Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/7/1996

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. Darf ich Sie bitten, sich zu Beginn der Plenarsitzung von Ihren Plätzen zu erheben, weil wir der Opfer der Terroranschläge in Israel gedenken wollen. In den letzten Tagen haben in mehreren israelischen Städten, in Jerusalem, in Aschkelon und in Tel Aviv, terroristische Anschläge viele Opfer gefordert, Leid über die Menschen gebracht und Friedenshoffnungen gefährdet. Terroristische Organisationen, die sich allen Bemühungen von israelischen und palästinensischen Politikern für ein friedliches Miteinander von Israelis und Arabern im Nahen Osten widersetzen, üben diesen barbarischen Terror aus. Der Deutsche Bundestag drückt dem israelischen Volk, den Familien der Opfer und den vielen Verletzten sein Mitgefühl aus. Die Mitglieder dieses Hauses stehen solidarisch an der Seite Israels bei seinem mutigen Kampf, zusammen mit seinen Nachbarn den Frieden im Nahen Osten zu sichern und die Spirale von Haß und Gewalt zu durchbrechen. Erneut stehen alle, die sich um eine friedliche, auf politischen Ausgleich gründende Regelung des seit vielen Jahrzehnten andauernden Nahostkonflikts bemühen, vor der brennenden Frage, ob es trotz aller Anstrengungen und trotz der erreichten Vereinbarungen nie zu einem Ende des Terrors in diesem Teil der Welt kommen wird. Wir alle erkennen deutlich die Gefahren, die dem erst jungen nahöstlichen Friedensprozeß auf Grund solcher Verbrechen drohen. Jetzt ist von allen Seiten Druck auf diejenigen Staaten notwendig, die immer noch indifferent oder gar zustimmend dem terroristischen Treiben zusehen. Wir müssen ihnen deutlich machen, daß sie sich damit weltweit isolieren und ihren Völkern schweren Schaden zufügen. In einer Atmosphäre von Terror und Mord stirbt die politische Vernunft, nimmt die politische Handlungsfähigkeit und Verständigungsbereitschaft schweren Schaden. Ministerpräsident Shimon Peres und Präsident Arafat haben deutlich gemacht, daß sie den Friedensprozeß trotz der Mordanschläge nicht aufgeben werden. Die gemeinsamen Hoffnungen der Menschen im Nahen Osten auf ein Leben in friedlicher Partnerschaft und respektierter Nachbarschaft dürfen nicht zunichte gemacht werden. Der Friedensprozeß ist unsere gemeinsame Verantwortung, in Europa und in der Welt. Haß und Gewalt gefährden uns alle. Wer terroristische Gruppen unterstützt, stellt sich außerhalb der Völkergemeinschaft. Die Gestaltung unserer gegenseitigen Beziehungen wird sich daran ausrichten. Bundesminister Kinkel reist heute mittag nach Tel Aviv und Gaza-Stadt und trifft dort mit Ministerpräsident Peres und Ministerpräsident Arafat zusammen. Er wird bei seinen Gesprächen dem israelischen Volk unser Mitgefühl ausdrücken und an die arabische Seite appellieren, den Friedensprozeß im Nahen Osten uneingeschränkt und nachhaltig zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag versichert den politisch Verantwortlichen in dem uns befreundeten Israel, daß wir weiterhin alle Anstrengungen unternehmen werden, um die Kräfte politisch zu unterstützen, die sich dem Frieden und dem Wohlergehen aller Menschen dieser Region verpflichtet wissen. Sie haben sich zu Ehren der ermordeten Opfer von Ihren Sitzen erhoben. Ich danke Ihnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen mitteilen, daß für den verstorbenen Kollegen HeinzAdolf Hörsken der Abgeordnete Helmut Heiderich am 26. Februar 1996 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat. Ich begrüße den neuen Kollegen und wünsche gute Zusammenarbeit. Herzlich willkommen, Herr Abgeordneter! ({0}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemäß Nummer 1 Buchstabe b Anlage 5 GO * ) *) In der 91. Sitzung am 6. März 1996 bereits erledigt. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1995 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Peter Harry Carstensen ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1995 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD a) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1995 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung b) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Materialband ({3}) zum Agrarbericht 1995 der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agarbericht 1995 - Drucksachen 13/400, 13/401 ({4}), 13/697, 13/713, 13/708, 13/3956 Berichterstattung: Abgeordnete Horst Sielaff Günther Bredehorn ({5}) 3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung zu Defiziten in der Rentenversicherung und zur künftigen Höhe der Rentenversicherungsbeiträge ({6}) 4. Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 109 zu Petitionen - Drucksache 13/3983 ({8}) Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist, abgewichen werden. Weiterhin ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 10, Einsetzung einer Enquete-Kommission „Neugestaltung der Arbeit", und den ohne Aussprache vorgesehenen Tagesordnungspunkt 17 g abzusetzen. Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir Geschäftsordnungsanträge behandeln. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Gruppe der PDS sowie die Abgeordneten Christa Nickels und Cern Özdemir haben fristgerecht beantragt, die Tagesordnung zu erweitern. Ich erteile zunächst dem Abgeordneten Joachim Hörster das Wort zur Geschäftsordnung.

Joachim Hörster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000932, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beantrage namens meiner Fraktion, die Geschäftsordnungsanträge von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS zur Erweiterung der Tagesordnung im Anschluß an die Tagesordnungspunkte aufzurufen, die in der Kernzeit beraten werden. Ich begründe dies wie folgt: Bei den interfraktionellen Erörterungen zur Vorbereitung unserer heutigen Tagesordnung sind die Wünsche der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der PDS zur Erweiterung der Tagesordnung besprochen worden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich dabei geweigert, die gewünschte Erweiterung der Tagesordnung in einer einheitlichen Geschäftsordnungsdebatte zu behandeln. Sie besteht darauf, die Erweiterungsanträge getrennt zu beraten, was zur Folge hätte, daß wir vor der Kernzeit eineinhalb Stunden lang nur über Geschäftsordnungsanträge debattieren würden. Es ist jedem Kundigen in diesem Hause klar, daß damit sozusagen durch die Hintertür, durch Mißbrauch der Geschäftsordnung, eine Sachdebatte geführt werden soll. Ginge es nämlich wirklich um die Erweiterung der Tagesordnung, würde man dies, wie sonst auch, in einer einheitlich konzentrierten Debatte zu Beginn der Sitzung beraten und entscheiden. In Anbetracht der Tatsache, daß wir uns in der Kerndebatte auf wichtige Themen, die uns insgesamt in der Bundesrepublik entscheidend berühren, konzentrieren wollen, halten wir es für sachgerecht, die Geschäftsordnungsanträge um die Erweiterung der Tagesordnung im Anschluß an die Kernzeit zu debattieren und dann zu entscheiden. Dies dient der Arbeit in diesem Hause. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir jetzt tun, ist ein äußerst mißlicher und ärgerlicher Vorgang. Wir führen eine Geschäftsordnungsdebatte darüber, ob wir eine Geschäftsordnungsdebatte führen. Das habe ich in diesem Haus eigentlich noch nicht erlebt. ({0}) Der Hintergrund ist, daß von meiner Fraktion drei aktuelle Anträge vorliegen, die heute zusätzlich auf die Tagesordnung gesetzt werden sollen. Es ist durchaus üblich, daß solche Anträge kurz und sachlich begründet werden und daß die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen dann ihre Meinung äußern, ob sie diese Anträge unterstützen oder aus welchen Gründen sie das ablehnen. Werner Schulz ({1}) Der Vorschlag des Kollegen Hörster, dies nicht vor Eintritt in die Tagesordnung zu tun, sondern nach der Kernzeit, ist im Grunde genommen nur mit einer Zweidrittelmehrheit durchzusetzen. Das ist ein einmaliger Vorgang. Das ist im Grunde genommen die Beugung eines Minderheitsrechtes, eines verbrieften Minderheitsrechtes. ({2}) - Aber natürlich. Ich hoffe, Sie werden es noch zu schätzen wissen, was es bedeutet, Minderheitsrechte für sich in Anspruch nehmen zu können. ({3}) Es ist ein verbrieftes Minderheitsrecht, das in dieser Weise jedenfalls nicht gebeugt werden sollte. Ich bitte Sie, ersparen Sie uns diese Schmach für die Demokratie, ({4}) ersparen Sie uns zumindest den Probelauf einer Großen Koalition! Ersparen Sie uns eine große Verweigerungskoalition! Lassen Sie uns nicht darüber abstimmen, ob wir die Geschäftsordnungsdebatte verschieben, sondern lassen Sie uns darüber abstimmen, ob wir diese Anträge auf die Tagesordnung setzen! Es ist der Antrag, keine Stimmungsmache gegen Aussiedler zuzulassen. Sie wissen, daß zu den Ängsten, die in diesem Lande bestehen, momentan zusätzliche Ängste geschürt werden. ({5}) - Ja, Otto Schily, das ist ein akutes Problem. Es reicht eben nicht aus, das nur in den Medien voranzupeitschen, sondern es sollte hier in diesem Hause geklärt werden, welche Position die verantwortliche Politik in diesem Land einnimmt. ({6}) Es ist die Altfallregelung zu Asylfällen, eine Regelung, die seit einem Jahr auf sich warten läßt, wo sich viele Beteiligte einig sind und was relativ schnell entschieden werden sollte. Und es ist ein Antrag zur Krise der Bremer Vulkanwerft bzw. zur Zukunft der maritimen Industrie. Das alles sind Fragen, die in diesem Lande hochgradig interessiert verfolgt werden und wo es nicht reicht, daß wir hier im Bundestag nur eine interessante Diskussion geführt haben. Vielmehr sind konkrete Forderungen an diese Bundesregierung zu stellen, und der Wirtschaftsausschuß muß beauftragt werden, diese Sache konkret weiterzuverfolgen. Ich schlage Ihnen deswegen vor: Lassen Sie uns darüber abstimmen, ob diese drei aktuellen Anträge heute auf die Tagesordnung gesetzt werden! ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kollege Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht nicht um die Frage, ob diese Tagesordnungspunkte, von denen eben gesprochen worden ist, diskutiert werden - die SPD-Bundestagsfraktion ist jederzeit bereit, darüber zu diskutieren -, sondern es geht um die Frage, ob wir jetzt eineinhalb Stunden Geschäftsordnungsdebatten machen. Wir halten das angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland für unsinnig. Wir sollten jetzt in der Kernzeit sofort über das Versagen der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit diskutieren. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das übliche Verfahren ist, Kollege Hörster, daß man vor Beginn einer Sitzung über die Tagesordnung beschließt, daß man nicht eine Sitzung beginnt, eine Beratung anfängt und erst im Verlauf der Beratung darüber nachdenkt, wie sie überhaupt stattfinden soll, welche Punkte auf der Tagesordnung sein sollen. Kraft Ihrer Mehrheit wollen Sie dieses Verfahren hier aussetzen. Sie stricken sich eben die Geschäftsordnung so, wie sie für Ihre Zwecke gerade paßt. Das ist genau Ihr Umgang mit der Opposition im Haus. Das ist Ihr Umgang mit Minderheiten. Das ist Ihr Verständnis von Demokratie. ({0}) Kraft Ihrer Mehrheit haben Sie auch entschieden, daß der Antrag der Koalition - mehrfach im Text geändert, mehrfach in der Überschrift geändert - nun heute in der Kernzeit beraten wird. Eines muß ich Ihnen bescheinigen: Sie haben großen Mut. Sie haben großen Mut, einen solchen Wisch überhaupt auf diese Tagesordnung zu setzen, einen solchen Wisch in die Kernzeit zu bringen. ({1}) Anträge der Opposition, unter anderem der Antrag der PDS zum Bremer Vulkan, sollen hinten herunterfallen. Es geht ja nicht nur darum, daß sie außerhalb der Kernzeit in der GO-Debatte behandelt werden sollen, sondern es geht darum, daß sie dann abgelehnt werden sollen, und zwar außerhalb der Öffentlichkeit, wenn die Fernsehkameras weg sind, wenn die Journalisten vielleicht ihren Mittagsschlaf machen, ({2}) wenn niemand mehr von diesen Anträgen Kenntnis nimmt. Es geht um den Bestand des Bremer Vulkan, es geht um die Frage des Subventionsbetruges, es geht hier auch um die Verantwortung der Bundesregierung. Es geht um die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, damit endlich hier auf den Tisch kommt, was dort gelaufen ist. Vor allen Dingen geht es darum, was denn nun weiter passieren soll. Das, was in der vergangenen Woche hier gelaufen ist, waren Schönwetterreden, ohne jede Folge für dieses Parlament, ohne jede Folge für die Bundesregierung. ({3}) Aber alles soll schnell weg, weg auf den Nachmittag, damit auch ja keiner davon Kenntnis nimmt. Ich sage Ihnen eines: Die Luft brennt. Die Luft brennt in Bremen, in Stralsund, in Wismar. In Wismar konnte eine Baurechnung von über elf Millionen Mark, die fällig war, nicht abgerechnet werden. Die Baufirmen wollen ihre Arbeiter abziehen. Hier ist politisches Handeln gefordert. Politische Schaufensterreden helfen uns hier beim besten Willen nicht weiter, ({4}) hier sind Folgen gefragt. Deswegen hat die PDS ihren Antrag eingebracht. Er muß hier und heute behandelt werden, und das nicht erst um Mitternacht, sondern jetzt und sofort. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kollege Schulz, ich frage noch einmal: Ihre Erwartung ist, daß sofort über alle Anträge abgestimmt wird? ({0}) - Über die Aufsetzung der von Ihnen eingebrachten Anträge. - Das ist der Fall. Herr Kollege Hörster, ich frage Sie: Bleibt es dann bei Ihrem Antrag?

Joachim Hörster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000932, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, dann ziehe ich ihn zurück.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Dann frage ich jetzt das Plenum: Wer stimmt für die Aufsetzung der vom Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Anträge zur Aufsetzung und zur Erweiterung der Tagesordnung? ({0}) - Und der PDS. - Wer stimmt für die Aufsetzung der Anträge? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Aufsetzung der Anträge mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD bei Zustimmung vom Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Mehr Arbeitsplätze durch Erhalt und Ausbau der Infrastruktur - Drucksache 13/3952 ({1}) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Peter Hintze. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aktuellen Arbeitsmarktzahlen zeigen die Herausforderung, vor der wir stehen. Aufgabe Nummer eins ist eine gemeinsame Anstrengung für mehr Investitionen und die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Wir brauchen das „Bündnis für Arbeit". Alle müssen mitmachen: Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Politik. ({0}) Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Jagoda, hat gestern darauf hingewiesen, daß die derzeitige Verschlechterung am Arbeitsmarkt vor allem auf das Baugewerbe und die baunahen Wirtschaftszweige zurückgeht. ({1}) Angesichts dieser Tatsache ist es politisch mehr als unverantwortlich, wenn etwa die rot-grüne Koalition in Düsseldorf milliardenschwere Bauprojekte verhindert. ({2}) Für Wirtschaft und Arbeitsplätze ist jetzt nichts schädlicher als die quälende Verweigerungs- und Verschleppungspolitik rot-grüner Koalitionen in den Ländern. Zu den Zwischenrufern kann ich nur sagen: Deutschland kann jetzt keine Politik der Technikverweigerung und Infrastrukturblockade gebrauchen. ({3}) Die Konkurrenz der Standorte ist härter geworden; das wissen wir. Aber welches Unternehmen bleibt an einem Standort, wenn die Landesregierung Unsicherheit über die zukünftigen Rahmenbedingungen stiftet? ({4}) Und welches Unternehmen bleibt an einem Standort, wenn Abgeordnete diesem Unternehmen Demonstrationen und Widerstand gegen seine Geschäftstätigkeit androhen, wie das grüne Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen getan haben? ({5}) Diese Firma geht jetzt von Köln nach Lüttich. Das ist rot-grüne Wirtschaftsvertreibungspolitik. ({6}) Eines der erschreckendsten Beispiele liefert die rot-grüne Streitkoalition in Nordrhein-Westfalen. In einer Zeit, in der alle Kräfte gebraucht werden, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern, besteht die Landespolitik in NRW nur noch aus einer Kette von Koalitionskrisen. ({7}) Das industrielle Kernland Deutschlands wird von unbegreiflichem Streit gelähmt. Meine Damen und Herren, wer kann denn ernsthaft bestreiten, daß eine moderne, konkurrenzfähige Wirtschaftsnation ein gut ausgebautes Luftverkehrsnetz braucht? Die Knebelung der NRW-Flughäfen durch die rot-grüne Landesregierung ist ein direkter Angriff auf Arbeitsplätze und Wirtschaftschancen in diesem Land. ({8}) Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung" aus Essen titelte in der vergangenen Woche: Grüne: Statt Flughäfen Radwege bauen. ({9}) Die grüne Abgeordnete Gisela Nacken hatte tatsächlich in einer Landespressekonferenz gefordert, die für den Flughafen Dortmund vorgesehenen Gelder in den Bau von Radwegen zu stecken. Meine Damen und Herren, sollen wir etwa nach dem Konzept der Grünen die Zukunftsmärkte in Südostasien mit dem Fahrrad erstrampeln? - Wer so etwas fordert, der zeigt, daß er von den Nöten der Menschen um Arbeitsplätze und Wirtschaftsentwicklung nichts verstanden hat. ({10}) Weil die rot-grüne Koalition nicht platzen darf, weil sie uns weiter krampfhaft als angebliches Zukunftsmodell angedroht wird, wird der Streit um den Dortmunder Flughafen mit einem Formelkompromiß überdeckt. Das ist keine Brücke in die Zukunft, das ist nur eine recht traurige Krücke für die Gegenwart. Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung in Düsseldorf liest sich wie eine einzige Infrastrukturblockade: Verhinderung der A 4, Verhinderung der A 44, Verhinderung der A 33, Verhinderung der A 542, Verhinderung der A 565, und die Verlesung der Bundesstraßen erspare ich uns. Nicht einmal ein kleines Autobahnteilstück von 2,2 Kilometern zur Anbindung der Opelwerke an die Autobahn ist ohne rot-grünen Streit realisierbar. Meine Damen und Herren, das ist praktizierte Zukunftsblockade. ({11}) Es ist schon erklärungsbedürftig, mit welchem Recht Johannes Rau in meinem Wahlkreis Wuppertal ({12}) die Situation der Automobilzulieferer beklagt, während er am Kabinettstisch gemeinsam mit den Grünen die Rahmenbedingungen für die Automobilindustrie systematisch verschlechtert. Rot-Grün verweigert dem Ruhrgebiet die dringend notwendige Südtangente Düsseldorf-Bochum-Dortmund. Rot-Grün blockiert insgesamt Straßenbauinvestitionen von 2,2 Milliarden DM. 1 Milliarde DM Straßenbauinvestitionen bedeuten 12 500 Arbeitsplätze. Das sind hier allein 25 000 Arbeitsplätze im Tiefbau, von den Sekundärwirkungen auf dem Arbeitsmarkt gar nicht zu sprechen, die mutwillig zerstört werden. Das sind Hunderttausende von Autofahrern im quälenden Stau. Das ist Zukunftsblokkade. ({13}) Was Rot-Grün in den letzten Wochen in NRW veranstaltet hat, spottet jeder Beschreibung. Ich kann nur sagen: Ein Bündnis, dem Krötenwanderwege wichtiger sind als Verkehrsnetze und Arbeitsplätze, verspielt die Zukunft. ({14}) Die rot-grüne Strukturfeindlichkeit hat Tradition. Ich denke nur an die erbitterte Gegenwehr gegen den Rhein-Main-Donau-Kanal, heute eine der wichtigsten Wasserstraßen Europas. ({15}) Was den Zwischenschreier in der ersten Reihe angeht, so erinnere ich nur an die Auseinandersetzung um den Frankfurter Flughafen. Was wäre wohl aus der Region Frankfurt ohne den Ausbau dieses zentralen Luftverkehrskreuzes geworden? ({16}) Es bleibt bis heute ein Skandal, mit welch brutaler Gewalt Grüne und ihre Freunde den Ausbau der Startbahn West verhindern wollten. ({17}) Für die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern ist der Bau der Ostseeautobahn, der A 20, von großer Bedeutung. Sie wissen genau: Die A 20 ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, daß sich in Mecklenburg-Vorpommern der Tourismus entfalten kann, daß die Wirtschaft wächst und daß neue Arbeitsplätze entstehen. Für die Menschen dort verbindet sich mit der A 20 ganz konkret Zukunft. In Schleswig-Holstein aber haben die Grünen und Teile der SPD nichts Dringenderes zu tun, als gegen die A 20 Sturm zu laufen. Das nenne ich wirtschaftspolitisch töricht und den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern gegenüber höchst unsolidarisch. ({18}) Ein ganz besonders trauriges Beispiel liefert auch Rot-Grün in Sachsen-Anhalt. Straßenbaumittel werden nicht abgerufen, Verkehrsprojekte werden verzögert und verhindert. Mit immer wieder neu angesetzten Planungsverfahren werden die Südharzautobahn, der Neubau der Bundesstraße 6 und die ICE-Schnellstrecke Nürnberg-Leipzig systematisch verschleppt. Heute hält Sachsen-Anhalt den traurigen Spitzenplatz bei der Arbeitslosigkeit. Das ist, meine Damen und Herren, die Bilanz der Zusammenarbeit einer rot-grünen Minderheitsregierung mit der PDS. ({19}) Wir erleben hier im Bundestag immer wieder - ich fürchte, wir werden es auch heute wieder erleben -, daß die Opposition sich hinstellt und mit dem Finger auf die Regierung zeigt. ({20}) Vier Finger weisen dabei auf sie selbst zurück, weil dort, wo sie in den Ländern Verantwortung hat, wo es um den Ausbau der Infrastruktur geht, wo es um Arbeitsplätze geht, eine Politik gemacht wird, die all das Lügen straft, ({21}) was Sie in diesem Hause erzählen. ({22}) Die Menschen zahlen die Zeche für die rot-grüne Verweigerungspolitik. Heute gehen Arbeitsplätze verloren, morgen Zukunftsperspektiven. Ein Beispiel dafür ist der Transrapid. ({23}) Die Koalition hat die Entscheidung für den Transrapid durchgesetzt, gegen den Widerstand von Grünen und Teilen der SPD. ({24}) Es geht dabei um Tausende von Arbeitsplätzen, die unmittelbar mit dem Bau der Strecke verbunden sind. Zum anderen geht es aber darum - das ist wichtiger -, daß Deutschland den Anschluß in dieser wichtigen Spitzentechnologie nicht verliert. Wir werden im Wettstreit um lukrative Aufträge nur mithalten können, wenn wir den Nachweis unserer technologischen Leistungskraft führen, und zwar nicht nur auf den Blaupausen, sondern mit einer Referenzstrecke in Deutschland. Der Transrapid muß fahren, damit wir ihn verkaufen können, und wir müssen ihn verkaufen, damit wir Arbeitsplätze haben. ({25})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Hintze, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Enkelmann?

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, der PDS gestatte ich das nicht. ({0}) In diesem Hause müssen wir uns leider sehr oft mit Industriebereichen und Branchen beschäftigen, die auf dem Weltmarkt keine Zukunftschancen haben. Wir müssen um so mehr in den Bereichen, in denen wir Chancen haben, diese Chancen auch nutzen. Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben bis zuletzt dagegen gestimmt. Frau Simonis hat im Bundestag bei der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht eine traurige Tirade gegen den Transrapid gehalten. Dazu sage ich: Das ist Zukunftsverweigerung zu Lasten der Menschen. ({1}) Wenn ich mir Hessen anschaue, dann kann ich ebenfalls nur traurig werden. Die Regierung hat sich ja in verschiedenen Bereichen einen traurigen Namen gemacht, in einem besonders: als fanatische Gegnerin der Gentechnik. Was passiert nun? 1993 hat Hessen als einziges Bundesland gegen die dringend notwendige Novellierung des Gentechnikgesetzes gestimmt. 1995 schreiben Sie das gleiche in den Koalitionsvertrag hinein. Im selben Jahr werden Mittel aus dem Haushalt für einen Kongreß gegen die Gentechnik zusammengekratzt. Nun kommt der Höhepunkt. Was passiert jetzt: ({2}) Im Jahre 1996 bewirbt sich die Eichel-Regierung aus Hessen um einen Platz in dem von BundesforPeter Hintze schungsminister Jürgen Rüttgers ausgeschriebenen Wettbewerb ,, Bioregio 2000" . Da bewirbt sich der Bock als Gärtner. ({3}) Auch über Rheinland-Pfalz gibt es in diesen Tagen leider nicht viel Erfreuliches zu berichten. Unter der Verantwortung von Herrn Beck ist die Arbeitslosigkeit dort im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern weit überdurchschnittlich gestiegen. ({4}) Es reicht eben nicht aus, meine Damen und Herren, händeschüttelnd durch die Weinberge zu laufen. Man muß auch etwas tun für die wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitsplätze im Land. ({5}) Eine Politik des Verstolperns, Verzögerns und Verhinderns ist verantwortungslos. Darin unterscheiden sich - das macht auch die Schreierei heute morgen deutlich - SPD und Grüne nicht viel. ({6}) Unterschiedlich sind nur die Motive: Die Grünen und die grüne Hälfte der SPD wollen nicht, und die andere Hälfte der SPD kann nicht, weil sie die Finanzen vor die Wand gefahren hat. Die einen haben die Hürde im Kopf, und die anderen haben das Loch im Beutel. Das Ergebnis bleibt gleich: Infrastrukturentscheidungen finden nicht statt. Das gilt ja auch für Ihre beiden Spitzenvertreter. Herr Schröder hat traurigerweise die höchste Arbeitslosigkeit in Deutschland vorzuweisen, was die westdeutschen Flächenländer angeht, und Herr Lafontaine den höchsten Schuldenstand. Wir haben jetzt erkannt, meine Damen und Herren, wie die Ämterverteilung bei der SPD abläuft: Wer die höchste Arbeitslosigkeit vorweisen kann, wird wirtschaftspolitischer Sprecher, wer die höchsten Schulden vorweisen kann, wird Vorsitzender, und wer den Kombinationswettbewerb gewinnt, den machen sie zum Kanzlerkandidaten. ({7}) Meine Damen und Herren, Deutschland braucht in den Ländern eine Politik, die für eine moderne, leistungsfähige Infrastruktur sorgt, die Investitionen Vorrang gibt und Arbeitsplätze sichert. Was wir nicht brauchen, ist ein rot-grünes Bündnis gegen Arbeit. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, der Kollege Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ({0}) ich biete Ihnen ausdrücklich an, in dieser oder in der nächsten Woche ein Spitzengespräch des Bundeskanzlers mit den Fraktions- und Parteivorsitzenden mit dem Ziel durchzuführen, Sofortmaßnahmen gegen den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu vereinbaren. ({1}) Wir hatten Ihnen im Januar dazu einen Brief geschrieben. Da haben Sie abgelehnt. Dann haben Sie am 8. Februar hier im Deutschen Bundestag gesagt, Sie seien bereit, mit der Opposition zusammenzuwirken. Seither ist nichts geschehen außer dem peinlichen Streit darüber, wie diese Arbeitsgruppen zu behandeln seien. Herr Bundeskanzler, ich muß sagen: Ich finde es unverantwortlich, wie mit diesem Thema umgegangen wird. Noch unverantwortlicher und peinlicher finde ich es, daß Sie in einer Zeit, in der wir zum ersten Mal seit 40 Jahren im Februar eine gegenüber dem Vormonat einmalig gestiegene Arbeitslosigkeit haben, in einer Zeit, in der 4,3 Millionen Menschen keine Arbeit haben, in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit für den einzelnen Betroffenen immer länger dauert, in einer Zeit, in der immer mehr Frauen arbeitslos werden, in einer Zeit, in der immer mehr Jugendliche die Schwelle zum Arbeitsmarkt nicht überschreiten können, eine solche Rede halten. Das ist von einer Peinlichkeit, die sich selbst richtet. ({2}) Herr Bundeskanzler, mit gegenseitigen Vorwürfen werden wir dem Ernst der Lage nicht gerecht. Dennoch muß ich auf eines hinweisen: Diese Bundesregierung hat in der Zeit seit dem Oktober 1994 ein einziges Mal zu einem aktuellen, unvorhergesehenen und für die Menschen bedrückenden Ereignis in einer Regierungserklärung Stellung genommen. Das war richtig so und betraf die Hochwasserkatastrophe im Februar des letzten Jahres. Wie lange, Herr Bundeskanzler, wollen Sie eigentlich warten, bis die Bundesregierung hier an diesem Pult offiziell sagt, was sie tun will angesichts einer Situation, wie sie in Deutschland seit dem Krieg nicht herrschte? Wie lange wollen Sie warten, bis Klarheit besteht? Wie lange soll nur geschwätzt anstatt gehandelt werden? ({3}) Wir bieten Ihnen an, über fünf Bereiche zu reden: zum einen darüber, wie auf dem Arbeitsmarkt sofort Ordnung geschaffen werden kann. ({4}) Das betrifft den Abbau von Überstunden. Das halten wir schon deshalb für wichtig, weil das „Bündnis für Arbeit" zu scheitern droht, wie die Bemerkungen aus dem Arbeitgeberlager überdeutlich zeigen. ({5}) Jetzt müssen Sie Führung zeigen, anstatt sich auf Moderation zu beschränken. ({6}) Wir bieten Ihnen an, über die Billigjobs zu reden, jene Jobs, mit denen Frauen aus der sozialen Sicherheit herausgehalten sowie Arbeits- und Ausbildungsplätze bei Selbständigen kaputtkonkurriert werden. Nie war daran gedacht, daß die vorübergehende Beschäftigung ohne soziale Sicherheit so mißbraucht werden kann, wie das jetzt geschieht. ({7}) Ganze Belegschaften werden mittlerweile so zusammengesetzt. Stellen Sie diesen Mißbrauch endlich ab! ({8}) Wir bieten Ihnen an, über die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung sowie über die Begrenzung des Zuzugs zu reden, und wir bieten Ihnen an, unvoreingenommen auch über geeignete Maßnahmen der Flexibilisierung und der Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt zu reden. Wir brauchen eine örtlich und regional verankerte Arbeitsmarktpolitik unter Einbeziehung der Tarifpartner. Wir sind ferner der Auffassung, man sollte über den Zusammenhang zwischen Steuern und Lohnnebenkosten reden. Das ist schon deshalb dringend notwendig, weil alle Zahlen zeigen, daß in Deutschland das Problem nicht mehr in der Belastung der Unternehmen mit Steuern besteht, sondern vorrangig in der Belastung der Unternehmen, der Arbeitsplätze, der Einkommen der Arbeitnehmer mit Lohnzusatzkosten. Wir sind auf dem Marsch in den Lohnsteuerstaat, wie sich einem sehr schnell erschließt, wenn man sich diese Zahlen anschaut. - Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, Sie können es wenigstens von dahinten sehen. 37 Prozent machen die Lohnsteuern mittlerweile am Gesamtsteueraufkommen aus. Der Anteil der Unternehmensteuern am Gesamtsteueraufkommen ist in einer dramatischen Weise gefallen, in einer dramatischen Weise zurückgegangen. Das Verhältnis zwischen Steuerleistung der Unternehmen und Lohnzusatzkosten ist ein Verhältnis von 1 zu 6 geworden. Der, der vorrangig über die Steuern der Unternehmen redet anstatt über die Belastung der Arbeitsplätze mit Lohnzusatzkosten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, hat nicht mehr den richtigen ökonomischen Zusammenhang im Kopf. ({9}) Dennoch bieten wir Ihnen an, unbefangen und mit dem Ziel eines Ergebnisses auch über die Steuerbelastung der Unternehmen zu reden. Wir haben hierzu Vorschläge gemacht: runter mit den nominellen Steuersätzen, Abbau von Steuervergünstigungen. Wir bieten Ihnen zusätzlich an, auch über die Gewerbekapitalsteuer und über die betriebliche Vermögensteuer zu reden, mit dem Ziel, die Substanzbesteuerung zu verringern, obwohl wir wissen, daß dies im internationalen Vergleich eher eine Marginalie geworden ist. Wenn sich angesichts einer so dramatischen Zahl solche peinlichen Auftritte, die kabarettistisch keinen Wert haben und jede politische Glaubwürdigkeit zerstören, ({10}) solche peinlichen Auftritte, wie Herr Hintze sie hier gehabt hat, nicht endlich erledigen, werden, meine ich, am Ende die Bundespolitik und das Parlament insgesamt - die Bundesregierung übrigens auch; das ist das am wenigsten Wichtige - jede Gestaltungskraft, jede Glaubwürdigkeit, jeden Handlungswillen verlieren. Das darf in einer solchen Situation nicht geschehen, weil die dramatische Arbeitslosigkeit zugleich eine dramatische Gefahr für die politische Stabilität unseres Landes geworden ist. ({11}) Wir bieten Ihnen außerdem an, über eine zielgerichtete Reformpolitik zu reden. Es macht überhaupt keinen Sinn, so zu tun, als könne man in einer solchen Lage einfach so weitermachen wie bisher. Zielgerichtete Reformpolitik heißt: Neue Technologien entwickeln, Risiko- und Leistungsbereitschaft fördern, ({12}) dafür sorgen, daß sie gefördert werden, und gemeinsam darüber entscheiden, welche es im einzelnen sein sollen. Dazu haben wir mehrere Vorschläge gemacht. Ich sage erneut: Man kann über alles reden. Ich greife das Angebot des Bundeskanzlers ausdrücklich auf. Aber was geschieht denn? Die Bundesregierung hat seit dem 8. Februar nichts zustande gebracht außer einem peinlichen Streit darüber, wer in drei Arbeitsgruppen mit den Ländern die Federführung übernehmen soll, und außer einem peinlichen Streit darüber, ob der Bundesarbeitsminister oder der Bundeswirtschaftsminister bei der Frage „Arbeitsmarkt und wirtschaftliche Entwicklung" federführend zu sein hätte. Es gibt Variationen zu diesem Thema. Da kann ich nur sagen: Das Handeln dieser Regierung ist von dem Motto in „Huckleberry Finn" bestimmt: „Sie verloren die Richtung und ruderten immer heftiger." Mehr kommt doch bei Ihnen nicht mehr zustande. ({13}) Also sagen wir ja zu einer zielgerichteten Reformpolitik. Wir wollen ökologisch modernisieren, zu Investitionen und Innovationen ermutigen; wir sprechen uns für Leistungs- und Risikobereitschaft aus. Nun haben wir das beim Meister-BAföG Gott sei Dank hinbekommen. Aber das ändert an dem Grundsatzproblem doch gar nichts, daß in Deutschland nach wie vor zuviel in Beton und Boden und zuwenig in Köpfe und Können investiert wird. Ändern Sie die Richtung Ihrer Politik, sonst wird es mit dem Wachstum der Arbeitslosigkeit weitergehen! ({14}) Damit bin ich jetzt beim Ausbau der Infrastruktur. Man kann ja sehen, wie diese Bundesregierung sich verhält. ({15}) Im April 1995 hat der Präsident des BDI die Wachstumsprognose der Bundesregierung für 1996 für zu optimistisch erklärt. Er hat darauf hingewiesen, daß wir im Jahre 1996 erhebliche Risiken eingingen. Die deutsche Wirtschaft ist heutigen Pressemeldungen zufolge im vierten Quartal 1995 geschrumpft. Sie hat nicht stagniert; sie ist um 0,5 Prozent geschrumpft. Die Arbeitslosigkeit ist entsprechend gestiegen. Vor diesem Hintergrund gibt es dann allerlei Reden über öffentliche Investitionen. Die wirtschaftlichen Erwartungen in der Steuerschätzung von Oktober 1995 unterstellen ein nominales Wirtschaftswachstum von 4,6 Prozent. Anfang Februar 1996 sagte der Parlamentarische Staatssekretär Hauser, es seien nur noch 3 Prozent zu erwarten. Der Wochenbericht des DIW vom Anfang dieses Jahres redet von real 1 Prozent; demnächst wird er von 0,5 Prozent sprechen. Der Jahreswirtschaftsbericht redet von 1,5 Prozent, der DIHT von einer schwarzen Null. Die gesamte Haushaltsplanung, die gesamten Planungen für die sozialen Sicherungssysteme, insbesondere für die Arbeitslosenversicherung und die Rentenversicherung, stehen auf tönernen Füßen. Es ist jetzt schon klar, daß die Grundlagen für die Finanzierung sozialer Leistungen in Deutschland, soweit sie ökonomische Grundlagen sind, gegenüber den Annahmen der Regierung nicht mehr stimmen. Ich kann verstehen, daß Sie über diesen ungewöhnlich ernsten Sachverhalt hinwegtäuschen wollen. Ich kann verstehen, daß Sie über das Versagen Ihrer Politik und über die drängenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt, in der Arbeitslosenversicherung und vor allen Dingen in der Rentenversicherung regelrecht hinweglügen müssen, weil Sie fürchten müssen, wenn die Wahrheit vollständig im Lichte ist, wird es für Sie und Ihre Glaubwürdigkeit, vor allen Dingen aber für die betroffenen Menschen hochproblematisch. Welchen Wert dann solche Stellungnahmen wie jene von Herrn Hintze haben, möchte ich mit einem nur wenige Tage alten Zitat deutlich machen. Sie haben Sachsen-Anhalt angesprochen. Ich trage Ihnen ein Zitat vor, Herr Hintze: „Wie nur wenige darf Schucht" - der Wirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt - „von sich sagen, daß er Erfolg hat." Der Zitierte stellt sich ausdrücklich vor den Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt und bescheinigt ihm Erfolg. Der Zitierte heißt Johannes Ludewig und ist Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium in Bonn. ({16}) Das Zitat stammt vom 29. Februar; das muß also relativ kurz vor der Abfassung Ihres Antrags gewesen sein. ({17}) Es gibt eine Peinlichkeit, die so groß ist, daß sie schon kaum mehr in Lächerlichkeit umschlagen kann. Das betrifft übrigens auch den Hinweis auf den Ausbau der Infrastruktur. Was hat diese Bundesregierung getan, um im Rahmen einer europäisch abgestimmten Beschäftigungspolitik für den Ausbau der transeuropäischen Infrastrukturnetze zu sorgen? Nichts haben Sie getan: keine Finanzierung, keine einzige Maßnahme. ({18}) Wer aber nichts tut, der sollte andere nicht beschimpfen. ({19}) Dies trifft übrigens auch für einen anderen Punkt zu. Ich habe mir einmal zusammenstellen lassen, wie sich denn die Investitionsmittel im Bundeshaushalt entwickelt haben. Allein im Haushalt 1996 sinken die Investitionen und Investitionszuweisungen im Bereich der BVS um 700 Millionen DM, bei der Gemeinschaftsaufgabe Ost um 450 Millionen DM, bei den Bundesautobahnen um 600 Millionen DM, bei den Schieneninvestitionen um 2,3 Milliarden DM, bei den Verpflichtungsermächtigungen für den sozialen Wohnungsbau um 650 Millionen DM. ({20}) Herr Wissmann weist zu Recht darauf hin, wieviel Arbeitsplätze an 1 Milliarde DM öffentlicher Investitionen hängen. Sie schlagen sich doch selbst ins Gesicht mit der Kürzung der öffentlichen Investitionen und der Vernichtung der Arbeitsplätze, die Sie dann anderen anlasten wollen. ({21}) Hier und da ist es sinnvoll, sich mit Fakten auseinanderzusetzen. ({22}) In Nordrhein-Westfalen können alleine für 500 Millionen DM Verkehrsinvestitionen nicht getätigt werden, obwohl die Projekte baureif sind, Herr Hintze. Sie können nicht getätigt werden, weil Sie mit Ihrer lächerlichen Politik nicht in der Lage sind, wenigstens die Finanzierung baureifer Projekte sicherzustellen. Dann faseln Sie hier von Projekten, für die es noch nicht einmal gesicherte Planungen gibt. Es ist ein absurdes Theater, was Sie hier aufführen. ({23}) Welchen Zynismus die ganze Sache erreicht, macht Ihr Kollege, Herr Professor Dr. Winfried Pinger, deutlich: Gute Nachricht für lärmgeschädigte Anwohner. - Er bejubelt ausdrücklich den Abzug von TNT. ({24}) Ich will Ihnen mal eines sagen: Man kann es ja wirklich billig machen, billiger geht es nicht mehr. Das Land Rheinland-Pfalz hat leider keine Nachtfluggenehmigung für den Flugplatz Hahn, sonst wäre TNT längst dorthin gegangen; wir verhandeln mit denen seit zwei Jahren darüber. Sie wissen ganz genau, daß eine solche lächerliche Tirade am Ende bei den Leuten draußen nur das Gefühl erweckt: Aha, denen geht es um nichts anderes als darum, jetzt mit kleiner Münze über die Dinge hinwegzufummeln, die wirklich schwerwiegend sind. Wenn Sie sich hier hinstellen und betonen, Sie haben ein Interesse an Arbeitsplätzen, aber nichts sagen zu den Lohnnebenkosten, nichts sagen zur Steuerbelastung, nichts sagen zu den Währungsrelationen, nichts sagen zum Investitionsverhalten des Bundes, nichts sagen zur Dauer der Genehmigungsverfahren auf der Grundlage des Bundesbaugesetzbuches, dann wird es absolut lächerlich. Es ist eigentlich schändlich, daß sich der Bundestag mit einer so miesen Rede überhaupt auseinandersetzen muß. ({25}) Damit sind wir bei den Folgen Ihrer Politik für die sozialen Sicherungssysteme. Ich habe immer gedacht: Wenn jemand das Christentum in seinem Namen führt und sich ihm auch noch beruflich verpflichtet fühlt, dann ist er zu einem Minimum an Wahrheitsliebe verpflichtet, ({26}) übrigens auch zu einem Minimum an Freundlichkeit gegenüber den Mitmenschen und der Schöpfung. Aber nun gut. Jetzt schauen wir uns einmal die Folgen Ihrer Politik für die sozialen Sicherungssysteme an. Die Folgen sind erheblich. Denn die abgeschwächten wirtschaftlichen Erwartungen und der Schrumpfungsprozeß in der deutschen Wirtschaft führen dazu, daß die Steuereinnahmen nicht mehr - wie in Ihrer Schätzung vom Oktober 1995 - 828 Milliarden DM, sondern laut Brief von Hauser nur noch 815 Milliarden DM betragen. Das wäre ein Defizit von 13 Milliarden DM. Nach dem Jahreswirtschaftsbericht ist es tatsächlich so, daß ein Gesamtfinanzierungsdefizit von 125 bis 135 Milliarden DM besteht, Tendenz steigend. In der Rentenversicherung sind Sie mittlerweile in einer so verzweifelten Situation, daß nach 13 Jahren ständigen Abspielens der Platte „Die Rente ist sicher, die Rente ist sicher, die Rente ist sicher" kein Mensch mehr glaubt, daß Norbert Blüm seine Aufgabe erfüllen kann. ({27}) Dieser Minister muß schon deshalb abgelöst werden, weil er jede Glaubwürdigkeit verloren hat und weil es schändlich ist, daß Sie, nachdem die Löcher im Bundeshaushalt mit dem Waigel-Wisch und einmaligen Privatisierungserlösen gestopft werden sollen, jetzt auch in der Rentenversicherung das Tafelsilber zum Pfandhaus tragen und dafür eintreten, die Vermögen der Rentenversicherung zu veräußern. Man kann keine dauerhafte Strukturpolitik mit einmaligen Privatisierungserlösen machen. Sie retten sich nur über Wahltermine hinweg. Ihre Politik ist Koalitionspolitik, keine Politik mehr für das Allgemeinwohl. Sie haben die Staatsräson nicht mehr im Visier, sondern das kleinkarierte politische Überleben. ({28}) Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen das Angebot gemacht, in dieser oder der nächsten Woche ein Spitzengespräch zu führen. Die aktuelle Lage erzwingt das förmlich. Daß der Vorschlag von der Opposition kommt, kann nicht dazu führen, daß er abgelehnt wird. Herr Bundeskanzler, wir fordern Sie auf, jetzt endlich Ihre Politik zu ändern, weil bewiesen ist, daß mit dem „Weiter so" Deutschland immer tiefer in die Misere hineingerät. ({29}) Herr Bundeskanzler, wir erwarten, daß Sie heute hier Rede und Antwort stehen und daß Sie dem Deutschen Bundestag und dem deutschen Volk sagen, was Sie konkret tun wollen gegen den Anstieg der Arbeitslosigkeit, gegen die öffentlichen Finanzierungsdefizite und dagegen, daß die Rentenversicherung immer tiefer ins Trudeln gerät, was nie geschehen darf, was Sie aber mit Ihrer Politik verschulden. Stehen Sie hier Rede und Antwort, anstatt irgendwo wolkige Erklärungen abzugeben! ({30})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort in der Debatte hat jetzt der Kollege Dr. Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich meine, daß wir uns alle in diesem Hause darüber im klaren sein sollten, daß die Arbeitslosigkeit von mehr als 4 Millionen Menschen in Deutschland nicht nur ein bedrückendes persönliches Schicksal für die Betroffenen ist, sondern vor allen Dingen, daß sich eine Demokratie im Interesse ihrer politischen Stabilität auf Dauer Arbeitslosigkeit auf diesem Niveau nicht erlauben kann. Herr Scharping, Sie sollten, wenn Sie versuchen, hier einen großen Angriff gegen die Koalition zu führen, sich nicht so verhalten wie der Täter, der an den Ort seiner Tat zurückkehrt und anschließend ruft: „Ich kann kein Blut sehen! " Denn Sie verhindern doch, was wir wollen, um Arbeitslosigkeit in Deutschland zu bekämpfen. ({0}) Die Bundesregierung hat ein 50-Punkte-Programm vorgelegt. ({1}) Wir als Koalition haben in diesem Parlament vorgetragen, welche Maßnahmen im Zuge einer Steuersenkungspolitik nötig sind. ({2}) Sie aber stellen sich hierhin und verhindern die Unternehmensteuerreform, weil Sie eines immer noch nicht begriffen haben: Es gibt in Deutschland keinen Mangel an Arbeit, es gibt einen Mangel an bezahlbarer Arbeit. Das ist das Problem, das wir in Deutschland haben. ({3}) Deswegen ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine Aufgabe, die sich an alle gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland wendet. Sie richtet sich natürlich an den Bund, sie richtet sich an die Länder, an die Gemeinden, und sie richtet sich natürlich auch an die Tarifparteien. Wenn Gewerkschaften Lohnforderungen von 5 bis 6 Prozent stellen, dann ist das eine Politik, die mehr Rücksicht auf diejenigen nimmt, die Arbeit haben, und weniger Rücksicht auf diejenigen, die Arbeit suchen. ({4}) Wir brauchen eine Tarifpolitik, die neue Wege geht. Dazu zählt selbstverständlich auch das „Bündnis für Arbeit" . Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland ist das Thema Nummer eins. Die Steuer- und Abgabenquote beträgt in Deutschland zur Zeit 46 Prozent. Das sind ungefähr 10 Prozent mehr als bei unseren unmittelbaren Mitwettbewerbern im internationalen Wettbewerb, Japan und den USA. Es kann auf Dauer im internationalen Wettbewerb der Standorte nicht gutgehen, wenn wir die Steuer- und Abgabenlast auf diesem hohen Niveau halten. Ich finde es deswegen auch sehr bemerkenswert, daß Sie sich in jeder Veranstaltung hinstellen und den Eindruck erwecken: Wenn wir für Steuersenkungen eintreten, geht es darum, Reiche reicher zu machen. ({5}) Das Problem ist doch folgendes: Steuersenkungen sind nicht die Dividende eines wirtschaftlichen Aufschwungs, Steuersenkungen sind nicht die Belohnungen für fleißige Bürger, Steuersenkungen sind eine Voraussetzung für konjunkturelle Belebung und damit für neue Arbeitsplätze in Deutschland. ({6}) Wenn es jetzt darum geht, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, ist die SPD gefordert. Wenn es nach uns gegangen wäre, dann wäre die Gewerbekapitalsteuer bereits zum 1. Januar 1996 abgeschafft worden. Sie sind es doch gewesen, die das mit Ihren üblichen Reden, die Sie immer halten, als ob es nur um Unternehmen ginge, verhindert haben. Dann kommt Herr Voscherau hierhin und erzählt uns: Die Hälfte der Millionäre in Hamburg zahlt keine Steuern. ({7}) Sein eigener Pressesprecher gibt auf Nachfrage die Auskunft: „Das ist ein politisches Argument; erhärten kann man das nicht. " Die Zahlen des Bonner Instituts für Finanzen und Steuern sagen es präziser. Die oberen 15 Prozent der Einkommensteuerzahler zahlen 57,4 Prozent der Einkommensteuer. Das obere Viertel der Steuerzahler bezahlt sogar 70,5 Prozent des Gesamtaufkommens. ({8}) Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie diejenigen, die Leistung erbringen können, nicht auch dazu anregen, Leistungen zu erbringen, dann kann nicht das erwirtschaftet werden, was diejenigen brauchen, die in unserer Gesellschaft krank und schwach sind. ({9}) Das Leistungsprinzip ist sozial motiviert, weil man alles, was man verteilen will, vorher erwirtschaftet haben muß. ({10}) Von Ihnen kommen nur die üblichen Schlüsselbegriffe. Dazu gehört auch der Zeitgeistbegriff „Dienstmädchenprivileg" . Ich habe es als einen enormen Fortschritt auch auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung verstanden, daß sich diese Koalition darauf verständigt hat, die steuerliche Abzugsfähigkeit von Haushaltshilfen durchzusetzen. Sie haben das immer als „Dienstmädchenprivileg" bezeichnet. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Jagoda, hat dazu erklärt: Dadurch können allein zwischen 600 000 und 1 Million Arbeitsplätze im sozialversicherungspflichtigen Bereich geschaffen werden. Ich finde, das sind Größenordnungen, für die man kämpfen sollte. Das ist doch überhaupt keine Frage. ({11}) Es reicht nicht aus, wenn Sie und übrigens auch die Grünen sich hinstellen und sagen: Es geht nur darum, die vorhandene Arbeit besser zu verteilen. Es reicht aber nicht aus, sich nur über die Verteilung von Arbeit Gedanken zu machen. Unser Thema heißt: Wie fügen wir der vorhandenen Arbeit neue Arbeitsplätze hinzu? Das ist die Frage, die die Politik zu beantworten hat. ({12}) Sie haben Rot-Grün zum Zukunftsmodell für den Bund erklärt. Das ist wirklich bemerkenswert. Wer nach den letzten beiden Wochen noch nicht gesehen hat, daß das rot-grüne Experiment gescheitert ist, daß es nicht in der Lage ist, die industrielle Herzregion in Deutschland zu regieren, der hat meines Erachtens von Politik nichts verstanden. Nordrhein-Westfalen ist das bevölkerungsreichste Bundesland; dort wird fast ein Viertel des nationalen Bruttoinlandsprodukts und der deutschen Exporte erwirtschaftet. Ausgerechnet in diesem Bundesland fährt eine rot-grüne Koalition einen Gegenkurs zu allen nationalen und europäischen Anstrengungen, mit denen wir im weltweiten Wettbewerb Arbeitsplätze zurückgewinnen wollen. Sie, Herr Scharping, haben das Thema TNT angesprochen. Es betrifft mich als Bonner Abgeordneter und als jemand, der hier geboren wurde, ganz besonders stark; das werden Sie verstehen. Sie haben mit Ihrer Einschätzung, daß die Verlagerung der Frachtfirma TNT vom Köln-Bonner Flughafen unterschiedliche Gründe hat, völlig recht. Das kann man wohl nicht ernsthaft bestreiten. ({13}) Aber, meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einmal einen Brief zitieren, den vier grüne Landtagsabgeordnete an das Frachtunternehmen TNT geschrieben haben: Gehen Sie mit uns durch Ihr Handeln einen Schritt auf die Bevölkerung in der Region zu, ehe die Bevölkerung mit Demonstrationen und Widerstand zu Ihnen kommt. Meine Damen und Herren, das ist Politmobbing, so vertreibt man Arbeitsplätze aus Deutschland; das ist eine Form von Nötigung. ({14}) Der Fraktionsvorsitzende der SPD im nordrhein-westfälischen Landtag bezeichnete es als skandalös, wenn eine Regierungsfraktion auf diese Weise Unternehmen reizt. Dazu kann ich nur eines sagen: „Skandalös" ist richtig, „reizen" ist falsch. Es ist kein Reizen. Es ist die pure Einschüchterung, wie Unternehmen in Deutschland herausgeekelt werden. Das ist das eigentliche Thema, das Sie hätten beantworten müssen. Der Kollege Hintze hat völlig recht, wenn er darauf hinweist, wie absurd es ist: Beim Dortmunder Flughafen hören wir eine Kostprobe von 20 Millionen DM für den Ausbau. Dann stellen sich grüne Politiker hin und sagen allen Ernstes: Diese 20 Millionen DM Landesmittel sollen nicht dem Ausbau des Dortmunder Flughafens für den internationalen Frachtverkehr gewidmet werden, sondern sie sollen in den Ausbau der Radwege gesteckt werden. ({15}) Ich bin wirklich sehr dafür, daß man Radwege baut. Ich bin auch sehr für das Radfahren. ({16}) Ich habe auch eine ganze Menge Phantasie. Aber eine Sache müssen Sie mir erst einmal erklären: wie man nämlich den internationalen Frachtflugverkehr jetzt auf den Radweg verlagern will. Das kann doch wohl wirklich nicht funktionieren. ({17})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Westerwelle, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nickels?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte, selbstverständlich.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Westerwelle, ich denke einmal, daß Sie als junger, dynamischer Abgeordneter des Lesens mächtig sind. Ich möchte Sie fragen, warum Sie bei den 20 Millionen DM, die für die Region in Dortmund eingesetzt werden sollen, immer nur den Teilaspekt Radwege zitieren. Haben Sie nicht gelesen, oder haben Sie Ihre Brille abgelegt? Es ging dabei noch um ein Ring-System, um ein REN-Programm, um erneuerbare Energien und um ein WohnbauförChrista Nickels derungsprogramm unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten. Für diese Region würden mindestens 1 500 Arbeitsplätze gesichert und auch in die Infrastruktur investiert, die wirklich jeder Mann und jede Frau, auch gerade Frauen mit Kindern benötigen. ({0}) Dr. Guido Westerwelle ({1}): Sehen Sie, genau die Frage, die Sie jetzt hier gestellt haben, Frau Kollegin, gibt wirklich Ausdruck über ein völlig unterschiedliches Politikverständnis. ({2}) Genau so, wie Sie es hier gezeigt haben, machen Sie eines deutlich: Für Sie ist Politik die Fortsetzung eines politologischen Seminars an der Uni, aber uns geht es um Arbeitsplätze. Das ist dabei der Unterschied. ({3}) Ihre Koalition in Düsseldorf ist eine rot-grüne JobKiller-Koalition geworden. Sie werden sehen: Das werden die Menschen bei den Wahlen auch merken. Sie werden es honorieren. Warten Sie es ab. Ich kann es Ihnen sagen. Das, was Sie in Nordhein-Westfalen machen, ist doch im Grunde genommen nichts anderes, als daß über dem Tisch verhandelt und unterm Tisch getreten wird. So läuft das doch bei Ihnen. ({4}) Ich denke, es geht um die Frage der Strukturverbesserungen. Es geht darum, daß wir Investitionen nach Deutschland holen. Dazu zählt sehr wohl auch die Frage neuer Technologien. Es ist leider so, daß Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen kein isolierter Laborversuch ist. Ein grüner stellvertretender Ministerpräsident verkündet im „Handelsblatt", er zähle die „Gen- und Biotechnologie nicht zu den Zukunftsbranchen, die in NRW den Strukturwandel fördern könnten". Wer sich so verhält, wer meint, daß der Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen nicht gefördert werden sollte, wer meint, daß Struktur- und Zukunftsbranchen nicht gefördert werden sollten, der wird erleben, daß sich die Zukunftsbranchen andere Standorte suchen. Das ist das eigentliche Problem. Nicht die neuen Technologien sind die größte Gefahr, sondern der Verzicht auf neue Technologien ist die größere Gefahr. ({5}) Das, was Sie in Nordrhein-Westfalen betreiben, ist gerade, wenn es um die Gen- und Biotechnologie geht, eine Fortsetzung dessen, was uns Rot-Grün in Hessen bereits angekündigt hat. Jeder weiß, daß neue technologische Entwicklungen Risiken haben. Jeder weiß, daß eine neue technologische Entwicklung, gerade auch die Gen- und Biotechnologie ethisch sehr genau kalkuliert werden muß. Aber ich meine: Wenn man durch Biotechnologie Insulin so preiswert herstellen kann, daß es sich auch Menschen leisten können, die eben nicht in mitteleuropäischen Wohlstandskrankenkassen versichert sind, dann ist das etwas, was man diesen Menschen nicht verweigern sollte. ({6}) Ich finde, wenn Sie den Weg im Bereich der Gen- und Biotechnologie gehen, so wie Sie ihn in Hanau und Hessen gegangen sind, dann werden Sie nichts anderes schaffen, als daß sich die Arbeitsplätze weiter verlagern. Wir müssen in Deutschland über die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes reden. Das hat etwas mit der Steuer- und Abgabenlast zu tun. Das hat viel mit Lohnzusatzkosten zu tun. Das hat auch viel mit der Regelungsdichte zu tun. Das hat übrigens auch damit viel zu tun, wie wir uns gegenüber neuen Technologien und neuen Chancen einstellen. Ich meine, daß Sie nicht einerseits ökonomischen Fortschritt mit ökologischen Argumenten verhindern können, daß Sie nicht einerseits sagen können, der Verkehr muß auf die Schiene verlagert werden, andererseits aber verhindern, daß Schienentrassen gebaut werden. Das kann doch nur ein Widerspruch in sich sein. ({7}) Nehmen Sie den ICE-Anschluß des Flughafens Köln/ Bonn. Genau da zeigt sich, worum es geht. In der Grünen-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz ist es sowieso schon beschlossene Sache, daß die Haushaltsmittel für den Straßenbau nur noch für den Straßenrückbau verwendet werden. In Rheinland-Pfalz wird das passieren, was in Nordrhein-Westfalen schon der Fall ist: Rau-Land ist Stauland. Wer den Lückenschluß von Autobahnen unterläßt, der kann eben auch nicht unter dem Öko-Label die großen Wohltaten verbreiten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Westerwelle, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Anke Fuchs?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte, gern.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Westerwelle, Sie haben wahrscheinlich mit mir Verständnis, daß der Bundeskanzler Herrn Scharping nicht zuhören will. Aber wie verstehen Sie es eigentlich, daß sich der Bundeskanzler mit Herrn Seiters angeregt unterhält und offensichtlich den Generalsekretären der beiden Koalitionsparteien so gar nicht zuhört? Ist Anke Fuchs ({0}) das nicht ein Zeichen für die Qualität Ihrer Rede, Herr Kollege? ({1})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das unterscheidet uns. Sie hatten einmal eine ähnliche Funktion, wie ich sie habe. Ich weiß, daß der Bundeskanzler zwei Sachen gleichzeitig tun kann. ({0}) Ich kann Ihnen sagen: Alles, was er jetzt nicht gehört haben sollte, werde ich dann Dienstag früh nächster Woche im Koalitionsgespräch nachtragen. Einverstanden? ({1}) Meine Damen und Herren, in den Plänen der Grünen und auch der SPD bekommen wir immer wieder angeblich den Fortschritt in der Ökonomie unter dem Hinweis vorgelegt, es ginge darum, ökologische Akzente zu setzen und eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Ich kann Ihnen, auch angesichts dessen, was Sie an diesem Wochenende auf Ihrer Versammlung beschlossen haben, nur sagen: Was Sie vorschlagen, bleibt eine Steuererhöhung, selbst wenn Sie es Ökosteuererhöhung nennen. Wenn Sie so weitermachen, daß Sie Ökosteuern auf die ohnehin schon viel zu hohen Steuern und Abgaben einfach nur draufsatteln, dann werden Sie keine Investitionen im Umweltschutz bewirken, sondern wieder nur die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. ({2}) Sie haben am vergangenen Wochenende selber zugegeben, daß Ihre Pläne unter dem Strich eine Steuererhöhung bedeuten. Was Sie, Herr Fischer, hier ganz persönlich vorführen, ist Ausdruck einer postmateriellen Sattheit. ({3}) Was Sie hier zeigen, ist nichts anderes als die Politik von Leuten, die im gemachten Nest sitzen, ({4}) es ist eine Politik von Leuten, die keine materielle Angst mehr haben müssen. In Ihrer Selbstzufriedenheit machen Sie eine Politik, die andere Leute den Arbeitsplatz kostet. Das ist die Situation, wie wir sie haben. ({5}) Ich erlebe es seit drei Wochen im Deutschen Bundestag gewissermaßen hautnah. Wenn ich mir ansehe, wie Sie sich verhalten, auch wie Sie dort sitzen, kann ich nur ein Wort von Ihnen aufgreifen, das Sie selber gesagt haben. Sie sind mittlerweile zwei Zentner Fleisch gewordene Selbstzufriedenheit geworden. Ich finde wirklich, daß man Landesregierungen in Deutschland nicht Ihrer Verantwortung überlassen könnte. Wenn ich mir vorstelle, daß Sie, da Sie in Nordrhein-Westfalen gezeigt haben, daß Sie es nicht können, allen Ernstes in Deutschland die Macht übernehmen wollen, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht. ({6}) Ich bin wirklich der Auffassung - sie wird auch bestätigt werden -: Dieser rot-grüne Testfall kann nur mit einem Teststopp beantwortet werden. Das rotgrüne Pilotprojekt für Bonn ist abgestürzt. Sie werden sehen, das ist auch gut so. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Kollege Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie schlimm es um die Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung steht, zeigt sich allein an der Tatsache, daß Sie jetzt Pfarrer Hintze ins Rennen schicken. Offenbar hilft jetzt nur noch Beten. ({0}) Der Antrag der Koalition, den wir heute behandeln, und auch Ihre Rede, Herr Hintze, ist an Dürftigkeit und Substanzlosigkeit nicht mehr zu unterbieten. ({1}) So etwas ist eine Frechheit und Verhöhnung aller derjenigen, die in diesem Land um die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen ernsthaft bemüht sind. Wenn das Ihr Beitrag zu dieser dramatischen Situation auf dem Arbeitsmarkt ist, dann ist das ein bezeichnendes Dokument der Hilf- und Ratlosigkeit oder vielleicht auch - wie ich befürchte - der Vorbote eines Staatsbegräbnisses dritter Klasse für das „Bündnis für Arbeit". Mit einem einzigen lausigen Blatt Papier gehen Sie auf die Rekordmarke der Arbeitslosigkeit ein. Das ist noch weniger als das, was uns der Bundesfinanzminister hier mit einem zweiseitigen Wisch zur Dekkung eines Haushaltslochs von 20 Milliarden DM geboten hat. Die Konzeptionslosigkeit geht in Zettelwirtschaft über. Dabei hatten wir eigentlich erwartet, daß nun nach dem Wirbel um das 50-Punkte-Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze konkrete Umsetzungsschritte folgen. Wir hätten ganz gerne erfahren, wie aus diesem Sammelsurium wirkliche Beschäftigungseffekte hervorgehen. Wir hätten gerne erfahren, wie aus Arbeitslosen, die unter dieser ReWerner Schulz ({2}) gierung langsam zu Erwartungslosen werden, Selbständige werden - so, wie Sie das vorgeschlagen haben -, ({3}) wie im Haushaltsbereich steuerfinanziert Arbeitsplätze entstehen. Hier handelt es sich offensichtlich um eine Reminiszenz an die Putzfrauenaffäre des Ministers Krause oder um einen Beitrag des großen CDU-Querdenkers Biedenkopf, der in Deutschland das modernste Bundesland, was die Infrastruktur anbelangt, aufbauen wollte und nun im Schwitzbad der ostdeutschen Anpassung zum kleinen König Kurt geschrumpft ist. Es ist ein Beitrag dieses Königs Kurt, der sich demnächst steuerfinanziert einen abgewikkelten Reichsbahner zur Pflege seiner Modelleisenbahn leisten kann. Wenn das Ihre Beiträge sind, um die Arbeitslosigkeit abzubauen, dann danke ich Ihnen. Die Menschen in diesem Land warten vergeblich auf eine konkrete Umsetzung des seit Wochen diskutierten „Bündnisses für Arbeit", auf ein tatsächliches Aktionsprogramm. Doch diese Regierung der großen Worte und fehlenden Taten ist ziemlich kleinlaut geworden, wenn man Sie heute hört. Sie haben nicht mehr als ein relativ inhaltsleeres Wahlkampfspektakel zu bieten. Damit treiben Sie Schindluder auf dem Rücken der Arbeitslosen. ({4}) Angesichts einer dramatischen Anstiegstendenz bei der Arbeitslosigkeit und einer fortschreitenden Regierungsagonie hört sich das Versprechen, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 zu halbieren, wie die berauschende Fortsetzung des Märchens der blühenden Landschaften und der verhexten Steuererhöhung an, offensichtlich wie eine unverbindliche Selbstverpflichtung - so wie es in der Wirtschaft üblich geworden ist: eine Selbstverpflichtung zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes, eine Selbstverpflichtung zur Beseitigung des Lehrstellenmangels, eine Selbstverpflichtung, das Autorecycling einzuführen. Ich hatte eigentlich gedacht, daß diese unverbindliche Selbstverpflichtung ein unverwechselbares Wahrzeichen der DDR-Kultur war. Offenbar aber will die Regierung Kohl beweisen, daß sie auch wirklich alle Altlasten übernommen hat. ({5}) Ich frage Sie: Wann hört diese Kultur der Selbstverpflichtungen auf? Wann wird in diesem Land endlich wieder regiert? Wann wird in diesem Land endlich gehandelt und die Arbeitslosigkeit eingedämmt und abgebaut? Das einzige, was die Regierung bisher abgebaut hat, sind die Sozialleistungen. Doch wie die neuesten Zahlen belegen, läßt sich durch Kürzungen im Sozialbereich oder Kürzungen der Arbeitslosenhilfe die Arbeitslosigkeit nicht abbauen. Das war kein Beitrag, sondern eher ein Sprengsatz des „Bündnisses für Arbeit". In unserem Land sind doch viele bereit, die Ärmel hochzukrempeln, falls ihnen diese Regierung nicht vorher das letzte Hemd auszieht. „Auftragsmängel in der Baubranche", so lautet der Hauptbefund für den akuten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Offenbar lassen die Gewinner der deutschen Einheit, die mit einer erheblichen Markterweiterung und mit hochrentierlichen Staatsanleihen einen kräftigen Reibach gemacht haben, lieber ihr Geld auf der Bank als in der ostdeutschen und - inzwischen auch schon - in der westdeutschen Baugrube arbeiten. Die zu hohe Arbeitslosigkeit im Osten - auch darauf sei einmal hingewiesen - ist doch vor allen Dingen eine Frage der Unterkapitalisierung. Die Bundesregierung hat es in einer historisch einmaligen Situation versäumt, das nationale Kapital in die patriotische Pflicht zu nehmen. Statt dessen werden die Sozialkassen mit den Kosten der deutschen Einheit belastet - übrigens, damit steigen die Lohnnebenkosten. Die sachfremde Finanzierung der deutschen Einheit ist doch im Grunde genommen das Problem und nicht der Solidarbeitrag. Wir brauchen eine Gründerwelle und keine „Westerwelle", die die Solidarität mit den neuen Ländern wegspült. ({6}) Chancengleichheit für arbeitsplatzschaffende klein- und mittelständische Betriebe werden wir doch erst dann bekommen, Herr Solms, wenn wir die Subventionen, die Sie eingeführt haben, für Großunternehmen abbauen, wenn wir die Subventionen im Bereich der Landwirtschaft und im Flugverkehr beispielsweise beseitigen. Meine Damen und Herren, es ist aberwitzig, wenn Sie das Ergebnis Ihrer Politik - 4,3 Millionen Arbeitslose - jetzt einigen Landesregierungen in die Schuhe schieben wollen. Offenbar wollen Sie alles unter den Teppich kehren: Ihre Verantwortung für den Standort Deutschland, Ihre Innovationsversäumnisse, Ihren Anteil an der Massenarbeitslosigkeit. Wenn dann noch Platz ist, werden gleich noch zwei Millionen Arbeitslose unter den Teppich gekehrt. Die DDR hat ihre Arbeitslosen in den Kombinaten versteckt; die Bundesregierung scheint sie in den Statistiken verschwinden zu lassen. Dabei laufen wir Gefahr, daß eine ganze Generation von der Warteschleife aufs Abstellgleis gerät. Eigentlich liest sich Ihr Antrag, Pfarrer Hintze, wie ein Ablaßzettel: die Bundesregierung, die ihre Unterlassungssünden selber nicht mehr ausbügeln kann, sondern offenbar alle Hoffnungen hat fahren lassen und jetzt auf Rot-Grün setzt. Denn wenn ich Ihren Antrag richtig lese, steht darin, daß die Länder Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Saarland einen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten sollen. Ich frage mich: Wo ist Ihr Beitrag? ({7}) Im Grunde genommen ist es allerdings gut, daß Sie das rot regierte Hessen hier erwähnen, immerhin ein Werner Schulz ({8}) Land, das die kürzesten Planungs- und Genehmigungszeiten hat. Es ist auch gut, daß Sie das rot-grün regierte Land Nordrhein-Westfalen erwähnen, wo es immerhin ein 13-Milliarden-Zukunftsinvestitionsprogramm für Arbeit und Umwelt gibt, wo man erneuerbare Energien fördert, wo man den öffentlichen Verkehr ausbaut und damit Arbeitsplätze schafft. Leider haben Sie in Ihrer Aufzählung weniger beispielhafte Bundesländer wie Bayern vergessen. Dort hat eine CSU-Amigo-Connection mit dem RheinMain-Donau-Kanal ein bleibendes Symbol verfilzter Infrastruktur in die Erde gegraben: ({9}) jede Menge Bundessubventionen, massive Umweltzerstörung und null Dauerarbeitsplätze. Oder Sachsen, wo momentan der Leipziger Hauptbahnhof, der größte Sackbahnhof Europas und ein historisch einmaliges Baudenkmal, zu einem Parkhaus umgebaut werden soll. Abstellplätze statt Arbeitsplätze - das ist das Fazit Ihrer Infrastrukturpolitik. ({10}) Apropos moderne und sichere Energieversorgung: Wer hat denn in diesem Jahr die Sanierung der Fernwärmesysteme in den neuen Bundesländern eingestellt? Doch wohl die Bundesregierung und nicht das rot-grüne Sachsen-Anhalt. ({11}) Wer hat denn die zukunftsweisende Energieversorgung in den neuen Bundesländern verhindert? Doch wohl die Bundesregierung, indem sie den Stromvertrag unterstützt hat, indem die ostdeutsche Energieversorgung den Energiemonopolisten in die Hände gespielt worden ist. Dabei ging es nicht um Arbeitsplätze; dabei ging es ums reine Geschäft. Das hat bei Ihnen bekanntlich Vorrang. Standortpolitik Kohl heißt in Ostdeutschland, den Atomstandort auszubauen, anstatt die Photovoltaik zu fördern oder endlich die Markteinführung der Solarenergie zu betreiben. Standortpolitik Kohl heißt Straßenbau statt Entwicklung neuer Verkehrskonzepte. Dabei sind doch eigentlich die Zeiten vorbei, in denen man geglaubt hat, daß man durch Autobahnbau die Dauerarbeitslosigkeit überwinden könnte. Gott sei Dank! Standortpolitik Kohl heißt, den Transrapid zu fördern statt die Eisenbahn. Schon heute ist der Transrapid eine erkennbare Investitionsruine. Hier werden mit Milliardenzuschüssen allenfalls der Bahn die Kunden abgejagt. Wenn Sie mit Infrastrukturmaßnahmen Arbeitsplätze schaffen wollen, dann müssen Sie die Bahn ausbauen und nicht gesundschrumpfen lassen. Dann müssen Sie die dezentrale Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energieträger voranbringen. Nur das schafft neue Arbeitsplätze. Nur mit dem ökologischen Strukturwandel kommen wir weiter. Nur so entstehen neue Volkswirtschaftszweige, neue Berufsbilder und, wie gesagt, neue Arbeitsplätze. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist hier schon gesagt worden, aber ich glaube, man kann es gar nicht oft genug sagen: Es ist wirklich ein Skandal, daß Sie angesichts der katastrophalen Entwicklung in diesem Land hier mit einem solchen Zwei-PunkteWisch aufwarten. Fällt Ihnen angesichts der dramatischen Arbeitslosenzahlen, der millionenfachen persönlichen Schicksale und der wachsenden Not und Armut denn nichts weiter ein, als ein solch armseliges Stück Papier vorzulegen? Das ist wirklich die Bankrotterklärung Ihrer Politik. ({0}) Nach der alten Melodie „Lohnabsenkung, Sozialabbau für die Ärmsten, Steuersenkung für die Reichen" funktioniert eben nichts mehr. Kommen Sie endlich heraus aus Ihren ausgelatschten Politikmustern! Sie haben wirklich überhaupt keinen Anlaß, auf die Länder zu verweisen. Sie hätten in der Vergangenheit ausreichend Gelegenheit gehabt, innovative und zukunftsträchtige Produktion zu fördern, zum Beispiel durch eine sinnvolle Entwicklung der maritimen Wirtschaft. Auch jetzt noch könnten Sie in Absprache mit den Ländern ein Sofortprogramm zur Rettung der bedrohten Arbeitsplätze im Vulkan-Verbund auflegen und damit die Sorgen der Menschen in der Küstenregion wirklich ernst nehmen. ({1}) Die Wahlkampfschau, die Sie hier heute auf Kosten der Arbeitslosen veranstalten, die gerade nach der gestrigen Bekanntgabe einer neuen Rekordarbeitslosigkeit etwas anderes von diesem Parlament erwarten, ist wirklich peinlich. Die Menschen hoffen immer noch darauf, daß von hier Wege aus der dramatischen Arbeitsmarktkrise aufgezeigt werden. Sie haben keine Lust, sich mit Ihrem Wahlkampfgetöse abspeisen zu lassen. ({2}) Mit dem vorgelegten Antrag versuchen Sie, sich aus der Verantwortung zu stehlen und den Ländern die Schuld zuzuschieben. Doch das wird Ihnen nicht gelingen. Ihre Unfähigkeit ist so offensichtlich. Es zeigt sich immer wieder: Sie sind mit Ihrem Latein am Ende. Ihre Deregulierungspolitik hat genau wie Ihr Sozialabbau weitere Arbeitslose produziert. Ich erinnere nur an die gestern bekanntgewordenen Zahlen aus der Bauindustrie: 262 000 zusätzliche arbeitslose Bauarbeiter. Das hat auch damit etwas zu tun, daß Sie das Schlechtwettergeld abgeschafft haben. ({3}) Dann zeigen Sie mit dem Finger auf die Länder. Auch das „Bündnis für Arbeit" haben Sie nicht als ernsthafte Chance im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit begriffen, sondern als Stillhalteabkommen der Gewerkschaften für weitere soziale Kahlschläge mißverstanden. Sie treiben mit der Kompromißbereitschaft der Gewerkschaften wirklich ein mieses Spiel, statt im Interesse der Menschen endlich zu handeln. Nur ganz gelehrige Schüler springen Ihnen zur Seite. So bestritt der sächsische Staatssekretär Wolfgang Zeller laut „Frankfurter Rundschau" vom 1. März, „daß in Deutschland heute von Massenarbeitslosigkeit die Rede sein könne, denn die Zahl der Beschäftigten sei um ein Vielfaches größer als die der Arbeitslosen." Eine wirklich verblüffende Methode, mit dem Problem der Massenarbeitslosigkeit fertigzuwerden! Dieser Mann gehört nach Bonn. ({4}) In Sachsen sorgt er offenbar schon dafür, daß sich das Land seit einem Jahr systematisch aus der Förderung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen zurückzieht. Im Bereich der sozialen Dienste und Jugendprojekte droht ein sozialpolitischer Kehraus. Etwa ein Viertel der Stellen wurde abgebaut. Aus dem Land Sachsen flossen rund 60 Millionen DM Fördergelder an die Bundesanstalt für Arbeit zurück, weil sie infolge der Nichteinstellung von Landesmitteln nicht gebunden werden konnten. So sieht die Politik in den Ländern aus, die sich an Ihrer Politik, an der Politik der Bundesregierung, orientieren. Ihr Vorwurf, in bestimmten Ländern würden derzeit „durch langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren" „zu viele Arbeitsplätze vernichtet und gefährdet", macht vor allem eines deutlich: Ihre Standort-Deutschland-Fixierung schließt auch den Abbau von Umweltstandards und demokratischen Verfahren ein. Nach einer Untersuchung des Fachbereichs Umweltrecht des Öko-Instituts in Darmstadt wird mehr als die Hälfte der Genehmigungsverfahren innerhalb von sechs Monaten abgewickelt. Nur ganz wenige dauern mehr als zwölf Monate. Was spricht denn dagegen, daß Infrastrukturprojekte, Betriebsansiedlungen usw. hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse, die Wohnbedingungen und die Umwelt sorgfältig geprüft werden? Ihren Vorstellungen von Planungsbeschleunigungsgesetzen liegt eine gesellschaftspolitische Auffassung zugrunde, nach der Behörden und Politiker für Industriefirmen und Infrastrukturprojekte ausschließlich als unkritische Dienstleister zu funktionieren haben. Umgekehrt nehmen Sie den unmittelbar und mittelbar betroffenen Bürgerinnen und Bürgern materielle Schutz- und Verf ahrens-rechte und installieren einen nicht nur unkritischen, sondern auch undemokratischen Nachtwächterstaat. Dann Ihre Vorstellungen von leistungsfähiger Infrastruktur: Autobahn für Autos und Daten - oder wie soll man es sonst verstehen, daß in Ihrem Antrag zur Infrastruktur kein einziger Hinweis darauf enthalten ist, daß es auch eine soziale und kulturelle Infrastruktur gibt, die nicht nur gesellschaftlich notwendig, sondern auch arbeitsplatzrelevant ist? ({5}) Kindergärten, Jugendzentren, Kulturzentren, soziale Beratungs- und Versorgungsdienste, öffentliche Angebote zur Freizeitgestaltung, Projekte zur Entwicklung eines lebenswerten, lebendigen Wohnumfeldes, öffentliche Verkehrseinrichtungen - all dies kommt in Ihrer Standortlogik nicht mehr vor. Wenn doch, dann nur als privatisiertes, kostenpflichtiges Angebot, welches sich immer weniger Menschen in diesem Lande leisten können. Das hat bittere Folgen. Nur ein Hinweis: Unter der Überschrift „Mit der Armut wächst die Kriminalität" wertet die „Frankfurter Allgemeine" die Polizeistatistik der Länder von 1995 aus. Da zeigen sich dramatische Entwicklungen, insbesondere bei den Jugendlichen. Das will ich Ihnen sagen: Gerade Jugendkriminalität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der Verarmung und Arbeitslosigkeit in Perspektivlosigkeit umschlagen und mit einem Rückbau der öffentlichen sozialen Infrastruktur einhergehen. ({6}) Sie haben der Jugend in diesem Land ihre Zukunftsperspektive genommen. Auch in diesem Falle amerikanisieren Sie die deutschen Verhältnisse. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst wenn man sich auf Ihre wirtschaftspolitische Perspektive einläßt, stößt man auf eine Vielfalt von gesellschaftlich notwendigen Aufgaben, die nicht unter der Herrschaft der Marktregulation erbracht werden können, sondern den Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors erfordern. Ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor am ersten Arbeitsmarkt, aber jenseits der traditionell hoheitlichen Strukturen würde auch den ökologischen und gemeinnützigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft befördern. Das ist die einzig mögliche Antwort auf den offensichtlichen Widerspruch zwischen zurückgehender privater Nachfrage nach Erwerbsarbeit und dem wachsenden Bedarf an gesellschaftlich notwendiger Arbeit. Nur ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor kann die Paradoxie auflösen, daß vorhandene Arbeitskräfte trotz reichlich vorhandener gesellschaftlich notwendiger Aufgaben millionenfach zur Arbeitslosigkeit verurteilt sind. Der Koalitionsantrag aber zeigt, daß die Fraktionen nicht zum Umdenken bereit und entsetzlich vergeßlich sind. Die Lehren der Wirtschaftsgeschichte, insbesondere der Weltwirtschaftskrise, haben Sie vergessen. Sparhaushalte, soziale Demontage und Abbau staatlicher Leistungen sind zwar Appetitzügler für die Staatsverschuldung, aber Killerdrogen für die Volkswirtschaft, die den Binnenmarkt austrocknen und obendrein die soziale Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft gefährden. Wie unsinnig die einseitige Orientierung auf den Weltmarkt ist, zeigt nichts besser als das TransrapidProjekt. Solche Dinge haben Sie doch wohl im Sinn, wenn Sie sich für die Schaffung von Arbeitsplätzen durch den Abbau von Genehmigungsverfahren aussprechen. Da wird ohne Rücksicht auf Umwelterfordernisse oder auf den heimischen Markt ein Projekt durchgezogen, das ein Milliardenzuschußgeschäft ist und schon heute Milliardenverluste verspricht und deshalb am Ende vielleicht mehr Arbeitsplätze im öffentlichen Bereich kostet, als durch das Exportgeschäft gewonnen werden. ({8}) Wenn Sie die gleiche Summe für eine moderne und obendrein sinnvolle Entwicklung der Wirtschaft, zum Beispiel für die sinnvolle Entwicklung der maritimen Wirtschaft - ich verweise noch einmal darauf -, ausgegeben hätten, dann hätten Sie die Chance gehabt, hier zukunftsträchtige Arbeit und Beschäftigung zu schaffen. Sie hätten auch die Chance gehabt, den vielen Menschen in der Küstenregion, die jetzt im Zusammenhang mit dem Vulkan um ihre Arbeitsplätze bangen müssen, ihre existentiellen Sorgen zu nehmen. Ich danke Ihnen. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Volkmar Schultz.

