Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir über einen Geschäftsordnungsantrag abstimmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags zur Zurückweisung der Angriffe auf die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts auf Drucksache 13/2421 zu erweitern. Der Antrag soll in verbundener Beratung mit Tagesordnungspunkt 13 - ... Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches ({0}) - behandelt werden.
Zu diesem Geschäftsordnungsantrag hat sich bereits der Kollege Gerald Häfner zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits bei Abfassung der heutigen Tagesordnung hat meine Fraktion die Aufsetzung der mit der Drucksache 13/3971 unmittelbar sachverwandten Drucksache 13/2421 beantragt. Die Koalition hat das aus für uns nicht akzeptablen Gründen abgelehnt. Deshalb stelle ich hier namens meiner Fraktion den Antrag, unseren Antrag auf Drucksache 13/2421, „Zurückweisung der Angriffe auf die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts", auf die Tagesordnung zu setzen und ihn gemeinsam mit dem Gesetzentwurf zur Einführung eines besonderen Ehrenschutzes für Soldaten hier jetzt zu beraten.
Unser Antrag wurde seinerzeit durch empörende Reaktionen gegen das sogenannte Kruzifix-Urteil notwendig. Er ist heute genauso aktuell wie damals. Die beiden Vorlagen haben unmittelbar miteinander zu tun, weil es in beiden darum geht, wie in diesem Hause mit Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und damit mit der Autorität des höchsten deutschen Gerichtes und mit unserer Verfassung umgegangen wird.
({0})
Der Vorgang ist hier wieder der gleiche - beide Fälle
verlaufen exakt parallel -: Das Bundesverfassungsgericht fällt ein eindeutiges Urteil auf der Grundlage
der Verfassungsbestimmungen. Damals ging es um die Religionsfreiheit, jetzt um die Meinungsfreiheit. Einigen Politikern aus Ihren Kreisen gefällt das nicht. Darauf werden zum Teil empörende Äußerungen nicht nur über das Urteil selbst, sondern über das Bundesverfassungsgericht als solches gemacht. Es wird die Frage gestellt, ob man nicht die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts begrenzen oder seine Geschäftsordnung ändern könnte und vieles andere mehr. Am Ende präsentieren Sie - im einen Fall im Bayerischen Landtag und im anderen Fall jetzt sogar hier im Deutschen Bundestag - einen Gesetzentwurf, der versucht, diese Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auszuhebeln und zu konterkarieren und damit gleichzeitig zentrale Bestimmungen unserer Verfassung leerlaufen zu lassen. Das unterhöhlt nicht nur die Autorität des höchsten deutschen Gerichtes, sondern das macht unsere Verfassung selbst zum Spielball tagespolitischer Aktivitäten; das macht sie löchrig wie einen Schweizer Käse, und das ist etwas, was wir auf keinen Fall zulassen können.
({1})
So war es beim Kruzifix-Urteil, und so ist es jetzt wieder beim sogenannten Soldaten-Urteil.
({2})
Das Ganze fügt sich in eine Reihe von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts ein, die Ihnen nicht gefallen.
({3})
Dabei müssen wir dankbar dafür sein, daß über dem Parlament und über der Regierung in Streitfällen noch die Instanz des Bundesverfassungsgerichts existiert und daß dies,
({4})
etwa in Urteilen wie denen zum Versammlungsrecht, zur informationellen Selbstbestimmung, zum § 218 oder auch zur Religionsfreiheit und zur Meinungsfreiheit, zum Thema Drogen, zu Sitzblockaden und anderen Fragen, wo nötig, eine Notbremse gegen Tendenzen zieht, die die Grund- und Bürgerrechte mehr und mehr aushöhlen wollen.
({5})
Ich kann verstehen, daß Sie den Zusammenhang zwischen der Autorität des Bundesverfassungsgerichtes - und damit unserem Antrag - und Ihrem heutigen Gesetzentwurf gerne vom Tisch weisen bzw. mit der Hand wegwischen wollen. Aber das ist nicht möglich, denn es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Es geht um die Akzeptanz und rechtspolitische Bedeutung des Bundesverfassungsgerichtes in diesem Lande. Es geht um die Bedeutung unserer Verfassung selbst. Und es geht darum, daß Sie mehr und mehr versuchen, dieses Gericht einzuschüchtern, gerade im Vorfeld der zu erwartenden Entscheidung zum Asylrecht.
Lassen sie sich deshalb sehr deutlich sagen: Wir brauchen in der Demokratie so etwas wie eine Letztentscheidungsinstanz. Ich bin froh, daß es das Bundesverfassungsgericht gibt.
({6})
Wer dessen Autorität weiter aushöhlen will, wer jedesmal, wenn ihm eine Entscheidung nicht paßt, sofort ein neues Gesetz macht - nebenbei: es ist absurd: Sie haben eine Kommission zur Deregulierung, also zur Abschaffung überflüssiger Vorschriften, geschaffen und jetzt wollen Sie ein neues, gänzlich überflüssiges Gesetz machen, bloß weil Ihnen eine Entscheidung nicht paßt -, der legt wirklich die Axt an die Grundsäulen unserer Rechtsordnung.
Herr Kollege, Sie sprechen zur Geschäftsordnung.
Ich spreche zur Geschäftsordnung,
({0})
denn ich begründe gerade, warum unser Antrag unmittelbar sachverwandt ist mit dem Antrag, der jetzt auf der Tagesordnung steht, und warum deswegen diese beiden Anträge auch im unmittelbaren Zusammenhang diskutiert werden müssen. Daß Sie das nicht wahrhaben wollen, ist erkennbar. Aber es wird Ihnen nicht gelingen, diesen Zusammenhang zu verwischen.
Ich stelle deswegen namens meiner Fraktion nochmals den Antrag, die Beratung unseres Antrags, der sehr viel länger als der Ihre,
Die Redezeit!
- nämlich seit September dieses Jahres, auf dem Tisch des Hauses liegt, nicht weiter zu boykottieren, sondern ihn jetzt
Herr Häfner, Ihre Redezeit ist abgelaufen!
Deswegen komme ich ja gerade zum Schluß, Herr Präsident.
Nein, Sie sind am Schluß!
({0})
- auf die Tagesordnung zu setzen und zu beraten.
Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat der Kollege Joachim Hörster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heute auf die Tagesordnung setzen möchte, ist am 25. September des vergangenen Jahres gestellt worden, schlummert seitdem in der Schublade und ist nach Auffassung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht für würdig erachtet worden, in diesem Hohen Hause beraten zu werden.
Just der Umstand, daß wir heute auf der Tagesordnung haben, durch einen Gesetzentwurf Rechtsklarheit zu schaffen, was den Ehrenschutz der Soldaten anbetrifft, veranlaßt Sie - so, wie Sie sich jetzt gerieren, sozusagen als Schutzmacht für das Bundesverfassungsgericht -, diesen Tagesordnungspunkt jetzt auf die Tagesordnung zu bringen. Dabei ist die Art und Weise, wie Sie argumentieren, Herr Kollege Häfner, wirklich der Gipfel der Heuchelei.
({0})
Im Mai 1993 hat das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch getroffen. Diese Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch ist von der Europa-Abgeordneten der Grünen, Claudia Roth, mit der Äußerung kommentiert worden: „Das Bundesverfassungsgericht hat sich als Gefahr für die Demokratie entpuppt."
({1})
Es habe gezeigt, daß es nicht „willens" ist, „die ihm durch das Grundgesetz anheimgegebene Macht verantwortlich und zurückhaltend zu nutzen" . Die ehemalige Vorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Marianne Birthler, hat die Entscheidung als „totale Unmündigkeitserklärung der Frauen" definiert und erklärt, das Urteil sei „schlimmer als erwarJoachim Hörster
tet". „Bis in den Ton der Begründung hinein" sei die Entscheidung des Zweiten Senates „zynisch". Weitere Betrachtungen dieser Art der Grünen gegenüber einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes kann ich anführen.
Der Umstand, daß Sie heute diesen Tagesordnungspunkt haben wollen, soll doch nur darüber hinwegtäuschen, daß Sie im Grunde genommen nichts dagegen haben, wenn es weiterhin geschehen darf, daß die Soldaten der Bundeswehr, die im Verfassungsauftrag für den Schutz unseres Landes Dienst leisten, als Mörder bezeichnet werden können.
({2})
Denn es sind vor allem Ihre Aktivisten, die hinter den Demonstrationen stehen, aus denen diese Rufe den Bundeswehrsoldaten entgegenschallen.
({3})
Deswegen ist Ihr Antrag heuchlerisch. Es geht Ihnen nicht um das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts, sondern es geht Ihnen darum, zu verhindern, daß der Diffamierung unserer Soldaten ein Ende gesetzt wird. Deswegen werden wir diesen Antrag ablehnen.
({4})
Herr Kollege Dr. Peter Struck, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon sehr bezeichnend, daß die Koalitionsfraktionen diesen Antrag der Grünen heute nicht diskutieren wollen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso Sie nicht bereit sind, darüber zu sprechen, daß man unqualifizierte Angriffe auf das Bundesverfassungsgericht zurückweisen will. Wir werden diesen Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen jedenfalls unterstützen, und zwar deshalb, weil man - ({0})
- Herr Präsident, können Sie den Haufen nicht mal ein bißchen zur Ruhe bringen? - Ich kann ja warten, bis sie sich beruhigt haben.
Wir unterstützen den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen deshalb, weil wir nicht wollen, daß Soldaten beleidigt werden. Wir wollen aber auch nicht, daß das Bundesverfassungsgericht beleidigt wird.
({1})
Herr Kollege Jörg van Essen, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Verständnis dafür, daß eine Partei, die im bayerischen Kommunalwahlkampf, zum Beispiel in Erlangen, die Forderung aufstellt, Männer, die nicht in Begleitung einer Frau sind, dürften sich nach 22 Uhr nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen,
({0})
wenigstens in Bonn den Eindruck erwecken will, eine Partei zu sein, die die Freiheitsrechte schützen will.
({1})
Es ist ein untauglicher Versuch.
Der Kollege Hörster hat bereits deutlich gemacht, daß die Grünen diesen Antrag etwa ein halbes Jahr nicht verfolgt haben. Das macht deutlich, wie wichtig es ihnen ist, das Bundesverfassungsgericht zu schützen.
({2})
Wir wären bereit gewesen, diese Fragen mit Ihnen zu diskutieren. Wir sind aber nicht bereit, die Schlachten vergangener Tage zu führen. Wir werden diesen Antrag deshalb nicht unterstützen.
({3})
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Uwe-Jens Heuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als erstes den anwesenden Frauen zum Internationalen Frauentag sehr herzlich alles Gute wünschen.
({0})
Ich wünsche Ihnen viel Kraft im Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter. Die Frau Präsidentin hat das heute früh im Fernsehen erklärt. Ich wünsche Ihnen viele Verbündete unter den Männern. Leider befinden sie sich fast nur auf der linken Seite dieses Hauses.
({1})
Ich darf Sie bitten, dies der Frau Präsidentin zu übergeben.
({2})
Einen Moment. Meine Damen und Herren, ich kann bei dem Geräuschpegel nicht einmal hier hinten verstehen, was der Redner spricht.
({0})
Das ist aber notwendig. Ich bitte Sie, sich ein bißchen zurückzuhalten, damit wir hören können, was Herr Professor Heuer zu sagen hat.
({1})
Ich befürworte mit Nachdruck - unter Berufung auf § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung -, den Tagesordnungspunkt um den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/2421, zu erweitern. Eine verbundene Debatte zu dem Thema „Zurückweisung der Angriffe auf die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts" und dem zu Tagesordnungspunkt 13 vorliegenden Antrag zur Änderung des Strafgesetzbuchs ist dringend geboten.
Mit dem Antrag Ihrer Fraktionen ist eindeutig eine Grundsatzdebatte zur Stellung der Regierung und der Koalitionsparteien zur Gewaltenteilung im allgemeinen und zum Bundesverfassungsgericht im besonderen eingeleitet. In der Regierungsvorlage steht nichts anderes als ein weiterer Angriff auf das Bundesverfassungsgericht, wenngleich das Urteil in der Begründung überhaupt nicht erwähnt wird. Aber es ist offensichtlich, daß es um dieses Urteil geht. Der Angriff erfolgt diesmal nicht nur durch öffentliche Äußerungen von Politikern, sondern durch ein Gesetzgebungsverfahren im Bundestag.
Die Ihnen ja nicht fernstehende „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 4. März schrieb drohend an die Adresse des Bundesverfassungsgerichts:
Sein Erster Senat muß dann
- nämlich dann, wenn Ihr Antrag angenommen ist sehen, ob er es zum dritten Mal und im Blick auf den zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers zuwege bringt, die Beleidigung oder die Verunglimpfung der Bundeswehr oder ihrer Soldaten aus der Welt zu schreiben.
Sie werden mir zugeben, daß allein die Tonart der „FAZ", die sie hier dem Bundesverfassungsgericht gegenüber anschlägt, wirklich erstaunlich ist.
Die Presse der letzten Tage kann sich des Eindrucks absolut nicht erwehren, daß es sich um den Versuch handelt, die beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auszuhebeln. Die „Süddeutsche Zeitung" schrieb am letzten Montag:
Die Bonner Koalition zerrt sozusagen Tucholsky und Ossietzky vor Gericht.
Weiter heißt es:
„Soldaten sind Mörder" - im Jahr 1932 blieb Carl von Ossietzky dafür unbehelligt. Würde er den Satz noch einmal drucken, Kurt Tucholsky ihn noch einmal schreiben, beide würden heute wegen „Verunglimpfung" verurteilt, Höchststrafe drei Jahre.
Wir brauchen also eine Grundsatzdebatte über den Umgang der Regierung mit der Gewaltenteilung und besonders mit dem Bundesverfassungsgericht.
({0})
Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ermöglicht eine solche Debatte.
Ich stehe dem Bundesverfassungsgericht als Institution und seiner Rechtsprechung gewiß nicht unkritisch gegenüber. Ich habe mich verschiedentlich
dazu geäußert. Die Kontrolle parlamentarischer Mehrheitsentscheidungen auf ihre Verfassungsgemäßheit hat verschiedene Seiten. Das Bundesverfassungsgericht kann sich - das wissen wir - zum Gesetzgeber aufschwingen. Aber diese Stellung ist im Grundgesetz festgeschrieben. Seine Befugnis, über Grundrechtsverletzungen zu befinden, ist notwendig. Mit manchen Entscheidungen bin ich nicht einverstanden; andere sind es auch nicht. Aber hier geht es nicht um Kritik, sondern hier geht es um die Ausübung von politischem Druck auf das Gericht, um es in eine bestimmte politische Richtung zu drängen, nämlich das Wächteramt über die Grundrechte nicht mehr so genau zu nehmen.
Der Freistaat Bayern geht ja so weit, ein KruzifixGesetz im vollen Bewußtsein der Tatsache zu machen, daß dieses Gesetz vom höchsten Gericht unseres Landes als verfassungswidrig bewertet werden muß, falls es zu einem Rechtsstreit kommt. In meinen Augen ist das eine ungeheuerliche Provokation des Bundesverfassungsgerichts und eine Einschüchterung zugleich.
({1})
Auch die Bundesregierung verhält sich nicht viel anders. Sie mutet dem Bundestag zu, ein Gesetz zu verabschieden, von dem jeder weiß, daß es den Intentionen der zwei Entscheidungen zuwiderläuft.
In dieser Geschäftsordnungsdebatte möchte ich zwei Aussagen treffen. Erstens dauern die im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen monierten Angriffe auf das Bundesverfassungsgericht fort. Ihre Zurückweisung durch den Bundestag ist dringend, wenn eine weitere Beschädigung des Ansehens des Gerichts vermieden werden soll. Zweitens. Der Zusammenhang mit der Regierungsvorlage ist unmittelbar gegeben. Diese Vorlage ist im Kern ein weiterer Angriff auf die Stellung des Bundesverfassungsgerichts.
Aus diesen Gründen ist die Gruppe der PDS für die Behandlung der Drucksache 13/2421 hier und heute.
({2})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Der Aufsetzungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches
({0}) - Drucksache 13/3971 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({1}) Verteidigungsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. BeVizepräsident Hans Klein
steht damit das Einverständnis des Hauses? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Norbert Geis das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mord ist das schlimmste Verbrechen, das Menschen begehen können. Das Urteil „Soldaten sind Mörder" ist das schlimmste Urteil, das man über Menschen sprechen kann.
({0})
- Es ist nicht dummes Zeug; und es ist auch nicht ein Kinderspiel oder nur eine Redewendung. Das empfinden die nicht, Frau Kollegin, die dieses Wort in den Mund nehmen, und das empfinden vor allen Dingen die Menschen nicht, die dieses Wort auf sich beziehen müssen. Sie empfinden es als eine schlimme Verurteilung. Das ist die Tatsache. Die Bevölkerung stimmt mit dieser Ansicht überein.
({1})
Dies ist eine pauschale Verurteilung. Dieses Urteil meint auch die Soldaten, die unter Einsatz ihres Lebens ihr Land gegen einen Angreifer, gegen einen ungerechtfertigten Angriff verteidigen
({2})
und die nicht vergleichbar sind mit den wilden Horden, die brandschatzen, verwüsten, wahllos töten und vergewaltigen. Dennoch sind sie mit diesem Wort gemeint.
({3}) Deswegen ist dieses Wort ein Unrecht.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Soldaten der Bundeswehr, ihre Familien und mit ihnen die Bevölkerung sind über diesen Ausspruch tief empört. Sie empfinden diesen Ruf als Kampfruf gegen die Bundeswehr, gegen sich selbst, gegen ihre Familien und gegen ihre Stellung in der Gesellschaft. Sie sind verunsichert. Das Ansehen der Bundeswehr selbst steht auf dem Spiel. Wer die Vorgänge anläßlich der 40-Jahr-Feier auf dem Bonner Hofgarten erlebt hat, wer dieses Gebrüll miterlebt hat, der kann diese Empörung nachempfinden und muß sie teilen.
({5})
Der Wehrpflichtige ist der einzige Staatsbürger, von dem der Gesetzgeber den Einsatz seines Lebens fordert, ohne daß er sich dazu freiwillig entschlossen
hätte. Deshalb hat der Gesetzgeber auch eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber unseren Wehrpflichtigen.
({6})
Er kann es deshalb nicht hinnehmen, daß die Wehrpflichtigen in einer solchen Weise öffentlich verunglimpft und aufs schlimmste beschuldigt werden. Deshalb haben wir schon sehr früh nach Mitteln und Wegen gesucht, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten.
Das Bundesverfassungsgericht sagt in seiner Entscheidung, die Soldaten seien nach wie vor durch die Beleidigungsparagraphen geschützt,
({7})
nach wie vor könnten die Täter verfolgt werden. Es sagt, nur dann sei eine Verfolgung ausgeschlossen, wenn damit das Soldatenhandwerk, das Kriegshandwerk ganz allgemein, gemeint sei.
Dies aber führt in der Praxis dazu, daß kein Rechtsschutz mehr für die Soldaten besteht.
({8})
Der Ehrenschutz für die Soldaten existiert in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr. Das ist die Tatsache, und an dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei.
Heute kann jeder die Soldaten „Mörder" schimpfen, wenn er es nur klug anfängt. Wenn er erklärt, er habe ja nicht die Soldaten der Bundeswehr, sondern die Soldaten ganz allgemein gemeint, er habe das Kriegshandwerk ganz allgemein gemeint, dann kann er nicht mehr verurteilt werden. Deshalb findet in der Praxis bei uns in Deutschland ein Ehrenschutz der Soldaten nicht mehr statt. Das ist die Tatsache.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Staatsanwälte weigern sich, Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die Richter weigern sich, entsprechende Urteile zu fällen - Sie haben von dem Mainzer Urteil neulich gehört -, weil sie damit rechnen müssen, ihr Urteil könne aufgehoben werden, eben wegen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Deshalb muß sich der Gesetzgeber überlegen, was er einer solchen Schutzlosigkeit, der die Soldaten ausgesetzt sind, entgegensetzen kann.
Natürlich wissen wir die Meinungsfreiheit hochzuschätzen.
({10})
Aber gehört es unbedingt zur Meinungsfreiheit, daß man andere Menschen aufs schlimmste beleidigt?
({11})
Gehört es unbedingt zur Meinungsfreiheit, daß Soldaten als Mörder bezeichnet werden können, wahllos? Muß diese Äußerung denn wirklich höchstrichterlichen Segen erhalten? Das fragen wir uns schon. Denn die politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland wurde durch diese Äußerung nicht gestärkt.
({12})
Wie auch immer, wir sind als Gesetzgeber gefordert, hier Einhalt zu gebieten, wir, die wir von den Wehrpflichtigen verlangen, daß sie ihre Pflicht erfüllen - von denen, die wegen ihrer Pflichterfüllung als Mörder bezeichnet werden. Dies können wir, wenn wir es ernst meinen mit der Wehrpflicht, so nicht mehr länger hinnehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gelingt es uns nicht, diese pauschale Verurteilung zu verhindern, sie staatsanwaltschaftlich zu verfolgen, dann kann das auch zu einer Gefährdung der Verfassung unseres Staatswesens insgesamt führen.
({13})
Unsere Streitkräfte werden im Ernstfall unter Umständen nicht unsere Position mit der Waffe in der Hand verteidigen, weil sie ja gerade deswegen als Mörder bezeichnet werden können. Dies kann zumindest dazu führen, daß wir bis zu einem gewissen Grade politikunfähig werden. Wir werden nicht mehr so leicht in der Lage sein, Pressionen standzuhalten.
Ich zitiere General de Maizière: Wir werden nicht so leicht in der Lage sein, Pressionen standzuhalten, Angreifer von draußen abzuwehren. Wir werden in Gefahr geraten - so wörtlich General de Maizière bei seiner Anhörung am 5. Dezember des vergangenen Jahres -, bis zu einem gewissen Grad politikunfähig zu werden.
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Kein Soldat kommt in seinen Einsatz, ohne daß er dazu vom Parlament direkt den Auftrag erhält. Wer deshalb die Soldaten diffamiert, meine sehr verehrten Damen und Herren, diffamiert letztlich diejenigen, die den Auftrag zum Einsatz erteilen. Und das ist das Parlament, das sind wir.
Letztlich sind also wir, um im Schlagwort zu bleiben, die Mörder.
({14})
Denn wer die Bundeswehr diffamiert - auch dies ist ein Wort von General de Maizière -, diffamiert das Parlament.
({15})
Das sagte General de Maizière genauso wie unsere Wehrbeauftragte bei der von mir zitierten Anhörung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor der Frage: Wie können wir diesem Faktum entgegentreten? Wie können wir künftig verhindern, daß solche Äußerungen ungestraft bleiben?
Nun haben uns viele geraten, es müßte vielleicht eine Entschließung, eine Willensbekundung des Parlaments ausreichen. Wir waren nicht dieser Meinung. Wir haben uns lange überlegt, schon nach dem ersten Urteil vom August 1994 und später nach dem zweiten Urteil vom Oktober 1995, wie wir dagegen vorgehen könnten.
Nach langer Abwägung, auch nach Anhörung von Experten, auch nachdem wir Länderjustizverwaltungen befragt hatten, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß wir es mit einem Gesetz versuchen müssen. Denn Aufgabe des Gesetzgebers ist es, dann, wenn ein Übel vorhanden ist und die vorhandenen Gesetze nicht mehr ausreichen, die Gesetze zu ändern oder ein neues Gesetz auf den Tisch zu legen. Genau dazu haben wir uns entschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen also ein Gesetz vorlegen, nach dem mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften Soldaten in Beziehung auf ihren Dienst in einer Weise verunglimpft, die geeignet ist, das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.
Wir wollen diese Vorschrift in die Vorschriften einordnen, die im Strafgesetzbuch in bezug auf Straftaten gegen die Landesverteidigung stehen. Damit wollen wir ein doppeltes Ziel erreichen.
Einmal geht es uns um den Schutz der Soldaten und ihrer Ehre. Zum anderen geht es uns zugleich - das machen wir durch die Einordnung in den neu zu schaffenden § 109b deutlich - um die Funktionsfähigkeit unserer Bundeswehr, um ihre Verteidigungsbereitschaft, letztlich auch um unsere Bündnisfähigkeit. Genau dieses Rechtsgut wird in den §§ 109 ff. des Strafgesetzbuches geschützt. Dieses doppelte Ziel wollen wir damit zum Ausdruck bringen.
Natürlich werden wir wegen dieses Gesetzentwurfs heftig kritisiert. Wie könnte es auch anders sein. Die einen werfen uns vor - das haben Sie eben gehört -, wir wollten pauschal das Bundesverfassungsgericht kritisieren, wir wollten es konterkarieren, wir wollten es aushebeln.
({16})
Die anderen sagen: Im Grunde genommen ist dieser Gesetzentwurf wirkungslos, weil das Verfassungsgericht in seiner Abwägung nach Art. 5 des Grundgesetzes, in dem die Meinungsfreiheit normiert ist, letztlich durch ein Gesetz nicht gebunden werden kann.
({17})
Daß wir die Entscheidung des Verfassungsgerichtes kritisieren, leugnen wir nicht. Das haben wir getan. Aber damit kritisieren wir noch lange nicht die Stellung des Verfassungsgerichtes in unserer verfassungsrechtlichen Ordnung. Wir lassen nicht zu, daß sie angegriffen wird. In der Verteidigung dieser Stellung lassen wir uns von niemandem und schon gar nicht von den Grünen übertreffen.
({18})
Aber es muß möglich sein, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu kritisieren. Und die Verfassungsgerichtspräsidentin selbst fordert uns ja auf,
({19})
„die Entscheidungen aus Karlsruhe nicht kritiklos hinzunehmen" . Mit der Kritik an einer Entscheidung kritisieren wir nicht die Stellung des Verfassungsgerichtes.
Durch das Gesetz hebeln wir auch nicht die Entscheidungsmöglichkeiten des Verfassungsgerichtes aus. Wir sehen, es handelt sich um ein Übel, dem wir begegnen müssen; als Gesetzgeber machen wir von unserem verfassungsgemäßen Recht, von unserer in der Verfassung verbrieften Befugnis Gebrauch und legen einen Gesetzentwurf vor. Dadurch tangieren wir doch nicht die Kompetenz des Verfassungsgerichtes.
Die Prüfung, ob das Gesetz verfassungskonform ist - und es ist verfassungskonform -, bleibt dem Verfassungsgericht - das ist dann eine Einzelfallentscheidung - nach wie vor vorbehalten. Wir tangieren dadurch doch nicht die Kompetenz des Verfassungsgerichtes und hebeln seine Machtbefugnisse auch nicht aus. Uns diesen Vorwurf zu machen, ist blanker Unsinn.
({20})
Viel wichtiger nehmen wir die Kritik, wir würden ein Gesetz schaffen, das am Ende wirkungslos sein könnte, weil das Verfassungsgericht in seiner Abwägung zwischen Meinungsfreiheit auf der einen Seite und Ehrenschutz auf der anderen Seite frei sei und nicht durch ein Gesetz gebunden werden könne. Dies ist ein wichtiger Kritikpunkt, mit dem wir uns lange auseinandergesetzt haben.
Natürlich ist die Meinungsfreiheit ein großes Gut - ich habe das bereits gesagt -, und niemand will daran rütteln. Es ist ein für die Demokratie wichtiges Gut, aber es nicht der „vornehmste Wert", wie es das Verfassungsgericht ausgedrückt hat. Der vornehmste und höchste Wert unserer Verfassung ist vielmehr die Würde des Menschen.
({21})
Dazu hat sich das Bundesverfassungsgericht in einer sehr frühen Entscheidung aus dem Jahre 1956 ausdrücklich und klar erklärt. Zur Würde des Menschen gehört immer noch seine Ehre. Auch dazu hat
sich das Verfassungsgericht in mehreren Entscheidungen eindeutig ausgesprochen.
({22})
Der Ehrenschutz, der Schutz der Würde des Menschen, ist der höchste Wert unserer Verfassung.
Nun besteht kein Zweifel, daß seit dem Lüth-Urteil das Verfassungsgericht gerade in der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz mehr der Meinungsfreiheit zuneigt. Das ist eine Feststellung, die von allen Rechtswissenschaftlern so getroffen wird. Durch dieses Gesetz, in dem wir als Gesetzgeber eindeutig erklären, daß es uns sehr stark auf den Ehrenschutz der Soldaten ankommt, wollen wir diese Tendenz, soweit es auf Grund unserer Kompetenz möglich ist, korrigieren. Das ist aber unser verfassungsmäßiges Recht. Damit greifen wir doch nicht in die Kompetenz des Verfassungsgerichtes ein. Angesichts der Entwicklung, die wir sehen, müssen wir als Gesetzgeber handeln dürfen, ohne daß man uns den Vorwurf machen kann, wir würden das Verfassungsgericht aushebeln. Das ist ein schlimmer Vorwurf, den wir ganz entschieden zurückweisen müssen.
({23})
Wir sind der Auffassung, daß das Verfassungsgericht sehr wohl die klare Willensäußerung des Gesetzgebers - wir tun es schließlich durch ein Gesetz - respektieren wird. In Zukunft wird es nach unserer festen Überzeugung auf Grund des Gesetzes, das wir vorlegen und das hoffentlich auch verabschiedet wird, nicht mehr so leicht möglich sein, durchs Land zu ziehen und die Soldaten als Mörder zu beschimpfen und anschließend zu sagen, ich meine nicht die Bundeswehrsoldaten, obwohl jeder Betroffene und jeder Dritte, der das wahrnimmt, selbstverständlich davon ausgehen muß, daß die Bundeswehr gemeint ist. Es wird nicht mehr ungestraft möglich sein, ein solches Treiben in der Öffentlichkeit fortzusetzen. Wer sich so verhält, wird in Zukunft staatsanwaltschaftlich und gerichtlich verfolgt und bestraft werden müssen. Deswegen glauben wir, daß dieses Gesetz nicht wirkungslos sein wird.
In den letzten 50 Jahren haben wir die längste Friedenszeit unserer Geschichte erlebt. Die Bundeswehr und unsere Bundeswehrsoldaten, ihre Kampfkraft und ihre Verteidigungsbereitschaft haben daran einen maßgeblichen Anteil. Unsere Soldaten haben dafür Anerkennung verdient und nicht den Vorwurf, sie seien Mörder.
