat man sich mit einer verfassungsrechtlichen Frage beschäftigt. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Wolf? Ich halte die Zeit an.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, würden Sie mit dabeisein - ich habe dem Beifall gerade entnommen, daß auch Sie gegen diese bayerische Absicht protestieren -, daß wir vom Parlament aus dies als die Nichterfüllung eines Bundesgesetzes zurückweisen? Bayern darf nicht denken, einfach machen zu können, was es will.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin sehr wohl bereit, ganz deutlich zu sagen, daß ich von diesem Gesetzesvorstoß in Bayern überhaupt nichts halte, ({0}) daß er hinter das Bundesgesetz, das wir gemeinsam verabschiedet haben, zurückgeht und daß eben gerade nicht erzwungen werden soll, die Gründe auch ausdrücklich mitzuteilen und davon die Ausstellung der Beratungsbescheinigung abhängig zu machen. Ich glaube, es geht darum, wie die politische Bewertung vorgenommen wird, und sie ist, glaube ich, aus meinen Worten eindeutig hervorgegangen. Da ich aber nur noch zwei Minuten Redezeit habe, bitte ich um Verständnis, daß ich ganz kurz wenigstens zu zwei anderen Punkten etwas sagen möchte. Es liegt - auch das ist ein innenpolitisches Thema - ein Antrag vor, der sich mit dem selbständigen Aufenthaltsrecht ausländischer Ehegatten beschäftigt. Ich möchte für die F.D.P.-Bundestagsfraktion ganz deutlich sagen, daß wir schon seit langem auf eine Änderung der Härtefallregelung in § 19 des Ausländergesetzes drängen und erreicht haben, daß es im Rahmen eines Pakets von Änderungen ausländerrechtlicher Vorschriften auch hier zu einer Verbesserung kommen wird. Das wird im Paket vorgelegt und behandelt werden. Ich finde, es ist richtig, daß wir sagen, daß ein Aufenthalt von einem Jahr in Deutschland dann die Grundlage auch für Härtefallregelungen ist. Wir wollen nicht, daß es bei den drei Jahren, wie es jetzt in § 19 des Ausländergesetzes steht, bleibt. ({1}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen - leider geht es in fünf Minuten alles nur sehr kursorisch -, nämlich die Beschäftigungssituation von Frauen. Natürlich ist sie verbesserungsbedürftig. Bei der Teilzeitbeschäftigung brauchen wir natürlich eine Offensive und vor allen Dingen auch eine sehr viel größere Bereitschaft des öffentlichen Dienstes. Dort müssen Tabus fallen, daß ab einer bestimmten Ebene Teilzeitbeschäftigung nicht mehr möglich sei. Natürlich ist sie möglich, und sie ist auch ohne zusätzlichen Verwaltungsaufwand zu bewerkstelligen. Ich spreche mich aber gegen spezielle Gesetzesänderungen oder Teilzeitbeihilfen aus, was wiederum Verwaltungskontrolle und Verwaltungsbestimmungen erfordern würde. Deshalb teile ich das, was uns als Antrag vorgelegt worden ist, nicht. Denn es ist kontraproduktiv, es führt wieder nur zu mehr Verwaltung, zu mehr Bürokratie, zu Regulierung. Im Zweifel führt es aber nicht zu mehr Beschäftigung für Frauen und zu mehr Teilzeitbeschäftigung. An die Stelle der Teilzeitbeschäftigung soll und darf natürlich nicht die Beschäftigung in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen treten. Aber ich wehre mich dagegen, diese Diskussion nur unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs zu führen. ({2}) Für viele Bereiche ist es unverzichtbar, daß es die 590-DM-Arbeitsverhältnisse gibt. Ich finde, wir sollten nicht die Erwartungen wecken, daß es, wenn sie alle versicherungspflichtig wären, zu mehr Arbeitsplätzen führen würde; im Gegenteil, es würden viele wegfallen. Wir müssen auch sagen, daß natürlich nicht annähernd das an Altersversorgung erreicht würde, was sich Frauen, die davon betroffen wären, erhoffen. Eine Versicherungspflicht bei einen 590Sabine Leutheusser-Schnarrenberger DM-Vertrag würde in der Rentenversicherung eine Anwartschaft von letztendlich nur einigen Mark begründen. Das sind zirka 13 DM jährlich. ({3}) Deshalb sollten wir diese Diskussion nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs und der Abschaffung von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen führen. Wir brauchen diese Beschäftigungsverhältnisse. Wir sind da, wo es sich wirklich um Mißbrauch handelt, bereit, Änderungen mitzutragen. Aber das Ganze ist keine Mißbrauchsdiskussion an sich, um die Abschaffung der 590-DMArbeitsplätze zu erreichen. Viele Rednerinnen haben heute schon gesagt: Es gibt viel zu tun. Es gibt wirklich viel zu tun, um überflüssige und bürokratische Regelungen in diesem Bereich zu verhindern. Denn das ist nicht Frauenpolitik des Jahres 1996. Vielen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält jetzt die Kollegin Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erstens. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich freue mich sehr, daß auch Sie hier klar zum Ausdruck gebracht haben, daß Sie das Verhalten der Bayerischen Staatsregierung mißbilligen. Wir hängen nicht an den Formulierungen unseres Antrags. Aber es ist doch völlig klar: Dieses Parlament hat jahrelang darum gerungen, die Reform des Abtreibungsrechts umzusetzen. Wenn Sie hier einen Antrag vorlegen, haben wir keine Probleme, ihm zuzustimmen. Ich bin der Meinung: Dieses Parlament muß sich zu dem Verhalten der Bayerischen Staatsregierung äußern. ({0}) Zweitens. Es geht hier um Bundesgesetze. Die Bundesregierung ist verpflichtet, darauf zu achten, daß Bundesgesetze umgesetzt werden. Deshalb fordere ich Sie, Frau Ministerin Nolte, auf, daß Sie zu dem Verhalten der Bayerischen Staatsregierung Stellung beziehen, sich hier klar äußern und den Abgeordneten Ihre Meinung zur Kenntnis geben. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ebenfalls zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Wolf das Wort.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe F.D.P.-Kolleginnen, liebe Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben hier heute das zum Ausdruck gebracht, was wir als langjährige Mitkämpferinnen für eine Reform des § 218 gesagt haben. Ich möchte mich dem anschließen, was die Kollegin Müller gesagt hat. Wir fordern die F.D.P. auf, einen Antrag einzubringen, um das Anliegen der bayerischen Staatsregierung zurückzuweisen. Sie hätten dafür die Unterstützung der SPD-Fraktion; denn das Bundesgesetz ist mit viel Mühe und in Solidarität zu den Frauen entstanden. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es antwortet die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Meinungsbildung und die Äußerungen in diesem Parlament sind ja wohl eindeutig, gerade das, was auf Bayern abzielt. ({0}) Der Antrag, der vom Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt worden ist, wird in die Ausschüsse überwiesen und dort behandelt werden. Vielleicht beschließt dann eine große Mehrheit einen Antrag, wie auch immer er aussieht. Die Botschaft heute aus weiten Kreisen des Hauses ist eindeutig. Das ist das Entscheidende, was aus dieser Debatte hervorgehen muß. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Sothmann. ({0})

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Frauen wissen, was sie wollen", das war das Motto des diesjährigen Internationalen Frauentages, und es war, finde ich, sehr passend. Spätestens seit der Vierten Weltfrauenkonferenz wissen Frauen auch, wie sie ihre Ziele erreichen wollen. Die Aktionsplattform von Peking gibt den Teilnehmerstaaten hierzu konkrete Vorgaben. Peking war ein Erfolg; denn es wurde ganz klar festgestellt: Frauenrechte sind Menschenrechte. Gewalt gegen Frauen ist Menschenrechtsverletzung. Sie ist in jeglicher Form zu verurteilen. Klargeworden ist auch: Die Probleme von Frauen sind in allen Ländern gleich; sie unterscheiden sich nur in ihrem Ausmaß. Und: Die Zukunft der Menschheit ist abhängig von der Zukunft der Frauen. ({0}) Durch die Verabschiedung der Aktionsplattform haben alle Teilnehmerstaaten - dies überhaupt zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit - diese fundamentalen Wahrheiten anerkannt und sich verpflichtet, die Gleichberechtigung von Mann und Frau weltweit durchzusetzen. Meine Damen und Herren, dieser Verhandlungserfolg ist die Basis, auf der wir aufbauen. Mit der nationalen Nachbereitungskonferenz hat unsere Bundesministerin Claudia Nolte die Umsetzung der Aktionsplattform von Peking bei uns in die Wege geleitet. Selbst in Deutschland ist die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen noch immer nicht erreicht - das wissen wir alle -, auch wenn es bereits sehr große Fortschritte gibt. Handlungsbedarf in Sachen Gleichberechtigung haben wir besonders in den Bereichen Frauen und Arbeit, Frauen und Macht, Frauen und Gewalt. Denn nach wie vor haben Frauen bei uns mehr Probleme auf dem Arbeitsmarkt und erhalten im Durchschnitt weniger Lohn als die Männer. Wir haben dies heute mehrfach gehört. Ihre Aufstiegschancen in Entscheidungspositionen sind trotz guter Ausbildung schlecht. Meine Vorrednerinnen sind auf dies alles bereits eingegangen. Gewalt gegen Frauen ist noch immer ein großes Tabuthema. Jahr für Jahr sind bei uns Millionen von Frauen seelischer und körperlicher Gewalt ausgesetzt. Pro Jahr suchen rund 40 000 Frauen mit ihren Kindern verzweifelt Zuflucht in Frauenhäusern. Meine Damen und Herren, neben der Beseitigung der Diskriminierung müssen wir daher auf die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen unser Hauptaugenmerk richten. Das möchte ich heute hier tun. Vergewaltigung in der Ehe ist kein Kavaliersdelikt. Sie muß genauso hart bestraft werden wie die Vergewaltigung durch einen Fremden. Ich bin zuversichtlich, daß die entsprechende Änderung des Strafgesetzbuches noch vor der Sommerpause verabschiedet wird. ({1}) Auch der Mißstand, daß ausländische Ehegatten - in der Regel sind dies Frauen -, allzuoft Mißhandlungen ihres Partners erdulden, um nicht abgeschoben zu werden, muß beseitigt werden. Die derzeitige gesetzliche Regelung wird der Problematik nicht gerecht. ({2}) In der Diskussion um eine sachgerechtere Härtefallregelung zeichnet sich nun auch eine Änderung hinsichtlich einer wesentlichen Verkürzung der Frist ab. Eine völlige Streichung der Frist für Härtefälle, wie Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sie in Ihrem Antrag fordern, lehnen wir allerdings ab, weil wir einen Schutz vor Mißbrauch haben müssen. ({3}) Wichtig sind auch zusätzliche Ausbildungsprogramme für Polizei und Justiz, um diese für das Problem der Gewalt gegen Frauen zu sensibilisieren. Es ist nämlich nicht hinnehmbar, daß zum Beispiel vergewaltigte Frauen aus Scham und Angst, daß man ihnen nicht glauben könnte, vor einer Anzeige zurückschrecken. Meine Damen und Herren, auch international muß die Bundesrepublik ihren Einfluß geltend machen, um die Menschenrechtssituation von Frauen zu verbessern. Wir fordern, daß das Mandat für die UN-Sonderberichterstatterin für die Frage der Gewalt gegen Frauen verlängert, aktualisiert und ausgebaut wird. Die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen Menschenhändlerringe, Sextourismus und Sexhandel muß verstärkt werden. Die Vergewaltigung von Frauen als Mittel der Kriegsführung und ethnischen Säuberung - jüngstes schreckliches Beispiel hierfür sind die Massenvergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien - muß konsequent geahndet werden. In diesem Zusammenhang begrüße ich die Forderung von Außenminister Kinkel nach Einrichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Niehuis?

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe zuwenig Zeit.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Natürlich halte ich die Zeit an.

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Na gut.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es freut mich, daß Sie Vertrauen in meine Frage haben.

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist noch die Frage.

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es zeigt zumindest, daß Sie neugierig geworden sind.

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das sind wir immer!

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Sothmann, Sie haben völlig zu Recht gesagt, daß wir etwas gegen Frauenhandel, Sextourismus und dergleichen tun müssen. Das hat natürlich sehr viel mit unserem § 19 zu tun. Wir wollen, daß diese Scheinehen, die als Instrument des Frauenhandels genutzt werden, bei uns nicht mehr vorkommen. Daß in diesen Scheinehen Frauen mißhandelt werden, passiert aber innerhalb des ersten Jahres, nachdem sie in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, weil der Handel und der Mißbrauch der Frau Sinn dieser Ehe ist. Insofern muß ich Sie dringend fragen, ob Sie sich nicht vorstellen können, daß die Gefahr des Mißbrauchs ausländischer Ehefrauen bei Bestehen einer Frist sehr viel größer ist, als wenn diese nicht besteht. ({0})

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Niehuis, darin sind wir uns nicht einig. Wir sehen es genau umgekehrt. Wir sehen, daß ein Mißbrauch durchaus eintreten kann, und deswegen wollen wir nicht die völlige Streichung der Frist in dieser Härteklausel. Die internationale Zusammenarbeit, meine Damen und Herren, im Kampf gegen Menschenhändlerringe, Sextourismus und Sexhandel muß verstärkt werden. Ich habe es gerade schon gesagt. Die Vergewaltigung von Frauen als Mittel der Kriegsführung und ethnischen Säuberung - das schreckliche Beispiel war Ex-Jugoslawien; ich möchte es noch einmal wiederholen - muß konsequent geahndet werden. Meine Damen und Herren, auch der Ausschluß von Frauen vom Sport bedeutet eine Verletzung ihrer Menschenrechte, die nicht akzeptabel ist. ({0}) Bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona trat jede fünfte Nation mit einer reinen Männermannschaft an. Dies hatte nicht nur sportliche Gründe, denn in der Mehrzahl dieser Länder ist Frauen das Sporttreiben verboten, oder ihre Möglichkeiten, Sport zu treiben, sind durch Kleidervorschriften oder massive Bedrohungen so stark eingeschränkt, daß eine olympische Qualifikation für sie nicht erreichbar ist. Nicht zuletzt stellt die Aktionsplattform von Peking fest, daß Menschenrechte weder durch religiöse noch durch kulturelle Traditionen eingeschränkt werden dürfen. Auch die Olympische Charta verbietet jede Form der Diskriminierung, auch die Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Südafrika war wegen seiner Apartheidpolitik jahrzehntelang von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Frauenapartheid ist nicht weniger menschenrechtsverletzend als Rassenapartheid. ({1}) Die Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat daher das Nationale Olympische Komitee aufgefordert, sich beim IOC dafür einzusetzen, daß die Verletzung der Olympischen Charta entsprechend sanktioniert wird. Gerade die olympische Bewegung, die zu den größten internationalen Zusammenschlüssen zählt, muß ihren Beitrag zur Wahrung der Menschenrechte und der Chancengleichheit von Frauen leisten. Meine Damen und Herren, die nationale Nachfolgekonferenz zu Peking hat gezeigt, daß viele Einzelmaßnahmen notwendig sind, um die Aktionsplattform von Peking in Deutschland umzusetzen. Darüber hinaus muß sich die Bundesregierung weltweit überall da einmischen, wo Menschenrechte verletzt werden. Menschenrechtspolitik ist Weltinnenpolitik. Auf europäischer Ebene brauchen wir ähnlich wie in Art. 3 unseres Grundgesetzes die rechtliche Verankerung von Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Männern und Frauen. Bei den anstehenden Verhandlungen zu Maastricht II werden wir uns dafür einsetzen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, es gibt zwei Wünsche nach Zwischenfragen. Gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage der Kollegin Holzhüter?

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte das zu Ende bringen. Meine Damen und Herren, Voraussetzung für den Erfolg aller Bemühungen zur Verbesserung der Gleichberechtigung und zum Abbau der Gewalt gegen Frauen sind aber nicht nur Aktionspläne und Gesetze. Wir brauchen auch einen durchgreifenden Bewußtseinswandel hinsichtlich der Rolle der Frau in Gesellschaft, in Beruf und Politik. Dazu müssen Männer und Frauen an einem Strang ziehen. Bei diesem Umdenken sind jeder Bürger, jede Bürgerin, alle gesellschaftlichen Gruppen, die Politik, die Verbände, die Tarifpartner, die Bildungseinrichtungen, Kirchen und Medien gefordert, aber auch wir, meine Damen und Herren Kollegen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Holzhüter.

Ingrid Holzhüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir auch Herrn Kinkel auffordern müßten, in seinem sogenannten kritischen Dialog mit dem Iran dieses Thema einmal einzuführen, und daß man sich nicht immer dahinter zurückziehen kann, daß man aus wirtschaftlichen Gründen das Klima nicht vergiften möchte? Die sozusagen nicht mögliche Teilnahme an den Olympischen Spielen ist nur ein Ausdruck von massiver Unterdrückung der Fraueninteressen, was sich aus dem Koran überhaupt nicht ableiten läßt. Wenn ich höre, daß man jetzt darüber nachdenkt, wegen der Ereignisse in Israel diesen kritischen Dialog zu verstärken, so würde ich sehr herzlich darum bitten, dieses Frauenthema dort mit einzufordern. Sie als Regierung möchte ich herzlich auffordern, dieses mit Ihren Stimmen zu verstärken. Gehen Sie darin mit mir einig?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Antworten, bitte.

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe darin mit Ihnen einig. Wir sind auch mit Herrn Kinkel im Gespräch.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort ebenfalls zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Selbstverständlich ist die Frage der Menschenrechtsverletzungen an Frauen und die Unteilbarkeit der Menschenrechte auch in dem sogenannten kritischen Dialog mit dem Iran ein ständiges Thema. Dazu gehört natürlich, daß bei der Diskriminierung von Frauen religiöse Gründe nicht vorgeschoben werden dürfen. Das passiert dort. Da sind wir uns völlig einig, auch mit dem Außenminister. Wir sind vom Unterausschuß „Menschenrechte und humanitäre Hilfe" in der vergangenen Woche in Genf gewesen, wo die Menschenrechtskonferenz derzeit tagt. Dort ist uns vom Delegationsleiter Baum nachdrücklich bestätigt worden, daß von der Bundesregierung auch in Genf dieses Thema immer wieder angesprochen wird.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort erhält jetzt die Kollegin Adelheid Tröscher.

Adelheid Tröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß es doch noch einmal sagen: Es ist außerordentlich bedauerlich, daß die parlamentarische Nachbereitung der Vierten Weltfrauenkonferenz erst heute stattfindet. Die Zeit drängt. Wenn wir Frauen uns nicht ernst nehmen, was können wir da noch von Männern erwarten? ({0}) Frau Ministerin Nolte, Sie setzen Ihre negative Bilanz in Sachen Frauenpolitik fort. Der Vorbereitungsprozeß zur Weltfrauenkonferenz war gespickt mit Pannen und Peinlichkeiten, der Nachbereitungsprozeß wurde einfach nicht ernstgenommen. Frauenthemen und entwicklungspolitische Themen sind außerdem Manövriermasse. Sie können geschoben werden, und wir nehmen das dann auch noch hin. Heute ist also endlich der große Tag für diese so wichtigen zukunftsweisenden Politikfelder. Nach der Verabschiedung der Aktionsplattform gibt es kein Zurück mehr hinter die Beschlüsse der Menschenrechtskonferenz von Wien und der Bevölkerungskonferenz von Kairo. ({1}) Dennoch bleibt es in der Wirklichkeit bei der schon 1980 von den Vereinten Nationen der Weltöffentlichkeit vorgelegten Statistik, die ich schon einmal hier erwähnt habe, auf die aber einfach noch einmal hingewiesen werden muß, weil sie in die Köpfe hinein muß: Frauen erzeugen 80 Prozent der Weltnahrungsmittel - Frauen verrichten zwei Drittel der Weltarbeitsstunden - Frauen erhalten ein Zehntel des Welteinkommens - Frauen besitzen ein Prozent des Eigentums - Frauen stellen zwei Drittel aller Analphabeten der Welt. Hinter diesen statistischen Angaben verbergen sich vielfältige Formen der Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen: die ungerechte Lastenverteilung in der Familie, ihre wirtschaftliche Ausbeutung, der Verlust ihrer Kontrolle über Ressourcen und schließlich die ungleiche Bewertung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Zwar haben das „Jahrzehnt der Frau" von 1975 bis 1985 und die 1979 verabschiedete Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau der Schlüsselrolle von Frauen im Entwicklungsprozeß und ihren Rechten weltweite Öffentlichkeit verschafft und gleichzeitig eine Neuorientierung internationaler Frauenpolitik eingeleitet, doch sind trotz der zahlreichen internationalen Fortschritte im Bereich der formalen Gesetzgebung die politischen Auseinandersetzungen um den Rechtsstatus der Frau keinesfalls abgeschlossen. Die Diskussionen auf der Pekinger Weltkonferenz haben dies erneut verdeutlicht. Allgemeine Aussagen über Zusammenhänge von gesellschaftlicher Entwicklung und der Situation von Frauen sind schwierig, da die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich sind. Dennoch erweist sich Frauendiskriminierung in den meisten traditionellen wie auch modernen Gesellschaften als Strukturmerkmal. Immer noch ergeben sich die unterschiedlichen Lebenslagen und -chancen zwischen Mann und Frau aus den ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu Beschäftigung, Einkommen, wirtschaftlichen Ressourcen, Gesundheitsversorgung, Ernährung, Erziehung und vor allen Dingen Ausbildung. Soziale Entwicklungen wie grundlegende Veränderungen in traditionellen Familien- und Gesellschaftsstrukturen, Migration, Urbanisierung, der Kontrast zwischen traditioneller und moderner Lebensweise sowie oft ungünstige wirtschaftliche Entwicklungen für die Mehrheit der Bevölkerung beeinflussen in starkem Maße die Rolle der Frau in den verschiedenen Ländern der Dritten Welt. Fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung in den Ländern des Südens lebt in existenzbedrohender Armut, der überwiegende Teil hiervon sind Frauen mit ihren Kindern. Das Erscheinungsbild von weiblicher Armut hat unterschiedliche Facetten: Einkommensarmut, geringes Alphabetisierungsniveau, fehlende Berufsausbildung und Altersarmut. Frauen sind auch weiterhin nur ungenügend in den politischen und gesellschaftlichen Prozeß vieler Länder der Dritten Welt integriert. Doch eröffnen Umbruchprozesse in diesen Ländern auch neue Chancen für Frauenpolitik, zum einen, weil das Ausmaß der Benachteiligung und Unterdrückung zutage tritt, zum anderen, weil sie die Betätigungsfelder für Frauen erweitert haben. Das, was von vielen Entwicklungsorganisationen und -agenturen heute gepredigt wird, daß nämlich die Frauen der Schlüssel zu mehr und besserer Entwicklung in Dritte-Welt-Ländern sind, muß sich nun auch endlich einmal in der Politik der Bundesregierung ausdrücken. ({2}) Es ist nur zu begrüßen, daß der Präsident der Weltbank, James D. Wolfensohn, diesen Zusammenhang erkannt hat und in seiner Rede in Peking die Ausbildung von Mädchen und Frauen als Schlüssel für eine bessere Zukunft erklärt hat. Wenn schon der Präsident der Weltbank, einer so wichtigen Institution, die Rolle der Frauen so beschreibt, dann muß es doch jeAdelheid Tröscher dem Mann klar sein, daß nachhaltige Entwicklung, ökonomischer Fortschritt und soziale Gerechtigkeit von Frauen abhängig sind. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute über die Ergebnisse der Weltfrauenkonferenz und damit auch über Frauenförderung in der Entwicklungszusammenarbeit diskutieren, dann müssen wir feststellen, daß Frauenförderung leider ein Randbereich geblieben ist. Frauenförderung wird zu oft nur punktuell und unverbunden durchgeführt. Um so wichtiger wäre es, Frauenförderung als konsistentes Element zu verstehen, sprich: daß alle entwicklungspolitischen Maßnahmen sich positiv auf Frauen auswirken. Es geht nicht nur darum, daß Frauen verbesserte Möglichkeiten zur Teilhabe an der Entwicklung ihrer Länder erlangen, sondern auch darum, daß sie selbst von dieser Entwicklung profitieren. Frauenförderung darf sich nicht mehr nur auf frauenspezifische Projekte beschränken, denn mit jeder Veränderung im Interesse von Frauen muß auch eine Veränderung der Männerrolle einhergehen. Es muß zum selbstverständlichen Prinzip unserer Arbeit werden, Männer in frauenfördernde Maßnahmen als Zielgruppe einzubeziehen. ({4}) Das gilt auch für uns hier. Denn eine nachhaltige Verbesserung zugunsten der Situation von Frauen impliziert, daß die bestehenden Machtverhältnisse verändert werden, und das tut weh. Letztendlich geht es nämlich um mehr Macht und Entscheidungsbefugnisse für Frauen. Daher müssen wir uns, wenn wir über nationale Umsetzungspläne reden, an drei Zielen orientieren: an dem schon erwähnten „empowerment", also dem Machtzugewinn durch Verfügung über Ressourcen und Möglichkeiten, über gesellschaftliche Entwicklung mitzuentscheiden und diese mitzugestalten, an der Einlösung von Menschenrechten und an der Beseitigung von Armut. Wie konkret Armutsbekämpfung und Überlebenssicherung durch Frauenförderung aussehen kann, zeigt etwa die Arbeit des Marie-Schlei-Vereins, der Grameen Bank oder die Women's World Banking mit Sitz in New York. Hier gibt es wunderbare Beispiele von Kleinkrediten, die an Frauen vergeben werden, damit sie einen Handwerksbetrieb oder eine landwirtschaftliche Produktion aufbauen können. In vielen Ländern haben Frauen gar keinen Zugang zu Krediten, sie dürfen noch nicht einmal eine Bank betreten. Ich muß ein bißchen kürzen, sonst komme ich nicht hin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach der Weltfrauenkonferenz stellt sich für uns die Frage, welche Perspektiven und Forderungen der entwicklungspolitischen Frauenförderung erarbeitet werden müssen. Meine Fraktion fordert die Bundesregierung auf, alsbald Initiativen zur Umsetzung der Beschlüsse der Aktionsplattform vorzulegen. ({5}) Ich weise auf unseren Antrag hin, den ich jetzt hier nicht mehr ausführlich wiedergeben möchte, aber Sie haben das Papier ja alle vor sich. Es bleibt dabei: Frauen sind der Schlüssel für eine bessere und nachhaltigere Entwicklung. Unser kurzfristiges Denken muß endlich durch eine Konzeption abgelöst werden, die auch ins nächste Jahrtausend reicht. Es darf in der Frauenpolitik nicht zu der Gefahr kommen, daß man nach dem Motto handelt: Die Teilhabe von Frauen an Entscheidungsstrukturen ist ein Luxus für die Industrieländer, während Frauenpolitik in den Entwicklungsländern sich ganz auf die Beseitigung von Armut und mangelnder Bildung sowie auf Gesundheitsfürsorge konzentriert. Eine Verfechterin von Frauenrechten aus Namibia - eine Abgeordnete - sagte einmal: Frauen sind diejenige Hälfte der Bevölkerung, die das Himmelszelt halten. Um das auch weiterhin erfolgreich zu tun, müssen unsere Arme trainiert werden. Das heißt konkret: Es geht um Maßnahmen für eine Beteiligung der Frauen an politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen. Frauen sind der Schlüssel zu einer nachhaltigen und vor allen Dingen friedlichen Entwicklung. Die Staaten, die die Aktionsplattform von Peking unterschrieben haben, werden sich in Zukunft daran messen lassen. Endlich zählt auch bei uns: Handlung, nicht Lippenbekenntnis. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anke Eymer.

Anke Eymer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir wissen doch alle, daß eine Konferenz, auch eine Weltkonferenz, nur Impulse geben kann. Das hat auch die Weltfrauenkonferenz in Peking getan. Ich möchte darauf verzichten, hier ein persönliches Resümee zu ziehen, denn dies haben meine Kolleginnen schon getan. Ich meine allerdings, daß wir in Deutschland erkennen und respektieren müssen, daß Frauen in anderen Ländern, aber auch bei uns, ihre Lebenssituation und ihre Lebensschwerpunkte selbst definieren und unter Chancengleichheit, Menschenrechten und auch Gleichberechtigung von Frauen manchmal etwas anderes verstehen als manche von uns. Meine Kolleginnen der Opposition, ich stelle mir vor, daß in einem anderen Teil der Erde Frauen diese Debatte im Deutschen Bundestag sehen werden. Welchen Eindruck müssen sie von unserem Land haAnke Eymer ben? Ich höre teilweise einfach zuviel Gejaule und keine konstruktiven Vorschläge. Ich wünschte mir, Frau Kollegin Niehuis und auch andere, Sie hätten einmal ein kleines Wort der Anerkennung für die großen sozialen Leistungen in unserem Staat und einen kleinen Dank an unsere Bundesregierung für die familienpolitischen Leistungen ausgesprochen. ({0}) - Sie haben Kritik zu üben; das ist Ihr gutes Recht, auch als Opposition. Ich hätte mir aber gewünscht, daß auch von Ihnen ein kleiner Dank an unsere Ministerin Claudia Nolte gekommen wäre. ({1}) Claudia Nolte hat durchgesetzt, daß der Familienleistungsausgleich verbessert wird. Wenn Sie ihr nicht gedankt haben, möchte ich das an Ihrer Stelle tun und für uns sprechen: Herzlichen Dank, Claudia Nolte! ({2}) Meine Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen, ich weiß sehr wohl, daß es bei uns in Deutschland noch eine ganze Menge zu tun gibt. Ich meine allerdings auch, daß wir über den Tellerrand hinwegschauen müssen. Wir müssen noch bessere Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit schaffen. Es gibt verschiedene Ansätze, Erwerbsarbeit neben der Familienarbeit zu ermöglichen. Für mich gehören hierzu auch die Veränderung der Ladenöffnungszeiten sowie die Anerkennung des Haushalts als Arbeitsplatz. ({3}) - Ich freue mich, daß mein Beitrag bei Ihnen zumindest Aufmerksamkeit findet. Längere Ladenöffnungszeiten bei gleichzeitiger flexibler Arbeitszeit geben Frauen zum Beispiel die Möglichkeit, einer Erwerbstätigkeit zu Zeiten nachzugehen, in denen die Kinder durch den Mann betreut werden können. ({4}) Wer flexiblere Arbeitszeiten fordert, muß auch flexible Ladenöffnungszeiten fordern. In dem Punkt ist Deutschland ein echtes Entwicklungsland. ({5}) Durch die Anerkennung des Haushalts als Arbeitsplatz können wir neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen und damit auch einen Beitrag zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit leisten. Dadurch kann außerdem zum Abbau der Doppelbelastung vieler Frauen beigetragen werden, denn eine Hilfe im Haushalt entlastet auch die Frau. Erforderlich ist neben der steuerlichen Absetzbarkeit allerdings, daß der private Haushalt als Arbeitgeber von möglichst vielen bürokratischen Aufgaben entlastet wird. Schließlich und endlich trägt auch die Anerkennung des Haushalts als Arbeitsplatz zur Aufwertung der Hausarbeit bei, die schon seit langem von vielen Verbänden gefordert wird. ({6}) Ein weiterer Bereich für die Schaffung von Arbeitsplätzen ist der Dienstleistungssektor. Wir müssen aufhören mit dem Märchen, daß hier nur Niedriglohnarbeitsplätze entstünden. Es gibt nämlich nicht nur schlecht bezahlte Stellen im Schnellimbiß oder Aushilfsstellen im Einzelhandel. Zum Dienstleistungsbereich gehören auch der Medien- und Unterhaltungsbereich, der Finanzsektor und der gesamte Bereich der Informationsbeschaffung. Ein Blick nach Amerika zeigt, daß von den knapp 20 Millionen Arbeitsplätzen, die dort in zehn Jahren geschaffen wurden, 80 Prozent im Dienstleistungssektor entstanden sind. Lediglich ein Viertel dieser Arbeitsplätze sind Arbeitsplätze mit Niedriglöhnen. Wir müssen in unserem Land unser Verständnis von Dienstleistung gründlich überdenken und ändern. ({7}) Dazu gehört auch, daß wir die Überreglementierung abschaffen, denn Dienstleistungen werden nicht nur von 9 bis 17 Uhr und auch nicht nur von montags bis freitags nachgefragt. Flexible Strukturen sind gerade für Frauen, die Familien- und Erwerbsarbeit vereinbaren möchten, eine große Hilfe. Zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört auch, darüber nachzudenken, welche Möglichkeiten es außerhalb finanzieller und staatlicher Hilfen gibt. Hier ist heute nicht der Ort - die Zeit ist zu knapp -, um umfassend Vorschläge unterbreiten zu können. Es bedarf einer ausführlichen Diskussion. Ich denke aber, daß zum Beispiel im Bereich der Nachbarschaftshilfe, der Kinderbetreuung und der stärkeren Unterstützung aus dem Familien-, Bekannten- und Freundeskreis etwas getan werden kann. Jeder Schritt ist ein Beitrag zur Verbesserung der Situation von Frauen. Wir sollten all diese Schritte gemeinsam gehen. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Kollegin Marliese Dobberthien.

Dr. Marliese Dobberthien (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000394, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Vierte Weltfrauenkonferenz ist eine Revolution für Frauen", verkündete Gertrude Mongella, die Generalsekretärin der Konferenz. Eine Revolution habe ich nicht erlebt, eher eine schwere Geburt von allerdings respektablen Beschlüssen. Diese Beschlüsse bedürfen der Umsetzung, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Keineswegs ist bei uns die frauenpolitische Welt in Ordnung, wie Frau Nolte uns heute wieder weismachen wollte. ({0}) Kritik ist auch kein „Gejaule", werte Kollegin Eymer. Die Opposition ist für mehr da, als der Regierung dumpfen Beifall zu zollen, wie zu viele Leute von der CDU/CSU es tun. ({1}) Keineswegs kann sich unser Land rühmen, die volle Gleichberechtigung hergestellt zu haben. Im Protokoll der Verfassungskommission von 1993 findet sich daher der Satz: Frauen leisten zwei Drittel der gesamten Arbeit, verdienen aber ein Drittel weniger als Männer und müssen sich mit Renten abfinden, die nur halb so hoch sind wie die der Männer. Eine UNO-Studie kommt zu dem Schluß, daß in keiner Gesellschaft Frauen die gleichen Möglichkeiten haben wie die Männer. Die ILO hat errechnet, daß es 475 Jahre dauern würde, bis die Gleichheit bei der Besetzung von Toppositionen erreicht ist, würde das jetzige Tempo des Fortschrittes anhalten. ({2}) - Ja, peinlich! Was tut die Bundesregierung angesichts von mindestens 3 Millionen arbeitslosen Frauen? Nutzt die Frauenministerin nach Peking etwa die Chance einer Regierungserklärung? Nein! Fehlanzeige! Bringt sie gar ein Gesetz zur Frauenförderung in der Privatwirtschaft auf den Weg? Fehlanzeige! Dämmt sie die ungesicherten Beschäftigungsverhältnisse ein, die Frauen den Sozialversicherungsschutz vorenthalten? Fehlanzeige! Kämpft sie gegen die Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen? Nein! Kein Widerstand! Unterstützt sie den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Teilzeitarbeit? Nein. Er wurde gestern im Frauenausschuß von der Regierungsmehrheit abgelehnt. Im Haushaltsausschuß ließen dieselben gestern unseren Antrag „Arbeit für Frauen" scheitern. Sorgt Frau Nolte wenigstens dafür, daß bei den optimistisch lächelnden Verhandlungsführern des „Bündnisses für Arbeit" auf der Regierungsseite auch Frauen sitzen? Nein. Aber auch Arbeitgeber und Gewerkschaften haben sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. ({3}) Es fragt sich, was die Frauenministerin eigentlich für Frauen tut. Gewiß, sie produziert teure Hochglanzbroschüren, läßt wohlformulierte Modellvorhaben mit winzig kleinen Teilnehmerinnenzahlen durchführen und erschöpft sich im übrigen in vollmundigen Absichtserklärungen, heute wieder einmal zur Strafbarkeit der ehelichen Vergewaltigung. Doch das alles ersetzt keine wirksame Frauenpolitik. Ich frage mich: Warum werden eigentlich diese Absichten nicht endlich in Taten umgesetzt? Wer regiert denn dieses Land seit 14 Jahren? ({4}) Peking hat Frauen sensibilisiert, aber auch die Bevölkerung. Drei Viertel aller Deutschen sind mit dem Stand der Gleichberechtigung unzufrieden. Gar vier Fünftel wollen eine stärkere Frauenförderung für den Wiedereinstieg in den Beruf. Vox populi ist eben doch fortschrittlicher als manche Altherren und Jungchauvis in Parlament und Regierung hier auf der rechten Seite. ({5}) - Nein, nein, die sind viel besser. Sensibilisierung löst auch Unmut, Wut und Zorn über verweigerte Gleichberechtigung aus. Es ist empörend, wenn wieder einmal wirtschaftliche Probleme stark auf dem Rücken von Frauen ausgetragen werden. Abgedrängt in ungeschützte Arbeitsverhältnisse, als „Gebärrisiko" von Personalabteilungen abgewiesen, auf Chefetagen nur in Vorzimmern akzeptiert, kämpfen Frauen noch immer und wieder verzweifelter für Arbeit, Bezahlung und Gleichberechtigung. Beim Stellen- und Sozialraubbau bläst Frauen der Wind noch stärker als Männern ins Gesicht. Wer das Rentenalter für Frauen erhöhen will, muß auch den Mut haben, öffentlich zuzugeben, daß er damit die Erwerbschancen jüngerer Frauen übel mindert. ({6}) Aber ich sage, Herr Blüm - vorhin sah ich ihn hier noch -: Die soziale Knautschzone für Frauen ist ausgeschöpft. ({7}) - Übel, wer Übles bei dem Begriff der Knautschzone denkt! - Wir Frauen haben es satt, Reservearmee der Wirtschaft zu spielen. Wir wollen auch nicht Armeereserve der Bundeswehr werden. ({8}) Eine reaktionäre, überwunden geglaubte frauenfeindliche Ideologie macht sich wieder breit. Frauen, „die sich vorbehaltlos ihrer Familie widmen, die unter Schmerzen ihre Kinder zur Welt bringen", sind die wahren „Heldinnen des Alltags" , schwärmte der Papst. Der Chefredakteur des bayerischen „Wirtschaftskurier", Günter Spahn, fragte: „Muß jede Ehefrau den krampfhaften Ehrgeiz haben, unbedingt im Arbeitsprozeß der Wirtschaft integriert zu werden?" Der Verwahrlosung der Jugend würde Einhalt geboDr. Marliese Dobberthien ten, „wenn Kinder im Umfeld der Mutter - wie vom Schöpfer eigentlich vorgesehen - in Geborgenheit aufwüchsen". ({9}) Herr Glos - er ist nicht da -, Herr Hintze, Sie sind dort, sonst nie um ein derbes Wort verlegen. Wo war denn hier Ihr Einspruch? ({10}) Auch die Bundesregierung fördert die traditionelle Rollenorientierung trotz aller gegenteiligen Beteuerung. Das unbezahlte Ehrenamt statt bezahlter Arbeit soll Frauen ruhigstellen. „Die Förderung und Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit ist einer der Arbeitsschwerpunkte" des Frauenministeriums, heißt es in einem Schreiben vom April 1995. Warum, so fragt frau, fördert ausgerechnet das Frauenministerium das Ehrenamt und nicht etwa das für Sport oder Soziales zuständige Ministerium? ({11}) Zum großen Arbeitsplatzhit für Frauen avanciert neuerdings wieder der Haushalt. 870 000 neue Arbeitsplätze lautet das Versprechen. Kunstvoll verschwiegen wird dabei, daß es die Bundesregierung bis heute nicht geschafft hat, schwangeren Hausangestellten den gleichen Kündigungsschutz wie allen anderen Arbeitnehmerinnen zuzubilligen. Ein schwaches Bild! ({12}) Wir alle wissen: Arbeit ist mehr als Geldverdienen. Arbeit ist auch Bestätigung und materielle Unabhängigkeit. Sie entscheidet letztlich über den Freiheitsspielraum der und des einzelnen. Bezahlte Arbeit Frauen vorzuenthalten bedeutet daher eine massive Diskriminierung. Die Verteilung der bezahlten und der nichtbezahlten Arbeit ist immer auch geschlechtsspezifisch und damit ungerecht. Frauen leisten überwiegend die unbezahlte Arbeit, Männer bekommen das Geld, stellte das Statistische Bundesamt fest. Auch das ist für die Frauenministerin kein Anlaß zum Gegensteuern. Nicht einmal wissenschaftlich fundierte Kritik an Männern löst ministerielles Handeln aus. Männer seien in ihrer Einstellung zu Frauen eine Generation zurückgeblieben, stellte jüngst ein Forschungsinstitut fest - und wieder nur intensives Schweigen. Angesichts einer UNO-Studie, derzufolge Frauenarbeit um 11 Billionen Dollar - das ist eine 11 mit zwölf Nullen, wenn ich richtig zähle - unterbewertet ist, und also angesichts dieser fortwährenden Diskriminierung ist ein nationaler Aktionsplan für unser Land unverzichtbar. Wir Frauen brauchen eine politische Chance. Auf die Bremser in der Regierung und auf der rechten Kollegenbank können wir gern verzichten. ({13}) Die Emanzipation ist wie eine Schnecke auf dem Glatteis, erkannte Willy Brandt schon vor Jahren. Machen wir also diesem Schneckle Beine! ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Rita Süssmuth.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat sind seit der Vierten Weltfrauenkonferenz Monate vergangen, aber ich stelle auch heute, am Ende dieser Debatte, fest: Es geht nicht um die Monate, sondern um die Folgerungen, die wir ziehen, um die Taten, die als Folge dieser Konferenz vollbracht werden und die wir gemeinsam zu befördern haben. Ich möchte gerade auch unseren männlichen Kollegen noch einmal sagen, was die Pekinger Konferenz deutlich gemacht hat: Wir sind längst am Ende einer Betrachtung, bei der Gleichberechtigung ein Frauenthema ist, sondern jetzt ist es ein globales Zukunftsthema. ({0}) Wir reden also nicht nur über die „Global players". Ob es in dieser Welt gelingt, eine gleichberechtigte Zukunft für Frauen und Männer zu schaffen, wird entscheidend sein für die Verwirklichung des Untertitels dieser Konferenz: „Gleichheit, Entwicklung und Frieden" . ({1}) Deswegen gehören die Anträge, die hier eingebracht worden sind, in einen Zusammenhang. Ein weiteres: Ob es Sozialwissenschaftler oder Theologen wie Hans Küng sind oder ob es Hengsbach ist - sie alle betonen, daß sich alle Gesellschaften der Welt von den Familien her organisieren. Wir sollten endlich begreifen, daß dies nicht nur eine Tatsache für Frauen ist, sondern für Frauen und Männer und für alle, die in diesen Familien leben. ({2}) Wir sollten auch begreifen, daß es dabei um Umfelder geht. Demokratie ist zunächst lokal, alle Lebensbezüge sind lokal, aber dann verändern wir das Lokale bis zum Weltweiten. Wenn wir diesen Tatbeständen Rechnung tragen wollen, dann kommt es mir für die nächsten Monate und Jahre in der Bundesrepublik darauf an, daß wir nicht Erreichtes Punkt für Punkt wieder verspielen; denn wir haben einen guten Ausbildungsstand der Frauen, wir haben mehr Frauen in der Erwerbsbeteiligung, als wir je gehabt haben. Das gilt gerade auch für Dienstleistungsberufe. Wir haben eine Entwicklung, in der wir in bezug auf Ansätze aus den 80er Jahren - Anerkennung von Erziehungsleistungen und von Pflegeleistungen - etwas auf den Weg gebracht haben. Aber wir haben die alten Benachteiligungen nicht beseitigt - ob es Lohndiskriminierung ist, ob es die Anzahl von Frauen in Führungspositionen ist, ob es die Anzahl von Frauen in der Politik ist. Wir als Frauen bestimmen nicht die Politik dieses Landes. Wir würden uns etwas vormachen, wenn wir zu dieser Einschätzung kämen, sondern nach wie vor ist es allenfalls so, daß wir inzwischen am Rande Mitgestaltende sind, aber nicht gleichberechtigt gestaltende Frauen in allen Lebensbereichen. ({3}) Auch frage ich: Was wäre denn, wenn wir in den letzten 10 oder 15 Jahren nicht eine aktive Frauenförderung gehabt hätten? Viele sagen: Was sollen wir denn mit diesen Frauenbeauftragten? Wie sähe es denn in Kommunen, in Hochschulen, in der Wirtschaft aus, wenn sie nicht gewesen wären? Diese Bilanz sollten wir uns noch einmal vor Augen führen. In den Minuten, die mir verbleiben, möchte ich noch einmal sagen: Das „Bündnis für Arbeit" muß ein Bündnis mit Frauen und mit den Frauenfragen sein, nicht ohne die Frauen. ({4}) Dabei geht es überhaupt nicht nur um Frauenfragen, sondern um die Vorstellung, die wir haben, wie wir gemeinsam innovativ aus dieser Krise herauskommen. Ich habe große Schwierigkeiten mit all den Unternehmensberatungen, die Unternehmen nur dann für zukunftsfähig halten, wenn sie möglichst viel Humankapital wegrationalisieren. Es sind gerade Frauen, die unterwegs sind und sagen: Was mache ich mit diesem Humankapital, um Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zu schaffen? Ich wünschte mir, daß wir ABM und LKZ viel mehr einsetzten, um Arbeitsplätze im Mittelstand und Existenzgründungen vorbereitend anzugehen, anstatt die Frauen nach einer ABM wieder in die nächste ABM oder in die Arbeitslosigkeit zu schicken. ({5}) Deswegen komme ich zu den geringfügigen Beschäftigungen und zu den Renten, um zwei Punkte herauszugreifen. Es geht bei den Renten nicht um die Frage, prinzipiell zu einem gleichen Rentenalter von Mann und Frau nein zu sagen. Nehmen wir als Beispiel Schweden. Da hat man das Rentenalter von 67 auf 65 Jahre gesenkt. Aber die Freistellungen der Frauen in den Jahren der Kindererziehung werden wie Erwerbsjahre gerechnet. Also brauchen wir auch bei Umstellung jetzt Berücksichtigungen von Tatbeständen, ohne die das Desaster bei den Frauen immer größer und nicht kleiner wird. Wenn man diesen Weg nicht geht, ist die Kinderzahl beim Rentenalter zu berücksichtigen. Aber eine pauschale Gleichstellung, ohne daß wir der Resolution dieses Bundestages entsprochen haben, für eine eigenständige Alterssicherung zu sorgen, darf nicht sein. ({6}) Das ist mein Hauptproblem: Es geht nicht um den Kahlschlag bei den 590-DM-Beschäftigungsverhältnissen. Aber wenn die am schnellsten wachsenden Arbeitsplätze die 590-DM-Jobs sind, dann gilt es doch, die Frage zu stellen: Wer zahlt eigentlich noch in die Sozialkassen ein? Das ist doch die zentrale Frage. ({7}) Unabhängig von dem Punkt, ob daraus eine eigenständige Alterssicherung erwächst, ist doch eine erste Frage, warum die 20 Prozent Steuern, die davon gezahlt werden, nicht gesplittet werden: 10 Prozent Steuern, 10 Prozent in die Sozialkassen. ({8}) Denn von einer Tatsache müssen wir ausgehen: Wer über lange Zeit in diesen 590-DM-Jobs arbeitet, kann überhaupt keine Rentenversicherung aufbauen. Die Vorstellung, daß man abgeleitet vom Ehemann Rente bekommt, gilt für immer weniger Frauen. Also ist doch die Frage: Müssen wir ein alternatives System für die geringfügig Beschäftigten schaffen? ({9}) Deswegen erkläre ich hier: Es genügt nicht, zu sagen: Wir lassen alles beim alten. Man kann schnell sagen: Die Nichterhöhung des Kindergeldes um 20 DM im nächsten Jahr ist eine ungeheure Tatsache. Wenn in der Regierungsverantwortung gestanden wird, dann gilt zunächst sicherlich der Grundsatz von der Einhaltung eines Versprechens und der Glaubwürdigkeit. Es ist die letzte Maßnahme bei versprochenen Leistungen. Aber eines scheint mir wichtig zu sein: daß wir in dieser Situation nicht weiter an der Familie herumknapsen und sie demontieren, sondern ihr Zukunft geben; ({10}) denn die Investitionen in die Familie haben für mich keinen geringeren Stellenwert als die Investitionen in die Wirtschaft; sonst macht der Grundsatz überhaupt keinen Sinn. Ich investiere doch nicht in die Wirtschaft, ohne zu fragen, woher ich die Menschen erhalte, wer sie erzieht, fördert und wo sie ihren Zusammenhalt erfahren. Deswegen muß hier eine Parallelität nicht nur konzipiert, sondern auch praktiziert werden. ({11}) Zu der gestellten Frage, was wir im Ausländerrecht machen, möchte ich Ihnen auch noch einmal sagen: Ich hätte mir gewünscht, wir hätten noch länger über einen gemeinsamen Antrag debattiert. ({12}) Ich weiß sehr wohl, wie schwierig das ist, welche Mühen wir dabei haben. Aber ich sage Ihnen, es ist der Punkt nicht ausdiskutiert, den die Kollegin Bärbel Sothmann genannt hat, der Punkt Schutz vor Mißbrauch. Wir haben immer gesagt - Frau Niehuis, Sie haben es eben angesprochen -, wieviel Scheinehen werden geführt, um ganz schnell die Frauen wieder loszuwerden und ihnen allenfalls ein Bleiberecht zu gewähren. Deswegen muß ich sagen: Ohne jegliche Frist können wir dem Antrag so nicht zustimmen. Aber wir können uns immer noch zusammensetzen, und manches würde vielleicht besser gelingen, wenn wir da auch interfraktionell zusammenarbeiten würden. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Zeit ist abgelaufen, ich kann keine Zwischenfragen mehr gestatten. Ich möchte Sie aber bitten, daß wir uns an diesem Punkt noch einmal zusammensetzen und nicht sagen, im Härtefall entfällt jegliche Frist, sondern wir haben immer gesagt, wir brauchen eine Verkürzung der Fristen und einen Entfall. Mein Wunsch ist, daß die Gleichberechtigungsfrage in der Bundesrepublik Deutschland dahin kommt, daß wir auch darin einmal Modell werden und nicht fragen müssen, wie viel uns gerade ärmste und südlichere Länder an Vorteilen inzwischen nahezubringen haben. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Süssmuth! Sie kennen sicherlich genau wie ich und viele weibliche Abgeordnete in diesem Saal zahlreiche Fälle von mißhandelten, mißbrauchten Frauen ausländischer Nationalität, die mit deutschen Männern, mit ausländischen Männern verheiratet sind, die unterdrückt und ausgebeutet werden, denen sexuelle Gewalt angetan wird, die geschlagen werden, die mit ihren Kindern in Frauenhäuser flüchten müssen, die aber hilflos und wehrlos sind, weil ihnen in Deutschland ein eigenständiges Aufenthaltsrecht verwehrt wird. Angesichts dieser Tatsachen - die Ihnen, wie ich weiß, auch bekannt sind - hier davon zu reden, daß ein eventueller Mißbrauch, nämlich daß sich jemand hier ein Aufenthaltsrecht erschleichen würde, höher anzusiedeln ist als eine bedenkenlose Unterstützung und ein bedenkenloser Schutz für diese mißhandelten Frauen, bin ich doch sehr irritiert und auch empört. Da bin ich wirklich enttäuscht. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

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Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Schmidt, es ist wirklich eine Verdrehung, die jetzt im Raum steht. ({0}) Es geht doch nicht darum, diejenigen Frauen, die in größter Bedrängnis sind, gegen diejenigen auszuspielen, die ich auch nach wie vor mit dem Risiko des Mißbrauchs belege. Ihre Antwort müßte eigentlich sein, ob es zusätzlich für ganz außergewöhnliche Fälle auch außergewöhnliche Entscheidungen geben muß, um solchen Frauen in solchen Fällen der Bedrängnis zu helfen. Aber es kann doch nicht darum gehen, zu sagen, diese Fälle nehmen wir zum einzigen Kriterium, und um den Mißbrauch kümmern wir uns nicht mehr. ({1}) Denn neben den Fällen, die Sie genannt haben, sind ebensoviele Fälle und mehr bekannt, wo Frauen hereingeschleust werden und dann über die Scheinehe das Aufenthaltsrecht erwirkt wird, ({2}) wo genau mit Bedrängnis und Gewalt gearbeitet wird, um solche Härtefälle vorzugeben. Deswegen wehre ich mich gegen den Vorwurf, ich spielte diese Frauen aus und der soziale Mißbrauch habe für mich einen höheren Rang als die Bedrängnisse dieser Frauen mit ihren Kindern. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Ulrike Mascher.

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Professor Süssmuth, Sie wissen sicher genauso gut wie ich, daß das Bundesverfassungsgericht 1987 entschieden hat, daß die Rentenaltersgrenze von 60 Jahren für Frauen wegen der frauentypischen Benachteiligungen im Erwerbsleben und wegen der frauentypischen Doppelbelastungen verfassungsrechtlich legitim und geboten ist. Sie haben anschaulich gemacht, daß sich an den Benachteiligungen leider nichts geändert hat. Warum, Frau Professor Süssmuth, haben Sie als Vorsitzende der Frauenunion nicht ohne Wenn und Aber erklärt: Eine Anhebung des Rentenalters ist mit den Frauen der Union, ist mit Rita Süssmuth nicht zu machen? ({0}) Was geschieht statt dessen? Sie versuchen, das Schlimmste zu verhüten. Sie versuchen, mittels des Kriteriums der Zahl der Kinder noch einen weichen Übergang zu schaffen. Aber das reicht nicht aus. Warum sagt die Frauenministerin angesichts der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland nicht klipp und klar: Mit mir ist eine Erhöhung des Rentenalters nicht zu machen, weil das den Arbeitsmarkt weiter beschädigt? ({1}) Ich sage für die SPD: Mit der SPD wird es keine Heraufsetzung des Rentenalters geben. Denn das ist angesichts von 3 Millionen Arbeit suchenden Frauen gegenüber den jungen Frauen unverantwortlich. ({2}) Hier eine Veränderung vorzunehmen wäre ein dreister Vertrauensbruch gegenüber all den Frauen, deren Lebensplanung sich im Vertrauen auf unsere Rentengesetzgebung gründet. Es leistet auch keinen Beitrag zur kurzfristigen Lösung der Finanzprobleme der Rentenversicherung. Oder erwarten Sie etwa, daß die Frauen, die seit Jahren arbeitslos sind, mit 60 dann Kürzungen der Rente in Kauf nehmen? Das können Sie angesichts der Höhe der Renten von Frauen nicht verantworten. Das ist eine Verarmungspolitik, die mit der SPD nicht zu machen ist. ({3}) Wir von der SPD wollen keine Politik, die die Armut der Frauen vergrößert, die die Arbeitslosigkeit von Frauen weiter erhöht. Frau Professor Süssmuth, Sie haben sehr viel Beifall von der SPD bekommen, als Sie angekündigt haben, daß Sie auch die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse sozial absichern wollen. Wir warten darauf, daß von Ihnen und den Frauen der CDU bei der Sparrunde ein deutliches Zeichen gesetzt wird, besonders dann, wenn es um die Streichung der Erhöhung des Kindergeldes geht. Sie haben von uns Beifall bekommen, wir warten auf Ihre Aktionen. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

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Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine Antwort auf Ihre Forderung, ohne Wenn und Aber nein zur Anhebung des Rentenalters zu sagen: ({0}) Ich habe als Vorsitzende der Frauenunion mitgewirkt an dem Beschluß, die Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen im Jahre 2010 zu realisieren. Wenn wir heute mit dem Verfassungsgerichtsurteil und den Benachteiligungen argumentieren, dann müssen wir auch die Frage einer möglichen Anhebung des Rentenalters von den Benachteiligungstatbeständen abhängig machen. Die haben ganz entscheidend mit der diskontinuierlichen Erwerbsbiographie und der Kindererziehung zu tun. Von daher - das sage ich noch einmal - muß man bei diesem Tatbestand ansetzen und nicht pauschal bei der Arbeitslosigkeit. Denn arbeitslose Männer gibt es ebenso wie arbeitslose Frauen. Auch hier zu differenzieren ist für mich keine Lösung. Ein ausschlaggebendes Kriterium ist, daß die Benachteiligungen im Zusammenhang mit Kindern, durch fehlende eigenständige soziale Sicherung und die Belastung von Arbeitsleben und Kindererziehung auch beim Rentenalter berücksichtigt werden. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Bevor wir nun zum Abstimmungsprozedere kommen, gebe ich der Abgeordneten Christina Schenk das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung zu dem SPD-Antrag, über den wir danach namentlich abstimmen.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde dem Antrag der SPD in bezug auf die Härtefallregelung für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ausländischer Ehegatten zustimmen. Da aber die PDS im vergangenen Jahr einen eigenen Entwurf zu § 19 des Ausländergesetzes vorgelegt hat, der weit über den heute vorgelegten Antrag hinausgeht, ist das erklärungsbedürftig. Wir, das heißt die PDS, wollen die Streichung aller Fristen zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts. Aber ich begrüße die Forderung der SPD, wenigstens bei Härtefällen die Dreijahresfrist ersatzlos zu streichen. Seit Jahren haben Frauenorganisationen wie Migrantinnengruppen, Terres des femmes, Agisra, Frauen-gegen-Gewalt-Gruppen und auch andere immer wieder auf die Situation ausländischer Frauen hingewiesen, die auf Grund dieses Paragraphen und dieser Frist zur Hinnahme einer entwürdigenden und oft sogar lebensgefährlichen Situation gezwungen werden. Gestatten Sie, daß ich kurz sage, daß ich es als außerordentlich zynisch empfinde, wenn die Angst vor dem Mißbrauch dieser Regelung wichtiger genomChristina Schenk men wird als der Schutz von Frauen vor Gewalt. Das ist etwas, was ich nicht nachvollziehen kann. ({0}) Wird die Beziehung unerträglich oder kommt es zu Gewalttätigkeiten in der Ehe, ist eine freie Entscheidung über die Fortsetzung oder Beendigung der ehelichen Gemeinschaft unmöglich, wenn man nicht eine Ausweisung in Kauf nehmen will. Von dieser Regelung sind insbesondere Frauen betroffen. Das Problem ist, daß geschiedene und getrennt lebende Frauen in ihren Herkunftsländern

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Sie müssen hier Ihr Abstimmungsverhalten begründen und nicht noch einmal zur Sache sprechen.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- das tue ich gerade - mit gesellschaftlicher Ächtung und Ausgrenzung rechnen müssen und daher eben nicht ohne weiteres zurückkehren können. § 19 des Ausländergesetzes wird zum Machtmittel in der Hand des Ehemannes. Wenn Frauen ins Frauenhaus flüchten, kommt es sogar zu Situationen, daß Ehemänner die Ausländerbehörde alarmieren und es zu einer verhängnisvollen Allianz von gewalttätigen Ehemännern mit der Ausländerbehörde kommt. Der Antrag der SPD ist geeignet, diese brutale Praxis zu stoppen. Deshalb werde ich diesem Antrag zustimmen. Aber nur die Frist in der Härtefallregelung zu streichen ist noch nicht die Lösung. Denn die betroffenen Frauen bleiben der Willkür der Gerichte und der Behörden ausgeliefert. Denn wer entscheidet, ob ein Härtefall vorliegt oder ob das nicht der Fall ist? Die einzige Lösung in der gegenwärtigen Situation ist daher die Streichung aller Fristen, das heißt ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ab Eheschließung.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, zu Ihrem Abstimmungsverhalten sollen Sie reden, nicht noch einmal in der Sache debattieren.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin, da sich dieser Antrag der SPD wirklich gravierend von unserem unterscheidet bzw. hinter dem zurückbleibt, was wir hier gefordert haben, ich diesem Antrag aber zustimmen werde und dafür werben möchte, daß die Mitglieder der Bundestagsgruppe der PDS diesem Antrag geschlossen zustimmen, möchte ich das ausdrücklich begründen. Ich bin auch gleich fertig. Ich möchte nur noch sagen: Es ist auch zu kritisieren, daß die Eheschließung überhaupt für eine Aufenthaltsgenehmigung die Voraussetzung ist. Das bedeutet eine Diskriminierung anderer Lebensformen. Binationale Paare sind gezwungen zu heiraten, auch wenn sie lieber in einer anderen Form zusammenleben möchten. Lesbische Frauen und schwule Männer haben überhaupt keine Möglichkeit, mit ihrer Partnerin oder mit ihrem Partner ohne deutsche Staatsangehörigkeit hier zu leben. Insgesamt muß ich sagen: Jede noch so gut gemeinte Reform des Ausländerrechts muß Flickschusterei bleiben. Die restriktiven Regelungen sind insgesamt diskriminierend und menschenverachtend. Dennoch ist die Streichung der Dreijahresfrist wenigstens eine Teillösung. Ich denke, deswegen können wir dieser guten Gewissens zustimmen. Danke. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Zunächst zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu den Anträgen der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Peking und zur Verwirklichung der Menschenrechte und der Demokratie für Frauen. Das ist die Drucksache 13/4042 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 13/1441 und 13/1551 zusammenzufassen und in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden. Zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Forum der Nichtregierungsorganisationen auf der Weltfrauenkonferenz in Peking, Drucksache 13/4042 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 1427 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit der großen Mehrheit des Hauses angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3151, 13/3991, 13/4102, 13/ 4116, 13/4357 und 13/4366 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD „Diskriminierung von Frauen bei der Teilnahme an Olympischen Spielen" auf Drucksache 13/4092 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. „Diskriminierung von Frauen bei den Olympischen Spielen" auf Drucksache 13/4358 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei einer Enthaltung angenommen worden. ({0}) Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zu der vereinbarten Debatte zur Frauenförderung in der Europäischen Union auf Drucksache 13/4121. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2769 abzulehnen. Wer stimmt für Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Gruppe der PDS zu einem Beobachterstatus des Vatikans bei den Vereinten Nationen auf Drucksache 13/ 4100 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Kein Gesetzesbruch bei der Umsetzung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes" auf Drucksache 13/4372 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der SPD zu einer Härtefallregelung für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ausländischer Ehegatten auf Drucksache 13/4364. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. ) Wir setzen die Beratung fort. ({0}) - Ich möchte Sie bitten, Platz zu nehmen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis f sowie die Zusatzpunkte 4 und 5 auf: 4. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({1}) - Drucksache 13/4246 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({2}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Elfter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung *) Seite 8695 D der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 - Drucksache 13/3413 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes - Drucksache 13/4335 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({4}) Ausschuß für Gesundheit d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Notwendigkeit der Studienabschlußförderung vor dem Hintergrund derzeit geplanter Strukturreformen an Hochschulen - Drucksache 13/3414 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({5}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({6}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1995 - zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Günter Rixe, Peter Enders, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gemeinschaftsinitiative Ausbildungsplatzsicherung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Elisabeth Altmann ({7}), Matthias Berninger, Werner Schulz ({8}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1995 - Drucksachen 13/1300, 13/1502 ({9}), 13/1838, 13/1846, 13/3488 Berichterstattung: Abgeordnete Dr.-Ing. Rainer Jork Günter Rixe Elisabeth Altmann ({10}) Dr. Karlheinz Guttmacher Präsidentin Dr. Rita Süssmuth f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung „Stärkung und Modernisierung der beruflichen Bildung" - Drucksache 13/4213 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({11}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger, Marieluise Beck ({12}), Andrea Fischer ({13}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einrichtung eines Bundesausbilddungsförderungsfonds ({14}) - Drucksache 13/4361 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({15}) Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Rixe, Dr. Peter Glotz, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Handlungsvorschläge zur Rettung des dualen Systems der Berufsausbildung - Drucksache 13/4371 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner spricht Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dem Deutschen Bundestag liegt heute ein Maßnahmenpaket zur Bildungsförderung vor, das im Kern drei Elemente enthält: zum ersten eine Reform der Bundesausbildungsförderung für Studenten mit dem Ziel, Studium, Forschung und Lehre an den deutschen Hochschulen entscheidend zu verbessern; zum zweiten eine Reform der Hochschulbaufinanzierung, damit sich die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wieder auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren kann; zum dritten ein Maßnahmenkatalog zur Stärkung und Modernisierung der beruflichen Bildung, damit wieder mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden. Seit Beginn der Legislaturperiode debattiert der Deutsche Bundestag heute zum neuntenmal über Bildungspolitik. Da soll irgendeiner sagen, dieser Bundestag, diese Bundesregierung nehme das Problem von Bildung und Ausbildung nicht wichtig. Ich finde das gut. Ich finde auch gut, daß es uns - das sei einmal losgelöst von allen unterschiedlichen Auffassungen gesagt - gemeinsam gelungen ist, in den letzten Monaten das Thema Hochschule, das Thema Schule, das Thema Lehrlinge wieder zu einem zentralen Punkt der politischen Auseinandersetzung zu machen. Das ist gut, und das ist ein gemeinsamer Erfolg. Denn wir stehen vor ganz großen Aufgaben, die vielen in Deutschland überhaupt nicht bewußt sind. Wir haben in den letzten Jahrzehnten alle miteinander da, wo wir Verantwortung getragen haben, im Bund und in den Ländern, unser Bildungssystem in erheblichem Umfang quantitativ ausgebaut. Aber viele in unserer Bevölkerung haben die Vorstellung, daß diese Gesellschaft eine alternde Gesellschaft sei. Es ist gut, daß die Menschen immer älter werden. Auch wir sind alle froh darüber, daß wir gesund älter werden. Aber dabei wird häufig übersehen, daß wir gerade in den nächsten Jahren eben nicht mit sinkenden Jahrgangsgrößen im Bereich der jungen Menschen zu tun haben, daß es eben keine verantwortliche Politik sein kann, einfach darauf zu warten, daß irgendwann die Jahrgangszahlen kleiner werden und das bestehende Bildungs- und Ausbildungssystem dann in der Lage ist, mit der Anzahl der jungen Leute fertig zu werden. Die Wahrheit ist, daß in allen Bereichen in den kommenden Jahren die Nachfrage dramatisch zunehmen wird. Im Bereich der Schulen wird die Anzahl der Schüler von 12 Millionen auf 13 Millionen steigen, im Bereich der beruflichen Bildung brauchen wir in diesem Jahr 620 000 Lehrstellen; diese Zahl wird im kommenden Jahrzehnt auf über 700 000 steigen. Auch im Bereich der Hochschulen werden wir es nicht mit einem Nachlassen der Nachfrage zu tun haben. Vielmehr wird die heute vorhandene Anzahl von Studentinnen und Studenten von 1,9 Millionen auf wahrscheinlich über 2 Millionen steigen. Deshalb ist es dringend notwendig, jetzt etwas zu tun, jetzt konkrete Entscheidungen zu fällen. Das ist in einer Zeit, in der die Politik, in der die Parteien, die Bundesregierung, der Bundesrat, die Länder darum ringen, wie wir mit den öffentlichen Kassen klarkommen, natürlich eine besonders schwierige Aufgabe. Manchmal habe ich das Gefühl, wir haben gemeinsam die Aufgabe, während der Fahrt bei mehr als 100 km/h die Reifen zu wechseln. Das ist eine verdammt schwierige Aufgabe. Weil dies so ist, muß dieser Streit sein. Ich bin froh darüber, daß wir ihn führen. Ich bin auch dankbar, daß wir inzwischen Wege gefunden haben, wie wir im Deutschen Bundestag, beginnend mit dem heutigen Tag, aber auch im Verhältnis von Bund und Ländern solche Gespräche führen können. Ich bin froh, daß sich mein Eindruck von Tag zu Tag verstärkt, daß die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, trotz unterschiedlichster Ausgangspositionen da ist. Insofern bin ich optimistisch, daß wir eine Chance haben, bis zur Sommerpause eine gemeinsame Lösung für die Probleme zu bekommen. Dies gilt auch für den sicherlich ganz schwierigen BAföG-Bereich. Die Bundesregierung hat mit dem 18. BAföG-Änderungsgesetz einen Vorschlag vorgelegt, der auch in der öffentlichen Debatte strittig behandelt wird, obwohl der angekündigte heiße Herbst mehr ein milder Winter geworden ist. Natürlich weiß ich, daß die Einführung von Zinsen für den Darlehensanteil der Studienförderung kein populärer Vorschlag ist. Aber leider wird in der Diskussion häufig übersehen, daß dieses belastende Element des Vorschlags mit einer Vielzahl von Vorschlägen kombiniert ist, die für junge Leute gut sind, die auch gut dafür sind, daß man in Deutschland weiterhin studieren kann, unabhängig davon, ob man aus einem reichen oder armen Elternhaus kommt, unabhängig davon, ob man aus einem ländlichen Gebiet oder aus einer Universitätsstadt kommt. In der jetzigen Zeit, in der die Politik darum ringt, Einsparungen auch bei bestehenden Gesetzen vorzunehmen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der mit Zustimmung des Finanzministers eine 6prozentige BAföG-Erhöhung vorsieht, ist eine Politik, die die Verantwortung für die jungen Menschen ernst nimmt. Ich halte es auch für richtig, dies zu tun, denn ich sehe nicht ein, daß wir uns im Bereich der Studenten anders verhalten, als wir dies im vergangenen Jahr bei allen anderen Steuerbürgern getan haben, als wir das Existenzminimum zur Grundlage der Steuergesetze gemacht haben. Mit dem Vorschlag einer 6prozentigen BAföG-Erhöhung erreichen wir diese Beträge in Kombination mit dem Kindergeld und den Ausbildungspauschalen auch für die Studentinnen und Studenten. Das dritte ist der Versuch, in einem Teilbereich einen Impuls für die Reform der Hochschulen zu geben. Das Stichwort lautet Neuregelung der Förderungshöchstdauer. Es gibt einen Dissens in den Auffassungen. Wir haben dies hier bereits mehrfach diskutiert. Der Gedanke, daß es notwendig ist, die jungen Menschen ein Stück weit an ihren Ausbildungskosten zu beteiligen, scheint, wenn ich mir die verschiedenen Modelle ansehe - sei es das, was in der SPD diskutiert wird, sei es das, was beim Bündnis 90/Die Grünen diskutiert wird, sei es das, was beim Deutschen Studentenwerk diskutiert wird -, inzwischen Allgemeingut geworden zu sein. Es ist notwendig, zu einer Beteiligung an den Kosten zu kommen. Die Frage ist - das scheint mir der Punkt zu sein, zu dem es unterschiedliche Auffassungen gibt -: Wann soll das ansetzen? Es gibt zum Beispiel den Vorschlag des verehrten Kollegen Glotz. Er ist für Studiengebühren. Das bedeutet, daß es während des Studiums zu einer Kostenerhöhung kommt. Ich bin froh, daß Kollege Glotz, nachdem die Landtagswahlen vorbei sind, wieder über dieses Thema reden darf. Er wird dazu gleich sicherlich Stellung nehmen. Ich bin nicht der Auffassung, daß wir Studiengebühren einführen sollten. Wenn wir zu einer Beteiligung an den Kosten kommen müssen, dann nicht während des Studiums, wenn die Studenten das vorhandene Geld brauchen, sondern nach dem Studium, wenn sie in Brot und Arbeit sind, wenn sie zu denjenigen gehören, die als Akademiker ein höheres Einkommen haben. Dies sieht der Vorschlag der Bundesregierung vor. Natürlich weiß ich, daß das eine Veränderung im Denken voraussetzt. Ich weiß, daß wir über 20 Jahre lang - deshalb tun sich ja auch viele so schwer damit - nach anderen Philosophien gearbeitet haben. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Es ist in Deutschland normal, sich mit dem Fünffachen seines Jahresgehaltes für den Hausbau zu verschulden. Aber es wird als Katastrophe bezeichnet, wenn ein paar Monatseinkommen für die Ausbildung angelegt werden sollen. Das ist einer der Punkte, bei dem sich unser Denken verändern muß. Denn Zukunftssicherung kann für junge Menschen gar nicht wichtig genug sein und heißt auch eine eigene Investition in Bildung und Ausbildung. Beides verdient gefördert zu werden, nicht nur der Hausbau, sondern auch die Ausbildung. Aber keines von beiden kann notwendig ein Geschenk der Allgemeinheit an die Begünstigten sein. ({0}) Es gibt noch einen weiteren Punkt. Wer sich das BAföG genau anschaut, der wird feststellen, daß wir inzwischen eine Regelungswut haben, die kaum noch jemand übersieht. Wir haben alleine 400 verschiedene Vorgaben im jetzigen Gesetz, die sich mit der Frage der Förderungsdauer beschäftigen. 400 verschiedene Regelungen! ({1}) Deshalb ist der Vorschlag, der in diesem Änderungsgesetz enthalten ist - ich nenne einmal ein paar Punkte, die in der Diskussion bisher noch nicht so sehr im Vordergrund gestanden haben -, wichtig, daß wir zu Änderungen kommen, und zwar nicht nur deshalb, damit es bürokratisch weniger aufwendig wird, sondern auch deshalb, damit die Regelungen für diejenigen, die davon betroffen sind, verständlicher werden. ({2}) Meine Damen, meine Herren, wir werden im Deutschen Bundestag mit den Debatten beginnen. Die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler haben eine Arbeitsgruppe beauftragt, miteinander zu sprechen. Die Gespräche haben begonnen. Ich finde es wichtig, daß wir über das Thema reden. Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß wir bei den unterschiedlichsten Auffassungen, die wir haben und die vorgelegt worden sind - zum Beispiel vom Kollegen Glotz, vom Kollegen Berninger und vom DSW -, jetzt versuchen sollten, eine gemeinsame Lösung zu finden, weil wir keine Alternative haben. Es hat einmal den Vorwurf gegeben, ich hätte Pakete geschnürt und irgendwelche Sachen miteinander verbunden, die man nicht miteinander verbinden darf. Die Wahrheit ist natürlich immer ganz konkret und ganz einfach. Die Wahrheit lautet, daß man jede Mark nur einmal ausgeben kann. Wenn ich auf der einen Seite weiß, daß wir zu einer Verbesserung beim BAföG kommen müssen, wenn ich auf der anderen Seite weiß, daß wir im Bereich Hochschulbau angesichts dessen, was ich soeben geschildert habe, immer mehr Studenten - zwei Studentinnen und Studenten auf jedem Studienplatz - haben, und da Investitionen tätigen müssen, und wenn ich außerdem weiß, daß die personelle Ausstattung unserer Hochschulen verbessert werden muß, dann habe ich nicht die Alternative zu sagen: Es tut mir leid, wir können uns nicht einigen. Es muß vielmehr jetzt entschieden werden, weil die Alternativen verheerend wären. Die Alternative würde zum Beispiel bedeuten, daß im Hochschulbau keine neuen Maßnahmen angefangen werden könnten, daß, je nachdem wie das Ganze läuft, Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Hochschulen entlassen werden müßten, weil die Hochschulsonderprogramme nicht revidiert werden könnten. Von daher gesehen halte ich auch die Debatte um das Hochschulbauförderungsgesetz für wichtig. Auch da gibt es unterschiedliche Interessen. Wir sollten nicht so tun, als ob das alles ideologische Interessen sind. Da geht es, wie der Bundeskanzler zu sagen pflegt, um Bimbes. Ich finde es ganz wichtig, daß wir auch hier zu einer Vereinfachung im bürokratischen Zugriff kommen. Die Anhebung der Bagatellgrenzen ist zwischen Bund und Ländern unstrittig. Sie sind seit 1970 nicht mehr angehoben worden, so daß heute wegen jeder kleineren Maßnahme ein sehr kompliziertes Verfahren durchgeführt werden muß. Das kann nicht so bleiben. Dies bedeutet eine Veränderung der Finanzströme; das ist klar. Darüber müssen wir reden. Deshalb gibt es auch eine Diskussion über den medizinischen Teil. Gerade in Zeiten, in denen über Krankenkassenreformen geredet wird, ist dies von Bedeutung. Vielleicht müssen die Bildungspolitiker auch einmal darauf hinweisen, daß es eigentlich nicht im Sinne des Erfinders war, daß in Deutschland via Forschungsförderung, via Hochschulbauförderung inzwischen die Maximalversorgung in der Fläche ausgebaut wird. 40 Prozent der Mittel für den Hochschulbau gehen inzwischen in den medizinischen Sektor. Ich weiß auch nicht, ob wir direkt im ersten Galopp eine Regelung finden können. Ich finde aber, daß es Zeit ist, dies einmal zu thematisieren - vor allen Dingen wenn uns gleichzeitig diejenigen, die dort arbeiten und forschen, sagen, daß wir international den Anschluß verloren haben. Ich weiß auch da geht es wieder um Geld. Darüber müssen wir sicherlich miteinander diskutieren. Es gibt etwas, über das ich mich sehr geärgert habe. Dies betrifft das Stichwort Leasing. Ich habe gerade eine Erklärung der Kultusminister gelesen, worin steht, ich sei gegen Leasing. Ich bin überhaupt nicht gegen Leasing. Es ist wahr: In diesem Gesetzentwurf steht nichts von Leasing. Das Bundeskabinett hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, als wir das Gesetz eingebracht haben, damit die Diskussion beginnen kann, daß parallel dazu Gespräche zwischen dem Bundesfinanzminister und den Länderfinanzministern über die Zulässigkeit von Leasing laufen. Insofern konnten wir diesen Gesprächen nicht vorweggreifen; sie sind noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung hat erklärt, daß wir, wenn es Einvernehmen zwischen den Finanzministern gibt, sofort die entsprechenden Beschlüsse zum Hochschulbauförderungsgesetz fassen werden. Wir als Bildungspolitiker haben unsere Hausaufgaben gemacht und zwischen Bund und Ländern einvernehmlich das Optionsleasing entwickelt. Die Frage, wie sich dies in das finanzpolitische Korsett einpaßt, wird zur Zeit geprüft. Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Sie wissen, daß ich ein engagierter Verfechter der These bin, daß allgemeine und berufliche Bildung gleichwertig sind. Wir brauchen in Deutschland den renommierten Professor genauso wie den hochqualifizierten Handwerksmeister. ({3}) Deshalb habe ich mich in diesem Bereich im vergangenen Jahr besonders engagiert. Deshalb war die Lösung für das Meister-BAföG ein so wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichwertigkeit. Deshalb ist der auch jetzt wieder beginnende, notwendige Kampf um die Lehrstellenversorgung ein so zentraler Punkt. Wir brauchen zusätzliche Ausbildungsplätze. Im vergangenen Jahr haben wir einen Erfolg erzielt: Erstmals sind die Zahlen nicht gesunken. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, Ihr Antrag hat mich etwas berührt. Ich habe eben gesagt, daß es um Geld geht. Das setzt natürlich voraus, verehrte Frau Kollegin Odendahl, daß man rechnen kann. Das ist eine Schlüsselqualifikation - für die Zukunft ganz wichtig -, ({4}) allein schon um die Wahrheit zu sagen und Wahrheit wahrzunehmen. Es ist einfach nicht wahr, wie in Ihrem Antrag steht, daß das Ausbildungsplatzangebot in den alten Ländern 1994/95 um 8,7 Prozent gesunken ist. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben, erstmals seit Mitte der 80er Jahre, mit 450 000 neuen Ausbildungsverträgen das Absinken der Zahl gestoppt. Insofern stimmt die Zahl in Ihrem Antrag nicht. Die Zahl der Nachfrager in den neuen Ländern betrug nicht 191 000, sondern 128 000. Die betrieblichen Ausbildungsverträge in den neuen Ländern sind um beachtliche 11,2 Prozent auf gut 102 000 angewachsen. - Ich könnte weitere Dinge vortragen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder hatten Sie eine falsche Quelle, oder es lag am Rechnen. Ich halte es für wichtig, daß wir die Zahlen im Laufe der Beratungen auf den richtigen Stand bringen. Ich habe davon gesprochen, daß es Handlungsbedarf gibt. Hier ist natürlich die besondere Situation in den neuen Bundesländern zu beachten. Daß es da besonders schwierig ist, wissen wir. Wir haben in den letzten Jahren mit viel, viel Geld in Form einer Gemeinschaftsinitiative reagiert. Ich habe vor einigen Wochen gesagt - ich will dies hier ausdrücklich wiederholen -, daß es nicht nur meiner Vorstellung nach keine Gemeinschaftsinitiative alten Musters geben kann - nicht, weil ich glaube, daß wir als Bund für die Versorgung mit Ausbildungsplätzen, mit Lehrstellen in den neuen Bundesländern keine Verantwortung tragen, sondern einfach deshalb, weil ich wahrnehme, daß das Instrument der Gemeinschaftsinitiative überholt ist. Nicht nur Sachsen hat sich inzwischen aus der Gemeinschaftsinitiative herausgezogen. Der ansonsten eine sehr merkwürdige Rolle spielende Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern hat mich vor wenigen Wochen aufgefordert, keine Gemeinschaftsinitiative mehr vorzulegen, sondern mit den Ländern zusammen eine Alternative zu entwikkeln. Herr Ringstorff ist bekanntermaßen SPD-Mitglied. Von der letzten Gemeinschaftsinitiative sind in Sachsen-Anhalt, sind in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt 1 500 Plätze gar nicht in Anspruch genommen worden, obwohl die Damen und Herren Minister uns vorher in einer nicht sehr feinen Art und Weise beschimpft haben, der Bund würde nichts tun. Erst kämpft man um Ausbildungsplätze und braucht sie anschließend gar nicht. Es kann doch nicht richtig sein, ein Modell wieder aufzulegen, was Hunderte von Millionen kostet und was im Anschluß daran gar nicht gebraucht wird, respektive an den Bedürfnissen der jungen Menschen vorbeigeht. Ich finde es wichtig, erstens noch einmal festzuhalten, daß die Wirtschaft im Wort steht. ({5}) - Wir haben sie auch alle untergebracht; es ist ein Riesenerfolg; diesen Erfolg können Sie nicht wegdiskutieren. ({6}) Die Wirtschaft hat zugesagt, bis 1996/97 die Zahl der Ausbildungsplätze um 10 Prozent zu erhöhen. Im vergangenen Jahr hat sie 2 Prozent zugelegt. Wegen der Schlüsselqualifikation ergeben sich daraus nach Adam Riese 8 Prozent in diesem Jahr. Das wird eine riesige Aufgabe für die Wirtschaft sein. Ich erwarte, daß sie erfüllt wird. Zusagen muß man halten oder, wie Franz Josef Strauß gesagt hat: pacta sunt servanda. Der nächste Punkt ist: Auch der öffentliche Dienst muß seine Hausaufgaben machen. Der Bund ist hier vorbildlich. Wir haben im vergangenen Jahr um 5 Prozent erhöht. Der Bundesinnenminister hat im Rahmen der Tarifverhandlungen wiederum ein Angebot vorgelegt, die Zahl der Ausbildungsplätze im Bereich des Bundes zu erhöhen. Ich finde es immer ganz erstaunlich, daß es keinerlei Statistiken aus dem Bereich der Länder und dem Bereich der Kommunen gibt. Manchmal habe ich den Eindruck, daß sie froh sind, daß wir sie nicht zentral erheben und irgendwo versuchen, im Nachtschatten die Diskussion jeweils zu überwintern. Gerade die Kommunen, gerade die Länder haben hier eine Verantwortung. Ich würde ganz gerne einmal sehen, daß die zuständigen Kolleginnen und Kollegen in den Landeskabinetten ihre Zahlen der Erhöhung vorlegen. Der dritte Punkt ist ein ganz wichtiger: Wir brauchen strukturelle Veränderung. Wir können uns nicht darüber wundern, daß Betriebe nicht ausbilden, wenn wir nicht moderne Berufsbilder für junge Betriebszweige zur Verfügung stellen. Es muß einen doch nachdenklich machen, daß es bisher immer noch keine neuen Ausbildungsberufe in Zukunftsbereichen wie Multimedia, wie Tourismus und Freizeit, wie Hauspflege, wie Altenpflege gibt. Deswegen sind wir mit Hochdruck daran, nachdem wir uns mit den Gewerkschaften und der Wirtschaft geeinigt haben, neue Ausbildungsberufe zu definieren. Wir haben dies schon im Multimediabereich gemacht. Wir werden dies auch in anderen Bereichen tun. Wir haben zur Zeit 80 Berufsbilder, die wir modernisieren. Wir wollen auch eine stärkere Differenzierung der Ausbildungsberufe. Ich verstehe an der Stelle die Haltung der Gewerkschaften nicht. Uns muß doch auch in besonderem Maße das Los derjenigen nachdenklich und besorgt machen, die von ihrer Qualifikation her nicht auf theoretische Berufe ausgelegt sind, sondern praktisch veranlagt sind. Deshalb kämpfe ich auch darum, daß wir zu Stufenberufen kommen, daß wir es erst einmal mit einem zweijährigen, mehr praktisch orientierten Bereich versuchen, auf dem man dann aufsatteln kann, und daß wir dort entsprechend weiterkommen. ({7}) Meine Damen, meine Herren, Bildung bleibt eine der ganz wichtigen Zukunftsaufgaben. Die Bundesregierung hat ihre Vorstellungen vorgelegt. Auch die Fraktionen haben Vorstellungen formuliert. Ich finde es ganz wichtig, daß wir die nächsten Wochen und Monate nutzen, um diese Diskussion miteinander zu führen. Ich will an keiner Stelle die Türe zuschlagen. Ich will diese Diskussion, weil ich auch will, daß das Interesse junger Leute in diesem Lande ganz vorne auf der politischen Tagesordnung steht. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster Redner der Kollege Dr. Peter Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung versucht in dieser Debatte, zentrale bildungspolitische Entscheidungen zu einem Paket zu bündeln. Es geht um unbestreitbar wichtige Fragen der Studienfinanzierung, des Hochschulbaus, der Berufsbildung. Sie hängen auch zusammen. Wir halten es für richtig, daß die Probleme von Studierenden und Auszubildenden heute in einer Debatte gemeinsam behandelt werden, denn diese Probleme gehören selbstverständlich zusammen. Wir bedauern aber zutiefst, daß Herr Bundesminister Rüttgers die anderthalb Jahre seiner bisherigen Amtszeit nicht zu einem breiten Dialog genutzt hat, als dessen Ergebnis er heute ein Reformkonzept vorlegen könnte. ({0}) Statt auf Dialog setzt er auf Raffinesse. Die Länder sollen mit Geld geködert werden. Herr Bundesminister Rüttgers, mit dieser kleinen Schlauheit werden Sie scheitern. ({1}) Ich meine Ihre Paketidee: Stimmt der Verzinsung des BAföG-Darlehens zu, dann bekommt ihr mehr Mittel für den Hochschulbau und die Hochschulsonderprogramme. Es ist schon richtig, daß im Vermittlungsausschuß gelegentlich Geschäfte gemacht werden. Wer seinen Partnern aber zu offensichtlich zumutet, auf das Niveau von Pferdehändlern herunterzuklettern, wird an die Wand fahren. ({2}) Ich sage das ohne parteipolitische Untertöne. ({3}) Mit einem Abstimmungsergebnis von 16:0 hat der Bundesrat die Hochschulbaunovelle abgelehnt. Es war kein Sozialdemokrat, sondern es war der CSU-Kultusminister Zehetmair, der gestern in der „Süddeutschen Zeitung" ganz offen gesagt hat: Bei aller Finanzknappheit dürfe nicht „ein Schritt gemacht werden à la Rüttgers, der nur sozial Schwächere trifft" . ({4}) Herr Minister Meyer aus Sachsen sagt exakt dasselbe. Herr Rüttgers, Sie haben sich trotzig in die Ecke manövriert. Das ist für die ganze Bildungspolitik schlecht, nicht nur für Ihre Regierung und für die Koalition. Im normalen Spiel von Regierung und Opposition könnte ich mich über diese Tatsache freuen. Man wird sie als glücklos abhaken. Geduld und Rücksicht sind ja im politischen Biotop nicht sehr weit verbreitet, wie Sie, wie ich und jedermann wissen. Der Mißerfolg des Ministers Rüttgers kann aber eben leicht auch ein Mißerfolg für Bildung und Forschung werden. Sie haben schon recht mit Ihrem Appell, wir brauchten in einer dramatischen Situation von Unterfinanzierung und strukturellen Defiziten eine Allianz für Bildung und Forschung. Sie aber produzieren ziemlich sterile Konfrontation. Das halte ich für unverzeihlich. ({5}) Ich will Ihnen sagen, was passiert, wenn Ihr Vermittlungsausschußpoker mißlingt. Sie wollen Ihren Haushalt auf Kosten der einkommensmäßig Schwächsten in der Studentenschaft sanieren. Wenn der Bundesrat das ablehnt, dann stehen Sie mit leeren Händen da - gerade hat Ihnen der Finanzminister noch einmal 330 Millionen DM abgeknöpft. Dann werden Sie den Hochschulbau nicht bedienen können, dann werden Sie vermutlich auch die Bedarfssätze und Freibeträge beim BAföG nicht erhöhen können, und die Hochschulen werden durch eine weitere Verdünnung im Rahmen dieser Möllemann-Programme noch einmal geschädigt. Sie pokern mit unbewegtem, hochprofessionellem Gesicht. Sie haben aber kein Blatt. Das ist von törichter Kühnheit, Herr Kollege Rüttgers. ({6}) Da Sie nämlich bei diesem Poker nicht Ihr Privatvermögen setzen können, sondern die Zukunftschancen der Jungen einsetzen müssen, ist er meiner Auffassung nach sogar - ich gebrauche dieses Wort wirklich so selten wie möglich - verantwortungslos. Für die sozialdemokratische Fraktion biete ich noch einmal formell an: Ändern Sie Ihre Konfrontationsstrategie! Führen Sie eine normale kleine BAföG-Novelle so aus, wie Sie sie mit der Erhöhung der Freibeträge beabsichtigen. Setzen Sie sich mit uns, den Ländern und den Betroffenen an einen Tisch. Wir sind ausdrücklich bereit, die haushaltspolitischen Rahmenbedingungen, die nach der Wiedervereinigung nun einmal gelten, zu akzeptieren. Wir sind auch bereit - ich spreche den Hochschulbau an -, parteipolitische Überlegungen zurückzustellen und auch gegenüber den Ländern Bundesinteressen zu vertreten, auch gegenüber sozialdemokratischen Ländern. Wir wollen einen Bewußtseinswandel zugunsten von Bildung und Forschung. Den können wir nicht gegeneinander, sondern nur miteinander erreichen. Ich beschwöre Sie, Herr Rüttgers: Unterstützen Sie die Idee einer Allianz für Bildung und Forschung. Wir sind zu vorurteilslosen Gesprächen auch über tiefgehende strukturelle Reformen bereit. Dazu müssen Sie aber Konflikte riskieren. Wir haben gestern vormittag im Ausschuß über vieles geredet, unter anderem auch über das Weltraumprogramm. Beide Fraktionen waren ganz nah bei einer Meinung. Dann kamen wir aber nicht zueinander, weil Sie den Begriff „das Fünfte Weltraumprogramm" unter keinen Umständen im Text haben wollten. Ihre Fraktion wollte es durchaus; die Bundesregierung und der Bundesminister Rüttgers wollten es nicht. ({7}) Warum nicht? Weil Sie, Herr Kollege Rüttgers, nicht ins Kabinett gehen wollen, da können so viele widersprechen; weil Sie sich nicht mit dem Haushaltsdirektor des Finanzministers auseinandersetzen wollen. Sie haben - Handke hat das einmal beschworen - die Angst des Tormannes vor dem Elfmeter. Herr Rüttgers, diese Angst müssen Sie wirklich überwinden. ({8}) Denn die Situation in bezug auf Bildung und Forschung ist jetzt so kompliziert; wir sind so tief herunter - wofür ich doch Sie nicht verantwortlich mache; das ist natürlich ein gesellschaftlicher Prozeß -, daß jetzt eine tiefgehende Veränderung her muß. Sie kann man aber nicht erreichen, indem man es geschickt managt und irgendwie sein Schifflein durch die Wellen steuert. Da muß man hin und wieder einen Konflikt riskieren, Herr Kollege Rüttgers, und dazu fordern wir Sie auf. ({9}) Wenn Sie dazu nicht bereit sind, dann müssen wir Ihnen allerdings sagen: Erstens. Eine Sanierung Ihres Haushaltes auf Kosten der sozial schwächsten Studierenden wird es mit den Sozialdemokraten jedenfalls nicht geben. ({10}) Zweitens. Ich höre, daß Sie heute sagen: Ich bin nicht gegen Leasing beim Hochschulbau. Mir wäre lieber, Sie würden sagen: Ich weiß noch nicht, ob die Finanzminister mitmachen; ich bin für Leasing. Rüttgers sagt wieder: Ich bin nicht gegen Leasing. Das ist ja alles wunderbar. Sie managen sich durch die Welt. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie und Ihre Parteifreunde einerseits jeden Tag über Deregulierung reden, dann aber nicht bereit sind, den furchtbar teuren Hochschulbau stärker aus der öffentlichen Verantwortung herauszulassen, beispielsweise mit der Idee des Leasing, dann nehmen wir Ihnen das Gerede über Deregulierung keine Sekunde mehr ab, Herr Kollege Rüttgers. ({11}) Das dritte ist die Berufsbildung. Da stolpern Sie von einer Seelenmassage zur nächsten. Wenn ich eine Bitte äußern darf, weil Sie gerade gesagt haben, die Grundrechenarten beherrsche die Opposition nicht: Wissen Sie, es ist ja üblich und uns allen schon einmal passiert, daß Regierung und Opposition unterschiedliche Zahlen verwenden oder sie unterschiedlich interpretieren. Wenn Sie dann so mit dem Ton des Mephisto sagen: „Nun lernt erst mal rechnen", kann ich Ihnen nur sagen: Die Rolle des Mephisto steht Ihnen nicht, bestenfalls die des Spiegelberg in den „Räubern", Herr Kollege Rüttgers. ({12}) Also, die Rolle des Mephisto im „Faust" ist Ihnen noch ein bißchen zu groß. Aber davon abgesehen: Sie stolpern bei der Berufsbildung, wo Sie selbstverständlich auch die Entwicklung, die sehr stark von der Wirtschaft bestimmt wird, nicht einfach von der Politik aus umdrehen können - das verlangt ja keiner von uns -, von einer Seelenmassage zur nächsten. Die Seelenmassagen werden aber von Mal zu Mal wirkungsloser. Deswegen sagen wir: Solange Sie sich vor strukturellen Reformen drücken, über die wir ja auch in bezug auf die Handelskammer und alles andere zu reden bereit sind, laufen wir gemeinsam in den Brandherd der Jugendarbeitslosigkeit. Das wäre das schlimmste, was uns in diesem Lande passieren könnte. ({13}) Minister Zehetmair, Herr Kollege Rüttgers, sagt zu Recht - ich zitiere wieder dieses sehr süffige Interview in der „Süddeutschen Zeitung" von gestern -: Für ein schlüssiges Reformkonzept kann man große Veränderungen akzeptieren. - Wir bleiben für einen tabufreien Dialog offen. Wenn Sie aber bei der Linie von „Tricky Dicky" bleiben, werden wir mit allem, was wir vermögen, dazu beitragen, daß Sie mit diesem Konzept scheitern. Herzlichen Dank. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Kollege Matthias Berninger. ({0})