Volkmar Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002792, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hintze und der Kollege Westerwelle haben Schuldzuweisungen in die Richtung der Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen gemacht. Dabei haben sie ganz wesentliche Details einfach verschwiegen. Herr Kollege Hintze, Sie haben verschwiegen, daß die CDU-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen - hören Sie gut zu - am 12. September 1995, also vor einem halben Jahr, einen Antrag eingebracht hat mit dem Ziel, die Höchstlärmwerte am Flughafen Köln/ Bonn auf 75 dB zu begrenzen. ({0}) Sie haben verschwiegen - ich sage Ihnen gleich, was das bedeutet -, daß die CDU-Ratsfraktion in Köln gemeinsam mit der Fraktion der Grünen ({1}) genau den gleichen Antrag, Beschränkung der Höchstlärmwerte auf 75 dB, eingebracht hat. ({2}) Sie haben eine Koppelung dergestalt vorgenommen, daß die Nichteinhaltung der Werte zur Folge habe, daß der Flughafen nicht weiter ausgebaut werde. ({3}) Nun sagen Ihnen alle kundigen Thebaner, daß der Grenzwert von 75 dB derzeit nicht einzuhalten ist. Es gibt nur zwei kleine Flugzeugtypen - Sie verstehen mehr von den himmlischen Heerscharen, Herr Hintze, ich verstehe mehr von Flugzeugen -, ({4}) die diesen Wert einhalten können. Der Nachtflugverkehr über Köln/Bonn wäre damit gestorben. Das sollten Sie übrigens auch dem Kirchenkreis der Evangelischen Kirche Köln/rechtsrheinisch sagen. Der verlangt 75 Dezibel und eine Kernruhezeit von sechs Stunden, meine Damen und Herren. Aber auch Herr Westerwelle hat wichtige Dinge verschwiegen. Er hat verschwiegen, daß einer der zynischsten Gegner des Flughafens, der Vorsitzende einer sogenannten Lärmschutzgemeinschaft, eingeschriebenes Mitglied der F.D.P. ist ({5}) und als sachkundiger Bürger für die F.D.P. im Stadtrat sitzt. Er hat verschwiegen, daß an seiner Seite Andreas Reichel gestanden hat, ehemals Landtagsabgeordneter, Kölner F.D.P.-Vorsitzender und durch Abstimmungsverhalten im Landtag ausgewiesener Gegner des Flughafens. ({6}) Über Herrn Pinger hat Herr Rudolf Scharping schon einiges gesagt. Es gäbe noch andere Personen, die man zitieren könnte. Aber ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wie sich die F.D.P. die Lösung dieses Problems vorstellt, zumindest die F.D.P. im Rhein-Sieg-Kreis. Sie sagt, die Arbeitsplätze sind nicht verloren, sondern sie sind nach Belgien gegangen. ({7}) Und: Wer die EG wolle, müsse auch zur Mobilität bereit sein, ({8}) will heißen, unter Umständen nach Belgien umziehen. So die „Rhein-Sieg-Rundschau" vom 4. März. Ich empfehle Ihnen dringend, meine Damen und Herren, zu lesen, was der Geschäftsführer der IHK-Köln über solche Figuren sagt. Herr Fischer, Sie lächeln mich so freundlich an; ich habe noch nichts über die Grünen gesagt. ({9}) Volkmar Schultz ({10}) Die Kölner Grünen sind Fundamentalisten, das wissen wir. Sie sind gegen den Autoverkehr, gegen den Flugverkehr, gegen den Bahnverkehr, gegen Schiffsverkehr, gegen Wohnungsbau, gegen alles. Deswegen haben wir mit ihnen in Köln auch keine Vereinbarung getroffen. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Frederick Schulze.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es schon beschämend, mit welcher Polemik die heutige Debatte von der Opposition geführt wird. ({0}) Sie können davon ausgehen, daß die Argumentation nicht dadurch besser wird, daß Sie laut schreien, Herr Tauss. Wir sollten doch zu der Frage zurückkommen, die uns bewegt, nämlich die Sorge um die Arbeitsplätze. ({1}) Wenn wir sehen, daß man sich in Sachsen-Anhalt - dort haben wir ja nun die rot-grüne, von Kommunisten gestützte Regierung -, nicht um die Schaffung von Arbeitsplätzen kümmert, sondern verhindert, daß zum Beispiel die infrastrukturelle Anbindung erfolgt - Stichwort: A 38, B 6, die am Nordharz verläuft und die Altmark anbinden könnte -, dann ist das traurig. Das kostet Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, die wir so dringend im Land benötigen. Und nur vom Tourismus werden wir in diesem wunderschönen Bundesland nicht leben können. Man weiß aus Erfahrung, daß vielleicht etwa 3 bis 5 Prozent der Arbeitnehmer davon leben können. Aber man muß, bitte schön, ebenfalls zur Kenntnis nehmen, daß Wirtschaftspolitik zu einem erheblichen Teil auch Landespolitik ist. Wenn die Mittelstandsförderung in diesem Jahr im Land Sachsen-Anhalt um 118 Millionen DM reduziert wird, dann ist dies ein Eingriff in die Wirtschaft, der so nicht hinzunehmen ist. Wenn man weiß, daß im letzten Jahr Mittel nach dem Investitionsförderungsgesetz in dreistelliger Millionenhöhe vom Land Sachsen-Anhalt nicht abgerufen wurden, dann weiß man auch, daß dies Arbeitsplätze gekostet hat. Es ist zu billig, immer nur Forderungen an den Bund zu richten. Man sollte auch die Wirtschaftsminister nicht alle dreiviertel Jahr auswechseln und nicht Forderungen nachgehen, die die Regierung gar nicht gestellt hat, die angeblich ohnehin in der Opposition besser aufgehoben wären. Und man sollte nicht den Wirtschaftsminister deshalb ablösen wollen, weil er einen zu wirtschaftsorientierten Kurs fährt und auch einmal die Wahrheit anspricht. Es ist traurig, daß es in diesem Land so ist. Aber ich denke, wir sollten weiter eine sehr ruhige und sachliche Debatte zu diesem Thema führen. Das tut dem Hause gut. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat Frau Nickels. Danach kommt Herr Hintze. Die weiteren Kurzinterventionen nehmen wir dann in die zweite Runde. Frau Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Oma hatte, als sie noch lebte, eine Gaststätte. Sie war eine handfeste Frau und hat in ihrem Leben hart gearbeitet. Bei meiner Oma ging es, wenn Stammtisch war, so zu wie heute morgen hier im Bundestag. In einer Gaststätte darf es so zugehen, wenn sich die Herren einen angetrunken haben und lustig und fidel sind. Aber im Bundestag darf es, wenn es um Themen wie „Zukunft der Arbeit", „Arbeitsplätze und Infrastruktur" geht, so nicht zugehen. Wenn vor allen Dingen nur Männer reden und meinen, sich mit Bütten- und Kneipenreden Wahlkampflorbeeren verdienen zu müssen, so finde ich das widerlich. Wenn man Ihren nur eine Seite umfassenden Antrag liest, der mit „Mehr Arbeitsplätze durch Erhalt und Ausbau der Infrastruktur" tituliert ist, dann stellt man fest, daß er so inhaltsleer und inhaltslos ist, daß ihn jeder in diesem Hause unterschreiben könnte: Förderung einer modernen Infrastruktur, moderne Energieversorgung, Arbeitsplätze. Das kann jeder unterschreiben. Sie haben aber in diesem Antrag nicht klargemacht, wie Sie das erreichen wollen. Herr Hintze hat sich in meinen Augen als jemand dargestellt, der, obwohl jung an politischen Jahren, mit einem rückwärtsgewandten Tunnelblick überholte, gescheiterte Wirtschaftsmodelle vorgetragen hat. Herr Hintze, Ihnen scheint zu moderner Struktur- und Verkehrspolitik nichts anderes einzufallen als ein litaneienhaftes Herunterbeten aller möglichen Autobahnen, die Sie zu planen und zu bauen wünschen. Sonst fällt Ihnen zu einer modernen Verkehrs- und Infrastrukturpolitik nichts ein. Sie haben hier von Großflughäfen, Gentechnik und Transrapid gesprochen. In Ihrer Aufstellung fehlte lediglich die Atomkraft; dann wäre die übliche Litanei komplett gewesen. Ich will Ihnen einmal eines sagen: Alle Bereiche, die Sie genannt haben, kosten Milliarden von Steuergeldern. Die wenigsten von diesen Großprojekten wären am Markt ohne Subventionen und ohne eine massive Unterstützung etablierungsfähig. Zu den Folgen eines ungebremsten Technikwahns, der dazu geführt hat, daß wir beispielsweise ein gigantisches Ozonloch haben, daß die Welt immer unwirtlicher wird, daß Kinder mittlerweile mit dem Auto zur Schule und zum Kindergarten gebracht werden müssen, weil der zunehmende Autoverkehr und die Betonierung der Landschaft dazu führen, daß sich KinChrista Nickels der in der Umwelt überhaupt nicht mehr frei bewegen können, sagen Sie kein einziges Wort. Das ist typisch! Es ist auch typisch, daß Männer diese Runde eröffnet haben. Sie haben ganz vergessen, daß die Krise der Infrastruktur, die Krise der Arbeit auch eine Krise der Lebenswelt, der Erziehung und der Hausarbeit ist. Wenn Ihnen dazu nichts einfällt - bitte schön! Das werden Frauen dann bewerten. Aber wenn Ihnen zu alternativen Infrastrukturmaßnahmen und Verkehrsprojekten nur Fahrradwege und Grünstreifen einfallen, dann kann ich nur sagen: Arme CDU, armes Deutschland. Wir haben genügend dagegenzusetzen. Dies werden wir auch in der Debatte um Dortmund klarmachen. Noch einen Satz möchte ich mir an die Adresse von Herrn Westerwelle erlauben: Herr Westerwelle, wenn Sie sich einen Rat von einer Frau in mittleren Jahren geben lassen wollen, dann möchte ich Ihnen raten, daß Sie, wenn Sie als dürrer, junger Hänfling die Backen aufblasen und laut posaunen, dies nicht mit politischer Substanz und Potenz verwechseln. ({0}) Es gibt gestandene Männer und Frauen, die etliche Pfunde Übergewicht am Leibe haben, die aber mehr darüber wissen als Sie, was den Leuten unter den Nägeln brennt, die in ihrem Leben hart und schwer gearbeitet haben, die wissen, was den normalen Leuten weh tut. Sie können hier nicht daherkommen und sagen, Sie hätten mehr Ahnung davon, nur weil Sie rank und schlank sind.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Nickels, Ihre Redezeit ist beendet.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie der Meinung sind, das sei witzig, dann kann ich Ihnen nur eines sagen: Joschka Fischer mit seinen zwei Zentnern Lebendgewicht ist Stück für Stück, wenn er in die Arena tritt, leicht, espritvoll und witzig, während Sie einfach nur platt, plump und peinlich sind. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zur Entgegnung hat der Kollege Peter Hintze. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kurzintervention von Frau Nickels möchte ich nicht kommentieren; sie spricht in eindrucksvoller Weise für sich selbst. ({0}) Ich möchte aber doch etwas zu der Kurzintervention des Kollegen Schultz aus Köln sagen, und zwar erstens, weil er den Sachverhalt leider nicht vollständig dargestellt hat, und zweitens, weil ein Wort zur Sache selber fällig ist. ({1}) - Wenn Sie so nett wären, mir zuzuhören, wie wir das eben gemacht haben, wäre das schön. Erstens zum Sachverhalt selbst: Natürlich wissen wir, daß Anlieger von Flughäfen Betroffene sind, und natürlich haben auch wir dafür Verständnis, wenn sie ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringen. Herr Schultz, ich bitte Sie, den von Ihnen zitierten Zeitungsartikel ganz zu lesen oder sich in anderer Weise zu informieren. Die Kölner CDU hat nicht beschlossen, wie hier der Eindruck erweckt werden sollte, es müsse ein allgemeines Nachtflugverbot geben. Die Kölner CDU hat nicht beschlossen, die Firma TNT dürfe auf dem Köln-Bonner-Flughafen nachts nicht fliegen. Die Kölner CDU hat lediglich beschlossen, daß als Zielwert für den Lärmschutz ({2}) - Sie sollten hier nicht geifern; Sie sind ja mit Flughafenfragen besonders erfahren, Herr Fischer ({3}) 75 dB angestrebt werden, ({4}) genauso, lieber Herr Schultz, wie wir uns als Zielwert für unsere Automobilindustrie das Dreiliterauto vorstellen, ohne daß wir deswegen alle Autos stillegen, die im Moment noch mehr verbrauchen als drei Liter. ({5}) Soviel zum Beschluß der Kölner CDU. Jetzt zur Sache selber: In der Arbeitsmarktlage, in der wir uns befinden, stehen wir natürlich vor einer wichtigen Abwägung. Dabei haben Flughäfen eine zentrale Aufgabe. Zum Thema Nachtflugverbot gibt es zwei Instanzen, die Regelungskompetenz haben: der Bundesverkehrsminister und der Landesverkehrsminister. Der Bundesverkehrsminister hat für den Kölner Flughafen uneingeschränkt eine Nachtfluggenehmigung erteilt und für die Zukunft weiter in Aussicht gestellt. ({6}) - Das haben Sie mit beschlossen, was ich begrüßen möchte. - Der Landesverkehrsminister hat, irritiert von den Einlassungen des grünen Koalitionspartners, hier Unsicherheit aufkommen lassen. Die Firma TNT ist daraufhin nach Lüttich gegangen, weil sie unter der Landesregierung in Düsseldorf nicht die Sicherheit hatte, ihre Geschäftstätigkeit weiter ausüben zu können. ({7}) Ein weiteres ist hochinteressant - es schmerzt auch mich in der Seele, Herr Schultz; ({8}) ich kenne Sie ja, ich kenne auch Ihre Einstellung -: Ihre Schlußattacke gegen die Grünen kann ich Satz für Satz unterschreiben. ({9}) Ich muß Sie nur fragen, warum Sie dann mit Herrschaften koalieren, die uns mit einem solchen Kram beschäftigen, wie ihn Frau Nickels hier präsentiert hat, oder einem Herrn Fischer, der die Startbahn West in Frankfurt mit seinen Aktionen lahmzulegen versuchte und damit dem Wirtschaftsstandort Deutschland schwer schaden wollte. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wir gehen jetzt in die zweite Runde, und es beginnt Kollege Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wichtigste Aufgabe der deutschen Politik und dieses Bundestages ist es zur Zeit, bestehende Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. ({0}) Dies ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Politik, von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Betriebsräten; ({1}) dies kann nicht ein einzelner schaffen. Deshalb, Herr Scharping, wäre ich bereit, das Angebot, das Sie heute hier gemacht haben, für meine Fraktion anzunehmen, ({2}) aber Sie täuschen die Menschen, Herr Scharping. ({3}) Hier vor dem Bildschirm machen Sie Angebote, und im Bundesrat blockieren Sie jede sinnvolle Politik. ({4}) Herr Scharping, SPD-interne Machtkämpfe, in die Sie ja wochenlang verwickelt waren und an deren Ende Sie dann hinterrücks ermordet wurden, haben verhindert, daß im Bundesrat eine sinnvolle Politik gemacht werden konnte. ({5}) Ihnen, Herr Scharping, Lafontaine und Schröder war die Frage wichtiger „Wer wird in der SPD der erste Mann sein?", als Politik für die Menschen in diesem Land zu machen. ({6}) Beenden Sie also Ihre Blockadepolitik im Bundesrat und geben Sie der Wirtschaft eine Chance! ({7}) - Schreien Sie nicht so, Frau Fuchs! Es wird nicht besser, wenn Sie schreien. - Sie von der SPD und besonders Sie, Herr Schultz, fordern diese Bundesregierung auf, zu handeln, ({8}) fallen ihr aber im Bundesrat in den Arm. Es ist keine ehrliche Politik, die Sie betreiben. ({9}) Es geht darum, neue Arbeitsplätze zu schaffen und bestehende zu sichern. Dazu müssen wir zusammenarbeiten: im Bundestag und Bundesrat, Bundesländer und Bundesregierung. Da die Bundesländer, die von der SPD und den Grünen regiert werden, nicht mehr machen, müssen alle Menschen ein Interesse daran haben, daß es in den Ländern Regierungen gibt, die die Bundesregierung in ihrer Arbeit unterstützen und ihr nicht ständig in den Arm fallen. ({10}) Dies, Herr Scharping, können Sie in den nächsten Wochen beweisen. Ich habe in den letzten Tagen und Wochen, auch hier im Deutschen Bundestag, ständig nur erlebt, daß die Opposition jede Initiative, die von der Regierungskoalition oder der Regierung kam, niederstimmen wollte. Sie haben Gott sei Dank keine Mehrheit. Das Folgende habe ich heute ebenfalls erlebt, Herr Scharping. Sie sagen: Die Lohnnebenkosten müssen heruntergeführt werden. ({11}) - Ja, darin sind wir uns einig. - Aber immer, wenn wir Vorschläge machen, wie das geschehen soll, sind Sie nicht mit von der Partie. Sie kündigen an und verabschieden sich dann immer aus der Verantwortung. ({12}) Ich will Ihnen, Herr Scharping, noch etwas sagen: Wenn wir die Lohnnebenkosten senken wollen - und das wollen wir -, dann ist es nicht damit getan, zu glauben, man könne Steuern erhöhen, um die Lohnnebenkosten zu senken. Auch dies wäre Gift. Nein, Sie müssen sich schon darauf einlassen, mit uns darüber zu diskutieren, wo wir tatsächlich einsparen können, und dürfen dies nicht ständig mit demagogisçhen Begriffen wie „Sozialabbau" sofort kaputtmachen. Nein, Sie sind nicht ehrlich; Sie wollen gar nicht mitwirken. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Grießhaber?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Natürlich wird von Länderseite gesagt, die Bundesregierung sei für das, was geschehe, verantwortlich. Demgegenüber sage ich: Die Länder haben eine eigene Kompetenz. Nordrhein-Westfalen ist der Beweis: ({0}) Rot-Grün, Herr Fischer, ist ein Bündnis gegen Arbeit. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Fischer, wollen Sie eine Zwischenfrage stellen?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herrn Fischer gestatte ich keine Zwischenfrage. Herr Fischer schreit ständig nur dazwischen. Aber Sie können nicht davon ablenken, daß Sie in Nordrhein-Westfalen, ({0}) diesem großen Bundesland, eine Regierungskrise herbeigeführt haben und daß die Menschen darunter leiden müssen. Dafür tragen Sie eine Mitverantwortung, Herr Fischer. Kein Gebrüll hier heute im Bundestag! ({1}) Die Menschen in Nordrhein-Westfalen müssen eine Regierung ertragen, die einen wochenlangen Streit darüber führt, ob 20 Millionen DM aus einem 90-Milliarden-DM-Haushalt für eine Abfertigungshalle und für ein Parkhaus verwendet werden dürfen. Herr Fischer, das verhält sich etwa so, als ob Sie aus einer bis obenhin gefüllten Badewanne ein Glas Schnaps herausschöpfen. An so etwas läßt man eine Regierung, die für die Menschen arbeiten soll, scheitern. Deswegen ist Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen kein Exportartikel für andere Länder und schon gar nicht für den Bund. ({2}) Sie von der SPD, Herr Scharping, und Sie, Herr Fischer, sprechen davon, daß die Bundesregierung handeln soll, und sie handelt ja auch. ({3}) - Sie schreien schon den ganzen Morgen; Sie leisten überhaupt keinen Beitrag. Wir sehen alle das Schauspiel in Nordrhein-Westfalen mit an, wo nun eine Regierung - die arbeiten soll -, wo nun ein ganzes Land einem Landesparteitag der Grünen entgegenzittern muß, der eventuell mit einer Stimme Mehrheit entscheiden wird, ob es in diesem Land vorangeht oder nicht. Dies ist kein Handlungsmodell für eine starke Demokratie in unserem Land. ({4}) Nein, meine Damen und Herren, die Ereignisse in Nordrhein-Westfalen lassen erahnen, was auf uns zukäme, wenn Rot-Grün Modell in anderen Bundesländern wäre und wenn Rot-Grün womöglich noch in der Bundespolitik etwas zu sagen hätte. Ich nenne Ihnen nur einige wenige Beispiele aus meinem Heimatland Baden-Württemberg: Die Grünen sind prinzipiell gegen den Ausbau von Straßen in Baden-Württemberg. ({5}) In einem Entwurf zum Nachtragshaushalt 1995/96 haben sie vorgeschlagen, Mittel in Höhe von 45 Millionen DM - Investitionen! - für Ortsumgehungen zu streichen. Die ökologische Lebensqualität von Menschen, denen die Vierzigtonner am Wohnzimmerfenster vorbeidonnern, ist ihnen egal. Lebensschutz für jede Schnecke, und der Mensch bleibt auf der Strecke! Dies ist die Politik der Grünen in Baden-Württemberg. ({6}) Die Grünen erzählen uns immer wieder: Wir sind für den Ausbau der Schiene. Jetzt macht Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann ein großes Zukunftsprojekt im mittleren Neckarraum, nämlich „Stuttgart 21". Das erste, was ich von den Grünen in dieser Region gehört habe, war: Nein, mit uns nicht! Ja, sagen Sie doch einmal: Sind Sie für den Ausbau der Straßen, sind Sie für den Ausbau der Schiene, oder für was sind Sie? Ich sage es Ihnen: Sie sind gegen alles, was die Zukunft in unserem Land voranbringt. ({7}) Dieser wirtschaftsstarke Raum, die Region Mittlerer Neckar, braucht dringend eine neue Messe. Grüne sind dagegen. Regionalflughäfen in BadenWürttemberg - Grüne sind dagegen. ({8}) Irgend jemand hat vorhin davon gesprochen. Auch Kultur gehört zum Standort. Jetzt wollen wir eine zweite Musical Hall in Stuttgart bauen, wodurch 1 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. - Grüne sind dagegen. ({9}) Rot-Grün ist ein Bündnis gegen Arbeit. Dies sehen wir in Nordrhein-Westfalen und anderswo. Man braucht nur die Programme von Roten und Grünen zu lesen. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Liste, die ich gerade gebracht habe, ist unvollständig, ({11}) aber vollständig genug, um die Aussage zu beweisen: Der verantwortliche Ausbau der Infrastruktur ist nicht nur im wichtigen Industrieland NordrheinWestfalen, sondern auch in allen anderen wichtigen Industrieregionen notwendig. Deswegen sage ich: Die Bundesländer und die Bundesrepublik Deutschland vertragen keine rot-grünen Koalitionen. In der gestrigen Ausgabe des „Handelsblatt" ist nachzulesen, daß der Chef der amerikanischen Notenbank gesagt hat, daß die US-Wirtschaft die Chance für ein „maximales und nachhaltiges Wachstum" habe. Er hat aber betont, daß da die Technologie eine Hauptrolle spiele. Und in diesem Bereich haben wir Probleme. Dabei mangelt es nicht an Spitzenforschung, es mangelt auch nicht an Erfindungen. Gerade in Baden-Württemberg geben wir pro Kopf der Bevölkerung mehr für die Forschung aus als andere Länder in der Welt. ({12}) Deshalb müssen wir die Forschung auch fördern. Was fordern nun die Grünen - jetzt, Herr Fischer, aufgepaßt; Sie können wahrscheinlich auch nicht jedes Programm kennen, aber Sie sollten wissen, was drinsteht - in Baden-Württemberg? Zitat aus dem Programm: „Wir streben an, im Bereich der wirtschaftsnahen Forschung das bisherige Subventionsniveau schrittweise zu senken. " So, meine Damen und Herren von den Grünen, wird die Forschungsförderung langsam zu Grabe getragen, so wird der schnelle Technologietransfer wieder zurückgebaut. ({13}) So ruiniert man eine Volkswirtschaft und ihre Arbeitsplätze. Ich sagen Ihnen: Wir in Baden-Württemberg und wir in Deutschland können eine solche Politik nicht brauchen. ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der wichtigsten Frage, die die Menschen heute bewegt - neue Arbeitsplätze zu schaffen und die bestehenden zu sichern -, lohnt es sich, um den richtigen Weg zu streiten. ({15}) Es darf aber auf gar keinen Fall so weitergemacht werden wie bisher, daß die Regierung Vorschlag um Vorschlag einbringt, daß der Bundeskanzler Zukunftskonzepte entwickelt, ({16}) die Opposition aber dann den Bundesrat mißbraucht, dieser Regierung in den Arm fällt und sie nicht arbeiten läßt. Dies ist unehrlich, und dies werden wir anprangern. Wir werden Sie ständig mit neuen Vorhaben im Bundesrat konfrontieren. Ich bin gespannt, wie lange die Arbeitnehmer in diesem Land es noch ertragen, daß die angebliche Arbeitnehmerpartei SPD verhindert, daß wir auf dem Weg in eine gute Zukunft vorankommen. ({17}) Die Arbeitnehmer sagen: Wir spüren schon lange, daß diese Regierung, daß die Union unsere Interessen vertritt und versucht, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. ({18})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort nimmt jetzt die Kollegin Sigrid Skarpelis-Sperk. Danach folgen weitere Kurzinterventionen.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Karren der deutschen Wirtschaft steckt im Dreck - und das tief, offenbar so tief, daß sich hier nicht mehr die Wirtschaftsexperten der Regierungsparteien ans Podium trauen, sondern nur noch die Wahlkampfleiter der Regierungsparteien in Bonn und Baden-Württemberg. ({0}) Die Prognosen der Bundesregierung haben sich als Wunschtraum erwiesen: Die Arbeitslosenrate hat mit 11 Prozent einen neuen Nachkriegsrekord erreicht; die deutsche Wirtschaft ist im vierten Quartal 1995 geschrumpft; und auch für das jetzige Quartal müssen wir mit einer weiteren Schrumpfung rechnen - minus 1 Prozent sagen uns die Experten. Der wirtschaftliche Aufschwung ist in sich zusammengebrochen. Es war der kürzeste Aufschwung in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Er dauerte nur ein Jahr; und er stürzte so schnell und tief ab wie nie zuvor itt der deutschen Nachkriegsgeschichte. ({1}) Die Bauwirtschaft ist dabei schlimm getroffen: „Sie befindet sich in der tiefsten Rezession seit 20 Jahren" - so Fritz Eichbauer vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes. Experten schätzen, daß 6 000 alteingesessene Betriebe aufgegeben werden und Zehntausende deutsche Facharbeiter entlassen werden müssen. Allein Ihre Schlechtwettergeldregelung hat in diesem Winter 215 000 Bauarbeiter arbeitslos gemacht. ({2}) Die Wirtschaft in den neuen Bundesländern wächst deutlich schwächer. Von Aufholen kann nicht mehr die Rede sein. ({3}) Die Konsumnachfrage ging im letzten Quartal 1995 um 0,3 Prozent zurück; die Bruttoanlageninvestitionen stiegen im letzten Jahr nur um 3,3 Prozent. Herr Rexrodt, wie war Ihre Jahresprojektion? Sie gingen noch von stolzen 8 bis 9 Prozent aus. ({4}) Den höchsten Realitätswert unter den jetzt kursierenden Prognosen dürfte angesichts dieser Fakten und Ihrer Regierungspolitik die Prognose des Deutschen Industrie- und Handelstages haben: eine schwarze Null vor dem Komma; das heißt wirtschaftliche Stagnation, 150 000 bis 180 000 mehr Arbeitslose in diesem Jahr - mehr als im vergangenen Jahr - und ein Staatsdefizit von weiteren 30 Milliarden DM. Den kürzesten Aufschwung der deutschen Geschichte verdanken wir in erster Linie dem Anstieg der langfristigen Zinsen im Jahr 1994: 7,5 Prozent - das war zuviel für den gerade begonnenen Aufschwung, trotz der massiven Gewinne auf Grund der Rationalisierungswelle der deutschen Industrie. ({5}) Bundesbank und Bundesregierung haben von Mai 1994 bis März 1995 nichts, aber auch nichts gegen diese gnadenlos hohen Zinsen getan. ({6}) Wenn die Null vor dem Komma stimmt, dann bedeutet das nicht nur, daß wir in die Rezession fahren. Dann bedeutet das einen neuen Rekord an Zusammenbrüchen von kleinen und mittleren Unternehmen. Das war im letzten Jahr mit 28 800 Zusammenbrüchen und einem Gesamtschaden von 54 Milliarden DM schon schlimm genug. ({7}) Ihr Haltet-den-Dieb-Geschrei, das Sie heute hier aufführen - nichts anderes ist es, was Sie mit Ihren Wahlkampfleitern hier produzieren -, ({8}) bringt es in dieser Situation wirklich nicht. Wir sollten uns wirklich schämen, daß wir dem deutschen Volk und über 4 Millionen Arbeitslosen ein derartiges Wahlkampfgeschrei bieten. ({9}) Die zentrale Frage ist doch: Wie kommen wir in Deutschland und in Europa aus Rezession und Stagnation heraus, wie erreichen wir wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik, um ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen? Das geht nur miteinander und nicht nebeneinander und schon gar nicht mit gegenläufigen Wirtschaftspolitiken, wie sie derzeit Frankreich und Deutschland umsetzen. Für ein angemessenes, ökologisch akzeptables Wachstum, angemessene Arbeitsplätze und Preisstabilität brauchen wir in Deutschland und in Europa zumindest vier gemeinsame Schritte in die gleiche Richtung. Schritt 1: Wir brauchen eine gemeinsame Währungs- und Geldpolitik, die den kleinen und mittleren Unternehmen Sicherheit vor irrationalen Währungsschwankungen bietet. ({10}) Wir brauchen ein deutliches Absenken der Realzinsen, wenn sich produktive Investitionen, risikoreiche Innovationen und das Schaffen von Arbeitsplätzen lohnen sollen. ({11}) Schritt 2: Wir brauchen statt der unabgestimmten Inflationsbekämpfung bei gleichzeitig restriktiver Finanzpolitik zur Erreichung der Maastrichter Kriterien eine abgestimmte Wirtschafts- und Haushaltspolitik zur Bekämpfung von Rezession und Stagnation und für mehr Investitionen. Wir brauchen ein europäisches Bündnis für Arbeit. ({12}) Wie wäre es eigentlich, wenn die Bundesregierung - der Bundesbankpräsident ist doch Ihr Parteimitglied - sich einmal mit dem Präsidium der Bundesbank dahin gehend verständigte, daß im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz nicht nur niedrige Preissteigerungsraten, sondern auch die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ein richtiges und wichtiges Ziel sind? ({13}) Jacques Delors hatte für eine solche europäische Dynamik Investitionen in zukunftsrelevante Infrastruktur wie transeuropäische Verkehrsnetze, Datenautobahnen und Investitionen in ein leistungsstarkes Forschungs- und Bildungswesen vorgeschlagen. Pläne für 400 Milliarden ECU liegen in den Schubladen der nationalen Regierungen und der europäischen Bürokratie in Brüssel. Warum holen wir sie nicht heraus, setzen sie endlich um und schaffen Arbeitsplätze? ({14}) Damit wir nicht zu lange auf den europäischen Geleitzug warten müssen: Warum beginnen wir nicht mit einem deutsch-französischen Akkord, einem gemeinsamen Bündnis für Arbeit? In diesem Zusammenhang ließen sich auch positive deutsche Signale für die Bauindustrie einbringen, zum Beispiel eine Verbesserung der steuerlichen Behandlung des Wohnungsbaus. Kein Wort habe ich darüber von Ihnen heute gehört, daß das Auslaufen der steuerlichen Förderbedingungen für den Wohnungsbau einer der Gründe für den massiven Rückgang der Bauindustrie ist. ({15}) Wir brauchen eine Verbesserung des staatlichen Fördervolumens für den sozialen Wohnungsbau und für die Städtebaufinanzierung. Schritt 3: Hier handelt es sich um einen Schritt, in dem wir offensichtlich unterschiedlicher Meinung sind. Die automatischen Stabilisatoren der Wachstums- und Stabilitätsgesetze dürfen nicht krisenverschärfend außer Kraft gesetzt werden. Wer jetzt, wie Sie es vorgeschlagen haben, mutwillig die Sozialausgaben senkt und die Masseneinkommen belastet, sägt an der letzten Stütze der Binnenkonjunktur, nämlich an der Konsumnachfrage, und ist für einen Marsch in die Rezession verantwortlich. ({16}) Ohne den entschiedenen Kampf der Sozialdemokraten für ein gerechteres Jahressteuergesetz ({17}) würde der Konsum in diesem Jahr schrumpfen. Statt zu lachen, sollten Sie lieber an die SPD-Bundestagsfraktion, an Rudolf Scharping und Oskar Lafontaine Blumensträuße verteilen. ({18}) Denn was Sie suggerieren - daß der Außenhandel die Lösung des Problems der Massenarbeitslosigkeit ist -, ist doch ein tragischer Irrtum: Welche Exportsteigerung soll denn 4 Millionen Menschen beschäftigen, verdammt noch mal? ({19}) Schritt 4: Wir müssen Unternehmer ermuntern, die innovativ neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt bringen und Arbeitsplätze schaffen. Sie brauchen mehr Risikokapital und eine breite konkrete Unterstützung vor Ort. Das Kapital, das in den Unternehmen verbleibt, muß steuerlich besser als bisher behandelt werden. Da sind wir mit Ihnen einer Meinung. Aber wer hat denn das ausgeschüttete Kapital steuerlich besser behandelt als das im Betrieb investierte? ({20}) Das war doch Ihre Idee; das haben Sie doch gegen uns durchgesetzt. Wir sind in einem Punkt hoffentlich einer Meinung: Kapital gehört in dieses Land, in die kleinen Unternehmen; Luxemburg ist sicherlich der falsche Standort. ({21}) Wir brauchen eine besondere Stabilisierungshilfe für die ostdeutsche Industrie. Wenn die ohnehin schwache Industrieproduktion dort noch weiter abbricht, dann wären fünf Jahre intensiver und weiß Gott nicht billiger Aufbauarbeit weitgehend umsonst. Die Hoffnungen der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern, die sie in diese Aufbauarbeit investiert haben, wären grob enttäuscht und ihre Anstrengungen und auch viel Leiden vergeblich. Deswegen müssen wir praktische Schritte unternehmen und nicht ein Rot-Grün-Geschrei erheben. Was hilft den ostdeutschen Kommunen denn Ihre Wahlkampfkampagne? Sie müssen sie finanziell stabilisieren, damit die Bauindustrie nicht wegbricht. ({22}) Die Industrie braucht gezielte Investitionszulagen, damit die Investitionen in produktive Sachanlagen in den neuen Bundesländern stimuliert werden. Sonst ist 1997 nicht nur mit einem langsameren Wachstum, sondern mit einer Stagnation der industriellen Produktion zu rechnen. Meine Herren Wahlkampfleiter, von Ihnen habe ich heute keine Vorschläge, sondern nur Polemik gehört. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, so kommen wir nicht aus der Krise heraus. Lassen Sie uns die Probleme in Deutschland, in Europa ernsthaft angehen und dazu unsere Hausaufgaben machen. Denn gegen die Bundesrepublik Deutschland geht in Europa nur wenig, mit uns gemeinsam sehr viel nach vorne. ({23})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Peter Dreßen, SPD.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte kurz auf den Beitrag von Herrn Kauder eingehen. Herr Kauder, ich bedauere, daß Sie in der Debatte über Arbeitsplätze nichts anderes als Wahlkampf primitivster Art für Baden-Württemberg gemacht haben: zum Beispiel kein Wort dazu, warum der vierspurige Ausbau der Gleise auf der Rheintalschiene zwischen Offenburg und Basel auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird; kein Wort dazu, daß viele Ortsumgehungen, die vor Ort unumstritten sind, ebenfalls auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden, ({0}) weil Ihre Koalition im Etat 600 Millionen DM gestrichen hat; kein Wort dazu, daß der bisherige Wirtschaftsminister Dieter Spöri durch RisikofinanziePeter Dreßen rung Tausende von Arbeitsplätzen erhalten hat; kein Wort dazu, wie Sie damit umgehen. ({1}) Das hätte die Arbeitnehmer in Baden-Württemberg interessiert, das hätten sie gern gehört. Auch wenn Sie der Wahlkampfleiter der CDU dort sind, hätten wir gern Antworten auf diese Fragen gehabt. Statt dessen gab es Anwürfe gegen die SPD und die Grünen. Wenn Ihr Programm so aussieht, dann gute Nacht, Baden-Württemberg! ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Wird Gegenrede gewünscht? - Keine Gegenrede. Dann gibt es eine Kurzintervention der Kollegin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die Grünen.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da der Kollege Kauder eine Zwischenfrage von mir leider abgelehnt hat, möchte ich doch noch einmal auf den Beitrag eingehen. Ich finde es schon sehr merkwürdig, wenn Sie sagen, der einzige gute Weg in die Zukunft sei der mit der Union. Sie als Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg müssen es ja wissen. Wenn aber Rot-Grün kein Exportartikel ist, Herr Kauder, wie erklären Sie sich dann, daß Baden-Württemberg beim Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von Platz eins auf den drittletzten Platz gerutscht ist, während Hessen mit rot-grüner Koalition jetzt auf Platz zwei ist? ({0}) Ich glaube, Herr Kauder, ein bißchen Asche auf Ihr Haupt täte Ihnen in dieser Fastenzeit ganz gut. Vielen Dank. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gegenrede? - Dann hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kollege Hansjörgen Doss, CDU/CSU.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Scharping, Sie haben vorhin mit lautstarken Beiträgen die Bundesregierung aufgefordert, sie möge Arbeitsplätze schaffen. ({0}) - Ich bedanke mich für den Applaus, weil er Ihre Unkenntnis in dieser Frage noch einmal unterstreicht. Politik schafft keine Arbeitsplätze, sondern bestenfalls die Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze. ({1}) - Das muß Ihnen sehr weh tun, ({2}) sonst würden Sie nicht so herumschreien. Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, daß zwei Drittel aller Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Betrieben sind. ({3}) Es geht also um jene, von denen wir wollen, daß sie sich selbständig machen, daß sie Arbeitsplätze schaffen, zum Beispiel im Handwerk. Jeder Handwerksbetrieb hat im Durchschnitt acht Arbeitsplätze. Diese Leute müssen wir einmal fragen, was sie an Voraussetzungen haben wollen, damit sie das tun, was wir wohl alle wollen. Gar keine Frage. ({4}) Ich kann in dieser Frage ein Selbstgespräch führen, weil ich seit 30 Jahren selbständig bin, während ich bei der grünen Fraktion keinen einzigen finde, der im Bereich Wirtschaft oder als Angestellter dort einmal tätig gewesen ist. ({5}) - Ich habe einmal nachgeguckt, Herr Fischer. Der Hinweis auf Sie und die Gaststätten von Frau Nickels muß Sie sehr betroffen gemacht haben. Sie wissen gar nicht mehr, wen Sie alles in Ihrer Fraktion haben. Wenn dann die Grünen auf ihrem Bundesparteitag in Mainz 30 Stunden Arbeitszeit oder weniger in der Woche beschließen, ist das eine Absage an mittelständische Arbeitsplätze. Das ist doch gar keine Frage, ({6}) weil die Last von Steuern und Abgaben, aber auch der Faktor Arbeitszeit kalkulatorisch in einen Arbeitsplatz einfließen. Wenn Sie 30 Stunden und weniger beschließen, heißt das, daß ein seriös rechnender Unternehmer natürlich die Kalkulation aufmacht, daß Arbeitsplätze in Deutschland nicht mehr gehen. Insofern hat Volker Kauder recht, wenn er sagt, RotGrün sei ein Bündnis gegen Arbeit. ({7}) - Frau Fuchs, gehen Sie doch bitte einmal in einen mittelständischen Betrieb und schauen Sie sich an, unter welchen Bedingungen heute die Verantwortung für Arbeitsplätze aufrechterhalten werden muß. Da ist das 50-Punkte-Programm der Bundesregierung der richtige Weg, ({8}) wie wir Arbeitsplätze in Deutschland ermöglichen. Das, was Sie vorhaben, meine Damen und Herren von den Grünen, sieht so aus. In Ihrem Wahlprogramm bei uns in Rheinland-Pfalz steht: Der Flugplatz Haan - zu dem Herr Scharping vorhin eingeladen hat - sei eine Luftnummer. Da steht: ZivilflugHansjörgen Doss plätze in Bitburg und Zweibrücken lehnen wir ab. Grüne treten für die Stillegung aller chemischen Produktionsstätten ein, in denen Dioxine und vergleichbare Substanzen entstehen oder verwendet werden - das bedroht 30 000 Arbeitsplätze bei der BASF -, und in der Gentechnologie soll in Rheinland-Pfalz die Forschung eingestellt werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir reden über Arbeitsplätze.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Drei Minuten beträgt die Redezeit bei Kurzinterventionen. Sie können noch einen Satz sprechen, aber ohne Semikolon.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn wir Arbeitsplätze schaffen wollen, müssen wir mehr auf die achten, die zur Verfügung stehen, und für sie die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Dann geschieht das auch wieder. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der Kollege Scharping wurde zweimal angesprochen. Ich frage ihn, ob er Gegenrede wünscht. ({0}) - Wie auch immer. Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Lenzer, CDU/CSU.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele unserer Kollegen aus der Koalition haben ihre Reden unter das Motto gestellt: Rot-Grün ist ein Bündnis gegen Wachstum und Beschäftigung. Dem ist nichts hinzuzufügen, und das stelle ich an den Anfang meiner Ausführungen. ({0}) - Wer schreit, hat unrecht. Schreien macht häßlich, deswegen wäre ich ein bißchen ruhiger. „Klima vergiftet", „Rot-grüner Koalitionskrach in NRW", „Was nun, Herr Rau?", „Grüne konterkarieren Bündnis für Arbeit", „NRW-Regierungsbündnis kann als Modell für Bonn nicht mehr herhalten", so titelten gestern die Zeitungen. Herr Scharping, statt den Kollegen Hintze zu beschimpfen, hätten Sie sich der Mühe unterziehen sollen, einmal Punkt für Punkt nachzuweisen, wo er am konkreten Beispiel der Politik in Nordrhein-Westfalen, wie sie von Rot-Grün exekutiert wird, etwas anderes gesagt hat, als es der Realität entspricht. Frau Skarpelis-Sperk, auch Sie waren ein beredtes Beispiel. ({1}) Es tut mir leid, ich habe die Blumen vergessen, aber ich hätte sie Ihnen auch nicht überreicht, denn Sie haben sie nicht verdient und die anderen sowieso nicht. Frau Skarpelis-Sperk, Ihre Einlassungen waren ein Beispiel, wie man mit Dampfplauderei, mit Sprechblasen und akademischen Vorträgen versucht, die Probleme zu lösen und von der Realität vor Ort abzulenken. ({2}) Diese Politik beweist sich nicht hier, Arbeitslose werden nicht hier an diesem Podium, sondern vor Ort durch konkretes Handeln wieder in Arbeit und Brot gebracht. Ich komme aus Hessen. Der Kollege Fischer ist ebenfalls ein besonderer Kronzeuge, denn er hat dort gerade in dieser Zeit Verantwortung als Umweltminister getragen und kann mir manches bestätigen und mit einigen konkreten Beispielen dienen. Ich will drei Komplexe anreißen: Nein zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, Be- und Verhinderung von Verkehrsbauten ({3}) - es kommen noch konkrete Beispiele -, Ausstieg aus und Behinderung in der High-Tech-Branche. Das ist rot-grüne Politik. Meine Damen und Herren von der SPD, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Politik in Nordrhein-Westfalen. Was Sie dort erleben, ist erst der Anfang; es wird noch viel schlimmer. Ich erinnere Sie an den Ausruf, lieber Kollege Fischer, des damals völlig entgeisterten Ministerpräsidenten Holger Börner: Mein hohes Amt hindert mich leider, denen eins in die Fresse zu hauen. Früher hätte man auf dem Bau so was mit der Dachlatte geregelt. Das war ein wörtliches Zitat von Holger Börner, der damals am Rand des Zusammenbruchs stand und mit Herzrhythmusstörungen ins Krankenhaus kam. Das war auch ein Ergebnis rot-grüner Koalition. ({4}) Nun zu konkreten Beispielen. ({5}) - Ja, Sie können die Wahrheit nicht vertragen. Herr Kollege Schily, Sie sind hier nicht in der Talk-Show; da können Sie dumm schwätzen. Hier geht es um konkrete Dinge. ({6}) Herr Fischer, das erste Beispiel ist der Ausstieg aus der Chlorchemie. Sie haben den Ausstieg aus der Chlorchemie propagiert. Vielleicht schaffen Sie auch mit Mehrheit die Naturgesetze ab? Vielleicht heben Sie auch irgendwann einmal die Schwerkraft auf? ({7}) Die Chlorchemie macht in Deutschland 100 Milliarden DM Umsatz und beschäftigt 350 000 Menschen. In der Folge haben Sie in Hessen versucht, ein PVC-Verbot durchzusetzen. ({8}) - Langsam, langsam, so weit bin ich noch nicht; von wegen, nach monatelangen Querelen und weil 10 000 Arbeitsplätze allein in Hessen auf dem Spiel standen, hat man die größten Giftzähne gezogen und ein paar andere Formulierungen gefunden. Faktisch läuft das, was dort vor sich geht, immer noch auf ein PVC-Verbot hinaus. Eben brachte Herr Hintze ein Beispiel aus dem Bereich von Gentechnik und Biotechnologie. In Nordrhein-Westfalen hat sich der Raum Wuppertal-KölnAachen-Leverkusen bei dem vom Bundesforschungsminister ausgeschriebenen Bio-Regio-Wettbewerb beworben. Sie haben jahrelang die Firma Hoechst in ihrem Genehmigungsverfahren bei der Insulinproduktion schikaniert ({9}) und haben dafür gesorgt, daß der amerikanische Chemiekonzern Eli Lilly schon längst südlich von Straßburg eine Fabrikationsanlage bauen konnte. Sie wissen aus Ihrer eigenen Amtserfahrung genauso gut wie ich, daß man im High-Tech-Bereich in den ersten Jahren das Geld- verdienen muß. Nur dann kann man die Entwicklungskosten wieder hereinbekommen. ({10}) Das gleiche gilt für die Behring-Werke in Marburg mit dem EPO-Blutplasmaprodukt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Lenzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Lenzer, ich lasse mir jede Polemik gefallen; warum auch nicht? Aber könnten Sie mir die Frage beantworten, warum es keine Genehmigung für die Humaninsulinanlage der Hoechst AG während der vier Jahre der Regierung von CDU/ F.D.P. unter Herrn Wallmann und Herrn Gerhardt gegeben hat und warum diese Genehmigung 1991, ein Jahr, nachdem die rot-grüne Landesregierung im Amt war, durch den zuständigen Minister nach Recht und Gesetz erteilt wurde? ({0})

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage beantworte ich Ihnen gerne. Sie selbst haben beispielsweise das Genehmigungsverfahren durch folgenden konkreten Fall verzögert. Es gibt dort eine Bürgerinitiative; sie nennt sich „Maagucker" . Die „Maagukker" haben nochmals einen Widerspruch eingelegt, als die Betriebsgenehmigung schon erteilt war. Dann haben Sie als amtierender Minister, obwohl der Antrag, so hieß es in Ihrem Bescheid, offensichtlich unbegründet sei, nochmals die Betriebsgenehmigung mit der Maßgabe verzögert, man müsse ihnen Gelegenheit geben, zusätzliche Argumente zu sammeln. ({0}) Als dann nach einer ganzen Zeit der Meinungsbildung die Dinge so weit gediehen waren, daß man nicht mehr anders konnte, weil rundherum solche Anlagen schon längst entstanden sind, blieb Ihnen nichts anderes mehr übrig, als entsprechend zu handeln. Ich nenne Ihnen aber auch noch ein anderes Beispiel, das des Ausstiegs aus der Kernenergie. Das ist auch ein sehr, sehr trauriges Kapitel Ihrer Amtszeit. Sie haben dort Hunderte von Arbeitsplätzen bei den Hanauer Nuklearbetrieben vernichtet. Sie haben diese Industrien, hochkompetente High-Tech-Industrien, quasi aus dem Land herausgeekelt. Glauben Sie doch nur nicht, daß Sie damit den weiteren Ausbau der Kernenergie verhindern können. ({1}) Das geht um uns herum munter weiter. Wir haben die Diskussion, und die anderen machen das Geschäft. ({2}) Im übrigen hat Ihnen das Bundesverwaltungsgericht in dieser Sache die rote Karte gezeigt. Dies alles wird den hessischen Steuerzahler erhebliche Millionenbeträge an Schadensersatzzahlungen kosten. ({3}) Ich könnte jetzt noch das Naturschutzgesetz nennen, bei dem man fast von einer Ökodiktatur in Hessen sprechen kann, ({4}) wo wirklich jeder Lurch mehr geschützt wird als der Mensch, als der Arbeitsplatz, als die Arbeitnehmer und ihre Familien. ({5}) - Hören Sie doch zu. Ich gebe Ihnen doch Beispiele. Sagen Sie mir doch, was nicht stimmt. Stellen Sie sich doch anschließend hin und sagen, was falsch war. Daß Ihnen das nicht gefällt, weiß ich. In dem ursprünglichen Entwurf des hessischen Naturschutzgesetzes sollten sogar Lesesteinhaufen, Trockenmauern und aufgelassene Weinberge unter Naturschutz gestellt werden. Sogar der Hecken- und Baumschnitt - jeder Hobbygärtner weiß, was ich meine - wäre bei einer Behörde anzeigepflichtig gewesen. Das ist doch lächerlich. Das sind die Probleme, die die Arbeitsplätze behindern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Lenzer, es wird von der Kollegin Luft eine Zwischenfrage gewünscht. Lassen Sie diese zu? ({0})

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, nein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich halte die Uhr an.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte jetzt im Zusammenhang noch weitere Beispiele nennen. Diese lohnen sich nämlich wirklich. Ich könnte jetzt eine ganze Reihe von Beispielen aus dem Straßenbau bringen. Ich könnte die Hessen-Steuer - so nennt man sie -, eine Sonderabfallabgabe von 1991, anfügen. ({0}) - Weil es selbst mit Ihrer tatkräftigen Unterstützung, Herr Fischer, während Ihrer gemeinsamen Regierungszeit noch nicht gelungen ist, dieses Land zugrunde zu richten. Dafür ist Hessen immer noch ein viel zu guter Standort mit einer viel zu guten Wirtschaftsinfrastruktur. Aber wenn ihr so weitermacht, dann haben wir es bald soweit. ({1}) Ich nenne die Grundwasserabgabe. All dies sind typische Hessen-Abgaben, die man polemisch als Hessen-Steuern bezeichnen könnte. Nun zum Straßenbau. Unter uns sitzt Kollegin Erika Lotz aus Leun im Lahn-Dill-Kreis. Unser gemeinsames Problem dort unten ist der Ausbau der B 49, der sogenannten Lahntalstraße. Viele, viele Unfallopfer auf dieser Straße klagen diejenigen an, die den vierstreifigen Ausbau mit zwei getrennten Fahrbahnen über Jahre hinweg verhindert haben. Sprechen Sie mit den Angehörigen der Opfer. Sehen Sie sich die Kreuze am Straßenrand an. Fahren Sie einmal über diese Straße. Kollegin Lotz weiß, wovon ich spreche, weil es ihr unmittelbarer Heimatbereich ist. Meine Damen und Herren, ich will gar nicht weiter die A 44 zwischen Kassel und Eisenach, das Reizthema A 4, Olpe-Hattenbach, oder den Lückenschluß auf der A 49 erwähnen. ({2}) - Frau Müller, denken Sie bitte an Ihren Blutdruck. ({3}) Ich könnte auch die Ortsumgehung auf der B 255 in meiner unmittelbaren Heimat, im Herborner Bereich, nennen. Übrigens ist auch dort die SPD mit allen politisch relevanten Kräften der Meinung, daß diese Ortsumgehung unbedingt kommen muß. Volker Kauder hat eben davon gesprochen, wie es ist, wenn die Vierzigtonner an den Schlafzimmern der Anlieger vorbeidonnern. Diese Leute interessiert die Rotbauchunke oder so etwas ähnliches dann nicht mehr. Trotzdem verhindert der grüne Regierungspräsident in Gießen, der im übrigen die Entscheidungskompetenz für gentechnische Versuche in ganz Hessen hat, Herr Bäumer, ehemals Landtagsabgeordneter der Grünen im Bayerischen Landtag, alle diese Dinge. Ich komme zum Abschluß. ({4}) Die Stadt Idstein - jetzt bekommen Sie noch etwas zum Lachen - hat im vergangenen Jahr einen Antrag auf Zuwendung von Mitteln aus der Ausgleichsabgabe nach dem Hessischen Naturschutzgesetz für Anpflanzungen in der Gemarkung gestellt. Da muß eine Biotopwertberechnung durchgeführt werden, ein Kosten- und Finanzierungsplan aufgestellt werden, und es müssen Pläne im Maßstab 1: 25 000, 1: 5 000 und Detailpläne im Maßstab 1: 250 erstellt werden. Dann schreibt der Regierungspräsident in Darmstadt im Genehmigungsbescheid - ich zitiere -: Die Pflanzflächen sind vor der Bepflanzung zu mähen, insbesondere ist auf ausreichende Größe der Pflanzlöcher, Pflanztiefe und erstmaliges intensives Wässern zu achten. Donnerwetter, da kann ich nur mit Kurt Tucholsky sagen: Meine Sorgen möcht' ich haben. ({5}) - Da habe ich keine Berührungsängste. - Das hat er zutreffend gesagt, auch wenn er von diesen Absurditäten noch nichts ahnen konnte. ({6}) Wissen Sie, um wieviel Geld es geht? Die Stadt hat dann 100 Prozent Zuschuß bekommen. Es geht um 400 DM. Donnerwetter, kann man da nur sagen, das ist fortschrittlich. ({7}) Deswegen kann ich nur sagen: Rot-grüne Bremsklötze weg, Vorrang für Investitionen und Beschäftigung. Damit können Sie in Ihrer Talk-Show natürlich nichts anfangen. Aber nur so, vor Ort, können die Probleme gelöst werden, nicht durch Dampfplaudereien von diesem Pult aus. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Reinhard Weis, SPD.

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So eine Rede! Da kann ich nur sagen: Eigentlich sollte es hier bei der heutigen Debatte im Bundestag um 4,3 Millionen Arbeitslose in Deutschland gehen. ({0}) Aber ich wollte auf etwas anderes eingehen. Der Antrag „Mehr Arbeitsplätze durch Erhalt und Ausbau der Infrastruktur" ist nicht nur in seiner Maßregelung einzelner Bundesländer eine Unverfrorenheit, sondern er ist auch in seiner Substanz äußerst erbärmlich recherchiert. Ich möchte das mit drei aktuellen Terminen aus dem Land Sachsen-Anhalt zur Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur in Sachsen-Anhalt belegen. Sie scheinen zu glauben, wegen der rot-grünen Konstellation in Sachsen-Anhalt könnten Sie Ihre Behauptungen ohne Begründung und ohne Recherche pauschal in den Raum stellen. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Am 20. Februar gab es eine Wahlkreisbereisung, eine Wahlkreiskonferenz, zu der Ihr Parlamentarischer Staatssekretär aus dem Bundesverkehrsministerium, Herr Nitsch, in Aschersieben war. Vier Seiten detaillierte Pressemitteilungen zu der Entwicklung der Verkehrsprojekte in Sachsen-Anhalt sind das Ergebnis bzw. die Zuarbeit aus dem Bundesverkehrsministerium zu diesem Termin. In diesen vier Seiten, die sich wirklich detailliert mit den Verkehrsprojekten auseinandersetzen, findet sich in Richtung Sachsen-Anhalt nicht ein einziger Vorwurf zu Genehmigungsverfahren oder zum Fortgang der Projekte. Ein einziger Hinweis, der Verzögerungen von Projekten begründet, bezieht sich auf die Finanzlage des Bundes. Am 29. Februar, also erst am Freitag der vergangenen Woche, gab es einen Gesprächstermin zwischen Ministerpräsident Höppner und dem Bundesverkehrsminister Wissmann zu Verkehrsproblemen und der Abarbeitung der Projekte des Bundesverkehrswegeplanes im Land Sachsen-Anhalt. Es gab exakt die gleichen Aussagen des Bundesverkehrsministers dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt gegenüber, keinen Vorwurf in bezug auf Genehmigungs- und Planungsverfahren, sondern den Verweis auf die Finanzlage des Bundes als Grund für die Verzögerungen bei der Realisierung von Verkehrsprojekten. ({1}) Als drittes Beispiel möchte ich anführen: Ich hatte am 28. Februar die Mitglieder der Landesgruppen von Sachsen-Anhalt zu einer Konferenz mit dem Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt eingeladen. Auch hier kam von meinen Sachsen-Anhalter Kollegen kein Hinweis auf Tadel über Abläufe im Lande Sachsen-Anhalt, in dem sich übrigens Genehmigungsverfahren mit einer Durchschnittsdauer von 4,2 Monaten für Investitionen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz sehen lassen können.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Weis, die drei Minuten Ihrer Kurzintervention sind abgelaufen. Bitte noch einen Schlußsatz.

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie Ihren Minister Wissmann, den Parlamentarischen Staatssekretär Nitsch und auch die Kollegen aus Sachsen-Anhalt nicht der Lüge bezichtigen wollen, dann müssen Sie zugeben, daß Ihr Antrag und der peinliche Vortrag des CDU-Generalsekretärs an Oberflächlichkeit und Polemik nicht zu überbieten sind. So können wir mit den Problemen im Land nicht umgehen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Hintze, ich nehme an, die Kurzintervention bezog sich auf Ihre Rede. Wünschen Sie Gegenrede? ({0}) - Das ist nicht der Fall. Dann hat das Wort für eine Kurzintervention Kollege Kuhlwein, SPD.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Lenzer und die vielen sogenannten Generalsekretäre, die heute hier gesprochen haben, haben in einem Punkt recht, nämlich in dem Punkt, daß Rot allein besser ist als Rot-Grün. ({0}) Das gilt jedenfalls für mein Land Schleswig-Holstein. Das Schlimmste aber, was wir haben, ist Schwarz-Gelb in Bonn, wie wir das hier erleben. ({1}) Sie haben heute in der Debatte zu Schleswig-Holstein weitgehend geschwiegen. Das hängt sicher damit zusammen, daß Sie, Herr Hintze, Ihre Chancen dort längst begraben haben. Da haben Sie auch recht. Lassen Sie jede Hoffnung fahren. In Schleswig-Holstein werden Sie mit dem Gerede, das Sie hier heute vorgeführt haben, nichts werden. ({2}) Ich will im Zusammenhang mit meinem Heimatland - Sie fordern in Ihrem Antrag Schleswig-Holstein ja auf, etwas für die Infrastruktur zu tun - an ein paar Fakten erinnern. Erstes Stichwort: Verkehrsinfrastruktur. In Schleswig-Holstein haben sich alle Fraktionen im Landtag gemeinsam für die Fortführung der A 20 bis zur Unterelbe entschieden. Bisher gibt es auf schleswig-holsteinischem Gebiet keine unüberwindlichen Hindernisse für den Lückenschluß A 20 und A 1, auch wenn es Bürgerinitiativen gibt und wir nach wie vor für eine ordentliche Bürgerbeteiligung eintreten. Schleswig-Holstein hat unter der SPD-Regierung zum erstenmal mit Landesmitteln in Höhe von 160 Millionen DM ein Stück Eisenbahnstrecke elektrifiziert. Sie haben 38 Jahre in Schleswig-Holstein regiert, und kein einziger Kilometer Bahnstrecke ist elektrifiziert gewesen. ({3}) Zweites Stichwort: Energieversorgung. Das Land organisiert einen neuen Stromverbund mit Skandinavien, um die dort reichlich vorhandene Wasserkraft nutzen zu können. Schleswig-Holstein ist heute in der Anwendung der Windenergie führend, die bereits 7 Prozent des im Land verbrauchten Stroms liefert. Wir bleiben dabei, daß wir mit Kernenergie, Herr Lenzer, nicht auf der sicheren Seite sind und daß wir deshalb schnellstmöglich aussteigen wollen. ({4}) Wir sichern über Windenergie Arbeitsplätze, inzwischen bereits 1 500. Mit einem 3 000-Dächer-Programm helfen wir, die Brücke in das Solarzeitalter zu bauen, weil die Bundesregierung diese Zukunftstechnologie mit ihren Entscheidungen aus dem Land getrieben hat. ({5}) Drittes Stichwort: Forschung und Bildung. Auch dort hat es, seit die CDU im Lande nicht mehr regiert, einen Aufschwung gegeben. Die Universität Kiel hat eine technische Fakultät. An der Westküste in Heide gibt es eine neue Fachhochschule. Zum erstenmal gibt es ein Fraunhofer-Institut in Schleswig-Holstein. Zum erstenmal gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kieler Uni und dem Forschungszentrum in Geesthacht. Das ist all das, was Sie, als Sie die Chance dazu hatten, 38 Jahre lang versäumt haben. Letzte Bemerkung. Anders als die CDU proklamiert, wissen die Unternehmer in Schleswig-Holstein, daß es sich dort zu investieren lohnt. Sie geben der CDU keine Chance, halten überhaupt nichts von der F.D.P. und warnen vor den Grünen. Logische Schlußfolgerung: Alle, auch die Unternehmer, die das meinen, sollen Heide Simonis wählen, damit sie erfolgreich weiterregieren kann. ({6}) 2 000 Unternehmer, die vom Institut für Urbanistik nach dem Wirtschaftsklima befragt worden sind, haben Schleswig-Holstein an die zweite Stelle von oben gesetzt. Davor liegt nur noch Bayern, und die Bayern werden wir auch noch überholen. Schönen Dank. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Mir ist nicht völlig klar, auf welche Rede sich Ihre Intervention bezog. Sie sprachen von Generalsekretären! Wird keine Gegenrede gewünscht? Dann hat jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft das Wort zu einer Kurzintervention.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem hier drei CDU-Abgeordnete wahlkämpferisch fast alle Bundesländer durchdekliniert haben, gestatte ich mir einen Hinweis auf Berlin, auf die Hauptstadt unseres Landes. Ich komme aus Berlin. Wir haben dort einen CDU-geführten Senat. Dieser CDU-geführte Senat hat vorgestern seinen neuen Haushalt vorgelegt, einen Haushalt mit solch drastischen Sparmaßnahmen, daß von einer Verbesserung der Beschäftigungslage in Berlin überhaupt nicht die Rede sein kann. Noch während des Wahlkampfs im Herbst 1995 ist die CDU damit aufgetreten, daß sie 100 000 neue Arbeitsplätze schaffen will. Von Abbau von Arbeitsplätzen war keine Rede. Was beobachten wir jetzt? Das Haushaltsloch, das im übrigen der CDU-Finanzsenator Herr Pieroth hinterlassen und das er jahrelang verschwiegen hat, ist so groß, daß nunmehr auch bei der Beschäftigung drastische Einschnitte gemacht werden müssen. Über 20 000 Menschen werden aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Es gibt Kürzungen bei den Investitionen im Wohnungsbau in Milliardenhöhe mit, wie wir wissen, erheblichen Wirkungen auf die Beschäftigungslage im Bauhauptgewerbe und im Baunebengewerbe. Es gab von der CDU während der Koalitionsverhandlungen mit der SPD erstaunlicherweise die Zusage, an der drastischen Erhöhung der Hebesätze für die Gewerbesteuer mitzuwirken. Man möge sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, was Sie hier alles vortragen. Ich frage Sie: Was hat das - ich demonstriere das am Beispiel von Berlin nur andeutungsweise - mit einer CDU-Beschäftigungspolitik in diesem Lande zu tun? Das ist doch nichts weiter als eine neue Lüge, die im Wahlkampf entstanden ist und die jetzt auf dem Rücken der Menschen ausgetragen wird. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf mir nach dem dritten Beispiel nun die Bitte erlauben, daß bei Kurzinterventionen gesagt wird, auf welchen Redner sich die Kurzintervention bezieht? Denn nach unserer Geschäftsordnung ist es so, daß eine Kurzintervention im Anschluß an einen Redebeitrag zu diesem Redebeitrag stattfindet. Deshalb heißt es in der Geschäftsordnung, daß danach der Redner die Möglichkeit zur Gegenrede hat. Es ist ungewöhnlich schwierig, zu sagen, wer das Recht der Gegenrede jetzt in Anspruch nehmen könnte. Ich habe also die Bitte, Frau Skarpelis-Sperk, die Sie jetzt das Wort zu einer Kurzintervention haben, mir dabei ein bißchen behilflich zu sein.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlich gerne, Herr Präsident. Ich antworte mit Vergnügen oder auch mit Mißvergnügen dem Kollegen Lenzer. Denn er hat mir vorgeworfen, meine Rede sei eine Dampfplauderei mit akademischen Zahlen gewesen. Ich möchte deswegen den Kollegen Lenzer bitten, zur Kenntnis zu nehmen: Das, was ich hier vorgetragen habe, sind harte und traurige Fakten. Erstens. Die Arbeitslosigkeit von 4 270 000 Männern und Frauen und damit eine Arbeitslosenrate von 11 Prozent - ein neuer Nachkriegsrekord - hat gestern Herr Jagoda verkündet. Das sind die offiziellen Daten einer Institution der Bundesregierung. Zweitens. Die Einschätzungen von Experten, daß die deutsche Wirtschaft im vierten Quartal 1995 um knapp ein halbes Prozent geschrumpft ist, kommen wohl heute mit der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung - auch dies sind offizielle Zahlen des Statistischen Bundesamtes - auf den Markt, spätestens aber morgen. Für das erste Quartal 1996 gehen nahezu alle Experten von einem Minuswachstum von 1 Prozent aus. Ich als Sozialdemokratin wünschte mir, das wäre nicht wahr. Diese Angabe kommt ebenfalls von ernst zu nehmenden Institutionen, die die Regierung beschäftigt. Auch die Zahlen über die Bauwirtschaft haben Sie nicht erfunden. Es sind leider keine Dampfplaudereien. Sie stammen von Fritz Eichbauer vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes. Er hat sie vorgestern genannt, und gestern waren sie in allen Zeitungen zu lesen. Daß die neuen Bundesländer deutlich schwächer wachsen und daß wir, wenn es so weitergeht, dort 1997 eine Stagnation haben werden, können Sie den Produktionszahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung entnehmen. Daß die Konsumnachfrage im letzten Quartal um 0,3 Prozent zurückging, können Sie der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes entnehmen. Ich darf Ihnen auch noch mitteilen, daß im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung noch von 3,3 Prozent Wachstum ausgegangen wurde. ({0}) - Das steht alles im Jahreswirtschaftsbericht. ({1}) Ich darf mir in einer ernst zu nehmenden Debatte verbitten, daß hier mit Polemik gearbeitet wird, und darf Sie herzlich bitten, die Zahlen Ihrer eigenen Regierung, des Statistischen Bundesamtes und der Bundesanstalt für Arbeit zur Kenntnis zu nehmen. Wenn das so weitergeht - ({2}) - Ich glaube Ihnen, daß es Ihnen reicht, weil Sie hier Fakten, und zwar traurige Fakten, zur Kenntnis nehmen müssen. ({3}) Der wirtschaftliche Aufschwung ist zusammengebrochen. Herr Rexrodt, Sie haben, wie zu lesen war, gesagt, Deutschland befinde sich nicht in der Rezession,

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, Schluß!

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- befinde sich vor einer Rezession. Ich darf Ihnen mitteilen: Sie hatten natürlich nicht recht. Wir befinden uns bereits mitten in der Rezession. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Lenzer, wollen Sie dagegensprechen?

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, nur ganz kurz zur Erwiderung: Niemand hat Ihnen einen Vorwurf gemacht, als Sie hier Zahlen und statistisches Material vortrugen. Da auch wir unsere Hausaufgaben machen, haben wir die Akten wie den Jahreswirtschaftsbericht ebenfalls gelesen. Aber unsere Intention ist - unter dieser Spitzmarke bitte ich die Beiträge unserer Redner zu betrachten -, nachzuweisen, wie die rot-grüne Politik trotz vieler Erklärungen hier am konkreten Projekt vor Ort versagt und damit Arbeitsplätze verhindert. Das wollten wir nachweisen. ({0}) Nicht hier am Pult, sondern vor Ort, wo eine Verhinderungsmaschinerie Ressourcen verplempert und Arbeitsplätze vernichtet, entscheidet sich, ob die Menschen in Arbeit und Brot kommen. ({1}) Wenn Sie, Herr Präsident, gestatten, dann möchte ich Herrn Kuhlwein sagen: Ich kann verstehen, daß Sie hier einmal die schleswig-holsteinische Karte spielen wollten. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß das Fraunhofer-Institut, von dem Sie sprachen - Sie meinen das ISiT in Itzehoe, das demnächst von Bundesminister Jürgen Rüttgers und Ministerpräsidentin Simonis eingeweiht wird -, nicht zuletzt auf intensive Bemühungen des früheren Forschungsministers Heinz Riesenhuber und einiger Kollegen - ich nenne einmal den Kollegen Dietrich Austermann - aus unserer Fraktion zurückzuführen ist. ({2}) - Auch Sie wollten doch die Wahrheit zur Kenntnis nehmen. Die Windenergie bezieht ihren Impetus in Ihrem Bundesland, Herr Kuhlwein, nicht in erster Linie aus technischer Überlegenheit etwa gegenüber der Kernkraft oder anderen Primärenergieträgern, sondern aus dem Stromeinspeisungsgesetz, welches die regenerativen Energien bei der Einspeisung ins Verbundnetz präferiert. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausgerechnet an dem Tag, an dem es nur eine Nachricht gibt, nämlich die neueste Rekordarbeitslosigkeit dieser Bundesregierung, wagen Sie es, uns mit diesem Papier einen Wisch vorzulegen - die Bezeichnung „Antrag" hat es gar nicht verdient -, in dem Sie nur mit dem Finger auf die Bundesländer deuten und sagen: Ihr seid schuld, weil ihr etwas verhindert oder weil ihr zuwenig Arbeitsplätze schafft! Dieses Vorgehen ist ein ebenso übelriechender wie durchsichtiger Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken, ein Wahlkampfmanöver. Mit diesem Fünf-Zeilen-Furz, über den der Bundestag bereits länger als zwei Stunden debattiert, wird es Ihnen nicht gelingen, von Ihren eigenen Versäumnissen abzulenken. ({0}) Um auszudrücken, was wirklich hier drinsteht, hätten Sie nicht einmal diese fünf Zeilen gebraucht. Sechs Buchstaben hätten genügt, nämlich n,i,c,h,t,s - nichts. In Wirklichkeit wollen Sie damit aber auch nichts aussagen. Sie wollen nur einen Vorwand schaffen, um über die rot-grünen Jobkiller zu schwadronieren und das Beispiel des Standortwechsels von TNT als Beweisstück zu präsentieren. Dieses ganze Gerede - Herr Kollege Hintze, da können Sie so viele Kurzinterventionen machen, wie Sie wollen - läßt sich mit einem einzigen Satz abräumen: Nachweislich hat TNT seit über zwei Jahren mit Rheinland-Pfalz über einen möglichen Standortwechsel verhandelt, lange bevor Rot-Grün überhaupt am Horizont des Denkbaren war, und über neun Jahre hinweg andere europäische Standorte sondiert. Die jetzige Entscheidung kann alle möglichen Gründe haben, nicht aber den Grund „RotGrün in Nordrhein-Westfalen". ({1}) Die Sache, um die es heute geht, ist eine ganz andere. Es geht um den traurigen Rekord der Massenarbeitslosigkeit, eine Arbeitslosigkeit, die von Monat zu Monat steigt - trotz aller Kanzlerrunden, trotz aller Kamingespräche, trotz aller 50-Punkte-Wunschzettel. Wenn Sie meinen, Sie könnten der Öffentlichkeit heute suggerieren, an diesen 11 Prozent Arbeitslosigkeit, 4,3 Millionen Menschen - das sind nur die registrierten -, sei möglicherweise der Kreisverband der Grünen in Dortmund schuld oder die nordrhein-westfälische Landesregierung: Das wird Ihnen nicht gelingen. Das liegt in Ihrer Verantwortung, nicht in der Verantwortung der Bürgerinitiativen in Troisdorf oder sonstwo. ({2}) Ich will den zweiten Abschnitt Ihres fabelhaften Textes durchaus beim Wort nehmen, das Wort heißt Infrastruktur. Dann sprechen Sie von der Innovationsfähigkeit - und sie beschwören die Innovationsfähigkeit „in unserem Land" . So steht es wirklich da. Es ist ganz richtig, wenn Sie in diesem Zusammenhang Energie und Verkehr als Beispiel anführen. Aber, meine verehrten Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie müssen nicht die Innovationsfähigkeit beschwören, sondern politisch die Anreize dafür schaffen, damit das in Gang kommt. ({3}) Was ist denn so modern und innovativ daran, daß wir Atomkraftwerke betreiben, die extrem riskant sind ({4}) und die selbst nach voller Nutzung der Restlaufzeit immer noch über Jahrzehntausende bewacht und entsorgt werden müssen? Was ist denn so innovativ daran, daß der größte Teil unserer Großkraftwerke zur Stromerzeugung noch immer einen Wirkungsgrad von knapp 30 Prozent hat und damit zwei Drittel der eingesetzten Primärenergie ungenutzt in die Atmosphäre oder in die Flüsse als Abwärme entweicht, Sie aber die Effizienzsteigerung verweigern und keine Anreize dafür schaffen? Wenn Sie es mit den innovativen Entwicklungschancen ernst meinen: Zukunftsfähige Arbeitsplätze liegen in den neuen Energietechniken. Sie liegen in Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung, die mit über 90 Prozent hocheffizient sind, für die Sie aber keine Anreize schaffen. Sie liegen vor allen Dingen in der Sonnenenergienutzung. Besonders in diesem Bereich könnten Sie nicht nur Tausende von Arbeitsplätzen in der Produktion schaffen, sondern vor allem Hunderttausende von Arbeitsplätzen in mittelständischen Betrieben, nämlich in der Installation, in der Haustechnik, in der Klimatechnik, in der Elektrotechnik. Das wären Arbeitsplätze, die im Mittelstand entstehen würden. Dieser wartet nur darauf, endlich solche Anlagen zu bauen, anzuschließen und zu betreuen. ({5}) Damit wir uns richtig verstehen: Es geht nicht um ein paar Vorzeigestücke - hier ein kleines Blockheizkraftwerk, dort ein Sonnendach. Ich spreche von einem Megamarkt, der vergleichbar mit dem Markt für PCs, also für Personalcomputer, erst dann gesättigt wäre, wenn jedes Haus sozusagen die eigene moAlbert Schmidt ({6}) derne Energieeinheit, das eigene moderne Energiesystem installiert hat. Solche Anlagen wären übrigens auch die Exportschlager von morgen. Hier geschieht von Ihrer Seite aber nichts. Ein mögliches Rezept zumindest wurde von Ihnen, Kollege Lenzer, angesprochen: Stromeinspeisungsgesetz. Wenn Sie selber sagen, daß es bei der Windkraft funktioniert hat, dann lassen Sie uns das doch auch für Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung, auch für Strom aus Sonne und Biogas machen. Wir werden den gleichen gigantischen Markt in Bewegung setzen und nebenbei noch aus der Monopolstruktur in der Energieversorgung aussteigen. Es gibt nämlich nichts Innovationsfeindlicheres als Monopolstrukturen. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Ende. Wenn Sie in der Verkehrspolitik mit dem Finger auf die Länder deuten, meine Damen und Herren, wer hat denn allein den Schienenwegeetat für 1996 um 2,3 Milliarden DM gekürzt? Das war doch nicht Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz oder sonstwer. Das war diese Bundesregierung! Wer beharrt denn auf dem Transrapid, obwohl nach neuesten Meldungen sogar die Baufirmen aussteigen, Dywidag zum Beispiel, und hat nicht begriffen, daß es diese Risikotechnologie ist, die nichts bringen wird? Ich komme aus Bayern und sage Ihnen: Diese Meldung über Dywidag riecht nach Wackersdorf. Denn auch damals waren es die Industrie und die Wirtschaft, die das erlösende Wort zum Ausstieg gesprochen haben. So wird man eines Tages Ihre Infrastrukturpolitik buchstabieren: Wackersdorf, Kalkar, Transrapid, alles Investitionsruinen, alles Milliardengräber. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schmidt, einen Satz noch, einen Satz!

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sage Ihnen zum Abschluß: Hören Sie auf mit dieser scheinheiligen Pose! Machen Sie selber Ihre eigene Arbeit, und wenn Sie nicht dazu in der Lage sind, dann machen Sie Platz für andere, die bessere Konzepte haben! ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, F.D.P.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte heute morgen geht es um die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. In den Debattenbeiträgen der Opposition merkt man nicht viel davon, und ich will gleich sagen, daß für mich Zukunftsfähigkeit bedeutet, daß Zukunftsfähigkeit auch Zuverlässigkeit braucht. Die Politik der Grünen hingegen ist eine Politik der Beliebigkeit. Ich nenne Beispiele: In Hessen tragen Sie den Ausbau des größten Flughafens, nämlich Frankfurt, mit, und in Dortmund wollen Sie wegen Ihrer globalen Verantwortung den Ausbau eines Provinzflughafens stoppen. Ich kann jedenfalls keinen ökologischen Vorteil darin erkennen, wenn alle Flugtouristen aus dem Ruhrgebiet weiter nach Düsseldorf fahren müssen und dadurch die Verkehrsemissionen noch zunehmen. Das ist ökonomisch und ökologisch unsinnig. Dieser Vorgang zeigt nur, was passiert, wenn ideologische Verbohrtheit Politik bestimmt. ({0}) Oder nehmen wir das Beispiel einer besseren Verzahnung von Ökonomie und Ökologie. Wir haben dafür ein Gesamtkonzept entworfen. Wir wollen umweltpolitisch kontraproduktive Regelungen abschaffen und das Steuerrecht für ökologische Zielsetzungen nutzen, und zwar ohne die Steuerlast insgesamt zu erhöhen. ({1}) Die F.D.P. kämpft auch weiterhin für die Verringerung der Steuerlast. Damit ist das Konzept der F.D.P. das einzige, das all diese Ziele integriert, letztlich die Wirtschaft wirksam entlastet und damit die Rahmenbedingungen für mehr Arbeitsplätze schafft. ({2}) Wie sieht es bei den Grünen aus? Im Mai letzten Jahres legten Sie mit großem Tamtam das Konzept für eine ökologisch-soziale Steuerreform vor. Sie wollten mit 70 Milliarden DM Aufkommen einsteigen und bei 250 Milliarden DM enden. Kurz danach haben Sie das Ganze über den Haufen geschmissen, jetzt wollen Sie bei 52,5 Milliarden Mehreinnahmen anfangen und bei 264,2 Milliarden DM enden. Sie behaupten ständig, daß Sie Steueraufkommen durch Steuersenkung zurückgeben wollten. Ihr Konzept beweist schlicht das Gegenteil. Rechnet man das ökologische Steuerprogramm der Grünen zusammen, so würde bereits 1996 die Steuerlast um 20 Milliarden DM erhöht werden. Das Konzept der Grünen ist schlicht ein Konzept des Abzokkens und der Arbeitsplatzvernichtung. ({3}) In dem von Ihnen eingebrachten Antrag zur Energiesteuer legen Sie auch nur einen Teil der geplanten Mehrbelastung vor. Kurz darauf, am 7. Februar, schoben Sie einen weiteren Antrag nach, in dem Sie doch wieder die Erhöhung der Mineralölsteuer und die Verdreifachung der Vignette für den Schwerverkehr fordern. Dort beziffern Sie dann die Mehreinnahmen selber mit 43 Milliarden D-Mark und sagen, daß Sie 10 Milliarden D-Mark gar nicht erst zurückgeben wollen. Jetzt sind wir also bei der dritten Zahl. Das beweist wieder einmal, daß Sie den Bürgerinnen und Bürgern ständig nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen, um es nach Gutdünken umzuverteilen. ({4}) Ich bitte Sie wirklich! Was sollen eigentlich die Bürgerinnen und Bürger davon halten, wenn der Herr Fischer in der Öffentlichkeit ständig erklärt, bei der Steuer- und Abgabenlast sei Oberkante Unterlippe erreicht, während Sie mit Ihren Anträgen im Deutschen Bundestag und mit dem, was Sie jetzt erst gerade wieder auf Ihrem Bundesparteitag beispielsweise zur Gebührenerhöhung beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen beschlossen haben, den Bürgern ständig neue Steuer- und Abgabenerhöhungen zumuten wollen? Das, lieber Herr Fischer, ist schlicht unseriöse politische Beliebigkeit. ({5}) Oder nehmen Sie die Prognose für Arbeitsplätze durch den ökologischen Umbau des Steuersystems. Sie verkünden ständig öffentlich, daß durch Ihr Konzept wenigstens 500 000 Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Ihre sozialpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Frau Beck, sieht das offensichtlich anders. Sie hat nämlich erst letzte Woche verkündet, daß der konsequente ökologische Umbau der Wirtschaft nicht zu mehr Beschäftigung führe. Sie fürchte einen höheren Druck auf den Arbeitsmarkt. Deswegen hat sie vorgeschlagen, die Jahreshöchstarbeitszeit auf 1 100 Jahresstunden zu begrenzen. Das hat auch ihr Parteitag beschlossen. Das würde die 27-Stunden-Woche bedeuten. ({6}) Haben Sie überhaupt kein Gefühl mehr dafür, woher die hohen Arbeitskosten in der Bundesrepublik Deutschland kommen? Die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich hat doch nicht mehr Arbeitsplätze, sondern einen größeren Rationalisierungsdruck geschaffen. Gelernt haben Sie daraus aber offensichtlich nichts. ({7}) Jetzt komme ich zu Herrn Scharping. Herr Scharping, ist das wirklich alles, was Sie zum Thema Abbau der Arbeitslosigkeit beizutragen haben, wenn Sie das hier auf den Abbau von Überstunden und auf den Abbau von Billigjobs reduzieren? Ist es wirklich alles, was Sie zu bieten haben?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte den Gedanken zu Herrn Scharping gerne fortführen. Herr Scharping, Sie sprachen von Abbau von Überstunden. Die Grünen fordern sogar ein Verbot von Überstunden. Sie wissen ganz genau, was sie damit bewirken. Sie bewirken damit letztendlich, daß die Flexibilität, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen, vollkommen kaputtgeht. Hätten sie nicht mit flexiblen Arbeitszeitmodellen auf die 35Stunden-Woche reagiert, dann wären zwischenzeitlich viel mehr Arbeitsplätze kaputtgegangen, als sowieso schon verlorengegangen sind. Kommen wir zum Thema Billigjobs. Warum ist es denn so? Es mag ja zuviel Billigjobs geben, aber das liegt doch daran, daß die Tarife zu inflexibel und die Abgaben zu hoch sind. Nehmen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis, daß die Gewerkschaften einen Denkprozeß hinter sich gebracht haben! Die diskutieren heute über Dinge, die wir zur Lösung des Problems schon vor fünf Jahren vorgeschlagen haben. ({0}) Ihr Problem ist nur, daß sie auch damit fünf Jahre hinter uns herhinken. Herr Scharping, Sie haben von sozialen Sicherungssystemen gesprochen. Ich sage gerade als junge Frau in der Politik, daß man dringend über die Sicherung sozialer Sicherungssysteme und die Zukunftsfähigkeit unseres Sozialstaates nachdenken muß. Aber Rot-Grün heißt doch mehr Staat und weniger Eigenverantwortung. Das, was wir brauchen, ist schlicht das Gegenteil davon. ({1}) Unsere Systeme sozialer Sicherung müssen reformiert werden. Ihre eigentliche Bedrohung ist doch Ihre Reformunfähigkeit, Ihr Verharren an alten inflexiblen Denkmustern zentralistischer Wohlfahrtsverwaltung. Wer den Ausbau staatlicher Komplettbetreuung von der Wiege bis zur Bahre fordert und verschweigt, daß das nicht mehr finanzierbar ist, täuscht die Bürgerinnen und Bürger. Ihr Konzept heißt: Zentralisierung von Entscheidungsmöglichkeiten und Sozialisierung der Zahlungsverpflichtungen. Das ist Ihre Philosophie und die Philosophie der Grünen. Zukunftstauglich ist das nicht. Sie kurieren an Symptomen, verweigern nötige Reformen. Ich sage Ihnen klar und deutlich: Wer so handelt, hat überhaupt nicht das Recht, sich hierhin zu stellen und über die Zukunft zu reden. ({2}) Zum Thema Verkehrspolitik sind schon genug Beispiele genannt worden. Ich will es aber mit Zahlen noch einmal kurz untermauern. Die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen blockiert Straßenbauinvestitionen in Höhe von rund 2,2 Milliarden DM bei 12 500 Arbeitsplätzen pro 1 Milliarde DM Investitionsvolumen. Einschließlich der vor- und nachgelagerten Bereiche bedeutet das einen Verzicht auf 300 000 Arbeitsplätze. Ich sage Ihnen: Rot-Grün ist ein Bündnis gegen Arbeit. ({3}) Wir wollen technologische und ökologische Innovationen, und wir brauchen sie schnell. Der Staat darf sie nicht durch überlange und überflüssige Genehmigungsverfahren behindern. Beispielsweise sind 80 Prozent der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren Änderungsverfahren, oft um den Energieverbrauch, den Rohstoffeinsatz, den Schadstoffausstoß und die Abwässer zu reduzieren. Hier sind die Grünen schizophren. Sie fordern ökologische Innovationen. Sie wollen durch Staatsknete sponsern, aber die Genehmigungsverfahren wollen sie verlängern und ausbauen. Die Grünen setzen auf den Staat. Er soll verbieten, genehmigen, abkassieren, umverteilen. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich sage Ihnen: Das ist das falsche Konzept. Das hat überhaupt keine Zukunft. Deswegen werden wir Rot-Grün die Zukunft nicht überlassen. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zu einer Kurzintervention hat das Wort die Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Kollegin Homburger, ich finde es immer sehr schade, wenn in diesem Haus durch das Nichtzulassen von Zwischenfragen die Möglichkeit von Rede und Gegenrede nicht eröffnet wird. ({0}) Aber es gibt ja die Möglichkeit der Kurzintervention. Ich finde es immer sehr schön, wenn Sie sich mit grünen Vorschlägen beschäftigen. Denn das heißt doch, daß Sie wahrnehmen, was auf der anderen Seite gedacht wird. Vielleicht hatten Sie nicht die Gelegenheit, das Thesenpapier in Gänze zu lesen. Eines ist aber wichtig: Bei dem Modell von Umverteilung von Arbeit - also bei der vielzitierten 27-Stunden-Woche - geht es auch um die Umverteilung von Einkommen. Sich hinzustellen und so zu tun, als ob wir die 27-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich fordern würden, ist etwas billig. Ich werde Ihnen dieses Papier aber gerne zukommen lassen, damit Sie sich das noch einmal genauer angucken können. Wenn Sie nun nach wie vor - das ist natürlich der Hauptstreitpunkt in diesem Haus - die Idee der Umverteilung von Arbeit als insgesamt abwegig bezeichnen und sagen, es müsse länger gearbeitet werden, wir gleichzeitig aber über 6 Millionen fehlende Erwerbsplätze haben, angesichts derer niemand - ich vermute: nicht einmal Sie - behaupten würde, daß in den nächsten Jahren eine entsprechend hohe Zahl von Arbeitsplätzen als Ausgleich geschaffen werden könne, selbst wenn Sie ein gutes Wachstum erreichen würden - was Ihnen ja nicht einmal gelingt -, heißt das in der Konsequenz, daß die Zahl derjenigen, die ausgegrenzt bleiben und nicht teilhaben können, noch größer sein wird. Das ist eine Entwicklung, die wir Monat für Monat präsentiert bekommen; denn die Zahlen der Erwerbslosen steigen von Monat zu Monat, weil Sie sich an das gesellschaftliche Projekt Umverteilung von Arbeit und Einkommen nicht heranwagen. Solange Sie sich dem verweigern, werden wir die Debatten um das Problem, daß sich für die Erwerbslosen in diesem Land schlichtweg nichts tut, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag führen können. Das ist die gesellschaftliche Auseinandersetzung, der Sie sich endlich einmal stellen müssen. Wenn Sie noch nicht einmal Zwischenfragen zulassen, scheinen Sie sich Ihrer Position nicht sehr sicher zu sein. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Beck, Sie haben schon öfter, wenn ich im Plenum die Möglichkeit hatte, zu sprechen, verfolgen können, daß es nicht zu meiner Art gehört, Zwischenfragen nicht zuzulassen. Ich will Ihnen aber sagen: Sie müssen ein bißchen schneller sein und die Frage dann stellen, wenn der Gedanke da ist, und können nicht, wenn ich mich in der Zwischenzeit mit Herrn Scharping auseinandersetze, hinterher damit kommen, daß Sie noch eine Frage haben, um mich im Gedankenfluß zu unterbrechen. ({0}) Von daher gesehen müssen Sie mit dieser Entscheidung dann auch leben. Aber ich will Ihnen gerne eine Antwort geben. Ich habe mich nicht hingestellt und behauptet, Sie hätten die 27-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich gefordert. Aber die Tatsache, daß Sie keinen vollen Lohnausgleich fordern, macht die Sache nicht besser. Sie haben aus der Vergangenheit - das habe ich deutlich gesagt - nichts gelernt. ({1}) Wir haben durch die 35-Stunden-Woche eine gewisse Entwicklung erkennen können. Das wird auch zukünftig bei einer weiteren Verringerung von Arbeitszeit der Fall sein. Wenn nicht andere Maßnahmen wie entsprechende Änderungen der steuerlichen Rahmenbedingungen und Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen mit dem Ziel einer Reduzierung der Lohnzusatzkosten usw. durchgeführt werden - die ganze Palette kennen Sie aus der Diskussion um den Jahreswirtschaftsbericht -, dann wird Ihnen auch das, was Sie hier vorschlagen, überhaupt nichts nützen. Es wird keinen Arbeitsplatz schaffen, es wird nur noch mehr Arbeitsplätze in Deutschland vernichten. Wenn Sie aus der VerganBirgit Homburger genheit nichts lernen, dann sind Sie erst recht nicht in der Lage, für die Zukunft Politik zu machen. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Norbert Blüm, CDU/CSU. ({0})

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über 4 Millionen Arbeitslose - da kann heute morgen niemand selbstzufrieden diskutieren. Niemandem ist mit einer Diskussion geholfen, in der Selbstzufriedenheit geäußert wird; denn jeder hat Verantwortung: Opposition und Regierung. Ich schicke eines voraus: Es wird keine Patentrezepte zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit geben. Sie gibt es nur in ideologischen Märchenbüchern. Es gibt nur die Möglichkeit, tausendfache Anstrengungen zu machen, bei denen jeder mitmachen muß, und zwar so wie in der Nachkriegszeit, wo nicht jeder darauf gewartet hat, daß die anderen etwas machen, sondern selbst angefangen hat. Deshalb geht es weniger darum, was andere machen sollen, sondern um das, was jeder selbst macht. Herr Scharping, Sie scheinen am 8. Februar 1996 entweder verreist oder geistig abwesend gewesen zu sein. Denn am 8. Februar hat die Bundesregierung - das mag Ihnen passen oder nicht - ein Konzept mit 50 Punkten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorgelegt. ({0}) Sie hat es nicht nur vorgelegt. Am 12. Februar haben wir beim Bundeskanzler mit den Sozialpartnern ein Konzept zur Förderung der Altersteilzeit vereinbart; am 14. ist der diesbezügliche Stichtag beschlossen worden; am 6. März, gestern, ist dieses Gesetz vorgelegt worden. Schneller, Herr Scharping, kann man nicht handeln. Es war wahrscheinlich so schnell, daß es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist. Bevor Sie die Pfeife gestopft haben, haben wir sie geraucht. Sonst hätten Sie heute morgen nicht so reden können. ({1}) Sie haben einen Vorschlag, dem ich mich voll anschließe - laßt uns in bezug darauf zusammenarbeiten -, gemacht, wie man die Lohnnebenkosten senken kann.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Blüm, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen. Im Moment führe ich ja ein Gespräch mit Herrn Scharping, ({0}) und ich gestatte es nicht, daß sich jemand anderes in dieses Gespräch hineindrängt. Es geht darum, die Lohnnebenkosten zu senken, durch Sparen und auch durch Umfinanzieren. Lieber Kollege Scharping, ich sage Ihnen: Wann immer die Bundesregierung einen Vorschlag zur Senkung der Lohnnebenkosten gemacht hat, ist er auf Ihren Vorwurf gestoßen, es handele sich um Sozialabbau. ({1}) Wie Sie es schaffen wollen, die Senkung der Lohnnebenkosten mit Mehrausgaben zu verbinden, das ist Ihr mathematisches Rechengeheimnis. Ich kann es nicht. ({2}) Ich zähle Ihnen jetzt auf: Schlechtwettergeld. Damit ist eine massive Entlastung der Lohnnebenkosten, der Beitragszahler, der Bundesanstalt für Arbeit verbunden. Dazu kam ein Nein von der Opposition. AFG: Zu unseren Vorschlägen zur Senkung der Lohnnebenkosten durch eine Reform des AFG hat die Opposition nein gesagt. Sie sind die NeinsagerOpposition. Die Alternativen, die Sie vorlegen, bedeuten keinen Abbau der Lohnnebenkosten, sondern deren Steigerung. Entsendegesetz: Sie haben gesagt, wir hätten nichts gegen die Billiglohnkonkurrenz unternommen. Wir haben doch etwas vorgelegt. Unser bescheidener Vorschlag, die Berechnung der Renten Ost auf ein Ex-post-Verfahren umzustellen - Sie reden heute von der Sanierung der Renten -, ist von Ihnen mit einem Zeter-und-Mordio-Geschrei begleitet worden. Außer Neinsagen kam von Ihnen nichts, kein positiver Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten. ({3}) Es geht mir nicht nur um das Umfinanzieren; ich sage ja, darüber kann man diskutieren. Nennen Sie mir, außer dem Umfinanzieren und dem Verschieben von Konten, einen Vorschlag aus dem letzten halben Jahr, der bewirkt, daß gespart werden kann. Ein solcher Vorschlag kann nicht populär sein. Wer kann schon auf populäre Weise sparen? Aber gespart werden muß, wenn Ihr Satz richtig ist - den unterstreiche ich -, daß man Lohnnebenkosten senken muß. ({4}) Wir haben im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit" ein Programm gegen Langzeitarbeitslosigkeit vereinbart und umgesetzt. Ich betone: umgesetzt, nicht geplant. Es gab im letzten Jahr 260 000 Vermittlungen bei Langzeitarbeitslosen; nicht alle aus diesem Programm. Wir haben im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit" - erkennen Sie, Herr Scharping, das doch endlich einmal an - eine Lehrstellenaktion zustande gebracht, die den jungen Leuten Lehrstellen verschafft hat, die ansonsten gefehlt hätten. Sagen Sie doch einmal ein Dankeschön den Handwerksmeistern, den Unternehmen und den Betriebsräten, die nicht wie Sie geredet und miesgemacht haben, die keine Besserwisser sind, sondern die Bessermacher waren. Über die Bessermacher rede ich heute, nicht über die Besserwisser. ({5}) Herr Scharping, für das Gedächtnis: 50 Punkte umfaßt das Programm. Der erste Punkt ist innerhalb von drei Wochen umgesetzt worden. Ich rede hier nicht von der Planung. Von Ihnen habe ich gestern hier nur Gemäkel gehört. Was die Gewerkschaften mitmachen, wird von Ihnen nur bemäkelt. Sie werden sich wundern: Die ersten Tarifverträge werden kommen. Dann werden Sie Ihre ganze pessimistische Begleitmusik stoppen müssen. Wir brauchen keine Begleitung, die nur miesmacht. Ich teile ebenfalls die Auffassung, daß wir neue Produkte brauchen. Wir brauchen das Aufbrechen der verkrusteten Arbeitsorganisation. Das ist auch eine unternehmerische Aufgabe. Freilich, neue Instrumente müssen gefunden werden. Ich bleibe dabei: Eines der intelligentesten Instrumente ist das Arbeitszeitkonto, wie es die IG-Metall vorschlägt. Ich finde, es ist besser, Überstunden zu bekämpfen, als gesetzlich zu reglementieren. So perfekt werden Sie das gar nicht reglementieren können. Wenn ein Wasserrohr bricht, wird ein Installateur nicht erst einen Arbeitslosen einstellen können, sondern da muß repariert werden. Gekämpft werden muß vielmehr dagegen - das gilt für uns alle -, daß Betriebe systematisch Überstunden fahren. Dafür haben wir das Instrument befristeter Arbeitsvertrag angeboten. Wer hat es madig gemacht? Über Jahre sind sie gegen befristete Arbeitsverträge Sturm geritten. Wenn heute schon über Geschichte geredet wird, muß ich auch darüber reden. ({6}) Herr Fischer ist gerade draußen. Dennoch: Das beste Beschäftigungsprogramm kann nicht so viele Arbeitsplätze schaffen, wie eine rot-grüne Blockade Arbeitsplätze gefährdet. Allein in Nordrhein-Westfalen 200 000 Chemiearbeitsplätze. Selbst Herr Zwickel mit seinem „Bündnis für Arbeit" hat nur das ehrgeizige Ziel, 100 000 Arbeitsplätze zu schaffen. Mit einem Strich gefährden sie mehr Arbeitsplätze, als Zwickel schaffen will: 40 000 durch Blockade bei Garzweiler - soviel Arbeitsmarktpolitik kann ich gar nicht machen, wie Sie Arbeitsplätze ruinieren -, 60 000 im Verkehrsbereich. Das ist eine besondere Form von Trittbrettfahrerei. Toskana-Fraktion - das ist ja noch etwas Liebenswertes. Es ist aber eine unglaubliche Trittbrettfahrerei, die moderne Industriegesellschaft madig zu machen, aber alle ihre Vorteile zu genießen. ({7}) Ich habe mir erzählen lassen: Auf Ihrem Mainzer Parteitag war das Parkhaus überfüllt mit Autos. Kein Delegierter ist auf dem Gaul angeritten gekommen, ({8}) kein Delegierter ist mit der Postkutsche gekommen, ({9}) keiner ist mit dem Nachen angerudert. Sie genießen die moderne Infrastruktur und machen sie anschließend madig. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Blüm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Nachtflugverbot: Morgens die frischesten Apfelsinen für den vitalen Trunk, damit Sie fit zur Demonstration gegen den Nachtflug antreten können, mit dem gerade die Apfelsinen angeliefert wurden - das halte ich für eine moderne Schizophrenie. ({0}) Wissen Sie eigentlich, was im Ruhrgebiet los ist? Da streiten Sie sich über 20 Millionen DM für den Flughafenausbau in Dortmund, für Terminals und Parkplätze. Die brauchen Flugbahnen, sonst haben die demnächst mehr Parkplätze als Flugzeuge und mehr Toiletten als Fluggäste. ({1}) Ihre bornierte Politik bewirkt, daß sich die Arbeiter durch das Ruhrgebiet quälen, damit sie in Maastricht das Flugzeug erreichen. Dü-Bo-Do - 2,6 Kilometer, ein Trauerspiel. Das wird von Ihnen und Ihren roten Brüdern blockiert. Soviel können die Opel-Arbeiter an Arbeitszeitverkürzung gar nicht mehr an Freizeit gewinnen, wie sie im Gestank des Staus verbringen. ({2}) 100 Kilometer freie Fahrt auf der Autobahn bedeutet weniger Umweltbelastung, als stundenlang auf einer nicht ausgebauten Autobahn im Stau zu stekken und die Abgase anderer zu riechen. ({3}) - Das ist Ihre Politik, Herr Fischer. Nicht „Helau! ", sondern das ist viel ernster. ({4}) Die Arbeiter werden im Unterschied zu Ihnen zu schätzen wissen, was ihnen die moderne Industriegesellschaft an Entlastungen gebracht hat. Betrachten Sie sich einmal eine alte Gießerei. Dort standen die Arbeiter im Schlamm. Betrachten Sie sich eine alte Gießerei, die alten Fließbänder, die Bergwerksleute. Die Technik hat uns das Leben erleichtert. Ich wünsche meinen Kindern keinen Waschtag, wie ihn meine Oma noch hatte: acht Stunden am Rubbelbrett stehen. ({5}) Dafür haben wir heute eine Waschmaschine, und auch Sie haben eine. ({6}) - Nein, ich will heute einmal Tacheles reden gegen die Technikfeindlichkeit einer rot-grünen Vetogesellschaft. ({7}) Für jeden Kilometer Autobahn berufen die erst einen Parteitag ein. Meinen Sie, so könnten wir den Standort Deutschland retten? Nein, der Standort Deutschland kann sich den rot-grünen Luxus nicht leisten, weder Nordrhein-Westfalen noch Deutschland. ({8}) Ich bleibe dabei: Wir werden unseren Spitzenplatz nur durch Spitzenprodukte halten können. Wir haben dafür intelligente und hervorragend ausgebildete Arbeitnehmer und tüchtige Unternehmer. Laßt uns zusammenstehen und nicht das Schwarze-PeterSpiel spielen. Die Bundesregierung jedenfalls wird ihre Hausaufgaben machen. ({9}) - Ja, wir haben ein 50-Punkte-Programm verabschiedet. Sie haben es nicht gemerkt; ich lese es auf vielfachen Wunsch der Opposition noch einmal vor: Förderung der Teilzeit innerhalb von drei Wochen -

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Blüm, Sie reden als Abgeordneter. Deshalb muß ich Sie hinsichtlich Ihrer Redezeit mahnen.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut. Dann will ich sagen: Liebe Leute, ihr könnt hier noch soviel Schaum schlagen, ({0}) gefragt wird danach, was jeder macht. Wir sind bereit, unsere Hausaufgaben zu machen. Wir sind bereit, mit Gewerkschaften und Arbeitgebern, mit denen, die tüchtig sind und nicht nur reden, sondern mitmachen wollen, zusammenzuarbeiten. Die laden wir ein, für unseren Standort, gegen Arbeitslosigkeit zu kämpfen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Anke Fuchs, SPD.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir Spitzenprodukte brauchen, brauchen wir eigentlich auch Spitzenpolitiker und keine Schaumschläger, wie Norbert Blüm sie hier heute repräsentiert. ({0}) Andererseits finde ich es ganz tapfer, daß sich der Arbeitsminister hierhertraut. Im übrigen hat die Bundesregierung hier heute gesessen und geschwiegen. Herr Bundesarbeitsminister, Sie sind nicht verantwortlich für die Arbeitslosen. Verantwortlich sind die Wirtschaftspolitik und die Finanzpolitik. Ich wundere mich, daß Sie sich diesen Schuh anziehen. ({1}) Mich hätte interessiert, was der Finanzminister und der Bundeskanzler sagen, wenn wir heute feststellen müssen: In Deutschland gibt es 4,3 Millionen Arbeitslose, 11 Prozent im Westen, 17 Prozent im Osten; der höchste Stand im Februar seit Kriegsende. Und der Bundeskanzler sitzt da und schweigt oder unterhält sich in den hinteren Reihen über andere Dinge. Ich finde das unerträglich. ({2}) Ich war auch einmal Bundesgeschäftsführerin der SPD. Ich nehme an, daß Sie gestern abend zusammengesessen und gedacht haben: Jetzt haben wir eine ganz tolle Strategie; jetzt hauen wir auf Rot-Grün ein. Sie haben dabei allerdings gar nicht gemerkt, wie viele Arbeitslose wir in unserem Land haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie hier sonst eine so dümmliche Diskussion anfangen würden. ({3}) In welcher Gesellschaft leben Sie eigentlich? Spüren Sie nicht, daß sich die Bürger dieser Gesellschaft, wenn sie wirtschaftspolitisch aktiv werden wollen, für eine Reform von sozialen, ökologischen und wirtschaftspolitischen Programmen verbünden müssen, um die Zukunft miteinander gestalten zu können? ({4}) Glauben Sie wirklich, daß Sie mit Ihrer rückwärts gerichteten Politik auch nur einen zusätzlichen ArbeitsAnke Fuchs ({5}) platz schaffen? Sie verhindern doch, daß Dynamik in die wirtschaftliche Entwicklung hineinkommt. ({6}) Sie verhindern doch, daß es mit einem ökologischen sozialen Umbau vorangeht. ({7}) Deswegen sage ich zu den Themen, die hier angesprochen wurden - Eckart Kuhlwein hat völlig recht -: Lieber allein Rot als Rot-Grün. Wir wünschen, in Schleswig-Holstein allein weiterregieren zu können. ({8}) Wir würden es auch gern in Nordrhein-Westfalen tun. Wir geben dieses Ziel auch nicht auf. ({9}) Volksparteien haben ihre Probleme mit Koalitionspartnern. ({10}) Volksparteien müssen auf kleine Koalitionspartner Rücksicht nehmen, weil die immer erst ihre eigene Klientel bedienen müssen. Davon können Sie doch ein Lied singen, Herr Bundeskanzler. Das ist bei den Grünen so, das ist bei der F.D.P. so. Deswegen muß man lernen, wie man miteinander zurechtkommen kann. Das beste ist immer, man hat eine eigene Position, tritt mit der eigenen Position an die Wählerinnen und Wähler heran. Das werden wir Sozialdemokraten in den vor uns liegenden Wahlkämpfen tun. Deswegen sind wir zuversichtlich, daß wir bei den kommenden Wahlen gut abschneiden. ({11}) Ich will nicht alles wiederholen, aber daran erinnern, daß Nordrhein-Westfalen das dichteste Autobahnnetz, die meisten Programme zur Wohnungspolitik und die meisten Unternehmen im Bereich der Biotechnologie hat. Hören Sie doch mit diesem Schwarzer-Peter-Spiel auf: Die einen sind dafür, die anderen sind dagegen. Es geht im Grunde - das, was wir hier heute veranstalten, ist eigentlich traurig - um die Frage: Wie organisieren wir gemeinsam den Zusammenhalt unserer Gesellschaft in einer Zeit mit steigender Arbeitslosigkeit? ({12}) - Herr Hörster, es wird nicht so gehen, wie Sie es hier heute morgen veranstaltet haben. Ich komme gleich noch auf unsere Vorschläge zurück. Ich will Ihnen sagen: Ich mache mir Sorgen um die demokratische Entwicklung. 4,3 Millionen Arbeitslose - das sind Menschen ohne Arbeit - belasten den Staat mit 160 Milliarden DM. Wie wollen wir diese 160 Milliarden DM eigentlich ohne eine gemeinsame Strategie zu mehr Beschäftigung aufbringen? Etwa so, wie der Präsident des DIHT meint: durch Sparen? Etwa - da sind wir in der Tat anderer Auffassung, Herr Norbert Blüm - durch Sozialabbau? Noch mehr sparen, noch mehr Binnenkaufkraft wegnehmen, noch mehr Betriebspleiten im Einzelhandel? Meine Damen und Herren, Sie haben die Dramatik der ökonomisch-finanziellen Auswirkungen dieser Massenarbeitslosigkeit überhaupt nicht in Ihren Köpfen und Herzen. ({13}) Dann haben Sie wieder Hessen angesprochen. Hessen hat übrigens die kürzesten Genehmigungsdauern. Bayern - Herr Kollege Waigel ist gerade nicht da - hat die längste Dauer von Genehmigungsverfahren. ({14}) Ich habe sämtliche Unterlagen dabei, weil wir uns ja auf Ihre eigenartigen Vorwürfe vorbereitet haben. Die Länder sagen uns, daß sie ihre eigenen Genehmigungsverfahren verkürzt haben, wie es nur irgend ging. Aber wenn es um baurechtliche Zustimmungen geht, dann sind die Baugesetze des Bundes so hinderlich. ({15}) Darin liegen die Verzögerungen in den Genehmigungsverfahren. Also entrümpeln Sie endlich einmal die Baugesetze, damit schneller gebaut werden kann. ({16}) Was also muß geschehen? Ich möchte noch einmal auf ein paar ökonomische Punkte kommen, da wir im Endeffekt ja wohl doch miteinander zurechtkommen und uns fragen müssen, ob der Bundeskanzler, der hier sitzt und schweigt, mit uns gemeinsam der Auffassung ist, daß etwas getan werden muß, um Dynamik in die wirtschaftliche Entwicklung zu bringen. ({17}): Mit den Grünen?) - Im Moment rede ich nicht mit Ihnen, Herr Kollege. Wenn Sie endlich unsere Vorschläge aufnehmen, könnten wir in diesem Bundestag eine ganze Menge tun, um die Rahmenbedingungen - das haben Sie völlig zu Recht gesagt, Herr Doss - zu verbessern. Für die Arbeitsplätze ist die unternehmerische Wirtschaft zuständig; da haben Sie völlig recht. Es ist nicht Aufgabe des Staates, für Arbeitsplätze zu sorgen. Gleichwohl müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Ich lerne heute von Ihnen, Herr Hörster, daß auch Sie begriffen haben, daß öffentliche Infrastrukturmaßnahmen etwas mit Arbeitsplätzen zu tun haben. Also lesen Sie doch den Haushalt und nehmen Sie zur Kenntnis, daß Sie es sind, die im Verkehrssektor 2,3 Milliarden DM gestrichen haben, ({18}) Anke Fuchs ({19}) daß Sie es sind, die im Bau- und Wohnungswesen 600 Millionen DM gestrichen haben! Nehmen Sie doch zur Kenntnis, daß Sie mit Ihrer Haushalts- und Finanzierungspolitik dazu beigetragen haben, daß Infrastrukturmaßnahmen zurückgestellt und gestreckt werden! Deswegen sind Sie für dieses Steigen der Arbeitslosenzahlen verantwortlich. ({20}) Jeder, der im Baubereich etwas zu sagen hat - Herr Hinsken, Sie erfahren es, wenn Sie mit Kolleginnen und Kollegen reden -, weiß, daß 250 000 Bauarbeiter durch Ihre Schlechtwettergeldregelung arbeitslos geworden sind, weil die Bauarbeitgeber die Leute entlassen und zum Arbeitsamt schicken, die vereinbarten Regelungen aber nicht anwenden. 250 000 Arbeitslose auf Grund Ihrer Veränderung des Schlechtwettergeldes! Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! ({21}) Dynamik ist mein Thema. Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie, daß Sie mit mir darüber nachdenken, welche Instrumente wir in der Geldpolitik haben, um die Spielräume für mehr Dynamik auszuloten. Es kann doch nicht so bleiben, daß durch eine Überbewertung der D-Mark in Europa die Dynamik der Wirtschaft blockiert wird. Hier bedarf es des Druckes auf die Bundesbank, hier bedarf es aber auch abgestimmter Verfahren in der Europäischen Union. Meine Bitte ist: Dies alles wird nur funktionieren, wenn die deutsche Politik initiativ wird. Herr Waigel müßte längst mit seinen Finanzministerkollegen zusammensitzen und die Frage aufwerfen, wie wir mit einer europäisch kooperierenden Geldpolitik die Dynamik in die wirtschaftliche Entwicklung bringen können, die heute Hauptursache dafür ist, daß wir so viele Arbeitslose haben, meine Damen und Herren. ({22}) Zu den Rahmenbedingungen gehört auch die Frage nach kleinen und mittleren Unternehmen. Sie haben doch unsere Anträge alle abgelehnt. Sie wollen sich doch nicht für einen erleichterten Zugang von Unternehmen zu Risikokapital einsetzen. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Sie lesen offensichtlich unsere Initiativen nicht: Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, mehr tun für Forschung und Technologie. Ich will dies nicht alles wiederholen; aber es ist allmählich ein eigenartiges Spiel, daß Sie all unsere Initiativen ablehnen und dann immer so tun, als hätten wir keine Vorschläge. Deswegen sage ich noch einmal: Kleine und mittlere Betriebe sind die wichtigsten Faktoren, um für wirtschaftliche Dynamik zu sorgen. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Nun handeln Sie doch endlich und übernehmen Sie wenigstens einen Teil davon! Herr Kollege Hinsken, Sie sind doch in dieser Frage gar nicht so weit von uns entfernt. Dann kommt die spannende Frage, was wir arbeitsmarktpolitisch machen. Ich nenne nur das Stichwort Entsendegesetz. Wir haben ihm zugestimmt. Aber es muß doch jetzt Druck auf die Arbeitgeberverbände gemacht werden, die sich der Allgemeinverbindlichkeit entziehen. Ich habe den Eindruck, daß sich die unternehmerische Wirtschaft eher aus dem „Bündnis für Arbeit" verabschiedet hat, als mit eigenen Initiativen wirklich dafür zu sorgen, daß wir den Arbeitsmarkt stabilisieren und festigen, meine Damen und Herren. ({23})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Fuchs, kann man Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie nächste Woche, wenn wir den Entwurf eines Planungs- und Genehmigungsvereinfachungsrechtsgesetzes einbringen, zustimmen werden, daß die Planungs- und Genehmigungszeiträume in der Bundesrepublik verkürzt werden, um somit den Wettbewerbsstandort Bundesrepublik Deutschland weiter zu festigen? Des weiteren möchte ich Sie fragen: Worauf führen Sie es zurück, daß speziell in den CDU/CSU-regierten Ländern Baden-Württemberg und Bayern die niedrigste Arbeitslosigkeit in ganz Deutschland herrscht, während die Länder, die von der SPD regiert werden, die höchste Arbeitslosigkeit haben? ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Damit wir Klartext haben, Herr Kollege: Die Genehmigungsverfahren in Bayern sind die längsten. Deswegen wird es Zeit, daß die endlich handeln. Wenn Baden-Württemberg so gut dasteht, dann liegt das daran, daß der Wirtschaftsminister Spöri dort eine sehr gute Wirtschaftspolitik gemacht hat ({0}) und dafür gesorgt hat, daß die Zahl der Arbeitslosen abgebaut werden konnte. ({1}) Sie sehen, wie albern Ihre Frage war, Herr Hinsken, wenn Sie wirklich der Auffassung sind, daß Landesregierungen bestimmter Couleur für die 4,5 Millionen Arbeitslosen mehr verantwortlich gemacht werden können als andere. Im übrigen stimmt das, was Sie gesagt haben, nicht. In bezug auf die Arbeitslosenquote haben die Bayern leider aufgeholt. Deswegen lassen Sie uns nicht die Länder gegeneinander ausspielen, wenn es um die Kernfrage der Rahmenbedingungen geht! Ich komme damit noch einmal auf Ihre Frage zurück: Eine der Rahmenbedingungen ist die bessere finanzielle Ausstattung von kleinen und mittleren Betrieben. Wenn Sie von mir erwarten, daß ich den Anke Fuchs ({2}) Änderungen im Genehmigungsverfahren zustimme, dann erwarte ich von Ihnen, daß Sie endlich unseren Anträgen zur erleichterten Gewährung von Risikokapital zustimmen und wir damit das Signal geben: Wir wissen um die Eigenverantwortlichkeit der unternehmerischen Wirtschaft in kleinen und mittleren Betrieben. Wir wissen, wieviel Potential an Arbeitsplätzen es dort gibt. Wir wollen diesen Weg konsequent mitgehen. Stimmen Sie also unseren Initiativen endlich zu, Herr Kollege! ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie weitere Zwischenfragen, eine des Kollegen Hinsken, eine des Kollegen Kuhlwein?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Fuchs, darf ich Sie fragen, warum Sie dann bisher steuerentlastenden Maßnahmen nicht zugestimmt haben, nämlich die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, die Gewerbeertragsteuer zu senken? Das wäre eine Politik für den Mittelstand. Ich verstehe das nicht: Sie reden dem Mittelstand das Wort und leisten dann in entscheidenden Prozessen einen Beitrag dazu, daß verhindert wird, eine unternehmerfreundliche Politik zu machen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege, ich gebe Ihnen einmal unseren Antrag zum Risikokapital und zur Eigenkapitalausstattung zum Lesen. Dann werden Sie sehen: Wir haben ein sehr gutes Programm für die kleinen und mittleren Betriebe. Wir wollen nämlich die Lohnnebenkosten senken. ({0}) Wir wollen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte - das entspricht 30 Prozent - senken, damit die kleinen und mittleren Unternehmen bei den Lohnnebenkosten entlastet werden. Gehen Sie diesen Weg mit uns, Herr Kollege Hinsken! Dann können wir gemeinsam etwas tun, um kleine und mittlere Unternehmen zu entlasten und dort für mehr Arbeit zu sorgen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Fuchs, jetzt der Kollege Kuhlwein.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Fuchs, teilen Sie meine Auffassung, ({0}) daß es sehr viel sinnvoller wäre, die Milliarden für die Subventionierung des Transrapid - die im Bundeshaushalt nicht vorhanden sein werden - in die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, in Forschung und Entwicklung und die Finanzierung von Risikokapital zu stecken, und daß das mehr Arbeitsplätze brächte?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie haben vor allem mit Ihrem Hinweis auf die Dimension der nötigen Mittel für den Transrapid noch einmal klargemacht: Wer in Verkehrsinfrastruktur investieren will, kann sich in der Tat beschäftigungswirksamere und an der öffentlichen Verkehrspolitik besser ausgerichtete Vorhaben vorstellen als den Transrapid. Insofern stimme ich Ihnen zu, Herr Kollege. ({0}) Ich will mich zum Abschluß noch einmal an Herrn Hinsken wenden - denn wir beide mögen uns ja an sich - und noch einmal darauf zu sprechen kommen, daß wir die Rahmenbedingungen für die kleinen und mittleren Unternehmen verbessern müssen. Lassen Sie uns doch endlich gemeinsam die illegale Beschäftigung bekämpfen. ({1}) Lassen Sie uns endlich gemeinsam die Scheinselbständigkeit bekämpfen! Lassen Sie uns endlich für Teilzeitarbeit sorgen, die sozialversicherungspflichtig ist! ({2}) Teilzeitarbeit ist Arbeitszeitverkürzung, wie Sie wissen. Arbeitszeitflexibilisierung ist Arbeitszeitverkürzung, meine Damen und Herren. Wir sind doch miteinander auf dem Weg, daß wir über Arbeitszeitverkürzung reden. Deswegen ist es ein bißchen albern, wenn Sie plötzlich wieder gegen Überstundenabbau sind und so tun, als ob wir mehr arbeiten müßten. Nein, auch die vorhandene Arbeit muß anders verteilt werden. Herr Kollege Blüm, Sie sollten darauf achten, daß Sie selbst in der Koalition nicht den Eindruck erwekken, als ob Sie für die Arbeitsplätze zuständig seien. Für die Arbeitsplätze ist die gesamte Bundesregierung zuständig, die durch mangelnde Aktivität in Europa einer falschen Geldpolitik das Wort redet. ({3}) Verantwortlich ist die Bundesregierung mit einer falschen Wirtschaftspolitik, die keine Dynamik erzeugt und die, Rahmenbedingungen nicht so zusammenschneidet, daß daraus wirklich Wachstum und Beschäftigung werden können. Mein letzter Punkt soll folgender sein. Ich glaube, daß gerade in dieser Zeit ein bißchen mehr über die Frage gesagt werden muß, in welche Richtung die wirtschaftliche Entwicklung gehen soll. Deswegen hänge ich so an unserem Konzept der ökologischen Modernisierung der Industriegesellschaft, weil es uns die Richtung angibt. ({4}) Anke Fuchs ({5}) Wir werden ökonomisch nur wettbewerbsfähig sein können, wenn wir in diesem Feld investieren, wenn wir da Kreativität mobilisieren. Deswegen ist es so schade, daß Sie auf diesem Weg geradezu blokkiert sind, meine Damen und Herren, mit einer restaurativen Haltung, die ich überhaupt nicht begreifen kann. Das schadet dem Standort Bundesrepublik Deutschland. ({6}) Deswegen sage ich noch einmal: Ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft heißt Entlastung bei den Lohnnebenkosten, heißt eine aus Steuern finanzierte vernünftige Arbeitsmarktpolitik. Die werden wir auf Dauer brauchen, weil wir einfache Arbeitsplätze brauchen. Sie heißt zugleich, Energie zu verteuern, weil dies umweltpolitisch richtig ist. Sie heißt zugleich, privates Kapital freizumachen für Investitionen in ökologisch vernünftige Projekte. In diesem Zusammenhang wird aus der Frage der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch ein Wirtschaftsprogramm. Das ist mir zukunftsträchtiger als Ihr albernes Gerede von dem Gespenst, das Sie heute beschworen haben. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/3952 neu an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Schmidt ({0}), Ottmar Schreiner, Christel Hanewinckel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Arbeitsmarktpolitik für Frauen - Drucksache 13/3760 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({2}), Annelie Buntenbach, Andrea Fischer ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Arbeit von Frauen anerkennen, die Beschäftigung von Frauen fördern - Drucksache 13/3973 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ulla Schmidt, SPD.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich manchmal, ob der Bundesregierung eigentlich der Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes bekannt ist. Dort heißt es unter anderem - ich zitiere: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Carlo Schmid, einer der Väter des Grundgesetzes, hat immer davon gesprochen, daß das Grundgesetz vor allem auch ein Angebot an die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande ist. Frauen, meine Damen und Herren von der Koalition, wollen von diesem Angebot in zunehmendem Maße Gebrauch machen und fordern ihre gleichberechtigte Beteiligung am Erwerbsleben und am gesellschaftlichen Leben ein. Der Bundesregierung fällt bei dem Drängen der Frauen auf den Arbeitsmarkt allenfalls ein, daß diese Frauen mit dazu beitragen, daß die Arbeitslosenzahlen in gewaltige Höhen steigen und daß sie deswegen daran schuld seien, wenn wir heute 4,3 Millionen registrierte Arbeitslose haben. ({0}) Ich gebe zu, der Verfassungsauftrag zur Herstellung der faktischen Gleichberechtigung von Frauen und Männern läßt der Bundesregierung Spielraum hinsichtlich der Zeit und auch der Maßnahmen, die sie ergreifen kann. Eines aber, meine Damen und Herren, ist klar. Er gibt ihr nicht den Spielraum, daß sie überhaupt nichts mehr tut und die Verfassung außen vor läßt. Es tut mir leid, selbst bei wohlwollendster Betrachtung Ihrer Politik kann ich an keinem Punkt erkennen, wo Sie Ansätze gemacht haben, diesen Verfassungsauftrag wirklich umzusetzen. ({1}) Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen sind keine Schlagwörter, sondern sie sind gesellschaftliche Realität. Der Staat und damit auch die Bundesregierung sind verpflichtet, dieser Diskriminierung entgegenzuwirken. Es tut mir leid, selbst bei der Verstärkung durch die jugendliche Frauenministerin versprüht diese Bundesregierung allenfalls den Charme einer Altherrenriege, wenn sie sich daranmacht, die Probleme der Frauen in diesem Land politisch zu lösen. ({2}) Auf dem Arbeitsmarkt werden Frauen ausgegrenzt statt integriert. Diese Art von Verfassungsbruch ist Ulla Schmidt ({3}) zwar nicht justitiabel - dessen bin ich mir bewußt -, aber zweifelsohne ist es ein Skandal in diesem Land. ({4}) Es ist nicht nur für die ostdeutschen Frauen ein Skandal, denen Berufstätigkeit zur Selbstverständlichkeit ihrer Lebensplanung und -gefühle geworden war, die sie heute schmerzlich vermissen. Ein Skandal ist es auch für jene Millionen von westdeutschen Frauen, die längst in die Resignation getrieben worden sind. ({5}) Wenn Frauen die Hoffnung aufgeben, durch eigene Erwerbsarbeit wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen und in diesem Lande existenziell unabhängig zu sein, dann kommen sie im Jargon Ihrer Bundesregierung allenfalls noch als „stille Reserve" vor. Nebenbei möchte ich sagen: Dieses Wort sagt alles über das aus, was Sie von den Frauen halten; es bedeutet nämlich, daß Frauen still zu Hause sitzen und darauf warten, je nach Konjunkturlage und Bedarf in den Erwerbsarbeitsmarkt geholt zu werden oder das traute Glück zu Hause pflegen zu können. ({6}) Diese stille Reserve, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, mittlerweile auf 2 bis 3 Millionen Frauen hochgetrieben zu haben, statt die Zahl zu verkleinern, ist das Resultat von fast 14 Jahren Politik der christlich-liberalen Koalition und nichts anderes. ({7}) Diese 2 bis 3 Millionen Frauen - da müßte Ihnen, Herr Kollege Glos, das Lachen vergehen - können Sie zu den 1,9 Millionen registrierten arbeitslosen Frauen addieren, und Sie können sie zu den fast 4 Millionen Frauen addieren, die in sozial nicht abgesicherten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. ({8}) Das ist nicht mehr zum Lachen. Das ist wirklich ein Skandal, der in diesem Land stattfindet. Dabei haben Frauen heute höhere Bildungsabschlüsse und Qualifikationen als je zuvor. Um das klarzustellen: Es wird vielfach gesagt, hier soll immer nur zwischen Männern und Frauen polarisiert werden. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht schlicht und ergreifend um die eine Tatsache, daß es nämlich eine unglaubliche volkswirtschaftliche Vergeudung von menschlichem Wissen und menschlichen Fähigkeiten ist. Diese Vergeudung - um es auf den Punkt zu bringen - geschieht, wenn weiterhin eine Politik gemacht wird, die eine Generation hochqualifizierter Frauen außen vor läßt. ({9}) Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, daß Frauen in diesem Land mehr Spitzenleistungen erbringen können. Wir könnten viel mehr Nobelpreisträgerinnen hervorbringen als die eine, die Deutschland bisher hervorgebracht hat. Für Frau NüssleinVolhard war das ein schöner persönlicher Erfolg, sie hat aber auch den Beweis erbracht, daß Frauen in Naturwissenschaften durchaus Höchstleistungen erbringen können, wenn man sie nur läßt und wenn endlich Rahmenbedingungen in diesem Lande dafür geschaffen werden, daß Frauen ihre Fähigkeiten voll entfalten können. ({10}) Das ist wirklich eine Vision, für die es sich lohnt zu kämpfen, aber dann muß man auch handeln und kann nicht sitzen bleiben, wie Sie es immer machen. ({11}) Fünf Jahre deutsche Einheit haben gezeigt, Frau Babel, daß Frauen zu hohen Anpassungsleistungen fähig sind, die nicht honoriert werden - diese fordern Sie immer ein -; sie erbringen Anpassungsleistungen, die Ihre Politik letztendlich gegen die Frauen anwendet: Sie nehmen Arbeit in einem nichterlernten Beruf an, sie verkaufen sich unterhalb ihrer Qualifikation, sie machen Überstunden und verzichten auf Lohn, nur um nicht ganz aus dem Erwerbsleben herausgeschoben zu werden. Das ist Ihr Lieblingsrezept. Was ist der Erfolg? Den Frauen in Ostdeutschland wird allenfalls ein nicht sozial abgesicherter Arbeitsplatz zugeschoben, aber keine dauerhaften und zukunftsfähigen Erwerbsarbeitsplätze. ({12})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Babel?