Ich danke Ihnen.
({24})
Das Wort hat der Kollege Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Der heute zu beratende und von Ihnen, Herr Professor Schmidt-Jortzig, zu verantwortende Gesetzentwurf, mit dem ein besonderer Ehrenschutz für die Bundeswehr begründet werden soll, ist - ich muß das in allem Freimut sagen - ein ziemlich jämmerlicher Einstieg in Ihr neues Amt als Bundesjustizminister.
({0})
Nachdem Sie noch vor wenigen Tagen etwas verschüchtert ein entsprechendes Ansinnen aus Unionskreisen ablehnen wollten, haben Sie sich jetzt für die traurige Rolle des Hampelmannes entschieden, der sich von einigen gedanklich verschwollenen Gestalten aus dem Koalitionslager in Bewegung setzen läßt.
({1})
Wie hieß es noch in einem Interview, Herr Professor Schmidt-Jortzig, das Sie der „Süddeutschen Zeitung" vor einigen Tagen gegeben haben? Sie sagten dort, eine schlichte Gesetzesänderung könne den Soldaten keine Hilfe bringen. „Es geht eher darum, ob verletzende Äußerungen nicht wirklichkeitsnäher ausgelegt werden müßten. Aber" - immer noch Originalton Schmidt-Jortzig - „da mit dem Gesetzgeber einzutauchen wäre Einbruch in die Rechtsprechungsdomäne. " Wie wahr!
({2})
Aber jetzt sind Sie mit dem Gesetzgeber, um bei Ihren Worten zu bleiben, „eingetaucht" und stehen als begossener Pudel da.
({3})
Das Getöse, das einige aus den Koalitionsfraktionen seit einiger Zeit im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts veranstalten, hat leider eine ziemlich verdrehte Diskussion zustande gebracht. Es ist Ihnen leider gelungen, in Teilen der Öffentlichkeit - wie Sie es auch heute wieder versucht haben, Herr Geis - den Eindruck hervorzurufen, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, den Ehrenschutz von Soldaten der Bundeswehr nicht ernst nehme. Das Gegenteil - das betone ich sehr deutlich - ist richtig.
({4})
Selbstverständlich haben die Soldaten der Bundeswehr als Staatsbürger in Uniform, wie jeder andere Bürger auch, Anspruch auf Achtung ihrer Menschenwürde und auf einen strafrechtlich sanktionierten Ehrenschutz. Wer Soldaten der Bundeswehr als Mörder beschimpft, macht sich nach geltendem Recht,
Herr Geis, strafbar. Das war so, das ist so, und das wird so bleiben.
({5})
Wer einen solchen Ehrenschutz als nebensächlich abtut, hat in der Tat nicht begriffen, daß die Soldaten der Bundeswehr einen wichtigen Auftrag erfüllen und äußerstenfalls sogar ihr Leben aufs Spiel setzen müssen, wie beispielsweise bei der Friedensmission auf dem Balkan. Sie haben selbstverständlich Anspruch auf Vertrauen, auf Respekt und Anerkennung. Das sagen wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion.
({6})
Soldaten der Bundeswehr müssen aber auch zugleich so robust - und ich sage: so selbstbewußt - sein, daß sie sich mit zugespitzten polemischen oder satirischen Äußerungen aus einer radikal pazifistischen Haltung heraus auseinandersetzen können.
({7})
Es wäre etwas mit der Ausbildung der Soldaten schiefgegangen, wenn sie so zimperlich wären, sich durch das bekannte Tucholsky-Zitat aus dem seelischen Gleichgwicht bringen zu lassen.
({8})
Tucholsky hat seinen berühmten Satz, Herr Hinsken, in Erinnerung an das gräßliche Gemetzel des Ersten Weltkrieges geprägt, in das das deutsche Volk seinerzeit von Politikern geführt wurde,
({9})
die in ihrem besessenen Verlangen nach militärischem Ruhm und Stahlgewittern ein mörderisches Zerstörungswerk in Gang gesetzt hatten. Dieser Satz war zugleich ein Warnruf in Vorahnung der kommenden Katastrophe des Zweiten Weltkrieges, der leider ungehört blieb, weil Militaristen, Rassisten und Nazis in Deutschland die Oberhand gewannen.
Löst man diesen Satz Tucholskys aus dem historischen Kontext, ist er - auch das sage ich ganz offen - wie jedes Pauschalurteil ungerecht und falsch; genauso falsch und ungerecht, wie es etwa der Satz wäre: „Justizminister sind Deppen", obwohl im Einzelfall der Wahrheitsbeweis vielleicht gelingen könnte.
({10})
Falsche, ungerechte und anstößige Sätze sind jedoch in einer Demokratie, in der die MeinungsäußeOtto Schily
rungsfreiheit noch etwas gilt, nicht unter Strafe gestellt.
({11})
Wir müssen uns in einer freiheitlichen Demokratie gefallen lassen, daß manches scharf und womöglich zu scharf formuliert wird.
({12})
Sollten wir alle beleidigt sein, wenn irgendwer auf den Einfall käme und verkündete, Menschen sind Mörder?
({13})
- Sie haben das Bundesverfassungsgerichtsurteil nie gelesen, Herr Geis, denn sonst wüßten Sie, worauf ich abziele.
({14})
Oder einer hielte uns ein Schild mit der Aufschrift entgegen - Herr Geis, nun hören Sie gut zu! -: Abgeordnete sind Schafsköpfe. Der eine oder andere von uns könnte sich getroffen fühlen. Für eine Anklage wegen Beleidigung reichte es nicht.
({15})
Es ist die offenbar unausrottbare Sehnsucht nach dem Obrigkeitsstaat, die Sie für solche Dümmlichkeiten nach Art des vorgelegten Gesetzentwurfes anfällig macht.
({16})
Schon fordern einige einen besonderen Ehrenschutz für Polizeibeamte. Warum denn nicht gleich für alle Ministerialräte, Abgeordnete und Ministerpräsidenten? Wo bleibt der besondere Ehrenschutz für Gerichtsvollzieher und Oberförster, für Pastoren und Staatsanwälte?
({17})
Das kann eine so gewaltige Lawine werden, Herr Professor Schmidt-Jortzig, daß Sie Ohrensausen bekommen.
Sie selbst, Herr Professor Schmidt-Jortzig, haben vor einer Woche in einem Fernsehgespräch erklärt, daß es auch mit der neuen Gesetzesvorschrift - auch da müssen Sie gut zuhören, Herr Geis
({18})
- was das Bundesverfassungsgericht angeht, glaube ich das nicht,. Herr Geis - jedem völlig unbenommen sei, das bekannte Tucholsky-Zitat zu äußern.
({19})
Sie haben allerdings hinzugefügt, daß das künftig nicht gelten solle, wenn das Tucholsky-Zitat in Gegenwart eines Bundeswehrsoldaten gebraucht werde.
({20})
Was soll denn damit nun gemeint sein? Gilt die Meinungsäußerungsfreiheit in Zukunft nur noch außerhalb einer bestimmten Bannmeile um Bundeswehrsoldaten?
Herr Schmidt-Jortzig, Sie haben sich auf juristische Torheiten eingelassen, die den guten Juristen, die es in den Koalitionsfraktionen durchaus gibt, wirklich peinlich sein sollten. Sie begeben sich damit auf das Niveau eines gewissen Geheimrats Wagner. Carl von Ossietzky war vom Kammergericht 1932 im Zusammenhang mit dem Tucholsky-Zitat bekanntlich freigesprochen worden. Der Geheimrat Wagner war entrüstet und schrieb:
Das durch eine Straflosigkeit solchen vom gesunden Sinne des Volkes als strafwürdig empfundenen Schimpfs tief verletzte soldatische Ehrgefühl läßt sich auch durch das uralte und doch ewig junge Hohe Lied vom heiligen Opfertode des Kriegers nicht einschläfern.
({21})
Jetzt soll es wohl wieder so sein, daß derlei Dumpfheiten die Oberhand gewinnen. Es wabert wieder in Ihren Gefühlen und Gedärmen, es packt Sie wieder das Verlangen nach einer sakralen Überhöhung des Militärs, was nichts Gutes verheißt.
({22})
Nein, die auf Demokratie vereidigte Bundeswehr kann getrost auf solchen Schwulst verzichten.
({23})
Die Staatsbürger in Uniform haben nicht mehr, aber auch gewiß nicht weniger Anspruch auf Schutz ihrer Ehre als jeder andere Staatsbürger auch. Eine moderne Bundeswehr gehört mitten in die zivile Gesellschaft und bedarf keines privilegierten Ehrenschutzes.
({24})
Lassen Sie mich mit einem Satz von Tucholsky schließen. Er schrieb seinerzeit:
Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen - ({25})
- Herr Geis, Sie sind aufgeregt; ich kann das verstehen. ({26})
Ich fange das Zitat noch einmal an, Herr Geis, damit Sie es in Ihrer Aufgeregtheit mitbekommen. Tucholsky schrieb seinerzeit:
Aber nun sitzt zutiefst - ({27})
- Herr Tucholsky - - ({28})
- Jetzt hätte ich doch beinahe Herrn Tucholsky im Himmel angesprochen.
Herr Geis, nur damit Sie es wirklich mitbekommen:
Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen
({29})
die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten. Und wehe, wenn Du einer dieser zunahe trittst.
So schrieb Tucholsky im Jahre 1932.
Dieser Angewohnheit, meine Damen und Herren, sollten wir uns entledigen. Deshalb heißt mein Überweisungsantrag: Befördern Sie Ihren Gesetzentwurf schleunigst in den Papierkorb und vergeuden Sie nicht die wertvolle Arbeitszeit des Parlaments und der Beamten des Justizministeriums mit derlei juristischem, politischem Unrat, für den wir uns alle zu schade sein sollten.
({30})
Einen Moment, meine Damen und Herren.
Ich weise die Geschäftsführer der SPD und der Grünen darauf hin, daß sie dem Präsidenten nicht zu raten haben, wann er einen Zwischenruf aufgreift oder nicht.
({0})
Auf eine Rede, in der festgestellt wird: Wer sich nicht Mörder nennen läßt, ist zimperlich, in der Begriffe wie „Hampelmann", „Deppen", „Schafsköpfe", „Dümmlichkeit" vorkommen, erfolgen auch schärfere Zwischenrufe. Da habe ich zu wägen.
({1})
Ich habe die Rede nicht unterbrochen. Ich habe mich nicht an den einzelnen Begriffen aufgehalten. Wenn wir allerdings in so einem Stil miteinander verkehren, tut das dem Parlament nicht gut.
Wenn in einer solchen Rede scharfe Zwischenrufe erfolgen, dann ist das eine natürliche Reaktion, sofern sie nicht wirklich beleidigend sind.
({2})
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
({3})
Bitte, Frau Fuchs.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir halten es für einen schwerwiegenden Vorgang, wenn einem Kollegen von einer anderen Koalition öffentlich gesagt wird: „Sie gehören nicht ins Parlament." Wir möchten diese Frage geklärt haben und beantragen die Unterbrechung dieser Sitzung und eine Sitzung des Altestenrates.
({0})
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich erteile dem Kollegen Norbert Geis das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Schily, Sie sind frei gewählter Abgeordneter. Ich respektiere das. Insofern möchte ich meinen Ausdruck von vorhin, Sie gehörten nicht ins Parlament, zurücknehmen.
({0})
Herr Kollege Schily.
Herr Kollege Geis, das ist guter parlamentarischer Stil. Ich bedanke mich für Ihre Erklärung. Schwamm drüber!
({0})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister der Justiz, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist wirklich bemerkenswert, Herr Kollege Schily: Sie sind so empfindlich, daß Sie eine parlamentarische Sitzung unterbrechen müssen, weil Sie einen bestimmten Zuruf nicht ertragen können, und wollen es den deutschen Soldaten zumuten, sich ungestraft als Mörder titulieren zu lassen. Das kann doch wohl nicht sein.
({0})
Herr Bundesminister, der Kollege Beck möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. - Bitte.
Verstehe ich Sie richtig, Herr Schmidt-Jortzig, daß Sie Ihren Gesetzentwurf insoweit abändern wollen, als in Zukunft eine Verunglimpfung der Bundeswehr mit einer Entschuldigung abgegolten werden kann und dann der staatliche Strafanspruch zurücktritt?
({0})
Ich habe schon befürchtet, daß mein Großmut, Ihnen eine Zwischenfrage zu gestatten, nicht belohnt wird. Machen Sie in diesem Niveau nur weiter!
({0})
- Herr Verheugen, nach dem Zynismus, den Herr Schily vorgeführt hat, sollten Sie sich nicht so echauffieren. Das macht sich nicht gut.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist schon bemerkenswert - man sieht es auch hieran -, wie sehr dieser Gesetzentwurf die Standpunkte kristallisiert und für Klarheit sorgt.
({2})
Verzeihung, Herr Minister, es ist die Pflicht des Präsidenten, Sie zu fragen, wenn sich ein weiterer Kollege zu einer Zwischenfrage meldet.
Nein, vielen Dank. - Dabei ist aus meiner Sicht die Gedankenführung eindeutig: Wer sich zu diesem Staat bekennt - und im Sinne des TucholskyZitats sage ich ausdrücklich: nicht zu Staat allgemein als Organisationsform menschlicher Gemeinschaft, nicht zu irgendeinem historischen deutschen Staat, sondern zu dieser Bundesrepublik Deutschland -, der muß sich auch zu dessen Verteidigungsstreitkräften bekennen,
({0})
und wieder deutlich: nicht zu Bewaffnung oder Soldatentum allgemein und auch nicht zu irgendeiner historischen deutschen Wehrmacht, sondern zu dieser deutschen Bundeswehr,
({1})
die unter dem Primat der Politik steht, unter vollem Verfassungsvorbehalt und unter hoffentlich von uns allen gleichermaßen wahrgenommener demokratischer Kontrolle.
Wer sich zur deutschen Bundeswehr und ihren Soldaten bekennt, der muß ihnen auch das zukommen lassen, was sie an politischer Akzeptanz, an Schutz und Achtung zur Erfüllung ihres anspruchsvollen Auftrags benötigen
({2})
- wenn Sie die Verfassung für einen Allgemeinplatz halten, dekuvrieren Sie sich letztlich völlig -,
({3})
für den sie dieser Staat in Pflicht nimmt, und zwar über eine allgemeine Wehrpflicht.
({4})
Nun hat sich nach zwei intensiv diskutierten Karlsruher Entscheidungen zum Tucholsky-Zitat herausgestellt, daß der strafrechtliche Schutz von Ansehen und persönlicher Integrität der Soldaten nicht hinreichend ausgestaltet ist.
({5})
Das ist übrigens keinerlei Kritik am Bundesverfassungsgericht; so etwas werden Sie von mir nie hören.
Ich sage vielmehr ausdrücklich, daß beide Entscheidungen nicht nur juristisch vollauf schlüssig sind, sondern Karlsruhe auch in der Sache die zum
Teil völlig überzogene Kritik - das ist eindeutig - keineswegs verdient hat.
Nur, gerade wenn man den Verfassungsgerichtsspruch akzeptiert - das verstehen Sie offensichtlich nicht - und als Schlußwort de lege lata hinnimmt, dann ist es im gewaltenteiligen Staat die Aufgabe der Politik,
({6})
gegebenenfalls über eine Fortentwicklung, Änderung oder Ergänzung dieser Rechtslage nachzudenken.
({7})
Alles andere wäre eine politische Bankrotterklärung und erinnerte stark an die rhetorische Frage Claus Jägers: „Wer schützt den Bürger vor der Ohnmacht des Staates?"
({8})
Wenn sich also der strafrechtliche Schutz für eine bestimmte, von der Verfassung selbst besonders thematisierte Gruppe von Menschen in diesem Staat als unzulänglich herausstellt, dann ist es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Politik, und zwar ganz konkret dieses Bundestages, hier nachzubessern, das heißt, diesen Schutz zu liefern. So einfach ist das.
({9})
Ich nehme an, das wird auch bei Ihnen, bei den Sozialdemokraten, nicht viel anders gefühlt. Deswegen ja auch Ihre Empfindlichkeit.
Wer diesen Zusammenhang leugnet, enthüllt jedenfalls, daß er im Grunde mit den verfassungsrechtlichen Einrichtungen und ihrer Ordnung nicht einverstanden ist oder den notwendigen Schutz einer ganz bestimmten Gruppe von Menschen nicht ernst nehmen will.
({10})
Für die Liberalen jedenfalls ist es selbstverständlich, hier ohne Zögern anzutreten; denn für uns geht es darum, die Freiheit und auch die persönliche Integrität der Menschen zu verteidigen, auch derer, die besonders laut und grölig schreien.
({11})
Wir schützen Menschen, die das selber nicht hinreichend können
({12})
- z. B. die Soldaten -, und zwar auch gegen Bedrohungen durch andere Gesellschaftskräfte. Wir suchen uns dabei nicht die genehmen Personengruppen aus, wie das offenbar die Grünen mit ihrem rechtsstaatlichen Verständnis tun wollen, die immer nur diejenigen mit Rechten bedenken wollen, die ihnen lieb sind. Wenn es aber andere sind - in diesem
Fall ist es ja dekuvrierend, daß Sie sich gegen einen Ehrenschutz für die deutschen Bundeswehrsoldaten richten -, dann melden sie sich ab.
({13})
Über den juristisch besten Weg einer Ehrenschutzverbesserung für die Bundeswehr kann man natürlich streiten. Sie alle sind herzlich eingeladen, meine Damen und Herren, in der parlamentarischen Beratung noch wirksamere Vorschläge zu erwägen und vorzubringen, wie es besser gemacht werden kann.
({14})
- Aber ich will Ihnen gern, selbst wenn es Sie überfordert, Herr Schily, noch einmal zu erklären versuchen, weshalb dies der richtige Weg ist. Hören Sie gut zu, denn das ist wahrscheinlich wichtig, damit Sie über die Polemik hinwegkommen und sich der Sache angemessen nähern.
({15})
Die Kritik, soweit sie überhaupt zur Sache vordringt - denn, wie gesagt, häufig wird da ja nur Wut und Ärger geäußert, und das bestätigt nur die Richtigkeit der Initiative -, ist, wenn ich es richtig sehe, widersprüchlich.
({16})
Einerseits wird der Initiative vorgeworfen, die Sache bringe rechtlich gar nichts Wirkliches zustande. Andererseits wird das Vorhaben als Anschlag auf die Meinungsfreiheit gebrandmarkt.
({17})
- Hören Sie gut zu, Herr Fischer, Sie können noch etwas lernen, denn das hat ein werter Fraktionskollege von Ihnen gesagt. Diesen schönen Ausspruch hat Herr Beck getan, es sei ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Jetzt höre ich von der gleichen Fraktion, das bringe ja gar nichts. Was soll es nun sein? Sie müssen sich entscheiden. Das widerspricht sich. Gehen Sie einmal mit sich zu Rate.
({18})
Wer sich den Vorschlag für einen neuen § 109 b StGB, Herr Fischer, einmal genau und vorurteilsfrei anschaut, wird ohnehin feststellen - ({19})
- Lieber Herr Fischer, gestern haben wir das schöne
Wort gehört: Sie sind zwei Zentner fleischgewordene
Selbstgefälligkeit. Ich füge gern hinzu: und Selbstgerechtigkeit. Hier zeigen Sie es deutlich.
({20})
Meine Damen und Herren, sehen Sie sich einmal den vorgeschlagenen neuen Strafrechtsparagraphen an. Versuchen Sie es doch einmal in aller Ruhe, die der Sache angemessen ist.
({21})
- Machen Sie eine Abmagerungskur, dann sind Sie möglicherweise besser dran.
({22})
- Ich bestätige Ihnen gern, daß in Ihrem Fall nur das Gewicht das Format ausmacht.
({23})
Ich wiederhole gern, was ich sage, weil Sie es beim erstenmal offenbar nicht verstehen. Sie machen zuviel Krach. Hören Sie zu, das ist viel besser.
({24})
- Bei Ihnen reagiere ich gar nicht; denn das läßt sich eh nicht verstehen. .
({25})
Meine Damen und Herren, bitte versuchen Sie einmal, sich in Ruhe diesen Paragraphen anzusehen, der nach Ihren Worten angeblich gar nichts bringt. Dann gehe ich gern auch noch auf das Argument ein, es sei ein Einbruch in die Meinungsfreiheit.
({26})
- Hören Sie erst einmal zu, und versuchen Sie dann, bei Ihrer nächsten Abmagerungskur erfolgreicher zu sein.
Es wird hier ein spezieller Tatbestand formuliert und die Sache aus dem offenbar ganz unkonturierten
- jedenfalls haben wir das so der Rechtsprechung entnommen - Zusammenhang der Beleidigungsdelikte in den Teil verlagert, der sich um die Verfassungseinrichtungen kümmert.
Die deutsche Bundeswehr - ich habe Wert darauf gelegt, daß die Argumentationsfolge unzweifelhaft
ist - ist eine Einrichtung dieser Verfassung und ist deshalb mit sechs Paragraphen im Strafgesetzbuch ausdrücklich geschützt. Hier muß, da sich herausstellt, daß die Ehre der Soldaten nicht hinreichend geschützt wird,
({27})
auch der Schutz der Soldaten der Bundeswehr plaziert werden. Ob das falsch ist, werden wir in den Beratungen sehen.
({28})
Irgendein Einbruch in bewährte, festliegende Grundrechtskonstellationen erfolgt hingegen nicht. Im Zusammenhang mit dem Recht der freien Meinungsäußerung - ich will Ihnen das gern vorlesen, da Sie offenbar noch nicht in die Verfassung geschaut haben - heißt es in der entsprechenden Passage - hören Sie gut zu -:
Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
({29})
- „Und in dem Recht der persönlichen Ehre", Herr Schily.
Wenn wir versuchen, das unübersehbarer und wirksamer zu gestalten, regen Sie sich darüber auf. Versuchen Sie, die Verfassung zu lesen, ernst zu nehmen und dann auch umzusetzen; das wäre gut.
({30})
Dabei bleibt die Meinungsfreiheit in dem ihr von der Verfassung zugewiesenen Rahmen vollauf gewährleistet. Aus meiner Sicht kann auch künftig das Tucholsky-Zitat im Rahmen allgemeiner politischer Diskussionen völlig straffrei geäußert werden.
Anders wird es allerdings dann sein - das ist der Punkt, weshalb wir den neuen Paragraphen brauchen -, wenn es sich speziell gegen die Verfassungseinrichtung Bundeswehr richtet.
({31})
Wer das Zitat auf einem Spruchband vor einer Bundeswehrkaserne entrollt oder in unmittelbarer Anwesenheit von Bundeswehrsoldaten vorbringt, wird künftig nicht mehr überzeugend dartun können,
({32})
daß damit keine Verunglimpfung der Bundeswehr erfolgt oder eine solche gar vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei.
({33})
Wenn wir uns heute über dieses Ziel vergewissern können, ist schon viel gewonnen; denn die Zeit ist reif. Deswegen - ich sage das ganz deutlich - bin ich davon überzeugt, daß der Weg, den wir jetzt einschlagen, nämlich diesen Einzelpunkt hier und heute in die Entscheidungsbahn zu bringen, angebrachter ist als die Lösung, die mir vorher vorschwebte, nämlich das Ganze in eine Gesamtreform einzubinden. Mit dieser Gesamtreform werden Sie noch konfrontiert werden. Jetzt machen wir erst einmal das Einzelstück; denn die Zeit für eine Entscheidung ist reif.
Die erste Tucholsky-Entscheidung liegt anderthalb Jahre zurück.
({34})
- Daß Sie dabei nicht das Bundesverfassungsgericht im Kopf haben, habe ich mir schon gedacht, Herr Heuer.
({35})
Die erste Tucholsky-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - nur das akzeptiere ich - liegt anderthalb Jahre zurück. Seitdem hat sich die Diskussion hinreichend entfaltet. Für die betroffenen Soldaten und ihre Angehörigen ist es einfach unzumutbar, weiter zuwarten zu müssen.
({36})
Ich rufe also die Opposition und ganz speziell die SPD auf; denn ich weiß im Gegensatz zu Ihrem Geschrei von ganz bestimmten Sympathien aus Ihren Reihen für diese Initiative.
({37})
- Ich meine nicht Sie, Frau Däubler-Gmelin. Das sage ich ausdrücklich. Aber Sie sind in gewisser Nachbarschaft, die Sie nicht übersehen können, jedenfalls ich nicht überhören kann. So war es gemeint.
({38})
Ich sage noch einmal: Machen Sie mit, meine Damen und Herren von der Opposition, jedenfalls von der SPD.
({39})
Ich fordere Sie auf, hier mitzuringen,
({40})
daß wir gemeinsam einen verbesserten Schutz des
Ansehens der Bundeswehr zustande bringen. Stimmen Sie sich heute also erst einmal positiv auf die Grundzüge unserer Initiative ein! Dann wäre uns und im übrigen dieser Republik schon sehr geholfen.
({41})
Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Dr. Burkhard Hirsch gemeldet.
Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Herr Justizminister, ich habe mich zu dieser Intervention unmittelbar nach Ihrer Rede gemeldet, weil es mir einmal darum geht, die persönlichen Angriffe, denen Sie in der bisherigen Debatte ausgesetzt gewesen sind, unmittelbar zurückzuweisen, und weil ich außerdem mit Ihnen in dem Ziel übereinstimme, daß Beleidigungen der Soldaten der Bundeswehr unzulässig sein und bleiben müssen.
({0})
Nun kommt das Aber: Das Beispiel, das sie eben eingeführt haben, das Transparent vor der Kaserne, bezeichnet das Bundesverfassungsgericht in der Tat unverändert als eine Beleidigung und als strafwürdig,
({1})
und zwar in der gleichen Weise, wie es das Reichskammergericht in der Carl-von-Ossietzky-Entscheidung 1932 getan hat.
Ich zitiere dazu den Bundespräsidenten in seiner Rede vor der 35. Kommandeurstagung, wo er ausdrücklich, bezogen auf das Urteil des Verfassungsgerichts, sagt:
Es kann bestraft werden, wer konkrete Soldaten einfach deshalb, weil sie Soldaten sind, als Mörder bezeichnet, und es kann sogar bestraft werden, wer die Bundeswehr als Ganzes - also immerhin einen Kreis von 340 000 Personen - als Mörder bezeichnet.
Dies alles auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die insoweit weder Kritik noch einer weiteren Korrektur bedarf.
({2})
Die Begründung des Gesetzentwurfs bestätigt das.
Nun gibt es darüber hinaus aber weitere Strafbestimmungen, die bisher nicht erwähnt worden sind, zum Beispiel den § 109d des Strafgesetzbuches, der die Störpropaganda gegen die Bundeswehr unter Strafe stellt, also den Fall, daß jemand unwahre oder verzerrte Behauptungen über die Bundeswehr aufstellt und damit ihre Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Der Funktionsschutz, der hier dargestellt worden ist, ist mit einer Strafe von fünf Jahren Gefängnis nach geltendem Recht bedroht.
Dr. Burkhard Hirsch
Nun frage ich mich: Was soll denn dieser neue Gesetzentwurf, außer den Versuch zu unternehmen, das einzuschränken, was das Bundesverfassungsgericht als ein klares konstitutives Element der Demokratie bezeichnet die Meinungsfreiheit,
({3})
die um so höher zu veranschlagen ist, als es nicht um den Ehrenschutz des Soldaten oder der Bundeswehr insgesamt, sondern um die Funktionsfähigkeit, um die Anerkennung geht?
Ich bin der Überzeugung - und viele mit mir -, daß es auch in diesem Staat möglich sein muß, extrem pazifistische Äußerungen polemisch von sich zu geben. Das muß möglich sein. Das muß eine Demokratie aushalten, wie es auch 1932 ausgehalten wurde.
({4})
Hier fehlt die klare Begründung des Gesetzes, auch in Ihrer Rede. Das muß ich leider sagen. Soll die Äußerung dieses Zitats strafbar sein oder nicht? Würde Carl von Ossietzky heute vor Gericht gestellt werden, würde das Gesetz eine Auslegung zulassen, die ihn zum Straftäter machte? - Die Antwort steht offen.
({5})
Herr Bundesminister, wollen Sie replizieren?
Nein, danke.
({0})
Dann gebe ich das Wort zu einer weiteren Kurzintervention der Kollegin Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Bundesjustizminister, ich wäre Ihnen schon dankbar, wenn auch ich Ihre Aufmerksamkeit bei dieser Kurzintervention finden könnte, weil ich gerade im Anschluß an Ihre Rede den Eindruck habe, daß Sie die Überlegungen, die ich Ihnen vortragen will, aufnehmen und dann vielleicht doch noch einmal replizieren sollten.
Kollege Hirsch hat völlig recht. Ich bin ihm dankbar dafür, daß er die entsprechenden Passagen der Rede des Herrn Bundespräsidenten Herzog vor der Kommandeurstagung im November letzten Jahres vorgetragen hat. Ich selbst erachte es auch für Ihre Verpflichtung als Bundesjustizminister, hier im Bundestag klarzustellen, daß der Ausgangspunkt falsch ist, von dem Ihr Gesetzentwurf ausgeht, von dem aber auch, wie Kollege Geis es dargelegt hat, die CDU/CSU-Fraktion und die F.D.P.-Fraktion als Ganze ausgehen. Ich meine den Ausgangspunkt, den Sie so dargestellt haben - es waren Ihre Worte,
ich habe mitgeschrieben; bitte entschuldigen Sie, wenn ich nicht ganz wörtlich zitiere, aber sinngemäß ist es richtig -: Es hat sich nach zwei intensiv diskutierten Urteilen des Bundesverfassungsgerichts herausgestellt, daß der strafrechtliche Schutz der Soldaten nicht ausreichend ist. - Jetzt füge ich mit dem Bundespräsidenten hinzu: Dies ist falsch.
({0})
Es wäre Ihre Aufgabe als Bundesjustizminister gewesen, klarzulegen, daß dies falsch ist.