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fange jetzt nicht an, hier aus dem „Prometheus" zu zitieren. Also lassen wir das: Bedecke Deinen Himmel, Zeus. Für mich ist die Linie, die Herr Glotz in dieser Debatte vorgegeben hat, erstens sehr richtig und zweitens ganz wichtig. Taschenspielertricks eignen sich nicht dazu, Bildungspolitik in diesem Lande zukunftsfähig zu machen. Taschenspielertricks sind das, was wir ungefähr seit einem halben Jahr, seit das Kabinett beschlossen hat, das BAföG verzinsen zu wollen, erleben. Sie haben natürlich völlig recht, Herr Kollege Rüttgers: Wir haben ein Finanzproblem; wir haben vergleichsweise wenig Geld. Die Frage ist aber, ob diese Regierung und auch die Opposition in dieser Finanzkrise so weitermachen können, wie sie bisher agiert haben. Es scheint Ihnen völlig egal zu sein, wofür Sie Geld ausgeben und wo Sie Geld einsparen. Es scheint Ihnen jede Mark gleich zu sein. Ich halte das für einen absolut fatalen Fehler. Kein Unternehmen, kein vernünftig denkender Mensch würden so agieren. Die Frage ist, wo man investiert und wo man einspart. ({0}) Die Bundesregierung traut sich beispielsweise nicht, den Rentnerinnen und Rentnern zu sagen, daß das Problem der Rentenkasse nicht nur ein gegenwärtiges, sondern auch ein zukünftiges ist. Sie traut sich nicht, massiv in die Jugend zu investieren. Statt dessen akzeptiert sie es, daß beispielsweise junge Familien nach wie vor ganz massiv von Sozialhilfe leben müssen. Sie plant sogar, das, was sie im Rahmen des Familienlastenausgleichs bereits zugesagt hatte, eventuell doch nicht zu machen, weil man beim Kindergeld wunderbar viel Geld sparen kann. Diese politische Haltung ist in der bildungspolitischen Landschaft Gift für unser Land. ({1}) Wir brauchen eine bildungspolitische Debatte. Das ist das einzige Verdienst, lieber Kollege Rüttgers, das Sie sich letzten Endes an den Hut stecken können. Wir brauchen diese bildungspolitische Debatte. Sie haben sie bekommen. Nirgends haben Sie Zustimmung für Ihren Vorschlag bekommen. Das liegt nicht etwa daran, daß andere keinen Mut haben, Einschnitte hinzunehmen; nein, es liegt daran, daß Sie auf Kosten derer, die BAföG empfangen, das Spielgeld für Ihre dürftigen hochschulpolitischen Vorstellungen zusammenbekommen wollen. Das machen nicht nur die Sozialdemokraten nicht mit, das macht nicht nur meine Fraktion von den Bündnisgrünen nicht mit, sondern das machen selbst die Bayern im Bundesrat nicht mit. ({2}) Das letzte Mal, als jemand eine solche bildungspolitische Bruchlandung im Bundesrat erleiden mußte - das war der Kollege Möllemann -, gab es für das vorgeschlagene Hochschulrahmengesetz wenigstens noch eine Stimme, nämlich die von den Bayern. Diesmal, Herr Kollege Rüttgers, gibt es eine 16:0- Niederlage. Eine solche Schlappe im Bundesrat sollte Ihnen, Herr Rüttgers, zu denken geben und sollte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, endlich die Augen öffnen und klarmachen, daß Sie mit diesem Vorschlag, das BAföG zu verzinsen, wodurch Sie für die BAföG-Empfänger schlechtere Bedingungen schaffen, um allen ein paar kleine Programmchen im Hochschulbereich zukommen zu lassen, wirklich auf dem Holzweg sind. Es gibt noch ein anderes BAföG, nämlich das BAföG für Reiche: die Möglichkeit, die Ausbildung von Kindern steuerlich abzusetzen. Nein, lieber Herr Kollege Rüttgers, das tasten Sie natürlich nicht an. Sie machen im Grunde keinen Reformvorschlag, sondern versuchen mal eben über die Verzinsung ein bißchen Geld zu verdienen. Ich finde, ein Bildungsminister muß sich, wenn er das ernst meint und keine Krokodilstränen weint wie Sie, Herr Rüttgers, wirklich Gedanken über Reformvorschläge machen. Das ist aber alles andere als ein Reformvorschlag; das ist soziale Kälte, und das ist eine Umverteilung von unten nach oben. Ich glaube, daß sich die Bildungspolitiker und auch die in der Bildung tätigen Menschen in diesem Land sehr viel Gedanken über Alternativvorschläge gemacht haben. Einig dürften wir uns darüber sein, daß dieses Dickicht von verschiedenen staatlichen Transfers in Richtung Ausbildung, in Richtung Lebensunterhalt von Studierenden, daß dieses Dikkicht, von dem alle wissen, daß es an vielen Stellen sehr ungerecht ist, dringend der Überprüfung bedarf. Ich hätte gern von Herrn Rüttgers gehört, daß er das vorhat. Das will er aber natürlich nicht; denn er möchte seinen Vorschlag - wie ein Taschenspieler das nun mal will - in irgendeiner Form durchbringen. Meine Damen und Herren, wir haben einen Vorschlag gemacht, wie wir ein Grundproblem an den deutschen Hochschulen lösen wollen. Ich behaupte - so lange bin ich da noch nicht weg -, das Hauptproblem besteht darin, daß die meisten Studierenden überhaupt nicht mehr in der Lage sind, Vollzeitstudierende zu sein und sich auf ihr Studium zu konzentrieren, sondern letzten Endes viel mehr Zeit damit verbringen müssen, Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ich glaube, daß das ein zentrales Problem ist, das eine Ursache dafür ist, daß so viele Menschen studieren und daß so viele Menschen so lange studieren. ({3}) Wenn es ein Problem ist, daß so lange studiert wird - was wir alle glauben -, muß man sich Gedanken darüber machen, wie man dieses Problem bewältigen kann. Ein weiteres aus meiner Sicht großes Problem an den deutschen Hochschulen ist die Auslastung. Wir leisten es uns, die Hochschulen mehrere Monate lang leerstehen zu lassen. Wenn man weiß, daß man nicht genug Geld für den Hochschulbau hat, dann muß man sich doch überlegen: Wie kann man eine Hochschule besser auslasten? ({4}) Auch darüber sollte man diskutieren. Da kommt natürlich die Debatte über Trimester auf. ({5}) Aber wie soll man Trimester ermöglichen, wenn klar ist, daß die Studierenden in diesem Land die meiste Zeit damit verbringen müssen, das Geld für ihren Lebensunterhalt durch irgendeinen Job zu beschaffen? Deswegen haben wir einen Vorschlag gemacht, der in vielen Punkten sicherlich umstritten sein dürfte, der - so glaube ich - aber der Schlüssel für eine Hochschulreform sein kann. Wir sagen erstens: Es ist völlig egal, wie die elterliche Herkunft von Studierenden ist. Wir wollen jedem Studierenden ermöglichen, im Monat 1 050 DM aus einem Fonds, den wir Bundesausbildungsförderungsfonds nennen, zu erhalten. ({6}) Zweitens. Wir wollen von den Studierenden im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verlangen, am Ende ihres Studiums Beiträge in diesen Fonds zurückzufinanzieren. Wir wollen einen neuen Generationenvertrag im Bereich der Bildungspolitik. Wir wollen, daß Schluß damit ist, daß immer gesagt wird, man spare für die kommenden GeneraMatthias Berninger tionen; wobei man aber letzten Endes bleibt, ist Sparen bei den kommenden Generationen. Wenn wir nicht in die Bildung investieren, meine Damen und Herren, werden wir, statt Spielräume in der Zukunft zu schaffen - das wollen wir ja alle, gerade die Kollegen von der F.D.P. sind immer der Meinung, daß das unser Hauptziel ist -, die Finanzspielräume in Zukunft gefährden, aber auch die Möglichkeit, in Zukunft überhaupt irgend etwas auf die Reihe zu bekommen. ({7}) Wir wollen durch diesen Fonds ermöglichen, daß sich Studierende auf die Hochschulen konzentrieren, daß sie sich den ganzen Tag an den Hochschulen aufhalten können und daß die Hochschulen optimal ausgelastet sind. Ich sage Ihnen, das hat viele Effekte. Ich nenne ein paar Beispiele. Studierende jobben neben ihrem Studium. Wenn man das zusammenrechnet, werden etwa 400 000 Jobs von Studierenden in Anspruch genommen. Ich gehe davon aus, daß nicht alle aufhören zu jobben und daß nicht jeder Job ersetzt werden kann. Ich wage dennoch die Behauptung, daß durch unseren Vorschlag 100 000 Jobs für Leute, die arbeitslos sind, frei werden. Des weiteren wage ich die Behauptung, daß durch unseren Vorschlag endlich eine Debatte an den Hochschulen in Gang kommt, die sich nicht mehr nur mit Mängelverwaltung beschäftigt, sondern die vielmehr Kreativität für neue Vorschläge freisetzt. Wir werden natürlich in die Finanzierung dieses Vorschlages heute investieren müssen. So war das beim alten Bismarck ja auch: Wenn man einen Generationenvertrag in Gang bringt, muß man zunächst einmal investieren. Wir werden aber durch diesen Vorschlag langfristig sparen. Ich glaube, daß die Linie der Bundesregierung, diesen Haushalt nur durch Sozialabbau sanieren zu wollen, völlig falsch ist. Ein Unternehmen investiert, wenn es irgend etwas erreichen will, und erhofft sich ein return on investment. Genau das verlange ich im Bereich der Haushaltspolitik auch. ({8}) Deswegen glaube ich, daß unser Vorschlag, der am Anfang vielleicht Geld kostet, so viele positive Effekte haben wird, daß er in Zukunft tragfähig ist, und daß es ein sehr nachhaltiger Vorschlag ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. - das gilt auch für viele Unionskollegen -, zum Abschluß: Wenn man durch das Land fährt, findet man es relativ selten, daß sie sich überhaupt zu solchen Diskussionen trauen, weil bei dem Vorschlag des Herrn Bildungsministers alle unter den Tisch gucken und wissen, daß dieser Vorschlag im Grunde eine Unverschämtheit ist. Herr Möllemann hat gesagt, er ist gegen diesen Vorschlag. Herr Laermann hat sich so geäußert. Ich habe es auch von Ihnen gehört, Herr Guttmacher. Warum, meine Damen und Herren, muß dieser Vorschlag das Parlament passieren, wenn alle Länder dagegen sind, wenn alle relevanten Gruppen im Hochschulbereich dagegen sind und wenn auch die guten Argumente der Opposition dagegen sprechen? ({9}) Überdenken Sie Ihre Position, meine Damen und Herren; denn - das weiß auch Herr Rüttgers - sein Vorschlag wird sich langfristig überhaupt nicht rechnen. Ich muß mir, weil er vorhin von Rechnen geredet hat, nur die Zahlen in seinem Haus ansehen, die er selber bereitgestellt hat. Langfristig kostet Ihr Vorschlag mehr Geld, das heißt, er wird den Haushalt langfristig nicht entlasten. ({10}) Sparen Sie nicht auf Kosten der Ärmsten, sondern haben Sie endlich den Mut, eine vernünftige Hochschulpolitik zu machen. Haben Sie den Mut, einen Grundstein in die Hochschulreform zu legen. Wir sind natürlich gern bereit, uns bei einer solchen Diskussion sehr konstruktiv zu beteiligen. Vielen Dank. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Härtefallregelung für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ausländischer Ehegatten auf Drucksache 13/4364 bekannt. Abgegebene Stimmen: 617. Mit Ja haben 293, mit Nein haben 324 Abgeordnete gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Der Antrag ist also abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 616; davon ja: 293 nein: 323 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Lilo Blunck Arne Börnsen ({0}) Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Hans Martin Bury Hans Büttner ({1}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({2}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({3}) Katrin Fuchs ({4}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Konrad Gilges Günter Gloser Dr. Peter Glotz Uwe Göllner Günter Graf ({5}) Angelika Graf ({6}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({7}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({8}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({9}) Frank Hofmann ({10}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({11}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({12}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({13}) Winfried Mante Dorle Marx Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({14}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({15}) Jutta Müller ({16}) Christian Müller ({17}) Volker Neumann ({18}) Gerhard Neumann ({19}) Dr. Rolf Niese Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudoll Purps Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({20}) Ulla Schmidt ({21}) Dagmar Schmidt ({22}) Wilhelm Schmidt ({23}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({24}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte ({25}) Reinhard Schultz ({26}) Volkmar Schultz ({27}) Dr. R. Werner Schuster Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({28}) Josef Vosen Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({29}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Helmut Wieczorek ({30}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({31}) Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({32}) Elisabeth Altmann ({33}) Volker Beck ({34}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer ({35}) Joseph Fischer ({36}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({37}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Gerd Poppe Simone Probst Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({38}) Wolfgang Schmitt ({39}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz ({40}) Christian Sterzing Manfred Such Ludger Volmer PDS Wolfgang Bierstedt Maritta Böttcher Dr. Ludwig Elm Dr. Ruth Fuchs Hanns-Peter Hartmann Dr. Barbara Höll Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({41}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Gerhard Zwerenz Nein CDU/CSU Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({42}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({43}) Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({44}) Hartmut Büttner ({45}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({46}) Peter Harry Carstensen ({47}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink Dirk Fischer ({48}) Klaus Francke ({49}) Herbert Frankenhauser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({50}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({51}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({52}) Hansgeorg Hauser ({53}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({54}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Peter Keller Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({55}) Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({56}) Manfred Kolbe Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({57}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({58}) Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({59}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({60}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({61}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({62}) Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({63}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({64}) Bernd Neumann ({65}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({66}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({67}) Klaus Dieter Reichardt ({68}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({69}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({70}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({71}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Roland Sauer ({72}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({73}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({74}) Andreas Schmidt ({75}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({76}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz ({77}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({78}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({79}) Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({80}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({81}) Matthias Wissmann Simon Wittmann ({82}) Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({83}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Dr. Olaf Feldmann Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({84}) Dr. Karlheinz Guttmacher Ulrich Heinrich Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({85}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({86}) Dr. Guido Westerwelle Das Wort hat jetzt der Kollege Karlheinz Guttmacher, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Karlheinz Guttmacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir lesen heute in der gesamten Tagespresse - es ist in aller Munde -, daß Bund und Länder gewaltige Einsparungen werden erbringen müssen, um die Zukunft unseres Landes zu sichern. Es gibt kaum eine staatliche Leistung, die dabei nicht in Frage gestellt wird: Lohnfortzahlung, Kindergeld, Arbeitslosengeld usw. In dieser Situation erklärt der Zukunftsminister, die BAföG-Empfänger werden 6 Prozent mehr Geld bekommen, und in Zukunft werden es auch 6 Prozent BAföG-Empfänger insgesamt sein. Meine Damen und Herren, in den nächsten Jahren wollen wir einen dreistelligen Millionenbetrag für den Hochschulbau auflegen. Ebenso werden wir ein mit guten Finanzen ausgestattetes Sonderprogramm auf den Weg bringen. Natürlich muß die Frage gestellt werden, ob dies alles überhaupt möglich ist. Dennoch, Herr Bundesminister, begrüßen wir all die Forderungen, die im Antrag stehen, ausdrücklich. Herr Berninger, wir liegen ganz eng mit den Aussagen beieinander, die in dem BAföG-Antrag stehen, der in einem Paket von Herrn Rüttgers vorgelegt worden ist. ({0}) In fast allen Bereichen staatlicher Leistungen gibt es Selbstbeteiligungen. Das Hochschulsystem in Deutschland ist bislang von jeglichen Formen der Selbstbeteiligung freigestellt worden. Die negativen und ungerechten Auswirkungen der fehlenden Selbstbeteiligung hat ja unser hochverehrter Herr Kollege Glotz in seinem Buch über die Bildungsfinanzierung dargestellt. Dort fordert er nämlich, daß die Studierenden eine Studiengebühr bezahlen sollen. Auch darüber muß man nachdenken. Es liegt auf der Hand, daß man BAföG-Bezieher nicht zum Zeitpunkt ihres Studiums finanziell belastet, sondern bei ihnen erst rückwirkend eine Selbstbeteiligung einfordert. Lieber Herr Berninger, ein Problem, das in Ihrem Modell auftaucht, ist, daß Sie für die Anschubfinanzierung einen großen Geldtopf aufmachen, von dem Sie nicht wissen, woher er kommen soll. Dann wollen Sie 25 Jahre lang die Studenten mit einem bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens - 4,5 Prozent - an der Rückzahlung in den Fonds beteiligen. ({1}) Jetzt frage ich Sie natürlich, wie Sie bei der derzeitigen Haushaltslage 2 Milliarden DM auf den Weg bringen wollen. ({2}) - Entschuldigung, 18 Milliarden DM. ({3}) Meine Damen und Herren, der BAföG-Antrag sieht vor, daß die Studierenden einen Zuschuß in Höhe von 50 Prozent und einen Darlehensanteil von 50 Prozent erhalten, den sie verzinst zurückgeben sollen. Nicht gerechtfertigt ist nach Ansicht der F.D.P., daß die Regierung bei ihren bisherigen Überlegungen, die nicht abgeschlossen sind, lediglich die BAföG-Bezieher heranzieht. Wir sind der Auffassung, daß wir aus der Vielzahl der vorliegenden Vorschläge eine weitere Komponente heraussuchen müßten, die geeignet ist, auch die übrigen Studierenden in geringem Umfang an den Kosten ihrer eigenen Ausbildung zu beteiligen. Wir könnten uns beispielsweise vorstellen, daß zukünftig das Kindergeld und Ausbildungsfreibeträge ab dem 25. Lebensjahr nur noch den Studenten gewährt werden, die ernsthaft einer Ausbildung nachgehen. So, wie wir von denen, die die Sozialleistung BAföG empfangen, erwarten, daß sie dem Staat gegenüber die Ernsthaftigkeit ihres Bemühens um eine gute Ausbildung durch Studienstandsnachweise nach dem vierten Semester darlegen, könnten wir uns vorstellen, daß auch die Studenten, die nicht BAföG-Empfänger sind, mit dem 25. Lebensjahr einen solchen Studienstandsnachweis erbringen. ({4}) Es kann unserer Ansicht nach nicht angehen, daß, wie heutzutage möglich, ein 26jähriger durch bloße Vorlage einer Studienbescheinigung seinen Eltern einen Kindergeldanspruch, einen erhöhten Ortszuschlag, Baukindergeld usw. verschafft, ohne über die Einschreibung hinaus ernsthaft einer Ausbildung nachzugehen. Der Begriff Ausbildung muß hier dringend präziser definiert werden. Überlegungen dieser Art wurden schon zu Zeiten von Ex-Bundesminister Professor Laermann im Bundesministerium angestellt. Auch der bayerische Staatsminister Zehetmair hat ähnliches in weit umfassenderem Maße über den Bundesrat eingebracht. Wir sind uns darüber im klaren, daß unterhaltsrechtliche Probleme gelöst und parallel dazu etwaige Schlupflöcher im Einkommensteuergesetz gestopft werden müssen; wir glauben aber, daß eine solche Anstrengung gerechtfertigt ist, wenn wir damit am Ende zu einer Lösung kommen, die alle Studierenden geringfügig an der Mitfinanzierung ihrer Ausbildung beteiligt. Wir erkennen auch einen Nebeneffekt dieser Maßnahme, nämlich den, daß wir Einnahmen für Bund und Länder in dreistelliger Millionenhöhe hätten. Mit diesem Geld könnten wir im Zusammenhang mit dem vorliegenden BAföG-Modell auch überlegen, ob es nicht möglich sein könnte, die Rückzahlung des derzeit verzinsten Darlehens leistungsabhängig zu gestalten. Meine Damen und Herren, den Liberalen könnte es gefallen, wenn wir zum Beispiel 50 Prozent der Studenten, und zwar die besten, aus einer verzinsten Darlehensrückzahlung herausnehmen könnten, daß zum Beispiel ein durchschnittlicher Student noch 50 Prozent Zuschuß, 25 Prozent verzinstes und 25 Prozent unverzinstes Darlehen erhalten könnte. ({5}) Auf diese Weise hätten wir einerseits einen enormen Leistungsanreiz und eine Motivation zum zügigen Studieren und gleichzeitig die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit eine wesentlich bessere Akzeptanz für das BAföG zu bekommen, das gleichzeitig von einem anfangs natürlich als Sozialgesetz wirkenden Förderprogramm zum Teil rückwirkend zu einer Begabtenförderung gewandelt werden könnte.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Guttmacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Glotz?

Dr. Karlheinz Guttmacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Guttmacher, darf ich das so verstehen, daß das ein offizieller Vorschlag Ihrer Fraktion ist, den Sie auch antragsmäßig verfolgen werden, oder ist das eine unverbindliche Erwägung während einer Rede?

Dr. Karlheinz Guttmacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Glotz, wir sind bei der Einbringung eines Regierungsentwurfs. Wir haben keinen Koalitionsentwurf. Wir haben einen Entwurf vorgelegt bekommen, über den wir uns alle gleichermaßen unterhalten. Hier bringe ich Vorstellungen der F.D.P. ein, die uns gut gefallen könnten und die wir mit unserem Koalitionspartner und mit Ihnen, Herr Glotz, im Bildungsausschuß diskutieren können. Wir müssen sehen, wie wir die Finanzierung gestalten, die in diesem Antrag völlig richtig enthalten ist. ({0}) Die F.D.P. fordert, die Ausbildungsförderung mittelfristig in ein Bürgergeldsystem umzuwandeln, bei dem die jetzt den Eltern zufließenden Leistungen - Kindergeld, Freibeträge, Ortszuschläge usw. - den Studenten als Sockelbetrag des BAföG direkt zukommen. Abschließend möchte ich noch einmal klarstellen, daß die Koalition in ihrem Entschluß, die BAföG-Reform zu vollenden, fest zusammensteht; denn in Zeiten allgemeiner massiver Sparzwänge ist der Bildungsbereich anders nicht vor Schlimmerem zu schützen. ({1}) Meine Damen und Herren, Münchhausen hat sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf gezogen. ({2}) Herrn Minister Rüttgers können wir dafür danken, daß er durch das Abschneiden alter Zöpfe die Diskussion in die Wege geleitet hat, die es nun erlaubt, die Bildungspolitik an dem drohenden Sumpf vorbeizuführen. Ich danke Ihnen. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Maritta Böttcher, PDS.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn solche Nachrichten die Medien dieses Landes mit einer merkwürdigen Schwerfälligkeit erreichen - bei uns sind sie gestern schon angekommen, die Meldungen nämlich von studentischen Protesten in Berlin und in Dresden und - wie ich inzwischen weiß - auch anderswo im Zusammenhang mit der heutigen Debatte zur 18. BAföG-Novelle. Eines wird hier sehr deutlich - ich habe nicht mitgezählt, aber Herr Rüttgers hat hier gesagt, er könne rechnen, auch zum neunten Male -: Die Studentinnen und Studenten begreifen sehr wohl, auf wessen Kosten die verfehlte Politik der Bundesregierung aufpoliert werden soll. Sie verstehen wie viele andere in diesem Lande das ganze Gedröhn von Wirtschaftsstandort, Haushaltskonsolidierung, Staatsquotensenkung nur noch als irreführende Vokabeln für das, was immer und überall dahintersteht: Sozialabbau, Sparen zu Lasten der Schwächsten in dieser Gesellschaft. Der heutige Tag wird, glaube ich, wieder einmal als Tag einer Bankrotterklärung der Bundesregierung in der Bildungspolitik in die Geschichte eingehen. Bewußt - Herr Rüttgers hat darüber gesprochen - wird heute gleich ein ganzes Paket aufgemacht. Das könnte gut sein. Nur, Schulabgänger sind in regelrechter Verzweiflung, weil sie eine Absage nach der anderen bezüglich eines Ausbildungsplatzes erhalten und weil zusätzlich Totenstille seitens der Bundesregierung herrscht. Der Verweis auf die Wirtschaft ist zwar - das wissen wir alle - völlig berechtigt, nur nützt das jenen, die eine Lehrstelle suchen, ziemlich wenig. In Brandenburg zum Beispiel gibt es bereits jetzt - diese Zahlen sind verbrieft - 10,3 Prozent mehr Bedarf als 1995. Es sind aber konkret 8,9 Prozent weniger Ausbildungsplätze vorhanden. Oder anders ausgedrückt: Momentan fehlen konkret noch 30 000 Ausbildungsplätze. Was ist aus Bonn zu hören? Nichts? Nein, eine erneute Gemeinschaftsinitiative für ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot wird abgelehnt. Das ist ein Schlag ins Gesicht der jungen Menschen, denen Ausbildung einfach nicht mehr ermöglicht wird. Dabei ist es ihnen, glaube ich, ziemlich egal, ob sie sich Lehrlinge oder Auszubildende nennen dürfen. Doch das ist längst nicht alles. Es wird laut über die Einführung von Studiengebühren nachgedacht, weil sich die Hochschulen vom Staat im Stich gelassen fühlen. Es soll also ein Teil des Hochschulbaus durch die Studierenden selbst finanziert werden. Das ist ein unglaublicher Gedankengang. Das Bankenfördermodell des Zukunftsministers reiht sich würdig in die sozialpolitischen Streichorgien der Kohl-Regierung ein und ist nichts von dem, was es zu sein vorgibt. Vor allem aber ist es kein Beitrag zu einer wirklichen BAföG-Strukturreform. ({0}) Es ist die endgültige Zerstörung des BAföG als Sozialleistungsgesetz, nachdem die Leistungen des Bundes für die Ausbildungsförderung in den letzten Jahren bereits in beispielloser Weise zurückgefahren worden sind. Wir alle haben das hier anhand des unsäglichen Gefeilsches um die 17. Novelle bereits miterleben können. Den letzten Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerkes ist zu entnehmen, daß in den letzten 10 bis 15 Jahren die Verteilung der Bildungschancen in weitaus stärkerem Maße als in den 70er Jahren wieder eine Variable von Einkommens- und Statusverhältnissen der Elternhäuser sowie der Geschlechtszugehörigkeit geworden ist. Diese Entwicklung steht im eklatanten Widerspruch zur ursprünglichen Zielsetzung des BAföG - ich will noch einmal daran erinnern -, einen sozialen Nachteilsausgleich zu schaffen und jungen Leuten unabhängig von Einkommen und Bildungsverhalten der Herkunftsfamilie das Grundrecht auf freie Berufswahl zu sichern. ({1}) Inzwischen - ich möchte noch einmal daran erinnern - studieren von 100 Beamtenkindern 65, von 100 Arbeiterkindern 15, in Ostdeutschland sogar nur 8. Die Zahlen sind uns allen bekannt. Es wird also höchste Zeit, die Frage nach studierenden Kindern von Arbeitslosen in die Statistik einzuführen, um vielleicht ein noch realistischeres Bild über das soziale Gefälle im Bildungsbereich zu erhalten. Herr Minister, ich bin auch kommunale Abgeordnete. Wenn der Bund wirklich daran Interesse hätte, die Zahlen zu erfahren, könnte er sie bekommen: In den Kommunen liegen diese Zahlen vor; denn in den Kommunen spielt sich ab, was ich hier vorher geschildert habe. ({2}) - Das ist klar. In diesem Kontext sind die Zins-BAföG-Pläne aus dem Zukunftsministerium für uns nur so interpretierbar, daß das Sozialstaatsgebot dort keinen mehr interessiert. ({3}) - Es ist so. Chancengleichheit im Bildungswesen wird als politisches Ziel prinzipiell aufgegeben. Mit der BAföG- Verzinsung werden eben die auf Unterstützung angewiesenen Studierenden allein bis 1999 mit 1,6 Milliarden DM zur Kasse gebeten, um Finanzlöcher im Hochschulwesen zu stopfen. Das ist einfach unglaublich. Die Ablehnungsfront gegenüber einer solchen Politik zeigt sich in den vielfältigen studentischen Protestaktionen, die uns seit dem Kabinettsbeschluß im Dezember begleiten. Ich weiß nicht, Herr Rüttgers, wo Sie sich aufgehalten haben. Ich habe sehr viel vom heißen Herbst an den Universitäten und Hochschulen mitbekommen, weil ich vor Ort war. Es geht weiter über die Hochschulrektorenkonferenz - die Ausschußmitglieder oder viele von ihnen waren dabei -, über die Kultusministerkonferenz, die Gewerkschaften- und Studierendenvertretungen bis - auch das wurde heute schon gesagt - in die Reihen der CDU. Alle haben. für ihre Kritik gute Gründe: bildungs- und kulturpolitische, sozialpolitische, familienpolitische, wirtschaftspolitische und nicht zuletzt - auch das ist richtig - finanzpolitische. Alternativvorschläge - und das begrüße ich ganz besonders - werden unterbreitet. Es gehört schon eine beachtliche politische Ignoranz dazu, all diese Dinge vom Tisch zu wischen und es nicht für nötig zu halten, gemeinsam mit den Betroffenen und den bildungspolitischen Kräften in Deutschland nach sozialen Alternativen für die Lösung der anstehenden Probleme zu suchen. ({4}) Der einzig gangbare Weg - ich hatte bis heute wirklich noch ein bißchen Hoffnung - heißt für die Regierungskoalition doch BAföG-Verzinsung - und fertig. Die PDS lehnt das Zins-BAföG ebenso ab wie die im Gesetzentwurf geplanten Einschränkungen des Fachrichtungswechsels sowie der Förderung von Zusatz-, Ergänzungs- und Aufbaustudiengängen. Ebenso ist die Förderungshöchstdauer nicht an administrativ festgelegten Regelstudienzeiten zu messen, sondern es ist der enge Zusammenhang von Studienzeiten und Studienbedingungen zu beachten. Matthias Berninger vom Bündnis 90/Die Grünen hat das hier ja für meine Begriffe sehr anschaulich dargestellt. Bildungsfinanzierung ist Investition in die Zukunft und bleibt als gesellschaftliche Aufgabe grundsätzlich Verpflichtung des Staates. Von diesem Standpunkt aus sind für uns auch sämtliche Kassenmodelle - auch das von den Grünen favorisierte BAFF- Modell - zumindest kritikwürdig, da es sich immer um Privatisierungsmodelle handelt. Der Staat wird dadurch aus seiner Verantwortung und Pflicht zur Bereitstellung gleicher Bildungschancen für alle entMaritta Böttcher lassen. Damit wird Bildung nicht mehr als gesellschaftliches Gut betrachtet, sondern auf den Aspekt einer gegenleistungspflichtigen individuellen Chance innerhalb eines privaten Finanzierungszyklus reduziert. Das Argument, Akademikerinnen und Akademiker seien privilegiert und könnten daher während ihres Berufslebens einen Teil ihres Geldes abgeben, macht deutlich, wie eine abstrakte statistische Tatsache zu einer politisch falschen Aussage kondensiert werden kann, an deren Ende wieder die Verschärfung sozialer Ungleichheit steht. ({5}) Es ist nämlich jedem freigestellt, die Ausbildungskasse zu nutzen. Ergo: Diejenigen, die ihr Studium aus Einkommen und Vermögen finanzieren, sind danach schuldenfrei und müssen keine Sondersteuern für ihr Studium zahlen. Mit Schulden und der Perspektive lebenslanger Zusatzabgaben würden also auch hier nur diejenigen ins Berufsleben starten, die ohnehin aus einkommensschwachen Verhältnissen stammen. Darüber hinaus werden die zunehmenden Risiken und Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt auch für Hochschulabsolventen ignoriert, und letzteres betrifft - auch das ist für den heutigen Tag besonders aktuell - vor allem wieder junge Frauen. Da wir ohnehin schon genug Steuern zahlen, ist die Frage wohl eher in die Richtung zu stellen, wann endlich der Anteil der Bildungsausgaben am Bundeshaushalt einen der Aufgabe angemessenen Umfang erreicht und so sozialstaatlich orientierte Reformen auch der Studienfinanzierung möglich werden. Ziel der Partei des Demokratischen Sozialismus bleibt deshalb die bedarfsgerechte, elternunabhängige Ausbildungsfinanzierung ohne Rückzahlungspflicht. Die Zeit ist reif, über parteipolitische Grenzen hinweg die Ausbildungsförderung grundlegend zu reformieren, das Grundrecht auf Bildung für alle einzufordern, die sozial-, bildungs- und gesellschaftpolitischen Ziele der Bildungsreform der 70er Jahre zu verteidigen und sich auf den Weg zu einer zukunftsfähigen und weltoffenen Bildungsreform in ganz Deutschland zu machen. Damit sollten wir heute anfangen; denn bekanntlich hat ein bedeutender Mann gesagt: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". ({6}) Ich glaube, das haben die jungen Menschen in diesem Land nicht verdient, die weiter nichts als ein ordentliches Studium - sozial abgesichert - absolvieren wollen. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz aller harter Meinungsunterschiede besteht, glaube ich, in einem Konsens unter uns: Das Bildungs- und Ausbildungssystem Deutschlands ist einer der Grundpfeiler unseres sozialen und wirtschaftlichen Erfolges der letzten Jahrzehnte. ({0}) Aber wenn dies so bleiben soll, muß dieses System in vielen Teilen fortgeschrieben und reformiert werden. ({1}) Das gilt für den beruflichen genau so wie für den akademischen Bildungsbereich. Beide sind auf einander angewiesen. Unser Bildungssystem ist ja gerade deshalb so erfolgreich, weil es in seiner Vielfalt den unterschiedlichen Begabungen, Neigungen und Fähigkeiten der Menschen entgegenkommt. ({2}) Die große Herausforderung heute ist, genau diese Vielfalt bei dem steigenden internationalen Wettbewerbsdruck, dem rasanten technischen Fortschritt und den extrem knappen Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden auf einem erstklassigen Niveau zu halten. Im Hochschulbereich ist dabei die Diskussion um das BAföG nicht das Kernproblem, auch wenn manchmal in der Öffentlichkeit ein solcher Eindruck erweckt wird. Es ist vielmehr der Umstand, daß unsere Hochschulen in ihrer jetzigen Organisationsform und Ausstattung zu akademischen Massenabfertigungen zu werden drohen, und zwar zum Nachteil aller: des Hochbegabtennachwuchses, der Spitzenforschung, der jungen Leute, die möglichst zügig eine fundierte akademische Berufsausbildung anstreben, aber auch zum Nachteil der Studenten, die jahrelang an den Universitäten strampeln, bis sie merken, daß sie in einer anderen Ausbildung viel glücklicher wären. Nun frage ich Sie, Herr Glotz: Wer hat denn in den letzten eineinhalb Jahren seit Amtsantritt Minister Rüttgers genau diese Punkte immer wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt? Wer versucht denn seit eineinhalb Jahren, den Dialog mit allen Beteiligten - und es sind viele Beteiligte - zu führen? Wir können die Hochschulpolitik nicht per Knopfdruck aus Bonn machen. Minister Rüttgers hat in diesen eineinhalb Jahren sehr viel erreicht, mehr als viele vor ihm. ({3}) Wir stehen erst am Anfang dieses Dialogs. Auch die Opposition ist aufgefordert, die Länderregierungen, die von der SPD geführt werden, zu diesem Dialog etwas stärker, als es bisher geschehen ist, anzuhalten. ({4}) Herr Glotz, Sie können von Herrn Rüttgers nicht auf der einen Seite verlangen, konfliktbereit zu sein, und ihm auf der anderen Seite dann, wenn er den Konflikt mit der Opposition austrägt, vorwerfen, er sei nicht zum Kompromiß fähig. Ich glaube, Herr Rüttgers hat eine richtige Linie: Kompromiß ja, aber keinen faulen Kompromiß! ({5}) Aber nun zum BAföG. Natürlich ist auch für uns das BAföG ein unverzichtbarer Bestandteil des Systems. Das BAföG muß gewährleisten, daß niemand auf ein Studium zu verzichten braucht, weil seine Eltern wenig Geld haben. ({6}) Dies ist auch durch den vorliegenden Entwurf zum 18. BAföG-Änderungsgesetz sichergestellt. Das BAföG wird adäquat erhöht, der Kreis der Anspruchsberechtigten wieder spürbar erweitert, und weitere soziale Leistungen werden nach oben angepaßt. Darüber hinaus ist es gelungen, die Regelungen zur Studienabschlußförderung um drei Jahre zu verlängern. Die zukünftige Verzinsung des Darlehenanteils am BAföG löst natürlich auch bei uns kein Glücksgefühl aus. Aber ich halte manche Polemik bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, für maßlos überzogen. Es sind eben nicht die sozial Schwachen oder die Einkommensschwächsten, denen das Geld abgeknüpft wird. Sie können darauf hinweisen, daß es die Kinder von sozial Schwächeren sind, aber es sind doch nicht die sozial Schwächsten selbst. ({7}) - Ich werde Ihnen sagen, wo der Unterschied ist: Mit deutschen Steuergeldern werden bei uns alle, die ein Studium anfangen möchten, in die Lage versetzt, dies zu tun. Alles, was wir wollen, ist, daß viele einen Teil dieser Gelder, dieser Kosten für ihre Ausbildung, dann, wenn sie gut verdienen - das tun die meisten nach ihrem Studium -, wieder zurückzahlen. ({8}) Das kann man für zumutbar halten oder für nicht zumutbar. Aber ist es wirklich unzumutbar, wenn ein späterer Akademiker mit seinem im Durchschnitt wesentlich höheren Verdienst einen Teil dieser Ausbildungskosten zurückzahlt, im Durchschnitt 30 000 DM in 20 Jahren? Meiner Ansicht nach ist das zumutbar. ({9}) Für genauso zumutbar haben wir es - wie Sie - beim Meister-BAföG gehalten. Beim Meister-BAföG haben wir doch die gleiche Regelung; da ist es Ihnen anscheinend viel lieber. ({10}) Herr Berninger, Sie tun wirklich so - das stört mich in der Diskussion schon lange -, als sei es der Untergang des Studiums, wenn man jobben muß. Auch ich habe studiert, und bei uns war es gang und gäbe, daß man gejobbt hat. Das galt vor allem für die, die kein BAföG bezogen haben; denn sie mußten das Geld ja irgendwo anders herbekommen. Rechnen Sie Ihr Grünen-Modell doch noch einmal nach. Wenn mich nicht alles täuscht, sind die Belastungen für die Studenten nach Ihrem Modell zum Teil erheblich höher als bei dem Modell, das jetzt auf dem Tisch liegt. Ich möchte hier auch offen ansprechen, daß ich im vollen Umfang das Ziel mittrage, die Einsparungen beim BAföG für dringend notwendige Investitionen an den Hochschulen und Fachhochschulen zu verwenden. Es ist keine Erfindung der Bundesregierung, daß das Geld für den Hochschulbau und für das Hochschulsystem knapp ist. Auf den heftigsten Widerstand stoßen auch die Spar- und Rotstiftpläne der SPD-Regierungen in ihren Ländern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Ruck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Berninger?

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Ruck, ich muß nicht noch einmal nachrechnen, sondern es ist ausdrücklich Bestandteil unseres Vorschlages, daß die Belastungen für ehemalige Studierende durchaus vergleichsweise hoch sein können. Allerdings wird vorausgesetzt, daß sie später ein sehr hohes Einkommen haben. Das können Sie anhand der Tabellen, die unserem Antrag beigefügt sind, erkennen. Der entscheidende Unterschied ist, daß ich den Begriff Solidarität konkretisiere. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß ein Vorschlag diejenigen, die weniger Geld oder kein Einkommen haben, weil sie Kinder erziehen, weniger belasten darf als diejenigen, die ein sehr hohes Einkommen haben? Ein solcher Vorschlag, der auf Solidarität setzt, belastet einige Personen zwar vergleichsweise hoch, aber eine große Zahl von Personen, denen es schlechter geht, belastet er niedriger. Wir konkretisieren also den Begriff Solidarität in unserem Vorschlag. Der Preis dieser Solidarität ist natürlich, daß die Leistungsfähigen entsprechende Beiträge in diesen Fonds zahlen müssen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte darauf hinweisen, daß auch unser Modell in vielen Bereichen ganz erhebliche Härteklauseln, angefangen bei einer Karenzzeit von vier Jahren, beinhaltet. Es gibt eine soziale Härteklausel und viele andere Tatbestände, die den Schuldenstand - zum Beispiel durch erfolgreiche Leistungsnachweise - mindern. Wir sind alle durchaus bereit, über Einzelheiten, zum Beispiel über die Härteklauseln in unserem und in Ihrem Modell, zu diskutieren. Aber es muß unter dem Strich bei allen Modellen, die diskutiert werden, herauskommen, daß die Leistungen, die diese Modelle erbringen, mindestens genauso hoch sind wie die, die durch unser Modell erbracht werden. Das ist bei dem Modell der Grünen und auch bei den anderen Modellen, die von uns durchgerechnet wurden, nicht der Fall. Wir haben in den kommenden Wochen im Hinblick auf die BAföG-Anhörung noch Zeit zum Nachdenken. Ich trete dafür ein, daß wir wie beim Meister-BAföG auch beim Studenten-BAföG versuchen, von dem Zwang zur Darlehensaufnahme wegzugehen. Ich bin auch dafür, daß Leistungsnachweise nicht nur von den BAföG-Beziehern, sondern von allen Studenten zu erbringen sind. ({0}) Hier ist allerdings vor allem die Hochschulrektorenkonferenz gefordert. Ich würde mich auch freuen, wenn wir noch eine eindeutige Festlegung des Zinssatzes beim Darlehen erreichen könnten, um allen Studenten Planungssicherheit zu geben. Ich wiederhole: Wir sind offen für eine vorurteilsfreie Prüfung aller Vorschläge. Aber dieselbe Offenheit kann man auch von den Bildungspolitikern der Opposition verlangen. Was heute an Vorschlägen von Ihnen, Herr Glotz, gekommen ist, war eher Polemik als ein fundiertes Gegenmodell. ({1}) Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir bitte noch ein paar Bemerkungen zur beruflichen Bildung, weil ich es für gut und für ein Signal finde - da stimme ich mit Ihnen überein, Herr Glotz -, daß beides gleichwertig Thema dieser Debatte ist. Wir stehen vor drei Herausforderungen. Zum einen muß es gelingen, auch für die nächsten Jahre die großen Erfolge aller Beteiligten aus Politik und Wirtschaft zu wiederholen, allen, die einen Ausbildungsplatz in Deutschland suchen, ein entsprechendes Angebot machen zu können. Die neuesten Umfragen zeigen, ({2}) daß sich auch das Ausbildungsverhalten der Großbetriebe wieder stabilisiert hat. Die Zusage der Wirtschaft beinhaltet - Herr Minister Rüttgers hat schon darauf hingewiesen -, 10 Prozent Ausbildungsplätze mehr zu schaffen, und dafür steht heuer die Nagelprobe an. Die Masse der Arbeitsplätze muß von der Wirtschaft bereitgestellt werden. Hier können wir, hier können die Politik und die Verbände Hilfestellung leisten, indem bürokratische Hindernisse, die sich auch hier in den. letzten Jahrzehnten angesammelt haben, zurückgedrängt werden, zum Beispiel bei der Ausbildereignungsverordnung oder auch bei einer besseren Zusammenstellung der zwölf Berufsschulwochenstunden. Eine Umlagefinanzierung von Ausbildungsplätzen, wie sie von der SPD und den Grünen gefordert wird, halten wir gerade in dieser Zeit für den falschen Weg. Ich kann nicht landauf, landab die wettbewerbsschädigende Höhe der Lohnnebenkosten und der Steuer- und Abgabenbelastungen beklagen und flugs durch die Hintertür neue Abgaben einführen. ({3}) - Was ist das denn anderes? Das sind Lohnnebenkosten. ({4}) - Das sollten Sie sich einmal erklären lassen, Frau Kollegin. Die zweite große Herausforderung - sie wurde bereits angesprochen - ist die Fortentwicklung der Ausbildungsordnungen und der Berufsbilder. Der dritte Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, ist die hohe Zahl von Ausbildungsabbrechern. Ich glaube, dies liegt auch an der Überforderung mancher Jugendlicher. Auch darin stimmen wir mit dem Minister vollkommen überein. Wir müssen deshalb versuchen, zu einer stärkeren Differenzierung innerhalb der Berufsausbildung zu kommen, um Jugendlichen mit Schwierigkeiten und Leistungsschwächen eine bessere Perspektive bieten zu können. Ich sehe auch das Dilemma, das die Gewerkschaften dabei haben: je einfacher die Ausbildung, desto geringer der Verdienst. Es kann aber auf der anderen Seite nicht Sinn einer schwierigen und komplizierten Ausbildung sein, daß viele Jugendliche daran scheitern und dann überhaupt keinen Beruf haben. Ein hoffnungsvoller Weg ist - der Minister hat ihn zitiert -, daß wir zusammen mit den anderen Beteiligten versuchen, die Ausbildung in den einzelnen Berufen so zu flexibilisieren, daß es zwar einen Kernbereich gibt, der für alle gleich ist, daß aber darüber hinaus auch Zusatzqualifikationen für talentiertere Jugendliche geboten werden, die sich weiterqualifizieren können. Die Weiterentwicklung des deutschen Bildungs- und Ausbildungswesens ist dringend. In diesem Bereich sind die Entscheidungskompetenzen breit gestreut. Das ist meist ein Segen, kann aber auch zum Fluch werden, nämlich dann, wenn die vielen Köche nur noch einen Einheitsbrei produzieren oder vergessen, daß sie nicht für sich selbst kochen, sondern für die Zukunft unserer Gesellschaft. Ich danke Ihnen. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Doris Odendahl, SPD-Fraktion.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ein Blick auf die Uhr läßt sich mit der Lage der Studierenden und der Hochschulen vergleichen: Es ist schon lange nicht mehr fünf vor zwölf, sondern schon lange nach zwölf. ({0}) - In die Mensa dürfen Sie nicht mehr, Herr Kollege Ruck; dazu sind Sie im Alter etwas zu fortgeschritten. Bei der Verabschiedung der 17. BAföG-Novelle am 1. Juni 1995 hatten wir Sie sehr eindringlich gebeten, mit der 18. Novelle das ständige Flickwerk bei der Ausbildungsförderung zu beenden. Was die Bundesregierung heute vorlegt, ist kein Konzept zur Lösung der Finanzierungsprobleme der Hochschulen, nicht einmal ein Rettungsanker, an dem Herrn Rüttgers gelegen wäre, und schon gar kein Reformansatz. Es ist der klägliche Versuch, den Finanzminister vorm Absaufen zu retten. ({1}) Die SPD lehnt die Umstellung des BAföG auf ein verzinsliches Bankdarlehen ab. Zusammen mit den weiteren strukturellen Änderungen wie der starken Beschränkung der Förderungshöchstdauer und einer Einschränkung der Förderung von Zweitstudien sowie Ergänzungs- und Aufbaustudiengängen und des Fachrichtungswechsels übertreffen die Auswirkungen selbst den BAföG-Kahlschlag von 1983. Die Umstellung auf ein verzinsliches Bankdarlehen bedeutet, daß Sie sich von der Chancengleichheit in der Bildung endgültig verabschieden. Sie verlagern die Finanzierungsprobleme einseitig auf die bedürftigen Studierenden und muten ihnen eine glatte Verdoppelung der Rückzahlungsschuld zu. Ist das Ihr Beitrag zu einem längst fälligen Generationenvertrag? Was muten Sie eigentlich diesen jungen Menschen, die wir ohnehin schon bis zur Halskrause mit Hypotheken belastet haben, noch alles zu? Sie bezahlen die von Ihnen verursachte extreme Staatsverschuldung, sie bezahlen in erhöhtem Maße schon auf Grund der demographischen Entwicklung für unsere Renten, und sie bezahlen eine überhaupt nicht bezifferbare ökologische Hypothek. Deshalb haben unsere Generation und eine Regierung, die dafür Verantwortung trägt, die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die jungen Menschen überhaupt in die Lage zu versetzen, diese Hypotheken abzutragen. ({2}) Ihr mit der 18. BAföG-Novelle vorgelegter Beitrag ist kläglich, Herr Zukunftsminister Rüttgers. ({3}) - Sie müssen es hinnehmen, ich beurteile es so, und viele sehen es so wie ich. Die individuelle Ausbildungsförderung hat seit vielen Jahren überdurchschnittlich zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte beitragen müssen. Die Freibeträge und Bedarfssätze wurden in den letzten Jahren unzureichend an die Steigerung der Lebenshaltungskosten und die Einkommensentwicklung angepaßt. Nach der 14. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes betrug die Quote der Geförderten im Sommersemester 1994 in Westdeutschland 24 Prozent und in Ostdeutschland 55 Prozent. Ohne regelmäßige Anpassung schrumpft die Gefördertenquote immer mehr. Wenn Sie jetzt ankündigen, durch Ihr privates Zinsmodell steige diese wieder auf 30 Prozent, wobei sich dann die Darlehensschuld ja verdoppelt, fällt mir nur die Bezeichnung Roßtäuschertrick ein. Hinzu kommt, daß die Verlagerung der BAföG- Darlehen auf einen Schattenhaushalt, nämlich bei der Lastenausgleichsbank, zunächst zwar finanzpolitische Spielräume eröffnet; langfristig jedoch werden der Bundeshaushalt und die 16 Länderhaushalte mit erheblichen Zins- und Garantiekosten sowie Darlehensausfällen belastet werden. Da die geplante Darlehensumstellung langfristig zum Versiegen der öffentlichen Haushalte aus bisherigen Darlehensrückflüssen führen würde, ist dieser heute vorgelegte Gesetzentwurf auf lange Sicht - zugegeben: auf lange Sicht - auch finanz- und haushaltspolitisch ein fataler Irrweg. Der Bundesrat hat am 1. März 1996 mit breiter Mehrheit und für Sie schmerzlich die Verzinsung der BAföG-Darlehen und die von der Bundesregierung geplanten weiteren Einschränkungen abgelehnt. Die SPD-Fraktion fordert, wie bereits in unserem Antrag zur 17. Novelle angeführt, die Verlängerung der Studienabschlußförderung und die Einführung eines einheitlichen Berechnungszeitraumes für die Einkommensanrechnung in Ost- und Westdeutschland. Wir halten es wie der Bundesrat für notwendig, daß die von der Bundesregierung in Aussicht genommene Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge in Höhe von jeweils 6 Prozent losgelöst von einer strukturellen Reform der individuellen Ausbildungsförderung im Herbst 1996 verwirklicht wird. Die SPD-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, endlich ihre Vogel-friß-oder-stirb-Politik aufzugeben und sich an der Suche nach einer für alle Beteiligten akzeptablen neuen Konzeption zu beteiligen. Es ist doch ein Armutszeugnis, daß Minister Rüttgers weiterhin die Mitarbeit an der von der KMK dafür eingesetzten Arbeitsgruppe verweigert. Diese will Ende April einen Zwischenbericht und im Herbst 1996 einen Abschlußbericht vorlegen, um 1997 eine grundlegende Reform der Studienfinanzierung verwirklichen zu können. Die SPD-Vorschläge zu einer solchen Reform liegen vor. Indirekte Förderungen, also Kinder- und Ausbildungsfreibeträge und sonstige Steuervorteile, und direkte Förderungen, also Kindergeld und Finanzierungen des Familienlastenausgleichs, müssen zu einem Ausbildungsgeld als einheitliche Sockelfinanzierung zusammengefaßt werden, so daß Familien mit höheren Einkommen bei der Ausbildung ihrer Kinder nicht länger bevorzugt werden. Das BAföG soll auf dem Ausbildungsgeld aufbauen und bedarfsgerecht weiterentwickelt werden. worden sind, die eine Beschäftigung als Ungelernte angenommen haben, die in die Warteschleife der Sozialhilfe gekommen sind, und Unversorgte, wie man sie nennt, die sich draußen herumdrücken. Dazu gehören auch die jungen Menschen, die als Arbeitslose unter 20 Jahren versuchen, in diesem Land irgendwie unterzukommen. Das sind mindestens 150 000 Jugendliche, die im letzten Jahr ihren Wunsch nach Ausbildung auf diese Art und Weise aufgegeben haben. Sie tauchen in den Statistiken nicht mehr auf. Ihnen, Herr Minister, gelingt es mit einer gewissen Chuzpe, von einer ausgeglichenen Bilanz auf dem Ausbildungsstellenmarkt 1995 zu reden, wenn Sie uns hier in Form der Unterrichtung durch die Bundesregierung davon in Kenntnis setzen wollen. Man kann solche und solche Zahlen verwenden. Ob das etwas mit Rechnen zu tun hat, wage ich in Zweifel zu ziehen. Ich bin Haushälterin; ich erlaube mir diese Bemerkung. ({4}) Ich habe das Herumgewurschtel satt. Wir wurschteln uns bei der Ausbildungsplatzsituation hier von Jahr zu Jahr durch. Es gibt Aktionsprogramme, die deutlich machen sollen, wie hektisch, betriebsam und wunderbar agil diese Bundesregierung die Probleme anpackt. Aber es wird nichts angepackt, sondern es ist vielmehr so: Es werden neue Berufsfelder definiert, die Begabtenförderung wird sichergestellt, und überbetriebliche Ausbildungsphasen werden angestrebt. Aber das alles müssen wir sowieso machen. Das hat noch gar nichts damit zu tun, daß wir eine besondere Situation haben, der wir außerdem noch begegnen müssen. Das ist Ihre tägliche Arbeit. Die stellen Sie als Aktionsprogramm dar. Ich denke, wir müßten das, was die neue Zeit erheischt, anpacken. Statt dessen stürmen die Zahlen sozusagen den Berg hinauf, und der Homo oeconomicus hechelt atemlos hinterher, weil die wirtschaftlichen Prinzipien die politischen ersetzt haben. Dabei war das, was jetzt passiert, bereits 1993 deutlich absehbar. Ich war damals im Landtag von Sachsen und habe mich auch dort mit dem Fachgebiet Berufsbildung befaßt. Schon damals war uns klar, wohin das alles führt. Bereits damals haben wir gesehen, daß junge Menschen keine Ausbildung hatten und wie der Bodensatz in einer Weinflasche angesammelt wurden, um die sich niemand kümmert. Und es werden jedes Jahr mehr. Da können Sie mir im Berufsbildungsbericht 1995 nicht anbieten, daß die Zahlen der Absolventen an allgemeinbildenden Schulen in den fünf neuen Ländern ab 1997/98 wahrscheinlich leicht zurückgehen werden. Das ist eine Daumenpeilung aus Ihrem Hause. Sie verlangen aber selbst exakte Zahlen. Sie wissen ganz genau, daß mindestens bis 2005 die Absolventenzahlen steigen werden, in den fünf neuen Ländern auf jeden Fall. Sie sagen, Sie wissen nicht, wie Sie die Situation beurteilen sollen. 1993 war bereits in zehn Arbeitsamtsbezirken klar, daß die Nachfrage größer ist als die Versorgung. 1994 waren es 23 Arbeitsamtsbezirke. Im letzten Jahr waren es 55 Arbeitsamtsbezirke. Wie viele Beweise brauchen Sie denn? Die geschönte Statistik für 1995 - durch die Privatisierung von Bahn und Post wurden deren Ausbildungsplätze erstmals in die Kammerverzeichnisse aufgenommen - verkaufen Sie als Erfolg, Herr Minister. Das ist wirklich nicht in Ordnung. Sie sprechen davon, daß jede Mark nur einmal ausgegeben werden kann. Ich wäre froh, wenn die Bildungspolitiker die besseren Haushälter wären. Aber im Moment sind die Haushälter die besseren Bildungspolitiker. Herr Rüttgers, wir versuchen nämlich, in der Studienfinanzierung und in der Berufsausbildung mittelfristige Konzepte anzustreben. Das Konzept zur Finanzierung der Berufsausbildung werden wir Anfang Mai vorlegen. Mit diesen Konzepten soll die Finanzierung der Ausbildung durch Bundesmittel mittelfristig enden. Damit wird über die Legislaturperiode hinaus gedacht und nicht nur von einem Jahr zum nächsten gehechelt und sich durchgewurschtelt. Mir ist sehr wohl klar, daß es auch mit Ihnen von der Koalition eine interessante Diskussion geben wird, wenn über die betriebswirtschaftlichen Aspekte in dem Spannungsverhältnis zwischen Umlage und Steuervorteilen zu diskutieren sein wird. Ich bin fest davon überzeugt, daß es nicht geht, immer nur den kleinen Leuten zu predigen, sie müßten Opfer bringen, sondern hier bedarf es einer politischen Rahmensetzung für die Wirtschaft. Ich glaube nicht, daß das Staatswirtschaft ist. Das versuchen Sie ja immer wieder zu unterstellen. Sie können das an dem Ausbildungsverhalten der Großbetriebe ablesen. Die Belegschaftsreduzierung auf Grund der Wirtschaftsprüfungen und des Übergangs zum Aktienmarkt hat in den letzten Jahren 10 Prozent betragen; aber die Ausbildungsplatzreduzierung hat 25 Prozent betragen. Wenn das keine Tendenz ist! Wir werden parallel zum Berufsbildungsbericht 1996 Anfang Mai in den Geschäftsgang des Bundestages einen Antrag einbringen, der sich mit einer mittelfristigen Lösung der Berufsausbildungssituation, die vor allen Dingen darauf beruht, daß der Bund aus der Finanzierung der betrieblichen Ausbildung wieder aussteigt, befaßt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir diese Verantwortung für das Gemeinwesen gemeinsam tragen würden. Ich bedanke mich. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Herr Professor Dr. Laermann, F.D.P.-Fraktion.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich erst einmal die Frage von Herrn Glotz beantworten, die er an meinen Kollegen Guttmacher gestellt hat. Zusätzliche finanzielle Anstrengungen des Staates zur Studienfinanzierung sollen dazu dienen, jungen Menschen, deren Eltern zu ihrem Studium nicht oder wenig beitragen können, ein Studium zu ermöglichen. Leistungsüberprüfungen als integraler Bestandteil der jeweiligen Studienordnung werden beim BAföG berücksichtigt. Neue, zusätzliche Hürden für BAföG-Empfänger und -Empfängerinnen lehnen wir ab. Insgesamt soll das BAföG so einfach wie möglich ausgestaltet werden, um den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich zu halten. Das, was Ihnen zum Meister-BAföG aus der Feder geflossen ist, ist da wirklich kein leuchtendes Beispiel. ({0}) - Sehen Sie sich doch einmal die Briefe an, die jetzt kommen! Sie haben bisher überhaupt keine Durchführung zustande gebracht. Das ist doch so. ({1}) - Nein. Wir haben gesagt, das müssen weiter die Arbeitsämter regeln. Das Chaos haben doch Sie angerichtet! ({2}) Für besondere Aufgaben, wie Examensförderung bzw. Studienabschlußförderung, sollten Darlehen vorgesehen werden. Auch hierfür sind zusätzliche finanzielle Anstrengungen notwendig. Ergänzend zu diesen Überlegungen - da stimme ich mit Herrn Guttmacher und Herrn Laermann gern einmal überein - gehört auch ein Konzept zum zweckgebundenen steuerbegünstigten Bildungssparen, das langfristig die Familien darin unterstützen soll, Vorsorge für die Ausbildung ihrer Kinder zu treffen, so sie in der Lage sind. Es ist erfreulich, daß eine ganze Reihe von Organisationen ebenfalls Reformvorschläge erarbeitet haben. Dazu zähle ich auch die BAFF-Vorschläge vom Bündnis 90/Die Grünen. Sie müssen alle auf den Tisch und unvoreingenommen geprüft werden. Es dient der Sache überhaupt nicht, wenn die Bundesregierung alle Alternativvorschläge pauschal als verfassungswidrig und nicht finanzierbar hinstellt. Sie lenkt damit von gravierenden Problemen ihrer eigenen Paketlösung ab. Die Bundesregierung gibt vor, die bei der Verwirklichung ihrer BAföG-Pläne freiwerdenden Mittel für den weiteren Hochschulausbau, die Aufstiegsfortbildung, die Wissenschaftsförderung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Modernisierung der Hochschulen in den neuen Ländern nutzen zu wollen. Dies alles ist notwendig. Wir lehnen eine solche Paketbildung, die allein von den bedürftigen Studierenden getragen werden soll, auch deshalb ab, weil sie eine einseitige Verschiebung der Lasten für gemeinsam von Bund und Ländern zu tragende Aufgaben im Bildungs- und Wissenschaftsbereich auf die Länderhaushalte zum Ziel hat. ({3}) Die SPD-Fraktion hat zu den Bereichen Hochschulbau und Ausbildungsförderung eine Anhörung beantragt, die am 8. Mai dieses Jahres stattfinden wird. Nachdem schon heute feststeht, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur 18. BAföG-Novelle von allen Experten und von allen Ländern einhellig und aus gutem Grund abgelehnt wird, hielten Sie anfangs eine Anhörung für überflüssig und unterstellten der Opposition, wir wollten Sie gar vorführen. ({4}) Nein, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, das wollen wir nicht. Wir wollen Sie damit in die Lage versetzen, doch noch die Chance zu ergreifen, um zu der dringend notwendigen Reform des BAföG zu kommen. Es darf einfach nicht wahr sein, daß sich ausgerechnet der Zukunftsminister als reformunfähig erweist und seine selbst geforderte Qualifikations- und Innovationsoffensive behindert. ({5}) - Das tun Sie doch. Meine Damen und Herren, wir haben heute morgen unserer verstorbenen ehemaligen Kollegin Käte Strobel gedacht und ihr Lebenswerk gewürdigt. Sie hat die Ausbildungsförderung mit ins Leben gerufen. Es war ihr Werk. Ihr ging es darum, Chancengleichheit ({6}) - vielleicht können Sie noch einmal zuhören; es wäre sehr gut, denn es war auch Ihre Kollegin ({7}) unabhängig von der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Auszubildenden und ihrer Familien zu gewährleisten und alle Begabungen zu fördern. Die SPD hält an diesen bildungspolitischen Forderungen fest, heute mehr denn je. ({8}) Wir dürfen die junge Generation nicht im Stich lassen. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rüttgers, wissen Sie, was der Aktenvermerk „anderweitig verblieben" in Arbeitsämtern bedeutet? - Das sind die jungen Menschen, die 1995 im Schulbereich, wie man unschön ausdrückt, zwischengeparkt Wir stellen natürlich Überlegungen zu Alternativen an. Wer tut das nicht? Dann wird man doch auch einmal den einen oder anderen gedanklichen Ansatz hier vortragen können. Das heißt noch lange nicht, daß das die Position ist, die eine Gruppe in diesem Hohen Hause einnimmt. Wir sind unabhängige Abgeordnete. Jeder Abgeordnete ist in der Lage, hier seine Meinung vorzutragen. ({0}) Wir wissen alle, daß wir in dem Feld, in dem wir uns hier bewegen, durchaus Diskussionsbedarf haben, und zwar auf sachlicher Ebene. Deswegen bin ich all den Kolleginnen und Kollegen dankbar, die gesagt haben: Wir sehen die Problematik, wir sehen unsere Verantwortung, unsere Verpflichtung. Diese liegt im übrigen nicht nur beim Bund. Machen wir uns doch nichts vor: Wir führen hier als Stellvertreter Diskussionen, die in den Ländern geführt werden müssen. Das, was gesagt wird, gilt in vielen Fällen für die Länder rundum, unabhängig von deren politischer Orientierung in den Regierungen. ({1}) Deswegen bin ich dankbar, daß Sie von einer Allianz gesprochen haben. Es wird Zeit, daß wir die Irrationalität der Diskussion und der Behauptungen überwinden; alles andere hilft unserer Zukunft und den jungen Menschen überhaupt nicht. Ich habe bedauerlicherweise nur wenige Minuten Zeit. Ich hatte mich auf das Thema Hochschulbauförderung und diese Novelle konzentriert und bekenne ausdrücklich, daß ich die Diskussion über dieses Thema, das die Struktur und den Ausbau der Hochschulen betrifft, von der Diskussion über die Sozialhilfe, die das BAföG eigentlich ist, losgelöst sehen möchte. Herr Ruck, eine Bemerkung in eigener Sache kann ich mir nicht verkneifen: In der Bundesregierung wird nicht erst seit anderthalb Jahren Bildungspolitik gemacht. ({2}) Ich hoffe, daß ich das anmerken durfte. Zum vorliegenden Gesetzentwurf: Hier stellt sich die Frage, die Bagatellgrenzen zu erhöhen. Seit 1970, seit Einführung des Gesetzes, sind diese nicht verändert worden. Auf Grund der Vielzahl der Bagatellprojekte - das sind letztendlich nur minimale Reparaturarbeiten; 500 000 DM, was ist das heute im Hochschulbereich? -, erschien es uns notwendig, die Bagatellgrenzen zu erhöhen, um viel Verwaltungsaufwand einzusparen. Das ist Deregulierung, Herr Glotz; das ist auch Kosteneinsparung. Das will ich ausdrücklich sagen. Ich sage noch ein Weiteres: Wir müssen im Klinikbereich mit unseren Kollegen, im Zusammenhang mit der Gesundheitsstrukturreform über das System reden. Das ist wichtig. 34 Prozent der Mittel der Hochschulbauförderung gehen in den klinischen Bereich. Es ist doch wohl angebracht und richtig, darüber zu beraten, ob das alles wirklich für die Ausbildung im klinischen Universitätsbereich verwandt wird oder ob damit nicht auch Kosten der normalen Krankenversorgung gedeckt werden. Ich glaube, diese Frage ist berechtigt und muß gestellt werden. Wie wir das regeln, wird sich dann abzeichnen. ({3}) Zweitens erkläre ich ausdrücklich für meine Fraktion, daß wir natürlich nach wie vor - das werden wir in den Beratungen einbringen - für die Leasingmodelle sind, für alternative Finanzierungsmodelle. ({4}) Ich sage ausdrücklich: Auch wenn nicht unmittelbar bewiesen ist bzw. in Zweifel gezogen wird, ob das Leasing in der Regel kostengünstiger ist, gibt es, so glaube ich, schon genügend Beispiele, an denen man belegen kann, daß es kostengünstiger ist, vor allem weil man viel bürokratischen Aufwand sowie lange Planungs- und Genehmigungszeiten einsparen kann und vernünftigerweise auch solide, kostengünstig - beim Hochschulausbau wird viel Unfug angestellt - und, wie ich aus aktuellem Anlaß hinzufüge, auch sicher baut. ({5}) Zum nächsten Punkt. Wir diskutieren über die Erbschaftsteuer. Wir wissen, daß in naher Zukunft Vermögen in Billionenhöhe vererbt werden. Warum bemühen wir uns eigentlich nicht darum, wie es in anderen Ländern Tradition ist, daß vieles von diesem privaten Geld in Stiftungen für den Institutsbau, für den Laborbau, für den Bibliotheksbau eingesetzt wird., ohne daß die Länder einen solchen Stiftungsanteil in ihren eigenen 50prozentigen Anteil zur Hochschulbaufinanzierung einrechnen? ({6}) - Eben. Dann lassen Sie uns dies doch angehen! ({7}) Oft wird gesagt: Das ist nicht die deutsche Tradition. - Bei den anderen hat das auch einmal angefangen. Jede Tradition beginnt einmal. Beginnen wir doch endlich damit, diese Tradition zu schaffen! - Ich halte das für richtig, denn wir müssen uns auch nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten umsehen. ({8}) Noch ein Wort zur Frage der beruflichen Bildung. Mich bedrückt immer das Argument, daß es sicherlich diejenigen, die beruflich ausbilden, nicht unbedingt motiviert, mehr Lehrstellen anzubieten, wenn erwartet wird, daß alle Ausgebildeten am Ende der Ausbildung übernommen werden. Es gilt nicht nur für die berufliche Bildung, sondern auch für die Hochschulausbildung: Man schließt die Ausbildung mit 25 Jahren ab, bewirbt sich um eine Erststelle, und dann wird von einem verlangt, daß man ein Jahr im Ausland war und fünf Jahre berufspraktische Erfahrung hat, denn sonst hat man keine Chance, eine Tätigkeit zu beginnen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die Zeit, Herr Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte um Vergebung. - Warum überlegen wir uns nicht, die Mobilzeit einzuführen, das heißt, jungen Menschen, die sowohl aus der beruflichen Bildung als auch aus der Hochschulbildung kommen, Teilzeitjobs anzubieten? Zwei junge Leute teilen sich einen Arbeitsplatz, nicht vormittags und nachmittags, sondern wöchentlich oder monatlich. In der übrigen Zeit können sie Weiterbildungsangebote der verschiedensten Art nutzen. Das kann dann die öffentliche Hand bezahlen, was nämlich viel billiger ist, als die Arbeitslosigkeit zu bezahlen. Dann erfahren diese jungen Leute eine berufliche und praxisorientierte Ausbildung und können sich darüber hinaus weiterbilden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Laermann, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte um Vergebung. Dies hätte ich gerne noch etwas näher ausgeführt. Herzlichen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Was zuviel, ist zuviel. Das Wort hat die Kollegin Edelgard Bulmahn, SPD- Fraktion.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Der heutige Tag und der bisherige Verlauf der Debatte bieten keinen Grund zu Optimismus. Der heutige Tag ist ein schwarzer Tag für die Bildungs- und Hochschulpolitik, weil die hier zur Debatte stehenden Gesetzentwürfe wirklich keines der zentralen Probleme an unseren Hochschulen lösen, sondern sie verschärfen. Die Gesetzentwürfe sind sozialpolitisch nicht akzeptabel, sie sind bildungspolitisch kontraproduktiv, sie sind finanzpolitisch unsolide, und sie setzen die bewährte Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Förderung von Bildung und Wissenschaft leichtfertig aufs Spiel. In diesem Politikbereich müssen wir aber zusammenarbeiten. ({0}) Die Bundesregierung dokumentiert mit der Einbringung der beiden Gesetzentwürfe, daß sie sich aus der finanziellen Mitverantwortung für die Förderung von Bildung und Wissenschaft wegstehlen will. Statt in die Köpfe, in die Kreativität und in die qualifizierte Ausbildung der jungen Menschen in unserem Lande zu investieren, will sie bei den Einkommensschwächsten unter den Studierenden abkassieren und die Lasten auf die Länder abwälzen. Statt Vorschläge auf den Tisch zu legen, wie das Recht der nachwachsenden Generation auf Bildung auch und gerade angesichts der wachsenden Misere der öffentlichen Haushalte gesichert werden kann, trachtet die Bundesregierung danach, wie sie weitere Haushaltsmittel aus diesem Bereich herausbrechen kann. Sie, Herr Minister Rüttgers, setzen mit Ihren Gesetzentwürfen, die Sie vorgelegt haben, die Tradition Ihrer Regierung fort, nämlich die Tradition der Vernachlässigung von Bildung, Wissenschaft und Forschung. Sie selber, Herr Bundesminister Rüttgers, haben jüngst in der 23. Ausgabe der Grund- und Strukturdaten, eine Veröffentlichung Ihres Hauses, einige aufschlußreiche Zahlen veröffentlicht. Ich gehe davon aus, daß Sie als Bundesbildungsminister die Schlüsselqualifikation des Lesens beherrschen. Bitte lesen und vor allen Dingen merken! Während die Länder und Kommunen ihre Bildungsausgaben - ich bitte, daß sich die Kollegen der Koalitionsfraktion dies anhören - von 1982 bis 1994 um 104,6 Prozent gesteigert haben, sind diejenigen des Bundes um 65 Prozent gestiegen. Das ist die Art und Weise, wie Sie Ihrer Verantwortung nachkommen! Das sind Daten Ihres Hauses. Der Anteil des Bundes ist infolgedessen seit 1982 von 8,6 Prozent auf 7,1 Prozent gesunken. Herr Ruck, wenn Sie Ökonomie studiert haben, müßten Sie wissen, daß der Bund seine Haushaltsmittel kürzt und auch die Bundesländer kürzen und der Anteil des Bundes trotzdem sinkt und daß dies dann eine überproportionale Kürzung der Bundesmittel bedeutet. Das sollten Sie eigentlich wissen. ({1}) Jetzt könnte man ja denken, bei den Wissenschaftsausgaben stelle sich das Bild anders dar. Weit gefehlt; hier zeigt sich das gleiche Bild: Die Wissenschaftsausgaben des Bundes nahmen im gleichen Zeitraum um 55,5 Prozent zu, jene der Länder und Gemeinden aber um 114,2 Prozent, also auch hier eine wesentlich stärkere Steigerung der Wissenschaftsausgaben der Länder und Gemeinden. Das hat dazu geführt, daß in der Bundesrepublik der Anteil des Bundes an den Wissenschaftsausgaben von 24,4 auf 19,9 Prozent zurückgegangen ist. Im Vergleich zu 1970 ergibt sich für den Hochschulbereich sogar ein Rückgang des Bundesanteiles von 14,3 auf nunmehr 5,3 Prozent. Das muß man einmal zur Kenntnis nehmen. Das darf man nicht einfach ignorieren und dann in dieser Ignoranz zufrieden verharren. ({2}) Bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben zeigt sich genau das gleiche Bild. Hier wiesen die Länder und Kommunen mit 100,4 Prozent gegenüber 1982 ebenfalls eine deutlich höhere Zuwachsrate auf als diejenige des Bundes mit 48,3 Prozent. Dementsprechend trug der Bund 1993 nur noch 54,9 Prozent der öffentlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben. 1982 waren es noch 62,2 Prozent. Wie stark diese Bundesregierung sich seit 1982 aus der gemeinsamen Wissenschaftsfinanzierung zurückgezogen hat, wird an einer einfachen Rechnung deutlich: Hätten die Wissenschaftsaufwendungen des Bundes die gleiche Zuwachsrate aufgewiesen wie die der Länder und Gemeinden, so müßte der Bundesanteil 1994 mit 28,1 Milliarden DM um 7,7 Milliarden DM höher gelegen haben, als dies tatsächlich der Fall war. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich einmal vor, wir hätten in unserem Haushalt Mittel in Höhe von 7,7 Milliarden DM mehr zur Verfügung. Dann müßten wir viele Diskussionen nicht führen und könnten eine wesentlich rationalere und bessere Forschungs-, Bildungs- und Technologiepolitik betreiben. Was mich wirklich bedrückt, ist, daß Sie diese Tatsache einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen, obwohl sie Ihnen schwarz auf weiß vorliegt, obwohl Sie sie jeden Tag nachlesen können. Sie diskutieren wirklich an der Realität vorbei. Ich möchte Sie bitten, endlich einmal diese Realität zur Kenntnis zu nehmen. ({3}) Die Bundesregierung behauptet nun zwar, mit den hier zur Debatte stehenden Gesetzentwürfen würden neue Finanzspielräume geschaffen. Das ist jedoch unredlich. Der geltende Finanzplan des Bundes - auch der neue Finanzplan von 1996 liegt Ihnen vor, zwar nicht aus dem Hause des Bundesbildungsministers, sondern aus dem Hause des Bundesfinanzministers; Sie können ihn selber nachlesen - weist 1995 für die Hochschulen Ausgaben in Höhe von 5,4 Milliarden DM aus. 1999 sind allerdings nur noch 4,8 Milliarden DM vorgesehen, also 22,3 Prozent weniger. Ist dies, Herr Minister, der neue Finanzspielraum für die Hochschulen? Oder verstehen Sie es als Stärkung des Forschungsstandortes Deutschland, wenn die Investitionen für Forschung und Entwicklung außerhalb der Hochschulen in der Finanzplanung des Bundesfinanzministers bis 1999 von 3,2 auf 3,0 Milliarden DM, also um 5,2 Prozent, gekürzt werden?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Bulmahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rüttgers?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, mich drängt es, diese Frage zu stellen, weil die Vorsitzende des Ausschusses, die ich aus inzwischen fast zehnjähriger Zusammenarbeit kenne, mich doch etwas schockt, indem sie hier mit einem Taschenspielertrick arbeitet. ({0}) Das ist eine sehr vorsichtige und freundliche Formulierung, die ich so wähle, weil wir uns lange kennen. Wenn wir ein Modell vorlegen und die Hälfte der Mittel des BAföG-Bereichs aus einer staatlichen in eine private Finanzierung umstellen, dann muß dies, verehrte Frau Kollegin, zwangsläufig zur Folge haben, daß der Anteil der staatlichen Mittel, den Sie hier mit Ihrem Laptop berechnet haben, natürlich sinkt. Sie sollten nicht so tun, als ob das eine Absenkung der Mittel bedeutet, sondern darauf hinweisen, daß es sich um eine Finanzierung aus dem privaten Bereich handelt. Dies hat aber nichts mit der Gesamtsumme zu tun, die für die Studentinnen und Studenten sowie für die Hochschulen zur Verfügung steht. Können Sie mir recht geben, daß diese Betrachtung richtig ist?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In den Zahlen, die ich jetzt angegeben habe, sind die BAföG-Zahlungen nicht enthalten, Herr Rüttgers. Von daher trifft Ihr Argument nicht zu, weil die Ausgaben für die Hochschulen - ohne Berücksichtigung des BAföG - in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes sinken.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich noch einmal nachfragen, bitte?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich es richtig im Ohr habe, Frau Kollegin, haben Sie heute eine Zahl von mehr als 5 Milliarden DM zugrunde gelegt. Das ist die Zahl von ({0}) 1995, die in bezug auf ein Jahr im Haushalt steht und die auf unter 5 Milliarden DM absinkt. Diese Zahl muß, da sie sich auf den Bildungsbereich bezieht, die BAföG-Leistungen beinhalten, weil bei einem Haushalt von 15,7 Milliarden DM eine Zahl in dieser Höhe sonst nicht zur Verfügung stehen könnte. Aber wir können diesen Punkt sicherlich nach dieser Sitzung klären, wenn Sie einverstanden sind.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich. Angesichts dieser Versäumnisse der Vergangenheit, die wir von seiten der SPD schon seit Jahren beklagen, daß die Haushalte der alten Bundesministerien für Bildung und Wissenschaft und für Forschung und Technologie regelrecht ausgeblutet worden sind - denn dies ist ja keine Neuentwicklung, wie ich deutlich gemacht habe, sondern eine Entwicklung schon seit Jahren -, sollten Sie sich, Herr Rüttgers, stärker als Anwalt von Bildung und Wissenschaft verstehen, für Ihre Belange im Kabinett streiten und bildungspolitische Innovationen anstoßen. Ich bin der Meinung, daß es die ureigenste Aufgabe des Bildungsministers ist, sich wirklich als Anwalt - so, wie der Ausschuß sich ebenfalls versteht - für Bildung und Forschung zu begreifen und auch die diesbezüglichen Interessen im Kabinett offensiv zu vertreten, ({0}) so wie das Ihre Kollegen ja auch für ihre Ressorts tun. ({1}) So hätten Sie im Hochschulbauförderungsgesetz für Verwaltungsvereinfachungen sorgen können und die Möglichkeit eröffnen müssen, daß die jeweils wirtschaftlichste Form bei einer Vorhabenrealisierung gewählt werden kann. Diese Punkte, Herr Minister - das enttäuscht mich wirklich sehr -, pakken Sie jedoch in Ihrem Gesetzentwurf nicht an. Die Novelle ist vielmehr ganz einseitig von dem Interesse bestimmt, sich finanziell zu entlasten und Kosten auf die Länder abzuwälzen. Mit der Anhebung der Bagatellgrenze für Bauvorhaben und für Großgeräte, die aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung durchaus zu begrüßen ist, ist die Konsequenz verbunden, daß auf die Länder jährliche Mehrbelastungen in Höhe von knapp 200 Millionen DM zukommen. Trotzdem haben die Länder dazu ja gesagt; auch wir halten das für richtig. Demgegenüber wird der Bund - das muß man ebenfalls mit berücksichtigen - in der gleichen Höhe entlastet. Mit der im Gesetzentwurf vorgesehenen Einschränkung der Mitfinanzierung der Hochschulkliniken werden weitere Finanzierungslasten in Höhe von bis zu rund 650 Millionen DM auf die Länder verschoben. Angesichts der Tatsache, daß die Länder allein im laufenden Jahr Projekte in einem Gesamtumfang von 2,13 Milliarden DM ohne hälftige Mitfinanzierung des Bundes durchführen, kann eine weitere Verschiebung der Finanzierungslast auf die Länder von den Länderhaushalten nicht mehr verkraftet werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung trägt damit zu einer erheblichen Verschärfung der ohnehin bestehenden Finanzierungsprobleme der Gemeinschaftsaufgabe bei und gefährdet mit den geplanten Einschränkungen bei den Hochschulkliniken die Leistungsfähigkeit der medizinischen Forschung und letztlich den Bestand der Gemeinschaftsaufgabe. Ich würde es für eine Katastrophe halten, wenn die Gemeinschaftsaufgabe daran zerbräche. ({2}) Die Bundesregierung begründet die im Hinblick auf die Hochschulkliniken vorgesehenen Gesetzesänderungen mit dem Hinweis, sie dienten der Klarstellung. Wo allerdings die Grenze zwischen Forschung und Lehre einerseits und Krankenversorgung andererseits genau zu ziehen ist, das weiß der Bundeswissenschaftsminister selbst nicht. Vielmehr läßt er nach dieser Grenzlinie per Zeitungsanzeige suchen. Der Ausschreibung zufolge dürfte ein entsprechendes Ergebnis jedoch nicht vor 1998 vorliegen; gleichwohl wollen Sie, Herr Minister, bereits jetzt für Klarstellung sorgen. Das ist genau der Punkt, Herr Laermann, den ich für falsch halte. Erst muß man für Klarstellung sorgen, dann kann man darüber entscheiden, wie man verfährt. Solange diese Klarstellung noch nicht erfolgt ist, kann man keine Entscheidung treffen. ({3}) - Das habe ich gerade in dieser Woche noch getan. Herr Minister, ich frage mich wirklich, wie das eigentlich geschehen soll: Durch Handauflegen, durch Würfeln, durch Befassung der Gerichte? Das alles ist der falsche Weg. Vielmehr muß am Anfang eine präzise Grenzziehung vorgenommen werden. Nicht akzeptabel ist auch die im Gesetzentwurf vorgesehene Vorabfestlegung von Mitteln für bedeutsame Ausbauschwerpunkte. Eine solche Regelung birgt meines Erachtens die Gefahr, daß der Spielraum für die Realisierung der vom Wissenschaftsrat positiv begutachteten Vorhaben noch kleiner wird, sich die Finanzierungsprobleme im Kernbereich des HBFG also noch verschärfen werden. Außerdem ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß die Bundesregierung mit einer solchen Regelung Vorhaben der Forschungsförderung nunmehr von den Ländern mitfinanzieren lassen will. Schließlich ist auch diese Regelung nicht in Einklang mit Art. 91 a des Grundgesetzes zu bringen. Er gestattet dem Bund nämlich keine strukturgestaltenden Eingriffe in den Hoheitsbereich der Länder. Problematisch, meine Herren und Damen, ist allerdings nicht nur das, was in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung steht, sondern auch das, was nicht darin zu finden ist. Da, Herr Minister Rüttgers, zeigt sich Ihr eigentliches Versagen. Sie sind zwar fix, wenn es darum geht, den Konflikt mit den Ländern so weit zu treiben, daß alles festgefahren ist und gar nichts mehr geht, was Ihnen zu Recht den Ruf des Blockade- und Verhinderungsministers eingetragen hat; im Kabinett sind Sie dann aber hübsch brav und schweigen lieber, statt sich für tatsächliche Innovationen einzusetzen. Innovationen sind mehr als nur technische Innovationen. Was, Herr Minister Rüttgers, spricht eigentlich dagegen, daß im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes alternative Planungs-, Ausführungs- und Finanzierungsverfahren wie das Leasing genutzt werden können, wenn diese nachweislich wirtschaftlicher als herkömmliche Verfahren sind? Meines Erachtens ist es nicht nur vertretbar, diese Möglichkeit zu eröffnen, sondern aus bildungs- und finanzpolitischen Gründen sogar dringend geboten. Wenn die Haushaltsmittel knapp sind, kann nicht nur, sondern muß das wirtschaftlichste Verfahren gewählt werden, um den allseits beklagten Investitionsstau im Hochschulbau kurzfristig abzumildern. Ich habe jedenfalls überhaupt kein Verständnis dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich die auf Initiative des rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministers Professor Dr. Zöllner eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reformierung des HBFG nach intensiver Prüfung auf die Ermöglichung von alternativen Planungs-, Ausführungs- und FiEdelgard Bulmahn nanzierungsverfahren verständigt - was übereinstimmend von allen gebilligt wird: von dem Finanzausschuß des Bundesrates, von dem Kulturausschuß des Bundesrates, von allen 16 Ländern -, der Referentenentwurf diesen Konsens auch aufnimmt, sich im Regierungsentwurf aber nichts davon wiederfindet.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, schauen Sie mal auf die Uhr.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ziemlich schnell müssen Sie zum Schluß kommen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Statt dessen muß ich leider feststellen: Wieder die alte Platte. Erst müsse der Umstellung des BAföGs zugestimmt werden, dann würden auch Brosamen für den Hochschulbau abfallen. Dies - bei den einkommensschwächsten Studierenden abzukassieren, Einsparungsmöglichkeiten und Effizienzgewinne in den öffentlichen Haushalten aber nicht zu nutzen - ist unverantwortlich und nicht hinnehmbar. Bildungs- und Wissenschaftspolitik ist Politik für die Zukunft. Werden Sie dem endlich gerecht! ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Roland Richwien, CDU/CSU. ({0})