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte. ({0})

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Schmidt, ich fand es richtig, daß Sie herausstellten, daß es Frauen gibt, die hohe Leistungen in der Naturwissenschaft erbringen, und daß es bei uns an der Zeit ist, darauf hinzuweisen, daß wir die Rahmenbedingungen so verändern müssen, daß diese wissenschaftlichen Leistungen von Frauen an den Universitäten erbracht werden können. Was ich versuchte, Ihnen mit einem kleinen Zwischenruf deutlich zu machen, war, daß die Universität in den Ländern eine Ländersache ist, nämlich die Organisation der Wissenschaft, und daß ich nicht gefunden habe - ich komme aus Hessen -, daß es dort in irgendeiner Weise Rahmenbedingungen gibt, die für eine Naturwissenschaft studierende Frau mit FaDr. Gisela Babel milie die Situation besonders günstig macht. Geben Sie also zu, daß das eine Aufgabe ist, die zumindest auch in den Ländern von den dort verantwortlichen Parteien, der SPD nämlich, wahrgenommen werden sollte. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Babel, ich weiß, daß in vielen SPD-regierten Ländern und auch mit sozialdemokratischen Wissenschaftsministerinnen und -ministern sehr viel dafür getan wird, daß Frauen auch mehr im Bereich der Forschung und Entwicklung gefördert werden. Aber Sie können mit Ihren Fragen nicht umhin, daß es selbstverständlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe auch dieser Bundesregierung ist, für Bedingungen zu sorgen, daß Frauen Beruf und Familie vereinbaren können. Sie wissen ganz genau, daß gerade im Bereich der Wissenschaft und Forschung allein die Tatsache, daß Frauen Kinder bekommen und mit Teilzeitarbeit überhaupt keine Möglichkeiten haben, im Forschungsbereich tätig zu werden, in vielen Fällen dazu führt, daß Frauen im Bereich der Wissenschaft gar nicht wirklich vorankommen und Karriere machen können. Dazu gehört in diesem Land mehr, nämlich ein Klima zu schaffen, in dem Männer im Wissenschaftsbereich teilen und auch Vaterpflichten wahrnehmen. Da sind auch Sie mitverantwortlich. ({0}) Ich finde auf jeden Fall, daß angesichts des neuen Nachkriegsrekords in der Arbeitslosenstatistik einige Fragen immer drängender werden: Wie können Frauen gleichberechtigt an Arbeit, Einkommen und wirtschaftlichem Einfluß teilhaben? Wie kommen wir endlich dahin, daß Arbeit und Zeit neu verteilt werden und sie nicht mehr kulturell allein an ein Geschlecht gebunden werden? Lassen Sie mich hier noch drei Handlungsfelder nennen, von denen ich glaube, daß es Bereiche sind, in denen auch Sie tätig werden können. Erstens. Es scheint mir, daß die Zukunft der Arbeit im Dienstleistungsbereich liegt. Marketing, Entwicklung, Freizeit, Wirtschaft, Medien und Kommunikationswirtschaft sowie die neuen Informationstechnologien sind nur einige Beispiele, in welchen Bereichen sich in den nächsten Jahren ein Strukturwandel vollzieht. Spätestens an dieser Stelle muß eine aktive Arbeitsmarktpolitik für Frauen Wirkung zeigen, wenn nicht auch diese neuen Berufsfelder an den Frauen wieder vollkommen vorbeigehen sollen. ({1}) Hier würde vorausschauende Politik einsetzen. Das wäre eine Chance, Art. 3 des Grundgesetzes umzusetzen. Wenn Sie endlich den Mut hätten, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Einfluß auf die Privatwirtschaft zu nehmen; wenn Sie endlich den Mut hätten, in der Wirtschaft und Strukturpolitik öffentliche Mittel, also Steuergelder, mit der Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen für Frauen zu verbinden, dann wäre dies ein Feld, wo wir für die Zukunft Arbeitsplätze für Frauen schaffen und wo Sie Ihre Rolle als Umverteiler, Regulierer und auch als Arbeitgeber wahrnehmen können. Zweitens. Nach Berechnungen des Städtetages werden 50 000 Erzieherinnen und Erzieher benötigt, wenn wir den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umsetzen. Die 2. Stufe der Pflegeversicherung wird bis zur Jahrtausendwende nach Berechnungen des Bundesarbeitsministers zirka 320 000 Arbeitskräfte im Pflegebereich erfordern. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition: Um so dringender wird es doch, daß die Bundesregierung endlich eine bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung gleichwertig der Krankenpflege beschließt. Es ist doch mittlerweile ein Armutszeugnis, daß es über die Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz von 1984 immer noch keine bundeseinheitliche Ausbildungsordnung gibt, um Professionalisierung der Pflegeberufe und die Förderung von Fachkräften mit hoher Qualifikation zu fördern und damit auch qualifizierte Arbeitsplätze für Frauen zu schaffen. ({2}) Es müßte auch Ihnen bekannt sein, daß dies ein Feld ist, wo den Frauen nach Rückkehr in den Beruf eigentlich als einziges noch Arbeitsplätze geboten werden. Drittens und letztens. Beschäftigungschancen von und für Frauen gibt es auch bei den erhofften Gründungen von neuen Existenzen. Die neue Kultur der Selbständigkeit, wie Sie so schön sagen, kann sich aber nur entwickeln, wenn das nötige Startkapital und Risikokapital vorhanden ist. Genau daran mangelt es den Existenzgründerinnen. Die hierzu von der Bundesfrauenministerin vorgelegte Untersuchung würde Ihnen einige Anregungen geben. Oder ist Ihnen immer noch nicht bekannt, daß potentielle Existenzgründerinnen über noch weniger Eigenkapital verfügen als Männer? Für Frauen, die den von Ihnen so viel zitierten Mut zum Risiko und Eigeninitiative aufbringen, haben die Kreditinstitute leider nur ein mildes Lächeln übrig. Mut und Eigeninitiative haben die Frauen in diesem Land. Was ihnen fehlt, ist ganz einfach Geld. Deshalb können die wirtschaftspolitischen Hoffnungen von Existenzgründerinnen nur dann erfüllt werden, wenn Sie endlich ein Programm auflegen, das bestehende Benachteiligungen von Frauen hinsichtlich Startkapital, Eigenkapital und Risikokapital ausgleicht. Ich bin mir sicher, daß Frauen diese Chance dann zu nutzen wissen. ({3}) Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Soziale Gerechtigkeit gibt es nur, wenn Frauen gleichberechtigt am Erwerbsleben teilnehmen können. Herr Kollege Hintze hat heute morgen von einem Zukunftsmodell gesprochen. Für die Frauen in diesem Lande brauchen wir ein Zukunftsmodell, und da brauchen wir auch neue Mehrheiten, denn die Fortsetzung der geistig-moralischen Wende dieser Bundesregierung beUlla Schmidt ({4}) deutet für Frauen, daß sie ihre Zukunft längst hinter sich haben. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Bundesministerin Claudia Nolte.

Claudia Nolte (Minister:in)

Politiker ID: 11001621

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zentrale Herausforderung für Gesellschaft und Politik in diesem Jahr und darüber hinaus besteht darin, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Gerade in einer kritischen Situation auf dem Arbeitsmarkt steht die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Prüfstand. Wer eines besonderen Beweises bedarf, schaue nur in die neuen Bundesländer. Aber Arbeitsmarktpolitik für Frauen kann nur erfolgreich sein, wenn wir sie in die Gesamtpolitik für mehr Beschäftigung einbetten. Wir müssen die Voraussetzungen für insgesamt mehr Arbeitsplätze in Deutschland schaffen. ({0}) Auch deshalb begrüße ich, daß diese Debatte in den heutigen Vormittag eingebettet ist und einen größeren Zusammenhang herstellt. Diese Debatte bietet die Chance, deutlich zu machen, was die Bundesregierung auf diesem Gebiet bisher auf die Schiene gesetzt hat. Denn, meine Damen und Herren von der SPD, Sie tun so, als müsse man Arbeitsmarktpolitik für Frauen neu erfinden. Dabei sind die Vorschläge, die Sie in Ihrem Antrag haben, alle nicht neu, und die, die davon tauglich sind, sind schon längst in Angriff genommen. ({1}) Die Bundesregierung hat ein umfangreiches, erfolgversprechendes Konzept vorgelegt. Nun liegt es an diesem Haus und auch an der Vertretung der Bundesländer, dies umzusetzen und damit der gemeinsamen Verantwortung gerecht zu werden. Meine Damen und Herren, in den 80er Jahren haben im Westen Frauen von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt überdurchschnittlich profitiert. Im Jahresdurchschnitt 1995 lag die Arbeitslosenquote von Frauen erstmals seit 1969 leicht unter der Quote der Männer. Auch die Beschäftigung von Frauen entwikkelte sich in diesem Jahr weniger ungünstig. Der Frauenbeschäftigung kommt die Umstrukturierung des Arbeitsmarktes zu mehr Dienstleistung und zu größeren Angeboten flexibler Arbeitszeiten entgegen. Im Osten dagegen liegt die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt 1995 bei den Frauen immer noch doppelt so hoch wie bei den Männern. Drei von vier Langzeitarbeitslosen sind Frauen. Die Ursache läßt sich auf eine kurze Formel bringen: Frauen sind von den Umstrukturierungsprozessen in den neuen Ländern am stärksten betroffen, und sie sind die letzten, die wieder neu eingestellt werden. Im Durchschnitt des Jahres 1995 nahm im Osten die Arbeitslosigkeit von Frauen erstmalig stärker ab als die der Männer. Trotzdem machen die neuesten Arbeitsmarktzahlen sehr deutlich, daß wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen weiterhin dazu beitragen müssen, die Beschäftigungschancen für Frauen zu verbessern. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, daß hinter den Zahlen Einzelschicksale stehen, daß Belastungen dort, wo in den Haushalten Arbeitslosigkeit vorkommt, gegeben sind. Ich habe im letzten Jahr in Thüringen eine Arbeitsmarktkonferenz durchgeführt, auf der ich mit dem dortigen Wirtschaftsminister, den Tarifparteien, Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaftsförderung sowie des Landesarbeitsamtes Strategien und Wege erörtert habe, die den Frauen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Wir können uns nicht mit einem geteilten Arbeitsmarkt zufrieden geben, nach dem Motto: den ersten den Männern, den zweiten den Frauen. Wir haben ja im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik viel für Frauen erreicht. Ich bin überzeugt, daß wir durch solche regionalen Aktivitäten und eine Zusammenarbeit aller Beteiligten wirkliche Impulse setzen können. Deshalb werde ich in den anderen neuen Bundesländern weitere Konferenzen durchführen. Mehr Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen ist auch das Ziel der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes. Die Effektivität und Effizienz der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen soll durch ortsnahe Organisationen der Arbeitsförderung verbessert werden. Der im Grundgesetz neu verankerte staatliche Auftrag zur Förderung der Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter muß auch im Bereich der Arbeitsförderung konkret zum Ausdruck kommen. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Verpflichtung, daß Frauen an Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung mindestens im gleichen Maße beteiligt werden, wie sie auch an Arbeitslosigkeit beteiligt und dann betroffen sind. Die diesbezügliche Regelung des Arbeitsförderungsgesetzes nach § 2 Abs. 5, die von Ihnen nie begrüßt worden ist, weil sie Ihnen anscheinend nicht weitreichend genug war, hat Wirkung entfaltet, so daß in ABM-, in 249 h-Maßnahmen, in Fortbildungen und Umschulungen die Frauen derzeit mit weit über 60 Prozent berücksichtigt sind. ({2}) Deshalb müssen im Zuge der Reform solche Regelungen erhalten bleiben. Maßnahmen der aktiven Förderung müssen auch mit familiären Pflichten vereinbar sein, zum Beispiel durch Kinderbetreuungsangebote, durch eine zeitliche flexible Gestaltung von Fortbildungsmaßnahmen. Für Berufsrückkehrerinnen und -rückkehrer wollen wir zu Verbesserungen sowohl bei den Eingliederungszuschüssen als auch beim Leistungsbezug gelangen. Frauen erwirtschaften einen großen Teil des Steueraufkommens und leisten Sozialversicherungsbeiträge in Milliardenhöhe. Sie tun das zunehmend als Selbständige. Jedes dritte Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland wird inzwischen von einer Frau gegründet. Die Zahl der weiblichen Selbständigen nahm in den letzten Jahren stärker zu als die der männlichen. Bund und Länder fördern Existenzgründungen, zum Beispiel durch Beratung und Kreditvergabe. Das Eigenkapitalhilfeprogramm der Bundesregierung kommt im Bereich der Mittelstandsförderung gerade auch dem Gründungsverhalten von Frauen entgegen. Frau Schmidt, ich möchte Sie auf folgendes hinweisen, weil Sie das soeben sehr eindrücklich nachgefordert haben: Der geringe Mindestförderbetrag von 5 000 DM macht Unterstützung auch sehr kleiner Vorhaben möglich. Das kommt Frauen in der Weise entgegen, wie sie an Gründungen herangehen. Im Rahmen der von der Bundesregierung geförderten Informations- und Schulungsveranstaltungen werden gezielte Beratung von Frauen und reine Existenzgründerinnen- oder Unternehmerinnenberatungen und -seminare gefördert. In dem Aktionsprogramm für Investitionen ,und Arbeitsplätze hat die Bundesregierung weitere gezielte Maßnahmen für die Förderung von Existenzgründungen des selbständigen Mittelstandes beschlossen, die natürlich auch für Frauen dienlich sind. Das heißt: Im Bereich Existenzgründungen haben wir eine ganze Menge getan. Die Verbindung von allgemeiner Wirtschaftsförderung und Frauenförderung muß in Zukunft auf allen Ebenen besser gelingen. Mein Haus plant zur Zeit ein Modellprojekt, in dem die Förderung der beruflichen Selbständigkeit von Frauen als Beitrag zur kommunalen Wirtschaftsentwicklung verstanden wird. Wir wollen das Potential existenzgründungwilliger Frauen stärker in den Mittelpunkt des Interesses der Wirtschaftsförderer rücken und durch gezielte Unterstützungsmaßnahmen das Gründungsverhalten von Frauen positiv beeinflussen. ({3}) Frauen sind heute in der Regel mindestens so gut qualifiziert wie Männer. Dies hat dazu beigetragen, daß sie sich stärker in das Berufsleben integrieren und daß sie erwerbstätig sein wollen. Frau Schmidt, ich kenne niemanden in der Koalition, der dies bezweifelt oder dies zurückdrängen will. Natürlich wollen wir das unterstützen und begrüßen das ausdrücklich. Ihre Mythen und alten Kampfparolen müssen Sie endlich vergraben. ({4}) Richtig ist: Gleiche Qualifikation heißt heute noch nicht, daß man auch wirklich gleiche Karrierechancen hat und gleiche Chancen bei der Berufsausbildung bekommt. Männer und Frauen haben häufig immer noch unterschiedliche Karriereverläufe. Die Hauptprobleme liegen nach wie vor in der ,Schwierigkeit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Mit familiären Pflichten werden heute noch einseitig Frauen belastet. Ich möchte das Bewerbungsgespräch sehen, bei dem ein Mann gefragt wird, wie er sich denn die Kinderbetreuung vorstellt. ({5}) Das ist also etwas, was wir mehr in das Bewußtsein derjenigen bringen müssen, die für Einstellung und für Personalförderung verantwortlich sind. Mehr Rücksicht der Arbeitsorganisation auf familiäre Belange und bessere Hilfen zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit gehören deshalb zu den zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen. Ein wesentlicher Beitrag - das ist auch heute vormittag deutlich zum Ausdruck gekommen - ist die flexible Arbeitszeitgestaltung. Die Bundesregierung trägt dem mit Hilfe des Zweiten Gleichberechtigungsgesetzes Rechnung, indem sie mehr Teilzeitarbeitsplätze schafft und somit auch Karrierechancen von Teilzeitbeschäftigten fördert. Mit dem Modellprojekt meines Hauses „Mobilzeitberatung qualifizierte Teilzeitarbeit für Frauen und Männer" will ich dazu beitragen, das Wissen um die Vorteile und die Möglichkeiten von flexiblen Arbeitszeiten auch in Fach- und Führungsqualifikationen in der privaten Wirtschaft zu verankern und zu verbreitern. Es muß auch darum gehen, den Männern mehr Angebote für flexible Arbeitszeiten zu machen, damit diese auch von ihnen wahrgenommen werden und das nicht einseitig eine Sache der Frauen bleibt. Zwischen Staat und Tarifpartnern gibt es mittlerweile einen breiten Konsens, die sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit zu fördern. Regierung, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften haben dies im „Bündnis für Arbeit" klar zum Ausdruck gebracht. Ich betone dies nachdrücklich: Teilzeitarbeitsplätze sind sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Dem Mißbrauch der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse müssen wir entgegenwirken. Darin stimmen wir überein. ({6}) Über das Wie müssen wir diskutieren. Da gibt es in der Tat eine Reihe von unterschiedlichen Vorschlägen. Wir sind gefordert, die Vorschläge in der nächsten Zeit umzusetzen. ({7}) Zur Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten brauchen wir auch neue Beschäftigungsfelder. Derzeit werden 80 Ausbildungsberufe modernisiert, gerade auch im Hinblick darauf: Welche Chancen bekommen Frauen zukünftig in solchen modernen Ausbildungsberufen? 30 neue Berufsbilder sind in Prüfung, der Altenpflegerberuf eingeschlossen. Zu den Beschäftigungsfeldern mit Zuwachs gehören auch die familien- und haushaltsbezogenen Dienstleistungen in den Privathaushalten. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt dieses Beschäftigungspotential auf bis zu 870 000 Arbeitsplätze. Das ist vielleicht sehr optimistisch geschätzt. Aber selbst wenn nur ein Teil von diesen Arbeitsplätzen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgesetzt wird, ist es geboten, die Rahmenbedingungen für Beschäftigung im Privathaushalt zu verbessern. Die Bundesregierung wird bis zur Jahresmitte ein umfassendes Konzept hierzu vorlegen, das die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen im Privathaushalt durch Entlastung von administrativen Arbeitgeberpflichten und durch eine verbesserte Steuerabzugsfähigkeit erleichtert. Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und im Erwerbsleben ist eine für Deutschland wichtige und zentrale Herausforderung, die sich nicht zuletzt auf der Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking gründet. Ich habe für kommenden Montag zur nationalen Nachbereitungskonferenz eingeladen. An ihr werden hochrangige Vertreter aller staatlichen Ebenen und nahezu aller gesellschaftlichen Gruppen - die Tarifpartner, Verbände, die Medien und auch die Kirchen - teilnehmen, was deutlich macht, daß alle gefordert sind, zur Chancengleichheit der Geschlechter beizutragen. Deshalb rufe ich dazu auf, daß sich das Thema Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt auch Arbeitgeber und Gewerkschaften zu eigen machen. ({8}) Wir können nicht allein durch Eingriffe des Staates Regelungen vornehmen. Hier sind die Tarifpartner selber in der Pflicht. Vielen Dank. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 8. März ist von der UNO zum Internationalen Frauentag erhoben worden. Das ist einerseits ganz erfreulich; ({0}) aber solche Feiertage sind immer auch etwas zweischneidig, weil sie natürlich dazu verführen, Feiertags- und Muttertagsreden zu halten. ({1}) - Wir debattieren aber heute, weil morgen der 8. März ist, Herr Kollege, falls sich das Ihnen noch nicht erschlossen hat. ({2}) Es besteht natürlich immer die Gefahr, daß hier Feiertagsreden gehalten werden und die Frauen mit einem warmen Händedruck nach Hause entlassen werden. Im Prinzip sind sich alle einig, daß etwas passieren muß, aber real passiert nicht sehr viel. ({3}) Deswegen möchte ich gerne zwei oder drei Beispiele zusammentragen, Entscheidungen der letzten Tage, die dokumentieren, daß Frauen allen Grund haben, nicht darauf zu vertrauen, daß tatsächlich etwas in ihrem Sinne passiert, daß sie tatsächlich Grund zu Mißtrauen haben. Erste Nachricht: Das Bundesarbeitsgericht bringt die Bremer Frauenquote zu Fall. Das war nicht ganz neu, sondern eine Bestätigung des EuGH-Urteils. Das Bremer Frauenfördergesetz war eingesetzt zum Schutz von Frauen. Wir wissen, daß Frauen diesen Schutz brauchen, weil sie nicht in aller Hinsicht die gleichen Startchancen wie Männer haben. Das ist in diesem Hause und auch in der Gesellschaft inzwischen Allgemeingut. ({4}) Was denken sich die Herren Richter aus? Wenn schon ein Frauenschutzgesetz gemacht wird, muß aber gleichzeitig eine Härteklausel für Männer hinein. Das ist doch wirklich unglaublich! ({5}) Nun wissen wir, wie Gerichte zusammengesetzt sind: Hier sprechen Männer Recht über Frauen. Und die Bundesregierung hat bisher noch nichts unternommen, um Maastricht II um einen Passus über aktive Frauenförderung zu ergänzen. ({6}) Frau Ministerin, wenn Sie wirklich etwas tun wollen, um Frauen gleiche Startchancen zu geben, wo ist dann Ihre Initiative für aktive Frauenförderung, für die Einführung aktiver Frauenförderung in EU-Recht, damit solche Rechtsprechung nicht mehr möglich ist? ({7}) Wir wissen, daß das Gefüge, in dem sich Männer gegenseitig schützen und protegieren, sehr filigran ist und daß diesem Gefüge zum Teil auch mit Gesetzen nicht beizukommen ist. Es gibt Hunderte von Ebenen, die durch Gesetze nicht erfaßbar sind. Personalchefs sind männlich. Wer kann schon wirklich beweisen, daß am Schluß des Einstellungsgesprächs nicht nur wegen der Qualifikation für den Mann votiert wird, sondern daß mitspielt, daß Männer doch verläßlicher sind und daß sie einfach den Arbeitsplatz haben sollten? Bewerbungskommissionen bestehen aus Männern. Gutachter sind überwiegend männlich. Wir haben auch - damit haben wir hier viel zu tun - einen überwiegend männlich geprägten Journalismus, bei dem wir sehr genau sehen, wie das System der gegenseitigen positiven Zuschreibungen in der Männerwelt läuft, womit Männer sich schlichtweg gegenseitig großmachen. ({8}) Marieluise Beck ({9}) Männer finden sich gegenseitig gut, und das ist die beste Männerförderung, die es überhaupt geben kann. ({10}) Ich weiß, daß es immer als etwas unfein gilt, wenn man diese weibliche Jammertour anschlägt. Deswegen verzichten Frauen inzwischen auch darauf, das zu thematisieren. Aber ich sage Ihnen: Man muß ein Stück der Wahrheit auch benennen. Das ist nun einmal die Situation, in der Frauen sich bewegen. Beispiel Nummer zwei: Die Lohnsteuerrichtlinien 1996 sind fast unbemerkt in dem Punkt geändert worden, wo freiwillige Arbeitgeberleistungen für die Finanzierung der Unterbringung, Unterkunft und Verpflegung von nicht schulpflichtigen Kindern nunmehr von den Arbeitnehmerinnen versteuert werden müssen. Im Klartext heißt das: Wenn Arbeitgeber endlich kapiert haben, daß Frauen mit kleinen Kindern Unterstützung brauchen, und das finanziert haben, kommt der Staat und sackt diese Unterstützung wieder ein. Ist das ein Schritt in Richtung Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Oder haben Sie das noch gar nicht bemerkt, Frau Kollegin Babel? Wo war da die Frauenministerin? Beispiel Nummer drei, aus den Eckpunkten zur AFG-Novelle, die Herr Minister Blüm vorgelegt hat: Die zumutbare tägliche Pendelzeit wird auf drei Stunden heraufgesetzt. Das heißt, wer dazu nicht bereit ist oder nicht bereit sein kann - das sind in der Regel Mütter von Kindern -, darf auf seine Leistungen verzichten. ({11}) Ist das ein Stück Frauenförderung à la Bundesregierung? Haben Sie vielleicht eine Minute darüber nachgedacht, was es für Mütter von Kindern heißt, wenn sie zu einem sieben- bis achtstündigen Arbeitstag eine dreistündige Pendelzeit zugemutet bekommen? ({12}) Ist das ein Angebot der Bundesregierung an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Das waren nur drei Beispiele aus den letzten Tagen. Deswegen habe ich das mit den warmen Worten gesagt, meine Damen und Herren. Denn die reale Politik bewegt sich gerade in diesen kleinen Schritten oft sogar unbemerkt in eine andere Richtung. Es ist vollkommen klar, daß bei der Großwetterlage, in der sich der Arbeitsmarkt bewegt - mit 4,3 Millionen registrierten, vermutlich 6 bis 7 Millionen tatsächlichen Erwerbslosen -, auch die Chancen der Frauen auf dem Arbeitsmarkt verstellt sind. Im Westen - das ist spannend - gibt es zahlenmäßig einen Zuwachs der Frauenerwerbstätigkeitsquote; das wird der Arbeitsminister gleich vielleicht noch herauskehren. Man muß aber hinter die Kulissen sehen: Die Zuwächse resultieren im wesentlichen aus Teilzeitarbeit und vor allen Dingen ungeschützten Beschäftigungen. In diesem Zusammenhang ein Wort an Frau Ministerin Nolte. Sie hat hier gesagt: Wir wissen, daß ungeschützte Beschäftigung nun endlich abgesichert werden muß. ({13}) Frau Ministerin, ich bin schon einen Tag länger in diesem Haus. Über diese Frage debattieren wir nun schon seit Jahren. Ich kenne seit Jahren die empörten Aussagen des Arbeitsministers Blüm, der sagt: Es ist unerhört, daß sich das Reinigungsgewerbe über Jahre hinweg am sozialen Sicherungssystem schadlos hält, indem dort ausschließlich mit prekären Beschäftigungsverhältnissen gearbeitet wird. Seit 13 Jahren gibt es aber keine Initiative dazu. Was soll das denn bedeuten? ({14}) Die Teilzeitoffensive der Bundesregierung landet nach wie vor bei den Frauen: 90 Prozent der Teilzeitarbeitsplätze sind von Frauen besetzt. Es gibt also faktisch keine Männer in Teilzeitarbeit. Sie können sich hier nicht einfach naiv hinstellen und sagen: Teilzeitarbeit soll natürlich auch qualifiziert sein! Es darf keine Karriereknicks geben! - Ich bin für Teilzeitarbeit und halte sie im Frauenleben für ziemlich wichtig; sie sollte auch im Männerleben wichtig sein. Daß dies aber regelmäßig mit Karriereknicks verbunden ist, belegt die Empirie auch. Ich bitte, sich etwas mehr mit den realen Verhältnissen auseinanderzusetzen und nicht den Wunsch zur Mutter des Gedankens zu machen. ({15}) Wir müssen hier auch über die Folgen von Teilzeitarbeit reden. Es gibt bei vielen Formen von Teilzeitarbeit keine eigenständige soziale Sicherung. Es gibt keine Möglichkeit der eigenständigen Existenzsicherung. Ich möchte zum Schluß noch eine Zahl einführen, die von der Bundesregierung vielleicht noch nicht zur Kenntnis genommen worden ist: In Ostdeutschland werden 41 Prozent der Kinder inzwischen unehelich geboren. Was heißt das denn? Das heißt: Ein gesamtgesellschaftliches Konstrukt, das bei der sozialen Absicherung und beim Unterhalt nach wie vor auf Ehe und Familie setzt, geht schlichtweg an der Realität vorbei. ({16}) Die Frauen heiraten nicht mehr, wenn sie Kinder bekommen. Sie haben das Gefühl, das bekommen sie Marieluise Beck ({17}) alleine hin - das wollen sie vielleicht auch -, zumindest nicht unbedingt über die Ehe. Es ist spannend, daß gerade die Ost-Frauen diesen Weg gehen, die, obwohl vieles im alten DDR-Staat ziemlich düster war - das war keine emanzipatorische Politik -, doch ein Stück Selbstbewußtsein aus der recht regelmäßigen Erwerbstätigkeit mitgenommen haben. Sie gehen ihren eigenständigen Weg. Aber es passiert nichts, um sowohl auf dem Erwerbsarbeitsmarkt als auch im sozialen Sicherungssystem endlich Strukturen zu schaffen, die diesen Wunsch nach Eigenständigkeit und auch die Notwendigkeit der Eigenständigkeit von Frauen aufnehmen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte schön.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Frau Kollegin Fuchs.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ich stimme Ihnen zu. Ich wollte Ihren Redefluß nicht unterbrechen, wollte mich aber spontan zu Wort melden und fragen: Stimmen Sie mir zu, daß es deswegen darauf ankommt, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß Teilzeitarbeit sozialversicherungspflichtig wird, Marieluise Beck ({0}) ({1}): Selbstverständlich.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- damit gar nicht erst Lücken in der Rentenbiographie auftreten können?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann kann ich nur hoffen, daß gerade unsere beiden Oppositionsparteien zusammen so viel politischen Druck entfalten können, damit Norbert Blüm, der das im Ausschuß seit 13 Jahren beklagt, dies endlich umsetzen kann. Vielleicht braucht er unsere tatkräftige Unterstützung. ({0}) Noch 1991 versprachen die beiden großen Parteien in diesem Haus das Projekt einer eigenen Alterssicherung. Das war die Jahrhundertreform der Rentensicherung. Sie sollte ernsthaft in Angriff genommen werden. Davon hört man nichts mehr, meine Damen und Herren. Über Kindererziehungszeiten allein begründet sich doch keine Rentenbiographie, begründet sich doch keine eigenständige Sicherung. Das sind kleine Bausteine, um eine eigenständige Sicherung herzustellen. Nur eine gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben ist die Basis dafür, daß Eigenständigkeit von Frauen wirklich zur Normalität in dieser Gesellschaft wird. ({1}) Wir bewegen uns leider im Augenblick - ich habe das am Anfang belegt - in vieler Hinsicht eher im Rückwärtsgang als wirklich auf dem Weg nach vorne. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Dr. Gisela Babel, Sie haben das Wort.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD und die Debatte geben Anlaß zu der Frage, ob es eigentlich eine speziell für Frauen zugeschnittene Arbeitsmarktpolitik geben soll, das heißt ob wir sauber sortieren: Die Debatte am Vormittag beschäftigt sich mit den Arbeitsmarktproblemen für die Männer, und der Nachmittag ist nun der Debatte über die Arbeitsmarktpolitik für Frauen vorbehalten. Ich halte von einer solchen Teilung, ehrlich gesagt, überhaupt nichts. ({0}) Wenn der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit gestern die Arbeitslosenzahlen bekanntgegeben hat - 4,27 Millionen Arbeitslose, davon 44 Prozent Frauen -, so möchte man unter dem Schock dieser Zahl meinen, die Debatte sollte jetzt weniger nur auf Frauen eingeengt geführt werden, sondern Männer und Frauen umfassen. ({1}) Beide Geschlechter sind betroffen, insbesondere die Familien, denen das Erwerbseinkommen fehlt. Aber wenn wir es heute schon so sortieren, dann möchte ich für die F.D.P. folgendes feststellen: Wir sind dafür, daß die Chancen auf dem Arbeitsmarkt auf Mann und Frau gleichmäßig verteilt werden. Wir sind dafür, daß die Arbeitsmarktinstrumente gerecht zwischen Mann und Frau aufgeteilt werden. Und, meine Damen und Herren, wir sind dafür, daß vor allem die durch Familienpflichten begründeten besonderen Belastungen der Frauen in allen Bereichen der sozialen Sicherungssysteme ausgeglichen werden sollen. Der zentrale Punkt der Kinderbetreuung muß besser gelöst werden. Dazu findet sich nun zu meiner Überraschung und zu meinem Bedauern im SPD-Papier gar nichts. Lassen Sie mich zu einigen Stichworten etwas sagen, zunächst zur Einführung einer starren Quote für die Berücksichtigung von Frauen bei der Arbeitsmarktpolitik. Hier ist schon einiges an Zahlen genannt worden. Das AFG enthält eine Sollvorschrift, die völlig ausreicht. Meiner Ansicht nach sprechen die Zahlen auch dafür, daß wir schon sehr viel erreicht haben. In Westdeutschland haben wir einen Frauenanteil an den Arbeitslosen von 49,7 Prozent und einen Anteil an ABM von 49,9 Prozent. Der AnDr. Gisela Babel teil an Maßnahmen nach § 242 s AFG ist 35,2 Prozent und an der Fortbildung und Umschulung sogar 45 Prozent. Im Osten sind die Zahlen bis auf die Maßnahmen nach 249 h sogar noch günstiger für Frauen. Ich glaube nicht, daß Sie mit dieser Frage der Quote in der Arbeitsmarktpolitik im Grunde hier viel bewegen. ({2}) Der nächste Punkt, die Beschäftigung in Haushalten. Bei der Beschäftigung in Haushalten deutet sich ein Wandel an. Die Diffamierung mit diesem unsäglichen Stichwort „Dienstmädchenprivileg" ist ja nun hoffentlich vom Tisch. Die Beschäftigung in Haushalten sichert Arbeitsplätze, wie wir hoffen, sozialpflichtige Arbeitsplätze. Ich denke, es kommt darauf an, hier die Rahmenbedingungen zu verbessern. Sie allerdings, meine Kolleginnen von der SPD, haben zu verantworten, daß wir in diesem Punkt noch nicht viel weitergekommen sind und daß wir uns nicht darauf einigen konnten, daß man diese Beschäftigung als Betriebskosten absetzen kann. ({3}) Wir haben auch noch das Thema, wie zum Beispiel eine vereinfachte Form der Beitragszahlung im Zusammenhang mit den Sozialkassen bewerkstelligt werden soll. Ich weiß nicht, ob Sie sich die Anträge einmal angesehen haben, wie außerordentlich kompliziert es ist, wenn Sie heute für solche Angestellten im Haushalt Renten- und Versicherungsbeiträge zahlen. ({4}) Meine Damen und Herren, Sie reden immer von Ihren Impulsen und Ihren Anregungen. Jetzt geben Sie doch einmal zu, daß Sie sich hier sozusagen am Schluß dieses Geleitzuges bewegt haben. Mühsam sind Sie heute dabei zu sagen: Richtig, Dienstleistungsbereiche sind hier auch zu akzeptieren. ({5}) Meine Damen und Herren, zur Existenzgründung ist einiges gesagt worden. Es kommt mir darauf an, daß die Frauen in einer Frauendebatte nicht immer als bemitleidenswürdige Geschöpfe dargestellt werden, ({6}) denen nämlich mit Quote und mit Niedriglohnarbeitsplätzen oder mit der Ausdehnung von Teilzeitarbeit unter die Arme gegriffen werden muß. Nein, wir sollten auch von Frauen als Unternehmerinnen, als Selbständige reden und nicht wie die SPD einen Armes-kleines-Häschen-Blick haben, den sie nämlich immer dann hat, wenn sie über Frauen redet. ({7}) Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel: Sie haben immer beanstandet, wie wir mit der Sprache umgehen, daß wir von Beamten und Beamtinnen, von Soldaten und Soldatinnen, von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen reden. Es ist Ihnen aber noch nie eingefallen, zu monieren, daß wir immer nur von Arbeitgebern reden. Da gibt es auch Arbeitgeberinnen. Von denen sollte man in Zukunft vielleicht reden. Ich halte nämlich die Verdrängung, daß man nicht von einer Arbeitgeberin redet, für sehr viel schlimmer als im Falle einer Arbeitnehmerin.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Dr. Babel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Grießhaber?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Babel, kennen Sie einen Fragebogen von Minister Rexrodt, der an alle diejenigen verschickt wird, die sich gerne selbständig machen wollen, und der überprüfen soll, ob sie zur Selbständigkeit geeignet sind, um sie fördern zu können? Eine der vielen Fragen, die darinstehen, lautet: Können Sie sich vorstellen, und sind Sie bereit, zwei Jahre auf ein soziales Leben zu verzichten? Frau Kollegin Babel, sind Sie der Meinung, daß das eine Förderung der Existenzgründung von Frauen oder auch von Männern ist, wenn man Raum und Zeit für soziales Leben als unvereinbar mit dem selbständigen Beruf erklärt? Wo soll man dann noch mit Kindern, mit Beziehungen überhaupt leben? Geht das nicht total an dem vorbei, wie wir uns Leben vorstellen und wie wir eine Politik für alle machen, nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer? ({0})

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich will einmal folgendes sagen: Wenn ein Fragebogen darauf hinweist, daß bei einer Existenzgründung die Beanspruchung der Person, die sich in dieses Risiko begibt, außerordentlich groß ist und daß es sicherlich auch Abstriche gibt - bei Mann und Frau -, wenn man sich auf diesen Weg begibt, so ist das sicher unstrittig. Wenn der Fragebogen aber die Tendenz hätte, die Frauen abzuschrecken, und vielleicht auch die Tendenz hätte, nicht dafür zu sorgen, daß die Rahmenbedingungen so sind, daß sie diesen Weg so gehen kann, dann würde ich Ihrer Kritik zustimmen und sagen: Das müßte anders formuliert sein. Ich will nicht leugnen, daß die selbständige Existenz auch außerordentliche Belastungen für die Familie hat und daß es richtig ist, die Leute und auch die Frauen darauf hinzuweisen. Ich finde es aber nicht richtig, wenn die Frage die Tendenz haben sollte - ich gehe nicht davon aus, daß sie es hat -, daß die Frauen abgeschreckt werden sollen. Das wäre jedenfalls nicht meine Position. Das würde ich kritisch hinterfragen. ({0}) Grundsätzlich ist die Frau durchaus Thema bei den Existenzgründungen. In dem 50-Punkte-Papier des Bundeswirtschaftsministers sind auch Mann und Frau in ihrer Rolle als Existenzgründer angesprochen worden. Ich wünschte mir aber auch, daß bei dem sehr großen Problem der Kapitalbeschaffung von seiten unserer Banken ein bißchen mehr Mut zum Risiko vorhanden wäre. ({1}) Eine Bank könnte mit dem Werbespruch „Wir tun mehr für selbständige Frauen" vielleicht eine Marktnische füllen. Meine Damen und Herren, vielleicht hört jemand aus der Branche zu. Ich glaube, das wäre schon ein wichtiger Punkt. ({2}) Jetzt komme ich zu dem Thema, bei dem wir uns in den Debatten am meisten aufhalten, nämlich zur Frage der geringfügig Beschäftigten. Ich spreche dieses Thema bewußt zum Schluß an, weil ich finde, wir sollten es als einen kleineren Punkt der Beschäftigung, nicht als den wichtigsten ansehen. Die F.D.P. will an der Existenz und den jetzigen Rahmenbedingungen der 590-Mark-Arbeitsverhältnisse nichts ändern. Wir wollen daran nichts ändern. Wir wollen keiner Maßnahme zustimmen, die diese Verhältnisse erschwert. Wir wollen aber wohl die Bedingungen ändern, die Teilzeit erschweren. Da gibt es eine ganze Menge. Meine Damen und Herren, das will ich hier begründen, und zwar aus der Sicht des Arbeitgebers und der Arbeitgeberin, aus Sicht der Sozialkassen und aus Sicht der Arbeitnehmerin. Zunächst zu den Arbeitgebern. Man kann in zweierlei Weise vorgehen. Man kann entweder sagen: Wir machen die 590-Mark-Verträge sozialversicherungspflichtig, und obendrein kommt noch die Lohnsteuer von 20 Prozent. Wenn das Ihre Vorstellung sein sollte, dann haben Sie diese Verträge in der Tat erfolgreich beerdigt. Denn eine solche Belastung der 590-Mark-Verträge machte sie so unattraktiv, daß sie überhaupt nicht mehr abgeschlossen würden. ({3}) Meine Damen und Herren, wenn Sie aber die Lohnsteuer abschaffen und es bei der Versicherungspflicht belassen, dann ist es für den Arbeitgeber ein - ich sage einmal - Null-zu-Null-Spiel. Das heißt, die Belastung ist nicht größer, aber auch nicht geringer.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, die Kollegin Fuchs möchte Ihnen gerne eine Frage stellen.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin aber mittendrin. Na gut.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese Frage habe ich auch an die Grünen gestellt. Ich glaube, wenn wir die Erwerbsarbeit für Frauen durch das Angebot von Teilzeitarbeit fördern wollen, ist ein Kernpunkt, wie wir auch über die 590-Mark-Grenze hinausgehende Teilzeitarbeitsplätze schaffen. Es ist nirgendwo geschrieben, daß jemand bei Teilzeitarbeit nur 590 DM verdienen darf. Warum nicht 650 DM oder 720 DM? Die Grenze ist hier verhängnisvoll. Deswegen, aus SPD-Sicht: Wir wollen Teilzeitarbeit nicht verteuern, sondern die Versicherungspflicht einbeziehen, damit die Frauen über diesen Weg ihre eigene soziale Sicherung aufbauen. Die Frage ist: Wenn jetzt auch Sie sagen, daß Sie das für einen möglichen Weg halten, und der Bundesarbeitsminister, wie ich weiß, seit Jahren dafür ist, warum bekommen wir dann nicht wenigstens miteinander einen Einstieg hin, damit die Richtung für vernünftige Teilzeitarbeit klar ist? Stimmen Sie mit mir in dieser Analyse überein, und stimmen Sie mir zu, daß es sinnvoll wäre, sich gemeinsam an diese Arbeit heranzumachen?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Fuchs, ich will Ihnen soviel zugeben, daß ich sage: Wir brauchen mehr Teilzeitarbeitsplätze und müssen die Bedingungen dafür verbessern. Aber wir wollen es nicht mit dem Hintergedanken machen, daß damit die 590-DM-, Verträge verschwinden sollen. Ich habe von der SPD immer den Eindruck, daß es ihr vor allem darum geht. Ich komme jetzt zu der Frage, inwieweit das ein taugliches Instrument zur Alters- und Krankheitsabsicherung der Frauen ist. Da sind wir uns nun wieder einig: 590-DM-Verträge dienen nicht der Alterssicherung. Das ist völlig richtig. Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, daß es aus Sicht der Arbeitgeber ein Null-zu-Null-Spiel ist, wenn die Lohnsteuer- mit der Versicherungspflicht ausgetauscht wird. Jetzt komme ich zu der Sicht der Sozialkassen. Für die sieht das sehr verführerisch aus. Eine Beitragspflicht bringt natürlich „money" in die Kasse. Es ist aber ein Verlustgeschäft, denn diesen Beiträgen stehen entsprechende Leistungsverpflichtungen gegenüber. Vor allem aber haben wir eine Mehrbelastung, weil durch die Versicherung der Zugang zu allen lohnunabhängigen Leistungen eröffnet wird. Nehmen Sie das Stichwort „Kuren in der Rentenversicherung". Wenn man es ehrlich betrachtet, ist es aus Sicht der Sozialkassen letztlich also teurer. Jetzt komme ich zu der Sicht der Arbeitnehmerinnen. Weniger als drei Wochen vor wichtigen Wahlen in drei Bundesländern wollen Sie Frauenpolitik machen, indem Sie Frauen Arbeitsplätze wegnehmen wollen. Aber Frauen wollen diese Chance zur Arbeit; sie wollen 590-DM-Verträge erhalten wissen. Sicherlich gibt es viele Frauen, die einen sozialversicheDr. Gisela Babel rungspflichtigen Arbeitsplatz - voll- oder halbschichtig - anstreben; auch darauf müssen wir unsere Anstrengungen richten. Aber für viele ist der 590-DMVertrag, der berühmte Spatz in der Hand, besser als die Tontaube auf dem Dach. ({0}) Warum sollen Frauen in eine Krankenversicherung einzahlen, wenn sie schon familienversichert sind? Warum sollen sie in die Rentenversicherung einzahlen, wenn das zur Alterssicherung nicht taugt, weil nur Pfennigbeträge aus der Rente zu erwarten sind? ({1}) Wollen Sie die Familienversicherung abschaffen, meine Damen und Herren von der SPD? Oder wollen Sie die Alterssicherung der hinterbliebenen Frauen in der Rentenversicherung abschaffen? Ich kann das nicht glauben. ({2}) - Nein, im Moment nicht. - Falls aber der Arbeitgeber - auch diese Idee wäre Ihnen zuzutrauen - die Versicherung allein tragen soll, dann hätten Sie wieder ein Stück zur Arbeitgeberentmutigung beigetragen. ({3}) Ich komme noch einmal zu dem Vorschlag der Frauenförderung in Unternehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie zum Beispiel die Baubranche mit ihren riesigen Schwierigkeiten, verstärkt durch den bitteren Winter, die Botschaft aufnimmt, die SPD fordere den Staat auf, seine Aufträge nur noch an Baufirmen zu vergeben, die Frauenförderung betreiben. Die tippen sich alle an die Stirn. Der Staat muß doch jetzt schon neben Arbeitsschutz und sonstigen Bestimmungen die Einhaltung - Stichwort: Entsendegesetz - der Tarifverträge überprüfen. Jetzt sollen auch noch die Vergabekriterien mit vielleicht wünschenswerten, aber sachfremden Gesichtspunkten belastet werden. ({4}) Diese Entwicklung ist bedenklich. Denn wenn der Staat einmal anfängt, in seiner Rolle als Auftraggeber ein ganzes Arsenal von Forderungen der „political correctness" in die Ausschreibungen zu packen, wird damit wieder ein Signal der Entmutigung ausgesendet, ({5}) das Signal nämlich, daß Sie nicht Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen wollen, sondern daß Sie das Maß an Reglementierungen und Bürokratie immer weiter in die Höhe schrauben. ({6}) Hören Sie endlich auf! Sie fördern nicht die Frauen, indem Sie die Männer gängeln. ({7}) Der F.D.P. geht es darum, auf dem Arbeitsmarkt echte Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen herbeizuführen. Bezeichnenderweise befaßt sich Ihr Antrag überhaupt nicht mit den wirklichen Problemen der berufstätigen und arbeitsuchenden Frauen. Nicht ein einziges Wort verschwenden Sie auf die Tatsache, daß es in aller Regel die Frauen sind, die mit der Kindererziehung befaßt sind. Familienarbeit und allenthalben fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Schulen und Kindertagesstätten sind für alleinstehende wie auch in Partnerschaft lebende Frauen das tägliche Problem. Eine Kinderbetreuung, der die Frauen vertrauen können, ist der Schlüssel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wie ernst es vielen Bundesländern damit ist, haben wir bei dem Thema Kindergarten nun wirklich erlebt. Viele Frauen erleben dieses Theater, wenn an Schulen Unterrichtsstunden unvorhergesehener-weise ausfallen und eine Betreuung in der Schule nicht funktioniert. Gerade die SPD hätte in den von ihr regierten Ländern unendlich viele Möglichkeiten, in der Praxis wirklich etwas für die Förderung von Frauen im Berufsleben zu tun. ({8}) Ich weiß, daß es einfacher ist, Visionen von neuen Schulformen zu entwerfen und gleichzeitig die Aufstellung von Frauenförderplänen in den Betrieben zu fordern, als selber dort, wo man Verantwortung trägt, das Richtige zu tun. ({9}) Im Alltag sieht das eben alles anders aus.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Noch einen Satz. - Wenn Sie dafür sorgen, daß der Unterricht nicht ausfällt, dann haben Sie ein Stück Frauenpolitik umgesetzt, das Sie wirklich vorweisen können. Das, was Sie, meine Damen und Herren von der SPD, vorgeschlagen haben, ist für eine echte Frauenförderung im Berufsleben untauglich. Wir lehnen Ihren Antrag ab. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist das souveräne Recht des jeweiligen Redners, eine Zwischenfrage zuzulassen oder abzulehnen. Inzwischen hat es sich aber eingebürgert, daß sich jemand, dessen Bitte um eine Zwischenfrage abgelehnt wurde, sofort zu einer Kurzintervention meldet. Dazu war dieses Instrument eiVizepräsident Hans Klein gentlich nicht gedacht. Nur, es gibt natürlich Situationen, in denen man das erst diskutieren muß, ({0}) und da wir das vorher noch nicht diskutiert haben, lasse ich diese Kurzintervention jetzt natürlich zu und gebe das Wort dazu der Kollegin Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Liebe Frau Kollegin Babel, Sie waren eben so schnell bei der Behandlung der prekären Beschäftigungsverhältnisse. Ich möchte da ganz gern noch einmal einhaken. Sie haben gefragt: Wollt Ihr etwa den Frauen diese Arbeitsplätze wegnehmen? Sie haben hinzugefügt: Frauen wollen diese Arbeitsplätze auch. Nun sind ja die Gewerkschaften und die F.D.P. nicht so dicke miteinander; aber ab und zu reden Sie mit denen sicher einmal, ({0}) und Sie gehen doch sicher auch ab und zu einmal in die Betriebe. Sie können doch nicht wegdiskutieren, daß sich insbesondere im Handel - das ist ja auch mit Zahlen belegbar - eine Tendenz immer mehr ausbreitet, daß Vollzeitarbeitsplätze zunächst in Teilzeitarbeitsplätze zerlegt werden und zum Schluß in diese prekären Beschäftigungsverhältnisse münden. Das geschieht, weil das für die Unternehmerseite viele Vorteile mit sich bringt. Wir stehen nicht vor der Situation, daß Frauen um diese 590-DM-Arbeitsplätze betteln. Vielmehr stehen sie vor der Situation, daß sie beim Aushandeln vor die Wahl gestellt werden: entweder 590-DM-Arbeitsplätze oder gar nichts. Da diejenigen, die Erwerbsarbeit suchen, angesichts von vier Millionen Arbeitslosen in einer ungünstigen Verhandlungsposition sind, ist vollkommen klar, wie sich das Machtverhältnis darstellt. Also noch einmal: Wenn man von der Vorstellung ausgeht, Frauen wollten diese Arbeitsplätze, blendet man vollkommen aus, daß diese Art von Arbeitsplätzen zunehmend von der Arbeitgeberseite strategisch und zielgerichtet eingesetzt wird. In erster Linie ist das Reinigungsgewerbe zu nennen. Darüber regt sich der Minister Blüm am allermeisten gern öffentlich auf. Da Sie ja die Beschäftigten, die dann irgendwann wegen der geringfügigen Beschäftigung keine soziale Sicherungsbiographie aufweisen können, in diesem Land irgendwie unterhalten müssen, bedeutet das eine Umweltsubvention für billige Arbeitsplätze im Bereich des Reinigungsgewerbes und sonstwo, weil letztlich doch auf die Sozialkassen zurückgegriffen werden muß, in die aber vorher nichts eingezahlt worden ist. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zur Replik Frau Dr. Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Beck, Sie bleiben sozusagen mitten auf der Straße der Analyse stehen und stellen nicht die entscheidende Frage, warum denn der 590-DM-Arbeitsvertrag, der ja wirklich nur ein ganz kleines Segment des Arbeitsmarktes darstellt, ({0}) so attraktiv ist. Diese Frage müssen Sie dann ehrlicherweise mit der Analyse beantworten, wie der Vergleich - der ökonomische Vergleich und der in der rechtlichen Ausgestaltung - für einen Arbeitgeber ausfällt. Statt nun den 590-DM-Vertrag für den Arbeitgeber unattraktiv zu machen, sollte es uns darum gehen, Teilzeitarbeit attraktiv für den Arbeitgeber zu machen. ({1}) Dazu müssen wir die Maßnahmen verbessern; da muß der Akzent sitzen. Es ist jedenfalls völlig falsch, wenn Sie sagen: Nun machen wir hier noch eine Erschwernis oder eine Quote oder vielleicht eine Kontrolle und schaffen das auch noch ab. Sie gehen bei diesem Phänomen in die völlig falsche Richtung. Ich selbst bin auch nicht für die Atomisierung von Arbeit in größeren Einheiten, wo man sich sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit vorstellen könnte. Natürlich ist Letztgenanntes besser. Aber die Frage, warum die Situation so ist, wie sie ist, wird von Ihnen weder in aller Schärfe gestellt noch beantwortet. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Morgen ist der 8. März, der Internationale Frauentag, der - so habe ich das zumindest wahrgenommen - in der alten Bundesrepublik von der etablierten politischen Klasse bislang ignoriert worden ist. Erst der bundesweite Frauenstreik-tag 1994 hat dieses Datum wieder in seiner ursprünglichen Bedeutung als Kampftag für die Rechte von Frauen in das öffentliche Bewußtsein gerückt. Ich denke, damit hat es auch zu tun, daß wir den Antrag der SPD im Bundestag so schnell zur Beratung vorgelegt bekommen. Nur wenige Meter von diesem Hohen Hause, entfernt protestiert heute ein bundesweites FrauenChristina Schenk bündnis gegen das Vorhaben der Bundesregierung, einen gigantischen sozialen Kahlschlag vorzunehmen, und es protestiert insbesondere gegen die Lebenslüge der Konservativen, damit könnten die Arbeitsmarktprobleme, die finanziellen und die wirtschaftlichen Probleme dieser Republik gelöst werden. ({0}) Dieses Bündnis - nur zu Ihrer Information, Herr Kansy, da Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, hier zuzuhören, und das Ganze Sie so aufregt, daß Sie Ihren Adrenalinspiegel nicht mehr im Griff haben - umfaßt den Deutschen Frauenrat, Gewerkschafterinnen, Frauen aus Frauenprojekten bis hin zum bundesweiten feministischen Bündnis, das aus der Frauenstreiktagbewegung hervorgegangen ist. Nun komme ich zu den beiden vorliegenden Anträgen von der SPD und den Bündnisgrünen. Ich muß sagen, daß sie auf die Probleme, die durch die politische Klasse, die seit 14 Jahren hier regiert, verursacht worden sind, meiner Ansicht nach nicht in ausreichendem Maße eingehen. Sie greifen zu kurz. ({1}) - Frau Beck, ich komme darauf noch zu sprechen. Sie haben überhaupt keinen Grund, zu lachen. Ich sage Ihnen auch, wo Ihre Mankos liegen. Das ist überhaupt kein Problem. ({2}) Dem Antrag der Grünen ist anzumerken, daß er mit heißer Nadel gestrickt worden ist. Der Vorschlag zur Arbeitszeitverkürzung ist sehr wichtig und sehr richtig; diesen unterstützen wir auch, und das wissen Sie. Aber die Lösung der Arbeitsmarktprobleme nur über eine Formulierung im AFG managen zu wollen und nichts zur Wirtschaftspolitik und zur Strukturpolitik zu sagen, das ist zu wenig. Beim Antrag der SPD ist die Namensliste der Antragsteller und Antragstellerinnen vor und nach dem Antragstext sogar länger als der Antragstext selber. Er enthält eine in zehn Spiegelstrichen verpackte pflaumenweiche Bitte an die Bundesregierung, sie möge doch helfen, daß angesichts von Massenarbeitslosigkeit und Arbeitsmarktkrise nicht noch mehr Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. Das, denke ich, kann es nicht sein. ({3}) Meine Damen und Herren, ich muß klar sagen - das wird noch immer ignoriert -: Die Frauenerwerbslosigkeit ist eines der gravierendsten Arbeitsmarktprobleme überhaupt, und es ist diese Bundesregierung, die nichts gegen die massenhafte Ausgrenzung insbesondere auch der ostdeutschen Frauen aus der Erwerbsarbeit getan und damit diese Prozesse mit zu verantworten hat. ({4}) Was sie will, ist klar: Sie will eine möglichst schnelle Angleichung der Verhältnisse im Osten an die im Westen. Klar ist auch, daß hier neue Maßstäbe gesetzt werden sollen, die wiederum auf Westdeutschland zurückwirken, und zwar als Rückschlag. Das betrifft insbesondere die Selbstverständlichkeit, mit der in den ostdeutschen Bundesländern der alte Satz „Frauen zurück an Heim und Herd, wenn die Arbeitsplätze knapp werden! " praktiziert wird. Die Gleichstellungspolitik der Bundesregierung ist also nicht nur, wie die SPD offenbar meint, hier und da ein bißchen korrekturbedürftig, sondern es gibt schlicht keine Gleichstellungspolitik der Bundesregierung, ({5}) die auf die wirkliche Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Erwerbsarbeit zielt. Da steht das konservative Frauenbild vor, das Frauen immer noch auf die Rolle als Hausfrau, Mutter oder Dazuverdienerin in Teilzeit und ungeschützten Arbeitsverhältnissen festlegt. ({6}) - Ja, Frau Babel, Sie haben das in Ihren Ausführungen, denke ich, sehr ausdrucksvoll unterlegt. Frau Nolte hat kürzlich eine Kostprobe ihrer manchmal doch sehr merkwürdigen Logik gegeben. Aus der Tatsache nämlich, daß die wachsende Zahl erwerbstätiger Frauen in Westdeutschland vor allem auf den Anstieg der Teilzeitarbeit zurückzuführen ist, zog sie kürzlich den messerscharfen Schluß, daß die Teilzeitoffensive der Bundesregierung doch auch für die ostdeutschen Frauen eine Chance sei, nachdem man diese erst einmal systematisch vom Arbeitsmarkt verdrängt hat oder zumindest dabei ist, das zu tun. Dazu muß ich sagen: Schon jetzt arbeiten viele vorher vollzeitbeschäftigte ostdeutsche Frauen in Zwangsteilzeit. Im Einzelhandel geben über 62 Prozent der Frauen an, daß sie nur auf Wunsch des Arbeitgebers teilzeit arbeiten. Viele Frauen, vor allem alleinstehende oder auch alleinerziehende, sehen sich unter diesen Umständen gezwungen, zu kündigen, weil sie auf ein existenzsicherndes Einkommen angewiesen sind. Nach wie vor - das ist hier schon festgestellt worden - wird Teilzeitbeschäftigung Frauen zugeordnet. Zugleich wird die existenzsichernde Versorgung über die Ehe unterstellt bzw. ganz klar aufgezwungen. Das weiß auch die SPD. Trotzdem setzt sie in ihrem Antrag in puncto Arbeitszeit ausschließlich auf die Ausweitung von Teilzeit. Von genereller und drastischer Arbeitszeitverkürzung ist da leider nicht die Rede. Die Bundesregierung hat offenkundig Schwierigkeiten damit, daß die von der angeblichen Pflicht zur Arbeit befreiten ostdeutschen Frauen an dem Anspruch auf qualifizierte Erwerbsarbeit und einem existenzsichernden Einkommen festhalten. Man greift also zu härteren Instrumenten. So ist es mittlerweile üblich geworden, den Wunsch ostdeutscher Frauen nach qualifizierter Erwerbstätigkeit abwertend als „übersteigerte Erwerbsneigung" zu bezeichnen. Bei Männern ist komischerweise bislang noch niemand auf die Idee gekommen, das Bedürfnis nach Berufstätigkeit so zu nennen. Im übrigen ist es ein ganz gutes Verfahren, alles, was Sie für Frauen konzipieren und vorschlagen, einmal auf Männer zu münzen. Dann wird die Absurdität mancher Ihrer politischen Vorstellungen sehr schnell deutlich. ({7}) In konservativen Kreisen wird zunehmend davon gesprochen, daß eigentlich die Frauen - man höre und staune: die Frauen! - den Männern die Arbeitsplätze wegnähmen und damit im Grunde genommen die Verantwortung für die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation trügen. Bei dieser Logik ist klar: Der Königsweg aus der Krise besteht im Verzicht von Frauen auf Erwerbstätigkeit. Aber eigentlich ist doch die übersteigerte Erwerbsneigung der Männer das Problem. Die andere Variante, die die Bundesregierung in petto hat, ist die Schaffung von speziellen Frauenerwerbsplätzen, nämlich denen im Haushalt - wohlgemerkt nicht im eigenen, sondern in dem des besserverdienenden Nachbarn bzw. der Nachbarin. Bis zu 750 000 neue Beschäftigungsverhältnisse sollen in diesem Bereich geschaffen werden. So wird die Wiedergeburt einer neuen Dienstbotenklasse projektiert. Wie auch früher wird sie selbstverständlich weiblichen Geschlechts sein. Noch ein Wort zu Herrn Westerwelle. Wenn Sie die Tätigkeit eines Dienstmädchens als Beitrag zur Gleichberechtigung bezeichnen, wird klar, daß Sie nichts begriffen haben, nichts, absolut nichts begriffen haben, ({8}) vor allen Dingen im Hinblick darauf, was mit Gleichberechtigung oder mit Gleichstellung gemeint ist. Das wundert mich bei dieser Partei aber nicht so sehr. Die PDS fordert die Bundesregierung auf, endlich ein geschlossenes gleichstellungspolitisches Konzept vorzulegen, das die eigenständige Existenzsicherung sowie eine gerechte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern zum Ziel hat. Das ist eben nicht durch vereinzelte, punktuelle Aktivitäten zu erreichen, sondern erfordert eine gezielte Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in allen Politikfeldern. Ich meine vor allem die Wirtschaftspolitik, die Strukturpolitik, die Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitpolitik, die Sozial-, Steuer- und Infrastrukturpolitik. Im Mittelpunkt der Forderungen steht die nach einer allgemeinen und radikalen Arbeitszeitverkürzung. Nur so wird es sowohl für Frauen als auch für Männer - das ist mir sehr wichtig - möglich werden, Berufstätigkeit und Elternschaft nicht als sich ausschließende Alternativen, sondern gleichzeitig zu leben. Die PDS wird hier demnächst einen Antrag zur Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt sowie ein arbeitsrechtliches Antidiskriminierungsgesetz vorlegen. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Dr. Maria Böhmer, Sie haben das Wort.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Weichen für Frauen richtig stellen will, der muß sich konkret mit der Arbeitsmarktsituation von Frauen befassen. Es ist in der Tat mehr als bedrückend, daß wir derzeit 1,87 Millionen arbeitslose Frauen zählen. Aber genauso müssen wir registrieren, daß in den Jahren von 1982 bis 1993 die Zahl der Frauen in Erwerbstätigkeit um 2 Millionen zugenommen hat. Das ist eine Steigerung um 21 Prozent. Dieser Anteil wird sich noch erhöhen. Wir haben dieses Jahr erstmals zu verzeichnen, daß die Arbeitslosenquote in den alten Bundesländern bei Frauen niedriger ist als bei Männern. Wir können auch feststellen, daß wir im rein rechtlichen Bereich einen deutlichen Sprung nach vorne gemacht haben. Wir haben nämlich im Bund und in den Bundesländern fast überall Gleichberechtigungsgesetze. Frau Kollegin Schmidt, Sie sprachen davon, die Frauen würden in die Resignation getrieben. Sie kennen die Gesetzgebung gut, Sie kennen die Diskussionen der letzten Zeit gut. Daher muß ich Ihnen sagen: Sie haben hier Hoffnungslosigkeit verbreitet. Das empfinde ich angesichts dieser Situation als nicht verantwortungsvoll. So kann man nicht mit der Arbeitslosigkeit von Frauen umgehen. ({0}) Wir müssen ganz genau in den Blick nehmen, wo Chancen sind. Wir können es uns auch nicht so einfach machen wie Frau Beck, die sagte, es habe sich nichts getan. Mit den Rezepten von gestern lassen sich nicht die Probleme von heute lösen. ({1}) Wir müssen angesichts der Umstrukturierung am Arbeitsmarkt zu neuen Wegen kommen, und wir müssen auch gemeinsam den Mut haben, den Frauen neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen. Wir müssen den Mut haben, für Frauen zu strukturieren, was uns neue Technologien bringen, was uns die Öffnung im Dienstleistungsbereich bringt, so daß wir an dieser Entwicklung teilhaben und nicht außen vor bleiben. Wenn ich nur jammere und klage, komme ich nicht weiter. Vielmehr muß ich Chancen ergreifen und Chancen gestalten. ({2}) Wie die SPD dies tut, ist manchmal schon bedenklich. Frau Schmidt, jetzt sage ich nichts zu dem, was Sie manchmal an recht konkreten Vorschlägen bringen. Aber Sie tun das aus der Opposition heraus. Dort, wo die SPD das Sagen hat - ich denke hier an das Bundesland, aus dem ich komme, an Rheinland-Pfalz -, sieht jedoch die frauenpolitische Welt der SPD leider trübe aus. Sie hat den Frauen den frauenpolitischen Himmel auf Erden versprochen; gelandet sind sie auf dem Abstellgleis. Das Frauenministerium ist abgeschafft worden, und die Frauenministerin ist zur Staatssekretärin degradiert worden. Das Gleichstellungsgesetz hat man viermal abgespeckt, und letztendlich ist ein Gesetzentwurf herausgekommen, der der Förderung der Männer, nicht aber der Förderung der Frauen Tür und Tor öffnet. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ulla Schmidt?

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, bei Frau Schmidt immer.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Böhmer, geben Sie mir recht, wenn ich feststelle, daß wir in Rheinland-Pfalz jetzt im vierten Jahr eine SPD/ F.D.P.-Regierung haben und daß vorher CDU-Regierungen jahrelang verhindert haben, daß überhaupt Frauenpolitik gemacht wurde, so daß die SPD frauenpolitisches Neuland betreten mußte? ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Schmidt, ich bin sehr dankbar, daß Sie mir diese Frage stellen. Denn Rheinland-Pfalz, CDU-regiert, war das erste Land, das eine Frauenförderrichtlinie gebracht hat. Rheinland-Pfalz, CDU-regiert, war das erste Land, das Wiedereingliederungskurse für Frauen gebracht hat. Rheinland-Pfalz, CDU-regiert, war das erste Land, das Frauenhausförderrichtlinien gebracht und eigene Etats geschaffen hat. Die SPD hingegen hat es erst nach vier Jahren geschafft, die Frauenförderrichtlinien in ein Gesetz umzuwandeln. Sie hat ewig den Bleistift gespitzt, aber nichts zustande gebracht. ({0}) - Wenn das eine Frage sein sollte, Frau Kollegin Fuchs, dann möchte ich sie auch gerne beantworten. ({1}) - Sie hat dazwischengerufen. Trotzdem möchte ich etwas dazu sagen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, wenn Sie auf einen Zwischenruf eingehen, geht das von Ihrer Redezeit ab. Die Uhr wird nur bei Zwischenfragen angehalten.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieser Zwischenruf war so schön, Herr Präsident, daß ich auf ihn eingehen muß. Den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz hat als erstes Bundesland das CDU-regierte Bundesland Rheinland-Pfalz geschaffen. Als erstes von allen alten Bundesländern! ({0}) Wir hatten einen Deckungsgrad von annähernd 98 Prozent. Liebe Frau Kollegin Fuchs, Sie werden doch nicht ignorieren wollen, wer Gesetze beschlossen hat. ({1}) Lesen Sie doch einmal die letzten Landtagsprotokolle nach, und machen Sie sich kundig! Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet. ({2}) Die SPD plakatiert momentan „Schwarz ist Stillstand, Rot ist Innovation". ({3}) Innovative Politik stelle ich mir natürlich ein bißchen anders vor. Innovative Politik heißt bei mir eigentlich nicht Abschreiben, sondern Entwickeln neuer Ideen. Aber was macht die SPD? Ich gebe ja zu, Sie haben einen gewissen Lernprozeß hinter sich; denn wenn es um das neue Beschäftigungsfeld Privathaushalt geht, sind Sie jetzt auf den fahrenden Zug gesprungen und machen dabei mit, daß sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Privathaushalten geschaffen werden können. Wir haben diese Forderung seit langem erhoben und hätten das Ganze auch etwas schneller realisieren können, wenn Sie beim letzten Jahressteuergesetz nicht blockiert hätten, als es um die bessere Absetzbarkeit von Haushaltskräften im Privathaushalt ging. Da haben Sie nein gesagt. Erst dann fand der Denkprozeß statt. Als dann der SPD-Landesparteitag in Rheinland-Pfalz war, hat Herr Beck, so habe ich festgestellt, auf einmal einen Vorschlag präsentiert mit dem Inhalt: steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltskräften, Schaffung von Sozialagenturen und Einführung eines einfachen Verfahrens wie den französischen Dienstleistungsscheck. Das alles hatten wir als Frauenunion und als CDU schon vorher nicht nur laut und deutlich verkündet, sondern konkretisiert. Was hier stattfindet, ist dreiste Abschreiberei, ein Sichhinten-Anhängen. Das ist keine innovative Politik. ({4}) Wir werden in Kürze - für uns heißt das, innerhalb eines halben Jahres, bis zur Sommerpause - die Vorschläge zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Privathaushalt unter Dach und Fach haben. Denn wir reden nicht nur darüber, wir konkretisieren das. Das heißt, im Privathaushalt wird die Tätigkeit der HausDr. Maria Böhmer haltskraft anerkannt. Wir werden dafür sorgen, daß die steuerliche Absetzbarkeit an keine Voraussetzungen mehr gebunden ist. ({5}) Denn es ist ja wohl kaum einzusehen, daß die steuerliche Absetzbarkeit in einem Haushalt mit zwei Kindern nicht mehr gegeben ist, wenn ein Kind zwölf Jahre alt geworden ist. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Böhmer, die Kollegin Fuchs würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, weil es in der Frauenpolitik mehr auf Gemeinsamkeit als auf Streit ankommt, bin ich Ihnen dankbar, daß Sie mich darauf hingewiesen haben, daß die damalige CDU-Regierung in Rheinland-Pfalz das Gesetz verabschiedet hat und Herr Scharping dadurch Gelegenheit hatte, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umzusetzen. Ich stimme Ihnen zu, daß das so war. Das ist ja in Ordnung. Sie haben vorgetragen, wie Sie sich die steuerliche Behandlung der Dienstleistungen im Haushalt vorstellen. Sie haben zu Recht auf das hingewiesen, was Herr Beck vorgeschlagen hat. Nun kommt die spannende Frage: In welchem Land ist das eigentlich bisher realisiert, und - wenn dies in keinem der Fall sein sollte - wann schaffen es die Frauen des Deutschen Bundestages, dies endlich auf Bundesebene zu realisieren? ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne antworte ich Ihnen auch darauf. Aber lassen Sie mich vorher eine Anmerkung zu dem machen, was Herr Scharping erreicht hat: Er mußte nur noch die fehlenden 2 Prozent der Kindergartenplätze schaffen. Das ist vergleichsweise leicht, wenn man sich vor Augen hält, daß in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen, wo ewig die SPD an der Regierung war, etwa ein Defizit von 50 Prozent auszugleichen war. Aber jetzt zu dem in der Tat ganz wichtigen Punkt der Schaffung von Arbeitsplätzen im Privathaushalt. Ich sagte Ihnen: Wir sind mitten in der Konkretisierung. Ich habe für weitere Vorschläge in diesem Bereich eine gute Nachricht: Wir wollen nicht nur die steuerliche Absetzbarkeit neu regeln; wir wollen auch das Problem der Zerstückelung von Arbeitsstunden im Privathaushalt überwinden, und zwar durch die Schaffung von Dienstleistungszentren. ({0}) Wir haben die Zusage des Bundesarbeitsministers für ein Pilotprojekt: Am 1. April wird in Rheinland-Pfalz das erste - damit bundesweit modellhaft arbeitende Dienstleistungszentrum mit seiner Arbeit beginnen. Ich denke, das sind in der Tat Nägel mit Köpfen und zeigt, daß nicht nur geredet wird. ({1}) Wir werden darüber hinaus ein Verfahren in Anlehnung an den französischen Dienstleistungsscheck einführen. Auch das wird in der ersten Jahreshälfte erfolgen. Damit sind wir, so glaube ich, auf einem guten Wege. Denn es geht darum, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Frauen zu erreichen. Wir wollen damit 500 000 Arbeitsplätze in Deutschland schaffen. Das ist ein Wort angesichts der hohen Frauenarbeitslosigkeit und hilft, vielen wieder Lohn und Brot - soziale Sicherheit - zu geben. ({2}) Ich möchte das als einen Beitrag verstanden wissen, um die Zahl geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse zu reduzieren. Wir haben eben eine sehr heftige Auseinandersetzung darüber erlebt. Die alten Rezepte, um geringfügige Beschäftigung zu bekämpfen - ich sage bewußt: bekämpfen -, reichen nicht mehr aus. Hier geschieht viel Mißbrauch, und es gibt deutliche Fehlentwicklungen, die wir schon sehr klar in den Blick nehmen müssen. Das sollten wir gemeinsam tun; denn eine Fehlentwicklung ist, wie eben gesagt wurde, die Aufsplittung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, von denen niemand leben kann und die letzten Endes zu Lasten der Sozialkassen gehen. Hier muß sich etwas ändern. Aber das geht nicht mittels der Rasenmähermethode, das muß branchenspezifisch erfolgen. Wenn wir das im Dienstleistungsbereich durchsetzen, dann wird das ermöglichen, ein Drittel der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu überführen. Denn 732 000 arbeiten derzeit geringfügig im Privathaushalt, und nur 36 000 sind sozialversicherungspflichtig. Es gibt ein Heer an Schwarzarbeit, das weiß jeder hier im Haus. Wenn wir diesen Weg beschreiten, haben wir schon einmal ein Drittel geschafft. Das halte ich für eine große Leistung. Ich kann Ihnen versichern, wir werden auch im Bereich des Mißbrauchs und der Fehlentwicklung neue, konkrete Vorschläge machen, um dafür zu sorgen, daß es mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Frauen gibt und um letzten Endes auch die Sicherheit unserer Sozialversicherungen weiter zu stärken und zu gewährleisten. ({3}) Lassen Sie mich zum Abschluß aber eines sagen. Ich habe heute morgen - wie Sie alle - die erste Debatte verfolgt. Wir haben die Debatte über Arbeitsmarktpolitik für Frauen sozusagen draufgesetzt. Ich hätte mir gewünscht, daß viele der Beiträge, die jetzt gekommen sind, in die erste Debatte integriert gewesen wären. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist ein gutes Stück überschritten.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf aber noch einen Satz sagen. Wir müssen sehen, daß wir, wenn wir wirklich etwas für Frauen erreichen wollen, in der Frauenpolitik neue Wege beschreiten. Das kann nur heißen: Wir müssen einen integrativen Ansatz forcieren und dafür sorgen, daß das „Bündnis für Arbeit", das vielen Menschen helfen wird, ein echtes Bündnis für Arbeit, und zwar für Männer und Frauen, ist. Danke. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Doris Odendahl.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es gibt ja eine gültige Feststellung: Die Zukunft ist weiblich. Es gibt einen sogenannten Zukunftsminister, der ist männlich und auch schon nicht mehr wahrnehmbar, nicht mehr da. Damit bin ich beim Thema, bei den Arbeitsmarktchancen für Frauen. Mit der Berufsausbildung wird der Grundstein für die wirtschaftliche und soziale Eigenständigkeit gelegt. Sie entscheidet über die Zukunft. Diese Zukunftschancen für Frauen werden von der Bundesregierung und dem sogenannten Zukunftsminister verspielt. Trotz aller Schönrederei sind es nach wie vor in der überwiegenden Mehrzahl Frauen und Mädchen, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgehen. ({0}) Ihnen stehen nach wie vor noch immer bevorzugt die Warteschleifen statt eines erweiterten Angebots an Berufsfeldern zur Verfügung. Dabei ist seit langem bekannt, daß Mädchen und Frauen im allgemeinbildenden Bereich im Durchschnitt inzwischen besser abschneiden als ihre männlichen Altersgenossen, daß sie aber trotz des Abbaus der rechtlichen Barrieren beim Zugang zu den öffentlichen Bildungsangeboten auf dem Arbeitsmarkt weit größere Schwierigkeiten als junge Männer haben, ihren Berufswunsch zu erfüllen. In der vergangenen Woche hat der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie in einer Pressemitteilung eine „neue Kursbestimmung in der Berufsbildungspolitik" vorgestellt. Ich war sehr gespannt; denn auch die Intuition ist bekanntlich weiblich. Sie ist ihm leider nicht begegnet; denn in diesem Kurspapier ist ihm angesichts der fortschreitenden weiteren Verdrängung von Frauen aus der Ausbildung, die sich angesichts des weiter zurückgehenden Ausbildungsplatzangebots und der steigenden Nachfrage schon heute für die nächsten zehn Jahre prognostizieren läßt, dazu keine einzige Zeile eingefallen. ({1}) Im Gegenteil: Er kündigt an, daß es in der Bundesverwaltung 1996 mindestens 5 Prozent mehr Lehrstellen geben wird. Das ist auch höchste Zeit. Die Frage sei erlaubt, wieviel davon für Frauen sind. Er preist das Gesetz zur Aufstiegsfortbildung, das sogenannte Meisterinnen-BAföG, bei dem ihm ein Zuschuß für notwendig werdende Kinderbetreuungskosten im Verlauf der Ausschußberatungen und im Vermittlungsverfahren erst mühsam abgerungen werden mußte. ({2}) Zum Schluß dieser neuen Kursbestimmung heißt es da: Wir wollen beruflich ausgebildeten Bewerbern beim Zugang zu den Laufbahnen vergleichbare Chancen geben. Bleibt festzuhalten: Die Frauen hat er damit gar nicht angesprochen. Er hat sie wohl in der Eile vergessen. ({3}) Sein Zukunftsbeitrag besteht weiterhin darin, das BAföG auf verzinsliche private Bankdarlehen umstellen zu wollen. Wer dann bei der Aussicht auf einen Schuldenberg von gut 70 000 DM vom Studium abgeschreckt würde, ist klar: in erster Linie Frauen. Wenn sie dann wegen zu hoher Qualifikationsanforderungen über geringere Arbeitsmarktchancen klagen, sind sie es ja wieder einmal selber schuld. Warum lassen sie sich denn auch abschrecken? Der billige Trost, sie könnten ja in die Berufsausbildung gehen, zieht auch nicht mehr. Denn die Ausbildungsplatzangebote schrumpfen weiter, weil Sie auch in diesem Bereich ausschließlich mit Versprechen arbeiten, die von seiten der Wirtschaft schon im vergangenen Jahr nicht eingehalten wurden und auch in diesem Jahr nicht erreicht werden können. Besonders entmutigend ist die Ankündigung, für Ostdeutschland gebe es in diesem Jahr kein Gemeinschaftsprogramm mehr, obwohl dort keine Steigerung des Ausbildungsplatzangebots zu erwarten ist und obwohl dort die meisten Warteschleifen gedreht werden mußten. Daß es auch hier in der Mehrzahl Frauen sind, die Sie mit ihren Hoffnungen an der Nase herumführen, scheint Sie gar nicht zu stören. ({4}) - Das mag Sie sehr stören, das weiß ich; aber das könnte Sie ja auch einmal beflügeln. Wir haben in unserem heute vorliegenden Antrag den Ausbildungsbereich angesprochen. Ich zähle Ihnen die Punkte auf, bei denen der Gesetzgeber - also in diesem Fall der sogenannte Zukunftsminister; wenn sie ihm übermittelt werden könnten - gefordert ist: Erstens: Reservierung der Hälfte aller Ausbildungsplätze für Mädchen. Wir fordern, daß bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen in Betrieben ab 50 Beschäftigten und im öffentlichen Dienst Frauen mindestens zur Hälfte je Ausbildungsgang zu berücksichtigen sind. ({5}) Für die, die jetzt mit Gerichtsurteilen wedeln wollen: Das bedeutet, daß die Beteiligten - also Arbeitsamt, Arbeitgeber, Betriebs- und Personalrat - nachweislich alle Anstrengungen unternehmen müssen, um sich bewerbenden Mädchen die faire Chance zu geben, zunächst zum Zug zu kommen. Bewerben sich nicht genügend Mädchen - Sie haben ja immer Angst, es könnten Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben -, so stehen die freien Ausbildungsplätze selbstverständlich Jungen zur Verfügung. Wir lassen Ihnen doch die Hälfte der Welt, aber nicht so einseitig, meine Herren. ({6}) Zweitens: die Erweiterung der Beruf swahlmöglichkeiten für Frauen in zukunftsträchtigen Berufen. Das Ausbildungsplatzangebot muß so umgestaltet werden, daß es sich eindeutig auf solche Berufe konzentriert, die für Männer und Frauen gleichermaßen zugänglich sein müssen. Was wir fordern, ist eine vorsorgende, frauenfördernde Berufsbildungspolitik und keine weiteren Ausgrenzungen. ({7}) Drittens: eine gerechtere Lastenverteilung zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben und Verwaltungen. Dabei wollen wir die Arbeitgeber unterstützen, die bei der Ausbildung von Mädchen im gewerblich-technischen Bereich besondere Leistungen erbringen, zum Beispiel mit speziellen Zuschüssen zur Herstellung von Ausbildungsmöglichkeiten - Umkleideräume und Toiletten - und durch eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge an solche Betriebe.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Redezeit!

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ein letzter Satz. Sie ersehen daraus, daß es Handlungsmöglichkeiten gibt. Man muß sie nur wollen. Zum 85. Internationalen Frauentag hat die SPD ein Plakat veröffentlicht, auf dem steht: Frauen sind die Lösung - nicht das Problem. Da diese Bundesregierung aber nur Probleme schafft und nicht löst, wissen wir: Frauen haben bei ihr keine Zukunft. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertribühne hat eine Delegation aus dem mongolischen Parlament, dem Großen Khural, unter Leitung von Dr. Byaraagyn Chimid Platz genommen. Wir begrüßen Sie sehr herzlich. ({0}) Ich erteile jetzt unserer Kollegin Dr. Susanne Tiemann das Wort.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich bedauere es, daß diese Debatte über die Frauenarbeitslosigkeit als gesonderte Debatte geführt wird. ({0}) Denn Frauenarbeitslosigkeit muß ein Aspekt des allgemeinen Problems Arbeitslosigkeit und integraler Teil der umfassenden Arbeitsmarktpolitik sein. Außerdem wäre es doch sehr viel schlauer von Ihnen gewesen - ich weiß nicht, ob Sie auf einen Rat Wert legen -, diese Anträge dann im Rahmen der Debatte unter Tagesordnungspunkt 1 zu bringen. Dann hätten wir das Ganze sehr viel umfassender diskutieren können. ({1}) Ich denke, daß die Berücksichtigung von Frauen vorrangiges und durchgängiges Ziel sein muß. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube, das sage ich Ihnen ganz offen: Es fällt mir sehr schwer, über Anträge zu sprechen, die Sie, die SPD und die Grünen, gestellt haben. Sie zeigen eine durchgängige Blockadehaltung, insbesondere im Bundesrat, gegenüber Maßnahmen, die gerade die Rahmenbedingungen der Unternehmen verbessern sollen, damit sie in der Lage sind, neue Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten, was vor allem auch Frauen zugute kommt. ({2}) Es geht nicht an, auf der einen Seite Anträge zu stellen, weise Lehren zu erteilen und sich auf der anderen Seite jeder vernünftigen Lösung, die von dieser Bundesregierung zur Entlastung der Unternehmen vorgeschlagen wird, zu verweigern. Es fällt mir auch unter diesem Aspekt schwer, gerade über den Antrag der Grünen zu diskutieren. Im Programm der Grünen in Rheinland-Pfalz lese ich: Ausstieg aus der Chlorchemie - das bedeutet die Vernichtung einer ganzen Reihe von Arbeitsplätzen -, dann: Stopp von Straßenbau - damit Beeinträchtigung und nicht Schaffung von Infrastruktur - und schließlich: Schließung des Nürburgrings - an dem eine ganze, ganze Masse von Arbeitsplätzen hängt. Davon sind gerade Frauen betroffen. Da ist mir Ihre Haltung einfach zu zwiespältig, als daß wir Ihre Anträge wirklich ernst nehmen könnten. ({3}) Sehen Sie außerdem: Wenn wir uns dieses Problems annehmen, dann müssen wir das mit den richtigen Maßnahmen angehen. Wenn Sie gerade auf die Abschaffung der sozialversicherungsfreien geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse abzielen, so kann ich nur ganz klar betonen: Das ist der falsche Weg. Wir diskutieren dieses Thema heiß. Auch wurde gesagt, daß wir Mißbräuche bekämpfen wollen; wie, das diskutieren wir momentan. Das ist gar nicht so einfach. Da gibt es keine Patentlösungen, wie Sie sich das oft vorstellen. Aber gerade kleinere Unternehmen, Branchen mit Spitzenzeiten, oder Saisonarbeit brauchen solche flexiblen Arbeitsverhältnisse. Ich sage mit 69 Prozent der Deutschen, die solche geringfügigen Arbeitsverhältnisse wollen: Eine völlige Abschaffung wird uns nicht Vollzeitarbeitsplätze im Niedriglohnbereich verschaffen, sondern wird der Abwanderung weiterer Betriebe ins Ausland Vorschub leisten. Wer dies fordert, setzt Teilzeitarbeitsplätze aufs Spiel, riskiert höhere Preise für die Verbraucher und schadet damit den Wettbewerbschancen unseres Mittelstandes. Auch Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit würden durch einen solchen falschen Schritt noch gefördert. Ich sage es ganz klar an dieser Stelle: Ungeeignet sind Ihre ständigen Forderungen nach Einführung irgendwelcher starrer Quoten. Abgesehen davon: Glauben Sie nicht, daß wir es von der europäischen und deutschen Rechtsprechung oft genug gehört haben, daß dies nicht zulässig ist? Ich denke, wir müssen Art. 3 des Grundgesetzes, wenn wir von Gleichberechtigung und dem Gleichbehandlungsgrundsatz sprechen, richtig verstehen. ({4}) - Genau das wollte ich Ihnen jetzt sagen. Wir müssen diesen Artikel richtig anwenden. ({5}) Ich glaube, vor lauter Ideologie, die hier hineingelegt wird, übersieht die SPD, daß wir, was verschiedentlich schon erwähnt worden ist - Frau Babel hat es erwähnt -, im Arbeitsförderungsgesetz längst die Bestimmung haben, daß Frauen entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen gefördert werden sollen, also überproportional, denn leider Gottes haben sie überproportionalen Anteil an den Arbeitslosenzahlen. Dies ist ein zentraler Grundsatz unseres Arbeitsförderungsgesetzes. Ich möchte Sie auch daran erinnern, daß wir im Arbeitsförderungsgesetz eine ganze Reihe von Programmen haben: Projektförderung für schwer vermittelbare Arbeitslose, produktive Arbeitsförderung für West- und Ostdeutschland durch öffentlich geförderte Beschäftigungsprojekte, Lohnkostenzuschüsse für die Vermittlung über 50jähriger Arbeitnehmerinnen usw., usf. Es gibt hier einen ganzen Strauß im AFG. In der von der Koalition geplanten Reform des Gesetzes wollen wir darüber hinaus Berufsrückkehrerinnen nach einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung oder Pflege - ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Es sind zu viele Minikonferenzen im Saal im Gang. Vielleicht kann man die nach draußen verlegen. Dann ist es für die Rednerin leichter.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Vorsitzender, dieses Thema regt zu Einzelbesprechungen an. Ich möchte Sie an den Plan der Koalition erinnern, daß der Zugang zu Leistungen, die von einer vorherigen Versichertentätigkeit abhängig sind, für solche Berufsrückkehrerinnen erleichtert werden soll. Hier soll eine frühere berufliche Tätigkeit von einem Jahr ausreichend sein, unabhängig von der Dauer der Unterbrechung. Außerdem soll es, wenn erforderlich, nach mindestens vierjähriger Unterbrechung einen Eingliederungszuschuß geben. Ich bin sicher, all dies sind Gründe, die die SPD schon jetzt begierig machen, der von uns geplanten Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes und seiner Eingliederung in das Sozialgesetzbuch mit Freuden zuzustimmen. ({0}) Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß der Anteil von Frauen an solchen Förderungsmaßnahmen immer überproportional, entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen ist. In den neuen Bundesländern beträgt er sogar 70 Prozent. Meine Damen und Herren, ich halte wenig davon, wie dies im Antrag besonders der Grünen gefordert wird, mit gesetzgeberischem Aktionismus an das Problem der Arbeitslosigkeit von Frauen heranzugehen. ({1}) Gerade eben haben wir ein tragfähiges Modell des Familienleistungsausgleichs beschlossen. Es war schwer genug, sich darauf zu einigen. Wir tun besser daran, es weiterzuentwickeln, als, wie die Grünen es wollen, es wieder umzuwerfen und die Freibeträge abzuschaffen, die wir gerade erst mühsam als verfassungskonforme Lösung in Kraft gesetzt haben. Außerdem frage ich Sie einmal: Wer sollte ein derartiges Hin und Her in der Gesetzgebung überhaupt noch verstehen? ({2}) Es ist ohnehin schon schwer genug für die Bürger, einzusehen, mit welcher Schnelligkeit Gesetze noDr. Susanne Tiemann velliert werden, und keiner blickt mehr durch, wo wir gerade im sozialpolitischen Bereich Kontinuität bräuchten, damit sich jeder darauf einstellen kann. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich halte auch nichts davon, ein besonderes Arbeitsvertragsrecht für Frauen zu schaffen, wie es gefordert wird. Es muß uns doch darum gehen, nicht Fronten aufzubauen oder gar noch zu verstärken. Es muß uns darum gehen, solche Fronten abzubauen, das heißt wirkliche Gleichberechtigung zu schaffen. Da müssen wir eben darauf hinwirken, daß es immer weniger sogenannte typische Frauentätigkeiten gibt, auf die Sie mit Ihrer Forderung nach einem eigenständigen Arbeitsvertragsrecht abstellen. Ich denke, um die Entwicklung partnerschaftlichen Zusammenlebens und Zusammenwirkens von Männern und Frauen im Arbeitsleben weiterverfolgen zu können, können wir weder mit dem reglementierenden Holzhammer à la Quote noch mit weiteren Zwängen der Wirtschaft erfolgreich arbeiten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, Ihre Redezeit!

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir müssen sehr viel feinere und differenziertere Instrumente anwenden. Diese zeigt die Politik der Bundesregierung. Ich denke, auf dieser Basis werden wir auch weiterarbeiten. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat Kollegin Doris Barnett.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD war die erste Partei, die die Einbeziehung von Frauen in das „Bündnis für Arbeit" gefordert hat. Das möchte ich hier noch einmal betonen. ({0}) Das jetzige Gejammere, daß wir heute morgen darüber nicht debattiert haben, geht fehl. Wir sind uns ja einig: Die Zahlen der arbeitslosen Frauen verdeutlichen, daß die Arbeitsmarktpolitik für Frauen einen besonderen Beitrag zu leisten hat. Mit der Ankündigung, eine Teilzeitoffensive zu starten, weckte die Bundesregierung viele Hoffnungen: Arbeitszeitsouveränität, Chancen für Berufsrückkehrerinnen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Viele Bilder mehr malten Sie, lieber Kollege Blüm, an den Himmel der Arbeitslosen. So ist nun einmal Rauch, er verfliegt und mit ihm die Hoffnungen vieler Frauen und Männer. ({1}) Wenn eine Frau eine Teilzeitarbeit annimmt - zu den Teilzeitbeschäftigten zählen, worüber wir uns Gott sei Dank jetzt einig sind, auch die über vier Millionen Frauen mit geringfügiger Beschäftigung -, kann sie fast sicher davon ausgehen, daß sie später eine sehr geringe Rente hat, die sie in vielen Fällen von der Hilfe zum Lebensunterhalt ganz bestimmt nicht unabhängig werden läßt. Deshalb legen wir Ihnen nochmals den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Förderung der Teilzeitbeschäftigung ans Herz. Dieses arbeitnehmer- und sozialversicherungsfreundliche Modell wird Ihnen mundgerecht vorgelegt. Dabei sind keine harten Brocken zu beißen. Es ist deshalb um so ärgerlicher, daß es diese Koalition bisher nicht einmal für notwendig hielt, den Gesetzentwurf überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen. ({2}) Sie haben angekündigt, daß Teilzeitbeschäftigte oberhalb der 590-DM-Grenze in den Versicherungsschutz der Arbeitslosenversicherung einbezogen werden sollen. Nun ja, damit beginnen Sie einzusehen, daß auch diese Arbeitnehmerinnen eine soziale Absicherung und die Möglichkeit brauchen, an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen, um anschließend einen besser bezahlten Job zu bekommen. So richtig angefreundet haben Sie sich, im Gegensatz zu Ihrer Kollegin Nolte, noch immer nicht mit unserem Vorschlag, auch die geringfügig Beschäftigten, also die, die unter 590 DM verdienen, in das System der sozialen Sicherung aufzunehmen. ({3}) Frau Babel, Sie sollten sich zu dem Thema vielleicht einmal unseren Antrag vornehmen, dann verstehen Sie das vielleicht besser. ({4}) Jetzt haben Sie sich, Herr Blüm, schon in Bewegung gesetzt; dann hören Sie doch bitte auf die Worte Ihrer Kollegin Süssmuth, die hier an dieser Stelle vor einem Jahr anläßlich des Internationalen Frauentags 1995 sagte: Die hohe Zahl von geringfügig Beschäftigten ist ... eine Ungerechtigkeit in bezug auf die Solidarkassen und schafft neue Armut der geringfügig beschäftigten Frauen .. . Diesem Appell Ihrer Kollegin können wir Frauen nur zustimmen; denn die Integration der Geringverdiener würde die Solidarkassen stärken und die Sozialkassen der Gemeinden entlasten. ({5}) Sie, Herr Blüm, könnten sogar die Beiträge zur Sozialversicherung um 0,3 Prozentpunkte senken und Lohnnebenkosten abbauen. Ihr ehemaliges Fraktionsmitglied Herr Johannes Gerster hat wohl die Worte von Frau Süssmuth nicht richtig gehört oder verstanden. Denn erst vor sechs Tagen forderte er wieder - dies ist in der Zeitung nachzulesen -, daß die sozialversicherungsfreien geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse erhalten bleiben müssen. Ich habe aber nichts darüber gelesen, daß Sie, Frau Böhmer, Ihren Kollegen zurückgepfiffen hätten. Dieser Rückfall in Forderungen von ewig Gestrigen könnte natürlich auch etwas mit dem Wahlkampf zu tun haben, dem sich Ihr Herr Gerster in vollen Zügen hingibt. Das bringt mich direkt zum nächsten Punkt: die Dienstleistungsagenturen, von denen frau mehr hört als sieht. Wir wüßten schon gerne, wie Sie sich diese vorstellen. Sollen es wieder nur geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sein? Wie sieht die soziale Ausgestaltung für die Arbeitnehmer aus, und wie sollen die Arbeitgeber steuerrechtlich behandelt werden? Frau Böhmer hat dazu keine Angaben gemacht; sie hat uns auf den Sommer vertröstet. Kurt Beck hat hingegen schon konkretere Angaben gemacht; deswegen können Sie auf ihn Bezug nehmen und vielleicht sogar von ihm etwas lernen. ({6}) In Aachen gibt es bereits ein solches Projekt, das Sie jetzt demnächst auch in Frankenthal starten. Natürlich werden wir das aufmerksam beobachten. Die Bundesregierung und die Bundesanstalt für Arbeit kündigen an, daß gerade mit der eingeführten Pflegeversicherung zigtausende - waren es nicht 300 000? - Arbeitsplätze entstehen sollten. Wo sind die denn? Um die Kreativität der Bundesregierung ist es schlecht bestellt, wenn es um Ausbildungsordnungen für neu entstehende Berufe geht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, die Kollegin Böhmer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Frau Böhmer.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Barnett, ich war schon immer etwas neugierig, und ich schätze, Sie können mir das sicherlich gut erklären, warum Herr Beck nur für die Frauen, die über eine Dienstleistungsagentur als Haushaltskraft tätig sein sollen, einen Sozialversicherungsbeitrag vorsieht und warum er dann vorschlägt, daß dieser Beitrag zwar von der Sozialagentur übernommen, dann aber vom Bund refinanziert werden soll. Vielleicht können Sie mir auch erklären, warum alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Sozialversicherungsbeiträge selbst zahlen sollen. ({0})

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin Fuchs, das wollte auch ich gerade sagen: Es ist der erste Schritt, den wir auf diesem Weg machen. Wenn sich erweist, daß das genau richtig ist, können Sie sich uns gerne anschließen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Erlauben Sie eine zweite Zwischenfrage?