Als zweites - lassen Sie mich das hinzufügen - wäre es Ihre Aufgabe als Bundesjustizminister gewesen, sich nicht nur mit den Worten, die Kritik an Karlsruhe sei „überzogen" , vor das Verfassungsorgan Bundesverfassungsgericht und seine Richter zu stellen, sondern auch solche Äußerungen wie - ich zitiere den Kollegen Geis -: seine Rechtsprechung sei „verfassungswidrig", oder - ich zitiere den stellvertretenden Vorsitzenden der CSU -: es handele sich um „Schandurteile" - bitte, das ist die Sprache der Nazis ({1})
oder - ich zitiere den CSU-Politiker Peter Gauweiler -: es sei die „Rechtsprechung von juristischen Kaziken" , in diesem Bundestag so deutlich als Beleidigung zurückzuweisen, wie wir dies alle gemeinsam tun, wenn das Zitat „Soldaten sind Mörder" auf die Bundeswehr und ihre Soldaten angewandt wird.
({2})
Bitte, Herr Bundesminister.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ich hatte eigentlich versucht, die Grundlinien herauszuarbeiten und die juristischen Feinheiten diesem Haus nicht zuzumuten, denn da sage ich Ihnen ganz deutlich: Mit der juristischen Bewertung liegen Sie und im übrigen auch der Kollege Hirsch falsch.
({0})
Dazu lassen Sie uns bitte in die Fachberatungen einsteigen. Dort nehme ich Anregungen herzlich gerne auf, und ich habe Sie ja auch ausdrücklich dazu aufgerufen.
Zum zweiten. Sie haben die Szene möglicherweise nicht richtig beobachtet.
({1})
Der Justizminister Schmidt-Jortzig hat am 24. Januar dieses Jahres zum erstenmal der Presse verkündet, daß sich diese Koalition für den Ehrenschutz der Soldaten einsetzen will und die Überlegungen anstellt,
die notwendig sind, das in der sachlich gebotenen Form zu tun.
({2})
Der entsprechende Text einer nochmaligen Presseerklärung vom 9. Februar 1996 lautet:
Bundesjustizminister: Ehrenschutz der Soldaten sicherstellen.
Seitdem ist das Bundesjustizministerium - ich sage Ihnen wirklich: sehr viel gehaltvoller und tiefgehender und umfassender, als Sie es sich möglicherweise vorstellen wollen - dabei gewesen, die verschiedenen Alternativen zu prüfen. Es war ausgemacht, daß wir am Freitag, dem 1. März 1996, in der Koalition über die Ergebnisse dieser ruhigen, sachlichen, intensiven Prüfung beraten und dann entscheiden wollten. Genau dies ist passiert. Ich nehme einmal an, verehrte Frau Kollegin, genau das ist auch die Aufgabe des Bundesjustizministers und seines Hauses.
({3})
Die haben wir vielleicht nicht in Ihrem Sinne ausgeübt, aber in der Sache völlig richtig.
Danke.
({4})
Zu einer weiteren Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Professor Dr. Rupert Scholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, vor allem von der Opposition! Ich glaube, Sie haben dem Bundesjustizminister vor allem in einem Punkt nicht hinlänglich zugehört. Er hat nämlich auf einen ganz entscheidenden Aspekt hingewiesen, indem er die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts völlig korrekt wiedergegeben hat. Er hat deutlich gemacht - das ist die Quintessenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -, daß hier in der Tat Abgrenzungsprobleme nicht nur tatbestandlicher, sondern auch sachverhaltsmäßiger Art bestehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat völlig mit Recht gesagt: Wenn Soldaten als Mörder bezeichnet werden, kann dies Soldaten schwer kränken und treffen. Das ist wohl wahrhaftig unbestreitbar.
({0})
Das Gericht hat auf der anderen Seite festgestellt, daß sich aus den Sachverhalten erhebliche Probleme ergeben können. Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise - Herr Hirsch, das haben Sie offenkundig bei Ihrer Kurzintervention übersehen - in einem Fall, bei dem ein Spruchband mit der Aufschrift „Soldaten sind Mörder" vor einem Informationsstand von Bundeswehrsoldaten aufgestellt worden ist,
einen Freispruch veranlaßt. Das ist genau der Fall, Herr Hirsch, den Sie nicht beachtet haben.
({1})
Der zweite Punkt, auf den ich im Anschluß daran hinweisen möchte, ist folgender: Wir alle erinnern uns an den Zapfenstreich zum 40jährigen Geburtstag der Bundeswehr und an die für mich entsetzlichen Sprechchöre „Mörder, Mörder, Mörder! " Gegen diese Täter ist nach meiner Kenntnis bis auf den heutigen Tag kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
({2})
- Darf ich weiterreden? Leider bin ich heute mit meiner Stimme nicht so laut, daß ich Sie überschreien könnte.
Der entscheidende Punkt für mich ist: Diese eben von mir genannten Fälle machen deutlich, daß wir in dieser Frage in der Tat die Konstellation einer unbestreitbaren rechtlichen Unsicherheit haben. Der Bundesjustizminister hat mit Recht deutlich gemacht, daß es in solchen Situationen die Aufgabe des Gesetzgebers ist, für die nötige Rechtssicherheit zu sorgen. Rechtssicherheit ist ohnehin ein elementares Gebot, insbesondere des Strafrechts. Das ist unsere Aufgabe. Das hat der Bundesjustizminister deutlich gemacht. Ich unterstreiche das mit Nachdruck, auch Ihnen gegenüber, Herr Hirsch.
({3})
Ich meine, daß Sie in dieser Frage Ihrem Justizminister und Fraktionskollegen gegenüber nicht gerecht gewesen sind.
({4})
Frau DäublerGmelin, Sie sind mit dieser Kurzintervention angesprochen worden. Sie haben die Möglichkeit der Gegenrede.
Herr Bundesjustizminister, ich habe mich in meiner Kurzintervention ausdrücklich darauf bezogen, daß Sie und die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. von falschen Voraussetzungen ausgehen. Ich darf das noch einmal aufgreifen, nachdem auch der sehr verehrte Kollege Scholz erneut ein Wirrwarr-Spiel betrieben hat, indem er das, was vom Tathergang erfaßt und beurteilt werden muß, was Aufgabe des Gerichts ist, mit der Regelungsaufgabe des Gesetzgebers vermischte und in einen Topf warf.
Den Nachweis, daß jemand mit dem Zitat „ Soldaten sind Mörder" auf die Bundeswehr oder auf Bundeswehrsoldaten zielte, muß ein Gericht führen. Diesen Nachweis kann kein Gesetzgeber ersetzen oder
selbst führen. So ist das. Sie haben das übrigens vor 14 Tagen in dem Interview in der „Süddeutschen Zeitung" selbst überzeugend ausgeführt. Das, was Sie dort sagten, sollte hier jetzt nicht in Zweifel gezogen werden.
Der Hauptvorwurf in meiner Kurzintervention Ihnen gegenüber war - ich betone das nochmals, denn Sie sind leider nicht darauf eingegangen -,
({0})
daß Sie als Bundesjustizminister die Richter aus Karlsruhe
({1})
als Mitglieder eines Verfassungsorganes, die eindeutig beleidigt wurden - über Zuordnungs- und Subsumtionsprobleme ist da ja gar nicht zu streiten -, nicht in Schutz genommen haben.
({2})
Sie haben sich statt dessen mit dem Wort begnügt - ich darf Sie wieder zitieren -, die Kritik sei „überzogen". Es war aber eine Beleidigung, eine gezielte Schmähkritik. Das ist schlimmer als alles andere, was in diesem Hause gesagt worden ist.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
- Ich bitte um Nachsicht. Er hat zwar nicht die Möglichkeit der Gegenrede; aber als Mitglied der Bundesregierung hat er jederzeit die Möglichkeit zu reden. Ich gebe also dem Bundesjustizminister das Wort.
({1})
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, darf ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf meine Antwort richten?
({0})
Ich würde gerne klarstellen, daß das, was Sie getan
haben, nicht im Sinne dieser Diskussion ist. Das haben wir durch Ihren Kollegen Schily schon vor der
Pause gehabt. Es bringt nichts, mit Unwahrheiten und Polemik die Dinge zu verdrehen.
({1})
Ich sage noch einmal deutlich: Das Bundesverfassungsgericht hat die überzogene Kritik an diesem Punkt nicht verdient.
({2})
Nur zu diesem Punkt spreche ich; denn das andere ist, wenn ich die Abstimmung nach der Geschäftsordnungsdebatte richtig mitbekommen habe, wohl nicht angenommen worden.
({3})
Deswegen sprechen wir zu diesem Punkt. An diesem Punkt sage ich noch einmal: Das Bundesverfassungsgericht hat die Kritik nicht verdient.
({4})
Wenn Sie daraus machen, ich hätte peinlicherweise das Bundesverfassungsgericht vor irgend etwas nicht in Schutz genommen, zeigen Sie damit deutlich, daß es Ihnen nicht um die Sache geht, sondern um Polemik. Es geht Ihnen um Polemik!
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser Diskussion auch in der F.D.P. freue ich mich schon auf die namentliche Abstimmung zur zweiten und dritten Lesung.
({0})
Heute beschäftigt sich das Parlament jetzt schon über zwei Stunden mit den wirklich wichtigen Fragen, die dieses Land umtreiben: nicht mit dem Skandal von 4,27 Millionen Arbeitslosen oder ähnlichen Geringfügigkeiten, nein,
({1})
es geht um Wichtigeres. Es geht um die gekränkte Ehre.
Volker Beck ({2})
Ausgerechnet Sie, Herr Geis, wollen nach dem, was Sie hier heute aufgeführt haben, den Bürgerinnen und Bürgern draußen im Land Nachhilfeunterricht in Respekt und Ehre geben. Ich glaube, Sie sind dafür der ungeeignete Lehrmeister.
({3})
Auf dem Tisch des Hauses liegt eines der zentralen rechtspolitischen Reformprojekte dieser Koalition, der erste Gesetzentwurf, der eindeutig die Handschrift des neuen liberalen Bundesjustizministers trägt.
Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf - das wird sich erweisen - ist ein Nullum, und diese Debatte ist ein Mißbrauch des Parlaments für billige Wahlkampfzwecke. Zwei Stunden für solch einen Blödsinn - es ist wirklich unglaublich.
({4})
Herr Bundesjustizminister, Sie haben einfach die hetzerischen Presseerklärungen des CSU-Kollegen Geis in einen Gesetzentwurf gegossen - fürwahr ein liberales Meisterstück.
Es ist unerträglich und infam - das muß ich Ihnen schon sagen -, wie Sie von der Union mit dem Bundesverfassungsgericht umspringen. Erst wird das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts falsch dargestellt und diffamiert. Rechtsstaatswidrig wurde aus Ihrer Fraktion zur Abberufung von Richtern und aus Ihrer Partei zum Boykott des Urteils aufgefordert. Die CSU macht in Bayern ein Kruzifix-Gesetz, das eindeutig die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterläuft. Hier in Bonn erwecken Sie in dieser Debatte mit Ihrem Gesetzentwurf den Eindruck, als habe das Bundesverfassungsgericht Bundeswehrsoldaten Beleidigungen schutzlos ausgeliefert. Das ist eine Lüge, und das wissen Sie. Dennoch setzen Sie Ihre Kampagne gegen das Bundesverfassungsgericht fort.
({5})
Was Sie betreiben, ist die Nötigung eines Verfassungsorgans.
({6}) Ich glaube, das geschieht nicht ohne Kalkül.
({7})
Sie haben schon die kommende Entscheidung zum Asylrecht im Blick. Sie wissen, daß der Asylkompromiß die Menschenwüide und die Garantie des Rechtswegs für Asylbewerber verletzt. Sie nötigen Karlsruhe, damit Ihnen nicht demnächst das Asylrecht um die Ohren fliegt. Ich kann nur hoffen, daß diese Rechnung nicht aufgeht.
Herr Kollege Beck, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen. Ich will nicht anheizen. Aber wir hatten heute morgen eine Geschäftsordnungsdebatte, und wir haben einen Antrag nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Ich muß Sie deshalb bitten, zu dem Gesetzentwurf zu sprechen.
({0})
Ja. Ich spreche jetzt dazu, was Karlsruhe zu dem „Soldaten sind Mörder"-Urteil gesagt hat, wenn der Präsident mir das gestattet.
Das gestatte ich Ihnen; aber die Einleitung war nicht ganz zur Sache.
({0})
Einige andere Beiträge heute waren das auch nicht.
Karlsruhe hat ausdrücklich anerkannt, daß in der Gleichstellung mit einem Mörder eine tiefe Kränkung zu sehen ist. Hierfür brauchen wir also keine neue Strafvorschrift. Die Strafgerichte sind keinesfalls gehindert, wegen herabsetzender Meinungsäußerungen zu bestrafen, die auf Soldaten der Bundeswehr als überschaubare Gruppe bezogen sind.
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch - das scheint hier massiv zu stören - den hohen Rang der Meinungsfreiheit für eine freiheitliche Gesellschaft bekräftigt. Eine Beschränkung ist nur insoweit zulässig, wie dies zum Schutz der persönlichen Ehre erforderlich ist.
Einer nicht abgrenzbaren und unüberschaubaren Gruppe wie den Soldaten auf der Welt schlechthin kommt aber schwerlich eine persönliche Ehre zu. Die Gerichte müssen daher genau prüfen - Frau Däubler-Gmelin hat das erwähnt -, ob die Mitglieder der Bundeswehr überhaupt angesprochen sind. Darüber hinaus müssen sie prüfen, welcher objektive Sinn der getroffenen Aussage zukommt, ob sie einen ehrenrührigen Gehalt hat oder beispielsweise nur satirisch gemeint ist. Daß eine Aussage polemisch, vielleicht sogar verletzend formuliert ist, entzieht sie deshalb noch nicht generell dem Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Worin besteht also der Skandal?
Das Bundesverfassungsgericht hat auch gesagt: Insbesondere macht der Umstand, daß Soldaten Waffendienst leisten, als Wehrpflichtige hierfür vom Staat herangezogen werden und dabei Gehorsam üben müssen, ihre persönliche Ehre nicht schutzwürdiger als diejenige von Angehörigen ziviler Bevölkerungsgruppen. Ich kann nur sagen: Jawohl!
Sie streuen der Öffentlichkeit Sand in die Augen; denn Sie wissen genau: Nur eine solche verfassungskonforme Auslegung Ihres absurden Vorschlags wird
Volker Beck ({0})
zulässig sein. Da bleibt von Ihrem lausigen Entwurf nicht viel übrig. Welche Aussage wird denn zukünftig strafbar sein, die bislang nicht als Beleidigung gewertet wurde?
({1})
Sie haben den Beweis dafür, daß hier etwas Neues geschieht, nicht angetreten.
({2})
Sie führen hier eine reine Schauveranstaltung auf. Tucholskys gesammelte Werke werden nicht verboten werden. Moralische und ethische Aussagen über Kriegshandwerk und Soldatentum werden weiter erlaubt bleiben müssen.
Das heißt: Außer einer Erhöhung des Strafmaßes von zwei Jahren auf drei Jahre für die Verunglimpfung von Bundeswehrsoldaten ändert sich praktisch nichts. Bei der Strafandrohung von drei Jahren haben Sie allerdings alle Maßstäbe verloren. Ein Gewalttäter muß schon ganz schön auf eine alte Frau einprügeln, um drei Jahre aufgebrummt zu bekommen, und Sie wollen das für einen Beleidigungstatbestand einführen. Das zeigt den Verlust jeglicher Dimension. Mit solchen Vorschlägen heizen Sie das innenpolitische Klima an, und Sie beschädigen Verfassungsorgane in ihrem Ansehen.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., Sie sekundieren der Union, zumindest in Ihrer Mehrheit, wenn diese bei den Wahlen in Bayern und BadenWürttemberg auch noch den letzten RepublikanerStammtisch mit solchen Vorschlägen zur Stimmabgabe bewegen will. Das zeigt, wie weich das Rückgrat der Gefälligkeitsdemokraten von der F.D.P. inzwischen ist.
({3})
Selbst Hindenburg meinte, es sei Ansichtssache, ob Soldaten Mörder seien. Ich weiß ja, daß sich die F.D.P. immer stärker nationalliberal aufführt. Generalfeldmarschall Hindenburg aber brauchen Sie nun wirklich nicht rechts zu überholen.
({4})
Sie, Herr Minister, sind für mich wirklich eine besondere Enttäuschung. Völlig zu Recht haben Sie der „Süddeutschen Zeitung" verkündet - das steht groß in der Überschrift -: „Wir brauchen keine Lex Bundeswehr" .
({5})
Keine Woche später haben Sie genau dafür einen Entwurf auf den Tisch gelegt. Sie sind wirklich ein Gefälligkeitsdemokrat par excellence.
({6})
Erstmals in Ihrer Amtszeit haben Sie rechtspolitisch Stellung bezogen. Gleich danach sind Sie wieder eingeknickt. Die Halbwertszeit Ihrer Überzeugungen gehört wirklich ins Guinness-Buch der Rekorde.
Wir brauchen keine neue Strafvorschrift, meine Damen und Herren. Unsere Antwort ist klar: Bundeswehrsoldaten sind keine Mörder.
({7})
Selbstverständlich aber werden sie auch zum Töten ausgebildet. Das kann man nicht bestreiten. Das muß man auch weiterhin sagen dürfen.
({8})
Für viele religiös wie politisch motivierte Pazifisten ist jedes Töten im Krieg Mord. Ich teile diese Ansicht nicht,
({9})
sie muß aber weiterhin geäußert werden dürfen.
({10})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die schlimmsten Diffamierungen der Bundeswehr kommen aus Ihrer Ecke.
({11})
Wenn Bundeswehrsoldaten in einem Atemzug mit der Wehrmacht genannt werden,
({12})
wenn der ehemalige Wehrbeauftragte Biehle in der Zeitschrift „Luftwaffe" einen Ehrenschutz gleichermaßen für die Verteidiger von Auschwitz und die Bundeswehr fordert,
({13})
wenn die CSU seit Jahren eine Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure verhindert,
({14})
Volker Beck ({15})
weil sie dies für die Bundeswehr für abträglich hält, dann sind das doch wirklich Diffamierungen. Die müssen wir zurückweisen!
({16})
Ich frage Sie: Welches Recht hat eine Claire Marienfeld - dahinten sitzt sie -, einen besonderen Ehrenschutz für Bundeswehrsoldaten zu fordern, wenn sie Zivildienstleistende öffentlich als Egoisten herunterputzt und herabwürdigt?
({17})
Sie beschimpft Zivildienstleistende, obwohl diese genauso wie Wehrdienstleistende ihrer vom Gesetzgeber vorgesehenen Dienstpflicht nachkommen. Wo ist denn Ihr Gesetzentwurf für den Ehrenschutz von Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistenden?
({18})
Meine Damen und Herren, es ist kein Zufall, daß Ihr Vorstoß in Zeiten kommt, in denen die Aufgabenstellung der Bundeswehr grundlegend verändert wird. Die Bundeswehr wird gegenwärtig zu einer potentiell weltweit einsetzbaren Interventionsarmee umstrukturiert. Das kann man deutlich an den neuen Ausbildungskonzepten sehen. Die Armee soll nicht mehr Kriege verhüten, sondern sie führen können, und an der zunehmenden Zahl der Kriegsdienstverweigerer ist zu sehen, daß diese Umstrukturierung in weiten Kreisen der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert wird.
({19})
Deshalb rüsten Sie hier politisch auf gegen die Kritiker Ihrer Politik. Hier offenbart sich das autoritäre Staatsverständnis der Koalition.
({20})
Meine Damen und Herren, man muß weiter Pazifist sein können in Deutschland. Wer den Pazifismus als geistige Strömung kriminalisieren will, der will eine andere Republik. Deshalb weisen wir Ihren Gesetzentwurf als versuchten, aber untauglichen Anschlag auf das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zurück.
({21})
Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Von dieser aus guten Gründen an die Spitze des Grundrechtskatalogs gestellten Bestimmung muß man sich dem Thema Ehrenschutz für Soldaten nähern; denn von ihr wird nicht nur der Dienst in der Bundeswehr, sondern auch unsere Verpflichtung für die Bundeswehr bestimmt. Und ich hätte mir gewünscht, daß auch unsere heutige Debatte von dieser Verpflichtung bestimmt gewesen wäre.
Die Soldaten der Bundeswehr geloben oder beeiden, das Recht und die Freiheit tapfer zu verteidigen. Sie machen sich nach dem Wehrstrafgesetz zusätzlich strafbar, wenn sie Befehle ausführen, die Straftaten zum Gegenstand haben. Es gibt keine Streitkraft, die eine höhere Rechtsbindung hat als unsere Bundeswehr.
({0})
Es gibt deshalb nicht den geringsten Anlaß, sie mit denen pauschal auf eine Stufe zu stellen, die das schlimmste Verbrechen unserer Rechtsordnung begehen, nämlich andere Menschen aus niedrigen Beweggründen zu töten.
({1})
Die Soldaten fordern zu Recht unseren Schutz ein. Die Befehls- und Kommandogewalt über die Soldaten hat die Politik. Sie erteilt den Soldaten die Befehle und Aufträge und ist dabei selbst gebunden. Die Präambel des Grundgesetzes erteilt unserem Staat den Auftrag, den Frieden in der Welt zu hüten. Artikel 26 des Grundgesetzes verbietet alle Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, und verbietet insbesondere den Angriffskrieg.
Ich wiederhole deshalb das, was Hans-Dietrich Genscher in einer Aktuellen Stunde im vorigen Jahr festgestellt hat:
Der freiheitliche Rechtsstaat würde sich selbst in Frage stellen, wenn er denen den Schutz verweigert, die in der Bundeswehr ihre grundgesetzliche Verantwortung für den Frieden erfüllen.
({2})
Wir machen einen Gesetzgebungsvorschlag und folgen damit unserer Aufgabe als Gesetzgeber. Der Vorwurf, wir würden das Bundesverfassungsgericht nicht achten, ist doch absurd. Frau Däubler-Gmelin, das Bundesverfassungsgericht ist nicht kritikfrei. Auch für die Beurteilung seiner Leistungen, seiner Arbeit gilt die Meinungsfreiheit. Die Aufgeregtheiten sind doch nur ein Punkt und ein Teil der Unehrlichkeiten, mit denen in dieser Frage diskutiert wird.
({3})
Nahezu alle, die sich jetzt als Schützer der dritten Gewalt aufführen, haben doch ganz andere Töne angeschlagen, als ihnen andere Entscheidungen - und wir haben heute morgen eine gehört -, etwa die des Europäischen Gerichtshofes zur Gleichberechtigung oder die des Bundesverfassungsgerichts zur Abtreibung, nicht gefallen haben.
({4})
Dabei übersehen Sie im übrigen, daß das Bundesverfassungsgericht selbst - zuletzt bei der Sitzblockadenentscheidung - ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß es dem Gesetzgeber freisteht, seinen politischen Willen durch Gesetzgebung durchzusetzen.
Welch ein Sturm der Entrüstung, insbesondere in den Medien, tobt durch dieses Land, wenn von irgend jemandem fälschlich angedeutet wird, alle Kriegsdienstverweigerer seien Drückeberger! Dann wird natürlich nicht das Hohelied der Meinungsfreiheit gesungen, sondern mindestens ein Rücktritt gefordert. Ein Nachdenken darüber, ob nicht zwischen dem Vorwurf der Drückebergerei und dem Vorwurf, Mörder zu sein, Welten liegen, findet natürlich nicht statt.
({5})
Könnte es nicht auch zu den Unehrlichkeiten gehören, daß all die, die Soldaten Mörder schelten, natürlich behaupten, Radikalpazifisten und gegen jedes Militär zu sein? Wie anders ist es zu erklären, daß die Veranstaltungen der Bundeswehr in Erfurt und Bonn im letzten Jahr in völlig unwürdiger Weise durchgehend durch Mörder-Rufe gestört wurden, von ähnlichen Aktionen aber im Zusammenhang mit dem Krieg auf dem Balkan oder im Kaukasus nichts, aber auch rein gar nichts zu hören war?
({6})
Frau Däubler-Gmelin, Herr Kollege Dr. Hirsch, es ist doch nur theoretisch so, daß die Bundeswehr durch das bisherige Beleidigungsstrafrecht geschützt ist. Aus meiner eigenen Praxis als Oberstaatsanwalt - auch ich habe die entsprechenden Verfahren eingestellt - weiß ich, daß alle Ermittlungsverfahren schon deshalb eingestellt werden müssen, weil sich natürlich alle einlassen, sie seien Radikalpazifisten und gegen jedes Militär. Wir haben genau die Strafbarkeitslücke - Frau Kollegin, ich rate Ihnen dringend, einmal mit den Vertretern der Praxis zu sprechen -, die hierdurch geschlossen werden muß.
({7})
Ich stelle fest: In der Praxis gibt es keinen wirksamen Ehrenschutz der Bundeswehr. Ich frage auch: Wie muß sich eigentlich ein Soldat fühlen - ich selbst kann es persönlich nachempfinden, weil ich als Beobachter des Deutschen Bundestages in Sarajevo gewesen bin und dort unter hoher Lebensgefahr evakuiert worden bin -, der tagtäglich sein Leben aufs Spiel setzt, um für Frieden und Freiheit in Bosnien seinen Dienst zu leisten? Wie muß er sich eigentlich fühlen, wenn er diese Debatte, diesen intellektuellen Hochmut des Kollegen Schily und die Oberflächlichkeit des Kollegen Beck erlebt?
({8})
Es gibt eine dringende Gesetzgebungsnotwendigkeit schon deshalb, weil man über den Begriff der Ehre in unserem Land neu nachdenken muß. Es hat Zeiten gegeben, in denen die Ehre zum Teil grotesk überbewertet worden ist - ich sage das kritisch -,
auch und gerade beim Militär. Ich habe aber das Gefühl, daß der Begriff der Ehre, der ganz wesentlich zur Menschenwürde gehört, in unserem Lande erneut falsch, nämlich extrem unterbewertet wird.
({9})
Wir müssen wieder in einer der Menschenwürde gerecht werdenden Weise mit diesem Begriff umgehen.
({10})
Ich habe es deshalb sehr begrüßt, daß der Bundesjustizminister eine Gesamtreform des Ehrenschutzrechtes angekündigt hat und auch weiter anstrebt. Dies ist allerdings eine umfangreiche und deshalb zeitraubende Diskussion, die noch dadurch erschwert wird, daß die Sozialdemokraten - und ich bedaure das - ihr Mitwirken bereits abgelehnt haben.
Es ist unsere Position - und die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat die Einbringung mit einer Ausnahme beschlossen -, daß die F.D.P. diesen Weg der Vernunft und des Augenmaßes mitträgt. Die neue Schutzvorschrift schützt die Institution Bundeswehr und ihre Soldaten, wie wir auch andere Institutionen unseres Staates strafrechtlich schützen.
Ich sagte: nur die Bundeswehr. Ich weiß, daß es natürlich auch Beleidigungen in anderen Bereichen, insbesondere bei der Polizei, gibt. Aber es gibt zwei fundamentale Unterschiede. Zum einen gibt es keinen Angehörigen des öffentlichen Dienstes, außer in der Bundeswehr, der zu seiner Tätigkeit durch uns verpflichtet worden ist, nämlich durch die Wehrpflicht. Die Tätigkeit der anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes beruht auf einer grundsätzlich persönlich-freiwilligen Entscheidung. Wir müssen gerade auch unsere Wehrpflichtigen schützen, denen wir diesen Dienst als Auftrag auferlegt haben.
Zweitens ist mir nicht bekannt, daß sich andere Berufsgruppen derart penetrant öffentlich in einer solchen Breite und derartigen Allgemeinheit in schwerster Weise beschimpfen lassen müssen, wie es den Angehörigen der Bundeswehr ständig geschieht. Niemandem sonst wird vorgeworfen, Mörder zu sein. Diese Beleidigungen gehen nie so weit und so tief wie die des Tucholsky-Zitats, das unseren Soldaten ihren Platz im Rechtsstaat entzieht.
Es ist daher vernünftig, diese Schutzvorschrift den Soldaten der Bundeswehr vorzubehalten. Es grenzt die Bundeswehr im übrigen nicht aus, wie der Hamburger Justizsenator behauptet hat, genausowenig wie die Schutzvorschrift für Amt und Person des Bundespräsidenten diesen ausgrenzt.
Herr Kollege van Essen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Penner?
Danke, ich würde gern weitermachen. - Es ist vernünftig, sie in Anlehnung an ähnliche Strafrechtsvorschriften zu gestalten, die
ebenfalls die Institutionen des demokratischen Rechtsstaats schützen.
Ich stelle ebenfalls fest: Es hat die notwendige Abwägung zum Grundrecht auf Meinungsfreiheit stattgefunden.
({0})
Nicht nur Liberale wissen, daß dieses Grundrecht fundamental für eine freiheitliche Demokratie ist. Wie diese Abwägung zu geschehen hat, darauf hat wiederum Hans-Dietrich Genscher in zutreffender Weise hingewiesen: Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verankert das uneingeschränkte Recht, die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik unseres Landes zu kritisieren, und beinhaltet auch das Recht, die Existenz der Bundeswehr in Frage zu stellen. Aber die Menschenwürde auch der Bürger in Uniform muß unantastbar bleiben.
({1})
Das Recht auf freie Meinungsäußerung selbst wird in seinem Kern beschädigt, wenn diejenigen, die dieses Grundrecht zusammen mit allen anderen Grundfreiheiten schützen, als Mörder bezeichnet werden dürfen.
({2})
Der Wert der neuen Vorschrift liegt darin, daß sie genau diese Abwägung in einer verfassungskonformen Weise vornimmt.
Niemand behauptet, die Strafbarkeit der einfachen Beleidigung verletze das Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
({3})
Der Bundesjustizminister hat ja Art. 5 des Grundgesetzes vorgelesen, der ausdrücklich die Meinungsfreiheit aus Gründen der Ehre einschränkt. Das gilt dann natürlich um so mehr für das Verunglimpfen, also die erhebliche Ehrkränkung. Mindere Ehrkränkungen als die Verunglimpfung müssen nach dem bisherigen Beleidigungsrecht beurteilt werden.
Dazu kommt: Es reichen Tathandlungen im kleinsten Kreise nicht aus. Dort muß das freie Gespräch möglich sein. Nur dann, wenn es öffentlich, in einer Versammlung oder durch Schriften, geschieht, ist die strafrechtliche Schutzpflicht des Staates gefragt.