Roland Richwien (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002761, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bulmahn, wer schreit, hat nicht immer recht. Das will ich meiner Rede vorausschicken. ({0}) Verfolgt man die BAföG-Diskussion, so stellt man fest, daß Konsens darüber besteht, die Studienstrukturreform dahin gehend voranzutreiben, daß Studienbedingungen verbessert, die Studienzeit verkürzt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen gesichert und neue Technologien in den Hochschulen umfassend genutzt werden können. Auch ist klar, daß eine weitere Anpassung der BAföG-Leistungen an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten dringend erforderlich ist. Alle ernsthaft zu diskutierenden Modelle basieren auf dem Grundgedanken der Kostenneutralität auf Grund der notwendigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Das Modell der PDS rechne ich wegen seines unrealistisch hohen Finanzbedarfs natürlich nicht dazu. Unterschiedlich sind die Vorstellungen über die Art und Weise der Finanzierung, die aus meiner Sicht aber alle weder kostenneutral sind, noch die Möglichkeit der notwendigen schnellen Umsetzung bieten. Bevor ich den Entwurf der Bundesregierung zur 18. BAföG-Änderung im wesentlichen skizziere und auch auf andere Modelle in diesem Zusammenhang eingehe, gestatten Sie mir zwei Bemerkungen: Zum einen, denke ich, sollte man unbedingt anerkennen, daß das Bundesausbildungsförderungsgesetz seit der Verabschiedung 1971 durch alle im Bundestag vertretenen Parteien dazu beigetragen hat - wenn auch mit unterschiedlichem Wirkungsgrad und unterschiedlicher Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung -, die Chancengleichheit hinsichtlich der Bildungsmöglichkeiten für Kinder aus allen Bevölkerungsschichten zu verwirklichen. Zum anderen möchte ich erwähnen, daß finanztechnische Überlegungen nicht aus dem Blick geraten dürfen, daß der Staat eine Verantwortung gegenüber seinem akademischen Nachwuchs, gegenüber den Studierenden hat. Aber es muß auch ausgesprochen werden dürfen, daß eine Studienförderung keine reine Sozialleistung darstellt, ({1}) sondern eine Chance eröffnen soll. Sie ist also eine Verpflichtung, Leistungen unter Beweis zu stellen. Das bedeutet gleichzeitig, daß Stipendien nicht der Leistungsnivellierung zu dienen haben. ({2}) Studienförderung soll - unabhängig von der sozialen Herkunft - eine höhere Bildung ermöglichen und vor allem sich herauskristallisierende Begabungen sowie ein hohes Engagement intensiv fördern. Darauf muß noch stärker orientiert werden. Es kann nicht Ziel sein, ein Heer von Akademikern auszubilden, das von Mittelmaß geprägt ist. ({3}) Die Folgen sind jedem von uns bekannt. Das wäre aus meiner Sicht unsozial und unverantwortlich zugleich. In diesem Sinne nehme ich Bezug auf den Entwurf der Bundesregierung zur 18. BAföG-Änderung. Es ergeben sich drei wesentliche Bereiche: erstens, die Einführung eines verzinslichen privatrechtlichen Bankdarlehens in die Studienförderung; zweitens eine massive Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge zum Herbst 1996 um 6 Prozent; drittens eine notwendige Neuordnung der Förderungshöchstdauer, Einschränkung der Förderung von Zweitstudien und Verlängerung der Studienabschlußförderung. Wichtig ist, daß die im BAföG geregelten Förderungsbereiche sowie die persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Leistungsvoraussetzungen und alle die den Leistungsumfang, die -höhe und -dauer beeinflussenden Bestimmungen weiterhin erhalten bleiben. Immer wieder heftig diskutiert wird das verzinsliche Bankdarlehen. Zu den Modalitäten dieses BankRoland Richwien darlehens ist zu sagen - Herr Ruck hat es in seiner Rede vorhin schon erwähnt -, daß der Studierende erst nach der Förderungszeit plus einer vierjährigen Karenzzeit durch Zinsen an der Finanzierung der Förderungsmittel beteiligt ist, also zu einem Zeitpunkt, in dem er regelmäßig mit Hilfe der Ausbildungsförderung bereits eine berufliche Existenz gegründet hat. Nach meiner Meinung stellt vor allem die vorgesehene Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge um jeweils 6 Prozent eine spürbare Verbesserung für mehr Studenten dar. So wird der Förderungshöchstsatz von 990 DM auf 1 050 DM ansteigen, wobei der Anteil der BAföG-Geförderten von 24 Prozent auf 30 Prozent steigen wird. Als Förderungshöchstdauer sind von der Bundesregierung neun Semester an Universitäten und sieben bis acht Semester an Fachhochschulen vorgesehen. Betrachtet man die zur Zeit diskutierten Alternativmodelle, so wird deutlich, daß der Forderung nach Kostenneutralität und kurzfristiger Realisierbarkeit kein Modell gerecht wird. ({4}) Grundlage des vom Deutschen Studentenwerk vorgeschlagenen Modells ist ein Bedarf von 1 250 DM, den der Student nach Sozialerhebungen des DSW für seinen Lebensunterhalt benötigt und der in drei Stufen gezahlt werden soll. Dem Ganzen liegt eine völlige Umgestaltung des Systems der individuellen Ausbildungsförderung zugrunde. Das bedeutet, daß dieses Stufenmodell eine umfassende gesetzliche Änderung des Steuer- und Kindergeldrechts, welches wir erst im Jahressteuergesetz neu geregelt haben, erforderlich macht. ({5}) - Ich habe ja nicht gesagt, daß ich etwas Verkehrtes sage. Ein ähnliches Problem ergibt sich bei dem zur Zeit oft diskutierten „Daxner-Modell" vom Bündnis 90/ Die Grünen, das auch von einer Abschaffung des Kindergeldes und der Steuerfreibeträge für Kinder in der Ausbildung ausgeht. Anders als beim Drei-Stufen-Modell soll hier das BAföG gestrichen werden. Nach den Vorstellungen des Modells soll allen Studierenden eine Ausbildungsförderung im Rahmen eines kollektiven Darlehens gewährt werden. Jeder Student soll elternunabhängig eine Förderung von maximal 1 000 DM monatlich, das sind also 72 000 DM für zwölf Semester insgesamt, erhalten können. Nach Abschluß des Studiums und Aufnahme der Berufstätigkeit ist vorgesehen, die Förderung durch einen 25jährigen Aufschlag auf die Einkommensteuer zwischen 2 und 4 Prozent in einen Bundesausbildungsförderungsfonds zurückzuzahlen. Diese Refinanzierung soll die Kosten der Anschubfinanzierung, die zunächst - man höre und staune - auf 18 Milliarden DM geschätzt werden, später ausgleichen und den Staat entlasten. Bei den Überlegungen beider Modelle zur Elternunabhängigkeit und der damit verbundenen Umverteilung von finanziellen Mitteln ist zusätzlich ein steuerlicher Aspekt übersehen worden, nämlich der, daß für Studierende, für die weder Kindergeld/Kinderfreibetrag noch Ausbildungsfreibeträge gewährt werden, Unterhaltszahlungen nach § 33a Abs. 1 Einkommensteuergesetz geltend gemacht werden können. Die Steuerausfälle infolge dieser Geltendmachung sind somit höher als die Steuereinnahmen aus dem Wegfall des Kindergeldes/Kinderfreibetrages, der Ausbildungsfreibeträge. Alle vorgeschlagenen Modelle führen also nach den mit dem Bundesfinanzministerium abgestimmten Berechnungen zu Steuermindereinnahmen. Abschließend sei gesagt: Die Bundesregierung ist genau wie Sie der Auffassung, daß nur Fähigkeit und Eignung über die Aufnahme an einer Universität entscheiden dürfen, nicht der Geldbeutel. Unter diesem Aspekt sollten aber auch die Hochschullehrer bereit sein, ein Stück Verantwortung mitzutragen und hier zum Beispiel über Aufnahmeverfahren, gründliche Studienberatung sowie effektive Studienorganisation und -gestaltung nachzudenken. Studierende bemerken zum Beispiel auf Grund ausgesprochener Praxisferne oft erst nach dem Studium, daß die von ihnen angestrebte Berufsrichtung eigentlich überhaupt nicht ihren Vorstellungen entspricht bzw. sie dafür nicht geeignet sind; siehe Lehramtsstudiengänge. Ich sage es noch einmal: Das kann sich auf Dauer kein Staat leisten. Vielen Dank. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Jelena Hoffmann, SPD.

Jelena Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002681, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Richwien, Ihre Ausführungen zur Änderung des BAföG kann ich nicht unkommentiert lassen. Wir haben jetzt eine sehr wichtige Debatte: Wir debattieren über unsere Jugend, über unsere Zukunft. Herr Zukunftsminister, das, was ich bis jetzt gehört habe, ist für mich eigentlich eine traurige Bilanz Ihrer Bildungspolitik und besonders Ihrer Hochschulpolitik. Ihre Pläne zur Änderung des BAföG waren bekannt. Wir haben an der Universität in Chemnitz, in meinem Wahlkreis, schon im Januar über Ihre Pläne diskutiert. Alle Studenten haben sich dagegen ausgesprochen. Herr Rüttgers, ich wiederhole das extra für Sie: Ich habe am 6. Februar einen Brief an Sie geschrieben, in welchem unter anderem steht: Die StudentInnen haben mir eine Unterschriftenliste, die sich gegen Ihr Modell ausspricht, und viele „Rüttgers-Pfennige" übergeben, verbunden mit der Aufforderung, diese an Sie weiterzuleiten. Der Bitte komme ich gerne nach. Herr Minister, seit über zwei Monaten versuche ich, einen Termin bei Ihnen zu bekommen, auch am Rande des Plenums, um Ihnen die Unterschriftenliste und die sogenannten „Rüttgers-Pfennige" zu übergeben. Herr Präsident, ich bitte Sie um Erlaubnis, der Aufforderung der Studenten in meinem Wahlkreis jetzt nachkommen zu können und diese Jelena Hoffmann ({0}) Sachen übergeben zu dürfen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, werde ich veranlassen, daß diese Sachen sofort in das Büro von Herrn Rüttgers gebracht werden. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das war eine Kurzintervention, die sich auf die Ausführungen von Herrn Richwien bezog - der offensichtlich nicht antworten will. ({0}) - Der Minister darf jederzeit das Wort ergreifen. Bitte, Herr Minister.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich will nur den anderen Kollegen sagen, daß man mir mitgeteilt hat, daß Sie mit meinem Büro vereinbart haben, mir die Unterlagen heute zu überreichen. Ich weiß nicht, was dieser dramatische Auftritt hier soll. Zunächst erkundigen Sie sich, ob ich heute hier bin, und lassen durch die Parlamentarische Geschäftsführerin Ihrer Fraktion nachfragen, ob ich bis zum Schluß da bin, und tun jetzt so, als ob es nicht möglich sei, mir Unterlagen zu überreichen. ({0}) - Entschuldigen Sie bitte! Wenn Sie anrufen und sagen, Sie wollen mit mir am Rande des Plenums sprechen, dann ist das überhaupt kein Problem; dann kommt man auf den Kollegen zu. Sie sollten hier nicht so ein Drama inszenieren; das sind ganz billige Showeffekte. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Berninger, Bündnis 90/Die Grünen.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte mich nur kurz auf den Redebeitrag des Kollegen Richwien beziehen, der uns bezüglich unseres BAFF-Vorschlags den Vorwurf gemacht hat, die Anschubfinanzierung betrage etwa 18 Milliarden DM. Nach den Berechnungen, die wir angestellt haben und die Ihnen auch in der Bundestagsdrucksache, die wir heute mitverhandeln, vorliegen, stimmt das so nicht. Würden alle Studierenden den Höchstsatz in Anspruch nehmen - sie können ja frei wählen -, läge die maximale Anschubfinanzierung bei etwa 16 Milliarden DM. Selbst wenn man annimmt, daß 80 Prozent der Studierenden mitmachen und etwa 85 Prozent der Mittel in Anspruch nehmen, liegt die Anschubfinanzierung bei 12 bis 13 Milliarden DM. Dem stehen staatliche Transfers in Höhe von mindestens 9 Milliarden DM gegenüber, so daß Sie leicht ausrechnen können, wie hoch die Anschubfinanzierung im Vergleich zum Status quo ist. Ferner möchte ich sagen, daß langfristig auf Grund der Beiträge eine Entlastung des Staatshaushalts möglich ist,

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie sind bei einer Zwischenfrage, erinnern Sie sich daran, Herr Kollege!

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, das ist eine Kurzintervention.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ja, Sie haben recht.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Entschuldigen Sie bitte!

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich bitte um Entschuldigung.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- so daß ich Ihre Äußerungen so nicht unkommentiert stehenlassen wollte. Des weiteren zum Thema Unterhaltsrecht: Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß der Kindergeldanspruch, soweit man über ein Einkommen, beispielsweise aus der Ausbildung, von über 1 000 DM verfügen kann, entfällt, so daß sicherlich auch dieser Vorwurf unser Konzept nicht trifft. Ich bin aber gern bereit, nach der Debatte mit den Experten auch Ihrer Fraktion Detailfragen zu beantworten, weil ich für meinen Vorschlag werben will, weil ich ihn für sinnvoll halte. Auch in der Anhörung haben wir sicherlich Gelegenheit dazu. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Richwien? - Keine Erwiderung. Dann fahren wir fort. Das Wort hat jetzt der Kollege Günter Rixe, SPD-Fraktion. ({0})

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, das weiß man vorher nie so genau. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soll ich gleich einen Schritt zurückgehen? Kennt ihr denn alle keine ordentliche Sprache? Auf dem Bau spricht man eigentlich immer so laut. Da nuschelt man nicht so, und dann kann man auch jeden gut verstehen. ({0}) Das ist nun der zehnte Berufsbildungsbericht, den ich hier im Plenum kommentiere. ({1}) - Wir beide sind ja gleich lange in diesem Plenum. - Ich habe mir bei der Vorbereitung die Rede herausgesucht, die ich vor zehn Jahren gehalten habe. Ihr werdet es nicht glauben, aber ich hätte heute die gleiche Rede halten können, und keiner von Ihnen hätte gemerkt, daß das eine Rede ist, die 1987 hier gehalten worden ist. Es hat sich nämlich in der Berufsausbildung, an der Situation von Auszubildenden und Lehrlingen und von wem auch immer seit 1987 nichts geändert. Aber die Regierung, die seit zehn Jahren für diesen Berufsbildungsbericht zuständig ist, ist immer noch dieselbe. Da muß ich dieser Regierung doch sagen: Wenn sich nichts geändert hat, wenn es immer dramatischer geworden ist - ({2}) Wenn ich meine ganzen Diskussionen hier nachvollziehe, dann ist es nie besser geworden, sondern es ist immer schlechter geworden. ({3}) -Herr Lensing, vorhin hat die Kollegin vom Bündnis 90/ Die Grünen gesagt, daß in den letzten fünf Jahren 150 000 Personen in den fünf neuen Ländern keinen Ausbildungsplatz bekommen haben und immer wieder auf die Warteliste gekommen sind. Wir wissen doch, daß von den 4,2 Millionen Arbeitslosen 23 bis 24 Prozent Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren sind. Das ist eine Riesenzahl. Von diesen jungen Erwachsenen unter 25 Jahren sind über 60 Prozent unqualifiziert. Sie haben nie einen Ausbildungsplatz bekommen. Außer ihrer Schulbildung - Hauptschule, Realschule oder wie auch immer - haben sie keinerlei Ausbildung bekommen. Das ist unser Problem, und das ist das Problem der Bundesregierung. Deswegen kann ich nicht nachvollziehen, daß sich Herr Rüttgers hier hinstellt und sagt: Das ist alles kein Problem, das haben wir doch alles im Griff! Herr Jagoda kommt nun in der Tat nicht aus unserer Partei. Er hat in seinem letzten Bericht gesagt, daß ein merklicher Rückgang an Ausbildungsplätzen gemeldet wird, im Westen gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang von 8 Prozent, aber bei den Bewerbern ein Zuwachs von 7 Prozent. In den fünf neuen Ländern wurden den Arbeitsämtern 4 Prozent weniger Ausbildungsplätze gemeldet, aber es sind 11 Prozent mehr Bewerber registriert, die einen Ausbildungsplatz suchen. 62 Arbeitsämter in der Bundesrepublik haben weniger Lehrstellen anzubieten, als Bewerber vorhanden sind. Ich frage Sie, Herr Minister: Inwiefern ist denn auf dem Ausbildungsstellenmarkt alles so klar? ({4}) In Bielefeld gibt es eine Tageszeitung. Sie schreibt so schwarze Berichte wie der „Bayernkurier". Sie ist auch so ähnlich. Sie schreibt ganz demonstrativ auf der zweiten Seite: „Es bahnt sich auf dem Ausbildungsmarkt eine Katastrophe an." In der Tat ist das so, wenn man zu den Arbeitsämtern geht. Wir werden in diesem Jahr - wenn es kein Sonderprogramm gibt, was Herr Rüttgers verneint hat - eine erhebliche Zahl von jungen Leuten haben, die keinen Ausbildungsplatz bekommen können, weil eigentlich alles rückläufig ist. Sogar das Handwerk, dem ich wirklich nahestehe, weil ich in diesem Laden Mitglied bin, sagt: Wir können gar nicht mehr Ausbildungsplätze anbieten, wir leisten schon überproportional. - Und dazu sagen wir hier immer: Es bleibt alles normal. Der Herr Minister hat eben selber gesagt, die Bewerberzahlen steigen in den nächsten Jahren; bis zum Jahre 2005 auf 760 000 Bewerber. In diesem Jahr sind es - wie Sie eben gesagt haben - 620 000. Herr Jagoda sagt, es sind rund 660 000 junge Leute, die dieses Jahr einen Ausbildungsplatz bekommen. Dann gibt es nichts anderes von dieser Bundesregierung als die Aussage: Wir appellieren an die Wirtschaft, und die Wirtschaft hat in den Kanzlerrunden, so im Februar am runden Tisch, zugesagt, sie werde in den nächsten zwei Jahren 10 Prozent mehr Ausbildungsplätze bereitstellen. - Auch das haben Sie doch im letzten Jahr gemacht. ({5}) Herr Schoser hat dann öffentlich erklärt, daß sie die 10 Prozent nicht eingehalten haben. Es war doch so: Wir hatten nur 573 000 Ausbildungsplätze am 1. Oktober 1995 eingetragen. Wir haben doch die Zahl von 600 000 Ausbildungsplätzen nur erreicht, Herr Minister, weil Sie das Sonderprogramm mit 14 500 neuen Stellen aufgelegt haben. ({6}) Dieses Jahr haben wir eine viel größere Zahl. Wir lesen doch die Zahlen im April. Natürlich habe auch ich wie der Herr Minister die Hoffnung, daß wir bis zum 1. August, wenn das Ausbildungsjahr beginnt, noch eine ganze Menge Ausbildungsstellen vermitteln werden. Das müssen wir auch. Wir haben doch zur Zeit gerade einmal 50 Prozent vermittelt. Diese Erklärungen - das muß ich Ihnen sagen - nehme ich Ihnen nicht ab. Das glaube ich Ihnen nicht. ({7}) Es wird auch nicht eintreten. ({8}) - Ich habe nicht zehn Jahre dasselbe gesagt. Ich hätte zehn Jahre dasselbe sagen können, weil sich die Situation nicht verbessert hat. Natürlich akzeptiere ich, daß 1990 die deutsche Einheit kam. Natürlich akzeptiere ich, daß es große Probleme auf dem Lehrstellenmarkt in den fünf neuen Ländern gibt. Natürlich wissen wir das als Sozialdemokraten. Natürlich haben wir als Sozialdemokraten jedes Sonderprogramm für die fünf neuen Länder im Plenum mit unterstützt. Wir haben es nicht abgelehnt. ({9}) Wir haben gesagt: Es muß ein Sonderprogramm geben. - Herr Päselt, Sie nicken. Das ist vollkommen richtig. Jedes Jahr haben wir zugestimmt. Aber das hat auch bedeutet, daß wir heute in den fünf neuen Ländern 60 Prozent aller Auszubildenden staatlich finanzieren. Da kann man doch nicht mehr vom dualen System reden. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Rixe, Sie sind so gut in Fahrt.

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin immer in Fahrt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das weiß ich. Ich muß Sie aber fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, sicher. Natürlich.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte schön, Herr Kollege Meckelburg.

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann ja zwischendurch etwas trinken. ({0})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wollte Ihnen eine Pause gönnen, Herr Rixe, damit Sie gleich engagiert weitermachen können. Herr Kollege Rixe, Sie haben gerade darauf verwiesen, daß Sie über diese zehnjährige Erfahrung in bezug auf die Berufsbildungsberichte verfügen. Wir haben das in der letzten Wahlperiode gemeinsam gemacht.

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So ist es.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie denn zugestehen, daß es immer dann, wenn Probleme entstanden sind - ich denke, zu Beginn der 80er Jahre, aber auch nach der Wiedervereinigung-, beim Aufbau von vielen betrieblichen Ausbildungsplätzen unwahrscheinlich hilfreich war, mit allem politischen Druck auf die Wirtschaft dafür zu sorgen, daß zunächst primär in dem Bereich viele neue betriebliche Ausbildungsplätze entstehen? Das hat uns in den 80er Jahren geholfen, aber auch in den neuen Bundesländern, wenn Sie die Zahlen sehen. Würden Sie nicht einfach sagen, daß es das wichtigste Element ist, dafür zu sorgen, daß in der Wirtschaft, im Handwerk selber zunächst einmal betriebliche Ausbildungsplätze ohne staatliche Förderung geschaffen werden? ({0})

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich kann dazu nur ja sagen, ({0}) denn das ist ja zuerst einmal eine Selbstverständlichkeit. Es steht ja auch im Gesetz, im Grundgesetz, daß die Wirtschaft dafür zuständig ist und dafür sorgen muß, daß jedes junge Mädchen und jeder junge Mann einen Ausbildungsplatz bekommt. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Und wir haben von dieser Stelle aus dem Handwerk zigmal gedankt, daß es so große Anstrengungen gemacht hat. Aber am Ende jedes Jahres mußten wir Zahlen entgegennehmen, die nicht ausreichten. Daß wir gemeinsam Anstrengungen gemacht haben, will ich überhaupt nicht kritisieren. Die Wirtschaft soll und muß das auch machen. An sie müssen wir immer wieder appellieren. Ich tue das auch. Ich habe nur dieses Jahr wirklich die Sorge - in den letzten Jahren auch, aber in diesem Jahr noch mehr -, daß junge Menschen in der Tat nicht vermittelt werden können. Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Kollege - jetzt habe ich glatt den Namen vergessen, obwohl wir vier Jahre im Bildungsausschuß gesessen haben -

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Meckelburg, Sie müssen noch stehen, denn Herr Rixe ist immer noch bei der Antwort.

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Meckelburg, wir beide wissen genau, wie die Ausbildungssituation Mitte der 80er Jahre war. Mitte der 80er Jahre hat es in Nordrhein-Westfalen in jeder Menge Städte außerbetriebliche Ausbildungsstätten gegeben, eine auch in Bielefeld, wo ich Vorsitzender war, weil ich sie gegründet habe. Ich will Ihnen heute einmal sagen: 1984 haben wir mit 75 Auszubildenden angefangen. Jedes CDU-Ratsmitglied in Bielefeld hat mir gesagt: Rixe, das machen wir alles mit, aber höchstens zwei bis drei Jahre, dann macht das alles wieder die Wirtschaft. Wissen Sie, wieviel Beschäftigte dieser Laden heute hat? 600, und davon 480 Jugendliche in Erstausbildung und in Umschulung, und alles vom Staat finanziert, von Jagoda, vom Land Nordrhein-Westfalen, von der Bundesregierung, aus dem europäischen Sozialfonds, wie auch immer. Das bedeutet doch, daß die Situation auf dem Lehrstellenmarkt nicht besser geworden ist, sondern daß sie grundsätzlich immer schlechter geworden ist. Ich akzeptiere ja, daß uns die deutsche Einheit dazwischengekommen ist, vielleicht wäre es sonst nicht so marode geworden, aber es ist in der Tat so. - Jetzt bin ich mit der Antwort fertig. ({0}) Wenn das so ist und wenn wir wissen, daß die Wirtschaft dies nicht leisten wird - die Zahl der Ausbildungsstellen ist in den Metallberufen, in den kaufmännischen Berufen zurückgegangen, die Länder und Kommunen haben ihre Ausbildungsanstrengungen abgesenkt, jede Menge Gemeinden in diesem Lande sind nicht mehr bereit, überhaupt noch einen Auszubildenden einzustellen, weil sie kein Geld mehr haben -, wenn man also dies alles weiß, Herr Laermann, dann müssen wir doch gemeinsam darüber nachdenken, wie wir das duale System retten Günter Rixe das will doch keiner von uns abschaffen, ich schon lange nicht - und wie wir gemeinsam dieses duale System wieder auf die Beine kriegen und finanzieren. Da reicht es eben nicht aus, zu appellieren, sondern da muß man hier in diesem Hause nachdenken, wie man es gemeinsam mit der Wirtschaft finanzieren kann. ({1}) Da machen wir einen neuen Vorschlag. Da gibt es nicht den alten Vorschlag, wer nicht ausbildet, muß zahlen, sondern wir machen einen neuen Vorschlag, der belastungsneutral ist - einer hat vorhin von den Lohnnebenkosten gesprochen -, der also die Lohnnebenkosten nicht erhöht: Alle Betriebe, alle - es kann doch nicht angehen, daß 40 oder 45 Prozent der Industriebetriebe und der mittelständischen Betriebe überhaupt nicht mehr ausbilden -, alle Betriebe in dieser Republik zahlen einen Satz, der unter einem Prozent liegen wird, in einen Fonds ein, und ich bin bereit, diesen Fonds bei den Kammern zu installieren. Die, die nicht ausbilden, zahlen in diesen Fonds ein, und jene, die ausbilden, zahlen auch in diesen Fonds ein. Aber wer ausbildet, muß praktisch gar nicht erst einzahlen, eben weil er ausbildet. Und wer mehr Jugendliche ausbildet und einstellt, der bekommt aus diesem Fonds Geld. Diesen Fonds wollten wir bei der Bundesanstalt für Arbeit. Da sagen uns die Länder: Seid mal vorsichtig mit der Bundesanstalt für Arbeit. Wenigstens die A- Länder, mit denen ich dann rede, wollen das nicht so gern, die hätten das lieber bei den Kammern. Ich bin bereit, das bei den Handwerkskammern und den Industrie- und Handelskammern zu machen, weil es da auch paritätisch zusammengesetzte Berufsbildungsausschüsse gibt, die können das dann organisieren, die können das machen. Es wird insgesamt nicht teurer. Das heißt, wer überhaupt nicht bereit ist, den gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, die Ausbildung zu organisieren, Ausbildung durchzuführen, der zahlt natürlich. Und jene, die den Überbedarf ausbilden - und das ist das Handwerk, und das sind andere -, die werden daraus finanziert. Das ist der eine Punkt: also eine Abgabe für den, der nicht ausbildet, aber immer umgeschichtet und damit finanziell neutral. Die andere Sache ist: Wir sollten darüber nachdenken, ob wir noch eine steuerliche Regelung dranhängen, und uns überlegen, daß die Firmen, die sich neu gründen, diejenigen, die sich selbständig machen, die einen Lehrling einstellen, dafür bei der Einkommensteuer oder bei der Körperschaftsteuer oder wie auch immer einen Bonus bekommen, weil sie ausbilden. Ein dritter Punkt. Wir sollten noch einmal darüber nachdenken, ob bei der Auftragsvergabe in Staat und Gesellschaft, in Ländern und Gemeinden nicht diejenigen einen Bonus bekommen, die ausbilden. Dies alles ist notwendig in den Jahren 1996 und 1997 - ich habe das schon einmal gesagt -, und wir sollten das gemeinsam angehen. Wenn wir das nicht tun, haben wir auch nicht mehr das Recht, uns darüber zu beklagen - ich höre das ja immer -, daß junge Leute auf den Straßen sitzen, Alkohol trinken, Drogen nehmen, nicht korrekt angezogen sind und die Leute in den Einkaufsstraßen belästigen. Wenn wir nicht versuchen, jedem jungen Menschen einen Ausbildungs-, einen Arbeitsplatz zu geben, eine Chance zu bieten, haben wir nicht das Recht, sie zu kritisieren, wenn sie vor Langeweile auf den Straßen andere Leute ärgern. Daß wir dieses Recht dann nicht mehr haben, sollten wir uns gegenseitig zugestehen. ({2}) Ich hätte noch eine ganze Menge zur Struktur sagen können. Aber ich wollte nicht die vorgefertigte Rede ablesen, sondern frei reden. Das macht auch viel mehr Spaß, Herr Lensing. Jetzt wissen Sie, woran Sie sind. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Josef Hollerith, CDU/CSU.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Rixe, eigentlich müßte es Sie ja sehr zum Nachdenken bringen, wenn Sie feststellen, daß diese Bundesregierung seit zehn Jahren im Amt ist. ({0}) Denn offensichtlich haben die Wählerinnen und Wähler gemerkt, daß Ihnen seit zehn Jahren nichts Neues einfällt, und deswegen haben sie bei den Wahlen immer wieder diese Koalition bestätigt und gestärkt. Das müßten Sie eigentlich merken! ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns einig, daß die vorliegende Novelle zum Hochschulbauförderungsgesetz dringend notwendig ist. Die Erhöhung der Bagatellgrenzen - bei Bauvorhaben auf 3 Millionen DM, für Großgeräte auf 250 000 DM - ist längst überfällig. Eine Verfahrensvereinfachung war dringend geboten. Die Trennung der Bauinvestitionen bei den Kliniken zwischen Ausgaben für Forschung und Lehre und solchen zur Krankenversorgung ist ebenfalls dringend geboten. Gerade aus der Sicht der Länder ist der Vorstoß, den der Bund hier unternimmt, ganz im Sinne der notwendigen Steigerung der Effizienz. Seriöse Schätzungen besagen, daß aus den Länderhaushalten für Forschung und Wissenschaft jährlich Quersubventionen in Höhe von rund 7 Milliarden DM in den Klinikbetrieb fließen. Länderinteresse muß es im Sinne von Kostenwahrheit und Kostenklarheit also sein, hier eine Trennung herbeizuführen. Kollege Glotz, Sie sind offensichtlich Pokerspieler - Sie haben dieses Bild gebraucht - und werden daher wissen, daß es beim Pokern auch Joker gibt. Ich denke, es gibt im Bereich Hochschulbau noch viele Handlungsfelder, die angegangen werden müssen, um die Effizienz zu steigern. Kollege Laermann, dem ich ausdrücklich zustimme, hat hierzu einiges aufgezeigt; ich möchte diese Themen vertiefen. Nimmt man das Vorlesungsverzeichnis einer beliebigen Universität zur Hand und stellt die Verteilung der Lehrveranstaltungen statistisch dar - ich unterstelle, daß die Veranstaltungen, die am Beginn eines Semesters stattfinden, auch noch am Ende eines Semesters existieren -, wird man - so zum Beispiel bei der Universität München - feststellen, daß eine Häufung der Belegung an drei Wochentagen stattfindet, nämlich am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. An den Tagen Montag und Freitag bestehen also erhebliche Kapazitätsreserven. Nächster Punkt: Im 25. Rahmenplan, der von 1996 bis 1999 gilt, sind für einen Quadratmeter Hauptnutzfläche/Verwaltungsgebäude Baukosten in Höhe von 5 501 DM angegeben. Nun verlange ich nicht von allen, daß sie Bauexperten sind; aber ich lade Sie ein: Vergleichen Sie damit die Ihnen bekannten Gebäude hier in Bonn, etwa das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit oder die neu errichteten Verwaltungsgebäude der Bundesverwaltung an der KonradAdenauer-Allee. Bei einem Kostenvergleich werden Sie feststellen, daß dort der Quadratmeter Hauptnutzfläche etwa nur die Hälfte dessen kostet, was die Kostenrichtwerte für Verwaltungsgebäude im Hochschulbau ausmachen. Nun könnte man natürlich sagen, es handele sich um einen Richtwert, der nie oder nur höchst selten erreicht wird. Meine Nachforschungen haben aber ergeben, daß dieser Richtwert nahezu immer erreicht wird, ja, in nicht wenigen Fällen überschritten wird und es zu Nachgenehmigungen kommen muß. Hier ist Handlungsbedarf. ({2}) - Wir tun es ja, Frau Kollegin Bulmahn, im Unterschied zu Ihnen. Sie müssen mir zuhören; ich bin gerade dabei. Ich habe aufgezeigt, wie durch Nachweis von Raumbelegung, von Nutzung, Kapazitäten besser ausgenutzt werden können, und ich zeige Ihnen auch jetzt auf, wie wir hier Lösungen erreichen können. Ein Ansatz sind sicherlich - darauf hat Kollege Laermann zu Recht hingewiesen - Leasing-Finanzierungsmodelle. Wir haben Beispiele, etwa auch die Technische Universität München, dafür, daß durch private Generalübernehmer und -unternehmer gleicher Baustandard und gleiche Bauqualität bei erheblich geringeren Kosten erreicht worden sind, so daß bei gleichem Mitteleinsatz eine wesentlich höhere Bauleistung möglich war. Es gibt einen zweiten Lösungsansatz. Ich behaupte - Praktiker belegen dies, wenn man mit ihnen spricht, Frau Kollegin -, die Universitätsbauämter sind schlicht überflüssig. Sie kosten Geld, bedeuten Bürokratie, bedeuten Abstimmungsprobleme zwischen Universitätsbetrieb und Bauamt und bewirken nichts. ({3}) Die Universitäten sind selbst glänzend ausgestattet, sie sind selbst in der Lage, mit ihren Verwaltungen, mit ihren Liegenschaftsabteilungen, mit ihren Haustechniken die Ausschreibungen für die Neubauten zu übernehmen und die Reparaturen zu leisten. Damit entfiele Koordinierungsaufwand. Ich habe Beispiele - es sind nicht wenige -, daß plötzlich Handwerker anrücken, während im Nachbarraum Vorlesungen stattfinden, entsprechend behindert werden oder ausfallen müssen. Das alles wäre unnötig. Außerdem würden wir Geld sparen. Nehmen wir als Beispiel das Universitätsbauamt Karlsruhe. Allein das Vorhalten der Planstellen, die überflüssig sind, kostet dort im Jahr 6 Millionen DM. Ich komme auf ein letztes Thema, bei dem Handlungsbedarf besteht, zugegebenermaßen ein sehr kritisches Thema. Ich habe, angeregt durch diese für mich völlig überzogenen Kostenrichtwerte für den Quadratmeter Hauptnutzfläche, mir überlegt, daß das doch nicht stimmen kann, und mich gefragt, was denn da passiert. Sodann habe ich auf Zufall hin beim Polizeipräsidium München angerufen und gefragt, ob es dort eine Sonderkommission Submissionsbetrug gibt und ob vielleicht sogar im Zusammenhang mit Universitätsbauten ermittelt wird. Ich bin weiterverbunden worden, und siehe da, der dortige Polizeibeamte hat mir zu meiner Überraschung und zu meinem Bedauern erklärt, man habe bisher nur das Gewerk Elektro untersucht - jeder weiß, daß das Gewerk Elektro nur einen geringen Baukostenanteil von 2 oder 3 Prozent ausmacht - und habe beim Uni-Bauamt und TU-Bauamt Submissionsbetrug nachweisen können. Es hätten bereits Prozesse stattgefunden, und es seien jeweils ein Mitarbeiter des Uni-Bauamts und des TU-Bauamts zu 4 bzw. 41/2 Jahren Haft wegen Submissionsbetruges verurteilt worden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Hollerith, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulmahn?

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gestatte ich nicht, nein; ich möchte zum Ende kommen. Bei der Nachfrage, wie es bei den anderen Gewerken ausschaute, hat mir der Polizeibeamte bestätigt, man sei dabei zu ermitteln und erwarte leider ein ähnliches Ergebnis. Das ist auch ein Argument dafür, daß wir neue Modelle, Leasingmodelle, Generalüber- und -unternehmermodelle und die Eigenverantwortung der Universitäten kraft Ausschreibung und Projektsteuerung künftig verstärken wollen. Ich bin sehr zuversichtlich, daß es uns gelingen wird - ich habe einige Beispiele aufgezeigt -, mit neuen Maßnahmen der Effizienzsteigerung mit den vorhandenen Mitteln mehr zu bewältigen. In diesem Sinne lade ich auch Sie von der Opposition ein, mitzuwirken. Herzlichen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rainer Jork, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. - Ing. Rainer Jork (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Reiz der heutigen Debatte liegt eigentlich darin, daß wir laut Tagesordnung mehrere Themen auf einmal vor uns liegen haben und daß man sie im Verbund diskutieren sollte. Ich halte das auch für überaus erforderlich; denn sektorales Denken und Handeln schafft mitunter neue Probleme und löst die vorhandenen nicht ausreichend. ({0}) - Lieber Herr Kollege Braune, ich denke an Zugänge, Durchlässigkeit, Weiterbildung und Berufschancen, und das bei allen Berufswegen. Im übrigen gibt es aus meiner Sicht genügend Analysen; es wurde hier bereits darüber gesprochen. Es geht mir darum, zu Leistungen, Vorschlägen und möglicherweise auch zu Ergebnissen zu kommen. Ich will mich auf die Frage der Lehrstellen und vor allem auf die Frage „Wie lösen wir die Probleme in den neuen Bundesländern?" konzentrieren. Die Bedingungen in den neuen Bundesländern sind wegen struktureller Unterschiede - der Herr Minister hat das angesprochen - oft nicht mit denen vergleichbar, die anderenorts gegeben sind. Herr Rixe, es hat sich tatsächlich sehr viel verändert. ({1}) Die Unterschiede liegen bei den Lehrstellen, bei den BAföG-Beziehern - davon gibt es in den neuen Bundesländern viel mehr -, bei der Bausubstanz der Hochschulen, bei den Wissenschaftlern, die bisher im WIP gefördert worden sind und bei denen ein Fortführungsbedarf nicht im Sinne des WIP-Programms besteht, sondern im Sinne innovativer Wissenschaftlergruppen. Ich bitte an dieser Stelle um Verständnis und Einverständnis. Uns geht es in den neuen Bundesländern darum - das müssen wir immer wieder sagen -, durch ein eigenes Aufkommen vom Tropf wegzukommen. Wir wollen, daß die Transferleistungen zurückgehen, und dafür sollten wir alle gemeinsam etwas tun. Wir wollen Chancengerechtigkeit nicht im Sinne von Gleichmacherei. ({2}) Wir alle wissen, daß die Lehrstellensituation insgesamt kompliziert ist. Darüber haben wir gesprochen. Am 22. März waren wir beim Landesarbeitsamt in Chemnitz und haben dort gehört, daß die Situation noch schwieriger ist als im Vorjahr. Wir haben gehört, daß 45 000 Bewerber gemeldet sind, wir aber nur 16 000 Stellen haben. Wir haben aber ebenso gehört, daß man mit den Zahlen nicht ganz so locker bilanzieren darf; denn es gibt dabei eine ganze Menge von Problemen. Es gibt auch keine hundertprozentige Erfassung der Stellen. Der Bewerber ist nicht verpflichtet, die Beratung in Anspruch zu nehmen. Warum soll auch ein Handwerker eine Stelle melden, wenn er bereits einen Interessenten eingestellt hat? Die Ärzte - so haben wir gehört - haben praktisch keinen Kontakt zum Arbeitsamt, und die Betriebe entscheiden sich erst sehr, sehr spät. Mein Wunsch wäre, daß genau das in Zukunft besser geht und die Betriebe schneller reagieren, weil sie das gemeinsame Interesse sehen. Die Defizite an qualifizierten Ausbildungsstellen sind noch strukturell bedingt; der Minister sagte das. Die Betriebe sind auf Grund ihrer wirtschaftlichen Lage oft ausgesprochen vorsichtig, Lehrlinge einzustellen. Wir müssen diesen Bereich daher weiter deutlich fördern, allerdings in einem Maße, das die zuerst verantwortlichen Partner nicht aus ihrer Verantwortung entläßt. Der Berufsbildungsbericht, den wir heute zum wiederholten Male diskutieren - ich erinnere daran, daß wir am 29. Juni des vorigen Jahres bereits darüber gesprochen haben -, zählt eine Menge von Vorschlägen zum Beispiel zu neuen Berufsbildern und zu Ausbildungsverbünden auf. Das Nachdenken und die Diskussion sind fortlaufend wichtig. Ich habe bereits wiederholt gesagt, daß das kein stationärer Prozeß ist. In Sachsen haben wir neue Wege beschritten. Ich habe darüber in der Innovationsdebatte in diesem Haus am 14. März schon gesprochen. Innovation ist gefragt, übrigens nicht nur bei der Bundesregierung, sondern bei uns allen. Es geht bei all diesen Maßnahmen darum, regionale Spezifik zu beachten und vor allem Anreize für den betrieblichen Bereich einzubringen. Diese Innovation war aus meiner Sicht bei der zweiten Ausbildungskonferenz in Dresden, über die ich hier schon berichtet habe, durchaus sichtbar. Die Industrie- und Handelskammer hat diese Konferenz vorbereitet; es waren Teilnehmer aus der Politik, von den Kammern, von den Banken und auch von den Gewerkschaften dabei. Wir haben dort vor allem Informations- und Erfassungssysteme diskutiert, konkrete Maßnahmen für die Lehrstellen in Sachsen und andere Vorschläge, und daraus entstand ein Bündnis für Ausbildung in Sachsen. Ich habe darüber berichtet; aus Zeitgründen kann ich das nicht untersetzen. Für mich steht natürlich in der Diskussion zu dem einen Antrag, der noch zu debattieren ist, die Frage im Raum: Wo sind denn eigentlich ähnliche Bemühungen in den von der SPD regierten Ländern zu sehen, die wir im Sinne eines Wettbewerbs damit vergleichen könnten, damit wir die Initiative in Sachsen noch besser umsetzen können? - Das würden wir uns eigentlich wünschen. Aus dem, was wir aus dieser Ausbildungsinitiative abgeleitet haben, werden die CDU-Abgeordneten aus dem Osten einen Vorschlag für die neuen Bundesländer erarbeiten, eine Konzeption für ein Bündnis für Ausbildung in dem von mir eben angesprochenen Sinne. Es geht uns darum, daß wir - bezogen auf die neuen Bundesländer - Landes- und Regionenspezifik beachten und daß wir auch an die Frauen und Mädchen denken, ein Problem, das wir aus meiner Sicht selbstverständlich immer mit in Betracht ziehen müssen. Ich bin der Meinung, daß wir dort, wo es nicht ohne diese Förderung geht, durch den Bund auf dieser Grundlage hinsichtlich der Förderung von Lehrstellen weiter aufbauen sollten, aber in enger Abstimmung mit den Betrieben und den Auszubildenden, den Ländern und den Arbeitsämtern und vor allem natürlich auch mit den Betroffenen. Deshalb haben wir vor, eine entsprechende Anhörung im Mai in den neuen Bundesländern durchzuführen. Ich möchte, weil die Zeit fortschreitet, etwas zu dem „neuen" Entschließungsantrag der SPD sagen. Als ich ihn gestern auf den Tisch bekam, dachte ich wirklich, jetzt kommt ein Vorschlag; wir haben lange beraten, und wir bekommen einen Schub. Ich habe den Antrag durchgelesen und dann einmal nachgesehen, was wir bisher erhalten haben, und mußte mit Enttäuschung feststellen, daß dieser Antrag wortgleich mit dem in der Bundestagsdrucksache 13/ 1838 ist, einem entsprechenden Antrag, den wir auch schon im Ausschuß diskutiert haben, Liebe Kollegen, wenn wir von Innovation reden, wenn wir den Anspruch haben, Handlungsvorschläge zu machen, dann muß deren Inhalt doch neu sein, dann müssen sie auf die aktuelle Situation Bezug nehmen. Ich muß mit Bedauern sagen, daß das für mich kein Vorschlag ist; das ist bestenfalls ein Nachschlag. Ich frage mich: Wann fängt die SPD an, mit Nachschlägen aufzuhören und statt dessen Vorschläge zu bringen? Ich möchte zum Schluß kommen. ({3}) Neue, intelligente und auch unkonventionelle Lösungen sind in allen Bereichen erforderlich. Wir können aber den Bildungs- und Ausbildungssektor nicht allein reformieren, sondern brauchen dazu die Hilfe der Schulen, der Hochschulen, der Länder, der Verbände, der Wirtschaft, vor allem aber - ich sagte es bereits - der Betroffenen, und das in allen Bereichen. ({4}) Das Problem ist übergreifend, wie ich eingangs darzustellen versuchte, und es ist insgesamt zu wichtig, die Herausforderung zu groß, um nicht im Sinne der Schüler, der Lehrlinge, der Studenten guten Willen walten zu lassen. Dies wird im Endeffekt, wenn es funktioniert - und das wünsche ich mir sehr -, uns allen zugute kommen. Danke. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4246, 13/3413, 13/4335 und 13/3414 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Berufsbildungsbericht 1995 auf Drucksache 13/3488 Nr. 1 lautet: Der Ausschuß empfiehlt, die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf den Drucksachen 13/1300 und 13/1502 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Wer enthält sich? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer Gemeinschaftsinitiative Ausbildungsplatzsicherung, Drucksache 13/3488 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1838 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen zum Berufsbildungsbericht 1995, Drucksache 13/3488 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/1846 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung des Berichts der Bundesregierung zur Stärkung und Modernisierung der beruflichen Bildung auf Drucksache 13/ 4213 und des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen auf Drucksache 13/4361 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist der Fall. Die Überweisungen sind so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD „Handlungsvorschläge zur Rettung des dualen Systems der Berufsausbildung", Drucksache 13/4371. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist abgelehnt. Vizepräsident Hans Klein Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16a bis 16n auf: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 1. Mai 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Iran zur Aufhebung des Abschnitts II des Schlußprotokolls des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens - Drucksache 13/3852 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Innenausschuß b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Estland andererseits - Drucksache 13/4024 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Litauen andererseits - Drucksache 13/4025 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Lettland andererseits - Drucksache 13/4026 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Seeschiffahrt - Drucksache 13/4046 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({4}) Finanzausschuß f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. April 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Demokratischen Volksrepublik Algerien über die Seeschiffahrtsbeziehungen - Drucksache 13/4047 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({5}) Finanzausschuß g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Walter Kolbow, Brigitte Schulte ({6}), Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Einberufung von Wehrpflichtigen nach der Lehre oder Berufsausbildung - Drucksache 13/3761 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuß ({7}) Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard Zwerenz, Heinrich Graf von Einsiedel, Hanns-Peter Hartmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Fortsetzung der konventionellen Abrüstung in Europa - Drucksache 13/3987 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({8}) Verteidigungsausschuß i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Gert Weisskirchen ({9}), Josef Vosen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Förderung unabhängiger Medien in Bosnien-Herzegowina - Drucksache 13/4083 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({10}) Innenausschuß j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Rudolf Bindig, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Koordinierung der Aufnahme von Kriegsund Bürgerkriegsflüchtlingen in der EuroVizepräsident Hans Klein päischen Union - Schaffung eines Europäischen Flüchtlingskommissariats - Drucksache 13/4084 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({11}) Innenausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union k) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der bundeseigenen Wohnsiedlung Dr.- Martin-Luther-King-Village in Mainz - Drucksache 13/4149 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß 1) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der bundeseigenen, bisher von den französischen Streitkräften ({12}) genutzten Wohnungen in Freiburg - Drucksache 13/4170 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß m) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines Grundstücks in Berlin-Steglitz - Drucksache 13/4218 -Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß n) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines Grundstücks in Berlin-Charlottenburg - Drucksache 13/4256 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 17 a bis 17 f: Abschließende Beratungen ohne Aussprache Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 a auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes - Drucksache 13/2835 - ({13}) aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({14}) - Drucksache 13/4043 Berichterstattung: Abgeordnete Wolfgang Ilte Gerhard Schulz ({15}) bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({16}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/4045 Berichterstattung: Abgeordnete Adolf Roth ({17}) Jürgen Koppelin Karl Diller Kristin Heyne Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 4043, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 b auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({18}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 76/895/EWG des Rates vom 23. November 1976 über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Obst und Gemüse, der Richtlinie 86/362/ EWG des Rates vom 24. Juli 1986 über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Getreide, der Richtlinie 86/363/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Lebensmitteln tierischen Ursprungs und der Richtlinie 90/642/EWG des Rates vom 27. November 1990 über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in bestimmten Erzeugnissen pflanzlichen Ursprungs einschließlich Obst und Gemüse - Drucksachen 13/2306 Nr. 2.103, 13/3379 Berichterstattung: Abgeordnete Wilhelm Dietzel Susanne Kastner Günther Bredehorn Vizepräsident Hans Klein Der Ausschuß empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/3379 unter Nr. 1 Kenntnisnahme. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen. Ich rufe Punkt 17 c der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({19}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament Eine europäische Strategie zur Förderung lokaler Entwicklungs- und Beschäftigungsinitiativen - Drucksachen 13/2306 Nr. 2.96, 13/4007 Berichterstattung: Abgeordnete Leyla Onur Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Ich rufe Punkt 17 d der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({20}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({21}) des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung ({22}) Nr. 2913/ 92 des Rates zur Festlegung des Zollkodexes der Gemeinschaften - Drucksachen 13/3938 Nr. 2.1, 13/4044 Berichterstattung: Abgeordnete Volker Kröning Dr. Dieter Schulte ({23}) Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wenn ich wüßte, ob Kollege Häfner reagiert, dann könnte ich konstatieren, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist. ({24}) Ich rufe Punkt 17e der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({25}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Büttner ({26}), Gerd Andres, Klaus Barthel und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD Umbenennung der Generaloberst-Dietl-Kaserne in Füssen und der General-Kübler-Kaserne in Mittenwald - Drucksachen 13/1628, 13/4113 Berichterstattung: Abgeordnete Benno Zierer Walter Kolbow Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1628 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 17f der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({27}) Übersicht 4 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 13/4112 - Berichterstattung: Abgeordneter Horst Eylmann Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS ist die Beschlußempfehlung angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf: 5. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ({28}) - Drucksache 13/4356 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({29}) Rechtsausschuß b) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Zweiter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - 1995 - Drucksache 13/1750 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({30}) Rechtsausschuß ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Ulla Jelpke, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes Vizepräsident Hans Klein zur Änderung des Stasi-Unterlagengesetzes ({31}) - Drucksache 13/4359 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({32}) Rechtsausschuß ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerald Häfner, Gerd Poppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherstellung und Fortführung des gesellschaftlichen Aufarbeitungsprozesses durch Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung - Drucksache 13/4353 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({33}) Rechtsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Stimmt das Haus dem zu? - Dies ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Hartmut Büttner das Wort.

Hartmut Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000303, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat im Jahre 1991 mit einer großen Mehrheit das Stasi-Unterlagen-Gesetz beschlossen. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, F.D.P. und der größte Teil der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen haben dieses Gesetz gegen die Stimmen der PDS verabschiedet. Für ein solches Gesetz gab es kein Vorbild und kein Drehbuch. Wir haben damals Neuland beschritten. Deshalb ist es völlig klar, daß im Laufe der Zeit durch Erfahrungen mit der praktischen Anwendung des Gesetzes ein Änderungs- und Präzisierungsbedarf entstanden ist. Kernpunkt des Gesetzes war die Öffnung der Stasi-Akten für die ehemals Unterdrückten. Ihnen wurde ein umfassendes Auskunfts- und Einsichtsrecht eröffnet. Nach bundesdeutschem Recht waren diese Akten eigentlich rechtswidrig zustande gekommen und hätten normalerweise vernichtet werden müssen. Mit rein westlichen juristischen Maßstäben wäre man der Bewältigung einer menschenfeindlichen Diktatur allerdings nicht gerecht geworden. Eine Vernichtung dieser Unterlagen, damals und heute von einigen Kreisen immer wieder gefordert, hätte bedeutet, daß die Opfer niemals erfahren hätten, ob und wann sie das Ziel von Maßnahmen des Staatssicherheitsdienstes waren. Es war vor allem dem Einsatz der Bürgerbewegung zu verdanken, daß diese Grundentscheidung - Öffnung der Akten statt Vernichtung - sowohl die Handlungsweise der freien Volkskammer als auch die des Deutschen Bundestages bestimmte. Für die Akzeptanz dieser Regelung war auch wichtig, daß wir die Kraft hatten, uns über Parteigrenzen hinweg zu einigen. Wir konnten den Menschen in den neuen Ländern zeigen, daß der neue demokratische Staat diese schwierigen Regelungen mit Augenmaß und Würde getroffen hat. Deshalb haben sich die gleichen Fraktionen erneut zusammengesetzt, um die notwendigen Ergänzungen heute einvernehmlich auf den Weg zu bringen. So sind es auch nur wenige Punkte, die wir ändern wollen. Der Zweite Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR belegt im übrigen ausdrücklich, daß sich das Stasi-Unterlagen-Gesetz grundsätzlich bewährt hat. ({0}) Deshalb erteilen wir all denjenigen eine klare Absage, die nach einem Schlußstrich rufen. ({1}) Ein Straffreiheits- oder Amnestiegesetz lehnt die Mehrheit des Deutschen Bundestages eindeutig ab. ({2}) Wir wollen die Gauck-Behörde auch nicht in den Geruch einer modernen Inquisition kommen lassen. Versuche von interessierter Seite, die Behörde des Bundesbeauftragten zu dämonisieren, gibt es, wie wir eben durch den Zwischenruf gehört haben, in der Tat genug. ({3}) Das war auch der Grund, warum es für die neuen Regelungen keinen Ermessensspielraum des Bundesbeauftragten geben soll. Er braucht künftig in genau festgelegten Fällen eine Stasi-Mitarbeit nicht mehr mitzuteilen. Unter diese Geringfügigkeitsregelung fallen diejenigen, die eine Verpflichtungserklärung unterschrieben, ohne jemals Informationen geliefert zu haben, ebenso Wehrpflichtige, die keine personenbezogenen Unterlagen geliefert und ihre Tätigkeit für das MfS nach Ablauf des Dienstes nicht fortgesetzt haben. Damit haben wir dem Umstand Rechnung getragen, daß junge Leute in dieser Zeit in einer ganz besonderen Zwangssituation lebten. Dem, der die Kraft hatte, sich vor zwei Jahrzehnten vom MfS zu lösen, und noch 15 Jahre lang in einer DDR lebte, deren Ende nicht absehbar war, sollte dieser Umstand heute nicht mehr vorgehalten werden. Stichtagsregelungen, liebe Freunde, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben immer den Hauch von Willkür. Für den Stichtag 1. Januar 1976 spricht jedoch, daß nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte von Helsinki im Herbst 1975 die Menschen in der DDR stärker auf eine Respektierung der Menschenrechte und Grundfreiheiten drängten. Der SED-Staat antwortete mit einem flächendeckenden Netz der Beeinflussung und Überwachung, vor allen Dingen durch die erhebliche Verstärkung des Einsatzes von Inoffiziellen Mitarbeitern. Für die Neuregelung spricht auch, daß nach gefestigter arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung MaßnahHartmut Büttner ({4}) men gegen Personen, deren Tätigkeit für das MfS Jahrzehnte zurückliegt, faktisch ausgeschlossen sind. Die Stichtagsregelung gilt nicht für Personen mit besonders herausgehobenen Funktionen, ebenfalls nicht für Sicherheitsüberprüfungen. Zur Beurteilung, ob jemand sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben darf, können auch Erkenntnisse aus länger zurückliegenden Zeiträumen von Bedeutung sein. Sind während der Zusammenarbeit mit dem MfS Straftaten begangen worden, bleibt die Strafverfolgung davon natürlich ausdrücklich unberührt. Wir erweitern aber auch die Überprüfungsmöglichkeiten. Viele von uns haben in der Vergangenheit häufig ihre Mitarbeiter überprüfen lassen wollen. Das war nach der bisherigen Rechtslage nicht möglich. In Zukunft werden auch über die Mitarbeiter der Abgeordneten und der Fraktionen in den Parlamenten Auskünfte eingeholt werden können. Personen, die in besonderer Weise auf fremde Hilfe angewiesen sind, können sich bei der Einsichtnahme in ihre eigene Akte von einer Person ihres Vertrauens begleiten lassen. Ein anderes Beispiel: NS-Akten, die vom MfS ebenfalls gesammelt worden sind, werden künftig zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit herangezogen werden können. Es wird auch weiterhin möglich sein, für Zwecke des Stasi-Unterlagen-Gesetzes die unbedingt notwendigen Identifizierungsdaten aus dem Zentralen Einwohnerregister der DDR zu nutzen. Die Frist sollte Ende dieses Jahres auslaufen. Nach unseren Vorschlägen wird die Frist bis Ende des Jahres 2005 verlängert; denn wir haben erkannt, daß die Zeit zur Aufarbeitung der 180 Kilometer Stasi-Akten von uns einfach zu kurz berechnet worden war. Das gilt auch für die vorgesehene Regelung der Anonymisierung und Löschung eigener Daten. Die einzelnen Unterlagen enthalten in der Regel ein Geflecht aus Informationen, die sich auf die unterschiedlichsten Personengruppen beziehen. Eine Anwendung der Anonymisierungsregelung schon jetzt wäre sachgerecht nicht möglich. Wir würden vor allen Dingen zahlreiche Ermittlungs- und Rehabilitierungsverfahren unmöglich machen. Deshalb schlagen wir vor, diese Frist um zwei Jahre hinauszuschieben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir geben heute den Startschuß für hoffentlich sorgfältige Ausschußdiskussionen. Möge am Ende unserer Ausschußarbeit ein Gesetzesvorschlag stehen, der erneut von der breiten Mehrheit des Deutschen Bundestages getragen wird. Dazu werbe ich um Ihre kritische und konstruktive Mitarbeit. Herzlichen Dank. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Rolf Schwanitz.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vor uns liegende Gesetzentwurf entstand nach ausführlichen Beratungen zwischen den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. Die Öffnung der Stasi-Akten gerade für diejenigen, die unter politischer Repression in der DDR zu leiden hatten, war eine zentrale Forderung der friedlichen Revolution des Jahres 1989. Aus dieser Zeit besteht bis heute die politische Verpflichtung, die Fragen nach der Aktenöffnung und dem Umgang mit der Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit außerhalb des politischen Streits zu stellen. Die Sozialdemokraten sind gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen dieser Verpflichtung 1991 bei der Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und auch in den Folgejahren bei der ersten und zweiten Novelle gerecht geworden. Auch der vor uns liegende Entwurf entspricht diesem Einvernehmlichkeitsgrundsatz. Die Fraktionen haben dabei in ausführlichen Beratungen Anregungen und Erfahrungen aus dem Umgang mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz aufgenommen und verarbeitet. Obwohl sich diese Beratungen über fast ein Jahr erstreckt haben und kein einziger Punkt aufgegriffen wurde, der nicht zuvor vom Bundesbeauftragten selbst in eine öffentliche Diskussion gestellt worden ist, hat ein Regelungsteil öffentlich heftigen Widerspruch erfahren. Ich möchte mich deshalb jetzt nicht chronologisch - Herr Büttner hat schon einen Überblick gegeben - mit allen Regelungspunkten befassen, sondern ich möchte mich speziell mit diesem Punkt des Entwurfs beschäftigen, der in den letzten Wochen mit zum Teil unerträglichem Populismus und inhaltlich falschen Darstellungen in die Öffentlichkeit getragen worden ist, und mich dazu äußern. Kern der Kritik war die Regelung, welche sich mit der Beschränkung der Auskunftsbefugnisse des Bundesbeauftragten nach den §§ 20 und 21 des Gesetzes beschäftigt. Von Geheimpapieren und von einer Amnestie für Stasi-Spitzel war die Rede, vor allem von jener Zeitung, die politische Informationen auf fette Überschriften und große Bilder beschränkt. Die Telefone liefen heiß, und wie immer in solchen Fällen vermochte die sachliche Information über die tatsächliche Regelungsabsicht nur einen Bruchteil des Schadens zu begleichen, der zuvor aus kommerziellem, publizistischem Interesse verursacht worden ist. Ich will deshalb die Gelegenheit nutzen und zunächst noch einmal ausdrücklich sagen, was alles nicht Gegenstand dieser Gesetzesänderung ist. Erstens. Es geht nicht um eine Amnestie für ehemalige hauptamtliche und Inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, die im Rahmen dieser Tätigkeit Straftaten begangen haben und deshalb auch weiterhin zur Verantwortung gezogen werden müssen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz regelt unter anderem im § 23 den Zugang der Strafverfolgungsbehörden zu den Aktenbeständen des ehemaligen MfS zum Zwecke der Strafverfolgung. An diesen Bestimmungen wird sich nichts ändern. Der Gesetzentwurf beinhaltet keinerlei Punkte, wonach die Verfolgung von begangenen Straftaten eingeschränkt oder behindert werden soll. Ich will dies noch einmal ausdrücklich klarstellen, meine Damen und Herren. Zweitens. Es geht bei den Änderungen des § 19 auch nicht um die Rechte der Betroffenen und Dritten, also jener, zu denen der Staatssicherheitsdienst widerrechtlich durch Spitzeltätigkeit oder durch technische Mittel gezielt Informationen gesammelt hat. Alle Rechte dieser Opfer des staatlichen Überwachungs- und Unterdrückungswahns der DDR bleiben unverändert bestehen. Sie erhalten auch weiterhin uneingeschränkten Zugang zu den zu ihrer Person gesammelten Unterlagen, einschließlich der Offenlegung der Klarnamen jener Personen, die als Inoffizielle Mitarbeiter auf sie angesetzt worden sind. Auch hier muß Schluß sein mit den Desinformationen einiger Medien, die bei den Betroffenen nur Verunsicherung und Ängste produzieren und dabei fröhlich gleichzeitig ihr Geschäft machen. ({0}) Drittens. Ebenfalls nicht berührt ist die Nutzung der Akten zum Zwecke der Personalüberprüfung in den politischen Ebenen. Die Überprüfung von Mitgliedern der Bundesregierung und der Landesregierungen, die Überprüfung bei Abgeordneten des Bundestages, der Landtage und der Kommunalparlamente, die freiwillige Überprüfung der Vorstände von politischen Parteien bis hinunter zur Kreisebene bleiben ebenso unverändert wie der gesamte Bereich der Sicherheitsüberprüfungen, so wie wir dies in der Vergangenheit bereits kannten. Die Sozialdemokraten waren der Auffassung, daß es keine zeitliche Begrenzung der Auskunftstätigkeit des Bundesbeauftragten bei diesen sicherheitsrelevanten bzw. politisch bedeutsamen Ebenen geben darf. Die Politik darf nicht in den Verdacht der Selbstbegünstigung kommen. Deshalb auch hier ein Festhalten an dem alten, seit 1991 bewährten Recht. Meine Damen und Herren, was war nun konkret der Stein des Anstoßes? Die Sozialdemokraten sind ebenso wie die miteinbringenden Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. der Auffassung, daß die Auskunftsmöglichkeiten des Bundesbeauftragten betreffend eine Mitarbeit beim Staatssicherheitsdienst, also die Personalüberprüfungsfragen, für die außerhalb der politischen Ebenen stehende Prüfungsperson in zweierlei Hinsicht begrenzt werden müssen. Zum einen sollen künftig kraft Gesetzes bestimmte Fälle festgelegt werden, in denen wegen Geringfügigkeit der Stasi-Mitarbeit keine Mitteilung mehr erfolgt. Der Bundesbeauftragte soll künftig eine Tätigkeit von geringer Bedeutung nicht mehr mitteilen müssen. Wir haben besonderen Wert darauf gelegt, daß der Bundesbeauftragte dabei nicht zu einer Ermessensentscheidung gezwungen wird, bei der er nach seinem Empfinden festlegen muß, wann etwas geringfügig oder wann etwas von Bedeutung ist. Dies muß der Gesetzgeber selbst - und für die Behörde ermessensfrei - regeln. Dies ist unsere Aufgabe. ({1}) Die einbringenden Fraktionen haben sich dabei auf zwei Fallkonstellationen beschränkt: zum einen auf geringfügige IM-Tätigkeiten ausschließlich während des Grundwehrdienstes, ohne daß dabei personenbezogene Informationen weitergegeben worden sind, und zum anderen auf IM-Verhältnisse, bei denen trotz einer Verpflichtung zur Mitarbeit überhaupt keine Informationen geliefert worden sind. Dies ist der erste Einschränkungsbereich, ein Bereich von IM-Tätigkeit, der eigentlich ohnehin im Ergebnis der vorgeschriebenen Einzelfallprüfung beim Arbeitgeber nicht zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen kann und deshalb sehr wohl vom Gesetzgeber direkt im Gesetz geregelt werden müßte. Der zweite Bereich betrifft den Vorschlag, daß nunmehr eine Stasi-Mitarbeit nicht mehr mitgeteilt werden soll, wenn sich kein Hinweis dafür findet, daß diese Tätigkeit nach dem 31. Dezember 1975 fortgesetzt worden ist. Werden Tätigkeiten auch noch nach diesem Stichtag festgestellt, wird auch eine eventuell vorhergehende, frühere Tätigkeit selbstverständlich mitgeteilt und beauskunftet. Die höchstrichterliche Rechtsprechung im Bereich des Dienst- und Arbeitsrechts läßt seit vielen Monaten erkennen, daß die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung im Falle von Personen, deren Tätigkeit für das MfS Jahrzehnte zurückliegt, de facto ausgeschlossen ist. Der Bundesgesetzgeber muß dieser Entwicklung Rechnung tragen. Er darf den Bundesbeauftragten und damit das Stasi-Unterlagen-Gesetz selbst nicht in eine Situation stellen, in der Auskünfte über Personen erteilt werden, die in der Praxis zu keinen arbeitsrechtlichen Konsequenzen mehr führen können. Hier brauchen wir Mut der politisch Handelnden und nicht den bequemen Populismus, dem viele an dieser Stelle frönen würden. ({2}) Zum Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich noch ein offenes Wort speziell an die Menschen in den neuen Bundesländern richten. Es ist richtig: Wir erweitern nicht nur die Möglichkeiten des Bundesbeauftragten, sondern wir wollen sie in begrenztem und vertretbarem Umfang auch verringern. Es kann aber nicht das Interesse all jener mutigen Menschen sein, die 1989 aufgestanden sind und die Aktenöffnung gefordert haben, daß das Stasi-Unterlagen-Gesetz von 1991 unverändert und dogmatisch bleibt, wenn sich die Rechtswirklichkeit schon längst verändert hat. Eine solche Unbeweglichkeit und Vogel-Strauß-Politik spielte letzten Endes jenen in die Hände, die das Stasi-Unterlagen-Gesetz mit seiner historisch einmaligen Entscheidung der Aktenöffnung von Anfang an und letztendlich bis heute grundsätzlich abgelehnt haben. Ein solcher nachRolf Schwanitz träglicher Sieg der Täter von gestern und der Vertuscher von heute wäre politisch unverantwortlich. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einleitend ein paar grundsätzliche Worte zu dem Gesetz und auch zu dem Tätigkeitsbericht sagen, mit denen wir uns hier beschäftigen. Beim sogenannten Stasi-Unterlagen-Gesetz geht es ja um etwas wirklich Bedeutendes. Der Gesetzgeber hat damit absolutes Neuland betreten. Neben den vielen großen Fehlern, die bei der Herstellung der deutschen Einheit leider auch gemacht worden sind, ist das ein wirkliches Schmuckstück, ein wirklicher Erfolg. Diesen Erfolg verdanken wir der Bürgerbewegung, den Menschen, die auf der Straße gegen das totalitäre Regime gekämpft haben, jenen Menschen, die - zum Teil dann auch später im Bündnis 90 im politischen Raum ({0}) gegen die geplante Schließung und Vernichtung der Akten und für den Zugang aller Betroffenen zu den Akten gekämpft haben. Den Zugang zu den die eigene Person betreffenden Akten sicherzustellen ist ein elementares bürgerrechtliches Anliegen. Damit hat man Zugang zu bisher verschlossenen Bereichen der eigenen Geschichte und kann die eigene Biographie, aber auch Schuld und Verantwortung anderer aufklären. Anders, als das bisher in der Geschichte häufig gewesen ist, wurde nach dem Ende der SED-Diktatur nicht mit der Guillotine, mit dem Strick oder dem elektrischen Stuhl geurteilt. Vielmehr werden Verstrickungen und Verantwortlichkeiten aufgedeckt, ohne daß Köpfe zumindest im wörtlichen Sinn rollen. Natürlich hat das manchmal unangenehme Folgen für die Betroffenen; die PDS beklagt dies in ihrem Antrag. Aber ich glaube, selten ist mit einer Diktatur so milde umgegangen worden wie in diesem Fall. Nicht Rache war das Ziel der Menschen, sondern Rente und demokratischer Wandel. Das haben wir erreicht. Darauf können wir alle gemeinsam - das Stasi-Unterlagen-Gesetz war letztendlich ja ein gemeinsames Werk dieses Hauses - stolz sein. ({1}) Es ist ein Modell auch für viele andere Länder geworden. Dabei gehe ich davon aus - das zeigt die Entwicklung in Polen, in Tschechien, in Ungarn, in anderen Ländern und bei uns -, daß die eigentliche Aufarbeitung, die elementare Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit uns noch bevorsteht. Genauso war es nach 1945. Die Generation, deren Angehörige als Opfer oder Verstrickte unmittelbar betroffen waren, hat zunächst einmal vieles verdrängt und hat zu kämpfen, sich in den neuen Verhältnissen einzurichten. Es ist ja unglaublich schwierig, wenn man sich von einem auf den anderen Tag in einer völlig neuen Wirtschaftsordnung, neuen Rechtsordnung usw. zurechtfinden muß. Eigentlich ist erst die folgende Generation diejenige, die dann unter den Teppich schaut und wissen will: Was habt ihr damals gemacht? Wie sind die Dinge gewesen? Auch deshalb ist es wichtig, daß die Akten weiter zugänglich sind, daß es keinen „Schlußstrich" und damit auch keine Schließung der Akten gibt. Die Entwicklung in Polen, das uns ja noch vor einiger Zeit von Gräfin Dönhoff als leuchtendes Beispiel für das Ziehen eines solchen Schlußstriches vorgestellt wurde und wo jetzt laut über eine dem StasiUnterlagen-Gesetz vergleichbare Regelung nachgedacht wird, zeigt dies; die Entwicklung in Südafrika, in Tschechien und in anderen Ländern deutet ebenfalls darauf hin. Ich glaube, mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz ist uns etwas wirklich Großes und Wichtiges gelungen, ein Stück Demokratiegeschichte aus dem Geist der Freiheit und der Würde des Menschen und auch aus dem Geist friedlicher und rechtsstaatlicher Bewältigung von Unrecht und Diktatur. Gerade deshalb aber meine auch ich, daß wir mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz außerordentlich vorsichtig umgehen müssen. Es ist ein Erbe der Bürgerbewegung und der friedlichen demokratischen Revolution. Aus diesen Gründen glaube ich, daß Änderungen nur dann, wenn sie absolut notwendig sind, vorgenommen werden sollten - und auch dann nur äußerst behutsam. Deshalb bin ich gegenüber einigem, was hier vorgeschlagen worden ist, ausgesprochen skeptisch. Ich will nur wenige Worte zu dem PDS-Gesetzentwurf verlieren, der eine ernsthafte Beratung meines Erachtens nicht verdient hat. Die größte Ungeheuerlichkeit ist meiner Meinung nach das Gerede von der Tendenz zur Herausbildung eines vierten geheimdienstlichen Apparats. Wer nicht unterscheiden kann zwischen einem Geheimdienst eines repressiven, totalitären Staates, der gegen die Bürger gerichtet ist, und einer demokratischen, vom Volk erkämpften transparenten Einrichtung zur Aufarbeitung dieser Geschichte, zur Abwicklung dieses Geheimdienstes, zur Aufdeckung von Schuld der Mitarbeiter dieser Diktatur gegenüber den Menschen, wer das nicht unterscheiden kann und es sogar in dieser Weise gleichsetzt, begeht wirklich ein geistiges Verbrechen gegenüber der Wahrhaftigkeit, der eigenen Geschichte und der politischen Kultur auch dieses Hauses. ({2}) Ich finde, das ist ein Vergehen an der Demokratie. Mehr möchte ich zu diesem Entwurf nicht mehr sagen. Ich sehe, daß meine kurze Redezeit nicht ausreicht, auf die einzelnen Punkte des anderen, des fraktionsGerald Häfner übergreifenden Entwurfs einzugehen. Wir werden in den Ausschüssen, aber auch in der Enquete-Kommission hoffentlich genug Gelegenheit haben, diesen Entwurf gründlich zu beraten. Ich will deshalb nur zwei Punkte ganz kurz streifen. Erstens. Ich halte es für sinnvoll, im Gesetz künftig die Möglichkeit zu schaffen, daß Menschen, die Einsicht in die Akten nehmen wollen, im Falle körperlicher Gebrechen Menschen ihres Vertrauens mitnehmen können; das ist so vorgesehen. Ich halte es aber nicht für sinnvoll und notwendig, diese Regelung ausschließlich auf das Vorliegen körperlicher Gebrechen zu beschränken. Ich meine, daß - das hat man mir vielfach berichtet - genauso oft seelischer oder moralischer Beistand erforderlich ist. Mir will nicht einleuchten, warum man diesen ausschließen möchte. Ich möchte kurz noch einen zweiten Punkt ansprechen; das ist der entscheidende: Ich kann die vorgeschlagene Regelung gut verstehen, Tätigkeiten, die vor 1975 lagen, in bestimmten Fällen nicht mehr anzurechnen. Ich bin aber ausgesprochen skeptisch - wir werden genug Zeit haben, darüber zu reden - gegenüber einer Regelung, die deshalb auf der Seite der Auskunftserteilung, also der Information, Einschränkungen vornehmen will. Das Problem liegt meines Erachtens auf der anderen Seite, bei den Rechtsfolgen, also etwa bei den Verwendungsrichtlinien für den öffentlichen Dienst. Ich weiß, da sind wir mit der Ländergesetzgebung konfrontiert. Diese ist sehr unterschiedlich. Ich halte es aber für sinnvoll, bei den Rechtsfolgen, also etwa bei der Zugangsberechtigung anzusetzen, um den verschiedenen Fallgestaltungen etwas angemessener gerecht zu werden und gerade, wenn die Dinge weit zurückliegen, großzügiger zu sein. Ich halte es aber nicht für sinnvoll, die Auskunftserteilung durch die Behörde einzuschränken, wie ich überhaupt jede Regelung ablehne, die die Behörde selbst mehr und mehr zum Schiedsrichter machen möchte. Das kann ihre Funktion nicht sein. Der Gesetzgeber hat zu regeln, welche Rechtsfolgen mit dem verbunden sind, was sich Menschen in der Vergangenheit haben zuschulden kommen lassen. Ich möchte ein letztes ansprechen; das liegt mir am allermeisten am Herzen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nur noch ein oder zwei Sätze, wenn Sie erlauben. Es geht mir darum, daß die Aufarbeitung unserer Geschichte nicht nur die Regierungsgeschichte, die Geschichte der Behörden, der Apparate einbeziehen kann, sondern auch die Geschichte von unten. Das ist bislang überhaupt nicht vorgesehen. Was in der Umweltbewegung, in der Friedensbewegung, in der Bürgerrechtsbewegung alles geschehen ist, wird viel zuwenig aufgearbeitet. Unter anderem deswegen haben wir einen Antrag vorgelegt. Es ist nötig, daß wir darüber nachdenken, wie wir durch die Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung zur Unterstützung dieser Aufarbeitung die Möglichkeit schaffen können, daß diejenigen, die durch ihre Biographie und ihre Rolle als Dissidenten in diesem System, unmittelbar Träger dieser Aufarbeitung sind, jetzt aber oft ohne jede weitere Perspektive im Regen stehen, weiter an dieser Aufarbeitung mitwirken und so auch all den Menschen Beratung und Hilfe geben können, die dies nötig haben. Dazu gehört, daß auch deren Aktenbestände und alles, was damit verbunden ist, gesichert werden müssen. Das ist unsere Anregung. Auch darüber möchten wir mit Ihnen in aller Ruhe und Besonnenheit diskutieren. Ich hoffe, daß wir dabei zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Ich danke für die Großzügigkeit des Präsidenten und beende hiermit meine Rede. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die war unfreiwillig, Herr Kollege. Herr Kollege Professor Dr. Rainer Ortleb, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Rainer Ortleb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001657, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der Erstürmung der Normannenstraße und zahlreicher Unterzentralen der Stasi gibt es die Möglichkeit der tiefgreifenden Aufklärung der Tätigkeit dieses Apparats. Die erste und letzte demokratische Volkskammer der DDR leistete Grundlagenarbeit für spätere Bundesgesetzgebung und versuchte auch eine kritische Personalprüfung in den eigenen Reihen, um nicht mit politischen Altschulden in die gemeinsame deutsche Bundesrepublik einzutreten. Die mir damals als Partei- und Fraktionschef Einzelfälle betreffend zur Kenntnis gebrachten Aktenbefunde und folgend geführte Gespräche haben mir Einblicke ermöglicht, die mich die wahren Tiefen nur erahnen ließen. Ich möchte der Ordnung halber nur darauf verweisen, daß wir in der Volkskammer auch große Schwierigkeiten hatten, uns nicht zu Schnellschüssen verleiten zu lassen. Ich denke noch mit einem gewissen Unbehagen an eine der letzten Sitzungen, wo wir - förmlich übers Knie gebrochen - versuchten, zu Beurteilungen aus damals noch lückenhaften Kenntnissen zu kommen. Ich kann Ihnen nun nach Jahr und Tag sagen: Auch in meiner Fraktion gab es eine Fehlbeurteilung. Es ging um einen Mann, der nach drei Monaten eindeutig rehabilitiert werden konnte. Daran können Sie die Sensibilität dieses ganzen Problems sehen. Man muß mit Bedachtsamkeit und Vorsicht herangehen. Als praktizierendem Informatiker kamen mir damals die Bilder im Fernsehen, als die Plattenspeicher des Rechenzentrums des Ministeriums für Staatssicherheit vernichtet wurden, ein wenig grausig vor. Ich habe im Stillen immer gedacht: Wer wird wohl das meiste Interesse an der Vernichtung dieser Stapel gehabt haben? Was jetzt in mühsamer Handarbeit von der Gauck-Behörde erledigt wird, hätte man damals förmlich mit Knopfdruck erledigen können. Ja, schon zu diesen Zeiten der damaligen Volkskammer war erkannt, daß einerseits das Raster „hier Täter, da Opfer" sowie andererseits Verharmlosung in der Form, daß die Opfer zum Teil Täter oder gar die Täter Opfer gewesen sein könnten, nicht zur Bewältigung taugen und auch nicht dem oft zitierten Rechtsfrieden dienen. So wie zunehmend das Verb „gaucken" Sprachgebrauch wurde, hat sich auch in Befassung mit ihrer Aufgabe die eben so genannte Gauck-Behörde zum Informationssystem der nötigen Aufklärung der Mechanismen der Stasi entwickelt. Im Zusammenhang damit möchte ich feststellen: Die Nutzungsmöglichkeit und Leistungsfähigkeit werden in diesem Sinne durch die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nicht eingeschränkt. Auch eine befürchtete Vernichtung der Akten, an die niemand denkt, hat damit nichts zu tun. Es geht einzig und allein um die gesetzliche Rahmung der aus bisheriger Erfahrung im Umgang mit der Sache zweckmäßig erscheinenden Praxis. Nach dem Stand der bisherigen Diskussion und nach mir zugegangenen Meinungsäußerungen scheinen mir neben zahlreichen auf allgemeine Zustimmung stoßenden Änderungen vor allem Meinungsverschiedenheiten um den Stichtag 1. Januar 1976 und um die Definition von Geringfügigkeit zu bestehen. Wem wie mir nicht erspart blieb, sich bei Personalentscheidungen auch von Gauck-Befunden leiten zu lassen, dem ist das gesamte Spektrum von schwarz bis weiß und vor allem mit seinen schwierigen Grauzonen bekannt. Aber am Ende blieb doch nur eine Ahnung übrig. Es ist deswegen auch auf keinen Fall von der Gauck-Behörde zu verlangen, daß sie wertende Befunde liefert. Sie kann nur im Rahmen des Möglichen für Vollständigkeit der Informationen sorgen. Ist aber das Übergehen von Bagatellfällen gewünscht, dann müssen diese klar definiert werden, sonst würden unter Umständen wieder subjektive Urteile statt Fakten verlangt. So erscheint also die Einschränkung auf tatsächliches Arbeiten durch mündlichen und schriftlichen Bericht sinnvoll, so wie auch die Festlegung von nicht personenbezogener Tätigkeit unter Bedingung des Wehrdienstes. Dabei muß betont werden, daß die Gesetzesformulierung von gesetzlich vorgeschriebenem Wehrdienst spricht, was eigentlich keine Irritation wegen - wie gelegentlich schon geäußert - freiwilliger Dienstverhältnisse zulassen dürfte. Wenn wir den Stichtag 1. Januar 1976 oder 31. Januar 1975 betrachten, ist man versucht, wie auch in der Begründung formuliert, vor allen Dingen an die KSZE zu denken. Ich möchte hier einen anderen Aspekt aufzeigen. Eine kleine Rechenaufgabe: Ein heute 20jähriger, über den eine Befragung stattfindet, ist 1976 geboren. Darüber wird mit Sicherheit eine leere Akte vorliegen. Ein heute 60jähriger - um einen anderen Extremfall aufzuzeigen - ist vor 20 Jahren 40 Jahre alt gewesen. Hier könnte man sagen: Im schlimmsten Falle war er 20 Jahre für das MfS tätig. Das ist natürlich die Stelle, wo die Empfindlichkeit Betroffener berührt werden kann. Dann stehen jedoch - ohne etwas verharmlosen zu wollen - 20 Jahre schlecht gelebtes Leben gegen 20 gute Jahre. Bei den Lebensaltersstufen zwischen meinen Beispielen verbessert sich das Bild mit zunehmender Jugend. Bedenken wir auch, daß strafrechtliche Relevanz überdies auch andere Zugänge zur Person ermöglicht. Eine Brücke möchte ich noch bauen, damit ich nicht als Technokrat wirke. Tucholsky hat sinngemäß formuliert ({0}) - ich zitiere ihn ja nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß -: Der Mensch müßte eigentlich zwei Leben haben, eines zur Probe und das andere, in dem er alles richtig macht. Da wir ein zweites Leben aber niemandem zur Verfügung stellen können, halte ich es für gerechtfertigt, den reiferen Lebensabschnitt, wenn er richtig gelebt wurde, als das Leben zu akzeptieren. Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß Gesetze nur Werkzeuge sein können. Es kommt darauf an, wie man mit dem arbeitet, was der Aktenbefund darstellt. Ich glaube, daß es auch hier Möglichkeiten gibt, die Bewältigung der Vergangenheit in Form von richtigem Arbeiten mit der Aktenauskunft durch gesellschaftlich adäquates Verhalten zu rahmen. Wenn ein Geldschrankknacker wieder eingegliedert wird, ist es selbstverständlich, daß wir ihm nicht die Stellung eines Bankdirektors anbieten; aber wir werden uns um ihn kümmern. So muß man auch diesen Fall sehen. Letztlich möchte ich auf meine Erfahrungen in der Zeit, in der ich Partei- und Fraktionschef und Bundesminister war, verweisen; damals hatte ich Beurteilungs- und Einschätzungsvorlagen. In dieser Zeit ist vielfach ein Fall vorgekommen, der unter heutigen Kriterien keiner mehr wäre. Da ich die Personen jeweils sehr intensiv geprüft habe, kann ich in jedem Fall sagen: Das ist sachlich auch richtig so. Um einen prominenten Fall zu nennen - was ich hier ohne weiteres darf, denn er war öffentlich -: Der stellvertretende Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Professor Brunner, ist wegen seiner Stasi-Vergangenheit zurückgetreten. Aus heutiger Sicht wäre das kein Grund mehr. Das würde überhaupt nicht aktenkundig, weil es Jahrzehnte zurücklag und es keine weitere Tätigkeit gab. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Uwe-Jens Heuer.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht erlauben Sie mir zunächst einmal, etwas zwischen uns Unstreitiges herDr. Uwe-Jens Heuer vorzuheben. Unstreitig ist die Notwendigkeit, sich der Vergangenheit zu erinnern, sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen und aus gemachten Fehlern und grundlegenden Fehlentscheidungen Lehren zu ziehen. Dazu sind die Akten des MfS und die Einsichtnahme in sie zweifellos nützlich. Sicher gibt es auch in Westdeutschland Aktenbestände, die gleiches leisten könnten. Unter historische Erinnerungen und Diskussionen kann es keinen Schlußstrich geben. Die Möglichkeit von Betroffenen, sich an Hand der Akten mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, halten wir ebenfalls nach wie vor für unbedingt geboten. Das Problem ist für mich eine Instrumentalisierung der Aktenauswertung für fragwürdige politische Zwecke. Sinn und Zweck des Stasi-UnterlagenGesetzes sind eigentlich recht klar in § 1 formuliert. Das Verständnis von Herrn Gauck zum Zweck dieses Gesetzes geht allerdings darüber hinaus. Er sieht nämlich - wie aus dem Zweiten Tätigkeitsbericht, Seite 8, zu ersehen - in der Tätigkeit seiner Bundesbehörde einen Beitrag zum „Elitewechsel" in Ostdeutschland. „Auftrag, Erfahrung und Kompetenz des Bundesbeauftragten", so läßt er im Tätigkeitsbericht seine eigene Person würdigen, versetzten ihn in die Lage, den Kampf gegen „Relativierung" und „Schönfärberei" zu führen. Herr Gauck bekennt damit - das ist für einen der höchsten Beamten der Bundesrepublik doch sehr ungewöhnlich - seine persönliche politische Parteilichkeit. Er räumt in dem Tätigkeitsbericht immerhin ein, daß es vielfältige Kritik und Vorwürfe an die Adresse der von ihm geleiteten Bundesbehörde gebe. Die Rede sei, so Herr Gauck, von „unbilligen sozialen Härten". Es komme der Vorwurf, die Überprüfungspraxis schaffe gar neues Unrecht. Liest man dann allerdings im Tätigkeitsbericht weiter, so gesteht Herr Gauck nicht einmal einen Hauch von Inkorrektheit ein. Das Gesetz habe sich „in der Praxis bewährt". Die Kritiker werden treffsicher als die „um ihren Einfluß gebrachte Machtelite" ausgemacht. Ansonsten seien eben derartige Vorwürfe darauf zurückzuführen, „daß verbreitete Unkenntnis darüber besteht, welche Folgen die Mitteilungen des Bundesbeauftragten tatsächlich haben". Die Überprüfungspraxis entkräfte das alles. Die anfragenden Stellen, so wird uns versichert, „wägen inzwischen sorgfältig ab und treffen Einzelfallentscheidungen". Wie schön, wenn es denn tatsächlich so wäre. Ich möchte Ihnen einen Fall nennen. Gerade vor drei Wochen wurde in Luckenwalde das Lehrerehepaar Jura, das 35 Jahre im Schuldienst gearbeitet hat, von einem Tag zum anderen fristlos entlassen, weil sich die Frau vor 20 Jahren damit einverstanden erklärt hatte, daß ein Raum des Internats, in dem sich ihre Wohnung befand, vom MfS genutzt werden durfte, wobei nur sie und nicht ihr Mann dies unterschrieben hatte. Derartige Fälle gibt es in großer Zahl und immer wieder, wie gerade vor wenigen Tagen, am 30. März, auf einem Workshop mit Betroffenen und Rechtsanwälten in Berlin vor Augen geführt wurde. Ist die Zurverfügungstellung einer konspirativen Wohnung wirklich etwas, was man nach wie vor ahnden muß? Wenn das betrachtet würde, würde auch deutlich, daß es Gründe gibt, daß im „Sozialreport 1995" auf der Grundlage entsprechender Meinungsumfragen des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg erklärt wurde, nur ein Zehntel der Ostdeutschen habe „volles" oder „viel Vertrauen zu seiner Bundesbehörde", und 20 Prozent bekundeten „etwas Vertrauen ". Falsche oder falsch interpretierte Akteninhalte der Bundesbehörde verursachen allzu häufig falsche Entscheidungen. Es gebe im übrigen eine bedenkliche „Praxis eines weitgehenden Verzichts auf gebotene Einzelfallprüfungen", schreibt der Anwalt und CDU-Politiker Peter-Michael Diestel in der „Neuen Justiz", 12/1995. Im übrigen empfinde ich auch die Aussagen im Zweiten Tätigkeitsbericht der Bundesbehörde über den SPD-Ministerpräsidenten von Brandenburg, Manfred Stolpe, als Beleg für eine durch nichts zu erschütternde Attitüde des Rechthabens der Bundesbehörde. Daß es einen Untersuchungsausschuß des Brandenburgischen Landtags gab, der zu einer abgewogenen und gerechten Bewertung der Gespräche von Manfred Stolpe mit dem MfS kam, wird gar nicht zur Kenntnis genommen. „Die Rechercheergebnisse zum Komplex ,IM Sekretär'" - so heißt es auf Seite 36 des Tätigkeitsberichtes wörtlich - haben den Nachweis erbracht, daß es „im Einzelfall möglich ist, substantiierte Aussagen über Natur, Inhalt und Qualität einer inoffiziellen Mitarbeit auch dann zu machen, wenn die für solche Fälle originär angelegten IM-Akten vernichtet oder verbracht worden sind". Die Bundesbehörde hat eben auch recht, wenn sie nicht recht hatte. Das meinen wir, wenn wir sagen, es gebe das Problem der Willkür. Rechtsstaatliche Prinzipien wie Einzelfallprüfung und die strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bleiben oft auf der Strecke. Verjährungsfristen gibt es bisher nicht. Das wird jetzt geändert werden. Herr Büttner hat hier gesagt, man könne das nicht rechtsstaatlich behandeln. Ich meine, diese rechtsstaatliche Behandlung ist notwendig. Herr Schwanitz hat angemerkt, daß im Strafrecht fast alles verjähre und daß man deshalb nicht sagen könne, dies verjähre nie. Ich glaube, daß da doch rechtsstatliches Denken erforderlich ist. Die Vorschläge von CDU/CSU, SPD und F.D.P. sind teilweise ein Fortschritt. Einige Punkte werfen Probleme auf. Wir haben auch Vorschläge gemacht. Wir wünschen die Diskussion, und wir sollten gemeinsam versuchen, das rechtsstaatliche Vorgehen und die Herstellung des Rechtsfriedens auf diesem Gebiet zu befördern. Danke schön. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Dr. Horst Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Kollegen ganz herzlich danken, die die interfraktionelle Initiative vorbereitet und uns vorgelegt haben. Ich glaube, das ist ein ganz hervorragendes Beispiel für parlamentarische Zusammenarbeit in einem ganz schwierigen Aufgabenfeld. Ganz herzlichen Dank auch seitens der Bundesregierung. ({0}) - Als Mitglied des Hauses, lieber Herr Kollege, darf ich mich ja mitfreuen, daß die Kollegen so erfolgreich gearbeitet haben. Ich bin dankbar, daß alle, die bisher gesprochen haben, deutlich zum Ausdruck brachten: Vom Grundsatz her hat sich das Gesetz bewährt. Es soll an einigen Stellen noch verbessert werden. Ich denke - das sollten wir gemeinsam feststellen -, daß es in einem ganz schwierigen Aufgabenfeld eine gute gesetzliche Regelung war, wenn man auf das Ganze und auf die Bewährung bis heute sieht. Mir liegt daran, in diesem Zusammenhang noch einmal für die Bundesregierung folgendes aufzunehmen und zu sagen: Es ist mehrfach vom Schicksal der Unterlagen gesprochen worden. Angesichts all dessen, was wir erlebt haben, sollten wir als Leitmotiv immer vor Augen halten: Denkt an die Opfer, an die Menschen, die gelitten haben. An sie wird heute oft nicht mehr genug gedacht. ({1}) Deswegen können Akten nicht vorzeitig geschlossen werden, sondern muß man daran denken, wie Gerechtigkeit erfolgen kann. Deshalb sind, Herr Kollege Heuer, die Dinge, die die PDS vorschlägt, nicht brauchbar. Auch weisen wir das zurück, was an unqualifizierter Kritik an der schwierigen Arbeit der Gauck-Behörde von Ihnen vorgetragen worden ist. Das war nicht so. ({2}) Ich kann nur wünschen, daß das, was die Kollegen jetzt als Initiative der drei Fraktionen vorgetragen haben und was wir alle miteinander aus den Fraktionen tragen, bald ins Gesetzblatt kommt. Nun will ich mich mit einigen Sätzen noch den Berichten, besonders dem Zweiten Bericht, der GauckBehörde zuwenden. Zunächst ist festzustellen: Nicht nur mit dem StasiUnterlagen-Gesetz, sondern auch mit der Gauck-Behörde haben wir ganz großes Neuland betreten. Wir haben in einem Feld eine staatliche Tätigkeit aufgebaut, in der es keine vergleichbaren Erfahrungen gab. Es ist hier mit Recht gesagt worden, daß andere Länder heute überlegen, ob sie in vergleichbaren Materien nicht ähnlich handeln. Das bringt mich dazu, auch von dieser Stelle noch einmal ganz herzlich an Herrn Gauck und alle seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Sensibilität und die Arbeit Dank zu sagen, die sie in diesem schwierigen Aufgabenfeld geleistet haben. ({3}) Ich wünsche, daß ihnen dies auch weiterhin so möglich bleiben möge. Nun wurde mit Recht immer wieder gefragt: Wie wird das akzeptiert? Deshalb möchte ich drei Zahlen einbringen, die, glaube ich, mehr als viele Worte deutlich machen, wie bis in die jüngste Vergangenheit hinein die Arbeit der Gauck-Behörde von vielen Hunderttausenden von Bürgern, auch von amtlichen Stellen, auch von solchen, die in besonderer Weise der Kriminalitätsbekämpfung dienen, in Anspruch genommen worden ist. Es sind bis Ende Februar 1996 mehr als drei Millionen Anträge bei der Gauck-Behörde eingegangen. Von denen sind insgesamt 2,5 Millionen abgearbeitet. 1995 wurde erstmals erreicht, daß die Zahl der Erledigungen größer als die Zahl der neuen Antragseingänge ist. Ich will Ihnen aus dem Monat März dieses Jahres sagen: Allein in diesem Monat sind 17 000 Anträge von Bürgerinnen und Bürgern aus unserem Lande eingegangen, nicht von amtlichen Stellen, sondern von Bürgerinnen und Bürgern, die Auskunft haben wollen. Inzwischen sind es weit über eine Million Bürgerinnen und Bürger, die sich aus den neuen, aber auch aus den alten Bundesländern an die Behörden gewandt haben und um Auskunft bitten. Ich meine, wenn man diese Zahlen liest - über drei Millionen Anträge, über eine Million allein von einzelnen Bürgern -, dann beweist das, daß diese Arbeit von vielen Bürgern angenommen worden ist und nicht ungerechtfertigte Kritik vorgetragen werden sollte. ({4}) Ich will in diesem Zusammenhang sagen, daß wir es seitens der Bundesregierung sehr begrüßen, daß die Gauck-Behörde auf vielfältige Weise überlegt hat: Wie können Verfahrensabläufe schneller erfolgen? Wie kann manches noch effektiver bearbeitet werden? Ich sprach schon davon, daß wir auch verwaltungsmäßig auf Neuland tätig sind. Dazu haben gerade in den letzten Monaten unser Bundesbeauftragter Gauck und seine Mitarbeiter eine ganze Menge an guten Neuerungen geleistet. Das wird dazu führen, daß die Menschen, die nachfragen, schneller Antwort bekommen. Das ist zu begrüßen. Wenn wir beide Komplexe, die wir heute hier behandeln, zusammen sehen - die Initiative der drei Fraktionen und den Tätigkeitsbericht der Gauck-Behörde -, dann dürfen wir, glaube ich, ohne Übertreibung sagen, daß es uns in einer großen demokratischen Gemeinsamkeit gelungen ist, auf einem schwierigen Feld der Aufarbeitung der VergangenParl. Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt heit im wiedervereinigten Deutschland doch voranzukommen, zum Nutzen der betroffenen Menschen, auch im Hinblick auf die besondere Situation vieler Opfer. Ich kann für die Bundesregierung nur wünschen, daß diese Gesetzesinitiative bald in Kraft treten kann und die Gauck-Behörde im Sinne von Recht und Gerechtigkeit, insbesondere im Hinblick auf die Opfer, die wir noch immer vor Augen haben müssen, weiterarbeiten kann. Herzlichen Dank und das Beste für die weitere Arbeit! ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Dieter Wiefelspütz, Sie haben das Wort.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich auf einige wenige Anmerkungen zum Bericht des Bundesbeauftragten beschränken und eingangs einiges zum Stasi-Unterlagen-Gesetz sagen, das wir im Jahre 1991 in einer großen Koalition der Vernunft in diesem Hause geschaffen haben. Es ist heute mehrfach daran erinnert worden, und ich denke, es ist sinnvoll, daß wir uns heute nachmittag doch einmal vergegenwärtigen, wie schwierig es damals war, wie unbekannt und riskant das Terrain war, auf dem wir uns rechtspolitisch bewegten. Ich muß Ihnen freimütig sagen, ich war mir damals nicht sicher - gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen auch der anderen Fraktionen -, ob wir auf diesem Sektor alles richtig machen. Es ist ja so, bei allen wichtigen Entscheidungen, die wir hier im Hause und auch anderenorts zu treffen haben, weiß man mit letzter Sicherheit nicht, ob wir nicht in allerbester Absicht auch grundlegende Fehleinschätzungen machen. Ich denke, im Jahre 1991 ist es uns beim Stasi-Unterlagen-Gesetz gelungen, vom Grundsatz her die Dinge richtig zu machen. Wir haben uns dazu bekannt, daß die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR nicht geschlossen werden, sondern offenbleiben, daß sie den Menschen zurückgegeben werden, daß dadurch den Bürgerinnen und Bürgern insbesondere der ehemaligen DDR ein Teil ihrer Geschichte, ihrer Geschichte auch als Opfer, zurückgegeben wird. Es war ganz wichtig und damals gleichsam Konsens, Gründungskonsens für dieses Gesetz, daß wir gesagt haben: Im Mittelpunkt des Gesetzes stehen die Opfer des Systems dieses Unrechtsstaates DDR. Interessen dieser Opfer sind Maßstab gewesen für dieses Gesetz. Darauf haben Sie, Herr Waffenschmidt, auch zu Recht hingewiesen. Der zweite Grundsatz, die Akten zu öffnen, nicht den Deckel draufzumachen, ist nicht mehr ganz fern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht gut, hier besserwisserisch zu urteilen, wie man mit Repressionsinstrumentarien wie dem MfS in anderen Staaten Osteuropas umgegangen ist. Dort hat man andere Diskussionen geführt. Ich glaube, daß wir es hier in Deutschland richtig gemacht haben, als wir gesagt haben, wir bekennen uns dazu, mit diesen Akten offen und mit allen Risiken umzugehen. Es ist auch nicht auszuschließen - Herr Heuer, in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu -, daß mit den Erkenntnissen dieser Akten da und dort auch neues Unrecht geschaffen worden ist. Jedes Unrecht ist Unrecht, das es zu kritisieren gilt und wo man auch den Finger drauflegen muß. Trotzdem, im Ergebnis war es richtig, unverzichtbar richtig und wichtig, daß wir diese Akten geöffnet haben, daß wir uns der Geschichte stellen und daß wir versuchen, den Opfern, aber auch der interessierten Öffentlichkeit so weit wie möglich zu helfen, sich die Geschichte anzueignen, die in diesem Bereich vonstatten gegangen ist. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz, Herr Heuer, war kein Siegergesetz, sondern das Gesetz eines demokratischen Rechtsstaates, der, wie ich fand, die Pflicht hatte, dieses Gesetz zu machen. Wenn wir es nicht gemacht hätten, hätten wir, glaube ich, versagt vor den Aufgaben der vereinigten deutschen Staaten. ({0}) Lassen Sie mich noch einige wenige Worte zum Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten sagen. Ich will deswegen so wenig dazu sagen, weil ich meine: Wenn man ihn liest, ist das schon fast genug, da muß man nicht groß darüber reden. Ich empfehle diesen Bericht aber zur Lektüre, zur nachhaltigen Lektüre, wenn man einmal eine Stunde Zeit hat. Man kann dabei wirklich sehr, sehr viel lernen. Herr Staatssekretär Waffenschmidt, die SPD hat keinen Grund, die Bundesregierung zu loben. ({1}) - Das kann man machen, aber es gibt keine Veranlassung aus meiner Sicht. Doch ich will ausdrücklich sagen: Wir haben allen Grund, die Arbeit der über 3 000 Beschäftigten der Behörde des Bundesbeauftragten nachdrücklich zu loben. Dort wird engagierte, qualifizierte Arbeit geleistet mit einer außergewöhnlich niedrigen Fehlerquote. Ich finde das nach wie vor bewundernswert, wenn eine Behörde, die sozusagen aus dem Boden gestampft worden ist, die innerhalb kürzester Zeit Tausende von Mitarbeitern eingestellt hat, auf einem wirklich schwierigen Terrain eine solch qualifizierte Arbeit leistet. Allen Respekt und meine ganz persönliche Hochachtung! Ich finde ganz großartig, was dort geleistet worden ist. Daß eine Behörde nach ihrem Leiter benannt wird - sogar von Ihnen, Herr Waffenschmidt -, ist natürlich sehr zweifelhaft. Aber es macht deutlich, Herr Gauck, welchen besonderen Respekt Sie hier im Hause, aber auch in der Öffentlichkeit genießen. ({2}) So werden selten Behördenleiter geadelt: daß die Behörde nach ihrem Namen benannt wird. Ich möchte aber auch Ihren Stellvertreter in dem Berichtszeitraum dieses Tätigkeitsberichtes, Herrn Geiger, ausdrücklich erwähnen. ({3}) Jeder Sachkenner weiß, daß er sich im Bereich der Behörde hohe Verdienste erworben hat. Er leistet jetzt Wichtiges an einer anderen Stelle. Herr Gauck, im Namen der SPD-Fraktion Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlichen Dank und unsere aufrichtige Anerkennung. Der Tätigkeitsbericht macht deutlich, daß die Arbeit der Gauck-Behörde zu einem guten Teil geleistet worden ist. Aber es wird noch viel zu tun sein. Möglicherweise verschieben sich die Aufgaben, aber im Bereich der Rehabilitation, der Aktenerschließung wird noch viel zu tun sein. Herr Gauck, ich kann nicht ausschließen, daß die Behörde ihre Arbeit in Zukunft unter Umständen auch mit weniger Mitarbeitern wird leisten müssen. Ich kann das im einzelnen noch gar nicht übersehen. Man wird sich den Verantwortungen, den Herausforderungen stellen müssen. Insgesamt aber sind, so denke ich, die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Arbeit der Behörde auch in Zukunft sachgerecht und qualifiziert erledigt werden kann. Ich will zum Schluß noch einen Punkt ansprechen, der mir doch da und dort Sorge bereitet - wir als SPD-Fraktion werden im Innenausschuß dazu noch kritische Fragen stellen -: Wir möchten wissen, ob denn nun wirklich alle Akten, die in den Bestand des Bundesbeauftragten gehören, dort schon angelangt sind. Dabei meine ich insbesondere die Akten, die sich in „öffentlichen Beständen" befinden. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob nun wirklich alles das, was sich im Verantwortungsbereich der Bundesregierung befindet, schon beim Bundesbeauftragten angekommen ist. Da werden wir nachfragen. Wir werden auch auf parlamentarischem Wege der Sache nachgehen, ob Private in dem Umfang, wie es im Gesetz vorgesehen ist, ihren Rückgabeverpflichtungen nachgekommen sind. Auch in diesem Bereich werden einige Fragezeichen angebracht sein. Es wird wichtig sein, daß die Behörde auf alle Akten zurückgreifen kann, die noch vorhanden, aber nicht dort sind, wo sie hingehören, nämlich in den Bestand des Bundesbeauftragten, damit sie ihre Arbeit noch besser machen kann. Zum Schluß bringe ich noch einmal unsere Anerkennung und unseren Respekt für die Arbeit des Bundesbeauftragten zum Ausdruck. Der Bericht macht deutlich, wie wichtig diese Arbeit ist - im Interesse der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland, im Interesse der Opfer und im Interesse der Tatsache, daß wir uns der Geschichte auf diesem Sektor stellen müssen, sie nicht verkleistern dürfen. Es darf, Herr Heuer, keine neuen Legenden, keine Verharmlosungen geben. Wir müssen ernst nehmen, was Unrecht gewesen ist, müssen es benennen, dürfen nicht darum herumreden. Das gehört sich so in einer rechtsstaatlichen Demokratie. ({4}) Herzlichen Dank. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Heinz-Jürgen Kronberg.