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Barnett, wenn Sie sagen, das sei ein erster Schritt, soll ich das dann so interpretieren, daß Sie demnächst die Sozialversicherungsbeiträge für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Bundeskasse, sprich: vom Steuerzahler bezahlt haben wollen?

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schön wäre es, wenn das so ginge, Frau Böhmer. ({0}) - Aber dann hätten wir genug Geld, Frau Babel, was wir jetzt leider nicht haben. Aber, Frau Böhmer, Spaß beiseite: Sie wissen, daß es sich bei diesen Arbeitsverhältnissen, die auch Kurt Beck im Sinne hat, um Teilzeitarbeitsverhältnisse und nicht um Vollzeitarbeitsverhältnisse handelt, die die entsprechende Einzahlung in das System der sozialen Sicherung vorsehen. Um den Frauen für später eine Absicherung zu garantieren und damit sie eine Anregung haben, dort zu arbeiten, wird das so gemacht. ({1}) Weil ich sehe, daß mir die Zeit davonläuft, möchte ich jetzt direkt auf das Gleichstellungsgesetz eingehen, das auch ein Mittel wäre, um den Frauen behilflich zu sein. Zum Beispiel könnte die Bundesregierung, also Herr Minister Blüm und seine Kolleginnen und Kollegen, beschließen, nur an solche Firmen Aufträge zu geben, die selbst Frauenförderung betreiben, und so das Gleichstellungsgesetz - wenn wir ein ordentliches hätten - auch auf die Privatwirtschaft übertragen. Dadurch ist in den USA noch keine Firma pleite gegangen. Frau Böhmer, Rheinland-Pfalz hat natürlich ein Gleichstellungsgesetz. Es ist nicht so, daß wir das abgespeckt haben. Im Gegenteil, wir mußten das ganz vorsichtig formulieren, weil gerade Ihre Kollegen dauernd mit dem Landesverfassungsgericht gedroht haben, ({2}) zu dem Sie marschieren wollten, wenn das Gesetz nicht so ausfallen sollte, wie es jetzt ist.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Böhmer zuzulassen?

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Ich bin gleich fertig; Sie können das nachher noch einmal ergänzen, Frau Böhmer. Ich will zum Schluß zu den Existenzgründerinnen und -gründern Stellung nehmen. Ich kenne natürlich die Absicht von Herrn Bundesarbeitsminister Blüm, Existenzgründerinnen und -gründern ein Überbrükkungsgeld und Versicherungsschutz zu gewähren. Damit haben diese Menschen zwar etwas zu beißen. Aber eine Firmengründung, die nicht selten mit Anschaffungen in etwas größerem Umfang zu tun hat, können sie davon nicht finanzieren. Die Banken und nicht nur die Sparkassen müssen hier ihren Beitrag zum Anschub des Arbeitsmarktes leisten. Die Anregung von Frau Babel dazu hörte ich wohl. Nutzen Sie, Herr Blüm, einmal die Synergien aus, indem Sie auf diesem Felde mit Herrn Rexrodt zusammenarbeiten. ({0}) Wenn die Wirtschaft in der Wirtschaft stattfindet und das Geld auf der Bank und nicht auf der Straße liegt, dann müßte es mit etwas Phantasie doch möglich sein, das Geld zum Wohle aller arbeitsuchenden Menschen von der Bank über die Straße zur Wirtschaft zu bringen. Vielen Dank. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile der Kollegin Böhmer das Wort zu einer Kurzintervention. ({0}) - Das wollen wir auch nicht einführen. Da wir das einmal gemacht haben, mache ich es jetzt ein zweites Mal. Aber wir wollen das bitte nicht grundsätzlich in diesem Haus einführen. Sonst kommen die Debatten total durcheinander, und die Kollegen, die in den Debatten am Abend sprechen sollen, kommen überhaupt nicht mehr nach Haus. Frau Kollegin Böhmer, bitte, Sie haben das Wort.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich danke Ihnen für das Verständnis. Ich denke, es liegt ein Stück im Interesse der Politik für Frauen, hier noch eine Anmerkung zu machen. Es wurde eben gesagt, das rheinland-pfälzische Gleichstellungsgesetz sei abgespeckt worden, weil von seiten der CDU interveniert worden sei. Frau Kollegin Barnett, es ist in der Tat etwas anders. Es wurde mehrfach aus der Staatskanzlei in das Frauenministerium zurückgegeben, das damals noch existierte. Dann wurde das Frauenministerium bekanntermaßen aufgelöst. Das Gesetz wurde dann im Familienministerium mehrfach umgeschrieben, und es war, glaube ich, die F.D.P. in der Regierung dort, die ihr Votum eingelegt hat. Wir hätten gerne im Teilzeitbereich, im Bereich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Ergänzung gehabt, und wir hätten gerne einen Gremienteil gehabt, so daß Frauen über den öffentlichen Dienst hinaus wirklich echte Förderung in Rheinland-Pfalz erhalten hätten. Das wurde von seiten der SPD abgelehnt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Barnett zur Replik.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sind hier in Bonn und wollten uns eigentlich nicht über Ländergleichstellungsgesetze unterhalten, aber wenn Sie es darauf anlegen, gerne. Ich möchte betonen: In Rheinland-Pfalz gibt es genauso ein Frauenministerium wie hier in Bonn. Ich wüßte nicht, daß Frau Kollegin Nolte nur etwas mit Frauenpolitik zu tun hat. Sie hat auch so einen Laden für „Vermischtes". ({0}) Genauso ist es in Rheinland-Pfalz auch. Frau Dr. Rose Götte hat in ihrem Ministerium als weiteren Ressortteil Frauen dabei. Also gibt es in Rheinland-Pfalz genauso wie hier ein Frauenministerium. Das Gleichstellungsgesetz wurde überarbeitet, weil überall herumgemäkelt wurde, daß es viel zu weitgehend sei. Sie kennen selbst die Diskussion in dem Gesetzgebungsverfahren und welche Bremsen gerade die ganze „Herrlichkeit" verlangt hat. Deswegen wurde der Einschub gemacht, der es im Ausnahmefall gestattet, Männer eventuell vorzuziehen. Aber damit sind wir im Gegensatz zu einer Nichtlösung immer noch auf der besseren Seite. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Renate Diemers.

Renate Diemers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000388, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Natürlich geht uns allen die Arbeitslosigkeit unter die Haut. Das gilt besonders für die, denen bewußt ist, daß hinter den Zahlen Menschen stehen, die ganz individuell von Arbeitslosigkeit betroffen sind, denen bewußt ist, daß Frauen und Männer von der Arbeitslosigkeit aus der Bahn ihrer Lebensplanung geworfen werden, denen bewußt ist, daß Arbeitslosigkeit das Selbstwertgefühl von Frauen und Männern beschädigt. Ich frage mich allerdings, was diese Frauen und Männer davon halten und empfinden, wenn sie zum Gegenstand von politischem Aktionismus gemacht werden, wenn sie für sich widersprechende pauschale Behauptungen herhalten müssen. Glauben Sie, meine Damen, meine Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Arbeitslosen fühlen sich ernstgenommen, wenn es zum Beispiel auf Seite 1 Ihres Antrags unter anderem heißt, Teilzeitarbeit grenze vorwiegend Frauen aus den Kernbelegschaften aus, und die Bundesregierung leiste dieser Entwicklung Vorschub? Auf Seite 4 fordern Sie dann die Ausweitung der Teilzeitarbeit. Ein anderes Beispiel: Sie fordern auf Seite 3, die geringfügig Beschäftigten ab einer Bagatellgrenze sozialversicherungspflichtig zu machen. Auf der nächsten Seite steht, das Arbeitsvertragsrecht und das Mitbestimmungsrecht müßten auf ungeschützte Beschäftigung ausgedehnt werden. Wenn Sie die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, wofür sich auch viele Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion vehement einsetzen, sozialversicherungspflichtig machen, dann haben Sie keine sozial ungeschützten Arbeitsverhältnisse. ({0}) Aber vielleicht haben Sie ja über Ihre eigene Zielsetzung noch Beratungsbedarf. Ich will darauf hier jetzt nicht weiter eingehen. ({1}) Meine Damen, meine Herren, ich denke, daß wir weitgehend darin übereinstimmen, daß die Ursachen für die Arbeitslosigkeit überwiegend im strukturellen Wandel und in Strukturumbrüchen begründet sind. ({2}) Beide sind regional unterschiedlich. Die arbeitslosen Frauen und Männer haben dies hautnah erfahren. Ich warne noch einmal davor, den ohnehin regional geteilten Arbeitsmarkt weiter zu zergliedern. Was wäre gewonnen, wenn wir hier die arbeitslosen Frauen haben, da die arbeitslosen Männer, hier die arbeitslosen jungen Menschen und da die arbeitslosen alten und älterwerdenden Menschen? Eine solche Arbeitsmarktteilung hätte einerseits große Gruppenegoismen zur Folge, andererseits besteht die erhebliche Gefahr, diese Gruppen gegeneinander auszuspielen. ({3}) Daß Frauen Nachteile auf dem Arbeitsmarkt haben, weil ihnen, und zwar mit gesellschaftlicher Zustimmung, überwiegend Kindererziehung und Familienarbeit überlassen bleibt, ist leider noch immer Tatsache. Darum haben wir ja rechtliche Rahmenbedingungen zum Ausgleich dieser Nachteile geschaffen. Schließlich sind Kindererziehung und Pflege Leistungen, die im gesellschaftlichen Interesse erbracht werden. Ich habe jedoch den Eindruck, daß diese rechtlichen Regelungen wenig bekannt sind. Nur so kann ich mir erklären, daß immer wieder dasselbe Klagelied über die Situation der Frauen angestimmt wird. Hiermit wird keiner Frau geholfen, und mit nebelhaften Vorstellungen werden keiner Frau Zukunftsperspektiven aufgezeigt. Wenn die bestehenden Regelungen massiver in die Öffentlichkeit getragen würden, wäre das schon ein Erfolg. Ich nenne auch noch einmal das AFG. Danach haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Zeiten der Kindererziehung oder der Pflege einen Rechtsanspruch auf Einarbeitungszuschüsse, wenn sie eine volle Leistung erst nach einer Einarbeitungszeit erreichen können. Diese Zuschüsse werden nicht gegeben, wenn die Einarbeitung beim bisherigen Arbeitgeber erfolgt. - Darum freue ich mich darüber, daß in den vom Bundesarbeitsminister vorgelegten Eckpunkten zur Novellierung des AFG diese Einschränkung weitgehend aufgehoben ist. ({4}) Ich erinnere an die Sonderregelungen beim Unterhaltsgeld und an die Regelungen für Kinderbetreuungskosten. Natürlich werden wir die bestehenden Regelungen mit Hilfe unseres Arbeitsministers weiterentwickelen. Mit allem Nachdruck sage ich aber auch: Alle Förder- und Sondermaßnahmen müssen so angelegt sein und von allen Beteiligten so verstanden werden, daß sie eine Übergangsmaßnahme für den ersten Arbeitsmarkt sind. Soweit im Antrag der SPD-Fraktion eine Teilzeitoffensive gefordert wird, die sich insbesondere an Männer richtet, sehe ich keinen Widerspruch zu der inzwischen bestehenden Offensive. Allerdings kann die Wirtschaft nur davon überzeugt werden, daß auch sie von Teilzeitarbeit profitiert. Dagegen kann sie nicht gezwungen werden, diese auch anzubieten. Und ich sage dies noch einmal, weil oft so getan wird, als ob Arbeitsplätze in Voll- oder Teilzeit per Verordnung durch die Bundesregierung geschaffen werden könnten: Natürlich ginge das. Allerdings setzt das eine andere Gesellschaftsordnung voraus, die wir nicht wollen. ({5}) Ich denke, da stimmen wir mit allen demokratischen Parteien in unserem Land überein. Bei der Forderung nach gesetzlichen Frauenfördermaßnahmen in der Privatwirtschaft kann es sich nur um Rahmenbedingungen handeln, wie sie zum Beispiel mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, §§ 611a und 612 BGB, gegeben sind. Ich erinnere auch an das Gleichheitsgebot in Betriebsverfassungs- und Bundespersonalvertretungsgesetz. Auch hier sage ich: Den Frauen wäre mehr geholfen, wenn die bestehenden Rechte deutlich benannt würden, anstatt ihnen vorzumachen, es müßten neue Regelungen her. Eine sachliche Auseinandersetzung mit den bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen würde dazu führen, mögliche notwendige Nachbesserungen konkret benennen zu können. Meine Damen, meine Herren, es ist darüber gesprochen worden, daß wir unsere Kräfte darauf konzentrieren müssen, Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Redezeit, Frau Kollegin.

Renate Diemers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000388, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es wurde deutlich, daß das Ziel, das sich die Beteiligten am „Bündnis für Arbeit" gegeben haben, bis zum Jahr 2000 die Arbeitslosigkeit zu halbieren, nur erreicht werden kann, wenn alle, die Verantwortung tragen, dies mit ganzer Kraft wollen. Schade, ich hätte Ihnen gerne noch einige frauenpolitische Maßnahmen vorgetragen. Ich denke aber, wir werden in der nächsten Woche bei der frauenpolitischen Debatte noch Gelegenheit dazu haben.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin.

Renate Diemers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000388, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte zum Abschluß sagen, daß es unredlich und unverantwortlich ist, den Frauen nach wie vor einzureden, Teleheimarbeit würde die alte Heimarbeitsform ersetzen. Damit wird den Frauen nicht nur die Chance, sondern auch der Zugang zu hochqualifizierten Berufen verbaut. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Hildegard Wester.

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Nolte hat heute morgen - wie auch bei vielen anderen Gelegenheiten - noch einmal darauf hingewiesen, daß es ihr ein großes Anliegen ist, nicht nur Frauen am Arbeitsmarkt zu beteiligen, sondern eben auch Männer an der Familienarbeit zu beteiligen. Diese frommen Wünsche haben wir oft gehört. Wir sind natürlich der gleichen Meinung - das versteht sich von selbst -, aber, Frau Ministerin, Sie wissen, daß Wünsche alleine nicht ausreichen. Vor allen Dingen reicht es nicht aus, wenn eine Ministerin im Amte Wünsche äußert. Sie hat einen wesentlich größeren Gestaltungsfreiraum als alle anderen gesellschaftlichen Gruppierungen und Einzelpersonen in unserem Lande. ({0}) Fromme Wünsche reichen also nicht. Die Arbeitslosenzahlen und auch die Beschäftigtenzahlen sprechen eine deutliche Sprache. Frauen sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit und vor allem von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Die Frauen, die erwerbstätig sind, stehen zu einem hohen Prozentsatz in Teilzeitarbeitsverhältnissen. 4,5 Millionen Menschen arbeiten in sogenannten ungeschützten Arbeitsverhältnissen. Es ist heute oft die Rede davon gewesen - ich will es aber noch einmal verdeutlichen -: 68 Prozent davon sind Frauen. Aber auch die geschützte Teilzeitarbeit wird fast ausschließlich, nämlich zu 95,7 Prozent bzw. 91,4 Prozent, von Frauen ausgeübt. Sie ist damit eine typische Arbeitsform für Frauen mit Familien, also für Berufsrückkehrerinnen. Einschnitte in die aktive Arbeitsmarktpolitik und das Unterangebot an Teilzeitarbeitsplätzen betreffen Frauen daher besonders. Das Verhängsnisvolle aber ist, daß die Gleichsetzung der Teilzeitarbeit mit Frauenarbeit immer noch in den Köpfen der überwiegenden Zahl der politischgesellschaftlich Agierenden verankert ist. Frauen möchten aber nicht nur Teilzeitarbeit und vor allem nicht die klassische Halbtagsstelle, sondern sie möchten eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 25 bis 30 Stunden. Das heißt, sie wollen eine Arbeitszeit, die es ihnen erlaubt, sowohl Familienarbeit zu verrichten als auch einer existenzsichernden - oder zumindest annähernd existenzsichernden - Tätigkeit nachzugehen. ({1}) Sie streben immer mehr auch in Vollzeitarbeitsplätze und treten damit auf dem Arbeitsmarkt als Konkurrenz zu Männern auf. Wie sollte es auch anders sein! Das Defizit an Arbeitsplätzen gibt ihnen aber ausgerechnet in einer Zeit, in der sie immer stärker berufsorientiert werden, schlechte Chancen; denn Frauen tragen trotz großer Qualifikationen ein eindeutiges Risiko mit sich, nämlich das Mutterschaftsrisiko. Die zu erwartende oder tatsächliche Unterbrechung der Erwerbstätigkeit mit finanziellen und organisatorischen Folgen für die Arbeitgeber wirkt als enormes Einstellungshemmnis. Wenn man Frauen gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt einräumen will, muß man demzufolge diese Hemmnisse abbauen oder zumindest gleichmäßiger verteilen. Daß das Mutterschaftsrisiko nicht vollständig abzubauen ist, liegt auf der Hand. Maßnahmen der gerechteren Verteilung von Hemmnissen sind aber möglich und geboten. Aus dem Mutterschaftsrisiko muß ein Elternschaftsrisiko werden. Frauen und Männer müssen sich dem Arbeitsmarkt stellen mit dem Anspruch auf Teilzeitarbeit, mit dem Anspruch auf Freistellung für die Erziehung von Kindern, mit dem Anspruch, Familie und Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren. Und da reichen bloße Appelle und Bewußtseinsänderungen nicht aus, sondern hier muß gehändelt werden. Es reicht nicht aus, Frau Nolte, Gesetze zu machen wie das Bundeserziehungsgeldgesetz, das in seiner Wirkung darauf angelegt ist, Frauen aus dem Beruf herauszuholen und sie dann mit Qualifikationsrückständen bestenfalls wieder auf den Teilzeitarbeitsmarkt zu verweisen. ({2}) Daß dieser Teilzeitarbeitsmarkt quantitativ unzureichend ist, habe ich gesagt. Aber die Möglichkeit, qualitativ attraktive Teilzeitarbeitsstellen zu finden, ist noch wesentlich geringer. Würden sich Männer mehr um diese Form der Arbeit bemühen, dann würde sich - ich glaube, es ist keine allzu große Spekulation, wenn ich das behaupte - einiges tun. Es ist geradezu kontraproduktiv, die Finanzierung des Mutterschaftsgeldes in so hohem Umfang den Arbeitgebern zu überlassen und sich als Bund aus der Finanzierung zu verabschieden. Betriebe mit einer hohen weiblichen Beschäftigtenzahl sind hier besonders gestraft. Es muß über intelligente Lösungen nachgedacht werden, das Mutterschaftsrisiko abzubauen. Zum Beispiel wäre hier an Umlagesysteme zu denken. Frau Nolte, wenn Sie eine stärkere Beteiligung der Männer an einer partnerschaftlichen Aufgabenverteilung wünschen, warum stricken Sie dann das Gesetz - ich rede vom Bundeserziehungsgeldgesetz -, von dem Sie behaupten, es sei geeignet, Familie und Erwerbstätigkeit zu vereinbaren, nicht so um, daß dies eher möglich ist? Wir müssen darüber nachdenken, wie wir den Bedürfnissen der Frauen, Männer und Kinder gerecht werden und den Problemen und Risiken des Arbeitsmarktes begegnen. ({3}) Deshalb reicht es nicht aus, die Einkommensgrenze beim Erziehungsgeld zu erhöhen, was längst überfällig, von Ihnen lange angekündigt, aber immer noch nicht realisiert ist. Vermutlich werden wir demnächst erfahren, daß Sie 1 Milliarde DM für die Familien zur Verfügung stellen, um die genannte Einkommensgrenze zu erhöhen. Aber möglicherweise werden Sie vergessen zu sagen, daß Sie diese Milliarde im letzten Jahr abkassiert haben. Indem Sie nämlich die Einkommensgrenze nicht erhöht haben, sind so viele Familien aus der Förderung herausgefallen, daß diese Milliarde zustande kam. Nein, vielmehr muß das Gesetz grundsätzlich entrümpelt und daraufhin überprüft werden, ob es seinem Ziel gerecht wird. Ziele müssen sein: Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter, keine - bis möglichst kurze - Aufgabe der Erwerbstätigkeit, partnerschaftliche, gleichzeitige Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs. ({4}) Dazu muß folgendes auf den Prüfstand: erstens die Länge des Erziehungsurlaubes - denn je länger die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit, desto schwieriger der Wiedereinstieg in den Beruf -, zweitens die Höhe der Leistung und der Einkommensgrenze, drittens die 19-Stunden-Begrenzung für die erlaubte wöchentliche Arbeitszeit. Diese müßte zugunsten einer gemeinsamen 60-Stunden-Grenze weichen. Beide Eltern könnten dann aushandeln, zu welchen Anteilen sie berufstätig sein und zu welchen Anteilen sie sich um ihre Kinder kümmern möchten. ({5}) Viertens gehört dazu, daß der Erziehungsurlaub gleichzeitig anteilig von beiden Eltern genommen werden kann. Das heißt, beide müssen ihren Arbeitgebern gegenüber mit dem Anspruch auftreten, ihre Arbeitszeit zugunsten einer Betreuung der Kinder zu verringern. Für Alleinerziehende muß es ein besonderes Angebot geben, vor allen Dingen natürlich ausreichende Betreuungsplätze für Kinder aller Altersgruppen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich muß noch einige Aspekte nennen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Es tut mir leid, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie können noch einen Satz sagen.

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage noch einen Satz: Es muß Männern die Möglichkeit eröffnet werden, während des Mutterschutzes in den Erziehungsurlaub zu gehen. Diese sensible Zeit für Umstellungsprobleme einer Familie sollte genutzt werden, um Vätern den Zugang zur Familie zu ermöglichen. Im übrigen gilt das, was für Frauen schon immer gegolten hat, nämlich daß erziehende Frauen den Arbeitsmarkt entlasten, nicht nur für diese; auch erziehende Männer entlasten den Arbeitsmarkt. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin aus demonstrativen Gründen an das Rednerpult gekommen. ({0}) Ich möchte nämlich nicht, daß wir die Debatte so führen: Die Männer reden über die Männerarbeitslosigkeit, und die Frauen reden über die Frauenarbeitslosigkeit. ({1}) Arbeitslosigkeit ist schlimm, egal ob es die Arbeitslosigkeit eines Mannes, einer Frau, eines Jungen, eines Alten ist. Da muß man nicht immer selektieren. Aber man muß sehr wohl fragen, wo besondere Risiken und Gefahren sind. Daß Frauen im Erwerbsleben Nachteile haben, wird niemand bestreiten, aber es wird auch niemand bestreiten, daß wir Nachteile abgebaut haben. Frau Nolte - insofern muß ich die Zahlen nicht mehr nennen - hat alle Zahlen genannt. Daß die Zahl arbeitsloser Frauen zum ersten Mal knapp unter der Zahl arbeitsloser Männer liegt, ist überhaupt keine Beruhigung. Solche statistischen Vergleiche lenken nur von den eigentlichen Problemen ab. Es geht aus meiner Sicht vor allen Dingen darum, mit solchen Zahlen nachzuweisen, daß wir nicht auf der Stelle getreten sind. Bei der Fortbildung und der Umschulung waren die Männer lange Zeit im Vorteil, Frauen im Nachteil. Hier haben wir gleichgezogen, was ich für ganz wichtig halte, weil Qualifizierung auch eine Zukunftschance ist und Qualifizierungschancen auch über Arbeitschancen entscheiden. Nun zu ein paar Aspekten, die schon angesprochen worden sind. Teilzeit war dabei ein großer Komplex. Ich glaube, daß der Teilzeit drei RessentiBundesminister Dr. Norbert Blüm ments entgegenstehen: erstens, Teilzeit sei nur etwas für Frauen, zweitens, Teilzeit sei nur etwas für unqualifizierte Arbeitsplätze - diese beiden Ressentiments verstärken sich dann wechselseitig -, und drittens, Teilzeit gebe es nur in der Form der Teilung der Tagesarbeitszeit. Alle drei Ressentiments müssen überwunden werden. Sonst wird Teilzeit eine Art Hobby für Frauen, denen es ein bißchen langweilig geworden ist, aber nicht eine Erwerbschance. Für uns ist Teilzeit kein Arbeitsverhältnis zweiter Klasse. Es ist nicht nur auf Frauen und nicht nur auf den Dienst an der Pforte beschränkt. Wieso ist denn Kreativität davon abhängig, ob man acht oder vier Stunden arbeitet? Insofern müssen wir - Männer wie Frauen - gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, diese Vorurteile abzubauen. Ich habe eben von der Teilung der Tagesarbeitszeit gesprochen. Wir müssen das Teilzeitangebot aber auf vielfältige Formen ausdehnen. Eine davon ist die Unterbrechung des Erwerbslebenslaufs. Wir leben noch immer in den - ich nenne es einmal so - Brutalalternativen: entweder alles - oder nichts; entweder „immer drin" - oder nie. Eine andere Form von Teilzeit ist, zeitweise auszuscheiden, um dann wieder zurückzukehren. Dazu müssen die Brücken verbessert werden. Wir haben vor, im Arbeitsförderungsgesetz zu regeln, daß man trotz Unterbrechung zurückkehren kann und den Schutz, den man bereits - beispielsweise nach dem Arbeitsförderungsgesetz - erworben hat, wiedererlangt. Ein anderes Hemmnis, von der Vollerwerbstätigkeit auf Teilzeit umzusteigen - und sei es nur vorübergehend, beispielsweise der Erziehung der Kinder wegen -, besteht darin, daß man beim Umstieg auf Teilzeit den Arbeitslosenschutz, den man als Vollzeiterwerbstätiger hatte, verliert. In dieser Hinsicht haben wir bereits etwas geschaffen - auch wenn das streng vertraulich zu sein scheint -: Der Anspruch auf ein Arbeitslosengeld, das dem bei Vollerwerbstätigkeit entspricht, bleibt drei Jahre - das kann nicht unbegrenzt gelten - erhalten. Ich meine, das sollte dazu beitragen, daß jemand vorübergehend auf Teilzeit umsteigt und dann wieder zur Vollerwerbstätigkeit zurückkehrt. Wir müssen uns vom Einheitsmuster für den ganzen Lebenslauf verabschieden. ({2}) Das gilt für Männer wie für Frauen. Ich möchte noch einmal das unterstreichen, was Frau Babel gesagt hat. Eine Möglichkeit, in Arbeit zurückzugehen, ist, die Arbeit eines Selbständigen aufzunehmen. Das Überbrückungsgeld, das vorhin attackiert wurde, hat immerhin dazu geführt, daß 70 000 Arbeitslose den Weg in die Selbständigkeit gefunden haben. Ich werde nie behaupten, daß das nur über das Überbrückungsgeld geschehen sei. Aber man muß immer Hemmnisse abbauen. Das Hemmnis ist, daß man mit nichts dasteht, wenn es mißglückt, von der Arbeitslosigkeit auf Selbständigkeit umzusteigen. Die Angst zu nehmen, daß der erste gefährliche Schritt mit einem Verzicht auf jeden Schutz verbunden ist,, ist der Beitrag, den Frau Babel erwähnt hat. Das gilt auch für die Frauen. Denn ein Viertel dieser 70 000 waren Frauen. Wenn ich das einmal als Mann sagen darf: Ich finde, die größte Zumutung für alte Patriarchen sind gar nicht so sehr die Quoten - weil sie davon vielleicht gar nicht betroffen sind und das Glück haben, in der Männerquote zu sein -, sondern ist es, unter einer Chefin arbeiten zu müssen. Hier ist ein Höchstmaß an pädagogischem Geschick erforderlich. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der Frauen als Unternehmerinnen der Normalfall sind und nicht als Außenseiter gelten. ({3}) Liebe Frau Wester, noch eine kleine Bemerkung zur Sprache: Sie haben vom Mutterschaftsrisiko und vom Elternrisiko gesprochen. Ehrlich gesagt: Ich kannte kein Vaterschaftsrisiko. Für mich war das eher ein Glück. Ich hoffe, für meine Frau war die Mutterschaft auch kein Risiko. „Risiko" ist die Sprache der Unfallversicherung. In Ihrer Sprache klingt es so, als sei ein Kind eine Art Unfall und der Staat zu Schadensersatz verpflichtet. ({4}) - Doch, ob Sie es wollen oder nicht! Diese Sprache stört mich. Man kann nicht im Zusammenhang mit Mutterschaft von Risiko sprechen. ({5}) Ich bin für Gleichberechtigung, ich bin für Gleichheit. Es gibt aus meiner Sicht ein paar Vorteile, die Frauen haben. Sie sind nicht ganz austauschbar, denn es bleibt dabei: Die Frauen sind Mütter, und die Männer sind Väter. Wer dabei die größeren Vorteile hat, darüber wollen wir jetzt einmal nicht diskutieren. ({6}) - Im Erwerbsleben. - Ich jedenfalls habe Vaterschaft nicht als Nachteil empfunden. ({7}) - Nein, lassen Sie mich fortfahren. Das ist hier nicht zum Spaßigsein. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß die Nachteile, die sich im Erwerbsleben zwangsläufig aus der Mutterschaft ergeben, auch von den Männern beseitigt werden müssen. Auch die Tatsache, daß Männer und Frauen in ihren Rollen nicht völlig austauschbar sind, gehört für mich zu einem Menschenbild, in dem die Menschen nicht einfach Rollenträger sind, sondern auch Personen, die durch ihre Geschlechtlichkeit geprägt sind. Aber ich will die Diskussion nicht verschärfen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Bundesminister - Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Nein. - Lassen Sie mich zur Versöhnung, gerade weil ich als Mann hier in der Frauendebatte eine besondere Rolle habe, sagen: Lassen Sie die Frauen den Kampf gegen ihre Benachteiligung nicht allein führen, sondern lassen Sie ihn Männer und Frauen gemeinsam führen! Aus diesem Grund habe ich hier geredet. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 13/3760 und 13/3973 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Andrea Fischer ({0}), Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einstieg in eine ökologisch-soziale Steuerreform - Drucksache 13/3555 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte über diesen Tagesordnungspunkt nicht teilnehmen werden, den Raum möglichst rasch zu verlassen. ({2}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 10 Minuten erhalten soll. Besteht darüber das Einverständnis des Hauses? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Rainder Steenblock.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte, die wir jetzt führen, knüpft im Grunde an die Debatte an, die wir heute morgen hier auch schon geführt haben. In der Debatte heute morgen ist deutlich geworden, daß unser Land dringend Konzepte braucht, um die aktuellen Probleme zu lösen und vor den großen Herausforderungen der Zukunft bestehen zu können. In der Debatte heute morgen ist leider auch deutlich geworden, auf welch niedrigem Niveau die Bundesregierung die Debatte über diese Fragen angelegt hat. ({0}) Ihr politischer Weitblick bei der Debatte über Zukunftskonzepte reicht leider nur bis zum nächsten Wahltag. Sie diskutieren anstelle von Zukunftskonzepten am liebsten Wahlkampfkonzepte. Das kann nicht die Anforderung sein, die die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes an das Parlament stellen. ({1}) Die Bündnisgrünen haben heute einen sehr umfangreichen Antrag zur ökologischen Steuerreform eingebracht. Wir sind der Meinung, daß mit der Einführung von Umweltsteuern der entscheidende Impuls für einen beschleunigten Strukturwandel, für einen Innovationsschub, für neue Produktionszweige, für neue und zukunftsfähige Arbeitsplätze in diesem Land gegeben wird. Die Erzeugung von Energie aus regenerativen Energieträgern wird gerade den mittelständischen Unternehmen, die für dieses Land so wichtig sind, einen kräftigen Aufschwung verschaffen. Auch im Ausbau des öffentlichen Verkehrs liegen enorme Beschäftigungspotentiale, die wir nutzen müssen. Die Wettbewerbsfähigkeit arbeitsintensiver und innovativer Branchen der Umwelttechnik wird durch eine solche Reform, wie wir sie vorschlagen, gestärkt. Heute schon sind 700 000 Menschen im Umweltschutz beschäftigt, und zur Jahrtausendwende werden es über eine Million Menschen sein. Damit wird dieser Bereich sehr viel mehr Arbeitsplätze umfassen als der des Automobilbaus. Nach Angaben der OECD wird das Marktvolumen für Umweltschutzgüter auf dem Weltmarkt im Jahr 2000 über 450 Milliarden DM betragen. Das ist ein Bereich, der nicht zuletzt wegen der von den Umweltbewegungen hier in Deutschland propagierten Umweltschutzgesetzgebung vorangetrieben worden ist, in dem wir Exportweltmeister sind und für den in den nächsten Jahren ein Wachstumsschub von über 5 bis 6 Prozent prognostiziert wird. Es handelt sich also um einen Zukunftsbereich, in dem wir viel zu bieten haben. Diese Stellung gilt es zu behaupten, diese Stellung gilt es weiter auszubauen. Für eine nachhaltige Lebensweise aber - denn das, was wir bisher gemacht haben, ist im wesentlichen die Förderung von End-of-pipe-Technologien -, die das Ziel der zukünftigen Wirtschaftspolitik sein muß, geht es darum, den heutigen Energie- und Rohstoffdurchsatz drastisch zu reduzieren. Die Studie des Wuppertal-Instituts, die im Auftrag von BUND und Misereor jetzt veröffentlicht worden ist, macht sehr deutlich, daß in Deutschland der Verbrauch natürlicher Ressourcen und die Schadstoffemissionen bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts um 80 bis 90 Prozent reduziert werden müssen. Meine Damen und Herren, es ist doch völlig klar, daß diese notwendigen Ziele mit dem bisherigen Instrumentarium des Ordnungsrechts oder mit den Selbstverpflichtungserklärungen, die die Politik dieser Bundesregierung ersetzen sollen, nicht erreicht werden. Ohne eine ökologisch-soziale Steuerreform wird das Ziel des nachhaltigen Wirtschaftens nicht erreicht werden können. Ohne eine ökologische und soziale Steuerreform werden wir es auch nicht schaffen, die Klimaschutzziele, die in diesem Hause einmal völlig unstrittig definiert worden sind, tatsächlich zu erreichen. Die Bundesregierung dementiert das Nichterreichen dieser Klimaschutzziele heute schon gar nicht mehr. Sie geben ja zu, daß Sie mit Ihrer Politik gescheitert sind. Der Klimaschutz in diesem Land spielt für die Bundesregierung überhaupt keine Rolle mehr. Wir brauchen deshalb den Einstieg in die ökologische Steuerreform.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schulze?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn der Wissensstand so ist, daß Fragen nötig sind, sicherlich gerne.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich danke Ihnen, daß Sie mir die Gelegenheit zu einer kurzen Frage geben. Wie wir von Ihnen gehört haben, wollen Sie die Mineralölsteuer so hoch treiben, daß der Liter Treibstoff in Zukunft 5 DM kostet. Wir haben heute morgen auch gehört, wie viele Autobahnprojekte Sie allein in Nordrhein-Westfalen verhindern wollen. ({0}) - Sie sind doch gar nicht gefragt. Halten Sie es vor dem Hintergrund nicht für unmoralisch, wenn Ihr eigener Fraktionsvorsitzender fast jeden Abend im Auto nach Frankfurt zum Essen fährt und sich am nächsten Morgen abholen läßt? Das muß auch einmal in die Öffentlichkeit hinein: daß es nicht nur mit Pharisäertum geht. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schulze, was, bitte, war Ihre Frage?

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ob sich das mit der Auffassung des Kollegen Steenblock vereinbart. Ich kenne ja seine Auffassung gut genug, und deshalb möchte ich dazu eine Stellungnahme. ({0})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Frage, die Sie gestellt haben, wäre eigentlich umfassender zu beantworten, weil Sie am Anfang Ihrer Ausführungen auch die Frage aufgeworfen haben, ob die 5 DM für einen Liter Benzin, die wir diesem Land aufbürden wollen, und der von uns abgelehnte Autobahnbau unserem Land zumutbar sind. Dann aber haben Sie den Schlenker zu Herrn Fischer gemacht. Auf den ersten Teil Ihrer Frage möchte ich etwas ausführlicher antworten und auf den zweiten nur sehr kurz. Die Diskussion über 5 DM für den Liter Benzin ist ja eine spannende Debatte. Wenn Sie überlegen, welche Kosten der Autoverkehr in diesem Land tatsächlich verursacht, und - was ja unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten richtig ist - sagen, der Verursacher solle diese Kosten auch tragen, dann sind Sie nach den Ergebnissen einer Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen schon heute bei einem Benzinpreis, der zwischen 3 DM und 5 DM liegen müßte. ({0}) Deshalb ist der Preis, den wir anstreben - 5 DM für den Liter Benzin im Jahr 2006 -, sicherlich ein völlig realistischer Preis, der die Autofahrer zwingt, diese Kosten dann selbst zu bezahlen. Und er wirkt verkehrsvermeidend in dem Sinne, wie Sie das in Ihrer Frage andeuten, daß also der Verkehr von der Straße - egal, wer in den Autos sitzt; auch wenn der Fraktionsvorsitzende der Grünen darin sitzt - auf die Schiene verlagert wird. Das muß das Ziel sein. ({1}) Und wir schaffen in diesem Bereich - auch das war ein Hintergrund Ihrer Frage - sicherlich Arbeitsplätze. Es gibt ein weiteres Argument hinsichtlich der Kosten: 100 Millionen DM in Autobahnbau investiert schaffen 1 200 Arbeitsplätze. 100 Millionen DM - also die gleiche Summe - in Infrastruktur, in Schienenausbau investiert schaffen 1900 bis 2 100 Arbeitsplätze. Das ist die Politik, die wir anstreben. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Einen Moment, Herr Kollege! - Die Frage war an den Kollegen Steenblock und weder an die Fraktion der SPD noch an einzelne Kollegen der Fraktion der CDU/CSU gestellt. ({0}) Ich bitte, dem Kollegen Steenblock Gelegenheit zur Beantwortung zu geben. Da ich Sie schon unterbrochen habe, Herr Kollege: Auch der Kollege Köhne möchte gern eine Frage stellen. Sind Sie bereit, sie zuzulassen?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Moment, ich frage jetzt den Kollegen Steenblock.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Frage ist, was die Inhalte angeht, ziemlich erschöpfend beantwortet; das finde auch ich. Was die Person angeht, würde ich Ihnen natürlich gern den Konflikt mit Herrn Fischer über diese Frage ermöglichen. Unsere Forderung, Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, gilt für alle: für die Fraktionsvorsitzenden aller Parteien, für mich selbst, soweit das möglich ist, und auch für alle anderen. Da gibt es überhaupt kein Vertun.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Herr Kollege Köhne.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Kollege Steenblock, ich möchte mal eine vernünftige Frage stellen. ({0}) - Ja, doch.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nur Mut.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sie haben - das ist Ihrer Drucksache zu entnehmen - aus den Aufkommen der Ökosteuer 21 Milliarden DM für die Förderung einer Verkehrswende vorgesehen. Ich stelle einfach mal die Frage: Halten Sie diese Summe wirklich für ausreichend, um den öffentlichen Verkehr so zu fördern, daß die Menschen die Möglichkeit haben, den höheren Benzinpreis auf diese Weise zu kompensieren? Halten Sie das auch für ausreichend im Hinblick auf die Notwendigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen? Wir sind uns völlig einig, daß die Kompensation und die Schaffung von Arbeitsplätzen notwendig sind. Ich stelle einfach kritisch die Frage, ob man dafür nicht mehr ausgeben müßte. ({0})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. ({0})

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, ich finde diese Frage wirklich gut. ({0})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist eine sehr spannende Frage; das finde ich auch. Lassen Sie mich folgendes dazu sagen: Die Lenkungswirkung eines Benzinpreises in Höhe von 5 DM geht in verschiedene Richtungen. Erstens: Verkehr vermeiden, damit weniger gefahren wird. Sehr viel Autoverkehr ist nämlich Freizeitverkehr. Zweitens müssen wir versuchen, Verkehr auf die Schiene, auf den ÖPNV zu verlagern. Das haben Sie angesprochen. Die Frage ist: Wieviel Geld brauche ich eigentlich, um ein vernünftiges ÖPNV-System, vernünftige Schienenverkehrssysteme zu bauen? Es kann nicht angehen, daß man den Autoverkehr verteuert, die Menschen in vielen Regionen dieses Landes auf Grund der verfehlten Verkehrspolitik dieser Regierung aber überhaupt keine Möglichkeit haben, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Deshalb muß ich diese Strukturentscheidung treffen und Verkehrsinfrastruktur im ÖPNV aufbauen. Wir haben uns insbesondere auf die Studie des Wuppertal-Instituts bezogen, das berechnet hat, was es in diesem Land eigentlich kostet, 90 Prozent der Haushalte an den ÖPNV anzuschließen. Diese Studie haben wir zur Grundlage unserer Berechnungen gemacht. ({0}) Das Investitionsvolumen über zehn Jahre ist das gigantischste Verkehrsinfrastrukturprogramm - das muß man ehrlicherweise sagen -, das diese Republik bisher erlebt hat. Es wird Arbeitsplätze in der Stahl-und Bauindustrie und auch im Bereich des Maschinenbaus schaffen. Wir sind der festen Überzeugung, daß mehr Geld vom Staat für diesen Bereich kontraproduktive Ergebnisse haben könnte. Wir halten die Summen, die wir für die Förderprogramme vorgesehen haben, daher für völlig ausreichend. Ich möchte aber hinzufügen: Diese Debatte macht deutlich, daß eine aufkommensneutrale Lösung bei der Ökosteuer nicht möglich ist, weil man die Infrastrukturentscheidung gerade für den Verkehrsbereich nur aus den zusätzlichen Einnahmen aus der Mineralölsteuer finanzieren kann. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt schon bei der Beantwortung der Zwischenfragen einige Elemente unserer ökologischen Steuerreform vorgestellt; Energiewende und Verkehrswende sind die zentralen Bestandteile. Lassen Sie mich nun noch zu einem anderen Punkt etwas sagen, der in der aktuellen Debatte auch eine große Rolle spielt. Wir sind uns einig - das hat auch die Diskussion über Förderprogramme in unserer Partei gezeigt -, daß das Geld, das im Rahmen einer Ökosteuer erwirtschaftet wird und als Steueraufkommen dem Staat zufließt, zum allergrößten Teil an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zurückgegeben werden muß. ({2}) Es geht dabei nicht um neue Steuererhöhungen und nicht darum, neue Einnahmequellen für den Staat zu schaffen, sondern darum, dieses Steuersystem umzuRainder Steenblock strukturieren. Das ist der Ansatzpunkt der ökologischen Steuerreform. ({3}) Arbeit ist in diesem Lande viel zu teuer; das sagen alle Parteien in diesem Bundestag. Die Kosten, die auf dem Faktor Arbeit lasten, müssen reduziert werden. Wir sind die einzige Fraktion, die einen Vorschlag mit Lenkungswirkung gemacht hat. Wir wollen 6 Prozent bei den Sozialversicherungsbeiträgen abbauen, und wir machen einen Vorschlag, wie wir das finanzieren wollen. ({4}) - Wir machen sehr wohl einen Vorschlag, wie wir diese 6 Prozent finanzieren wollen. Wir machen nicht das, was Sie vorhaben. Es ist doch völlig klar: Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien werden nach den Landtagswahlen versuchen - sie werden es wahrscheinlich auch durchsetzen -, mit einer Mehrwertsteuererhöhung die Haushaltslöcher zu stopfen und die Lohnnebenkosten zu senken. Das ist eine völlig unsoziale Politik, die Sie an dieser Stelle vorhaben. ({5}) Denn anders als Ökosteuern ist die Mehrwertsteuer eine Besteuerung nach der Rasenmähermethode. Alle Güter werden gleichmäßig besteuert, völlig unabhängig von jeglicher ökologischen Lenkungswirkung. ({6}) - Ja, natürlich. Frau Homburger, ich bin mit Ihnen ja völlig einig, ({7}) daß wir eine Verschiebung von den direkten Steuern hin zu den indirekten Steuern vornehmen sollten. Diese Richtung würde auch ich vertreten. Aber wenn wir die direkten Steuern senken und stärker auf eine Verbrauchsbesteuerung übergehen, dann müssen wir die Lenkungswirkung im Auge haben und dürfen nicht mit dem Rasenmäher darübergehen. Vielmehr müssen wir die ökologischen Ziele, die wir erreichen wollen, bei dieser Methode dann auch durchsetzen. Die ökologische Steuerreform ist eine Steuerreform, die diese Lenkungswirkungen im Auge hat. Es geht uns aber nicht darum, mit einer Mehrwertsteuererhöhung die Schere zwischen Brutto- und Nettopreisen noch weiter zu öffnen. Das ist eine Politik, die gerade den Mittelstand, gerade die Handwerker schädigen wird. Das ist ein Förderprogramm für Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung, was von dieser Bundesregierung vorbereitet wird. Meine Damen und Herren, angesichts der dramatischen Zuspitzung der wirtschaftlichen, der ökologischen und der sozialen Probleme geht es uns um einen neuen Aufbruch in diesem Land, um die Organisierung dieses Aufbruchs in einem klassischen Industrieland. Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie werden noch rechtzeitig begreifen, daß sich dieser Aufbruch nur auf der Grundlage ökologischer Innovation vollziehen kann. Heute lebt unsere Gesellschaft mit ihrem hohen Ressourcen- und Energieverbrauch auf Kosten der Natur und damit auf Kosten der zukünftigen Generationen. Die Achtung der ökologischen Grundlagen ist eine immer wichtigere Voraussetzung auch für den künftigen ökonomischen Erfolg. Wer die ökologische und soziale Fehlsteuerung der Wirtschaft nicht länger hinnehmen will, muß mit der ökologischen Reform unseres Steuersystems beginnen. Wer - das sage ich mit großem Ernst - die Zerstörung des Sozialstaates nicht will, der muß im Rahmen eines sozial-ökologischen Gesellschaftsvertrages Solidarität in diesem Lande neu begründen. Die ökologische und soziale Steuerreform ist für uns der entscheidende Schritt in diesen neuen Gesellschaftsvertrag über soziale und ökologische Solidarität. Vielen Dank. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hans Michelbach, CDU/CSU. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! In den kommenden Monaten muß es in einer Gemeinschaftsaktion gelingen, die notwendigen und grundlegenden Weichen für mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu stellen. Es gibt viel zu tun. Packen wir es endlich gemeinsam an! ({0}) Die neuesten Arbeitslosenzahlen haben einmal mehr belegt, daß die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Förderung von Wachstum und Beschäftigung wichtiger denn je sind. Mit dem Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze werden wir konkrete Maßnahmen umsetzen. Dort heißt es richtungsweisend: Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften müssen an einem Strang ziehen, um Freiräume für Beschäftigungsdynamik zu schaffen, Kosten zu senken, Freiräume für Innovationen zu vergrößern, die Flexibilität der Märkte zu erhöhen, Subventionen abzubauen und den Standort Deutschland im globalen Wettbewerb fit zu machen. ({1}) Im Steuerbereich bedeutet dies konkret: Erstens: Unternehmensteuerreform. Zweitens: Abschaffung der Vermögensteuer. Drittens: Reform der Erbschaftsteuer. Viertens: Senkung des Solidaritätszuschlags. Fünftens: Existenzgründungs- und InvestitionsfördeHans Michelbach rung. Sechstens: ökologische Elemente im Steuersystem. In diesem eindeutigen Steuersenkungspaket haben Steuererhöhungen durch die Erhebung von Ökosteuern keinen Platz. Wissen Sie, wie hoch die Belastung der deutschen Unternehmen mit Steuern ist? Die Steuerbelastung der deutschen Unternehmen ist 12 Prozent höher als in Frankreich und 30 Prozent höher als in Großbritannien. Da gibt es keinen Spielraum für Steuererhöhungen. ({2}) Die Querelen und peinlichen Auftritte in Nordrhein-Westfalen haben es gerade wieder einmal an den Tag gebracht: Regierungsfähigkeit beweist man nicht durch wortreiche Anträge und die Mär von der ökologischen Erneuerung - hier im Plenum Modernisierungsschau, draußen vor Ort Verweigerung. Gefragt sind keine Ökomärchen und grüne Theorien von ökologischer Erneuerung. Angesagt sind jetzt Realismus, Pragmatismus und Effizienz.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Köhne?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Michelbach, Sie sagten eben, es gebe keinen Spielraum für Steuererhöhungen. Wie erklären Sie sich dann, daß wir nach wie vor Exportweltmeister sind? Steht das im Verhältnis zu den Ausführungen des Kollegen Steenblock, der zukünftig auch mit Umweltschutzgütern wirtschaften möchte?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sind deshalb noch Exportweltmeister - und das ist gut so; darauf können wir stolz sein -, weil wir durch den Fleiß unserer Arbeiterinnen und Arbeiter nach wie vor eine hohe Produktivität haben und in vielerlei Hinsicht, auch bei Umweltschutzanlagen, technologischen Fortschritt erzielen. Dies ist kein Widerspruch. Wir wollen in jedem Fall, daß Freiräume geschaffen werden - Freiräume, die den Unternehmen auch die Chance geben, weitere Entwicklungen im technologischen und damit auch im umwelttechnologischen Bereich vorzunehmen. Dies ist sehr viel besser als eine Umverteilung durch neue Steuererhöhungen. Diese Freiräume haben in einer Marktwirtschaft allerhöchste Effizienz. Ich bin noch nicht fertig mit meiner Antwort; ich will Ihnen Nachhilfeunterricht geben, was Marktwirtschaft ist. ({0}) Freiräume in einem Unternehmen sind die beste Grundlage für neue Investitionen ({1}) und für eine vernünftige Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, ({2}) daß steuerliche Freiräume in den Unternehmen neue Investitionen und Arbeitsplätze schaffen. ({3}) Angesagt sind jetzt Realismus, Pragmatismus und Effizienz. Unsere steuerlichen Freiräume ({4}) sind die besten Voraussetzungen für Investitionen in den Umweltschutz und in den Bau von effizienten Energieanlagen. Natürlich ist ein Unternehmen, das über die notwendigen Kapitalmittel verfügt, am ehesten in der Lage, Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen zu errichten. Diese Wege der Vernunft müssen wir jetzt gehen, die, wie ich meine, meine Damen und Herren, die Opposition in Bund und Land vermissen läßt. Die Grünen sind für mich die neue Umfallerpartei Deutschlands. Wie schrieb die Presse: „Das Modell für den Regierungswechsel in Bonn hat sich erst einmal erledigt." Die Grünen versuchen, uns den Einstieg in eine ökologisch-soziale Steuerreform als steuer- und sozialpolitisches Patentrezept zu verordnen und halten diesen Antrag gar aus umwelt-, wirtschafts- und finanzpolitischen Gründen für dringend erforderlich. Ich sage Ihnen: Er ist aus wirtschafts-, finanz- und steuerpolitischen Gründen abzulehnen. Er ist nicht machbar. Auf genau 51 Seiten versuchen Sie mit Worthülsen, in Ihrem Antrag betreffend Umweltschutz durch Steuererhöhungen eine Verteuerung von Energie zu legitimieren. Dabei verkennen Sie die wahren Dimensionen des Problems. Umweltprobleme, meine Damen und Herren, sind globaler Art. Sie machen nicht an Landesgrenzen halt und verlangen deshalb nach grenzüberschreitenden Lösungen. Ein deutscher nationaler Alleingang würde in ökologischer Hinsicht wirkungslos bleiben und den deutschen Anteil von 4 Prozent an den von Menschen verursachten CO2-Emissionen nicht beeinflussen können. Er schafft dagegen ökonomische Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft, die nicht mehr aufgeholt werden können. Würde die übrige Welt die gleiche Energieeffizienz wie Deutschland aufweisen, wären die CO2-Emissionen in der Welt um 17 Prozent geringer. Dagegen würde man bei nationalen Ökosteuern, wie Sie sie verlangen, massive Standortverlagerungen erzielen, Arbeitsplätze exportieren, also ein weiteres Arbeitsplatzvernichtungsprogramm beschließen. Das kann es in dieser Zeit doch wohl nicht sein, meine Damen und Herren. ({5}) Sie alle rufen nach weniger Steuern, nach geringerer Staatsquote und nach einfacheren Steuern. Wie verträgt sich das mit dem Ruf nach dem Einstieg in eine ökologische Steuerreform? Das ist die Frage. Durch Ökosteuern wird unser Steuersystem überfrachtet. Es wird noch bürokratischer, und es wird auch komplizierter. Es wird für nichtfiskalische Zwecke mißbraucht. Dabei ist es gesetzlich festgeschrieben, mit Steuern einzig und allein der Einnahmensicherung des Staates zu dienen. Sie fordern etwas, über dessen Fehlwirkungen sich die meisten Wissenschaftler längst einig sind. Der umweltpolitische Lenkungseffekt ökologischer Steuern ist nicht schlüssig belegt. Erwiesen ist dagegen ein Konflikt zwischen dem Lenkungs- und dem Ertragszweck der Steuern, der mögliche Einnahmen nur schwer bilanzieren läßt. Ihre Ökoexperimente sind für unsere Haushalte gefährlich, meine Damen und Herren, da sie jeglicher soliden Planbarkeit entbehren. Erst kürzlich beklagten Experten für Energiepolitik das Fehlen einer energiepolitischen Grundkonzeption, die die Ziele Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Preisgünstigkeit gewährleisten könnte. Der große Wurf einer ökologisch ausgerichteten Steuerreform ist somit nach den Umweltexperten Illusion. Ich füge hinzu, meine Damen und Herren von den Grünen: Ihr Antrag ist eine Mogelpackung. Sie versuchen mit Ihrer Ökosteuer eine ideologisch getarnte Steuererhöhung durch die Hintertür. Das werden wir zugunsten der Arbeitsplätze und des Wirtschaftsstandortes Deutschland nicht machen. ({6}) Mit Vergnügen betrachte ich übrigens die Auftritte der SPD - es ist im Moment sehr ruhig -, die sich ja auf gemeinsame Ökotöne bisher nicht einigen kann. Die SPD ist ja so etwas wie ein Ökosteuer-Panikorchester. Während die Bonner Kollegen Ökosteuern wollen, haben die Kollegen aus den Ländern mehr Realismus und wollen dies nicht. Ich meine, statt einer ökologischen Radikalkur befürworten wir von der CDU/CSU behutsames, systemimmanentes Umlenken und Umdenken ({7}) vor der von den Befürwortern von Ökosteuern forcierten dirigistischen Umgestaltung mit hohen Kosten für die Bürger und mit hohen Kosten für die Betriebe. Das ist der falsche Weg. Wir müssen die Staatsquote senken. Wir müssen die Steuern senken. Wir müssen unser Steuersystem vereinfachen und dürfen es nicht überfrachten und mit fiskalisch nicht brauchbaren Zwecken ausstatten. Im Interesse unserer Ziele Wachstum und Beschäftigung, im Interesse unserer Arbeitsplätze müssen wir die ökologische Steuerreform auf alle Fälle verhindern. Ökosteuern bedeuten den Einstieg in den Ausstieg aus Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum und damit einen Verlust für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das sollten wir uns gerade heute, an einem solchen Tag, merken und nicht vergessen, in der Zukunft den richtigen Weg für unsere Arbeitsplätze zu beschreiten. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Michael Müller, SPD.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit zwei Studien beginnen, die vielleicht gerade deshalb, weil sie nicht von der SPD oder den Grünen stammen, etwas mehr Aufmerksamkeit finden. Die erste Studie von der Prognos AG „Die Entwicklung der Energiemärkte bis zum Jahre 2020" kommt zu dem erschrekkenden Ergebnis, daß bis zum Jahre 2020 die CO2Emissionen der Bundesrepublik bestenfalls um 13,5 Prozent sinken werden. Ich weise darauf hin, daß das Haus, daß aber vor allem die Bundesregierung bei jeder Gelegenheit betont, daß bis zum Jahr 2005 die CO2-Emissionen um 25 Prozent gesenkt werden sollen. Sie haben bei einem Festhalten an der heutigen Politik keine Chance, dieses Ziel zu erreichen. ({0}) Ein zweites Beispiel: In dieser Studie steht auch, daß bei der Beibehaltung der heutigen Rahmenbedingungen der Anteil einer der wichtigsten Zukunftstechnologien überhaupt, nämlich der Solartechnologie, von heute 2,3 Prozent bis zum Jahre 2020 auf nur 3,5 Prozent steigen wird. In beiden Fällen, so schreibt die Prognos AG, liegt der entscheidende Grund in den viel zu niedrigen Energiepreisen. ({1}) Prognos schreibt, daß sich gerade die Veränderung der Preisrelation im Energiebereich nicht nur positiv auf die ökologische Bilanz auswirkt, sondern die entscheidende Voraussetzung ist, um in die wichtigen Effizienz- und Solarmärkte zu kommen. Gerade aus ökonomischen Gründen muß hier der Hebel angesetzt werden. ({2}) Ich will eine zweite Studie erwähnen, die nicht minder interessant ist. Sie ist von Kienbaum. Kienbaum hat auf der Ebene der Unternehmensberatung die Frage gestellt: Wie können wir die heute nicht genutzten Effizienzpotentiale, die sich aus Einsparungen, Ressourcenschonung usw. ergeben, betriebswirtschaftlich nutzbar machen? Prognos kommt zu dem Ergebnis - man höre und staune -, daß heute in der Bundesrepublik zwischen 300 und 400 Milliarden DM deshalb fehlgeleitet werMichael Müller ({3}) den, weil wir einfach viel zuviel Energie und Ressourcen verbrauchen und viel zuviel Abfall produzieren. 300 bis 400 Milliarden DM: Was sich daraus an volkswirtschaftlichem Potential für neue Produkte, neue Investitionen und für neue Beschäftigung ergibt, steht in keinem Verhältnis zu all dem, was wir heute diskutieren, von kümmerlichen Hilfen über Risikokapital bis Gott weiß, wohin. ({4}) Hier sind die entscheidenden Zukunftsmärkte, hier wird aber kaum etwas getan. Das führt bei uns zu der entscheidenden Schlußfolgerung: Es geht nicht mehr um die Frage, ob eine ökologische Steuerreform, sondern nur noch um die Frage, wie eine ökologische Steuerreform umzusetzen ist. Wer das vor dem Hintergrund, daß die entscheidenden Zukunftsmärkte die Effizienz- und Solarmärkte sein werden, nicht begriffen hat, hat auch nichts von Ökonomie begriffen. ({5}) Wir kommen aus meiner Sicht heute, wenn wir eine wirtschaftliche Bestandsaufnahme machen, zu dem Ergebnis: Die ökologische Steuerreform muß nicht wegen der wirtschaftlichen Krise zurückgestellt werden, sondern im Gegenteil: Wegen der wirtschaftlichen Krise ist sie heute wichtiger denn je. ({6}) - Ich will ja gar nicht sagen, wie viele Befürworter es auch in Ihrer Fraktion gibt. Ich könnte es auch so billig machen und aus dem Rexrodt-Papier oder aus dem Papier von Herrn Geißler zitieren. Was soll das denn alles? Wir sind hier im Bundestag und sollten über die Sache reden. ({7}) Dieses Bandenspielen ist dem Ernst der Situation nicht angemessen. ({8}) Damit das klar ist: Die ökologische Steuerreform ist nicht der Königsweg; auch das muß gesagt werden. Die ökologische Steuerreform ist ein wichtiges Instrument, aber dieses Instrument muß durch eine Reihe von anderen Maßnahmen ergänzt werden. Dazu gehört beispielsweise ein Abbau von Innovationshemmnissen. In vielen Bereichen haben wir derartige Hemmnisse, ({9}) daß lediglich eine Veränderung der Preisrelationen die Innovationen nicht in Gang setzen würde. Dazu gehören auch Anreizsysteme, um wirklich in die neuen Zukunftsfelder hineinzugehen, zum Beispiel steuerlicher Art, aber auch durch Modernisierung des Ordnungsrechts und durch vieles andere mehr. Wichtig ist: Ohne eine Veränderung der Preisrelationen wird in vielen Märkten keine Entwicklung stattfinden. Wir brauchen eine Entwicklung in Richtung der neuen Zukunftsmärkte. Wir müssen aktiv diese Märkte schaffen, weil nämlich beispielsweise Energieeinsparung oder Effizienzmärkte keine Chance haben, sich unter den heute gegebenen Struktur- und Konkurrenzbedingungen zu entwikkeln. Das ist die eigentliche Wahrheit.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Köhne?

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Kollege Müller, Sie haben eben die Beseitigung von Hemmnissen genannt. Dazu stelle ich jetzt einfach die Frage: Meinen Sie damit ungefähr das, was die Regierung vor hat, nämlich Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, oder meinen Sie etwas anderes damit?

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich will ein Beispiel nennen. Ein wesentliches Hemmnis ist heutzutage, daß beispielsweise auf jemanden, der ein Haus baut und Wärmeschutzmaßnahmen durchführen will, wesentlich höhere Kosten zukommen und er deshalb auf diese Maßnahmen verzichtet. Anders wäre es, wenn er eine Rechnung aufmachen könnte, die zu dem Ergebnis kommt, daß er nach acht Jahren wieder in ein Plus kommt, daß sich durch die eingesparten Energiekosten die Investition, die er am Anfang tätigt, nach acht Jahren amortisiert. Es ist die Frage: Wie beseitige ich dieses Hemmnis? Man muß beispielsweise bestimmte Formen von Zwischenfinanzierung - man nennt das „contracting" - entwickeln. Dies ist eine Form von einem solchen Hemmnisabbau. In anderen Bereichen sind starre Normvorschriften ein Hemmnis. Was es im Solarbereich heute an hemmenden Normvorschriften gibt, ist nicht notwendig, da sich diese Vorschriften in einer ganz anderen Zeit entwickelt haben. Solche Maßnahmen meine ich. Ich spreche nicht von der Bundesregierung. Ich sehe auch nicht, daß ihr sogenannter Abbau des Ordnungsrechts, so wie sie es angelegt hat, zu einer Beschleunigung führt. Er führt aus meiner Sicht eher zu einer größeren Rechtsunsicherheit. Ich bin sehr dafür, das Ordnungsrecht zu verändern. Aber dann muß man sozusagen die Logik ändern. Man muß zu Zielvorstellungen, zu einer Dynamik kommen. Das alles wird nicht getan. ({0}) Lassen Sie mich noch einmal zu dem Grundgedanken kommen, der wichtig ist. Der erste Grundgedanke ist, daß wir heute das Ende einer Etappe erleben, bei der wir einen Zusammenhang zwischen Michael Müller ({1}) Wachstum, Verteilungspolitik, Beschäftigung und Wohlstandsmehrung hatten. Das war sozusagen die Dynamik der vergangenen Jahre. Diese Logik ist aus vielen Gründen nicht mehr gegeben, unter anderem übrigens auch, weil in unserer Gesellschaft die sogenannten Defensivkosten gewaltig gestiegen sind. Professor Scherhorn hat erst jüngst eine Studie vorgelegt, der zu entnehmen ist, daß ein Anteil von ungefähr 20 Prozent des Bruttosozialprodukts heute für Defensivkosten verbraucht wird, also im Grunde genommen nicht mehr in positiver Weise dem Entwicklungs- und Wachstumsprozeß dient. Der zweite wesentliche Grund ist, daß wir objektiv an ökologische Grenzen des Wachstums stoßen. Nun wird das heute nicht mehr bestritten. Jeder sagt: Das ist alles richtig, was die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen angeht, aber die Wirtschaft läßt nichts anderes zu. Wir setzen die Gegenmaßnahmen jetzt erst einmal für fünf Jahre aus. Dann reden wir wieder darüber. - Genau dies wird die Probleme nur weiter verschärfen. ({2}) Die Aufgabe der Politik muß angesichts dieser beiden Herausforderungen - der Veränderung der wirtschaftlichen Konkurrenzbedingungen auf der einen Seite und der Erkenntnis der ökologischen Grenzen des Wachstums auf der anderen Seite - sein, politische Konzepte zu entwickeln, die positiv versuchen, beide Krisen zu überwinden. Das ist der eigentliche Ansatzpunkt, um den es geht. Wir wollen keine Umverteilung. Wir wollen keinen Sozialabbau. Wir wollen nicht eine Politik der einfallslosen Kürzungen. Wir wollen vielmehr eine Politik, die eine neue Dynamik von Wohlstand, ökologischer Verträglichkeit und Beschäftigungspolitik in Gang setzt. Das ist es, worum es geht. Es ist das, was wir einen neuen ökologischen Deal nennen. ({3}) Es ist wirklich ein interessanter historischer Fakt, daß beispielsweise die Grundlage, die in den letzten 40 Jahren unsere Demokratie ausgemacht hat, nämlich die soziale Dimension unserer Gesellschaft, nach 1930 in den USA auch gegen den Widerstand der bornierten Wirtschaftsvertreter durchgesetzt werden mußte, obwohl sie genau den Wirtschaftsvertretern geholfen hat. ({4}) Genau diese Engstirnigkeit im Denken verhindert die Innovationsfähigkeit in der Bundesrepublik und die Entwicklung von Zukunftsfähigkeit. Das heißt, wir kommen einfach nicht an dem Punkt vorbei: Wer heute meint, er brauchte nur den Status quo zu managen, er könnte sozusagen mit ein paar Kürzungen diese strukturelle Krisenproblematik überwinden, der wird aus meiner Sicht nicht nur die Probleme nicht lösen können, sondern langfristig auch die Demokratie gefährden. Er wird aber vor allem die Chancen vertun, die sich heute ergeben, wenn wir in den ökologischen Strukturwandel investieren. ({5}) Meine Damen und Herren, es ist nämlich so: Das größte Risiko ist heute das Festhalten am Status quo. Genau aus diesem entscheidenden Grund wollen wir Reformen. Es wäre sehr schön - auch das will ich sagen -, wenn wir uns über die Parteigrenzen hinweg in diesen Fragen auf eine Diskussion verständigen könnten - wir haben das im Umweltausschuß versucht -, in der mehr Gemeinsamkeiten entwickelt werden. Ich stimme nämlich der These zu, daß eine ökologische Steuerreform nicht mit knappen Mehrheiten durchgesetzt werden kann. Es kann sein, daß der Bundestag sie mit knapper Mehrheit beschließt; das will ich nicht abstreiten. Aber wir brauchen in der Gesellschaft einen relativ breiten Konsens für einen solchen Strukturwandel. Das ist eine ganz wichtige Bedingung. Wir brauchen vor allem eine berechenbare, langfristig angelegte Politik des Strukturwandels. Deshalb, so finde ich, sollte man losgelöst von parteipolitischen Interessen prüfen, ob nicht der Ansatz des Strukturwandels derjenige ist, der die Ziele der Innovation, der Beschäftigungspolitik und der ökologischen Verträglichkeit wirklich miteinander verbindet. Ich meine das sehr ernst. Es ist ein Irrglaube, zu meinen, wir könnten mit einer Politik, die im Kern den Sozialstaat demontiert und glaubt, Kostensenkung sei alles, aber nichts für die neuen Märkte, nichts für neue Produkte und für Innovation aktiv tut, die Krise überwinden. Ich halte das für eine Illusion. Es ist um so besser, je früher wir anfangen. Denn die Hinweise mehren sich, daß es in den nächsten Jahren eher schlechter wird. Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns zur Vernunft kommen, und lassen Sie uns versuchen, bei allen Schwierigkeiten, die mit der ökologischen Steuerreform verbunden sind - daß es da Risiken gibt, streitet niemand ab -, gemeinsam einen Weg zu gehen, der zumindest vom Ansatz her überzeugender ist als alles das, was heute vorgeschlagen wurde. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Kollegin Professor Gisela Frick, F.D.P.

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Angebot des Kollegen Müller zu einer Diskussion über die ökologische Steuerreform im Konsens nehmen wir gerne an. Sie haben auch die Vernunft angemahnt. Auch da möchten wir gern mit dabeisein. Ich verhehle nicht, daß in unserer Fraktion und in unserer Partei sehr große Sympathien für eine ökologische Steuerreform vorhanden sind. Aber eine solche Steuerreform muß - das sagt uns eigentlich die Überschrift des Antrags der Grünen - ökologisch, das heißt ökologisch sinnvoll sein, und sie muß sozial, das heißt sozial verträglich sein. Bei beiden Punkten melde ich für die F.D.P. ganz erhebliche Zweifel an. Das ökologisch Sinnvolle ist natürlich sehr schwierig in einem nationalen Alleingang zu machen. Denn es bleibt eine Tatsache, daß bei einem nationalen Alleingang die Emissionen möglicherweise geographisch anders verteilt werden, sich global in der Summe aber nicht vermindern. Das heißt, auch da müssen wir genau hinsehen, wie wir es hinbekommen, mit einem nationalen Alleingang ökologisch Sinnvolles zu erreichen. Ich möchte das Schwergewicht heute aber auf die Betrachtung der sozialen Wirkungen legen. Hier muß ich sagen, eine soziale Steuerreform ist das, was der Antrag der Grünen enthält, nun wirklich nicht. Ich möchte das auch belegen. Erstens. Sie beziehen die Wirtschaft mit ein. Sie sagen sogar ganz deutlich, daß ein Drittel des Aufkommens aus den Ökosteuern aus der Wirtschaft stammen soll, und stellen fest, eine weitere Entlastung der Unternehmen sei nicht mehr vorzunehmen. Das paßt natürlich zu den Aussagen Ihrer Sprecher, wir sollten nicht in das Wehgeschrei der Wirtschaft mit einstimmen, was Arbeits- und Investitionsbedingungen angeht. Das ist natürlich alles nur Wehgeschrei und Stimmungsmache. Herr Michelbach hat heute die Zahlen vom ZEW in Mannheim schon einmal genannt, die ganz frisch, seit gestern, auf dem Markt sind. Schon jetzt, vor einer entsprechenden Ökosteuer, ist die durchschnittliche Gesamtsteuerbelastung unserer Unternehmen um 12 Prozent höher als in Frankreich und um 38 Prozent höher als in Großbritannien. Wir können dann nicht im Alleingang bei der Wirtschaft noch einmal mindestens 7 Prozent bei der durchschnittlichen Belastung drauflegen. Das ist aus Standortgründen und insbesondere aus Gründen der Arbeitsmarktpolitik in der jetzigen Zeit völlig unmöglich. ({0}) Wenn Sie diese zusätzliche Belastung der Wirtschaft mit in Kauf nehmen, dann nehmen Sie auch in Kauf, daß Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, ({1}) daß hier bei uns im Inland keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist die unsozialste Politik, die man überhaupt betreiben kann, wenn man eine solch miserable Arbeitsmarktpolitik macht. ({2}) Der zweite Gedanke: Sie wollen keine Aufkommensneutralität, Sie lehnen das sogar ausdrücklich ab. Der Hinweis darauf, daß es eine überspitzte Diskussion über die Staatsquote gibt, ist natürlich ein sehr interessanter Gesichtspunkt in der Hinsicht, daß Sie diese als ideologisch überfrachtet bezeichnen. Wenn Sie dann aber sagen, zumindest zum größeren Teil solle das Aufkommen aus der Ökosteuer zur Herabsetzung der Lohnnebenkosten benutzt werden, dann muß ich Sie fragen: Wie schaffen Sie das denn? Allein aus Ihrem Antrag geht hervor: Aufstokkung der Transferleistungen, Fördermaßnahmen für eine Energie- und Verkehrswende. Mit weiteren Mitteln soll ein internationaler Klimafonds unterstützt werden. Für bestimmte Branchen und Regionen sollen auch noch Anpassungszahlungen geleistet werden. ({3}) Wenn ich das, was Sie in Ihrem Antrag beziffert haben, zusammenrechne, komme ich auf 38 Milliarden DM im Jahr. Die Sozialkosten sind aber noch nicht dabei, und die Anpassungshilfe ist noch nicht beziffert. Sie wollen in den ersten Jahren mit 18 Milliarden DM Einnahmen aus der Ökosteuer anfangen. Ich sehe ein gewisses Mißverhältnis - das muß ich einmal ganz zaghaft andeuten. ({4}) Wo soll denn überhaupt noch Volumen übrigbleiben, um die Sozialkosten zu senken? Es gibt hier doch rechnerisch gar keine Chance. Sie fügen nur ständig neue Ausgaben dazu. Sie sagen selber ausdrücklich: Vorübergehend kann man einmal eine Erhöhung der Staatsquote in Kauf nehmen. Das können wir in der derzeitigen Zeit gerade nicht. ({5}) Genau das muß klar sein. Auf meinen letzten Punkt möchte ich nur ganz kurz hinweisen, weil dies heute schon einmal in einer Zwischenfrage angesprochen worden ist. Die Steigerung des Benzinpreises auf 5 DM in der Endstufe im Jahre 2006 - wenn es denn die Endstufe ist - ist nun auch nicht ein besonders sozialer Gesichtspunkt. Insofern kann ich nur sagen: Wir sind bereit, über eine ökologische Steuerreform zu reden. Ganz entscheidend dabei ist aber, daß sie sozial bleiben muß. Das heißt in unserer Zeit, daß sie Arbeitsplätze nicht vernichtet, sondern - im Gegenteil - Arbeitsplätze fördert. Wenn das Thema nicht so ernst wäre, dann hätte ich in Ihrem Antrag vielleicht ein Augenzwinkern bemerkt. Sie fordern nämlich zum 1. April eine Vorlage der Regierung. Vielleicht haben Sie dies als einen Aprilscherz verstanden. Danke schön. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Rolf Köhne, PDS.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal auf die Diskussion, die Herr Michelbach und Frau Frick angesprochen haben, eingehen. Freiräume für das Kapital unter den gegebenen Bedingungen führen zwangsläufig dazu, daß weiter in die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen anstatt in die Steigerung der Energieeffizienz investiert wird. Das ist doch so. Schauen Sie sich doch an, was in den vergangenen 20 Jahren hier passiert ist! Wir haben eine immer stärkere Steigerung der Arbeitsproduktivität. Volkswirtschaftlich ist es aber kontraproduktiv, wenn die vorhandenen Arbeitspotentiale der Gesellschaft nicht mehr genutzt werden. Bei vier Millionen Arbeitslosen haben wir letztendlich auch einen Ausfall an potentieller Wertschöpfung in Höhe von 400 Milliarden DM. Das muß doch einmal beendet werden. Ihre Politik führt zwangsläufig zu mehr Arbeitslosigkeit und mehr Umweltzerstörung. Die PrognosStudie hat gezeigt, daß Sie das Klimaziel nicht erreichen werden. Bei höheren Energiepreisen werden sicherlich einige stark exportorientierte Unternehmen in den Bereichen Stahl, Chemie und Nichteisenmetalle Nachteile haben. Diese negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt müssen deshalb kompensiert werden. Sie werden meiner Meinung nach überkompensiert, wenn man in ausreichendem Maße in den Bereichen Energieeffizienz, Förderung der Photovoltaik, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und Wärmeschutz investiert. Wenn das passiert, werden genügend Arbeitsplätze geschaffen. Das zeigen die Studien von DIW und anderen. Es ist deshalb notwendig, in diesem Hause auch einmal über ökonomische Instrumente nachzudenken. Wir haben allerdings auch ein paar Kritikpunkte bezüglich der ökologischen Steuerreform, speziell der Energiesteuer. Im Grunde genommen setzt sie am Verbraucher an. Deswegen ist unser Vorschlag geeigneter, mit einer direkten Mengenregulierung anzusetzen. Letztendlich führt das dazu, daß die Energiepreise steigen. Wir wollen die Einnahmen abschöpfen und in die Investitionen stecken. Der zweite Gesichtspunkt ist, daß wir auch auf die Bergbauregionen Rücksicht nehmen müssen. Wir sind der Meinung, daß man da einen sozialen Gleitflug organisieren muß und es deshalb notwendig ist, stärker in die Energieeffizienz zu investieren, um das kompensieren zu können. Drittens sind wir der Meinung, daß es sehr schwierig sein wird, mit einer Ökosteuer zu einem internationalen Klimaschutzabkommen zu kommen. Da wäre es besser, Vereinbarungen über eine Senkung des Pro-Kopf-Verbrauches zu erreichen. Ich halte das für realistischer. Das sind unsere Kritikpunkte. Das ändert aber nichts daran, daß wir natürlich sehr viel kritischer mit dem, was von der Regierungsseite gekommen ist, umgehen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Hauser.

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der letzte Redner hat hier von einem „Gleitflug" geredet. Ich glaube, es würde eher ein Blindflug mit einer Bruchlandung, was hier vorgeführt worden ist. ({0}) Wir debattieren heute über einen Antrag, der offensichtlich das Patentrezept zur Lösung der aktuellen politischen Probleme im wirtschafts-, umwelt- und finanzpolitischen Bereich sein soll. Wenn wir uns aber die Einzelheiten dieses Antrags anschauen, dann stellen wir sehr schnell fest: Dem Ziel, den Standort Deutschland zu sichern, kommen wir damit keinen Schritt näher. Im Gegenteil, es soll eine Energiesteuer auf den Energiegehalt und die CO2-Emissionen erhoben werden. Die Steuersätze sollen dann in jährlichen Schritten bis 1999 knapp verdreifacht werden, und das in einem Land, das mit seinen Energiepreisen insgesamt und mit den Strompreisen auch nach Wegfall des Kohlepfennigs im internationalen Vergleich in der Spitzengruppe liegt. Allein aus dieser Steuer sollen bis zum Jahr 2005 rund 111 Milliarden DM eingenommen werden. Aber es kommt noch besser: Weil diese zusätzlichen Kosten für Bürger und Unternehmen anscheinend noch nicht ausreichen, sollen die Deutschen mit weiteren 153 Milliarden DM im Jahr 2005 zur Kasse gebeten werden. Die entsprechenden Zahlen sind schon genannt worden. Das typische Beispiel dafür ist der Liter Benzin für 5 DM. Die Grünen machen ein paar Vorschläge für die Verwendung, sicher, beispielsweise die Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge. Aber die Staatsquote wird damit nicht gesenkt. Wie wollen Sie denn dem ungebremsten Wachstum unserer Sozialversicherungsausgaben überhaupt gegensteuern? Mit Ihren Maßnahmen sind Sie in zwei Jahren genau da, wo Sie schon heute stehen. ({1}) Sie nehmen eher sogar einen weiteren Anstieg der Staatsquote in Kauf. Dabei zeigen die Ergebnisse einer IWF-Studie für Deutschland einen negativen Zusammenhang zwischen der Größe des öffentlichen Sektors und dem Wirtschaftswachstum. Derzeit sind in Deutschland sowohl die Einnahmen- als auch die Ausgabenquote für ein stabiles mittelfristiges Wachstum zu hoch. Es besteht eine echte Notwendigkeit, den öffentlichen Sektor zu verkleinern. Vor diesem Hintergrund soll nach den Vorstellungen der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen die Belastung mit Steuern und Abgaben für viele Bürger und Unternehmen nicht gesenkt, sondern im Gegenteil eher erhöht werden. Hier geht es offenbar einzig und allein um ideologische Umverteilung ohne Rücksicht auf die aktuellen Herausforderungen, vor denen wir hier in Deutschland angesichts von über fünf Millionen fehlenden Arbeitsplätzen und einer zunehmenden Globalisierung der Märkte stehen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Caspers-Merk?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Bitte sehr.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hauser, Sie sind jetzt vehement gegen Ökosteuern auf getreten. Sie kennen doch sicher auch die Basisinitiative der CSU mit 6 000 Unterschriften für eine ökologische Steuerreform. Deswegen die Frage an Sie: Geht es um das Wie? Da haben wir Sozialdemokraten auch deutlich andere Ansichten. Oder geht es Ihnen generell um das Ob, daß Sie also auch eine ökologische Steuerreform, eine Ökologisierung des Steuersystems generell ablehnen?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Frau Kollegin, Sie wissen: Die CSU ist eine sehr, sehr erfolgreiche Volkspartei mit satten Mehrheiten in Bayern. Selbstverständlich haben wir in unserer Partei auch Diskussionen über dieses Thema. Es wäre nicht verwunderlich, wenn es auch dafür Anhänger gebe. ({0}) Aber wir sind überzeugt davon, daß wir mit den Argumenten, die wir auf den Tisch legen können, auch die Anhänger dieser Richtung überzeugen können, ({1}) daß die Methode, die wir hier anwenden wollen, die vernünftigere Methode ist, nämlich mit zielgerichteten ökologischen Elementen im Steuerrecht die Umsteuerung zu erreichen, Anreize zu schaffen, zu fördern. Das ist wesentlich besser, als zu lenken und zu gängeln und den Staat als den Allmächtigen hinzustellen, der alles zu lenken und zu erreichen hat. ({2}) Meine Damen und Herren, ein Hochlohnland wie Deutschland kann im internationalen Wettbewerb der Arbeitsmärkte nur bestehen, wenn es sich zugleich dem internationalen Wettbewerb um möglichst gute steuerliche Standortbedingungen stellt. Was die Verkehrswende angeht, so können Sie in Nordrhein-Westfalen an der Diskussion um den Dortmunder Flughafen und die TNT-Verlagerung von Köln/Bonn nach Lüttich ganz aktuell sehen, welche Ergebnisse eine solche Politik heraufbeschwört: ({3}) Durch mehr Fahrradwege gibt es nun einmal keine neuen Arbeitsplätze. Das steht eindeutig fest. Hinzu kommt: Die von Ihnen befürwortete Belastung des Faktors Umwelt wird letztendlich doch wieder nur den Faktor Arbeit belasten, den Sie angeblich entlasten wollen. Steuern belasten letztendlich immer natürliche Personen. Das können, müssen aber nicht die Eigentümer der besteuerten Produktionsfaktoren sein. Sie können sich also ausrechnen, wer bei Mobilität von Kapital und Immobilität von Arbeit am Ende die Zeche zahlen muß. Ich denke, es ist an der Zeit, den Bürgern dieses Landes einmal deutlich diese Ziele vor Augen zu führen. Meine Damen und Herren, von keinem verantwortungsbewußten Bürger oder Politiker in unserem Land wird bezweifelt, daß Umweltschutz und Klimaschutz zu den prioritären Anliegen der Politik und des gesellschaftlichen Handelns zählen. Diese Bundesregierung hat in den zurückliegenden Jahren durch ihre Politik stets deutlich gemacht, ({4}) sich gerade im Hinblick auf künftige Generationen ihrer Verantwortung für die Umwelt bewußt zu sein und kontinuierlich, zielgerichtet, aber auch besonnen und nicht mit blindem Eifer auf einen angemessenen Beitrag Deutschlands zur Lösung der globalen Klimaprobleme hinzuwirken. ({5}) Sie kommt dieser Verantwortung durch ihre Politik in den unterschiedlichsten Bereichen und auch in der Steuerpolitik nach. Das Einsetzen für ökologischen Fortschritt darf aber die Wirtschaft und Steuerpolitik als Instrument nicht überfordern. Es wäre fatal, in ökologisch motivierter Absicht den Wirtschaftsstandort Deutschland mit seinen im weltweiten Vergleich beispielhaften Umweltstandards durch eine zu hohe, im nationalen Alleingang beschlossene Abgabenbelastung unattraktiv zu machen. Die zwangsläufige Folge wären Standortverlagerungen, mit denen wir die gesamtwirtschaftliche Lage verschlechtern, das Problem der Arbeitslosigkeit vergrößern und in kontraproduktiver Weise die ökologischen Risiken eher verschärfen würden. Denn ein Abwandern in Länder mit noch höheren Umweltstandards ist kaum möglich. Eine Besteuerung der Elektrizität nach Ihren Vorschlägen hätte ganz eindeutig sehr, sehr negative Folgen. Abgabenbelastungen für den Strom im gewerblichen Sektor würden bereits ein Vielfaches dessen betragen, was der Kohlepfennig in den alten Ländern ausmachte. Die neuen Bundesländer müßten das zusätzlich bezahlen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Bitte sehr.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sagten, Sie wollten Ihren Verpflichtungen gerecht werden. Das Kabinett hat 1990 den Beschluß gefaßt, in den alten Bundesländern die CO2-Emissionen um 25 Prozent bzw. in den neuen Bundesländern um einen noch deutlich höheren Prozentsatz zu verringern. Können Sie mir sagen, wie sich in den alten Bundesländern die CO2-Emissionen seither entwikkelt haben?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Ich kann Ihnen dazu im Augenblick nicht die aktuellen Zahlen sagen. Sie wissen aber, daß wir eine Reihe von Maßnahmen getroffen haben. Es gibt auch Selbstverpflichtungen der Industrie und zusätzliche Elemente, die wir in das Steuerrecht eingeführt haben. Es geht hier darum, über das ökologische Steuerkonzept der Grünen zu diskutieren. Wir haben eine ganze Reihe von Vorschlägen dazu gemacht und werden das zukünftig ebenfalls tun. Wir werden im Bereich der Kfz-Steuer eine ökologische Komponente einführen. Auch bei der Unternehmensteuerreform prüfen wir eine entsprechende Komponente. Aus diesen Gründen können wir zuversichtlich sein, daß wir die gesteckten Ziele erreichen werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Wenn Herr Müller die Debatte unbedingt verlängern will; wir sind ohnehin erheblich in Zeitverzug.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das war ein Ja. - Bitte, Herr Kollege Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie hatten ja das Klimaproblem angesprochen. Deshalb frage ich - Sie hatten die Zahlen nicht präsent -: Wie wollen Sie denn vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Emissionen seit 1990 um 4 Prozent angestiegen sind, diese Probleme lösen?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Lieber Herr Müller, wenn wir weltweit die gleichen Standards erzielen könnten - das haben wir heute schon gehört -, wie wir sie in Deutschland haben, dann könnten wir sehr schnell zu einer starken Reduzierung der Emissionen kommen. Die Problematik, die Sie ansprechen, können wir mit Sicherheit nicht mit den Methoden lösen, die im Augenblick von den Grünen vorgeschlagen werden. Eine wirkliche Verbesserung des Umweltschutzes kann nämlich nur dann durchgeführt werden, wenn wir eine starke Wirtschaft haben. Eine starke Wirtschaft können wir aber nur dann erreichen, wenn wir sie steuerlich entlasten. Nur mit diesen Faktoren, einer starken Wirtschaft und einer reduzierten Besteuerung, entsteht das nötige Kapital, um einen entsprechenden Umweltschutz und die Ziele, die wir uns gesteckt haben, durchzusetzen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch der Lenkungseffekt, den die Grünen erreichen wollen, wird mit Sicherheit nicht eintreten. Im Gegenteil: Durch die steigenden Ausgaben und die geringeren Einnahmen, die von Ihnen prognostiziert werden, wird es ein Risiko für den Haushalt geben: Der Haushalt ist nicht mehr kalkulierbar. Um das zu vermeiden, müssen Sie Ihre geplanten Steuererhöhungen um so höher einstufen. Sie müssen noch höhere Steuereinnahmen erzielen, um die nicht kalkulierten Ausgaben zu finanzieren. Dieses Spiel werden wir mit Sicherheit nicht mitmachen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/3555 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 16a bis 16q auf: Überweisung im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Erstattungsvorschriften im sozialen Entschädigungsrecht ({0}) - Drucksache 13/1777 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Rechtsausschuß Ausschuß für Gesundheit b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Totengedenkstättenschutz - ({2}) - Drucksache 13/3468 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise und des Paßgesetzes - Drucksache 13/3469 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({3}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Markenrechtsänderungsgesetzes 1996 - Drucksache 13/3841 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({4}) Ausschuß für Wirtschaft Vizepräsident Hans-Ulrich Klose e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Hopfengesetzes - Drucksache 13/3844 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5}) Rechtsausschuß Ausschuß für Gesundheit f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen und des EG-Amtshilfe-Gesetzes - Drucksache 13/3845 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({6}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. November 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Malediven über den Luftverkehr - Drucksache 13/3846 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({7}) Finanzausschuß h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Mai 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik China über den Seeverkehr - Drucksache 13/3847 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({8}) Finanzausschuß i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. September 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malta über den Luftverkehr - Drucksache 13/3848 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({9}) Finanzausschuß j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 6. Oktober 1989 und vom 26. Oktober 1990 zur Änderung des Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt - Drucksache 13/3849 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. Mai 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Bosnien und Herzegowina über den Luftverkehr - Drucksache 13/3850 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({10}) Finanzausschuß 1) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. November 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen über den Sitz des Freiwilligenprogramms der Vereinten Nationen - Drucksache 13/3851 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({11}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Konstitution und der Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember 1992 sowie zu den Änderungen der Konstitution und der Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 14. Oktober 1994 - Drucksache 13/3810 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Post und Telekommunikation ({12}) Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung 1997 - Krankenhaus-Neuordnungsgesetz 1997 ({13}) - Drucksache 13/3939 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit o) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Fortschreibung des Rheumaberichts der Bundesregierung - Drucksache 13/3972 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({14}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lothar Fischer ({15}), Dr. Peter Glotz, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zur Zukunft der deutschen und europäischen Raumfahrt - Drucksache 13/3974 8158

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß q) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ({1}) vom 8. Juni 1967 für die Jahre 1993 bis 1996 ({2}) - Drucksache 13/2230 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({3}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Internationalen Fernmeldeunion auf Drucksache 13/3810 - das ist der Tagesordnungspunkt 16m - soll gemäß § 96 der Geschäftsordnung zusätzlich dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Die Federführung beim Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, dem Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. zur Fortschreibung des Rheumaberichts auf Drucksache 13/3972 - das ist Tagesordnungspunkt 16o - soll beim Ausschuß für Gesundheit liegen. Besteht Einverständnis darüber? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 17 a, Vertragsgesetzentwurf der Bundesregierung mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Einbeziehung der Gemeinde Büsingen in das schweizerische Zollgebiet, von der Tagesordnung abzusetzen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 17 b bis 17 f und 17h bis 17q auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 17 b: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - Drucksache 13/2836 - ({4}) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5}) - Drucksache 13/3793 Berichterstattung: Abgeordneter Gerhard Schulz ({6}) Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 3793, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einer Stimmenthaltung aus dem Bereich der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 17 c: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. Mai 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen - Drucksache 13/2985 - ({7}) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({8}) - Drucksache 13/3794 Berichterstattung: Abgeordneter Gerhard Schulz ({9}) Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 3794, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 d auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geflügelfleischhygienegesetzes ({10}) - Drucksache 13/118 -({11}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({12}) - Drucksache 13/3998 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Wolfgang Wodarg Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit wie zuvor angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 e auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses Vizepräsident Hans-Ulrich Klose ({13}) zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drohende Wiederaufnahme der französischen Atombombenversuche im Südpazifik - Drucksachen 13/1986, 13/3765 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Volker Neumann ({14}) Ludger Volmer Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1986 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 f auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({15}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Legislative Entschließung zur Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über einen Aktionsplan der Europäischen Union zur Drogenbekämpfung ({16}) - Drucksachen 13/2306 Nr. 1.3, 13/3692 - Berichterstattung: Abgeordnete Franz Peter Basten Dietmar Thieser Dr. Helmut Lippelt Ulrich Irmer Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 h und 17 i auf: h) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({17}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Einhundertdreißigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - - Drucksachen 13/3439, 13/3528 Nr. 2.3, 13/ 3887 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({18}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Achtunddreißigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 13/3466, 13/3528 Nr. 2.4, 13/ 3889 Berichterstattung: Abgeordnete Jelena Hoffmann ({19}) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 j und 17 k auf: j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({20}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Einhundertneunundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Drucksachen 13/3317, 13/3528 Nr. 2.2, 13/ 3890 - Berichterstattung: Abgeordneter Jürgen Türk k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({21}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Siebenunddreißigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 13/3316, 13/3528 Nr. 2.1, 13/ 3891 Berichterstattung: Abgeordnete Margareta Wolf ({22}) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung von SPD und der Gruppe PDS angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 1 und 17 m auf: 1) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 02 Titel 686 30 - Beitrag an die Vereinten Nationen - Drucksachen 13/3442, 13/3664 Nr. 1.5, 13/ 3908 Berichterstattung: Abgeordnete Adolf Roth ({24}) Ina Albowitz Kristin Heyne Vizepräsident Hans-Ulrich Klose m) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({25}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 642 01 - Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz - Drucksachen 13/3443, 13/3664 Nr. 1.6, 13/ 3909 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Pützhofen Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese Kristin Heyne Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind bei Stimmenthaltung der PDS mit den Stimmen aller anderer Fraktionen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17n auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({26}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der ehemaligen Boehn-Kaserne in Hamburg-Rahlstedt - Drucksachen 13/3615, 13/3910 - Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Kristin Heyne Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkte 17 o bis 17 q auf: o) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({27}) Sammelübersicht 93 zu Petitionen - Drucksache 13/3237 - p) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({28}) Sammelübersicht 105 zu Petitionen - Drucksache 13/3898 - q) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({29}) Sammelübersicht 106 zu Petitionen - Drucksache 13/3899 - Wir kommen zur Sammelübersicht 93 auf Drucksache 13/3237. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS ist die Sammelübersicht 93 angenommen. Wir kommen zur Sammelübersicht 105 auf Drucksache 13/3898. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 105 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen. Wir kommen zur Sammelübersicht 106 auf Drucksache 13/3899. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 106 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Stimmenthaltung der PDS angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6a bis 6c sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 6. a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1996 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - Drucksachen 13/3680 und 13/3681 ({30}) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({31}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({32}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, Anke Fuchs ({33}), Dr. Gerald Thalheim, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ausgleich währungsbedingter Einkommensverluste - Drucksachen 13/3143, 13/3660 - Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Jürgen Koppelin Ilse Janz Kristin Heyne c) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({34}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1996; Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel 656 52 - Zuschüsse an die Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung - bis zur Höhe von 207,291 Mio. DM zum Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ausgleich währungsbedingter Einkommensverluste in der Landwirtschaft - Drucksachen 13/3592, 13/3782 Nr. 2, 13/ 3783 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Jürgen Koppelin Ilse Janz Kristin Heyne ZP2 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({35}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1995 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Peter Harry Carstensen ({36}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1995 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD a) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1995 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung b) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Materialband ({37}) zum Agrarbericht 1995 der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1995 - Drucksachen 13/400, 13/401 ({38}), 13/697, 13/713, 13/708, 13/3956 Berichterstattung: Abgeordnete Horst Sielaff Günther Bredehorn Zum Agrarbericht 1996 liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., der Fraktion der SPD sowie der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Berichterstatter, dem Kollegen Kalb, das Wort.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich nicht zu Wort gemeldet, Herr Vorsitzender des Agrarausschusses, um mir Redezeit zu erschleichen oder gar den Beratungsgang im Haushaltsausschuß in aller Breite darzulegen, obwohl es sicher angebracht wäre, auch die Aufgeschlossenheit des Haushaltsausschusses für das agrarpolitische Anliegen breit zu diskutieren. Nein, ich habe mich gemeldet, weil die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses berichtigt werden muß. Das ist die Drucksache 13/3783. Hier muß die Jahreszahl 1995 - Haushaltsjahr 1995 - durch 1996 ersetzt werden. Danke schön. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das habe ich notiert. Wir treten jetzt in die Aussprache ein. Das Wort für die Bundesregierung hat der Bundesminister Borchert.