Weil der Kollege Beck es angesprochen hat: Der Strafrahmen ist dem der anderen „Institutionenvorschriften" des Strafgesetzbuches angelehnt. Auch von daher ist das keine Besonderheit.
Wir legen Ihnen das Ergebnis unserer Überlegungen in dieser ersten Lesung vor und sind offen für alle Anregungen, die zu einer weiteren Verbesserung führen können. An der Lagefeststellung und
am Ziel lassen wir jedoch nicht den geringsten Zweifel.
({4})
Der jetzige strafrechtliche Schutz der Bundeswehr ist unzureichend. Wir werden unsere Soldaten vor unerträglichen Angriffen auf ihre Menschenwürde schützen.
({5})
Das Wort hat der Kollege Gerhard Zwerenz, PDS.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Nicht der Pazifist ist ein Schwächling; der Bellezist, der Kriegsgläubige ist es." - „Wenn Töten Sünde ist, so kann Töten en masse doch unmöglich ein mildernder Umstand sein . " - „Der Krieg - sich schlagen! Erwürgen, niedermetzeln .. . und wir besitzen heute Schulen, wo man lernt zu töten ..." „... wir brauchten aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern ..." - Soldaten sind „Taugenichtse und Heuchler." - „Krieg heißt doch schließlich auf deutsch privilegierter Mord."
Ich habe diese Zitate willkürlich aneinandergereiht; das sind sechs Zitate von Axel Eggebrecht, Victor Hugo, Maupassant, Heinrich Heine, dem Alten Fritzen und Tucholskys Vater.
Ich will damit nur sagen: Sie werden, wenn Sie in die Literatur gehen werden, noch viele Verbote durchdrücken müssen. Ich denke an Autoren wie: Swift, Voltaire
({0})
- Altes Testament, bitte sehr -, Laotse, Jesus, Sokrates, Erasmus, Kant, Grimmelshausen, Schubart, Lichtenberg, Freiligrath, Peter Hebel, Büchner, Borchert. Ich habe sehr viele vergessen;
({1}) wenn Sie wollen, können wir noch mehr nennen.
Mir geht es darum: Es ist hier fortwährend vom Ehrenschutz der Soldaten gesprochen worden. Dies bedeutet zugleich, daß Tucholskys Worte „Soldaten sind Mörder" in einen Zusammenhang gebracht werden, der nicht original ist. Die drei Worte des Satirikers von 1932 richteten sich gegen den Ersten Weltkrieg. Unter den Reichswehroffizieren, die sich laut Minister Groener damals beleidigt fühlten, befanden sich junge zukünftige Kommandeure wie Keitel und Jodl, die nach dem Zweiten Weltkrieg ja bekanntlich als Kriegsverbrecher hingerichtet worden sind. Das heißt: Tucholskys Warnung war Analyse und sehr genaue Prognose.
({2})
Er nannte im gleichen Zusammenhang Kriegerdenkmäler „Reklamedenkmäler" zur Ehrung „ermordeter Mörder".
({3})
Wollen Sie das alles verbieten, wenn es auf Plakaten steht? Soll das nur noch in Büchern stehen können? Wann legt man dann auch Hand an die Bücher?
Tucholsky schrieb: „Wir speien auf das Militär." Ich gebe ja zu, daß das nicht die schönste Sprache ist. Aber es ist die Sprache seiner Erfahrung im Ersten Weltkrieg, weil er mitgewirkt hat. Es ist die umgedrehte Sprache des Kriegsgegners wie - damals sagte man es so - ein umgedrehtes Bajonett. Damit wird der Antikrieg auf den schärfsten möglichen Begriff gebracht.
Ernst Jünger, der von Ihnen und auch vom Bundeskanzler geehrt wird, ist als heroischer Kriegsmitläufer des 20. Jahrhunderts bekannt. Es gibt eine schöne Geschichte von ihm darüber, wie er die Exekution eines Deserteurs leitet. Ich habe oft in Schulen gehört, wie diese Geschichte vorgelesen worden ist. Ich weiß, daß sie gut geschrieben ist. Aber ich habe stets mit dem hingerichteten Deserteur sympathisiert. Ich glaube, daß diese schöne Literatur einfach ein Gegenbild braucht. Tucholsky hat dieses Gegenbild, diese Gegensprache geliefert. Er empfand Mitschuld. Es ist doch gar nicht so, daß er „Soldaten sind Mörder" gesagt und auf andere gewiesen hat. Er hat auf sich gewiesen; denn er ist derjenige gewesen, der bei Kriegsgerichten die Akten gehalten hat, während die Exekutionen stattgefunden haben. Das hat ihn zu diesem Satz gebracht. In dem Satz „Soldaten sind Mörder" ist also Selbstkritik enthalten. Das wird von Ihnen nicht beachtet.
({4})
Norbert Blüm - in diesem Hause gewiß nicht unbekannt - am 10. Juli 1978 im „Spiegel":
Ob einer im KZ Hitler gedient hat oder an der Front, macht in meinen Augen nur einen graduellen Unterschied aus. Das KZ stand schließlich nur so lange, wie die Front hielt.
Sie erinnern sich: Prompt wurde ihm von Franz Josef Strauß vorgeworfen, den deutschen Frontsoldaten herabzusetzen. Ich frage mich: Wieso eigentlich? Auch wer in einem Krieg nicht persönlich tötet, ist doch so etwas wie ein Schräubchen in einer Tötungsmaschinerie. Davon kann man sich doch gar nicht freisprechen.
({5})
So ist es gemeint, daß Soldaten im Krieg doch Mörder sind.
Ich weiß nicht, ob wir, wenn wir hier jetzt mit Sprachverboten bedroht werden, in unserer Kritik an möglichen Entwicklungen der Bundesrepublik und auch der Bundeswehr so frei sind, wie wir sein müssen.
General a. D. Kießling: „Die Wehrmacht gehört zur Bundeswehr-Tradition." Staatssekretärin Geiger am 29. Februar 1996 hier im Parlament:
Was die Kriegsgeneration an Beispielen militärischer Tüchtigkeit, Tapferkeit, Opfermut und Kameradschaft erbracht hat und in zahlreichen Zeugnissen ... vorlebte, das gehört auch zum unbestrittenen Erbe der deutschen Militärgeschichte.
({6})
Ich bestreite dies entschieden. Auf jeden Fall gibt es den Widerspruch der Kriegsgegner, der Pazifisten und der Verweigerer, die sich ihre Sprache nicht verbieten lassen.
({7})
Es gibt einen Friedensnobelpreisträger, den wir vergessen haben. Ich muß zugeben, daß auch ich ihn vergessen habe. Er heißt Ludwig Quidde. Er hat 1927 als Deutscher den Friedensnobelpreis bekommen.
({8})
- Er war ein Liberaler. Das ist doch etwas für eine Partei, die umfällt, noch bevor sie den Befehl zum Umfallen erhält, wie wir es jetzt wieder beim Justizminister gesehen haben.
Sie müssen zum Schluß kommen, Herr Zwerenz. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich höre, daß ich zum Schluß kommen muß. Es tut mir leid, ich hätte gern noch weiter gesprochen. - Von diesem Ludwig Quidde gibt es das wunderbare Wort - ({0})
Aber ich muß jetzt gar nicht zitieren. Jeder, der es wissen möchte, kann das Zitat von mir bekommen.
Danke.
({1})
Das Wort für die Bundesregierung hat Minister Rühe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus meiner Sicht, aus der Sicht des Verteidigungsministers, geht es in dieser Debatte um das Verhältnis des Staates zu seinen Streitkräften, um das Verhältnis Deutschlands zu seinen Streitkräften und um das
Verhältnis des deutschen Parlaments zu seinen Streitkräften.
({0})
Bei einem Staat, der nicht in der Lage ist, seine Soldaten vor den Rufen „Mörder! Mörder! " zu schützen, ist etwas nicht in Ordnung. Er hat ein gestörtes Verhältnis zu seinen Soldaten.
({1})
Herr Kollege Schily, Ihre Rede hat mich erschreckt.
({2})
Die SPD wird noch darüber nachzudenken haben. Ich sage Ihnen, warum: Sie verkennen völlig den besonderen Dienst, den wir von unseren Soldaten verlangen: treu zu dienen.
({3})
- Jetzt hören Sie mal einen Augenblick zu!
Wer in einer Art grünem Spott Oberförster, Ministerpräsidenten und Abgeordnete mit Soldaten vergleicht, von denen wir notfalls verlangen, daß sie ihr eigenes Leben geben, damit dieses Land und das Bündnis verteidigt werden,
({4})
der hat ein gestörtes Verhältnis zu den Streitkräften, und das ist nicht gut.
({5})
Herr Schily, für mich ist das alles sehr konkret. Ich habe gerade gestern wieder Soldaten, Pionieren, befohlen, Aufträge in Bosnien durchzuführen, nämlich eine Brücke zu bauen, wissend, daß sie durch vermintes Gelände gehen müssen, um diese Brücke zu bauen. Ich frage mich, ob ich das Recht habe, solche gefährlichen Aufträge zu erteilen, wenn ich nicht Leuten wie Ihnen entgegentrete, die sagen, es gehe um eine „sakrale Überhöhung des Militärischen". Es geht vielmehr um den Schutz der Soldaten, die gefährliche Aufträge für uns durchführen.
({6})
Habe ich das Recht, so etwas von den Soldaten zu verlangen, wenn ich nicht im Parlament in der Lage bin, sie zu schützen?
Ich habe mir, als Sie geredet haben, einen gestandenen Feldwebel vorgestellt. Gott sei Dank kommen sie aus allen Bereichen unserer Gesellschaft. Es sind auch gestandene Sozialdemokraten aus dem Ruhrgebiet dabei. Ich sehe diesen Feldwebel jetzt in Benkovac bei den Pionieren vor mir. Was muß er empfinden, wenn Sie ihn in dieser Weise vergleichen und mit Spott überziehen? Er ist bereit, sein Leben einzusetzen, und deswegen müssen wir ihn auch schützen.
({7})
- Herr Schily, ich habe sehr wohl zugehört.
({8})
- Ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu.
Herr Schily, Sie haben gesagt, es gehe um eine „sakrale Überhöhung des Militärischen",
({9})
und Sie haben von „privilegiertem Ehrenschutz" gesprochen. Ich muß Ihnen in Bitterkeit sagen: Die Soldaten haben bei einer sehr gefährlichen Mission auch das Privileg zu sterben.
({10})
Deswegen schuldet ihnen das deutsche Parlament einen ausreichenden Schutz; sonst können solche Aufträge nicht durchgeführt werden.
({11})
Ich frage mich: Was soll ich einem jungen Jugendoffizier sagen, der in die Schulen geht, in unser aller Auftrag für die Wehrpflicht wirbt und hört, daß Sie hier die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts in einer anderen Entscheidung immer in den Mittelpunkt stellen, nämlich die vom Parlamentsheer? Das ist ja auch richtig. Der junge Mann, der den Wehrdienst ableistet, hätte vielleicht lieber seine Lehre absolviert oder studiert oder etwas anderes gemacht. Aber wir, das deutsche Parlament, nehmen ihn in die Pflicht. Und Sie sagen, die Bundeswehr sei ein Parlamentsheer. - Ja, dann muß dieses Parlament verdammt noch mal die Soldaten auch schützen. Wer etwas von den Soldaten verlangt, der muß ihnen auch den notwendigen Schutz geben.
({12})
Ich will mich nicht in die juristischen Einzelheiten einmischen. Aber die Soldaten der Bundeswehr konnten mit dem, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, nicht zufrieden sein. Deswegen bin ich froh, daß es hier eine solche Initiative gegeben hat. Die Soldaten brauchen unseren Ehrenschutz; da ist nichts an Privilegien dabei. Wir verlangen von ihnen mehr als von anderen.
({13}) - Sie haben ihn in der Praxis nicht.
({14})
- Entschuldigung, ich war doch beim Großen Zapfenstreich hier in Bonn selbst dabei. Da war die Bundeswehr angetreten und nicht die Reichswehr. Ich habe die Rufe „Mörder! Mörder!" gehört.
({15})
- Ich habe sie in Schutz genommen.
({16})
Der Militärbischof Dr. Löwe fand letztes Jahr beim ökumenischen Gottesdienst zum 40jährigen Bestehen der Bundeswehr Worte, für die ich dankbar bin. Er sagte:
Wofür Soldaten einstehen, das ist nicht schon der Frieden Gottes, aber der irdische Friede, die Abwesenheit von Krieg, die wir zusammen mit der Politik ganz wesentlich auch der Bundeswehr verdanken. Das dürfen wir nicht selbstverständlich nehmen, nicht gedankenlos wahr sein lassen.
Der Militärbischof hat die Soldaten als „Diener des Friedens" bezeichnet.
({17})
Das hat ihnen gutgetan. Es trifft den Kern ihres Auftrags. Deswegen ist es gut, daß dieses deutsche Parlament versucht, den Soldaten den ihnen zustehenden Schutz für ihre schwere Aufgabe zu geben.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat der Kollege Günter Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer das Instrument, das Sie vorschlagen, um den Schutz der Ehre unserer Soldaten zu gewährleisten, für falsch hält, hat deshalb noch kein gestörtes Verhältnis zu den Streitkräften.
({0})
Hat der Bundespräsident ein gestörtes Verhältnis zu den Streitkräften? Das Zitat, das Kollege Hirsch am Anfang bereits zitiert hat, hat eine Fortsetzung. Auf der Kommandeurstagung am 15. November 1995 in München fuhr der Bundespräsident nach dem, was Herr Hirsch bereits zitiert hat, fort:
Entscheidend ist nun allerdings, was die Strafgerichte aus den Richtlinien des Verfassungsgerichtes machen. Und klar ist auch, daß jede einzelne Äußerung sorgfältig darauf überprüft werden muß, ob sie eine solche Behauptung wirklich aufstellt. Das gebietet schon der Grundsatz „in dubio pro reo".
- Wir haben es hier mit dem Rechtsstaat zu tun. Die Dinge liegen hier bei Soldaten nicht anders
als bei Beamten, Unternehmern, Gewerkschaftern und bei Richtern. Und diese Diskussion werden wir alle miteinander auch aushalten müssen.
({1})
Die Wehrbeauftragte hat vor wenigen Tagen ihren Bericht vorgelegt - Drucksache 13/3900 vom 5. März. Ich finde darin zu der rechtspolitischen Fragestellung, mit der der Justizminister seine Rede eingeleitet hat, den Satz:
Ich freue mich daher, daß der Stellenwert der Bundeswehr in der Öffentlichkeit wieder gestiegen ist.
Die Wehrbeauftragte fordert in ihrem Bericht mit keinem Satz einen besonderen gesetzlichen Ehrenschutz für Soldaten,
({2})
sondern zitiert präzise das, was ich gerade aus der Rede des Bundespräsidenten zitiert habe. Damit könnte, wenn es ernst gemeint wäre, die Debatte eigentlich beendet sein.
({3})
Ich habe mich bei den Einlassungen des Bundesjustizministers gefragt, ob sich Herr Professor Schmidt-Jortzig vielleicht einen Scherz machen wollte. Haben wir da einen braven Soldaten Schwejk auf der Regierungsbank sitzen,
({4})
der einen Auftrag in so absurder Weise erfüllt, daß der Auftraggeber am Ende als der Dumme dasteht?
({5})
- Doch, diese Frage muß man sich ernsthaft stellen.
({6})
Aber ich fürchte, ein so seltenes subtiles Stück angelsächsischen Humors gibt es in der deutschen Politik nicht.
({7})
Das Gesetzesvorhaben, so erkennbar es auch seinen angestrebten politischen Zweck verfehlen muß, ist ganz ernst gemeint, und so offenbart sich bei dem Bundesjustizminister nicht eine köstliche List, sondern eine ganz gewöhnliche politische Charakterschwäche.
({8})
- Ja, es ist so. Es tut Ihnen weh.
({9})
Herr Kollege Verheugen, würden Sie einen Augenblick zuhören? - Ich finde, die persönliche Kennzeichnung mit „Charakterschwäche" und ähnlichem paßt nicht ins Parlament. Sie sollten das gleich korrigieren.
({0})
Ich muß das akzeptieren, Herr Präsident, obwohl ich gesagt habe: eine „politische Charakterschwäche". Aber ich akzeptiere das.
Es geht um die Ehre unserer Soldaten. Die Betonung liegt nach dem Willen der Koalition auf „unsere", denn die bei uns stationierten Angehörigen der Streitkräfte befreundeter Nationen sollen nicht besonders in ihrer Ehre geschützt werden. Das fällt als erstes in Ihrem Gesetzentwurf auf.
Nun ist es sicher richtig, daß es in militärischen Organisationen traditionell einen besonderen Ehrbegriff gibt. In nicht einmal allzu ferner Vergangenheit führte das zu einem grotesk übersteigerten Ehrenkodex. Es mußte Blut fließen, damit beleidigte Ehre wiederhergestellt werden konnte. Ein beleidigter Offizier griff nicht zum Strafgesetzbuch, sondern zur Waffe. Das ist nun Gott sei Dank vorbei.
({0})
- Ich sage doch: Das ist vorbei. Es lohnt sich aber, ein bißchen die historischen Zusammenhänge zu kennen.
Wir wollen keine Offizierskaste mehr, keinen aus der Gesellschaft herausgehobenen Soldatenstand.
({1}) Unser Leitbild ist der „Bürger in Uniform".
({2})
Die Ehre des Soldaten in unserer Zeit ist selbstverständlich schutzwürdig und schutzbedürftig - aber nicht mehr und nicht weniger als die Ehre jedes anderen Bürgers auch.
({3})
Ein besonderes Strafrecht zum Schutz der Soldatenehre dient den Interessen der Soldaten in einer demokratischen Gesellschaft nicht; denn es hebt die Soldaten hervor, und es sondert sie ab.
({4})
Eine solche Absonderung hat die Bundeswehr im 41. Jahr ihres Bestehens wahrlich nicht verdient. Ihr großes, im vergangenen Jahr von uns allen gewürdigtes Verdienst ist gerade ihre Normalität, ihre Integration in die Gesellschaft.
({5})
Darum sollte es für sie kein besonderes politisches Strafrecht geben. Vielmehr muß der Bundeswehr zuzumuten sein, daß die bereits geltenden Strafgesetze, die vor Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede schützen, auch für sie ausreichen.
Ich verstehe die Gefühle vieler Soldaten im Zusammenhang mit der „Soldaten sind Mörder"-Debatte sehr gut. Herr Kollege Rühe, auch in mir ist die kalte Wut hochgestiegen, als beim Großen Zapfenstreich anläßlich des 40jährigen Bestehens der Bundeswehr auf der Bonner Hofgartenwiese die „Mörder! Mörder! "-Rufe skandiert wurden.
({6})
Ich finde es aber ungeheuerlich - Sie haben das eben vielleicht nicht mitbekommen -, wie der Kollege Schäuble auf dieses Problem reagiert hat. Er hat nämlich dazwischen gerufen: „Wo war die nordrhein-westfälische Justiz?" Ich frage: Wo waren Sie, Herr Verteidigungsminister? Warum haben Sie, wenn das so schlimm war, keinen Strafantrag wegen Beleidigung gestellt? - Sie haben gute Gründe gehabt.
({7})
- Es ist ein Antragsdelikt, Herr Kollege; das wissen Sie so gut wie ich. - Warum haben Sie es nicht getan, Herr Verteidigungsminister? Sie hätten es tun können. Ich konnte es nicht tun. Aber der Verteidigungsminister, der Generalinspekteur, der auch dort gestanden hat, hätte es gekonnt. Machen Sie nicht die nordrhein-westfälische Justiz für etwas verantwortlich, was Sie selbst nicht in Gang gesetzt haben.
({8})
Im übrigen sage ich Ihnen: Diese „Mörder! Mörder! "-Rufe bei der Veranstaltung waren eine schwere Herabsetzung - keineswegs nur für die Soldaten, sondern für die demokratische Gesellschaft in unserem Land insgesamt.
Der Satz, den Tucholsky 1931 geschrieben und den Carl von Ossietzky gedruckt hat, nämlich „Soldaten sind Mörder", war der - vielleicht überhart formulierte - Ausdruck einer Erfahrung der damaligen Zeit, einer Erfahrung, die im Zweiten Weltkrieg noch einmal in furchtbarster Weise gesteigert wurde. In der Bundesrepublik Deutschland ist diese Erfahrung bei der Schaffung der Bundeswehr in einer Weise verarbeitet worden, die diesen Satz - heute und auf die Bundeswehr und ihre Soldaten bezogen - zu einer intellektuellen Unmöglichkeit macht - eben weil es Kadavergehorsam und weil es verbrecherische Befehle gegeben hat, die befolgt wurden. Dabei macht
sich die Mehrheit des Deutschen Bundestages - wenn ich Ihnen das bei der Gelegenheit auch noch mal sagen darf - leider wenig Sorgen um die Ehre derjenigen Wehrmachtsangehörigen, die sich solchen Befehlen widersetzt haben.
({9})
Weil es das alles gab, haben wir ein Soldatengesetz, in dem unter § 10 zu den Pflichten des Vorgesetzten steht:
Er darf Befehle nur zu dienstlichen Zwecken und nur unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen.
Das heißt: Der Soldat wird nicht über das Recht gestellt, selbst im Krieg nicht. - Es geht noch weiter. § 11 desselben Gesetzes schränkt auch die Gehorsamspflicht ein:
Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde.
Diese beiden Bestimmungen sind fundamental für den demokratischen und rechtsstaatlichen Charakter unserer Armee.
({10})
Sie sind zu Gesetzestext gewordene historische Erfahrungen. Wer vor diesem Hintergrund Tucholskys „Mörder-Zitat" auf die Bundeswehr oder einzelne ihrer Angehörigen anwendet, hat von unserer Geschichte und unserer Demokratie nichts begriffen.
({11})
Eine ganz andere Sache, verehrter Kollege, sind pazifistische Meinungsäußerungen. Ein Angehöriger der Bundeswehr mag es persönlich als kränkend empfinden, wenn einer ihm sagt: Soldaten dürfen oder müssen im Ernstfall töten. Sie werden sogar dazu ausgebildet, es zu können.
({12})
- Das weiß ich doch. - Ich kann das nicht billigen, weil ich das Töten ablehne. Eine solche pazifistische Gesinnung wird vom Grundgesetz ausdrücklich geschützt.
({13})
Sie ist die Begründung für die Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen.
Wenn wir uns über die Ehre der Soldaten unterhalten, wenn wir darüber sprechen, daß es für Soldaten eine Beleidigung ist, im Zusammenhang mit diesem Zitat genannt zu werden, dann möchte ich allerdings auch darum bitten, daß darauf hingewiesen wird, daß es für junge Zivildienstleistende auch eine Beleidigung ist und auch sie eine schützenswerte Ehre haben, wenn ihnen gesagt wird, sie gehörten einer Generation von Drückebergern und Faulenzern an.
({14})
- Aber selbstverständlich ist das gleichzusetzen.
Für den Soldaten, meine Damen und Herren, ergibt sich daraus eine Situation -
Herr Kollege Verheugen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Penner?
Nein, das tue ich nicht. - Ach, Entschuldigung!
({0})
Willfried, ich bitte um Entschuldigung. Ich hatte den Namen nicht verstanden. Aber ich kann das jetzt nicht mehr korrigieren.
Nein ist nein.
Nein ist nein, tut mir leid.
Für den Soldaten ergibt sich daraus eine paradoxe Situation, die für ihn nicht immer leicht zu verstehen ist. Er muß ja die pazifistische Gesinnung, die ihn und sein Tun ablehnt, nicht nur respektieren und tolerieren. Er muß auch bereit sein, eine pazifistische Gesinnung unter Einsatz seines Lebens zu verteidigen, weil sein Dienst gerade darin besteht, einen Staat zu schützen, zu dessen demokratischer Ordnung die Garantie der Meinungsfreiheit und der Gewissensfreiheit unverzichtbar gehört. Das ist viel verlangt, meine Damen und Herren.
Der Verteidigungsauftrag unserer Streitkräfte dient dem Schutz der Grundrechte vor Gefährdungen von außen. Als Voltaire seinen berühmten Satz „Ich billige Ihre Meinung nicht; aber ich werde mit meinem Leben dafür eintreten, daß Sie sie äußern können" sagte, gab es noch keine Streitkräfte, die einen solchen Auftrag hätten erfüllen müssen. Heute gibt es sie, und heute könnte es Voltaire geschehen, daß er tatsächlich mit seiner Gesundheit und seinem Leben für diese seine Überzeugung eintreten muß. Insofern glaube ich schon, daß der Beruf des Soldaten in unserer Zeit ein besonderes Ethos hat, weit entfernt von dem als Soldatenehre getarnten Standesdünkel der Vergangenheit.
Dieses soldatische Ethos ist schutzwürdig. Aber das ist keine Sache des Strafrechts. Meine Damen und Herren, für das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in der öffentlichen Meinung - was immer hier, Herr Bundesjustizminister, mit „öffentlicher Meinung" gemeint sein mag; aber so steht es nun
einmal im Gesetzentwurf - ist nicht der Strafrichter zuständig. Dafür sind wir alle verantwortlich.
({0})
Eine demokratische Armee in einer demokratischen Gesellschaft ist nur dann möglich, wenn beide die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft wollen und fördern.
({1})
Soldaten haben daher einen Anspruch darauf, daß die politisch Verantwortlichen bei der verfassungsgemäßen und gesetzestreuen Erfüllung ihres Auftrages hinter ihnen stehen. Das ist der Grund, warum wir bei vielen Anlässen gerade im vergangenen Jahr der Bundeswehr dafür gedankt haben, daß sie gesetzestreu und verfassungsgemäß ihren Auftrag erfüllt und daß wir eine demokratische Armee in einem demokratischen Staat haben.
({2})
Ich habe gesagt, zum erstenmal in der deutschen Militärgeschichte und in der deutschen politischen Geschichte haben wir eine Armee, auf die wir alle gemeinsam stolz sein können.
({3})
Mehr an politischer Unterstützung, mehr an Verteidigung des besonderen Ethos der Bundeswehr können Sie allerdings von der Politik auch nicht verlangen.
({4})
- Lieber Herr Nolting, übertreffen Sie das erst einmal, und dann können wir wieder darüber reden.
Eine ernsthafte, in die Tiefe gehende Diskussion über die ethischen Grundlagen des Soldatenberufs - und der Wehrpflicht übrigens auch -, die ja nach dem, was die Wehrbeauftragte vor wenigen Tagen bekanntgegeben hat, notwendig wäre, trüge zum Ansehen der Bundeswehr jedenfalls mehr bei als der Versuch einer strafrechtlichen Sonderbestimmung, die noch dazu so konstruiert ist, daß sie den freiheitlichen Charakter unseres Staates verändert. Eine Armee, die auf die Verteidigung der Freiheit vereidigt ist, Wehrpflichtige, die auf die Verteidigung der Freiheit ein Gelöbnis ablegen, werden in Wahrheit herabgesetzt, wenn man ihnen sagt, erst müßte die Freiheit beeinträchtigt werden, damit der Soldat sie auch schützen kann.
({5})
Unsere Bundeswehr braucht sich nicht zu verstekken. Sie braucht auch nicht dem Meinungsstreit und der Kritik entzogen zu werden. Die Offiziere und Soldaten sind sich ihres Wertes sehr wohl bewußt. Sie
jedenfalls brauchen dieses Gesetz nicht. Im Gegenteil, eine solche Gesetzesvorlage ist in Wahrheit ein Mißbrauch der Bundeswehr zu sehr durchsichtigen politischen Zwecken.
({6})
Dieses Gesetz wird den Rechtsstaat und die Freiheit beschädigen, es wird mit der Bundeswehr aber auch genau die Institution beschädigen, die es zu schützen vorgibt.
({7})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Dr. Barbara Höll. Darf ich die Bitte äußern, daß Sie sagen, auf welche Rede Sie sich beziehen, damit nicht immer Unklarheit in dieser Hinsicht besteht.
Herr Präsident! Recht herzlichen Dank für die Worterteilung. Ich beziehe mich auf die Rede des Herrn Bundesministers für Verteidigung, weil ich mich mit dieser Rede zu Unrecht vereinnahmt fühle.
Herr Rühe hat in seiner Begründung für den notwendigen Ehrenschutz der Soldaten ausgeführt, daß wir alle, das heißt alle Mitglieder dieses Parlaments, die Soldaten unter anderem nach Ex-Jugoslawien entsandt hätten. Hierzu möchte ich eindeutig feststellen, daß ich mich auf dem Boden des Grundgesetzes bewege. Ich anerkenne die Wehrpflicht, aber sehe im Grundrechtskatalog gleichzeitig die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung. Auf dieser politischen Grundlage trete ich - wie viele Kolleginnen und Kollegen der PDS - für die Abschaffung der Wehrpflicht ein.
Wir - auch ich - haben in allen Abstimmungen dieses Bundestages zu diesem Thema gegen die Entsendung deutscher Soldaten außerhalb des NATO-Gebietes, nach Somalia, aber auch nach Ex-Jugoslawien, votiert. Aus diesem Grunde ist, so denke ich, der von Ihnen hergestellte Zusammenhang nicht richtig, weil er impliziert, daß das gesamte Haus Ihren Befehl unterstützen würde, die Soldaten dahin zu entsenden.
Als letztes lassen Sie mich dazu noch ausführen: Ich würde mir wünschen, an Stelle dieser sehr widersprüchlichen Diskussion heute eine Diskussion in Deutschland zu führen, in der man reflektiert, daß die Bundesrepublik Deutschland der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt ist.
({0})
Ich glaube, es wäre notwendig, eine Devise aufzugreifen, die in der DDR leider unterdrückt wurde: Schwerter zu Pflugscharen, Frieden schaffen ohne Waffen! Ich wünschte, daß sich die Bundesrepublik Deutschland dies zu eigen macht und dies mit den
Emotionen und in der Ausführlichkeit diskutiert, wie das heute in dieser Debatte der Fall ist.
Frau Kollegin Höll, bleiben Sie bei der Sache!
Entschuldigung. - Abschließend möchte ich sagen, daß ich mich aus diesem Grunde zu Unrecht vereinnahmt fühle und das in der Öffentlichkeit klargestellt wissen möchte.