Heinz Jürgen Kronberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001224, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Mir ist gerade in den letzten Tagen sehr oft die Frage gestellt worden: Warum muß das Stasi-Unterlagen-Gesetz eigentlich so dringend novelliert werden? Die Antwort auf diese Frage enthält, jedenfalls aus meiner Sicht, zwei Punkte. Erstens. Nach geltendem Recht droht nach § 14 Abs. 1 ab dem 1. Januar nächsten Jahres die Anonymisierung. Das Problem dabei ist, daß derzeit immer noch nicht alle Akten erschlossen sind und dies auch noch einige Zeit braucht. Im zweiten Tätigkeitsbericht konnte man lesen, daß zerrissene Aktenbestände mit einer Länge von zirka 16 Kilometern noch der Bearbeitung harren und erst zum Teil bearbeitet sind, was kein Wunder ist. Maßgabe der Stattgebung der Anonymisierung ist weiterhin das Einverständnis der Gauck-Behörde, das heißt, sie kann kundtun, daß sie diese Aktenbestände zu ihrer eigenen Aufarbeitung und zur Aufarbeitung im Auftrage Dritter nicht mehr benötigt. Aber durch die andauernde Erschließung von zum Teil sehr brisanten Unterlagen ändert sich diese Beurteilung natürlich ständig: Was heute noch nebensächlich zu sein scheint, kann morgen durch neue Aktenkenntnis vollkommen neu und brisant sein. Außerdem wäre die Forderung nach Anonymisierung zum Anfang nächsten Jahres von der Behörde etwas zu viel verlangt, die derzeit - wir haben es von den Vorrednern eben gehört - mehr als genug zu tun hat, um ihre Arbeit wirklich zu schaffen. Ein zweiter Punkt der Antwort ist natürlich die dringende Notwendigkeit der Offenhaltung des ehemaligen Zentralen Einwohnerregisters, abgekürzt ZER. Dieses gibt Auskunft über Namen, Wohnort und. Geburtsort in Verbindung mit der Personenkennzahl, die ja eigentlich der Schlüssel im gesamten öffentlichen DDR-Leben war. Diese Angaben werden derzeit noch zur Entschlüsselung von Decknamen, zur Feststellung von Doppelidentitäten von ehemaligen hauptamtlichen Inoffiziellen Mitarbeitern und auch für die Bearbeitung von noch laufenden Verfahren in der BfA Berlin und den LVAs zu Zwecken der Rentenberechnung benötigt. Das bedeutet, wenn wir dies zusammenfassen: Wenn das Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht novelliert würde, wären die eben aufgeführten notwendigen Arbeiten entweder nur sehr schwer machbar oder überhaupt nicht mehr zu leisten. Das kann nicht in unserem Interesse liegen: Wir alle kennen natürlich auch den Preis, den ein ausgehandelter Kompromiß kostet. Jeder Beteiligte gewinnt ein Stück und muß auf der Gegenseite dafür auch ein Stückchen geben. So war es auch bei unseren Verhandlungen. Wir alle sind mit großen Katalogen hineingegangen, wir haben Zugeständnisse gemacht und dafür auch die Zustimmung zu Kernpunkten erhalten. Niedergeschlagen hat sich das in der vorliegenden dritten Novelle. Dafür möchte ich an dieser Stelle noch einmal bei den beteiligten Kollegen, aber auch bei den Beamten der beteiligten Ministerien und Behörden meinen ausdrücklichen Dank aussprechen. Teil der eben genannten Verhandlungen war natürlich auch eine öffentliche Anhörung in Berlin im letzten Jahr zu diesem Thema, bei der unter anderem Vertreter der Opferverbände, der Ministerien und der Landtage der jungen Länder, des öffentlichen Dienstes, der Justiz und natürlich des Bundes- und der Landesbeauftragten angehört und befragt wurden. Natürlich gibt es auch Kritik - wir haben es eben schon gehört - an dem von uns gefundenen Kompromiß. Gerade aus dem Kreis der Landesbeauftragten und aus dem Thüringer Landtag - bin ich froh, daß das Land Thüringen hier auf der Länderbank durch die Ministerin Lieberknecht vertreten ist - kam Kritik an dem Punkt der vorgesehenen Stichtagsregelung. Der Hintergrund gerade der Thüringer Befürchtungen ist, daß diejenigen, denen in der Vergangenheit auf Grund ihrer Verbindungen zum MfS gekündigt wurde, in die Berufung gehen könnten. Zum Hintergrund der Stichtagsregelung selbst haben ja schon die Kollegen Büttner und Schwanitz eben Stellung genommen. Daran anschließend ist noch einiges zu sagen. Diejenigen, die in Vorbereitung auf die Regelanfrage selbst bekannt haben, daß sie Kontakt zum MfS hatten, wurden in der Regel in den Jahren 1990 und 1991, zum Teil auch noch 1992 entlassen. Daher bleiben diejenigen übrig, die gesagt hatten, sie hätten keinen Kontakt gehabt, und bei denen die Überprüfung das Gegenteil hervorgebracht hatte. Diese wurden aber nach Einschätzung des Dienstherren - da gibt es ja einen großen Ermessensspielraum - zum Teil nicht auf Grund ihrer Stasi-Tätigkeit von ihrem Arbeitsort entbunden, sondern ihnen wurde gekündigt auf Grund eines Vertrauensbruches. Dieser Vertrauensbruch würde durch eine Stichtagsregelung - darauf lege ich Wert - nicht berührt werden. Zu berücksichtigen sind aber vor allen Dingen - darauf müssen wir achten - die laufenden Verfahren. Dazu habe ich persönlich meinen Thüringer Landtagskollegen zugesagt, dies im Verlauf der parlamentarischen Beratungen noch einmal zum Gegenstand der Diskussion zu machen und eventuell dafür zu sorgen, daß das Ergebnis auch in der Begründung des Gesetzes seinen Niederschlag findet. Dies liegt nicht nur im Interesse des Landes Thüringen, sondern wird im Interesse aller jungen Bundesländer liegen. Wir diskutieren heute aber nicht nur über die Novellierung, sondern vor allem über den Zweiten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten. An dieser Stelle gebührt als erstes den Bundes- und Landesbeauftragten und ihren Mitarbeitern in Berlin und den 14 Außenstellen großer Dank für die geleistete Arbeit in den letzten Jahren. ({0}) Dies wird beim Betrachten der Zahlen noch deutlicher. Bisher wurden über 1 Million Anträge auf Akteneinsicht gestellt, wovon bis März dieses Jahres allein 715 000 bearbeitet wurden. Die Zahl der Anträge auf Überprüfung - das sind Regelanfragen - beläuft sich auf knapp 2 Millionen, von denen bis März dieses Jahres über 90 Prozent bearbeitet waren. Stark verkürzt haben sich ebenfalls die Zeiten der Bearbeitung der einzelnen Anträge. An Aktenmaterial werden heute - wir haben das bereits gehört -180 000 Meter verwaltet. Stellen Sie sich vor: Dies ist eine Strecke - stellt man die Akten hintereinander auf -, die der Entfernung zwischen Bonn und Saarbrücken entspricht. Davon befanden sich 16 000 Meter in Säcken, Kisten und Containern in zerrissenem Zustand. Zum Glück ist die Stasi an ihrer eigenen Akribie, mit der sie ihre Informationen sammelte, bei der Vernichtung gescheitert. Durch die Mehrfachablage der Akten und Aktenteile ist es heute möglich, vernichtetes Material zu umfangreichen Teilen wieder zu rekonstruieren. Erstaunlich ist es aus heutiger Sicht, daß die Stasi diese Berge an Informationen und - das ist in meinen Augen noch viel schlimmer - den flächendeckenden Zustand an Angst bzw. Zurückhaltung mit nur 2 % der Gesamtbevölkerung zustande gebracht hat; denn mehr waren die 89 000 hauptamtlichen und 170 000 Inoffiziellen Mitarbeiter nicht. Scheinbar waren sie allerdings überall, und niemand wußte: Gehört mein Nachbar dazu oder gehört er nicht dazu? Auf Grund des soeben geschilderten Umfangs wurden natürlich Spezialisierungen des Personals sowie in der angewandten Technik in der Gauck-Behörde erforderlich. Exemplarisch dafür möchte ich zum Beispiel den Bereich der Spezialrecherche nennen, der vor allem für die Anfragen unter anderem für den KoKo-Untersuchungsausschuß, für den Untersuchungsausschuß des Brandenburger Landtages und vieles mehr verantwortlich war. Seiner Arbeit haben wir es zu verdanken, daß vieles rekonstruierbar ist und viele Zusammenhänge heute auf Grund der Aufarbeitung der Akten hergestellt werden können. Das ist auch notwendig; denn die Untersuchungsausschüsse arbeiten weiter, sie gehören nicht der Vergangenheit an. Somit bin ich wieder am Anfang meiner Ausführungen angelangt, wo es um die Frage ging, warum das StUG unbedingt novelliert werden muß. Ich denke, es ist notwendig. Dafür stehen wir ein. Ich danke Ihnen. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4356, 13/1750, 13/4359 und 13/4353 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Stimmt das Haus dem zu? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 g und die Zusatzpunkte 8 bis 10 auf: 6. Abfalldebatte a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten „Altlasten II" des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen - Drucksache 13/380 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Verteidungsausschuß Haushaltsausschuß b) Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verwertungsbeschränkungen für Schlakken aus Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle - Drucksache 13/1235 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lembke, Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Untersuchungen auf Dioxin- und Arsenkontaminationen in den ehemaligen Lagerstätten für flüssige Kampfmittel: Löcknitz in Mecklenburg-Vorpommern, Dessau in Sachsen-Anhalt, Munster in Niedersachsen, Lübbecke in Nordrhein-Westfalen, St. Georgen in Bayern und Halle-Ammendorf in Sachsen-Anhalt - Drucksache 13/2519 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Michael Müller ({1}), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bundeseinheitliche Regelung des untertägigen Versatzes von Abfällen in Bergwerken - Drucksache 13/2758 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Ausschuß für Wirtschaft e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marion Caspers-Merk, Michael Müller ({3}), Ernst Schwanhold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Eckpunkte zur Novellierung der Verpakkungsverordnung - Drucksache 13/2818 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) Ausschuß für Wirtschaft f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Michael Müller ({5}), Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Erlaß einer Getränkemehrwegverordnung - Drucksache 13/2855 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) Ausschuß für Wirtschaft g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann ({7}), Dr. Jürgen Rochlitz, Helmut Wilhelm ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Erlaß einer Altautoverordnung - Drucksache 13/3334 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr ZP8 Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verordnung über die Vermeidung, Verringerung und Verwertung von Abfällen gebrauchter elektrischer und elektronischer Geräte ({10}) - Drucksache 13/4351 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Post und Telekommunikation Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Vizepräsident Hans Klein ZP9 Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abfallvermeidung organisieren - Gesundheitsgefahren aus Abfallverbrennungsanlagen minimieren - Drucksache 13/4352 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({12}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Gesundheit ZP10 Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ersatz der Verpackungsverordnung durch eine Verpackungsvermeidungs- und Mehrwegverordnung - Drucksache 13/4354 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13}) Ausschuß für Wirtschaft Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Steffen Kampeter das Wort. ({14}) - Herr Kollege Kampeter, in der Tat war eine andere Reihenfolge vorgesehen, und es ist auch - jedenfalls nach gegenwärtigem Kenntnisstand - durchaus berechtigt, daß die Opposition diese Reihenfolge jetzt moniert. Bitte, Herr Kollege Kampeter, Sie haben das Wort. ({15})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heute zu führende Abfalldebatte gibt uns vor dem Hintergrund der anstehenden Entscheidungen die Gelegenheit, über die aktuellen Probleme der Abfallwirtschaft einmal umfassend zu diskutieren. Schließlich haben wir heute neun unterschiedliche zu beraten. Nach meiner Auffassung und der der CDU/CSU- Bundestagsfraktion ist der Anstoß in die Kreislaufwirtschaft eines der erfolgreichsten umweltpolitischen Projekte der vergangenen Jahre. Das, was sich in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland verändert hat, macht deutlich, welche grundlegende Umgestaltung wir gerade im Bereich der Abfallwirtschaft induziert haben. Schauen wir uns doch einfach einmal an, was sich in den privaten Haushaltungen verändert hat. Wir haben ein hohes Maß an umweltbewußtem Verhalten. Beispielsweise wird dies durch die hohe Sortierleistung in den einzelnen Haushalten deutlich. Verpackungen, die früher einfach ex und hopp weggeworfen worden sind, werden heute sortiert und der Wiederverwertung zugeführt. Dies ist ein aktiver Beitrag der Menschen zur konservativen Ressourcenbewirtschaftung. Beim Einkaufsverhalten der Menschen läßt sich auf Grund eines steigenden Umweltbewußtseins erkennen, daß beispielsweise die Wiederverwertbarkeit von Produkten stärker berücksichtigt, ihre Verpackungsintensität und eine Vielzahl anderer Aspekte von den Verbraucherinnen und Verbrauchern verstärkt einbezogen werden. Der Grüne Punkt ist an sich die erfolgreichste Umweltbewegung, die wir in den vergangenen Jahren aktiv gestaltet haben; ({0}) denn da wurde nicht nur geredet, sondern da wird von den Betroffenen auch tatsächlich gehandelt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ökologisches Bewußtsein ist eben nicht nur eine Frage danach, wer die schönsten, wortreichsten Formulierungen hat, sondern ökologische Verantwortung zeigt sich in der Tat. Und die Sammel- und Sortierbewegung in den privaten Haushalten ist eben tatkräftig. ({1}) Ein zweiter wichtiger Punkt der Situationsbeschreibung betrifft die Kommunen. Wer in der Kommune Verantwortung trägt, beispielsweise in den Werksausschüssen, weiß, daß der Müllgipfel überschritten worden ist. Während wir vor einigen Jahren noch davon redeten, daß wir viel zu knappe Kapazitäten bei der Abfallvorbehandlung oder bei der Abfallablagerung haben, diskutieren wir derzeit darüber, daß ein Großteil der Kommunen eher Auslastungsprobleme hat, weil Abfälle vermieden oder verwertet werden. Was früher als etwas unschicklich galt, nämlich die Zusammenarbeit zwischen Kommunen in der Abfallwirtschaft wird zum Regelfall. Die Tatsache, daß sich zwei Kreise zusammenschließen, um Kostenvorteile zu realisieren, ist eigentlich zum Wohle der Bürger realisiert worden; denn man muß sehen: Nicht jeder Kreis braucht heute eine Deponie oder eine Müllverbrennungsanlage. Sie lassen sich bei den sinkenden Aufkommen nicht mehr wirtschaftlich betreiben. Es liegt auch im Interesse der Bürger - die zu Recht über steigende Abfallgebühren klagen -, wenn wir diese kommunale Kooperation sehr viel stärker in den Mittelpunkt der Diskussion stellen. Oder blicken wir bei der Situationsanalyse einmal auf die gewerbliche Wirtschaft. Ich habe manchmal in den Diskussionen, insbesondere auch im UmweltSteffen Kampeter ausschuß, bei den Grünen den Eindruck, als würde der Kollege Rochlitz nicht akzeptieren, daß Abfall vermieden wird. Die Praxis sieht ja anders aus. Wenn Sie sich einmal in den Betrieben umschauen, werden Sie feststellen, daß vor dem Hintergrund sehr teurer Verwertungs- und Entsorgungswege keine Tonne, kein Kilo Abfall zuviel produziert wird. Die betrieblichen Kreisläufe werden optimiert, und das, was letztendlich zur Verwertung oder gar zur Entsorgung übrigbleibt, ist in den vergangenen Jahren gesunken. Der Vermeidungseffekt gerade in der gewerblichen Wirtschaft muß einmal anerkannt und hervorgehoben werden. ({2}) Die Produktionsprozesse sind im Hinblick auf ihre ökologische Gesamtbewertung einer sehr sorgfältigen Analyse unterzogen worden. ({3}) - Gehen Sie doch einmal in die Betriebe, Herr Rochlitz, und reden Sie nicht immer nur von den Dingen, die Sie sich in der Praxis noch nie angeschaut haben! Die Produktionsprozesse sind vom Input her optimiert worden. Die Auswahl der Stoffe erfolgt auch unter dem Gesichtspunkt, welche Wiederverwertungsmöglichkeiten dem Produkt innewohnen. Das ist ein großartiger Erfolg. Er läßt sich unter der Überschrift „Produktverantwortung" beschreiben. Es ist das Kernanliegen der Abfallwirtschaftspolitik in den vergangenen Jahren, über den gesamten Produktlebenszyklus und die gesamte Produktlebensdauer eine umfassende Verantwortung des Produzenten zu verankern. Auch der betroffenen Umwelttechnikindustrie, der Entsorgungswirtschaft, geht es gut. Vor wenigen Wochen hat die Umweltschutztechnikmesse Entsorga in Köln stattgefunden. Dort konnte sich jeder, der mit offenen Augen über die Messe ging, davon überzeugen, mit welchem hohen technologischen Anspruch die Veränderungen in dieser Branche in den vergangenen Jahren stattgefunden haben. Es sind einige tausend Arbeitsplätze zusätzlich entstanden. Es handelt sich dabei nicht nur um niedrig bezahlte Arbeitsplätze. Wenn Sie eine relativ komplizierte Abfallverwertungsanlage betreiben, brauchen Sie gleichwohl qualifizierte Arbeitskräfte. In dieser Branche sind enorme Investitionen getätigt worden. Die Investitionen allein in der Abfallwirtschaft im abgelaufenen Jahr werden vom Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft auf 3 Milliarden DM beziffert. Bei einem Umsatz von rund 40 Milliarden DM ist dies, wie ich finde, ein respektabler Investitionsanteil. Wir suchen heute ja Investoren in Deutschland. Hier wird fleißig investiert. Die Branche klagt darüber - wie Wirtschaftsbranchen in diesen Tagen öfter klagen, daß die Umsätze nicht mehr so schnell steigen wie in den vergangenen Jahren. Aus Sicht der Politik ist dies allerdings eine positive Entwicklung, denn die Umsätze der Entsorgungswirtschaft müssen von den privaten Haushaltungen und den Unternehmen aufgebracht werden. Dort fallen sie als Kosten an. Wenn die Umsätze der Entsorgungswirtschaft nun nicht so stark steigen wie in den vergangenen Jahren, bedeutet dies, daß die Kosten der Wirtschaftssubjekte für die Entsorgung ebenfalls nicht so schnell steigen. Das ist ein Prozeß, den wir von der Politik her an sich nur positiv bewerten können; denn wir stehen auch in der Verantwortung, Umweltschutz zu möglichst niedrigen Kosten anzubieten. Deswegen ist es wichtig, daß der Wettbewerb innerhalb der Entsorgungsbranche weiter intensiviert wird. Ein gut Teil der Bemühungen der Abfallwirtschaftspolitik in der Entsorgungswirtschaft muß darauf abzielen, daß nicht wenige große Monopolisten entstehen. Es muß eine solide Durchmischung von unterschiedlichen Betriebsgrößen geben. Das bedeutet allerdings nicht, daß dort nur kleine und mittlere Unternehmen tätig werden können. Bestimmte, mit hohen Qualitätszielen erforderliche Abfallwirtschaftsmaßnahmen können auch nur von Unternehmen mit einem hohen Kapitalbestand umgesetzt werden. Deswegen brauchen wir das Miteinander von Groß und Klein in der Abfallwirtschaft. Dies ist nicht nur eine Aufgabe der Bundespolitik, sondern auch der Kommunen. Die Kommunen sind es ja, die die Entsorgungsverträge mit den Unternehmen schließen. Jeder Landrat als Leiter einer entsorgungspflichtigen Körperschaft, jede Verwaltungsspitze in einer Großstadt hat es in der Hand, mit wem er bzw. sie einen entsprechenden langfristigen oder kurzfristigen Entsorgungsvertrag schließt, und hat damit eine ganz wesentliche Möglichkeit, für einen Wettbewerb zwischen größeren und kleineren Unternehmen zu sorgen. Eine große und, wie ich finde, berechtigte Sorge dieser Branche ist, daß zentrale Vorschriften für die Zukunft der Kreislaufwirtschaft den Bundestag und den Bundesrat noch nicht passiert haben. ({4}) Deswegen muß unser Anliegen sein, Frau Kollegin Caspers-Merk, gemeinsam die notwendigen Entscheidungen zu treffen, die wir brauchen. Ich will einige anführen. Der erste Bereich betrifft das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, das SPD, CDU/CSU und F.D.P. vor ungefähr zwei Jahren gemeinsam in diesem Haus verabschiedet haben. ({5}) Ich habe vor wenigen Tagen eine Presseerklärung der sozialdemokratischen Abfallberichterstatterin, Frau Caspers-Merk, gelesen. Sie hat dieses Gesetz als einen Meilenstein der Umweltgesetzgebung bezeichnet. ({6}) Das ist einer Ihrer wenigen Sätze, Frau CaspersMerk, aus den vergangenen Jahren, dem ich uneingeschränkt zustimmen kann. ({7}) Dieses Gesetz ist gut, und es ist die Grundlage der Entwicklung, die ich gerade beschrieben habe: daß Abfälle in Deutschland vermieden und verwertet werden, wie es die Bürger von uns fordern. Jetzt geht es aber darum, in den nächsten Wochen und Monaten dieses Gesetz handhabbar zu machen, denn die zentrale Veränderung in der Abfallwirtschaft ist in diesem Gesetz festgelegt: die Eigenverantwortung des Erzeugers für seinen Abfall. Während früher Abfall etwas war, was man irgendwo abgeben konnte - in der Kommune oder bei irgendwelchen zwielichtigen Unternehmen -, ist heute derjenige, der einen Abfall in den wirtschaftlichen Verkehr bringt, umfassend für ihn verantwortlich. Dies ist die umfassendste Privatisierungsoption, die in den Kommunen derzeit für große Diskussionen sorgt, weil sie sich einer etwas veränderten Marktsituation gegenübersehen und beispielsweise deutlich machen können, daß Abfallwirtschaft nicht mehr Staatswirtschaft ist, sondern in den Bereich der Privatwirtschaft gehört. Hier müssen im übrigen noch Entscheidungen getroffen werden, die die steuerliche Gleichbehandlung privater und staatlicher Tätigkeit herbeiführen. ({8}) Wir haben einen neuen weiten Abfallbegriff eingeführt. Er stößt nicht überall auf Begeisterung; das muß man auch einmal sagen. Wir haben - Frau Caspers-Merk, Sie wissen das - darüber eine sehr kontroverse Diskussion geführt, insbesondere darüber, ob es nicht sinnvoller wäre, die Abfälle zur Verwertung als Sekundärrohstoffe zu deklarieren. Bei mir melden sich jetzt die ersten Unternehmen, die feststellen, daß sie nach dem alten Abfallrecht bisher Wirtschaftsgüter gehandelt haben, daß durch das neue Recht aber aus diesen Wirtschaftsgütern jetzt Abfälle zur Verwertung werden. Wir müssen diesen Unternehmen sagen, daß das neue Abfallrecht für sie keine Erschwernis bedeutet, und gleichzeitig deutlich machen, daß Abfall nicht der Müll von gestern ist, sondern ein umfassend handelbares, verwertbares und werthaltiges Wirtschaftsgut ist. Dies ist auch eine zentrale Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Ebenfalls im Kreislaufwirtschaftsgesetz haben wir das Vermeidungsgebot festgelegt. Es wird zukünftig sehr viel schwieriger sein, Produkte oder Abfälle, für die es einen Verwertungsmarkt gibt, einfach auf der Deponie abzuladen. Die Kommunen wollen zur Zeit möglichst viel Abfälle, damit ihre Deponien noch voll werden, bevor die neuen gesetzlichen Regelungen in Kraft treten. Dies führt dazu, daß Materialien, die an sich verwertbar sind, beispielsweise Altfenster, zu Dumpingpreisen auf Deponien abgelagert werden und der Verwertungsweg verschlossen wird. Mit dem Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaftsgesetzes wird zumindest dies rechtlich problematisch, weil der Verwerter eindeutig darauf hinweisen kann, daß es nicht dem Geiste des Gesetzes entspricht, verwertbare Materialien zu entsorgen. Hier wird eine ganz zentrale Veränderung stattfinden. Für das Inkrafttreten des Gesetzes zum Oktober ist noch die Verabschiedung von Vollzugs- und Detailvorschriften durch den Bundesrat notwendig. Diese Vorschriften befinden sich seit einigen Monaten in der Vorabstimmung, und jetzt gibt es auch einen Referentenentwurf. Eine Anhörung der beteiligten Wirtschaftsverbände, der Kommunen und der Länder hat stattgefunden. Ich will auf zwei Punkte, die aus der Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wichtig sind, hinweisen. Das ist zum einen das Deregulierungspotential, das diesen Verordnungen innewohnt. Frau Caspers-Merk, ich spreche Sie noch einmal persönlich an und erinnere an unsere Diskussion im Vermittlungsausschuß über das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Wir haben uns dort einander versprochen ({9}) - ich erinnere heute einmal daran -, nämlich die Koalition und die Opposition, Bund und Länder, daß wir beim Vollzug ({10}) des Kreislaufwirtschaftsgesetzes das Deregulierungsund das Erleichterungspotential ausnutzen. Wir haben gesagt, dies muß bei den untergesetzlichen Vorschriften, also bei den Vollzugsvorschriften, realisiert werden. Das war bis vor einigen Monaten der Sachstand. Das Bundesumweltministerium hat - wie ich finde, zu Recht - dieses Deregulierungspotential auch in ersten Vorentwürfen der Vollzugsvorschriften angesprochen. Dies betrifft insbesondere den Komplex der Anzeigepflicht anstelle der Genehmigungsbedürftigkeit von Abfalltransporten. Ich unterstütze das Anliegen - das auch von beteiligten Kreisen der Wirtschaft vertreten wird -, auf Grund der strikten Regelungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes auf eine Genehmigungsbedürftigkeit zu verzichten. Unser gegenseitiges Versprechen, Frau CaspersMerk, hat aber leider nicht gehalten. ({11}) - Frau Caspers-Merk, Sie selbst haben doch schon eine Presseerklärung darüber abgegeben, was angeblich nicht vorgelegt worden ist. Somit kann das nicht aus der Luft gegriffen sein. Die Länder erklären mit großer Mehrheit, daß sie an der Deregulierung gar nicht mehr so interessiert sind und daß sie nach dem Motto „Mein Müll gehört mir" die Hand weiterhin auf den Abfalltransporten haben möchten. Wer die Pressemeldungen verfolgt, der wundert sich schon. In Rheinland-Pfalz gibt es eine sehr agile Umweltministerin, die vor einigen Monaten einen tollen Artikel darüber geschrieben hat, was im Immissionsschutzrecht und bei den Genehmigungsverfahren alles dereguliert werden müßte. Die gleiche Umweltministerin, Frau Martini, erklärt heute groß, Deregulierungen im Abfallrecht gingen nicht, sie wolle weiterhin kontrollieren, und stellt dies in einen ganz interessanten Zusammenhang. Sie stellt fest, daß sie in bestimmten Anlagen in Rheinland-Pfalz Auslastungsprobleme hat. Das heißt: Hier wird versucht, Abfälle im Land zu behalten, damit die Kostenrechnung hinterher stimmt; gleiches gilt im übrigen für die nordrhein-westfälische Umweltministerin Höhn. Abfälle verlassen ein Land aber nur dann, wenn es anderswo kostengünstigere Entsorgungsmöglichkeiten gibt. Die Landesumweltminister wollen also den Bürger zwingen, teurer zu entsorgen, als es eigentlich ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da wird nicht dereguliert, zudem bürden diese Länder den Bürgern zusätzliche Kosten auf. Ich kann die Bundesregierung nur nachdrücklich bitten, wenn diese Entwürfe dem Bundesrat zugeleitet werden, an dem ursprünglichen Vorhaben, die Genehmigungsbedürftigkeit fallen zu lassen und durch eine Anzeigepflicht zu ersetzen, festzuhalten. In den Beratungen des Bundesrates muß sich zeigen, was die Bundesländer tatsächlich von Deregulierung und Erleichterung für die Wirtschaft in Deutschland halten oder ob sie nur in Sonntagsreden davon sprechen. Ein zweiter wichtiger Aspekt bei diesem untergesetzlichen Regelwerk ist die Regelung über den Entsorgungsfachbetrieb. Das soll eine Art Gütesiegel für in der Abfallwirtschaft Tätige sein. Hier müssen wir - das ist mein Appell an die Bundesregierung - sehr sorgsam zwischen den umweltpolitisch notwendigen Auflagen, die wir diesen Unternehmen machen, und der Gefahr die daraus erwächst, hier zusätzliche Konzentrationen zu realisieren, abwägen. In einem Gespräch, das ich vor einigen Wochen geführt habe, ist gesagt worden, man müsse jetzt schon einen Doktortitel haben, um in der Entsorgungswirtschaft tätig werden zu können, wenn diese Vorschriften gelten. Das kann nicht Ziel unserer Bundesregierung sein. Hier müssen wir sehr sorgfältig das Nötige und das Mögliche gegeneinander abwägen. Dann, Frau Kollegin Caspers-Merk, bin ich zuversichtlich, daß unsere gemeinsame Zielsetzung, die Sie vor kurzem in einer Presseerklärung niedergelegt haben, nämlich dieses Gesetz im Oktober in Kraft treten zu lassen, tatsächlich wird realisiert werden können. Lassen Sie mich noch kurz zu einem anderen Punkt Stellung nehmen, nämlich zur Technischen Anleitung Siedlungsabfall, die die Deponiestandards in Deutschland festlegt. Das war Gegenstand der gestrigen großen Debatte, einer Sachverständigenanhörung, im Umweltausschuß. Die Ergebnisse aus Sicht der Koalition lassen sich wie folgt zusammenfassen: Es besteht keine Notwendigkeit, diese, hohe Qualitätsziele für unsere Deponien festlegende Vorschrift zu ändern. Wir können es nicht verantworten, eine Reaktordeponie einzurichten, die in 20 oder 25 Jahren zusätzliche umweltpolitische Probleme verursacht. Weil wir umweltpolitisch verantwortungsvoll handeln, müssen wir sehr sorgsam darauf achten, welche Vorbehandlungstechnologie hier zugelassen wird. Nach den bisherigen Qualitätserfordernissen erfüllt nur die Müllverbrennung diese hohen umweltpolitischen Qualitätsziele. Herr Rochlitz, ich fand es schon beeindruckend, daß sich der von Ihnen benannte Sachverständige in der Anhörung als entschiedener Befürworter der Müllverbrennung dargestellt hat. Selten hat ein von den Grünen benannter Sachverständiger im Umweltausschuß so viel Zustimmung von seiten der Koalition erhalten. Blicken wir doch einfach einmal ins Land: Die Zustimmung zur Müllverbrennung steigt. Ich komme aus dem Regierungsbezirk Detmold. Die dortige erste grüne Regierungspräsidentin, die ehemalige Kollegin Vennegerts, hat in der Presse erklärt, sie wolle, daß der gesamte Bezirk seinen Müll zur Müllverbrennung in Bielefeld bringt. Da ich der grünen Regierungspräsidentin in Bielefeld nicht unterstellen mag, daß sie Wirtschaftsaspekte über Gesundheits- und Umweltaspekte stellt - das wäre ja vermessen -, scheint die Müllverbrennung für die grüne Regierungspräsidentin Vennegerts eine gesundheitlich und umweltpolitisch zulässige Option der Abfallwirtschaftspolitik zu sein. Auch hier im Regierungsbezirk Köln, meine sehr verehrten Damen und Herren, tobt eine sehr interessante Auseinandersetzung um den Vollzug einer rechtskräftigen Genehmigung für eine Müllverbrennungsanlage. Mit großem Respekt sehe ich, daß der derzeitige Kölner Regierungspräsident Antwerpes sagt, für seine Region sei die Müllverbrennung die Vorbehandlungstechnologie, die verantwortbar sei, und sich deswegen sehr entschieden, auch gegen den Widerstand der grünen Umweltministerin, die hier noch etwas Nachhilfeunterricht verdient, dafür einsetzt. Deswegen sollten wir gemeinsam unsere hohen umweltpolitischen Qualitätsziele nicht verlassen, sondern wir sollten weiter daran arbeiten, daß die Deponien künftig auch vertretbar behandelt werden. Das setzt eine gesundheitspolitisch, umweltpolitisch und auch wirtschaftlich vertretbare Form der Müllverbrennung voraus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Abfallwirtschaft ist in Bewegung. Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, daß sie für den Bürger bezahlbar ist. Umweltschutz hat seinen Preis. Wir dürfen aus wirtschaftlichen Erwägungen keinen Discount geben. Dies gilt gerade auch für die Forderung zur Novellierung der Technischen Anleitung Siedlungsabfall. In diesem Sinne sollten wir an den gesetzlichen Rahmenbedingungen auch vor dem Hintergrund der Investitionssicherheit für die entsorgungspflichtigen Körperschaften festhalten. Lassen Sie mich zum Ende kommen, Herr Präsident. Die Abfallwirtschaft befindet sich auf einem guten Wege. Wir haben keinen Anlaß, Abstand von unserer erfolgreichen Kreislaufwirtschaftspolitik zu nehmen. Ich bedanke mich. ({12})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Marion Caspers-Merk.

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kampeter, Ihre Rede war wie die Abfallpolitik der Bundesregierung: leider ohne Konzept. Das ist der einzige Satz, der dazu zu sagen ist. Ich will mit einem wirtschaftspolitischen Aspekt der Abfalldebatte beginnen. Mitte 1994 konnte der damalige Umweltminister Klaus Töpfer noch verkünden, Deutschland sei Weltmeister, und zwar mit einem Anteil am Weltmarkt beim Export von Umwelttechnologien von 21 Prozent. Diese Zeiten sind längst vorbei. Heute ist die Umwelttechnologie mit 18,4 Prozent auf den zweiten Platz hinter die USA zurückgefallen. Japan liegt mittlerweile gleichauf. Beide Staaten haben erkannt, welche Exportchancen und welche Beschäftigungspotentiale die Umwelttechnologie bietet. Beide Länder haben diese Aufholjagd gegenüber der Bundesrepublik mit einem großen Programm für den Export von Photovoltaik gewonnen. Im Gegensatz dazu redet die Bundesregierung und mit ihr im harmonischen Chorgesang die gegenwärtige Umweltministerin nur noch - und Sie tun das gleiche, Herr Kampeter - von Deregulierung, von freiwilligen Vereinbarungen mit der Wirtschaft, daß man die Wettbewerbskräfte des Marktes nicht weiter durch hohe Standards schädigen dürfe; man warnt vor überzogenen Standards im Umweltschutz, man warnt vor den Risiken, die ein überzogener Umweltschutz für den internationalen Wettbewerb ausmacht. Dies gilt insbesondere bei der Argumentation um den Abfallbereich. Hier ist die Haltung der Bundesregierung durch vier Begriffe gekennzeichnet: abwarten, aussitzen, Stillstand und Rückschritt. ({0}) So ist in der Antwort auf unsere Große Anfrage zur Umsetzung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes schon in der Vorbemerkung zu lesen - ich zitiere wörtlich: Durch überhastetes Einführen der Produktverantwortung in Einzelbereichen könnte die nach Auffassung der Bundesregierung für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Deutschland wichtige neue Zielsetzung bereits in der Initialphase diskreditiert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der inflationäre Fremdwortgebrauch in diesem Satz kann über eines nicht hinwegtäuschen: Es geht Ihnen darum, den zentralen Gedanken der Produktverantwortung, den die SPD während ihrer Verhandlung zum Kreislaufwirtschaftsgesetz verankern und durchsetzen konnte, nicht mehr ernstzunehmen. Es ist der Kernpunkt unserer Kritik, daß Sie die Chancen, die Ihnen das Kreislaufwirtschaftsgesetz ermöglicht hätte, ({1}) nämlich dies konstruktiv umzusetzen, überhaupt nicht wahrgenommen haben. ({2}) Es macht sehr wenig Sinn, wenn man an der Art des Produzierens und Konsumierens nichts ändert und das, was am Ende dabei herauskommt, als Abfall umständlich, teuer und unökologisch verwerten und deponieren muß. Wichtiger ist es eben, schon bei der Gestaltung der Produkte, beim Material- und Energieverbrauch effizienter zu wirtschaften. Gefordert sind ökologisches Design von Produkten und schon bei der Konstruktion von Autos, Computern und Elektronikartikeln an die spätere Verwertung und Entsorgung zu denken. Gefordert ist, daß Demontage High-Tech bedeutet und nicht - wie im Moment bei den Altautos - Steinzeit. Dafür tun Sie doch überhaupt nichts. ({3}) Denn fünf Jahre lang haben Sie sich nicht um Verordnungen gekümmert. Seit 1990 diskutieren wir über die Vorlage von Verordnungen bezüglich der Entsorgung von Elektronikschrott und Altautos. Passiert ist inzwischen nichts. Sie reden über freiwillige Vereinbarungen. Legen Sie sie dann doch einmal vor! Sie haben bislang bei der Entsorgung von Elektronikschrott freiwillige Vereinbarungen angekündigt. Jetzt kommt dieselbe Bundesregierung, die freiwillige Vereinbarungen angekündigt hat, mit einer „schlanken" Verordnung. Das heißt auf gut deutsch: Man hat nur einen Teilbereich mit einbezogen, nämlich den Bereich der Informationstechnologien. Diejenigen, die immer auf freiwillige Vereinbarungen gesetzt haben, fordern jetzt die Verordnung. ({4}) - Lassen Sie mich meinen Gedanken noch zu Ende bringen, dann lasse ich eine Zwischenfrage gerne zu. Bei Altautos passiert genau dasselbe: jahrelanges Gezerre. Jetzt wird eine freiwillige Vereinbarung vorgelegt, die den Namen nicht verdient. Denn sie ist eigentlich nur ein Zusatzargument - wenn man nämlich nur ein zwölf Jahre altes Auto abgeben darf - für ein weiteres Anwachsen der Verkaufszahlen und hat ökologisch überhaupt keinen Sinn. Die Holländer sind da besser; denn sie haben zum 1. Januar 1995 eine Altautoverordnung vorgelegt, die flächendekkend gilt. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Kampeter, bitte, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Caspers-Merk, Sie kritisieren, daß die Bundesregierung keine freiwillige Vereinbarung vorgelegt hat. Ist Ihnen denn eigentlich nicht klar, daß eine solche freiwillige Vereinbarung erst einmal von der Wirtschaft angeboten werden muß - wie dies auch im Bereich der Automobilverwertung von seiten der Automobilindustrie oder im Bereich des Klimaschutzes von der gesamten deutschen Wirtschaft erfolgt ist -, bevor die Bundesregierung tätig werden kann, und daß die Bundesregierung erst dann entsprechende flankierende Maßnahmen für eine freiwillige Vereinbarung mit der Industrie vorlegen kann? ({0})

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kampeter, entweder Sie sind so naiv oder Sie machen sich naiver, als Sie als Politiker eigentlich sein dürften. ({0}) Natürlich hat man das Folterinstrument „Verordnung" im Hintergrund, und dann werden die freiwilligen Vereinbarungen zunächst angeboten. Wenn man sich aber fünf Jahre lang wie ein Tanzbär durch die Republik führen läßt, dann braucht man sich über die Ergebnisse nicht zu wundern. ({1}) Die eigentliche Vetomacht bei diesen Verordnungen - das müßten Sie besser wissen als ich - liegt beim Bundeswirtschaftsministerium, und die Gestaltungsmacht liegt bei den betroffenen Verbänden. Diese haben sehr wohl gemerkt, daß, wenn man immer wieder Bedenken vorträgt, immer wieder sagt, es sei noch zu früh, man könne so schnell nicht und dies gefährde den Wirtschaftsstandort, Sie überhaupt nicht in der Lage sind - weil die Bundesumweltministerin nicht die Kraft hat, dies am Kabinettstisch durchzusetzen -, die Verordnung greifen zu lassen, wenn sich die freiwillige Vereinbarung nicht durchsetzt. Interessant ist bei dieser heutigen Abfalldebatte, daß wir über zahllose Anträge der Opposition diskutieren, aber über keinen einzigen Antrag der Bundesregierung, über keine einzige Initiative aus den Regierungsfraktionen. Ich frage mich, wo eigentlich die Abfallpolitikerinnen und -politiker der F.D.P. und der CDU/CSU ihre Vorschläge vorgelegt haben. Wir haben schon im Oktober letzten Jahres einen Antrag zur Novellierung der Verpackungsverordnung vorgelegt, im November letzten Jahres einen Vorschlag zum Erlaß einer Getränkemehrwegverordnung und im Dezember letzten Jahres eine Große Anfrage zur Umsetzung von Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz gemacht. Wir haben zum Thema Verbringung von Abfällen in Bergwerke - das ist ein großes Problem, weil hier natürlich ein Ausweg gesucht wird und immer größere ungeordnete Mengen auf diesen Entsorgungspfad geführt werden - bereits letztes Jahr einiges vorgelegt. Von Ihnen sind seit dieser Zeit keine Initiativen dazu gekommen. Sie haben noch nicht einmal auf diese Initiativen reagiert. Schon in der letzten Legislaturperiode haben wir Vorschläge für Altauto-, Batterie- und Elektronikschrottverordnungen miteinander diskutiert und vorgelegt. Von Ihrer Seite ist in keinem Punkt darauf reagiert worden. Sie haben die Zeit von Oktober 1994 bis jetzt nicht genutzt, um in der Kreislaufwirtschafts- und Abfallpolitik voranzukommen und sie zu einem Element der Innovation und des Fortschritts in der Umweltpolitik zu nutzen. Die Spatzen, Herr Kollege Hirche, pfeifen es doch von den Dächern ({2}) - die schwarzen Spatzen; richtig -, daß Sie sogar eine Consulting-Firma einschalten müssen, um in Ihrem Haus überhaupt diese untergesetzlichen Verordnungen rechtzeitig vorlegen zu können, damit das bloße Gesetz überhaupt vollziehbar wird. So nimmt es nicht wunder, daß die Wirtschaftskreise und der Städtetag eine Verschiebung des Inkrafttretens fordern. Ich habe Verständnis für die Verunsicherung, weil bislang mit ihnen überhaupt nicht ausführlich diskutiert wurde und weil die Zeit nicht genutzt wurde. Kein Verständnis habe ich für die gezogene politische Konsequenz. Die SPD wird jedenfalls das lange Nichtstun nicht zum Anlaß nehmen, Sie aus der Verantwortung für die Umsetzung eines Gesetzes zu entlassen. Wir fordern: Nutzen Sie die Zeit; legen Sie die Verordnungen vor, vor allen Dingen nicht nur rein technische Regelwerke, sondern auch die Punkte, die zur inhaltlichen Ausgestaltung der Produktverantwortung nötig sind. Wenn Sie in diesem Haus auf unsere Vorschläge nicht eingehen, dann ist das sehr, sehr töricht. Denn Sie brauchen ja unsere Unterstützung im Bundesrat. Sie wissen ganz genau, daß der Bundesrat in sehr scharfer Form bereits Mitte letzten Jahres die Vorlage dieser untergesetzlichen Regelwerke zum Kreislaufwirtschaftsgesetz eingefordert hat und daß er darauf gedrungen hat, daß man möglichst rechtzeitig mit gemeinsamen Gesprächen beginnt. Auch diese Chance ist von Ihnen wiederum nicht genutzt worden. ({3}) - Die Anhörung hat erst jetzt stattgefunden. Insgesamt hat sie das Ergebnis gehabt, daß man auf Vorschläge gar nicht eingeht. Es genügt ja nicht, nur etwas vorzulegen. Wenn man die andere Seite braucht, dann muß man sich auf deren Argumente zumindest einlassen und in einem konstruktiven Dialog versuchen, eine gemeinsame Linie in der Abfallpolitik zu finden. Für uns steht im Zentrum der Diskussion - weil das natürlich die längste Geschichte hat - die Novellierung der Verpackungsverordnung. Wir haben in unserem Antrag die Frage gestellt, wie Verpackungen zukünftig aussehen müssen, um auf diesem Sektor zu einer nachhaltigen, ressourcenschonenden und Stoffkreisläufe schließenden Entwicklung zu kommen. Außerdem haben wir uns die Frage gestellt, mit welcher Organisationsform wir am vernünftigsten unsere abfallpolitischen Ziele umsetzen können, und schließlich, wie wir die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger, die doch im Moment wegen der Kosten des Grünen Punktes und wegen der Undurchsichtigkeit des DSD im Sinken begriffen ist, wiedergewinnen können. Wir haben unsere Vorschläge in einem Antrag vorgelegt. Ich nenne nur die fünf oder sechs wichtigsten Punkte. Wir wollen erstens, daß die Vermeidung von Verpackungsabfällen oberste Priorität hat und daß dies auch im Ziel des Gesetzes ausgedrückt wird. Deshalb haben wir Anforderungen an Verpackungsmaterialien formuliert. Zweitens. Die Verantwortlichen für die Umsetzung der Ziele in den Betrieben müssen eindeutig bestimmt werden und sich der Verantwortung für ihre Produkte bewußt sein. Drittens. Die Packmittel, die Verpackungsmaterialien müssen als Werkstoff wiederverwertbar sein. Viertens. Auf dem Verpackungsabfallmarkt muß mehr Wettbewerb und eine Transparenz der Geld- und Mengenströme gewährleistet werden. Fünftens. Der Ausbau und ein wirksamer Schutz von Mehrwegsystemen ist ein wichtiger Baustein für die Vermeidung von Verpackungsabfällen. Deshalb fordern wir flankierend zur Novellierung der Verpakkungsverordnung den Erlaß einer Getränkemehrwegverordnung. Was haben Sie in dieser Zeit eigentlich getan? In dem von Ihnen vorgelegten Entwurf - wieder einmal ein Entwurf, der nur die Papierberge erhöht und den Wortmüll steigert - zur Novellierung der Verpakkungsverordnung ist von Vermeidung, Ressourcenschonung und dem Einstieg in eine echte Kreislaufwirtschaft überhaupt keine Rede mehr. ({4}) Ein grundsätzlicher Wandel hin zu mehr Umweltverträglichkeit findet eben nicht statt, im Gegenteil. Es werden unter ökologischen Gesichtspunkten Verschlechterungen vorgeschlagen. Ziel Ihres Entwurfes ist es, einen neuen juristischen Rahmen zu zimmern, der dem DSD das Leben erleichtert, weil er sogenannte Trittbrettfahrer ins System bringt. Das heißt: Sie kümmern sich eigentlich nur um die betriebswirtschaftliche Seite des DSD. ({5}) Die ökologische Seite bleibt bei Ihnen außen vor. ({6}) Wir haben schon in vielen Punkten Kritik angemeldet. Ich werde hier nur noch drei Punkte nennen. Erstens. Sie haben die abfallwirtschaftlichen Ziele der alten Verordnung aufgeweicht. Zweitens. Sie haben die Möglichkeit der Freistellung für das DSD, die bislang automatisch entfiel, wenn bestimmte Mehrwegquoten nicht eingehalten werden, in eine lockere Kann-Bestimmung umgewandelt. Drittens. Sie haben entgegen der bisherigen Regelung keine Unterscheidung mehr zwischen stofflicher und energetischer Verwertung in Ihrem Entwurf vorgesehen. Sie haben die qualitativen Anforderungen an Verpackungen auf breiter Front zurückgefahren. ({7}) Die Dosenproblematik wird von Ihrer Seite überhaupt nicht angegangen. Es ist schon ein seltsamer Vorgang, daß Sie praktisch wieder ein Gutachten in Auftrag geben, ohne etwas zu tun. Wir fordern in der Abfallpolitik von Ihrer Seite Taten statt dauernd Entwürfe; denn diese erhöhen nur den Papierberg und den Wortmüll. Vielen Dank. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger. ({0}) - Entschuldigung, die Liste ist geändert worden, nicht aber das Exemplar, das mir vorliegt. Die Vereinbarung ist offenbar, daß Sie, Herr Kollege Dr. Jürgen Rochlitz, jetzt das Wort nehmen. Bitte.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002763, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nirgendwo sonst wird die defensive und farblose Umweltpolitik der Bundesregierung derart zur Schönfärberei gewendet wie in der Abfallpolitik. ({0}) Während der Vorgänger von Frau Merkel von einer Ankündigung zur nächsten hüpfte, nur um die angekündigten Vorlagen wieder in die Schubladen zu verbannen, ({1}) stolpert Frau Merkel von einer Selbstverpflichtungserklärung der Industrie zur nächsten und bemüht sich in Schönfärberei, wenn sie behauptet, der Weg in die Kreislaufwirtschaft habe begonnen und die Abfallpolitik diene gar als Impulsgeber für nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweise. Aber, meine Damen und Herren, die Schönfärberei beginnt schon bei den Abfalldaten. Im Zeitalter der Datenautobahnen ist es schlicht unverständlich und ein politischer Skandal, daß Anfang 1996 lediglich Abfalldaten von 1993 zur Verfügung stehen. ({2}) Wie wollen Sie denn, Herr Staatssekretär, eine vorausschauende Abfallpolitik gestalten, wenn Sie mit Ihren Daten drei Jahre hinterherhinken? Wie wollen Sie denn auf einer veralteten Datengrundlage auf die Situation im Land reagieren, wo die bestehenden Müllverbrennungsöfen nicht mehr ausgelastet sind, trotzdem neue geplant werden, ({3}) und wo die Bürgerinnen und Bürger für ihren Sammeleifer endlich Gebührenentlastungen verdient haben, Ihre Politik die Gebühren aber hochtreibt? Da faßt die Schönfärbe-Ministerin die Abfalldaten von drei Jahren zusammen. Das ergibt etwas höhere Steigerungsraten als das ehrliche herkömmliche Verfahren des Bezugs auf eine Jahresdifferenz. ({4}) - Hören Sie doch mal ganz ruhig zu, und regen Sie sich nicht so auf. Aber auch damit kann die Ministerin nicht verstekken, daß ausgerechnet im Hausmüllbereich bis 1993 die geringste Senkung der Abfallmengen von 4 Prozent pro Jahr zu verzeichnen war, neben einer völlig unakzeptablen Zunahme der Bauschuttmenge. 1995 wurden zusätzlich zu allen anderen Maßnahmen circa 4 Milliarden DM vom DSD allein dafür vereinnahmt, daß die Verpackungsabfälle mit dem Ziel der Hausmüllminderung getrennt behandelt werden. Pro Kopf wurden von den Bürgerinnen und Bürgern circa 50 DM abkassiert. Das Ergebnis, Herr Staatssekretär, ist so mager, daß nicht nur die Verpackungsverordnung selbst, sondern das gesamte DSD novelliert gehörte. ({5}) Selbst der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in seinem jüngsten Gutachten 1996 festhalten müssen: Das DSD ist noch weit von den Vorgaben entfernt. In der Tat: Die Menge des eingesammelten Verpackungsmülls stagniert auf hohem Niveau bei 4,7 Millionen Tonnen. Bei Kunststoffen, Verbundstoffen, Weißblech und Aluminium hat das DSD die Verwertungsquoten nicht erreicht. Der Mehrweganteil sinkt bundesweit. Die Dose ist auf dem Vormarsch. Anstatt über die Pfandpflicht nachzudenken - wäre sie hier: Die Umweltministerin würde dazu nur lächeln. Wir jedoch wollen endlich eine wirksame Verpakkungsverordnung, die weniger Verpackungsmüll zur Folge hat, die durch Mehrweg der Vermeidung Vorfahrt gibt. Dies ist jedoch nur möglich, wenn neben den noch nötigen Verwertungsquoten eine ökonomische Steuerung durch eine Verpackungsabfallabgabe eingeführt wird. Dies gilt übrigens auch für den Sondermüll. Hier müßte endlich eine Sondermüllabgabe wie in Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bremen eingeführt werden. ({6}) Mit der Abgabe auf den Verpackungsmüll müssen all jene Verpackungen belastet werden, die nicht ökologisch sinnvoll verwertet werden können. Auch müssen die Konsumentinnen und Konsumenten künftig weit besser informiert werden. Wir schlagen deswegen zusätzlich zum Grünen einen Roten Punkt vor, der diese steuerlich belasteten Verpackungen zieren soll. ({7}) - Dann machen Sie doch mit, Herr Kampeter! Ich fordere Sie auf mitzumachen. - Damit soll der Grüne Punkt nur noch den ökologisch sinnvollen, verwertbaren Verpackungen zugedacht werden. Herr Staatssekretär, mit Verpackungsabfällen könnte in der Tat ein umfassendes Kreislaufverwertungssystem aufgebaut werden, nachrangig zum ökologisch sinnvolleren Mehrwegsystem. Doch auch hier verläßt das Umweltministerium den Kreislaufpfad. 1994 wurden noch 55 Prozent der Kunststoffverpackungen nach China und Umgebung in äußerst dubiose Verwertungsanlagen exportiert. Seit dem letzten Jahr sind wir endgültig bei der Durchflußwirtschaft gelandet: Statt, wie vorgeschrieben, stofflich verwertet zu werden, landen die wertvollen Kunststoffe wie Dreck in den Hochöfen von Bremen und anderswo und verlieren dort ihre wertvolle Produktionsenergie ({8}) - hören Sie mir gut zu! -, die bei einer stofflichen Verwertung erhalten bliebe. ({9}) Damit wird dieses Verfahren insgesamt ein Verfahren der Energievergeudung und eines, welches letztlich zum Treibhauseffekt beiträgt. ({10}) Auch dazu hätte die Umweltministerin, wenn sie denn hier wäre, nur ein Lächeln übrig. Das traurigste Kapitel der Abfallpolitik ist jedoch die einseitige Festlegung der Bundesregierung über Kreislaufwirtschaftsgesetz und TASi auf die Durchflußwirtschaft durch die Müllverbrennung. ({11}) Dem Kreislaufwirtschaftsgesetz fehlt die streng verbindliche Prioritätsabfolge. - Herr Kampeter, lesen Sie es einmal genau nach. Sie fehlt dort: Vermeidung vor werkstofflicher Verwertung, werkstoffliche Verwertung vor rohstofflicher Verwertung, Nutzung als Ersatzbrennstoff und Beseitigung ganz zum Schluß. Ihm fehlen weiterhin stoffstrombezogene und produktbezogene Kreislaufführung. Weder ein Verzicht auf abfallträchtige Produkte und Produktionen noch die Bevorzugung langlebiger Produkte zum Beispiel in der öffentlichen Verwaltung oder in den Institutionen des Bundes noch die Erhöhung der Intensität der Produktnutzung wird auch nur ansatzweise berücksichtigt. Ja, schlimmer noch: Dem Gesetz fehlt sowohl das Primat der Ökologie als auch jeglicher Ansatz für eine Basis der Nachhaltigkeit. Auch jetzt würde die Umweltministerin nur lächeln, wenn sie hier wäre. Das Gesetz ist ein komplexer Torso geblieben. Die mit Hast zusammengebastelten Verordnungen werden weder von den Kommunen noch von den meisten Ländern rechtzeitig umgesetzt werden können. Eine Verschiebung des Inkrafttretens - es wurde schon davon gesprochen - wird damit unausweichlich. ({12}) Statt dazu die Rücknahme- und Verwertungsverordnung für Altautos und Elektronikschrott zu erlassen, werden auch in den Augen des Sachverständigenrates völlig unzulängliche freiwillige Vereinbarungen getroffen. Wir sehen ein: Die Regierung ist überfordert. Der Herr Staatssekretär ist überfordert. Die Frau Ministerin kommt nicht einmal zu dieser Abfalldebatte und ist überfordert. ({13}) Daher legen heute wir und nicht Sie, Herr Kampeter, die auch von den sechs Umweltweisen für erforderlich gehaltenen Verordnungen für Altautos und Elektronikschrott vor, ganz realpolitisch orientiert an den Schubladenvorlagen der Töpfer-Administration. ({14}) Nun, Herr Kampeter, zurück zu der Frage: Heiß oder kalt? Müllverbrennung oder mechanisch-biologische Behandlung? Ich bin versucht zu fordern - Herr Staatssekretär, Sie können das Ihrer Chefin weitergeben -: Gewähren Sie endlich Gedankenfreiheit! Öffnen Sie endlich den Markt und die Innovationsmöglichkeiten für biologische Verfahren! Lassen Sie Marktwirtschaft und Abbau unnötiger Regulierungen durch entsprechende Änderungen der TASi beim Glühverlust walten! Hier, Herr Kampeter, muß endlich Deregulierung stattfinden. ({15}) Nicht nur CDU-Bürgermeister - F.D.P.-Bürgermeister gibt es ja kaum noch - und CDU-Kreisräte an der vordersten abfallwirtschaftlichen Front würden es Ihnen danken ({16}) - auch Ihre, wenn Sie sie hätten, Frau Homburger -, wegen der niedrigen Müllgebühren allemal, aber auch angesichts der überall sichtbaren unausgelasteten Müllöfen. Aber die Kommunen in Osteuropa können sich keine Müllverbrennungsanlage leisten. Ihre Müllverbrennung ist das Abfackeln auf der Deponie. Fahren Sie einmal nach Ungarn oder Polen! Auch für sie müssen wir durch Forschungs- und Entwicklungsarbeiten den ökologischeren und billigeren Weg beschreiten. Der heißt nun einmal biologisch-mechanisches Behandeln. ({17}) Wenn wir nicht in diesem Sinne den Kommunen in Osteuropa helfen, wird sich die Methode der Müllverbrennungsdeponien dort nicht ändern, dann geht es weiter so. Herr Staatssekretär, auch das können Sie Ihrer Ministerin ausrichten, und das ist nicht zum Lachen: Lassen Sie sich nicht weiter auf naturwissenschaftlich falscher Basis vom Wasser-Boden-Luft-Institut des Umweltbundesamtes beeinflussen! Die naturwissenschaftliche Scharlatanerie, die dort geboten wird, haben wir uns im Umweltausschuß anhören können. In der Tat, Herr Kampeter, auf unseren Wunsch hin ist der entsprechende Mann eingeladen worden. Lassen Sie sich nicht weiter weismachen, daß selbst Hochtemperaturverbrennungen ohne zusätzliche fossile Energieträger bewerkstelligt werden könnten! ({18}) - Es ist falsch, was Herr Dr. Hahn sagt. ({19}) Es gibt keine Müllverbrennungsanlage, jedenfalls nicht in Deutschland, die auf die Zufeuerung fossiler Energieträger verzichten könnte, allein wegen der Vorgaben der 17. BImSchV. Deswegen gibt es nur einen nachhaltigen umweltverträglichen und zukunftsfähigen Weg aus der Abfallmisere, und das ist vermeiden, vermeiden und nochmals vermeiden und weniger verbrennen, aber mehr biologisch-mechanisch behandeln. ({20}) Erlauben Sie mir zum Ende noch eine Anmerkung zum Punkt Altlasten. Wir haben einen Antrag vorgelegt, daß an sechs Standorten, wo im Zweiten Weltkrieg flüssige Kampfmittel gelagert wurden, filigranhafte Dioxin- und Arsenmessungen durchgeführt werden. Wir halten es für dringend erforderlich, daß dies geschieht, möglichst noch in diesem Jahr, allein aus Gründen des vorsorgenden Gesundheitsschutzes hinsichtlich der anliegenden Bevölkerung. Wahrscheinlich muß auf der Basis solcher Messungen auch ganz dringend ein Sanierungsplan entworfen werden. Kümmern Sie sich bitte zusammen mit uns um diese sechs Standorte! Hier ist möglicherweise Gefahr im Verzug. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({21})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile der Abgeordneten Birgit Homburger das Wort.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Caspers-Merk hat vorhin gesagt, wir sollten endlich Taten folgen lassen. Das ist in den vergangenen Jahren geschehen. Wir haben das hier schon mehrfach debattiert. Unsere Abfallvermeidungspolitik ist erfolgreich; ({0}) sowohl Hausmüll als auch Sonderabfälle sind deutlich zurückgegangen. ({1}) Gleichzeitig sind die Verwertungsquoten gestiegen. Das belegt das Statistische Bundesamt genauso wie das Umweltbundesamt. ({2}) Da kann man nur sagen: Wenn jetzt die Sachlage die ist, daß der ursprüngliche Zusatzbedarf von 100 Hausmüllverbrennungsanlagen zwischenzeitlich vom Umweltbundesamt auf nur noch 50 geschätzt wird - Sie haben das vorhin selber angesprochen -, dann ist das einfach ein Erfolg. Dann bedeutet das nämlich ganz konkret, daß die Kommunen und letztlich die Gebührenzahler von Investitionen in einer Größenordnung von 25 Milliarden DM entlastet werden, weil wir nämlich schlicht 50 Hausmüllverbrennungsanlagen nicht mehr bauen müssen. ({3}) Angesichts der nicht ausgelasteten Kapazitäten sind in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel alle Neubaupläne für Sondermüllverbrennungsanlagen gestoppt worden. Wenn sich das jetzt die grüne Umweltministerin zuschreibt, dann schmückt sie sich schlicht mit fremden Federn. ({4}) Nicht ausgelastete Anlagen sind teuer. Kommunen müssen deshalb stärker kooperieren, um die Anlagen effektiver zu nutzen. Darüber hinaus muß man sich beispielsweise darüber Gedanken machen, die Abfuhrrhythmen den rückläufigen Hausmüllmengen anzupassen, denn auch die kommunalen Gebührensysteme müssen letztendlich Müllvermeidung belohnen. Alle Potentiale müssen ausgeschöpft werden, um die Abfallgebühren nicht weiter steigen zu lassen. Hier haben auch Kommunen und Länder eine große Verantwortung. ({5}) Ich kann der SPD und den Grünen nur sagen, daß sie falsch liegen, wenn sie mit ideologischer Verbissenheit - ich komme jetzt auf das, was Sie zum Schluß angesprochen haben, Herr Kollege Rochlitz, wir haben gestern im Ausschuß die Anhörung gehabt und darüber debattieren können - die kalte Rotte als Alternative zur Müllverbrennung forcieren. Wer nachhaltige Entwicklung will, wer den nachfolgenden Generationen keine ökologischen und finanziellen Altlasten überlassen will, der kann nicht mehr auf Deponien setzen, die 30 Jahre lang faulen, Methangas emittieren, schadstoffhaltige Sickerwasser produzieren und enorme Nachsorgekosten verursachen. ({6}) Sie argumentieren immer mit dem Gutachten des Umweltsachverständigenrates. Es bestätigt die Haltung der Bundesregierung, die TA Siedlungsabfall nicht zu verändern. Sie können sich nicht immer nur das heraussuchen, was Sie gerade interessiert und was Ihnen gerade paßt, sondern müssen auch einmal den Rest lesen. ({7}) Die sogenannten kalten Verfahren können einen wichtigen Beitrag als vorgeschaltete Ergänzung leisten - das bestreitet ja keiner -, indem sie die Abfallmengen, die letztlich in der Verbrennung und auf der Deponie landen, weiter reduzieren. So herum wird ein Schuh daraus. Wenn Sie aber das eine durch das andere ersetzen, werden Sie keiner Anforderung gerecht. Für Sonderabfallabgaben - jetzt komme ich zum nächsten Punkt, den Sie hier angeführt haben -, wie sie in einigen Ländern erhoben werden und wie sie die Grünen heute wieder bundesweit fordern, besteht angesichts dieser positiven Entwicklung überhaupt keine Berechtigung mehr. Auch hier sieht der Sachverständigenrat grundsätzlichen Änderungsbedarf. Ich sage Ihnen nur eines - und da werden wir wahrscheinlich immer unterschiedlicher Meinung sein -: Die F.D.P. lehnt eine solche Art des Abkassierens ab. Das ist genau Ihr Kennzeichen; das zeigt sich auch wieder in den jetzigen Anträgen: Der Staat soll kassieren und damit Wohltaten verteilen. Sie fordern heute eine Sonderabfallabgabe, eine Verpakkungsabgabe, ein Stoffflußgesetz. Sie wollen alles durch und durch vom Staat organisieren. Sie sind staatsgläubig. Wir haben ein anderes Verständnis davon, wie man das organisieren sollte. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir wollen die Abgabenlast senken und nicht durch neue, unnötige Sonderabgaben für Bürgerinnen und Bürger erhöhen. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Rochlitz?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002763, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Homburger, ich nehme an, daß Sie auch ein bißchen an den Koalitionsgesprächen jetzt in Stuttgart beteiligt sind. Da würde mich interessieren, ob Ihre Ausführungen so zu interpretieren sind, daß Sie dort dafür eintreten werden, daß die in Baden-Württemberg vor einiger Zeit eingeführte Sondermüllabgabe abgeschafft wird.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Rochlitz, ich will Ihnen dazu eines sagen: Wenn wir eine Entwicklung haben, daß die Abfallmengen rückläufig sind, daß auch die Sonderabfallmengen rückläufig sind, und wenn wir erreichen wollen, daß eine Abgabe in eine bestimmte Richtung lenkt, und wenn der Lenkungseffekt eingetreten ist, dann muß man sich darüber unterhalten, ob die betreffende Abgabe weiter notwendig ist oder nicht. ({0}) Ich habe hier überhaupt nicht dafür plädiert, irgend etwas abzuschaffen. Ich sage Ihnen nur, daß es unnötig ist, auf Bundesebene noch etwas obendrauf zu setzen. Ich sage Ihnen auch, daß die Abfallpolitik der letzten Jahre in Baden-Württemberg, was den Sonderabfall angeht, insbesondere das, was in den letzten zwei Jahren gemacht wurde, völlig verfehlt war. ({1}) Wir haben hier auf Bitten der Politik privatwirtschaftliche Strukturen geschaffen, die funktioniert haben. Es war eine funktionierende Sondermüllentsorgung da. Was wir jetzt haben, ist die Andienungspflicht, ist ein Vertrag mit Hamburg. Jetzt wird der ganze Dreck von Baden-Württemberg nach Hamburg gekarrt, weil das so ökologisch ist, das alles da hochzufahren, statt regional zu entsorgen, wie es bisher war. Das Ganze kostet die Wirtschaft mehr, bringt aber der Umwelt überhaupt nichts, wirkt unter dem Strich sogar negativ. So kann es nicht sein. Dagegen wehre ich mich. Deswegen sage ich: Wir müssen dort, wo es Änderungen gegeben hat, durch eine vernünftige Politik diese Änderungen prüfen und dann auch zur Kenntnis nehmen, daß bestimmte Dinge nicht mehr so sein müssen, wie Sie es fordern. ({2}) Trotz der positiven Bilanz besteht noch Handlungsund Korrekturbedarf. Da sind wir wieder an einem Punkt, in dem wir in unseren Ansichten vielleicht ein bißchen näher beieinander sind. In der Entsorgungswirtschaft muß mehr Wettbewerb geschaffen werden, die Produktverantwortung muß verwirklicht werden, ({3}) das Mehrwegsystem muß stabilisiert werden, und die Novellierung der Verpackungsverordnung ist notwendig, um erstens bessere Sanktionen gegen Trittbrettfahrer zu schaffen. Da scheint Einigkeit zu herrschen. Es ist ein Skandal, daß die Bundesländer nicht im Traum daran denken, diejenigen, die ohne Lizenzentgelt ihre Verpackungen vom Dualen System entsorgen lassen, zur Rechenschaft zu ziehen. Schon nach der geltenden Rechtslage sind diese Firmen zur Rücknahme ihrer Verpackungen verpflichtet; nur kümmert sich keine Vollzugsbehörde darum. Das ist bewußte Verweigerung, und deswegen sage ich: Wir müssen die Jäger zum Jagen tragen. Zweitens ist nach Ansicht der F.D.P. mehr Wettbewerb in der Entsorgungswirtschaft zu verwirklichen. Wichtige Elemente, wie kürzere Vertragslaufzeiten, Ausschreibungspflichten und Kostentransparenz sind ja unter anderem auf Druck der F.D.P. im Entwurf des Bundesumweltministeriums enthalten. Wir werden jetzt sorgsam prüfen, ob dies ausreicht. Im übrigen ist es nicht so, daß erst jetzt eine Anhörung stattgefunden hätte. Das war schon im letzten Jahr ein ständiger Kommunikationsprozeß, so daß man also überhaupt nicht sagen kann, daß erst jetzt irgend etwas gemacht oder zusammengeschustert worden sei. Vielmehr hat man sehr intensiv mit den beteiligten Kreisen diskutiert. Dazu kommt allerdings auch einiges, was man noch weiter überprüfen muß. Zum Beispiel geht die Abgrenzung des Tätigkeitsbereiches des Dualen Systems zu dem gewerblichen Bereich in dem Entwurf zur Novellierung der Verpackungsverordnung jetzt weit über die Definition des Bundeskartellamtes hinaus. Ich sage ganz klar und deutlich: Hier sehe ich Nachbesserungsbedarf. Ich sage für die F.D.P., daß wir keinerlei Interesse daran haben, das Duale System noch auszudehnen. Wir wollen auch in Zukunft Märkte für Entsorger außerhalb des Dualen Systems erhalten. Deswegen ist es wichtig, an der Stelle noch einmal über die Definition zu reden. Die Frage der Quoten ist ein schwieriges Feld. Wer dazu im übrigen die sehr nachdenklichen Ausführungen des Umweltsachverständigenrats nachliest, wird sich vor schnellen Patentrezepten hüten müssen. Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz haben wir den Vorrang für die ökologisch wertvollere Verwertung gesetzt. An diesem Maßstab müssen sich Quoten ausrichten. Deshalb warne ich vor Schnellschüssen. Für die F.D.P. steht auch fest: Wo wir mit Quoten Vertrauenstatbestände geschaffen haben, wo Investitionen getätigt und Arbeitsplätze geschaffen wurden, müssen wir Verläßlichkeit beweisen. Das hat der Kollege Kampeter vorher zu Recht schon angesprochen. Radikale Forderungen nach Abschaffung aller Quoten in der Verpackungsordnung finden daher nicht unsere Zustimmung. Nur muß man sagen: Derart differenzierte Betrachtungen sind den Grünen wegen ideologischer Scheuklappen immer noch nicht zugänglich. Ihre starren Prioritäten - Sie haben es eben wieder vorgetragen -lauten: werkstoffliche, rohstoffliche und energetische Verwertung ohne Differenzierung nach Materialien. Das ist wissenschaftlich in keiner Weise begründet. Ihr Hauptzeuge, der Umweltsachverständigenrat, plädiert sogar dafür, je nach Rohstoffqualität Verpakkungsabfälle in Müllverbrennungsanlagen mit Abwärmenutzung zu verbrennen. Ich habe allerdings nicht die Hoffnung, daß Sie dies dazu bringt, Ihre Positionen einmal zu überdenken. Hier zeigt sich das Problem der Grünen. Ideologie behindert die Vernunft. Die F.D.P. zieht rationale Umweltpolitik vor. ({4}) Deshalb sehe ich auch keinen Grund, das Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaftsgesetzes zu verschieben und es zu novellieren, wie es die Grünen wollen. Aber ich stimme darin zu, daß die untergesetzlichen Vollzugsregelungen sehr spät kommen, so daß Wirtschaft und Behörden kaum Vorbereitungszeit haben. Das liegt an vielem. Aber ich sage dazu auch: Es wäre schneller gegangen, wenn sich die Länder nicht so heftig gegen die von uns beabsichtigte Verfahrensvereinfachung und Entbürokratisierung gewehrt hätten. Sie wollen durch die Genehmigungspflichten weiterhin die Abfälle in ihre landeseigenen Anlagen zu Lasten der privatwirtschaftlichen Anlagen und ihren Arbeitsplätzen lenken. Ein Beispiel habe ich genannt: Baden-Württemberg. Ein anderes Beispiel hierzu wäre Niedersachsen. Besonders dreist ist es, sich dazu gesetzlicher Andienungspflichten zu bedienen. Da muß man einfach ganz klar festhalten: Es ist nicht Aufgabe des Staates, der Privatwirtschaft Konkurrenz zu machen. Beim Ausbau der Produktverantwortung sind wir entscheidende Schritte vorangekommen. Eine erste Selbstverpflichtung für die kostenlose Rücknahme von Elektronikschrott im Bereich der Bürokommunikationsgeräte liegt vor. Die schlanke Begleitverordnung ist in Vorbereitung. Ich hoffe sehr, daß für die weiße und braune Ware bald ähnliche Regelungen gefunden werden. Ich muß aber auch sagen: Der von den Grünen vorgelegte Entwurf einer Elektronikschrott-Verordnung ist schon ganz wunderbar. Er hat nur einen einzigen Fehler: Die Lösung für alle Produkte funktioniert nicht. Man kann eben nicht hergehen und sagen: Wir machen das realpolitisch und schreiben so ab, wie wir es uns ganz in den Anfängen gedacht haben. Man muß schon die Entwicklung mit sehen. Dort hat sich ganz klar gezeigt, daß eine Lösung für alle Produkte nicht funktioniert. Kurzlebige und langlebige Produkte oder kleine und große, unterschiedliche Hersteller und Vertriebsstrukturen lassen sich nicht in einen Topf werfen. Das ist doch der Grund für die Verzögerungen. Wer dies ignoriert, hat schlicht eine ganz grenzenlose wirtschaftliche Naivität.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Altmann?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gilt Ihre Kritik, die Sie gerade zur Elektronikschrott-Verordnung vorgebracht haben, auch für den von den Grünen vorgelegten Entwurf zur Altautoverordnung?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich sage Ihnen ganz deutlich, daß wir bei den Vorlagen, die Sie machen - und das gilt ganz generell, da brauchen Sie nicht nur die zwei zu nehmen -, ständig neue Genehmigungsverfahren, ständig neue Überwachungen, ständig neue Vorschriften und eine Regulierungsflut ohne Ende feststellen, die der Umwelt in keiner Weise nützt. Deswegen bleibt im wesentlichen für alle Ihre Anträge, die Sie hier stellen, festzuhalten, daß Sie immer mehr Staat wollen und immer mehr Regulierung, aber letztlich der Umwelt damit nicht besonders nützen. ({0}) - Nein, das ist mir schon klar. Ich sage nur, es gilt generell. Man kann nachweisen - das habe ich Ihnen in den letzten Debatten, die wir hier geführt haben, an Hand von einzelnen Anträgen immer wieder gezeigt -, daß das unnötig und überbürokratisiert ist. Dabei bleibe ich auch, und ich denke, daß das Ihr Kennzeichen, Ihr Markenzeichen ist und weiter bleibt. Über das, was Sie aktuell vom Umweltministerium abschreiben, kann man sich im einzelnen noch einmal unterhalten. Aber darüber haben wir noch nicht im einzelnen diskutiert. Es bleibt dabei: Eine Lösung für alle Produkte funktioniert schlicht und ergreifend nicht. Das ist einfach eine Feststellung. Deswegen ist das, was Sie jetzt vorgelegt haben, einfach keine Lösung. Das gleiche gilt für die von der SPD vorgeschlagene Getränkemehrwegverordnung. Ihr Entwurf ist letztlich ein Placebo; denn Sie wissen ganz genau, daß dieser Entwurf bei der EG-Kommission keine Chance hätte. Dies hat sie schon 1991 zu dem damaligen Entwurf von Minister Töpfer klar gesagt, und das gilt erst recht, nachdem wir eine EG-Verpakkungsrichtlinie haben. Die Gefährdung des Mehrwegsystems durch den Vormarsch des Dosenbieres nimmt die F.D.P. allerdings sehr ernst. ({1}) Deshalb suchen wir auch nach einem Instrument, das hilft und das zulässig ist. Mit Illusionen ist den mittelständischen Brauereien, die einem Verdrängungswettbewerb auch - nicht nur, aber auch - durch Dumpingpreise für Dosenbier ausgesetzt sind, nicht geholfen. Das Beispiel Schweden wie auch ein Sachverständigengutachten zeigen, daß das Pfand nicht hilft, sondern sogar kontraproduktiv wirken würde. Für den Handel, dem hier die Hauptverantwortung zufällt, wird Einweg mit Pfand vorteilhafter sein. Deshalb ist es richtig, über zusätzliche Instrumente nachzudenken. Das tun wir auch gerade, das wissen Sie, das haben wir ja auch schon besprochen. Dies sollten wir allerdings gemeinsam tun, weil wir wissen, daß das, was bisher in der Verpackungsverordnung steht, an dieser Stelle mit Sicherheit nicht reicht. Wir werden diese Debatte im Ausschuß fortsetzen. Dabei wird die F.D.P. weiter für eine rationale Umweltpolitik eintreten, mit der wir erfolgreich waren und sind. Ideologie und Hysterie überlassen wir gern der grün-roten Opposition. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Abgeordneten Gila Altmann.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Homburger, Sie haben dankenswerterweise gerade auch ausführlich die Anträge zur Altautoverordnung kritisiert. Ich möchte Sie nur davon in Kenntnis setzen, daß wir wortwörtlich die Altautoverordnung der CDU/CSU eingebracht haben. Insofern kann ich das eigentlich nur als eine Kritik an der Koalition werten. Ansonsten bleibt mir der Sinn Ihrer Ausführungen verborgen. Wir können eigentlich nur sagen, daß die Verordnung von 1994, die Herr Töpfer damals eingebracht hat, aus unserer Sicht richtige Punkte enthält, ein Schritt in die richtige Richtung ist, und wir bedauern, daß dieser Sinneswandel hinsichtlich dieser Kuhhändel, die sich bei Ihnen dann Selbstverpflichtungen nennen, stattgefunden hat. Insofern möchten wir Ihnen gern ein bißchen beim Regieren helfen und haben die Verordnung eingebracht. Nun haben wir gehört, daß die F.D.P. innerhalb der Koalition scharfe Kritik daran übt. Jetzt wird es etwas klarer. Ich kann Ihnen nur ankündigen: Über den Bundesrat werden wir hoffentlich zu einer Altautoverordnung mit dem Gedankengut der CDU kommen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin Homburger, Sie können darauf antworten.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe Ihnen, Frau Kollegin, meine Antwort schon vorher klargemacht: Mir ist vollkommen bewußt, daß Sie an manchen Stellen schlicht abschreiben. Aber ich habe auch deutlich gemacht, daß wir die Altautoverordnung, so wie sie vorliegt, noch nicht endgültig debattiert haben, nicht endgültig besprochen haben und daß wir an der einen oder anderen Stelle auch darüber diskutieren müssen, ob es so bleibt oder nicht. Im übrigen hat das mit einem Kuhhandel, wie Sie das nennen, überhaupt nichts zu tun. Wenn wir eine Lösung im Wege der Selbstverpflichtung finden und eine zusätzliche Regulierung von Staats wegen nicht brauchen, dann ist es erfreulich, daß es einen Sinneswandel derjenigen gibt, die diese Selbstverpflichtung anbieten. Es gibt in der Bundesrepublik also offensichtlich Entwicklungen, in deren Zuge sich die Produzenten Gedanken über Abfallvermeidung und Abfallverwertung machen und Entsprechendes anbieten. Daß das natürlich nur erfolgt ist, weil wir in der Vergangenheit damit gedroht haben, daß wir ansonsten gesetzliche Maßnahmen ergreifen oder Verordnungen erlassen, ist uns völlig klar. Deswegen haben wir das oft genug angedroht für den Fall, daß nichts kommt. Aber wenn dann eine vernünftige Selbstverpflichtung eingegangen wird, die unseren Anforderungen entspricht, dann sollte man sie annehmen. Ich halte überhaupt nichts davon - wie Sie das bei der Elektronikschrott-Verordnung von 1991 gemacht haben -, alte Entwürfe einzubringen, wenn man doch ganz genau weiß, daß eine solche Lösung derzeit wegen der Komplexität des Problems, wegen der unterschiedlichen Vertriebswege, der unterschiedlichen Größen, der unterschiedlichen Materialien so nicht möglich ist. ({0}) - Beim Elektronikschrott; ich bin beim Elektronikschrott, Herr Kollege. Insofern bleibe ich bei den Aussagen, die ich vorher getroffen habe. Das, was die Grünen vorgelegt haben, ist schlicht und ergreifend illusorisch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun erteile ich der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das nunmehr seit einem Jahr vorliegende Sondergutachten Altlasten macht vor allem eines deutlich: Auch ein wissenschaftlich- technologisch hochstehendes Land wie die Bundesrepublik kann kaum erahnen, welches ökologische Erbe es tatsächlich mit sich herumschleppt. Was in Ost und West während jahrzehntelanger ungetrübter Wachstumseuphorie nebenbei in die Böden versikkerte, was letztlich ins Grundwasser und gegebenenfalls wieder in die Nahrungskette gelangte oder gelangen wird, das alles ist oft nur sehr vage bekannt. Das Sondergutachten spricht von fehlenden soliden Daten. Der Umweltrat stellt fest, daß sich das Ausmaß der Grundwassergefährdung nicht erkennen läßt. Dabei stecke die Erfassung von Altlastenstandorten noch in der Anfangsphase. In welcher Phase stecken dann die Sicherung von Grundwasser und die Reinigung kontaminierter Böden? Bei der Finanzierung von Altlastensanierungen gibt es immer wieder ein böses Erwachen. Firmen existieren nicht mehr oder sind nicht regreßpflichtig zu machen. Bezahlen müssen es demzufolge die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Ungeachtet dessen läßt das lang angekündigte Bodenschutzgesetz und sein untergesetzliches Regelwerk immer noch auf sich warten. Es wird aber höchste Zeit, daß das Altlastenmanagement endlich eine klare und bundeseinheitliche gesetzliche Grundlage bekommt. Handlungsbedarf besteht laut Umweltrat beispielsweise in der Qualitätssicherung, bei der Altlastenanalytik oder bei einheitlichen toxikologischen Kriterien für die Bewertung duldbarer Aufnahmemengen von Schadstoffen. Der beste Bodenschutz - und damit Trinkwasser-, Biotop- und Gesundheitsschutz - ist allerdings die Verhinderung der Verschmutzungen. Dies erfordert unter anderem eine tatsächliche Kreislaufwirtschaft, die die Vermeidung von Abfällen und die Vermeidung der Produktion sinnloser oder gefährlicher Produkte in den Mittelpunkt stellt. Ein halbes Jahr vor Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes treten dessen offensichtliche Mängel deutlich zutage. Der Kreislaufgedanke wurde in wesentlichen Teilen den Interessen der Entsorgungswirtschaft geopfert. Unsicherheit herrscht über den Gesetzesvollzug. Dies wurde hier schon diskutiert. So wird die Gleichstellung von stofflicher und energetischer Verwertung von Abfällen in Verbindung mit den Forderungen der TA Siedlungsabfall für ein gigantisches Müllverbrennungsprogramm sorgen. Wesentliche Inhalte des neuen Abfallrechtes wurden nicht im Gesetz verankert, sondern sollen über den Verordnungsweg, und zwar am Parlament vorbei, geregelt werden. So weiß im Moment kaum jemand, was in Zukunft abfallrechtlich gehauen und gestochen wird. Ich bin gespannt, wie die Bundesregierung bis Oktober die zahlreichen Verordnungen noch aus dem Boden stampfen will. Der Umweltrat hat in seinem Jahresgutachten 1996 mehrfach auf die Problematik hingewiesen, übrigens auch darauf, daß sogar schon seit der 10. Wahlperiode für 17 Regelungsbereiche Verordnungen zur Ausgestaltung des noch gültigen Abfallgesetzes einer Verabschiedung harren; die modern wahrscheinlich schon. So kann man wohl getrost davon ausgehen, daß für die Wirtschaft empfindliche Bereiche des Abfallrechts auch nach Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ungeregelt bleiben. Wie bei den Altlasten ist im übrigen die Datenlage in der Abfallentsorgung weiterhin unbefriedigend. Herr Kollege Rochlitz hat dazu ja schon einiges gesagt. Für mich liegt die Frage nahe, wieviel des offiziell 19prozentigen Rückgangs des Abfallaufkommens der Bundesrepublik von 1990 bis 1993 tatsächlich Realität ist. Weiterhin gilt der Versatz von Abfällen unter Tage nicht als Endlagerung von Abfällen, sondern als Verwertung. So werden letztlich auch Abfallstatistiken gefälscht. Die Untertageversetzung ist aber nicht nur eine Frage der Statistik. Für die Langzeitsicherheit der verbrachten Abfälle müssen nämlich nach dem dabei geltenden Bergrecht nicht die strengen Nachweise des Abfall- und Immissionsschutzrechtes erbracht werden. Durch die geringeren Kosten dieser riskanten Einlagerungen wird zudem der Vermeidungsgrundsatz unterlaufen. Zur Novellierung der Verpackungsverordnung: Auch im Referentenentwurf der Bundesregierung vermissen wir wie im Kreislaufwirtschaftsgesetz die Zielhierarchie Vermeidung vor werkstofflicher Verwertung, diese vor rohstofflicher Verwertung und diese vor thermischer Verwertung. Aber das wundert mich nicht mehr, wenn der Kollege Kampeter den Grünen Punkt als die größte Umweltbewegung bezeichnet. ({0}) - Wir sind da natürlich anderer Meinung; aber das ist normal. - Durch die auch hier wieder quasi festgeschriebene Gleichrangigkeit von thermischer und stofflicher Verwertung werden Vermeidungsanstrengungen unterlaufen. Die im Referentenentwurf enthaltenen Regelungen, nach denen die erneute Verwendung oder stoffliche Verwertung von den technischen Möglichkeiten, der wirtschaftlichen Zumutbarkeit und dem vorEva Bulling-Schröter handenen Markt abhängig gemacht werden, lassen die Verordnung an dieser Stelle noch hinter der alten zurückfallen. Bisher existierende Pflichten zur Vermeidung von Verpackungsvolumina und Verpakkungsgewichten werden durch die schwammige und beliebig interpretierbare Formulierung „Beschränkung auf das unmittelbar notwendige Maß" ersetzt. Die „Verschlimmbesserung", wie sie der BUND nennt, geht noch weiter: Bei Unterschreitung der Mehrwegquote wird es künftig in den Bundesländern keine verbindlichen Sanktionen mehr geben können. Nachdem der Dosenanteil in der letzten Zeit beständig gestiegen war, wird nun zum Sturm auf das Mehrwegsystem geblasen. Augenscheinlich hat die Dosenlobby in Bonn mit am Referententisch gesessen. Das führt dazu, daß sich zum Beispiel der bayerische Brauereibund mit dem BUND und seiner Anti-Dosenkampagne verbündet. Weil Bier aus Dosen in Bayern eigentlich eine Sünde ist, sollte sich die CSU hier schon ein bißchen einsetzen. ({1}) Sie sind doch die Mittelstandsparteien. Dann retten Sie die bayerischen Brauereien doch endlich! ({2}) Auch die Senkung der Wiederverwertungsquoten ist eine Referenz an die geringe Leistungsfähigkeit des dubiosen Dualen Systems. Notwendig wären eine Angebotspflicht für Mehrwegverpackungen, ein Verbot umweltschädlicher Verpackungen, verbindliche Mehrwegquoten und ein Zwangspfand für Verpackungen. Diese in einer Mehrwegverordnung zu regelnden Vorgaben könnten vielleicht auch großen Konzernen wie Aldi klarmachen, daß man sein Geld nicht auf dem Rücken der Umwelt verdienen sollte. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention bekommt der Abgeordnete Kampeter das Wort.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorrednerin hat den Eindruck erweckt, es sei politisches Anliegen der Koalition, in irgendeiner Art und Weise das Mehrwegsystem politisch zu zerstören. Ich möchte an dieser Stelle nur noch kurz deutlich machen, daß sowohl im Entwurf der Verpackungsverordnung als auch in den Überlegungen der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion gerade der Schutz des Mehrwegsystems ein zentraler Ansatzpunkt ist. Wir müssen uns nur alle in diesem Haus darüber im klaren sein, daß die derzeit bestehende Sanktion, das Pflichtpfand, mit einem hohen Problempotential behaftet ist, und wir müssen gemeinsam überlegen, ob wir nicht wirkungsvollere Sanktionen verhängen können. Ich biete an beispielsweise auch einmal darüber nachzudenken, ob es nicht eine wirkungsvollere Sanktion ist, diejenigen Getränkeverpackungen von der Befreiungsoption des Dualen Systems auszuschließen und direkt rücknahmepflichtig zu machen, bei denen die Mehrwegquote im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre den 72-ProzentAnteil unterschreitet. Die Diskussion mit den Ländern ist noch nicht abgeschlossen, aber unser Anliegen - um das noch einmal deutlich zu machen - ist die politische Stützung der Mehrwegsysteme unter der Prämisse, daß die jeweils ökologisch vorteilhafte Verpackung auch vom Konsumenten wirkungsvoll eingesetzt wird.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau BullingSchröter, Sie können darauf antworten.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kampeter, ich bedanke mich für diese Aussage und gehe davon aus, daß Sie natürlich etwas gegen die Dosenflut tun werden und die Brauereien, egal ob in Bayern oder woanders, vor dem Aussterben schützen werden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Walter Hirche das Wort.