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Agrarbericht 1996 zeigt, daß die Einkommenslage in der Landwirtschaft nach wie vor schwierig ist, auch wenn die Gewinne im Wirtschaftsjahr 1994/ 95 wieder leicht angestiegen sind. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung, haben CDU/CSU und F.D.P. die Aufwertungsfestigkeit der Ausgleichszahlungen und den aufwertungsbedingten Währungsausgleich gegen den massiven Widerstand der Opposition durchgesetzt und auch die Agrarsozialreform beschlossen. Die Bundesregierung, CDU/CSU und F.D.P. haben die Anhebung der Vorsteuerpauschale für unsere Landwirte vorgeschlagen und hier im Bundestag gemeinsam mit der Opposition beschlossen. Ist es nicht ein Trauerspiel, daß die erforderliche, dringend notwendige Anpassung der Vorsteuerpauschale fast gescheitert wäre, und zwar am Widerstand einiger rot und rot-grün regierter Länder, die unseren Bauern nicht das Recht der Erhöhung der Vorsteuerpauschale zukommen lassen wollten? ({0}) Auch das SPD-regierte Schleswig-Holstein ist aus der Solidarität für unsere Bäuerinnen und Bauern ausgebrochen. ({1}) Ich bin sehr gespannt, zu hören, was der verantwortliche Landwirtschaftsminister, was Sie, Herr Kollege Wiesen, in diesem Haus dazu ausführen werden. Denn natürlich interessiert uns alle die Begründung für die Verweigerungshaltung Ihrer SPD-Regierung. Sie wollen den Bauern einen fairen Ausgleich verweigern, einen Ausgleich, der ihnen zusteht und auf den sie einen Rechtsanspruch haben. Sie wollten das Geld lieber zur Sanierung Ihrer Haushaltskasse verwenden - eine teure Lösung für unsere Bauern und eine nicht berechtigte Lösung. Das ist die Fortsetzung einer unseligen und wohl einmaligen Politik, bei der der gesamte schleswigholsteinische Berufsstand unter das Joch der sogenannten Wiesen-Steuer gezwungen werden soll. ({2}) Aber wen könnte es noch überraschen? Es paßt in den Geist des SPD-Antrages, in dem die Düngeverordnung als zu schwach beklagt wird und die Ursachen für die neuartigen Waldkrankheiten den Bauern in die Schuhe geschoben werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in welcher Welt leben wir eigentlich? Weiß die Opposition denn nicht, wie es auf den Bauernhöfen aussieht? SPD und Grüne kommen mit einem Rattenschwanz zusätzlicher ökologischer Wünsche, aber verlieren kein Wort über Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsfähigkeit oder den Anspruch auf vernünftige Einkommen. Ganz im Gegenteil: Ministerpräsident Schröder will die Ausgleichszahlungen der Reform sogar streichen, wenn nicht besondere ökologische Leistungen erbracht werden. ({3}) Sie, verehrter Herr Kollege Sielaff, haben den aufwertungsbedingten Währungsausgleich in Frage gestellt, weil - ich zitiere aus Ihrem Presseartikel - „die Währungsturbulenzen im Frühjahr 1995 nicht besonders verlustbringend waren". Heute stellt die SPD in ihrem Entschließungsantrag fest, daß die Einkommensverluste unzureichend ausgeglichen würden. Was wollen Sie denn nun eigentlich? Das ist doch ein politischer Zickzackkurs. ({4}) Wie immer gibt es viele Worte, keine Taten, dafür aber viele Widersprüche. Die Bundesregierung hat nicht viele Worte verloren; sie hat gehandelt. ({5}) - Das Verlegenheitslachen hilft Ihnen auch nicht viel weiter. - Wir haben nämlich mit Ausnahme von Luxemburg als einziges EU-Mitgliedsland die Währungshilfe aus nationalen Mitteln finanziell aufgestockt, und zwar um 415 Millionen DM, die allein aus dem Bundeshaushalt kamen, weil sich Ihre Länder auch diesbezüglich verweigert haben. ({6}) Der Agrarbericht 1996 beschreibt mit aller Deutlichkeit, daß man den Bauern nicht noch höhere Sonderlasten aufbürden kann. Zwar haben wir im Wirtschaftsjahr 1994/95 eine 10prozentige Einkommenssteigerung erreicht. Das klingt auch nicht schlecht. Aber die Gewinnsteigerung konnte die jeweils über 6 Prozent betragenden Einbußen der vergangenen Jahre nicht ausgleichen. ({7}) Der durchschnittliche Einkommensabstand der Landwirtschaft zur übrigen Wirtschaft hat sich zwar verringert, ist aber mit über 36 Prozent Abstand zu dem gewerblichen Vergleichslohn noch immer zu groß. Die Einkommen der Bauern haben damit gerade wieder das Niveau vom Ende der 80er Jahre erreicht. Angesichts dessen, daß Sie „eben" dazwischengerufen haben, Herr Sielaff, verblüfft mich, daß Sie in Ihrer Presseerklärung immer noch schreiben, daß die Währungsturbulenzen offensichtlich nicht zu gravierenden Einkommensverlusten geführt haben. ({8}) - Davon hat er in seiner Pressemitteilung nichts geschrieben, aber das wäre eine Erklärung, Herr Heinrich. Meine Damen und Herren, d i e Landwirtschaft gibt es nicht; denn die Entwicklung ist nach Betrieben und nach Regionen sehr unterschiedlich. Die Landwirtschaft in Deutschland hat wie kein zweiter Berufsstand während der letzten Jahre strukturelle Anpassungen vollzogen, die sich auch weiter fortsetzen werden. Durchaus erfreulich ist dabei, daß sich in den neuen Ländern die Einkommensentwicklung verbessert hat. Erfreulich ist auch, daß die Veredelungsbetriebe, Schweine und Geflügel, Gewinnzuwächse verbuchen konnten; denn sie hatten im vergangenen Jahr die größten Einbußen hinzunehmen. Weniger erfreulich ist allerdings, daß die Veredelungswirtschaft in Ostdeutschland noch immer nicht die Trendwende geschafft hat, auch wenn es mit der Milchproduktion endlich bergauf geht. Weniger erfreulich ist auch, daß nur etwa 60 Prozent der Unternehmen in den letzten Jahren genügend Eigenkapital bilden konnten. Eigenkapital aber ist notwendig, um zu investieren und damit im europäischen Wettbewerb mithalten zu können. Nach der Vorschätzung des Agrarberichtes ist im laufenden Wirtschaftsjahr 1995/96, nicht zuletzt dank des von der Bundesregierung durchgesetzten Währungsausgleichs und der höheren Vorsteuerpauschale, voraussichtlich mit einer Einkommenssteigerung von bis zu fünf Prozent zu rechnen. Das ist gut so; denn unsere Bäuerinnen und Bauern brauchen eine Perspektive. Dies gilt zum Beispiel für die Weiterentwicklung der Milchquotenregelung. Deshalb brauchen wir eine frühzeitige Entscheidung in Brüssel über die Quotenregelung; wir brauchen frühzeitig in Deutschland eine Entscheidung über die innere AusgestalBundesminister Jochen Borchert tung. Dabei müssen folgende Grundsätze gelten: Erstens müssen die Milchpreise und damit die Einkommen der Futterbaubetriebe stabilisiert werden. Zweitens muß die Milchproduktion auch künftig in den schwierigen Erzeugerregionen gesichert sein. Drittens müssen aufstockungswillige Betriebe Perspektiven erhalten; das heißt, wir brauchen mehr Flexibilität. Viertens muß die Marktstellung unserer landwirtschaftlichen Betriebe und vor allem auch die der Molkereien verbessert werden. ({9}) Deshalb haben wir für die Landwirtschaft die einzelbetriebliche Investitionsförderung im letzten Jahr verbessert und finanziell aufgestockt. Auch zukünftig muß dies ein Förderschwerpunkt bleiben, damit unsere Landwirte im europäischen Markt den Anschluß behalten. Den Anschluß müssen wir auch bei den Marktstrukturen behalten, vor allem im Molkerei- und im Schlachthofsektor. Deshalb sind auch die Verarbeitungsunternehmen gefordert - denn dies sind unternehmerische Entscheidungen, Herr Kollege Sielaff -, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und bestehende Strukturdefizite abzubauen. Ich bin froh, daß die Wirtschaft in diesem Bereich ihre Verantwortung wahrnimmt und wichtige und zukunftsorientierte Initiativen entwickelt hat. Perspektiven brauchen wir auch für die Fortschreibung der europäischen Agrarreform. Sie muß weiter vereinfacht werden - sie ist nach wie vor zu bürokratisch -, und sie muß verantwortungsbewußt weiterentwickelt werden. Das heißt, dort, wo es die Märkte erfordern, müssen wir Anpassungen vornehmen, die den Interessen unserer deutschen Landwirtschaft gerecht werden, etwa im Rindfleischbereich. Darüber hinaus müssen wir die flankierenden Maßnahmen ausbauen. Sie müssen von den Ländern umgesetzt werden. Wir müssen den ländlichen Raum durch die Integration von Agrarpolitik und ländlicher Entwicklung stärken. Denn der Strukturwandel geht weiter. Damit ländliche Räume attraktiv bleiben, brauchen wir dort sichere und anspruchsvolle Arbeitsplätze in jeweils erreichbarer Entfernung. Ich bin mit den Einkommen, die in der Landwirtschaft erzielt werden, nicht zufrieden. Aber einen großen Erfolg können wir in Deutschland ohne Abstriche herausstellen. Unsere Verbraucher können sich zu Recht darauf verlassen, daß unsere Nahrungsmittel gesund und von höchster Qualität sind. ({10}) Sie können sicher sein, daß bei uns kein Fleisch im Handel ist, das mit Hilfe von Masthormonen erzeugt wurde. Deshalb haben wir im Agrarrat im Februar noch einmal bekräftigt: Der Einsatz von Hormonen bei der Mast und der EU-Import von derart erzeugtem Fleisch müssen weiter verboten bleiben, und die Kontrollen und die Sanktionen müssen verschärft werden. ({11}) Meine Damen und Herren, der Agrarbericht 1996 zeigt einen Silberstreif am Horizont. Dieser Silberstreif könnte sicher noch größer sein, wenn wir dabei auch von den SPD-regierten Ländern im Bundesrat unterstützt würden. ({12}) - Ich weiß ja, daß Sie das nicht gern hören. ({13}) Für die Bundesregierung gibt es kein Nachlassen in den Bemühungen um die Sicherung des Agrarstandorts Deutschland, die Erhaltung einer flächendeckenden Landbewirtschaftung und die Stärkung einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, markt-und umweltorientierten Landwirtschaft. Dazu brauchen Bäuerinnen und Bauern, dazu brauchen die Fischer, die Förster und die Gärtner die Unterstützung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen. Die Bundesregierung ist dabei auch auf Ihre Unterstützung, die Unterstützung des Parlaments angewiesen. Für die bisherige Unterstützung bedanke ich mich bei den Koalitionsfraktionen. Ich verbinde dies mit der Bitte, auch in Zukunft mitzuhelfen, die Landwirtschaft und den ländlichen Raum zu stärken. Die Menschen im ländlichen Raum, unsere Bäuerinnen und Bauern müssen auch in Zukunft auf unsere Unterstützung bauen können. Vielen Dank. ({14})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Horst Sielaff, SPD.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation in der deutschen Landwirtschaft ist dramatisch. Ich hatte eingangs den Eindruck, daß auch der Agrarminister dies so empfindet. Aber es ist fast peinlich, wie der verantwortliche Minister, der zu gestalten hat, immer wieder versucht, die Schuld für die Mängel von sich zu drängen, und einseitig die Länder als Schuldige vorführen will. ({0}) Die agrarpolitische Bilanz dieser Bundesregierung ist negativ. ({1}) Darüber täuschen auch noch so viele Reden nicht hinweg. Da hilft auch die von Bundesminister Borchert gleich zu Amtsbeginn gebildete neue Kommunikationsabteilung im Ministerium wenig. Man kann aus dem Nichts eben keine Erfolgsmeldungen machen. Die Fakten sprechen für sich, und ich nenne einige. Die landwirtschaftlichen Einkommen liegen immer noch rund 35 Prozent unter den Einkommen verHorst Sielaff gleichbarer Berufsgruppen, wenn ich auch immer wieder darauf hinweise, daß solche Zahlen nicht direkt vergleichbar sind. ({2}) Von Gewinnen kann jedenfalls keine Rede sein. ({3}) Der jetzt ausgewiesene sogenannte Gewinnanstieg für den Berichtszeitraum 1994/95 signalisiert keine Trendwende. Er ist zum Teil strukturell bedingt. 1995 haben nahezu 5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe das Handtuch geworfen, nahezu doppelt so viele wie im langjährigen Durchschnitt. Das Höfesterben geht also rapide weiter. Im vergangenen Jahr hat der landwirtschaftliche Strukturwandel fast 50 000 Arbeitsplätze vernichtet. Auch das sind Arbeitsplätze, die zählen, ganz zu schweigen von den Arbeitsplätzen, die in der Ernährungsindustrie, der Landtechnik und anderen vor- und nachgelagerten Bereichen verschwinden. Der ausgewiesene Gewinnanstieg ist außerdem - der Minister hat ja indirekt darauf hingewiesen - auf die Entwicklung in den Veredelungsbetrieben zurückzuführen. Nach erheblichen Gewinnrückgängen um mehr als 70 Prozent in den beiden vorangegangenen Jahren hat sich die Gewinnsituation lediglich wieder ein wenig erholt. In den Veredelungsbetrieben, aber auch im Durchschnitt aller Betriebe konnte der ausgewiesene Gewinnanstieg die Gewinneinbußen der Vorjahre nicht ausgleichen. ({4}) Die Wettbewerbssituation der deutschen Landwirtschaft hat sich im Vergleich zu den Hauptkonkurrenten im EU-Binnenmarkt weiter verschlechtert. Insbesondere im Veredelungsbereich gehen der deutschen Landwirtschaft weitere Marktanteile verloren. Trotz Förderung der Verbesserung der Marktstruktur gibt es eine Hiobsbotschaft nach der anderen. ({5}) - Auch der Währungsentwicklung; das will ich ja gar nicht leugnen. Für die Krise der Molkereiwirtschaft ist die Bundesregierung mitverantwortlich. ({6}) An der Schaffung der Überkapazitäten ist sie durch den Einsatz von Bundesmitteln beteiligt. ({7}) Aber nicht genug: In diesen Tagen kann man landauf, landab von Bemühungen lesen und hören, ein Strukturkrisenkartell für Schlachthöfe zu bilden. ({8}) Auch hier gibt es Überkapazitäten, geschaffen auf der Grundlage von Gutachten und mit vielen bundesdeutschen Steuergeldern und Brüsseler Förderung. Jetzt wird geprüft, ob zusätzlich öffentliche Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe, also Bundes- und Landesmittel, bereitgestellt werden können, um diese Überkapazitäten abzubauen. Im Gespräch sind immerhin 50 Millionen DM für zwei Jahre. Es ist erschreckend, daß im Gefolge der Politik dieser Bundesregierung der Rückzug gefördert werden soll. Dabei wird das Geld dringend benötigt, um Innovationen anzustoßen, die Arbeitsplätze schaffen und nicht vernichten. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Sielaff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gröbl?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Wolfgang Gröbl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000732, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sielaff, Sie haben davon gesprochen, die Bundesregierung sei für das Ausreichen der Fördermittel und dementsprechend auch für die Schaffung von Überkapazitäten verantwortlich. Meine Frage: Ist Ihnen bekannt, daß die Länder über die Vergabe dieser Fördermittel entscheiden und daß die Länder es sind, die die Überprüfungen vornehmen, die sich die Gutachten vorlegen lassen und die die ausschließliche Entscheidungsbefugnis haben? ({0})

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin natürlich überhaupt nicht verwundert, Herr Gröbl, daß Sie diese Frage stellen; denn sie paßt genau dazu, die Schuld von der Bundesregierung immer wieder auf die Länder zu schieben. ({0}) Wenn Sie ausreichend und deutlich Richtlinien vorgeben könnten oder würden, glaube ich, könnten Sie bei genug Überzeugungskraft auch die Länder überzeugen, wohin die Mittel fließen sollen. Aber auch das ist ein Versäumnis Ihrer Politik.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Sielaff, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte, Frau Kollegin Deichmann.

Christel Deichmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002638, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Sielaff, stimmen Sie mir zu, daß ein gravierender Teil der Fehlentscheidungen im Investitionsbereich unter einem CDU-Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern erfolgt ist?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihr Hinweis, liebe Kollegin Deichmann, ist für die CDU/CSU und für die BundesHorst Sielaff regierung noch peinlicher. Ich nehme das zur Kenntnis. ({0}) Das letzte Jahr war für die Landwirte darüber hinaus von vielen Irritationen begleitet. Mit der Aufwertung der Grünen Kurse sind den landwirtschaftlichen Betrieben beträchtliche Einkommensverluste entstanden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Sielaff, ich bitte um Entschuldigung. Ich muß Sie noch einmal fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Peters?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke. Ich möchte jetzt im Zusammenhang fortfahren.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gilt das für den Rest der Rede? Damit ich gleich Bescheid weiß.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zumindest in diesen Passagen, Frau Kollegin. Ich nehme an, daß Sie nachher noch Gelegenheit haben, von dieser Stelle aus zu reden. ({0}) Insofern möchte ich im Zusammenhang bleiben. Es ist interessant, wie Sie sich an dieser Diskussion beteiligen. ({1}) Das letzte Jahr war, sagte ich, von Irritationen begleitet. Insbesondere mit der Aufwertung der Grünen Kurse sind den landwirtschaftlichen Betrieben beträchtliche Einkommensverluste entstanden; nicht überall in gleicher Höhe, vielmehr sehr unterschiedlich. Die Bundesregierung aber hat Hoffnungen geweckt, die sie nicht halten konnte. Wir haben uns sehr früh für einen Ausgleich eingesetzt. Allerdings sollte er nach unserer Auffassung bei den wirklich Währungsgeschädigten ansetzen. Die in diesen Tagen von der Bundesregierung in Angriff genommene Verteilung der zur Verfügung gestellten Mittel aus Brüssel und aus dem Bundeshaushalt entspricht in keiner Weise unseren Forderungen. Die Verteilung der Mittel über die landwirtschaftliche Unfallversicherung führt zu einer extremen Ungleichbehandlung der Landwirte in den verschiedenen Regionen. ({2}) Mittel in dieser Höhe festigen zudem in keiner Weise die unzureichende Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Unternehmen im EU-Binnenmarkt. Offensichtlich geht es der Bundesregierung und den Koalitionsparteien gar nicht um zukunftsorientierte Hilfen und Entwicklungen. Es geht im Vorfeld der Wahltermine in einigen Bundesländern, im Vorfeld des 24. März, um äußerst breite Aufmerksamkeit. Es geht nicht um die Sicherung des Agrarstandortes Deutschland. Denn nicht umsonst hat die Bundesregierung mit viel Aufwand die Beitragsbescheide über die Unfallversicherung in diesen Tagen in der Form herausbringen lassen, daß die Bäuerinnen und Bauern den Eindruck haben, dies sei allein, meine Damen und Herren Abgeordnete, das Verdienst des Bundeslandwirtschaftsministers. ({3}) Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung ist ansonsten einfallslos und ängstlich. Sie denkt überwiegend an heute, kaum an morgen, überhaupt nicht an übermorgen. Ich nenne einige Beispiele. Das erste Beispiel betrifft die künftige Milchmarktpolitik. Die Bundesregierung lehnt es ab, eine Analyse der Auswirkungen der bisherigen Quotenregelung bei uns und in Europa vorzulegen. Sie lehnt es ab, darauf aufbauend Vorschläge zu unterbreiten. Überhaupt scheut diese Bundesregierung jede Diskussion über die sich abzeichnenden Entwicklungen in der Landwirtschaft. ({4}) Zweites Beispiel: Sie tut so, als gäbe es den GATTBeschluß nicht, der besagt, daß ab dem Wirtschaftsjahr 1995/96 die interne Stützung, die Exportsubvention und vor allem die Gemeinschaftspräferenz und der Außenschutz in Stufen substantiell abgebaut werden müssen. Drittes Beispiel: Die Bundesregierung ignoriert die mit dem Beschluß eingeleitete und in wenigen Jahren stattfindende weitere Liberalisierung der Agrarmärkte. Viertes Beispiel: Sie fördert aus außen- und wirtschaftspolitischen Gründen den Abschluß von Freihandelszonen, was gleichbedeutend mit dem Abbau des Schutzes der europäischen Landwirtschaft ist. Fünftes Beispiel: Sie stellt sich hinsichtlich der von Agrarkommissar Fischler zur Diskussion gestellten Fragestellungen taub, die sich aus den internationalen Entwicklungen von GATT und WTO ergeben. Dabei wäre es ihre Pflicht, vor diesem Hintergrund über die künftig anzustrebende Preis- und Marktpolitik Vorstellungen zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen. Daß Herr Fischler zuletzt immer wieder betont hat, Zuwendungen an die Landwirtschaft müßten an konkrete ökologische und soziale Kriterien gekoppelt werden, wird von der Bundesregierung ignoriert. Von einer solchen zukunftsweisenden Konzeption, die auch die Akzeptanz von Subventionen beim Verbraucher fördern würde, sind wir hier noch Jahre entfernt. ({5}) Die Folgen dieser Fehlentwicklungen und Fehleinschätzungen für das weitere Schicksal des ländlichen Raumes könnten verheerend sein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Sielaff, gestatten Sie jetzt wieder eine Zwischenfrage?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Damit ich nicht in Verruf gerate, daß ich der F.D.P. keine Fragen zulasse, ja. ({0}) - Ich bitte die Kollegin um Nachsicht; aber ich wollte vorhin den Gedanken im Zusammenhang vortragen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Herr Kollege Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Sielaff, Sie sprachen vorhin von den Überlegungen des Herrn Kommissars Fischler, Ausgleichsleistungen an ökologische Voraussetzungen zu binden. Übernimmt denn die SPD dies, zumal wir ja auch ähnliche Überlegungen von Herrn Ministerpräsidenten Schröder gehört haben?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wir werden, wenn wir die Förderungspolitik so beibehalten wollen, nicht umhinkönnen, diese Förderung an ökologische Kriterien zu binden. ({0}) Wir müssen da einen vernünftigen Weg finden und die anderen EU-Staaten und nach Möglichkeit die Staaten weltweit daran erinnern und binden. ({1}) - Nicht „nach Möglichkeit"; ich werde dazu noch etwas sagen, Herr Kollege. Der Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe, der Rückgang der Tierbestände, der Abbau von Verarbeitungs- und Vermarktungskapazitäten schwächen die Wirtschaftskraft ländlicher Räume und erhöhen auch das Heer der Arbeitslosen insbesondere in strukturschwachen ländlichen Gebieten. Gewachsene Kulturlandschaften gehen kaputt, ganze Landstriche werden, wenn wir so weitermachen, veröden und die ohnehin schon löchrige Infrastruktur des ländlichen Raumes kann nicht weiter aufrechterhalten werden. Die Bundesregierung hat dem nichts entgegenzusetzen. In ihrem Aktionsprogramm für ein „Bündnis für Arbeit", in ihrem 50-Punkte-Programm, kommt der ländliche Raum praktisch nicht vor. Ganze vier nichtssagende Zeilen ist er der Bundesregierung wert. Selbst die Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten haben bei dieser Bundesregierung einen höheren Stellenwert als die Landwirtschaft. ({2}) Alle diese Probleme wirken jedoch - lassen Sie mich das sagen - fast wie kleine Fische gegenüber dem Riesenproblem unserer Zeit.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Sielaff, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sielaff, hätten Sie es begrüßt, wenn die deutschen Bauern im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit" noch einmal herangenommen werden?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hätte mir gewünscht, daß stärker zur Kenntnis genommen wird, wie viele Arbeitsplätze in der Landwirtschaft in den letzten Jahren verlorengegangen sind, und Vorschläge dazu erwartet, wie man gegensteuern kann, damit nicht noch mehr Arbeitsplätze im ländlichen Raum und in der Landwirtschaft verlorengehen. ({0}) Sie selbst haben ja vor kurzem darauf hingewiesen, daß beispielsweise in der Pfalz jeder vierte Hof aufgegeben wird. Dieser Tendenz müssen wir gegensteuern, und zwar gemeinsam. ({1}) Wir haben eine neue große Aufgabe, die uns vor ungeahnte Herausforderungen stellen wird, nämlich die Sicherung der Ernährung weltweit. Obwohl die Menschen es geschafft haben, durch die unmäßige Intensivierung der agrarischen Produktion Böden weltweit in unvorstellbarem Ausmaß zu erodieren, zu versalzen, Wasservorräte zu plündern und unbrauchbar zu machen und andere Sünden an der Umwelt zu begehen, sind die Zuwachsraten der weltweiten Produktion noch nicht rückläufig. Aber das wird in Zukunft nicht mehr reichen. Die Zuwächse sind nur noch halb so hoch wie das Bevölkerungswachstum. Gleichzeitig steht immer weniger Fläche zur Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung. Auch deshalb müssen die Beschlüsse und Empfehlungen der Rio-Konferenz schnellstens umgesetzt werden. ({2}) Das muß für die EU-Agrarproduktion und für die weltweite Produktion heißen: Ökologisch saubere Produktionsweise und Effizienz der Produktion stehen nicht im Widerspruch zueinander. ({3}) Wir brauchen die Schaffung und Förderung nachhaltiger Agrarökosysteme, die auf Schonung und Förderung aller bestehenden Ressourcen angelegt sind. Die Agrarpolitik muß bereits mittelfristig so reformiert werden, daß die wahren ökologischen Kosten der Herstellung von Nahrungsmitteln wieder weitgehend durch den Verbraucher oder durch die Gesellschaft bezahlt werden. Dazu gehört auch die Entlohnung der Landwirte für ökologische Leistungen, die sie für uns alle an der Natur vollbringen. Aber gerade weil wir diese Förderung wollen, müssen sie ökologisch orientiert werden. Wir stellen bedauernd fest: Herr Bundesminister Borchert bedient sich der Mittel von gestern und kann damit eben nicht die Probleme der Landwirtschaft von morgen lösen. ({4}) Auch vorhin hörten wir: „Wir müßten", „wir müßten", „wir müßten eigentlich" - eine ständige Redensart des Agrarministers. Meine Damen und Herren, das reicht für eine zukunftsgestaltende Agrarpolitik leider nicht aus. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Egon Susset, CDU/CSU.

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sielaff hat nach der Rede des Ministers wieder die Schuldfrage gestellt. Nur Bund und Länder gemeinsam können die Probleme lösen. Deshalb ist es geradezu unsere Aufgabe, immer wieder auf die Länder einzuwirken, daß sie hier ihre Pflichten erfüllen. Aber wir müssen feststellen: Sie als Agrarier der SPD haben es nicht geschafft, die Bundesländer davon zu überzeugen, daß die Förderung notwendig ist. ({0}) Sie haben dies auch nicht geschafft, als es um den sozio-strukturellen Einkommensausgleich ging. Das, meine ich, sollten wir zur Kenntnis nehmen. ({1}) Die landwirtschaftlichen Einkommen haben das Tief der vergangenen Jahre etwas überwunden. Dies zeigt, daß der Einsatz der Landwirte und die Maßnahmen der Agrarpolitik nicht erfolglos waren. Insgesamt gleichen die Gewinne in der Landwirtschaft die Verluste der vorangegangenen Wirtschaftsjahre nicht aus. Der Einkommensabstand zu vergleichbaren Berufsgruppen ist nach wie vor hoch. In den neuen Ländern hat sich die Lage der Betriebe weiter stabilisiert. Trotz der nach wie vor angespannten wirtschaftlichen Lage der deutschen Landwirtschaft sprechen Presseberichte von satten Gewinnen. Dies ist unseriös, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil es an der Wirklichkeit vorbeigeht. Denn allein im letzten Jahr - damit greife ich auf, was Kollege Sielaff sagte - haben 25 000 landwirtschaftliche Betriebe ihre Tore für immer geschlossen. Auch das sind Arbeitsplätze. Das können wir gerade heute sagen, da wir uns am Vormittag im Bundestag mit diesem Thema befaßt haben. ({2}) Wie hart die Arbeit vieler Bauern ist, hat gestern eine in dieser Republik weit verbreitete Zeitung unter der Überschrift „... und mit 60 Jahren die Knochen kaputt" geschildert. 20 Prozent der Bauern, so wird dort geschrieben, müssen vorzeitig erwerbsunfähig in Rente. Typische Leiden: Muskelschäden, Skelettschäden. Dabei weiß ich, daß unsere Bauern verbissen arbeiten, wenn es darum geht zu überleben. Aber sicherlich, am Geld allein kann es nicht liegen. Deshalb ist ein Begriff wie „satte Gewinne" in der Landwirtschaft geradezu ein Hohn. ({3}) Im ersten Halbjahr 1995 haben die Währungsturbulenzen zu herben Einkommensverlusten geführt. Die Landwirte wurden durch die Bundesregierung mit der Beitragsentlastung bei der Unfallversicherung spürbar entlastet. Man kann heute so lange darüber diskutieren, wie man will. Was wäre wohl geworden, wenn wir je die Mehrwertsteuer durchgesetzt hätten, wenn es nicht einmal möglich war, daß Herr Minister Wiesen, der heute hier anwesend ist, seine Ministerpräsidentin davon überzeugen kann, bei einem halben Prozent mitzumachen? Was wäre wohl gewesen, wenn wir da vielleicht 1,5 Prozent bekommen hätten und dann noch ein halbes Prozent dazu? Bei 2 Prozent, glaube ich, wäre es Ihnen nicht gelungen, die SPD-regierten Länder davon zu überzeugen, daß dazu die Zustimmung der Bundesländer notwendig gewesen wäre. ({4}) Ich meine auch, die Landwirtschaft hat einen Anspruch auf die Anhebung der Vorsteuerpauschale. Zeitungsmeldungen wie „Bauern erhalten das halbe Einkommen vom Staat" sind deshalb unseriös. Richtig ist doch, daß ein Großteil der staatlichen Transferleistungen dazu dient, die auf Grund des enormen Strukturwandels beträchtlichen Sozialleistungen für die Landwirtschaft ebenso wie beispielsweise in der Knappschaft, wo es ähnliche Strukturprobleme gibt, aufzubringen. Wichtig sind diese Mittel auch, um ausscheidenden Betrieben einen sozialverträglichen Ausstieg aus der Landwirtschaft zu ermöglichen. Im übrigen sind die Reformausgleichszahlungen aus der EU-Kasse für niedrigere Marktpreise gewollter und wesentlicher Bestandteil der Agrarreform von 1992. Tatsache ist, daß die Landwirtschaft auch weiterhin Unterstützung braucht, um eine flächendekkende und umweltschonende Bewirtschaftung, die Pflege unserer Kulturlandschaft und - das ist besonders wichtig - eine gesicherte Versorgung der einheimischen Bevölkerung mit hochwertigen Nahrungsmitteln zu sichern. ({5}) Auch wenn es die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher nicht wahrhaben will, die Landwirtschaft versorgt die Verbraucher mit preiswerten Nahrungsmitteln. ({6}) Gemessen an anderen Wirtschaftszweigen ist die Landwirtschaft - es ist immer von Subventionen die Rede - ein bescheidener Subventionsempfänger. Auf eine erwerbstätige Person entfielen im Jahre 1994 in der Landwirtschaft etwa 6 600 DM, im Schiffbau 14 800 DM und im Bergbau 19 000 DM, das ist knapp das Dreifache. Die Agrarreform von 1992 und die Garantiemengenregelung bei der Milch haben sich positiv ausgewirkt, wenn auch nicht alle Ziele in vollem Umfang erreicht worden sind. Eine wesentliche Schwachstelle beider Mengenregelungen ist, daß sie EU-weit nicht konsequent und gleichgewichtig genug eingesetzt worden sind; denn wäre dies der Fall gewesen, hätten sich auch die Einkommen der deutschen Landwirte in diesem Bereich wirksamer stabilisiert. Daher muß alles darangesetzt werden, die Agrarreform konsequenter und noch praxisnäher in der EU umzusetzen, die bewährten Reformelemente weiterzuentwickeln und die Reform um die Bereiche Obst, Gemüse sowie Wein zu vervollständigen. In diesem Rahmen bietet die reformierte Agrarpolitik eine solide Grundlage auch für die ins Auge gefaßte Osterweiterung der EU, die nur in einer angemessenen Übergangszeit möglich ist. Die Mengenregelung bei Milch muß strikter durchgeführt werden. Um die Einkommen zu stabilisieren, darf die Milcherzeugungsmenge in der EU nicht weiter steigen, sondern sie muß stärker dem Verbrauch angenähert werden. Ich begrüße ausdrücklich die Entscheidung, das Verleasen von Milchquoten auf aktive Milcherzeuger zu beschränken. Wir wollen die Milchproduktion auch in schwierigen Produktionsregionen aufrechterhalten. Dies ist nur mit einer Mengenregelung in der EU über das Jahr 2000 hinaus möglich. Bis dahin muß die Sonderregelung Milch in den neuen Bundesländern verlängert werden. ({7}) Mit der Ausgestaltung im einzelnen müssen wir uns noch gründlich befassen. Ich lade die Opposition dazu ein, Vorschläge zu machen, damit wir gemeinsam zu Regelungen kommen, ({8}) die wir draußen gemeinsam vertreten können; denn hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Es kann nicht jeder für sich das Bonbon, das ihm gerade gefällt, heraussuchen, sondern hier handelt es sich um ein Thema, bei dem sich alle, Opposition und Koalition, beteiligen sollen. Ich fordere Sie auf, die Entscheidungsfindung konstruktiv zu unterstützen. Die Rindfleischerzeugung ist jetzt in einer sehr schwierigen Lage. Daher sollte die in der EU geltende 90-Tier-Obergrenze bei der Gewährung der Rinderprämien ebenso wie die Einmal-Prämie wesentlich erhöht werden. Vor allem muß die EU-Kommission mit ihrer Ausfuhr- und Beihilfenpolitik bei Milch, Fleisch und Getreide stärker das Ziel der Preisstabilisierung verfolgen. Nur dann ist Mengensteuerung sinnvoll. Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Minister Borchert, sich hier wie seither weiterhin in Brüssel dafür einzusetzen. ({9}) Ich warne davor, die Preispolitik weiter oder gar völlig von der Einkommenspolitik abzukoppeln, wie das manche wollen. Auch von der Politik unabhängige Einflüsse wie die rückläufige Nachfrage bei Fleisch oder strukturelle Defizite in der Verarbeitung üben Druck auf die Preise aus. Dazu müssen wir auch die Wettbewerbsverzerrungen in der EU zu Lasten der deutschen Landwirte, vor allem die einseitigen Auflagen im Umweltbereich und auch beim Pflanzenschutz, berücksichtigen. Diese müssen abgebaut werden. Herr Kollege Sielaff, ich komme zu dem, was Sie eben angesprochen haben. Wenn wir zu dieser unterschiedlichen Handhabung in den Ländern noch einmal in den 15 EU-Staaten zu unterschiedlichen Handhabungen kommen, glaube ich, gibt es überhaupt keine Möglichkeit mehr, Wettbewerbsfähigkeit auf Dauer sicherzustellen. ({10}) Deshalb müssen wir uns zunächst einmal in Brüssel mit diesem Problem befassen. Ab 1997 muß die für die Zukunft der Betriebe wichtige Investitionsförderung in Deutschland einheitlich gestaltet werden. Ich wäre dankbar, wenn auch hier die Opposition ihre Beiträge bringen würde. Es wäre unverantwortlich, den schwierigen strukturellen Anpassungsprozeß politisch massiv voranzutreiben, weil die Stabilität des ländlichen Raumes in Gefahr geriete, weil die Versorgung des Verbrauchers mit heimatnah erzeugten kontrollierten Lebensmitteln unmöglich würde und weil wir unsere Landschaft nicht mehr so pflegen könnten, wie wir es wollen. Auf allen Ebenen müssen deshalb die Bemühungen verstärkt werden, für die Landwirte neue Erwerbsquellen zu erschließen beziehungsweise auszubauen. Nachwachsende Rohstoffe und alternative Einkommensmöglichkeiten müssen geschaffen werden, ebenso die Umnutzung landwirtschaftlicher Gebäude für gewerbliche Zwecke. ({11}) Auch in Zukunft wird es nur mit einem Bündel von Maßnahmen gelingen, die Existenz der heimischen Landwirtschaft und die Stabilität der ländlichen Räume insgesamt zu sichern. ({12}) Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft erbringen lebenswichtige Leistungen für unsere Gesellschaft. Das muß so bleiben. Dafür wird sich auch die CDU/ CSU-Fraktion mit aller Kraft in der Zukunft einsetzen. Ich bedanke mich. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir lassen uns sehr gerne zur Zusammenarbeit einladen, allerdings nicht zur Verwaltung des Niederganges. Wenn Herr Minister Borchert sagt, in Zukunft sollen die Landwirte auch auf die Agrarpolitik der Bundesregierung bauen, dann muß man sagen: Das ist ein arg vom Einsturz gefährdetes Gebäude. ({0}) Ich möchte mich auf den Aspekt konzentrieren, den wir schon den ganzen Tag besprochen haben und das, was uns Anlaß zur Sorge gibt, nämlich das Problem der Arbeitslosigkeit in diesem Lande. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich bitte um ein bißchen mehr Ruhe.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann auch lauter reden. Im Zeitraum eines Jahres wurden in Landwirtschaft und Gartenbau über 100 000 Arbeitsplätze vernichtet. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nahm um 4,3 Prozent ab. Im April 1995 waren es noch ungefähr 1,4 Millionen Voll- und Teilzeitarbeitskräfte in Landwirtschaft und Gartenbau, rund sieben Prozent weniger als im Vorjahr. Das sind doch alarmierende Zahlen. Dabei ist in diesen Zahlen der Arbeitsplatzabbau im vor- und nachgelagerten Bereich überhaupt noch nicht enthalten. Das gilt im übrigen besonders für den ländlichen Raum im Osten dieser Republik, das heißt in den neuen Ländern, in denen die Situation noch dramatischer ist als jetzt schon im Westen. All die Dinge, die von der Koalition vorgestellt wurden, waren doch mehr oder minder Zustandsbeschreibungen und nicht Handlungsperspektiven. Das Programm zur Agrarinvestition beinhaltet genau nur das, daß weiter auf eine Massen- und Billigproduktion gesetzt wird, daß weiter Landwirtschaft zum Rohstofflieferanten gemacht wird. Dies wird auf eine Weltmarktproduktion bezogen, wobei doch jeder weiß, daß die Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz oder überhaupt in fast allen Gebieten der Bundesrepublik eine solche Ausrichtung überhaupt nicht vertragen kann und dafür gar nicht geschaffen ist. Auch ein solcher Vorschlag wie die Konzentration der Molkereien läuft unter Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Das muß man sich doch auf der Zunge zergehen lassen. Eine Konzentration wird als Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gefordert und das in bezug auf die Erzeuger. Auf der anderen Seite bejammern Sie jedesmal, daß die Konzentration im Handel so groß ist, genau dies die Wettbewerbsfähigkeit verzerrt und es den Erzeugern unmöglich macht, ihre Produkte zu angemessenen Preisen loszuwerden. Auf genau der gleichen Ebene wollen Sie jetzt im Molkereibereich verfahren. Das schönste Beispiel ist Rheinland-Pfalz. Minister Brüderle, der den Niedergang mit Weinfesten und Wahlversprechen versüßt und verwaltet, möchte eben diese Konzentration fördern, ({0}) und das bei einem Anteil der rheinland-pfälzischen Milchmenge auf dem bundesdeutschen Markt von gerade 3 Prozent; dabei ist noch nicht berücksichtigt, daß die Molkereien im Osten wieder zu produzieren anfangen. ({1}) In so etwas sollen europäische Gelder gesteckt werden? Das Ergebnis wäre letztendlich, daß sich die Position der Produzenten und langfristig auch die Position der Verbraucher und Verbraucherinnen verschlechtert. ({2}) Als F.D.P. einen solchen Schritt zu gehen ist sozusagen ein Parteibruch. ({3}) In zahlreichen Untersuchungen, etwa der Enquete-Kommission des Bundestages und anderer, die ich nicht im einzelnen erwähnen will, wurde wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß aus Gründen des Umweltschutzes eine Abkehr von der agrarindustriellen Intensivlandwirtschaft dringend zu fordern ist.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Höfken, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Peters?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Lisa Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Höfken, Sie haben zu Anfang Ihrer Ausführungen über Preise von Nahrungsmitteln und davon gesprochen, daß der Landwirt nur noch Grundstofflieferant ist. Konnte ich Ihrem Vorgetragenen entnehmen, daß auch Sie meinen, daß Nahrungsmittel viel zu preiswert sind? Zweitens. Ist Ihnen bekannt, daß, wenn es um Konzentration von Molkereien geht, in der Regel die Genossen, nämlich die Bauern, die Landwirte, die Konzentration beschließen und sich mit ihren Anteilen zusammenschließen?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich mache mich jetzt an die Beantwortung dieser ausführlichen Frage. Erst einmal zu den Molkereien. Das macht das Ganze noch absurder. Beispielsweise hat es in Rheinland-Pfalz weiß Gott noch überhaupt keine entsprechende Entscheidung gegeben, die schon jetzt als Wahlversprechen verkündet wird. Das ist eine besondere Komik in dieser ganzen Angelegenheit. Natürlich haben Sie recht. Man kann sich jetzt lange über das Genossenschaftswesen und seine Funktion streiten. Wenn es eine Konzentration geben sollte, wäre ich sehr für eine Abkehr von diesem System. Es gibt nämlich normale Kündigungsfristen. ({0}) Zweitens. Sie spielen auf die Verbraucherpreise an. Ich denke, so war die Intention Ihrer Frage. Nehmen wir einmal das Beispiel Eiermarkt. Er entspricht ungefähr der agrarpolitischen Zielsetzung der Bundesregierung. Zumindest stellt sie die Rahmenbedingungen so, daß das Ganze in Zukunft à la Pohlmann oder Schockemöhle - ich weiß nicht, wie das jetzt heißt - aussieht. Das heißt, daß eine Konzentration dieses Ausmaßes doch eine erstaunliche Wirkung hat. Auf der einen Seite ist der Erzeugerpreis für die Eier in den letzten Jahren immer stärker gesunken. Er liegt jetzt bei 6 Pfennig pro Ei. Gleichzeitig haben wir ein Haltungssystem, nämlich Legebatterien, das immerhin dazu geführt hat, daß 90 Prozent der 39 Millionen Hennen in diesen Batterien gehalten werden. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, den Gesundheitsschutz und das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz sind da doch die Regel und nicht die Ausnahme. Die entsprechende Konzentration in der Haltung hat dazu geführt, daß der allergrößte Teil dieser Eier in nur noch einem halben Dutzend Betrieben erzeugt wird. Das ist eine sehr bedenkliche Tendenz mit sehr negativen Auswirkungen für die Verbraucher und Verbraucherinnen. Jetzt komme ich zu den Verbraucherpreisen. Die Erzeugerpreise liegen, wie gesagt, bei 6 Pfennig. ({1}) - Die dauert noch etwas. Es war eine ausführliche Frage. Aber Sie können richtig gut zuhören. Die Verbraucherinnen zahlen, sagen wir einmal, bei Aldi 13 bis 15 Pfennig pro Ei. Normalerweise sind es 25 bis 30 Pfennig pro Ei. Wenn sie die Hälfte mehr bezahlen würden für ein Bio-Ei, dann würden sie im Monat 4 bis 10 D-Mark mehr ausgeben, aber dafür, daß eben Verstöße gegen das Tierschutzgesetz und das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz nicht mehr an der Tagesordnung wären und tatsächlich Umweltgesichtspunkte gewahrt werden könnten. An diesem Beispiel kann man das sehr schön deutlich machen: Diese 4 bis 10 D-Mark pro Haushalt - das sind vielleicht drei Glas Bier oder 2 Packungen Zigaretten - könnte eine Verbraucherfamilie für eine gesunde Lebensführung, eine gesunde Umwelt und eine tierschutzgerechte Haltung ganz gut verkraften. Viele Verbraucherinnen würden das sicher mit Begeisterung tun. Das war die Beantwortung Ihrer Frage. Möchten Sie noch weitere Fragen stellen? ({2}) Das Handlungsdefizit der Bundesregierung in bezug auf den Zusammenbruch des Arbeitsmarktes im ländlichen Raum kommt einer agrar- und wirtschaftspolitischen Kapitulationserklärung von Minister Borchert und Minister Rexrodt gleich. Statt Arbeitslosigkeit auf dem Lande über die Kassen der Sozialversicherung zu finanzieren und angesichts eines Agrarhaushaltes, der inzwischen mehr ein Sozialhaushalt ist, muß die Arbeit im gesamten Agrarbereich an den Anforderungen einer modernen Gesellschaft orientiert werden. Die Produktion, Verarbeitung und Vermarktung gesunder Lebensmittel beinhaltet durchaus große Chancen, die durch die Politik der Bundesregierung mehr behindert werden, als daß sie unterstützt, geschweige denn genutzt werden. Besonders negativ ist die Arbeitsplatzentwicklung in der Landwirtschaft von Rheinland-Pfalz. Da haben wir sicher eine Situation, die einer Verwaltung des Niederganges gleichkommt. Wir haben - Sie sprachen gerade über den Bereich der Milch - einen Selbstversorgungsgrad von 55 Prozent. ({3}) Wir steuern hier auf etwas zu, was auch im Eierbereich zu den besagten Auswirkungen geführt hat, nämlich eine Ausrichtung der Produktion auf die Erzeugung von Billigmilch für die Discounter wie Aldi usw. Eine Ökologisierung der Landwirtschaft kann den Bedarf an vollbeschäftigten Arbeitskräften um 10 Prozent, an Saisonarbeitskräften um 250 Prozent steigern und damit 100 000 bis 150 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Angesichts einer Situation von vier Millionen Arbeitslosen ist das in diesem Moment ein positiver Effekt und kein negativer. Mit einer Koppelung der Transferzahlungen an ökologische Leistungen können spürbare umwelt- und beschäftigungswirksame Effekte erreicht werden. Ich möchte an diesem Punkt einmal einklinken. Es ist richtig: Die Bauern sind in die Agrarreform mit der Vermutung und Hoffnung gegangen, daß sie damit in eine Richtung gehen, die eine Zeitlang anhält. Auch ich finde, daß das, was EU-Kommissar Fischler macht, eine Art Vertrauensbruch und einen Verstoß gegen den Vertrauensschutz darstellt. Auf der anderen Seite muß man aber sagen, daß es so, wie es jetzt ist, nicht weitergeht. Von daher wird es dazu kommen, daß diese Transferzahlungen an ökologische Leistungen gekoppelt werden. Dies sollte dann so ausgerichtet werden, daß damit ein beschäftigungswirksamer Effekt verbunden ist. ({4}) Wir fordern Sofortmaßnahmen gegen den Arbeitsplatzabbau in der Landwirtschaft durch ein Bündnis für Arbeit und Umwelt im ländlichen Raum. Wir haben einen entsprechenden Entschließungsantrag vorgelegt. Ich habe mich eben gewundert, daß Kollege Schindler auf merkwürdige Weise nachgefragt hat. Denn der Bauernverband fordert ebenfalls ein solches Bündnis für Arbeit im ländlichen Raum. Diese Forderung war nicht das Ergebnis des Spitzengespräches zwischen dem Bauernverband und der Fraktion der Grünen in dieser Woche, sondern ist sicher der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften zu verdanken. ({5}) Das ist durchaus eine sehr sinnvolle Maßnahme. Der Deutsche Bauernverband muß aber noch einiges lernen. Denn das, worauf er sich ausrichtet, kommt von den Gewerkschaften. Denn die haben inzwischen gelernt, daß es nicht reicht, für diejenigen, die im Betrieb verbleiben, um den Arbeitsplatz zu kämpfen. Der Bauernverband ist vielmehr immer noch dabei, zu sagen: Wir brauchen einen sozial abgefederten Ausstieg aus der Landwirtschaft. Das ist eine wirklich merkwürdige Interessenvertretung. ({6}) Denn das, was der Bauernverband von den Gewerkschaften übernehmen sollte, ist meines Erachtens, daß er sich für alle seine Mitglieder und deren Interessen einsetzt. Das sind immer noch die Betriebe der klein- und mittelbäuerlichen Landwirtschaft.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Höfken, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schindler?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte. ({0})

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Höfken, ich möchte nicht noch einmal das Gespräch von dieser Woche aufnehmen. Wenn man die Art und Weise bedenkt, wie die Fraktion der Grünen die Quote - gerade im Bereich Milch - in Frage stellte, und wenn hier in der Agrardebatte Herr Pohlmann als Beispiel für verfehlte Politik ({0}) sowie die Quote und der Besitzstand angesprochen werden und das Offenhalten der Höhengebiete auf der anderen Seite in Frage gestellt wird, dann muß man sich wirklich fragen, wo hier die Logik ist. ({1}) Gerade die Landwirtschaft beim „Bündnis für Arbeit" - das heißt Einschnitte und Opfer - außen vorzulassen, habe ich dankbar zur Kenntnis genommen. Drehen Sie doch bitte die Standpunkte der Diskussion nicht um!

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frage, Herr Kollege.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage richtet sich auf den Besitzstand bei Herrn Pohlmann: Bekommen wir eine Geflügel- oder Eierquote? Das hätte damals - um Ihrer Logik zu folgen - schon geholfen. Oder sehen Sie das anders?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erst einmal zur Milchquote. Sie sollten sich daran erinnern: In der letzten Debatte hatten wir einen Entschließungsantrag, der sich genau mit diesem Themenbereich beschäftigte. Er beinhaltete die Sicherung einer flächendeckenden Milcherzeugung in der Bundesrepublik Deutschland. An der nationalen Quote haben wir überhaupt nicht gerüttelt. Außerdem war das ein Überprüfungsantrag mit noch anderen Bestandteilen, die im Prinzip sicher nicht in Richtung der flächendeckenden Bewirtschaftung in Frage zu stellen sind. Das nächste ist die Quote bei Eiern. Mit den Quoten sollten wir nicht schon wieder anfangen. Das sind ordnungspolitische Instrumente. Wir haben die Auswirkungen im Milchbereich nicht als allzu positiv in Erinnerung. Wir setzen auf eine marktwirtschaftliche Orientierung und darauf, daß sich Produktion dann entsprechend auf die Betriebe verteilt, wenn entsprechende ökologische und umweltpolitische Rahmenbedingungen gegeben sind. Wir bringen einen Antrag zum Verbot der Käfighaltung ein, was im übrigen auch als nationaler Alleingang möglich ist. Wenn wir dann die Produktion von Eiern auf Betriebe verteilen, indem wir als oberste Grenze etwa 4 000 Legehennen pro Betrieb ansetzen, ({0}) dann hätten wir 10 000 Betriebe mehr. Das wäre sicher eine sehr positive Auswirkung. - Damit ist die Frage beantwortet. Als letztes möchte ich noch sagen, daß ich auf den Bereich der Währungsdisparitäten und der Ausgleichszahlungen nicht eingehen möchte. Ich finde es eher peinlich, wie das Ganze abgelaufen ist, nämlich als Wahlkampfszenario, bei dem Gelder jetzt zum hundertstenmal verteilt worden sind. Es war Ihre Pflicht, Herr Minister Borchert, diese Verteilung vorzunehmen. Sie war in der Art und Weise, in der sie geschehen ist, nicht glücklich. Eine solche Entscheidung wurde dadurch, daß das Kind nun einmal im Bade war, verlangt. Aber das ist doch überhaupt kein Grund, sich dessen zu rühmen oder sich diese Verteilung der Währungsdisparitäten auf die eigene Fahne zu schreiben und die Opposition zu beschimpfen. Ich danke Ihnen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Günther Bredehorn, F.D.P.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Agrarbericht 1996 zeigt: Die Durchschnittsgewinne der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe sind um 10,1 Prozent gestiegen - endlich wieder einmal ein positives Signal. Ich weiß sehr wohl, daß das noch nicht einmal der Stand von vor drei Jahren ist. Aber es ist gut, daß dieses Signal - auch als Signal für unsere jungen Leute, die jetzt noch in die Landwirtschaft einsteigen wollen - kommt. ({0}) Die Einkommensunterschiede innerhalb der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe in den alten Bundesländern sind immer noch gravierend. Während das oberste Viertel ein Gesamteinkommen von jährlich knapp 100 000 DM pro Betrieb erzielt, liegt das Einkommen im untersten Viertel bei unter 10 000 DM pro Betrieb. Der Strukturwandel - in diesem Jahr sind es wieder 4,9 Prozent - setzt sich weiterhin massiv fort. Die deutsche Landwirtschaft verliert weiterhin Marktanteile im eigenen Land. Eine weitere wichtige Aussage im Agrarbericht lautet: Gut geführte Betriebe mit ausreichenden Produktionskapazitäten konnten eine der gewerblichen Wirtschaft vergleichbare Entlohnung erzielen. Diese Aussage bestätigt, wie notwendig und richtig eine von der F.D.P. immer wieder geforderte gestaltende Agrarpolitik ist. Welche politische Schlußfolgerung können wir aus dem Agrarbericht 1996, der wieder eine hervorragende Dokumentation der Situation in der Landwirtschaft ist, ziehen? Die vorgegebenen agrarpolitischen Rahmenbedingungen durch die EU-Agrarreform, die GATT-Verhandlungen sowie die Wiedervereinigung und eventuell auch die Osterweiterung erfordern Anpassung und teilweise Neuorientierung. Unsere Landwirte müssen wissen, wohin die Reise geht, damit sie die für sie richtigen Investitionsentscheidungen fällen können, damit junge Leute die richtige Berufsentscheidung treffen. ({1}) Es sind schon alarmierende Warnzeichen, wenn die deutsche Landwirtschaft im eigenen Land ständig Marktanteile verliert und bei dem Betriebsgewinn die deutschen Landwirte im unteren Drittel der EU-Mitgliedstaaten liegen. ({2}) Von daher steht die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit unter Beachtung umweltverträglicher Wirtschaftsweise, ({3}) die Stärkung der Unternehmerlandwirtschaft sowie Marktorientierung an erster Stelle der F.D.P.-Agrarpolitik. Die einzelbetriebliche Investitionsförderung muß noch stärker an der Wirtschaftlichkeit ausgerichtet, vereinfacht und finanziell noch besser ausgestaltet werden. Nach Auslaufen der EU-Sonderregelung für die neuen Bundesländer brauchen wir gleiche Förderbedingungen ohne künstliche Obergrenzen in ganz Deutschland. ({4}) Wir können unsere im EU-Vergleich deutlichen Strukturdefizite nicht länger durch eine Politik der Strukturerhaltung ausgleichen. Wir müssen Prioritäten setzen und den Mut haben, eine Agrarpolitik zu machen, die auch die Landwirtschaft noch stärker als bisher an den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft orientiert. ({5}) Meine Damen und Herren, wir müssen zukünftig noch stärker die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft und auch der Agrarwirtschaft im Auge haben. In den letzten fünf Jahren haben die deutschen Schweineproduzenten erhebliche Marktanteile verloren und hatten damit auch Einkommensrückgänge in Höhe von Hunderten von Millionen Mark. Nur 2,9 Prozent der westdeutschen Milchviehbetriebe melken über 60 Kühe. Das sieht in den Nachbarländern ganz anders aus. Die fünf größten deutschen Molkereien haben 17 Prozent Marktanteil; in Dänemark sind das 94 Prozent, in den Niederlanden 82 Prozent. Hier müssen wir nachdenken, wie wir die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und die Strukturentwicklung agrarpolitisch noch effektiver begleiten können. Wir müssen uns nur die aktuelle Entwicklung anschauen. Sie wurde angesprochen: Strukturkrisen, Kartellbildung im Bereich der Schlachthöfe, auch Entwicklungen im Bereich der Molkereien. Hier ist sicherlich die Wirtschaft mit ihren unternehmerischen Entscheidungen gefordert. Die können wir nicht vorschreiben. Aber auch der Bund wie die Länder müssen wirklich überlegen - ich habe deshalb auch im Agrarausschuß beantragt, daß wir uns darüber unterhalten -, wie wir diese Mittel effektiver zum Nutzen unserer Landwirte einsetzen können. ({6}) - Gut, dann sind wir uns einig. Die 1984 eingeführte Milchgarantiemengenregelung nach dem Motto „Mengen runter, Preise rauf" hat uns in die Sackgasse geführt. Ab dem Jahr 2000 muß hier eine Flexibilisierung und Korrektur erfolgen. Persönlich bin ich für eine marktwirtschaftliche Lösung, damit unsere aktiven milchproduzierenden Unternehmerlandwirte im größer werdenden EUBinnenmarkt ihre Zukunftschancen nutzen können. Für mich ist eines dabei klar: Wir können und dürfen mit der Garantiemengenregelung nicht auch noch Strukturpolitik und Sozialpolitik betreiben und ökologische oder regionalpolitische Probleme lösen wollen. Dazu brauchen wir andere Instrumente. Die besonderen Leistungen der Landwirtschaft für die Umwelt und den Naturschutz können nicht mehr zum Nulltarif erbracht werden, sondern müssen zukünftig honoriert werden. Die flankierenden Maßnahmen zur Reform der EU-Agrarpolitik bieten dazu eine sehr gute Grundlage. Die EU, der Bund und die Länder müssen sich über eine ausreichende Finanzierung der verschiedenen Extensivierungsprogramme einigen. Lassen Sie mich noch einen Satz zur Bio- und Gentechnologie sagen. Ich meine, daß die Chancen und Möglichkeiten gerade für die Landwirtschaft in Deutschland und hier besonders für die Pflanzenzüchtung wahrgenommen werden sollten. ({7}) Ziele sollten dabei die Qualitätsverbesserung, die Resistenzzüchtung und die Ertragssicherheit sein. Ich meine, hier ist eine vernünftige Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Forschung, der Wirtschaft und der Politik anzustreben, ({8}) damit wir auch dem Agrarstandort Deutschland die Chancen geben, die notwendig sind. ({9}) Auch in Zukunft wird und muß sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft fortsetzen. ({10}) Dieser Strukturwandel muß aber sozialverträglich ablaufen. Die Agrarsozialpolitik dieser Bundesregierung, die von den Koalitionsfraktionen unterstützt wird, ist dafür eine gute Grundlage. Angesichts der Tatsache, daß von den in der Europäischen Union über 8 Millionen Landwirten 4 Millionen über 55 Jahre alt sind und 3 Millionen unter 5 Hektar bewirtschaften, müssen wir in Zukunft eine vernünftige Produktionsaufgaberente anbieten. Damit würde den Landwirten, die nicht mehr wirtschaften wollen oder können, die Aussicht erleichtert und würden andere im Gegenzug unternehmerischen Spielraum gewinnen. Zur Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland gehört ein leistungsfähiger und lebenswerter ländlicher Raum mit einer intakten Kulturlandschaft. ({11}) Daher brauchen wir landwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten und vielfältige Einkommenskombinationen: im Tourismus, im Handwerk, bei der Landschaftspflege, bei den kommunalen Dienstleistungen, bei der rohstofflichen oder energetischen Verwertung land- und forstwirtschaftlicher Biomasse. Die Entstehung möglichst vieler außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze ist für die Funktionsfähigkeit der ländlichen Räume und einen geordneten und sozialverträglichen Strukturwandel in der Landwirtschaft besonders wichtig. ({12}) Mit politischen Förderinstrumenten wie der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes", der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", der Städtebauförderung, dem Dorferneuerungsprogramm sowie den Regionalfonds der Europäischen Union müssen wir für den ländlichen Raum eine positive Entwicklung voranbringen. Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft und die Agrarwirtschaft gehören weltweit zu den dynamischsten Wachstumsbranchen. Es wird geschätzt, daß der Getreideverbrauch in den nächsten Jahren um 100 Millionen Tonnen zunehmen wird. Der Fleischverbrauch steigt global schon jetzt um jährlich 3 Prozent. Noch immer wird über ein Viertel der Weltbevölkerung nicht satt. Von daher gehört dem unternehmerischen Landwirt die Zukunft - in Deutschland und in Europa. Ich bedanke mich. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günther Maleuda.

Dr. Günther Maleuda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002730, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Agrarbericht 1996 unternimmt die Bundesregierung den Versuch, eine erfolgreiche Agrarpolitik nachzuweisen - trotz erreichter Ergebnisse offensichtlich ein sehr schwieriges Unterfangen. So erklärt sich sicher auch die Tatsache bestimmter Schuldzuweisungen an die Opposition und auch an einzelne Länder. Laut Agrarbericht ist zwar der Gewinn der westdeutschen Vollerwerbsbetriebe im Wirtschaftsjahr 1994/95 gegenüber dem Vorjahr, wie bereits gesagt wurde, um 10,1 Prozent gestiegen. Bei genauer Betrachtung aber - diese ist hier sicher notwendig - ergibt sich ein sehr differenziertes Bild. Mit diesem Gewinn wird tatsächlich etwa das Niveau von 1987/88 erreicht. Der größte Teil des Zuwachses, nämlich 5,8 Prozent, resultiert außerdem aus der Vergrößerung der Betriebe. Sicher müßte man hier noch einmal den Zusammenhang zwischen der Aufgabe von Betrieben und dem Rückgang von Arbeitskräften in der Landwirtschaft darstellen. Das ist aber bereits in den vorherigen Diskussionsbeiträgen hinreichend erfolgt. Eine Zahl aber möchte ich nennen. Da gleichzeitig die Subventionen um 3,3 Prozent gestiegen sind, bleibt als Resümee: In der westdeutschen Landwirtschaft wird Einkommenszuwachs vor allem durch Umverteilung realisiert. Etwa 44 Prozent der Nettowertschöpfung besteht aus Subventionen. Es wurde schon wiederholt über das vergleichbare Einkommen gesprochen. Ich befinde mich in Übereinstimmung mit der Wertung, die hier vorgenommen wurde, was die sogenannten satten Gewinne anbelangt, die in der Landwirtschaft absolut nicht vorhanden sind. Die Wahrheit nämlich ist, daß die Gewinnspanne je Familienarbeitskraft in den Vollerwerbsbetrieben zwischen 2 200 DM und 141 000 DM liegt. In den Vollerwerbsbetrieben betrug das verfügbare Familieneinkommen in fast einem Viertel der Betriebe unter 10 000 DM. Eine existenzbedrohende Situation besteht unserer Auffassung nach vor allem in über 51 Prozent der Betriebe, bei denen sich das Eigenkapital verringert, die letztlich von der Substanz leben. Gegenüber fast 60 Prozent der Betriebe, die Nettoverbindlichkeiten von über 3 000 DM je Hektar haben, muß die Bundesregierung zugeben - wörtlich -: Diese Vollerwerbsbetriebe können zum überwiegenden Teil nicht mehr als finanziell stabil angesehen werden. Die Bundesregierung zieht daraus laut Agrarbericht folgende Schlußfolgerung: Es sind die agrarpolitischen Maßnahmen fortzusetzen, die den Agrarstrukturwandel dahin gehend unterstützen, daß leistungs- und wettbewerbsfähige Betriebe entstehen. Und damit es keine Mißverständnisse gibt, fügte Minister Borchert auf der Grünen Woche hinzu: Dieser „unternehmerisch orientierten Landwirtschaft" ist nicht „mit einer überholten Kleinbauernideologie zu entsprechen". Wenn man außerdem im Agrarbericht liest, daß der Selbstversorgungsgrad bei wichtigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen zurückgeht, dann bleibt nur der Schluß: Die Bundesregierung hat mit ihrer Agrarpolitik in der Tat eine Reihe entscheidender Ziele, die ihr im Landwirtschaftsgesetz vorgegeben sind, bisher nicht erfüllt. Ich würde, Herr Minister Borchert, gerne die Frage aufwerfen, ob sich dieser Prozeß nun weiter so fortsetzen soll. Der Versorgungsgrad bei Schlachtschweinen ist im letzten Jahr um weitere zwei Prozent gesunken, bei Geflügelfleisch um weitere drei Prozent. Ich möchte hier sagen: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es eigentlich die Erwartung, daß zunehmend dort, wo schon einmal Schweine gehalten wurden, dieser Prozeß intensiv auch in Richtung der Erhöhung des Eigenaufkommens befördert wird. Meine Damen und Herren, eine wachsende Brisanz für die Agrarpolitik ergibt sich aus der sehr unterschiedlichen Agrarstruktur in West- und Ostdeutschland. Im Agrarbericht ist nicht zu erkennen, welche Konsequenzen für die Zukunft daraus zu ziehen sind, beispielsweise bei der Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe oder bei der Milchquotenregelung. Sicherlich sind das alles noch grundsätzliche Fragen, die im Agrarausschuß zu diskutieren sind. Wenn die heutige Einladung an die Opposition so zu verstehen ist, daß wir diese inhaltlichen Fragen von der Sache her prinzipiell diskutieren, ist auch zu erwarten, daß übereinstimmende Lösungen erreicht werden, wie das zu Einzelfragen in der Tat im Agrarausschuß in der Vergangenheit bereits der Fall war. Minister Borchert hat sich auf der Grünen Woche vehement gegen die neuerlich erhobene Forderung einer renationalisierten, stärker national finanzierten Agrarpolitik ausgesprochen. Nun ergibt sich allerdings die Frage: Soll die sehr differenzierte deutsche Landwirtschaft auch künftig in ein enges EU-Korsett gezwungen und rigoros über einen Kamm geschoren werden, oder welche Konsequenzen ergeben sich? Wie soll das aussehen, wenn die Bundesregierung beabsichtigt, möglichst bald einheitliche Rahmenbedingungen im gesamten Bundesgebiet herzustellen? Doch bevor über Einzelheiten einer zukünftigen Agrarpolitik gesprochen werden kann, müssen auch einige ideologische Vorbehalte überwunden werden. Die Abgeordnetengruppe der PDS unterstützt nachdrücklich - Sie hören richtig - die im Agrarbericht formulierten und bewährten Prinzipien des bäuerlichen Wirtschaftens. Diese Prinzipien sind anwendbar sowohl im Rahmen eines Familienbetriebes, einer Personengesellschaft oder in einem Betrieb, der als Genossenschaft oder GmbH wirtschaftet. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: In den Berichtszeitraum des letzten Jahres fallen auch die Kampagnen, die vor allem auf eine Diskriminierung der Bäuerinnen und Bauern in den ostdeutschen Agrarunternehmen gerichtet sind. Ich meine hier vor allem diese üble Diskussion über die sogenannten roten Barone. ({0}) Ist es nicht vielmehr so, daß auch in diesen Gemeinschaftsunternehmen fleißig arbeitende Bäuerinnen und Bauern tätig sind? Sie unterscheiden sich von ihren westdeutschen Kollegen im wesentlichen nur dadurch, daß sie über bestimmte Erfahrungen in der genossenschaftlichen Arbeit größerer Landwirtschaftsbetriebe verfügen. ({1}) Im Agrarbericht sollte künftig - das wäre unser Vorschlag - der Begriff „Familienarbeitskraft" durch „Unternehmerarbeitskraft" bzw. „Gesellschaftsarbeitskraft" ersetzt werden. Entsprechend sollte in künftigen Agrarberichten für die verschiedenen Gemeinschaftsunternehmen nachgewiesen werden, wie hoch der Anteil der Mitarbeiter ist, die gleichzeitig Gesellschafter sind, und wieviel Gesellschafter nicht im Unternehmen arbeiten. Der letzte Aspekt ist für die Abgeordneten der PDS auch deshalb von Interesse, weil wir mit Sorge Tendenzen beobachten, nicht mitarbeitende Gesellschafter abzufinden und das Eigenkapital in immer weniger Händen zu konzentrieren. Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich sagen, daß wir zu den Fragen des Währungsausgleichs heute keine ergänzenden Bemerkungen maDr. Günther Maleuda chen wollen. Wir haben unseren Standpunkt in der 83. Sitzung des Bundestages dargelegt. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Als nächstes hat für den Bundesrat der Herr Minister für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei des Landes Schleswig-Holstein, Hans Wiesen, das Wort. Minister Hans Wiesen ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Reisen bildet. Ich habe heute nachmittag in Bonn gelernt, insbesondere von Herrn Bundesminister Borchert und Herrn Susset, daß in der Regel und im wesentlichen an allem immer die Länder schuld sind. Wenn das nun wahr wäre, hätten die Länder auch für alles die Verantwortung. Herr Bundesminister, dann säßen Sie auf einer k.w.-Stelle. ({1}) Das können Sie doch eigentlich nicht gemeint haben. Ich denke, Zusammenarbeit ist das eine. Aber es kann natürlich keine Befehlsstränge vom Bund auf die Länder geben. Es kann ja nicht sein, daß die Länder jeden Vorschlag des Bundes zu unterstützen haben. ({2}) - Das war nur die Konsequenz aus dem, was er gesagt hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Agrarbericht ist so etwas wie die Bilanz der Agrarpolitik der Bundesregierung. Die Bilanz ist auch in diesem Jahr wieder rückwärtsgewandt formuliert und deprimierend. Perspektiven wurden nicht eröffnet. ({3}) Immer weniger Menschen finden in der Landwirtschaft einen Arbeitsplatz. Der Strukturwandel hat sich in der letzten Zeit sogar noch beschleunigt. Jahr für Jahr müssen mehr als 3 Prozent der Betriebe aufgeben. Im letzten Jahr sind laut Agrarbericht insgesamt 7 Prozent der Arbeitsplätze verlorengegangen. Der für unsere Gesellschaft insgesamt so wichtige Beruf des Landwirts oder Bauern bietet immer weniger Menschen ein ausreichendes Einkommen. Die Bundesregierung muß zugeben, daß die Gewinne noch unter dem Niveau von 1988/89 liegen. Die jungen Landwirte sehen das Problem, daß mittlerweile die Hälfte der Gewinne aus Subventionen stammt. Sie fordern mit Recht, daß dies kein Dauerzustand ist oder sein darf. ({4}) Die jungen Landwirte fragen unsere Politiker nach ihrer Zukunft. Diese Fragen sind: Wie geht es weiter mit der europäischen Agrarpolitik? Wie geht es mit den Milchquoten weiter? Wie geht es mit der Osterweiterung der Europäischen Union weiter? Oder wie geht es mit einer neuen GATT-Runde weiter? ({5}) - Ich werde Ihnen das erzählen, was ich Ihnen zu erzählen mir vorgenommen habe. ({6}) Die Bundesregierung jedenfalls läßt diese fragenden Landwirte ratlos, mit der Konsequenz, daß zirka ein Drittel unserer Höfe keine Hofnachfolger mehr hat. Die Antworten dagegen versuchen andere: der EU-Kommissar Dr. Fischler zum Beispiel und das Europäische Parlament. Auch wir, die Landesregierung, bemühen uns natürlich. Aber wo ist die Bundesregierung? Mit welchen Konzepten vertritt sie die deutschen Interessen am Verhandlungstisch in Brüssel? Wir in Schleswig-Holstein setzen auf eine wettbewerbsstarke und umweltverträgliche Landwirtschaft und konzentrieren unsere Fördermittel bei den Investitionen. ({7}) An der Stelle will ich, Herr Bundesminister, ein Wort zur Wiesen-Steuer sagen. Nach meinem Wissen gibt es in Schleswig-Holstein eine Familie mit Namen Wiesen. Diese Familie zahlt Wiesen-Steuer, sonst niemand. Sie wissen als Finanzer natürlich: Es handelt sich um eine ganz normale Verwaltungsgebühr, wie ich sie auch bei der Gemeinde bezahlen muß, wenn ich einen Personalausweis erhalten möchte. Für mich war die Frage - Herr Koppelin, das könnten Sie vielleicht sogar als sogenannter Liberaler begreifen -: Ist es besser, 3,5 Millionen DM für die Investitionsförderung und damit die Zukunftssicherung unserer Landwirtschaft auszugeben, oder ist es besser, das heute zu verfrühstücken? - Ich habe gesagt, Investitionen und Zukunft sind wichtiger. Das ist die Begründung. ({8}) Wir stärken unsere Veredlungswirtschaft durch ein spezielles Schweinekonzept, bei dem wir ein umfangreiches Programm mit den Verbänden unter Einbeziehung aller Beteiligten, vom Ferkelerzeuger über den Mäster bis hin zum Verarbeiter und Vermarkter abgestimmt haben. Wir würden das übrigens auch gern über Investitionshilfen tun, aber die Gemeinschaftsaufgabe läßt uns leider dazu keine Möglichkeit, weil sich Herr Bundesminister Borchert in diesem Punkt in Brüssel nicht durchsetzen konnte. Wir helfen dem ökologischen Landbau bei der wichtigsten Aufgabe für die Förderung dieser Sparte der Landwirtschaft, ({9}) nämlich bei der Eroberung seiner Märkte. ({10}) Minister Hans Wiesen ({11}) Der Agrarbericht der Bundesregierung zeigt: Schleswig-Holstein hat seinen Vorsprung in den letzten Jahren ausgebaut. ({12}) Unsere Agrarpolitik ist erfolgreich, füge ich hinzu. ({13}) - Deswegen bleibe ich ja auch Minister; da haben Sie recht. ({14}) Der Gewinn pro Arbeitskraft war schon 1988 in Schleswig-Holstein um 11 800 DM höher als im Bundesdurchschnitt. ({15}) Der aktuelle Agrarbericht zeigt, daß dieser Vorsprung im Vergleich der alten Länder auf 12 300 DM angestiegen ist. Nach Berechnungen der Landwirtschaftskammer hat es Schleswig-Holstein als einziges altes Bundesland geschafft, in diesem Punkt mit der allgemeinen Einkommensentwicklung in etwa Schritt zu halten. Schleswig-Holstein bleibt Tabellenführer mit wachsendem Punktvorsprung. ({16}) - Mit Hilfe des Bundes und des Landes; sonst würde es ja im Land nicht besser gehen als in anderen Ländern, wenn das Land nicht noch ein Stück oben daraufsetzte. Das ist es ja. ({17}) Wir arbeiten mit Nachdruck für eine stärkere Kooperation von Land- und Ernährungswirtschaft, damit sich beide besser am Markt bewegen können. Wir wissen, daß eine leistungsfähige Ernährungswirtschaft für Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region entscheidend ist. Das darf der Politik nämlich nicht schnuppe sein; Politik darf nicht abseits stehen, wenn in einer Branchenkrise massenhaft Arbeitsplätze gefährdet sind. ({18}) Aber genau das ist zu beklagen. In der Schlachtbranche brennt es, und die Bundesregierung hält sich heraus, obwohl sie durch eine verfehlte Subventionspolitik Mitverursacherin eben dieser Krise ist. ({19}) Da hier vorhin angemerkt wurde, daß die Länder das doch zu genehmigen hätten, schildere ich Ihnen einmal die schleswig-holsteinische Situation. Da wird in Mecklenburg-Vorpommern - um Gottes willen, nichts gegen den Aufbau Ost - in Anklam, wo gar keine Tiere sind, ein riesengroßer, hochmoderner Schlachthof gebaut, mit dem Ergebnis, daß in Schleswig-Holstein ein Betrieb schließen muß. Nun sagen Sie bloß noch, ich hätte den Schlachthof in Anklam genehmigt! ({20}) Nein, wenn man schon neue Strukturen aufbaut - das gilt auch im Wettbewerb zwischen den neuen Bundesländern -, mit Fördermitteln, die auf jeden Fall und immer im Bereich Aufbau Ost richtig angelegt sind, dann muß man aber die Kapazitäten länderübergreifend abschätzen und nur soweit fördern, wie damit bisherige Strukturen nicht kaputtgehen und die Strukturen sich dort auch tragen können und erhalten bleiben. ({21}) In der Meiereiwirtschaft haben wir etwas ganz Ähnliches. Früher waren das vielleicht einmal regionale Ereignisse, die auf ein Bundesland beschränkt waren. Jetzt aber sind häufig mehrere Bundesländer gleichzeitig betroffen. Ich erlebe das gerade im Zusammenhang mit Mecklenburg-Vorpommern bei einer großen Meierei, die auch schleswig-holsteinische Milch verarbeitet, wodurch der Standort von zwei Betrieben in Schleswig-Holstein gefährdet ist. Während allerdings Herr Carstensen aus Schleswig-Holstein, der Vorsitzende des Agrarausschusses, hier in einer Aktuellen Stunde Fensterreden zu Meiereiproblemen in Schleswig-Holstein hält, bemühe ich mich lieber mit den Beteiligten um praktikable Lösungen. Allerdings tut man dies besser nicht auf offener Bühne, und das wird so bleiben. ({22}) Die Bundesregierung darf sich aber nicht aus ihrer nationalen, länderübergreifenden Verantwortung stehlen. Die Menschen erwarten von der Agrar- und Wirtschaftspolitik mehr als bloßes Treibenlassen. Daher möchte ich an dieser Stelle einen Vorschlag zu Protokoll geben: Die Bundesregierung sollte in Zukunft in ihrem jährlichen Agrarbericht ein wirklich inhaltsreiches Kapitel über den Zustand der Ernährungswirtschaft aufnehmen. Wer jetzt meint, es gäbe ja bereits im vorliegenden Agrarbericht ein Teilkapitel „Ernährungsgewerbe", dem sei gesagt: Es findet sich dort kein Wort zu den tatsächlichen Struktur- und Marketingproblemen der Ernährungswirtschaft, kein Wort über die eigentlichen Probleme. Nein, die Bundesregierung hat keine Konzepte und versucht, ihre Hände in Unschuld zu waschen, und wenn etwas schiefgegangen ist, sollen die Länder schuld sein. Das ist etwas zu einfach, meine Damen und Herren. ({23}) Das gilt auch für andere Bereiche der Agrarpolitik. Ich erinnere einmal an die quälende Debatte um den Währungsausgleich, die die Bundesregierung in Brüssel geführt hat. Auch der Bundeskanzler hat sich nicht engagiert. Er wollte angeblich den EU-Gipfel Minister Hans Wiesen ({24}) damit nicht belasten. Herausgekommen ist eine ungerechte Lösung. ({25}) Der Währungsausgleich ist beispielsweise in Baden-Württemberg mit 72 DM pro Hektar landwirtschaftlicher Fläche mehr als doppelt so hoch wie in Schleswig-Holstein. ({26}) Uns fehlen 23 Millionen DM. Daß Sie, Kollege Carstensen, dies in Schleswig-Holstein auch noch als Erfolg verkaufen, kann ich nicht gut verstehen. ({27}) Ähnlich verhält es sich ja mit dem Herumeiern beim Thema BSE, beim Thema Tierschutz oder bei anderen Themen. Fast täglich gibt es Meldungen über zu enge Stallboxen oder über Katastrophen in der Geflügelhaltung. ({28})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Minister Hans Wiesen ({0}): Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe nur noch fünf Minuten für zwei Seiten Redetext. Das kann ich leider nicht mehr in meiner Zeit unterbringen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich würde unterbrechen. Minister Hans Wiesen ({0}): Machen Sie einen intelligenten Zwischenruf, dann versuche ich, intelligent zu antworten. ({1}) Die Wettbewerbsverzerrungen in diesen Bereichen liegen jedenfalls offen zutage. Die europäische Agrarpolitik hat natürlich großen Einfluß auf die agrarpolitische Entwicklung in den Mitgliedsstaaten und damit auch in den Regionen, bei den Bundesländern. Natürlich muß über die Weiterentwicklung der Agrarreform gesprochen werden. Von der Bundesregierung ist aber wiederum kein Konzept bei Kommissar Fischler vorgelegt worden, ein Konzept, das wir dringend bräuchten, wenn wir die Interessen der deutschen Landwirtschaft erfolgreich vertreten wollten. ({2}) Ich bin sehr für das, was Herr Fischler sagt. Laßt uns in die Ausgleichszahlungen mehr soziale und vor allem ökologische Komponenten einarbeiten! ({3}) Ich habe seit dem Zeitpunkt, als diese Ausgleichszahlungen zum ersten Mal geleistet wurden, darauf Wert gelegt, daß nach dem Bruttoprinzip verfahren werden sollte, nicht nach dem Nettoprinzip. Damit bin ich gegen die konservativ regierten Länder und die Bundesregierung nicht durchgedrungen. Das hat in Schleswig-Holstein zu folgendem geführt: Wer praktischerweise den Knick gleich in den Feldtümpel geschoben hat, ist der Gewinner. Der Knick ist weg; der Tümpel ist weg; für die gesamte Fläche - brutto gleich netto - bekommt er Ausgleichszahlungen. Wer Landschaft erhalten hat - mit Tümpeln oder Knicks oder Feldgehölzen -, dem wird etwas abgezogen; er wird damit bestraft. Das ist ungerecht und unfair. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage. Minister Hans Wiesen ({0}): Ich werde, Frau Präsidentin, das jetzt so zu Ende bringen. - Machen Sie einen schönen Zwischenruf! Dann kommt Leben in die Bude. ({1}) - Es wird nicht auf die Redezeit angerechnet? Ja, bitte, dann gern. Bei uns wird das auf die Redezeit angerechnet.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wir hier halten die Redezeit für die Zwischenfrage und auch für die Beantwortung immer an. Minister Hans Wiesen ({0}): Dann mache ich das gern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie sprachen gerade von den ökologischen Notwendigkeiten auch in der Landwirtschaft. Warum nimmt gerade Schleswig-Holstein unter allen Ländern die ökologischen Programme, die die EU den Ländern anbietet, am wenigsten in Anspruch? Warum ist Schleswig-Holstein das Bundesland, das den ökologischen und biologischen Landbau mit Abstand am wenigsten fördert? Minister Hans Wiesen ({0}): Herr Kollege Lamp, da habe ich aber andere Auffassungen als Sie. Das erste ist: Nicht alles, was man auf die Fläche umverteilen kann, halte ich für fiskalisch und ökonomisch vernünftig. Das zweite ist: Alle MarktforMinister Hans Wiesen ({1}) scher sagen mir, es sei ein Irrglaube, daß es, wenn ich den ökologisch wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betrieben pro Jahr 200 DM pro Hektar als Beibehaltungsförderung zuweise, keinen Einfluß auf die Preise hätte. Es ist vielmehr so, daß hieraus ganz im Gegenteil ein Wettlauf mit den Preisen auf niedrigem Niveau gemacht wird und bei den Landwirten nichts hängenbleibt. Deswegen haben wir mit den Verbänden des ökologischen Landbaus seit ungefähr anderthalb Jahren herumgerangelt und sind uns jetzt weitgehend einig, daß mit Hilfe einer solchen Beibehaltungsförderung ein Marktförderungsfonds für Agrarprodukte aus dem ökologischen Landbau aufgebaut werden muß, weil wir nur dann die Chance haben, die Verbraucher in den Ballungsgebieten zu erreichen, wo die Menge der Konsumenten wohnt. Schleswig-Holstein ist ein marktfernes Land. Deswegen ist dieser Weg ein Weg, der den Ökobauern hilft. Denn sonst kommen wir in die Gefahr, daß bei uns der Warenabfluß stockt, weil die Kanäle nicht offen sind. Dann gibt es einen Rückstau bei den Produkten und den Preisen, und eine Preissenkung können wir in der gesamten Landwirtschaft nicht gebrauchen und im ökologischen Landbau schon gar nicht. - Vielen Dank. ({2}) Wir müssen, meine ich, zum Thema Landwirtschaft und Umwelt noch folgendes sagen: Die Umweltverträglichkeit unserer Landbewirtschaftung, die Artgerechtigkeit der Tierhaltung und anständiger Umgang mit den Tieren - das muß unser Prinzip werden. Lebensmittel der Spitzenqualität, naturnah, geschmacklich und gesundheitlich wertvoll - das müssen die Markenzeichen unserer Landwirtschaft sein, und daran arbeiten wir. ({3}) Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir für Landwirtschaft und ländliche Regionen integrierte Konzepte zustande bringen müssen. Wir haben viele landwirtschaftliche Betriebe, die ohne außerlandwirtschaftliche Einkommensanteile nicht mehr über die Runden kommen können. Ich kann sie aber nicht alle in den Nebenerwerb drücken, wenn ich nicht genug Haupterwerbsarbeitsplätze habe. Deswegen sind Zuerwerbsmöglichkeiten für die Landwirtschaft dringlich. Wir haben das mehrfach in der Agrarministerkonferenz und im PLANAK, als es um die Gemeinschaftsaufgabe ging, beantragt. Das ist leider am Widerstand der Bundesregierung gescheitert. Ich bedaure das sehr, Herr Kollege Borchert. Ich hoffe, daß Sie uns beim nächsten Mal helfen, das durchzubekommen, damit wir unser Land, unsere Dörfer und unsere Landwirtschaft nach vorn bringen können. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Wiesen hat hier erklärt, wir träten für eine wettbewerbsstarke Landwirtschaft ein. Das hört sich gut an. Nur, lieber Hans Wiesen: Das sieht ja in Schleswig-Holstein alles anders aus. Die „Wiesen-Steuer" ist hier schon angesprochen worden. Dann gibt es noch den Wasserpfennig und, und, und. ({0}) Ich könnte viele Beispiele zusätzlicher Belastungen für die Landwirtschaft nennen. Es ist ja nicht so, wie Minister Wiesen hier gesagt hat, daß dieses Geld in die Landwirtschaft investiert wird. Dieses Abkassieren findet nur statt, um wirklich abzukassieren und den Haushalt zu sanieren, und das macht man auf Kosten der Landwirtschaft. Das ist die Realität. Man muß weiter fragen, weil wir hier über Agrarpolitik diskutieren und der Minister aus Schleswig-Holstein sich hier so hinstellt: Warum hat es dieser Landwirtschaftsminister aus Schleswig-Holstein gebilligt, daß ein Gesetz beschlossen wurde, das auf totale Ablehnung der Landwirtschaft stieß, nämlich das Landesnaturschutzgesetz? Der Bauernverband, die F.D.P., die CDU und viele andere Verbände klagen dagegen. ({1}) Denn zu was führt dieses Gesetz? Es führt unter anderem dazu - wir haben da ein Beauftragtenwesen -, daß die Personen, die dieses Gesetz vertreten sollen, mehr Rechte haben als die Polizei. Ich sage Ihnen nur: Das ist ein neues Blockwartsystem, das in Schleswig-Holstein eingeführt worden ist. Nächster Punkt. Warum, Herr Minister, haben Sie ein Kammergesetz gegen den Willen der gesamten Landwirtschaft eingeführt? Sie haben in diesem Bereich nicht für die Landwirtschaft, sondern gegen sie gearbeitet. ({2}) Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel, damit Sie die Agrarpolitik in Schleswig-Holstein kennenlernen. Was halten wir denn von folgendem Tatbestand - und es ist ein Tatbestand - in Schleswig-Holstein? Einem Landwirt geht die Wasserleitung, die Drainage, kaputt: Das Wasser fließt auf die Hauskoppel. Er bringt das alles wieder in Ordnung; nur die Hauskoppel bleibt so, wie sie ist, weil sie nämlich inzwischen ein schützenswertes Feuchtbiotop geworden ist, das der Landwirt nicht trockenlegen darf. ({3}) Das ist die Realität in Schleswig-Holstein. Herr Minister, Sie haben noch etwas gesagt, was Sie besser nicht gesagt hätten. Sie haben zum Thema Meiereiwesen gesagt: „Ich mache das mit den Beteiligten. " Ich sage Ihnen einmal, was Realität ist - ich habe mit den Betriebsräten in Leezen und Rendsburg Jürgen Koppeln sowie mit den Betroffenen gesprochen -: Weit und breit gibt es keinen Hans Wiesen. Das ist die Realität. Es hat eine Versammlung der betroffenen Landwirte stattgefunden. Auch die Mitarbeiter der Meiereien und Dorfbewohner waren dabei. Da kommt ein Fax des Landwirtschaftsministers Hans Wiesen, des zuständigen Ministers - man muß sagen: es geht um Meiereien, die rentabel arbeiten; das ist noch das Drama bei dem Ganzen -, in dem er erklärt, er könne an der Veranstaltung, die ja wichtig ist, leider nicht teilnehmen. Warum? Weil er an einer Veranstaltung der IG Metall in Hamburg teilnehmen müsse. Das ist die Realität in Schleswig-Holstein. Sie haben, Herr Minister - Sie sind wirklich sehr nett, das muß ich sagen -, eine Politik gegen die Landwirte gemacht. Ich behaupte, er hätte vielleicht gern eine andere Politik gemacht; aber diese Landesregierung hat es gar nicht zugelassen. Deswegen gehört diese Landesregierung in den Vorruhestand. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter, die drei Minuten sind leider vorbei. Wenn Sie antworten möchten, Herr Wiesen, bitte. Minister Hans Wiesen ({0}): Frau Präsidentin, wie lange darf ich jetzt reden?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Drei Minuten höchstens. Minister Hans Wiesen ({0}): Dann fange ich einmal mit den Abgaben an. Da haben wir einen Wettlauf verloren. Wir haben es nicht geschafft, auch nur annähernd in gleichem Maße die Abgaben zu erhöhen wie diese Bundesregierung, an der die F.D.P. beteiligt ist. ({1}) Das zweite ist: Wir haben ein, wie ich meine, vorbildliches Naturschutzgesetz in Schleswig-Holstein, das allerdings völlig neu konzipiert worden ist. Da gibt es noch ein paar Umsetzungsschwierigkeiten. ({2}) Ich bin völlig anderer Meinung als Sie, Herr Kollege Koppelin. Ich meine, wenn Sie mit unseren Landwirten redeten, würden Sie feststellen, daß die Fortschrittlichen sagen: Ich möchte gern das Markenzeichen „In Schleswig-Holstein ist die Natur in Ordnung", damit ich meine Produkte über die Landesgrenzen hinaus besser verkaufen kann. ({3}) Ich will ein Wort zum Landwirtschaftskammergesetz sagen. Ein großer Teil der Landwirte war in der Tat gegen dieses Gesetz, und zwar aus zwei Gründen: Wir hatten der Landwirtschaftskammer zugemutet, selbst festzulegen, was ihre Selbstverwaltungsaufgaben sein sollten. Wir haben ihr einen Festbetrag zugewiesen, damit sie selbst entscheiden kann, für welche dieser Aufgaben sie wieviel von diesem Festbetrag ausgibt. Wir wollten die Selbstverwaltung in ihrer Entscheidungsfähigkeit stärken. Das war aber wegen bestimmter Personalkonstellationen im Vorstand, wie Sie wissen, nicht sehr beliebt. Die Entscheidung, was die Selbstverwaltung machen soll, gehört in die Selbstverwaltung. Das ist genau die Operation und das Ziel des Landwirtschaftskammergesetzes. ({4}) Noch ein Wort zu den Meiereien; darüber rede ich sonst nicht öffentlich. Ich glaube, zu diesem Thema habe ich schon ein paar Sitzungen gemacht. Es ist auch interessant, daß zum Beispiel der Landesbezirksvorsitzende der NGG oder auch der Bundesvorsitzende der NGG, mit denen ich natürlich gesprochen habe - selbstverständlich habe ich auch mit dem Bauernverband, mit dem Genossenschaftsverband usw. gesprochen -, niemals eine ähnliche Einlassung gemacht hätten, ich würde mich nicht um die Arbeitnehmer und ihre Arbeitsplätze kümmern. Die Gespräche sind alle ein paar Tage her. ({5}) - Nein, ihr macht da ein bißchen zuviel Show, und wir machen die Arbeit. So bleibt das auch. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Peter Harry Carstensen das Wort.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Hans Wiesen, das große Strukturproblem des Landesnaturschutzgesetzes ist, daß die Probleme der Landwirtschaft zu einem großen Teil nicht mehr in deinem Haus, sondern im Hause der Umweltministerin geregelt werden. Das stört die Bauern. Nichts ist dagegen einzuwenden, daß gerade in Wahlkampfzeiten sich vom Wahlkampf betroffene Landesminister im Deutschen Bundestag zu Wort melden. Wenn Wahlkampf etwas Böses wäre, dann müßte er insgesamt verboten werden. Ich begrüße es, wenn der zuständige Minister meines Bundeslandes in der Agrardebatte das Wort ergreift. Gerade das macht ja auch deutlich, welchen Einfluß die Landesagrarpolitik auf die Situation und letztlich auch auf das Einkommen der Landwirte hat. Die Wettbewerbsunterschiede in der Landwirtschaft sind zwischen den einzelnen Bundesländern zum Teil wesentlich größer als, wie immer behauptet, zwischen den Ländern der EU. Es ist schon erstaunlich, wenn dem Bundeslandwirtschaftsminister auch von dem Landwirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein untersagt wird, die Untersuchung über die Wettbewerbsunterschiede zwischen den Bundesländern zu veröffentlichen, die sogar von den LanPeter Harry Carstensen ({0}) desministern gefordert und in Auftrag gegeben worden ist. ({1}) Wie groß muß hier das schlechte Gewissen sein, meine Damen und Herren? Das ist auch nicht verwunderlich, wenn zum Beispiel bei der Definition landesspezifischer agrarpolitischer Programme Staatssekretär Wegge aus Brandenburg zu Anfang eines Vortrages, den er bei der Deutschen Gesellschaft für Agrar- und Umweltpolitik gehalten hat, festgestellt hat: Unser Hauptziel in der brandenburgischen Agrarpolitik besteht nicht in erster Linie in der Vermittlung hoher Einkommen. Einkommen in der Landwirtschaft ist dort nur noch Mittel zum Zweck, Landwirtschaft soll eine Funktion erfüllen. Ich frage: Wenn der Zweck erfüllt ist, hat dann der Mohr, die Landwirtschaft, seine Schuldigkeit getan und kann gehen? Nein, so kann man nicht mit der Landwirtschaft umgehen. Wer hier Kritik an der Landwirtschaftspolitik des Bundes übt, der muß auch, lieber Hans Wiesen, fairerweise darüber berichten, was in seinem eigenen Land in eigener Verantwortung mit den Bauern passiert. Dann gehört zu der Darstellung eines Landesministers aus Schleswig-Holstein auch, daß die Landesregierung sich beim Verweigern ihres Anteils am sozioökonomischen Flächenausgleich seinerzeit an Bauerngeld bereichert hat. ({2}) Dazu gehört auch, daß die Landesregierung den Bauern nicht die ihnen zustehenden Mittel bei der Erhöhung der Vorsteuerpauschale geben wollte und im Bundesrat gegen das Gesetz gestimmt hat, obwohl das Gesetz im Bundestag einstimmig, auch mit den Stimmen der SPD, verabschiedet worden war. Dazu gehört dann auch, daß die Landesregierung die Zahlung von Gebühren für die Anträge auf Leistungen, die den Bauern zustehen, fordert.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Carstensen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sielaff?

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich gleich mit diesem Punkt fertig bin, gerne. Diese „Wiesen-Steuer" - so nennen wir das - ist ein Schanddenkmal der Landwirtschaftspolitik in Schleswig-Holstein. ({0}) Dazu gehört auch, daß Fleischbeschaugebühren und andere wettbewerbsverzerrende Sonderbelastungen nicht, wie versprochen, abgebaut worden sind. Dazu gehören Belastungen aus dem Umweltbereich, die der Umwelt nicht helfen, aber die Landwirte bei ihrer Arbeit behindern und ihnen die Lust am Wirtschaften nehmen. Dazu gehören das Landesnaturschutzgesetz, die Grundwasserabgabe und das Landeswasserschutzgesetz genauso wie die Bürokratisierung und auch die Änderung des Gesetzes über die Landwirtschaftskammer. Ich frage einmal, lieber Hans Wiesen: Wo ist der Landwirtschaftsminister bei der Auseinandersetzung über die Schäden durch den Kormoran in der Fischerei gewesen? Wer sehenden Auges akzeptiert, daß durch diesen Vogel die gesamte naturverträgliche Binnenfischerei in Schleswig-Holstein den Bach runtergeht und Fischer wegen dieses Vogels ihren Betrieb dichtmachen müssen, hat den Titel „Minister für Fischerei" nicht verdient. ({1})

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Carstensen, Sie sprachen eben in einem Satz die Zahlungen zum Währungsausgleich über die Unfallversicherung an. Ist Ihnen der Brief des Abgeordneten Jochen Borchert vom Februar dieses Jahres bekannt, in dem er schreibt: „Ich habe ... Ausgleichszahlungen ... durchgesetzt." Weiter heißt es, er habe sich „für die Mittelbereitstellung ... entschieden." In diesem Brief kommt weder die CDU noch die F.D.P. und schon gar nicht das Parlament vor, obwohl das Parlament die Mittel bewilligt und bereitstellt. Halten Sie diesen Stil des Agrarministers für richtig? ({0})

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Sielaff, das ist natürlich typisch: Sie hören nie richtig zu. Ich habe vom Währungsausgleich noch kein Wort gesagt. Aber das werde ich nachher noch tun. ({0}) Ich habe über die Vorsteuerpauschale gesprochen. Über die Diskussion, die wir bei der Behandlung der Vorsteuerpauschale geführt haben, können wir uns natürlich auch unterhalten. Die Diskussion wurde im Bundesrat offen und ehrlich - wie das auch bei uns im Bundestag immer der Fall ist - weitergeführt. ({1}) - Entschuldigen Sie einmal: Das gehört eben nicht zusammen. Das ist Ihr Problem: Sie begreifen nicht, daß der Währungsausgleich mit der Vorsteuerpauschale nullkommanichts zu tun hat. Wir sind mit der Arbeit dieses Landwirtschaftsministers außerordentlich zufrieden. Ich staune manchmal darüber, daß Sie eine Diskussion über die Gerechtigkeit des Währungsausgleichs führen. Sagen Sie mir bitte - und führen das den Landwirten in Schleswig-Holstein meinetwegen vor Augen -, in welcher Höhe in Schleswig-Holstein Verluste aus währungspolitischen Gründen angefallen sind und ob die Mehrwertsteuerlösung, die Sie mit unterstützt haben - jetzt monieren Sie immer, daß sie nicht durchgekommen ist -, in diesem Fall gerechter gewesen wäre als die Lösung im Wege der Berufsgenossenschaft, die wir nun gefunden haben. Peter Harry Carstensen ({2}) Die Länder haben die Aufgabe, sich zusammen mit dem Bundeslandwirtschaftsminister auf die stärkeren Herausforderungen, die sich aus der EU-Agrarreform ergeben, zu konzentrieren. Die deutsche Landwirtschaft steht unter einem strukturellen Anpassungsdruck. Entsprechend ist die Zahl der Betriebe im letzten Jahr um 25 000 zurückgegangen. Dieser Prozeß wird sich fortsetzen. Auch in den neuen Ländern ist die Umstrukturierung längst nicht abgeschlossen. Um so mehr sind wir gemeinsam gefordert, den Landwirten bei der Entwicklung ihrer Betriebe zu helfen. Die Verbesserung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung im letzten Jahr und die Aufstokkung der Bundesmittel für die Investitionsförderung um 100 Millionen DM lagen voll auf unserer Linie. Die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe wird dadurch verbessert. Strukturverbesserungen sind aber nicht nur in den landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben, sondern auch in den Vermarktungs- und Verarbeitungsstufen erforderlich, zum Beispiel im Molkereisektor und bei den Schlachtunternehmen. Unsere Konkurrenten in der EU führen uns vor, wie in großen Unternehmen bei nahezu voller Kapazitätsauslastung kostengünstig vermarktet wird. Auch über diesen Weg ist der Druck auf die Erzeugerpreise zu verringern. Wir unterstützen deshalb mit Nachdruck Initiativen der Wirtschaft zur Strukturbereinigung, zum Beispiel über ein Strukturkrisenkartell. Unabhängig von strukturellen Verbesserungen braucht die Landwirtschaft weiter unsere Unterstützung. ({3}) Und wir leisten sie: Aufwertungsfestigkeit der Ausgleichszahlungen, Beihilfen für währungsbedingte Einkommensverluste. Insgesamt werden hier 830 Millionen DM aus Bundes- und EU-Mitteln bereitgestellt. Die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft wird entsprechend der gestiegenen Vorsteuerbelastung um 0,5 Prozentpunkte angehoben. Diese gezielte und gerechtfertigte Unterstützung lassen wir uns nicht zerreden mit dem Hinweis auf den hohen Anteil öffentlicher Hilfen am Gewinn. Jahrelang gab es Forderungen, Interventionskosten und Exporterstattungen zurückzufahren, weil sie angeblich nicht beim Bauern ankämen. Jetzt zahlen wir direkt, und die Kritik wird schon wieder laut. Ich will gar nicht darauf eingehen, wie problematisch und teilweise unsinnig der Bezug aller öffentlichen Hilfen auf den Gewinn ist. Aber ich finde es gut, daß deutlich wird, was die Koalition für die Bauern tut, und daß bewußt gemacht wird, daß es etwas kostet, Arbeitsplätze in der Landwirtschaft zu erhalten. ({4}) Dies ist auch vonnöten, um unsere ländlichen Räume und die Kulturlandschaft zu erhalten und zu pflegen. EU, Bund, Länder - vor allem bestimmte Länder - und Kommunen haben in den vergangenen Jahren ein immer dichteres Netz von Regelungen und Auflagen geknüpft. Das war sicherlich auch in vielen Fällen notwendig. Wo zum Beispiel staatliches Geld verteilt wird, muß man auch kontrollieren können, ob es richtig ankommt. Aber seien wir auch einmal kritisch gegenüber uns selbst: Vieles, was Landwirte als Unternehmer heute behindert, ist das Ergebnis einer übermäßigen Regelungswut. ({5}) Wir müssen überflüssige bürokratische Hemmnisse abbauen. ({6}) Wir brauchen eine Harmonisierung der rechtlichen Regelungen im Umwelt-, Pflanzen- und Tierschutz auf einem Niveau, an dem sich alle Landwirte in der EU zu orientieren haben. Auch die Obergrenzen, meine Damen und Herren, ob in der Milchviehhaltung oder bei den Rinderprämien, müssen auf den Prüfstand, wenn Strukturverbesserung in der Landwirtschaft für uns nicht nur eine Worthülse sein soll. ({7}) Vieles ließe sich noch anfügen. Mir kommt es darauf an, deutlich zu machen, daß wir unserem Ziel, dem leistungsfähigen, marktorientierten und umweltverträglich wirtschaftenden landwirtschaftlichen Unternehmen, Schritt für Schritt näher kommen. Dazu gehört aber eine umfassende Politik für den ländlichen Raum, ({8}) die auch außerhalb der Landwirtschaft Arbeitsplätze schafft und sichert, die Einkommenskombinationen ermöglicht und so den Strukturwandel in der Landwirtschaft abfedert. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt der Kollege Ulrich Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In meinem kurzen Redebeitrag möchte ich mich hauptsächlich mit den Möglichkeiten und Chancen für eine höhere und breitere Wertschöpfung im ländlichen Raum insgesamt auseinandersetzen. Das Beispiel Baden-Württemberg zeigt ganz deutlich, obwohl wir in vielen Bereichen auch Pionierarbeit leisten, wie zum Beispiel das MEKA und das HQZ, daß uns Einzelmaßnahmen in der Regel nicht den entscheidenden Schritt voranbringen. Was wir brauchen, ist ein Gesamtkonzept für den ländlichen Raum. Dieses muß vom Berufsstand, von den vor-und nachgelagerten Bereichen, den Kommunen, den Arbeitsverwaltungen und der Politik mitgetragen und aktiv unterstützt werden. Wir brauchen ein Bündnis für den ländlichen Raum. Wenn das HQZ erfolgreich sein soll, brauchen wir natürlich moderne regionale Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen, um dem Verbraucher auch zuverlässig die Qualität und die Regionalität garantieren zu können. ({0}) Hier liegt in der Bundesrepublik Deutschland einiges im argen. Ich nenne als Beispiel nur den Schlachthofbereich, der wirklich großen Nachholbedarf hat, um die Regionalität auch tatsächlich unter Beweis stellen zu können. ({1}) Beispiele dafür, daß man gut zusammenarbeitet, zeigen unsere Winzergenossenschaften, die regional produzieren, verarbeiten sowie vermarkten, so daß die Winzer an einer höheren Wertschöpfung teilnehmen können. Aber nicht nur bei den landwirtschaftlichen Produkten, sondern auch in anderen Bereichen muß eine bessere Wertschöpfung erzielt werden. Ich denke an die Vermarktung unserer attraktiven, von der Landwirtschaft geprägten Kulturlandschaft. Sanfter Tourismus ist das Stichwort; Ferien auf dem Bauernhof, kreative Feriengestaltung, die die Urlauber im Lande halten, spielen dabei selbstverständlich eine wichtige Rolle. ({2}) Ich denke weiter an soziale Dienstleistungen, die von der Pflege über betreutes Wohnen bis hin zur Versorgung von Ganztagsschulen oder Altenheimen mit hochwertigen Nahrungsmitteln und Speisen aus der Region gehen können. Außerdem werden in diesem Zusammenhang unnötige Wege vermieden. Ich denke an die Aufgaben im kommunalen Dienstleistungssektor. Hier sind erste Erfolge zu verzeichnen; allerdings betreiben unsere Kommunen immer noch viel zuviel in eigener Regie. Privatisieren heißt das Motto; denn damit werden mehr Chancen für unternehmerisches Handeln geschaffen. ({3}) Ich denke schließlich an eine verbesserte Direktvermarktung. Hofläden sind der beste Werbeträger für Produkte aus der Region. Sie schaffen Vertrauen beim Verbraucher. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen, es gibt keinen Königsweg. Es sind vielmehr viele kleine Schritte, die zum Erfolg führen können. Was wir allerdings brauchen, ist eine Gesamtstrategie. Programme im LEADER II und Stukturfonds für Ziel-5-b-Gebiete können dabei eine Unterstützung sein; allerdings müssen die Länder daran mitarbeiten. Aber wer könnte besser als die Landfrauen das Image der Landwirtschaft verbessern und die Wertschöpfung auf eine breitere Basis stellen? ({4}) Sie sind es oftmals, die zu einem erheblichen Teil zur Steigerung der Wertschöpfung außerhalb des traditionellen Bereichs der Landwirtschaft beitragen. Landfrauen sind ein überaus wichtiges Scharnier zwischen bäuerlichen Familien und anderen gesellschaftlichen Gruppen. Für einen Wirtschaftszweig wie die Landwirtschaft, der sich an den Wünschen der Verbraucher orientieren muß, sind die Landfrauen wichtige Multiplikatoren, die das Bild der Landwirtschaft in der Gesellschaft erheblich mitgestalten. ({5}) Das ist für die Akzeptanz der landwirtschaftlichen Produkte und der Landwirtschaft insgesamt in unserer Gesellschaft ausschlaggebend. Die Akzeptanz der Landwirtschaft in der Bevölkerung ist aber auch grundsätzlich erforderlich. Dem Vorwurf, daß die Einkommen der Landwirte zu über 50 Prozent aus Subventionen bestehen, muß begegnet werden. Das stimmt nicht. Wer den Landwirten ganz bewußt einen kostendeckenden Preis für ihre Erzeugnisse versagt, wie das derzeit die europäische Agrarpolitik tut, um die Europäische Union aus übergeordneten Gründen für immer mehr Staaten öffnen zu können, steht in der Verantwortung, den Landwirten einen entsprechenden Ausgleich zu gewähren. Sollte jemand auf die Idee kommen, den Ausgleich streichen zu wollen, hätte das die Konsequenz, daß Landwirtschaft in Deutschland überhaupt nicht mehr stattfände. Darüber hinaus müssen wir zukünftig stärker darauf achten, daß die volkswirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft in der nichtlandwirtschaftlich tätigen Öffentlichkeit deutlich werden. So ist es sicher ein Verdienst unserer Landwirtschaft, daß die Steigerungsrate der Verbraucherpreise für Nahrungsmittel Jahr für Jahr deutlich unter der Inflationsrate liegt. Auch im Umweltbereich wird eine verkürzte Diskussion zum Nachteil der Landwirtschaft geführt. Wo bildet sich denn unser Trinkwasser? Doch nicht unter den versiegelten Beton- und Asphaltflächen in unseren Ballungsräumen. Nein, es bildet sich unter den zu über 80 Prozent land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen. Richtig ist auch, daß wir in Deutschland die schärfsten Umwelt- und Schutzgesetze haben. Wir in Deutschland sind im Umweltbereich innerhalb der Europäischen Union sicherlich die Musterschüler. Wer sollte immer größere Mengen an organischen Siedlungsabfällen im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft vernünftig verwerten, wenn nicht die Landwirtschaft? Wo wollen denn die gestreßten Großstadtmenschen abschalten und unsere Kulturlandschaft genießen? Diese Reihe von Beispielen zeigt deutlich: Nahrungsmittel können wir außerhalb kauUlrich Heinrich fen; aber wir brauchen unsere Landwirtschaft dringend, um den ländlichen Raum zu erhalten. Das ist insgesamt für unsere Gesellschaft lebenswichtig. Danke schön. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Albert Deß.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Wiesen hat einen richtigen Satz gesagt: Reisen bildet. Herr Minister, ich lade Sie ein, besuchen Sie öfter Bayern; da können Sie die Leistungen der CSU-geführten Staatsregierung für die bayerischen Bauern begutachten. Von solchen Leistungen können die Landwirte in Schleswig-Holstein und in anderen SPD-geführten Ländern nur träumen. Meine CDU-Kollegen aus Schleswig-Holstein sprechen bereits von Wettbewerbsverzerrungen zugunsten der bayerischen Bauern. Zu Ihnen, Herr Sielaff, eine kurze Anmerkung: Im Ausschuß sind Sie immer recht vernünftig; aber sobald Sie hier am Mikrophon stehen, flippen Sie aus. Sie machen dem Bundeslandwirtschaftsminister immer heftigste Vorwürfe. ({0}) - Doch, Sie haben dem Bundeslandwirtschaftsminister heftigste Vorwürfe gemacht. Wenn aber das verwirklicht worden wäre, was die SPD am 12. Dezember 1991 im Deutschen Bundestag gefordert hat, dann gäbe es wahrscheinlich nicht einmal mehr die Hälfte der deutschen Bauern, die es zur Zeit gibt. Damals hat die SPD gefordert - ich zitiere, Frau Präsidentin -: Von der allgemeinen Zielsetzung, einen freien Welthandel mit offenen Grenzen zu schaffen, darf der EG-Agrarbereich nicht ausgenommen werden. Weiter hinten im Text haben Sie geschrieben: Preisstützungen in der Landwirtschaft sind nachhaltig abzubauen, und der Marktzugang muß erleichtert werden. Vor allem die Exportsubventionen der EG sind auf das unbedingt notwendige Maß zurückzuführen. Ich könnte so weitermachen. Wenn das alles verwirklicht worden wäre, was die SPD gefordert hat, dann gäbe es in Europa keine bäuerliche Landwirtschaft mehr.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sielaff?