Ich danke.
({0})
Wird die Gegenrede gewünscht? - Nein. Dann hat der Kollege Paul Breuer, CDU/CSU, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der vergangenen Woche hat die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Claire Marienfeld, ihren Jahresbericht 1995 dem Parlament zugeleitet und veröffentlicht. In diesem Jahresbericht ist ein, so meine ich, sehr nachdenkenswertes Beispiel erwähnt - ich zitiere von der Seite 7 des Berichtes -:
Ein Soldat berichtete, daß sein Kind, als es in der Schule vom Lehrer nach dem Beruf des Vaters gefragt wurde und wahrheitsgemäß „Soldat" antwortete, vom Lehrer vor den Mitschülern zu hören bekam: „Also auch so ein Mörder" .
({0})
Dann stellt sie weiter fest:
So etwas haben unsere Soldaten und ihre Familien nicht verdient.
({1})
Meine Damen und Herren, versuchen wir einmal gemeinsam, uns in die Lage dieses Kindes zu versetzen und zu fragen: Was geht im Kopf dieses Kindes vor? Dieses Kind erfuhr offensichtlich in der Schule keinen Schutz - ganz im Gegenteil.
({2})
Was geht in dieser Familie vor? Sie sieht nur die Möglichkeit, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages anzurufen.
({3})
Sie wendet sich an dieses Parlament, und dieses Parlament hat Antworten zu geben, und zwar klare Antworten.
({4})
Ich habe am Tag nach der Feier zu Ehren des vierzigjährigen Bestehens der Bundeswehr, die im Bonner Hofgarten abgehalten wurde, hier im deutschen Parlament gefragt: Was geht eigentlich im Kopf eines jungen Soldaten vor, der dort die Rufe „Mörder! Mörder! " ertragen mußte?
({5})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Ich frage weiter: Was geht heute im Kopf dieses jungen Soldaten vor, wenn er feststellen muß, daß keiner dieser „Mörder! Mörder! " -Rufer vom Bonner Hofgarten rechtlich belangt werden kann? Das ist nämlich die Tatsache, meine Damen und Herren.
Die Notwendigkeit ist, daß der Deutsche Bundestag zu klaren Gesetzen kommt und damit der deutschen Öffentlichkeit und der Strafjustiz eine klare Orientierung gibt.
({0})
Herr Kollege Verheugen, Sie haben den Bundespräsidenten für sich in Anspruch genommen und ihn zitiert. Ich habe im Zwischenruf gefragt: „Und weiter?" Sie sagten: „Zitat Ende. " Ich erweitere Ihr Zitat. Der Bundespräsident stellte fest: „Es ist mein Wunsch, daß alle maßgeblichen Stellen dem Ehrenschutz unserer Soldaten den ihm zustehenden hohen Stellenwert einräumen. "
({1})
Die erste Stelle, die diesen Stellenwert einräumen muß, ist das deutsche Parlament mit der Gesetzgebung, meine Damen und Herren.
({2})
- Herr Kollege Verheugen, lesen Sie den Bericht der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages nach, die sich im Zusammenhang mit der Rede des Bundespräsidenten auf der 35. Kommandeurtagung der Bundeswehr genau damit auseinandersetzt.
({3})
Sie haben gesagt, Herr Kollege Verheugen: Wir wollen keinen herausgehobenen Soldatenstand. Ich sage Ihnen: Wir von der CDU/CSU wollen auch keinen herausgehobenen Soldatenstand; aber wir wollen, daß die Soldaten der Bundeswehr, die auf der Basis des Grundgesetzes ihren Dienst tun, die sich den Auftrag nicht selbst geben, sondern ihn vom deutschen Parlament bekommen, den Ehrenschutz erfahren, der notwendig ist. Das ist nur durch klare Gesetzgebung möglich.
({4})
Sie sagen, Herr Kollege Verheugen, wer so agiere, wie wir es tun, der hebe die Soldaten hervor und sondere sie ab. Ich bin erstaunt. Sie verwechseln Ursache und Wirkung.
Derjenige, der die Soldaten beleidigt, sondert sie ab, und derjenige, der sie in Schutz nimmt, integriert sie in die Solidarität unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren.
Wer bei einem öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr ein Transparent „Soldaten sind Mörder" zeigt oder „Mörder! " -Rufe anstimmt, trifft natürlich die Soldaten unserer Bundeswehr. Ich behaupte, er will sie auch treffen, sonst niemanden.
({5})
Er will genau die Soldaten treffen.
({6})
Die Beleidigung, Herr Kollege Schily, kommt an, egal, wie die Äußerung gemeint war - angeblich gemeint war.
Es geht darum, zu einer klaren Gesetzgebung zu kommen, um der deutschen Strafjustiz und der Praxis in unserer Gesellschaft eine klare Orientierung zu geben. Wer das nicht zur Kenntnis nehmen will, argumentiert auf irgendeiner theoretischen Ebene, aber nicht in der Realität unserer Gesellschaft.
Unsere Soldaten und der weitaus größte Teil unserer Bevölkerung - im übrigen nach meinem Empfinden und nach meiner Erfahrung auch der weitaus größte Teil der Sozialdemokraten in Deutschland - sind sich dieses Zusammenhangs voll bewußt. Die Menschen haben ein sehr feines Gefühl für die Realität.
Es kommt nicht von ungefähr, daß viele Menschen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 1995 nicht verstanden haben.
({7})
Sie stößt auf Unverständnis.
({8})
Sie ist in der Praxis nicht nachvollziehbar und nicht begreifbar.
Die Zielsetzung des Deutschen Bundestages muß es sein, nicht im Widerspruch zum Verfassungsgericht, sondern in der Orientierung daran - wir sind
der Gesetzgeber und niemand anders - klar und deutlich zu wirken.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Günter Verheugen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon wichtig, daß der Bundespräsident in einer solchen Debatte absolut richtig zitiert wird. Die Rede des Bundespräsidenten vom 15. November 1995 auf der 35. Kommandeurtagung der Bundeswehr endet, was diesen Teil angeht, genau an der Stelle, die ich zitiert habe.
Die Wehrbeauftragte hat in ihrem Bericht - Drucksache 13/3900 - aus der Rede des Bundespräsidenten mehrere Sätze zitiert und das Zitat durch Anführungszeichen am Anfang und Abführungszeichen am Ende kenntlich gemacht. Es heißt am Schluß:
Ergänzend führte er - der Bundespräsident aus: „Entscheidend ist nun allerdings, was die Strafgerichte aus den Richtlinien des Bundesverfassungsgerichtes machen".
Dann sagt sie, die Wehrbeauftragte:
Es ist mein Wunsch, daß alle maßgeblichen Stellen dem Ehrenschutz unserer Soldaten den ihm zustehenden hohen Stellenwert einräumen.
Das ist der Satz der Wehrbeauftragten und nicht des Bundespräsidenten. Ich lege großen Wert darauf, daß ich den Bundespräsidenten vollständig und korrekt zitiert habe.
({0})
Keine Gegenrede. Zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Otto Schily das Wort.
Herr Minister Rühe und Herr Kollege Breuer, ich will ungeachtet des polemischen Tons, den auch ich angeschlagen habe und den Sie erwidert haben, vorweg sagen, daß ich Ihr Engagement für die Bundeswehr und deren Ehrenschutz zu würdigen weiß.
Der Kollege Rühe hat sich vor die Soldaten der Bundeswehr gestellt und auf ihren riskanten Auftrag hingewiesen. Darin gebe ich ihm völlig recht. Unser Meinungsunterschied, Herr Rühe und Herr Breuer, liegt allein darin, daß Sie nach meiner Überzeugung in unverantwortlicher Weise in der Öffentlichkeit den Eindruck verstärken, der von einigen hervorzurufen versucht wird, daß nach geltendem Recht der Ehrenschutz von Soldaten nicht gesichert sei.
Das Strafgesetzbuch stellt die Beleidigung von Bundeswehrsoldaten als einzelnen und der BundesOtto Schily
wehr als Ganzem unter Strafe. Es ist nicht Sache des Bundestages, die Rechtsanwendung vorzugeben. Das wiederum ist Sache der einzelnen Gerichte.
Ich möchte noch einmal den Bundespräsidenten aus seiner Rede auf der 35. Kommandeurtagung zitieren. Er hat dort folgendes gesagt:
Lassen Sie mich jetzt in diesem Zusammenhang einige Worte zum jüngsten Stand der unglückseligen „Mörder"-Debatte sagen. Es mag ja sein, daß Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht immer ganz leicht zu lesen sind. Auf Grund meines beruflichen Werdegangs bin ich aber ziemlich sicher, daß ich sie jedenfalls nicht völlig falsch verstehe, und da sagt mir die Lektüre des Beschlusses vom 10. Oktober 1995 zunächst einmal ganz einfach folgendes: Es kann bestraft werden, wer konkrete Soldaten einfach deshalb, weil sie Soldaten sind, als Mörder bezeichnet, und es kann sogar bestraft werden, wer die Bundeswehr als Ganzes ... als Mörder bezeichnet.
Das ist die angeblich „graue Theorie" des Bundespräsidenten, der auch einmal Präsident des Bundesverfassungsgerichts war. Ich muß Ihnen sagen: Ich traue dem Urteil des Bundespräsidenten mehr als dem, was einige hier gesagt haben.
({0})
Gegenrede, Herr Kollege Breuer.
Herr Kollege Schily, der Bundespräsident - ich habe diese Rede persönlich miterlebt - hat nach meinem Verständnis den Versuch unternommen, im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine klarstellende Interpretation zu geben. Das war sein Versuch.
({0})
Aber die Rechtspraxis ist die, daß ein amtierender Amtsrichter öffentlich in flehentlicher Weise sagt: Gebt mir rechtliche Orientierung! Ich komme mit diesem Orientierungsrahmen des Verfassungsgerichts nicht klar. - Das ist doch die Realität. Das haben wir als Gesetzgeber zur Kenntnis zu nehmen und hier für eine entsprechende klare Gesetzgebung zu sorgen.
({1})
Es wäre mir lieb, wenn der Dialog von einer Bank zur nächsten etwas milder sein könnte, damit die Rednerin eine Chance hat.
Das Wort hat die Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/ Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr
Minister Schmidt-Jortzig, die Vielfalt der unterschiedlichsten und zum Teil widersprüchlichen Begründungen für die Notwendigkeit Ihrer heute diskutierten Gesetzesvorlage aus dem eigenen Regierungslager zeigt, glaube ich, daß heute eigentlich eine Diskussion geführt werden müßte, die deutlich eine ablehnende Begründung gegen die Absicht der Regierung formuliert, dogmatische Verfassungsgerichtsschelte nun durch eine „Lex Bundeswehr" mit Regierungsmehrheit vom Parlament absegnen zu lassen. Wir brauchen eine Debatte über das Demokratieverständnis ebendieser Bundesregierung. Wir weisen den Versuch der Einschränkung der Meinungsfreiheit zurück.
Der Kollege Breuer, der gerade gesprochen hat, war mit dem Strafmaß von drei Jahren noch gar nicht zufrieden. Er wollte fünf Jahre Strafmaß.
({0})
Es ist kein Zufall, daß gerade jetzt die Debatte um diesen sogenannten Ehrenschutz der Soldaten geführt, hochgekocht und stilisiert wird.
Die Bundeswehr wird umgerüstet, um potentiell weltweit einsetzbar zu sein. Sie wird zum normalen Mittel deutscher Außenpolitik. Dies läßt sich vielfach in Zitaten des Kanzlers, des Verteidigungsministers und auch anderer Koalitionsmitglieder nachweisen. Die Folge davon ist - das wird keiner bestreiten -, daß die Soldaten realitätsnah für Kampfsituationen ausgebildet werden. Der deutsche Soldat wird wieder kämpfen und kämpfen müssen. Deutsche Soldaten werden töten müssen. Sie werden wieder das Risiko eingehen, getötet zu werden. Das ist eine Tatsache, die Grundlage für eine sachliche Debatte ist.
Bundeswehrsoldaten sind keine Mörder. Darüber brauchen wir uns hier überhaupt nicht zu streiten. Eine pauschale Diffamierung von Bundeswehrsoldaten, insbesondere von Individuen, lehnt meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eindeutig ab.
({1})
Es paßt nicht - das ist jetzt der Hintergrund dieser Debatte - in das Konzept der Bundesregierung, daß der nationale Wehrwille noch fehlt. Die Bundesrepublik hat sich als zivile Gesellschaft entwickelt, der das Militär von oben aufgedrückt wurde. Darüber geriet die Regierung in Begründungsnöte.
Aus dem deutschen Nazismus haben die Bürger unseres Landes die Lehre gezogen, daß Krieg kein Mittel der Politik sein darf. Deshalb und vor dem Hintergrund der Neuorientierung der Bundeswehr auf Kampf- und Kriegseinsätze im Ausland brauchen wir eine offene Diskussion in unserer Gesellschaft, eine Diskussion, die ohne Strafandrohung über den Auftrag der Bundeswehr, deutsche Interessen notfalls auch mit Waffengewalt umzusetzen, geführt werden können muß: in der Gesellschaft und hier im Parlament.
Die Bundesregierung will dies verhindern: Deserteuren des Zweiten Weltkriegs wird die Anerkennung verweigert, Zivildienstleistende werden als
Drückeberger diffamiert, Pazifistinnen und Pazifisten sogar mit dem Vorwurf, sie hätten Auschwitz und Srebrenica gar erst möglich gemacht, in unerträglicher Weise verunglimpft. Nun will die Koalition, wollen die Konservativen und Neoliberalen mit staatsautoritären Mitteln diese Kritikerinnen und Kritiker mundtot machen. Diese „Lex Bundeswehr" werden wir versuchen mit allen Mitteln zu verhindern.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es muß möglich sein, die bedrohliche Entwicklung der Außenpolitik zu diskutieren. Militär verträgt keine Kritik. Wir wissen das. Innere Führung war immer umstritten. Oft ist bis in die jüngste Zeit versucht worden, auf alte, nicht gerade positive Werte zurückzukommen.
Ich möchte zum Schluß darauf hinweisen, daß das NATO-Mitglied Türkei, von dessen Armee Teile sehr wohl als Mörder und mit dem Satz „Soldaten sind Mörder" bezeichnet werden müssen, wenn sie gegen die Zivilbevölkerung vorgehen, eine ähnliche „Lex Bundeswehr" in der Strafgesetzgebung hat, die die Diskreditierung ebendieser Sondereinheiten unter Strafe bis zu sechs Jahren stellt. Herr Schmidt-Jortzig, Sie tun unserer Armee keinen Gefallen, wenn Sie mit Ihrem Vorschlag initiieren, daß die Bundeswehr ähnliche Aufträge durchführen würde. Unsere Bundeswehr braucht diesen Schutz nicht, weil sie diese Aufträge nicht hat und auch nicht durchführen wird.
Ich zitiere am Ende den Satz von Tucholsky - ich denke, er sollte hier einmal fallen -, der von der Koalition für diesen Gesetzentwurf mißbraucht wird. Ich zitiere diesen Satz, um meinen Respekt vor diesem Vertreter eines anderen Deutschlands, eines demokratischen und antifaschistischen Deutschlands, auszudrücken. Es ist der Satz, der das Handeln der Soldaten vor den Greueln des Ersten Weltkrieges, des ersten europäischen Massenmordes in diesem Jahrhundert, bewertet:
Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.
So Kurt Tucholsky am 4. August 1931.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Freiherr von Stetten, CDU/CSU.
Es ist beschämend, was die letzte Rednerin insgesamt gesagt hat. Ich muß auch sagen, die Debatte wurde dem zugrunde liegenden Sachgegenstand überhaupt nicht gerecht.
({0})
- Herr Zwerenz, das kann ich mir vorstellen.
({1})
Die Debatte heute und die Gesetzesinitiative der CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktionen zum Ehrenschutz unserer Soldaten ist deswegen notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht die Chance, seine zumindest mißverständliche Beschlußfassung vom August 1994 klarzustellen, in der Entscheidung vom 10. Oktober 1995 verpaßt hat. Dies ist bedauerlich, weil das höchste Gericht dadurch und in Verbindung mit verschiedenen anderen Urteilen und Beschlüssen an Ansehen verloren hat; dies übrigens weniger wegen der Ergebnisse, sondern insbesondere wegen unverständlicher Leitsätze und für Laien nicht nachvollziehbarer Begründungen.
({2})
Das Verfassungsgericht muß lernen, daß es nicht freischwebend im luftleeren Raum für juristische Kollegien und Seminare urteilt, sondern, wenn es sich schon für befugt hält, in kleine und kleinste juristische Fragen einzusteigen, dies in einer für Bürger verständlichen und nachvollziehbaren Form tun muß. Dies müßte bei so viel massiertem, hochqualifiziertem Sachverstand eigentlich möglich sein.
({3})
Das hohe Gericht muß sich auch fragen lassen, ob es sich nicht immer mehr zu einem letzten Tatsacheninstanzgericht herabwürdigt, wenn es Tatsachenfeststellungen der hohen und höchsten Landes-und Bundesgerichte in Frage stellt. In nahezu einem Dutzend Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht selbst entschieden, daß die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes und die Auslegung und Bewertung einfachen Rechts sowie seine Anwendung auf den jeweils einzelnen Fall allein Sache des dafür allgemein zuständigen Gerichts ist und das Verfassungsgericht nicht zu einer Nachprüfung befugt ist. Das Verfassungsgericht ist kein Rechtsmittelgericht. An diese eigene Erkenntnis hält sich das Gericht nicht. Dies hat - überzeugend und sehr schlüssig - die Richterin am Bundesverfassungsgericht, Frau Dr. Haas, in ihrem Minderheitsvotum ausgeführt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die Folgen der beiden Entscheidungen waren ein ungeahnter Wildwuchs an Beleidigungen von Soldaten und der Bundeswehr, indem man sich fälschlich, aber eben doch auf das Bundesverfassungsgericht berief. Wörtlich wurde auf die Begründung zurückgegriffen, auf die allgemeine Meinungsfreiheit gepocht und erklärt, man meine ja nicht den einzelnen oder die Gruppe Soldaten, erst recht nicht die Bundeswehr, aber das Soldatenhandwerk im allgemeinen und alles im übrigen nur literarisch. Aber es waren eben die Soldaten, die auf der Straße und in Zügen offen verhöhnt und beleidigt wurden, und es waDr. Wolfgang Freiherr von Stetten
ren Staatsanwälte, die Verfahren nicht angefangen oder zurückgewiesen haben.
({4})
Das ist die nackte Tatsache. Alles andere ist graue Theorie.
Als Politiker können wir nicht zulassen, daß unsere Soldaten Freiwild für Beschimpfungen sind. Schon von unserem grundgesetzlichen Auftrag her sind wir verpflichtet einzugreifen. Ziel war es, einen Weg zu finden, um für die Zukunft sicherzustellen, daß unsere Bundeswehr und ihre Soldaten nicht straflos mit oder ohne Zitat, mit oder ohne Umgehung als Mörder bezeichnet oder mit Mördern verglichen werden.
Ich will es noch einmal wiederholen: Wer bei dem Großen Zapfenstreich anläßlich des 40jährigen Bestehens unserer Bundeswehr in Bonn anwesend war und die kreischenden, hysterischen „Mörder!" -Rufe einer kleinen Gruppe hörte, die in die Dunkelheit gellten, wird dies nicht vergessen. Er wird diese „Mörder!" -Rufe wohl kaum mit der Soldateska zum Beispiel in Burundi oder Sarajevo in Verbindung bringen. Sie waren eine gezielte Verunglimpfung und Schmähkritik der angetretenen Soldaten der deutschen Bundeswehr und der Bundeswehr als Institution.
Wenn unter diesen johlenden Straftätern auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages gewesen sein sollten, dann ist das eine Schande. Diese haben sich entweder als Täter, Anstifter oder Gehilfen ebenfalls einer Straftat schuldig gemacht.
({5})
Leider sind diese Dinge - wie wir hier heute ausgeführt haben - nicht zu ahnden.
Wir können und wollen das nicht hinnehmen. Die Rechtspolitiker der CDU/CSU und der F.D.P. hatten übrigens im Januar mit einer ganzen Reihe von Verfassungsrichtern eingehende Gespräche, in denen wir auch die umstrittenen Urteile ansprachen. Wir wurden geradezu ermuntert, als Gesetzgeber tätig zu werden, wenn wir ein anderes Ergebnis wünschten.
({6})
Dies tun wir heute. Dabei haben wir verschiedene rechtliche Wege abgeklopft.
So habe ich zum Beispiel vor einem Jahr vorgeschlagen, § 130 StGB zu ergänzen und ein Umgehungshindernis entsprechend § 86a Abs. 2 StGB einzubauen. In zahlreichen Gesprächen mit den Verteidigungspolitikern, dem Verteidigungsministerium und den Länderministerien haben wir dann aber die Sache sozusagen zunächst auf Eis gelegt, in der Erwartung - leider vergeblich -, daß das Bundesverfassungsgericht seine Haltung erläutere.
Herr Kollege von Stetten, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Einsiedel?
Nein.
Nachdem dies nicht geschehen war, die Beleidigungen und Verleumdungen der Soldaten zunahmen und ihren Höhepunkt beim Großen Zapfenstreich im Hofgarten von Bonn fanden, wurde beschlossen, gesetzliche Schritte einzuleiten. Professor Rupert Scholz und andere prüften mit gewichtigen Gründen, den Ehrenschutz in einem neuen § 187b StGB zu regeln, wobei wir von der CDU/CSU sehr ernsthaft über die Möglichkeit der Aufnahme der Polizei zusätzlich zu den Soldaten nachgedacht haben.
Wir haben uns dann aber einstimmig - aus ebenso wichtigen Gründen - in der Verhandlungskommission mit dem Minister auf die Formulierung des neuen § 109b StGB, der Ihnen vorliegt, geeinigt. Damit haben wir dokumentiert, daß wir mit zahlreichen Gerichten der unteren, mittleren und höchsten Instanzen der Meinung sind, daß im Grunde genommen die Bestimmungen der §§ 185 ff. StGB - Beleidigung, üble Nachrede oder Verunglimpfung - reichen würden, wenn sie richtig angewandt würden. Dem ist leider nicht so. Deswegen müssen wir handeln.
({0})
- Herr Fischer, würden Sie bitte einmal Ihr Gequatsche sein lassen.
Herr Kollege von Stetten, das Wort „Gequatsche" höre ich nicht so gerne.
Ich nehme das Wort „Gequatsche" zurück; ich bezeichne es als ein leises, nettes Säuseln. Entschuldigung.
Durch den neuen Straftatbestand des § 109b StGB wurde der erweiterte Ehrenschutz in den Fünften Abschnitt „ Straftaten gegen die Landesverteidigung" aufgenommen und der Ehrenschutz nun ausdrücklich auf die Verfassungsinstitution „Bundeswehr" entsprechend unserem politischen Willen ausgedehnt.
Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes garantiert das Recht auf freie Meinungsäußerung. Viele übersehen aber oder verschweigen bewußt - dazu möchte ich beinahe Herrn Schily und Herrn Beck zählen -, daß Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes deutlich sagt: Diese Rechte finden ihre Schranken in den Gesetzen.
({0})
Meine Damen und Herren, wenn man sich auf die Literatur beruft, dann kann das nicht immer als Ausrede gelten. Wenn ich zum Beispiel im Hinblick auf bestimmte Volksgruppen Lessing aus „Nathan der Weise" zitieren würde, würde Ihnen das Blut in den Adern gefrieren.
Die gesetzlichen Schranken haben wir mit diesem Gesetz verdeutlicht. Dies sind wir unseren Soldaten,
aber auch den Müttern, Vätern, Ehefrauen und Kindern unserer Soldaten und Wehrpflichtigen schuldig, weil ihre Söhne, Ehemänner und Väter keine Mörder sind.
Der Wehrdienst ist gemäß Art. 12 a des Grundgesetzes die Pflicht für junge Männer, der Ersatzdienst die Ausnahme. Tatsächlich ist dies heute bei den hohen Zahlen der Ersatzdienstleistenden nicht mehr der Fall. Das hat auch damit zu tun, daß sich junge Männer eben nicht ohne strafrechtliche Abwehrmöglichkeit als Mörder beschimpfen lassen wollen.
Ein Staat ist verpflichtet, seinen jungen Bürgern, die er zur Wehrpflicht verpflichtet und die damit einen Dienst für die Allgemeinheit leisten, den notwendigen Schutz ihrer persönlichen Ehre vor Verunglimpfung und Beleidigung zukommen zu lassen.
Ich würde mich auch gegen die Verunglimpfung oder Beleidigung von Wehrdienstverweigerern stellen, wenn es denn nötig wäre, weil ich weiß, daß sie teilweise schwere und schwerste Arbeit leisten und in vielen Bereichen wertvolle Mitarbeiter sind.
Wehrdienstverweigerer sollten aber nicht so töricht sein, sich vor den Karren politischer Hetzer spannen zu lassen. Denn beide leisten aus Gewissensgründen einen Dienst: der eine seinen vom Grundgesetz vorgesehenen Wehrdienst, der andere seinen vom Grundgesetz zugelassenen Ersatzdienst. Sie sollten gemeinsam gegen die protestieren, die gar keinen Dienst leisten.
Dabei sei daran erinnert: Es waren nicht die Pazifisten, die die Abrüstung gebracht haben. Es war die klare und unmißverständliche Politik Kanzler Kohls und der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. beim NATO-Nachrüstungsbeschluß, die es ermöglicht hat, daß die Raketen abgebaut wurden.
({1})
Dies war der Anfang der friedlichen Befreiung Osteuropas, der Wiedervereinigung und des Abzuges der sowjetischen Armee. Sie, die Sie sich heute künstlich über den Gesetzentwurf aufregen, sind doch mit Ihren Umarmungen der SED und der Machthaber den Friedensbewegungen in der ehemaligen DDR in den Rücken gefallen. Auch Sie haben Ihre Freiheit der NATO und der Bundeswehr zu verdanken.
Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Ehre und Würde unserer Soldaten vor militanten und uneinsichtigen Verleumdern schützen. Wir wollen ein politisches Signal an die derzeitigen, die früheren und die zukünftigen Soldaten senden, daß wir uns vor sie stellen und zu ihnen halten und daß sie nicht - auch nicht im entferntesten - ungestraft als Mörder beschimpft werden dürfen. Dazu soll dieses Gesetz dienen.
Danke schön.
({2})
Das Wort für eine Kurzintervention hat der Kollege Breuer.
Herr Präsident, ich muß dem Kollegen Verheugen eine Antwort auf die Frage des Zitats geben.
Entschuldigung, Herr Kollege Breuer! Das geht nicht. Es gibt die Möglichkeit der Kurzintervention auf einen Redebeitrag, aber nicht auf eine Kurzintervention. So steht es in unserer Geschäftsordnung, und an die wollen wir uns halten.
({0})
- Nein, nein! Auch nicht „kurz feststellen" ! Regeln sind dazu da, daß sie eingehalten werden. Gerade in einer solchen Debatte sollten Sie das einsehen.
Dann hat jetzt die Kollegin Däubler-Gmelin, SPDFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht kann ich dem Kollegen Breuer - sozusagen in Amtshilfe - zur Seite springen. Er wollte sagen, der Kollege Verheugen habe recht, und der Bundespräsident habe auch recht. Damit das für das Protokoll erhalten ist, glaube ich, sollte man das wiederholen.
({0}) - Ja, natürlich, in diesem Punkt.
({1})
Meine Damen und Herren, nachdem in dieser Debatte ziemlich viel an Unfug geredet und ziemlich viel an falschen Behauptungen aufgestellt und erneuert wurde, möchte ich gerne vier Punkte deutlich machen. Meine Bitte ist, daß Sie vielleicht doch noch, obwohl es spät geworden ist, dem einen oder anderen Ihr Ohr leihen.
Der erste ist die Feststellung: Wer beleidigt, verdient unsere Verachtung. Wir stehen auf der Seite der Opfer der Beleidigung, die unterstützen wir.
({2})
Meine Damen und Herren, das gilt für die Soldaten und die Bundeswehr, wenn das Zitat „Soldaten sind Mörder" auf sie angewandt wird.
({3})
Das gilt aber auch für die Richter und das Bundesverfassungsgericht, wenn hier, zumal aus den Reihen christdemokratischer Politiker, die es besser wissen müssen, Beleidigungen an ihre Adresse gerichtet und ständig wiederholt werden.
Es gilt zum dritten auch - lassen Sie mich das noch einmal sagen -, wenn Zivildienstleistende als eine Generation von Egoisten dargestellt werden.
Ihnen, Frau Marienfeld, möchte ich sagen: Sie müssen sich einmal überlegen, wie das auf junge Leute wirkt, die - übrigens auch auf Grund einer Verpflichtung der Verfassung und des GrundgesetDr. Herta Däubler-Gmelin
zes - zum Beispiel beim Deutschen Roten Kreuz monatelang Tag und Nacht Menschen retten, wenn Sie dann im letzten Sommer - Rüdiger Moniac von der „Welt" hat übrigens gesagt, Sie hätten ihm bei einem Segeltörn im Mittelmeer Ihre Stellungnahme erläutert - hören müssen, sie, die Zivildienstleistenden, seien eine Generation von Egoisten und von Individualisten, die ihr persönliches Wohlergehen dem Gemeinsinn vorzögen. Sie mögen das vielleicht nicht als Beleidigung gemeint haben, aber in dem Sinne Ihres neuen Gesetzes, Herr Bundesjustizminister, war das allemal dazu geeignet, eine Beleidigung zu sein.
({4})
Das gehört einfach aus der Welt. Einmal muß das klargestellt werden.
Zweitens. Beleidigungen sind schon lange strafbar. Dies hat auch Karlsruhe festgestellt.
({5})
Frau Kollegin!
Noch einen kleinen Moment bitte. Ich möchte den zweiten Punkt zu Ende ausführen. Dann bin ich gern mit einer Zwischenfrage einverstanden.