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst für die kurze Verspätung entschuldigen. Vielleicht ist es auch anderen schon einmal passiert, daß sie nicht so ganz flüssig durchgekommen sind. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz ist seinerzeit im Vermittlungsverfahren zustande gekommen. Ich erinnere daran, daß es von diesem Hohen Hause einstimmig angenommen wurde. Wenn ich mir die Anträge und Forderungen zu der heutigen Debatte ansehe, dann möchte ich sagen: Gott sei Dank. Einige haben jedoch vergessen, daß diese Einstimmigkeit bestanden hat. Ich sage dies, weil ich hoffe und an alle appelliere, daß der im Vermittlungsausschuß gefundene Grundkonsens Bestand hat und es nicht noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zu einer Novellierungsdebatte kommt. Das wäre nicht nur unproduktiv, sondern sogar kontraproduktiv, weil es verhindern würde, daß sich die beteiligten Kreise auf das Inkrafttreten des Gesetzes und die neue Rechtslage einrichten. Nicht das Gesetz an sich, sondern natürlich erst seine Umsetzung schafft die Kreisläufe, die wir brauchen. Die Bundesregierung wird in Umsetzung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes alles dazu tun, daß die für den Vollzug des Gesetzes erforderlichen Verordnungen zum Inkrafttreten am 7. Oktober dieses Jahres vorliegen. Die bisherigen Abstimmungen der seit längerem vorliegenden Entwürfe mit den Ländern und den beteiligten Kreisen ermutigen mich zu dieser Aussage; denn diese Gespräche mit den Ländern finden seit einem Jahr statt. Mit den Begleitverordnungen, dem sogenannten untergesetzlichen Regelwerk, wird im übrigen überwiegend kein Neuland betreten. Sie bauen im wesentlichen auf dem geltenden Recht auf und setzen lediglich eine Rechtslage um, die 1991 durch die Europäische Gemeinschaft geschaffen wurde. Die neuen Verordnungen zur Bestimmung und zum Nachweis von Abfällen müssen zwar die Abfallisten der Europäischen Gemeinschaft umsetzen und insoweit neue Nomenklaturen einführen, die Überwachungsmittel entsprechen jedoch weitgehend dem bekannten und eingeführten Verfahren. Die Bundesregierung ist bemüht, im Sinne einer allseits geforderten Deregulierung die Nachweisverfahren so weit wie möglich zu entschlacken, ohne daß die notwendigen Kontrollaufgaben beeinträchtigt werden. Im Prinzip möchten wir in der Tat lieber Anzeige- als Genehmigungsverfahren. Über diese Diskussion der Vereinfachung gibt es mit den Ländern ein intensives Gespräch. Wir sind davon ausgegangen, daß die Länder ein Interesse daran haben müssen, angesichts der Situation der öffentlichen Finanzen auch ihre Umweltverwaltungen zu entschlakken und auf das Notwendige zu beschränken. Bei der Verordnung über Entsorgerfachbetriebe und Entsorgergemeinschaften betritt die Bundesregierung kein völliges Neuland. Auditierung und Zertifizierung finden in vielen Bereichen statt. Hier kommt es darauf an - Herr Kampeter hat zu Beginn darauf hingewiesen -, eine ausgewogene Lösung zwischen den für die Entsorgungsbetriebe vorgesehenen Verfahrenserleichterungen und den Anforderungen an Fachkunde und Zuverlässigkeit zu finden. Wenn hier heute Anträge gestellt werden, eine Sonderabfallabgabe einzuführen und die Technische Anleitung Siedlungsabfall auszuhebeln, so hoffe ich, daß der Deutsche Bundestag diesen Bestrebungen eine klare Absage erteilt. ({0}) Die gestrige Anhörung im Umweltausschuß hat eine klare Bestätigung der Position der Bundesregierung ergeben, übrigens auch durch den von den Grünen benannten Sachverständigen. Ich betrachte es schon als ein Stück aus dem Tollhaus, daß Herr Rochlitz diesem Sachverständigen, einem Mann, der sich hier nicht wehren kann, Scharlatanerie vorwirft und für sich in Anspruch nimmt, er wisse es ganz genau, obwohl er im Zusammenhang mit den Abfalldaten deutlich macht, daß er noch nicht einmal weiß, wie eine Abfallstatistik entsteht und daß die Länder zuständig sind und das Statistische Bundesamt die Ermittlungen zusammenfaßt. ({1}) Wer im Kleinen nicht Bescheid weiß, sollte sich zurückhalten, andere zu beschimpfen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Caspers-Merk?

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Selbstverständlich. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Rochlitz, Sie können sich so lange hinsetzen. Sie sind noch gar nicht an der Reihe.

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn Sie hier formulieren, daß das Ergebnis der gestrigen Anhörung eindeutig und die Position der Bundesregierung zu TA Siedlungsabfall bestätigt worden sei, sind Sie dann auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Umweltbundesamt in seiner Stellungnahme ganz deutlich gemacht hat, daß weiterhin an einem Parameter gearbeitet wird, der die kalte Rotte zumindest möglich macht und diesen Innovationspfad nicht verschüttet? Es gibt ja im Moment ein Forschungsprojekt, das mit 14 Millionen DM aus Mitteln des BMFT gefördert wird.

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Frau Kollegin, es ist sicher richtig und auch guter Brauch, daß es auch dann, wenn eine Sache im Augenblick auf Grund der Expertenaussagen völlig klar ist, nicht verboten sein sollte, weiter nachzudenken. Nur so sind ja Entwicklungen insgesamt vorangegangen. ({0}) Ich bin darüber verwundert - das sage ich in aller Deutlichkeit -, daß angesichts der Aussage aller Experten, daß mit der kalten Rotte, so wie sie heute gegeben ist, umweltmäßig schlechtere Ergebnisse erreicht werden und daß in diesem Zusammenhang im Sinne der Umweltpolitik ein Discount stattfindet, Herr Rochlitz sagt - meine Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal den Satz -: Geben Sie Gedankenfreiheit, geben Sie Deregulierung! Er vertritt also hier die These, es sei völlig uninteressant, welche inhaltlichen Kriterien angelegt würden, Hauptsache, unser Verfahren kann als Alternativverfahren durchgeführt werden. Meine Damen und Herren, ich möchte einmal sehen, an welchem Punkt sich die öffentliche Diskussion befände, wenn die Bundesregierung den Qualitätsanspruch im Zusammenhang mit der Festlegung von Grenzwerten oder Verfahren aufgeben würde. Genau das, Herr Rochlitz, haben Sie hier vor dem Hohen Hause getan. Ich finde das unglaublich; es zeigt aber, daß das für Sie nur Manipulationsmasse ist. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Staatssekretär, geben Sie dem Abgeordneten Rochlitz nun die Möglichkeit einer Zwischenfrage?

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Selbstverständlich.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002763, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich hätte gerne von Ihnen gewußt, ob Sie sich eigentlich einmal die Mühe gemacht und die Betriebsdaten und die Betriebsauslegungen von modernen Müllverbrennungsanlagen angeschaut haben. Wenn Sie das gemacht haben, ist Ihnen dann aufgefallen, daß dabei überall ganz erhebliche Mengen an Erdgas oder an Heizöl aufgeführt werden, die nötig sind, um die Bedingungen des § 4 der 17. BImSchV einzuhalten? Des weiteren hätte ich gerne von Ihnen gewußt, ob Ihnen entgangen ist, daß ich mit meiner Aufforderung, Gedankenfreiheit zu geben, gemeint habe, daß endlich eine Öffnung der Bedingungen für Abfallbehandlungsanlagen ({0}) in Richtung auf Müllverbrennung und biologisch- mechanische Anlagen erfolgen sollte? Da sollte die Marktfreiheit stattfinden.

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Herr Kollege, zum ersten Teil Ihrer Frage. Ich habe mich selbstverständlich darüber mit Leuten beraten, die von der Sache mehr verstehen als ich selbst; denn man ist gut beraten, glaube ich, bei Umweltfragen nicht nur mit sich selber zu Rate zu gehen. Ich habe selbstverständlich für das, was ich hier vorgetragen habe, nicht nur in Gesprächen mit Fachleuten aus dem Bundesumweltministerium, sondern zum Beispiel auch mit dem Hamburger Senator Vahrenholt eine absolute Übereinstimmung in der Beurteilung gefunden, sogar mit der zusätzlichen Begründung - Herr Vahrenholt vertritt offen diese These -, die energetische Nutzung sei in Koppelung mit dem Wärmeaspekt ökologisch von vornherein viel besser als all das, was sonst hier genannt wird. Ich bin verwundert, daß Sie im zweiten Teil gefragt haben, ob wir bereit seien, über die Bedingungen zu sprechen. Ich glaube, über eine Bedingung können wir nicht verhandeln, nämlich darüber, davon auszugehen, daß größtmögliche Sicherheit vorhanden sein soll. ({0}) - Im Gesundheitsschutz und Umweltschutz. Die Idee ist ja, daß der Abfall selbst die Barriere sein soll - deswegen die Verfahren, die wir vorschlagen, deswegen die Bedenken gegen einen Discount im Zusammenhang mit den Methoden, die bisher auf dem Markt sind. Ich will das ausdrücklich sagen, weil Frau Caspers-Merk darauf hingewiesen hat, daß weitere Überlegungen im Gange sind. Möglicherweise kommt das. Ich denke aber, der Bundestag - der Bundesrat im übrigen auch - wäre schlecht beraten, wenn er innerhalb von zwei Jahren mit Bocksprüngen zu immer neuen Verfahren kommen würde. Das ist nicht richtig. Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß mittlerweile eine Reihe von Ländern mit fortschrittlichem Umweltschutz ebenfalls beschlossen haben, so zu verfahren, wie die Bundesregierung es weiter tut, nämlich die Schweiz, die Niederlande, Dänemark und Frankreich. Wir werden deshalb diese Orientierung an den Sicherheitsinteressen nicht aufgeben. Meine Damen und Herren, auf eine Reihe von Anträgen zu abfallwirtschaftlichen Fragestellungen möchte ich genauer eingehen. Ich glaube aber, wir sollten uns einig sein: Nicht die Zahl der Anträge ist das Entscheidende. ({1}) „Inflation" ist ein Begriff, der in anderen Bereichen sogar einen negativen Inhalt hat. Mit der Verpackungsverordnung vom 12. Juni 1991 wurde erstmals die abfallwirtschaftliche Produktverantwortung umfassend umgesetzt. Die darin festgelegte Verantwortung von Industrie und Handel für die Rücknahme und Verwertung von Verpackungen hat dazu geführt, daß seit Inkrafttreten der Verordnung ein Rückgang des Verpackungsverbrauchs, das heißt Abfallvermeidung an der Quelle, von über 1 Million Tonnen zu verzeichnen ist. Seit 1993 wurden allein über das Duale System mehr als 13 Millionen Verpackungen einer stofflichen Verwertung zugeführt, das heißt gerade die Kommunen von Sammelkosten und Inanspruchnahme von Beseitigungskapazitäten entlastet. Während im Jahr 1990 bei Kunststoffverpackungen rund 20 000 Tonnen Verwertungskapazitäten in Deutschland vorhanden waren, beliefen sich diese 1995 bereits auf rund 270 000 Tonnen. Gerade in diesem Bereich sind die Innovationen und die Investitionen beispielhaft. Mir scheint, daß diese Fakten in den Ausführungen zu den Anträgen der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen geflissentlich nicht zur Kenntnis genommen werden. Die Bilanz von fünf Jahren Verpackungsverordnung kann sich nämlich sehr wohl sehen lassen. Gleichwohl haben auch wir die Verpackungsverordnung auf den Prüfstand gestellt und wollen mit der im Verordnungsverfahren befindlichen Novelle die bislang erzielten Effekte zur ökologischen Optimierung von Verpackungen sowie zur Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen weiterentwickeln und den Wettbewerb noch stärker fördern. Frau Homburger hat darauf hingewiesen. Dabei werden keinesfalls die VerwertungsanforderunParl. Staatssekretär Walter Hirche gen herabgesetzt. In Zukunft sollen sich aber gerade alle Hersteller und Vertreiber den anspruchsvollen Anforderungen stellen. Der SPD-Antrag, der zur Debatte steht, läßt eine konstruktive Linie vermissen. Er entspricht im übrigen ganz weitgehend wortgleich dem vom Land Schleswig-Holstein im Oktober 1995 im Bundesrat eingebrachten Antrag, ({2}) der trotz der SPD-Mehrheit im Bundesrat nicht einmal dort Zustimmung erfahren hat. Der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen macht deutlich, daß Sie die geltende Verpakkungsverordnung ersetzen wollen. Weniger deutlich wird allerdings, was an diese Stelle gesetzt werden soll. Wenn dieses Haus Ihnen folgen würde, wäre das das vorprogrammierte Chaos. Sie beklagen, daß pro Bundesbürger für das Duale System Kosten in Höhe von 50 DM jährlich anfallen. Ersetzen wollen Sie das durch eine Verpackungsabgabe in „deutlich spürbarer Höhe", was auch immer das heißt. Ich warne an dieser Stelle vor Aktionismus. Der Hinweis auf die Sondermüllabgabe, Herr Rochlitz, wäre besser unterblieben. In Niedersachsen hat eine Untersuchung ergeben, daß von dieser Abfallabgabe eine ökologische Fehllenkung ausgeht. Die Landesregierung hat daraufhin versucht, mit den Gutachtern zu reden, um dies in einer neuen Fassung dieses Gutachtens abmildern zu lassen, was ihr aber nur teilweise gelungen ist. Meine Damen und Herren, zu den übrigen Anträgen noch einige Ausführungen. Der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Erlaß einer Altautoverordnung hat sich auf Grund überholender Kausalität praktisch erledigt. Es ist richtig, daß Sie darin einige Dinge abgeschrieben haben, die in einem Entwurf des Bundesumweltministeriums enthalten waren. Aber da die Selbstverpflichtung kommt, ist das erledigt. Wir werden bis zum Herbst die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Umsetzung schaffen. Bei endgültiger Stillegung eines Altautos soll künftig durch einen Verwertungsnachweis bestätigt werden, daß das Altauto einem Betrieb überlassen wurde, der Altautos anerkanntermaßen umweltverträglich behandelt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Altmann?

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Ja.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Hirche, dürfte ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir nicht abgeschrieben, sondern wortwörtlich übernommen haben? Das ist vielleicht noch ein Qualitätssprung. ({0}) Dies einfach zur Richtigstellung. Sie haben gerade davon gesprochen, das Ganze sei veraltet. Die Frage ist, wie man „veraltet" definiert. Der Unterschied zwischen einer Selbstverpflichtung und einer Verordnung ist, daß bei einer Verordnung die Notwendigkeit von verbindlichen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen gesehen wird, wie Herr Töpfer sie formuliert hat. Meine Frage ist: Sehen Sie verbindliche ordnungspolitische Rahmenbedingungen in Zukunft für veraltet an?

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Frau Kollegin, zu Ihrem ersten Punkt. Wenn ein Lehrer früher sagte, daß man etwas zehnmal abschreiben solle, dann war gemeint: wortwörtlich. ({0}) Insofern verwende ich die deutschen Wörter in einer klaren Begrifflichkeit und nicht in einer Rabulistik. ({1}) - Ich habe „abgeschrieben" gesagt. ({2}) - Gut, Herr Müller. Wenn Sie das nicht tun, ist das auch in Ordnung. Zum zweiten will ich sagen: Wir haben im Zusammenhang mit allen Selbstverpflichtungen immer gesagt, daß sie natürlich gewissen Vorstellungen entsprechen müssen. Aus diesem Grunde haben wir ja so lange verhandelt. Natürlich präsentiert Ihnen die Industrie morgen zu jedem Thema eine Selbstverpflichtung. Aber die Bundesregierung wird nicht jede Selbstverpflichtung akzeptieren und dann etwa darauf verzichten, dazu eine eigene Verordnung zu erlassen. Wir achten in diesem Zusammenhang schon auf die Qualität und den Rahmen. ({3}) Meine Damen und Herren, ich komme wegen der Zeit leider nicht mehr dazu, auf das Thema Altlasten im einzelnen einzugehen. Ich will nur eine Anmerkung dazu machen. Es sollte auch in einer Debatte hier festgehalten werden, daß der Vollzug der Altlastensanierung nach dem Grundgesetz in die Zuständigkeit der Länder fällt. Herr Rochlitz, Sie müssen sich mit den von Ihnen angeführten Fällen an die Zuständigen richten. Die Bitte um Untersuchung einzelner Altlasten und die Aufstellung von Sanierungsplänen an die Bundesregierung als Adressat zu richten ist völlig falsch. Wir sollten uns hier im Hause zumindest unter den Abgeordneten über die Kompetenzverteilung klar sein. Im Gegensatz zum Vollzug liegt aber die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der Altlasten beim Bund. Wir versuchen, das mit dem Bodenschutzgesetz im einzelnen zu regeln. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie darum, die Bundesregierung auf ihrem Weg der konstruktiven Durchführung all dieser Dinge zu unterstützen. Lassen Sie uns deregulieren, wo es möglich ist! Begleiten Sie uns beim Bodenschutzgesetz, und helfen Sie uns bei einer sachgerechten und dem Kreislaufgedanken verpflichteten Abfallwirtschaftspolitik! Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile der Abgeordneten Liesel Hartenstein das Wort.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Herrn Staatssekretär dankbar, daß er die Debatte wieder auf das Thema zurückgeführt hat, das wir vor uns haben, nämlich auf die Frage nach der Umsetzung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, und daß er sich nicht damit begnügt hat, himmelblaue oder blaugelb gefärbte Abfallbilanzen aus undefinierbaren Zeiträumen an die Wand zu malen. ({0}) Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren, nämlich am 15. April 1994, wurde dieses Kreislaufwirtschaftsgesetz hier im Deutschen Bundestag verabschiedet. Weil es ein nicht nur heftig umstrittenes Gesetz war, sondern auch ein sehr kompliziertes und sehr weitreichendes Gesetz ist, haben sich Bundesregierung und Bundesrat bis zum Inkrafttreten recht großzügig zweieinhalb Jahre Zeit genommen, nämlich bis zum 7. Oktober 1996. Dies ließ sich rechtfertigen. Nicht rechtfertigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, läßt sich, daß die Bundesregierung und die verantwortliche Ministerin diese lange Zeit zur Umsetzung bisher nahezu ungenutzt verstreichen ließen. Denn keine einzige der neuen Verordnungen, die zur Umsetzung nötig wären, liegt heute fertig auf dem Tisch. Dies ist nicht entschuldbar. ({1}) Herr Kampeter, Sie brauchen nicht auf den Bundesrat zu verweisen. Wir wissen genau, daß die Entwürfe der Frau Ministerin noch nicht einmal durch das Kabinett gegangen sind. Das heißt, das hängt alles noch in der Ressortabstimmung der Bundesregierung. ({2}) Von Verschleppung und mangelnder Durchsetzungskraft zu reden ist in diesem Zusammenhang ganz sicher nicht übertrieben. ({3}) Selbst wenn man die schwierigen Abstimmungsprozesse berücksichtigt - die kennen wir ja -, kann ein solch zögerliches Verhalten nicht akzeptiert werden. Sie setzen viel aufs Spiel: Erstens. Die Entsorgungswirtschaft, lieber Herr Kampeter, tätigt keine Investitionen, solange sie nicht weiß, wohin die Reise geht. Zweitens. Die Industrie ist höchst unzufrieden. Sie muß zum Beispiel wissen, wie die Nachweisverordnung oder die Abfallbestimmungsverordnung aussehen soll. Das weiß sie bis dato nicht. Drittens. Die Kommunen beklagen sich bitter, daß bis heute noch kein einziges Gespräch mit ihren Spitzenverbänden geführt wurde. Der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben sich in einem Brief an die Ministerin vom März 1996, der sicher auch Ihnen zugegangen ist, darüber beschwert. Warum diese Versäumnisse? Darauf hätten wir eigentlich eine Antwort erwartet, Herr Staatssekretär. ({4}) Die Probleme müßten Ihnen doch eigentlich unter den Nägeln brennen. Ich weiß, die Bundesregierung setzt auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie. Wir sind nicht grundsätzlich gegen solche Selbstverpflichtungen. Sie müssen jedoch a) funktionieren und b) kontrollierbar sein. Während Sie aber verhandeln und verhandeln, ist zum Beispiel die Einwegdose auf dem Getränkemarkt massiv auf dem Vormarsch. Fast 6 Milliarden Dosen wurden im letzten Jahr auf den bundesdeutschen Markt geworfen; fast die Hälfte davon sind ausschließlich Bierdosen, 0,3-l- bzw. 0,5-l-Wegwerfdosen. Die Großbrauereien unterbieten die Preise für Flaschenbier um bis zu 50 Prozent und drängen damit das Mehrwegsystem aus dem Markt. ({5}) Das ist eine simple Feststellung. Während die Mehrwegsysteme die Region versorgen, wird das Dosenbier über weite Entfernungen durch halb Europa gekarrt. Schon allein das ist umweltfeindlich. ({6}) Aber mehr noch: Je länger Sie dem Anschwellen der Dosenlawine zusehen, desto mehr geraten viele der heute noch rund 1 300 mittelständischen Brauereien in Existenzgefahr, desto mehr Arbeitsplätze werden gefährdet. Macht Ihnen das denn gar kein Kopfzerbrechen? Die kleinen und mittleren Brauereien und Betriebe können das Preisdumping der Multis gar nicht auffangen. Sie haben auch nicht das Kapital, zusätzliche Abfüllanlagen zu installieren. Jetzt sind sie zum Teil auf die merkwürdige Idee verfallen, gemeinsame Dosenabfüllwerke zu bauen. Das heißt aber: Dazu muß das Bier zuerst aus allen Himmelsrichtungen in Tankwagen herangekarrt, dann abgefüllt und nachher wieder über weite Entfernungen zu den Supermärkten transportiert werden. Das ist aus meiner Sicht geradezu pervers. Rohstoffvergeudung, Energieverschwendung, Anheizen des Treibhauseffekts und gleichzeitig Vernichtung von Arbeitsplätzen - das alles liegt auf ein und derselben Linie. Wir fordern deshalb endlich den Erlaß einer Getränkemehrwegverordnung. ({7}) - Jetzt machen Sie mal langsam. - Der Bundesrat hat dies mehrfach gefordert. Er weiß schließlich, was er tut. Auch Herr Töpfer hat sich etwas dabei gedacht, ({8}) als er vor fast fünf Jahren den Entwurf seiner Verordnung vorgelegt hat. ({9}) - Langsam, jetzt bin ich dran, Frau Homburger. - Er hat differenzierte Mehrwegquoten für die verschiedenen Getränkearten vorgesehen. In unserem Antrag stehen für Bier, Mineralwasser, Erfrischungsgetränke und Wein exakt die von Herrn Töpfer vorgeschlagenen Quoten. Wir könnten hier ganz schnell zusammenfinden, wenn Sie ein wenig einsichtsfähiger wären. ({10}) - Mir wäre besser geholfen, wenn Sie eine Frage stellten. Dann könnte ich nämlich meine Redezeit sparen. Da Sie die Europäische Union ansprechen, möchte ich Sie daran erinnern, daß es ein dänisches Dosenurteil gibt. Wenn Dänemark das Recht hat, die Mengen der Einwegbehälter zu begrenzen, und dies durch den Europäischen Gerichtshof bestätigt wurde, muß es auch der Bundesrepublik zustehen. Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Ihr Argument ist ein Alibiargument. ({11}) Nein, es hilft nicht, in Sonntagsreden die Stützung des Mehrwegsystems zu preisen und dann die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, bis die Einweglobby den Markt beherrscht und das bewährte Mehrwegsystem kaputtmacht. ({12}) - Das werden wir im Ausschuß tun. Da haben wir mehr Gelegenheit dazu. ({13}) Die Frau Ministerin hat mit der geltenden Verpakkungsverordnung bereits das Instrumentarium in der Hand, das Mehrwegsystem zu stützen. ({14}) Ja, sie wäre sogar verpflichtet, dies zu tun, sobald der Mehrweganteil unter 72 Prozent absinkt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Dr. Hartenstein:

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- Lassen Sie mich das kurz zu Ende führen. - § 7 sieht für diesen Fall die Einführung eines Pflichtpfandes von 50 Pfennig vor. Das Abwehrargument, das ständig vorgebracht wird, ein Zwangspfand würde die Mehrwegflasche nicht stützen, weil dann beides nicht mehr unterscheidbar wäre, ist ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. So, jetzt höre ich gerne Ihre Position dazu.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun kommt die redezeitsparende Frage von Herrn Kampeter.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Hartenstein, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß überall dort, wo pflichtpfandähnliche Lösungen eingesetzt worden sind, wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten, Mehrwegsysteme zerschlagen worden sind und daß wir deswegen in großer Sorge sind, daß die Wirkung der Sanktionsmaßnahme Zwangspfand nicht dem Ziel der Stützung von Mehrweg dient und wir deswegen auf der Suche nach einer alternativen Sanktion sind? ({0})

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zuerst einmal möchte ich sagen, daß man nicht Unvergleichbares vergleichen kann. Das amerikanische System ist ein ganz anderes. Wenn wir darüber reden wollen, dann müssen wir exakte Unterlagen haben. Das zweite: Was heißt es denn, wenn Sie sagen, daß Sie in großer Sorge sind? Zunächst geht es mir um den politischen Willen, das heißt darum, ob Sie überhaupt etwas tun wollen und nicht nur Argumente vorschützen, die eigentlich erst bewiesen werden müssen, wenn man es in der Praxis probiert hat. Packen wir die Sache doch an! Beispiel: Wenn Sie tatsächlich ein Pfand von 50 Pfennig und für größere Behälter ein Pfand von 1 DM erheben - so steht es in der VerpackungsverDr. Liesel Hartenstein ordnung - und wenn Sie dadurch erreichen, daß die Einwegdose plus Pfand mindestens so teuer, aber möglichst teurer wird als die Mehrwegflasche plus Pfand, dann greift der Kunde - da bin ich ganz sicher - nach dem billigeren Angebot; denn hier funktioniert der Preismechanismus bestimmt. Sie wollen es aber gar nicht prüfen. Im übrigen wäre eine willkommene Nebenwirkung dabei, daß dann auch die Riesenmassen von Einwegdosen aus der Landschaft zum Teil verschwinden würden. Ein im Auftrag des Umweltbundesamtes angefertigtes Gutachten - Herr Kampeter, ich empfehle Ihnen, das zu lesen - hat tatsächlich bestätigt, daß die in der Verpackungsverordnung vorgesehenen Pfandbeträge von 50 Pfennig beziehungsweise 1 DM zu Rückführungsquoten deutlich über 80 Prozent und mittelfristig um 90 Prozent führen dürften. Schon dies allein wäre einmal den Versuch wert. Nichts anderes wollten übrigens die Umweltminister der neuen Länder, die im November letzten Jahres einhellig beschlossen haben, man möge doch die Pfandpflicht einführen, um der Masse von weggeworfenen Dosen Herr zu werden. Die Instrumente liegen also im Kasten. Sie sollten sie nur herausnehmen und endlich benutzen. ({0}) Noch ein Wort - soweit die Zeit reicht - zu unserem Antrag über die Ablagerung von Sonderabfällen. Davon war bisher kaum die Rede. In offiziellen Statistiken wird ständig der phänomenale Rückgang der Sonderabfälle gerühmt. Hier kann man nur sagen: Vorsicht! Denn nicht geringe Mengen wandern weiterhin, als „Wirtschaftsgut" deklariert, über die Grenzen nicht nur innerhalb der EU, sondern auch nach Osteuropa. Es gibt ein weiteres Schlupfloch, nämlich die Ablagerung von Sonderabfällen als sogenannte Versatzstoffe in stillgelegten Bergwerken. Seit Anfang der 90er Jahre werden jährlich 2 Millionen Tonnen bergbaufremder Rückstände in Salz-, Erz- und Steinkohlenbergwerken als Füll- und Stützmaterial abgelagert. Dagegen ist so lange nichts einzuwenden, solange es sich um geeignete unschädliche Reststoffe handelt. ({1}) Aber darunter befinden sich mehr und mehr schadstoffhaltige Abfälle wie Lackschlämme, Schlacken aus Müllverbrennungsanlagen und Rauchgasreinigungen, kontaminierte Böden und anderes mehr. Dieser Schadstoffmüll müßte eigentlich in dafür geeigneten und abgesicherten Untertagedeponien, wie Herfa-Neurode oder Heilbronn, eingelagert werden. Bei stillgelegten Bergwerken können Zeitbomben entstehen, wenn zum Beispiel die Schadstoffe ins Grundwasser gelangen oder instabile Hohlräume zusammenbrechen. ({2}) Inzwischen übersteigt die Menge der in Bergwerken eingelagerten Sonderabfälle diejenigen Mengen, die in die regulären Untertagedeponien gelangen. Das ist eigentlich ein Alarmzeichen. Der Grund ist übrigens einfach: Es geht ums Geld. Die Ablagerungen in Untertagedeponien kosten pro Tonne bis zu 900 DM, in Bergwerken dagegen zwischen 100 und 300 DM. Hier klafft eine Lücke zwischen Berg- und Abfallrecht. Diese Lücke muß geschlossen werden. Ein bloßes Zuwarten ist nicht mehr erlaubt; sonst produzieren wir nämlich die Altlasten von morgen. ({3}) - In den neuen Ländern ist das Problem ganz besonders virulent. Die Kollegen aus allen Fraktionen können das sicher bestätigen. ({4}) Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen. Mit der Umsetzung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes könnte ein erster, wenn auch bescheidener, aber dennoch wirksamer Schritt zu einer ressourcenschonenden, nachhaltigen Wirtschaftsweise getan werden. Ich frage Sie: Warum tun Sie diesen Schritt nicht, und zwar entschlossen und konsequent? Kreisläufe schließen, Schadstoffe minimieren, Ressourcenverbrauch verringern - das sind Schlagworte, die man auch von Ihnen ständig hört. Wir aber wollen, daß damit endlich Ernst gemacht wird. Im Recyclingbereich, in den dort zu erwartenden Innovationen stecken enorme Chancen, neue Branchen aufzubauen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Deshalb lautet unsere Forderung, daß der gesetzliche Rahmen endlich gezimmert wird, damit für alle Betriebe und Gewerbe gleiche Bedingungen bestehen. Denn viele Verantwortliche in der Wirtschaft haben das schon begriffen, andere aber noch nicht. Sie können deshalb nicht auf die Verordnungen verzichten. Sie müssen schnell kommen. Wenn die Bundesregierung weiterhin alles schleifen läßt, dann versäumt sie auch Zukunftschancen. Das ist unverzeihlich. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich das Wort.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich höre hier anDr. Gerhard Friedrich dauernd, daß wir in der Abfallwirtschaft keine Fortschritte erzielen. Ich stamme aus dem Raum Nürnberg. Bevor der Nürnberger Oberbürgermeister abgewählt wurde, hat er verkündet, seine Müllverbrennungsanlage könne kleiner werden. Die Erlanger haben jetzt auch einen CSU-Oberbürgermeister. Der Vorgänger - von der SPD - hat zu Recht erklärt: Die Erlanger Müllverbrennungsanlage ist völlig überflüssig, in Fürth bekommen wir viel mehr untergebracht. In Schwabach gibt es einen SPD-Politiker, der an der kalten Rotte - Herr Rochlitz, Sie sollten da zuhören - geplant hat. Dies hat er jetzt aufgegeben. Seinen Müll bekommen wir mühelos in den schon genannten Müllverbrennungsanlagen unter. Daß sich da nichts bewegt, glaubt doch eigentlich niemand. ({0}) Alle Umweltminister der Länder verkünden ihre Erfolgsbilanz. Frau Caspers-Merk aber zählt alles zusammen und stellt dann fest: Bundesweit ist alles ganz schlimm. - Das kann man doch nicht ernst nehmen! Herr Rochlitz, noch eine Anmerkung zu Ihnen, weil Sie gesagt haben: Staatssekretäre sind überfordert. Als ich mir Ihre Anträge durchgelesen habe, habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was ich intellektuell davon halten soll. ({1}) In dem einen Antrag - das muß man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen - fordert er die Ablösung der Verpackungsverordnung, und in dem anderen Antrag fordert er, daß Elektronikschrott nach dem Modell der Verpackungsverordnung zurückgenommen und verwertet werden soll. Sie wissen offensichtlich gar nicht, welches Instrument vernünftig ist. Sie wollen es in dem einen Bereich abschaffen, und für einen anderen Bereich fordern Sie, dieses Instrument einzusetzen. Das ist wirklich eine intellektuelle Glanzleistung. Wir haben uns bei der Beratung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes dafür entschieden, im Produktbereich grundsätzlich nicht mit Verboten zu arbeiten - es sei denn, es geht um die Schadstoffproblematik und um die Abwehr von Gesundheitsgefahren. Wir wissen, daß es Ökobilanzen, die ein Produkt sozusagen von der Entstehung bis zur Entsorgung bewerten, mit vernünftigen und unumstrittenen wissenschaftlichen Ergebnissen nicht gibt. Wenn wir im Hinblick auf Art. 30 des EWG-Vertrages versuchen würden, solche Verbote innerhalb der EG auf nationaler Ebene durchzusetzen, dann würde man uns zu Recht darauf aufmerksam machen: Ihr könnt den wissenschaftlichen Beweis, daß bestimmte Produkte verboten werden müssen, nicht führen. ({2}) Deshalb ist unser Instrument die Rücknahmeverpflichtung und die Verwertung. Das hat funktioniert. Ich nenne Ihnen einmal zwei Beispiele: Es gibt problematische Verpackungen, die meistens dadurch gekennzeichnet sind, daß sie aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzt sind. Für die eine Art von Verpackungen, zum Beispiel für Tetra Pak, hat man inzwischen Verwertungsverfahren entwickelt. Andere Verpackungen wie Blister können technisch nicht bewältigt werden; sie sind praktisch vom Markt verschwunden. Das ist doch wirklich ein Fortschritt. Jetzt behaupten wir ja nicht, daß die Verpackungsverordnung ohne Mängel ist. Es gibt das Problem der Trittbrettfahrer. Für 20 Prozent aller Verpackungen, die auf dem Markt sind, wird nichts an das DSD abgeführt. Dagegen müssen wir unbedingt etwas tun, weil sich das DSD bemüht hat, den sogenannten Lizenzierungsgrad bei den Verpackungsherstellern und Verpackern, das heißt die Zahl derjenigen, die bezahlen, zu erhöhen. Jetzt erleben wir einen Stillstand. Einige könnten auf die Idee kommen: Wenn diesen 20 Prozent nichts passiert, dann zahlen auch wir nicht mehr. - Dann gerät das DSD finanziell wieder ins Schleudern. Der zweite Grund, warum wir etwas unternehmen wollen, ergibt sich aus dem Bereich Mehrweg. Es ist besorgniserregend, daß wahrscheinlich in diesem Jahr die Mehrwegquote unterschritten wird. Wir haben unzählige Gespräche geführt. Ich sage Ihnen ganz klar: Was Sie jetzt in der Novelle zur Verpakkungsverordnung lesen, ist nicht unser letztes Wort. Wir wissen, daß die Kann-Vorschrift im Bundesrat nicht durchsetzbar ist, ({3}) schon deshalb, weil die Länder fürchterliche Angst davor haben, selber entscheiden zu müssen. Also gibt es dafür wahrscheinlich ohnehin keine Mehrheit. Kollege Kampeter hat Ihnen aufgezeigt - das ist auch meine Überzeugung -, daß die jetzige Form der Sanktion nicht das gewünschte Ergebnis haben wird. Deshalb brauchen wir eine neue Form der Sanktion. Wir warten darauf, daß das Umweltministerium sie vorlegt; intern wird hier schon vorgearbeitet. Ob das, was da vorgeschlagen wird, auch praktikabel ist, schauen wir uns dann kritisch an. Es handelt sich um Lizenzmodelle. Das andere, was in der Diskussion ist - von dem ich glaube, daß es leichter funktionieren würde -, sind schlichtweg Abgaben auf Einwegverpackungen. Ich sage Ihnen gleich dazu: Wir haben intern noch kein Ergebnis erzielt. Wir werden allerdings aus formalen Gründen die Novelle der Verpackungsverordnung, die im Entwurf vorliegt, nicht ergänzen. Vielmehr werden wir eine zweite Verordnung vorlegen, weil wir - auch das ist schon gesagt worden - im EG-Bereich große Schwierigkeiten bekommen werden. Wir möchten nicht, daß dann, wenn die Verordnung zur Stützung der Mehrwegsysteme scheitert, die gesamte Novelle zur Verpackungsverordnung scheitert. Für mich als Bayer ist es selbstverständlich, daß wir uns gegen die preußischen Brauereien mit ihren Dosen wehren. Das ist doch eine ganz klare Sache. ({4}) Bloß sagen inzwischen sogar meine Freunde in Bayern, die Umweltpolitiker in Bayern, daß die von ihnen früher geforderte Erhöhung von Mehrwegquoten zwar den Interessen der bayerischen Brauereien entspreche, daß es aber nicht durch Ökobilanzen belegbar sei und daß wir bei der EG scheitern würden. ({5}) Also werden wir eine zusätzliche Verordnung zur Stützung von Mehrwegsystemen vorlegen. Die SPD hat ebenfalls das Kreislaufwirtschaftsgesetz angesprochen. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz ist ja noch gar nicht in Kraft getreten. Darum sollte die Kollegin aus Ingolstadt einmal zugeben: Ein Gesetz, das noch gar nicht gilt, kann auch keine katastrophalen Zustände herbeigeführt haben. Das hat sie noch gar nicht bemerkt. Wir brauchen also bis zum Herbst einige Verordnungen. Ich nenne als die sogenannten politischen Verordnungen solche, die zusätzliche Rücknahmeverpflichtungen vorsehen werden. Das tragen Sie hier vor. Jetzt spreche ich einmal die wichtigsten Dinge an. Erstens: Altautos. Steffen Kampeter und ich haben nicht in das Gesetz hineingeschrieben, daß die Produktverantwortung nur für Autos gilt, die zwölf Jahre alt sind. Das heißt, wir sind nicht ganz mit den Selbstverpflichtungserklärungen zufrieden, die vorgelegt wurden. Es gibt aber leider in bezug auf diesen Politikbereich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten viele Leute, die der Automobilindustrie nicht auf die Füße treten wollen. Dazu gehört Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher aus Niedersachsen. Wenn ich mit meinem bayerischen Ministerpräsidenten rede und ihm vorschlage, daß wir da etwas mehr Druck machen müßten, dann sagt er: Ich bin doch der gleichen Meinung wie dieser Schröder aus Niedersachsen. ({6}) Ihr habt also die gleichen Probleme wie wir; ihr braucht uns da gar nichts vorzuwerfen. Zweitens: Elektronikschrott. Es ist schwierig - das haben wir festgestellt -, für alle Elektronikgeräte eine einheitliche Lösung vorzulegen. Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel. Es gibt Kleinteile, die man über den Versandhandel beziehen kann. Wenn Sie aber den Produzenten dafür verantwortlich machen, daß verwertet und entsorgt wird, dann erwischen Sie den französischen Händler nicht; denn den Luftpostverkehr können Sie nicht kontrollieren. Da schaden wir nur der deutschen Wirtschaft. Wir haben durch viele Diskussionen dazugelernt. Jetzt machen wir es schrittweise. Ich habe ein paarmal mit Vertretern von Siemens geredet. Es ist ganz klar: Wir bekommen eine vernünftige Selbstverpflichtungserklärung für Bürogeräte einschließlich Computer. Hinsichtlich der großen weißen Ware, den Kühlschränken, versucht man beim zuständigen Verband, noch ein bißchen zu taktieren. Die entsprechende Erklärung wird in Kürze aber auch kommen. Zu den Batterien: Es ist eine traurige Geschichte: Alle sind sich einig - die Wirtschaft will das, was wir von ihr verlangen; das liegt uns schriftlich vor -; nur das Kartellamt macht uns Schwierigkeiten. Demnächst werde ich mit dem Präsidenten des Kartellamts reden. Ich habe ihm folgendes geschrieben: Solange wir staatlich entsorgen, macht das Kartellamt nichts, obwohl es sich um das reinste Staats- und Kommunalmonopol handelt. Sobald wir privatisieren, will das Kartellamt den puren Wettbewerb. - Das geht nicht. Das müssen wir dem Präsidenten des Kartellamts noch beibringen. Da kommen wir, glaube ich, noch ein Stück voran. Das sind die sogenannten politischen Verordnungen, die für uns wichtig sind. Darum haben wir gesagt: Das geht nur mit Zustimmung des Bundestages. Die kommen jetzt schrittweise, wenn auch nicht immer ganz so, wie wir sie wollen. Außerdem brauchen wir noch viele Verordnungen zum Vollzug des Abfallrechts. Da hat es einige Verzögerungen gegeben. Ich lese Ihnen vor, was mir der bayerische Umweltminister geschrieben hat: Die Überwachungskonzeption nach der Nachweisverordnung im vorliegenden Entwurf entspricht zwar nicht in vollem Umfang dem Modell, das zunächst vom BMU unter maßgeblicher Mitwirkung Bayerns erarbeitet worden ist. Der Entwurf ist gleichwohl bei den gegebenen Rahmenbedingungen, nämlich erheblicher Widerstand ganz überwiegender Mehrheiten der Länder, als Kompromißvorschlag akzeptabel. Auf deutsch gesagt: Eure für Umwelt zuständigen Bürokraten in den Kommunalverwaltungen haben erzwungen, daß alles umgearbeitet wird. Es ist bedauerlich, daß bei der SPD ein Mann wie der Kollege Schily für Entbürokratisierung und Herr Müller mit seiner Mannschaft für Verbürokratisierung zuständig ist. Wir hoffen, daß dabei etwas Vernünftiges herauskommt. Vielen Dank. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren das Wort.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte meine Rede eigentlich damit beginnen, meine Freude darüber zu äußern, daß heute endlich das Altlastengutachten II diskutiert wird. Ich mußte aber feststellen, daß die Redner der CDU/CSU zu diesem Thema überhaupt kein Wort verloren haben und daß der Staatssekretär dieses Gutachten mit einem einzigen Satz abgetan hat. Immer wieder hören wir von Verseuchungen ganzer Wohngebiete und von Kinderspielplätzen durch Altlasten. Altlasten bergen ein ungeheures Gefährdungspotential: Häufig ist eine Vielzahl von giftigen und krebserzeugenden Chemikalien mehr oder weniger im Boden verteilt. Nach dem Schock des Seveso-Chemieunfalls im Jahre 1976 wissen wir, daß die den Chemikern bekannten 75 verschiedenen Dioxine und 135 der - chemisch ähnlichen - Furane in ihrer gesamten Wirkungsweise hochgradig gesundheitsschädlich sind. Dabei treten akute Vergiftungen bei Schadstoffen aus Altlasten selten auf, da die Konzentration in der Luft oder in der Nahrung dazu meist zu gering ist. Kennzeichnend für die Gefahren aus Altlasten sind chronische Vergiftungen durch langandauernde Aufnahme geringer Mengen giftiger Stoffe. Außerdem können sich die Wirkungen über Jahre hinweg summieren. Dazu kommt: Die Schadstoffe können sich im Körper anreichern. Das für Menschen und Tiere lebenswichtige Grundwasser ist durch die Gifte der Altlasten in Gefahr. Rund 70 Prozent unseres Trinkwassers entstammen dem Grundwasser. Dabei ist dieses ein ideales Transportmittel: Einmal gelöst, verbreiten sich die Stoffe weiträumig in relativ kurzer Zeit. Der ungebremste Flächenverbrauch durch Wohnungsbau, Gewerbe, Industrieansiedlung und Verkehrsflächen verstärkt die Notwendigkeit, Altstandorte, Altlastenverdachtsflächen und Altlastenflächen wieder einer Nutzung zuzuführen, damit nicht weiter, wie in Ostdeutschland leider schon viel zu häufig geschehen, die grüne Wiese überplant und versiegelt wird. Gerade in den neuen Bundesländern stünden viele Altstandorte zur Verfügung, die aber im Verdacht stehen, schwer kontaminiert zu sein. Doch dies ist durchaus auch in der alten Bundesrepublik ein Problem. So sind zum Beispiel in Dortmund 17 Prozent der Stadtfläche altlastenverdächtig. Mit der Verkleinerung der Bundeswehr und dem Rückzug der ausländischen Streitkräfte von deutschem Boden werden zahlreiche militärische Liegenschaften aufgegeben. Sie könnten einer zivilen Nutzung zugeführt werden. Dies erfordert allerdings den Ausschluß von Altlasten oder eine entsprechende Sanierung. Deshalb brauchen wir dringend ein Gesetz, welches das notwendige rechtliche Handlungsinstrumentarium zur Verfügung stellt. ({0}) Damit müssen altlastenverdächtige Flächen erfaßt werden können; sie müssen untersucht, bewertet und saniert werden können. Des weiteren muß ein solches Gesetz Vorsorgepflichten statuieren, die für die Zukunft das Entstehen schädlicher Bodenverunreinigungen unterbinden. ({1}) Die Bundesregierung ist bislang über ihre Absichtserklärung, mit einem Bundesbodenschutzgesetz den Bereich des Bodenschutzes und der Altlastensanierung verbindlich zu regeln, nicht hinausgekommen. ({2}) Seit 1989 das erste Sondergutachten Altlasten und am 2. Februar 1995, schon vor über einem Jahr, das zweite Altlastengutachten vorgestellt wurde, ist viel kostbare Zeit verstrichen. ({3}) Deshalb sind in der Tat die Länder seit 1989 mit eigenen Regelungen eingetreten, so daß wir jetzt ein relativ uneinheitliches Bild von Ländergesetzen vorfinden. Herr Hirche, der Sachverständigenrat hält die eingetretene länderspezifische Entwicklung jedoch für umweltpolitisch bedenklich und auch vor dem Hintergrund der Standortkonkurrenz der Länder untereinander nicht für sinnvoll. Der Sachverständigenrat hat viele Untersuchungsergebnisse, Definitionsvorschläge und gangbare Wege aufgezeigt, die ich begrüßen und unterstützen kann. Er hat damit der Bundesregierung das Rüstzeug für eine solide gesetzgeberische Arbeit gleich mitgeliefert. Insbesondere hat er nochmals seine Empfehlungen aus dem Jahre 1989 bekräftigt, alle Anstrengungen zu unternehmen, um eine gesicherte Datenlage sowohl über die zivilen als auch über die militärischen und die militärchemischen Altlasten herzustellen - dies zu dem Zweck, eine solide bundeseinheitliche und vergleichbare Informationsbasis für Altlastenverdachtsflächen mit dem Ziel eines bundesweiten Altlastenkatasters zu schaffen. An dieser Stelle muß ich allerdings sagen, daß in den bisher vorliegenden Entwürfen für ein Bundesbodenschutzgesetz - so auch in der jüngsten mir bekannten Fassung - Rüstungsaltlasten und militärische Altlasten ausdrücklich ausgenommen sind. Außerdem ist die Finanzierung der Erfassung, Gefährdungsabschätzung und Sanierung von Rüstungsaltlasten zwischen Bund und Ländern strittig. Dabei muß, so der Sachverständigenrat, den besonderen Stoffeigenschaften und den toxischen Wirkungen militärchemischer Stoffe Rechnung getragen werden. Militärchemische Stoffe besitzen Eigenschaften, die nach speziellen taktischen Erfordernissen ... zur gezielten Schädigung oder Zerstörung ... entwickelt wurden. Auch die vom Sachverständigenrat angemahnte Problematisierung der Gefährdung des Grundwassers wird im Gesetzentwurf nicht geregelt, da das Grundwasser nicht zu den unmittelbaren Schutzgütern des Bodenschutzgesetzes gehören soll. Es ist wichtig, die derzeit unterschiedlichen Ansatzpunkte und die unterschiedliche Regelungsdichte durch Ländergesetze einer bundeseinheitlichen Regelung zuzuführen, damit die politische Zielvorstellung vergleichbarer Lebensverhältnisse in den Ländern auch in annähernd gleichen Vorschriften über die Behandlung von Altlasten und den damit implizierten Umweltqualitätszielen zum Ausdruck kommt. Eine Forderung, die unsere volle Unterstützung findet, ist die Festlegung eines untergesetzlichen Regelungswerkes für Meß-, Prüf- und Maßnahmewerte, denn nur das kann volle Klarheit für die Altlastensanierung schaffen. Als von überragender Bedeutung für eine wirkungsvolle Altlastensanierung sehe ich die vom Umweltrat zum wiederholten Male entwickelte Zielvorstellung: Oberstes Ziel ist die Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit des Menschen. Eine nutzungs- und schutzgutbezogene Bewertung von Altlasten und schädlichen Bodenveränderungen durch stoffliche Einwirkungen und deren Sanierung - wie vom Sachverständigenrat vorgeschlagen - kann aber allenfalls aus rechtlichen und praktischen Gründen im Sinne einer Prioritätensetzung akzeptiert werden. Mit dem Umweltrat sind wir uns aber einig, daß eine Einengung der Schutzgüter, zum Beispiel nur auf menschliche Gesundheit oder bewirtschaftetes Grundwasser, aus umweltpolitischer Sicht nicht zu verantworten ist. Es wird Fälle geben, in denen eine völlige Bereinigung der Böden von Altlasten, soweit technisch überhaupt machbar, immense Kosten nach sich ziehen kann. Der Sachverständigenrat empfiehlt deshalb Prioritätensetzung. Aber eine „echte" Sanierung kann nicht bei der Beherrschbarkeit der Altlasten stehenbleiben. Ein Boden kann erst dann als saniert gelten, wenn er - unter Beachtung seiner regionaltypischen, geogenen, natürlichen Hintergrundbelastungen - seine natürlichen Bodenfunktionen wieder erfüllen kann und somit wieder jeder Nutzung offensteht. ({4}) Der Boden muß als Lebensgrundlage und Lebensraum für Menschen, Tiere, Pflanzen und Bodenorganismen wiederhergestellt sein. Seine Wasser- und Nährstoffkreisläufe sowie seine Filter-, Puffer- und Stoffumwandlungseigenschaften müssen wieder intakt sein. Abschließend möchte ich auf die wichtige Aufforderung des Sachverständigenrates hinweisen, daß unbedingt das Entstehen zukünftiger Altlasten vermindert werden soll. Ich meine, daß solche zukünftigen Altlasten verhindert werden müssen! ({5}) Dazu ist eine konsequente Vorsorgepolitik nötig, die vor allem bei den Stoffströmen ansetzt, was im ersten Teil der Debatte eine Rolle gespielt hat. Für mich ist der vorsorgende Bodenschutz ganz besonders wichtig, der notwendig ist, um zu befürchtende Allmählichkeitsschäden zu verhindern. Wir brauchen also nicht nur wegen der optimalen Sanierung von Altlasten schnell ein Bodenschutzgesetz, sondern auch, um endlich schädliche Bodenveränderungen, diffuse Bodenbelastungen, physikalische Bodenbeeinträchtigungen, großräumige Landschaftszerstörungen und Flächenverbrauch zu stoppen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der in der Tagesordnung aufgeführten Vorlagen an die dort genannten Ausschüsse vorgeschlagen. Federführung beim Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/2758 - das ist der Tagesordnungspunkt 6 d -, soll beim Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/ 4352, soll federführend an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, an den Ausschuß für Gesundheit und an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und b auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren, Susanne Kastner, Heidi Wright, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verhinderung weiterer Gewässerverunreinigungen durch das Totalherbizid Diuron - Drucksachen 13/2518, 13/3940 - Berichterstattung: Abgeordnete Wilhelm Dietzel Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Jürgen Rochlitz b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz der Gewässer und des Trinkwassers vor Pestizidbelastungen in der Europäischen Union - Drucksachen 13/1544, 13/3307 Berichterstattung: Abgeordneter Hans-Ulrich Köhler ({2}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgeseVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch hen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Hans-Ulrich Köhler das Wort.