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Deß, es ist Ihnen sicherlich nicht entgangen, sondern Sie haben es bewußt unterschlagen, daß ich in all den Erklärungen, in denen ich offene Grenzen auch für den Agrarmarkt im Interesse der Dritten Welt gefordert habe, deutlich gemacht habe, daß wir aber die Einfuhr an ökologischen und sozialen Kriterien messen müssen, damit nicht unsere Standards durch billige Produkte unterlaufen werden. Wenn Sie dies zitieren, müssen Sie das mit hinzunehmen. Sie werden zugeben, daß Sie dann im Interesse der Dritten Welt nicht weiter hier bei Produkten blocken können, die wir teilweise nicht einmal anbauen. ({0})

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sielaff, ich gebe Ihnen recht, daß ökologische und soziale Standards eingebaut werden müssen. Aber Ihre Forderungen gingen weit über das hinaus, was ökologische und soziale Standards bedeuten. Damit wäre unsere bäuerliche Landwirtschaft in ihrer Existenz gefährdet. Der Agrarbericht 1996 hätte eigentlich die Aufgabe, der Öffentlichkeit die Situation der deutschen Landwirtschaft gut aufgegliedert darzustellen. Durch Schlagzeilenjournalismus, wie „Satte Gewinne in der Landwirtschaft", wie eine Überschrift in der „Welt" heißt, wird der Öffentlichkeit ein vollkommen falsches Bild von der Situation in der Landwirtschaft vermittelt. Der Eindruck, den solche Leute vermitteln, ist verheerend. Angesichts der riesigen Einkommensunterschiede der Landwirtschaft gegenüber vergleichbaren Berufsgruppen klingen solche Schlagzeilen wie Hohn. Ich glaube, hier handelt es sich um unverantwortlichen Journalismus. Ich will nicht die Worte des saarländischen Ministerpräsidenten verwenden. Ich frage mich deshalb, ob der Agrarbericht in der jetzigen Form nicht abgeschafft werden sollte. Damit würde sich auch die jährliche Standortmeldung der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände erübrigen, in der es heißt, daß die jetzige Agrarpolitik eine dreiköpfige Familie mit 1 500 DM im Jahr belaste. Dümmer geht es wirklich nicht mehr. ({0}) Nirgends in der Welt sind im Verhältnis zur Kaufkraft die Nahrungsmittel - bei höchster Qualität! - so billig wie in Deutschland. ({1}) Auch die Behauptung dieses Verbandes, daß die Einkommen in der Landwirtschaft über dem Durchschnitt der Privathaushalte liegen, ist irreführend. Es wird verschwiegen, daß Nettoinvestitionen aus diesem Einkommen finanziert werden müssen und die Sozialversicherungskosten nicht zu 50 Prozent von einem Arbeitgeber getragen werden. Die Landwirtschaft muß die Beiträge zu 100 Prozent zahlen. Unberücksichtigt bleibt ebenfalls, daß das Einkommen in der Landwirtschaft mit oft weit über 60 Wochenarbeitsstunden ohne Feiertags- und Urlaubsregelung und durch die Mitarbeit von Familienangehörigen erreicht wird. Der Einkommensabstand zu vergleichbaren Berufsgruppen ist nach wie vor hoch. Niemand wird dies verschweigen. Wir, die Politiker und der Berufsstand, sind in höchstem Maße gefordert, alles zu unternehmen, damit sich die Einkommenssituation unserer bäuerlichen Familien wieder verbessert. Bei zur Zeit über 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland muß auch darüber nachgedacht werden, welchen Wert landwirtschaftliche Arbeitsplätze für unsere Gesellschaft haben. Aus der Statistik wissen wir, daß bei uns ein Landwirt zirka 80 Verbraucher ernährt. Bei über 80 Millionen Einwohnern können somit auf Dauer über eine Million sichere Arbeitsplätze allein in der Landwirtschaft erhalten werden. Wenn ich dann noch Einkommenskombinationen berücksichtige, können hier weit über eine Million Arbeitsplätze für unser Land erhalten werden. Dazu kommen die Arbeitsplätze im vor- und nachgelagerten Bereich. Wer dem freien Welthandel von Agrarprodukten ohne Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Unterschieden das Wort redet, muß wissen - ich meine dabei nicht die SPD -. daß er weitere Arbeitslose produziert. Die Kosten für die Gesellschaft werden dadurch höher als die Kosten für Rahmenbedingungen, die unseren Bäuerinnen und Bauern wieder Perspektiven eröffnen. Unser Ziel ist es, eine flächendeckende Landwirtschaft zu erhalten. Mein Einsatz gilt vor allem den bäuerlichen Familien, denen wir durch einen fairen Wettbewerb auch für die Zukunft Perspektiven geben sollen. Die CDU/CSU und die F.D.P. unterstützen ihren Antrag. Ich bitte auch die Opposition, daß sie diesem Antrag zustimmt. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu dieser Debatte einige Anmerkungen machen. Erstens. Herr Kollege Wiesen, ich bedaure, daß Sie hier nicht erläutert haben, warum das Land Schleswig-Holstein gegen die Anhebung der Vorsteuerpauschale gestimmt hat. Es ging nicht darum, daß die Länder Befehlsempfänger des Bundes sind, sondern darum, daß die Landwirte eine Entlastung von Kosten bekommen, die sie unberechtigterweise tragen. Es ging nicht um eine zusätzliche Subventionierung oder um eine zusätzliche Förderung. Aber vielleicht haben Sie abgelehnt, weil Sie wie Herr Sielaff die Anhebung der Vorsteuerpauschale mit dem Währungsausgleich verwechselt haben. Das wäre zumindest eine Erklärung. ({0}) Zweitens. Herr Kollege Wiesen, Sie haben auf die Überkapazitäten und die Probleme der Schlachthofstruktur in Schleswig-Holstein hingewiesen. Sie hätten dann auch erwähnen müssen, daß SchleswigHolstein die höchsten Gebühren für Schlachthofleistungen hat und damit dazu beiträgt, daß die Tiere nicht in Schleswig-Holstein, sondern in anderen Ländern geschlachtet werden. ({1}) Hier werden der Agrarstandort Schleswig-Holstein und die Schlachtunternehmen in Schleswig-Holstein gefährdet. Herr Kollege Sielaff, Sie haben Agrarsysteme für eine nachhaltige Bewirtschaftung gefordert. Ich weiß nicht, ob Sie nicht erkennen oder nicht erkennen wollen, daß Bauern seit Jahrzehnten und Generationen nachhaltig wirtschaften. Im Interesse einer nachhaltigen Bewirtschaftung nehmen Bauern zusätzliche Belastungen auf sich. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hornung?

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Gern, Frau Präsidentin.

Siegfried Hornung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000961, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Borchert, ich habe eine sehr einfache Frage. Kollege Sielaff hat vorhin ausgeführt, daß Ausgleichsleistungen an ökologische Auflagen gebunden werden sollen. Sind Sie der gleichen Meinung? Dazu hätte ich gerne eine ausführliche Erläuterung Ihrer Meinung.

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Vielen Dank für diese Frage. Herr Kollege Sielaff hat gefordert, daß die Ausgleichsleistungen der Europäischen Union an zusätzliche ökologische Auflagen gebunden werden. Er hat offensichtlich nicht erkannt, daß bereits heute alle Förderungen und alle Leistungen, die an die Landwirtschaft gehen, in einem erheblichen Umfang genau an ökologische Auflagen gebunden werden. Diese ökologischen Auflagen schreiben wir in einer guten fachlichen Praxis fest. ({0}) Mit dieser guten fachlichen Praxis fordern wir Auflagen, die weit über denen anderer Länder liegen. Diese Ausgleichsleistungen sind auch erforderlich, damit Landwirte die gute fachliche Praxis einhalten können. Weitergehende ökologische Auflagen müssen dann natürlich an zusätzliche Förderungen gebunden werden, denn ökologische Leistungen können - wie andere Leistungen auch - nicht zum Nulltarif produziert werden, sondern müssen zusätzlich gefördert werden. Wer zusätzliche ökologische Leistungen ohne Finanzierung fordert, gefährdet den Agrarstandort Deutschland. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sie-laf f?

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Aber gern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wollen Sie allen Ernstes behaupten, daß alle Förderungsmaßnahmen der EU und auch der Bundesrepublik Deutschland an ökologische Kriterien gebunden sind? Geben nicht auch Sie zu, daß die Rahmenbedingungen bis weit in die Gegenwart in der Tat falsch gestellt waren und aus diesem Grund die Landwirte nicht in die Lage versetzt werden, wirklich ökologisch produzieren zu können, ohne Nachteile zu haben?

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Herr Kollege Sielaff, zu dem zweiten Teil der Frage sage ich nein. Das gebe ich nicht zu. Zum ersten Teil der Frage: Wir fördern Landwirtschaft und zahlen Transferleistungen zugunsten der Landwirtschaft, weil nur mit diesen Förderungen die Landwirtschaft in der Lage ist, die ökologischen Standards, die wir heute in der guten fachlichen Praxis festschreiben, überhaupt zu erfüllen. ({0}) Ohne diese Standards, die wir in der guten fachlichen Praxis festschreiben, wäre Landwirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig. Deswegen müssen weitergehende ökologische Auflagen, wie sie etwa in Naturschutzgebieten und anderen Gebieten von den Ländern verhängt werden, dann auch gezielt mit zusätzlichen Leistungen honoriert werden. ({1}) - Ja, mit zusätzlichen Leistungen! Aber Sie haben doch gefordert, daß bereits die jetzigen Leistungen an weitergehende ökologische Auflagen gebunden werden. Dies würde den Agrarstandort Deutschland erheblich gefährden. Auch Herr Wiesen hat gesagt, zusätzliche ökologische Leistungen würden Auswirkungen auf die Preise haben. Deswegen setzt Schleswig-Holstein die flankierenden Maßnahmen nicht um. Er sollte sich in Baden-Württemberg einmal danach erkundigen, mit welchem Erfolg dort das MEKA-Programm und die flankierenden Maßnahmen umgesetzt werden. ({2}) Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir an einem System festhalten müssen, bei dem wir mit einer generellen Förderung eine gute fachliche Praxis ermöglichen und zusätzlich weitergehende Forderungen finanzieren. Nur so wird es auf Dauer möglich sein, eine flächendeckende, wettbewerbsfähige bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland zu erhalten, die hochwertige Nahrungsmittel leistungsfähig produziert und zunehmend nachwachsende Rohstoffe produziert sowie mit der Produktion gleichzeitig Kulturlandschaft erhält und pflegt. Dies wird auch weiter unser Ziel sein, das wir, wenn es sein muß, auch gegen den Widerstand der Opposition durchsetzen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zu dem Tagesordnungspunkt 6 a. Interfraktionell wird Überweisung des Agrarberichts 1996 auf den Drucksachen 13/3680 und 13/3681 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 13/3977 und 13/3978 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3997 soll ebenfalls an dieselben Ausschüsse und zusätzlich an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 6 b: Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Ausgleich währungsbedingter Einkommensverluste, Drucksache 13/3660. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3143 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 6 c: Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer überplanmäßigen Ausgabe bei den Zuschüssen an die Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, Drucksachen 13/3592 und 13/3783, wobei wir die Korrektur der Jahreszahl akzeptieren. Es handelt sich natürlich um das Jahr 1996 und nicht um das Jahr 1995. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung mit der vom Berichterstatter vorgetragenen Berichtigung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die BeVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer schlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. ({0}) Zusatzpunkt 2: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. zum Agrarbericht 1995. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/697 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Beschlußempfehlung des Ausschusses Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Agrarbericht 1995, Drucksache 13/3956. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/713 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Weiterhin Zusatzpunkt 2: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Agrarbericht 1995. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/708 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Agrarbericht 1995, Drucksache 13/3956. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung zu Defiziten in der Rentenversicherung und zur künftigen Höhe der Rentenversicherungsbeiträge Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Abgeordnete Rudolf Dreßler das Wort.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor etwas mehr als einem Monat, am 2. Februar, hat in diesem Parlament eine Debatte zur aktuellen Lage der Rentenversicherung stattgefunden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Einen Moment, Ich warte, bis Ruhe eingekehrt ist, und halte solange die Uhr an. - Ich glaube, jetzt geht es.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Sozialminister hat dazu eine Regierungserklärung abgegeben, die sich in den wenigen Wochen, die seither verstrichen sind, als haltlose Schönfärberei, schlimmer noch: als gezielte Täuschung der Öffentlichkeit herausgestellt hat. ({0}) Am 2. Februar hat der Sozialminister behauptet, die Liquidität der Rentenversicherung sei für 1996 auf jeden Fall gesichert. In Wirklichkeit werden wir im Jahre 1996 einen Verstoß gegen Recht und Gesetz zu verzeichnen haben. Berechnungen der Rentenversicherungsträger zeigen, daß 1996 die gesetzlich vorgeschriebene Mindestliquidität von einer Monatsausgabe nicht eingehalten werden kann. Die liquide Schwankungsreserve wird auf unter 0,6 Monatsausgaben zusammenschrumpfen, also ein Defizit von 9 Milliarden DM aufweisen. Diese Berechnungen beruhen auf den Annahmen des Jahreswirtschaftsberichtes von 1996. An die darin genannte Wachstumsrate von 1,5 Prozent glaubt heute gleichwohl niemand mehr. Wahrscheinlicher scheint heute eine schwarze Null, das heißt eine Wachstumsrate etwas über Null, jedenfalls deutlich weniger als 1 Prozent. Wir werden dann erleben, daß die Renten im Herbst 1996 auf Pump bezahlt werden. Für 1997 hat Sozialminister Blüm in der Debatte am 2. Februar im Namen der Bundesregierung von einem Beitragsanstieg um 0,6 Prozentpunkte gesprochen; das wären dann 19,8 Prozent. Das war schon vor einem Monat eine törichte, leichtfertige und unseriöse Versprechung, wenn nicht gar die bewußte Unwahrheit. Inzwischen ist diese Seifenblase nachweisbar geplatzt. Auf Basis der offiziellen Wirtschaftsdaten der Bundesregierung wird jetzt mit mindestens 20 Prozent als Beitragssatz für 1997 gerechnet. Auf diese Zahl kommt man aber nur dann, wenn für 1996 die Annahmen des Wirtschaftsberichtes zutreffen und wenn darüber hinaus die Beschäftigung im kommenden Jahr um mehr als 0,8 Prozent steigt. In Wirklichkeit wird eine derartige Entwicklung nicht eintreten. Daher ist heute mit größter Wahrscheinlichkeit zu sagen, daß der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr die Schallmauer von 20 Prozent nicht nur erreichen, sondern überschreiten wird. Die BfA rechnet, wie der „Welt am Sonntag" vom 3. März zu entnehmen ist, mit einem Beitragssatz von bis zu 20,4 Prozent. Unterdessen schwirren die Gerüchte. Es wimmelt von halb bestätigten und lediglich müde dementierten Meldungen aus der Flickschusterwerkstatt des Sozialministers. Ich darf Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Wie wir erfahren haben, wird Herr Blüm unmittelbar nach den Landtagswahlen diesem Haus einen Gesetzentwurf vorlegen, der folgendes beinhalten soll. Erstens: die Abschaffung der arbeitsmarktbedingten Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten. ({1}) Zweitens: die völlige Beseitigung des Fremdrentenanspruchs für neueinreisende Aussiedler. ({2}) Man erinnere sich an die Hetzkampagne gegen den Ministerpräsidenten des Saarlandes, Oskar Lafontaine! ({3}) Drittens: Streichung oder Einschränkung der Anrechnungszeiten für Schul- und Hochschulzeiten sowie für berufliche Ausbildung. Viertens: das Vorziehen der Verlängerung der Altersgrenzen ab 1997 auf 65 Jahre. Dazu: die halbjährige Verschiebung der Rentenanpassung vom 1. Juli auf den 1. Januar des nächsten Jahres und Kürzungen im Bereich der Witwenrenten. Kein Wunder, daß die Verunsicherung in der Bevölkerung Tag für Tag wächst! ({4}) Herr Blüm, was ist an diesen Meldungen dran? Was haben Sie vor? Fakten auf den Tisch, Zahlen auf den Tisch! Beitragszahler und Rentner haben darauf einen Anspruch, und zwar vor den Wahlen, nicht nach den Wahlen. ({5}) Schönreden, Verdrängen, Täuschen, alle 14 Tage neue Zahlen und neue Rentenlöcher: Das schafft Verunsicherung, nicht aber eine Opposition, die hier Klärung einfordert. Mehrfach hat der Arbeitsminister hier im Parlament oder vor den Fernsehkameras betont, er sei angesichts der Lage für gemeinsame Gespräche, auch mit der Opposition. Für die SPD stelle ich fest: Er hat solche Gespräche bisher nicht eingefordert. Es hat sie nicht gegeben. Sie sind offenbar auch nicht geplant, denn eine Initiative dazu hat die Bundesregierung bisher nicht ergriffen, trotz klarer Angebote der SPD. Deshalb fordere ich Sie auf, Herr Blüm, hier im Bundestag zu erklären, was Sie eigentlich zu verbergen haben. Die SPD wird nicht zulassen, daß eine handlungsunfähige CDU/CSU-F.D.P.-Koalition und ein Sozialminister, der die Übersicht offensichtlich verloren hat, das Rentenversicherungssystem, seine Solidität und seine notwendige Akzeptanz leichtfertig aus Machterhalt aufs Spiel setzen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort für die Bundesregierung hat jetzt der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm. ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin der SPD sehr dankbar für die Aktuelle Stunde. ({0}) - Seien Sie vorsichtig! Sie werden gleich erfahren, warum. Noch zwei Minuten! Sie haben bezüglich der Renten eine Kampagne der Verunsicherung angezettelt, ({1}) eine Kampagne der Rentnerangst. ({2}) Ich erinnere an Ihre Behauptung, eine Rentenkürzung stünde bevor. 28. Januar in der „Bild am Sonntag" : „Neue Angst! Rentenkürzung!" Die SPD ist sofort aufgesprungen. Sie haben hinzugefügt: Rentendiebstahl, Rentenbetrug. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit. ({3}) Erinnern Sie sich an den Vorwurf der Rentenkürzung! Nach den vom Statistischen Bundesamt vor wenigen Stunden vorgelegten Daten ist nun amtlich, was ich schon damals angekündigt habe: Auch am 1. Juli 1996 steigen die Renten in Ost und West. ({4}) Herr Dreßler, was ist von Ihrer Rentenkürzung übriggeblieben? ({5}) Die Renten folgen den Löhnen nach klaren gesetzlichen Maßstäben. Sie steigen gering, weil auch die Nettolöhne gering gestiegen sind. Diese Aktuelle Stunde gibt mir Gelegenheit, festzustellen: Die Renten steigen zum 1. Juli 1996 im Westen um 0,95 Prozent. Hiervon müssen die Rentner den erhöhten Beitrag zur Pflegeversicherung von 0,35 Prozent und einen erhöhten Beitrag zur Rentnerkrankenversicherung bezahlen, so daß der effektive Betrag der Rentenerhöhung im Westen 0,46 Prozent beträgt. Das ist wenig, aber es ist keine Rentenkürzung, wie Sie und „Bild am Sonntag" behauptet haben. ({6}) In den neuen Ländern erfolgt die Anpassung der Renten erstmals - wir sind im Gesetzgebungsverfahren - entsprechend der Nettolohnentwicklung des Vorjahres. Hieraus ergibt sich ein Erhöhungsbetrag von 5,64 Prozent. Hierauf wird die bereits zum 1. Januar erfolgte Rentenerhöhung im Osten von 4,38 Prozent angerechnet. Auch hier müssen der Pflegeversicherungsbeitrag für die zweite Stufe von 0,35 Prozent sowie der erhöhte Beitrag zur Rentnerkrankenversicherung angerechnet werden, so daß eine Erhöhung von 0,56 Prozent erfolgen wird, ({7}) unter dem Vorbehalt, daß die Gesetzgebung zur Expost-Anpassung an ihr Ende kommt. Das ist wenig - so wenig wie bei den Arbeitnehmern, denn Jung und Alt sitzen in einem Boot. ({8}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch vor der Öffentlichkeit feststellen: Das ist die erste Blamage der SPD-Angstkampagne über eine Rentenkürzung. ({9}) Die Renten werden nicht gekürzt, die Renten werden nicht gemindert. Sie erhöhen sich. Sie erhöhen sich allerdings wenig, ({10}) aber das ist keine Rentenminderung. ({11}) Überlegen Sie noch einmal! Sie haben von Diebstahl, von Rentenbetrug gesprochen. So hat jetzt auch wieder Herr Dreßler versucht, die Rentner mit der Behauptung in Unruhe zu versetzen, wir wollten die Rentenanpassung verschieben. Das ist die glatte Unwahrheit, um nicht ein schlimmeres Wort zu benutzen. ({12}) Nun zu der Finanzlage der Rentenversicherung. Ich habe dem, was ich hier, wie Sie gesagt haben, am 2. Februar vorgetragen habe, nichts hinzuzufügen. Sie haben eben von einem Abbau der Schwankungsreserve in Höhe von 9 Milliarden DM gesprochen. Ich habe in der Regierungserklärung von 9,9 Milliarden DM gesprochen. Ich muß die Rentner darauf aufmerksam machen: Es handelt sich um den Abbau der Schwankungsreserve, eines Sicherheitspolsters. Dies muß deshalb aufgebaut werden. Wir werden alles tun - das ist richtig -, um eine Beitragsexplosion zu vermeiden. Wir machen solide Rentenpolitik. Hier wird nicht aus der Hüfte geschossen. Unser erster Beitrag war das Abstellen der Frühverrentung. Das bringt zwar kurzfristig keine Entlastungen, mittelfristig aber wichtige Entlastungen der Rentenkassen. Ich weiß nicht, was Sie hier als große Überraschung verkünden. Ich habe bereits in der letzten Woche, als wir über die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten und ihre Neuordnung gesprochen haben, gesagt, daß die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente nicht das Risiko der Arbeitslosigkeit tragen kann. Dafür war sie nie gedacht. Sie ist durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in die Lage versetzt worden, für Arbeitsmarktrisiken einzutreten. Da Sie schon inflationär mit dem Wort „Fremdleistungen" umgehen: Das ist nun wirklich eine Fremdleistung. Wir werden die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente, auch die beitragsfreien Zeiten - es gibt viele - neu ordnen; ({13}) das alles ist nichts Neues. Wir werden die Explosion der Rehabilitationskosten in der Rentenversicherung von 6,6 Milliarden DM im Jahre 1991 auf 9,8 Milliarden DM im Jahre 1995 zurückdrängen müssen. ({14}) Ich gebe zu: Sparen ist nicht schön. Wir machen es aber der Rentensicherheit und auch der Sicherheit der Beitragszahler wegen; denn sie sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit angekommen. ({15}) Ich verspreche Ihnen ausdrücklich: Wenn die Vorbereitungen für eine solide Gesetzgebung, die nicht aus der Hüfte geschossen wird, abgeschlossen sind, werden wir selbstverständlich durch eine Einladung zum großen Konsens auch mit Ihnen Gespräche aufnehmen. Lassen Sie mich aber aus gegebenem Anlaß auch die zweite Angstkampagne der SPD zurückweisen. „Griff in die Rentenkasse" habe ich heute morgen gehört. ({16}) Meine Damen und Herren, falls es nicht bekannt sein sollte: Der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung beträgt in diesem Jahr 76,7 Milliarden DM. Wenn es sich um einen Griff in die Rentenkasse handeln soll, dann ist das kein Nehmen, sondern ein Geben. 17 Prozent der Ausgaben des Bundeshaushaltes geben wir für die Rentensicherheit, für den Bundeszuschuß, aus. Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, wir würden die Rentenversicherung im Stich lassen? ({17}) Fast 77 Milliarden DM! Wie kommen Sie mir da eigentlich vor? Das, was Sie machen, ist Wahlkampf, ist Rentnerverunsicherung. Deswegen erregt mich das so. Wir haben es mit einer Generation zu tun, die viel mitgemacht hat. Manche haben zwei Weltkriege erlebt, einen alle, eine Diktatur alle, manche zwei, Inflation, Währungsreform. Spielen Sie nicht mit der Angst der Rentner! Das, was Sie betreiben, ist nicht schamhaft. ({18}) Ich bin stolz auf unsere Rentenversicherung. Ich gebe zu: Die Rentner schwimmen nicht im Wohlstand. Es ist aber doch eine Alterssicherheit, wie sie es kaum sonstwo in der Welt gibt. Deshalb: Die KoaliBundesminister Dr. Norbert Blüm tion steht zur Rentenversicherung. Wir lassen die Rentner nicht im Stich. Wir lassen uns durch Ihre Angstkampagne nicht von einer soliden, verantwortungsvollen Rentenpolitik abbringen. ({19}) Die wichtigste Nachricht - ich wiederhole sie -: Es gibt keine Rentenkürzung, wie es die SPD behauptet hat. Auch in diesem Jahr steigen die Renten. Alle Berechnungen sprechen dafür, daß sie auch im nächsten Jahr steigen werden, nach dem jetzigen Stand sogar noch kräftiger als in diesem Jahr. Nur, für dieses Jahr halte ich fest: Die Voraussage der SPD über eine Rentenkürzung hat sich als Seifenblase herausgestellt - wie so vieles, was Sie in diesen Wochen zur Rentenversicherung gesagt haben. ({20})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Berninger.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Botschaft haben wir ja nun oft genug gehört: Die Renten in diesem Land sind sicher. Und jetzt haben wir noch die Botschaft gehört: Die Renten in diesem Land werden steigen. Ich kann diese Botschaft in Wahlkampfzeiten, Herr Minister Blüm, gut verstehen. ({0}) Nun glaube ich nicht, daß es die Absicht der SPD-Fraktion ist, hier mit der Sorge, die diese Rentnerinnen- und Rentnergeneration hat, Politik zu machen. Ich glaube: Wenn man über das Rentensystem spricht, dann muß man über die Strukturkrise dieses Rentensystems mindestens genau so offen reden. Man muß sagen, unter welchen Bedingungen eine Rente in diesem Land langfristig sicher ist. Genau das tun Sie nicht, wenn Sie immer nur gebetsmühlenartig vortragen und wiederholen, die Renten seien sicher. Nehmen wir die Frage der Beitragsentwicklung. Es ist doch völlig klar: Je weniger Menschen arbeiten und je mehr Menschen Rente bekommen, desto mehr werden - wenn wir nichts unternehmen - die Rentenbeiträge steigen, desto belastender wird die Beitragsentwicklung sein. Die Probleme der Rente sind keine isolierten Probleme - insofern sind sie auch nicht isoliert dem Arbeitsminister Norbert Blüm anzulasten -, sondern sie hängen eng mit der Arbeitslosigkeit in diesem Land zusammen. Deswegen muß man sie auch so offen ansprechen. Wir bewegen uns in einem Teufelskreis: Wir haben immer mehr Arbeitslose, dadurch kriegen wir immer höhere Rentenbeiträge, dadurch wiederum steigen die Lohnnebenkosten, und die Belastung durch die Lohnnebenkosten drückt wieder auf den Arbeitsmarkt. Das ist ein Teufelskreis, in dem wir uns befinden. Den muß man zu Wahlkampfzeiten und auch danach in diesem Parlament ganz klipp und klar benennen. Ich erwarte auch, Herr Minister Blüm, daß Sie die Vorschläge - die Sie offensichtlich insgeheim haben -, wie Sie aus diesem Teufelskreis auszubrechen gedenken, hier auf den Tisch legen. Ich fand es sehr interessant, daß der Kollege Dreßler angesprochen hat, in Ihrem Ministerium werde geplant, die Ausbildungszeiten in Zukunft nicht mehr für die Rente anzuerkennen. Das spart in der Tat sogenannte versicherungsfremde Leistungen, das entlastet in der Tat die Beiträge, aber es ist natürlich - wie ich finde - ein sehr doppelbödiges Instrument, um mittelfristig Rentensicherheit herzustellen. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß Sie hier keinen Ton dazu gesagt haben. Ich bin sehr gespannt, was Sie nach den Wahlen machen werden, ob Sie sich dann auch wieder hier hinstellen und sagen, alles nur Gerede. Vielleicht haben Sie dazu heute bewußt Ihren Mund gehalten; denn das Rentenproblem ist ja nicht allein durch die Frage gekennzeichnet, wie sicher die Renten für alte Leute sind. Viel größer ist doch das Problem, das die junge Generation hat, die immer höhere Rentenbeiträge zahlen muß, aber auf der anderen Seite überhaupt keine Garantie hat, wie sicher denn ihre Rente ist. Das wird in diesem Parlament kaum thematisiert. ({1}) Das wird in diesem Parlament vor allem deshalb nicht thematisiert, weil uns allen angesichts der Arbeitsmarktentwicklung Lösungen fehlen, weil es viel einfacher ist, den 18 Millionen Rentnerinnen und Rentnern, die auch brav zur Wahl gehen, immer wieder zu versichern, daß wir keine Strukturkrise haben. Aber wir haben diese Strukturkrise. Nur, wir benennen sie nicht und machen keine Vorschläge zu ihrer Lösung. Wir müssen uns in der Tat überlegen, wie wir das Problem, daß 80 Prozent, nämlich die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, eine ganze Menge Lasten tragen müssen, in Zukunft lösen und dadurch die Rentenbeitragsentwicklung verändern. ({2}) Die Frage ist nur, wie man das macht. Variante eins: Man sorgt dafür, daß Beamte und Selbständige viel stärker in unser Rentensystem integriert werden. ({3}) Dadurch werden die Beiträge natürlich auf eine breitere Grundlage gestellt. Variante zwei ist, daß man Teile der versicherungsfremden Leistungen nicht etwa ersatzlos streicht. Wie kann man denn einen Bereich wie Qualifizierung in diesem Land dadurch belasten, daß man plant, die Ausbildungszeiten nicht mehr anzuerkennen? Hier muß man dann vielmehr darüber nachdenken, wie man eine Finanzierung hinbekommen kann. ({4}) Das heißt - und da hütet sich die F.D.P.-Fraktion natürlich sehr -: aus dem allgemeinen Steuertopf. Der kommt dann zunehmend unter Druck. Aber irgend etwas muß man hier sagen, ({5}) außer der schlichten Bemerkung, daß die Renten sicher sind. ({6}) - Entschuldigen Sie, meines Wissens sind die Grünen nicht in der Bundesregierung, was ich sehr bedauere, Sie sicher nicht. Ich meine, daß der Arbeitsminister hier Vorschläge unterbreiten muß und nicht etwa die Opposition. Hier erwarte ich vom Arbeitsminister, daß er mehr macht, als bei dieser Problematik der Rentenpolitik nur auf eine Klientel zu schielen, weil das einen Generationenkonflikt schürt, den wohl niemand in diesem Land wollen kann. Was Herr Blüm gesagt hat, ist völlig richtig. Die ältere Generation hat sehr viel geleistet. Man darf das Rentenproblem nicht auf deren Kosten lösen. Im Umkehrschluß heißt das aber auch, daß man das Rentenproblem nicht auf Kosten der jungen Generation dadurch lösen kann, daß man sie in Ungewißheit läßt, oder dadurch, daß man Kürzungsvorschläge macht, die die junge Generation belasten, wie bei der Regelung der Anerkennung der Ausbildungszeiten, um die Rentenkrise nett und galant zu umschiffen. Meine Damen und Herren, ich finde, daß die Rentendebatte in diesem Land endlich mit viel offeneren Worten geführt werden muß. Meine Hoffnung ist, daß wir diese Rentendebatte nach den Wahlen mit offenen Worten führen. Meine Hoffnung ist auch, daß nicht nur eine Generation im Zentrum dieser Debatte steht, sondern alle Generationen: die, die heute und in Zukunft Beiträge zahlen, und die, die heute und in Zukunft Rente bekommen. Ich hoffe, daß Sie, Herr Minister, zur Versachlichung der Debatte beitragen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rentendebatten im Deutschen Bundestag jagen sich. Die Presseberichte häufen sich. Die hilfreichen und wenig hilfreichen Vorschläge zur Sanierung der Rentenversicherung verraten Unsicherheit und schaffen Unsicherheit. Deutlicher als je zuvor begreift die Öffentlichkeit, daß die Arbeitslosigkeit in der Rentenversicherung versteckt wurde und daher die Kostenbelastung durch den sprunghaften Anstieg der Frührentner von 50 000 im Jahre 1992 auf 300 000 im Jahre 1995 ungeheuer angewachsen ist. ({0}) Deswegen haben alle den Kompromiß zur Frührente begrüßt, der unter der Regie des Bundeskanzlers zustande kam. Auch aus Ihrer Richtung wurde er begrüßt. Jetzt soll es keine vorgezogenen Renten mehr geben, die nicht durch Abschläge vermindert werden. Die Regelung zur Altersteilzeit soll einen allmählichen Übergang von der Arbeit in die Rente möglich machen. So weit, so gut. Aber, meine Damen und Herren, die Tür konnte nicht schnell zugeschlagen werden. Es sind heute schon Personen arbeitslos gemeldet, die, in feste Verträge eingebunden, damit rechnen, daß sie im Alter von 60 Jahren in die ungeschmälerte Frührente gehen können. Der Gesetzgeber muß gerade in Fragen der Alterssicherung weitblickend und mit Augenmaß handeln. So soll der Vertrauensschutz - das ist der Kompromiß - bis zum Alter von 55 Jahren gehen. Deswegen gibt es keine Entwarnung in der Rentenversicherung vor 1998/99. Deswegen besteht der Vorwurf, auf den Drang zur Frühverrentung hätte die Politik früher reagieren müssen, zu Recht. ({1}) Ich kann auch den Bundesarbeitsminister davor nicht in Schutz nehmen. Warnungen und Hinweise gab es genug. Die Frühverrentung geht also in den nächsten Jahren unvermindert weiter, und die Rentenversicherung sieht bereits den Boden der Kasse. Es müssen also, den gesetzlichen Vorschriften entsprechend, die Beiträge angehoben werden. Die Versicherungsträger sprechen von 20 und über 20 Prozent Beitragssatz. Meine Damen und Herren, das ist ein Schock. Für die F.D.P. sage ich ganz unmißverständlich und deutlich: Mit einem Rentenversicherungsbeitrag von 20 Prozent durchbrechen wir die Schallmauer bei den Lohnzusatzkosten. Das ist für uns nicht akzeptabel. ({2}) Das wäre ein verheerendes politisches Signal für arbeitsplatzschaffende Investitionen in Deutschland. Es wäre das Gegenteil dessen, was wir in die Koalitionsvereinbarungen hineingeschrieben haben, ({3}) nämlich das Senken von Lohnnebenkosten. Es wäre die Bankrotterklärung der Politik, die den Standort Deutschland sichert. Wir fordern kurzfristig ein Maßnahmenpaket, das das Ausgabenvolumen drosselt, um Beitragsstabilität herzustellen. Meine Damen und Herren, ich mache für meine Person keinen Hehl daraus, daß ich das Abbremsen jeglicher politischer Aktivität vor Landtagswahlen für falsch halte. Hier geht wertvolle Zeit verloren. Die Bürger wissen Bescheid. Sie wollen die Wahrheit wissen. Sie wollen wissen, wie die Lage ist und wie wir sie meistern. ({4}) Meine Damen und Herren, das gilt im übrigen auch für langfristige Rentenentwicklungen. „Was wird aus meiner Alterssicherung?" - ich gebe insofern dem Kollegen von den Grünen, Berninger, recht - fragen auch junge Menschen. Auch hier fordere ich schon heute die Erarbeitung von tragbaren Zukunftskonzepten. Der Spruch „Die Renten sind sicher" reicht den Bürgern nicht mehr. Wir müssen ihnen sagen können, wir machen die Renten sicher, und wir müssen ihnen sagen, wie. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Bläss. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD hat diese Aktuelle Stunde beantragt, damit der Arbeits- und Sozialminister Farbe bekennen muß, wie er die drohende Beitragserhöhung auf über 20 Prozent verhindern und das Defizit in den Rentenkassen ausgleichen will. Letzte Woche haben Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vereinbart, bis zu dem Zeitpunkt, wo es eine relativ konkrete Datenlage gibt, dieses Thema ruhen zu lassen. Doch die Spekulationen gehen bekanntlich weiter - wer bezweckt hier was? Die Rentenproblematik scheint als Wahlkampfthema ein geeignetes Objekt zu sein. Im Osten wurden vor den Bundestagswahlen hinsichtlich der Rentenüberleitungskorrektur Erwartungen geweckt, die bis heute nicht eingelöst sind - schlimm genug. Aber jetzt Wahlkampf zu betreiben, der zielgerichtet Sorgen bei der gesamten älteren Generation dieses Landes produziert - und wir haben eben zu Recht gehört, nicht nur bei ihr -, ist so ziemlich das Schäbigste, was ich mir vorstellen kann. In der heutigen Aktuellen Stunde des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern hat deshalb Sozialminister Kuessner zu Recht gesagt: Die Bonner Beunruhigungsdiskussion richtet hier großen politischen Schaden an. Wie gewohnt, hat sich Arbeitsminister Blüm heute wieder als Retter des Rentensystems dargestellt, doch die Dreckarbeit machen bekanntlich andere. Kaum ist die nicht kalkulierbare Umstellung der Rentenanpassung Ost auf den Westmodus vollzogen, schon schlagen Arbeitgeberverbände für die Anpassung 1996 eine Nullrunde vor, und der Verband der Rentenversicherungsträger kann sich namens eines seiner Vorsitzenden noch dafür erwärmen. Wen wundert es, wenn dann Verbände zu Verteidigern der an sich völlig unzulässigen Anpassungsformel werden? Dem VdK ist voll zuzustimmen, wenn er betont, daß die Rentnerinnen und Rentner durch die Nettoanpassungsformel „Jahr für Jahr einen deutlichen Kaufkraftverlust zu verzeichnen haben, weil die Preissteigerungsrate nicht einmal ausgeglichen" wird. Die F.D.P. - wir haben es gerade von Frau Babel wieder gehört - beschwört, daß die Schallgrenze von 20 Prozent Beitrag nicht durchbrochen werden dürfe, weil die Senkung der Lohnnebenkosten für die Schaffung neuer Arbeitsplätze von entscheidender Bedeutung sei. Aber darüber, daß ein Beitragsatz von über 20 Prozent für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Schmerzgrenze ihrer Belastbarkeit mit Abgaben darstellt, wird kein Wort verloren. ({0}) Beim Defizit in den Rentenkassen galoppieren die Angaben davon: Vor reichlich einem Monat gab der Minister an dieser Stelle 6 Milliarden DM zu, die SPD wollte von 10 Milliarden DM wissen, und diese Woche interpretieren einige Medien ein Interview von Herrn Scharping, die Rentenkasse habe ein Loch von 40 Milliarden DM. 10 Milliarden DM wären bei einer notwendigen Schwankungsreserve von 24 Milliarden DM schon ernst, aber 40 Milliarden DM in der Tat katastrophal. Was aber stimmt? - Alle, die es wissen müssen, sagen, die ersten realen Schätzungen über die Entwicklung von Wirtschaft und Kassenlage der Sozialversicherung kommen Ende April. Folglich bereitet ein derartiges Jonglieren mit Vermutungen doch nur den Weg für übereilte Leistungskürzungen, die dann als unerläßlich dargestellt werden. Diese Woche lieferte wieder neue Beispiele von Leistungen, die ins Gerede gebracht werden. Ich nenne nur die Renten für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und die Knappschaftsrenten. Wir meinen, Veränderungen an einem auf Generationen angelegten System brauchen Ruhe für ausgereifte Vorschläge. Deshalb auch der Moratoriumsantrag der PDS, der sich als immer sinnfälliger erweist. Auch wir plädieren dafür, versicherungsfremde Leistungen in der Rentenversicherung zu überprüfen, sagen aber bewußt: überprüfen; denn wenn in einem Material, das uns kürzlich vom Bundesarbeitsministerium zugesandt wurde, neben staatlichen Aufgaben wie etwa Fremdrenten und SED-Unrechtsbereinigungsgesetz auch Kindererziehungszeiten und ähnliches als versicherungsfremd deklariert werden, dann läuten bei mir die Alarmglocken. Hier ist prinzipieller Verständigungsbedarf angezeigt. Wenn immer weniger Menschen durch eine sogenannte vollständige Erwerbsbiographie im Alter eine Existenzsicherung vergönnt ist, muß darüber nachgedacht werden, wie die Lebensleistung insgesamt anerkannt werden kann. Sicher ist das nicht leicht umzusetzen und auch nicht unstrittig; aber eine Diskussion ist angebracht, und die braucht Ruhe. Ich wiederhole es an dieser Stelle noch einmal: Die PDS meint, daß die Finanzierung der Rentenversicherung generell auf den Prüfstand gestellt werden muß. Ist es weiter tragbar, daß Beamte, Selbständige und Abgeordnete als zumeist Einkommensstarke nicht in die solidarische Versicherung einbezogen sind? Warum sollte die Beitragsbemessungsgrenze nicht angehoben werden können? Ist es noch länger richtig, den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge weiter an die Lohnsumme zu binden? Ist es nicht sinnvoller, ihn nach dem Gewinn zu berechnen? Meine Damen und Herren, nicht nur die heutige Arbeitslosigkeit, auch der demographische Wandel in der Zukunft stellt die Rentenversicherung vor Herausforderungen. Sie mit Bedacht anzugehen ist unsere Pflicht. Wir müssen vor allem auch der Jugend eine Zukunftszuversicht in die Rentenversicherung geben. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam eine durchdachte Rentenreform 1997 oder 1998 angehen! Abschließend möchte ich Sie darüber informieren, daß heute ein bundesweites Frauenbündnis ein „Manifest gegen Sozialabbau" vorgestellt hat.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Ihre Zeit ist jetzt vorbei.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die Frauen appellierten an die Bundesregierung, endlich ihre Schularbeiten zu machen und Eckpunkte für die Reform der Alterssicherung der Frau vorzulegen. Ich denke, das wäre ein produktiver Beitrag zur gegenwärtigen Rentendiskussion. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Julius Louven.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Richtig ist, daß sich infolge der schwierigen wirtschaftlichen Lage die finanzielle Situation der Rentenversicherung ungünstiger darstellt, als vor Jahresfrist angenommen. Dabei kann auch nicht übersehen werden, daß sich die demographischen Probleme zunehmend bemerkbar machen. ({0}) Richtig und sicher ist aber auch, Herr Dreßler, daß die Renten weiter pünktlich gezahlt werden, ({1}) und richtig und sicher ist, daß es auch in diesem Jahr eine Rentenerhöhung geben wird. ({2}) Sie fällt zwar nicht hoch aus. Aber dabei darf man ja auch einmal darauf aufmerksam machen, daß die Inflationsrate derzeit so niedrig wie noch nie ist. Richtig ist, daß ein Beitrag von 20 Prozent droht. ({3}) - Sie haben doch von 20 Prozent gesprochen. ({4}) - Nun gut. Richtig ist, daß ein Beitrag von möglicherweise über 20 Prozent droht, der insbesondere notwendig ist, um die Schwankungsreserve im nächsten Jahr wieder aufzufüllen, weil die Schwankungsreserve in der Höhe der Ausgaben eines Monates in diesem Jahr unterschritten wird. ({5}) Richtig ist auch, daß ein Beitrag von über 20 Prozent unter dem Gesichtspunkt der hohen Lohnzusatzkosten nicht in die politische Landschaft paßt. ({6}) Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind schon jetzt über Gebühr stark belastet. Falsch ist, meine Damen und Herren, die Behauptung, daß der Arbeitsminister nichts getan hat, um hier gegenzusteuern. ({7}) Ich nenne das Thema Frühverrentung und den Bereich EU/BU, ({8}) wo wir die Rentenversicherung im Vorgriff auf ihre notwendige Neuordnung davor schützen, daß ihr weitere Arbeitsmarktrisiken aufgebürdet werden. Diese Regelung, Herr Dreßler, hat ja der DGB in der Anhörung als akzeptabel bezeichnet; aber Sie lehnen sie - wie fast alles - ab. Der Minister hat eben deutlich gemacht, daß an einem weiteren Paket gearbeitet wird. Von daher muß auch der Vorwurf des Herrn Scharping von heute morgen, der Minister tue nichts, zurückgewiesen werden. ({9}) Lieber Herr Dreßler, im Dezember 1994 habe ich mich hier von diesem Pult aus mit den Zahlen eines Prognos-Gutachtens auseinandergesetzt, damals meine diesbezüglichen Sorgen geäußert und unter anderem gefordert, daß wir schon in dieser Legislaturperiode damit beginnen sollten, eine weitere Rentenreform vorzubereiten, weil ich Handlungsbedarf sah. ({10}) Diese Äußerung hat damals auch Minister Blüm nicht gefallen, aber viel schlimmer war das, was Sie darauf geantwortet haben, Herr Dreßler. Sie haben damals gemeint, Sie müßten mir Nachhilfeunterricht erteilen. ({11}) Dieser Nachhilfeunterricht gipfelte dann in Ihrer Bemerkung, daß für eine weitere Reform objektiv kein Handlungsbedarf bestehe. ({12}) Lieber Herr Dreßler, Sie und auch andere reden dann in diesem Zusammenhang - Sie können sich ja hier wieder hinstellen, aber lassen Sie mich doch wenigstens einmal ausreden ({13}) immer davon, versicherungsfremde Leistungen müßten ausgegliedert werden. Im übrigen haben Sie sich in dieser Frage auch nicht mit Ruhm bekleckert. Dies wollte ich Ihnen auch einmal sagen. - Dann ist bei Ihnen von „Ökosteuern" oder von „Auslagern" die Rede. Also, Sie wissen auch, daß sich versicherungsfremde Leistungen nicht auflösen. Deshalb bedeutet dies höhere Steuern, und die passen ebenfalls nicht in die Landschaft. ({14}) Einsparungen sind unausweichlich, Herr Dreßler, damit höhere Abgaben vermieden werden. Um eine Begrenzung - ich rede gar nicht von Vermeidung - des Beitragsanstiegs zu erreichen - das wissen Sie auch; allerdings sind Sie zu feige, hier Einzelheiten zu nennen -, führt an schmerzlichen Schritten kein Weg vorbei. Sie reiten da lieber die Angstkampagne und machen den deutschen Rentnern Angst. Wenn es von unserer Seite Vorschläge gibt, schallt es von Dreßler zynisch: Sozialabbau, Bestrafung der Rentner. Dabei wissen Sie, daß wir nur über Einsparungen den Beitragsanstieg bremsen können. Ich lade Sie ein, sich an dieser schwierigen Arbeit, wie ich zugebe, zu beteiligen. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat das Wort Herr Kollege Ottmar Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht diejenigen spielen mit der Angst der Rentnerinnen und Rentner, Herr Minister, die versuchen, Licht ins Dunkel des gegenwärtigen Finanzierungsdebakels zu bringen, sondern Verunsicherung mit den Rentnern betreibt ein Bundesarbeitsminister, der offenkundig mit seinen Problemen nicht mehr fertig wird. ({0}) Deshalb ist es die Aufgabe der Opposition, möglichst Licht ins Dunkel zu bringen. Sie haben auch heute auf keine der entscheidenden Fragen eine Antwort gegeben. ({1}) - Nein, wir sprachen von der Rente auf Pump. ({2}) Kollege Louven hat soeben nochmals ausdrücklich zugegeben, daß die gesetzlich vorgeschriebene Mindestreserve für dieses Jahr nicht da ist, nicht erreicht wird. Das ist Rentenfinanzierung auf Pump. Genau das war unser Vorwurf, sehr verehrter Herr Kollege Blüm. Sie haben auf keine zentrale Frage eine Antwort gegeben. Sie haben sich geweigert, hier zu erklären, wie Sie die befürchtete Beitragssteigerung auf bis zu 20,4 Prozent zum 1. Januar des nächsten Jahres vermeiden wollen. Dazu kein einziger Satz! Die berühmte Schallmauer von Frau Dr. Babel: 20 Prozent. ({3}) Zweitens: Sie haben keinen einzigen Satz zu dem Katalog gesagt, den Herr Kollege Dreßler vorgetragen hat, mit dem nach unserer Kenntnis das Bundesarbeitsministerium unmittelbar nach den Landtagswahlen am 24. März an die Öffentlichkeit gehen wird. Die Frage ist, warum das nach dem 24. März geschieht. Die Frage ist auch, warum Sie hier Angst haben, zu dem zu stehen, was im Bundesarbeitsministerium auf Ihre Vorgaben hin vorbereitet wird. Dazu kein einziger Satz! ({4}) Dritter Punkt: Meine Damen und Herren, das zentrale Problem der Finanzierung der Rentenversicherung ist die hohe Arbeitslosigkeit. Die Belastung der Rentenversicherung durch die hohe Arbeitslosigkeit betrug im abgelaufenen Jahr ca. 20 Milliarden DM. Minister Blüm hat heute morgen in seinem Debattenbeitrag auf das 50-Punkte-Aktionsprogramm der Bundesregierung hingewiesen. ({5}) Wenn er Oppositionsredner wäre, hätte er von einem Simsalabim- oder Quacksalberprogramm gesprochen. ({6}) Denn in Wirklichkeit geht es nicht um ein Beschäftigungsförderungsprogramm, sondern dieses sogenannte 50-Punkte-Aktionsprogramm zur Belebung der Beschäftigung ist nichts anderes als eine doppelte Hochstapelei: Es ist Hochstapelei, weil von „Aktion" überhaupt keine Rede sein kann; kaum ein Aspekt dieses 50-Punkte-Programms hat das Parlament bisher erreicht. Und im übrigen handelt es sich um ein Sammelsurium von alten Ladenhütern, Zauberpülverchen und Tagträumereien. Die wenigen problemadäquaten Ansätze werden fast völlig überdeckt. Zum eigentlichen Kern der Probleme des Herrn Blüm: Lieber Kollege Blüm, Ihr eigentliches Problem - auch das haben Sie heute morgen angesprochen ({7}) sind, bezogen auf die Finanzierung der deutschen Einheit, die Widersprüche, in denen Sie sich seit Jahren verfangen haben. Sie haben seit dem Frühjahr 1991 bis zur Stunde die Kosten der deutschen Einheit - völlig systemwidrig - überwiegend über eine masOttmar Schreiner sive Erhöhung der Lohnnebenkosten und über Sozialabbau finanziert. ({8}) Das Lohnnebenkostenargument, das ja beschäftigungshemmend sein soll - deshalb trachten alle Parteien danach, die Lohnnebenkosten abzubauen -, holt Sie jetzt ein. Die falsche Finanzierung der deutschen Einheit holt Sie jetzt ein. Sie wollen nun über einen weiteren, massiven Sozialabbau die Lohnnebenkosten absenken. Dazu frage ich: Was ist das für ein Bundessozialminister, der die deutsche Einheit nunmehr primär über massiven Abbau von sozialen Leistungen finanzieren will? Das ist der Kern Ihres Problems. Sie wehren sich dagegen auch gar nicht mehr. Sie haben über Jahre versucht, darauf hinzuweisen, daß die einheitsbedingten Leistungen Angelegenheit der gesamten Gesellschaft sind und nicht allein der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in die sozialen Sicherungssysteme. ({9}) Inzwischen machen Sie sich selbst zum Propagandisten der „Sozialabbauleute", indem Sie nur noch von „Einsparen, einsparen, einsparen" reden. ({10}) Was ist das für ein Sozialminister, der sowohl der Kürzung der Sozialhilfe für arme, alte Frauen, die fünf oder sechs Kinder großgezogen haben, ({11}) die eine grandiose Lebensleistung hinter sich gebracht haben, nach dem Motto „Sparen, sparen, sparen" zustimmt als auch den Koalitionsbeschlüssen, in denen es um die Abschaffung der Vermögensteuer geht? ({12}) Was ist das für ein Sozialminister, der in diesem Parlament wuchtige Initiativen betreibt, um das kümmerliche Niveau der Arbeitslosenhilfe für die ärmsten Leute dieser Republik zu senken, gleichzeitig aber Koalitionsbeschlüssen zustimmt, den Solidarzuschlag im nächsten Jahr zurückzuführen? Die Rückführung des Solidarzuschlags ist nichts anderes als ein F.D.P.-Konsolidierungsprogramm, zumindest der Versuch. Der Solidarzuschlag ist das einzige Instrument für eine halbwegs gerechte Finanzierung der deutschen Einheit, das wir bisher hatten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Schreiner, achten Sie bitte auf die Zeit.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Solidarzuschlag ist das einzige Instrument, das auch den Minister Blüm, den Abgeordneten Schreiner, den Rechtsanwalt XY und den Arzt XY zur Finanzierung der deutschen Einheit heranzieht. Die wollen Sie jetzt wieder entlasten. Die Ärmsten der Armen werden zusätzlich belastet.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Kollege Schreiner, es tut mir leid, Ihre Redezeit!

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was ist das für eine soziale Symmetrie? Der Bundesarbeits- und Bundessozialminister ist reif für den Vorruhestand! ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte hätte von uns beantragt sein können; denn diese Debatte führt dazu, daß die Lügenmärchen entlarvt werden, die in der letzten Debatte zu diesem Thema erzählt worden sind. ({0}) Der Kollege Dreßler und der Kollege Schreiner haben uns einen Dienst erwiesen. Ich stand auch bei der letzten Debatte an diesem Pult. Wir haben darüber gesprochen, in welcher Situation die Rentenversicherung ist. Was ist da von Ihnen gesagt worden, Herr Dreßler und Herr Schreiner? ({1}) „Diebstahl", „Betrug", „Täuschungsmanöver" ist gesagt worden. Sie haben gesagt, Rentenkürzungen stünden auf der Tagesordnung. An Ihrer Stelle, Herr Schreiner, hätte auch ich ein solches Maschinengewehrfeuer losgelassen, um von dem abzulenken, was ich das letzte Mal gesagt habe. - Es tritt keine Rentenkürzung ein. Die Renten werden erhöht. Damit sind Sie als jemand entlarvt, der eine Debatte nur deshalb vom Zaun gebrochen hat, um die Menschen zu irritieren. ({2}) Ich erlebe die SPD im Augenblick in einem jämmerlichen Zustand. ({3}) - Joschka Fischer hat im übrigen allen Grund, bei dieser Aussage zu klatschen. Ich weiß, was er denkt. Partei der Angstmacher, der Neidkampagne und seit neuestem auch noch eine Partei, die auf dem Rücken von Minderheiten Politik macht ({4}) das ist die SPD, die wir im Augenblick vor uns haben. ({5}) - Herr Schreiner, ich würde Ihnen empfehlen, zuzuhören, bevor Sie reden. Der Minister hat auf eine der wichtigen Fragen, die Sie das letzte Mal gestellt haben - das heißt, Sie haben behauptet, daß eine Rentenkürzung kommt -, gesagt: Es kommt keine Rentenkürzung, sondern eine -erhöhung. Er hat darauf hingewiesen, daß die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente neu geordnet werden wird. Er hat darauf hingewiesen, daß er bei den Reha-Maßnahmen und Kuren etwas machen werde, und er hat über die Neubewertung der beitragsfreien Zeiten gesprochen. Ich erinnere noch einmal an die Rede von heute vormittag. ({6}) - Ich wollte ja gerade von der Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden sprechen. Herr Scharping hat gesagt, er mache ein Angebot zur Zusammenarbeit. ({7}) - Ich kann das sogar noch verstehen. Wenn ich in einer solchen Situation so erwischt worden wäre wie heute die SPD, wäre ich ruhig und würde vor Scham in den Boden versinken. ({8}) Herr Scharping hat heute ein Angebot zur Zusammenarbeit gemacht. Genauso ist es auch jetzt bei Ihnen wieder. Sie reden von Zusammenarbeit, aber bei jeder notwendigen Maßnahme, die der Minister hier genannt hat, verabschieden Sie sich, tauchen unter und machen nicht mehr mit. ({9}) Jetzt sage ich Ihnen noch eines: Sie täuschen die Menschen auch darüber, was Sie sagen. Sie sagen, Sie wollten mit Ökosteuern die Sozialversicherung finanzieren. Wer Ökosteuern einführt und will, daß diese Ökosteuern gegen Null gehen, damit sie wirklich eine ökologische Lenkungswirkung haben, der kann damit doch nicht noch die Rentenversicherung finanzieren. Ökosteuern sollen dazu dienen, daß deren Aufkommen nachher gegen Null geht. ({10}) Sie täuschen die Menschen darüber, was wirklich los ist. Lassen Sie mich zusammenfassen. Wir müssen unterscheiden: Zum einen sind die Renten, die jetzt bezahlt werden, sicher. Sie werden pünktlich gezahlt und in diesem Jahr erhöht. Zum anderen müssen wir uns einmal zusammensetzen und darüber reden, wie wir die Rentenversicherung auch unter veränderten demographischen Gesichtspunkten sicher gestalten können. Da gibt es Handlungsbedarf, und da haben wir alle miteinander Fragen. Dazu lade ich Sie ein. Aber Sie dürfen nicht so weitermachen wie bisher, Verunsicherungen und Irritationen auslösen und die Unwahrheit erzählen. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Dreßen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, ich finde es schon herrlich, daß Sie Aussagen der „Bild"Zeitung als Beschlüsse der SPD darstellen, wie Sie es ja getan haben. Ich will nur sagen, die „Bild"-Zeitung ist noch kein zentrales Presseorgan der SPD. Sonst hätten wir nämlich den Chefredakteur schon in die Wüste geschickt. ({0}) Daß die Rentenversicherung ins Zwielicht geraten ist, Herr Blüm, haben Sie nun gründlich geschafft. Es ist noch nicht lange her, da haben Sie an allen Litfaßsäulen plakatieren lassen: „Eines ist sicher: die Rente". ({1}) Welch ein Zynismus auf Grund der heutigen Situation! ({2}) Sie sind aber nicht nur in Sachen Zynismus ein Meister, Herr Bundesarbeitsminister. Wenn Sie wieder einmal eine neue Runde im Sozialabbau an diesem Rednerpult zu vertreten haben, dann verbreiten Sie die Aura um sich, als könnten Sie kein Wässerchen trüben. Ich sage das mit einer gewissen Anerkennung; denn bei Ihren Auftritten als Unschuldslamm erreichen Sie immer dann Spitzenleistungen, wenn Sie wieder einmal eine dieser sozialpolitischen Schweinereien als Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit darstellen. ({3}) Auch Ihre Rede in der letzten Debatte um die Finanzen der Rentenversicherung, Ihre Rede vorhin und die von heute morgen gehören alle in diese Kategorie. Sie tun so, als hätte die drohende Erhöhung der Beiträge mit Ihrer Politik überhaupt nichts zu tun. Schließlich sei die hohe Arbeitslosigkeit nie vorherzusehen gewesen usw. Sie unternehmen nichts, was neue Arbeitsplätze schafft und damit zu neuen Beitragszahlern führt. Stichworte hierfür sind EntsenPeter Dreßen degesetz, Umwidmung ungeschützter Arbeitsverhältnisse, Überstundenabbau. Wer in dieser Republik auch noch das Wort „Beschäftigungsprogramm" angesichts der jetzigen fatalen Finanzsituation nennt, gilt als Mensch von einem anderen Stern. Kein Wort darüber, daß Sie in entscheidender Position dazu beigetragen haben, daß aus der Sozialversicherung ein Verschiebebahnhof für die Haushaltspolitik dieser Bundesregierung geworden ist. ({4}) - Ja, darauf komme ich noch. - Erst haben Sie im Zuge der deutschen Einheit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung angehoben, was eigentlich die Steuerzahler hätten tragen müssen. Im Gegenzug haben Sie die Rentenversicherung mit der Absenkung in Schwierigkeiten gebracht. Die Auffüllbeträge der ostdeutschen Renten sind nicht durch höheren Bundeszuschuß zur Rentenversicherung finanziert worden - ebenfalls Aufgabe der Steuerzahler. Die Fremdrenten will ich jetzt gar nicht erwähnen. Die Bundesregierung hat die Aussiedlerzahlen nicht begrenzt, wie es im Asylkompromiß versprochen ist. ({5}) Der nächste Sündenfall waren die Leistungen aus dem Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Das haben Sie ebenfalls den Beitragszahlern aufgedrückt. Neuerdings haben Sie den Vorruhestand als Kostentreiber entdeckt. Sie wissen genau, daß die Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit ein Ergebnis des Altersübergangsgeldes in den neuen Bundesländern sind. Das war notwendig, um den Arbeitsmarkt im Osten zu entlasten. Nun dürfen Sie sich aber nicht über die Folgen wundern, wenn die Finanzlasten einfach der Rentenversicherung zugeschlagen werden. Schließlich: Die Finanzen der Rentenversicherung sind wesentlich von der Höhe der Beschäftigung abhängig; das wurde hier schon erwähnt. 4,3 Millionen Arbeitslose fallen nicht einfach vom Himmel. Sie gehören ebenfalls zu Ihrer Negativbilanz, Herr Bundesarbeitsminister. Es ist ja richtig, daß wir Sozialdemokraten wichtige Reformen in der Rentenversicherung mitgetragen haben, zum Beispiel die Reform 1990, die Umstellung vom Brutto- auf das Nettolohnsystem. Dazu bekennen wir uns auch heute noch. Nur - ich wiederhole mich -, das hat nichts mit der heutigen Problematik in der Rentenversicherung zu tun. Insgesamt haben Sie mit all dem doch eines erreicht: Jetzt fühlen sich all diejenigen bestätigt - das ist hier schon angeklungen -, die schon immer gegen das beitragsfinanzierte Umlagesystem waren und für die individuelle Absicherung eintreten. Damit ist eines klar: Die heutigen Probleme der Rentenversicherung sind - das müssen Sie sich ins Stammbuch schreiben lassen, Herr Bundesarbeitsminister - ein Ergebnis der Lastenverschiebung aus dem Bundeshaushalt auf die Rentenversicherung. Das Umlagesystem ist dafür in keiner Weise verantwortlich zu machen. Wer immer etwas anderes behauptet, der will nur seine asoziale Politik kaschieren, ({6}) seiner Klientel ein neues Geschäftsfeld eröffnen - Graf Lambsdorff läßt grüßen. Solchen Plänen muß rechtzeitig ein Riegel vorgeschoben werden. Allerdings ist ein Arbeitsminister, der sich gerne als „Herz-Jesu-Marxist" bezeichnen läßt - das ist unwidersprochen -, fehl am Platze, wenn er in dieser Frage untätig bleibt. Herr Blüm, es ist an der Zeit, daß Sie Zeichen setzen. Setzen Sie Ihrem Finanzminister symbolisch die Pistole auf die Brust. Sorgen Sie dafür, daß die Gemeinschaft der Steuerzahler für solche Gemeinschaftsaufgaben zur Kasse gebeten wird. Sie haben die Verantwortung für den größten Einzelhaushalt des Bundes. Ihnen fehlt im Kabinett leider jede Durchsetzungsfähigkeit, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Ich werde den Verdacht nicht los, daß Sie nur deswegen, weil Sie zu schwach auf der Brust sind, inzwischen der dienstälteste Minister der Regierung Kohl sind. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster der Kollege Johannes Singhammer. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auf Dauer sichere Renten hängen maßgeblich von drei Faktoren ab: erstens einem Gleichgewicht zwischen beschäftigten Einzahlern in der Rentenversicherung und Rentenberechtigten - das heißt, wünschenswert ist eine möglichst hohe Beschäftigungszahl und eine möglichst geringe Arbeitslosenzahl bei hoher Produktivität -; ({0}): Richtig!) zweitens einem demographischen Gleichgewicht zwischen Jung und Alt und drittens einem Gleichgewicht zwischen den Leistungen und den Einnahmen bei den Rentenversicherungsträgern. Wir haben in Deutschland 4,3 Millionen Arbeitslose. Das sind vor allem und zuallererst 4,3 Millioner Einzelschicksale: Millionen von Menschen, die gerne arbeiten würden, aber keine Arbeit finden. Abe] gleichzeitig sind das auch 4,3 Millionen Nichtbeitragszahler in der Rentenversicherung. Deshalt - darin stimmen wir überein - gilt es, alle Anstrengungen zu unternehmen, ({1}) die Arbeitslosenzahl zu senken, und alles zu unter. lassen, was die Entstehung neuer Arbeitsplätze ver hindert oder bestehende Arbeitsplätze vertreibt. Ob die politischen Rahmenbedingungen in Deutschland günstig oder ungünstig sind, das setzt sich aus vielen Mosaiksteinen zusammen. Die Kritik, die Sie hier formuliert haben, wäre glaubwürdiger, wenn Sie da, wo Sie selbst Verantwortung tragen, nach dem Grundsatz „Taten statt Worte" vorgegangen wären. Heute vormittag hat die Firma TNT - als trauriges Symbol für politisches Mißmanagement - im Zusammenhang mit der Verlagerung auf einen anderen Flughafen schon eine Rolle gespielt. ({2}) - Ich kann Ihnen noch einiges an Beispielen aus der Stadt, aus der ich komme, aus München, mitgeben. ({3}) - Herr Fischer, ich verstehe zwar, daß Sie angesichts der wenigen Zuhörer bei Ihrem Auftritt in München ein bißchen ärgerlich sind, aber ich kann es auch nicht ändern. Eines möchte ich Ihnen einmal sagen, was beispiellos für eine deutsche Großstadt, für eine mitteleuropäische Großstadt ist. Die rot-grüne Stadtregierung in München hat im Jahre 1990 einen Koalitionsvertrag abgeschlossen, in dem expressis verbis zu lesen ist: Eine Erhöhung der Zahl der Arbeitsplätze wird nicht angestrebt. ({4}) Ich habe den Text für diejenigen hier, die das nachlesen wollen. ({5}) - Ich rate Ihnen, Herr Fischer, wenn Sie glaubwürdig sein wollen, wenn Sie die Zahl der Beitragszahler erhöhen wollen, ändern Sie diese Politik. Wer dauerhaft an der Sicherung der Renten mitwirken will, muß grünes Licht für Arbeitsplätze geben - Arbeitsplätze vor Ideologie. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Deutschen werden immer älter, das stimmt. ({7}) Nach Zahlen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger wird sich das Verhältnis zu unseren Ungunsten verändern. Man braucht keinen Rechenschieber, um zu erkennen: Ein immer späterer Einstieg ins Berufsleben durch immer längere Ausbildungszeiten, eine immer kürzere Lebenserwerbsarbeitszeit, eine Gott sei Dank immer längere Lebenserwartung und ein Lebensabend, der nach dem Berufsleben aktiv gestaltet werden kann, bei gleichzeitiger demographischer Verschiebung - all das erfordert Korrekturen. Diese Korrekturen sind erfolgt, und sie werden weiter erfolgen. Wir haben bereits im Januar folgendes zur Beratung vorgelegt: Schrittweises Vorziehen der bereits beschlossenen stufenweisen Erhöhung der Altersgrenze, Überprüfung von beitragslosen Ausbildungszeiten, Neuregelung der Rentenentwicklung in den neuen Bundesländern, Erprobung neuer Modelle der Rentenversicherungsträger unter dem Aspekt, ob Kuren und Rehamaßnahmen auch auf drei Wochen verkürzt werden können. Wenn es gelingt, das durchschnittliche Renteneintrittsalter nur um ein einziges Jahr anzuheben, hat die Rentenversicherung 27 Milliarden DM mehr in der Kasse. Das entspricht fast zwei Beitragspunkten. Das ist der richtige Weg. Ich empfehle: Mitmachen statt Angst machen! ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Mascher. ({0})

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! In der Tat, Herr Fischer, da sind Arbeitsplätze durch den früheren Fraktionsvorsitzenden der CSU-Fraktion vernichtet worden. Es wird auch nicht richtiger, Herr Singhammer, wenn Sie immer wieder eine überholte Vereinbarung zwischen der SPD und den Grünen zitieren, die besagte, daß eine Ausweitung von Gewerbeansiedlungen nicht mehr möglich sei. Inzwischen gibt es - das wissen Sie - einen neuen Oberbürgermeister, der 1993 mit großem Erfolg gegen den Kandidaten der CSU, der Ihnen wohl nähersteht, gewählt worden ist und diese Politik geändert hat. Wir haben ein großes, milliardenschweres Investitionsprogramm auf dem Gelände des früheren Flughafens Riem. Sie können mir vielleicht auch das Geheimnis erklären, warum „Focus", auch kein SPD-Organ, die Landeshauptstadt München als den am besten bewerteten Wirtschaftsstandort in der Bundesrepublik bezeichnet hat. Sie steht in allen Umfragen, die diese Frage bewerten, an erster Stelle. Vielleicht können Sie Ihren Kollegen einmal erklären, warum Sie hier immer wieder versuchen, München mieszumachen. ({0}) Aber wir reden heute über Renten. Ich werte es als ein Alarmsignal, wenn an zwei Tagen zirka 58 000 Anrufer und Anruferinnen versuchen, das Angebot der SPD-Bundestagsfraktion zu nutzen, sich aus erster Hand zum Thema Renten zu informieren. Das zeigt mir, wie groß die Sorgen, wie groß die Verunsicherungen bei den Rentnerinnen und Rentnern, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind. Nun könnte man sagen: In allen Schlagzeilen geistert im Moment die Rente herum, in allen FernsehUlrike Mascher runden äußern sich selbsternannte Rentenexperten zu diesen Fragen. Mir wäre es ganz lieb, wenn dabei wenigstens ein Minimum an Informationen über unsere Rentenversicherung herauskäme. ({1}) Leider habe ich den Eindruck, daß viele dieser selbsternannten Rentenexperten immer noch nicht begriffen haben, daß ein Herumbasteln an der Rentenversicherung, zum Beispiel das Verschieben der Rentenanpassung, oder die neue Wunderwaffe, die Abschaffung der versicherungsfremden Leistungen, nicht dazu beitragen, das Vertrauen in die Stabilität der Renten wieder zu festigen. ({2}) Aber was tun Sie, Herr Minister Blüm? ({3}) Sie haben ein Konzept zum Stopp der Frühverrentung abgesegnet, das die aktuellen Liquiditätsschwierigkeiten der Rentenversicherung nicht mindern kann. Sie setzen auf die Einschränkung von Kur- und Rehabilitationskosten. Betrachtet man die Größenordnungen, dann ist es der Versuch, mit einem Fingerhut eine Badewanne leerzuschöpfen. ({4}) Der Versuch der Festschreibung des Status quo bei der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente fällt leider auch in diese Kategorie. Das ist zu wenig, um die aktuellen Probleme zu lösen. ({5}) Als letztes haben Sie den Zeitpunkt der Anpassung der Renten im Osten geändert. Das alles soll nach Ihrer Regierungserklärung der Sicherheit der Renten dienen. Aber ich mahne an, Herr Arbeitsminister, daß Sie dem Parlament endlich einen Gesamtüberblick über Ihre Planungen im Bereich der Rentenversicherung vorlegen und es nicht mehr bei Andeutungen oder verdeckten Ankündigungen belassen; denn die öffentliche Diskussion wird dadurch nur noch mehr angeheizt. Diese Versuchsballons kommen nicht von der Seite der SPD, sie kommen offenbar aus Ihrem Freundeskreis. ({6}) Es war von massiven Einschnitten bei den Leistungen nach dem Fremdrentenrecht, also den Leistungen für Aussiedler die Rede. Ich denke, das, was Herr Kauder hier vergossen hat, sind Krokodilstränen. Das war kein Beitrag zur Sicherung der Renten. Ich lese von der Reduzierung der Anerkennung der Ausbildungszeiten, dem Wegfall der EU- und BU-Renten wegen Arbeitslosigkeit und Kürzungen bei den Witwenrenten. Nach meinem Verständnis sind das Kürzungen und nicht Erhöhungen von Renten. Wahrscheinlich ist das, was in der öffentlichen Debatte behandelt wird, bisher nur ein Bruchteil dessen, was nach den Landtagswahlen auf den Tisch kommt, ({7}) weil Sie Ihre Vorschläge vorher nicht vorlegen. Es fehlt ein Beitrag dazu, wie trotz der Finanzierung der Kosten des Einigungsprozesses, zum Beispiel der Auffüllbeträge, der Leistungen nach dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, die Renten wirklich stabilisiert werden. Es fehlt ein Beitrag, der deutlich macht, daß bei dem Rentenreformgesetz 1992 durchaus Beiträge in der Höhe von 20 Prozent prognostiziert waren und daß deswegen die Panik, die hier plötzlich ausbricht, nicht gerechtfertigt ist. Frau Dr. Babel, ich empfehle Ihnen, die Drucksachen zum Rentenreformgesetz 1992 zu lesen. Da waren für 1998 und 1999 schon Beiträge in Höhe von 20 Prozent und mehr vorgesehen. Da sind die Beiträge zur Zeit noch günstiger. ({8}) - Nein, ich will sie nicht. Ich warne nur vor der Panik, die ausbricht. ({9}) Ich fordere den Arbeitsminister auf, seine Karten auf den Tisch zu legen. Ich bin der Meinung, daß unser System der Rentenversicherung stabil ist. Wir haben es mit dem Rentenreformgesetz 1992 stabilisiert. ({10}) Wir brauchen aber endlich Klarheit darüber, was Sie planen. Wir brauchen darüber Klarheit, wie wir die aktuellen Liquiditätsengpässe beseitigen. Ich denke, mit dem, was Sie bisher an Nebel geworfen haben, ist damit keinem Rentner und keiner Rentnerin gedient. Danke. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Manfred Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser Stunde von der Opposition zur Rentenversicherung manch Richtiges und manch Neues gehört. Aber trotz aller Lautstärke, mit der die Argumente vorgetragen worden sind, war das Neue nicht richtig und das Richtige nicht neu. Richtig ist: Wir haben Probleme mit der Schwankungsreserve der Rentenversicherung. Neu ist das nicht. Neu ist, daß durch die Opposition unter anderem die Aussiedler für die Probleme der Rentenversicherung verantwortlich gemacht werden. ({0}) Richtig ist das nicht, das ist schlichtweg schäbig. ({1}) Angesichts der nicht nur hier und heute geführten Diskussion über die Rentenversicherung, die Rentenbeiträge und die Sicherheit der Renten können die historischen Erfahrungen mit der Krisentauglichkeit der gesetzlichen Rentenversicherung nicht klar genug herausgestellt werden. Kriege, Inflationen, Währungsreform und nicht zuletzt den Beitritt der neuen Bundesländer hat die Rentenversicherung dank ihrer Finanzierungsweise stabil überstanden. In all diesen Zeiten sind Renten gezahlt worden, und zumeist in einer befriedigenden Höhe. Deshalb sollten wir, die wir in Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg mit der Inflation der frühen 20er Jahre und der Währungsreform von 1948 den Verlust aller Sparguthaben erlebt haben, äußerst behutsam mit dem hohen Gut unserer sozialen Sicherungssysteme umgehen. Wir dürfen nicht leichtfertig den Eindruck vermitteln, als könnten bereits morgen die Renten nicht mehr gezahlt werden. Wir dürfen aber auch keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß Veränderungen im Rentensystem notwendig sind, um die Rentenversicherung langfristig zu stabilisieren. ({2}) - Veränderungen, Herr Kollege Dreßen, hat es im Rentensystem bereits früher gegeben. Diese wirken aber auf Grund des Vertrauensschutzes erst mittel- und langfristig. Eine solche Veränderung brachte das Rentenreformgesetz von 1992, mit dem auf die demographischen Herausforderungen reagiert worden ist. Zu den weiteren Korrekturen im Rentensystem, die zu einer Dämpfung des Beitragssatzanstieges führen werden, gehören die Reform - der Minister hat es gesagt - der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente und Einsparungen bei den Ausgaben für Rehabilitationen. Bei der Stabilisierung des Beitragssatzes darf nicht vergessen werden, daß wir die Friedensgrenze zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und den berufsständischen Versorgungswerken zugunsten der gesetzlichen Rentenversicherung neu gezogen haben. ({3}) Auch heute nahmen in der Diskussion die sogenannten versicherungsfremden Leistungen einen breiten Raum ein. Dabei handelt es sich um Leistungen ohne Beitragszahlungen. Je nach Betrachtungsweise kommt man auf versicherungsfremde Leistungen zwischen 25 Prozent und 40 Prozent der Gesamtausgaben der Rentenversicherung. Die BfA selbst schätzt diese versicherungsfremden Leistungen auf 87 Milliarden DM. Für insgesamt 60 Milliarden DM kommt der Bund bei Rentenausgaben in der Summe von etwas über 300 Milliarden DM auf. Zu den versicherungsfremden Leistungen - das muß man sich einmal anschauen - werden unter anderem die Kriegsfolgenlasten gerechnet, also die Anwendung von Ersatzzeiten und Leistungen nach dem Fremdrentengesetz, aber ebenso der Bestandsschutz in den neuen Bundesländern für Auffüllbeträge, Rentenzuschläge und Übergangszuschläge. Diese Auffüllbeträge in den neuen Bundesländern belaufen sich auf jährlich 6 Milliarden DM bei einem Gesamtvolumen der Rentenauszahlungen in den neuen Bundesländern von 73 Milliarden DM und einem Transfer von West nach Ost von 16 Milliarden DM. Auch hier hat der Gesetzgeber bereits reagiert, indem ab 1. Januar dieses Jahres diese Auffüllbeträge bei jeder zukünftigen Rentenerhöhung abgeschmolzen werden. Das heißt, diese versicherungsfremden Leistungen gehen tatsächlich zurück und werden nicht woandershin verschoben. Das ist für manchen Rentner in den neuen Bundesländern eine bittere Pille, ebenso wie die Umstellung des Rentenanpassungsverfahrens zum 1. Juli dieses Jahres. Die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern leisten aber damit ihren Beitrag zur Stabilisierung der Rentenversicherung. ({4}) Nun zum Fremdrentenrecht. Aussiedler fallen der Rentenversicherung nicht zur Last, sondern sie tragen zur Finanzierung unserer Renten bei. Von 200 000 Aussiedlern des Jahres 1995 haben 5 000 Aussiedler überhaupt einen Rentenanspruch gehabt. ({5}) Ihre Rente wird pauschal um 30 Prozent gekürzt. Die meisten Aussiedler werden selbst Beitragszahler. Herr Kollege Dreßen, 90 Prozent der Rentner erwerben sich einen Anspruch oder einen zusätzlichen Anspruch für ihre Rentenversorgung. Weder die Rentendiskussion noch die Diskussion um die Aussiedler eignet sich für den Wahlkampf. Aussiedler sind für dieses Land ein Gewinn. Die Rentenversicherung ist kein Sozialklimbim und auch keine Belastung für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Lassen Sie uns deshalb die Rentendiskussion versachlichen. Lassen Sie uns die Ärmel für neue Arbeitsplätze hochkrempeln. 100 000 neue Arbeitsplätze bedeuten 1,6 Milliarden DM Gewinn für die Rentenkassen. Arbeit tut in diesem Land not, auch für die Stabilisierung der Rentenversicherung. ({6}) - Herr Kollege Dreßen, bei der Kanzlerrunde wurden hierfür die ersten Weichen gestellt. Es liegt an uns allen, auch an Ihnen, den Sonderzug für Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und zur Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge in Bewegung zu bringen. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Kollegin Renate Rennebach!

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner, der Kollege Grund, hat unter Umständen eine Menge Wahres gesagt, aber zur Erhellung und unserer Fragestellung überhaupt nichts beigetragen. ({0}) Herr Dr. Blüm, Sie sagten in Ihrer Rede, wir seien unschamhaftig. Meine Frage ist: Was heißt das? Indem Sie uns als unschamhaftig bezeichnen, sagen Sie hier und heute ganz bewußt die Unwahrheit. ({1}) Es ist schon ein verantwortungsloses Trauerspiel, was Sie in den vergangenen Tagen und auch heute wieder zum Thema Rentenbeitragserhöhung oder Zukunft der Rente geboten haben. Mit Schönrechnerei glaubt dieser Arbeitsminister sich aus der politischen Verantwortung stehlen zu können und erzählt, daß durch Sparmaßnahmen die magischen 20 Prozent nicht erreicht werden sollen. Welche Sparmaßnahmen? Dabei wissen alle, daß die Fakten andere sind und wir diese Grenze bei der Fortsetzung der bisherigen Politik der Bundesregierung mit Sicherheit überschreiten werden. Mit dieser ans Kaffeesatzlesen grenzenden Zahlendiskussion verfolgt die Koalition aber nur das Ziel, von den Ursachen für den mehr als besorgniserregenden Zustand der Rentenkassen abzulenken. Die Höhe der Beitragssätze ist doch vor allem ein Ausdruck und eine Folge der Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage. Wen kann es denn ernsthaft noch wundern, daß wir bei 4,3 Millionen Arbeitslosen solche Löcher in den Rentenkassen haben? Wen können diese Löcher wundern, wenn die Rentenkassen zugleich zu astronomisch hohen Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen verpflichtet werden? Dies sind doch die Punkte, um die es letztlich geht und bei denen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, und vor allem Sie, Herr Minister Blüm, Verantwortung tragen. Es geht nicht um die Frage, einen Beitragssatz über oder unter 20 Prozent zu haben, sondern darum, daß Sie mit Ihrer falschen Politik den Karren in den Dreck gefahren haben und jetzt die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und die Leistungsempfänger dafür herhalten sollen. ({2}) Herr Minister Dr. Blüm, Sie haben vor dem Deutschen Bundestag am 1. Februar 1991 erklärt: In der Rentenversicherung haben wir die erfreuliche Tatsache großer Überschüsse. Das ist das Ergebnis einer guten Konjunktur in Westdeutschland. ({3}) Das ist auch das Ergebnis der deutschen Einheit, durch die in Westdeutschland die Konjunktur einen wichtigen Schub bekam. Der letzte Satz ist der entscheidende: Das ist ferner das Ergebnis unserer soliden Rentenpolitik. ({4}) Wenn Sie die damalige positive Situation in den Rentenkassen Ihrer Rentenpolitik zuschreiben, dann müssen Sie sich jetzt wieder hierhinstellen und ebenso klipp und klar sagen: Für die defizitäre Lage der Rentenversicherung ist die unsolide Rentenpolitik der Bundesregierung ebenso mitverantwortlich wie die konjunkturhemmende und verfehlte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. ({5}) Genau das, meine Kolleginnen und Kollegen, wäre nur konsequent und wahrheitsgemäß. Ich kann aus Ihrer Sicht verstehen, Herr Dr. Blüm, daß Ihnen das peinlich ist und daß Sie angesichts der Wahlen am 24. März erst recht keine öffentliche Selbstkritik üben. Trotzdem bleibt es bei den Fakten, und trotzdem bleibt es dabei, daß Sie die Verantwortung tragen. Wir erwarten von Ihnen vor den Wahlen eine ehrliche Analyse der Situation und daß Sie jetzt ein Konzept vorlegen, das sich mit den tatsächlichen Bestimmungsfaktoren für die Lage der Rentenkassen auseinandersetzt. Mit Einsparungen allein ist das nicht zu machen. Sie müssen Ihre Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik deutlich verbessern, und Sie müssen endlich begreifen, daß bestimmte Leistungen nicht über die Sozialkassen finanziert werden können. Nur so kann verhindert werden, daß das Vertrauen in das bestehende System der Rentenversicherung nicht völlig verspielt wird, und nur so wird es möglich sein, die Rentenversicherungsbeiträge auch langfristig in einer sozial- und wirtschaftspolitisch akzeptablen Größenordnung zu halten. Bevor ich schließe, möchte ich Ihnen, Herr Dr. Blüm, aber auch Ihren Kabinettskollegen und den Koalitionskollegen noch eine Frage stellen, die mich bei den Debattenbeiträgen der Koalition schon den ganzen Tag umtreibt: Zahlen Sie eigentlich GEMA-Gebühren oder Tantiemen an Rudi Carrell, weil Sie dauernd seine Textzeile aus dem schönen Lied „Wann wird's mal wieder richtig Sommer?" herunterbeten: „Schuld daran ist nur die SPD." Vielleicht beginnen Sie endlich einmal damit, selbst Verantwortung für die Ergebnisse Ihrer Politik zu übernehmen. Am besten fangen Sie gleich bei der Rente damit an. ({6}) Das schöne Lied heißt: „Wann wird's mal wieder richtig Sommer?", und der Junge hat gesungen: „Schuld daran ist nur die SPD." Ihre Debattenbeiträge haben heute den ganzen Tag den Tenor gehabt: Schuld an allem ist nur die SPD, die Opposition an sich, und die Regierung hat überhaupt keine Verantwortung. ({7}) Herr Blüm, so nicht. Wir erwarten Verantwortung von Ihnen, und wir erwarten Antworten von Ihnen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde spricht Kollege Heinz Schemken. ({0})

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man kann wirklich das Wort von Frau Rennebach aufgreifen: „Hoffentlich ist bald Sommer" und der 24. März überstanden. Ich gehe davon aus, daß auch Sie, Frau Rennebach, erkannt haben, daß diese Diskussion mit einem Kalkül geführt wird, das auf den Wahltermin des 24. März hinausläuft. Das wäre noch gar nicht so tragisch. Das kann man ja alles tun. ({0}) - Herr Dreßler, ich weiß nicht, ob das am Ende gut zu stehen kommt. Tatsache ist, daß hier in unverantwortlicher Weise Angst geschürt wird. ({1}) Mit Ängsten, Herr Dreßler, einen breiten Konsens zu zerstören, halte ich für das größte Problem. Der breite Rentenkonsens ist zustande gekommen, als das Wunder der Wiedervereinigung längst erfolgt war. ({2}) - Selbstverständlich, von 1989 bis 1992 ist an dem breiten Rentenkonsens gearbeitet worden. ({3}) Dieser Rentenkonsens hat Vertrauen, Sicherheit und Verläßlichkeit geschaffen. Ich habe das Jahr 1989 genannt, meine aber auch den Weg danach. ({4}) - Ich lüge überhaupt nicht. ({5}) Ich möchte hier einmal ausdrücklich feststellen, daß es schon wirklich eine verwegene Art ist, den Sozialminister letztlich für die Probleme allein verantwortlich zu machen, die begründbar sind und nicht mit der Rentenformel, sondern mit den Ursachen zu tun haben. Diese Ursachen führen dazu, daß bei den Fakten, die dabei eine Rolle spielen, natürlich einiges verändert werden muß. Wir haben alle - ob Wirtschaftspolitiker, ob Sozialpolitiker, ob Länder oder Kommunen, ob Wirtschaft oder Tarifpartner - daran mitgewirkt, ({6}) daß die Frühverrentung selbstverständlich zur Abfederung des Arbeitsmarktes in Anspruch genommen wurde. Es haben auch alle hingenommen - das sage ich ausdrücklich -, daß zwischen den alten und den jungen Bundesländern Transferleistungen in den sozialen Bereichen - es geht ja nicht nur um die Rente - zustande kamen. Ich frage Sie: In welchem Bereich hätten wir denn sonst die Einheit herbeiführen können, wenn wir nicht die dort ausgebeuteten, wirklich bis auf die Haut verfolgten Leute mit dem gleichgestellt hätten, was wir hier im Westen in Freiheit und sozialer Gerechtigkeit miteinander erarbeitet haben. Das muß doch wohl möglich sein. ({7}) Wenn dies möglich ist, dann frage ich Sie: Ist es dann, Herr Schreiner, ({8}) angebracht, daß man von Kürzungen, von Diebstahl und sogar von Täuschung spricht? Dies ist in diesen Wochen erfolgt. Ich halte dies für eine ganz schlimme Unterstellung. ({9}) Sie ist heute eindeutig entlarvt worden. Dem ein oder anderen mag es vielleicht als zuwenig vorkommen, daß es im Westen zu Rentenerhöhungen in Höhe von 0,95 Prozent - also 1 Prozent - kommt. ({10}) Wir stellen allerdings fest, daß in den jungen Bundesländern mit 4,38 Prozent und zusätzlichen 0,95 Prozent eine Rentensteigerung um über 5 Prozent erfolgt. Wenn das nicht eine gemeinsame Leistung aller derjenigen ist, die daran mitgewirkt haben, dann weiß ich nicht, was dieses Gerede in dieser Stunde soll. ({11}) Es ist auch falsch, von der Betroffenheit über die Mutter, die in schwierigen Zeiten Kinder erzogen hat, zu sprechen und dies in Anspruch zu nehmen. Dieses Manöver der Verunsicherung ist geradezu unverantwortlich; ich sage das ausdrücklich. ({12}) - Das ist soeben hier gesagt worden. Denn wir haben bei den über 60jährigen Gott sei Dank nur noch 1,5 Prozent - wenn wir einmal die älHeinz Schemken teren Menschen, die als Pflegefall Sozialhilfe bekommen, herausnehmen -, die Sozialhilfe beziehen. Dies ist eine Leistung unserer Rentenversicherung, die von einem gemeinsamen Konsens getragen wird. Das muß man doch einmal beachten. ({13}) Die Beitragssituation - Frau Dr. Babel, es ist zu beklagen, daß das zu einem Problem der Beiträge geworden ist; darüber redet keiner hinweg - befindet sich aber immer noch im Korridor - Herr Dreßler, jetzt komme ich zu dem Konsens von 1989 - der damals beschlossenen Beschränkungen der Beiträge. Das steht außer Frage. Wir liegen noch nicht darüber. Jetzt müssen wir etwas tun, damit die Rente in Zukunft sicher bleibt, damit sie auch für die jungen Menschen sicher bleibt. Ich bin durchaus der Meinung des Sprechers der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, daß wir auch den jungen Menschen eine Antwort geben müssen. Und wir können ihnen eine Antwort geben, wenn wir jetzt darangehen; das kann nur gemeinsam geschehen. Das Renteneintrittsalter muß angehoben und die Möglichkeit der Frühverrentung eingeschränkt werden. Die Tendenz, alles, was beim Übergang in den Ruhestand nicht vom Arbeitsmarkt zu regeln ist, mit Hilfe der Rente zu regeln, können wir in Zukunft nicht mehr durchhalten. Ich meine, es muß auch bei der Berufsunfähigkeits- und der Erwerbsunfähigkeitsrente etwas geändert werden. Auch müssen Einsparmöglichkeiten in der Rehabilitation genutzt werden. Sie wissen sehr wohl, daß die Rente das in Zukunft so nicht mehr tragen kann.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Schemken, die Redezeit ist beendet.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Es ist ohne Zweifel für uns alle klar, daß der Arbeitsmarkt die zentrale Frage ist. Wer will das bestreiten? Wenn wir für den Arbeitsmarkt etwas tun wollen, dann müssen wir auch im Hinblick auf die Konkurrenzfähigkeit im Export Rahmenbedingungen für die Arbeit gestalten, die neue Arbeitsplätze bringen. Mit den jetzigen Belastungen geht es nicht. In diesem Kontext sehe ich diese Auseinandersetzung. Um für die Zukunft bereit zu sein, müssen wir diese Fragen klären, damit der Arbeitsmarkt wieder flott wird und wir letztlich durch ein Mehr an Beiträgen die Rente für die Zukunft sicher machen. Schönen Dank. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 f sowie Zusatzpunkt 4 auf: 7. a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 49 zu Petitionen ({1}) - Drucksache 13/1769 - b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 55 zu Petitionen ({3}) - Drucksache 13/1924 - c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 85 zu Petitionen ({5}) - Drucksache 13/3076 - d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 104 zu Petitionen ({7}) - Drucksache 13/3752 - e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Walter Kolbow, Günter Verheugen, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Einstellung aller Tiefflüge und Luftkampfübungen über bewohntem Gebiet - Drucksachen 13/326, 13/1525 - Berichterstattung: Abgeordnete Benno Zierer Gernot Erler f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Angelika Beer, Christian Sterzing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abschaffung der Tiefflüge - Drucksachen 13/406, 13/1526 Berichterstattung: Abgeordnete Benno Zierer Gernot Erler ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 109 zu Petitionen - Drucksache 13/3983 Zu den Sammelübersichten 49, 55 und 85 liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zur Sammelübersicht 104 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Wir verfahren so. Ich eröffne die Aussprache. Als erste spricht die Kollegin Christel Deichmann.