Es gibt da auch keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Wenn Strafantrag gestellt wird, gehen die Gerichte dem auch nach, Herr Bundesverteidigungsminister. Wenn es eines Beweises bedarf, dann bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen und dies hier auch zu sagen, was auch Sie in den letzten Tagen in den Zeitungen lesen konnten: Wegen Beleidigung der Bundeswehr wurde, weil Strafantrag gestellt wurde, sogar zu dem mit Sicherheit sehr groben und unverhältnismäßigen Mittel der Redaktionsdurchsuchung und Beschlagnahme der „taz" gegriffen!
Herr Nolting, ich glaube, Sie waren es, der vorhin im Zusammenhang mit dem Amtsrichter so vehement Einspruch einlegte.
({0})
- Nein, nicht „wie„. Seien Sie doch bitte so freundlich, erst einmal zuzuhören. Möglicherweise stimmen Sie mir sogar zu.
Herr Nolting, ein Amtsrichter, der sagt, das Zitat „Soldaten sind Mörder" sei nach Überzeugung des erkennenden Gerichtes auf die Bundeswehr angewandt worden, der muß nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verurteilen.
({1})
Wer als erkennender Richter aber sagt: Ich darf nicht verurteilen!, obwohl dies nach Überzeugung des Gerichts feststeht, der ist entweder ein schlechter Richter oder hat überhaupt nicht gelesen, was Karlsruhe
sagt. Das geht nicht. Das muß hier sehr deutlich festgestellt werden.
({2})
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Irmer, jetzt haben Sie die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.
Frau Kollegin, Sie haben eben darauf hingewiesen, daß Frau Marienfeld Wehrdienstverweigerer als Egoisten und Individualisten bezeichnet haben soll. Ich unterstelle einmal, daß das so ist.
Ich möchte Sie fragen: Sehen Sie nicht doch einen ganz gravierenden Unterschied zwischen den folgenden zwei Sachverhalten?
Da leistet ein junger Wehrdienstverweigerer einen absolut aufopferungsvollen Dienst, zu dem er sich nach einer Gewissensentscheidung verpflichtet hat. Er wird als Egoist bezeichnet - das ist äußerst unfreundlich. Er wird als Individualist bezeichnet - das ist eher ein Kompliment.
Den anderen jungen Mann, der - auch auf Grund einer Gewissensentscheidung - bei der Bundeswehr dient, noch dazu für bestimmte Situationen zum Töten ausgebildet wird, weil das dazu gehört - er hat die Gewissensentscheidung getroffen, daß er dazu unter Umständen bereit ist -, bezeichnet man als Mörder.
Besteht dazwischen nicht ein himmelweiter Unterschied? Würden Sie mir nicht zustimmen, daß man diese beiden Sachverhalte nun wirklich nicht ohne weiteres miteinander vergleichen kann?
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Sehr wahr! Deswegen sollten Sie das auch nicht tun.
Erstens. Ich sage es jetzt, glaube ich, zum 25. Mal: Wenn jemand einen Soldaten der Bundeswehr als Mörder bezeichnet, ist das schon heute strafbar.
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Zweitens. Lieber Herr Kollege Irmer, lassen Sie uns doch bitte wenigstens dieses allgemeine Geschwätz nicht mitmachen. Individualisten und Egoisten gibt es überall. Es gibt sie bei den älteren Generationen meiner Erfahrung nach mindestens genauso zahlreich wie bei den jungen. Es gibt sie mit Sicherheit bei Zivildienstleistenden nicht mehr als bei Wehrpflichtigen. Also: Was soll das alles?
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Dr. Herta Daubler Gmelin
Der Punkt ist: Der Versuch - Herr Rühe, davon kann ich auch Sie leider nicht freisprechen -, heute die Bundeswehr mit Hilfe dieses Gesetzes auch parteipolitisch für eine Koalition zu vereinnahmen, ist höchst gefährlich
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und, wie ich glaube, außerordentlich schäbig. Das geht nicht.
Ich habe den Eindruck, daß Sie, Herr Rühe, diesen Eindruck - ich will mich ganz vorsichtig ausdrücken - zumindest gerne befördert haben. Ich sage Ihnen: So weit darf die Rechthaberei nicht gehen.
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So weit darf auch das Engagement in unserem Parlament nicht gehen. Man darf nicht an diese Grundfesten unseres Staates, an diese Gemeinsamkeit herangehen.
Das ist übrigens auch der Grund, warum ich den Bundesjustizminister dringend gebeten habe, sich in adäquater Weise vor das Bundesverfassungsgericht zu stellen. Das ist doch kein Argument, daß Sie heute hier diesen Bereich nicht diskutieren wollen. Ich fand diesen Einwand von Ihnen außerordentlich unangemessen, Herr Bundesjustizminister; denn Sie wissen natürlich, daß die eindeutig beleidigenden Äußerungen und auch die Angriffe auf das Bundesverfassungsgericht und seine Rechtsprechung sowie die Versuche, es an die Kandare zu nehmen, sehr wohl mit dem hier diskutierten Urteil und dem TucholskyZitat zu tun haben. Das wissen Sie so gut wie ich.
Das alles ist der Versuch, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch Anwürfe gegen die Richter inhaltlich an die Kandare zu nehmen.
Wie übel das heute schon läuft, sollten Sie, Herr Schmidt-Jortzig, bei Herrn Fromme nachlesen, auch das, was er zu und wie er es über den Verfassungsrichter Hoemig namentlich sagt. Das sollten Sie noch einmal aufmerksam lesen; vielleicht verstehen Sie dann besser, daß wir von Ihnen nichts Unrechtes wollen, nicht einmal etwas Parteipolitisches, sondern wir wollen, daß Sie Ihrer Aufgabe als Verfassungsminister in diesem Hause nachkommen.
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Frau Kollegin Däubler-Gmelin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Graf Einsiedel?
Aber bitte.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, soviel ich weiß, sind Sie Jurist, und ich bin kein Jurist. Belehren Sie mich doch einmal. Ich höre hier so viel über die Rechtssicherheit, die geschaffen werden muß. Ich bin einer der wenigen hier im Bundestag, der noch am letzten Krieg teilgenommen hat. Aber folgendes sollten hier alle wissen. Von
Guernica bis Hiroshima hat es zum Beispiel in den Luftwaffen aller Nationen Leute gegeben, die - ob sie wollten oder nicht - viele Zivilpersonen durch ihre Angriffe getötet haben. Sie waren in diesem Falle nicht Mörder, Totschläger an wehrlosen Leuten.
Ich will fragen: Wäre es eine Beleidigung eines Bundeswehrsoldaten, wenn ich mit ihm diskutiere und sage, Soldaten werden im Krieg federleicht zu potentiellen Totschlägern, Mördern? Ist das bereits eine Beleidigung?
Oder wenn ich das Wort „Soldaten sind Mörder" umwandele und sage „Krieg ist Mord" und damit impliziere, daß Soldaten, die an einem Krieg teilnehmen, Mörder sein könnten, ist das auch bereits eine Beleidigung?
Ich bin kein Jurist, aber es würde mich in diesem Zusammenhang interessieren, was für Folgen diese Gesetzeseingabe, die uns vorliegt, haben würde.
Ich glaube, wir werden das alles noch besprechen können.
Ich würde sehr gern auf den Fall eingehen, den der Herr Breuer hier zitiert hat, weil der ganz eindeutig eine Beleidigung bedeutet. Wenn ein Kind in einem Klassenzimmer von einem Lehrer so behandelt wird, wenn der Lehrer - auf die Frage nach dem Beruf des Vaters: Soldat - sagt, also „Mörder", dann ist das eindeutig eine Beleidigung.
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Ich sage Ihnen, Herr Hoyer, nachdem ich den Bericht der Wehrbeauftragten gelesen habe, habe ich mich sehr gewundert, daß hier nicht auch aufgezeigt wurde, was als Folge dagegen unternommen wurde. Ich habe mich auch gewundert, daß Sie das heute alles zitieren wie die Wehrbeauftragte und der Bundesverteidigungsminister, ohne etwas dagegen getan zu haben. Ich sage Ihnen, wir werden diesem Fall nachgehen und werden Ihnen hier im Bundestag berichten,
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was daraus geworden ist. Denn wenn es sich so abgespielt hat, dann ist es heute strafbar. Wenn das so war, dann wird - das wissen Sie ganz genau -, dieser Lehrer außer strafrechtlicher Verfolgung auch eine ganze Menge mehr Unannehmlichkeiten haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte sehr gern zu einem dritten Punkt kommen.
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- Nun ja, es ist halt nicht zu bestreiten, Herr Kleinert, und Sie wissen das auch. Aber immer bloß polemisieren und dann die Möglichkeiten, die man hat und nutzen kann, um in der Praxis Abhilfe zu schaffen, außer acht lassen und dann fälschlicherweise so tun, als müßte man ein neues Gesetz machen, das geht eben nicht.
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Das muß hier auch einmal deutlich gesagt werden.
Dr. Herta Däubler Gmelin
Jetzt aber zu der Frage des Nachweises. Der Nachweis, daß eine Beleidigung auf Bundeswehr oder Bundeswehrsoldaten gezielt ist, muß in jedem Fall erbracht sein. Dies ist Sache der Gerichte. Dies gilt für die Beleidigungsvorschrift, die heute im Strafgesetzbuch steht, und, Herr Bundesjustizminister, sie gilt auch für den Gesetzentwurf, den Sie jetzt leider eingebracht haben.
Wenn Sie jedoch beabsichtigen sollten - Herr Fischer und Herr Breuer, darf ich gerade noch einmal kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten, es könnte nämlich ein Pferdefuß in der neuen Formulierung enthalten sein -, wenn Sie, Herr Bundesjustizminister, und die CDU/CSU und die F.D.P. mit den Worten „geeignet ist" beabsichtigen sollten, daß Richter den Nachweis der Beleidigungsabsicht und der Richtung der Beleidigung auf Bundeswehr oder Bundeswehrsoldaten nicht mehr führen müssen, wenn damit also die Unterstellung verbunden sein sollte, daß hier die Beweislast außer Kraft gesetzt werden soll, die in jedem Strafgesetz gilt, dann wäre dies eine Anmutung und eine Unterstellung, die nicht geht.
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In diesem Punkt muß hier völlige Klarheit herrschen, daß dies nicht der Fall ist.
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- Gut, wenn das klar ist, und ich bedanke mich sehr deutlich, der Kollege Geis hat hier für die CDU/CSUFraktion erklärt, das ist klar, dann ändert sich überhaupt nichts in diesem eigentlich wichtigen Punkt, es ändert sich überhaupt nichts.
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Dann, meine Damen und Herren, bedeutet Ihr Gesetzentwurf allein, daß Sie die Bundeswehr mit einem besonderen Ehrenschutz bedenken wollen und daß Sie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in der Öffentlichkeit an die Kandare nehmen wollen. Beides ist falsch.
Lassen Sie mich zu dem ersten Punkt noch etwas sagen. Herr Bundesjustizminister, ich hoffe, daß Sie noch einmal darüber nachdenken. Wir alle sind stolz auf die Bundeswehr und auf das Ideal des Bürgers in Uniform.
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Wie Sie damit einen besonderen Ehrenschutz vereinbaren können, müssen Sie ausführlich und besonders begründen. Sie können es nicht damit begründen, daß allein Wehrpflichtige einen verfassungsrechtlich gebotenen Dienst tun - den tun sie - und daß wir ihnen - von meiner Familie sind sowohl junge Leute bei der Bundeswehr wie auch beim Zivildienst - bei der Bundeswehr eine Menge zumuten. Das ist gar keine Frage. Nur, Herr Rühe, vergessen Sie nicht, daß wir das auch den Zivildienstleistenden zumuten. Für die aber haben Sie offensichtlich keinen Ehrenschutz beabsichtigt. Das ist dann ungerecht. Wir muten auch dem Verfassungsorgan Bundesverfassungsgericht und seinen Richtern zu, in der Öffentlichkeit und der Kritik zu stehen. Die sind echtes Verfassungsorgan, ohne daß Sie einen besonderen Ehrenschutz für sie vorschlagen. Auch das ist dann ungerecht.
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Sie können auch nicht sagen: Die Beleidigungslage sei eine andere, weil das ja der Wahrheit ins Gesicht geschlagen wäre. Zusammengenommen heißt das, die Begründung für einen besonderen Ehrenschutz durch Ihr Gesetz ist nicht vorhanden.
Sie, Herr Bundesverteidigungsminister, sagten, diese juristischen Dinge seien nicht Ihre Angelegenheit. Auch deswegen habe ich dies noch einmal sehr deutlich aufgeführt. Bürger in Uniform und besonderer Ehrenschutz passen nicht zusammen. Verfassungsrechtliche Verpflichtungen haben Wehrpflichtige - aber nicht die Berufssoldaten -, Zivildienstleistende in gleicher Weise und auch die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes in gleicher Weise.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Sie haben zu Recht und mit meiner Zustimmung darauf hingewiesen, welchen Risiken Soldaten heute zum Beispiel bei dem schrecklichen Morden im zerfallenen Jugoslawien ausgesetzt sind. Aber hätten Sie nicht der Ehrlichkeit halber auch sagen müssen, was wir ja jeden Abend sehen, daß es die Zivilbevölkerung ist, die in jedem Krieg die meisten Opfer bringen muß? Das sind die Frauen, die Kinder, die keine Angehörigen der Bundeswehr sind, die keine Angehörigen von irgendwelchen anderen Armeen sind. Die werden erschossen, vergewaltigt, gefoltert.
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Es mag sein, daß es hier jetzt nicht formal Gegenstand Ihrer Betrachtung ist, Herr Breuer. Deswegen möchte ich gerne Ihren Blick darauf lenken. Jeder Krieg führte heute zu viel mehr Opfern bei der Zivilbevölkerung: bei Männern, bei Alten, bei Frauen und Kindern. Deswegen ist dieses Belastungsargument als besondere Begründung eines besonderen Ehrenschutzes überhaupt nicht mehr anzuführen.
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- Ich hoffe, Herr Nolting, daß die Soldaten das verhindern können. Nur, daß Soldaten der serbischen Armee zu den Folterern, Vergewaltigern und Mördern gehören, wissen wir auch.
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Deswegen muß es möglich sein, zu zitieren, was auch Pazifisten sagen, daß man den Satz „Soldaten sind Mörder" nicht unter Strafe stellen kann, daß er aber dann, wenn er auf Bundeswehrsoldaten und auf die Bundeswehr angewendet wird, schon heute strafbar ist, daß aber andere Soldaten Mörder sind.
Herr Bundesjustizminister, lassen Sie mich nochmals sagen: Ich finde, Sie sollten sehr viel mehr auf das hören, was Ihnen nicht die unbesonnensten MitDr. Herta Däubler Gmelin
glieder dieses Hauses sagen. Mir wäre übrigens etwas unwohl, wenn Herr Fromme sagen würde, ich sei offensichtlich auf mehr Harmonie mit der CDU/ CSU aus als meine Vorgängerin. Ich wäre auch sehr aufmerksam und würde sehr sorgfältig zuhören, wenn mir der Herr Bundestagsvizepräsident warnend zurufen würde, ob es sich bei dem Gesetzentwurf nicht um ein Gefälligkeitsgesetz handele. Und wenn ein Kollege der CDU, wie der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Eylmann, Ihnen sagt, Sie würden hier bestenfalls, wenn alles geklärt sei, Symbolpolitik betreiben und für Symbolpolitik biete das Strafgesetzbuch keinen Platz, dann, finde ich, sollte sich ein Justizminister das nochmals überlegen, auch, ob sein politischer Salto in den letzten vierzehn Tagen wirklich klug war. Ich glaube das nicht.
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Ich bitte Sie deswegen, meine Damen und Herren, auch aus Wahlkampfgründen nicht zuviel in unserem Rechtsstaat in Frage zu stellen oder über die Kippe springen zu lassen. Wir machen das nicht mit.
Ich hoffe immer noch auf einen Rest von demokratischer Gemeinsamkeit und darauf, daß wir Sie hier an unserer Seite haben.
Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus Rose, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da es sich heute ja um eine erste Lesung handelt, habe ich immer versucht, Zwischentöne herauszuhören und zu schauen, ob es nicht doch Gemeinsamkeiten geben könnte. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß die sozialdemokratischen Kollegen und vielleicht auch ein Teil der Grünen bei der Behandlung von Soldaten in den Chor mit einstimmen, wie wir ihn in den letzten Monaten erleben mußten.
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Sie haben heute mehrfach zumindest gesagt, daß Sie nicht wollen, daß Soldaten als Mörder bezeichnet werden können.
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Wenn wir schon einmal so weit sind, bin ich dafür
dankbar. Dann sollten wir die heutige Veranstaltung
nicht, wie jetzt am Schluß geschehen, als mögliches Wahlkampfspektakel bezeichnen.
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Wir sollten auch nicht eine reine literarische Exklusivveranstaltung durchführen; wir sollten ebenfalls kein juristisches Geplänkel machen. Vielmehr sollten wir uns wirklich in die Seelen der Soldaten und ihrer Familien und damit in die Bevölkerung hineindenken.
({3})
Herr Kollege Rose, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolbow?
Ich habe bloß noch vier Minuten.
Ich bin deshalb der Überzeugung, daß es heute auch um die längst fällige Verteidigung guter Sitten in diesem Land geht und darum, daß man nicht irgendwelche Bevölkerungs- und Berufsgruppen diffamieren und herabsetzen kann.
Es sind heute ja Beispiele erwähnt worden. Stellen Sie sich vor, Ihre Kinder kämen von der Schule nach Hause und würden Ihnen sagen, die Mitschüler bezeichnen den Vater als Mörder, weil er Soldat ist.
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Stellen Sie sich als Parlamentarier, Herr Kollege Schily, vor, daß Sie vom Grundgesetz her Streitkräfte befürworten und diese in die Demokratie einbetten, daß Sie also Soldaten unter den Primat der Politik stellen, daß Sie aber trotzdem diese Soldaten als Mörder verhöhnen lassen.
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Stellen Sie sich unsere Piloten in den Transall-Maschinen vor, die unter Einsatz von Leib und Leben die Menschen in Sarajevo über viele Monate hinweg mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt haben und die zu Hause dann als Mörder beschimpft werden dürfen.
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Wer sagt eigentlich, daß es etwas mit Meinungsfreiheit zu tun hat, wenn man Menschen beschimpft und sie in ihrer Ehre trifft?
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Wer geht so weit, zu behaupten,
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Briten, Franzosen oder Amerikaner hätten überhaupt keine Meinungsfreiheit oder keine Demokratie, weil es bei ihnen undenkbar ist, daß ihre Soldaten als Mörder beschimpft werden. Sind diese Nationen eigentlich undemokratisch, weil sie ihre Soldaten, und zwar seit Jahrhunderten, schätzen, in Ehren halten und als Vorbilder hinstellen?
Ich finde es unerträglich, daß man bei uns pauschal ganze Bevölkerungs- und Berufsgruppen diffamieren kann, und sei es auch nur mit dem Mäntelchen der Literaturkenntnis.
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Ob Herr Tucholsky im übrigen daran Gefallen fände, als Feigenblatt für gehässige Pöbeleien gegen demokratisch kontrollierte Soldaten benutzt zu werden, muß bezweifelt werden.
({6})
Unsere Soldaten tragen gegenwärtig dazu bei, den Menschen im ehemaligen Jugoslawien wieder Hoffnung auf Frieden und Versöhnung zu geben. Ich habe deshalb Respekt vor den Soldaten, und das nicht bloß in Sonntagsreden, sondern auch in der Praxis.
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Wir müssen deshalb etwas tun.
Meine Damen und Herren, weil das so ist und weil einige Bundesverfassungsrichter - es waren ja, glaube ich, nicht alle - die Herabwürdigung von Soldaten mit literarischer Freiheit verbrämen, statt diese als vom demokratischen Staat gewollte Sicherheitsorgane einem besonderen Ehrenschutz zu unterstellen, begrüße ich die Gesetzesinitiative der Koalition. Weil ich eben aus Gesprächen mit vielen sozialdemokratischen Kollegen weiß, daß sie eigentlich auch so denken, daß das nicht geht, was oft passiert ist, weil ich weiß, daß in der SPD Radikalpazifisten und Radikaldiffamisten in der Minderheit sind, hoffe ich auf eine breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Unsere Soldaten verdienen diese Zustimmung; sie haben es nicht verdient, in den Schmutz gezogen zu werden. Denn unsere Soldaten dienen dem Frieden und sind deshalb keine Mörder.
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Schon 1952 galt für Theodor Blank, daß sich die deutschen Soldaten zur Demokratie und daß sich die Demokratie zu ihren Soldaten bekennen muß. Konrad Adenauer sagte am 3. Dezember 1952:
Es muß unsere gemeinsame Aufgabe sein - und ich bin sicher, daß wir sie lösen -, die sittlichen Werte des deutschen Soldatentums mit der Demokratie zu verschmelzen.
Und Georg Leber sagte im September vorigen Jahres bei der Feierstunde des Verteidigungsausschusses:
Unsere Soldaten sind Bürger des Staates wie wir alle. Aber sie geloben etwas, was sonst niemand in Staat und Gesellschaft abverlangt oder zugemutet wird, die Freiheit und das Recht mit dem Einsatz ihres Lebens tapfer zu verteidigen. Weil das so ist, sind Gesellschaft und Staat den Soldaten gegenüber in der Pflicht, sich schützend vor sie zu stellen, wenn der ihnen aufgetragene Dienst nicht diskriminiert und ihr guter Ruf nicht verletzt werden soll.
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Das sagte Leber; da haben Sie alle applaudiert. Aber wenn das so ist, dann tun Sie es doch auch. Dann kann es doch in Zukunft nicht mehr möglich sein, daß Soldaten als Mörder beschimpft werden.
Da wir jetzt in die Beratung eintreten, hoffe ich, daß das alles bei Ihnen auf fruchtbaren Boden gefallen ist.
({10})
Herr Kollege Tauss, das kann ich nicht akzeptieren. Ich habe vorhin gesagt, daß persönliche Charakterisierungen hier ausbleiben sollen. Das geht zu weit!
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Walter Kolbow.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kollege Rose hat es für notwendig befunden, sozialdemokratische Mitglieder dieses Hauses in der Absicht anzusprechen, den Eindruck zu erwecken, daß hier geschwiegen wird, weil wir der von Ihnen vorgetragenen Meinung seien. Dem darf ich auch für die Mitglieder des Verteidigungsausschusses der SPD widersprechen.
Ich darf Ihnen ein Zitat aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vorhalten. Dieses Zitat lautet:
Die wertende Gleichstellung eines Menschen mit einem Mörder ist eine tiefe Kränkung, sie bezeichnet auch umgangssprachlich eine Person, die in einer sittlich nicht zu rechtfertigenden Weise zur Vernichtung menschlichen Lebens beiträgt oder bereit ist. Dies ist ein Unwert-Urteil, das den Betroffenen im Ansehen seiner Umwelt empfindlich herabsetzt. Wer die Bundeswehr so angreift, kränkt damit auch die persönliche Ehre der Mitglieder dieses Berufskollektivs.
Das sind wohlgemerkt Originalzitate aus dem jüngsten Soldaten-Mörder-Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes.
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So gesehen können sie ohne jede redaktionelle Änderung auch von den Verfassern der geplanten Gesetzesnovelle zum Sonderehrenschutz der Uniformträger der Sicherheitskräfte in unserem Staat übernommen werden. Es ist strafbar, was Sie strafbar machen wollen.
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Im übrigen haben Sie, Herr Kollege Rose - das allerdings muß ich schon als Anmaßung empfinden -, in Ihrem Beitrag von „Wahlkampf„ gesprochen. Am Montag waren Sie auf der Jahresversammlung des Bundeswehrverbandes anwesend. Die Debatte des Hohen Hauses und Ihre Auffassung wurden zum Gegenstand von wahlwerbenden Äußerungen der Staatsministerin Männle, was noch mit Amtsträgern des Bundeswehrverbandes ausgemacht werden muß.
({2})
Deswegen, glaube ich, ist Ihr Aufruf zu Gemeinsamkeit erst einmal eine Verpflichtung Ihrerseits, sich nicht mit Ihren Ansprüchen an uns auseinanderzusetzen, sondern mit Ihren eigenen Ansprüchen. Denn Sie sollten erst einmal vor Ihrer eigenen Haustür kehren, bevor Sie uns hier etwas vorwerfen.
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Herr Kollege Dr. Rose, bitte.
Ich bitte Herrn Kollegen Kolbow und alle anderen zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nur auf einen der letzten Sätze - vielleicht war es sogar der allerletzte Satz - der Ausführungen der Frau Kollegin Däubler-Gmelin Bezug genommen habe. Als sie das Wort „Wahlkampf" in den Mund nahm, habe ich geantwortet, daß es nicht um Wahlkampf geht.
Ich bitte alle Mitglieder des Hohen Hauses, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich zwar bei der Veranstaltung des Landesverbandes Bayern des Deutschen Bundeswehrverbandes dabei war, daß ich dort aber weder gesprochen habe noch den Veranstaltern, nämlich dem Deutschen Bundeswehrverband, dreinreden konnte, ob andere irgendeine Art von Wahlkampfveranstaltung machen. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie mir das vorhalten können, Herr Kollege Kolbow. Heute ist die Debatte wirklich ein bißchen schief geraten.
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Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Heuer, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Rühe hat gesagt: Dieses Parlament muß verdammt noch mal die Soldaten schützen. Ich weiß nicht, ob dieser Befehlston angemessen ist.
Der heutige Vorstoß hat sehr ernste Hintergründe, auf die vor allem auch Frau Angelika Beer hingewiesen hat. Seit dem Jugoslawien-Einsatz ist es tatsächlich wieder so weit, daß deutsche Soldaten letzten Endes auch zum Töten und Getötetwerden in die Welt geschickt werden. Der Ernstfall ist nicht mehr der Frieden - Herr Geis hat es hier ausdrücklich gesagt -, wie das ein Bundespräsident den Soldaten ans Herz legte, sondern der Krieg. Und im Krieg wird geschossen und gebombt, also getötet.
Soldaten werden zum Töten von Menschen ausgebildet. Wer das beim Namen nennt, der soll jetzt bis zu drei Jahre in den Knast; das ist die Quintessenz des Vorschlags oder jedenfalls eine Konsequenz.
Übrigens liegt der erbitterte Kampf gegen die Rehabilitierung der Deserteure auf der gleichen Linie. Ich habe in der Anhörung des Rechtsausschusses am 29. November 1995 den von der CDU/CSU benannten Gutachter, Dr. Jürgen Schreiber, gefragt, ob die von ihm kritisierte generelle Rehabilitierung von Deserteuren vielleicht geeignet sein soll, zukünftige Kriegseinsätze deutscher Truppen zu legitimieren. Er erklärte mir daraufhin mit dankenswerter Offenheit, daß eine globale Erklärung „Alle bis zum 8. Mai 1945 Desertierten sind rehabilitiert." schon eine negative Wirkung haben könnte.
In der Begründung der Regierungsvorlage heißt es, daß es angesichts der bedeutsamen friedenserhaltenden Aufgaben der Bundeswehr nicht genügen kann, deren Soldaten nur auf den Schutz der §§ 185 ff. des Strafgesetzbuches zu verweisen. Das ist das eigentliche Problem: Was sind die neuen Umstände? Herr Geis, den ich wegen seiner Offenheit schätze - ich meine das nicht ironisch -, hat nicht in erster Linie vom Ehrenschutz gesprochen, sondern hat gesagt, die Bundeswehr würde für den Ernstfall geschwächt, sie würde in gewissem Maße politikunfähig, wenn wir den vorgelegten Gesetzentwurf nicht verabschiedeten. Das heißt, es wird schon im Zusammenhang mit der neuen Außenpolitik und der neuen Sicherheitspolitik dieses Landes gesehen, die nicht mehr dem Frieden dient, sondern dem Einsatz deutscher Streitkräfte in aller Welt dient.
In meinen Augen haben Pazifisten, die Gegner von Militarismus und Krieg sind, und alle, die den Militärdienst ablehnen, nach den historischen Erfahrungen dieses Jahrhunderts das Recht und müssen das Recht behalten, auch auf drastische Weise ihre Meinung auszudrücken. Ich sehe in dieser Initiative einen Versuch, das Recht der freien Meinungsäußerung einzuschränken.
Herr van Essen hat hier gesagt, sie beriefen sich alle darauf, Pazifisten zu sein, und diese Strafbarkeitslücke sollten wir schließen. Ich möchte einmal sehen, wie Sie das machen wollen. Wollen Sie die
Pazifisten daran hindern, ihre pazifistische Position auszudrücken?
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- Natürlich haben Sie das gesagt. Ich höre doch zu; ich höre bei Ihnen immer zu.
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Es heißt immer, Soldaten der Bundeswehr seien nichts weiter als Bürger in Uniform. Wozu brauchen sie dann einen besonderen strafrechtlichen Schutz? Warum genügt nicht der Schutz, den das Strafgesetzbuch allen Bürgern gegen Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung angedeihen läßt?
Der neue Paragraph soll in den Titel „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates" des Strafgesetzbuches eingeordnet werden und gleich neben dem Tatbestand „Verunglimpfung des Bundespräsidenten" stehen. Die Bundeswehr wird, jedenfalls was die Schutzwürdigkeit betrifft, gewissermaßen in den Rang eines Verfassungsorgans erhoben. Dagegen habe ich ernsthafte Bedenken.
Der Begriff „verunglimpfen" ist sehr weit auslegbar. Läuft das auf eine Art Wehrkraftzersetzung von außen hinaus? Herr Justizminister, wenn ich öffentlich sage, die Bundeswehr sei ein Werkzeug deutschen Großmachtstrebens, das die Interessen der ökonomisch und politisch Herrschenden in der ganzen Welt - wenn es sein muß, auch gewaltsam - durchsetzen soll, ist das dann eine Verunglimpfung?
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- Lesen Sie doch die Dokumente des Bundesministeriums der Verteidigung von 1992 und 1994! Darin steht: Der Auftrag der Bundeswehr ist der Schutz des freien Welthandels und des Zugangs zu Rohstoffen. Das ist vielleicht eine Verunglimpfung der Bundeswehr; aber es wurde dort jedenfalls geschrieben.