Hans Ulrich Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001151, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ihrem Antrag zum „Schutz der Gewässer und des Trinkwassers vor Pestizidbelastungen in der Europäischen Union" - Drucksache 13/1544 - legt die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen einen Forderungskatalog mit zehn Punkten vor. Sieht man von den für Sie, meine Damen und Herren, weltanschaulich so wichtigen Passagen dieses Antrages einmal ab, könnte man den damit verfolgten Zielen weitgehend folgen. ({0}) Wir empfehlen trotzdem seine Ablehnung, weil er in der Sache, vor allem im Hinblick auf die Darstellung der Trinkwasserbelastung mit Pflanzenschutzmitteln, überzogen ist. Darüber hinaus ist die Art, wie Sie versuchen, politische Ziele in der Europäischen Union durchzusetzen, ebenfalls abzulehnen. Wir versuchen schon seit langem, in der Europäischen Union Maßstäbe zu setzen und sie über kurz oder lang zu europäischen Standards zu machen. ({1}) Meine Damen und Herren, zum weltanschaulichen Teil Ihres Antrages: Es ist einfach unredlich, zu behaupten, nur der ökologische Landbau sei die einzig seligmachende Form der Landwirtschaft. ({2}) Auch konventionelle und integrierte Bewirtschaftungsverfahren unterliegen strengen Anforderungen. Die Bundesregierung fördert bereits seit 1994 die Einführung oder Beibehaltung ökologischer Anbauverfahren im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes". ({3}) Eine weitere Verstärkung der Förderung erscheint derzeit nicht zweckmäßig. Eine Landwirtschaft, die um Wettbewerbsfähigkeit ringt, darf nicht durch willkürliche Verschärfung von Auflagen stranguliert werden. Natürlich wissen Sie das, aber Sie können und wollen es nicht zugeben. Meine Damen und Herren, es ist schon kühn, mit pauschal wiedergegebenen Untersuchungen des Umweltbundesamtes - und eines in Teilen nachweislich falschen Berichts von Greenpeace -, die bis 1989 zurückreichen, die Forderung nach Festlegung von Grenzwerten für Pestizide im Trinkwasser zu untermauern. Sie verschweigen, daß dabei der häufigste Fund Atrazin war und nur 0,53 Prozent aller Messungen eine Überschreitung des Grenzwertes von 0,1 Mikrogramm je Liter ergaben. Seit 1991 ist in der Bundesrepublik Deutschland Atrazin verboten. Keine Untersuchung schlüsselt jedoch die Befunde nach Jahren auf. Mit dem Verbot, mit dem Deutschland in der EU - wieder einmal - Vorreiter ist, nehmen wir bewußt einen Wettbewerbsnachteil für unsere Landwirtschaft in Kauf. Und natürlich gilt dieses Verbot, das weh tut, auch für den integrierten Landbau. Die Bundesregierung hat mehrfach ein Verbot von Atrazin auf EU-Ebene gefordert. Die Europäische Kommission vertritt dazu die Auffassung, daß zunächst das Ergebnis der Überprüfung des Wirkstoffes Atrazin abzuwarten sei, bevor Maßnahmen ergriffen werden können. Jetzt zu handeln hieße das Ergebnis vorwegnehmen. Das würde unserem gemeinsamen Ziel nur schaden. Und noch einen Punkt gilt es geradezurücken: Ihrem Antrag nach, meine Damen und Herren, soll die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür eintreten - ich zitiere -, „entsprechende Grenzwerte auch auf den Bereich des Grund- und Oberflächenwassers auszudehnen". ({4}) Unterstellen wir einmal, daß Sie mit dem Begriff „Oberflächenwasser" „Oberflächengewässer" meinen, dann ist diese Forderung unverständlich. Denn fast alle Beteiligten in unserem Land stimmen darin überein, daß es für die Belastung eines Oberflächengewässers und des Grundwassers einfach unterschiedliche Werte geben muß. Das ist unstrittig. Bei der Zulassung wird der Wert von 0,1 Mikrogramm pro Liter auf das Grundwasser berücksichtigt. Für Oberflächengewässer ist dies nicht möglich, weil es in diesem Falle nicht um Stoffeigenschaften, sondern um die Anwendung in der Nähe von Gewässern geht. Ich fasse zusammen: Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten halten den vorliegenden Antrag gerade im Hinblick auf die Darstellung der Trinkwasserbelastung mit Pflanzenschutzmitteln für überzogen. Daher empfehlen wir Ablehnung. Vielen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren das Wort.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vegetationsperiode 1996 hat begonnen. Wir sehen es draußen. Überall sprießt schönes Grün, zeigen sich aber auch die Gräslein, die ordentliche deutsche Gärtner nicht so gerne haben. Was tun? Der schnellste, sicherste und einfachste Weg ist der Griff zur Giftspritze. Damit sind wir beim Thema der heutigen Debatte: Schutz der Gewässer und des Trinkwassers vor Pestizidbelastung und die Frage des Verbotes von Produktion, Vertrieb und Anwendung von Diuron. Diuron ist das auf versiegelten Flächen meistangewendete Unkrautvernichtungsmittel. Die SPD-Fraktion will erreichen, daß die Biologische Bundesanstalt eine erneute Zulassung versagt bzw. daß Verkauf und Anwendung von Totalherbiziden wie Diuron für Kleinanwender sowie die Anwendung auf öffentlichen und gewerblichen, nicht landwirtschaftlich genutzten Freiflächen ohne Ausnahme verboten werden. ({0}) Hinter dieser Forderung versteckt sich keinesfalls Chemiefeindlichkeit, die uns oft unterstellt wird, oder sogar das unverantwortliche Schüren von Hysterie. Anlaß für den Antrag waren 1995 vielmehr die alarmierenden Hinweise zahlreicher staatlicher Umweltämter, daß fast alle Abflüsse von Kläranlagen weit überhöhte Diuronwerte aufwiesen. Es wurden - so Ergebnisse im Bereich des staatlichen Umweltamtes Münster - bis zu 13,5 Mikrogramm pro Liter gemessen bei einem EU-weit festgelegten Trinkwassergrenzwert von 0,1 Mikrogramm. Ich brauche Ihnen als weitgehend Sachkundigen nicht zu erklären, ({1}) daß das Auftauchen der Diuronwerte damit nicht auf die Oberflächengewässer beschränkt bleibt. Weit überhöhte Diuronwerte sind auch im Grundwasser zu finden. Dies mußte leider auch schon in Wasserschutzgebieten festgestellt werden. In meinem Wahlkreis mußten deshalb wegen bis zu fünffacher Überschreitung der Pestizidgrenzwerte bereits Trinkwasserbrunnen stillgelegt werden; denn das betreffende Wasserwerk verfügte nicht über die teuren und auch nicht unproblematischen Aktivkohlefilter wie andere in der Region, die gar nicht mehr ohne diese Filter auskommen, weil sie ihr Trinkwasser weitgehend aus Oberflächenwasser gewinnen. Freilich sind Erfolge im Bereich der durch die Landwirtschaft belasteten Gewässer durch freiwillige Kooperationsverträge zustande gebracht worden. Aber: Solche Kooperationsverträge wie mit der Landwirtschaft über Nichtanwendung von Diuron lassen sich mit den vielen Anwendern und auch besonders mit den vielen Kleinanwendern von Totalherbiziden auf nichtlandwirtschaftlichen Flächen nicht vorstellen. Auch eine Kontrolle wäre nicht umsetzbar. Bis heute konnten die Quellen des Diuroneintrags in die stillgelegten Trinkwasserbrunnen nicht ermittelt werden. Selbstverständlich sind wir froh, daß inzwischen ein Teil unseres Antrages erledigt zu sein scheint, indem die Deutsche Bahn AG darauf verzichten will, weiter Diuron auf ihren Anlagen anzuwenden. ({2}) Hier hat Greenpeace mit seiner Kampagne um die Jahreswende einen großen Erfolg erzielt. ({3}) Darüber dürfen wir uns sicher freuen. Aber damit ist unser Antrag nicht erledigt. Zwar hat offensichtlich der öffentliche und durch unseren Antrag ausgelöste politische Druck dazu geführt, daß die Firma Bayer zu Jahresbeginn erklärt hat, sie wolle innerhalb der nächsten Jahre den Wirkstoff Diuron aus den Produkten für Kleinanwender zurückführen. Über den Verbindlichkeitsgrad dieser Erklärung dürften mit Fug und Recht Zweifel angemeldet werden: Erstens. Die Bayer-Erklärung dient offensichtlich dazu, zu einem Zeitpunkt erhöhter Aufmerksamkeit die Öffentlichkeit zu beruhigen. Niemand weiß, was geschieht, wenn diese Aufmerksamkeit erst einmal wieder nachläßt. Zweitens. Kein weiterer Diuron-Vertreiber oder Produzent von Diuron-Mixturen - deren gibt es zahlreiche - braucht sich an die Bayer-Erklärung gebunden zu fühlen. Drittens. Von Großanwendern ist in der Bayer-Erklärung keine Rede gewesen. Man geht also nach dem Motto vor: Geben wir ein kleines bißchen nach, damit wir den großen Kuchen retten können. Auch die „Aufklärungskampagne", die Bayer durchführt, darf in ihrem Erfolg zu Recht angezweifelt werden; denn oft werden die Verbraucher große Schwierigkeiten haben, zu erkennen, ob das von ihnen ausgewählte Produkt zur Unkrautvertilgung Diuron enthält. Sie müßten dazu komplizierte Aufschriften über die spezifische Rezeptur des Herbizids nachlesen. Oft fehlt den Anwendern auch die notwendige Sach- und Fachkenntnis, damit sie das Mittel bestimmungsgemäß und sachgerecht anwenden können. Überhöhte Konzentrationen werden danach häufig die Regel sein - und dies bei einer Anwendung auf versiegelten Flächen, was darüber hinaus zu einer raschen Abschwemmung in das Kanalsystem führt. Das bedeutet aber, daß die Puffer- und Filterfunktion des Bodens gar nicht erst wirksam werden kann. Damit spielt eines der wichtigsten Kriterien für die Zulassung des Mittels durch die Biologische Bundesanstalt, nämlich die Adsorptionsmöglichkeit des Bodens gegenüber dem Wirkstoff, keine Rolle mehr. Die Messungen an den Ausflüssen der Kläranlagen zeigen aber andererseits, daß Diuron auch in Kläranlagen nicht abgebaut werden kann. Im Gegenteil, wir wissen heute, daß Diuron die zur Reinigungsleistung notwendigen Kleinstlebewesen schädigt. Das bedeutet, daß erhöhte Diuronkonzentrationen in den Abwässern auch die Klärleistungen herabsetzen. ({4}) Noch immer aber setzen die Koalitionsfraktionen auf die Selbstverantwortung der Bürger und Bürgerinnen in diesem Punkt. Daß die Menschen total überfordert werden, wenn sie persönlich allen Hinweisen auf Gefährdungspotentiale für Lebensmittel und Gesundheit nachgehen und entsprechend handeln sollen, rührt die Regierungskoalition wenig. Daß die Anwender von Diuron außerdem nicht etwa nur ihrer eigenen Gesundheit schaden, sondern möglicherweise vielen Menschen Schaden zufügen, läßt sie ebenfalls kalt. ({5}) Was aber von den Bürgern und Bürgerinnen auf alle Fälle zu verkraften ist, das sind die steigenden Kosten für die Trinkwasseraufbereitung. Angesichts der in vielen Bereichen zu verzeichnenden Gebührensteigerungen gebietet auch die soziale Verantwortung, einer solchen Entwicklung, soweit es möglich ist - und hier ist es möglich -, Einhalt zu gebieten. ({6}) Der Antrag der Grünen greift noch einmal das Thema eines umfassenden Schutzes der Gewässer und des Trinkwassers vor Pestizidbelastung auf. Wir hatten dies schon in einem früheren Antrag sehr eingehend begründet, wo wir gesagt haben: Wir wollen einen Gewässerschutz, der sicherstellt, daß grundsätzlich jede Verschmutzung und Beeinträchtigung der Gewässer vermieden wird, um sie als wichtigen Teil unseres Naturhaushalts zu schützen. Wir brauchen überall Trinkwasser, das möglichst ohne Aufbereitung getrunken werden kann. ({7}) Dies gilt nach wie vor. Und - interessant - die Umweltpolitiker auch der Koalitionsfraktionen haben auf Vorschlag der SPD- Fraktion die Bundesregierung aufgefordert, für die Beibehaltung der Grenzwerte für Pestizide in der Trinkwasserrichtlinie einzutreten. Sie müssen aber auch dazu beitragen, daß die Grenzwerte eingehalten werden können. ({8}) Ich darf den Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft zitieren, der der Meinung ist, daß zur Vermeidung von weiteren Gewässerbelastungen durch das Pflanzenschutzmittel Diuron aus der Sicht der Wasserversorgungsunternehmen eine Überprüfung der Zulassung durch die Biologische Bundesanstalt in Braunschweig erforderlich ist. ({9}) Ich kann keinen vernünftigen Grund erkennen, weshalb man Diuron unbedingt weiter anwenden muß. Angesichts der Belastungen für Umwelt und Gesundheit, die aus überhöhten Diuronkonzentrationen entstehen können, müssen wir für die Alternative optieren: Wildkräuter wachsen lassen oder mechanisch entfernen. Und kommen Sie mir nicht mit dem Argument, wir würden hier eine Mücke zum Elefanten aufbauschen. Die Zahl der Skandale hinsichtlich gesundheitlicher Belastungen, die lange verharmlost wurden und die schließlich als sehr ernst anerkannt werden mußten, steigt ständig. Beispiele sind Holzschutzmittel, BSE, PVC; man könnte andere nennen. Die Gefahren von Akkumulations- und synergistischen Wirkungen, aber auch von Wirkungen von Abbauprodukten, sollten aufrütteln. Schaffen Sie deshalb im Sinne eines vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes mit uns Voraussetzungen zum Handeln nach dem Motto: Gefahr erkannt - Gefahr gebannt. Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu! ({10})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile nun der Abgeordneten Ulrike Höfken das Wort.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Köhler, es gibt durchaus Untersuchungen, die sich auf einzelne Fundjahre beziehen. Einer Studie des Umweltbundesamtes beispielsweise, veröffentlicht durch den Industrieverband Agrar, können Sie entnehmen, daß durchaus neue Funde aufgetreten sind, beispielsweise in hohem Ausmaß von Atrazin. Natürlich fanden sich in den letzten Jahren auch die Triazine - trotzdem spricht man gerne von einer Verbesserung, die ich auch überhaupt nicht abstreiten will -, genauso wie Bromacil, Diuron und Hexazinon. Die Situationsbeschreibung, die laut Greenpeace auf eine flächendeckende Belastung des Rohwassers mit Pestiziden hinauslief, ist durchaus zutreffend. Das bedauere ich. Insofern ist diese Analyse zutreffend, auch wenn die eine oder andere Befragung vielleicht nicht sehr wissenschaftlich gewesen ist. Am Ergebnis - das sagt auch das Umweltbundesamt - hat sich leider doch nichts geändert. Die Belastungen sind zu hoch. Weitere Schritte zum Schutz des Wassers sind erforderlich, die an die Ursachen der Kontamination von Grund-, Trink- und Oberflächenwasser gehen und sich nicht auf den Rohwasserschutz beschränken. Die Notwendigkeit dafür - das fordern auch die Wasserwerke - ergibt sich aus den explodierenden Kosten der Abwasserreinigung. ({0}) Pestizide wie Diuron, deren Rückstände die Grenzwerte des Grundwassers überschreiten - wie die 25 am häufigsten im Grundwasser gefundenen Mittel in der Liste des Umweltbundesamtes -, dürfen nicht mehr zugelassen werden. Das betrifft eben auch die Verlängerung der Zulassung des Mittels Diuron. Das soll umfassend gelten, nicht nur im Privatbereich, wie die Bayer AG das vorschlägt, sondern auch für die Bahn AG und in der Landwirtschaft. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich ein neues Pflanzenschutzgesetz vorzulegen - das ist überfällig - und den überholten Bezug auf die „gute fachliche Praxis" endlich aufzugeben ({1}) sowie eine generelle Rezeptpflicht für die Anwendung von Pestiziden einzuführen. Die Voraussetzungen dafür sind durch die Praxis des integrierten Landbaus schon lange vorhanden. Die Notwendigkeit, im Gewässerschutz endlich klare Bedingungen zu schaffen, ergibt sich gerade aus der Praxis und aus den merkwürdigen Gebräuchen dort. Von der Landwirtschaftskammer Rheinland beispielsweise habe ich Empfehlungen für den Gemüseanbau vorliegen, die sich ausdrücklich auf eine Reihe nicht zugelassener Pestizide für bestimmte Kulturen beziehen: für Salat, für Porree, für dicke Bohnen usw. Wenn das die „gute fachliche Praxis" ist, dann ist das Verfahren spätestens dadurch völlig konterkariert. ({2}) Wir verlangen auch, nicht nur den Pestizid-Einzelgrenzwert für das Trinkwasser von 0,1 Mikrogramm beizubehalten, sondern auch den Summenwert. Nur das eine oder das andere beibehalten zu wollen, das ist eben ein Verfahren, solche Vorschriften auf europäischer Ebene auszuhebeln. Wir halten die Zweigleisigkeit für unwahrscheinlich wichtig. Die nationalen Zulassungsregelungen müssen im Pflanzenschutzgesetz selbst getroffen werden und nicht, wie die Bundesregierung das vorhat, durch einen Verweis auf die Trinkwasserverordnung und die Trinkwasserrichtlinie. Ebenso dürfen keine Pflanzenschutzmittel zugelassen werden - auch nicht über drei Jahre, wie die Bundesregierung das offensichtlich plant -, die noch nicht abschließend untersucht worden sind. Die Oberflächengewässer müssen in eine vernünftige Regelung einbezogen werden. Das heißt, sie dürfen auf keinen Fall wie bisher weiter verschmutzt werden. Denn dann haben die Wasserwerke und die Gebührenzahler hinterher das Problem, die verschmutzten Wasserbestände in den Wassereinzugsgebieten wieder sauberzubekommen. Das ist unseres Erachtens nicht der richtige Weg. Minister Borchert ist aufgefordert, den Beweis anzutreten, daß er sein Versprechen hält, die von der EU ermöglichte Ausnahmeregelung für grenzwertüberschreitende Pestizide - diese Fünfjahresregelung - in Deutschland nicht zur Anwendung kommen zu lassen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Günther Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Qualität der Gewässer steht seit langem zu Recht im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Dies gilt auch für die neuen Bundesländer, obwohl gerade hier ein erheblicher Nachholbedarf bestand. In den alten Bundesländern werden 95 % des Abwassers biologisch und bereits 59 % in einer dritten Reinigungsstufe gereinigt. Dennoch bleiben Grundwasserverunreinigungen weiterhin problematisch. Versauerungsauslösende Luftschadstoffe, Industriestandorte, sanierungsbedürftige Abwasserkanäle und nicht zuletzt auch die Landwirtschaft können Probleme bereiten. Die Diskussion um den Einsatz des Wirkstoffes Diuron macht deutlich, wie sensibel die Bevölkerung auf die Anwendung von Herbiziden reagiert. Sie zeigt aber auch, wie weit sich einzelne von einer rationalen Betrachtung des Problems entfernen können. Auch der Antrag der SPD auf Totalverbot der Anwendung von Diuron auf öffentlichen und gewerblich genutzten Flächen ist wenig sachdienlich. Er ist deshalb im Umweltausschuß mehrheitlich, auch mit den Stimmen der F.D.P., abgelehnt worden. Grund der Diskussionen um den Wirkstoff Diuron war der falsche Gebrauch vieler Kleinanwender, die das Totalherbizid im Haus- und Gartenbereich eingesetzt und unsachgemäß aufgebracht haben. Versiegelte Oberflächen wie zum Beispiel Teerflächen und Verbundpflaster haben dazu geführt, daß mit Diuron verunreinigtes Wasser in die Kanalisation gelangen konnte. Da die Gefahr der Schädigung des Trinkwassers auf Dauer nicht ausgeschlossen werden kann, will die Firma Bayer als Hersteller von Diuron das Produkt aus diesem Bereich schrittweise in den nächsten drei Jahren ersetzen. Wir begrüßen diesen Schritt. ({0}) Damit ist zwar vorerst die Gefahr gebannt; das Problem ist jedoch nicht von Grund auf gelöst. Es sind nur wenige Ersatzwirkstoffe, die zum heutigen Zeitpunkt eingesetzt werden können, bekannt; sie wirken nur in weitaus geringerem Umfang und erfordern deshalb eine häufigere Anwendung und Ausbringung. Mit einer zusätzlichen Kostenbelastung muß gerechnet werden. Noch gravierender stellt sich das Problem beim Einsatz von Diuron bei der Deutschen Bahn AG dar. Auch wenn wissenschaftliche Ergebnisse aus dem Gutachten, das die Deutsche Bahn AG in Auftrag gegeben hat, noch nicht vorliegen, hat der Auftraggeber schon heute auf die Ausbringung von Diuron verzichtet. Dies ist einerseits sicherlich zu begrüßen, dieser Schritt birgt aber auch finanziellen Sprengstoff; denn die Nichtausbringung von Diuron führt durch Humusbildung auf den Gleiskörpern zu Schäden, die erhebliche Investitionen erfordern. Bahninterne Berechnungen sprechen von Milliarden, die mittelfristig aufgewandt werden müssen, um Schotterbetten zu waschen, zu erneuern und zu stopfen. Meine Damen und Herren, zu Recht wehren sich viele Bürgerinnen und Bürger gegen überzogene und fachlich nicht begründete weitere Verschärfungen des Umweltrechtes und suchen den Ausgleich zwischen ökologisch und ökonomisch verträglichen, verantwortbaren Lösungen. Die Landwirtschaft hat dabei eine Schlüsselfunktion. Der Stoffeintrag auf landwirtschaftlich genutzten Flächen, der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist längst nicht mehr allein Thema des Berufsstandes, und das ist auch gut so. Er ist auch nicht mehr nur ein technisches und ökonomisches Problem. Vielmehr beherrschen Umweltaspekte die Diskussion, die zusätzliche Schubkraft durch das wachsende Umweltbewußtsein der Bevölkerung gewinnen. Mit seiner gutachtlichen Stellungnahme - ich möchte sie hier ganz bewußt kurz darstellen - zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Qualität von Wasser für den menschlichen Verbrauch hat der Agrarausschuß des Deutschen Bundestages nach meiner Überzeugung ein gutes Beispiel gegeben. Oberstes Ziel muß der Erhalt des hohen Schutzniveaus von Trink- und Grundwasser bleiben. Aber es muß auf der anderen Seite auch den Belangen der Landwirtschaft Rechnung getragen werden können. Dazu gehört auch die flexiblere Handhabung der Grenzwerte. Deshalb sollte es in Ausnahmefällen sehr wohl möglich sein, Einzelgrenzwerte über 0,1 Mikrogramm festzulegen ({1}) und darüber nachzudenken, ob wir den Summenwert von 0,5 Mikrogramm je Liter, der toxikologisch nicht zu begründen ist, nicht entbehren können. Diese Maßnahmen hätten nach unserer Überzeugung keinesfalls eine Verringerung des Schutzniveaus zur Folge. Trotzdem - das sage ich hier auch ganz klar - haben sich die Kollegen von der F.D.P. und der CDU/CSU im Umweltausschuß für die Einhaltung der bisherigen Werte ausgesprochen. Die Bundesumweltministerin hat anläßlich des Tages des Wassers im März dieses Jahres auf die Eigenverantwortlichkeit des einzelnen hingewiesen und damit eine alte F.D.P.-Position aufgegriffen. Wir sind ihr dafür dankbar, zeigt sie doch, wohin der Weg einer zukünftigen Wasserschutzpolitik führen muß: Einsicht und Erkenntnis des einzelnen bürgen für den verantwortungsvollen Umgang mit Wasser. Sparsamer Gebrauch von Trinkwasser und die Vermeidung der Gewässerverschmutzung sind unser gemeinsames Ziel. Schönen Dank. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute nachmittag haben wir uns schon einmal über Altlasten unterhalten. Wir sprachen über Böden, die sukzessive Umweltschadstoffe und Gifte akkumulieren, die diese Verbindungen irgendwann in das Grundwasser abgeben und in unsere Nahrungskette einschleusen. Die Vermeidung solcher Kontaminationen müßte nach jahrzehntelanger Erfahrung angesichts vorhandener Altlastencocktails eigentlich an erster Stelle stehen. ({0}) - Ich muß schon wieder sagen: Es gibt auch eine PDS-West, und die vertrete ich jetzt hauptsächlich. Die redet nicht bloß über die neuen Bundesländer, und es ist auch bekannt, daß ich aus Bayern komme. . ({1}) Es ist deshalb unverständlich, daß sich die Bundesregierung beim Totalherbizid Diuron so energisch gegen eine konsequente Lösung wehrt. Diese kann nur heißen: Verbot der Produktion und des Einsatzes dieses Umweltgiftes. ({2}) Die über 300 Tonnen Pestizide, die die Bahn AG bisher pro Jahr auf ihren Gleisen versprüht hat, enthielten den Wirkstoff Diuron. Immer häufiger wird es in der Nähe von Gleisanlagen und Bahnhöfen nachgewiesen und bringt dadurch die Brunnen, die der Wasserversorgung dienen, in Gefahr. „Keine andere Lösung möglich", tönten lange die Bahn und logischerweise auch der Hersteller. Die Bayer AG führt darüber hinaus Befunde im Oberflächenwasser auf den falschen Einsatz ihrer Produkte im Kleingartenbereich zurück. Nächste Woche findet die Hauptversammlung von Bayer statt, und ich hoffe, daß die kritischen Aktionäre auch die Frage nach der Selbstverpflichtung stellen und wir auf diese Frage eine Antwort bekommen. ({3}) Nun hat der Sonntagsgärtner sicher nicht nur die Alternativen, die er vermittelt bekommt. Hier dürften eindeutig der Produzent und zuallererst der Gesetzgeber mit einem Verbot in der Verantwortung stehen. Ich gehe übrigens davon aus, daß jemand, der der Meinung ist, seine Unkräuter einmal im Jahr ohne viel Schweiß killen zu müssen, das wohl kaum ausgesprochen fachgerecht und sparsam durchführen wird. Davon abgesehen haben alternative Methoden der Unkrautbekämpfung gleiche Erfolge. Die Bahn dagegen wußte natürlich ganz genau, daß es Alternativen gibt. Sowohl in der Schweiz als auch in Österreich werden die Gleise nicht mit Diuron behandelt, Der kürzlich von der Bahn AG erklärte Verzicht auf den Einsatz kommt spät, ist aber selbstverständlich zu begrüßen. Ich denke, hier hat sich der Druck der Umweltverbände, beispielsweise die Greenpeace-Kampagne, ausgezahlt. Mechanische Maßnahmen wie das Anpflanzen von Gräsern, die das Unkrautwachstum verhindern oder bremsen, sowie die Behandlung mit Dampf sind Beispiele alternativer Unkrautvernichtung. Eine Behandlung mit weniger toxischen Pestiziden, die nur auf den oberirdischen Teil der Pflanzen einwirken und in geringeren Mengen aufgebracht werden können, wäre das kleinere Übel, wobei wir die NullVariante bevorzugen sollten. Was bei den riesigen Flächen der Bahn möglich ist, sollte auch im Garten- und Landschaftsbereich zu machen sein.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja. - Das kostet natürlich Geld, und ich denke, wenn wir nicht wollen, daß die Allgemeinheit bezahlt, müssen wir hier etwas ändern. Von einem Diuron-Verbot würden alle außer der Herstellerfirma Bayer - das ist klar - profitieren.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja. - Entscheidend bleibt, daß hochwirksame Pflanzengifte mit toxischer Langzeitwirkung

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Mit „Ja" ist das nicht getan.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- nichts mehr in unseren Böden zu suchen haben. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Wilhelm Dietzel das Wort.

Wilhelm Dietzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002641, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anwendung von Diuron hat in letzter Zeit heftige Diskussionen ausgelöst, aber in der Berichterstattung über die Greenpeace-Aktionen zu Diuron oder auch über den Rückzug der Bahn kommt in vielen Bereichen die sachliche Auseinandersetzung zu kurz. Viele Erkenntnisse weisen durchaus darauf hin, daß Diuron auf Grund unsachgemäßer Anwendung über die Kanalisation in Gewässer und Flüsse gelangen kann. Auch beim Einsatz auf Bahnkörpern zur Vegetationskontrolle ist wegen der besonderen Verhältnisse in diesem Bereich im Einzelfall eine Verunreinigung des Grundwassers nicht auszuschließen. ({0}) Wir, die CDU/CSU-Fraktion, nehmen das Problem dieser möglichen Kontamination des Wassers sehr ernst. Es sind laufend Untersuchungen durchgeführt worden, um das Risiko der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, auf die wir nicht verzichten können, zu vermindern. Die jetzt vorliegenden Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen zum Gleisbereich rechtfertigen durchaus eine Entscheidung, Diuron 1996 nicht nochmals zeitlich befristet zur Anwendung auf Gleisanlagen zuzulassen. Für uns gilt auch in Zukunft: Im Zulassungsverfahren solcher Mittel können und dürfen Opportunitätsgesichtspunkte keine Rolle spielen. Anwender und Produzenten würden sich mit auf Vermutungen basierenden Zulassungsentscheidungen nicht zufriedengeben, sondern alle Beteiligten erwarten zu Recht gerichtsfeste Erkenntnisse und Daten, die der Entscheidung über die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zugrunde gelegt werden. Meine Damen und Herren, ein Zulassungsverfahren, das auf dieser Basis durchgeführt wird, stellt am ehesten sicher, daß die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nicht zu Belastungen der Gewässer führt. Diuronhaltige Pflanzenschutzmittel werden als Totalherbizide zur Unkrautbekämpfung im Obst- und Weinbau und überwiegend außerhalb der Landwirtschaft, zum Beispiel zum Entkrauten von Hof-, Straßen- und Betriebsflächen angewendet. Für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf den letztgenannten Flächen ist nach dem Pflanzenschutzgesetz eine spezielle Erlaubnis erforderlich, die von den zuständigen Behörden nur erteilt werden kann, wenn der angestrebte Zweck nicht auf andere Weise und mit zumutbarem Aufwand erreicht werden kann. Die bundeseinheitliche Zulassung stellt daher lediglich sicher, daß für die genannten Anwendungsgebiete im Beispielsfall Pflanzenschutzmittel zur Verfügung stehen, die bei sachgerechter und bestimmungsgemäßer Anwendung und unter Einhaltung der in der Gebrauchsanleitung ausgewiesenen Einschränkungen zu keinen schädlichen Auswirkungen auf das Grundwasser oder zu anderen, nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnis unvertretbaren Auswirkungen auf den Naturhaushalt führen. Dennoch ist Diuron in letzter Zeit in Gewässern und auch im Grundwasser festgestellt worden. Es ist zu befürchten, daß viele Anwender nicht über ausreichende Sachkunde verfügen. Große Bedeutung kommt nach wie vor einer verstärkten Aufklärung durch Handel und Hersteller zu. Wir müssen alle Maßnahmen ergreifen, um Gewässer vor Einträgen von Pflanzenschutzmitteln zu schützen. Gewässerschutz ist zugleich auch Trinkwasserschutz. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Ausführungen zu der Wasserkampagne von Greenpeace machen, die ja offensichtlich beweisen sollte, daß in 25 Fällen Nachweise für das Vorhandensein von mehr als 0,1 Mikrogramm Diuron pro Liter Grundwasser gegeben seien. Es gibt aber auch in diesem Bereich zum Teil recht merkwürdige Verfahren, so zum Beispiel, daß Einzelbefunde bei Nachbeprobung nicht bestätigt werden konnten, daß Fundorte doppelt aufgeführt wurden, daß Fälle unbekannt und nicht aufklärbar waren; aber für spektakuläre Aktionen verkaufen sich diese natürlich gut. Wenn ich nur ein Beispiel anführen kann, meine Damen und Herren: Im Oberbergischen Kreis gab es einen Diuronfund, der den Grenzwert nicht überstieg, und trotzdem wurde dieser Kreis von Greenpeace für pestizidbelastet erklärt. Der Oberkreisdirektor hat hierzu angemerkt: methodisch schon sehr merkwürdig. - Dem schließe ich mich an. Meine Damen und Herren, bei dieser ganzen Kampagne gibt es trotzdem Einrichtungen, die kalte Füße bekommen. Die Bahn AG will Diuron nicht mehr einsetzen. Die Gleisfreihaltung soll umweltfreundlicher gestaltet werden - so weit, so gut. Aber ich frage auf der anderen Seite doch etwas verwundert, weswegen die Bahn denn kurze Zeit später zum ersten erklärt, die chemische Vegetationskontrolle bleibe ihre bestimmende Strategie, und zum zweiten fordert, weitere Bodenherbizide zuzulassen. Die dritte Frage, die man in diesem Zusammenhang natürlich auch stellen muß, ist, ob die Behandlung mit bisher einmal Diuron je Jahr zum Beispiel durch Glyphosate ersetzt werden soll, die dann drei- oder viermal im Jahr ausgebracht werden müßten. Ob dies dann umweltfreundlicher ist, frage ich natürlich auch. ({2}) Meine Damen und Herren, ich möchte eine Diskussion aus dem Jahr 1994 aus Baden-Württemberg ansprechen. Dort gab es zahlreiche grenzwertüberschreitende Diuron-Gehalte. Dies führte dazu, daß die Landesregierung mit Verfügung vom 12. April 1994 die Anwendung von Diuron in Wasserschutzgebieten verboten hat. Alle diese Proben wurden nachgeprobt und testiert. Bei diesen Nachproben stellte sich heraus, daß in diesem Fall nicht eine DiuronProbe bestätigt wurde. Dies führte dazu, daß das Land Baden-Württemberg am 2. Dezember 1994 Diuron wieder zugelassen hat. Nun werden Sie fragen, weshalb ich dies hier anführe. Soweit ich es in Erinnerung habe, gab es 1994 in Baden-Württemberg eine Große Koalition zwischen CDU und SPD. Ich denke, daß in diesem Bereich der Umgang mit Pflanzenschutzmitteln entsprechend realistisch gesehen wird. ({3}) Es gibt sicherlich einige Bereiche, die beanstandet werden müssen, zum Beispiel Anwendungsausschluß -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte nur noch einen Satz.

Wilhelm Dietzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002641, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Anwendung in Problemfeldern und schwierigen Bereichen wie zum Beispiel Bahngleisen, Haus- und Kleingärten, Flächen, bei denen Oberflächenwasser ins Grundwasser gelangen kann, wird durch Verbote beseitigt. Ich denke, daß bei ordnungsgemäßer Anwendung ein Diuron-Eintrag in das Grundwasser mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Ich bedanke mich. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Verhinderung weiterer Gewässerverunreinigungen durch das Totalherbizid Diuron, Drucksache 13/3940. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2518 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist abgelehnt. ({0}) - Entschuldigung, die Beschlußempfehlung ist angenommen. Damit ist der Antrag abgelehnt. ({1}) Die Formulierung „Sind Sie dafür, daß wir dagegen sind?" bringt uns alle gelegentlich ein bißchen ins Schlittern. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Schutz der Gewässer und des Trinkwassers vor Pestizidbelastungen in der Europäischen Union, Drucksache 13/3307. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1544 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zu einem Verbot von Anti-Personen-Minen auf Drucksache 13/4380 zu erweitern. Der Antrag soll jetzt gleich aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dem ist so. Dann ist das auch beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 und den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 14 auf: 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Kröning, Uta Zapf, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Anti-Personen-Minen - Drucksachen 13/4093 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({2}) Verteidigungsausschuß Vizepräsident Hans Klein ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Dirk Bierling, Claus-Peter Grotz, Heinrich Lummer, Hans Raidel, Karl Lamers und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Volker Kröning, Uta Zapf, Gernot Erler, Karsten D. Voigt ({3}), Dr. Peter Struck, Rudolf Scharping und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Günther Friedrich Nolting, Ulrich Irmer, Jörg van Essen, Dr. Helmut Haussmann, Uwe Lühr, Dr. Rainer Ortleb, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P. Verbot von Anti-Personen-Minen - Drucksache 13/4380 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Volker Kröning das Wort.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, daß der Bundestag am Vorabend der Abschlußrunde der VN- Waffenkonferenz noch einmal Rück- und Vorschau auf seine Arbeit zu diesem Thema hält. Seit der Debatte am 29. Juni 1995 haben wir dreierlei erreicht, was wir öffentlich vorzeigen können. Erstens. Der deutsche finanzielle Beitrag zu internationalen Minenräumaktivitäten ist 1996 erheblich aufgestockt worden. Das wollen wir auch für 1997 sicherstellen. ({0}) - Das freut uns. Da haben wir ja schon die Mehrheit. Zweitens. Das deutsche Exportmoratorium für Anti-Personen-Minen ist unbefristet verlängert worden. Wir Sozialdemokraten streben weiterhin ein Exportverbot für alle Landminen an. ({1}) - Es wäre schön, wenn das auch festgehalten würde. Drittens. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre Verhandlungslinie bei der Waffenkonferenz weiterentwickelt. Das Verbot und die Abschaffung von Anti-Personen-Minen werden nunmehr übereinstimmend innerhalb der Bundesregierung und zwischen Bundestag und Bundesregierung nicht mehr als langfristiges Ziel verfolgt, das in Genf noch keine ernstzunehmende Rolle zu spielen hätte, sondern wird ein Thema dieser Runde. Deutschland geht dabei in einer Reihe weiterer Staaten mit gutem Beispiel voran. Dieser Erfolg hat viele Väter und Mütter. Ohne den Druck der NichtRegierungsorganisationen, meine Damen und Herren, der im In- und Ausland zu erleben war, ohne die Weichenstellungen so wichtiger Nachbarstaaten wie Österreich und der Schweiz und so achtbarer NATO-Staaten wie Belgien, der Niederlande, Dänemark und Norwegen und ohne die Bewegung, die in den USA unter dem Eindruck des Bosnien-Einsatzes entstanden ist, wären wir nicht soweit. ({2}) - Ich mache schon die notwendige Verbeugung. Ich glaube, die Bundesrepublik hat auch ein Zeichen für das parlamentarische Interesse an der Sache gesetzt, auch gerade im Zusammenwirken von Koalition und Opposition. ({3}) Schließlich will ich nicht anstehen, mich für die Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung zu bedanken, besonders im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle, in dem wir regelmäßig und eingehend unterrichtet worden sind, und für die Bereitschaft zweier Minister, ihren Verwaltungen neue Vorgaben zu machen. Ich weiß, daß gute Mitarbeiter dies auch danken. Dies gilt nicht nur für die Juristen des Auswärtigen Amtes, sondern auch für die Soldaten der Bundeswehr. Doch als Antragsteller der Vorlage auf Drucksache 13/4093, die offenbar den Punkt getroffen hat, will ich nicht in Lobhudelei, schon gar nicht in Selbstlob verfallen. Ich brauche nicht zu wiederholen, was ich in diesem Haus am 1. Februar 1996 gesagt habe. Mit dem gemeinsamen Antrag, den Koalition und SPD wie vor einem Jahr erneut stellen und zu dessen Gunsten wir unseren Antrag, der sich gewissermaßen vom Futur zum Perfekt verwandelt hat - perfekt ist die Sache noch nicht -, zurückziehen wollen, lenken wir das Augenmerk darauf, welche Überzeugungs- und Durchsetzungsarbeit in den nächsten zwei Wochen in Genf zu leisten ist. Ich nenne als Beispiele: Ein Einsatzverbot für nicht detektierbare Minen ist noch nicht erreicht. Es wird noch immer um lange Übergangsfristen für die Einführung von Selbstzerstörungs- und Selbstneutralisierungsmechanismen und über großzügige Wirkzeitbegrenzungen gefeilscht. Die Geltung des Minenprotokolls in innerstaatlichen Konflikten ist noch nicht gewährleistet, und auch die bisherigen Ergebnisse zum Verifikationsmechanismus lassen noch sehr zu wünschen übrig. Wir Sozialdemokraten erwarten, daß die Bundesrepublik als Verhandlungsführer der westlichen Staatengruppe alles Geschick daransetzt, noch deutliche Verbesserungen an den Ergebnissen des letzten Vorbereitungstreffens zu erzielen. Die Bundesregierung sollte zu verstehen geben, daß diejenigen Staaten, die sich querlegen, mit Rückwirkungen auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu rechnen haben. Doch wir erwarten auch Transparenz und Schlüssigkeit bei der Umsetzung der Entscheidungen der Bundesregierung. Es kann nicht angehen, wie Staatsminister Schäfer neulich erklärt hat, daß von dem Exportmoratorium Ausnahmen gemacht werden, die sogar in dem Text nicht erkennbar sind. ({4}) - Sie haben es zwar gesagt, doch aus der Veröffentlichung war dies nicht zu entnehmen. Es wird ferner im einzelnen zu prüfen sein, welche Definition von Anti-Personen-Minen nach der Entscheidung des Bundesverteidigungsministers von der Bundeswehr wirklich zugrunde gelegt wird. Wir bitten den Verteidigungsminister um Vorlage eines ausformulierten Erlasses. Es geht vor allem um die Definition von Anti-Personen-Minen im Verhältnis zu dem bei der Bundeswehr üblichen Begriff der Schützenabwehrmine. Es geht um die Erfassung moderner Minentypen, besonders wenn sie für verschiedene Zwecke benutzt werden können. Es geht auch um Anti-Personen-Minen, die aus dem Bestand der NVA stammen. Wenn man, meine Damen und Herren, auf die Ergebnisse der 26. Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondkonferenz, die zwischen dem Anfang und dem Ende der VN-Konferenz stattgefunden hat, und auf den wichtigen Beitrag zurückblickt, den das IKRK erst jüngst mit der Studie „Anti-Personnel Landmines - Friend or Foe?" geleistet hat, bin ich zuversichtlich, daß unsere Verhandlungsführer mit guten Leitlinien nach Genf ziehen. Für uns Sozialdemokraten wird die nächste Beratungsrunde in diesem Hause die Ratifizierung des Waffenübereinkommens und der Protokolle sein. Wir bitten schon jetzt darum, den Gesetzentwurf nicht zu lange auf sich warten zu lassen, und werden uns auf unser Abstimmungsverhalten sorgfältig vorbereiten. Meine Damen und Herren, auch wenn die Ächtung von Anti-Personen-Minen in Genf nicht durchsetzbar sein dürfte, fordern wir, daß das Thema auf der internationalen Tagesordnung bleibt. Wir wollen ausschließen, daß Genf eine Station auf dem Wege zur Modernisierung von Minen und damit zu einem neuen Rüstungswettlauf bei dieser Waffenart wird. Das Ergebnis muß sein, der Abschaffung von AntiPersonen-Minen und einer humanitären Kontrolle über die übrigen Landminen, so schwer es auch fällt, dieses Begriffspaar zu bilden - das gilt aber für alle Waffen -, näherzukommen. Ich danke Ihnen. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Dr. Friedbert Pflüger, Sie haben das Wort.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß der Anlaß, aus dem wir uns heute versammeln, uns erst einmal die Gelegenheit bieten sollte, dem Bundesverteidigungsminister für seine klare Entscheidung vom 15. April zu danken. ({0}) - Ich schließe in den Dank ausdrücklich den Herrn Bundesaußenminister ein. ({1}) Es ist die Entscheidung gefallen, auf Anti-Personen-Minen zu verzichten und sich für eine weltweite Ächtung in Genf einzusetzen. Der Bundesverteidigungsminister - das werden Sie mir nachsehen - hat es am schwersten gehabt, diese Entscheidung zu vertreten. Er hatte nämlich gegenüber der militärischen Gemeinschaft zu erklären, daß durch diese Entscheidung Lücken in die bisherige Verteidigungskonzeption gerissen werden. Von daher sollten wir die Entscheidung des Bundesverteidigungsministers hier wirklich würdigen. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, freuen uns jedenfalls sehr darüber. ({2}) Die Entscheidung von Herrn Rühe bestätigt auf eindrucksvolle Weise die Vorreiterrolle, ({3}) die die Bundesrepublik Deutschland - hören Sie ruhig zu, Frau Kollegin Beer - in den letzten Jahren in der Minendebatte auf allen Gebieten gespielt hat. Ich werde das belegen. Erstens. Die Forderung der 48. Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte ein Exportverbot von Anti-Personen-Minen vorgesehen. Die Bundesrepublik Deutschland ist diesem Exportverbot als einer der ersten Staaten nachgekommen. Es hat im Juni 1994 ein Exportmoratorium zunächst auf drei Jahre befristet gegeben. Zweitens. Dieses Exportmoratorium ist am 11. Januar durch die Entscheidung des Herrn Bundesaußenministers verlängert worden. Drittens. Jetzt haben wir das Moratorium zu einem völligen Verzicht der Bundeswehr auf Anti-Personen-Minen ausgeweitet. Viertens. Die Bundeswehr vernichtet derzeit 491 000 Panzerabwehrminen älterer Bauart, 1,27 Millionen Schützenabwehrminen und 1,28 Millionen Minen aus Beständen der ehemaligen NVA. Zusammen sind das über 3 Millionen Minen, die in den Beständen der Bundeswehr vernichtet werden. Wir sind also der größte Minenvernichter der Welt, und das sollten auch die Grünen und die PDS zur Kenntnis nehmen. ({4}) Fünftens. Der Betrag für weltweite Minenräummaßnahmen ist im Haushalt 1996 von 3 Millionen auf 13 Millionen DM angehoben worden. Gleichzeitig aber gibt, was kaum gewürdigt wird, die Bundeswehr 40 Millionen DM für die Beschaffung von Systemen betreffend Aufklärung und Räumung von Minen aus. Diese 40 Millionen DM, die der Minenräumung dienen, erscheinen in den Statistiken der Grünen immer bei Ausgaben für Minen. Sie dienen dem Minenräumen. Es ist eine große Leistung, daß wir trotz der Haushaltszwänge, denen wir uns gegenübersehen, 53 Millionen DM für Minenräumen im Jahr 1996 ausgeben. ({5}) Sechstens. Auf der Überprüfungskonferenz in Genf setzen wir uns auf allen Gebieten als Vorreiter für eine Verschärfung des Minenprotokolls der Vereinten Nationen ein. Wir sind dafür, daß das Minenprotokoll auch in innerstaatlichen Konflikten gelten soll. Wir sind dafür, daß es einen Überprüfungsmechanismus geben soll, der auch Möglichkeiten zur Ahndung von Verstößen gegen dieses Minenprotokoll eröffnet. Wir sind für ein Verbot aller Minen, die nicht mit herkömmlichen Minenschutzgeräten aufspürbar sind. Wir sind für Einsatzbeschränkungen für alle Arten von Landminen, die nicht über Selbstzerstörungsmechanismen verfügen. Darin sind wir die Vorreiter, und es sind nicht die Bundesrepublik Deutschland, der Außenminister, der Verteidigungsminister, die das blockieren würden. Das ist doch das, was Sie in Ihrem Agitations- und Propagandamaterial ständig der Öffentlichkeit vorhalten und erzählen. Sie vermitteln den Eindruck, als seien hier Leute, die eine Freude daran hätten, daß Kinder keine Beine mehr hätten und daß irgendwo auf der Welt Minen explodieren. Wir sind diejenigen, die hier Vorreiter sind. Es sind Länder wie China, Iran, Pakistan, Indien, Mexiko, die hier bremsen, nicht aber die Bundesrepublik Deutschland, Frau Kollegin Beer. ({6}) Kaum jemand weiß davon, daß es ein Minendokumentationszentrum der Bundeswehr gibt, das seit 1993 den Auftrag hat, eine Datenbank mit wesentlichen Informationen über alle weltweit vorhandenen Minen und Sprengmittel anzulegen. In dieser Datenbank sind 467 verschiedene Minentypen und 43 Minenzünder gespeichert. Diese Erkenntnisse stellen wir der Weltgemeinschaft, den Vereinten Nationen zur Verfügung. Ich finde, daß auch hier die Arbeit, die geleistet wird, ganz ausgezeichnet ist. Frau Kollegin Beer, wenn wir dem Ratschlag der Grünen gefolgt wären und als Koalition auf einem Gesamtverbot aller Landminen bestanden hätten, was Sie alle wollen, dann hätten wir nie im Leben die Entscheidung des Bundesaußenministers und des Bundesverteidigungsministers gehabt. Wer glaubt, wir könnten heute zum Beispiel Anti-Panzer-Minen von der Welt verbannen, der erhebt eine unrealistische, im übrigen auch eine militärisch nicht verantwortbare Forderung. Deshalb war es richtig, diese Trennung vorzunehmen. Das war die Voraussetzung dafür, daß wir einen Beschluß bekommen haben, daß wir die schlimmsten dieser Waffen, nämlich die Anti-Personen-Minen, die nicht zwischen Zivilisten und Militärs unterscheiden, jetzt endlich ächten können. Ich glaube, daß es eine kluge Entscheidung gewesen ist. Ich möchte hier im Parlament auch den Sozialdemokraten und der F.D.P. herzlich dafür danken, daß Sie diesen Weg mitgegangen sind. Ich weiß, daß es von seiten humanitärer und kirchlicher Organisationen - zum Beispiel des Roten Kreuzes - einen Druck gab weiterzugehen. Aber ich glaube, daß es richtig war, hier eine klare Trennung vorzunehmen. Solange es Panzer gibt, die eine militärische Überlegenheit und Bedrohung darstellen, ist auch die Verteidigung mit Panzerabwehrminen legitim. Es ist meines Erachtens richtig und notwendig, auch darauf hinzuweisen. Das gehört zur Wahrheit dazu. Diese Wahrheit hat erst die Chance eröffnet, AntiPersonen-Minen zu ächten. Dennoch müssen wir sehen, daß es nicht nur von seiten der humanitären Organisationen, denen ich übrigens allen für ihr Engagement und ihre Aufklärungsarbeit im Namen meiner Fraktion ganz herzlich danke, Kritik gibt. Wir müssen sehen, daß es auch von seiten mancher Militärs Kritik gibt, die sagt: Es ist jetzt eine große Lücke in unsere Sperrkonzeption gerissen worden. ({7}) Wie sollen wir Objektschutz durchführen, wie sollen wir in der Lage sein, zum Beispiel Dörfer oder Stellungen weiterhin gegen einen Angriff durch Infanterie zu schützen? Deshalb ist diese Frage völlig legitim. Das ist keine Frage von blutrünstigen Offizieren, sondern eine legitime militärische und sicherheitspolitische Fragestellung. ({8}) Um so höher ist zu bewerten, daß sich der Verteidigungsminister entschlossen hat zu sagen: Der humanitäre Schaden dieser Waffe ist größer als der militärische Nutzen. ({9}) Das ist die grundsätzliche Begründung, die auch wir so empfunden haben. Ich kann nur auf eine Erklärung amerikanischer Generäle verweisen. Eine Reihe von ihnen, an der Spitze jemand wie Norman Schwarzkopf, aber auch John Galvin und andere, haben in einem Brief an Bill Clinton gesagt: Diese Landminen sind militärisch nicht mehr wesentlich. Es ist deshalb geboten, sie aus humanitären Gründen abzuschaffen. Wir haben heute so viele moderne Waffen, daß wir diese furchtbaren Anti-Personen-Minen auch ersetzen können. Deshalb können wir meines Erachtens mit gutem Gewissen sagen: Die Entscheidung der Bundesregierung ist nicht nur humanitär wünschenswert gewesen, sondern sie ist auch militärisch verantwortbar. Deswegen haben wir das richtig gemacht. Ich möchte den Beteiligten in allen Fraktionen und den humanitären Organisationen danken. Ich darf zum Schluß aber auch anführen, daß wir uns als CDU/CSU aber umgekehrt auch darüber freuen, von diesen Organisationen ebenso Dank zu erhalten. Dieser - den Organisationen wahrscheinlich nicht immer leichtfallende - Dank, den zum Beispiel vor kurzem Pater Alt vom bundesweiten Initiativkreis gegen die Landminen ausgesprochen hat, bestärkt uns in unserer Arbeit. Er zeigt, daß die Grünen mit ihrer Politik völlig falschliegen. Wir haben nicht Maximalforderungen erfüllt, aber ich glaube, daß wir das Notwendige getan haben. Politik besteht eben darin, das Notwendige zum richtigen Zeitpunkt zu tun. Das haben Herr Rühe, Herr Kinkel und diese Bundesregierung in vorbildlicher Weise - auch ein bißchen auf Druck der CDU/CSU-Fraktion - getan. ({10})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Angelika Beer, Sie haben das Wort.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Man muß natürlich zugeben, daß Verteidigungsminister Rühe kurz vor der Fortsetzung der Überprüfungskonferenz der VN in der nächsten Woche dieses AntiPersonen-Minen-Verbot wirklich publikumswirksam erklärt hat. Dieser Schritt war allerdings längst überfällig, um sich selbst innerhalb der NATO nicht zu isolieren, Kollege Kröning hat aufgezählt, welche Staaten diese Notwendigkeit bereits vorher erkannt haben. Die Entscheidung paßt vorzüglich zu der PR- Strategie der Bundesregierung. Kurz vor dem Expertentreffen im Januar hat das Kabinett das zunächst auf drei Jahre befristete Exportmoratorium für die Anti-Personen-Minen unbefristet verlängert. Beide Entscheidungen legitimieren in Deutschland letztlich den bereits begonnenen Einstieg in eine Rüstungsgeneration der sogenannten High-Tech-Minen. Deswegen werden Sie von uns nicht dieses gesuchte und selbst gegebene Lob hören. Denn der jetzige Verzicht bringt lediglich die Vernichtung jener Waffen mit sich, die die Bundeswehr nicht mehr benötigt und auch nicht mehr produziert. Das wissen Sie ganz genau. Das Beharren der Militärs auf der Anwendung von Anti-Panzer-Minen, insbesondere zukünftig von Flächenverteidigungsminen der Krisenreaktionskräfte, führt dazu, daß an der Lüge, es gäbe gute und schlechte Minen, festgehalten wird. Aber die Vielzahl der Opfer beweist, daß eine Anti-Panzer-Mine - Sie wissen das sehr genau - nicht zwischen einem Panzer und einem Schulbus unterscheidet. ({0}) Moderne Anti-Panzer-Minen haben einen Räumschutz - auch das dürfte bekannt sein -, der die Funktion einer Anti-Personen-Mine hat. Der Verzicht auf Anti-Personen-Minen ist also in erster Linie militärstrategisch begründet. Würde man den Verzicht ernst nehmen, würde die Bundesregierung die Definition der Europäischen Union übernehmen, so würde sie diese Anti-Tank-Minen verbieten, weil sie den gleichen Auslösermechanismus haben. Diejenigen, die sich ernsthaft mit dem Thema Minen auseinandersetzen, wissen: Eine humane Lösung des Minenproblems ist nicht die unglaubwürdige Differenzierung zwischen guten und bösen Minen. Die einzige Lösung, die den Menschen perspektivisch hilft, und die einzige, die realpolitisch umsetzbar ist ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ich bringe den Satz noch zu Ende; dann gleich -, um die Welt von der Geißel Minen zu befreien, wäre das absolute Verbot aller Landminen. ({0}) Aus diesem Grunde halten wir an dem Antrag meiner Fraktion, der in den Ausschüssen zur Beratung liegt, fest und werden ihn demnächst behandeln. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Nolting.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Herr Kollege.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, können Sie mir, uns und den staunenden Zuschauern dann einmal erklären, warum die Fraktion der Grünen im Verteidigungsausschuß Anträge gestellt hat, nach denen Minensuchgerät und Gerät zur Minenvernichtung nicht mehr zu beschaffen ist? Können Sie das einmal in ein Verhältnis zu dem, was Sie jetzt hier moralisierend vortragen, setzen?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das mache ich natürlich gerne, Herr Kollege. Sie wissen, daß wir uns bei diesem Antrag auf einen Prüfbericht des BMVg beziehen, in dem schriftlich den Verteidigungsexperten dargelegt wurde - auch im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle übrigens, dem Sie nicht angehören -, daß der „Keiler" keine Fähigkeiten zur humanitären Minenräumung hat und auch nicht haben soll, sondern nur der militärischen Minenräumung dient. Um Ihnen das vielleicht erläutern zu dürfen: Der Keiler hat einen Mechanismus, der die Minen zur Seite wirft und der gleichzeitig dadurch, daß er eine Schneise schlägt, um die eigene Truppe sicher durchzugeleiten, ein neues Minenfeld am Rand erzeugt. Das allerdings einer Zivilbevölkerung zuzumuten, die ihre verminten Felder wieder nutzen muß, um überleben zu können, ist Schlichtweg menschenverachtend. Wir haben dem entgegengehalten, daß diese Gelder, auch die für die Minenproduktion, für die humanitäre Minenräumung ausgegeben werden sollten. Auch in bezug darauf gibt es Berichte, die Sie durchaus einmal zur Kenntnis nehmen sollten. Wenn man sich die erfolgreiche Räumung durch die Krohnsche Fräse in Mosambik anschaut, ({0}) die ja auch von dem Auswärtigen Amt gefördert wird, dann wird man den Unterschied zwischen humanitärer und militärischer Räumung begreifen. Wir wollen nicht erst Minen für die Kriegsführung produzieren und dann High-Tech-Gerät für deren Räumung. Vielmehr wollen wir die Menschheit von dieser Geißel befreien, einer Geißel, die von Rüstungsproduzenten so definiert wird, daß sie Menschen nicht tötet, sondern zerstückelt und verstümmelt, um zu demoralisieren. Das machen wir nicht mit. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Nolting zu beantworten?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin gerne bereit, ihm weitere Informationen zuzuleiten. Das steht allerdings auch in den Drucksachen. Bitte, Herr Kollege.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde gerne dazu noch eine weitere Frage stellen, wenn Sie sie zulassen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, war es nicht in den Beratungen zum Haushaltsplan so, daß Sie ganz konkrete Anträge dazu gestellt haben, daß Gelder - ich wiederhole das noch einmal, und wir können das dann gerne noch einmal schriftlich nachlegen - nicht bewilligt werden sollen, wenn sie dazu verwendet werden sollen, Gerät zum Minensuchen und zum Minenräumen zu beschaffen? Wie erklären Sie es, daß Sie - es gibt leider eine Vielzahl von Minen auf dieser Welt - damit verhindern, daß die Bundesrepublik Deutschland Gerät zur Verfügung stellt, um zum Beispiel in Bosnien mit dem Keiler Minen entsprechend zu vernichten und aus der Welt zu schaffen? Darum geht es. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, ob Sie bestätigen, daß Sie im Verteidigungsausschuß einen entsprechenden Antrag gestellt haben, daß Gelder nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. Darum geht es, und darauf hätte ich gerne eine Antwort.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie brauchen sich gar nicht zu echauffieren. Ich habe Ihnen bereits darauf geantwortet. Wir haben diesen Antrag gestellt; wir werden ihn wieder stellen. Wenn Sie zumindest die Äußerungen Ihres F.D.P.-Ministers, des Außenministers Kinkel, zur Kenntnis genommen hätten, würden Sie wissen, daß die Anträge, die wir einbringen, dazu auffordern, die in diesen Äußerungen enthaltenen Anregungen tatsächlich umzusetzen. Ich habe die Krohnsche Fräse erwähnt. Außenminister Kinkel hat in einem Fernsehinterview gesagt, daß, wenn dieses Gerät tatsächlich so gut arbeitet, eine größere Produktion erfolgen soll, und zwar nicht zu Lasten eines Privatmannes, der dieses Gerät aus humanitären Gründen entwickelt hat, sondern zu Lasten des Staates, um zum Beispiel Mosambik von dieser Plage zu befreien. Dafür werden wir nicht nur die Mittel, die für den militärischen Keiler freigestellt sind, umwidmen, sondern die gesamten Mittel, die im Moment im Bereich der Weiterentwicklung, Forschung und Produktion von High-Tech-Minen enthalten sind. Diesen Antrag gebe ich Ihnen als erstem gern zur Kenntnis. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Beer, jetzt möchte der Kollege Breuer noch eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, auch die zu beantworten?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber natürlich, Herr Kollege Breuer.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Herr Kollege Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Beer, können Sie mir, da Sie diesen seltsamen Unterschied zwischen militärischem Gerät und humanitärem Gerät machen, erklären Angelika Beer ({0}): Den sollten Sie als Experte kennen.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- wie ein militärisch-humanitärer Einsatz verantwortet werden könnte, bei dem es nach Ihrer Definition nicht möglich wäre, humanitäre Güter in ein Hilfsgebiet hineinzubringen, ohne daß auf den Wegen entsprechende Schneisen geschaffen würden? Können Sie mir des weiteren erklären, wie ein einziger Kollege oder eine einzige Kollegin Ihrer Fraktion dem Bosnien-Einsatz hätte zustimmen können, wenn derartiges Gerät nicht vorhanden wäre?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Breuer, das kann ich Ihnen erklären: Wenn Deutschland während des Ersten Weltkrieges diese perfide Technologie nicht erfunden hätte, dann gäbe es diese Minen heute weder in Jugoslawien noch woanders. ({0}) Sie halten an einer Ideologie der Minentechnologie, wie sie von Ihnen verbreitet wird, fest. Sie sind nicht fähig, wissenschaftliche Berichte zu unterscheiden. Daher erkläre Ihnen gern, was humanitäre Räumung bedeutet: Mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit wird ein Gebiet, das minenverseucht war, der Zivilbevölkerung wieder zur Verfügung gestellt. Militärische Räumung kann dies aber nicht leisten. Ich habe das vorhin schon erwähnt. Auf dieser Grundlage sollten Sie zur Kenntnis nehmen, daß weder ich noch meine Fraktion dagegen gestimmt hat, diesen Prototyp „Keiler", der ansonsten ziemlich unnütz ist und Unsummen an Geld verschlingt, natürlich, wenn irgend möglich, in Ex-Jugoslawien einzusetzen, wenn es darum geht, Versorgungswege freizustellen. Wir formulieren aber eine Politik nach dem Verursacherprinzip. Kollege Breuer, es geht nicht darum, am Export, an der Produktion und an Millionen Menschenopfern zu verdienen und dann, wenn die Kriege nicht mehr aufzuhalten sind, militärische Schneisen zu schneiden. Sie sollen Landminen ächten, damit dieses Problem nicht mehr erwächst. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, der Kollege Tippach möchte ebenfalls gern eine Frage an Sie richten. Sind Sie bereit zu antworten?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Herr Kollege Tippach.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Herr Kollege. ({0})

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin Beer, würden Sie mir zustimmen, daß es für die Zivilbevölkerung völlig unsinnig ist, wenn ein minenverseuchtes Gelände als nur zu 90 Prozent - also militärisch - geräumt gilt und die übrigen 10 Prozent weiterhin minenverseucht sind? Würden Sie mir zustimmen, daß es dementsprechend unsinnig ist, Entwicklungsmechanismen einzusetzen, die militärisch geräumte Flächen mit Quoten von 90 Prozent erzeugen, daß es vielmehr sinnvoller wäre, alle Entwicklungsmöglichkeiten darauf zu konzentrieren, eine zivilsaubere Räumung, also zu 100 Prozent, zu erzielen?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stimme damit überein. Es gibt viele Organisationen, zum Beispiel medico, Mines advisory Group aus England und natürlich auch die Krohnsche Projektierung, die den Anforderungen einer 100prozentigen Minensäuberung offensichtlich entsprechen. Um Ihrer Frage eine weitergehende Forderung entgegenzuhalten bzw. sie zu ergänzen: So unsinnig es ist, Minenräumgerät zu produzieren und zu finanzieren, das nicht einmal eine Räumung von 90 Prozent erreicht - das gilt auch für den Keiler, denn er legt am Rand neue Minenfelder -, so unsinnig ist es natürlich auch, von guten Minen mit einem Selbstzerstörungsmechanismus zu reden - das hat auch Herr Kollege Pflüger eben erwähnt -, die eine Versagerquote von ebenfalls 10 Prozent haben. Das heißt, auch diese sogenannten humanitären Minen mit der Quote von 10 Prozent bedeuten eine akute Gefährdung der Bevölkerung. Man kann Menschen in ein Gebiet, wo noch 10 Prozent der Minen vorhanden sind, nicht hereinlassen. Die Bundesregierung fährt also doppelgleisig und erhält in beiden Bereichen eine Lügenpropaganda aufrecht, wodurch allerdings deutlich wird - auch das möchte ich hier klar sagen, Herr Kollege Pflüger -, daß es Ihnen nicht in erster Linie darum geht, menschliches Leid zu vermeiden. Vielmehr wird eine zu verurteilende Güterabwägung zwischen menschlichem Leid auf der einen Seite und militärischem und wirtschaftlichem Nutzen auf der anderen Seite betrieben. ({0}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das, was hier im Moment als Erfolg und als Speerspitze der Antiminenkampagne von der Regierung propagiert wird, ist nichts anderes als die Zielsetzung der Revolutionierung der Minenkriegführung in den nächsten Jahren. ({1}) Ihre Produktion und Entwicklung von Flächenverteidigungsminen wird ebenso eine Geißel für die Menschheit sein wie die bisherigen Minen, die man jetzt nicht mehr braucht. Das Signal, das Sie bei den Verhandlungen in Genf setzen, besagt nicht, daß die Staaten, die nicht über High-Tech-Minen verfügen, jetzt auch auf die einfachen verzichten sollen. Vielmehr ist es ein Signal an die Rüstungsindustrie, daß sie sich auf die Zukunftsaufträge freuen kann. Ihr Signal ist ein Signal an die internationale Kampagne gegen Landminen, die an diesem Samstag bundesweit und auch international gegen genau die Politik, die Sie hier betreiben, protestiert. Ich rufe die, die dieser Debatte heute folgen, auf und appelliere an sie: Wenn Sie einzelne, übriggebliebene Schuhe haben, schicken Sie sie symbolisch an Volker Rühe als Bundesminister der Verteidigung. ({2}) Denn er soll wissen, daß ein Mensch mit nur noch einem Schuh kein vollständiger Mensch ist

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- und daß diese Politik menschenverachtend ist. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Olaf Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, Sie haben sich total verrannt. ({0}) Für die F.D.P. darf ich feststellen: Der Verzicht der Bundeswehr auf Anti-Personen-Minen und die Vernichtung der Bestände sind ein großer Abrüstungserfolg. ({1}) Statt diesen anzuerkennen, kritisieren Sie hier mäkelnd herum und betreiben reine Agitation. Die F.D.P. begrüßt, daß der Verteidigungsminister in dieser Frage der Position von Außenminister Kinkel gefolgt ist. Das erste deutliche Signal wurde mit der auf Initiative von Außenminister Kinkel zustande gekommenen unbefristeten Verlängerung des Exportmoratoriums für Anti-Personen-Minen im letzten Jahr gesetzt. Wir haben immer wieder betont, daß sich die Minenpolitik der Bundesregierung auf das Machbare konzentrieren muß. Nur politischer Realismus führt zu Erfolg. ({2}) Es ist schade, daß sich Grüne und PDS dieser vernünftigen Politik nicht anschließen. Sie wecken mit ihren total überzogenen Forderungen falsche und unrealistische Hoffnungen. ({3}) - Frau Beer, grüne Maximalforderungen sind kontraproduktiv. ({4}) Die bisherigen Erfolge bei der Abrüstung - die werden Sie nicht bestreiten können - haben wir durch eine realistische Politik und eine Politik der Gemeinsamkeit erzielt, nicht durch utopische Träume, denen Sie nachhängen. Frau Kollegin, die letzte Überprüfungskonferenz hat doch gezeigt, wie weit auseinander die Interessen der Staaten liegen. Die bisherigen Konferenzen scheiterten doch vor allem an China und an Rußland, die nicht bereit waren, stärkere Beschränkungen hinzunehmen. Warum sagen Sie das denn nicht deutlich? Mit dem deutschen Verzicht zeigt die Bundesregierung, daß sie unsere gemeinsamen interfraktionellen Anträge vom Sommer letzten Jahres konsequent umsetzt. Dafür verdient sie Lob und keine mäkelnde Kritik. Mit unseren Ergebnissen und Forderungen sind wir den meisten Staaten weit voraus. Das Landminenproblem läßt sich nun einmal nicht in nationalen Alleingängen lösen. ({5}) - Frau Kollegin, warum begrüßen Sie denn nicht, daß sich auch in den USA ein Verzicht auf Anti-Personen-Minen abzeichnet? Unser Verzicht ist ein deutliches Signal an die Teilnehmerstaaten der Genfer Überprüfungskonferenz. Unser Ziel bleibt die weltweite Ächtung vor allem der Minen, die auch nach den Kampfhandlungen noch jahrelang als tödliche Gefahr im Boden bleiben. Wir müssen beim Thema Minen neben der humanitären Seite auch die entwicklungspolitische Komponente sehen. Landminen sind Entwicklungsverhinderungswaffen. ({6}) - Minen - vor allem die Anti-Personen-Minen ({7}) machen in weiten Teilen der Erde Landwirtschaft unmöglich. ({8}) Die F.D.P. sieht deshalb in einer Verstärkung der Minenräummaßnahmen eine besonders effektive Art der Entwicklungshilfe. Aber Minen sind nicht nur ein Problem für Entwicklungsländer. Das zeigen die Minenunfälle in Bosnien. Wenn schon IFOR-Soldaten durch Minen getötet werden, um wieviel gefährlicher sind Minen dann für die Zivilbevölkerung? ({9}) Auch die noch in Deutschland lebenden rückkehrwilligen Jugoslawienflüchtlinge werden bei ihrer Rückkehr nach Bosnien auf Minen treffen. Warum setzen wir nicht schon in Deutschland mit Aufklärungsmaßnahmen ein? Ich appelliere an die zuständigen Stellen, sich der hierzu bereits vorliegenden Konzepte zu bedienen. Ich stimme den Kollegen Pflüger und Kröning zu: Das Protokoll von 1980 zum UN-WaffenübereinDr. Olaf Feldmann kommen regelt den Einsatz von Landminen nur unzureichend. Das Protokoll muß auch für innerstaatliche Konflikte gelten. Metallose Minen müssen einem strikten Verbot unterliegen. Realisierbare Verifikationsmöglichkeiten müssen aufgenommen werden. Ich darf mit folgenden Feststellungen für die F.D.P. schließen. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung für 1996 13 Millionen DM für die Minenräumung eingestellt hat. Wir werden uns weiter für eine Festschreibung, möglichst für eine Erhöhung dieses Betrages einsetzen. Die F.D.P. stimmt dem gemeinsamen Antrag zu und lehnt den Antrag der Grünen ab. Vielen Dank. ({10})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Steffen Tippach.

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pflüger, ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, wie zynisch Ihre Argumentation eigentlich ist, ({0}) nämlich zu sagen, es sei aus militärischen Gründen jetzt nicht mehr nötig, Anti-Personen-Minen einzusetzen, weil wir moderne Waffen hätten, und dann militärisch unterentwickelten Staaten dies vorzuwerfen. Damit dokumentieren Sie eigentlich nur, daß es Ihnen nicht um humanitäre Waffen geht. Sie sind diesen Schritt gegangen, weil Sie den militärischen Vorsprung haben. Dabei steht die humanitäre Erwägung hinter der militärischen zurück. ({1}) - Was heißt hier, ich habe die meisten Minen? Nun ist es aber gut. ({2}) - Passen Sie einmal auf. Ein Wort dazu: In dieser Fraktion - ich selber sowieso ({3}) hat keiner auch nur annähernd einen solchen Kontakt zu Leuten wie Schalck-Golodkowski gehabt - das hat doch zum Rüstungsexport von Minen geführt -, wie das eine unendliche Reihe von CDU/ CSU-, F.D.P.- und SPD-Politikern aus diesem Hause hatte und hat. - Na gut, „hat" - das ist eine andere Frage -, aber sagen wir: hatte. Dann werfen Sie uns doch so etwas nicht vor! ({4}) - Das ist doch absurd, das ist doch lächerlich. Aber gut, ich fange jetzt einmal mit meiner eigentlichen Rede an. ({5}) Dutzende Länder - von Neuseeland bis Belgien, von Norwegen bis Laos - haben diesen Schritt bereits vollzogen, nämlich die totale Ächtung von AntiPersonen-Minen. Ich verzichte jetzt darauf, die Liste vorzulesen. Von einer Vorreiterrolle Deutschlands kann dabei überhaupt keine Rede sein. Eher kann schon die Rede davon sein, daß es sich um internationalen Druck gehandelt hat, der diesen Schritt letztendlich gefördert hat. Es gibt noch jede Menge andere gute Gründe, die hier aufkommende interfraktionelle Kulturstunde nicht ausufern zu lassen. Zum Beispiel ist überhaupt nicht die Rede von einem Herstellungsverbot oder einer Veränderung des deklaratorischen Exportmoratoriums hin zu einer gesetzlichen Verankerung. ({6}) - Es ist ja gut. Eine Million NVA-Minen - sagen Sie das den Leuten, die dafür zuständig und verantwortlich sind. ({7}) - Es ist ja gut. - Herr Präsident, würden Sie bitte eingreifen. Ich komme nicht mehr zum Reden, wenn dieses Geschrei dauernd einsetzt. ({8}) Ich fordere die Bundesregierung auf, ein Herstellungs- und Exportverbot für Anti-Personen-Minen gesetzlich festzuschreiben und sicherzustellen, daß es auch durch Rüstungskooperation nicht umgangen wird. Ebenso fordere ich die Bundesregierung auf, die Mittel für Forschung und Entwicklung, die bisher dafür aufgewendet wurden, der Rehabilitierung und der Räumung, also den Opfern, zur Verfügung zu stellen und den deutschen Beitrag zum UN-Minenräumfonds deutlich zu erhöhen. Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt hinweisen, der auch in dieser Debatte etwas zu kurz gekommen ist. Das sind die anderen Minentypen - das wurde bereits angesprochen -, denn hier arbeiten Sie nach wie vor mit dem großen Nebelwerfer. Fakt ist, daß neben den bekannten Gefahren durch Anti-Panzer-Minen und Submunitionen auch für die Zivilbevölkerung eine zunehmende Multifunktionalität von Minentypen zu registrieren ist. Dies gilt für die Justierung von Anti-Tank-Minen auf sogenannte weiche Ziele, also Menschen, aber auch für die Ausrüstung neuer Anti-Tank-Minen mit Räumschutzmechanismen. Kollegin Beer hat darauf bereits hingewiesen. Zudem beinhaltet die Ächtung nur eines Teils der Minenbestände die Gefahr, daß genau solche Tendenzen, nämlich die Entwicklung neuer Minentypen unter dem Mäntelchen der „guten" Minen, gefördert werden und die Unterscheidung noch fragwürdiger wird.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Kommen Sie langsam zum Schluß.

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluß. Die Forderung von UN-Organisationen und NGOs nach einem Totalverbot der Herstellung, Lagerung, Forschung und Entwicklung sowie des Exports und des Einsatzes aller Landminen ist doch wohl ein Resultat der täglichen Konfrontation mit den Opfern von Minen. Die Bundesregierung wäre gut beraten, dies aufzugreifen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, jetzt haben Sie Ihre Redezeit schon weit überschritten.

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die Verurteilung der verbrecherischen Exportpraxis anderer Staaten verlangt eigene Glaubwürdigkeit. Der letzte Satz: Doch dazu ist es nötig, nicht wie bisher am hinteren Teil der Herde mitzutrotten. Sie sollten es auch einmal als Leittier probieren. Danke. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, unserem Kollegen Helmut Schäfer, das Wort.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich immer wieder die Ehre habe, Frau Beer aus nächster Nähe zu lauschen - und es ist eine Show, die Sie, Frau Kollegin, hier immer wieder demonstrieren -, ({0}) dann verstehe ich nicht ganz die Aufregung auf seiten der Koalition; denn es ist ja eigentlich immer dasselbe. Wir haben gerade einen wichtigen Abrüstungsschritt vollzogen. Ich räume ja ein, daß ich in meinen früheren Reden eine andere Auffassung vertreten habe. Auch vor einem halben Jahr in Wien, Herr Kollege, waren wir noch nicht ganz so weit. Das war auch in der Bundesregierung ein Prozeß, wie Politik, glaube ich, immer ein fortschreitender Prozeß ist. Nun haben wir es erreicht, nun können wir nach Genf gehen und in der nächsten Woche sagen: Deutschland ist gegen die Anti-Personen-Minen. Schon steht Frau Beer da und sagt: Das ist nicht genug! Um Gottes willen, es muß sofort etwas Neues gemacht werden! Jetzt müssen wir alle anderen Minen abschaffen! ({1}) Sie wollen ja auch die NATO und im Grunde die Bundeswehr abschaffen. Von daher verstehe ich all die Forderungen, die Sie hier aufstellen. Seien Sie doch einmal einen Moment zufrieden! ({2}) Seien Sie in Ihrer Ungeduld und Hektik doch einen Moment zufrieden, und haben Sie die Größe, als Opposition auch einmal einen Fortschritt in der Abrüstung, der weltweit anerkannt wird und der in Genf ein wichtiges Signal sein wird, zu begrüßen, liebe Frau Beer. ({3}) Sagen Sie um Himmels willen nicht schon wieder: Das reicht nicht, das ist gar nichts, wir haben schon wieder ganz schreckliche Dinge, wobei die Rüstungsindustrie wieder mit neuen Aufträgen versehen wird, und was weiß ich nicht alles. Frau Kollegin Beer, es gibt nun einmal Krieg. Im Augenblick hören wir ja Tag für Tag die Nachrichten. Es sind allerdings keine Minen, die im Moment Menschen zerfetzen, um das hier einmal sehr deutlich zu sagen. Es sind andere Waffen, die eingesetzt werden. Vielleicht kommen wir in unseren Ausschüssen auch einmal zu einer Debatte über diese Vorgänge, die sich im Augenblick abzeichnen, statt uns ständig zum Beispiel mit Vergangenheitsfragen zu beschäftigen, mit Fragen, die darin bestehen, daß Sie hier - ({4}) - Vergangenheitsfragen sehe ich zum Beispiel darin, daß wir uns auch heute abend mit einer ganzen Reihe von wiederholt in diesem Bundestag erläuterten und dargestellten Problemen befassen, was nicht viel weiterführt, weil wir uns hier festhaken. Ich beziehe mich jetzt aber schon auf die nächste Debatte. Ich bin schon einen Schritt weiter. Ich rede jetzt nicht von den Minen. Ich wollte nur sagen: Seien Sie bitte froh, daß wir weitergekommen sind. Worauf es uns jetzt ankommt, ist, daß wir bei einer internationalen Konferenz, bei der an die 80 Staaten mühsam - und das ist ein ganz schwieriges Geschäft - um Kompromisse ringen, weil es höchst unterschiedliche Interessen gibt, auch bei der Landesverteidigung, auch bei dem Einsatz von Minen, sagen können: Wir haben diesen Schritt erreicht, und wir wollen, daß diese Konferenz, die nicht mit Ergebnissen schließen wird, die schon unseren Vorstellungen genügen werden, zumindest jetzt weiterkommt und Beschlüsse faßt, die über das hinausgehen, was in Wien noch nicht erreicht werden konnte. Dazu trägt auch die Entscheidung der Bundeswehr bei, und ich bin sehr froh, in dem Nicken auf der Seite der SPD-Fraktion wenigstens zu erkennen, daß die SPD, die diesen Antrag mit beschlossen hat, auch begrüßt, daß dieser Schritt vollzogen wird, und daß sie erkennt, daß das ein mühsamer Schritt nach vorn ist. Er ist nicht der letzte Schritt. Es werden weitere Schritte folgen müssen. Ich kann nur sagen: Wir werden mit noch größerem Nachdruck, als es vielleicht noch in Wien der Fall war, jetzt unsere Forderungen nächste Woche in Genf auf den Tisch legen können. Wir werden zu einem Abschluß dieser Konferenz mit weiterführenden Ergebnissen beitragen können. Wir werden auch den Antrag stellen, daß die Konferenz als solche fortgesetzt wird. Das Thema Minen ist nicht zu Ende. Es wird von neuem aufgerollt. Den Antrag wird die Bundesrepublik einbringen. Aber seien wir doch zunächst einmal froh, daß wir einen ganz großen Schritt vorangekommen sind. Daher sollten wir uns heute abend um diese Stunde vielleicht einmal freuen. Vielen Dank. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zu einem Verbot von Anti-Personen-Minen auf Drucksache 13/ 4380. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Stimmen der PDS angenommen. Der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/4093 wurde zurückgezogen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes ({0}) - Drucksache 13/3764 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({1}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Gesundheit Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann, das Wort.

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes geht es darum, in Zukunft auch Drogen, die im Straßenverkehr zunehmend zu Unfällen führen, zu erfassen und damit ein Zeichen gegen Drogen in unserer Gesellschaft und gegen die Unfallgefahren durch die Einnahme von Drogen im Verkehr zu setzen. Oberstes Ziel dieses Gesetzes ist es, zu verhindern, daß sich Süchtige ohne Rücksicht auf das Leben und die Gesundheit anderer ans Steuer setzen und schwere Unfälle verursachen. Wir haben es mit einem Problem zu tun, das auf den Nägeln brennt. Erste Untersuchungen haben zu einem erschrekkenden Ergebnis geführt. Bei 660 untersuchten Blutproben wurden in zirka 14 Prozent, also in jeder siebten Probe, Drogen oder Medikamente festgestellt. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität München stellte bei einer Analyse von rund 1 300 Blutproben auffällig gewordener Kraftfahrer sogar fest, daß bei rund 25 Prozent Cannabis, bei fast 13 Prozent Opiate und bei über 4 Prozent Kokain vorhanden gewesen ist. ({0}) Insgesamt müssen wir mit mindestens 100 000 von harten Drogen Abhängigen rechnen. Die Folgen sind auch für den Straßenverkehr erheblich. Die Deutsche Verkehrswacht schätzt, daß beispielsweise 1993 mindestens 500 Unfälle unmittelbar auf das Konto des Drogen- und Medikamentenmißbrauchs gingen, bei denen 32 Menschen getötet und 750 verletzt wurden. Andere Expertenschätzungen gehen sogar davon aus, daß jährlich rund 150 Tote und über 4 000 Verletzte im Straßenverkehr auf Drogen- und Medikamenteneinnahme zurückzuführen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns sicher einig, daß der Kampf gegen Drogen und speziell gegen Drogen im Straßenverkehr durch demagogischen Aktionismus und auch allein durch hochgestochene Vorhaben der Hochleistungsmedizin nicht zu gewinnen ist, sondern daß wir diesen Kampf nur gewinnen, wenn wir Aufklärung und Therapie durch klare und vor allem praktikable Regelungen ergänzen, die präventiv sind und so wie beim Alkohol auch repressiv wirken sollen. Wir können Drogen im Straßenverkehr genausowenig tolerieren wie Alkohol im Straßenverkehr. ({1}) Das ist doch hoffentlich eine gemeinsame Position in diesem Haus. Natürlich ist bei Drogeneinfluß schon nach der bisherigen Rechtslage eine Verurteilung nach dem Strafgesetzbuch möglich, wenn die Fahruntüchtigkeit bewiesen wurde. In der Praxis hat sich dies allerdings als sehr schwierig erwiesen, da es keine Grenzwerte für Fahruntüchtigkeit bei Drogenkonsum gibt. Und auf der Ebene des Ordnungswidrigkeitenrechts bestand bisher keine Sanktionsmöglichkeit. Damit soll nun Schluß gemacht werden. Wir schließen die Regelungslücke, indem wir das Fahren unter Einfluß bestimmter Drogen grundsätzlich verbieten. Geldbußen von bis zu 3 000 DM oder ein Fahrverbot von bis zu drei Monaten droht denen, die sich unter Einfluß von Cannabis, Heroin, Morphin oder Kokain ans Steuer setzen. Auf den schwierigen Nachweis der Fahruntüchtigkeit im Einzelfall kommt es dabei nicht mehr an. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir meinen, daß die These von einer „friedlichen Koexistenz" von Droge und Gesellschaft sich ein weiteres Mal widerlegt, wenn im Straßenverkehr gegen die Interessen anderer Menschen eklatant verstoßen wird. Ich habe es vorhin schon gesagt: Wir gehen gleichermaßen entschieden gegen Alkohol am Steuer wie gegen Drogen am Steuer vor. ({2}) Ich erinnere daran - und das sollten vielleicht alle Kolleginnen und Kollegen hier wissen, die meisten wissen es vielleicht nicht -, daß ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung oder ein Unfall, durch Alkohol verursacht, bereits von 0,3 Promille an aufwärts geahndet wird. ({3}) Und Sie wissen hoffentlich auch, daß wir inzwischen verstärkt auf die Atemalkoholanalyse setzen, die es der Polizei ermöglicht, auch bei Alkoholdelikten härter zu kontrollieren, schärfer vorzugehen und die Kontrolldichte zu vertiefen. Ich sehe in beidem einen Gleichklang. Jetzt bekommen wir erstmals ein wirksames Instrument gegen Drogen am Steuer in die Hand, und gleichzeitig vertiefen wir die Kontrolldichte gegen Alkohol am Steuer. Es kann für niemanden Pardon geben, der andere durch leichtfertiges oder berauschtes Verhalten im Verkehr gefährdet. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit Fahren im Drogenrausch künftig als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, soll im Straßenverkehrsgesetz ein entsprechender Bußgeldtatbestand verankert werden. Die Drogen, die unter diese Regelung fallen, sind in einer besonderen Anlage zum Gesetz aufgenommen. Zunächst sind das die am häufigsten vorkommenden Drogen Haschisch und Marihuana, Heroin, Morphin und Kokain; denn bei diesen Drogen sind bereits gerichtsverwertbare Analyseverfahren entwickelt worden. Die Liste hat den Vorteil, daß bei neuen Erkenntnissen im Bereich der Medizin und des Unfallgeschehens schnell und damit wirkungsvoll eine Ergänzung durch Rechtsverordnung erfolgen kann. Die Effektivität der Regelungen wird also durch eine praxisnahe Anwendung gewährleistet und erhöht. Um die Praxisnähe zu gewährleisten, haben wir im übrigen eng mit den medizinischen Fachgesellschaften - der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin und der Gesellschaft für Forensische und Toxikologische Chemie - zusammengearbeitet. Für den Nachweis des jeweiligen Stoffes im Blut müssen Verdachtsmomente vorliegen, die eine Blutprobe rechtfertigen. Für die wirkungsvolle Anwendung der Vorschrift ist es daher wichtig, daß die Polizei in die Lage versetzt wird, Verdachtsmomente besser zu erkennen. Dazu habe ich im letzten Jahr einen Auftrag an das Institut für Rechtsmedizin an der Universität des Saarlandes vergeben, die ein bundesweit anwendbares Schulungsprogramm für Polizeibeamte ausgearbeitet hat. Außerdem wird derzeit ein Gerät untersucht, mit dem wir durch Messungen der Pupillenreaktion Drogenmißbrauch schnell erkennen können. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Ergebnisse vorliegen. Ich danke nicht nur meinen Kollegen in der Bundesregierung Horst Seehofer und Eduard Lintner, ich danke auch den Kollegen in den Fraktionen, die sich so engagiert um das Thema Drogen kümmern. In der Wirtschaftspolitik mag man Milton Friedman sicher nicht immer zutreffend zitieren können. Aber in diesem Zusammenhang, so finde ich, paßt ein Zitat des amerikanischen Nobelpreisträgers besonders gut. Er hat einmal gesagt: Eine Regierung darf die Menschen zwar nicht zu ihrem Glück zwingen, sie hat aber sehr wohl das Recht, sie davon abzuhalten, anderen Schaden zuzufügen! Ich meine, daß wir mit diesem Entwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, das besser als bisher gegen Drogen im Straßenverkehr vorgeht, einen guten Weg gehen. Wir sollten ihn gemeinsam gehen. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Günter Oesinghaus, Sie haben das Wort.