Christel Deichmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002638, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben wir wieder einmal eine Tiefflugdebatte im Bundestag. Die Masse der Petitionen zu diesem Thema setzt sie auf die Tagesordnung. Ich zitiere aus „Heute im Bundestag" vom 22. November 1995. Dort wird unter der Überschrift „Militärische Tiefflüge soll es auch künftig geben" aus dem Petitionsausschuß gemeldet: Gegen den Willen der Opposition lehnte die Koalitionsmehrheit am 22. 11. 95 eine große Anzahl von Petitionen ab, in denen Bürger und Bürgerinnen aus dem Hochtaunuskreis, aus der Pfalz, aus den neuen Bundesländern die Bundesregierung zur Einstellung der Tiefflüge auffordern. Weitere Petitionen mit gleicher Forderung und insgesamt fast 80 000 Unterschriften liegen vor, hauptsächlich aus Hessen, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern, und das allein in dieser Wahlperiode, nicht gerechnet die Petitionen aus der vergangenen Legislaturperiode. Hinter den Petenten stehen vielfach die Bürgermeister, Landräte und Regierungspräsidenten - natürlich nur, soweit es ihre politische Couleur zuläßt. Nebenbei bemerkt: In Zeiten von Wahlkämpfen läßt sich eine merklich niedrigere Belästigung der Wahlbevölkerung registrieren, wie gerade jetzt in Bayern zu beobachten ist. Es könnten entscheidende Stimmen verärgerter Bürgerinnen und Bürger verlorengehen. Da wünscht man sich als Bürger vielleicht öfter mal Wahlen, oder? ({0}) Man kann davon ausgehen, daß die Bürgerinnen und Bürger nicht aus Spaß zu Papier und Stift greifen, nur weil sie einmal etwas von sich hören lassen wollen, sondern weil sie sich in ihrer Gesundheit erheblich bedroht fühlen bzw. nicht mit ansehen können, wie die Umwelt durch überflüssige Flugübungen zerstört wird. ({1}) Die Unterzeichner haben viele Argumente gegen Tiefflüge: Die Bundesrepublik ist nach dem Verfall des Warschauer Paktes und nach der deutschen Einheit nicht mehr im Kern gefährdet. Tiefflugübungen sind ein Relikt aus der Zeit des kalten Krieges. ({2}) Sie dienen nicht der Verteidigung. Daß in Friedenszeiten Krieg über den Köpfen der Menschen geübt werden muß, manchmal herunter bis auf eine Höhe von 75 Metern, ist nicht zu begreifen. Der Frieden in unserem Land ist vielmehr durch andere Probleme gefährdet - wir haben das den ganzen Tag diskutiert -, ({3}) zum Beispiel durch die Perspektivlosigkeit großer Teile der Bevölkerung und durch die Sprachlosigkeit unserer Gesellschaft gegenüber der wachsenden Armut in unserem Land. Einsatztiefflüge sind für geübte Piloten kurzfristig erlernbar. Es würde also reichen, wenn bei einem bevorstehenden Einsatzauftrag die Piloten mit dem Üben anfingen. Es besteht kein Grund, Tiefflüge ausgerechnet in Deutschland zu üben, denn im Ernstfall dienen Tiefflüge dazu, weit in das gegnerische Gebiet einzudringen und dort die Ziele zu bekämpfen. Also macht es wenig Sinn, Tiefflüge nach Sicht zu üben, da die Bundeswehr mit dem Tornado ein Flugzeug besitzt, das Tiefflugeinsätze auch bei schlechten Sichtverhältnissen automatisch durchführen kann. Nicht verteidigungspolitische Notwendigkeiten sind der wahre Grund für das unsinnige Festhalten der Bundesregierung an den Tief- und Kampfübungen der deutschen Luftwaffe. Zur Zeit wird lediglich für den Out-of-area-Einsatz geprobt. Ressourcen, die hier die Rüstung verschlingt, fehlen auf der anderen Seite für dringend notwendige lebensbewahrende Aufgaben, zum Beispiel im Umweltschutz und bei sozialen Aufgaben. ({4}) Allein die laufenden Kosten einer Tiefflugstunde werden mit rund 22 000 DM beziffert. Das ergibt bei 14 000 Tiefflugstunden pro Jahr 268 Millionen DM - eine Traumsumme. Die Kosten für einen Simulator werden mit 700 Millionen DM angegeben. So ein Gerät hätte sich also nach drei Jahren reichlich amortisiert. Tiefflüge sind Energieverschwendung und führen zu zusätzlichen Umweltbelastungen sowie zu Lärmbelästigung für Mensch und Tier. Allein in Mecklenburg-Vorpommern liegen 54 Naturschutzgebiete, 20 Landschaftsschutzgebiete, drei Naturparks und ein Nationalpark im Nachttiefflugkorridor. Tiefflüge schaden den betroffenen Regionen, für die oftmals der Tourismus die einzige Wachstumsbranche ist. An dieser Stelle möchte ich auf die Rede des Abgeordneten Hintze von heute morgen zurückkommen. Er meinte, daß wir in Mecklenburg-VorChristel Deichmann pommern nun die A 20 dringend benötigten, damit die Touristen in unser Land kommen. ({5}) Also: Wir wollen die Touristen in MecklenburgVorpommern. Aber wenn sie dann hoffentlich zahlreich da sind, ({6}) wollen die Touristen wohl kaum durch Tiefflüge Tag und Nacht gestört werden. Das paßt irgendwie nicht zusammen. Im übrigen sollte man doch auch der Wahrheit die Ehre geben: Die A 20, die ich nicht bejubele und nicht verdamme, sondern nüchtern akzeptiere, wird nicht zur Tourismusförderung gebaut. Sie ist erforderlich im Hinblick auf Europa und auch zum Anschluß der besonders schwachen Region Vorpommern. Im Vordergrund aller Petitionen steht die Gesundheitsgefährdung des Menschen durch die Lärmbelästigung. Es ist durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen, daß Lärm krank macht. ({7}) Insbesondere sind kleine Kinder sowie ältere und kranke Menschen gefährdet. Tieffluglärm und dabei insbesondere direkte Überflüge am Abend und in der Nacht sind für Kinder ein traumatisches Ereignis. Die Erwachsenen können unter Umständen versuchen, sich auf diesen Lärm einzustellen. Kindern läßt sich das nicht vermitteln. Für sie ist es jedesmal wieder neu ein bedrohliches Ereignis und sehr erschrekkend. Von daher sind Kinder besonders betroffen. Das führt bis zu dokumentierten psychischen Beeinträchtigungen. Das Herzinfarktrisiko steigt bei plötzlich auftretendem höllischem Lärm enorm. Nächtlicher Tiefflug führt zu Schlafstörungen, erheblicher Ausschüttung von Streßhormonen und psychischen Störungen. Die Studie, die vom Umweltbundesamt in Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Robert-Koch-Institut und der TU Berlin erstellt wurde, kommt zu dem Schluß, daß auf Grund der alarmierenden und besorgniserregenden Ergebnisse dem Lärm mindestens die gleiche Bedeutung zuzumessen ist wie dem Asbest bei der Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung. ({8}) Neben der kontinuierlichen Lärmbelästigung durch die Tiefflüge sollten auch die Gefahren durch Unfälle nicht unerwähnt bleiben. Auch die schädlichen Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt sind nicht zu unterschätzen. Schäden treten durch den extrem hohen Treibstoffverbrauch und den damit verbundenen Schadstoffausstoß auf, der auf die überflogenen Gebiete niedergeht. Zur Verdeutlichung: Während jeder Tiefflugstunde werden zirka 4 600 Liter Kerosin verbraucht. Dabei werden 140 Kilogramm Luftschadstoffe emittiert. Diese sind durch Umwandlung in Ozon und Peroxidacetylnitrat für Menschen, Tiere und Vegetation direkt schädlich. Die Belastungen treten in den Flugkorridoren konzentriert auf und verstärken dort die ohnehin überall vorhandenen Luftschadstoffbelastungen. Auf die hohe Zahl der Tiefflugstunden hochgerechnet, ergibt das in den Tieffluggebieten eine Schadstoffemission von sage und schreibe 2,4 Millionen Kilogramm, zuzüglich der abgelassenen Kerosinmengen vor der Landung. Tiefflüge sind mit einer massiven Lärmbelästigung der Tierwelt verbunden. Die einschneidenden Störungen werden vor allem durch den Überraschungseffekt auf Grund der hohen Geschwindigkeit ausgelöst. Dabei ist zu beachten, daß eine Vielzahl von wildlebenden Tieren über ein Gehör verfügt, das um ein Vielfaches empfindlicher ist als das menschliche. Ich kann die Argumente der Petenten gut verstehen. Ich fordere die Bundesregierung deshalb nachdrücklich auf, die Tiefflüge in der Bundesrepublik ab sofort einzustellen, und zwar Tag- und Nachttiefflüge über bewohntem und unbewohntem Gebiet. ({9}) Wie lange noch wollen Sie die Klagen der Menschen in unserem Land, die in den vielen Einzel- und Massenpetitionen zum Ausdruck kommen, ignorieren? Wie lange noch wollen Sie die Anträge der Opposition abschmettern und Petitionen aus der Bevölkerung als unbegründet abweisen? Ich danke Ihnen. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Wilz.

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin, ich will Ihren Redebeitrag nicht bewerten, aber das, was Sie inhaltlich gesagt haben, zum Beispiel, das alles sei leicht erlernbar oder überflüssig, macht deutlich, wie laienhaft das Ganze gesehen worden ist. Ich will Ihnen das nicht zum Vorwurf machen. Ich möchte Sie aber gern in das Bundesministerium der Verteidigung und zu einer Bereisung der Bundeswehr einladen, um Ihrem Sachverstand ein bißchen nachzuhelfen. Ich lade Sie herzlich ein. ({0}) Gerade die vergangenen Monate haben deutlich gemacht, wie wichtig und notwendig die sachgeParl. Staatssekretär Bernd Wilz rechte Ausbildung unserer Flugzeugbesatzungen ist. Dies beweist nicht zuletzt der Beschluß des Deutschen Bundestages, den Friedensprozeß im ehemaligen Jugoslawien durch Entsendung von Flugzeugen und Besatzungen zu unterstützen. Schon vor einem Jahr hatte ich bei der Tiefflugdebatte darauf hingewiesen, daß es in Wahrheit um die Frage geht, ob wir uns zum Auftrag der Bundeswehr für unser Land bekennen. Ich hatte weiter gefordert, daß wir gemeinsam den Bürgerinnen und Bürgern erklären sollten, wie wir Auftrag und erforderliche Ausbildung mit dem berechtigten Anliegen der Bevölkerung in Einklang bringen. Mittlerweile haben die Besatzungen unserer Tornados in über 1 250 Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien ihren hohen Ausbildungsstand und ihre Qualifikation eindrucksvoll und sicher unter Beweis gestellt. ({1}) Alle NATO-Stäbe und die beteiligten Nationen haben uns das immer wieder bestätigt. Nicht vergessen möchte ich an dieser Stelle den Einsatz unserer Transportflieger, unserer Besatzungsmitglieder an Bord der AWACS-Flugzeuge und der Breguet Atlantique der Marine. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, den daran beteiligten Angehörigen der Bundeswehr Dank und Anerkennung auszusprechen. Das stünde auch Ihnen gut an, meine Damen und Herren. ({2}) Die heutige Thematik ist über Jahre hinweg ausführlich erörtert worden. Die Position der Bundesregierung hierzu ist völlig klar. ({3}) Erstens. Die Bundeswehr muß der im Grundgesetz festgeschriebenen Friedenssicherungs- und Schutzverpflichtung glaubhaft nachkommen können. Dafür muß sie einsatzbereit sein. Zweitens. Der Schutz unseres Luftraumes muß sichergestellt bleiben. Die Luftwaffe kann ihre Aufgaben aber nur dann erfüllen, wenn sie bereits im Frieden den hierfür erforderlichen Leistungsstand schafft. Dies wird nur gewährleistet durch eine fundierte fliegerische Ausbildung und kontinuierliches Üben. ({4}) Drittens. Unsere Bundeswehr muß ferner einen angemessenen Anteil zur Verteidigungsvorsorge in das Bündnis einbringen. Wer dies der Luftwaffe verweigert oder ihre Möglichkeiten drastisch einschränkt, sollte ehrlicherweise sagen, daß er die fliegenden Streitkräfte abschaffen will. ({5}) Warum benötigen wir Fliegen im niedrigen Höhenband? Erstens. Tiefflug reduziert zu einem erheblichen Teil die Bedrohung durch gegnerische Flugabwehr, und zwar insbesondere bei Ausnutzen der Abschattung durch Erdkrümmung oder Geländeerhebungen sowie durch schnelles Durchfliegen des Wirkungsbereiches. Die Durchsetzungs- und Überlebenschancen der eigenen Luftfahrzeuge werden so deutlich erhöht. Zweitens. Auch der Nachttiefflug ist zwingend notwendig, um die Nacht- und Allwetterfähigkeit unserer modernen Kampfflugzeuge sicher zu nutzen. Denn selbst unter Anwendung moderner Technologie wie des Geländefolgeflugradars ist das Fliegen bei Nacht im Tiefflug extrem gewöhnungsbedürftig. ({6}) Die Besatzung muß lernen und darauf vertrauen, daß und wie die Automatik funktioniert. Mit anderen Worten, je geringer die Flughöhe, um so höher ist auch beim Nachtflug der Ausbildungswert. Dennoch haben wir im Interesse unserer Bevölkerung, wie ich meine, großartige Entlastungen herbeigeführt. Erstens. Seit September 1990 ist die Nutzung der Tiefflugareas in 75 Meter Höhe grundsätzlich nicht mehr gestattet. Zweitens. Seit diesem Zeitpunkt ist auch die untere Normalgrenze für den Tiefflug von 150 Metern auf mindestens 300 Meter heraufgesetzt worden. Drittens. Die Flugstunden wurden von 88 000 in den 80er Jahren allein in Westdeutschland auf 13 000 im vereinten Deutschland zurückgenommen. Viertens. Der Nachttiefflug wurde von 4 200 Einsätzen pro Jahr in den alten Bundesländern auf nunmehr 1 700 für Gesamtdeutschland reduziert. Heute ist im statistischen Jahresmittel mit zirka vier bis 20 Einsätzen pro Woche und Streckenabschnitt zu rechnen. ({7}) Fünftens. Das Nachttiefflugstreckennetz wurde in Westdeutschland um 1 000 Kilometer verkürzt. Sechstens. 80 Prozent der Luftkampfausbildung, etwa 50 Prozent der Tiefflugausbildung und rund 75 Prozent der Luft/Boden-Waffenausbildung wurden ins Ausland oder über See verlagert. Gleichwohl ist die komplette Verlagerung aller Tiefflüge und Luftkampfübungen ins Ausland keine realistische Option, denn dem Ausbildungsexport sind Grenzen gesetzt. Wir können und dürfen die Solidarität unserer Bündnispartner nicht überstrapazieren und auch nicht eigensüchtig nutzen. Die gezeigten Maßnahmen sind fürwahr eine eindrucksvolle Bilanz, auch und gerade im Interesse der Menschen unseres Landes. ({8}) Über die Einführung eines verbesserten Nachttiefflugstreckensystems ist durch die Bundesregierung monatelang umfassend informiert worden. Wir werden nach einjähriger Nutzung den parlamentarischen Gremien erneut berichten. Dies ist für das zweite Halbjahr 1996 vorgesehen. Wir werden auch hier Wort halten. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Abschaffung aller Tiefflüge wird unter anderem mit den Risiken für Mensch und Umwelt begründet. Dieser Forderung liegt offensichtlich die fälschliche Annahme zugrunde, daß die alleinige oder hauptsächliche Gefährdung von militärischen Tiefflügen ausgehe. Die statistischen Daten aller Flugunfalluntersuchungen geben hierfür jedoch gerade keinen Hinweis. Generell gilt: Je besser die Ausbildung, desto geringer das Risiko und um so höher die Sicherheit für alle. Was nun die Frage der Auswirkungen des Fluglärms auf die Bevölkerung angeht, sind mehrere Untersuchungen durchgeführt worden. Die Hauptstudie des Bundesgesundheitsamtes stellt dazu fest, daß die generelle Einführung einer Mindesthöhe von 300 Metern für den Tiefflug gewährleistet, daß bei Einhaltung dieser und der bereits bestehenden Bestimmungen für den Flugbetrieb die Richtwerte zur Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen eben nicht überschritten werden. Von einer signifikanten Umweltbelastung durch militärischen Flugbetrieb im allgemeinen und durch Tiefflüge im besonderen kann nicht die Rede sein. Der Anteil des zivilen und militärischen Luftverkehrs an der gesamten Schadstoffemission durch den Verkehr in Deutschland liegt unter 1 Prozent. Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Flugbetrieb im niedrigen Höhenband sowie der nur noch geringe Anteil an Luftkampfausbildung notwendiger und integraler Bestandteil des komplexen Ausbildungs- und Übungsflugbetriebs ist. Wer das verneint, verweigert unseren Besatzungen in Wahrheit die erforderliche Ausbildung und Fürsorge. ({9}) Die erneute Forderung der SPD, Tiefflüge und Luftkampfübungen ausschließlich über unbewohntem Gebiet durchzuführen, läßt sich in unserem dichtbesiedelten Land nicht verwirklichen. Allein auf dem Gebiet der alten Länder befinden sich 23 000 Städte und Gemeinden mit 40 000 Schulen, 20 000 Altersheimen sowie 3 300 Krankenhäusern. Dies macht deutlich, daß das Umfliegen sämtlicher Ortschaften nicht realisierbar ist. Es käme einer Kanalisierung und Verdichtung des Flugverkehrs gleich. Dies ginge zu Lasten der Flugsicherheit. Meine Damen und Herren, was Geilenkirchen angeht, so haben wir drastische Bemühungen angestellt, für die Bevölkerung hilfreich zu sein. Es gibt aber eine lückenlose Überwachung durch AWACSMaschinen über Ostbosnien. Dies bedeutet, daß Flugzeuge von Geilenkirchen oder von Italien aus ständig in der Luft gehalten werden müssen. Wir sind bemüht, die Triebwerke leiser und umweltfreundlicher zu entwickeln. Dazu brauchen wir noch weitere Technologien, eine weitere Bereitstellung erheblicher Ressourcen und einen entsprechenden Konsens der beteiligten Nationen. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir insgesamt auf einem guten, überzeugenden Weg sind. Es kommt darauf an, daß wir, wo immer wir das können und wo immer das machbar ist, die Belastungen für die Bevölkerung noch weiter zurückführen. Aber Belastungen müssen wir gemeinsam tragen, denn wir genießen auch gemeinsamen Frieden und Freiheit. Deshalb darf ich Sie herzlich bitten, den Anträgen der Opposition Ihre Zustimmung nicht zu geben, sondern auf dem eingeschlagenen Weg gemeinsam mit uns fortzufahren. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele der hier Anwesenden und vor allem der hier Abwesenden meinen, daß es heute abend um ein Thema von gestern gehe und daß vielleicht alles schon fünf oder zehnmal gesagt worden sei. Gestern berichtete mir ein Wirt und Landwirt aus der Region Quakenbrück von seinen alltäglichen Erfahrungen. Sobald die Wolkendecke aufreißt, geht es los. Er zählt pro Tag viele Dutzende von Überflügen, und zwar nicht über 300 Meter, sondern meistens unter 300 Meter, überwiegend aber im Höhenband zwischen 75 und 150 Meter. Er zählt mehrfach am Tag Luftkampfübungen von mehreren Maschinen. Immer wieder stellt er fest, daß die Schallmauer durchbrochen wird. In der letzten Woche ging es in seiner Gegend täglich so. Am 11. Januar stürzte ein britischer Tornado nach einer Luftkampfübung am Rande meiner Heimatstadt Münster ab, wenige hundert Meter entfernt vom Autobahnkreuz Münster-Süd und den Ortsteilen Albachten und Mecklenbeck, knapp neben einem Bauernhof. Anwohner dankten den Piloten dafür, daß sie die größte Katastrophe knapp verhindert hatten, aber sie forderten zugleich die Einstellung solcher Luftkampfübungen über bewohntem Gebiet. ({0}) Gestern berichteten sie mir: „Direkt nach dem Absturz war es ruhig; gegen Ende Januar ging es bei schönem, klarem Wetter wieder voll los, und dabei schienen die Flüge übertrieben tief zu sein. Nach dem Tornadoabsturz bei Issum am Niederrhein am 26. Februar ist es besser geworden." Niemand wird bestreiten, Herr Wilz, daß die Tiefflugbelastung der Bevölkerung in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen ist, aber die von mir geWinfried Nachtwei schilderten Vorkommnisse sind keineswegs die letzten Einzelfälle in diesem Kontext. Das zeigen eben die vorliegenden Petitionen, das zeigt die hohe Zahl der Unterzeichner, von Bürgerinnen und Bürgern, die sich gegen die Auswirkungen von militärischem Fluglärm insgesamt, aber vor allem gegen die gängige Tiefflugpraxis und die Ausweitung des Nachttiefflugstreckennetzes wenden. ({1}) Die Einwender empfinden vor allem den Tiefflug weiterhin als enorme Belastung, ja regelrecht als Körperverletzung. Sie sind nicht bereit, eine solche Belastung in Kauf zu nehmen, weil sie sinnlos und überflüssig erscheint, eben ganz anders als zum Beispiel die Sirene der Feuerwehr. In der ersten Bundestagsdebatte habe ich einiges zu den Folgen des Tieffluges gesagt; jetzt möchte ich mich vor allem um die Begründung kümmern. Regierung und Koalition versuchen die Beibehaltung der Tiefflugübungen nach folgendem Muster zu rechtfertigen: Tiefflugausbildung sei unverzichtbar für die volle Einsatzbereitschaft der fliegenden Verbände im Rahmen ihrer Aufträge. Tiefflugausbildung sei unverzichtbar für die sogenannte Grundbefähigung der fliegenden Besatzungen, unabhängig von der aktuellen verteidigungspolitischen Situation. Und schließlich: Wer den militärischen Tiefflug kritisiere, stelle den grundgesetzlich fixierten Verteidigungsauftrag in Frage. Ich habe den Eindruck, hinsichtlich ihrer Treffsicherheit und Zielgenauigkeit bleiben diese Argumente weit hinter den Fähigkeiten der fliegenden Besatzungen zurück. Das muß ich natürlich begründen. Der konkrete militärische Zweck des Tieffluges ist, die Bedrohung durch eine gegnerische Luftabwehr zu reduzieren. Die Bundesregierung gesteht zu, daß die „politischen Rahmenbedingungen Umfang und Intensität der Übungsflüge" bestimmen und Abstufungen von Präsenz und Einsatzbereitschaft erlauben würden. So die Aussage der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion vom 29. Juni letzten Jahres. Die Bundesregierung verweist darauf, daß Tiefflugübungen in den letzten Jahren drastisch reduziert worden seien und umgekehrt angesichts einer Krise auch wieder erhöht werden müßten. Mit anderen Worten: Die Tiefflugbefähigung ist keine starre Konstante, sondern eine von der Lageentwicklung abhängige Variable. Somit stellen sich zwei Schlüsselfragen. Erstens. Brauchen die fliegenden Besatzungen heutzutage überhaupt die Tiefflugfähigkeit im Rahmen des Verteidigungsauftrages? Offenkundig nicht. Sogar bei pessimistischer Weltsicht sind um die Bundesrepublik herum auf absehbare Zeit keine militärischen Bedrohungen in Sicht. Angesichts dieser erfreulichen Bedrohungslücke ließe sich die Einsatzbereitschaft der Bundesluftwaffe um die Tiefflugfähigkeit reduzieren; die Sicherheit der Bundesrepublik würde das um keinen Deut gefährden. ({2}) Zweite Frage: Ist die Tiefflugbefähigung im Rahmen des Auftrags zur Krisenbewältigung nötig? Es scheint so. Die Streitfrage ist nur, ob Kampfflugzeuge geeignete Instrumente der Krisenbewältigung sind, zum Beispiel am Golf, in Somalia, in Ex-Jugoslawien, in Ruanda und Burundi, im Kaukasus oder in der Ägäis zwischen Griechenland und der Türkei. Unsere Fraktion hat im vorigen Jahr einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem wir uns strikt gegen die Umrüstung der Bundeswehr auf militärische Krisenbewältigung wenden und damit auch gegen Tiefflugübungen zu diesem Zweck. ({3}) Die Bundesregierung behauptet, mit der Tiefflugausbildung stehe die Grundbefähigung der fliegenden Besatzungen auf dem Spiel. Das hört sich zwischen stark bis verzweifelt an. Doch da sie dies nicht weiter begründet - ich habe dafür bisher keine genauere Begründung gehört -, ist diese Aussage nichts als ein Dogma, das man eben glauben kann oder nicht. Sie glauben es, und wir glauben es eben nicht. ({4}) Viele Tiefflugkritiker verlangen die Verlagerung der Tiefflugausbildung, zum Beispiel nach Kanada. Sie ignorieren dabei, daß sie die Last des Tieffluglärms abschieben, nämlich auf die dort lebenden Innu-Indianer. ({5}) Es sind nur 12 000 Ureinwohner. Aber für ihre Lebensweise hat der militärische Tiefflug wahrhaftig zerstörerische Folgen. Meine Damen und Herren, militärischer Tiefflug ist staatlich betriebene Umweltverschmutzung und sicherheitspolitisch überflüssig. ({6}) Ich bitte Sie deshalb - trotz alledem auch die Koalition -, die Petitionen der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen und die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses gegen unseren Antrag abzulehnen. Danke schön. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Kollege Günther Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die F.D.P.-Bundestagsfraktion möchte ich den Soldaten der Bundeswehr insgesamt, den fliegenden Besatzungen der Luftwaffe, den Marinefliegern und den Heeresfliegern danken, die große Leistungen für die humanitäre Versorgung und für die Sicherung des Friedens im ehemaligen Jugoslawien erbracht haben und auch in Zukunft noch erbringen werden. ({0}) Dieser Dank schließt selbstverständlich auch die Familienangehörigen ein, die ihre Söhne, Ehemänner oder Väter in einem nicht risikolosen Einsatz wissen und die im übrigen darauf vertrauen, daß die Politik ihren Angehörigen alle Möglichkeiten gibt, um ihren Einsatz mit möglichst geringem Risiko durchzuführen. ({1}) In diesem Hause wissen alle, daß wir Abgeordneten den politischen Auftrag für einen Einsatz unserer Bundeswehr erteilen. Aus diesem Grunde stehen wir - und niemand sonst - auch in besonderer Verantwortung, unsere Soldaten, auch unsere Piloten, nur mit angemessener Ausrüstung und Ausbildung in einen Einsatz zu schicken. Deswegen verstehe ich, Kollegen und Kolleginnen von der Opposition, überhaupt nicht, daß Sie alle Monate wieder dieselben Anträge einbringen, die immer wieder mit denselben stereotypen Argumenten begründet werden. ({2}) Ich weiß, daß manche Kollegen vor allen Dingen in den Reihen der SPD-Opposition das ähnlich sehen wie ich. Ich frage mich, wie Sie von der Koalition verlangen können, unseren fliegenden Besatzungen die Grundlage zu entziehen, die ihnen erst ermöglicht, ihren Auftrag unter größtmöglicher Sicherheit für Gesundheit und Leben durchführen zu können. ({3}) Für die Freien Demokraten fordere ich alle Fraktionen, auch die Opposition, ebenso das Bundesministerium der Verteidigung, auf, den Piloten der Bundeswehr die Ausbildungsmöglichkeiten und die Ausrüstung zu geben, die sie für ihren Einsatz für Frieden und Sicherheit in Europa benötigen. ({4}) Ich sage ganz deutlich, daß für uns Liberalen die Grenze des Verantwortbaren erreicht ist. Der sehr geringe Flugausbildungsanteil darf nicht mehr unterschritten werden. Dies wird Ihnen übrigens auch von Piloten, von Praktikern bestätigt, wenn Sie denn mit ihnen einmal sprechen sollten. Wir haben auch an die Sicherheit unserer Piloten zu denken. Meine Damen und Herren, wir müssen auch so ehrlich sein, dem Bürger, der zu Recht die Sicherung von Frieden und Freiheit durch die Politik erwartet, zu sagen, daß dafür ein bestimmtes, ein sehr geringes Maß an Beeinträchtigung in Kauf genommen werden muß. ({5}) Für uns Liberalen besteht weiterhin die Notwendigkeit der sicherheitspolitischen Vorsorge. Darin unterscheiden wir uns, wie in vielen anderen Punkten, von der Opposition und vor allem von den Grünen. Dies bedeutet aber auch, daß für uns der Schutzauftrag der Bundeswehr und der NATO weiter besteht. Daraus folgt ebenfalls, daß die Teilstreitkräfte auch in Zusammenarbeit mit unseren Bündnispartnern bestimmte militärische Aufträge üben müssen. Für die Luftwaffe bedeutet das, daß dies nur auf Grund einer kontinuierlichen Ausbildung der Piloten möglich ist. Bestimmte grundsätzliche Flugverhaltensweisen können eben nur in der realen Umgebung erlernt und trainiert werden. Es ist hier schon darauf hingewiesen worden: In Europa wurde ein seit mehreren Jahren tobender gnadenloser Vernichtungskrieg, nur wenige Autostunden, nur wenige Flugminuten von hier entfernt, nur durch das massive Eingreifen der NATO-Luftstreitkräfte gestoppt. Sie verlangen nun in der Konsequenz, die Bundesrepublik Deutschland solle auf die Ausübung der Souveränität im Bereich der Lufthoheit und auf die Kooperationsfähigkeit mit den Luftstreitkräften unserer Verbündeten verzichten. ({6}) Dies weisen wir Liberalen entschieden zurück. ({7}) Wir haben auch für die Entlastung der Bevölkerung gesorgt. Hier ist darauf hingewiesen worden: Die Mindestflughöhe beträgt jetzt 1 000 Fuß. Zwischen 1980 - zu dieser Zeit war übrigens ein Sozialdemokrat Verteidigungsminister ({8}) und 1995 wurde die Zahl der Flugstunden im Tiefflugbereich um 75 Prozent gekürzt. Der Parlamentarische Staatssekretär hat darauf hingewiesen. Frau Kollegin Deichmann, Herr Kollege Nachtwei: Wir nehmen die Eingaben, die die Bevölkerung uns schickt, sehr ernst. ({9}) Es gab einen Unterausschuß des Verteidigungsausschusses, der sich mit all diesen Themen beschäftigt hat. Wir haben hier, zum Teil mit Ihnen gemeinsam, sinnvolle Lösungen gefunden. Es hat über 100 Petitionen aus den Kommunen, aus den Landkreisen gegeben. ({10}) Die Belastungen der Bürger wurden auf ein unabdingbares Minimum reduziert. Daß dies weitgehend gelungen ist, haben, glaube ich, die gerade genannten Zahlen noch einmal bewiesen. Ich frage: Wo sollen denn die Piloten jetzt noch die notwendige Ausbildung absolvieren? Auch darauf haben Sie natürlich sofort eine Antwort: ({11}) im Ausland. Sie wissen ganz genau, daß zwischen 50 und 80 Prozent der Ausbildung im Ausland bzw. in Übersee durchgeführt werden. Ich frage Sie noch einmal: Wie weit wollen Sie durch einen weiteren Export die Solidarität unserer Bündnispartner überstrapazieren? Meine Damen und Herren, es findet doch nur noch ein ausbildungstechnisch absolut notwendiges Minimum, das sogenannte Basistraining, in Deutschland statt. Wir müssen auch - da spreche ich wieder die Opposition an - daran denken, was es für unsere Luftwaffensoldaten, für ihre Familien bedeutet, wenn wir die Ausbildung insgesamt ins Ausland verlegen würden. Ich denke, wir haben auch unseren Soldaten und ihren Familien gegenüber eine besondere soziale Verpflichtung. Daran erinnere ich ausdrücklich die Sozialdemokraten. ({12}) Die Grünen - Herr Kollege Nachtwei hat darauf hingewiesen - fordern in ihrem Antrag nicht nur die Einstellung aller Flüge in Deutschland, sondern auch ein Verbot der Verlagerung ins Ausland oder nach Übersee. Damit sagen sie klar, daß sie ein Deutschland ohne Luftverteidigung wollen, ohne die Möglichkeit, die Souveränität unseres eigenen Luftraumes zu wahren. Sie haben dies ja heute noch einmal nachdrücklich bestätigt. Sie fordern, daß Deutschland wehrlos und bündnisunfähig wird. ({13}) Sie fordern auch - und das spreche ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit an -, daß Genozid und Massenvergewaltigung wie im ehemaligen Jugoslawien in Zukunft von der demokratischen Staatengemeinschaft nicht mehr verhindert werden sollen. Die Freien Demokraten werden dabei nicht mitmachen. ({14}) Ich habe die Übungsmöglichkeiten in realer Umgebung angesprochen. Sie, Frau Kollegin Deichmann, haben - der Zwischenruf vorhin hat es auch wieder bewiesen - darauf abgezielt, die Übungen sollten nun in Simulatoren stattfinden. Ich bin mit der Verlagerung aller Übungen in Simulatoren einverstanden, wenn Sie, Frau Kollegin Deichmann, und alle anderen aus der Opposition, bei Ihrer nächsten Reise auch dann mitfliegen, wenn Sie wissen, daß der Pilot Ihrer Maschine nur am Simulator ausgebildet wurde. ({15}) Ich glaube, damit hat sich das Thema dann erübrigt. Wenn Sie noch einmal Nachttiefflugstrecken ansprechen: Ich komme aus einem Landkreis, in dem es drei Nachttiefflugstrecken gibt. Eine davon führt über das Staatsbad Bad Oeynhausen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Aber die Redezeit ist beendet. ({0})

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme damit zum Schluß, Frau Präsidentin. Es gibt keine Beschwerden. Aber das liegt vielleicht daran, daß die Westfalen nicht so sensibel sind wie Sie. Es könnte aber auch sein, daß in meiner Region das Thema nicht instrumentalisiert wird, um es zum Wahlkampfthema zu machen. Das sollten Sie vielleicht auch einmal überlegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Kollege Manfred Müller.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte eigentlich erwartet, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß Sie wenigstens Verständnis für die Sorgen, für die Nöte, für die Angst der Petentinnen und Petenten zum Ausdruck bringen. Sie haben sie aber lediglich mit statistischen Daten und Beruhigungspillen versorgt. Ich meine, das ist wirklich am Thema vorbei. Ich habe schon an den Zwischenrufen gemerkt, daß die Reden alle schon einmal gehört worden sind. Auch die Begründung hat sich überhaupt nicht verändert. Wenn jetzt sogar an den früheren SPD-Verteidigungsminister erinnert wird, wird deutlich, daß man das Datum 1989 anscheinend überhaupt nicht registriert hat, daß man so weitermacht wie bisher. ({0}) Deshalb bin ich den Bürgerinnen und Bürgern dankbar dafür, daß sie noch immer den Mut, die Hoffnung haben, daß ihre Lage durch Petitionen verändert wird. Ihren Petitionen haben wir es zu verdanken, daß wir dieses Thema heute erneut auf die Tagesordnung setzen konnten. Die Begründungen für Tiefflugübungen sind die gleichen. Sie werden gebraucht, um unsere Luftwaffe einsatzfähig zu halten, heißt es. Dafür müßten eben Opfer gebracht werden. Außerdem hören wir, die Tiefflüge seien in großem Stil ins Ausland verlagert worden - frei nach dem Motto: Giftmüll nach Afrika, Tiefflüge nach Kanada. ({1}) Der Protest der dortigen Bewohner kümmert die Bundesregierung offensichtlich wenig. Manfred Müller ({2}) Eines scheint zumindest klar zu sein, was die Regierungsfraktionen bei der Beantwortung der Petitionen geplagter Bürgerinnen und Bürger auch zugeben müssen - ich darf aus der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zitieren -: Eine existentielle Gefährdung bzw. Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland ist ... nicht erkennbar. Es ist daher wenig plausibel, daß die Fortsetzung der Tiefflugübungen irgend etwas mit dem Gebot der Landesverteidigung zu tun hat. Die Regierungsfraktionen berufen sich immer wieder auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart aus dem Jahre 1986. In diesem Urteil wurde das Recht der Bundesrepublik, sich gegen feindliche Angreifer zu wehren und dafür angemessene Streitkräfte zu unterhalten, über die unmittelbaren Belange der Bürger hinsichtlich Lärm-, Gesundheits- und Umweltschutz gestellt. Dies mag damals gerechtfertigt gewesen sein. Aber hat sich die Welt seitdem nicht gravierend geändert? Es geht nicht darum, ob einige tausend Flugstunden abgebaut werden oder nicht. Es geht darum, ob diese scheußlichen Belästigungen - wobei Belästigung sicher noch eine Verharmlosung für die tatsächlichen Körperverletzungen ist - überhaupt noch einen Sinn ergeben. ({3}) Nach unserer Auffassung tun sie es nicht. Daher sind wir für die sofortige Einstellung der Tiefflüge. An dieser Stelle wenden Sie gern ein, die gewalttätigen Konflikte am Rande oder außerhalb Europas hätten zugenommen. Doch selbst an diesem Punkt müssen Sie einräumen, daß daraus „keine unmittelbare militärische Gefährdung der Bundesrepublik" zu erwarten ist. Interessant ist auch folgendes: Auf eine Anfrage der SPD, welche vorhandenen, in die Bundesrepublik hineinreichenden Flugabwehrschirme von den deutschen Tornados unterflogen und überwunden werden müßten, hat die Bundesregierung auf russische Systeme verwiesen. Sie hat sich beeilt, hinzuzufügen, es müsse jedoch „auf das gesamte Einsatzspektrum verwiesen" werden, auf das sich die Bundeswehr heute vorzubereiten habe. Das ist der Punkt. Das kann doch nur heißen: Die Bundeswehr muß am Tiefflug festhalten, weil sie bei künftigen Militärinterventionen im Rahmen des Bündnisses eingesetzt werden soll. Staatssekretär Wilz hat das soeben bestätigt. Dafür stehen wir allerdings nicht zur Verfügung. Die Bundesrepublik Deutschland kann unseres Erachtens am meisten für den Frieden in der Welt tun, wenn sie sich militärisch selbst beschränkt und sich auf das breite Feld ziviler Konfliktbewältigung konzentriert. Dafür wird heute jede Mark gebraucht. Ich danke Ihnen. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort erteile ich jetzt dem Kollegen Frederick Schulze. ({0})

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Tiefflüge sind tatsächlich für die Betroffenen eine Belastung. Diese subjektive Wahrnehmung kann und will man nicht leugnen. Die weltpolitische Lage hat sich in den letzten Jahren tatsächlich gewandelt. Die globale Konfrontation zweier Machtblöcke gibt es nicht mehr. Wir sind von Freunden und Alliierten umgeben. Dennoch gibt es lokale Konflikte. Kollege Nolting, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie angesprochen haben, wie kurz allein die Flugzeiten ins ehemalige Jugoslawien sind. Kein seriöser Politiker - dazu zähle ich allerdings einen Teil meiner Vorredner garantiert nicht - kann ernsthaft behaupten, daß die Bundeswehr und die Mitgliedschaft in NATO und WEU für die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr wichtig sind. Aber man möchte dies natürlich gerne mit Blick auf den 24. März 1996 sehr populistisch verkaufen und predigt die Abschaffung der Wehrpflicht, den Austritt aus NATO und WEU und die Abschaffung der Bundeswehr. So können wir mit der Sicherheit unseres Landes nicht umgehen. Da man eine Armee nicht wie einen Wintermantel einmotten und bei Bedarf wieder hervorholen kann, müssen wir den veränderten Bedingungen entsprechend dafür Sorge tragen, daß die Bundeswehr einsatzbereit und einsatzfähig und die Soldaten gut ausgebildet bleiben. Dies sind wir auch unseren Soldaten schuldig. ({0}) Verteidigung ist nicht Sache der Soldaten allein, sondern auch die eines gesamten Volkes zum Schutz vor äußerer Gefahr und zum Erhalt von Frieden, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Auch unter den aktuellen weltpolitischen Bedingungen sind Tiefflüge als Teil einer soliden Ausbildung der Soldaten unerläßlich. Dabei entstehende Belastungen sind nicht gänzlich auszuschließen. Man sollte jedoch die Diskussion nicht unter dem Motto „Bundeswehr gegen Bürger" führen, wie es heute hier teilweise gemacht worden ist. Wer sich der Tiefflugproblematik unvoreingenommen stellt, wird sehr schnell feststellen, daß die Bundeswehr seit Jahren bemüht ist, die Belastung der Bevölkerung weitestgehend zurückzuschrauben, und dies bereits seit Mitte der 80er Jahre. So ist die Zahl der Nachttiefflüge von rund 4 200 Einsätzen im Jahr 1985 auf rund 1 700 im Jahre 1993 zurückgeführt worden. Die Mindestflughöhe für Nachttiefflüge beträgt heute 300 Meter, und die Geschwindigkeit wurde auf 780 km/h begrenzt. Beschwerden aus Nachttieffluggebieten gab es in den letzten 30 Jahren kaum. Nachttiefflug ist zur Beherrschung des komplizierten Geräts unerläßlich. Vorschläge, nachts könne man auch höher oder gar über offener See üben, zeugen von absoluter Ahnungslosigkeit gegenüber den sachlichen Notwendigkeiten. Schon heute werden im Rahmen des sogenannten Burden-sharing wesentliche Teile der fliegerischen Ausbildung der Piloten im Ausland vorgenommen. Lastenteilung heißt allerdings nicht Lastenverteilung ausschließlich auf andere Bündnispartner. Einen Teil des notwendigen Trainings müssen wir schon in der Heimat durchführen. Auf Grund der Siedlungsstruktur und Siedlungsdichte in Deutschland ist es nicht möglich, Tiefflüge auf unbewohntes Gebiet zu beschränken. Der SPDAntrag, nach dem Tiefflüge über bewohntem Gebiet verboten werden sollen, zeugt demnach von Ahnungslosigkeit, Heuchelei oder billigem Populismus. ({1}) - Doch, so ist es. ({2}) - Tun Sie das ruhig. Mit der Herstellung der deutschen Einheit vergrößert sich der zur Verfügung stehende Luftraum, was wiederum zu einer geringeren Inanspruchnahme der einzelnen Flugkorridore führt. Wir sollten aber auch nicht den Einfluß der vier Skyguard-Überwachungssysteme unterschätzen, die jederzeit an jedem beliebigen Ort eingesetzt werden können. Die Piloten wissen nicht, wo der Einsatz erfolgt. Wenn Verstöße gegen die Flugbetriebsbestimmungen festgestellt werden, hat das dienstrechtliche Folgen und kann sogar mit Flugverbot enden. Ich möchte nun auf einige Petitionen eingehen, was einige meiner Vorrednerinnen und Vorredner vermieden haben. Zunächst komme ich auf die Sammelübersicht 49 zum Bundeswehrflughafen Lechfeld. ({3}) Dieser Flugplatz schafft sicherlich gewisse Unannehmlichkeiten, die aber aus den oben genannten Gründen hinzunehmen sind. Die in den Petitionen angesprochene „Handlungsfreiheit" trifft in dieser pauschalen Form nicht zu. Es gelten auch hier die allgemeinen Flugbetriebsbestimmungen. Das auf dem Flughafen stationierte Geschwader hat die Bevölkerung im Umfeld des Flughafens informiert. Die in den Petitionen erwähnte „wohlweisliche Unterlassung" von Informationen ist unwahr. Übungsflüge nicht in der amerikanischen Wüste, sondern an Ort und Stelle sind auch hier nötig, da die Piloten das Terrain nicht erst, wie Frau Deichmann behauptete, im Ernstfall kennenlernen sollten. Die Lärmbelastung durch solche Flugplätze will niemand leugnen. Von Körperverletzung zu sprechen ist jedoch völlig abwegig, wie auch der dritte Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts 1986 feststellte. Sie hätten vielleicht das Urteil einmal lesen sollen, dann hätten Sie es auch begriffen. Zum Tiefflug in den neuen Ländern, Sammelübersicht 55: Da ab 1994 auch die neuen Länder in das Tiefflugsystem integriert wurden, war selbstverständlich mit einer gewissen Anzahl von Petitionen zu rechnen. Es mag Themen geben, wo die OstWest-Unterscheidung sinnvoll ist. Hier geht es schlicht darum, die Tiefflüge gerecht auf alle Bundesländer zu verteilen. Auf bestimmte landschaftliche oder touristische Besonderheiten wird natürlich auch im Osten Rücksicht genommen. Die Vielzahl der Naturparks und Landschaftsschutzgebiete macht es aber unmöglich, diese gänzlich zu umgehen. Die bisherigen Erfahrungen haben aber gezeigt, daß das dem Fremdenverkehr in den neuen Ländern keinerlei Schaden zugefügt hat. ({4}) Die Petition aus Burgstädt/Sachsen verweist darauf, daß gesundheitliche Folgewirkungen von Nachttiefflügen und Luftkampfübungen bestätigt wurden. Dies ist falsch. Die sogenannte Ising-Studie bestätigt vielmehr, daß bei Einhaltung der geltenden Richtwerte keine Gesundheitsschäden zu erwarten sind. In einer anderen vom Fremdenverkehrsverband Krakower See/Mecklenburg-Vorpommern eingereichten Petition wird darauf verwiesen, daß dort Luftkampfübungen stattgefunden hätten und daß es dort zu erheblichen Einschränkungen im Tourismus gekommen sei. Fakt ist: Seit dem 1. August 1994 existiert der Korridor gar nicht mehr. Luftkampfübungen wurden dort nie durchgeführt. Der Luftkorridor verlief 5 Kilometer nördlich von Krakow. Zu den Nachtflügen, die von den AWACS-Maschinen von Geilenkirchen aus unternommen wurden, hat der Parlamentarische Staatssekretär ausreichend Stellung genommen. Ich möchte noch zu einigen weiteren Petitionen aus Mechernich, Dahlenburg bei Lüneburg und Bremervörde kommen. In der ersten Petition wendet sich der Petent dagegen, daß zu Zeiten höherer Ozonwerte Tiefflüge durchgeführt werden, während sich in den beiden anderen Petitionen grundsätzlich gegen Tiefflüge jeder Art ausgesprochen wird. Zur ersten ist zu sagen, daß die Bundeswehr ihre Flugstunden ohnehin ständig verringert hat und nicht der militärische, sondern der nichtmilitärische Flugverkehr wächst. Wir sollten aber auch erkennen, daß sich die politische Lage erst dadurch entspannt hat, daß das westliche Bündnis stets präsent war. Ich möchte zum Schluß grundsätzlich sagen: Das Bundesverwaltungsgericht hat im Dezember 1994 bestätigt, daß das BMVg nicht willkürlich vorgegangen ist, die Auswirkungen auf die Bevölkerung nicht verkannt hat und diesen Aspekt nicht gegenüber dem des Verteidigungsauftrages zurückgesetzt hat. Die Opposition weiß um die vorbildlichen Maßnahmen des BMVg. Da sie die Bundeswehr nicht grundsätzlich ablehnt, kann es ihr nicht ernst damit sein, den Soldaten die notwendigen Übungsmöglichkeiten zu verweigern. Trotzdem der Bevölkerung zu suggerieren, daß nur Betonköpfe auf Tief- und Nachtflüge bestehen, ist unredlich und verunsichert die Menschen und unnötigerweise auch unsere Soldaten. Die Doppelzüngigkeit bei den Sozialdemokraten wird auch dadurch unterstrichen, daß die Verteidigungspolitiker etwas ganz anderes sagen als die Mitglieder des Petitionsausschusses. ({5}) Deshalb sieht man in Ihren Reihen auch nur wenige Mitglieder des Verteidigungsausschusses. Wir stehen zum Tiefflugkonzept des Bundesverteidigungsministers und werden die Petitionsverfahren abschließen, weil dies sinnvoll und der Sache angemessen ist. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Kollege Gernot Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Alle Jahre wieder" - so fängt nicht nur ein Weihnachtslied an, sondern so könnte man auch unsere jährliche Tiefflugdebatte überschreiben. ({0}) Das, Herr Staatssekretär, hat nichts damit zu tun - wie Sie gesagt haben -, daß Tiefflug nur für Piloten extrem gewöhnungsbedürftig ist. Das Thema des heutigen Abends ist, daß Tausende von Petenten Tiefflug extrem gewöhnungsbedürftig finden. Dazu haben Sie leider überhaupt nichts gesagt. ({1}) Wir werden diese Debatte in der Tat jedes Jahr wieder bekommen. Der Hintergrund ist diesmal - das kann man an den besonders vielen Petitionen aus den neuen Bundesländern sehen - die Übertragung des Nachtflugregimes am 25. Mai 1995 durch ein Nachttiefflugstreckensystem auf die ganze Bundesrepublik, also auch auf die neuen Bundesländer. Das bedeutet - nachdem Sie immer betont haben, was alles abgeschafft worden ist, rede ich einmal von den Anschaffungen -, daß wir jetzt 4 000 Kilometer Nachtflugkorridor haben, der 10 Kilometer breit ist, daß dort nachts Flüge bis 300 Meter herunter durchgeführt werden, mit Geschwindigkeiten bis zu 780 Kilometer pro Stunde, daß von 30 Minuten nach Sonnenuntergang bis Mitternacht geflogen werden darf, 1 700 Einsätze pro Jahr. Und die Statistik, Herr Wilz, besagt, daß bei diesen vier bis 20 statistischen Flügen pro Woche im Fünfminutenabstand schon deswegen - wie Sie es auch gesagt haben -, weil 75 Prozent im Winter geflogen werden, pro Nacht und pro Woche sehr viel mehr herauskommt. Das ist die Realität. Deswegen wundert es uns nicht, daß jetzt neue Petitionen aus den neuen Bundesländern gekommen sind, wo dieses System seit Mai letzten Jahres angewandt wird. Es trifft auch auf die sogenannten Verbindungskorridore in Ostniedersachsen, Osthessen und Nordbayern zu, die geschaffen worden sind, um den Anschluß an dieses Gebiet herzustellen. Jedes Jahr reden wir hier darüber, und jedes Jahr wird die von Ihnen angebotene Legitimation für den Tiefflug, für den Nachttiefflug und für Luftkampfübungen über bewohntem Gebiet schlechter und weniger überzeugend. ({2}) Sie haben einfach keine Begründung dafür, daß diese Übungen über besiedeltem Gebiet gemacht werden. Ich zitiere aus Angaben der Bundesregierung, wenn ich sage, daß Tiefflug über besiedeltem Gebiet üben heißt: über 3 000 Krankenanstalten im ländlichen Raum, über 2 200 Heilbädern und staatlich anerkannten Luftkurorten, über Tausenden von Alten- und Pflegeheimen, über zehn Nationalparks, über neun Biosphärenreservaten, über 67 Naturparks, über 6 000 Landschaftsschutzgebieten, über 5 000 Naturschutzgebieten und ungezählten Naherholungsgebieten. Darüber wird in Deutschland Tag für Tag und Nacht für Nacht Tiefflug und Luftkampf geübt. Das ist es, worüber sich die Leute Jahr für Jahr aufregen, weshalb wir jedesmal wieder neue Debatten führen. ({3}) Der Streitpunkt ist, ob es dafür wirklich eine sicherheitspolitische Notwendigkeit gibt. In Ihrer Antwort, Herr Wilz, auf die letzte Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion hierzu vom 27. November 1995 haben Sie wieder einmal eine Erklärung angeboten. Ich darf eine kleine Passage zitieren. Es heißt in der Antwort: Die Inhalte der Tiefflugausbildung ergeben sich aus den Fähigkeiten der eigenen Waffensysteme sowie der möglichen Bedrohung durch eine gegnerische Luftabwehr. Meine Damen und Herren, das ist wirklich eine intellektuelle Zumutung an die Petenten, wenn man hier argumentiert, wir seien durch eine gegnerische Luftabwehr bedroht. ({4}) Das muß mir doch mal einer erklären, wieso der Hauptauftrag der Bundeswehr, nämlich Landesverteidigung und Bündnisverteidigung, durch eine gegGernot Erler nerische Luftabwehr in Frage gestellt werden kann. Das ist intellektuell eine absolute Zumutung. ({5}) Es gab früher im Kalten Krieg einmal ein System - offenbar haben Sie sich in Ihrem Denken in Sachen Tiefflug immer noch nicht davon verabschiedet -, das tatsächlich eine Angriffsmöglichkeit aus dem Osten unterstellte und sagte: In so einer Bedrohung müssen wir in der Tat vielleicht im Zuge der sogenannten Vorneverteidigung diese Luftabwehrsysteme unterfliegen, um einen solchen Angriff abzuwehren. Aber ist das heute denn noch annähernd glaubhaft? Wir sind doch umzingelt von Freunden, mein Gott, von lauter Ländern, die gern in die NATO und in die EU eintreten wollen, die uns also auf keinen Fall mehr mit ihrer Luftabwehr bedrohen. ({6}) Das ist ein absoluter Unsinn. Und dann bleibt immer noch - auch in Ihrer Argumentation - Rußland übrig. Aber das ist ja nun auch interessant, Herr Wilz. Da haben wir aus Ihrem Haus, was Rußland angeht, eine interessante Unterlage über den Zustand der russischen Luftstreitkräfte bekommen. Daraus ist in der Öffentlichkeit mehrfach zitiert worden. Das ist interessant. Da hören wir, daß inzwischen die Übungs- und Ausbildungsflüge in der russischen Armee drastisch reduziert worden sind, daß zwei Drittel der russischen Einsatzverbände nur noch bedingt einsatzfähig sind, daß die Flugstundenzahl auch beim Tiefflug auf ein Fünftel der üblichen Stundenzahl in der NATO reduziert worden ist, daß dort inzwischen Flugzeuge ausgeschlachtet werden und auch bei der Luftverteidigung, die eine Bedrohung für unsere Sicherheit darstellt, wie wir von Ihnen wissen, überhaupt nur noch 20 Prozent, also ein Fünftel, der notwendigen Flugstunden geflogen werden. Das ist Ihr Bedrohungsszenario, das Sie durch Studien untergraben, die Sie uns vorlegen und die Sie immer wieder für die Begründung von Luftkampf-, Tief- und Nachtflügen über der Bundesrepublik anführen. Ich kann nur feststellen: Wenn man den klassischen Auftrag der Bundeswehr ernst nimmt, nämlich Landes- und Bündnisverteidigung, dann findet man überhaupt keine Legitimation für Tiefflug, Nachttiefflug und Luftkampf über bewohntem Gebiet. Überhaupt keine! ({7}) Ich komme zu dem, was der Kollege Nachtwei gesagt hat. Man kann überlegen, ob es noch andere Szenarien gibt, zum Beispiel internationale Interventionen, an denen sich die Bundesrepublik beteiligt. Ich will diese Grundsatzdebatte gar nicht beginnen. Daß es darüber unterschiedliche Auffassungen in diesem Hause gibt, wissen wir alle. Aber Sie, Herr Wilz, haben ein Stichwort genannt. Sie haben Jugoslawien angeführt, aber den Kolleginnen und Kollegen nicht erklärt, daß die RECCE-Tornados und die ECR-Tornados - von den Transportflugzeugen brauchen wir in diesem Zusammenhang gar nicht zu reden - dort die gleichen gefährlichen Systeme, die Sie in der Beantwortung der Kleinen Anfrage angesprochen haben, nämlich die SA-2 bis SA-10, die Flugabwehr der Serben, keineswegs im Tiefflug unterfliegen, sondern daß sie mit hochfliegenden Systemen, mit ECR-Tornados, heute in ihrer Radarführung ausgeschaltet werden. Selbst das einzige Beispiel, das Sie genannt haben, stimmt in lächerlicher Weise überhaupt nicht. Auch hier stellt sich die Frage, welche Szenarien, bei denen Tiefflugfähigkeiten gebraucht werden, überhaupt glaubwürdig sind. Deshalb ist es notwendig, eine Grenznutzenabwägung vorzunehmen. Es mag ja sein, daß Sie, wenn Sie sich lange hinsetzen und überlegen und Ihre Institute etwas aufschreiben lassen, irgendwelche Szenarien finden, bei denen tatsächlich irgendeine Tiefflugnotwendigkeit auftaucht. Ich sehe keine. Aber selbst wenn das so ist, muß man eine Grenznutzenabwägung machen. Man muß fragen, in welchem Verhältnis ein solches erfundenes Szenario zu der tagtäglichen Beeinträchtigung des Alltagslebens der vielen Menschen steht, die diese Petitionen an uns geschickt haben. Diese vage Möglichkeit ist im Augenblick in keiner Weise mit den elementaren Interessen an der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung zu bringen. Deswegen sage ich Ihnen abschließend: Bei dieser Abwägung ist ganz klar, daß die Position der SPD, die wir immer wieder in Anträgen vortragen, schon lange berechtigt und richtig ist: Kein Tiefflug, kein Nachttiefflug, keine militärischen Luftkampfübungen über Deutschland, schon gar nicht über bewohntem Gebiet. Wir haben große Zweifel daran, daß sie notwendig sind. Wir haben zuletzt am 25. Januar 1995 einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht. Die Mehrheit der Regierungskoalition hat diesen Antrag am 10. Mai 1995 im Verteidigungsausschuß abgelehnt. Ich rufe von hier aus den Petenten, den Bürgerinitiativen, den Bürgern und ihren Bürgermeistern, die sich, weil sie Betroffene sind, an uns wenden, zu: Ihr werdet es leider wieder erleben, daß die rechte Seite des Hauses in Bausch und Bogen diese Petitionen zum wiederholten Male ablehnt und beiseite schiebt. Das wird leider heute abend das Ergebnis sein. Ich rufe diesen Menschen dennoch zu: Setzt euren Einsatz fort! Macht weiter! Es gibt eine Chance bei veränderten Mehrheitsverhältnissen, endlich der Vernunft den Weg zu bereiten. ({8}) Ich sage: Wenn es eine andere Mehrheit gibt, und das wird bald sein, wird es ein Ende haben, daß die Leute nachts im Bett aufschrecken, daß sie beim Spaziergang einen Schock bekommen und daß sie Angst vor abstürzenden Flugzeugen haben. Das ist dann möglich, wenn sich endlich die politischen Verhältnisse in diesem Land geändert haben. In diesem Sinne lohnt es sich, den Kampf fortzusetzen. Ich danke Ihnen. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzter spricht der Kollege Klaus Dieter Reichardt.

Klaus Dieter Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002758, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich war eigentlich als erstmaliger Redner in diesem Hohen Hause der Meinung, daß das Thema viel zu ernst sei, um in Wahlkampfstimmung zu geraten. Ich hatte bei dem Herrn Kollegen Erler den Eindruck, daß er im baden-württembergischen Wahlkampf ganz befangen ist und alles daransetzt, die SPD mit flammenden Appellen zum fortlaufenden - ich sage das einmal überzeichnet - zivilen Widerstand aus der 25-Prozent-Mauer herauszuholen. Sie sind momentan in Baden-Württemberg in einer sehr nervösen Situation. Ich meine, daß wir das heutige Thema nicht im parteipolitischen Hickhack untergehen lassen sollten. Die Bundesregierung äußerte sich gegenüber diesem Haus zuletzt am 27. November 1995 sehr umfassend zum Tiefflug. Staatssekretär Wilz hat heute eine Reihe entscheidender Fakten genannt. Die Tiefflugstunden über Deutschland wurden seit 1980 auf weniger als ein Viertel reduziert. 1985 erfolgten 4 200 Einsätze im Nachttiefflug, 1993 rund 1 700 Einsätze; das ist eine Reduzierung auf rund 40 Prozent. Sie wissen, daß ab Oktober 1996 die Tornadoausbildung weiter verlagert wird. In New Mexico wird dann unter anderem verstärkt der taktische Tag- und Nachttiefflug geübt. Wesentliche Aktivitäten mit dem Tornado wurden seit letztem Jahr in der Praxis bereits nach Italien verlegt; mittlerweile erfolgen rund 800 Ausbildungsflüge im Zusammenhang mit UNPROFOR und IFOR. Das sind meines Erachtens weitere überzeugende Fakten, die Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen sollten. Wir alle wollen doch nur eines: Wir wollen, daß unsere Soldaten die ihnen anvertrauten Maschinen voll beherrschen, und zwar in allen Flugprofilen und in allen Nutzungsvarianten. Dabei nützt es wenig, wenn Herr Erler verschiedene Einsatzszenarien seziert, sondern entscheidend ist, daß sie richtigerweise im Ausschuß mit uns gemeinsam immer wieder sehr gründlich, manches Mal ellenlang, diskutieren, wie wir die optimale Sicherheit unserer Piloten gewährleisten können. Die Frage der Sicherheit unserer Piloten ist ein für unsere Fürsorgepflicht politisch entscheidender Gedanke. Ich freue mich, Herr Kollege Erler, daß Sie wenigstens dieser Überlegung zustimmen. ({0}) Sie wissen natürlich auch, daß allein mit künstlichem Üben das Ziel der bestmöglichen Ausbildung unserer Piloten nicht erreichbar ist. Navigieren auf Sicht beispielsweise lernt der Pilot nicht ohne Tiefflug. Der Bundesminister hat die Möglichkeiten von Verbandssimulatoren für den Tornado gründlich in einem mehrjährigen Prozeß geprüft. Auch dies ist bekannt. Das Ergebnis: Wirklich realistische Simulation von Tiefflug ist nicht möglich. Die sensomotorische, die psychische Belastung der Piloten ist nicht simulierbar. Es geht hier auch um die Ausbildung von Menschen und nicht um irgendwelche Computerspiele. Ich glaube, daß wir die erste Aufgabe unserer Bundeswehr, nämlich die Heimatverteidigung, ernst nehmen müssen und dies voraussetzt, daß unsere Piloten die fliegerischen Bedingungen zu Hause kennen und kennenlernen können. Hierzu gehört für jeden Piloten schlicht und einfach, daß er über seiner eigenen Heimat in den erforderlichen Varianten, und zwar in allen erforderlichen Varianten, fliegen darf. Der Tiefflug in Deutschland geschieht als Basistraining. Das fortbildende Training ist ohnehin ins Ausland verlagert. Das wissen auch Sie. Insofern meinen wir, daß man Menschen auch unangenehme Botschaften überbringen muß. Es geht heute nicht um die Bekundung von Populismus. Es geht um den Schutz von Menschen. Es geht um unsere Fürsorgepflicht. Ich meine, es geht entscheidend auch um unsere politische Glaubwürdigkeit. ({1}) - Das ist ein guter Beifall. Daß er von Ihnen nicht verstärkt wird, kann ich nachvollziehen, weil Sie in mehreren Jahren in der Debatte die Dinge nicht eingesehen haben und von der Opposition auch immer wieder Hinweise kommen, die an der Grenze des guten politischen Geschmacks liegen. Vom „Krieg über den Köpfen" der Menschen wird gesprochen, Frau Kollegin Deichmann. Ich führe das darauf zurück, daß Sie vielleicht noch die MiG 23 in den Ohren haben. Aber Krieg über den Köpfen der Menschen gibt es in Deutschland nicht, sondern es gibt ein geordnetes Üben unter strengsten Auflagen und unter strengsten Bedingungen. Deswegen ist es unredlich und unangemessen, mit einer Polemik, die man im Grunde nur gegenüber autoritären Systemen vorbringen könnte, an die Dinge heranzugehen. ({2}) Es gibt in Deutschland keinen Krieg über den Köpfen der Menschen. Es gibt im Gegensatz zu einem Beschluß der bayerischen SPD-Landesgruppe vom Januar 1995, der bezeichnenderweise in Irsee getroffen wurde, auch keinen Krieg des Bundesministers Rühe und keine Kriegsübungen gegen die eigene Bevölkerung. In der Presse kann man nachlesen - Kollege Raidel hat mich darauf aufmerksam gemacht -, daß die Bürgermeister der, ich sage einmal: klassischen Protestgemeinden gegen den Tiefflug mittlerweile öffentlich erklärt haben, daß sie mit der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und speziell mit der Arbeit der Bundesregierung in dieser Frage sehr zufrieden sind und daß es fast keinen Grund mehr gebe, Beanstandungen vorzunehKlaus Dieter Reichardt ({3}) men. Diese Presseerklärungen können vorgelegt werden. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen noch einen Aspekt vor Augen führen und dann zum Schluß kommen. Um wieviel höher als in Deutschland ist derzeit die Belastung der Menschen durch Militärtiefflüge in Italien? Dieses befreundete Land erscheint uns heute wie ein einziger großer Flugplatz, ein Flugfeld für acht verbündete Nationen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Reichardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage? ({0})

Klaus Dieter Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002758, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nach unserem jetzigen Eindruck stehen wir geradezu an der Einflugschneise.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Reichardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Schulze?

Klaus Dieter Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002758, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne. Herr Kollege, bitte. ({0})

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich denke, wenn etwas Ruhe eingekehrt ist, wird man meiner Frage auch lauschen können. Herr Kollege Reichardt, Sie haben sehr deutlich angesprochen, daß Einsatzausbildung und überhaupt die Ausbildung für unsere Piloten unerläßlich sind. ({0}) Wir haben vorhin auch gehört, daß man diese Ausbildung eigentlich auch erst dann machen kann, wenn irgendwelche Bedrohungen da sind. ({1})

Klaus Dieter Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002758, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nun seien Sie einmal nicht so nervös!

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Schulze, bitte Ihre Frage.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte noch ganz gerne wissen, ob Sie auch der Meinung sind, daß wir die Piloten rechtzeitig ausbilden müssen, damit sie dann, wenn wir sie brauchen, voll ausgebildet zur Verfügung stehen. ({0}) Ich kann auch nicht erkennen, daß es sinnvoll ist, einen Chirurgen auszubilden, wenn er am Operationstisch steht.

Klaus Dieter Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002758, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann über die Chirurgenausbildung wenig sagen. Über die Pilotenausbildung kann ich sagen, daß die Bundesregierung hier richtig, korrekt und vorsorgend handelt. ({0}) Ich habe von Italien, derzeit ein Flugfeld für acht verbündete Nationen, und dies seit dreieinhalb Jahren, gesprochen. Jeden Tag, jede Nacht, alle sechs Minuten gibt es einen Start oder eine Landung, im Durchschnitt sind es 300 Flüge täglich, Montag bis Freitag, Samstag, Sonntag, hoch, mittel, niedrig, in allen Kategorien. Ich meine, wir sollten in dieser Stunde auch einmal daran denken, was unsere Verbündeten an Leistungen klaglos auf sich nehmen. Wir sollten uns einmal bei denen bedanken, die ihren Dienst für IFOR tun, und wir sollten uns bei unseren italienischen Freunden bedanken. Und manche von uns sollten sich für ihre Einlassungen in diesem Parlament schämen. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/1769. Das ist die Sammelübersicht 49 zu Bundeswehr-Nachttiefflügen. Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksachen 13/3959 und 13/3980 vor. Da die beiden Änderungsanträge wortgleich sind, gehe ich davon aus, daß wir über sie gemeinsam abstimmen können. Wer stimmt für die Änderungsanträge? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Änderungsanträge sind mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. abgelehnt. ({0})

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich habe mich gerade ganz bewußt nach vorne gestellt, um zu versuchen, einmal einen Überblick zu erhalten. Ich habe eine ungefähre Stimmengleichheit festgestellt und bin deswegen der Überzeugung, daß wir uns durch den Hammelsprung Klarheit verschaffen sollten. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Stimmführer haben zunächst hier vorne mit mir die Mehrheit festgestellt. ({0}) Da die Schriftführerin zu meiner Rechten nicht sicher ist, wer die Stimmenmehrheit hat, schlage ich vor, daß wir dies mit dem Hammelsprung entscheiden. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Wir unterbrechen die Sitzung für zehn Minuten und führen dann den Hammelsprung aus. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die Sitzung wird fortgesetzt. Ich eröffne die Abstimmung. - Moment, sind die Schriftführer an den Türen? Wer fehlt denn da oben noch? ({0}) Ich bitte die Schriftführer, an die Türen zu kommen, damit wir die Abstimmung eröffnen können. - Darf ich noch einmal fragen, an welcher Tür vorne die Schriftführer fehlen. - Wie viele Schriftführer fehlen da vorne? ({1}) - Von welchen Fraktionen? ({2}) Ich bitte, dafür zu sorgen, daß die Schriftführer an die Türen kommen, damit die Abstimmung eröffnet werden kann. Ich eröffne die Abstimmung. Darf ich die Schriftführer fragen, ob noch Mitglieder des Hauses in der Lobby sind, die an der Abstimmung teilnehmen wollen? - Ich schließe die Abstimmung und bitte, mir das Auszählungsergebnis zu übermitteln. Ich bitte, Platz zu nehmen, damit wir die Sitzung fortsetzen können. Ich gebe das Ergebnis des Hammelsprungs bekannt: Bei null Enthaltungen haben den Änderungsanträgen 153 zugestimmt, 195 haben sie abgelehnt. Damit sind die Änderungsanträge abgelehnt. ({3}) Wir setzen nun die Abstimmungen fort. Wer für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden ist. Der Kollege Klaus Dieter Reichardt hat soeben seine erste Rede in diesem Hause gehalten. Ihm gebührt daher der Dank des Hauses. ({4}) Ich komme zum Tagesordnungspunkt 7 b, Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/1924. Das ist die Sammelübersicht 55 zu Nachttiefflügen. Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf den Drucksachen 13/3961 und 13/3981 vor. Auch diese beiden Änderungsanträge sind inhaltsgleich, so daß wir über sie gemeinsam abstimmen können. - Ich sehe dazu Einverständnis. Wer den Änderungsanträgen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Änderungsanträge mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden sind. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit der gleichen Mehrheit angenommen worden ist. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 7 c, Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/3076. Das ist die Sammelübersicht 85 zu Auswirkungen des militärischen Flugbetriebes. Dazu liegt wiederum je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf den Drucksachen 13/3962 und 13/3982 vor, wieder inhaltsgleich, und ich unterstelle Ihr Einverständnis, daß wir gemeinsam darüber abstimmen können. Wer für diese Änderungsanträge stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Änderungsanträge mit der gleichen Stimmenmehrheit abgelehnt worden sind. Wir kommen dann zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit der gleichen Mehrheit angenommen worden ist. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 7 d, Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/3752. Das ist die Sammelübersicht 104 zu Nachtflügen der AWACS-Maschinen über Geilenkirchen und zur Modernisierung der Triebwerke. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3986 vor. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt worden ist. Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung des übrigen Hauses angenommen worden ist. Dann kommen wir zum Tagesordnungspunkt 7 e. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Einstellung aller Tiefflüge und Luftkampfübungen über bewohntem Gebiet. Das ist die Drucksache 13/1525. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/326 abzulehnen. Wer der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltungen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Abschaffung der Tiefflüge auf Drucksache 13/1526. Der Verteidigungsausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 406 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalitionfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltungen aus der Fraktion der SPD angenommen worden ist. Dann kommen wir zum Zusatzpunkt 4. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/3983. Das ist die Sammelübersicht 109. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 8 a und 8b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse bei Bodenschätzen - Drucksache 13/3876 - ({5}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerhard Hüttemann, Eva Bulling-Schröter, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Bergrechts in den alten und den neuen Bundesländern - Drucksache 13/3875 - ({6}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({7}) - Drucksache 13/3992 - Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Petzold Jelena Hoffmann b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({8}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Gerhard Jüttemann, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Änderung des Bundesberggesetzes - zu dem Antrag der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, Eva BullingSchröter, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Änderung des Bundesberggesetzes - Drucksachen 13/3873, 13/2497, 13/3992 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Petzold Jelena Hoffmann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS eine Redezeit von fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Jelena Hoffmann das Wort.

Jelena Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002681, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit 1990 ist Deutschland wieder vereint, jedoch - das muß man immer wieder feststellen - nicht in allen Bereichen. Ich rede jetzt nicht von den Mauern in den Köpfen oder über die unterschiedlichen Probleme und Meinungen, die noch bestehen. Ich spreche einen Bereich an, der mit dem Bergrecht zusammenhängt. Einige von uns können sich noch gut daran erinnern, daß mit dem Einigungsvertrag ein Sonderrecht für den Abbau von Kiesen, Sanden und sonstigen Rohstoffen im Osten geschaffen wurde, wonach diese Bodenschätze als bergfrei weiterhin abgebaut wurden. Im Westen Deutschlands entscheidet jedoch über die minderwertigen Mineralien nicht das Bergrecht, sondern der Grundeigentümer. Jetzt endlich ist es nach zähem Ringen mit den Koalitionsfraktionen und dem Bündnis 90/Die Grünen gelungen, ein einheitliches Bergrecht zu schaffen. Auf die Lösung dieser Frage drängen die Sozialdemokraten schon seit vier Jahren, ({0}) doch die Koalition wollte bis vor kurzem die ungleiche Behandlung von Bürgern in Ost- und Westdeutschland nicht wahrnehmen. Diese Rechtsangleichung ist wirtschaftlich vertretbar und für die Menschen unabdingbar. Die Bürgerinnen und Bürger im Osten in ihren Kommunen vor Jelena Hoffmann ({1}) Ort dürfen nicht länger erleben, daß sie nach wie vor um ihre Eigentumsrechte gebracht werden. ({2}) In den Gemeinden gibt es das Gefühl der ohnmächtigen Wut, wenn jedes Vorhaben einer Gemeinde, was die Flächennutzung und die Raumordnung anbelangt, unter dem Damoklesschwert einer Entscheidung nach dem Bergrecht steht. Die berechtigten Interessen der Kommunen und ihrer Behörden werden nicht angehört. Wie zynisch das klingen kann, konnte man bei der Anhörung zum Bergrecht erfahren. Ein Experte erzählte: Bergbauvorhaben haben keine nachteiligen, sondern positive Auswirkungen auf Fremdenverkehr und Tourismus, wenn Bergbauunternehmen und Gemeinden konstruktiv zusammenarbeiten und die Möglichkeiten des Einblicks in Erdgeschichte und Gewinnungstechnik ... nutzen. Soll also die ehemalige DDR als großes Museum der Erdgeschichte oder als Besucherbergwerk angesehen werden? Oder gehört das zum Konzept der blühenden Landschaften? Ich kenne eine Gemeinde, eine kleine Stadt mit der größten Burg aus dem Mittelalter. Nach der Wende hat sich die Stadt richtig aufgeputzt und verschönert. Die Burg ist endlich zu einer Attraktion für Besucher geworden. Busse aus dem In- und Ausland bringen Touristen in die Stadt; im Fremdenverkehr sind neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Doch in Kürze werden höchstwahrscheinlich die schweren Laster die idyllische Stadt erschüttern, die Staubwolken über der Stadt schweben, und die Busse mit den Touristen werden zu anderen Zielen fahren müssen, da 200 Meter vor den Häusern tiefe Löcher in die Erde gesprengt werden, um das Gestein zu heben. Weder die Kommune noch die dort lebenden Bürger wurden danach gefragt, wie es dann mit ihrer Lebensqualität aussieht. Sie können mir glauben, meine Damen und Herren: Blühende Landschaften entstehen dabei nicht. Mit dem vorliegenden interfraktionellen Antrag erreichen wir, daß die Einheit auch beim Bergrecht vollzogen wird. ({3}) Besonders hervorheben möchte ich, daß auf ausdrückliches Drängen der SPD-Fraktion im Unterschied zu den Auffassungen der Regierungskoalition und von Bündnis 90/Die Grünen in dem Gesetzentwurf ein Absatz über die Halbierung der Widerrufsfristen eingefügt wurde. ({4}) Im Unterschied zu § 18 des Bundesberggesetzes sind die Erlaubnisse schon nach 6 Monaten und die Bewilligungen schon nach 18 Monaten zu widerrufen, wenn der Unternehmer bis dahin keinen Betriebsplan vorgelegt hat. Damit konnte die SPD-Fraktion durchsetzen, daß den Vorratshaltungen entgegengewirkt wird und für die Eigentümer das neue Recht - auch, wenn schon Erlaubnisse oder Bewilligungen vorliegen - früher zur Anwendung kommt. Ich freue mich darüber, weil die Bürgerinnen und Bürger auf diese Entscheidung schon lange warten. Die Grundstückseigentümer im Osten können endlich über ihre Grundstücke voll verfügen. Die Kommunen erhalten ein Mitspracherecht beim Abbau von minderwertigen Mineralien. Ich schlage Ihnen vor, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute eine gute Tat zu vollbringen und unserem gemeinsamen Antrag zuzustimmen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Ulrich Petzold.

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit seinem Urteil vom 24. Juli 1993 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht nicht nur, daß die durch den Einigungsvertrag festgeschriebene Zuordnung von Kiesen und Kiessanden und ähnlichen Bodenschätzen in den neuen Bundesländern zu den bergfreien Bodenschätzen mit dem Grundgesetz vereinbar war, sondern wies den Gesetzgeber darauf hin, daß es einen Zeitpunkt geben könnte, zu dem sich die Änderung der Zuordnung des Gewinnungsrechts zur Pflicht verdichten könnte. ({0}) - 1993; tut mir leid. Bis zu diesem in Aussicht gestellten Zeitpunkt - ich gebe Ihnen das Urteil nachher; dann können Sie es nachlesen - ergaben sich jedoch wesentliche Ungleichbehandlungen zum Nachteil von Grundeigentümern und Kommunen in den neuen Bundesländern gegenüber Bleichgelagerten Fällen im Gebiet der alten Bundesrepublik. Die berechtigten Interessen, die diese Betroffenen an einer Änderung der Rechtsverhältnisse im Hinblick auf die Gewinnung von Kiesen und Hartgesteinen hatten, waren somit vom Gesetzgeber ständig mit seiner Aufgabe abzuwägen, vergleichbare Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern herzustellen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Petzold, da Sie den Sinn meines Zwischenrufes scheinbar nicht richtig verstanden haben, möchte ich gerne einmal nachfragen: Sind nicht auch Sie der Meinung, daß wir die Änderung der einigungsbedingten Rechtsordnung bei den Rohstoffen bereits im Jahre 1991 hätten herbeiführen müssen, um gerade diese Kollision, die man heute nicht vermeiden kann, da sehr viele Bescheide ergangen sind, durch einen rechtzeitigen Termin zu verhindern?

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie ersehen schon allein aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes von 1993, daß man damals, zu diesem Zeitpunkt, durchaus anerkannte, daß die Zuordnung zu den bergfreien Bodenschätzen dem Aufbau in den neuen Bundesländern diente. Das Bundesverwaltungsgericht bejahte in seinem Urteil die Zuordnung zu den bergfreien Bodenschätzen, um den Aufbau zu fördern. Ich gehe wirklich davon aus, daß es notwendig war, die Möglichkeit des bergfreien Abbaus weiter vorzusehen, damit es zu keinem Bruch bei der Belieferung der Bauindustrie kommt. Ich kann Ihnen nur sagen: Das Bundesverwaltungsgericht schrieb ja extra in sein Urteil hinein, daß sich erst in dem Augenblick, wenn vergleichbare Verhältnisse in bezug auf die Gewinnung in Ost und West hergestellt wären, eine Rechtsangleichung zur Pflicht verdichten könnte. Das ist der Knackpunkt. Das wurde ja erst 1993 festgestellt. Also hatte sich 1993 nachweislich noch keine Situation ergeben, die eine Änderung erforderlich gemacht hätte. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das kommt darauf an, ob sie Ihnen gestattet wird.

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja bitte, aber wir verlängern natürlich den Abend bis ins Unendliche.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

So ist es.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich fasse mich auch ganz kurz. - Soll ich daraus entnehmen, daß Sie damit den Eigentumsentzug, der durch den Einigungsvertrag eingetreten ist, rechtfertigen?

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie ich bereits hier in meiner Rede erwähnte, mußte die Bundesregierung eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Versorgung mit Rohstoffen, die weiter abzusichern war, und dem privaten Interesse der Grundeigentümer, ihr Grundeigentum wiederzuerlangen, vornehmen. Im Rahmen dieses Abwägungsprozesses, der mehrfach stattfand - das kann ich Ihnen versichern -, wurde diese Frage immer wieder geprüft. Wir haben ja dieses Thema im Deutschen Bundestag mehrfach behandelt. Ich kann Ihnen versichern, daß von vielen Seiten klar gesagt wurde, daß der Prozeß der Angleichung bei der Versorgung mit Bodenschätzen noch nicht abgeschlossen ist. - Ich darf fortfahren. Um den Jahreswechsel 1994/95, also unmittelbar nach der Bundestagswahl, wiesen mein Kollege Gottfried Tröger und die thüringische Landesregierung mit Nachdruck darauf hin, daß eine Angleichung der Versorgungsverhältnisse in allernächster Zeit zu erwarten sei und damit die Herstellung der Rechtsangleichung in den neuen Bundesländern in Angriff genommen werden müßte. Nach Erkenntnis der im Rahmen einer Anhörung befragten Experten hat sich tatsächlich im Lauf des Jahres 1995 eine ausreichende Belieferung der Bauwirtschaft mit Bau- und Bauzuschlagstoffen eingestellt, so daß die im Frühjahr gestellten Anträge im Bundestag und im Bundesrat zur Rechtsanpassung in eine richtige Richtung zielten. Weitgehender Konsens zu dieser Zeit war allerdings, daß zur Rechtsanpassung die im Einigungsvertrag dem Wirtschaftsminister gegebene Verordnungsermächtigung genutzt werden sollte, die allerdings keine vollständige Rechtsangleichung mit sich gebracht hätte. Leider oder zum Glück wurde diese Verordnungsermächtigung durch den Wirtschaftsminister nicht genutzt, so daß insbesondere durch die im Dezember 1995 durchgeführte Anhörung des Wirtschaftsausschusses neue Überlegungsprozesse angestoßen wurden. Das Bemerkenswerte dabei war, daß die Anhörung nicht weiter trennte, sondern daß die Berichterstatter der Fraktionen aufeinander zugingen und einen Konsens in der vollständigen Rechtsangleichung fanden. Dadurch, daß die geltende Regelung im Einigungsvertrag festgelegt ist und dort zwar für eine Rechtsanpassung, aber nicht für eine Rechtsangleichung Vorsorge getroffen war, tat sich sofort die Frage nach dem Umgang mit dem Einigungsvertrag auf. Da der Einigungsvertrag ein völkerrechtlicher Vertrag ist, waren Formulierungen wie „wird geändert" oder „wird aufgehoben" nicht zulässig. Mit der gesetzlichen Erklärung, daß der Einigungsvertrag in Anlage I Kapitel V Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe a nicht mehr angewendet wird, ist eine sichere Form für die angestrebte Änderung gefunden. Fast schwieriger - auf jeden Fall nicht so einvernehmlich, wie auch aus den Ausschußanträgen unschwer zu ersehen ist - gestaltete sich die Einigung zu den Übergangsvorschriften in § 2. Grundgesetzlich garantierte Eigentumsrechte der Grundeigentümer erforderten als entgegengesetztes Recht zu den erworbenen Eigentumsrechten der Abbauunternehmen eine Güterabwägung. Der eingeräumte Bestandsschutz für die Bergbauberechtigungen - nicht jedoch für gestellte Anträge - berücksichtigt deren eigentumsrechtliche Form. Es bestand der klare Wille, insbesondere ins Werk gesetzte Berechtigungen zu schützen, aber gleichzeitig eine Vorratshaltung an Berechtigungen und damit an Abbaufeldern zu verhindern. In Wichtung der unterschiedlichen Qualität, insbesondere aber des unterschiedlichen Investitionsumfanges, der für die verschiedenen BergbauberechtiUlrich Petzold gungen erforderlich ist, wurden die Fristen für die Tätigkeitsaufnahme für Erlaubnisse und Bewilligungen auf die Hälfte reduziert. Damit soll ein schneller Klärungsprozeß zwischen Unternehmen, die eine tatsächliche Tätigkeit aufnehmen, und Unternehmen, die eine unerwünschte Vorratshaltung betreiben, herbeigeführt werden. Als Kriterium der Tätigkeitsaufnahme ist in dem Gesetz ganz explizit auf die Einreichung eines prüffähigen Betriebsplanes Wert gelegt worden, um Umgehungstatbestände bei der Aufnahme der Aufsuchung bzw. Gewinnung so gering wie möglich zu halten und die Pflicht zum Widerruf der Berechtigung durch die Bergämter mit einer deutlich erkennbaren Begründung zu versehen. Eine weitergehende Einengung der erworbenen Eigentumsrechte der Abbauunternehmen wäre nicht in jedem Fall rechtssicher. Da dieses Gesetz insbesondere in seiner beschleunigten Verabschiedung darauf abzielt, die große Zahl der noch vorliegenden Anträge in ein neues Rechtsverhältnis zu überführen und hier die Interessen der Grundeigentümer und Kommunen zu schützen, wurde zugunsten der Bestandssicherheit des Gesetzes auf einen weiteren Eigentumseingriff bei den Abbauunternehmen verzichtet. Noch immer ausstehende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts können auch hier zu neuen Regelungen führen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich bitte zum Schluß all denen Kollegen danken, die so konstruktiv an diesem Gesetz mitgearbeitet haben. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Vera Lengsfeld.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es liegt nicht am nächtlichen Himmel, daß ich diese Stunde als eine kleine Sternstunde in diesem Parlament empfinde, sondern es liegt daran, daß wir mit dem, was wir heute diskutieren, bewiesen haben, daß es möglich ist, Ostthemen im Bundestag durchzusetzen, wenn die Abgeordneten aller Fraktionen zusammenarbeiten. Ich denke, die Anstrengung war es wert. Ich wollte heute eigentlich nicht polemisch werden, sondern mich einfach freuen, daß wir das erreicht haben. Liebe Kollegin Hoffmann, ich kann die Legende von der führenden Rolle der SPD in der Bergrechtsfrage aber nicht so stehenlassen. Deshalb möchte ich daran erinnern, daß auch die SPD dem Einigungsvertrag seinerzeit zugestimmt hat, in dem all das festgelegt wurde, was wir nun mit so viel Mühe beseitigt haben, und daß die SPD noch im Januar gar keine Änderung des Einigungsvertrages, sondern lieber eine Rechtsordnungsveränderung wollte. Auch stimmt es nicht, daß die SPD gegen den Widerstand vom Bündnis 90 weitergehende Forderungen durchboxen mußte. Ihnen ist sehr wohl bekannt, daß wir in dem, was wir an Vorstellungen haben und was wir wollen, gar nicht auseinander sind. Es bestand lediglich die Frage, ob wir den zweiten und den dritten Schritt mit dem ersten verknüpfen können oder ob uns nicht der zweite und der dritte Schritt ins Stolpern bringen. Wir haben uns - ich glaube, das war auch richtig, um alle im Boot zu behalten - dafür entschieden, erstmal den ersten Schritt zu tun. Was hindert uns denn, auch den zweiten und den dritten Schritt gemeinsam anzugehen? Es hat sich in unseren Diskussionen gezeigt, daß noch genügend Novellierungsbedarf im Bergrecht vorhanden ist. Es ist ein Gesetz - das ist uns immer wieder klargeworden -, das noch auf altem preußischen Recht beruht, nach dem Motto „Hinter der Hacke ist es duster" gemacht wurde und längst nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht. Es gibt eine Menge Punkte, die Bündnis 90/Grüne gern noch mit Ihnen gemeinsam verändern würden. Dazu gehört die Rohstoffsicherungsklausel, die dem Bergbau ein Vorrecht vor allen anderen Interessen einräumt. Wir sind uns doch alle einig darüber, daß das nicht mehr zeitgemäß ist, daß also diese Rohstoffsicherungsklausel gestrichen werden muß und daß die Interessen des Bergbaus nur gleichrangig neben anderen privaten und öffentlichen Belangen berücksichtigt werden können. Bei der Zulassung von Betriebsplänen - das wäre ein weiterer Punkt - müssen Pläne ausgelegt werden, um Gemeinden, Betroffenen und den anerkannten Verbänden Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Um nur noch einen der wichtigen Punkte zu nennen: Diese unsägliche 9,9-Hektar-Regelung, die die berühmte Salamitaktik zuläßt - wir haben das in diesem Hause oft genug diskutiert; deswegen will ich sie nicht noch einmal beschreiben -, muß natürlich auch beseitigt werden. Das sage ich auch in Richtung sächsische Landesgruppe, die in letzter Minute noch sehr viel Änderungsbedarf angemeldet hat. Alle Ihre innovativen Ideen sind in Zukunft gefragt. Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Ich möchte meine Rede nicht schließen, ohne auch - außer meinem Kollegen, dem schon von Herrn Petzold gedankt worden ist, bei dem auch ich mich für die Zusammenarbeit bedanken möchte - dem Städte- und Gemeindebund für seine Unterstützung und Frau Ministerin Lieberknecht zu danken, die wirklich alles in ihren Kräften Stehende getan hat, um diesen Prozeß zu fördern. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin Lengsfeld, ich kann Sie nur in einer Kleinigkeit be

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Es heißt bei den Bergleuten nicht, daß es „hinter", sondern daß es „vor" der Hacke duster ist. ({0}) Ich gebe dem Abgeordneten Jürgen Türk das Wort.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Glück auf, Herr Präsident! Glück auf, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte im Januar 1996 auf Radio Thüringen in einem Live-Interview den interfraktionellen Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse bei Bodenschätzen bis Mitte März 1996 versprochen. Ich habe mich dabei sehr weit aus dem Fenster gehängt. Aber ich glaube, jetzt ist es endlich vollbracht, nachdem es gestern natürlich noch hätte kippen können. Es ist schon schön, wenn man als Politiker wieder einmal ein Versprechen einhalten konnte. ({0}) Es liegt Ihnen heute ein tragfähiger Kompromiß zur Entscheidung vor, und es wäre schon unfair gewesen, wenn er nach zügiger und konstruktiver interfraktioneller Arbeit noch geplatzt wäre; denn die betroffenen Menschen haben Anspruch auf eine Lösung. Die heute übergebenen 80 000 Unterschriften unterstreichen das, Frau Ministerin Lieberknecht. Zur Klarstellung möchte ich nur kurz einige Anmerkungen zum Ablauf machen, da heute schon ausreichend über den Inhalt gesprochen wurde. Die F.D.P. hatte bereits in der Debatte über die Neuregelung des Bundesbergrechts am 17. März 1995 gefordert, schnell zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, das heißt, die Ausnahmeregelung für mineralische Rohstoffe, wie zum Beispiel Kies und Sand, im Einigungsvertrag aufzuheben und den Grundstückseigentümern das Verfügungsrecht zurückzugeben. Darüber gab es damals eine lebhafte Debatte. Der Bundesregierung wurde ein entsprechender Prüfauftrag mit dem Ziel erteilt, festzustellen, in welcher Form die entsprechende Ausnahmeregelung des Einigungsvertrages wieder aufgehoben werden kann. Im Mai 1995 erhielt die Bundesregierung vom Bundesrat die Ermächtigung, auf dem Wege der Rechtsverordnung das Grundeigentum an Mineralien wiederherzustellen. ({1}) Entsprechend einigte sich die Koalition auf einen solchen Antrag. Die Begründung war: zügige Umsetzung, Sicherung eines straffen Genehmigungsverfahrens unter Aufsicht der Oberbergämter, und das einschließlich der Mitwirkung der Kommunen, der Bürger und des Naturschutzes sowie der Grundstückseigentümer. Übrigens, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, hatte die SPD damals ihren Antrag geändert. Sie war damals der gleichen Meinung; aber man kann ja eine Meinung auch weiterentwickeln. Grundlage waren die überwiegend positiven Erfahrungen, die wir mit dem Brandenburger Oberbergamt in Cottbus gemacht haben. Die Thüringer Erfahrungen waren wahrscheinlich etwas schlechter; deswegen dieser Weg. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, daß sich straffe Verfahren und die Mitwirkung von Kommunen und des Naturschutzes nicht ausschließen müssen. Wenn der politische Wille da ist, sind Bürokratieabbau und kommunale Mitwirkung kombinierbar. Das muß sich meiner Ansicht nach überhaupt nicht ausschließen. ({2}) Im Januar 1996 mußte die F.D.P. aber feststellen, daß der offensichtlich optimalen Lösung innerhalb der Koalition die Mehrheit fehlte. Schade, hier hätte der Westen einmal vom Osten lernen können. Um so mehr empfand ich es schon als unfair, von Leuten, die sich mit der Sache kaum befaßt hatten, als Blokkierer beschimpft zu werden. Aber Jammern hilft nichts. Deshalb übernahm ich im Interesse einer schnellen Lösung die Leitung einer interfraktionellen Arbeitsgruppe - das sage ich ganz leise -, und anders als die fixen Kollegen über die Zeitung kamen wir innerhalb dieser Gruppe recht schnell vorwärts. Ich möchte mich bei den Kollegen Vera Lengsfeld, Jelena Hoffmann, Rolf Schwanitz, Ulrich Petzold und Gottfried Tröger sowie den verantwortlichen Beamten aus dem Wirtschafts- und dem Justizministerium herzlich bedanken. Wie Sie sehen, haben wir unseren Zeitplan eingehalten, und das Gesetz zur Vereinheitlichung des Bundesbergrechtes kann im April 1996 in Kraft treten. Der Umweltgedanke, wirtschaftliche Notwendigkeiten und Arbeitsplätze sind miteinander vereinbar. Die erfolgreiche Einigung ist ein Beispiel für eine gelungene interfraktionelle Zusammenarbeit, weil sie an der Sache orientiert war und ist. Daß das im Interesse der Menschen noch möglich ist, darüber freue ich mich ganz einfach. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Gerhard Jüttemann das Wort.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie sind im Begriff, heute ein Gesetz zu verabschieden, mit dem genau das Gegenteil dessen erreicht werden wird, was Sie angeblich erreichen wollen. Weil der Einigungsvertrag mineralische Rohstoffe in den neuen Bundesländern als bergfrei einstuft, konnten seitdem vorwiegend westdeutsche Bergbaufirmen im Osten ungestraft und faktisch ohne ein Einspruchsrecht der betroffenen Gemeinden, Grundeigentümer, Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen in geradezu unvorstellbaren Größenordnungen Natur zerstören. Ganze Landstriche sind jedenfalls auf diese Art verwüstet worden, angeblich wegen des großen Bedarfs dieser Baugrundstoffe im Osten. Wir wissen aber spätestens seit der Anhörung im Dezember, daß auch dieses Argument nicht sticht: Es wird längst weit über Bedarf produziert, um ganz woanders, oft im Westen, zu verkaufen. Weil die Betroffenen dieser Katastrophe ungeheuren Druck entfaltet haben, muß sich seit Jahren auch der Bundestag mit dem Thema beschäftigen. Geschehen ist bis heute zur großen Enttäuschung vieler Menschen im Osten nichts. Und nun dieses Gesetz, von dem Herr Petzold behauptet, daß es niemanden hundertprozentig zufriedenstellt, daß aber alle damit leben können. Vielleicht können Sie hier im Parlament ganz gut damit leben. Die Menschen vor Ort können es aber nicht, ({0}) und zwar vor allem, weil den knapp 2 000 schon erteilten Bergbauberechtigungen in den fünf neuen Bundesländern absoluter Bestandsschutz gewährt wird. ({1}) Sie sagen, Sie hätten die Fristen für die Einreichung der Betriebspläne halbiert. Das stimmt. Aber was Sie damit erreichen werden, ist nur ein bisher nicht dagewesener Ansturm auf die Bergämter seitens der Inhaber von Bergbauberechtigungen. ({2}) Sie dürfen ja die Fristen nicht verpassen. Im sächsischen Mittweida beispielsweise hat Ihr Gesetzentwurf, noch bevor er überhaupt verabschiedet ist, dramatische Folgen. Dort hat die bayerische Firma Bergauer gestern - mit tatkräftiger Hilfe der Polizei und unter Androhung schwerer Geldstrafen gegen Demonstranten - den Beginn von Probebohrungen für die Granitgewinnung auf Bauerngrundstücken durchgesetzt. Betroffen sein wird auch der benachbarte Kirchenwald der Kirche des Pfarrers Christoph Körner, der im Dezember als Sachverständiger zur Anhörung in Bonn war. Demonstrationen müßten auch auf Privatgrundstücken angemeldet werden, hieß es. Pfarrer Körner hat dazu gestern am Telefon gemeint, das sei für ihn schlimmer als zu DDR-Zeiten. Da hätten sie nicht gefragt, ob sie gegen Unrecht mit Kerzen protestieren dürfen. ({3}) Nächsten Mittwoch um 17 Uhr ist wieder Demo in Mittweida, diesmal angemeldet. ({4}) Und die Demonstranten werden wieder singen: „Kein schöner Land in dieser Zeit." ({5}) Fahren Sie hin, wenn Sie die Folgen Ihres Gesetzes kennenlernen wollen. Oder fahren Sie nach Kallmerode im thüringischen Eichsfeld, wo das Oberbergamt ganz zufällig kurz vor Verabschiedung Ihres Gesetzes noch eben die Bewilligung für die Eröffnung eines Kalksteinabbaus erteilt hat. In Rengelrode und Rüstungen in Thüringen wird ebenfalls versucht, nach altem Recht noch schnell ein Schnäppchen zu machen. Ihre Argumentation, daß der Bestandsschutz für Bergbauberechtigungen sich aus dem verfassungsrechtlich garantierten Eigentum ableitet, ({6}) ist aus mindestens drei Gründen nicht stichhaltig: weil erstens den Unternehmen nur auf Grund von Überleitungsvorschriften im Einigungsvertrag der Zugriff auf die Bodenschätze gewährt wird, zweitens der Einigungsvertrag selbst vorsieht, daß der Bundeswirtschaftsminister jederzeit eine Umbestimmung von bergfreien zu grundeigenen Bodenschätzen hätte vornehmen können, was einen Bestandsschutz ja ausschließt, und drittens die Bergbauberechtigung nicht automatisch eine Berechtigung zum tatsächlichen Abbau darstellt. Wenn Sie den Raubbau an mineralischen Bodenschätzen im Osten tatsächlich stoppen wollen, können Sie ihn nicht tausendfach fortführen. Dann müssen Sie eben nachträglich Auflagen erteilen, damit wenigstens die geringen Standards des Bergrechts auch wirklich gewährleistet werden. Genau dies aber wollen Sie mit Ihrem Gesetz verhindern. Dieses Gesetz greift aber auch bei Vernachlässigung des Problems des Bestandsschutzes zu kurz. Die Rechte von Kommunen, Naturschutzverbänden und Bürgerinitiativen sind im herkömmlichen Planfeststellungsverfahren zwar größer als im Bergrecht, aber bei weitem nicht ausreichend. Nötig wären deshalb Regelungen innerhalb eines einheitlichen Natur- und Bergrechts, das tatsächliche Mitentscheidungsrechte der Kommunen, Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen gewährleistet ({7}) und damit zu einem tatsächlichen Schutz der Umwelt in neuer Qualität führen könnten. Solange das nicht geschehen ist, muß und wird das Thema „naturzerGerhard Jüttemann störender Abbau von Bodenschätzen" weiter auf der Tagesordnung bleiben. Frau Lengsfeld, Sie müßten eigentlich wissen, daß Ihre Partei beim Parteitag in Mainz einen Beschluß gefaßt hat, diesem Gesetz nicht zuzustimmen. ({8}) Danke. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Rolf Schwanitz das Wort.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will eine kurze Bilanz dessen ziehen, was wir jetzt nach vielen Jahren und Monaten inhaltlicher Auseinandersetzung auf den Tisch bekommen haben. Zunächst die positiven Seiten. Erstens. Es wird zu einer Rechtsangleichung kommen. Dieses Sonderrecht, diese Sonderregelung Ost aus dem Einigungsvertrag, wonach die Unternehmen und der Staat in ihren Rechten gestärkt, aber die Bürger und die Kommunen in ihren Rechten geschwächt gewesen sind, wird nicht mehr angewendet werden. Das ist ein ganz großer Fortschritt. ({0}) Zweitens. Wir bekommen ein neues Recht für alle Antragsteller, die in der Warteschleife vor den Bergämtern stehen. Die Absicht der Koalition noch vor einem Jahr, mit einer Stichtagsregelung zu organisieren, daß auch unbearbeitete Anträge beim alten Recht verbleiben und folglich das neue Recht quasi leerlaufen soll, ist beerdigt worden, ist nicht mehr Gegenstand des Gesetzes. Das ist gut so. Dies sind zwei große, dicke Erfolgspunkte. ({1}) Aber, meine Damen und Herren, natürlich gibt es auch eine negative Seite dieser Bilanz, und es wäre unredlich, sie in dieser Debatte zu verschweigen. Erstens. Natürlich kommt die Regelung viel zu spät. Zwischenzeitlich hat die Treuhandanstalt alle Bergwerkseigentumstitel veräußert. Wir haben Tausende von Anträgen, die beschieden worden sind, die heute alle bestandsgeschützt sind. Dies bleibt auch nach dieser interfraktionellen Gesetzgebung in der politischen Verantwortung der CDU/CSU- und F.D.P.-Koalition. Für viele Tausende kommt das zu spät. ({2}) Zweitens. Der Gesetzentwurf nutzt nicht alle Möglichkeiten, Anträge, die zum Teil beschieden sind, auf Grund derer die Gesteine aber noch nicht abgebaut worden sind, nach dem neuen Recht zu bescheiden. Es ist richtig, die Fristverkürzung beim Widerruf von Erlaubnissen und Bewilligungen, wie sie jetzt von der SPD durchgesetzt worden ist, ist ein Einstieg in den Ausstieg aus dem alten Recht. Das ist ein Erfolg. Aber wenn alle Seiten es gewollt hätten, hätten wir hier noch wesentlich mehr erreichen können. Bis zum Schluß, bis zur gestrigen Ausschußberatung, haben wir versucht, die Ausstiegsregelungen zu stärken. Die SPD blieb dabei jedoch allein. Besonders bedauerlich ist dies bei unserem Versuch, die Rechtsmittel gegen Widerrufsbescheide der Bergämter zu beschränken. Mit zahlreichen, in der Sache unbegründeten Argumenten wurde diese Forderung der SPD abgelehnt. Während die Rechtsmittel der Unternehmen aufschiebende Wirkung haben und durch alle Instanzen gegen die Bergämter geklagt werden kann, also die Unternehmen im Rechtsstreit weiter vollendete Tatsachen schaffen können, haben Bürgerklagen im Osten keine aufschiebende Wirkung und bleiben auf einen verkürzten Instanzenweg beschränkt. Wir gleichen also Bergrecht an, belassen aber die Benachteiligung der ostdeutschen Bürger beim Verwaltungs- und beim Gerichtsverfahren. Das wird vielen Betroffenen noch bitter aufstoßen. Hier hätten wir Unmut für die Zukunft vermeiden können, meine Damen und Herren. ({3}) Zum Schluß noch eine Bemerkung zum interfraktionellen Weg. Das ist ja eine Besonderheit. Ich will zunächst erst einmal klarstellen: Es geht hier nicht um eine Zweidrittelmehrheit. Noch weniger geht es um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz. Die Koalition hätte auch ohne die Opposition handeln können. Sie hätte die Opposition gar nicht gebraucht. Einige Teile der Koalition brauchten die Opposition jedoch, um die Rechtsangleichung in den eigenen Reihen überhaupt erst einmal mehrheitsfähig zu bekommen. Die Opposition war Instrument beim Meinungsstreit in der Koalition, übrigens auch innerhalb der Gruppe der ostdeutschen Koalitionsabgeordneten. Eine Bluttransfusion der Opposition für die abgestorbene Meinungsbildung innerhalb der Koalition, das haben wir über viele Jahre hinweg erlebt. ({4}) Eine Regierung, die ein Problem jahrelang aussitzt und nicht handelt, eine Koalition, die ohne die Opposition keine eigene Bewegung mehr in der Sache schafft, das ist eigentlich eine politische Bankrotterklärung vor ostdeutschen Problemen. Das ist ein Umstand, über den sich auch ein Opponent eigentlich nicht freuen kann. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun spricht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Norbert Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001274