Mehrere Redner haben gesagt, wir können davon ausgehen, daß bereits jetzt das strafbar ist, was Sie strafbar machen wollen. Auch Herr Beck hat es gesagt. Ich bin da nicht so sicher und frage mich: Steckt dahinter nicht mehr? Denn hinter einer Verunglimpfung, die geeignet ist, das Ansehen der Bundeswehr in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, kann nach meiner Ansicht mehr stecken. Ich verweise auf die Erfahrungen, die wir in der DDR mit dem § 220 StGB gemacht haben. Auch dort hieß es, daß eine Herabwürdigung der staatlichen Organe strafbar sei; übrigens wurde ebenfalls eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren angedroht. Diese Bestimmung hat Gegner in der DDR geschaffen.
Meine Damen und Herren, ich möchte gerne zum Schluß das Zitat vortragen, das Herr Zwerenz nicht gefunden hat; nicht nur ältere Professoren sind zerstreut, sondern auch andere. Das Zitat von Herrn
Quidde vom 8. März 1932 in der „Weltbühne" lautet - es sind vier Sätze -:
Heute sind die Herren vom Militär viel empfindlicher, entrüsten sich und rufen nach dem Staatsanwalt ... In dem Satz „Soldaten sind Mörder" eine Beleidigung der deutschen Reichswehr zu finden ist wirklich der Gipfel der Unvernunft. Der Satz soll doch für Soldaten aller Nationalitäten gelten und offenbar für alle Kriegsteilnehmer, nicht nur für die Berufssoldaten; er soll den Gedanken, daß der Krieg Mord ist, in besonders scharf geprägter Form zum Ausdruck bringen. Ob mit Recht, darüber mag man streiten, aber deshalb wegen Beleidigung zu klagen, das heißt nicht nur, sich lächerlich machen, sondern auch die Freiheit des Wortes knebeln.
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Ich schließe damit die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/3971 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Hans Martin Bury, Gerd Andres, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Postfilialen
- Drucksache 13/2504 Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Christine Kurzhals.
Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Die SPD-Fraktion hat die Debatte über die Postfilialen verlangt, weil bis zum heutigen Tage unsere Große Anfrage an die Regierung vom September 1995 immer noch nicht beantwortet ist.
({0})
Mit immer neuen Ausflüchten wurde die Beantwortung verzögert. Zunächst sollte das Gutachten der Investmentbank Schroders zum Beteiligungskonzept der Post und Postbank abgewartet werden. Seit Mitte Januar liegt Ihnen, Herr Bötsch, und Ihrem Ministerium dieses Konzept nun vor. Jetzt haben Sie die Ausrede, noch umfangreiche Ressortabstimmungen vornehmen zu müssen.
Tatsache ist, daß sich die Deutsche Post AG zunehmend aus ihren grundgesetzlichen Verpflichtungen zurückzieht. Von einem flächendeckenden, angemessenen und ausreichendem Dienstleistungsangebot im Postwesen kann kaum noch die Rede sein. Tagtäglich erleben Bürgerinnen und Bürger, daß Postfilialen, vor allem auf dem Land, aber auch in Ballungsgebieten, geschlossen werden. Für die betroffenen Menschen bedeutet das in vielen Fällen eine deutliche Verschlechterung der Versorgung mit Postdienstleistungen.
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Deshalb haben die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf, zu erfahren, was die Bundesregierung dagegen unternimmt.
Ich sage nichts Neues. Jeder in diesem Haus weiß, daß die Deutsche Post AG verpflichtet ist, die Bevölkerung flächendeckend in angemessener und ausreichender Weise mit Postdienstleistungen zu versorgen. Die Erfüllung dieses Infrastrukturauftrages hat der Bund nach Art. 87f des Grundgesetzes zu gewährleisten. Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert, sicherzustellen, daß die Post AG in ausreichender und kundenfreundlicher Weise vor Ort präsent ist.
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Zur Zeit herrscht in der Öffentlichkeit völlige Unklarheit, wie viele Postfilialen nach den Plänen der Deutschen Post AG in den nächsten Jahren eingestellt oder in andere Vertriebsformen umgewandelt werden sollen. Es bestehen in der Öffentlichkeit Befürchtungen, daß der radikale Abbau von Postfilialen - 2000 im vergangenen Jahr - auch in diesem Jahr weiterbetrieben werden soll. Obwohl diese Befürchtung dem Bundesminister und der Deutschen Post AG bekannt ist, herrscht Ruhe im Wald. Es kommt keine Stellungnahme von seiten der Bundesregierung. Auch die Post AG hat ihre unternehmerischen Absichten bisher nicht öffentlich bekanntgegeben und kein eigenes Konzept vorgelegt.
({3})
Bisher galt für die Errichtung oder Schließung von Postfilialen das „Konzept zur Postversorgung auf dem Lande", das bereits 1981 von der damaligen sozialliberalen Bundesregierung entwickelt und vom Bundestag einstimmig gebilligt worden war. Danach muß sichergestellt werden, daß die Bürgerinnen und Bürger eine Postfiliale mindestens im Umkreis von 2 000 Metern erreichen können.
({4})
Filialen dürfen nur geschlossen werden, wenn in diesem Einzugsbereich mehrere Postfilialen sind oder die Kundennachfrage eine Mindestgrenze unterschreitet. Mit diesem Konzept wurde auch festgeschrieben, daß die betroffenen Kommunen, Bürgerinnen und Bürger rechtzeitig von der Maßnahme zu unterrichten sind.
Offensichtlich legt die Deutsche Post AG die Vorgaben des Konzepts sehr großzügig für sich aus. Immer wieder erreichen uns Klagen von Kommunen und Bürgern, daß die Post in Nacht-und-Nebel-Aktionen Postfilialen schließt oder von den zeitlichen Vorgaben für die Schließung abweicht.
Der Bundespostminister sieht dieser Entwicklung tatenlos zu.
({5})
Statt zu handeln, beschränkt er sich auf Ankündigungen in der Presse oder im Regulierungsrat, „daß in jedem Fall eine fünfstellige Zahl posteigener Filialen bestehenbleiben solle".
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Wir als SPD fordern Sie, Herr Bundespostminister, auf, heute vor dem Deutschen Bundestag zu erklären, wie Sie Ihre vollmundigen Versprechungen eigentlich konkret einlösen wollen.
({7})
Die SPD-Bundestagsfraktion hält die flächendekkende Versorgung mit qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Postdienstleistungen für unverzichtbar. Es ist unumstritten, daß das Rückgrat des Universaldienstes ein flächendeckendes Postfilialnetz ist. Der Bundespostminister muß endlich handeln und ein schlüssiges Konzept zur Sicherung der Postversorgung mit klaren Kriterien für Einrichtung, Umwandlung und Auflösung von Postfilialen vorlegen.
({8})
Um eine flächendeckende Präsenz der Post zu gewährleisten, ist es notwendig, den Vertriebsverbund zwischen Post und Postbank durch eine Beteiligung der Post an der Postbank zu sichern und in einem neuen Kooperationsvertrag zwischen beiden Unternehmen die Zusammenarbeit und die gemeinsame Nutzung der Schalter festzulegen.
({9})
Vor allem aber kommt es darauf an, in dem vom Bundestag zu verabschiedenden neuen Postgesetz zur künftigen Regulierung der Postdienste Rahmenbedingungen festzulegen, die auch in Zukunft eine flächendeckende Postinfrastruktur gewährleisten. Dies ist jedoch nach den bisher bekannten Vorstellungen des Bundespostministeriums nicht der Fall. Wir werden deshalb bei den anstehenden Gesetzesberatungen darauf drängen, daß der künftige Universaldienst, zu dem ein ausreichendes flächendekkendes Netz von Annahmestellen, Zustelleinrichtungen etc. gehören muß, auch dauerhaft finanziert werden kann.
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Nur mit den öffentlichen Lippenbekenntnissen des Bundespostministers und der Regierungskoalition zur Sicherung der Postinfrastruktur ist es nicht getan. Es muß nun gehandelt werden.
Schönen Dank.
({11})
Liebe Frau Kollegin, nach meiner Information haben Sie heute das erste Mal in diesem Hause gesprochen und dann noch so pünktlich geendet. Zu beidem möchte ich Ihnen ganz herzlich gratulieren.
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Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Wolfgang Bötsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich dieser Gratulation ausdrücklich anschließen, Frau Kollegin Kurzhals. Sie haben mir vorhin gesagt, Sie seien ziemlich nervös. Ich muß sagen: Davon hat man überhaupt nichts gemerkt. Sie haben den Postminister in der Art, wie man es von einer Sozialdemokratin erwartet, voll angenommen. Etwas anderes wäre wirklich überraschend gewesen.
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Wir beschäftigen uns heute mit einem Thema, das Gegenstand der Großen Anfrage der Sozialdemokraten ist. Sie ist noch nicht beantwortet; das ist kritisiert worden. Daß man dieses Thema auf die heutige Tagesordnung setzt, obwohl wir - wovon ich ausgehe - es in der übernächsten Kabinettssitzung behandeln, ist das Recht der SPD. Vielleicht hätte man aber noch etwas warten können.
Der Aspekt der Postpolitik, der heute erörtert wird, ist sehr wichtig, da die ausreichende Verfügbarkeit von Postfilialen ein Teil der Wohn- und Lebensqualität ist. Diese Bedeutung von Postfilialen hat mir auch die große Zahl von Zuschriften - viele auch aus dem Deutschen Bundestag - gezeigt.
Wir haben mit den Postreformen von 1989 und 1994 den Postunternehmen die unternehmerische Selbständigkeit ermöglicht, die sie brauchen, um am Markt erfolgreich bestehen zu können. Ich bitte, nicht zu übersehen, daß wir im Augenblick in der öffentlichen Diskussion sehr viel von der Telekommunikation reden. Wir werden aber - vielleicht mit einer gewissen Zeitverzögerung - auch im Postbereich einen voll liberalisierten Markt in Europa und damit auch in Deutschland haben.
Sowohl die Dreiteilung der Post in drei selbständige Unternehmen als auch die Privatisierung sind sehr ausgewogene Konzepte, die sowohl dem Anliegen der Infrastruktur als auch dem Anliegen der betriebswirtschaftlichen Effizienz gerecht werden. Deshalb haben im Sommer 1994 auch 123 Abgeordnete
der SPD - anders wäre es ja nicht möglich gewesen - der damaligen Verfassungsänderung zugestimmt. Das gilt auch für den postpolitischen Sprecher der SPD, Herrn Kollegen Bury, der heute allerdings nicht spricht, sondern zwei Minenhunde beiderlei Geschlechts in die Debatte geschickt hat. Das ist natürlich auch berechtigt.
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Trotz der Privatisierung hat der Gesetzgeber den Bund nicht aus seiner Verantwortung für Postdienstleistungen entlassen. Der Bund gewährleistet nämlich - Frau Kollegin Kurzhals, Sie haben darauf hingewiesen - in Art. 87 f GG im Bereich des Postwesens flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen. Der Bund hat damit auch das Recht und die Pflicht, die Gestaltungsregeln für das Postfilialnetz zu präzisieren. Auf Grund des Postneuordnungsgesetzes wurde daher die Post-Kundenschutzverordnung mit Zustimmung des Regulierungsrates erlassen, die am 1. Januar 1996 in Kraft getreten ist und weitere Regelungen auch zur Qualität der Dienstleistungen trifft. Wir haben die Prinzipien des von Ihnen angeführten Beschlusses aus dem Jahr 1981 dabei nicht geändert.
Die Bundesregierung sieht nach wie vor das Regulierungsziel einer ausreichenden und angemessenen postalischen Infrastruktur als gesichert an, wenn grundsätzlich jedem Haushalt in einem Umkreis von 2 000 Metern eine ortsfeste Vertriebsstelle - das gilt für die Städte - zur Verfügung steht. Für die Postversorgung auf dem Lande sind schon wegen der Entfernungen zwischen den einzelnen Ortschaften Ausnahmen von dieser Zwei-Kilometer-Regel zugelassen. So kann die Post eine Filiale dann schließen, wenn die wöchentlich in der Filiale anfallende Arbeitszeit weniger als fünfeinhalb Stunden beträgt. Für diesen Fall sind Landzusteller mit Annahmebefugnis einzusetzen.
Vor drei Jahren habe ich zugelassen, daß eigenbetriebene Postfilialen in Postagenturen umgewandelt werden dürfen. Nach unserer Erfahrung - Umfragen neutraler Institute belegen das - werden die in Postagenturen umgewandelten früheren Poststellen nach einer Eingewöhnungszeit vor allem wegen der längeren Geschäftsöffnungszeiten in der Bevölkerung positiv aufgenommen.
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Auch nach Berichten der Deutschen Post AG hat sich diese Vertriebsform insgesamt bewährt. Dem Kunden ist es natürlich lieber, wenn er zu den normalen Ladenöffnungszeiten - ob ohne oder mit Änderung des Ladenschlußgesetzes, lasse ich jetzt einmal dahingestellt - eine Bedienung bekommt, als wenn er einen weißgetünchten Raum hat, an dem „Post" steht und in dem das Neonlicht brennt, der aber geschlossen ist. Davon hat der Kunde natürlich wesentlich weniger.
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Das Gesamtnetz der Deutschen Post AG umfaßt gegenwärtig rund 17 000 Postfilialen, davon knapp
3 000 Postagenturen. Ferner sind rund 15 000 Landzusteller mit Annahmebefugnis eingesetzt. Sie sehen, meine Damen und Herren, wir sind noch immer sehr weit von der von mir vor über zwei Jahren genannten Grenze einer mindestens fünfstelligen Zahl von Postfilialen entfernt.
Ich habe natürlich auch Maßnahmen getroffen, die einer übereilten Schließung von Postschaltern durch die Deutsche Post AG entgegenwirken. Im Herbst vergangenen Jahres habe ich nicht zuletzt auf Grund vorliegender und von mir nachgeprüfter, berechtigter Beschwerden wegen der Schließungspraxis der Deutschen Post AG Vorlauffristen bei der Herstellung des Benehmens mit den Gemeinden und zur Unterrichtung der Bevölkerung festgelegt. So hat die Unterrichtung der Gemeinden mindestens zwei Monate und die Information der Bevölkerung sechs Wochen vor dem Wirksamwerden der beabsichtigten Änderungsmaßnahme, zum Beispiel der Schließung einer Postfiliale oder der Umwandlung in eine Postagentur, zu erfolgen.
Insbesondere im Hinblick auf die anstehende Kapitalverflechtung der Deutschen Post AG mit der Deutschen Postbank AG habe ich -
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barthel?
Bitte. Er spricht zwar nachher noch, aber trotzdem: Auf geht's!
Sie haben ausdrücklich erwähnt, daß das Benehmen mit den Gemeinden einzuhalten sei und es dafür Fristen gebe. Können Sie mir Fälle nennen - gibt es überhaupt welche? -, bei denen der Einfluß der Gemeinde und der Bürgerinnen und Bürger Auswirkungen auf die Politik der Post AG gehabt hat?
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Ich kann Ihnen jetzt keine Einzelfälle nennen; das ist natürlich erörtert worden. Aber ich will Ihnen zugestehen: In Einzelfällen ist es wirklich so - ich habe das ja ganz kurz angesprochen -, daß eine beabsichtigte Schließung nicht so durchgeführt wurde, wie wir uns das vorstellen.
Es gab auch Fälle wie den, daß um 9 Uhr eine Pressekonferenz abgehalten wurde, in der verkündet wurde: Um 11 Uhr wird geschlossen. Genau das habe ich beanstandet und deshalb festgelegt, daß dieses Benehmen so rechtzeitig erfolgt, daß zumindest eine Meinungsbildung in der Kommune herbeigeführt werden kann. „Benehmen" heißt, daß zumindest dem Rat kleinerer Gemeinden - der Rat einer Stadt wird sich nicht damit befassen - Gelegenheit gegeben wird, sich damit zu beschäftigen.
Ich betrachte es als ein Nobile officium - auch das habe ich der Post AG gesagt -, vorab auch die zuständigen Abgeordneten zumindest zu informieren. Anders geht es nicht.
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Es waren inzwischen sogar Landräte bei mir, um sich zu bedanken. Ein Landrat, zufälligerweise aus Unterfranken - ich will den Mann nicht öffentlich nennen -, hat zu mir gesagt: Ihr macht das ganz prima. Am Schluß hätte er sich am liebsten dafür bedankt, daß die Filiale jetzt geschlossen wird.
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Das hat er dann zwar nicht gemacht, aber das unterstreicht doch: Jedenfalls muß die Form anständig sein. Da stimme ich Ihnen vollkommen zu.
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Ende November habe ich die Deutsche Post AG gebeten, vorerst keine wesentlichen Veränderungen im Filialnetz vorzunehmen, bevor nicht die Frage der Kapitalverflechtung zwischen Post AG und Postbank AG geklärt ist. Diese Klärung wird in wenigen Wochen erfolgen. Das betrifft Filialschließungen und Umwandlungen in Postagenturen gleichermaßen. Der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens hat die Erfüllung dieses Anliegens zugesagt, jedoch auf einen zeitlichen Nachlauf hingewiesen, da es teilweise schon Einleitungsmaßnahmen gab, beispielsweise auch Kündigungen von Räumen ausgesprochen worden sind.
Meine Damen und Herren, ich glaube, ich konnte Ihnen in diesem kurzen Beitrag verdeutlichen, welche große Bedeutung die Bundesregierung einer angemessenen Versorgung mit Postschaltern beimißt. Denn wenn es keine Postschalter gibt, gibt es auch keine Kundschaft. Wenn es keine Kundschaft gibt, machen wir keinen Umsatz. Ich halte diese Einsicht für eine Selbstverständlichkeit.
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Ich sage Ihnen auch zu: Obwohl Sie jetzt von Ihrem Aufsetzungsrecht Gebrauch gemacht haben, werden wir Ihnen die Antworten auf Ihre Große Anfrage geben und schriftlich zuleiten. Sie sehen, der Bundesregierung ist nicht nur der Sachverhalt wichtig, sondern auch die Tatsache, daß die Opposition zumindest mit der Verfahrensweise zufrieden sein kann.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Manuel Kiper.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es geht darum, die Post in der Fläche zu erhalten und das Filialnetz zu sichern. Das soll kein Plädoyer für eine Schneckenpost, sondern ein Plädoyer für die Modernisierung der Post sein.
Wir brauchen eine Nachfrage, die die Versorgung mit Postfilialen sicherstellt. Der Bundespostminister hat ausgeführt, daß es im Augenblick noch 17 000 Filialen gibt. Aber wir müssen davon ausgehen, daß viele dieser Filialen nicht erhalten bleiben, wenn es nicht zu einer Dynamisierung der Nachfrage kommt. Uns ist ja bekannt, daß alleine 4 000 Kleinstfilialen weniger als zehn Kunden pro Tag haben. Deren Schließung ist vorprogrammiert. Es kommt darauf an, eine Alternative dazu zu entwickeln.
Die Post muß mit einer neuen Perspektive in Gang kommen. Die Perspektive muß sein, daß die Post in der Fläche ein umfassendes Dienstleistungsunternehmen wird. Dies sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Lande schuldig, damit die Post in der Fläche nicht verschwindet.
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Wir haben heute einen Entschließungsantrag zur Sicherung des Postfilialnetzes eingebracht. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, ihren Infrastrukturauftrag im Bereich des Postwesens gemäß Art. 87f des Grundgesetzes über die Deutsche Post AG zu gewährleisten, und die Bundesregierung wird aufgefordert, für die gegenwärtig bestehende Zahl von Postfilialen in Deutschland Bestandsschutz zu garantieren.
Der Herr Bundespostminister hat jetzt noch einmal ausgeführt, daß nach wie vor in der Regel in einem Umkreis von 2 000 Metern eine Postfiliale erreichbar sein soll. Es gibt jetzt erfolgversprechende Ansätze, nicht nur die Landzusteller, sondern auch tatsächlich eine physische Präsenz von Filialen in der Fläche zu erhalten, und zwar mit neuen Konzepten: auf der einen Seite die Postagenturen, auf der anderen Seite das, was in Sachsen-Anhalt mit Bürgerservicebüros, mit Büroläden entwickelt worden ist und praktiziert wird. Wir halten dies für mustergültig und sehen die Chance, daß damit postalische Dienstleistungen auf dem Lande auch ohne unternehmenseigene Postfilialen ermöglicht werden.
Es ist darüber hinaus auch zu prüfen, ob nicht in solchen modernen Einrichtungen auf dem Lande auch weitere kommunale Dienstleistungen angeboten werden können.
Der Herr Bundespostminister hat schon den Zusammenhang der Verflechtung mit der Postbank genannt. Es ist ganz klar, daß ein Vertriebsverbund zwischen der Deutschen Post AG und der Postbank AG organisatorisch aufrechterhalten werden muß, um die finanzielle Sicherung der postalischen Versorgung zu gewährleisten. Wir treten dafür ein, daß eine qualifizierte Kapitalbeteiligung der Deutschen Post AG an der Postbank abgesichert wird. Wir halten es auch für nötig, daß in dem zu verabschiedenden
Postgesetz ein genügend großer reservierter Bereich respektive genügend Exklusivlizenzen der Post AG zugestanden werden.
Wir halten es weiter für nötig, daß der Deutsche Bundestag das unterstützt, was der Postregulierungsrat in einer Stellungnahme bereits verabschiedet hat, nämlich daß dem Remailing zum Schaden der Deutschen Post AG Einhalt geboten wird.
Die Bevölkerung geht mancherorts gegen die Schließung von Postfilialen auf die Straße, und das zu Recht. Wir haben es in Hannover erlebt, daß in einem sozial sehr bedenklichen Stadtteil auch noch die Post zugemacht wurde. Wir können den Bürgerinnen und Bürgern nur danken, daß sie demonstriert haben, daß sie eine eigene Bürgerpost eingerichtet und auf diese Weise, Herr Bundespostminister, die Deutsche Post AG gezwungen haben, in diesem Stadtteil wieder eine Filiale aufzumachen. Bedauerlicherweise ist es so weit, daß die Bürgerinnen und Bürger die Post im Stadtteil, die Post auf dem Lande verteidigen müssen.
Die Postagenturen sind nach unserer Einschätzung zwar teilweise ein Fortschritt. Sie sind besser als die komplette Schließung der Post im Einzelfall. Aber wir müssen auch sehen, daß die Errichtung von Postagenturen kein vollwertiger Ersatz für bisherige unternehmenseigene Postfilialen ist. Orte mit Postagenturen haben gegenüber regulären Postämtern Standortnachteile. Geschäftskunden wird in der Regel weder eine Postfachauslieferung noch der Service für Freistempler geboten. Auch ein großer Bereich von Postbankdiensten bleibt bei den Agenturen ausgeklammert.
Ich spreche mich hier nicht gegen Experimente aus. Postagenturen sind besser als nichts. Aber sie sind ein Abstieg, und die Post beginnt damit vor Ort den Abstiegsreigen. Unsere Fraktion hält es für nötig, daß hier ein Aufstieg, bine Vorwärtsstrategie organisiert wird. Neue und zufriedene Kunden, das müßte die Devise sein, nicht der Abstieg.
Verehrte Kolleginnnen und Kollegen, ich komme zum Schluß. Die Deutsche Post AG ist das Unternehmen mit dem bundesweit dichtesten Filialnetz.
Angesichts von geplanten umfangreichen Niederlassungsschließungen potentieller Konkurrenten im Finanzdienstleistungsbereich, wie wir sie im Zusammenhang mit Telebanking erleben - dazu gehört auch die Prognose, daß die Banken die Hälfte ihrer Filialen auf dem Land schließen werden -, ist der Infrastrukturauftrag für die Deutsche Post AG zugleich Pflicht wie Chance.
Die Pflicht zur flächendeckenden Präsenz muß als Chance genutzt werden. Kostendeckungsbeiträge müssen durch Ausweitung von Aktivitäten bzw. Erschließung neuer Geschäftsfelder erwirtschaftet werden. Die demographische Entwicklung verläuft so, daß in den nächsten Jahren die Zahl der alten Menschen in diesem Land zunehmen wird. Die Post muß deshalb gerade für die älteren Menschen, für die weDr. Manuel Kiper
niger mobilen Menschen, vor Ort bleiben. Die Post als verlorene gelbe Tulpe hat keine Chance.
Herr Bundespostminister, sorgen Sie dafür, daß die Post in der Fläche erhalten bleibt!
Ich danke.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß die Bevölkerung unserem Thema weitaus mehr Interesse entgegenbringt, als es die Behandlung hier am Ende einer langen Sitzungswoche zu indizieren scheint.
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Denn ohne Zweifel befinden wir uns in einem Spannungsgefüge, das nicht leicht zu lösen ist. Einerseits ist durch die Postreform gewollt, daß sich die Post unternehmerischen Kriterien unterordnet, und andererseits ist ein Infrastrukturauftrag nach Art. 87 f GG zu erfüllen. Der Infrastrukturauftrag verlangt eine Präsenz der Post in der Fläche, und zwar in einem Umfang, wie er betriebswirtschaftlich kaum vertretbar sein wird.
Dafür, daß der Bundespostminister in diesem Spannungsfeld die Sache als ein Politikum angehen muß, habe ich - schließlich komme ich aus dem Flächenstaat Bayern - Verständnis. Gerade in den Flächenstaaten gehört es zu den Identifikationsfaktoren auf dem Lande, daß es in den Gemeinden eine Post gibt.
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Viele Bürgerinnen und Bürger empfinden ihre Situation auf dem Dorf so, daß der Bahnhof schon lange aufgelassen worden ist - heute wird vielleicht wieder mühsam versucht, ihn im Zuge neuer Nahverkehrskonzepte zu installieren -, die Schule zentralisiert ist und die Kinder in der Früh mit dem Bus in den Nachbarort gekarrt werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barthel?
Ja, gerne.
Sie haben gesagt, ein solches Netz von Filialen ist nicht kostendeckend zu betreiben. Ich lese mit großem Interesse im „Postforum" vom November 1995 Ihre Aussage zur zukünftigen Liberalisierung der Postmärkte. Es geht darum, ob die Post AG einen durch Monopol geschützten Bereich braucht, um zum Beispiel die Kosten für ein solches Netz bestreiten zu können.
Sie sagen zu den Initiativen des Postministers bzw. zu seinen Eckpunkten und seiner Vorlage: Allerdings vertrauen Sie - also der Herr Minister - noch zu wenig auf den Markt; ich bin der Auffassung, daß eine gesonderte Übergangszeit von fünf Jahren für die Post nicht nötig ist.
Auf gut deutsch: Sie wollen ab 1. Januar 1998 keine geschützten Bereiche und damit keine Einnahmen für die Post AG haben, mit denen die Kosten für das Ihrer Meinung nach zu deckende Defizit aus dem Filialnetz übernommen werden können. Ist das so richtig oder ist das ein Widerspruch in Ihrer Argumentation?
Lieber Herr Kollege Barthel, zunächst einmal freut es mich, daß Sie meine Artikel nicht nur lesen, sondern auch archivieren und zum richtigen Zeitpunkt zur Stelle haben.
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Zur Sache selber darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir heute über eine Situation sprechen, die wie in vielen anderen Gebieten unseres Bereichs Post und Telekommunikation dadurch gekennzeichnet ist, daß wir uns gewissermaßen in einer Übergangsphase befinden. Auf der einen Seite sind die Unternehmen schon privatisiert. Sie haben die Verpflichtung, sich wie ein Privatunternehmen an betriebswirtschaftlichen Kriterien zu orientieren. Auf der anderen Seite ist eben der Wettbewerb, von dem wir als Liberale allerdings in der Tat glauben, daß er sehr wohl geeignet ist, die Nachfrage dann umfassend zu befriedigen, noch nicht installiert.
Insofern liegt überhaupt kein Widerspruch vor, sondern wir haben uns mit der jetzigen Übergangssituation zu befassen. Hier war ich gerade dabei, zunächst einmal den Zustand zu beschreiben, ehe ich auf die für die Übergangssituation gebotenen Lösungsvorschläge komme.
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Ich darf noch einmal kurz auf die Schilderung der Situation zurückkommen, wie sie in vielen Dörfern empfunden wird: Bahnhof ist schon geschlossen, die Schule ist als ein wesentliches auch kulturelles Identifikationsmerkmal zentralisiert, Tante -Emma-Laden hat vielleicht schon aufgegeben, und die Sonntagsmesse fällt wegen Priestermangels aus, wofür ausnahmsweise die Politik einmal nicht verantwortlich ist.
In dieser Situation wird es schon als schlimm empfunden, wenn als letzte noch öffentlich empfundene Institution auch die Poststelle oder die Postfiliale schließt. Freilich muß man all dem in der Analyse natürlich entgegenhalten: Wenn die Postbenutzer die Filialen und Poststellen in der Vergangenheit auch wirklich benutzt und sie eben nicht nur als Identifikationsmerkmal am Dorf willkommen geheißen hätten, dann gäbe es wahrscheinlich die Diskussion gar nicht, jedenfalls nicht in diesem Umfang.
Daher hat die Post AG zu Recht neue Wege beschritten und in den letzten drei Jahren eine Vielzahl von Postagenturen eingerichtet. Ich muß Ihnen ganz ehrlich gestehen, daß man anfangs gegenüber dieser Neuerung durchaus aus verschiedenen Gründen skeptisch sein konnte. Nun hat sich aber herausgestellt, daß die Kunden - das beweist etwa eine Umfrage von EMNID - mit den Postagenturen sehr zufrieden sind. Vor allem kommt man endlich aus dem Teufelskreis heraus: wenig Umsatz, deswegen kürzere Öffnungszeiten, deswegen noch weniger Umsatz und am Schluß die Schließung.
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Aus diesem Teufelskreis sind wir erstmals herausgekommen, weil eben der wichtigste Vorteil in der Tat in den längeren Öffnungszeiten liegt. Mit etwas Phantasie - ich knüpfe an Kollege Kiper an - könnte man sich neben Postagenturen auch noch andere neue und moderne Formen der Präsenz der Post auf dem Lande vorstellen. Darauf will ich jetzt nicht näher eingehen, sondern dies damit nur andeuten.