Günter Oesinghaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001635, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt leider weit hinter seinem selbstgesteckten Anspruch zurück. Darüber können auch alle Rhetorik von Herrn Wissmann und Eigenlob nicht hinwegtäuschen. ({0}) und Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]) Natürlich unterstützen wir jede Initiative, die hilft, das Führen von Kraftfahrzeugen unter Einfluß von illegalen Drogen zu ahnden. Wenn man dies aber will, muß man es schon handwerklich sauber und an den wissenschaftlichen Ergebnissen orientiert machen. Der Bundesrat hat genau das in seiner Stellungnahme getan ({1}) und den Gesetzentwurf in den entscheidenden Kritikpunkten, die auch die SPD-Bundestagsfraktion teilt, nachgebessert. ({2}) Es ist bedauerlich, daß sich die Bundesregierung wieder einmal den Sachargumenten verschließt; ich werde auf die einzelnen Punkte noch zurückkommen. Der Vorwurf, den sich die Bundesregierung und insbesondere der Bundesverkehrsminister gefallen lassen muß, ist, daß hier wieder einmal der, wie wir meinen, untaugliche Versuch unternommen wird, Handlungsfähigkeit im Kampf gegen Drogen vorzutäuschen, obwohl es auf der Hand liegt, daß der vorliegende Gesetzentwurf in der Praxis nicht handhabbar ist. Es ist vollkommen unseriös, die entscheidenden Fragen nicht zu beantworten, nämlich: wie denn eine flächendeckende Blutprobenkontrolle vorgenommen werden soll, wie die Zahl der Institute in den Ländern aufgestockt werden kann bzw. wie die Polizei die notwendigen technischen Ausrüstungen erhält und wie das Ganze in der Praxis innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes zu finanzieren und umzusetzen ist. Allein die Erkennung der durch illegale Drogen beeinflußten Fahrzeugführer durch die Polizei ist weitaus schwieriger als die Feststellung, daß ein Fahrzeugführer Alkohol konsumiert hat. Prüfgeräte, die bisher vorgestellt wurden, lassen aus Sicht der Polizei in Handhabung und Technik möglichst wartungsfreier Instrumente noch keinen überzeugenden Einsatz zu. Das wird unter anderem auch von dem Polizeidirektor in Köln, Herrn Granitzka, bestätigt. Die Erkennung von Fahrten unter Drogeneinfluß muß auch über verbesserte Grundlagenvermittlung in der Ausbildung der Polizei erreicht werden - wie gesagt, alles innerhalb von drei Monaten. Neben den erworbenen Kenntnissen einschließlich der Rechtsgrundlagen, Eingriffsbefugnisse und Arbeitsweisen der Polizei bedarf es einer engen Zusammenarbeit mit den Instituten für Rechtsmedizin, den Staatsanwälten und Richtern. Vereinzelt werden Ermittlungsmethoden erprobt, aber noch längst nicht flächendeckend. Das ist ja das Ziel des Gesetzentwurfes. Das kann unmöglich von heute auf morgen realisiert und finanziert werden. Hier wird offenbar nach dem Motto gehandelt: Die Bundesregierung macht ein Gesetz, und die Länder zahlen die Zeche. So kann es nicht gehen. ({3}) Der eigentliche Skandal ist allerdings, daß das weitaus größere Drogenproblem völlig außen vor gelassen wird, nämlich der Alkoholmißbrauch am Steuer. ({4}) Zur Bekämpfung dieses Massenproblems konnten Sie sich bisher nicht in angemessenener Weise entschließen, nämlich endlich die vom Bundesrat und von der SPD geforderte notwendige Senkung der Grenze auf 0,5 Promille. Die Bundesregierung verschleppt diesen Gesetzentwurf seit der letzten Legislaturperiode, und auch jetzt schlummert der entsprechende Gesetzentwurf schon wieder im Rechtsausschuß still vor sich hin. ({5}) Gemessen an der Notwendigkeit der Senkung der Promillegrenze in bezug auf die Anzahl der Verkehrsopfer ist die Senkung des Mißbrauchs illegaler Drogen im Straßenverkehr eben nur zweitrangig. Ich möchte Ihnen dies gerne noch einmal mit den Fakten belegen. Nach Angaben der Deutschen Verkehrswacht wurden 1993 bundesweit mindestens 500 durch illegale Drogen verursachte Unfälle mit 32 Toten und 750 Verletzten gezählt. Im gleichen Zeitraum lag aber allein im Bundesland NordrheinWestfalen die Todesrate bei Unfällen unter Alkoholeinfluß nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bei 40 Prozent. Mit anderen Worten: Bei insgesamt 16 116 Verkehrsunfällen war Alkohol im Spiel, wobei 192 Menschen ums Leben kamen. Allein 1 314 Verkehrsunfälle wurden von Fahrern verursacht, die zwischen 0,5 und 0,79 Promille Alkohol im Blut hatten. Bei diesen Unfällen kamen 23 Menschen ums Leben und wurden 597 verletzt. Wohlgemerkt: Das sind nur die Zahlen für Nordrhein-Westfalen. Allein in diesem Bundesland ist also eine ähnlich hohe Zahl von Menschen bei nachgewiesenem Alkoholmißbrauch zwischen 0,5 und 0,79 Promille getötet oder verletzt worden, wie dies bundesweit bei Mißbrauch von illegalen Drogen im Straßenverkehr der Fall ist. Im Vergleich zu den bundesweit fast 38 000 Unfällen unter Alkoholeinwirkung mit 2 048 Toten wird die Dimension noch deutlicher. Auf die angenommene Dunkelziffer von mehr als 4 000 Toten im Zusammenhang mit Alkoholeinfluß am Steuer will ich jetzt gar nicht erst eingehen. Ich frage mich, wieso der Bundesverkehrsminister bei dem Mißbrauch illegaler Drogen zu Recht Handlungsbedarf erkennt und bei dem Mißbrauch von Alkohol am Steuer nicht. ({6}) Meine Fraktion ist jedenfalls nicht bereit, Sie hier aus der Verantwortung zu entlassen. Wir wollen die Zahl der im Straßenverkehr getöteten und verletzten Menschen insgesamt und nicht allein die Zahl der durch Mißbrauch illegaler Drogen im Straßenverkehr getöteten und verletzten Menschen senken. Im einzelnen möchte ich zu den Schwächen des vorliegenden Gesetzentwurfs folgendes bemerken: Die seit 20 Jahren unveränderte Höhe der Geldbußen bei Ordnungswidrigkeiten, die in der Regel bei Verstößen im Straßenverkehr bei 500 DM liegen, ist viel zu niedrig. Der Bundesrat fordert deshalb zu Recht eine deutliche Erhöhung der Geldbußen bei Ordnungswidrigkeiten bis zu 3 000 DM. Es ist unverständlich, die Einnahme von Arzneimitteln auszuklammern. Nach einer Untersuchung des TÜV-Rheinland mindert jedes fünfte Medikament zum Teil erheblich die psychomotorische Leistung und kann damit die Verkehrssicherheit beeinträchtigen. Deshalb ist die Privilegierung von ärztlich verschriebenen Arzneimitteln aufzuheben. Die offensichtliche Fahruntüchtigkeit, die solche Medikamente hervorrufen können, sollte durch eine auffällige Kennzeichnung dieser Medikamente sichtbar gemacht werden, ähnlich wie der Hinweis auf die Gefährlichkeit des Rauchens auf Zigarettenpackungen. Dann aber handelt natürlich auch ordnungswidrig, wer sich dennoch nach Einnahme solcher Präparate hinter das Steuer setzt. Entsprechend der Regelung im Betäubungsmittelgesetz sollte im Verfahren zur Änderung oder Ergänzung der Liste der berauschenden Mittel oder Substanzen die Anhörung von Sachverständigen vorgesehen werden, und zwar mit Zustimmung des Bundesrates. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Beschränkung der berauschenden Mittel auf Cannabis, Heroin, Morphin und Kokain. Es ist doch wohl kaum vertretbar, daß ein Amphetamin-Konsument, soweit ihm Ausfallerscheinungen nicht nachzuweisen sind, weiterhin ungestraft am Straßenverkehr teilnehmen kann. Es sollte ferner ergänzt werden, daß auch der ordnungswidrig handelt, der eine Tat nach Absatz 1 oder 2 fahrlässig begeht. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine abschließende Bemerkung zum Gesetzentwurf vornehmen. Wie in der Stellungnahme des Bundesrates fordert auch die SPD-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf, flankierend zum vorliegenden Gesetzentwurf umgehend einer Senkung der Promillegrenze für Autofahrer auf 0,5 Promille Alkohol zuzustimmen. ({7}) Ein Alkoholspiegel von über 0,5 Promille und die Teilnahme am Straßenverkehr bzw. das Führen von Kraftfahrzeugen vertragen sich ebensowenig wie der Gebrauch illegaler Drogen in diesem Zusammenhang. ({8}) Sie ignorieren gegen besseres Wissen die Möglichkeit der weiteren Senkung der Zahl der getöteten und verletzten Menschen im Straßenverkehr. Handeln Sie endlich im Interesse der Verkehrssicherheit! Danke schön. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wir sollten nicht aufrechnen: Mitmenschen, die durch Drogeneinfluß ums Leben kommen, und Mitmenschen, die durch Autofahrer ums Leben kommen, die unter Alkoholeinfluß gefahren sind. ({0}) Beide Verkehrsopfer sollten uns mahnen, alles zu tun, um Verkehrsunfälle zu vermeiden. ({1}) Wenn man das Getöse der soeben gehaltenen Rede wegläßt, gibt es eine ganze Reihe von Ansatzpunkten. Eines möchte ich allerdings festhalten: Die Sozialdemokraten sind nicht gegen den Gesetzentwurf. Der Gesetzentwurf ist die Konsequenz aus einem gesellschaftlichen Phänomen, das wir als Verkehrspolitiker aufzunehmen haben. Drogenkonsum und Fahrten unter Drogeneinfluß nehmen ebenso zu wie die Zahl der Unfälle unter Drogeneinfluß. 150 Tote im Jahr und über 4 000 Schwerverletzte sind ein Anlaß zum Handeln, und niemand bestreitet das. ({2}) Um es deutlich zu machen: Bundesregierung und Bundesrat sind sich im Grundsatz in dieser Frage einig. Es gibt eigentlich nur zwei Ansatzpunkte, bei denen es unterschiedliche Auffassungen gibt: zum einen in der Frage, welche Rauschmittel auf die Verbotsliste gehören, ({3}) und zum anderen in der Frage, ob auch der Medikamentenmißbrauch in die Liste aufgenommen werden soll. Darüber kann man sich unterhalten, darüber kann man auch streiten. Ich bin mit meinem Kollegen Roland Sauer, der in diesem Bereich sehr verdienstvoll tätig gewesen ist, einer Auffassung. Wer Medikamente nimmt und dadurch fahruntüchtig wird, der gehört nicht ans Steuer. Für die Umsetzung dieser Auffassung müssen wir sorgen. ({4}) Hier geht es um einen Gesetzentwurf, der deutlich macht: Wer Stoff nimmt, hat am Steuer nichts zu suchen. Dieser Meinung sind wir. ({5}) Die Problematik des bisherigen Verfahrens bestand darin, daß nicht nachweisbar war, ob es ein Unfall unter Drogeneinfluß war. Das ist jetzt wissenschaftlich nachweisbar. Mit einer Urin- oder BlutWolfgang Börnsen ({6}) probe läßt sich das feststellen. Es besteht auch ein Handlungsauftrag für den Verkehrsminister; das ist nicht abzustreiten. Die heutigen, durch ein Vortestgerät gegebenen Möglichkeiten zum Bestätigen oder Ausschließen eines Verdachts auf Drogenmißbrauch - entweder durch eine Pupillenprobe oder durch andere Verfahren - sollten uns nicht daran hindern, der Sache jetzt wirklich auf den Grund zu gehen, das heißt diesen Gesetzentwurf zu befürworten und ihn entsprechend umzusetzen. Die Polizei braucht Handlungshilfen. Ich glaube, es ist gut, daß der Verkehrsminister dazu beigetragen hat, einen Großversuch im Saarland durchzuführen. Dabei werden Handlungshilfen erprobt, nämlich der Gebrauch von Vortestgeräten. Es ist schon richtig, daß es hier nicht zu einer Grenzwertdiskussion gekommen ist; denn sie wäre töricht. Allein der Sachverhalt zählt. Wer Drogen einnimmt und trotzdem fährt, hat sich strafbar gemacht und hat im Straßenverkehr nichts zu suchen. Die Menge spielt keine Rolle. ({7}) Drei Monate Fahrverbot und 3 000 DM Strafe sind sicher ein deutlicher Hinweis darauf, daß man sich zurückhält und nicht fährt. Es ist auch richtig, daß man in diesem Augenblick die Schonzeit für Fahrer unter Drogeneinfluß endgültig beendet. Der vorliegende Gesetzentwurf verdeutlicht noch einen anderen Punkt. Er ist natürlich manchem ein Dorn im Auge, der für die Freigabe von Rauschmitteln ist. Aber dieser Gesetzentwurf, der auf konkrete, schlimme Unfälle zurückgeht, macht eindeutig klar: Niemand, der verantwortlich denkt und handeln will, kann für die Freigabe von Rauschmitteln sein. Damit muß endlich Schluß sein. Wer Unfälle verhindern will, muß auch Schluß machen mit der Forderung nach Freigabe von Rauschmitteln. ({8}) Der oftmals vorgenommene Vergleich von Unfällen unter Drogen- und Alkoholeinfluß zeigt die Notwendigkeit, weiterhin alles zu tun, um das zu verhindern. Man darf eines nicht vergessen: Die Einnahme einer Reihe von Drogen, die jetzt auf der Verbotsliste stehen, führt zu einem Verlust der Fahrtüchtigkeit von bis zu 24 Stunden. Das fordert uns um so mehr auf, entsprechend zu handeln. ({9}) Das Statistische Bundesamt hat vor einigen Tagen seine Verkehrsunfallstatistik veröffentlicht. 9 485 Menschen sind 1995 ums Leben gekommen. Das ist eine ganz traurige Bilanz. Dennoch sind das 4,3 Prozent weniger als 1994. 42 Jahre ist es her, daß wir eine solche Bilanz gehabt haben - trotz einer Verdreifachung des Verkehrsaufkommens, trotz einer Verfünffachung der Verkehrsleistung. ({10}) Wenn man sagt, das ist ein gutes Ergebnis, das alle erzielt haben, die verantwortlich gewesen sind - von der Bundesregierung über die Bundesländer bis hin zu den großen Organisationen der Verkehrssicherheit -, dann bedeutet das, jetzt weiterzumachen und diesem Gesetz zuzustimmen, damit dieser Weg zu einem positiveren Ergebnis führt: zur Senkung der Verkehrsunfallzahlen in unserem Land. Danke schön. ({11})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Gila Altmann. Gila Altmann ({0}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Börnsen, auf Ihren pastoralen Vortrag hin kann ich nur sagen: Da muß auch der letzte Joint in der Tasche ausgehen. Und zu den dramatischen Appellen von Herrn Wissmann und zu dem Aufruf zum Kampf muß ich sagen: Diese Haltung hätte ich mir genauso bei der Diskussion um den Alkohol gewünscht. ({1}) Nur, leider ist da außer Wortradikalität - oder man kann auch sagen: außer Thesen - nichts gewesen. Wenn wir hier und heute über die Verbesserung der Verkehrssicherheit im Straßenverkehr debattieren, muß als erstes einmal klargestellt werden, daß die größte Gefährdung von der Droge Alkohol ausgeht. Im Vergleich zu diesem Problem stellt sich das Thema, über das sich die Bundesregierung heute so echauffiert, nämlich harte und weiche Drogen am Steuer, als echte Petitesse dar. ({2}) - Hören Sie gut zu, sonst ist bald wieder eine Aktuelle Stunde fällig. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Dies ist kein Plädoyer für den Joint am Steuer, sondern im Gegenteil: Drogen haben am Steuer nichts verloren. ({3}) Oder wie es der Bundesrat zu diesem Entwurf ausdrückt: Alkohol und die Teilnahme am Straßenverkehr vertragen sich ebensowenig wie die Einnahme anderer berauschender Substanzen und das Führen von Kraftfahrzeugen. Gila Altmann ({4}) Ich habe dem nichts hinzuzufügen. ({5}) Warum also dieser Sturm im Wasserglas? Laut einer Studie der Universität des Saarlandes beträgt der Anteil auffällig gewordener Kraftfahrer, bei denen ausschließlich Suchtstoffe und Medikamente nachgewiesen wurden, gerade einmal 3 Prozent. In 97 Prozent der Fälle wurde Alkohol nachgewiesen, in 10 Prozent in Kombination mit Medikamenten oder Drogen. Hier wird also ein Popanz aufgebaut, und aus ideologischen Gründen wird eine Stellvertreterdiskussion geführt über Drogen im Straßenverkehr, die an Doppelmoral nicht zu überbieten ist. Das Drogenproblem Nummer eins, das zur Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit führt, ist und bleibt der Alkohol. Dies wird auch im Blick auf die Zahlen der Verkehrsopfer klar. Sie sind genannt worden. Ich will nur hinzufügen: Fast die Hälfte aller jährlichen Verkehrstoten geht auf das Konto von Alkohol. Und ohne die Anzahl der Toten gegeneinander aufrechnen zu wollen: Im Verhältnis dazu ist die Anzahl der Verkehrsopfer durch Drogeneinfluß mit 32 viel niedriger. Bereits ab einer Alkoholkonzentration von 0,3 Promille ist eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gegeben. Statt sich auf Nebenschauplätzen zu tummeln - das ist ja die Spezialität von Herrn Wissmann -, sollte sich die Bundesregierung endlich um dieses Problem kümmern, wie es auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme fordert. Aber an dieses Problem, nämlich an die Volksdroge Alkohol, trauen Sie sich nicht heran, weil eine starke Lobby wirtschaftliche Pfründe sowie Steuereinnahmen in Milliardenhöhe dagegenstehen. Statt dessen wird Aktionismus geprobt und ein Gesetzentwurf vorgelegt, der eben nur aus Lücken besteht. Es ist überhaupt noch nicht klar, wie denn überhaupt die Fahruntüchtigkeit nach Drogenkonsum festgestellt werden kann. Hierzu liegen kaum wissenschaftlich fundierte Ergebnisse vor. Das hat Herr Wissmann heute auch selbst eingeräumt. Statt dessen gibt es Hinweise darauf, daß bei vielen Drogen die Wirksamkeitsdauer und die Nachweisdauer nicht übereinstimmen. Weil das so ist, schlägt man ersatzweise mit der Keule zu. Bei Personen, bei denen man weiche Drogen findet - dabei ist es egal, wo man sie findet, ob zu Hause oder im Auto -, ist es heute zum Beispiel so, daß verstärkt auf den Entzug des Führerscheins hingewirkt wird. Bayern und Baden-Württemberg gehen vorneweg. Begründung: Prophylaktisch wird eine Sucht unterstellt; das mache diese Leute eben psychisch und charakterlich ungeeignet, ein Fahrzeug zu führen. Wenn man das auf den Alkohol überträgt, heißt das: Wer zu Hause einen Kasten Bier stehen hat oder mit einer Flasche Cognac in der Einkaufstasche angetroffen wird, verliert den Führerschein, weil er als Quartalssäufer eingestuft wird. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, die Redezeit ist ein gutes Stück überschritten.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Letzter Satz. Fazit ist also: Dieser Gesetzentwurf ist unbrauchbar, um die Verkehrssicherheit zu verbessern. Er ist Stimmungsmache, anstatt sich der wirklichen Probleme und der Gefahrenabwehr anzunehmen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat Kollege Horst Friedrich.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur zur Richtigstellung, Kollegin Altmann: Bei dem von Ihnen zitierten Versuch der Universität Saarbrücken sind nach den mir vorliegenden Unterlagen bei immerhin 14 Prozent aller Probanden Drogen und Medikamente entdeckt worden, ({0}) allerdings bei 9,8 Prozent der Fälle zusätzlich Alkohol. ({1}) Dies herunterzureden ist auch einigermaßen zynisch. Dann zu sagen, Alkohol sei noch gefährlicher, ist noch zynischer. Im übrigen, Herr Kollege Oesinghaus, nur zur Richtigstellung: Bei all den Unfallzahlen, die Sie genannt haben, gilt als Promillegrenze schon immer und nach wie vor 0,3 Promille und nicht 0,8 Promille. - So viel zur Richtigstellung. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schließen wir eine lange bestehende Sanktionslücke, die zunehmend Einfluß auf die Sicherheit auf unseren Straßen hat. 1992 waren schätzungsweise noch 150 Tote und rund 4 000 Verletzte nach Unfällen zu beklagen, die ausschließlich unter Drogenkonsum stattgefunden haben. In einem Fünftel aller Urinproben, die auffällig gewordenen Autofahrern entnommen wurden, sind Cannabis, Kokain oder andere Opiate nachgewiesen worden. Das Problem ist, daß eine Ahndung von Drogenfahrten nach dem Strafgesetzbuch bisher nur dann möglich war, wenn die Fahruntüchtigkeit einwandfrei bewiesen war. Mit dem Gesetzentwurf wird versucht, nun auch unterhalb der bewiesenen Fahruntüchtigkeit Konsequenzen zu ziehen. Da gibt es Probleme, weil die Aktualität dieses Themas gleichzeitig eine seiner Schwierigkeiten ist. Der Genuß von Alkohol und seine Auswirkungen auf den menschlichen Körper sind seit langem in verschiedenen Versuchsserien getestet worden. Es gibt eine Dosis-KonzentrationsWirkungsbeziehung. Deswegen konnten sichere Grenzwerte festgelegt werden. Das ist derzeit bei Drogen nicht möglich. Allerdings ist auch sicher, daß im Gegensatz zum Alkohol selbst bei der weichen Droge Cannabis bereits bei geringen Konzentrationen Leistungseinbußen zu verzeichnen sind, die, ebenfalls im Gegensatz zum Alkohol, mit halluzinatorischen Bewußtseinsveränderungen einhergehen. ({2}) Die Rauschzustände bei Heroin, Kokain und anderen harten Drogen machen eine Verkehrsteilnahme ohne erhebliches Gefährdungspotential somit nicht möglich. Bei den Arzneimitteln ist die Wahrscheinlichkeit so: Wenn überhaupt, dann kann es nur um den Stoff Morphin gehen. ({3}) Das ist gekennzeichnet. Im übrigen ist die Dosis bei Arzneimitteln sehr viel anders, als wenn ich bewußt Rauschmittel einnehme. Wie unterschiedlich so etwas wirken kann, möchte ich an einer Anekdote darstellen: Drei Männer kommen in Persien nach einem langen Tagesmarsch ermüdet vor den bereits geschlossenen Toren einer befestigten Stadt an. Der eine war chronischer Alkoholiker, der zweite ein Cannabis-User, der dritte ein Opiumraucher. Die drei berieten nun, was sie angesichts der geschlossenen Tore und der anbrechenden Nacht machen sollten. Dabei schlug der Opiumraucher vor, ({4}) sich bis zum nächsten Morgen einfach vor der Stadtmauer zum Schlafen niederzulegen. ({5}) Der Alkoholiker wollte sofort das Tor aufbrechen, um noch in das Wirtshaus zu gelangen, und der Cannabis-User versuchte, seine Kumpanen davon zu überzeugen, durch das Schlüsselloch hinein in die Stadt zu schlüpfen. Das ist keine einfach so dargestellte Anekdote, sondern stammt aus einem Aufsatz zu einem wissenschaftlichen Symposium, durchgeführt von der Bundesanstalt für Straßenbau in Aufbereitung der Drogensituation. ({6}) Ich glaube, daraus kann abgeleitet werden, wie unterschiedlich die Wirkungsweise verschiedener Drogen ist. Es ist allerdings zu fragen, ob die neue Modedroge der Jugendlichen, nämlich Ecstasy, nicht zu gegebener Zeit auch untersucht und entsprechend in den Anhang aufgenommen werden sollte, und zwar sobald die entsprechenden Daten dazu vorliegen. ({7}) Es überrascht nicht, daß die Opposition und der Bundesrat versucht haben, nun wieder die alte Debatte um die Promillegrenze vom Zaun zu brechen. Die will ich hier nicht halten. Sie wird an anderer Stelle und in anderer Form zu halten sein. Ich möchte zum Schluß noch Herrn Dr. Salger, den Vizepräsidenten des Bundesgerichthofes und Präsidenten des Deutschen Verkehrsgerichtstages, zitieren, der zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 1993 gesagt hat, daß der Gleichheitsgrundsatz im Unrecht nicht gilt. Er fährt fort: Der Konsum legaler Rauschmittel kann gegenüber dem illegaler Rauschmittel durchaus anders bewertet werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Redezeit!

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe es gesehen, Herr Präsident. Deswegen als Konsequenz eine Ordnungswidrigkeit bereits bei Nutzung von Drogen irgendwelcher Art ohne jede Grenzwerte. Herzlichen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile der Kollegin Dagmar Enkelmann das. Wort.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erzähle keine orientalischen Märchen. Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in Anlage 2 genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. So jedenfalls der Entwurf der Bundesregierung. Als berauschende Mittel kennt die Bundesregierung allerdings nur Cannabis, Heroin, Morphium, Kokain. Und was ist mit der Volksdroge Alkohol? Es ist in mehreren Beiträgen heute schon gesagt worden: Viel zu viele - auch in diesem Hause - halten doch den Rausch am Steuer für ein Kavaliersdelikt. Es ist ja gerade das Schlimme, daß Alkohol am Steuer weitgehend toleriert wird, Herr Kollege Wissmann. Strafrechtlich gehandelt wird erst, wenn etwas passiert ist. Das Signal an die breite Öffentlichkeit ist: 0,8 Promille. Das heißt, es darf getrunken werden, wenn man ein Fahrzeug benutzt. Insofern akzeptieren Sie an dieser Stelle auch einen Grenzwert. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf ist halbherzig, ungenau und soll wohl im wesentlichen eine Alibifunktion erfüllen. Hier werden Aktivitäten demonstriert, um davon abzulenken, daß die Bundesregierung seit über vier Jahren nichts unternimmt, um die Promillegrenze im Straßenverkehr abzusenken, wie dies von nahezu allen Expertinnen und Experten und von einer großen Mehrheit der Bevölkerung gefordert wird. Immerhin waren nur 18 Prozent der Bevölkerung nach einer EMNID-Umfrage für eine Beibehaltung der jetzigen Regelung; der Rest ist für die Abschaffung. ({0}) Der vorliegende Gesetzentwurf gehört in den Papierkorb und sonst nirgendwohin. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Die PDS ist absolut dagegen, daß Personen in einem Zustand verminderter Reaktions- und Wahrnehmungsfähigkeit ein Kraftfahrzeug lenken, und zwar unabhängig davon, unter welchen Drogen sie stehen. ({1}) Aus diesem Grund haben wir auch vor langer Zeit einen Antrag auf Einführung einer 0,0-Promille-Regelung vorgelegt. Zu diesem Thema aber schweigt die Bundesregierung - die Alkohollobby läßt grüßen. Sehen wir uns den zur Debatte stehenden Antrag etwas genauer an: Erstens. In Anlage 2 werden vier Mittel und Substanzen aufgezählt. Was ist mit anderen Stoffen gleicher Wirkung? Was ist mit Alkohol? Was ist mit Betäubungsmitteln und Medikamenten? Das alles fehlt in diesem Gesetzentwurf, Kollege Börnsen. Man kann nicht, wie es die Bundesregierung macht, willkürlich vier Drogen herausgreifen, um dann zu suggerieren, man habe etwas Entscheidendes für die Sicherheit im Straßenverkehr getan. Zweitens. Die Dosis-Wirkung-Beziehungen sind völlig unklar. Es gibt keine Erkenntnisse, die belegen, daß schon der Konsum kleiner Mengen von Drogen wie Cannabis zu Fahruntüchtigkeit führt. Die Bundesregierung behauptet einfach, daß sich der Genuß von Cannabis generell negativ auf die Fahrtüchtigkeit auswirkt. Dem widersprechen aber Ergebnisse einer vierjährigen Studie, die vor zwei Jahren an der Universität Maastricht abgeschlossen wurde. In Auftrag gegeben hatte diese das US-amerikanische Verkehrsministerium, das sich um die vermeintlich steigende Zahl cannabisberauschter Autofahrer sorgte. Das überraschende Ergebnis, Kollege Friedrich: Alkohol bewirkt eine riskantere Fahrweise. Der Cannabis-Wirkstoff THC jedoch hat eine größere Vorsicht zur Folge. - Damit will ich jetzt nicht sagen, jeder sollte einen Joint nehmen, bevor er ins Auto steigt. Ein Vergleich mit der Volksdroge Alkohol ergab, daß sich schon bei 0,3 Promille im Stadtverkehr bedeutende Beeinträchtigungen fanden, Marihuana hingegen die durchschnittliche Fahrtüchtigkeit nur unerheblich beeinflußte. Natürlich können diese Ergebnisse nicht für jeden einzelnen Autofahrer generalisiert werden. Vieles wirkt bei dem einzelnen sehr unterschiedlich. Der vorliegende Gesetzentwurf aber - ich denke, daß ist ziemlich klar - ist im hohen Maße Heuchelei. Auch das Problem der Diskrepanz von Wirksamkeits- und Nachweisdauer ist nicht geklärt. So kann es sein, daß die Substanz zwar im Blut nachgewiesen werden kann, zu diesem Zeitpunkt aber keine Wirkung mehr auf das Verhalten ausübt. ({2}) - Natürlich ist das so. Das ist medizinisch nachweisbar. - Das führt dazu, daß ein Verkehrsteilnehmer zu einer Geldbuße verurteilt wird, obwohl aktuell überhaupt keine Beeinflussung der Fahrtüchtigkeit vorliegt. Was sich die Bundesregierung hier leistet, ist hanebüchen. Einem solchen Gesetzentwurf können wir als PDS jedenfalls nicht zustimmen. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/3764 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall: Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a bis 10d sowie Zusatzpunkt 11 auf: 10. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Steffen Tippach und der Gruppe der PDS Vermittlungsinitiative der Bundesregierung für eine politische Lösung in Kurdistan/Türkei - Drucksache 13/4004 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Innenausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Angelika Beer, Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Beitrag der Bundesregierung zur Einleitung eines Friedensprozesses in der Türkei - Drucksache 13/4117 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({1}) Innenausschuß c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) Vizepräsident Hans Klein - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Steffen Tippach und der weiteren Abgeordnetender PDS Stopp der Militär- und Wirtschaftshilfe an die Türkei sowie Vermittlung für eine politische Lösung in Kurdistan/Türkei - zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Politik der Bundesregierung gegenüber der Türkei - Drucksachen 13/212, 13/538, 13/1520 Berichterstattung: Abgeordnete Christian Schmidt ({3}) Dr. Christoph Zöpel Ulrich Irmer d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Fraktion der SPD Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden aus der Türkei - zu dem Antrag der Abgeordneten Cem Özdemir, Christa Nickels, Amke DietertScheuer, Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Steffen Tippach und der weiteren Abgeordneten der PDS Unbefristeter Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden - Drucksachen 13/311, 13/217, 13/211, 13/ 2260 ({5}) Berichterstattung: Abgeordnete Dietmar Schlee Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cem Özdemir Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpke ZP11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Zapf, Robert Antretter, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Schritte zur politischen Regelung des Kurdenkonflikts - Drucksache 13/4365 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zehn Minuten erhalten soll. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Steffen Tippach das Wort.

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit wie vielen Jahren wird eigentlich darüber geredet, daß es in der Türkei/Kurdistan zu einer friedlichen und politischen Lösung kommen sollte? Wie oft schon haben türkische Regierungen und einzelne Politiker wie der ehemalige Staatspräsident Ozal erklärt, daß sie eine Änderung der Kurdenpolitik wollen? Auch der jetzige Ministerpräsident Yilmaz stellt zu Beginn seiner Amtszeit keine Ausnahme dar. Er kündigte vollmundig eine schrittweise Aufhebung des seit 1987 bestehenden Ausnahmezustands in Kurdistan an, um kurz danach, in zeitlicher Nähe zu den Newroz-Feiern, dessen Verlängerung zu erklären. Seitdem setzt das türkische Militär seinen schmutzigen Krieg fort. Das erneute Waffenstillstandsangebot der PKK vom Dezember letzten Jahres wurde und wird völlig ignoriert. Ich sage Ihnen: Wenn die Bundesregierung hier keine Demos von Kurdinnen und Kurden und deutschen Unterstützerinnen und Unterstützern haben will, dann muß sie dafür sorgen, daß sich die Verhältnisse in den Herkunftsländern, konkret hier: in der Türkei, ändern. Das ist doch auch sonst Ihr Argument, wenn Sie Flüchtlinge von der BRD fernhalten wollen. Sie jedoch tragen mit Ihrer Politik der Waffenlieferung, der Wirtschafts- und Polizeihilfe für das türkische Regime dazu bei, daß Menschen vor Mord, Folter, Verfolgung und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen fliehen müssen. Die Bundesregierung ist also mitverantwortlich dafür, daß mehr als 2 Millionen Kurdinnen und Kurden ihre Heimat verlassen mußten und unter menschenunwürdigen Umständen am Rande türkischer Großstädte und in Flüchtlingslagern leben. ({0}) Auch dort sind sie ständigen Repressionen ausgesetzt. Hier von einer Fluchtalternative zu sprechen, grenzt an Zynismus. Wir fordern die Bundesregierung auf, offen und offensiv eine Vermittlungsinitiative für eine politische Lösung in Kurdistan zu ergreifen. Setzen Sie sich dafür ein, daß dieser Krieg beendet wird, daß die Menschenrechte dauerhaft gesichert und daß die kulturellen, politischen und sozialen Rechte der Kurdinnen und Kurden auf der Grundlage des Völkerrechts anerkannt werden. In eine solche Initiative auf europäischer Ebene müssen alle am Konflikt beteiligten Parteien auf türkischer und kurdischer Seite einbezogen werden, um Möglichkeiten ihrer Verwirklichung zu erkunden. Das gilt selbstverständlich auch für die PKK als eine im Sinne des VölSteffen Tippach kerrechts legitime Befreiungsbewegung und relevante Vertreterin eines Teils des kurdischen Volkes. ({1}) Ausgangspunkt für eine der größten Polizeiaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik und für den gewaltsamen Verlauf der diesjährigen NewrozFeiern war das sogenannte PKK-Verbot. Diese Verbote, die es in keinem anderen europäischen Land gibt, haben die kulturelle und politische Äußerungsund Betätigungsfreiheit hier lebender Kurdinnen und Kurden erheblich eingeschränkt und ein Klima der Repression, Stigmatisierung und Kriminalisierung geschaffen. Den Koalitionsparteien paßten die Geschehnisse gut in ihre Überlegungen für eine Verschärfung des Ausländerrechts. Sie instrumentalisierten ungeniert die Folter in der Türkei für innenpolitische Zwecke und sahen einen Horrorkatalog der Verschärfungen vor, der quasi einem Ausnahmerecht für Ausländerinnen und Ausländer gleichkommt. Die SPD wollte da nicht hintanstehen und beteiligte sich an diesem Spiel nicht weniger leidenschaftlich. Statt einer Politik der Eskalation und Verschärfung ist gerade auch im Hinblick auf eine anzustrebende Vermittlungsinitiative die Aufhebung der Verbote aller kurdischen Vereine und Organisationen und des Betätigungsverbotes für PKK und ERNK unabdingbar. ({2}) Solange sich in der Türkei politisch nichts in Richtung Demokratisierung oder einer Änderung der Kurdistanpolitik tut,

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, Sie sind ein großes Stück über Ihre Redezeit hinaus. Bitte noch einen Satz.

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- ich bin beim letzten Satz, Herr Präsident -, halten wir einen unbefristeten Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden, aber auch für Türkinnen und Türken für absolut erforderlich. Vielen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich habe rein akustisch leider wenig von dem verstanden, was gerade gesagt worden ist. Aber ich vermute, wenn ich es inhaltlich verstanden hätte, hätte ich überhaupt nichts verstanden. ({0}) - Es liegt weniger an der Aussprache als am Inhalt Ihrer Rede, daß man den Eindruck haben könnte, daß man die Redezeit offensichtlich an die PKK gegeben wurde statt an ein Mitglied des Deutschen Bundestages. Die PKK ist keine Befreiungsorganisation oder -bewegung, sondern eine terroristische Organisation. ({1}) Wer in Deutschland sein Gastrecht derart mißbraucht, daß er Polizistinnen und Polizisten, friedliche ausländische und deutsche Mitbürger und auch die eigenen kurdischen Landsleute in eine Situation bringt, daß sie entweder verletzt werden oder daß sie stigmatisiert werden, so wie Sie von Stigma geredet haben, der ist derjenige, der das Gastrecht bei uns verwirkt hat und für den wir keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Da darf es auch keine Kompromisse geben. Wir haben keine Waffenstillstandsverhandlungen mit irgend jemandem zu führen. Wir haben dafür zu sorgen, daß wir in Deutschland nicht durch einen generellen Abschiebestopp, wie er in Anträgen, über die wir heute abstimmen, gefordert wird, den starken Zuwanderungsdruck von Kurden aus der Türkei noch erhöhen und daß wir gerade diejenigen, die Unfrieden aus ihrem Bereich in unser Land hineintragen, noch privilegieren und ihnen die Möglichkeit geben, ihr schlimmes Wesen hier zu treiben. Nein, hier muß konsequent klargestellt werden, daß Deutschland und seine Völker ein erhebliches öffentliches Interesse daran haben, daß der Aufenthalt türkischer Staatsbürger dann konsequent und unverzüglich beendet wird, wenn sie im Bundesgebiet politisch motivierte Straftaten im Rahmen gewalttätiger Demonstrationen begehen. ({2}) Ein Abschiebestopp wäre für Mitglieder der zu Recht verbotenen PKK geradezu eine Einladung, ihre terroristischen Aktionen in Deutschland fortzusetzen. Dem sollten wir die gebotene klare Absage erteilen. Die bisher praktizierte Einzelfallentscheidung ist nach wie vor die sachgerechte Art der Prüfung und hat sich auch im Hinblick auf die Vereinbarung zwischen den Innenministern der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei über Verfahrensgarantien bei der Rückübernahme bewährt. Mit militantem Verhalten werden die Kurden für ihr Anliegen weder Zustimmung noch Freunde gewinnen. Die PKK sollte sich auch nicht der Illusion hingeben, durch Drohung mit Terrorismus bessere Ausgangspositionen für ihre Ziele schaffen zu können. Dieses Verhalten führt letztlich in die Isolierung und allenfalls zu einer neuen Antiterrorismus-Konferenz in Scharm al Sheik oder anderswo, auf der es dann um die internationale Bekämpfung des PKK- Terrorismus ginge. Dies muß vorneweg gestellt werden, um nicht den Eindruck zu erwecken, daß eine politische Lösung für die Kurdenfrage Herrn Öcalan sozusagen automatisch zum Staatsmann mutieren ließe. Die Bekämpfung von Gewalttätigkeit auf deutschem Boden ist und bleibt eine von jeder Gesprächsbereitschaft oder Äußerung unabhängige Aufgabe. Christian Schmidt ({3}) Auf einem anderen Blatt steht, daß die Austrocknung des Sympathisantenumfelds in der Südosttürkei und die Gewinnung kurdischer Menschen für einen positiven Dialog nach unserer Meinung richtig ist. Um so erfreulicher ist es, daß der neue Ministerpräsident Mesut Yilmaz mit einer beachtenswerten Initiative versuchen will, eine sogenannte politische, also friedliche Lösung für die genannten Probleme zu finden. Ich zitiere Herrn Öcalan nun wirklich nicht gerne, aber es ist nachzulesen, daß selbst der PKK- Führer eine andere Position als Sie von der PDS einnimmt, weil er im Hinblick auf den neuen Ministerpräsidenten, der eine beachtenswerte Initiative zeigt, zumindest anerkennt, daß dieser Mann es ernst meint und daß er sehr genau weiß, was er vor hat. Er will nämlich den Ausnahmezustand aufheben, die Verwaltung dezentralisieren, die kurdische Sprache im Unterricht und in den Medien zulassen, die wirtschaftliche und soziale Lage im Südosten der Türkei verbessern und will durch eine weitere Liberalisierung des Anti-Terror-Gesetzes bezüglich des Art. 7 und, wie ich hoffe, auch der Art. 321 und 312 des Strafgesetzbuches sowie durch andere Maßnahmen die Türkei in eine stabilere und respektablere Lage bringen. Natürlich gibt es noch Fragezeichen, zum Beispiel die Verurteilung von Yasar Kemal. Ermutigend stimmt allerdings auch hier die Reaktion von Ministerpräsident Yilmaz. Die starke Abschwächung der Verurteilungen der DEP-Abgeordneten genügt nach unserer Meinung noch nicht. Sie zeigt aber eine Richtung auf, die positiv ist. Es zeigt sich, daß die Entscheidung, eine Zollunion mit der Türkei zu gründen, eine richtige Entscheidung war. Mit positiven Angeboten an die Türkei lassen sich positive Wirkungen erzeugen. Die Unionsfraktion und unsere Kollegen der EVP im Europaparlament haben zu dieser Entscheidung sehr viel und sehr gerne beigetragen. Im übrigen darf diese europäische Einbindung nun nicht durch den Konflikt mit Griechenland in Frage gestellt werden. ({4}) Ich begrüße deswegen außerordentlich die Initiative von Ministerpräsident Yilmaz im Hinblick auf diesen Konflikt. Sowohl der neugewählte griechische Ministerpräsident Simitis als auch sein türkischer Kollege sprechen übrigens ausgezeichnet Deutsch. Dies sollte Anlaß sein, daß wir Deutsche im Rahmen der Europäischen Union gute Dienste und Vermittlung anbieten. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß Deutschland, das traditionell gute freundschaftliche Beziehungen zu beiden Ländern pflegt, hier eine gute und wichtige Rolle spielen sollte. Es muß nicht immer Richard Holbrooke sein, es kann auch ein Europäer, und es kann auch ein Deutscher sein. ({5}) Die Türkei ist nicht ein Land im fernen Orient, sie ist nach wie vor Stabilitätsanker und sicherheitspolitisch unverzichtbares Element. Der Blick auf die regionalstrategische Situation der Türkei und seine unsicheren Nachbarn zeigt uns, daß wir im Rahmen der NATO Sicherheit in die Türkei weniger exportieren, als von ihr exportiert wird. Man stelle sich vor, die Türkei wäre ein kranker Mann am Bosporus, infiziert von den Krankheiten der Nachbarn, von ethnischen Konflikten, Extremismus, Fundamentalismus unter dem Zeichen des Islam und von einem Nährboden für Terrorismus. Dies alles ist die Türkei bisher nicht. Wir sollten uns bewußt sein, daß sie dies auch nicht werden wird, wenn wir dazu beitragen und sie weiterhin als einen wichtigen Partner in Europa betrachten. Ich bin sicher, daß sich die Menschenrechtslage dann auch verbessern wird und die Frage, ob wir die Türkei als fairen Partner akzeptieren können, auf jeden Fall zugunsten der Türkei ausgeht. Das Glas ist längst nicht mehr halbleer, es ist mehr als halbvoll. Aus diesen Gründen müssen wir die vorgelegten Anträge entsprechend den Voten der Ausschüsse ablehnen. Über den nun heute neu zur Debatte eingebrachten Antrag der SPD, der sehr viel richtige Ansätze enthält, über die man reden kann, sollten wir in den Ausschüssen weiter diskutieren und ihn zu einer gemeinsamen Initiative ausbauen. Ich bedanke mich. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Angelika Beer, Sie haben das Wort.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute hier eine Debatte beantragt, weil die Bundesregierung beziehungsweise die Mehrheit des Hauses über Monate verhindert hat, daß über die Situation der Menschenrechte und der Kurden in der Türkei überhaupt nur diskutiert wurde, weil man nicht wollte, daß der Prozeß der Zollunion von öffentlicher Kritik an Massenvertreibung und Zerstörung kurdischer Dörfer gestört würde. Wir führen diese Debatte heute aber auch im Hinblick auf die Innenministerkonferenz am 2. und 3. Mai. Wir befürchten, daß unter Ausschaltung rechtsstaatlicher Normen beschlossen werden soll, vermeintliche PKK-Anhänger, die an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt waren, im Hauruckverfahren in die Türkei abzuschieben und damit der Gefahr von Folter und Ermordung auszusetzen. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Gewalt wird von uns immer vorbehaltlos verurteilt. Gewaltsame Ausschreitungen in der Bundesrepublik müssen unter Anwendung der bestehenden Gesetze sanktioniert werden. Es darf aber keine Doppelbestrafung geben, und das wäre es, wenn man sich dafür entscheiden würde, diese Menschen direkt auf die Folterbänke zurückzuschicken. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die politische Entwicklung der letzten Monate in der Türkei zeigt, daß die stille Diplomatie der Kinkelschen Außenpolitik einmal mehr wirkungslos in der Sackgasse gelandet ist. Die Ankündigungspolitik der MinisterpräsiAngelika Beer dentin Çiller wird durch die moderaten Töne ihres Nachfolgers Yilmaz, der hier eben gerade so gelobt worden ist, fortgesetzt. Die stille Diplomatie der Bundesregierung wird mißbraucht und instrumentalisiert, um unter dem Deckmantel wohlklingender Reformversprechen die eigene Eskalationspolitik weiterzutreiben. Außenminister Kinkel fällt nichts anderes ein, als - wie schon so oft in den letzten Jahren - mit Lob und einem lapidaren „Ja, weiter so" zu reagieren. Ich möchte einige wichtige Beispiele anführen: Rechtzeitig zum Newroz-Fest kündigte Herr Yilmaz eine politische Wende in der Kurdenpolitik an. Die Kurdenfrage erfordere eine neue, humanere Herangehensweise, und zwar nicht mit militärischen, sondern mit friedlichen Mitteln. Gleichzeitig allerdings bombardierten türkische Flugzeuge die von Kurden bewohnten Regionen in Südkurdistan. Menschenrechtsdelegationen wurden verhaftet und ausgewiesen. Militäroperationen gegen den sogenannten Terrorismus werden durchgeführt. Während Herr Kinkel diese Politik lobt, versucht die Zivilbevölkerung aus Lice und anderen Regionen, sich durch Flucht der Politik der verbrannten Erde zu entziehen. Journalisten und kritische Zeitungen werden weiter drangsaliert. Ende 1995 wurde Yasar Kemal wegen seines „Spiegel"-Interviews freigesprochen. Als der Vertrag zur Zollunion unterzeichnet worden war, wurde er verurteilt. Vor diesem Hintergrund der Doppelzüngigkeit und der Hinauszögerung fordern wir die Bundesregierung auf, Ankara nicht länger danach zu bewerten, was es sagt, sondern danach, was es tut. Ich möchte einen letzten Aspekt ansprechen: Wir haben zuerst Waffen geliefert, und dann sind wir zu Lizenzproduktionen übergegangen. Die türkische Regierung und die Generale haben vor wenigen Tagen verkündet, daß innerhalb der nächsten Jahre ein 150-Milliarden-Aufrüstungs-Programm durchgeführt werden soll, um eine autarke Rüstungsindustrie sicherzustellen und um im Falle eines internationalen Embargos bei weiteren Menschenrechtsverletzungen dem Militär die Möglichkeit zu geben, weiterhin autonom zu agieren. Das ist die herrschende Außen- und Innenpolitik gegen die eigene Bevölkerung. Wir fordern eine klare Antwort; die Antwort muß bei dem bevorstehenden Besuch des neuen Regierungschefs Yilmaz hier in Bonn gegeben werden. Wir fordern die Bundesregierung nicht auf, die Türkei zu isolieren; das wäre fatal, auch in bezug auf die Sicherheit im Mittelmeerraum. Aber wir fordern die Bundesregierung auf, die Schritte, die möglich sind, dazu zu nutzen, Druck auszuüben. Sie muß sich für einen Dialog und für einen Friedensprozeß in der Türkei einsetzen. Sie hat die Möglichkeiten, sich dafür einzusetzen, daß die Gelder der Zollunion nicht freigegeben werden, solange die neue türkische Regierung weiter auf dem alten militärischen Eskalationsweg besteht. Wir fordern die Bundesregierung insbesondere auf, sich innerhalb der NATO dafür einzusetzen, daß das Manöver „Dynamic Mix", das im September in Kurdistan, in kurdischen Regionen, dort, wo Militär der Türkei im Moment die Dörfer plattmacht, stattfinden soll, nicht durchgeführt wird. Wenn Sie diese Initiativen ergreifen, ohne die Türkei zu isolieren, dann haben wir die Möglichkeit, eine europäische Perspektive unter Wahrung der Menschenrechte zu erarbeiten. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich habe mir in den vergangenen Wochen angesichts der Bilder von aggressiven und wütenden Protesten sowie verletzten Polizeibeamten selbstkritisch die Frage gestellt, ob wir mit den Anträgen, die wir vor Jahresfrist zur Kurdenfrage gestellt haben, im Licht der heutigen Erkenntnisse inhaltlich und in der Diktion noch richtig liegen. Ich komme zu dem Ergebnis: Ja, durchaus; denn nach wie vor ist einleuchtend, was wir gesagt und gefordert haben. Alle Schutzmaßnahmen-, die wir für ausreisepflichtige Kurden angemahnt haben, sind schlüssig. Sie standen immer unter der Einschränkung: Straftäter werden wie bisher abgeschoben. ({0}) Daran läßt die SPD wirklich keinen Zweifel aufkommen: Wer auf Polizeibeamte mit Stangen und Knüppeln einprügelt, wer ihnen Dienstpistolen raubt und Streifenwagen demoliert, wer Tankstellen anzuzünden versucht, der verdient weiß Gott eine harte Antwort. ({1}) Es geht auch nicht an, daß militante Anhänger der PKK und aufgehetzte Sympathisanten die Bundesrepublik sozusagen stellvertretend zum Austragungsort ihrer Konflikte machen. Das sage ich in vollem Wissen darüber, daß als tiefere Ursache hinter all dem die jahrhundertealte Tragödie des kurdischen Volkes steht. Aber wo körperliche Unversehrtheit von Menschen und der innere Frieden auf dem Spiel stehen, muß der Staat energisch handeln. Wir verurteilen die Ausschreitungen kurdischer Demonstranten mit aller Schärfe. Wenn die PKK von gewalttätigen Aktionen nicht abläßt, kann und wird sie kein Gesprächspartner sein. Dem Ansehen von Hunderttausenden hier friedlich lebenden Kurdinnen und Kurden ist durch solche Aktionen allerdings massiver Schaden zugefügt worden. Gerade wenn man will, daß sie hier leben und ihre kulturelle Identität pflegen können - in Vereinen und Organisationen -, kann man angesichts des Flurschadens nur traurig werden. Es liegt an den Kurden, sich unmißverständlich von den Gewaltakten zu distanzieren - das ist zum Teil auch schon geschehen -; es liegt aber auch an ihren deutschen Freunden und Kollegen, nicht zuletzt auch an uns Politikern, sauber zu trennen zwischen der großen Mehrheit hier lebender friedlicher Kurden und der Truppe derer, die ihr Heil in Gewalt suchen oder sich zu Gewaltaktionen provozieren lassen. ({2}) Wo Abschiebung kurdischer Extremisten völkerrechtlich vertretbar ist - das betone ich -, da soll und muß konsequent gehandelt werden. Orientieren müssen wir uns dabei allerdings streng an den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und den Ansprüchen des Rechtsstaates. Der Maßnahmenkatalog, den die Bundesregierung unter dem Eindruck der Dortmunder Ereignisse verabschiedete, bleibt ein Schnellschuß und ist nicht viel mehr als eine populistische Reaktion, aus meiner Sicht zudem einseitig und den wahren Dimensionen des Kurdenproblems nicht angemessen. Der Konflikt und seine Auswirkungen sind mit ein paar innenpolitischen Gesetzesverschärfungen nun mal nicht zu bewältigen. Die Bundesregierung ist nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch gefordert. Unser Antrag, den wir heute unter dem Titel „Schritte zur politischen Regelung des Kurdenkonflikts" vorlegen, macht das, wie ich meine, sehr deutlich. Ich bin nach wie vor überzeugt davon, daß die bestehenden Gesetze - konsequent angewendet - ausreichen, um auf Gewalttäter angemessen zu reagieren. Dennoch setzen wir uns differenziert mit dem Maßnahmenkatalog auseinander. Zum Beispiel kann man darüber reden, ob der besonders schwere Fall des Landfriedensbruchs in den Katalog der Ausweisungsgründe eingefügt werden soll. Gottlob haben Sie Ihre ursprünglichen Pläne, einen Tatverdächtigen auch ohne Verurteilung aus dem Land zu schicken, zu den Akten gelegt. Es muß die rechtskräftige Verurteilung vorangehen. Das ist in Ordnung. Andere Gesetzesänderungen halte ich allerdings für höchst bedenklich, zum Beispiel die Absicht, daß aus einfachem Landfriedensbruch ein besonders schwerer Landfriedensbruch werden soll, wenn es sich um eine verbotene Demonstration handelt. Ich halte auch den Plan für höchst bedenklich, die Hauptverhandlungshaft mal schnell über die Hürden der parlamentarischen Gesetzgebung zu treiben. Meine Damen und Herren, hüten Sie sich davor, unter dem Eindruck der jüngsten Ausschreitungen und unter dem Eindruck von Emotionen besonnene Konzepte mit purem Aktionismus zu verwechseln und gleichzeitig wesentliche Elemente unserer Demonstrationsfreiheit zu kassieren. Das, so meine ich, darf nicht passieren. Ich bitte Sie außerdem um ehrliche Aufklärung der Bürger über die tatsächlichen Gegebenheiten. Es ist natürlich wohlfeil zu sagen: Wer hier randaliert, mißbraucht das Gastrecht; er muß raus aus dem Land, egal, was ihn zu Hause erwartet. Aber die Bundesrepublik darf den Boden des Rechtsstaates und internationaler Vereinbarungen nicht verlassen. Da gibt es die Menschenrechtskonvention und die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen. Danach genießen auch sogenannte Rädelsführer Abschiebungsschutz, wenn ihnen Folter oder Todesstrafe droht. Nicht jeder, der ausgewiesen wird, kann und darf auch abgeschoben werden. Ich weiß, das ist schwer und unbequem zu erklären. Es ging auch in der Wortwahl der Medien wild durcheinander. Aber gerade deshalb, so meine ich, muß man es der Öffentlichkeit klar und deutlich sagen. Auch die von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzesänderungen können an den völkerrechtlichen Bindungen nicht vorbei. ({3}) Täten wir das, dann wären wir wirklich auf dem Weg dorthin, wo uns die radikalen PKK-Anhänger schon einsortiert haben, nämlich zu einem Staat, der sich zum Handlanger von Unterdrückung und Diskriminierung macht. Diesen Gefallen sollten wir der PKK wirklich nicht tun. ({4}) Wir hören zu Gesetzesverschärfungen von der Bundesregierung viel, fast nichts aber von ihrer außenpolitischen Rolle im Verhältnis zur Türkei. Deswegen verlangen wir endlich das Bekenntnis der Bundesregierung dazu, daß sie wirklich energisch und deutlich ihren Einfluß auf die dortige Regierung geltend machen wird, um die Kurdenfrage mit politischen, mit friedlichen Mitteln zu lösen und nicht mit militärischen Einsätzen und anderen Formen der Repression. Wenn es heißt, rechtskräftig verurteilte Straftäter sollten abgeschoben werden, dann ist es doch die dringliche Aufgabe der Bundesregierung, genau zu überprüfen, ob das am 10. März 1995 geschlossene Abkommen, das die Zurückkehrenden vor Folter und Todesstrafe schützen soll, funktioniert und der Wirklichkeit standhält. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie ihr ganzes politisches Gewicht einsetzt, um einen Dialog zwischen den Konfliktparteien in Gang zu bringen. Auch ich finde es begrüßenswert, daß der neu gewählte türkische Ministerpräsident sich zu einer politischen Lösung bekannt hat. Aber gleichzeitig gibt es wieder Alarmsignale, daß doch wichtige Kräfte des Landes weiterhin auf die militärischen Mittel setzen. Wir sind da in einer Art von Wechselbad; das darf man nicht unterschlagen. ({5}) Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Offensive friedlicher Entschlossenheit bei der Lösung der Kurdenfrage, und zwar von seiten aller mittelbar oder unmittelbar Beteiligten. Strikte Absage an Gewalt ist eine Vorbedingung, hier ebenso wie in der Türkei. ({6}) Ob wir unseren inneren Frieden gegen Angreifer verteidigen können, hängt auch von einer deutlichen außenpolitischen Handschrift ab. Sonst bleibt alles nur Stückwerk, und es wird bestenfalls den Stammtisch befriedigen, mehr nicht. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die militärische und die zivile Gewalt im Südosten der Türkei muß endlich beendet werden. Menschen leiden, Unschuldige leiden. Das darf nicht so weitergehen. ({0}) Gerade die Militäraktionen der türkischen Armee in der letzten Zeit haben zunehmend deutlich gemacht, daß dieser Konflikt nur politisch und nicht militärisch gelöst werden kann. Insofern ist die Regierungserklärung von Ministerpräsident Yilmaz schon ein Schritt in die richtige Richtung. Natürlich haben alle diejenigen recht - wir stimmen ihnen zu und werden darauf dringen -, die jetzt die Umsetzung dessen, was er angekündigt hat, einfordern. In dieser Haltung haben uns einige Kurdenorganisationen ausdrücklich unterstützt, mit denen wir gestern im Unterausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zusammengesessen haben. Sie haben ebenfalls unterstrichen, daß das ein Stück Hoffnung sein kann, wenn es nicht wieder kaputtgemacht wird, und daß man die Beteiligten weiter ermutigen muß. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung, aber auch unsere Aufgabe als deutsches Parlament gegenüber dem türkischen Parlament. Natürlich sind auch wir der Meinung, daß die Türkei nicht isoliert werden darf. Aber die Tatsache, daß die Zollunion verwirklicht worden ist, hat schon dazu beigetragen, ein Stückchen mehr Offenheit gegenüber den Vorstellungen der Partner in der türkischen Regierung - möglicherweise auch in der türkischen Bevölkerung - sichtbar und deutlich zu machen. Ich denke, daß der Antrag, der von den Sozialdemokraten zu dieser Diskussion eingebracht worden ist, eine ganze Reihe richtiger und auch wichtiger Punkte enthält. Natürlich muß die türkische Regierung Meinungs- und Organisationsfreiheit geben. Sie muß Maßnahmen gegen die Menschenrechtsverletzungen ergreifen, die dort an der Tagesordnung sind. Sie muß mit der OSZE zusammenarbeiten, um Konfliktlösungsmöglichkeiten herauszufinden. Es wäre wichtig, daß sie zur Untersuchung der Menschenrechtslage endlich den UN-Sonderberichterstatter in die Türkei einreisen läßt. ({1}) Es wäre genauso wichtig, daß sie ganz entschlossen den Dialog mit den demokratischen Organisationen der Kurden in der Türkei aufnimmt, die es dort gibt, die friedlich agieren, ({2}) die aller Gewalt abgeschworen haben und die auf diese Weise ermutigt werden müssen, weiterhin friedlich gegen Gewalt und für ihre eigenen Interessen einzutreten. Das Fatale an dieser Situation ist, daß die politisch notwendigen Entscheidungen in der Türkei ganz offensichtlich auch Auswirkungen auf das haben, was sich auf Deutschlands Straßen an Gewalt abspielt. Natürlich werden und können wir die Verfolgung von Gewalt und von gewalttätigen PKK-Demonstrationen in Deutschland - bei denen im übrigen in einer zynischen Weise Kinder als Schilde gegen den Polizeieinsatz mißbraucht und damit die Menschenrechte dramatisch verletzt werden ({3}) nicht von den Entscheidungen der Türkei abhängig machen. Aber wir müssen auch sehen, daß die Kurden, die friedlich bei uns leben und die sich ganz klar von jeglicher Gewaltanwendung distanzieren, einen Anspruch darauf haben, nicht diskriminiert und nicht in einem Atemzug mit den Gewalttätern der PKK genannt zu werden. ({4}) Deswegen ist es richtig, weiterhin Einzelfallentscheidungen - auch was die Zulassung oder das Verbot von Demonstrationen anbetrifft - zu fällen. Es darf kein generelles Verbot von Demonstrationen geben, ({5}) auch nicht, wenn es wiederum das Newroz-Fest gibt. Es ist genauso richtig, daß wir uns fragen müssen, ob wir denn alles tun, was notwendig ist, um die kulturelle Identität der bei uns lebenden Kurdinnen und Kurden tatsächlich zu gewährleisten. ({6}) Ich glaube, daß wir hier einen Diskussionsbedarf und einen Entscheidungsbedarf unter uns haben, um sicherzustellen, daß diese Kurden, die im Moment zwischen zwei Feuern stehen, nicht in die Arme der PKK getrieben werden. ({7}) Dialog ist angesagt - Dialog statt Gewalt. Das kann man nicht erzwingen, auch nicht gegenüber der türkischen Regierung. Aber es bleibt unsere Aufgabe, in unserem Dialog alles, was wir können, gegenüber dieser Regierung zum Tragen zu bringen, damit sie tatsächlich die Politik gegenüber den Kurden ändert. Danke schön. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Amke Dietert-Scheuer, Bündnis 90/Die Grünen.

Amke Dietert-Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002640, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unseren Antrag für einen Abschiebestopp für Kurden aus der Türkei, zu dem ich hier reden möchte, haben wir bereits vor über einem Jahr anläßlich der bevorstehenden Entscheidung über die Verlängerung des damals bestehenden Abschiebestopps eingebracht. In der Zwischenzeit haben wir in Zusammenarbeit mit dem Menschenrechtsverein der Türkei weitere Informationen über das Schicksal abgeschobener Flüchtlinge recherchiert. Durchgängiges Muster ist es, daß Abgeschobenen unter Schlägen und Beschimpfungen PKK-Aktivitäten in Deutschland unterstellt werden und sie nach angeblichen PKK-Kontakten befragt werden. In einem uns bekannten Fall - tatsächlich ist es sicher nicht der einzige - wurde ein abgeschobener Kurde festgehalten und mißhandelt, weil er von einem zuvor Abgeschobenen in einem derartigen Verhör als PKK-Aktivist benannt worden war. Im Februar wurde dem türkischen Menschenrechtsverein die Abschiebung eines Kurden aus Frankfurt angekündigt. Der Generalsekretär und Rechtsanwalt Hüsnü Öndül fuhr zum Flughafen Ankara. Bei der Grenzpolizei erkundigte er sich, ob gegen die erwartete Person ein Festnahmebefehl bestehe, und beantragte, im Falle einer Vernehmung als Anwalt zugezogen zu werden. Bei seiner Ankunft wurde der Abgeschobene von den Grenzbeamten ins Gesicht geschlagen und beschimpft: „Wie kommst du dazu, die Türkei schlechtzumachen? Du bist sicher von der PKK, wenn sich der Menschenrechtsverein für dich interessiert." Dieser Fall ist noch glimpflich abgelaufen. Sehr viel mehr Grund zur Besorgnis gibt der Fall des Murat Fani. Er wurde nach seiner Abschiebung im März 1994 von der Grenzpolizei freigelassen, anschließend jedoch von Personen in Zivil mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort geschafft und unter Mißhandlungen nach Kontakten zur PKK befragt. Dies ist ein Beleg für unsere immer wieder geäußerte Befürchtung, daß eine Gefährdung von abgeschobenen Asylsuchenden in der Türkei nicht nur in Form von drohender strafrechtlicher Verfolgung besteht. Die viel größere Gefahr geht von inoffiziellen Nebenstrukturen, wie Kräften der sogenannten Kontraguerilla, aus. Diese treten vor allem dann in Aktion, wenn gegen eine politisch mißliebige Person nichts juristisch Verwertbares vorliegt. Die zahlreichen Fälle von Verschwindenlassen und Morden durch sogenannte unbekannte Täter in derartigen Fällen sprechen hier eine deutliche Sprache. Die Bundesregierung hat bedauerlicherweise bisher keine Schritte unternommen, um auf der Ebene internationaler Mechanismen zum Schutz der Menschenrechte - sei es durch UN-Sonderberichterstatter, sei es auf europäischer Ebene - Maßnahmen gegen diese in den letzten Jahren alarmierend zunehmenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei in die Wege zu leiten. Ein aktueller Schritt der türkischen Menschenrechtspolitik sind Maßnahmen gegen die in der Türkei bestehenden Rehabilitationszentren für Folteropfer. Deren Arbeit soll jetzt unter fadenscheinigen Gründen behindert werden. Ich hoffe sehr, daß dem von europäischer Seite, von wo aus diese Zentren auch finanziert werden, energischer Widerstand entgegengesetzt wird und daß auch von der Bundesregierung in diesem Falle Unterstützung kommt. Ein Abschiebestopp für Kurden ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen nach wie vor dringend geboten. Die aktuelle Politik geht jedoch leider in die gegenteilige Richtung. Gewalttaten von PKK-Anhängern in der Bundesrepublik sind klar zu verurteilen, und sie sind vor allem auch kontraproduktiv für die Interessen der Kurden. Die Bundesregierung hat aber auch durch eine unkluge Politik zu einer Eskalation der Gewaltbereitschaft beigetragen. ({0}) Die Unterbindung legaler politischer Aktionsmöglichkeiten für Kurden, die mit der PKK sympathisieren, verhindert keine Gewalt, sondern nur den dringend notwendigen politischen Dialog. Eine Abschiebung von Kurden, die hier im Rahmen von PKK-Aktivitäten in Erscheinung getreten sind, ist auf keinen Fall vertretbar. Vielleicht würden sie sogar zunächst - um den Schein zu wahren - in Übereinstimmung mit der Vereinbarung der Innenminister behandelt werden. Die Gefahr einer späteren Verfolgung, gegebenenfalls aus konstruierten Gründen, und des Verschwindenlassens durch die vorher genannten inoffiziellen Kräfte ist hier jedoch ganz besonders groß. Unmittelbar nach der Demonstration in Dortmund berichtete die türkische Nachrichtenagentur „Anadolu", Teilnehmer an PKK-nahen Demonstrationen im Ausland würden wegen Mitgliedschaft in der PKK oder deren Unterstützung vor Staatssicherheitsgerichten angeklagt werden. Gewalttäter können vor deutschen Gerichten strafrechtlich belangt werden. Es ist jedoch unverantwortlich und ein Bruch internationaler Menschenrechtsabkommen, Menschen in ein Land abzuschieben, in dem ihnen politische Verfolgung, Folter und möglicherweise sogar der Tod drohen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Staatsminister Helmut Schäfer.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst einer Behauptung hier entschieden widersprechen. Ich glaube, auf Grund meiner langen Tätigkeit in diesem Parlament und auch als Staatsminister kann ich sagen, daß es statistisch keine Volksgruppe gibt, mit der sich der Deutsche Bundestag so intensiv und so fürsorglich auseinandergesetzt hat wie mit den Kurden - keine! Insbesondere in der Nachbarschaft dessen, was Sie Kurdistan nennen, wäre es gelegentlich angebracht, sich auch mit anderen Volksgruppen, die alles mögliche erleiden müssen, auseinanderzusetzen, was hier sehr viel seltener geschieht. Ich darf Ihnen, Frau Kollegin, das sagen - gerade heute! ({0}) Es ist nicht zum erstenmal, daß Ihre Argumente hier wiederholt werden. Ich habe noch keine Debatte gehört, in der man sich zum Beispiel einmal mit der Unzahl von Gewalttaten auseinandergesetzt hat, die sich gar nicht allein gegen deutsche Polizeibeamte richten, sondern gegen türkische Geschäfte und türkische Einrichtungen. Ich kann mich an keine Debatte in diesem Bundestag erinnern. ({1}) Nun stimmen wir durchaus überein, Frau Kollegin. Es ist keineswegs so, als wären die Kurden für uns eine Quantité négligeable, als gäbe es, wie Sie behauptet haben, ein Hauruck-Verfahren von Abschiebungen. Vielmehr haben wir erlebt, daß die Fürsorge und die Bemühungen des Deutschen Bundestages und aller Parteien seit Jahren schon, sich für die Kurden in der Türkei einzusetzen - das ist nicht neu, auch wenn die Ergebnisse leider nicht so sind, wie wir sie uns alle hier gewünscht haben -, leider nicht dazu geführt haben, daß die Kurden in Deutschland bis zu einem gewissen Grade einmal anfangen, anzuerkennen, daß es kein Parlament in der Welt gibt, daß sich ihrer Sache so angenommen hat wie das deutsche. Das muß hier einmal gesagt werden. ({2}) Im Gegenteil: Sie haben zum Teil ihrer Sache geschadet. Es ist völlig richtig, was Sie, Frau Kollegin, vorhin gesagt haben, daß man differenzieren muß, daß man nicht einfach von den Kurden, von den Gewalttätern, von der PKK allein sprechen kann. Natürlich tun wir das nicht. Aber genauso, wie es falsch wäre, zu sagen: Hauruck-Verfahren zur Abschiebung von Kurden, wäre es falsch, „genereller Abschiebestopp" zu sagen, der dazu führen kann, Frau Kollegin, daß man sich hier nicht mehr so sehr zurückzuhalten braucht, weil man angesichts der Mildtätigkeit der Beurteilung solcher Vorkommnisse weiß, daß ihnen in Deutschland gar nicht viel passieren kann. Auch das müssen Sie allerdings deutschen Wahlbürgern versuchen zu verdeutlichen, wenn Sie sich mit ihnen auseinandersetzen. Natürlich machen es die Bilder im Fernsehen, machen es Vorkommnisse wie in Dortmund der Bundesregierung sehr viel schwerer, sich mit der Kurdenfrage differenziert auseinanderzusetzen, weil auch die deutschen Bürger die Frage stellen dürfen und müssen, ob nicht das, was hier geschieht, seitens der Bundesregierung verhindert werden kann. Diese Frage müssen wir als Regierung genauso beantworten, wie wir die berechtigten Sorgen über die Rückkehr von Kurden beachten müssen. Nur kann man doch nicht behaupten, daß alle Kurden, die in die Türkei zurückkehren, schon von daher gefährdet seien, weil sie Kurden sind. Wir haben uns weiß Gott immer wieder bemüht, auch mit der türkischen Regierung zu einem vernünftigen Verfahren zu gelangen, auch wenn das noch keine ausreichenden Ergebnisse gebracht hat. Ich bin völlig der Auffassung, die durch alle Fraktionen geht, und wir haben es zigmal im Bundestag diskutiert: Die Türkei muß zu politischen Lösungen finden. Die Türkei muß, wenn sie nach Europa will - ich bin der Auffassung, sie gehört nach Europa -, auch bereit sein, europäische Rechtsnormen umzusetzen. Das ist ganz entscheidend. Das türkische Parlament muß hier weiterkommen. Das Recht auf Meinungsäußerung muß besser umgesetzt werden. Die Ansätze von Herrn Yilmaz - da haben Sie völlig recht - sind gut. Er wird in Kürze in der Bundesrepublik sein. Wir werden natürlich auch das in den Gesprächen mit Herrn Yilmaz behandeln. Es bedarf auch der Umsetzung guter Vorsätze. Auch das muß seitens der Türkei kommen. Wir sagen Ihnen das immer wieder. Herr Kollege Schmidt, ich bin immer Ihrer Meinung. Wir verstehen uns glänzend. Das muß ich bei dieser Gelegenheit einmal sagen, weil Sie zu denen gehören, die mit großer Feinfühligkeit und großer Differenziertheit Außenpolitik betreiben. Auch ich wäre der Meinung, gelegentlich einmal an Stelle von Herrn Holbrooke vermitteln zu dürfen. Sie haben es mir vorhin angeboten. Ich habe das Vergnügen oder vielleicht auch die Schwierigkeit, morgen nacht in Syrien zu sein. Angesichts der derzeitigen Situation wird es sicher nicht ganz einfach sein, die Gespräche am Samstag mit der syrischen Führung zu führen. Wir werden auch dort sehr Kritisches zu bemerken haben, aber auch einiges zu einem Konflikt zu äußern haben, zu dem der Deutsche Bundestag bislang noch gar nichts gesagt hat und der mich im Augenblick zweifellos mehr bedrückt als einige Fragen, die sich mit der kurdischen Minderheit befassen, so sehr auch ich natürlich dazu neige, den Kurden zu helfen und ihre kulturelle Autonomie sicherzustellen. Das wollen wir alle. Wir werden in unseren Gesprächen mit der Türkei nicht nachlassen, immer wieder darauf zu drängen. Das kann ich Ihnen garantieren. Wir haben jetzt mit der Zollunion eine neue Möglichkeit. Es hat sich eine neue Chance eröffnet, daß wir möglicherweise mehr erreichen können. Wir hoffen es, wir werden nicht nachlassen; seien Sie sicher. Aber wir können es uns auch nicht so leicht machen, wie es manchmal einige in der Opposition tun, um zu erreichen, daß wir Beschlüsse des Deutschen Bundestages durch Verhandlungen mit der Türkei von heute auf morgen durchsetzen. Sie kennen auch die innenpolitischen Probleme in der Türkei, die Schwierigkeiten, vor denen türkische Politiker stehen, wenn sie eine liberalere Politik machen wollen. Aber die müssen wir ermutigen. Das geschieht nicht dadurch, daß wir die Türkei ständig in cumulo verurteilen, sondern - ich wiederhole mich zum zigsten Male von dieser Stelle - wir müssen von Partei zu Partei vor Ort versuchen, Einfluß zu nehmen und nicht so bequem hier Deklarationen zu verfassen, die Bundesregierung sei Schuld, die Bundesregierung müsse mehr tun. Sie müssen vor Ort mehr tun! ({3}) Sie müssen vor Ort nicht nur in Ostanatolien, sondern auch in Ankara und in Instanbul mit den Leuten sprechen, auch mit den Militärs und auch mit den Parteien, die Ihnen nahestehen. ({4}) Sie haben eine sozialdemokratische Partei, sie haben eine Mutterlandspartei. ({5}) Ich kann Ihnen nur sagen, das ist der Weg, nicht hier die üblichen vierteljährlichen Beschäftigungen im Deutschen Bundestag gegen 23 Uhr. - Heute abend ist es erstaunlich früh, wir sind mit der Außenpolitik schon 21 Uhr 15 dran. Das ist ja auch etwas wert. Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren, das allein führt nicht weiter. Nicht nur die Bundesregierung, sondern alle Parteien, die hier sitzen, müssen verhandeln. Sie dürfen bei allem Verständnis für die große Begeisterung, die wir gemeinsam für die kurdische Sache empfinden, natürlich nicht vergessen, daß Sie halt auch mit den handelnden und manchen unsympathisch erscheinenden Persönlichkeiten in der türkischen Politik das Gespräch und den Dialog suchen müssen. Allein so kommen Sie weiter, nicht mit Verurteilungen pauschaler Art. Das gilt sowohl für die türkische Politik, das gilt für die Türken, das gilt natürlich auch für die Kurden. Ich kann nur sagen: Lassen Sie uns an dieses Thema jetzt endlich einmal herangehen, indem wir alle dort hingehen, wo wir mehr erreichen können als in diesem Hause, ({6}) und lassen Sie uns wegkommen von der Praxis der drei- bis fünfmal im Jahr stattfindenden Debatten über das gleiche Thema. Vielen Dank. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Tagesordnungspunkten 10 a und 10b. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4004 und 13/4117 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 10c, Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einem Stopp der Militär- und Wirtschaftshilfe an die Türkei sowie Vermittlung für eine politische Lösung in Kurdistan/ Türkei. Das ist Drucksache 13/1520 Buchstabe a. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/212 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Politik der Bundesregierung gegenüber der Türkei, Drucksache 13/1520 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/538 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 10 d, Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden aus der Türkei, Drucksache 13/2260 ({0}). Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/311 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem Abschiebestopp von Kurdinnen und Kurden, Drucksache 13/2260 ({1}). Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/217 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS und einzelner Stimmen aus der SPD bei Stimmenthaltung innerhalb der SPD angenommen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einem unbefristeten Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden, Drucksache 13/2260 ({2}). Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/211 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Der Zusatzpunkt 11, Antrag der Fraktion der SPD zu Schritten zur politischen Regelung des Kurdenkonfliktes, Drucksache 13/4365, soll an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer ({3}), Dr. Herta DäublerGmelin, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts - Drucksache 13/3594 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer, SPD-Fraktion.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Karl von Ossietzky, der spätere Nobelpreisträger, wurde im Jahre 1931 vom Reichsgericht wegen angeblichen Verrats militärischer Geheimnisse zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte in der „Weltbühne" auf die völkerrechtswidrige Aufrüstung der deutschen Luftstreitkräfte aufmerksam gemacht, die den Nazis wenige Jahre später zur willkommenen Grundlage für die Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges wurde. Ossietzky starb bekanntlich im Konzentrationslager. Das vor einigen Jahren von seiner Tochter angestrengte Wiederaufnahmeverfahren wurde vom Bundesgerichtshof im Dezember 1992 abschlägig beschieden, weil dem Reichsgericht seinerzeit keine Tatsachenfehler unterlaufen seien. Nach geltendem Recht ermöglichen nämlich grundsätzlich nur derartige Fehler eine Aufhebung rechtskräftig gewordener Fehlurteile. Noch so schwerwiegende Rechtsverstöße etwa gegen geltendes Völkerrecht reichen dafür nicht aus. Am 8. April 1945 verurteilte ein vom Reichssicherheitshauptamt eingesetztes Standgericht den Theologen Dietrich Bonhoeffer, einen der Männer des 20. Juli, wegen Hoch- und Landesverrats zum Tode. Bonhoeffer hatte keinen Verteidiger. Er starb am Tage nach der Verurteilung im Konzentrationslager Flossenbürg durch den Strang. 1956 sprach der Bundesgerichtshof den am Standgerichtsverfahren beteiligten Vorsitzenden Richter sowie den Staatsanwalt vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord frei, weil das Todesurteil „sachlich richtig und gerechtfertigt" gewesen sei. Das Urteil ist bis heute rechtskräftig. Nach geltendem Wiederaufnahmerecht führen auch offensichtliche Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, wie etwa das Fehlen eines Verteidigers - übrigens auch entgegen der damals geltenden Kriegsstrafrechtsverordnung -, nicht zur Urteilsaufhebung. Es bedarf aber wohl keiner Begründung, daß es für den Verurteilten völlig gleichgültig ist, ob sein rechtskräftiges Fehlurteil auf einem Rechts- oder einem Tatsachenfehler beruht. Daß Rechtsfehler nur in engen Grenzen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, zur Urteilskorrektur führen, ist übrigens eine deutsche Spezialität. Sie ist in Frankreich, Belgien und den Niederlanden sowie anderen Rechtsstaaten wie etwa Österreich, den USA und Japan unbekannt. Es ist auch schwer verständlich, daß bei uns zum Beispiel die Verurteilung eines Jugendlichen nach Erwachsenenstrafrecht zwar dann aufgehoben werden kann, wenn der Richter das jugendliche Alter des Angeklagten nicht erkennt, ihm also ein Tatsachenfehler unterläuft, nicht aber dann, wenn er in einem offensichtlichen Rechtsirrtum die zwingende Anwendung des Jugendstrafrechts übersieht. Diese deutsche Besonderheit ist nur historisch erklärbar. Nachdem bereits in den 20er und 30er Jahren, also lange vor der NS-Zeit, zahlreiche Reformvorschläge zur Beseitigung des zutreffend erkannten Strukturfehlers entwickelt worden waren, wurde 1940 die sogenannte Nichtigkeitsbeschwerde eingeführt. Diese ist aber, weil sie von den Nazis politisch mißbraucht worden war, durch das Vereinheitlichungsgesetz von 1950 wieder beseitigt worden. Damit hat man gewissermaßen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und den alten Strukturfehler des deutschen Wiederaufnahmerechts wiederhergestellt. Dieser Fehler wurde bis heute nicht beseitigt. Wohl aber hat der Gesetzgeber versucht, für bestimmte Fallgruppen rechtlich fehlerhafter Urteile Spezialgesetze zu entwickeln. Ich erinnere an die teilweise wirkungslos gebliebenen Sonderregelungen für die Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen. Einen ähnlichen Versuch haben wir nach 1989 zur Rehabilitierung der Opfer der SED-Unrechtsjustiz unternommen. Ich will diese Bemühungen um Spezialgesetze nicht kleinreden. Aber sie erinnern doch in manchem an die Reaktion des italienischen Gesetzgebers vor über 70 Jahren, nachdem ein Angeklagter in einem Indizienprozeß wegen Totschlags verurteilt worden war und der angeblich Getötete nach Rechtskraft des Urteils quicklebendig wieder auftauchte. Daraufhin wurde ein spezieller Wiederaufnahmegrund für derartige Fälle des Weiterlebens eines angeblich Getöteten in das italienische Strafprozeßrecht eingefügt. Systemfehler können aber nicht durch Spezialgesetze Dr. Jürgen Meyer ({0}) beseitigt werden, sondern nur durch eine angemessene Korrektur im System selbst. ({1}) Wir können uns dabei an den bekannten Gesetzesmodellen anderer Rechtsstaaten orientieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach den vielen kleineren und größeren spezialgesetzlichen Korrekturversuchen der Vergangenheit sollte der deutsche Gesetzgeber nunmehr den reichen Erfahrungen mit Fehlurteilen von Ossietzky über Bonhoeffer bis zu den Opfern der SED-Unrechtsjustiz Rechnung tragen und zu einer klaren Regelung finden, die dem Standard anderer Rechtsstaaten entspricht. Das aber kann nur heißen: Ein rechtskräftiges Strafurteil wird nicht nur beseitigt, wenn es ausweislich neuer Tatsachen oder Beweismittel als Fehlurteil erkannt wird, sondern künftig auch dann, wenn es auf offensichtlichen Rechtsfehlern oder offensichtlichen Verletzungen der rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze wie etwa im Fall Bonhoeffer beruht. Dem entspricht der heute in erster Lesung vorliegende SPD-Gesetzentwurf. Er beruht auf wissenschaftlichen Vorarbeiten, die mehr als 20 Jahre zurückreichen. Die von uns vorgeschlagene klare Zweiteilung der Wiederaufnahmegründe in Tatsachen- und Rechtsfehler führt zu einer erheblichen Vereinfachung des bisher geltenden Rechts. Eine Reihe der bisher geltenden speziellen Wiederaufnahmegründe erweist sich bei näherer Prüfung als überflüssig. So handelt es sich bei der Verwendung einer unrechten oder gefälschten Urkunde oder bei der Verletzung der Eidespflicht durch einen Zeugen oder Sachverständigen um nichts anderes als einen Tatsachenfehler, der durch den allgemeinen Wiederaufnahmegrund neuer Tatsachen oder Beweismittel ausreichend erfaßt werden kann. Wir tragen außerdem der neueren Entwicklung des Europarechts Rechnung und schlagen vor, daß künftig auch Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Wiederaufnahme führen können. Um auf einen möglichen Einwand schon hier einzugehen: Selbstverständlich soll die Wiederaufnahme wegen offensichtlicher Rechtsfehler keine Superrevision werden. Einer befürchteten Ausweitung von Rechtsbehelfen wirken wir dadurch entgegen, daß die Geltendmachung von Rechtsfehlern ausgeschlossen ist, wenn das erstinstanzliche Urteil in der zweiten Instanz bestätigt worden ist. In diesen Fällen wird es sich in aller Regel und erfahrungsgemäß nicht um offensichtliche Rechtsfehler handeln. Natürlich haben wir die wissenschaftliche Auseinandersetzung über unseren bereits gegen Ende der letzten Legislaturperiode eingebrachten Entwurf, der aber nicht mehr im Plenum beraten werden konnte, ausgewertet und entsprechende Korrekturen vorgenommen. Die Einzelheiten werden in den Ausschußberatungen zu erörtern sein. In der Fachliteratur und darüber hinaus wird seit langem gefordert, daß die Zulassung eines Wiederaufnahmegesuches zur näheren Überprüfung im Begründetheitsverfahren bereits dann erfolgen soll, wenn die bloße Möglichkeit eines Fehlurteils besteht. Das sture Festhalten an einem Urteil, das möglicherweise durch einen Freispruch ersetzt werden muß - dazu könnte ich Ihnen viele Beispiele nennen -, stärkt nämlich nicht das Ansehen und die Autorität der Justiz. Es ist vielmehr ein Zeichen von Unsicherheit und falsch verstandener Autorität. Mein früherer Lehrer Karl Peters hat vor 20 Jahren die Ansicht vertreten, daß sich die Rechtsprechung in diesem Sinn ohne Gesetzesänderung ändern lassen werde. Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt. Nun muß der Gesetzgeber handeln und auf der Grundlage unserer Erfahrungen und der vorliegenden wissenschaftlichen Vorarbeiten ein modernes Wiederaufnahmerecht schaffen. Die Rechtskraft von offensichtlichen Fehlurteilen darf nicht länger verteidigt werden, wenn durch sie die Gerechtigkeit auf unerträgliche Weise verletzt wird. Ich danke Ihnen. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Peter Altmaier, CDU/CSU.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Gewährleistung formeller Rechtssicherheit und die Gewährleistung materieller Wahrheit und Gerechtigkeit gehören zu den Kernaufgaben staatlicher Rechtspflege. Sie folgen beide aus dem Rechtsstaatsprinzip, ergänzen sich gegenseitig, und sie stehen natürlich auch in einem Spannungsverhältnis, das durch die Vorschriften über das Wiederaufnahmeverfahren aufgelöst und erträglich gemacht wird. Dabei hat sich unser Strafrecht prinzipiell für den Vorrang der Rechtssicherheit entschieden. Gleichwohl ist die materielle Gerechtigkeit ein hohes Gut, und zwar deshalb, weil es für die Legitimation unserer Rechtsordnung, unserer Strafrechtspflege und ihrer Akzeptanz durch die Bürger entscheidend ist, daß die Anwendungen des Grundsatzes der formellen Rechtssicherheit im Ergebnis nicht nur zu Recht, sondern auch zu Gerechtigkeit führt. Diese materielle Gerechtigkeit hat ihren Preis. Sie ist diesen Preis auch wert, und wir sind aufgerufen, uns ständig zu überlegen, was wir tun können, um mehr materielle Gerechtigkeit zu erreichen. Wir dürfen allerdings auch nicht verkennen, daß absolute Gerechtigkeit weder bezahlbar noch erreichbar ist. Deshalb müssen wir uns mit Annäherungen zufriedengeben. Der Antrag der SPD ist darauf zu überprüfen, ob und inwieweit er uns diesem Ziel der Annäherung an das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit näherbringt und ob der Preis, den wir dafür zu zahlen haPeter Altmaier ben, diesen Fortschritt wert ist. Das Ergebnis dieser Prüfung - ich nehme es vorweg -: Ein klein wenig Licht und sehr viel Schatten. Herr Kollege Meyer, ich will mit dem Positiven beginnen. Es ist erwägenswert, einen neuen Wiederaufnahmegrund einzuführen, wenn es um Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und künftig auch in verstärktem Maße um Urteile des Europäischen Gerichtshofs geht, durch die die Rechtswidrigkeit von Urteilen innerstaatlicher Gerichte festgestellt wird. Bei dem jetzigen Zustand handelt es sich um eine Strafrechtslücke. Dies ist wenig befriedigend, allerdings nicht, weil er, wie Sie suggerieren, völkerrechtswidrig wäre - das ist der gegenwärtige Zustand nicht, er ist auch nicht verfassungswidrig -, sondern weil es unbefriedigend ist, wenn die Betroffenen über Jahre hinweg vor nationalen Gerichten und vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof um ihr Recht gekämpft haben und es letztlich doch nicht zur Aufhebung des Urteiles kommt. Ich vermag ansonsten allerdings wenig Überzeugendes an Ihrem Antrag zu erkennen. Das gilt zunächst für die von Ihnen so bezeichnete grundlegendste Änderung, nämlich die Einführung eines neuen Wiederaufnahmegrundes bei offensichtlichen Rechtsfehlern. Meine Damen und Herren, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, nämlich der Verfassungswidrigkeit einer Norm und der vorsätzlich falschen Rechtsanwendung durch den Richter, kennt das geltende Strafverfahrensrecht diesen Wiederaufnahmegrund nicht. Die Begründung dafür ist sehr einfach. ({0}) Das deutsche Strafverfahrensrecht ist in seinem vorbildlichen Instanzenzug, in der einzigartigen Stellung des Angeklagten, wie sie im formellen und im materiellen Beweisrecht zum Ausdruck kommt, so ausdifferenziert und so umfassend, daß die Gefahr offensichtlicher Rechtsfehler praktisch ausgeschlossen ist. Das geben Sie in der Begründung Ihres Antrages indirekt selbst zu: Alle Fälle, die Sie als Beispiele anführen, liegen entweder sehr weit zurück - Carl von Ossietzky - oder aber kommen aus Systemen - dem NS- und dem SED-System -, die keine Rechtsstaaten waren. Sie haben kein einziges Beispiel aus der Zeit der Bundesrepublik Deutschland angeführt. ({1}) Das ist kein Zufall. Natürlich ist nicht auszuschließen, daß auch in dem einen oder anderen Fall ein offensichtlicher Rechtsfehler vorkommt. Aber es gilt, die Vorteile, die man bei der Einführung des neuen Wiederaufnahmegrundes gewinnt, gegen die Nachteile abzuwägen, insbesondere gegen die enormen Arbeits- und Kostenbelastungen für die Rechtspflege, die bei der Einführung dieses Wiederaufnahmegrundes zwangsläufig entstehen müßten. Man kann grundsätzlich sagen: Je länger und je ausdifferenzierter der Instanzenzug ist, je stärker die Stellung des Angeklagten im Prozeß, desto geringer ist das Bedürfnis nach der Schaffung zusätzlicher und neuer Wiederaufnahmegründe.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Altmaier, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Satz bitte noch. Umgekehrt: Je kürzer der Instanzenzug und je schwächer die Stellung des Angeklagten, desto größer ist das Bedürfnis nach ausdifferenzierten und umfassenden Wiederaufnahmeregelungen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Meyer.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Altmaier, ist Ihnen in Ihrem Enthusiasmus für die deutsche Strafjustiz und bei Ihrer Behauptung, offensichtliche Rechtsfehler kämen eigentlich nicht vor, bekannt, daß die Untersuchung von mehr als 1 200 Wiederaufnahmeverfahren in der Tübinger Forschungsstelle für Strafprozeß und Strafvollzug durch Karl Peters, Wiederaufnahmeverfahren aus den 50er und 60er Jahren, eine Vielzahl solcher Fehlurteile mit offensichtlichen Rechtsfehlern zutage gefördert hat, worauf Karl Peters ja genau die von mir vorhin erwähnte Forderung gegründet hat, daß die Rechtsprechung sich verändern solle, übrigens dahin, daß Rechtsfehler in krassen Fällen als Tatsachenfehler anerkannt werden sollten? Es gab also eine Vielzahl von Fällen. Ist Ihnen das bekannt? Sind Sie bereit, ein bißchen mehr Kritik auch in Richtung Justiz und ihrer Unfehlbarkeit gelten zu lassen?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Meyer, mir ist diese Untersuchung sehr wohl bekannt. Sie haben aber in meinen Ausführungen überhört, daß es selbstverständlich bei allem berechtigten Lob für unser Strafrecht und unsere Strafrechtspflege immer mal wieder zu Fehlurteilen kommen kann. Nur gilt es vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Justizentlastung, sorgfältig abzuwägen, was Sie damit gewinnen, wenn Sie solche neuen Wiederaufnahmegründe einführen. Es ist doch völlig uneinsichtig, daß auf der einen Seite die Länderjustizminister, die von Ihrer Partei gestellt werden, in vorderster Front kämpfen, wenn es darum geht, Instanzenzüge zu verkürzen und das Beweisantragsrecht einzuschränken, und daß Sie auf der anderen Seite das, was sie an dieser Stelle anrichten, wieder auffangen wollen, indem Sie einen neuen Wiederaufnahmegrund bei offensichtlichen Rechtsfehlern einführen. Dadurch wird das Pferd von hinten aufgezäumt, Herr Kollege Meyer. ({0}) Ich rufe Sie auf, daß wir den Versuchungen, die vor allen Dingen aus Ihren Landesregierungen kommen, nämlich die Axt an wesentliche Teile des Strafverfahrens zu legen, gemeinsam widerstehen. Ebenso bedenklich, Herr Kollege Meyer, ist der zweite Vorschlag, nämlich der Vorschlag einer Absenkung des Niveaus der Prognoseentscheidung, wonach es für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme bereits ausreichend sein soll, wenn die bloße Möglichkeit einer Verbesserung besteht. Dieser Vorschlag ist aus zweierlei Gründen bedenklich: weil er erstens bei den Angeklagten Hoffnungen weckt, die sich in vielen Fällen nicht erfüllen lassen, da ihr Antrag in einem späteren Stadium gleichwohl scheitert, und weil er zweitens dazu führt, daß durch eine Fülle und eine Flut von Wiederaufnahmeverfahren für die Justiz Kosten entstehen, die durch nichts zu rechtfertigen sind. Sie haben in Ihrem Antrag jedenfalls nicht nachweisen können, daß durch die gegenwärtige Ausgestaltung von Additions- und Probationsverfahren Verfahren abgelehnt werden, die nach Ihrem Vorschlag zum Erfolg führen würden. Beide Vorschläge, meine Damen und Herren, sowohl die Einführung des neuen Wiederaufnahmegrundes wie die Absenkung des Niveaus der Prognoseentscheidung führen in Verbindung mit dem neuen Wiederaufnahmeziel einer Einstellung bzw. milderen Strafe im Ergebnis zu einer Flut von Wiederaufnahmeverfahren und zu einer enormen Kostenbelastung für die Justiz. Sie würden dadurch quasi ein neues Rechtsmittel einführen, ohne daß Sie nachgewiesen hätten, daß ein sachlicher Anlaß hierfür besteht. Dies ist kontraproduktiv. Es wird den Druck auf eine weitergehende Justizentlastung verstärken. Deshalb können Sie in dieser Frage mit unserer Mitwirkung nicht rechnen. Es ist auch, Herr Kollege, eine Milchmädchenrechnung, wenn Sie diesen zusätzlichen Belastungen die Einsparungen gegenüberstellen, die angeblich dadurch entstehen sollen, daß die Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten drastisch eingeschränkt wird.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Altmaier, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Meyer? ({0})