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende der letzten Plenardebatte zu diesem lange streitigen Thema vor fast genau auf den Tag einem Jahr, in der 28. Sitzung dieser Legislaturperiode, habe ich als mein Fazit aus den vielen schon damals vorgetragenen Gesichtspunkten festgehalten: Wir haben hier eine ungewöhnliche Rechtssituation, die unabhängig von der Beurteilung der Frage, was für die Vergangenheit zwingend notwendig oder jedenfalls wirtschaftspolitisch hilfreich war, für die Zukunft neu geprüft werden muß. Ich habe diese Bemerkung damals mit der Hoffnung verbunden, daß es ganz sicher schön wäre, wenn es gelänge, die im März vergangenen Jahres in der Debatte angemeldeten Veränderungserfordernisse auf eine möglichst breite, wenn eben möglich gemeinsame Basis zu stellen, um auf diese Weise ein unbestreitbares Problem überzeugend zu lösen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau diese gemeinsame Basis haben wir jetzt gefunden, übrigens nicht zuletzt deswegen, weil all diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich darum ganz besonders intensiv bemüht haben, die Größe besessen haben, sich auf das zentrale Problem der Rechtsangleichung zu konzentrieren und manche verständlichen, darüber hinausgehenden Wünsche oder Forderungen jedenfalls aus diesem Entscheidungszusammenhang zunächst einmal auszuklammern. Da am Schluß dieser Debatte nicht unbedingt wiederholt werden muß, welche Beweggründe für die alte und welche für die neue Regelung jeweils mit guten Argumenten vorgetragen werden können, begnüge ich mich mit der Feststellung, daß die Bundesregierung die gefundene Verständigung begrüßt und unterstützt und daß sie an der allgemeinen Freude teilnimmt, ({0}) daß eine so breite, von uns im übrigen während des Prozesses auch pausenlos aktiv begleitete gemeinsame Basis heute tatsächlich zur Grundlage dieser veränderten Rechtslage führen kann. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Es haben sich zwei Kollegen zu Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung gemeldet. Ich gebe zunächst dem Kollegen Dr. Michael Luther das Wort.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den gestrigen Tag noch sehr gut in Erinnerung. Wir haben im Rechtsausschuß sehr kontrovers die rechtlichen Gestaltungsprobleme dieses Gesetzes diskutiert. Dazu will ich heute Stellung nehmen und letztendlich mein Abstimmungsverhalten dazu erläutern. Vorweg möchte ich schicken, daß ich -

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen. Nach § 31 der Geschäftsordnung können Sie nicht große Darlegungen machen, sondern nur Ihr persönliches Abstimmungsverhalten erklären. Ich bitte Sie wirklich, sich daran zu halten.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das will ich auch machen. - Ich begrüße § 1 des Gesetzentwurfes, der tatsächlich eine Rechtsangleichung darstellt. Mein Problem liegt in § 2 Abs. 3, der letztendlich § 18 Abs. 2 und 3 des Berggesetzes modifiziert. Ich habe das in der Debatte im Rechtsausschuß nicht verstanden; mir konnte niemand erklären, warum in diesem Gesetzentwurf ein anderer Text steht als im Berggesetz selbst. An dieser Stelle sage ich: Ich bin Mietenüberleitungsgesetzgeschädigter. Ich habe schon einmal als Nichtjurist im Rechtsausschuß gemeint, daß das doch wohl unverständlich sei und zu Mißverständnissen führen könne. In diesem Zusammenhang sage ich ganz einfach und deutlich: Man hätte die gleiche Formulierung wählen können. Jetzt ist es so, daß wir im Gesetz selbst von einem Antrag reden und im Bergrecht etwas anderes steht. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten diese Rechtsvereinheitlichung ausführen können. Das ist leider auch wegen der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen. Der Rechtsausschuß hat die Vorlage erst nach dem Wirtschaftsausschuß verabschiedet. Ich finde das bedauerlich und werde mich deshalb meiner Stimme enthalten. Danke schön.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer weiteren Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung gebe ich dem Abgeordneten Manfred Kolbe das Wort.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Als Wahlkreisabgeordneter der Region Döbeln, Grimma und Oschatz in Sachsen, einer vom Bergbau besonders betroffenen Region, kann ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich enthalte mich, und zwar deshalb, weil ich, so sehr ich die Vereinheitlichung der Rechtslage in Deutschland begrüße, sehe, daß wir lediglich für zukünfte Bergbauvorhaben eine Vereinheitlichung beschlossen haben. Wegen des sehr weitgehenden Bestandsschutzes wird es faktisch in vielen Fällen leider bei der bisherigen auf die SED zurückzuführenden geteilten Rechtslage bleiben. Denn gemäß § 2 bleiben die bei Inkrafttreten des Gesetzes im Osten Deutschlands bestehenden Bergbauberechtigungen unberührt. Verfassungsrechtlich notwendig gewesen wäre ein solcher Bestandsschutz nicht. Verfassungsrechtlich notwendig gewesen wäre lediglich ein Bestandsschutz für ausgenutzte Berechtigungen, das heißt, dort, wo schon tatsächlich abgebaut oder geplant wird. Dieser Gesetzentwurf geht weit darüber hinaus. Durch diesen weiten verfassungsrechtlich nicht gebotenen Bestandsschutz droht das Gesetz leider teilweise zur „Fassade" zu werden, hinter der sich vor Ort für die betroffenen Regionen eine andere Realität verbirgt. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von allen Fraktionen des Hauses eingebrachten Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse bei Bodenschätzen auf Drucksache 13/3876. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf der Drucksache 13/3992 Nr. 1, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in zweiter Lesung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei einigen Stimmenthaltungen aus der Fraktion der CDU/CSU und der SPD in zweiter Lesung angenommen worden ist. Dritte Beratung und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den gleichen Stimmverhältnissen in dritter Lesung angenommen worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Vereinheitlichung des Bergrechts in den alten und den neuen Bundesländern auf Drucksache 13/3875. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/3992 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/3875 in zweiter Lesung abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung bei Zustimmung der Gruppe der PDS im übrigen mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden ist. Damit entfällt die weitere Beratung. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu den Anträgen der Gruppe der PDS zur Änderung des Bundesberggesetzes, Drucksache 13/ 3992 Nr. 2: Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 13/2497 und 13/3873 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung auf Ablehnung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a und 9 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Abrüstung chemischer Waffen - Drucksache 13/2595 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Verteidigungsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Dirk Bierling, Claus-Peter Grotz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Ulrich Irmer, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann und der Fraktion der F.D.P. Umsetzung des Übereinkommens zur Abrüstung chemischer Waffen ({1}) - Drucksache 13/3231 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({2}) Verteidigungsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Uta Zapf.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 21. April 1994 über die Ratifizierung des Chemiewaffenübereinkommens beraten und den Gesetzentwurf einstimmig am 26. Mai 1994 beschlossen. Schon damals haben die Sprecher aller Fraktionen hervorgehoben, daß das Übereinkommen nicht nur im deutschen Interesse liege, sondern im Vergleich zu anderen Abrüstungsverträgen von ganz besonderer Qualität sei. CDU/CSU und F.D.P. sprachen von einem „Modell" für kooperative Rüstungskontrolle. Mein Kollege Gernot Erler würdigte das CWÜ als „Meilenstein in der Rüstungskontrolle", durch das eine komplette Kategorie von Massenvernichtungswaffen weltweit beseitigt und die Beseitigung durch ein umfassendes und mutiges Verifikationsregime kontrolliert werde. ({0}) Für die Bundesregierung erklärte Staatsminister Schäfer, es handele sich um eines der „bedeutendsten Abrüstungsabkommen der letzten Jahre" und um einen „Durchbruch zur umfassenden Ächtung einer ganzen Kategorie von Massenvernichtungswaffen" . Es bestand Konsens, daß das Inkrafttreten des Chemiewaffenübereinkommens Signalwirkung auf die Weiterentwicklung anderer Konventionen, zum Beispiel im B-Waffen-Bereich, haben werde. Heute, drei Jahre nach Unterzeichnung des Chemiewaffenübereinkommens, herrscht Ernüchterung. Das Abkommen ist immer noch nicht in Kraft getreten. Damit es Gültigkeit erhält, muß es von 65 Staaten Uta Zapt ratifiziert werden. Bisher haben nur 47 Staaten ratifiziert. Selbst eine größere Anzahl von Teilnehmerstaaten der Genfer Abrüstungskonferenz und von Zeichnerstaaten hat das Übereinkommen noch nicht ratifiziert, darunter USA und Rußland, Großbritannien, Portugal, Irland, Belgien und Luxemburg. Es wird allerdings damit gerechnet, daß noch in diesem Frühjahr weitere Staaten dem CWÜ beitreten werden. Kontrollierte chemische Abrüstung wird jedoch erst dann möglich sein, wenn sich auch die Besitzer chemischer Waffen durch die Ratifizierung dem CWÜbereinkommen unterwerfen. Die Umsetzung des Chemiewaffenübereinkommens gäbe der Staatengemeinschaft ein stabiles Instrument gegen die Weiterverbreitung chemischer Waffen an die Hand. Dieses Abkommen unterscheidet sich in einem ganz wesentlichen Punkt vom Atomwaffensperrvertrag: Hier verzichten nicht nur die Habenichtse, sondern auch die Besitzer von chemischen Waffen. Die Weiterverbreitung chemischer Waffen ist in der Tat eine Gefahr für den Frieden. Als Hauptproliferationsgebiet gilt der Nahe Osten. Die Aufdeckung der chemischen Arsenale des Irak nach dem zweiten Golfkrieg legt davon Zeugnis ab. Auch eine Reihe von Staaten in Asien und Afrika werden verdächtigt, sich chemische Waffen beschafft zu haben oder dies zu beabsichtigen. Auch im ehemaligen Jugoslawien gibt es, wie gerade jetzt bekannt wurde, Hinweise auf Chemiewaffenproduktion, Viele Staaten ohne chemische Waffen halten sich mit der Ratifizierung zurück, weil es ihnen als sinnlos erscheint, diesen Vertrag in Kraft zu setzen und sich den weitreichenden Verifikationsvorschriften zu unterwerfen, wenn Rußland und die USA nicht dabei sind. Darüber hinaus scheuen sie den hohen technischen und finanziellen Aufwand bei dem Implementierungsabkommen. Besondère Sorgen bereiten uns die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Ägypten, Irak, Jordanien, Libanon, Libyen, Sudan und Syrien, die im übrigen allesamt das Chemiewaffenübereinkommen nicht gezeichnet haben, stellen einen Zusammenhang mit der generellen Abschaffung von Massenvernichtungswaffen und damit einen Kontext zu Israels Nichtbeitritt zum Atomwaffensperrvertrag her. Meine Damen und Herren, ich sehe gute Chancen, daß eine Ratifikation des CWÜ durch die USA und Rußland politische Signalwirkung auf die Staaten hätte, die sich heute sowohl einer Zeichnung als auch einer Ratifikation des Abkommens widersetzen. Ich denke, diese Chance dürfen wir nicht verspielen. ({1}) Während in Rußland das Ratifikationsgesetz zum CWÜ dem Parlament von der Regierung noch nicht einmal zugeleitet wurde - und damit nach jüngsten Informationen vor der Präsidentschaftswahl auch nicht zu rechnen ist -, lag es im US-Senat wegen der Blockadehaltung des republikanischen Vorsitzenden des Ausschusses für Außenbeziehungen, Jesse Helms, bisher auf Eis. Es rächte sich, daß die Administration Bill Clintons zu Zeiten, als sie über eine demokratische Mehrheit verfügte, den Vertrag zwei Jahre unratifiziert hängen ließ. Jetzt gibt es ein Abkommen zwischen dem Kongreß und der Administration. Es besteht Hoffnung, daß der Ratifikationsprozeß bald in Gang kommt. Dennoch bleibt es unsicher, ob es eine Mehrheit im Kongreß geben wird, weil die republikanischen Senatoren erhebliche Bedenken in der Frage der Verifikation, in der Frage der russischen Bereitschaft zur Umsetzung des Vertrages und in der Frage, ob das Chemiewaffenabkommen in bezug auf Verwendung chemischer Waffen durch Terroristen überhaupt wirksam sei, formuliert haben. Dies sind allesamt Gründe, die meiner Meinung nach vorgeschoben sind. Daß solche Abkommen gegen Terroristen nicht wirksam sein können, weiß man ja. In den USA findet allerdings chemische Abrüstung bereits statt. Der Beschluß des Kongresses von 1985, alle amerikanischen C-Waffen bis zum Jahr 2004 zu zerstören, wird bereits umgesetzt. Auch in Rußland wird zur Zeit in Gorny eine Großanlage zur Vernichtung chemischer Waffen errichtet, die frühestens 1998 in Betrieb genommen werden kann. Diese nationalen Maßnahmen können aber die notwendige Ratifikation des multilateralen Chemiewaffenübereinkommens nicht ersetzen. Denn das sorgfältig ausgearbeitete, umfassende und wirkungsvolle Verifikationsregime des CWÜ ist ein Kernstück dieses richtungweisenden Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommens, da es nationale Maßnahmen einer internationalen Überprüfung unterwirft. Der konsequente Überwachungs- und Sanktionsmechanismus verspricht die zuverlässige Beseitigung dieser Kategorie von Massenvernichtungswaffen bei allen Vertragsstaaten. Das Vertragskonzept, das durch Vertrauensbildung und Kooperation neue Wege internationaler Friedenspolitik aufzeigt, ist ein Konzept, das auf andere internationale Rüstungskontrollabkommen übertragen werden sollte. Wir befürchten, daß ein weiteres Hinauszögern des Ratifikationsprozesses das Übereinkommen insgesamt beeinträchtigen könnte, aber eben auch Ausstrahlungswirkungen auf andere Abkommen haben kann. Nachdem die Industrie bei der Entwicklung des Verifikationsmechanismus eine bemerkenswert kooperative Rolle gespielt hat, ist es auch aus dieser Sicht dringend erforderlich, daß die Unterzeichnerstaaten schnell ratifizieren. Andernfalls droht die Gefahr, daß die Kooperationsbereitschaft der Industrie nachläßt. In diesem Zusammenhang gab es ja schon einmal einen Kongreß der Industrie, was ich für ausgesprochen bemerkenswert halte. Ohne diese Kooperationsbereitschaft, meine Damen und Herren, ist eine wirksame Umsetzung der Konvention nicht möglich. Es steht außer Frage, daß sich die Bundesrepublik für das Zustandekommen der C-Waffen-Übereinkunft und deren Ratifizierung eingesetzt hat. Diese Bemühungen aber müssen verstärkt werden und weitergehen. Die Beseitigung der chemischen Kampfstoffe und der Produktionsanlagen wird zweifellos teuer sein. Das Übereinkommen enthält aber Regelungen für Staaten, die technische oder finanzielle Probleme bei der Abrüstung haben. Die Umsetzung dieser Abrüstungsmaßnahme darf an dem Problem des Geldes nicht scheitern. Der Aufbau der Verifikationsbehörde zur Überwachung des Chemiewaffenübereinkommens in Den Haag ist in voller Vorbereitung. Das provisorische technische Sekretariat beschäftigt zur Zeit 116 Mitarbeiter aus 39 Mitgliedstaaten. Auch das ist ein bemerkenswerter Vorgang. Ein sich verzögernder Ratifizierungsprozeß und ein weiterer Zeitverzug beim Inkrafttreten des Übereinkommens würde den endgültigen Auf- und Ausbau dieser Überwachungsbehörde verlangsamen. Es macht ja keinen Sinn, Inspektoren auszubilden und einzustellen, wenn das Übereinkommen noch überhaupt nicht in Kraft ist. Deutschland hat ein vitales Interesse daran, daß dieses Abkommen in Kraft tritt, insbesondere im Hinblick auf die drohenden Proliferationsgefahren. Wir alle wissen, daß es relativ leicht ist, diese Waffen bei einer einigermaßen entwickelten chemischen Industrie herzustellen. Deshalb drängen wir darauf, das Abkommen umzusetzen. Ein wichtiger Punkt - das ist mein letzter Gedanke - ist, daß dies sehr konkrete Auswirkungen auf die 4. Überprüfungskonferenz für das B-Waffen-Übereinkommen hat. Diese findet im Dezember statt. Der gegenwärtig völlig unbefriedigende Stand könnte sich negativ auf die dortigen Beratungen auswirken und ein solches Übereinkommen verhindern, das wir dringend haben wollen, zumal es bei einigen der Stoffe, die bei beiden Übereinkommen angesprochen wären, Überschneidungsbereiche gibt. Mit einem Beschluß des Bundestages wollen wir ein Signal setzen, ähnlich, wie wir es beim Atomwaffensperrvertrag getan haben, um eine neue politische Schubkraft in die Diskussion um diesen wichtigen Vertrag zu bringen. Gelingt dies nicht und tritt der Vertrag nicht in Kraft, ist dies ein schwerer Rückschlag für die Rüstungskontrollpolitik. Ich bin sicher, daß es uns gelingen wird, im Bundestag wieder Einigkeit herzustellen. Das erweist sich schon bei der weitgehenden Adaption unseres Antrages durch die CDU. Vielleicht können wir damit ein wirksames Signal setzen, das Auswirkungen auf eine schnelle Ratifizierung und auch auf zukünftige Rüstungskontrollabkommen hat. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Der Kollege Zwerenz bittet aus Zeitgründen, seine Rede zu Protokoll geben zu können.*) Ich nehme an, daß damit Einverständnis besteht. - Das ist der Fall. *) Anlage 2 Dann gebe ich dem Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger das Wort.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Chemiewaffenkonvention, die im Januar 1993 in Paris unterzeichnet worden ist, ist ein für einen internationalen Vertrag relativ konkretes Abkommen. Es sieht nämlich vor, daß C-Waffen weder entwickelt noch produziert, erworben, gelagert, zurückbehalten, transferiert oder angewandt werden dürfen. Existierende Bestände müssen beseitigt werden, ebenso die Produktionsstätten. Es sind weitgehende Verifikationsmaßnahmen vorgesehen worden, einschließlich Verdachtskontrollen. Es wird eine Behörde mit einem Exekutivrat und einem technischen Sekretariat aufgebaut. Die einzelnen Länder sind verpflichtet, nationale Behörden aufzubauen, damit die internationale Organisation jeweils einen Ansprechpartner vor Ort hat. Das ist ein gutes und wichtiges Abkommen. Der Kollegin Zapf ist nur zuzustimmen: Es ist von entscheidender Bedeutung, daß es bald in Kraft tritt; denn es ist auch für andere Bereiche der Abrüstung ein wichtiger Schrittmacher. Dieses Jahr ist generell ein Jahr der Schlüsselentscheidungen im Abrüstungsbereich. Gelingt es, das Gesamtregime aufrechtzuerhalten, oder bricht ein Teil nach dem anderen weg? Deshalb ist es so wichtig, daß dieses Abkommen, das inzwischen 160 Staaten unterzeichnet haben, auch ratifiziert wird. Ich glaube, der Bundestag hat dabei eine wirklich wichtige Aufgabe. Wir sollten an unsere Kollegen in den anderen Ländern appellieren, Druck zu machen, damit auch die anderen Parlamente dieses wirklich wichtige und gute Übereinkommen ratifizieren und in Kraft setzen. Ich glaube, wir können sagen, der gesamte Bundestag appelliert an die Kollegen im Ausland, dies bald zu tun, damit dieser Vertrag noch in diesem Jahr in Kraft treten kann. ({0}) Koalition und Sozialdemokraten haben getrennte Anträge vorgelegt. Ich stimme der Kollegin Zapf völlig zu: Es ist wünschenswert und auch möglich, daß wir vor der abschließenden Lesung zu einem gemeinsamen Antrag kommen. Das ist eine Praxis, die sich schon beim Atomwaffensperrvertrag, bei der Landminenproblematik und auch gestern abend im Unterausschuß in der Frage der KSE-Überprüfungskonferenz, wo wir eine Vereinbarung erzielt haben, bewährt hat. Ich glaube, daß wir als Deutscher Bundestag damit ein Signal setzen, wie ernst wir es mit diesen Themen meinen. Ich möchte den Kollegen von der SPD ausdrücklich für die konstruktive Mitarbeit und Zusammenarbeit danken. Ich finde es ein bißchen schade, Frau Kollegin Beer, daß die Grünen immer wieder auf Maximalforderungen bestehen ({1}) und sich unseren Positionen nicht anschließen. Denn wenn die Grünen mitmachen würden, würden wir noch mehr Gewicht in die Waagschale werfen können. Das liegt aber in diesem Fall wahrscheinlich daran, daß die Grünen doch gerne ein Klischee aufrechterhalten, nämlich daß sich diese Gesellschaft und vor allen Dingen die Bundesregierung immer weiter militarisiere. Daß wir, gerade was die C-Waffen angeht, als Bundesregierung und als CDU/CSU und F.D.P. eine Vorreiterfunktion wahrnehmen, paßt nicht so in das Bild, das man gerne verbreitet. Wir in der Bundesrepublik Deutschland sind hier von Anfang an Vorreiter gewesen. Konrad Adenauer ist es gewesen, der am 3. Oktober 1954 auf der Londoner Neun-Mächte-Konferenz einseitig einen Verzicht auf C-Waffen ausgesprochen hat. Außenminister Genscher hat das am 22. August 1990 für das wiedervereinigte Deutschland auf der vierten Konferenz zur Überprüfung des Nichtverbreitungsvertrages bekräftigt. Der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, der sogenannte Zwei-plusVier-Vertrag, hat am 12. September 1990 ebenfalls einen ausdrücklichen Verzicht auf die Herstellung, auf den Besitz und die Verfügung von chemischen Waffen festgehalten. Dies war eine einseitige Maßnahme, die weiter geht, als jedes andere Land auf der Welt gegangen ist. Die Bundesregierung hat ferner zu den Ländern gehört, die sich am deutlichsten und entschiedensten für eine solche Chemiewaffenkonvention eingesetzt haben. Wir haben weiterhin als eines der ersten Länder nach der Unterzeichnung die Ratifikation hier im Deutschen Bundestag vorgenommen und die Ratifikationsurkunde bereits im August 1994 hinterlegt. Wir haben hier im Deutschen Bundestag auch bereits ein entsprechendes Ausführungsgesetz für die nationale Umsetzung verabschiedet. Ferner hat die Bundesregierung im Herbst 1994 eine weltweite Démarche-Aktion gestartet und bei anderen Ländern für die rasche Ratifizierung geworben. Außenminister Kinkel und Außenminister de Charette haben im vergangenen Jahr in einer persönlichen Botschaft gegenüber den Außenministern der Staaten der Genfer Abrüstungskonferenz für das Inkrafttreten des CWÜ geworben. Schließlich - das ist ein sehr wichtiger Punkt - haben zwischen 1993 und 1995 die entsprechenden Ausschüsse des Deutschen Bundestages 16 Millionen DM an Abrüstungshilfe bei Chemiewaffen für Rußland zur Verfügung gestellt. 1996 werden es voraussichtlich 9 Millionen DM sein. Das heißt, am Ende dieses Jahres werden wir 25 Millionen DM ausgegeben haben, um Rußland bei der Abrüstung von Chemiewaffen zu helfen. ({2}) - Das ist eine richtige und gute Investition. Wir investieren vor allen Dingen in eine Pilotanlage in Gorny, wo zukünftig Lewisit vernichtet werden soll. Das deutsche Geld wird vor allem für die Entnahme der Kampfstoffe, für einen sicheren Transport der Kampfstoffe zur Verfügung gestellt, aber auch für Anlageteile und für den Laborbereich. In der Tat, Herr Kollege Feldmann, das sind wichtige Investitionen, denn das sind auch Investitionen in unsere Sicherheit. Wenn die 40 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe vernichtet werden, ist das nicht zuletzt in unserem Interesse. Deswegen können wir dieses Geld vor den deutschen Steuerzahlern guten Gewissens rechtfertigen. ({3}) Ein weiterer Punkt, wo sich die Bundesrepublik Deutschland als Vorreiter betätigt hat: Seit 1991 unterstützt die Bundesregierung fast unbemerkt von der Öffentlichkeit die Vereinten Nationen bei dem Versuch, die irakischen Massenvernichtungswaffen zu erfassen und zu eliminieren. Seit damals haben wir für die Luftunterstützung der Vereinten Nationen bei ihrer Mission im Irak 100 Millionen DM ausgegeben, vor allem für Lufttransporte, aber auch für die technische Überwachung. Wir wissen, daß der Irak beträchtliche Bestände nicht nur von biologischen, sondern auch von chemischen Kampfstoffen zur Verfügung hatte. ({4}) Wir wissen, daß er auch nicht davor zurückgeschreckt ist, sie zum Beispiel gegenüber Kurden oder gegenüber dem Iran im Iran-Irak-Krieg anzuwenden. Der Irak hätte nicht gezögert, diese Kampfstoffe anzuwenden, wenn es nicht ein entschiedenes amerikanisches Engagement im Golfkrieg gegeben hätte. Ich glaube, es ist von ganz wichtiger Bedeutung, was die Bundesrepublik Deutschland an der Spitze der UNSCOM in den letzten Jahren geleistet hat. Es ist eine großartige Leistung für den Frieden, weil wir uns bei dem wahrscheinlich weltweit wichtigsten Abrüstungs- und Rüstungskontrollprojekt engagiert haben, nämlich bei der Kontrolle und Zerstörung der irakischen Massenvernichtungswaffen. ({5}) - In der Tat, Herr Kollege Erler. Nach viereinhalb Jahren des Engagements mußte es, wie es auch international üblich ist, zur Beendigung dieser Aktion kommen. Wir bemühen uns als Bundesrepublik Deutschland darum, andere Länder für dieses Engagement zu gewinnen. Ich glaube, daß dafür gute Chancen bestehen. Es gibt zum Beispiel mit Chile Gespräche über diese Fragen. Wir sollten in jedem Fall dafür sorgen, daß die UNSCOM weitermachen kann; denn das wäre ein weiterer Beweis dafür, daß wir es als Union, als Bundesregierung, als Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel ernst meinen, das Helmut Kohl 1982 verkündet hat: Frieden schaffen mit weniger Waffen. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im C-Waffenbereich jedenfalls haben wir den Beweis angetreten, daß wir es ernst meinen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Entschuldigen Sie, Herr Kollege Pflüger. Gestatten Sie noch eine Frage der Kollegin Beer?

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Pflüger, Sie haben eben zu Recht die Unterstützung Deutschlands für UNSCOM hervorgehoben. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund, daß das Bundesverteidigungsministerium plant, diese Unterstützung einzustellen?

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich bin eben schon darauf eingegangen. Es ist international üblich, daß sich ein Land nach einer gewissen Zeit aus solchen sehr kostenintensiven Unternehmungen zurückzieht und daß ein anderes Land der Vereinten Nationen eine führende Position übernimmt. ({0}) Wir haben 100 Millionen DM ausgegeben. Der Verschleiß der Transall-Maschinen und der Hubschrauber in der Wüste des Irak ist ungeheuer groß. Durch unseren Auftrag zur Unterstützung der IFOR in Bosnien gibt es neue Anforderungen an unsere Lufttransportkapazitäten. Von daher ist es nach meinem Gefühl berechtigt, daß die Bundesrepublik Deutschland jetzt, nach viereinhalb Jahren, den Versuch unternimmt, andere Länder stärker in diese Verantwortung einzubinden. Ich bin allerdings, wahrscheinlich mit Ihnen, der Auffassung, daß wir alles tun sollten, um auch wirklich sicherzustellen, daß wir nicht aus dem Irak herausgehen, bevor nicht eine wirkliche Ersatzlösung gefunden ist. ({1}) - Sie haben völlig recht, Herr Kollege Breuer. Das ist ein sehr gelungenes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, daß die Bundesrepublik Deutschland auch „out of area" tätig ist. Ohne diese Fähigkeit wären wir nicht in der Lage gewesen, die Massenvernichtungswaffen des Irak zu kontrollieren und zu eliminieren. Dieser Einwand ist völlig richtig. ({2}) Ich habe gerade festgestellt, daß ich entgegen meiner Vermutung - gerade hat hier ein rotes Lämpchen geleuchtet - noch zwei Minuten Redezeit habe. Ich will sie nicht ganz ausschöpfen, möchte aber noch eine Frage an den Staatsminister Hoyer richten. ({3}) In letzter Zeit gab es eine Reihe von Presseberichten, nach denen in Libyen eine sehr große Giftgasfabrik gebaut wird. Diese Presseberichte sind uns allen nicht neu; sie geistern schon seit längerer Zeit durch die Gazetten. Es gibt, wie ich gehört habe, inzwischen auch entsprechende Berichte, die das bestätigen. Es gibt auch Berichte darüber, daß sich daran die eine oder andere deutsche Firma beteiligt. Ich gehe davon aus, daß das im einzelnen auf dem geeigneten juristischen Weg streng überprüft wird und daß die Verantwortlichen nötigenfalls zur Rechenschaft gezogen werden. Was mich aber in erster Linie interessiert: Wenn wir wissen, daß in diesem oder im nächsten Jahr eine solche Giftgasfabrik fertiggestellt wird, wenn wir ferner die Hinweise ernst nehmen, daß die Libyer auch daran arbeiten, neue Trägersysteme mit größerer Reichweite zu bauen, dann stellt sich mir die Frage: Können wir eigentlich so zusehen, wie dort eine so neue, fundamentale Herausforderung heranwächst? Mich interessiert, was die Bundesregierung eigentlich im Konzert mit unseren Verbündeten tut, um sich gegen diese Gefahr zu wappnen, und ob wir eigentlich schon in irgendeiner Weise in Libyen oder sonstwo in dieser Frage vorstellig geworden sind. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Angelika Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen wie alle anderen die heutige Diskussion über das Chemiewaffenübereinkommen. Allerdings kann nicht, wie es in dem Antrag der SPD der Fall ist, von einem „Stillstand in der chemischen Abrüstung" gesprochen werden, da die Abrüstung selbst noch nicht in Angriff genommen worden ist. ({0}) Dem eigentlichen Abrüstungsprozeß stehen noch einige schwerwiegende Hindernisse entgegen. Nehmen wir das Problem der Vernichtung der chemischen Waffen in Rußland, aber auch in den Vereinigten Staaten. - Frau Kollegin Zapf, wenn Sie heute morgen das Frühstücksfernsehen und den Bericht über die Vernichtungsanlage Utah gesehen hätten, dann wäre Ihnen das Frühstücksbrötchen im Hals steckengeblieben. Genau da sind nämlich die gravierenden Probleme aufgezeigt worden. - Zum einen sind es technische Probleme, zum anderen ist es aber auch eine Frage des politischen Willens. Die dringend erforderliche Diskussion über die ökologischen Folgen und eine mögliche Gefährdung der in den betroffenen Regionen lebenden Menschen wird bislang zurückgestellt. Dies ist nicht nur zu kritisieren, sondern auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen zu sehen, die wir in Deutschland selber gemacht haben: daß sich bei dem - inzwischen Gott sei Dank erfolgten - Abzug der bei uns eingelagerten chemischen Waffen der Amerikaner Verzögerungen wegen der Vernachlässigung der Fragen der Sicherheit ergeben haben. Es ist erwähnt worden, daß das Abkommen noch nicht in Kraft getreten ist. Wir sind optimistisch, daß die fehlenden Ratifikationsurkunden noch in diesem Jahr hinterlegt werden. Es besteht die berechtigte Hoffnung, daß noch in diesem Jahr die für das Inkrafttreten notwendige politische Mehrheit erreicht wird. Auch wir sehen ein Problem darin, daß gerade die Staaten, die als Proliferatoren gelten - zum Beispiel Ägypten, Jordanien, Libanon und andere Staaten im Nahen Osten, darüber hinaus auch Nordkorea -, den Vertrag noch nicht einmal unterzeichnet haben. Das stellt ein Problem für die weltweite Ächtung von Chemiewaffen dar. Hier ist aus unserer Sicht ein Politikfeld, auf dem es sich lohnen würde, über positive Sanktionen nachzudenken, wirtschaftliche Anreize zu geben und zu versuchen, auf diese Staaten konstruktiv einzuwirken. Eine weitere wichtige Maßnahme der Bundesregierung, den bevorstehenden Prozeß der Vernichtung chemischer Waffen zu beschleunigen, sehen wir in der erforderlichen Erhöhung der Abrüstungshilfe für Rußland. Hier gibt es, glaube ich, tatsächlich Übereinstimmung zwischen den Fraktionen. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung nach unserer Einschätzung damit aufhören, über das Vehikel Abrüstung die eigene Wirtschaft anzukurbeln, zu subventionieren und Abrüstung zum Geschäft zu machen. Wenn Deutschland wirklich präventive Friedenspolitik in jenen Regionen der Krisen und Konflikte betreiben will, dann müssen wir doppelte Anreize schaffen, um den Abrüstungswillen zu erhöhen und die Eigendynamik der Wirtschaft vor Ort - nicht unsere eigene - anzukurbeln. Wir erwarten von der Bundesregierung - wie bereits angesprochen - eine aktive Diplomatie vor allem gegenüber jenen Ländern, die das Abkommen noch nicht unterzeichnet haben. Ich will noch kritische Worte sagen zu der Aufforderung der Bundesregierung an Staaten, die bereits ratifiziert haben, daß sie C-Waffen vernichten wollen, die ihre Bereitschaft dazu bereits erklärt haben, wie zum Beispiel Frankreich. Das ist nicht die Kunst des diplomatischen Geschäfts. Die Frage ist, wie man auf jene Staaten einwirkt, die sich bisher diesem Übereinkommen nicht angeschlossen haben. Wenn die Bundesregierung wirklich etwas tun will, dann sollte sie sich endlich um den Stopp von Rüstungsexporten kümmern. Ich möchte daran erinnern, daß die Bundesrepublik hier weiß Gott kein Unschuldslamm ist. Wir sollten hier nicht so tun, als I seien wir die Abrüster per se. ({1}) Ich erinnere an Rabita. Rabita ist nicht vergessen, die neue Giftgasanlage in Libyen auch nicht. Ich erinnere aber vor allem an den Giftgaseinsatz, der sich jetzt am 16. März wieder jährt, an den Einsatz irakischer Truppen mit chemischen Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in Halabjah mit mindestens 5 000 Todesopfern. Ich erlaube mir, am Rande zu erwähnen, weil alle so entsetzt sind über die Hinrichtung der zwei zurückgekehrten Schwiegersöhne von Saddam - und das ist kennzeichnend für dieses Regime und zeigt die Grausamkeit per se -, daß diese beiden die Befehlshaber und Durchführer des Giftgaseinsatzes auf Halabjah waren. Auch das sollte man nicht vergessen. ({2}) - Nein, aber es zeigt, daß wir lange Zeit diplomatische und rüstungspolitische Kontakte zu Regimen aufrechterhalten haben, von denen längst bekannt war, daß massivste Menschenrechtsverletzungen durch sie stattfinden. Dafür ist Halabjah das historische Beispiel, aber wir haben auch aktuelle Beispiele dafür. Wir wollen also ein striktes Exportverbot für sensitive und rüstungsrelevante Güter. Wir weigern uns, der Bundesregierung bei dieser Harmonisierung auf EU-Ebene zu folgen, sondern wir wollen, daß restriktive Maßnahmen, die bei uns gelten, auf EU-Ebene durchgesetzt werden. Nur ein langfristiger Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozeß ohne neue Produktion von Massenvernichtungswaffen kann dazu führen, daß die ganzen Konfliktherde eingedämmt werden können. Wir denken aber auch, daß die Außenpolitik der Bundesregierung ebenso dazugehört, um einen solchen Prozeß zu fördern. Wenn in dieser Situation von NATO-Osterweiterung gesprochen wird, wenn durch die eigene Politik die Ratifizierung von START-II blockiert wird, wenn die Destabilisierung des osteuropäischen Raumes zur Politik der Bundesregierung wird, dann ist dies nicht der Weg der Abrüstung und Rüstungskontrolle, sondern ein Weg zur Schaffung neuer Konfliktherde, die mitunter in der Produktion neuer Waffen, auch Massenvernichtungswaffen, enden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Problem ist ernst. Wir werden darüber noch eine weitere Debatte führen. Wir hoffen, daß nicht nur die Abrüstungshilfe, sondern auch die präventive Politik endlich die Oberhand gewinnt. Wir hoffen, daß es nicht nur bei diplomatisch schönen Worten in diesem Hohen Hause bleibt, die dann von der deutschen WirtAngelika Beer schaft und der deutschen Industrie weiterhin hinterrücks unterlaufen werden. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann das Wort.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle, bis auf die Vorrednerin, sehen das CWÜ als einen wichtigen Eckpfeiler der internationalen Abrüstungspolitik an. Frau Kollegin, die Bundesregierung hat durch ihr großes Engagement entscheidend zu diesem Erfolg beigetragen. Das Abkommen wurde in der Schlußphase unter deutschem Vorsitz ausgehandelt. Gerade deshalb sind wir besonders an einer schnellen Ratifizierung und Umsetzung des C-Waffen-Übereinkommens interessiert. Natürlich lief am Anfang der Ratifizierungsprozeß sehr langsam und zögerlich an. Es war gut und hilfreich, daß Außenminister Kinkel und sein französischer Kollege de Charette im Juli in persönlichen Botschaften für eine baldige Inkraftsetzung des CWÜ bei denjenigen Staaten geworben haben, die es zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert hatten. Wir beklagen alle - man kann es nicht oft genug wiederholen; Frau Kollegin Zapf hat es auch getan -, daß bis heute erst 47 Staaten dieses Abkommen ratifiziert haben. Wir alle wissen, daß insgesamt 65 Staaten das Abkommen rafitiziert haben müssen, bevor es in Kraft treten kann. Die Bundesregierung hat sich unmittelbar nach Hinterlegung der deutschen Ratifizierungsurkunde in einer weltweiten Aktion für eine zügige Ratifizierung eingesetzt. Die Hoffnung, die alle Kolleginnen und Kollegen hier ausgesprochen haben, ist, daß wir vielleicht bis zum Jahresende zehn bis zwanzig weitere Ratifizierungskunden hinzubekommen, so daß dann zum Jahreswechsel 1996/97 das CWÜ eventuell in Kraft treten kann. Diese Hoffnung würde ich sehr gerne teilen. Dazu müssen wir aber noch bei einigen Staaten intensive Überzeugungsarbeit leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Antrag unterstützen wir die Politik der Bundesregierung. Die Vernichtung bestehender LW-Arsenale und CW-Herstellungseinrichtungen ist zentraler politischer Zweck des Übereinkommens. Es läßt sich aber nur dann erfüllen, wenn auch die erklärten Chemiewaffenbesitzer - das sind die USA und Rußland - zu Vertragsstaaten geworden sind. Ihre Entscheidung wäre ein ermutigendes Signal für viele noch zögernde Staaten. Wir begrüßen ausdrücklich die Offenlegung der C-Waffen-Bestände in den USA. Das gleiche gilt auch für die Ankündigung, diese Bestände bis zum Jahre 2004 vernichten zu wollen. Doch solange die Ratifikation der beiden größten CW-Besitzer nicht sicher ist, werden sich einige Staaten nicht den weitreichenden Verifikationsvorschriften des CWÜ unterwerfen wollen. Entscheidend für die Wirksamkeit des Abkommens ist und bleibt seine Universalität. Die Zurückhaltung einiger Staaten ist nicht nachvollziehbar und kontraproduktiv, denn schließlich geht es auch um ihre eigene Sicherheit. Das Nachschieben weiterer politischer und finanzieller Gründe für eine Verzögerung der Ratifizierung können wir nicht akzeptieren. Allen Staaten war vor der Unterzeichnung bekannt, was auf sie zukommt. Herr Staatsminister, in dem Antrag der Koalition fordern wir die Bundesregierung auf, sich weiterhin aktiv für eine Ratifizierung bei denjenigen Staaten einzusetzen, die das CWÜ bisher nur unterzeichnet haben. Es ist unser vitales Interesse, daß die Glaubwürdigkeit der Abrüstungspolitik bei chemischen Waffen nicht unterhöhlt wird. Wir müssen auf dem Weg der Abrüstung Schritt für Schritt vorankommen. Es ist höchste Zeit, daß dem CWÜ mit seinen vielfältigen Kontrollbestimmungen endlich Geltung verschafft wird. Nur so läßt sich einer Verbreitung chemischer Massenvernichtungswaffen wirkungsvoll entgegenwirken. Zur Förderung des baldigen Inkrafttretens und der Universalität des CWÜ müssen wir alle bilateralen Kontakte nutzen. Hier stimme ich den Vorrednern zu. Ich bin davon überzeugt, daß wir unter Einsatz unseres ganzen politischen Gewichtes, sowohl in der EU als auch im Rahmen einer gemeinsamen Aktion, den zähfließenden Ratifizierungsprozeß beschleunigen können. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die schon genannten Staaten Portugal, Belgien, Irland, Luxemburg und Großbritannien, die man in diesem Zusammenhang wirklich nicht oft genug nennen kann. Mit dem vorliegenden Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, ihre erfolgreiche, realistische Abrüstungspolitik weiter fortzusetzen. Deshalb empfehlen wir die Annahme dieses Antrages. Es wäre schön, wenn dieser Antrag eine interfraktionelle Zustimmung bekommen könnte, denn eine geschlossene Haltung des gesamten Parlaments wäre ein deutliches Signal, wie wichtig wir das C-WaffenÜbereinkommen in Deutschland nehmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Gernot Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Tagen jährt sich der heimtückische Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn. Wir bekommen immer wieder Berichte darüber, daß amerikanische Soldaten, die im Golfkrieg eingesetzt worden sind, entweder durch Giftgas oder vielleicht auch durch die Prophylaxe gegen Giftgaseinwirkung geschädigt wurden. Jedesmal zucken wir wieder zusammen, wenn wir einen Bericht darüber bekommen, daß Technik zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen, von C-Waffen Ländern übergeben wird, bei denen wir die Ziele kennen, die sie mit der Herstellung von C-Waffen verfolgen. Das gilt nicht nur dann, wenn deutsche Firmen beteiligt sind. Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung auf Fragen von mir eingeräumt, daß sie Hinweise darauf hat, daß es eine serbische C-Waffen-Produktion bei Mostar gab und daß wahrscheinlich diese Fazilitäten inzwischen in die Bundesrepublik Jugoslawien zurückgeführt worden sind, so daß man heute sagen muß: Auch dort ist noch eine Steigerung der Grausamkeiten und der Entsetzlichkeiten dieses Krieges möglich. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, all das erinnert uns daran: Alle C-Waffen müssen von dieser Welt verschwinden. ({0}) Wir brauchen ein weltweites, ein universales Kontroll- und Verifikationsregime, um diese Gefahren endgültig zu bannen. Eine Anwendung der mehreren 10 000 Tonnen von C-Waffen, die noch in den „stockpiles" der Großmächte liegen, ist ohnehin unvorstellbar. Es gibt ja auch längst die Chance dazu, nämlich die Ratifizierung und Implementierung des Chemiewaffenübereinkommens, dem am 13. Januar 1993 159 Staaten in Paris zugestimmt haben. Aber - mehrere meiner Kolleginnen und Kollegen haben dies hier schon unter Bedauern vorgetragen - diese Chance ist bisher noch nicht genutzt worden. Darauf hinzuwirken, daß dies geschieht, ist der Sinn der Anträge, die uns vorliegen: des Antrags der SPD vom 11. Oktober 1995 und des Antrags der CDU/ CSU vom 6. Dezember 1995. Der Text zeigt, daß die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU den Antrag von der SPD aufmerksam gelesen haben und ihm nicht ohne Sympathie begegnet sind, so daß es eine gute Chance gibt, zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen. ({1}) Das ist wichtig. Denn ein solcher gemeinsamer Vorstoß - ich beziehe die F.D.P. natürlich mit ein ({2}) richtet sich an „schwere Brocken" der internationalen Politik, nämlich an die Parlamente in Washington und Moskau, ohne deren Ratifikation - auch das isi schon betont worden - ein solches C-Waffen-Übereinkommen zahnlos, ja wirkungslos bleiben müßte. Ich will mich zunächst einmal einem der beider Adressaten zuwenden, den Vereinigten Staaten. Wir beklagen in der Tat, daß der US-Senat, nachdem er im September 1994 den Bericht des „Senate Intelligence Committee" zum CWÜ entgegengenommen hat, seitdem keine weiteren Aktivitäten mehr entfaltet hat - und das entgegen den ersthaften Ratschlägen von Präsident Clinton, die wir jeweils unterstützt haben. Wir begrüßen natürlich, daß das US-Verteidigungsministerium am 22. Januar dieses Jahres eine Übersicht über die Bestände in amerikanischen Lagern veröffentlicht und erklärt hat, daß die amerikanische Regierung bis zum Jahr 2004 alle diese Bestände zerstören will - das wäre sogar schneller, als das CWÜ, auch wenn es heute in Kraft träte, vorsieht - und daß dieses den amerikanischen Steuerzahler 12 Milliarden Dollar kosten wird. Ich muß bekennen, daß mich bei dieser Veröffentlichung einige Details erschreckt haben. Wir hatten vermutet, daß an acht Orten in Amerika C-WaffenBestände gelagert sind; jetzt wissen wir, daß es 30 599,55 Tonnen sogenannter single components sind, also militärische Nerven- oder andere Kampfgase. Dazu kommen noch 680,19 Tonnen sogenannter Binärwaffen. Aber - das gibt zu einigen Sorgen Anlaß - es gibt daneben noch 13 630 Tonnen chemische Kampfstoffe, die als Testmunition oder als CWaffen, die von anderen Ländern eingesammelt worden sind, deklariert werden und die gesondert gezählt werden. Gesondert gezählt werden auch weitere 10 000 Tonnen C-Waffen, die sich als reine Defensivwaffen jeder Aufzählung, auch im Rahmen des CWÜ, entziehen. Der Beseitigungsbeschluß der amerikanischen Regierung ist gut. Aber solche Beschlüsse hat es schon mehrmals gegeben. Es handelt sich dabei eben um Ankündigungen, die unter Umständen nicht eingehalten werden. Deswegen sind sie auch kein Ersatz für die völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung, wie sie im C-Waffen-Abkommen enthalten ist. Das gleiche gilt für die Russische Föderation. Natürlich begrüßen wir, daß die russische Regierung - im übrigen schon vor der amerikanischen, nämlich am 26. Oktober letzten Jahres - einen ähnlichen Beschluß wie Washington gefaßt hat, nämlich erklärt hat, sie wolle bis zum Jahr 2005 alle ihre C-Waffen - das sind 40 000 Tonnen - vernichten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch hier erschrecken einige Details, nämlich daß zum Beispiel bei der Bekanntgabe dieses Beschlusses auch erklärt wurde, daß seit 1953, also seit 43 Jahren, 7 500 Tonnen Hautgifte wie Lewisit und Yperit in Eisenbahntankwaggons lagern und daß wegen der Gefährlichkeit, die von einer solchen Lagerung ausgeht, diese Gruppe von Waffen als erste für die Vernichtung vorgesehen ist, während der Bestand von 32 500 Tonnen Giftgas in Artilleriegeschossen und Flugzeugbomben erst später drankommen kann. Diese enthalten unter anderem das tückische Nervengift Phosgen. Die Russen rechnen damit, daß das Ganze 16,6 Billionen Rubel - das waren damals, 1985, 5,2 Milliarden DM - kosten wird. Auch hier wiederhole ich: Solche Ankündigungen sind keine Kompensation für die Ratifizierung des CWÜ als einer völkerrechtlich verbindlichen VereinGernot Erler barung. Bei Rußland fehlt auch ein wenig das Vertrauen, daß das wirklich umgesetzt werden kann, wenn man sich überlegt, daß man dort mit der Auszahlung des Soldes für die Soldaten monatelang im Rückstand ist, daß sogar, weil die Stromrechnungen von der Armee nicht bezahlt werden, zwischenzeitlich der Strom fehlt, um die Kühlanlagen von abgewrackten Atom-U-Booten funktionsfähig zu halten. Ich nutze diese Gelegenheit, um von diesem Platz, vom Deutschen Bundestag aus einen deutlichen Appell an unsere Kolleginnen und Kollegen in der Staatsduma und im Föderationsrat zu richten und ihnen zu sagen: Setzt endlich das CWÜ auf die Tagesordnung! Ich füge hinzu: Ich selbst bin sehr skeptisch, ob die Art, die wir uns im Augenblick bei der NATO-Osterweiterung leisten, eigentlich eine glückliche ist. Aber ich bitte die Kolleginnen und Kollegen in der Staatsduma und im Föderationsrat, das Thema der Unterzeichnung, der Ratifizierung des CWÜ nicht mit der Frage der NATO-Osterweiterung zu verbinden. ({3}) Das stellt die internationale Glaubwürdigkeit, die Vertrauenswürdigkeit der russischen Regierung in Frage; das schadet nur dem Ansehen der Russischen Föderation. Deswegen lautet mein Appell: Laßt davon ab! Ich appelliere genauso an den amerikanischen Senat, das Thema jetzt aufzugreifen und so gut voranzugehen wie beim START-II-Vertrag, dessen die Ratifizierung ja erfolgt ist. Abschließend wende ich mich an die Bundesregierung. Ich möchte, Herr Staatsminister Hoyer, ausdrücklich erklären, daß wir auf der Arbeitsebene eine sehr gute Arbeit zur Unterstützung des CWÜ beobachten, die aus Ihrem Haus kommt. Wir erkennen ausdrücklich an, was Ihre Beamten dort leisten. ({4}) Aber - leider kommt jetzt noch ein kleines Aber, das nicht Sie betrifft - heute ist es so, daß politische Ziele wie die des CWÜ nur dann eine Chance auf Erfolg haben, wenn sie auch von ganz oben unterstützt werden. Es gab eine Zeit, da reichte in Genf die hervorragende Diplomatie des Auswärtigen Amtes aus, um weltweit klarzumachen: Wir haben ein ganz spezifisches Interesse an diesem Abkommen. Heute reicht das nicht mehr, wenn nicht auch der Bundeskanzler selber sich dieses Thema zu eigen macht, sozusagen eine Top-Priority formuliert, die das CWÜ hat. Er hat schon mehrere Chancen verpaßt, dies zu tun, zuletzt bei seinem Moskau-Besuch. Jetzt steht am 19. und 20. April der Atomgipfel in Moskau bevor; dies ist eine erneute Gelegenheit. Ich appelliere an die Bundesregierung, diese Gelegenheit wahrzunehmen. Es lohnt sich. Wir brauchen noch in diesem Jahr ein gültiges Chemiewaffenübereinkommen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Hans-Dirk Bierling.

Hans Dirk Bierling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000179, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Dies sind die Farben Sachsens auf meinem Gipsarm. ({1}) Es ist schon überraschend, zu so später Stunde eine Debatte mit soviel Übereinstimmung zu führen. Eines ist allerdings bedauerlich: Die liebe Kollegin Beer - sie ist im Moment wohl hinausgegangen ({2}) mißbraucht diese wichtige Debatte zu Unterstellungen, die sie nicht belegt, und versucht auf diese zweifelhafte Art, der Debatte Würze zu verleihen. Das halte ich für sehr überflüssig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist heute schon mehrfach gesagt worden, daß das Chemiewaffenübereinkommen vom Januar 1993 bisher von 159 Staaten unterzeichnet worden ist. 159 Staaten wollten also das Zustandekommen dieses Vertrages. Die Verantwortung all dieser Staaten vor der Welt ist nicht mehr wegzudiskutieren. Es ist deshalb kaum nachzuvollziehen, daß zwei Drittel der Signatarstaaten das CWÜ bis heute noch nicht ratifiziert haben. Ich meine, die wichtigsten Staaten der Vereinten Nationen und alle Mitglieder der Europäischen Union haben die Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen und dabei Maßstäbe zu setzen. ({3}) Von der Schlüsselfunktion dieses Abkommens war schon die Rede. In einer Welt, in der immer mehr terroristische Bomben hochgehen, in der immer mehr Menschen bei terroristischen Anschlägen sterben, in einer Welt, in der sich mafiose Organisationen nicht scheuen, Milliardengewinne auch mit Terror zu erzielen, in einer Welt, in der pseudoreligiöse Sekten Angst und Schrecken verbreiten sowie Gesundheitsschäden und Tote in Kauf nehmen, um Kampfmittel auszuprobieren, in einer solchen Welt ist es erforderlich, daß die Staaten alles tun, um die Produktion und die Lagerung von chemischen Kampfstoffen und Chemiewaffen zu verhindern. Es ist notwendig, durch Verzicht auf das Vorhalten derartiger Waffen die Produktion waffenfähiger Chemikalien zu verhindern. Dazu sieht das Chemiewaffenübereinkommen sehr umfangreiche Kontrollmechanismen vor. Leider kann man chemische Kampfstoffe heute auch in Hinterhoflabors herstellen. Leider verfügen verbrecherische Organisationen und Regime immer über Möglichkeiten, Nichtverbreitungsverträge und Herstellungsverbote zu umgehen. Deshalb liegen gerade in den Kontrollmechanismen zugleich Schlüssel und Problem des Vertrages. Ebenso wichtig wie ein Produktions-, Lagerungs- und Proliferationsverbot ist die Vernichtung der enormen C-Waffen-Bestände vieler Staaten, insbesondere - das ist schon ausführlich gesagt worden - der USA und Rußlands. Die Technologien der Vernichtung sind vorhanden. Natürlich sind sie teuer; aber das sollte bei der Gefahr weltweiter Bedrohung durch diese Stoffe in der Hand verbrecherischer Elemente kein Hindernis für ihre Vernichtung sein. 40 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe allein in Rußland sind eine Altlast, deren Lagerung und Sicherung schon enorme Aufwendungen verursachen. Uns beschäftigt in diesem Hause in einem eigens dafür geschaffenen Untersuchungsausschuß der Schmuggel weniger hundert Gramm spaltbaren Materials von Rußland nach Deutschland im Sommer 1994. ({4}) - Natürlich war das ein dickes Ei, Herr Erler; Sie haben recht. Aber wieviel leichter transportierbar und wieviel leichter einsetzbar sind chemische Kampfstoffe! Wird nicht die Gefahr chemischer Waffen oder Kampfstoffe in der Hand gewissenloser Staatsmänner und verbrecherischer Organisationen oder Sekten auch nach den Erkenntnissen im Irak und nach den Anschlägen in Tokio noch weithin unterschätzt? - Ich jedenfalls habe die Bundesregierung bereits in der Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses in der Sommerpause 1994 gebeten, mit den Russen über Sicherung der C-Waffen-Bestände zu sprechen. Es wäre eine schreckliche Vorstellung, aus schlecht gesicherten Arsenalen gelangten chemische Kampfstoffe - vielleicht wieder mit der Lufthansa - in die Hand terroristischer Vereinigungen in Deutschland oder anderswo in der Welt. ({5}) Das Chemiewaffenübereinkommen ist in seiner Komplexität, beginnend beim Produktions-, Lagerungs-, Weitergabe- und Einsatzverzicht über die Bestandsvernichtung bis hin zu den Meldepflichten und Kontrollen der chemischen Industrien, ein schwieriger und - besonders für die C-Waffen-Besitzer - kostenträchtiger Vertrag. Das kann und darf kultivierte Nationen aber nicht hindern, beispielgebend die Vorreiterrolle mit der Ratifikation zu übernehmen. Die Begründungen vieler zur Zeit mit der Ratifikation noch zögernder Staaten sind überwiegend nicht stichhaltig. Die Bundesrepublik Deutschland hat als zwölfter von bisher leider nur 47 Staaten ihre Ratifikationsurkunde im August 1994 hinterlegt. Die Bundesrepublik Deutschland unterhält seit vielen Jahren eine Forschungs- und Vernichtungsanlage - und das mit gutem Erfolg. ({6}) Sie steht - das ist immer wieder erklärt worden - auch anderen Nationen mit ihrem technischen Wissen zur Vernichtung von chemischen Kampfstoffen zur Verfügung. Es ist also nicht einzusehen, daß nicht auch Staaten, die bisher nicht ratifiziert haben, auf das vorhandene technische Wissen zurückgreifen oder wenigstens durch Ratifizierung des Vertrages ihren guten Willen bekunden. Wir sind darum der Ansicht, daß die Bundesregierung auch weiterhin, wenn möglich sogar noch verstärkt - Vorschläge dazu sind von Herrn Erler sehr richtig gemacht worden, auch auf allen Ebenen der Bundesregierung -, ihren Einfluß international geltend machen sollte, die säumigen Unterzeichner an ihre Pflicht und ihre Verantwortung gegenüber der Menschheit zu erinnern. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Frau Kollegin Zapf am 16. Februar den Bundeskanzler aufforderte, bei Präsident Jelzin das Ratifizierungsverfahren anzumahnen, ({8}) ist das angesichts der riesigen Vorräte, die auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion lagern, sicher richtig. Aber in der gleichen Presseerklärung machte sie auch auf das zögerliche Verhalten der USA aufmerksam, und damit kam sie auf den Kern des Problems. Wenn nämlich die beiden Großmächte USA und Rußland ihrer Pflicht, ein Beispiel für die Völker der übrigen Welt zu geben, nicht nachkommen, würde der Chemiewaffenvertrag, das CWÜ, Makulatur werden. ({9}) Frau Kollegin Zapf hat auch weiter recht, wenn sie darauf verwiesen hat, daß ein Scheitern des CWÜ weitreichende Folgen hätte. Ein solcher abrüstungspolitischer Rückschlag hätte zum Beispiel zur Folge, daß Abrüstung und Verbot biologischer Waffen auf lange Sicht keine Aussicht auf Erfolg hätten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen uns ja zwei Anträge zu diesem Thema vor. Sie unterscheiden sich in der Sache kaum voneinander. ({10}) - Es ist doch normal, daß der eine eher und der andere später da ist. Wenn zwei Anträge da sind, können ja nicht beide zur gleichen Minute vorliegen, Frau Zapf. Sie unterscheiden sich in der Sache wirklich kaum voneinander, sieht man einmal davon ab, daß der AnHans-Dirk Bierling trag der CDU/CSU und der F.D.P. zum CWÜ etwas ausführlicher begründet ist. ({11}) Wir werden - da bin ich mit Ihnen optimistisch; sie haben es ja vorhin auch gesagt - wohl leicht zu einem gemeinsamen Antrag kommen. Das verdient dieses Thema wahrhaftig. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Nun erteile ich dem Herrn Staatsminister Hoyer das Wort.

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich für den breiten Grundkonsens, der hier festgestellt werden kann. Wir teilten seinerzeit die Freude über den Abschluß des Abkommens. Wir teilen andererseits jetzt die Sorge über die bisher schleppende Ratifikation, und wir teilen schließlich die Entschlossenheit, das angestrebte Ziel zu erreichen und das Abkommen auch voll zu implementieren. Insofern möchte ich mich angesichts der vorgerückten Stunde auf acht kurze Anmerkungen beschränken. Erstens. Wir brauchen 65 Ratifikationsurkunden; 47 reichen nicht. Wir gehen nach den Ankündigungen wesentlicher Partner davon aus, daß noch in diesem Jahr die Hinterlegung der 65. Ratifikationsurkunde erfolgen wird. Wir werden das Notwendige an diplomatischen Initiativen unternehmen, um dafür zu sorgen, daß damit das Abkommen auch in Kraft treten kann. Zweitens. Der Abschluß war ja erst nach fast 20jährigem Bemühen möglich. Dabei erscheint mir insbesondere von Bedeutung, daß es um die Vernichtung aller vorhandenen Bestände geht und daß folglich ein umfassendes Kontrollsystem implementiert werden muß, das unter anderem die zivile Industrie einschließt, um wirklich sicherzustellen, daß Chemikalien nur noch für friedliche Zwecke verwendet werden können. Drittens. Der Krieg zwischen Irak und Iran, der Golfkrieg und andere furchtbare Ereignisse haben gezeigt, welche Schrecken von chemischen Waffen ausgehen können. Der Terroranschlag in der U-Bahn in Tokio mit vielen Toten und Tausenden von Verletzten hat unlängst zudem gezeigt, daß diese grauenhaften Massenvernichtungswaffen auch in die Hände von Kriminellen und Terroristen geraten können. Wir werden uns folglich auch der Frage widmen müssen, wie wir nicht nur Staaten, sondern auch Gruppen politischer oder religiöser Fanatiker am Besitz solcher Waffen hindern können. Viertens. Die Bundesrepublik war beim C-WaffenÜbereinkommen immer - seit vielen Jahren oder Jahrzehnten - treibende Kraft. Der Durchbruch gelang, wie gesagt worden ist, 1992 unter deutschem Vorsitz. ({0}) Wir haben als einer der ersten Staaten das Abkommen unterzeichnet. Von daher sind wir in einer guten Position, um uns auch gegenüber anderen Unterzeichnerstaaten dafür einsetzen zu können, daß die fehlenden Ratifikationen erfolgen. Es hat verschiedene Initiativen gegeben; ich brauche nicht all das zu wiederholen, was hierzu bereits freundlicherweise angemerkt worden ist. Fünftens. Ende Februar hat die US-Administration die Öffentlichkeit detailliert über die amerikanischen Chemiewaffenbestände informiert und sich dabei zu ihrer Verpflichtung bekannt, bis zum Jahre 2004 alles zu vernichten. Das Volumen macht 12 Milliarden US-Dollar aus. Wir begrüßen diesen Schritt nachdrücklich und fordern nunmehr auch die Kollegen im Senat auf, das Chemiewaffenübereinkommen in nächster Zeit abschließend zu beraten und der Ratifizierung zuzustimmen. Man kann ja davon ausgehen, daß die Ratifizierung des START-IIVertrages nach vielem Hin und Her am 26. Februar auch in bezug auf das Chemiewaffenübereinkommen optimistisch stimmen kann. Sechstens. Jetzt müssen Schritte auch in Moskau erfolgen. Ich danke Ihnen ausdrücklich, Herr Erler, für Ihren Appell an die Kollegen in der Staatsduma und im Förderationsrat. Aber es waren ja nicht zuletzt finanzielle Probleme bei der Vernichtung chemischer Waffen, die die Ratifizierung durch Rußland bisher verzögert haben. Wenn das die Hauptargumente waren, müssen wir uns darum bemühen, den Prozeß zu erleichtern. Wenn die anderen Themen hinzukommen und eine Verknüpfung von Fragen, die weiß Gott nichts damit zu tun haben, stattfindet, wird es in der Tat sehr gefährlich. Ich denke, wir werden über die Bereitstellung der 16 Millionen DM bisher und die 9 Millionen DM in den nächsten Jahren hinaus dort noch mehr tun müssen. Ich freue mich angesichts Ihrer angekündigten Unterstützung unserer Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß, wenn wir das tatsächlich auch umsetzen wollen. Siebtens. Es ist natürlich wichtig, daß alle Staaten der Europäischen Union so bald wie möglich ratifizieren. Das sind bisher leider erst zehn. Denn nur wenn die Europäer ihre Hausaufgaben erledigt haben, können sie mit Autorität andere Länder zur Ratifikation drängen. Wir werden also unsere europäischen Partner besonders drängen. Das ist übrigens auch im Hinblick auf die Regierungskonferenz, die sich mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik befassen will, eine Frage der Glaubwürdigkeit. ({1}) Achtens. Es gibt noch mehr als 30 Staaten auf der Welt, die sich noch nicht zur Zeichnung haben entStaatsminister Dr. Werner Hoyer schließen können, darunter viele Staaten in der arabischen Welt. Klar muß doch sein, daß nur ein universelles Übereinkommen, das auch und gerade in den sicherheitspolitisch labilen Regionen wirksam ist, seinen Zweck voll erfüllen kann. Das heißt, es versteht sich von selbst, daß die Geltung des Chemiewaffenübereinkommens gerade dem Nahen und Mittleren Osten einen spürbaren Gewinn an Sicherheit und Stabilität bringen würde. Deswegen werden wir uns insbesondere auch in dieser Richtung besonders engagieren. Wir werden die Situation und Entwicklung in Libyen natürlich konsequent im Auge behalten und wach verfolgen. Das setzt zunächst einmal eine sehr präzise „intelligence", Aufklärung, voraus. Ich hoffe, daß wir bei dem Thema, das als übernächster Punkt auf der Tagesordnung steht - wenn es um Maßnahmen militärischer Aufklärung geht -, die notwendige Unterstützung bekommen, und zwar in einer technologisch angemessenen Form. ({2}) Darüber hinaus wird es um eine sehr intensive, vertrauensvolle Abstimmung mit unseren Partnern gehen. Das Thema eignet sich sicherlich nicht zur Ankündigung von Drohgebärden, wohl aber zum Beweis von Konsequenz. Mit einem Vorstelligwerden alleine ist es dann in der Tat, so fürchte ich, nicht getan. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/2595 und 13/3231 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung - zu dem von den Abgeordneten Dietrich Austermann, Dr. Peter Ramsauer, Meinrad Belle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Birgit Homburger, Jürgen Koppelin, Hildebrecht Braun ({1}), Dr. Klaus Röhl und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuches - zu dem von den Abgeordneten Dietmar Schütz ({2}), Volker Jung ({3}), Achim Großmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuches - zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuches - Drucksachen 13/1733, 13/1736, 13/2208, 13/ 3936 Berichterstattung: Abgeordneter Werner Dörflinger Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Werner Dörflinger das Wort.

Werner Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Was die Kolleginnen und Kollegen von der SPD bewogen hat, uns die Chance zu eröffnen, zu solch später Stunde noch Wind zu machen, darauf bekommen wir nachher noch eine Antwort. Im übrigen hoffe ich darauf, daß wir diesen zugegebenermaßen etwas schwierigen Fragenkomplex so sachlich wie bisher miteinander diskutieren. Ich halte die Debatte allerdings für sinnvoll, ({0}) egal, aus welchen Motiven heraus sie entstand. Denn es gibt Bedarf an Klärung, auch an Aufklärung, und zwar sowohl innerhalb des Hauses als auch außerhalb des Hauses - auch wenn die Präsenz hier über die Präsenz bei einer Ausschußsitzung nicht hinausgeht. ({1}) Ich halte die Aussprache für notwendig, weil es tatsächlich eine kontroverse, quer durch die Fraktionen gehende Diskussion gibt. Sie kennen die Initiativen kommunaler Mandatsträger. Sie kennen das Engagement von Menschen, die sich für Umweltschutz engagieren, gegen die Privilegierung beispielsweise von Windrädern. Heute lese ich in meiner Heimatzeitung die Schlagzeile: „Die Küsten-SPD sperrt sich gegen Windkraftprivileg. " Da wird auf eine Initiative von fünf Kolleginnen und Kollegen der SPD Bezug genommen. Wir haben es in der Tat zum Teil auch mit einer pikanten Konstellation zu tun gehabt und haben noch damit zu tun, die ein Sachverständiger in der gemeinsamen Anhörung so charakterisiert hat: es stehe quasi Umweltschutz gegen Umweltschutz. Das heißt, daß Menschen, die sich für Umweltschutz engagieren, aus guten Gründen für und gegen die Privilegierung derartiger Einrichtungen votieren können. Es gibt also Befürchtungen, die wir ernst nehmen müssen. Dabei geht es - darin sind wir uns einig - nicht um das grundsätzliche Pro und Kontra zur verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien. Die Koalition hat sich hier eindeutig entschieden, und zwar nicht erst seit gestern oder seit heute, sondern konsequent vom Jahr 1982 an, weil nämlich ganz unbestritten ist, daß die Koalition den regenerativen Energien erst richtig Schub gegeben hat. Ich kann das belegen. ({2}) - Doch, doch, Frau Kollegin Gleicke, und zwar durch die Ausgaben des Bundes für regenerative Energien, die von 271 Millionen DM im Jahre 1982 auf 368 Millionen DM im Jahre 1993 gesteigert wurden. In Teilbereichen wurde bereits ein hoher technologischer Stand erreicht: die Entwicklung der Photovoltaik, seit 1982 gefördert mit 1 Milliarde DM; spezielle Programme, wie das 250-MW-Windenergieprogramm, das Tausend-Dächer-Programm für die Photovoltaik; die Förderung nachwachsender Rohstoffe; Marktanreize durch Programme des Bundeswirtschaftsministeriums. Es zeigt sich hier auch, daß die Windenergie eine explosive Entwicklung durchlaufen hat, was die installierte Leistung angeht. Nimmt man unsere Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Ausstößen hinzu, dann ergibt das durchaus ein in sich schlüssiges energiepolitisches Konzept. Als ein wichtiges, nach unserer Meinung unverzichtbares Instrument für die weitere Förderung der regenerativen Energien hat sich das Stromeinspeisungsgesetz erwiesen. Es ist schon einmal verbessert worden. Selbst wenn man mit Fug und Recht darüber diskutieren kann, ob gewisse regionale Sonderbelastungen vielleicht ausgeglichen werden können, glaube ich doch, daß niemand von diesem Stromeinspeisungsgesetz weg will. Nun zur Ergänzung des Baugesetzbuches. Vielfach wird in der öffentlichen Diskussion vergessen, warum wir uns überhaupt damit befaßt haben und befassen. Denn vor dem 16. Juni 1994, vor dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, war eigentlich klar, daß Windkraftanlagen genauso wie die standortgebundene Wasserkraft baurechtlich privilegiert waren. Dann ist eine rechtliche Unsicherheit eingetreten. Insofern bewegen wir uns als Gesetzgeber eigentlich nur dorthin, daß wir den früher bereits vorhandenen Zustand wiederherstellen wollen, nämlich daß regenerative Energieträger, insbesondere Windkraft, privilegiert sind. Ich darf daran erinnern, daß vor einiger Zeit in diesem Hause die Privilegierung fast geräuschlos durchgesetzt worden ist. Sie ist dann an einem Einspruch des Bundesrates gescheitert. Da wir inzwischen Bundestagswahlen hatten, ist das Ganze der Diskontinuität verfallen. Nun haben die Koalition, unsere Kolleginnen und Kollegen von der SPD und auch der Bundesrat einen neuen Anlauf genommen. Man kann sagen, wir alle haben uns außerordentliche Mühe bei der Beratung aller drei Vorlagen gegeben. Niemand kann behaupten, wir hätten insbesondere den Einwänden der kommunalen Seite nicht das notwendige Gewicht eingeräumt. Das geschieht schon deswegen nicht, weil die meisten Baupolitiker eigentlich Kommunalpolitiker sind. ({3}) Das heißt, sie kennen die kommunale Wirklichkeit. Deswegen heißt der Bauausschuß oft auch Kommunalausschuß. Mir, der ich in der kommunalen Praxis stehe und aus einer Landschaft - dem südlichen Schwarzwald - komme, die hochsensibel ist, wird man mit Fug und Recht Sensibilität für die Themen unterstellen können, die von außen an uns herangetragen worden sind. Es geht nicht darum, Kompetenzen der Gemeinden zu beschneiden. Es geht schon gar nicht darum, die Faktoren Landschaft, Naturschutz und Fremdenverkehr unterzubewerten. Darum kann es nicht gehen. ({4}) Niemand will Wildwuchs, niemand will die Entmachtung kommunaler Planungshoheit. Aber wir wollen auch nicht, daß die Gemeinden die Frage der besseren Nutzung von regenerativen Energieträgern undifferenziert ohne jegliche Begründung wegschieben und sich mit einem solchen Problem überhaupt nicht auseinandersetzen; denn auch Gemeinden müssen sich Fragen der Struktur der Energieversorgung und der Ökologie stellen, beim Bauen genauso wie bei der Planung und der Energieversorgung. Es gibt draußen im Land viele positive Beispiele dafür, daß die Kommunalpolitik sich aus eigener Initiative derartigen neuen Problemen stellt. Es gibt auch viele positive Beispiele überörtlicher Planung, bei denen derartige Dinge in einen größeren Zusammenhang gestellt und entsprechend verarbeitet worden sind. Ziehen wir ein Zwischenresümee und betrachten die verschiedenen Gesichtspunkte: Ich bin der Meinung, daß wir zu einer vernünftigen, zu einer optimalen Lösung gefunden hatten. ({5}) Deswegen verwundert es gar nicht, daß zum Beispiel die kommunalen Spitzenverbände, die ursprünglich betont skeptisch reagiert hatten, nun zu verstehen geben, mit dieser Lösung könne man leben, weil sie die Gemeinden in ihrer Planungshoheit nicht entmachtet. Die wesentlichen Elemente dieser Lösung, zu denen auch das BMBau durch seine fachliche Assistenz beigetragen hat, sind die folgenden. Wir schaffen wieder die Privilegierung, die für die Wasserkraft, weil standortgebunden, ohnehin schon gilt. Wir installieren einen umfassenden Planungsvorbehalt, und zwar einen solchen, der sowohl die gemeindliche als auch die überörtliche Ebene erfaßt. Wir schaffen, um die Gemeinden nicht unter Druck zu setzen, die Möglichkeit der Zurückstellung von Bauanträgen bis zum 31. Dezember 1997. Damit das Problem aber nicht versauert, hatten wir vorgesehen, das Gesetz als solches zum 1. Oktober 1996 in Kraft zu setzen. Ich bin davon überzeugt, daß die jetzt angebotene Lösung, wenn man sie insgesamt betrachtet, den Gemeinden mehr Steuerungsmöglichkeiten gibt als die frühere. Das muß man betonen, weil manchmal ein anderer Eindruck erweckt wird. ({6}) Diese Lösung - davon bin ich überzeugt - schafft im Prinzip auch mehr Rechtssicherheit. Noch einmal: Es gibt keinen absoluten Vorrang für regenerative Energien. Es gibt kein totales Aushebeln anderer Belange, die bei regenerativen Energiequellen mit gesehen werden müssen. Insofern habe ich Verständnis dafür, daß gerade engagierte Umweltpolitikerinnen und -politiker, auch in unserer Fraktion, mit besonderer Sensibilität an diese Frage herangegangen sind und herangehen. Wir haben signalisiert, daß wir noch Beratungsbedarf hätten. Ich bin bei der traditionell guten Atmosphäre im federführenden Fachausschuß sicher, daß wir letztlich, wenn der Wind den Nebel des Wahlkampfes vertrieben hat, gemeinsam zu einer vernünftigen Regelung kommen. ({7}) Dazu möchte ich alle einladen, und ich bin sicher, daß die Nachfolgenden, die vortragen, durch Inhalt und Ton ihres Vortrags eine gemeinsame Lösung nicht verhindern. Vielen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Schöler.

Walter Schöler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Herrn Kollegen Dörflinger höre, dann frage ich mich: Warum haben wir heute abend, heute morgen oder heute mittag dieses Gesetz nicht verabschiedet? ({0}) Denn allein der 24. März als Wahltermin kann nicht der Grund sein. Ich hätte nun wirklich erwartet, daß die Gründe, die die Koalition bewogen haben, den Punkt von der Ausschußtagesordnung abzusetzen, genannt worden wären. Es ist doch so, daß alle Fraktionen dieses Hauses nachdrücklich die Förderung der Windkraft begrüßt haben. ({1}) - Herr Kollege Braun, ich bin froh, daß Sie es auf den Punkt bringen. Da ist der Brief von fünf SPD-Abgeordneten. Aber die SPD-Fraktion - ich werde Ihnen das gleich noch einmal sagen - steht sehr geschlossen. Ich glaube noch nicht einmal, daß die fünf SPDKollegen gegen ein solches Gesetz stimmen würden. Für meine Fraktion gab es bei unseren Überlegungen nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juni 1994 zwei Ziele: einmal den Abbau des Hemmnisses der fehlenden allgemeinen Privilegierung von Vorhaben zur Erforschung, Entwicklung und Nutzung im Außenbereich und dies zweitens - das halten wir für ganz wichtig - unter Wahrung der kommunalen Planungshoheit, die nicht ausgehöhlt werden sollte. Die im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau nach einer Reihe von Gesprächen von allen Seiten getragene gemeinsame Fassung berücksichtigt diese Ziele. Für die Erarbeitung möchte ich mich bei den beteiligten Kollegen und Kolleginnen, insbesondere auch beim Ministerium ganz herzlich bedanken. ({2}) Grundlage des Kompromisses, der die Gesetzesinitiative zusammenfaßt, sind unter anderem gutachterliche Aussagen der Schlichter-Kommission. Um so unverständlicher ist die Blockierung durch die Koalitionsfraktionen. ({3}): Das ist wohl wahr!) Der Vorwurf, die beabsichtigte Regelung würde einer „wilden Privilegierung" Vorschub leisten und zu weiterer ungeordneter Entwicklung im Bereich der Windenergie führen, ist unzutreffend und an die Absender zurückzugeben. Denn diejenigen, die heute die Überfrachtung von Landstrichen, insbesondere im Küstenbereich mit Windkraftanlagen beklagen, tragen häufig selbst die kommunale Verantwortung. Sie sollten begrüßen, daß ihnen durch die Novellierung eine verbesserte rechtliche Instrumentariumsammlung an die Hand gegeben wird, um endlich ordnend eingreifen zu können. ({4}) Durch Ausweisung von Vorrangflächen für Windenergieanlagen sollen andere Standorte im Regelfall ausgeschlossen werden. Diese Vorrangflächen können dort, wo schon konzentriert Anlagen stehen, genau diese Standorte umfassen, ohne also neue Standorte auszuweisen. Damit ist auch keine Verpflichtung für die Gemeinden verbunden, Flächen überhaupt festlegen zu müssen. Es wird inzwischen auch behauptet, das sei dann eine Pflicht für die Kommunen. Es gibt auch keine Entschädigungspflichten, wenn man dann zu anderen Ergebnissen kommt, als die Vorrangflächen auszuweisen. Wenn man allerdings diese Fläche nicht ausweist, gilt die Privilegierung, freilich mit der Einschränkung, daß Baugenehmigungen zu versagen sind, wenn öffentliche Belange beeinträchtigt werden. Das steht so in § 35 des Baugesetzbuches. Beeinträchtigungen liegen insbesondere dann vor, wenn Vorhaben die Belange des NaturWalter Schöler schutzes und der Landschaftspflege oder des Denkmalschutzes beeinträchtigen, das Orts- und Landschaftsbild verunstalten oder die natürlichen Eigenschaften der Landschaft oder auch ihre Aufgabe als Erholungsgebiet beeinträchtigt werden usw. Das ist seit Jahren im Baugesetzbuch geregelt. Fragt sich, ob diese einschränkenden Regelungen in der Vergangenheit bei der Erteilung von Baugenehmigungen im Rahmen der notwendigen Abwägung zwischen öffentlichen Belangen und privaten Interessen immer beachtet wurden. Einen solchen Abwägungsprozeß haben die Gemeinden gleichermaßen im Rahmen der Flächennutzungsplanung bei der Ausweisung von Vorranggebieten vorzunehmen. Die Gemeinden sollten das Instrumentarium, das ihnen das Baugesetzbuch bietet, anwenden und ordnend eingreifen und dies möglichst kurzfristig. Deshalb auch die Frist bis zum Inkrafttreten zum 1. Oktober 1996. Sie erhalten eben diese Zeit, wenn sie zwischen dem Zeitpunkt der Gesetzesverkündung und dem vorgesehenen Inkrafttreten am 1. Oktober 1996 Beschlüsse zur Einleitung von Verfahren für die Aufstellung oder die Änderung von Flächennutzungsplänen fassen. Darüber hinaus können sie auch landesplanerische Initiativen anregen. In den Fällen, wo entsprechende Beschlüsse rechtzeitig gefaßt werden, können dann die Baugesuche bis Ende 1997 zurückgestellt werden. Mit dieser Regelung wird also genügend Zeit eingeräumt, neues kommunales Baurecht in Kraft zu setzen. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, daß sich diejenigen, die seit Dezember des letzten Jahres den Abschluß der Ausschußberatungen und die Gesetzesverabschiedung verzögert haben, inhaltlich mit Zielen und Rechtsgrundlagen der Novellierung nicht eingehend befaßt haben. Ich möchte deshalb besonders die Koalition auffordern, im Interesse einer zukunftsweisenden Regelung der Förderung erneuerbarer Energien, im Interesse der Rechtssicherheit für die Gemeinden und im Interesse der Produktionsbetriebe von Windenergieanlagen ({5}) und des Erhalts der damit verbundenen Arbeitsplätze diese Blockadehaltung aufzugeben und den Gesetzentwurf mit uns gemeinsam zu verabschieden. ({6}) An der SPD-Fraktion scheitert die Privilegierung der Windenergie jedenfalls nicht. Danke schön. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Kollege Helmut Wilhelm das Wort.

Helmut Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002825, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist eigentlich schon kaum mehr vorstellbar: Durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entstehen rechtliche Probleme bei der Genehmigung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien im Außenbereich. ({0}) - Sie werden es gleich hören. Das kommt schon noch. - Der aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes erwünschte Ausbau eben dieser Energieerzeugungsart ist also rechtlich erschwert. Da bringt der Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Baugesetzbuches ein, der die Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich zum Ziel hat. CDU/CSU und F.D.P. bringen einen Entwurf mit gleicher Zielrichtung ein, die SPD ebenso; die Grünen legen einen Ergänzungsantrag vor. Sämtliche Anträge unterscheiden sich nur marginal. Im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau einigt man sich dann auf eine, wie ich meine, gute Fassung, die den konkurrierenden Ansprüchen sorgfältig Rechnung trägt, sorgfältig abwägt und von allen Parteien mit getragen wird. Plötzlich bekommen manche kalte Füße. Der Umweltausschuß steckt den Kopf in den Sand und entscheidet lieber gleich gar nicht. ({1}) Der Bauausschuß wertet die Wortlosigkeit des Umweltausschusses nicht etwa als das, was sie wirklich ist, als erklärte Absicht, im Rahmen der Mitberatung keine Stellungnahme abzugeben, und verschiebt und verschiebt und verschiebt. Heute bekommen wir diese traurige Historie dargeboten ohne Erklärung dahin gehend, wie es nun weitergehen soll. Meine Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P., sagen Sie uns doch bitte hier endlich klar und deutlich, was Sie wollen oder was Sie vielleicht auch nicht wollen! Den ganzen Vormittag haben wir uns in diesem Hohen Hause über mehr Arbeitsplätze unterhalten, und hier wartet ein ganzer Energiezweig auf eine gesetzliche Regelung für seine Bauvorhaben. Hier könnten viele Arbeitsplätze in Planung und Bau geschaffen werden, und das in einem Bereich innovativer, zukunftsträchtiger Energieerzeugung. Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P., die nicht müde werden, andere als Verhinderer zu brandmarken, Sie warten und warten und warten und verschieben und verschieben. Es ist unerträglich. Um diesem Trauerspiel ein Ende zu bereiten, stelle ich folgenden Antrag zur Geschäftsordnung: erstens den noch ausstehenden formellen Beschluß des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in der Ausschußsitzung am 13. März 1996 herbeizuführen, ebenso den endgültigen Beschluß des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau herbeizuführen und drittens die abschlieHelmut Wilhelm ({2}) ßende Lesung im Plenum zum nächstmöglichen Termin durchzuführen. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich habe das so verstanden, daß wir den Antrag zur Geschäftsordnung nicht jetzt gleich behandeln müssen. Ist das richtig? - Dann rufe ich den Kollegen Hildebrecht Braun auf.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn er könnte, wäre er heute hier: Don Quijote hat in seinem unermüdlichen Kampf gegen die Windmühlen 300 Jahre auf den Erfolg warten müssen. Heute könnte er Zeuge sein, wie ein Teilerfolg in Sicht kommt. Denn der neue § 35 des Baugesetzbuches wird dem Wildwuchs der Windenergieparks in der deutschen Landschaft Einhalt gebieten. Die Windenergie hat von 1990 bis 1995 um den Faktor 50 zugenommen. Das ist gut so. Grundsätzlich begrüßen wir es, daß die Windenergie genutzt wird, auch wenn ich leichte Zweifel nicht verhehlen will, das Stromeinspeisungsgesetz könnte die Schleusen etwas zu weit geöffnet haben. Die Windkraftanlagen machen aber nicht nur Freude. Tatsache ist, daß die Stromabnehmer in den betroffenen Gemeinden Norddeutschlands mehr für ihren Strom zahlen müssen als andere. Tatsache ist weiter, daß die Landschaft durch die Windkraftanlagen nicht unbedingt an Liebreiz gewinnt. Es ist daher sehr verständlich, wenn betroffene Menschen und betroffene Kommunen vor der weiteren Entwicklung Angst haben. Diese Angst müssen wir Politiker ernst nehmen. Wir werden im federführenden Bauausschuß sowie in den mitberatenden Ausschüssen intensiv darüber nachdenken, wie wir den Bedenken speziell von Schleswig-Holstein begegnen können. ({0}) Ich will aber auch deutlich sagen, daß schon der bisherige, unveränderte Gesetzentwurf keineswegs dazu führen wird, daß die gesamte Landschaft mit Windkraftanlagen zugepflastert wird. Landesplanung, Regionalplanung und die Gemeinden können Vorgaben darüber treffen, wo ausschließlich Windkraftanlagen errichtet werden dürfen. Gemeinden können dies durch Aufstellung eines Flächennutzungsplans für einen Teil des Außenbereichs tun. Wenn eine solche Festlegung erfolgt ist, stehen Anträgen auf Errichtung von Windkraftanlagen in anderen Teilen der Gemeinde öffentliche Belange entgegen. Sie sind dann dort in der Regel unzulässig. Problematisch sind nun folgende Aspekte: Erstens. Viele Gemeinden wollen Windkraftanlagen für ihr gesamtes Gemeindegebiet ausschließen. Das wird bei Gemeinden, die vom Fremdenverkehr leben, möglich sein, weil gemäß § 35 Abs. 3 Spiegelstrich 7 des Baugesetzbuchs die Beeinträchtigung der Landschaft als Erholungsgebiet ein entgegenstehender öffentlicher Belang ist. Das einmalige Wattenmeer, aber auch die Inseln dürfen daher ohnehin schon von Windkraftanlagen freigehalten werden. Es besteht die Möglichkeit, gemeinsam mit Nachbargemeinden einen Flächennutzungsplan aufzustellen, der einen Bereich für Windkraftanlagen ausweist. Die Fläche muß nicht etwa sehr groß sein. Die Rechtsprechung wird sich an dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Kiesabbau orientieren. Die Festlegung der Fläche muß nur den Grundsätzen ordnungsgemäßer Planung entsprechen. Dies bedeutet, daß alle in Betracht kommenden Interessen vernünftig gegeneinander abgewogen werden. Zweitens. In vielen Gemeinden haben die örtlichen Landwirte als Grundeigentümer zugleich das Sagen im Gemeinderat. Sie stehen nun in einem besonderen Konflikt: Die Bevölkerung wünscht Zurückhaltung bei der Ausweisung von Flächen für Windkraftanlagen. Der eigene Acker aber, der bisher 15 000 DM pro Hektar wert war, wird nach einem Beschluß, der ihm Windparkqualität zumißt, sofort 150 000 DM wert sein. Das schafft natürlich Probleme. Drittens. Problematisch ist weiter die im Gesetzentwurf vorgesehene Bestimmung für den zeitlichen Ablauf. Es wird weder möglich sein, zum 1. Oktober dieses Jahres Flächennutzungspläne aufzustellen, noch insbesondere möglich sein, die Regionalplanung um den Faktor Windenergie zu erweitern. Schließlich müssen hier unendlich viele Gemeinden befragt werden, natürlich auch die Kreistage, bevor die Ergebnisse dem jeweiligen Landeskabinett zugeleitet werden können. Allein der besonders betroffene Landkreis Nordfriesland hat 137 Gemeinden. Es wird daher nochmals zu prüfen sein, ob nicht bereits der Beschluß, den jeweiligen Regionalplan um den Bereich Windenergie zu erweitern, eine zeitlich begrenzte Sperrwirkung haben könnte bzw. sollte. Ich darf zusammenfassen: Erstens. Wir begrüßen es, daß die Windkraft einen stark wachsenden Anteil an der Bereitstellung von Energie erlangt. Wir wollen dies weiter fördern, da Windkraft weder Entlagerungsprobleme noch CO2Probleme schafft. Zweitens. Wir stehen zur Planungshoheit der Gemeinden und wollen daher, daß bundesrechtliche Planungseinschränkungen so gering wie möglich ausfallen. Drittens. Wir wissen, daß das Landschaftsbild und speziell die unter Naturschutz stehenden Gebiete nicht beeinträchtigt werden dürfen. ({1}) Wir respektieren den Wunsch der Gemeinden, eine Beeinträchtigung des Fremdenverkehrs nicht hinnehmen zu müssen. Hildebrecht Braun ({2}) Viertens. Wir werden klären, welcher Zeitvorlauf tatsächlich erforderlich ist, um Flächennutzungspläne für Windkraft zu ändern und speziell Regionalpläne den neuen Gegebenheiten anzupassen. Wir wollen schnelles Handeln der Kommunen und Kreise. Wir wollen aber nicht Vorgaben liefern, denen die Kommunen, Landkreise und Landeskabinette nicht entsprechen können. Lassen Sie uns gemeinsam die nächsten Wochen nutzen, um unseren Gesetzentwurf, dessen Zielrichtung von allen Parteien geteilt wird, so auszuformulieren, daß die Ängste der Bürger in den betroffenen Landesteilen berücksichtigt werden. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie schon von meinen Vorrednern erwähnt, gab es nur bei wenigen in dieser Legislaturperiode bisher behandelten Gesetzentwürfen und Anträgen eine so große Unentschlossenheit wie in der Frage der Privilegierung bei der Genehmigung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien. Nach meiner Erkenntnis - sie wurde hier bestätigt - bildeten sich querbeet durch alle Fraktionen Lager von Befürwortern und Gegnern einer Privilegierung. Wahrscheinlich liegt das auch am starken Engagement der verschiedensten Interessenvertreter, die uns Abgeordnete mit vielen Briefen pro und kontra bombardierten. Noch vor Monaten war die Entscheidung für die meisten klar: Natürlich sind wir für erneuerbare Energien - also privilegieren! Je mehr sich die Abgeordneten und ihre Ausschüsse aber mit dieser Thematik befaßten, desto unsicherer wurden viele. Auch ich war und bin nicht frei von Zweifeln. Trotzdem habe ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Bundestagsgruppe der PDS auf eine Position geeinigt. Bevor ich dazu komme, ein Blick auf die derzeitige energiepolitische Lage. Die Situation der Energieerzeugung in der Bundesrepublik Deutschland ist durch eine starke monopolistische Konzentration auf nur wenige übermächtige Stromkonzerne gekennzeichnet. Vor allem das Verhalten der Bundesrepublik bei der Privatisierung der Energiewirtschaft der DDR hat bewiesen, auf welcher Seite sie steht, nämlich auf der Seite der großen privaten und nicht der kleinen kommunalen und dezentralen Stromversorger. Die regionale Macht und der politische Einfluß der großen Konzerne sind nicht zu übersehen. Sie sehen mit jeder kleinen dezentralen Energieerzeugungsanlage ein weiteres Stückchen Macht und politischen Einfluß schwinden. Diese verkrusteten Machtstrukturen stehen deshalb einer ökologischen Erneuerung aus eigennützigen Gründen im Wege. Sie aufzubrechen ist das Anliegen der Demokratischen Sozialisten. Dabei kann und muß die Förderung erneuerbarer und dezentral erzeugter Energien eine herausragende Rolle spielen. Wir unterstützen grundsätzlich Vorhaben zur Erforschung, Entwicklung oder Nutzung von alternativen, erneuerbaren Energien und können deshalb den im Bericht des Bauausschusses aufgezeigten Kompromißvorschlag mittragen. Wir sind auch mit einem Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 1. Oktober 1996 einverstanden, um die oft kleinen und mittelständischen Unternehmen zur Erzeugung von Windkraftanlagen nicht vor finanzielle und technologische Engpässe zu stellen, die mit einer zeitweisen starken Drosselung der Produktion dieser Anlagen verbunden wären. Ich denke dabei vor allem an neugegründete und mit einer nur geringen Finanzdecke ausgestattete Unternehmen in Ostdeutschland. Im übrigen werde ich den Eindruck nicht los, daß auch der Wahlkampf in Schleswig-Holstein ein gewichtiger Grund für das ständige Hinausschieben einer Entscheidung ist. Vielleicht finden wir nach Beendigung dieses Wahlkampfes schnell eine vernünftige Lösung, die alle mittragen können. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dietmar Schütz.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in dieser Frage bisher eigentlich immer als Allparteienkoalition geriert und sind zu einem Text gelangt, der zustimmungsfähig ist. Es ist schon ein Witz, daß die Vorlage des Bundesbauministers von der Opposition nachhaltig unterstützt wird und wir im Augenblick deshalb nicht weiterkommen, weil in Ihren Koalitionsreihen möglicherweise noch Hemmnisse auftreten. Ich finde, wir sind doch gehalten, weiterzumachen, weil wir durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes und die nicht mehr vorhandene Privilegierung einen nachhaltigen Genehmigungsstau insbesondere in den Küstenkreisen haben. Wir wollen - auch darüber sind wir uns einig - die Förderung der erneuerbaren Energien, besonders der Windenergie, in den Küstenbereichen doch durchsetzen. Wir haben bisher schon große Erfolge in den Ländern Schleswig-Holstein mit etwa 440 Megawatt Leistung am Netz und Niedersachsen mit 330 Megawatt Leistung am Netz erreicht. Wir wissen, daß diese regenerativen Energien für die CO2-Reduktions-Ziele wichtig sind, die wir gemeinsam beschlossen haben. ({0}) Dietmar Schütz ({1}) Wenn auch Sparziele und Effizienzziele vielleicht mehr erreichen, so ist die Signalfunktion, regenerative Energien stärker durchzusetzen, doch wichtig. ({2}) Die Windenergie ist im Augenblick die regenerative Energie, die am stärksten durchgesetzt ist. Ich nenne einen weiteren Aspekt, warum wir gehalten sind, jetzt weiterzumachen. Ich habe den Genehmigungsstau genannt. In den letzten Jahren sind nach Angaben des IWB rund 5 000 Arbeitsplätze im Bereich der Windenergie entstanden. Die Firma Eurosolar nennt sogar einen Zuwachs an Arbeitsplätzen in diesem Bereich von etwa 10 000 seit 1991. Ich will an eine Firma erinnern, die bei mir oben in Ostfriesland vor etwa fünf Jahren gegründet worden ist, die durch Anlagenbau im Windkraftbereich in jedem Jahr ihren Umsatz und ihr Personal verdoppelt hat. Deswegen müssen wir diesen Genehmigungsstau überwinden und zu einer Regelung im Bundesbaugesetz kommen. Die Vorbehalte der Kommunen, die wir jetzt zur Kenntnis genommen haben, sind deswegen beachtlich, weil natürlich in diesen Bereichen Wildwuchs entstanden ist. Aber dieser Wildwuchs ist schon mit der jetzigen Rechtslage entstanden. Wir möchten die jetzige Rechtslage durch ein Erzwingen von Planung überwinden. Wir möchten, daß geplant wird. ({3}) Wir möchten, daß die Kommunen das Instrument der Vorbehaltsplanung ergreifen, um diesen Wildwuchs zu überwinden. Deswegen sollten wir, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, möglichst schnell und, ich hoffe, wenigstens nach dem 24. März, uns überwinden und dazu kommen, daß wir das Bundesbaugesetz mit einer neuen Privilegierung für die Windkraftanlagen ausstatten. Ich will zuletzt noch auf eine Problematik eingehen, die uns die Kollegen aus Schleswig-Holstein immer genannt haben, nämlich daß die Fristen zu kurz seien, um diese Planung durchzuführen. Ich finde, wir haben jetzt eine sehr elegante Formulierung gefunden, die eine Parallelformulierung zum Baugesetz ist. Wir haben für die Flächennutzungsplanung quasi eine Veränderungssperre eingerichtet, die etwa zwei Jahre laufen soll. Ich glaube, diese Frist ist ausreichend, um die ganzen Planungsmöglichkeiten durchzuspielen und dann in Ruhe und seriös eine Außenbereichsplanung durchzuführen. ({4}) Wir sollten endlich springen. Wir sollten dem vorliegenden Entwurf zustimmen, und das, wenn es geht, noch vor dem 24., auf jeden Fall aber nach dem 24. März. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Kansy gemeldet. Dazu bekommt er das Wort. Darauf kann eventuell noch geantwortet werden. Danach werde ich die Sitzung kurz unterbrechen und den Kollegen Wilhelm sowie die Geschäftsführer zu mir bitten.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als jemand, der diesem Antrag mit einer gewissen Sympathie gegenübersteht, will ich doch einiges nicht so stehenlassen, selbst wenn die Zeit schon fortgeschritten ist. Wir kämpfen hier fast mit verkehrten Fronten. Wir haben stapelweise Briefe vom BUND usw. bekommen, die uns auffordern, aus Gründen des Umweltschutzes auf eine Verabschiedung zu verzichten. ({0}) - Des Umwelt- und Naturschutzes. Normalerweise bedrängen uns als Union alle Verbände, wir sollten eine Politik in ihrem Sinne machen. Das wird jetzt von den Grünen einfach vom Tisch gewischt, nach dem Motto: Was interessiert uns das? ({1}) - Ich entscheide, wann ich aufhören. Dazu brauche ich nicht Ihre Wortmeldung. Das sind dann manchmal auch diejenigen, die jetzt sagen: Wir wollen keine Windenergie!, die am nächsten Tag sagen: Wir wollen keine Kohle! und am übernächsten Tag: Wir wollen keine Kernkraft! Fakt ist, daß der Umweltausschuß dieses Parlamentes bisher nicht in der Lage war, uns als federführendem Ausschuß, der diesen Antrag nicht initiiert hatte, seine klare Meinung zu äußern. Ich meine, vor diesem Hintergrund ist es für uns, die wir für das Planungsrecht des Bundes zuständig sind, eine etwas unübliche Situation, daß die Fraktion der Grünen das Anliegen der Verbände des Landschafts- und Naturschutzes, dem wir dadurch Rechnung tragen wollen, daß wir als Bauausschuß auf ein Votum des Umweltausschusses warten, jetzt einfach aufhebeln und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine Entscheidung herbeiführen will. Insofern würde ich den Kolleginnen und Kollegen doch noch einmal zu bedenken geben, ({2}) daß wir nicht zu so mitternächtlicher Stunde ein so ernsthaft vorgetragenes Anliegen vieler Natur- und Umweltschutzverbände einfach beiseite wischen, sondern dem einen oder anderen Kollegen, der an dieser Abstimmung jetzt noch teilnehmen möchte, ({3}) die Gelegenheit geben, aus der Parlamentarischen Gesellschaft zu uns zu stoßen und abzustimmen. Ich würde sagen, Frau Parlamentarische Geschäftsführerin, dies erfolgt in zunehmendem Maße. ({4}) Insofern meine ich, daß -

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Kansy, Ihre drei Minuten sind abgelaufen. Der Redebeitrag hat ja auch seine Funktion erfüllt. ({0}) Ich frage, ob jemand antworten will. - Das ist nicht der Fall. Dann bleibt es bei dem, was ich gesagt habe: Ich schließe die Aussprache, unterbreche die Sitzung für einen Moment und bitte den Herrn Kollegen Wilhelm und die Geschäftsführer hierher. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich eröffne die Sitzung wieder. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat den Antrag zur Geschäftsordnung gestellt, erstens den noch ausstehenden Beschluß des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in seiner Ausschußsitzung am 13. März 1996 herbeizuführen - es ist wohl gemeint: zu dem entsprechenden Thema -, zweitens ebenso den endgültigen Beschluß des federführenden Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau herbeizuführen und drittens die abschließende Lesung im Plenum zum nächstmöglichen Termin durchzuführen. Wünscht noch jemand das Wort zur Geschäftsordnung? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann können wir abstimmen. Wer stimmt dem verlesenen Antrag zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der vorliegende Antrag ist abgelehnt. ({0}) - Falls jemand daran zweifeln sollte: Wir haben das durchgezählt. Der Antrag ist abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinrich Graf von Einsiedel, Andrea Lederer, Manfred Müller ({1}), weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Keine deutsche Beteiligung an militärischen Aufklärungssatelliten - Drucksache 13/2868 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. ({2}) - Zu diesem Tagesordnungspunkt sind alle Reden zu Protokoll gegeben worden. *) Dann schließe ich damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 13/2868 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Freitag, 8. März 1996, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche allen eine gute Nacht.