Die Frage, die aber hauptsächlich in der SPD-Anfrage gestellt wird, nämlich wie viele Postfilialen, also in Form der umfassenderen Filiale, erhalten werden können, hängt selbstverständlich eng mit der künftigen Kooperation von Post AG und Postbank zusammen. Die Erhaltung von möglichst vielen Filialen ist auch aus Sicht der F.D.P. ein anzustrebendes Ziel. Nach dem Schroders-Gutachten wird es aber nicht zu dem von der Post AG ursprünglich gewünschten Umfang der Beteiligung an der Postbank kommen. Soviel kann man schon heute vorhersagen. Aber etwa eine Kooperation in einem sinnvollen, längerfristigen Kooperationsvertrag könnte sehr wohl ein sehr guter Beitrag dazu sein, daß die Filialen optimal ausgelastet und damit erhalten werden können.
Die Beteiligung wird in einer gewissen Form sicher kommen. Das ist meiner Meinung nach aber nicht der entscheidende Punkt, sondern die Frage ist: Wie verläuft die Kooperation? Mit oder ohne Beteiligung? Dafür braucht es auf alle Fälle einen vernünftigen Kooperationsvertrag. Daran führt kein Weg vorbei.
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Wenn dies entschieden ist - das wird demnächst der Fall sein -, dann wird es gleichwohl wieder zu Umwandlungen zu Postagenturen kommen. Auch das kann man schon heute vorhersehen. Ich bitte die Post AG, dabei große Sorgfalt bei der Standortwahl walten zu lassen.
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Die vorhin schon angesprochene Beteiligung und Einbindung der Kommunalpolitik sollte nicht nur als Hemmnis empfunden werden, zu raschen Entscheidungen zu kommen, sondern auch als Chance, die Akzeptanz dieser Entscheidungen zu erhöhen.
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Als Kommunalpolitiker mache ich die Anmerkung, daß die Kenntnis vor Ort auch dazu führen kann, daß die bekannte Zwei-Kilometer-Grenze nicht so schematisch angewandt wird, wie etwa in einem Fall in Passau mit den Stadtteilen Innstadt und Haibach, den ich selber begleitet habe, bei dem die Agentur gerade dort eingerichtet wurde, wo die Zwei-Kilometer-Regelung zwar eingehalten war, sich aber eben nicht das Gros der Bewohner dieses Stadtteils dort befindet, so daß sich die erhoffte Zufriedenheit mit diesem Standort eben nicht eingestellt hat. Hier soll man ruhig einmal auf die Mithilfe durch die Kommunalpolitik vertrauen.
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Schließlich sollte die Auflösung einer Poststelle und die Neueinrichtung einer Agentur zeitlich unmittelbar Hand in Hand gehen. Das müßte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Meine Damen und Herren, insgesamt erwarten wir, daß in der Übergangszeit, bis der Markt für eine optimale Befriedigung der Bedürfnisse sorgen kann, der Spagat, von dem ich eingangs gesprochen habe, durchaus gelingen kann, nämlich einerseits den Infrastrukturauftrag angemessen zu erfüllen und sich andererseits betriebswirtschaftlich vernünftig zu verhalten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Kollege Jüttemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Bilanz der bisherigen Ergebnisse der Postreform führt zu sehr klaren Aussagen.
Erstens. Bisher sind 46 000 Arbeitsplätze abgebaut worden. In diesem Jahr sollen 16 000 weitere verschwinden, in den vier Jahren darauf noch einmal knapp 20 000. Die Idee des Bündnisses für Arbeit, das von Unternehmer- und Regierungsseite offensichtlich zu einem Bündnis für Arbeitslosigkeit umfunktioniert werden soll, hat die lange geplante Zahl der zu streichenden Stellen nicht im mindesten reduziert.
Zweitens. Die Versorgung der Bevölkerung mit postalischen Dienstleistungen hat sich gravierend verschlechtert. Gestiegenen Preisen steht die Schließung Tausender Postfilialen und eine zum Teil drastische Verkürzung der Öffnungszeiten gegenüber. Überraschend sind diese Ergebnisse nicht. Die Bundesrepublik ist nicht das erste Land, das seine Post privatisiert. In Großbritannien beispielsweise bezahlen die kleinen Postkunden seit vielen Jahren die Rabatte der Großkunden, mit denen das Postunternehmen die eigentlich lohnenden Geschäfte macht. Kurt van Haaren, der Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft, hat vor anderthalb Jahren in einem PresGerhard Jüttemann
seinterview den Hintergrund der Postreform wie folgt beschrieben:
Die Postarbeitgeber wollten und wollen die Umwandlung der öffentlichen deutschen Bundespostunternehmen in private Aktiengesellschaften nutzen, um - ich sag mal - paradiesische Verhältnisse für sich als künftige private Arbeitgeber zu schaffen. Sie wollen auf der einen Seite die Schwächung der betrieblichen Interessenvertretung, sie wollen auf der anderen Seite Lohn- und Sozialabbau, wollen einen abhängigen Beamten, um dann als private Arbeitgeber schalten und walten zu können. Das ist die innere Philosophie.
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen, außer: Auf diesem Weg ist inzwischen schon viel erreicht worden. Daß die Qualität der Versorgung immer mehr in Mitleidenschaft gezogen wird, liegt in der Logik der Sache und läßt sich auch durch einen Grundgesetzartikel 87 f nicht aufhalten.
Die Post AG hat ihr eigenes Konzept, auch wenn sie uns darüber nichts mitteilt. Aber wir wissen doch immerhin, daß sie die bisherige Schließung Tausender Postfilialen im Gegensatz zu der betroffenen Bevölkerung für völlig unproblematisch hält, weil angeblich entweder die Nachfrage nicht mehr bestand oder die Versorgung von benachbarten Postfilialen übernommen werden würde. Wir wissen, daß die Post AG begeistert die Idee der Umwandlung von Postfilialen in Postagenturen verfolgt, weil sie auf diesem Weg immense Betriebs- und Lohnkosten spart. Es gibt Pressemeldungen, die sich auf interne Post-Pläne berufen, nach denen die Post AG im Jahr 2000 nur noch 3 000 eigene Filialen betreiben will. Der Rest soll sich aus Postagenturen und Poststellen ohne Postpersonal zusammensetzen. Vielleicht ist diese Meldung ja übertrieben. Die Tendenz aber geht genau dorthin.
Der Post AG wäre daraus nicht einmal ein Vorwurf zu machen. Sie muß sich auf dem freien Markt so verhalten, wenn sie in der Konkurrenz bestehen will. Der Vorwurf ist der Politik zu machen, die für eine solche Entwicklung die Bedingungen geschaffen hat, und einer Regierung, die sich nun überfordert zeigt, innerhalb von immerhin fünf Monaten Fragen zu den Folgen der von ihr zu verantwortenden Privatisierung im Postbereich zu beantworten. Bei der Beantwortung von Fragen, die man sich selbst gestellt hat und schon immer öffentlich hören wollte, geht es wesentlich schneller.
Von der Bundesregierung jedenfalls ist zu fordern, daß sie geeignete Maßnahmen ergreift, die die jetzige negative Entwicklung stoppen, umkehren und den Art. 87f des Grundgesetzes inhaltlich absichern. Aus diesem Grunde unterstützt die PDS den vorliegenden Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen.
Danke schön.
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Jetzt hat die Kollegin Renate Blank das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Wahlkampfzeit. Deshalb unterhalten wir uns über die Postfilialen. Für die Kommunalwahlen am nächsten Sonntag in Bayern wird dies der SPD leider nichts mehr nützen. Ich glaube kaum, daß es ihr in den anderen Ländern bei den kommenden Wahlen am 24. März nützen wird. Wir unterhalten uns aber heute über die Postfilialen nach dem Motto
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- lieber Kollege Bury, ich bin nicht die Bundesregierung -: Es ist zwar schon alles gesagt worden, aber noch nicht von allen.
Auf Grund des neuen Art. 87f des Grundgesetzes gewährleistet der Bund im Bereich des Postwesens flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen, die als privatwirtschaftliche Tätigkeiten durch die Deutsche Post AG und andere private Anbieter erbracht werden. Der Infrastrukturauftrag ist bestimmt nicht einfach zu handhaben und wird sicher auch unterschiedlich interpretiert, vor allen Dingen durch die Entwicklung der Nachfrage, die Veränderungen infolge der Postreformen I und II sowie die Beschränkung des Infrastrukturauftrages auf den Monopol- und Pflichtleistungsbereich der Deutschen Post AG.
Die vom Regulierungsrat beschlossene Postkundenverordnung legt eine 2 000-Meter-Entfernungsregelung für Postfilialen als Kriterium fest. Die Gestaltung des Filialnetzes erfolgt jedoch nach unternehmensinternen Vorgaben der Deutschen Post AG. Nach deren Angaben kann eine Filiale eingerichtet werden, wenn erwartet wird, daß die Grundarbeitszeit mindestens 5,5 Stunden pro Woche erreicht.
Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung: Bei dieser Grundarbeitszeit halte ich eine Postfiliale für absolut unrentabel.
Nun einige Anmerkungen zu den Postfilialen. Derzeit gibt es zirka 15 000 eigene Postfilialen, davon sind zirka 12 000 einschaltrig. Zirka 2 000 Postagenturen - darauf gehe ich später ein - kommen noch hinzu. Vor dem Hintergrund erheblicher Nachfragerückgänge nach Schalterdienstleistungen und der damit verbundenen Auswirkungen auf die jährlich anfallenden Kosten von zirka 4 Milliarden DM muß die Deutsche Post AG das Filialnetz fortlaufend und bundesweit unter den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit einerseits und der Infrastruktur-Dienstleistungsverpflichtung andererseits nach posteigenen Organisationsvorgaben untersuchen und auf das sorgfältigste abwägen, wie das Filialnetz an veränderte Gegebenheiten angepaßt und gegebenenfalls auf wirtschaftlichere Vertriebswege umgestellt werden muß.
Ich denke hier auch daran, daß ein Zusteller mit Annahmebefugnis den Infrastrukturauftrag ebenso
gut erfüllen kann wie eine Filiale. Der persönliche Kontakt und das Vertrauensverhältnis zwischen Zustellern mit Annahmebefugnis und den Kunden wird allgemein als sehr gut beurteilt, da gerade diese Zusteller besonders für alte und gehbehinderte Menschen oft mehr als einen Ersatz für eine stationäre Postfiliale darstellen.
Da sich die Deutsche Post AG dem Wettbewerb zu stellen hat, muß es erlaubt sein, auch über das Filialnetz zu reden. Meines Erachtens sind Postagenturen für die Zukunft ein geeignetes Instrument, Postdienstleistungen zu erbringen. Wenn man bedenkt, daß eine Postagentur im Vergleich zu kleinen, eigenbetriebenen Postfilialen im Durchschnitt um 60 Prozent billiger ist, läßt sich leicht ausrechnen, welche Möglichkeiten bestehen, um Service und Dienstleistung wirtschaftlich auszubauen.
Ich plädiere deshalb für weitere Postagenturen, da sie sich meines Erachtens bewährt haben. Postagenturen sind schnell und einfach zum Beispiel in Einkaufszentren, wo die Kundenströme stattfinden, zu errichten, und können abseits gelegene Postfilialen ersetzen.
In Postagenturen sind die Öffnungszeiten wesentlich kundenfreundlicher als bei vielen Postfilialen.
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Zum Beispiel können in einem Schreibwarengeschäft, das von 7.00 bis 18.30 Uhr geöffnet hat, 11,5 Stunden lang Postdienstleistungen erbracht werden, also mehr als in jeder Poststelle, und das, Herr Kollege Stadler, mit dem jetzigen Ladenschlußgesetz.
Ich habe die Vision eines Nachbarschaftsladens nicht nur in der Fläche, sondern auch in der Stadt, der neben seinem Einzelhandelssortiment Postdienstleistungen anbietet, einfache Bankgeschäfte abwickelt, Bausparverträge abschließt, Lebensversicherungen verkauft, vielleicht auch kommunale Dienstleistungen erbringt und nebenbei als Kommunikationszentrum zweckdienlich ist. Als Einzelhändlerin weiß ich, wovon ich rede, wenn ich im Zeitalter der Kommunikationstechniken und fast unbegrenzten Kommunikationsmöglichkeiten den persönlichen Kontakt nach wie vor für wichtig halte.
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Natürlich haben selbständige Betreiber eines Nachbarschaftsladens weniger mit der Gewerkschaft, dafür mehr mit Kundenfreundlichkeit und Service zu tun.
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Lieber Kollege Kiper, Postagenturen sind kein Abstieg; denn der deutsche Einzelhandel ist leistungsfähig.
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Vielleicht ein Vorschlag nebenbei: Wir könnten auch unsere Wahlkreisbüros für Postagenturen zur Verfügung stellen; dann könnten wir gleich die Beschwerden der Bürger aufnehmen.
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Wir und auch die Deutsche Post müssen beweglicher werden und neue Möglichkeiten im Hinblick auf Postagenturen forcieren. Die Deutsche Post AG ist gehalten, ein Filialkonzept zu entwickeln, das sowohl den Infrastrukturauftrag als auch die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens Deutsche Post AG berücksichtigt.
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Zur Vorlage eines Filialkonzeptes ist es aber meines Erachtens dringend erforderlich, daß der Kooperationsvertrag zwischen Deutscher Post AG und Postbank endlich abgeschlossen wird, der langfristig angelegt, effektiv und für beide Unternehmen betriebswirtschaftlich sinnvoll sein muß.
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Denn damit kann die Wettbewerbsfähigkeit der Post und der Postbank gefördert und eine gemeinsame Zukunft der beiden jungen Aktiengesellschaften gesichert sowie die Leistungskraft erhöht werden.
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Dies kann aber nicht nach dem Motto „Wettbewerb fördern und Monopol sichern" laufen. So geht es nicht.
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Mit einer Kapitalbeteiligung der Post an der Postbank, die nicht zu einer Beherrschung führt, können Synergieeffekte und Effizienzvorteile erzielt werden. Das ist eine wirtschaftliche Voraussetzung dafür, daß der verfassungsrechtliche Auftrag aus Art. 87 f des Grundgesetzes zur Sicherstellung einer angemessenen Infrastruktur von Postfilialen und Postagenturen mit zeitgemäßen Leistungen erfüllt werden kann.
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Hiermit wäre dann eine Planungssicherheit für Beschäftigte und Bevölkerung gegeben.
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, kritisieren wir nicht dauernd; denn Kritik führt zu Verunsicherungen und zum Madigmachen, sondern unterstützen wir die Bemühungen von Post und Postbank,
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damit beide Unternehmen im Interesse der Beschäftigten und der Bürger im Wettbewerb bestehen können.
Vielen Dank.
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Als letztem in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Klaus Barthel das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die Politik dieser Koalition so weitergeht, werden wir am Ende dieses Jahres wahrscheinlich nicht über den Ehrenschutz von Soldaten diskutieren, sondern über den Denkmalschutz für die 10 000. Filiale der Post von Herrn Bötsch.
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Insofern ist der Umgang der Bundesregierung mit unserer Großen Anfrage symptomatisch für ihren Umgang mit der Zukunft der Postunternehmen, mit deren Kundinnen und Kunden und mit den Beschäftigten. Die Brisanz dieses Themas ist der Bundesregierung - so denke ich - durchaus bewußt. Trotzdem und deswegen wird vertagt, verzögert und verschoben. Wenn man unsere 17 Fragen aus der Großen Anfrage anschaut, dann muß man feststellen, daß wir kaum eine Antwort auf auch nur eine Frage bekommen.
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Trotzdem und deswegen braucht die Bundesregierung eine hausinterne Abstimmung und Ressortabstimmung nach der anderen.
Die Bevölkerung ist sensibilisiert, und die Ausweichtaktik der Bundesregierung läßt erkennen, daß sie dieses Politikum noch über die Wahltermine in diesem Monat retten will. An uns liegt es nicht, daß dies in Wahlkampfzeiten stattfindet. Sie wissen: Es liegt ein halbes Jahr zurück, daß wir die Anfrage eingebracht haben.
Dabei müßte der Bundesregierung eigentlich der Erfolg ihrer Postpolitik ein ganz besonderes Anliegen sein.
({2})
Es geht nämlich um nicht mehr und nicht weniger, meine Herren, als um ein Kernstück Ihrer Politik der Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung. Der Postbereich ist neben der Telekommunikation und der Bahn der Freilandversuch der Liberalisierung im großen Maßstab.
Die Bundesregierung wird auch nicht müde, die moderne Dienstleistungsgesellschaft zu beschwören. Die Nagelprobe lautet hier, auf den Postbereich übertragen: Wollen Sie ein qualitativ hochstehendes
Angebot für alle, und wollen Sie sichere Arbeitsplätze? Oder wollen Sie Zersplitterung, Unterbietungskonkurrenz, Rosinenpickerei und Turnschuhbrigaden? Wollen Sie eine Angebotsverschlechterung, die den Kundinnen und Kunden weite Wege aufzwingt und in der Fläche nur noch ein Minimalangebot präsentiert?
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Wollen Sie dann für diejenigen, die es sich noch leisten können, wieder ein steuerliches Dienstbotenprivileg einführen?
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Schließlich und endlich geht es um Standortpolitik. Erst gestern hat die Koalition stundenlang über Infrastruktur als Standortpolitik reden wollen.
Reden wir also darüber! Selbst konservative Kommunalpolitiker haben erkannt, daß es bei Infrastruktur nicht nur um Transrapid, Flughäfen und Autobahnen geht. In einer Stellungnahme zur Postversorgung auf dem Land, bei der es schwerpunktmäßig um Postfilialschließungen geht, erwähnt zum Beispiel der Kreisverband Sigmaringen des Gemeindetags Baden-Württemberg zunächst einmal lobend die erheblichen Anstrengungen und Aufwendungen der europäischen, der Bundes- und der Landesebene, um den ländlichen Raum wirtschaftlich nicht ausbluten zu lassen.
Mit Genehmigung des Präsidiums darf ich von diesem Gemeindetag zitieren:
Die Wirkung dieser Programme und dieser Anstrengungen ist gut. Es ist aber widersinnig, diese politischen Ziele für den ländlichen Raum einerseits anzustreben und andererseits die Postversorgung als Grunddienstleistungsangebot für den ländlichen Raum zu verschlechtern. Es liegt nahe, daß durch die eingeleiteten Entwicklungen Gewerbe und Industrie aus Gemeinden mit dieser schlechten Postversorgung in die Zentren abwandern. Wenn sie dies trotz der erheblichen Nachteile nicht tun, bedeutet die Verschlechterung der Postversorgung auch eine Verschlechterung der Standortbedingungen und damit der Konkurrenzfähigkeit.
Nun wird der Herr Minister Bötsch nicht müde,
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landauf, landab, Bestandsgarantien für eine fünfstellige Zahl eigenbetriebener Postfilialen abzugeben, also mindestens 10 000.
Ich will mich gar nicht lange damit aufhalten, daß dies bereits eine Halbierung der Zahl von Anfang 1994 bedeutet. Meine These lautet: Wenn nicht sofort gehandelt wird, wird diese Zahl in wenigen Monaten unterschritten und der Minister selber auf Grund der Fakten blamiert.
Ich will das auch begründen - wir alle wollen endlich wissen, ob die Zahlen, die ich vorliegen habe, stimmen -: Allein 1995, im vergangenen Jahr, wurden pro Monat durchschnittlich 400 Postfilialen geschlossen, davon mehr als die Hälfte ersatzlos. Da Sie hier immer die Postagenturen befeiern, muß man deutlich auf „ersatzlos" eingehen: Die Hälfte der Postfilialen werden ohne Ersatz geschlossen.
Dann muß darauf hingewiesen werden: Ich habe eine Zahl von 14 000 eigenbetriebenen Postfilialen zum Ende 1995 vorliegen. Frau Blank spricht von 15 000. Der Herr Minister sagt, es seien 17 000. - Also: Wie viele sind es jetzt?
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- Na gut. Das wollen wir aber genau wissen.
Auch nachdem der Herr Minister das Moratorium von Ende November verkündet hat und die entsprechende Zusage von Dr. Zumwinkel gegeben wurde, einstweilen keine Schließungen mehr vorzunehmen, ging das Sterben munter weiter. Allein im Dezember wurden nach meinen Informationen 714 Postfilialen geschlossen - das ist sogar mehr als vorher.
Darüber hinaus hat Herr Zumwinkel gesagt, „daß im Hinblick auf bereits eingeleitete Schließungsverfahren ein gewisser Nachlauf unvermeidlich" ist. Das haben Sie erwähnt. Jeder weiß, daß es da einen gewissen Vorrat gibt.
Wenn jetzt Schließungen für den Sommer vorerst auf Eis liegen, bringt es im Ergebnis gar nichts, denn bis es soweit ist, muß der Stopp längst aufgehoben sein, und die Pläne werden schnell wieder aus der Schublade herausgeholt.
Der Gesamtbetriebsrat der Post AG bringt es auf den Punkt, wenn er feststellt: Tatsächlich scheint sich vor Ort niemand daran zu halten. Es werden ungehindert weitere Schließungen und Umwandlungen geplant.
Erst am 17. Februar hat der Post-AG-Vorstand die Absicht erklärt, bis zu 2.200 Postagenturen allein in diesem Jahr einzurichten. Trotz Stillhalteabkommens, das Umwandlungen ausdrücklich einschließt, bedeutet das in etwa die Beibehaltung des bisherigen Schließungstempos. Nach bisheriger Faustregel bedeuten 2 200 neue Postagenturen die Schließung von mindestens 4 000 eigenbetriebenen Filialen, und das, obwohl die Post AG auch bei der Deutschen Postgewerkschaft seit Sommer 1995 im Wort steht, die Agenturbildung bis zur Klärung der Schalterkooperation auszusetzen.
Meine Prognose ist also, daß bereits Ende dieses Jahres die Schallmauer von 10 000 durchbrochen sein wird, wenn es nicht zu einem massiven politischen Eingriff kommt.
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- Genau.
Sie wissen doch ganz genau: All die schlanken privaten Wettbewerber warten doch nicht deswegen auf die Liberalisierung der Postmärkte, um endlich ein flächendeckendes Filialnetz errichten zu können. Allein die Struktur der derzeitigen Postfilialen legt nahe, daß 10 000 nicht das Ende der Fahnenstange ist. Die Post AG selbst spielt mit Zahlen für ein optimales eigenbetriebenes Netz, die mal bei 1 200, mal bei 2 000, mal bei 5 000 bis 6 000 liegen.
Gleichzeitig - das muß man hier auch einmal erwähnen - sitzen jeder Postfiliale die explodierenden Pensionslasten der Post AG im Nacken. Gleichzeitig sitzen jeder Postfiliale die steigenden Einnahmeausfälle aus dem Remailing in dreistelliger Millionenhöhe im Nacken. Es besteht die Gefahr, daß die Altlasten und neue Lasten, die aus politischem Versagen tagtäglich entstehen, die Post AG zu weiteren Kostensenkungsprogrammen zwingen. Wo werden diese Kostensenkungen ansetzen, wenn nicht im Filialnetz?
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Warum sage ich das? Aus Panikmache? Weil ich die Post AG in Mißkredit bringen will? Um den Minister anzugreifen? - Ganz im Gegenteil! Die Entwicklung ist alarmierend, und die Bevölkerung erlebt es täglich. Es geht in den Filialen um 40 000 Arbeitsplätze, letztlich um alle Arbeitsplätze bei der Post AG und weit darüber hinaus. Noch einmal das Stichwort: Infrastruktur.
In dieser Situation gleitet der Bundesregierung die Sache mehr und mehr aus der Hand. Ich will das begründen: Der Vorstand der Post AG kümmert sich immer weniger um politische Vorgaben, ob es um den Schließungsstopp oder um die Kundenschutzverordnung geht. Die Regelung mit der Höchstentfernung einer Postfiliale von zweitausend Meter zum Beispiel - bevor Sie dazwischenrufen - wird stellenweise einfach uminterpretiert. Beispiele kann ich Ihnen beliebige bringen. Plötzlich werden auch Postfilialen auf eine Schließung hin überprüft, die bisher zu einer solchen Prüfung überhaupt nicht anstanden.
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- Doch. Das ergibt sich aus der Antwort auf eine Anfrage, die ein Abgeordneter hier gestellt hat. Dazu werden nämlich einfach die erforderlichen Grundarbeitsstunden, die man als Kriterium für eine Schließung braucht, von 5,5 auf 10 Stunden heraufgesetzt, und es werden die Arbeitszeitbemessungskriterien für diese Stunden verändert. So ist es, das haben Sie selbst schriftlich bestätigt.
Ist es dann außerdem aus der Luft gegriffen, daß die Post AG laut „Focus" teure Gutachten bestellt, die die Abgrenzung gegenüber dem Ministerium zum Gegenstand haben? Steht das nur zufällig im Zusammenhang mit der Forderung, die Auflage mit den 10 000 Filialen nicht weiter aufrechtzuerhalten?
Wesentlich offener noch als die Post AG betreibt die Postbank dieses Spiel. In Herrn Schneiders Selbstdarstellungspostille „Bankpost" kann gar nicht
oft genug von Eigenständigkeit und Selbständigkeit geschwärmt werden. In der Februarausgabe zum Beispiel wird in aller Breite und mit noch mehr Schneiderkonterfeis als sonst die eigene Sichtweise zur Kapitalverflechtung kundgetan und zum Schroders-Gutachten triumphierend verkündet, damit sei dem Übernahmeversuch der Post AG eine klare Absage erteilt worden. - Das ist wohlgemerkt der Vorschlag, den Herr Bötsch auch unterstützt hat.
Das hat aber die Postbank trotzdem nicht daran gehindert, ein zusätzliches Gutachten bei einer anderen Bank in Auftrag zu geben. Tenor dieses Gutachtens ist, Herrn Waigel zum Verbündeten gegen die Post AG zu gewinnen, indem schnelle und hohe Privatisierungsgewinne in Aussicht gestellt werden, quasi ohne Rücksicht auf Verluste.
Herr Minister Bötsch, längst wäre es an der Zeit gewesen, die schädliche Auseinandersetzung zwischen den Vorständen von immerhin bundeseigenen Unternehmen zu beenden, deren Überleben nicht vom öffentlichen Streit, sondern von der Zusammenarbeit abhängt. Längst wäre es an der Zeit gewesen, den erklärten Willen des Parlaments durchzusetzen und die Vorstände der beiden Unternehmen zur Schalterkooperation zu zwingen.
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Längst wäre es an der Zeit gewesen, ein Beteiligungskonzept vorzulegen, mit uns zu beraten und durchzusetzen. Längst wäre es an der Zeit gewesen, definitiv zu klären, welches Filialangebot in welcher Qualität in der Fläche auch langfristig aufrechterhalten werden soll und was dies kosten wird. Längst wäre es an der Zeit gewesen, Wege der Finanzierung aufzuzeigen. Längst wäre es an der Zeit gewesen, eine Offensive zu einer besseren Auslastung der Filialen, also ein gemeinsames Unternehmenskonzept für die Schalter der Unternehmen einzufordern. Schließlich und endlich wäre es an der Zeit gewesen, die Post AG von den Risiken der Pensionslasten zu befreien und die Einnahmeausfälle aus den Remailing, die überhaupt nichts mit Wettbewerb zu tun haben, zu verhindern.
Nur wenn dieses Konzept steht und die Kosten berechenbar sind, kann es weitergehen. Die Kapitalverflechtung darf nicht weiter als Selbstzweck behandelt werden, sondern muß der Sicherung der Oberlebensfähigkeit der beiden Unternehmen und ihrer Schalter dienen.
In diese Debatte gehört auch das Gebot, die Sicherung des Universaldienstes vor die Liberalisierung der Postmärkte zu stellen. Hier brauchen Sie nicht mit der EU zu kommen, denn die sieht ausdrücklich vor, daß ein solcher geschützter Bereich aufrechterhalten werden kann.
Sie reden sich oft damit heraus, daß Sie auf die Unternehmensentscheidungen keinen Einfluß nehmen könnten, sondern nur den großen Hammer hätten, die Personen auszuwechseln. Das ich nicht lache! Glauben Sie wirklich, daß es einen Großaktionär, einen Alleineigentümer in der sogenannten freien Wirtschaft gibt, der sich von seinen Vorständen, also
seinen Angestellten, so auf der Nase herumtanzen läßt? Mal ganz abgesehen davon, daß die dort handelnden Personen nicht vom Himmel gefallen sind, sondern daß jederzeit leicht erkennbar ist, welche Handschrift die Personalpolitik in den Postunternehmen trägt, nämlich die der Bundesregierung.
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Ich habe jetzt noch eine Geschichte zu bieten, was die Bundesregierung mit der Post AG macht.
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Diese erinnert mich an eine Geschichte aus dem süddeutschen Raum. Die will ich noch zum besten geben, weil auch der Herr Minister da herkommt.
Drei befreundete Fischer - nennen wir sie B, R und W - stehen am Fluß. Einer, der B, hat gerade einen großen goldgelben Fisch gefangen, hält den zappelnden Fisch in der Hand und streichelt ihn. Da sagt der Fischer R: „Komm, bring ihn schnell um, zerhacken wir ihn und verfüttern ihn an die Geier, die da oben kreisen." Sagt der Fischer W: „Halt, halt! Hau ihn auf den Kopf, nehmen wir ihn aus und essen wir ihn gemeinsam schnell auf. " „Langsam, langsam", sagt der Fischer B und streichelt den Fisch weiter. „Der wird auch so hin."
Herr Bötsch, werfen Sie den Fisch wieder ins Wasser und sorgen Sie für klare Überlebensbedingungen!
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Das war die erste Rede des Kollegen Barthel. Es war eine temperamentvolle, märchenreiche Rede. Deswegen möchte ich Ihnen im Namen des ganzen Hauses gratulieren.
({0})
Ich schließe damit die Aussprache. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4001 soll an den Ausschuß für Post und Telekommunikation überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Verringerung und Straffung von Bundesbehörden
- Drucksache 13/3923 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({1})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuß
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Zu diesem Tagesordnungspunkt haben die Kollegen Reiner Krziskewitz, Fritz Rudolf Körper, Antje Vollmer, Max Stadler, Maritta Böttcher und auch der Bundesminister Theo Waigel gebeten, ihre Reden zu Protokoll zu geben.*)
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/3923 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den Haushaltsausschuß vorge-
*) Anlage 3
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 13. März 1996, 13 Uhr ein.
Allen Kolleginnen und Kollegen und auch den Besuchern wünsche ich ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.