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte schön.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Altmaier, die befürchtete Flut von Wiederaufnahmeanträgen ist eine Prognose, die Sie ganz persönlich stellen. Könnten Sie mir zustimmen, daß man sich vor Erstellung solcher Prognosen die tatsächliche Situation und die Tatsachenforschung in bezug auf geltende Wiederaufnahmerechte anderer Rechtsstaaten ansehen sollte, und ist Ihnen bekannt, daß es eine solche Flut von Wiederaufnahmeverfahren zum Beispiel in den Ländern des französischen Rechtskreises, in denen der Wiederaufnahmegrund Kassation gerade bei Rechtsfehlern greift, überhaupt nicht gibt? ({0}) Meinen Sie nicht, daß man statt privater Prognosen besser Erfahrungen in anderen Rechtsstaaten betrachten sollte?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Meyer, der Gesetzgeber ist gefordert, bei jeder Neuregelung eine Prognoseentscheidung über ihre Auswirkungen zu treffen. Wie ich Ihnen eben gesagt habe, sind Sie bei Ihrer Kostenprognose ganz offensichtlich von einer Milchmädchenrechnung ausgegangen, ({0}) indem Sie die Einsparungen bei ganzen 8 Prozent der Fälle den Mehrbelastungen in allen anderen Fälle gegenüberstellen. ({1}) Damit, Herr Kollege Meyer, meine Damen und Herren, komme ich zum letzten und entscheidenden Punkt. Der eigentliche Kern Ihres Vorschlags liegt darin, die Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten nur noch auf Fälle zu beschränken, in denen es um Mord und Totschlag geht. Schon nach geltendem Recht ist die Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten nur in wenigen Fällen und nur unter sehr restriktiven Bedingungen möglich, wenn es sich nämlich um ein Urteil - in der Regel Freispruch - handelt, das durch Urkundenfälschung, vorsätzlich falsche Rechtsanwendung oder vorsätzlich falsche Zeugenaussagen bzw. wenn der Freigesprochene ein Geständnis abgelegt hat ergangen ist. Kollege Meyer, was Sie in diesem Punkt vorschlagen, ist nichts anderes als eine Entkriminalisierung durch die Hintertür. Wenn Sie vorschlagen, daß in Zukunft auch dann, wenn die Verurteilung wegen schwerwiegender Betrugsfälle, schwerer Körperverletzung, Totschlags oder Vergewaltigung erfolgt ist, eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten selbst dann nicht möglich ist, wenn sich herausstellt, daß er zum Beispiel auf Grund von Urkundenfälschung freigesprochen wurde, dann prämieren Sie denjenigen, der es versteht, sich in möglichst geschickter Weise einer Verurteilung zu entziehen. ({2}) Sie geben dazu einen Anreiz. Das ist Entkriminalisierung durch die Hintertür, und die machen wir nicht mit. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Meyer, lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Sie haben vor einigen Tagen Ihren 60. Geburtstag gefeiert und sich nun nachträglich ein kleines Geburtstagsgeschenk gemacht, indem Sie einen Vorschlag, den Sie in Ihrer Habilitationsschrift vor vielen Jahren entwickelt haben, fast wortwörtlich im Parlament eingebracht haben. Wir sind gerne bereit, auch Ihnen ein Geburtstagsgeschenk zu machen, indem wir diesen Antrag einer seriösen Beratung unterziehen. Wir hoffen allerdings bei Ihnen auf eine gewisse Altersweisheit, damit Sie diejenigen Vorschläge zurückziehen, die weder sachlich gerechtfertigt noch rechtspolitisch verantwortbar sind, und sich auf das beschränken, was auch wir gemeinsam mit Ihnen diskutieren können, nämlich die Schaffung eines neuen Wiederaufnahmegrunds bei Urteilen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes und des EuGH. Dies ist angemessen, da machen wir mit. Im übrigen kann ich Ihnen wenig Hoffnung auf einen Erfolg Ihres Antrages machen. Vielen Dank. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine strafrechtliche Verurteilung bedeutet für den Betroffenen eine schwere Stigmatisierung. Sie ist das schärfste Schwert, das der Staat als Reaktion auf Rechtsverletzungen vorgesehen hat. Aber auch der Justiz unterlaufen im Einzelfall Fehler, grobe Fehler, die nach geltendem Recht aber dauerhaften Bestand haben können. Vielerorts wird beklagt: Die derzeitige Wiederaufnahmepraxis sieht außerordentlich betrüblich aus. Dieser Zustand ist weder rechtlich noch ethisch verantwortbar. Daran ändert auch die Duldung der Praxis durch das Bundesverfassungsgericht nichts. So leiden Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Unzulänglichkeiten des geltenden Wiederaufnahmerechts werden deutlich, wenn man sich die Problematik der SED-Unrechtsurteile sowie der NS-Wehrmachtsurteile vergegenwärtigt. Selbst gravierendste Rechtsfehler und die Außerachtlassung minimalster rechtsstaatlicher Standards bleiben im Einzelfall unbeanstandet, weil Rechtsfehler nach geltendem Recht nun einmal nicht zur Wiederaufnahme berechtigen. Auf das sogenannte Ossietzky-Verfahren wurde hier bereits aufmerksam gemacht. Auch die noch immer nicht erfolgte Rehabilitierung von Widerstandskämpfern gegen die NS- Diktatur wie Dietrich Bonhoeffer wurde schon erwähnt. Daß die Generalstaatsanwaltschaft in Berlin jetzt auf Betreiben der Initiative „Gerechtigkeit für Dietrich Bonhoeffer" endlich, 51 Jahre nach Kriegsende, einen Wiederaufnahmeantrag gestellt hat, ist noch kein Grund zur Beruhigung. Es ist überhaupt noch nicht abzusehen, welchen Ausgang das Verfahren nimmt. Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag sollte die Todesurteile gegen Bonhoeffer und Gefährten als Terrorurteile brandmarken, stellvertretend für weitere vom Bundesgerichtshof bestätigte NS-Urteile gegen Widerstandskämpfer. Ich meine, eine gemeinsame Entschließung bei der dritten Lesung dieses Entwurfes wäre eine gute Gelegenheit hierzu. Sie sollte sich am Wortlaut der Bundestagserklärung von 1985 orientieren. Dies wird auch von der genannten Initiative sowie in einer dem Petitionsausschuß vorliegenden Petition gefordert. Eine solche Erklärung stünde diesem Hause gut an. Ich finde das nicht zum Lachen, Herr van Essen; denn den von Unrechtsurteilen Betroffenen muß eine Handhabe gegeben werden, das erlittene Unrecht aus der Welt zu schaffen. Das dient der Wahrheit, der Gerechtigkeit und somit auch dem Rechtsfrieden. Bei der Wiederaufnahme zugunsten des Täters sollte der hohe Rang der Rechtskraft zurücktreten, wenn die Aufrechterhaltung eines Urteils unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten unerträglich wäre. Bei Beruhen des Urteils auf offensichtlichen Rechtsfehlern ist dies meines Erachtens der Fall. Gleiches gilt, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Konventionswidrigkeit eines Urteils festgestellt hat. Auch im Falle der festgestellten Menschenrechtswidrigkeit von Rechtsnormen, auf die eine Verurteilung gestützt ist, halte ich eine Wiederaufnahme für geboten. Dies sollte gar nach Aufhebung menschenrechtswidriger Normen noch möglich sein. Hier schlage ich eine Nachbesserung des Entwurfes vor. Die Menschenrechtskonvention darf hier nicht zu totem Recht verkümmern. Zuungunsten des Angeklagten darf eine Wiederaufnahme aus verfassungsrechtlichen Gründen allenfalls in eingeschränktem Maße zulässig sein. Der Entwurf ist hier allerdings sehr restriktiv: Er läßt eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten allein bei Mord und Völkermord zu. Ob dies tatsächlich dem Rechtsfrieden dient, ist fraglich. Für zumindest diskussionswürdig halte ich eine Ausweitung auf andere schwere Gewalt- oder Sexualverbrechen. Niemand soll sich nach einem Freispruch eines schweren Verbrechens rühmen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, deswegen bestraft zu werden. Aber hier zeigen andere Länder, daß es auch andere Möglichkeiten gäbe, diesem Rechnung zu tragen. Wir sind offen für eine Lösung; aber es bedarf einer Lösung, wenn man diesem Entwurf folgt. Abgesehen davon, verdient meines Erachtens das Anliegen des Entwurfs, die aus dem geltenden Recht entstehenden Gerechtigkeitslücken zu beseitigen, unsere volle Unterstützung. Ich hoffe, daß es nicht nur ein Geburtstagsgeschenk an Herrn Meyer, sondern auch eine Verpflichtung gegenüber dem Rechtsstaat für uns alle ist, diese Frage ordentlich zu prüfen und im Rechtsausschuß entsprechend zu diskutieren. Vielen Dank.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen, F.D.P.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Peter Altmaier hat schon darauf hingewiesen, daß wir unterscheiden müssen: auf der einen Seite die notwendige Aufhebung von NS-Unrecht, auf der anderen Seite die mögliche, notwendige oder vielleicht auch nicht notwendige Reform des alltäglichen Wiederaufnahmerechts, das sich mit Urteilen in der demokratischen, rechtsstaatlichen Bundesrepublik Deutschland befaßt. Wer diese Unterscheidung nicht trifft, macht meiner Auffassung nach einen außerordentlich schweren Fehler. Ich bin sehr betrübt darüber, daß die Diskussion durch die sicherlich dringend notwendige Aufhebung, zum Beispiel des Urteils im Falle Dietrich Bonhoeffer, ein bißchen einseitig belastet wird; denn wir müssen uns über die Reform des Wiederaufnahmerechts unterhalten. Natürlich muß es ein Wiederaufnahmerecht geben. Es gibt einen Fall, der das mehr als deutlich macht: Die Gentechnologie hat in etlichen Fällen deutlich gemacht, daß es bei uns Fehlurteile gegeben hat. Durch die neuen technischen Möglichkeiten konnte festgestellt werden, daß bestimmte Tatspuren nicht von den verurteilten Tätern stammten und daß es dadurch zu zum Teil gravierenden Fehlurteilen gekommen ist. Aber - das darf ich als jemand, der aus der Praxis der Strafjustiz kommt, sagen - das Wiederaufnahmerecht ist nach meiner persönlichen Erfahrung zu Recht restriktiv geregelt. Wir haben eben kein NS- Unrechtssystem mehr; das möchte ich noch einmal betonen. Wir haben ein gut ausgestaltetes Rechtsmittelsystem. Auch das stellt einen Unterschied zu den anderen Staaten dar. Herr Professor Meyer, Sie haben insbesondere auf die mediterranen Staaten hingewiesen. Dort gibt es nicht so viele Leute, die das Rechtsmittelsystem so gut ausschöpfen, wie es in der Bundesrepublik Deutschland die Regel ist. Das wird zum Beispiel daran deutlich, daß Kleinkriminelle nach einer Verurteilung noch eine rechtliche und tatsächliche Nachprüfung vor dem Landgericht und dann noch einmal eine rechtliche Prüfung vor dem Oberlandesgericht erreichen können. Dies unterscheidet unser System von vielen anderen. Auch in Zukunft muß es bei der Ausnahme bleiben, daß das rechtskräftige Urteil im Wiederaufnahmeverfahren erneut einer Überprüfung unterzogen wird. ({0}) Ich bin deshalb sehr froh, daß das Wiederaufnahmeverfahren an strenge Formerfordernisse gebunden ist. Im Additionsverfahren scheitert schon die Mehrzahl der Anträge bei der Prüfung der Zulässigkeit, obwohl sie - das muß man hinzufügen - in der Regel von einem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt gestellt worden sind. Ich habe mir aber in all den Fällen, in denen ich mich mit diesen Wiederaufnahmeanträgen befassen mußte, sehr sorgfältig die Begründungen angeschaut, weil es für einen selbst wichtig ist, ob die Justiz falsch gehandelt hat. Ich muß sagen: In all diesen Fällen bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß das Wiederaufnahmeverfahren auch aus sachlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Die hohen Hürden, die wir haben, haben die Justiz ganz wesentlich entlastet. Ich vermag den SPD-Entwurf - da muß ich meinen Vorrednern folgen - insbesondere in einem Punkt nicht nachzuvollziehen. Das ist die Einschränkung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Angeklagten. Auch wenn nur ein Zehntel der Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Angeklagten durchgeführt wird, kann daraus doch nicht geschlossen werden, daß sich die bisherigen Regeln nicht bewährt haben. Ich glaube, daß dieser Schluß wirklich nicht gezogen werden kann. Wie meine Vorredner muß ich sagen: Es ist überhaupt nicht nachzuvollziehen, warum zum Beispiel ein großer Wirtschaftskrimineller, der sich seinen Freispruch durch die Verfälschung von Urkunden erschlichen hat, schutzwürdig sein soll. Volker Beck hat vorhin noch einige andere Beispiele angesprochen. Auch da bin ich außerordentlich kritisch, ob wir tatsächlich auf die Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Angeklagten verzichten sollten. Ihr Antrag wird uns aber dazu bringen müssen, im Rechtsausschuß über die Stärken und die Schwächen unseres geltenden Wiederaufnahmerechtes zu sprechen. Ich glaube, daß es wert ist, dies im Ausschuß zu tun. Deshalb freue ich mich auf die Diskussion. Vielen Dank. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Professor Heuer, PDS.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute einen Vorschlag von gleichermaßen politischem und großem juristischen Gewicht zu diskutieren. Er ist in meinen Augen eine ziemlich weitgehende Neuerung im bundesdeutschen Strafprozeßrecht. Vielleicht ist allerdings der Begriff „offensichtlicher Rechtsfehler" problematisch. Handelt es sich nicht im Grunde darum, daß Urteile - natürlich nur zugunsten des Verurteilten - aufgehoben werden können, weil sich die Rechtsauffassung grundlegend gewandelt hat, weil sich die Wertung früherer Urteile im Verlauf der historischen Entwicklung unter dem Einfluß vieler Faktoren, vor allem politischer, geändert hat? Darauf deutet die Bestimmung hin, daß die Sicht des Wiederaufnahmegerichts ausschlaggebend ist. Das ist eine bemerkenswerte Absage an die sonst immer so betonte Kontinuität der Rechtsprechung. Der Rechtswissenschaftler Uwe Wesel würde sagen, es hat sich eine neue herrschende Meinung herausgebildet, und das kann Konsequenzen für Urteile haben, die der alten herrschenden Meinung verhaftet waren. Über den Rang der herrschenden Meinung für den „normalen Juristen" hat Uwe Wesel sarkastisch vermerkt: Im Grunde genügt die Kenntnis von herrschender Meinung, unerschrockene Autoritätsgläubigkeit und ein guter Instinkt. Auch der BGH hat vor kurzem einen Beitrag zu diesem Thema geliefert. Im Urteil vom 16. November 1995 äußerte sich der Gerichtshof kritisch zur eigenen Rechtsprechung zur Verfolgung des NS-Unrechts, sprich: zu den komplizenhaften Verschonungsurteilen gegenüber Nazi-Richtern und NaziStaatsanwälten. Es sprach von einem „folgenschweren Versagen bundesdeutscher Strafjustiz". Er sprach weiter von einer „grundlegend veränderten Haltung der Rechtsprechung, ohne die eine Verurteilung nicht möglich wäre", „Neue Justiz" 3/1996, Seite 156. Eine grundlegend veränderte Haltung der Rechtsprechung kann also bei gleichem Recht zu ganz entgegengesetzten Urteilen führen und damit, wie vorgesehen, zur Aufhebung von Urteilen im Wege der Wiederaufnahme. Ich meine, daß wir hier keine Lex Ossietzky und Bonhoeffer vor uns haben und das auch nicht so verstehen dürfen. Der Vorschlag hätte die Konsequenz, nachdem die gesetzlichen Möglichkeiten für die Aufhebung von Urteilen der DDR-Justiz geschaffen sind, daß nun auch Unrechtsurteile nicht nur der Nazi-Justiz, sondern auch der Weimarer Zeit nicht mehr länger im Jenseits der Unberührbarkeit bleiben. Es handelt sich im Fall von Ossietzky nicht um ein Nazi-Urteil, sondern um ein Urteil der Weimarer Republik. Ich denke auch an Strafurteile aus politischen Gründen in der Bundesrepublik Deutschland zu Zeiten des Kalten Krieges. Auch damals sind Strafurteile gefällt worden, von denen ich meine, daß man die Frage „offensichtlicher Rechtsfehler" stellen sollte und wo sehr viele dieser Entscheidungen bei gleichem Recht zehn Jahre später nicht mehr gefällt worden wären. Aus einem solchen Herangehen - das möchte ich als Problem aufwerfen - ergibt sich die Konsequenz, daß man Einwände gegen die Vorstellung des Entwurfs erheben muß, daß Rechtsfehler nicht mehr geltend gemacht werden können, wenn das erstinstanzliche Urteil in der zweiten Instanz bestätigt worden ist. Das überzeugt mich nicht. Die veränderte Haltung der Rechtsprechung oder der herrschenden Meinung bezieht sich natürlich auf Urteile aller Instanzen. Dieses Argument soll natürlich der Einschränkung der Fälle dienen. Diese Ansicht des Autors ist mir schon klar, aber das scheint mir nicht überzeugend zu sein. Ist es denn im Falle von Ossietzky entscheidend, daß es nur eine Instanz war? Zwei Instanzen hätten möglicherweise ebenso entschieden. In meinen Augen wirft also der Vorschlag der SPD grundsätzliche Fragen auf, die wir im Rechtsausschuß zusammen mit den Einzelfragen weiter und genauer diskutieren müssen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Herr Bundesminister Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Reform des Wiederaufnahmerechts in der Strafprozeßordnung ist seit Jahrzehnten Gegenstand einer fachlichen Diskussion, die ihren Höhepunkt bereits Anfang der siebziger Jahre erreichte. Das ist in sympathischer Weise auch schon personalisiert worden. Insbesondere von seiten der Anwaltschaft sind immer wieder Klagen laut geworden, die Gerichte handhabten die Wiederaufnahmevorschriften zu restriktiv und die gesetzliche Regelung sei zu starr und umständlich. Auch der SPD-Entwurf hat bereits seine Geschichte. Es ist völlig zu Recht darauf hingewiesen worden, daß er schon in der letzten Legislaturperiode eingebracht wurde, und zwar in einer weitgehend identischen Fassung. Dem Entwurf kommt das Verdienst zu - Herr Kollege Meyer, das will ich unumwunden sagen -, die Diskussion um die Reform des Wiederaufnahmerechtes weiterzuführen. Ob es ihm allerdings wirklich gelungen ist, dem Wiederaufnahmerecht klarere und weniger komplizierte Strukturen zu geben, will ich noch nicht abschließend bewerten. Dafür sind die Ausschußberatungen abzuwarten. Kritisch werden wir uns in diesen Beratungen die Frage stellen müssen, ob der Entwurf die Pforten zur Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Verfahren zugunsten des Verurteilten nicht zu weit öffnet und damit die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidungen zu weitgehend aufweicht. Diese Tendenz läßt sich dem Entwurf meines Erachtens an vielen Stellen entnehmen. Ich denke an die Vermehrung der Wiederaufnahmegründe, die Neuschaffung von Wiederaufnahmezielen und nicht zuletzt die Absenkung der Prognosewahrscheinlichkeiten im Additions- und Probationsverfahren. Sehr weitgehend erscheint - auch darauf ist schon hingewiesen worden - etwa die Aufnahme „offensichtlicher Rechtsfehler" oder „offensichtlicher Verletzungen der rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze" in den Katalog der Wiederaufnahmegründe. Das Merkmal der „Offensichtlichkeit" ermöglicht keine hinreichende Eingrenzung der in Frage kommenden Rechtsfehler, wie bereits an Hand der Entwurfsbegründung deutlich wird. Ein so unbestimmtes Merkmal stellt geradezu eine Einladung dar, in möglichst vielen Fällen wirklicher oder vermeintlicher Rechtsfehler Wiederaufnahmeanträge zu stellen. Das Wiederaufnahmerecht wird damit - Sie selbst haben es ja auch schon, wenn auch rhetorisch, angesprochen - zu einer Form von Superrevision ausgeweitet, die weder in das bereits gut ausgebaute geltende Rechtsmittelsystem paßt, noch mit dem Wesen des Wiederaufnahmerechtes vereinbar erscheint. Die Wiederaufnahme ist ein Ausnahmeinstitut, das zu einem Ausgleich von Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit in eng umgrenzten Fällen führen soll, in denen die Fehlerhaftigkeit des Urteils ein unerträgliches Maß erreicht. Die Konkretisierung eines so unbestimmten Merkmals wie die „Offensichtlichkeit" wird im übrigen - das soll aber natürlich nicht das entscheidende ArguBundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig ment sein - jahrelang die ohnehin überbeanspruchten Gerichte beschäftigen. Dies verträgt sich schlecht mit den Forderungen meiner Länderkollegen nach Entlastung der Justiz. Auch darauf ist schon hingewiesen worden. Auch ich will allerdings deutlich konstatieren, daß der Vorschlag, die Aufnahme eines Verfahrens zuzulassen, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die Konventionswidrigkeit eines Urteils festgestellt hat, ausgesprochen erwägenswert erscheint. Auch wenn die Wiederaufnahme des Verfahrens in einem solchen Fall von der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht gefordert ist, könnte Deutschland so seine aufgeschlossene Haltung gegenüber dem zentralen Instrument des europäischen Menschenrechtsschutzes unterstreichen. Allerdings - das ist das Fazit -, auch an diesem Punkt bedarf es noch genauerer Prüfung, ob die insoweit vorgeschlagene Formulierung zur Erreichung des Zieles geeignet ist. Das werden die Ausschußberatungen zeigen. Danke sehr. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/3594 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuß vor. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Siedlungsentwicklung und Siedlungspolitik Nationalbericht Deutschland ({0}) - Drucksache 13/3679 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({1}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe der PDS vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Bundesminister Töpfer. Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({2}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß es außerordentlich gut ist, daß der Deutsche Bundestag - wenn auch zu dieser abendlichen Stunde und deswegen, sicher verständlich, in einer etwas geringeren Besetzung - dieses Thema erörtert. Wir haben in wenigen Wochen, Anfang Juni, Habitat II, also die Weltkonferenz zu Fragen menschlicher Siedlungen in Istanbul - eine für die friedliche Entwicklung der Welt ganz sicherlich außerordentlich bedeutsame UN-Konferenz. Es ist die letzte dieser Weltkonferenzen in einer Kette derartiger Veranstaltungen, die ihren Anfang 1992 in Rio de Janeiro mit dem Umwelt- und Entwicklungsgipfel genommen hat. Es gab den Sozialgipfel in Kopenhagen, den Bevölkerungsgipfel in Kairo. Jetzt ist es der Gipfel in Istanbul. Manche in Deutschland fragen: Was geht uns das an? Ist das eigentlich unser Problem? Ist es auch für uns ein Problem, daß die Bevölkerung der Welt weiter dramatisch zunimmt? - Das ist bestimmt kein Merkmal der Bundesrepublik Deutschland. Die Welt geht in eine Zukunft hinein, die von außerordentlicher Verstädterung gekennzeichnet ist. Die allermeisten der rund 280 000 Menschen, die Tag für Tag hinzukommen, leben in großen, zunehmend unübersichtlich werdenden Agglomerationen, Mega-Citys. Man fragt: Ist das unser Problem? Es ist vielen in Deutschland schwer zu vermitteln, daß wir uns damit zu beschäftigen haben. Man sagt: Das ist doch das Problem der anderen, der Entwicklungsländer, des südlichen Bereichs dieser Welt, aber nicht eines von uns. In der Tat hat sich die erste Konferenz - Habitat I -, vor 20 Jahren in Vancouver, nur damit beschäftigt, wie es in den Entwicklungsländern aussieht, nicht aber damit, wie es in den sogenannten Industrieländern, den entwickelten Ländern, aussieht. Heute, glaube ich, sind wir ein Stück weiter. Heute wissen wir, daß diese Probleme in doppelter Weise auch unsere Probleme sind: Sie sind es einmal aus der Vorbildfunktion heraus, die, ob wir das wollen oder nicht, westliche Lebensstile, Produktionsstile und westliches Konsumverhalten nach wie vor auch und gerade für die Länder im südlichen Teil dieser Welt haben. Ich glaube, es ist wirklich immer wieder zu unterstreichen: Wir sollten darauf hinweisen, daß das nicht eine Selbstverständlichkeit ist. Vielmehr verhält es sich so, daß auch wir von anderen Lebensstilen durchaus etwas lernen und davon etwas in unseren Lebensstil einbringen können. Zum zweiten entstehen nach wie vor in den entwickelten Ländern und damit auch in der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich viele Raum- und Stadtprobleme, die wir bewältigen müssen. Im Rahmen der deutschen Einheit sehen wir das in ganz besonderer Weise. Gehen Sie mit mir nach Markkleeberg oder nach Borna, südlich von Leipzig. ({3}) - Oder nach Gera. - Dann werden Sie sehen, daß dort im Laufe der Entwicklung die Städte, die Innenstädte ihre Funktion verloren und sie an die Trabantenstädte abgegeben haben und daß die Identität der Stadt verlorengegangen ist. Das ist nicht nur ein Thema in den neuen Bundesländern. Das gibt es an vielen Stellen auch in den alten Bundesländern. Gehen Sie mit nach Bremen-Farge oder wohin auch imBundesminister Dr. Klaus Töpfer mer. Ich sage das nicht, um Wohnviertel zu diskriminieren - ich möchte nicht, daß ich da falsch verstanden werde -; vielmehr sage ich das als Hinweis darauf, daß wir die Integrationskraft der Städte stärken müssen, wenn wir sozialen Frieden und soziale Stabilität erreichen wollen. Denn wenn es uns nicht gelingt, das Problem der Verstädterung weltweit zu bewältigen, dann ergibt sich daraus - da bin ich ganz sicher - eine der größten Gefährdungen des Friedens, die wir uns überhaupt vorstellen können. ({4}) Das ist nicht übertrieben, und Boutros Boutros-Ghali hat sicherlich nicht zu Unrecht nicht nur eine „Agenda for Peace", eine Agenda für den Frieden, vorgelegt, sondern auch eine Agenda für die Entwicklung. Wir machen uns in der Welt die Arbeit zu leicht, wenn wir nur fragen: Wann schicken wir welche Blauhelme wo hin, um dort Frieden zu schaffen, wo sich Menschen mit Waffen gegenüberstehen? Vielmehr müßten wir ebenfalls fragen: Wo schicken wir Grünhelme hin, damit die Auseinandersetzungen um die knappen Ressourcen dieser Welt vernünftig ausgetragen werden können? ({5}) Diese Aufgaben stehen hinter dem - wenn Sie so wollen - ganz abstrakten Begriff „Habitat II". Deswegen legt die Bundesregierung einen nationalen Bericht vor, der auch bezweckt, Auseinandersetzungen auszulösen. Manchmal ist man allerdings der Meinung, daß wir sehr gern die großen Chancen übersehen, die wir in Deutschland auf Grund unserer Siedlungs- und Stadtstruktur haben. Unsere alte Tradition der Kleinstaaterei der Vergangenheit bietet uns heute großartige Chancen für eine ausgeglichene Siedlungs-, Raum- und Stadtstruktur. Die vielen kleinen Zentren und Hauptstädte aus der Zeit, in der unsere Landkarte ein „Flickenteppich" war, sind alle zu stabilen Zentren geworden. Wir müssen diese Vielfalt erhalten und weiterentwickeln. Das reicht bis in unsere Hauptstadtdiskussion hinein. Ich möchte, daß jemand, der in die Bundeshauptstadt Berlin kommt, sieht, daß er in die Hauptstadt eines föderalen Landes kommt. Wir müssen Funktionen dezentral verteilen, um zu stabilisieren. ({6}) Ich glaube, es ist sehr richtig - und man kann es gar nicht häufig genug unterstreichen -: Diese räumliche Struktur ist ein ganz wichtiger Standortfaktor für unser Land insgesamt. Deswegen sind manche sehr froh, wenn sie in die Bundesrepublik Deutschland kommen und das sehen. Wir haben die Möglichkeit einer Vorkonferenz zu Istanbul genutzt und vorab nach Berlin eingeladen. Es waren Vertreter aus 29 Staaten anwesend, darunter 15 Minister. Ich werde nicht vergessen, daß sich während einer Diskussion die Vertreterin von Indien meldete und sagte, sie sei am Vortag durch Berlin - auch durch den östlichen Teil der Stadt - gefahren und müsse sagen, daß die Gebäude, die man dort abreiße, in ihrem Land gute, sehr begehrte Wohnhäuser sein würden. Diese Aussage, die die Relationen deutlich macht, mache ich nicht, um uns freizusprechen, sondern um auch ein bißchen den Blick für die globale Dimension zu öffnen. Ich wiederhole: Es geht mir nicht darum, über Probleme des Auslands zu reden, weil ich mich den Problemen zu Hause nicht stellen will. Vielmehr habe ich in den Mittelpunkt dieser kurzen Darstellung bewußt unsere eigenen Aufgaben gestellt. Wir sollten bei all dem aber auch wissen: Andere erwarten von uns, daß wir Technologien für eine nachhaltige Stadtentwicklung, „best practices", gute Beispiele liefern. Ich danke all den Städten und Gemeinden, die in Istanbul ausstellen werden. Es geht um ihre Erfahrung: Wie behandelt man Stadtprobleme? Ich danke all denen, die im Nationalkomitee mitarbeiten, auch den Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause, die daran mitgewirkt haben, daß der Nationalbericht so geworden ist, wie er ist, ohne daß sie für die Fehler und Probleme Verantwortung tragen müssen. Sie haben ein Aktionsprogramm, das wiederum von uns nicht ganz mitgetragen wird, erstellt. Ich glaube, das ist eine vernünftige Sache. Ich meine nicht die falsche Vereinnahmung, sondern die Bemühung, in ein Nationalkomitee alle gesellschaftlichen Gruppen und damit natürlich auch die Parlamente einzubinden. Ich hoffe sehr, Herr Präsident, meine Damen und Herren, daß wir auch mit unserer breit strukturierten nationalen Delegation in Istanbul belegen: Wir sind uns der heimischen Probleme sehr bewußt, ohne damit die globale Herausforderung vernachlässigen zu wollen. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit. Herzlichen Dank. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Volkmar Schultz, SPD-Fraktion.

Volkmar Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002792, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Nachtarbeiterinnen und Nachtarbeiter! ({0}) Sie müssen gelobt werden dafür, daß Sie zu später Stunde noch bereit sind, ein Thema von einiger Bedeutung zu diskutieren. ({1}) Oder ist es vielleicht andersherum richtig: daß die Siedlungsentwicklung auf der Welt für uns ein Randthema ist, ({2}) Volkmar Schultz ({3}) das seinen Platz am Rande der Tagesordnung verdient und das der Deutsche Bundestag in 30 Minuten abarbeitet? Spiegelt sich vielleicht darin unsere Gesellschaft, daß sie am Jahrestag von Tschernobyl nicht jene andere Zeitbombe zur Kenntnis nimmt, die immer lauter tickt und eine noch schlimmere Wirkung entfalten kann als die Sprengkraft des Atoms? Es hat 130 Jahre gedauert, bis sich die Bevölkerung der Stadt London von 1 Million auf 8 Millionen verachtfacht hat. Es wird nur 65 Jahre gedauert haben - also nur halb so lange -, bis sich die Bevölkerung der Stadt Lagos im Jahre 2015 um das 80fache vergrößert haben wird. In Sao Paolo, Mexiko City, Bombay, Shanghai, Djakarta, Karachi, Peking oder Dhaka und in einem Dutzend anderer großer Mega-Citys vollziehen sich ähnliche Entwicklungen, ersticken die Menschen, werden Land und Wasser vergiftet, toben Epidemien und soziale Katastrophen. Mexico City wurde einst auf Lagunen gebaut. Inzwischen ist die Stadt ausgetrocknet. In den letzten 70 Jahren haben sich ganze Straßenzüge durch den Entzug des Grundwassers um 12 Meter gesenkt. Meine Damen und Herren, angesichts solcher Verhältnisse fällt es außerordentlich schwer, über einen deutschen Nationalbericht zur Siedlungsentwicklung zu sprechen, der als Dokument der Bundesregierung auf der Habitat-II-Konferenz vorgelegt werden soll. Ich weiß auch nicht, ob es klug war, zu entscheiden, auf dieser Konferenz sowohl die Verhältnisse in den Entwicklungsländern als auch die in den reichen Ländern der Erde zu diskutieren. ({4}) Das sind zwei Lichtjahre voneinander entfernte Welten. Wenn nicht alles täuscht, dann wird auf dieser Konferenz der erbitterte Kampf um die Verteilung der Ressourcen der Erde so richtig zutage treten. Die entsprechenden Vorbereitungskonferenzen haben schon gezeigt, daß die Entwicklungsländer mit dem Begriff „sustainable development", also ökologisch nachhaltige Entwicklung, nicht leben können. Sie verlangen unmißverständlich „sustained economic growth", also nachhaltiges ökonomisches Wachstum. Meine Damen und Herren, ich habe irgendwo gelesen, in ganz Afrika gebe es so viele Automobile wie im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Wenn wir uns einmal vorstellen, wir würden nur den zehnten Teil unseres Lebensstandards nach Afrika exportieren; wenn wir uns einmal vorstellen, Asien und Lateinamerika würden für ihre Menschen auch nur einen zehnten Teil unseres Lebensstandards erwerben wollen - es bedeutete die zunehmende Unbewohnbarkeit der Erde. Da stehen wir jetzt mit unserem Nationalbericht. Wir, die wir mit dem Ressourcenverbrauch die Maßstäbe für die Zerstörung der Erde setzen, wir erklären uns zum Musterländle, in dem nachhaltige Entwicklung eigentlich schon ganz gut funktioniert. Nein, im Weltmaßstab ist dieser Nationalbericht so etwas wie ein Vertuschungsbericht. ({5}) Aber auch gemessen an unseren eigenen Maßstäben ist der Bericht nicht ganz ehrlich. Einerseits beklagt die Bundesregierung den wachsenden Flächenverbrauch durch die Siedlungsentwicklung; richtig. Andererseits macht sie die Steigerung der Eigentumsquote zum zentralen Anliegen der Wohnungspolitik. Eine Anhebung der Quote um 10 Prozent, die Herr Töpfer landauf, landab verkündet, bedeutet, daß Sie 3 Millionen neue Einfamilienhäuser bauen müßten. Sie beklagen die Gefährdung der Innenstädte durch soziale Entmischung; richtig. Andererseits fördern Sie durch Ihre Politik die Suburbanisierung mit ihrer Entflechtung und ihren immer weiteren Verkehrswegen. Sie beklagen die Gefahren der Luftverschmutzung durch den Individualverkehr, können jedoch keinerlei schlüssiges Konzept etwa für den Güterverkehr auf der Schiene vorlegen. Mit dem geht es immer weiter bergab. Die Experten der Bundesregierung erkennen die Gefahren der Erosion unserer Innenstädte. Das ist längst keine amerikanische Erscheinung mehr. Aber die Städtebauförderung, übrigens ein Kind der Sozialdemokraten von vor fast genau 25 Jahren, wird zurückgefahren und soll, wie man hört, weiter dem Rotstift zum Opfer fallen. Sie präsentieren sich in Istanbul mit einer Liste der „best practices" , in der Tat einer Beispielliste von mustergültigen kommunalen Projekten. Aber in Ihrer aktuellen Politik lassen Sie die Gemeinden zunehmend im Stich. Ich könnte weitere Details des Berichtes aufzeigen. Die Bundesregierung zitiert ausdrücklich das Zweite Wohnungsbaugesetz mit der Zuständigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden. Doch im gleichen Atemzug weist sie die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus ausschließlich den Ländern zu. Die Bundesregierung propagiert auch in diesem für das internationale Publikum gedachten Bericht die sogenannte einkommensabhängige Förderung des Mietwohnungsbaus, obwohl Herr Töpfer bis heute nicht einmal den Ansatz eines tragfähigen Konzeptes dafür hat vorlegen können. In dem Kapitel über die soziale Absicherung des Wohnens beschreibt der Bericht der Bundesregierung die Funktion des Wohngeldes, operiert dabei mit Zahlen aus dem Jahre 1992 und verschweigt, daß die Wirkungen des Wohngeldes durch Nichtanpassung über ein halbes Jahrzehnt an rasant gestiegene Mieten längst fragwürdig geworden sind. Der „Ankündigungsminister" Töpfer zeigt sich darin. Meine Damen und Herren, diese wenigen Beispiele - ich stelle nur Theorie und Wirklichkeit geVolkmar Schultz ({6}) genüber; das ist ja das Problem: In der Theorie ist der Bericht sehr gut und umfassend, und ich danke allen, die daran mitgearbeitet haben, insbesondere denen, die den soweit richtigen Analyseteil bestritten haben - zeigen, daß die politische Substanz dieses Nationalberichts ungenügend ist. Er analysiert über weite Strecken richtig, zeigt aber nicht die aktuelle politische Situation. Er zeigt eine heile Welt, statt eine kritische Bestandsaufnahme vorzunehmen. Letzteres hätte uns besser zu Gesicht gestanden. ({7}) Herr Töpfer hat seine eigene Art, internationale Konferenzen zu gestalten. Anläßlich der jüngsten Berliner Konferenz hat er beklagt - ich zitiere aus einer ap-Meldung -, „daß die Vereinigten Staaten und andere Länder sich dagegen wehrten, die moralische Verpflichtung zur Bereitstellung menschenwürdiger Unterkünfte zum internationalen Grundrecht zu erheben." Ich frage mich, wo Herr Töpfer eigentlich war, ({8}) als es darum ging, ein Grundrecht auf Wohnen in das Grundgesetz der Bundesrepublik aufzunehmen. ({9}) Ganz gewiß war er auch damals auf einer internationalen Konferenz, vielleicht mit einem anderen Spruch. ({10}) Vielen Dank.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Angelika Köster-Loßack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002704, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Themen stehen bei der Istanbuler Konferenz Habitat II im Mittelpunkt: erstens eine angemessene Unterkunft für alle Menschen im Norden und Süden, zweitens die Durchsetzung einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung. Beide Zielsetzungen sind im Vorfeld der Konferenz durchaus umstritten gewesen. Bei der Forderung nach einem Menschenrecht auf Wohnen zeichnet sich zwar ein Kompromiß ab. Dagegen begegnen aber manche Vertreter des Südens der Verpflichtung zur nachhaltigen Entwicklung mit Ablehnung. Sie fordern statt dessen ein Recht auf dauerhaftes ökonomisches Wachstum und mehr finanzielle Hilfen von den Industrieländern ein. Die Bundesregierung ist aufgefordert, alles zu unternehmen, damit sich alle Teilnehmer in Istanbul dem Ziel der nachhaltigen Siedlungsentwicklung verpflichten und gleichzeitig wirksame Schritte in diesem Prozeß eingeleitet werden. Die Forderung nach Nachhaltigkeit ist von seiten der Industrieländer allerdings nur dann glaubhaft zu vertreten, wenn sie endlich selbst Maßnahmen ergreifen, um ihre eigene Produktions- und Lebensweise ökologisch umzugestalten. Hier ist die Bundesregierung gefordert; denn solange keine umweltverträgliche Energie- und Verkehrspolitik betrieben wird, solange Wirtschafts- und Siedlungspolitik immer mehr natürliche Ressourcen vernichten, so lange gefährden wir - nicht nur in unserem Land - massiv die Überlebenschancen unserer Kinder. Den Ländern des Südens nehmen wir damit die Möglichkeit zu eigenständiger Entwicklung. Daß eine globale Durchsetzung unseres Wachstumsmodells zum ökologischen Kollaps führen würde, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Zur nachhaltigen Entwicklung gehört aber auch die Sorge um soziale Gerechtigkeit. Die momentan geplante Politik des Sozialabbaues durch diese Bundesregierung unterläuft die Zusicherungen, die die Bundesregierung wahrscheinlich auch auf diesem Weltgipfel wieder vortragen wird, und verkehrt sie ins Gegenteil - und das in unserem Land! Was das Gastgeberland Türkei angeht, muß die Bundesregierung nachdrücklich die Einhaltung elementarster Menschenrechte und das Ende von Unterdrückung und Vertreibung der Kurden einfordern. Bei uns ist die Einbindung der Betroffenen und der Kommunen von zentraler Bedeutung für eine zukunftsgerechte Siedlungspolitik. Initiativen, die sich für eine Verbesserung der sozialen Situation in unseren Städten einsetzen, müssen stärker gestützt werden. Die Bevölkerung muß mehr Möglichkeiten der Mitgestaltung in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld umsetzen können. Um lokal einen Schritt hin zur nachhaltigen Entwicklung zu gehen, aber auch, um zur Lösung globaler Probleme beitragen zu können, müssen Städte und Gemeinden bei der Umsetzung der Agenda 21 der Rio-Konferenz unterstützt werden. Deshalb sollte sich die Bundesregierung auch auf dieser Konferenz gegenüber der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung dafür einsetzen, daß der Zeitrahmen für die Erarbeitung lokaler Agenden von 1996 auf das Jahr 2000 ausgedehnt wird. Von seiten des Bundes sollte, wie in der letzten Legislaturperiode schon beschlossen wurde, ein ausreichendes Beratungsangebot zur Verfügung gestellt werden, um die Kommunen, die bereits Partnerschaften mit Kommunen im Süden haben, bei ihrer Arbeit zu unterstützen und um solche Kommunen zu beraten, die eine Kooperation anstreben. Die Nichtregierungsorganisationen und die internationalen Netzwerke sollten bei Projektplanung und -durchführung im Bereich der nationalen und internationalen Siedlungsentwicklung viel stärker als bisher berücksichtigt werden. Um mit den riesigen Problemen, die sich in Nord und Süd, wenn auch in unterschiedlicher Weise, in der Urbanisierungsentwicklung stellen, fertigzuwerden, müssen wir in unserem Land beginnen. Ein Austausch zwischen den Städten in Nord und Süd über Problemlösungen im Bereich nicht nur der materiellen Infrastruktur, sondern auch der sozialen InDr. Angelika Köster-Loßack tegrationsfähigkeit hat längst begonnen. Ohne eine Lösung dieser Probleme werden die Großstädte unbewohnbarer als der Mond, ungeeignet für menschliches Zusammenleben. In meinem eigenen Wahlkreis, in Heidelberg, hat durch den Zusammenschluß aller aktiven Gruppen und Organisationen aus dem sozial-, dem entwicklungs- und dem umweltpolitischen Bereich die Erarbeitung einer Agenda begonnen, die auch von seiten der Universität und der Stadt tatkräftig unterstützt wird. In diesem Sinne muß ich auch noch einmal an die Bundesregierung appellieren, dafür zu sorgen, daß die Zielsetzungen, die in dem Nationalbericht vermerkt sind, auch für das eigene Land nicht bloße Theorie bleiben und daß im Rahmen des Finanzausgleichs den Kommunen mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit solche Programme umgesetzt werden können. Daran hapert es nämlich vor allem. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hildebrecht Braun, F.D.P.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wertes Präsidium! Meine Damen und Herren! Ehre, wem Ehre gebührt! Nur wenige Bücher sind für unser Land so wichtig, daß der Deutsche Bundestag darüber diskutiert. Unser Minister hat es in der Tat vermocht, angesichts der Diskussion über diesen deutschen Nationalbericht den Bogen zu spannen von dem wunderbaren Ort Markkleeberg im Süden von Leipzig mit dem Agra-Park, mit dem weißen Haus und in der Zukunft mit der Aussicht auf eine wunderbare Seenlandschaft in unmittelbarer Nähe bis zu den wirklichen Problem-Millionenstädten in der Dritten Welt. ({0}) Aber, ehrlich gesagt, ich selber weiß nicht so recht, warum wir heute eine halbe Stunde über diesen Bericht debattieren. Einfluß auf die Politik dieses Hauses wird diese halbe Stunde hier wohl kaum haben. Besonders erhellend der Hinweis auf Seite 1 - ich zitiere -: Der Bericht bemüht sich ... um eine auch für Nichtfachleute beziehungsweise für mit den Gegebenheiten in Deutschland nicht so vertraute ausländische Leser verständliche Darstellung. Dies erklärt die zum Teil grundlegenden und vereinfachenden Aussagen des Berichts. Ich räume ein, daß ich wohl von besonderer Laienhaftigkeit und als Bayer vielleicht sogar auch mit einem Hauch Ausländerqualität herangegangen sein muß, da mir viele Schilderungen ach so komplexer Zusammenhänge doch gewisse Verständnisschwierigkeiten bereitet haben. Aber vielleicht ist es ja auch gut, wenn man gelegentlich auf das einem selbst zustehende Maß reduziert wird, wo ich doch dachte, daß ich der deutschen Sprache mächtig sei und daß mir als für Stadtplanung viele Jahre zuständigem Stadtrat in Deutschlands größter Kommune Zusammenhänge von Stadtplanung und Stadtentwicklung einigermaßen vertraut sein müßten. Ich kann nur sagen: Die Auftraggeber der Studie waren schon clever oder vielleicht auch gebrannte Kinder, wenn sie den Autoren aufgaben, sich am Horizont von unverständigen Ausländern zu orientieren. Wäre diese Anweisung unterblieben, so wäre das Werk wohl absolut unlesbar geworden - zumindest für jemanden wie mich, der „Jurist oder auch sonst von mäßigem Verstand" ist, wie ein großer Bayer weiland so treffend sagte. Auch wenn die Autoren ihren Hang zur Wissenschaftlichkeit zumindest in ihrer sprachlichen Ausdruckskraft kaum zu unterdrücken vermochten, so ließen sie den geneigten und gutwilligen Leser immerhin so umwerfende Erkenntnisse erlangen wie die, daß es auf der Bundesebene um Siedlungspolitik im großräumig-überregionalen Maßstab, auf der Ebene der Länder um regionale und interkommunale Gesichtspunkte und auf kommunaler Ebene um kleinräumige, interstädtische sowie grundstücksund gebäudebezogene Fragen der Siedlungspolitik gehe. Auch verschweigt man uns nicht die Erkenntnis, daß eine nachhaltige Siedlungs- und Stadtentwicklung konkret auf der kommunalen Ebene ansetzen müsse. Ich bin gehalten, fünf Minuten über diesen Bericht zu sprechen. Ich räume ein: Es wäre mir lieber, ich könnte entweder drei Stunden, dann aber mit Tiefgang, oder eben gar nicht darüber sprechen. Die Herausnahme irgendwelcher Themenschwerpunkte für ein Fünf-Minuten-Statement erscheint eher beliebig. Lassen Sie mich meine eher skeptischen Anmerkungen wenigstens in einem Punkt durch ein ausdrückliches Lob ergänzen. Es wurden viele Beispiele aus deutschen Städten gebracht, die graphisch jeweils so herausgehoben wurden, daß sie das Interesse des Lesers in ähnlicher Weise herausfordern, als wenn der Text durch Fotos aufgelockert wäre. Es sind unendlich viele Themen angesprochen worden, die für langjährige Kommunalpolitiker wenig Überraschendes bieten. In der Zusammenschau erscheint die Darstellung aber als Einführungsheft für Studenten geeignet, die sich der Thematik Raumordnung, Landesplanung unter besonderer Berücksichtigung des Wohnens verschrieben haben. Ich kann mir dieses Heft durchaus auch als Band Nr. 1197 in der laufenden Reihe der Bundeszentrale für politische Bildung vorstellen. Wer sich jedoch durch das Werk in einem Stück durchgearbeitet hat, dem schwirrt der Kopf. Dieses Vorgehen erscheint daher wenig sinnvoll. Wer aber abschnittsweise oder themenbezogen vorgeht, um beispielsweise umweltrelevante Faktoren kommunaler Politik in Deutschland zu erfahren, wer eine kurze Darstellung der Obdachlosigkeit in den Städten und wer eine Darstellung der Mietbelastung in den vergangenen Jahren haben will, für den wird dieses Hildebrecht Braun ({1}) Werk quasi als kleines Nachschlagewerk durchaus gute Dienste leisten. Dennoch: Ich wüßte schon sehr gerne, welche Kosten mit der Erstellung dieses Bandes verbunden waren. Ich fürchte, daß sich unendlich viele Menschen bemüht haben, obwohl ich nicht ausschließen will, daß auch ein Team von drei Geographen in der Lage gewesen wäre, die Daten aus den unendlich vielen vergleichbaren Werken sehr viel preiswerter zusammenzutragen. Vielen Dank.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Warnick, PDS.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Anfang ein paar Worte an Minister Töpfer. Wir waren beide zusammen auf dieser Vorbereitungskonferenz in Berlin. Ich habe das, was Sie von der indischen Kollegin eben erzählt haben, doch etwas anders in Erinnerung. Es ist zwar richtig, was Sie gesagt haben, aber es gibt ein ganz anderes Bild, wenn sie darstellen wollte, daß wir hier in Hellersdorf diese Wohnungen abreißen, während man auf der anderen Seite in Indien auch von europäischer Seite versucht, den Leuten einzureden, daß es genau die Wohnungen sind, die man dort eigentlich bauen sollte. Das war eigentlich eine ziemlich offene Kritik an den westlichen Maßstäben und auch an dem Umgang mit Entwicklungspolitik in der Dritten Welt, die zum Ausdruck kommen sollte. So habe zumindest ich es verstanden. Leider ist unsere Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig nicht hier, die als einzige an diesem Tag an der Konferenz teilgenommen hatte. Am zweiten Tag ist auch noch Herr Götz anwesend gewesen. Das zu dieser Frage. Zum Nationalbericht. Der Nationalbericht zeichnet ein weitgehend zutreffendes Bild der wohnungspolitischen Situation in Deutschland. Er läßt auch Probleme nicht aus - was ich positiv bewerte -, wie zum Beispiel die hohe Zahl der von Obdachlosigkeit Betroffenen. Er bemängelt, daß eine gesetzlich verpflichtete bundesweite Statistik über Wohnungsnotfälle fehlt. Auch spricht er in einem Kapitel von der Sicherung einer angemessenen Wohnungsversorgung für alle, was wir bereits von anderen Kollegen gehört haben. Das Recht auf Wohnen ist trotzdem nicht in der deutschen Verfassung verankert. Ganz im Gegenteil: In einigen Landesverfassungen haben wir dieses Recht verankert. Wir müssen aber befürchten, daß es noch schlechter wird. Wenn ich zum Beispiel an Brandenburg, an die vor uns schwebende, aus unserer Sicht hoffentlich nicht zustande kommende Fusion denke: Wir würden dann ein Bundesland mehr haben, wo dieses Recht nicht mehr in der Verfassung steht. Wir kritisieren, daß die Bundesregierung bisher keine klare Position zu der Frage hat, ob das Menschenrecht auf Wohnung im offiziellen Aktionsprogramm von Habitat II festgeschrieben werden soll oder nicht. Dem Bericht können wir in der Analyse der bestehenden wohnungs- und siedlungspolitischen Situation zwar zustimmen, die Situationsdarstellung im Nationalbericht steht jedoch zum Teil im Gegensatz zu den Vorschlägen der Bundesregierung für eine künftige Wohnungs- und Siedlungspolitik, sofern überhaupt konkrete Schlußfolgerungen angeboten werden. Unterschiedliche Bewertungen ergeben sich vor allem in der Frage, wie die bestehenden Probleme zu lösen sind. Das liegt ganz klar an der unterschiedlichen Herangehensweise. Wir betrachten eine Wohnung in erster Linie aus ihrer sozialen Funktion heraus und nicht als ein Renditeobjekt, die Bundesregierung setzt dagegen auch weiterhin auf „bewährte Lösungen". Die PDS hat dem ein alternatives wohnungspolitisches Konzept entgegenzusetzen, welches sozial, ökologisch und demokratisch ist, und es ist aus unserer Sicht auch wirtschaftlich umsetzbar. Es ist ein umfangreiches und detailliertes Paket von Vorschlägen, um für alle in der Bundesrepublik lebenden Menschen bezahlbare und sichere Wohnungen in einer gesunden Umwelt zu gewährleisten. Dieses Programm spiegelt sich in unserem Entschließungsantrag wider. - Ich habe leider nicht mehr Zeit. Schönen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Peter Götz, CDU/CSU.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns heute über den Nationalbericht Deutschland zur zweiten UN- Konferenz über menschliche Siedlungen unterhalten, greifen wir die Frage auf, wie Menschen in Zukunft leben und arbeiten wollen, und wir suchen gleichzeitig Antworten auf globale Herausforderungen unserer Zeit. Wir begrüßen es, daß zu dieser Debatte auch der Vorsitzende des Vorbereitungsausschusses zu Habitat II, Herr Lujanen, aus Finnland gekommen ist und heißen ihn herzlich willkommen. ({0}) Der Nationalbericht Deutschland zu Habitat II gibt ein objektives Bild des gegenwärtigen Standes der deutschen Siedlungsentwicklung, ohne die auch bei uns durchaus vorhandenen Probleme, Herr Kollege Schultz, auszusparen. Er ist deshalb nicht nur nach außen, sondern auch nach innen gerichtet. Und so ist er auch angelegt. Ob und wie es gelingt, den weltweiten Verstädterungsprozeß in eine nachhaltige Richtung zu lenken, wird die Qualität der künftigen Lebensbedingungen der Menschheit stark beeinflussen. Insofern ist es nur zu begrüßen, daß wir uns in Deutschland mit der Vorbereitung des UN-Städtegipfels intensiv auseinandersetzen. Die von Ihnen, Herr Minister Dr. Töpfer, initiierte internationale Berlin-Konferenz über nachhaltige Siedlungsentwicklung vom März dieses Jahres war ein gutes Forum zur Förderung des Prozesses in Richtung Habitat II und ein ganz wichtiger positiver Schritt, damit Istanbul auch ein Erfolg werden kann. ({1}) Ich danke deshalb für unsere Fraktion der Bundesregierung, speziell aber Ihnen Herr Minister, für Ihr vielfältiges und beispielhaftes Engagement zur Vorbereitung dieser Weltkonferenz. ({2}) Wir erachten es als richtig und wichtig, daß sich nicht nur die Bundesregierung, sondern auch das deutsche Parlament intensiv mit dem weltweiten Städtewachstum auseinandersetzt. Wenn wir eine gemeinsame Verantwortung der Industrieländer und der Entwicklungsländer für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung sehen, so erfordert dies einen neuen, internationalen Konsens über Politiken und Ziele für Wohnraum und für die Zukunft menschlicher Siedlungen im 21. Jahrhundert. Wir brauchen ein neues Zeitalter verstärkter Kooperation. Die Istanbul-Konferenz kann dabei helfen, Ressourcen zu mobilisieren und vor allem das internationale Bewußtsein in dieser Frage zu schärfen. Einige wenige statistische Zahlen und Prognosen machen die Herausforderungen, vor denen wir stehen, deutlich. Der Minister hat es gesagt: Täglich wächst die Weltbevölkerung um 280 000 Bewohner. Das entspricht der Größe der Stadt Bonn. Seit 1950 hat sich die Weltbevölkerung in den Städten verdreifacht, und bis zur Jahrtausendwende wird bereits die Hälfte der Bevölkerung in Städten leben. Und schließlich ist in einigen Jahren damit zu rechnen, daß weltweit etwa 100 Megastädte mit mehr als fünf Millionen Einwohnern entstanden sein werden. Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen, nachhaltige Entwicklung muß in den Städten beginnen, wenn sie funktionieren soll. Insofern ist es nur zu begrüßen, daß sowohl im Deutschen Nationalkomitee als auch auf der Weltsiedlungskonferenz in Istanbul die Städte und Gemeinden eine entscheidende Rolle spielen. Es sind die Städte und Gemeinden, die im Rahmen ihrer Selbstverwaltung die in Istanbul zu treffenden Entscheidungen umsetzen müssen. Deshalb kommt ihnen eine große Verantwortung zu. Vor diesem Hintergrund müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, die Gemeinden zu stärken. Demokratische Strukturen, Delegation von Zuständigkeiten nach unten, Planungshoheit, Dezentralisierung und Bürgernähe sind Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Kommunalpolitik. ({3}) Die größten Verstädterungsprobleme sind heute angesichts von Landflucht und Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern zu beobachten. Dort muß es gelingen, den Teufelskreis von Armut, Hunger, Wohnungsnot, mangelhafter Bildung, fehlendem Zugang zu Dienstleistungen und Arbeit, Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung aufzubrechen. Gelingt es nicht, in den Städten der Dritten Welt die bestehenden sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme bald einer befriedigenden Lösung zuzuführen, ist mit sozialen Unruhen, Gewalt und Bürgerkriegen in den Entwicklungsländern selbst und mit zusätzlichen Wanderungsbewegungen in die entwickelten Länder, also zu uns, zu rechnen. Das bedeutet: Wenn die Armut in den Entwicklungsländern zunimmt, wird dies auch zur Belastung für die Ruhe der reichen Nationen. Bei allen wichtigen Fragen, die wir vor dem Hintergrund finanzieller Engpässe der öffentlichen Haushalte aktuell in diesen Tagen in Deutschland diskutieren, muß es trotzdem unser ureigentliches Ziel sein, dabei die Probleme der Entwicklungsländer nicht zu vergessen, sondern sie als unsere zu betrachten. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den wesentlichen Signalen für Istanbul zählt auch, daß wir uns über den Follow-up-Prozeß verständigen. Fragen wie „Was geschieht nach Istanbul?" oder „Wie können wir einen dauerhaften Prozeß ins Leben rufen, damit Istanbul nicht nur ein wichtiges Treffen großer Persönlichkeiten bleibt?" sind mindestens genauso wichtig wie die Konferenz selbst. Deshalb müssen die beiden Konferenzthemen „Angemessene Unterkunft für alle" und „Nachhaltige Siedlungsentwicklung " auch nach Istanbul auf der Tagesordnung einer immer enger zusammenwachsenden Welt bleiben. Dafür wollen wir arbeiten. Herzlichen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/3679 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Der Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/4370 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13a und 13 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus-Jürgen Warnick, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Verkehrsplanung Hauptstadt Berlin und Region Berlin-Brandenburg - Drucksache 13/2668 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({0}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Winfried Wolf und der Gruppe der PDS Planungsgruppe „Fahrradfreundliches Regierungsviertel in Berlin" - Drucksache 13/2282 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({1}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Winfried Wolf, PDS, das Wort.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Für das Protokoll: 22.40 Uhr, einziger Punkt ist der der PDS. Kurt Tucholsky sagte im Jahr 1930 über seine Stadt Berlin: ,Wie' New York wollen sie sein. Und ,wie' Paris. Und ,wie' ich weiß nicht was alles - statt erst einmal sie selber zu sein, wobei jede Menge zu gewinnen und wenig zu verlieren wäre. Was könnte das heute für die Stadt Berlin heißen, „erst einmal sie selber zu sein"? Zunächst einmal und als erstes: in der eigenen Stadt die gewachsenen Erkenntnisse endlich auch zur Anwendung zu bringen. Berlin hat den großen Verkehrsplaner Martin Wagner hervorgebracht, nach dem Ersten Weltkrieg verantwortlich für den öffentlichen Verkehr der Stadt. Wagner - er war Jude und Sozialdemokrat - gelangte im Exil beim Vergleich der Autostadt New York mit seinem Berlin der 20er Jahre, der Stadt des öffentlichen Verkehrs, zu folgender Erkenntnis: Das Verkehrsbedürfnis eines Großstädters westlicher Zivilisation beläuft sich pro Jahr und Nase auf etwa tausend Zielbewegungen. So war es, und so ist es. Selbst die jüngste bundesdeutsche Statistik sagt, daß sich die Summe der einzelnen Berufs-, Einkaufs-, Freizeit-, Ausbildungs- und Urlaubswege auf diese rund eintausend Zielbewegungen pro Jahr je Bürgerin und Bürger beläuft. Die gigantischen Verkehrssteigerungen, die unsere Auto- und Jetmotorisierung brachten, mündeten nicht in allzuviel mehr an Mobilität, sondern vor allem in immer längere Wege zur Realisierung jedes einzelnen Mobilitätsbedürfnisses, in immer mehr strukturelle Zwänge zu mehr motorisiertem und mehr Pkw-Verkehr an Stelle von nichtmotorisiertem und öffentlichem Verkehr. Es war das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung - Sie sehen: wir bleiben in Berlin -, das Ende 1995 vor einem weiteren massiven Anwachsen des Kfz-Verkehrs in und um Berlin warnte, das dem Berliner Senat in Sachen Verkehrsplanung „Konzeptionslosigkeit und Untätigkeit" bescheinigte und das eine Strukturpolitik mit der „Erhaltung einer attraktiven Nähe" forderte. Wir sollten - dies als zweiten Programmpunkt - einen einzigen Aspekt der Berliner Spaltung als Chance nutzen: Berlin fraß sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht so ins Umland wie andere westliche Großstädte.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Wolf, ich muß Sie einmal einen Augenblick unterbrechen. Es ist die notwendige Folge einer geringen Präsenz, daß die Einzelgespräche immer lauter hörbar werden. Deshalb bitte ich, ein bißchen Rücksicht auf den Redner zu nehmen.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das Zwangskorsett, das Ulbricht und Honecker Berlin verpaßten, verhinderte, daß bei der Stadt Berlin sozusagen ein auslaufender Pfannkuchen realisiert wurde: Landfraß und Zerstörung des Umlands. Hier ist nach 1990 bereits viel gesündigt und viel künstlicher Verkehr produziert worden. Das wird so weitergehen, wenn nicht Einhalt geboten wird. Das DIW sagt zusätzliche Steigerungen des Pkw-Verkehrs um bis zu 50 Prozent bei gleichbleibender Bevölkerungszahl voraus. Dort heißt es, daß sich immer mehr „Wege und Fahrten verstärkt nach ,draußen' orientieren", was „beispielsweise mit der Abwanderung des Einzelhandels in den ,Speckgürtel' zusammentreffen und damit Ursache weiterer Steigerungen der Verkehrsleistungen werden" könne. Hier kommt die allgemeine Politik in die des Verkehrs: Das Nein der PDS gegen eine Fusion Berlin/Brandenburg ist erklärtermaßen auch ein Nein gegen diese Fortsetzung der Zerstörung von Berlins brandenburgischem Umland. ({0}) Ein dritter Aspekt, wie Berlin Originalität beweisen könnte: Berlin hat eine große Straßenbahntradition. Oberbürgermeister Ernst Reuter schrieb 1953: „Die Straßenbahn ist und bleibt das billigste und rentabelste Massenverkehrsmittel." Die heutige Verkehrswissenschaft stimmt dem zu und ergänzt: Die Tram oder Stadtbahn ist umweltverträglich und kann das komfortabelste und demokratischste, weil so gut wie niemanden ausschließende Verkehrsmittel sein. Nun sind wir in Berlin nach der Vereinigung in der glücklichen Situation, über ein Straßenbahnnetz im Ostteil und inzwischen auch über ein paar hundert Meter Straßenbahngleise im Westteil zu verfügen. Damit - so unsere Anträge - wäre beim motorisierten Verkehr die Basis für ein originales Berliner Gewächs, nämlich für einen ÖPNV-Mix von S-Bahn, U- Bahn, Straßenbahnen und Bussen, gegeben. Berlin als Weltstadt für die Menschen und Stadt der kurzen Wege hieße darüber hinaus, daß weit mehr Verkehr wieder zu Fuß und per Rad zurückgelegt werden kann - auch im Regierungsviertel. Wir haben unseren Antrag auch hinsichtlich der Kosten und der Frage der Arbeitsplätze durchgerechnet, und wir belegen, daß diese Verkehrswende zugleich Teil eines Kampfs gegen die Massenerwerbslosigkeit wäre. Mit diesem Antrag knüpfen wir an die vorausgegangenen Umwelt- und Klimakonferenzen in Rio und Berlin, an die hier zitierte Städtebaukonferenz Habitat II in Istanbul und auch an die Postulate der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Schutz der Erdatmosphäre" an. Ach ja, zum Schluß: Tucholsky beendete die zitierte Aussage zu Berlin resignierend mit: Doch „Berlin liegt nicht an der Spree. Es liegt am laufenden Band." Es wäre jammerschade, wenn das passierte, was Folge der offiziellen Verkehrspolitik ist: daß in Berlin zum xten Mal dieselben Fehler gemacht werden, daß eine verödete Stadtlandschaft betoniert wird, Berlin „am laufenden Band liegt" und damit Mensch, Umwelt und Stadtqualität auf der Strecke bleiben. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, weil die Bayern Föderalisten sind, wie Sie gleich merken werden, Herr Kollege. Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es passiert heute zum wiederholten Male, daß am Abend zu so später Stunde ein oder mehrere PDS-Anträge als letzte Punkte auf der Tagesordnung stehen und dadurch so etwas wie ein gewisser kollegialer Druck auf die Antragsteller entsteht, möglichst hier auf die Debatte zu verzichten und die Reden zu Protokoll zu geben. Ich möchte hier einfach einmal festhalten, daß es natürlich nicht die PDS zu verantworten hat, daß die Reihenfolge auf der Tagesordnung hier so aussieht, und daß ich es auch nicht als fair empfinde, wenn man dann so tut, als wolle man diese Debatte am liebsten nicht führen, sondern die Redebeiträge zu Protokoll geben. Aus Gründen der Fairneß und dieser Art der Kollegialität möchte ich trotzdem kurz zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen, obwohl ich eigentlich auch nach Hause gehen möchte; das ist doch ganz klar. ({0}) Ich komme jetzt zur Sache. ({1}) - Die unterhalten sich ohne mich auch ganz gut.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Überwiegend hat der Kollege Schmidt das Wort.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die PDS hat einen umfangreichen Antrag zur Verkehrsplanung in Berlin und Brandenburg vorgelegt. Das ist ein Antrag, in dem vieles von dem, was inhaltlich festgestellt und an Zielen dargestellt wird, auch grünen Forderungen entspricht. Wir freuen uns, daß die PDS in vielen Punkten verkehrspolitisch gewissermaßen bei den Grünen angekommen ist. Was ich jedoch sehr bedenklich und weniger erfreulich finde, ist folgendes: Dieser Antrag atmet im Ansatz einen zentralistischen Geist alter Manier. Es kommt mir so vor, als ob wie in alten realsozialistischen Zeiten die Zentrale oder der Große Bruder regeln soll, was vor Ort zu geschehen hat. Lassen Sie mich das als bayerischer Föderalist sagen: Wenn die Bundesregierung in diesem Antrag wörtlich aufgefordert wird, „eine Verkehrsrahmenplanung für Berlin und den Raum Berlin-Brandenburg vorzulegen und umzusetzen", dann ist das schon ein unverschämter Angriff auf die Zuständigkeiten in einem föderal verfaßten Bundesstaat. ({0}) Das ist schlicht und einfach die falsche Adresse und ein Demokratieverständnis, das wir so nicht teilen können. Was wir allerdings richtig finden, ist, daß sich dieses Haus mit den Teilen der Verkehrsplanung - und zwar nachhaltig und durchaus kritisch und kontrovers - beschäftigt, für die der Bund auch zuständig ist. Diese kommen zum Teil in dem Antrag des Kollegen Wolf und anderer vor, so beispielsweise die Berliner Tunnelitis, der Großflughafen und der Transrapid. Genau zu diesen zentralen Punkten haben wir Anträge eingebracht, die zum Teil im Ausschuß und im Plenum bereits diskutiert worden sind und zum Teil noch diskutiert werden. Sich darüber zu unterhalten macht Sinn. Ich möchte noch auf ein paar inhaltliche Aspekte eingehen. Es wird unter anderem gefordert, man müsse in Berlin die Funktionen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Erholung wieder zusammenführen. Ich glaube, es ist gerade das Tolle an der Berliner Mischung, daß es diese Nähe noch gibt. Wir müssen sie allenfalls verteidigen, aber nicht erst zustande bringen. Albert Schmidt ({1}) Es wird ferner gefordert, einen „modal split", also eine Verteilung der Verkehrsträger in einem Verhältnis von allenfalls 15 Prozent für den motorisierten Individualverkehr und wenigstens 85 Prozent für den öffentlichen Verkehr anzustreben. Derzeit haben wir etwa ein Verhältnis von 58 Prozent zu 42 Prozent. So ähnlich sagt es auch der Senat; er spricht von einer Verteilung von 20 Prozent zu 80 Prozent. Diese Zahlenangaben sind schön und gut, aber was wir vielmehr bräuchten, wäre ein Stufenmodell, bei dem von Jahr zu Jahr operationalisiert überprüft werden kann, wo wir jeweils in der Umsetzung stehen. Das wäre sinnvoll. Stichwort: U-Bahn. Da drückt sich die PDS um eine klare Aussage herum. Es heißt zwar, U-Bahn-Strekken sollen nur noch als Lückenschlüsse gebaut werden. Das Problem ist aber, daß alle U-Bahn-Projekte in Berlin als Lückenschlüsse deklariert und verkauft werden. Das betrifft sowohl die U 5 vom Lehrter Bahnhof bis zum Alex als auch die U 2 von der Vinetastraße nach Pankow, die U 1 von der Krummen Lanke zum Mexikoplatz ebenso wie die U 15 von der Uhlandstraße zur Adenauerstraße. All diese Projekte werden als Lückenschlüsse verkauft. Hintergrund ist, daß es eine PDS-Bürgerinitiative in Pankow gibt, die die Verlängerung der U 2, die ich genannt habe, will, während die PDS mehrheitlich im Land das genau nicht will. Deshalb drücken Sie sich mit solch schwammigen Aussagen um eine klare Position herum.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, Sie achten auf die Zeit.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Solange nicht die vorhandenen - da sind wir vielleicht wieder beieinander - S-Bahn-Linien wiederhergestellt, das Straßenbahnnetz im Ostteil wieder modernisiert und in den Westteil verlängert ist, ist für uns der U-Bahn-Neubau prinzipiell nicht zu verantworten. Das sage ich auch an die Adresse der SPD. Ich möchte es für heute mit dem Wunsch bewenden lassen, im Ausschuß über die Punkte zu diskutieren, für die wir zuständig sind, und das andere im Senat von Berlin und im Landtag von Brandenburg oder vielleicht im Landtag von Berlin/Brandenburg zu diskutieren. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Siegfried Scheffler, SPD.

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Wolf, da Sie konkret und sachlich nicht auf Ihren Antrag eingegangen sind, möchte ich das nachholen. Auch wenn die Adresse vielleicht falsch ist, möchte ich als Berliner auf die Berliner Verkehrspolitik und die von Ihnen angesprochenen Einzelprojekte eingehen, um für die hier noch Verbliebenen darzustellen, wie falsch und unrecht Sie in vielen Punkten gearbeitet haben und wie unseriös im Grunde Ihr Antrag ist. Ich beginne mit dem Antrag auf Einsetzung einer Planungsgruppe „Fahrradfreundliches Regierungsviertel" . Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, daß wir alles tun sollten, um bei der Planung der Regierungsund Parlamentsbauten in Berlin darauf zu achten, daß möglichst viele Wege ungefährdet mit dem Fahrrad erledigt werden können. Aber der Antrag der PDS ist, wie ich festgestellt habe, in weiten Teilen wortgleich aus dem Anforderungskatalog des ADFC abgeschrieben. Dieser Katalog wurde allen Bundestagsfraktionen und auch Ihrer Gruppe im letzten Sommer zugeschickt. ({0}) Für meine Fraktion hat Peter Conradi seinerzeit den Vorstoß begrüßt und im Namen der SPD-Fraktion seine Unterstützung zugesagt. Als Obmann der SPD in der Baukommission führte er unter anderem aus - ich zitiere -, daß bei der Ausschreibung des Wettbewerbs für die Außenanlagen im Parlamentsviertel Ihre Anforderungen an ein fahrradfreundliches Regierungsviertel berücksichtigt werden. Außerdem hat er angeregt, daß der ADFC zu diesem Thema eine Anhörung in Berlin veranstaltet. Diese Anhörung ist jetzt nach der Sommerpause geplant. Ich denke, im Prinzip sind die Forderungen des ADFC unstrittig. Worum es dem ADFC aktuell geht, sind aber auch Fragen wie beispielsweise die, ob Fahrradwege auf der Straße markiert werden. Nun soll sich der Bundestag vom Grunde her nicht mit der Markierung von Fahrradwegen beschäftigen, ({1}) aber da das Ihr Antrag nun einmal beinhaltet, möchte ich auch kurz darauf eingehen. Ich verstehe als gelernter Straßenbauer in Zeiten wie diesen, wo wir wirklich sparen müssen - da gebe ich Ihnen recht -, manche Ansätze nicht. Es ist doch viel billiger, zum Beispiel einen Fahrradweg auf der Straße abzumarkieren, als gesonderte Radwege anzulegen. Im übrigen treten führende Verkehrsplaner für dieses Konzept ein. Auch die Verkehrssicherheit gerät dadurch nicht in Gefahr. Der Bundesminister für Verkehr - Herr Staatssekretär, Sie sind ja noch anwesend - sollte insofern endlich verbindliche Richtlinien für den Bau innerstädtischer Radwege erlassen. Allerdings - darauf muß ich auch hinweisen, wenn ich den PDS-Antrag betrachte - kann der Bund wirklich nicht für alle Maßnahmen in Anspruch genommen werden, auch nicht für die, die im zentralen BeSiegfried Scheffler reich Berlins zur Verbesserung des Fahrradverkehrs beitragen würden. Wir müssen da schon unterscheiden. Zum Beispiel muß der Bund auf Grund gesetzlicher Vorschriften entlang von Bundesstraßen für entsprechende Radwege sorgen. Das betrifft beispielsweise die Anlage eines oberirdischen Fahrradweges durch die Berliner Mitte entlang dem Streckenverlauf der B 96, die künftig den Tiergarten in einem Tunnel unterqueren wird. Ich denke, Sie kennen das Urteil, das letztendlich ergangen ist, weil wir Tatsachen vorfinden, wo nach der Stopp des Tiergartentunnels rechtlich nicht mehr möglich ist. Zweitens besteht die Forderung des Berliner Senats an den Bund, dafür Sorge zu tragen, daß der durch seine Regierungs- und Parlamentstätigkeit im zentralen Bereich induzierte Verkehr mit einem „modal split" von 80 zu 20 zugunsten des öffentlichen Verkehrs bewältigt wird. Ich sage deutlich: Das Fahrrad wird den Berlinerinnen und Berlinern wie auch uns dabei helfen. Aber letztendlich muß das Land Berlin seine Konzepte für die Verkehrsinfrastruktur im zentralen Bereich durchsetzen. Dazu gibt es Verabredungen, dazu gibt es auch eine entsprechende Koalitionsvereinbarung. Ich habe noch einmal nachgefragt. Die Senatsverwaltung für Verkehr hat mir dazu eine Protokollnotiz zugefaxt, in der es heißt - ich zitiere -, daß der Radverkehr insbesondere im Bereich des Parlaments- und Regierungsviertels zu fördern und mit einer entsprechenden Infrastruktur auszurüsten ist. Um diese unterschiedlichen Aspekte zu klären, um den Bedarf für weitere Maßnahmen festzustellen und um alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, halte ich es tatsächlich für erforderlich, wenn wir zunächst die vom ADFC geplante Anhörung in Berlin abwarten. Minister Töpfer als Umzugsminister hat sich bereit erklärt, dafür die Schirmherrschaft zu übernehmen, wie Ihnen vielleicht bekannt ist. Selbstverständlich wird die SPD-Fraktion nach wie vor, auch wenn Sie jetzt den Antrag abgeschrieben haben, diese Forderung nach einem fahrradfreundlichen Regierungsviertel unterstützen. ({2}) Lassen Sie mich jetzt zum zweiten Antrag kommen. Dieser Antrag fordert von der Bundesregierung eine Verkehrsrahmenplanung für Berlin und den Raum Berlin-Brandenburg. Dazu noch einmal eine Vorbemerkung - auch Kollege Schmidt hat dazu schon etwas gesagt -: Ich könnte es mir einfach machen und erklären, der Antrag trägt die falsche Adresse. Für die Verkehrsentwicklungsplanung der Region Berlin-Brandenburg und die Stadt Berlin ist nun wirklich Berlin bzw. sind die beiden Bundesländer zuständig. So sollte es in einem föderativen Staat auch wirklich bleiben, es sei denn, man will - ich möchte Ihnen das nicht vordergründig unterstellen - diesen Föderalismus abschaffen. Im übrigen wird die Verkehrsrahmenplanung für die Region Berlin-Brandenburg bereits seit 1990 von Berlin und Brandenburg gemeinsam erarbeitet. Der heute zur Debatte stehende Antrag wird seinem selbsterklärten Anspruch eines ganzheitlichen Ansatzes der Verkehrsplanung übrigens auch nicht gerecht. Die 18 Zielsetzungen, an denen sich nach dem Willen der PDS eine von der Bundesregierung geforderte Verkehrsrahmenplanung orientieren soll, sind relativ willkürlich aneinandergefügt, basieren zum Teil auf falschen Annahmen, verlieren sich in Detailfragen, die zum Beispiel vor Ort nicht nur beim Berliner Senat, sondern sogar in den Bezirksämtern und Tiefbauämtern zu klären sind. Sie können meines Erachtens auch nicht als seriös betrachtet werden. Aber - auch wenn nur bedingt zuständig - reden wir ruhig über einige Detailpunkte. Der Senat plant - Sie wissen das; die Baukommission des Ältestenrates fordert das ebenfalls - einen „modal split" von 80 zu 20 zugunsten des öffentlichen Verkehrs im Berliner Stadtzentrum. Dies wird durchgesetzt. Dies ist auch Bestandteil der Koalitionsvereinbarung. Dafür ist es meines Erachtens vordringlich, das Angebot an öffentlichem Verkehr zu verbessern. In S-, U- und Straßenbahn sehe auch ich persönlich das geeignete Transportmittel. Die grundsätzliche Forderung, Straßenbahnen gegenüber U-Bahnen immer den Vorzug zu geben, kann ich allerdings nicht nachvollziehen. .({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Scheffler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Wenn wir schon so kollegial waren und hier wirklich die Debatte so lange, ich sage einmal -

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie brauchen das nicht zu begründen. „Nein" genügt.

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte jetzt weitermachen, damit wir zum Schluß kommen. Sie können hinterher Ihre Kurzintervention machen. ({0}) Die grundsätzliche Forderung, Straßenbahnen gegenüber U-Bahnen immer den Vorzug zu geben, kann ich nicht nachvollziehen. Es gibt Strecken, wo wir aus städtebaulichen und verkehrstechnischen Gründen zur Bewältigung zukünftiger Verkehrsmengen besser eine U-Bahn planen oder aber uns als Option für die Zukunft offenhalten. Zur Zeit wird von der Senatsverwaltung der Berliner Stadtentwicklungsplan Verkehr überarbeitet. Der erste Entwurf zeigte meines Erachtens nicht genügend auf, wie die verkehrs- und umweltpolitischen Ziele durch Restriktionen gegenüber dem Autoverkehr und durch entsprechende Fördermaßnahmen für den ÖPNV umgesetzt werden können. Auch das Abgeordnetenhaus von Berlin fordert, diese DefiSiegfried Scheffler zite zu beseitigen. Diese Forderungen sind übrigens auch Bestandteil der Überarbeitung, die alle Parteien, Ihre, die SPD, die CDU, gefordert haben. Über den Straßen- und Schienentunnel durch den Tiergarten haben wir bereits gestern im Verkehrsausschuß debattiert. Auch wenn Sie es anders sehen, der Straßentunnel unter dem Tiergarten ist eine unter die Erde verlegte vorhandene Straße, um das Regierungsviertel vom Durchgangsverkehr freizuhalten. Die vom Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagene Nutzung des Straßenzuges über den „Großen Stern" bei gleichzeitigem ersatzlosem Rückbau der Entlastungsstraße ist nicht möglich, da dieser Straßenzug - Kollege Schmidt, das wollen wir alle - auch den zukünftig reduzierten Kfz-Verkehr nicht aufnehmen kann. Andere mögliche Trassen sind eben nicht ausbaufähig, oder sie führen durch sensible Stadtgebiete, die vor Durchgangsverkehr geschützt werden müssen. Falsch dargestellt ist ebenfalls das Eisenbahnkonzept Berlins. Der behauptete Nachteil dieses Konzepts wird gerade dadurch vermieden, daß das Pilzkonzept mit einem dezentralen Bahnhofskonzept kombiniert ist. So werden alle Intercity- und ICE- Züge, also auch die, die in Berlin enden, künftig an drei oder vier Fernbahnhöfen zusätzlich zum Lehrter Bahnhof halten. ({1}) Der Lehrter Bahnhof hat also nicht die Rolle eines Zentralbahnhofs, sondern er ist Verknüpfungspunkt. Da die Züge dort nicht enden, benötigt die Eisenbahn relativ wenig Fläche. So kommt der Lehrter Bahnhof, was den Fernverkehr betrifft, mit weniger als der Hälfte der Bahnsteige des Bahnhofs Cottbus aus.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Achten Sie bitte auf die Zeit, Herr Kollege Scheffler.

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch die Bedeutung des Umsteigeverkehrs in Berlin ist falsch dargestellt. Berlin bildet bereits heute im Interregio- bzw. Intercity-Verkehr eine wichtige Drehscheibe zwischen den Städten Hamburg, Schwerin, Rostock, Stralsund einerseits und Görlitz, Dresden, Prag, Chemnitz und Leipzig andererseits. ({0}) Diese Funktion wird sich mit dem Anschluß Osteuropas noch verstärken. Auf den Transrapid möchte ich nicht näher eingehen. ({1}) Beim Transrapid sind wir Oppositionsparteien uns einig: Den können wir generell ablehnen, noch dazu bei einem Haushaltsdefizit von 50 Milliarden DM.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Scheffler, Sie müssen jetzt zum Schluß kommen.

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben die Fusion angesprochen. Als ich den Satz dazu in Ihrem Antrag gelesen habe, war mir klar, wieso Sie eine Rahmenverkehrsplanung durch die Bundesregierung fordern. Sie, die Sie die Fusion der beiden Länder so vehement bekämpfen, können natürlich nicht einräumen, daß eine abgestimmte Raumordnungs- und Verkehrspolitik von einem vereinten Bundesland Berlin-Brandenburg besser geleistet werden kann.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Scheffler, das muß Ihr letzter Satz gewesen sein. Es tut mir leid, Sie müssen schon auf meine Hinweise achten. Das ist zu lang.

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke allen hier noch Ausharrenden für ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der Kollege Dr. Wolf, PDS, hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Als Antwort auf meine Bitte nach einer Zwischenfrage ist gesagt worden, es sei schon kollegial, daß der Punkt diskutiert werde. Ich möchte darauf hinweisen, daß dies in dieser Woche der einzige Punkt der PDS ist, und er wird donnerstags nachts behandelt. Da müßte es doch normalerweise nicht als Entgegenkommen verstanden werden, daß er verhandelt wird, sondern es müßte gesagt werden: Natürlich werden wir dann anwesend sein, und wir diskutieren. ({0}) Deswegen kurz drei Punkte: Erstens. Natürlich entspricht der Antrag dem Text des ADFC. Wir haben ihm auch mitgeteilt, daß wir den Text so einbringen, Was daran schlimm sein soll, habe ich nicht kapiert. Zweitens zur Rahmenplanung. Wir wollen für das Land Berlin und für das Umland, was zum Teil in Brandenburg ist, eine Rahmenplanung machen. Das heißt nicht, den Föderalismus aufzuheben. Aber es heißt, Richtwerte anzugeben, wie sie im Grunde auch von der Umzugskommission für das, was im Regierungsviertel geplant ist, real konkretisiert werden. Wir werden die gleichen Anträge in Brandenburg und in Berlin durch die jeweilige PDS am Ort einbringen und dort im Rahmen des Föderalismus konkretisieren. Drittens. Herr Scheffler, Sie sagen, der Senat plane den „modal split" 80 zu 20. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung diese Planung zitiert, aber im Blatt 9/95 sagt, es herrsche völlige Konzeptionslosigkeit, der Trend gehe in die total entgegengesetzte Richtung. Dieser Trend hat sich immer weiter verstärkt. Es ist schön, auf dem Papier so etwas festzulegen, aber die Entwicklung geht in die völlig entgegengesetzte Richtung. Man kann hier schöne Worte reden, wie Herr Töpfer zu Habitat II, aber die Trends gehen in die andere Richtung. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Scheffler will nicht erwidern. Dann hat der Kollege Dr. Röhl, F.D.P., das Wort.

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Last but not least: Zur Debatte stehen zwei Anträge der PDS, „Verkehrsplanung Hauptstadt Berlin" und „Fahrradfreundliches Regierungsviertel Berlin". Bei dem erstgenannten Antrag handelt es sich wieder um eine aufgeblähte Kopie eines Antrages von Bündnis 90/Die Grünen. Dabei zeigt sich, daß die PDS offensichtlich keinerlei Kenntnisse vom Grundgesetz und vom föderalen Prinzip hat. Die Verteilung von Bund-Länder-Aufgaben scheint entweder völlig unbekannt zu sein, oder die PDS will sie nicht begreifen. Schlimmer noch: Die Bahnreform und die Regionalisierung des ÖPNV wurden glatt verschlafen. Als tibetanische Gebetsmühle wird wieder einmal heruntergeleiert, man sollte die Arbeiten zum Tiergartentunnel und Lehrter Bahnhof einstellen. Genau diese Forderung findet sich in einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen von 1995, der in diesem Hause und gestern im Verkehrsausschuß bereits diskutiert wurde. Bereits zu diesen Anlässen habe ich gesagt, daß ein Stoppsignal politisch grotesk ist. Unterstützt werde ich aktuell dadurch, daß das Bundesverwaltungsgericht die Klage gegen den Bau des Tiergartentunnels heute abgewiesen hat. Damit ist Punkt 12 des PDS-Antrages, der Hinweis auf diese Klage, gegenstandslos. Dieser Ausgang ist zu begrüßen. Denn die Konsequenzen eines Projektabbruchs wären ein katastrophaler Verzug bei der Fertigstellung des Bahnsystems und - noch schlimmer - ein dramatischer Einbruch der Arbeitsplätzezahl im Baubereich. Da wird einerseits von „grüner Wende" gesprochen, andererseits aber für das erheblich mehr Fläche verbrauchende Ringkonzept plädiert - für ein Konzept, das darüber hinaus erheblich längere Fahrwege und damit einen wesentlich höheren Energieverbrauch bedeutet. Die PDS fordert das Hereinführen des Verkehrs zu provisorisch eingerichteten Kopfbahnhöfen. Die Folge wäre eine umständliche, zeitraubende und anderweitige Fahrerei von Umsteigebahnhof zu Umsteigebahnhof. Ist das bürgerfreundlich? Ist das umweltgerecht? Das Pilzkonzept mit einer Nord-Süd-Strecke im Tunnel, einer Ost-West-Strecke auf der Trasse der Stadtbahn, einem Kreuzungsbahnhof, dem Lehrter Bahnhof und den Bahnhöfen Zoo, Friedrichstraße und Hauptbahnhof, weiterhin den Regionalbahnhöfen Spandau, Gesundbrunnen, Potsdamer Platz und Papestraße, bietet für alle Fahrgäste nur Vorteile. Allein bei der Fernbahn verkürzt sich die Fahrzeit aus der Innenstadt nach Dresden und Stralsund um knapp 40 Minuten, nach Leipzig um mehr als 1 Stunde. Spaßig ist jedoch die Forderung der PDS, aus einem Sammelsurium von unbewiesenen Gründen heraus die Magnetbahnverbindung zwischen Hamburg und Berlin ersatzlos zu streichen. Wir haben das Thema nun schon oft genug und gründlich behandelt und werden es wieder behandeln. Deshalb will ich mir ersparen, hier eine weitere Nachhilfestunde zu geben. Im alles übergreifenden Fordern ist die PDS groß, leider aber nicht im Bekanntgeben vernünftiger Alternativen. Überhaupt gehen hier Bund-Länder-Themen wüst durcheinander. Einige Beispiele: Da bezieht sich die PDS auf den Vorentwurf eines neuen Flächennutzungsplans für Berlin - klare Länderangelegenheit. Weiter heißt es, die Bundesregierung sollte innerhalb der Verkehrsrahmenplanung für Berlin Sorge tragen, daß wohnungsnahe Kinderbetreuungsmöglichkeiten geschaffen werden - auch dies ist klare Ländersache. Neben der wüsten Vermengung von Bundes- und Länderkompetenzen werden auch falsche Behauptungen aufgestellt. Da wird behauptet, die Fusion von Berlin und Brandenburg führe zu Zersiedlungstendenzen und neuen Einkaufseinrichtungen im „Speckgürtel" . Das ist natürlich falsch. Die erschlossene Innenstadt vermindert gerade das Anwachsen des „Speckgürtels". ({0}) In Punkt 8 des Antrages stellt die PDS eine absurde These auf. Sie behauptet, die Vorgaben der Deutschen Bahn AG seien nichtig und die entscheidenden planerischen Grundlagen für den Bau des Tunnels und den Bahnhof als Durchgangsbahnhof nicht gegeben. Das ist natürlich Unsinn, wie das Verwaltungsgerichtsurteil zeigt. Die Behauptung, ein solcher Bahnhof würde für die Fernreisenden eher Nachteile als Vorteile bringen, ist natürlich auch falsch. Dazu habe ich bereits Stellung genommen. Auch die Aussage zum Projekt 17 der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit ist zu betrachten. Die Behauptung, dies würde nicht dazu dienen, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiffahrtswege zu verlagern, ist natürlich unsinnig. Es entsteht die Verbindung der Räume Berlin/Magdeburg mit den wichtigsten Nordseehäfen. Zum zweiten Antrag, Planungsgruppe „Fahrradfreundliches Regierungsviertel in Berlin". Als ich diesen Antrag las, dachte ich, es handele sich um einen Aprilscherz. Weit gefehlt! Der Antrag hat einen seriösen Ausgabetermin. Da fordert die PDS die Bundesregierung auf, „umgehend eine Planungsgruppe einzusetzen, die bis Juli 1996 ein ,Radfahrkonzept Regierungsviertel 2000' vorlegt". Eine zusätzliche Planungsgruppe der Regierung für einen kleinen, engen Stadtbezirk zu fordern entspricht der typischen DDR-Arbeitsweise. Bei allem Respekt vor der Bedeutung des Fahrrads für einen umweltfreundlichen Nahverkehr muß ich hier noch einmal feststellen, daß die PDS das föderale Prinzip nicht begriffen hat. Der Fahrradverkehr ist eindeutig eine Aufgabe des Landes Berlin. Diese Forderung zeigt, daß die PDS in ihren Denkprozessen noch vollständig dem zentralistischen System der DDR verhaftet ist. ({1}) Das haben wir hier gemeinsam festgestellt. Ich rate Ihnen hier, Ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus den Auftrag zu geben, sich in dieser Sache an den Berliner Senat zu wenden. Da würde sie sich mit AL und Bündnis 90/Die Grünen in bester Gesellschaft befinden, die das ohnehin schon immer fordern. Außerdem steht es jedem Bürger frei, im Regierungsviertel ein Fahrrad zu gebrauchen. Im übrigen hängt sich die PDS auch hier wieder an einen alten Antrag, in diesem Fall an einen der SPD. Sie hat nämlich die Förderung des Fahrradverkehrs bereits im Jahre 1993 gefordert.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Denken Sie jetzt an die Zeit, Herr Kollege. ({0})

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin jetzt fertig. - Meine Damen und Herren, auf der Grundlage der vielen Widersprüche, Falschaussagen und verfehlten Zuständigkeiten in den vorliegenden Anträgen bleibt mir nur noch zu sagen, daß die Fraktion der F.D.P. beide Anträge mit Entschiedenheit zurückweist. Danke schön für die Geduld. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der Kollege Rudolf Meinl, CDU/CSU, gibt seine Rede zu Protokoll. *) Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/2668 und 13/2282 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind am Schluß der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. April, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.